Isis im Römischen Reich: Teil 1: Die Göttin im griechisch-römischen Ägypten & Teil 2: Adaption(en) des Kultes im Westen 3447108010, 9783447108010

Unter den ägyptischen Gottheiten gilt Isis wohl als die berühmteste, da sich ihr Kult weit über die Grenzen ihres Stamml

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Isis im Römischen Reich: Teil 1: Die Göttin im griechisch-römischen Ägypten & Teil 2: Adaption(en) des Kultes im Westen
 3447108010, 9783447108010

Table of contents :
Teil 1: Die Göttin im griechisch-römischen Ägypten
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Table of Contents
Vorwort und Danksagung
Einleitung
1 Der Isiskult in Ägypten und im Mittelmeerraum – Bisheriger Forschungsstand und Zielsetzung
2 Methodik und Gliederung
3 Technische Vorbemerkungen
Herrin der Beiden Länder: Isis in den Texten und ergänzenden Zeugnissen des Griechisch-Römischen Ägypten
4 Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln nach den hieroglyphischen Inschriften sowie ergänzenden Texten
4.1 Philae, Isisheiligtum (und Bigge)
4.1.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.1.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.1.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.
4.1.1.C Ergänzende Texte aus Bigge, Isis- und Osiristempel
4.1.2 Philae: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums (inkl. Bigge)
4.2 Assuan, Isistempel
4.2.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.2.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.2.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.
4.2.2 Assuan: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.3 Nubische Tempel
4.3.1 Kommentierte Übersetzung zentraler Inschriften
4.3.1.1 Dakke, Thoth-Tempel
4.3.1.2 Kalabscha, Mandulis-Tempel
4.3.2 Nubien: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie der nubischen Tempel (Dakke, Kalabscha und weitere)
4.4 Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum
4.4.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.4.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.4.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.
4.4.2 Behbeit el-Hagar: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.5 Edfu, Horustempel
4.5.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.5.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen, Götterlisten
4.5.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.
4.5.2 Edfu: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.6 Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis
4.6.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Isistempel und Isistor
4.6.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.6.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.
4.6.2 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Haupttempel (Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen)
4.6.3 Dendara: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.7 Theben, Karnak
4.7.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Eine Isishymne im Opet-Tempel
4.7.2 Karnak: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Opet-Tempels und weiteren Teilen von Karnak
4.8 Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel
4.8.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.8.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.8.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.
4.8.2 Deir el-Schelwit: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.8.3 Theben: Die Rolle der Isis in weiteren Tempeln der Umgebung von Theben: Armant, Tôd und Medamud
4.9 El-Qal‘a (Koptos), Isistempel
4.9.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.9.2 El-Qal‘a: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.10 Schenhur (Koptos), Isistempel
4.10.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.10.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen
4.10.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen
4.10.2 Schenhur: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.10.3 Koptos: Die Rolle der Isis in Koptos
4.11 Esna und weitere Tempel, in denen Isis eine untergeordnete Rolle spielt
4.11.1 Esna, Chnum-Tempel
4.11.1.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften
4.11.1.2 Esna: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums
4.11.2 Kom Ombo
4.11.3 Athribis (Oberägypten)
4.12 Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis
4.12.1 Memphis
4.12.1.1 Nekropolen
4.12.1.2 Memphitische Isisheiligtümer außerhalb der Nekropolen (?)
4.13 Ergänzende hieroglyphische und hieratische Texte zur Kulttopographie und Mythologie (Handbücher und Gaumonographien)
4.13.1 Übergreifende kulttopographische und mythologische Handbücher
4.13.1.1 Kulttopographische Litaneien für Isis und Hathor
4.13.1.2 Die ausführlichen Gaumonographien (Tebtynis, Tanis, Edfu I)
4.13.2 Unterägypten: Deltapapyrus
4.13.3 17. und 18. Oberägyptischer Gau: pJumilhac
4.13.4 Fayum: Das Fayumbuch
5 Analyse: Die Isishymnen, -litaneien und -eulogien und der Charakter der Isis in den ägyptischen Tempeln griechisch-römischer Zeit
5.1 Vergleichende Analyse der Texte: Form, Platzierung und Chronologie
5.1.1 Platzierung im Tempel: Inschriftenformen, Anbringungsorte
5.1.2 Formale Merkmale
5.1.2.1 Bezugnahme auf Isis
5.1.2.2 Einleitungsformeln
5.1.2.3 Schlußgebet
5.1.3 Chronologie und Beziehung der Texte untereinander (Parallelen)
5.1.4 Tradition und Neuerung: Mögliche Vorläufer/Vorbilder der Hymnen, Litaneien und eulogischen Epithetareihen für Isis
5.2 Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte
5.2.1 Die Haupttitel (nahen Epitheta) der Isis
5.2.2 Themen der Hymnen und das Bild der Göttin in den Tempeln unter Berücksichtigung chronologischer und regionaler Unterschiede: Eigenschaften und Funktionen der Isis in griechisch-römischer Zeit
5.2.2.1 Götterwelt
5.2.2.2 Kosmos/Natur
5.2.2.3 Königtum
5.2.2.4 Welt der Menschen
6 Demotische und griechische (und meroitische) Zeugnisse zu Isis aus Ägypten: Zusammenfluß und Austausch
6.1 Hymnen und Gebete aus den Tempelbibliotheken und in literarischen Kontexten
6.1.1 Die Anrufung an Isis des pHeid. dem. 736 vs.
6.1.2 Lobpreis der Isis im Fayum: Die griechischen Hymnen an Isis-Thermuthis in Narmuthis (Medinet Madi) und eine Litanei in den liturgischen pBerlin P. 6750 und P. 8765
6.1.2.1 Die Hymnen von Medinet Madi (MM I–IV)
6.1.2.2 Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 und verwandte Texte
6.1.3 Zwischen Fayum und Oxyrhynchos: Demotische und griechische Isishymnen mit ausführlichen kulttopographischen Litaneien in pWien D. 6297+6329+10101 und pOxy. 1380
6.1.3.1 pWien D. 6297+6329+10101
6.1.3.2 pOxy. 1380
6.1.4 Aufforderung zum Isislob mit kulttopographischer Litanei in drei demotischen Parallelversionen: pTebtunis Tait 14+PSI Inv. D 79+pCarlsberg 130 rt.+pCtYBR inv. 4390(19)+4805(18), pCarlsberg 652 vs. und pHamburg 33 vs.
6.1.5 Sonstige bzw. unsichere Isishymnen
6.2 Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen
6.2.1 Memphis (Sakkara)
6.2.1.1 Das Archiv des Hor
6.2.1.2 Griechische Dokumente und Inschriften aus dem Sarapeionsbezirk
6.2.2 Philae (und Bigge)
6.2.2.1 Aktivitäten und Inschriftenpraxis von Ägyptern, Griechen, Römern und Meroiten in Philae
6.2.2.2 Das Bild der Isis in den Graffiti
6.2.3 Assuan
6.2.4 Nubien
6.2.5 Theben
6.2.5.1 Demotische Graffiti im Westgebirge
6.2.5.2 Weitere ägyptische Inschriften aus Theben
6.2.5.3 Das ‚Sarapeion‘ von Luxor
6.2.5.4 Späte Zeugnisse des thebanischen Isiskultes
6.2.6 Koptos
6.2.7 Ostwüste
6.2.8 Dendara
6.2.9 Die Oasen: Charga und Dachla
6.2.9.1 Charga
6.2.9.2 Dachla
6.2.10 Alexandria und Umgebung
6.2.10.1 Sarapeion und (mögliche) Heiligtümer der Isis im Stadtgebiet
6.2.10.2 Nekropolen
6.2.10.3 Heiligtümer in der Umgebung von Alexandria
6.3 Kulttopographische und mythologische Texte
6.3.1 Eine Liste von Epiklesen der Isis im „Kairener Onomastikon“
6.3.2 Verarbeitungen des Osiris- und Horusmythos
6.4 Literarische Texte (Erzählungen und Weisheitstexte): Rächerin und Retterin
6.4.1 Isis als strafende/rächende Göttin, in Eigeninitiative
6.4.1.1 Isis bestraft Frevler mit Lepra: Die Bes-Geschichte (pCarlsberg 137 + 205) und die Erzählung des pCarlsberg 448
6.4.1.2 Die Rache der Isis? pSaqqâra 2 rt.
6.4.1.3 Isis als oberste Göttin und Rächerin oder Retterin Ägyptens im „Traum des Nektanebos“
6.4.2 Isis als helfend eingreifende Göttin, nach Gebeten/Flehen
6.4.2.1 Isis als Kriegsgöttin der Amazonen: pWien D. 6165 + D. 6764 und D. 6165A
6.4.2.2 Isis als Hoffnungsträgerin verzweifelter Menschen: ein Krugtext und seine intertextuellen Bezüge zu demotischen Weisheitstexten und weiteren Erzählungen
6.5 Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin
6.5.1 Isis als Heilerin, Magierin und Orakelgottheit
6.5.1.1 Isis als Magierin vor der Ptolemäerzeit
6.5.1.2 Isis in den divinatorischen Träumen des Hor
6.5.1.3 Die ‚Sortes Isiacae‘, Isis als Orakel-Gottheit und ihre Rolle in weiteren prophetischen Texten
6.5.1.4 Isis als Heilerin, Weise und Magierin in den PGM/PDM und verwandten Quellen (Corpus Hermeticum u. a.)
6.5.2 Isis als mythologisches Vorbild in magischen Texten
6.5.2.1 Die Suche nach Osiris, seine Bestattung und Isis’ Beziehung zu Thoth
6.5.2.2 Isis und Osiris im Liebeszauber
6.5.2.3 Isis und Horus außerhalb der Heilzauber
6.5.3 Charakter und magische Materialien der Isis in den Zaubertexten
6.5.3.1 Isis als vielnamige All- und Urgöttin sowie als Königin
6.5.3.2 Pflanzen der Isis und Isis als Fruchtbarkeitsgöttin
6.5.3.3 Stoffe und Kleidung der Isis sowie ihrer Priester
6.5.3.4 Sonstiges
6.5.4 Magische Gemmen und Ringe
6.5.5 Nachleben: Isis in koptischen und arabischen Zaubertexten
6.6 Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘
6.6.1 Die ägyptische Aretalogie-Tradition: Die Selbstvorstellung der Isis(-Schentait) oder Hathor(-Schentait) im Rahmen osirianischer Riten und anderer Ritualtexte
6.6.2 Ergänzende Anmerkungen zu einigen Aussagen der M-Aretalogie
6.6.3 Die memphitische Isis-Aretalogie und der zweite Teil von pOxy. 1380
6.7 Resümee: Isis in demotischen und griechischen Texten aus Ägypten. Kulturübergreifende Formen der persönlichen Annäherung an die Göttin
6.7.1 Hymnen und Gebete: Formale Besonderheiten und Gemeinsamkeiten
6.7.1.1 Einleitungsformeln
6.7.1.2 Strukturelle Merkmale
6.7.1.3 Schlußgebet und/oder Dank
6.7.2 Das Bild der Isis in den demotischen und griechischen Texten
6.7.2.1 Die Haupttitel der Isis
6.7.2.2 Hauptfunktionen der Isis
Teil 2: Adaption(en) des Kultes im Westen
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Title Page
Table of Contents
Herrin der (westlichen) Fremdländer: Ausbreitung, Formen und Mechanismen der Aneignung ägyptischen Kultes in den Römischen Provinzen
7 Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes nach archäologischen Zeugnissen einzelner Regionen anhand von Fallstudien
7.1 Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie innerhalb des ägyptischen Kulturgutes im punisch-phönizischen Raum
7.1.1 Ägyptische Einflüsse auf Religion und Kunst der Phönizier
7.1.2 Isis und ihr Kreis innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca: Amulette, Skarabäen etc.
7.1.2.A Figürliche Amulette aus Fayence und Steatit
7.1.2.B Skarabäen und Siegelabdrücke
7.1.2.C Amulettkapseln
7.1.2.D Rasierklingen
7.1.2.E Weitere Gebrauchsgegenstände, Varia
7.1.3 Isis-Motive innerhalb der Punischen Münzprägung
7.1.4 Zur Deutung und Bedeutung der Isis-Motive innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca
7.1.5 Schriftliche Zeugnisse für eine Verehrung der Isis
7.1.5.A Onomastik
7.1.5.B Eine Bronzesitula unbekannter Provenienz
7.1.5.C Malta
7.1.5.D Iberische Halbinsel
7.1.5.E Zypern
7.1.5.F Karthago
7.1.5.G Sizilien
7.1.6 Resümee
7.2 Nordafrika
7.2.1 Provinz Kyrenaika
7.2.1.1 Beziehungen zu Ägypten und Anfänge einer Isisverehrung
7.2.1.2 Kyrene
7.2.1.3 Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Kyrenaika
7.2.2 Provinz Tripolitania
7.2.2.1 Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit
7.2.2.2 Sabratha
7.2.2.3 Leptis Magna
7.2.2.4 Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Tripolitania
7.2.3 Provinz Africa Proconsularis
7.2.3.1 Der Kult der ägyptischen Götter nach der punischen Zeit
7.2.3.2 Karthago
7.2.3.3 Bulla Regia
7.2.3.4 Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Proconsularis
7.2.4 Provinz Numidia
7.2.4.1 Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit
7.2.4.2 Lambaesis
7.2.4.3 Thamugadi
7.2.4.4 Die ägyptischen Götter an anderen Orten Numidias
7.2.5 Provinz Mauretania (Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana)
7.2.5.1 Der Kult der ägyptischen Götter bis zur frühen Kaiserzeit
7.2.5.2 Caesarea (Iol)
7.2.5.3 Die ägyptischen Götter an anderen Orten Mauretanias
7.2.6 Resümee: Der Isiskreis in Nordafrika – Zwischen Ägypten, Karthago, Griechenland und Rom
7.2.6.1 Zeitpunkt und Art der Einführung ägyptischer Gottheiten
7.2.6.2 Bedeutung und Charakter des Isiskreises zwischen älteren Traditionen und neueren Strömungen
7.2.6.3 Die Gestalt der Heiligtümer
7.2.6.4 Kult und Kultträger
7.3 Italien: Latium und Campanien
7.3.1 Die Anfänge des Isiskultes in Italien
7.3.2 Rom und Latium
7.3.2.1 Die ägyptischen Kulte im republikanischen Rom – Zwischen politischem Widerstand und religiöser Integration
7.3.2.2 Isis und Sarapis im Rom der Kaiserzeit – Die Blüte der ägyptischen Kulte unter imperialer Förderung
7.3.2.3 Ostia und Portus
7.3.2.4 Tibur, Villa Hadriana
7.3.2.5 Praeneste
7.3.2.6 Nemus Dianae und weitere Orte in Latium
7.3.3 Campanien (inklusive Benevent/Samnium)
7.3.3.1 Pompeji
7.3.3.2 Herculaneum
7.3.3.3 Benevent
7.3.3.4 Cumae und weitere Orte in Campanien
7.3.4 Resümee: Der Isiskreis im Zentrum der Macht
7.3.4.1 Bedeutung und Charakter des Isiskreises
7.3.4.2 Die Gestalt der Heiligtümer
7.3.4.3 Ausstattung der Heiligtümer, Kult und Kultträger
7.4 Germania Inferior und Superior
7.4.1 Die Anfänge des Isiskultes in den germanischen Provinzen
7.4.2 Mogontiacum
7.4.2.1 Das Heiligtum der Isis und Magna Mater
7.4.2.2 Weitere Zeugnisse aus Mainz
7.4.3 Colonia Agrippinensis
7.4.3.1 Ein Isistempel in Köln?
7.4.3.2 Bedeutung und Charakter der Gottheiten des Isiskreises in Colonia Agrippinensis nach den Weihinschriften und weiteren Zeugnissen
7.4.3.3 Kult und Kultträger
7.4.4 Die ägyptischen Götter an weiteren Orten in Germanien
7.4.5 Resümee: Die ägyptischen Gottheiten an den Grenzen des Reiches
7.4.5.1 Bedeutung und Charakter des Isiskreises
7.4.5.2 Die Gestalt der Heiligtümer
7.4.5.3 Kult und Kultträger
8 Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult: Plutarchs De Iside und Apuleius’ Metamorphosen im Licht der ägyptischen Quellen und archäologischen Befunde
8.1 Plutarch, De Iside et Osiride
8.1.1 Einleitung
8.1.2 Mythos und Kult
8.1.2.1 Das Leben des Osiris
8.1.2.2 Tod des Osiris und Trauer um ihn
8.1.2.3 Die Suche nach Osiris
8.1.2.4 Aktionen im Kampf zwischen Horus und Seth
8.1.3 Das Konzept der Göttin
8.1.3.1 Kosmos/Natur
8.1.3.2 Kosmos/Natur und Mensch
8.1.3.3 Kosmos/Natur und Mythos
8.1.3.4 Kosmos/Natur und Mensch II
8.1.3.5 Mythos und Mensch
8.1.3.6 Kosmos/Natur und Mensch III
8.2 Apuleius, Metamorphosen
8.2.1 Einleitung
8.2.1.1 Ägyptische Parallelen
8.2.1.2 Griechische Vorlage
8.2.1.3 Zusammenfassung der Grundzüge des Inhalts
8.2.1.4 Bezüge zu Plutarch
8.2.1.5 Bezüge zum ‚realen‘ Isiskult
8.2.2 Das Konzept der Göttin
8.2.2.1 Kosmos/Natur und Mensch
8.2.2.2 Kosmos/Natur und Mythos
8.2.2.3 Kosmos/Natur
8.2.2.4 Kosmos/Natur und Mensch II
8.2.2.5 Mythos und Mensch
8.2.2.6 Kosmos/Natur und Mensch III – Gebete und Rituale
8.3 Resümee: Die Adaption und gedankliche Weiterentwicklung ägyptischer Konzepte des Isiskultes bei kaiserzeitlichen Autoren
Synthese
9 Isis als transkulturelle Göttin im Römischen Reich
Anhang
10 Abkürzungsverzeichnisse
10.1 Allgemeine Abkürzungen
10.2 Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen und Lexika
10.3 Abkürzungen für Texteditionen
11 Literaturverzeichnis
12 Indices
12.1 Sachindex
12.1.1 Allgemeine Begriffe
12.1.2 Götternamen, -epiklesen, -funktionen und -epitheta
12.1.3 Personen (inkl. Herrscher und fiktive Personen)
12.1.4 Ägyptische Wörter und Ausdrücke
12.1.5 Griechische Wörter und Ausdrücke
12.1.6 Lateinische Wörter und Ausdrücke
12.1.7 Sonstiges (Voces magicae etc.)
12.2 Quellenindex
12.2.1 Ägyptische Tempelinschriften
12.2.2 Ägyptische und Griechische Papyri, Codices, Ostraka und Gefäße
12.2.3 Ägyptische und meroitische Graffiti
12.2.4 Sonstige ägyptische Quellen (Inschriften, Kompositionen, Corpora u. a.)
12.2.5 Griechische und lateinische Inschriften und Graffiti
12.2.6 Antike Autoren
12.2.7 Münzen
12.2.8 Phönizische/Punische Quellen
12.2.9 Sonstige Quellen
Tafeln

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© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447108010 — ISBN E-Book: 9783447196444

P H I L I P P I K A

Altertumswissenschaftliche Abhandlungen Contributions to the Study of Ancient World Cultures

Herausgegeben von /Edited by Joachim Hengstl, Elizabeth Irwin, Andrea Jördens, Torsten Mattern, Robert Rollinger, Kai Ruffing, Orell Witthuhn 109

2019

Harrassowitz Verlag . Wiesbaden

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447108010 — ISBN E-Book: 9783447196444

Svenja Nagel

Isis im Römischen Reich Teil 1: Die Göttin im griechisch-römischen Ägypten

2019

Harrassowitz Verlag . Wiesbaden

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447108010 — ISBN E-Book: 9783447196444

Bis Band 60: Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen. Bei diesem Werk handelt es sich um die überarbeitete Dissertation, die an der Universität Heidelberg unter dem Titel „Die Ausbreitung des Isiskultes im Römischen Reich: Tradition und Transformation auf dem Weg von Ägypten nach Rom. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Isiskultes im griechischrömischen Ägypten und zu seiner Adaption in Rom und dem westlichen Mittelmeerraum“ eingereicht und am 29. Mai 2015 verteidigt wurde.

Der Band wurde mit dem „Philippika-Preis“ des Jahres 2015 ausgezeichnet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http://dnb.dnb.de.

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 1613-5628 ISBN 978-3-447-10801-0 e-ISBN 978-3-447-19444-4

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447108010 — ISBN E-Book: 9783447196444

Für meinen Großvater Robert Bewerunge, in dankbarer Erinnerung

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447108010 — ISBN E-Book: 9783447196444

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Inhalt Band 1 Vorwort und Danksagung............................................................................................. XVII Einleitung 1

Der Isiskult in Ägypten und im Mittelmeerraum – Bisheriger Forschungsstand und Zielsetzung ..............................................

3

2

Methodik und Gliederung ............................................................................

7

3

Technische Vorbemerkungen ......................................................................

11

Herrin der Beiden Länder: Isis in den Texten und ergänzenden Zeugnissen des Griechisch-Römischen Ägypten 4 4.1 4.1.1 4.1.1.A 4.1.1.B 4.1.1.C 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.1.A 4.2.1.B 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.1.1 4.3.1.2 4.3.2 4.4 4.4.1

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln nach den hieroglyphischen Inschriften sowie ergänzenden Texten ............. Philae, Isisheiligtum (und Bigge) ................................................................ Kommentierte Übersetzung der Inschriften ................................................. Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen .................. Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. ....................................................... Ergänzende Texte aus Bigge, Isis- und Osiristempel .................................. Philae: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums (inkl. Bigge) ................................... Assuan, Isistempel ....................................................................................... Kommentierte Übersetzung der Inschriften ................................................. Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen .................. Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. ....................................................... Assuan: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums ........................................................ Nubische Tempel ......................................................................................... Kommentierte Übersetzung zentraler Inschriften ........................................ Dakke, Thoth-Tempel .................................................................................. Kalabscha, Mandulis-Tempel ...................................................................... Nubien: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie der nubischen Tempel (Dakke, Kalabscha und weitere).............................. Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum ................................................................... Kommentierte Übersetzung der Inschriften .................................................

© 2019, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 9783447108010 — ISBN E-Book: 9783447196444

15 16 16 16 94 109 111 116 116 116 135 140 145 145 145 148 160 163 163

VIII

Inhalt

4.4.1.A 4.4.1.B 4.4.2

Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen ................... Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. ....................................................... Behbeit el-Hagar: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums......................................................... 4.5 Edfu, Horustempel ....................................................................................... 4.5.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften ................................................. 4.5.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen, Götterlisten ......................................................................... 4.5.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. ....................................................... 4.5.2 Edfu: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums ............................................................... 4.6 Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis ..................................................... 4.6.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Isistempel und Isistor ............. 4.6.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen ................... 4.6.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. ....................................................... 4.6.2 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Haupttempel (Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen) ................ 4.6.3 Dendara: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums......................................................... 4.7 Theben, Karnak ............................................................................................ 4.7.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Eine Isishymne im Opet-Tempel ................................................................. 4.7.2 Karnak: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Opet-Tempels und weiteren Teilen von Karnak .................................... 4.8 Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel ......................................................... 4.8.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften ................................................. 4.8.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen ................... 4.8.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. ....................................................... 4.8.2 Deir el-Schelwit: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums......................................................... 4.8.3 Theben: Die Rolle der Isis in weiteren Tempeln der Umgebung von Theben: Armant, Tôd und Medamud ........................... 4.9 El-Qal‘a (Koptos), Isistempel ...................................................................... 4.9.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen ................... 4.9.2 El-Qal‘a: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums......................................................... 4.10 Schenhur (Koptos), Isistempel ..................................................................... 4.10.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften ................................................. 4.10.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen ................... 4.10.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen ............................................................... 4.10.2 Schenhur: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums......................................................... 4.10.3 Koptos: Die Rolle der Isis in Koptos ...........................................................

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163 168 172 176 176 176 191 203 206 206 206 222 246 342 349 349 353 356 356 356 403 418 422 433 433 446 449 449 449 453 453 455

Inhalt

4.11 4.11.1 4.11.1.1 4.11.1.2 4.11.2 4.11.3 4.12 4.12.1 4.12.1.1 4.12.1.2 4.13 4.13.1 4.13.1.1 4.13.1.2 4.13.2 4.13.3 4.13.4 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.2.1 5.1.2.2 5.1.2.3 5.1.3 5.1.4 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.2 5.2.2.3 5.2.2.4

Esna und weitere Tempel, in denen Isis eine untergeordnete Rolle spielt .................................................................. Esna, Chnum-Tempel .................................................................................. Kommentierte Übersetzung der Inschriften ................................................. Esna: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums ........................................................ Kom Ombo .................................................................................................. Athribis (Oberägypten) ................................................................................ Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis .................... Memphis ...................................................................................................... Nekropolen .................................................................................................. Memphitische Isisheiligtümer außerhalb der Nekropolen (?)...................... Ergänzende hieroglyphische und hieratische Texte zur Kulttopographie und Mythologie (Handbücher und Gaumonographien) .... Übergreifende kulttopographische und mythologische Handbücher ........... Kulttopographische Litaneien für Isis und Hathor....................................... Die ausführlichen Gaumonographien (Tebtynis, Tanis, Edfu I) .................. Unterägypten: Deltapapyrus ........................................................................ 17. und 18. Oberägyptischer Gau: pJumilhac .............................................. Fayum: Das Fayumbuch .............................................................................. Analyse: Die Isishymnen, -litaneien und -eulogien und der Charakter der Isis in den ägyptischen Tempeln griechisch-römischer Zeit ............................................................................ Vergleichende Analyse der Texte: Form, Platzierung und Chronologie ..... Platzierung im Tempel: Inschriftenformen, Anbringungsorte ..................... Formale Merkmale ...................................................................................... Bezugnahme auf Isis.................................................................................... Einleitungsformeln ...................................................................................... Schlußgebet ................................................................................................. Chronologie und Beziehung der Texte untereinander (Parallelen) .............. Tradition und Neuerung: Mögliche Vorläufer/Vorbilder der Hymnen, Litaneien und eulogischen Epithetareihen für Isis ....................................... Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte ............ Die Haupttitel (nahen Epitheta) der Isis ...................................................... Themen der Hymnen und das Bild der Göttin in den Tempeln unter Berücksichtigung chronologischer und regionaler Unterschiede: Eigenschaften und Funktionen der Isis in griechisch-römischer Zeit .......... Götterwelt .................................................................................................... Kosmos/Natur .............................................................................................. Königtum ..................................................................................................... Welt der Menschen ......................................................................................

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IX

458 458 458 473 474 476 477 477 477 482 484 485 485 492 497 503 507

515 515 515 517 518 519 520 521 525 530 530 533 533 543 547 551

X

Inhalt

6

Demotische und griechische (und meroitische) Zeugnisse zu Isis aus Ägypten: Zusammenfluß und Austausch ............................................... 6.1 Hymnen und Gebete aus den Tempelbibliotheken und in literarischen Kontexten ..................................................................... 6.1.1 Die Anrufung an Isis des pHeid. dem. 736 vs. ............................................. 6.1.2 Lobpreis der Isis im Fayum: Die griechischen Hymnen an Isis-Thermuthis in Narmuthis (Medinet Madi) und eine Litanei in den liturgischen pBerlin P. 6750 und P. 8765 .......................................... 6.1.2.1 Die Hymnen von Medinet Madi (MM I–IV) ............................................... 6.1.2.2 Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 und verwandte Texte .................................................................................... 6.1.3 Zwischen Fayum und Oxyrhynchos: Demotische und griechische Isishymnen mit ausführlichen kulttopographischen Litaneien in pWien D. 6297+6329+10101 und pOxy. 1380 ........................................ 6.1.3.1 pWien D. 6297+6329+10101 ....................................................................... 6.1.3.2 pOxy. 1380................................................................................................... 6.1.4 Aufforderung zum Isislob mit kulttopographischer Litanei in drei demotischen Parallelversionen: pTebtunis Tait 14+PSI Inv. D 79+pCarlsberg 130 rt.+pCtYBR inv. 4390(19)+4805(18), pCarlsberg 652 vs. und pHamburg 33 vs. ................... 6.1.5 Sonstige bzw. unsichere Isishymnen............................................................ 6.2 Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen .............................................. 6.2.1 Memphis (Sakkara) ...................................................................................... 6.2.1.1 Das Archiv des Hor ...................................................................................... 6.2.1.2 Griechische Dokumente und Inschriften aus dem Sarapeionsbezirk ........... 6.2.2 Philae (und Bigge) ....................................................................................... 6.2.2.1 Aktivitäten und Inschriftenpraxis von Ägyptern, Griechen, Römern und Meroiten in Philae ................................................................... 6.2.2.2 Das Bild der Isis in den Graffiti ................................................................... 6.2.3 Assuan .......................................................................................................... 6.2.4 Nubien .......................................................................................................... 6.2.5 Theben ......................................................................................................... 6.2.5.1 Demotische Graffiti im Westgebirge ........................................................... 6.2.5.2 Weitere ägyptische Inschriften aus Theben ................................................. 6.2.5.3 Das ‚Sarapeion‘ von Luxor .......................................................................... 6.2.5.4 Späte Zeugnisse des thebanischen Isiskultes ............................................... 6.2.6 Koptos .......................................................................................................... 6.2.7 Ostwüste....................................................................................................... 6.2.8 Dendara ........................................................................................................ 6.2.9 Die Oasen: Charga und Dachla .................................................................... 6.2.9.1 Charga .......................................................................................................... 6.2.9.2 Dachla .......................................................................................................... 6.2.10 Alexandria und Umgebung .......................................................................... 6.2.10.1 Sarapeion und (mögliche) Heiligtümer der Isis im Stadtgebiet ...................

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555 555 556 560 560 590 599 599 600

635 645 646 647 647 657 660 661 670 680 684 688 688 694 696 700 700 704 707 708 708 710 712 712

Inhalt

6.2.10.2 6.2.10.3 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4 6.4.1 6.4.1.1 6.4.1.2 6.4.1.3 6.4.2 6.4.2.1 6.4.2.2 6.5 6.5.1 6.5.1.1 6.5.1.2 6.5.1.3 6.5.1.4 6.5.2 6.5.2.1 6.5.2.2 6.5.2.3 6.5.3 6.5.3.1 6.5.3.2 6.5.3.3 6.5.3.4 6.5.4 6.5.5 6.6 6.6.1 6.6.2 6.6.3

Nekropolen .................................................................................................. Heiligtümer in der Umgebung von Alexandria ........................................... Kulttopographische und mythologische Texte ............................................ Eine Liste von Epiklesen der Isis im „Kairener Onomastikon“................... Verarbeitungen des Osiris- und Horusmythos ............................................. Literarische Texte (Erzählungen und Weisheitstexte): Rächerin und Retterin .................................................................................. Isis als strafende/rächende Göttin, in Eigeninitiative................................... Isis bestraft Frevler mit Lepra: Die Bes-Geschichte (pCarlsberg 137 + 205) und die Erzählung des pCarlsberg 448 .................. Die Rache der Isis? pSaqqâra 2 rt. ............................................................... Isis als oberste Göttin und Rächerin oder Retterin Ägyptens im „Traum des Nektanebos“........................................................................ Isis als helfend eingreifende Göttin, nach Gebeten/Flehen.......................... Isis als Kriegsgöttin der Amazonen: pWien D. 6165 + D. 6764 und D. 6165A .................................................... Isis als Hoffnungsträgerin verzweifelter Menschen: ein Krugtext und seine intertextuellen Bezüge zu demotischen Weisheitstexten und weiteren Erzählungen ........................................................................... Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin ............................... Isis als Heilerin, Magierin und Orakelgottheit ............................................. Isis als Magierin vor der Ptolemäerzeit ....................................................... Isis in den divinatorischen Träumen des Hor .............................................. Die ‚Sortes Isiacae‘, Isis als Orakel-Gottheit und ihre Rolle in weiteren prophetischen Texten ................................................................ Isis als Heilerin, Weise und Magierin in den PGM/PDM und verwandten Quellen (Corpus Hermeticum u. a.) .................................. Isis als mythologisches Vorbild in magischen Texten ................................. Die Suche nach Osiris, seine Bestattung und Isis’ Beziehung zu Thoth ..... Isis und Osiris im Liebeszauber ................................................................... Isis und Horus außerhalb der Heilzauber ..................................................... Charakter und magische Materialien der Isis in den Zaubertexten .............. Isis als vielnamige All- und Urgöttin sowie als Königin ............................. Pflanzen der Isis und Isis als Fruchtbarkeitsgöttin ...................................... Stoffe und Kleidung der Isis sowie ihrer Priester ........................................ Sonstiges ...................................................................................................... Magische Gemmen und Ringe..................................................................... Nachleben: Isis in koptischen und arabischen Zaubertexten ....................... Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘ ............................................................. Die ägyptische Aretalogie-Tradition: Die Selbstvorstellung der Isis(-Schentait) oder Hathor(-Schentait) im Rahmen osirianischer Riten und anderer Ritualtexte ................................................. Ergänzende Anmerkungen zu einigen Aussagen der M-Aretalogie ............ Die memphitische Isis-Aretalogie und der zweite Teil von pOxy. 1380 .....

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XI 721 730 738 738 742 750 750 750 753 760 763 763 767 774 775 775 779 785 791 800 801 808 816 818 818 821 823 825 825 828 831 832 838 840

XII 6.7 6.7.1 6.7.1.1 6.7.1.2 6.7.1.3 6.7.2 6.7.2.1 6.7.2.2

Inhalt

Resümee: Isis in demotischen und griechischen Texten aus Ägypten. Kulturübergreifende Formen der persönlichen Annäherung an die Göttin................................................................................................. Hymnen und Gebete: Formale Besonderheiten und Gemeinsamkeiten ....... Einleitungsformeln ....................................................................................... Strukturelle Merkmale ................................................................................. Schlußgebet und/oder Dank ......................................................................... Das Bild der Isis in den demotischen und griechischen Texten ................... Die Haupttitel der Isis .................................................................................. Hauptfunktionen der Isis ..............................................................................

846 847 848 849 849 850 850 850

Band 2 Herrin der (westlichen) Fremdländer: Ausbreitung, Formen und Mechanismen der Aneignung ägyptischen Kultes in den Römischen Provinzen 7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.2.A 7.1.2.B 7.1.2.C 7.1.2.D 7.1.2.E 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.5.A 7.1.5.B 7.1.5.C 7.1.5.D 7.1.5.E 7.1.5.F 7.1.5.G 7.1.6 7.2 7.2.1

Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes nach archäologischen Zeugnissen einzelner Regionen anhand von Fallstudien ............................. Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie innerhalb des ägyptischen Kulturgutes im punisch-phönizischen Raum ..................... Ägyptische Einflüsse auf Religion und Kunst der Phönizier ....................... Isis und ihr Kreis innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca: Amulette, Skarabäen etc. ............................................................................. Figürliche Amulette aus Fayence und Steatit ............................................... Skarabäen und Siegelabdrücke .................................................................... Amulettkapseln ............................................................................................ Rasierklingen ............................................................................................... Weitere Gebrauchsgegenstände, Varia ........................................................ Isis-Motive innerhalb der Punischen Münzprägung .................................... Zur Deutung und Bedeutung der Isis-Motive innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca .......................................... Schriftliche Zeugnisse für eine Verehrung der Isis ...................................... Onomastik .................................................................................................... Eine Bronzesitula unbekannter Provenienz.................................................. Malta ............................................................................................................ Iberische Halbinsel....................................................................................... Zypern .......................................................................................................... Karthago....................................................................................................... Sizilien ......................................................................................................... Resümee ....................................................................................................... Nordafrika .................................................................................................... Provinz Kyrenaika .......................................................................................

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855 855 855 857 858 862 864 864 866 866 871 881 881 887 888 892 894 895 896 897 898 899

Inhalt

7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.2 7.2.2.1 7.2.2.2 7.2.2.3 7.2.2.4 7.2.3 7.2.3.1 7.2.3.2 7.2.3.3 7.2.3.4 7.2.4 7.2.4.1 7.2.4.2 7.2.4.3 7.2.4.4 7.2.5 7.2.5.1 7.2.5.2 7.2.5.3 7.2.6 7.2.6.1 7.2.6.2 7.2.6.3 7.2.6.4 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.2.1 7.3.2.2 7.3.2.3 7.3.2.4 7.3.2.5 7.3.2.6 7.3.3 7.3.3.1 7.3.3.2 7.3.3.3 7.3.3.4

Beziehungen zu Ägypten und Anfänge einer Isisverehrung ........................ Kyrene ......................................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Kyrenaika ............................ Provinz Tripolitania ..................................................................................... Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit .................................... Sabratha ....................................................................................................... Leptis Magna ............................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Tripolitania .......................... Provinz Africa Proconsularis ....................................................................... Der Kult der ägyptischen Götter nach der punischen Zeit ........................... Karthago ...................................................................................................... Bulla Regia .................................................................................................. Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Proconsularis ....................... Provinz Numidia .......................................................................................... Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit .................................... Lambaesis .................................................................................................... Thamugadi ................................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten Numidias ................................... Provinz Mauretania (Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana).... Der Kult der ägyptischen Götter bis zur frühen Kaiserzeit .......................... Caesarea (Iol)............................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten Mauretanias ............................... Resümee: Der Isiskreis in Nordafrika – Zwischen Ägypten, Karthago, Griechenland und Rom ............................... Zeitpunkt und Art der Einführung ägyptischer Gottheiten .......................... Bedeutung und Charakter des Isiskreises zwischen älteren Traditionen und neueren Strömungen .............................................. Die Gestalt der Heiligtümer ......................................................................... Kult und Kultträger ...................................................................................... Italien: Latium und Campanien ................................................................... Die Anfänge des Isiskultes in Italien ........................................................... Rom und Latium .......................................................................................... Die ägyptischen Kulte im republikanischen Rom – Zwischen politischem Widerstand und religiöser Integration ..................... Isis und Sarapis im Rom der Kaiserzeit – Die Blüte der ägyptischen Kulte unter imperialer Förderung ...................... Ostia und Portus .......................................................................................... Tibur, Villa Hadriana ................................................................................... Praeneste ...................................................................................................... Nemus Dianae und weitere Orte in Latium ................................................. Campanien (inklusive Benevent/Samnium) ................................................ Pompeji ........................................................................................................ Herculaneum................................................................................................ Benevent ...................................................................................................... Cumae und weitere Orte in Campanien .......................................................

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XIII 899 901 933 939 939 940 960 974 976 976 976 989 992 997 997 998 1010 1017 1019 1019 1020 1031 1034 1034 1035 1037 1038 1040 1041 1045 1045 1053 1108 1115 1119 1122 1125 1125 1156 1163 1168

XIV 7.3.4 7.3.4.1 7.3.4.2 7.3.4.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.2.1 7.4.2.2 7.4.3 7.4.3.1 7.4.3.2 7.4.3.3 7.4.4 7.4.5 7.4.5.1 7.4.5.2 7.4.5.3 8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.2.1 8.1.2.2 8.1.2.3 8.1.2.4 8.1.3 8.1.3.1 8.1.3.2 8.1.3.3 8.1.3.4 8.1.3.5 8.1.3.6 8.2 8.2.1 8.2.1.1 8.2.1.2 8.2.1.3 8.2.1.4 8.2.1.5 8.2.2

Inhalt

Resümee: Der Isiskreis im Zentrum der Macht ........................................... Bedeutung und Charakter des Isiskreises ..................................................... Die Gestalt der Heiligtümer ......................................................................... Ausstattung der Heiligtümer, Kult und Kultträger ....................................... Germania Inferior und Superior ................................................................... Die Anfänge des Isiskultes in den germanischen Provinzen ........................ Mogontiacum ............................................................................................... Das Heiligtum der Isis und Magna Mater .................................................... Weitere Zeugnisse aus Mainz ...................................................................... Colonia Agrippinensis.................................................................................. Ein Isistempel in Köln? ................................................................................ Bedeutung und Charakter der Gottheiten des Isiskreises in Colonia Agrippinensis nach den Weihinschriften und weiteren Zeugnissen ............. Kult und Kultträger ...................................................................................... Die ägyptischen Götter an weiteren Orten in Germanien ............................ Resümee: Die ägyptischen Gottheiten an den Grenzen des Reiches............ Bedeutung und Charakter des Isiskreises ..................................................... Die Gestalt der Heiligtümer ......................................................................... Kult und Kultträger ...................................................................................... Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult: Plutarchs De Iside und Apuleius’ Metamorphosen im Licht der ägyptischen Quellen und archäologischen Befunde ...................................................................... Plutarch, De Iside et Osiride ........................................................................ Einleitung ..................................................................................................... Mythos und Kult .......................................................................................... Das Leben des Osiris ................................................................................... Tod des Osiris und Trauer um ihn................................................................ Die Suche nach Osiris .................................................................................. Aktionen im Kampf zwischen Horus und Seth ............................................ Das Konzept der Göttin................................................................................ Kosmos/Natur .............................................................................................. Kosmos/Natur und Mensch .......................................................................... Kosmos/Natur und Mythos .......................................................................... Kosmos/Natur und Mensch II ...................................................................... Mythos und Mensch ..................................................................................... Kosmos/Natur und Mensch III ..................................................................... Apuleius, Metamorphosen ........................................................................... Einleitung ..................................................................................................... Ägyptische Parallelen .................................................................................. Griechische Vorlage..................................................................................... Zusammenfassung der Grundzüge des Inhalts ............................................. Bezüge zu Plutarch ...................................................................................... Bezüge zum ‚realen‘ Isiskult........................................................................ Das Konzept der Göttin................................................................................

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1174 1175 1183 1186 1190 1191 1192 1192 1197 1198 1198 1198 1203 1204 1210 1210 1212 1212

1215 1217 1217 1218 1219 1219 1221 1226 1227 1229 1232 1234 1235 1237 1241 1243 1243 1243 1245 1245 1247 1248 1248

Inhalt

8.2.2.1 8.2.2.2 8.2.2.3 8.2.2.4 8.2.2.5 8.2.2.6 8.3

XV

Kosmos/Natur und Mensch ......................................................................... Kosmos/Natur und Mythos .......................................................................... Kosmos/Natur .............................................................................................. Kosmos/Natur und Mensch II ...................................................................... Mythos und Mensch .................................................................................... Kosmos/Natur und Mensch III – Gebete und Rituale .................................. Resümee: Die Adaption und gedankliche Weiterentwicklung ägyptischer Konzepte des Isiskultes bei kaiserzeitlichen Autoren ..............

1249 1251 1251 1253 1257 1260

Isis als transkulturelle Göttin im Römischen Reich .....................................

1277

10 10.1 10.2 10.3

Abkürzungsverzeichnisse ............................................................................ Allgemeine Abkürzungen ............................................................................ Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen und Lexika .................................... Abkürzungen für Texteditionen ...................................................................

1289 1289 1290 1294

11

Literaturverzeichnis .....................................................................................

1297

12 12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5 12.1.6 12.1.7 12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7 12.2.8 12.2.2

Indices ......................................................................................................... Sachindex .................................................................................................... Allgemeine Begriffe .................................................................................... Götternamen, -epiklesen, -funktionen und -epitheta.................................... Personen (inkl. Herrscher und fiktive Personen) ......................................... Ägyptische Wörter und Ausdrücke.............................................................. Griechische Wörter und Ausdrücke............................................................. Lateinische Wörter und Ausdrücke ............................................................. Sonstiges (Voces magicae etc.) .................................................................. Quellenindex................................................................................................ Ägyptische Tempelinschriften ..................................................................... Ägyptische und Griechische Papyri, Codices, Ostraka und Gefäße ............ Ägyptische und meroitische Graffiti............................................................ Sonstige ägyptische Quellen (Inschriften, Kompositionen, Corpora u. a.)..... Griechische und lateinische Inschriften und Graffiti ................................... Antike Autoren ............................................................................................ Münzen ........................................................................................................ Phönizische/Punische Quellen ..................................................................... Sonstige Quellen ..........................................................................................

1361 1361 1361 1382 1410 1417 1418 1418 1418 1419 1419 1430 1438 1441 1443 1449 1452 1453 1453

1271

Synthese 9 Anhang

Tafeln

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Vorwort und Danksagung Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die geringfügig überarbeitete und um neu erschienene Literatur ergänzte Fassung meiner Doktorarbeit, die im Januar 2015 bei der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg unter dem Titel „Die Ausbreitung des Isiskultes im Römischen Reich: Tradition und Transformation auf dem Weg von Ägypten nach Rom. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Isiskultes im griechisch-römischen Ägypten und zu seiner Adaption in Rom und dem westlichen Mittelmeerraum“ eingereicht und Ende Mai 2015 in Heidelberg verteidigt wurde. Seither erschienene zusätzliche relevante Literatur wurde eingearbeitet, soweit sie für mich bis Ende 2018 verfügbar war. Aufgrund der sich kontinuierlich vergrößernden und kaum überschaubaren Menge an Beiträgen zum Isiskult wird jedoch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Die Dissertation entstand in ihren Grundzügen im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojektes „From the Orient to Rome and Back Again. Religious Flows and the Expansion of Oriental Cults in the Roman Empire“ (D7), das unter Leitung von Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack und Prof. Dr. Christian Witschel Teil des Exzellenzclusters „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg bildete und innerhalb dessen meine Promotion in den Jahren 2009–2011 mit einem Doktorandenstipendium gefördert wurde. 2012 erhielt ich außerdem ein halbjähriges Abschlußstipendium der Graduiertenakademie der Universität Heidelberg. Ohne diese Förderungen hätte diese Arbeit nicht verwirklicht werden können, weswegen ich den Stipendiengebern zu großem Dank verpflichtet bin. Das Exzellenzcluster „Asia and Europe“ bildete auch in den folgenden Jahren wieterhin den großen Rahmen meiner wissenschaftlichen Arbeit, da ich von November 2012 bis September 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem ebenfalls dort angesiedelten Forschungsprojekt zu den demotischen und griechischen magischen Papyri aus Ägypten („The Magic of Transculturality“, MC10) beschäftigt war, das von Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack und Prof. Dr. William Furley geleitet wurde. Für die letzte Phase der vorliegenden Dissertation ergaben sich durch die thematisch eng anknüpfende Projektarbeit fruchtbare Synergien. Die Grundidee zu einer neuen Analyse des römischen Isiskultes im Lichte der ägyptischen Quellen der Ptolemäer- und Römerzeit lieferte mein Erstgutachter Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack, dem nicht nur für seine Betreuung über den gesamten Entstehungszeitraum der Arbeit hinweg, sondern auch für zahlreiche wertvolle Einzelhinweise und Anregungen sowie die Bereitstellung verschiedener noch unpublizierter Manuskripte zu zentralen Quellen des ägyptischen Isiskultes ganz herzlich gedankt sei. Ebenfalls danken möchte ich den beiden übrigen Mitgliedern des genannten Forschungsprojektes D7, Prof. Dr. Christian Witschel und Darius Frackowiak, M. A., deren Anregungen im Laufe der Projektarbeit und darüber hinaus meine Auseinandersetzung mit dem ägyptischen Vertreter der sogenannten ‚Orientalischen Kulte‘ immer wieder bereicherten. Insbesondere Darius Frackowiak sei für seine Kollegialität und viele fruchtbare Diskussionen gedankt.

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Vorwort und Danksagung

Von unschätzbarem Wert war außerdem die Arbeit der Hilfskräfte des Projektes, Dr. Sonja Gerke, Nora Kuch, M. A., und Teresa Czok, M. A., die unter meiner Leitung eine umfangreiche Bilddatenbank zum Isiskult innerhalb des Bilddatenbanksystems HeidICON der Universitätsbibliothek Heidelberg sowie eine Bibliographie-Tabelle erstellten. Desweiteren verdanke ich Dr. Beate Gessler-Löhr die Einsichtnahme in von ihr zur Verfügung gestellte Photos und gesammelte Unterlagen zu den ägyptischen Gottheiten in Nordafrika sowie zahlreiche hilfreiche Hinweise zu diesem Thema. Im Jahr 2011 konnte ich Prof. Dr. Reinhard Stupperich als Zweitgutachter gewinnen, dem ich für seine Unterstützung und die Bereitschaft, die Betreuung einer solchen ‚hybriden‘ Arbeit zu übernehmen, die sowohl ägyptologisch als auch klassisch archäologisch orientiert ist, zu großem Dank verpflichtet bin. Danken möchte ich desweiteren Prof. em. Dr. Erich Winter (Trier) für viele hilfreiche Hinweise zu Isis und Osiris sowie zum Tempel von Philae und für sein anhaltendes Interesse an meiner Arbeit. Zahlreiche Freunde und Kollegen, besonders an den ägyptologischen Instituten der Universitäten Heidelberg, Trier (bzw. ehemals Trier) und Würzburg, haben meinen Arbeitsprozeß über die Jahre begleitet, und ich kann ihnen gar nicht genug für ihre persönliche und fachliche Unterstützung danken. An erster Stelle sei Dr. Susanne Töpfer genannt, die mir in jeder Hinsicht mit Rat und Tat zur Seite stand. Ihr verdanke ich nicht nur unzählige fruchtbare Diskussionen und Anregungen, sondern auch anhaltende persönliche Aufmunterung. Außerdem gilt ihr für das Korrekturlesen großer Teile dieser Arbeit mein herzlicher Dank. Weitere Teile wurden von Dr. Donata Schäfer Korrektur gelesen, der ich dafür ebenfalls ganz herzlich danken möchte. Für verbleibende Fehler zeichnet natürlich die Autorin allein verantwortlich. Desweiteren erhielt ich in Heidelberg viele hilfreiche Hinweise und freundschaftliche Unterstützung von Dr. Sabine Kubisch, PD Dr. Maren Schentuleit, Dr. Andrea Kucharek, Dr. Victoria Altmann, Dr. Claudia Maderna-Sieben, Dr. Christoffer Theis, Dr. Sandrine Vuilleumier, Dr. Ljuba Bortolani und Dr. Luigi Prada. Unter meinen ehemaligen Trierer Kommilitonen und Kollegen möchte ich besonders Dr. Angelika Paul, Dr. Donata Schäfer, Dr. Ann-Katrin Gill, Dr. Khaled Elgawady, Prof. Dr. Stefan Pfeiffer und Silke Caßor-Pfeiffer, M. A., für ihre fachlichen Ratschläge und ihre Freundschaft danken. Mein herzlicher Dank gebührt außerdem Prof. em. Dr. Erich Winter, Prof. em. Dr. Sven Vleeming, PD Dr. Holger Kockelmann, Prof. Dr. Markus Trunk, Prof. Dr. Martina Minas-Nerpel und Prof. em. Dr. Bärbel Kramer, deren Lehre meine Forschungsinteressen geformt hat, und deren freundliche Unterstützung mich auch über mein Studium in Trier hinaus begleitet. In der Phase der Publikationsvorbereitung profitierte die vorliegende Arbeit weiterhin von der kollegialen Unterstützung, wertvollen Hinweisen und/oder der Bereitstellung von Photos zur Überprüfung verschiedener Tempelinschriften durch Kollegen in Würzburg, Tübingen und anderen Orten. Stellvertretend sei insbesondere Prof. Dr. Martin Stadler, Dr. Andreas Pries, PD Dr. Dagmar Budde, Prof. Dr. Laurent Bricault, Prof. Dr. Christian Leitz, Prof. Dr. Ian Moyer und Dr. Cornelius von Pilgrim gedankt. Vielen anderen, die hier nicht namentlich genannt werden können, sei ebenfalls mein Dank gewiß. Für die Zusendung von Photos und die freundliche Genehmigung zur Publikation bzw. zum Wiederabdruck im vorliegenden Werk danke ich dem DAI Kairo (namentlich Dr. Daniela

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Vorwort und Danksagung

Rosenow), Dr. Irene Kaplan, dem Bibliotheca Alexandrina Antiquities Museum (namentlich Mohamed Aly Essam) und akg-images. Den Herausgebern der Philippika, Dr. Joachim Hengstl, Prof. Dr. Elizabeth Irwin, Prof. Dr. Andrea Jördens, Prof. Dr. Torsten Mattern, Prof. Dr. Robert Rollinger, Prof. Dr. Kai Ruffing und Orell Witthuhn, M. A., möchte ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe sowie die Würdigung mit dem Philippika-Preis 2015 meinen Dank aussprechen. Die Drucklegung der Arbeit wurde durch den Philippika-Preis sowie den Manfred Lautenschläger Award for Theological Promise 2017 und einen Druckkostenzuschuß durch das Exzellenzcluster „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg überhaupt erst ermöglicht. Dem Harrassowitz-Verlag – stellvertretend Dr. Barbara Krauss –, dem Forschungszentrum Internationale und Interdisziplinäre Theologie (FIIT) der Universität Heidelberg – stellvertretend Prof. Dr. Dr. Dres. h. c. Michael Welker –, der Manfred Lautenschläger Stiftung, dem Exzellenzcluster „Asia and Europe“, sowie den jeweiligen Gutachtern sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ebenfalls herzlich danken möchte ich der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, dem Verein zur Förderung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften e.V. und den Gutachtern für die Auszeichnung der vorliegenden Arbeit mit dem Akademiepreis 2017. Für die freundliche und unkomplizierte Betreuung bei der Druckvorbereitung des Manuskripts bin ich Ulrike Melzow und Tanja Köbler vom Harrassowitz Verlag zu herzlichem Dank verbunden. Mein größter persönlicher Dank gilt schließlich Frederik Oly, meinen Eltern Klaus und Ulrike Nagel, sowie Anna Zipse, deren Warmherzigkeit, Geduld und unverbrüchliche Unterstützung maßgeblich zur Vollendung dieser Arbeit beigetragen haben. Ihnen kann ich gar nicht genug danken. Gewidmet sind die vorliegenden Bände meinem verstorbenen Großvater Robert Bewerunge, der mich fragen lehrte und mir geduldig und großzügig Antworten, zahllose Bücher und weitere Fragen (und vieles mehr) gab. Heidelberg, 25. März 2019 Svenja Nagel

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Einleitung

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Der Isiskult in Ägypten und im Mittelmeerraum – Bisheriger Forschungsstand und Zielsetzung

Unter allen ägyptischen Gottheiten gilt Isis wohl noch heute als die berühmteste, da sich ihr Kult weit über die Grenzen ihres Stammlandes hinaus ausbreitete, Griechen und Römer nachhaltig beeinflußte und damit auch die spätere abendländische Kultur immer wieder inspirierte. Aufgrund dessen haben Isis und der mit ihr assoziierte Götterkreis – Sarapis/Osiris, Harpokrates, Anubis u. a. – bereits früh das Interesse der Altertumsforschung auf sich gezogen. Besonders die griechischen ‚Isis-Aretalogien‘ erfreuen sich seit langem großer Beachtung, wobei vor allem die Frage nach dem ägyptischen Hintergrund sowie möglichen Vorlagen in ägyptischer Sprache immer wieder aufgegriffen wurde. Das Augenmerk der bisherigen Forschung zu Isis und den ägyptischen Kulten lag allerdings in erster Linie auf griechischen und lateinischen Texten sowie archäologischen Befunden außerhalb Ägyptens, wohingegen früheres und besonders kontemporäres Material aus ihrem Ursprungsland selbst nicht oder kaum berücksichtigt wurde. Trotz der in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich ansteigenden Menge an Materialsammlungen, Synthesen und neuen Erkenntnissen zum griechisch-römischen Isis- und Sarapiskult1 wurde die Entwicklung, welche die Göttin Isis und die mit ihr verbundenen Gottheiten in ihrem Heimatland selbst im 1. Jahrtausend v. Chr., und insbesondere unter den ptolemäischen und römischen Herrschern durchliefen, bisher kaum oder nur sporadisch untersucht und in die Bewertung der Befunde im hellenistischen und römischen Mittelmeerraum mit einbezogen. Dies begründet sich unter anderem darin, daß von ägyptologischer Seite bisher keine zusammenhängende Aufarbeitung der zahlreichen Quellen aus dieser Epoche erfolgt ist. Die einzige größere ägyptologische Studie zu Isis von M. MÜNSTER bietet einen grundlegenden Überblick über die Rolle der Göttin in Ägypten bis zum Neuen Reich, bezieht aber die Entwicklungen in den späteren Epochen nicht mehr mit ein.2 Beiträge von ägyptologischer Seite zu Aspekten des Isiskultes im spätzeitlichen und griechisch-römischen Ägypten sind bisher nur vereinzelt vorgenom-

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Hier kann und soll aufgrund der großen Masse an Beiträgen zu diesem Thema keine ausführliche Literaturübersicht gegeben werden; stattdessen sei auf die regelmäßig erscheinende, mit kurzen Rezensionen versehene Literaturübersicht („Chronique bibliographique“) in den Bänden der Bibliotheca Isiaca verwiesen (für Publikationen seit 2000). Für ältere Literatur siehe J. LECLANT/G. CLERC, Inventaire Bibliographique des Isiaca (IBIS). Répertoire analytique des travaux relatifs à la diffusion des cultes Isiaques 1940–1969, EPRO 18, 4 Bde., Leiden 1972–1991. MALAISE, Terminologie, bietet einen einführenden Überblick mit dem Versuch einer genaueren Begriffsbestimmung zu den hellenistisch-römischen Kulte der dem Isiskreis zuzurechnenden Gottheiten (in der französischen Terminologie die sog. „cultes isiaques“); vgl. außerdem die umfangreiche kommentierte Sammlung von Zeugnissen aus dem gesamten Mittelmeerraum mit weiterführenden Literaturangaben von BRICAULT, Cultes isiaques. MÜNSTER, Isis.

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Der Isiskult in Ägypten und im Mittelmeerraum

men worden, geben aber bereits erste Impulse für eine Neubewertung auch der außerägyptischen Befunde.3 Ägypten und der Rest des Mittelmeerraumes wurden also weitestgehend getrennt voneinander betrachtet und entsprechend als getrennte Regionen, die Phänomene des Kultes als verschiedene Phänomene angesehen.4 Dies ist in meinen Augen ein grundlegend problematischer Ansatz und führte auf weiten Strecken zu einem nicht nur unvollständigen, sondern oft auch falschen Verständnis des „hellenistischen“ bzw. „römischen“ Isiskultes. In der vorliegenden Studie soll zusammengeführt werden, was zusammengehört: die eng miteinander verwobenen und sich wechselseitig befruchtenden Weiterentwicklungen des ägyptischen sowie des außerägyptischen Isiskultes innerhalb des politischen, geographischen und kulturellen Rahmens des Römischen Imperiums. Aufgrund der kaum zu handhabenden Gesamtmenge der hierzu zählenden Zeugnisse schriftlicher und archäologischer Art muß sich auch diese Untersuchung auf bestimmte Schwerpunkte konzentrieren, die sich teilweise bereits aus den Desideraten des heutigen Kenntnisstandes ergeben haben. Als eine Hauptaufgabe versteht sich daher die erstmalige Zusammenführung und ausführlich kommentierte Aufarbeitung der zahlreichen Quellen zu Isis aus dem griechisch-römischen Ägypten (Band 1). Die zweite Zielsetzung besteht in der Frage nach der Bedeutung des innerägyptischen Befundes für die Adaption und Gestaltung des Isiskultes im westlichen Mittelmeerraum (Band 2): Wie lassen sich Gestalt und Ausstattung der Heiligtümer, private und offizielle Weihungen, Ikonographie und literarische oder diskursive Beschreibungen der Gottheiten und ihrer Macht außerhalb Ägyptens in Hinblick auf die kontemporären Zeugnisse aus dem Ursprungsland bewerten? Wie genau wurden das Bild der Isis und weiterer Gottheiten und ihr Kult im Laufe der Zeit und durch die Überlagerung verschiedener Traditionen – ägyptische, griechische, römische und andere – an einzelnen Orten adaptiert und gestaltet? Wie stellt sich die Beziehung einzelner Regionen, Städte und Heiligtümer zu Ägypten auf historischer, sozialer bzw. personeller, politischer, ikonographischer und schließlich theologischer Ebene jeweils dar? Mit diesen Fragen im Hintergrund soll schließlich anhand des sorgfältig aufgearbeiteten ägyptischen Hintergrundes des griechisch-römischen Isiskultes

3 Zu nennen sind besonders JUNGE, Isis und die ägyptischen Mysterien; ŽABKAR, Hymns to Isis; SCHULZ, Warum Isis?; QUACK, „Ich bin Isis...“; DOUSA, Imagining Isis; KOCKELMANN, Praising the Goddess. DUNAND, Culte d’Isis, zeichnet in Band I die Entwicklung des Isiskultes im ptolemäischen Ägypten nach, konnte jedoch die heute bekannte große Menge an ägyptischen Texten (hieroglyphische Tempelinschriften und demotische Texte) nur in sehr viel geringerem Umfang mit einbeziehen. 4 Dies demonstriert allein schon ein Blick in die relativ rezenten Corpora zu den Inschriften und archäologischen Funden (RICIS; BRICAULT, Atlas), die Ägypten komplett ausschließen. KLEIBL, Iseion, hat zumindest auch die in Ägypten befindlichen Isis- und Sarapistempel „griechisch-römischen Stils“ mit aufgenommen und versucht in ihrer Analyse jeweils auf ägyptische Vorbilder einzugehen. Auch BRICAULT, Cultes isiaques, hat einige (griechische) Inschriften und archäologische Zeugnisse aus Ägypten in seine kommentierte Sammlung ausgewählter Quellen integriert. Um eine wirkliche Zusammenführung haben sich bisher hauptsächlich kürzere Beiträge zu Einzelthemen bemüht; zu nennen sind hier neben den in Anm. 3 genannten Arbeiten z. B. BUDDE, Götterkind, S. 67–79 u. 150–173; QUACK, Zum ägyptischen Ritual; SFAMENI GASPARRO, Hellenistic Face; BIANCHI, Images of Isis; NAEREBOUT, Ras el-Soda, der (S. 541) treffend bemerkt: „I feel that this watershed separating the ‚Isiaca‘ outside from those inside Egypt, is indefensible on any logical grounds.“

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Der Isiskult in Ägypten und im Mittelmeerraum

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(Band 1) neues Licht auf bereits bekannte und teils schon häufig kommentierte Denkmäler und Quellen im Westen des Römischen Imperiums (Band 2) geworfen werden.

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Methodik und Gliederung

Band 1 Am Beginn dieser Untersuchung steht die Bearbeitung und Kontextualisierung von Hymnen und längeren Inschriften für Isis aus den ägyptischen Tempeln griechisch-römischer Zeit, die teilweise bisher noch nicht oder nur unzureichend übersetzt und kommentiert worden sind, sowie entsprechende Kompositionen auf hieroglyphischen und hieratischen Papyri, die den Tempelbibliotheken zugerechnet werden können. Dieser neu zu erschließende Komplex an Primärquellen mit Isis verbundener spätägyptischer Theologie, Kulttopographie und Mythologie wird hier erstmals als Corpus zugänglich gemacht (Kap. 4) und übergreifend ausgewertet (Kap. 5).1 Auf dieser Basis der ‚offiziellen‘, priesterlichen Konzeption der Isis in den ägyptischen Tempeln baut die Untersuchung von kulturübergreifenden demotischen und griechischen Textquellen in Kap. 6 auf, die außerdem um archäologische Zeugnisse aus den jeweiligen Regionen Ägyptens ergänzt wurden, um ein umfassendes Bild der Isis bei der einheimischen sowie griechischen und römischen Bevölkerung des Nillandes zu gewinnen. Dieses Gesamtbild wird zudem im Süden, an der Grenze zu Nubien, zusätzlich durch Hinterlassenschaften meroitischer Isisverehrer bereichert. Die in diesem Kapitel herangezogenen Quellen wurden von mir – anders als die Tempelinschriften – nicht neu übersetzt, sondern anhand von bereits vorliegenden und teilweise noch in verschiedenen Stadien der Publikationsvorbereitung befindlichen Arbeiten ausgewertet und hinsichtlich ihrer Intertextualität und kulturellen Komplexität untersucht.2 Sie repräsentieren eine relativ große Vielfalt an Verwendungskontexten, Gattungen, Zielgruppen und persönlichen Intentionen der Verfasser. Es handelt sich im Einzelnen um umfangreiche und formal gestaltete Isishymnen (6.1), private Gebete, Graffiti und Weihinschriften (6.2), kulttopographische und mythologische Texte (6.3), Erzählungen und Weisheitslehren (6.4), magische und divinatorische Texte (6.5) und schließlich die Memphitische Isisaretalogie (6.6).

1 Das Potential der griechisch-römischen Tempeltexte für eine Neuuntersuchung des hellenistisch-römischen Isiskultes betonte bereits D. BUDDE in ihrer Untersuchung einiger Inschriften aus Dendara: „Angesichts dieser Quellen [griechisch-römische Tempeltexte mit Isis- und Hathorhymnen etc.] ist die rezente [Meinung] von BOMMAS, der postuliert, daß Ägypten unbeeinflußt von der Ausbreitung der Isiskulte und der Konzeption der hellenistischen Isis geblieben sei, skeptisch zu hinterfragen bzw. abzulehnen; s. BOMMAS, Heiligtum und Mysterium, S. 48 u. 78. Um diese Hypothese zu untermauern, müßten die Dokumente in den späten Tempeln einbezogen werden; dies kann im Rahmen der vorliegenden Studie nur punktuell erfolgen. Systematische Untersuchungen der Tempeltexte zu diesem Thema sind ein Desiderat.“ (BUDDE, Götterkind, S. 74, Anm. 365). 2 Die Übersetzungen wurden in zahlreichen Fällen jedoch von mir überprüft und problematische Stellen näher beleuchtet, was in die Kommentare und Anmerkungen in den jeweiligen Kapiteln mit eingeflossen ist.

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Methodik und Gliederung

Band 2 Im zweiten Hauptteil der Arbeit (Band 2) steht die Verbreitung des Kultes der Isis und mit ihr assoziierter Gottheiten außerhalb Ägyptens im Fokus. Trotz der Konzentration auf die Epoche der Römischen Kaiserzeit ist jedoch auch die diachrone Perspektive auf einzelne Regionen wichtig. Um die Stellung des Kultes und seine regionalspezifischen Eigenheiten zu verstehen, dient daher ein Kapitel über die erstmalige Verbreitung von ägyptischen Kulturelementen und Gottheiten des Isiskreises in den westlichen Mittelmeerraum im Zuge der phönizisch-punischen Kolonisation (7.1) als Einleitung zum folgenden Hauptteil. Bei letzterem handelt es sich um einen Survey ausgewählter Teile des Römischen Reiches. In Form von drei detaillierten Fallstudien werden archäologische und epigraphische Zeugnisse für Form und Praxis des Isiskultes in Regionen untersucht, die in ihrer geographischen Lage, kulturellen Prägung sowie in ihrem historischen Verhältnis zu Ägypten und den ägyptischen Kulten voneinander unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen: Die nordafrikanischen Provinzen (7.2), Latium und Campanien als Zentrum Italiens (7.3) und Germanien (7.4). Aufgrund bisher fehlender umfassender Bearbeitungen werden mit den Kapiteln zur phönizischen Verbreitung und zu Nordafrika jeweils erste vollständige Analysen der bekannten Zeugnisse versucht. Italien (7.3) hat als zentrale Region des Römischen Imperiums die meisten und aussagekräftigsten Funde hervorgebracht, doch anders als bei den vorangehenden Kapiteln 7.1 und 7.2 kann hierfür auf den Ergebnissen bereits existierender grundlegender Untersuchungen aufgebaut werden, weswegen das Kapitel in erster Linie eine Neubewertung der Heiligtümer und wichtigen Fundkomplexe der Schlüsselregionen Latium und Campanien im Lichte der ägyptischen Quellen und der Ergebnisse der Untersuchung zu Nordafrika darstellen soll. Die beiden germanischen Provinzen (7.4) wurden als nördliche Randregion erst relativ spät durch römische Eroberung an die Mittelmeerkulturen angeschlossen und sind somit ebenfalls von besonderem Interesse. Hier ermöglichen bereits vorhandene Zusammenstellungen der relativ geringen Menge an Zeugnissen eine schnellere Erschließung des Gesamtbildes. In einem abschließenden Schritt (Kap. 8) werden die vielfältigen textlichen, ikonographischen und archäologischen Befunde, die in den genannten Kapiteln behandelt werden, zusammengeführt und mit der eigenen literarischen und diskursiven Auseinandersetzung der Griechen und Römer mit dem Isiskult abgeglichen, für die stellvertretend die beiden umfangreichsten Werke, Plutarchs De Iside et Osiride (8.1) und Apuleius’ Metamorphosen, besonders Buch XI (8.2), Zeugnis ablegen sollen. Bei der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Studien und Synthesen zum Isiskult in den letzten Jahren sowie der Diskussion mit Fachleuten verschiedener Disziplinen drängte sich oft der Eindruck auf, daß das Interesse der Menschen der Antike an ursprünglich fremden Kulturen und Ideen, ihre ernsthafte Auseinandersetzung mit diesen und Dialogfähigkeit untereinander immer noch unterschätzt werden. Gerne scheint man davon auszugehen, daß antike Aussagen wie z. B: „die Priester in Ägypten erzählen“ oder „der Text wurde übersetzt/abgeschrieben etc. von…“ grundsätzlich zunächst als bloßer Topos und damit historisch ‚falsch‘ aufzufassen sind. Die Authentizität solcher ‚Behauptungen‘ müsse daher durch die Forschung erst einmal ‚bewiesen‘ werden – das Gleiche gilt für die Authentizität von ‚fremden‘ Kulten und Objekten und ihrer kontextuell sinnvollen Einbindung. Entsprechend werden die Grundfragen nach dem antiken Verständnis des (ursprünglich) ‚Anderen‘

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Methodik und Gliederung

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oder ‚Fremden‘, dem kreativen Umgang damit und den Mitteln der Aneignung im Laufe der vorliegenden Studie immer wieder im Fokus stehen.

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Technische Vorbemerkungen

Für die große Anzahl der in diesem Werk behandelten Text- und Bildquellen sei auf die Editionen und Abbildungen in den jeweils angegebenen Publikationen verwiesen. In dem angehängten Tafelteil sind nur einige wenige sehr markante ikonographische Zeugnisse abgebildet, die hier besonders ausführlich diskutiert werden (Taf. I–V). Sämtliche textliche Primärquellen, die ich in den Hauptteilen des Buches anführe und analysiere, sind mit ihrem Rufnamen durch Kursivdruck hervorgehoben (z. B. pHeid. dem. 736 vs.; Philä I, 169).1 Mehrfach angeführte Sekundärliteratur wird mit Kurztiteln zitiert, die im ausführlichen Literaturverzeichnis aufgelöst sind. Bei Einzelnennungen wird die entsprechende Publikation bereits in der Fußnote vollständig zitiert und ist nicht in das Literaturverzeichnis aufgenommen. Jahreszahlen ohne weitere Angaben beziehen sich auf die Zeit nach Christus.

1 Für nur beiläufig erwähnte oder zum Vergleich herangezogene Quellen (z. B. Inschriften zum Isiskult aus anderen Regionen, die nicht Teil der Schwerpunkte dieser Studie sind) wird dagegen kein Kursivdruck verwendet. Die Rufnamen der Inschriften sind üblicherweise anhand der abgekürzt zitierten Editionen (plus Seitenzahl, Zeilennr. etc.) gebildet. Die Abkürzungen sind im Verzeichnis Abkürzungen für Texteditionen im Anhang (Bd. II, 10.3) aufgeschlüsselt.

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Herrin der Beiden Länder: Isis in den Texten und ergänzenden Zeugnissen des Griechisch-Römischen Ägypten

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln nach den hieroglyphischen Inschriften sowie ergänzenden Texten

Die unter Kapitel 4 übersetzten, kommentierten und im Hinblick auf die jeweils lokalen Traditionen der einzelnen Tempel oder Kultorte griechisch-römischer Zeit ausgewerteten hieroglyphischen und hieratischen Texte umfassen vorrangig Hymnen, Litaneien und eulogische Epithetareihen der Göttin Isis, die in Inschriften auf den Tempelwänden angebracht oder auf Papyri der Tempelbibliothek aufbewahrt wurden. Auch Ritualszenen mit Isis, das heißt innerhalb dieser in erster Linie die Beischriften der Göttin und die göttlichen Randzeilen, wurden teilweise mit aufgenommen, insbesondere bei solchen (Isis-) Tempeln, die keine oder wenige längere Texte bieten. Die Isis-Epitheta der Ritualszenen fließen also jeweils in die Analyse der einzelnen Tempel mit ein, doch handelt es sich dabei meist nur um recht kurze Texte, die schwerpunktmäßig die lokalen Haupttitel enthalten (siehe unten, 5.2.1); wietere Beinamen sind jeweils stark vom Szenentypus beeinflußt. Eine gewisse Besonderheit bilden Monumentalszenen mit überlangen Szenenbeischriften, die formal und inhaltlich mit längeren, eulogischen Texten vergleichbar sind. Obwohl die zeitliche Epoche Ägyptens, die im ersten Hauptteil (II.) dieser Arbeit in den Blick gefaßt werden soll, die griechisch-römische Zeit ist, werden in Einzelfällen auch ältere Texte für Isis – hauptsächlich der Spätzeit – einbezogen, insbesondere in den Fällen, in denen sich eine längere Kontinuität des Kultes an einem Ort beobachten läßt (z. B. in Philae, 4.1, Behbeit el-Hagar, 4.4, und Memphis/Sakkara, 4.12). Die gewählte Reihenfolge der einzelnen Orte und Tempel basiert auf einer praktikablen Kombination aus chronologischen und geographischen Kriterien; da die Dekoration eines jeden Tempels eine innere Chronologie aufweist, ist es ohnehin kaum möglich, eine streng chronologische Reihenfolge einzuhalten. Außerdem werden so die kulttopographischen Beziehungen von Heiligtümern in einer gemeinsamen Region deutlicher (z. B. Kap. 4.1–3). So steht das Heiligtum von Philae aufgrund seiner relativ gut dokumentierten älteren Baugeschichte und der ersten bekannten Isishymne am Anfang der Reihe, bildet aber außerdem auch geographisch als südlichstes Kultzentrum einen guten Startpunkt. Aufgrund der engen Verbindungen zwischen Philae, Assuan und Nubien bot es sich an, diese im Anschluß zu behandeln, bevor der Fokus auf das einzige erhaltene und ebenfalls spätzeitliche bis frühptolemäische Kultzentrum Behbeit el-Hagar (4.4) gerichtet wird. Unter ähnlichen Gesichtspunkten wurde die Abfolge der folgenden Kultzentren gewählt (4.5–10), bevor abschließend (4.11–13) ergänzende Quellen zu Heiligtümern, die entweder nicht erhalten sind oder in denen Isis eine untergeordnete Rolle spielte, angeführt werden. In den jeweiligen Gesamtkommentaren am Ende jedes einem Tempel oder einem Kultort gewidmeten Unterkapitels werden die aus der Analyse der genannten Texte gewonnenen Ergebnisse mit weiteren, den Ort betreffenden Quellen und Informationen verknüpft, um das Bild des Isiskultes an den jeweiligen Stätten zu vervollständigen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Die hier ausführlich behandelten und neu übersetzten Texte werden der Einfachheit und leichten Auffindbarkeit halber jeweils mit einem Rufnamen versehen, der meist dem Textzitat in der Hauptpublikation entspricht (Eintrag „Text/Hauptpublikation“, z. B. Philä II, 6–7). Die Rufnamen sind in der ersten Zeile der jeden Text einleitenden Tabellen mit den grundlegenden Informationen jeweils fett und kursiv gesetzt, werden im Folgenden innerhalb dieser Arbeit aber nur noch – ebenso wie weitere in den folgenden Teilen analysierte Textquellen – durch Kursivschrift hervorgehoben und mit diesen Rufnamen zitiert.1 Auf eine eigene laufende Durchnummerierung, die nur für diese Arbeit gültig wäre, habe ich dagegen verzichtet.

4.1

Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

4.1.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften

4.1.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen Die erste Isis-Hymne unter Nektanebes2 Text/Hauptpublikation Hymne Nektanebes (Philae-Photos 23–24) Anbringungsort Philae, Kiosk des Nektanebes, westlicher Architrav, Innenseite Bibliographie HINTZE, Musawwarat Es Sufra, S. 43–44, Inschrift 26 (mit hieroglyphischer Synopse); ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 157; FHN II, Nr. 127, S. 585–586; BALDI, Isis in Kush, S. 110–111 Parallelen Inschrift auf Block im Löwentempel von Musawwarat el-Sufra (Musawwarat Es Sufra, Nr. 26, Abb. 21; Taf. XVII b); Philä II, 136–137; tw., nicht ganz wörtliche Parallele: Philä II, 6–7 Text:3 PN: PM: M:

i.nD Hr=T As.t nTr.t mw.t-nTr qmA(.t) nfr.w=s i.nD Hr=T As.t nTr.t mw.t-nTr qmA(.t) nfr.w=s nD Hr=T As.t nTr.t mw.t-nTr qmA(.t) [nfr.w=s] Sei gegrüßt, Isis, Göttin, Gottesmutter, die ihre Schönheit erschafft,

1 Vgl. dazu auch die technischen Vorbemerkungen in der Einleitung (Kap. 3). 2 Anstelle der üblicherweise anzutreffenden Bezeichnung „Nektanebos I.“ wird hier die historische Lautform der üblichen griechischen Wiedergabe des Königsnamens Nxt-nb=f verwendet, wohingegen der „Nektanebos“ nur als Benennung für Nxt-@[email protected] („Nektanebos II.“) dienen soll, vgl. dazu QUACK, Menetekel, S. 30. 3 Es wird hier ausnahmsweise eine Synopse mit den Parallelen gegeben, da die Texte aus Musawwarat nicht in einem eigenen Kapitel bearbeitet werden (die Inschriften sind nur sehr fragmentarisch erhalten). Der Vollständigkeit halber ist auch der parallele Abschnitt der Hymne Philä II, 136–137, in die Synopse integriert. PN = Philae, Nektanebes-Kiosk (Hymne Nektanebes) PM = Philae, Mammisi (Philä II, 136–137) M = Musawwarat el-Sufra (Musawwarat Es Sufra, Nr. 26)

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

PN: PM: M: PN: PM: M: PN: PN:

17

WADy.t wr(.t)-HkA.w nb(.t) xa.w m kAr StA WADy.t wr(.t)-HkA.w nb(.t) xa.w m aH StA4 – – – – wr(.t)-HkA.w nb(.t) xa.w m [… …] Uto, die Zauberreiche, die Herrin der Erscheinungen (oder: Diademe)5 in dem geheimen Schrein/Palast, Dsr s.t m wjA n HH Hnw.t pr-wr Dsr s.t m wjA n HH Hnw.t pr-wr Dsr s.t=s m wjA m HH […] mit erhabenem Sitz (M: deren Sitz erhaben ist) im Schiff der Millionen, die Gebieterin des Per-wer6 pr-ns(r).t Hrj(.t)-tp n Ra ir.t Ra wa.t iar.t(?)7 und des Per-neser, die Stirnschlange des Re, das Auge des Re, die Einzigartige, die Uräusschlange(?),8 […].t s[…]n? […].t ? […]n ? […]t […] tA.wj(?) HA.w-nb.w(.t) sxa.{w}t Ra […] nfr […9 […] ? […] ? […] ? […] ? […] die Länder(?) der/die Griechen, die Re erscheinen läßt (?) […] schön […]

Kommentar: Bei der am Ende abgebrochenen Hymne am westlichen Architrav des Nektanebes-Kiosks in Philae handelt es sich um die älteste (überlieferte) Isis-Hymne überhaupt,10 die sicherlich als Vorläufer der unter Ptolemaios II. in Philae angebrachten Hymnen (s. u.) gelten kann. Der Anfang des Textes wurde dann in die Inschriftendekoration des nubischen Tempels von Musawwarat el-Sufra übernommen, welcher unter dem meroitischen König Arnekhamani erbaut wurde. 11 Da Isis von Philae eine starke Ausstrahlungskraft nach Nubien hatte und üblicherweise in den dortigen Tempeln mit verehrt wurde, darf dies nicht weiter verwundern.12 Auch im Heiligtum von Philae selbst wird derselbe Abschnitt später im ptolemäischen Mammisi nochmals verwendet, wo er den Abschluß eines längeren Hymnus bildet.13 4 JUNKER/WINTER, Philä II, 137, lesen mit Fragezeichen: aH(=T) StA(?) dwA.t(?). Ich halte die Anfügung dwA.t jedoch für unwahrscheinlich und den Stern für eine Verschreibung für das Kreuz, das ja auch in der Parallele PN hinter StA steht. 5 Vgl. den Titel des Pharao nb xa.w, der üblicherweise vor der Kartusche mit dem Eigennamen steht. 6 Hier endet die Hymne Philä II, 136–137, und ebenso die Parallele (zumindest ihr erhaltener Teil) in Musawwarat el-Sufra. Zum gesamten Text von Philä II, 136–137, siehe unten. 7 Möglicherweise handelt es sich bei der Uräusschlange auch nur um das Determinativ von wa.t. 8 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 157, gibt hierfür als Übersetzung an: „Feurige Uräusschlange am Kopf von Horus-Re, Auge des Re, die einzigartige Göttin, Uräusschlange…“. 9 Der Rest des Architravs fehlt. 10 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 157. 11 Zur Problematik der Chronologie siehe die Diskussion bei HINTZE, Musawwarat es Sufra, S. 13–19. HINTZE setzt zumindest das Ende der Regierung von Arnekhamani mit der Regierungszeit des Ptolemaios IV. gleich, zumal der Meroite wie dieser Ptolemäer teilweise den Zusatz „geliebt von Isis“ in der Kartusche trägt. 12 Vgl. zu dem philensischen Einfluß auf die nubische Theologie und zur Textübernahme in Musawwarat die Rez. zu HINTZEs Publikation von E. WINTER, in: Deutsche Literaturzeitung 86/3, 1965, S. 242–246. Zu Isis von Philae in Nubien siehe unten, Kap. 4.3. 13 Philä II, 136–137; siehe unten.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Inhaltlich setzt der Text Isis mit der Uräusschlange gleich, indem deren gängige Beinamen auf Isis übertragen werden. Sie ist die Uräusschlange und das Auge des Re, die auch als Abwehrerin von Feinden in der Sonnenbarke mitfährt. So ist z. B. das im NektanebesKiosk belegte Epitheton „die Herrin der Erscheinungen (oder: Diademe) in dem geheimen Schrein“ bereits in einer Hymne an die Kronenschlange auf einem Papyrus der 2. Zwischenzeit oder sogar bereits der 12. Dyn. zu finden.14 Acht Hymnen im neuen Tempelbau des Ptolemaios II.15 Vier Hymnen an Isis (Philae-Hymnen 1–4) befinden sich im Sanktuar und sind in vier von sechs zusammengehörigen Szenen16 an dessen Nordwand (= Rückwand) enthalten. Jeweils zwei Szenen sind spiegelsymmetrisch in einem Register angebracht. Die Darstellungen sind parallel aufgebaut, mit Abwandlungen in Ornat und Haltung des Königs sowie der Göttin: In den oberen beiden Registern thront Isis, im unteren steht sie, während der König in allen Szenen steht. Die sechs Szenen bilden praktisch den innersten Kern des Allerheiligsten, da sie sich an dessen Rückwand befinden, also der am tiefsten im Tempel gelegenen, geheimsten Stelle überhaupt. In gewissem Sinne dürften die in vier der Szenen integrierten Hymnen somit auch den Kern oder die Essenz der Isis-Theologie von Philae (unter dem Bauherrn Ptolemaios II.) enthalten. Sie werden sinnvoll komplementiert durch die ihnen gegenüberliegenden Türpfosteninschriften mit den Philae-Hymnen 5 und 6, so daß der Raum auf seinen beiden Hauptseiten von den Lobpreisungen an die Göttin eingefaßt ist. Weiter ergänzt wird diese räumliche Konzeption durch die Philae-Hymnen 7 und 8, die sich auf den seitlichen Wänden (West- und Ostwand) des vor dem Sanktuar liegenden Opfersaals befinden, so daß mit den acht die Theologie der Tempelherrin konstituierenden Texten alle vier Himmelsrichtungen abgedeckt sind.

14 pMoskau 314, 9, 5. Siehe BOMMAS, Investiturritual, S. 37; ERMAN, Hymnen an das Diadem, S. 35; vgl. auch LGG IV, 117a zur Passage. Somit dürfte kAr und nicht das im Mammisi stattdessen stehende aH den ursprünglicheren Wortlaut der Überlieferung darstellen. Die vorgeschlagenen Datierungen des Papyrus schwanken zwischen der 12. Dyn. (Bommas) und dem Ende der 2. ZwZt (Erman). 15 Es handelt sich um die acht von ŽABKAR, Hymns to Isis, edierten Isishymnen, die hier neu bearbeitet werden. 16 Zu den beiden Szenen (Salbopfer und Schmuckkragen) im oberen Register siehe L. V. ŽABKAR, Adaptation of Ancient Egyptian Texts to the Temple Ritual at Philae, in: JEA 66, 1980, S. 127–136. Sie enthalten keine Hymnen, sondern Opfer- und Ritualtexte, die sich auf ältere Vorlagen zurückführen lassen.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

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Philae-Hymne 1 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 11–12; Abb. 2; S. 17–25) Philae, Isis-Tempel, Sanktuar (Raum X), Nordwand, mittleres Register, rechte Szene BÉNÉDITE, Philae, S. 61–62, Tabl. II; Philae-Photo 1031; KLOTZ, Two Hymns Der König Ptolemaios II. steht im Anbetungsgestus mit nach unten ausgestreckten Händen vor der thronenden Isis mit Hathorgehörn. Der Text der Hymne steht als Spruch des Königs zwischen ihnen.

Text: – Königliche Randzeile:17 ij.n sA Ra [(Ptlwmys) xr=T Der Sohn des Re, [(Ptolemaios), ist zu dir gekommen, As.t wr.t mw.t-nTr (Hr) sn-tA m Hr=T nfr Isis, die Große, die Gottesmutter, indem er den Boden vor deinem schönen Gesicht küßt. dj n=f mrw.t Dt Möge ihm Liebe/Beliebtheit geschenkt sein(?),18 ewiglich. – Göttliche Randzeile:19 i sA=i mry sA Ra [(Ptlwmys) Oh mein geliebter Sohn, Sohn des Re, [(Ptolemaios), dj.n=i n=k rsj r-aw Kns(.t) ich habe dir den Süden bis hin nach Kenset20 gegeben, &A-¤tj n-n=k m ksw Dt &A-stj (1. o.äg. Gau) gehört dir, indem es niedergebeugt ist, ewiglich.21 – Beischrift der Isis:22 As.t wr.t mw.t-nTr nb.t Iw-rq nb.t p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr.w nb.t xAs.wt rsj.wt die Gebieterin der Götter, die Herrin der südlichen Fremdländer. – Rede der Isis: dj.n=i n=k aHa n Ra n (=m) p.t Ich habe dir die Lebenszeit des Re im Himmel gegeben, dj.n=i n=k p.t Hna imj(.t)=st ich habe dir den Himmel gegeben mit dem, was darin ist, 17 18 19 20

Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 17. Oder ist zu dj n=f zu emendieren („mögest du ihm Liebe schenken“)? Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 23. Gebiet in Nubien, möglicherweise von den Ägyptern auch als äußerstes bekanntes Gebiet im Süden empfunden, vgl. Wb V, 133, 16–134, 3; GDG V, S. 205–206; VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 347. 21 WINTER, Tempelreliefs, S. 22, übersetzt: „…ich gebe dir den Süden bis nach Nubien (Kns.t), dir (?) in Verneigung, ewiglich.“ 22 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 23.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dj.n=i n=k qnw r rsj ich habe dir den Sieg über den Süden gegeben. – Hymne (= Rede des Königs): 5 Kolumnen mit je einer Strophe, darüber eine Zeile. Einleitungszeile: iAw n=T As.t wr.t23 mw.t-nTr Lobpreis für dich, Isis, die Große, die Gottesmutter, nb.t p.t Hnw.t nTr.w nb(.w)24 die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, Kol. 1: (iAw) n25 mw.t-nTr n @r kA nxt (Lobpreis) für die Gottesmutter des Horus, des starken Stiers, nD.tj n it=f dj=f sxr sbj.w des Beschützers seines Vaters, wenn er das Niederschlagen der Rebellen veranlaßt,26

23 Vgl. zur Lesung KURTH, Rez. Žabkar, S. 468; und COLIN, Isis „dynastique“, S. 275, Anm. 24; jetzt auch KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 78, a). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, liest @w.t-@r. 24 Zur Lesung vgl. KURTH, Rez. Žabkar, Sp. 468, Anm. 1; und KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 79, b). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, liest: Hnw.t IA.t-wab.t ity.t nTr.w. Die Lesung als Hnw.t nTr.w nb.w wird dadurch bestärkt, daß es sich um ein häufig verwendetes Epitheton der Isis handelt, vgl. LGG V, 189b. 25 Vgl. zu dieser Lesung GOYON, Rez. Žabkar, S. 88. KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 81–82, c), liest wie auch in allen anderen Kolumnen trotz der deutlich abweichenden Zeichenreihenfolge (iAw) n=T mw.tnTr. Er begründet dies mit der Umstellung aus kalligraphischen Gründen, was nicht auszuschließen ist. Vgl. die folgenden Zeilenanfänge. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, liest: Ntt mw.t nTr. Diese Struktur mit ntT vermutet auch J. F. QUACK hier (persönliche Mitteilung) sowie im Anuket-Hymnus aus Komir, vgl. QUACK, Kritische Bemerkungen, S. 110; KOCKELMANN, Soubassement, S. 593, m. Anm. 106. Anders als bei Philae-Hymne 1 ist in Komir in der entsprechenden Sektion aber an allen Kolumnenanfängen einheitlich geschrieben, was m. E. dort doch eher für (iAw) n=T spricht. Auch in Philae unterstützt m. E. die eindeutige Schreibung von iAw n=T in den horizontalen Einleitungszeilen von Philae-Hymne 1 und 2, wobei n=T ebenso wie in den Strophen-Kolumnen jeweils mit einem Zeichen für n und (fast immer) der Gruppe für das Suffix der 2. Pers. fem. sing. =T geschrieben wird, die Deutung der Schreibung auch an den (meisten) Kolumnenanfängen als n=T und nicht ntT. Auch andere und ältere iAw-Hymnen weisen die Struktur mit wiederholten iAw + Dativ-Ausrufen auf, z. B. eine Privatstatue aus Balansourah (Amarna-Zeit) mit Gebet an Chnum: G. DARESSY, Deux statues de Balansourah, in: ASAE 18, 1919, S. 53–57; W. J. MURNANE, Texts from the Amarna Period in Egypt, Atlanta 1995, S. 48–49; Gebete an Aton aus Amarna-Privatgräbern, z. B. dem Grab des Eje: W. J. MURNANE, op. cit., S. 89–90. 26 Vgl. zur Übersetzung FISSOLO, Isis de Philae, S. 7. Der verbale Anschluß dj=f und die folgende Konstruktion erscheinen mir in diesem Text ungewöhnlich, zumal sonst nur mit partizipialen und nominalen Elementen konstruiert wird. KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 82, d), liest mw.t anstatt dj (das Zeichen sieht tatsächlich auch eher wie als wie aus) und übersetzt mit dem folgenden „der Schützer seines Vaters und seiner Mutter, der die Rebellen niederschlägt“, was ebenfalls möglich ist. Das Epitheton nD.tj n it=f mw.t=f ist ansonsten jedoch nur einmal (in Edfu) belegt, siehe LGG IV 590b.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kol. 2: (iAw) n=T mw.t-nTr n @r kA nxt27 (Lobpreis) für dich, die Gottesmutter des Horus, des starken Stiers, prj-a Hwj xftj(.w)=f irj ns n-im(?)28 des Helden, der seine Feinde schlägt, der Gemetzel anrichtet unter ihnen, Kol. 3: (iAw) n mw.t-nTr29 n @r kA nxt30 (Lobpreis) für die Gottesmutter des Horus, des starken Stiers, &?\31 n Ra(?) nswt bjtj nH(H)32 Dt des &?\ des Re(?), König von Ober- und Unterägypten der Ewigkeit und Unendlichkeit, nb &A-stj HqA xAs.wt des Herrn von &A-stj, des Herrschers der Fremdländer, Kol. 4: (iAw) n=T mw.t-nTr n @r kA nxt (Lobpreis) für dich, die Gottesmutter des Horus, des starken Stiers, mn33 gs.w-pr.w iwn(?)34 nTr.w irj nn nb der die Tempel des Pfeilers der Götter festmacht, der jedes (göttliche) Abbild schafft,35 27 Diese Lesung wurde – parallel zu den anderen Kolumnen – aufgrund von überzeugenden Parallelen aus anderen kryptographischen Schreibungen des geläufigen Titels kA nxt von KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 82–84, e), vorgeschlagen. Vgl. zu dieser Zeichenkombination bereits É. DRIOTON, Les protocoles ornamentaux d’Abydos, in: RdÉ 2, 1936, S. 1–20: 4–5; ID., Recueil de cryptographie monumentale, in: ASAE 40, 1940, S. 305–429: 315–316 u. 331; M. ÉTIENNE-FART, „De rebus quae geruntur…“ dans deux inscriptions ramessides, in: BIFAO 94, 1994, S. 133–142: 134–135. Von GOYON, Rez. Žabkar, S. 88, wurde die Gruppe gelesen als @r Mnw nswt @r nxt „Horus-Min, der König, Horus, der Starke“; es handelt sich bei letzterem um häufige Beinamen des Min, siehe LGG III, 291c–293a; LGG V, 266c, unter A.b); daher könnte dies zumindest als Nebensinn hinter der Schreibung zu vermuten sein. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21: …@r Mnw-@r. 28 KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 84–85, f), hält das bereits von ŽABKAR gelesene ns(.t) für ein „ghost word“, es ist jedoch mehrfach für „Blutbad“ o. ä. und davon abgeleitet nsy.t, eine Krankheit, und nsns, „tranchieren“ o. ä. belegt, siehe M. ALLIOT, Une famille de mots reconstituée, in: RdÉ 10, 1955, S. 1–7. KLOTZ liest stattdessen irj s(t) n/m tm-wn „der sie nicht-existent macht“, muß jedoch dafür ebenfalls emendieren, da die Zeichenreihenfolge ist. 29 KLOTZ, Two Hymns, S. 76, liest auch hier n=T mw.t-nTr, vgl. oben, Anm. 25. 30 Lesung nach KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 82–84, e); vgl. die anderen Kolumnen. GOYON, Rez. Žabkar, S. 88, liest: @r ¢nsw Wnnxy(?) xy(?) nswt „Horus-Chons-Wnnxy(?), das königliche Kind(?)“. xy wäre bei GOYONs Lesung eine Haplographie; zu Wnnxy als Beiname des Chons (ab der Spätzeit) siehe Wb I, 323, 4; KLOTZ, City of Amun, S. 95–100. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, liest: ¢nsw nxt nxn nswt n… 31 Das Zeichen ist beschädigt; es handelt sich um ein flaches, längliches Zeichen, jedoch nicht um ein wie von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 19, transkribiert. KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 85, g), rekonstruiert mit Fragezeichen iwa n Ra „Erbe des Re“; das iwa-Zeichen ist jedoch üblicherweise nicht ganz so schmal und waagerecht. 32 Vgl. zur Identifizierung des Vogels als anstatt (so ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 19) KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 86, h). 33 Nach KURTH, Rez. Žabkar, S. 468, ist nur mn zu lesen (ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21: smn). M. E. muß man das kausative s-Präfix jedoch ergänzen. 34 Die Hieroglyphe ist selten. Vgl. zur Lesung LGG III, 283c. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, liest psD.t; KLOTZ, Two Hymns, S. 78 u. 86–88, i): sHn „versorgen“ („der die Tempel fest macht, der die Götter versorgt“). 35 KLOTZ, Two Hymns, S. 78 u. 88, j), bezeichnet das von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, gelesene und m. E. plausible nn „Abbild“ als ‚ghost word‘ und liest stattdessen irj irw=s(n) nb „der alle ihre Rituale

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 5: (iAw) n=T mw.t-nTr n @r kA nxt (Lobpreis) für dich, die Gottesmutter des Horus, des starken Stiers, xwj BAq.t nb spA.t Dt der Ägypten schützt, des Herrn des Gaues, ewiglich.36 Kommentar: Die an Isis gerichtete Hymne ist formal klar gestaltet, indem eine Einleitung, die möglicherweise als Refrain vor jeder Strophe gedacht war,37 auch optisch durch die Voranstellung in einer waagerechten Zeile abgehoben ist. Die fünf Kolumnen entsprechen jeweils genau einer Strophe, und schließen an den Beginn der Einleitung (iAw n) an, wobei nur die Präposition n zu Beginn jeder Kolumne noch einmal geschrieben ist.38 Angeschlossen ist daran m. E. jeweils entweder das Suffix-Pronomen 2. Pers. sing. fem. und der Titel „Gottesmutter des Horus“ mit folgenden Epitheta des Horus, oder direkt der Titel „Gottesmutter des Horus“ plus Epitheta des Horus.39 Die Bedeutung der Komposition wird des weiteren durch eine bewußt elaborierte Auswahl der Hieroglyphen unterstrichen, wodurch die Lesung deutlich erschwert, die Optik jedoch ansprechender gestaltet ist. So wird der inhaltlichen Wiederholung zu jedem Kolumnenbeginn eine jeweils neue Variation der Schreibung entgegengesetzt, so daß auf den ersten Blick keine Wiederholung sichtbar ist. Besonders eindrucksvoll ist die Einleitungszeile geschrieben, da fast ausschließlich anthropomorphe Hieroglyphen verwendet werden.40 Inhaltlich gibt es durch die durchgehende Wiederholung keinen Zweifel am Fokus der Hymne auf Isis’ Eigenschaft als Mutter des Horus, welche hier die einzige Rolle ist, in der sie dargestellt wird. Nur die Einleitung nennt einige weitere, wenn auch recht allgemeine, Beinamen der Isis, wohingegen der Hauptteil des Textes sich überraschenderweise vielmehr um Horus, „den starken Stier“, dreht als um Isis, die somit etwas in den Hintergrund gedrängt und ausschließlich in ihrer Beziehung zu ihrem Sohn dargestellt wird. Dies erscheint zunächst irritierend, da sowohl der Tempel als auch die Hymne ihr gewidmet sind und Horus nicht einmal als Begleitfigur in der Szene erscheint.41 Tatsächlich könnte die Hervorhebung des Horus in dieser zentralen Szene der Sanktuarrückwand der Tatsache Rechnung tragen, daß der Tempel in ptolemäischer Zeit offenbar Isis und Horus/Harpokra-

36 37 38 39 40 41

vollzieht“. Für das Wort nn siehe jedoch mehrere Belege in ptolemäischen Tempeln: TLA, DZA, s. v. (Wb II, 274, 9). KLOTZ, Two Hymns, S. 78, übersetzt: „des Herrn des Gaues der Ewigkeit“; dieses Epitheton paßt jedoch weniger gut zu Horus. Vielleicht ist auch Plural zu verstehen: nb spA.(w)t „der Herr der Gaue“, vgl. zu diesem mehrfach für Horus, Osiris und Amun-Re belegten Epitheton LGG III, 729c–730a. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 17. Eine solche Anordnung mit Wiederholung der Präposition am Anfang der einzelnen Strophen bzw. Elemente entspricht z. B. auch der Gestaltung von wdnw-Litaneien, vgl. z. B. SAUNERON, Esna VIII, S. 3–14; ASSMANN, s. v. „Litanei“. Siehe unten, Kap. 4.11.1.1.A. Vgl. zum Verständnis des jeweiligen Kolumnenbeginns GOYON, Rez. Žabkar, S. 88. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 21, liest statt dessen jeweils das unabhängige Pers. Pron. 2. Pers. fem. Sing. (m)nt.t „Du bist…“, ebenso QUACK, s. o., Anm. 25. Zum Schriftsystem vgl. KLOTZ, Two Hymns, bes. S. 99–107. Auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 23, geht in seiner Interpretation auf die Mutterrolle der Isis in dieser Hymne ein, kommentiert jedoch nicht die Tatsache, daß sie dadurch eigentlich in den Hintergrund gestellt wird.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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tes gewidmet war, wie auch die griechische Bauinschrift am Pronaos unter Ptolemaios III. angibt.42 In den Epitheta des Horus wiederum werden seine kriegerische, schützende Seite und sein Herrscheramt in den Mittelpunkt gestellt, ebenso wie seine Verbindung zu den Göttertempeln.43 In den übrigen Beischriften der Szene wird klar, daß es de facto um die Herrschaftsübergabe an Ptolemaios II. geht, der als irdische Verkörperung des in der Hymne so exaltierten Horus zu denken ist. 44 Isis verleiht ihm das Land (Göttliche Randzeile und Rede der Isis), und zwar ganz speziell den Süden, nämlich das Gebiet um Philae, das auch in der Hymne selbst (Kol. 3) besonders hervorgehoben ist. Wenn man in der Interpretation etwas weiter gehen möchte, so kann man geradezu meinen, daß die Hymne weniger Isis gilt, sondern vielmehr dem Pharao selbst in seiner Rolle als Horus, Sohn der Isis, Herrscher über Ägypten und Unternubien. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philae-Hymne 2 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf.13; Abb. 3; S. 27–38) Philae, Isis-Tempel, Sanktuar (Raum X), Nordwand, mittleres Register, linke Szene BÉNÉDITE, Philae, S. 62–63, Tabl. II’; Philae-Photo 1032; KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236; KLOTZ, Two Hymns Der König Ptolemaios II. steht im Anbetungsgestus mit nach unten gestreckten Händen vor der thronenden Isis mit Hathorgehörn. Der Text der Hymne steht als Spruch des Königs zwischen ihnen.

Text: – Königliche Randzeile:45 ij.n nswt bjtj46 [(Wsr-kA-Ra Mrj-Imn) xr=T Der König von Ober- und Unterägypten [(Userkare Meriamun) ist zu dir gekommen, mw.t=f47 As.t48 dwA=f nTr m Hr=T nfr seiner Mutter Isis, indem er die Gottesanbetung vor deinem schönen Antlitz vollzieht. dj n=f Sma.w mHw (m) htp nn xnn nb Dt Möge ihm gegeben sein(?)49 Ober- und Unterägypten in Frieden, ohne irgendeine Unruhe, ewiglich.

42 43 44 45 46

IG Philae 4; vgl. unten, Kap. 6.2.2.2. Vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 23–24. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 25. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 27. In ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 163, Anm. 1, Translit. ist nswt bjtj unterschlagen, jedoch auf S. 27 mit übersetzt. 47 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 163, Anm. 1, liest hier dj=f. Zur Verbesserung vgl. KLOTZ, Two Hymns, S. 82, d). 48 Von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 163, Anm. 1, unterschlagen. 49 Vgl. oben, die Königliche Randzeile zur Szene mit Philae-Hymne 1, mit Anm. 18.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

– Göttliche Randzeile:50 i sA=i mry nswt bjtj [(Wsr-kA-Ra Mry-Imn) Oh mein geliebter Sohn, König von Ober- und Unterägypten [(Userkare Meriamun), dj.n=i n=k mHw r-a.w n p.t ich habe dir den Norden bis hin zum Himmel gegeben, wAD-wr n-n=k m wAH-tp Dt das Große Grüne gehört dir, indem es den Kopf geneigt hat, ewiglich. – Beischrift der Isis:51 As.t dj(.t) anx nb(.t) Hs(w.t) nTr(.t) anx(.t) Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Lobpreises, die Göttin,52 die Lebendige, nb(.t) Iw-rk Hnw.t ¤nm.t die Herrin von Philae, die Gebieterin von Senmet,53 nb(.t) p.t Hnw(.t) nTr.w nb(.w) die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter. – Rede der Isis: dj.n=i n=k nswy(.t) n Itm tp tA Ich habe dir das Königtum des Atum auf Erden gegeben, dj.n=i n=k tA Hna ntj im=f ich habe dir die Erde gegeben mit dem, was darin ist, dj.n=i n=k nxt r mHw ich habe dir den Sieg über den Norden gegeben. – Hymne (= Rede des Königs): 5 Kolumnen mit je einer Strophe und dem letzten Wort neben der letzten vollen Kolumne, darüber eine Textzeile. Einleitungszeile: iAw n=T As.t wr.t mw.t-nTr Lobpreis für dich, Isis, die Große, die Gottesmutter, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, Kol. 1: (iAw) n=T Hm.t nswt tpj.t n Wnn-nfr (Lobpreis) für dich,54 die Erste Königliche Gemahlin des Onnophris,

50 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 31. 51 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 31. 52 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 31, übersetzt: „die Herrin des göttlichen Lobpreises“, was ich für unwahrscheinlich halte. 53 Senmet, früher als Bezeichnung von Bigge gedeutet, meint nach heutiger Erkenntnis das weitere Areal um Philae, zu dem unter anderem auch Bigge gehörte; in geographischen Inschriften benennt es konkret das ww-Gebiet des 1. o.äg. Gaues, siehe H. JARITZ/M. RODZIEWICZ, The Investigation of the Ancient Wall Extending from Aswan to Philae. Second Preliminary Report, in: MDAIK 49, 1993, S. 107–132; KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 109. 54 KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236, liest offenbar das Göttinnenzeichen nicht und übersetzt „Anbetung der Ersten Königlichen Gattin…“.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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rr/ll n nbw m gs.w-pr.w55 sA smsw tpj n Gbb des mit Gold Überzogenen in den Tempeln, des ältesten und ersten Sohnes von Geb, Kol. 2: (iAw) n=T Hm.t nswt tpj(.t) nj.t Wnn-nfr (Lobpreis) für dich, die Erste Königliche Gemahlin des Onnophris, nb pH.tj56 xr57 xftj=f nb nHH58 HqA Dt des Herrn der Kraft, der seine(n) Feind(e) fällt, des Herrn der Ewigkeit, des Herrschers der Unendlichkeit,59 Kol. 3: (iAw) n=T Hm.t nswt(?)60 tpj.t n Wnn-nfr (Lobpreis) für dich, die Erste Königliche Gemahlin des Onnophris, hwnw nfr irj aD.t m XAk.w-ib nsw.t61 tA.wj des vollkommenen Jünglings, der Gemetzel anrichtet unter den Übelgesinnten (= Feinden) des Königs der Beiden Länder,62 Kol. 4: (iAw) n=T Hm.t nswt tpj.t n Wnn-nfr (Lobpreis) für dich, die Erste Königliche Gemahlin des Onnophris, mk(.t) sn=s irj(.t) sAw63 Hr wrD-ib die ihren Bruder beschützt, die Wache hält über den Herzensmüden,64

55 GOYON, Rez. Žabkar, S. 88, liest die zwei Zungen pXr („des mit Gold Umgebenen/Überzogenen“). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, ganz abwegig: imj-rA imj.w-rA nbj.w m gs.w-pr.w. Siehe aber zur Lesung rr E. GRAEFE/M. WASSEF, Eine fromme Stiftung für den Gott Osiris-der-seinen-Anhänger-in-der-Unterwelt-rettet aus dem Jahre 21 des Taharqa (670 v. Chr.), in: MDAIK 35, 1979, S. 103–118: 112, am), mit der Deutung des Epithetons als „goldenes Halsband“ (kopt. lhl); J. F. QUACK, Rez. zu: H. Beinlich, Papyrus Tamerit 1. Ein Ritualpapyrus der ägyptischen Spätzeit, SRaT 7, Dettelbach 2009, in: WdO 41, 2011, S. 131–143: 138. Noch überzeugender ist die Erklärung von KLOTZ, Two Hymns, S. 91–93, m): „eingelegt/überzogen mit Gold“ (= demot. lala, kopt. lale, ebenfalls in der Kombination lale nnoyb). Es handelt sich um ein gängiges Epitheton des Osiris/Onnophris, siehe LGG III, 108c. 56 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 88; KLOTZ, Two Hymns, S. 89 u. 93–94, n). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, liest: kA mAj. 57 Vgl. KURTH, Rez. Žabkar, S. 469. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, liest: sxr; ebenso KLOTZ, Two Hymns, S. 89. 58 Vgl. KURTH, Rez. Žabkar, S. 469; KLOTZ, Two Hymns, S. 89 u. 94–95, o). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, liest: …sbj=f nb, nb HqA Dt. 59 KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236, übersetzt den Schluß: „…der jeden seiner Feinde fällt, des Gottes, der (in) Ewigkeit herrscht.“ 60 Aufgrund der standardisierten Anfänge in den übrigen Kolumnen und wegen des eindeutig wieder folgenden tpi.t ist hier trotz des seltsamen Zeichens wieder Hm.t nswt zu erwarten. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 29–30, interpretierte das Zeichen als stp („die erste Auserwählte“), doch wie KLOTZ, Two Hymns, S. 95–96, p), bemerkt, sieht es tatsächlich mehr nach aus. Die Lesung der weglaufenden Beine als Hm.t nswt ist jedoch nur anhand der anderen Kolumnen hier zu rekonstruieren: nach KLOTZ könnte sie auf einem elaborierten Rebus beruhen, wobei die Beinchen für Hmj „zurückweichen, zurücktreiben“ stehen und man aufgrund ihrer Abwendung von der Figur der Isis in der Ritualszene noch ein n=s („zurückweichen vor ihr“) ergänzen muß, woraus sich dann Hm(.t) ns(wt) ergäbe. 61 Vgl. KURTH, Rez. Žabkar, S. 469. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, unterschlägt nswt; ebenso KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236. 62 Oder einfach ein separates Epitheton: „…, der König der Beiden Länder“. 63 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 89; KLOTZ, Two Hymns, S. 89 u. 96, q). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, liest: Dsr. 64 Es gibt keinerlei Anzeichen für den von KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236, übersetzten Plural („die Müdherzigen“ = die Verstorbenen).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 5: (iAw) n=T Hm.t nswt tpj.t n Wnn-nfr (Lobpreis) für dich, die Erste Königliche Gemahlin des Onnophris, HH rnp(.w) wTs nHH iw r-Hna=f m ¤nm.t der mit Millionen an Verjüngungen,65 der die Ewigkeit emporhebt.66 Du bist zusammen mit ihm in Senmet. Kommentar: Die Szene und die dazugehörige Hymne sind komplementär zur korrespondierenden Szene mit Philae-Hymne 1 gestaltet:67 Statt dem Süden erhält der König hier den Norden des Landes, und die Erde an Stelle des Himmels (Göttliche Randzeile und Rede der Isis). Während in Philae-Hymne 1 Isis’ Beziehung zu ihrem Sohn Horus betont wurde, wird die göttliche Familie hier durch Isis’ Gemahl Osiris komplettiert, der letztlich im Mittelpunkt von Philae-Hymne 2 steht. Diese Präsentation der osirianischen Triade im Zentrum der Rückwand des Sanktuars zeigt, daß zwar Isis die Tempelherrin von Philae ist, jedoch in enger theologischer Verbindung zu den beiden männlichen Familienmitgliedern steht, was auch in zahlreichen anderen Texten in Philae zum Ausdruck kommt.68 Der formale Aufbau entspricht ebenfalls dem der ersten Hymne. Jedoch ist deren klares, starres Schema hier etwas durchbrochen und aufgelockert: Erstens ist bei den direkt auf Isis bezogenen Einleitungsworten der einzelnen Kolumnen keine Alternation zwischen Dativ + Nomen und Dativ + Suffix 2. Pers. fem. Sing. + Nomen als Apposition zu beobachten, sondern es wird immer zuerst das Suffix angeschlossen. Dies läßt möglicherweise darauf schließen, daß in Philae-Hymne 1 dasselbe Schema zu erwarten ist, d. h. trotz der etwas unklaren Schreibungen doch zu Beginn jeder Kolumne zunächst n=T zu lesen ist.69 Zweitens ist die jeweils zweite Hälfte jeder Kolumne nicht wie bei Philae-Hymne 1 ausschließlich dem männlichen Familienmitglied gewidmet, sondern bezieht sich ohne erkennbare Regel teilweise auf Isis, teilweise auf Osiris: in Kol. 1–3 auf Osiris, in Kol. 4 auf Isis, allerdings mit einer auf Osiris ausgerichteten Tätigkeit, in Kol. 5 zunächst auf Osiris, dann auf Isis, aber wiederum in Verbindung mit Osiris („Du bist zusammen mit ihm…“). Da bei den eindeutig auf Isis bezogenen Epitheta keine Femininendung angegeben ist, besteht eine gewisse Möglichkeit, daß auch andere, hier in der Übersetzung auf Horus (Philae-Hymne 1) respektive Osiris (Philae-Hymne 2) bezogene Beinamen tatsächlich doch zu Isis gehören. 65 KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236, übersetzt „des Ewigen, der sich verjüngt“; KLOTZ, Two Hymns, S. 89 u. 96–98, r): „des jugendlichen Heh“, was ebenfalls wahrscheinlich ist. 66 Lesung der Stelle nach ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 30, der allerdings „the eternal one rejuvenating himself“ übersetzt, S. 31. Vergleiche jedoch zur obigen Übersetzung LGG V, 470b, und LGG II, 610c, jeweils mit mehreren Parallelen. GOYON, Rez. Žabkar, S. 89, versteht den Ausdruck als HH Hsb rnp(.w)t wTs HH „L’Éternel qui dénombre les années et supporte l’éternité“. Aufgrund der in LGG, loc. cit., angegebenen Parallelen halte ich eine solche Emendation des Textes für überflüssig. Beide Phrasen erscheinen auch in einer augusteischen HH-Opferszene am Mammisi von Philae: Philä II, 393, 18, siehe ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 164–165, Anm. 42. JUNKER und WINTER lesen dort: @H rnp Tsj nHH „Der junge Hehu (Urgott?), der die Ewigkeit trägt“, womit Heh selbst als Himmelsträger fungieren würde, vgl. die vorige Anm. 65. 67 Vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 23 u. 31. 68 Ausführlich dazu unten in Kap. 4.1.2. Zu den zwei, mit Osiris und Horus verbundenen Wesenszügen der Isis auf Philae und ihrer Theologie siehe auch: INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 268–269. 69 So auch der Vorschlag von KLOTZ, Two Hymns, S. 76 u. 81–82, c), s. o., Anm. 25.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Angesichts vieler für die männlichen Götter sehr typischen oder inhaltlich eindeutigen Benennungen (Herr der Ewigkeit etc.) halte ich dies jedoch für weniger wahrscheinlich. Parallel zu den in Philae-Hymne 1 beschriebenen Charakteristika des Horus werden auch für Osiris die Wehrhaftigkeit gegenüber Feinden in den Vordergrund gestellt und ebenfalls die Göttertempel erwähnt. In beiden Hymnen zusammengenommen findet sich die Genealogie der rechtmäßigen Herrscher: Osiris ist der Sohn des Geb (Philae-Hymne 2, Kol. 1), Horus wiederum das Kind von Osiris (Philae-Hymne 1, Kol. 3). Wie im vorigen Kommentar ausgeführt, ist darin sicherlich eine Bestätigung der legitimen Herrschaft Ptolemaios’ II. enthalten, die durch Isis gewährt, und durch das Vorbild der Götterfamilie bestätigt wird. Der historische Hintergrund, daß die Nachfolge des Ptolemaios II. anstelle der älteren Söhne der Eurydike durchaus umstritten war,70 ist in diesem Kontext zumindest erwähnenswert. Nicht ohne Grund wird er daher den legitimierenden Goldhorusnamen „sein Vater hat ihn erscheinen lassen (als König)“ = „sein Vater hat ihn gekrönt“ (sxaj.n-sw it=f) in seiner Königstitulatur geführt haben.71 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Philae-Hymne 3 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 14; Abb. 4; S. 39–45) Philae, Isis-Tempel, Sanktuar (Raum X), Nordwand, unteres Register, rechte Szene BENEDITE, Philae, S. 62–63, Tabl. III; Philae-Photo 1033; CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 43 (tw.) Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. II, 100, 6–11; Dend. VI, 2–4

Text: – Worte der Isis:72 dj=i snD.t=k m-xt tA dj.n=i n=k tA.w nb m Htp dj=i snD.t=k m-m xAs.wt Ich gebe, daß Ehrfurcht vor dir durch das Land hinweg ist, ich habe dir alle Länder in Frieden gegeben, ich gebe, daß die Ehrfurcht vor dir in den Fremdländern ist. – Beischrift der Isis:73 As.t wr.t mw.t-nTr nb.t Iw-rq Hrj(.t)-ib Hw.t-xnt dj(.t) anx mj Ra Dt Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, die im ‚Ersten Heiligtum‘ (= Philae) residiert, die Leben gibt/die Lebensspenderin wie Re, ewiglich. – Göttliche Randzeile: nfr.wj nn irj.n=k n=i sA=i @r mry=i nb xa.w [(Ptlwmys) dj.n=i n=k tA pn Haa.tw(?) (n) bA.w=k Dt Oh wie schön ist dies, was du für mich getan hast, mein Sohn Horus, den ich liebe, der Herr der Erscheinungen [(Ptolemaios). Ich habe dir dieses Land gegeben, indem es jubelt (über?) deine Ba-Macht, ewiglich. – Hymne (= Rede des Königs): 5 volle Textkolumnen, ½ Textkolumne, und einige wenige Zeichen in einer weiteren (nicht mehr seitlich begrenzten) Kolumne. 70 71 72 73

Vgl. HÖLBL, Geschichte des Ptolemäerreiches, S. 33. Siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 234–235; HÖLBL, Geschichte, S. 72. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 1: (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t nTr nb(.t) Iw-rk (Rezitation:) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, Hm.t nTr dwA(.t) nTr Dr.t nTr mw.t nTr Hm.t die Gottesgemahlin, die Gottesanbeterin, die Gotteshand, 74 die Gottesmutter und Große Königliche Kol. 2: nswt wr.t skr.t nb(.t) Xkr.t aH Gemahlin, Zierde(?)75 und Herrin des Schmuckes (oder: Herrin und Schmuck?) des Palastes,76 nb(.t) Abw.t AxAx.t imA.t die Herrin der Gestalt(en),77 von glänzender Wohlgestalt,78 Kol. 3: mH(.t) aH.t m nfr.w=s THn(.t) xaw die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt, mit glänzender Erscheinung, apr(.t) Xkr.w79 Hnw.t sSd80 Sw.tj81 ausgestattet mit Schmuck, die Gebieterin der Sesched-Binde82 und der Doppelfederkrone, iTj(.t) gs.t die den Lauf beginnt83 74 Diese Epitheta sind ursprünglich Titel von Priesterinnen und v. a. Gottesgemahlinnen des Amun, vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 165, Anm. 6. Der Begriff „Gotteshand“ bezieht sich zunächst auf die Hand des Schöpfergottes Atum, wurde aber auch als Beiname auf seine Gemahlin, bzw. auf Göttinnen, die diese Rolle übernehmen können, übertragen; auch die Gottesgemahlinnen und Königinnen konnten folgerichtig diesen Titel übernehmen, vgl. Wb V, 580, 13; 585, 1–6. 75 Die Übersetzung des Wortes ist unklar, hier nach ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42 m. Anm. 7; FAULKNER, Dictionary, S. 252. In LGG VI, 675c, wird übersetzt: „Der weibliche Sokar“. Wb IV, 318, 13–14, gibt skr.t (ohne Übersetzung) als Bezeichnung der Hathor an. 76 In der Parallele Dend. II, 100, 6–11 (vgl. Kap. 4.6.2) ist die Reihenfolge der Wörter geändert zu: Xkr.t nb.t aH „Schmuck und Herrin des Palastes“. 77 Vgl. die Parallele in Dend. II, 100, 8, wo das Determinativ das Verständnis erleichtert. ŽABKARs (Hymns to Isis, S. 42) Übersetzung als „desire“ (Wunsch) ist demnach auszuschließen. 78 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42, versteht den ganzen Passus falsch (vgl. auch die vorangehende Anm. 77) als „Lady and desire of the green fields“, übernommen auch von MANASSA, Mistress of the Field, S. 59. Im Vergleich mit der Parallele Dend. II, 100, 8–9, ist aber sicherlich obige Lesung zu verstehen, was sich auch gut in den ganzen Themenkomplex der „liebreizenden Prinzessin/Königin“ einreihen würde. Der Beiname AxAx.t imA(.t) ist auch für Hathor belegt, vgl. LGG I, 59c–60a. Unverständlich ist mir jedoch die davon gesonderte Angabe und Übersetzung der Belege für Isis als AxAx.t imtj „die das Kind gedeihen läßt“, LGG I, 60a. Das Kind steht allgemein für den Lautwert im(A) und ist laut Wb I, 80, 10, gut belegt in der Schreibung von imA „schöne Gestalt, angenehmes Wesen“ (oben mit „Wohlgestalt“ übersetzt). Gerade die Beleglage für Isis und Hathor macht es m. E. mehr als wahrscheinlich, daß hier ein und dasselbe gemeint sein muß. 79 Vgl. für den Passus ab THn(.t) auch GOYON, Rez. Žabkar, S. 89. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42, liest: id.t aH.t. Die letzte Gruppe apr(.t) Xkr.w kann ich anhand des Photos nicht sicher erkennen, doch siehe die Parallele Dend. II, 100, 9. 80 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 89; Dend. II, 100, 9: Hnw.t m sSd. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42: Hnw.t rSw.t(?). 81 Von GOYON, Rez. Žabkar, S. 89, und ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42, nicht gelesen; vgl. aber die Parallele Dend. VI, 3, 6: nb.t sSd Hnw.t Sw.tj, siehe auch die Synopse bei CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 43. 82 Zu dieser Stirnbinde und ihrer Bedeutung siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 935; EL-KORDY, Bandeau; GOYON, Confirmation, S. 87–88, Komm. 34; vgl. auch LEITZ, Nacht des Kindes, S. 156.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kol. 4: m s.t(?)84 nTr igp(.t) wrx m sTj id.t=s am Sitz des Gottes, die die Säulenhalle mit ihrem Wohlgeruch überschwemmt,85 Hnsk.tj.t86 bnr(.t) mrw.t Hnw.t n die Bezopfte/die mit der Haarlocke, süß an Liebreiz, die Gebieterin von Kol. 5: ^ma.w MHw irj(.t) mdw m Xnw n psD.t Ober- und Unterägypten, die Befehle gibt inmitten der Neunheit, sSm.tw Hr s.t-rA=s irj(.t)-pa.t wr(.t) nach deren Ausspruch regiert wird, die Prinzessin, groß an Kol. 6: Hsw.t nb(.t) imA(.t) xnmw=s xnt Sntj=s87 Lobpreis, die Herrin der Beliebtheit, deren Duft an der Spitze ihres Haares ist, tftf indem es besprenkelt ist Kol. 7: m antjw wAD mit frischer Myrrhe. Kommentar: Die formale Gestaltung dieser Hymne unterscheidet sich stark von den Philae-Hymnen 1 und 2. Es gibt weder eine waagerechte Textzeile mit einer Einleitung, noch wird die Göttin hier direkt mit Pronomina in der 2. Person angesprochen. Vielmehr handelt es sich um eine einfache Aneinanderreihung von Epitheta hinter dem Eigennamen der Göttin, ohne daß es vollständige Satzkonstruktionen gibt; es handelt sich also um eine eulogische Epithetareihe. Auch entspricht nicht mehr jede Kolumne genau einer Strophe, was dadurch deutlich wird, daß sogar einzelne Beinamen über die Kolumnengrenzen hinweg geschrieben sind. Inhaltlich steht nun Isis allein im Zentrum der Hymne, ihre Familienmitglieder spielen keine Rolle mehr. Die Göttin wird durch eine Reihe an alten Titeln in die Tradition der 83 Mit diesem Ausdruck ist möglicherweise die Götterprozession gemeint, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 1114; Wb V, 203, 8–204, 7. 84 Auf dem Photo ist von dem Wort nur noch das Haus-Determinativ sicher zu erkennen. Möglicherweise hat demnach auch hier aH-nTr gestanden wie in Dend. II, 100, 10. 85 Vgl. LGG I, 571c: igp wAxj m sTj id.t=s „Mit deren Wohlgeruch die Vegetation überdeckt ist.“ Da es zuvor immer um die Umgebung des göttlichen oder königlichen Palastes geht, halte ich die Deutung von wrx/wAxj als „Säulenhalle, Empfangshalle“, Wb I, 259, 12–13, für passender. Vgl. auch ähnliche Epitheta wie mH(.t) aH.t m nfr.w=s (oben, Kol. 3). ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42, mißversteht den Abschnitt als igp(.t) wrx Ax.t m sxd=s „Regenwolke, die die Felder grün macht, wenn sie herabsteigt“, was auch von MANASSA, Mistress of the Field, S. 59, übernommen wurde. GOYON, Rez. Žabkar, S. 89, korrigiert nur sxd zu sTj. Das von ŽABKAR und GOYON als Ax.t bzw. aH gelesene Zeichen gehört als Determinativ zu wrx. Für igb/Agb als Verb „überschwemmen“ in griech.-röm. Zeit, siehe Wb I, 22, 15. Interessante Überlegungen zu igb/Agb „Überschwemmung/überschwemmen“ und iAkb „klagen, weinen“ liefert PH. DERCHAIN, Les pleurs d’Isis et la crue du Nil, in: CdÉ 45, 1970, S. 282–284, der ein Wortspiel zwischen diesen Begriffen als Hintergrund der bei Pausanias, X, 32, 10, überlieferten Tradition vermutet, Isis’ Tränen um Osiris seien für die Nilflut verantwortlich. 86 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42, liest: Srj.t; KLOTZ, Two Hymns, S. 103: Hwn.t „das Mädchen“. Vgl. zu der Bezeichnung Hnsk.tj.t vor allem für Isis, Nephthys und Hathor LGG V, 223c–224c. Üblicherweise ist dieser Beiname vor allem mit Jugend und Schönheit konnotiert, ausnahmsweise werden so – anstelle von Dr.tj – aber auch die Klagefrauen (die Akteurinnen) in den Klageliedern genannt, siehe dazu KUCHAREK, Klagelieder, S. 189–191. 87 Vgl. zur Lesung KURTH, Rez. Žabkar, S. 469. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42: xnms(.t) xnt=s tftf… GOYON, Rez. Žabkar, S. 89, wiederum liest: xnm stj.w Snw.t=s tftf…

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

weltlichen Königinnen und der Gottesgemahlinnen des Amun gestellt und so mit thebanischer Theologie verbunden (Kol. 1–2);88 überhaupt bindet die Mehrzahl der Epitheta sie an den Königspalast (Kol. 1–3 und 4–6).89 Das Epitheton „die den Lauf beginnt am Sitz(?) des Gottes“ hingegen dürfte sich eher auf den Tempel beziehen. Die Komposition zeigt eine betont weibliche, „liebreizende“ Seite der Isis, die ohne Zweifel indirekt von der ihr nahestehenden Hathor beeinflußt ist. Ihr schönes, geschmücktes und duftendes Äußeres wird immer wieder hervorgehoben. Somit ist Isis hier zwar (fast – sieht man von den Titeln „Gottesmutter“ und „Große Königliche Gemahlin“ ab, die gewöhnlich auf Horus und Osiris bezogen sind –) unabhängig von der osirianischen Triade dargestellt, jedoch stattdessen in Annäherung an Hathor, deren Eigenschaften sie übernommen hat. Daß die Göttin jedoch nicht bloß als passive Königin oder Prinzessin, als schmückendes Beiwerk gedacht ist, sondern vielmehr aktiven Einfluß auf die Ausübung des Königsamtes hat, zeigen die Kolumnen 4–5, in denen sie als Gebieterin von Ober- und Unterägypten bezeichnet und ihre Befehlsgewalt unter den Göttern sowie über die irdische Regierung herausgestellt wird. Ihre Epitheta in dieser Hymne verbinden Isis mit der Ptolemäerkönigin Arsinoë II., die in zwei Szenen im Sanktuar hinter Isis dargestellt ist und einige Titel mit Isis im obigen Text gemeinsam hat.90 Damit schließt der Inhalt an die Thematik der Herrscherideologie in den Philae-Hymnen 1 und 2 an. Die in ŽABKARs Kommentar postulierte Macht der Isis über die Naturgewalten,91 die in dieser Hymne deutlich werden soll, gründet sich auf Fehler bei der Übersetzung und dem Verständnis des Textes (vgl. die Textanmerkungen). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philae-Hymne 4 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 15–16; Abb. 5; S. 47–54) Philae, Isis-Tempel, Sanktuar (Raum X), Nordwand, unteres Register, linke Szene BÉNÉDITE, Philae, S. 63, Tabl. III’; Philae-Photo 1034; KUCHAREK, Klagelieder, S. 138 Pharao Ptolemaios II. libiert vor der stehenden Isis mit Hathorkrone.

Text: – Königliche Randzeile:92 ij.n sA Ra [(Ptlwmys) xr=T As.t Der Sohn des Re [(Ptolemaios) ist zu dir gekommen, Isis, inj[=f n (?)]=T mw pn wab prj m ¤nm.t und er bringt dir dieses reine Wasser, das aus Senmet hervorkommt;

88 Vgl. auch FISSOLO, Isis de Philae, S. 8. 89 Vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42–43. 90 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 89–90. Philae-Photo 1022; BÉNÉDITE, Philae, Taf. XXIII, und PhilaePhoto 1028. 91 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 43–44. 92 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 47.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)











93 94 95 96 97

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dj anx Dt dem Leben gegeben ist, ewiglich. Göttliche Randzeile:93 nfr.wj nn irj.n=k n=i sA=i @r mry=i Oh wie schön ist dies, das du für mich getan hast, mein Sohn Horus, den ich liebe, nb tA.wj [(Wsr-kA-Ra Mry-Imn) der Herr der Beiden Länder [(Userkare Meriamun). dj.n=i n=k tA m nD.t kA(=k) Dt Ich habe dir das Land als Untertanen (deines) Kas gegeben, ewiglich. Beischrift der Isis:94 As.t wr.t mw.t-nTr nb.t p-rq Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, nb.t p.t Hnw.t nTr.w nb.w mry.t die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, die Geliebte, dj(.t) anx mj Ra Dd die Leben gibt/die Lebensspenderin wie Re, ewiglich. Rede der Isis (über ihrem Kopf): dj.n=i n=k waf Hrj qmA dj.n=i n=k tA.w nb xAs.wt nb dj.n=i n=k nxt.w r ift tA Ich habe dir gegeben, den niederzuwerfen, der (Böses?) ersinnt(?),95 ich habe dir alle Länder und alle Fremdländer gegeben, ich habe dir Sieg bis hin zu den vier Ecken der Erde gegeben. (unter ihrer Hand): dj=i rn=k r nsw.wt mnx.w nn Sw m iTj.n=k Ich gebe deinen Namen zu den vortrefflichen Königen. Nicht gibt es einen Mangel in dem, was du ergriffen/erobert hast. Hymne (= Rede des Königs): 5 volle Textkolumnen, ½ Textkolumne. Kol. 1:(Dd mdw jn) As.t dj(.t) anx Hrj(.t)-ib iA.t-wab.t ¤t.t Hnw.t ¤nm.t (Rezitation:) Isis, die Lebensspenderin, die im Abaton residiert, Satet, die Gebieterin von Senmet. Kol. 2: nts stj(.t) @apj 96 irj(.t) anx Hr.w nb r sxpr wADwAD Sie ist es, die den Nil ausschüttet, um jedermann leben zu lassen und die grünen Pflanzen wachsen zu lassen,97 rdj(.t) Htp.w-nTr die die Gottesopfer gibt Kol. 3: nTr.w pr.t-xrw Ax.w den Göttern und Totenopfer den Verklärten, Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 51. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 51. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 51. Übersetzung und Verständnis des Ausdruckes sind unsicher. Das r ist in Analogie zum folgenden r sxpr zu ergänzen, vgl. auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 138. Vgl. die nahe Parallele in Assuan, F.16 (s. u., Kap. 4.2.1.B): stj(.t) Hapj(?) m qr.tj r sanx Hr nb. Eine inhaltlich ähnliche Passage findet sich auch in der Osiris-Verklärung sAxw IV, 21, 7–9: „Möge Hapi kommen auf den Befehl deines (= Osiris’) Ausspruchs, um Götter und Menschen zu beleben mit dem Ausfluß, der aus deinem Leib hervorgeht, der alle Bäume wachsen läßt, wenn du kommst, indem du groß und träge bist. Das Wasser ist grün geworden von Pflanzen.“, nach KUCHAREK, Klagelieder, S. 105.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hr-nt(.t) nts nb(.t) p.t TAy=s m nb dwA.t sA=s m nb tA denn sie ist die Herrin des Himmels, ihr Gatte der Herr der Unterwelt und ihr Sohn der Herr der Erde, Kol. 4: TAy=s m Hapj98 rnpj=f m ¤nm.t r tr=f ihr Gatte ist der Nil, wenn er sich verjüngt in Senmet zu seiner Zeit, nts nb(.t) p.t tA dwA.t sie ist die Herrin des Himmels, der Erde und der Unterwelt, Kol. 5: Hr sxpr=sn n qmA.n ib=s m irj a.wj=s indem sie sie entstehen läßt/ließ nach dem, was ihr Herz ersann, und als das, was ihre Hände machten, bA(?) pw ntj m njw.t nb wp(.w)der Ba(?)99 ist sie, der in jeder Stadt ist, sie Kol. 6: Hr=s Hna sA=s @r sn=s Wsir allein zusammen mit ihrem Sohn Horus und ihrem Bruder Osiris.100 Kommentar: Philae-Hymne 4 ist ebenso wie ihr Pendant Philae-Hymne 3 nicht in der 2. Pers. sing. an Isis gerichtet, besteht im Gegensatz zu dieser jedoch nicht nur aus aneinandergereihten partizipialen Epitheta, sondern wird durch Substantivalsätze in der 3. Person (mit nts, pw und m der Identifikation) stärker strukturiert. Anders als in den drei anderen Hymnen (sieht man von der Erwähnung des Gaues in Philae-Hymne 1 ab) werden in diesem Text nun deutliche Bezüge zur lokalen Kulttopographie und der Theologie von Philae und Bigge hergestellt: Isis residiert im Abaton, welches sich auf der benachbarten Insel Bigge befindet und wo die Grabstätte des Osiris bzw. seines linken Beines lokalisiert ist, aus welchem nach philensischer Tradition der Nil entspringt,101 der in Kol. 4 außerdem mit Osiris selbst gleichgesetzt wird. Da Isis von Philae regelmäßig zum Abaton überfährt, um für ihren verstorbenen Bruder zu sorgen und die regelmäßigen Opfer für seine Wiederbelebung und Verjüngung darzubringen, ist letztlich sie es, die den Nil hervorquellen läßt und damit das Gedeihen des Landes und alles Lebenden bewirkt. In dieser Eigenschaft als Urheberin der Nilflut wird sie in Kol. 1 mit Satet gleichgesetzt, die auf der nahegelegenen Insel Elephantine beheimatet ist und zusammen mit Chnum und Anuket nach dortiger Theologie ebenfalls für die Nilquellen und die Überschwemmung verantwortlich zeichnet. In den Kol. 3, 4 und 6 wird die Herrschaft der osirianischen Familie über die verschiedenen Bereiche der Welt ausdrücklich betont.102 Dabei werden Himmel, Unterwelt und Erde zunächst getrennt Isis, Osiris und Horus zugeteilt,

98 Vgl. zur Lesung KURTH, Rez. Žabkar, S. 469. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 51, liest: wab. FISSOLO, Isis de Philae, S. 7, übersetzt: „ihr Gatte ist derjenige, der das Wasser ausgießt“, liest also als sTj mw, was prinzipiell ebenfalls möglich wäre. 99 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 167, Anm. 5, will in der Hieroglyphe einen Panther erkennen; es scheint sich aber vielmehr um eine Schlange mit vier Beinen zu handeln; so auch KURTH, Rez. Žabkar, S. 470. Zur wahrscheinlichen Lesung als bA siehe auch KLOTZ, Two Hymns, S. 104, m. Anm. 137. 100 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 51, übersetzt: „die wacht über ihren Sohn…“. Zur obigen Interpretation (Vorschlag von J. F. QUACK) siehe jetzt auch KLOTZ, Two Hymns, S. 104–105, Anm. 137. 101 Vgl. dazu unten, Kap. 4.1.2. 102 Vgl. auch den Kommentar von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 52.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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doch in Kol. 4 wird Isis auch allein als Herrscherin über alle drei Bereiche genannt.103 Kol. 5–6 schließlich zeigt (in unsicherem Zusammenhang) die Präsenz des Osiriskreises in den Städten (Ägyptens) auf. Die Kombination der beiden Aspekte Urheberin der Nilflut = Lebensspenderin für das Land und Herrscherin über den Kosmos wird in Kol. 5 zu einer Charakterisierung der Isis als Schöpfergöttin zusammengeführt, die ganz in der Tradition männlicher Schöpfergötter und entsprechend älterer religiöser Texte, insbesondere des „Denkmals memphitischer Theologie“ steht.104 Die Formulierung qmA.n ib=s m irj a.wj=s ist wörtlich auch im mnwLied belegt, 105 wo sie sich aber auf die Herstellung von Brot und Bier (durch Hathor) bezieht, während hier universell die Schöpfung des Kosmos gemeint ist („Himmel, Erde und Unterwelt“).106 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Philae-Hymne 5 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 17; Abb. 6; S. 55–75) Philae, Isis-Tempel, Sanktuar (Raum X), Südwand, rechter (westlicher) Türpfosten BÉNÉDITE, Philae, S. 58, Tabl. III; Philae-Photos 1037–1038; KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236–237; STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 205–206 Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 117–118

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

wn nswt bjtj [(Wsr-kA-Ra Mry-Imn) Hr dwA mw.t=f As.t nb.t p.t Der König von Ober- und Unterägypten [(Userkare Meriamun) betet seine Mutter Isis, die Herrin des Himmels, an, ij.tj107 r pr=s r Xnm sSm.w=s wenn sie zu ihrem Haus kommt, um sich mit ihrem Abbild zu vereinigen, mAw.t=s baH m Hr.w mj Ra und ihre Strahlen die Gesichter überfluten, wie (die des) Re, dj=f-sw n/m dwAw wenn er sich zeigt am Morgen. @r.t mrj(.t) @r aA (Oh) Weiblicher Horus, geliebt vom großen Horus,108

103 104 105 106

Vgl. auch die Bemerkungen bei KUCHAREK, Klagelieder, S. 629. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 53. Siehe zur Parallele QUACK, Ostrakon Glasgow, S. 286, m. Anm. 14. Daher kann ich dem Zweifel von QUACK, Ostrakon Glasgow, S. 286, Anm. 14, an der Schöpferqualität der Isis in Philae-Hymne 4 nicht zustimmen. 107 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58 m. Anm. 4, sieht die Form zwar auch als Pseudopartizip („old perfective“) 3. Pers. fem. sing. an, übersetzt dieses aber optativisch in einem neuen Satz „May she come…“; gefolgt von KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 236. Tatsächlich gehört aber der ganze Abschnitt bis einschließlich dwAw (Kol. 2) noch zur „Einleitung“. Dies zeigt sich auch darin, daß die Parallelen in Dakke und Kalabscha erst mit dem folgenden Abschnitt einsetzen (vgl. Kap. 4.3.1.1–2). 108 FISSOLO, Isis de Philae, S. 8, liest die Falkenhieroglyphen als bjk(.t) und übersetzt: „Falkenweibchen, geliebt vom großen Falken“, was prinzipiell nicht auszuschließen ist. Die Parallelen weisen ebenfalls

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 3:

Kol. 4:

109 110 111 112

113

mw.t-nTr109 qmA.n Itm die Gottesmutter, erschaffen von Atum, Hm.t nswt wr.t Xnm(.t) n Ra die Große Königliche Gemahlin, die mit Re vereint ist, nDtj.t Hr sn=s Wsjr die ihren Bruder Osiris beschützt, iTj(.t) tA.wj HqA(.t) nTr.w nTr.wt die die Beiden Länder ergreift, die Herrscherin der Götter und Göttinnen, hAj.t nxt.w qn(.t) r qn.w pH.tj(.t) r pH.tj.w die die Starken angreift, mutiger als die Mutigen, kräftiger als die Kräftigen, Hwj(.t) HH.w dndn tp.w die Millionen schlägt und die Köpfe abschlägt, wr(.t) mit großem Sa.t r xftj=s Gemetzel gegen ihren Feind,110 nb(.t) nsr.t tktk(.t) sbj die Herrin der Flamme, die den Rebellen attackiert, sHm(.t)111 aApp m A.t=f die Apophis zurücktreibt im Moment seines Angriffs,112 Hrj(.t)-tp n Ra MHnj.t m tp=f die Uräusschlange des Re, die Ringelschlange an seinem Haupt, dj(.t) tp-rd m wjA die Anweisungen gibt in der Sonnenbarke, nsw(j.t) bjtj(.t) die Königin von Ober- und Unterägypten113

die mehrdeutigen, nicht phonetischen Schreibungen mit Falkenhieroglyphen auf. Zu @r aA siehe die zahlreichen Belege in LGG V, 246–247, wo die Lesung ebenfalls als „nicht immer sicher“ im Hinblick auf die alternativen Lesungen bjk aA und nTr aA angegeben ist. Zu bjk aA LGG II, 761b–762a. Auch @r.t (LGG V, 297c–298a) und bjk.t (LGG II, 774b–775a) sind als Titel für Göttinnen, insbesondere Isis, häufig belegt. Letzterer weist allerdings häufig eine andere, oftmals phonetische Schreibung auf, weswegen ich hier die Lesung @r.t und folglich auch @r aA bevorzuge. Vgl. zur Problematik der Lesung und Interpretation dieser Titel BUDDE, Götterkind, S. 116–119. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58, liest und übersetzt mw.t @r „die Mutter des Horus“. Es handelt sich aber um den für Isis üblichen Titel, vgl. auch die Parallelen in Dakke und Kalabscha. Laut FISSOLO, Isis de Philae, S. 16, Anm. 18, könnten sich diese Epitheta prinzipiell auch auf den am Ende von Kol. 2 genannten Osiris beziehen, was m. E. jedoch inhaltlich nicht sinnvoll ist und zudem hier durch das weibliche Suffix =s grammatikalisch widerlegt wird. Zur Lesung vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90; KLOTZ, Two Hymns, S. 102; vgl. auch die Parallele in Kalabscha. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58, liest: xws(.t) aApp. Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58: „die Apophis schlachtet in einem Augenblick“; STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 206: „die Apophis niederstampft in seiner Kraft“; KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 237: „die Apophis auf dem Rücken zerstampft.“ Zur Bedeutung von A.t als „Moment des Angriffs“, siehe auch WILSON, Ptol. Lex., S. 25. Der Titel gehört, auch im Vergleich mit den Paralleltexten, sicherlich zu Isis, deren Name und Haupttitel in der nächsten Kolumne folgen. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58, gefolgt von STADLER, Isis, das

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Kol. 5:

Kol. 6:

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As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) Iw-rq Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, mw.t n.j.t @r sA.t Ra mrj(.t) ib=f114 die Mutter des Horus, die Tochter des Re, geliebt von seinem Herzen, D(d.t)=s nb(.t) xpr=sn Hr-a arq(.t) swAS m sxm.w115 deren sämtliche Worte sofort Gestalt annehmen,116 mit vollendeter Lobpreisung in den Heiligtümern,117 swAH(=T) rnp.wt (n) sA Ra nb xa.w [(Ptlwmys) mögest du andauern lassen die Jahre des Sohnes des Re, des Herrn der Erscheinungen [(Ptolemaios), mn mj bjk Hrj-tp srx xa.tj m nswt bjtj Hr s.t @r mj Ra Dt dauerhaft wie der Falke auf der Palastfassade, indem er erschienen ist als König von Ober- und Unterägypten auf dem Sitz des Horus wie Re, ewiglich.

Kommentar: Die Hymne ist formal im einfachen Nominal-/Partizipialstil gehalten, indem die einzelnen Epitheta ohne weitere syntaktische Einbindung einfach aneinandergereiht werden. Der Beginn des Textes stellt die enge Beziehung der Isis zu verschiedenen männlichen Göttern in ihrem Umkreis heraus:118 Zu Osiris und Horus kommt Re-Atum als Vater und Schöpfer der Isis hinzu (Kol. 2 und 5). Als Tochter des Re ist sie gleichzeitig seine Uräusschlange und Lenkerin am Bug der Sonnenbarke, die Apophis abwehrt, eine Rolle, die bereits aus älteren Quellen gut bekannt ist.119 Sie hebt insbesondere den kämpferischen und schützenden Charakter der Göttin hervor, der ebenfalls für ihr Verhältnis zu Osiris von Bedeutung ist und auch den weiteren Verlauf des Textes bestimmt. Isis ist demnach als Verkörperung des gefährlichen Sonnenauges, als Uräus-Diadem des Sonnengottes, dargestellt. Ihre Befehlsgewalt ist jedoch nicht auf diese mythische Rolle beschränkt,120 sondern wird auch in Kol. 5 nochmals verallgemeinernd betont („deren sämtliche Worte sofort Gestalt annehmen“ und ihre Rolle in den Tempeln). Daneben bilden auch die königlichen Titel der Isis als „Weiblicher Horus“, „Große Königliche Gemahlin“ (Kol. 2) und „Königin von

114

115 116 117 118 119

120

göttliche Kind, S. 206, übersetzt: „…in der Sonnenbarke des Königs von Ober- und Unterägypten.“; ebenso KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 237. Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58, zieht die folgende Zeichengruppe fälschlich noch hinzu und liest: mry.t ib=f Ds. Vgl. auch die Parallele in Kalabscha, wo die Trennung beider Phrasen (sowie die Lesung Dd.t) durch den Einschub eines zusätzlichen Epithetons offensichtlich ist. Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 58: nb(.t) xpr.w=s Hr-a sH, swAS(.t) m sxm.w „Herrin ihrer Erscheinungen im Heiligen Zelt, verehrt in (ihren) Heiligtümern“. Vgl. auch die beiden vorigen Anm. 113 u. 114. Ähnliche Aussagen finden sich auch für andere Götter, vgl. LGG VII, 677. KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 237, übersetzt für mich nicht nachvollziehbar „ihr Plan wird in ihren Heiligtümern verehrt“. Vgl. auch den Kommentar von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 59. Siehe insbesondere die 7. Stunde des Amduat, vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 73; MÜNSTER, Isis, S. 106–110; ausführlich dazu und zur Weiterentwicklung in der Spätzeit I. RÉGEN, Quand Isis met à mort Apophis. Variantes tardives de la 7e heure de l’Amdouat, in: C. Thiers (Hrsg.), Documents de théologies thébaines tardives (D3T 3), CENiM 13, Montpellier 2015, S. 247–271. Entgegen ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 60.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Ober- und Unterägypten“ (Kol. 4) ein Gegengewicht zur mythischen Sphäre und stellen sie in den Bereich des irdischen Königtums, dem der zitierte Titel „Tochter des Re“ (Kol. 5) als weibliches Pendant des üblichen „Sohn des Re“ der pharaonischen Titulatur außerdem ebenfalls zugerechnet werden kann.121 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Philae-Hymne 6 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 19; Abb. 7; S. 77–101) Philae, Isis-Tempel, Sanktuar (Raum X), Südwand, linker (östlicher) Türpfosten BÉNÉDITE, Philae, S. 58, Tabl. III’; Philae-Photo 1035–1036; KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 237–238 Philä II, 136–137122

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

wn nswt bjtj nb tA.wj [(Wsr-kA-Ra Mry-Imn) Hr dwA mw.t=f As.t nb.t wsr.t Der König von Ober- und Unterägypten, der Herr der Beiden Länder [(Userkare Meriamun) betet seine Mutter Isis, die Herrin, die Mächtige, an: mj.t123 r aH.t sanx(.t) nTr.w rmT.w Komm zum Palast, die du Götter und Menschen belebst!124 dwn @H n kA=T wTs-T(w) Ra Hr tp=f Heh streckt sich zu deinem Ka empor (?), Re hat dich auf sein Haupt erhoben, psD=T m Ax.t m xnt=f damit du als Prächtige (= Uräusdiadem) auf seiner Stirn erglänzt. wbn=T dr snk Wenn du aufgehst, wird die Finsternis vertrieben. Xnj=T m nwn125 Du ruderst im Urgewässer, Hay=T m nwy sqdj=T m wjA n Ra und du strahlst im/aus dem Flutwasser, du fährst in der Barke des Re. @r iAbt.t smA 126=f n=T aAb.t Horus des Ostens127 bringt(?) dir ein großes Opfer dar,128

121 Vgl. auch FISSOLO, Isis de Philae, S. 9. 122 Und nicht Philä I, 136–137, wie GOYON, Rez. Žabkar, S. 90, versehentlich angibt. 123 Weibliche Form des Imperativs mj, vgl. JUNKER, Grammatik, S. 120–121; KURTH, Einführung II, S. 751. 124 Oder Imperativ: „Belebe Götter und Menschen“? 125 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 80: Xn.t psD.t m Nnw. 126 Vgl. die Parallele Philä II, 136–137, wo am Ende statt geschrieben ist. 127 Horus des Ostens ist eine Verkörperung des Re, siehe dazu L. BRICAULT/M. PEZIN, Une nouvelle „triade“ pathyrite, in: BIFAO 93, 1993, S. 67–77: 72–77. Horus wird auch in funerären Texten mit den Opfern am snw.t-Fest und anderen Festtagen (s. Kol. 4) verbunden, siehe ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 83. 128 Interessanterweise ist diese Phrase bereits auf einem der im 2. Pylon verbauten Blöcke des kleinen Nektanebes-Tempels belegt, siehe ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 83; FARAG/WAHBAH/FARID, Blocks of Nectanebo I, Taf. 12a. Es fragt sich, ob es sich dabei bereits um eine Version der obigen Hymne handelte.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Kol. 4:

Kol. 5:

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p ntj Iwnw m xa der Thron,129 der Heliopolis ist, ist im Fest. wAH.tw n=T Es wird geopfert für dich snw.t m Iwnw dnj.t aA am Senut-Fest in Heliopolis130 und am großen Viertel-Fest,131 n irj.tw n=T Hb.w aSA.w denn zahlreiche Feierlichkeiten132 werden für dich begangen Xr Htp(?)133 aA m ¤nm.t r nHH mit großem Opfer(?) in Senmet, bis in Ewigkeit, Hr kA {Ra} Dt für deinen Ka/auf deinen Namen (?), ewiglich.134 Htp=T m aH.t Sps.t wr.t Du ruhst/mögest du ruhen im Palast, Edle, Große,135 mj.t r aH.t Hb.w r tr nfr{.w} Dam komme zum Festpalast zur vollkommenen(?) Zeit, Elektron!136

129 Die Parallele Philä II, 136–137 hat pr ntj m Iwnw „das Haus, das in Heliopolis ist“ (= der Tempel des Re?). Vielleicht handelt es sich hier um eine durch die phonetische Ähnlichkeit (pr > p(A)) bedingte Schreibvariante zu pr. 130 Zu der noch immer problematischen genauen Bedeutung dieses Festes siehe HUGHES, Sixth Day; BARTA, Zur Bedeutung; E. WINTER, Nochmals zum senut-Fest, in: ZÄS 96, 1970, S. 151–152; WILSON, Ptol. Lex, S. 857–858; rezent mit neuer Deutung im Hinblick auf den Mythos vom Sonnenauge/Sothis: QUACK, Goddess Rising, S. 287. 131 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 80, liest: Tnw Hb.w aA „prächtig sind die großen Feste“; ähnlich KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 237. Das dnj.t-Fest, d. h. das Fest des 7. oder 23. Mondmonatstages, wird häufig neben snw.t genannt, und beide werden üblicherweise mit Heliopolis verbunden, siehe z. B. TLA, s. v. (Wb V, 465, 6–8), mit Belegliste. Vgl. zuletzt zum dnj.t-Fest TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 203–204, aw), mit weiterer Literatur. Besonders auffällig ist die Parallele des Abschnitts zu einer Passage für Osiris in einem Ritualtext zum Neumondfest: wAH n=k ix.wt Hr snw.t Sb.wt dnj.t m Iwnw „Opfergaben werden für dich niedergelegt am Senut-Fest, und die Opfermahlzeiten des Viertelfestes in Heliopolis“ (allerdings mit dem Zusatz: m hrw pn nfr psDn.tjw „an diesem schönen Tag des Neumondfestes“), siehe BURKARD, Osiris-Liturgien, S. 85; ID., Grabung im Asasif 1963–1970, Bd. III. Die Papyrusfunde, AV 22, Mainz 1986, S. 35 (pKairo JdE 97249, Pap. 3, und pKöln Aeg. 1, Kol. x+6, 13–14); Taf. 22; vgl. auch, mit verbesserter Lesung MEEKS, Mythes et légendes, S. 214, § 12a. 132 KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 237, übersetzt hier „großartige Halbmondfeste“. 133 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90, der das Zeichen als (für ?) interpretiert, jedoch nach der Parallele Philä II, 136–137 wdHw liest. Vgl. aber das ebenfalls problematische Zeichen dort. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 80: Xr wdnw; in Anm. 6 schlägt er jedoch wdHw als alternative Lesung vor. 134 Die Formel wirkt ungewöhnlich; vgl. ähnliche Formeln z. B. in Dend. Mam., 160, 12–13: nHH (i)r=T (…) Dt n kA=T (…) „Die Ewigkeit gehört dir (…), die Dauer ist für deinen Ka“. 135 Sps.t wr.t ist Anrede der Göttin und gehört entgegen ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 80, und KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238, nicht zum Palast. 136 Dam ist ein Epitheton der (Isis-)Hathor, vergleichbar mit dem wesentlich häufigeren nbw(.t) „Gold; die Goldene“, siehe Wb V, 539, 1; LGG VII, 606–607. GOYON, Rez. Žabkar, S. 90, übersetzt aufgrund der Schreibung nfr.wj in der Parallele Philä II, 136–137: „Wie schön ist das (Weiß-)gold!“, was m. E. prinzipiell ebenfalls möglich wäre, aber die adverbiale Bestimmung r tr etwas unvollständig erscheinen lassen würde. Zudem steht in der Parallele genauer r tr.wj nfr.wj „zu den beiden schönen Zeiten (= Tag und Nacht)“ und ein m ist zwischen nfr.wj und Dam eingefügt, was GOYONs Lösung dort ausschließt.

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Kol. 6:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nn Hrj=T Ra iTj(.t) tA.wj r Snw Du bist nicht fern von Re (?),137 um zu ergreifen die Beiden Länder bis zum (ganzen) Umkreis (?).138 Sps.t m igr(.t) m xt sn=s Wsjr xwj sA Ra [(Ptlwmys) (Oh) Edle im Totenreich im Gefolge ihres Bruders Osiris, beschütze den Sohn des Re [(Ptolemaios), Tnj Hm=f Hr ns.t sA=T139 nHH Dt auf daß seine Majestät erhaben ist auf dem Thron deines Sohnes,140 für immer und ewig.

Kommentar: Der Text ist spiegelsymmetrisch zu Philae-Hymne 5 positioniert und komplementiert diesen. Die Thematik verweilt bei Isis’ Rolle als Uräusschlange des Re (Kol. 2), die in seiner Barke mitfährt (Kol. 3), und führt diese weiter aus.141 Der wiederkehrende Imperativ mj.t (Kol. 1 u. 5) und das mehrfach vorkommende Pronomen der 2. Pers. fem. verleihen diesem Text durch die direkte Anrede der Göttin jedoch eine andere Gestalt. Die Betitelung mit Epitheta-Reihen wird hier immer wieder durch Verbalsätze unterbrochen, die ab Kol. 3 die Festhandlungen ihr zu Ehren beschreiben, wobei das Fest des 6. Monatstages und die Stadt Heliopolis eine besondere Rolle spielen (Kol. 3–4). In der Kombination mit dem eindeutigen Fokus auf der Beziehung zu Re und der Verneinung des Fern-Seins von ihm (Kol. 5) deutet dies darauf hin, daß die Hymne die Rückkehr der Fernen Göttin (= das Sonnenauge, Sothis) feiert,142 die in diesem Fall von Isis verkörpert wird. Auch die Insel Bigge (Kol. 4) war eine Station auf dem Weg der zurückkehrenden Göttin und somit ein wichtiges Zent-

137 Die Stelle scheint in beiden Versionen verderbt zu sein: die Parallele Philä II, 136–137 hat: nn Hrj=T r=T Ra, was so auch kaum stimmen kann. FISSOLO, Isis de Philae, S. 10, übersetzt imperativisch: „Entferne dich nicht von Re!“ Allerdings ist nn keine Verneinung des Imperativs; evtl. wäre aber an eine futurische/optativische Bedeutung zu denken: „Du wirst/sollst nicht fern sein von Re!“ Möglicherweise ist hier eine Anspielung auf den Mythos vom Sonnenauge gemeint: Die Göttin ist zurückgekehrt aus der Ferne und wieder bei ihrem Vater Re. Dieses Ereignis steht nach verschiedenen ägyptischen Texten in enger Verbindung mit dem snwt-Fest, vgl. QUACK, Goddess Rising, S. 287; BARTA, Zur Bedeutung, bes. S. 75–76. 138 Vgl. zur Lesung auch GOYON, Rez. Žabkar, S. 90. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 80: …Hbw r tr nfr.w, Damw nn Hr (r)=T Ra iT tA.wj, r Sn… Die Übersetzung von KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238, ist wieder deutlich von ŽABKAR beeinflußt. 139 GOYON, Rez. Žabkar, S. 91, liest ns.t sA=s. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 80: ns.t Xrd. Außerdem zählt ŽABKAR Tnj als Apposition zu Ptolemaios, und nicht als Verb zum nächsten Teil. Da GOYON keine Übersetzung der Passage angibt, wird dies bei ihm nicht deutlich. Zur obigen Lesung jetzt auch KLOTZ, Two Hymns, S. 101. 140 Oder Imperativ: „erhebe Seine Majestät auf den Thron deines Sohnes“. 141 Vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 81. 142 Vgl. FISSOLO, Isis de Philae, S. 10, der die Stelle ebenfalls auf Sothis bezieht. Siehe zu diesem Themenkomplex, mit Angaben der grundlegenden Literatur, QUACK, Goddess Rising; VON LIEVEN, Wein, Weib und Gesang. Ich folge hier der Sothis/Sirius-Interpretation des Mythos vom Sonnenauge bzw. von der Fernen Göttin durch diese beiden Autoren; für abweichende Interpretationen (z. B. Ferne Göttin/Sonnenauge als Mond oder als Sonne selbst) siehe die dort angeführte Forschungsgeschichte und weitere Literatur.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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rum für den damit verbundenen Kult. 143 Einen gewissen Aufschluß über die Rolle der Uräusschlange des Re (= Sonnenauge) beim heliopolitanischen Senut-Fest gibt die biographische Inschrift eines Priesters aus Heliopolis auf dem Torso seiner Statue (St. Petersburg 5629).144 Darin berichtet der Gottesvater und Prophet, Anch-Psammetik von seinen Leistungen im Kult des Re-Harachte, den er direkt anspricht: aq.n(=i) r-xft-Hr=k Ich bin eingetreten vor dein Angesicht, r/iw snD n Hrj.t-tp=k m ib=i indem die Ehrfurcht vor deiner Uräusschlange in meinem Herzen war. dj=k Sm=i r=s m hrw snw.t Du hast veranlaßt, daß ich zu ihr gehe am Tag des Senut-Festes, swAS(=i)-sj m sns.w damit ich sie verehre mit Lobpreisungen, sHtp=i-sj m tp-rA Htp damit ich sie zufriedenstelle mit den Sprüchen des Opferns/Opfertisches, sqAj=i Hm.t=s r qAj n xrw=i damit ich ihre Majestät erhöhe bis hin zur Höhe meiner Stimme (so weit/laut meine Stimme reicht?), spr=s Hm=k m ihAy (oder: m ihAy xbj) als sie deine Majestät erreichte (zu ihr gelangte) in Jubel (oder: in Jubel und Tanzen), Haa=k m-Hr nfr.w=s und du dich gefreut hast über ihre Schönheit, dj=k w??145 n nTr.w pr.t-xrw n Ax.w und du Opfer/Libationen(?) gabst an die Götter, und Totenopfer an die Verklärten hrw Hb n=k Hr=s r-mn hrw pn am Tag des Festes für dich wegen ihr, bis zum heutigen Tag.146 Die Themen dieser Beschreibung weisen eine deutliche Verwandtschaft mit dem Inhalt von Philae-Hymne 6 auf: Genannt werden Opfer(sprüche), Lobpreisungen und Feierlichkeiten für die Uräusschlange sowie ihre (Wieder-)Vereinigung mit Re am Tag des Senut-Festes.

143 Siehe JUNKER, Auszug der Hathor-Tefnut, S. 6; ID., Onurislegende, S. 96–98; INCONNUBOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 177–181; 218–221; QUACK, Goddess Rising, S. 285. 144 Letzte Edition K. JANSEN-WINKELN, Die Biographie eines Priesters aus Heliopolis, in: SAK 29, 2001, S. 97–110. Die Statue wird in die 30. Dyn. bis frühe Ptolemäerzeit datiert. 145 . JANSEN-WINKELN, op. cit., S. 105, Anm. 22, schlägt wdn vor; unsicher. Vielleicht Sa.t „Opferkuchen“? 146 Inschrift A, Kol. 8–10; eigene Übersetzung.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Inhalt der Szene

Philae-Hymne 7 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 21; Abb. 8; S. 103–114) Philae, Isis-Tempel, Opfersaal (Raum VII), Westwand, unteres Register BÉNÉDITE, Philae, S. 44–45, Tabl. VI; Philae-Photo 1082; vgl. QUACK, Standardhymnus (m. hieroglyphischer Synopse auf S. 117–119); GABER, Central Hall, S. 267–268; 373–375;147 STADLER, Einführung, S. 83–85; TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 165–167, n)–p), u. 282–283148 Assuan-Hymne 5; Dend. IV, 75, 14–76, 1; Dend. Isis, 123, 14– 16; Edfu VI, 284, 13–14; Edfu Mam., 75, 3; 133, 7–8; Ostrakon Corteggiani D 1; sowie diverse Kurzversionen und Auszüge des Sistrumhymnus149 Pharao Ptolemaios II. spielt Sistrum vor Isis.

Text: – Hymne: Kol. 1: ij.n nswt bjtj [(Wsr-kA-Ra Mrj-Imn) sA Ra [(Ptlwmys) xr=T Der König von Ober- und Unterägypten [(Userkare Meriamun), der Sohn des Re [(Ptolemaios), ist zu dir gekommen, As.t wr.t mw.t-nTr inj=f n=T sSS.wj r Isis, die Große, die Gottesmutter, und bringt dir die beiden Sistren, um Kol. 2: sHtp=T im=f Dd mdw jn dich damit zufriedenzustellen. Rezitation:150 irj151 sSS.w m-Hr=T nfr Ich spiele die Sistren vor deinem schönen Antlitz, As.t dj(.t) anx Hrj(.t)-ib iA.t-wab.t Isis, die Lebensspenderin, die im Abaton residiert, ir.t Ra iwt(.t) sn.nw(.t)=s Auge des Re, deren Zweite es nicht gibt Kol. 3: m p.t tA im Himmel und auf Erden, wr(.t) mr(.wt) Hnw.t Hm.wt mit großer Beliebtheit, die Gebieterin der Frauen, mH(.t) p.t tA m nfr.w=s die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt, 147 Die Übersetzung von GABER richtet sich im Großen und Ganzen nach derjenigen von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 103–114, ohne Berücksichtigung der Verbesserungen durch GOYON, Rez. Žabkar. 148 Zur Adaption von Epitheta der Göttin im Sistrumhymnus in eine Rezitation des ‚Balsamierungsrituals‘. 149 Siehe QUACK, Standardhymnus, mit einer Auflistung der Parallelen auf S. 102–105; vgl. auch CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 73–74 m. Anm. 132–133. 150 Nach dieser Einleitung beginnt der eigentliche Hymnus. 151 Vgl. zur Ergänzung ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 106; und QUACK, Standardhymnus, S. 110, a), der aufgrund der Parallelen das performative irj.n=i für die ursprüngliche Textfassung hält.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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mw.t-nTr n KA-mw.t=f Hm.t nswt wr.t die Gottesmutter des Kamutef,152 die Große Königliche Gemahlin Kol. 4: n Wn-nfr von Onnophris, Sps.t aA.t m Hw.t-sr wa.t m Hw.t bnbn153 die große Edle im Haus des Fürsten, Einzigartige im Haus des Benben,154 nb.t nmt.t m wjA n @H die Herrin des Ausschreitens in der Barke der Millionen, irj(.t) sxr.wt m die Rat erteilt/Pläne macht in Kol. 5: dp.t nTr der Götterbarke, nTr.t aA.t [m] @w.t-kA(?)-H155 Hnw.t m &A-anx.t die große Göttin [in] Memphis(?), die Gebieterin im Land des Westens,156 HqA.t m WAs.t nb(.t) ISrw aA(.t) xa(.w) m die Herrscherin in Theben, die Herrin von Ischeru,157 groß an Erscheinungen in Kol. 6: ¤nm.t Senmet,158 nTr.t aA.t xnt tA-Smaj Hnw.t m tA-mHw die große Göttin an der Spitze von Oberägypten, die Gebieterin in Unterägypten, Htp Hr=T nfr n sA=T @r [(Ptlwmys) möge dein schönes Antlitz gnädig sein deinem Sohn Horus [(Ptolemaios).159

152 Die Parallele Assuan-Hymne 5 hat hier kA nxt „des Starken Stieres“; vgl. die Bezeichnung der Isis als Gottesmutter des Horus, des Starken Stieres in Philae-Hymne 1. Siehe dazu auch QUACK, Standardhymnus, S. 111, c). 153 So auch GOYON, Rez. Žabkar, S. 91. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 106, liest: Sps.t nb.t aA.t…nxt(.t) m Hw.t-bnbn. Die Schreibung von wa.t ist hier in der Tat nicht eindeutig, vgl. aber die Parallelen. 154 Der Philae-Text weicht hier von den Parallelen ab, die Hw.t bnw „Haus des Phönix“ angeben, siehe z. B. auch Assuan-Hymne 5. Vgl. QUACK, Standardhymnus, S. 111, e). Mit dem Haus des Fürsten und dem Haus des Benben werden hier die osirianische und die solare Sphäre zusammengebracht, vgl. FISSOLO, Isis de Philae, S. 10. 155 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 106, liest hier trotz der Beschädigung und seltsamen Schreibung Hw.t-kAPtH. GOYON, Rez. Žabkar, S. 91, zweifelt diese Ergänzung stark an, zumal die Parallelen Hw.t bj.t geben. Soweit auf dem Photo erkennbar, passen die Reste jedoch tatsächlich zu ŽABKARs Lesung. Man sieht deutlich den unteren Teil des Hw.t-Zeichens und der kA-Arme. Für Hw.t bjt wäre außerdem das deutlich geschriebene H am Ende sinnlos. Diese Schreibung in Philae beruht jedoch möglicherweise auf einem Mißverständnis, vgl. QUACK, Standardhymnus, S. 111, g), mit Anm. 55. 156 Bezeichnung der Nekropolen verschiedener Städte, unter anderem Heliopolis, welches m. E. hier wahrscheinlich gemeint ist (vgl. andere ähnliche Litaneien, wo Memphis, Heliopolis und Theben immer zuerst genannt werden, siehe dazu NAGEL, One for All); siehe GDG VI, S. 6–7. 157 Tempel und heiliger See der Mut bei Karnak, Wb I, 135, 6; vgl. zu iSrw als Bezeichnung heiliger Seen auch GESSLER-LÖHR, Heilige Seen, S. 401–402. 158 Die Parallele Assuan-Hymne 5 hat statt dessen aA(.t) xa(.w) m Xnw %wnw „groß an Erscheinungen in Syene“; beide Varianten sind demnach an das lokale Umfeld angepaßt, während die übrigen langen Versionen übereinstimmend das offenbar ursprünglichere „Karnak“ nennen, vgl. dazu QUACK, Standardhymnus, S. 113, k). 159 Hier endet der Sistrumhymnus und ein neuer, eigenständiger Text beginnt.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 7: hy nb(.t) dSr.t MnHj.t160 nb(.t) WAD.t Oh Herrin der Roten Krone, Menhit, Herrin, Uto, nb(.t) P Hnw.t _p qAj(.t) HD.t m Nxb Herrin von Pe, Gebieterin von Dep, mit hoher Weißer Krone in Elkab, Kol. 8: nb.t iA.t-wab.t Hnw.t Iw-rq die Herrin des Abatons, die Gebieterin von Philae, n=T imj Haa(?)161 m %Aw N.t dir gehört der Jubel im Sais der Neith,162 nb.t rr(?)163 m die Herrin des Aufziehens in Kol. 9: @n.t wdH.w m P Hwn.w m _p Henet (Thonis?),164 der kleinen Kinder in Pe, der Jünglinge in Dep,165 xwj=T sA Ra [(Ptlwmys) Dt mögest du beschützen den Sohn des Re [(Ptolemaios), ewiglich. Kommentar: Der Text setzt sich aus zwei ursprünglich verschiedenen Kompositionen zusammen,166 die durch die Segensformel am Ende von Kol. 6 auch hier deutlich getrennt werden. Bei der ersten handelt es sich um einen durch mehrere Versionen (darunter eine graphisch demotische) und noch mehr Auszüge belegten Hymnus zum Sistrumspiel,167 der daher auch hier in solch einen Szenentypus eingebettet ist. Die Rezipientin des Hymnus ist in den erhaltenen 160 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 91. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 106, liest: nb.t, Srj.t n MnHj.t. 161 GOYON, Rez. Žabkar, S. 91, hat hier imj ww mit gleicher Bedeutung („dir gehört der Jubelgesang“) gelesen, doch das von ihm angenommene Wort ww(?) ist problematisch, siehe Wb I, 289, 10. Das Zeichen gehört hier möglicherweise zur Schreibung von imj, dann wäre einfach als Haa zu verstehen. Zur Konstruktion n=T imj… siehe GG § 114. Eine weitere Möglichkeit wäre vielleicht ntT imw „dir gehört das Klagegeschrei“. 162 Vgl. zum Verständnis der Stelle GOYON, Rez. Žabkar, S. 91. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 106, liest: n(t)T Iimw qA(.t) m %Aw, N.t… 163 Ein überflüssiges Zeichen , welches GOYON, Rez. Žabkar, S. 91, mit einer Verschreibung aus dem Kopf eines jungen Tieres (Kalbskopf?) erklärt, das jedoch auch kein übliches Determinativ für rr/rnn ist; LGG IV, 88c: nb.t rrq(?) m Hn.t. 164 Name des Kanalgebietes im Saites bzw. des saitischen/bolbitischen (unteren) Nilarmes, vgl. ELSAYED, Neith II, S. 548 m. Anm. 3; FISSOLO, Isis de Philae, S. 10; ausführliche Diskussion des Namens und Identifizierung eines der so bezeichneten Toponyme mit der Stadt Herakleion bei YOYOTTE, Thônis-Héracléion; ID., Notes de toponymie égyptienne IV, ΘΩΝΙΣ, in: MDAIK 16, 1958, S. 423–430. Im obigen Text ist jedoch auffällig, daß Henet im Gegensatz zu den anderen Orten nicht mit einem Stadt- sondern nur mit einem Wasserdeterminativ versehen ist, was wahrscheinlich eher auf das Wassergebiet als auf eine Ortschaft hindeutet. Ein (tA-)Hn.t befand sich nach YOYOTTE auch bei Buto; da direkt im Anschluß Pe und Dep genannt werden, könnte auch dieses gemeint sein. 165 Vgl. zu dieser Passage GOYON, Rez. Žabkar, S. 91. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 106, liest: N.t nb.t Trrq m Hnt wAD(.t), Haw.t m P Hwnw m _p. Eine gewisse inhaltliche Parallele mit einer kulttopographischen Liste von Gauhauptstädten bietet Edfu Mam., 73, 7–8: As.t wr.t mw.t-nTr rr(.t) ms.w=s m Iwn.t m BHd.t m Qb.t m #m m Mdnj.t m spA.t nb ms(.w) @r im=w „Isis, die Große, die ihre Kinder aufzieht in Dendara, in Edfu, in Koptos, in Letopolis, in Aphroditopolis, in jedem Gau, in dem Horus geboren wurde“; siehe dazu BUDDE, Götterkind, S. 19–20. 166 Vgl. QUACK, Standardhymnus, S. 102. 167 Ausführlich dazu QUACK, Standardhymnus.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Belegen jeweils Isis oder Hathor, wobei auch bestimmte Epitheta individuell angepaßt werden, doch ist die Entscheidung, für wen die Komposition ursprünglich bestimmt gewesen sein mag, nicht leicht zu treffen.168 Zu Beginn des Sistrumhymnus werden Schönheit und Weiblichkeit der Göttin gelobt (Kol. 2–3),169 die demzufolge als „Gebieterin der Frauen“ qualifiziert ist; es handelt sich um vorwiegend hathorische Aspekte. Auch Isis’ Familienverhältnisse werden wieder erwähnt (vgl. bes. Philae-Hymnen 1–2), wobei hier Kamutef die Sohnesrolle einnimmt (Kol. 3–4). Die Lokalisierungen in Kol. 4 (Haus des Fürsten und Haus des Benben) führen in den heliopolitanischen Raum, der in Philae-Hymne 6 (siehe oben) ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.170 Isis’ lenkende Befehlsgewalt in der Sonnenbarke (Kol. 4–5) verweist weiter auf ihre Beziehung zum Sonnengott, ähnlich wie in den Philae-Hymnen 5 und 6. Den letzten Teil dieses Textes bildet eine repräsentative Aufzählung einiger wichtiger Kultstätten, mit einer Gewichtung auf Theben,171 die schließlich mit dem Herrschaftsanspruch der Isis über Ober- und Unterägypten, also dem ganzen Land, zusammengefaßt wird.172 Die ab Kol. 7 anschließende zweite Komposition richtet sich an Isis als Verkörperung der Kronengöttin, indem die üblicherweise mit der Krone bzw. der Uräusschlange in Verbindung stehenden Göttinnen nacheinander genannt und so mit Isis gleichgesetzt werden.173 Obwohl wiederum Ober- und Unterägypten, d. h. konkret die Weiße und die Rote Krone einander gegenübergestellt werden, liegt im Verlauf des restlichen Textes doch ein stärkerer Schwerpunkt auf dem Delta,174 der Heimat der Uräusschlange. ŽABKAR175 möchte darin sogar einen Verweis auf die Heimat der Isis selbst, und insbesondere die ihrer Förderer aus der Saiten- (26.) und Sebennyten-(30.)Dynastie sehen. Zumindest letzteres halte ich jedoch für weniger wahrscheinlich, da es sich um gängige Manifestationen und Benennungen der Kronenschlange handelt, mit der Isis schon lange identifiziert werden konnte.176 Auch ist es gut möglich, daß ein älterer Text, der im Rahmen der Hymnen an das Diadem anzusiedeln ist, hier für Isis adaptiert wurde.177 Die etwas problematischen Epitheta am Ende des Textes (Kol. 8–9), die wohl das Aufziehen von Kindern thematisieren, könnten aber durchaus eine Anspielung auf das Aufwachsen des Horuskindes in Chemmis beinhalten, zumal dort Uto, die unterägyptische Verkörperung der Uräusschlange, als Mutter des Horus gilt.178 Auch Neith kann diese Rolle übernehmen.179 Die Thematik leitet elegant über zur Fürbitte um Schutz für den König, den irdischen Horus.

168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178

Zu dieser Problematik siehe QUACK, Standardhymnus, S. 114–116, der sich für Isis ausspricht. Vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 108. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 108. Auch Isis’ oben erwähnte Beziehung zu Kamutef verweist auf den thebanischen Raum, den QUACK, Standardhymnus, S. 115–116, daher als möglichen Entstehungsort der Komposition in Betracht zieht; vgl. auch STADLER, Einführung, S. 84–85. Ausführlich werden kulttopographische Aufzählungen dieser Art behandelt in NAGEL, One for All. Vgl. auch QUACK, Standardhymnus, S. 102. Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 110. Siehe die vorige Anm. 174. Siehe MÜNSTER, Isis, S. 106–115. Entsprechende Elemente finden sich z. B. auch in der Hymne am Nektanebes-Kiosk (Hymne Nektanebes), siehe oben. Siehe dazu ERMAN, Hymnen an das Diadem; BOMMAS, Investiturritual. Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 115.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen180 Inhalt der Szene

Philae-Hymne 8 (ŽABKAR, Hymns to Isis, Taf. 22; Abb. 9; S. 115–127) Philae, Isis-Tempel, Opfersaal (Raum VII), Ostwand, unteres Register BÉNÉDITE, Philae, S. 51, Tabl. VI; Philae-Photo 1086; KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238–239; COPPENS, Wabet, S. 116–119 (zur Parallele BÉNÉDITE, Philae, 20); GABER, Central Hall, S. 268– 269; 416–417 BÉNÉDITE, Philae, 20 (= Philae-Photo 703 (oben); untere Hälfte stark zerstört); Assuan-Hymne 2 Ptolemaios II. steht in Anbetungsgestus mit nach unten gestreckten Armen vor Isis, entsprechend dem Szenentitel dwA-nTr sp 4 „Gott anbeten, viermal“.

Text: – Hymne (= Rede des Königs): 10 Textkolumnen und die letzten Zeichen am Rand hinzugefügt. Kol. 1: wn nswt bjtj [(Wsr-kA-Ra Mrj-Imn) Hr dwA mw.t=f Der König von Ober- und Unterägypten [(Userkare Meriamun) betet seine Mutter an: Dd mdw jn i.nD Hr=T As.t wr.t-HqA.w sms.t Rezitation: Sei gegrüßt, Isis, die Zauberreiche, Älteste Kol. 2: m X.t mw.t=s Nw.t Ax{w}.t m p.t xr Ra im Leib ihrer Mutter Nut, Glänzende im Himmel bei Re, iAw n=T m (m)sk(t.t)181 hnw Lobpreis für dich in der Abendbarke, Jubel Kol. 3: n=T m (m)anD.t msw.t nTr.w nb.w{t} für dich in der Morgenbarke, Abbild182 aller Götter. ij.n sA Ra [(Ptlwmys) xr=T nb(.t) anx Der Sohn des Re [(Ptolemaios) ist zu dir gekommen,183 Herrin des Lebens, m hrw pn nfr xaj.n=T an diesem schönen Tag, an dem du erschienen Kol. 4: im=f Ts=f n=T tp=t bist, damit er für dich dein Haupt184 anknüpfe, 179 Siehe EL-SAYED, Neith, S. 111–112. 180 Nach GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. Er vermerkt dort außerdem eine stark zerstörte Parallele im damals unpublizierten Isis-Tempel von Dendara, macht jedoch keine genauen Angaben über den Anbringungsort. Beim Durchsehen der mittlerweile erschienenen Edition Dend. Isis konnte ich die Stelle nicht auffinden. 181 Zur Schreibung der beiden Barken ohne anlautendes m, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 415 u. 467; Wb II, 48 u. 150. 182 Die Schreibungen in Philae und Assuan sprechen m. E. eher für den Ausdruck msw.t „Abbild, Manifestation“, Wb II, 141, 14; WILSON, Ptol. Lex., S. 460, als für eine Übersetzung als „die alle Götter gebiert“, wie ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 119; gefolgt von KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238, sie angibt. 183 Hiermit beginnt die Parallele in BÉNÉDITE, Philae, 20.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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smn=f n=T HA.t=T185 damit er für dich deine Stirn/Vorderseite (= Weiße Krone?) befestige,186 [(Wsr-kA-Ra Mrj-Imn) sA=T @r [(Userkare Meriamun), dein Sohn Horus. iw kA=T m Htp Dein Ka ist in Frieden, Kol. 5: nb.t anx m hrw pn nfr xaj.n=T im=f Herrin des Lebens, an diesem schönen Tag, an dem du erschienen bist, sHtp.t nTr.w m-xt nSnj die die Götter besänftigt haben187 nach (ihrem) Wüten. mr(y.t) Ra wnn=T m-Xnw von der Re wünscht,188 daß du inmitten Kol. 6: wjA=f Hr xsf aApp m Ax.w tp-rA=T seiner Barke bist beim Abwehren von Apophis mit den Zaubern deines Spruches. m.t [(Ptlwmys) ij xr=T Siehe, [(Ptolemaios) ist zu dir gekommen, dwA=f nfr.w damit er Schönheit anbete.189 sfx190 Befreie (du)

184 COPPENS, Wabet, S. 117, und KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238, lesen tp(j).t „die Uräusschlange“, wofür es m. E. jedoch keine Hinweise gibt. Auch in den Parallelen gibt es kein Uräus-Determinativ, in Assuan-Hymne 2 statt dessen sogar einen Ideogrammstrich hinter tp. 185 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118, liest: smn=f n=T wsr.t. 186 Hierin ist möglicherweise eine Anspielung auf ein Ritual der Hathor von Atfih (22. o.äg. Gau) enthalten, das sich auch im dortigen Priestertitel smn-HA.t niederschlägt, vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. Dies bezieht sich sicherlich auf den Mythos von der Enthauptung der Göttin (und der anschließenden Wiederaufsetzung des Kopfes) – ein Element, das sich in zahreichen Varianten des Horus- und Seth-Mythos wiederfindet, siehe hierzu VANDIER, pJumilhac, S. 63–64; MEEKS, Mythes et légendes, S. 260–262; LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 272–273, § 22g; ID., Gaumonographien, S. 172–173 u. 175; siehe unten, Kap. 4.13. Mit HA.t könnte alternativ aber auch die Weiße Krone gemeint sein, so die Deutung von COPPENS, Wabet, S. 117; vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 617–618. 187 Aufgrund des geschriebenen T, was für eine (häufig ungeschriebene) feminine Relativform doch eher ungewöhnlich wäre, ist möglicherweise eher sHtp-Tw nTr.w „die Götter haben dich besänftigt“ zu übersetzen. In der Parallele Assuan-Hymne 2 ist jedoch kein T/t geschrieben und also (zumindest dort) eine Relativform anzunehmen. Grammatikalisch gäbe es auch die Möglichkeit, ein aktives Partizip „die die Götter besänftigt hat…“ anzusetzen, doch wenn es hier um die Ferne Göttin geht, scheint es mir inhaltlich logischer, daß sie selbst das Objekt der Besänftigung ist. 188 Möglicherweise liegt auch hier keine Partizipialform, sondern ein Verbalsatz vor: „Re wünscht, daß du…“. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 119, übersetzt: „Geliebte des Re, die du…“; ebenso KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238. Ähnlich COPPENS, Wabet, S. 117: „Geliebte des Re, du bist in seiner Barke…“. 189 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118–119, zieht fälschlich den Beginn der folgenden Phrase hinzu: dwA=f nfr.wsfx „damit er, gereinigt, deine Schönheit anbete“; übernommen von KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238. 190 Betrachtet man die Verbform als Imperativ, bräuchte man das von GOYON nach der Assuan-Parallele ergänzte Suffix nicht zwingend. Auch COPPENS, Wabet, S. 117, nimmt einen Imperativ an.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 7: {iw} a sDb.w HAw.tj.w rnp.t191 ihn von den Übeln derjenigen, die am Anfang des Jahres192 sind,193 sm194 n=f sDb.w=f (n)195 rnp.t tn rwj(.w) beende für ihn seine Übel dieses Jahres,196 indem sie zurückgetrieben sind,197 iw sA=f und sein Rücken Kol. 8: r=s(n) ihnen zugewandt ist. iw irj.n=f Htp.w Hr=s Er hat deswegen Opfergaben dargebracht, iw Hr=f r 198 ij.tj n mA und sein Gesicht auf das andere (Jahr) gerichtet, das neu gekommen ist.199 nn irj=f xn nTr njw.t=f Er hat nichts getan, was dem Gott seiner Stadt verhaßt ist, n irj.n=f er hat nicht getan Kol. 9: is200 nn Dw.t r=f m DADA.t sxd.w(?)201 Unrecht, nicht (geschieht) Übles gegen ihn im Tribunal des/der Umgekehrten, 191 Die Textstelle ist insgesamt stark verdorben und wird von GOYON nach Assuan-Hymne 2 korrigiert. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118: iw rwj sDb.w HAw.tj.w rnp.t smn n=f. KNIGGE SALIS, Hymnen, S. 238–239, richtet sich in den folgenden Zeilen nach ŽABKAR und übersetzt den Schluß des Textes (ab Ende Kol. 8) überhaupt nicht mehr. 192 Gemeint sind die unglückbringenden Epagomenen und die Neujahrsnacht, vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 119, übersetzt: „die Übel des letzten Jahres“. 193 Hier endet die Parallele Assuan-Hymne 2. 194 Ergänzung nach der Parallele BÉNÉDITE, Philae, 20; vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. 195 In der Parallele BÉNÉDITE, Philae, 20, ist das n ausgeschrieben. 196 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92, der skm jedoch als endungsloses Passiv versteht, was denkbar wäre. M. E. könnte man aber, wenn man vorher sfx als Imperativ oder Optativ auf Isis bezieht, analog dazu auch hier solch eine Form ansetzen. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118: …smn n=f, sDb.w=f rnp.t tn rwj.w. 197 rwj dürfte hier als Pseudopartizip zu verstehen sein. 198 Geschrieben wie nb.t: ; richtige Orthographie in Philae-Photo 703 (oben). Vgl. auch GOYON, Rez. Žabkar, S. 92, der den korrupten Philae-Text nach der (von mir nicht aufgefundenen) Parallele im Isistempel von Dendara emendiert. 199 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118: iw Hr=f r nb.t, ij.wj-tn n mAw.t. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92, unterteilt den ganzen Abschnitt etwas anders und versteht die Gruppe am Anfang von Kol. 8 trotz der in beiden Philae-Versionen so vorliegenden Zeichenreihenfolge als iw rsj(.n=f…): …rwj(.w) r sA=f, iw rsj.n=f Htp{.w} Hr=s „…, indem sie hinter ihn zurückgetrieben sind. Wenn er erwacht ist, ist ihr Gesicht friedlich.“ Hier endet die Parallele in BÉNÉDITE, Philae, 20. 200 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118, nimmt hier ein ansonsten nicht mit dieser Bedeutung belegtes Wort is(.w) an. M. E. handelt es sich um eine Schreibung von isf.t. Für weitere verkürzte Schreibungen dieses Wortes siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 111. 201 Wenn GOYONs Vorschlag sxd.w zu lesen richtig ist – ihm zufolge steht in der ominösen Parallele in Dendara – so handelt es sich um eine äußerst ungewöhnliche, unetymologische Schreibung (sS tA.w). Möglicherweise ist auch einfach DADA.t sS tA.wj „Tribunal des Schreibers der Beiden Länder (= Thoth?)“ zu lesen. Es handelt sich bei sS tA.wj allerdings nicht um ein gängiges Götterepitheton, siehe LGG VI, 603a–b.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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dj Tms.w n Xr(.t) rnp.t202 saq sTA mnmn.t r das die Strafen verhängt im Jahresverlauf, das das Vieh bringt und treibt zur Kol. 10: nm.t nTr203 Schlachtbank des Gottes. iw=f wDA m-a rnp.t tn nhj-s(w) imj-xt(=T) Er ist wohlbehalten von diesem Jahr,204 (denn) deine Gefolgsleute behüten ihn,205 m Htp sp 2 rnp.t nfr(.t) mH=f m Htp.w in Frieden, in Frieden, schönes (neues) Jahr, möge er erfüllt sein mit Opfergaben, kA=T Hr=f und möge dein Ka auf ihm/bei ihm sein Zusatz: m anx als/mit Leben. Kommentar: Diese lange Komposition besteht aus mehreren unterschiedlichen Teilen, die sich nur teilweise direkt um Isis selbst drehen: zunächst die preisende Anbetung der Göttin, wie in Titel und Einleitung (Kol. 1) angekündigt, in Kol. 1–6. Diese wird allerdings bereits in Kol. 3–4 durch die Beschreibung von rituellen Handlungen des Königs gegenüber Isis unterbrochen, und endet in Kol. 6 wiederum mit der Beschreibung seiner Haupthandlung (anbeten). Angefügt ist wie üblich ein Schlußgebet zugunsten des Königs, das in diesem Fall aber etwas länger ausgeführt wird (Kol. 6–8); zentrales Thema ist der Schutz des Königs während der als gefährlich angesehenen Zeitspanne des Jahreswechsels. Die Hymne ist also im Kontext des Neujahrsfestes anzusiedeln, 206 was auch durch das „Erscheinen an diesem schönen Tag“ (Kol. 3) angedeutet wird. Während dieser Zeit sind Anrufungen an die Göttin HathorSachmet üblich,207 mit der Bitte, ihre besänftigte Seite zu zeigen, die zu diesem Anlaß als „Gutes/schönes Jahr“ (Rnp.t nfr.t, vgl. Kol. 10) personifiziert werden kann. Sachmet verkörpert die gefährliche Seite der Göttin und somit die Gefahren des Jahresübergangs.208 Gleichzeitig wird bei diesem Ritual die Macht des Königs für das kommende Jahr erneu-

202 Lesung nach der Parallele im Isistempel Dendara nach GOYON, Rez. Žabkar, S. 93. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118: nn Hsb r=f m DADA.t sS tA.wj dj… Fehlerhafte Textstelle. 203 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 118, liest: saq sTA idr.w n nm.t-nTr. M. E. ist das r, welches ŽABKAR als phonetisches Komplement für die Lesung des Rindes als idr.w heranzieht, sinnvoller als Präposition anzusehen (anstelle des für die Angabe der Richtung weniger gebräuchlichen n, welches ich hinwiederum als phonetisches Komplement zu nm.t zählen möchte). Meine vorgeschlagene Lesung des Rindes als mnmn.t ist nicht zwingend, ergibt aber einen schönen poetischen Gleichklang der ganzen Stelle mnmn.t r nm.t nTr. 204 Damit ist das alte Jahr gemeint, vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 121. 205 ŽABKAR interpretiert nh.wt als feindliche Zaubersprüche des alten Jahres, doch hier muß nhj „schützen“ gemeint sein, Wb II, 281–282. Zum Determinativ Pluralstriche bzw. t + Pluralstriche hinter Verbformen in der spätzeitlichen Orthographie siehe JANSEN-WINKELN, Spätmittelägyptische Grammatik, S. 24–25. 206 Vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 121; GOYON, Rez. Žabkar, S. 92; KURTH, Rez. Žabkar, S. 469; COPPENS, Wabet, S. 118–119; zum Umfeld der Szene in der Tempeldekoration und dem kultischen Kontext vgl. CAßOR-PFEIFFER, Seitliche Sanktuare, S. 147–150. 207 Längere Texte dieser Art sind in Edfu und Dendara erhalten, siehe GERMOND, Bonne année. 208 Vgl. GERMOND, Bonne année, S. 2–3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

ert,209 und die Sorge für seinen Schutz vor den Gefahren ist eine wichtige Funktion der Göttin.210 Auch andere weibliche Gottheiten können für die zweiseitige Hathor-Sachmet bzw. das „Gute Jahr“ stehen,211 und im obigen Text nimmt natürlich Isis diese Rolle ein, wie aus den Anrufungen in Kol. 7 und 10 deutlich wird. Auch der Wunsch, daß „ihr Gesicht“ friedlich sein möge (Kol. 8), dürfte sich auf das personifizierte neue (gute) Jahr und somit gleichzeitig auf Isis beziehen. Diese Beschwörung des neuen Jahres zugunsten des Königs wird durch ein negatives Sündenbekenntnis seinerseits (hier in der 3. Pers.) von der Art, wie es in Tb 125 prominent belegt ist, bekräftigt.212 Das heißt, er reinigt sich innerlich für die Zeremonie des Jahreswechsels, indem er von Sünden freigesprochen wird, und somit kein Übel auf sich ziehen kann. Eine allgemeine Reinigung ist die übliche Vorbereitung auf dieses Ritual, 213 doch die konkrete Verbindung mit den Formeln der Sündenfreiheit ist höchst interessant.214 Offenbar war ein mit dem negativen Sündenbekenntnis eng verwandter Eid auch Teil der Priesterweihe, und bildete damit (auch für den König) die Voraussetzung für den Zugang zum Tempel.215 Der griechisch und ägyptisch (allerdings jeweils nur fragmentarisch) überlieferte Text dieses Eides ist tatsächlich sogar ein Teil des ‚Buches vom Tempel‘, dem normativen Handbuch für die Organisation des ‚idealen‘ ägyptischen Heiligtums.216 Zu vergleichen sind zudem die in den griech.-röm. Tempeln mehrfach belegten „Aufforderungen an die Priester“, so z. B. in Philae selbst.217 209 GERMOND, Bonne année, S. 3; eine lange spätzeitliche Ritualhandschrift, die unter anderem auch diesem Zweck dient, ist auf pBrooklyn 47.218.50 erhalten: siehe GOYON, Confirmation; Neuedition des Textes in Vorb. durch J. F. QUACK. Eine ähnliche Anrufung an Sachmet und Bastet, den König vor den Übeln des Jahres zu schützen, wie die an Isis in Kol. 7 des Philae-Textes oben, findet sich z. B. im Brooklyner Papyrus Kol. 2, 6–7 (siehe op. cit., S. 57). Zu weiteren verwandten Texten, siehe J.-CL. GOYON, Sur une formule des rituels de conjuration des dangers de l’année, in: BIFAO 74, 1974, S. 75–83, bes. 77–80; S. TÖPFER, Schutzrituale für den Pharao aus Tebtynis, in Vorb. 210 Vgl. GERMOND, Bonne année, S. 84–85. 211 Vgl. GERMOND, Bonne année, S. 83–84. 212 Siehe dazu auch den Kommentar von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 123–125; QUACK, Königsweihe, S. 101, m. Anm. 30 (gegen die von ŽABKAR postulierte Übernahme aus dem funerären Bereich). Vgl. zum negativen Sündenbekenntnis bereits PT 467, § 892 und 688, §§ 2082c–2083c. 213 Vgl. GOYON, Confirmation, S. 19. 214 Vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 93. 215 Siehe z. B. R. MERKELBACH, Ein griechisch-ägyptischer Priestereid und das Totenbuch, in: Ph. Derchain (Hrsg.), Religions en Égypte hellénistique et romaine, Colloque de Strasbourg, 16–18 mai 1967, Paris 1969, S. 69–73; ID., Ein ägyptischer Priestereid, in: ZPE 2, 1968, S. 7–30: 20–30; R. GRIESHAMMER, Zum „Sitz im Leben“ des negativen Sündenbekenntnisses, in: ZDMG Suppl. II, 18. Deutscher Orientalistentag vom 1. bis 5. Oktober 1972 in Lübeck, Vorträge, Wiesbaden 1974, S. 19–25; R. MEYER, Vom König zum gottgeleiteten Menschen. Ein Beitrag zur Typologie religiöser Welthaltungen, Diss., Univ. Heidelberg 1994, Kap. X, S. 240–242; QUACK, Balsamierung und Totengericht, S. 36–37; vgl. auch Anm. 212 oben. 216 Siehe J. F. QUACK, Ein ägyptisches Handbuch des Tempels und seine griechische Übersetzung, in: ZPE 119, 1997, S. 297–300; ID., Translating. Die Gesamtpublikation des in zahlreichen Handschriften überlieferten Buches vom Tempel ist in Vorbereitung durch J. F. QUACK, siehe vorläufig diverse weitere Vorberichte. 217 Siehe H. JUNKER, Vorschriften für den Tempelkult in Philä, in: Or. Ant. 3, Analecta biblica 12, Rom 1959, S. 151–160; M.-T. DERCHAIN-URTEL, Priester im Tempel. Die Rezeption der Theologie der Tempel von Edfu und Dendera in den Privatdokumenten aus ptolemäischer Zeit, GOf 4/19, Wiesbaden 1989, S. 199; rezent N. LEROUX, Les recommandations aux prêtres dans les temples ptolémaïques: des avatars d’un canon esthétique?, in: Baumann/Kockelmann (Hrsg.), Tempel als ri-

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Die eigentliche Charakterisierung der Isis konzentriert sich wiederum auf ihre Beziehung zu Re, stellt sie also als Sonnenauge dar, wobei ähnliche Wendungen wie in den Philae-Hymnen 5, 6 und 7 verwendet werden: Sie ist die Beschützerin in seiner Barke (Kol. 2–3; 5–6). Auch die Aussage, daß die Götter sie „besänftigt haben nach ihrem Wüten“ (Kol. 5), ist eine klare Anspielung auf den gefährlichen Charakter der Göttin und paßt gut zu den Beschwörungen im Neujahrskontext. Die im Hof angebrachte Szene BÉNÉDITE, Philae, 20 (Nordwand des Hofes, oberes Register, 1. Szene v. l.),218 in der Ptolemaios II. ein Menit an Isis reicht, kopiert (soweit erkennbar) wörtlich die Philae-Hymne 8 aus dem Opfersaal, allerdings ohne den letzten Teil mit dem negativen Sündenbekenntnis, der hier auch nicht mehr hingepaßt hätte. Beide Versionen der Hymne sind unter Ptolemaios II. angebracht worden, integrieren den Text jedoch in unterschiedliche Szenentypen. Das Darreichen des Menit fügt sich gut in den Kontext der Besänftigung der Gefährlichen Göttin zu Beginn des Jahres ein.219 Auch der Anbringungsort im Hof, der in späteren Tempeln einen zusammenhängenden Raumkomplex mit der Wabet bildet, ist typisch für Texte, die in Zusammenhang mit den Neujahrsriten stehen. Ein snD-n-Hymnus im Philadelphos-Tor Text/Hauptpublikation Philae-Photos 164–165; PM VI, Philae Nr. 68)220 Anbringungsort Philae, Philadelphos-Tor, Tordurchgang, Rücksprung an der Südwand Bibliographie KOCKELMANN, Soubassement, S. 598–599 (Überblick über den Inhalt) Inhalt snD-n-Hymne, 19 Kolumnen Text Text: Kol. 1:

218 219 220 221 222

snD n As.t nTr[.t](?) p.t(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Göttin(?) des Himmels(?) (oder: ihr Götter des Himmels?), nts HqA.t n xAbAs.w(?) tpj.t ? m(?) snTr(?) nb dj=s […]221 (denn) sie ist die Herrscherin der Himmelsleuchten(?),222 die Erste ? in(?) alle ?, sie gibt […].

tueller Raum, S. 249–269; und jetzt ID., Les recommandations aux prêtres dans les temples ptolémaïques et romains. Esquisse d’un héritage culturel et religieux, SSR 21, Wiesbaden 2018. Philae-Photo 703 (oben). Vgl. auch COPPENS, Wabet, S. 119. Zum Menit siehe ausführlicher BUDDE, Götterkind, S. 109–115; C. CHATELET, L’offrande du collier-menit dans les temples d’époque gréco-romaine, MRE 16, Turnhout 2015. Dieses Beispiel eines snD-n-Hymnus ist in die Gesamtbearbeitung dieses Texttypus durch RÜTER, snD-n-Hymnen, nicht aufgenommen; jedoch wird darin, S. 54, Anm. 239, eine Bearbeitung in der Reihe ITE Begleithefte angekündigt. Der Text ist teilweise zerstört und auf dem Photo schwer lesbar. Der Rest der Zeile ist zerstört. Zum Begriff xAbAs.w und seiner Deutung (Dekane?) siehe VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 166– 171. Nach QUACK, Dekane, S. 8–10, ist die Deutung des Wortes als Dekane allerdings problematisch; möglicherweise handelt es sich demzufolge um einen allgemeinen Oberbegriff für Sterne. Vgl. dazu auch M. WAGNER, Anchnesneferibre, S. 26–27. Eine spezifische Studie zu dieser Sternbezeichnung durch dieselbe Autorin ist dort angekündigt.

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50 Kol. 2:

Kol. 3:

Kol. 4:

Kol. 5:

Kol. 6:

Kol. 7:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

[snD n As.t] wr(.t) mw.t-nTr m spA.(w)t nb.wt [(Habt) Ehrfurcht vor Isis,] der Großen, der Gottesmutter in jedem Gau, nts Hrj.t/Hr irj.t(?) […] &psD(?)\.t m nbw sHD.t tA.w{j} nb m stw.t=s (denn) sie ist die Oberste […], die als Gold erglänzt(?), die alle Länder durch ihre Strahlen erhellt. snD n As.t dj(.t) anx Hrj(.t)-ib iA.t-wab.t rmT.w nTr.w(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Lebensspenderin inmitten des Abaton, (oh) ihr Götter und Menschen(?), nt[s] &smA\(.t)(?) sbj[.w?](?) (n?) nTr nb nn anx mwt m xm[=s](?) denn sie ist es, die die Rebellen(?) jedes Gottes tötet(?), ohne deren(?) Kenntnis es weder Leben noch Tod gibt.223 snD n As.t bjk.t(?) Ra.t(?)224 (Habt) Ehrfurcht vor Isis, dem Falkenweibchen(?), der Sonnengöttin(?),225 nts grg(.t) gs(.w-) pr.w(?) ms[… …].w n sA=s @r Hna sn Wsjr=s (sic!) (denn) sie ist es, die die Tempel gegründet hat und die […] geboren/erschaffen(?) hat für ihren Sohn Horus und ihren Bruder Osiris. snD n As.t sSm(.t)(?)226 […].w (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Leiterin(?) […], nts(?) ?? nb(.t) [… …] ???227 (denn) sie ist ??, die Herrin von […] ???. snD n As.t […] Hsj.w(?) mwt.w(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […], (oh) ihr Gepriesenen (= glückseligen Verstorbenen) und Toten, nts @w.t-@r wAD(?)[… …] n ? [… sn?]=s Wsjr Hsj MAa.tj (denn) sie ist Hathor, ?? […] ?? […] ihr(en) Bruder Osiris, gepriesen von den Beiden Wahrheiten/die die Beiden Wahrheiten preist. snD n As.t mw.t[-nTr] nb(.t) Iw-rq (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gottesmutter, der Herrin von Philae, nts nb(.t) &qrs(?)\228 Hnw.t [… …]=f(?) (denn) sie ist die Herrin der Bestattung(?), die Gebieterin seines/r […], qbH.t/Hsj.t(?) irj(.t) p(A) ntj Hs.w=s(?) die Wasserspenderin/die Preisende(?), die das tut, was sie lobt (oder: die den preist, der das tut, was sie lobt?).

223 Vgl. KOCKELMANN, Soubassement, S. 599. 224 Der Vogel (hier versuchsweise bjk.t gelesen) ist nicht erhalten, es scheint sich aber ein Flagellum im Rücken zu befinden. Eine Sonnenscheibe läßt sich noch einigermaßen erkennen. 225 Ra.t wird hier und im folgenden provisorisch mit „Sonnengöttin“ übersetzt, um die in der ägyptischen Bezeichnung enthaltene Beziehung zur maskulinen Form Ra „Re, der Sonnengott, die Sonne“ zu bewahren. Hinter der femininen Form steckt trotz ihrer Angleichung an die Sonne jedoch möglicherweise die Identifikation mit Sothis, siehe dazu und zu vergleichbaren Göttinnenbezeichnungen, die auf ihre Eigenschaften als leuchtendes Himmelsgestirn verweisen, VON LIEVEN, Scheiben am Himmel. 226 Sehr unsicher. 227 Der größte Teil der Zeile ist stark zerstört. 228 Nur anhand des Mumiendeterminativs erkennbar.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Kol. 8:

Kol. 9:

Kol. 10:

Kol. 11:

Kol. 12:

Kol. 13:

Kol. 14:

Kol. 15:

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snD n As.t wr(.t) mw.t-nTr nb(.t) %nm.t (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Großen, der Gottesmutter, der Herrin von Senmet, ?? n Hm/mdw(?) ??.w [… wxA?]x=s dj=s im n mrj=s(?) nb xft irj(?) Hr nn ?? für die/der Majestät(?) ?? sie eilt/sucht, sie gibt davon jedem, den sie liebt, gemäß dem, was diesbezüglich getan wird (?). snD n As.t nb(.t) Iw-rq njw.wt spA.wt (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Herrin von Philae, der Städte und Gaue, nts ms.w Hr(?) [… … …?] Xdb(?) […] r dj Xnm=s (denn) sie ist es, die geboren hat/wurde(?) auf […], die tötet(?)… um zu geben, daß sie sich vereinigt(?). snD n As.t mw.t[-nTr] [?]n(?) smn(.t) spA.wt (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gottesmutter, [?], die die Gaue fest macht, [… …?].w Xr(?) [sn?]=s Wsir(?) […] kA(?)=f Xr(?) Hs(A?) sbj r=f [oh ihr …?] bei/für ihren Bruder(?) Osiris(?), […] sein Ka (?), grimmig(?) den, der rebelliert gegen ihn. snD n As.t mw.t[-nTr] nb(.t) %nm.t imj(.w)(?) mw (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gottesmutter, der Herrin von Senmet, oh die ihr im Wasser seid (?), nt[s] Sd(.t) [Hapj] m TpH.t=f r [… …]229 (denn) sie ist es, die den Nil aus seiner Höhle hervorholt, um […]. snD n As.t mw.t[-nTr] nb(.t) Iw-rq [imj.w(?)] sx.t (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gottesmutter, der Herrin von Philae, [(oh) ihr Bewohner] des Feldes, n[ts? … …] ?.wt Hnw.t(?) ? mAA/ir.tj(?) […] (denn) sie ist(?) [… …] ?, die Gebieterin(?) ?, die sieht(?)/der Augen […]. snD n As.t wr(.t) mw.t-nTr nb(.t) iA.t[-wab.t …? (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Großen, der Gottesmutter, der Herrin des Abatons, […?] nts? … … …] aHA(.t) nfr(.t) wr.t(?) […] (denn) sie ist(?) […], die vollkommene große Kämpferin(?) […]. snD n As.t mw.t[-nTr] nb(.t) Iw-rq &Apd.w(?)\ p.t (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gottesmutter, der Herrin von Philae, (oh) ihr Vögel(?) des Himmels, n[ts] Sps(.t) ?? wr(.t) nTr/@r bsk ib.w (denn) s[ie ist] die Edle(?) ?? die Große(?) des(?) Horus(?), der die Herzen herausschneidet.230 snD n As.t imj(.w) mw (Habt) Ehrfurcht vor Isis, oh die ihr im Wasser seid,

229 Dieses und die folgenden Zeilenenden sind zerstört. 230 Das Epitheton dürfte sich hier auf Horus beziehen, für den bsk ib.w n.j.w XAk.w-ib=f ein typisches Epitheton ist, siehe LGG II, 837a. Ein Bezug auf Isis ist im Zusammenhang des Gesamttextes allerdings nicht gänzlich auszuschließen, wenngleich das Epitheton laut LGG nicht für sie belegt ist.

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Kol. 16:

Kol. 17:

Kol. 18: Kol. 19:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nt[s? … … … … …] ?? Hnb(.t) iHj snH(.t) […] (denn) sie ist […] ??, die das Krokodil (Seth/Apophis?)231 vertreibt, die […]232 fesselt. snD n As.t Ddf.w(?) imj[.w tA (Habt) Ehrfurcht vor Isis, (oh) Gewürm(?), das auf/in [der Erde ist …] ?? H[…] mw.t[-nTr] n nb(?) [… … …] …] ??? […], die Gottesmutter(?) ?? […]. [snD n As.t] [?] imj[.w?] H[… (Habt) Ehrfurcht vor Isis, [?], (oh) ihr, die ihr in […] seid(?) … … … …] HA/Ax[…] s[…]H [?].w Hr tp n sA=s/f(?) @r […] ?? [die die Krone befestigt o. ä.?] auf dem Haupt ihres/seines(?) Sohnes Horus. [snD n As.t] [… … … … … …] ?? ?? xr xftj.w (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] ??? die die Feinde fällt/die Feinde fallen. [snD n As.t] [… … … … … …] ?? [… …] xftj.w dj(?) nf/TAw(?) n(??) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] ?? […] die Feinde, die Atem gibt ?.

Kommentar: Es handelt sich um ein Beispiel des nur in der griech.-röm. Zeit belegten Typus der snD-nHymnen. Diese weisen üblicherweise eine relativ einheitliche, klare Struktur auf.233 In dem hier vorliegenden, schlecht lesbaren Vertreter dieser Textgattung ist jede Kolumne mindestens zweigeteilt: Den Beginn bildet immer die Aufforderung snD n „habt Ehrfurcht vor…“, gefolgt vom Eigennamen der Gottheit, und einigen, in diesem Fall meist234 typischen lokalen Haupttiteln (wie „Gottesmutter“, „die Große“, „Herrin von Philae“, „Herrin des Abaton“ usw.). In manchen Kolumnen wird direkt nach dem Namen der Göttin oder nach einem solchen nahen Epitheton eine Gruppe von Lebewesen im Vokativ angeredet, denen die Aufforderung zur Ehrfurcht gelten soll. Unter den lesbaren bzw. anhand von vergleichbaren Anrufungen in anderen snD-n-Hymnen zu erahnenden Gruppen sind Götter und Menschen (Kol. 3), Gepriesene (= Selige) und Tote (Kol. 6), Wassertiere oder -bewohner (Kol. 11 und 15),235 Bewohner des Feldes (Kol. 12), Vögel im Himmel (Kol. 14), Gewürm auf/in der Erde (Kol. 16). Bei anderen Vertretern dieses Hymnentypus steht eine solche Anrufung von Personen oder Wesen in einer Einleitungszeile zu Beginn des Textes.236 Im letzten Teil der Kolumnen steht jeweils eine längere Begründung für die eingeforderte Ehrfurcht, die, eingeleitet durch das unabhängige Personalpronomen (hier nts), wichtige 231 Vgl. Wb I, 122, 11; bei WILSON, Ptol. Lex., S. 102, als „Krokodil“ übersetzt. 232 Es muß sich um eine weitere Feindfigur handeln; die Hieroglyphe ist leider nicht zu erkennen, wenngleich sie Tiergestalt zu haben scheint. 233 Grundlegend zu diesem Texttypus RÜTER, cnD-n-Hymnen; LEITZ, Tempelinschriften, § 1, S. 17–21; TRAUNECKER, Coptos, S. 365–370; JAMBON/FORTIER, Médamoud no. 343, bes. 84–88 zur Struktur und zum Typus sowie speziell zu snD-n-Hymnen aus dem thebanischen Raum; vgl. auch GUTBUB, Textes fondamentaux, S. 286–288. 234 In einigen Fällen lassen sich die Epitheta nicht mehr sicher lesen. 235 Die Doppeltnennung erscheint ungewöhnlich, aber anhand des Photos kann ich keine alternative Lesung vorschlagen. 236 Siehe LEITZ, Tempelinschriften, § 1, S. 17. Vgl. auch die beiden erst römerzeitlichen cnD-n-Hymnen in Deir el-Schelwit: Deir Chelouit I, Nr. 1 und Nr. 7, siehe Kap. 4.8.1.A.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Eigenschaften der Gottheit aufzählt, die im Verlauf des gesamten Hymnus meist ein möglichst breites Feld abdecken. Der Text ist insgesamt leider nicht gut genug lesbar, um wirklich längere Sequenzen an einem Stück verstehen zu können. Es ist jedoch genug erhalten, daß zwei Punkte stark ins Auge fallen, einer die Komposition und Zeichenanordnung, einer den Inhalt betreffend: 1. Was die gestalterische Komposition und besonders die Zeichenanordnung anbelangt, so fällt auf, daß in nebeneinander liegenden Kolumnen gleiche Zeichen oder Zeichengruppen (meist in unterschiedlichen Zusammenhängen) in etwa gleicher Höhe, aber knapp versetzt auftauchen: dies ist der Fall bei in Kol. 2–3, bei und in Kol. 6–7, bei in Kol. 7–8, der Gruppe in Kol. 9–10, in Kol. 10–11, und der Gruppe in Kol. 11–12. Bei einem besseren Erhaltungszustand des Textes würden sich sicherlich noch mehr dieser Auffälligkeiten feststellen und das Gesamtschema besser beurteilen lassen. 2. Gerade am Ende der einzelnen Kolumnen scheint es in der Mehrzahl der Fälle um Feinde und Feindbekämpfung zu gehen, wenn auch der genaue Zusammenhang selten klar oder . Dabei wird also ist. Sehr häufig stehen dort Feindhieroglyphen, und zwar meist eine kämpfende oder schützende Tätigkeit der Isis (oder des Horus) beschrieben. Diese Thematik paßt allgemein gut zum üblichen Anbringungsort der cnD-n-Hymnen an Toren,237 die natürlich vor Feinden beschützt werden müssen. Eine weitere wichtige Thematik scheint die Überfahrt der Isis nach Bigge und ihre dortige Kultausübung am Osirisgrab zu sein, wie sich durch die Erwähnung von Osiris, Wasser und Belebung in den Kolumnen 4, 6, 7, 10(?) und 11 andeutet, so wie in den wiederkehrenden Haupttiteln der Isis als Herrin von Bigge bzw. des Abaton (Kol. 3, 8, 11). Demzufolge ist vielleicht anzunehmen, daß sich das Thema der Feindvernichtung vorrangig auf den Schutz des Osiris bezieht, wenngleich auch Horus in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt (Kol. 14). Neben diesen zentralen Themenbereichen werden aber noch weitere typische Eigenschaften und Funktionen der Isis abgedeckt: Isis als leuchtende Himmelsgöttin und Herrin der Sterne (Kol. 1–2), die Beziehung zu ihren Familienmitgliedern Horus und Osiris (Kol. 4, 17), Isis als Herrin aller Gaue (Kol. 2, 9, 10) und als Urheberin der Nilflut (Kol. 11).

237 Zum Anbringungsort vgl. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 76–80.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Texte am 1. Pylon unter Ptolemaios VI. („Texte Philae/Kalabscha“) Text/Hauptpublikation Philä I, 169; 167, Abb. 98 Anbringungsort Philae, 1. Pylon, Nordseite (= Hofseite), Zimmer im Ostturm, rechte (östliche) Türlaibung238 Bibliographie JUNKER, Preis der Isis (mit Synopse der Parallelen); BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 458–459, Nr. 140; MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 121–124 Parallelen Kalabchah I, 118; Philä I, 174, 5–13239 (teilweise); PhilaePhotos 843/846240 (schlecht erhalten) Inhalt 3 Kolumnen Text, 1 für den König (Ptolemaios VI.), 2 für Isis Text: – Isis: Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr dj(.t) anx nb(.t) iw[-rq Isis, die Große, die Gottesmutter, die Lebensspenderin, die Herrin von Phi[lae, Hnw.t nb(.t)]241 iA.t-wab.t HqA.t m %nm.t die Gebieterin, die Herrin] des Abaton, die Herrscherin in Senmet, [iwHj.t]242 nwj(.t) sStA.w n sn=s [die Klagefrau], die für die Geheimnisse (Mysterien) ihres Bruders sorgt,243 wr.t wsr.t Hnw.t nTr.w die Große, die Mächtige, die Gebieterin der Götter, Tnj(.t) rn xnt nTr.wt mit erhabenem Namen an der Spitze der Göttinnen, wr.t-HqA.w mnx(.t) sH.w244 die Zauberreiche, deren Pläne trefflich sind, 238 Die hier übernommene Reihenfolge der Inschriften der östlichen und westlichen Türlaibung richtet sich nach der Parallele in Kalabscha bzw. nach der Bearbeitung der Texte von JUNKER, Preis der Isis. 239 Es handelt sich dabei um die gut erhaltene Beischrift der Isis in einer Feldopfer-Szene (unter Ptolemaios X.) auf der Ostwand des Vestibülraumes vor dem Zimmer im Ostturm, in dem sich obiger Text befindet. Die Parallelen befinden sich also in unmittelbarer Nähe zueinander. Vgl. JUNKER, Preis der Isis, S. 271. 240 Es handelt sich um die untere Randinschrift des Bibliotheksraumes, die unter Tiberius angebracht wurde, vgl. JUNKER, Preis der Isis, S. 271. 241 Ergänzung nach Kalabchah I, 118. 242 Ergänzung nach den Parallelen Kalabchah I, 118 und Philä I, 174, 5–13. 243 Alternativ wäre vielleicht trotz des in sämtlichen Versionen fehlenden Stoff-Determinativs das Verb nw „bekleiden, umhüllen“ zu verstehen, mit möglicher Übersetzung: „die die geheime Gestalt ihres Bruders umhüllt“ (mit Bezug auf die Einbalsamierung), siehe auch JUNKER, Philä I, S. 169, Anm. 2; vgl. auch die Übersetzung von MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 121: „qui cache les images de son frère“. Vgl. mehrere ähnliche Ausdrücke mit nw in Bezug auf Isis (oder Nephthys) und Osiris: LGG III, 542c. JUNKER, Preis der Isis, S. 271 übersetzt: „die die geheimen Gestalten ihres Bruders betreut“; ID., Philä I, S. 169: „die die Gestalt ihres Bruders besorgt“. BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 459, Anm. c), sehen darin eine direkte Anspielung auf die mythische Suche der Isis nach Osiris’ Körperteilen. 244 Korrupte Schreibung, siehe JUNKER, Preis der Isis, S. 269 u. 273. MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 121, liest ohne Emendation mnx sH-nTr=s „efficace par sa chapelle divine (?)“, was m. E. unwahrscheinlich ist.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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245 aApp m sAx.w tp-rA=s die Apophis mit ihren Zaubersprüchen [abwehrt], [n hb]246 [ohne] Kol. 3: aH.t m xm=s xaj nb Xr s.t-rA=s deren Kenntnis man nicht den Palast [betritt], nach deren Befehl der Herr erscheint, [kA=s m] nb(.t) anx [ihr (Ka-)Name ist] ‚Herrin des Lebens‘, Hr [dj(.t) anx n tA anx Hr(.w)] nb.w [m wD.t] &kA\ =s247 weil [sie der Erde Leben gibt], und jedermann [durch den Befehl] ihres Ka lebt, nb(.t) iA.t-wab.t r-mn iA.t-bAbA(?) die Herrin des Abatons bis hin nach Iatbaba(?),248 xtm(.t) xtm Hr xtm=s die das zu Siegelnde mit ihrem Siegel siegelt, n irj.tw s[xr].w m xm=s SAa p.t tA &dwA.t\ ohne deren Kenntnis keine Pläne gemacht werden, vom Himmel (bis zur) Erde und zur Unterwelt.249 dj=s n=f nxt r […] Möge sie ihm Stärke geben gegen […].250 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen Inhalt

Philä I, 168–169; 167, Abb. 98 Philae, 1. Pylon, Nordseite (= Hofseite), Zimmer im Ostturm, linke (westliche) Türlaibung251 JUNKER, Preis der Isis (Synopse der Parallelen); BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 458–459, Nr. 140; MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 121–124 Kalabchah I, 118 3 Kolumnen Text, 1 für den König (Ptolemaios VI.), 2 für Isis

245 Emendation nach der Parallele Kalabchah I, 118. 246 Ergänzt nach den Parallelen Kalabchah I, 118 und Philä I, 174, 5–13. 247 Ergänzungen nach der Parallele Kalabchah I, 118. Philä I, 174, 5–13, kürzt die Begründung ab zu Hr dj(.t) anx n Hr(.w) nb.w „weil sie jedermann Leben gibt“. 248 Der Ort ist ansonsten unbekannt, vgl. JUNKER, Preis der Isis, S. 275. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Toponym südlich von Philae (im Bereich der Dodekaschoinos), so daß mit diesem Epitheton Isis’ bekannte Vorherrschaft in diesem Gebiet beschrieben wird. Vgl. auch eine Parallele des Epithetons in Philä III, Nr. 59b: dort allerdings iA.t-DbA(?); entsprechend liest MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 122, auch hier iA.t-DbA. 249 MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 122, übersetzt den letzten Teil als separates Epitheton: „die Himmel, Erde und Unterwelt erschaffen hat“. 250 Die abschließende Segensformel zugunsten Pharaos ist üblich für eine solche Türlaibungsinschrift; in der Parallele in Kalabscha steht die Formel erst weiter hinten, da der Text, der in Philae auf die andere Türlaibung verteilt ist, dort direkt anschließt. 251 Die hier übernommene Reihenfolge der Inschriften der östlichen und westlichen Türlaibung richtet sich nach der Parallele in Kalabscha bzw. nach der Bearbeitung der Texte von JUNKER, Preis der Isis.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: – Isis: Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin [aller] Götter,252 wsr.t m WAs.t aA.t m Iwn.t mnx.t m @w.t-kA-PtH die Mächtige in Theben, die Große in Dendara, die Vortreffliche in Memphis, mw.t-nTr m NTr.wj253 Hrj.t m ¢m(?)254 Hnw.t spA.t nb die Gottesmutter in Koptos, die Oberste in Letopolis(?), die Gebieterin aller Gaue, wD.t [md.w n psD.t]255 [die Befehle an die Neunheit] erteilt, Kol. 3: [sSm.tw]256 &Hr\ s.t-rA=s nach deren Ausspruch [geführt/regiert wird], pH.ty.t [pH.tj(?)] &Xr Sfj.t=s\ die Kräftige, deren Ansehen [die Kraft(?)] untersteht (?),257 wr.t m p.t HqA.t xAbAs.w die Große im Himmel, die Herrscherin der Himmelsleuchten, dj(.t) sbA nb Hr [nmt.]t=sn die alle Sterne auf ihre Bahn setzt, As.t dj(.t) anx nb(.t) -wab.t Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abaton,

252 Diese Sequenz fehlt in der Kalabscha-Parallele, da es sich um eine einleitende Haupttitulatur handelt, die durch den Beginn des Textes auf der Türlaibung begründet ist. 253 MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 122, liest mw.t m Gb.tjw „die Mutter in Koptos“. Vor mw.t steht jedoch ein nTr-Zeichen, so daß m. E. mw.t-nTr zu lesen ist. Zu dieser Rolle der Isis in Koptos siehe unten, Kap. 4.10.3. 254 JUNKER, Philä I, S. 168; bzw. ID., Preis der Isis, S. 271, liest „Achmim“ (¢nt-Mnw), was jedoch nicht zu den Hieroglyphen paßt. Diese Übersetzung wird auch von BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 459, übernommen; MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 122: ¢mw „Achmim“. LGG V, 440b, hat Hrj.t m xm.w „Die Oberste in den Heiligtümern“, was aufgrund der in Philä und Kalabscha geschriebenen Pluralstriche und dem folgenden „Gebieterin aller Gaue“ ebenfalls möglich wäre. Aufgrund des ebenfalls in beiden Fällen geschriebenen Stadtdeterminativs halte ich ¢m „Letopolis“ jedoch für naheliegender. Vgl. außerdem die Hymne Philae-Photo 1297 (siehe unten), wo in einer entsprechenden kulttopographischen Litanei „Maat in Letopolis“ genannt wird. 255 Ergänzung nach der Parallele Kalabchah I, 118. 256 Ergänzung nach der Parallele Kalabchah I, 118. 257 Ergänzungen nach der Parallele Kalabchah I, 118. Die in Kalabscha erhaltene Doppeltschreibung von pHty.t (beide Male wie der Name einer Göttin geschrieben) ist unklar; in Kalabscha ließe sich die Dittographie mit dem Wechsel über eine Wandecke begründen, doch auch in Philae ist nach Philä I, Abb. 98, an der zerstörten Stelle soviel Platz vorhanden, daß zwischen dem ersten pHty.t und Xr noch ein weiteres Wort gestanden haben muß. Vgl. JUNKER, Preis der Isis, S. 271: „die Starke, unter deren Macht die Starke steht“. In LGG separat aufgenommen: LGG III, 101b, s. v. pHtyt „die Kräftige“ und 101c, s. v. pHtyt Xr Sfyt=s „die durch ihr Ansehen Starke“. MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 122, läßt das Wort jeweils unübersetzt, scheint es aber als Göttinnenname aufzufassen („Pehetyt, Pehetyt durch ihr Ansehen“). Wahrscheinlicher ist es wohl, im zweiten Wort ungeachtet der Schreibung einfach neutral „Kraft“ zu lesen.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Hnw.t nb(.t) [Iw-rq] nb(.t) xAs.wt rsj.w(t) die Gebieterin und Herrin von [Philae], die Herrin der südlichen Fremdländer. dj=s n=f nxt r […] Möge sie ihm Stärke geben gegen […]. Kommentar: Die beiden Türlaibungen sind mit komplementären, eulogischen Epithetareihen der Isis dekoriert, welche in der Parallele in Kalabscha zu einer kontinuierlichen Bandeau-Inschrift zusammengefügt wurden.258 Die zentrale theologische Bedeutung des Textes spiegelt sich auch in seiner (auszugsweisen) Verwendung an zwei weiteren Stellen im Tempel von Philae selbst (als Bandeau-Inschrift und Teil einer Ritualszene) wider (s. o.). Wie in den zuvor behandelten Hymnen, die jedoch ansonsten formal stärker gestaltet sind,259 schließen die der Göttin gewidmeten Kolumnen jeweils mit einer Segensformel für den König ab, mit dessen Titulatur die jeweils erste (hier nicht übersetzte) Kolumne gefüllt ist. Zu Beginn beider Epithetaketten der Isis, die in der 3. Person angesprochen ist, finden sich jeweils Varianten der Haupttitulatur bzw. der „nahen“ Beinamen, welche in Philae meist auf den Namen der Göttin folgen.260 In der östlichen Türlaibung leitet ihr üblicher Titel „Herrin des Abaton“ über zu einer kurzen Beschreibung ihrer Tätigkeit zugunsten ihres ebendort bestatteten Gatten Osiris, für dessen „Geheimnisse“ sie sorgt. Damit sind sicherlich die belebenden Opferriten gemeint, die Isis bei regelmäßigen Fahrten nach Bigge ausführt. Auch die Bezeichnung als „Klagefrau“ verweist auf Isis’ klassische Rolle zugunsten ihres verstorbenen Bruders bzw. des Verstorbenen. In der oben besprochenen Philae-Hymne 2 wird ebenfalls auf diese Funktion angespielt, wenn auch weniger deutlich. Sämtliche übrigen Eigenschaften der Göttin, die in den Türlaibungsinschriften beschrieben sind, finden sich ebenfalls bereits – meist detaillierter ausgeführt – in den frühen Hymnen von Philae, obwohl es keine direkten Parallelen zu ganzen Abschnitten gibt. Somit stellen sich die Inschriften im Pylonzimmer als zusammenfassende Kompilation wichtiger Charakteristika der Isis dar, die zusammen das Bild einer Allgöttin mit oberster Gewalt über den Kosmos, die Götter und die Welt der Menschen inklusive des Königsamtes ergeben.261 Ihre grundlegende, in den Philae-Hymnen 1 und 2 betonte familiäre Stellung als Gemahlin des Osiris und Mutter des Horus spielt hier hingegen eine deutlich untergeordnete Rolle und läßt sich nur noch als ursprüngliche Basis vieler Epitheta („Gottesmutter“, „Klagefrau“) herauslesen.

258 Vgl. Kap. 4.3.1.2 und die synoptische Edition der Texte von JUNKER, Preis der Isis. 259 Zur formalen Gestaltung der hier behandelten Hymnen, Litaneien, Epithetareihen insgesamt siehe Kap. 5.1; vgl. auch ASSMANN, Re und Amun, S. 145–157 (zur eulogischen Erweiterung der Opferformel im NR). 260 Vgl. Kap. 4.1.2 und INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 268–269. 261 Zu der Charakterisierung als Allgöttin im Philae/Kalabscha-Text, vgl. JUNKER, Preis der Isis, S. 271. Eine ähnlich umfassende Charakterisierung erhält Isis auch unter Ptolemaios XII. in der langen Inschrift Philä III, Nr. 2 (s. u.). Die Bemerkung von MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 124, „Il faut noter le caractère particulier de ces textes qui présentent une phraséologie inhabituelle à Philae“ kann ich nicht nachvollziehen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Folgende Übereinstimmungen zu den älteren Philae-Hymnen lassen sich feststellen: Eigenschaft/Funktion

Text Philae/Kalabscha

Sorge um Osiris

Klagefrau, Besorgung des Kultes

Vorrang vor anderen Göttern/Göttinnen kämpferische u. schützende Funktion, Zauberkraft

Gebieterin, an Spitze

Herrschaft über Königsamt, Befehlsgewalt

Betreten d. Palastes, Erscheinen (= Krönung) und Regieren des Pharao auf ihren Befehl

Lebensspenderin

Lebensspenderin für Erde und Menschen

Herrin d. Kosmos

Herrscherin, Bestimmerin, Ratgeberin in Himmel, Erde und Unterwelt

Beziehung zu Re

Auge d. Re, bekämpft Apophis (s. o.)

Werethekau bekämpft Apophis m. Zaubersprüchen, Kräftige, gibt Stärke

Philae-Hymnen 1–8 und Philae-Photos 164–165 Hymnen 2, 5; Photos 164–165: Schutz Hymne 4; Photos 164–165: Besorgung d. Kultes Hymnen 1, 2: Gebieterin Hymne 5: Herrscherin Hymnen 2, 5; Photos 164–165: Schutz d. Osiris Hymne 5: Uräus vertreibt Apophis, Starke, Kampf gegen Feinde Hymne 8: Werethekau bekämpft Apophis m. Zaubersprüchen Photos 164–165: Kampf gegen Feinde Hymne 3: Regieren d. Pharao auf ihren Befehl, gibt der Neunheit Befehle Hymne 5: Befehlsgewalt Photos 164–165: Herrschaftsübergabe Horus Hymne 4: Lebensspenderin, die Pflanzen gedeihen läßt und Nahrung/Opfer gibt Hymne 6: belebt Götter u. Menschen Photos 164–165: bringt Nilflut, Lebensspenderin Hymne 4: Schöpferin u. Herrin v. Himmel, Erde und Unterwelt Hymne 7: Einzigartige u. erfüllt Himmel u. Erde mit Schönheit Hymne Nekt.: Uräusschlange d. Re Hymne 5: Tochter u. Uräusschlange d. Re, strahlt wie Re, mit Re vereint, in Sonnenbarke Hymne 6: Uräusschlange d.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Eigenschaft/Funktion

Text Philae/Kalabscha

kulttopographische Litanei

Isis als Herrin aller Gaue, als alle Göttinnen

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Philae-Hymnen 1–8 und Philae-Photos 164–165 Re, Sonnenauge Hymne 7: Auge d. Re, in Sonnenbarke Hymne 8: Auge d. Re, Prächtige bei Re, in Sonnenbarke auf Wunsch d. Re Hymne 4: Präsenz d. osirianischen Familie in allen Städten Hymne 7: Isis als versch. Göttinnen in versch. Städten

Hymnen im Mammisi unter Ptol. VIII.262 Die Isis-Hymnen im Mammisi scheinen eine Einheit zu bilden und wechseln sich, wie es der Natur des Baues entspricht, mit solchen für ihren Sohn Horus ab. Die Hymnen befinden sich jeweils in den Türlaibungen der Durchgänge zwischen den einzelnen Räumen, wobei zwischen Raum I und II die westliche Seite Horus, die östliche Isis gewidmet ist,263 während im Durchgang zwischen Raum II und III auf beiden Seiten jeweils eine Kolumne für Isis und eine für Ptolemaios VIII. und seine Gemahlin Kleopatra III. reserviert ist.264 Des weiteren enthält die obere Randinschrift des Sanktuars auf beiden Seiten Lobpreisungen der Isis und der zu feiernden Geburt des Horus.265 Da an der Tür zwischen Raum I und II kein Herrscher genannt ist, bzw. die Kartuschen leer sind (in der Türrahmendekoration),266 wurden die Inschriften im ersten Durchgang wahrscheinlich bereits früher, d. h. vielleicht während der Phase der Thronstreitigkeiten zwischen den Brüdern Ptolemaios VI. und VIII., angebracht, als Raum II noch das Sanktuar bildete.267

262 Entgegen der Edition in Philä II, die mit dem Sanktuar (Raum III) beginnt, sind die Texte hier von außen nach innen geordnet, da das Sanktuar erst später, unter Ptolemaios VIII., hinzugefügt und dekoriert wurde. 263 Philä II, 134–137. 264 Philä II, 76–79. 265 Philä II, 6–9. 266 Philä II, 123–133. 267 Vgl. auch GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 26. Zur Datierung der Erweiterung des Mammisi in die spätere Regierungszeit von Ptolemaios VIII. siehe HAENY, Short Architectural History, S. 211.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Philä II, 136–137 Philae, Mammisi, Durchgang zwischen Raum I und II, östliche Türlaibung GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 17–26;268 HINTZE, Löwentempel, S. 43–44 (Synopse des Teils mit Parallele zu Hymne Nektanebes)269 a) Philae-Hymne 6 b) Hymne Nektanebes; Musawwarat Es Sufra, Nr. 26; teilweise, nicht ganz wörtliche Parallele: Philä II, 6–7

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

nb.t wsr.t mj r aH.t sanx(.t) nTr.w rmT.w Herrin, Mächtige, komme zum Palast, die du Götter und Menschen belebst!270 dwn @H n kA=T wTs-Tw Ra Hr tp=f Heh streckt sich zu deinem Ka empor (?),271 Re hat dich auf sein Haupt erhoben, psD.&tj\ 272 Ax.t m xnt=f indem du erstrahlst als Prächtige (= Uräusdiadem) an seiner Stirn.273 wbn=T dr snk Wenn du aufgehst, wird die Finsternis vertrieben. &Xnj\=T274 m nwn Du ruderst im Urgewässer, HAy=T HD=T275 m nwj du strahlst und du leuchtest im/aus dem Flutwasser, sqdj=T m wjA n Ra du fährst in der Barke des Re. @r iAb.t smAa276=f n=T aAb.t Horus des Ostens bringt dir ein großes Speiseopfer dar,

268 Aufgrund der starken Abweichungen in der Übersetzung (und Interpretation) GOEDICKEs, der den gesamten Text (sowie die übrigen Hymnen) als Teil eines dramatischen Ritualspiels unmittelbar auf die im Mammisi gefeierte Horusgeburt bezieht (GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 9), wird darauf in den Anm. nicht weiter eingegangen. Zur allgemeinen Problematik von GOEDICKEs Untersuchung siehe die Rezensionen von J.-C. GOYON, in: CdÉ 61, 1986, S. 82–86, und H. BEINLICH, in: OLZ 81, 1986, Sp. 450–452. 269 Zu diesem Teil siehe auch oben, mit Synopse. 270 Oder Imperativ: „Belebe Götter und Menschen“? 271 JUNKER/WINTER, Philä II, 137: „Es wird ein HH deinem Ka gereicht.“ 272 Ergänzt nach der Parallele Philae-Hymne 6. 273 JUNKER/WINTER, Philä II, 137: psD iAxw m xnt=f „Und es erglänzt Licht aus ihm“. Die Spuren der PsP-Endung .tw werden damit jedoch in der Transliteration ignoriert; vgl. außerdem die Parallele Philae-Hymne 6. 274 JUNKER/WINTER, Philä II, 137, lesen das beschädigte Zeichen als Dsr, vgl. aber die Parallele PhilaeHymne 6. Auffällig ist allerdings die gedoppelte Schreibung des Suffixpronomens mit und . 275 Die Parallele Philae-Hymne 6 hat nur das Verb HAy. Auch hier gedoppelte Schreibung des Suffixpronomens (siehe die vorige Anm. 274). 276 Die Orthographie ist beeinflußt von dem Verb smA „schlachten“, vgl. auch die entsprechende Stelle in Philae-Hymne 6.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Kol. 3:

61

pr ntj m Iwnw m xa das Haus, das in Heliopolis ist, ist im Fest, wAH.tw n=T {n=T} &snw.t\277 m Iwnw es wird für dich geopfert am Senut-Fest in Heliopolis dnj.t &#m(?)\278 und am Viertel-Fest &Letopolis(?)\. irj.tw n=T Hb.w aSA.w Zahlreiche Feierlichkeiten werden für dich begangen Xr wdH.w (oder: irp?)279 aA m %nm.t r nHH mit großen Trankspenden (oder: mit reichlich Wein?) in Senmet, bis in Ewigkeit, Hr kA=T Dt für(?) deinen Ka/auf deinen Namen(?), ewiglich. Htp=T m aH.t Sps.t wr.t Du ruhst/mögest du ruhen im Palast, Edle, Große! mj.t r aH.t n.j.t Hb.w Komme zum Festpalast r tr.wj nfr.wj m Dam zu den beiden schönen Zeiten (= bei Tag und bei Nacht) als Elektron!280 nn Hrj=T r{=T} Ra Du bist nicht fern von Re (?),281 r tA.wj Sn.w282 um zu die Beiden Länder (ganzen) Umkreis (?), Htp Hr=T nfr n pr-aA möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein gegenüber dem Pharao.283 i.nD Hr=T As.t nTr.t mw.t-nTr qmA(.t) nfr.w=s Sei gegrüßt, Isis, Göttin, Gottesmutter, die ihre Schönheit schuf, WADy.t wr.t-HkA.w Uto, die Zauberreiche,

277 Die Spuren würden zu dieser Ergänzung nach Philae-Hymne 6 gut passen; JUNKER/WINTER, Philä II, 137, deuten die Spuren als wdn=k, was wenig Sinn macht. Statt würden die 6 Striche gut hinpassen, und statt des angenommenen . 278 Zu lesen ? Allerdings wird das dnj.t-Fest sonst ebenso wie das snw.t-Fest üblicherweise mit Heliopolis verbunden, siehe oben, Philae-Hymne 6, Anm. 131. 279 Entweder eine dreiteilige Variation von oder eine Abwandlung von ? 280 JUNKER/WINTER, Philä II, 137, haben m Dam nicht übersetzt oder zu deuten versucht. Die Parallele Philae-Hymne 6 hat das m nicht, so daß man dort mit GOYON, Rez. Žabkar, S. 90, eventuell auch eine andere Konstruktion annehmen könnte, wenngleich ich nicht ganz überzeugt bin, daß es sich tatsächlich um einen admirativen Ausruf mit nfr.wj handelt; siehe den entsprechenden Kommentar zu Philae-Hymne 6 oben. 281 Die Stelle scheint in beiden Versionen verderbt zu sein: Die Parallele Philae-Hymne 6 hat: nn Hrj=T Ra. Zu den möglichen Implikationen der Stelle siehe oben, zu Philae-Hymne 6. 282 Emendierung nach Philae-Hymne 6, wenngleich auch dort das Verständnis der Stelle sehr unsicher ist. JUNKER/WINTER, Philä II, 137, übersetzen nur den Anfang mit „Nicht weicht Re von dir…“. 283 Hierbei handelt es sich eigentlich um die übliche Schlußbitte einer Hymne, doch folgt hier noch eine kurze weitere Hymne, die Parallele zur Hymne Nektanebes. Siehe dort auch die Synopse.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) xa.w m aH StA284 die Herrin der Erscheinungen (oder: Diademe) in dem geheimen Schrein/Palast, Dsr s.t m wjA n HH Hnw.t pr-wr mit erhabenem Sitz im Schiff der Millionen, die Gebieterin des Per-wer.285 Kommentar: Die Türlaibungsinschrift im Eingang zum ursprünglichen Sanktuar ist aus zwei bereits aus älterer Zeit in Philae bekannten Hymnen (Philae-Hymne 6 und Hymne Nektanebes) zusammengefügt, wobei der erste Text vollständig, der zweite nur teilweise übernommen wurde. Die gleiche Vorgehensweise ließ sich bereits oben bei Philae-Hymne 7 feststellen. Entgegen der seiner Gesamtthese untergeordneten Deutung GOEDICKEs weist diese Komposition jedoch keinerlei spezifische Verbindung zur zentralen Thematik des Mammisi, der Geburt des Horus und dem dazu gehörigen Fest, auf.286 Horus wird hier nur in der Form „Horus des Ostens“ als Darbringer eines Opfers für Isis erwähnt. Zweck des Textes scheint vielmehr eine allgemeine preisende Anrufung der Göttin als Gegengewicht zur Anrufung ihres Sohnes in der westlichen Türlaibung zu sein; auffällig sind außerdem inhaltlich die Bezüge auf die Mondmonatsfeste, die in Heliopolis und Letopolis lokalisiert werden. 287 Gerade im Hinblick auf das snw.t-Fest und die oben im Kommentar zu Philae-Hymne 6 angeführte Statueninschrift mit weiteren Informationen zu diesem erscheint die Kombination mit der ebenfalls auf das Uräusdiadem fokussierten Hymne Nektanebes inhaltlich besonders sinnvoll und konsistent. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Philä II, 76–77 Philae, Mammisi, Durchgang zwischen Raum II und III, westliche Türlaibung GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 27–33; DAUMAS, Mammisis, S. 327 1 Kolumne für Ptolemaios VIII. und Kleopatra III., 1 Kolumne für Isis

Text: – Isis: As.t(?)288 dj(.t) anx psD(.t) m pr=s mj Ra irj wHm.w Isis, Lebensspenderin, die aus ihrem Haus erglänzt289 wie Re, der Zyklen vollzieht,

284 JUNKER/WINTER, Philä II, 137, lesen mit Fragezeichen: aH(=T) StA(?) dwA.t(?). Ich halte die Anfügung dwA.t jedoch für unwahrscheinlich und den Stern für eine Verschreibung für das Kreuz, das ja auch im Nektanebes-Text hinter StA steht. 285 Hier bricht der Text aus Platzgründen ab; auch (zumindest der erhaltene Teil) die Parallele in Musawwarat el-Sufra endet an dieser Stelle. 286 Zum Inhalt siehe die Kommentare oben zu Philae-Hymne 6 und Hymne Nektanebes. 287 Zu diesen siehe oben den Kommentar zu Philae-Hymne 6. 288 DAUMAS, Mammisis, S. 327, liest die thronende Göttin als „Hathor“; da im Mammisi von Philae jedoch ganz klar Isis die Mutter des Horus ist, halte ich es für wahrscheinlicher, daß sie gemeint ist, zumal ihr philensischer Haupttitel dj.t anx folgt. Auch JUNKER/WINTER, Philä II, 77, und GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 27, lesen „Isis“.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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iqH.n=s tA rwj.n=s snk mj Ax.tj psD m Ax.t nachdem sie die Erde betreten (= aufgegangen ist) und die Finsternis vertrieben hat wie der Horizontische, der im Horizont erglänzt. ¥ma.w MHw m iAw m Hr[=s] Ober- und Unterägypten sind in Verehrung vor ihr, tA.w m wAH tp und die Länder sind mit geneigtem Haupt (= in Demut), Ssp{.t}=s s.t n anx xnt [iw]-rq wenn sie den Sitz des Lebens (= Geburtshaus) an der Spitze von Philae einnimmt. nrw n.j.t(?) nHH xnt xm.w Der Schrecken der nHH-Ewigkeit (= der ewige Schrecken) ist an der Spitze der Unwissenden (= Feinde),290 dmD Hm.t Dt m pr=T deine Majestät vereint sich mit der Dt-Ewigkeit in deinem Haus,291 Hr stj anx wAs n sA=T mrj und spendet Milch für deinen geliebten Sohn Horus. Kommentar: Der Text thematisiert insgesamt den Einzug der Göttin in ihrem Tempelhaus, womit in diesem Fall das um ein neues Sanktuar erweiterte Mammisi gemeint sein muß. Wie im ersten Teil der Hymne in der Türlaibung zwischen Raum I und II (entspricht Philae-Hymne 6), wird Isis auch im Durchgang zum neu hinzugefügten Allerheiligsten besonders als eine mit Re in enger Verbindung stehende Göttin des Lichtes vorgestellt, die als Gestirn aufgeht, Finsternis vertreibt und Leben spendet.292 Im Gegensatz zu ersterem wird die Göttin nun allerdings zunächst in der 3. Person angesprochen und der Text ist insgesamt weniger hymnisch gestaltet. Im zweiten Teil wird ihre Verehrung durch ganz Ägypten in den Vordergrund gestellt, und die Verbindung mit den beiden Ewigkeits-Vorstellungen nHH und Dt bildet eine Überleitung dieser Thematik zum Schlußsatz, in welchem die beschriebene Rolle der Isis als Milchspenderin für ihren Sohn Horus nun der konkreten Funktion des Mammisi geschuldet ist. 289 Evtl. handelt es sich auch um eine Pseudoverbalkonstruktion: „Isis, Lebensspenderin, erglänzt aus ihrem Haus…“ 290 Der Satz ist unklar und auf verschiedenste Weisen gedeutet worden: JUNKER/WINTER, Philä II, 77, lesen nrw n=T nHH xnt xm.w „Der Schrecken vor dir ist ewiglich an der Spitze der Feinde.“, was m. E. syntaktisch nicht möglich ist, da „der Schrecken vor dir“ ägyptisch üblicherweise mit nrw=T und nicht nrw n=T ausgedrückt wird, und zweitens nHH in dieser Wortposition mitten im Satz nur als Substantiv und nicht adverbiell aufgefaßt werden kann. DAUMAS, Mammisis, S. 327, liest als Ts und übersetzt: „Du hast die Ewigkeit erhoben in den Heiligtümern.“ GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 27, übersetzt: „Obwohl dir Ewigkeit unter den Unergründlichen zugewiesen ist…“. Keine dieser Übersetzungen ist wirklich überzeugend; ein weiteres Problem stellt außerdem der Wechsel in der Anrede der Göttin von der 3. Person zur 2. Person dar, der selbst bei der oben vorgeschlagenen Auffassung des nT als Genitiv-Nisbe noch durch das wenig später folgende pr=T bestehen bleibt. Eine weitere Möglichkeit wäre nach einem mündlichen Vorschlag von J. F. QUACK, nr als Verb aufzufassen: nrj.n=T nHH xnt xm.w „Du hast die nHH-Ewigkeit behütet vor den Unwissenden (= Feinden).“ 291 Die Auffassung bei GOEDICKE ist stark interpretativ: „…nimmt deine Majestät am Irdischen in deiner Domäne teil…“. 292 Vgl. auch die Interpretation von GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 29.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Philä II, 78–79 Philae, Mammisi, Durchgang zwischen Raum II und III, östliche Türlaibung GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 175; DAUMAS, Mammisis, S. 327–328 1 Kolumne für Ptolemaios VIII. und Kleopatra III., 1 Kolumne für Isis

Text: – Isis:

As.t293 dj(.t) anx xaj wr.t m xnt Ax.t Isis, die Lebensspenderin, es erscheint die Große an der Spitze des Horizontes, wbn nbw.t m Hw.t-xnt sSp.n=s xa.w mj 294Dr es geht die Goldene auf im Ersten Heiligtum (= Philae), indem sie leuchtet beim(?)295 Erscheinen wie der Allherr m tr pn xmt n Smw rA-3 rA-15 n ibd zu dieser Zeit im 3. (Monat) der Sommerjahreszeit, am 12. (Tag) des Monats296 (= 12. Epiphi) Hna Hb[.w]=s nb tp tr und an allen Festen zu den jeweiligen Zeiten (Kalenderfesten).297 irj=s Xn.t nfr m sHb [iw]-wab[.t] Sie unternimmt eine schöne Fahrt und läßt das Abaton festlich sein, mskt.t Xr nb=s sTHn=f(?) nwj m stw.t=f (?) wenn die Abendbarke unter ihrem Herrn ist, und er die Fluten mit seinen Strahlen erglänzen läßt (?).298

293 DAUMAS, Mammisis, S. 328, liest die große Göttinnenhieroglyphe mit Doppelfederkrone wiederum als „Hathor“. Der Name der Isis wird durch ein erst am Ende der Kolumne stehendes mrj „geliebt von…“ an die Titel von Ptolemaios VIII. und Kleopatra III. angeschlossen. 294 Ergänzung nach JUNKER/WINTER, Philä II, S. 79. 295 JUNKER/WINTER, Philä II, S. 79, übersetzen „sie leuchtet in Glanz“. Die Konstruktion ist ungewöhnlich, zu erwarten wäre m xa.w oder Hr xa.w. Alternativ wäre an eine Deutung als sSp n=s xa.w mj nTr Dr „wenn für sie der aufleuchtet, der erscheint wie der Allherr“ zu denken, womit dann Re gemeint wäre. Da in diesem Text jedoch nirgends von diesem die Rede ist, halte ich das für zweifelhaft. 296 Die Tageszahl wird in Bruchzahlen angegeben als „1/3 (plus) 1/15 des Monats“ = 10+2 = 12. Tag, eine gängige Art der Datumsangabe. 297 JUNKER/WINTER, Philä II, S. 79, übersetzen hier: „an all ihren Festen der Zeitbeginne“. tp tr sowie tp in Verbindung mit anderen Zeitbegriffen ist jedoch ein gängiger Ausdruck für periodisch wiederkehrende Ereignisse, siehe Wb V, 275, 19–276, 9; J. F. QUACK, Organiser le culte idéal. Le manuel du temple égyptien, in: BSFE 160, 2004, S. 9–25: 15 (zu einer demotischen Übersetzung dieser Wendung als nA Hb.w n pAy=w ss.w „Die Feste zu ihren Daten“). 298 Das Verständnis des Schlusses ist schwierig. Eigentlich müßte es weiter um Isis gehen, da auch zuvor nur von ihr die Rede ist und auch das „Aufgehen“, „Leuchten“ etc. zu Beginn sich auf sie bezieht. Eine Emendierung zum Femininum, wie bei JUNKER/WINTER, Philä II, S. 79, vorgeschlagen, ist dennoch nur mit Vorsicht vorzunehmen, da am Ende die maskuline Form so konsequent verwendet ist. Wird damit einfach nur der Zeitpunkt des Sonnenuntergangs mythisch-poetisch umschrieben, so wie vorher der Sonnenaufgang? Wahrscheinlich ist wieder der Allherr respektive Re vom Anfang des

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kommentar: Wie zuvor wird Isis als lebenspendende Lichtgöttin bei ihrem Aufgang als Himmelsgestirn in Szene gesetzt. Durch die Bezeichnung als „Goldene“ wird sie entsprechend der Benennung als „Elektron“ in der Hymne des ersten Türdurchgangs (Philä II, 136–137) mit Hathor identifiziert. Auch dieser Text ist keineswegs spezifisch auf die zentrale Theologie des Geburtshauses ausgerichtet, sondern vielmehr auf die des Abatons, zu welchem sich Isis(Hathor) von Philae jährlich an dem angegebenen Datum des 12. Epiphi in feierlicher Prozession begibt, um den Ba des verstorbenen Osiris mit Opfern zu versorgen.299 Die hier erwähnte „schöne Fahrt“ an diesem Festtag läßt sich vielleicht auch mit der Darstellung einer Barkenprozession der Hathor von Bigge an der Nordfassade des 1. Pylons, direkt vor der Front des Mammisi, in Verbindung bringen.300 Damit werden, verteilt auf die beiden Seiten des Eingangs zum neuen Sanktuar des Mammisi, wiederum die zwei Basisfunktionen der Isis hervorgehoben, die sich durch den ganzen Tempel von Philae ziehen und ebenso komplementär bereits in den zentralen Philae-Hymnen 1 und 2 an der Rückwand des Hauptsanktuars thematisiert wurden: Mutterschaft und Aufziehen des Horus einerseits, Sorge für den verstorbenen Osiris andererseits. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt

Philä II, 6–7 Philae, Mammisi, Sanktuar, Obere Randinschrift, Östlicher Teil301 GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 72–79; DAUMAS, Mammisis, S. 323–326 teilweise, nicht ganz wörtliche Parallelen: Hymne Nektanebes; Musawwarat Es Sufra, Nr. 26; Philä II, 136–137 Der Anfang des Textes (N-Wand) bezieht sich auf Horus, ab der O-Wand beginnt eine Epithetareihe der Isis-Hathor

Text: – Isis-Hathor: bjk.t wr.t Sps.t m Ax.t (Oh) Falkengöttin, die Große, die Edle im Horizont,

Textes gemeint. Auch die plötzliche Erwähnung des Abatons und von Isis’ festlicher Prozession dorthin (vgl. JUNKER, Götterdekret) scheint mir im Gesamtkontext schwer unterzubringen. Handelt es sich um einen Nebensatz zum Vorigen oder einen neuen Gedanken? Eine ähnliche Rahmung (allerdings mit Re – Tag und Mond – Nacht) erfährt das Thema von Isis’ festlicher Überfahrt zum Abaton immerhin in dem Hymnus am nördlichen Tor der Ostwand des Mammisi: „Solange Re aufgeht am Tage und der Mond erglänzt in der Nacht, wird die Kühlende/Libierende (qbH.t) für ihren Bruder libieren und seinem Ba jeden Tag opfern…“, Philä II, 242–243 (siehe dazu auch unten, Kap. 4.1.2, Anm. 511). 299 Vgl. JUNKER, Götterdekret, S. 28, mit Kommentar zu Z. 11: In der Friesinschrift der östlichen Außenwand des Mammisis (Philä II, 254–255) heißt es, daß man just zu diesem Datum auch Hathor Opfer, Tanz, Musik und Jubel im Geburtshaus entgegenbrachte. 300 Philä I, 58–59, Abb. 29. Vgl. DAUMAS, Mammisis, S. 328–329. 301 Vgl. das Gegenstück dazu, Philä II, 8–9; s. u.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hrj.t-tp m aH.t StA(?) nb{.w} nTr/aXm.w (?) Uräusdiadem im geheimen (?) Palast, Herrin der Götter/Götterbilder (?),302 Hnw.t pr-nsr Dsr.t s.t=s xnt pr-nw Gebieterin des Hauses der Flamme, mit erhabenem Sitz an der Spitze des Per-nu, sA.t Ra Hrj.t-tp m HA.t=f Tochter des Re, Uräusdiadem an seiner Stirn, 303 irj=f ix.t nb(.t) xft wD.t=s gemäß deren Befehl er alle Dinge tut, irj(.t) n=s(?) nTr.w Xkr.w für die (?) die Götter Schmuck machen, irj(.t) n=s sxm.w sSS.wt und für die die sxm-Sistren und die sSS.t-Sistren gespielt werden.304 nbw.t Ax(.t) ib(?)305 THn.t(?) (Oh) Goldene, die mit wirksamem Herzen (= die Kluge), Glänzende(?), @w.t-@r wr.t nb.t %nm.t Hathor, die Große, die Herrin von Senmet, Hnw.t nb(.t) Iw-rq Sps.t wsr.t Gebieterin, Herrin von Philae, Edle, Mächtige, Hnw.t nTr.w aA(.t) mrw.t xnt nTr.wt Gebieterin der Götter, groß an Beliebtheit an der Spitze der Göttinnen. nTr.t twj prj SAy Xr wD.t=s Rr.t/Rnn.t mnx(.t) sH Jene Göttin, unter deren Befehl das Schicksal herauskommt, Renenet mit trefflichem Rat, wr.t-HkA.w Hrj-ib aH(.t) wr.t Zauberreiche inmitten des großen Palastes,

302 Die Stelle ist unklar und wird von jedem Bearbeiter anders gedeutet; JUNKER/WINTER, Philä II, S. 7: „Diadem im geheimen (?) Palaste …“ (der Rest bleibt unübersetzt); DAUMAS, Mammisis, S. 324: „diadème dans le palais de tous les corps divins vénérables“. Die Übersetzung von GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 72, als „die Höchste im Tempel, die das Götterbild schützt“ kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Zu aH(.t) StA „der geheime Palast“ vgl. die Parallele der Hymne Nektanebes in Philä II, 136–137, wo Isis-Uto als „Herrin der Erscheinungen im geheimen Palast“ bezeichnet wird. Der folgende Text weist inhaltlich ebenfalls starke Ähnlichkeit zur Hymne Nektanebes mit Parallelen auf. Vielleicht ist der Geier auch mw.t zu lesen und die folgenden Zeichen umzustellen: mw.t nTr.w nb.w „Mutter aller Götter“, siehe dazu LGG III, 268a–b. Im Hinblick auf das Folgende (Hnw.t prnsr…) könnte auch Verschreibung für pr-wr sein. 303 Vgl. zu diesem Abschnitt Hymne Nektanebes und Parallelen: Dsr s.t m wjA n HH Hnw.t pr-wr pr-ns(r).t Hrj(.t)-tp n Ra. 304 Die drei aufeinanderfolgenden Ausdrücke mit dem Verb irj, das noch dazu im hieroglyphischen Schriftbild jeweils als oberstes Zeichen eines Schriftquadrates, mit etwa gleichem Abstand dazwischen, erscheint, sind auffällig. Die zweite Aussage wurde von JUNKER/WINTER, Philä II, S. 7, aktiv verstanden: irj(.t) wTs nTr.w Xkr.w „Die macht, daß die Götter die Kronen (= den Schmuck) tragen.“ Im Verbund mit den beiden umgebenden Phrasen ist es jedoch wahrscheinlicher, daß Isis nicht selbst Agens ist, weshalb ich nach einem mündlichen Vorschlag von J. F. QUACK als spielerische Variante zu ns.t auffassen und als n=s lesen möchte. 305 Vgl. GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 72. Von JUNKER/WINTER, Philä II, S. 7, nicht gelesen. Das Epitheton ist für Isis und Hathor mehrfach belegt, siehe LGG I, 29b–c.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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xsf(.t) aApp m sAx.w tp-rA=s die Apophis mit ihren Zaubersprüchen abwehrt, wr(.t) (?)306 Hsw.t m/n Sms(?)307 pr=s aSA(.t) mrw.t tx.t groß an Gunst für das Gefolge(?) ihres Hauses, reich an Liebe und Trunkenheit; anx nTr.w nb.w [m s]nTr Hr sD.t während alle (anderen) Götter vom Weihrauch auf der Flamme leben, anx nbw.t m tx.t lebt die Goldene vom Rauschtrank, rA.w-pr.w nb.w xtm swx während alle (anderen) Tempel nachts geschlossen sind, pr n Hnw.t wn Xr Hs.t ist der Tempel der Gebieterin offen und voll Musik. Kommentar: Wie bei den bereits besprochenen Texten der Türlaibungen scheint entgegen der Deutung GOEDICKEs308 auch der Isis-Hathor gewidmete Teil der oberen Randinschrift des Sanktuars keinen direkten Hinweis auf die Feier der göttlichen Geburt zu enthalten. Die einzige Verbindung zum Thema des Geburtshauses wird durch die Einleitung hergestellt, die Horus mit Königstiteln und seiner Filiation benennt.309 Die Mehrheit der Epitheta und Textpassagen richten sich jedoch an Isis-Hathor, wobei Isis selbst überhaupt nicht namentlich genannt wird, sondern höchstens implizit angenommen werden kann, da es sich um ihr Heiligtum handelt, das Mammisi in direkter Verbindung zu ihr steht, und der erste Teil, der sie als Uräusschlange und Tochter des Re darstellt, inhaltlich eine nahe Variante zum Kernteil der Hymne Nektanebes zu sein scheint. Auch die bereits in mehreren Philae-Texten angesprochene Thematik der Zauberreichen, die Apophis abwehrt, gehört in diesen Zusammenhang. Zudem wird sie hier als Bestimmerin des Schicksals gekennzeichnet und in dieser Funktion mit Renen(ut)et gleichgesetzt. Der Großteil der zweiten Hälfte stellt typische Charakterzüge der Hathor (von Senmet) als Göttin von Liebe, Rausch und Musik in den Vordergrund.310 Hierdurch wird zwar eine allgemeine Feststimmung evoziert, jedoch keine spezifische Anspielung auf das Geburtsfest gegeben. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

306 307 308 309 310

Philä II, 8–9 Philae, Mammisi, Sanktuar, Obere Randinschrift, Westlicher Teil BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 455–458, Nr. 139; DAUMAS, Mammisis, S. 321–323 u. 325–327; GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 64–72; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 169–170

Hinter wr stehen zwei kleine rechteckige Zeichen, deren Sinn unklar ist, vgl. Philae-Photo 968. Die Identifizierung des Zeichens ist unsicher, vgl. Philae-Photo 968. Ob wirklich ? GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 72–79. Siehe die Übersetzung bei JUNKER/WINTER, Philä II, S. 7. Vgl. dazu z. B. VON LIEVEN, Wein, Weib und Gesang.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: Ra m Hb +Hwtj311 Haj m rSw.t Re ist im Fest, Thoth jubelt in Freude, nDm ib=Tn nTr.w nTr.wt mögen eure Herzen froh sein, Götter und Göttinnen, msj As.t @r=s m nswt Hr s.t it=f denn Isis hat ihren Horus geboren als König auf dem Thron seines Vaters. HqA=f pD.t psD.t ns.t n312 Gbb Xr [wD.t/s.t-rA (?)]=f Er beherrscht die Neunbogenvölker, der Thron des Geb ist unter seinem [Befehl(?)], iAw.t n Itm dj(?) m a {m}(?)313 das Amt des Atum ist in seine Hand gegeben, pH.tj n MnTw m xfa=f die Kraft des Month ist in seinem Griff. bjk.t Ax.tj.t xpr.t m HA.t Die Falkengöttin, die Horizontische, die am Anfang entstanden ist, mH(.t) p.t tA m nfr.w=s die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt, Hrj.t-tp psD m nbw dgngns314 Hrj-ib aXnwtj Stirnschlange dessen, Der in Gold erglänzt, Uräusschlange inmitten der Residenz,315 itj.t n nTr.w p.t HqA.t n nTr.w tA Fürstin der Götter des Himmels, Herrscherin der Götter der Erde, Dr.tj.t316 is n nTr.w dwA.t Falkenweibchen außerdem der Götter der Unterwelt,317 nswj.t iTj iAw.t m sxr.w=s Königin, durch deren Pläne/deren Beschluß das (Königs-)Amt ergriffen wird,318 311 BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 456, und DAUMAS, Mammisis, S. 321, lesen ib „Herz“. Möglich wäre ib=f m rSw.t statt +Hwtj Haj m rSw.t. 312 In der Transliteration von JUNKER/WINTER, Philä II, S. 9, ausgelassen. 313 Vgl. JUNKER/WINTER, Philä II, S. 9. BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 456, und DAUMAS, Mammisis, S. 322, lesen die anscheinend korrupte Stelle iAw.t n Itm m Amm „das Amt des Atum ist in seiner Faust“, was ebenfalls möglich ist. 314 Geschrieben d[t/w]tnks. 315 Gemeint sein kann ein Teil des Königspalastes oder der Tempel. 316 Oder Dr.t „Klagefrau“. 317 Man bemerke die auffällige Zeichenauswahl für dieses Triplet, wodurch den Aussagen noch mehr Tiefe verliehen wird: die nTr.w des Himmels sind mit 3 Sternen geschrieben, die Götter der Erde mit einem (auf der Erde) hockenden Vogel, und die Götter der Unterwelt mit dem liegenden Schakal, der das Verborgene, Geheimnisvolle hervorhebt. Die Schreibung der dwA.t durch eine Schlange, welche eine Mumie umringelt, könnte zudem direkt auf das Abaton in Bigge bezogen sein, vgl. die Darstellung im Hadrianstor, JUNKER, Götterdekret, S. 37, Abb. 8. Vgl. zur bewußten Zeichenauswahl auch E. WINTER, Beobachtungen zur „Grammaire du Temple“, in: W. Helck (Hrsg.), Tempel und Kult, ÄgAb 46, Wiesbaden 1987, S. 61–76; zur Stelle S. 69. 318 Vgl. zur passivischen Übersetzung BERGMAN, Ich bin Isis, S. 169. JUNKER/WINTER, Philä II, S. 9, und DAUMAS, Mammisis, bzw. BARUCQ/DAUMAS, Hymnes, S. 457, beziehen iTj auf Isis selbst („die das Amt ergriffen hat…“). Aufgrund des parallelen folgenden Satzes, in denen Isis als Königsmacherin bezeichnet wird, halte ich BERGMANs Übersetzung hier für treffender.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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xaj nb Xr s.t-rA=s auf deren Ausspruch hin der Herr erscheint, stp Ab ib=s r aHa Hr ns.t die den auserwählt, den ihr Herz wünscht, auf den Thron zu steigen, n hb r aH m xm=s und ohne deren Zustimmung (Kenntnis) niemand den Palast betritt (als König), njs=tw nH319=tw mAA[=s] imAx.t n(.j.t) tA Dr=f die man ruft und zu sehen wünscht, die Geehrte des ganzen Landes, grg(.t) gs.w-pr.w Xr sxm n sn=s die die Tempel gegründet hat mit dem Abbild ihres Bruders.320 dm.tw rn=f m HA.t=sn Man nennt seinen Namen an ihrer Spitze, irj.n=f (?) xtmn Hr mw=s er hat die Welt auf ihr Wasser gebracht (= ihr ergeben gemacht),321 ij n=f tA Hr ndb=f322 und die ganze Welt kommt zu ihm. wsr.t Hnw.t tA(?) Hnw.t tA(?)-stj323 Die Mächtige, die Gebieterin der Erde(?), die Gebieterin von Nubien, nsw(j.)t bjtj(.t) As.t wr.t mw.t-nTr dj(.t) [anx]324 Königin von Ober- und Unterägypten, Isis, die Große, die Gottesmutter, die Lebensspenderin, nb(.t) Iw-rq HqA.t m %nm.t wr.t wsr.t Herrin von Philae, Herrscherin in Senmet, Große, Mächtige, Hnw.t nTr.w Tnj rn xnt nTr.wt Gebieterin der Götter, mit erhabenem Namen an der Spitze der Göttinnen,325 xtm tA(?)326 r Aw[=f] Hr rn=s auf deren Namen die ganze Erde gesiegelt ist (?),

319 Die Negationsarme hinter nH dürften eine Verschreibung aus dem Zahn sein, vgl. JUNKER/WINTER, Philä II, S. 9, Anm. 2. 320 BARUCQ/DAUMAS, Hymnes, S. 457, übersetzen grammatikalisch unkorrekt: „Sie ist es, die die Tempel gründet durch die Macht ihres Bruders.“ 321 So nach BARUCQ/DAUMAS, Hymnes, S. 457. JUNKER/WINTER, Philä II, emendieren den Text und lesen „die Welt ist ihm ergeben“ (irj n=f xtmn Hr mw{=s}), was von der Konstruktion her unwahrscheinlich ist. Der Text ist an dieser Stelle etwas unklar. 322 GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 64, übersetzt: „…damit die ganze Welt zu ihm komme, dass er höre.“ Abgesehen davon, daß GOEDICKE so das ndb doppelt übersetzt („ganze“ und „höre“), wäre für den finalen Sinn die Präposition r verwendet worden, und nicht Hr. tA Hr ndb=f hingegen ist ein geläufiger Ausdruck, siehe Wb II, 368, 3. 323 Zur Lesung vgl. BARUCQ/DAUMAS, Hymnes, S. 458, o). Die Zeichen sind undeutlich und der Text tw. zerstört. 324 Da hier die für Isis auf Philae üblichen, nahen Epitheta aneinandergereiht werden, kann eigentlich nur dj.t anx stehen, wie in Philä II, 8–9, ergänzt. Laut BARUCQ/DAUMAS, Hymnes, S. 458, Anm. p), ist in den Hieroglyphen dj.t HqA zu lesen, was nur eine Verlesung aufgrund der leichten Zerstörung des Zeichens sein kann. 325 Vgl. zu diesem Epitheton auch die Texte Philae/Kalabscha (s. o.). 326 Lesung dieser Gruppe sehr unsicher. Auch der folgende Text ist stark beschädigt.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dwA.tw kA=s m b[… …] n p.t deren Ka gepriesen wird in […]327 des Himmels, &Ra.t\ […] HqA.t anx Sonnengöttin, […], Herrscherin des Lebens/der Lebenden (?),328 i[… …] rr(.t) sA=s r/irj(?) n […] m […] […], die ihren Sohn aufzieht329 … […] Kommentar: Der teilweise zerstörte Text mit oft problematisch geformten Hieroglyphen ist stellenweise schwer lesbar. Im Gegensatz zu den übrigen längeren Hymnen und Epithetareihen der Isis im Mammisi wird diese westliche Hälfte der oberen Randinschrift des Sanktuars (die das Gegenstück zum vorigen Text, Philä II, 6–7, bildet) durch eine eindeutige Lobpreisung der Geburt und der daraus resultierenden königlichen Legitimation des Horus eingeleitet, die einen einfachen thematischen Übergang in die Eulogie auf Isis ermöglichen, die – komplementär zur Ostseite – den Hauptteil auch dieser Hälfte der Randinschrift bildet. Gepriesen wird Isis nicht nur deswegen, weil sie Horus geboren hat, sondern vielmehr noch, weil sie als Überträgerin des königlichen Erbes als Königsmacherin fungiert. Horus besteigt unter Isis’ Leitung als Pharao par excellence den Königsthron und stellt so die Verbindung zwischen Isis und jedem anderen Pharao als seiner Verkörperung her. Ihre Oberhoheit über das Königtum spiegelt sich sowohl in ihrer in der Inschrift genannten Verkörperung als Uräusschlange wider als auch in den gehäuften Phrasen, die betonen, daß sie diejenige ist, die bestimmt, wer als Herrscher den Thron besteigen darf.330 Im Zusammenhang mit dem Geburtsmythos im Mammisi beziehen sich all die Aussagen über Isis und das Königsamt, auf die sich besonders BERGMAN in seinem Kommentar zu diesem Text konzentriert, eigentlich zunächst auf Horus, um den es im Mammisi ja vor allem geht. Der Bezug zum herrschenden Pharao und seiner Legitimation durch Isis über Horus wird somit nur indirekt angedeutet. Einen Schritt weiter führt aber der Schlußteil, wo Isis mit verschiedenen Herrschertiteln selbst als Königin der ganzen Welt präsentiert wird. Als Königin und Überträgerin des Amtes an Horus erscheint sie in Philae auch in einer Szene an der inneren Schmalseite des westlichen Turms des 2. Pylons (d. h. über dem zentralen Tor des Pylons):331 Isis, deren Titel sie als Königstochter, Königsgemahlin und Königsmutter sowie als Königin der vier Himmelsrichtungen auszeichnen, wird von Thoth und Geb verehrt und beschützt. Neben Horus und Isis richtet sich der Fokus in einem kurzen, zwischen den beiden längeren, auf Isis bezogenen Teilen eingeschobenen Abschnitt schließlich auch auf Osiris, wodurch die Familientriade komplettiert wird. Falls es sich bei der Phrase „er hat die Welt

327 Vgl. Philä II, 241, 12: „Deren Ka in Städten und Gauen angebetet wird.“ Vielleicht hier zu ergänzen: m bw nb n p.t „an jedem Ort des Himmels“, vgl. GOEDICKE, Darstellung des Horus, S. 64. 328 Vgl. Dend. Mam., 122, 10: HqA.t anx.w „Die Herrscherin der Sterne“. „Herrscher der Lebenden“ sonst häufig von männlichen Göttern, siehe LGG V, 501. 329 Für verschiedene so beginnende Epitheta siehe LGG IV, 700c–701b. 330 Siehe zu dieser zentralen Thematik des Textes auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 170–171. 331 Philae-Photo 285. Siehe zu dieser Szene SH. BEDIER, Die Rolle des Gottes Geb in den ägyptischen Tempelinschriften der griechisch-römischen Zeit, HÄB 41, Hildesheim 1995, S. 143–144, Nr. 50; MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 155 und 255–256.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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ihr ergeben gemacht“ nicht um eine fehlerhafte Stelle handelt, nimmt er dabei sogar ausnahmsweise eine aktive Rolle ein und verhilft damit Isis selbst zu ihrem Ruhm. Texte am 2. Pylon unter Ptolemaios VIII. Text/Hauptpublikation Philae-Photo 1297 Anbringungsort Philae, 2. Pylon, Innenseite, linke Türlaibung d. Durchgangs Bibliographie J. DÜMICHEN, Altägyptische Kalenderinschriften, Leipzig 1866, Taf. 48, e, 2); MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 168–169 (nur Kol. 1); QUACK, Dekane, S. 315–316 Parallelen a) Philä I, 262, 4–6 b) Assuan-Hymne 6; El-Qal‘a II, Nr. 238 Inhalt 1 Kolumne für Ptolemaios VIII. Euergetes, 2 ½ Kolumnen für Isis Text: – Isis: Kol. 1: nswy.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr332) Die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter), nb(.t) Iw-rq Hnw.t nb(.t) wab.t die Herrin von Philae, die Gebieterin, die Herrin des Abatons, Sps.t wsr.t prj(.t) m Gbb die Edle und Mächtige, hervorgekommen aus Geb, HqA.t msj.n Nw.t die Herrscherin, die Nut geboren hat, mnx.t n sn=s Wsjr mw.t-nTr n @r die Vortreffliche für ihren Bruder Osiris, die Gottesmutter des Horus, kA nxt aXm Dsr n it(=f) des starken Stiers,333 des erhabenen Falken-Götterbildes seines Vaters, nb.t 12 Hnw.t 36334 Smsw Hm.t=s 335 730 die Herrin der 12, die Gebieterin der 36, das Gefolge ihrer Majestät ist 730 (?),336 332 Der letzte Titel wurde ausgelassen bzw. falsch wiedergegeben von MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 168. Zu Götternamen in Kartuschen siehe C. SPIESER, Les cartouches divins, in: ZÄS 129, 2002, S. 85–95; speziell zu Isis BERGMAN, Ich bin Isis, S. 156, Anm. 5; S. 159–160. 333 Die Beschreibung von Isis’ familiären Beziehungen entspricht weitestgehend dem Text Philä I, 262, 4–6, siehe dort (hier nicht eigens aufgenommen). 334 Die Parallele Assuan-Hymne 6 hat Hnw.t 16. 335 Ergänzung nach der Parallele Assuan-Hymne 6. 336 Die Lesung und Übersetzung der Stelle ist umstritten (vgl. auch den Kommentar zur Parallele Assuan-Hymne 6 (Kap. 4.2.1.A), auf die sich die bisherigen Bearbeitungen der Passage eigentlich beziehen): Die obige Lesung folgt VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23, Anm. 77; und QUACK, Dekane, S. 315–316, obwohl eigentlich sowohl in Philae als auch in der Parallele in Assuan die Zeichenabfolge Hms.t und nicht Hm.t=s vorliegt. Dabei handelt es sich tatsächlich aber sogar um eine geläufige Schreibung, aufgenommen als Hm.t=s auch in LGG V, 146; vgl. außerdem KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 49, m. Anm. 100 (ich danke S. TÖPFER herzlich für den Hinweis).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) rnp.wt Hnw.t Abd.w hrw.w wnw.[w]t die Herrin der Jahre, die Gebieterin der Monate, Tage und Stunden,337 Kol. 2: wr.t-HqA.w xnt(?)338 Ax.t die Zauberreiche an der Spitze des Horizontes, xsf(.t) aApp m sAx.w tp-rA=s die Apophis mit ihren Zaubersprüchen abwehrt, wsr.t m WAs.t aA.t m Iwnw{.t}339 die Mächtige in Theben,340 die Große in Heliopolis, nb(.t) wAD.tj m anx-tA.wj die Herrin der beiden Uräen in Anchtaui,341 MAa.t m (%)¢m nb(.t) xnw xnt $n-Ssp.t(?)342 Maat in Letopolis, die Herrin des Musizierens an der Spitze von Chen-Schespet(?),

337 338 339 340 341 342

LGG VII, 86b, führt die Stelle unter Hinzunahme der Parallele unter Sms.t Hm.t=s m 730 „die ihre Majestät in 730 (Formen = einer doppelten Chronokratorenreihe) begleitet“ auf. Dabei ergibt sich m. E. jedoch die Frage, wer bei dieser Lesung überhaupt mit „ihrer Majestät“ gemeint sein soll, da sich das Partizip in dieser Übersetzung ja bereits auf Isis bezieht. Der Interpretation von MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 168, Anm. 236, die Hm als masculine Form ansieht und auf Osiris bezieht (d. h. Isis ist diejenige, die Osiris folgt „pendant les 730“ (?)), kann ich nicht folgen. Umgekehrt übersetzt YOYOTTE, Monumentale litanie, S. 63, „die, der ihre Majestät folgt, mit (der Anzahl von) 730“, womit sich wieder das Problem des Bezugs von „ihre Majestät“ stellt. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 3 und passim, nennt die Chronokratoren selbst (als Manifestationen von Hathor-Sachmet) Hemetes, ohne dies weiter zu erläutern. BRESCIANI, Assuan, S. 105, und KUCHAREK, Klagelieder, S. 136, übernehmen die ursprüngliche Zeichenfolge und nehmen damit an, daß die Hemuset (obwohl eigentlich Singular steht) gemeint sind: Sms Hms.wt m 730 „der die Hemuset an den 730 (Tagen und Nächten des Jahres) folgt/folgen“. Auch diese Möglichkeit ist nicht auszuschließen, wenngleich die Schreibung hierfür eher unüblich ist. Die Hemuset, die weiblichen Gegenstücke der Kas, erreichen wie die Kas des Re ebenfalls eine Anzahl von 14 und sind eng mit der (hier nicht erwähnten!) Göttin Neith verbunden, mit deren Zeichen ihr Name auch üblicherweise determiniert wird, siehe dazu EL-SAYED, Neith, S. 145–150; WILSON, Ptol. Lex., S. 649. Die Übersetzungen und daraus resultierenden Deutungen von CLAGETT, Calendars, S. 331, und ROSE, Sothic Date, S. 14, sind aufgrund der Auslassung mehrerer Zeichen (!) („Herrin der 14 (Jahrhunderte?) und Gebieterin der 16(?), die ihrem Wohnsitz (‚dwelling place‘) gefolgt ist für 730 Jahre, 3 Monate, 3 Tage und 3 Stunden.“) zu vernachlässigen, vgl. zur Kritik auch VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23, Anm. 77. Ab nb.t 12 Parallelstelle zu Assuan-Hymne 6. Der Schluß lautet dort etwas abweichend „unter deren Vollkommenheit die Tage und Stunden sind“. Zeichen nicht sicher erkennbar. Trotz des geschriebenen t dürfte hier nicht Dendara, sondern Heliopolis gemeint sein, vgl. andere topographische Aufzählungen, bei denen die drei religiösen Hauptstädte des Landes oft zu Anfang genannt sind. Siehe dazu NAGEL, One for All. Beginn einer kulttopographischen Litanei. Gebiet im Westen von Memphis oder Memphis selbst, vgl. GDG I, S. 149. Das Toponym ist mir nicht bekannt.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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aA.t wr.t nb(.t) Rmn[-p].t343 die sehr Große, die Herrin von Herakleopolis Magna, Hm.t nswt wr.t die Große Königliche Gemahlin, Xnm(.t) n Ra m ©dw Hr sn=s Wsjr die sich mit Re vereint in Busiris wegen ihres Bruders Osiris, mw.t-nTr m NTr.wj mn[x.t] nb.t AbDw r&p(?)\.w die Gottesmutter in Koptos, die Vortreffliche, die Herrin von Abydos, ? Kol. 3: [???]344 xwj=T sA Ra [(Ptlwmys anx Dt mry PtH) [?] mögest du den Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Ptah) (= Ptolemaios VIII.) beschützen. Kommentar: Der Text zeigt eine interessante Mischung aus mehreren verschiedenen Elementen: Zu Beginn wird das in der ebenfalls unter Ptolemaios VIII. angebrachten westlichen Friesinschrift des Mammisi-Sanktuars (s. o.) formulierte Konzept der königlichen Macht der Isis konsequent weiter gedacht, indem der Eigenname und die wichtigsten Titel der Göttin in eine Kartusche gefaßt werden.345 Sie wird hier also als regierende Königin eigenen Rechts dargestellt, was sich auch in der folgenden Darstellung ihrer Familienverhältnisse zeigt, welche ihre Titulatur fortsetzt und eine relativ wortgetreue Parallele in einer großen Opferszene des Ptolemaios VI. auf dem 1. Pylon (Philä I, 262, 4–6) besitzt. Man vergleiche zu dieser familiären Herrscherlegitimation z. B. den Beginn der östlichen Friesinschrift des Mammisi, wo Horus als Sohn und Erbe von Isis und Osiris tituliert wird.346 Der nächste Abschnitt mit Parallelen in der zeitlich früheren Assuan-Hymne 6 und in geringerem Maße in El-Qal’a II, Nr. 238 präsentiert Isis als Herrin der Zeitrechnung bzw. des Kalenders, was in erster Linie aus ihrem Sothis-Aspekt resultiert, der in Assuan besser in den Gesamtkontext eingebunden ist. Sie wird als Herrin von Jahren, Monaten, Tagen und Stunden bezeichnet347 und außerdem mit verschiedenen Zahlen in Verbindung gebracht, um deren Lesung und Deutung sich eine besonders intensive Diskussion mit teilweise

343 Das Stadtdeterminativ ist erhalten. Zu diesem seltenen Namen von Herakleopolis Magna siehe GDG III, S. 136. Isis ist auch einmal in Edfu als xntj.t Rmn-p.t belegt, siehe LGG V, 913c. Weitere, wohl weniger wahrscheinliche Möglichkeiten wären nb.t Rmn-HqA.t, ein unbekannter Ort, der in dieser Verbindung einmal ptolemäisch für Selket belegt ist, siehe LGG IV, 88a, oder nb.t Rmn-s.wt, ein ebenfalls nicht lokalisierter Ortsname in Unterägypten, siehe GDG III, S. 136. 344 Da es sich um die Türlaibung des Pylons handelt, verläuft die Wandkante schräg, d. h. die äußere Kolumne verjüngt sich nach oben hin, weswegen nur im unteren Teil Text angebracht ist. Allerdings kann ich nicht sagen, ob der sichtbare Beginn des Textes tatsächlich der Beginn dieser Kolumne ist oder ob darüber noch Text zerstört worden ist. Eigentlich sieht die Wand oberhalb der ersten Zeichen relativ glatt aus. 345 Vgl. Isiskartuschen z. B. in den Texten Assuan-Hymne 3 und Kalabchah I, 15–16. Siehe dazu auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 156–159, mit Anm. 5. 346 Philä II, 7, 1–3. 347 Vgl. dazu z. B. auch ZANDEE, Amunhymnus, S. 234 (Kol. 3, 10–11), wo es vom Schöpfergott Amun heißt: „Der die Tage schafft, der die Stunden entstehen läßt, so daß sie gezählt sind gemäß seinem Gang, der die Jahre einteilt (wpj -> oder: eröffnet); die [Monate] sind vollendet, wenn er [die Barke] am Himmel dahinfahren läßt“.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

ausufernden Theorien entzündet hat. 348 An dieser Stelle ist zu bemerken, daß die Zahlenangaben zu Beginn nicht mit dem entsprechenden Text in Assuan übereinzustimmen scheinen: bei der ersten Zahl wurde in Assuan gewöhnlich ‚14‘ gelesen,349 obwohl anhand eines neuen Photos eindeutig 12 zu lesen ist, was der Stelle in Philae entspricht (s. u., Kap. 4.2.1.A). Bei der zweiten Angabe läßt sich der Unterschied höchstens mit einer Verschreibung erklären, denn in Philae steht ‚36‘, in Assuan ‚16‘; danach stimmen die Texte wieder mit 730 als Anzahl des Gefolges „ihrer Majestät“ überein. Da diese kryptischen Angaben in der Literatur vielfältig diskutiert wurden, lohnt es sich, hier noch einmal näher darauf einzugehen. Die auf die Zahlenangaben folgenden Epitheta der Isis als Herrin der Jahre, Monate usw. verdeutlichen, daß es sich um bestimmte Zeiteinheiten oder Kalenderdaten handeln muß, die sicherlich mit Isis’ astronomischen Assoziationen in ihrer Identifikation mit Sothis zusammenhängen. Die Deutung der Zahlenangaben in Assuan ist noch immer nicht ganz zufriedenstellend geklärt worden (siehe den Kommentar zur dortigen Hymne), wohingegen sich für die Zahlen im vorliegenden Text viel leichter eine Erklärung finden läßt: 1. Die 12 könnte für die 12 Mondmonate des Jahres stehen, die 36 entsprechend für 36 Dekaden (10-Tage-Wochen), die jeweils ein Jahr von 360 Tagen ergeben (exklusive der Epagomenen). 2. In Entsprechung dazu stehen die 12-Teilung des Himmels, durch die sich 12 Nachtstunden ergeben, und die 36 Dekane, die ja unter der Führung von Isis-Sothis stehen.350 3. Mit dem Gefolge von 730 sind wohl Chronokratoren gemeint, die zur Gefährlichen Göttin gehören und normalerweise den (inklusive der gefährlichen Epagomenen) 365 Jahrestagen zugeordnet werden.351 Die (im Verhältnis zu den Jahrestagen) verdoppelte Anzahl ist darauf zurückzuführen, daß es für jeden Tag zwei verschiedene Schutzgöttinnen gibt, eine „Göttin“ und eine „Hathor in ihrem Tag“.352 In diesem Zusammenhang wer-

348 Siehe ROSE, Sothic Date; CLAGETT, Calendars, S. 331–333. Zu diesen astronomischen Deutungen mit ihren diversen Lesefehlern, vgl. die Kritik von VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23–24, Anm. 77. Weitere Bemerkungen bei YOYOTTE, Monumentale litanie, bes. S. 63–64; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 143–144 m. Anm. 74; QUACK, Sonne und Mond, S. 34 u. 48; GOYON, Seize et quatorze. Vgl. auch oben die Anm. zum Text. 349 Vgl. den dortigen Kommentar. 350 Nach QUACK, Dekane, S. 316, dürfte demnach die Sethos IB-Familie gemeint sein. Für die Zahl 12 schlägt er einen Verweis auf die 12 Pseudodekane vor, was ebenfalls möglich ist. 351 Vgl. VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23–24, Anm. 77; YOYOTTE, Monumentale litanie, S. 56–64, zur Stelle S. 63. Vgl. ferner F. LABRIQUE, L’escorte de la lune sur la porte d’Évergète à Karnak, in: RdÉ 49, 1998, S. 107–134: 121–125 m. Anm. 86; C. LEITZ, Studien zur ägyptischen Astronomie, ÄgAb 49, Wiesbaden 1989, S. 18–19. Zu einer anderen, aber verwandten Gruppe von 18 löwenköpfigen Gottheiten, die in ähnlicher Weise als nTr.w Sms.w Hm.t=s bezeichnet werden, siehe C. LEITZ, Die Götter, die ihre Majestät begleiten, in: D. Kessler et al. (Hrsg.), Texte – Theben – Tonfragmente, Fs G. Burkard, ÄAT 76, Wiesbaden 2009, S. 289–311, der die genannte „Majestät“ ebenfalls mit der „Fernen/Gefährlichen Göttin“ in Verbindung bringt (S. 303). Die 18 Gottheiten werden auch in den Texten mit Chronokratoren und entsprechenden Kalenderdaten an den letzten Tagen des Jahres verknüpft, hängen also wie mehrere der Assuan-Hymnen (siehe Kap. 4.2) mit den Ritualen zum Neujahrsfest zusammen (S. 306). 352 Siehe QUACK, Kultkalender; des weiteren ist ein ausführlicherer Kommentar dazu in Vorbereitung durch denselben im Rahmen einer Neubearbeitung von pBrooklyn 47.218.118.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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den auch 365 oder 730 Erscheinungsformen der Göttin mit verschiedenen Namen angerufen.353 Der letzte Teil enthält schließlich eine topographische Verteilung diverser Namen und Eigenschaften von Isis auf einzelne Kultorte. Dadurch werden verschiedene Formen der Göttin mit diesen Orten in Beziehung gesetzt, ähnlich wie in Philae-Hymne 7, dem Text Philae/Kalabscha und Assuan-Hymne 5, sowie in ausführlicher Weise in den kulttopographischen Litaneien in Dendara.354 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Inhalt

Philae-Photo 1298355 Philae, 2. Pylon, Innenseite, rechte Türlaibung d. Durchgangs356 (ggü. Philae-Photo 1297) MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 164–167; kurzes Zitat bei MANASSA, Mistress of the Field, S. 58; VALBELLE, Satis et Anoukis, S. 58–59, Nr. 407, S); JUNKER, Götterdekret, S. 38 2 Kolumnen für Ptolemaios VIII. und 2 ½ Kolumnen für Isis u. Osiris

Text: – Isis und Osiris: Kol. 1: wnn nswt bjtj Hr dwA it=f Wsjr mw.t=f As.t Dd mdw jn Es ist der König von Ober- und Unterägypten beim Anbeten seines Vaters Osiris und seiner Mutter Isis. Rezitation: nswt bjtj Wsjr %AH Is.t %T.t König von Ober- und Unterägypten Osiris-Orion und Isis-Satet/Sothis,357 Wsjr @apj As.t(?)/Hbs.t(?) sx.t Osiris-Hapi und Isis/die Verhüllende(?),358 die Feldgöttin,359 353 Vgl. auch QUACK, Sonne und Mond, S. 34–35. 354 Dend. I, 20, 14–21, 5, und Dend. Isis, 78, 16–79, 5, mit Parallelen; siehe dazu Kap. 4.6 und NAGEL, One for All. 355 Der Text wird, ebenso wie der vorangehende Philae-Photo 1297, im 4. Band der Edition der Inschriften des Tempels von Philae von H. KOCKELMANN/E. WINTER (Philä IV) erscheinen. Mein herzlicher Dank gilt E. WINTER, der mir nicht nur seine (noch vorläufige) Transkription der Inschrift zur Verfügung stellte, sondern dessen Besprechung des Textes im Rahmen der Übung „Schwierige Texte aus den Tempeln der griechisch-römischen Zeit“ im SS 2014, an deren entsprechender Sitzung ich als Gast teilnehmen durfte, mich um viele hilfreiche Hinweise bereichert hat. 356 Und nicht am Türsturz der Tür im Nordwesten des 2. Pylons, wie VALBELLE, Satis et Anoukis, S. 58–59, Nr. 407, S), fälschlich angibt. 357 Die Namen der beiden eng mit der Überschwemmung und dem 1. Katarakt verbundenen Göttinnen fallen seit der Spätzeit lautlich zusammen, weswegen die Schreibungen wechseln können, vgl. Wb IV, 348, 8. Als Pendant zu Orion muß hier aber Sothis gemeint sein. Vgl. zu dieser Stelle auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 79–80. 358 Dem logisch strukturierten Aufbau des Textes nach müßte trotz der ungewöhnlichen Schreibung auch hier der Name „Isis“ zu lesen sein, vgl. die parallelen (wenngleich in der Lesung ebenfalls nicht letztlich sicheren) Schreibungen in Philä I, 79, 2; BÉNÉDITE, Philae, 125, 5, m. Taf. 40: Hier sollte „Isis“ zu lesen sein, da es sich um die Beischrift der Darstellung der gegenüber von Nephthys – die

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Wsjr [(Wn-nfr mAa xrw) As.t wnj.t(?)360 Osiris [(Onnophris, wahrhaft an Stimme) und Isis, die Eilende(?), Wsjr ¢prj/pA xpr(?)361 As.t mHj.t Osiris-Chepri (oder: Osiris, der Werdende/der Skarabäus?) und Isis, der Nordwind, Wsjr &dj\ [… …] &As.t\ dj(.t) anx Osiris der gibt […] und Isis, die Lebensspenderin,362 nb.t [iA.t?-]wab[.t] &nb(.t) Iw-rq\363 die Herrin des Abatons, &die Herrin von Philae\, […]364

359 360

361

362 363

auch mit ihrem Eigennamen bezeichnet wird – knienden und um Osiris trauernden Isis handelt, siehe auch LGG I, 61b (Beleg 218); Philä III, Nr. 31: xwj.t As.t/Hbs.t m irw n Ddj.t nfr.t „die Schützende, Isis/Hebeset(?) in der Gestalt der vollkommenen Djedit (der Rezitierenden?)“. Andererseits könnte hier trotz allem Hbs.t „die Verhüllende“ zu lesen oder zumindest durch die Zeichenauswahl als Nebensinn gemeint sein; so wird die Stelle auch gelesen in LGG V, 113c (obwohl die Schreibung genau dem in LGG I, 61b, unter „Isis“ aufgenommenen Beleg aus BÉNÉDITE, Philae, 125, 5, entspricht), wo außerdem noch Dend. Mam., 135, 4 für Isis angeführt ist. Im Mammisi ist die Lesung durch die verwendeten Einkonsonantenzeichen eindeutig, und Hbs.t steht als Epitheton hinter dem Eigennamen und den Haupttiteln der Isis (As.t wr.t mw.t-nTr Hbs.t wr.t). In Tb 168 (Pleyte) verhüllt die Hbs.t das Bild des Osiris. Vgl. auch den verwandten Beinamen Hbs.t bAg „Die den Schwachen verhüllt“ für die Klagefrau des Osiris; LGG V, 114a. Das Epitheton der Isis bzw. der Nebensinn dürfte sich auch im obigen Text von Philae-Photo 1298 auf ihre Handlungen für den verstorbenen Osiris beziehen. Es ist jedenfalls auffällig, daß diese Schreibung für den Namen(?) der Isis nur in Philae belegt ist, und jedesmal in einem auf Osiris bezogenen Kontext steht (den Beleg im Mammisi nicht eingerechnet, der sich auf Horus bezieht, aber auch eine eindeutige phonetische Schreibung für Hbs.t aufweist). Siehe dazu auch MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 165, Anm. 220, die die Lesung „Isis“ präferiert. Vgl. zu dieser Stelle auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 668, Anm. 29, die allerdings nach Wb-Zettel Philae As.t sx.t „Isis ist das Ackerland“ liest, ebenso auch MANASSA, Mistress of the Field, S. 58. Lesung und Deutung unsicher; das Epitheton ist ansonsten nicht belegt. Vgl. aber bereits PT 535, § 1281a, wo Isis und Nephthys aufgefordert werden: wnt=T wnt=T, siehe dazu KUCHAREK, Klagelieder, S. 23. WINTER schlägt im Vergleich mit den von Plutarch (De Iside, 60) angesprochenen Deutungen des Namens der Isis (siehe dazu Kap. 8.1.3.5) sogar eine aufgrund der Anordnung der Zeichen durchaus überzeugende Lesung als wn(.t) ij.t „die Seiende und Kommende“ vor. MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 165–166, liest ebenfalls wn(.t) ij.t, übersetzt dies aber mit „die Existierende ist gekommen“. Wahrscheinlich ist das Epithon intentionell als Anpassung bzw. Äquivalent zum Osirisnamen Wnn-nfr kreiert worden, vgl. MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 166. . Das Buchrollendeterminativ wäre eher ungewöhnlich für die Schreibung des Gottesnamens Chepri, daher vielleicht besser p(A) xpr „der Werdende/der Skarabäus“ (Vorschlag von E. WINTER). MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 165, Anm. 221, schlägt außerdem noch pAw.tj xpr als Variante vor; ähnlich LGG V, 113c: xpr pAw.t. Vgl. aber zur Verbindung von Osiris und Chepri: M. MINAS-NERPEL, Der Gott Chepri, Untersuchungen zu Schriftzeugnissen und ikonographischen Quellen vom Alten Reich bis in griechisch-römische Zeit, OLA 154, Leuven 2006, S. 453–455; STADLER, Skarabäus. Zum Vergleich beachte man besonders die bei beiden Autoren (MINAS-NERPEL, S. 455; STADLER, S. 77) zitierte Beischrift in der dritten östlichen Osiriskapelle in Dendara (Dend. X, 261, 12; Taf. 115): „Osiris, erhabener Skarabäus, der am Himmel erstrahlt, groß an Würde, der Herr der Atefkrone, der König von Ober- und Unterägypten, Onnophris, der Gerechtfertigte“. Mit Wasserdeterminativ, was häufiger in Philae vorkommt, siehe LGG IV, 775b–c, Beleg [16–17]. Rest erkennbar; nicht gelesen von MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 166.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kol. 2: Ra.t xnt psD.t die Sonnengöttin an der Spitze der Neunheit, nswy(.t) bjtj(.t) die Königin von Ober- und Unterägypten, wr.t n ^maw MHw Hnw.t tA.wj die Große von Ober- und Unterägypten, die Gebieterin der Beiden Länder, HqA(.t) xAs.wt die Herrscherin der Fremdländer, nxb(.t) tA.wj iw/r Aw=f365 Hr rn=s auf deren Namen die Beiden Länder in ihrer Ausdehnung eingeschrieben sind, dwA=sn kA=s m bw wa sie beten ihren Ka an einem Ort/insgesamt an, [mw.t( ?)] rr(.t) sA=s swDA sn=s [die Mutter(?),] die ihren Sohn aufzieht, die ihren Bruder heil macht, Ip.t/Sps.t(?) nfr.t prj(.t) m Gbb Opet/die Edle, die Vollkommene, die aus Geb hervorkam, Ax.t[j.t(?)] &m Sn\ nb n [i]tn(?) die Horizont[ische?] &im\ ganzen &Umkreis\ der [Son]nenscheibe(?). nts {i}pw ntj m niw.t nb Hna sn=s Wsjr sA=s Sie ist es, die in allen Städten ist, zusammen mit ihrem Bruder Osiris und ihrem Sohn Kol. 3: [@r366 … … …[(Ptw]lmys anx Dt [mrj] PtH) dj=T n=f rsy r-&Dr\ […] [Horus(?) …] [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Ptah), mögest du ihm den Süden geben bis(?) […]. Kommentar: Komplementär zu der gegenüberliegenden Inschrift Philae-Photo 1297 (s. o.) dreht sich auch dieser Text um die beiden Aspekte Königtum der Isis und Isis als Sothis, auf die in der korrespondierenden Inschrift nur implizit über die Thematik der Zeiteinteilung angespielt wird, während sie hier namentlich als Partnerin des Osiris-Orion genannt wird. Diese Bereiche werden hier jedoch in ungewöhnlicher bzw. meines Wissens sogar einmaliger Weise präsentiert, indem zumindest im ersten Teil der 1. Kolumne abwechselnd Osiris und Isis angerufen und einander so als Paar gegenübergestellt werden. Sie werden jeweils mit ihren Eigennamen und je einem weiteren Epitheton benannt, wenngleich die Lesung nicht in allen Fällen sicher ist. Dieser gemeinsame Teil fokussiert auf einer einheitlichen Hauptthematik: der Nilüberschwemmung und der daraus resultierenden Fruchtbarkeit.367 Das Götterpaar wird dabei nicht nur mit ihren astralen Entsprechungen Orion und Sothis gleichgesetzt, die für die zyklische Flut verantwortlich zeichnen, sondern 364 Der untere Teil des ganzen Textes ist verloren, da diese Fläche (in koptischer Zeit?) komplett abgemeißelt wurde, offenbar für Wandmalereien. Ich danke E. WINTER für diesen Hinweis. 365 Die Inkongruenz von Substantiv und Suffix ist vielleicht darauf zurückzuführen, daß tA.wj „die Beiden Länder“ trotz ihres grammatikalischen Duals doch als eine Einheit angesehen wurden. 366 Zur Lesung und Ergänzung vgl. MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 166; vgl. zahlreiche ähnliche Abschlußsätze in Isishymnen und -eulogien, z. B. Bîgeh, 40 (siehe unten, Kap. 4.1.1.C). 367 So auch die Interpretation bei MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 167.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

außerdem mit dem Nil selbst (Osiris) und den von ihm befruchteten Feldern (Isis) sowie dem Nordwind (Isis), der gemeinsam mit der Überschwemmung eintritt. Auf dieser Grundlage baut auch die Charakterisierung der Göttin als Lebensspenderin allgemein auf; dj.t anx gehört zu den Haupttiteln der Isis von Philae und wird an dieser (und einigen anderen) Stellen passenderweise mit der Wasserhieroglyphe determiniert. Diese Eigenschaft kann sich des weiteren auf die Versorgung und Wiederbelebung des verstorbenen Osiris (auf Bigge) beziehen, und die Kartusche mit seinem ‚irdischen‘ Eigennamen Onnophris und dem Zusatz mAa xrw sowie vielleicht auch die etwas unklaren Epitheta der Isis „die Verhüllende“ (evtl. nur als Nebensinn der eigentlich wieder als Eigenname „Isis“ zu lesenden Zeichengruppe) und „die Eilende(?)“ verdeutlichen, daß auch dies hier gemeint ist. Gleichzeitig bildet die Osiris-Kartusche ein Pendant zu derjenigen seiner Gemahlin in der gegenüberliegenden Türlaibung (Philae-Photo 1297, s. o.). Die direkte Beziehung zwischen den belebenden Libationen am Abaton und dem Hervorbringen der Nilflut illustriert ein gut bekanntes Relief an dem auf Bigge ausgerichteten Hadrianstor, wo es neben dem Text des ‚Götterdekrets über das Abaton‘ angebracht ist: 368 Es zeigt Isis, die hier mit Kuhkopf dargestellt ist, beim Spenden von Milch für den Ba des Osiris, der auf dem heiligen Hain seines Grabes sitzt. Links hinter der Göttin ist ein Nilgott in einer von den typischen Felsformationen des Kataraktgebiets umgebenen Höhle zu erkennen, der aus zwei Gefäßen das Nilwasser ausgießt. Die zweite Kolumne der Inschrift widmet sich dann in erster Linie Isis selbst als Königin Ägyptens und ihrer Autorität über die Erwählung des irdischen Herrschers. In diesem Zusammenhang wird auch nochmals ihre Beziehung zu ihren Familienmitgliedern Osiris (Schutz, Totenkult) und Horus (Aufziehen) sowie abschließend deren Präsenz im ganzen Land thematisiert.

368 JUNKER, Götterdekret, S. 37, Abb. 8; S. 58–61, m. Abb. 20; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich I, S. 96, Abb. 129.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Texte im Annexbau „Durchgang des Tiberius“ unter Ptolemaios VIII. Text/Hauptpublikation Philä III, Nr. 93, S. 207–209 Anbringungsort Philae, Haupttempel, 2. Ostkolonnade, Annex „Durchgang des Tiberius“ (CO 2 K), Osttor, Durchgang, südlicher Rücksprung, unteres Reg. Bibliographie VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 247 (kurze Beschreibung und Zitate aus dem Türriegeltext) Inhalt der Szene Ptolemaios VIII. und Kleopatra III. überreichen ein Feld und Wein an Isis. Innerhalb der Szene befindet sich ein Türriegelloch in der Wand (hinter den Beinen von Kleopatra III.), auf das sich die drei darüber stehenden Kolumnen (an Stelle der königlichen Randzeile) mit einem Lobpreis der Isis/des Türriegels beziehen.369 Text: – Beischrift der Isis: nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr […]) Die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter […]), Hnw.t nb(.t) iA.t-wab.t nb(.t) xAs.wt rsj(.wt) die Gebieterin, die Herrin des Abaton, die Herrin der südlichen Fremdländer. – Göttliche Randzeile: bjk.t wr.t wsr.t 370 Hnw.t &nTr.\w &nTr.\wt Das große Falkenweibchen, die Mächtige, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) Iw-rq xwj.t [sn?]&=s(?)\ […] Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, die Schützerin [ihres Bruders?] […] – Hymne (Türriegeltext): [iAw]371 &n=T\ H&k\.t(?)372 [Lobpreis] &für dich\, Jubelnde/(weiblicher) Löwen-Türriegel(?),373 nb(.t) Hkn.w Hnw.t Hkn.w Herrin des Jubels, Gebieterin des Jubels, Hkn Hr.w nb m Hkn.w=sn es jubelt jedermann in ihrem (Pl.) Jubel, iAw n=T […]w […] n kA=T Hnw.t n pr PtH Lobpreis für dich, […] für deinen Ka, Gebieterin des Hauses des Ptah,374 369 370 371 372

Vgl. die Bemerkungen von KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 208, Anm. 8. Uräusschlange und Ei als Determinative. Zur Ergänzung vgl. den entsprechenden Text in der Szene Philä III, Nr. 146. Vgl. zu der Göttinnenbezeichnung Hkn.t „Jubelnde, Preisende“ LGG V, 559a–b. Zur weiblichen Form Hkn.t „Türriegel“ siehe VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 242, m. Anm. 331; LGG V, 561c. 373 Zu den Wortspielen mit Hkn „Türriegel, Bolzen“ vgl. KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 208–209, Anm. 10; das Wortspiel zwischen Hkn „Türriegel, Bolzen“ und Hknw „Freude, Jubel“ findet sich ebenfalls im Türriegeltext Bîgeh, 9, Taf. 5 u. 8, siehe dazu VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 247. 374 Ein memphitisches Epitheton, vgl. GDG II, 79 (Tempel des Ptah in Memphis); ein weiterer Beleg, in dem Fall für Hathor: LGG V, 178a (pTurin 766 (dem), A, 14), vgl. M. STADLER, The Funerary Texts

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

rn=s(?)375 m tA.w nb(?)376 njw.wt &spA.wt\ nb deren Name in allen(?) Ländern ist, allen Städten und Gauen (?), xaj(.t) mj Dr die erscheint wie der All(herr),377 Sna.t Sna.w nb Hr s.t tn die alle Abzuhaltenden von diesem Ort abhält, aq=T pr=T sHD tA.wj du betrittst dein Haus, wenn die Beiden Länder hell werden,378 xa itn dj anx Dt und die Sonnenscheibe erscheint, Leben spendend ewiglich. Kommentar: Die kurze Hymne entspricht in ihrer Phraseologie teilweise anderen Türriegel-Beschriftungen, 379 bildet hier jedoch gleichzeitig die (ausnahmsweise dreiteilige) königliche Randzeile380 mit einer lobpreisenden Anrede der Isis, die durch die spielerische Bezeichnung H&k\.t(?) offenbar mit dem löwengestaltigen Türbolzen381 identifiziert wird. Möglicherweise kann sie dieses wehrhafte Objekt (Sna.t Sna.w etc.) über ihre eigenen kämpferischen Eigenschaften382 und die typische Löwengestalt der Fernen Göttin verkörpern.383 Sna.w ist hier mit der Hieroglyphe des Löwen geschrieben, um diesen Aspekt (des Türriegels/der Isis) zu betonen. Eventuell könnte das seltene Epitheton „Gebieterin des Hauses des Ptah“ auf einen memphitischen Ursprung der Hymne hinweisen. Ein weiterer solcher Text befand sich in einer Szene des Feld-Überreichens an Isis im südlichen Rücksprung der Tür von CO II K nach CO II (Philä III, Nr. 146). Bis auf den Anfang der drei Kolumnen ist dort jedoch nichts mehr erhalten.

375 376 377 378 379 380 381 382 383

of Papyrus Turin N. 766: A Demotic Book of Breathing (Part I), in: Enchoria 25, 1999, S. 76–110: 83 u. 94. Pluralstriche, vgl. den Kommentar von KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 209, Anm. 12. Vielleicht durch den zuvor genannten Namen des Ptah verursacht? Unter nb steht eine überflüssige Zeichengruppe , vgl. die Bemerkungen von KOCKELMANN/ WINTER, Philä III, S. 209, Anm. 13. Oder ob Verschreibung für Hnw.t: „Gebieterin aller Städte und Gaue“? Oder mit KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 209: „die erscheint wie (die des) Allherrn (= Uräusschlange)“? Bei der morgendlichen Öffnung der Tür wird der Bolzen in sein Loch (sein „Haus“) zurückgezogen, vgl. VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 247. Vgl. KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 208–209, Anm. 8, 10 und 16; VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 243–250. Auch diese Kombination findet Parallelen in anderen Szenen, siehe für Beispiele VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 243–245. Siehe Wb III, 180, 15; WILSON, Ptol. Lex., S. 682–683; VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 240– 250. So wird sie z. B. in der göttlichen Randzeile dieser Szene als „Schützerin […]“ bezeichnet. Eine explizite Identifizierung des Türriegels als weibliche Löwengöttin findet sich z. B. in Dend. Porte d’Isis, 35, 4–6, siehe VENTKER, Der Starke auf dem Dach, S. 245; außerdem ibid., S. 250 zur Identifikation der weiblichen Löwenriegel mit Löwengöttinnen allgemein.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

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Philä III, Nr. 114, S. 147–148 Philae, Haupttempel, 2. Ostkolonnade, Annex „Durchgang des Tiberius“ (CO 2 K), Südwand, obere Randinschrift INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 73, Nr. 120

Text: bjk.t(?)384 wr.t m sp tpj Das große Falkenweibchen(?) vom ersten Mal (Beginn der Welt), sTnj(.t)-s(j) r nTr.w nTr.wt die sich erhoben hat über die Götter und Göttinnen, kA.t Hrj(.t) kA.w sA.t nb-Dr der weibliche Ka über den (anderen) Kas, die Tochter des Allherrn, nTr.t n.t nTr 385 das göttliche Auge des großen Gottes, wr.t-HkA.w Hrj-ib s.t/aH.t(?)386 wr.t die Zauberreiche inmitten des großen Sitzes/Palastes(?), Hrj.t psD m nbw Stirnschlange desjenigen, der als Gold erglänzt, dgngs Hrj-ib 387 die Uräusschlange inmitten der Audienzhalle, nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter), nb(.t) Iw-rq dj(.t) anx nb(.t) iA.t-wab.t die Herrin von Philae, die Lebensspenderin, die Herrin des Abaton, Hnw.t nb(.t) xAs.wt rsj(.wt) HqA.t m mH.tj die Gebieterin, die Herrin der südlichen Fremdländer, die Herrscherin des Nordens. dj=s tA.wj idb.w wnn nb Möge sie die Beiden Länder, die Ufer und alles, was existiert, geben n nswt bjtj [(iwa nTr.wj pr.wj stp n PtH irj mAa.t n Ra sxm anx Imn) an den König von Ober- und Unterägypten [(Erbe der Epiphanen, erwählt von Ptah, der die Maat des Re ausführt, lebendes Abbild von Amun), sA Ra [(Ptwlmys anx Dt mrj PtH) der Sohn des Re [(Ptolemaios (VIII.), er lebe ewig, geliebt von Ptah)! Kommentar: Der Annexbau, der eine Verbindung zwischen dem Haupttempel und dem Hathortempel im Osten bildet, wurde teilweise bereits unter Ptolemaios VIII. dekoriert;388 die obere Randin-

384 Die Falkenhieroglyphe ist menschenköpfig, vgl. dazu den Kommentar von KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 235, Anm. 2; übergreifend zur falkengestaltigen Göttin und den Schreibungen BUDDE, Götterkind, S. 116–119. 385 statt geschrieben. 386 Das Zeichen ist nicht eindeutig; KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 235, mit Anm. 5, lesen aH.t wr.t „des großen Palastes“; ebenso INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 73, Nr. 120. 387 Die Zeichenreihenfolge ist vertauscht, vgl. dazu KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 235, Anm. 8.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

schrift ist ebenfalls unter diesen Herrscher datiert. Isis wird in deren erster Hälfte als urzeitliche Falkengöttin und insbesondere als Tochter und Uräusschlange des Allherrn gelobt, für den sie damit Schützerin (Werethekau) und ‚Auge‘ ist. Ihre Stellung ist so über die anderen Götter und Göttinnen erhöht. In der zweiten Hälfte der Inschrift steht ihr eigenes Königtum im Vordergrund: Sie erhält Königstitel und die Kartusche um ihren Eigennamen und die nahen Epitheta, wie in der ebenfalls unter Ptolemaios VIII. angebrachten Inschrift PhilaePhoto 1297 am 2. Pylon (s. o.). Entsprechend zielt die abschließende Fürbitte für den König darauf ab, daß die Göttin auch ihm die Herrschaft über ganz Ägypten überweist. Die komplementäre Friesinschrift Philä III, Nr. 124 ist Hathor als Verkörperung der Uräusschlange gewidmet.389 Obwohl diese ebenfalls den Titel nswj.t bjtj.t „Königin von Ober- und Unterägypten“ trägt, ist ihr Name jedoch anders als der der Isis nicht in eine Kartusche gesetzt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Philä III, Nr. 143, S. 303–304 Philae, Haupttempel, 2. Ostkolonnade, Annex „Durchgang des Tiberius“ (CO 2 K), Tür zu CO II, südliche Türlaibung – 1 Kolumne für Isis, 1 für den König (Ptolemaios VIII.).

Text Isis: As.t wr.t mw.t-nTr Dsr.t s.t xnt Iw-rq Isis, die Große, die Gottesmutter, mit heiligem Sitz an der Spitze von Philae, HqA.t m gs.w-pr.w die Herrscherin in den Tempeln, smn(.t) sStA n sA=s ¡r H[… …]390 die das Geheimnis ihres Sohnes Horus andauern läßt […], […] SmAy.w Ax.w mwt.w […] die Wanderdämonen,391 die Ach-Geister und die Toten.392 nts ¤T.t Hnw.t nb.t tp-rnp.t Sie ist Satet/Sothis, die Gebieterin, die Herrin des Jahresanfangs, &irj\ nswt xft Dd=s nach deren Ausspruch der König &handelt\, sS n +Hwtj Hr ns=s auf deren Zunge sich die Schrift des Thoth befindet.

388 Der Großteil der Dekoration stammt hingegen erst von Tiberius, siehe KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. XXIII–XXIV. 389 Vgl. die Übersetzung von KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 260–261; und INCONNUBOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 72, Nr. 119. 390 Eventuell zu ergänzen H[na sn=s Wsjr] „u[nd ihres Bruders Osiris]“? 391 Boten und Krankheitsbringer, die vor allem der Gefährlichen Göttin/dem Sonnenauge zugerechnet werden, vgl. Wilson, Ptol. Lex., S. 1008–1009; zu diesen und anderen Dämonen in diesem Kontext vgl. VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 24–26; 50. 392 Zur möglichen Ergänzung der Lücke vgl. KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 304, Anm. 6.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

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Philä III, Nr. 144, S. 305–306 Philae, Haupttempel, 2. Ostkolonnade, Annex „Durchgang des Tiberius“ (CO 2 K), Tür zu CO II, nördliche Türlaibung – 1 Kolumne für Isis, 1 für den König (Ptolemaios VIII.).

Text Isis: As.t wr.t mw.t-nTr nb.t iA.t-wab(.t) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin des Abaton dj(.t) anx nb(.t) Iw-&rk\ die Lebensspenderin, die Herrin von Philae, HqA.t xnt-Hn-nfr die Herrscherin von Unternubien(?), Hnw.t xAs.[wt rsj.wt …] die Gebieterin der [südlichen] Fremdländer […], […]393 snD=s n imj.w p.t [es gelangt/zieht umher o. ä.] die Ehrfurcht vor ihr (bis) zu/bei denen, die im Himmel sind (= Vögeln), Hrj.t=s n imj.w mw der Schrecken vor ihr zu denen, die im Wasser sind (= Krokodile, Fische), nrw=s n imj.w bAbA=sn die Furcht vor ihr zu denen, die in ihren Löchern sind (= Schlangen, Skorpione),394 Sfj.t=s m rsj mH.tj imnt.t iAbt.t ihr Ansehen ist im Süden, Norden, Westen und Osten. Kommentar: Die beiden komplementären Türlaibungsinschriften sind jeweils einer Kolumne für Pharao Ptolemaios VIII. gegenübergestellt, dem Isis Leben spendet, wie die obere, ihren Namen jeweils darstellende und groß ausgeführte Hieroglyphe illustriert. Auf der Südseite wird Isis’ Beziehung zu ihrem Sohn Horus betont, dessen ‚Geheimnis‘ sie in den Tempeln bewahrt – möglicherweise ist hiermit auch eine Anspielung auf das Geburtshaus von Philae gegeben, das dem „Durchgang des Tiberius“ im Hof gegenüberliegt. Des weiteren wird die Göttin mit Satet (von Elephantine) bzw. Sothis, der Herrin des Jahresanfangs gleichgesetzt. Der Abschlußsatz verbindet sie wiederum mit Thoth, dessen heilige Schriften sie „auf der Zunge hat“, d. h. kennt und anwendet. 395 Während die Südseite also ganz verschiedene Themen anspricht, konzentriert sich die nördliche Kolumne für Isis auf ihren Herrschaftsbereich im Süden und ihre in alle Bereiche des Kosmos reichende Autorität, vor der auch die verschiedenen dort jeweils heimischen Tiere in Ehrfurcht ergriffen sind. Die häufig in den ägyptischen Texten genannte Trinität „Himmel, Erde, Unterwelt“ wird hier durch die drei Lebensbereiche (der Tierwelt) Himmel, Wasser, Erde bzw. Erdlöcher ersetzt.

393 Determinativ der laufenden Beine. 394 Die Determinative zeigen jeweils an, welche Tiere gemeint sind. 395 Vgl. z. B. Philä III, Nr. 2: „Ihr Herz ist trefflich wie das des Thot.“

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Ein Hymnus in einer Ritualszene am 1. Pylon unter Ptolemaios XII. Text/Hauptpublikation Philä I, 64–65 Anbringungsort 1. Pylon, Westturm, Westseite, untere Szene Bibliographie MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 82 Inhalt der Szene Ptolemaios XII. preist Isis mit erhobenen Armen, hinter ihr Harpokrates. Text: – Titel (64, 3): dwA-nTr Dd mdw jn Den Gott preisen. Rezitation: – Spruch (64, 4–9): nD Hr=T As.t sanx(.t) TA=s Sei gegrüßt, Isis, die ihr Junges belebt, mrj.t s.t=s swDA(.t) Xrd=s die ihren Sitz liebt und ihr Kind heil sein läßt, mw.t nfr.t mk(.t) iA.t-rq nD.t.t nD.tj.w(?) vollkommene Mutter, die Philä beschützt, Schützerin der Beschützer, iAw n=T sn-tA HA=T xnm.t(?) n.j.t aA mAa xrw Lobpreis für dich, Huldigung bei dir, Amme396 des Großen an Triumph.397 – Beischrift der Isis (64, 14–65, 2): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr dj(.t) anx (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Lebensspenderin, nb.t Iw-rq Hnw.t nb(.t) iA.t-wab.t die Herrin von Philae, die Gebieterin und Herrin des Abatons, Sps.t wsr.t Hnw.t m %nm.t die Edle, die Mächtige, die Gebieterin auf Senmet, mH(.t) p.t tA m nfr.w=s die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt,398 sA.t Ra Hrj.t-tp m tp=f die Tochter des Re, Uräus auf seinem Haupt, wD(.t)399 mdw m tA.wj Hna idb.w die Befehle erteilt in den Beiden Ländern400 und den Gestaden. – Königliche Randzeile (65, 13–66, 6): nfr.wj Hr=T Hnw.t Oh wie schön ist dein Antlitz, Gebieterin,

396 397 398 399 400

Vgl. JUNKER, in Philä I, 64, Anm. 5. Beiname des Horus, vgl. LGG II, 26c–28a. Vgl. zu dieser und der folgenden Passage Philae-Hymne 7 und Philä II, 8–9. Geschrieben wie wdj. Möglicherweise ist tA.wj hier auch eine Schreibung für den Plural: „in den Ländern und Gestaden“. Siehe zu dieser häufigeren Schreibung des Plurals QUACK, Rez. zu: Kurth, Übersetzung Edfou VIII, S. 199 (zu Edfu VIII, 15, 8).

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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nb(.t) tA.wj nb-Dr.t401 m-m nTr Herrin der Beiden Länder, Allherrin unter den Göttern, dj=i n=T iAw m (m)skt.t ich will dir Lobpreis in der Abendbarke geben hnw sk m manD.t und gleichfalls Jubel in der Morgenbarke,402 tA.w{j} nb ks.w xAb n bA.w{=s} alle Länder sind tief gebückt in Verbeugung vor deiner Macht, As.t wr.t nb.t iw-wab.t Isis, die Große, Herrin des Abaton. Kommentar: Es handelt sich um eine Anbetungsszene und entsprechend wird die Phraseologie aus einigen der bereits bekannten Hymnen aufgegriffen. 403 Auch finden sich typische formale Hymnen-Elemente wie die Einleitungen nD Hr=T, iAw n=T (Spruch) und nfr.wj (Königliche Randzeile).404 Inhaltlich ist der Spruch offenbar auf die Thematik des Mammisi und des in der Szene hinter Isis stehenden Harpokrates bezogen: Die Göttin belebt, heilt, schützt und nährt ihren Sohn. Die Epitheta in der Beischrift und der göttlichen Randzeile präsentieren sie dagegen als Uräusschlange des Re sowie als Allherrscherin, wobei sie den Titel des männlichen Allgottes in femininer Form übernimmt (nb-Dr.t). Texte in der 2. Ostkolonnade und am Pronaos unter Ptolemaios XII. und Tiberius Text/Hauptpublikation Philä III, Nr. 2, S. 3–7; Philae-Photo 655 (nur Anfang)405 Anbringungsort Philae, Haupttempel, 2. Ostkolonnade, Architrav der Säulen, Innenseite, Obere Randinschrift Bibliographie WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, S. 306–310; ID., Winzige Ergänzung, S. 600–601; BUDDE, Götterkind, S. 71–72 (tw. Übersetzung d. Parallele)406 Parallelen Kalabchah I, 169–170

401 Die Verbindung wird anscheinend als ein Wort aufgefaßt, da die Femininendung und das Determinativ erst hinter Dr geschrieben sind. 402 Vgl. zu dieser Phrase die Parallele in Philae-Hymne 8; BÉNÉDITE, Philae, 20; und Assuan-Hymne 2 (dort allerdings jeweils einfach: iAw n=T m (m)sk(t.t) hnw n=T m (m)anD.t „Lobpreis für dich in der Abendbarke, Jubel für dich in der Morgenbarke“). 403 Es liegen Parallelen einzelner Phrasen aus Philae-Hymne 7 und 8 sowie Philä II, 8–9 vor. 404 Siehe dazu unten, Kap. 5.1.2.2. 405 Diese Inschrift hat E. WINTER vor mehreren Jahren in seiner Lehrveranstaltung „Schwierige unpublizierte Texte aus Philä“, an der ich teilnehmen durfte, präsentiert und diskutiert. Ich danke Herrn Winter herzlich für weitere hilfreiche Hinweise und Anmerkungen bezüglich dieses Textes. 406 BUDDE, Götterkind, S. 71, gibt an, der ältere Text sei unter Ptolemaios VI. in Kalabscha eingemeißelt und später unter Augustus in Philae kopiert worden. Damit sind nicht nur die wahren Verhältnisse vertauscht (in Kalabscha werden grundsätzlich Texte aus Philae übernommen!), sondern auch ein falscher Herrscher genannt: Es handelt sich um einen Text in Philae, der unter Ptolemaios XII. angebracht und unter Augustus in Kalabscha kopiert wurde, siehe WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, S. 306.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: (…)407 Hrj.t-tp n Ra m HA.t=f (…) Die Stirnschlange des Re an seiner Stirn, sA.t=f tp.t mrj(.t) ib=f seine erste Tochter, die sein Herz liebt. nts pw sxr(.t) sbj m HA.t wjA=f Sie ist es, die den Rebellen niederwirft im Bug seiner Barke,408 irj(.t) sA=f wHm(.t) mk.t=f die seinen Schutz bereitet und seine Beschirmung wiederholt. @w.t-@r rn=s m spA.t nb(.t) Hathor ist ihr Name in jedem Gau, nTr.t tn n kj.t Hr xy=s diese Göttin, an die keine andere heranreicht, rsj mH.tj xtm Hr xtm=s Süden und Norden sind gesiegelt mit ihrem Siegel, imnt.t iAb.t.t Xr s.t-Hr=s Westen und Osten sind unter ihrer Aufsicht, Sn n p.t wsx.t n tA Hptj Xr Dd=s der Umkreis des Himmels, die Weite der Erde und die Weltenden sind unter ihrem Befehl, iqr ib=s mj ©Hwtj ihr Herz ist trefflich wie das des Thoth.409 nts pw sr(.t)410 ij n nHH Sie ist es, die vorhersagt, was kommen wird in der Ewigkeit (= die Zukunft), anx m a=s snb r xt=s Leben ist in ihrer Hand und Gesundheit in ihrem Gefolge, SAy rr.t m wD.t=s Schicksal und Gedeihen/Wohlstand/Glück411 sind unter ihrem Befehl, wr.t n p.t Hnw.t tA die Große des Himmels, die Gebieterin der Erde, wr(.t) pH.tj n wn mj.t.t=s die mit großer Kraft, derengleichen nicht existiert, 407 Beginn nach Art einer Bauinschrift: Es handelt sich um einen Lobpreis der „Halle der Isis“, d. h. wohl des 2. Ostkorridors. 408 Zu Isis als Abwehrerin der Feinde in der Barke des Re, vgl. z. B. Philae-Hymne 8. 409 Zur engen Beziehung zwischen Isis und Thoth, die in anderen Texten (z. B. Assuan-Hymne 3 u. Parallelen) als die zwischen Vater und Tochter expliziert wird, siehe grundlegend STADLER, Weiser und Wesir, S. 152–155. 410 Zur Lesung sr(.t) vgl. LGG VI, 426b; und BUDDE, Götterkind, S. 71, Anm. 347, die aber die davor stehende Zeichengruppe (nts{w}(?)) ignoriert. 411 Vgl. zu dieser Stelle auch QUAEGEBEUR, Shaï, S. 82, mit weiteren ähnlichen Passagen für Hathor. Zu Schai und Renenet vgl. ibid., S. 152–154; J. BAINES, Contexts of Fate: Literature and Practical Religion, in: C. Eyre et al. (Hrsg.), The Unbroken Reed. Studies in the Culture and Heritage of Ancient Egypt in Honor of A. F. Shore, London 1994, S. 35–52, bes. 37–40; zu Renenet und Renenutet PH. COLLOMBERT, Renenoutet et Renenet, in: BSEG 27, 2005–2007, S. 21–32.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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rA-DA.wt pr-MnTw r-xt=s unter deren Kommando der Kampfplatz und das Haus des Month (= Waffen- oder Gerätelager) sind,412 njs n=s aSA Hr ptr.t zu der die Menge auf dem Schlachtfeld ruft, bjA.t wr.t bjtj.t(?)413 nTr.w nTr.wt das große Wunder, die unterägyptische Königin(?) der Götter und Göttinnen, mfkA.t n psD.t aA.t das Türkis/die Freude der großen Neunheit, itj.t wr.t n nw r Aw die große Fürstin von all diesem (= der Schöpfung),414 n hb.tw aH.t m [x]m=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung der Palast nicht betreten wird,415 dj=tw n[=s] iAw m (m)skt.t hnw n=s m (m)anD.t Man gibt ihr Lobpreis in der Abendbarke, Jubel für sie in der Morgenbarke,416 aHa n=s sDr(.w) Hr sTA(.w)=sn diejenigen, die auf ihren Rampen/in ihren Höhlen schlafen, stehen für sie auf,417 nTr.w rmT.w htt &n kA=s\ Götter und Menschen jubilieren/schreien für ihren Ka, &Haa\ Ra Hr mAA nfr.w=s Re jubelt, wenn er ihre Schönheit sieht, [Ax].w418 mwt.w Xr &snD\=s die Verklärten (Achs) und die Toten sind unter ihrer Schrecklichkeit (oder: in Ehrfurcht vor ihr), &wpw.tj.w\=s(?)419 iAj m Hr=s ihre Botendämonen(?) lobpreisen vor ihrem Antlitz, 412 Vgl. das ähnliche Epitheton nb(.t) rA-DAw pr-MnTw r-xt=s in Philae-Photos 385–386, s. u.; LGG III, 42a (für Horus Behedeti belegt); BUDDE, Götterkind, S. 72, Anm. 351; KURTH, Dekoration der Säulen, S. 159–160, Anm. 23. Vgl. außerdem ein ähnliches Epitheton der Hathor in einer entsprechenden Szene in Edfu V, 43, 4–5: nb(.t) rA-a-xt pr MnTw „die Herrin der Waffen des Hauses des Month“, vgl. LGG IV, 86c. Möglicherweise ist auch bei obiger Stelle in Philae vorne zu ergänzen; ähnlich emendiert BUDDE, Götterkind, S. 72, Anm. 350, zu rA-DA.wt (angesichts der Parallele würde ich hier präferieren). 413 . BUDDE, Götterkind, S. 72, übersetzt in der Parallele, wo etwas abweichend geschrieben ist, ohne Kommentar „die Mächtige“. KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 6, m. Anm. 27, entscheiden sich für einen indirekten Genitiv: bjA.t wr.t n.t nTr.w nTr.wt, was ebenfalls möglich ist. Für die oben vorgeschlagene Lesung sprechen die Krone und das Wortspiel mit bjA.t. Vgl. außerdem eine Parallele dieses Epithetons der Isis in Dend. VII, 78, 12, vgl. LGG II, 754b. 414 Vgl. Wb II, 216, 16; KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 6. 415 Die Übersetzung von BUDDE, Götterkind, S. 71–72, endet hier. 416 Vgl. zu dieser Phrase Philae-Hymne 8; BÉNÉDITE, Philae, 20; und Assuan-Hymne 2. 417 Gemeint sind wohl die Bewohner des Totenreiches; vgl. zu diesem ansonsten unbekannten IsisEpitheton einen ähnlichen Beinamen des Amenemope von Djeme: aHa n=f sDr.w, siehe LGG II, 194a. Möglicherweise ist auch mit KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 6, zu übersetzen: „Es erheben sich die Schlafenden bei ihrem (= der Barken) Ziehen“. 418 Ergänzt nach der Parallele Kalabchah I, 169–170. 419 Zur Lesung vgl. KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 7, Anm. 37.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

n irj.tw sxr.w nb m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung keine Pläne gemacht werden, SAa p.t tA dwA.t bis hin zu Himmel, Erde und Unterwelt. xwj=s nswt bjtj Möge sie schützen den König von Ober- und Unterägypten, nb tA.wj [(iwa n pA nTr ntj nhm stp n PtH den Herrn der Beiden Länder [(Erbe des Rettenden Gottes, erwählt von Ptah, irj mAa.t Ra sxm anx Imn) Dt der die Maat des Re verwirklicht, lebendes Abbild des Amun) (= Ptolemaios XII.), ewiglich. Kommentar: Dieser lange Text, der sich über den Säulenkolonnaden des 2. Ostkorridors befindet (CO 2), lobt zunächst das Bauwerk (hier nicht mit übersetzt) und anschließend die Tempelherrin selbst. Unter deren gelobten Eigenschaften nehmen insbesondere die Beziehung zu Re – als seine Tochter, Uräusschlange an seiner Stirn und in der Sonnenbarke, als kämpferisch auftretende Schützerin – und ihre Herrschaft über den Kosmos, dessen Gesamtheit durch verschiedene Komponenten wie die vier Himmelsrichtungen, Himmel, Erde, Unterwelt, „Weltenden“ ausgedrückt wird, großen Raum ein. Ebenso werden ihre Vormachtstellung gegenüber anderen Gottheiten, ihre Autorität und Weisheit (inklusive hellseherischer Kräfte), durch die sie mit (ihrem geistigen Vater) Thoth verglichen werden kann, sowie die umfassende Verehrung durch verschiedene Gruppen von Wesen in den Vordergrund gerückt. Des weiteren spendet sie Leben, Gesundheit, Schicksal und Glück/Wohlstand. Insgesamt wird sie als Universalgöttin präsentiert, wohingegen ihre Rolle gegenüber Horus und besonders Osiris, die auf Philae sonst so wichtig ist, keine Erwähnung findet.420 Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Philä III, Nr. 59b, S. 147–148 Philae, Haupttempel, 2. Ostkolonnade, Ostwand, 4. Raum von S (Bibliothek), innen, Untere Randinschrift, nördlicher Teil –

Text: (nswj.t bjtj.t) As.t dj.t anx (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Lebensspenderin, nb.t iw-wab.t Hnw.t nb(.t) Iw-rq die Herrin des Abaton, die Gebieterin und Herrin von Philae, HqA.t xnt ifd.w n nn.t die Herrscherin an der Spitze der vier Ecken des Himmels,

420 Vgl. WINTER, Winzige Ergänzung, S. 600.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Sps.t ?421 nfr.t [… … … … …] die Edle, die Vollkommene (Göttin/Uräusschlange?) […] […] wAH tp […] neigen das Haupt/des Neigens des Hauptes, nb(.t) iA.t-wab.t r-mn iA.t-DbA(?)422 die Herrin des Abaton bis nach Iat-djeba(?), xtm.t xtm Hr rn=s die Welt ist gesiegelt auf ihren Namen. dj=s qnw nb n sA=s mrj=s Möge sie alle Stärke geben an ihren geliebten Sohn, sA Ra nb xa.w den Sohn des Re, den Herrn der Erscheinungen [(¦ybrys anx Dt mrj PtH) [(Tiberius, er lebe ewig, geliebt von Ptah). Kommentar: Der ganze Mittelteil der Nordhälfte der unteren Randinschrift des Bibliotheksraumes fehlt. Die noch erhaltenen Teile sind fast ausschließlich auf das Thema der umfassenden Weltherrschaft der Isis konzentriert, wobei ihr unternubisches Herrschaftsgebiet, das hier durch das Abaton einerseits, durch ein unbekanntes Toponym andererseits begrenzt wird, eigens hervorgehoben wird. Die südliche Hälfte der Soubassement-Inschrift ist Osiris gewidmet, der darin thematisch ganz ähnliche Epitheta erhält. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt der Szene

Philae-Photos 385–386; LD IV, 74c) Philae, Pronaos, Außenseite, Westwand, unteres Reg., Monumentalszene (2. Szene von N) ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 69–73; OTTO, Gott und Mensch, S. 17; BUDDE, Götterkind, S. 72–73 BÉNÉDITE, Philae, 86, 13–15 Tiberius erschlägt Feinde vor Isis, die ihm ein Sichelschwert entgegenhält, Harendotes und Hathor.

Text: – Beischrift der Isis: Dd mdw jn As.t dj(.t) anx nb(.t) iw-wab.t (Rezitation durch) Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abaton, Hnw.t nb(.t) Iw-rq Sps.t wsr.t die Gebieterin und Herrin von Philae, die Edle und Mächtige,

421 Eine Uräusschlange, die entweder nur Determinativ zu Sps.t ist (so verstanden wohl von KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 147) oder einzeln gelesen werden muß, evtl. als nTr.t oder iar.t. Aufgrund der häufig belegten Verbindung Sps.t nfr.t (vgl. LGG VII, 62–63) ist erstere Lösung wahrscheinlicher. 422 Das Toponym ist unklar; vgl. die Parallele Philä I, 169 (s. o.): dort iA.t-bAbA(?), vgl. Anm. 248; und KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 147–148, Anm. 4.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) xAs.wt rsj.w(t) %xm.t nsr.t die Herrin der südlichen Fremdländer, Sachmet, die Flammende, sk(.t) sbj.w n sn=s die die Feinde ihres Bruders zerstört, XAk.w-ib.w xtj.w(?) n Ax.tj die Übelgesinnten, die Feinde des Horizontischen,423 r.t-pa.t Hnw.t m ^ma.w MHw die Prinzessin, die Gebieterin von Ober- und Unterägypten, wsr.t Xr.t(?)424 nTr.wt die Mächtige, die Oberste(?) der Göttinnen, HqA.t m p.t itj.t m tA die Herrscherin im Himmel, die Fürstin auf der Erde, Ra.t m Sn itn Sonnengöttin im Umkreis der Sonnenscheibe, nb(.t) rA-DAw die Herrin des Kampfplatzes, pr-MnTw r-xt=s unter deren Kommando das Haus des Month (= Waffen- oder Gerätelager) ist,425 njs.tw n=s hrw dmD die man anruft am Tag des Zusammentreffens, nD.tj.t wr.t iwt.t wn mjt.t=s große Schützerin, derengleichen es nicht gibt, nHm426 mrj(.w)=s nb.w Hr ptr.t die all die, die sie liebt, auf dem Schlachtfeld errettet, prj m rA=s xp(r).w Hr-a was aus ihrem Mund hervorkommt, geschieht sofort, nTr.w nb.w Xr wD-md.t=s alle Götter stehen unter ihrer Befehlsgewalt, wr.t-HkA.w tj-sj427 Hrj-ib aH.t die Zauberreiche, sie ist inmitten des Palastes, wr.t xaj nb Hr ns.t=f Xr s.t-rA=s die Große, auf deren Befehl hin der König auf dem Thron erscheint. – Göttliche Randzeile: wnn As.t m Wps.t xnt ¤nm.t Es ist Isis als Wepset (die Verbrennende)428 an der Spitze von Senmet

423 Bis hierhin parallel zu BÉNÉDITE, Philae, 86, 13–15, vgl. BUDDE, Götterkind, S. 72, Anm. 356. 424 Für Hrj.t? OTTO, Gott und Mensch, S. 17, gefolgt von BUDDE, Götterkind, S. 72, m. Anm. 357, liest nach LD IV, 74c, Hm.t nTr.wt „die Frau der Göttinnen“, was meines Wissens sonst nicht belegt ist (vgl. LGG) und auch nicht viel Sinn ergeben würde. Auf Philae-Photo 385 ist das Zeichen etwas zerstört, scheint jedoch eher Xr als Hm gewesen zu sein. 425 Vgl. die Parallele in Philä III, Nr. 2, bzw. Kalabchah I, 169–170, s. o. 426 Ob eine Verschreibung aus ist? 427 Von BUDDE, Götterkind, S. 72–73, ausgelassen.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Hr sAw sn=s Wsjr m xnt=f beim Behüten ihres Bruders Osiris an seiner Spitze, Hr mkj Hm=f Hr swDA D.t=f beim Beschirmen seiner Majestät, beim Heilmachen seines Leibes, Hr xwj Sn irw(?)=f xnt imn.t.t=f beim Schützen des Umkreises seiner Gestalt an seiner Westseite/rechten Seite, [Hr] &xAa\(?) nbD.w r=f [beim] Niederwerfen(?) dessen, der ihm schädlich ist (= Seth), Hr sHmj smA.w beim Zurücktreiben der Genossen (des Seth), Hr rwj xftj.w r aAy.t=f beim Vertreiben der Feinde von seinem Schrein (= Abaton). sw m nb(.t) nsr.t(?) m Hw.t-nsr.t (Denn) sie ist die Herrin der Flamme im Haus der Flamme, nsr(.t) sbj.w m hh=s xnt Dw qA die die Rebellen mit ihrem Gluthauch verbrennt an der Spitze des hohen Berges.429 Kommentar: Die langen Texte der Beischrift und göttlichen Randzeile der Isis sind nahezu komplett auf den Szenentypus ausgerichtet und stehen somit ganz im Zeichen der Feindvernichtung.430 Nur die Beischrift enthält einige andere typische Epitheta, die wie die zuvor besprochenen Texte die Herrschaft der Göttin über Ägypten und den Kosmos sowie ihre Autorität über das Königsamt betonen. Der Schwerpunkt der kriegerischen und schützenden Funktionen wird durch die Gleichsetzung der Isis mit Sachmet und der feuerspuckenden Uräusschlange (nsr.t; wps.t) ausgeführt. Ihre Wehrhaftigkeit und der Schutz vor Feinden kommen traditionell in erster Linie ihrem Bruder Osiris zu, der vor den Angriffen durch Seth und seine Bande bewahrt werden muß. Während diese göttliche Ebene thematisch die ganze Randzeile einnimmt, geht aus dem Begleittext der Isisdarstellung hervor, daß sich Isis’ Unterstützung auch auf ihre irdischen Schützlinge erstreckt, die sie aus der Schlacht errettet. Der Schritt zwischen Götterwelt und Menschenwelt ist in der Inschrift also vollzogen.

428 Name der feuerspuckenden, Feinde abwehrenden Form der Uräusschlange und lokale Erscheinungsform der Fernen Göttin, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 227; LGG II, 367; INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 281–289; CAßOR-PFEIFFER, Seitliche Sanktuare, bes. S. 128–131 u. 142–143. 429 Nach Tb 149 befindet sich der „hohe Berg“ im Totenreich. 430 Vgl. zum inhaltlichen Schwerpunkt auch die Ausführungen von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 69–73.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Ich-Aussagen der Isis in einer Osirishymne an der Westkolonnade (Augustus?)431 Text/Hauptpublikation Philae-Photos 1591–1592 Anbringungsort Philae, Westkolonnade, Tür, nördliche Türlaibung432 Bibliographie COULON, Deux versions, S. 119–123; HERBIN, Liturgie (Auszüge in den Kommentaren zur Parallele von pWien 3865); J. CAYZAC, Le portique occidental du temple de Philae: un espace théologique et cultuel, Diss., Univ. Montpellier 2010 (unpubliziert, non vidi) Parallelen Philae-Photo 1331 (Türrahmen, Parallele zum zitierten Text in Kol. 2–4);433 Deir Chelouit III, Nr. 127 (93, 3–5); pWien 3865; pVatikan 38608, Z. 28–31, und weitere Belege bzw. Auszüge der Dekadenliturgie von Djeme434 Inhalt 6 Kolumnen mit Hymne an Osiris, (tw.) gesprochen von Isis Text: – Aussagen der Isis: Kol. 3: (…) [dj=k Hr=k?]435 n=i sn=i Wsjr (…) [Mögest du] mir [dein Gesicht zuwenden], mein Bruder Osiris! ink sn.t=k As.t Ich bin deine Schwester Isis, ink iwich bin IuKol. 4: H.t SAa(.t) mHj(?)436 Hr TAj=s het/die Klagefrau, die sich als Erste um ihren Mann gesorgt hat, ^ntAy.t ikb(.t) Hr sn=s Schentait, die um ihren Bruder trauert, ink @w.t-@r wAH(.t) ix.wt n kA=k ich bin Hathor, die Opfergaben für deinen Ka niederlegt, @q.t sfsf(.t) Aw n bA=k Heket, die Opfer für deinen Ba spendet, ink +d.t qbH(.t) n saH=k ich bin Djedet (‚die Rezitiererin‘?),437 die für deine Mumie libiert, qbH(.t) pr.t-xrw n=k die Kühlende/Libierende,438 die ein Totenopfer („Herauskommen auf die Stimme“) für dich vollzieht. 431 Die Szenen auf dem Türrahmen zeigen jeweils Augustus. 432 PM VI, S. 209, (36), (c). 433 PM VI, S. 235, (284), (b). Der Text ist teilweise stark abgerieben und besonders im unteren Teil der Kolumnen auf dem Photo kaum mehr lesbar. Die Inschrift wird daher hier nicht eigens behandelt. 434 Siehe zuletzt COULON, Deux versions, mit Bibliographie und synoptischer Edition im Anhang. 435 Die Stelle ist beschädigt und schlecht erkennbar; Lesung nach COULON, Deux versions, S. 120; vgl. auch die Parallele in Deir Chelouit III, Nr. 127. 436 Auf Philae-Photo 1591 schlecht lesbar; vgl. zur obigen Lesung HERBIN, Liturgie, S. 111, 15). 437 Zur häufigen Bezeichnung der Isis als Djedet in Philae, eventuell mit verschiedenen Bedeutungsnuancen, siehe KOCKELMANN/WINTER, Philae III, S. 85, Anm. 4.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

Kol. 5:

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prj=k r xrw=i Mögest du herauskommen auf meine Stimme! Ssp=k mw m-a=i Mögest du das Wasser aus meiner Hand empfangen! qbH aHa.w=k m qbH.w=i Deine Opfergaben sind erfrischt/begossen mit meiner Libation! pr.t-xrw n=k m ix.t nb(.t) nfr.t Das Totenopfer („Herauskommen auf die Stimme“) ist für dich mit allen guten Dingen!

Kommentar: Es handelt sich bei der langen Inschrift in der nördlichen Türlaibung um einen Hymnus an Osiris, in den längere Versatzstücke der Dekadenliturgie von Djeme, mit einigen Abänderungen, eingearbeitet wurden.439 Wie der oben zitierte Auszug zeigt, der sich etwa in der Mitte der Inschrift befindet, stellt sich Isis selbst als Sprecherin des Hymnus vor. Dies geschieht im Kernteil mit parallel geschalteten, klar strukturierten zweiteiligen Ich-Aussagen der folgenden Form: ink GN/lokales Epitheton + Partizip + Objekt, GN/lokales Epitheton 2 + Partizip + Objekt. Einzig der erste Satz dieser Sequenz, der den Eigennamen der Göttin und ihre Identifikation als Schwester des Osiris enthält, ist knapper gehalten. Bei den aufgezählten Namen handelt es sich jeweils einerseits um Eigennamen anderer eigenständiger Göttinnen, die sehr eng mit Isis verbunden sind und ebenfalls eine zentrale Rolle im Osiriskult spielen (Hathor, Heket), andererseits um Epiklesen der Isis (die teilweise auch Hathor zugeschrieben werden können), die in direktem Zusammenhang des Osiriskultes stehen (Schentait, Iuhet/ Klagefrau, Djedet, die Kühlende). Auch die jeweils anschließenden Partizipialkonstruktionen demonstrieren, daß es sich um eine Aufzählung der Leistungen von Isis im Totenkult ihres Gatten und Bruders handelt. Besonders interessant ist nun, daß bei der Adaption dieses dem thebanischen Dekadenkult entstammenden Textes in Philae, sowohl an der Westkolonnade als auch in der Parallele am Westtor des Pronaos (Philae-Photo 1331), die Passage so abgewandelt wurde, daß Isis selbst es ist, die all diese Taten ausführt und sich im Zuge dessen in der Ich-Form mit den entsprechenden Göttinnen und Beiworten identifiziert. Die ursprüngliche Form der Liturgie ist hingegen neutral in der 3. Person formuliert (d. h. der Sprecher ist anonym, bzw. wohl als Ritualist zu identifizieren) und die genannten Leistungen werden als Leistungen von Isis und Nephthys ausgegeben, wobei die folgenden Epiklesen, deren Anzahl zudem im Vergleich mit der etwas längeren Liste in Philae beschränkter ist, anscheinend auf die beiden Schwestern aufzuteilen sind:440 438 Zu diesem Epitheton der Isis von Philae, das sie in ihrer Rolle als diejenige, die Osiris mit kühlem Wasser erfrischt und belebt, trägt, siehe unten, 4.1.2. 439 Ausführlich dazu COULON, Deux versions; Erstedition (anhand des Hauptzeugen pWien 3865) von HERBIN, Liturgie. 440 Die Version von pWien 3865 verwendet in den abschließenden Sätzen der Passage allerdings jeweils das Suffixpronomen der 3. Pers. fem. singular (=s), was bedeuten könnte, daß auch hier Isis und

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Seine (= Horus’) Mutter Isis führt für dich ein Totenopfer („Herauskommen auf die Stimme“) aus, Nephthys libiert Wasser für dich. Es ist Iuhet/die Klagefrau, die als Erste um ihren Mann geklagt hat, und Agebet/die Trauernde, die um ihren Bruder trauert. Komme heraus auf ihre Stimme! Empfange das Wasser aus ihrer Hand (bzw. „ihren Händen“)! Möge sie erfrischen (bzw. „mögest du erfrischen“) dein Herz mit ihrer Libation (bzw. „ihren Libationen“), wenn sie (bzw. „sie (Pl.)“) ein Totenopfer für dich vollzogen hat (bzw. „haben“), mit allen guten Dingen. In Karnak wurde die Dekadenliturgie auf Türpfosten von Osiriskapellen geschrieben und für das Choiakfest adaptiert.441 Die Einfügung des Textes in die Tür der Westkolonnade, die ja in Richtung auf das Abaton auf der Nachbarinsel Bigge ausgerichtet ist,442 ist ebenfalls im Hinblick auf den lokalen Osiriskult und die zentrale Rolle der Isis innerhalb dessen zu interpretieren.443 4.1.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a.444 Text/Hauptpublikation Philä I, 25–32 Anbringungsort Philae, 1. Pylon, Ostturm, Südseite, Monumentalszene (1. Register) Bibliographie MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 52–53 Inhalt der Szene Ptolemaios XII. erschlägt die Feinde vor Isis, Horus von Edfu, Hathor, Sopdu. Text: – Beischrift der Isis (29, 3–8): Dd mdw jn As.t wr.t mw.t-nTr Rezitation durch Isis, die Große, die Gottesmutter, Sps.t wsr.t Hnw.t iA.t-rq die Edle, die Mächtige, die Gebieterin von Philae iwHj.t nfr.t m Hw.t mH.y die gute Klagefrau im Trauergemach(?), [sAw? sn=s?…] m Dw StA die ihren Bruder(?) im geheimen Berg behütet(?),

441 442 443 444

Nephthys letztlich als eine Einheit, bzw. Aspekte einer Göttin (hier wäre dann wohl auch Isis die dominierende) verstanden wurden, vgl. dazu den Kommentar von HERBIN, Liturgie, S. 111, 16). COULON, Deux versions, S. 117–119. Auch die Osirishymne mit teilweiser Parallele von PhilaePhoto 1331 ist auf einem Türrahmen angebracht (Westtor des Pronaos). Zur Westkolonnade und ihrem Bezug auf Bigge siehe H. JARITZ, Die Westkolonnade von Philae. Bauliches Bindeglied der kultischen Beziehung zwischen Philae und Bigga, in: MDAIK 47, 1991, S. 179–189, bes. S. 183 zu diesem Tor („Öffnung 9“). Zum Dekadenkult von Philae und Bigge mit der regelmäßigen Überfahrt der Isis siehe unten, 4.1.2. Aufgrund der großen relevanten Textmenge aus Philae, die insbesondere viele Hymnen und längere Inschriften für Isis (s. o.) beinhaltet, wurden ergänzend nur Inschriften einiger Ritualszenen ausgewählt, die demgegenüber neue oder besonders interessante Epitheta und Informationen enthalten.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Hm.t nswt tp.t n.j.t [(Wn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), Ra.t xnt tA rr Sonnengöttin an der Spitze von Dendara. Kommentar: Die in der Szene dargestellten Gottheiten sind in ihren Beischriften nicht nur dem Tempel von Philae selbst (oder Bigge), sondern daneben weiteren Orten und Gauen zugeordnet: so ist Isis von Philae auch die Göttin von Dendara, Horus der Herr von Edfu und von Philae, Hathor von Bigge auch die Göttin von Dendara und Edfu, und Sopdu der Herr von Saft elHenna (20. u.äg. Gau). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä I, 40–41 Philae, 1. Pylon, Ostturm, Nordseite, untere Reihe, westliche Szene MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 74 Ptolemaios XII. reicht Isis Wein.

Text: – Beischrift der Isis (40, 13–18): (Dd mdw jn) As.t dj(.t) anx nb(.t) iA.t-rq (Rezitation durch) Isis, die Lebensspenderin, die Herrin von Philae, nb.tj rxy.t Hnw.t tA.wj die Königin (‚die Beiden Herrinnen‘) der Menschen,445 Gebieterin der Beiden Länder, Sps.t wsr.t m xnt-Hn wD(.t) mdw m stp-sA die Edle, die Mächtige in Nubien(?),446 die Befehle erteilt im Palast, nb(.t) xbj ir=tw n kA.t=s die Herrin des Tanzes, den man für ihren Ka aufführt, Dr xaj @r Hr s.t it=f seitdem Horus auf dem Thron seines Vaters erschienen ist. – Göttliche Randzeile (41, 5–9): HqA.t sA.t Gbb wr […] m xtmn Die Herrscherin, die Tochter des Geb, groß an [Ansehen?] in der Welt, Sps.t wsr.t Hnw.t m aH.t Sd.t(?)447 die Edle, die Mächtige, die Gebieterin im Palast der Ernährerin(?), sAw(.t) ib n fnD anx die das Herz desjenigen, „Dessen Nase lebt“ (= Osiris), erfreut,

445 Zu diesem Epitheton, siehe PREYS, Isis et Hathor. 446 Unsicheres Toponym; ein Ort bzw. eine Region in Nubien heißt vollständig eigentlich ¢ntj-Hn-nfr, siehe GDG IV, 182–183; Wb III, 306, 12. 447 Oder aH.t StA.t? Vgl. die Parallele zur Hymne Nektanebes in Philä II, 136–137, s. o.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) inm.t Hnw.t Hnks.w(t) die Herrin des Weines, die Gebieterin der Bezopften (Frauen), As.t dj(.t) anx nb(.t) Hw.t-xnt Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des ‚Ersten Heiligtums‘ (= Philae). Kommentar: Das Weinopfer ist besonders mit der Fernen/Gefährlichen Göttin verbunden,448 die Isis hier – wie sonst häufig Hathor und Tefnut – verkörpert. Auf die Opfergabe und die damit häufig verbundenen Themen des Rausches und der Festlichkeit spielen die Epitheta „Herrin des Tanzes“ und „Herrin des Weines, die Gebieterin der Bezopften“ an, während die übrigen Epitheta relativ typisch für Isis von Philae sind und ihre Beziehung zu Horus und dessen Thronbesteigung sowie zu Osiris hervorheben. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Inhalt der Szene

Philä I, 231–232 Philae, 1. Pylon, Westturm, Torraum, Westwand, mittleres Register MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 118–119; ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 61 (kurze Bemerkung zum Spruch der Königin) Ptolemaios VI. spielt Sistren vor Isis, hinter dem König steht die Königin (Kleopatra II.).

Text: – Spruch (232, 1–2): irj sSS.tj m Hr=T nfr Ich spiele die beiden Sistren vor deinem schönen Antlitz, As.t ir.t Ra iw.tj sn.(tj)=s Isis, Auge des Re, deren Zweite es nicht gibt. – Worte der Königin an den König (232, 3–4): sn=i mr.w mH ib=k n/m As.t Mein geliebter Bruder, fülle dein Herz mit Isis (= vertraue auf Isis), nts nb(.t) nTr.w Hnw.t nTr.wt denn sie ist die Herrin der Götter, die Gebieterin der Göttinnen. – Beischrift der Isis (232, 5–7): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, wsr.t m WAs.t aA.t m Iwn[.t] [… m] inb HD is b[… ….] die Mächtige in Theben, die Große in Dendara, … in Memphis, und …

448 Siehe dazu z. B. VON LIEVEN, Wein, Weib und Gesang; POO, Wine and Wine Offering, S. 153–155.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kommentar: Auffällig ist die direkte Empfehlung der Königin an den König, Isis in sein Herz aufzunehmen, die gewissermaßen eine persönliche ‚Propagierung‘ der Göttin durch die Königin andeutet. Ganz ähnliche Worte sind Kleopatra II. auch auf dem Türsturz der Innenseite des zentralen Tors im 2. Pylon in den Mund gelegt:449 – Mein geliebter Bruder, fülle dein Herz mit Isis, denn sie ist die Herrin der Männer und Frauen! (Westseite) – Mein geliebter Bruder, fülle dein Herz mit Isis, (denn) sie ist wirkmächtiger als Millionen von Truppen! (Ostseite) Die Beischrift der Isis selbst in der Szene am 1. Pylon schließt nach allgemeinen Haupttiteln, die in dieser Kombination vor allem für Isis von Dendara bekannt sind (s. u., Kap. 4.6), mit einer Kurzversion der kulttopographischen Litanei (Dendara selbst ist auch genannt), die ebenfalls besonders in Dendara vertreten ist.450 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 46–47 Philae, Mammisi, Sanktuar (Kammer 3), Westwand, untere Reihe, 2. Szene von Norden – Ptolemaios VIII. reicht Isis, die Horus säugt, Speisen (fAj ix.t).

Text: – Beischrift der Isis (47, 5–6): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) iw[-rq] (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, Dsr s.t xnt iw-wab.t mit geheiligtem/erhabenem Sitz an der Spitze des Abatons.451 – Göttliche Randzeile (47, 12–15): bjk.t mw.t-nTr xpr(.t) m HA.t Die Falkengöttin, die Gottesmutter, die am Anfang entstanden ist, irj(.t) ATj.t Hr swr xy m rnp die als Amme fungierte beim Großziehen des Kindes zum Jüngling,

449 MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 161–162; WINTER, Tempelreliefs, S. 101 (nur Ostseite); vgl. dazu auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 61–62. 450 Siehe vor allem die ausführlichen Versionen Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Dend. I, 20, 14–21, 5. 451 JUNKER/WINTER, Philä II, 47, lesen Dsr=s s.t und übersetzen: „die herrlich sein läßt den Thron auf dem Abaton“. Die Zeichen am Anfang sind etwas zerstört; m. E. könnte das auch als BuchrolleDeterminativ gedeutet werden, zumal in der Epitheta-Reihung sowieso eher ein Partizip als eine sDm=f-Form zu erwarten ist.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

HqA.n=f tA.wj dmD.n=f sxm.tj so daß er die Beiden Länder beherrschte und die Doppelkrone vereinigte,452 nswj.t bjtj.t As.t wr.t mw.t-nTr nb.t Iw-rq die Königin von Ober- und Unterägypten Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae. Kommentar: Aufgrund des Anbringungsortes der Szene im Sanktuar des Mammisi wird hier der mütterliche Aspekt besonders hervorgehoben, z. B. durch die mehrfache Nennung des Epithetons „Gottesmutter“. Isis wird in Beziehung mit ihrem Sohn dargestellt, auf dem hier das Hauptaugenmerk liegt. Ein Gegengewicht dazu bildet aber die Erwähnung ihrer Entstehung in der Urzeit, wodurch sie zur Urgöttin wird. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 184–185 Philae, Mammisi, Vorhalle, Ostwand, dritte Reihe von oben, nördliche Szene – Tiberius reicht Isis, die den auf ihrem Schoß sitzenden Horus säugt, zwei Spiegel. Hinter Isis sitzt Seschat.

Text: – Beischrift der Isis (185, 6–7): (Dd mdw jn) As.t dj(.t) anx nb(.t) Iw-rq (Rezitation durch) Isis, die Lebensspenderin, die Herrin von Philae, Hnw.t nb(.t) iw-wab.t rr(.t) sA=s m Hw.t-wtT die Gebieterin, die Herrin des Abatons, die ihren Sohn nährt im ‚Zeugungshaus‘ (= Mammisi).453 – Göttliche Randzeile (185, 10–15): wnn mw.t-nTr Hr sanx sA=s xnt sbx.t anx Es ist die Gottesmutter beim Beleben ihres Sohnes im/an der Spitze des ‚Tor des Lebens‘ (= Mammisi),454 r irj nb um Herr (= König) zu werden, Hr Ssp kA.t irj Xr.t sA={T} und sie empfängt die Arbeit, die den Bedarf ihres Sohnes bereitet, 452 Die bei der sDm.n=f-Form eigentlich zu erwartende Vorzeitigkeit der Aussage würde hier inhaltlich keinen Sinn ergeben; die Form wird nicht mehr historisch korrekt verwendet. Dieses Phänomen ist bereits ab der 3. Zwischenzeit häufiger bezeugt, siehe JANSEN-WINKELN, Spätmittelägyptische Grammatik, S. 57–58, §§ 91–92; vgl. auch, zur griechisch-römischen Zeit, HERBIN, Parcourir l’éternité, S. 42–45; und ferner KURTH, Einführung II, S. 912–913, § 236 E, mit Erklärung als „Futurum exactum“. 453 Zu den verschiedenen Bezeichungen der Mammisis, vgl. die Belegliste bei DAUMAS, Mammisis, S. 513–519. Einige der Benennungen sind auch bei KONRAD, Architektur und Theologie, besprochen, siehe ibid., Index, s. v. 454 Speziell zu dieser Bezeichnung vgl. BUDDE, Götterkind, S. 369–373.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Hr mAA nfr.w n Hm={T}455 und betrachtet die Schönheit ihrer Majestät, sj m HqA.t n nTr.w Hnw.t n nTr.wt (denn) sie ist die Herrscherin der Götter, die Gebieterin der Göttinnen, itj(.t) wtT nTr nfr die Fürstin, die den Guten Gott gebar. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 186–187 Philae, Mammisi, Vorhalle, Ostwand, vierte Reihe von oben, südliche Szene – Tiberius überweist Opfer an Isis, Osiris und Harendotes.

Text: – Beischrift der Isis (187, 9–14): (Dd mdw n) As.t dj(.t) anx (Rezitation durch) Isis, die Lebensspenderin, nb(.t) iw-wab.t Hnw.t nb(.t) Iw-rq die Herrin des Abatons, die Gebieterin und Herrin von Philae, Sps.t wsr.t s.t-msxn.t die Edle, die Mächtige (an der Spitze) des ‚Sitzes des Gebärens‘ (= Mammisi), mw.t-nTr n @r kA nxt die Gottesmutter des Horus, des starken Stiers, HqA.t mnx.t Hm.t n HqA vortreffliche Herrscherin, Gemahlin des Herrschers, irj(.t) msw.t HqA m s.t tn die den Herrscher an diesem Ort gebiert. – Göttliche Randzeile (187, 23–29): aA.t m p.t ifd n tA Xr wD.t=s Die Große im Himmel, unter deren Befehl die vier Ecken der Erde sind, itj.t n tpj.w-a HqA.t n ij(.w) Hr sA=s die Fürstin der Vorfahren, die Herrscherin der Nachfahren, nhp nTr.w r dwA=s ra nb zu deren Lobpreis sich die Götter früh erheben jeden Tag, nb(.t) njw.wt spA.wt Hna sn=s sA=s die Herrin der Städte und Gaue zusammen mit ihrem Bruder und ihrem Sohn,456 As.t dj(.t) anx nb.t iw-wab.t nw.t nb(.t) Iw-rq Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abatons, die Gebieterin und Herrin von Philae.

455 Die wiederholte Verwechslung der Suffixe zeigt an, daß der Randzeilentext wahrscheinlich aus einem in der 2. Pers. sing. an eine Göttin gerichteten Hymnus adaptiert wurde. 456 Zu dieser Phrase vgl. die kulttopographischen Litaneien Dend. Isis, 78, 16–79, 5, und Dend. I, 20, 14–21, 5, mit Parallelen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die hier angeführten Szenen Philä II, 184–185 und 186–187 stehen ganz im Zeichen der Funktion des Mammisis und stellen insbesondere die Herrschaft der Isis bzw. der osirianischen Familie über das ganze Land und die Geburt ihres Sohnes, ebenfalls rechtmäßiger Herrscher durch sein Erbe, heraus. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 220–223 Philae, Mammisi, östliche Außenwand des Geburtshauses, südlicher Abschnitt, mittlere Reihe – Die Sieben Hathoren schlagen Tamburin vor Isis und Hathor (Ptolemaios XII.).

Text: – Beischrift der Isis (221, 1–4): (Dd mdw jn) As.t dj(.t) anx (Rezitation durch) Isis, die Lebensspenderin, nb(.t) iA.t-wab.t mw.t-nTr n bjk nbw die Herrin des Abatons, die Gottesmutter des Goldfalken, nhm=tw n=T m tA nb man jubelt dir zu in jedem Land, Dr papa.tw Hm=T m Xnw IA.t-dj seitdem deine Majestät geboren wurde in Iat-di (Dendara).457 – Beischrift der Hathor (221, 5–8): (Dd mdw jn) @w.t-@r wr.t nb(.t) %nm.t (Rezitation durch) Hathor, die Große, die Herrin von Senmet, Sps.t wsr.t Hnw.t nTr.wt die Edle, die Mächtige, die Gebieterin der Göttinnen, nb(.t) tx(.t) nb(.t) hy nb(.t) Hsj(.t) die Herrin der Trunkenheit, die Herrin des Jubelns, die Herrin des Singens, nb(.t) antj.w Hnw.t Ts mAH die Herrin der Myrrhen, die Gebieterin des Kränze-Flechtens. – Göttliche Randzeile (die sich hier ausnahmsweise auf beide Göttinnen bezieht) (221, 9– 12): wnn nTr.wt aA.w(t) nb.w(t) BAq.t Es sind die großen Göttinnen die Herrinnen Ägyptens, snsn %nm.t m Htp indem sie sich in Frieden mit Senmet vereinigen (= auf Senmet niederlassen). it=sn Ra Hngg n ptr=sn Haj=f ra nb Hr mAA=sn Ihr Vater Re freut sich bei ihrem Anblick und jubelt täglich, wenn er sie sieht. 457 Zur Geburt der Isis in Dendara vgl. Kap. 4.6. Vgl. auch eine Aussage in einer Randzeile der Isis am Großen Fenster der Westkolonnade (Philae-Photo 631): papa(.t) m Iwn.t irj(.t) s.t=s m Iw-rk „geboren in Dendara, hat sie sich (dann) in Philae niedergelassen“, siehe KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 101, m. Anm. 23; weiterhin ID., Wem gehören die Götter?, S. 91–95.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kommentar: Isis und Hathor sind hier als Rezipienten des Tamburinspiels durch die Sieben Hathoren nebeneinander gestellt und werden auch in der Randzeile gemeinsam angesprochen, was nicht üblich ist, da die Randzeilen sich in der Regel nur auf die vordere Gottheit beziehen.458 Außerdem wird Re als ihr gemeinsamer Vater genannt. In den wörtlichen Reden der Sieben Hathoren finden sich Lobsprüche auf Isis und Hathor: – Rede der Hathor von Theben (221, 26–27): hy n=T hy n kA.t=T As.t dj(.t) anx nb(.t) iA.t-wab.t Jubel für dich, Jubel für deinen Ka, Isis, Lebensspenderin, Herrin des Abaton! – Rede der Hathor (von Dendara?)459 (221, 29–30): iHy n=T Sps.t nb(.t) iHy ir.t Ra xnt %nm.t Musik für dich, Edle, Herrin der Musik, Auge des Re an der Spitze von Senmet! – Rede der Hathor von Qusae (222, 3–4): dxn460=tw n=T Sps.t nb(.t) tA.wj Man klatscht (o. ä.) für dich, Edle, Herrin der Beiden Länder, nbw.t sA.t Ra Hnw.t nTr.wt Goldene, Tochter des Re, Gebieterin der Göttinnen! – Rede der Hathor von Herakleopolis (223, 7–8): (wdj(?))461 iAw n=T wbn(.t) m nbw Lobpreis (geben(?)) für dich (?), die als Gold aufgeht, bjk.t n BHd.t Hnw.t %nm.t Falkenweibchen von Edfu, Gebieterin von Senmet! – Rede der Hathor von Atfih (223, 11–12): nhm=tw n=T Sps.t Hnw.t nTr.wt Man schlägt die Handtrommel für dich, Edle, Gebieterin der Göttinnen, @w.t-@r wr.t nb(.t) %nm.t Hathor, die Große, die Herrin von Senmet! – Rede der Hathor von der südlichen Sykomore (223, 14–15): sqr=tw n=T tbn n kA=T Man schlägt für dich das Tamburin für deinen Ka, Hnw.t wr.t nb(.t) iA.t wab.t große Gebieterin, Herrin des Abaton! – Rede der Hathor des roten Sees (223, 18–19): Hknw n Hm.t=T Freudengeschrei für deine Majestät, Hkn(.t) m anx Hrj-ib BHd.t xnt iA.t-rq die sich des Lebens erfreut inmitten von Edfu und an der Spitze von Philae! 458 Vgl. WINTER, Tempelreliefs, S. 18. 459 Die Inschrift vor dem Kopf dieser Hathor ist zerstört. Zur Häufigkeit der für die Sieben Hathoren belegten Kultort-Zuordnungen siehe M. ROCHHOLZ, Schöpfung, Feindvernichtung, Regeneration. Untersuchung zum Symbolgehalt der machtgeladenen Zahl 7 im alten Ägypten, ÄAT 56, Wiesbaden 2002, S. 44–49. 460 Zur Lesung vgl. JUNKER/WINTER, Philä II, 223, Anm. 1. 461 Das Zeichen ist beschädigt.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Philä II, 244–247 Philae, Mammisi, Außenwände des Geburtshauses, Säuleninschriften der Ostkolonnade –

Text: – Säule 1 (von S): wnn Sps.t Hr xwj Hw.t-nTr=s Es ist die Edle beim Beschützen ihres Tempels, Hr sHrj HAy.t r HAy.t=s indem sie Übel von ihrem Gemach abwehrt. wnn stj.t m s.t mrj(.t) ib=s Es ist der Schrein an dem Platz, den ihr Herz liebt, Hr sDfA Hw.t-nTr=s m Ax.w=s indem sie(?)462 ihren Tempel mit ihren Kostbarkeiten ausstattet. – Säule 2: wnn gm bA.w=s qA.tj m pr=s Es ist die ‚Deren Bas gefunden wurden‘463 erhoben in ihrem Haus, Hr sHrj sbj.w r s.t=s indem sie die Feinde von ihrem Sitz abwehrt. wnn nfr.t Hr nfr.tj m ix.wt=s Es ist die Schöngesichtige schön in ihren Dingen, Hr rdj(.t) kA.w DfA.w Hr T.t=s indem sie Nahrung und Speisen auf ihren Speisentisch gibt. – Säule 3: wnn nb(.t) pr-wr wr.tj aA.tj Es ist die Herrin des pr-wr-Heiligtums groß und großartig, Hr Sps pr=s m ix.t(?)464 wab(.t) bnr.t indem sie ihr Haus mit reinen und süßen Dingen ausstattet. wnn Hkn.t m anx Hkn.tj m nfr.w=s Es frohlockt die ‚Die sich am Leben erfreut‘465 über ihre Schönheit, Hr rdj.t Haa.wt m s.t=s indem sie Jubel gibt an ihrem Sitz. – Säule 4: wnn sxa(.t) bA.w=s xa.tj bA.tj Es ist die ‚Die ihre Bas erscheinen läßt‘466 erschienen und beseelt,

462 Der Satzstruktur nach müßte sich die Konstruktion Hr+Infinitiv eigentlich auf den Schrein stj.t beziehen, doch ist es wahrscheinlicher, daß Isis gemeint ist. 463 Häufiger Beiname der Hathor und anderer Göttinnen, vgl. Wb V, 169, 9–10; LGG VII, 310b–c; und JUNKER, Auszug der Hathor-Tefnut, S. 69. 464 Lesung nach JUNKER/WINTER, Philä II, 245. 465 Bezeichnung der Hathor und (seltener) anderer Göttinnen, LGG V, 559c–560a. 466 Epitheton von Hathor und anderen Göttinnen, vgl. Wb IV, 238, 1; LGG VI, 503a.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Hr rdj(.t) nrw n rky.w=s wenn sie ihren Gegnern Schrecken einjagt. wnn mw.t mw.wt nnj=s Es nährt die Mutter der Mütter ihr Kind, Hr rdj(.t) anx wAs m prj im=s indem sie Milch gibt, als das, was aus ihr hervorkommt.467 – Säule 5: wnn nb(.t) Sa.t Hr Sad sbj.w=s Es ist die Herrin des Gemetzels beim Zerstückeln ihrer Feinde Hr rdj(.t) snD=s n sbj.w n njw.wt=s und flößt die Furcht vor ihr den Feinden ihrer Städte ein. wnn aSA(.t) iwn.w [… … … Es ist die Farbenreiche […], … …] Hw.t-nTr=s m [… b]Tnw.w=s [indem sie] ihren Tempel [beschützt?] vor ihren Rebellen. – Säule 6: wnn Hrj.t-tp m HA.t it=s Es ist das Diadem an der Stirn ihres Vaters, Hr wbd wbn[-rA]468 m nbj.t n[j.t] ir.tj=s indem es den Bösen (o.ä.) verbrennt mit der Flamme ihrer Augen. wnn xsbD […] m [… …] m Smy.t=s Es ist die Lapislazuli(farbene?) beim… in ihrem Umgang/Korridor, Hr xsf xftj.w xr xm=s indem sie die Feinde von ihrem Heiligtum abwehrt. – Säule 7: wnn THn.t THn.tj m Hr=s Hr [… … …] wp.t=f Es glänzt die Glänzende in ihrem Angesicht, indem sie … … seinen Scheitel. wnn mfkA.t mAw.tj n mAwj=s Hr sHrj(?) [… …] Es ist die Türkisfarbene von neuem erneuert, wenn sie vertreibt(?) […]. Kommentar: Die Säuleninschriften dienen offenbar vor allem dem Fernhalten alles Feindlichen von der heiligen Geburtsstätte. Zu diesem Zweck wird die Göttin, deren Eigenname nicht genannt ist, in ihrer wütenden und kämpferischen Rolle dargestellt, wobei der klare, parallele Aufbau der Texte und noch mehr die Anhäufung von Wortspielen (besonders mit den Rufnamen/Epitheta) und Alliterationen den magischen Charakter dieser Inschriften hervorheben und ihre Wirkung verstärken. Viele der darin vorkommenden Epitheta sind für Hathor geläufiger als für Isis; da keiner der beiden Namen explizit genannt ist, könnten beide gemeint sein, bzw. Isis in ihrem Aspekt als Hathor-Sonnenauge-Uräus. Zumindest ist in den Versen immer wieder mit Bezug auf die gemeinte Göttin von „ihrem Tempel“ etc. die Rede, was eine Zuordnung an Isis (unter ihrem speziell kriegerischen Aspekt) m. E. wahr467 Oder evtl. m für n: „indem sie dem, der aus ihr hervorkam, Milch gibt“, vgl. JUNKER/WINTER, Philä II, 245. 468 O. ä., vgl. Wb I, 295, 7; 9 und 11. Geschrieben steht wbm[…], aber das m kann für n stehen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

scheinlich macht. Auch die Phrase „Es nährt die Mutter der Mütter ihr Kind, indem sie Milch gibt, als das, was aus ihr hervorkommt“, die an sich wenig in den Gesamtkontext hineinpaßt, spricht für Isis und stellt den spezifischen Bezug zum Mammisi her. Die Inschrift der Säule 3 fällt insgesamt aus dem apotropäischen Charakter der übrigen Säulen heraus. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Philä II, 304–305 Philae, Mammisi, Ostaußenwand des Naos, Friesinschrift –

Text: hrw pn nfr rA-15 n sn.nw n Ax.t Dieser schöne Tag des 2. Tages des 2. Monats der Überschwemmungsjahreszeit (2. Paophi),469 Hb aA n.j tA Dr=f hrw pf swD pr n nb=f das große Fest des ganzen Landes, jener Tag des ‚Übergebens des Hauses an seinen Herrn‘, As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) pr msw.t (nämlich) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin des Geburtshauses, Sps.t wsr.t Hnw.t Iw-rq HqA.t mnx.t xnt iw-wab.t die Edle, die Mächtige, die Gebieterin von Philae, die treffliche Herrscherin an der Spitze des Abaton, Ra.t wr.t m ifd nn.t große Sonnengöttin in den vier Ecken des Himmels, Hm.t nswt tpj.t n Hm n nswt bjtj Wsjr Erste Königsgemahlin der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Osiris, mw.t nswt n @r kA nxt die Königsmutter des Horus, des starken Stiers. p.t m Hb tA m mfk Der Himmel ist im Fest, die Erde ist in Freude, [gs.wj pr.wj sTA]470 m THn die Tempel werden getragen von Freudenglanz, nTr.w m hy nTr.wt m Hnw Hnmm.t m Aw(.t)-ib die Götter sind in Jubel, die Göttinnen sind beim Jauchzen und das Sonnenvolk ist in Herzensfreude, mAA=s mnw pn nfr iry n=s (…) wenn sie (Isis) dieses schöne Denkmal sieht, das ihr gemacht hat (der König …) (…) snDm Hm.t=s m xnt=f m Hb Rnn.t Ihre Majestät läßt sich darin nieder zum Fest der Renenet Hr dj(.t) sA=s r tA m qAb=f und bringt ihren Sohn zur Welt in seinem Inneren (…).

469 Datumsangabe wörtlich als Bruch angegeben: „1/15 des 2. Monats…“. 470 Zur Ergänzung vgl. WINTER/JUNKER, Philä II, 305, Anm. 6.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kommentar: Dem obigen, erst unter Augustus angebrachten Text zufolge wurde am 2. Paophi das Geburtshaus feierlich eingeweiht. In Philae ist kein Festkalender erhalten und es ist unklar, an welchem Datum das Geburtsfest des Horus gefeiert wurde.471 Die Erwähnung des Festes der Renenet könnte aber auf ein Datum im Pharmuthi (IV pr.t) oder zu Beginn des Pachons (I Smw) hindeuten. 472 Der 1. Pachons galt interessanterweise immerhin gleichzeitig als Geburtstag des kindlichen Korngottes Neper.473 Des weiteren fanden den Festkalendern der griechisch-römischen Zeit zufolge an diesem Datum auch die Feierlichkeiten (bzw. deren Höhepunkt) zur Geburt der lokalen Kindgötter in Kom Ombo (Panebtaui) und Esna (Heka) statt.474 Vgl. auch die korrespondierende Randinschrift auf der gegenüberliegenden Außenwand (Philä II, 362–363), die ein weiteres Fest (das der Fertigstellung?), nun am 2. Epiphi, thematisiert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 322–323 Philae, Mammisi, Westaußenwand des Naos, untere Reihe, 9. Szene von Süden – Tiberius opfert Isis vier geschlachtete Gazellen, hinter ihr Harendotes.

Text: – Göttliche Randzeile (323, 19–24): (nswj.t bjtj.t) bA.t r nTr.w Die Bat (Beseelte o.ä.)475 mehr als die (anderen) Götter, Sps.t Tnj.tj r nTr.wt die Edle, erhoben über die Göttinnen, dSr(.t) Hr r sbj.w n sA=s mit (zorn)rotem Angesicht gegen die Feinde ihres Sohnes, prj xrwyw m wD.t.n=s nach deren Befehl das Unheil/der Kampf hervorkommt, Nsr.t wsr.t Hnw.t SmAy.w die Flammende, die Mächtige, die Gebieterin der Wanderdämonen,476 As.t dj(.t) anx nb(.t) iw-wab.t Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abatons.

471 Vgl. zur Diskussion der Festdaten SANDRI, Har-pa-chered, S. 185, Anm. 1143. 472 Siehe H. ALTENMÜLLER, s. v. „Feste“, in: LÄ II, Sp. 171–191: 178, auch zu anderen möglichen Daten des Renenutet-Festes. 473 S. SCHOTT, Altägyptische Festdaten, Mainz 1950, S. 103, Nr. 132–133bis; BROEKHUIS, Renenwetet, S. 63–66. 474 Siehe die Übersicht bei A. GRIMM, Festkalender, S. 403–405. DAUMAS, Mammisis, S. 242 u. 246– 252. 475 Zu Isis als Bat, siehe MÜNSTER, Isis, S. 115–116; BERGMAN, Isis-Seele, S. 36–41. 476 Vgl. zu dieser Dämonengruppe den Text Philä III, Nr. 143, m. Anm. 391.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Entsprechend dem Szenentypus enthalten auch die übrigen Begleittexte kriegerische Epitheta und Anspielungen. Daher wird auch Isis hier als Gefährliche Göttin (Sachmet/Hathor) charakterisiert. Die geschlachteten Gazellen symbolisieren dabei die getöteten Feinde, vor denen Schutz gewährt werden soll. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 338–339 Philae, Mammisi, Westaußenwand des Naos, mittlere Reihe, 8. Szene von Süden – Tiberius reicht zwei Blumensträuße an Isis, die Horus säugt; hinter ihr sitzen Seschat und Maat.

Text: – Göttliche Randzeile (339, 19–24): wnn mw.t-nTr xaj.tj m Hw.t-wtT Es ist die Gottesmutter erschienen im ‚Haus der Zeugung‘ (= Mammisi), Dm.t pw Ab(.t) ib=s Hr THn stw.t Hr baH Ax.t diesem Sitz, den ihr Herz wünscht, indem sie erglänzt mit Lichtstrahlen und das Feld überschwemmt, Hr swrx tp.w=s m sbt.wt und indem sie ihre Äcker grünen läßt mit Blumen, sj m nTr.t nb(.t) Ax.t HqA.t wADwAD AxAx Sn.w nb m wbn=s denn sie ist die Göttin, die Herrin des Feldes, die Herrscherin der Vegetation, bei deren Aufgang alle Bäume erblühen/sprießen. Kommentar: Isis wird hier, passend zum Zusammenhang des Überreichens der Blumensträuße, als Feldund Vegetationsgöttin dargestellt, die mit ihrer Leuchtkraft (wie der Sonnengott) die Natur zum Leben erweckt.477 Vgl. ihre Identifikation mit dem Feld selbst in Philae-Photo 1298, s. o., 4.1.1.A. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 358–359 Philae, Mammisi, Westaußenwand des Naos, obere Reihe, 9. Szene von Süden – Tiberius reicht Isis Sistren.

477 Vgl. z. B. auch die Stabstrauß-Szene Philä III, Nr. 24, und die Feld-Übergabe in Philä III, Nr. 122, mit ähnlichen Epitheta.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Text: – Spruch (359, 1–2): irj.n=i sxm sSS.t m Hr=T nfr Ich spiele das sxm- und das sSS.t-Sistrum vor deinem schönen Angesicht, ir.t Ra iwt.t sn.nw=s m p.t tA{.wj} Auge des Re, deren Zweite es nicht gibt im Himmel und auf Erden. – Königliche Randzeile (359, 13–18): ij.n=i xr=T Sps.t Hnw.t mw.t-nTr n bjk n nbw Ich bin zu dir gekommen, oh Edle, Gebieterin, Gottesmutter des Goldfalken, inj(=i) n=T sxm sjar=i n=T sSS.t und ich bringe dir das sxm-Sistrum, ich erhebe für dich das sSS.t-Sistrum, sHtp=i kA=T rwj=i qnd=T damit ich deinen Ka zufrieden stelle und deinen Zorn weichen lasse, Twt wr.t Hnw.t iry-sj denn du bist die Große, die Gebieterin dessen, der sie gemacht hat, iT(.t) tA.w{j} nb.w m nfr.w=s die alle Länder mit ihrer Schönheit einnimmt. Kommentar: Der Spruch des Königs entspricht dem Beginn des Sistrumhymnus, der in Philae-Hymne 7 und zahlreichen Parallelen belegt ist (siehe dort). Die hymnische Anrede des Königs an Isis wird innerhalb der Szenenbeischriften in der Königlichen Randzeile fortgesetzt, die die besänftigende Wirkung der Sistren für die gefährliche Göttin hervorhebt. Eine gewisse göttliche Vormachtstellung der Isis geht aus dem Epitheton Hnw.t iry-sj hervor: Obwohl geschaffen durch einen männlichen Schöpfergott (gemeint ist wohl Re), wird sie als dessen Gebieterin bezeichnet. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä II, 390–391 Philae, Mammisi, Nordaußenwand des Naos, mittlere Reihe, Osthälfte, rechte Darstellung – Augustus reicht Isis zwei Spiegel; hinter ihr sitzt Bastet.

Text: – Beischrift der Isis (391, 4–8): (Dd mdw jn) As.t dj(.t) anx nb(.t) Iw-rq Isis, die Lebensspenderin, die Herrin von Philae, Hnw.t nfr(.t) m Hw.t-msxn.t die schöne Gebieterin im Geburtshaus, Hm.t mw.t nsw.t msj(.t) nb.tj Königsgemahlin und -mutter, die ‚Den der beiden Herrinnen‘ gebar. prj Sw m wxA [Dr?] bX.n=s Hm=f Es kam Licht hervor in der Dunkelheit, als sie seine Majestät gebar.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

– Göttliche Randzeile (391, 16–20): wnn Ra[.t… …] wsr.t wbg(.t) Snw n tA Es ist die Sonnengöttin…., die Mächtige, die den Umkreis der Erde beleuchtet, Hr HAj Hw.t=s Hr bd [i]mj=s indem sie ihren Tempel erhellt und das, was darin ist, erleuchtet, Hr wD(.t) mAw xr bw-nb und indem sie die Lichtstrahlen jedermann anbefiehlt, sj mj Ax.tj wbn m Ax.t stw.t [… … … …] denn sie ist wie der Horizontische, der am Horizont aufgeht, Strahlen… Kommentar: Während sich die Legende der Göttin hauptsächlich um die Geburt ihres Sohnes dreht, bildet der letzte Satz dieser Inschrift eine passende Überleitung zur göttlichen Randzeile, die Isis als leuchtende Gestirnsgöttin, angenähert an den männlichen Sonnengott, beschreibt. Das Mysterium der göttlichen Geburt wird durch Licht erhellt, und sie verteilt dieses Licht an „jedermann“. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Philä III, Nr. 6; S. 16–17 Philae, 2. Ostkolonnade, Säule 1 von S, Ostseite – Ptolemaios XII. reicht Isis eine Uräusschlange.

Text: – Spruch: mn n=T Hrj.t-tp Ra.t m Iw-r[q] Nimm dir die Stirnschlange, (oh) Sonnengöttin in Philae, itj.t n tA Hr ndb=f Fürstin der Erde auf ihren Fundamenten (= der ganzen Erde), WAD.t n.t(?) {Dt}478 Ra wr Uto/die Grüne (Uräusschlange) von (?) Re, dem Großen/Alten,479 Hrj(.t) nTr.w m pr.w-wr.w r nTr.w nb die über den Göttern ist in den Per-wer-Heiligtümern, mehr als alle Götter. – Beischrift der Isis: Dd mdw in As.t dj(.t) anx nb(.t) Iw-rq (Rezitation durch:) Isis, die Lebensspenderin, die Herrin von Philae, sn.t-nTr mnx.t Hrj-ib iA.t-wab.t die vortreffliche Gottesschwester, die an der Spitze des Abatons ist, papa(.t) m Iwn.t n grH nxn m sS(=f) die geboren wurde in Dendara in der ‚Nacht des Kindes in (seinem) Nest‘,480

478 Die Dt-Gruppe kann ich mir nur als Versehen erklären, die möglicherweise aufgrund der häufigen Nähe von Dt und Ra in den Rückenschutzformeln (so auch in dieser Szene) hier fälschlich hineingekommen ist. 479 Vgl. zu diesem Götternamen LGG IV, 622–623. Von KOCKELMANN/WINTER, Philae III, S. 16, wird das Zeichen des Mannes mit kurzem Stock in der Hand nicht transliteriert und übersetzt.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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xpr nhm m tA Dr=f so daß Jubel entstand im ganzen Land. – Göttliche Randzeile (oben): […Hr]481 &msxn.tj\=s482 […auf] ihren &Geburtsziegeln\, xaj nswt n tA Xr s.t-rA=s auf deren Ausspruch hin der König des Landes erscheint (auf dem Thron), As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Im Zusammenhang mit dem in der Szene überreichten Herrschaftssymbol der Uräusschlange lobt der König Isis im Spruch als Herrscherin der Erde und identifiziert sie selbst als Uto und damit als eine Erscheinungsform der Uräusschlange483 – speziell derjenigen des (großen) Re. Auch Beischrift und göttliche Randzeile der Isis beharren (nach Nennung der lokalüblichen Haupttitel) auf dem Thema Herrschaft und Königtum: Die Anspielung auf die Geburt der Isis in Dendara steht in den zahlreichen Erwähnungen im Tempel von Dendara selbst ebenfalls in diesem Zusammenhang: Bereits bei der Geburt ist Isis erwählte Herrscherin, was ideell ebenfalls vom Pharao gelten soll. Die Gegengabe der Isis an den König ist entsprechend wieder die Uräusschlange und die Herrschaft über das ganze Land. 4.1.1.C Ergänzende Texte aus Bigge, Isis- und Osiristempel Text/Hauptpublikation Bîgeh, 40 Anbringungsort Bigge, Isis- und Osiristempel, Vorhalle, Tor, nördliche Türlaibung Bibliographie WINTER, Bigge, S. 401 Inhalt 1 Kolumne für Isis, 1 für den König (Augustus). Text: As.t dj(.t) anx nb(.t) iA.t-wab[.t] Isis, die Lebensspenderin, Herrin des Abatons, Sps.t wsr.t xnt [%n]m.t die Edle und Mächtige an der Spitze von Senmet, wDA.t aA.t Hnw.t ^maw MHw das große Udjat-Auge, die Fürstin von Ober- und Unterägypten, itj.t m xtmn die Fürstin der Welt, ^ay.t wr.t xpr(.t) xnt die große Uranfängliche, die am Anbeginn entstand, 480 Vgl. zur Geburt der Isis in Dendara oben, Philä II, 220–223, und besonders die zahlreichen Parallelen zu obiger Formulierung in Dendara selbst, siehe dazu (und zur Datumsangabe) Kap. 4.6. 481 Fast die Hälfte der Zeile ist zerstört. 482 Ergänzung nach KOCKELMANN/WINTER, Philae III, S. 17. 483 Vgl. auch eine weitere Szene mit Übergabe der Uräusschlange an Isis (durch Tiberius) im Annex des Tiberius: Philä III, Nr. 121.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

iwa.n=s tA.wj Hr nwd.t=s die die Beiden Länder noch in ihren Windeln erbte.484 nts pw m njw.wt nb Hna sn=s Wsjr {s} Sie ist es, die in allen Städten ist zusammen mit ihrem Bruder Osiris. Kommentar: Die beiden Türlaibungsinschriften des Tors der Vorhalle sind den Hauptgöttern des Tempels, dem Paar Isis und Osiris (südliche Türlaibung), gewidmet und parallel aufgebaut.485 Beide werden als universelle Herrscher dargestellt, die „von Anbeginn“ in ganz Ägypten präsent waren. Der abschließende Satz des Isis-Textes findet sich, meist mit der Erweiterung um „ihren Sohn Horus“ auch als Zusammenfassung der kulttopographischen Litaneien.486 Isis’ lokale Haupttitel „Lebensspenderin, Herrin des Abaton“, die sich auch in Philae häufig finden, sind naturgemäß auf das Osirisgrab bezogen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Bîgeh, 14, e; Taf. XIV Bigge, Isis- und Osiristempel, Westseite des Pylondurchgangs, nördlicher Türpfosten, Szene IV – Der König (zerstört; Augustus) opfert vor Isis und Harpokrates.

Text: – Göttliche Randzeile: As.t dj(.t) anx nb(.t) iA.t wab.t Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abaton, Hnw.t nb(.t) Iw-rq die Gebieterin und Herrin von Philae, Sps.t wsr.t Hnw.t m xnt-Hn-nfr die Edle und Mächtige, die Gebieterin in Unternubien(?), Hnw.t HqA.t m Snw ifd die Gebieterin, die Herrscherin im Umkreis der vier (Welt-)Ecken, nb(.t) anx Hnw.t tA die Herrin des Lebens, die Gebieterin des Landes, SAw {n} rr.t m wD.t.n=s487 Schicksal und Erziehung sind in dem, was sie befiehlt, Rnn.t nb(.t) kA.w As.t dj(.t) anx nb(.t) Iw-rq Renenet, die Herrin der Speisen, Isis, die Lebensspenderin, die Herrin von Philae.

484 Zu dieser Aussage vgl. die Texte über die Geburt der Isis aus Dendara, z. B. Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. XIII, 26, 7–28, 3. 485 Vgl. WINTER, Bigge, S. 401. 486 Besonders Dend. I, 20, 14–21, 5, und Dend. Isis, 78, 16–79, 5. 487 Korrigiert nach diversen Parallelen dieser Phrase, siehe LGG VII, 7a–b.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Kommentar: Wie in der Türlaibungsinschrift (s. o.) liegt der Schwerpunkt auf Isis’ Herrschaft über die ganze Welt und ihrer Funktion als Lebensspenderin für Osiris; letzteres Thema wird jedoch auf ihre allgemeinen nährenden und lebenbringenden Kräfte erweitert, wodurch sie – hier wohl durch den Szeneninhalt bedingt – mit Renenet als Herrin der Speisen und Versorgung gleichgesetzt wird. 4.1.2

Philae: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums (inkl. Bigge)

Zur Geschichte des Isiskultes auf Philae Die ältesten auf Philae gefundenen dekorierten Steinblöcke stammen aus ramessidischer Zeit, doch in den erhaltenen Inschriften wird Isis nicht erwähnt, und die originale Zugehörigkeit zu einem Tempelbau auf der Insel ist unsicher.488 Auch die baulichen Überreste des Taharqa – ein Altar und mehrere nördlich des Tores von Nektanebes gefundene Blöcke, eventuell auch das Fundament eines Tempelbaues – zeigen zwar verschiedene Götter, darunter vor allem Amun, dem möglicherweise der Tempel geweiht war, belegen jedoch noch keinen Kult der Isis.489 Erst mit der Saitenzeit, in der generell eine entscheidende Bedeutungszunahme der Göttin zu verzeichnen ist,490 kann ihre Verehrung auf Philae sicher nachgewiesen werden: Die Reste eines kleinen Kiosks von Psammetich II. dürften gleichzeitig erstmals den Kult um das Osirisgrab oder Abaton (iA.t wab.t) auf der Nachbarinsel Bigge belegen. 491 Die Säuleninschrift nennt nämlich die Titulatur Psammetichs, gefolgt von den Worten: „geliebt von Isis inmitten der reinen Insel (iw wab)“. 492 Möglicherweise wurde der Isis- und Osiriskult also erst von den Herrschern der aus dem Delta stammenden 26. Dynastie, die in der Kataraktregion recht aktiv waren, auf Philae eingeführt. 493 Der erste wirkliche Tempelbau, dessen Grundriß unter den Bodenplatten des ptolemäischen Pronaos nahezu komplett entdeckt wurde, entstand unter Amasis.494 Das Gebäude bestand aus drei Räumen, 488 FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File III; HAENY, Short Architectural History, S. 200–202. 489 FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File III; F. L. GRIFFITH, Four Granite Stands at Philae, in: BIFAO 30, 1930, S. 127–130; ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 1; WINTER, „Philae“, Sp. 1025; vgl. auch ID., Die Tempel von Philae, S. 11, Abb. 16; RUTHERFORD, Island, S. 231; FISSOLO, Isis de Philae, S. 4. HAENY, Short Architectural History, S. 201–202, bezweifelt allerdings, daß der „Altar für Amun von Takompso“ sowie ein eventueller Tempel ursprünglich auf Philae standen, zumal die Blöcke alle Spuren von mehrfacher Wiederverwendung aufweisen und das Toponym bisher nicht identifiziert wurde. 490 Vgl. z. B. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 294. Vgl. auch Kap. 4.4.2. 491 HAENY, Short Architectural History, S. 202; KADRY, Remains of a Kiosk; KOCKELMANN, L’Abaton, S. 32; ID., Zur Kultpraxis, S. 103. 492 KADRY, Remains of a Kiosk, S. 297, Abb. 4 u. Taf. 79. Er hält iw-wab für den (vorptolemäischen) Namen für Philae, da es dort und im Zusammenhang mit Isis so häufig erwähnt wird. iA.t wab.t ist aber als Abaton von Bigge bekannt; aufgrund des lautlichen Zusammenfalls werden in der Spätzeit wohl beide Begriffe gleich gebraucht. Für Philae ist dagegen nur der Name Iw-rq (auch IA.t-rq geschrieben!) ab Nektanebes belegt, vgl. WINTER, „Philae“, Sp. 1022. 493 Vgl. FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File I, S. 320; WINTER, „Philae“, Sp. 1025. 494 HAENY, Short Architectural History, S. 204; FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File I; FARID, Reused Blocks.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

die in einer Reihe hintereinander angeordnet waren, mit dem Tor an der Stelle des späteren Tors im 2. Pylon. Dazu gehörten diverse, später im 2. Pylon und im Hypostyl wiederverbaute, dekorierte Steinblöcke, in deren Reliefs Isis, Osiris sowie Hathor eine prominente Rolle spielen.495 In einer Maat-Opferszene trägt Isis die Beischrift As.t dj(.t) anx Hrj(.t)-ib iw-wab „Isis, die Lebensspenderin, die inmitten der reinen Insel (des Abaton) ist“.496 Der bereits vom Kiosk des Psammetich II. bekannte Titel wird hier noch durch das Epitheton „Lebensspenderin“ erweitert. Auf einem weiteren Fragment ist sie als Isis lactans dargestellt und wird As.t wr.t mw.t-nTr „Isis, die Große, die Gottesmutter“ genannt.497 Die nächste bekannte Bauphase findet erst unter Nektanebes statt,498 dessen Dynastie aus dem Isiskultzentrum Sebennytos stammte und sich dieser Göttin daher wohl besonders verpflichtet fühlte. In seinem Namen wurden das Tor im Großen Pylon und ein kleiner Kiosk am Südende der Insel errichtet. Auf Steinblöcken des Nektanebes, die ebenfalls im 2. Pylon wiederverbaut waren und sich nicht mit Sicherheit einem konkreten Gebäude(teil) (Tempel oder Kiosk?) zuweisen lassen, ist Isis „die Lebensspenderin, die Herrin des Lebens inmitten von Senmet, die Herrin von Philae“.499 Der Kiosk ist unvollständig und wurde anscheinend in der frühen Ptolemäerzeit aus seiner ursprünglichen Position versetzt und wieder aufgebaut.500 An seinem westlichen Architrav findet sich die erste bekannte Isishymne (Hymne Nektanebes, Kap. 4.1.1.A). Erst mit dem Neubau eines größeren Isistempels unter Ptolemaios II., dessen Planung aber möglicherweise bereits unter Ptolemaios I. begann,501 erlangte Philae größeren Ruhm und entwickelte sich unter den nachfolgenden ptolemäischen und römischen Bauherren zu einem wichtigen, überregional und sogar bis über die Grenzen Ägyptens hinaus berühmten Zentrum des Isiskultes.502 Titel und Charakter der Isis von Philae Der Kult der Isis von Philae steht in essenzieller, enger Verbindung zu dem auf der Nachbarinsel Bigge gelegenen Abaton, wo der lokalen Vorstellung nach das linke Bein des Osiris bestattet war, aus welchem der Nil entspringen sollte. Um den Totenkult und Schutz ihres verstorbenen Gatten auszuführen und damit seine Verjüngung und die Erhaltung des

495 Zu Szenen mit Isis als Ritualempfängerin siehe FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File I, S. 318; Taf. 13: eine geflügelte Isis, die Osiris beschützt, angebetet vom König. 496 FARID, Re-used Blocks, S. 83, III.1. Auch Hathor wird als Hrj(.t)-ib iw-wab bezeichnet, ibid., S. 91, III.12. 497 FARID, Re-used Blocks, S. 89, III.9. 498 HAENY, Short Architectural History, S. 204–206; FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File II. 499 FARAG/WAHBAH/FARID, Notizie da File II, S. 150; vgl. auch S. 151 zu ähnlichen Titeln von Isis und Hathor. 500 HAENY, Short Architectural History, S. 206. 501 Vgl. HAENY, Short Architectural History, S. 207. D. ARNOLD, Lexikon der ägyptischen Baukunst, München – Zürich 1994, S. 192–193, vermutet sogar, daß der Plan des Tempelkerns von Philae bereits auf Nektanebes zurückgehen könnte. 502 Zur Baugeschichte im Detail siehe HAENY, Short Architectural History. Zur überregionalen Bedeutung Philaes vgl. auch die zahlreichen Graffiti, siehe Kap. 6.2.2, unten.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Naturkreislaufes mit der Nilschwelle zu garantieren, fährt Isis alle 10 Tage in feierlicher Prozession von Philae nach Bigge über, worauf zahlreiche Texte des Tempels anspielen.503 Diese Beziehung der Isis zum Abaton zeichnet sich im gesamten Konzept der Tempeldekoration ab: Bereits GUTBUB stellte fest, daß die Haupttitel oder nahen Beinamen der Göttin sich zwischen der rechten (= W) und der linken Seite (= O) des Tempels unterscheiden.504 Die Isis der rechten Seite ist demnach As.t dj(.t) anx nb.t iw-wab „Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abatons“, die der linken Seite As.t wr.t mw.t-nTr nb.t Iw-rq „Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae“. Diese Aufteilung spiegelt einerseits ihre zweifache lokale Zuordnung wider: die zu Philae und zum Abaton von Bigge. Weitere speziell auf das regionale Umfeld bezogene Epitheta nennen sie „Herrin/Herrscherin von Senmet“ und, noch weiter ausgreifend, „Herrin der südlichen Fremdländer/Nubien“.505 Andererseits stellen die beiden Haupttitelreihen die zentralen familiären Beziehungen und daraus resultierenden Grundfunktionen der Göttin einander gegenüber, wie sie sich auch in den in komplementäre Szenen integrierten Philae-Hymnen 1 und 2 widerspiegeln:506 1. Isis als Gemahlin des Osiris, die ihn nach seinem Tode wiederbelebt und sein Grab versorgt. 2. Isis als Mutter des Horus, die ihn gebärt, aufzieht, beschützt und ihm zu seinem Königsamt verhilft. Während die Titelreihe der linken Seite neben der topographischen Zuordnung („Herrin von Philae“) mit wr.t mw.t-nTr die zwei überregional typischsten Haupttitel der Isis überhaupt beinhaltet,507 scheint das Epitheton dj.t-anx ganz speziell mit Philae und dem Abaton auf Bigge verbunden zu sein. In fast allen im LGG aufgeführten Belegen gilt diese Benennung der Isis von Philae, und zwar nicht nur nach den Inschriften in Philae selbst, sondern auch nach Zeugnissen aus anderen Orten.508 Vor der Spätzeit ist dj.t-anx für Isis entsprechend noch nicht belegt,509 doch bereits die ältesten Erwähnungen von Isis auf Philae in den Inschriften der Reste der Anlagen von Amasis und Nektanebes nennen sie mit diesem Titel (s. o.). Dieser Befund für das die lebensspendende Funktion der Isis von Philae gegenüber dem verstorbenen Osiris von Bigge betreffende Epitheton unterstützt die Annahme, daß 503 Von den hier bearbeiteten Texten: Philae-Hymne 4; Philä I, 169; Philä II, 78–79; Philae-Photos 164–165; Philae-Photo 1298; sowie die Szenen Philä I, 25–32. Zum Kult des Abatons, der ausführlich in den Texten des Hadrianstors festgehalten ist, noch immer grundlegend JUNKER, Götterdekret. 504 A. GUTBUB, Remarques sur quelques règles observées dans l’architecture, la décoration et les inscriptions des temples de Basse Époque, in: F. Geus/W. Y. Adams (Hrsg.), Mélanges offerts à Jean Vercoutter, Paris 1985, S. 123–136: 135–136. Vgl. auch INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 268–271. 505 Philä I, 169; 168–169; Philä II, 6–7; 8–9; Philae-Photos 164–165; 385–386; Bîgeh, 40. Szenen Philä I, 40–41; 64–65. 506 Zu diesen beiden aus den familiären Beziehungen hervorgehenden Grundfunktionen siehe auch FISSOLO, Isis de Philae, S. 6–8. 507 Siehe unten, Kap. 5.2.1. Es handelt sich um die auch in älterer Zeit häufigen nahen Epitheta der Isis, siehe MÜNSTER, Isis, S. 191–192; 203 u. 205. 508 Vgl. LGG IV, 775b–c. 509 Vgl. das Verzeichnis der Epitheta bei MÜNSTER, Isis, S. 203–208. Eine Ausnahme bildet ein Beleg des Epithetons für Mut aus ramessidischer Zeit, siehe LGG IV, 775b–c.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

diese Kultkonzeption in der 26. Dynastie entwickelt wurde. Die Beziehung des Beinamens zu Isis’ Libationen am Abaton zeigt sich auch in der Schreibung von dj.t-anx mit Wasserdeterminativ, die häufiger in Philae vorkommt.510 Entsprechend dieser Hauptaufgabe, Osiris mit erfrischendem Wasser oder Milch zu versorgen, wird Isis in Philae auch häufig als qbH.t „Spenderin von kühlem Wasser“ bezeichnet.511 In einer Darstellung auf dem Hadrianstor libiert sie in Form einer kuhköpfigen Göttin für die vogelgestaltige Ba-Seele des Osiris und spricht dabei: „Oh Osiris, nimm das Wasser aus meinen Händen, denn ich bin deine Schwester, ich bin deine große Gemahlin.“512 Vergleichbare Ich-Aussagen der Isis in Bezug auf ihre Aufgaben im Osiriskult finden sich in größerer Anzahl auch innerhalb eines Osirishymnus an der der Insel Bigge mit dem Abaton gegenüberliegenden Westkolonnade.513 Der spezifische auf die lokale Theologie bezogene Bedeutungsinhalt des Titels dj.tanx könnte sich aber leicht zu einer allgemeinen Auffassung der Isis als „Lebensspenderin“ schlechthin erweitert haben. Die zweite Grundfunktion findet ihre konzentrierte Monumentalisierung im Mammisi von Philae,514 wo die Geburt des Horus und seine Erziehung zum rechtmäßigen Herrscher unter Obhut seiner Mutter Isis gefeiert werden. Die herausragende Rolle der Göttin betonen die jeweils in den Türdurchgängen sowie in den Randinschriften des Sanktuars angebrachten Hymnen an sie.515 Darin wird die Beziehung zu ihrem Sohn jedoch nur selten in den Mittelpunkt gestellt; stattdessen dominieren wie in den anderen Philae-Hymnen außer Hymne 1 und 2 andere Aspekte, die sie als unabhängige und mächtige Göttin auch außerhalb ihrer familiären Beziehungen präsentieren.516 Eine weitere in den Texten häufig hervorgehobene Götterkonstellation ist ihre enge Verbindung zum Sonnengott Re, für den sie als Tochter, Sonnenauge, Uräusschlange und

510 Vgl. LGG IV, 775b–c; KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 103, Anm. 35; und die Hymne PhilaePhoto 1298. 511 Z. B. Philae-Photos 1591–1592. Vgl. außerdem z. B. einen Text am nördlichen Tor der Ostwand des Mammisis von Philae (= 8. Schranke): „Solange der Himmel auf seinen vier Stützen bleibt und die Erde auf ihren Fundamenten, erscheint Isis, die Lebensspenderin, aus ihrem Haus, alle 10 Tage ohne Unterlaß. Solange Re aufgeht am Tage und der Mond erglänzt in der Nacht, wird die Kühlende/Libierende (qbH.t) für ihren Bruder libieren und seinem Ba jeden Tag opfern…“, Philä II, 242– 243. Weitere Belege in LGG VII, 183c–184c. Das Epitheton tritt auch im Zusammenhang von Milchspenden auf und bezieht sich dort statt auf Wasser auf diese ebenfalls belebende Flüssigkeit, siehe dazu CAßOR-PFEIFFER, „Milch ist es…“. 512 JUNKER, Götterdekret, S. 58–59, Abb. 20; Farbphoto in HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 96, Abb. 29. 513 Philae-Photos 1591–1592. 514 Zum Mammisi siehe Philä II, vgl. die oben behandelten Hymnen und Ritualtexte; DAUMAS, Mammisis, S. 87–90; 180–190; 208–210; 310–339 und passim; HAENY, Short Architectural History, S. 210– 211; allgemein A. BADAWY, The Architectural Symbolism of the Mammisi-Chapels in Egypt, in: CdÉ 38, 1963, S. 78–90; J. ASSMANN, Die Zeugung des Sohnes. Bild, Spiel, Erzählung und das Problem des ägyptischen Mythos, in: J. Assmann/W. Burkert/F. Stolz, Funktionen und Leistungen des Mythos. Drei altorientalische Beispiele, OBO 48, Freiburg/Schweiz – Göttingen 1982, S. 13–61. Die Interpretation und Thesen von GOEDICKE, Darstellung des Horus, sind sehr problematisch. 515 Texte Philä II, 6–7; 8–9; 76–77; 78–79; 136–137. 516 Zu den in den acht Hymnen unter Ptolemaios II. betonten Aspekten vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 129–134.

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Philae, Isisheiligtum (und Bigge)

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Lenkerin seiner Barke agiert517 und damit ähnlich wie für Osiris und Horus insbesondere für seinen Schutz vor möglichen Feinden und Gefahren zuständig ist.518 Als schützende Kobra am Diadem wird sie gleichzeitig mit den Kronen und dem Königtum in Verbindung gebracht. Des weiteren bezeichnen die Hymnen sie auch selbst als Gestirnsgöttin, die wie Re aufgeht, als Herrin der Sterne und noch konkreter als Sothis/Satet, die die Nilflut aus Osiris hervorbringt.519 In letzterer Funktion ist sie wohl in einem prägnanten Relief in der hinteren Osiriskapelle auf dem Tempeldach dargestellt:520 Zwei Göttinnen knien zu beiden Seiten der Beine des Osiris, wobei aus dem linken, der lokalen Osiris-‚Reliquie‘, der Nil in zwei Strömen hervortritt. Die linke Göttin trägt einen Stern auf dem Kopf und ist damit als Isis-Sothis zu interpretieren; die rechte, mit Skorpionsemblem, könnte ebenfalls auf Satet bzw. Sothis verweisen (als Isis-Sothis-Selket/Hededet?).521 Aufgrund des ikonographischen Schemas von zwei Göttinnen, die sich zu beiden Seiten um den verstorbenen Osiris (bzw. eines seiner Körperteile) kümmern, dürfte gleichzeitig aber auch auf Isis und Nephthys verwiesen sein. Den Hymnen zufolge leitet Isis-Sothis zudem das neue Jahr ein und bestimmt die Einteilung der Zeit.522 Unter Ptolemaios VIII. wird Isis selbst als herrschende Königin stilisiert, indem ihr Name in eine Kartusche eingeschrieben wird.523 Der Aspekt ihrer Herrschaft – und der ihrer Familie – im ganzen Land und ihre Autorität über das Königtum spielen bereits in den Hymnen im Tempelkern von Ptolemaios II., aber zunehmend noch ab der späteren Ptolemäerzeit eine große Rolle.524 Als Herrin und Schöpferin des Kosmos und Lebensspenderin übernimmt sie unter anderem Epitheta traditioneller männlicher Schöpfergötter wie Ptah, und ist auch für das Gedeihen der Natur und das Wohlergehen des Landes zuständig. 525 Zudem wird ihre Vorrangstellung über alle anderen Gottheiten in verschiedenen Titeln wie „Gebieterin aller Götter“ und „Herrscherin der Götter und Göttinnen“ deutlich.526

517 518 519 520 521 522 523 524 525 526

Hymne Nektanebes; Philae-Hymnen 5–8; Philä II, 6–7; 8–9; 136–137. Vgl. dazu auch FISSOLO, Isis de Philae, S. 9–10. Philae-Hymne 4; Philä I, 168–169; Philä II, 76–77; 78–79; Philae-Photo 1298; 164–165. JUNKER, Götterdekret, S. 30, Abb. 9; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich I, S. 76, Abb. 101. HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 76 (zu Abb. 101), identifiziert beide als Sothis; zur Gleichsetzung von Isis-Sothis/Satet und Selket bzw. Isis-Hededyt vgl. ZAKI, Premier Nome, S. 192– 193; VALBELLE, Satis et Anoukis, S. 139 u. 142. Philae-Hymne 8; Philae-Photo 1297. Philae-Photo 1297. Philae-Hymne 3; Philae-Hymne 5; Philä I, 169; 168–169; Philä II, 8–9; Philae-Photos 164–165; 1297; 1298; 385–386; Bîgeh, 40. Philae-Hymne 4; Philae-Hymne 6; Philä I, 169; Philä II, 8–9; 136–137; Philae-Photos 1298; 385– 386. Philae-Hymnen 1–2; Philae-Hymne 5; Philä I, 169; Philä II, 6–7; 8–9.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

4.2

Assuan, Isistempel

4.2.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften

4.2.1.A Zentrale Texte: Hymnen,527 Bandeau-Inschriften, Epithetareihen Text/Hauptpublikation Assuan-Hymne 1 (Assuan, B.13, S. 62–63; Taf. 16) Anbringungsort Assuan, Isis-Tempel, Haupttor (B), nördliche Türlaibung Bibliographie PREYS, in: TLA, Stand: 30.07.2012 Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Dd mdw nD Hr=k hrw pn nfr xaj As.t im[=f] (Rezitation:) Sei gegrüßt, dieser schöne Tag,528 an dem Isis erscheint! ij.n nswt bj.tj [(iwa nTr.wj mnx.wj stp.n PtH kA wAs n Ra sxm anx n Imn) xr=T As.t [sA.t] Nw.t Der König von Ober- und Unterägypten [(Erbe der Euergeten, Erwählt von Ptah, Starker Ka des Re, Lebendes Abbild des Amun) (= Ptolemaios IV.) ist zu dir gekommen, (oh) Isis, Tochter der Nut. rdj.n=T iwa &nTr.w\ [n @r529 … …?] Du hast das Erbe &der Götter\ [an Horus …?] gegeben […?], n wn=T/f(?)530 m X.t pn (sic!)531 sxm.tw xr nTr.w nb(.w) denn er(?)ist in/aus diesem Leib (oder: du bist dieser Leib; oder: du/er bist/ist in dieser Körperschaft (?)), mächtig bei allen Göttern (?).532 iwa=f nTr.w is(T) sw m X.t pn (sic!) Er beerbte die Götter, als er (noch?) in diesem Leib (oder: in dieser Körperschaft?) war.533

527 Die Lesungen der Texte aller erhaltenen Hymnen (Assuan-Hymne 1–3 und 5–6) in den Türlaibungen des Tempels von Assuan konnten von mir an sehr guten neuen Photos überprüft werden, wofür ich CORNELIUS VON PILGRIM, der die Photos in Auftrag gab und sie mir zusandte, ganz herzlich danke. 528 BRESCIANI, Assuan, S. 63, übersetzt: „Sei gegrüßt, an diesem schönen Tag…“. Aufgrund der Verwendung des Suffixes der 2. Pers. masc. sing. scheint mir jedoch der Tag selbst angesprochen zu sein. 529 Die Zeichenreste lassen auf schließen, so daß eher nTr.w zu lesen sein dürfte als nTrj, wie BRESCIANI, Assuan, S. 63, einfügt, vgl. den Beginn der Kol. 2. Auch PREYS, in: TLA, liest nTr.w. Der Rest der obigen Ergänzung folgt BRESCIANI, obgleich sie keinen Kommentar dazu gibt. M. E. wäre in der Lücke noch Platz für ein oder zwei Zeichengruppen/Wörter. 530 PREYS, in: TLA, liest die sitzende Gestalt mit Doppelkrone als =f bzw. @r. 531 Oder mXtw „Eingeweide“? Dies wäre ein masculines Wort, passend zum Demonstrativum, doch würde diese Bedeutung das Verständnis des Satzes noch weiter erschweren. 532 Das Verständnis des Textes ist unsicher, nicht zuletzt aufgrund der vorangehenden Lücke und der etwas unregelmäßigen Anordnung der Hieroglyphen. Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 63, die übersetzt (ohne Kommentar) „…denn du gehörst zu dieser Körperschaft von allen Mächtigen“, und somit die Zeichen ignoriert. PREYS, in: TLA, der als Subjekt Horus annimmt (siehe Anm. 530), erwägt verschiedene Möglichkeiten; so ist eventuell auch tatsächlich als Negation zu lesen: „Er ist nicht in diesem Leib/dieser Körperschaft, mächtig unter allen Göttern“. Könnte gemeint sein: „Er ist nicht mehr in diesem Leib“? 533 PREYS, in: TLA, übersetzt: „Er beerbt die Götter, denn er ist in diesem Leib (?)“. Siehe zur Partikel is(T) E. OREAL, Les particules en Égyptien ancien de l’ancien Égyptien à l’Égyptien classique, BdÉ 152, Kairo 2011, S. 171–257, bes. 200–202 zur temporalen Funktion.

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Assuan, Isistempel

Kol. 3:

Kol. 4:

117

nDtj.n=f it=f m sA nDtj it=f Er (Horus) schützte seinen Vater als Sohn, der seinen Vater schützt. mT Hm dj=T anx n sA=T @r pn Siehe nun, du (Isis) gabst Leben an deinen Sohn, diesen Horus, sxm=T xr nTr.w nb(.w) [… … … … iwj]=f rnp.tw Dt du bist mächtig unter allen Göttern,534 [… … … …] er [kommt?], indem er sich ewiglich verjüngt, n wn(.t) irj 535 ohne daß es ein Aufhören gibt (= unaufhörlich). mT manD.t Hrj-tp xAs.wt iAbtj.wt BAXw Siehe, die Tagesbarke ist über den östlichen Bergländern von Bachu (= dem Ort des Sonnenaufgangs).536 Aw ib=T n sA=T @r wa.tj Mögest du frohen Herzens sein/Du bist frohen Herzens wegen deines Sohnes Horus, des Einzigartigen, wp.n=f ir.t=f m wpS p.t wenn er sein Auge öffnet im Lichtkreis des Himmels,537 sHD-tA Hr=f m HD-tA seinetwegen wurde das Land erhellt bei Tagesanbruch (wörtl.: beim Hellwerden des Landes), rdj.n=f ir.t=f m rdj-sw Ra er hat sein Auge gezeigt, als Re/die Sonne sich zeigte. iwj n=T nTr.w nb(.w) n ^ma.w MHw Alle Götter von Ober- und Unterägypten sind zu dir gekommen mrj.n=T-sn m (i)ab.n=T-st/sn pH.tj=sn Ax=sn und du liebst sie, wenn du sie zusammenfügst/ausstattest,538 indem sie stark und wirkmächtig sind, dj=T anx539 m X.t nHp.n=T @r im du gibst Leben aus dem Leib, in dem du (auch) Horus geschaffen hast.

534 Oder wie oben (Kol. 1) sxm.t(w) xt nTr.w nb „mächtig unter allen Göttern“, bezogen auf Isis oder Horus? 535 Die tatsächlich geschriebene wnmj-Hieroglyphe (von PREYS, in: TLA, so gelesen: n wn r wnmj) dürfte wohl eine Verschreibung für sein. Nochmals (mit gleicher Graphie) unten, in Kol. 4. 536 Zu Bachu als dem Osten und Ort des Sonnenaufgangs, vgl. mit weiteren Belegstellen WILSON, Ptol. Lex., S. 303. BRESCIANI, Assuan, S. 63, übersetzt: „Wenn (sie) mit dir im Osten ist, ist die Tagesbarke über dem östlichen Gebirge von Bachu“. Diese Konstruktion ist jedoch grammatikalisch unmöglich. Zur obigen Übersetzung vgl. auch PREYS, in: TLA. 537 PREYS, in: TLA, übersetzt m wpS p.t mit „beim Erleuchten des Himmels“. Da es sich nicht um ein Bewegungsverb handelt, würde ich dann aber eher Hr wpS erwarten. 538 BRESCIANI, Assuan, S. 63, übersetzt: „…du liebst sie deswegen, die stark und trefflich sind.“, und hat damit offenbar (m-)ab unterschlagen. PREYS, in: TLA: „du liebst sie, wenn du dich mit ihnen vereinst, so daß sie mächtig und prächtig sind“. 539 BRESCIANI, Assuan, S. 63, liest das anx-Zeichen in der Hand der sitzenden Göttin nicht und ergänzt daher das Objekt in der 3. Pers. Pl. Vgl. zur Lesung auch PREYS, in: TLA.

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Kol. 5:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

rdj.n=T anx n nTr.w nb(.w) n wn(.t) irj Abw Du gibst Leben allen Göttern, ohne daß es ein Aufhören gibt (= unaufhörlich).540 m(T)541 manD.t n[… …] [nb?] tA m xAs.wt Siehe, die Tagesbarke [… Herr? der?] Erde in den [westlichen?] Bergländern [imntj.wt n MAnw? … … …] [von Manu (= dem Westgebirge/Totenreich)? …] wn ir.tj rdj.n=T ^ma.w MHw …öffnet die Augen, du hast Ober- und Unterägypten gegeben, pr.tj m tp(?) [… …] r sA=T @r indem sie hervorgekommen sind542 als Erste (?) […] an deinen Sohn Horus.

Kommentar: Der Text der Hymne ist an einigen Stellen problematisch und schwer verständlich; es stellt sich unter anderem die Frage, was genau mit dem mehrfach auftauchenden Wort X.t gemeint ist.543 Bei der ersten Erwähnung (Kol. 1) ist die Deutung umso problematischer, als der Kontext durch die vorangehende Zerstörung fehlt. Bezieht es sich auf eine Körperschaft von Göttern wie die Neunheit, für die der Begriff mehrmals belegt ist? 544 Andererseits könnte im wörtlichen Sinne der Leib der Isis damit gemeint sein, aus dem Horus und Leben im Allgemeinen hervorgehen (Kol. 4). Zumindest die letzte (erhaltene) Erwähnung des Wortes in Kol. 4 macht dies wahrscheinlich. Was sich trotz der Probleme und Lücken aus dem Text herauslesen läßt, ist die Hervorhebung von Isis’ Eigenschaft als Mutter des Horus, der mindestens genauso sehr im Mittelpunkt der Hymne steht wie Isis selbst. Sie hat ihn, geradezu als Schöpfergottheit agierend, in ihrem Leib geformt (nHp), ihn geboren und ihm sein Erbe übergeben. Damit wird Isis gleichzeitig zumindest andeutungsweise als Königsmacherin dargestellt, da sie es ist, die für Horus’ Nachfolge seines Vaters sorgt. Ein Vergleich mit Mammisi-Inschriften im Kontext der Horusgeburt liegt dementsprechend nahe.545 Ein weiterer klar hervorstechender Aspekt ist die gemeinsame Verbindung von Horus und Isis mit dem Himmel und dem Sonnenkreislauf: Isis wird in Kol. 1 als Tochter der Nut bezeichnet, ihr Sohn Horus ist gleichzeitig die Sonne, die das Land am Morgen erhellt (Kol. 3). Auch die Hinweise auf die Tagesfahrt der Sonnenbarke (Kol. 3 und 4) gehören eindeutig in diesen Zusammenhang. Isis ist in der Hymne eine Himmels- und Schöpfergöttin, die ihren Sohn als Sonne Horus-Re gebiert546 und ihm sein Erbe überträgt. Außerdem hat sie allen Göttern Leben gegeben. Der Fokus auf Horus wird weiterhin durch die Ritualszene übernommen, die sich 540 BRESCIANI, Assuan, S. 63, übersetzt: „Wenn (sie) im Westen ist, … die Tagesbarke…“, vgl. Anm. 536. 541 Vgl. oben, Kol. 3. Die nähere Betrachtung des neu gefertigten Photos zeigt deutlich, daß entgegen der Transkription von BRESCIANI, Assuan, S. 62, und nicht unter der Eule steht; vgl. auch Wörterbuchzettel DZA 20.038.150. 542 Oder: „indem du hervorgekommen bist…“? 543 Falls überhaupt immer dasselbe damit gemeint ist – zumindest ist die Wiederholung im Text durchaus auffällig. 544 Vgl. Wb III, 357, 18–358, 2; LGG VI, 1–2. 545 Siehe z. B. die Inschriften des Mammisi von Philae, s. o., Kap. 4.1.1. 546 Vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 24.

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Assuan, Isistempel

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unterhalb des Textes befindet:547 Darin opfert der König Augenschminke an Horus, der als „Sohn der Isis, vortrefflicher Erbe des Osiris“ bezeichnet wird. Mit dieser Thematik wird die Szene mit der Hymne verknüpft, in der ja ebenfalls sowohl von den Augen des Horus als auch von seinem Erbe die Rede ist. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Assuan-Hymne 2 (Assuan, B.15, S. 66–67; Taf. 16) Assuan, Isis-Tempel, Haupttor (B), südliche Türlaibung PREYS, in: TLA, Stand: 30.07.2012; GOYON, Rez. Žabkar, S. 92 (Auszüge); COPPENS, Wabet, S. 116–119 (zur Parallele BÉNÉDITE, Philae, 20) Philae-Hymne 8; BÉNÉDITE, Philae, 20 (stark zerstört)548

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

(Dd mdw jn) nD Hr=T As.t wr.t [mw.t nTr (Rezitation:) Sei gegrüßt, Isis, die Große [die Gottesmutter(?) … n=T tA.wj … …]549 xr Ra … zu dir die Beiden Länder(?)…] bei Re. iAw n=T m (m)skt.t hnw &n=T m (m)anD\.t Lobpreis für dich in der Abendbarke, Jubel für dich in der Morgenbarke,550 ms.t n nTr.w nb(.w) Gebärerin aller Götter.551 ij.n nswt bj.tj [(iwa…)552 xr=T Der König von Ober- und Unterägypten [(Ptolemaios IV.) ist zu dir gekommen, nb(.t) anx m hrw pn xaj=T553 im Herrin des Lebens, an diesem Tag, an dem du erscheinst, Ts=f n=T tp=T damit er für dich dein Haupt anknüpfe,

547 Assuan, S. 64–65, B.15. 548 GOYON, Rez. Žabkar, S. 92, vermerkt außerdem eine stark zerstörte Parallele im damals unpublizierten Isis-Tempel von Dendara, macht jedoch keine genauen Angaben über den Anbringungsort. Beim Durchsehen der mittlerweile erschienenen Edition Dend. Isis konnte ich die Stelle nicht auffinden. 549 Die Parallele Philae-Hymne 8 hat hier: As.t wr.t-HqA.w sms.t m X.t mw.t=s Nw.t Ax{w}.t m p.t xr Ra. Die von BRESCIANI, Assuan, S. 66, in der Umschrift angegebenen Zeichenreste am Rand der Kolumne würden dazu jedoch nicht passen. Der Abgleich mit dem neuen Photo hilft auch nicht weiter, da die Reste kaum erkennbar sind. 550 BRESCIANI, Assuan, S. 67, faßt den Satz ohne Präposition m mit der jeweiligen Barke als Subjekt auf. Bei den Barken wird das m für gewöhnlich nur einmal geschrieben, auch wenn eine Präposition aufgrund des Satzbaus unverzichtbar ist. Möglicherweise haben die ursprünglichen Worte (aD, anD.t) für die Barken überhaupt kein anlautendes m, beziehungsweise verlieren es später (skt.t, sktj), vgl. oben, Kap. 4.1.1.A, Anm. 181 zu Philae-Hymne 8. 551 In der Form ms.t nTr.w nb.w ist das Epitheton bereits ab dem NR mehrfach für Isis, Nut und andere Muttergottheiten belegt, siehe LGG III, 418c–419a. Vgl. inhaltlich ähnlich auch Assuan-Hymne 1, Kol. 4: „Du gibst Leben allen Göttern…“. 552 Der Titel wird hier und im Folgenden der Einfachheit halber immer abgekürzt. Siehe für die vollständige Version Assuan-Hymne 1. 553 Die Parallele Philae-Hymne 8 hat hier sDm.n=f.

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120

Kol. 3:

Kol. 4:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

smn=f [n=T HA.t=T]554 damit er für dich deine Stirn/Vorderseite befestige, sA Ra [(Ptwlmys anx Dt mry As.t) @r sA=T der Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis), Horus, dein Sohn. iw kA=T m Htp nb(.t) anx Dein Ka ist in Frieden, Herrin des Lebens, m hrw pn nfr xaj=T555 im=f an diesem schönen Tag, an dem du erscheinst, sHtp(.t) nTr.w m-xt nSnj die die Götter besänftigt haben nach (ihrem) Wüten,556 mr(y.t) Ra wnn=T m-Xnw wjA=f von der Re wünscht, daß du inmitten seiner Barke bist Hr xsf aApp m Ax.w n rA=T beim Abwehren von Apophis mit den Zaubern deines Spruches. m.t [(iwa…) iw xr=T dwA=f nfr.w=T Siehe, [(Ptolemaios IV.) ist zu dir gekommen, damit er deine Schönheit anbete. sfx=T-sw m-a sDb.w n HA.tj.w rnp.t Mögest du ihn befreien von den Übeln derjenigen, die am Anfang des Jahres sind (= Epagomenen). nD Hr=k hrw pn nfr xaj As.t im=f557 Sei gegrüßt,558 dieser schöne Tag, an dem Isis erscheint, aA.t Hrj.t-tp nTr.w dr(.t) Dw die Große, Oberhaupt der Götter, die das Böse abwehrt, inj(.t) Htp.w sjar(.t) &mAa.t n\ t[…] ? die die Opferspeisen bringt und die Maat aufsteigen läßt zu […]. n nswj.t(?) n Gbb Nicht(?)559 […] das Königtum des Geb. r[dj-sw] Gbb n sA=f Wsjr Geb [hat es] ge[geben] an seinen Sohn Osiris, smn=f-sw sA=f @r und er (Osiris?)560 hat ihn fest gemacht, seinen Sohn Horus, Hr ns.t wr.w auf dem Thron der Großen,

554 So ergänzt nach Philae-Hymne 8, zur Lesung vgl. GOYON, Rez. Žabkar, S. 92. 555 Vgl. Anm. 553. 556 Vgl. Philae-Hymne 8. BRESCIANI, Assuan, S. 67, und PREYS, in: TLA, übersetzen: „die Götter sind besänftigt nach dem Wüten“. 557 Ab diesem Satz weicht der Text von Philae-Hymne 8 ab. 558 BRESCIANI, Assuan, S. 67, bezieht den Gruß auf Ptolemaios, jedoch ist m. E. der Tag selbst direkt angesprochen, vgl. Assuan-Hymne 1, s. o. 559 Eventuell sind die Verneinungsarme auch als Präposition n zu lesen: „…wegen des Königtums des Geb […]“. 560 Vielleicht wurde auch ein n ausgelassen, und die Stelle wäre dann zu verstehen als smn=f-sw sA=f @r „Er hat ihn fest gemacht seinen Sohn Horus…“. Genau an dieser Stelle befindet sich eine Schnittkante im Stein, wo ursprünglich noch ein gestanden haben könnte.

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Assuan, Isistempel

Kol. 5:

121

nHm=f A.t(?) ir.wt r it=f auf daß er (Horus) den (richtigen) Zeitpunkt der Zeremonien im Hinblick auf seinen Vater bewahre(?).561 nHm=k sA Ra [(Ptwlmys anx Dt mry As.t) Mögest du (Horus?)562 den Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis) bewahren m-a prj Tms.w r=f m rnp.t tn vor dem Hervorkommen von Bösem gegen ihn, in diesem Jahr.

Kommentar: Wie in der gegenüber angebrachten Assuan-Hymne 1 (s. o.) wird zu Beginn der Hymne wieder das Fest des Erscheinens von Isis erwähnt, welches am Anfang des Jahres stattfindet und zu dessen Anlaß die Anrufungen an die Göttin wohl rezitiert wurden.563 In diesem Text auf der südlichen Türlaibung wird zunächst Isis selbst gefeiert und die Handlungen des Königs ihr gegenüber werden beschrieben. Sie wird in ihrer Eigenschaft als schützende Uräusschlange in der Barke des Re dargestellt, die Feinde wie Apophis bekämpft sowie als Hüterin von Recht und Ordnung fungiert. Dies dient als Einleitung für die Bitte (an Isis; und später Horus?), den König vor den bösen Geistern des neuen Jahres zu beschützen. Der zerstörte Teil in Kol. 4, in dem es anscheinend um die Erbfolge Geb, Osiris, Horus und die Horus anvertraute Verpflichtung gegenüber Osiris geht, ist in seinen Einzelheiten unklar; hier wird aber offensichtlich der Fokus von Isis weg gelenkt. Der Vergleich mit Philae-Hymne 8564 sowie die erneute Gruß- und Segensformel zeigen, daß ab Kol. 3 ein anderer Text angefügt wurde, der jedoch ebenfalls dem Schutz des Königs im neuen Jahr dient. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Assuan-Hymne 3 (Assuan, C.11, S. 80–81; Taf. 18) Assuan, Isis-Tempel, Nebeneingang (C), nördliche Türlaibung PREYS, in: TLA, Stand: 31.07.2012; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 156, Anm. 5; S. 159–160; CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 285–288 (Synopse) Kalabchah I, 15–16; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3– 14; Dend. Isis, 327, 5–9

561 Oder: „und er bewahrt den Zeitpunkt der Zeremonien…“? PREYS, in: TLA, liest hier mit Ergänzung: nHm=f @r irj.wt r it=f „Er bewahrt Horus vor dem, was seinem Vater getan wurde.“ Im Vergleich mit der weiter oben in der Kolumne verwendeten Falkenhieroglyphe für Horus, dürfte das Zeichen hier einen anderen Vogel meinen; außerdem ist der Vogel umgeben von einem t und einem runden Zeichen (Sonnenscheibe?), so daß die Gruppe nicht wirklich mit PREYS’ Lesung vereinbar ist. M. E. geht es um die Zeremonien für Osiris. Vorstellbar wäre noch das rituelle Gedenken an Osiris’ Tod selbst, d. h. „damit er den (richtigen) Zeitpunkt dessen bewahre, was gegen seinen Vater getan wurde“ im Sinne der jährlich wiederkehrenden Festlichkeiten zu diesem Anlaß (Athyr-Fest?). Siehe dazu unten, Kap. 6.1.2.2. 562 Oder handelt es sich um eine Verschreibung, und es geht immer noch um Isis? 563 Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 25. 564 Siehe auch dort, Kap. 4.1.1.A.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: Kol. 1:

r.t-pa.t sA.t Gbb HA.tj(.t)-a sA.t MrH Prinzessin, Tochter des Geb, Fürstin, Tochter des (Stiergottes) Mereh,565 sA.t mTA.t +Hwtj mrj(.t)BA wDA(.t) [$nm]w(?)566 die Wesirin, die Tochter des Thoth,567 geliebt vom Bock (Ba), die Pflegerin des [Chnu]m(?), wr(.t) Hts wr(.t) Hsw.t groß an Vollkommenheit, mit großem Lobpreis, Hnw.t tA Sma.w mHw nb(.t) imA(.t) die Gebieterin von Ober- und Unterägypten, die Herrin der Liebenswürdigkeit,

565 Mereh ist ein alter Aspekt des Königs; schon im AR wurden Königinnen „Tochter des Mereh“ genannt, was in ptolemäischer Zeit wieder aufgegriffen wurde, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 443. 566 Zwischen wDA und dem Determinativ des sitzenden Gottes mit Widderkopf befindet sich ein Loch. Daß hier möglicherweise ‚Chnum‘ und entgegen LGG II, 649b, nicht nochmals bA „der Bock“ zu lesen ist, deutet die ausgeschriebene Version des Namens in der Parallele Kalabchah I, 15–16 an. Auch die Übersetzung von PREYS, in: TLA, als „geliebt von Ba-udja“, indem er den sitzenden Gott mit Widderkopf anscheinend nur als Determinativ sieht, ist damit zu verwerfen. Betrachtet man jedoch alle eventuellen Belege dieses Titels, der vermutlich ein Priesterinnenamt bezeichnet, offenbart sich eine gewisse Problematik in der Interpretation: Es ist nicht ganz eindeutig, ob alle zu diesem Thema üblicherweise angeführten Belege wirklich immer dasselbe meinen. Fraglich ist z. B. der vermeintlich älteste Beleg im göttlichen Geburtszyklus der Hatschepsut mit einer Schreibung, die als DAt.t bA gelesen wird, wobei bA jedoch offenbar erst später ergänzt wurde, siehe BRUNNER, Geburt des Gottkönigs, S. 79–80, Anm. b; D. KLOTZ, Regionally Specific Sacerdotal Titles in Late Period Egypt: Soubassements vs. Private Monuments, in: Rickert/Ventker (Hrsg.), Altägyptische Enzyklopädien, S. 717–792: 745. Andererseits könnte das bei Hatschepsut ebenfalls zuvor genannte mrj.t BA, das auch bei Isis sowie in dem Beleg dieses Titels für Arsinoë II. auf der Mendesstele (Urk. II, 40, 1) jeweils vorangeht, auf eine Zusammengehörigkeit beider Titel (und der entsprechenden Belege) hinweisen, vgl. zur Mendesstele D. SCHÄFER, Makedonische Pharaonen und hieroglyphische Stelen. Historische Untersuchungen zur Satrapenstele und verwandten Denkmälern, Studia Hellenistica 50, Leuven – Paris – Walpole 2011, S. 260–261. In der Gaumonographie Edfu I (siehe zu diesem Text unten, Kap. 4.13.1.2) wird als Priesterinnentitel für den Mendesios wiederum etwas abweichend wDA-bA=f genannt, wobei bA nur mit dem Ba-Vogel geschrieben wird. KLOTZ, loc. cit., übersetzt „She who protects (his) Ram“, wobei ich denke, daß eine Doppeldeutigkeit bzw. ein Wortspiel zwischen Ba„Seele“ und Ba-„Widder“ sicherlich intendiert gewesen ist (ähnlich LEITZ, Gaumonographien, S. 324: „Die seinen Ba/Widder wohlbehalten sein läßt“). Interessanterweise ist die Lesung bA für den Beleg für Arsinoë II. (obwohl hier natürlich aufgrund des mendesischen Kontexts mehr als naheliegend) und in den Isishymnen keinesfalls gesichert, denn das fragliche Wort wird an der Stelle niemals phonetisch als bA ausgeschrieben oder komplementiert, sondern meist ideographisch mit sitzender Gottheit mit Widderkopf (mit unterschiedlichen Kronen) angegeben, wohingegen beim vorangehenden Epitheton mrj.t bA jeweils der schreitende Widder gewählt wurde (in Assuan zusätzlich mit b(A)-Weihrauchtopf davor). Aufgrund der Ausschreibung des Götternamens als Chnum in Kalabscha (s. o.) könnte der Titel, ursprünglich wDA-bA (?), m. E. also in Oberägypten bzw. im Kataraktgebiet im Hinblick auf den dortigen Widdergott umgedeutet worden sein. Interessant ist in dieser Hinsicht auch das Epitheton Xkr.t $nmw „Schmuck des Chnum“ in der Titulatur der Königinnen Berenike II. und Kleopatra I., siehe die Belege bei PAYRAUDEAU, Titres des reines, S. 215–216. 567 Zur Vorstellung von Isis als Tochter des Thoth, vgl. STADLER, Weiser und Wesir, S. 153–155; BUDDE, Seschat, S. 145–146. DELIA, Isis, or the Moon, S. 548–549, behauptet fälschlich, die Vorstellung von Isis als Tochter des Thoth/Hermes sei den Ägyptern gänzlich fremd gewesen. AUFRÈRE, Taches lunaires, S. 27, leitet die Familienkonstellation von Isis’ Gleichsetzung mit Unut/Nehemetawai ab.

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Assuan, Isistempel

Kol. 2:

Kol. 3:

123

&bnr(.t)\ [mrw.t mit süßem Liebreiz,568 Hnw.t n Sn] &nb\ [i]tn569 die Gebieterin von allem, was die Sonnenscheibe umkreist, nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) die Königin von Ober- und Unterägypten, [(Isis, die Große, die Gottesmutter), Hm.t nswt tpj(.t) n [(Wnn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nTr n @r kA nxt die Gottesmutter des Horus, des Starken Stiers, nTr.t nfr.t msj(.t) nxt die vollkommene Göttin, die den Siegreichen (Gott) geboren hat, SAa.tw msw.t nTr n {h}570=s für/wegen deren Ka die Geburt des Gottes begonnen wurde(?):571 HqA sA HqA sr wr Ra pw572 ein Herrscher, Sohn eines Herrschers, der große Fürst, Re ist es, kA=tw r Hm=f was man von seiner Majestät sagt, iwt{.t}(j) whm.tj=f Dt dessen Wiederholung es nicht geben wird, ewiglich. sn=s wr m nb spA.wt gs.w-pr.w Xr aXm.w=f Ihr großer Bruder ist der Herr der Gaue und die Tempel tragen seine Götterbilder, sSm.w=f Dsr(.w) m s.wt nTr.w seine Abbilder sind geheiligt573 an den Stätten der Götter; imj574=sn n=f m hnw diejenigen, die in ihnen (den Götterstätten) sind, sind für ihn im Jubel,

568 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 159, übersetzt: „die Liebenswürdige und Geliebte“. 569 Ergänzt nach Kalabchah I, 15–16. 570 Korrektur nach der Parallele in Kalabchah I, 15–16. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160, Anm. 3, möchte hier lieber kA.t „Leib“ lesen (womit er wohl das weibliche Geschlecht meint, was das Wort eigentlich bedeutet). PREYS, in: TLA, liest SAa.t msw.t nTr n hAw=s „die die göttliche Geburt zu ihrer Zeit begonnen hat.“ 571 Lesung und Übersetzung sind unsicher, vgl. die vorige Anm.; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160, geht m. E. jedoch zu weit, indem er ms nxt nTr als „kräftiges Kind der Göttin“ hier zum Subjekt des Satzes macht. 572 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160, Anm. 4, emendiert Ra zu sA, wobei eine Streichung von Ra m. E. jedoch nicht nötig ist. BRESCIANI, Assuan, S. 81, übersetzt „Herrscher der Herrscher, Fürst der Fürsten“, gefolgt von PREYS, in: TLA; für einen Plural gibt es jedoch weder in Assuan noch im Kalabscha-Text irgendein Anzeichen; ebensowenig wie für sA. Mit der Lesung sr wr Ra hingegen wird man beiden Parallelen gerecht, ohne überhaupt emendieren zu müssen. 573 BRESCIANI, Assuan, S. 81: „seine heiligen Statuen sind an…“; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160: „seine geheime Gestalt entsteht an den Götterstätten“. 574 BRESCIANI, Assuan, S. 81, und BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160, lesen anscheinend nach der irreführenden Transkription in Kalabchah I, 15–16, swAj „vorbeiziehen“; vgl. Kap. 4.3.1.2. PREYS, in: TLA, emendiert zu =sn… „sie kommen zu ihm in Jubel“.

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Kol. 4:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

n[t]f575 nb=sn ir.w r-Aw Hna denn er ist ihrer aller Herr576 zusammen mit @r m-ab sn.t=f sbj.tj(.t)(?)577 n wn mj.t.t=s Horus und gemeinsam mit seiner Schwester, die Geleiterin(?),578 derengleichen es nicht gibt, nTr.t mnx.t irj(.t) nn r-Aw n sn=s wr die wohltätige/vortreffliche Göttin, die dieses alles für ihren großen Bruder vollzieht.579 Htp Hr=T nfr n nswt bj.tj [(Ptwlmys anx Dt mrj As.t) nHm=T-s(w) xwj=T-s(w) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis), mögest du ihn bewahren und mögest du ihn beschützen!

Kommentar: Der erste Teil der Hymne, die bis auf das Schlußgebet in der 3. Pers. über die Göttin spricht, enthält eine kanonische Königsgemahlinnen-Titulatur der Isis, innerhalb derer sowohl ihr eigener Name mit zwei Haupttiteln als auch der ihres Gemahls Osiris in eine Kartusche gefaßt werden (Kol. 2).580 Die Titel sind teilweise alt und gehen auf die ersten Dynastien zurück, werden aber in der Spätzeit von Königinnen wieder aufgegriffen, insbesondere von den Ptolemäerinnen.581 Im Mittelpunkt des zweiten Teils (ab Kol. 2) steht die Geburt von Horus, auf den dann näher eingegangen wird. Im Anschluß daran wird außerdem noch die gesamte Götterfamilie Isis, Osiris, Horus im Zusammenhang mit nicht genau definierbaren Ritualen und dem Kult in den Tempeln erwähnt. Die Hymne stellt also nacheinander die einzelnen Mitglieder der Triade vor, wobei Isis als Tempelherrin am Anfang und Ende steht und insgesamt den größten Stellenwert einnimmt.

575 Ergänzung nach Kalabchah I, 15–16. Nicht verstanden von PREYS, in: TLA. 576 So auch die Auffassung bei BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160. BRESCIANI, Assuan, S. 81, übersetzt: „…ihr Herr, der alles vollbringt (tut)…“. Die Schreibung mit den drei Augen in Assuan wäre für ein Partizip sehr ungewöhnlich; die gewöhnlichere Schreibung in Kalabscha mit legt nahe, daß ir.w „alle“ gemeint ist. PREYS, in: TLA, übersetzt die Stelle nicht. 577 Der Vogel ist weder in Assuan noch in Kalabscha eindeutig identifizierbar. Möglicherweise handelt es sich um . 578 Dieses Epitheton ist sonst (außer der Parallele in Kalabscha) nirgends belegt und auch nicht in das LGG aufgenommen. Zur maskulinen Form sbj.tj „Geleiter“ siehe Wb III, 433, 2, und J. F. QUACK, Ein neuer Versuch zum Moskauer literarischen Brief, in: ZÄS 128, 2001, S. 167–181: S. 180, Anm. 127. PREYS, in: TLA, liest auch sbj, übersetzt aber mit „qui produit Horus“, was ich nicht nachvollziehen kann. 579 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160, zufolge soll die Formulierung typisch für das Ausführen von Mysterienhandlungen sein, mit Verweis auf DAUMAS, Les mammisis, S. 437–438, Anm. 1. Vgl. auch weitere Belege mit dieser Formulierung im Zusammenhang mit Riten für Osiris bei KUCHAREK, Klagelieder, S. 390. 580 Vgl. dazu Philae-Photo 1297, Kap. 4.1.1.A. 581 Vgl. dazu CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 286–287 (mit Synopse); STADLER, Weiser und Wesir, S. 154; ausführlich PAYRAUDEAU, Titres des reines; speziell zu wr.t Hts auch BUDDE, Götterkind, S. 56, Anm. 260, mit weiterer Literatur.

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Assuan, Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

125

Assuan-Hymne 4 (Assuan, C.12, S. 83) Assuan, Isis-Tempel, Nebeneingang (C), südliche Türlaibung – Kalabchah I, 16

Text (mit Ergänzungen nach der Parallele): Kol. 1:

Kol. 2:

[nswj.t bj]tj.t &As\.t &wr\[.t582 mw.t-nTr nb.t %wnw(?) [Die Königin von Ober- und Unter]ägypten Isis, die Große, [die Gottesmutter, die Herrin von Syene, Hnw.t nfr.t nb(.t) Iw-rq(?)583 nb(.t) xAs.wt rsj.(w)t die vollkommene Gebieterin, die Herrin von Philae(?), die Herrin der südlichen Fremdländer, Hm.t-nswt wr(.t) n Hm n nsw.t bjtj Wsjr die Große Königliche Gemahlin der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Osiris, mw.t-nTr n nD-it=f die Gottesmutter des Schützers seines Vaters, ntT(?) nb(.t) p.t sA=T @r m nb tA du(?) bist die Herrin des Himmels, dein Sohn Horus ist der Herr der Erde, hy=T m nb dwA.t und dein Gemahl ist der Herr der Unterwelt, sSm(.t) anx.w nb(.w) r nmtt=sn] die alle ‚Lebenden‘ (= Sterne) zu ihrem Schreiten führt (= auf ihre Bahn leitet)], &nfr (.t) Hr\584 sHb(.t) [mn(D).tj die mit vollkommenem Antlitz und festlich (geschminkten) [Augen, mH(.t) aH.t m nfr.w=s die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt, baHj(.t) wAxj m sTj=s m Pwn.t die die Säulenhalle mit ihrem Duft aus Punt überströmt, xnm=s m tA-nTr deren Wohlgeruch aus dem Gottesland stammt, (nTr.t?) wD(.t) mdw n nTr.w nb (die Göttin?), die Befehle erteilt an alle Götter, sS n +Hwtj Hr ns=s auf deren Zunge die Schrift des Thoth ist, irj hby.w xft Dd.t=s gemäß deren Worten die ‚Gesandten‘ handeln,

582 In Kalabchah I, 16, folgt auf den Namen dj.t anx, doch ist in Assuan nach der Umzeichnung von BRESCIANI (es gibt leider kein Foto der Reste) noch halb zu erkennen, so daß hier möglicherweise die nahen Titel wr.t mw.t nTr nb(.t) %wnw anzunehmen sind, wie in Assuan-Hymne 5 (siehe unten). 583 Es fragt sich, ob im Assuan-Text an dieser Stelle eher ein anderes, lokales Epitheton stand, da Isis von Philae in den anderen Assuan-Hymnen auch nicht genannt ist. 584 Der Ideogrammstrich unter Hr ist noch vorhanden.

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Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

smA sanx r mrj=s nach deren Wunsch getötet und leben gelassen wird, xp(r) wD.t nswt Xr s.t-rA=s auf deren Ausspruch hin der Beschluß des Königs entsteht, dj(.t) anx n Sm Hr mw=s die Leben gibt an den, der auf ihrem Wasser geht (= ihr untertan ist), tm xAa Hsb.w/SAw(?)=s nts(?)] und nicht illoyal ist, (denn) sie ist (?)] nfr.t n [ntj m Hsw.t=s die Gute/Vollkommene für [den, der in ihrer Gunst steht. mj=T m Htp r pr=T wab Mögest du in Frieden zu deinem reinen Haus kommen, s.t Abj(.t) (ib?)=T mrj(.t) kA=T dem Ort, den dein Herz begehrt, und dein Ka liebt, wab.tj n kA=T indem er (= Tempel) rein gemacht wurde (= geweiht wurde) für deinen Ka, Dsr.t(j) mAa.t(?) n sxm=T und die Maat geheiligt wurde für dein Götterbild. Htp Hr=T nfr n nsw.t bjtj nb tA.wj [(Ptwlmys anx Dt mry As.t) ] Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis) ].

Kommentar: Diese gegenüber von Assuan-Hymne 3 angebrachte Hymne ist bis auf wenige Zeichenreste vollständig zerstört, läßt sich jedoch anhand dieser als Parallele zum Text Kalabchah I, 16 erkennen,585 der dort die rechte Hälfte der Bandeau-Inschrift bildet, deren linke Hälfte von der Textparallele zur Assuan-Hymne 3 eingenommen wird. Da die gegenüber angebrachte Assuan-Hymne 3 vier Textkolumnen aufweist, ist eigentlich anzunehmen, daß auch hier vier Kolumnen vorhanden waren. Die vorhandenen Reste und die Länge des zu ergänzenden Textes aus Kalabscha lassen allerdings nur eine Verteilung auf drei Kolumnen zu. Möglicherweise wurde ein Auszug aus einem anderen Text angefügt wie bei den AssuanHymnen 2 und 5.

585 Für die Anm. zum Text und den inhaltlichen Kommentar, siehe den Text in Kalabscha, Kap. 4.3.1.2.

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Assuan, Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

127

Assuan-Hymne 5 (Assuan, E.14, S. 102–103; Taf. 22) Assuan, Isis-Tempel, Tür zum Sanktuar (Tor E), nördliche Türlaibung PREYS, in: TLA, Stand: 31.07.2012; D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 89; QUACK, Standardhymnus; STADLER, Isishymnus; ID., Einführung, S. 83–85; TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 165–167, n)–p), u. 282–283586 a) Dend. XIV, 210, 11–211, 5;587 Dend. XV, 25, 7–26, 14 b) Philae-Hymne 7; diverse Versionen des Sistrumhymnus588

Text: Kol. 1:

(Dd mdw) nD Hr=T As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) %wnw (Rezitation:) Sei gegrüßt, Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Syene, %pd.t nb(.t) p.t Hnw.t bA.w anx.w n.j.w nTr.w Sothis, die Herrin des Himmels, die Gebieterin der lebenden Bas der Götter,589 &psD(.t) m\ [Hrj.t xt sn=s Wsjr die am [Himmel] erglänzt [hinter ihrem Bruder Osiris, Sm=s Hr nmt.t=f ] &ra nb\590 indem sie auf seiner Bahn geht,] jeden Tag, &sHr(.t) sbj\ [pfj Hr=f Hna smAwtj.w=f die [jenen] Feind [vor ihm] niederwirft, [zusammen mit seinen Genossen, Hr sHr(.t) sbj.w=f Hna smAy.w=f591 beim Vertreiben seiner Feinde zusammen mit seinen Genossen (= des Seth), Hr xsf aApp m Ax.w tp-]&rA=s\ beim Abwehren des Apophis mit den Zaubern] ihres [Spru]ches,592 [Ax.tj m p.t xr Ra] die du glänzend/wirkmächtig bist im Himmel bei Re] &m rn=T pfj n Ax.t(?)\ in jenem deinem Namen ‚Glänzende/Wirkmächtige‘, [w]sr.t &m tA(?) xr Gb(?) die du mächtig bist auf der Erde(?) bei Geb(?)

586 Zur Adaption von Epitheta der Göttin im Sistrumhymnus in eine Rezitation des ‚Balsamierungsrituals‘. 587 Diese Parallele, die nur den Anfangsteil des Gesamttextes wiedergibt, wird von STADLER, Isishymnus, nicht erwähnt. 588 Siehe QUACK, Standardhymnus, mit einer Auflistung der Parallelen auf S. 102–105; vgl. auch CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 73 m. Anm. 132; 74 m. Anm. 133. 589 Mit diesem Ausdruck könnten die Dekane gemeint sein, deren wichtigster und damit deren „Gebieterin“ Sothis/Sirius ist, vgl. VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23. Andererseits können auch andere Himmelskörper als „lebende Bas der Götter“ aufgefaßt werden, siehe QUACK, Dekane, S. 12. 590 Dies und das Folgende ergänzt nach den Parallelen Dend. XIV, 210, 11–211, 5 und Dend. XV, 25, 7– 26, 14. 591 Vgl. die Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5: sxr(.t) xftj{.w} pfj Hr=f Hna smAwtj.w=f. 592 Diese Phrase fehlt in der Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5. Vgl aber dazu z. B. auch PhilaeHymne 8.

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128

Kol. 2:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

m rn=T pf\[j] &n\ [w]&sr\[.t]593 in jene[m] deinem Namen ‚[M]ächtig[e]‘, & Tnj.\t m dwA.t [xr] Wsjr (?) die Erhabene in der Unterwelt [bei] Osiris (?) m rn=T &n\ [*n]&n\.t594 in deinem Namen [Tjen]enet („Erhabene“),595 stj(.t) Hapj baHj.n=f tA.wj m rn=T pfj n %pd.t/%Tj.t die du den Nil ausgießt, wenn/damit er die Beiden Länder überschwemmt, in jenem deinem Namen ‚Sothis/Satet‘,596 inq=T-s(w) r sjwr sx.t m rn=T pfj n anq.t du flutest ihn (den Nil), um das Feld fruchtbar zu machen, in jenem deinem Namen ‚Anuket‘,597 dj(.t) xpr wnn.t nb(.t) m tA die (du) alles, was auf Erden existiert, entstehen läßt; anx=sn im=T m rn=T pfj n anx.t es598 lebt durch dich in jenem deinem Namen ‚die Lebendige‘,

593 BRESCIANI, Assuan, S. 103, und LGG VI, 426b, lesen sr.t m p.t xr nTr.w „die am Himmel bei den Göttern verkündet“. Es dürfte hier m. E. jedoch [w]sr.t zu lesen sein (so auch PREYS, in: TLA). Da der rechte Rand der Kolumne ja zerstört ist, wäre dort noch Platz für ein senkrechtes schmales Zeichen wie . Vgl. dazu auch die Parallelen Dend. XIV, 210, 11–211, 5, und Dend. XV, 25, 7–26, 14, wo der Text allerdings jeweils etwas abweicht: wsr.t(j) m tA m rn=T pfj n wsr.t, und wsr.t m tA xr Gbb m rn=T pfj n Wsr.t. Möglicherweise ist der lückenhafte Text in Assuan, der bei BRESCIANI, Assuan, S. 102, eventuell einige Abschreibefehler enthält, nach letzterer Version zu korrigieren. Das von BRESCIANI transkribierte, halb weggebrochene zweite vor dem vollständig erhaltenen könnte dem Photo zufolge ebenso gut das b von [G]b sein, und das flache Zeichen, das von BRESCIANI als transkribiert wurde, könnte eher sein. Vgl. dazu auch STADLER, Isishymnus, S. 293–294, Anm. k)–l). Die Lesung „Geb“ macht m. E. auch inhaltlich mehr Sinn: vgl. Re am Himmel, Osiris in der Unterwelt. 594 Ergänzt nach Dend. XV, 25, 7–26, 14: Tnj.t m dwA.t xr Wsjr m rn=T pfj n *nn.t. Der Text in Dend. XIV, 210, 11–211, 5, endet mit: Tnj.tj m dwA.t xr Wsjr „die du erhaben bist in der Unterwelt bei Osiris“. BRESCIANI, Assuan, S. 102–103, transkribiert das entscheidende Wort jeweils als , was auf den Photos jedoch keineswegs so zu erkennen ist, und übersetzt „die in der Unterwelt residiert in jenem deinem Namen Isis“. Die Reste würden ebenso gut zur obigen Lesung passen. STADLER, Isishymnus, S. 295, Anm. p) folgt BRESCIANIs Transkription des Namens und übersetzt „Isis in der Unterwelt [vor] Osiris in deinem Namen Isis“, obwohl einer der anonymen Gutachter des JEA seinem Kommentar nach ebenfalls die oben angegebene Lösung vorschlägt. Vgl. Anm. 67. 595 Zum Namen der Göttin Tjenenet, auch speziell zu dieser Stelle, siehe M. T. DERCHAIN-URTEL, Synkretismus in ägyptischer Ikonographie. Die Göttin Tjenenet, GOf IV, 8, Wiesbaden 1979, S. 75–77. Zu Isis und Tjenenet sowie der obigen Textstelle (bzw. der Parallele Dend. XV, 25, 7–26, 14) vgl. auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 247–250. 596 Die Schreibung des Namens ist eigentlich als „Sothis“ zu lesen; diese fällt jedoch in später Zeit lautlich und graphisch mit Satet zusammen (vgl. Wb IV, 348, 8), die an der mythischen Nilquelle am 1. Katarakt sitzt. Außerdem wird im nächsten Satz parallel dazu Anuket genannt. Inhaltlich würde Sothis aufgrund des Überschwemmungsthemas natürlich ebensoviel Sinn machen. Siehe zu dieser Stelle auch DOUSA, Imagining Isis, S. 155, m. Anm. 24; D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 89. 597 Vgl. zu dieser Stelle eine Parallele im Fayumbuch, Z. 77–82 (eine Beischrift zu einer Vignette mit Darstellungen von Satet und Anuket): stj=s Hapj m Abw r baHj &A-S Nnj-nswt anq=s r &A-MHw „Sie (Satet/Sothis) gießt den Nil aus in Elephantine, um das Seeland und Herakleopolis zu überschwemmen, und sie (Anuket) führt die Flut nach Unterägypten.“ Vgl. auch ZECCHI, Geografia religiosa, S. 210.

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Assuan, Isistempel

Kol. 3:

129

sqdj=T m tA xr %AH wbn=T Hr iAbt.t n.j.t p.t du ziehst dahin in der Erde (?)599 bei Orion, du gehst auf im Osten des Himmels, sHtp=T m anx Hr imnt.t ra nb du legst dich lebendig zur Ruhe im Westen, jeden Tag. nHm=T nswt bj.tj [(Ptwlmys anx Dt mrj As.t) m-a ix.t nb Dw m-a xr.yw Mögest du den König von Ober- und Unterägypten [(Ptolemaios…) bewahren vor allen schlechten Dingen und vor Feinden.600 irj(.t) sSS.tj m Hr=T nfr Die Sistren spielen in deinem schönen Angesicht,601 As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) %wnw Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Syene, ir.t Ra iwt.t snnw.t=s m p.t tA Auge des Re, deren Zweite es nicht gibt im Himmel und auf Erden,602 wr(.t) mr.(w)t Hnw.t Hm.wt mH(.t) p.t tA m nfr.w=s Große an Beliebtheit, Gebieterin der Frauen, die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt, mw.t-nTr n kA nxt603 Hm.t nswt604 n [(Wn-nfr mAa-xrw) die Gottesmutter des Starken Stieres, die Königliche Gemahlin von [(Onnophris), Sps.t aA(.t) m Hw.t-sr wa.t m Hw.t bnw605 Große Edle im Haus des Fürsten, Einzigartige im Haus des Phönix, nb(.t) nmt.t m wjA n HH ir(.t) sxr m tp(.t) nTr Herrin des Ausschreitens in der Barke von Millionen, die Rat erteilt/Pläne macht in der Götterbarke. nTr.t aA.t xnt Hw.t-bj.t Die große Göttin an der Spitze des Hauses der Biene (= Sais),606 Hnw.t m &A-anx.t die Gebieterin im Land des Westens,607

598 Das Suffix im Plural wird wohl deshalb verwendet, weil wnn.t nb(.t) einen pluralischen Begriff darstellt. 599 Naheliegender wäre m p.t „am Himmel“. Ob es sich um ein Versehen des Schreibers handelt? Andererseits könnte hier der übliche Zyklus (entsprechend dem der Sonne) gemeint sein: Aufenthalt unter der Erde – Aufgang im Osten – wiederum Untergang im Westen. Die Parallele Dend. XV, 25, 7–26, 14 hat allerdings: sqdj=T m-xt %AH. 600 Mit der Wunschformel für den König endet hier eigentlich eine Komposition. Angeschlossen ist in der 3. Kol. der Sistrumhymnus, die Parallele zu Philae-Hymne 7, vgl. auch die folgenden Anm. 601 Es scheint sich bei irj um einen Infinitiv zu handeln, so daß der Beginn des neuen Textes einem Ritual-Titel entspricht. BRESCIANI, Assuan, S. 103, versteht dagegen ein Partizip, das auf den zuvor genannten König bezogen ist. Dies ist auch möglich und würde die beiden Texte verbinden. STADLER, Isishymnus, S. 293, ergänzt zu irj.n=i. 602 Ab hier entspricht der Text der Philae-Hymne 7. 603 Die Parallele Philae-Hymne 7 hat hier KA-mw.t=f. 604 Die Parallele Philae-Hymne 7 gibt Hm.t nswt wr.t „Große Königliche Gemahlin“. 605 Die Parallele Philae-Hymne 7 hat hier Hw.t bnbn. 606 Zu Hw.t-bj.t als Heiligtum in Sais siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 629; EL-SAYED, Neith, S. 199–208; LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 322, m. Anm. 7.

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130

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

HqA.t m WAs.t nb(.t) ISrw die Herrscherin in Theben, die Herrin von Ischeru,608 aA(.t) xa(.w) m Xnw %wnw groß an Erscheinungen in Syene,609 nTr.t aA.t xnt ^ma.w Hnw.t m MHw die große Göttin an der Spitze von Oberägypten, die Gebieterin in Unterägypten.610 Kommentar: Die Inschrift setzt sich aus zwei ursprünglich getrennten Kompositionen zusammen: Der erste Hymnus (Kol. 1–2) beginnt mit einer Abfolge einfacher Epitheta, die gleich zu Beginn Isis mit Sothis identifizieren, die mit Osiris-Orion am Himmel dahinzieht. Somit wird ein Schwerpunkt in der astralen, himmlischen Sphäre für den weiteren Text gesetzt, verbunden mit dem Themengebiet der Nilüberschwemmung und Fruchtbarkeit. 611 Den Kern dieses Abschnitts bildet eine Litanei mit der Namensformel („in jenem deinem Namen X“), die Isis mit Hilfe von Wortspielen mit verschiedenen Beinamen versieht und mit den lokalen Göttinnen Satet und Anuket gleichsetzt.612 Des weiteren ist Isis einerseits am Himmel bei Re, andererseits bei Osiris in der Unterwelt, wodurch ein ganzer astraler Kreislauf durch Himmel und Unterwelt impliziert ist. Ein zweiter, inhaltlich ähnlicher Abschnitt in Kol. 2, nun ohne Namensformel, beharrt auf diesem Thema. Die Rolle als Urheberin der Nilflut (als Satet/Sothis u. Anuket) wird zu der einer allgemeinen Schöpfergöttin ausgebaut („die alles… entstehen läßt“). Die starken Zerstörungen in der 1. Kolumne sind hier versuchsweise mit Hilfe der Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5 ergänzt; jedoch ist wahrscheinlich mit einigen Abweichungen zu rechnen, da auch der besser erhaltene Teil dem Dendara-Text nicht wörtlich entspricht. An diese Litanei, die mit einer Bitte für den König endet, ist eine Version des Sistrumhymnus613 in einer fast wortgenauen Kopie des entsprechenden Teils von PhilaeHymne 7 angesetzt,614 in der Isis am Ende mit verschiedenen Städten und Stätten in Verbindung gebracht wird. Thematisch stellt die Inschrift insgesamt Isis als Sothis und damit Lebens- und Fruchtbarkeitsspenderin für das Land dar, des weiteren als Herrin Ägyptens mit verschiedenen dazu gehörigen wichtigen Orten.

607 Name der Nekropolen verschiedener Städte, siehe GDG VI, S. 6–7, u. a. Heliopolis, welches m. E. hier wahrscheinlich gemeint ist (vgl. andere ähnliche Litaneien, wo Memphis, Heliopolis und Theben immer zuerst genannt werden, siehe dazu NAGEL, One for All). 608 Tempel und heiliger See der Mut bei Karnak, Wb I, 135, 6. 609 Die Parallele Philae-Hymne 7 hat statt dessen aA(.t) xa(.w) m ¤nm.t „groß an Erscheinungen in Bigge“; beide Varianten sind demnach an das lokale Umfeld angepaßt, während die übrigen langen Versionen übereinstimmend das offenbar ursprünglichere „Karnak“ nennen, vgl. dazu QUACK, Standardhymnus, S. 113, k). 610 Die übliche Schlußformel fehlt hier aus Platzgründen. 611 Vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 25–26. 612 Zur Hymne mit Namensformel siehe z. B. ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 17–18. 613 Siehe dazu QUACK, Standardhymnus, mit einer Liste der verschiedenen Textzeugen auf S. 102–105. 614 Siehe auch dort, Kap. 4.1.1.A; vgl. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 114.

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Assuan, Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

131

Assuan-Hymne 6 (Assuan, E.15, S. 104–105; Taf. 23) Assuan, Isis-Tempel, Tür zum Sanktuar (Tor E), südliche Türlaibung PREYS, in: TLA, Stand: 31.07.2012; D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 89–90; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 97–98; KUCHAREK, Klagelieder, S. 136; ROSE, Sothic Date; J. LULL, La astronomía en el antiguo Egipto, Valencia 2004, S. 98–99; CLAGETT, Calendars, Clocks and Astronomy, S. 331–333; YOYOTTE, Monumentale litanie, bes. S. 63–64; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23–24, Anm. 77; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 143–144 m. Anm. 74; QUACK, Sonne und Mond, S. 34 u. 48; MARTZOLFF, Décoration des pylônes, Taf. 12a (hieroglyphische Abschrift nach Assuan, E.15) Philae-Photo 1297; El-Qal‘a II, Nr. 238

Text: Kol. 1:

(Dd mdw jn) nD Hr=T As.t nD Hr=T %pd.t %xm.t BAs.t (Rezitation:) Sei gegrüßt, Isis, sei gegrüßt, Sothis, Sachmet, Bastet, nb(.t) %wnw nb(.t) p.t HqA(.t) idb.w Herrin von Syene, Herrin des Himmels, Herrscherin der Ufer, prj=T wsr=T mrj(.t) PtH mögest du erscheinen, mögest du mächtig sein, Geliebte des Ptah, Nxb.t WADy.t ^smt.t615 Wnw.t Nechbet, Uto, Schesemtet, Unut (Uräusschlange), Hrj(.t)-ib S njw.t=s616 m Hw.t-kA-PtH die inmitten des Sees,617 deren Stadt Memphis ist,618 bjk.t nTrj.t nb(.t) Pwn.t das göttliche Falkenweibchen, die Herrin von Punt,

615 Eventuell könnte hier auch die in Assuan heimische %Tj.t Satet gemeint sein, vgl. ihre Nennung in Assuan-Hymne 5. Zu Schesemtet, einer Form der Gefährlichen Göttin in Löwengestalt, siehe P. E. NEWBERRY, ^sm.t, in: Studies Presented to F. L. Griffith, London 1932, S. 316–323: 318–320; DE WIT, Lion, S. 310–312; HOENES, Sachmet, S. 171–172; Ph. DERCHAIN, Elkab I. Les monuments religieux à l’entrée de l’ouady Hellal, Brüssel 1971, S. 14–32. 616 BRESCIANI, Assuan, S. 105, liest das Stadtzeichen offenbar nicht und übersetzt „die in ihrem See im Tempel des Ka von Ptah ist“. Vgl. zur obigen Lesung PREYS, in: TLA. 617 So wird Neith im Buch vom Fayum (170) einmal bezeichnet, vgl. LGG V, 432b. S bezeichnet dort entsprechend den Fayumsee. 618 Ähnliche Listen von Verkörperungen der Gefährlichen Göttin finden sich in Ritualen für die Uräusschlange, siehe z. B. ERMAN, Hymnen an das Diadem, S. 24–30, besonders im Räucherritual z. B. innerhalb des Mundöffnungsrituals (Szene 59B), siehe OTTO, Mundöffnungsritual II, S. 132–134; QUACK, Fragmente, S. 104–105. Ursprünglich lautete der auf „Unut“ folgende Teil im Räucherritual für die Uräusschlange: Wnw.t MnHy.t Njw.t-S(.w)=s Hw.t-wr.t „Unut, Menhit, ‚Die von der Stadt ihrer Seen (oder: ihres Sees)‘ und ‚Die von Hut-weret‘“ (MÖR Szene 59B, d). Zu den beiden von Toponymen abgeleiteten Epitheta der Uräusschlange siehe bereits L. BORCHARDT, Das Grabdenkmal des Königs SaoHu-Reo II, Leipzig 1913, S. 128). Darauf geht wohl die in der obigen Hymne vorliegende Passage Hrj(.t)-ib S njw.t=s m Hw.t-kA-PtH zurück.

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132

Kol. 2:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) ISrw Hnw.t sxm.w die Herrin von Ischeru, die Gebieterin der Mächtigen, imnt.t iAbt.t Xr nfr.w=s Westen und Osten sind unter ihrer Vollkommenheit, irj.tw n=s pr-wr pr-nsr.t pr-nw Für sie wurden das ‚Große Haus’, das ‚Haus der Flamme‘ und das pr-nw gebaut,619 r Xnm mrj.t=s im damit (sie) sich dort mit dem vereinigen kann, was sie liebt, nb(.t) 12620 Hnw.t 16 die Herrin der 12, die Gebieterin der 16, Smsw Hm.t=s m 730 das Gefolge ihrer Majestät ist/besteht aus 730,621 nb(.t) rnp.wt Hnw.t Abd.w die Herrin der Jahre, die Gebieterin der Monate, hrw.w wnw.wt Xr nfr.w=s unter deren Vollkommenheit die Tage und Stunden622 sind, nb(.t) anx Hnw.t tA.wj die Herrin des Lebens, die Gebieterin der Beiden Länder, ^Ay Rnn(.t) m wD.t.n=s Schicksal und Gedeihen sind in dem, was sie befohlen hat. Rnn-wt.t nb(.t) kA.w Renenutet, die Herrin der Speisen, wr.t HkA xnt aH.t die Große an Zauberkraft, die an der Spitze des Palastes ist,623 mj.t r=T n sA Ra [(Ptwlmys anx Dt mrj As.t) sA=T pw Komme doch zu dem Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis), (denn) er ist dein Sohn. Hnw.t=n n dj=T-s(w) n imj.w […]t (Oh) unsere Gebieterin, mögest du ihn nicht denjenigen, die in […] sind, geben (?),

619 Das oberägyptische und die beiden unterägyptischen Reichsheiligtümer. 620 BRESCIANI, Assuan, S. 105, liest seltsamerweise 13, obwohl sie vier Zahlstriche in der Transkription angibt. Das neue Photo der Hymne zeigt eindeutig nur zwei Striche, was genau mit der Parallele Philae-Photo 1297 übereinstimmt, wo ebenfalls definitiv eine 12 steht (siehe dort, Kap. 4.1.1.A). Von nahezu allen Bearbeitern wurde jedoch die 14 als Lesung übernommen, siehe unten. 621 Siehe hierzu den Kommentar zur entsprechenden Stelle in der Parallele Philae-Photo 1297. 622 BRESCIANI, Assuan, übersetzt mit „le costellazioni“ („die Sternbilder“). Das etwas undeutliche Zeichen soll aber wohl darstellen. In der Parallele Philae-Photo 1297 folgt definitiv „Stunde(n)“, wenn auch in der etwas abweichenden Formulierung „die Herrin der Jahre, die Gebieterin der Monate, Tage und Stunden“. PREYS, in: TLA, segmentiert die Assuan-Stelle etwas anders: „die Herrin der Jahre, die Gebieterin der Monate und Tage, deren Schönheit die Stunden füllt.“ Diese Aufteilung ist prinzipiell ebenfalls möglich. 623 Zu dieser Passage, die Isis mit Renenutet gleichsetzt und sie so als Herrin über Schai und Renenet und Herrin der Speisen bezeichnet, vgl. auch DOUSA, Imagining Isis, S. 178.

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Assuan, Isistempel

Kol. 3:

133

mTn.n=f n=T stp.w Er hat für dich ausgewählte Fleischstücke herausgeschnitten, sHtp=f tw=T m ix.wt nfr.w(t) er stellt dich zufrieden mit guten Dingen, xrp=f n=T Htp.w DfA.w indem er dir Opfergaben und Speisen darreicht HAy=f n=T wdHw m qbH ipn und dir eine Libation aus diesem frischen Wasser ausgießt, Htp=T n=f m nsr=T m irj.n=f-sw Mögest du ihm gnädig sein mit deiner Flamme,624 weil er es für dich getan hat, Ax=T m wD.t.n=f mögest du herrlich/wirkmächtig sein mit dem, was er befohlen hat (= mögest du dich daran erfreuen). nHm=T nswt bj.tj [(Ptwlmys…) m-a ix.t nb(.t) Dw Htp=T n=f Hr=T(?) Mögest du den König von Ober- und Unterägypten [(Ptolemaios IV.) bewahren vor allen schlechten Dingen, und mögest du ihm gnädig sein (Möge dein Antlitz ihm gnädig sein?).

Kommentar: Ähnlich wie in der gegenüber angebrachten Assuan-Hymne 5 wird Isis auch hier mit verschiedenen ägyptischen Göttinnen gleichgesetzt, wobei die Identifikation in diesem Fall über eine bloße Aneinanderreihung der Namen vonstatten geht. Besonders auffällig ist an diesem Text jedoch die Einbindung der Isis in die Zeitrechnung und ihre astronomischen Hintergründe, was in erster Linie aus ihrem Sothis-Aspekt resultiert. Dieser hängt wiederum eng mit dem Festereignis zu Beginn des Jahres zusammen, das auch in den anderen Hymnen immer wieder Erwähnung findet: dem Sothis-Aufgang und der Überschwemmung, die Ägypten Fruchtbarkeit und Gedeihen bringt (Renenet). So wird Isis in der Parallele zu Philae-Photo 1297 und El-Qal‘a II, Nr. 238 als Herrin von Jahren, Monaten, Tagen und Stunden bezeichnet 625 und außerdem mit verschiedenen Zahlen in Verbindung gebracht, um deren Lesung und Deutung sich eine besonders intensive Diskussion mit teilweise ausufernden Theorien entzündet hat.626 Ein großes Problem bestand bisher in der abweichenden Interpretation der ersten Zahl627 als 13 oder 14. Die Parallele Philae-Photo 1297 gibt eindeutig 12 an,628 und auch in Assuan 624 Oder: „als Nesret (Flamme)“, vgl. PREYS, in: TLA. 625 Vgl. dazu z. B. auch ZANDEE, Amunhymnus, S. 234 (Kol. 3, 10–11), wo es vom Schöpfergott Amun heißt: „Der die Tage schafft, der die Stunden entstehen läßt, so daß sie gezählt sind gemäß seinem Gang, der die Jahre einteilt (wpj; oder: „eröffnet“), die [Monate] sind vollendet, wenn er [die Barke] am Himmel dahinfahren läßt“. 626 Siehe ROSE, Sothic Date; CLAGETT, Calendars, S. 331–333. Zu diesen astronomischen Deutungen mit ihren diversen Lesefehlern, vgl. die Kritik von VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23–24, Anm. 77. Weitere Bemerkungen bei YOYOTTE, Monumentale litanie, bes. S. 63–64; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 143–144 m. Anm. 74; QUACK, Sonne und Mond, S. 34 u. 48; GOYON, Seize et quatorze. Vgl. auch oben die Anm. 93–95 zum Text. Vgl. Kap. 4.1.1.A, Kommentar zur Parallele Philae-Photo 1297. 627 Vgl. oben, Anm. 93. 628 Es ist jedoch anzumerken, daß die zweite Zahl in Philae 36 ist, also von Assuan abweicht.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

lese ich auf dem neuen Photo definitiv 12; doch BRESCIANI transkribierte in ihrem Facsimile 14, übersetzte aber 13.629 Die 14 wird von BERGMAN, VON LIEVEN und GOYON übernommen,630 wohingegen OSING/ROSATI die 13 favorisierten.631 Die 12 hingegen wurde bisher nicht einmal in Betracht gezogen, obwohl sie selbst auf BRESCIANIs Taf. 23 recht gut zu erkennen ist. Die Zahlensymbolik läßt sich so weitestgehend gut deuten: Mit dem Gefolge von 730 sind wohl Chronokratoren gemeint, die zur Gefährlichen Göttin gehören und normalerweise den 365 Jahrestagen zugeordnet werden, wobei ihre Anzahl jedoch auch wie hier verdoppelt werden kann.632 In diesem Zusammenhang werden auch 365 oder 730 Erscheinungsformen der Göttin mit verschiedenen Namen angerufen.633 Der Aspekt der Gefährlichen Göttin bzw. des Sonnenauges wird in der Hymne außerdem durch die genannten Göttinnen Sothis, Sachmet/Bastet, Nechbet und Uräusgöttinnen wie Uto, die für deren Verkörperung besonders typisch sind, evoziert;634 des weiteren passen die Ritualhandlungen des Königs, die in Kol. 3 beschrieben werden, nämlich das Darreichen von Fleischstücken (stp.w) 635 und das Besänftigen (sHtp) der Göttin, ebenfalls gut in diesen Kontext. Um auf die Zahlen 12/13/14 und 16 zurückzukommen, so ist zu bemerken, daß zwar die bisher bevorzugte Lesung 14 und 16 sehr gut in osirianischen Kontext passen würde. Z. B. existiert die Überlieferung, daß Osiris in 14 oder 16 Teile zerrissen worden ist, was wohl gleichzeitig eine lunare Symbolik enthält: Die 14 und 16 entsprechen den 30 Tagen eines Mondmonats mit dem zunehmenden (= 14 Tage) und wieder abnehmenden Mond.636 Das (hier sicher zu lesende) Epitheton Hnw.t 16 ist auch im 13. o.äg. Gau als Beiname der Hathor belegt, der nach GOYON ebenfalls in den Zusammenhang der Wiederzusammensetzung der Osirisglieder gehört.637 So wird „Hathor, Gebieterin der 16“ im hieratischen Papyrus PSI I 72, einem mythologischen Handbuch für die Gaue VII-XVI von Oberägypten, für den 13. Gau mit der Hauptstadt Assiut als eine der Hauptgottheiten genannt.638 Diese wird dort wieterhin mit Isis, die Osiris schützt, identifiziert; später ist außerdem noch von „16 Geheimnissen“ die Rede.639 PREYS zieht anhand von Szenen aus dem Per-nu von Dendara eine Verbindung des Hathor-Epithetons zu den idealen 16 Ellen der Nilüberschwemmung.640 629 BRESCIANI, Assuan, S. 104 bzw. 105. 630 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 97–98; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23–24, Anm. 77; GOYON, Seize et quatorze. 631 OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 143–144 m. Anm. 74. 632 Siehe den Kommentar zur Parallele Philae-Photo 1297, mit Literaturangaben. 633 Vgl. auch QUACK, Sonne und Mond, S. 34–35. 634 Vgl. VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23–24. 635 Dieses Opfer, das getötete Feinde repräsentiert, wird üblicherweise vor Göttern ausgeführt, deren kriegerische und apotropäische Aspekte betont werden sollen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 962–963. 636 Vgl. QUACK, Sonne und Mond, S. 48, der noch weitere Belege für die Verbindung Osiris’ zu diesen Zahlen anbringt; und jüngst ID., Resting in Pieces, S. 252–253; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23, Anm. 77; siehe auch BEINLICH, „Osirisreliquien“, S. 60–68. 637 GOYON, Seize et quatorze; vgl. auch PH. DERCHAIN, Le jeu de 16: un discret hommage à Hathor, in: RdÉ 60, 2009, S. 199–200. 638 Siehe OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 143. Siehe dazu unten, Kap. 4.13.1.2. 639 OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 144–145. 640 PREYS, Maîtresse des Seize.

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Assuan, Isistempel

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So passend die Implikationen dieser Zahlenspielerei aber auch für Osiris, Hathor und Isis sein mögen, so ist doch im Text sonst überhaupt nicht von Osiris oder Isis’ Rolle ihm gegenüber die Rede, und die Lesung ‚14’ m. E. definitiv falsch, insbesondere wenn man die Parallele von Philae-Photo 1297 hinzuzieht. Alles in allem läßt sich für die Zahlen in Philae eine viel leichtere Erklärung im Kontext der übrigen Zeitabschnitte finden, siehe dazu dort, Kap. 4.1.1.A. Daher ist letztlich zu vermuten, daß die Angabe ‚16‘ in Assuan ein Fehler für die in Philae belegte ‚36‘ sein dürfte. 4.2.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. Text/Hauptpublikation Assuan, B.6a (S. 21 u. 44–45) Anbringungsort Assuan, Isis-Tempel, Haupttor (B), Außenseite, Architrav, nördliche zentrale Randzeile Bibliographie ZAKI, Isis HA.t pA mSa, S. 419 Text: As.t HA.t pA mSa Hrj-ib %wnw Isis, die an der Spitze des Heeres ist, inmitten von Assuan, srf(.t) tktk xwj(.t) Km.t n @r=s die den/die Angreifer zur Ruhe bringt,641 die Ägypten für ihren Horus schützt, waf(.t) xAs.wt n nb tA.wj Xr Tb.tj=f die die Fremdländer unterwirft für den Herrn der Beiden Länder, unter seine Sandalen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Assuan, B.6b (S. 21 u. 48–49) Assuan, Isis-Tempel, Haupttor (B), Außenseite, Architrav, südliche zentrale Randzeile –

Text: As.t wr.t mw.t-nTr Hm.t nswt tp.t n [(Wnn-nfr mAa xrw) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nTr n @r kA nxt die Gottesmutter des Horus, des Starken Stiers, dj(.t) anx wAs nb mj Ra Dt die alle Milch (oder: alles Leben und alle Macht) gibt,642 wie Re, ewiglich.

641 ZAKI, Isis HA.t pA mSa, S. 419, übersetzt die Stelle mit „die Hitzige, die angreift“. Vgl. aber zum Epitheton „der/die den Angreifer zur Ruhe bringt“ LGG VI, 430. In den meisten Fällen läßt der Kontext nicht zu, die beiden Wörter zu trennen. 642 BRESCIANI, Assuan, S. 21, übersetzt mit Bezug auf Horus: „dem alles Leben und Kraft gegeben ist“.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die beiden zentralen Randzeilen643 des Architravs am Haupttor nennen als Haupttitel der Göttin einmal Isis „an der Spitze des Heeres“ (Assuan, B.6a (Norden), Text wiederholt in Assuan, B.12) und einmal Isis, „die Große, die Gottesmutter“ (Assuan, B.6b (Süden)). Die komplementären Inschriften präsentieren damit den Doppelcharakter der Isis als kriegerische Göttin einerseits, und Ehefrau von Osiris und Mutter von Horus andererseits.644 Der Titel HA.t pA mSa ist nur in Assuan und nur für Isis belegt.645 Er wird auch in einer großen Anzahl von Ritualszenen im Tempel verwendet, wo er üblicherweise direkt auf den Eigennamen der Göttin folgt, so z. B. in der Weinopferszene Assuan, B.2. In anderen Szenen nimmt Isis eine andere Titelfolge an, die von Szene zu Szene variiert, aber jeweils nur sehr kurz gehalten ist, und oft nur die wenig aussagekräftigen Haupttitel nennt, so z. B. in Assuan, E.7: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) %wnw Hnw.t nTr.w nb.w Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Syene, die Gebieterin aller Götter. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Assuan, B.9 (S. 54–55; Taf. 15) Assuan, Isis-Tempel, Haupttor (B), Außenseite, linker Türpfosten, untere Szene – Ptolemaios III. räuchert vor Isis.

Text: – Beischrift der Isis: (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr &nb(.t)\ %wnw (Rezitation:) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Syene, nD.tj(.t) mnx(.t) n tA-mrj Hnw.t tA.w nb.w vortreffliche Schützerin des ‚Geliebten Landes‘ (Ägypten), Gebieterin aller Länder.

643 Vgl. zu diesen göttlichen Randzeilen auch WINTER, Tempelreliefs, S. 33–34: die Randzeilen stehen nicht in direktem Bezug zu den beiden sie umschließenden Szenen, da Isis in der linken überhaupt nicht vorkommt und in der rechten nur als mittlere von drei Gottheiten gezeigt wird. Die zentral über dem Haupttor angebrachten Zeilen haben vielmehr große Bedeutung für den ganzen Tempel, denn sie nennen Namen und Titel der Hauptgottheit, unabhängig von den Szenen, zu denen sie zu gehören scheinen. 644 Vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 21. 645 Siehe LGG V, 19c. Ausführlicher zu diesem Titel in Kap. 4.2.2.

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Assuan, Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

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Assuan, B.12 (S. 60–61; Taf. 15) Assuan, Isis-Tempel, Haupttor (B), Außenseite, rechter Türpfosten, untere Szene – Ptolemaios III. libiert Wasser vor Isis. Neben Isis (in der Szenentiefe hinter ihr) ist schemenhaft das Relief einer zweiten Göttin zu erkennen, von der in den Begleittexten jedoch nirgends die Rede ist (Fehler oder unvollständig?).

Text: – Beischrift der Isis: (Dd mdw jn) As.t HA.t pA mSa Hrj-ib %wnw (Rezitation:) Isis, die an der Spitze des Heeres ist, inmitten von Assuan, srf(.t) tktk xwj(.t) Km.t n @r=s die den/die Angreifer zur Ruhe bringt,646 die Ägypten für ihren Horus schützt, waf(.t) xAs.wt n nb tA.wj die die Fremdländer unterwirft für den Herrn der Beiden Länder. Kommentar: In Assuan, B.12 wird exakt der Text aus der linken Randzeile in der Mitte des Architravs wiederholt (Assuan, B.6a), nur der Schluß fehlt. Die Szene befindet sich jedoch auf der anderen (rechten) Seite der Tempelachse, während die korrespondierende Szene Assuan, B.9 auf dem linken Türpfosten As.t wr.t mw.t-nTr nennt, also ähnlich wie die rechte zentrale Randzeile des Architravs.647 Somit ergibt sich eine chiastische Anordnung: Architrav, zentrale Randzeilen Türpfosten, unteres Register

Nord As.t HA.t pA mSa

Süd As.t wr.t mw.t-nTr Hm.t nswt tp.t…

As.t wr.t mw.t-nTr

As.t HA.t pA mSa

Andererseits betont jedoch auch die zweite Hälfte der Beischrift von Assuan, B.9 den schützenden Aspekt der Isis, der auf ganz Ägypten ausgeweitet ist. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Assuan, C.6b (S. 72 u. 75; Taf. 18) Assuan, Isis-Tempel, Seitentor (C), Architrav, zentrale Randzeilen, rechts –

646 Vgl. oben, Anm. 641. 647 Vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 24.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: (nswj.t bj.tj.t) As.t wr.t mw.t-nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Große, die Gottesmutter, nb(.t) %wnw dj=s snb nb Dt die Herrin von Syene. Möge sie geben alle Gesundheit, ewiglich. Kommentar: Die zentralen Randzeilen dieses Tores nennen einmal Osiris mit kurzer Epithetafolge, einmal entsprechend Isis, gefolgt jeweils von einer kurzen Bitte. In diesem Fall sind die flankierenden Ritualszenen insofern darauf abgestimmt, als jeweils die passende Gottheit in der Szene an vorderster Stelle plaziert ist (im Gegensatz zu den Szenen am Haupttor B, siehe oben). Isis’ Inschrift ist parallel zu derjenigen für Osiris (Assuan, C.6a) aufgebaut, von dem es heißt, daß er alles Leben und Macht geben soll (anx wAs). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Assuan, F.15b (S. 114–115; Taf. 25) Assuan, Isis-Tempel, Sanktuar, Rückwand = Ostwand (F), 2. Register, zentrale Randzeilen, rechts –

Text: (nswj.t bj.tj.t) Hrj.t m tA Dr=f (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Oberste auf der ganzen Erde, aA.t nb(.t) tp rnp.t die Große, die Herrin des Jahresanfangs, Hnw.t nb(.t) xAbAs.w die Gebieterin und Herrin der Himmelsleuchten,648 sA.t n Gbb As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) %wnw die Tochter des Geb, Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Syene. Kommentar: „Herrin des Jahresanfangs“ ist ein typischer Beiname der Sothis und zeigt damit wieder einmal den eigentlichen Hauptaspekt der Isis im Tempel von Assuan, der ja auch in den Hymnen deutlich zutage tritt. In der Mitte der Sanktuarrückwand gelegen, befinden sich diese Randzeilen im tiefsten Kern des Tempels, vergleichbar den Philae-Hymnen 1–4. Die linke Randzeile (F.15a) ist Osiris gewidmet, entsprechend den beiden zentralen Randzeilen am Architrav des Seitentors (C.6a–b, siehe oben).

648 Vgl. dazu den Text Philä I, 168–169, mit Anm. zu xAbAs.w.

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Assuan, Isistempel

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Assuan, F.16 (S. 116–117, F.16, Taf. 25) Assuan, Isis-Tempel, Sanktuar, Rückwand (F), 1. Register, linke Szene – Ptolemaios III. opfert vor Chnum-Re, Satet-Isis, AnuketNephthys und Harsiese.

Text: – Beischrift der Satet-Isis: (Dd mdw jn) %Tj.t-As.t nb(.t) p.t aA(.t) nb(.t) Abw (Rezitation:) Satet-Isis, die Herrin des Himmels, die Große, die Herrin von Elephantine, stj(.t) Hapj(?) m qr.tj r sanx Hr nb die die Überschwemmung/den Nil aus den beiden Höhlen ausgießt, um jedermann zu beleben.649 Kommentar: Isis wird hier durch die Identifizierung mit Satet in die Triade von Elephantine integriert, ähnlich wie Nephthys, die mit Anuket verbunden wird. Auch die anderen Szenen der Sanktuarrückwand bringen den Isis-Osiris-Kreis mit den Göttern von Elephantine zusammen,650 die gemeinsam und in synkretistischer Verbindung das lokale Pantheon des Tempels bilden. Satet fällt außerdem sowohl lautlich als auch funktionell fast mit Sothis zusammen,651 dem Hauptaspekt der Isis in den Hymnen des Tempels.652 Die Triade von Elephantine ist zudem auch in den Isistempel von Philae gut integriert.653 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Assuan, F.17 (S. 118–119, F.17, Taf. 25) Assuan, Isis-Tempel, Sanktuar, Rückwand (F), 1. Register, rechte Szene – Ptolemaios III. räuchert und libiert vor Osiris, Isis-Satet, Nephthys-Anuket und Horus.

Text: – Beischrift der Isis-Satet: (Dd mdw jn) As.t-%Tj.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch:) Isis-Satet, die Große, die Gottesmutter, nTr.t mnx.t nb.t %wnw die vortreffliche Göttin, die Herrin von Syene.

649 650 651 652 653

Nahe Parallele in Philae-Hymne 4: nts stj(.t) @apj irj(.t) anx Hr.w nb. Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 24; siehe auch die komplementäre Szene Assuan, F.17, unten. Vgl. auch Assuan-Hymne 5. Zusammenfassend zu den theologischen Verbindungen zur elephantinischen Triade siehe Kap. 4.2.2. Siehe dazu KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 109–111.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Komplementär zur zuvor besprochenen, linken Szene des ersten Registers, steht nun die osirianische Familie im Vordergrund, und Isis’ sowie Nephthys’ Namen werden in den Verbindungen mit Satet und Anuket vorangestellt (Isis-Satet und Nephthys-Anuket). 4.2.2

Assuan: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums

Beziehung zum Isisheiligtum von Philae In naher Umgebung des dominierenden Kultzentrums von Philae befindet sich mit dem Isis-Tempel von Assuan (Syene) noch ein weiteres, wenn auch wesentlich kleineres IsisHeiligtum,654 demotisch pr As.t oder pA rpy As.t n.t %wn genannt.655 Der im Süden der Stadt errichtete Bau besteht aus einem nach Westen ausgerichteten Naos, in dem sich eine Pfeilerhalle und ein von zwei weiteren Räumen umgebenes Sanktuar befinden; Reste der Umfassungsmauer und des offenen Vorhofes wurden erst in jüngerer Zeit ergraben. 656 Am Grundriß fällt eine Betonung der Südseite auf:657 An der Tempelfront gibt es neben dem Haupttor einen südlichen Nebeneingang, die Tür der südlichen Seitenkapelle ist breiter als die der nördlichen; zusätzlich ist diese Kapelle durch einen Durchgang in der Wand direkt mit dem Sanktuar verbunden. Im Inneren des Tempels sind nur die Türrahmen und die Sanktuarrückwand dekoriert, der Rest wurde nicht vollendet, obwohl der Tempel, wie drei Altäre von Ptolemaios X.658 sowie die zahlreichen Graffiti659 zeigen, auch in der späteren Ptolemäer- und in der Römerzeit noch in Betrieb gewesen ist. Der Tempel in Assuan ist nicht nur aufgrund der regionalen Zugehörigkeit in enger Beziehung zu Philae zu betrachten: Beide Heiligtümer liegen auch zeitlich nah beieinander, da der Isis-Tempel in Assuan wohl unter Ptolemaios III., von dem die älteste Wanddekoration stammt, oder etwas früher erbaut wurde. Somit könnte man vielleicht sogar eine direkte Abhängigkeit der Installation des Kultes von Philae annehmen. Immerhin wurden beispielsweise in den Assuan-Hymnen 2 und 5 die Philae-Hymnen 8 und 7 weiterverarbeitet und mit anderen Texten kombiniert.660 ZAKI geht in ihrer Interpretation des Assuan-Tempels noch weiter und sieht das Verhältnis zwischen Assuan und Philae als dasjenige religionspolitischer Rivalen an:661 Vor der Etablierung des großen ptolemäischen Isis-Heiligtums waren Chnum und seine Gefährtinnen Satet und Anuket die beherrschenden Gottheiten des Kataraktgebietes und das seit dem AR bestehende Heiligtum auf der zu Assuan gehörigen Insel Elephantine somit das wichtigste Kultzentrum. Isis spielte dagegen bis zur Spätzeit kaum eine Rolle in der Re-

654 Publikation des Tempels mitsamt Reliefs und Graffiti: BRESCIANI, Assuan. Vgl. auch LOCHER, Topographie, S. 87–89. 655 Vgl. LOCHER, Topographie, S. 87. 656 K.-C. BRUHN, in: VON PILGRIM et al., 3rd and 4th Season in Aswan, S. 220–228. 657 Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 20; Taf. 6. 658 Siehe BRESCIANI, Assuan, S. 18. 659 Dazu unten, Kap. 6.2.3. 660 Zu Parallelen zentraler Isis-Texte in verschiedenen Heiligtümern siehe ausführlich unten, Kap. 5.1.3. 661 ZAKI, Isis HA.t pA mSa, S. 417.

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Assuan, Isistempel

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gion.662 Durch die wachsende Popularität des Philae-Tempels wurden die Kulte von Elephantine zweitrangig; ZAKI deutet den Bau des Isis-Tempels auf Assuan daher als Versuch der Chnum-Priesterschaft, dem neuen Kultzentrum nun mit einer eigenen speziellen IsisTheologie etwas entgegenzusetzen. Ich halte diese Spekulation jedoch für sehr fraglich, zumal der Isiskult zu Beginn der Ptolemäerzeit ja auch generell und mit weiteren Tempelbauten stark gefördert wurde.663 Zudem gibt es keine Hinweise, warum – wie ZAKI annimmt – ausgerechnet die Chnum-Priesterschaft von Elephantine für die Neugründung verantwortlich zeichnen sollte. Auch in das Heiligtum von Philae ist die Triade von Elephantine ja gut integriert, und Priestertitel zeigen sogar personelle Beziehungen zwischen Elephantine und Philae.664 Titel und Charakter der Isis von Assuan und ihres Kultes Was das Konzept der lokalen Isisform angeht, zeigt der Tempel von Assuan durchaus ganz eigene und neue Elemente. Namen und Titel der Hauptgottheit des Tempels werden, wie schon von WINTER festgestellt,665 in den beiden mittleren Randzeilen des Architravs am Haupttor wiedergegeben (Assuan, B.6a und B.6b). Diese entwerfen, ähnlich der Zweiteilung in Philae,666 zwei verschiedene Bilder der Göttin:667 einerseits dasjenige in der traditionellen Rolle als Ehefrau von Osiris und Mutter von Horus (Süden), was durch gängige und weit verbreitete Titel ausgedrückt wird und die zentrale Konzeption in Philae widerspiegelt. Die Familienverhältnisse und die Herrschaftslegitimation des Horus bilden auch ein vordergründiges Thema der sechs Hymnen, die alle aus der Zeit von Ptolemaios IV. stammen. Andererseits wird Isis als kriegerische Göttin präsentiert, die „das Heer“ in eigener Person anführt (HA.t pA mSa) (Norden), wobei dieser Titel nur in Assuan belegt ist.668 Er findet sich am Tempel nicht nur in mehreren Reliefszenen mit Isis wieder, sondern wird auch in den demotischen Graffiti in persönlichen Anrufungen an die Göttin verwendet. Dies zeigt, daß diese Isis-Form in Syene eine große Rolle gespielt hat.669 Wie läßt sich dieses Epitheton deuten? Syene war seit dem Ende der Saitenzeit Garnisonsstadt an der Grenze zu Nubien und daher bestand ein Großteil der Bevölkerung wohl

662 663 664 665 666 667

Siehe oben, Kap. 4.1.2. Z. B. mit Baumaßnahmen am Tempel von Behbeit el-Hagar, siehe unten, Kap. 4.4. Vgl. KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 110–111. WINTER, Tempelreliefs, S. 33–34. Siehe oben, Kap. 4.1.2. Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 21. Ähnlich wird Isis von Assuan bereits von A. MARIETTE, Monuments divers recueillis en Égypte et en Nubie, Paris 1872, S. 6, bewertet. 668 Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 23; und LGG V, 19c: außer im Isis-Tempel auch noch in dem kleinen Tempel des Domitian (ein Chnumtempel): J. F. CHAMPOLLION, Monuments de l’Égypte et de la Nubie. Notices descriptive conformes aux manuscrits autographes rédigés sur les lieux I, Paris 1847, S. 227. Dieser Beleg fällt etwas aus der Reihe, da die übrigen Bezeugungen (auch in den Graffiti) aus der Ptolemäerzeit stammen. Daß es sich um eine Neuschöpfung handeln dürfte, demonstriert neben dem Fehlen von Belegen aus älterer Zeit oder anderen Orten auch die sprachliche Form, die im Gegensatz zu den meisten in Tempeltexten belegten Epitheta den bestimmten Artikel verwendet. 669 Siehe unten, Kap. 6.2.3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

aus Soldaten.670 BRESCIANI hält die neue Isisform für eine bewußte theologische Schöpfung von Ptolemaios III., um die Sicherheit der Südgrenze Ägyptens gegen Nubien symbolisch zu verstärken und zu betonen.671 ŽABKAR bringt das Konzept außerdem mit militärischen Aktionen von Ptolemaios Euergetes gegen die Seleukiden (3. Syrischer Krieg) in Verbindung, womit sich in der neuen Isisform Mythologie und aktuelle Politik vermischen würden.672 LOCHER glaubt, daß sie von den in Syene stationierten Soldaten als Schutzpatronin verehrt wurde.673 Auch ZAKI nimmt aufgrund der Verwendung des bestimmten Artikels pA an, daß nicht allgemein „das Heer“, sondern konkret die Kompanien in Assuan damit gemeint sein können.674 Sie bezieht außerdem wie ŽABKAR die Benennung der Isis von Assuan auf das prägnanteste militärische Ereignis in der Regierung des dritten Ptolemäers, den Krieg gegen Seleukos II. von 246 bis 241 v. Chr.675 Daß ausgerechnet in einem Tempel ganz im Süden Ägyptens auf diese Ereignisse im Norden angespielt wird, erklärt sie damit, daß wahrscheinlich ein Großteil der einheimischen Soldaten (die sog. Machimoi) aus der Garnison von Assuan stammte. Obwohl sich ein solcher Zusammenhang kaum nachweisen läßt, ist es zumindest sehr auffällig, daß sich sämtliche Erwähnungen dieses Titels in den Tempelreliefs ausschließlich an der Außenseite des Haupttores befinden und somit aus der Zeit von Ptolemaios III. stammen, der dieses dekoriert hat. Wie auch immer man den Titel nun genau interpretiert – ob als Anspielung auf ein konkretes militärisches Ereignis oder als besonderes Zugeständnis an die in Assuan stationierten Armeegarnisonen – es ist auf jeden Fall bemerkenswert, daß hier offensichtlich ein Aspekt der Göttin aus einem bestimmten Bedarf der lokalen Bevölkerung heraus oder angesichts politischer Ereignisse neu geschaffen wurde und das theologische Konzept des Tempels mitbestimmte. Noch bemerkenswerter ist m. E. aber, daß diese Isisform in der späteren offiziellen Dekorationstätigkeit im Inneren des Tempels (unter Ptolemaios IV. und VIII.) überhaupt keine Rolle spielte, obwohl sie in den demotischen Graffiti, die vor allem die Pfeiler und die Ostwand des Pfeilersaals schmücken, auch im weiteren Verlauf der ptolemäischen Zeit durchaus noch mehrfach genannt wird.676 Diese Evidenz erweckt den Eindruck, als würde sich der Aspekt der Isis als Führerin des Heeres in erster Linie „nach außen“ richten, ohne jedoch „tiefer“ in das Innere des Tempels oder den Kern der offiziellen Theologie eingedrungen zu sein.677

670 Zu Syene in griechisch-römischer Zeit siehe M. P. SPEIDEL, Nubia’s Roman Garrison, in ANRW II, 10.1, 1988, S. 767–798; LOCHER, Topographie, S. 58–86, bes. 81–86 zum Militär; ZAKI, Premier Nome, S. 395–398. 671 BRESCIANI, Assuan, S. 15. 672 ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 60. 673 LOCHER, Topographie, S. 89. 674 ZAKI, Isis HA.t pA mSa, S. 428. 675 ZAKI, Isis HA.t pA mSa, S. 430. Zum 3. Syrischen Krieg siehe z. B. den Überblick bei HÖLBL, Geschichte, S. 46–50; ausführlich J. D. GRAINGER, The Syrian Wars, Mnemosyne Suppl. 320, Leiden 2010, S. 153–170. 676 Siehe unten, Kap. 6.2.3. 677 Nicht nur dies, sondern auch der Artikel pA, die übrigen Isis-Epitheta im direkten Kontext von HA.t pA mSa (siehe Assuan B.6a u. B.12) und die Tatsache, daß Isis nur hier in Assuan diesen Titel erhält, sprechen im Übrigen eindeutig gegen die in eine ganz andere Richtung gehende Interpretation durch LASKOWSKA-KUSZTAL, Isis d’Assouan: Sie glaubt, daß nicht eine irdische Armee bzw. irdische Feinde gemeint sind, sondern sich das Epitheton auf die unter der Kontrolle von Isis-Sothis (die aber

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Assuan, Isistempel

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Diese offenbart hingegen als ein prägnantes Merkmal die Verbindung zwischen den beiden regional bedeutenden Göttertriaden Isis, Osiris, Harpokrates und Chnum, Satet, Anuket.678 Dies zeigt sich bereits in den beiden großen Architravszenen (Assuan, B.3 und B.5) am Haupttor, die die bereits zitierten zentralen Randzeilen einrahmen, mit ihnen inhaltlich jedoch nichts zu tun haben. Noch deutlicher wird die Zusammenführung der Hauptgötter des Kataraktgebietes in den Darstellungen an der Rückwand des Sanktuars (F), die, entstanden unter Ptolemaios VIII., neben den Türdekorationen die einzigen ausgeführten Reliefs des Tempels sind. Dort finden sich die beiden Götterfamilien zusammen mit wieteren Gottheiten in mehreren großen Ritualszenen als Rezipienten von Ritualhandlungen, die sich den Begleittexten zufolge zu einem großen Teil um frisches Nilwasser drehen.679 Die Götter werden nicht nur nebeneinandergestellt, sondern auch miteinander identifiziert, wie die Doppelnamen Satet-Isis und Isis-Satet und entsprechend Anuket-Nephthys und Nephthys-Anuket belegen (Assuan, F.16 u. F.17). Tatsächlich werden Satet und Anuket auch auf Elephantine selbst mit Isis und Nephthys gleichgesetzt: so enthält ein Block von Ptolemaios VI. aus dem Chnumtempel die Titel: „Satet-Isis, die [Gottes]mutter, [die schützt(?)] den Körper ihres Bruders Osiris […], die die Verjüngung der Nahrung(?) am Jahresanfang veranlaßt“ und „Anuket, die treffliche Schwester des Herrn der Ewigkeit.“680 In Assuan-Hymne 5 wird Isis durch die Namensformel mit beiden Kataraktgöttinnen identifiziert. Auch Osiris erhält das sonst für Chnum typische Epitheton nb qbH.w „Herr des Kataraktgebietes“681 und wird damit dem Gott von Elephantine nähergebracht (Assuan, F.9b und F.13). Die Zusammenstellung der beiden lokalen Triaden im Kontext mit der häufigen Erwähnung von frischem Nilwasser verweist auf die Quelllöcher und auf die jährliche Nilüberschwemmung, die früher im Herrschaftsbereich des Chnum lagen, mit der steigenden Bedeutung Philaes und Bigges jedoch in die Hand – oder vielmehr das Bein! – von Osiris übergegangen waren. Auch Isis wird bereits in Philae-Hymne 4 als Urheberin der Nilflut charakterisiert. Die „innere“ Theologie des Isis-Tempels von Assuan scheint also eine Art Kompromiß zu schließen zwischen den beiden regionalen und womöglich rivalisierenden Kultzentren – im Gegensatz zu G. ZAKI glaube ich jedoch weniger, daß sich dies in dem neuen Isis-Titel HA.t pA mSa abzeichnet, sondern vielmehr in der beschriebenen Zusammenführung der beiden Göttergruppen. Als Urheberin der Nilflut wird Isis nicht nur mit Satet, sondern auch mit der nicht nur in der Aussprache des Namens teilweise mit dieser zusammenfallenden Sothis gleichgesetzt, deren Frühaufgang die Überschwemmung und das Neujahr einleitet.682 In den Kontext des

678 679 680

681 682

gerade nicht im Kontext von HA.t pA mSa genannt wird!) befindlichen gefährlichen Dämonen wie wpwtj.w, xAtj.w und SmAy.w bezieht. Vgl. dazu auch LASKOWSKA-KUSZTAL, Isis d’Assouan, S. 57. Assuan, F.9a und b; F.13: Libation/Überschwemmung; F.16: Chnum, Satet, Anuket; F.18a u. b: Randzeilen für Chnum und Osiris; F.17: Libation. E. LASKOWSKA-KUSZTAL, Elephantine XV. Die Dekorfragmente der ptolemäisch-römischen Tempel von Elephantine, AV 73, Mainz 1996, S. 60, Nr. 17; Taf. 19 u. 98 i. Der Block stammt ursprünglich aus der Zeit von Nektanebos, wurde aber anscheinend erst später für die Wiederverwendung dekoriert, wenn ich LASKOWSKA-KUSZTALS etwas unklare Ausführungen S. 59–60 richtig verstehe. Vgl. LGG III, 758–759. Vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 25. Die Gleichsetzung Isis-Sothis existiert schon seit alter Zeit und wird in den PT erwähnt, vgl. MÜNSTER, Isis, S. 153–154.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Neujahrsfestes gehören somit die sechs Isishymnen, die sich jeweils auf den Türlaibungen des Haupttors, des südlichen Nebeneingangs und des Sanktuars gegenüberstehen und vermutlich anläßlich der festlichen Prozession der Göttin rezitiert wurden. In den Hymnen wird also ein großer Zusammenhang hergestellt zwischen den zuvor genannten Bezügen auf die Überschwemmung, die Nilquellen und die Kataraktgötter und dem Aufgang des Sothis-Sterns, hier durch Isis repräsentiert, der diese Überschwemmung und damit den Jahresbeginn einleitet, welcher wiederum mit einem Fest gefeiert wird, das auch die Kräfte des Königs erneuert und ihm Schutz vor Gefahren bieten soll. 683 Dies scheint mir der wichtigste Aspekt des Isis-Tempels in Assuan zu sein, was durch eine wohl alternative Benennung des Tempels als Hw.t-nTr %pd.t in einem Graffito bestätigt wird.684 Auch auf den im Tempelinneren gefundenen Reliefblöcken,685 deren Ursprung nicht ganz sicher ist, taucht in den nur bruchstückhaft erhaltenen Inschriften relativ häufig der Name Sothis bzw. Satet auf, die demnach eine besondere Rolle gespielt haben dürfte. Möglicherwiese wurde ursprünglich Sothis/Satet als Hauptgöttin von Assuan in einem Vorgängertempel verehrt, deren Kult dann in der Ptolemäerzeit in dem der Isis in ihrem neuen Tempel aufging. Auf die zentrale Bedeutung der Sothis(-Satet) und des Jahresbeginns deutet des wieteren der Fund eines einzelnen Reliefblockes im Inneren des Bezirks hin, der dem Stil nach wohl unter Ptolemaios IV. beschriftet wurde und eine Litanei an Sothis enthält.686 Die erhaltenen Anfänge der kurzen, in Spalten organisierten Zeilen beginnen alle mit dem Na,687 doch es läßt sich nicht sagen, ob vielleicht zuvor noch ein anderer Göttinmen %pd.t nenname, z. B. Isis, genannt wurde.688 Sothis wird darin nicht nur wie üblich als „Herrin des Jahresanfangs“ (nb(.t) tp rnp.t, Z. 4),689 sondern unter anderem auch als „Herrin der Beiden Länder, Oberhaupt der Fremdländer, Herrin der Waffen“ (nb(.t) tA.wj Hrj(.t)-tp xAs.wt nb(.t) aHA(.w), Z. 6) gepriesen, was sicherlich wieder auf das regionale Umfeld des Grenzgebietes verweist.690 Die anschließenden Epitheta bringen sie mit Bogen und Pfeilen, typischen Attributen der Satet, in Verbindung und legen die Betonung weiterhin auf die kriegerischen Aspekte der Göttin (Z. 7–9). Wie in Philae durch den Haupttitel dj.t-anx werden auch in Syene die lebensspendenden Kräfte der Isis mehrfach betont, so in Assuan-Hymne 5, wo die Namensformel die unmittelbare Zugehörigkeit dieser Eigenschaft ausdrückt: „die (du) alles, was auf Erden existiert, entstehen läßt; es lebt durch dich in jenem deinem Namen ‚die Lebendige‘.“ In Assuan683 Vgl. dazu GOYON, Confirmation. Vgl. Philae-Hymne 8. 684 Graffito Syene 194; die Stelle wird dort anders als in der Originaledition von BRESCIANI, Assuan, Dem. Nr. 6, nicht gelesen, siehe aber jetzt auch VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1308, S. 47; vgl. LOCHER, Topographie, S. 87; LASKOWSKA-KUSZTAL, Isis d’Assouan, S. 57. 685 Assuan, S. 153–301. 686 Publiziert von LASKOWSKA-KUSZTAL, Isis d’Assouan, m. Abb. 1–2; zur Datierung: S. 61; Transliteration, Übersetzung und Kommentar: S. 64–68. Vgl. dazu auch TÖPFER, Sothisritual, S. 100–101. 687 Vgl. eine wdnw-Litanei an Sothis in der Tempelliturgie des Per-Chefyt von Oxyrhynchos auf einem Papyrus aus Tebtynis, Edition TÖPFER, Sothisritual; siehe dazu unten, Kap. 4.13.1.1. 688 Von der ersten Spalte sind die Zeilenanfänge nicht erhalten, von der zweiten sind die Zeilen noch vollständig, von der dritten ist etwa die vordere Hälfte noch vorhanden. 689 Vgl. Assuan, F.15b. 690 Meine Interpretation weicht hier von derjenigen durch LASKOWSKA-KUSZTAL, Isis d’Assouan, S. 67, g, ab, die auch den Begriff aHA(.w) (mit Pfeil determiniert) als Dämonengruppe sehen will.

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Nubische Tempel

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Hymne 1 wird sie gepriesen, nicht nur Horus, sondern das Leben selbst aus ihrem Leib hervorgebracht sowie allen Göttern Leben gegeben zu haben. Auf die Menschen und speziell die Verehrer der Isis bezogen findet sich das Thema in Assuan-Hymne 4,691 wo zudem auch die Sterne als „die Lebenden“ bezeichnet werden.692 Assuan-Hymne 2 nennt sie zweimal „Herrin des Lebens“, den gleichen Titel trägt sie nochmals in Assuan-Hymne 6. Die Ritualszene Assuan, F.16 verbindet das Beleben sinnigerweise mit dem Überschwemmungsaspekt: „die den Nil aus den beiden Höhlen ausgießt, um jedermann zu beleben“.693 Es zeigt sich, daß die relativ wenigen Inschriften des Tempels ein gut aufeinander abgestimmtes Ensemble bilden. Die Inschriften der Altäre im Pfeilersaal und die im Sanktuar aufgestellten Altäre des Ptolemaios X. benennen die Tempelherrin außerdem auch als „Herrin des Himmels HathorIsis, die Herrin von Assuan“.694

4.3

Nubische Tempel

4.3.1

Kommentierte Übersetzung zentraler Inschriften

4.3.1.1 Dakke, Thoth-Tempel Text/Hauptpublikation Dakke I, 266–269, § 592–596; II, Taf. 108 Anbringungsort Dakke, Thoth-Tempel, Ergamenes-Kapelle, Innenraum, Ostwand, mittleres Register, rechte Szene Bibliographie – Parallelen Philae-Hymne 5; Kalabchah I, 117–118 Inhalt der Szene Pharao (Ergamenes II.695) räuchert vor Isis (thronend) und Harpokrates (stehend), zwischen Pharao und Isis steht eine Hymne als Rede des Pharao. Text: – Hymne: Kol. 1: @r696 mrj(.t) @r aA mw.t-nTr (Oh) Weiblicher Horus, geliebt vom großen Horus, die Gottesmutter, qmA(.t) n Itm Hm.t nswt wr.t Xnm(.t) Ra{.w mj}697 erschaffen von Atum, die Große Königliche Gemahlin, die mit Re vereint ist,

691 „…nach deren Wunsch getötet und leben gelassen wird, (…) die Leben gibt an den, der auf ihrem Wasser geht (= ihr untertan ist), und nicht illoyal ist.“ 692 Wenn die wortwörtlichen Ergänzungen nach der Parallele in Kalabchah I, 16 zutreffen. 693 Parallelstelle zu Philae-Hymne 4. 694 BRESCIANI, Assuan, S. 34. 695 Zeitgenosse von Ptolemaios IV., siehe dazu E. WINTER, Ergamenes II., seine Datierung und seine Bautätigkeit in Nubien, in: MDAIK 37, 1981, S. 509–513. 696 Geschrieben ist hier , weshalb ROEDER, Dakke, S. 267, „geliebt von Re“ übersetzt. Nach der Parallele in Philae und dem Sinn des Folgenden, muß der Kreis aber ursprünglich gemeint haben. 697 Emendierung nach der Parallele Philae-Hymne 5.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nDtj.t Hr sn=s Wsjr die ihren Bruder Osiris beschützt, Kol. 2: iTj(.t) tA.wj HqA(.t) nTr.w nTr.wt die die Beiden Länder ergreift, die Herrscherin der Götter und Göttinnen, hd.t nxt.w qn(.t) r qn.w pH.tj(.t) r pH.tj.w die die Starken angreift, mutiger als die Mutigen, kräftiger als die Kräftigen, Hwj(.t) HH.w iH.w Apd.w wr(.t) die Millionen an Rindern und Geflügel schlägt,698 mit großem Kol. 3: Sa.t r {t}ftj.w=k (sic!) nsr.t tkk699 sbj.w Gemetzel gegen deine Feinde, die Flamme, die den Rebellen attackiert, sHm aApp m A.t=f die Apophis zurücktreibt im Moment seines Angriffs, Hrj(.t)-tp n Ra MHnj.t xa.tw700 m tp=f dj(.t) die Uräusschlange des Re, die Ringelschlange, die an seinem Haupt erglänzt, die Anweisungen Kol. 4: tp-rd m skt.t Hnw.t sSm.w m anD.t gibt in der Morgenbarke, die Gebieterin der Leitung in der Abendbarke,701 nsw(j.t) bjtj(.t) As.t wr.t mw.t-nTr die Königin von Ober- und Unterägypten Isis, die Große, die Gottesmutter, mw.t n @r sA.t Ra mrj(.t) ib=f Mutter des Horus, die Tochter des Re, geliebt von seinem Herzen, D(d).w=s nb 702=sn Hr-a{.t}703 deren sämtliche Worte sofort Gestalt annehmen, wA704 m sxm.w mit vollendeter Lobpreisung in den Heiligtümern. Htp Hr[=T] nfr nswt bjtj nb tA.wj [(Dr.t anx Imn tj.t Ra) sA Ra [( Irq-Imn anx Dt mrj As.t) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [(Lebende Hand des Amun, Abbild des Re), dem Sohn des Re [(Arqamani, er lebe ewig, geliebt von Isis) (= Ergamenes II.). Kommentar: Die in eine Räucherszene eingefügte Lobpreisung der Isis übernimmt den vollständigen Text der Philae-Hymne 5 mit nur geringen Abweichungen; weggelassen ist nur die in Philae aufgrund des fehlenden Szenenkontextes vor die eigentliche Hymne gesetzte Einleitung, die dort die Handlung des Königs beschreibt. Interessanterweise ist in Dakke die Textverteilung auf die Kolumnen am Anfang an diejenige von Philae-Hymne 5 angepaßt; d. h., 698 Hier weicht der Text von Philae-Hymne 5 ab; dort steht: Hwj(.t) HH.w dndn tp.w. Da die Variante des Dakke-Textes im Kontext nicht viel Sinn macht, muß es sich wohl um einen Fehler handeln. 699 Es steht an Stelle des zweiten . Korrektur nach der Parallele Philae-Hymne 5, wo außerdem nb(.t) nsr.t steht. 700 Hier ist der Dakke-Text etwas ausführlicher als Philae-Hymne 5, die nur MHnj.t m tp=f hat. 701 Auch hier eine größere Abweichung von Philae-Hymne 5, wo knapper dj(.t) tp-rd m wjA steht. Die chronologisch spätere Parallele Kalabchah I, 117–118 stimmt dagegen mit dem Dakke-Text überein. 702 Geschrieben ist ein einfaches rundes Zeichen. 703 Emendiert nach den Parallelen Philae-Hymne 5 und Kalabchah I, 117–118. 704 Die Stelle ist hier offensichtlich verderbt; emendiert nach den Parallelen.

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Nubische Tempel

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obwohl am unteren Ende der Kolumnen 1 und 2 noch Platz frei ist, hat man genau an den entsprechenden Stellen eine neue Kolumne angefangen, und dies sogar trotz des dadurch hier ebenfalls entstehenden Kolumnenumbruchs in der Mitte eines zusammengehörigen Ausdrucks. Unterbrochen wird diese Übereinstimmung allerdings am Ende von Kol. 3, wo der Platz nicht mehr für den entsprechenden Text gereicht hat, und man daher mit Kol. 4 anfangen mußte. Es scheint aufgrund des freigelassenen Platzes jedenfalls so, als ob der Text – wenn auch mit einigen Änderungen und Fehlern vor allem in der zweiten Hälfte – direkt von Philae übernommen wurde. Im Begleittext der Isisdarstellung705 wird die Göttin übrigens, wie in Nubien meist üblich,706 als „Herrin von Philae“ bezeichnet, womit klar ist, daß hier konkret Isis von Philae verehrt wird. Gerade dieser lokale Haupttitel wird jedoch trotzdem in der Titelreihe in Kol. 4 der Hymne weggelassen, obwohl er in Philae-Hymne 5 dort zwischen „Gottesmutter“ und „Mutter des Horus“ geschrieben steht. Aufgrund dieser Beobachtungen und der Häufung verderbter Stellen im zweiten Textteil stellt sich die Frage, ob die Dakke-Version von zwei verschiedenen Vorlagen aus an die Tempelwand übertragen wurde – einer direkt von Philae abgeschriebenen (erste Hälfte), die sogar die Verteilung des Textes auf die einzelnen Kolumnen mit übernommen hat, und einer weiteren (zweite Hälfte), die kleinere Varianten und womöglich einige unleserliche bzw. beschädigte Stellen aufwies. Auch in anderen Szenen des Tempels findet sich eine „philensische“ Epithetareihe für Isis, so z. B. an der Fassade der Vorhalle, Westhälfte, untere Szene (Dakke I, 110, § 245; II, Taf. 45). Pharao reicht ein Feld an Osiris und Isis, welche folgende Titel trägt: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) Iw-rk.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae, Hnw.t nb(.t) %nm.t ir.t Ra nb(.t) p.t die Gebieterin und Herrin von Bigge, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr.w nb.tj rxj.t Hnw.t tA.w die Gebieterin der Götter, die beiden Herrinnen (= die Königin) der Rechit-Leute,707 die Gebieterin der Länder. Die Weihinschriften von Ptolemaios VIII. und seiner Gattin in den Türlaibungen der zentralen Tür zur Vorhalle des Tempels, die heute zerstört sind, richten sich an den Hauptgott Thoth einerseits, an Isis andererseits: „Wir haben das Denkmal errichtet für unsere Mutter Isis, Herrin von Philae und der südlichen Fremdländer“.708 Dies zeigt, daß der Tempel nicht nur Thoth, sondern auch Isis als weiblicher Hauptgöttin geweiht war. Von besonderer Bedeutung ist auch die implizite ägyptische Perspektive in der Bezeichnung als „Herrin der südlichen Fremdländer“: Schließlich befindet man sich in Dakke von Ägypten aus gesehen bereits in ebendiesen.

705 Dakke I, 269, § 595. 706 Siehe dazu unten, Kap. 4.3.2. 707 Ein Titel, der zuerst für die Gottesgemahlinnen, dann für die ptolemäischen Königinnen verwendet wurde, aber häufig auch für Isis-Hathor benutzt wird, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 507; PREYS, Isis et Hathor. 708 Dakke I, 122, § 274.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Die Weihinschrift wird bestätigt am äußeren Türrahmen der Tür des Sanktuars, wo es auf dem westlichen Türpfosten heißt, daß Pharao alle schönen Dinge, die in den Tempel kommen, der Isis weiht, 709 während auf dem östlichen Türpfosten dasselbe von Thoth gesagt wird.710 Isis taucht zudem in zahlreichen Ritualszenen auf, häufig zusammen mit Osiris; besonders zahlreich sind anscheinend Feldopfer an Isis,711 die auch im Mammisi von Philae oft vorkommen.712 Isis wird hier manchmal, ebenso wie in Philae, direkt hinter dem Eigennamen dj.t anx „Lebensspenderin“ genannt, so auch im Begleittext der Göttin in der Szene mit der Hymne.713 4.3.1.2 Kalabscha, Mandulis-Tempel Text/Hauptpublikation Kalabchah I, 4 Anbringungsort Kalabscha, Mandulis-Tempel, Sanktuar, Türrahmen außen, nördlicher Türpfosten Bibliographie – Text: Kol. 1:

wnn As.t m nb(.t) iA.t-wab[.t …]A Hnw.t smn.t(?) xnt Iw-rq.t Es ist Isis die Herrin des Abaton […], die Gebieterin der Prozessionsstation(?),714 an der Spitze von Philae. iwj n=s rsj.w m hms Xr gAw.t=sn Es kommen zu ihr die Südbewohner/die südlichen Länder in Demut und bringen ihre Gaben, xntj/DAj n=s mH.tj.w/mH.wt Xr in.w=sn Es segeln zu ihr die Nordbewohner/die nördlichen Länder beladen mit ihren Tributen, imn.tj.w iAb.tj.w dns Xr ix.wt=sn die Westlichen und Östlichen (Länder/Völker?) sind schwer bepackt mit ihren Gütern,

709 Dakke I, 246–247, § 550. 710 Dakke I, 248, § 552. 711 Augustus opfert Isis von Philae ein Feld an der östlichen Schranke des Vorhofs, an der östlichen Hälfte der Südwand des Vorhofes und an der Südwand des Sanktuars (Dakke I, 127–128, § 281; 145– 147, §§ 329–332; 345–346, §§ 764–766). Dadurch bestätigt er die alte Stiftung des Zwölfmeilenlandes (Dodekaschoinos), vgl. dazu HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 148. 712 Z. B. Philä II, 51–52; 95–96; 145; 149; 157; 161 usw. 713 Dakke, I, 269, § 595. Ebenso z. B. an der Fassade der Ergamenes-Kapelle: Dakke I, 188, § 427. 714 Siehe Wb IV, 195, 17, dort allerdings nur in der 19. Dyn. belegt, obgleich das Determinativ (Hausgrundriß) übereinstimmt. Da es sich jedoch um ein ungewöhnliches Wort innerhalb der engen Epitheta der Isis handelt, frage ich mich, ob durch eine Vertauschung der Konsonanten nicht eigentlich %nm.t gemeint ist, was innerhalb der Haupttitel sehr geläufig ist.

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Nubische Tempel

Kol. 2:

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Hr dhn [tA?] n {Htj.t}(?)715 m s.t-ib716=s indem sie mit der Stirn die Erde berühren (= Proskynese vollziehen) vor der Mächtigen(?) am Platz ihres Herzens (= ihrem Lieblingsort), s.t ib=s iw-wab.t pw s.t-ib(?)717=s m wr.w(?) Im.t(?) rqw.t(?) ihr Lieblingsort ist das Abaton, ihr Lieblingsort ist ???718 xwj=s sA n sA=s mrj=s Mrwl nTr aA nb *rms Möge sie den Sohn (= Pharao) ihres geliebten Sohnes Mandulis, des großen Gottes, des Herrn von Kalabscha, beschützen, dj=s qnw rsy nxt r mHj.t xAs.wt nb.w(t) dmD Xr Tb.tj=f möge sie Kraft über den/bis zum Süden geben und Stärke über den/bis zum Norden, und alle Fremdländer vereinigt unter seine Sohlen, Hr s.t @r xntj kA.w anx.w D.t (nämlich dessen), der auf dem Sitz des Horus ist, der an der Spitze der Kas der Lebenden (= der Untertanen) ist,719 ewiglich. dj=f qnw nb.w n sA Ra nb xa.w [(Awgtrdr) Hr s.t (sic!)720 Möge er (= Mandulis?) alle Kraft geben dem Sohn des Re, Herrn der Erscheinungen [(Autokrator) (= Augustus) auf dem Sitz…

Kommentar: Die Inschrift dreht sich allein um Herrschaftsmacht und Unterwerfung aller Himmelsrichtungen, die in geschickter Weise zunächst Isis, anschließend aber dem König durch Betonung der Abstammung des Pharao vom Tempelgott Mandulis, der wiederum als Sohn der Isis gilt, zugeschrieben werden. So scheint denn auch das Schlußgebet zweigeteilt zu sein: die ersten Bitten beziehen sich noch auf die in der Inschrift hervorgehobene Isis, doch die abschließende Formel hat ein maskulines Suffixpronomen (falls es sich nicht um eine Verschreibung handelt). In der komplementären Inschrift des südlichen Türpfostens721 geht es um Osiris; der Schlußteil ist genauso aufgebaut wie beim obigen Text: Osiris beschützt den Sohn seines geliebten Sohnes Mandulis usw. Somit unterstreicht auch die Positionierung dieser beiden Inschriften an der Tür zum Sanktuar die enorme Bedeutung von Isis und Osiris, die nahezu über die des namentlichen Hauptgottes hinausgeht.

715 Htj.t ergibt hier für mich keinen Sinn. Ob eine Verwechslung mit dem sehr ähnlichen Zeichen für wsr vorliegt? 716 Geschrieben wie . 717 Geschrieben wie . 718 Die Stelle ist unklar. Nach der Erwähnung des Abatons könnte man berechtigterweise annehmen, daß nun Philae genannt wird, zumal am Ende des Ausdrucks rq{w}.t(?) o. ä. steht. Falls tatsächlich Philae gemeint sein sollte, so handelt es sich um eine stark verderbte Schreibung. 719 Beides sind typische Bezeichnungen des Pharao. Mit den kA.w anx.w sind die verstorbenen Vorfahren gemeint, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1074. 720 Hier endet der Text abrupt. 721 Kalabchah I, 3–4.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Kalabchah I, 15–16; Taf. 3–5 Kalabscha, Mandulis-Tempel, Sanktuar, innen, untere Randinschrift, linke (südliche) Hälfte BERGMAN, Ich bin Isis, S. 156, Anm. 5; S. 159–160; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 285–288 (Synopse) Assuan-Hymne 3; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. Isis, 327, 5–9

Text: r.t-pa.t sA.t Gbb HA.tj(.t)-a sA.t MrH Prinzessin, Tochter des Geb, Fürstin, Tochter des (Stiergottes) Mereh, mTA.t sA.t +Hwtj mrj(.t) BA wDA(.t) $nmw die Wesirin, die Tochter des Thoth, geliebt vom Bock (Ba), die Pflegerin(?) des Chnum, wr(.t) Hts wr(.t) Hsw.t groß an Vollkommenheit, mit großem Lobpreis, Hnw.t tA Sma.w mHw die Gebieterin von Ober- und Unterägypten, nb(.t) imA.t bnr.t mrw.t die Herrin der Liebenswürdigkeit, mit süßem Liebreiz, Hnw.t n Sn nb itn die Gebieterin von allem, was die Sonnenscheibe umkreist, nswy.t bjtj.t [(As.t wr[.t] mw.t-nTr) Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter), Hm(.t) nswt tpj.t n [(Wn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nTr n @r kA nxt die Gottesmutter des Horus, des Starken Stiers, nTr.t nfr.t msj(.t) nxt die vollkommene Göttin, die den Siegreichen (Gott) geboren hat, SAa.tw msw.t nTr n kA=s für/wegen deren Ka die Geburt des Gottes begonnen wurde(?): HqA sA HqA(?)722 sr wr Ra pw ein Herrscher, Sohn eines Herrschers(?), der große Fürst, Re ist es, kA=tw r=f723 iwt{.t}(j) whm.tj=fj Dt was man von ihm sagt, dessen Wiederholung es nicht geben wird, ewiglich. sn=s wr m nb spA.wt gs.w-pr.w Xr aXm.w=f Ihr großer Bruder ist der Herr der Gaue und die Tempel tragen seine Götterbilder, sSm.w=f Dsr m s.wt nTr.w seine Abbilder sind geheiligt an den Stätten der Götter;

722 Determinativ einer sitzenden Frau ? Oder handelt es sich um den sitzenden Gott chah II, Taf. IV, A. Die Parallele Assuan-Hymne 3 hat jedenfalls Maskulinum. 723 Etwas knapper als Assuan-Hymne 3, die n Hm=f hat.

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? Vgl. Kalab-

Nubische Tempel

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imj724=sn n=f m hnw diejenigen, die in ihnen (den Götterstätten) sind, sind für ihn im Jubel, ntf nb=sn {r} ir.w Aw Hna @r m-ab sn.t=f denn er ist ihrer aller Herr zusammen mit Horus und mit seiner Schwester, sbj(.t) @r(?)725 n wn mj.t.t=s nTr.t mnx.t die Horus(?) geleitet, derengleichen es nicht gibt, die wohltätige/vortreffliche Göttin, irj(.t) nn r-Aw n sn=s wr die dieses alles für ihren großen Bruder vollzieht. Htp {ib}726=T nfr n nswt bj.tj nb tA.wj [(Awgtrdr) nHm Dsr sA=s Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [(Autokrator) (= Augustus), möge ihr Sohn bewahrt und geheiligt sein. Kommentar: Der Text stimmt nahezu 1:1 mit der Parallele in Assuan überein, kleinere Unstimmigkeiten könnten auf Lese- und/oder Übertragungsfehler zurückgehen. Zum Inhalt und den Lesungen vgl. den Kommentar und die Anmerkungen zu Assuan-Hymne 3, Kap. 4.2.1.A. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Kalabchah I, 16; Taf. 11–13 u. 16b Kalabscha, Mandulis-Tempel, Sanktuar, innen, untere Randinschrift, rechte (nördliche) Hälfte – Assuan-Hymne 4

Text: (nswj.t bjtj.t) As.t dj(.t) anx (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Lebensspenderin, nb(.t) iA.t-wab.t Hnw.t nfr.t nb(.t) Iw-rq die Herrin des Abaton, die vollkommene Gebieterin, die Herrin von Philae, nb(.t) xAs.wt rsj.(w)t die Herrin der südlichen Fremdländer,727 Hm.t-nswt wr(.t) n Hm n nsw.t bjtj Wsjr mw.t-nTr n nD-it=f die Große Königliche Gemahlin der Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten Osiris, die Gottesmutter des Schützers seines Vaters (= Horus), nt< T?>(?) nb(.t) p.t sA=T @r nb tA hy=T m dwA.t du(?) bist die Herrin des Himmels, dein Sohn Horus ist der Herr der Erde, und dein Gemahl ist der Unterwelt,728 724 Das Kreuz ist recht klein und etwas schräg gestellt, daher im Textband Kalabchah I, 16, 2, als angegeben. Vgl. Kalabchah II, Taf. IV, B, und die Parallele in Assuan. BRESCIANI, Assuan, S. 81, und BERGMAN, Ich bin Isis, S. 160, lesen nach der irreführenden Transkription in Kalabchah I swAj „vorbeiziehen“. 725 Der Vogel ist weder in Assuan noch in Kalabscha sicher erkennbar. 726 Die Korrektur nach der Parallele in Assuan. 727 Dieser auf die lokalen Verhältnisse abgestimmte Titel ist auch in Dakke für Isis belegt, siehe oben, Kap. 4.3.1.1.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sSm(.t) anx.w nb(.w) r nmtt=sn die alle ‚Lebenden‘ (= Sterne) zu ihrem Schreiten führt (= auf ihre Bahn leitet), nfr(.t) Hr sHb(.t) mn(D).tj die mit vollkommenem Antlitz und festlich (geschminkten) Augen, mH(.t) aH.t m nfr.w=s die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt, baHj(.t) ??wrx729 m sTj id.t=s m Pwn.t die die Säulenhalle mit ihrem Duft aus Punt überströmt,730 xnm=s m tA-nTr deren Wohlgeruch aus dem Gottesland stammt, (nTr(.t)?)731 wD(.t) mdw n nTr.w nb (die Göttin), die Befehle erteilt an alle Götter, sS n +Hwtj Hr ns=s auf deren Zunge die Schrift des Thoth ist, irj hby.w xft Dd.t=s gemäß deren Worten die ‚Gesandten‘732 handeln, smA sanx733 r mrj=s nach deren Wunsch getötet und leben gelassen wird,734 xp(r) wD.t nswt Xr s.t-rA=s auf deren Ausspruch hin der Beschluß des Königs entsteht, dj(.t) anx n Sm Hr mw=s die Leben gibt an den, der auf ihrem Wasser geht (= ihr untertan ist) tm xAa SAw/Hsb.w(?)735 und nicht Grund verlassen hat (= nicht illoyal ist),

728 Oder, ohne Emendation: „ist in der Unterwelt“? Vgl. zu diesem Satz die Entsprechung in PhilaeHymne 4: nts nb(.t) p.t TAy=s m nb dwA.t sA=s m nb tA. 729 Eine ungewöhnliche Schreibung mit zu Beginn des Wortes? Ohne Kommentar so (auch mit obiger Übersetzung) in LGG II, 785a–b aufgenommen. 730 Vgl. dazu Philae-Hymne 3, wo zwei ähnliche Passagen, allerdings durch einige weitere Epitheta getrennt, stehen: mH(.t) aH.t m nfr.w=s (… …) igp(.t) wrx m sTj=s. 731 Ein eigenes Wort, oder noch weiteres Determinativ/Komplement zu tA-nTr, bei dem bereits ein nTrZeichen voransteht? 732 hby.w sind eine Art von Dämonen, die von Göttern ausgesendet werden, siehe dazu WILSON, Ptol. Lex., S. 603; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 50. 733 Die Reihenfolge der Zeichen ist etwas wirr, doch es kann nur so zu lesen sein. Vgl. ähnliche Aussagen in LGG VI, 323c–324a. 734 Diese Phrase hat eine Parallele in dem die Dekane betreffenden Text sSm sbA.w „Anleitung der Sterne“, belegt in Esna IV, Nr. 406 und pBM 10662 (und weiteren Texten mit Auszügen), siehe dazu QUACK, Dekane, S. 107–108, m. Anm. 133 zur obigen Stelle. 735 Die Lesung des Wortes ist nicht sicher geklärt; H. W. FAIRMAN, Ptolemaic Notes, in: ASAE 44, 1944, S. 263–277: 274–277, liest mit K. PIEHL, Notes de philologie égyptienne, in: PSBA 15, 1893, S. 33–36, SA(w), ebenso J. F. QUACK, Les normes pour le culte d’Osiris. Les indications du Manuel du Temple sur les lieux et les prêtres osiriens, in: Coulon (Hrsg.), Culte d’Osiris, S. 23–30: 26 (ohne Begründung). Dagegen plädiert J. J. CLERE, Recherches sur le mot des textes gréco-romains et sur d’autres mots apparentés, in: BIFAO 79, 1979, S. 285–310, für die Lesung Hsb.w; vgl. auch WILSON, Ptol. Lex., S. 677–678. Vgl. auch den Text Dend. I, 81, 15–82, 6; Kap. 4.6.2.

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nts(?) nfr.t ntj m Hsw.t=s (denn) sie ist (?) die Gute/Vollkommene für den, der in ihrer Gunst steht. mj=T m Htp r pr=T wab Mögest du in Frieden zu deinem reinen Haus kommen, s.t Abj(.t) (ib)736=T mrj(.t) kA=T dem Ort, den dein Herz begehrt, und dein Ka liebt, wab.tj n kA=T Dsr.t(j) mAa.t(?) n sxm=T indem er (der Platz = der Tempel) rein gemacht wurde (= geweiht wurde) für deinen Ka, und die Maat geheiligt wurde für dein Götterbild. Htp Hr=T nfr n nsw.t bjtj nb tA.wj [(Awtgrdr) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [(Autokrator) (= Augustus), sA Ra nb xa.w [(Awyssr(sic!)737 anx Dt [mrj] PtH As.t) dem Sohn des Re, dem Herrn der Erscheinungen [(Kaisaros, er lebe ewig, geliebt von Ptah und Isis). Kommentar: Diese Inschrift, die die bereits aus Assuan bekannte Hymne der südlichen Bandeau-Inschrift (Kalabchah I, 15–16, s. o.) komplementiert, kopiert entsprechend ebenfalls einen Text aus diesem Tempel und zwar passenderweise denjenigen (Assuan-Hymne 4), der auch dort (am Tor C) dem genannten gegenüber liegt.738 Dort ist er allerdings stark zerstört, doch die wenigen erhaltenen Wortreste erlauben eine sichere Identifizierung. Die Hymne zählt zahlreiche Aspekte der Isis auf, darunter einige, die Schönheit, Wohlgeruch und insgesamt Liebreiz betonen und somit ursprünglich eher für Hathor typisch sind. Dieser Abschnitt nimmt mit den Verweisen auf Punt respektive das „Gottesland“ als Herkunftsort der göttlichen Düfte nicht nur Bezug auf die Situierung des Tempels im Gebiet der „südlichen Fremdländer“, die ihren Titeln zufolge natürlich ebenfalls von Isis beherrscht werden, sondern ähnelt thematisch stark der Philae-Hymne 3, wenngleich es keine wörtlichen Parallelen längerer Textpassagen gibt. Doch abgesehen von diesem Abschnitt sind es vor allem der große Herrschaftsbereich der osirianischen Familie und die Befehlsgewalt der Isis, die im Zentrum des Interesses stehen; dabei ergibt sich insgesamt eine dreiteilige Gliederung, wobei die beiden thematisch verwandten Themen durch den Abschnitt über den Liebreiz unterbrochen werden: 1. Thema Herrschaftsbereich, unterteilt in a) lokalen/irdischen und b) kosmischen Bereich: a) Philae, Nubien b) Himmel, Erde, Unterwelt, Sterne 2. Thema Liebreiz: Schönheit, Festlichkeit, Wohlgeruch 3. Thema Befehlsgewalt: über Götter, Götterboten/Dämonen, Leben und Tod, Beschlüsse des Königs.

736 Oder Determinativ zu Abj(.t)? 737 Seltsamerweise wird der „Eigenname“ Kaisaros/Caesar des Augustus in Kalabscha ständig ohne das anlautende k geschrieben. 738 Siehe Kap. 4.2.1.A.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Im Kontext dieser Oberthemen werden gleichzeitig ihre Beziehungen zu anderen Göttern angesprochen, in erster Linie Osiris und Horus, die zusammen mit ihr den genannten Herrschaftsbereich abdecken, aber auch Thoth, dessen Schriften „auf ihrer Zunge sind“, was soviel bedeutet, wie: Isis besitzt die Weisheit aller Schriften (des Thoth). Relativ großen Raum nimmt im Schlußteil auch ihr direktes Einwirken auf das Leben der Menschen ein: Leben und Tod sind von Isis’ Beschlüssen abhängig, und sie kümmert sich persönlich um die ihr treu Ergebenen. Die immense lokale Bedeutung der Isis von Philae, die hier als konkrete Form der Isis durch ihre nahen Epitheta spezifisch genannt ist, zeigt sich darin, daß sie – ähnlich wie im Tempel von Dakke – als Hauptgöttin neben den eigentlichen Gott des Tempels, in diesem Fall Mandulis, tritt: Es ist keineswegs trivial, beide Hälften der unteren Bandeau-Inschriften im Sanktuar mit Hymnen an Isis zu füllen, an Stelle von Texten über den nominellen Tempelgott. Zum Ausgleich wird aber in den oberen Friesinschriften (zumindest in der linken, die rechte ist an der entsprechenden Stelle zerstört) des Sanktuars ausgesagt, daß Augustus den Tempel „für seinen erhabenen Vater Mandulis“ erbaut hat.739 Um eine theologische Verbindung mit Isis (und anderen wichtigen ägyptischen Göttern, insbesondere ihrer Familie) herzustellen, wurde Mandulis in die Genealogie der Götterfamilie Isis, Osiris und Horus eingegliedert: Er wird als Sohn des Horus bezeichnet und sowohl als Kindgott, sogar als junger Sonnengott auf der Lotusblüte, als auch als Erwachsener gezeigt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Kalabchah I, 117–118; Taf. 35–37 Kalabscha, Mandulis-Tempel, Inneres Vestibül („Procella“), Obere Randinschrift, rechte (nördliche) Hälfte Fr. DAUMAS/Ph. DERCHAIN (Hrsg.), Kalabcha, Le Caire 1963, S. 35; GOYON, Rez. Žabkar, S. 89 Philae-Hymne 5; Dakke I, 266–269, § 592–596

Text: (nswj.t bjtj) anx(?) @r.t mry(.t) @r aA (Die Königin von Ober- und Unterägypten), es lebe der weibliche Horus, geliebt vom großen Horus, mw.t-nTr qmA.t [n Itm die Gottesmutter, erschaffen [von Atum … … … … …] ?? nb.t wr.t […] n s[…]t Hr[… …] (nTr) …] ?? die große Herrin […] ? […],740 iTj(.t) tA.wj Hnw.t nTr.w nTr.wt die die Beiden Länder ergreift, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, hd.t nxt.w qn(.t) r qn.w pH.tj(.t) r pH.tj.w die die Starken angreift, mutiger als die Mutigen, kräftiger als die Kräftigen, 739 Kalabchah I, 57 und 58. 740 Die Parallelen Philae-Hymne 5 und Dakke I, 266–269, § 592–596, haben an dieser Stelle: Hm.t nswt wr.t Xnm(.t) n Ra nDtj.t Hr sn=s Wsjr „die Große Königliche Gemahlin, die mit Re vereint ist, die ihren Bruder Osiris beschützt“. Dazu scheinen die hiesigen Reste aber nicht zu passen.

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Hwj(.t) HH.w dndn tp.w die Millionen schlägt, indem sie/die Köpfe abschlägt, wr(.t) Sa.t r xftj.w=s mit großem Gemetzel gegen ihre Feinde, nb(.t) n{D}sr(.t) tktk(.t) sbj.w die Herrin der Flamme, die die Rebellen attackiert, sHm(.t) aApp m A.t=f die Apophis zurücktreibt im Moment seines Angriffs, Hrj(.t)-tp n Ra MHnj.t m tp=f die Uräusschlange des Re, die Ringelschlange an seinem Haupt, dj(.t) tp-rd m skt.t die Anweisung gibt in der Morgenbarke, Hnw.t m anD.t741 die Gebieterin der Leitung in der Abendbarke, nsw(j.t) bjtj(.t) As.t wr.t mw.t-nTr die Königin von Ober- und Unterägypten Isis, die Große, die Gottesmutter, mw.t n @r HqA idb.w die Mutter des Horus, des Herrschers der Ufer,742 sA.t Ra-Itm(?)743 mrj(.t) ib=f s.t{t}=s m P die Tochter des Re-Atum, geliebt von seinem Herzen, deren Sitz in Pe ist,744 Dd.t=s nb xp(r)=sn Hr-a deren sämtliche Worte sofort Gestalt annehmen, arq(.t) swAS m 745 mit vollendeter Lobpreisung in den Heiligtümern. Htp Hr=T nfr n nswt bjtj nb tA.wj [(Awgtrdr) sA Ra nb xa.w [({A}wysrs anx Dt mrj PtH As.t) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [(Autokrator), dem Sohn des Re, dem Herrn der Erscheinungen [(Kaisaros, er lebe ewig, geliebt von Ptah und Isis) (…)746 Kommentar: Wie im Tempel von Dakke (s. o.) wurde auch in Kalabscha Philae-Hymne 5 als zentraler Text über Isis als Königin und wehrhafte, Feinde vernichtende Uräusschlange übernom-

741 Hier entspricht der Text der Parallele in Dakke, abweichend von Philae-Hymne 5; nach Dakke I, 266– 269, § 592–596, auch die Ergänzung des verderbten Textstückes. 742 Letzteres ein Zusatz zu den beiden Parallelen. Es handelt sich um einen häufigen Titel des Horus sowie anderer großer Götter wie Amun oder Osiris, siehe LGG V, 499–500. 743 Auch dies ein Zusatz, die Parallelen haben nur „Tochter des Re“; eine ungewöhnliche Schreibung für Atum mit ; vgl. aber dazu (zumindest für das Messer als Determinativ für den Gottesnamen) DERCHAIN-URTEL, Epigraphische Untersuchungen, S. 74. 744 Mit diesem erneuten Zusatz wird die Verbindung zu Uto hergestellt, die im Tempel von Kalabscha ebenfalls eine größere Rolle spielt, vgl. E. HENFLING, s. v. „Mandulis“, in: LÄ III, Sp. 1178. 745 Unleserliche Zeichen, ergänzt nach den Parallelen. 746 Nach den Kartuschen folgt noch eine kurze Bauinschrift, die besagt, daß der König den Tempel für Merul (Mandulis) erbaut hat.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

men. 747 Nur wenige geringfügige Veränderungen (und eventuell eine etwas größere im zerstörten Abschnitt) wurden gegenüber den älteren Versionen in Philae und Dakke am Text vorgenommen, die, wie die Verbindung der Isis zu Pe und damit Uto, wohl dem lokalen Kontext geschuldet sind. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Kalabchah I, 118; Taf. 28b–30 Kalabscha, Mandulis-Tempel, Inneres Vestibül („Procella“), Obere Randinschrift, linke (südliche) Hälfte JUNKER, Preis der Isis; MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 121–124 Philä I, 168–169; Philä I, 174, 5–13 (teilweise); Philae-Photos 843/846 (schlecht erhalten)

Text: wr.t mw.t-nTr dj(.t) anx nb(.t) Iw-r{t} Die Große,748 die Gottesmutter, die Lebensspenderin, die Herrin von Philae, Hnw.t nb(.t) [iA.t]-wab.t HqA.t m %nmw.t die Gebieterin und Herrin des Abaton, die Herrscherin in Bigge, iw749 nwj(.t) sStA.w n sn=s die Klagefrau, die für die Geheimnisse (Mysterien) ihres Bruders sorgt,750 wr.t wsr.t Hnw.t nTr.w die Große, die Mächtige, die Gebieterin der Götter, Tnj rn xnt nTr.wt mit erhabenem Namen an der Spitze der Göttinnen, wr.t-HkA.w mnx sH=s die Zauberreiche, deren Plan trefflich ist, xsf(.t) aApp m sAx.w tp-rA=s die Apophis mit ihren Zaubersprüchen abwehrt, n hb aH.t m xm=s ohne deren Kenntnis man nicht den Palast betritt, xaj nb Xr s.t-rA=s nach deren Befehl der Herr erscheint, kA m nb(.t) anx Hr dj(.t) anx n tA (Ka-)Name ist ‚Herrin des Lebens‘, weil sie der Erde Leben gibt, 747 Zum Inhalt vgl. den Kommentar zu Philae-Hymne 5, Kap. 4.1.1.A. 748 Aufgrund der unterschiedlichen Funktionen des Textes und dementsprechend unterschiedlichen Konventionen in Philae und Kalabscha (Türlaibungs-Inschrift vs. Bandeau-Inschrift) fehlt in Kalabscha der Eigenname zu Beginn des Textes. 749 Zur Ergänzung siehe: JUNKER, Preis der Isis, S. 273. 750 Alternativ wäre vielleicht trotz fehlendem Stoff-Determinativ das Verb nw „bekleiden, umhüllen“ zu verstehen, mit möglicher Übersetzung: „die die geheime Gestalt ihres Bruders umhüllt“ (mit Bezug auf die Einbalsamierung), siehe auch JUNKER, Philä I, S. 169, Anm. 2. Vgl. mehrere ähnliche Ausdrücke mit nw in Bezug auf Isis (oder Nephthys) und Osiris: LGG III, 542c. JUNKER, Preis der Isis, S. 271 übersetzt: „die die geheimen Gestalten ihres Bruders betreut“; ID., in Philä I, S. 169: „die die Gestalt ihres Bruders besorgt“.

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anx Hr(.w) nb.w m wD.t kA=s und jedermann durch den Befehl ihres Ka lebt, nb(.t) iA.t-wab.t r-mn{x} iA.t-bAbA(?) die Herrin des Abatons bis nach Iatbaba(?),751 xtm(.t) xtm Hr xtm=s die das zu Siegelnde mit ihrem Siegel siegelt, n irj.tw sx.w nb(.w){=s} (?) m xm=s SAa p.t tA dwA.t ohne deren Kenntnis keinerlei Pläne ausgeführt werden, vom Himmel (bis zur) Erde und zur Unterwelt,752 wsr.t m WAs.t aA.t m Iwn.t mnx.t m @w.t-kA-PtH die Mächtige in Theben, die Große in Dendara, die Vortreffliche in Memphis, mw.t-nTr m NTr.wj {Hr nb}753 Hrj.t m ¢m(?)754 Hnw.t spA.t nb die Gottesmutter in Koptos, die Oberste in Letopolis(?), die Gebieterin aller Gaue, wD.t md.w n psD.t sSm.tw Hr s.t-rA=s die Befehle an die Neunheit erteilt, nach deren Ausspruch geführt/regiert wird, pHty.t pHty.t Xr Sfj.t=s die Kräftige, die Kräftige (?) durch ihr Ansehen,755 wr.t m p.t HqA.t xAbAs.w dj(.t) sbA {k} Hr nmt.t =sn die Große im Himmel, die Herrscherin der Himmelsleuchten, die alle Sterne auf ihre Bahn setzt, As.t dj(.t) anx nb(.t) iA.t-wab.t Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abaton, Hnw.t nb(.t) iA.t-rq nb(.t) xAs.wt rsj.w(t) die Gebieterin und Herrin von Philae, die Herrin der südlichen Fremdländer.

751 Der Ort ist ansonsten unbekannt, vgl. JUNKER, Preis der Isis, S. 275 (auch nicht in GDG aufgenommen). Wahrscheinlich handelt es sich um ein Toponym südlich von Philae (im Bereich der Dodekaschoinos), so daß mit diesem Epitheton Isis’ bekannte Vorherrschaft in diesem Gebiet beschrieben wird. 752 Hiermit endet die Parallele zum Text auf der östlichen Türlaibung in Philae (Philä I, 169), und der übrige Text entspricht dem auf der westlichen Türlaibung in Philae (Philä I, 168–169). 753 Vgl. die Parallele in Philae. Das Hr könnte je nach originaler Zeichenstellung noch phonetisches Komplement zu Hrj.t sein; auf den Tafeln läßt sich die Stelle leider nicht erkennen. 754 JUNKER, Philä I, S. 168, bzw. ID., Preis der Isis, S. 271, liest „Achmim“ (¢nt-Mnw), was jedoch nicht zu den Hieroglyphen paßt. LGG V, 440b, hat Hrj.t m xm.w „Die Oberste in den Heiligtümern“, was aufgrund der in Philä und Kalabscha geschriebenen Pluralstriche und dem folgenden „Gebieterin aller Gaue“ ebenfalls möglich wäre. Aufgrund des ebenfalls in beiden Fällen geschriebenen Stadtdeterminativs halte ich ¢m Letopolis jedoch für naheliegender. Vgl. außerdem die Hymne Philae-Photo 1297 (siehe dort), wo in einer entsprechenden kulttopographischen Litanei „Maat in Letopolis“ genannt wird. 755 Der Sinn der Dopplung von pHty.t ist unklar; in Kalabscha ließe sich die Dittographie mit dem Wechsel über eine Wandecke begründen, doch auch in Philae ist nach Philä I, Abb. 98, an der zerstörten Stelle soviel Platz vorhanden, daß zwischen dem ersten pHty.t und Xr noch ein weiteres Wort gestanden haben muß.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dj=s qn.w nb.w n nswt-bjtj nb tA.wj [(Awgtrdr) sA Ra nb xa.w [(Awyssr (sic!) anx Dt mrj PtH As.t) Möge sie alle Kraft geben dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [(Autokrator), dem Sohn des Re, dem Herrn der Erscheinungen [(Kaisaros, er lebe ewig, geliebt von Ptah und Isis). Kommentar: In Kalabscha wurden die in Philae auf zwei gegenüberliegenden Türlaibungen angebrachten Isis-Eulogien zu einer Bandeau-Inschrift zusammengefaßt.756 Nur aufgrund des Anbringungsortes bzw. der unterschiedlichen Textart wurden einige minimale Änderungen vorgenommen.757 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Kalabchah I, 169–170; Taf. 57–60a Kalabscha, Mandulis-Tempel, Äußeres Vestibül („Antichambre“), obere Randinschrift, rechte (nördliche) Hälfte WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, S. 306–310; ID., Winzige Ergänzung, S. 600–601; BUDDE, Götterkind, S. 71–72;758 Philä III, S. 3–7 (im Vergleich mit der Parallele) Philä III, Nr. 2

Text: (…)759 Hrj.t-tp n Ra m HA.t=f (…) Die Stirnschlange des Re an seiner Vorderseite/Stirn, sA.t=f tp.t mrj(.t) ib=f seine erste Tochter, die sein Herz liebt. nts pw sxr(.t) sbj m HA.t wjA=f Sie ist es, die den Rebellen niederwirft im Bug seiner Barke, irj(.t) sA=f wHm(.t) mk.t=f die seinen Schutz bereitet und seine Beschirmung wiederholt. @w.t-@r rn=s m spA.t nb nTr.t tn n k.t Hr xy=s Hathor ist ihr Name in jedem Gau, diese Göttin, an die keine andere heranreicht, rsw mHw xtm Hr xtm=s Süden und Norden sind gesiegelt mit ihrem Siegel, imnt.t iAb.t.t Xr s.t-Hr=s Westen und Osten sind unter ihrer Aufsicht, Sn p.t wsx.t n tA Hptj Xr Dd=s der Umkreis des Himmels, die Weite der Erde und die Weltenden sind unter ihrem Befehl, iqr ib=s mj ©Hwtj ihr Herz ist trefflich wie das des Thoth. 756 757 758 759

Vgl. JUNKER, Preis der Isis. Zum Inhalt siehe den Kommentar zu den Philae-Texten, Kap. 4.1.1.A. Vgl. zu diesen Änderungen im einzelnen auch MARTZOLFF, Décoration des pylônes, S. 123–124. Vgl. Kap. 4.1.1.A, Anm. 406, zu Philä III, Nr. 2. Beginn nach Art einer Bauinschrift.

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nts

w sr(.t)760 ij n nHH Sie ist es, die vorhersagt, was in der Ewigkeit kommen wird (= die Zukunft), anx m a=s snb r xt=s Leben ist in ihrer Hand und Gesundheit in ihrem Gefolge, SAw rr.t m wD.t=s Schicksal und Gedeihen/Wohlstand/Glück sind unter ihrem Befehl, wr.t n p.t Hnw.t tA die Große des Himmels, die Gebieterin der Erde, wr(.t) pH.tj n wn mj.t.t=s die mit großer Kraft, derengleichen nicht existiert, 761 rA-DA.w pr-MnTw r-xt=s des Kampfplatzes, unter deren Kommando das Haus des Month (= Waffen- oder Gerätelager) ist, njs n=s aSA Hr ptr.t zu der die Menge auf dem Schlachtfeld ruft, bjA.t wr.t bjtj.t(?)762 nTr.w nTr.wt das große Wunder, die unterägyptische Königin(?) der Götter und Göttinnen, mfkA.t n 763 aA.t itj.t wr.t n nn r Aw das Türkis der großen , die große Fürstin von all diesem, n Hb aH.t m [x]m=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung der Palast nicht betreten wird.764 dj=tw n[=s] iAw [m (m)skt.t hnw n=s]765 m (m)anD.t Man gibt ihr Lobpreis [in der Abendbarke, Jubel für sie] in der Morgenbarke, [aHa n=s sDr(.w)]766 Hr sTA(.w)=sn diejenigen, die auf ihren Rampen/in ihren Höhlen [schlafen, stehen für sie auf,]767 nTr.w [rmT.w htt] n kA=s Götter und [Menschen jubilieren/schreien] für ihren Ka, Haa Ra Hr mAA nfr.w=s Re jubelt, wenn er ihre Schönheit sieht, Ax.w mwt.w Xr snD=s die Verklärten (Achs) und die Toten sind unter ihrer Schrecklichkeit (oder: in Furcht vor ihr),

760 Zur Ergänzung und der Lesung sr(.t) vgl. die Parallele Philä III, Nr. 2; vgl. auch LGG VI, 426b; und BUDDE, Götterkind, S. 71, Anm. 347, die aber die davor stehende Zeichengruppe (nts

w) ignoriert. 761 Zu dieser möglichen Ergänzung vgl. die Parallele Philä III, Nr. 2, mit Anm. 412. Ohne Emendation: „Unter deren Kommando der Kampfplatz und das Haus des Month sind“. 762 . Die Parallele in Philä III, Nr. 2 hat . BUDDE, Götterkind, S. 72, übersetzt ohne Kommentar „die Mächtige“. Für die oben vorgeschlagene Lesung sprechen die Krone und das Wortspiel mit bjA.t. Vgl. auch eine Parallele dieses Epithetons der Isis in Dend. VII, 78, 12, vgl. LGG II, 754b. 763 Geschrieben ist statt . 764 Die Übersetzung von BUDDE, Götterkind, S. 71–72, endet hier. 765 Ergänzt nach der Parallele Philä III, Nr. 2. 766 Ergänzt nach der Parallele Philä III, Nr. 2, ebenso die folgenden Fehlstellen. 767 Gemeint sind wohl die Bewohner des Totenreiches; vgl. zu diesem ansonsten unbekannten IsisEpitheton einen ähnlichen Beinamen des Amenemope von Djeme: aHa n=f sDr.w, siehe LGG II, 194a.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wpw.tj.w=s(?) iAj m Hr=s ihre Botendämonen(?) lobpreisen vor ihrem Antlitz, n irj.t[w] sxr.w nb m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung keine Pläne gemacht werden, SAa tA bis hin zu , Erde . xwj768 Möge sie schützen den König von Ober- und Unterägypten… Kommentar: Auch dieser Hymnus wurde aus dem Tempel von Philae übernommen und relativ unreflektiert und mit einigen Abschreibefehlern, ansonsten aber bis hin zu den einzelnen Hieroglyphen kopiert.769 4.3.2

Nubien: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie der nubischen Tempel (Dakke, Kalabscha und weitere) Als bedeutendstes Isiskultzentrum im Süden Ägyptens hatte das Heiligtum von Philae eine starke Ausstrahlungskraft nach Nubien, wo der Kult der Isis von Philae landesweit den höchsten Rang erlangte und die Göttin auch im Totenkult eine wichtige Rolle spielte.770 Zudem legten bereits die nubischen Fremdherrscher Ägyptens (25. Dyn.) ein besonderes Interesse für die Götter der osirianischen Familie an den Tag.771 In der frühen Kaiserzeit, insbesondere unter Augustus, lassen sich in Nubien zahlreiche Tempelneubauten sowie Dekorationstätigkeiten an älteren Heiligtümern verzeichnen. 772 Der starke Einfluß des Kultes von Philae auf die nubischen Tempel offenbart sich in der Tatsache, daß speziell Isis von Philae und ihre Götterfamilie dort grundsätzlich der jeweiligen lokalen Hauptgottheit zur Seite gestellt wurden773 und eine prominente Position einnahmen. Isis trägt dementsprechend immer ihre philensischen Haupttitel: „Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Philae“ bzw. „Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abatons“.774 768 Der Text bricht hier ab (unvollendet), vgl. für die Schlußformel aber die Parallele Philä III, Nr. 2. 769 Siehe dazu WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, speziell zum obigen Text S. 306–310; ID., Winzige Ergänzung, S. 600–601. Zum Inhalt siehe den Kommentar zur Parallele, Kap. 4.1.1.A. 770 Zu Isis in Nubien siehe auch YELLIN, Anubis, S. 105–108; J. LECLANT, Isis au pays de Kouch, in: Ann. EPHE, 5e section, 90, 1981–1982, S. 39–59; N. B. MILLET, Meroitic Religion, in: Meroitistische Forschungen 1980, Akten der 4. Internationalen Tagung für meroitistische Forschungen vom 24.–29. Nov. 1980 in Berlin, Meroitica 7, Wiesbaden 1984, S. 111–121: 120. Ein allgemeiner Überblick, der jedoch nichts Neues bietet, teilweise oberflächlich und sprachlich sehr fehlerhaft ist, auch bei BALDI, Isis in Kush. Die Bedeutung der Isis von Philae für die nubische Bevölkerung zeigen auch die zahlreichen von Meroiten hinterlassenen Graffiti in Philae selbst, siehe dazu unten, Kap. 6.2.2, mit weiterer Literatur. 771 Vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 293–294; J. LECLANT, Recherches sur les monuments thébains de la XXVe dynastie dite éthiopienne I–II, BdÉ 36, Kairo 1965, S. 262–292. 772 Vgl. HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 139–159; VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 231; BUDDE, Götterkind, S. 154–156. 773 Z. B. in Dakke und Kalabscha, siehe oben, Kap. 4.3.1.1–2. Vgl. dazu auch TÖRÖK, Between Two Worlds, S. 447–455. 774 Vgl. dazu oben, Kap. 4.1.2.

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Nubische Tempel

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Auch ganze Texte wurden aus dem Repertoire des Heiligtums am 1. Katarakt übernommen: So ist die Hymne Nektanebes in Musawwarat El-Sufra belegt,775 in Dakke hat man eine der unter Ptolemaios II. in Philae angebrachten Hymnen weiterverwendet,776 und in Kalabscha finden sich sogar drei Texte aus Philae und zwei Hymnen aus Assuan wieder. 777 Die Texte wurden dabei jeweils an die abweichenden Anbringungsorte bzw. Dekorationseinheiten angepaßt und entsprechend zugeschnitten. Obgleich aus den anderen nubischen Tempeln keine Hymnen an Isis erhalten sind, zeigen Darstellungen und Inschriften doch ihre herausragende Rolle. Einheimische Gottheiten wie Mandulis, Apedemak und Arensnuphis werden dabei gerne mit Mitgliedern der osirianischen Familie identifiziert bzw. genealogisch in diese eingegliedert, um eine enge Verbindung zu schaffen.778 So bildet im Löwentempel von Naqa in mehreren Szenen der lokale Hauptgott Apedemak (an Stelle von Osiris) eine Triade mit Isis und Horus.779 Isis tritt auch hier in der aus den Texten Philaes und Assuans bestens bekannten Rolle als kriegerische Feindvernichterin und Schützerin auf: Ein Relief zeigt, wie sie eine Gruppe von Feinden vor den König führt.780 In der anderen Hand hält sie aber eine Situla, was wiederum auf ihre belebenden (Milch-)Libationen im Totenkult verweist,781 die zu ihren zentralen Funktionen in Nubien gehören. Ein kleiner Vorgängerbau des Tempels von Kalabscha sowie das Kalabscha-Tor waren tatsächlich vor allem Isis und Osiris gewidmet, erst der augusteische große Tempel führt Mandulis als Hauptgott ein, der sein Heiligtum jedoch weiterhin mit den übermächtigen Göttern von Philae teilen muß, in deren Familie er integriert wird.782 An der Rückseite des Tempels, wo Isis, Harendotes und Mandulis als lokale Triade großformatig dargestellt werden, nimmt Mandulis als Kindgott nur die dritte Position ein.783 Auf dem als einziges von dem nicht weit von Kalabscha in frührömischer Zeit errichteten Tempel von Ajuala erhaltenen Tor wird Mandulis ebenfalls einerseits als Enkel (Sohn von Harendotes), andererseits als Sohn mit Isis und Osiris von Philae verbunden.784

775 Siehe Kap. 4.1.1.A, zum Text. 776 Philae-Hymne 5 = Dakke I, 266–269, § 592–596, s. o., Kap. 4.3.1.1. 777 Philae-Hymne 5 = Kalabchah I, 117–118; Philä I, 168–169 + 169 = Kalabchah I, 118; AssuanHymne 3 = Kalabchah I, 15–16; Assuan-Hymne 4 = Kalabchah I, 16. S. o., Kap. 4.3.1.2. Zur Übernahme von Texten in verschiedenen Tempeln siehe auch unten, Kap. 5.1.3. 778 Siehe oben, Kap. 4.3.1.2, und ŽABKAR, Apedemak, S. 17–21. 779 ŽABKAR, Apedemak, S. 17. 780 ŽABKAR, Apedemak, S. 18; Taf. 3; YELLIN, Anubis, S. 106. 781 Die Milchopfer und Situla werden ausführlich in einer in Vorbereitung befindlichen Dissertation von S. CAßOR-PFEIFFER besprochen; siehe vorläufig EAD., „Milch ist es…“. 782 Siehe zu Kalabscha VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 243–244; HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 151–156; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 104–133; Kalabchah; und oben, Kap. 4.3.1.2. Zum Kalabschator E. WINTER, Das Kalabsha-Tor in Berlin, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 14, 1979, S. 59–71. 783 HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 129, Abb. 187; vgl. VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 244. 784 Vgl. VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 245; HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 156–157; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 133–135.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Der heute verlorene, römerzeitliche Tempel von Qurta war „Isis von Qurta“ selbst als Hauptgöttin geweiht.785 In Maharraqa (Hiera Sykaminos), dem südlichsten Ort der römischen Provinz Aegyptus, wurde bereits in der Ptolemäerzeit ein Tempel für Isis und Osiris/Sarapis auf einer Steinterrasse mit Sandhügel errichtet, dessen Dekoration unvollendet geblieben ist. 786 Aufgrund der Architekturform und einer griechischen Inschrift, die Sarapis als Sonnengott präsentiert, 787 deutet HÖLBL diesen Tempel als eine Art Sonnenheiligtum auf einem ‚Urhügel‘.788 Bei dem 15 km südlich von Philae gelegenen Tempel von Debod (heute in Madrid) handelte es sich ursprünglich um eine von dem meroitischen König Adikhalamani errichtete Kapelle für den lokalen Amun und – an zweiter Stelle – Isis von Philae, die mit ihren Familienmitgliedern die Südhälfte beherrscht.789 Unter Ptolemaios VI. wurde die Kapelle zu einem Tempel erweitert, der nun Isis und den synnaoi theoi geweiht ist:790 Die Götter von Philae gewinnen damit an Bedeutung gegenüber den Lokalgöttern, was sich auch noch in der Dekoration aus römischer Zeit äußert.791 Auch hier erscheint Isis mit ihren üblichen Haupttiteln von Philae; sie ist „Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abatons, die Gebieterin, die Herrin von Philae, die Edle und Mächtige, die Herrin der südlichen Fremdländer“.792 In einer auf der Westwand des Vorhofes angebrachten Schlachtopferszene aus der augusteischen Dekorationsphase stellt die göttliche Randzeile neben dem umfassenden Herrschaftsanspruch der Isis entsprechend dem Szenentypus auch ihre gefährlichen und kriegerischen Eigenschaften793 heraus: (nswj.t bjtj.t) Ra.t m p.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten) die Sonnengöttin am Himmel, Ax[.t](?) m tA snD.t m qAb mn.tj.w die Herrliche/Wirkmächtige(?) auf der Erde, die Furchtbare im Inneren der Berge,

785 HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 146; L.-A. CHRISTOPHE, Sanctuaires nubiens disparus, in: CdÉ 75, 1963, S. 17–29: 24–25; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 147. 786 Siehe zum Tempel von Maharraqa VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 231; HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 145–146; E. FANTUSATI, Roman Sykaminos, in: Beiträge zur Sudanforschung 8, Wien 2003, S. 41–47; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 147–150; G. MASPERO, Temples immergées de la Nubie. Rapports relatifs à la consolidation des temples 1, Kairo 1911, S. 8–10; 99–105. 787 SB 8543; siehe dazu unten, Kap. 6.2.4. 788 Ähnlich auch TÖRÖK, Between Two Worlds, S. 454–455. 789 Zum Tempel von Debod: VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 242; HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 158–159; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 100–101; ROEDER, Debod, S. 1–100. 790 Griechische Dedikationsinschrift am 2. Pylon: Debod I, S. 18, § 37; III, S. 1, Taf. 4; FHN II, Nr. 138, S. 630–631. 791 Vgl. ROEDER, Debod, S. 8–9. 792 Z. B. Debod I, 43, § 111. Zum Titel „Herrin der südlichen Fremdländer“, der sich auf Nubien/Dodekaschoinos bezieht, vgl. oben, Kap. 4.3.1.1 zu Dakke. 793 Vgl. die oben beschriebene Szene aus dem Löwentempel von Naqa.

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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nswj.t(?)794 n p.t wD(.t) mdw m tA die Königin(?) des Himmels, die Befehle erteilt auf Erden, inj(.t) mw.t qjs m XAk.w-ib=s mj qn=s die den Tod bringt und die ihre Feinde fesselt, weil sie stark ist/mit ihrer Kraft, xry m pH{rnp} As.t dj(.t) anx nb(.t) iw-wab.t das Schlachtopfer erreicht sie, Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abaton. (Debod I, 44–45, §§ 112–115; II, Taf. 41) Auch der heute in New York befindliche, unter Augustus errichtete Tempel von Dendur ehrt die philensische Triade im Verbund mit nubischen und Kataraktgottheiten (Thoth von Pnubs, Mandulis von Kalabscha, Satet von Sehel). 795 Zudem wurde hier speziell einem lokalen vergöttlichten Brüderpaar – Petiese und Pahor – ein Kult entgegengebracht. Reliefdekoration findet sich nur am Pronaos und den Außenwänden des Tempels. Das teilweise in Fels gehauene Sanktuar ist dagegen praktisch gänzlich ungeschmückt geblieben, abgesehen von einer in die Rückwand gemeißelten Stele, die Pahor und Petiese bei der Anbetung von Isis respektive Osiris-Onnophris zeigt. Isis weist wieder eine für Nubien typische Titulatur auf: „Isis, die Lebensspenderin, die Herrin des Abatons, die Gebieterin, die Herrin von Philae, die Herrin der südlichen Fremdländer.“796

4.4

Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

4.4.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften

4.4.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen Zentrale Szenen im Sanktuar Text/Hauptpublikation Behbeit el-Hagara, 41–43, SAE 42, 133797 Anbringungsort Behbeit el-Hagar, Isistempel, Sanktuar, Südwand, 1. Reg., 2. Szene Bibliographie FAVARD-MEEKS, Un temple d’Isis, S. 32, oberes Photo Inhalt der Szene Der König Ptolemaios II. räuchert vor der Barke der Isis.

794 Zur Lesung nswj.t „Königin“ vgl. auch ROEDER, Debod I, S. 45. Möglich wäre auch mw.t nswt „die Mutter des Königs (des Himmels…)“; auch im LGG sind Titel mit dieser Schreibung sowohl unter mw.t-nswt (LGG III, 260b–261a) als auch unter nswj.t (LGG IV, 346b–350a) aufgenommen. Vom inhaltlichen Kontext her macht nswj.t hier wohl mehr Sinn, vgl. auch die Parallelen für „Königin am Himmel“ aus Dendara mit eindeutigerer Schreibung: LGG IV, 347c. Das LGG III, 260c, aufgeführte mw.t nswt n p.t (Edfu VI, 190, 6) dürfte der Schreibung zufolge wohl auch eher nswj.t n p.t zu lesen sein. 795 Siehe dazu VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 245–246; HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 149–151; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 135–138; C. ALDRED, The Temple of Dendur, The Metropolitan Museum of Art Bulletin 36/1, New York 1978; Dendûr; Dandour. 796 Dendûr, 48–49; Taf. 73, 2 u. 74. 797 Photos eines Teils der Blöcke sind jetzt in einer Online-Datenbank einsehbar (allerdings nur wenig vergrößerbar, so daß das Lesen von den Photos schwierig ist): https://www.temple-behbeit. org/tableau/. Zuletzt eingesehen am 05.07.2016.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: – Beischrift der Ägide des Bugs (42, SAE 42, 7–12): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, Htp.tw m Xnw n WTs.t-nfrw=s mj Itm ruht im Inneren der (Barke) ‚Sitz ihrer Schönheit‘ wie Atum, dj=f-s(w) m MAnw wenn er sich zeigt im Westgebirge. @dd.t wr.t Hnw.t tA.wj mw.t-nTr Hededet,798 die Große, die Gebieterin der Beiden Länder, die Gottesmutter, Hm.t nTr Hnw.t nTr.w nb(.w) m NTrj die Gottesgemahlin, die Gebieterin aller Götter in Netjeri,799 Htp.tw xnt bjk=s m Xnw n Ax.t=s mj nb-Dr m (m)anD.t[… …] ruht auf ihrer ‚Falken‘-Barke800 im Inneren ihres Horizontes wie der Allherr in der Morgenbarke. – Beischrift der Ägide des Hecks (43, SAE 133, 13–19): [… …] tj.t Itm nb.t r[-Dr…] sd(?) [Hr] tp nb=s Abbild des Atum, die [All]herrin […] ? auf dem Haupt ihres Herrn, [wr.t?] pH.tj [… … …] Hkn nswt.w nfr.w=s [groß an?] Kraft […], deren Schönheit die Könige bejubeln, dj n=s nTr.w iAw […]=sn dwA-s(j) nTr.wt der die Götter Lobpreis geben, ihre […], die die Göttinnen anbeten, […] wa.t […] sA sr wr m Hw.t-sr […] die Einzigartige […], der Schutz des großen Fürsten (= Osiris) in der Kapelle des Fürsten,801 sHtp [… [(Wnn-nfr)] mAa xrw m ir.w=f […] mj Ra D.t die [… [(Onnophris)], gerechtfertigt, zufrieden stellt in seiner Gestalt802 […] wie Re, ewiglich.

798 Name einer Skorpiongöttin, die meist mit Isis gleichgesetzt wird und sonst vor allem in Edfu gut belegt ist, siehe dazu GOYON, Hededyt, bes. S. 454 zu Behbeit el-Hagar, wo sie nochmals als Beschützerin des Osiris belegt ist; WILSON, Ptol. Lex., S. 693–694; D. MEEKS, s. v. „Hededet“, in: LÄ II, Sp. 1076–1078; J. YOYOTTE, in: P. Vernus/J. Yoyotte, Bestiaire des Pharaons, Paris 2005, S. 454– 455; LGG V, 597–599. Siehe unten, Kap. 4.5. Auch die Chronokratoren-Göttin (= Form von Hathor/Sachmet) des Tages IV Schemu 2 trägt diesen Namen, vgl. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 134, Anm. 261. 799 Kultname für Behbeit el-Hagar, siehe dazu FAVARD-MEEKS, Les toponymes Nétjer, und unten, Kap. 4.4.2. 800 Zu dieser Barke als Königs- und Götterschiff, siehe Wb I, 445, 14–16; WILSON, Ptol. Lex., S. 309; FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 43, Anm. 221. 801 Zu Osiris als „großer Fürst“, von dem in Behbeit eine Mumienfigurine mit Falkenkopf hergestellt wird, und der „Kapelle des Fürsten“, siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 279–280; FAVARDMEEKS/MEEKS, Corps osiriens, S. 42–43; FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 345–347. 802 Zu Osiris „in seiner (wahren) Gestalt“, die ihn als lebenden König zeigt, siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 281; FAVARD-MEEKS/MEEKS, Corps osiriens, S. 44–45. Diese Bezeichnung des Osiris ist spezifisch für das Sanktuar und das Hw.t-sr des Tempels von Behbeit.

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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Kommentar: In den Barkentexten wird jeweils zu Beginn ein Parallelismus zwischen Isis und Atum hergestellt, der sich an ihrer Teilnahme am Sonnenlauf in den Barken konkretisiert.803 Somit wird sie als Ur- und Schöpfergöttin definiert. In einem Fragment der Dedikationsinschrift der Sanktuaraußenwand wird Isis sogar als „erhabene QrH.t des Atum“ bezeichnet, „die am Ursprung der Götter ist“,804 d. h. als Mutterleib/Gebärmutter und Urschlange bzw. Ahngöttin geht sie Atum möglicherweise sogar voraus oder wird zumindest als Erste von ihm geschaffen.805 Des weiteren wird Isis innerhalb der Barkenszene auch insofern mit dem Sonnen- und Schöpfergott verbunden, als sie der Beschreibung von FAVARD-MEEKS zufolge innerhalb des Schreines auf der Barke auf der Lotusblüte sitzend dargestellt ist806 wie sonst üblicherweise der kindliche Sonnengott. Tatsächlich kommt die „Göttin auf der Lotusblüte“ aber auch innerhalb weiterer Barkendarstellungen in den griech.-röm. Tempeln vor, so in Edfu (Hathor), Philae (Hathor und Isis) und Esna (Neith).807 Es findet also eine Assoziation zwischen der Göttin in der Prozessionsbarke und dem kindlichen Sonnengott in der Sonnenbarke statt. Zudem wird Isis in der Beischrift der Ägide des Bugs in ihrer speziellen skorpiongestaltigen Form ‚Hededet‘ genannt, die zwar auch eng mit Edfu verbunden ist,808 aber vor allem bereits in Sargtexten und Totenbuch in den Zusammenhang von Schiffen und Barken sowie der Sonnenfahrt gehört (dort allerdings nicht explizit mit Isis verbunden): In Schiffsteilkatalogen der Sargtexte werden verschiedene Taue mit der ‚Haarlocke‘ (wohl der Schwanz?) und den Zangen(?) der Hededet gleichgesetzt,809 im Totenbuch bekämpft sie Apophis für ihren Vater Re.810 Die Benennung von Isis als Hededet in den Begleittexten der Barkenszene ist also ganz natürlich. Die apotropäische, schützende Funktion der Hededyt übernimmt Isis dem Text zufolge hier ebenfalls, und zwar wie üblich für Osiris, wie der 803 Siehe auch FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 340–341; EAD., Isis à Behbeit, in: Montesino (Hrsg.), De Cybele à Isis, S. 115–133: 123–124; FAVARD-MEEKS/MEEKS, Corps osiriens, S. 44. 804 Behbeit el-Hagara, 63, SAE 163, 1. 805 Siehe zur Bezeichnung QrH.t und ihrer Bedeutung als Form/Matrize (z. B. im Choiak-Text für die Herstellung von Osirismumien), Gebärmutter und urzeitliche (Schlangen-?)Göttin S. SAUNERON, Copte S.kalaàh, in: Mélanges Maspero I, 4, MIFAO 66, Kairo 1961, S. 113–120; D. FRANKE, QrH.t – Geschöpf des „Ersten Tages“. Eine Assoziationstechnik zur Statuserhöhung in der 10. und 11. Dynastie, in: GM 64, 1998, S. 63–70; LGG VII, 224–225; WILSON, Ptol. Lex., S. 1067; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 101. Zum Entstehungszeitpunkt der QrH.t gibt es allerdings gegensätzliche Meinungen: Ist sie bereits vor Atum entstanden, oder hat er sie vor den anderen Göttern erschaffen (FRANKE)? Aus den Quellen ist dies nur schwer abzulesen; zumindest die Bezeichnung als „Wirkmächtige für ihren Vater“ (Ax.t nj.t it=s; in einem Grab in Siut: LGG VII, 224c, Beleg [5]) läßt wohl eher Letzteres vermuten. 806 FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 340; nicht erkennbar auf dem Photo in EAD., Temple d’Isis, S. 32 (in der Online-Datenbank ist das Photo dieses Blocks nicht vorhanden). 807 Siehe dazu M.-L. RYHINER, L’offrande du lotus dans les temples égyptiens de l’époque tardive, Rites égyptiens 6, Brüssel 1986, S. 194: Edfu, Taf. 14, 40 und 380; Edfu Mam., Taf. 15; Philä I, Abb. 28– 29; Esna VI, Nr. 545 (und nicht S. 545, wie RYHINER, loc. cit., Anm. 101 fälschlich angibt). 808 Daher hebt FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 341, besonders ihre Beziehung zu Horus hervor. Zu Hededet in Edfu siehe unten, Kap. 4.5. Zu Hededet allgemein vgl. die Anm. 798 zum Text oben. 809 CT V, Spruch 398, §§ 142a, und Spruch 400, 168e; vgl. B. ALTENMÜLLER, Synkretismus in den Sargtexten, GOF IV/7, Wiesbaden 1975, S. 163; LGG V, 598a–b [Belege 4–5]. 810 Tb 39; vgl. GOYON, Hededyt, S. 447–448; LGG V, 598a–b [Belege 1–3].

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

schlechter erhaltene Text der Ägide des Hecks am Ende beschreibt. Isis’ Sorge für ihren verstorbenen Gatten und seine Wiederbelebung ist eine ihrer Hauptfunktionen im Tempel von Hebit.811 Zusätzlich dürfte hier die Verbindung der Isis-Hededet zu Edfu eine Rolle spielen, denn auf der Nordseite der Sanktuar-Außenwand ist es Horus Behedeti, der den König vor die Tempelgöttin führt,812 was für eine besondere Beziehung zwischen den beiden Tempeln und ihrer Götter (Isis von Behbeit und Horus von Edfu) spricht. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Sanktuar, Ostwand (= Sanktuarrückwand), nicht genau lokalisierbarer Block – Keine Darstellungen erhalten; mehrere Kolumnen mit Lobpreis an Isis, der von einer Gruppe (1. Pers. Pl. = „alle Götter“?813) gesprochen wird. Aufgrund der Titel von Isis könnte es sich auch um ein Sistrumopfer handeln.

Text: – Beischrift der Isis (44, 1–3, SAE 37): [As].t wr.t mw.t-nTr nb(.t) [@bj.t] Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, [nb(.t)] sxm.wj Hnw.t sxm.wj die Herrin der beiden Sistren, die Gebieterin der beiden Sistren,814 nTr.w [nb.w?] ksw n Sfj.t=s vor deren Ansehen sich alle Götter verbeugen. – Lobpreisungen (= Rede von „allen Göttern“?) (44–45, 4–9, SAE 37): [irj=n] hnw n wr(.t) n […] n(?) Wir machen Jubelrufe für die Große an […?], irj(?)=n […] hA snD n [ f]Aw815 n Hm=T wir geben […] Verehrung für die Erhabenheit deiner Majestät, snj=n tA n kA=T wir küssen die Erde für deinen Ka, m Htp mj Itm m Htp=f in Frieden wie Atum, wenn er ruht/untergeht,

811 812 813 814

Siehe dazu unten, Kap. 4.4.2. Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50–51, 184 u. 240, siehe unten. Siehe den Text unten, in der Beischrift der Isis. In den typischen Formeln von Sistrenopfern an Hathor oder Isis heißt es für gewöhnlich: „Herrin des sxm-Sistrums, Gebieterin des sSS.t-Sistrums“, doch hier sind in beiden Titeln beide Sistren geschrieben, vgl. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 44, Anm. 228. 815 Zur Schreibung mit A vor dem f, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 388.

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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HqA.t nTr.w Dsr(.t) s.t [… …]=n [… …] (oh) Herrscherin der Götter, mit geheiligtem Sitz […], wir […].816 – Rede der Isis (45, 10, SAE 37): Dd mdw dj.n=i snD=k […] Rezitation: Ich gebe die Ehrfurcht vor dir […].817 Kommentar: Bei dem Fragment dieser Szene handelt es sich um den einzigen Block, der überhaupt mit Sicherheit von der Ostwand, d. h. der Rückwand des Sanktuares stammt:818 Links von der göttlichen Randzeile sind noch Reste einer weiteren göttlichen Randzeile mit entgegengesetzter Ausrichtung der Hieroglyphen erhalten, was anzeigt, daß zwischen den beiden Szenen die Tempel- und Raumachse hindurch verläuft. Der Inhalt der Szene ist anhand der Texte schwer zu rekonstruieren; es scheint, daß Isis einer Gruppe von Personen bzw. Wesen gegenübersteht, die sie anbeten und bejubeln. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Gruppe um „alle Götter“, die sich der Beischrift der Isis zufolge vor ihr verbeugen. Andererseits spricht die Rede der Göttin eine männliche Einzelperson an, womit in normalen Ritualszenen der König gemeint ist. Isis wird wie in der Barkenszene819 mit Atum in Verbindung gebracht. Weiterhin fällt auf, daß der Großteil der Texte wie an Innenwänden üblich in erhöhtem Relief gearbeitet ist, die Titel der Isis jedoch in die Wand eingetieft wurden. Dies könnte nach einem Vorschlag von PH. DERCHAIN dadurch zu erklären sein, daß sie – als zentrale Titel der Tempelherrin in der Sanktuarrückwand – ursprünglich mit Gold eingelegt waren.820 Die Lobpreisung der Isis an dieser Stelle des Tempels findet ihre Entsprechung in den Philae-Hymnen 1–4, die sich ebenfalls, integriert in Ritualszenen, an der Rückwand des Sanktuars befinden. Der Aussage von FAVARD-MEEKS, es handele sich bei den Inschriftenresten in Behbeit um „die ältesten bisher bekannten Isishymnen“,821 muß jedoch widersprochen werden: Erstens lassen die erhaltenen Teile keine Rückschlüsse darauf zu, ob die von der (Götter-?)Gruppe gesprochenen Aussagen im Gesamten tatsächlich eine Isishymne bilden. Zweitens wurde das Sanktuar von Behbeit el-Hagar unter Ptolemaios II. dekoriert – genau wie das Sanktuar von Philae mit den dortigen Hymnen. Drittens gibt es bereits eine kurze Isis-Hymne am Nektanebes-Kiosk in Philae (Hymne Nektanebes), die demzufolge die älteste bekannte sein dürfte.822

816 Die Anzahl der fehlenden Kolumnen kann nicht eingeschätzt werden, siehe FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 45, Anm. 235. 817 Wird hier nun der König angesprochen? Das Suffix 2. Pers. sing. masc. in den Worten der Göttin scheint dem Suffix der 1. Pers. Pl. in der Anrede durch eine Gruppe zu widersprechen. 818 Vgl. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 45. 819 Behbeit el-Hagara, 41–43, SAE 42, 133; s. o. 820 Siehe FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 44. Daß Goldintarsien für die Wandreliefs der griech.röm. Tempel verwendet wurden, bezeugt z. B. die große Bauinschrift von Edfu: Edfu VII, 7, 4. 821 FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 303. 822 Siehe oben, Kap. 4.1.1.A.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

4.4.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. Text/Hauptpublikation Behbeit el-Hagara, 3, SAE 58 Anbringungsort Behbeit el-Hagar, Isistempel, Westfassade, Nordhälfte, Soubassement Bibliographie – Inhalt der Szene Ptolemaios III. führt eine Nilprozession vor Isis. Text: – Beischrift der Isis (3, 5–6, SAE 58): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter. Kommentar: Die gleiche oder eine sehr ähnliche Titelreihe kommt häufiger vor, z. B. Behbeit el-Hagara, 16–17, SAE 72; 27, SAE 50. Die gleiche Titelreihe (mit Änderung des Ortsnamens) ist außerdem standardmäßig in Dendara, s. u., Kap. 4.6. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 5–6, SAE 60–62 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Westfassade, Nordhälfte, 2. Reg. – Opferszene, Inhalt unklar, König nicht erhalten; Osiris und Isis.

Text: – Beischrift der Isis (6, 6–7, SAE 60): As.t nb(.t) @bj.t wAH(.t) ix.t n sn=s Wsjr Isis, die Herrin von Hebit, die Opfergaben darbringt für ihren Bruder Osiris, sA nTr aA m Hw.t-HmAg der Schutz des großen Gottes in der Hemag-Kapelle. Kommentar: Zu der Hauptfunktion der Isis als Schutz des Osiris vergleiche die Beischrift der Ägide des Hecks in der Barkenszene (43, SAE 133, 13–19, siehe oben). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50–51, 184 und 240 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Fassade des Sanktuars, Nordhälfte, 1. Reg., 1. Szene – Der König (Kartuschen zerstört, wohl Ptolemaios II.) wird vor Isis geführt und von Horus von Edfu vorgestellt.

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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Text: – Beischrift der Isis (29–30, 10–12, SAE 184): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, nb(.t) iwa(.t) sqAj(.t) nswj.t die Herrin des Erbes, die das Königtum erhöht, sxaj(.t) sA=s Hr ns.t it(=f) die ihren Sohn auf dem Thron seines Vaters erscheinen läßt, rdj(.t) mrj=s r s.t=f die den, den sie liebt, auf seinen Sitz einsetzt. Kommentar: Da es sich um eine Szene der Einführung des Königs vor die Tempelgöttin handelt, spielt die Legitimation Pharaos eine zentrale Rolle, was sich auch im Schwerpunkt der Charakterisierung der Isis als Königsmacherin widerspiegelt. Der König wird dabei natürlich mit „ihrem Sohn“ Horus gleichgesetzt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 32–34, SAE 238, 180 und 192 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Fassade des Sanktuars, Südhälfte, 1. Reg., 1. Szene – Der König (wohl Ptolemaios II.) wird vor Isis geführt und von einer Gottheit (nicht identifizierbar) vorgestellt.

Text: – Beischrift der Isis (33, 1–3, SAE 238): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, Hrj.t-tp wr.t anx.tw n mAA=s die große Uräusschlange, von deren Anblick man lebt, &grg(.t)\ tA.w{j} nb Hr &mk.t\(=sn) die alle Länder gründet/ausstattet an (ihrem) rechten Platz. Kommentar: Auch in der spiegelsymmetrischen Szene zu der zuvor besprochenen, die ebenfalls die Einführung des Königs vor Isis zeigt, bezieht sich zumindest ein Teil der Titel der Göttin auf ihr Verhältnis zum Pharao: Sie ist die Uräusschlange, und damit das Köngsdiadem, und Gründerin der Länder, über welche der König schließlich die Herrschaft ausübt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 35–36, SAE 185 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Fassade des Sanktuars, Südhälfte, 2. Reg., 3. Szene – Der König (Ptolemaios II.) überreicht Sistren an Isis.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: – Beischrift der Isis (35, 6–8, SAE 185): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, Ra.t nb(.t) tA.wj nb(.t) nSnj […] ? 823 &Htp?\ Sonnengöttin, die Herrin der Beiden Länder, die Herrin des Wütens […] ?. sHtp-s(j)824 nTr.w nTr.wt m Hnw.t=sn Götter und Göttinnen stellen sie zufrieden als ihre Gebieterin. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 76–77, SAE 214 und 223 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Sanktuar, Außenwand (Süd), 1. Reg., 1. Szene – Konkrete Handlung zerstört. König Ptolemaios II. vor Isis.

Text: – Beischrift der Isis (77, 3–5, SAE 214): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, dj.tw n=s iAw m (m)skt.t hnw m manD.t der Lobpreis in der Abendbarke gegeben wird und Jubel in der Morgenbarke,825 tA.wj xAs.wt Xr wD.t=s unter deren Befehl die Beiden Länder und die Fremdländer sind. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 86–87, SAE 227 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Sanktuar, Außenwand (Süd), 3. Reg., 14. Szene – Der König Ptolemaios II. reicht einen nms.t-Wasserkrug an Isis.

Text: – Beischrift der Isis (86, 5–7, SAE 227): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit,

823 Ein rundes Zeichen. 824 Daß Isis hier Objekt des Zufriedenstellens ist, ist im Kontext des Sistrumopfers wahrscheinlicher als die Übersetzung von FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 35: „Sie stellt die Götter zufrieden…“ (sHtp=s). Vgl. z. B. den Einleitungstext von Philae-Hymne 7 (ebenfalls in einer Sistrumopfer-Szene): „Er bringt dir die beiden Sistren, um dich damit zufrieden zu stellen…“; vgl. auch Philae-Hymne 8: „…die die Götter besänftigt haben nach ihrem Wüten (nSnj)“, siehe oben, Kap. 4.1.1.A. 825 Parallele zu Philae-Hymne 8.

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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qbH.t wAH(.t) ix.t n sn=s die Wasserspenderin,826 die die Opfergaben darbringt für ihren Bruder,827 Smaj.t sfsf Aw n kA=f die Sängerin,828 die Gaben spendet für seinen Ka. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 87, SAE 222 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Sanktuar, Außenwand (Süd), 3. Reg., 15. Szene – Zerstört (vielleicht Spiegel?).

Text: – Beischrift der Isis (87, 1–2, SAE 222): [As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t [Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, nb.t] p.t Hnw.t tA.wj die Herrin] des Himmels, die Gebieterin der Beiden Länder, an(.t) Hr {i}sSp.t Ax.tj die mit schönem Gesicht und mit leuchtenden Glanzaugen.829 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 246, Kairo JE 59135 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Hw.t HmAg, einzelner Block, wohl Türelement(?) – Ritualhandlung zerstört. Der König Nektanebos830 vor Isis.

Text: – Beischrift der Isis (246, 3–5): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, nb(.t) Twfj Hnw.t nTr.w die Herrin des Papyrusdickichts,831 die Gebieterin der Götter.

826 Diesen Kulttitel, der sich auf die Libationen der Isis zur Wiederbelebung von Osiris bezieht, trägt sie auch in Philae häufig, siehe oben, Kap. 4.1.2. 827 Ausführlich zum Ritual wAH ix.t und den Implikationen der Bezeichnung des Tempels von Hebit als s.t wAH ix.t: FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 401–433; siehe auch unten, Kap. 4.4.2. 828 Zum Titel „Sängerin“, den ursprünglich Hathor als Ausführende der Opfer für Osiris im Pr-qA inne hatte und mit dem sie auch noch in der entsprechenden Kapelle im Tempel von Behbeit belegt ist, siehe FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 357–358 u. 415; MEEKS, Mythes et légendes, S. 284–285. 829 Das letzte Epitheton ist sonst nicht belegt, vgl. LGG VI, 617a. 830 Zur hier bevorzugten Schreibweise „Nektanebos“ anstelle von „Nektanebos II.“ für den Namen des letzten Königs der 30. Dyn. siehe oben, Kap. 4.1.1.A, Anm. 2. 831 Es handelt sich um den einzigen Beleg für dieses Epitheton, vgl. LGG IV, 174b. Gemeint ist wahrscheinlich die sumpfige Landschaft des Deltas insgesamt, bzw. die Umgebung von Behbeit selbst.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Behbeit el-Hagara, 256, SAE 218 Behbeit el-Hagar, Isistempel, Südseite d. Sanktuars, südöstl. Seitenkapelle, 1. Reg., 2. Szene – Der König Ptolemaios II. bringt einen Blumenstrauß und ein -Gefäß (Bier oder Wein?) für Isis.832

Text: – Beischrift der Isis (256, 7–10, SAE 218): As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) @bj.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Hebit, aA.t Hri.t-tp nTr.w Sps.t wsr.t die Große, die Uräusschlange der Götter, die Edle und Mächtige, Hnw.t xnw wa.t iwt.t sn.nw=s die Gebieterin des Ruheplatzes, die Einzigartige, deren Zweite es nicht gibt, HqA.t n tA.w{j} tm bs(.t) nfr.w die Herrscherin der Länder insgesamt, die die Güter herbeiführt. 4.4.2

Behbeit el-Hagar: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums

Zur Geschichte des Isiskultes in Behbeit Das Isisheiligtum von Behbeit el-Hagar bildet den nördlichen Gegenpol zum oberägyptischen Kultzentrum von Philae, denn hier wie dort findet die Förderung der Göttin durch die Könige der 30. Dyn. als auch die frühen Ptolemäer ihren baupolitischen Ausdruck. Das nördlich von Sebennytos, der Heimatstadt der 30. Dyn., gelegene Behbeit – äg. (Pr-) @bj.t(.t) oder NTr.w – wurde in der Forschung sogar lange als Ursprungsort der Isis selbst angesehen,833 und tatsächlich läßt sich zumindest mit den beiden Toponymen eine lange Tradition ihres Kultes verknüpfen. NTr.w wird bereits in den PT mit Isis in Verbindung gebracht (Spruch 510, § 1140a–c, und 701, § 2188a–b) und galt spätestens ab dem MR formelhaft als das Kultzentrum der Isis, jedoch bestehen berechtigte Zweifel, ob mit dieser Bezeichnung dort tatsächlich schon @bj.t/Behbeit gemeint ist, oder dieses erst später so umgedeutet wurde.834 Konkret als „Herrin von @bj.t“ ist die Göttin erst in der Ramessiden-

FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 246, Anm. 1038, möchte das Epitheton aufgrund des Kontextes der Hemag-Kapelle mit einer Passage des pSalt 825 in Verbindung bringen (DERCHAIN, Papyrus Salt 825, S. 151–152, Anm. 24), in der Papyrus eine Rolle in der Füllung von Osiris’ Sarg spielt. 832 So der Darstellung zufolge, vgl. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 256; der Szenentitel ist nicht erhalten. 833 Diese Auffassung findet sich z. B. noch bei ZAKI, Premier Nome, S. 189. 834 Vgl. dazu MÜNSTER, Isis, S. 158 u. 62; P. MONTET, Les divinités du temple de Behbeit el Hagar, in: Kêmi 10, 1949, S. 43–48: 45; L. HABACHI, s. v. „Behbeit el-Hagar“, in: LÄ I, Sp. 682–683; und besonders detailliert zur Problematik FAVARD-MEEKS, Toponymes Nétjer; EAD., Behbeit el-Hagar, S. 369–400, die überzeugend aufzeigt, daß Behbeit wohl erst in der 30. Dyn. als NTr.w/NTrj(.t) bezeichnet wurde und damit nicht als Heimatort der Isis gelten kann. So wird das Toponym z. B. in

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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zeit belegt.835 Dieses Toponym bezieht sich auf den Tempel selbst und bezeichnet diesen somit als „Festhalle“ o. ä.836 Aus der 30. Dyn. schließlich sind auch Titel von Priestern der „Isis, Herrin von Hebit“ in Dokumenten aus Behbeit selbst bezeugt.837 Die zentrale Bedeutung der Isis für diesen Ort läßt sich zumindest in griechisch-römischer Zeit an dessen griechischer Benennung als Iseion/Iseum ablesen; möglicherweise meinen auch Bezeichnungen wie demotisches dmj n As.t (Temenesi),838 griech. Isiospolis und lat. Isidis oppidum diesen Ort. 839 In der Ptolemäerzeit wurde das ursprünglich zum Sebennytes gehörige Behbeit/ Iseion sogar zur Hauptstadt eines eigenen Gaues erhoben, unter deren Namen (Legende ΕΙΣΙΔΟΣ  ΠΟΛΙΣ) im 13.–14. Regierungsjahr des Trajan auch alexandrinische Münzen mit Darstellungen der Isis geprägt wurden.840 Wie im Fall des Isisheiligtums von Philae muß auch in Behbeit bereits am Ende der Saitenzeit ein (möglicherweise aber nicht permanenter) Vorgängerbau errichtet worden sein, da ein Statuenkult der letzten Herrscher der 26. Dyn. dort belegt ist, für den Harsiese, Wesir von Nektanebos und Erster Prophet der Isis von Hebit, zuständig war.841 Der Ort stand kultisch in enger Beziehung mit dem nahe gelegenen Busiris, weswegen der Kultbau möglicherweise nur als Lokalität für Festrituale für Osiris von Busiris diente.842 Als solcher ist er mit dem auch in den Tempelinschriften häufig bezeugten Namen s.t wAH ix.t „Der Ort des Niederlegens von Opfergaben“ bereits im frühsaitischen Deltapapyrus (13, 6) aufgeführt. 843 Der monumentale Isistempel aus der 30. Dyn. und frühen Ptolemäerzeit ist – möglicherweise durch ein Erdbeben – völlig zusammengestürzt. 844 Unter den erhaltenen Steinblöcken wurden nur vereinzelte unter Nektanebos dekoriert,845 der Hauptteil stammt aus der Regierungszeit von Ptolemaios II. und III. Inschriften zufolge wurde der Bau unter Nektanebos begonnen, wenngleich es Hinweise gibt, daß die Planung eventuell bereits auf

835 836

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der großen geographischen Inschrift von Edfu mit Bubastis in Verbindung gebracht: Edfu I, 335, 4–5, siehe unten, Kap. 4.13.1.2. pChester Beatty IX vs., B 9, 11; vgl. MÜNSTER, Isis, S. 159, die in ihrer Argumentation jedoch nicht zwischen Nennungen der Isis in Verbindung mit @bj.t und solchen mit NTr.w unterscheidet. Die Bezeichnung (Pr-)@bj.t(.t) selbst ist ebenfalls erst seit dem NR belegt, vgl. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 103. Zur Bedeutung der Bezeichnungen @bj.t (= der Tempel) und [email protected](.t) (= die Stadt) siehe FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 434–451; EAD., „Temple de la fête“; MEEKS, Mythes et légendes, S. 135–136, 459), u. S. 284. Es handelt sich um die Monumente der Familie des Wesirs von Nektanebos, Harsiese, siehe z. B. FORGEAU, Prêtres isiaques, S. 165 u. 184; FAVARD-MEEKS, Temple d’Isis, S. 29. In den Ostraka des Hor, vgl. Kap. 6.2.1.1. Zur Diskussion siehe FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 332–333; EAD., Temple of Behbeit, S. 102; EL KHAFIF/GEISSEN, Isidis oppidum. EL KHAFIF/GEISSEN, Isidis oppidum, S. 240–242; Taf. 14a–c. Siehe zu Harsiese oben, Anm. 837. Vgl. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 103. pBrooklyn 47.218.84; vgl. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 102; MEEKS, Mythes et légendes, S. 29, § 33. Das umstrittene Toponym NTr.w/NTrj(.t) wird dort hingegen nicht genannt, vgl. FAVARDMEEKS, Toponymes Nétjer, S. 39. Siehe ausführlich zum Mythologischen Handbuch des Deltapapyrus unten, Kap. 4.13.2. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 104. Vereinzelte Reliefblöcke befinden sich heute u. a. in verschiedenen Museen der USA, siehe bereits G. STEINDORFF, Reliefs from the Temples of Sebennytos and Iseion in American Collections, in: Journal of the Walters Art Gallery 1944–1945, S. 39–59. Unter Nektanebos wurde mit der Dekoration der Osiriskapellen Hw.t HmAg und Hw.t sr begonnen, vgl. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 228.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Nektanebes zurückgeht.846 Der Hauptteil wurde wohl unter Ptolemaios II. fertiggestellt, und sein Nachfolger erweiterte das Sanktuar um eine Säulenhalle und eine neue Fassade. In der auf letzterer angebrachten Dedikationsinschrift weihen Ptolemaios III. und seine Gemahlin Berenike II. den Tempel für „seinen Vater Osiris-Anedjti“ einerseits und „ihre Mutter Isis“ andererseits. 847 Auch im nördlichen Bandeau du Soubassement der von Ptolemaios II. dekorierten Fassade des Sanktuars wird dieses Isis geweiht, die dort als „Gebieterin der Götter“ (Hnw.t nTr.w), „Herrin des Erbes“ (nb.t iwa.t) und „[göttliches?] Falkenweibchen848“ (bjk.t [nTrj.t?]) bezeichnet wird.849 In der Zeit nach Ptolemaios III. wurde die Kultstätte wohl vernachlässigt oder zumindest nicht weiter ausgebaut, denn es wurden keine Inschriften nachfolgender Herrscher gefunden. Laut FAVARD-MEEKS dürfte der Tempel spätestens im 1. Jh. n. Chr. zerstört gewesen sein, da ein großer Reliefblock von dort in dem von Domitian errichteten Neubau des Iseum Campense in Rom wiederverwendet worden ist. 850 M. E. ist jedoch keineswegs klar, daß die Spolie bereits zu dieser Zeit nach Rom überführt worden ist; da das Iseum Campense noch länger als Kultstätte der Isis in Funktion war, könnte der Block durchaus auch erst zu einem späteren Zeitpunkt zu dessen Ausstattung hinzugefügt worden sein. Titel und Charakter der Isis von Behbeit Im Tempel von Behbeit stehen der Schutz und die feierliche Erneuerung des Osiris im Vordergrund des Kultes, was sich bereits an den Benennungen des Tempels als „Festhalle“ (@bj.t) oder „Ort des Niederlegens von Opfergaben“ (s.t wAH ix.t) ablesen läßt851 sowie an dem Grundriß des Tempels, der mit einem Komplex an Osiriskapellen ausgestattet war, die sich hinter dem Sanktuar (@w.t-sr, @w.t-rs-wDA und Pr-qA) sowie auf dem Dach (Annex des Pr-qA, @w.t-HmAg und NTrj) befanden. 852 Hierin zeigt sich eine deutliche Parallele zum Tempel von Philae,853 dessen Architektur auf die gleichen Bauherren zurückgeht. Ausführende der kultischen Handlungen sind ideell die übrigen Mitglieder der osirianischen Familie, Isis und Horus, die somit den Inschriften zufolge im Gegensatz zu Osiris eine aktive Rolle einnehmen.854 Diese Funktion der Isis wird unter anderem auch in der Barkenszene

846 FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 103; EAD., Constructions de Nectanébo II. 847 Behbeit el-Hagara, 8, SAE 63; 13, SAE 68, 57, 69 und 65; vgl. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 104. Zu Osiris-Anedjti siehe EAD., Behbeit el-Hagara, S. 452–458; O. PERDU, Les métamorphoses d’Andjty, in: BSFE 159, 2004, S. 9–28. 848 Oder „weiblicher Horus“ (@r.t)? 849 Behbeit el-Hagara, 27–28, SAE 50–51; vgl. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 106. 850 FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 104; vgl. EAD., Constructions de Nectanébo II, S. 104–105. Der Block (Rom 524) wurde bereits von G. FARINA, Minima, in: Sphinx 18, 1914–15, S. 67–69, richtig zugeordnet. Siehe zum Iseum Campense unten, Kap. 7.3.2.2.2. 851 Vgl. dazu FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 401–433; EAD., Temple of Behbeit, S. 102. Zu diesen Tempelnamen siehe auch oben. 852 Siehe den rekonstruierten Grundriß bei FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, Taf. 1. Zur genauen Bedeutung und Funktion der Kapellen im einzelnen ibid., S. 345–368. 853 Zur verwandten Funktion der Isis ggü. Osiris in Philae vgl. Kap. 4.1.2 und FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 427–433. 854 Vgl. FAVARD-MEEKS, Temple of Behbeit, S. 102 u. 105.

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Behbeit el-Hagar, Isisheiligtum

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im Sanktuar beschrieben.855 Neben ihrem lokalen Haupttitel „Herrin von Hebit“ verbindet sie noch ein weiteres Epitheton eng mit dem Tempel(namen) und zudem dem Kult des Osiris: Sie ist „die, die Opfergaben darbringt für ihren Bruder Osiris“ (wAH(.t) ix.t n sn=s Wsjr). 856 In der südlichen Osiriskapelle, dem „Hohen Haus“ (pr qA), erscheint Isis als kuhköpfige Achet unter weiteren tiergestaltigen Schutzgottheiten des Osiris als Hauptgöttin dieses Raumes.857 Wie im Tempel von Philae übt sie neben diesen Tätigkeiten für Osiris aber auch Handlungen gegenüber Horus bzw. dem König aus, indem sie diesem sein Erbe übereignet, sein Königtum verleiht oder bestätigt und damit die Kontinuität der legitimen Herrschaft garantiert.858 In dieser Funktion trägt sie den Titel nb.t iwa.t „Herrin des Erbes“,859 und besonders eindringlich führt die Einführungsszene des Königs seine Legitimation durch die Tempelherrin vor Augen.860 Die Hohlkehle an der Fassade des Sanktuars ist mit den ersten bekannten Kartuschen um die Haupttitel der Isis (As.t wr.t mw.t-nTr) dekoriert. 861 Diese alternieren mit denjenigen von Ptolemaios II. und stellen dessen Königtum damit deutlich sichtbar neben das der Göttin. Das Königtum bzw. die Allherrschaft und Urgötterschaft der Isis sowie ihre Beziehung zu Horus/Harpokrates dominieren im Inneren des Sanktuars, das ganz der Göttin geweiht scheint und wo Osiris in den Hintergrund tritt.862

855 Behbeit el-Hagara, 41–43, SAE 42, 133; s. o. 856 Z. B. Behbeit el-Hagara, 5–6, SAE 60–62, wo außerdem im nächsten Beinamen auch der Schutzaspekt betont wird: „der Schutz des großen Gottes in der Hemag-Kapelle“. Vgl. auch Behbeit el-Hagara, 86–87, SAE 227: „die Wasserspenderin, die Opfergaben darbringt für ihren Bruder, die Sängerin, die Gaben spendet für seinen Ka“. 857 Das „hohe Haus“ ist vom MR an gut belegt in Abydos und Theben und steht seit jeher in Verbindung mit Hathor als Kuh im Totenkult, vgl. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 353–365, bes. 359–364 zu Achet; EAD., Temple of Behbeit, S. 109; MEEKS, Mythes et légendes, S. 287–288. Vgl. zu IsisAchet von Behbeit auch unten, Kap. 4.13.2. 858 Eine kurze Zusammenfassung des Charakters der Göttin in den Texten von Behbeit findet sich auch bereits bei G. ROEDER, Der Isistempel von Behbêt, in: ZÄS 46, 1909, S. 62–73: 71. 859 Bandeau-Inschrift des Soubassement an der Sanktuar-Fassade, Behbeit el-Hagara, 27–28, SAE 50– 51, s. o.; und Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50–51, 184 und 240. 860 Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50–51, 184 und 240. 861 Behbeit el-Hagar, 37, SAE 188, 189, 199 u. 212; vgl. dazu auch SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fêtesed, S. 415. 862 Siehe die oben besprochenen Szenen Behbeit el-Hagara, 41–43, SAE 42, 133; und 44–45, SAE 37; vgl. zum Sanktuar auch FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 339–343.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

4.5

Edfu, Horustempel

4.5.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften

4.5.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen, Götterlisten Götterlisten Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Edfu I, 138, 10–12 Edfu, Horustempel, 2. Westkapelle (Thron der Götter, E), Tür, rechte (südliche) Türlaibung CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 30, Doc. Nr. 16 1 Kolumne für den König (Ptolemaios VI.), 1 Kolumne mit der Angabe der Götter in der Kapelle.

Text: – Götterliste (138, 10–11): Wsjr As.t Hna Nb.t-Hw.t nb(.t) &p-iH Iwn-mw.t=f Osiris, Isis und Nephthys, die Herrin von Atfih, Iunmutef (Pfeiler seiner Mutter), Wp-wA.wt ^ma.w sxm tA.wj Upuaut von Oberägypten, der Mächtige der Beiden Länder, Wp-wA.wt [MHw … … Amstj @apj] _wA-mw.t=f QbH-sn.w=f Upuaut von [Unterägypten, … Amset, Hapi,] Duamutef, Kebehsenuef, ^nt(Ay).t MHr-X.t=s Htp.tw m xnt=f […] Schentait, Meherchetes863 ruhen an seiner Spitze […].864 Kommentar: Osiris und seine beiden Schwestern Isis und Nephthys werden als wichtigste Götter dieser Kapelle aufgezählt. Die beiden letzteren werden zusätzlich nochmals am Ende der Liste in ihren speziellen Formen als Schentait und Meherchetes genannt, die besonders häufig in Edfu vorkommen und die Funktion der Schwestern als Klagefrauen und Beschützerinnen des verstorbenen Osiris in den Vordergrund stellen.865 Im Falle von Schentait wird dies schon durch den Namen deutlich, der üblicherweise als „die Witwe“ übersetzt wird. 866 Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit den Wörtern Snj „trauern“ und Snj „Haar“,

863 Schentait und Meherchetes sind Formen der Isis und Nephthys als Schwestern, die sich um den verstorbenen Osiris kümmern, siehe zu beiden CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes; COULON, Sanctuaire de Chentayt, bes. S. 138; LGG VII, 105–107, und III, 325b–c; WILSON, Ptol. Lex., S. 1023–1024 und 440–441. Zu Schentait auch KUCHAREK, Klagelieder, Index, S. 742, s. v.; zu Meherchetes, ibid., S. 353. Zur Transliteration J. F. QUACK, Zum Lautwert von Gardiner Sign-List U23, in: LingAeg 11, 2003, S. 113–116. 864 Zu dieser Götterliste siehe auch QUACK, Götterliste, S. 215. 865 Siehe dazu CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes. 866 Wb IV, 518, 1–2; WILSON, Ptol. Lex., S. 1023–1024; LGG VII, 105–107.

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Edfu, Horustempel

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wenngleich die genaue Etymologie bisher nicht geklärt wurde.867 Während Schentait bereits seit der 19. Dyn. an den Osiris-Kultorten Abydos und Busiris belegt ist, wurde Meherchetes wohl erst nachträglich als Komplement zu dieser kreiert.868 Beide tauchen in Edfu immer wieder im Kontext der Osiris-Rituale (Stundenwachen, Sokar-Prozessionen, etc.) auf.869 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Edfu I, 176, 9–14 Edfu, Horustempel, 1. Sokarkapelle (G), Tür, rechte (westliche) Türlaibung CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 31, Doc. Nr. 17; CAUVILLE, Théologie d’Osiris, S. 3–4; 182, doc. 3 1 Kolumne für den König (Ptol. VI.), 2 über die Götter der Kapelle und ihre Funktion.

Text: – über Isis und Nephthys (176, 10–12): sn.tj=f Hna=f wD=sn sA(?)870=f Seine beiden Schwestern sind bei ihm, und sie befehlen seinen Schutz. As.t871 pw Hna Nb.t-Hw.t ^nt(Ay.t) pw Hna MHr-X.t=s Isis ist es zusammen mit Nephthys, Schentait ist es zusammen mit Meherchetes, Hr sqAj nfr.w n sn=sn (…) indem sie die Vollkommenheit ihres Bruders erhöhen (…). Kommentar: Die bereits angesprochenen Funktionen der Osirisschwestern Isis-Schentait und NephthysMeherchetes werden hier an der Tür der 1. Sokarkapelle, in der sie eine tragende Rolle spielen, näher ausgeführt.872 Die beiden Beinamen werden Isis und Nephthys hier explizit zugeschrieben. Im Anschluß wendet sich der Text anderen Göttern und Schutzgenien des Osiris zu.

867 Vgl. CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 21–22. Gegen eine direkte Ableitung von Snj spricht an sich das zusätzliche t bzw. tA im Wortstamm (Hinweis von J. F. QUACK). Andererseits gibt es immerhin neuägyptische Schreibungen von Snj „Haar“ sowie Snj „beschwören, einkreisen“ (einer weiteren möglichen Wurzel), die ein t enthalten, siehe Wb IV, 518. Der Name der Göttin ist ebenfalls nicht vor dem NR belegt. 868 Die Belege stammen laut LGG III, 325b–c, alle aus der griech.-röm. Zeit. 869 Siehe z. B. zu Schentait in den Stundenwachen PRIES, Stundenwachen, S. 41 u. 211. 870 Hieroglyphe eines stehenden Mannes der eine Schlange in der Hand hält. 871 Zur Schreibung des Namens der Isis mit einer Fisch-Hieroglyphe für s, siehe DERCHAIN-URTEL, Namen der Götter, S. 575. Allerdings führt sie nur spätere Schreibungen an, die enthalten, während hier geschrieben ist. Dennoch macht aufgrund des Zusammenhangs nur die Lesung als Isis einen Sinn, vgl. auch die Übersetzung von CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 31; EAD., Theologie d’Osiris, S. 3. 872 Vgl. CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 31, Doc. Nr. 17.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt

Edfu II, 22–25 Edfu, Horustempel, Hypostyl (W), Tür, Innenseite, linker (östlicher) Türpfosten CAUVILLE, Théologie d’Osiris, S. 6–8 (teilweise) Dend. IX, 34–39 Opferlitanei für Götter der Kapellen.

Text: a. Götter der Kapelle Behedet (M): 22, (34): (n) @dd.t n N.t für Hededet und für Neith, b. Götter der Osiriskapelle Xnw n pr-Sty.t (F): 23, (96): (n) As.t m Mns.t für Isis in der Menset,873 23, (97): (n) ^ntAy.t für Schentait,874 23, (106): (n) As.t n Nb.t-Hw.t für Isis und für Nephthys, c. Götter der Kapellen des Beines/des Chons (J–K): 23–24, (116): (n) As.t @dd.t m Smy.t für Isis-Hededet im Umgang,875 d. Götter der Kapelle ‚Thron der Götter‘ (E):876 24, (142): (n) As.t PxA(.t) nb.t sS für Isis-Pechat,877 die Herrin der Schrift,878 24, (143): (n) N.t n As.t n Nb.t-Hw.t für Neith und für Isis und für Nephthys, 24, (146): (n) As.t Nb.t-Hw.t sA(.wt) nTr für Isis und Nephthys, die den Gott schützen, 25, (172): (n) As.t wHa(.t) für Isis-Skorpion,879

873 Ort bei Heliopolis, besonders Kultort von Schu und Tefnut, siehe Wb II, 88, 11–13. 874 Vgl. den Kommentar zur Götterliste Edfu I, 138, 10–12. Siehe zur Stelle CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 22 u. S. 30, Nr. 14. Auf der Südwand der ersten Sokarkammer wird das Inventar der osirianischen Kapellen wiederholt (Edfu I, 182, (37)). 875 Gemeint könnte einerseits der Couloir mystérieux sein, der Gang um das Sanktuar mit den Kapellen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1010; da es hier jedoch um die Gottheiten in den Chons-Kapellen geht (J– K), bezieht sich die Bezeichnung möglicherweise eher auf die hintere dieser Kapellen mit dem Namen Smy.t n @w.t-@r, siehe CAUVILLE, Essai, S. 65. Dies halte ich für umso wahrscheinlicher, als die nächstgenannte Göttin (117) in der Tat @w.t-@r m Smy.t @w.t-@r ist. 876 Vgl. die Inschrift an der Türlaibung dieser Kapelle: Edfu I, 138, 10–12, siehe unten. 877 Name für die Kobra, vgl. LGG III, 104c–105a; WILSON, Ptol. Lex., S. 365–366; Wb I, 544, 2; FAIRMAN, Ptolemaic Notes, S. 268–274. 878 Ob dieser Titel speziell mit der Isisform Pechat zusammenhängt oder eine gesonderte Epiklese der Isis darstellt, ist nicht ganz klar. Zu Isis(-Seschat) als Herrin der Schrift siehe BUDDE, Seschat, S. 163–169, speziell zur Stelle S. 166–167.

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Edfu, Horustempel

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25, (173):

(n) As.t wr(.t)-HkAw für Isis, die Zauberreiche, e. Götter der Stoffkammer (D): 25, (183): (n) @r As.t Nb.t-Hw.t n @w.t-@r für Horus, Isis, Nephthys und für Hathor, (…) Kommentar: Diese Opferliste mit den Göttern in den Kapellen des Couloir mystérieux von Edfu findet sich auch in Dendara an der entsprechenden Stelle.880 Isis ist in verschiedenen Kapellen mit mehreren ihrer für Edfu typischen Aspekte vertreten: in Form der beiden zaubermächtigen Skorpiongöttinnen Hededet und Isis-wHa.t, als Witwe und Schützerin des Osiris (Schentait) sowie als Uräusgöttin Pechat und Herrin der Schrift, was eine eher ungewöhnliche Kombination ist. Sämtliche genannten Aspekte beziehen sich vorrangig auf die Grundfunktion der Isis als Schützerin des Osiris; auch die implizite Verbindung mit Seschat kommt in Edfu typischerweise in diesem Kontext vor.881 Die in der Götterliste genannten Erscheinungsformen sind in den entsprechenden Kapellen jeweils in Ritualszenen und anderen Texten präsent. So sind beispielsweise Isis-Seschat (Herrin der Schrift) und Nephthys-Seschat zusammen mit Osiris und weiteren Gottheiten Empfänger eines Bieropfers im ‚Thron der Götter‘ (E).882 Hymnen an Hathor Quadrifrons in der Kapelle der Mehyt Text/Hauptpublikation Edfu I, 305, 17–306, 9; Tf. 30a Anbringungsort Edfu, Horustempel, Kapelle der Mehyt (BHd.t, M), innen, Westwand, Inschrift rechts (nördlich) der Tür Bibliographie GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 125–132; DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 5–6 (Auszüge) Parallelen Dend. III, 174–175; Edfu IV, 72, 4–73, 2 (und zahlreiche kürzere Ausschnitte)883 Text: Kol. 1:

(Dd mdw jn) h(A) inj(.t) Htp.w (Rezitation:) Oh, die die Opfergaben bringt, sDfA(.t) tA.wj m Htp.w=s die die Beiden Länder mit ihren Opfergaben ernährt,

879 Mit WHa.t wird nach Hededet eine weitere Skorpiongöttin genannt, die in enger Verbindung mit Isis steht. Ihr Kultzentrum lag in Ra-Nefer in Unterägypten (14. u.äg. Gau, heute Tell Tebilleh), vgl. GOYON, Hededyt, S. 442–444. 880 Dend. IX, 34–39. 881 Vgl. BUDDE, Seschat, S. 166. 882 Edfu I, 151, 6–152, 3, siehe unten. 883 Siehe dazu GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 125–132.

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Kol. 2:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

BA.t (r)884 sxm.w Bat (weiblicher Ba), mehr als die göttlichen Mächte (die Ba-mächtiger ist als die göttlichen Mächte), wAD(.t) tA.wj xAx(.t) bA.w=s die die Beiden Länder gedeihen läßt,885 deren Gottesmacht eilig ist/erscheint, spd.t HkA.w nb(.t) pr-wr Hnw.t pr-nsr mit wirksamer Zauberkraft, die Herrin des Per-wer, die Gebieterin des Per-neser, xa(.tj) [m?]886 itn die erschienen ist [als?] Scheibe, Ax.t r sr.w=s die prachtvoller ist als ihre Fürsten, {Ax.t r sr.w=s}887 Htp(.t) @r=s qAj(.t) =f888 {die prachtvoller ist als ihre Fürsten,} die ihren Horus beruhigt, die seinen Ka erhöht, wn Hr=s m Ax.t iAb.t.t nj.t p.t deren Antlitz enthüllt wird889 am östlichen Horizont des Himmels, Haj irf psD.t m Ssp wsr.t indem auch die Neunheit jubelt beim Leuchten der Mächtigen,890 nDtj.t @r=s die ihren Horus schützt. rdj n=s nTr.w sxm.w die Götter haben ihr Macht gegeben,891 wnwn.n=s m tp n Ra als sie sich gewunden hat am Haupt des Re. Hnk m nfr.w=T Hnw.t=f ‚Spende von deinen Gütern, (oh) seine892 Gebieterin!

884 Vgl. die Parallelen; siehe auch GOYON, Le Rituel du sHtp %xmt, S. 126, Anm. 230. Eventuell aber hier auch als direkter Genitiv aufgefaßt: „Bat der göttlichen Mächte“. 885 GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 126, übersetzt „grünender Papyrus der Beiden Länder“. Vgl. aber die Parallele Edfu IV, 72, 4–73, 2, wo es heißt: wAD(.t) tA.wj m wAD=s (72, 6), was m. E. eine Deutung des ersten wAD als Verb (Partizip) wahrscheinlicher macht. 886 GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 126, ergänzt nb.t (wohl nach Philä I, 252, 2, wo jedoch die Göttin in der 2. Person angesprochen ist: xaj=T nb.t itn „du erscheinst, Herrin der Scheibe“). 887 Dittographie. 888 Ergänzungen nach GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 126 (dort ergänzt nach Dend. XI, 48, 15); jeweils Haplographie bei Suffix =s mit folgendem Kausativ s:. 889 GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 126, und DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 5, ordnen diesen Satz dem vorigen Ausdruck unter und übersetzen: „…, wenn ihr Antlitz enthüllt ist…“. 890 GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 126, läßt mit „Die Mächtige…“ einen neuen Ausdruck beginnen. 891 Oder „Sistren“ (so GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 127)? Es steht jedoch kein darauf hinweisendes Determinativ. 892 Das Suffix 3. Pers. masc. sing. bezieht sich wohl auf den nachfolgend genannten König, als „dessen Gebieterin“ die Göttin häufiger im Ritual bezeichnet wird, vgl. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 126 und 127, Anm. 234. Bereits in Kol. 3 wird sie wiederum so genannt, und dort ist der Bezug auf den König eindeutig.

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Edfu, Horustempel

Kol. 3:

Kol. 4:

181

nswt bjtj [(iwa n nTr.wj mnx.wj stp n PtH wsr kA Ra sxm anx Imn) Der König von Ober- und Unterägypten [(Erbe der Euergeten, erwählt von Ptah, Userkare, lebendes Abbild des Amun) (= Ptolemaios IV.), ntf wdn.w tx n nb(.t) sxm.w Er ist es, der den Rauschtrank opfert für die Herrin der göttlichen Mächte, wHm=f tx n @w.t-@r Hnw.t=f Er wiederholt die Trunkenheit für Hathor, seine Gebieterin. nfr.wj Hr=T Hnw.t=f m Hr.w ifd.w ip.w Oh, wie schön ist dein Gesicht, seine Gebieterin, mit diesen vier Gesichtern, Htp.n=T im (i)n psD.t in denen du dich niedergelassen hast (= in denen du ruhst)!‘, sagt die Neunheit,893 ntf wa n nTr.w=T 6 ‚Er ist einer deiner sechs894 Götter. Htp n=f @w.t-@r Hna Mögen ihm gnädig sein Hathor und imj.w-xt=s Htp=sn n=f die in ihrem Gefolge sind! Mögen sie ihm gnädig sein! nD Hr=k (sic!) sxm n nbw sHtp(.t) Ra m mrj=f Sei gegrüßt, Abbild(?)895 aus Gold, die Re zufriedenstellt mit dem, was er liebt, m prj(.w)=f n Ax.t (…) bei seinem Hervorkommen aus dem Horizont,896 (…)

Kommentar: Es folgen die Beschreibung der Handlung des Königs ggü. Hathor (Besänftigen) sowie die Wünsche für die Gegengabe der Göttin an den König. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Edfu I, 312, 13–313, 4 Edfu, Horustempel, Kapelle der Mehyt (BHd.t, M), innen, Westwand, Inschrift links (südlich) der Tür GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 132–134; DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 6 (Auszüge); FLESSA, Fleisch des Pharao, S. 84–94; THEIS, Magie und Raum, S. 298–301 (Auszüge) pWien Aeg. 8426; pCarlsberg 646 vs.897 (Schutzritual)

893 GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 127, zieht diese Erläuterung als Einleitung vor den nächsten Satz („Die Neunheit sagt:…“). 894 Es müßte sich eigentlich um sieben Götter handeln, da die Gefährliche Göttin gewöhnlich von sieben Boten oder „Pfeilen“ begleitet wird, vgl. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 127, Anm. 237. Es ist jedoch fraglich, ob diese hier überhaupt gemeint sind, wenn der König einer von ihnen sein soll. 895 Auch hier steht kein Determinativ hinter sxm, welches einen Hinweis auf die Bedeutung geben könnte. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 127, übersetzt „Sistrum aus Gold“; DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 6, „Abbild des Goldes“. 896 Zur Formulierung vgl. H. WILLEMS, Crime, Cult and Capital Punishment (Mo‘alla Inscription 8), in: JEA 76, 1990, S. 27–54: 29. 897 Der Papyrus ist in Bearbeitung durch S. TÖPFER.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

(Dd mdw jn) i nTr.tj ipw nj(.w)t @r (Rezitation:) Oh, diese beiden Göttinnen des Horus! h(A) WAD.tj ipw nj(.w)t @r He, diese beiden Utos des Horus! wa.t n.im=Tn r p.t wa.t n im=Tn r tA Eine (= ein Paar?)898 von euch gehört zum Himmel, eine von euch zur Erde,899 wa.t n.im=Tn r rsj wa.t n im=Tn r mHj.t eine von euch gehört zum Süden, eine von euch zum Norden, wa.t n.im=Tn eine von euch gehört r imn.t.t wa.t n.im=Tn r iAb.t.t zum Westen, eine von euch zum Osten, {s}a.t n.im=Tn m Xnw n nswt bjtj eine von euch ist im Inneren des Königs von Ober- und Unterägypten [(iwa n nTr.wj mnx.wj stp n PtH wsr kA Ra sxm anx Imn) [(Erbe der Euergeten, erwählt von Ptah, Userkare, lebendes Abbild des Amun) (= Ptolemaios IV.), k[.t] im=Tn HA=f m sA=f die andere von euch ist hinter ihm als sein Schutz, k.t im=Tn m sA s.t=f die eine von euch ist der Schutz seines Sitzes, k.t im=Tn m sA Hnk.t=f die andere von euch ist der Schutz seiner Schlafkammer, iw sjp-sw hrw n grH Ts pXr indem der Tag ihn der Nacht zuweist und umgekehrt (?).900 901 anx wDA snb , L.H.G., sA Ra [(Ptwlmys anx D.t mrj As.t) der Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis): nHm=Tn-s(w) m-a ix.wt nb(.wt) Dw(.wt) r-Dr sp sn möget ihr ihn bewahren vor allen schlechten Dingen, allen, allen!

898 GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 132, bezieht wa.t auf jeweils eines der Paare, nicht auf eine einzelne Göttin. 899 Das r drückt eigentlich eine Richtung aus, so daß man eher übersetzen müßte: „Eine von euch ist für den/geht zum Himmel, eine von euch für die/zur Erde.“ 900 Zur Zuweisung an Zeiteinheiten vgl. bereits die Hymnen des Königs Antef Wah-anch auf der Stele New York, MMA 13.182.3 (siehe zum Text J. F. QUACK, Frühe Hymnen und Gebete an Re und Hathor, in: Janowski/Schwemer (Hrsg.), TUAT N. F. 7, S. 148–150: 148–149. FLESSA, Fleisch des Pharao, S. 84, übersetzt: „Er ist euch anvertraut Tag und Nacht und umgekehrt!“. ‚Euch‘ hat jedoch keine Basis im ägyptischen Text. Unklar auch bei THEIS, Magie und Raum, S. 299: „(…) nachdem man ihm (sic!) der Tag der Nacht (sic!) anvertraut hat, und umgekehrt.“ 901 Nach pWien Aeg. 8426, vgl. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 133 (Synopse) und 134, Anm. 258.

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Edfu, Horustempel

Kol. 4:

183

@my.t @dd.t @my.t @w.t-@r Hr ix.wt=s Hemit, 902 Hededet, 903 Hemit, Hathor, die über ihre Sachen (Opferspeisen) (wacht?), h(A)w sp sn nn rdj(.w)=f (i)n=Tn Ssr spd.tw oh, oh, möge er nicht gegeben werden durch euch an den Pfeil, der spitz ist tp-a %xm.t nswt bjtj (…) in der Hand von Sachmet. Der König von Ober- und Unterägypten (…)904

Kommentar: Die beiden links und rechts der Tür der Kapelle angebrachten Hymnen richten sich an Hathor in ihrer Eigenschaft als „viergesichtige“ (Hr.w ifd.w) Göttin, als Hathor Quadrifrons.905 Aufgrund des im ersten Text (rechts von der Tür) angegebenen Zusammenhangs mit dem Opfer des Rauschtranks (tx) wurde zumindest dieser wohl anläßlich von Hathors Fest der Trunkenheit (tx) rezitiert.906 Dort wird die Göttin in der 1. Kolumne als machtvolle Garantin von Fruchtbarkeit und Spenderin der Gaben des Landes dargestellt. In der 2. Kolumne stehen ihr Charakter als Gestirnsgöttin, die am östlichen Horizont aufgeht, sowie ihre Schutzfunktion gegenüber Horus im Mittelpunkt. Letzterer wird dabei jeweils als „ihr Horus“ bezeichnet, so daß das genaue Verhältnis zwischen beiden nicht klar ist. Da sie ihn schützt und beruhigt, dürfte das Verhältnis Mutter – Sohn gemeint sein, womit Hathor hier die übliche Funktion der Isis (besonders in Edfu, wo Hathor in erster Linie Horus’ Partnerin ist) erfüllt, die sie jedoch häufig einnehmen kann.907 Die Präsentation der Hathor als Gestirnsgöttin deutet möglicherweise eine Identifikation mit Sothis an, die vielleicht auch in der Formulierung spd.t HkA.w in der 1. Kol. angedeutet ist.908 Auch die Bezeichnung als Uräusschlange des Re weist auf ihren Charakter als Sonnenauge und Gefährliche Göttin hin. Die viergesichtige Göttin wird überdies häufig mit Temet identifiziert, dem weiblichen Komplement des Schöpfers Atum.909 Diese wird üblicherweise durch eine Kobra verkörpert, deren Hauptfunktionen Fruchtbarkeit/Versorgung mit Nahrung und Schutz 910 sich auch in den beiden obigen Texten widerspiegeln: Während der erste besonders zu Beginn die Göttin immer wieder als Spenderin von Speisen etc. anspricht, widmet sich die zweite Hymne (links von der Tür) dem allseitigen Schutz des Königs und seiner Räumlichkeiten (Thronsitz, Schlafkammer) durch die Vierheit der Göttin, die hier in Gestalt von Uräusschlangen erscheint. 902 Ein seltener Göttinnenname, belegt nur in der gr.-röm. Zeit, vgl. Wb III, 82, 5; der Name ist wohl abgeleitet vom Verb Hmj „zurücktreiben“, siehe GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 134, Anm. 260. Es handelt sich offenbar um eine kriegerische/schützende Form von Hathor/Sachmet. 903 Zu Hededet siehe oben, Kap. 4.4.1.A, Anm. 798 zu Behbeit el-Hagara, 41–43, SAE 42, 133. 904 Es folgt die Angleichung des Königs an Sachmet. 905 Ausführlich zu dieser Form der Göttin: DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, bes. S. 5–6 zu den beiden Texten. 906 Vgl. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 125. 907 Zu Hathor als (möglicherweise ursprüngliche) Mutter des (himmlischen) Horus siehe MÜNSTER, Isis, S. 122. 908 Üblicher wäre wr.t HkA.w; spd.t HkA.w ist vor allem in den Parallelen dieses Textes belegt, siehe LGG VI, 288c. Siehe zu dieser Stelle auch BORGHOUTS, Divine Intervention, S. 33. 909 Vgl. DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 25–35. 910 DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 34.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Die zahlreichen Parallelen von Teilen des ersten Textes integrieren diesen häufig in unterschiedliche Arten von Ritualszenen für Hathor, seltener auch Isis. Eine Parallelversion des Schutzrituals der zweiten Hymne ist zudem in dem Ritualpapyrus pWien Aeg. 8426 belegt, der eine Sammlung von Sprüchen zur Bewahrung des Pharao vor Gefahren enthält,911 sowie in einem weiteren Ritualpapyrus, pCarlsberg 646 vs.912 Eine Epithetareihe der Hathor am Tor zum Pronaos Text/Hauptpublikation Edfu III, 69, 17–70, 3; vgl. Taf. 56 Anbringungsort Edfu, Horustempel, Pronaos (C‘), Tor, Außenseite, linke (östliche) Türlaibung Bibliographie BUDDE, Götterkind, S. 12–14, Text 1 Parallelen Dend. VI, 2, 21–4, 6 Inhalt 1 Kolumne für den König (stark zerstört), 1 für Horus von Edfu und 1 für Hathor. Text: – Text Hathor (70, 1–3): Kol. 3: @w.t-@r nb(.t) Iwn.t ir.t Ra Hrj-ib BHd.t Hathor, die Herrin von Dendara, das Auge des Re, die in Edfu residiert, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, bjk.t nTrj.t wDA.t m WTs.t-@r das göttliche Falkenweibchen im ‚Thronsitz des Horus‘ (Edfu), nfr(.t) Hr Hnw.t mnj.t die mit schönem Gesicht, die Gebieterin des Menit, BHd.tj.t m BHd.t Iwnj.t m Iwn.t Behedetit (‚die von Edfu‘) in Edfu, Iunit (‚die von Dendara‘) in Dendara, @w.t-@r m spA.t nb Hathor in jedem Gau,913 nb(.t) sxm HqA.t mnj.t sSS.t die Herrin des sxm-Sistrums,914 die Herrscherin des Menit und des sSS.t-Sistrums, aHa=tw wnSb n kA=s915 für deren Ka man das wnSb-Symbol916 aufstellt,

911 Edition FLESSA, Fleisch des Pharao; vgl. auch GOYON, Le Rituel du sHtp %xmt, S. 132. 912 Edition in Vorbereitung durch S. TÖPFER; kurze Bemerkungen dazu bereits bei J. F. QUACK, Die hieratischen und hieroglyphischen Papyri aus Tebtynis – ein Überblick, in: Ryholt (Hrsg.), Carlsberg Papyri 7, S. 1–7: 4–5. 913 Es handelt sich hierbei (ab Behedetit) um einen kleinen Ausschnitt aus der kulttopographischen Litanei, von der längere Versionen für Isis in Dendara belegt sind, vgl. z. B. Dend. Isis, 78, 16–79, 5, wo allerdings gerade Edfu nicht vorkommt. In den Parallelen im Hathor-Tempel von Dendara steht immer „Hededet in Edfu“ statt „Behedetit“, vgl. aber Philä I, 72, und Edfu VIII, 64, für „Behedetit“. Siehe auch die Synopse bei CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 20. 914 Ab hier Parallele zu Dend. VI, 2, 21–4, 6. 915 Die Parallele Dend. VI, 2, 21–4, 6, hat hier n Hm.t=s.

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Edfu, Horustempel

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nbj n=s &A-Tnn mDH n Dam für die Tatenen den Kranz aus Elektron herstellt,917 SAa=tw n=s pA mnw für die man zuerst den Menu-Krug hergestellt hat,918 mna.t nfr.t HqA(.t) Hw.t-wtT die vollkommene Amme, die Herrscherin des ‚Hauses des Erzeugens‘ (Mammisi),919 nb(.t) HD xwsj bxn.t n Hm=s die Herrin der Milch, für deren Majestät der Pylon erbaut wurde. Kommentar: Hathor wird mit einer auf die Nennung der lokal herausragenden Kultorte Edfu und Dendara stark abgekürzten Version der kulttopographischen Litanei als Göttin aller Gaue bezeichnet. Anschließend werden ihr in einer teilweisen Parallele zu einer langen BandeauInschrift für Isis-Hathor-Sothis in Dendara (Dend. VI, 2, 21–4, 6)920 ihre heiligen Kultobjekte zugeordnet.921 Zum Schluß wird sie mit den Tempelteilen Mammisi und Pylon bzw. „bxn.t-Gebäude“922 in Verbindung gebracht, wobei ihre konkrete Funktion nur für ersteres näher spezifiziert wird. Der erste Teil der Objekte steht in erster Linie in Verbindung mit den Ritualen zur Besänftigung der gefährlichen Göttin,923 der zweite Teil mit der Geburt des Götterkindes, Regeneration und der Übertragung des Erbes.924 Hymnen an Hathor(-Isis) im Hof Text/Hauptpublikation Edfu V, 332, 8–12 Anbringungsort Edfu, Horustempel, Hof, Süd-West-Durchgang (H‘–J‘ 1), Außenseite (= Westtor), rechte (südliche) Türlaibung Bibliographie ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491

916 Siehe zu diesem Objekt und seiner Zeit-Symbolik WILSON, Ptol. Lex., S. 238–239; ausführliche Untersuchung von SAMBIN, Clepsydre. Andere Texte zeigen, daß Thoth als Akteur dieser Handlung gedacht war. 917 Diese Phrase ist in der Parallele Dend. VI, 2, 21–4, 6, weit an den Schluß des langen Textes geschoben und damit durch einen langen Einschub von den in Edfu direkt zuvor genannten Sequenzen abgetrennt. 918 Vgl. zur Lesung und zu dieser Aussage BUDDE, Götterkind, S. 13, Anm. 13. 919 Siehe zu dieser Bezeichnung für Mammisis: DAUMAS, Mammisis, S. 515. In LGG V, 546c, wird an dieser Stelle HqA.t Hw.t-wnSb gelesen. kann jedoch auch wtT gelesen werden, und die Deutung als Mammisi erscheint mir besonders in Hinblick auf das vorangehende sowie das folgende Epitheton sinnvoller. 920 Vgl. den dortigen Kommentar. 921 Siehe zu diesen F. DAUMAS, Les objets sacrés d’Hathor à Dendara, in: RdÉ 22, 1970, S. 63–78; ID., Les objets sacrés d’Hathor au temple de Dendara, in: BSFE 57, 1970, S. 7–18; und ausführlich BUDDE, Götterkind. 922 Zur umfangreichen Symbolik des bxn.t-Gebäudes (Pylon, Tor, Geburtsstätte) siehe BUDDE, Götterkind, bes. S. 304–343. 923 In diesen Kontext gehört auch die komplementäre Inschrift für Hathor in der gegenüberliegenden (westlichen) Türlaibung (Edfu III, 68, 9–11). 924 Siehe BUDDE, Götterkind, S. 14, und 304–406 zur Interpretation der heiligen Symbole.

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186 Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

(Dd mdw jn) i wbn.t Iwnj.t aSA(.t) Xkr.w (Rezitation:) Oh, Aufgehende, Iunit, reich Geschmückte, mH.n=s tA.wj m nfr.w=s sie (sic!) hat die Beiden Länder mit ihrer Vollkommenheit erfüllt! hj n=T nbw.t Hnw.t wa.t nj.t nb-Dr D.t=f Jubel für dich, Goldene, Gebieterin, Einzigartige des Allherrn selbst, StA.t msj(.t) nTr.w [… … … … …] Geheime,925 die die Götter gebiert926 […] sA.t=s(?) imA.t prj(.t) m Ra ihre Tochter (?), die Liebliche, die aus Re hervorgekommen ist, Ts(.t) aw.t qmA(.t).n ib=s die das Vieh erschafft, welches ihr Herz ersonnen hat,927 qd(.t) rmT.w irj(.t) ix.wt nb(.wt) die die Menschen bildet, die alle Dinge/Opfergaben macht, wp(.t) Sa sxpr(.t) wAD die den Sand öffnet und die Vegetation entstehen läßt, saSA xpr nb im=s die alles, was aus ihr entstanden ist, vermehrt, mw.t ?[… … …] die Mutter […], prj iwa=s r Ts tA.wj deren Erbe hervorkommt, um die Beiden Länder zu regieren, nb(.t) psD sxr(.t)928 kkw die Herrin des Lichtes, die die Dunkelheit vertreibt, sSp(.t) ir.t nb(.t) m stw.t=s die jedes Auge (= jedermann) erleuchtet mit ihren Strahlen, ij Hapj Xr xtm=s unter deren Siegel (= auf deren Anordnung) die Überschwemmung kommt, Sm TAw.w m wD.t=s auf deren Befehl die Winde wehen. Htp Hr=T nfr n sA Ra [(Ptwlmys anx D.t mrj As.t) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Isis) (= Ptolemaios XII.)!

925 Ein Beiname der Nechbet von Elkab, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1037–1038. 926 Vgl. zu diesem Epitheton Assuan-Hymne 1, wo es heißt, daß alle Götter aus dem Leib der Isis hervorgingen und sie ihnen Leben gibt. 927 Vgl. zu dieser Phrase Philae-Hymne 4. 928 Die Zeichenanordnung der Worte psD und sxr(.t) ist etwas wirr.

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Edfu, Horustempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

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Edfu V, 332, 14–333, 2 Edfu, Horustempel, Hof, Süd-West-Durchgang (H‘–J‘ 1), Außenseite (= Westtor), linke (nördliche) Türlaibung ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491; EL-SAYED, Neith II, S. 608, Doc. 983; A. GUTBUB, Jeux de signes dans quelques inscriptions des grands temples de Dendérah et d’Edfou, in: BIFAO 52, 1953, S. 82, i) (nur teilweise); GOYON, Hededyt, S. 450– 451 (nur teilweise)

(Dd mdw jn) nD Hr=T wr.t aSA(.t) rn.w (Rezitation:) Sei gegrüßt, Große mit zahlreichen Namen, [dg]A(?)929 nTr nb im=s durch die jeder Gott [sieht?], mw.t-nTr nTr.w930 prj=sn im=s m rn=s [pfj]931 n Mw.t die Gottesmutter der Götter, aus der sie hervorkommen932 in jenem ihrem Namen Mut,933 s.t Ra prj.n=f Hr a.wj=s m rn=s pfj n As.t der Sitz des Re, auf deren Armen er aufgegangen ist in jenem ihrem Namen [email protected] sA.t Ra Hededet, Tochter des Re,934 tf.n=f m rA=f m rn=s pfj [n &]fn.t die er ausgespien hat aus seinem Mund in jenem ihrem Namen Tefnut, n.t=f prj(.t)=s n/m xnt=s m rn=s pfj n N.t seine rote Krone, aus deren Vorderseite sie hervorkommt in jenem ihrem Namen Neith,935

929 Vgl. zu dieser (unsicheren) Ergänzung LGG VII, 577b. ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491, und ihm nachfolgend EL-SAYED, Neith, S. 608, ergänzen sHtp, mißachten jedoch das auf die Lücke folgende Zeichen , welches in Edfu V, 332, 14, angegeben, in ALLIOT’s Transkription jedoch unterschlagen wird. Auch würde dessen Übersetzung „durch die jeder Gott besänftigt ist“ m. E. keinen Sinn machen, da es für gewöhnlich ja im Gegenteil die Göttin ist, die die Besänftigung nötig hat. 930 Die drei Worte werden von ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491, und EL-SAYED, Neith, S. 608, ignoriert bzw. falsch übersetzt („(Oh du), aus der die Götter hervorkommen“). 931 Vgl. die folgenden Sätze. 932 Vgl. zu diesem Konzept den vorangehenden, komplementären Text Edfu V, 332, 8–12, und AssuanHymne 1. 933 ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491, und EL-SAYED, Neith, S. 608, ziehen fälschlich das nächste Wort hinzu und lesen „Mut-Isis“. Damit würde die folgende Namensformel keinen Sinn ergeben; außerdem ist s.t mit Haus-Determinativ geschrieben. 934 Zu dieser Stelle siehe auch GOYON, Hededyt, S. 451. Von ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491, und ELSAYED, Neith, S. 608, wiederum mißverstanden („…in jenem deinem Namen Isis! Oh %rq.t-Htw, oh Tochter des Re…“). 935 Auch dieses Wortspiel wurde nicht erkannt von ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491, und EL-SAYED, Neith, S. 608, die beide übersetzen: „Oh Neith, die in ihrer Barke erscheint in jenem ihrem Namen Mut“. Der Geier kann auch für n stehen, und im Zusammenhang ist Neith weitaus wahrscheinlicher als Mut, die bereits zu Beginn des Textes vorkommt. Zur engen Verbindung zwischen der roten unterägyptischen Krone und Neith, siehe EL-SAYED, Neith, S. 92–99; WILSON, Ptol. Lex., S. 554; zu

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 3:

nr.t936 Sps(.t) qnb(.t) snTy.w=s m rn=s pfj n Nxb.t die edle Geierin, die ihre Rebellen fesselt in jenem ihrem Namen Nechbet,937 nb.t gmj(.t) ib sxm(.t) m smAwtj.w=s m rn=s pfj n %xm.t die Herrin des Findens des Herzens,938 die über ihre Gegnerschaft939 triumphiert in jenem ihrem Namen Sachmet. Htp Hr=T nfr n nswt bjtj Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, nb tA.wj [(iwa nTr.wj mnx.wj stp n PtH irj mAa.t Ra sxm anx Imn) dem Herrn der Beiden Länder [(Erbe der Euergeten, erwählt von Ptah, der die Maat des Re verwirklicht, das lebende Abbild des Amun) (= Ptolemaios XII.)!

Kommentar: Der südwestliche Seiteneingang zum Hof befindet sich nur leicht versetzt neben dem Bereich, der Hathor von Dendara und Isis gewidmet ist und den festlichen Einzug von Hathor in Edfu beim Fest von Behedet im Monat Epiphi thematisiert, wie die Säulen 7 und 8 beider Seiten des Hofes zeigen. 940 So werden wohl diese beiden Göttinnen in den Hymnen der Türlaibungen gepriesen, wobei sie aber nicht eindeutig voneinander getrennt werden, und außerdem nur indirekt, nicht mit ihren Eigennamen, genannt sind. Die rechte (südliche) Inschrift läßt dennoch durchblicken, daß der Schwerpunkt auf Hathor liegt, die unter anderem als Iunit („die von Dendara“) und „Goldene“ angesprochen wird (Kol. 1) – beides typische Beinamen der Hathor. Ihre töchterliche Beziehung zu Re, dem Allherrn, wird betont (Kol. 1–2), und ihr Wesen ausführlich als das einer solaren Schöpfergottheit beschrieben, die die Fruchtbarkeit des Landes hervorbringt (Kol. 2–3). Es fallen aber auch Charakteristika auf, die eher Isis zuzuschreiben sind: Der Kontext der Stelle, an der die Göttin als „Mutter“ bezeichnet wird, ist zwar zerstört (Kol. 2), doch gleich danach heißt es, daß „ihr Erbe hervorkommt, um die Beiden Länder zu regieren“, was nur Horus meinen kann. Die linke (nördliche) Hymne ist an die „Große mit zahlreichen Namen“941 adressiert, was in den folgenden Sätzen durch die Identifikation mit verschiedenen Göttinnen über die

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Neith als Uräusschlange (hier ausgedrückt durch: „aus deren Vorderseite sie hervorkommt“) ELSAYED, Neith, S. 71–72. Diese Lesung ist m. E. sehr wahrscheinlich, zumal es zahlreiche Parallelen für die Bezeichnung nr.t Sps.t gibt, siehe LGG IV, 253b–c, und nr.t dem „Nechbet“ am Ende der Formel zumindest einigermaßen ähnlich ist, um ein Wortspiel zu konstruieren. ALLIOT, Culte d’Horus, S. 491, und EL-SAYED, Neith, S. 608, lesen „edle Mutter“. Hier gerät die Klarheit der vorigen Wortspiele etwas aus den Fugen, falls kein Fehler in der Lesung vorliegt. So wird auch die Chronokratorin des I. Smw 14 bezeichnet, siehe LGG IV, 151c–152a. smAwtj.w bezeichnet meist die Genossen des Seth, besonders in Edfu, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 842–843. Siehe unten, zu den Szenen Edfu V, 226, 13–227, 9, und Edfu V, 278, 7–17. Vgl. ALLIOT, Culte d’Horus, S. 490; CAUVILLE, Essai, S. 154–155, und das Schema auf S. 159; EAD., Fêtes d’Hathor, S. 64. Zum Behedet-Fest siehe NAGEL, Behedet-Fest. Dieses Epitheton ist für diverse Göttinnen belegt, LGG II, 225. Speziell zu Isis (und besonders griechischen Entsprechungen) siehe BRICAULT, Isis Myrionyme. Es gibt einen frühen Beleg des ägyptischen Beinamens für Isis in dem vor Kurzem publizierten Grab der Maïa (18. Dyn.), vgl. unten, Kap. 4.12.1: aSA(.t) rn.w m njw.wt spA.wt „mit zahlreichen Namen in den Städten und Gauen“ (ZIVIE,

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Edfu, Horustempel

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Namensformel mit den charakteristischen Wortspielen näher ausgeführt wird. 942 Hathor wird allerdings überhaupt nicht erwähnt, statt dessen Mut, Isis-Hededet, Tefnut, Neith, Nechbet und Sachmet. Angesprochen wird also eine Universalgöttin in ihren diversen Formen; es ist anzunehmen, daß letztlich Isis-Hathor gemeint ist. 943 Wie in der gegenüberliegenden Inschrift wird auch hier ihre Verbindung zum Sonnengott deutlich; (Isis-)Hededet ist schon in den frühesten Belegen „Tochter des Re“,944 und alle genannten Göttinnen können das Sonnenauge verkörpern, dessen gefährlicher und kämpferischer Charakter in den letzten beiden Formeln des Textes evoziert wird. In einer Szene in der Kapelle Behedet (M) wird Isis-Hededet außerdem als Tochter von Tefnut – mit der sie hier im Text gleichgesetzt ist – und Schu bezeichnet.945 Die Vorstellung, daß die Sonne auf den Armen der Isis (und der Nephthys) aufgeht, findet sich häufiger und wird durch die geläufige Schreibung für dwAw auch bildlich umgesetzt.946 Das Wortspiel zwischen As.t „Isis“ und s.t „Sitz, Thron“ wird ebenfalls gerne in den gr.-röm. Tempeltexten, besonders eben im Hymnus mit der Namensformel, verwendet.947 Auf der Innenseite des Süd-West-Durchgangs, also am östlichen Tor, sind die Türlaibungen ebenfalls mit Hymnen dekoriert, die sich jedoch auf Hathor allein und die Beschreibung der Festfreude anläßlich ihrer Zusammenkunft mit Horus beschränken.948

942 943

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946 947 948

Tombe de Maïa, Taf. 33), siehe auch QUACK, Irrungen, Wirrungen, S. 449. BRICAULT war dieser Beleg noch nicht bekannt, weshalb er loc. cit., S. 68, konstatierte, daß Isis erstmals in ptolemäischer Zeit so genannt worden sei. Zur Hymne mit Namensformel siehe z. B. ASSMANN, Hymnen und Gebete, pp. 17–18. Vgl. auch Assuan-Hymne 5 u. a. So auch GOYON, Hededyt, S. 450; ALLIOT, Culte d’Horus, S. 490, versteht die Texte als Begrüßungshymnen für die im Tempel angelangte Hathor. Es gibt jedoch im Gegensatz zu den Inschriften auf der Hofseite des Durchganges (siehe unten im Kommentar) keine einzige deutliche Anspielung auf das Fest. Siehe GOYON, Hededyt, S. 446–448; 451 zur Stelle. Vgl. dazu auch das Spiegelopfer für Isis-Hededet an der Hofwand Edfu V, 77, 8–17 (und sein Pendant für Isis von Dendara Edfu V, 173, 10–174, 4), siehe unten. „Isis-Hededet in Edfu, die Edle und Mächtige, die im Thronsitz des Horus residiert, Tochter des Schu, die von Tefnut geboren wurde, Königsgemahlin des Osiris.“ Edfu I, 315, 15–16, vgl. GOYON, Hededyt, S. 450, Anm. 7. Dagegen wird in einer Szene im Zentralen Vestibül (N) auch für Isis-Hededet die traditionelle Isis-Filiation angegeben: „Isis-Hededet von Edfu, die Königsgemahlin des Königs von Ober- und Unterägypten, die edle Prinzessin, die Große ihres Vaters Geb, die Edle ihrer Mutter Nut.“ (Edfu I, 384, 5). Vgl. z. B. die Hymne Deir Chelouit III, Nr. 157. Z. B. Deir Chelouit III, Nr. 137; Nr. 155. Edfu V, 336, 5–9, und 336, 11–337, 2; Übersetzung bei ALLIOT, Culte d’Horus, S. 492–493.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Eine Anrufung an Horus an der Umfassungsmauer mit Lob der Hathor-Isis Text/Hauptpublikation Edfu VI, 269, 14–274, 7; Taf. 154 Anbringungsort Edfu, Umfassungsmauer, Innenseite, Nordwand, 1. Reg., 3. Szene v. l. Bibliographie ALLIOT, Culte d’Horus, S. 620–632; VAN DEN HOVEN, Couronnement Inhalt der Szene Der lebende Falke erhält die Attribute des Königtums durch Horus-Re von Edfu und Götter der Neunheit.949 Der lebende Falke auf seinem srx ist zum Inneren des Tempels hingewendet, vor ihm steht die Triade von Edfu: Horus, Hathor und Harsomtus-Ihi. Hinter ihm steht der König (nur als Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Ptah, bezeichnet), begleitet von der Königin (eine Kleopatra). Er überreicht dem Falken, und gleichzeitig Horus v. Edfu ein HH-Symbol und einen anxBlumenstrauß. In den zur Szene gehörigen Hymnen ist davon die Rede, daß verschiedene Götter (Horus v. Edfu, Hathor v. Dendara, Atum) dem Falken diese Blumensträuße darreichen,950 was allerdings nicht bildlich dargestellt ist. Text: – Anrufung an Horus, Abschnitt Hathor (272, 11–273, 3): mn n=k anx n mw.t=k wsr.t Nimm dir den Blumenstrauß von deiner Mutter, der Mächtigen, @w.t-@r wr.t nb(.t) Iwn.t von Hathor, der Großen, der Herrin von Dendara! Hsj=s tw=k mrj=s tw=k swAH=s tw=k Sie lobt dich, sie liebt dich, sie läßt dich gedeihen, sxr=s xftj.w=k nb(.w) m mwt m anx sie fällt alle deine Feinde, (sowohl) als Tote (als auch) als Lebende, dj=s Sfj.t{nb} xr TAj.w mrw.t=k xr Hm.wt sie gibt dein Ansehen unter die Männer und deine Beliebtheit unter die Frauen, dj=s n=k anx snb rnpj=s Ha.w=k n mA(w.t) sie gibt dir Leben und Gesundheit, sie verjüngt deine Glieder aufs Neue, dj=s n=k ^ma.w MHw sie gibt dir Oberägypten und Unterägypten, Hwj{t}=s n=k smA.yt=k sie schlägt für dich deine feindliche Bande (= die Bande des Seth), dj=s n=k Aw(.t)-ib n sn=s Wsjr sie gibt dir die Herzensfreude ihres Bruders Osiris,

949 Vgl. ALLIOT, Culte d’Horus, S. 620–621. 950 Vgl. ALLIOT, Culte d’Horus, S. 624–637, mit Übersetzungen; VAN DEN HOVEN, Couronnement, S. 190–191.

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Edfu, Horustempel

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HqA=s n=k ns.t=f m mAa xrw sie hat für dich die Herrschaft über seinen Thron ergriffen, in Rechtfertigung/im Triumph, dj=s n=k tA.wj n sA=s @r sie gibt dir die Beiden Länder ihres Sohnes Horus, rdj=s n=f m MHw die sie ihm gegeben hat, als Unterägypten. Dd=tw r=k m xnw n &A-mrj [email protected] m wHm Man sagt zu dir innerhalb von Ägypten: Re-Harachte, in Wiederholung. p(A) aXm pA bjk anx Oh, Falkenbildnis, oh lebender Falke! iw @w.t-@r [wr.t nb.t Iwn.t] m sA n Ha.w=k Hathor, die Große, die Herrin von Dendara, ist der Schutz deiner Glieder psD.t=s Hr dr xftj.w=k und ihre Neunheit vertreibt deine Feinde. Kommentar: Hathor geht hier ganz in der üblicherweise der Isis zugeschriebenen Rolle der Mutter des Horus auf. Da der Text eine von mehreren Anrufungen an Horus anläßlich seines Festes am 1. Tybi bildet, steht nicht wirklich Hathor, sondern Horus im Mittelpunkt und demzufolge werden die Leistungen der Göttin ihm gegenüber aufgezählt: Sie ist seine liebende Mutter, die seine Feinde bekämpft, ihn somit beschützt, für sein Wohlergehen sorgt, und vor allem: ihm als Königsmacherin das königliche Erbe seines Vaters Osiris vermittelt. 4.5.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. Szenen im Haupttempel Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu I, 144, 5–145, 3; Taf. 22b Edfu, Horustempel, 2. Westkapelle (Thron der Götter, E), Südwand, 2. Reg., große Szene CAUVILLE, Théologie d’Osiris, S. 75–77 Der König (Ptolemaios IV.) opfert Wein vor den thronenden Göttern Re-Harachte, Schu, Tefnut, Osiris, Isis und Nephthys.

Text: – Beischrift Isis (144, 16–17): (Dd mdw jn) As.t xwj(.t) nTr m BHd.t (Rezitation durch) Isis, die den Gott beschirmt in Edfu, mkj(.t) Iwn m @w.t-bjk die ‚den Pfeiler‘ (= Osiris)951 schützt im ‚Haus des Falken‘ (= Edfu),952

951 Zu Iwn als Beiname des verstorbenen, sich regenerierenden Osiris vgl. Wb I, 53, 19–20; WILSON, Ptol. Lex., S. 51–52; LGG I, 193c–194; HUSSON, Offrande du miroir, S. 84, Anm. 8. 952 Siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 628–629.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Dsr(.t) Hrj-nmj.t xnt StAy.t=f die den, der auf der Liege ist, heiligt an der Spitze seines Schetit-Heiligtums, srsj(.t) Hm=f m iAkb=s die seine Majestät aufweckt mit ihren Klagen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu I, 148, 16–149, 19; Taf. 22a Edfu, Horustempel, 2. Westkapelle (Thron der Götter, E), Nordwand, 1. Reg., große Szene CAUVILLE, Théologie d’Osiris, S. 71–73 Der König (Ptolemaios IV.) überreicht zwei Uräen an Horus von Edfu, dahinter thronen Isis, Osiris, eine weitere Isis und Nephthys, der ehrwürdige Bock und Djaret.

Text: – Beischrift der 1. Isis (149, 6–7): (Dd mdw jn) As.t wr.t-HkA.w rx(.t) rA=s (Rezitation durch) Isis, die Zaubermächtige, die ihren Ausspruch kennt, Ax(.t) DAjs.w mnx(.t) sS(.w) mit wirksamen Sprüchen, mit vortrefflichen Schriften, smn iwa=s r HqA psS.tj die ihren Erben fest einsetzt zum Herrscher der Beiden Hälften (= Ägypten), dj(.t) @r Hr s.t it=f die Horus auf den Sitz seines Vaters setzt. – Beischrift der 2. Isis (149, 10–11): (Dd mdw jn) As.t sA nTr m BHd.t (Rezitation durch) Isis, der Schutz des Gottes in Edfu, sAw(.t) Wsjr m s.t wr.t die Wächterin des Osiris am Großen Sitz (Edfu),953 Ax.t wr.t swDA hy=s die große Wirkmächtige, die ihren Gatten wohlbehalten sein läßt, nTr.t mkj(.t) sA=s die Göttin, die ihren Sohn beschützt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu I, 151, 6–152, 3; Taf. 22a Edfu, Horustempel, 2. Westkapelle (Thron der Götter, E), Nordwand, 2. Reg., große Szene CAUVILLE, Théologie d’Osiris, S. 73–75 Der König (Ptolemaios IV.) opfert Bier für Osiris, hinter dem Isis, Nephthys, Geb, Nut und Haroeris thronen.

953 Siehe zu diesem Begriff WILSON, Ptol. Lex., S. 948–949.

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Text: – Beischrift der Isis (151, 11–12): (Dd mdw jn) As.t PxA.t nb(.t) sS (Rezitation durch) Isis-Pachet,954 die Herrin der Schrift, %SA.t wr.t Hnw.t pr-mDA.t Seschat, die Große, die Gebieterin des Hauses der Schriftrollen, pxA(.t) ib irj(.t) nb.tj m ib=s die mit freudigem Herzen, die das Nebti-Bier braut nach ihrer Herzenslust, qmA(.t) Dsr.t m rA-a.wj=s die das Djeseret-Bier955 herstellt durch ihr Werk. Kommentar: Die Kapelle „Thron der Götter“ thematisiert die königliche Investitur des Horus als Pendant zum „Thron des Re“, wo dem König seine Herrschaft durch Re-Horus übermittelt wird.956 In diesen drei Szenen der Nord- und Südwand des „Throns der Götter“, von denen Edfu I, 144, 5–145, 3 und Edfu I, 151, 6–152, 3 sich gegenüberliegen, wird Isis daher in erster Linie (besonders in den beiden ersten Szenen) über ihre Rolle innerhalb der osirianischen Familie definiert, d. h. ihre Handlungen gegenüber Osiris und Horus werden beschrieben. In der Szene im 2. Reg. der Südwand ist Isis zusammen mit Osiris und Nephthys dargestellt: In diesem Kontext ist ihre Aufgabe wie üblich der Schutz und das Beklagen ihres Bruders und Gatten. Das 1. Reg. der Nordwand stellt Isis zweimal dar: einmal als zaubermächtige Schützerin direkt hinter Horus, den sie im Sinne des dargestellten Rituals (Überreichen der Uräen = Königtum über die Beiden Länder) als ihren Erben auf dem Thron einsetzt; zweitens wiederum zusammen mit Osiris und Nephthys, wobei sie als Schützerin von Osiris und seines Sohnes bezeichnet wird. Die Szene im 2. Reg. der Nordwand ergänzt mit dem Bieropfer das Weinopfer der gegenüberliegenden Szene – beide sind Elemente der Krönungsriten957 –, doch sind die Epitheta der Isis hier stärker auf die Ritualhandlung selbst und weniger direkt auf Osiris und Horus bezogen. Indem sie als Schöpferin des Bieres bezeichnet wird, das in dieser Szene überreicht wird und zum Krönungsritus gehört, ist der Bezug jedoch indirekt hergestellt.958 Des weiteren ist Isis hier als Mitglied der heliopolitanischen Neunheit anzusehen, die durch die Götter (ohne Seth) in den beiden korrespondierenden Szenen dargestellt wird: Re-Harachte (für Atum), Schu und Tefnut, Geb und Nut, Osiris, Isis und Nephthys und Haroeris Chenti-irti.959 Durch deren Präsenz wird die Recht954 Eine Bezeichnung der Uräusschlange, siehe dazu LGG III, 104c–105a; Wb I, 544, 2; WILSON, Ptol. Lex., S. 365–366; FAIRMAN, Ptolemaic Notes, S. 268–274. Vgl. die Götterliste für diese Kapelle, Edfu II, 24, (142), siehe oben. 955 Zu den verschiedenen Bier-Sorten siehe Helck, Bier, S. 18–19; H. W. Fairman, Some Unrecorded Ptolemaic Words, in: ZÄS 91, 1964, S. 4–11: 7; B. Abadir, ©sr(t). The Plant and the Drink, in: DE 45, 1999, S. 7–22. 956 CAUVILLE, Essai, S. 36; eine ausführliche Studie dieses Raumes bietet F. LÖFFLER, Der „Thron der Götter“ im Tempel von Edfu – ein Überblick, in: Baumann/Kockelmann (Hrsg.), Tempel als ritueller Raum, S. 307–349. 957 Vgl. CAUVILLE, Essai, S. 32. 958 Siehe außerdem zur speziellen Verbindung des Bieres zu Osiris HELCK, Bier, S. 89. 959 Vgl. CAUVILLE, Essai, S. 32.

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mäßigkeit der königlichen Erbfolge (hier Re-Harachte – Schu – Geb – Osiris – Haroeris/König) zusätzlich betont. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu II, 82, 15–83, 6 Edfu, Horustempel, 2. Hypostylsaal (W), Ostwand, 4. Reg., 5. Szene v. l. – Der König (Ptolemaios IV.) stellt das Kohlenbecken auf960 für seine Mutter Isis.

Text: – Beischrift der Isis (83, 3–4): (Dd mdw jn) As.t @dd.t Hrj(.t)-ib WTs.t-@r (Rezitation durch) Isis-Hededet, die im Thronsitz des Horus (Edfu) residiert, Sps.t wsr.t m s.t wr.t die Edle und Mächtige am Großen Sitz, Ray.t wr.t m s.t nj.t it=s die große Rat (Sonnengöttin) am Sitz ihres Vaters, HqA.t m Hw.t-nTr sA=s die Herrscherin im Tempel ihres Sohnes. – Göttliche Randzeile (83, 5–6): wnn nbw.t Hr Dsr @r=s @w.t-@r Hr mkj @r=s Es ist die Goldene beim Erhöhen ihres Horus, Hathor beim Beschirmen ihres Horus, sw m wr.t-HkA.w irj.t-HA.t n aHA.t=f (denn) sie ist die Zauberreiche, die Steuerfrau seines Kriegsschiffes, Hr smn ib=f Hr smA xftj.w=f indem sie sein Herz festigt, indem sie seine Feinde tötet. Kommentar: Isis-Hededet ist in dieser Szene eng mit Hathor synkretisiert, die besonders in der Randzeile durch die Nennung ihres Namens und ihres häufigen Epithetons „die Goldene“ evoziert wird. Doch auch in der Beischrift dürften die Worte „große Rat am Sitz ihres Vaters“ eine Anspielung auf Hathor enthalten. Mit dem Vater ist in diesem Kontext sicherlich Re bzw. die solare Form des Horus (Behedeti) gemeint.961 Somit wird in der Begleitinschrift der Isis-Hededet(-Hathor), die den lokalen Bezug der Gottheit durch die Nennung verschiedener Tempelbezeichnungen herstellt, der Tempelherr gleichzeitig als Vater und Sohn zu ihr in Beziehung gesetzt. Die göttliche Randzeile hingegen widmet sich ganz der kriegerischen Schutzfunktion der Isis gegenüber ihrem Sohn, welche hier namentlich von Hathor übernommen wird. Die Eigenschaft als Steuerfrau seines Kriegsschiffes ergibt sich wahrscheinlich aus der Kombination dieser Schutzfunktion mit der bekannten Rolle der Isis als „zau960 Zu diesem Szenentypus siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 175–176; H. BEINLICH, Handbuch der Szenentitel in den Tempeln der griechisch-römischen Zeit Ägyptens, Teil 1, SRaT 3,1, Dettelbach 2008, S. 107–109. 961 Vgl. die Bezeichnung des Tempels als s.t Ra, WILSON, Ptol. Lex., S. 950.

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berreiche“, Apophis abwehrende Uräusschlange am Bug der Sonnenbarke. Um Horus im Kampf zu unterstützen, verwandelt sie sich weiteren Edfu-Texten zufolge sogar selbst in ein Kampfschiff: „die ihren Leib geheim machte in ihrer Rolle als Kampfschiff, die ihren Horus als Harpunierer auf den Knien trug“ bzw. „seine Mutter verwandelte sich in ein Kampfschiff unter ihm, um seinen Leib vor seinen Feinden zu schützen“.962 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu III, 171, 16–172, 8; Taf. 63 Edfu, Horustempel, Pronaos (C‘), linke Hälfte, Ostwand, 2. Reg., 3. Szene v. l. DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 10 (Auszüge) Der König (Ptolemaios VIII.) reicht ein Salbgefäß mit Myrrhe an Isis-Hathor.

Text: – Beischrift der Isis (172, 5–7): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr HqA.t m WTs.t (Rezitation durch:) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrscherin im Thronsitz (= Edfu), @w.t-@r nb(.t) &A-rr xnt Iwn.t Hathor, die Herrin von Ta-rer (= Dendara), an der Spitze von Dendara, HA(j).tj.t Ax.tj.t bA.t r sxm.w die Leuchtende, die Horizontische, die Ba-mächtiger ist als die (göttlichen) Mächte,963 Hrj.t-tp Hr tp n it=s die Stirnschlange an der Stirn ihres Vaters. – Göttliche Randzeile (172, 7–8): wnn HqA.t wr.t xnt BHd.t m ity.t n nTr.w nTr.wt Es ist die große Herrscherin an der Spitze von Edfu als Fürstin der Götter und Göttinnen, Hr sHb Hw.t-[…] Hr Sms […] s.t Hnw[.t](?) indem sie das Haus des […]964 festlich macht und […] folgt […?] Sitz, Hr snDm [sTj]965=s m ibr und ihren [Duft] süß macht mit Salbe, sw m Hnw.t xnt wjA n HH (denn) sie ist die Gebieterin an der Spitze der Barke der Millionen,

962 Edfu IV, 212, 14–213, 1, und 18, 11 (= Edfu VI, 59, 6–7); vgl. dazu GUTBUB, Dieux du nome Tanitique, S. 62, m. Anm. 6; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 360; BUDDE, Götterkind, S. 297, Anm. 1602; F. FÖRSTER, „Klar zum Gefecht!“: Zur Beschreibung des Kampfschiffes im Horusmythos von Edfu (Edfou VI, 79, 11–80, 10), in: SAK 34, 2006, S. 141–158: 152–154; vgl. auch 148. 963 Vgl. LGG II, 734a–b. 964 Gemeint ist sicherlich der Tempel von Edfu. 965 Determinativ noch erhalten.

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an(.t) Hr bnr(.t) sp.tj=s966 schön von Gesicht und süß an ihren Lippen. Kommentar: Die Göttin wird in der Beischrift sowohl als Isis (mit üblichen Haupttiteln) von Edfu als auch als Hathor von Dendara bezeichnet. Die folgenden Epitheta heben besonders deren solare Aspekte bzw. ihre Beziehung zum Sonnengott hervor, als dessen Uräusschlange sie fungiert und dessen Barke sie gemäß der Randzeile lenkt. Letztere betont außerdem, im Einklang mit dem Szenentyp des Myrrheopfers, Wohlgestalt und Duft der Göttin. Der Akzent liegt somit stärker auf Hathor als auf Isis.967 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu V, 77, 8–17; Taf. 116 Edfu, Horustempel, Hof (H’), Westwand, 2. Reg., 16. Szene HUSSON, Offrande du miroir, S. 83–84; GOYON, Hededyt, S. 454 (nur teilweise) Der König (Ptolemaios XII.) reicht Isis zwei Spiegel.

Text: – Spruch des Königs (77, 8–10): (Dd mdw jn) itn.w xr Hr=T HqA.t (Rezitation:) Die Scheiben sind vor deinem Angesicht, Herrscherin, sA.t Gbb bjk.t xnt Hw.t-bjk Tochter des Geb, Falkenweibchen an der Spitze des ‚Haus des Falken‘ (Edfu),968 snsn stw.t=T m sAwj im=sn vereinige deine Strahlen mit dem Gold, das darin ist, itn.n=T tA mj Ax.tj wenn du die Erde bestrahlst(?)969 wie der Horizontische. – Beischrift der Isis (77, 15–16): (Dd mdw jn) [As].t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, Hrj(.t)-ib WTs.t-@r die im ‚Thronsitz des Horus‘ (= Edfu) residiert, @dd.t n [BHd.t]970 Hn(.t) Iwn Hededet von Edfu, die den ‚Pfeiler‘ (= Osiris)971 schützt,

966 Der Schreibung nach liegt hier eigentlich ein Adjektivalsatz mit Admirativpartikel vor: bnr.wj sp.tj=s „Oh wie schön sind ihre Lippen.“ Dies paßt formal jedoch nicht als Anschluß an das vorige Epitheton. 967 Vgl. auch DERCHAIN, Hathor Quadrifrons, S. 10. Vgl. zur Thematik des Myrrhe-Opfers z. B. PhilaeHymne 3. 968 Siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 628–629. 969 Selten als Verb belegt, nur in Wortspielen mit itn „(Sonnen-)Scheibe“, siehe Wb I, 145; HUSSON, Offrande du miroir, S. 84, Anm. 2. 970 Ergänzung nach HUSSON, Offrande du miroir, S. 84, m. Anm. 7. 971 Vgl. die Szene Edfu I, 144, 5–145, 3.

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Xnm.t wr.t nj.t aA mAa-xrw die große Amme dessen mit großem Triumph (= Horus),972 mw.t-nTr n bjk n nbw.t die Gottesmutter des Falken der Goldenen. – Göttliche Randzeile (77, 16–17): wnn snDm.t [s]nDm.tw xnt Msn Es hat sich ‚die sich Niederlassende‘973 niedergelassen an der Spitze von Mesen, @dd.t xnt @r-mAA [Hr] wdj stw.t Hr xsr snk Hededet an der Spitze von Hor-maa (= Edfu)974 sendet (ihre) Strahlen und vertreibt die Finsternis, [Hr mH(.t) p.t ?]975 m nfr.w=s [indem sie den Himmel ?] mit ihrer Schönheit [füllt ?], sw m nb(.t) sSp sSp.n=s Hr.w (denn) sie ist die Herrin des Lichts, wenn sie die Gesichter erleuchtet, As.t p.t sHD(.t) tA.wj Isis, der Himmel (?),976 die die Beiden Länder erhellt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu V, 173, 10–174, 4; Taf. 120 Edfu, Horustempel, Hof (H’), Ostwand, 2. Reg., 13. Szene977 HUSSON, Offrande du miroir, S. 85–86 Der König (Ptolemaios XII.) reicht Isis zwei Spiegel.

Text: – Spruch des Königs (173, 10–14): (Dd mdw) itn dj=f-s(w) m p.t m grH (Rezitation:) Die Sonnenscheibe, sie zeigt sich am Himmel in der Nacht, Dr msj=T n mw.t(=T) Nw.t m Iwn.t als du geboren wirst von (deiner) Mutter Nut in Dendara. 972 Vgl. Wb II, 17, 1; LGG II, 26c–27b; HUSSON, Offrande du miroir, S. 84, Anm. 9. 973 %nDm.t ist ein typisches Epitheton der Hathor, aber auch anderer Göttinnen; siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 880; LGG VI, 409c–410a; HUSSON, Offrande du miroir, S. 84, Anm. 10. 974 Möglicherweise auch mAA-@r zu lesen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 394; HUSSON, Offrande du miroir, S. 84, Anm. 12. 975 Ergänzung nach GOYON, Hededyt, S. 454, Anm. 2. 976 GOYON, Hededyt, S. 454, m. Anm. 2, macht hieraus einen Genitiv (allerdings mit Fragezeichen): „Isis des Himmels“. P.t „Himmel“ kann jedoch (wenn auch selten) als Beiname von Göttinnen vorkommen, siehe LGG III, 3a–b. 977 Laut Edfu V, 173, 9, handelt es sich um die 15. Szene; diese Zählung ist aber insofern irreführend, als auch die beiden Szenen des Türsturzes des südöstlichen Seitentors (Edfu V, 166–167) in der Textpublikation mit unter die Wandszenen des 2. Reg. aufgenommen wurden, vgl. CAUVILLE, Essai, S. 164 u. 181, und Edfu X, Taf. 118–120, wo sich die tatsächliche Anzahl der Wandszenen gut nachvollziehen läßt. Da die Seitentore der West- und Ostwand des Hofes verschieden groß sind und ihre Position etwas versetzt voneinander ist, befindet sich obige Szene 13 der Ostwand genau gegenüber der zuvor bearbeiteten Szene 16 der Westwand (beide sind die 6. Szene von hinten) und bildet ihr Pendant, wie Gottheit und Art des Rituals unschwer erkennen lassen.

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sS=T Ax.tj=T wpS.n=T Hr.w Du öffnest deine Glanzaugen und du erleuchtest die Gesichter (= Menschen), bX mAw=T tA mj Ax.tj978 deine Strahlen erhellen das Land wie der Horizontische. nTr.w nTr.wt twt r mAA=T Die Götter und Göttinnen sind versammelt, um dich zu sehen, tA Dr=f nhm n kA=T das ganze Land jubelt für deinen Ka. – Beischrift der Isis (174, 1–2): (Dd mdw (i)n) [As].t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj(.t)-ib Iwn.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di,979 die in Dendara residiert, sA.t Gb{r} msj(.t) n Nw.t itj.t Hnw.t nTr.wt die Tochter des Geb, geboren von Nut, die Fürstin, die Gebieterin der Göttinnen, n k.t [Hr] xw=s prj Sw xt(?) prj[=s] der keine andere gleichkommt. Das Sonnenlicht kommt hervor, nachdem(?) sie hervorkommt. – Göttliche Randzeile (174, 2–4): wnn nb(.t) anx m NDm-anx Die Herrin des Lebens ist in ‚Süß-an-Leben‘ (= Edfu),980 wr(.t) HkA.w xnt @w.t-isb.t die Zaubermächtige an der Spitze vom ‚Haus des Throns‘ (= Tempel v. Edfu)981 Hr mAA Hr=s982 Hr mAA mAw=s983 Hr snsn stw.t=s Hna Ra sieht ihr Antlitz und sieht ihr Leuchten, indem sie ihre Strahlen mit Re vereinigt, sw m Ax.t m Ax.t nb(.t) Ax.w mfkA.t n psD.t nb(.t) (denn) sie ist die Leuchtende am Horizont, die Herrin des Lichtglanzes, die Freude der ganzen Neunheit. Kommentar: Die beiden symmetrisch an den Seitenwänden des Hofes984 angebrachten Spiegel-Szenen stellen die lokalspezifische Isis-Hededet von Edfu985 der Isis von Dendara gegenüber. Dies paßt insofern gut in die Konzeption des Hofes hinein, als dieser ganz besonders als Schauplatz der Begegnung zwischen Edfu und Dendara, genauer des Festes des Besuchs von

978 Man beachte das Wortspiel zwischen Ax.tj „Glanzaugen“ und Ax.tj „der Horizontische“. 979 Genauer Ort der mythischen Isisgeburt in Dendara, an welche durch den ebendort errichteten Isistempel erinnert wird, vgl. Kap. 4.6. 980 Vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 567. 981 Vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 627. 982 Das s steht über Hr, macht aber nur in umgekehrter Position Sinn. 983 HUSSON, Offrande du miroir, S. 86, m. Anm. 10, liest hier nach einer ähnlichen Stelle in einer Spiegelszene in Dendara (Dend. I, 3, 11) smAw stw.t=s, was auch möglich wäre, den Text jedoch stärker emendiert als bei obiger Lösung. 984 Siehe oben, Anm. 977. 985 Ausführlich zu dieser Form der Göttin: GOYON, Hededyt; vgl. auch Kap. 4.5.2.

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Hathor von Dendara bei Horus von Edfu im Monat Epiphi dient.986 Des weiteren wird im Hof aber auch der Sonnengott gefeiert. 987 Das Spiegelopfer, das am häufigsten Hathor, etwas seltener Isis und vereinzelt anderen Göttinnen dargebracht wird,988 beinhaltet eine ausgeprägte solare Symbolik,989 was nicht zuletzt in den Begleittexten der beiden Szenen deutlich wird. Besonders in dem östlichen Relief fallen die zahlreichen Wortspiele mit der Wurzel Ax ins Auge, aber auch zahlreiche andere Begriffe aus dem semantischen Feld „Licht“ definieren die Rolle der Göttin im Kontext des Spiegelopfers. Die beiden lokalen Formen der Isis fügen sich bestens in diese Thematik ein: Hededet einerseits wird bereits in den Sargtexten und im Tb als „Tochter des Re“ bezeichnet, die Apophis abwehrt,990 und besonders in den ptolemäischen Texten aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit zu ihrem Namen mit dem Wort HD „hell/weiß sein, leuchten“ in Verbindung gebracht,991 wie es auch in der Szene der Westwand der Fall ist (sHD(.t) tA.wj). Die solare bzw. astrale Konnotation der Isis von Dendara andererseits ist aus den zahlreichen dortigen Inschriften, die ihre Geburt in Iat-di behandeln, bestens bekannt: die Sonne geht am Horizont auf, nachdem Isis geboren wurde und die Augen geöffnet hat. Dabei ähneln viele der Formulierungen aus dem Spruch des Königs und der Beischrift der Isis in der obigen Spiegel-Szene sehr stark den Beschreibungen in Dendara selbst.992 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu V, 226, 13–227, 9; Taf. 131 Edfu, Horustempel, Hof (H’), Westseite, Säule 8, rechte (westliche) Szene EL-KORDY, Bandeau du Nouvel An, S. 130 Der König (Kartuschen leer) überreicht Hathor die sSd-Binde.

Text: – Beischrift der Hathor (227, 6–7): (Dd mdw jn) @w.t-@r nb(.t) Iwn.t ir.t Ra Hrj-ib [BHd.t] (Rezitation:) Hathor, die Herrin von Dendara, das Auge des Re, die in [Edfu] residiert, As.t wr.t mw.t-nTr @dd.t m [BHd.t] Isis, die Große, die Gottesmutter, Hededet in [Edfu],993 986 ALLIOT, Culte d’Horus, S. 447–452; CAUVILLE, Essai, S. 154–156; EAD., Fêtes d’Hathor, S. 59 u. 64. Neue, kommentierte Übersetzung der ausführlichen Festbeschreibung im Soubassement des Hofes: NAGEL, Behedet-Fest. 987 Vgl. CAUVILLE, Essai, S. 154; 171. Ausführlich dazu: J. F. PECOIL, Le soleil et la cour d’Edfou, in: BIFAO 86, 1986, S. 277–301. 988 Zur Häufigkeit der Rezipienten dieses Rituals siehe HUSSON, Offrande du miroir, S. 250–253. 989 Vgl. HUSSON, Offrande du miroir, S. 39; 262–264. 990 Siehe dazu GOYON, Hededyt, S. 446–448. 991 Vgl. GOYON, Hededyt, S. 453–454, der auch eine tatsächliche Etymologie des Namens von HD erwägt, was auf die helle Farbe bestimmter Skorpionarten (Buthus occilanus; Androctanus australis) anspielen könnte. 992 Vgl. hierzu Kap. 4.6. 993 Es handelt sich hierbei (ab Hededet) um einen kleinen Ausschnitt aus der kulttopographischen Litanei, von der längere Versionen für Isis(-Hathor) in Dendara belegt sind; vgl. z. B. Dend. I, 20, 14–21, 5. Parallele in Edfu III, 69, 17–70, 3, siehe oben.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Iwnj.t m Iwn.t @w.t-@r m spA.t nb(.t) Iunit (‚die von Dendara‘) in Dendara, Hathor in jedem Gau. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt der Szene

Edfu V, 278, 7–17; Taf. 133 Edfu, Horustempel, Hof (H’), Ostseite, Säule 8, linke (östliche) Szene WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, S. 311–313 (Auszüge) Philä III, Nr. 6994 Der König (Kartuschen leer) überreicht Isis eine Uräusschlange.

Text: – Spruch des Königs (278, 7–10): (Dd mdw jn) mn n=T Hrj.t-tp @r.t m [… … …] (Rezitation:) Nimm dir die Stirnschlange, weiblicher Horus in [Edfu o. ä. …], itj.t n tA Hr ndb=f xaj=T im=s wr(.t) Sfj.t Fürstin der ganzen Erde, auf der du erscheinst mit großer Würde, [… …] nTr(?) nb [… …] alle(r) Götter (?). – Beischrift der Isis (278, 14–15): (Dd mdw jn) [As].t [wr.t mw.t-nTr Hrj(.t)-ib BHd.t ?] (Rezitation:) Isis, [die Große, die Gottesmutter, die in Edfu residiert ?], papa(.t) m Iwn.t m grH nxn m [sS]=f geboren in Dendara in der Nacht des Kindes in seinem [Nest], xpr hm(?) [… …]=s tA [r?] Dr=f995 so daß Jubel(?) entsteht […] das ganze Land. Kommentar: Die 7. und 8. Säule beider Hofseiten sind auf der nach innen gewandten Seite jeweils mit einer Szene für Hathor dekoriert, welche deren Ankunft zum Fest im Monat Epiphi thematisiert.996 Auf den Außenseiten der 8. Säulen steht im Westen Hathor, die jedoch mit Isis identifiziert wird, im Mittelpunkt (Edfu V, 226, 13–227, 9), im Osten Isis, die als „weiblicher Horus“997 bezeichnet wird (Edfu V, 278, 7–17).998 Auch ihr Geburtsort Dendara wird wieder genannt. Mit dieser Gegenüberstellung wird das Dekorationsschema von Dendara

994 Vgl. WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, S. 311. 995 Vgl. die Parallele Philä III, Nr. 6: xpr nhm m tA Dr=f, siehe WINTER, Zeitgleiche Textparallelen, S. 313. Allerdings paßt dies in Edfu nicht ganz zu den (in der Edition wiedergegebenen) Zeichen. Von nhm fehlt das n und das s hinter der Lücke kann nicht untergebracht werden. 996 Siehe CAUVILLE, Essai, S. 158. Die übrigen Säulen-Innenseiten sind fast ausschließlich Horus gewidmet. Siehe zu den Säulen auch D. KURTH, Die Säulendekoration im Tempel von Edfu, in: SAK 23, 1996, S. 255–280, bes. 275 zu den besprochenen Säulen. 997 Möglicherweise ist auch bjk.t zu lesen, aber die Anpassung an den Falkengott von Edfu ist jedenfalls evident. 998 Zur Dekoration der Säulen-Außenseiten vgl. auch das Schema bei CAUVILLE, Essai, S. 159, Abb. 47.

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Edfu, Horustempel

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übernommen. 999 Erstere Szene enthält wiederum einen kurzen Ausschnitt aus der aus Dendara bestens bekannten kulttopographischen Litanei1000 für Hathor-Isis, der hier allerdings nur die lokal bedeutenden Formen enthält, mitsamt dem zusammenfassenden Abschluß „Hathor in jedem Gau“.1001 Das Überreichen der Sesched-Binde verweist ebenso wie Elemente in den langen Versionen auf den Neujahrskontext.1002 Es ist kein Zufall, daß sich gerade die Hathor und Isis gewidmeten Säulen 7 und 8 im Bereich der seitlichen Tore des Hofes befinden; das Osttor, das dem Eintritt der tentyritischen Hathor-Prozession in den Hof diente, wird sogar genau von diesen umrahmt. Auf der Westseite hingegen befand sich zwischen den Säulen der Altar, auf dem die Barke der Hathor abgestellt wurde.1003 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu VII, 119, 10–120, 8; Taf. 167 Edfu, Horustempel, Umfassungsmauer, Außenseite, Westwand, 2. Reg., 28. Szene v. r. KURTH, Übersetzung Edfou VII, S. 213–214 Der König (Ptolemaios IX.) libiert vor Isis.

Text: – Beischrift der Isis (120, 4–6): (Dd mdw jn) As.t @dd.t n BHd.t HqA.t xnt @r-mAa.t(j) (Rezitation:) Isis-Hededet von Edfu, die Herrscherin an der Spitze von ‚Horus ist wahrhaftig‘ (Edfu),1004 aA.t m WTs.t Hn(.t) Iwn die Große im ‚Thronsitz‘ (= Edfu), die den Pfeiler (= Osiris) schützt,1005 [Ds]r(.t)(?)1006 s.t m BHd.t rsj(.t) mit geheiligtem(?) Sitz im südlichen Edfu. – Göttliche Randzeile (120, 6–8): wnn snDm.t snDm.tj xnt Msn Es hat sich ‚die sich Niederlassende‘ niedergelassen an der Spitze von Mesen,1007 As.t wr.t m s.t ib=s Hr Ssp qbHw Hr sam sr{a} Isis, die Große, an der Stätte ihres Herzens, empfängt die Libation und trinkt Wasser, Hr sAwj ib=s m mrj=s indem sie ihr Herz erfreut mit dem, was sie liebt,

999 CAUVILLE, Essai, S. 155. 1000 Hauptzeugen Dend. Isis, 78, 16–79, 5, und Dend. I, 20, 14–21, 5. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse). 1001 Ähnlich wie in Edfu III, 69, 17–70, 3, siehe oben. Allerdings steht hier „Hededet“ statt „Behedetit“ für Edfu. 1002 Siehe dazu EL-KORDY, Bandeau, S. 130. 1003 Vgl. CAUVILLE, Essai, S. 154–155, und das Schema auf S. 159; EAD., Fêtes d’Hathor, S. 64. 1004 GDG IV, S. 36–37. 1005 Vgl. die Szene Edfu I, 144, 5–145, 3. 1006 Vgl. KURTH, Übersetzung Edfou VII, S. 214. 1007 Vgl. die Göttliche Randzeile der Isis in der Szene Edfu V, 77, 8–17, s. o.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sw m %rq.t xsf(.t) Ddf.t (denn) sie ist Selket, die das Gewürm zurückstößt, sHrj(.t) Smm[.w … …] die die Hitzigen1008 vertreibt [aus Edfu?].1009 Kommentar: Die lokaltypische Skorpionform der Isis, Hededet, wird in dieser Szene auf der Umfassungsmauer in erster Linie als Schutzgöttin präsentiert: Sie beschützt Osiris, hält aber außerdem feindliches Getier vom Tempel fern.1010 In letzterer Funktion wird sie auch mit der überregionalen Skorpiongöttin Selket identifiziert.1011 Andere einzelne Elemente der Inschriften (siehe in den Anm.) gleichen denen in der Spiegelopferszene im Hof (Edfu V, 77, 8–17), die ebenfalls Isis-Hededet gewidmet ist. Szenen im Mammisi Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Edfu Mam., 73, 3–12; Taf. 19 Edfu, Mammisi, westliche Außenwand, 1. Reg. 1. Szene v. r. BUDDE, Götterkind, S. 18–20 Der König (Ptolemaios VIII.) überreicht das Kryptogramm1012 an Hathor und Harsomtus das Kind.

Text: – Beischrift der Hathor (73, 7–8): (Dd mdw jn) @w.t-@r nb(.t) Iwn.t ir.t Ra Hrj-[ib] BHd.t (Rezitation durch:) Hathor, die Herrin von Dendara, das Auge des Re, die in Edfu residiert, As.t wr.t mw.t-nTr rr(.t) Xrd.w=s m Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die ihre Kinder aufzieht in Dendara, m BHd.t m Gbtj.w m #m m Mdnj.t in Edfu, in Koptos, in Letopolis, in Aphroditopolis, m spA.t nb(.t) msj(.t) @r im in jedem Gau, in dem Horus geboren wurde. – Göttliche Randzeile (73, 9–10): nswj.t bjtj.t Ra.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, Sonnengöttin,

1008 1009 1010 1011

Eine Bezeichnung für feindliche Schlangen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1012–1013. Ergänzungsvorschlag von KURTH, Übersetzung Edfou VII, S. 214. Das Bekämpfen von Schlangen ist typisch für Hededet, siehe GOYON, Hededyt, S. 452. Zu der schon im NR belegten Identifikation von Isis mit Selket siehe STOOF, Skorpion, S. 81–87; MÜNSTER, Isis, S. 147–148, die allerdings sämtliche „Isis“ benannte Darstellungen mit Skorpion auf dem Kopf als Isis-Selket interpretiert; vgl. dagegen GOYON, Hededyt, bes. S. 456–457. Auch in einer Bieropferszene der Mesenit erscheint Isis-Selket: Edfu I, 242, 2. 1012 Zu diesem Kultobjekt der Hathor von Dendara und seiner symbolischen Bedeutung im Hinblick auf die Genese des göttlichen Kindes bzw. des Weltherrschers, siehe ausführlich BUDDE, Götterkind, bes. S. 376–406; zu dem Objekt und seiner Umschreibung in obiger Szene ibid., S. 20.

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Edfu, Horustempel

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Hnw.t njw.wt [H]q[A](.t)1013 m tA.wj Hna idb.w die Gebieterin der Städte, die Herrscherin(?) in den Beiden Ländern und den Ufern, As.t wr.t nb(.t) is.tj Isis, die Große, die Herrin der Beiden Paläste (= Ägypten),1014 @w.t-@r wr.t nb(.t) Iwn.t Hathor, die Große, die Herrin von Dendara. Kommentar: Hathor und Isis sind in dieser Szene eng miteinander verbunden, indem sowohl die Beischrift als auch die göttliche Randzeile Namen und Haupttitel beider Göttinnen nennen. Die Herrschaft über das ganze Land (Ober- und Unterägypten), welche auch Gabe und Gegengabe der Szene symbolisieren,1015 wird hier dadurch ausgedrückt, daß Isis, die Gottesmutter par excellence, ihren Sohn und Erben Horus bzw. verschiedene Horusformen, wie der Plural Xrd.w=s nahelegt, an den verschiedenen Orten im ganzen Land aufgezogen hat. 1016 Exemplarisch werden einige wichtige Kultorte, allen voran natürlich Edfu und Dendara, namentlich aufgezählt. In der göttlichen Randzeile wird Hathor-Isis dementsprechend als Herrscherin der Städte Ägyptens und des ganzen Landes bezeichnet. Das Konzept erinnert stark an die Varianten der kulttopographischen Litanei, in welcher meist Isis, aber auch Hathor(-Isis), systematisch die Herrschaft über Städte und Gaue des Landes zugeschrieben wird, üblicherweise mit der ausdrücklichen Erwähnung der gesamten osirianischen Familie am Schluß.1017 Dieser Aspekt, d. h. die Kombination der Idee des in der osirianischen Familie wietergegebenen Erbes mit der Oberhoheit über das ganze Land, ist es, der Hathor in dieser Szene mit Isis identifiziert. 4.5.2

Edfu: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Heiligtümern (Kap. 4.1–4) ist Isis in dem unter Ptolemaios III. bis Ptolemaios XII. erbauten und dekorierten Horustempel von Edfu nicht die Hauptgöttin, spielt aber aufgrund ihrer Beziehung zum Tempelherrn Horus dennoch eine wichtige Rolle,1018 die sich teilweise mit derjenigen der Hathor von Dendara, der Partnerin des Horus von Edfu, überschneidet.1019 Isis kann auch als Mutter des Horus Behedeti 1013 Vgl. zu dieser Ergänzung auch BUDDE, Götterkind, S. 19. 1014 Siehe dazu WILSON, Ptol. Lex., S. 113. 1015 Dies verdeutlichen der Spruch des Königs sowie die Rede der Hathor, vgl. BUDDE, Götterkind, S. 18–19; WILSON, Ptol. Lex., S. 1118. 1016 Vgl. dazu auch eine Passage in Philae-Hymne 7. 1017 Siehe v. a. den Hauptzeugen Dend. Isis, 78, 16–79, 5; vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19–24. Ausführlich dazu: NAGEL, One for All. 1018 Zu Isis in Edfu siehe auch ZAKI, Premier Nome, S. 191–192, allerdings recht oberflächlich. 1019 So wird Hathor z. B. in Raum F (Osiris-Kapelle) explizit mit Isis-Sothis gleichgesetzt: „Hathor, Herrin von Dendara, Isis, die Gebieterin der Götter, Sothis, die den Nil ausgießt…“, Edfu I, 164, 3; ähnlich auch Edfu VII, 165–166 (Libieren), wo Hathor bezeichnet wird als: „Isis, die Gottesmutter, die ihren Sohn schützt, Sothis, die Große, die den Nil aus seiner Höhle fließen läßt, um Götter und Menschen am Leben zu erhalten“. Weitere Gleichsetzungen von Isis und Hathor z. B. in Edfu I, 274, 11–12, und 279, 15. Vgl. zur engen Beziehung zwischen Isis und Hathor (von Dendara) auch beson-

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

gelten und wird in Edfu mindestens seit der 2. ZwZt. neben dem lokalen Hauptgott verehrt.1020 So tritt sie im ptolemäischen Tempel in der Axialkapelle Mesenit (I) als Mutter, Amme und Schützerin des Horus auf.1021 Einer ihrer lokalen Haupttitel, der in vielen kurzen Szenenbeischriften verwendet wird, ist „Isis, die in Edfu residiert“ o. ä., z. B. in der hinteren Kapelle des Beines (K): „Isis, die Herrin des Himmels, die in Mesen residiert, die Edle und Mächtige in der Kapelle des Beines, die ihren Bruder schützt…“. 1022 Mit ähnlichen, auf Edfu bezogenen topographischen Zuordnungen wird sie als „die an der Spitze der Bezirke des Horus des Tanitischen Gaues, Herrin von Mesen“ und „Isis-Hededet, die im Thronsitz des Horus residiert, die Iun (= Osiris) beschützt in der Kapelle des Fürsten (Hw.t-sr)“ bezeichnet.1023 Diese Funktion und besonders die Erwähnung der Kapelle des Fürsten läßt an Isis und den Osiriskult von Behbeit el-Hagar denken.1024 Der Schutz und die Sorge für Osiris stehen im Mittelpunkt ihrer Funktion in dem gesamten Komplex der osirianischen Räume, wo sie vor allem in ihrer Form als Witwe/Klagefrau Isis-Schentait erscheint und mit ihrer Schwester Nephthys-Meherchetes ein Paar bildet.1025 Als wehrhafte Schützerin des Osiris sowie des Horus nimmt Isis in Edfu zudem häufig die Form der Skorpiongöttin (Isis-)Hededet, bzw. der mit dieser wohl eng verwandten IsisSkorpion (Isis-wHa.t), und sogar der Isis-Selket ein.1026 Die seit dem NR in Edfu belegte

1020 1021

1022 1023 1024 1025 1026

ders das folgende Kap. (4.6) zu Dendara. Als Göttin, die den Nil ausschüttet, wird (Sothis/Satet-)Isis zudem wie im Gebiet des 1. Kataraktes mit Anuket in Verbindung gebracht: Edfu I, 317–318. Siehe P. VERNUS, s. v. „Tell Edfu“, in: LÄ VI, Sp. 323–331: 326; W. K. SIMPSON, A Statuette of Amunhotpe III in the Museum of Fine Arts, Boston, in: BMFA 68, 1970, S. 260–269; MÜNSTER, Isis, S. 161–162. Siehe die Szenen Edfu I, 232; 239 („Gottesmutter des Falken der Goldenen“, 232, 13; 239, 13); 240 („die Mutter, die Horus in seinem Nest aufzieht/nährt“, 240, 12) und 233 (Werethekau, schützt Horus in Pe, 233, 12–13); 236–237 (Zaubermächtige, die Horus mit ihren Sprüchen gegen seine Feinde schützt, 237, 3–4) 243–244 („die ihren Sohn wohlbehalten sein läßt als Kind“, 244, 7) u. a. Auch wird sie „Gebieterin des Geburtshauses“ genannt (Edfu I, 207, 9, 2. Sokar-Kammer), wenngleich das Mammisi von Edfu selbst der Triade Horus, Hathor und Harsomtus gewidmet ist. Die Geburt des Harsomtus durch Hathor in Edfu wird tatsächlich auch explizit mit der Geburt des Horus durch Isis in Chemmis verglichen: die Soubassement-Inschrift der Außenwand des Mammisis beginnt auf der rechten (südlichen) Seite mit: „Dieser Ort, an dem das Kind geboren wurde durch seine Mutter, wie es Isis für ihren Sohn getan hat im Versteck.“, Edfu Mam., 55, 5–6; vgl. die Übersetzung des ganzen Textes bei DAUMAS, Mammisis, S. 295–297. Edfu I, 269, 16. In einer Weinopferszene in der Mesenit, in der Isis zweimal vertreten ist: Edfu I, 235, 1–2 u. 5. Übersetzung der ganzen Szene (Edfu I, 234–235) bei CAUVILLE, Théologie d’Osiris, S. 65–66. Siehe oben, Kap. 4.4. Siehe zu diesen Erscheinungsformen oben den Kommentar zur Götterliste Edfu I, 138, 10–12; vgl. auch Edfu I, 176, 9–14. Siehe oben die Texte Edfu I, 312, 13–313, 4; II, 22–25; V, 332, 14–333, 2; II, 82, 15–83, 6; V, 77, 8– 17; V, 226, 13–227, 9; VII, 119, 10–120, 8. Die Doppelfunktion gegenüber Osiris und Horus wird z. B. explizit in Edfu I, 519, 11–12, ausgedrückt: „Isis-Hededet in Edfu, die Zaubermächtige, die ihren Spruch kennt, die vortreffliche Schützerin ihres Bruders Osiris, die die Feinde ihres Sohnes Horus fällt.“; ähnlich auch Edfu I, 529, 16–17. Siehe ergänzend Edfu I, 317, 4–5, wo es heißt, daß Isis als Skorpion (Selket) und Schlange die Feinde mit ihrem Gift tötet, vgl. GOYON, Hededyt, S. 452.

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Edfu, Horustempel

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(Isis-)Hededet1027 ist gleichzeitig Tochter des Re und steht somit in enger Verbindung zum solaren Hauptgott des Tempels; ihr Charakter als leuchtendes Gestirn (= Sothis, Sonnenauge) wird insbesondere in den korrespondierenden Spiegelszenen Edfu V, 77, 8–17 und 173, 10–174, 4 hervorgehoben. In der Szene Edfu II, 82, 15–83, 6 wird auch diese Isisform mit Hathor identifiziert, wie auch in einigen anderen Szenen Hathor die Rolle der Hededet ausfüllen kann.1028 Daß es sich bei Hededet um die in Edfu zentrale und vielleicht ursprünglichste lokale Form der Göttin handelt, legt ihre Benennung als solche (in Variation zu dem lautlich verwandten Behedetit, was sicherlich kein Zufall ist) in der entsprechenden Sektion der kulttopographischen Litanei1029 nahe, die in Auszügen auch in den Edfu-Szenen Edfu V, 226, 13–227, 9, und Edfu III, 69, 17–70, 3, zitiert wird. Unter dem offiziellen Titel „Isis-Hededet, die Gottesmutter, die in Edfu residiert“ besitzt sie eine eigene Priesterschaft 1030 und ein Fest, das am 2. Mesore (IV. Smw) begangen wird. 1031 Entsprechend trägt auch die Chronokratorengöttin dieses Tages den Namen Hededet.1032 Neben diesen Sonderformen erfüllt Isis in Edfu aber auch ihre traditionelle Rolle als Gemahlin des Osiris und Mutter des Horus innerhalb der osirianischen Familie und wird im Zusammenhang mit beiden dargestellt.1033 In dieser Konstellation versorgt und beschützt sie beide Familienmitglieder und verhilft Horus zu seinem Königtum. Eben diese familiäre Rolle kann in Edfu auch Hathor innehaben.1034 Die genannten drei Formen Isis, Isis-Hededet und Schentait werden in einer Szene im 1. Sokar-Zimmer (G) zusammengebracht.1035 Isis heißt darin „die Große, die Gottesmutter, die im Thronsitz des Horus (Edfu) residiert, die erste Königsgemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme)“, Isis-Hededet ist „Isis-Hededet in Edfu, die über ihren Bruder Osiris wacht“ und Schentait wird „die Edle, die in Edfu residiert, die Gottesmutter, die Weberin (msn.t) 1036 “ genannt. Letzterer Beiname verbindet sie zudem mit dem unterägyptischen mythischen Horuskultort Mesen, dem in Edfu insbesondere die Axialkapelle Mesenit (I) gewidmet ist.1037 1027 Vgl. GOYON, Hededyt, S. 448; zuvor (ab dem MR) ist eine Isis-Skorpion bereits in Nubien und Oberägypten belegt, wo auch die Ursprünge dieser Isisform liegen könnten, vgl. dazu C. MAZZA, Evidenze del culto di Iside Scorpione in Nubia, in: L. Bongrani Fanfoni (Hrsg.), Atti della Prima Giornata di Studi Nubiani, Roma, 24 aprile 1998, Studi e ricerche 15, Rom 2001, S. 71–77. 1028 Z. B. Edfu I, 273, 18–19: „Hathor, die in der Kapelle des Beines residiert, Isis-Hededet in Edfu, die die Gottesglieder ihres Bruders Osiris behütet, die das Bein im txn-Schrein heiligt“; weitere Stellen: Edfu VII, 186, 17; VIII, 27, 13. 1029 @dd.t m BHd.t: Dend. I, 20, 14–21, 5, mit Parallelen; siehe unten, Kap. 4.6.2. 1030 Siehe GOYON, Hededyt, S. 448–449. 1031 Edfu V, 394, 14; vgl. ALLIOT, Culte d’Horus, S. 207 u. 214; GOYON, Hededyt, S. 449. 1032 Vgl. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 134, Anm. 261. 1033 Z. B. Edfu I, 310–311 (Kapelle Behedet (M)); II, 48; 53–54; 63–64; 68 (2. Hypostyl); 248; 264–265 (Nilkammer (A‘)); Edfu IV, 98–99 (Außenwand Naos). 1034 Siehe z. B. Edfu VII, 213, 15–16; 266, 1; 310, 14; VIII, 4, 8; 11, 15–16; 35, 4–5; 37, 7; 38, 9–10; 48, 12; 101, 13–14. Zu Hathor und Isis vgl. oben, Anm. 172. 1035 Edfu I, 184, 15–185, 16. Übersetzung der ganzen Szene bei CAUVILLE, Théologie d‘Osiris, S. 17–19. 1036 Zu diesem typischen Titel der Schentait von Edfu, siehe CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes, S. 23. Zu Isis (und Nephthys) als Webergöttin siehe BACKES, Hedjhotep, S. 79–81 (jedoch ohne Schentait-Belege); JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 82–83. 1037 Zur Mesenit und dem Kult des Horus von Mesen siehe z. B. CAUVILLE, Essai, S. 48; 51–52; 225– 229; R. B. FINNESTAD, Image of the World and Symbol of the Creator: on the Cosmological and Ico-

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Neben den lokalspezifischen Isisgestalten von Edfu besitzt auch die Isis von Koptos zusammen mit Min, der mit Horus identifiziert wird, als dessen Muttergemahlin einen Gastkult im Tempel.1038 Beide werden entsprechend besonders in der Min-Kapelle (O) in vielen Szenen gemeinsam dargestellt, vor allem auf der Westwand.1039

4.6

Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

4.6.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Isistempel und Isistor

4.6.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen Bandeau-Inschriften im Sanktuar Text/Hauptpublikation Dend. Isis, 78, 4–8 Anbringungsort Dendara, Isistempel, Sanktuar (A), Bandeau-Inschrift des Soubassement, rechte Hälfte (Ost) Bibliographie CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 24–25; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 16–18; 272–273; DAUMAS, Mammisis, S. 32–34; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, (61) (nur Anfang) Parallelen Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 337, 10–14; Dend. Isis, 327, 17–328, 2 Text: hrw pn nfr grH nxn m sS=f An diesem schönen Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest,1040 Hb aA n sxx n tA msj.tw As.t m Xnw Iwn.t dem großen Fest der Weite der Erde, wurde Isis geboren in Dendara in Ip.t wr.t m Pr-Sps.t durch Ipet, die Große, im ‚Haus der Edlen‘ (= Dendara),1041 m s.t km.t dSr.t Xnm(.t) anx bnr.t mrw.t als schwarze und rote Frau,1042 die mit Leben erfüllt ist,1043 von süßem Liebreiz.

1038 1039

1040 1041 1042

nological Values of the Temple of Edfu, Studies in Oriental Religions 10, Wiesbaden 1985, S. 96–99; GUTBUB, Dieux du nome Tanitique I–II; C. ZIVIE-COCHE, Tanis. travaux récents sur le tell Sân elHagar 3, Statues et autobiographies de dignitaires: Tanis à l’époque ptolémaïque, Mission française des fouilles de Tanis, Paris 2004, S. 312–318. Zu Isis in Koptos siehe unten, Kap. 4.10.3. Edfu I, 387–408; vgl. das Schema bei CAUVILLE, Essai, S. 39. Weitere Szenen z. B. im Zentralvestibül (N, Edfu I, 375–376), im 2. Hypostyl (Edfu II, 84–85; 96–97), im Laboratorium (Z, Edfu II, 213– 215) und auf einer der überhaupt stark kulttopographisch gegliederten Säulen des Pronaos (Edfu III, 268, 11–17), vgl. KURTH, Dekoration der Säulen, S. 55–57. Name des Geburtsfestes der Isis in der Nacht des (zumindest ursprünglich) 4. Epagomenentages, zur Diskussion siehe LEITZ, Nacht des Kindes; KURTH/WAITKUS, Nacht des Kindes; und unten, Kap. 4.6.3. Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 73. CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 24–25, liest s.t km.t Sny [dSr.t] inm.w „Frau mit schwarzen Haaren und rosiger Haut“, zur Diskussion dieser Beschreibung der Isis, siehe Kap. 4.6.3.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Dd.jn mw.t=s Nw.t m-xt mAA=s Da sprach ihre Mutter Nut, nachdem sie sie erblickte: is nwj r(=i?) mw.t=T ‚Siehe, ich bin wirklich deine Mutter! (?)‘.1044 xpr rn=s pw n As.t Das ist, wie ihr Name Isis entstanden ist.1045 Tnj-sj ^Ay tp msxn.tj Schai hat sie (schon) auf den Geburtsziegeln erhoben,1046 aSA ib=s m ix.t nb ihr Herz ist reich an allen Dingen,1047 rdj(.w) n=s rsw r wbn itn Der Süden ist ihr gegeben zum Erglänzen der Sonnenscheibe, mHw r rA-a kkw und der Norden bis hin zur Finsternis,1048 1043 Häufiges Epitheton von Isis und manchmal Hathor in Dendara, vgl. LGG VI, 20a–b. Vgl. zu Xnm außerdem: A. GULYÁS, Die Bedeutung des Verbs Xnm in Ritualinschriften, in: SAK 32, 2004, S. 159–169; P. WILSON, Ptol. Lex., S. 769. Interessanterweise wird parallel dazu bereits in PT 573, § 1482a–b „der Sohn der Sothis“ (= Horus-Sopdu) als iwd n anx „dem Leben zugeteilt ist“ bezeichnet, vgl. dazu BEAUX, Sirius étoile, S. 69. 1044 Vgl. die Parallele Dend. XII, 2, 2–12. Die Interpretation dieser Stelle ist sehr umstritten: In der hieroglyphischen Transkription bei DAUMAS, Mammisis, S. 32, fehlt gegenüber der Transkription in Dend. Isis, 78, 5, das Zeichen einer sitzenden Frau mit nw-Topf hinter is. Er faßt somit die Aussage imperativisch auf und erkennt in is das Verb isj „leicht sein“, Wb I, 128, 4–5: „Sei leicht für deine Mutter“, ibid., S. 33. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 280, möchte das Eigenschaftswort is „alt“ verstehen (Wb I, 128, 7–9) und übersetzt versuchsweise: „Du bist älter als deine Mutter!“ oder „Sei älter als deine Mutter!“, obwohl ihm selbst die Satzkonstruktion im ersten Fall nicht klar ist, und is laut Wb nicht als Verb belegt ist (vgl. ID., loc. cit., Anm. 7). Aufgrund dessen sowie aufgrund des völligen Fehlens von Determinativen sowohl an obiger Stelle als auch in der Parallele Dend. XII, 2, 2–12 möchte ich is weder als „alt“ noch als „leicht“ auffassen, sondern die Partikel is darin sehen (Wb I, 130, 12; vgl. KURTH, Einführung II, S. 778–781, § 159). Dies wird durch die Parallele Dend. XIV, 146, 3–14, bestätigt, da die Partikel dort in der Variante sk geschrieben ist, vgl. dazu KURTH, loc. cit. Diese Auffassung findet sich auch bei LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, (58), m. Anm. 88 (zur Parallele) und CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 24–25. Ersterer liest is nwj r(=i) mw.t=T „Ich bin wirklich deine Mutter!“, letztere: is n=i r mw.t=T „Siehe, daß ich deine Mutter bin!“ Das Problem liegt also im Verständnis von und dem nachfolgenden iw/r. Die Hieroglyphenkombination dürfte eine Schreibung für das unabhänge Pronomen der 1. Pers. Sing. fem. sein, wie LEITZ bemerkt, siehe dazu KURTH, Einführung II, S. 610–611, § 62, mit den Bemerkungen zur Entstehung dieser Form von QUACK, Rez. zu: Kurth, Einführung, S. 274. Da hinter is ein eigenständiger Satz zu erwarten ist, würde ich diese Lesung derjenigen von CAUVILLE deutlich vorziehen. 1045 Eine typische ägyptische nachträgliche Ätiologie, die keinen Hinweis auf eine tatsächliche Etymologie des Namens gibt. 1046 Vgl. zu dieser auch in den Parallelen belegten Phrase QUAEGEBEUR, Shaï, S. 88, der statt der oben gegebenen, auch von anderen Bearbeitern (z. B. DAUMAS, Mammisis, S. 32–33) bevorzugten Übersetzung vorschlägt, „Sie (Isis) erhebt Schai auf der Meschenet“ zu übersetzen, da dies besser zu der üblicherweise belegten Unterordnung Schais unter andere Gottheiten passen würde, zumal dieselbe Aussage auch von Chnum und Thoth gemacht wird. 1047 Diese Formulierung ist trotz der zahlreichen Texte zur Isisgeburt in Dendara nur hier belegt, vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 17.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nts pw nb(.t) itr.tj BAq.t (denn) sie ist die Herrin der ‚Beiden Heiligtümer‘ (= der Tempel) Ägyptens, Hna sA=s sn=s Wsjr zusammen mit ihrem Sohn und ihrem Bruder Osiris. Hsj=s nswt bjtj nb tA.wj [(HqA HqA.w stp n PtH) r nHH Möge sie(?) loben den König von Ober- und Unterägypten, den Herrn der Beiden Länder [(Herrscher der Herrscher, erwählt von Ptah), bis in Ewigkeit.1049 Kommentar: Die untere Bandeau-Inschrift im Sanktuar des Isis-Tempels berichtet auf der rechten Seite von Isis’ Geburt, welcher der Tempel und insbesondere das Sanktuar gewidmet ist. Als Pendant dazu ist in der linken Hälfte von der Entstehung der Hathor aus den Augen des Sonnen- und Schöpfergottes die Rede.1050 Beide Ereignisse werden auch an anderen Stellen in Dendara gegenübergestellt.1051 Eine halbplastische, leider stark zerstörte frontale Darstellung der gebärenden Nut und der darunterstehenden (erwachsenen) Isis bildet das Zentrum an der Rückwand des Sanktuars.1052 Zumindest für das Mittelbild der Nut mit den beiden kuhköpfigen Geburtshelferinnen ist jedoch auch ein intaktes Kalksteinmodell aus Dendara erhalten.1053 Laut der Bandeau-Inschrift erhält Isis unmittelbar nach ihrer Geburt die Herrschaft über ganz Ägypten, das sie zusammen mit Osiris und Horus regiert. Ähnliche Formeln gibt es auch für Osiris, z. B.: Dend. Isis, 89, 14–15: „Er ist es, der in den Beiden Heiligtümern Ägyptens ist, zusammen mit seinem Sohn Horus und seiner Schwester Isis.“1054

1048 DAUMAS, Mammisis, S. 34, übersetzt aktivisch: „Sie hat den Süden gegeben…“, was theoretisch auch möglich wäre. Aufgrund ähnlicher Passagen, die der Göttin (oder auch dem König) die verschiedenen Himmelsrichtungen zuschreiben (vgl. z. B. WILSON, Ptol. Lex., S. 1091), halte ich die obige Übersetzung jedoch für wahrscheinlicher. Vgl. auch den Text Dend. XIII, 26, 7–28, 3. 1049 Ähnliche (kürzere) Texte zur Geburt der Isis finden sich auch immer wieder im Haupttempel, so z. Bsp. Dend. I, 87, 5–6; vgl. dazu LEITZ, Nacht des Kindes; und CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 345–377, jeweils mit ausführlicher Belegsammlung. 1050 Dend. Isis, 78, 10–13. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 18; CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 24–25. 1051 Z. B. am Isis-Tor, Dend. Porte d’Isis, Nr. 1 u. 2, siehe unten. 1052 Dend. Isis, Taf. 11; vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 27–28; DAUMAS, Temple d’Hathor, S. 89– 90. 1053 Kairo JE 40267. Siehe CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 27–28 und 278; J.-F. NUNN, Medicine, Taf. 193. 1054 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 47; ähnlich auch Dend. XII, 140, 14; Dend. XIV, 128, 13.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

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Dend. Isis, 78, 16–79, 5 Dendara, Isistempel, Sanktuar (A), Bandeau-Inschrift des Frieses, rechte Hälfte (Ost) CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 26–29; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse); F. DAUMAS, Les dieux de l’Égpyte, Paris 1965, S. 99; ID., Temple d’Hathor, S. 90; BERGMAN, s. v. „Isis“, Sp. 198 Philä I, 6; I, 72 (nur einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (nur kleiner Teil, inhaltliche aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. I, 20–21; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21055

Text: (nswj.t bj.tj.t) HqA.t sA.t Gbb (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Herrscherin, die Tochter des Geb, itj.t irj.n Nw.t die Fürstin, die Nut gemacht (= geboren) hat, As.t wr.t mw.t-nTr dj(.t) r tA m IA.t-dj Isis, die Große, die Gottesmutter, die in Iatdi1056 zur Welt gebracht wurde. nb(.t) BAs.t Iwn(j).t pw Die Herrin von Bubastis: das ist Iunit; bA n As.t kA=tw m rn=s ‚Ba der Isis‘ (= Ba-(a)st(et)) nennt man sie mit ihrem Namen,1057 BA.t rn=s m rA n Hnmm.t m rk nTr.w r-mn mjn ‚Bat‘ ist ihr Name im Mund des Sonnenvolkes in der Zeit der Götter und bis heute,1058 %pd.t pw Hnw.t nb.t SmAy.w das ist Sothis, die Gebieterin und Herrin der Wanderdämonen,1059 nb(.t) tp-rnp.t rn=s n mAa.t ‚Herrin des Jahresanfangs‘ ist ihr wahrer Name,

1055 Liste nach CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19, der allerdings die Version auf dem Papyrus aus Tebtynis nicht bekannt war. 1056 Üblicher Name des Geburtsortes der Isis in Dendara, wörtl. „Hügel des Gebens“, womit aller Wahrscheinlichkeit nach abgekürzt IA.t-dj.t-r-tA „Hügel des Zur-Welt-Bringens (der Isis)“ gemeint ist, vgl. DAUMAS, Mammisis, S. 197, Anm. 4; KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 60–61; CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 270. 1057 Zur Etymologie des Namens der Bastet als „Ba der Isis“ vgl. auch den Abschnitt über den Bubastites in der großen geographischen Prozession in Edfu: bA n As.t im m BAs.t.t, Edfu I, 335, 4, siehe unten, Kap. 4.13.1.2. Siehe dazu und zu ihrem Kult in Bubastis BERGMAN, Isis-Seele, S. 26–34. 1058 Zur weiblichen Form Bat in Verbindung mit Göttinnen, besonders Hathor von Dendara, siehe BERGMAN, Isis-Seele, S. 36–41. 1059 Vgl. zu den „Wanderdämonen“ den Text Philä III, Nr. 143, m. Anm. 391.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Imn.t m1060 WAs.t MnH(j).t m @w.t-sr Amaunet in Theben, Menhit im Haus des Fürsten,1061 Rnp.t rn=s m Hw.t-kA-PtH ‚Jahr‘1062 ist ihr Name im Haus des Kas von Ptah (= Memphis), %pd.t m Abw(?)1063 Nxb.t m Nxb Sothis in Elephantine, Nechbet in Elkab, *nn.t m Iwnw (Sma) Iwn(j).t m Iwn.t Tjenenet im (südlichen) On (= Armant), Iunit in Dendara, As.t m AbDw %SA.t m Wnw Isis in Abydos, Seschat in Hermopolis,1064 @q.t m @r-wr WAD(j).t m @r-dw1065 Heket in Her-wer,1066 Uto in Hardai, mrj(.t) sxn m Nnj-nswt die das Ereignis/Glück(?) liebt in Herakleopolis,1067

1060 Man beachte die vielsagende Schreibung der Präposition m mit dem mw.t-Geier , wodurch gleichzeitig die Präsenz der anderen thebanischen Hauptgöttin Mut angedeutet wird. 1061 Altes Heiligtum des Osiris- (und Re-)Kultes in Heliopolis, siehe dazu P. KAPLONY, s. v. „Fürstenhaus“, in: LÄ II, 1977, Sp. 351–356; FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagar, S. 103–119 u. 345–347; M. SMITH, pHarkness, S. 218. 1062 Eine bereits seit den Pyramidentexten (PT 477, § 965a–c) übliche Bezeichnung der Sothis als Personifikation des Jahres, siehe Wb II, 432, 6; LGG IV, 678b–c; BEAUX, Sirius étoile, S. 69. 1063 Eher geschrieben wie iAb.t „Osten“, vgl. aber die Parallelen, z. B. Dend. XI, 60, 5–6. 1064 Zu Hermopolis als oberägyptischem Hauptkult- und möglichem Herkunftsort der Seschat, siehe BUDDE, Seschat, S. 60–62. 1065 Die Neulesung des früher _wn-an.wj oder _wn-a.wj transliterierten Gauzeichens folgt den Vorschlägen von COLLOMBERT, Le toponyme, der die verschiedenen Schreibungen und Namensvarianten desselben Ortes (@w.t-rdw/@w.t-rDw = @r-dw/@r-dy), der ursprünglichen Hauptstadt des 17. Gaues, überzeugend aufgelöst hat. Seit dem Neuen Reich bildeten der 17. und 18. Gau offenbar reell eine einzige gemeinsame Verwaltungseinheit, mit Hardai als Hauptstadt, auch wenn die ‚zwei‘ Gaue teilweise noch in weit späteren religiösen bzw. kulttopographischen Texten separat aufgeführt werden. 1066 Eine bedeutende Stadt im 15. o.äg. Gau, nahe bei Hermopolis, mit dem heutigen Dorf el-Hûr am Bahr Jussuf, manchmal aber auch mit dem späteren Antinoe/Antinooupolis identifiziert, vgl. F. GOMÀA, s. v. „Her-wer“, in: LÄ II, Sp. 1157–1158. Auch CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 27, übersetzt mit „Antinoe“. 1067 Ein sehr ungewöhnlicher Beiname, der sonst nur noch in dem Paralleltext Dend. XIII, 26, 7–28, 3 (siehe dort) belegt ist, vgl. LGG III, 351a. Auch die Bedeutung im Kontext von Herakleopolis ist mir unklar; in LGG und von CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 27, wird „die die Umarmung liebt“ übersetzt. In Herakleopolis wurde v. a. Hathor verehrt, und möglicherweise ließe sich eine Verbindung zur Wiedervereinigung des Sonnenauges mit Re herstellen, vgl. z. B. das Fest Hb sxn nfr, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 906. Andererseits könnte sxn auch für den astronomischen Begriff „Konstellation“ bzw. „Einfluß eines Gestirns“ stehen, was die astronomischen Bezüge der Rückkehr der Fernen Göttin stärker hervorheben würde, vgl. zu dieser Bedeutung von sxn QUACK, Monumentaldemotisch, S. 116, Anm. k); H. J. THISSEN, Zum Namen Σαλμεσχινιακα, in: Leitz, Sternuhren, S. 51–55. Erst im Mai 2014 wurden in Beni Suef, nicht weit der Gauhauptstadt Herakleopolis, Reste eines unter Ptolemaios II. errichteten Tempels entdeckt, der vorläufigen Untersuchungen zufolge Isis als Hauptgöttin gewidmet war, was für eine bedeutende Rolle der Göttin in diesem Gau sprechen würde (http:// luxortimesmagazine.blogspot.nl/2014/05/egyptian-archaeologists-unearth-ptolemy.html).

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Rnp.t1068 m &A-S nb.t anx m &p-iH.w das ‚Jahr‘ (oder: die Junge?) im Seeland (Fayum), die Herrin des Lebens in Atfih. ©d.t m ©d.t sDm(.t) nb m ©dw Die Dauernde/die Rezitiererin(?)1069 in Mendes, die den Herrn hört (?) in Busiris,1070 StA.t m BAs.t Py.t m P _p.t m _p die Geheime/Geierin in Bubastis,1071 Pyt in Pe, Depet in Dep, N.t m %Aw WAD(y).t m Im.t Neith in Sais, Uto in Imet (Tell el-Faraoun), ¢ns.t m IAb.t.t nb.t m spA.t nb(.t) Chenset1072 im Osten/Ostgau, die Herrin1073 in jedem Gau. 1068 Nach dem Vergleich mit der Liste von Beinamen für Isis im demotischen pBerlin P. 6750 ist hier vielleicht auch Rpj.t „die Göttin Repit“ (oder: „die vornehme Dame“, Wb II, 415, 1–4?) zu lesen; siehe für die Edition der Papyri WIDMER, Résurrection d’Osiris; vgl. auch Kap. 6.1.2, zur Klärung des Namens mit weiteren griechischen und demotischen Dokumenten. Für die Bereitschaft zur Diskussion sei Frau WIDMER an dieser Stelle herzlich gedankt. In der Parallele Dend. XIII, 28, 1, ist allerdings eindeutig rnp.t geschrieben. 1069 CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 27, übersetzt, „die, die spricht“, vgl. aber die zahlreichen Belege für dieses Epitheton in LGG VII, 680–681. Besonders Isis und Hathor werden häufig so bezeichnet, und in den busiritischen Choiaktexten des Osirisbeckens von Koptos (siehe dazu Kap. 4.10.3) handelt es sich um einen Namen der Schentait, vgl. J. OSING, Zu den Osiris-Räumen im Tempel von Hibis, in: Hommages Daumas II, S. 511–516: 512–513; YOYOTTE, Cuve osirienne III, S. 189. Möglicherweise gehört dieses Epitheton ursprünglich zu (Schentait von) Busiris, das im obigen Text erst nachfolgend genannt ist. Vgl. auch, besonders zu dieser Benennung der Isis in Philae, KOCKELMANN/ WINTER, Philae III, S. 85, Anm. 4 (zu Philä III, Nr. 35), mit der guten Überlegung, daß die verschiedenen Schreibweisen möglicherweise absichtlich verschiedene Assoziationen erwecken sollten: So wird z. B. bei der erweiterten Form Dd.t nfr.t häufig der Pavian für nfr verwendet, was möglicherweise den Aspekt der Isis als „Rezitiererin“ betonen sollte (dies würde dann wiederum mit CAUVILLEs Übersetzung übereinstimmen). 1070 Siehe zur Göttin %Dm.t-nb, die auch mit Nephthys gleichgesetzt wird MEEKS, Mythes et légendes, S. 185–189; G. GODRON, Á propos de la déesse Sédjémet-Nébet, in: Rivista degli studi orientali 43, 1968, S. 319–326. Sowohl MEEKS und GODRON, als auch LGG VI, 740b–c, übersetzen den Namen mit „Die alles hört“. Da nb „alle, jeder“ jedoch nie substantiviert wird, muß der Name „die den Herrn hört“ bedeuten. Diese Göttin ist eigentlich vor allem eng mit Heliopolis (häufig auch in Verbindung mit Iusaas oder Nebethetepet), und nicht mit Busiris verbunden. Vielleicht wird eine Verbindung zu Busiris jedoch durch die Priestertitel eines Tjanefer bestätigt, da dieser sowohl „geschorener Priester (Hm fk.tj) der %Dm.t-nb“ als auch „Priester der Isis, Herrin von Hebit“ ist (siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 187). %Dm.t-nb ist hier zwar keinem Toponym explizit zugeordnet und die Titulatur stammt von einem saitischen Sarkophag aus der Nekropole von Heliopolis, es sei aber dennoch auf die enge theologische Beziehung des Isistempels von Behbeit el-Hagar (im Sebennytes) zum Osiriskult von Busiris verwiesen, siehe oben, Kap. 4.4.2. Tatsächlich zählt eine Titulatur von einem anderen Sarkophag der gleichen Nekropole unter anderem die Ämter „geschorener Priester“, „Priester der Isis, der Gottesmutter“ und „Priester des Osiris, Herr von Busiris“ auf (siehe ibid.), womit eine explizite Beziehung zu Busiris hergestellt ist. 1071 Vgl. die Gaumonographie Edfu I, 335, 4–5, wo „der geheime Kasten der Geheimen“ (hn StA n StA.t) unter der Rubrik Osirisglied(er) für den Bubastites aufgeführt wird, siehe LEITZ, Gaumonographien, S. 337 (vgl. auch S. 347). Zu Schetat siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 1037–1038; LGG VII, 140–141; speziell zu Schetat von Bubastis GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 96–100. Zur Beziehung von Isis und Bastet in Bubastis siehe BERGMAN, Isis-Seele, S. 9–69. 1072 Göttin, die die weibliche Perücke personifiziert und als Partnerin des Sopdu im 20. unterägyptischen Gau galt. Sie wird häufig mit Isis identifiziert und mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe (mit Maat-Fe-

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nts pw wn(.t) m njw.t nb(.t) spA.t nb(.t) Sie ist es, die in jeder Stadt und jedem Gau ist, Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr zusammen mit ihrem Sohn Horus und ihrem Bruder Osiris.1074 Hsj=s nsw.t bj.tj nb tA.wj [(HqA HqA.w stp n PtH) r nHH Möge sie den König von Ober- und Unterägypten, den Herrn der Beiden Länder [(Herrscher der Herrscher, erwählt von Ptah) (= Augustus) loben, bis in Ewigkeit. Kommentar: Diese lange Litanei in der Friesinschrift postuliert Isis’ Vorherrschaft in ganz Ägypten, indem sie sie systematisch mit verschiedenen Göttinnen in den ägyptischen Gauen identifiziert und somit als Hauptgöttin der jeweiligen Orte bezeichnet. Dies geschieht sowohl über Eigennamen als auch über wichtige Beinamen der jeweiligen Göttinnen. Insgesamt werden 22 Namen und Toponyme genannt, wobei der Hauptteil (ab: „Sothis in Elephantine“) geographisch von Süden nach Norden geordnet ist (zumindest in Oberägypten; in Unterägypten ist die Ordnung der ägyptischen Gaue allgemein uneinheitlich). Nur die wichtigsten Kultzentren des Landes, Theben, Heliopolis und Memphis sind an den Anfang der Reihe vorgezogen.1075 Die letztliche Aussage des Textes wird im abschließenden Satz zusammengefaßt: Isis ist es, die zusammen mit ihrer Familie in jedem Gau verehrt wird.1076 D. h. sämtliche Göttinnen werden als lokale Manifestationen der Isis gedeutet.1077 Die Einleitung deutet darauf hin, daß die Komposition zum Jahresbeginn rezitiert wurde,1078 der ja gerade in Dendara besonders eng mit der Geburt der Isis(-Sothis) verbunden ist.1079 Die Identifikation mit Sothis und – hier über ein gängiges Wortspiel – Bastet1080

1073

1074 1075 1076 1077 1078 1079

der) oder kuhköpfig dargestellt. Siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 737. Vgl. zu dieser Göttin auch P. BARGUET, La déesse Khensout, in: BIFAO 49, 1950, S. 1–7; I. W. SCHUMACHER, Der Gott Sopdu, der Herr der Fremdländer, OBO 79, Freiburg (Schweiz) – Göttingen 1988, S. 243–245. CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 27, liest die sitzende Göttin-Hieroglyphe mit KuhgehörnSonnenscheibe und Papyrusszepter als „Hathor“. Die Hieroglyphe erscheint im vorangegangenen Text mehrere Male als Determinativ hinter den verschiedenen Göttinnennamen, insbesondere dann, wenn es sich eher um Beinamen als um eigentliche Eigennamen handelt. An der einen Stelle zuvor, wo die Hieroglyphe einen Lautwert darstellt, nämlich 78, 18, ist sie eindeutig als nb.t zu lesen (nb.t SmAy.w). Hier nun Hathor lesen zu wollen, erscheint mir nicht sinnvoll, erstens, da der Satz natürlich die vorangehende Litanei zusammenfassen möchte und nb.t m spA.t nb(.t) eine sehr geläufige Wendung ist, und zweitens, da es sich hier um die rechte Bandeau-Inschrift des Allerheiligsten des IsisTempels handelt, Isis zu Beginn der Inschrift genannt ist und hier gegenüber Hathor deutlich Vorrang hat (um diese dreht sich die linke Bandeau-Inschrift). In dem nb.t sind implizit natürlich Isis wie Hathor gemeint, aber ebenso all die anderen genannten Manifestationen der Göttin. Vgl. auch die Parallele Dend. XII, 2, 2–12, wo an dieser Stelle eindeutig „Isis“ geschrieben ist, sowie Dend. XII, 28, 13–32, 7 (Dend. XII, 30, 7–14), wo eindeutig „Hathor“ steht. Zu den zahlreichen Parallelen dieser Schlußphrase siehe CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 17–18. Zu diesem Vorzug der Hauptkultorte vgl. KUCHAREK, Klagelieder, S. 146–147. Entsprechende Phrasen gibt es auch für Osiris, z. B. Dend. Isis, 89, 14–15; vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 47. Ausführlich habe ich Texte dieser Art im Zusammenhang in NAGEL, One for All, behandelt. Vgl. auch DAUMAS, Temple d’Hathor, S. 90; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19–24. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19, Anm. 25. Siehe dazu den vorigen Text und Kap. 4.6.3.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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findet sich auch in der Einleitung von Assuan-Hymne 6, die sich sicher (wie weitere Hymnen in Assuan) dem gleichen Anlaß zuordnen läßt. Die Hervorhebung von Bubastis und Bastet im obigen Text könnte zudem mit der engen theologischen Verbindung zwischen Dendara und Bubastis zusammenhängen.1081 Zahlreiche, wenn auch etwas kürzer gehaltene Parallelen der Litanei finden sich über ganz Dendara verteilt, in geringerem Ausmaß auch an anderen Orten. 1082 CAUVILLE bezeichnet den Text als „Aretalogie“,1083 was m. E. nicht korrekt ist, schon allein, da hier nicht wirklich göttliche Taten und Tugenden (griech. ἀρετή) aufgezählt werden, 1084 sondern lediglich Namen bzw. Erscheinungsformen und Orte, ähnlich wie z. B. in den traditionellen wdnw-Litaneien. 1085 Ich möchte den Text daher als kulttopographische Litanei bezeichnen.1086 Diese Textgattung wird auch in weiteren Kapiteln – z. B. zu den demotischen und griechischen Texten aus Ägypten (Kap. 6) – eine wichtige Rolle spielen. Hymnen an Hathor-Isis in den Türlaibungen der Kapellen Text/Hauptpublikation Dend. Isis, 138; Taf. 134 Anbringungsort Dendara, Isistempel, Kapelle B (pr-nw), Eingang, rechte (östliche) Türlaibung Bibliographie CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 96–97; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 112–115 (Synopse) Parallelen Dend. II, 11–12; Dend. IV, 82; Dend. VII, 173–175 Text: Kol. 1:

(Dd mdw) i nfr.wj @w.t-@r nb(.t) [Iwn.t Htp.tw] (Rezitation:) Oh, wie schön ist Hathor, die Herrin von Dendara, indem sie zufrieden ist!1087 i [nfr].wj As.t wr.t mw.t-nTr Htp.tw Oh, wie schön ist Isis, die Große, die Gottesmutter, indem sie zufrieden ist! i [nfr].wj %xm.t Htp.tw Oh, wie schön ist Sachmet, indem sie zufrieden ist! i nn xm=s nb r [( ) Oh, möge nicht irgendetwas von ihrem Staub gegen [(den König) kommen!

1080 Vgl. auch eine ptolemäische Priesterstatue, die den Titel eines „Priesters der Bastet-Isis, Herrin von Baqet“ enthält, siehe D. KLOTZ/M. LEBLANC, An Egyptian Priest in the Ptolemaic Court: Yale Peabody Museum 264191, in: Zivie-Coche/Guermeur (Hrsg.), Hommages Yoyotte II, S. 645–698: 654– 655 u. 659, (f); LEITZ, Gaumonographien, S. 338. 1081 Siehe dazu KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 95–96. 1082 Siehe die Synopse in Transliteration bei CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 20–22. Vgl. Kap. 4.6.2. 1083 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19. 1084 Zur Definition der Aretalogie im Ägyptischen, siehe ASSMANN, „Aretalogien“; mit Verbesserungen von STADLER, Weiser und Wesir, S. 229–231; vgl. übergreifend auch JÖRDENS, Aretalogies. 1085 Siehe dazu ASSMANN, „Litanei“; SAUNERON, Esna VIII, S. 3–14; QUACK, Geographie als Struktur, S. 131–132; ID., Neuer funerärer Text, bes. S. 77–78 u. 83–86. 1086 BUDDE, Die Eine, S. 290, bezeichnet sie etwas allgemeiner als „kulttopographische Listen“. 1087 Abweichend von der durchgängigen Übersetzung der Phrase bei CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 96–97: „Comme cela est beau, Hathor,…, est satisfaite!“ Sie übersetzt demnach i nfr.wj unpersönlich und nicht mit der jeweils genannten Göttin als Subjekt zum Adjektivalsatz.

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Kol. 2:

Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

i wr.t nSn=s dr[…]j Oh, Große, deren Wut […?] zurückstößt! i nfr.wj nbw.t m [xnt] pr-wr bAq.tw Xr nfr.w=s Oh, wie schön ist die Goldene an der Spitze des pr-wr, das erhellt ist durch ihre Schönheit! i psD(?)=s1088 tA.wj m mfk(A.t) Oh, möge sie erleuchten(?) die Beiden Länder mit Türkis/Freude! i wr.t wbn.tw m wp.t n Ra Oh, Große, die am Scheitel des Re aufgeht! i nfr.wj @w.t-@r nb(.t) Iwn.t Oh, wie schön ist Hathor, die Herrin von Dendara, indem sie zufrieden ist, Htp.tw Xnm=s wArx.t wenn sie sich mit der Säulenhalle vereint (= wenn sie die Säulenhalle mit ihrem Duft erfüllt)!1089 i Ra Ssp.n=f-sw m a.wj=f Oh, Re; er empfängt sie in seinen Armen! i Itm rr=f-sw Hr mn(.tj)=f Oh, Atum; er zieht sie auf auf seinem Schoß! [i nTr.w] n=T Hkn[…] m r(?)[…] Oh, die Götter (kommen?) zu dir, Jubel in […]! i [nTr.wt] n=T Xr [mnj.t]=sn Oh, die Göttinnen (kommen?) zu dir mit ihren Menit-Halsketten! i nfr.wj nbw.t ij.tw m Htp Oh, wie schön ist die Goldene, indem sie willkommen ist in Frieden! i dj=s TAw nb r fnD nb anx r mrj.n=s Oh, sie gibt jeglichen Atem an jede Nase, und Leben an den, den sie liebt! i Nxb.t xnj=s r pr-wr Oh, Nechbet; sie läßt sich nieder im pr-wr!

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Dend. Isis, 139; Taf. 134 Dendara, Isistempel, Kapelle B (pr-nw), Eingang, linke (westliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 96–99; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 112–115 (Synopse) Dend. Isis, 189; Dend. II, 11–12; Dend. IV, 82; Dend. VII, 173–175

1088 CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 96–97, liest stw.t, übersetzt dies jedoch als Verb. 1089 Vgl. zur übertragenen Bedeutung von Xnm: WILSON, Ptol. Lex., S. 769.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

(Dd mdw) i nfr.wj […].t […] Htp.tw (Rezitation:) Oh, wie schön ist […], indem sie zufrieden ist! i nfr.wj ir.t Ra(?) Htp.tw Oh, wie schön ist das Auge des Re, indem sie zufrieden ist! i [nfr.wj] WAD.t [x]nj=s r pr-nsr Oh, wie schön ist Uto, wenn sie sich niederläßt im pr-nsr! i sn.tj [snsn m] pr-nw Oh, die Beiden Schwestern, die sich vereinen im pr-nw! [i MAa.t] sjar.tw r [X]nw [kAr] Oh, Maat, indem sie erhoben ist im Inneren des Schreins! i Mr.t=k [n=k] Ra ra nb Oh, deine Meret ist für dich, Re, jeden Tag! mrj Ra mAa.t nn wn hrw [Ab(?)]=f im=s Re liebt die Maat, es gibt keinen Tag, an dem er von ihr [getrennt ist(?)].1090 i Nbw.t Htp.tw m aH[.t] Oh, Goldene, indem sie zufrieden ist/ruht im Palast! [i As.t(?)] nTr.t Htp.tw m aH.t Oh, Isis(?),1091 die Göttin, indem sie zufrieden ist/ruht im Palast! i nTr.t mnx.t sp sn Oh, vortreffliche, vortreffliche Göttin! i hy As.t nTr.t Htp.tw Oh, he, Isis, die Göttin ist zufrieden! i Sfj.t=T(?) pXr m idb.w Oh, dein Ansehen ist verbreitet an ‚den Ufern‘ (Ägypten)! i nrw(=T) m tA.w nb Oh, dein Schrecken ist in allen Ländern! i hh=T m xftj.w=T Oh, deine Flamme ist unter deinen Feinden! i dn[dn]=T [… sbj.w?]1092 Oh, deine Wut ist [unter den Rebellen?]! […] ib(?)[=T?] m […] ? [… …] ? [… … … … … … … … …] […] ??? […] i nfr.wj As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Oh, wie schön ist Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, Hrj-ib Iwn.t Htp.tw sp sn die in Dendara residiert, indem sie zufrieden ist, zufrieden ist!

1090 Vgl. Wb I, 6, 8. 1091 Ergänzung nach CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 98–99; es ist jedoch fraglich, ob der Platz dafür tatsächlich ausreicht. 1092 Vgl. das erhaltene Determinativ des geköpften und gebundenen Feindes.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Dend. Isis, 189; Taf. 172 Dendara, Isistempel, Kapelle C (pr-nsr), Eingang, rechte (östliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 160–163; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 112–115 (Synopse) Dend. II, 11–12; Dend. IV, 82; Dend. VII, 173–175

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

(Dd mdw) i As.t nTr.t ij.tw m Htp (Rezitation:) Oh, Isis, die Göttin, sei willkommen in Frieden! i @w.t-@r nb(.t) Iwn.t ij.tw m Htp Oh, Hathor, Herrin von Dendara, sei willkommen in Frieden! i pXr(.t) Hr(.t) m anD Oh, die den Himmel im Sonnenlicht durchquert! i sS(.t) wA.wt (n) mrj.n=s Oh, die die Wege öffnet (für) den, den sie liebt! i xnj nfr.t [… … … … …]T imj.w pr.w Oh, die Schöne läßt sich nieder […] die, die in den Häusern/Tempeln sind! i tj.t nfr.t sp sn Oh, schönes Abbild, schönes Abbild, @w.t-@r wr.t nb(.t) Iwn.t Hathor, die Große, die Herrin von Dendara! i xftj.w=T xr [X]r=T Oh, deine Feinde fallen unter dir, iw/r ib=T Htp Hr snf=sn bis dein Herz zufriedengestellt ist durch ihr Blut! nfr.wj Hnw.t nfr(.t) Hr.w Wie schön ist die Gebieterin, schön an Gesichtern, nb(.t) ISr(w) Hnw.t irj(.t)[-sj] die Herrin von Ischeru, die Gebieterin, die sich erschaffen hat! [… …] nb(.t) Hm.wt wsr.t Hnw.t wa.t […] die Herrin der Frauen, die Mächtige, die einzigartige Gebieterin! i Dsr.t xnt aH.t WAs.t Oh, Heilige an der Spitze des Palastes von Theben! i [… …]S(?) mnx.t(?) m aH.t [… … … …] Oh, […] Vortreffliche im Palast […]! [i] @w.t-@r nb(.t) Iwn.t [… … … … …] Hnw.t hrw spr=s r aH.t [Oh,] Hathor, Herrin von Dendara […], Gebieterin, der Tag, an dem sie den Palast erreicht.

Kommentar: Die drei Texte der Türlaibungen der Seitenkapellen bilden zusammen eine Einheit von Hymnen mit anaphorischen Versen, die die Göttin in ihren verschiedenen Formen (Hathor, Isis, Sachmet, Nechbet, Uto, Maat) preisen. Sie beruhen auf Hymnen für Hathor im Haupt-

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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tempel, die für Isis adaptiert wurden.1093 Jeder Vers beginnt mit dem Anruf i „Oh…“, wodurch die Hymnen durchgehend strukturiert werden; Parallelen finden sich z. B. in der Litanei für Sokar innerhalb des Rituals, „um Sokar aus der Schetit zu holen“.1094 Das wiederkehrende Verb xnj „sich niederlassen“ deutet darauf hin, daß die Göttin während einer Prozession an verschiedenen Stationen haltmacht. Im Hathor-Tempel sind die Texte entlang des Prozessionsweges der Hathor beim pr-nw, im Wabet, und an der Osttreppe, über die die Prozession vom Dach zurückkehrt, angebracht.1095 In den weitaus kleineren Dimensionen des Isistempels sind die Inschriften auf die Nebenkapellen verteilt, wobei der Hymnus selbst sowohl pr-nw und pr-nsr als auch pr-wr (das Sanktuar) erwähnt. Inhaltlich scheint es in erster Linie um die Gefährliche Göttin mit ihren Manifestationen (Sachmet, Uto, Nechbet) zu gehen, die Feinde wirksam bekämpft, im Tempel jedoch zufriedengestellt wird (Htp) und dem König keinen Schaden zufügen soll. Bandeau-Inschriften an der Tempelaußenwand Text/Hauptpublikation Dend. Isis, 300, 1–5 Anbringungsort Dendara, Isistempel, Außenwand (E), Ostseite, Soubassement-Inschrift, linke (nördliche) Seite Bibliographie CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 300–301; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 225 Text: iA.t n Iwnj.t Der Hügel ist für Iunit („Die von Dendara“). papa.tw=s m h(A)w=s m s.t km.t [dSr(.t)] Sie wurde auf ihm geboren als schwarze und rote Frau, Xnm(.t) anx mrj(.t) ins die mit Leben erfüllt ist, die den blutroten Stoff liebt, Hnw.t n nTr.wt Sps.wt die Gebieterin der Göttinnen und der Edlen, s.t msxn(.t) n Hm=s m aAy die ‚Geburtsstätte‘ ist für Ihre Majestät in Jubel, Dsr.tw Xr smn=s tp tA geheiligt unter ihrem Abbild auf Erden, Hw.t-nmj.t n.t/ntj(?)[… … … …] Xr kA n sA.t Gbb das ‚Haus der Liege‘ der/für(?) […] unter dem Ka der Tochter des Geb, NTrj.t nTr[j.t] Xr HqA.t HqA(.t) Hp.tj ‚Die Göttliche‘ (Dendara) ist göttlich unter der Herrscherin, die die Welt beherrscht, As.t wr.t mw.t-nTr Hsj=s [nswt bjtj]… Isis, die Große, die Gottesmutter. Möge sie den König begünstigen… 1093 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 112. Die entsprechenden Texte im Haupttempel sind Dend. II, 11–12; Dend. IV, 82; Dend. VII, 173–175. 1094 Siehe zuletzt QUACK, Sokarritual, mit Angabe weiterer Literatur. Vgl. zum Sokarritual auch unten, Kap. 5.1.4. 1095 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 112. Vgl. auch EAD., Fêtes d’Hathor, S. 41–42.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die Soubassement-Inschrift gibt die Funktion und Bedeutung des Isistempels, bzw. seines Standorts (iA.t, der Hügel; sonst IA.t-dj genannt) an: Es ist der Ort, an dem Isis geboren wurde, die in ihren Eigenschaften beschrieben wird. Der rote Stoff, den sie dem Text zufolge liebt, steht in enger Verbindung mit Blut, was hier möglicherweise im Kontext des Geburtsblutes zu sehen ist.1096 Andererseits werden häufig Formen der Gefährlichen Göttin als „Herrin des ins-Stoffes“ bezeichnet, wohl ihren Blutdurst andeutend.1097 Die andere Hälfte der Inschrift ist Hathor-Tefnut gewidmet.1098 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. Isis, 300, 8–11 Dendara, Isistempel, Außenwand (E), Ostseite, Fries-Inschrift, rechte (südliche) Seite CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 300–301; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 226

Text: nswj.t bjtj.t As.t wr.t mw.t-nTr Die Königin von Ober- und Unterägypten, Isis, die Große, die Gottesmutter, nb.t IA.t-dj Hrj(.t)-ib Iwn.t die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, sA.t Gbb irj(.t) n Nw.t m &A-rr die Tochter des Geb, geboren von Nut in Dendara, Hm.t-nsw.t tpj.t nj.t [(Wn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nTr n bjk n nbw die Gottesmutter des Falken des Goldes, HqA.t HqA(.t) tA.wj die Herrscherin, die die Beiden Länder beherrscht, Dr prj=s m X.t seitdem sie aus dem Leib herausgekommen ist, iTj.n=s &A-mrj tp nwd.t=s sie hat das Geliebte Land (Ägypten) (noch) in ihrer Windel in Besitz genommen, wbn n=s Ra m Sw Dr ms.tw=s m BHd.tj sAb-Sw.t Re erscheint für sie im Lichtglanz, als sie geboren wird/nachdem sie geboren wurde, als Behedeti, der Buntgefiederte, ij n=s nTr.w m iAw sp sn die Götter kommen zu ihr in Lobpreis, in Lobpreis, Sps.wt m hnw sp sn die Edlen (= Göttinnen) sind in Jubel, in Jubel.

1096 Vgl. PT Spruch 570, § 1464a: „Ich bin das Rote (ins), das hervorkam aus Isis, ich bin das Blutrote (dSr.w), das aus Nephthys hervorkam.“ 1097 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 279–280; GERMER, Textilfärberei, S. 126–128; LGG IV, 19a–b. 1098 Dend. Isis 299, 15–18. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 225.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Hsj=s nswt bjtj… Möge sie loben den König… Kommentar: Auch die Friesinschrift erwähnt das Hauptereignis der Isisgeburt, stellt dieses jedoch vor allem in den Zusammenhang ihrer Familienverhältnisse und der damit verbundenen Erbschaft des Königsamtes, welches sie gleich nach der Geburt ergreift.1099 Das konkrete Motiv der Herrschaft „bereits in den Windeln“ ist ein zentraler Topos ägyptischer Königseulogien. 1100 Außerdem wird ihre Geburt mit dem Sonnenaufgang verbunden, da dieser bei Jahresbeginn unmittelbar nach dem Erscheinen der Sothis, mit der Isis identifiziert wird, stattfand.1101 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Dend. Isis, 327, 5–9 Dendara, Isistempel, Außenwand (E), Südseite, Soubassement-Inschrift, rechte (östliche) Seite CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 336–337; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 243–244; 272–273; 285–288 (Synopse); BERGMAN, Ich bin Isis, S. 156, Anm. 5; S. 159–160 (zu Parallelen) a) Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 337, 10–14; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 300, 1–5 u. a. b) Kalabchah I, 15–16; Philae-Hymne 3; Assuan-Hymne 3; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–141102

Text: anx Iw-dj (=IA.t-dj) Iwn.t-tA-nTr.t xr=tw r=f Es lebe Iat-di, ‚Dendara/Iunet der Göttin‘1103 nennt man es. msj.tw As.t im m s.t km(.t) {dSr.t?} Xnm(.t) anx Isis ist dort geboren als schwarze {und rote} Frau, die mit Leben erfüllt ist, mrj(.t) ins die den blutroten Stoff liebt, nb(.t) mrw.t Hnw.t nTr.wt Hm.wt die Herrin der Liebe/Beliebtheit, die Gebieterin der Göttinnen und Frauen.1104 nxb n=s ©Hwtj nxb.t m Dd Thoth hat für sie die Titulatur festgesetzt, mit den Worten:1105 1099 Siehe auch oben, zur Hymne im Sanktuar Dend. Isis 78, 4–8. 1100 Siehe dazu J. KÜGLER, Die Windeln des Pharao. Ein Topos ägyptischer Königstheologie in hellenistisch-jüdischer und christlicher Rezeption, in: GM 172, 1999, S. 51–62; BUDDE, Harpare-pachered, S. 74–78; WILSON, Ptol. Lex., S. 500–501. 1101 Vgl. dazu LEITZ, Nacht des Kindes, S. 137–138; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 226. 1102 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 285. 1103 Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 54–57. Mit dem genitivischen Zusatz tAnTr.t ist natürlich die Göttin von Dendara, Hathor-Isis, gemeint, die somit als „die Göttin“ schlechthin gedacht ist. 1104 Vgl. zu diesem Abschnitt die Paralleltexte a).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

r.t-pa.t sA.t Gbb HA.tj.t-a sA.t MrHy Prinzessin, Tochter des Geb, Fürstin, Tochter des Mereh-Stiers,1106 m TAtj.t sA.t ©Hwtj mAA.t @r als weiblicher Wesir die Tochter des Thoth, die Horus sieht, mrj(.t) BA wDA(.t) $nmw(?) geliebt vom Bock (Ba), die Pflegerin(?) des Chnum(?),1107 wr(.t) Hsw.t wr(.t) Hts groß an Gunst, groß an Vollendung, Dr.t-nTr Hm.t-nTr Hm.t nswt die Gotteshand, die Gottesgemahlin, die Gemahlin des oberägyptischen Königs, Hm.t bjtj Hm.t wr.t die Gemahlin des unterägyptischen Königs, die Große Gemahlin,1108 nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter), nb(.t) IA.t-dj Hrj(.t)-ib Iwn.t die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, sA.t Nw.t m Hw.t-Nw.t die Tochter der Nut im Tempel der Nut. Hsj=s nswt bjtj… Möge sie den König begünstigen… Kommentar: Die Soubassement-Inschrift kombiniert zwei zentrale Texte der Isis-Theologie, die jeweils durch mehrere Parallelen vertreten sind (s. o.). Der erste Teil enthält die lokale Konzeption der Isisgeburt mit einer kurzen Beschreibung der neugeborenen Göttin mittels einer Reihe von typischen Elementen (schwarzrote Frau, blutroter Stoff etc.). 1109 Den zweiten Teil hingegen bildet die in diversen Tempeln belegte und demnach weitverbreitete KöniginnenTitulatur der Isis, welche sich aus teilweise sehr alten Titeln zusammensetzt, und die ihr nach Aussagen der Geburtstexte von Dendara von Thoth verliehen wird.1110

1105 Hiermit beginnt die Parallele zu b). 1106 Alter Titel von Königinnen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 443. 1107 Vgl. den Kommentar zu diesem Epitheton in der Parallele Assuan-Hymne 3, Kap. 4.2.1.A, Anm. 566. 1108 Prinzessinnen-, Königinnen- und Gottesgemahlinnen-Titel, vgl. auch die ähnliche Titelreihe in Philae-Hymne 3. 1109 Ausführlich zur Summe dieser Elemente, welche in den Isistexten in Dendara immer wieder in verschiedenen Kombinationen genannt werden: LEITZ, Nacht des Kindes; vgl. Kap. 4.6.3. 1110 Vgl. Assuan-Hymne 3 (mit Literaturangaben) und die anderen Parallelen. Siehe zur Verleihung dieser Titulatur an Isis PAYRAUDEAU, Titres des reines, S. 223–225.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

221

Dend. Isis, 327, 17–328, 2 Dendara, Isistempel, Außenwand (E), Südseite, Fries-Inschrift, rechte (östliche) Seite CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 338–339; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 243–244 Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3– 14; Dend. XV, 337, 10–14

Text: anx @r.t Hwnw.t sA.t HqA Es lebe der weibliche Horus, das junge Mädchen, die Tochter des Herrschers, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, papa(.t) m Iwn.t m grH nxn m sS=f geboren in Dendara in der Nacht des Kindes in seinem Nest, Hr gs imntj n Hw.t-sSS.t auf der Westseite des ‚Hauses des Sistrums‘ (= Hathortempel).1111 Dd.jn nb.t Iwn.t ir.t Ra m &A-rr Es sprach die Herrin von Dendara, das Auge des Re in Dendara, &fn.t […] mw.t(?)=s irj-s[j? … …] Tefnut […] ihre Mutter(?), als/die sie (sie) zur Welt brachte(?) […] xp(r) rn=s pw n As.t So entstand ihr Name ‚Isis‘.1112 wn=s ir.tj=s(j) wpS.n=s [Ax.t?] bd.n=s tA mj Ax.tj Sie öffnet ihre Augen, als sie [das Feld?] bestrahlt und die Erde erleuchtet wie der Horizontische, Tnj[-sj] WADD Hrj-tp ndb=s1113 der Agathodaimon hat sie auf ihrem Grund erhoben, nfr ib n sxm.w n mAA=s das Herz der (göttlichen) Mächte ist erfreut bei ihrem Anblick, it=s Ra Dwj=f1114 nTr iw/r Hm.t=s dj n=s [… …] ihr Vater Re, er ruft zu ihrer Majestät, […] gibt ihr […] Hsj=s nswt bjtj … Möge sie den König begünstigen… Kommentar: Die rechte Friesinschrift der Südaußenwand, welche die Soubassement-Inschrift ergänzt (s. o.), beginnt mit Titeln der Isis, die an Elemente aus der Königstitulatur erinnern, bzw.

1111 Vgl. zur Lagebeschreibung des Isistempels Dend. XII, 2, 2–12, und das Inventar in der „Archivkrypta“: Dend. VI, 155, 15–159, 2. 1112 Vgl. zu dieser Stelle die Parallelen (s. o.). 1113 Oder vielleicht: nwd=s? 1114 Zur Lesung als Dwj „rufen“ in Verbindung mit der Rektion mit r siehe QUACK, Fragmente, S. 108, Anm. e).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

speziell an Horusnamen einiger Ptolemäerköniginnen,1115 und schließt damit direkt an die Königinnentitel der unteren Bandeau-Inschrift an. Die Ätiologie des Namens „Isis“, den die Göttin nach der Geburt erhält, ist hier nicht ganz erhalten, scheint aber eine gewisse Variation zu den Parallelen (s. o.) dieser Stelle (die alle nicht ganz identisch miteinander sind) zu zeigen: Nicht Nut, sondern Hathor-Tefnut von Dendara wird hier anscheinend als Mutter der Isis bezeichnet, falls nicht ein n in der Lücke zu ergänzen ist, wodurch Hathor die Worte der Namensgebung zur Mutter Nut sprechen würde, was m. E. wenig Sinn macht und ebenfalls eine Abweichung von der sonst üblichen Wiedergabe wäre. Auch die Aussage, daß Schai (hier wADD genannt)1116 Isis nach ihrer Geburt erhebt, findet sich in den Parallelen im Anschluß an die Namensgebung wieder. Die Westseite beider Bandeau-Inschriften zeigt entsprechende Texte für Hathor, von denen jedoch jeweils nur etwas mehr als die Hälfte erhalten ist. Sie beschreiben einen Zustand der Festlichkeit und Freude (Soubassement-Inschrift), der auch den Schwerpunkt für die Epitheta der Hathor (Fries-Inschrift) bildet.1117 4.6.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. Szenen im Isistempel Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 88, 3–16; Taf. 93 Dendara, Isistempel, Sanktuar A, Ostwand, 1. Reg., Szene IV CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 38–39; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 43–46 Augustus betet Isis in Kuhgestalt an, die auf einem Podest steht (Titel: „Gott sehen für seine Mutter, die Mächtige“), dahinter steht Nut in Menschengestalt.1118

Text: – Beischrift der Isis-Kuh (88, 11–12): [… … … …] Sps n.j.t nb.tj rxj.t […] das/die edle [Abbild?] der Beiden Herrinnen (= Königin) der Rechit-Menschen, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, wbn.tw m Dry.t=s xnt s.t msxn.t{j} die erscheint in ihrer Kapelle an der Spitze der Geburtsstätte m bs=s m Ax.t an(.t) Hr in ihrem Abbild (= Erscheinungsform) als Kuh mit schönem Gesicht. – Göttliche Randzeile (88, 15–16): nswj.t bjtj.t Sps.t n id.wt mw.t-nTr Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Edle der Kühe, die Gottesmutter,

1115 1116 1117 1118

Berenike II.: sA.t HqA. Kleopatra I: Hwn.t sA.t HqA, siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 236–239. Siehe dazu z. B. QUAEGEBEUR, Shaï, S. 140–141. Siehe die Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 336–339. Siehe zu dieser Szene CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 43.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Hnw.t tA.wj nb.t nfr.t bnr(.t) mr(w).t die Gebieterin der Beiden Länder, die vollkommene Kuh, mit süßem Liebreiz, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Die Darstellung der Isis als Kuh ist hier sicherlich von Hathor beeinflußt, die in der korrespondierenden Szene ebenfalls in dieser Form gezeigt wird,1119 und von der es heißt, daß sie Isis („diese Göttin“) säugt.1120 Auch im Fries der Südwand, wo die heiligen Götterbilder dargestellt sind, wird Isis u. a. durch eine Kuh repräsentiert, mit der Beischrift:1121 sStA StA n As.t (nTr.t) „Das geheime Bild von Isis(, der Göttin).“1122 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 90, 1–92, 8; Taf. 95–96 Dendara, Isistempel, Sanktuar A, Ostwand, 2. Register, lange Szene über die ganze Wand CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 40–43; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 48–52 Augustus spielt Sistrum vor einer ganzen Reihe an thronenden Göttern: Hathor, Isis mit Horus auf dem Schoß, Horus, Harsomtus, Thoth und die Triade Isis, Osiris und Harsiesis. Vor dem König stehen Ihi und Harsomtus, ikonographisch gleich gestaltet, auf einem Semataui-Zeichen und halten jeweils ein Sistrum, davor zwei mnw-Vasen auf einem Ständer, davor ein weiterer Kindgott (wohl der jugendliche Sonnengott) auf einer Lotusblüte sitzend, umgeben von den Wappenpflanzen von Ober- und Unterägypten; davor und direkt vor den Göttern, steht ein weiterer, größerer Ihi, der Hathor Menit und Sistrum entgegenhält. Bei dem Spruch des Ihi handelt es sich um einen Auszug aus dem heliopolitanischen Ritual der mnw-Vase.1123

Text: – Beischrift der ersten Isis, mit Horus auf dem Schoß, stillend (90, 5–6): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, hrj-ib Iwn.t ATj.t n sA=s @r die in Dendara residiert, die Amme ihres Sohnes Horus, 1119 1120 1121 1122 1123

Dend. Isis, Taf. 112; vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 43–46. Dend. Isis, 114, 16. Dend. Isis, 108, 11; Taf. 108. Es könnte sich bei auch um ein bloßes Determinativ handeln. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 50 m. Anm. 87. Siehe dazu H. STERNBERG-EL HOTABI/F. KAMMERZELL, Ein Hymnus an die Göttin Hathor und das Ritual ‚Hathor das Trankopfer darbringen‘ nach den Tempeltexten der griechisch-römischen Zeit, Rites Égyptiens 7, Brüssel 1992; QUACK, Ostrakon Glasgow; CAUVILLE, Fêtes d’Hathor, S. 68–97.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

SAa.t SAa(.t) irj xnt nTr.wt die Uranfängliche, die als Erste gebar an der Spitze der Göttinnen, nfr(.t) Hr bnr(.t) bnr.w schön an Gesicht und süß an (süßer) Milch. – Beischrift der zweiten Isis, in der osirianischen Triade (91, 17): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, xnt &A-rr ir.t Ra nb(.t) p.t xnt IA.t-dj die an der Spitze von Dendara, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die an der Spitze von Iat-di ist, nb.t njw.wt Hnw.t spA.wt itj.t xnt itr.tj die Herrin der Städte, die Gebieterin der Gaue, die Fürstin an der Spitze der Beiden Heiligtümer (= Ägypten). Kommentar: Isis ist hier nicht als neugeborene Göttin gedacht (was ihr Hauptaspekt im Tempel ist), sondern als Mutter von Horus,1124 und in der osirianischen Triade außerdem als Gattin des Osiris (wenngleich dies in den Beischriften nicht erwähnt wird). Die drei Mitglieder der osirianischen Familie werden als Herrscher über das ganze Land präsentiert: Dem Schluß der Beischrift von Isis, die über Städte, Gaue und die Beiden Heiligtümer herrscht, entspricht bei Osiris und Harsiese je eine Passage, die sie als Herren über Tempel und Heiligtümer bezeichnet.1125 Dadurch wird einmal mehr betont, daß die osirianische Familie in ganz Ägypten eine herausragende Rolle spielt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt der Szene

Dend. Isis, 96, 10–97, 10; Taf. 100 Dendara, Isistempel, Sanktuar A, Südwand, 3. Register, lange Szene über die ganze Wand CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 48–49; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 72–76; QUACK, Standardhymnus Philae-Hymne 7; Dend. IV, 75, 14–76, 1 und diverse Versionen des Sistrumhymnus Augustus, kniend, der in der königlichen Randzeile mit Pepi I. identifiziert wird, präsentiert den Sistrum spielenden Kindgott Hor-Ihi vor Isis und Harsomtus, beide thronend; die Szene wird rechts abgeschlossen durch einen frontal dargestellten Hathorkopf auf einem Goldzeichen auf einem Podest.

1124 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 51. 1125 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 51. Vgl. auch die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5, und Parallelen.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Beischrift der Isis (97, 5–7): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, Hrj-ib Iwn.t nb(.t) pr-wr Hnw.t pr-nsr.t die in Dendara residiert, die Herrin des pr-wr, die Gebieterin des pr-nsr.t, HqA.t nb(.t) sSS.t iHj.tw n D.t=s die Herrscherin und Herrin des Sistrums, für deren Leib man musiziert, mw.t-nTr n KA-mw.t=f die Gottesmutter des Kamutef, Hm.t nsw.t wr.t n irj wnn.t die Große Königliche Gemahlin dessen, der das Existierende geschaffen hat, mH(.t) p.t tA m nfr.w(?)=s die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt. Kommentar: Die Szene adaptiert Auszüge aus dem Sistrumhymnus, ähnlich der Parallele Philae-Hymne 7.1126 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 121, 1–13; Taf. 117 Dendara, Isistempel, Sanktuar A, Westwand, 3. Reg., Szene II CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 76–77; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 64–66 Isis, die durch eine thronende Ebenholzstatue mit Thron auf dem Haupt und wAs-Szepter in der Hand vertreten ist, erhält von Ihi ein Udjat-Auge.

Text: – Beischrift der Isis (121, 10–11): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, Hrj-ib Iwn.t ir.t Ra psD(.t) m Ax.t die in Dendara residiert, das Auge des Re, die erglänzt im Horizont, wbg.n=s p.t nms.n=s tA sie erleuchtet den Himmel, sie erhellt die Erde, snj stw.t=s r stw.t itn hbn qA mH 1 ihre Strahlen gleichen den Strahlen der Sonnenscheibe. Ebenholz. Höhe: 1 Elle. – Göttliche Randzeile (121, 12–13): nTr.t tn Sps.t wsr.t an(.t) xa(.w) m IA.t-dj Diese Göttin, die Edle und Mächtige, mit schönem Erscheinen in Iat-di, HAy.t m Hr.t sHD snk.t die Leuchtende am Himmel, die die Dunkelheit erhellt, 1126 Vgl. QUACK, Standardhymnus, CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 73–75.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wpS.n=s tA Hr ndb=f sie erleuchtet die gesamte Erde. Kommentar: Die Isis-Statue dieser Szene ist auch in der Südkrypta des Haupttempels dargestellt (Dend. V, 133); insgesamt kommt der ikonographische Typus nur mit Thron auf dem Kopf recht selten in Dendara vor.1127 In den Beischriften wird die Göttin mit einer Kumulation von verschiedenen Worten für „leuchten“ u. ä. als Auge des Re identifiziert – eine Rolle, die in Dendara auch häufig Hathor zugeschrieben ist und zu deren engen Haupttiteln gehört. Mit dem von Isis verkörperten Himmelsgestirn dürfte auch hier Sothis gemeint sein („ihre Strahlen gleichen denen der Sonnenscheibe“). Nicht nur in dieser Szene, sondern jeweils in den letzten drei Szenen der oberen beiden Register, übernehmen Götter die Offiziantenrolle des Königs.1128 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 128, 12–129, 9; Taf. 122 Dendara, Isistempel, Sanktuar A, Südwand, 4. Reg., große Szene CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 84–87; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 89 Der König kniet nieder vor Isis und Osiris, beide thronend; vor dem König steht Harsiese und spielt Sistrum vor seiner Mutter.

Text: – Beischrift der Isis (129, 5–6): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, Hrj-ib Iwn.t dj r tA m Hw.t-Nw.t die in Dendara residiert, die zur Welt gebracht wurde im Tempel der Nut, wbn n=s itn n p.t m ixx für die die Sonnenscheibe aufgeht am Himmel in der Morgendämmerung m BHd.tj sAb Sw.t mj.t.t sk Dr bX.n=s sA=s als Behedeti, der Buntgefiederte, ebenso wie als sie ihren Sohn gebar, Dr smA=s tA n sn=s Wsjr und als sie ihren Bruder Osiris bestattete.1129

1127 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 65, Anm. 119. 1128 Siehe CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 65. 1129 Vgl. dazu eine Passage im Text Dend. XII, 3, 4–9: „Re-Behedeti-Somtus ging für sie auf in der Dämmerung, als sie geboren wurde, er handelte für sie ebenso, als sie ihren Sohn Horus gebar, und als sie ihren Bruder, den König von Ober- und Unterägypten, bestattete.“

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Kommentar: Die Szene empfindet die komplementäre Szene mit Hathor nach, in der zwei Kindgötter Sistrum spielen, und die sich mit verdoppelten Figuren auch im Haupttempel wiederfindet (Dend. III, 93–94). Dabei handelt es sich um eine alte Statuengruppe.1130 Die osirianische Familie ist in der Szene in den Vordergrund gestellt, umso mehr als in den Beischriften alle drei (Isis, Osiris, Harsiese) Kartuschen um ihre Namen tragen. Auch Isis’ Beschrift nimmt Bezug auf ihr Verhältnis zu Mann und Sohn. Von Osiris wird außerdem gesagt, daß er in Theben geboren wurde (129, 8), wo diesem Ereignis tatsächlich der Opet-Tempel gewidmet ist.1131 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Taf. 144 Dendara, Isistempel, Kapelle B (pr-nw), Ostwand, 2. Reg., Szene III CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 116–119; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 134–135 Der König libiert vor den thronenden Isis und Osiris.

Text: – Beischrift der Isis (152, 4–5): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, Hm.t-nswt tpj.t n nswt-bjtj die Erste Königliche Gemahlin des Königs von Ober- und Unterägypten, %pd.t m bjA nb(.t) tp-rnp.t Sothis am Himmel, die Herrin des Jahresanfangs, mw.t-nTr n bjk nbw.t die Gottesmutter des Falken der Goldenen. – Göttliche Randzeile (152, 9–10): wnn nb(.t) p.t psD m pr-^ps.t Es erglänzt die Herrin des Himmels im Haus der Edlen (Dendara), Hr stj Hapj r baH tA.wj indem sie den Nil ausgießt, um die Beiden Länder zu überschwemmen, sw m sn.t nTr n.t Wsjr sqdj(.t) m xt=f m nn.t (denn) sie ist die Gottesschwester des Osiris, die hinter ihm im Himmel daherzieht. Kommentar: Isis ist hier als Sothis, Urheberin der Überschwemmung, Osiris als Orion gedacht.1132

1130 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 87–88. 1131 Vgl. Kap. 4.7, und den Text der Monumentalszene Dend. XII, 28, 13–32, 7. 1132 Vgl. z. B. Philae-Photo 1298; die Hymne in der Szene Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. IX, 18, 11– 20, 6.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 190, 13–191, 5; Taf. 173 Dendara, Isistempel, Kapelle C (pr-nsr), Türrahmen, rechte Seite, 1. Reg. CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 162–165; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 116 Der König vollzieht das Ritual sHtp %xm.t vor Isis.

Text: – Beischrift der Isis (191, 2–3): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, %xm.t sxm(.t) m sbj.w aA.t snD Sachmet, die Mächtige unter den Feinden, groß an Furcht (die sie verursacht), stp rqy.w ijj n=s nTr.w m iAw die die Widersacher schlachtet, zu der die Götter in Verehrung kommen. – Göttliche Randzeile (191, 4–5): nswy.t bjtj.t HqA.t HqA(.t) Hp.tj Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Herrscherin, die die Welt beherrscht, Sps.t m Sn itn die Edle im Umkreis der Sonnenscheibe, nswy.t n rsj bjtj.t m mH.t Oberägyptische Königin im Süden, Unterägyptische Königin im Norden, HqA.t nb(.t) imnt.t iAb.t Herrscherin und Herrin des Westens und Ostens. Kommentar: Isis wird, aufgrund der Bedeutung des Rituals, in ihrer Erscheinungsform als Sachmet als furchterregend und kriegerisch beschrieben. In der göttlichen Randzeile wird jedoch, wie auch in vielen anderen Texten, besonders den Hymnen, ihre Herrschaft über die Welt und die vier Himmelsrichtungen thematisiert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 228, 12–229, 8; Taf. 203 Dendara, Isistempel, Opfersaal D, Nordwand, 1. Reg., Szene I CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 212–213; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 182–183 Der König reinigt den Opferaltar vor Isis und Osiris.

Text: – Beischrift der Isis (229, 2–3): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert,

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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psD(.t) m Hr.t m-xt sn=s die erglänzt im Himmel hinter ihrem Bruder,1133 inj(.t) nwn r tr=f n rnp.t SAa(.t) Htp.w n nTr.w die die Flut zu ihrer Zeit im Jahr bringt, die die Opfer für die Götter begonnen hat. – Göttliche Randzeile (229, 7–8): nswy.t bjtj.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, Hnw.t bA.w-nTr anx.w die Gebieterin der lebenden Bas der Götter (Sterne), irj(.t) sn.w n sAw.w-n=sn die die Opferbrote für die Wächtergötter macht, aSA(.t) xpr.w xnt itr.tj mit zahlreichen Erscheinungen in den Beiden Heiligtümern, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Die Andeutungen auf das Erglänzen am Himmel hinter „ihrem Bruder“ (= Osiris-Orion) und das Bringen der Flut zeigen, daß Isis-Sothis gemeint ist, die hier im Kontext der Opferaltar-Szene als Garantin der Fruchtbarkeit und der Nahrungsversorgung fungiert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 307, 17–308, 11; Taf. 253 Dendara, Isistempel, Östliche Außenwand (E), Südhälfte, 3. Reg., Szene III CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 310–311; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 237 Der König räuchert und libiert vor Isis und Osiris.

Text: – Beischrift der Isis (308, 7): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) [nb(.t)] IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), [die Herrin] von Iat-di, die in Dendara residiert, StA.t Sps.t nb.t qr.tj die edle Geierin, die Herrin der Beiden Quelllöcher. – Göttliche Randzeile (308, 10–11): nTr.t tn Sps.t wsr.t mw.t mw.wt Diese Göttin, die Edle und Mächtige, die Mutter der Mütter, Dsr(.t) m aH die geheiligt ist im Palast,

1133 Vgl. dazu Dend. Isis, 151, 13–152, 8; siehe oben.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

%pd.t wr.t stj(.t) Hapj m tpH.t=f r1134 [tr=f] Sothis, die Große, die den Nil ausgießt aus seiner Höhle zu [seiner Zeit], irj(.t) anx n anx.w die Leben für die Lebenden macht. Kommentar: Zum Inhalt vgl. die vorige Szene Dend. Isis, 228, 12–229, 8 und 151, 13–152, 8. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 308, 13–309, 10; Taf. 253 Dendara, Isistempel, Östliche Außenwand (E), Südhälfte, 4. Reg., Szene I CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 312–313; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 238 Der König bringt Stoff für Isis und Harsiese.

Text: – Beischrift der Isis (309, 4–5): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj [Hrj-ib] Iwn.t (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, die in Dendara [residiert], HqA.t sA.t HqA xnt iA.t-&f[n.t] Herrscherin, Tochter eines Herrschers, die an der Spitze der Stätte der Tef[nut] ist, &Aj.t DbA(.t) D.t n.t sn=s [Ws]jr Tait, die den Leib ihres Bruders [Os]iris einkleidet/einhüllt, mk(.t) kA=f m rA-a.wj=s die seinen Ka schützt durch ihr Werk. Kommentar: Im Zusammenhang des Überreichens von Stoff wird Isis mit der damit verbundenen Göttin Tait identifiziert.1135 Die Angleichung der beiden Göttinnen kommt gerade im Zusammenhang mit der Sorge, d. h. besonders für die Bekleidung, für den Verstorbenen häufig vor.1136 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Isis, 334, 11–335, 12; Taf. 269 Dendara, Isistempel, Südliche Außenwand (E), Osthälfte, 1. Reg., Szene IV CAUVILLE, Dend. Isis Traduction, S. 348–349; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 248 Der König, in Begleitung von Harsomtus, überreicht Maat an Hathor-Isis und Harsomtus.

1134 In der hieroglyphischen Umschrift in Dend. Isis, 308, 10, ist nach dem ein und dann die Lücke wiedergegeben. Auf dem Foto der Szene, Dend. Isis, Taf. 253, oben, scheint mir jedoch ein nach dem zu erkennen zu sein. Ob das vermeintliche bereits das tr-Zeichen ist? 1135 Zur Stoff-Göttin Tait und ihren Bezügen zu Isis, siehe BACKES, Hedjhotep, S. 69–74; H. M. EL-SAADY, Reflections on the Goddess Tayet, in: JEA 80, 1994, S. 213–217; MÜNSTER, Isis, S. 149–152. 1136 Siehe BACKES, Hedjhotep, S. 70; MÜNSTER, Isis, S. 149–152.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Beischrift der Hathor-Isis (335, 6–7): (Dd mdw jn) @w.t-@r nb(.t) Iwn.t ir.t Ra nb(.t) p.t (Rezitation durch) Hathor, die Herrin von Dendara, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, As.t mw.t-nTr xnt IA.t-dj Isis, die Gottesmutter, die an der Spitze von Iat-di ist, MAa.t wsr.t HqA.t […] n […] m itr.tj Maat, die Mächtige, die Herrscherin […] in den Beiden Heiligtümern. – Göttliche Randzeile: nswy.t bjtj.t tpj.t n tpj.w-a Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Erste der Ahnen, itj[.t] n Dr.tj.w tm(m).w die Fürstin der Urgötter und der Menschheit,1137 MAa.t wsr.t xnt Hw.t-MAa.t Maat, die Mächtige, die an der Spitze des Tempels der Maat ist, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Isis und Hathor sind hier zu einer Göttin vereint. Obwohl der Name der Hathor in der Beischrift zuerst genannt ist, folgen später Name und Haupttitel der Isis, und in der göttlichen Randzeile wird nur Isis namentlich genannt, nicht aber Hathor. Texte und Szenen am Isistor Text/Hauptpublikation Dend. Porte d’Isis, Nr. 1, S. 3, 5–7; S. 72–73 (Übersetzung); S. 241–242 (Kommentar) Anbringungsort Dendara, Isistor, Ostseite (= Außenseite), Soubassement-Inschrift, Nordhälfte Bibliographie ZIVIE-COCHE, Khentetiabtet, S. 793–794 u. 803 Text: nswt bjtj nxb Der König von Ober- und Unterägypten, die Lotusblüte, xpr m xnt sSn wr qmA ix.t nb(.t) die am Anfang entstanden ist, der große Lotus, der alle Dinge erschaffen hat, nTr aA pw wnj=f ir.tj=f m {m} wx dieser große Gott, er öffnet seine Augen in der Nacht, m-xt dj.tw ¢ntj.t-IAbt.t r tA nachdem ‚Die Vorsteherin des Ostens‘ zur Welt gebracht wurde, ©Hwtj Ds=f nxb=f n=s nxb.t m wbn n=s Ra m p.t Thoth selbst, er setzt die Titulatur für sie fest, wenn Re für sie am Himmel aufgeht 1137 Und nicht: „aller Urgötter“, wie CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 349, übersetzt; vgl. Wb V, 305.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

m ixx hrw grH nxn m sS=f in der Morgendämmerung des Tages der Nacht des Kindes in seinem Nest, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Es geht, wie der Schluß des Textes ganz klar zeigt, um die Geburt der Isis in Dendara, obwohl am Anfang zunächst vom Sonnengott als Harsomtus die Rede ist. Warum Isis hier nicht mit ihrem Eigennamen, sondern als ‚Vorsteherin des Ostens‘ bezeichnet wird,1138 ist nicht ganz ersichtlich, da dies in den übrigen Geburtsbeschreibungen und -anspielungen nicht vorkommt. 1139 Möglicherweise ist die Benennung der Ausrichtung des Tores nach Osten und der Anbringung des Textes auf der Ostseite geschuldet. Zusätzlich sollte vielleicht der Osten als Ort des Sonnen- und damit auch des heliakischen Sothisaufgangs betont werden.1140 Die ‚Vorsteherin des Ostens‘ ist eigentlich eine Göttin des tanitischen Gaues, die nach ZIVIE-COCHE erst ab der Ptolemäerzeit unter diesem Namen konzipiert wurde und wohl als Form der Isis, Mutter des Horus (von Mesen), anzusehen ist. Mehrfach kommt Chentetiabtet, besonders in Dendara, allerdings auch ohne jeglichen geographischen Bezug als Benennung der Isis vor.1141 Daß Thoth die Titulatur der Isis festlegt, wird auch in anderen Geburtspassagen in Dendara gesagt.1142 Die andere Hälfte der Bandeau-Inschrift (Nr. 2) beschreibt parallel dazu die Geburt der Hathor, die aus den Tränen des jungen Sonnengottes entsteht. Nach CAUVILLEs Analyse beider Inschriften und der darin verwendeten temporalen Konjunktionen, ist die Schöpfungsreihenfolge die folgende:1143 – Isis wird geboren – danach erscheint die Lotusblume mit dem jugendlichen Sonnengott, der die Augen öffnet – es wird Tag und Hathor entsteht aus seinen Tränen Die Geburt der Isis geht demzufolge also derjenigen der Hathor voran. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. Porte d’Isis, Nr. 15, S. 25, 4–11; S. 92–95 (Übersetzung); S. 263–265 (Kommentar) Dendara, Isistor, Durchgang, Soubassement, Bandeau-Inschrift, Südseite –

1138 Siehe zu dieser Göttin bzw. dem Beinamen LGG V, 893a–b; GUTBUB, Dieux du nome Tanitique I; ZIVIE-COCHE, Khentetiabtet. 1139 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 241. 1140 Vgl. auch die Bemerkungen von ZIVIE-COCHE, Khentetiabtet, S. 803, die an eine bewußte Umdeutung der ursprünglich rein geographischen Bedeutung des Namens Chentetiabtet zu einer solaren Konnotation denkt. 1141 Vgl. ZIVIE-COCHE, Khentetiabtet, S. 792–795. 1142 Z. B. Dend. Isis, 327, 5–9. 1143 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 243.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: mAh.t wr.t apr.tj m kA.t=s Das große Portal ist ausgestattet mit seiner Arbeit, Hr=s wbA iw/r iAb.t.t sein Gesicht (= Fassade) ist geöffnet nach Osten, psD apj m xnt=s tp wbn.t die Flügelsonne erglänzt in seinem Inneren am Anfang der ersten Tagesstunde, smA stw.t=f xnt s.t msxn.t seine Strahlen vereinigen sich an der Spitze der Geburtsstätte, mAA.n=f sA.t=f nachdem er seine Tochter gesehen hat,1144 HqA.t mw.t-nTr itj.t m tA Hr ndb=f die Herrscherin, die Gottesmutter, die Fürstin auf der gesamten Erde, nb.t pw anx(?).tw n mAA=s die Herrin ist es, bei (durch) deren Anblick man lebt, ir.t nb(.t) sn-tA n1145 stw.t nb.t anx jedermann küßt die Erde für die Strahlen der Herrin des Lebens. sqAj.n1146 D.t=T r snDm ib=T Ich erhöhe deinen Leib, um dein Herz zu erfreuen, swr.n=i bA.w=T iw/r nTr.w nb.w ich mache deine Gottesmacht größer als (die) jeden Gottes, njs.n=i sm=T (?)1147 m Ssr(.w) n %jA.t(?) ich rufe dein Abbild an mit den Formeln der Siat(?),1148 m Dd(.w)=s spd1149 Ax.w n Isdn mit ihren tüchtigen (wirksamen?) Aussprüchen1150 und den Verklärungen des Isden. mj.t m Htp r srx m Haa.w Komme in Frieden zu dem Thron, in Jubel, nDm ib=T Hr mAA mnw=T möge dein Herz froh sein beim Erblicken deines Denkmals!

1144 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 93, übersetzt die Phrase präsentisch und als neuen Hauptsatz. 1145 Die Präposition n steht im hieroglyphischen Text an falscher Position in der Mitte des folgenden Wortes, Dend. Porte d’Isis, S. 25, 6. 1146 Auch dieses n ist in die Mitte des Wortes sqAj gesetzt. 1147 Der Sinn der Hieroglyphe einer stehenden Frau mit erhobener Hand ist mir an dieser Stelle nicht klar; ein Determinativ für das Suffixpronomen 2. Pers. fem. sing.? Von CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 92–93, wird das Zeichen jedenfalls nicht gelesen. 1148 Zu Sia gibt es m. W. eigentlich kein weibliches Pendant, doch ist hier definitiv eine sitzende Frau mit Sia-Zeichen auf dem Kopf als Hieroglyphe abgebildet. Normalerweise wird die männliche Personifikation Sia in einem solchen Zusammenhang genannt, siehe CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 265 m. Anm. 62. Möglicherweise handelt es sich um eine bewußte Angleichung an die weibliche Hauptgottheit des Tempels. 1149 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 92, fügt hier ein unnötiges ab ein (wenn überhaupt, müßte es m-ab heißen). 1150 Die Übersetzung dieser Stelle ist unsicher; CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 93, übersetzt, „das, was sie sagt, ist bemerkenswert“ und ignoriert das m.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

iH(.w) Apd.w mAHD sfT.[t]w [… … … … …] pw […].t nb [… …] m pXr=s Rind, Vögel, geschlachtete Antilopen […] ? […] alle(?) […] um sie herum, Hna SA nb nDm sTj zusammen mit jeder Pflanze von süßem Duft. wDA Hm.t r mAA=sn Möge es deiner Majestät wohl ergehen(?),1151 sie zu sehen, ra nb m wbn Hna1152 km D.t jeden Tag beim Aufgehen, und bis ans Ende der Ewigkeit. As.t mw.t-nTr nb.t IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, , die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, dj(=T?) nswj.wt aA.w(.t) wr.w(.t) n nswt-bjtj… Mögest du sehr große Königtümer an den König von Ober- und Unterägypten (Augustus) geben… Kommentar: Bei den Bandeau-Inschriften im Tordurchgang handelt es sich um Dedikationsinschriften, von denen sich die obige an Isis, die gegenüberliegende (Nr. 16) an Hathor richtet. Die Ausrichtung des Tores nach Osten wird beschrieben und in kosmisch-göttlichen Zusammenhang gestellt, indem von der aufgehenden Sonne, die morgens darin erglänzt, die Rede ist.1153 Da Sonnenaufgang und Geburt der Isis zeitlich eng beieinander liegen, mündet die Beschreibung in einer Hymne an die Tempelherrin, mit Anrufungen in der 1. Pers. Dies ist ungewöhnlich für Dedikationsinschriften, die normalerweise vom Bauherrn (und Ritualvollzieher), dem Pharao, in der 3. Pers. sprechen,1154 zeigt aber, daß es sich um die tatsächlich rezitierte Version der Anrufung handelt. Am Ende folgt die übliche Bitte für den König. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. Porte d’Isis, Nr. 29, S. 39, 4–14; S. 106–109 (Übersetzung); S. 274–275 (Kommentar) Dendara, Isistor, Durchgang, Nordwand, Textkolumne westlich des anx-wAs-Frieses ZIVIE-COCHE, Khentetiabtet, S. 794 (Auszüge) u. 803

Text: – Epithetareihe (S. 39, 4–9): [nswy.t bjtj.t] @w.t-@r wr.t [Die Königin von Ober- und Unterägypten], Hathor, die Große, 1151 Die von CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 93 (vgl. auch S. 264), angegebene Übersetzung „erfreut“ (réjouie) ist nicht üblich für wDA (das hieße wDA-ib, siehe Wb I, 400, 9–10). Ein weiteres Problem stellt die Konstruktion mit r + Infinitiv dar, da eigentlich (bei dieser Interpretation) Hr + Infinitiv zu erwarten wäre. 1152 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 92, liest Hr, doch handelt es sich um eine typische Schreibung für Hna, und km D.t wird mit r (nicht Hr) angeschlossen, das jedoch (wie hier) auch wegfallen kann, siehe Wb V, 130, 2. 1153 Vgl. die Benennung der Isis als „Vorsteherin des Ostens“ im zuvor besprochenen Text Dend. Porte d’Isis, Nr. 1. 1154 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 264.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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nb(.t) Iwn.t ir.t Ra nb(.t) p.t die Herrin von Dendara, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr.w nb(.w) nbw.t nb(.t) stw.t die Gebieterin aller Götter, die Goldene, die Herrin der Sonnenstrahlen, itn.t nb(.t) sSp die (weibliche) Sonnenscheibe, die Herrin der Helligkeit, mH(.t) tA m nqr nbw xsbD(.t) die die Erde mit Goldstaub erfüllt, die Lapislazulifarbene (Uräusschlange),1155 nb(.t) xsbD m &A-n-Itm die Herrin des Lapislazuli im Land des Atum (Dendara), mfkA.t Hnw.t mfkA.t die Türkisfarbene (Uräusschlange), die Gebieterin des Türkises, THn[.t nb.t THn.t] die Fayencefarbene (Uräusschlange), [die Herrin des Fayence], THn(.t) xpr.w THn tA Dr psD=s die mit glänzender Erscheinung, seit deren Erstrahlen das Land glänzt, mw.t nj.t bjk n nbw.t tmA.t nfr.t nj.t mAa-xrw die Mutter des Falken der Goldenen, die vollkommene Mutter des Gerechtfertigten, HqA.t mnx.t m stp-sA die vortreffliche Herrscherin im Palast, n hb aH.t m xm=s ohne deren Kenntnis der Palast nicht betreten wird, Hm.t-nswt tpj.t nj.t sr HD.t die Erste Königliche Gemahlin des Fürsten der Weißen Krone (= Osiris),1156 aA(.t) snD.t Sfj.t m ifd.w n nn.t deren Ehrfurcht (vor ihr) und Ansehen groß sind in den vier Ecken des Himmels, %pd.t wr.t stj(.t) Hapj m tpH.t=f Sothis, die Große, die den Nil aus seiner Höhle ausgießt, r baHj Ax.t m nfr.w[=s] um das Fruchtland mit ihrer Schönheit zu überfluten, nb.tj rxj.t xnt IA.t-dj [… … die Beiden Herrinnen der Menschen1157 an der Spitze von Iat-di [… …] &wbn r rsj\ n mjt.t=s xnt ¢t-mn …] erstrahlt bis in den Süden, derengleichen es nicht gibt in Ägypten, Xnm stw.t=s s.t wr.t n Ra deren Strahlen sich mit dem Großen Sitz des Re vereinigen. nDm ib n ¢ntj.t-IAbt.t Das Herz der ‚Vorsteherin des Ostens‘1158 ist erfreut! 1155 Diese und die folgenden Farb-/Materialbezeichnungen sind jeweils mit einem Uräus determiniert. 1156 Ein üblicher Titel des Osiris in griechisch-römischer Zeit, vgl. E. WINTER, Der „Fürst der weißen Krone“, ein Beiname des Osiris, in: CdÉ 39, 1964, S. 41–43. 1157 Zu diesem Titel der Isis und der Hathor, der besonders häufig in Dendara vorkommt, siehe PREYS, Isis et Hathor. 1158 Zur ‚Vorsteherin des Ostens‘ siehe oben, Dend. Porte d’Isis, Nr. 1.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Es folgt eine Beschreibung des Tores mitsamt Maßangaben (39, 10–13).1159 Der Text ist zu Beginn namentlich an Hathor gerichtet, die mit vielen typischen Epitheta als strahlende, goldene Sonnen- bzw. Gestirnsgöttin1160 und Uräusschlange gekennzeichnet wird. Ab mw.t nj.t bjk (39, 7) gemahnen die Beinamen jedoch deutlich eher an Isis,1161 die zu Horus (dem „Falken der Goldenen“) und Osiris (dem „Fürst der Weißen Krone“) in Beziehung gesetzt, und deren Macht über das Königsamt wie so häufig betont wird.1162 Außerdem wird Sothis genannt, die sowohl auf Isis als auch auf Hathor verweist. Die Titelreihe ist also insgesamt der doppelgesichtigen Göttin von Dendara, Hathor-Isis, gewidmet, was auch in der für beide gerade in Dendara typischen Bezeichnung nb.tj rxj.t zum Ausdruck kommt.1163 Bei dem Teil hinter der Lücke („[…] erstrahlt bis in den Süden…“) ist nicht ganz klar, ob es sich hier immernoch um Epitheta der Göttin oder aber bereits um das Tor selbst handelt, dessen Maße im Anschluß genannt werden (ebenfalls mit Suffix der 3. Pers. fem. sing.). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Porte d’Isis, Nr. 3, S. 4–5; Taf. 18–19; S. 72–75 (Übersetzung); 243–245 (Kommentar) Dendara, Isistor, Ostseite, Nordhälfte, 1. Reg. – Der König (Augustus) opfert Fleischstücke geschlachteter Tiere für Isis und Osiris.

Text: – Beischrift der Isis (4, 12–14): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, Sps.t wsr.t xnt nTr.wt die Große und Mächtige, die an der Spitze der Göttinnen ist, Hm.t Hm(.t) ijj m HaDA das weibliche Nilpferd (???),1164 das den zurücktreibt, der sich räuberisch nähert. – Göttliche Randzeile (5, 3–5): nswy.t bjtj.t nb.tj rxj.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Königin (‚die Beiden Herrinnen‘) der Menschen, sxr(.t) sbj.w n sn=s Wsjr die die Feinde ihres Bruders Osiris schlägt, 1159 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 264–265 u. 274–275. 1160 Siehe zur Problematik der Einordnung von weiblichen Epitheta wie Ra.t und itn.t VON LIEVEN, Scheiben am Himmel. 1161 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 274–275. 1162 Vgl. zu Isis und dem Königsamt NAGEL, Isis und die Herrscher. 1163 Siehe hierzu PREYS, Isis et Hathor. 1164 So von CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 73, mit Kommentar S. 244, aufgefaßt. Die Schreibung könnte auch für Hm.t wr.t „große Gemahlin“ stehen (vgl. LGG V, 133c, mit gleicher Schreibung), was in diesem Kontext allerdings nicht gut passen würde.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Twt r=T wr.t nb(.t) tA.wj (denn) du1165 bist die Große, die Herrin der Beiden Länder, Sps.t wsr.t xnt IA.t-dj die Edle und Mächtige an der Spitze von Iat-di, sw m HqA.t nb(.t) Haa THn.t r tr[=s] (denn) sie1166 ist die Herrscherin, die Herrin des Jubels, die Glänzende zu [ihrer] Zeit, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. – Bandeau-Inschrift über der Szene (5, 7–9):1167 nswy.t bjtj.t nsr.t ns[r](.t) m %tS(?) Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Flammende, die Seth in Flammen setzt, Asb.t wbd(.t) Abw die Brennende, die die Gestalt des Bösen (= Seth) verbrennt, wnmy.t pw wnm(.t) aD.w n xftj.w es ist die Flamme, die die Fettstücke der Feinde in Brand setzt, sfsf(.t) X.t=sn m tm-wn die ihre Leiber zu Asche verbrennt bis zur Nichtexistenz, snh.t nb(.t) mk.t die Beschirmerin(?),1168 die Herrin des Schutzes, irj(.t) nh.t n sn=s die die Wache ihres Bruders übernimmt, wdj(.t) aDy.t m XAk.w-ib.w die Gemetzel anrichtet unter denen mit verschlagenen Herzen, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Isis ist, ebenso wie Hathor in der entsprechenden Szene auf dem Südpfosten, ganz im Sinne des Szenentyps als wilde Gefährliche Göttin dargestellt, die die Feinde bekämpft und schlachtet. Nur in wenigen individuellen Phrasen (abgesehen von ihrem Namen und den Haupttiteln), die sich auf „ihren Bruder“ Osiris und seinen Schutz beziehen, wird wirklich deutlich, daß es sich um Isis handelt, die hier der Kumulation von Begriffen aus dem Wortfeld ‚Feuer‘ zufolge offenbar in erster Linie als feuerspuckende Uräusschlange (nsr.t) gedacht ist.

1165 Hier ist ungewöhnlicherweise das Randzeilenschema des 4. Reg. mit hineingekommen, vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 244. 1166 Hier ist hingegen das Randzeilenschema des 2. Reg. angewendet, vgl. CAUVILLE, loc. cit. 1167 Über den am Tor angebrachten Ritualszenen befinden sich jeweils zusätzliche Bandeau-Inschriften, die in Funktion und Form den göttlichen Randzeilen entsprechen und diese im Durchgang praktisch ersetzen. 1168 Zur fraglichen Bedeutung des Wortes vgl. LGG VI, 390c; Wb IV, 167, 13–14.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

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Dend. Porte d’Isis, Nr. 5, S. 7–8; Taf. 22; S. 76–77 (Übersetzung); 245–247 (Kommentar) Dendara, Isistor, Ostseite, Nordhälfte, 2. Reg. – Der Pharao (Augustus) bringt Stoffe zu Isis und Thoth.

Text: – Bandeau-Inschrift über der Szene (8, 7–9): nswy.t bjtj.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, Xkr.t nb(.t) Xkr.w die Schmückende (Uräusschlange), die Herrin des Schmuckes, Msxn.t nfr(.t) aSA(.t) xpr.w die vollkommene Meschenet, mit zahlreichen Erscheinungen, an.t mnx.t smnx(.t) psD die Schöne und Vortreffliche, die den psD-Stoff vortrefflich macht, @DD.t wr.t nb.t HDDwj Hededet, die Große, die Herrin des Lichtes, Rnn.t nfr.t nb(.t) Hw.t-Rnn.t/Rnn-wt.t die vollkommene Renenutet, die Herrin des Hauses der Renenutet, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Isis wird in der Bandeau-Inschrift mit mehreren Göttinnen identifiziert, die nicht alle direkt aus dem Kontext des Szenentyps heraus zu erklären sind: die Uräusschlange, die Geburtsgöttin Meschenet, die Skorpiongöttin Hededet,1169 eine Sonderform der Isis, die vor allem in Edfu belegt ist, und Renenutet als Stoffgöttin. Die Namen der Göttinnen werden jeweils durch Wortspiele mit weiteren Attributen verbunden. Laut CAUVILLE soll dies dazu geführt haben, daß Hw.t-Rnn-wt.t „Haus (oder Tempel) der Renenutet“ hier spontan als Name für den Dendara-Tempel hinzu erfunden wurde.1170 Ob hiermit wirklich der ganze Tempelbezirk gemeint sein soll, sei dahingestellt; völlig aus der Luft gegriffen ist die Bezeichnung im Zusammenhang mit Dendara jedoch sicherlich nicht, denn es hat dort tatsächlich eine Kapelle o. ä. für diese Göttin gegeben, wie aus der dreisprachigen Stele des Strategen und Propheten Ptolemaios, Sohn des Panas, hervorgeht.1171

1169 Zu Hededet siehe GOYON, Hededyt, und Kap. 4.4–5. 1170 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 247. 1171 VLEEMING, Some Coins, Nr. 163 (vgl. unten, Kap. 6.2.8); M. N. AIME-GIRON, Une stèle trilingue du stratège Ptolémée fils de Panas, in: ASAE 26, 1926, S. 148–156; zum Thermuthis-Schrein auch DAUMAS, Temple d’Hathor, S. 15.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Dend. Porte d’Isis, Nr. 11, S. 14–15; Taf. 28–29; S. 82–85 (Übersetzung); 250–252 (Kommentar) Dendara, Isistor, Ostseite, Türsturz, Nordhälfte – Pharao (Augustus) überreicht Maat an Isis, Osiris und Harsomtus, vor denen nochmals Harsomtus als Kindgott steht und ein Sistrum hält.

Text: – Beischrift der Isis (15, 5–7): (Dd mdw jn) [(As.t wr.t mw.t-nTr) (Rezitation durch) [(Isis, die Große, die Gottesmutter), [iwt.t] mjt.t=s derengleichen es nicht gibt, Msxn.t nfr.t bs(.t) m […].t die vollkommene Meschenet, die herauskommt aus […],1172 Xnm(.t) sn=s die sich mit ihrem Bruder vereint, SAa.t [SAa.t(?)]1173 spXr die Uranfängliche, die zuerst das Schreiben begann, %SA.t wr.t nb(.t) pr-sS Seschat, die Große, die Herrin des Schriftenhauses (Bibliothek), […] nb(.t) Wr.tj-HkAw […?], die Herrin der beiden Zauberreichen, [xwj(.t) sn=s m]1174 kAr=f [die ihren Bruder schützt] in seinem Schrein, Iwnj.t m Iwn.t sA.t [… …] Iunit in Dendara, die Tochter von […], idb.w-@r dmD Xr sxr.w=s nach deren Plänen die Gestade des Horus (= Ägypten) vereint sind. – Göttliche Randzeile: nswy.t bjtj.t ¢ntj.t-IAbt.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die ‚Vorsteherin des Ostens‘,1175 Sps.t wsr(.t) xnt [… … …] die Edle und Mächtige an der Spitze von […], wa.t sDm(.t) spr.w n HH die Einzig(artig)e, die die Bitten von Millionen erhört, 1172 Vielleicht zu bs(.t) m [Nw.t] zu ergänzen, vgl. die Belege für Isis in Dendara in LGG II, 830a. 1173 Das von CAUVILLE in der Mitte der Lücke noch transkribierte t scheint nicht so recht zu der Ergänzung zu passen. Zumindest wäre die Zeichenanordnung für das relativ sicher zu erwartende SAa.t dann sehr ungewöhnlich. 1174 Die Ergänzung nach CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 82; vgl. LGG V, 672–673, auch wenn genau das gleiche Epitheton mit der Lokalisierung m kAr=f nicht belegt ist. 1175 Siehe oben, zu Dend. Porte d’Isis, Nr. 1.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

HqA.t wr.t Hnw.t stp-sA die große Herrscherin, die Gebieterin des Palastes, rdj(.t) Km.t Hr mw bjk [(As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj) die Ägypten auf das Wasser des Falken bringt (= die Ägypten treu zum Falken stehen läßt), [(Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di). Kommentar: Auch hier wird Isis wieder mit mehreren Göttinnen gleichgesetzt: Meschenet, Seschat und Iunit. Außerdem wird sie wie in der Soubassement-Bandeau-Inschrift als ¢ntj.t-IAbt.t bezeichnet. Das Erhören von Bitten, welches in der Randzeile zum Ausdruck kommt, erklärt sich vor allem aus dem Anbringungsort heraus, denn monumentale Tempeltore waren ein typischer Ort für die Interaktion zwischen Gläubigen und Göttern. 1176 Dementsprechend wird auch Hathor in der komplementären Szene „die, die zu dem kommt, der zu ihr ruft“ genannt.1177 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Porte d’Isis, Nr. 17, S. 26–27; Taf. 34; S. 94–95 (Übersetzung); S. 266 (Kommentar) Dendara, Isistor, Durchgang, Nordhälfte, östlicher Türpfosten, 1. Reg. – Pharao (Augustus) überreicht Blumensträuße an Isis und Osiris, vor denen noch Harsomtus mit dem Sistrum steht.

Text: – Beischrift der Isis (26, 13–14): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb.t IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, Hrj.t-tp n Ra bjA.t(.t) Snj-tA das Uräusdiadem des Re, die Wunderbare der ‚Erdhaar‘-Pflanzen, nb(.t) nbw Hnw.t xsbD die Herrin der Gold-Pflanzen, die Gebieterin der Lapislazuli-Pflanzen. – Bandeau-Inschrift über der Szene (27, 4–6): nswy.t bjtj.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, HqA.t nb.t Hnb.t Hnw.t m Hp.tj die Herrscherin, die Herrin des Feldes, die Gebieterin in der Welt, nb(.t) sm.w srd Snj.w-tA die Herrin der Kräuter, die die ‚Erdhaar‘-Pflanzen wachsen läßt, qmA ix.(w)t nb.w(.t) m qmA.n ib=s die alle Dinge erschafft mit dem/als das, was ihr Herz erschaffen hat, 1176 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 250. 1177 Dend. Porte d’Isis, Nr. 12; S. 17, 2. ijj(.t) n njs n=s.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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nb(.t) Hrr.w(t) nDm sTj die Herrin der Blumen von süßem Duft; baHj.n=s Hapj m HAy.w sie flutet die Nilüberschwemmung als Flutwasser, [As.t wr.t mw.t-nTr] [Isis, die Große, die Gottesmutter]. Kommentar: Passend zum Szenentypus wird Isis als Herrin und Schöpferin der Vegetation und des Gedeihens, auch in Verbindung mit der Nilschwemme, präsentiert. Für Hathor finden sich in der gegenüberliegenden Szene ähnliche Epitheta. Doch über die Gaben der Erde hinaus ist Isis auch Gebieterin der ganzen Welt (Hnw.t m Hp.tj). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Porte d’Isis, Nr. 23, S. 32; Taf. 40; S. 100–101 (Übersetzung); S. 269–270 (Kommentar) Dendara, Isistor, Durchgang, Nordhälfte, östlicher Türpfosten, 4. Reg. – Pharao (Augustus) überreicht einen Spiegel(?)1178 an Sothis und Nechbet.

Text: – Bandeau-Inschrift über der Szene (32, 13–14): [nswy.t bjtj.t … … … Nx]b [Die Königin von Ober- und Unterägypten, … … …,] Elkab, %pd.t wr.t Hnw.t xAbAs.w Sothis, die Große, die Gebieterin der Gestirne, mH(.t) p.t tA m nfr.w=s1179 die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt, nb(.t) pr-wr Hnw.t pr-nsr die Herrin des Per-wer, die Gebieterin des Per-neser, @w.t-@r wr.t m spA.t nb(.t) As.t wr.t [mw.t-nTr] Hathor, die Große, in jedem Gau, Isis, die Große, die Gottesmutter. Kommentar: Der Bandeau-Text dieser Szene zeigt sehr deutlich die synkretistisch verwobene Theologie der Göttinnen Sothis, Isis und Hathor. Sothis ist in dieser Zeit kaum noch unabhängig von Isis zu denken, und obwohl Sothis in der Szene die Rezipientin ist, finden sich am Ende der 1178 Laut CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 269, handelt es sich wie bei der gegenüberliegenden Szene (Nr. 24) um ein Sistrum; es gibt keinen Szenentitel und in den übrigen Beischriften deutet nichts auf Sistrumspiel hin, aber die Darstellung scheint m. E. eher einen Spiegel zu zeigen. 1179 So von CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 100, und LGG III, 368a–c [Beleg 71], verstanden; vielleicht ist hier aber auch nfr.w iAx.w=s „die Schönheit ihres Lichtglanzes“ zu lesen. Andererseits könnte die Strahlensonne als Determinativ gesehen werden und die Lichthaftigkeit der Schönheit damit impliziert sein.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dazugehörigen Bandeau-Inschrift der Name und die üblichen Titel der Isis. Gleichzeitig ist die Göttin „Hathor in jedem Gau“, also eine Erscheinungsform der Hathor.1180 Auch die zweite Göttin in der Szene, Nechbet, dürfte nach den Resten am Anfang der Bandeau-Inschrift genannt sein, so daß der Text für beide Göttinnen gilt.1181 Wahrscheinlich greift die Nennung von „Hathor in jedem Gau“ insbesondere Nechbet wieder auf, während die der Isis sich vor allem auf Sothis bezieht.1182 Ähnlich ist auch die komplementäre Szene auf der Südseite gestaltet (Nr. 24), in der Mut und Tefnut mit Hathor identifiziert werden. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Porte d’Isis, Nr. 31, S. 42–44; Taf. 50; S. 110–113 (Übersetzung); S. 277–278 (Kommentar) Dendara, Isistor, Durchgang, Südhälfte, westlicher Türpfosten, 1. Reg. – Pharao (Augustus) überreicht Isis, vor der Harsomtus mit dem Sistrum steht, ein Tablett mit Opferspeisen (fAj ix.t).

Text: – Göttliche Randzeile (43, 12–14): nswy.t bjtj.t Sps.t m Iwn.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Edle in Dendara, HA.t dj(.t) r tA m nTr.wt die Erste, die zur Welt gebracht wurde unter den Göttinnen, SAa.t SAa(.t) xpr die Uranfängliche, die zuerst entstand, SAa(.t) qmA ix.wt nb(.wt) sA.t tpj.t n Gbb die zuerst alle Dinge erschuf, die erste Tochter des Geb, [… … …]1183 sxm.w [(As.t wr.t mw.t-nTr) […] göttliche(n) Mächte, [(Isis, die Große, die Gottesmutter). Kommentar: Die göttliche Randzeile stellt Isis mit mehreren ähnlichen Beinamen als erste, ursprüngliche Göttin heraus, die vor den anderen Göttinnen entstand und mit der Schöpfung begann. Die Epitheta der Beischrift von Isis und der Bandeau-Inschrift über der Szene sind sehr allgemein oder direkt vom Szenentyp abhängig; daher sind diese Textteile hier nicht eigens zitiert.

1180 Vgl. zu dieser Phrase die Versionen der kulttopographischen Litanei, siehe z. B. oben, Dend. Isis, 78, 16–79, 5. 1181 Dies ist ebenso in der gegenüberliegenden Szene (Nr. 24) der Fall, vgl. auch CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 270. 1182 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 305. 1183 Vielleicht vorher Hnw.t zu ergänzen: „die Gebieterin der Mächtigen/göttlichen Mächte“, nach AssuanHymne 6.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

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Dend. Porte d’Isis, Nr. 43, S. 56–57; Taf. 62; S. 122–125 (Übersetzung); S. 282–283 (Kommentar) Dendara, Isistor, Westseite, Südhälfte, 1. Reg. – Der König (Augustus) überreicht ein Feld an Isis und Osiris. Isis trägt hier eine ungewöhnliche Krone: die Doppelkrone, bei der aber die Weiße Krone noch seitlich von zwei gebogenen Federn eingerahmt ist, wie bei Osiris’ Atefkrone (die er in dieser Szene auch trägt); um den unteren Teil der Krone windet sich eine Kobra. CAUVILLE nennt diese Krone „Festkrone“, genau wie diejenigen von Hathor und Horus in der komplementären Szene1184 (diese Kronen sind jedoch individuell verschieden gestaltet).

Text: – Göttliche Randzeile (57, 4–6): nswy.t bjtj.t wr.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Große, nb.t tA.wj Sps.t die Herrin der Beiden Länder, die Edle, nb(.t) Sn-wr die Herrin des ‚Großen (Wasser-)Kreises‘ (= Ozeans/Roten Meeres?), HqA.t nb(.t) km-wr die Herrscherin, die Herrin des ‚Großen Schwarzen‘ (der Bitterseen), itn.t nb(.t) pXr-wr die (weibliche) Sonnenscheibe, die Herrin des ‚Großen Herumfließenden‘ (Meeres),1185 Ra.t m rA-a stw.t itn Sonnengöttin bis hin zu den Strahlen der Sonnenscheibe, wa.t nfr.t Hnw.t nTr.wt die Einzigartige und Schöne, die Gebieterin der Göttinnen, nb(.t) Htp.w sDfA tA.wj die Herrin der Opferspeisen, die die Beiden Länder mit Nahrung versorgt, [(As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t) [(Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert).

1184 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 282. 1185 Vgl. zu den verschiedenen Meeresbegriffen WILSON, Ptol. Lex., S. 1016; TRAUNECKER, Coptos, S. 220, w). Hier sind sicherlich keine realen geographischen Entitäten gemeint, sondern vielmehr Bezeichnungen für mythische (Ur-)Ozeane, oder nach CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 283, allgemein „ferne Gegenden“ (contrées lointaines).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die göttliche Randzeile dieser Szene ist sehr ungewöhnlich: Isis wird hier als Herrin von Gewässern und Ozeanen beschrieben, wobei drei verschiedene Bezeichnungen für solche größeren Gewässer auftauchen. Diese Epitheta sind laut LGG nur hier belegt.1186 Die Kartusche der Isis umschließt am Ende der Randzeile nicht wie üblich nur die Haupttitel der Göttin „Isis, die Große, die Gottesmutter“, sondern auch ihre nahen lokalen Beinamen mit Bezug auf Dendara, die sie in den meisten Inschriften dort trägt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Porte d’Isis, Nr. 45, S. 59–60; Taf. 64; S. 126–127 (Übersetzung); S. 284–286 (Kommentar) Dendara, Isistor, Westseite, Südhälfte, 2. Reg. – Der König überreicht ein HH-Symbol (Symbol für Königtum und lange Regierungsjahre)1187 an Isis, hinter der Harsomtus steht.

Text: – Göttliche Randzeile (60, 2–4): wnn Sps.t wsr.t Dd.tw xnt Iwn.t Es ist die Edle und Mächtige dauerhaft in Dendara m nb(.t) nswj.t HqA.t D.t als Herrin des Königtums und Herrscherin der Ewigkeit, Hr Ssp HH Abw.t n kmA-s(j) indem sie die Ewigkeit empfängt, das Abbild von dem, der sie geschaffen hat, nb(.t) rnp.wt m a.wj sA=s die Herrin der Jahre aus den Händen ihres Sohnes, sw m ity[.t] HqA(.t) Sn n itn (denn) sie ist die Fürstin, die Herrscherin des Umkreises der Sonnenscheibe, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. – Bandeau-Inschrift über der Szene (60, 6–7): [nswy.t bjtj.t] sD.tj.t [Die Königin von Ober- und Unterägypten], das Flammenkind,1188 sA.t sfj die Tochter des Kindes (= der jugendliche Sonnengott), Rm.t nfr.t nb(.t) rnp.wt die vollkommene Renenutet, die Herrin der Jahre, HqA.t nb(.t) nHH die Herrscherin und Herrin der Ewigkeit,

1186 LGG IV, 143b; 150c; 58b. 1187 Siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 673. 1188 Ein Titel, der besonders typisch für Hathor in Dendara ist, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 981; BUDDE, Götterkind, S. 115–119, bes. 115, m. Anm. 567.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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psD(.t) m Ax.t Dsr(.t) s.t m wjA n @H die im Horizont erglänzt, deren Sitz geheiligt ist in der Barke des Heh, Ssp.n=T xa.w m Xkr.w n *nn du hast die Kronen mit dem Schmuck des Tenen empfangen, %mA-tA.wj dmD Hna1189 mw.t=f Somtus ist vereint mit seiner Mutter. Kommentar: Im Kontext des Szenentypus konzentrieren sich die Epitheta der Randzeile auf Isis als Herrin von Königtum und Dauerhaftigkeit, welche in dem Symbol der Gabe HH impliziert sind. Hingegen enthält die Bandeau-Inschrift über der Szene vor allem Beinamen, die eher Hathor als Isis zuzuschreiben sind, wie sD.tj.t, sA.t sfj. Der Eigenname einer der Göttinnen wird aber nicht genannt. Auch daß Harsomtus, als dessen Mutter Isis(?) im Bandeau-Text bezeichnet wird, an Stelle von Horus dargestellt ist, welcher sich besser mit der Thematik des Königtums verbinden ließe, ist ungewöhnlich, und verweist auf Hathor und ihre tentyritische Triade.1190 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Dend. Porte d’Isis, Nr. 49, S. 64–65; Taf. 68; S. 130–133 (Übersetzung); S. 287–288 (Kommentar) Dendara, Isistor, Westseite, Südhälfte, 4. Reg. – Der König (Nero) überreicht Isis und Harsomtus zwei Spiegel.

Text: – Bandeau-Inschrift über der Szene (65, 9–11):1191 nswy.t bjtj.t Iwnj.t m IA.t-dj Die Königin von Ober- und Unterägypten, Iunit in Iat-di, itj.t nb(.t) gs.w-pr.w die Fürstin und Herrin der Kultstätten, HqA.t nb(.t) Hw.wt (m-)hAw qbH.wj die Herrscherin und Herrin der Tempel in der Gegend der Beiden Wassergebiete (Ägypten), dj(.t) tp-rd m sxm.w itr.tj die die Vorschriften in die Heiligtümer der Beiden Heiligtümer (Ägypten) gab,1192 BAq.t mn.tw Xr sSm.w=s1193 1189 Und nicht Hr, wie CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 126, liest. 1190 Vgl. CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 285. 1191 Eine wörtliche Parallele der ganzen Inschrift (nur die Schluß-Titulatur ist etwas gekürzt) findet sich, ebenfalls für Isis, in der Randzeile einer „Sand schütten“-Szene an der östlichen Außenwand des Naos des Haupttempels von Dendara, im 1. Reg.: Dend. XII, 91, 3–92, 2. 1192 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 132–133, hat den Passus hier falsch segmentiert und itr.tj an den Beginn der nächsten Phrase gezogen. Zu beachten ist aber, daß qbH.wj, itr.tj und BAq.t sämtlich Begriffe sind, die Ägypten als Ganzes bezeichnen und damit den kulttopographischen Rahmen für die einzelnen Aussagen bilden. 1193 CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. 132–133, liest die sitzende Isisfigur hinter sSm.w gesondert als nb.t und übersetzt (unter Hinzuziehung des itr.tj, vgl. die vorige Anm.) falsch: „Die Heiligtümer Ägyptens bewahren das Bild ihrer Herrin“. M. E. ist die sitzende Göttin eher als Determinativ zu sSm.w zu ver-

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

unter/mit deren Kultbild Ägypten beständig ist, As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert. Kommentar: Die Bandeau-Inschrift thematisiert in erster Linie Isis’ Bedeutung für die Heiligtümer ganz Ägyptens, die mit den unterschiedlichen Bezeichnungen gs.w-pr.w, Hw.wt und sxm.w mit größtmöglicher Vollständigkeit evoziert werden, so wie parallel dazu auch für „Ägypten“ drei Synonyme verwendet werden, die verschiedene Aspekte betonen. Die wichtigsten Aussagen (die über die bloße Titulierung von Isis als „Herrin“ etc. der Heiligtümer hinausgehen) sind die, daß Isis die Tempelvorschriften erlassen hat und Ägypten „unter“ ihrem Kultbild fortdauert, d. h. daß ihr Kultbild im ganzen Land verbreitet ist. Eine ähnliche Formulierung ist nochmals direkt über dieser Szene auf dem Türsturz zu lesen (wiederum von Augustus dekoriert), in der Beischrift der Isis in einer Maat-Szene:1194 [sxm.w] nTr.w Xr sSm.w=s1195 „unter deren Kultbild die [Heiligtümer] der Götter sind“ (= deren Kultbild sie haben). 4.6.2

Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Haupttempel (Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen)1196

Hymnen und Litaneien im Sanktuar und im Bereich des Couloir mystérieux Text/Hauptpublikation Dend. I, 20, 14–21, 5 Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Sanktuar, Tür, linke Türlaibung (West) Bibliographie CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 40–43; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 139–140; CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse); EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 21; F. DAUMAS, Les dieux de l’Égpyte, Paris 1965, S. 99; ID., Temple d’Hathor, S. 90; BERGMAN, s. v. „Isis“, Sp. 198 Parallelen Philä I, 6; I, 72 (nur einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (nur kleiner Teil, inhaltliche aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21197 Inhalt 1 Kolumne für Pharao1198 und 2 für Isis.

1194 1195 1196 1197 1198

stehen, um zu verdeutlichen, daß es sich eben um ein Isis-Kultbild handelt (so offenbar auch in LGG I, 625a, gedeutet, wo jedoch ebenfalls itr.tj vor BAq.t gezogen ist. Dend. Porte d’Isis, Nr. 51, S. 67, 15. Hier ist sSm.w mit determiniert, was die Vermutung oben (Anm. 1193) unterstützt. Aufgrund der enorm hohen Anzahl zu dieser Kategorie zählender Texte wird darauf verzichtet, auch noch ergänzende Texte aus Ritualszenen (wie für die übrigen Tempel geschehen) hinzuzuziehen. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19. Leere Kartuschen wie in zahlreichen Inschriften in Dendara. Siehe dazu und zur Datierung M. ELDAMATY, Die leeren Kartuschen aus der Regierungszeit von Kleopatra VII. im Tempel von Dendera, in: J.-C. Goyon/C. Cardin (Hrsg.), Proceedings of the Ninth International Congress of Egyptolo-

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Isis: Kol. 1: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj(.t)-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, inmitten von Dendara, nb(.t) tp-rnp.t Hnw.t SmAy.w die Herrin des Jahresanfangs, die Gebieterin der Wanderdämonen,1199 wbn(.t) m wp-rnp.t r wp rnp.t nfr.t die zum Jahresbeginn erscheint, um das gute Jahr zu eröffnen. Imn.t m WAs.t MnH(j).t m Iwnw1200 Amaunet in Theben, Menhit in Heliopolis, Rnp.t rn=s m Hw.t-kA-PtH ‚Jahr‘ ist ihr Name im Haus des Kas von Ptah (= Memphis), %pd.t m Abw @dd.t m BHd.t Sothis in Elephantine, Hededet in Edfu nr.t Sps.t nb(.t) @D-nxn1201 die edle Geierin, die Herrin von Hierakonpolis, Iwn(j).t m Iwn.t sA.t Nw.t dj(.t) r tA m IA.t-dj Iunit in Dendara, die Tochter der Nut, die zur Welt gebracht wurde in Iat-di, Kol. 3: m hrw pn nfr nxn m sS=f an diesem schönen Tag des Kindes in seinem Nest, srwD/srd.n=f Sw.t n mAw(.t) r p.t wenn es sein Gefieder von neuem zum Himmel wachsen läßt (= zum Himmel fliegt). HqA.t m AbDw1202 %SA.t m Wnw die Herrscherin in Abydos, Seschat in Hermopolis, ©d.t rn=s m ©dw ^tA.t m BAs.t ‚Die Dauernde/die Rezitiererin (?)‘ ist ihr Name in Busiris, die Geheime/Geierin in Bubastis, Py.t m P _py.t rn=s m _p Pyt (‚die von Pe‘) in Pe, Depet (‚die von Dep‘) ist ihr Name in Dep, N.t m %Aw WAD(y).t m Im.t Neith in Sais, Uto in Imet (Tell el-Faraoun),1203 @w.t-@r m &A[-n-Itm1204…] Hathor im ‚Land [des Atum‘ …].

1199 1200 1201 1202 1203 1204

gists, Grenoble, 6–12 septembre 2004, 1, OLA 150, Leuven 2007, S. 501–534; ID., Zur Bedeutung der leeren Kartuschen, in: GM 207, 2005, S. 23–36. Vgl. zu den „Wanderdämonen“ den Text Philä III, Nr. 143, m. Anm. 391. In der Parallele Dend. Isis, 78, 16–79, 5 steht MnH(j).t m @w.t-sr. Iwnw könnte hier als Benennung ausgewählt worden sein, um die Nähe zu Iwn.t „Dendara“ zu betonen. Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5: Nxb.t m Nxb. Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5: As.t m AbDw. Vgl. dazu die Angabe der Hauptgöttin in der Gaumonographie von Edfu (Edfu I): Edfu I, 335, 15–16, siehe unten, Kap. 4.13.1.2. Ergänzung nach CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 42.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

n[ts] p[w] wn(.t) [m njw.t nb(.t) spA.wt] nb.w(.t) S[ie] ist [es], die [in] allen [Städten und Gauen ist], Hna sA=s @r [Hna sn=s Wsjr] zusammen mit ihrem Sohn Horus [und ihrem Bruder Osiris]. Kommentar: Wie im Sanktuar des Isis-Tempels von Dendara ist auch in dem des Hathor-Tempels eine Version der kulttopographischen Litanei für Isis angebracht, was die zentrale Bedeutung dieses Textes zeigt.1205 Um den Text den Platzverhältnissen anzupassen, wurde er allerdings etwas gekürzt und es finden sich einige kleinere Variationen.1206 Die rechte Türlaibung ist Hathor gewidmet,1207 allerdings findet sich dort keine Hymne dieser Art. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. I, 74, 11–13 Dendara, Haupttempel, Sanktuar-Umgang (Couloir mystérieux), östliche Tür, Außenseite, rechter (östlicher) Türpfosten CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 118–119

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

nD Hr=T wsr.t m Iwn.t Sei gegrüßt, Mächtige in Dendara, HqA.t papa(.t) n/m pr-Sps.t Herrscherin, die im Haus der Edlen (= Dendara) geboren wurde, wbn Ra m Ax.t iw/r mAA=T sHtp-tw psD.t=f Re geht im Horizont auf, um dich zu sehen, seine Neunheit stellt dich zufrieden, ijj Hr.w r sxntS ib=T die Menschen (‚Gesichter‘) kommen zu dir, um dein Herz zu erfreuen, r sn-tA n bA.w Hm.t um die Erde zu küssen für die Gottesmacht deiner Majestät, Ra.t wr.t n it=s Gbb Sps.t n mw.t=s Nw.t Sonnengöttin, die Große ihres Vaters Geb, die Edle ihrer Mutter Nut, As.t wr.t mw.t-nTr Htp Hr=T nfr n nswt bjtj [( ) Isis, die Große, die Gottesmutter, möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten [( ).

Kommentar: Im zentralen Teil der kurzen Hymne werden huldigende Handlungen verschiedener Personengruppen gegenüber der Göttin beschrieben: des Sonnengottes, der Götterneunheit und der Menschen. In Isis’ Epitheta werden, wie in Dendara so häufig, ihre dortige Geburt und ihre Genealogie in den Vordergrund gestellt.

1205 Siehe auch Kap. 4.6.1.1, und bei den anderen Parallelen. 1206 Vgl. auch die Synopse bei CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19–24. 1207 Dend. I, 20, 3–8; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 40–41.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Am linken Türpfosten befindet sich ergänzend wie üblich eine Hymne an Hathor,1208 die formal analog gestaltet ist (auch wenn die einzelnen Abschnitte etwas unterschiedlich gewichtet sind): Beginn mit der Grußformel nD Hr=T, einige Epitheta, Aussagen über verschiedene Gruppen, die der Göttin Verehrung entgegenbringen, weitere Epitheta, Name und Haupttitel, zum Abschluß der Segenswunsch für den König, dessen Kartusche leer ist. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. I, 75, 12–76, 2 Dendara, Haupttempel, Sanktuar-Umgang (Couloir mystérieux), östliche Tür, linke (westliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 120–121 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Isis (75, 14–76, 2): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, nswj.t n %nw.t r Aw=s die Königin Ägyptens in seiner Ausdehnung (= ganz Ägyptens), aA.t m p.t wsr.t m tA die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, nhm nTr.w n mAA Hr=s bei dem Anblick von deren Gesicht die Götter sich erfreuen. SAa.t pw SAa(.t) ix.wt nb.wt nfr(.wt) Die Uranfängliche ist es, die zuerst alle guten Dinge erschuf,1209 dj(.t) im=sn n mrj=s und demjenigen von ihnen gibt,1210 den sie liebt, Kol. 3: wa.t pw Hnw.t stp-sA die Einzigartige ist es, die Herrin des Palastes, grg(.t) [njw.wt]1211 smn(.t) spA.wt die [die Städte] gründet und die Gaue fest einrichtet, R[a].t(?) […]1212 mnx(.t) Hnw.t nb(.t) sS Rat(?), […], die Vortreffliche, die Gebieterin, die Herrin der Schrift, […] mn(.tj) Xr s.t[-rA]=s unter deren Be[fehl Ägypten o. ä.]1213 beständig ist,

1208 Dend. I, 74, 15–75, 2. Vgl. CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 118–119. 1209 Ähnlich in der göttlichen Randzeile der Speiseopferszene Dend. Porte d’Isis, Nr. 31 (s. dort): SAa.t SAa(.t) xpr SAa(.t) qmA ix.wt nb(.wt). 1210 Bei CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 121, offenbar passiv aufgefaßt: „dont (certaines) données à qui elle aime“, was die Phrase unnötig verkompliziert. 1211 Mit relativer Sicherheit hier zu ergänzen. 1212 Möglicherweise enthält die Lücke nur die ausführliche Schreibung für mnx.t, so daß das folgende als Determinativ und nicht als Ideogramm fungiert. 1213 Es muß sicherlich eines der vielen Synonyme für Ägypten ergänzt werden oder aber eine Bezeichnung der Summe seiner Teile, wie Städte, Tempel, Gaue etc.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nTr.t wa.t HH.w Hr dwA=s [… … … … …] die einzigartige Göttin, die Millionen verehren […] Kommentar: Die Türlaibungsinschrift besteht zu einem Großteil aus einer bloßen Aneinanderreihung von Beinamen, wie es auch für Szenenbeischriften üblich ist. Eine Ausnahme bilden jedoch die beiden parallel konstruierten pw-Sätze etwa in der Mitte, die auch ein Merkmal bei vielen anderen Hymnen und eulogischen Inschriften bilden.1214 Bei dem entsprechenden Text für Hathor auf der rechten Türlaibung1215 findet sich allerdings keine solche Unterbrechung der parataktischen Titelreihe. Isis wird als Ur- und Schöpfergöttin und Herrscherin des Kosmos (aA.t m p.t wsr.t m tA) stilisiert. Außerdem ist sie es, die Städte und Gaue gründet. Den Beinamen „Herrin der Schrift“ erhält Isis sicherlich über ihre geläufige Identifizierung mit Seschat,1216 möglicherweise aber auch als Tochter des Thoth.1217 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. I, 81, 15–82, 6 Dendara, Haupttempel, Sanktuar-Umgang (Couloir mystérieux), westliche Tür, linke (westliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 130–131 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Isis (82, 1–6): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die inmitten von Dendara ist, %SA.t wr.t nb(.t) sS Seschat, die Große, die Herrin der Schrift, aA.t m p.t wsr.t m tA die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, HqA.t HqA(.t) ifd.w n Nn.t die Herrscherin, die die vier Ecken des Himmels beherrscht, mTA.t Hnw.t tA.wj nb(.t) tp-nfr die Wesirin, die Gebieterin der Beiden Länder, die Herrin der rechten Ordnung,1218

1214 1215 1216 1217

Ausführlich zu den formalen Charakteristika der Texte siehe unten, Kap. 5.1.2. Dend. I, 75, 7–10; vgl. CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 118–119. Siehe BUDDE, Seschat, S. 163–169. Siehe dazu BUDDE, Seschat, S. 145–146; STADLER, Weiser und Wesir, S. 153–155. DELIA, Isis, or the Moon, S. 548–549, behauptet fälschlich, die Vorstellung von Isis als Tochter des Thoth/Hermes sei den Ägyptern gänzlich fremd gewesen. AUFRÈRE, Taches lunaires, S. 27, leitet diese Familienkonstellation von Isis’ Gleichsetzung mit Unut/Nehemetawai ab. Vgl. auch Assuan-Hymne 3 und Parallelen. 1218 Zu diesem Begriff siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 1136; Wb V, 285–287. Griechisch wird dies gewöhnlich mit τὸ δίκαιον wiedergegeben.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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irj(.t) sxr.w n tm xAa SA.w/Hsb.w (?)1219=s die für den sorgt, der nicht ihren Grund verläßt (der nicht illoyal ihr gegenüber ist), Kol. 3: irj(.t) mk.t n mrj=s m hrw n ptr.t die den behütet, den sie liebt, am Tag des Schlachtfeldes, sr(.t) ijj(.t) xp(r) n Hn.tj die das Kommende verkündet, das geschehen wird in ferner Zeit, anx m a snb m xfa=s in deren Hand das Leben ist, in deren Faust die Gesundheit ist,1220 nn an.tw prj(.t) m rA=s nicht kehrt man das um, was aus ihrem Mund kommt (man widerspricht ihr nicht),1221 nD.tj.t mnx.t n ntj.w {n}tj.w1222 (sic!) die vortreffliche Beschützerin derer mit Besitz und der Besitzlosen1223 (oder: derer, die sind, und derer, die nicht sind), nn hb aH.t m xm(.t)=s ohne deren Kenntnis der Palast nicht betreten wird. Kommentar: Der Text versammelt mehrere relativ ungewöhnliche Charakterisierungen für Isis. Das Epitheton „Herrin der rechten Ordnung“ ist laut LGG nur hier belegt,1224 ebenso wie das darauffolgende (irj(.t) sxr.w…).1225 Eher selten ist auch die Bezeichnung als Verkünderin der Zukunft (sr(.t) ijj(.t)), wenngleich ähnliche Aussagen durchaus einige Male v. a. für Isis und Hathor vorkommen. 1226 Möglicherweise ist hier eine Anspielung auf die Praxis der astrologischen Weissagung durch Beobachtung des Sothis-Sterns und umgebender Konstellationen oder Winden bei dessen Aufgang gegeben.1227 Auf bekannterem Boden ist man 1219 Zur Lesung dieses Wortes vgl. den Text Kalabchah I, 16, Kap. 4.3.1.2, m. Anm. 33. 1220 Vgl. eine enge Parallele in Philä III, Nr. 2: anx m a=s snb r xt=s „Leben ist in ihrer Hand und Gesundheit in ihrem Gefolge“, siehe oben, Kap. 4.1.1.A. 1221 Zu dieser Phrase siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 154. 1222 Von CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 130–131, werden ntj.w und tj.w in der Reihenfolge vertauscht gelesen. Trotz der verderbten Schreibung ist es aufgrund des schlechten Vogel-Determinativs dennoch klar, daß es sich beim zweiten Wort um iwtj.w handeln muß (so auch in LGG IV, 596c, aufgefaßt). 1223 Zu dieser Bedeutung von ntj(.w)/iwtj(.w) vgl. Wb I, 46, 10; WILSON, Ptol. Lex., S. 57. 1224 LGG IV, 162a. 1225 LGG I, 529a. 1226 Vgl. LGG VI, 426–427. Siehe dazu auch BUDDE, Götterkind, S. 47, m. Anm. 192; C. CANNUYER, La giraffe dans l’Égypte ancienne et le verbe „sr“: étude de lexicographie et de symbolique animalière, AcOrB Subsidia 4, Brüssel 2010, bes. S. 482–491; zur obigen Stelle S. 484, doc. 251. Vgl. z. B. auch eine Stelle im Isis-Hymnus Philä III, Nr. 2: sr(.t) ij n nHH, siehe oben, Kap. 4.1.1.A; vgl. zu einer weiteren Parallele zu diesem Text oben, Anm. 1220. 1227 Ein Beispiel für die Zusammenstellung solcher Prognosen ist der demotische pKairo CG 31222, siehe G. R. HUGHES, A Demotic Astrological Text, in: JNES 10, 1951, S. 256–264; J. F. QUACK, „Assur will suffer.“ Predicting Disaster in Ancient Egypt, in: G. J. Schenk (Hrsg.), Historical Disaster Experiences. Towards a Comparative and Transcultural History of Disasters Across Asia and Europe, Transcultural Research, Cham 2017, S. 189–206, bes. 191–192, 198–199 u. 200–201; vgl. auch BERGMAN, Isis-Seele, S. 46; L. KÁKOSY, Die mannweibliche Natur des Sirius in Ägypten, in: StudAeg 2, Budapest 1976, S. 41–46: 43.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

hingegen mit der expliziten Identifizierung mit Seschat, die auch in der Türlaibung der östlichen Tür (Dend. I, 75, 12–76, 2; siehe oben) angedeutet wird. Eine starke Betonung liegt in dem Text einerseits auf der herrschaftlichen Autorität der Göttin, insbesondere im ersten Teil, aber auch gegen Ende (nn an.tw…; nn hb…), andererseits auf ihrer Fürsorge und Schutzfunktion gegenüber ihren Anhängern, was v. a. im Mittelteil thematisiert wird. Ähnliche Züge finden sich in der Hymne an Hathor in der anderen Türlaibung (Dend. I, 81, 9–13):1228 In Analogie zu Isis als „Herrin der rechten Ordnung“ wird sie als „Maat, die Große, die Herrin der Urteilssprüche für die Bittenden“ bezeichnet; als Entsprechung für den Themenkreis ,Schutz und Fürsorge’ heißt sie u. a. nD.tj.t mnx.t irj(.t) gs-dp.t n njs n=s m hrw n Hr n anx mwt „Die vortreffliche Beschützerin, die Schutz bereitet für denjenigen, der zu ihr ruft am Tage des Angesichts von Leben und Tod“ – eine Phrase, die formal direkt parallel zu derjenigen mit nD.tj.t mnx.t von Isis gestaltet ist und ebenso wie diese ein Gegensatzpaar enthält. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt

Dend. I, 90, 15–97, 3 Dendara, Haupttempel, Sanktuar, Außenwand (Couloir mystérieux), Soubassement, Ostwand CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 142–149 Dend. XII, 59–83 (tw.)1229 Gauprozession der oberägyptischen Gaue vor Hathor und Ihi von Dendara sowie Horus von Edfu.

Text: – 1. o.äg. Gau: (…) ntT %pd.t bsj(.t) nwn tp-rnp.t r iwH Ax.t m nfr.w=s (…) (denn) du bist Sothis, die die Urflut hervorquellen läßt zu Beginn des Jahres,1230 um das Fruchtland zu überschwemmen mit ihren Vollkommenheiten. – 2. o.äg. Gau: (…) ntT BHd.tj.t sAb(.t) Sw.t mH(.t) ib n Ra m Haa.wt (…) (denn) du bist Behedetit (die von Edfu), die Buntgefiederte, die das Herz des Re mit Jubel erfüllt.1231 – 3. o.äg. Gau: (…) ntT HD.t Nxn sAb(.t) Sw.t PxA.t(?) n.j.t itn wr (…) (denn) du bist die Weiße von Hierakonpolis (= Nechbet), die Buntgefiederte, Pechat (Uräusschlange) der großen Sonnenscheibe.

1228 Vgl. die Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 128–129. 1229 Hier nicht separat bearbeitet. 1230 Vgl. auch LGG II, 830b–c, mit zahlreichen Parallelen in Dendara; LOCHER, Topographie, S. 328. ZAKI, Premier Nome, S. 91, übersetzt tp-rnp.t mit „jedes Jahr“. 1231 Ein übliches Epitheton der Hathor von Dendara mit Bezug auf Horus(-Re) von Edfu, vgl. LGG III, 366b.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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– 4. o.äg. Gau: (…) ntT wsr.t HqA.t nb(.t) ISrw SAa.t SAa(.t) xp(r) xnt (…) (denn) du bist die Mächtige, 1232 die Herrscherin, die Herrin von Ischeru (= Mut), die Urzeitliche, die am Anfang zuerst entstand.1233 – 5. o.äg. Gau: (…) ntT mAA(.t) sA=s wsr Hr xtjw=f r nh [(Wn-nfr mAa xrw) (…) (denn) du bist die, die ihren mächtigen Sohn sieht, der auf seiner Empore ist,1234 um [(Onnophris, wahrhaft an Stimme) zu beschirmen. – 6. o.äg. Gau: (…) ntT Ra.t xnt tA-n-Itm iHj=tw n=T m mnj.t sxm (…) (denn) du bist die Sonnengöttin an der Spitze von ‚Land des Atum‘ (Dendara); man musiziert für dich mit Menat und Sistrum.1235 – 7. o.äg. Gau: (…) ntT bnr.t mrw.t Hwnw.t Hnw.t nTr.wt Hn(.t) bnw m Hw.t-bnw1236 (…) (denn) du bist die mit süßem Liebreiz, die junge Löwin,1237 die Gebieterin der Göttinnen, die den Phönix im Haus des Phönix1238 schützt. – 8. o.äg. Gau: (…) ntT Dd(.t) nb=s m njw.t-xprr HqA.t HqA(.t) xndw wr (…) (denn) du bist die, die ihren Herrn dauern läßt in der Stadt des Skarabäus (= Abydos),1239 die Herrscherin, die den großen Thron beherrscht. – 9. o.äg. Gau: (…) ntT ¢ntj.t-IAbt.t xnt %n.wt mw.t Mnw xnt Mnw (…) (denn) du bist die ‚Vorsteherin des Ostens‘1240 an der Spitze des Senut-Heiligtums,1241 die Mutter des Min an der Spitze von Panopolis. – 10. o.äg. Gau: (…) ntT mAA(.t) sA=s xnt @w.t-sHtp ibA(.t) Hr-sA Dw (…) (denn) du bist die, die ihren Sohn sieht an der Spitze vom ‚Tempel der Besänftigung‘,1242 die tanzt nach dem Unheil.1243 1232 Wortspiel mit dem Stadtnamen WAs.t „Theben“. 1233 Das auf die urzeitliche Entstehung abzielende Epitheton läßt an Amaunet als Teil der hermopolitanischen Achtheit denken. 1234 Dieser Göttinnenname ist sonst nicht belegt, vgl. LGG III, 206b („die ihren mächtigen Sohn auf seiner Treppe sieht“). Die „Treppe“ oder „Empore“ ist jedoch engstens mit Min von Koptos verbunden, und Hrj-xtjw(=f) ist ein häufiger Beiname von ihm, vgl. LGG V, 373c–374b; H. GAUTHIER, Le „reposoir“ du dieu Min, in: Kêmi 2, 1929, S. 41–82. 1235 Siehe zu dieser Passage auch S. CAUVILLE, Les inscriptions géographiques relatives au nome tentyrite, in: BIFAO 92, 1992, S. 67–99: 75. 1236 Man beachte die Alliteration auf Hw/Hn. 1237 Zu dieser Bezeichnung für die Göttin des 7. o.äg. Gaues vgl. LGG V, 102c–103b, Belege [17] und [38]; vgl. auch BUDDE, Götterkind, S. 97–101 zu Hwnw.t als Bezeichnung der Hathor/Isis in Dendara. 1238 Heiligtum bzw. Name des Hauptortes (heute Hu) des 7. o.äg. Gaues, GDG IV, S. 66. 1239 Siehe dazu auch STADLER, Skarabäus, S. 77–78. 1240 Zu diesem Göttinnennamen siehe oben, Kap. 4.6.1.B, Kommentar zu Dend. Porte d’Isis, Nr. 1. Mit dem 9. o.äg. Gau wird sie in Dendara noch ein weiteres Mal in Verbindung gebracht: LGG V, 893a– b, Beleg [23]. 1241 Bezeichnung des Min-Tempels von Panopolis (Achmim), vgl. GDG V, S. 39. 1242 Stadt im 10. o.äg. Gau, siehe GDG IV, S. 128.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

– 12. o.äg. Gau: (…) ntT MAty.t m sStA=s n As.t Haa.tj m HH n sp (…) (denn) du bist Matit1244 in ihrer geheimen Gestalt der Isis, indem sie millionenfach jubelt.1245 – 13. o.äg. Gau: (…) ntT @w.t-@r Hnw.t 16 sTs ix.wt n [… … … …] (…) (denn) du bist Hathor, die Herrin der 16,1246 die Opfergaben erhebt für […].1247 – 14. o.äg. Gau: (…) ntT %xm.t sxm(.t) m nbD wnmy.t wbd(.t) smAy.w=f1248 (…) (denn) du bist Sachmet, die Macht hat über den Bösen (Seth), die Verzehrende (Flamme), die seine Genossen verbrennt. – 15. o.äg. Gau: (…) ntT MH.t-wr.t DAj.n=s nwn [@]sA.t(?) xf(A?/d?)=s X.t/Xr(?) Ra (…) (denn) du bist Mehetweret, indem sie den Nun durchfährt, die [He]satkuh, …? Re.1249 – 16. o.äg. Gau: (…) ntT AS.t Hnb.n=s B bHn(.t) nbD tp irj.n=f (…) (denn) du bist Aschet (die Hündin), indem sie Be (= Seth) geschlachtet hat, die den Bösen zerschneidet/bestraft wegen dem, was er getan hat.1250

1243 CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 147, übersetzt den letzten Teil separat als „Frohlocken folgt auf Unheil“. In der Prozession auf der Ostaußenwand des Naos von Dendara heißt es für den 10. o.äg. Gau ähnlich: mAA.n=s sA=s m ibA Hr-sA Dw „die ihren Sohn tanzend nach dem Unheil sieht“, siehe LGG III, 206b; vgl. dazu auch BEINLICH, Geographische Inschriften, S. 70, der aber übersetzt: „die sieht ihren Sohn (…), der jubelt auf dem Rücken des Bösen“. 1244 Zur Löwengöttin Matit siehe DE WIT, Lion, S. 298–300. Diese wird auch in weiteren geographischen Texten mit dem 12. o.äg. Gau verbunden, vgl. LGG III, 213b–c, Belege [9], [10], [13], [14]. 1245 Vgl. zu dieser Passage auch VANDIER, Anubis femelle, S. 201. Ähnlich die zum 12. o.äg. Gau gehörige Passage in einer Osiriskapelle in Dendara: Dend. X, 77, 12: xwj.tw=k MAtj.t m sStA=s n As.t. Siehe dazu und zu Matit jetzt LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 150 u. 155–156. 1246 Zu Hathor als „Herrin der 16“ im 13. o.äg. Gau, siehe Kap. 4.2.1.A, zu Assuan-Hymne 6; GOYON, Seize et quatorze; PREYS, Maîtresse des Seize. 1247 Oder: „für [die] Opfergaben erhoben werden […]“, vgl. auch CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 147. 1248 Alliteration auf s und w. 1249 CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 146–147, liest unkommentiert DA.n=s nww m(?) Ax.t xpd=s(?) Xr Ra „die das Urwasser in Gestalt einer Kuh durchquert, während ihr Rücken (tatsächlich: Hinterteil!) Re trägt.“ Nach Tb 17 wird Re tatsächlich an den Hinterbacken (xpd) der Mehetweret geboren, was für CAUVILLEs Lesung (wenngleich xf geschrieben ist) sprechen könnte. LGG III, 376b, Beleg [46]: „Sie durchquert den Nun als (?) Kuh, wobei sie gesehen wird (? xf=s) mit Re“. Könnte vielleicht xsfj „stromauf fahren“ (Wb III, 337, 14–16) gemeint sein? xsfj(.t) Xr Ra „die stromauf fährt mit Re.“ Zu vergleichen ist die parallele Gauprozession an der Außenwand des Naos von Dendara, Dend. XII, 74, 8–9: ntT MH.t-wr.t DAj Hr itrw=s wDA Ra imj-wt wp.t=s „(denn) du bist Mehetweret, die auf ihrem Fluß dahinfährt, während Re zwischen ihren Hörnern reist“; und eine Stelle im Mythologischen Handbuch PSI Inv. I 72, x+5, 16: „Da(bei) sind (noch): Hesat, Nährerin von Re, Mehetweret als ‚die den Fluß überquert (mit) Re auf ihrem Gehörn als Kind‘.“, siehe OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 172.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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– 17. o.äg. Gau: (…) ntT Inpw.t grg.tw Hr X.t=s Ts.wt spd.w(t) r stp nbD (…) (denn) du bist Input (die Schakalin), die (kampf)bereit1251 ist auf ihrem Bauch, mit spitzen Zähnen, um den Bösen zu zerreißen.1252 – 18. o.äg. Gau: (…) ntT WADy.t mna.n=s sA=s Sd(.t) nnj=s m HD.w (…) (denn) du bist Uto, indem sie ihren Sohn aufzieht, die ihr Kind stillt mit Milch.1253 – 20. o.äg. Gau: (…) ntT aD.t mAs.n=s aApp m sStA=s n Hwnw.t (…) (denn) du bist das Ichneumonweibchen,1254 indem sie Apophis geschlachtet hat in ihrer geheimen Gestalt als junge Löwin.1255 – 21. o.äg. Gau: (…) ntT sn.t sn.nw.t n mw.t wa(.t) Ddm(.t) bsj(.t) m war.tj […] (…) (denn) du bist die zweite Schwester von einer Mutter,1256 die Stechende(?), die aus den beiden Beinen hervorkam1257 […]. – 22. o.äg. Gau: (…) ntT wpj(.t) D.t n kA [dS]r [Hr T]ms.w=f1258 dj(.t) iwf.w/Ha.w=f n sA=T (…) (denn) du bist die, die den Leib des [rot]en Stieres öffnet [wegen] seiner [Un]taten, und die sein Fleisch deinem Sohn gibt.

1250 Vgl. zur Hündin Aschet VANDIER, Anubis femelle, bes. S. 201 zur Stelle, und 202 zu Aschet. Siehe zu den Details der entsprechenden mythologischen Episode Kap. 4.13.3 zu pJumilhac, wo das Geschehen allerdings dem 17.–18. o.äg. Gau zugeordnet ist. 1251 Zu dieser Bedeutung von grg (Hr) siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 1105. 1252 Vgl. Anm. 1250 zum 16. o.äg. Gau. Hier wird offenbar auf dasselbe Ereignis angespielt. Zu Inpw.t in ähnlichem Zusammenhang siehe die in LGG I, 398b–c, angegebenen Parallelen; sowie M. SMITH, Reign of Seth, S. 402–403; VANDIER, Anubis femelle. Zur Stelle und den Parallelen auch LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 211–213. 1253 Auch nach pJumilhac war Uto Hauptgöttin des 18. o.äg. Gaues; Isis-Uto ist dort Mutter des AnubisHorus, siehe Kap. 4.13.3. 1254 EL-SAYED, Neith, S. 559, Doc. 889, liest den Göttinnennamen als „Neith“. Es steht aber aD und nicht N.t. 1255 Vgl. die Parallele an der Außenwand des Naos, Dend. XII, 79, 8: ntT aA.t bk.n=s aApp m D.t=s m Hwnw.t „Die Große, indem sie Apophis getötet hat in ihrer Gestalt als junge Löwin.“ Zu Hwnw.t vgl. auch oben die Angabe zum 7. o.äg. Gau (Anm. 1237). 1256 Hiermit könnte Nephthys gemeint sein. 1257 CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 148–149, übersetzt Ddm mit „sammeln/zusammensuchen“: „die das zusammensucht, was aus den beiden Beinen hervorkam.“ Möglicherweise leitet sie diese Bedeutung von dem laut MEEKS, Année lexicographique, 79.3690, belegten Verb Ddm „aufhäufen“ ab. Inhaltlich ist diese Deutung wohl sinnvoller, da das Bein als „Osirisreliquie“ des 20. und 21. Gaues galt (vgl. Beinlich, „Osirisreliquien“, S. 236–238). 1258 Ergänzungen nach CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 148.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt

Dend. I, 122, 14–128, 12 Dendara, Haupttempel, Sanktuar, Außenwand (Couloir mystérieux), Soubassement, Westwand CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 184–191 Dend. XII, 188–205 (tw.)1259 Gauprozession der unterägyptischen Gaue vor Isis und Harsomtus (einmal als Kindgott, einmal als Mann) von Dendara.

Text: – 1. u.äg. Gau: (…) ntT %xm.t Hnw.t nb(.t) ins iwH(.t) m Htp [… … …] (…) (denn) du bist Sachmet, die Gebieterin, die Herrin des blutroten Stoffes,1260 die überschwemmt in Frieden1261 […]. – 2. u.äg. Gau: (…) ntT nb.t wArx wa.t m pr-sA wr(.t) Hsw.t m Hw.t-bjtj (…) (denn) du bist die Herrin der Säulenhalle,1262 die Einzigartige (Uräus) im Haus des Schutzes(?),1263 groß an Lobpreis im Haus der Biene.1264 – 3. u.äg. Gau: (…) ntT mw.t-nTr nbw.t nb(.t) ImA.w Sdj(.t) xj=s m anx-wAs (…) (denn) du bist die Gottesmutter, die Goldene, die Herrin von Kom el-Hisn, die ihr Kind stillt mit Milch. – 4. u.äg. Gau: (…) ntT wsr.t HqA.t nb.t HkA.w1265 dr nrw n kA n Ra wr (…) (denn) du bist die Mächtige, die Herrscherin, die Herrin der Zauberkraft, die den Schrecken des Stieres von Re, dem Großen,1266 vertreibt. – 5. u.äg. Gau: (…) ntT ¥smw.t aHA(.t) Hr sA=s nD.tj(.t) n wbn m D.t=s (…) (denn) du bist Schesemut,1267 die für ihren Sohn kämpft,1268 die Schützerin dessen, der aus ihrem Leib erscheint. 1259 1260 1261 1262 1263

Hier nicht separat bearbeitet. Häufiger Beiname von Sachmet und Hathor, vgl. LGG IV, 19a–b. Oder m Htp[.w …] „mit Opfergab[en …]“? Möglicherweise handelt es sich bei wArx auch um ein Toponym des Letopolites, vgl. LGG IV, 37a–b. Nach MEEKS, Année lexicographique, 78.1471, bezeichnet pr-sA ein Entbindungshaus oder Säuglingsheim. 1264 Ein Heiligtum, das in Sais oder Letopolis lokalisiert sein kann, vgl. Kap. 4.2.1.A, Anm. 606. 1265 Wortspiel/Alliteration zwischen HqA.t und HkA.w. 1266 CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 187, übersetzt „Schrecken des großen Ka des Re“. Zur obigen Übersetzung vgl. LGG VII, 562a, und außerdem LGG VII, 265c zu kA n Ra wr: Dieses Epitheton ist in Edfu und Dendara für den Gott Schesemu belegt, der wiederum zumindest in einer Quelle (LGG VII, 122a, Beleg [89] = Opet I, 245 rechts) mit der anderen, nördlichen Hälfte des Neith-Gaues (5. u.äg. Gau) statt wie hier mit dem südlichen Neith-Gau verbunden ist. Vgl. auch die Erwähnung einer weiblichen Form von Schesemu für den 5. u.äg. Gau im obigen Text. Zu Schesemu siehe z. B. M. CICCARELLO, Shesmu the Letopolite, in: Studies in Honor of George R. Hughes, SAOC 39, Chicago 1976, S. 43–54.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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– 6. u.äg. Gau: (…) ntT sA.t Ra xp(r.t) im=f Wps.t Sps.t wtT.n=f-sj (…) (denn) du bist die Tochter des Re,1269 die aus ihm entstanden ist, die Verbrennende,1270 die Edle; er hat sie gezeugt. – 7. u.äg. Gau: (…) ntT mw.t-nTr Snj(.t) m HkA.w=s sxr(.t) ¤tS1271 m tpj.w-rA=s (…) (denn) du bist die Gottesmutter, die mit ihrer Zauberkraft beschwört, die Seth mit ihren Zaubersprüchen niederwirft. – 8. u.äg. Gau: (…) ntT ¡w.t-¡r nb(.t) anw {x}m Hw.t-¡w.t-¡r xtj(.t) ¤tS xr.w(?) HA.t(?) sA=s1272 (…) (denn) du bist Hathor, die Herrin von Anu1273 im Tempel der Hathor, die Seth erblickt/zurücktreibt, indem er gefallen ist(?) vor(?) ihren Sohn.1274 – 9. u.äg. Gau: (…) ntT nw(.t) sn=s m njw.(w)t1275 spA.wt rdj(.t) sA=s Hr ns.t it=f (…) (denn) du bist diejenige, die ihren Bruder einhüllt in den Städten und Gauen, und die ihren Sohn auf den Thron ihres Vaters setzt.1276 – 10. u.äg. Gau: (…) ntT ¢wj.t Hbs.n=s nTr Hd.t a.wj=s Hr mkj nb=s (…) (denn) du bist Chuit („die Schützerin“),1277 indem sie den Gott bekleidet,1278 die ihre Arme ausbreitet beim Schützen ihres Herrn.1279 1280 – 11. u.äg. Gau: (…) ntT Hsb(.t)1281 qnj.w n nbD tp irj.n=f Hwj(.t) sDb.w r=f m nm.t (…) (denn) du bist diejenige, die die Übeltaten des Bösen zählt, wegen dem, was er getan hat, und Unheil gegen ihn verhängt an der Richtstätte.1282

1267 Die weibliche Form des Gottes Schesemu ist laut LGG VII, 123c, nur hier belegt. Siehe dazu die vorige Anm. 1266. 1268 Diese Bezeichnung ist mehrfach für Isis belegt, LGG II, 187c. 1269 Amun-Re ist der Hauptgott des 6. u.äg. Gaues. 1270 Wps.t („die Verbrennende“) ist eine häufige Form der Göttin Tefnut bzw. der Gefährlichen Göttin, Tochter des Re, vgl. LGG II, 367; JUNKER, Auszug der Hathor-Tefnut, S. 36; ID., Onurislegende, S. 82–94; INCONNU-BOCQUILLON, Déesse Lointaine, S. 239–242 und 281–289. 1271 Alliteration auf s/S. 1272 Alliteration auf H/x. 1273 Es handelt sich um das w-Gebiet des 8. u.äg. Gaues, siehe GDG I, S. 144. 1274 Vgl. zur Lesung CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 186–187. In LGG V, 969c, dagegen gelesen als xtj(.t) ¤tS Xr-HA.t(?) sA=s „die Seth sieht vor(?) ihrem Sohn.“ 1275 Wortspiel/Alliteration zwischen nw(.t) und njw.t. 1276 So und ähnlich häufiger für Isis belegt, vgl. LGG IV, 781b–782a. 1277 Eine eigenständige Göttin im Gau von Athribis (10. u.äg.) und Partnerin des Horus Chentechtai, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 711; LGG V, 675c–676a; C. LEITZ, Die regionale Mythologie Ägyptens nach Ausweis der geographischen Prozessionen in den späten Tempeln, Soubassementstudien IV, SSR 10, Wiesbaden 2017, S. 476. 1278 „Die den Gott bekleidet“ ist ein häufiges Epitheton der Chuit von Athribis, vgl. LGG V, 675c–676a. 1279 Gemeint dürfte Horus Chentechtai sein, vgl. Anm. 1277. 1280 Vgl. zu diesem Abschnitt auch VERNUS, Athribis, Doc. 206. 1281 Wortspiel mit dem Namen des Gaues ¡sb.w.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

– 12. u.äg. Gau: (…) ntT ©d.t sA.t Ra mrj(.t)=f mAA=s n Hrj1283 Hr HA.t=f m MHnj.t (…) (denn) du bist die Dauernde/Rezitiererin(?),1284 die Tochter des Re, die zu sehen er liebt, die sich nicht von seiner Stirn entfernt als Ringelschlange (Mehenet). – 13. u.äg. Gau: (…) ntT Iw=s-aA=s ir.t Ra m Hw.t-HkA irj.tw n=s Iwn.t m DbA n Iwnw (…) (denn) du bist Iusaas, das Auge des Re im ‚Tempel der Zauberkraft‘,1285 für die Iunet (das weibliche Heliopolis, Dendara) geschaffen wurde als Gegenstück zu Heliopolis.1286 – 14. u.äg. Gau: (…) ntT ¢ntj.t-IAbt.t xnt ¢ntj.t-IAbt.t1287 sanx(.t) TA=s xnt Msn (…) (denn) du bist die ‚Vorsteherin des Ostens‘ an der Spitze (des Gaues) von ‚Vorsteherin des Ostens‘, die ihr Kind leben läßt an der Spitze von Mesen.1288 – 15. u.äg. Gau: (…) ntT NHm.t-awAy Hnw.t m Wp-rH.wj Sps.t wsr.t iwt.t twt n=s (…) (denn) du bist Nehemetawai,1289 die Gebieterin in Wep-rehui (Hermopolis parva), die Edle und Mächtige, deren Gleiche es nicht gibt.1290 – 16. u.äg. Gau: (…) ntT @A.t-mHy.t Hnw.t nb(.t) ©d.t HHj(.t) sn=s Hr nwj (…) (denn) du bist Hatmehit, die Gebieterin, die Herrin von Mendes, die ihren Bruder in den Fluten sucht.1291

1282 Zur Lesung vgl. LGG V, 487b, und CAUVILLE, Dend. I Traduction, S. 188–189, die am Ende allerdings xb.t statt nm.t liest. Zum ersten Teil vgl. auch den Deltapapyrus (pBrooklyn 47.218.84), Kol. 15, 2: Hsb=tw n=f qnj; MEEKS, Mythes et légendes, S. 33 u. 146, Anm. 510. 1283 Wortspiel mit dem Hauptgott des Gaues, Onuris (In-Hr). 1284 Der kulttopographischen Litanei zufolge trägt Isis diesen Namen in Busiris (©dw) bzw. Mendes (©d.t), siehe Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Dend. I, 20, 14–21, 5. 1285 Heiligtum in Heliopolis, siehe GDG IV, S. 115. 1286 Siehe zu dieser Stelle auch VANDIER, Iousâas II, S. 107. 1287 Wortspiel mit dem Namen des Gaues. Die Göttin ¢ntj.t-IAbt.t wird außerdem auch für den 9. o.äg. Gau genannt, siehe oben. Zu ¢ntj.t-IAbt.t als Erscheinungsform der Isis siehe oben, Dend. Porte d’Isis, Nr. 1, mit Kommentar. 1288 Gemeint ist der Hauptgott des Gaues, Horus von Mesen. 1289 Göttin sowohl des ober- als auch des unterägyptischen Hermopolis, Gefährtin des Thoth, siehe dazu J. PARLEBAS, Die Göttin Nehmet-Awaj, Diss., Univ. Tübingen 1984; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 153–178. 1290 Siehe dazu auch A.-P. ZIVIE, Hermopolis et le nome de l’ibis. Recherches sur la province du dieu Thot en Basse Égypte I, Bdé 66, 1, Kairo 1975, S. 189, Doc. 62; L. HABACHI, Notes on the Delta Hermopolis, Capital of the XVth Nome of Lower Egypt, in: ASAE 53, 1955/56, S. 441–480: 460. 1291 Vgl. die bedeutungsgleiche Bezeichnung HHj(.t) sn=s Hr mtr der Hatmehit in einer Ritualszene (Esel töten) in Dend. X, 54, 10–11 (LGG V, 467c), vgl. zu Hatmehit I. GAMER-WALLERT, Fische und Fischkulte im alten Ägypten, ÄgAb 21, Wiesbaden 1970, S. 98–101. Hier wird offenbar auf die Suche der Isis nach Osiris im Mittelmeer oder zumindest in den Deltasümpfen angespielt. Damit hängt nach LEITZ, Gaumonographien, S. 472, womöglich auch die Zuordnung des Delphins (itn) zu Isis in Frg. 31 des Geographischen pTanis (innerhalb einer Auflistung heiliger Fische) zusammen.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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– 17. u.äg. Gau: (…) ntT Mw.t wr.t nb(.t) ISrw sA.t Ra xnt %mA-BHd.t (…) (denn) du bist Mut, die Große, die Herrin von Ischeru, die Tochter des Re an der Spitze von el-Balamun. – 18. u.äg. Gau: (…) ntT BAs.t Hnw.t nb(.t) BAs.t ir.t Itm xnt tA-n-Itm (…) (denn) du bist Bastet, die Gebieterin, die Herrin von Bubastis, das Auge des Atum an der Spitze von ‚Land des Atum‘ (= Dendara). – 19. u.äg. Gau: (…) ntT @w.t-@r wr.t nb(.t) Im.t Hrj(.t) wAD=s irj(.t) mk.t n sA=s (…) (denn) du bist Hathor, die Große, die Herrin von Imet (Tell el-Faraoun), die über ihrer Papyrussäule ist,1292 die den Schutz ihres Sohnes bereitet.1293 – 20. u.äg. Gau: ntT ¢sy.t wr(.t) Hrj.t-tp n Ra aA(.t) sxr.w m wp.t Itm (…) (denn) du bist Chenset, die Große, die Uräusschlange des Re, mit großen Ratschlägen am Scheitel des Atum.1294 Kommentar: Dem jeweils hinteren Teil der Begleittexte der Gauprozession im Soubassement der Sanktuaraußenwand liegt das gleiche Prinzip zugrunde wie der kulttopographischen Litanei, die sich ja an der linken Türlaibung des Sanktuars (Dend. I, 20, 14–21, 5; s. o.) sowie im Inneren des Sanktuars des Isistempels (Dend. Isis, 78, 16–79, 5) befindet: Die Göttinnen von Dendara, Hathor bzw. Isis, werden jeweils mit einer Hauptgöttin der einzelnen ägyptischen Gaue identifiziert, was hier durch die Formel ntT X „(denn) du bist X“ erzielt wird. Die Namen bzw. Bezeichnungen der einzelnen Gauherrinnen werden noch durch zusätzliche Epitheta erweitert, die sich teilweise auf lokale mythische Episoden beziehen und häufig den Schutz des Osiris oder Horus vor Seth thematisieren. Die genannten Göttinnen sind manchmal, aber nicht immer, identisch mit den in den Exemplaren der kulttopographischen Litanei genannten; Unterschiede kommen zudem auch dadurch zustande, daß in letzterer nicht streng alle Gauhauptstädte durchdekliniert werden, sondern ausgewählte wichtige religiöse Hauptstädte. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. II, 66, 13–67, 3 Dendara, Haupttempel, 1. Ostkapelle (D) im Couloir mystérieux (War.t xpr XA.t), linke (südliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 108–109

1292 Eine häufige Bezeichnung der Uto, vgl. LGG V, 437c–438a. 1293 Als Bezeichnung der Göttin des 19. u.äg. Gaues auch in den Parallelen Dend. XII, 199, 16: ntT ir.t Ra Hrj(.t) wAD=s xwj(.t) sA=s Sdj(.t) @r m Axy „(denn) du bist das Auge des Re, die über ihrer Papyrussäule ist, die ihren Sohn beschirmt, die Horus aufzieht im Papyrusdickicht.“; und Deltapapyrus (pBrooklyn 47.218.84), Kol. 15, 6: @w.t-@r wr.t nb(.t) Im.t Hrj(.t) wAD=s xwj=s sA=s Sdd nTr m Axy.t „Hathor, die Große, die Herrin von Imet, die über ihrer Papyrussäule ist. Sie beschirmt ihren Sohn, sie rettet/zieht auf den Gott im Papyrusdickicht.“; MEEKS, Mythes et légendes, S. 34;148, Anm. 518, u. 302–303. 1294 Vgl. die Parallele Dend. XII, 200, 17–18: [nt]T ¢n[sy].t Hrj.t-tp n Ra MHnj.t m tp n nb-Dr „(denn) [du] bist Chen[se]t, die Uräusschlange des Re, die Ringelschlange am Kopf des Allherrn.“

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260 Inhalt

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (66, 15–67, 3): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, Hrj.t-tp n Ra Hnw.t tA.wj die Stirnschlange des Re, die Gebieterin der Beiden Länder, wa.t pw Hnw.t nTr.w nTr.wt die Einzigartige ist es, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, nn mjt.t=s m gs.w-pr.w derengleichen es nicht gibt in den Tempeln, nTr.t wa.t wD(.t) md.w n HH.w die einzigartige Göttin, die Befehle erteilt an Millionen, nn wn k.t [… … … …]1295 mit der keine andere [vergleichbar ist (o. ä.),] Kol. 3: nb(.t) p.t tA dwA.t mw Dw.w die Herrin des Himmels, der Erde, der Unterwelt, des Wassers und der Gebirge, nn wn irj(.t) m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung nichts getan wird („ohne… es kein Gemachtes gibt“), rpj.t nfr.t n Hr xw=s die schöne Vornehme, deren Art es nicht (noch einmal) gibt, bjAtj(.t) sr.t xp(r) n Hn.tj die Wunderbare, die verkündet, was geschieht in ferner Zeit,1296 [nTr].t1297 tn nswj.t r (sic!) tpj.w-a HqA.t n [… … … … …] diese [Göttin], die Königin der Vorfahren,1298 die Herrscherin der/des […] Kommentar: Isis wird in dieser Epithetareihe, die keine formalen Besonderheiten aufweist, in erster Linie als Herrscherin mit oberster Befehlsgewalt und als Herrin des Kosmos vorgestellt, insbesondere mit der Aufzählung seiner verschiedenen Bereiche (Himmel, Erde, Unterwelt…). Ihre Einzigartigkeit wird in variierenden Formulierungen mehrfach betont: wa.t, nn

1295 CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 108–109, ergänzt hier m sn.t r=s, wohl nach Dend. VI, 138, 9–10 (vgl. LGG III, 484b). Eine andere Möglichkeit wäre nn wn k.t Hr xw=s, nach Dend. VIII, 28, 3–4 (vgl. LGG III, 484b), wobei eine solche Phrase (ohne k.t) im obigen Text später noch folgt (67, 2), so daß diese Ergänzung wohl weniger wahrscheinlich wäre. Der Sinn bleibt der gleiche. 1296 Vgl. die ähnliche Formulierung im Text Dend. I, 82, 1–6 (s. o.). 1297 Größe und Form der Lücke würden perfekt passen für . Vgl. die parallele Stelle Dend. III, 55, 2–8 (s. u.): „diese Göttin, die fürstlicher ist als die Vorfahren“. 1298 Die Präposition r ist ungewöhnlich, zu erwarten wäre n, vgl. die anderen Belege in LGG IV, 349c. Möglicherweise handelt es sich um eine Verschreibung. Andererseits stellt sich die Frage, was in der Lücke vorher gestanden hat, so daß möglicherweise mit dem r auch ein komparativer Sinn gemeint war, etwa „die […], die königlicher (noch) ist, als die Vorfahren“.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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mjt.t=s, nTr.t wa.t, nn wn k.t […], n Hr xw=s. In der gegenüberliegenden Türlaibung ist wie üblich ein entsprechender Text für Hathor angebracht (Dend. II, 66, 8–11).1299 Inschriften der Geburtskapelle der Isis Text/Hauptpublikation Dend. II, 98, 2–99, 3 Anbringungsort Dendara, Haupttempel, 2. Ostkapelle (E) im Couloir mystérieux (s.t msxn.t = Geburtskapelle der Isis), Tür, Außenseite, rechter (nördlicher) Türpfosten Bibliographie CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 152–155; KURTH, Einführung I, S. 565–568; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 140–141, Nr. (8) (nur Teile); VON LIEVEN, Scheiben am Himmel, S. 282 (nur Teile) Text: Kol. 1:

Kol. 2:

(Dd mdw) iAw n=T iAw n kA=T (Rezitation:) Lobpreis für dich, Lobpreis für deinen Ka, [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t [(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, SAa.t pw SAa(.t) xp(r) xnt ?1300 die Uranfängliche ist es, die als Erste am Anfang entstanden ist, wa.t Hnw.t nTr.w die Einzigartige, die Gebieterin der Götter, papa(.t)(?)1301 n mw.t=s iw/r tA m &A-rr die zur Welt gebracht wurde von ihrer Mutter in Dendara m hrw pn nfr grH nxn m sS=f an diesem schönen Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest. wbn HAy.tj m bjA m AxAx (= ixxw) Die beiden Himmelslichter gingen auf am Himmel in der Dämmerung, Dr wn=T ir.tj=T m &A-n-Itm als du deine beiden Augen öffnetest im Land des Atum (= Dendara), dj nb.t Iwn.t bnr=s r Snb.t=T die Herrin von Dendara gibt ihre Süße (Milch) in deine Kehle,

1299 Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 106–107. 1300 Die überflüssige Sonnenscheibe muß wohl getilgt werden. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 140, übersetzt unter Einbeziehung der Sonnenscheibe „die zuerst vor Re Entstandene“, vgl. dagegen aber LGG VII, 24a (Beleg [2]). 1301 Die Lesung des Wortes ist unsicher, der Sinn aufgrund des Determinativs und Zusammenhangs jedoch klar; papa nach CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 152, die jedoch keinen Kommentar dazu abgibt; und KURTH, Einführung I, S. 567, der eine Verschreibung von zu annimmt, was mir plausibel erscheint. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 140, m. Anm. 29, liest mit Fragezeichen AxAx, was den geschriebenen Zeichen zwar am nächsten kommt, aber wenig Sinn machen würde; er übersetzt trotz der Lesung aufgrund des eindeutigen Zusammenhanges „die zur Welt gebracht wird“, ähnlich auch LGG I, 60b, allerdings mit AXAX statt AxAx.

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Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Atf=s tw=T m mrw.t=s sie bekrönt dich/stattet dich aus (?)1302 mit ihrer Liebe,1303 pAw.tj tpj (Hr) dj(.t) iAw m Hr=T der erste Urgott gibt Lobpreis vor deinem Antlitz, psD.t aA.t Hr dwA kA=T die große Neunheit betet deinen Ka an, njw.wt spA.wt grg Xr sSm=T Städte und Gaue sind ausgestattet mit deinem Abbild,1304 n sk tp tA D.t unvergänglich auf Erden, ewiglich. wD.n=T mdw m gs.w-pr.w Du hast die Anweisungen in den Kultstätten gegeben, aq(?)1305 prj x{w}t wD=T man geht ein und aus gemäß deiner Weisung, mnx.t an.t Hnw.t nTr.w nTr.wt die Vortreffliche und Schöne, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, rpy.t nfr.t m Pr-Rpy.t die schöne Vornehme im Haus der Repit/der Vornehmen (= Dendara),1306 iqr.t(?)1307 pw n wn mj.t.t=s die Treffliche ist es, deren Gleiche es nicht gibt, nb(.t) sS Hnw.t pr-mDA.t die Herrin der Schrift, die Gebieterin des Hauses der Schriftrollen (Bibliothek),

1302 Die Stelle ist unsicher; obige Lesung auch bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 152–153. Allerdings wird Atf in Wb I, 23, 4–5, nur als intransitives Verb mit der Bedeutung „gekrönt sein“, „versehen sein“ angegeben. Für eine solche Bedeutung müßte aber stark emendiert werden, außerdem würde der Satz dann nicht mehr in das Muster der vorherigen und der folgenden Phrasen passen, die alle jeweils eine Handlung anderer Götter und Entitäten gegenüber Isis ausdrücken. Somit muß hier eine transitive Bedeutung „krönen, ausstatten“ für Atf zumindest für diese Zeit angenommen werden, vgl. auch KURTH, Einführung I, S. 567. 1303 CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 152–153, liest m mjt.t=s „wie sich selbst“; vgl. zur obigen Lesung und Übersetzung KURTH, Einführung I, S. 567. 1304 Alternative: „Städte und Gaue wurden gegründet unter deiner Leitung“, vgl. KURTH, Einführung I, S. 567. Beide Varianten halte ich für gut möglich. 1305 Das Zeichen zeigt eine herauskriechende Schlange statt einer hineinkriechenden . KURTH, Einführung I, S. 567, erklärt diesen „Fehler“ mit einer möglicherweise beabsichtigten Hinwendung der Schlange zum vorher geschriebenen gs.w-pr.w. CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 152–153, liest hingegen prj prj.t xft wD=T „das was geschieht, geschieht nach deiner Weisung“, was die Fehlschreibung auflösen würde, mir hier jedoch weniger wahrscheinlich vorkommt. 1306 Siehe dazu KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 103–104. 1307 CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 154–155, und KURTH, Einführung I, S. 567–568 lesen Hb.t „Ibisweibchen“, doch gibt es für eine solche Göttinnenbezeichnung zumindest laut LGG keine Parallele. Immerhin wird Isis in dem frühdemotischen magischen Papyrus pBM 10378 einmal als „Ibis (hb) von der Waage der Beiden Länder“ bezeichnet, siehe zur Diskussion Kap. 6.5.2.1. Aufgrund der somit dünnen Beleglage, aber auch im Hinblick auf das folgende „deren Gleiche es nicht gibt“, halte ich im obigen Text die Lesung iqr.t für wahrscheinlicher, vgl. auch LGG I, 566b (Beleg [7], allerdings mit Fragezeichen).

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 4:

263

HqA.t pw n.j.t Aw n tA die Herrscherin der (ganzen) Weite der Erde ist es, itj.t m Sn n itn die Fürstin im Umkreis der Sonnenscheibe, Ra.t xaj(.t) tp rnp.t m nn.t Sonnengöttin, die zu Beginn des Jahres am Himmel erscheint m %pd.t Hnw.t xAbAs.w als Sothis, die Gebieterin der Himmelsleuchten. wpS mAw=T1308 tA Hr ndb=f mj Ra Deine Strahlen erleuchten das ganze Land wie Re, dj=f-sw m dwA wenn er sich zeigt am Morgen. nb(.t) tp rnp.t Sdj.t Hapj m tpH.t=f Herrin des Jahresanfangs, die den Nil aus seiner Höhle herauszieht, r xp(r) anx n anx.w damit Leben entsteht für die Lebenden. TAj.w Hm.wt m ksw n1309 bA.w=T Männer und Frauen sind in Verbeugung vor deiner Gottesmacht, &A-mrj(.w?) n=T m wAH-tp das Geliebte Land/die Ägypter1310 ist/sind für dich mit gesenktem Kopf (= in Ehrerbietung), [(As.t wr.t mw.t-nTr) Htp Hr=T nfr n nswt bjtj nb tA.wj [( ) mrj=T [(Isis, die Große, die Gottesmutter), möge dein schönes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder [( ), den du liebst.

Kommentar: Der Eingang zu Isis’ Geburtskapelle in Dendara wird von zwei langen Hymnen eingerahmt, von denen obige an Isis, die auf der linken (südlichen) Seite (Dend. II, 99, 5–100, 3)1311 an Hathor gerichtet ist. Die Komposition für Isis ist formal sehr reich gestaltet und in verschiedene Abschnitte gegliedert, die sich auch in der Verteilung auf die vier Kolumnen widerspiegeln. Die Hymne ist an Isis in der 2. Pers. gerichtet und beginnt mit der geläufigen Einleitung iAw n…1312 In der 1. Kolumne werden ihre Haupttitel genannt und ihre Geburt als Urgöttin in Dendara am „Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest“ thematisiert,1313 wie es so häufig in Dendara vorkommt1314 und hier in Verbindung mit der Geburtskapelle be1308 Die Stelle wurde falsch verstanden von LEITZ, Nacht des Kindes, S. 141, der wpS als Partizip an den vorangehenden Satz anschließt und übersetzt „die das ganze Land erleuchtet mit der Sonnenscheibe (?)“, indem er m itn statt mAw=T liest. Zu mAw „Strahlen, Helligkeit“ siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 400–401; Wb II, 28, 1–4. 1309 Das n ist in das Determinativ des sich verbeugenden Mannes hineingeschrieben. 1310 Das Determinativ des Mannes und der Frau mit Pluralstrichen sowie die beschriebene Handlung zeigen an, daß hiermit die Bewohner des genannten Landes gemeint sein müssen. 1311 Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 154–157. 1312 Diese Einleitung wird z. B. auch in den Philae-Hymnen 1 und 2 verwendet. 1313 Zur umstrittenen Interpretation dieses Datums, siehe Kap. 4.6.3. 1314 Siehe die Belegsammlung bei LEITZ, Nacht des Kindes, S. 139–148.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sonders passend ist. Nach der Einleitung werden die Epitheta wie meist mit substantivischen Ausdrücken und Partizipialformen gebildet. Mit der zweiten Kolumne beginnt ein neuer Abschnitt, der formal durch Verbalsätze gekennzeichnet ist, die jeweils Handlungen anderer Gottheiten und Gruppen gegenüber Isis beschreiben, die ihre Verehrung und Huldigung implizieren. Elegant verbunden werden diese mit dem ersten Abschnitt durch die „beiden Himmelskörper“ (HAy.tj), die bei Isis’ Geburt „in der Dämmerung“ aufgehen, und damit deren kosmischen Zusammenhang zeigen. Mit diesem Ausdruck dürften hier wie üblich Sonne und Mond gemeint sein.1315 Das Öffnen der beiden Augen von Isis bezeichnet denselben Vorgang. Möglicherweise ist der Text – sowie der ganze Themenkomplex der Isisgeburt – jedoch in Beziehung zum Thema Mundi zu sehen, dem Geburtshoroskop der Welt.1316 In der ideellen Vorstellung fällt der Anbeginn der Welt, wie der Beginn jeden Jahres, mit einem heliakischen Siriusaufgang zusammen. Der im Sternzeichen Krebs befindliche Sirius ist dabei nahe bei Sonne (im Löwen) und Mond (im (Haus) Krebs, wenngleich er auf den astronomischen Decken in seinem Hypsoma, dem Stier, und nicht im Haus dargestellt wird). Die Planeten folgen in der Reihenfolge zunehmenden Abstandes von der Sonne nacheinander in den übrigen Sternzeichen. Das Thema Mundi wird auch im rechteckigen Himmelsbild in der Hypostylhalle des Tempels von Dendara gezeigt. Da diese Vorstellung demnach für den Tempel von Dendara von großer Bedeutung war, ist es naheliegend, auch die Theologie der Isisgeburt dort mit dieser kosmischen Konstellation zu verbinden. Dies bedeutet, daß der Rahmen der Beginn der Welt ist, deren Startpunkt der Sothisaufgang ist, der demzufolge mit der Geburt der Isis gleichgesetzt sein muß.1317 Im obigen Text folgen auf die Geburt das Stillen und Bekrönen, sowie die Huldigungen. Die 3. Kolumne widmet sich dann Taten und Eigenschaften der Göttin selbst, ist formal aber heterogen gestaltet. Beginnend mit Isis’ Erlaß von Vorschriften für die Tempel1318 und ihrer allgemeinen Autorität über diese werden zunächst Verbalsätze verwendet, gefolgt von substantivischen Ausdrücken, die relativ allgemeine Epitheta enthalten. Diese werden unterbrochen von zwei pw-Sätzen mit jeweils angehängten weiteren Beinamen, die Isis als Herrscherin des gesamten Erdkreises und Herrin der Schrift bezeichnen. Letzteres verweist erneut auf die bereits erwähnte Identifizierung mit der Göttin Seschat.1319 Am Ende der Kolumne ist wiederum von Isis-Sothis und ihrem Aufgang am Neujahrsmorgen die Rede, die wie die Sonne selbst das Land erleuchtet. Der Vergleich mit der Sonne selbst wird auch 1315 Siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 613; Wb III, 15, 9; WAITKUS, Krypten, S. 134–135, Anm. 33; gefolgt auch von BUDDE, Götterkind, S. 59, Anm. 285. Dagegen argumentiert LEITZ, Nacht des Kindes, S. 138, daß es sich im Zusammenhang mit der Isisgeburt bei den beiden Leuchtenden um Sonne und Sothis handeln muß, die beim heliakischen Sirius-Aufgang gemeinsam am Horizont erscheinen. Dies ist allerdings problematisch, da Isis(-Sothis) im Text eine von den beiden Leuchtenden differenzierte wietere Entität ist, vgl. auch QUACK, Dekane, S. 331. 1316 Siehe ausführlich zum Thema Mundi, seiner Bedeutung und dem möglichen Bezug der DendaraTexte darauf: QUACK, Dekane, S. 322–333. 1317 Vgl. zum Thema der Schöpfung und ihrer Reihenfolge auch den Text am Isistor Dend. Porte d’Isis, Nr. 1. 1318 Vgl. dazu zum Beispiel auch die Bandeau-Inschrift der Szene am Isistor Dend. Porte d’Isis, Nr. 49, S. 65, 9–11. 1319 Siehe oben zu den Hymnen in den Laibungen der beiden Türen des Coulouir mystérieux Dend. I, 75, 12–76, 2; 82, 1–6.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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in ihrer Bezeichnung als Ra.t „Sonnengöttin/weiblicher Re“, die auch sonst häufig vorkommt, verdeutlicht.1320 Der Sothis-Aspekt wird zu Beginn der 4. Kolumne weiter ausgeführt, indem auch die ihr zugeschriebene Auslösung der Nilflut Erwähnung findet. Das Ende der eigentlichen Hymne (vor Haupt-Titulatur und Fürbitte für den König) drückt, im Prinzip ähnlich wie in Kolumne 2, die Verehrung der Isis – in diesem Fall durch die Menschen bzw. Ägypter selbst – aus, allerdings mit Hilfe von Adverbial- anstelle von Verbalkonstruktionen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie Parallelen

Dend. II, 100, 6–11 Dendara, Haupttempel, 2. Ostkapelle (E) im Couloir mystérieux (s.t msxn.t = Geburtskapelle der Isis), rechte (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 156–157; CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 284–288 (teilweise) Philae-Hymne 3; Dend. VI, 2, 21–4, 6

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

@r.t As.t/nb.t(?)1321 wr.t Weiblicher Horus: Isis(?), die Große (oder: die große Herrin(?)), nb.t tA.wj ity.t m Sn itn die Herrin der Beiden Länder: die Fürstin im Umkreis der Sonnenscheibe, wr(.t) Hsw.t wr(.t) mrw.t mit großer Gunst und großer Beliebtheit, nswj.t bjtj.t [(As.t) rn=s mAa die Königin von Ober- und Unterägypten: [(Isis) ist ihr wahrer Name, @A.t-mHy.t irj(.t) sA Ams Hatmehit,1322 die den Schutz des Ames-Szepters1323 bereitet, Mns.t nwj(.t) aSA(.t?) dm.t die schützende Menset(?),1324 reich an Messern (?);1325

1320 Siehe dazu und zu den Epitheta Ra.t und itn.t die Überlegungen von VON LIEVEN, Scheiben am Himmel, zum Text: S. 282, die diese Bezeichnungen generell eher auf den Sothis-Stern beziehen möchte als auf die Sonne. 1321 Hinter @r.t folgt eine sitzende Frau mit Hathorkrone und wAD-Szepter, die von CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 156–157, wohl als Determinativ aufgefaßt wird. Angesichts des ansonsten allein stehenden (was natürlich auch möglich wäre) folgenden wr.t stellt sich m. E. die Frage, ob das Zeichen nicht doch einzeln als As.t oder zumindest nb.t gelesen werden sollte. @r.t wird üblicherweise eigentlich nicht mit Determinativ geschrieben, vgl. Wb III, 124, 10–125, 3. 1322 Die Gaugöttin von Mendes, die zumindest in der Spätzeit auch als Helferin bei der Suche nach den Osirisgliedern belegt ist, und daher mit Isis gleichgesetzt werden kann, vgl. RÄRG, S. 282; und oben, Anm. 1291. 1323 Ein königliches Szepter, das vor allem vor Gefahren und Unreinheit schützen soll, siehe dazu WILSON, Ptol. Lex., S. 10–11; P. KAPLONY, s. v. „Szepter“, in: LÄ VI, Sp. 1373–1389: Sp. 1376. 1324 „Menset“ ist sonst nicht als Göttinnenbeiname belegt, vgl. LGG III, 317a, dürfte hier aber aufgrund der Endung so gemeint sein. Menset bezeichnet normalerweise Kultstätten in Heliopolis, wo Schu (obere Menset) und Tefnut (untere Menset) entstanden sein sollen und verehrt werden, siehe RÄRG, S. 771; Wb II, 88, 11–12; VANDIER, Iousâas II, S. 152–156; M. SMITH, pHarkness, S. 217–218, (c).

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Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wnn=sn aHA.wt r-mn hrw p[n]1326 sie sind die Kriegsschiffe1327 bis zu diesem(?) Tag, Hm.t [nTr] dwA.t wr.t die Gottesgemahlin, die große Gottesanbeterin, mw.t-nTr Dr.t [nTr] die Gottesmutter, die Gotteshand,1328 Xkr.t nb.t1329 aH nb(.t) Abw.t Schmuck und Herrin des Palastes, die Herrin der Gestalt(en), AxAx(.t) imA mH(.t) aH m nfr.w=s von glänzender Wohlgestalt, die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt, THn(.t) xa apr(.t) Xkr.w mit glänzender Erscheinung und ausgestattet mit Schmuck, nb(.t) mDA.t1330 Hnw.t m sSd die Herrin des Kronenuntersatzes,1331 die Gebieterin mit der Sesched-Binde,1332 As.t iTj(.t) gs.t m aH-nTr Isis, die den Lauf beginnt im Gottespalast, igp(.t) wrx m sTj iAd.t=s die die Säulenhalle mit ihrem Wohlgeruch umwölkt,

1325 Auch in LGG III, 317a, und LGG II, 228b, werden hier zwei einzelne Epitheta der Isis verstanden. Eine weitere Möglichkeit wäre die Auffassung von CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 157, als ein zusammengehöriger Ausdruck: „Menset, die den beschützt, der reich an Messern ist“ (bei CAUVILLE etwas freier als „der mit Messern bewaffnet ist“), wobei sich dann die Frage stellt, wer damit gemeint ist, und warum er trotz der zahlreichen Messer noch weiteren Schutz benötigt. Andererseits wären damit die beiden Phrasen parallel gestaltet: „Hatmehit, die Schutz bereitet…“ „Menset, die schützt…“, was wiederum für CAUVILLEs Deutung spräche. 1326 CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 156, ergänzt aHA (allerdings ohne dies als Ergänzung anzugeben); hinter r-mn ist jedoch hrw pn üblich; in Dend. II, 100, 8, ist außerdem in der Lücke noch ein p mit Fragezeichen angegeben. 1327 CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 157, übersetzt „Kämpferinnen“ (combattantes), doch das Determinativ zeigt, daß das Wort für Kriegsschiffe gemeint sein muß, das besonders für die Schiffe des Horus gebraucht wird, mit denen er seine sethischen Feinde bekämpft, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 171; Wb I, 216, 17–18. Tatsächlich wird in der Edfu-Version des Mythos das Schiff mehrfach mit Isis gleichgesetzt, z. B. Edfu IV, 18, 11; 59, 11–12; 212, 14–213, 1; siehe oben, Kap. 4.5.1.B, Kommentar zu Edfu II, 82, 15–83, 6. 1328 Zu dieser Titelreihe und zur Ergänzung vgl. Philae-Hymne 3, deren Text ab hier in etwa mit der obigen Hymne übereinstimmt; siehe auch dort für Anmerkungen zum Text. 1329 CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 156–157: nb.t t aH „Herrin des Brotes des Palastes“; vgl. auch LGG IV, 154a. Das Brotzeichen unter nb ist möglicherweise eine Verschreibung, die aus einer Verwechslung mit nb.t t-HD entstanden sein könnte. Ich glaube nicht, daß hier tatsächlich das „Brot des Palastes“ gemeint war, sondern nur der Palast. Eine ähnliche Schreibung findet sich auch in der Parallele Dend. VI, 3, 1, siehe unten. 1330 Zur Lesung mDA.t (an Stelle von xprS, wie bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 157) siehe M. GABOLDE, La statue de Merymaât, gouverneur de Djâroukha, in: BIFAO 94, 1994, S. 261–275: S. 267–270, zur Stelle: S. 268, (2) (obwohl er den Text Hathor zuordnet); LGG IV, 69a. In ihrer Synopse korrigiert CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 43, m. Anm. 56, ihre alte Lesung xprS nach den Parallelen zu Sw.tj. Es mag zwar sein, daß es sich hier um eine Verschreibung für Sw.tj handelt, zu lesen ist dennoch mDA.t. 1331 Dieses Epitheton fehlt in der Parallele Philae-Hymne 3. 1332 Philae-Hymne 3 ohne m.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Hnskj.t [… Hnw.t]1333 ^ma.w MHw die Bezopfte [… die Gebieterin] von Ober- und Unterägypten,1334 wsr.t wr.t aA.t m p.t tA die Mächtige und Große, die Große im Himmel und auf Erden, Hnw.t Hm.(w)t Dr=w nb(.t) mnj.t Hnw.t sSS.wt die Gebieterin aller Frauen,1335 die Herrin des Menit, die Gebieterin der Sistren, Htp(.t) ib n rs-wDA die das Herz zufriedenstellt von dem ‚Der unversehrt erwacht‘ (= Osiris), As.t rn=s mAa{=s} nbw.t rn it=s Gbb Isis ist ihr wahrer Name, die Goldene,1336 der Name ihres Vaters ist Geb, rn mw.t=s Nw.t msj(.t) nTr.w der Name ihrer Mutter ist Nut, die die Götter gebiert. Kommentar: Die ganze Hymne dreht sich um Isis als Königin1337 und vereint dabei mehrere Elemente. Zu Beginn wird der Göttin eine Art Königstitulatur zugeschrieben, mit einem (weiblichen) Horusnamen, dem Titel „Herrin der Beiden Länder“, und dem auf „Königin von Ober- und Unterägypten“ folgenden Eigennamen.1338 Die übrigen Elemente der klassischen Königstitulatur fehlen allerdings. In dieser Hinsicht ähnelt die Titulatur der Isis denen der ptolemäischen Königinnen, 1339 die ebenfalls nur Horus- und Eigennamen aufweisen, 1340 nur im Ausnahmefall auch den Thronnamen.1341 Dieser Anfangsteil der Hymne mit der Titulatur sowie der Schluß, welcher nochmals ihren Namen plus den ihrer Eltern Geb und Nut nennt, finden ihre Entsprechung in dem Text auf der gegenüberliegenden Türlaibung; dort geht es nicht wie sonst meistens um Hathor, sondern um Isis’ ebenso königlichen Gemahl Osiris. 1342 Ihm wird darin eine vollständige klassische Königstitulatur mit Horusname, Nebti-Name, Goldhorusname, Thronname mit dem Titel „König von Ober- und Unterägypten“ und Eigenname mit dem Titel „Sohn des Re“ gegeben. Darauf folgen der Geburtsort Theben, die Eltern Geb und Nut, der Krönungsort Herakleopolis und die Besetzung der wichtigsten Verwaltungsämter mit Thoth, Hu und Sia. Der ganze Mittelteil des insgesamt längeren Isis-Texts unterscheidet sich jedoch sehr stark von dem für Osiris, wo nur noch eine knappe Größenangabe gemacht wird, die sich 1333 1334 1335 1336 1337 1338 1339 1340 1341 1342

Ergänzt nach Philae-Hymne 3, wo der vorangehende Teil lautet: Hnskj.t bnr(.t) mrw.t. Hier endet die Parallele zu Philae-Hymne 3. Ähnlich z. B. in Philae-Hymne 7. Oder: „Isis, ihr wahrer Name ist ‚die Goldene‘“; so CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 157. Siehe zu dieser Thematik auch CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 284–291; KÁKOSY, Isis Regina; BRUGSCH, Mythologica; NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 119–125. In der kanonischen Königstitulatur stehen beide Titel, nswt-bjtj und nb tA.wj, vor dem Thronnamen, siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 2. Zur Beziehung von Isis zu den Ptolemäerinnen, siehe NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 128–135. Berenike II., Kleopatra I. und VII. (jeweils Eigen- und Horusname), Kleopatra II. und III. (jeweils nur Eigenname in Kartusche), siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 236–245. Arsinoë II. (Thronname und Eigenname), BECKERATH, Königsnamen, S. 234–235. Dend. II, 100, 13–101, 7; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 158–159; YOYOTTE, Notice biographique, mit Kommentar. Siehe außerdem bereits BRUGSCH, Mythologica, S. 6. Zu Osiris als König (mit Zitat des Dendara-Textes), vgl. auch U. LUFT, Beiträge zur Historisierung der Götterwelt und der Mythenschreibung, Stud. Aeg. 4, Budapest 1978, S. 78–90.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sicherlich auf eine monumentale Kultstatue beziehen dürfte. 1343 Bei Isis folgt auf die Titulatur ein kurzer Abschnitt, der etwas aus der übrigen Thematik herausfällt: Sie wird mit Hatmehit und Menset(?) identifiziert, wobei letzterer Name möglicherweise auf Tefnut hindeutet.1344 Daß es inhaltlich um schützende Eigenschaften dieser Göttinnen(?) geht, wird aus den jeweils folgenden Beinamen klar; auch die zusammenfassende Bezeichnung beider als „Kriegsschiffe“, was sich möglicherweise auf den Horusmythos beziehen könnte,1345 deutet darauf hin, daß es hier um die Bewahrung des Königsamtes für den rechtmäßigen Herrscher gehen könnte. Die anschließende lange Textparallele zu Philae-Hymne 3, die in erster Linie die „liebliche“, weibliche Seite der Königin hervorhebt, bildet zu diesen kriegerischen Aspekten einen starken Kontrast, wenngleich hier Anspielungen auf ihre herrschaftliche Macht keineswegs fehlen. Auch der direkte Bezug zu Osiris, der auf der linken Türlaibung vorgestellt wird, findet sich am Ende des Textes. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. II, 105, 11–106, 2 Dendara, Haupttempel, 2. Ostkapelle (E) im Couloir mystérieux (s.t msxn.t = Geburtskapelle der Isis), Tür, Innenseite, rechter (nördlicher) Türpfosten CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 164–165; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 141, (10)

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

1343 1344 1345 1346

Dd mdw nD Hr=T HqA.t sA.t Gbb (Rezitation:) Sei gegrüßt, Herrscherin, Tochter des Geb, As.t wr.t mw.t-nTr dj(.t) r tA Isis, die Große, die Gottesmutter, die zur Welt gebracht wurde m &A-n-Itm m hrw grH nxn m sS=f im Land des Atum (Dendara) am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest. wbn Ra m p.t m AxAx/ixxw Re ist aufgegangen am Himmel in der Dämmerung, Dr prj=s m X.t m &A-rr als sie aus dem Leib herauskam in Dendara, wa.t wr.t nb(.t) iar.t die Einzigartige, die Große, die Herrin der Uräusschlange, n hb aH m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung man nicht den Palast betritt, aHa HqA Hr ns.t Hr Dd(.t)=s auf deren Worte hin der Herrscher den Thron besteigt,1346

Vgl. YOYOTTE, Notice biographique, S. 147. Siehe oben, Anm. 1322 u. 1324–1325 zum Text. Vgl. Anm. 1327. Zu diesen beiden Phrasen vgl. z. B. auch Dend. XI, 140, 1–5; siehe allgemein dazu NAGEL, Isis und die Herrscher; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 166–169.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 4:

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Hm.t nswt tpj.t n.j.t [(Wnn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), BA.t m p.t wsr.t m tA Bat (weibliche Ba-Seele)1347 im Himmel, die Mächtige auf Erden, stp-sA mn Xr sSm=s mit deren Abbild (oder: unter deren Leitung?) der Palast beständig ist, xtm.t [iw]/r Aw=s xtm.t(j) Hr xtm=s1348 mit deren Siegel die ganze Welt (‚das zu Siegelnde‘) gesiegelt ist, tA Dr=f arf m xfa=s in deren Faust die ganze Erde umfaßt ist, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Htp Hr=T nfr n nswt bjtj [( ) Möge dein schönes Antlitz gnädig sein dem König von Ober- und Unterägypten [( ).

Kommentar: Nachdem der Text mit der häufigen Hymnen-Einleitung nD Hr=T beginnt, findet in den folgenden Epitheta ein Wechsel auf die 3. Pers. sing. statt. Erst die Schlußformel für den König spricht die Göttin wieder direkt in der 2. Pers. an. Folgende für Dendara typische Themen werden ausgeführt: – Kol. 1–2: Geburt in Dendara und kosmischer Zusammenhang – Kol. 2–4: Isis’ Macht über das Königsamt und Herrschaft über die ganze Welt. Die Hymne auf dem linken Türpfosten an Hathor1349 ist formal genauso aufgebaut. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. II, 107, 10–108, 2 Dendara, Haupttempel, 2. Ostkapelle (E) im Couloir mystérieux (s.t msxn.t = Geburtskapelle der Isis), Bandeau-Inschrift des Frieses, rechte (nördliche) Seite CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 166–169

Text: – ab Nordwand (nach Titeln und Beinamen des Königs): Hts.n=f s.t-msxn.t mj nn.t Er hat die Geburtsstätte vollendet wie den Himmel,

1347 Zu Bat siehe BERGMAN, Isis-Seele, S. 36–41; vgl. auch die Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5. 1348 Für steht jeweils . Vgl. ähnliche Ausdrücke wie xtm.t xtm Hr xtm=s „die mit ihrem Siegel versiegelt, was zu versiegeln ist“, wo ebenfalls Schreibungen mit vorkommen, siehe LGG V, 971c. In LGG VII, 94c, und von A. GUTBUB, Jeux de signes dans quelques inscriptions des grands temples de Dendérah et d’Edfou, in: BIFAO 52, 1953, S. 57–101: S. 77, wird obige Stelle aufgefaßt als Sn r Aw=[f] sxn.t Hr Sn=s „auf deren Umkreis der Erdkreis in seiner Weite ruht“; CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 164–165, liest Sn.t r Aw=s Sn.tw Hr Sn=s „die ganze Welt ist umfaßt in ihrem Kreis“, und ignoriert damit das eigentlich maskuline Genus von Sn. 1349 Dend. II, 106, 4–8; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 164–165.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

ifd.w=s Xr Xnm.t anx bnr.t mrw.t indem seine vier Ecken die tragen, die ,erfüllt mit Leben’ ist, mit süßem Liebreiz, nb.t iwa.t Hr wnmj=s wobei die Herrin des Erbes (= Isis) auf ihrer rechten Seite ist, ir.t Ra Hr iAbj=s das Auge des Re (= Hathor) auf ihrer linken Seite, dj(.t) anx m wAD m a.wj=s die Leben spendet mit dem Papyrusszepter in ihren Händen n sr HD.t n/m HAy.t=s für den Fürsten der Weißen Krone (= Osiris), in ihrem Schrein, Hn(.t) Hm=f ra nb die Seine Majestät schützt jeden Tag, sA=s @r nD tjt=f während ihr Sohn Horus sein Abbild beschützt, dmA.t pD.wt(?)1350 m nh.t=s die die Bögen(?) zusammenbindet (= Nechbet) ist ihr (Isis’?) Schutz, sanx bk(A.t) der/die(?) die Schwangere belebt,1351 mk.tj.w xw.tj.w m xw.t=s die Schützenden und die Behütenden sind ihr Schutz. swr=s nswy.wt n nswt Hr ns.t=f xnt kA.w anx.w D.t Möge sie vergrößern die Königtümer des Königs auf seinem Thron an der Spitze der lebenden Ka-Mächte, ewiglich. Kommentar: In dieser Bandeau-Inschrift, die zunächst den Bau der Kapelle durch den König konstatiert, wird ausdrücklich gesagt, daß die rechte Hälfte Isis, die linke Hathor gewidmet ist, was sich ja auch anhand der Dekoration immer wieder feststellen läßt. Im etwas kryptischen Rest des Textes geht es um Schutz und Leben für Osiris und wohl auch für Isis. Für Osiris gehen diese Handlungen (schützen und beleben) von Isis und Horus aus, für Isis selbst von verschiedenen Göttern (Nechbet? Amun?) und göttlichen Wesen (mk.tj.w und xw.tj.w, jeweils mit Götterdeterminativ). Auch in der Südhälfte der Bandeau-Inschrift wird der Bau des Königs Isis zugeschrieben, was mit einer kurzen (in ihren Grundzügen aus vielen anderen Texten bekannten) Beschreibung ihrer Geburt einhergeht.1352 1350 Korrektur der Transkription in Dend. II, 107, 12, wo eine kleine Lücke hinter dmA.t angegeben ist, nach CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 168. 1351 Es ist nicht ganz klar, auf wen sich dieses Epitheton bezieht; CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 169, glaubt, daß mit sanx bk(A.t) Amun gemeint ist, wofür es aber trotz seiner Rolle im Geburtsmythos m. E. hier keinen Hinweis gibt; laut LGG ist dieses Epitheton sonst nicht belegt. Dort wird die obige Stelle auf Isis bezogen: LGG VI, 186b. Es ist allerdings insgesamt fraglich, warum der Schutz mit den femininen Suffixen plötzlich für eine weibliche Person, wohl Isis, gegeben wird, obwohl vorher von Osiris die Rede war. Eventuell auch auf die vorher mit dem Epitheton „die die Bögen zusammenbindet“ genannte Nechbet zu beziehen. 1352 Dend. II, 108, 4–8; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 168–169; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 141–142, (11).

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Inschriften in weiteren Kapellen des Couloir mystérieux Text/Hauptpublikation Dend. II, 201, 12–17 Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Südost-Kapelle (H) im Couloir mystérieux (pr-nw), linke (westliche Türlaibung) Bibliographie CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 304–305; PREYS, Les complexes, S. 48–50 Inhalt 1 Textkolumne für den König, 2 für Isis. Text: – Text Isis (201, 14–17): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große,die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr.w nb.w an.t nfr.t xaj(.t) m aH.t die Gebieterin aller Götter, die vollkommene Schönheit, die im Palast erscheint, WADy.t wD(.t)1353 anx m tA.wj Uto, die das Leben in den Beiden Ländern befiehlt (= zuteilt), %pd.t wr.t sTj(.t) srf m stj Sothis, die Große, die das Flutwasser aus dem Bein ausgießt, r sqbH ib n sA.w[-n=sn … …?] um das Herz der Wächtergötter zu erfrischen […?], Kol. 3: bjAtj(.t) wr.t xpr(.t) xnt die große Wunderbare, die am Anfang entstanden ist, n hb aH.t m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung man nicht den Palast betritt, HqA.t wr.t n.j.t Aw n tA itj.t n ifd.w n nn.t die große Herrscherin der Weite der Erde, die Fürstin der vier Ecken des Himmels, nTr.t wa.t HH.w Hr dwA=s die einzigartige Göttin, die Millionen verehren,1354 nn nTr nTr.t [m sn.t r=s?]1355 der kein Gott und keine Göttin gleichkommt. Kommentar: Die ersten Beinamen der Isis („Auge des Re“ bis „Gebieterin aller Götter“) entsprechen wörtlich denen der Hathor auf der rechten Türlaibung.1356 Anschließend wird Isis mit Hilfe von Alliterationen und Wortspielen (WADy.t wD(.t); %pd.t … sTj(.t) srf m stj) mit Uto und Sothis identifiziert. Uto ist die vorherrschende Göttin im Per-nu, während sich die SothisThematik mit dem Ausgießen der Flut ebenfalls bestens in deren Kontext einfügt, da die Kapelle schon im Namen (pr-nw = „Haus des Wassers/der Flüssigkeit“) Flüssigkeit als

1353 Vielleicht auch wdj(.t) zu verstehen; der Sinn läuft auf das Gleiche hinaus. 1354 Siehe auch Dend. I, 75, 12–76, 2. 1355 So die Ergänzung von CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 304. Möglich wäre auch [Hr xw=s], siehe zu einem ähnlichen Fall auch oben, Anm. 1295, zu Dend. II, 66, 13–67, 3. 1356 Dend. II, 201, 7–10; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 304–305.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hauptthema angibt.1357 Die folgenden Phrasen, die Isis’ Uranfänglichkeit, Herrschaft, Verehrung und Einzigartigkeit herausstellen, sind bereits in ähnlicher Form aus zahlreichen Dendara-Texten (und von anderen Orten) bekannt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie Inhalt

Dend. III, 2, 2–7 Dendara, Haupttempel, Südöstliches Hinterzimmer (I) im Couloir mystérieux (Hw.t-sSS.t = Sistrumkapelle), linke (südliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 32–33; PREYS, Les complexes, S. 148–150; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 143, (18) 1 Textkolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (2, 4–7): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, nswj.t n nswt.w die oberägyptische Königin der oberägyptischen Könige, bjtj.t n bjtj.w die unterägyptische Königin der unterägyptischen Könige, nn Hr xw=s m nTr.wt der keine gleichkommt unter den Göttinnen, papa(.t) m Iwn.t m grH nxn m sS=f die geboren wurde in Dendara am Tag des Kindes in seinem Nest, Hb aA n tA Dr=f dem großen Fest des ganzen Landes. Kol. 3: wbn Ax.tj m p.t m AxAx/ixxw Der Horizontische ist aufgegangen am Himmel in der Dämmerung, Dr bX.n-s(j) mw.t=s r tA als ihre Mutter sie zur Welt gebracht hat, sA.t Gbb pw Dd.tj m tj.t=s[…?] die Tochter des Geb ist es, indem sie dauerhaft ist in ihrer Kapelle (o. ä.) 1358 […?],1359 Hr(.w) nb(.w) twt r mAA=s alle Gesichter (= jedermann) sind versammelt, um sie zu sehen, nTr.w m Hb nTr.wt m wp nhm die Götter sind im Fest, die Göttinnen sind am Feiern und Jubeln, nA[y] Iwn.t prj iw=w nhm die (Einwohner) von Dendara sind herausgekommen und jubeln.1360 1357 Vgl. PREYS, Les complexes, S. 49. 1358 Wb V, 240, 12: „Gemach im Tempel“. 1359 Es fehlt eigentlich nichts zur Vollständigkeit des Satzes.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

273

Kommentar: Im Mittelpunkt steht wie so oft Isis’ Geburt, in diesem Fall aber besonders der Aspekt des zu diesem Anlaß in Dendara gefeierten Festes, das durch die freudigen Handlungen von Göttern und Menschen, sogar konkret der Einwohner Dendaras, lebendig umschrieben wird. Die Inschrift für Hathor in der rechten (nördlichen) Türlaibung1361 behandelt ebenfalls die Feststimmung, jedoch nicht im Zusammenhang mit einem konkreten Fest, derer es für Hathor ja mehrere gab. Unter anderem wird erwähnt, daß für sie das Sistrum gespielt wird, und die Kapelle „Sistrumkapelle“ heißt, wodurch eine Verbindung der Festlichkeiten zur Thematik der Kapelle hergestellt wird.1362 Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Parallelen

Dend. III, 35, 9–11 Dendara, Haupttempel, Südöstliches Hinterzimmer (I) im Couloir mystérieux (Hw.t-sSS.t = Sistrumkapelle), südliche Nische, linke (westliche) Türlaibung CAUVILLE, Temple d’Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse); CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 86–87; PREYS, Les complexes, S. 240; BUDDE, Seschat, S. 61 (nur teilweise) Philä I, 6; I, 72 (einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (kleiner Teil, inhaltliche, aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21363

Text: Kol. 1:

(Dd mdw) nfr.wj Hr=T Htp.tj m HD=T (Rezitation:) Oh, wie schön ist dein Antlitz, wenn du in deinem Schrein ruhst, @w.t-@r wr.t xnt Iwn.t Hathor, die Große an der Spitze von Dendara, %pd.t m p.t itj.t n w1364 Sothis am Himmel, die Fürstin der Himmelsleuchten, wbn(.t) m bjA m wp-rnp.t die am Himmel aufgeht zum Jahresanfang, Imn.t wr(.t) Hrj-ib Ip.t-s.wt1365 Amaunet, die Große, die in Karnak residiert,

1360 Diese letzte Phrase ist in demotischer Sprache (Präsens I) formuliert; zu demotischen Texten im Rahmen der Tempelinschriften siehe QUACK, Monumentaldemotisch; ferner ID., Was ist das Ptolemäische?, in: WdO 40, 2010, S. 70–92: 83–90; ID., Von der Vielfalt der ägyptischen Sprache in der griechisch-römischen Zeit, in: ZÄS 140, 2013, S. 36–53, bes. 44–45. 1361 Dend. III, 1, 13–16; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 32–33; PREYS, Les complexes, S. 148. 1362 Vgl. PREYS, Les complexes, S. 149; CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 2. 1363 Liste nach CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19. 1364 Statt des Bartes für xAbAs ist ein Bein geschrieben. 1365 Vgl. Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5: Imn.t m WAs.t.

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274 Kol. 2:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

MnHy.t xnt @qA-aD1366 Iwnj.t m Iwn.t1367 Menhit an der Spitze von Heliopolis, Iunit (‚die von Dendara‘) in Dendara, %SA.t m Wnw1368 BAs.t aA.t xnt BAs.t1369 Seschat in Hermopolis, Bastet, die Große, an der Spitze von Bubastis, As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, Htp Hr=T nfr n sA Ra [( ) möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem Sohn des Re [( ).

Kommentar: Zu Beginn der Inschrift ist Hathor angesprochen, am Ende aber Isis mit ihren tentyritischen Haupttiteln, während die rechte (östliche) Türlaibung gänzlich Hathor gewidmet ist, die am Anfang und Ende des Textes adressiert ist.1370 Die Hathor-Isis-Hymne verwendet Teile (mit leichten Variationen) der kulttopographischen Litanei, deren vollständigste bzw. längste Version im Sanktuar des Isistempels angebracht ist, eine weitere Version im Sanktuar des Hathortempels.1371 Obwohl auf den Frontseiten der Türpfosten ebenfalls verschiedene lokale Formen der Hathor aufgezählt werden (allerdings jeweils mit der Formel „Hathor, Herrin von X“),1372 zeigt die rechte Türlaibung seltsamerweise keine solchen Elemente. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. III, 38, 2–5 Dendara, Haupttempel, Südöstliches Hinterzimmer (I) im Couloir mystérieux (Hw.t-sSS.t = Sistrumkapelle), südliche Nische, Tür, Innenseite, linker (westlicher) Türpfosten CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 90–91; PREYS, Les complexes, S. 242

Text: Kol. 1:

(Dd mdw) nD Hr=T nbw.t xnt Iwn.t (Rezitation:) Sei gegrüßt, Goldene an der Spitze von Dendara, nb.tj rxj.t m &A-rr die Beiden Herrinnen/Königin der Menschen in Dendara, HqA.t pw n wn twt n=s die Herrscherin ist es, der niemand gleicht,

1366 1367 1368 1369 1370

Vgl. die Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5: MnH(j).t m @w.t-sr. Vgl. die Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (ohne Abweichung). Vgl. die Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (ohne Abweichung). Vgl. die Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5: StA.t m BAs.t. Dend. III, 35, 5–7; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 84–85; PREYS, Les complexes, S. 239–240. 1371 Dend. Isis, 78, 16–79, 5, siehe Kap. 4.6.1.A; und Dend. I, 20, 14–21, 5, siehe oben. Vgl. dazu NAGEL, One for All; Synopse der Versionen bei CAUVILLE, Temple d’Isis Analyse, S. 19–24. 1372 Dend. III, 33, 12–35, 2; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 82–85; PREYS, Les complexes, S. 238–239. Es handelt sich um musizierende Hathoren, die jeweils Tamburin oder Sistrum spielen, vgl. Dend. III, Taf. 176; CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 5; es steht also eine andere Konzeption dahinter, als bei der kulttopographischen Litanei, doch die geographische Zuordnung ist vergleichbar.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 2:

Kol. 3:

275

wa.t n snj r=s die Einzigartige, der niemand gleichkommt, aA.t m p.t wsr.t m tA die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, wD(.t) mdw m stp-sA die Befehle erteilt im Palast, nswj.t n nswt.w die oberägyptische Königin der oberägyptischen Könige, bjtj.t n tpj.w-a die unterägyptische Königin der Vorfahren,1373 Hnw.t n Sn n itn die Gebieterin des Umkreises der Sonnenscheibe, sA.t tpj.t n it=s Gbb Sps.t n mw.t=s Nw.t die erste Tochter ihres Vaters Geb, die Edle ihrer Mutter Nut, tmA.t nfr.t n bjk n nbw.t die vollkommene Mutter des Falken der Goldenen, Hm.t nswt tpj.t n [(Wn-nfr(.w) mAa-xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme). iTj.n=s iAw.t n prj(.t)=s m X.t Sie hat das Amt ergriffen, als sie (noch) nicht aus dem Leib gekommen war, HqA.n=s ns.t Hr nw=s und sie hat den Thron beherrscht (noch) in ihrer Windel, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Htp Hr=T nfr n sA Ra [( ) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem Sohn des Re [( ).

Kommentar: Wie so häufig kombiniert auch diese Hymne an Isis, die zu Beginn durch den Beinamen „Goldene“ an Hathor angeglichen ist, die familiäre Einbindung der Göttin (Eltern, Gatte und Sohn) mit der Betonung ihres Königtums von Geburt an.1374 In der gegenüberliegenden Hymne an Hathor steht hingegen deren himmlisches Wesen im Vordergrund,1375 welches insgesamt den wichtigsten Aspekt in der Südnische der Sistrumkapelle darstellt.1376

1373 Vgl. die Türlaibung der Sistrumkapelle, Dend. III, 2, 4–7 (s. o.): nswj.t n nswt.w bjtj.t n bjtj.w. 1374 Vgl. z. B. die Bandeau-Inschrift Dend. Isis, 300, 8–11. 1375 Dend. III, 37, 14–18; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 88–91; PREYS, Les complexes, S. 241–242. 1376 Vgl. die Interpretation von PREYS, Les complexes, S. 246–250.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Inhalt

Dend. III, 55, 2–8 Dendara, Haupttempel, Zentrales Sanktuar (J) im Couloir mystérieux (pr-wr), linke (westliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 118–119; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 143, (19); B. RICHTER, Theology, S. 280–281, Doc. 21 1 Textkolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (55, 5–8): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, papa.n-s(j) mw.t=s r tA m IA.t-dj ihre Mutter hat sie zur Welt gebracht in Iat-di m hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, wa.t pw Hnw.t nTr.w nTr.wt die Einzigartige ist es, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, n nTr m snj(.t) r=s der kein Gott gleichkommt, %pd.t m p.t HqA.t n xAbAs.w Sothis am Himmel, die Herrscherin der Himmelsleuchten, wD(.t) mdw m Sn n itn die Befehle erteilt im Umkreis der Sonnenscheibe, Kol. 3: Sps.t pw m xnt Pr-Sps.t die Edle im ‚Haus der Edlen‘ (= Dendara) ist es, rpy.t an.t n Pr-Rpy.t die schöne Vornehme im ‚Haus der Vornehmen/der Repit‘ (= Dendara),1377 nTr.t tn itj.t r tpj.w-a diese Göttin, die fürstlicher ist als die Vorfahren, HqA.t n ijj Hr sA=s die Herrscherin dessen, der hinter ihr geht,1378 nswj.t n tA-Sma.w die oberägyptische Königin von Oberägypten, bjtj.t n tA-mHw die unterägyptische Königin von Unterägypten, BA.t m imn.t.t iAb.t.t Bat (weiblicher Ba) im Westen und Osten.

1377 Vgl. z. B. die Hymne Dend. II, 98, 2–99, 3. 1378 B. RICHTER, Theology, S. 281, übersetzt n ijj Hr sA=s als negativen Existenzialsatz „niemand kommt hinter ihr her“; die Schreibung spricht jedoch dagegen. Vgl. auch LGG V, 538a, für weitere Belege.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

277

Kommentar: Der Text dreht sich um die bereits aus anderen Dendara-Texten bekannten Themen: – – – – –

Geburt Einzigartigkeit unter Göttern Sothis Göttin von Dendara Herrschaft über vier Himmelsrichtungen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. III, 92, 10–13 Dendara, Haupttempel, Zentrales Sanktuar (J) im Couloir mystérieux (pr-wr), Nische in Rückwand, Bandeau-Inschrift des Frieses, linke (westliche) Hälfte CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 170–171; B. RICHTER, Theology, S. 371, Doc. 71

Text: nswj.t bjtj.t nswj.t n %nw.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Königin von Ägypten, Ra.t r-rA-a stw.t itn Sonnengöttin bis hin zu den Strahlen der Sonnenscheibe, itj.t n p.t HqA.t xAbAs.w die Fürstin des Himmels, die Herrscherin der Himmelsleuchten, imn sStA=s r sxm.w deren geheimes Abbild verborgen ist vor den (göttlichen) Mächten, BA.t aA(.t) bA.w m xnt nTr.w Bat (weiblicher Ba), groß an Gottesmacht unter den Göttern, n nTr m snj(.t) r=s der kein Gott gleichkommt, tj.t mnx.t Dd.tj m Dry.t=s vortrefflicher Isisknoten(?),1379 der dauerhaft ist in seinem Schrein, dwAw nTr.w r dwA=s ra nb die Götter sind früh auf, um sie zu preisen, jeden Tag, nTr.t wa.t HH Hr Sms=s die einzigartige Göttin, der Millionen folgen, nb(.t) n njw.wt spA.wt D.t sp sn psD(.t) m pr=T die Herrin der Städte und Gaue, ewiglich, ewiglich, die du in deinem Haus erstrahlst, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, xw sA=T mrj=T sA Ra [( ) D.t schütze deinen geliebten Sohn, den Sohn des Re [( ), ewiglich. 1379 Vgl. LGG VII, 364a; ähnlich B. RICHTER, Theology, S. 371: „excellent tyet-symbol“. Vielleicht ist hier aber auch einfach tj.t „Abbild“ gemeint. CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 171, übersetzt „la déesse-boucle“, was mir nicht ganz einleuchtet.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die Bemerkung, daß das geheime Bild oder Kultbild verborgen ist, findet man auch häufig in den Texten der Krypten,1380 wo die Statuen ja aufbewahrt wurden. Auch in der anderen Hälfte der Bandeau-Inschrift, die Hathor gewidmet ist,1381 heißt es, daß ihr Abbild versteckt ist.1382 Die Nische in der Rückwand des pr-wr, und damit der Rückwand des Tempels, ist von besonderer theologischer Bedeutung: Sie bildet den tiefsten Kern des Tempels, der am hintersten Punkt und auf der zentralen Achse liegt.1383 Hier befand sich weiteren Inschriften zufolge wohl eine große goldene Statue der Hathor.1384 Außerdem sind in der Wanddekoration der Nische alte Götterstatuen dargestellt,1385 auf die sicherlich in den Texten angespielt wird. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. III, 103, 6–11 Dendara, Haupttempel, 1. Westkapelle (K) im Couloir mystérieux (Hw.t-ab = Ihi-Kapelle), linke (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 188–189; BUDDE, Götterkind, S. 70 (tw. Übersetzung) 1 Textkolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (103, 8–11): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, HqA.t HqA(.t) Sn n itn die Herrscherin, die den Umkreis der Sonnenscheibe beherrscht, nswj.t mnx.t nb(.t) stp-sA die vortreffliche Königin, die Herrin des Palastes, n hb aH.t m xm=s ohne deren Kenntnis keiner den Palast betritt, aA.t m p.t wsr.t m tA die Große am Himmel, die Mächtige auf Erden, dwAw nTr.w w/r [dwA=s ra nb …?]1386 die Götter sind früh auf, um [sie zu preisen, jeden Tag…?], Kol. 3: aA(.t) nrw m njw.wt aA(.t) snD.t m spA.wt die groß an Schrecken ist in den Städten, und groß an Ehrfurcht in den Gauen, sSm=s nTr.w nTr.wt m aA n bA.w=s sie leitet die Götter und Göttinnen durch die Größe ihrer Gottesmacht,1387

1380 Siehe unten, z. B. die Bandeau-Inschrift Dend. V, 103, 17–104, 8. 1381 Dend. III, 92, 5–8; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 170–171. 1382 Dend. III, 92, 5. Zu weiteren entsprechenden Textstellen, die sich offenbar auf die Statue(n) der Göttin im Per-wer beziehen, siehe B. RICHTER, Theology, S. 186–192. 1383 Vgl. CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 11. 1384 Siehe dazu B. RICHTER, Theology, S. 189–192 und 194–196. 1385 Dend. III, Taf. 101–102; vgl. CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 12. 1386 Vgl. den vorigen Text, Dend. III, 92, 10–13.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

279

aSA(.t) rn.w=s m tA.wj Hna idb.w die mit zahlreichen Namen in den Beiden Ländern und den Ufern, n spA.t Swj(.t) m bjA.w=s an deren Wundern es keinem Gau fehlt, nb(.t) p.t tA dwA.t mw Dw.w nwn ? [… … …] die Herrin von Himmel, Erde, Unterwelt, Wasser, Gebirgen und Urozean […]. Kommentar: Die Hymne dreht sich ausschließlich um die allumfassende Herrschaft von Isis. Diese erstreckt sich nicht nur über den Königspalast und das Land Ägypten (Städte und Gaue, die Beiden Länder und die Ufer), sondern ebenso über die anderen Götter und die ganze Welt (der Umkreis der Sonnenscheibe) mit ihren einzelnen Konstituenten (Himmel, Erde, Unterwelt…). Dies entspricht auch in etwa der Thematik des komplementären Textes für Hathor in der rechten (südlichen) Türlaibung, 1388 der sie ebenfalls als Königin und allmächtige Herrscherin erscheinen läßt. 1389 Diese Hervorhebung der königlichen Aspekte beider Göttinnen ist im Kontext der Funktion der Kapelle zu betrachten, welche v. a. der Übertragung der Königsmacht an Ihi gewidmet ist,1390 wie z. B. die beiden Hymnen auf den Türpfosten der Tür-Innenseite zeigen.1391 Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie Inhalt

Dend. III, 134, 16–135, 3 Dendara, Haupttempel, 2. Westkapelle (L) im Couloir mystérieux (Hw.t-mnj.t = Menit-Kapelle), linke (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 236–237 1 Textkolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (134, 18–135, 3): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große,die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, BA.t r sxm.w itj.t n tpj.w-a die Ba-mächtiger ist als die göttlichen Mächte, die Fürstin der Vorfahren, HqA.t HqA(.t) Sn n itn die Herrscherin, die den Umkreis der Sonnenscheibe beherrscht, 1387 CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 188–189, versteht die Götter und Göttinnen als Akteure und übersetzt: „Götter und Göttinnen geleiten sie wegen der Größe ihrer Gottesmacht“. Daran orientiert sich offenbar BUDDE, Götterkind, S. 70, mit der Übersetzung „der die Götter und Göttinnen wegen der Größe ihres Ba folgen“. Mir scheint hier jedoch eher die Führung der Götter durch Isis gemeint zu sein. 1388 Dend. III, 103, 1–4; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 188–189. 1389 Vgl. CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 13. 1390 Vgl. CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 12. 1391 Dend. III, 106–107; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 192–195; vgl. ibid., S. 14.

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280

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sA.t nTrj.t prj(.t) m Gbb die göttliche Tochter, die aus Geb hervorgegangen ist, wr.t m [… … …] die Große in […] Kol. 3: Sps.t wsr.t mnx(.t) sxr.w n sn=s die Edle und Mächtige, mit vortrefflicher Sorge für ihren Bruder, rdj.t sA=f Hr ns.t[=f r] nHH die seinen Sohn auf seinen Thron setzt, in Ewigkeit, nb(.t) p.t tA dwA.t mw Dw.w die Herrin von Himmel, Erde, Unterwelt, Wasser und Gebirgen,1392 xAs.wt nb.w(t) x(A)b n [… … …]1393 vor der/deren […] alle Fremdländer gebeugt sind […?]. Kommentar: Auch hier1394 steht die Herrschaftsmacht der Isis im Vordergrund, deren Rechtmäßigkeit durch die Betonung der Familienverhältnisse klargestellt wird. Mit dem Bezug auf Osiris und Horus wird deutlich, daß Isis als Hüterin und Überträgerin dieses Erbes gedacht ist.1395 Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. III, 138, 16–139, 4 Dendara, Haupttempel, 2. Westkapelle (L) im Couloir mystérieux (Hw.t-mnj.t = Menit-Kapelle), Tür, Innenseite, linke (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 242–243

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

(Dd mdw) nD Hr=T sDtj.t sA.t Gbb (Rezitation:) Sei gegrüßt, Mädchen, Tochter des Geb, Iwnj.t irj(.t) m &A-rr Iunit, die geboren wurde in Dendara, nswj.t n nswt(.w) die oberägyptische Königin der oberägyptischen Könige, bjtj.t n sxm.w HqA.t die unterägyptische Königin der göttlichen Mächte, die Herrscherin, HqA(.t) Hp.tj die die Welt beherrscht. ijj n=s pa.t m swAS n bA.w=s1396 Die Pat-Menschen kommen zu ihr in Verehrung vor ihrer Gottesmacht,

1392 Vgl. den vorigen Text in der Türlaibung der Kapelle Hw.t-ab (Dend. III, 103, 6–11). 1393 Es ist sicherlich =s oder Hm.t=s o. ä. zu ergänzen. Je nachdem, was genau hier stand, könnte dies die ganze Lücke ausgefüllt haben, oder aber es befand sich noch ein weiteres kurzes Epitheton dahinter. 1394 Vgl. den vorigen Text mit Kommentar. 1395 Vgl. auch CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 21. 1396 Korrektur der Hieroglyphen in Dend. III, 139, 1, (dort steht ein überflüssiges m) nach CAUVILLE, Dend. III Traduction, S. 242.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 3:

Kol. 4:

281

snj=sn tA r rw.t HD=s sie küssen die Erde draußen vor ihrem Schrein, Hpt=sn Gbb n sie umarmen Geb (= werfen sich zu Boden) vor km(A)tj n kA=s dwA=sn D.t=s m Dry.t=s dem Götterbild ihres Kas, sie preisen ihren Leib in ihrer Kapelle, sHtp=sn saH=s m s.t=s Dsr(.t) sie stellen ihre Gestalt zufrieden an ihrem heiligen Platz, Abj(.t).n ib=s Dr-bAH sxnt=sn den ihr Herz wünscht seit Anbeginn, sie erhöhen snn=s tpj-a psD.t sHaa=sn Hm=s m HAy.t=s ihre Statue vor der Neunheit, sie bejubeln ihre Majestät in ihrem Gemach: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große,die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, Htp Hr=T nfr n sA Ra [( ) möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem Sohn des Re [( ).

Kommentar: Die Hymne, eingeleitet durch die Grußformel nD Hr=T, beschreibt die mannigfaltigen Huldigungen der Menschen vor Isis bzw. ihrer Statue im Tempel. Inschriften im Vestibül und seinen seitlichen Räumen (Stoff- und Schatzkammer) Text/Hauptpublikation Dend. IV, 60, 11–17 Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Zentrales Vestibül (O), Bandeau-Inschrift des Frieses, linke (westliche) Seite Bibliographie CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 122–123; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 157–158, (64); KURTH/WAITKUS, Nacht des Kindes, S. 51; ELDAMATY, Sokar-Osiris-Kapelle, S. 181 Text: nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) Die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter), nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, bX(.t) m Iwn.t m 5 Hrj.w-rnp.t die zur Welt gebracht wurde während der fünf Epagomenentage (?),1397 m 1/2 1/10 1/3=f r=f an 1/2 (+) 1/10, und dazu noch 1/3 (= 3/5 + 1/5 = 4/5 = an seinem 4. (Tag)),1398 1397 Laut LEITZ, Nacht des Kindes, S. 157, (64), macht eine Kardinalzahl hier wenig Sinn, da Isis nicht an allen 5 Tagen geboren wurde, weshalb er eine Ordinalzahl ansetzt und „am 5. Epagomenentag“ übersetzt. Die Interpretation „während der 5 Epagomenentage“ hingegen bei CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 123; ELDAMATY, Sokar-Osiris-Kapelle, S. 181; nach KURTH/WAITKUS, Nacht des Kindes, S. 50–51. Die „5 Epagomenen-Tage“ bezeichnen demnach eine Zeitperiode, vergleichbar einem Monat, auf den das genaue Tagesdatum folgt. Siehe auch die folgende Anm. 1398 und zur gesamten Problematik des Datums Kap. 4.6.3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wbn wbn(.w) m bjA m DAw Der Leuchtende leuchtet auf am Himmel in der Dämmerung Dr wn ir.tj=s(j) m &A-n-Itm nach dem Öffnen ihrer Augen im Land des Atum (= Dendara), nTr.w m {nb} nTr.wt r=w (oder: ir.w?) (Hr) nhm die Götter sind im Fest, die Göttinnen freuen sich, Dr xf=w Hnw.t=w m grH nxn m sS=f als sie ihre Gebieterin erblicken in der Nacht des Kindes in seinem Nest. sw m nswj.t n %nw.t iw/r Aw=s Sie ist die Königin von Ägypten in seiner Ausdehnung, itj.t m Sn n {x} die Fürstin im Umkreis der Sonnenscheibe, wr.wj rn=s Dsr.wj sStA=s oh wie groß ist ihr Name, oh wie heilig ist ihr (geheimes) Abbild! nts pw sSm(.t) it=s mw.t=s wr(.t) Hsw.t Sie ist es, die ihren Vater und ihre Mutter leitet, die Große an Gunst, wr(.t) mrw.t THn(.t) xa.w nb(.t) Xkr.w groß an Beliebtheit, mit glänzender Erscheinung, die Herrin des Schmuckes. sw m rpy.t nfr.t xnt psD.t Sie ist die schöne Vornehme an der Spitze der Neunheit, Hr wD mdw iw/r ifd.w n nn.t beim Erteilen von Befehlen an die vier Ecken des Himmels, nTr.t wa.t irj(.t) p.t tA dwA.t die einzigartige Göttin, die den Himmel, die Erde und die Unterwelt erschuf, n wn nTr m sn.t r=s der kein Gott gleichkommt. dj=s qn nxt n sA Ra nb xa.w [( ) Möge sie Stärke und Sieg verleihen an den Sohn des Re, den Herrn der Erscheinungen [( ), mj irj=s n sA=s @r wie sie es tut für ihren Sohn Horus, iw=f m bjk mn Hr srx xnt kA.w anx.w D.t indem er der Falke ist, der beständig ist auf dem Thron an der Spitze der lebenden Ka-Mächte, ewiglich. Kommentar: In Isis’ Hälfte der oberen Randinschrift wird anfangs wiederum ihre Geburt sowie das darauffolgende Fest der Götter beschrieben, offenbar sogar mit einer genauen Datumsangabe

1398 So nach KURTH/WAITKUS, Nacht des Kindes, S. 50–51. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 157, (64), verkompliziert die Datumsangabe enorm, indem er die Rechnung und das (erste) Suffix auf die Nacht des Geburtstages bezieht (die vorher aber gar nicht genannt ist), anstatt auf den (vorher angegebenen!) Zeitraum der 5 Tage, und so die Uhrzeit des heliakischen Sothis-Aufgangs errechnet. Somit würde ich eher der Interpretation und Rechnung von KURTH/WAITKUS folgen, die auf den „klassischen“ 4. Epagomenen als Geburtstag der Isis kommt.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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des 4. Epagomenen, sofern die Deutung von KURTH/WAITKUS zutreffend ist.1399 Des wieteren werden Isis’ Schöpfertätigkeit und Herrschaft in den verschiedenen Bereichen des Kosmos (Himmel, Erde, Unterwelt) thematisiert. Die beiden parallel gesetzten Ausrufe mit der Admirativpartikel .wj,1400 in denen Name und geheimes Abbild (= Kultbild?) der Isis gelobt werden, verleihen dem Text deutlich den Charakter eines rezitierten Hymnus. Etwas ungewöhnlich und ohne direkten Kontext erscheint mir die Bezeichnung von Isis als „die ihren Vater und ihre Mutter leitet“, die tatsächlich sonst auch nicht belegt ist.1401 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. IV, 104, 7–13 Dendara, Haupttempel, Stoffkammer (P) (Hw.t-mnx.t), rechte (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 186–187; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 144, (24) 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (104, 10–13): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, wpj(.t) X.t {2} n mw.t=s Nw.t hrw grH n nxn m sS[=f] die den Leib ihrer Mutter Nut öffnete am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, HqA.n=s tA.wj iwa.n=s1402 idb.w sie hat die Herrschaft der Beiden Länder an sich genommen, sie hat die Ufer geerbt, iTj=s iAw.t tp nwd.t=s sie ergriff das (Königs-)Amt schon in ihrer Windel, &Ay.t nb(.t) rA SAa.t nb(.t) sSd Tait,1403 die Herrin des rA-Stoffes, die Uranfängliche, die Herrin der Sesched-Binde, qmA.tw nTrj n kA=s für deren Ka der göttliche Stoff hergestellt wird, Kol. 3: Hnw.t nb(.t) HD.t die Gebieterin, die Herrin des weißen Stoffes, wa.t nb(.t) wAD.t die Einzigartige, die Herrin des grünen Stoffes, itj.t n irtjw idmj die Fürstin des purpurfarbenen(?) und roten(?) Stoffes,1404 1399 Siehe oben, Anm. 1397–1398. 1400 Dieses Element fehlt in der ansonsten ähnlich gestalteten rechten Hälfte der Inschrift, die Hathor gewidmet ist, Dend. IV, 60, 3–9; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 120–121. 1401 Siehe LGG VI, 632b. 1402 Korrektur der Transkription in Dend. IV, 104, 11, wo kein s steht, nach CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 186. 1403 Zur Stoff-Göttin Tait und ihren Bezügen zu Isis vgl. die Szene Dend. Isis, 334, 11–335, 12, s. o.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

smnx(.t) mnx.t xnt Hw.t-mnx.t die den Stoff trefflich macht, die an der Spitze der Stoffkammer. [s]Xkr1405=s sn=s m njw.(w)t spA.wt Sie schmückt/stattet aus ihren Bruder in den Städten und Gauen, rdj(.t) sA=f @r Hr Hmr=f n nHH die ihren Sohn Horus auf seinen Thron setzt in Ewigkeit, n ky wHm.tj=fj ohne daß ein anderer es wiederholen wird.1406 Kommentar: Im ersten Teil des Textes geht es wie so oft um Isis’ Geburt und ihr daraufhin angetretenes Erbe, die Herrschaft über Ägypten „schon in der Windel“. Der zweite Teil ist in erster Linie dem Kontext des Anbringungsortes geschuldet: Isis wird mit der Stoffgöttin Tait identifiziert und mit exemplarischen Angaben als Herrin der verschiedenen Stoffarten herausgestellt. Die Verbindung zu Tait und den Stoffen bildet jedoch am Ende den Übergang zu Isis’ Sorge für ihren Bruder Osiris und ihren Sohn Horus, da Tait auch für die Bekleidung des Verstorbenen zuständig ist, was die Identifizierung mit Isis besonders nahelegt.1407 Aus diesem Grund zeigen Isis und Osiris wohl auch in den Szenen der Stoffkammern eine starke Präsenz.1408 Eine noch stärkere thematische Konzentration auf die Funktion der Stoffkammer ist in der Hymne an Isis auf dem linken Türpfosten (Außenseite)1409 sowie in dem Hathor-Text auf der linken Türlaibung 1410 zu erkennen: Darin werden beide Göttinnen mit verschiedenen Ölen und Duftstoffen in Verbindung gebracht, die ebenfalls dem Inventar der Hw.tmnx.t zuzurechnen sind. In Dendara werden die Stoffe der rechten Seite, die Öle/Salben der linken Seite der Kammer zugeschrieben.1411

1404 Zur Definition dieser beiden Farb-/Stoffbezeichnungen siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 99–100; 126– 127; ausführlicher dazu GERMER, Textilfärberei, S. 129–131. 1405 Plausible Ergänzung nach CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 186. 1406 LEITZ, Nacht des Kindes, S. 144, (24), versteht in den letzten beiden Phrasen Osiris als Subjekt und übersetzt: „wenn sie ihr Bruder in den Städten und Gauen schmückt, der seinen Sohn Horus auf den Thron setzt…“ Dies ist m. E. jedoch höchst unwahrscheinlich, da es in dem Text erstens um Isis geht, und daher ihre Taten und Eigenschaften gerühmt werden; zweitens wäre LEITZ’ Übersetzung auch inhaltlich ungewöhnlich, da auch sonst in den Texten kaum Osiris (der ja dem Mythos nach verstorben ist) als aktiv Handelnder gegenüber Isis und Horus dargestellt wird, sondern es üblicherweise Isis ist, die für Osiris sorgt und seinem Sohn auf den Thron verhilft, vgl. z. Bsp. Dend. V, 104, 1: swr(.t) sn=s rdj(.t) sA=s Hr s.t it=f, siehe unten. 1407 Vgl. BACKES, Hedjhotep, S. 70; MÜNSTER, Isis, S. 149–152. 1408 Dend. IV, 101–145, diverse Szenen. 1409 Dend. IV, 103, 14–104, 4; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 184–187. 1410 Dend. IV, 105, 5–9; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 186–189. 1411 Siehe CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 16.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

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Dend. IV, 150, 17–151, 5 Dendara, Haupttempel, Schatzhaus (Q) (pr-HD), linke (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. IV Traduction, S. 250–251 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (151, 1–5): Kol. 2: As.t wr.t mw.t[-nTr ir.t Ra] Isis, die Große, die [Gottes]mutter, [das Auge des Re,] nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, Sps.t wsr.t n mjt.t=s die Edle und Mächtige, deren Gleiche es nicht gibt, Aw-ib it=s m wbn=s deren Vater sich erfreut bei ihrem Aufgang, iwa.n=s tA.wj nn prj=s m X.t sie hat die Beiden Länder geerbt, als sie (noch) nicht aus dem Leib gekommen war, HqA.n=s idb.w Hr nn/mw(?)1412[… … sie hat die Herrschaft über die Ufer ergriffen auf/beim ? […], … …] wbn m p.t m AxAx/ixx [Re(?)] ist aufgegangen am Himmel in der Dämmerung, Dr prj=s r tA nachdem sie zur Welt gekommen ist Kol. 3: m IA.t-dj Haa n=s Ra […]n s ?[…] nb […] n=s it=s n mAA=s in Iat-di, Re jubelt ihr zu […], […] für sie ihr Vater bei ihrem Anblick, ijj n=s nTr[.w] m iAw sp sn die Götter kommen zu ihr in Lobpreis, in Lobpreis, nTr.wt m hnw sp sn die Göttinnen im Jubel, im Jubel, pa.t m ksw rxj.t m wAH-tp Hnmm.t Hr sn-tA die Pat-Menschen in Verbeugung, die Rechit-Menschen mit gesenktem Kopf (= in Ehrerbietung), das Sonnenvolk in Proskynese! Kommentar: Ähnlich wie in zahlreichen anderen Dendara-Texten werden die zentralen Themen Geburt und unmittelbarer Herrschaftsantritt sowie die darauf folgende Verehrung durch Götter und Menschen lebendig skizziert.

1412 Möglicherweise ist hier auch n[wd.t=s] „sie hat die Herrschaft über die Ufer (schon) in ihrer Windel ergriffen“ zu ergänzen, vgl. z. B. den Text Dend. IV, 104, 7–13, siehe oben.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Inschriften in den Krypten Text/Hauptpublikation Dend. V, 103, 17–104, 8 Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Ostkrypta 4, Bandeau-Inschrift des Frieses, rechte (westliche) Seite Bibliographie CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 192–193 Text: nswj.t bjtj.t %pd.t m s.t nfr.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, Sothis am ‚Sitz der Schönen‘ (Dendara),1413 sDtj.t txn xpr.w iw/r sxm.w das Mädchen, mit verborgener Gestalt vor den (göttlichen) Mächten, aA.t m p.t wsr.t m tA n spA.t Sw(.t) m rn=s die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, deren Name in keinem Gau fehlt, aA(.t) nrw m njw.wt iw/r Aw=sn mit großem Schrecken in den Städten in ihrer Ausdehnung, HAp(.t?) sStA=s iw/r nTr.w rmT.w deren (geheimes) Abbild verhüllt ist vor Göttern und Menschen,1414 nswj.t n %nw.t swr(.t) sn=s die Königin von Ägypten, die ihren Bruder groß macht, rdj(.t) sA=s Hr s.t it=f die ihren Sohn auf den Sitz seines Vaters setzt, nb(.t) n tA.wj swDA BAq.t die Herrin der Beiden Länder, die Ägypten wohlbehalten sein läßt, mkj(.t) gs.w-pr.w Xr(j.w) sn=s sA=f die die Kultstätten schützt, die unter ihrem Bruder und seinem Sohn sind (= denen ihr Bruder und ihr Sohn innewohnen), Hnw.t nb(.t) ns.t xnt stp-sA die Gebieterin, die Herrin des Thrones an der Spitze des Königspalastes, n hb aH.t m xm=s {t?=s}1415 ohne deren Kenntnis/Zustimmung keiner den Palast betritt, itj.t nb.t tA.wj die Fürstin, die Herrin der Beiden Länder, Hnw.t smA-tA dj(.t) dr n wn HAw die Gebieterin der Bestattung, die dem Nackten1416 Kleidung gibt, nTr.t wa.t HH.w Hr dwA=s n k.t irj(.t) mjt.t=s die einzigartige Göttin, die Millionen anbeten; keine andere handelt wie sie;

1413 1414 1415 1416

Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 72. Oder aktivisch „die ihr Abbild verhüllt…“? Offenbar ein Fehler des Schreibers, vgl. Dend. V, 104, Anm. 7. Aufgrund des Kontextes ist damit hier wohl der Verstorbene bzw. Osiris gemeint, vgl. Wb III, 13, 17–18. Andererseits ist „dem Nackten Kleidung geben“ eine geläufige Formel auch in den Idealbiographien.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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aA.t m p.t wsr.t m tA die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, n hb aH.t m xm{n}=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung keiner den Palast betritt,1417 %pd.t wr.t nb(.t) gs.w-pr.w Sothis, die Große, die Herrin der Kultstätten; Ax.t=s pw Ax.t (n)HH ihr Horizont (= ihr Tempel)1418 ist der Horizont der Ewigkeit, Htp(.t)=s im=s wbn=s im=s in dem sie untergeht und in dem sie aufgeht1419 mj Ax.tj xnt Ax.t wie der Horizontische an der Spitze des Horizontes. dwA=s nTr iw/r njw.t=s Möge sie den Gott preisen zugunsten ihrer Stadt,1420 iw/r ib=s m rSw.t psD.t =s ir.w m THHw.t so daß ihr Herz in Freude ist und ihre ganze Neunheit im Jubel! swr=s nswj.t n sA=s mry=s sA Ra nb xa.w [( ) iw=f m bjk mn Hr srx xntj kA.w anx.w D.t Möge sie das Königtum ihres geliebten Sohnes vergrößern, des Sohnes des Re, des Herrn der Erscheinungen [( ), er ist der Falke, der fest bleibt auf dem Thron an der Spitze der lebenden Ka-Mächte, ewiglich. Kommentar: Die lange Hymne der Friesinschrift nennt zwar nicht explizit den Namen der Isis, doch ist Sothis hier sicher, wie so häufig, mit Isis identifiziert, zumal inhaltlich überhaupt nicht auf typische Aspekte der Sothis eingegangen wird (wie Nilflut, Jahresanfang, Gestirne etc.), sondern die Epitheta denen in anderen Isis-Hymnen sehr nahestehen, so z. B. ihre Herrschaft über den Königspalast. Auch die Erwähnung ihres Sohnes und Bruders sowie die Bezüge zur Bestattung weisen auf Isis hin. Ihr Sothis-Aspekt zeigt sich nur in der Charakterisierung als Gestirnsgöttin, die im Horizont auf- und untergeht „wie der Horizontische“. Speziell auf die Lokalisierung der Hymne in einer Krypta sind die Anspielungen auf die verborgene, versteckte Gestalt bezogen, da dort, und gerade in der Ostkrypta 4, heilige Kultbilder auf den Wänden dargestellt und möglicherweise auch aufbewahrt wurden.1421

1417 Beide Phrasen kamen bereits weiter oben vor. Eine solche Doppelung ist innerhalb eines Textes eher ungewöhnlich. 1418 Der „Horizont“ eines Gottes kann oft auch den jeweiligen Tempel bezeichnen, vgl. Wb I, 17, 19. 1419 Oder „Sie geht darin unter und geht darin auf…“. 1420 Entgegen CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 193, glaube ich, daß dieser Teil schon zur abschließenden Fürbitte gehört. 1421 Vgl. CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 56; und ausführlich EAD., Statues cultuelles. CAUVILLE nimmt an, daß es sich bei den Darstellungen um ein Inventar von real vorhandenen, besonders alten, Statuen handelt. F. HOFFMANN, Measuring Egyptian Statues, in: Steele/Imhausen (Hrsg.), Under One Sky, S. 109–119: S. 113, spricht sich gegen die Idee eines Inventars aus, sondern geht bei der Untersuchung der Maßangaben in den Beischriften davon aus, daß es sich um ideelle, theologische Modelle handelt, auf deren Basis Statuen angefertigt werden konnten.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Dend. VI, 2, 21–4, 6 Dendara, Haupttempel, Südkrypta 2, Bandeau-Inschrift des Frieses, rechte (östliche ) Seite CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 42–44; 264–267; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 151, (56) (teilweise) Philae-Hymne 3; Dend. II, 100, 6–11; Edfu III, 69, 17–70, 3

Text: nswj.t bjtj.t ir.t Ra Hnw.t tA.wj Die Königin von Ober- und Unterägypten, das Auge des Re, die Gebieterin der Beiden Länder, Hrj.t-tp xnt Hw.t-sSS.t die Stirnschlange, die an der Spitze des ‚Hauses des Sistrums’ (= Dendara) ist, MHn.t wr.t m tp n Itm die große Ringelschlange auf dem Haupt des Atum, mH(.t) ib n Ra m wbn=f die das Herz des Re erfüllt bei seinem Aufgang, Xkr.t nb(.t) Xkr.w nb.t aH.t die Geschmückte, die Herrin des Schmuckes, die Herrin des Palastes,1422 BHd.tj.t sAb(.t) Sw.t bjk.t nTrj(.t) die von Edfu, die Buntgefiederte, das göttliche Falkenweibchen, Hnw.t nb.t Pwn.t die Gebieterin und Herrin von Punt, sAwj(.t)(?) ib(?)1423 n Ra m xaj=f die das Herz von Re erfreut(?) bei seinem Erscheinen, BA.t nb(.t) NTrj.t xnt B(A)s.t Smaj.t Bat, die Herrin ‚der Göttlichen‘ (Dendara)1424 an der Spitze des südlichen Bubastis (Dendara),1425 @A.t-mHy.t pw Hnw.t @A.t-mHy.t Hatmehit ist es, die Gebieterin des Hatmehit-Gaues (16. u.äg.),1426 1422 Vgl. die entsprechende Stelle in Philae-Hymne 3 und Dend. II, 100, 6–11, siehe oben, Anm. 1329. 1423 Die Lesung der Stelle ist unklar; sAwj nach CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 264, obwohl ich dies anhand der Zeichen nicht ganz nachvollziehen kann. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 151, (56), hat den Passus gar nicht übersetzt, und danach fälschlich „die das Kind beschützt bei seinem Erscheinen“ gelesen. 1424 Vgl. GDG III, 110. 1425 Üblicherweise wird Pr-BAs.t(.t) Smaj geschrieben, vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 95–96. BAs.t allein steht aber ebenfalls für Bubastis, vgl. Wb I, 423, 6. Vgl. zu der Wortspielerei mit Bat und Bastet/Bubastis auch den Beginn der Isis-Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5: nb(.t) BAs.t Iwn(j).t pw, bA n As.t kA=tw m rn=s, BA.t rn=s, wobei dort noch das Wortspiel mit den Namen von Bastet und dem Ba der Isis hinzukommt, siehe Kap. 4.6.1.A. Zum Zusammenhang zwischen ‚NTrj.t‘ und dem südlichen Bubastis vgl. die Nähe und kultische Zusammengehörigkeit der entsprechenden Kultorte im Delta; siehe Kap. 4.13.1.2: Gaumonographie Edfu I zum 18. u.äg. Gau. 1426 Siehe oben zu Dend. I, 122, 14–128, 12, 16. u.äg. Gau m. Anm. 1291; und zu Dend. II, 100, 6–11.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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an.t r(?) nTr.wt(?) Iwn.t die schöner ist als die (anderen) Göttinnen (?), die von Dendara,1427 itj.t m Sn n itn die Fürstin im Umkreis der Sonnenscheibe, nb(.t) sxm mnj.t sSS.t die Herrin des sxm-Sistrums, des Menits und des sSS.t-Sistrums, saHa.tw wnSb n Hm.t=s für deren Majestät das wnSb-Symbol aufgestellt wird,1428 s.t km.t dSr(.t) Xnm(.t) anx mrj(.t) ins die schwarze und rote Frau, die mit Leben erfüllt ist, die den blutroten Stoff liebt,1429 mfk(.t) inm xsbD(.t) tp die mit Haut aus Türkis und dem Kopf aus Lapislazuli, THn Hr nb n dgj.t1430=s bei deren Anblick jedes Gesicht (= jedermann) erglänzt, nb(.t) sSd Hnw.t Sw.tj die Herrin der Sesched-Binde, die Gebieterin der Doppelfederkrone,1431 wa.t m ?[… %pd].t die Einzigartige in/an […, Soth]is; nts sTj(.t) Hapj m TpH.t=f sie ist es, die den Nil aus seiner Höhle ergießt, grg(.t) spA.t nb(.t) m rn=s in deren Namen jeder Gau gegründet ist, nb(.t) ^Ay Rr.t die Herrin von Schai und Renenet (Schicksal und Glück), Hnw.t ^ma.w MHw @w.t-@r m spA.t nb(t.) die Gebieterin von Ober- und Unterägypten, Hathor in jedem Gau. iHj n=s nTr.w ibA n=s nTr.wt Die Götter musizieren für sie, die Göttinnen tanzen für sie, wrh n=s wny.w n/m tA die im Land sind (= die Bewohner) springen für sie herum, Hm.t-nTr Dr.t-nTr m &A-n-Itm die Gottesgemahlin, die Gotteshand1432 im Land des Atum (Dendara), 1427 Die Stelle ist schwierig, obige Lesung und Ergänzung nach CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 266–267, obwohl mir die Schreibung für nTr.wt nicht bekannt ist; auch in CAUVILLE, Fonds hiéroglyphique, S. 34, ist sie nur mit obiger Stelle belegt. Aufgrund der zahlreichen Belege des Beinamens an.t r nTr.wt für Hathor, siehe LGG II, 126a–b, erscheint mir CAUVILLEs Vorschlag jedoch gut vertretbar. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 151, übersetzt (ohne Kommentar) „die Schöne, Iwnt, die Herrin von Dendara“. Dafür müßte man eine Verschreibung von für annehmen, wobei auch dann noch immer für Iwnj.t fehlen würde. 1428 Vgl. zu dieser Stelle (ab Herrin des sxm-Sistrums) den vergleichbaren Text für Hathor in Edfu III, 69, 17–70, 3 (70, 1–3), mit Kommentaren. 1429 Zur Stoffart und Farbe siehe CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 279–280; GERMER, Textilfärberei, S. 126–128. 1430 Lesung nach CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 266; CAUVILLE, Fonds hiéroglyphique, S. 105. 1431 Vgl. die Parallelen Dend. II, 100, 6–11, und Philae-Hymne 3. 1432 Vgl. die Parallelen Dend. II, 100, 6–11, und Philae-Hymne 3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sAwj(.t) ib n sr HD.t die das Herz des Fürsten der Weißen Krone (= Osiris)1433 erfreut, nb(.t) Abw.t irj(.t) sA Ams die Herrin der Gestalt(en),1434 die den Schutz des Ames-Szepters bereitet,1435 THn(.t) xa r psD.t Sps.t mnx.t mit glänzenderer Erscheinung als die Neunheit, die Edle und Vortreffliche, Hnw.t nb(.t) Xkr.w die Gebieterin, die Herrin des Schmucks, mH(.t) aH.t m nfr.w=s die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt,1436 iTj(.t) gst m s.t nTr.w die den Lauf beginnt am Sitz der Götter,1437 pr-nsw.t mn Xr s.t-rA=s unter deren Aufsicht der Königspalast beständig ist, Hnw.t nfr.t bnr.t mrw.t die vollkommene Gebieterin, mit süßem Liebreiz,1438 Ra.t HqA(.t) Sn n p.t Sonnengöttin, die den Umkreis des Himmels beherrscht, nb(.t) Hm.wt itn.t n rnn.wt die Herrin der Frauen, die (Himmels-)Scheibe der Mädchen,1439 dwA n=s TA.w m wbn=s die die Männer anbeten bei ihrem Aufgang, nsr.t wsr.t nb.t Ax.w die Flammende und Mächtige, die Herrin der Verklärungen,1440 nb.t pr MnTw hrw dmD die Herrin des ‚Hauses von Month‘1441 am Tag des Zusammentreffens (= Kampfes). &A-Tnn wr sXkr.n=f D.t=s nbj=f n=s mAH n sAwj Tatenen, der Große, er schmückt ihren Leib, er stellt für sie den Goldkranz her.1442 1433 1434 1435 1436 1437 1438 1439

Siehe E. WINTER, Der „Fürst der weißen Krone“, ein Beiname des Osiris, in: CdÉ 39, 1964, S. 41–43. Vgl. die Parallelen Dend. II, 100, 6–11, und Philae-Hymne 3. Vgl. die Parallele Dend. II, 100, 6–11. Vgl. die Parallelen Dend. II, 100, 6–11, und Philae-Hymne 3. Vgl. die Parallelen Dend. II, 100, 6–11, und Philae-Hymne 3. Vgl. die Parallelen Dend. II, 100, 6–11, und Philae-Hymne 3. rnn.wt-Mädchen agieren auch als Sängerinnen, besonders im Mammisi, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 587; F. DAUMAS, Les propylées du temple d’Hathor à Philae et le culte de la déesse, in: ZÄS 95, 1968, S. 1–17: 11, Anm. 72. Von CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 266–267, mißverständlich als nb.wt „des dames“ übersetzt. 1440 Oder: „des Lichtglanzes“, wobei das Buchrollendeterminativ dagegen spricht. 1441 Laut LGG IV, 54b–c, eine „Art Waffen- oder Gerätelager“, ohne weitere Angaben; CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 266–267, übersetzt frei „l’arène“. Sicher ist, daß der Begriff eine Lokalität bezeichnen muß, die eng mit Krieg oder Kampf zu tun hat. Der Beiname ist nur hier belegt, vgl. aber das häufigere Epitheton njs.tw n=s hrw dmD, z. B. in der Isis-Beischrift Philae-Photos 385–386 (LD IV, 74c), und im selben Text nb(.t) rA-DAw pr MnTw, siehe Kap. 4.1.1.A. 1442 Dieser abschließende Satz deutet möglicherweise auf ein memphitisches Ritual hin, mit (Ptah-) Tatenen als Akteur, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 452–453 zu m(A)H; und CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 44, die die Hymne in den Kontext des Neujahrsfestes am 1. Thoth stellt. Vgl. auch den Text

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Hsj=s sA=s mrj=s nswt bjtj [( ) sA Ra [( ) D.t Möge sie ihren geliebten Sohn loben, den König von Ober- und Unterägypten [( ), den Sohn des Re [( ), ewiglich. Kommentar: Diese lange Hymne in der Südkrypta 2, die sich demnach in der Rückwand des Naos, also einem theologisch „tiefen“ Bereich des Tempels, befindet, ist offenbar aus verschiedenen Vorbildern zusammengestückelt, die teilweise eher auf Hathor, teilweise auf Isis zu beziehen sind,1443 wenngleich der Name von letzterer nicht eigens erwähnt wird (dafür aber ihre wichtige Dendara-Charakterisierung als „schwarzrote Frau“). Dies zeigt, daß der Schwerpunkt auf der ersten Tempelherrin Hathor liegt, deren Wesen jedoch durch Übernahme ganzer Passagen aus Isis-Hymnen umfassender dargestellt wird. Möglicherweise ist auch der besondere Reichtum in der Auswahl der Hieroglyphen, der zu einer Reihe ungewöhnlicher Schreibungen führte, bereits ein Hinweis auf die theologische Bedeutsamkeit dieses Textes.1444 Zunächst scheint sich die Inschrift mit einigermaßen typischen Epitheta an Hathor zu richten;1445 die Beziehung zu Re/Atum sowie zu Horus von Edfu wird betont; auch ihre Schönheit und die Verbindung mit den üblichen ‚hathorischen‘ Objekten und Materialien wie Sistrum, Menit, Türkis und Lapislazuli sowie weitere Kultobjekte der Hathor finden Erwähnung. Dazwischen sind jedoch immer wieder einzelne Anspielungen auf Isis eingestreut, so die eindeutige Bezeichnung als schwarzrote Frau, Identifizierung mit Sothis oder Handlung gegenüber Osiris, dem Fürsten der Weißen Krone.1446 Des weiteren sind kürzere Textpassagen aus den (einander viel genauer entsprechenden) Parallelen PhilaeHymne 3 und Dend. II, 100, 6–11 in willkürlich erscheinender Reihenfolge über die ganze Inschrift verteilt. 1447 So findet sich z. B. auch die aus Dend. II, 100, 6–11 bekannte Identifizierung mit Hatmehit wieder, allerdings in einem anderen Kontext. Die etwa in der Mitte stehende, resümierende Phrase „Hathor in jedem Gau“ scheint den Abschluß eines Textabschnitts zu bilden, 1448 ähnlich wie in den kulttopographischen Litaneien.1449 Inhaltlich ist jedoch kein deutlicher Einschnitt zwischen beiden Texthälften

1443 1444 1445 1446 1447 1448 1449

für Hathor in Edfu III, 69, 17–70, 3, mit Kommentar: Der Goldkranz sowie die im hier besprochenen Text mit einigem Abstand weiter oben genannten zwei Sistrenarten, Menit und wnSb-Symbol gehören zu den 10 Kultobjekten der Hathor von Dendara. Für eine ausführliche Studie des Darreichens des mAH-Kranzes siehe DERCHAIN, Couronne. Vgl. zum Ritual des Schmückens (bzw. Schminkens) der Göttin auch QUACK, Ostrakon Glasgow, S. 302–303; und J. YOYOTTE, Seshat maquilleuse, in: RdÉ 29, 1977, S. 227–228. Vgl. auch CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 42–43. Wobei anzumerken ist, daß sich Bandeau-Inschriften generell gerne durch eine besonders auffällige Zeichenwahl auszeichnen. Vgl. CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 42. Vgl. z. B. Dend. II, 107, 10–108, 2, dort mit einer anderen Handlung (Leben spenden mit dem Papyrusszepter). Vgl. CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 42–43. Die einzelnen Stellen sind jeweils oben in den Anm. der Übersetzung gekennzeichnet. So auch CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 42. Siehe dazu NAGEL, One for All, z. B. „Sie ist es, die in jeder Stadt und jedem Gau ist…“ am Ende der Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

festzustellen, da beide sowohl ‚hathorische‘ Elemente als auch Ausschnitte aus den beiden Isis-Paralleltexten enthalten. Der noch viel längere Text, der die andere (linke/westliche) Hälfte der Friesinschrift füllt, ist hingegen deutlich Hathor gewidmet und bildet eine komplexe, aber einheitlicher wirkende Komposition einer Eulogie, die durch wörtliche Reden von Re und Thoth sowie eine Bauinschrift bereichert ist.1450 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. VI, 52, 12–53, 2 Dendara, Haupttempel, Südkrypta 3, Bandeau-Inschrift des Frieses, linke (westliche) Seite CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 324–325; BUDDE, Götterkind, S. 70 (tw. Übersetzung)

Text: nswj.t bjtj.t itj.t n tpj.w-a Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Fürstin der Vorfahren, sA.t nTrj.t prj(.t) m Gbb die göttliche Tochter, die hervorgegangen ist aus Geb, Sps.t wr.t bsj(.t) m Nw.t die Edle und Große, die hervorgekommen ist aus Nut, iwa.n=s tA.wj tp nwd=s sie hat die Beiden Länder (schon) in der Windel geerbt, iTj.n=s Sn nb n itn sie hat den ganzen Umkreis der Sonnenscheibe ergriffen,1451 iqH.n stw.t=f r=sn als deren (der Sonnenscheibe) Strahlen auf sie (die Beiden Länder?) trafen (?),1452 nb.t pr-wr Hnw.t pr-nsr die Herrin des Per-wer, die Gebieterin des Per-neser, aA(.t) snD m pr-nw mit großer Ehrfurcht im Per-nu, an.t nfr.t xnt pr-an.t die vollkommene Schöne an der Spitze des ‚Hauses der Schönen‘ (= Dendara),1453 an HA.wt n.j.wt nTr.w iw/r mAA=s die Vorderseiten/Gesichter der Götter wenden sich um, um sie zu sehen.

1450 Dend. VI, 4, 9–8, 2; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 268–271; Kommentar ibid., S. 44–45. 1451 Bei CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 325, ist nb in der Übersetzung unterschlagen. 1452 CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 325, reiht den Satz parataktisch neben den vorhergehenden, wodurch die Aussage über die Sonnenstrahlen aber etwas zusammenhanglos im Raum stünde. M. E. muß hier inhaltlich eine Verbindung zu den Handlungen der Isis geknüpft sein, von denen ja die Rede ist. Das Suffixpronomen =sn kann sich eigentlich nur auf tA.wj beziehen, da vorher sonst kein Plural vorkommt. Auch inhaltlich macht es den meisten Sinn. 1453 Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 71.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Hsj=s sA=s mrj=s sA Ra [( ) Hr s.t @r xnt kA.w anx.w D.t Möge sie ihren geliebten Sohn loben, den Sohn des Re [( ), auf dem Sitz des Horus an der Spitze der lebenden Ka-Mächte, ewiglich. Kommentar: Die Friesinschrift in der Südkrypta 3 ist gleichmäßig zwischen Hathor (rechte Seite)1454 und Isis (linke Seite) aufgeteilt, obwohl die Namen beider Göttinnen nicht ausdrücklich genannt werden. Aufgrund der Titel ist die Identifizierung eindeutig. Das Erbe des Königtums steht im Mittelpunkt des Textes und wird wie häufig direkt in den Kontext von Isis’ Geburt und Filiation gestellt. Im zweiten Teil wird Isis als Herrin von Dendara und der fundamentalen Kapellen, die sich ja wie die Krypta im hintersten Teil des Tempels befinden, charakterisiert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. VI, 66, 10–67, 9 Dendara, Haupttempel, Westkrypta 1, Tür, Innenseite, Durchgang, linke (nördliche) Wand CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 344–345; WAITKUS, Krypten, S. 167

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

ijj.n nswt bjtj [( ) xr=T Der König von Ober- und Unterägypten [( ) ist zu dir gekommen, As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t ir.t [Ra] Isis die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, das Auge des [Re], n=T 1455 hy m aq1456 n rnp.t nfr(.t) für dich Jubel am Fest des Guten Jahres, m hrw grH nxn m [sS=f …?] n kA=s am Tag der Nacht des Kindes [in seinem Nest, …?] für ihren Ka,1457

1454 Dend. VI, 49, 22–50, 2; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 322–323. 1455 Diese Emendierung des Textes nach CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 344–345, scheint mir nach dem Vorbild der komplementären Inschrift für Hathor (Dend. VI, 65, 22–66, 8; genau: 65, 23: sjar=f n=T wsx…) naheliegender als die umständliche Konstruktion bei WAITKUS, Krypten, S. 167: nt(T) hy… „Du bist die, für deren Ka Jubel herrscht am Fest…“ Vgl. auch Anm. 1457. 1456 Zur Lesung dieses Wortes als aq an Stelle von mk siehe QUACK, Rez. zu: Kurth, Einführung, S. 131; ID., Rez. zu: Kurth, Übersetzung Edfou VIII, S. 199; ID., Rez. zu: Herbin, Parcourir l’étérnité, in: OLZ 91, 1996, Sp. 151–158: 153. 1457 Der Wechsel von der 2. auf die 3. Pers. für die Anrede der Göttin stellt zusammen mit der Lücke vor n kA=s ein Problem für das Verständnis der ganzen Konstruktion dar; WAITKUS, Krypten, S. 167, geht offenbar davon aus, daß hinter dem sicheren m sS=f in der Lücke nichts mehr steht und übersetzt daher (vgl. auch obige Anm. 418) „Du bist die, für deren Ka Jubel herrscht am Fest…“, was mir als Konstruktion recht umständlich erscheint, zumal hy kein Verb ist (Wb II, 483) und man erwarten würde, daß n kA=s direkt hinter hy stünde und nicht durch mehrere lange adverbiale Bestimmungen davon getrennt ist. Bei CAUVILLEs (siehe Anm. 1455) obiger Übersetzung nach Vorbild des HathorTextes muß davon ausgegangen werden, daß ein weiteres Wort hinter m sS=f stand, das aus […] n kA=s vielleicht ein partizipiales Epitheton bildete, wenngleich auch dies schlecht hinter den vorigen Satz passen würde: „er macht für dich Jubel…, für deren Ka [gejubelt o. ä.] wird“. Ein solcher Wech-

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 3:

Kol. 4:

Kol. 5:

Kol. 6:

1458 1459 1460 1461

1462 1463 1464 1465 1466 1467

ij=tw n=s m Htp mAA X.t=s […] man kommt zu ihr in Frieden, um ihren Leib zu sehen […], xpr.w{t}=s m Ax.w=s ihre Erscheinungsform durch ihre Verklärungen, @w1458 Wr-HkA.w m pXr m qd mkj [… …]tw […]s Der Schläger und der Zauberreiche erfreuen sich,1459 […] schützen […] sie(?), %DfA.t Hrj.t nTr.wt [… …] die Ernährerin, die Oberste der Göttinnen […] Ha.w=s rrj(.t)=s m rS(w.t?)1460 ihren Leib, die sie aufzieht (ist?) in Freude,1461 xwj Msxn.(w)t fd.wt die vier Meschenet (Geburtshelfer-Göttinnen) beschützen (sie?), irj.w(t)/irj=w(?) s.t=sn m Sn=s die ihren Platz einnehmen/sie nehmen ihren Platz ein in ihrem Umkreis, wn […] snsn=sn(?)1462 sns.w sDm/idnw(?) [… …] sxr.w […] Sms(?) [… …] es sind […] sie(?) singen Lobpreisungen, ? […] Pläne […] ? […] dmA.t pD.(w)t wr.t sxpr(.t) bkA.t die die Bögen bespannt,1463 die Große, welche die Schwangere1464 entstehen läßt snfr(.t) gnn(.t) m irw=s und die Schwache vollkommen macht in ihrer Gestalt,1465 $nmw Hna [@]q.t [… …]s n [… … … …] Chnum und Heket […] pAq(?) smar(.w?) D.t=s m [sSp.t(?)1466 … … … … …] feines Leinen, ihr Leib ist bekleidet(?)1467 mit [dem hellen Kleid(?) …], sAw(?) smn.t=s m nfr.w=s […] ihr Abbild beschützt/en(?) in seiner Vollkommenheit,

sel von der 2. auf die 3. Person ist bei dem Hathor-Text hingegen erst in der Schlußformel (Dend. VI, 66, 8) zu beobachten. Möglicherweise ist der Isis-Text etwas verderbt. Siehe zu diesem nicht genauer definierten göttlichen Wesen WILSON, Ptol. Lex., S. 624; LGG V, 56c. Zur Bedeutung von pXr m qd siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 368. Oder m rx(.t) „als Wissende“? Aufgrund der vielen Zerstörungen in dem Text ist oft nicht klar, auf wen sich einzelne Ausdrücke beziehen und wie sie grammatikalisch zu bewerten sind. Vgl. auch die teilweise sehr stark voneinander abweichenden Übersetzungen und Deutungen von CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 344– 345; und WAITKUS, Krypten, S. 167, auf die wegen der vielen Unsicherheiten hier nicht im Einzelnen eingegangen werden soll. Von CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 344, nach Kollationierung gelesen; fehlt in der Publikation Dend. VI, 67, 3–4. Allerdings scheint mir so der Anschluß an das wn vorne problematisch. Ein geläufiger Beiname der Nechbet, siehe Wb V, 452,1; LGG VII, 539–540; vgl. auch den Text Dend. II, 107, 10–108, 2. Und nicht „den Embryo“, wie CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 345, phantasievoll übersetzt; siehe Wb I, 481, 12–14. Auch hier ist CAUVILLEs (loc. cit.) Übersetzung „die der Gebärenden bei ihrer Aufgabe assistiert“ nicht sehr nah am Text. Plausibler Ergänzungsvorschlag von WAITKUS, Krypten, S. 167, m. Anm. 21. Auch hier sind grammatische Konstruktion und Bezüge unklar.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 7:

Kol. 8:

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wDA n nbw m […] das Halsamulett aus Gold an […] [… … … … … … …] n Stj.t(?)1468 m Sn=T(?) […] in der verborgenen Kapelle(?)1469 in deinem(?) Umkreis, irj=w sA=T wHm=w mk.t msj [tw=T]1470 sie beschützen dich, sie wiederholen (deinen) Schutz, es gebiert dich mw.t Nw.t m Hw.t-Nw.t deine Mutter Nut im Tempel der Nut (= Dendara)1471 m anx m hrw {n pr} nfr als mit Leben Erfüllte an diesem schönen Tag, wbn HAy.tj r tA m wDA.tj an dem die beiden Himmelslichter aufgehen über der Erde als die beiden Augen, m nw m wnw.t m prj=s(n?) in dem Moment der Stunde, in der sie hervorkommt/kommen(?).1472 Hsj=s sA=s mrj=s [(Pr-aA) […] Möge sie ihren geliebten Sohn loben, [(Pharao) […].

Kommentar: Die beiden Texte auf den Seitenwänden des Türdurchgangs zur Westkrypta 1 bilden gleichzeitig die äußeren Türpfosteninschriften der Kammer A: 1473 Die angesprochenen Themen finden sich daher auch auf der jeweils zugehörigen Seite der Kammer wieder.1474 Die rechte (südliche) Inschrift ist natürlich Hathor gewidmet,1475 und beschreibt ihr Fest am 5. Paophi.1476 Der obige Text für Isis ist leider stark zerstört, so daß viele Stellen unklar bleiben. Für die formale Struktur kann man sich jedoch etwas an der wesentlich besser erhaltenen Inschrift für Hathor orientieren. Im Mittelpunkt steht trotz aller Unsicherheiten eindeutig die Geburt der Isis und das damit zusammenhängende Fest am „Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest“.1477 Damit wird bereits auf die Kammer D der Krypta hinge1468 Lesung unsicher, so nach CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 344. 1469 Eigentlich speziell die Sokar-Kapelle, aber auch z. B. die Krypten selbst können so bezeichnet werden, vgl. Wb IV, 559, 18. 1470 Plausible Ergänzung nach CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 344; das abhängige Pronomen 2. Pers. sing. fem. ist in Dendara meist tw=T, vgl. KURTH, Einführung II, S. 602. 1471 Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 89. 1472 Eigentlich müßte hier die Geburt der Isis als zeitlicher Bezugspunkt gemeint sein, das Suffix =s sich also auf Isis beziehen; wie WAITKUS, Krypten, S. 169, Anm. 27, richtig anmerkt, wird diese jedoch zuvor mehrfach in der 2. Person angesprochen. Er liest daher =sn und bezieht dies auf die beiden Lichter, deren Aufgang ja kurz zuvor erwähnt wird; dadurch würde es sich allerdings um eine Doppelung handeln, ohne eine neue Information über den Zeitpunkt dieses Aufgangs, so daß der Satz eigentlich seinen Sinn verliert. Daher muß es sich m. E. trotz aller formalen Unklarheiten um Isis handeln. Auch die direkt anschließende Fürbitte zugunsten Pharaos spricht über Isis in der 3. Pers. sing. 1473 Vgl. CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 29. 1474 CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 29–30. 1475 Dend. VI, 65, 22–66, 8; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 342–343; WAITKUS, Krypten, S. 166. 1476 Siehe dazu CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 29–30; EAD., Fêtes d’Hathor, S. 97–107. 1477 Vgl. hierzu die Kommentare von CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 30; und WAITKUS, Krypten, S. 250–251.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wiesen, die genau wie die Kapelle E im überirdischen Tempel s.t msxn.t heißt und somit der Geburt der Göttin gewidmet ist. Der Text beschreibt offenbar, analog zu dem für Hathor, die Handlungen verschiedener Götter („der Schläger“, „der Zauberreiche“,1478 die vier Meschenet, Nechbet, Chnum und Heket) während und nach Isis’ Geburt1479 sowie die entsprechenden Ritualhandlungen des Königs anläßlich des Festes, die sich sicherlich auch hinter den Tätigkeiten der Götter verbergen.1480 Weitere göttliche Aktionen gegenüber Isis werden in der linken (westlichen) Friesinschrift der Kammer A beschrieben:1481 Darin heißt es, daß Thoth und Seschat sie anbeten und preisen, zu ihrem Ka sprechen und ihn schützen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. VI, 86, 6–10 Dendara, Haupttempel, Westkrypta 1, Kammer D (s.t msxn.t), Bandeau-Inschrift des Frieses, rechte (östliche) Seite CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 372–373; WAITKUS, Krypten, S. 201

Text: s.t-msxn.t nfr.t Xr nn.t n nbw Die vollkommene Geburtsstätte ist unter dem Himmel des Goldes (= IsisHathor?),1482 As.t wr.t mw.t-nTr HqA.t n BAq.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrscherin von Ägypten, tpj(.t) n.t irj.t(?)-s(j)1483 die Erste derjenigen, die sie geboren hat (= ihrer Mutter) (?), Xnm.t anx bnr.t mrw.t die mit Leben erfüllt ist, mit süßem Liebreiz. sr wsr m Hr=s Xr is-niAw Der mächtige Fürst (= Amun)1484 ist vor ihr mit dem Lufthauch, 1478 CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 30, deutet Hu und Werhekau als Formen von Thoth; dies entbehrt jedoch jeglicher Grundlage, vgl. LGG V, 56c, für Hu („der Schläger“ und nicht die bekanntere Personifikation des „Ausspruches“, wie das Determinativ deutlich zeigt!), und LGG II, 454–455 für Werhekau. 1479 Ausführlich wird die Geburt der Isis in ihrem eigenen Tempel in Dendara thematisiert, siehe dort (Kap. 4.6.1. und 4.6.3) und zusammenfassend CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 269–282. 1480 Vgl. WAITKUS, Krypten, S. 250, der ebendies für den Hathor-Text annimmt. 1481 Dend. VI, 70, 2–5; Übersetzung bei CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 348–349; WAITKUS, Krypten, S. 170. 1482 WAITKUS, Krypten, S. 206, Anm. 13, sieht im Gold trotz fehlendem Determinativ den (von Hathor übernommenen) Beinamen der Isis. Die Bezeichnung „Himmel des Goldes“ wird allerdings auch mehrfach in dem Text, der das Himmelsbild von Dendara umgibt (Dend. X, 175, 1–5), verwendet, um ebendieses zu benennen. VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 177, vermutet daher, daß „Himmel des Goldes/aus Gold“ ein allgemeiner Terminus für runde Himmelsbilder ist. Da „Gold“ in den Belegen mit Körnchen-, aber ohne Göttinnendeterminativ geschrieben ist, ist es weniger wahrscheinlich, daß Isis bzw. Hathor damit gemeint ist, siehe ibid., S. 177, Anm. 526. 1483 Die Lesung ist unsicher; WAITKUS, Krypten, S. 201, m. Anm. 14 auf S. 206, betrachtet als eine Schreibung von mw.t; CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 372 m. Anm. 49, hält für eine Verschreibung von . Es ist nach parallelen Epitheta jedenfalls anzunehmen, daß im Zusammenhang der Geburt auf den Ausdruck „Erst(geboren)e des/der…“ ein Elternteil folgt, vgl. z. B. Dend. III, 38, 4.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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(Hr) dj(.t) TAw n anx r fnD=s indem er den Lebensatem an ihre Nase gibt, Nxb.t m sA=s m mk.t n kA Nechbet ist ihr Schutz als/und Schutz (ihres) Kas, xwj(.t) D.t=s is m a.wj=s und auch als Beschirmerin ihres Leibes mit ihren beiden Armen, nswj.t m rsj (nämlich von:) die oberägyptische Königin im Süden, bjtj.t m mH.t.t itj.t n imn.t.t iAb.t.t die unterägyptische Königin im Norden, die Fürstin des Westens und Ostens. wDA n nbw m-a &A-tnn r xx=s Das Halsamulett aus Gold aus der Hand von Tatenen ist für ihren Hals, mnx.tj1485 m snb n{.t} nb(.t) P aufgezogen mit dem Seneb-Schilfband1486 der Herrin von Pe (= Uto). Hsj Ra r1487 sA=s mrj=s nswt bjtj [(iwa (n) pA nTr ntj nHm stp n PtH irj mAa.t n Ra sxm anx n Imn) Dr nHH r km D.t Möge sie Re loben zugunsten ihres geliebten Sohnes, des Königs von Ober- und Unterägypten [(Erbe des Rettenden Gottes, auserwählt von Ptah, der die Maat des Re ausführt, das lebende Abbild des Amun), 1488 von der Unendlichkeit bis hin zur Ewigkeit. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. VI, 88, 12–89, 2 Dendara, Haupttempel, Westkrypta 1, Kammer D (s.t msxn.t), Bandeau-Inschrift des Frieses, linke (westliche) Seite CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 374–375; WAITKUS, Krypten, S. 201

1484 So auch WAITKUS, Krypten, S. 201. Daß es sich um Amun handelt, zeigt das Determinativ. CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 373, versteht zwei getrennte Titel „Der Fürst (= Geb)“ und „Der Mächtige (= Amun)“, doch nichts deutet darauf hin, daß zwei verschiedene Götter gemeint sind, schon gar nicht Geb. Vgl. außerdem die Geburtsszene im Isis-Tempel selbst (Dend. Isis, 80–81; Taf. 7 u. 88), in der Amun (und Schu) Atemluft gibt, nicht aber Geb, der ja schließlich auch kein Luftgott ist. Auch in der Geburtskapelle des Haupttempels (E) gibt Amun den Atem an die Nase der Gebärenden: Dend. II, 125, 12f., vgl. CAUVILLE, Dend. II Traduction, S. 194–195. 1485 WAITKUS, Krypten, S. 201, liest mnx.tj „die trefflich ist“; CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 372–373, liest wAD.tj „tutélaire“, was ich auch nicht nachvollziehen kann. Im Hinblick auf das Folgende bezieht sich das PsP definitiv auf das Halsamulett, vgl. auch die folgende Anm. 1486. Zu mnx „(Amulett) aufziehen, auffädeln“, siehe Wb II, 87, 8–10. 1486 Eine Pflanze mit schützenden Eigenschaften, die eng mit Buto und der Göttin Uto verbunden ist; es handelt sich wohl um eine Papyrusart. Daraus werden offenbar Bänder für Amulette gemacht, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 859; P. KOEMOTH, Snb, le papyrus ou le cordon en papyrus de Pé, in: GM 130, 1992, S. 33–43; zur Stelle S. 39, Anm. 37; TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 144, cy); 230; 233; 265–266; and 358. 1487 Korrektur von CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 372, gegenüber Dend. VI, 86, 9. 1488 Ptolemaios XII.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: s.t-msxn.t nfr.t Xr hy n nfr.w=s Die vollkommene Geburtsstätte ist in Freude über ihre Vollkommenheit, As.t wr.t mw.t-nTr (nämlich von:) Isis, die Große, die Gottesmutter, nb.tj rxj.t n tA Hr ndb=f die Beiden Herrinnen (= Königin) der Menschen der ganzen Erde, nb.t iwa.t1489 xnt pr-nswt die Herrin des Erbes an der Spitze des Königspalastes, SAa.t Sps.t SAa(.t) xp(r) xnt die Uranfängliche und Edle, die als Erste am Anfang entstanden ist, ^Ay1490 Rr.t m-xt=s m xn(m).tj Schai und Renenet sind hinter ihr als Ammen, msw.tj.t mnx.t n wsr.w-HA.t der vortreffliche (weibliche) Abkömmling ‚Derer mit mächtiger Stirn‘,1491 smsw.t n mw.t=s Nw.t die älteste Tochter ihrer Mutter Nut, $nmw Hna @q.t nHp=sn Ha.w1492 Chnum und Heket, sie formen ihre Glieder, sAx xpr.w=s m kA.t=sn (so daß) ihre Gestalt herrlich gemacht ist durch ihr Werk, kA mAa.t mAa.tj(?)1493 rnp.t HH1494 m Hr=s der Stier der Maat (= Thoth)1495 bringt Millionen Jahre dar vor ihr, (Hr) fAj1496 sSd n D.t=s m rnp.t nfr.t indem er die Sesched-Binde für ihren/zu ihrem Leib als Gutes Jahr trägt.1497 1489 Korrektur von CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 374, gegenüber Dend. VI, 88, 12. 1490 Etwas fehlerhafte Schreibung, aber anhand des Kontextes und des Schlangendeterminativs klar identifizierbar. 1491 Oder „Die Mächtigen seit Anbeginn“, so die Interpretation von GOYON, Dieux-gardiens, S. 469, m. Anm. 2, da es sich um eine Bezeichnung für Ahnengötter handelt. 1492 steht eigentlich für das Suffix der 2. Pers. sing. fem. =T; hier müßte die Göttin jedoch in der 3. Person angesprochen sein, wie auch im Rest des Textes. 1493 Ein PsP ist hier eigentlich unpassend. Möglicherweise handelt es sich bei der Endung um eine aus dem voranstehenden mAa.t resultierende Verschreibung, da die Verbindung mAa.t mAa.tj „die Maat wird dargebracht“ in Maat-Opferszenen sehr geläufig ist, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 396. 1494 Eine weitere Möglichkeit wäre rnp.t nfr.t „das gute Jahr“ zu lesen; so auch bei CAUVILLE, Dend. V– VI Traduction, S. 374–375, aufgefaßt. 1495 Daß es sich um Thoth handelt, ist bereits am Determinativ ablesbar, vgl. aber ausführlich zu diesem Epitheton D. KESSLER, in: D. Kessler/R. Schulz (Hrsg.), Gedenkschrift für Winfried Barta, MÄU 4, Frankfurt a. Main et al. 1995, S. 229–245, bes. 237–238. 1496 CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 374, korrigiert zu Sdj gegenüber der in Dend. VI, 89, 1, angegebenen Lücke. Allerdings ist laut Determinativ Sdj „rezitieren, vorlesen“ gemeint, was m. E. hier aber weniger gut in den Kontext paßt, auch wenn CAUVILLE, op. cit., S. 375, übersetzt „er rezitiert (das Ritual) der Stoffbinde für ihre Person…“. Möglicherweise ist jedoch auch zu fAj zu ergänzen, was mehr Sinn ergeben würde. 1497 Zur Bedeutung der Sesched-Binde und der Beziehung zum neuen Jahr und zu Isis’ Geburt, siehe LEITZ, Nacht des Kindes, S. 156; allgemein zur Sesched-Binde: EL-KORDY, Bandeau.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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sAwj=s sA=s sA Ra [(Ptwlmys anx D.t mrj PtH As.t) Dr nHH r km D.t Möge sie ihren Sohn groß machen, den Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Ptah und Isis), von der Unendlichkeit bis hin zur Ewigkeit. Kommentar: Die Kammer D der Westkrypta 1 ist der Geburtskapelle der Isis zugeordnet, was sich allein schon in der gemeinsamen Bezeichnung als s.t msxn.t bemerkbar macht. 1498 Denselben Namen teilt auch der eigene Tempel der Isis in Dendara. Somit sind die beiden Hälften der Friesinschrift dieser Kammer ganz der Geburt der Göttin gewidmet; auch die übrige Dekoration der Kammer sowie des auf sie zuführenden kurzen Ganges (Passage C–D) zeigt starke Bezüge zu diesem Thema und der Dekoration der eigentlichen Isis-Kapelle (E),1499 wenngleich die Ritualszene auf der Westwand sich an Hathor richtet. In ähnlicher Weise wie in dem Text im Eingang zur ganzen Westkrypta 1 (Dend. VI, 66, 10–67, 9, siehe oben) werden Taten verschiedener helfender Götter anläßlich der Geburt der Isis beschrieben; Kulthandlungen wie das Überreichen der Seschedbinde oder des Goldamuletts sowie die verschiedenen schützenden Aktionen finden immer wieder in diesem Zusammenhang Erwähnung und zeigen daher sicher einen Widerhall der real während des Festes ausgeführten Riten. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Inhalt

Dend. VI, 155, 15–159, 2; Taf. 582–583 Dendara, Haupttempel, Westkrypta 3 („Archivkrypta“), Ostwand, Inventarliste CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 456–463 (S. 456–457 zu Isis); DAUMAS, Mammisis, S. 30–31; ELDAMATY, SokarOsiris-Kapelle, S. 179; CHASSINAT, Khoiak, S. 325 Inventarliste mit 40 Textkolumnen zu Materia sacra von Dendara, davon Kol. 7–10 für Isis.

Text: – Text Isis (156, 5–7): Kol. 7 (Ende): msj.tw As.t Isis wurde geboren Kol. 8: m IA.t-dj s.t tn in Iat-di. wnn=s r gs mH.t(j) imn.t(j) m/n s.t tn n.j.t @w.t-@r Dieser Ort, er befindet sich an der nordwestlichen Seite dieses Sitzes der Hathor. Hr=s Sein Gesicht (= seine Front) Kol. 9: r iAb.t.t wbn Ra Hr=s ist gegen Osten gerichtet. Re geht darüber auf,

1498 Vgl. WAITKUS, Krypten, S. 243–244. 1499 Vgl. CAUVILLE, Dend. V–VI Traduction, S. 32–33; WAITKUS, Krypten, S. 244, mit Beispielen für Parallelen in Kapelle E. Speziell zur Thematik des Spiegelopfers und der Geburt der Isis, siehe HUSSON, Offrande du miroir, S. 261f.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dj=f-sw (Hr) sHD p.t tp grH wenn er sich zeigt beim Erleuchten des Himmels (am Ende) jede(r) Nacht. s.t tn ‚Dieser Sitz Kol. 10: n.j.t Nw.t rn=s n/m Iwn.t pw der Nut‘ ist sein Name in Dendara. Kommentar: Dieser Abschnitt der „Inventarliste“ von Dendara, welche sich in der sog. ‚Archivkrypta‘ befindet, beschreibt die Lage der Geburtsstätte von Isis, also ihren kleinen Tempel. Die angegebenen Himmelsrichtungen sind natürlich die theologischen, nicht die real geographischen, was aber der gängigen Praxis in Dendara entspricht.1500 Inschriften in den umgebenden Räumen der Dachtreppen Text/Hauptpublikation Dend. VII, 109, 13–110, 4 Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Raum U, linke (südliche) Türlaibung Bibliographie – Inhalt 1 Kolumne für den König, 2 für Isis. Text: – Text Isis (110, 1–4): Kol. 2: As.t [wr.t mw.t-nTr nb.t?]1501 IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, [die Große, die Gottesmutter, die Herrin] von Iat-di, die in Dendara residiert, itj.t m Aw n tA.w die Fürstin in den Weiten der Länder, aA.t m p.t wsr.t m tA die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, n nTr m snj(.t) r=s ohne daß irgendein Gott ihr gleichkommt, bjAtj.t pw xntj(.t) xtmn die Wunderbare ist es, die an der Spitze der Welt ist, wa.t xnt Pr-wa.t die Einzigartige an der Spitze des ‚Hauses der Einzigartigen‘ (= Dendara),1502 Kol. 3: [… … … … …] Ra n ijj Hr sA=s […] Re für den/dessen, der hinter ihr geht,1503

1500 Vgl. A. MARIETTE, Dendérah. Texte, Paris 1875, S. 39–41. 1501 Die Lücke scheint fast ein wenig groß dafür, doch wären dies die üblichen Haupttitel von Isis in Dendara. 1502 Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 78. 1503 Vgl. z. B. den Beinamen HqA.t n ij Hr sA=s „Herrscherin dessen, der hinter ihr kommt“, der ebenfalls für Isis belegt ist; LGG V, 538a. Aufgrund des zerstörten Kontextes kann an der obigen Stelle jedoch nicht mehr rekonstruiert werden, wie Re in die hier vorliegende Formulierung eingebunden ist.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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nTr.t(?)1504 aA.t nb(.t) stp-sA die große Göttin(?), die Herrin des Palastes, HqA.t m Sn n itn die Herrscherin im Umkreis der Sonnenscheibe, rx(y).t nfr.t sSm(.t) it=s die vollkommene Wissende, die ihren Vater leitet, imj(.t)-rA sbA.w n xpr xnt die Vorsteherin der Lehre (= Oberlehrerin) dessen, der zuerst entstand. Kommentar: Die einzige etwas ungewöhnlichere Stelle (wenn man von derjenigen absieht, die halb zerstört ist)1505 ist der Schluß „die ihren Vater leitet, die Vorsteherin der Lehre (= Oberlehrerin) dessen, der am Anfang entstand“; beides ist sonst nicht belegt.1506 Vgl. aber zum ersten Teil den Text Dend. IV, 60, 11–17 (s. o.) im Vestibül (O), wo es heißt: „Sie ist es, die ihren Vater und ihre Mutter leitet“. Die obige Inschrift geht allerdings noch etwas weiter, da sie im Anschluß von Isis sagt, daß sie den, „der zuerst entstand“, also den Schöpfergott belehrt, was impliziert, daß sie („die vollkommene Wissende“) über mehr Weisheit verfügt als dieser. Der Text in der gegenüberliegenden Türlaibung ist Hathor gewidmet.1507 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. VII, 140, 13–141, 2 Dendara, Haupttempel, Vorkammer der Osttreppe (V), rechte (nördliche) Türlaibung – 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (140, 15–141, 2): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, %pd.t nb(.t) p.t Hnw.t xAbAs.w Sothis, die Herrin des Himmels, die Gebieterin des Sternenheers, mf(.t) xa.w THn(.t) Xkr.w mit türkisfarbener Erscheinung, mit glänzendem/fayencefarbenem Schmuck, Ra.t wbn(.t) m bjA Sonnengöttin, die am Himmel aufgeht, wsx.t nmt.t m skt(.t) nb(.t) rSw.t m anD.t mit weitem Schritt in der Abendbarke, die Herrin der Freude in der Morgenbarke,

1504

. Es könnte auch iqr.t o. ä. zu lesen sein. Aufgrund der Verbindung mit aA.t ziehe ich hier die Lesung nTr.t vor. 1505 Siehe Anm. 1503 zum Text. 1506 Vgl. LGG VI, 632b, wo allerdings das Folgende mit hinzugezogen und fälschlich sSm.t it=s m dwAw „die ihren Vater am Morgen leitet“ gelesen wird, so daß das Epitheton „die Vorsteherin der Lehre dessen, der zuerst entstand“ überhaupt nicht aufgenommen ist. 1507 Dend. VII, 109, 8–11.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 3: iqr.t pw n wn mjt.t=s die Treffliche ist es, deren Gleiche es nicht gibt, xntj(.t) sAw-n=sn n xtmn die Vorsteherin der Schutzgötter der Welt, nTr.t tn wsr.t mnx.t r nTr.w diese Göttin, die Mächtige, die vortrefflicher ist als die (anderen) Götter, HqA.t nb(.t) ^ma.w MHw die Herrscherin, die Herrin von Ober- und Unterägypten, nswj.t pw m tA D.t die Königin auf der Erde ist es, ewiglich, n wn iDrw aHaw=s ohne daß es ein Ende ihrer Lebenszeit gibt. Kommentar: Der erste Teil des Textes für Isis (Kol. 2) konzentriert sich vor allem auf Isis’ kosmische Erscheinung als Sothis und Gestirnsgöttin, die sich in der Morgen- und Abendbarke des Sonnengottes befindet.1508 Die Verbindung mit Türkis und Fayence-Glanz ist typisch für Hathor. Die komplementäre Inschrift für Hathor auf der linken Seite stellt ebenfalls deren Lichthaftigkeit und damit die Verbindung zur Sonne in den Vordergrund.1509 Dies hängt sicherlich mit dem Anbringungsort der Inschriften in der Treppenkammer zusammen, die ja zu den Treppen auf das Tempeldach überleitet, wo zum Neujahrsfest das Ritual der Vereinigung mit der Sonnenscheibe stattfand.1510 Ein weiterer Hinweis darauf ist auch in Isis’ Bezeichnung mf(.t) xa.w THn(.t) Xkr.w „mit türkisfarbener Erscheinung, mit glänzendem Schmuck“ enthalten, denn M.-Th. DERCHAIN-URTEL zeigt in ihrem Aufsatz zu diesem Fest, daß gerade mfk(A.t) und THn häufig in den dazugehörigen Hymnen bei der Beschreibung der freudigen Feststimmung verwendet werden.1511 In der zweiten Hälfte des Isis-Textes stehen ihr Vorrang und ewige Herrschaft über Ägypten, die Welt und die Götter im Mittelpunkt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. VII, 168, 9–13 Dendara, Osttreppe (W), Nordtür, linke (westliche) Türlaibung – 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

1508 Die Verbindung von Isis mit diesen Barken des Sonnenkreislaufs kommt recht häufig vor, vgl. z. B. Philae-Hymne 8; Assuan-Hymne 1 u. a. 1509 Dend. VII, 141, 6–8. Man bemerke allein schon im Schriftbild die häufige Verwendung des Zeichens . 1510 Siehe dazu CAUVILLE, Fêtes d’Hathor, S. 35–49; DERCHAIN-URTEL, „Der Himmel ist festlich…“; A. CORTHALS, The Procession of the New Year in the Staircases at Edfu and Dendara, in: A. Amenta (Hrsg.), L’acqua nell’Antico Egitto. Vita, rigenerazione, incantesimo, medicamento, Proceedings of the First International conference for Young Egyptologists, Italy, Chainciano Terme, October 15–18, 2003, Egitto antico 3, Atti 1, Rom 2005, S. 211–219. 1511 Loc. cit., S. 36–38 (vgl. die vorige Anm. 1510).

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Text Isis (168, 11–13): Kol. 2: As.t (dj.t anx)1512 wr.t mw.t-nTr ir.t Ra Isis, (die Lebensspenderin,) die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, aA.t m p.t wsr.t m [tA]1513 die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, an(.t) xa.w m xpr[.w=s] mit schöner Erscheinung in ihrer Gestalt. Kol. 3: bqnqn.w Hr wpj n=s mTn Die Standarten1514 öffnen für sie den Weg, Hr sHr DAj.t sp sn (= DAj DAj.t) m rA-wA.t=s indem sie Unheilstifter und Unheilstifterinnen vertreiben von ihrem Weg/aus ihrer Nähe, ns=s r s.t=s tp-a psD.t damit sie zu ihrem Sitz geht an der Spitze der Neunheit, iw/r […?]1515 snsn [n] it[n] um sich mit der Sonnenscheibe zu vereinen. Kommentar: Obwohl die ersten Titel zu Isis gehören, ist die Göttin hier am Treppenaufgang zum Dach stark von Hathor geprägt, da die Treppe ganz im Zeichen ihres Neujahrsfestes steht, an dem sie sich mit der Sonnenscheibe vereinigt, wie es auch in diesem Text beschrieben ist.1516 Nach einigen üblichen Titeln der Isis-Hathor in der 2. Kolumne widmet sich Kolumne 3 ebendiesem Fest und besonders der Prozession zum Dach. Die erwähnten Standarten sind an den Wänden des Treppenganges auch in bildlicher Darstellung präsent.1517

1512 Das Zeichen ist eigentlich das einer thronenden Hathor mit Lebenszeichen in der Hand ; die Göttin kann sowohl Isis als auch Hathor gelesen werden, und ihre lebenspendende Gebärde ist auf den König in der gegenübergestellten Kolumne gerichtet, der auch bereits mit dem üblichen mrj „geliebt von“ an die Göttinnenzeile angebunden ist. Es ist fraglich, ob dj.t anx an solchen Stellen mitgelesen werden muß oder nur symbolische Bedeutung hat, vgl. auch die angegebenen Möglichkeiten bei KURTH, Einführung I, S. 144, 88c. 1513 Ergänzung sicher, vgl. z. B. den Text Dend. V, 103, 17–104, 8, siehe oben. 1514 Standarten, die den Gott (oder den König) auf Prozessionen begleiten. Den Weg von schädlichen Einflüssen zu bereinigen ist ihre übliche Aufgabe, siehe dazu WILSON, Ptol. Lex., S. 333–334; GOYON, Dieux-gardiens, S. 465 (auch zur Stelle oben). 1515 Die Lücke deutet an, daß unter iw noch ein flaches Zeichen stand; für den Sinn des Satzes fehlt jedoch eigentlich nichts. Möglicherweise war es ein s als phonetisches Komplement zu snsn, oder es ist doch nicht r + Infinitiv als finale Konstruktion zu verstehen (obwohl mir das am sinnvollsten erscheint), sondern ein Umstandssatz mit iw=s: „…wobei sie sich mit der Sonnenscheibe vereint.“ 1516 Vgl. auch den vorigen Text Dend. VII, 140, 13–141, 2, mit Kommentar. 1517 Siehe Dend. VII, Taf. 666–669.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Inschriften im Erscheinungssaal und seinen umgebenden Räumen Text/Hauptpublikation Dend. IX, 18, 11–20, 6 Anbringungsort Dendara, Erscheinungssaal („Inneres Hypostyl“, Z), linke (westliche) Türlaibung Bibliographie CAUVILLE, Dend. Pronaos Analyse, S. 22–23; LEITZ, Nacht des Kindes, S. 151–152, (57) (teilweise) Inhalt 7 Kolumnen Text; aufgrund der Wandschräge der Fassade sind die ersten beiden Kolumnen kürzer als der Rest.1518 Die ersten beiden Kolumnen drehen sich um den Tempel selbst (in der zweiten mit Bezug auf Isis), die dritte ist dem König gewidmet, die übrigen Isis. Text: – Text Isis (18, 12–14; 19, 5–20, 6): Kol. 2: wnn Iwn.t qA.tw Dd.tw Dr msj.tw As.t im=f Es ist Dendara hoch und dauerhaft, nachdem Isis dort geboren wurde m s.t km(.t) dSr.t Xnm(.t) anx [… …] als schwarzrote Frau, die mit Leben erfüllt ist […], nb(.t) mrw.t Hnw.t nTr.wt Hm.wt die Herrin der Beliebtheit, die Gebieterin der Göttinnen und Frauen,1519 Sps.t nfr(.t) mAA die Edle und schön Anzusehende.1520 wbn Sw m bjA m AxAx Das Sonnenlicht ist erstrahlt am Himmel in der Dämmerung, Dr msj.tw=s m njw.t tn als sie geboren wurde in dieser Stadt. Kol. 4: As.t wr.t mw.t-nTr nbw.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Goldene, nb(.t) Iwn.t xnt Iwn.t die Herrin von Dendara an der Spitze von Dendara, prj(.t) m X.t xnt &A-n-Itm die aus dem Leib hervorgekommen ist an der Spitze des ‚Landes von Atum‘ (Dendara) hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest. wbn Ra m p.t m AxAx Re ist aufgegangen am Himmel in der Dämmerung, 1518 Vgl. Dend. IX, 16; Taf. 823. 1519 In LGG V, 192b, übersetzt mit „die Gebieterin der weiblichen Göttinnen“, was jedoch redundant wäre und wenig Sinn ergibt; CAUVILLE, Dend. Pronaos Analyse, S. 22, übersetzt nur (ohne Translit.) „Gebieterin der Göttinnen“. 1520 Und wohl nicht „die Edle und Schöne, die das Leuchten des Sonnenlichtes sieht…“, wie LEITZ, Nacht des Kindes, S. 151, übersetzt. An der ähnlichen Stelle weiter unten trennt er nfr(.t) mAA jedoch ebenfalls als eigenen Ausdruck ab.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Dr irj.tw=s Hr tA m &A-rr als sie zur Welt gebracht wurde in Dendara m s.t km.t dSr(.t) nfr(.t) Hr sHb(.t) mnD.tj als schwarzrote Frau, mit schönem Gesicht und festlich geschminkten Augen,1521 nb.t mrw.t Hnw.t nTr.wt Hm.wt die Herrin der Beliebtheit, die Gebieterin der Göttinnen und Frauen,1522 wr.t nfr(.t) mAA die Große und schön Anzusehende. Tnj-s(j) ^Ay [nn prj=s]1523 m X.t Schai hat sie erhoben, [als sie (noch) nicht] aus dem Leib [gekommen war], [… … …] iw nn prj=s […],1524 ohne daß sie herausgekommen war. Kol. 5: p.t m {nb} ndb=f m Haa Der Himmel ist im Fest, die ganze Erde ist im Jubel, Hw.t-nhm nhm m xnt=s das ,Haus des Jubels‘ (= Dendara)1525 jubelt vor ihr, Dr mAA=sn HqA.t wenn sie1526 die Herrscherin sehen, irj(.t) mw.t=s m Iwn.t m Hb wr n tA Dr=f die ihre Mutter geboren hat in Dendara an dem großen Fest des ganzen Landes. nb.t (r) Dr pw Hnw.t nTr.w nTr.wt Die Allherrin ist es, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, n xp(r) k.t Xr HA.t=s vor der keine andere entstanden ist,1527 psD.t aA.t m [… … …] ibA=sn m prj=s die große Neunheit ist im/am […], sie tanzen bei ihrem Herauskommen. iwa.n=s tA.wj HqA.n=s idb.w Sie hat die Beiden Länder geerbt, sie hat die Herrschaft über die Ufer ergriffen, Hrj-tp.n=s Sn n itn sie regiert1528 den Umkreis der Sonnenscheibe, tmA.t mnx.t n nDm[… … … … … … [( ] ) die vortreffliche Mutter des süß[… [( ]). Kol. 6: %pd.t m p.t sTj(.t) Hapj m tpH.t=f Sothis am Himmel, die den Nil aus seiner Höhle ausgießt, 1521 1522 1523 1524 1525 1526 1527 1528

Vgl. zu diesem Ausdruck, der häufig als Götterepitheton auftritt, WILSON, Ptol. Lex., S. 440. Die gleiche Epithetafolge kommt bereits oben, in Kol. 2, vor, siehe dort. O. ä., vgl. z. B. Dend. III, 38, 5. Es ist wohl eine komplementäre Phrase zu der vorhergehenden zu erwarten, bspw. „sie hat das Amt ergriffen“ o. ä., vgl. z. B. Dend. III, 38, 5. Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 166. Entgegen LEITZ, Nacht des Kindes, S. 151, meine ich, daß mit dem Suffix 3. Pers. Pl. nicht (nur) die Bewohner von Dendara gemeint sind, sondern alle zuvor aufgezählten Entitäten: Himmel, Erde und Dendara. Fehlerhaft übersetzt von CAUVILLE, Dend. Pronaos Analyse, S. 22. Zu Hrj-tp als Verb siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 666; Wb. III, 141, 12–13.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

srd(.t) Ax.t r nw=s die das Fruchtland gedeihen läßt zu seiner Zeit, sqdj(.t) m Hrj Hr wA.t n.j.t sn=s die am Himmel auf dem Weg ihres Bruders dahinzieht, Sm(.t) Hr nmt.t=f ra nb die auf seinem Schritt geht (= seinem Lauf folgt), jeden Tag,1529 nb(.t) p.t Hnw.t bA.w anx.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin der lebenden Bas (= Dekane),1530 Hsb.tw rnp.wt m wbn=s mit deren Aufgang die Jahre berechnet werden,1531 BA.t m bjA wsr.t m tA Bat (weiblicher Ba) am Himmel, die Mächtige auf Erden, aA(.t) snD m sdg(.t)-XA.wt mit großer Ehrfurcht in ‚Die die Leichen verbirgt‘ (= Totenreich),1532 wa.t wr.t nb(.t) die Einzigartige, die Große, die Herrin, iar.t(?)1533 iqr(.t) sxr.w n nswt die Uräusschlange(?) mit trefflichen Plänen für den König, aHa HqA Hr ns.t [Hr Dd=s1534 … … … … …] [auf deren Worte hin] der Herrscher den Thron besteigt […]. Kol. 7: wD.n=s MHn Sie weist Mehen (die Ringelschlange/Uräusschlange) demjenigen zu, n Abj ib=s xrp.n=f tA.wj m nDy.t den ihr Herz wünscht,1535 damit er die Beiden Länder führt als Untertanen,1536 Sn r Aw=f Sn.tw m Sn=s der Erdkreis in seiner Ausdehnung ist umfaßt in ihrem Umkreis, tA Dr=f arf m Am=s die ganze Erde ist umschlossen in ihrem Griff,1537 Sn n itn n=s imj der Umkreis der Sonnenscheibe gehört ihr, 1529 Damit ist sicherlich Osiris-Orion gemeint, der am Himmel von Isis-Sothis gefolgt wird. Orion geht ca. eine Stunde vor Sirius auf und nimmt etwa dieselbe Bahn am Himmel, siehe LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, Anm. 84. Vgl. zu dieser Passage auch Assuan-Hymne 5; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. XIV, 210, 11–211, 5, mit ähnlichen Formulierungen. 1530 Vgl. Assuan-Hymne 5. 1531 LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, (57), versteht trotz der eindeutigen Schreibung: Hsb.t rnp.wt „die die Jahre berechnet“. M. E. geht es jedoch darum, daß allgemein die Jahre jeweils ab dem Aufgang der Sothis gerechnet werden, da dieses Ereignis den Jahresbeginn markiert. 1532 Siehe Wb IV, 372, 6. 1533 Es ist nicht eindeutig zu sagen, ob die Kobra separat als eigenes Wort zu lesen ist, oder noch als Determinativ zu nb(.t) gehört. 1534 Ergänzt nach Parallelen, vgl. LGG II, 193a. 1535 CAUVILLE, Dend. Pronaos Analyse, S. 22, ignoriert und übersetzt falsch: „Was sie befiehlt ist, was ihrem Herzen gefällt“. 1536 Ebenfalls von CAUVILLE, Dend. Pronaos Analyse, S. 22, falsch übersetzt. 1537 Vgl. zu den beiden parallelen Aussagen auch die Hymne Dend. II, 105, 11–106, 2.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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nmt.t Axw xfa m xfa=s das Schreiten des Leuchtenden (= der Sonne) ist gefaßt in ihrer Faust, nswj.t m [rsj] bjtj[.t] m mH.t die oberägyptische Königin im [Süden], die unterägyptische Königin im Norden, imn.t.t iAb.t.t Xr wD=s Westen und Osten sind unter ihrem Befehl, pa.t1538 m xt=s wpw.tj.w m Sms=s die Pat-Menschen sind hinter ihr, die Botendämonen sind in ihrem Gefolge, Ax.w mwt.w Hr/Xr1539=s die Verklärten und die Toten sind unter ihr, nb(.t) pr-nswt Hnw.t HA.t -xt(?) die Herrin des Königspalastes, die Gebieterin des Anfangs(?) und der Zukunft(?),1540 rA-a pH.wj [H]A(?) […]=s bis zum Ende hinter(?) ihr[…] (?). Kommentar: Dieser lange Text im Eingang zum Erscheinungssaal (Z) bildet das Pendant zu einer homogen gestalteten Inschrift für Hathor in der rechten (östlichen) Türlaibung.1541 Die linke Türlaibung fokussiert nach der Nennung der Stadt mit ihren Hauptgöttern Hathor und Horus (Kol. 1, hier nicht übersetzt) auf der Bedeutung von Isis für Dendara (Kol. 2): sie wurde dort geboren als schwarzrote Frau, woraufhin die Sonne am Himmel aufging. Die 3. Kol. widmet sich dem König, doch der restliche Text (Kol. 4–7) ist ganz an Isis gerichtet, wobei die lokaltypischen Themen aufgegriffen werden: das Geburtsszenario (Kol. 4), das anschließende Fest zu Ehren der geborenen Allherrin und Erbin Ägyptens, das von Dendara, aber auch von Himmel, Erde und den Göttern begangen wird (Kol. 5). In Kol. 6 wird Isis’ Erscheinungsform als Sothis beschrieben, die für die Fruchtbarkeit des Landes sorgt und als Stern hinter ihrem Bruder Osiris-Orion am Himmel entlangzieht und damit die Jahresrechnung festlegt, aber auch ihre Herrschaft über die drei Bereiche Himmel, Erde und Unterwelt, sowie – im irdischen Bereich – über den Königsthron. Die letzte Kolumne ist zu Beginn etwas dunkel in der Bedeutung, da nicht ganz klar ist, wie Mehen hier in den Kontext paßt, und ob sich der nächste Satz mit dem maskulinen Suffixpronomen tatsächlich auf ihn bezieht. Möglicherweise liegt die Erklärung in der langen Zerstörung am Ende von Kol. 6. Der übrige Text führt jedoch klar die Beschreibung von Isis’ universalem Herrschaftsbereich (aus Kol. 6) mit seinen verschiedenen Konstituenten auf räumlicher, personeller und zeitlicher Ebene fort: der Sonnenlauf, die ganze Erde mit den vier Himmelsrichtungen, Menschen, Genien/Dämonen, Verklärte und Tote, Anfang und Ende; leider ist der Schluß des Textes durch die Zerstörungen unverständlich. 1538 Möglicherweise liegt hier eine Verschreibung für xAtj.w oder SmAy.w vor, da dies besser in den Kontext passen würde, vgl. z. B. den Text Dend. XIII, 26, 7–28, 3. 1539 Zum Wechsel von H und X siehe KURTH, Einführung I, S. 527, § 21.3. 1540 Sehr unsichere Deutung. 1541 Dend. IX, 16–17; vgl. R. PREYS, Les montants du Per-Nou et la Fête de la Bonne Réunion à Dendera, in: RdÉ 51, 2000, S. 195–221, wo er einen Paralleltext behandelt.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. IX, 167, 11–16 Dendara, Haupttempel, Nebenraum B’ (sH = „Kapelle“ oder Magazin) des Erscheinungssaals, Bandeau-Inschrift des Frieses, linke (südliche) Seite –

Text: nswj.t bjtj.t %pd.t m s.t Ra Die Königin von Ober- und Unterägypten, Sothis am Sitz des Re,1542 mH(.t) p.t tA m nfr.w=s die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt, HqA.t HqA(.t) Hp.tj itj.t n iA.wt die Herrscherin, die die Welt beherrscht, die Fürstin der Hügel/Stätten, xbj(.t) in.w m Sn n itn die Abgaben einzieht aus dem Umkreis der Sonnenscheibe, nswj.t n sxm.w die oberägyptische Königin der (göttlichen) Mächte, bjtj.t n tpj.w-a die unterägyptische Königin der Vorfahren, n aHa Hr ns.t m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung niemand auf den Thron steigt. tpj.t pw (m-)hAw njw.wt spA.wt Die Erste vor/in den Städten und Gauen ist es, Hna sA=s sn=s imj-wt=sn mit ihrem Sohn und ihrem Bruder zwischen ihnen, wr.t m p.t HqA(.t) xAbAs.w die Große im Himmel, die Herrscherin der Himmelsleuchten, irj irf xAtj.w Hr Dd=s auf deren Worte hin die Schlächter-Dämonen1543 handeln, dr=s aSA(.t) Xr HA.t anD.t auf daß sie die Vielen von den Wenigen abwehrt, dj=s iTj wa xA.w und daß sie einen (Einzelnen) Tausende ergreifen läßt,1544 nb.t Xnw xnt xA-wr.t die Herrin der Residenz, die an der Spitze der Großen Halle1545 ist,

1542 Ein Heiligtum des Re im Norden von Dendara, vgl. GDG V, S. 82; hier möglicherweise auf Dendara insgesamt bezogen. 1543 Abwehrende und Krankheit bringende Boten, die in erster Linie der Sachmet zugeordnet werden, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 705–706; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 27 u. 50–55; M. A. STADLER, Der Totenpapyrus des Pa-Month, SAT 6, Wiesbaden 2003, S. 74–75 (jeweils mit weiteren Literaturverweisen). 1544 Siehe zu dieser Stelle LGG I, 479a, [1]. 1545 Es handelt sich um eine Halle des Königs (vielleicht Thronsaal o. ä.?), vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 700; Wb III, 221, 20.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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anx mwt Xr s.t-rA=s unter deren Befehl Leben und Tod sind, nb.t qrs Hnw.t smA-tA die Herrin der Bestattung, die Gebieterin des Begräbnisses, rdj(.t) sA=s iw/r s.t it=f die ihren Sohn auf den Thron seines Vaters bringt. Hsj=s sA=s mrj=s sA Ra nb xa.w [( ) Hr s.t @r xnt kA.w anx.w mj Ra D.t Möge sie ihren geliebten Sohn loben, den Sohn des Re, den Herrn der Erscheinungen [( ), auf dem Sitz des Horus, an der Spitze der Lebenden Ka-Mächte, wie Re, ewiglich. Kommentar: Die linke Friesinschrift des mittleren Nebenraumes auf der Ostseite des Erscheinungssaals ist nominell Sothis gewidmet, doch macht der Inhalt nur allzu deutlich, daß Sothis als Aspekt der Isis gemeint ist, die selbst nicht genannt wird. Spätestens die Erwähnung ihrer Beziehung zu Bruder und Sohn macht die Identifizierung sicher. Entsprechend fällt in der rechten Hälfte dieses Bandeau-Textes der Name Hathors nicht,1546 doch ist sie sicherlich dort gemeint. Obige Inschrift erscheint insofern besonders interessant, als sie offenbar nicht auf das ‚typische‘ Repertoire für die tentyritische Isis zurückgreift, dessen Formulierungen in der Mehrzahl der Türlaibungen und Bandeau-Inschriften in mehr oder weniger ähnlicher Weise immer wieder begegnen (z. B. die Thematik der Isisgeburt, das Königtum). Hier werden zwar auch vereinzelte Phrasen verwendet, die den gängigen Konzepten entsprechen,1547 ein Großteil aber ist für Dendara eher ungewöhnlich; so wird im zweiten Teil Isis’ eher düstere und kämpferische Seite, die sie implizit mit Sachmet gleichsetzt, betont sowie ihre Rolle bei der Bestattung erwähnt, die zwar seit alters her ein zentrales Element der Göttin ist,1548 in Dendara jedoch (außerhalb der Osiristexte) sonst kaum Bedeutung hat. Beide Charakterzüge passen tatsächlich auch zum Sothis-Aspekt (wenngleich sie in den hier behandelten Texten hinter der Jahres-, Himmels- und Überschwemmungsthematik meist weit zurücktreten), denn diese kann sowohl das Sonnenauge (als Gefährliche Göttin) verkörpern1549 als auch die Rolle als Amme und Erneuerin des Toten annehmen.1550 Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Dend. XI, 4, 6–10; Taf. 1 u. 9 Dendara, Haupttempel, Nebenraum D‘ (pr-HD = Schatzhaus) des Erscheinungssaals, Tür, Außenseite, linker (nördlicher) Türpfosten –

1546 Dend. IX, 167, 5–9. 1547 Z. B. „die Himmel und Erde mit ihrer Schönheit erfüllt“, „oberägyptische Königin…unterägyptische Königin…“, „ohne deren Kenntnis niemand auf den Thron steigt“ usw. 1548 Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 22–79. 1549 Vgl. VON LIEVEN, Scheiben am Himmel, S. 280; QUACK, Goddess Rising, bes. S. 286–290; vgl. auch ID., Monumentaldemotisch, S. 109, Anm. 14; 116, Anm. k. 1550 Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 78–79.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: Kol. 1: nD Hr=T HqA.t sA.t Gbb dj(.t) r tA m IA.t-dj Sei gegrüßt, Herrscherin, Tochter des Geb, die zur Welt gebracht wurde in Iat-di, sA.t nTrj(.t) bsj(.t) m Nw.t die göttliche Tochter, die hervorgekommen ist aus Nut, Kol. 2: hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, wa.t wr.t nb(.t) iar.t(?)1551 die Einzigartige und Große, die Herrin, die Uräusschlange(?), n aHa HqA m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung der Herrscher nicht (den Thron) besteigt, nswj.t m die oberägyptische Königin im Kol. 3: bjA bjtj.t m tA Himmel, die unterägyptische Königin auf der Erde, HqA.t m imn.t.t iAb.t.t die Herrscherin im Westen und Osten, mw.t-nTr n.j.t bjk nbw.t Hm.t nswt tpj.t n die Gottesmutter des Falken der Goldenen, die Erste Königliche Gemahlin des Kol. 4: [(Wn-nfr mAa-xrw) [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di. Htp Hr=T nfr n sA Ra nb xa.w [( ) Möge dein vollkommenes Antlitz gnädig sein dem Sohn des Re, dem Herrn der Erscheinungen [( ). Kommentar: Die Hymne fügt sich sowohl inhaltlich als auch was einzelne Formulierungen angeht, klar in die Reihe der tentyritischen Isishymnen ein, vgl. z. B. diejenige auf dem Türpfosten der Sistrumkapelle (Dend. III, 38, 2–5, siehe oben). Die zentralen Themen sind entsprechend: – Geburt und Eltern – Herrschaft über Königtum, und selbst Königin in allen Himmelsrichtungen – Mutter des Horus, Gattin des Osiris Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Dend. XI, 6, 2–8; Taf. 10 Dendara, Haupttempel, Nebenraum D‘ (pr-HD = Schatzhaus) des Erscheinungssaals, linke (nördliche) Türlaibung – 1 Textkolumne für den König, 2 für Isis.

1551 Möglicherweise bildet die Kobra nur das Determinativ zu nb.t, vgl. oben, Anm. 1533 zum Text Dend. IX, 18, 11–20, 6.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Text Isis (6, 5–8): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr[.w nb.w nswj].t n sxm.w die Gebieterin [aller] Götte[r, die oberägyptische König]in der göttlichen Mächte, bjtj.t n Drtj.w die unterägyptische Königin der Ahnen, HqA.t HqA(.t) iA.wt n tA die Herrscherin, die die Stätten der Erde beherrscht, mw.t-nTr n bjk n nbw die Gottesmutter des Falken des Goldes, Hm.t 1552 tpj.t n [(Wn-nfr mAa-xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), Kol. 3: itj.t(?) n tpj.w-a xnt itr.tj die Fürstin der Vorfahren, die an der Spitze der Beiden Heiligtümer (Ägypten) ist, wD(.t) mdw m sxm.w die Befehle erteilt in den Heiligtümern, Sps.t wsr.t n k.t Hr xw=s die Edle und Mächtige, der keine gleichkommt, n hb aH [m xm]=s ohne deren [Kenntnis/Zustimmung] man nicht den Palast betritt, wr.t m p.t HqA(.t) xAbAs.w die Große am Himmel, die Herrscherin des Sternenheers, wa.t xnt psD.t aA.t die Einzigartige an der Spitze der Großen Neunheit. Kommentar: Auch in dieser Inschrift wiederholen sich zentrale Aspekte der Isis von Dendara: Ihre familiäre Grundkonstellation, die sie als Mutter des Horus und Gattin des Osiris zeigt, wird im Zusammenhang mir ihrem Herrschaftsaspekt betont. Sie hat die Herrschaft über verschiedene Wesenheiten sowie Himmel und Erde inne und befiehlt über den Thron und in den Heiligtümern.

1552 Verschreibung zu einem seltsamen Zeichen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie Parallelen

Dend. XI, 60, 5–10; Taf. 48 Dendara, Haupttempel, Nebenraum E‘ (Hrj.t-ib „Mittlere (Kammer)“) des Erscheinungssaals, Tür, Außenseite, linker (nördlicher) Türpfosten CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse) Philä I, 6; I, 72 (einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (kleiner Teil, inhaltliche, aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21553

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

nswj.t bjtj.t HqA.t mw.t-nTr Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Herrscherin, die Gottesmutter, Hm.t nswt tpj.t n [(Wn-nfr.w mAa-xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), %pd.t m Abw bsj(.t) srf m stj Sothis in Elephantine,1554 die das Wasser aus dem Bein führt, r baHj tA.w nb.w m nfr.w um die alle Länder mit Vollkommenheit zu überschwemmen, @dd.t m BHd.t @wr.t m Nxn Hededet in Edfu,1555 Huret(?)1556 in Hierakonpolis, *nn.t Hrj-ib Iwnw Sma Iwn(j).t m Iwn.t Tjenenet residierend im (südlichen) On (= Armant), Iunit in Dendara,1557 irj(.t) m xnt=f(sic!) m Hb aA n ndb die darin geboren ist am großen Fest des ganzen Landes,1558 As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, HqA.t xnt njw.t-¢prj die Herrscherin an der Spitze von der ‚Stadt des Chepri‘ (= Abydos),1559 %SA.t m Wnw @q.t m @r-wr WADj.t wsr.t m @r-dw Seschat in Hermopolis, Heket in Her-wer,1560 Uto, die Mächtige, in Hardai.1561

1553 Liste nach CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19. 1554 Hier beginnt die Parallele zur kulttopographischen Litanei (Dend. Isis, 78, 16–79, 5 mit Parallelen), allerdings mit einer langen Partizipialphrase als Erweiterung. 1555 Vgl. Litanei Dend. I, 20, 14–21, 5. 1556 Ein Beiname der Nechbet von Elkab mit unbekannter Bedeutung, siehe LGG V, 107; Wb III, 56, 6. Vgl. Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5: Nxb.t m Nxb. 1557 Vgl. Litanei Dend. I, 20, 14–21, 5. 1558 Erweiterung, inhaltlich ähnlich in Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. XIII, 26, 7–28, 3. 1559 Zum Toponym siehe GDG III, S. 80. Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5: As.t m AbDw; Dend. I, 20, 14–21, 5: HqA.t m AbDw; Dend. XIII, 26, 7–28, 3: As.t wr.t xnt njw.t-¢prj. 1560 Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5. 1561 Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5: WAD(j).t m @r-dj.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 4:

313

nts pw wn(.t) m njw.t nb(.t) Sie ist es, die in jeder Stadt ist, Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr zusammen mit ihrem Sohn Horus und ihrem Bruder Osiris,1562 As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter. Htp Hr=s nfr n sA Ra [( ) Möge ihr vollkommenes Antlitz gnädig sein dem Sohn des Re [( ).

Kommentar: Es handelt sich um einen Paralleltext der langen kulttopographischen Isis-Litanei, die hier auf den vorhandenen Platz angepaßt wurde, indem nur Teile der oberägyptischen Abfolge (allerdings in der richtigen Reihenfolge) übernommen und teilweise noch mit Erweiterungen versehen wurden, die für die Theologie von Dendara selbst offenbar bedeutsam erschienen: Erstens wird die Funktion von Sothis näher erläutert, da diese als Aspekt der Isis eine zentrale Rolle in Dendara einnimmt, zweitens natürlich Dendara selbst als Geburtsort der Isis näher beschrieben. Auf dem rechten Türpfosten befindet sich erwartungsgemäß eine Titelreihe der Hathor,1563 die jedoch keine geographische Auflistung enthält. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie Inhalt

Dend. XI, 61, 10–62, 3; Taf. 49 Dendara, Haupttempel, Nebenraum E‘ (Hrj.t-ib „Mittlere (Kammer)“) des Erscheinungssaals, linke (nördliche) Türlaibung – 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

Text: – Text Isis (61, 13–62, 3): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr.w nb(.w) sA.t Gbb irj(.t).n Nw.t die Gebieterin aller Götter, die Tochter des Geb, die Nut geboren hat, dj(.t) r tA m IA.t-dj die zur Welt gebracht wurde in Iat-di, psD(.t) m p.t tp tr=s n rnp.t die am Himmel erglänzt jedes Mal zu ihrer Zeit des Jahres, inj(.t) Hapj r baHj tA.wj die die Nilflut bringt, um die Beiden Länder zu überschwemmen, sTj(.t) srf r sw=f die das Wasser ausgießt zu seiner Zeit, r sfsf Aw(.t) r wAH ix.t n sxm.w um Speisen zu spenden und Opfergaben darzubringen für die göttlichen Mächte, 1562 Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5: nts pw wn(.t) m njw.t nb(.t) spA.t nb(.t) Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr. 1563 Dend. XI, 59, 11–60, 3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 3: iw/r sqbb ib.w n imj.w IA.t-dj um die Herzen derer, die in Iat-di sind, zu erfrischen, r twr tj.t n D.t=sn um das Tempelgemach für ihre Leiber zu reinigen, (r) baHj Sna m ix.t nb.t nfr(.t) (um) die Küche1564 mit allen guten Dingen zu überfluten, r drp abA n psD.t um den Speisetisch der Neunheit zu beschenken, r irj ix.t n Drtj.w imj.w &A-rr um Opfer zu bereiten für die Ahnen(götter), die in Dendara sind, ij ib=sn m nfr.w auf daß ihre Herzen kommen in Vollkommenheit, Xnm bA=sn Hr bs=sn ra nb auf daß ihre Bas mit ihren Götterbildern vereinigt sind, jeden Tag, Htp=sn m Htp.w=sn und daß sie zufrieden sind mit ihren Opfergaben. Kommentar: Der Text beginnt mit den Titeln der Isis und geht schnell zu der Funktion der Isis-Sothis als Bringerin der Nilflut und damit der Fruchtbarkeit des Landes über. Diese Erträge wiederum garantieren die steten Opfergaben für die verschiedenen Götter des Tempels, die ab dem Ende von Kol. 2 im Mittelpunkt des Textes stehen. Diese Thematik ist abhängig von der Lage und Funktion des Raumes E’ selbst, durch den die Priester im täglichen Tempeldienst das Wasser in das Innere des Tempels brachten: Er besitzt eine Tür nach außen in Richtung zum Brunnen/Nilometer und heiligem See.1565 Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie Inhalt

Dend. XI, 139, 13–140, 5; Taf. 101 Dendara, Haupttempel, Nebenraum F‘ (sH = „Kapelle“ od. Magazin) des Erscheinungssaals, Eingang, linke (nördliche) Türlaibung CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 290 (Übersetzung) 1 Kolumne für den König, 2 für Isis.

1564 Zur genauen Bedeutung von (pr-)Sna als Lebensmittelproduktionsstätten (anstatt dem häufig angegebenen einfachen „Speicher, Magazin“) siehe P. ANDRÁSSY, Das pr-Sna im Alten Reich, in: SAK 20, 1993, S. 17–35, mit Angabe weiterer Literatur. 1565 Siehe dazu P. ZIGNANI, Enseignement d’un temple égyptien. Conception architectonique du temple d’Hathor à Dendara, Lausanne 2008, S. 63–64 u. 49, Abb. 2.20.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Text Isis (140, 1–5): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr{.w} ir.t Ra Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, nb(.t) pr-nswt Hnw.t iar.t die Herrin des Königspalastes, die Gebieterin der Uräusschlange, nn hb aH.t m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung man nicht den Palast betritt, aHa HqA Hr Hmr Hr Dd=s auf deren Worte hin der Herrscher den Thron besteigt, rhn nTr.w nTr.wt Hr md.t=s auf deren Rede sich Götter und Göttinnen stützen/verlassen, Kol. 3: irj(.t) m Iwn.t m grH nxn m sS=f die geboren wurde in Dendara in der ‚Nacht des Kindes in seinem Nest‘, m {nb} wr n tA Dr=f an dem großen Fest des ganzen Landes. Tnj-s(j) ^Aw nn [prj=s]1566 m X.t Schai erhebt sie, als sie (noch) nicht aus dem Leib herausgekommen ist, Hsj(.t) Ra {f?}1567 r skm Dt Re preist (sie) (?), um die Ewigkeit zu vollenden, Dd=f n=s itj.t nn wbn=s er sagt zu ihr ‚Fürstin‘, als sie (noch) nicht erschienen ist,1568 HqA.t iw n papa.tw=s ‚Herrscherin‘, als sie (noch) nicht geboren ist. Kommentar: Der Text konzentriert sich ganz auf die königliche Macht der Isis, welche sie bereits vor ihrer Geburt innehat und sie auch zur Königsmacherin für den irdischen Herrscher werden läßt.1569

1566 Vgl. zur sinngemäßen Ergänzung CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 290; Dend. III, 38, 5. 1567 Hier scheint der Text verderbt zu sein. Vielleicht deutet das überflüssige f darauf hin, daß hier eigentlich it=s „ihr Vater“ stehen sollte? 1568 Dieser ganze Teil wird in der Übersetzung von CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 290, ausgelassen. 1569 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 290–291. Ausführlich zu diesem Thema: NAGEL, Isis und die Herrscher.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Monumentale Bandeau-Inschriften und eine Monumentalszene an den Außenwänden des Naos Text/Hauptpublikation Dend. XII, 2, 2–12; Taf. 4–5; S. XII Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Naos, südliche Außenwand (H‘), Soubassement-Inschrift, linke (westliche) Seite Bibliographie CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse); 271–272 (teilweise); 284–287 (Synopse); 359 (nur teilweise); LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, (58) (nur teilweise) Parallelen a) Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 337, 10–14; Dend. Isis, 78, 4–8; 327, 17–328, 2 b) Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Dend. XIV, 146, 3– 14; Dend. Isis, 327, 5–91570 c) Philä I, 6; I, 72 (nur einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (nur kleiner Teil, inhaltliche aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14– 74, 1; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21571 Text: anx @r.t-Ra(.t) wr.t papa(.t) m Iwn.t Es lebe der Weibliche Horus-Re, die Große, geboren in Dendara, r gs imntj n Hw.t-sSS.t auf der Westseite des ‚Hauses des Sistrum‘ (großer Dendaratempel),1572 wbn BHD.tj m p.t m ixxw Behedeti ist aufgegangen am Himmel in der Dämmerung, Dr irj.tw=s m hrw grH nxn m sS=f nachdem sie geboren wurde am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest m s.t km.t Xnm(.t) anx als schwarz Frau,1573 die mit Leben erfüllt ist, itj.t n nTr.w Hnw.t HkA.w die Fürstin der Götter, die Gebieterin der Zauberkraft. Dd mw.t=s r=s is nwj r(=i) mw.t=T (?) Ihre Mutter sprach über sie: ‚Siehe, ich bin wirklich deine Mutter! (?)‘.1574 xp(r) rn=s pw n As.t Das ist, wie ihr Name Isis entstanden ist. Tnj-s(j) ^Ay Hrj-tp msxn.tj Schai hat sie (schon) auf den Geburtsziegeln erhoben,1575 1570 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 285. 1571 Liste nach CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19. 1572 Vgl. zu dieser Lagebeschreibung von IA.t-dj auch das Inventar in der „Archivkrypta“: Dend. VI, 155, 15–159, 2, siehe oben; und Dend. Isis 327, 17–328, 2. 1573 Emendation nach den Parallelen (a). 1574 Zur Diskussion um die Übersetzung dieser Stelle, vgl. die Parallele Dend. Isis, 78, 4–8 (a)).

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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nxb n=s ©Hwtj nxb.t m Dd Thoth setzt für sie die Titulatur fest, mit den Worten:1576 r.t-pa.t sA.t Gbb HA.tj.t-a sA.t MrHy Prinzessin, Tochter des Geb, Fürstin, Tochter des Mereh-Stiers, mTA.t sA.t ©Hwtj mAA.tj @r die Wesirin, die Tochter des Thoth, die Horus sieht, mrj(.t) BA wDA(.t) $nmw(?) geliebt vom Bock (Ba), die Pflegerin(?) des Chnum(?),1577 wr(.t) Hsw.t 1578 Hts groß an Gunst, groß an Vollendung, Dr.t-nTr Hm.t Hm.t nswt die Gotteshand, die Gottesgemahlin, die Gemahlin des oberägyptischen Königs, Hm.t bjtj Hm.t wr.t die Gemahlin des unterägyptischen Königs, die Große Gemahlin, nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr nbw.t nb.t Iwn.t ir.t Ra) die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter, die Goldene, die Herrin von Dendara, das Auge des Re).1579 nb(.t) tp-rnp.t Imn.t MnH(j).t Rnp.t Herrin des Jahresanfangs, Amaunet, Menhit, ‚Jahr‘,1580 %pd.t *nn.t Iwn(j).t As.t %SA.t @q.t WAD(j).t mrj(.t) sxn Sothis, Tjenenet, Iunit, Isis, Seschat, Heket, Uto, die das Ereignis/Glück (?) liebt, Rnp.t nb.t anx *j.t(?)1581 sDm(.t)-nb StA.t ‚Jahr‘, die Herrin des Lebens, die Dauernde(?), die den Herrn hört, die Geheime, Py.t _p.t N.t WAD(j).t ¢ns.t As.t m spA.t nb(.t) Pyt, Depet, Neith, Uto, Chenset, Isis in jedem Gau. nts pw nb(.t) njw.wt spA.(w)t Sie ist die Herrin der Städte und Gaue, Hna sA=s @r sn=s Wsjr zusammen mit ihrem Sohn Horus und ihrem Bruder Osiris.

1575 1576 1577 1578 1579

Vgl. zu diesem Abschnitt (ab Dd mw.t=s) Dend. Isis, 78, 4–8 (a)). Vgl. zu dieser Stelle und dem Folgenden die Titulatur-Parallelen (oben, b)). Vgl. den Kommentar zu diesem Epitheton in der Parallele Assuan-Hymne 3, Kap. 4.2.1.A, Anm. 566. Ergänzt nach den Parallelen (b). Diese Titel sind in den Parallelen unterschiedlich gestaltet und nur hier gibt es Zusätze innerhalb der Kartusche. Diese verweisen auf Hathor. Dend. Isis, 327, 5–9: nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj Hrj(.t)-ib Iwn.t sA.t Nw.t m Hw.t-Nw.t. Assuan-Hymne 3 und Kalabchah I, 15–16: nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) Hm.t nswt tpj(.t) n [(Wnn-nfr mAa xrw). 1580 Mit dieser Sequenz beginnt die Parallele zur kulttopographischen Litanei (Textzeugen oben unter c)), deren Hauptzeuge Dend. Isis, 78, 16–79, 5 ist. Allerdings werden im Gegensatz dazu hier nur die Göttinnen-Namen aufgezählt, ohne die Nennung der zugeordneten Toponyme. 1581 Ob hier trotz der seltsamen Schreibung auch ©d.t gemeint ist wie in den Parallelen? Sonst zumindest weicht der Text nirgends gänzlich von den sonst genannten Bezeichnungen ab, bringt höchstens Verkürzungen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Htp=s Hr mnw pn nfr irj n=s @r.t (…) [(QljwpAdrA.t) (…) [(Ptwlmys) (…) [(Ky[srs]) Sie ruht/möge ruhen/möge zufrieden sein in/über dieses schöne Denkmal, das für sie gemacht hat: Weiblicher Horus (…) [(Kleopatra) und (…) [(Ptolemaios) (…) [(Kaisaros).1582 Kommentar: Die linke Hälfte der Soubassement-Inschrift, die sich auf der Südaußenwand des Naos befindet, also direkt dem dahinter liegenden Isis-Tempel zugewandt ist, vereinigt die wichtigsten Elemente der tentyritischen Isis-Theologie mit Hilfe von Versatzstücken der dafür zentralen Texte, die jeweils in mehreren Parallelen vorliegen. Diese Elemente sind: 1. Geburt der Isis: Ort, Zeit, Aussehen und Eigenschaften d. Isis, Namensgebung (a)1583 2. Königtum: Direkt auf die Geburt folgt die Einsetzung der Isis als Königin durch: Erhöhung durch Schai, Verleihung der Titulatur durch Thoth (b) 3. Herrschaft über ganz Ägypten in den Formen aller Göttinnen: Als Königin von Ober- und Unterägypten, wie sie in der Titulatur genannt wird, ist Isis die oberste Göttin jedes Gaus und jeder Stadt und wird mit den Namen aller Göttinnen verehrt – mit einem Text, der im innersten Sanktuar sowohl des Isis- als auch des Hathortempels eine bedeutende Stellung einnimmt (c). Die rechte Hälfte dieser Inschrift1584 beginnt ähnlich wie der Schluß der linken Hälfte mit der Titulatur von Kleopatra VII., gefolgt von ihrem weniger ausführlich betitelten Sohn Kaisarion. Kleopatra wird damit praktisch als irdische Königin der Königin Isis gegenübergestellt.1585 Der lange Rest der rechten Hälfte behandelt Hathor. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. XII, 3, 4–9; Taf. 14–16; S. XII Dendara, Haupttempel, Naos, südliche Außenwand (H‘), Friesinschrift, linke (westliche) Seite LEITZ, Nacht des Kindes, S. 148, (51) (nur teilweise); CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 272; 359–360

Text: anx @r.t-Ra(.t) rpa.t.t sA.t rpa.t Es lebe der weibliche Horus-Re(?), die Prinzessin, Tochter des Prinzen (Geb), As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, Hm.t nswt tpj.t nj.t [(Wn-nfr mAa-xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nTr nj.t bjk n nbw die Gottesmutter des Falken des Goldes. 1582 Es steht eine ausführliche Titulatur für Kleopatra VII., die einige Elemente mit der Titulatur der Isis gemeinsam hat, vgl. hierzu CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 286–287; EAD., Dend. XII, S. XII. 1583 Vgl. die unter den entsprechenden Buchstaben (a)–(c) angegebenen Parallelen oben in der Informationstabelle zum Text. 1584 Dend. XII, 1, 5–18. 1585 Vgl. auch CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 286–287; EAD., Dend. XII, S. XII.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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bX.n-s(j) mw.t=s tp tA n IA.t-dj Ihre Mutter hat sie zur Welt gebracht in Iat-di m hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, Dd.(j)n mw.t=s ir.t Ra r=s und ihre Mutter sagte ‚Auge des Re‘ im Hinblick auf sie.1586 @w.t-@r(?)1587 pw wr.t As.t pw kA=s m mAa.t Hathor(?) ist es, die Große. Isis ist wahrhaftig ihr Name.1588 Tnj.tw=s Hr msxn.tj Sie wurde erhoben/erhöht (schon) auf den Geburtsziegeln, wbn n=s Ra BHd.tj %mA-tA.wj m ixxw Dr papa.tw=s Re-Behedeti-Somtus ging für sie auf in der Dämmerung, als sie geboren wurde, irj=f n=s mjt.t Dr irj.n=s sA=s @r er handelte für sie ebenso, als sie ihren Sohn Horus gebar, Dr smA=s tA n sn=s nswt bjtj und als sie ihren Bruder, den König von Ober- und Unterägypten, bestattete,1589 nkA=s m xpr iw/r Hn.tj das, was sie ersinnt, ist das, was in Zukunft geschieht,1590 iw.n=s m xrw m sbx.t wr(.t) nachdem sie klagte mit (ihrer) Stimme am großen Torbau,1591 %SA.t wr.t SAa.t SAa(.t) spXr Seschat, die Große, die Uranfängliche, die das Schreiben begann,

1586 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 359, liest zwar ebenfalls r=s, übersetzt jedoch „L’Oeil de Rê qu’elle est,…“. Vgl. auch Anm. 1588. 1587 . Man könnte auch „Isis“ lesen; so z. B. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 148. 1588 Das Veständnis der ganzen Stelle ist etwas problematisch. Der letzte Teil muß ein 3-gliedriger pw-Satz sein, der vorangehende ein 2-gliedriger. Es ist nicht klar, ob alle Erklärungen noch zur wörtlichen Rede der Mutter gehören oder Erläuterungen des Textes sind. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 148, übersetzt unter Auslassung von wr.t: „Das ist Isis (vgl. Anm. 1587). Isis ist ihr Name in Wahrheit.“ Auch die Übersetzung von CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 359, ist an einigen Stellen fraglich: „L’Oeil de Rê qu’elle est, c’est Hathor la grande, c’est Isis elle-même en vérité (As.t pw kA=s m mAa.t)“. Wieso macht sie aus r=s hinter „Auge des Re“ einen Relativsatz? Auch die Übersetzung von kA=s mit „elle-même“ erscheint seltsam. 1589 Vgl. zur Übersetzung auch CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 359. Vgl. zu dieser Passage die Szene Dend. Isis, 128, 12–129, 9, Beischrift der Isis: „…für die die Sonnenscheibe aufgeht am Himmel in der Morgendämmerung als Behedeti, der Buntgefiederte, ebenso wie als sie ihren Sohn gebar und als sie ihren Bruder Osiris bestattete.“ 1590 Vgl. LGG IV, 363c, zu einer ähnlichen Aussage über Thoth, ebenfalls auf der Naos-Außenwand Dendara. 1591 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 359–360, liest iw aD=s (sw) m mdw m sbx.t wr.t „le ‚malheureux‘, elle (le) réconforte par (sa) parole à la porte monumentale“, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann, zumal die Konstruktion äußerst umständlich scheint. Außerdem ist laut Dend. XII, 3, 8, geschrieben und nicht . Isis’ Klage (nach obigem Übersetzungsvorschlag) bezieht sich wohl auf den kurz zuvor angedeuteten Tod des Osiris; vgl. zum Klagegeschrei z. B. PETRIE, Koptos, Taf. 22/1, siehe Kap. 4.10.3, und das oKairo JdÉ 50266, siehe Kap. 6.3.2. Zur Bedeutung von sbx.t als Schrankenwände bzw. ein von Schrankenwänden umgebener Bau (Portikus, Kiosk, Mammisi…), in dem die Gottheit erscheint, siehe BUDDE, Götterkind, S. 369–373; ähnlich ELGAWADY, Schranken, S. 66–68.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

SAa(.t)1592 dj(.t) r tA m nTr.wt die Uranfängliche, die zur Welt gebracht wird unter den Göttinnen. Hsj=s nswt bjtj {nbw} tA.wj [(Awdgrdr) Möge sie loben den König von Ober- und Unterägypten, den Herrn der Beiden Länder [(Autokrator), sA rA nb xa.w [(KysrAs anx Dt mrj PtH As.t) xnt kA.w anx.w D.t den Sohn des Re, den Herrn der Erscheinungen [(Kaisaros, er lebe ewig, Geliebt von Ptah und Isis) (= Augustus), an der Spitze der lebenden Ka-Mächte, ewiglich. Kommentar: Auch die linke Seite der Friesinschrift thematisiert vor allem die Geburt der Isis, parallel zur Entstehung der Hathor aus Res Augen in der rechten Hälfte.1593 Der Aufgang des Sonnengottes nach Isis’ Geburt wird allerdings mit einer ungewöhnlichen Erläuterung im Kontext der Handlungen des Horus und der Bestattung des Osiris durch Isis verbunden. Es handelt sich also um einen kosmischen Zusammenhang, der sich an den anderen wichtigen Etappen des Mythos um Osiris, Isis und Horus wiederholt. Im weiteren Verlauf wird außerdem Isis’ Autorität sowie evtl. ihre Orakelfunktion1594 hervorgehoben, und sie wird als Erfinderin der Schrift mit Seschat identifiziert, was in Dendara häufig vorkommt.1595 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Inhalt der Szene

Dend. XII, 28, 13–32, 7; Taf. 22–23; S. XI Dendara, Haupttempel, Naos, südliche Außenwand (H‘), 1. Reg., linke (westliche) Seite, Monumentalszene BUDDE, Götterkind, S. 52–67, Dok. 6b; CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse); S. 360 (nur teilweise) a) Dend. XII, 183, 9–12 b) Philä I, 6; I, 72 (nur einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (nur kleiner Teil, inhaltliche, aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21596 Pharao (Kaisarion) räuchert, hinter ihm Kleopatra VII. mit Sistrum und Menit, vor den Hauptgöttern von Dendara: Isis, vor der Harsomtus als Kindgott steht, Harsomtus (erwachsen) und die osirianische Triade mit Osiris, Horus und nochmals Isis. Die Szene nimmt in der Breite die ganze Wandhälfte und die Höhe von etwa 3 Registern ein.1597

1592 Oder wa(.t)? 1593 Dend. XII, 2, 15–3, 2; vgl. ibid., S. XII. 1594 Bzw. die Entgegennahme von persönlichen Gebeten? Die Sorge für persönliche Anliegen wäre dann durch die Formulierung mit ihrem eigenen mythischen Leid, der Klage um Osiris, assoziiert. 1595 Vgl. dazu BUDDE, Seschat, S. 163–165, bes. S. 163 zur Schrifterfindung. 1596 Liste nach CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19. 1597 Vgl. Dend. XII, S. XI.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: – Beischrift der 1. Isis (30, 7–14): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t (Rezitation:) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, nbw.t papa(.t) m Pr-nbw.t die Goldene, geboren im ‚Haus der Goldenen‘ (= Dendara),1598 irj.tw sn=s m WAs.t sA=s m Gsj.t (= Qjs) deren Bruder in Theben geboren wurde, ihr Sohn in Qus, sn.t=s mnx.t m @w.t-sxm und ihre vortreffliche Schwester in Diospolis (Hu),1599 Py.t nb(.t) Htp.w Ra.t nb(.t) DfA.w Pyt, die Herrin der Opfergaben, Sonnengöttin, die Herrin der Speisen, nb(.t) tA.wj nb(.t) t ir(.t) Hnq(.t) die Herrin der Beiden Länder, die Herrin des Brotes, die Bier bereitet, nb(.t) hy nb(.t) Haa.wt xnj.tw n Hm.t=s die Herrin der Freude, die Herrin des Jubels, für deren Majestät man musiziert, BHd.tj(.t) BA.t n Bwgm Behedetit (‚die von Edfu‘), Bat (weiblicher Ba) von Bugem,1600 nb.tj n Drtj.w sA.t itj.w die Beiden Herrinnen (= Königin) der Ahnen, die Tochter der Fürsten, Hm.t nswt wtT(.t) nTr nfr @r(?)1601 die Königsgemahlin, die den vollkommenen Gott Horus(?) erzeugt, iAx(.t) wr.t nj.t wr.t Hts die Glänzende, die Große derer mit großer Vollendung (?),1602 1598 Siehe KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 75–76. 1599 Vgl. zu diesem Abschnitt Dend. XII, 183, 9–12 (a), siehe unten. Seth wird hier ganz ausgelassen. 1600 Eine typische Bezeichnung der Hathor und Isis in Dendara, vgl. LGG II, 733b–c. Bugem ist eine Region im Sudan, die eng mit Tefnut verbunden ist und damit mit dem Mythos von der Fernen Göttin, vgl. GDG II, S. 20; BUDDE, Götterkind, S. 55, Anm. 258. 1601 Vielleicht ist auch nur Determinativ, so offenbar verstanden bei BUDDE, Götterkind, S. 55, m. Anm. 259, die zudem auf die Doppeldeutigkeit der Stelle (auf Horus respektive den König (Kaisarion) bezogen) hinweist. 1602 Nach BUDDE, Götterkind, S. 56, Anm. 260, ist mit der wr.t Hts die in der Szene dargestellte Königin Kleopatra VII. gemeint, da der gleiche Titel, den königliche Frauen bereits seit der Frühzeit tragen, auch in der Rede der Isis (Dend. XII, 30, 13) vorkommt und dort mit einer sitzenden Frau mit typischer Ptolemäerinnenkrone determiniert ist. Diese Krone trägt Kleopatra auch in der Szenendarstellung. Tatsächlich handelt es sich bei der Krone um die Kombination aus Hathorkrone und Doppelfeder, die auch die Vorstufe zu dem für Isis ab der Ptolemäerzeit typisch gewordenen Basileion bildet, vgl. dazu MALAISE, Basileion; ID., Coiffure hathorique; D. BUDDE, „Die den Himmel durchsticht und sich mit den Sternen vereint“. Zur Bedeutung und Funktion der Doppelfederkrone in der Götterikonographie, in: SAK 30, 2002, S. 57–102. So wird das gleiche Determinativ mit dieser Krone in der göttlichen Randzeile (Dend. XII, 32, 6) eindeutig für Isis (hinter der Bezeichnung als r.t-pa.t) verwendet. Es könnte nach ägyptischer Logik der Tempeldekoration durchaus auch möglich sein, daß sich das Epitheton hier (oben im Text) auf Isis, und in der Rede auf Kleopatra VII. bezieht, um Gottheit und Königin einander nahe zu bringen. Zu wr.t Hts als Bezeichnung der Isis siehe Assuan-Hymne 3 mit Parallelen, Kap. 4.2.1.A.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

n hb aH.t m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung man nicht den Palast betritt, Imn.t m WAs.t MnH(j).t m @w.t-sr Amaunet in Theben,1603 Menhit im Haus des Fürsten, Rnp.t rn=s m Hw.t-kA-PtH ‚Jahr‘ ist ihr Name im Haus des Kas von Ptah (= Memphis), @dd.t m BHd.t Iwn(j).t xnt Iwn.t @w.t-@r m spA.t nb(.t) Hededet in Edfu,1604 Iunit in Dendara, Hathor in jedem Gau. – Beischrift der 2. Isis (in der osirianischen Triade, 32, 2–5): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj (Rezitation:) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, Hrj-ib Iwn.t nbw.t nTr.w xnt Iwn.t die in Dendara residiert, die Goldene der Götter an der Spitze von Dendara. irj.n-s(j) mw.t=s Nw.t tp tA m Hw.t-sSS.t Ihre Mutter Nut hat sie zur Welt gebracht im ‚Haus des Sistrums‘ (Dendara), hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest: bjk.t nTrj(.t) HqA(.t) %nw.t das göttliche Falkenweibchen, die Herrscherin von Ägypten, Hm.t nswt tpj.t n [(Wn-nfr mAa-xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), Hnw.t nb(.t) Htp.w die Gebieterin und Herrin der Opfergaben, sDfA(.t) tA.wj sSm(.t) anx n tA pn die die Beiden Länder mit Speisen versorgt, die diesem Land Leben zuführt. – Göttliche Randzeile (32, 6–7): nswj.t bjtj.t sA.t Nw.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Tochter der Nut, r.t-pa.t qmA(.t) n rpa.t die Prinzessin, erzeugt von dem Prinzen (Geb),1605 xaj n=s BHd.tj m bjA ixxw Behedeti erscheint für sie am Himmel in der Dämmerung, Dr bX.tw=s tp tA m &A-rr nachdem sie auf die Welt gebracht wurde in Dendara, nts xnt njw.wt Hna sA=s sn=s Sie ist an der Spitze der Städte, zusammen mit ihrem Sohn und ihrem Bruder, As.t wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter.1606 1603 Hiermit beginnt die Parallele zur kulttopographischen Litanei (b)). Vgl. bes. Dend. Isis, 78, 16–79, 5. 1604 Vgl. die Parallele Dend. I, 20, 14–21, 5. 1605 BUDDE, Götterkind, S. 59, liest hier fälschlich nochmals die weibliche Form („die Fürstin, die von einer Fürstin geschaffen wurde“). Ergänzend zu der zuvor genannten Nut dürfte hier aber ihr Vater Geb gemeint sein, um die Filiation zu komplettieren. Zudem unterscheidet sich die Schreibung deutlich von der zuvor geschriebenen, eindeutig weiblichen Form. Vgl. auch Dend. XII, 3, 4–9, s. o.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Kommentar: Diese berühmte großformatige Szene mit Kleopatra und Kaisarion, die zusammen mit ihrem Gegenpart auf der rechten Seite1607 die Hauptgötter des Ortes auf der Tempelrückseite zusammenführt, enthält in der Beischrift der ersten Isis eine lange Titelreihe, die nicht nur ihre Geburt in Dendara, sondern auch die Geburt von Osiris, Horus und Nephthys in Karnak, Qus und Diospolis erwähnt. Eine ähnliche Passage findet sich nochmals in der Soubassement-Inschrift der westlichen Außenwand (a)).1608 Zumindest für Osiris ist ja auch tatsächlich eine Art Geburtstempel, nämlich der Opet-Tempel, in Karnak belegt.1609 Nach einigen allgemeinen Epitheta, die die Göttin als Spenderin von Speisen, Herrin von Jubel,1610 Königin und Mutter des Königs feiern, folgt ein kurzer Ausschnitt aus der kulttopographischen Litanei, die auch in der Soubassement-Inschrift dieser Außenwand verarbeitet wurde.1611 Der Abschnitt und damit die Beischrift endet vorläufig mit „Hathor in jedem Gau“. Die übliche darauf folgende Schlußformel dieser Litanei (in einer verkürzten Version) bildet in der obigen Szene aber das Ende der göttlichen Randzeile. Isis ist noch ein zweites Mal dargestellt, und zwar an hinterer Stelle der Szene als Mitglied der osirianischen Triade, was in ihrem Begleittext auch durch die Erwähnung ihres Gemahls Osiris verdeutlicht wird. Inhalt der Ritualszene ist das Räuchern für die Uräusschlange, mit der Isis – ebenso wie Hathor in der korrespondierenden Räucherszene auf der Ostseite – gleichgesetzt wird. In dem dazugehörigen Spruch1612 adressiert der König (Kaisarion) sie mit Namen verschiedener Göttinnen, die standardmäßig ebenfalls als Erscheinungsformen der Uräusschlange gelten und Parallelen in anderen Hymnen und Ritualtexten für Isis/Sonnenauge/Uräusschlange finden, die bis zu den sogenannten „Hymnen an das Diadem“ zurückgehen: Uto, Nechbet, Sachmet, Bastet, Satet/Sothis (oder Schesemtet?).1613

1606 Vgl. zu diesem Schluß wiederum die kulttopographische Litanei (b)). Vgl. z. B. Dend. Isis, 78, 16– 79, 5: nts pw wn(.t) m njw.t nb(.t) spA.t nb(.t) Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr. 1607 Dend. XII, 11–15, Taf. 12–13; vgl. BUDDE, Götterkind, S. 44–51, Dok. 6a. 1608 Siehe dazu auch BUDDE, Götterkind, S. 55, Anm. 255. Seth wird hier ausgelassen. 1609 Siehe Kap. 4.7. PH. COLLOMBERT, Rapport préliminaire sur la première campagne de l’Université de Genève à Hou (juillet 2009), in: BSEG 28, 2008–10, S. 15–33, bes. 30–33, stellt die interessante These auf, daß es sich bei den Resten eines ptolemäischen Kiosks auf einem Podium in Hu tatsächlich um ein entsprechendes Geburtshaus der Nephthys handeln könnte. Zu den Kulten von Hu auch ID., Hout-sekhem et le septième nome de Haute Égypte III: Les cultes de Hout-sekhem à la XVIIIe dynastie, in: Zivie-Coche/Guermeur (Hrsg.), Hommages Yoyotte I, S. 337–373. 1610 Diese Epitheta beziehen sich einerseits auf den großen Opferaufbau innerhalb der Szene, und entsprechen andererseits üblichen Beinamen der Hathor, die diese in Trankopferszenen trägt, vgl. BUDDE, Götterkind, S. 66–67. 1611 Siehe oben, Dend. XII, 2, 2–12. 1612 Dend. XII, 28, 13–15. 1613 Vgl. Assuan-Hymne 6 (Kap. 4.2.1.A, mit Anm. 618); pCarlsberg 206, x+3, 17–19 (Kap. 4.13.1.1).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt

Dend. XII, 183–185; Taf. 109–110; S. XII Dendara, Haupttempel, Naos, westliche Außenwand (H‘), Soubassement-Inschrift CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires; EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 276 und 360–361 (nur teilweise) Dend. XII, 28, 13–32, 7 (Dend. XII, 30, 7–14) Der lange Text beginnt mit einer langen Titelreihe des Königs (Augustus), „…geliebt von Hathor, der Herrin von Dendara…“, es folgt ein Text über die Geburt von Isis und ihren Geschwistern.1614

Text: – Text Isis (183, 9–12): Sps.t wsr.t nb.tj rxj.t Die Edle und Mächtige, die Königin (‚die Beiden Herrinnen‘) der Menschen, As.t1615 dj(.t) iw/r tA m IA.t-dj Isis, die zur Welt gebracht wurde in Iat-di, wbn n=s wbn [Ra] BHd.tj %mA-tA.wj für die der Aufgehende aufgegangen ist, (nämlich) [Re] Behedeti Semataui, m ixxw Dr papa.tw=s in der Dämmerung, als sie geboren wurde, irj.t(w) sn=s m WAs.t sA=s @r m Gsj.t (= Qjs) ihr Bruder wurde in Theben geboren, ihr Sohn Horus in Qus, saw.tj(?)1616 nik1617 m Nbw.t der Bestrafte wurde (unter Wehen) herausgestoßen in Ombos, msj.tw Nb.t-Hw.t m Xnw @w.t-nTr Nephthys wurde innerhalb von Diospolis (Hu) geboren,1618

1614 Vgl. CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 86–87. 1615 Bei CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 86–87, wurde das Zeichen als leicht zerstört transkribiert, aber nicht gelesen, ebensowenig in CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 360. In Dend. XII, 183, 9, ist es in der Transkription deutlich angegeben, obwohl auf Taf. 109 nicht mehr viel zu erkennen ist außer dem Schemen einer sitzenden Person. 1616 Das Verb ist unklar; CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 94, (10), interpretiert es als Kausativ zum Wort aAa „Samen ergießen, erzeugen“, Wb I, 166, 17. M. E. dürfte aber eher eine Verbindung zum Verb saj „zittern, in Angst sein“ bestehen, das üblicherweise mit dem Determinativ einer gebärenden Frau geschrieben wird und laut Wb IV, 43, 5–6, möglicherweise ursprünglich auf die Geburtswehen bezogen ist, nach JØRGENSEN evtl. speziell auf Frühgeburten bzw. (auch) die reguläre Menstruation; vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 107–108, Anm. 316; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 151–156, mit 152, Abb. 3 zur Stelle in Dendara; vgl. auch D. DEVAUCHELLE, Écrire le nom des jours épagomènes et du premier jour de l’an (Odém DElM. 4-1), in: Studi di Egittologia e di Papirologia 2, 2005, S. 75–81: 78, auch zur Stelle in Dendara (allerdings ohne Lösung). Der Dendara-Text zeigt als Determinativ ein Ei und einen schlagenden Arm, was jedenfalls auf die gewaltsame Geburt des Seth hindeutet, siehe dazu CAUVILLE, loc. cit., m. Anm. 25. 1617 Eigentlich eine übliche Bezeichnung für Apophis, vgl. LGG III, 528; im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch sicherlich Seth gemeint, zumal dessen Kultort Ombos genannt ist.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Ax(.t) mnx.t n.j.t Iwnj.t die Prächtige und Vortreffliche der Iunit (= Hathor von Dendara), HqA.t tA Dr=f die Herrscherin des ganzen Landes, Hnw.t itr.tj BAq.t1619 die Gebieterin der Beiden Heiligtümer von Ägypten, @w.t-@r nb(.t) &A-rr Hathor,1620 die Herrin von Dendara. Kommentar: Im Gegensatz zur Parallele in der großen Weihrauchszene auf der Südwand wird hier sogar die Geburt des Seth erwähnt.1621 Die Soubassement-Inschrift wird anschließend mit einer ausführlichen Baubeschreibung fortgesetzt.1622 Kaiserzeitliche Inschriften des Pronaos Text/Hauptpublikation Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Taf. 17 u. 20; S. V–VI (nur teilweise) Anbringungsort Dendara, Haupttempel, Pronaos G‘, Frontseite, Tor, linke (westliche) Türlaibung Bibliographie CAUVILLE, Dend. XIII Traduction, S. 32–35; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 23–25; EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 19–24 (Synopse); 361–362 (nur teilweise) Parallelen Philä I, 6; I, 72 (einzelne Phrasen); Philä I, 168–169 (kleiner Teil, inhaltliche, aber nicht wörtliche Parallele); Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 73, 14–74, 1; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 21623 Inhalt 1 Kolumne für den König (Claudius), 4 für Isis.

1618 Zum Abschnitt über die Geburtsorte der Kinder der Nut, vgl. die Parallele Dend. XII, 28, 13–32, 7 (Dend. XII, 30, 7–14), s. o. 1619 Die Anordnung der Zeichen ist an dieser Stelle etwas wirr. Die Lesung oben folgt CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 86. M. E. könnte aber auch zu lesen sein: HqA.t tA Dr=f itr.tj Hnw.t BAq.t „die Herrscherin der ganzen Erde und der Beiden Heiligtümer, die Gebieterin von Ägypten“, was der bei CAUVILLE wiedergegebenen tatsächlichen Zeichenfolge eher entspräche. 1620 CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 87, übersetzt am Ende dieses Textabschnitts „Hathor-Isis, Herrin von Dendara“, obwohl sie in der Transliteration auch nur @w.t-@r liest. Zu ihrer Begründung, siehe ibid., S. 94, (12). Geschrieben ist @w.t-@r, das wie üblich beide Göttinnen meinen kann. Daß es an dieser Stelle vor allem um den Isis-Aspekt geht, wird aus dem Text über die Geburt deutlich. 1621 Siehe dazu und zu den Geburtsorten der Nut-Kinder CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 93–94, (9)–(11); ausführlich A. TILLIER, Le lieu de naissance des enfants de Nout, in: CdÉ 89, 2014, S. 51–70. 1622 Vgl. CAUVILLE, Inscriptions dédicatoires, S. 95–109. 1623 Liste nach CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: – Text Isis (26, 12–28, 3): Kol. 2: As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj(.t)-ib Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, nbw.t nb(.t) Iwn.t die Goldene, die Herrin von Dendara, wbn(.t) m Pr-nbw.t die aufgeht im ‚Haus der Goldenen‘ (Dendara), HqA.t sA.t Gbb papa(.t) m Nw.t die Herrscherin, die Tochter des Geb, geboren aus Nut, dj(.t) iw/r tA m &A-rr die zur Welt gebracht wurde in Dendara hrw grH nxn m sS=f Hb aA n tA Dr=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, dem großen Fest des ganzen Landes, wbn BHD.tj %mA-tA.wj {r} p.t m ixxw Behedeti-Somtus ist am Himmel aufgegangen in der Dämmerung, Dr irj.tw=s nachdem sie geboren wurde, Tnj=s(j) ^Ay Hrj-tp msxn.tj m s.t km.t dSr[.t … … … … … … Schai hat sie erhoben auf den Geburtsziegeln als schwarzrote Frau [… … … … …] n mAA=s iwj n=s nTr[.w] …] bei ihrem Anblick, die Götter kommen zu ihr Kol. 3: m iAw sp sn nTr.wt m hnw sp sn in Lobpreis, in Lobpreis, die Göttinnen im Jubel, im Jubel,1624 psD.t aA.t pXr m qd ibA=sn m prj=s die große Neunheit erfreut sich,1625 sie tanzen bei ihrem Auszug, Sps.t wsr.t m s.t msxn.t (nämlich von:) die Große und Mächtige in der Geburtsstätte, wa.t n twt n=s die Einzigartige, der niemand gleicht, iwa.n=s tA.wj Hrj-tp.n=s idb.w sie hat die Beiden Länder geerbt, sie hat die Ufer regiert, HqA.n=s iAw.t tp nwd sie hat das Amt1626 beherrscht (schon) in der Windel, nswj.t pw1627 n sxm.w n %nw.t die oberägyptische Königin der göttlichen Mächte Ägyptens ist es, 1624 Vgl. zu dieser Stelle Dend. IV, 150, 17–151, 5. 1625 Zur Wendung pXr m qd siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 368. 1626 CAUVILLE, Dend. XIII Traduction, S. 32–33, versteht iA.wt „heilige Stätten, Hügel“, wird aber üblicherweise für die Schreibung des oben vorgeschlagenen iAw.t „(Königs-)Amt“ verwendet, Wb I, 29, 7–13. 1627 Von CAUVILLE, Dend. XIII Traduction, S. 32–33, ausgelassen.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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bjtj.t m gs.w-pr.w nb(.t) stp-sA nb(.t)[… … … … … … die unterägyptische Königin in den Tempeln, die Herrin des Palastes, die Herrin [… …] wD(.t) […] n Abj ib=s …], die […] zuweist dem, den ihr Herz wünscht/nach dem Wunsch ihres Herzens, n hb aH.t m xm=s [… … … … … ohne deren Kenntnis/Zustimmung man nicht den Palast betritt [… …] n=s rsj[…?] …] ihr der Süden[…?]1628 Kol. 4: mH.t.t r rA-a kkw der Norden bis hin zur Finsternis,1629 imn.t.t iAb.t.t Xr wD.n=s Westen und Osten sind unter dem, was sie befiehlt, Sn n itn n=s imj der Umkreis der Sonnenscheibe gehört ihr. nts pw nb(.t) itr.tj BAq.t Sie ist die Herrin der Beiden Heiligtümer Ägyptens, nmt.t n iAxw m Am=s in deren Griff der Schritt/die Bahn des Leuchtenden (= der Sonne) ist, xAtj.w m xt=s wpwtj.w m Sms=s hinter der die Schlächter-Dämonen sind,1630 in deren Gefolge die Boten sind,1631 Ax.w mwt.w Hr Dd(?)=s auf deren Geheiß(?) die Verklärten und die Toten (handeln),1632 nb.t p.t Hnw.t bA.w anx.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin der lebenden Bas (Sterne), nb.t tp-rnp.t Hnw.t SmAy.w die Herrin des Jahresanfangs, die Gebieterin der SmAy.w-Dämonen,1633 wbn(.t) m [wp-rnp.t r wp rnp.t nfr.t (?)1634 … … … … … die zum [Jahresbeginn] erscheint, [um das gute Jahr zu eröffnen … …] @dd.t m BHd.t …] Hededet in Edfu, Kol. 5: nr.t Sps.t nb(.t) @D-nxn die edle Geierin, die Herrin von Hierakonpolis,

1628 CAUVILLE, Dend. XIII Traduction, S. 32–33, ergänzt zu [rdj.w] n=s rsj [r wbn itn] „der Süden ist ihr gegeben bis hin zum Sonnenaufgang“, was gut mit dem Folgenden zusammenpaßt; allerdings gibt sie keine Parallelen an. 1629 Auch vom König kann gesagt werden, daß er das Königtum über ganz Ägypten „bis hin zur Finsternis“ erhält, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1091. Etwas in diesem Sinne wird auch hier gemeint sein, vgl. auch den Text Dend. Isis, 78, 4–8. 1630 Vgl. den Text Dend. IX, 167, 11–16 oben. 1631 Vgl. Dend. IX, 18, 11–20, 6 oben. 1632 Vgl. Dend. IX, 18, 11–20, 6 oben. 1633 Mit diesen Bezeichnungen beginnt die Parallele zur kulttopographischen Litanei, vgl. bes. Dend. I, 20, 14–21, 5. 1634 Mögliche Ergänzung nach der Parallele Dend. I, 20, 14–21, 5. Vgl. außerdem Dend. III, 35, 9–11: wbn(.t) m bjA m wp-rnp.t.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

irj(.t) mk.t n sA=s @r die den Schutz für ihren Sohn Horus bereitet,1635 *nn.t wr.t nb(.t) Iwnw Sma Tjenenet, die Große, die Herrin des südlichen On (= Armant), Iwn(j).t m Iwn.t papa(.t) m IA.t-dj Iunit in Dendara,1636 geboren in Iat-di, As.t wr.t xnt Njw.t-xprr Isis, die Große an der Spitze der ‚Stadt des Skarabäus‘ (= Abydos),1637 %SA.t m Wnw @q.t m @r-wr WAD(j).t m @r-dw Seschat in Hermopolis, Heket in Her-wer, Uto in Hardai, mrj(.t) sxn m @w.t-nnj-nswt die das Ereignis/Glück liebt in Herakleopolis,1638 Rnp.t m &A-S nb.t anx ?1639 m Mdnj.t das ‚Jahr‘ im Fayum, die Herrin des Lebens in Aphroditopolis,1640 ©d.t m ©d.t sDm(.t) nb m ©dw Die Dauernde in Mendes, die den Herrn hört in Busiris, StA.t m BAs.t [… … … … … die Geheime in Bubastis,1641 [… …] @r{.t} sn=s [[(Wn-nfr mAa-xrw]) D.t …] Horus1642 und ihrem Bruder [[(Onnophris, wahrhaft an Stimme]), ewiglich.1643 Kommentar: Diese lange Inschrift am Haupttor des Tempels ist ähnlich aufgebaut wie die Soubassement-Inschrift auf der Rückseite,1644 also genau an der entgegengesetzten Tempelfront: Zuerst werden Isis’ Haupttitel genannt und ihre Geburtsumstände beschrieben (Kol. 2), anschließend die auf ihre Geburt folgende Festfreude (Kol. 2–3).1645 Kol. 3–4 thematisieren ihre Amtsergreifung direkt nach der Geburt, und dann ausführlich ihre Herrschaft über Ägypten und die ganze Welt, sowie über verschiedene Arten von Wesen: Dämonen und Genien, Verklärte und Tote. Am Ende von Kol. 5 fängt die kulttopographische Litanei an, deren Anfang der Version am Eingang zum Sanktuar entspricht,1646 später aber ausführli1635 Erweiterung gegenüber der Parallele Dend. I, 20, 14–21, 5. 1636 Vgl. Dend. Isis 78, 16–79, 5, hier mit Zusatz wr.t hinter Tjenenet. 1637 Vgl. Dend. I, 20, 14–21, 5: sA.t Nw.t dj(.t) r tA m IA.t-dj m hrw pn nfr nxn n sS=f srwD/srd.n=f Sw.t n mAw(.t) r p.t, HqA.t m AbDw. 1638 Vgl. Dend. Isis 78, 16–79, 5. 1639 Kobra auf Standarte mit Pluralstrichen. Zumindest der Plural müßte gestrichen werden, die Kobra könnte dann Determinativ sein. 1640 Vgl. Dend. Isis 78, 16–79, 5: nb.t anx m &p-iH.w. Die seltene Schreibung von anx mit (siehe dazu z. B. LEITZ, Tempelinschriften, Zeichenliste D1) im obigen Text ist sicherlich durch den Namen der Gauhauptstadt &p-iH.w beeinflußt. 1641 Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5. 1642 Vgl. die Parallelen der kulttopographischen Litanei, die üblicherweise mit der Nennung der übrigen Mitglieder der osirianischen Familie enden. 1643 Vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5: nts pw wn(.t) m njw.t nb(.t) spA.t nb(.t) Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr. 1644 Dend. XII, 2, 2–12, siehe oben. 1645 Dieser Aspekt fehlt in der Bandeau-Inschrift auf der Rückwand, vgl. dafür aber: Dend. IX, 18, 11–20, 6. 1646 Dend. I, 20, 14–21, 5.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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cher wird, so daß trotz der größeren Zerstörungen anzunehmen ist, daß sie nahezu die Vollständigkeit der Parallele im Sanktuar des Isis-Tempels1647 erreicht hat. Auf der rechten Türlaibung ist eine Hymne an Hathor angebracht,1648 die ebenfalls eine Parallele zur entsprechenden Inschrift im Tor zum Sanktuar bildet.1649 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Text:

Dend. XIV, 45, 6–46, 2 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), Südwand innen, Soubassement-Inschrift, linke (westliche) Hälfte CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 60–61; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 223–224; EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 365 (nur teilweise); LEITZ, Nacht des Kindes, S. 147, (46) (nur teilweise)

As.t1650 nb(.t) Iwn.t (Hr) psD xnt IA.t-dj Isis, die Herrin von Dendara, erglänzt an der Spitze von Iat-di, s.t papa.t(w)=s in mw.t=s Nw.t dem Ort, (an dem) sie geboren wurde durch ihre Mutter Nut, [… …] Rnn-wt.t(?)1651 xnt Pr-Sps.t […] Renenutet(?) an der Spitze des ‚Hauses der Edlen‘ (= Dendara), sAw-n=sn dmD m Sn=s [… …] sbx.t(?) in deren Umkreis alle Schutzgötter versammelt sind, […] Torbau,1652 bd(.t) msxa.w m HD=s von leuchtender Erscheinung in ihrer Kapelle hrw grH nxn sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, As.t wr.t mw.t[-nTr] nb.t IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t Isis, die Große, die [Gottes]mutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert. @r %mA-tA.wj nTr aA Hrj-ib Iwn.t Harsomtus, der große Gott, der in Dendara residiert, BHd.tj1653 sAb Sw.t xaj=sn m hrw und Behedeti, der Buntgefiederte, sie erscheinen an dem Tag, srwD.n=f Sw.t n mAw.t r p.t als er (der Sonnengott) seinen Flug erneut fest macht zum Himmel, Dr irj.tw=s wpS mAw=sn ndb=f nachdem sie geboren wurde, und ihre Strahlen erhellen das ganze Land.

1647 1648 1649 1650

Dend. Isis, 78, 16–79, 5. Dend. XIII, 23–25; vgl. dazu CAUVILLE, Dend. Pronaos Analyse, S. 20–21. Vgl. Dend. XIII, S. V. Oder nbw.t „die Goldene“? So gelesen bei CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 60–61. Daß jedenfalls Isis gemeint ist, zeigen die Thronhieroglyphe auf dem Kopf und der folgende Text. 1651 Zur Lesung vgl. CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 60–61. 1652 Zu sbx.t siehe oben, Dend. XII, 3, 4–9, m. Anm. 1591. 1653 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 365, liest Ra-BHd.tj, obwohl in der schmalen Lücke vor BHd.tj nur noch , das letzte Zeichen für die Schreibung von Iwn.t stehen kann.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Tnj-s(j) ^Ay [nn(?)] bsj m X.t Schai erhebt sie, als sie [noch nicht] aus dem Leib gekommen ist (?).1654 wr.wj rn=s n mjt.t=s Oh wie groß ist ihr Name, derengleichen es nicht gibt. nb.t-Dr pw Hnw.t1655 nTr.w nTr.wt Die Allherrin ist es, die Gebieterin der Götter und Göttinnen, ibA=sn m prj=s bei deren Auszug sie tanzen, wa[.t …] n [… …]=s die Einzigartige, der [niemand gleichkommt o. ä.], D[d(.t)(?)] n Abj ib=s die [spricht?,] wie ihr Herz wünscht, nswj.t n sxm.w(?)1656 m-qAb itr.tj die oberägyptische Königin der göttlichen Mächte innerhalb der Beiden Heiligtümer (= Ägypten), snD n=s HA kAr […] die Ehrfurcht vor ihr ist hinter der Kapelle […],1657 tA-mrj r Aw=s Hr irj n=s iAw das ‚Geliebte Land‘ (Ägypten) in seiner Ausdehnung gibt Lobpreis für sie, Sn n itn n=s imj der Umkreis der Sonnenscheibe gehört ihr,1658 Hm.t nTr (sic!) tpj.t nj.t [(Wn-nfr mAa xrw) die Erste Gottesgemahlin1659 des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), nfr(.t) Hr nfr(.t) mAA die mit vollkommenem Antlitz und vollkommenem Anblick, tmA.t mnx.t n nDm-anx die vortreffliche Mutter dessen Mit süßem Leben,1660 grg(.t) spA.(w)t nb.w(t) n/m [rn=s (?)1661] in [deren Namen] alle Gaue gegründet sind. Hsj=s nswt bjtj nb [(HqA HqA.w Awtwkrdr) Möge sie loben den König von Ober- und Unterägypten, den Herrn [(Herrscher der Herrscher, Autokrator),

1654 Vgl. die Parallelen zu dieser Phrase, z. B. in Dend. XI, 139, 13–140, 5. CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 60–61, ergänzt statt dessen zu [Dr] bsj m X.t. 1655 Von CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 60–61, ausgelassen. 1656 Drei sitzende Götter mit sxm-Szepter: . 1657 Der Ausdruck scheint so vollständig zu sein, vgl. LGG VI, 405c. Es ist also fraglich, was in der Lücke noch gestanden haben könnte (selbst wenn es schon zur nächsten Phrase gehören sollte). 1658 Vgl. den Text Dend. XIII, 26, 7–28, 3. 1659 Es müßte eigentlich „Erste Königliche Gemahlin“ heißen, wie sonst auch. Einen weiteren Beleg gibt es in Edfu I, 408, 7: „Die Gottesgemahlin des Onnophris, wahrhaft an Stimme“, vgl. LGG V, 137a. 1660 Eine häufige Bezeichnung des Horus von Edfu, vgl. LGG IV, 599; WILSON, Ptol. Lex., S. 567. 1661 Vgl. den Text Dend. VI, 2, 21–4, 6.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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sA Ra nb xa.w [(&brs Klwtys Kysrs Krmnyqs mrj PtH As.t anx Dt) Hr rA-a.wj=f den Sohn des Re, den Herrn der Erscheinungen [(Tiberius Claudius Kaisaros Germanikus, geliebt von Ptah und Isis, er lebe ewig) (= Claudius) für sein Werk, iw=f m nswt wAH n nHH mj irj=s n sA=s nHH Dt indem er der König ist, dauernd in Ewigkeit, wie sie es getan hat für ihren Sohn, für immer und ewig. Kommentar: Die linke Soubassement-Inschrift der Südwand beginnt wie viele andere Texte mit der Beschreibung der Isis-Geburt, auf die der Sonnenaufgang folgt, der hier mit der Erscheinung von Harsomtus und Horus von Edfu symbolisch ausgedrückt wird. Auffällig sind die zahlreichen Ausdrücke aus dem Wortfeld „leuchten/erscheinen“ (psD, bd, msxa, xaj, wpS, mAw). Anschließend wird Isis als Herrscherin und Allherrin dargestellt, und die Ehrfurchtsbezeugungen von verschiedenen Seiten werden beschrieben. Am Ende wird sie in ihren Familienkreis mit Osiris und Horus (hier der von Edfu, da die solare Thematik stark im Mittelpunkt steht) eingeordnet; der Schlußsatz, der ihr die Gaue Ägyptens zuschreibt, erinnert an die übliche Schlußformel der kulttopographischen Litanei,1662 die die Herrschaft und Präsenz in allen Städten und Gauen Ägyptens ebenfalls mit der Nennung der Familienmitglieder in Zusammenhang bringt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. XIV, 46, 5–9 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), Südwand innen, Bandeau-Inschrift des Frieses, linke westliche Hälfte CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 62–63; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 227

Text: psD nb.tj rxj.t hAw an(?) n kA=s Die Beiden Herrinnen (Königin) der Menschen erglänzt am Himmel(?) 1663 ihres Kas, As.t(?)1664 wr.t mw.t-nTr Isis, die Große, die Gottesmutter, HqA.t mnx.t Hnw.t pr-nswt die vortreffliche Herrscherin, die Gebieterin des Königshauses, aHa nb Hr Dd.w=s auf deren Ausspruch der Herr (den Thron) besteigt, itj.t n Drtj.w r-mn tpj.w-tA die Fürstin der Ahnen bis hin zu den Erdbwohnern (= den Menschen), 1662 Siehe bes. die Version Dend. Isis, 78, 4–8. 1663 Himmelsdeterminativ, obwohl ein Wort an „Himmel“ m. W. sonst nicht bekannt ist bzw. nicht in den gängigen Wörterbüchern aufgeführt wird. Der Himmel wird zu Beginn von Friesinschriften aufgrund des Anbringungsortes nahe der Decke (= Himmel) häufig als Erscheinungsort der Gottheit erwähnt, vgl. z. B. Dend. II, 107, 10–108, 2, s. o. Zur Übersetzung vgl. auch CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 62–63. 1664 Thronende Hathor mit Papyrus-Szepter . Die nachfolgenden Titel legen nahe, daß Isis gemeint ist.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

n irj.tw sxr.w m xm=s ohne deren Kenntnis/Zustimmung keine Pläne gemacht werden. mw.t-nTr pw nj.t bjk n nbw.t bA BHd.tj Die Gottesmutter des Falken der Goldenen ist es, des Bas von Behedeti, nTr aA nb p.t sAb Sw.t des großen Gottes, des Herrn des Himmels, des Buntgefiederten, prj m Ax.t Ra %mA-tA.wj Hrj-ib Iwn.t der aus dem Horizont hervorkommt, des Re-Somtus, der in Dendara residiert, MHnj.t=f pw Iwnj.t xnt Iwn.t seine Ringelschlange ist es, Iunit an der Spitze von Dendara, nswj.t Hnw.t n nswt.w die (oberägyptische) Königin, die Gebieterin der (oberägyptischen) Könige. Hsj=s nswt bjtj Möge sie loben den König…(Augustus)… Kommentar: Die Friesinschrift der Südwand beschreibt, wie die Göttinnen in ihrem Tempel erscheinen;1665 von Hathor heißt es parallel zu Isis: wbn nbw.t hAw bjA m aqA njw.t=s „Die Goldene geht am Himmel auf gegenüber von ihrer Stadt“.1666 Wie auch in der Soubassement-Inschrift ist der Fokus auf den solaren Kontext gerichtet, weswegen die Beziehung der Isis zu den männlichen Sonnen- und Himmelsgöttern von Dendara stark betont wird: Sie ist Mutter von Horus von Edfu, dem Herrn des Himmels, und von Re-Somtus und verkörpert gleichzeitig deren schützende Uräusschlange. Nach ihren Haupttiteln wird Isis außerdem als Herrin über das Königsamt (Palast, Thron und Pläne/Entscheidungen), sowie von Ahnen(göttern) und Menschen bezeichnet. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Dend. XIV, 146, 3–14; S. VI Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), West- und Nordwestwand innen, Friesinschrift CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 198–199; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 224–225; CAUVILLE, Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 272 (nur teilweise); 285 (Synopse); 366– 367 (nur teilweise); LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, (59) (nur teilweise) a) Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XV, 337, 10–14; Dend. Isis, 78, 4–8; 327, 17–328, 2 b) Philae-Hymne 3; Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 327, 5– 91667

1665 Vgl. Dend. XIV, S. VI. 1666 Dend. XIV, 4, 6. 1667 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 285.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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Text: Iwn.t pw xr.tw r njw.t tn Iwn.t(?) ‚Dendara‘ ist, was man sagt zu dieser Stadt, Osiris, Horus, Isis,1668 IA.t-dj pw kA.tw m rn=s ‚Iat-di‘ ist es, so wird es genannt mit seinem Namen, pr-msw.t pw n Nw.t s.t-msxn.t n As.t tA nTr.t das Geburtshaus der Nut ist es, die Geburtsstätte von Isis, der Göttin. msj.tw As.t im m s.t km.t dSr(.t) Isis wird dort geboren als schwarzrote Frau, Xnm(.t) anx mrj(.t) ins die mit Leben erfüllt ist, die den blutroten Stoff liebt, nb(.t) mrw.t Hnw.t nTr.wt Hm.wt die Herrin der Beliebtheit, die Gebieterin der Göttinnen und Frauen.1669 Dd.jn mw.t=s Nw.t m xt mAA=s Da sprach ihre Mutter Nut, nachdem sie sie erblickt hatte: sk nwj r(=i) mw.t „Siehe, ich bin wirklich (deine) Mutter! (?)“. xpr rn=s pw n As.t Das ist, wie ihr Name Isis entstanden ist.1670 Tnj-sj ^Ay Hrj-tp msxn.tj=s Schai hat sie (schon) auf ihren Geburtsziegeln erhoben, nxb n=s ©Hwtj nxb.t m Dd Thoth hat für sie die Titulatur festgesetzt, mit den Worten:1671 r.t-pa.t sA.t Gbb HA.tj.t-a sA.t MrHy Prinzessin, Tochter des Geb, Fürstin, Tochter des Mereh-Stiers, mTA.t sA.t ©Hwtj mAA.t @r die Wesirin, die Tochter des Thoth, die Horus sieht, mrj(.t) BA wDA(.t) $nmw(?) geliebt vom Bock (Ba), die Pflegerin(?) des Chnum(?),1672 wr(.t) Hsw.t wr(.t) Hts1673 groß an Gunst, groß an Vollendung,

1668 Vgl. LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, mit leicht abweichender Übersetzung: „Das ist Dendara, man sagt über diese Stadt: ‚Osiris, Horus, Isis‘.“ Nach eigener Angabe (Anm. 89) folgt er damit der alten Lesung von J. DÜMICHEN, Die Säle und Zimmer im Tempel von Dendera, in: ZÄS 7, 1869, S. 101– 106: 105, der jedoch an beiden Stellen „(der Sitz von) Osiris, Horus und Isis“ liest. Offenbar gibt der Text hier selbst die Erklärung für die gängige Schreibung für Iwn.t mit den drei Gottheiten. Vgl. Dend. XV, 337, 5, wo die drei Namen deutlicher ausgeschrieben sind und es heißt: Wsjr @r As.t kA.tw m rn=s. 1669 Siehe die Parallelstelle in Dend. IX, 18, 11–20, 6, mit Stellenkommentar (s. o.). 1670 Vgl. hierzu die Parallelen Dend. XII, 2, 2–12; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 327, 5–9 (a). 1671 Hier beginnt die Parallele zur Königinnen-Titulatur der Isis (b)). 1672 Vgl. den Kommentar zu diesem Epitheton in der Parallele Assuan-Hymne 3, Kap. 4.2.1.A, Anm. 566. 1673 CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 198–199, liest wr.t Xkr.w „mit großen Insignien“; vgl. aber die Parallelen, wo Hts teilweise auch einkonsonantisch ausgeschrieben ist, siehe auch LGG II, 498b.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Dr.t-nTr Hm.t-nTr Hm.t nswt die Gotteshand, die Gottesgemahlin, die Gemahlin des oberägyptischen Königs, Hm.t bjtj Hm.t wr.t die Gemahlin des unterägyptischen Königs, die Große Gemahlin, nswj.t bjtj.t [(As.t wr.t mw.t-nTr) die Königin von Ober- und Unterägypten [(Isis, die Große, die Gottesmutter), nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, SAa(.t) dj(.t) r tA m nTr.wt die Erste, die zur Welt kam unter den Göttinnen. Ra-BHd.tj %mA-tA.wj (Hr) wbn m ixxw Dr irj.tw=s Re-Behedeti-Somtus ging auf in der Dämmerung, nachdem sie geboren wurde hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, Hb aA n tA Dr=f dem großen Fest des ganzen Landes,1674 psD=f n Hm.t=s Dr bX.n=s sA=s er erglänzte für ihre Majestät, nachdem sie ihren Sohn geboren hat1675 m xy nfr xnt Ax-bj.t1676 als vollkommenes Kind an der Spitze von Chemmis. ijj n=s nTr.wt (Hr) nD1677 anx-wAs Die Göttinnen kamen zu ihr und spendeten ihr Milch, r sHtp ib=s m Abj=s um ihr Herz zufriedenzustellen mit dem, was sie wünschte. nts pw nb(.t) itr.tj BAq.t Sie ist die Herrin der Beiden Heiligtümer Ägyptens Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr zusammen mit ihrem Sohn Horus und mit ihrem Bruder Osiris. Hsj=s nswt bjtj… Möge sie loben den König…(Nero)… Kommentar: Die Fries-Inschrift der linken Innenseite des Pronaos ist aus mehreren, bereits aus anderen Inschriften bekannten Teilen zusammengesetzt: 1. dem Geburtsbericht mit der Namensgebung (a)) 2. der Verleihung einer ausführlichen Königinnentitulatur durch Thoth (b)) 3. der Beschreibung des Sonnenaufganges nach ihrer Geburt, deren Beginn in ähnlicher Weise häufiger vorkommt. Dieser wird hier aber ungewöhnlicherweise fortgesetzt durch 1674 Vgl. z. B. Dend. XII, 3, 4–9. 1675 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, bricht ihre Übersetzung hinter bX.n=s ab und übersetzt wohl aus Gewohnheit: „nachdem sie geboren wurde“, obwohl kein Passiv vorliegt und der Satz eindeutig anders weitergeht; so auch EAD., Dend. XIV Traduction, S. 198–199, wo sie den folgenden Teil als eigenständigen Satz abtrennt: „Ihr Sohn ist das vollkommene Kind…“. 1676 CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 198–199, liest fälschlich WAD.t und übersetzt dies mit „Buto“. 1677 Vielleicht steht auch für , so daß es hieße X(r) anx-wAs „mit Milch, Milch tragend“.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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eine parallele Aussage über die Geburt von Horus in Chemmis, was ein wenig fehl am Platze erscheint,1678 zumal danach wieder vom Säugen der Isis durch die Göttinnen die Rede ist. Eine ähnliche Verbindung wird jedoch auch in der Friesinschrift der südlichen Außenwand des Naos gezogen:1679 „Er handelt für sie ebenso, als sie ihren Sohn gebiert…“ Außerdem wird dort auch noch auf die Bestattung des Osiris verwiesen. Im obigen Text hingegen wird die Einheit der osirianischen Familie und ihre Herrschaft über Ägypten wieder in dem Schlußsatz vor dem Gebet ausgedrückt.1680 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen Inhalt der Szene

Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Taf. 168 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), Corniche der Südwand, linke (westliche) Seite, 1. Szene CAUVILLE, Dend. XIV Traduction, S. 278–281; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 280; STADLER, Isishymnus (zu den Parallelen; dieser Text wird von ihm nicht erwähnt) Assuan-Hymne 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14 Pharao (nur pr-aA in der Kartusche) preist Isis.

Text: – Titel (210, 11): iAw n Hr=T1681 As.t wr.t mw.t-nTr Lobpreis für dich, Isis, die Große, die Gottesmutter – Beischrift der Isis (210, 13–14): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert, ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter. – Hymne an Isis (211, 1–5): Kol. 5: nD Hr=T As.t nD Hr(=T) %pd.t bA n As.t Sei gegrüßt, Isis, sei gegrüßt, Sothis, der Ba von Isis, nb.t p.t Hnw.t bA.w anx.w die Herrin des Himmels, die Gebieterin der lebenden Bas Kol. 6: n nTr.w psD(.t) m Hrj.t xt sn=s Wsjr der Götter (Sterne), die am Himmel erglänzt hinter ihrem Bruder Osiris, Sm=s Hr nmt.t=f sxr(.t) indem sie auf seiner Bahn geht,1682 die 1678 1679 1680 1681

Daher wohl auch CAUVILLEs Irrtum, siehe Anm. 1675. Dend. XII, 3, 4–9; Taf. 14–16, siehe oben. Siehe dazu oben, zu Dend. XIV, 45, 6–46, 2. Es müßte eigentlich nur iAw n=T heißen, offenbar liegt eine Verwechslung mit der anderen Einleitungsformel nD Hr=T vor. 1682 Vgl. hierzu die Texte Dend. IX, 18, 11–20, 6 und Assuan-Hymne 5, die sinngemäß ähnliche Passagen enthalten.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 7: sbj{.w} pfj Hr=f Hna smAy.w=f jenen Feind vor ihm niederwirft, zusammen mit seinen Genossen, Ax.tj m p.t xr Ra m rn=T pfj n die du glänzend bist im Himmel bei Re in jenem deinem Namen Kol. 8: Ax.t wsr.t(j)1683 m tA m rn=T pfj n wsr.t ‚Glänzende‘, die du mächtig bist auf Erden in jenem deinem Namen ‚Mächtige‘, Tnj.tj m dwA.t xr Wsjr die du erhaben bist in der Unterwelt bei Osiris. Kommentar: Passend zur Position der Szene im obersten Wandbereich preist die kurze Hymne Isis in ihrem astralen Aspekt der Sothis, die als ihr Ba bezeichnet wird. Sie folgt ihrem Bruder Osiris-Orion über den Himmel1684 und bekämpft seine Feinde, Seth mit seinem Gefolge, womit die Konstellation des „Stierschenkels“ (msxtjw, Großer Wagen) gemeint sein könnte, die üblicherweise den Gegenspieler des Osiris-Orion am Himmel darstellt, vor dem er geschützt werden muß.1685 Isis’ Stellung in den drei Bereichen Himmel, Erde und Unterwelt wird in der zweiten Hälfte des Textes mithilfe der Namensformel beschrieben. Es wirkt allerdings, als hätte der Platz nicht mehr gereicht, um die letzte Formel zu Ende zu bringen, die in der Parallele in Assuan (Assuan-Hymne 5) länger ausgeführt ist.1686 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Dend. XV, 25, 7–26, 14 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), Decke, östlicher Deckenarchitrav III, Textband CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–37; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 551–552; LEITZ, Sternbilder, S. 288 (Kol. 1); STADLER, Isishymnus a) Assuan-Hymne 5; Dend. XIV, 210, 11–211, 5

Text: Kol. 1:

nD Hr=T %pd.t nD Hr=T As.t nb(.t) p.t Sei gegrüßt, Sothis, sei gegrüßt, Isis, Herrin des Himmels, Hnw.t bA.w anx.w n.j.w nTr.w Gebieterin der lebenden Bas der Götter (= Dekane), psD(.t) m Hrj.t m-xt sn=s Wsjr die am Himmel erglänzt im Gefolge ihres Bruders Osiris, Sm=s Hr nmt.t=f ra nb indem sie auf seiner Bahn geht, jeden Tag,1687

1683 Genauso geschrieben wie das substantivierte Epitheton am Schluß: . 1684 Vgl. oben, zum Text Dend. IX, 18, 11–20, 6; vgl. auch die Szene Dend. Isis, 151, 13–152, 8. 1685 Ausführlich dazu VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 24–29; vgl. auch A. PIANKOFF, Le livre du jour et de la nuit, BdÉ 13, Kairo 1942, S. 23–24. 1686 Dort auch etwas abweichend: &s.t\.t(?) m dwA.t [xr] Wsjr (?) m rn=T n As.t. 1687 Vgl. ähnliche Passagen in den Texten Assuan-Hymne 5; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XIV, 210, 11–211, 5.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

Kol. 2:

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Hr sHr(.t) sbj.w=f Hna smAy.w=f1688 beim Vertreiben seiner Feinde zusammen mit seinen Genossen (= des Seth), Hr xsf aApp m Ax.w tp-rA=s beim Abwehren des Apophis mit den Zaubern ihres Spruches,1689 Ax.t m p.t xr Ra m rn=T1690 pj n Ax.t die Glänzende/Wirkmächtige im Himmel bei Re in jenem deinem Namen ‚Glänzende/Wirkmächtige‘, wsr.t m tA xr Gbb m rn=T pfj n Wsr.t die Mächtige auf der Erde bei Geb in jenem deinem Namen ‚Mächtige‘,1691 Tnj.t m dwA.t xr Wsjr m rn=T pfj n *nn.t1692 die Erhabene in der Unterwelt bei Osiris in jenem deinem Namen ‚Erhabene‘ (Tjenenet), stj(.t) Hapj baHj=T1693 tA.wj m rn=T pfj n %pd.t/%Tj.t die den Nil ausgießt, wenn du die Beiden Länder überschwemmst, in jenem deinem Namen ‚Sothis/Satet‘, inq.t1694 sjwr(.t) sx.t1695 m rn=T pfj n anq.t die Flutende, die das Feld fruchtbar macht, in jenem deinem Namen ‚Anuket‘, sxpr(.t) wnn.t nb(.t) sanx(.t)1696 Hr nb im m rn=T pj n anx.t1697 die alles Existierende entstehen läßt und jedermann damit belebt in jenem deinem Namen ‚die Lebendige‘, sqdj=T m-xt %AH1698 wbn=T Hr iAbt.t n.j.t p.t du ziehst dahin im Gefolge des Orion, du gehst auf im Osten des Himmels, Htp=T m anx Hr imnt.t1699 du ruhst lebendig im Westen. nHm=T (sic!)1700 Mögest du bewahren… xaj wr.t m xnt Ax.t Die Große erscheint an der Spitze des Horizontes,

1688 Vgl. die Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5: sxr(.t) xftj{.w} pfj Hr=f Hna smAwtj.w=f. 1689 Diese Phrase fehlt in der Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5. Vgl aber dazu z. B. auch PhilaeHymne 8. 1690 In diesem Text wird rn=T mehrfach mit geschrieben, was wohl symbolisch als gleichwertig mit Kartuschen, die den Namen Isis enthalten, anzusehen ist. 1691 In der Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5 abgekürzt zu: wsr.t(j) m tA m rn=T pfj n wsr.t. 1692 In der Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5 fehlt das Ende: Tnj.tj m dwA.t xr Wsjr. 1693 Die Parallele Assuan-Hymne 5 weicht hier etwas ab: baHj.n=f tA.wj „wenn/damit er die Beiden Länder überschwemmt“. Die Parallele Dend. XIV, 210, 11–211, 5 endet bereits mit der vorigen Formel. 1694 Oder inq=T? 1695 Assuan-Hymne 5: inq=T-s(w) r sjwr sx.t. 1696 CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–35, trennt falsch ab nb(.t)=s anx… und hat somit Probleme mit der Übersetzung, bei der sie Ergänzungen vornehmen muß. 1697 Leicht abweichend in Assuan-Hymne 5: dj(.t) xpr wnn.t nb(.t) m tA anx=sn im=T m rn=T pfj n anx.t. 1698 Assuan-Hymne 5: sqdj=T m tA xr %AH. 1699 Assuan-Hymne 5: sHtp=T m anx Hr imnt.t ra nb. 1700 In Assuan-Hymne 5 folgt hierauf wie in vielen Abschlußgebeten die Titulatur des Königs, die hier am Ende der Kolumne jedoch fehlt. CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–35, liest stattdessen imnt.t n Hm.t „Westen des (Himmels-)Bauches“, was mich angesichts der Parallele jedoch nicht überzeugt.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wbn=s Hr wp.t n it=s sie erglänzt am Scheitel ihres Vaters, nmt=T m s.t-ib=T pHrr=T iw/r nTr.w du schreitest an deinem Lieblingsort, indem du zu den Göttern läufst, wbn1701 Dd.tj.t m aH.t kA=T m xt(=T/s?) die Dauernde erglänzt im Palast, dein Ka ist hinter (dir/ihm?), @w %jA m Sms=T Hu und Sia sind in deinem Gefolge,1702 wp.n=T ©Hwtj wA.wt sxn.tw=Tn Ra m a.wj=f Thoth öffnet die Wege für dich, Re umarmt dich mit seinen beiden Armen, iw=T sxntj m aH.t Sps.t wenn du stromauf fährst/fahren läßt aus dem Palast der Edlen, xa=T m xnt Ax.t du erscheinst an der Spitze des Horizontes, tw=T nb(.t)-Dr imn(.t) sStA denn du bist die Allherrin, mit verborgenem Abbild, xsr(.t) Dw Hr nb kAr die das Böse vertreibt vom Herrn des Schreines,1703 wTs.t sxm.tj1704 m pr-wr die die Doppelkrone trägt im pr-wr-Heiligtum, sHD(.t) fAw.t(?)1705 m wbn.t1706 die den Götterschrein(?) als Aufgehende erhellt, iw nfrw=T xr Ra deine Vollkommenheit ist bei Re, psD=T anx rxj.t du leuchtest, so daß die Rechit-Menschen leben, iw Ax.t m wAD s.t r Hb=T (?)1707 nj.t Dt der Horizont (= Tempel) ist gedeihend, der Ort für dein Fest (?) der Ewigkeit.1708

1701 CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–35, liest das Zeichen nb und zieht es zum vorigen Ausdruck: „zu allen Göttern“. Entsprechend übersetzt sie die folgende Form nicht als Substantiv, sondern „du bist dauerhaft…“. 1702 Vgl. zur Übersetzung CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–35. 1703 Als Bezeichnung des Osiris belegt, vgl. LGG III, 764b–c. 1704 CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–35, liest Ts xa.w m pr-wr, ignoriert dabei aber . Vgl. zu obiger Lesung auch LGG II, 615c, mit weiteren Belegen. 1705 In LGG VI, 491b, trotz Hausdeterminativ und abweichender Schreibung unter sHD.t Atfj m wbn.t „die den mit der Atefkrone als Aufgehende erhellt“ aufgenommen. 1706 CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 34–35, versteht m. E. die Form falsch als m wbn=T und übersetzt „…wenn du leuchtest“. Das Determinativ steht jedoch erst hinter , was darauf hindeutet, daß es sich hier um ein Substantiv handeln dürfte. 1707 Oder Hb nb.t nj.t D.t „das Fest der Herrin der Ewigkeit?“ Die Schreibung ist nicht eindeutig; entweder ist das Hb-Zeichen nicht ausgefüllt, oder ein Determinativ für Hb fehlt. 1708 Zum „Fest der Ewigkeit“, das in Behbeit el-Hagar und Dendara mit der Wiederbelebung des Osiris verbunden ist, siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 280.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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wr.t n pAw.tj tpj xwj=T @r [(Pr-aA) Große des ersten Urzeitlichen, mögest du Horus [(Pharao) schützen, ntf Ra prj.n=T im=f denn er ist Re, aus dem du hervorgekommen bist.1709 Kommentar: Der Text von Kol. 1 bildet mit nur wenigen Abweichungen eine direkte und vollständige Parallele zu dem ersten in Assuan-Hymne 5 verarbeiteten Hymnus, der sich eindeutig vorrangig auf Isis’ Gleichsetzung mit Sothis, ihren Aufgang und die dadurch hervorgerufene Nilüberschwemmung bezieht. An der Decke des Pronaos von Dendara wird die Zugehörigkeit des Textes zur himmlischen Sphäre noch deutlicher durch den Zusammenhang mit der Deckendekoration durch die Tierkreise: Er befindet sich direkt oberhalb des Zodiakalbandes des rechteckigen Zodiaks.1710 Diesen inhaltlichen Schwerpunkt bestätigen die folgenden Kolumnen: Kol. 2 beschreibt den Weg der leuchtenden Gestirnsgöttin über den Himmel und ihre erhellende und belebende Wirkung für Tempel, Welt und Menschen. Auch ihr Zusammenspiel mit anderen Göttern am Himmel, allen voran Re, wird erwähnt. Die hier nicht übersetzte 3. Kolumne thematisiert das Erscheinen von Horus Behedeti als Sonnenscheibe und sein Eintreten in den Tempel.1711 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. XV, 210, 5–13; Taf. 80 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), westliches Seitentor, Innenseite, nördliche Türlaibung CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 262–263; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 417; EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 369

Text: (stark zerstört, nur jeweils die untere Hälfte der Kolumnen erhalten): Kol. 1: [… … …] m X.t xnt &A-n-Itm […] aus dem Leib an der Spitze von ‚Land des Atum‘ (Dendara) hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest, Hb wr n tA Dr=f n mjt.t=f m xtmn das große Fest des ganzen Landes, dessengleichen es nicht gibt auf der Welt, Kol. 2: [… … …] Tnj-s(j) ^Ay Hr msxn.tj […] Schai hat sie (schon) auf den Geburtsziegeln erhoben, mw.t-nTr n bjk n nbw (nämlich) die Gottesmutter des Falken des Goldes, Hm.t nswt tpj.t n [(Wn-nfr mAa-xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme),

1709 Die Schlußbitte der 2. Kolumne bestätigt die Annahme, daß eine solche auch am Ende der 1. vorgesehen war, vgl. oben, Anm. 1700. 1710 Vgl. LEITZ, Sternbilder, S. 288. 1711 Vgl. die Übersetzung von CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 36–37.

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340 Kol. 3:

Kol. 4:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

[… … …] wA.t nj.t sn=s Sm=s Hr nmt.t=f ra nb [… auf dem] Weg ihres Bruders, sie geht auf seiner Bahn, jeden Tag,1712 nb(.t)1713 tp-rnp.t Hnw.t bA.w anx.w die Herrin des Jahresanfangs, die Gebieterin der lebenden Bas (Sterne), xAtj.w SmAy.w der Schlächter- und Wanderdämonen,1714 [… … …] nTr.wt gs.w-pr.w mn Xr sSm=s […] der Göttinnen, die Tempel sind dauerhaft unter ihrem Abbild, Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr zusammen mit (dem von) ihrem Sohn Horus und ihrem Bruder Osiris, Dr nHH km D.t von der Ewigkeit bis zur Unendlichkeit.

Kommentar: Obwohl der Text stark zerstört ist, läßt sich anhand der aus zahlreichen Texten bekannten Formulierungen gut erkennen, daß es am Anfang um Isis’ Geburt geht, später dann um ihren Sothis-Aspekt. Am Ende steht wieder die Präsenz der osirianischen Familie in den Tempeln Ägyptens.1715 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Dend. XV, 269, 4–270, 5 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), Westaußenwand, Soubassement-Inschrift CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 340–343; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 225; EAD., Inscriptions dédicatoires, S. 88–94; EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 369–370 (nur teilweise); LEITZ, Nacht des Kindes, S. 147, (47)

Text: – Text Isisgeburt (269, 4–6): @r.t Ra.t Sps.t1716 irj(.t) m Nw.t Der weibliche Horus, die Sonnengöttin, die Edle, die geboren wurde aus Nut, nbw.t1717 ir.t Ra papa(.t) n/m Pr-nbw.t die Goldene, das Auge des Re, die entbunden wurde im ‚Haus der Goldenen‘ (= Dendara),

1712 Vgl. oben, Dend. XIV, 210, 11–211, 5. 1713 Von CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 262–263, ausgelassen, die daher übersetzt: „an jedem Tag zum Jahresanfang“. 1714 Vgl. zu den „Wanderdämonen“ den Text Philä III, Nr. 143, m. Anm. 391. 1715 Siehe dazu oben, zu Dend. XIV, 45, 6–46, 2, u. a. 1716 Oder wr.t, so von CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 340–341, aufgefaßt. 1717 Vgl. CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 340–341; und EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 369– 370; in Inscriptions dédicatoires, S. 88, liest sie das Zeichen noch nb.t p.t, ebenso wie LEITZ, Nacht des Kindes, S. 147, (47). Vgl. die kurz darauf folgende Nennung des „Hauses der Goldenen“, die obigen Übersetzungsvorschlag plausibler macht.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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nb.tj rxj.t @w.t-@r xnt Iwn.t die Beiden Herrinnen (= Königin) der Menschen, Hathor an der Spitze von Dendara, sA.t Ra tpj.t n Gbb die Tochter des Re, die Erst(geboren)e des Geb, s.t nfr.t SAa(.t) dj(.t) iw/r tA die vollkommene Frau, die als Erste zur Welt gebracht wurde, Tnj-s(j) ^Ay Hrj-tp msxn.tj Schai hat sie (schon) auf den Geburtsziegeln erhoben, wbn n=s Ra BHD.tj %mA-tA.wj m ixxw Re-Behedeti-Somtus ist für sie aufgegangen in der Dämmerung, Dr irj.tw=s hrw grH nxn m sS=f nachdem sie geboren wurde am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest. Kommentar: Der Rest der Bandeau-Inschrift preist den Tempelbau und weist ihn seinem Pantheon zu.1718 Der obige Anfang beschreibt eindeutig die Geburt der Isis mit bekannten Aussagen, doch namentlich ist Hathor genannt, die Goldene, die Tochter des Re, und nicht Isis. Damit wird letztere hier als ein Aspekt der Hauptgöttin aufgefaßt. Der komplementäre Text der Ostseite beginnt entsprechend mit der Entstehung von Hathor aus den Augen des Re.1719 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

Dend. XV, 337, 10–14 Dendara, Haupttempel, Pronaos (G‘), Südwest-Außenwand, Friesinschrift CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 432–433; EAD., Dend. Pronaos Analyse, S. 226; EAD., Dend. Temple d’Isis Analyse, S. 272; 371 (nur teilweise); LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, (60) (nur teilweise); BUDDE, Götterkind, S. 138, Anm. 688 (nur teilweise) Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. Isis, 78, 4– 8; 327, 17–328, 2

Text: War.t-xpr-XA.t pw kA=t(w) r spA.t tn IA.t-dj xr=tw r=f War.t-xpr-XA.t ist, was man sagt zu diesem Gau, Iat-di nennt man es, s.t msxn.t n As.t pr msw.t pw n Nw.t Geburtsstätte der Isis, das Geburtshaus der Nut ist es: dj.tw mw.t-nTr r tA m s.t tn die Gottesmutter wurde zur Welt gebracht an diesem Platz, hrw grH nxn m sS=f am Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest,

1718 Vgl. Dend. XV, S. XV–XVI. 1719 Dend. XV, 215, 4–216, 9; S. XV–XVI.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

m s.t km.t 1720 Xnm(.t) anx als schwarzrote Frau, die mit Leben erfüllt ist, nb(.t) mrw.t Hnw.t nTr.w nTr.wt die Herrin der Liebe/Beliebtheit, die Gebieterin aller Götter und Göttinnen. Dd.jn mw.t=s r=s m-xt mAA=s Da sprach ihre Mutter über sie, nachdem sie sie erblickte: is nwj r(=i) mw.t „Siehe, ich bin wirklich deine Mutter! (?)“.1721 xpr rn=s pw n As.t Das ist, wie ihr Name Isis entstanden ist. Tnj-sj ^Ay Hr msxn.t Schai hat sie (schon) auf dem Geburtsziegel erhoben. nts pw nb(.t) gs.w-pr.w BAq.t Sie ist die Herrin der Kultstätten Ägyptens, Hna sA=s @r Hna sn=s Wsjr zusammen mit ihrem Sohn Horus und mit ihrem Bruder Osiris, {m} Dr hrw pn nHH r km D.t von diesem Tag an bis in Ewigkeit und Unendlichkeit. Kommentar: Diese Friesinschrift auf dem kurzen Wandabschnitt auf der Rückseite des Pronaos, der in der Breite über den dahinter anschließenden Naos hinausragt, nennt die Namen des Gaues War.t-xpr-XA.t1722 und Iat-di, um sich dann ausführlicher über die Bedeutung des Gaues als Geburtsort der Isis zu äußern. Dafür wird wieder der von mehreren Stellen in Dendara bekannte Geburtsbericht zugrundegelegt. Die auch hier im Schlußsatz enthaltene Betonung der Herrschaft der osirianischen Triade in den Tempeln Ägyptens findet ihren Widerhall in der Soubassement-Inschrift, wo der Name Dendaras, Iwn.t und dessen häufige Schreibung erläutert wird: Wsjr @r As.t kA.tw m rn=s „‚Osiris, Horus, Isis‘ sagt man als sein Name“. 1723 4.6.3 Dendara: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums Zur Geschichte des Kultes der Isis-Hathor in Dendara Das Heiligtum von Dendara blickt auf eine lange Geschichte zurück, deren früheste erhaltene Bauten bis auf Mentuhotep II. zurückgehen.1724 Der letzte inschriftlich bezeugte Herr1720 Geschrieben ist nur , weswegen CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 432–433, km.t Snj „mit schwarzem Haar“ übersetzt. Vgl. jedoch die zahlreichen Parallelen zu diesem Ausdruck in den Dendara-Texten. Zur Diskussion siehe unten, 4.6.3. 1721 Vgl. zu dieser Stelle die Parallelen, bes. Dend. Isis, 78, 4–8, mit Kommentar. 1722 Zu diesem Namen für Dendara, vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 190–191. 1723 Vgl. auch den Text Dend. XIV, 146, 3–14 (s. o.); und LEITZ, Nacht des Kindes, S. 152, Anm. 98; Dend. XV, S. XVI. 1724 Vgl. G. DARESSY, Chapelle de Mentouhotep III à Dendérah, in: ASAE 17, 1917–1918, S. 226–236; D. O’CONNOR, The Dendereh Chapel of Nebhepetre Mentuhotep: A New Perspective, in: A. Leahy/J. Tait (Hrsg.), Studies on Ancient Egypt in Honour of H. S. Smith, London 1999, S. 215–

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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scher ist Kaiser Trajan.1725 Üblicherweise als Kultort der Hathor bezeichnet, ist der große Tempel aus der späten Ptolemäer- und frühen Kaiserzeit tatsächlich Hathor und Isis gewidmet, die sich häufig auf den miteinander korrespondierenden Wänden gegenüber stehen und als zwei Ausprägungen einer Göttin (Isis-Hathor) zu verstehen sein können, zumal sie häufig gleiche Epitheta tragen bzw. diese voneinander übernehmen.1726 Die Darstellungen und Inschriften sind insgesamt relativ gleichmäßig auf beide aufgeteilt, wobei Isis üblicherweise die linke Seite des Tempels einnimmt.1727 Auch in den zahlreichen Stadt- und Tempelnamen Dendaras spiegelt sich die Zuordnung an beide Göttinnen wider: zum Beispiel wird das Heiligtum als „Stätte der Gottesmutter (= Isis)“ bzw. „Stätte der Königsgemahlin (= Isis)“ bezeichnet.1728 Die Bedeutung der Isis wird zusätzlich aber noch durch ihren unter Augustus errichteten kleinen Geburtstempel unterstrichen, der sich im NW hinter dem Haupttempel befindet, wie die Inschrift in der Archivkrypta (Dend. VI, 155, 15–159, 2) auch explizit angibt. Diesem ist außerdem noch ein zusätzliches Tor, das „Isistor“, zugeordnet, das von Osten zum Isistempel führt und unter Augustus bis Nero dekoriert wurde.1729 Der kleine, nur aus einem Sanktuar, zwei schmalen Nebenkapellen (pr-wr, pr-nw und pr-nsr) und einem Vorraum bestehende Kultbau, der die gleiche Orientierung wie der Hathortempel aufweist, ersetzt an dieser Stelle ein von Nektanebos erbautes Mammisi für Harsiese, das allerdings anders als der spätere Isistempel eine Ost-West-Achse besaß, also quergelagert zum Haupttempel war.1730 Interessanterweise ist in die Ostwand des Geburtstempels der Göttin eine Scheintür eingelassen, die möglicherweise eine Verbindung zur alten Ost-West-Achse herstellen soll. 1731 Die beiden Achsen stehen allerdings nicht ganz rechtwinklig zueinander, was CAUVILLE auf die Ausrichtung des Tempels nach dem Azimut des Siriusaufganges in älterer Zeit zurückführt: Nach astronomischen Berechnungen ergibt sich die Zeit Ramses’ II.,

1725 1726

1727 1728 1729 1730

1731

220; MAROCHETTI, Chapel of Nebhepetra, S. 23–26. Zu wiederverwendeten Blöcken des MR und NR im Isistempel siehe CAUVILLE ET AL., Temple d’Isis, S. 35; CAUVILLE, Dend. Isis, S. XVIII; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 3. Der Kult der Hathor von Dendara ist sogar bereits in der 4. Dyn. belegt, vgl. MAROCHETTI, op. cit., S. 23. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis, S. XIV. Siehe zu Hathor und Isis als Hauptgöttinnen von Dendara ELDAMATY, Isis-Hathor; PREYS, Isis et Hathor; vgl. auch ALLIOT, Culte d‘Horus, S. 224, Anm. 3. Zur Identität der beiden Göttinnen z. B. Dend. Isis, 222, 14: [(As.t wr.t mw.t-nTr) nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t @w.t-@r pw ir.t [Ra] „[(Isis, die Große, die Gottesmutter), die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert; es ist Hathor, das Auge [des Re]“, vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 179. Eine Ausnahme bildet die speziell der Isis und ihrer Geburt gewidmete Kapelle s.t msxn.t, in welcher sie entsprechend die rechte Seite einnimmt. Vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 67 u. 81–87; siehe auch ELDAMATY, IsisHathor, S. 84. Kap. 4.6.1.B. Vgl. zur Datierung der Dekoration CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. XI. Das Mammisi wurde wohl unter Ptolemaios VI. und X. weiter ausgebaut, vgl. VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 232; KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 60, Anm. 160; CAUVILLE ET AL., Temple d’Isis, S. 32–38; CAUVILLE, Dend. Isis, S. XVII. Aus der Bauphase unter Nektanebos wurde ein wiederverbauter Block mit einer typischen Mammisi-Szene gefunden, siehe CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 269. Vgl. VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 232; DAUMAS, Mammisis, S. 32; CAUVILLE, Dend. Isis, S. XXIII; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 3; vgl. den Grundriß mit den eingezeichneten Achsen, Dend. Isis, Taf. 5.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

von dem tatsächlich auch wiederverbaute Blöcke gefunden worden sind. 1732 Die neue Achse ist hingegen am heliakischen Frühaufgang des 16. Juli 54 v. Chr. ausgerichtet.1733 Fertiggestellt und dekoriert wurde der Tempel inklusive Umfassungsmauer jedoch erst unter Augustus, um 10 v. Chr., wobei der Stratege und Priester Ptolemaios, Sohn des Pana, für die Arbeiten zuständig war. 1734 Die Einweihung des Tores zum Isisbezirk erfolgte schließlich im Jahr 1 n. Chr. unter dem Strategen Tryphon.1735 Die Geburt der Isis in Dendara steht im Zentrum der Theologie an diesem Ort. Deren Kommemoration und jährlichen Feier am „Tag des Kindes in seinem Nest“ ist außer dem separaten Isistempel auch bereits im Haupttempel eine Kapelle (s.t msxn.t) mit zugeordneter Krypta (Westkrypta 1, Kammer D) gewidmet, wo sich eine Kumulation ähnlicher Texte und Dekorationselemente wie in dem etwas später errichteten kleinen Tempel findet.1736 Der Bereich des Isistempels, aber auch der ganze Heiligtumsbezirk sowie die Stadt Dendara als Ganzes können mit dem Toponym IA.t-dj „Hügel/Stätte des Gebens (= Stätte des ZurWelt-Bringens)“ bezeichnet werden, das sich ebenfalls auf die Geburt der Göttin bezieht.1737 Bereits der ägyptische Ortsname Iwn.t deutet an, daß Dendara in enger Beziehung zu dem alten unterägyptischen religiösen Zentrum Heliopolis – Iwnw – steht, was sich auch in der Theologie des Ortes deutlich abzeichnet. So heißt es in Edfu I, 39, 8, über Hathor(-Isis): „der Dendara als Ersatz für Heliopolis gegeben wird“.1738 Das zentrale Götterpaar des Tempels, Hathor und Horus von Edfu, wird durch das bedeutendste Götterpaar der heliopolitanischen Neunheit, Isis und Osiris, komplementiert. Zusammen bilden sie die Hauptgötter Dendaras.1739 Tatsächlich können die hintereinander gestellten Götterhieroglyphen für Osiris, Horus/Harsiese und Isis sogar als Schreibung für den Namen von Dendara (Iwn.t) benutzt werden.1740 Titel und Charakter der Isis von Dendara Die Haupttitelreihe der Isis in Dendara lautet As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) IA.t-dj Hrj-ib Iwn.t „Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Iat-di, die in Dendara residiert“, oftmals

1732 CAUVILLE ET AL., Temple d’Isis, S. 41; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 3; zu den ramessidischen Blöcken vgl. auch oben, Anm. 683. 1733 CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 277. 1734 Zu ihm, vgl. unten, Kap. 6.2.8. 1735 Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis, S. XVI. 1736 In ihrer Analyse des Isistempels stellt CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, jeweils die entsprechenden Inschriften und Szenen im Haupttempel gegenüber. 1737 Z. B. deutlich lokalisiert in Text Dend. VI, 155, 15–159, 2. Siehe dazu KOCKELMANN, Toponymenund Kultnamenlisten, S. 60–61. Das Niveau des Isistempels liegt höher als das des Isis-Bezirks selbst, so daß tatsächlich der Eindruck eines „Hügels“ (iA.t) entsteht, vgl. CAUVILLE ET AL., Temple d’Isis, S. 42; CAUVILLE, Dend. Isis, S. XXII. 1738 rdj n=s Iwn.t r sbj.tw Iwnw. Vgl. auch die Parallele in OSING, Hieratische Papyri I, Papyrus I (pTebt. H I), X 3, 4, siehe unten, Kap. 4.13.1.1. 1739 Vgl. z. B. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 1. 1740 So z. B. im Text Dend. XV, 337, 10–14, siehe dort. Vgl. zu dieser Schreibung auch ELDAMATY, IsisHathor, S. 84.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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noch erweitert durch die auch von Hathor getragene Epithetafolge ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) „das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter“.1741 Zentrales Thema der lokalen Isis-Theologie ist die Geburt der Göttin in Dendara, das in diesem Zusammenhang IA.t-dj „Hügel/heilige Stätte des (zur Welt) Gebens“ genannt wird (siehe auch oben). Auch Texte anderer Tempel rekurrieren auf diese Tradition und betrachten Dendara als Geburtsort der Isis(-Hathor). Die frühesten Erwähnungen stammen aus der Zeit von Ptolemaios IV. und finden sich vor allem im Horus-Tempel von Edfu; deren älteste ist aber in Karnak erhalten, wo es über sie heißt: As.t wr.t mw.t-nTr @w.t-@r wr.t nb.t Iwn.t irj.t m Ikr „Isis, die Große, die Gottesmutter, Hathor, die Große, die Herrin von Dendara, die im Tentyrites geboren (‚gemacht‘) wurde“.1742 Mittig an der Sanktuarrückwand des Isistempels befindet sich, umgeben von einigen typischen Szenen des göttlichen Geburtszyklus, die vereinzelt bereits seit dem Alten Reich belegt sind und später üblicherweise auch in den Mammisis für Kindgötter angebracht wurden,1743 eine ungewöhnliche halbrundplastische Darstellung der Geburt der Göttin durch Nut, die allerdings heute teilweise zerstört ist.1744 Zu erkennen ist noch die frontal dargestellte, schemenhafte Gestalt der Mutter in hockender Gebärhaltung, die seitlich von Himmelskühen als Geburtshelferinnen gestützt wird. Unterhalb von Nut sind die Reste einer frontal stehenden, in die Wand eingetieften Statuette der Isis, die offenbar bereits als erwachsene Frau gezeigt wird,1745 sichtbar. Einen vollständigen Eindruck vermittelt jedoch ein ebenfalls in Dendara gefundenes Model aus Kalkstein, das (mit kleinen Abweichungen) dieselbe Szene zeigt.1746 Die Darstellung der neugeborenen Göttin nicht als Säugling, sondern gleich als erwachsene Frau entspricht den Aussagen der zahlreichen Texte über die Isisgeburt,1747 wo es heißt: irj.tw=s Hr tA m &A-rr m s.t km.t dSr(.t) nfr(.t) Hr sHb(.t) mnD.tj 1741 Vgl. dazu auch BUDDE, Götterkind, S. 272, Anm. 1460. 1742 Propylône, Nr. 13b, S. 241–253, bes. 251–252, Anm. (v); siehe unten, Kap. 4.7.2. Vgl. auch KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 84; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 270. 1743 Dend. Isis, 116–118, Taf. 114–115. Das Gesamtkonzept und die Theologie des Isistempels weichen jedoch stark von denjenigen der üblichen Kindgott-Geburtshäuser ab, vgl. DAUMAS, Mammisis, S. 36. Siehe für die entsprechenden Szenentypen CAUVILLE, Dend. Isis, S. XXIV; ausführlich EAD., Dend. Isis Analyse, S. 52–56; 280–282. Bekannt ist der göttliche Geburtszyklus in vollem Umfang durch die Szenen in Deir el-Bahari und Karnak aus der 18. Dynastie. Frühere Belege einzelner Szenen und Szenensequenzen datieren aber bereits in das AR und MR, siehe dazu M. MEGAHED/H. VYMAZALOVÁ, Ancient Egyptian royal circumcision from the pyramid complex of Djedkare, in: Anthropologie 49, 2011, S. 155–164; H. ALTENMÜLLER, Anubis mit der Scheibe im Mythos von der Geburt des Gottkönigs, in: SAK 42, 2013, S. 15–35: 15–16, und Taf. 6; A. OPPENHEIM, The Early Life of Pharaoh: Divine Birth and Adolescence Scenes in the Causeway of Senwostret III at Dahshur, in: M. Bárta/F. Coppens/J. Krejčkí (Hrsg.), Abusir and Saqqara in the Year 2010/11, Prag 2011, S. 171–188. 1744 Dend. Isis, Taf. 7 u. 88; DAUMAS, Temple d’Hathor, S. 89–90, Taf. 21. DAUMAS rekonstruiert einen vergoldeten Holzschrein um die zentralen Reliefs mit den Geburtsszenen herum: tatsächlich sind noch regelmäßig angebrachte Befestigungslöcher in der Wand zu sehen. Siehe zu dieser Darstellung auch CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 27; BUDDE, Götterkind, S. 138–139, Dok. 15a, mit Abb. 32. Zu rundplastischen Bildnissen innerhalb der Wanddekoration siehe B. LURSON, L’intégration des rondes-bosses des niches à la decoration des temples, in: CdÉ 78, 2003, S. 7–26. 1745 Vgl. auch VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 232. 1746 Siehe die Abbildung bei J.-F. NUNN, Medicine, S. 193; vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 278. 1747 Eine Zusammenstellung der auf die Geburt bezogenen Textpassagen findet sich bei LEITZ, Nacht des Kindes; vgl. auch CAUVILLE, Dend. Isis, S. XXIV; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 345–377, vgl. auch 243–244; 270–271; KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 84, Anm. 285.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

„die zur Welt gebracht wurde in Dendara als schwarzrote Frau, mit schönem Gesicht und festlich geschminkten Augen“ 1748 und ähnlich. Die in verschiedenen Variationen immer wiederkehrenden Angaben der Geburtstexte haben teilweise zu erheblichen Interpretationsproblemen geführt. Die größten Diskussionen sind über das Geburtsdatum der Isis einerseits, und ihre ausschließlich in griechisch-römischer Zeit in Dendara belegte Bezeichnung als s.t km.t dSr(.t) „schwarzrote(?) Frau“1749 andererseits geführt worden und sollen hier kurz resümiert werden. Die tentyritische enge Verbindung der Isisgeburt mit dem heliakischen Aufgang des Sothis-Sterns, der das neue Jahr einleitet,1750 hat für die moderne Wissenschaft ein Datierungsproblem aufgeworfen. Als Geburtsdatum der Göttin wird in Dendara „der Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest“ angegeben. Traditionell wurde der 4. Epagomenentag, also der vorletzte Tag des Jahres, als Geburtstag der Isis als Kind der Nut, angesehen; an den vorigen Tagen sollen Osiris, Seth und Nephthys geboren worden sein.1751 „Der Tag des Kindes in seinem Nest“ ist jedoch, zumindest ursprünglich, die Bezeichnung des 5. Epagomenen.1752 Der Sothisaufgang wiederum markiert den ersten Tag des neuen Jahres, und so muß die Geburt der Isis-Sothis an das Ende der Nacht des 5. Epagomenentages gesetzt werden, so die Interpretation von LEITZ.1753 Dies paßt ja auch gut zur ägyptischen Bezeichnung des Geburtstages als „Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest“. Wenn es sich um den 4. Epagomenen handeln würde, wäre nicht klar, warum die Geburt nachts stattfinden müßte. QUACK deckt die Problematik der verschiedenen Ansatzpunkte auf und zeigt, daß die Frage noch nicht endgültig geklärt werden kann, zumal die Datumsangabe in der wichtigsten Quelle, dem Festkalender von Dendara (Dend. IX, 204, 5) nicht sicher zu entziffern ist.1754 Mit SPALINGER1755 muß man wohl davon ausgehen, daß nicht zu sehr aus heutiger wissenschaftlicher Sicht auf kalendarischen Genauigkeiten beharrt werden darf, sondern eine rein theologische Verbindung verschiedener Dinge angenommen werden muß. Die Belege sprechen dafür, daß der 4. Epagomene noch immer als Geburtstag der Isis galt, und „der Tag 1748 Siehe z. B. Dend. IX, 18, 11–20, 6. 1749 Siehe LGG VI, 59b; Wb III, 407, 2. 1750 Zu Isis-Sothis in den Dendara-Texten siehe: Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (kulttopographische Litanei); 121, 1–13; 151, 13–152, 8; 228, 12–229, 8; 307, 17–308, 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 29; Nr. 23; Dend. II, 98, 2–99, 3; 201, 12–17; III, 35, 9–11; 55, 2–8; V, 103, 17–104, 8; VI, 2, 21–4, 6; VII, 140, 13–141, 2; IX, 18, 11–20, 6; 167, 11–16; XI, 60, 5–10; 61, 10–62, 3; XII, 2, 2–12; XIV, 210, 11–211, 5; XV, 25, 7–26, 14; 210, 5–13. 1751 Diese Tradition ist seit dem MR belegt, siehe dazu SPALINGER, Epagomenal Days. 1752 Siehe z. B. die Sammlung und Diskussion der Belege in Festkalendern etc. bei SPALINGER, Epagomenal Days. 1753 LEITZ, Nacht des Kindes. Dagegen und für den 4. Epagomenentag äußern sich: DAUMAS, Mammisis, S. 34; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 276; KURTH/WAITKUS, Nacht des Kindes; G. HARRISON, The Position of the Day grH nxn m sS=f ‚The night the child is in its nest‘ within the Epagomenal Period, in: GM 143, 1994, S. 77–79; und SPALINGER, Epagomenal Days, die davon ausgehen, daß sich die Bezeichnung „Tag der Nacht des Kindes in seinem Nest“ zwar ursprünglich auf den 5. Epagomenentag bezog (das Kind ist hier der Sonnengott), in der Spätzeit jedoch aufgrund der Verbindung mit dem Geburtstag der Isis der 4. Epagomenentag gemeint sein muß. 1754 J. F. QUACK, Rez. zu: Leitz, Tagewählerei, in: LingAeg 5, 1997, S. 286. Siehe zusammenfassend zur Forschungsdiskussion auch D. MENDEL, Die Monatsgöttinnen in Tempeln und im privaten Kult, Rites égyptiens 11, Brüssel 2005, S. 70–71, Anm. 148; ALTMANN, Kultfrevel, S. 177, m. Anm. 1281. 1755 SPALINGER, Epagomenal Days, S. 42–43.

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Dendara, Heiligtum von Hathor und Isis

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(der Nacht) des Kindes in seinem Nest“ zu dieser Zeit offenbar eben den 4., nicht mehr wie früher den 5. Tag, bezeichnen muß. Die Verbindung mit Sothis und dem Neujahrsbeginn wird dadurch nicht direkt beeinträchtigt, da die Daten immer noch nah genug beieinander liegen, um Isis’ Bedeutung für das Neue Jahr und die Flut herauszustellen. Bei dem Epitheton s.t km.t dSr(.t) weichen sowohl Übersetzung als auch Deutung je nach Bearbeiter sehr stark voneinander ab. DAUMAS übersetzte „schwarze und rote (bzw. rosa) Frau“ und vermutete, daß im Zusammenhang mit der kosmischen Bedeutungsebene des Tempels der Sonnenaufgang im Kontrast zum Dunkel der Nacht gemeint sein könnte.1756 Des weiteren sei Isis durch die am Morgen im Osten – der theologischen Orientierung des Tempels – aufgehende Sonne rosa gefärbt. Zudem ging er davon aus, daß die Isis-Statuette innerhalb der Geburtsszene an der Tempelrückwand ursprünglich schwarz und rosa bemalt war, hält die Farbangaben also ganz konkret für eine Beschreibung der körperlichen Erscheinung der Göttin.1757 Ähnlich der kosmischen Deutung von DAUMAS bezieht BERGMAN, allerdings im Hinblick auf die Idee von Isis als Urgöttin, die schwarze und rote Farbe auf „Urfinsternis und Schöpfungsdämmerung“.1758 ELDAMATY wiederum vermutet einen Zusammenhang der doppelten Farbangabe mit der Zweiheit der Göttin von Dendara, Isis-Hathor: Schwarz wäre demnach dem Isis-Aspekt und ihrer Verbindung zur Erde (dem schwarzen Fruchtland) zugeordnet, rot hingegen der Hathor als Himmelsgöttin.1759 CAUVILLE übersetzt das Epitheton als „Frau mit schwarzem Haar und rosiger Haut“ und liest damit die manchmal – aber nicht regelmäßig! – zu den Farbangaben geschriebenen Haar-Determinative separat als Snj und inm,1760 was m. E. jedoch nicht möglich ist, zumal die Wörter niemals konsonantisch ausgeschrieben vorkommen, was doch verwundern müßte. Sie sieht einen Zusammenhang zwischen dieser Bezeichnung und der von Herodot und Manetho überlieferten Nitokris-Legende, da es von dieser Frau heißt, daß sie eine rosige Haut besaß und außergewöhnlich schön war. 1761 Tatsächlich wird sie aber auch als „blond“ bezeichnet,1762 was kaum zur Beschreibung der Isis paßt. Auch diese Annahme CAUVILLEs ist also m. E. sehr weit hergeholt. LEITZ übersetzt schließlich s.t km.t dSr.t im Zusammenhang mit seiner oben erläuterten These zur Isisgeburt als heliakischem Sothisaufgang als „dunkelrote Frau“ und verband diese Farbangabe mit der (dunkel)rötlich erscheinenden Farbe des Siriussterns.1763 In Verbindung mit LEITZ’ These ist m. E. eine Stelle in den Pyramidentexten von Interesse: in PT 504 heißt es: „Der Himmel ist umhüllt von Wein, denn Nut hat ihre Tochter, den Morgen, gebären lassen. Was mich betrifft, ich steige auf, die dritte von Sothis (dritter Stern des dreieckigen Sternbildes Sothis?), mit reinen Sitzen, nachdem ich mich gereinigt habe in den Seen der Morgendämmerung (dwA.wt; oder: in 1756 1757 1758 1759 1760

DAUMAS, Mammisis, S. 36; ID., Temple d’Hathor, S. 90. DAUMAS, Temple d’Hathor, S. 90. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 281. ELDAMATY, Isis-Hathor, S. 83. CAUVILLE et al., Temple d’Isis, S. 42; EAD., Dend. Isis Analyse, S. 279; gefolgt von BUDDE, Götterkind, S. 138, Anm. 688. 1761 Siehe dazu C. COCHE-ZIVIE, Nitocris, Rhodopis et la troisième pyramide de Giza, in: BIFAO 72, 1972, S. 115–137. 1762 ξαντὴ  τὴν  χροιάν, Manetho, Aegyptiaca, Frg. 20 Syncellus ap. Africanus; Frg. 21 Syncellus ap. Eusebius. 1763 LEITZ, Nacht des Kindes, S. 150–154.

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den Seen der Verehrerinnen der Morgendämmerung).“1764 Der Himmel hat in der Morgendämmerung die Farbe des Weines, auch Sirius kann daher rötlich erscheinen. Die rötliche Farbe paßt gleichzeitig zu der ägyptischen Interpretation von Gestirnsaufgängen als „Geburt“, da auch die Geburt vom „Roten“, d. h. von Blut begleitet wird.1765 Wie in den Kindgötter-Mammisis ist auch das zentrale Thema der göttlichen Geburt von Isis eng mit ihrem legitimen Königtum – von Geburt an – verbunden, was damit gleichzeitig den zweiten thematischen Schwerpunkt der Isistexte von Dendara bildet. Ihr Herrschaftsaspekt äußert sich nicht nur bildlich in der Darstellung ihrer Inthronisierung bzw. Krönung (komplementär zu denjenigen der Hathor),1766 sondern wie die Beschreibung der Geburt ebenso sehr in den Hymnen und anderen langen Inschriften. Zu den darin immer wiederkehrenden typischen Elementen oder Textbausteinen gehören die Filiation und das daraus resultierende rechtmäßige Erbe, die Ergreifung der Herrschaft bereits in der Windel, die Bestimmung ihrer Königstitulatur durch Thoth sowie das Königtum über die vier Himmelsrichtungen. Die Titulatur selbst inklusive einer königlichen Kartusche um den Eigennamen und die Haupttitel der Göttin ist bereits in älteren Inschriften in Assuan und Kalabscha belegt.1767 Im Sinne einer Königstitulatur mit Horus- und Königsnamen läßt sich aber besonders Dend. II, 100, 6–11 lesen, dem ein entsprechender Text mit fünfteiligem Königsnamen des Osiris gegenübergestellt ist. Kartuschen der Isis und (ausnahmsweise) Hathor mit wechselnden Haupttiteln schmücken zudem die Säulen des Pronaos des großen Hathortempels.1768 Kartuschen und Titulatur sowie die auf der rechtmäßigen und umfassenden Herrschaft der Isis beharrenden Texte, zu denen auch ihre in Dendara mehrfach belegte kulttopographische Litanei zu zählen ist,1769 spiegeln zudem die politischen Entwicklungen im ptolemäischen Königshaus wider, welche durch die wachsende Macht der Königinnen, die mit deren zunehmender Identifizierung mit Isis Hand in Hand geht, gekennzeichnet ist.1770 Dieser Prozeß erreicht seinen Höhepunkt mit Kleopatra VII., unter deren Herrschaft der Dendara-Tempel teilweise erbaut und dekoriert wurde.

1764 Vgl. zu diesem Spruch und der Übersetzung BEAUX, Sirius étoile, S. 67. 1765 Vgl. auch die Konzeption vom Sonnenaufgang als Geburt des jungen Sonnengottes; auch hierzu finden sich einschlägige Texte, die davon sprechen, daß sich das Sonnenkind „in seinem Roten“ befindet, vgl. hierzu S. TÖPFER, The Physical Activity of Parturition in Ancient Egypt: Textual and Epigraphical Sources, in: A. Andreeva/E. Couto-Ferreira/S. Töpfer (Hrsg.), Childbirth and Women’s Healthcare Across Cultures, in: Dynamis 34, 2014, 2, S. 317–335. 1766 Dend. Isis, 218–220; 344–345; 357–358; Taf. 199; 275; 283; vgl. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 176–177; 266–268; 282–284; 291–318. 1767 Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3– 14; jeweils mit Variationen; siehe dazu auch PAYRAUDEAU, Titres des reines. Vgl. die ältesten bekannten Kartuschen (aus der Regierungszeit Ptolemaios’ II.) mit Isis’ Namen in Behbeit el-Hagar, siehe oben, Kap. 4.4.2. 1768 Dend. XIII, 83–175 (Säulen mit Schrankenwänden an der Front des Pronaos); außerdem z. B. Dend. XIII, 413–414, für Isis (Säulen im Inneren des Pronaos). Vgl. zu schmückenden Kartuschen die vorige Anmerkung. 1769 Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1. 1770 Ausführlich dazu NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 128–135.

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Theben, Karnak

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Doch auch nach der Machtübernahme des Augustus sollte diese fruchtbare Verbindung der Isis zum irdischen Herrscher nicht schwinden: Eine griechische Bauinschrift an dem zum Isistempel gehörigen Osttor (= „Isistor“) führt die geschickte Assoziation der Geburt der Göttin mit derjenigen des Kaisers dauerhaft vor Augen: Die Einweihung erfolgte an Augustus’ Geburtstag.1771

4.7

Theben, Karnak

4.7.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Eine Isishymne im Opet-Tempel Text/Hauptpublikation Opet I, 139; III, S. 76–77 Anbringungsort Karnak, Opet-Tempel, Südsaal (Raum IX), Nordwand, östlich der Tür, 2. Reg. Bibliographie KLOTZ, City of Amun, S. 131–132; KUCHAREK, Klagelieder, S. 224–225 Text: Kol. 1:

Kol. 2:

nD Hr=T wr(.t) m Ax.t Hrj.t-tp m aH StA1772 Sei gegrüßt, Große im Horizont, Uräusschlange im geheimen Palast, As.t wr(.t) mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Sps.t [wsr.t xnt] Hw.t-wtT die Edle und Mächtige an der Spitze des Hauses der Zeugung,1773 iar.t xwj(.t) tA.wj die Uräusschlange, die die Beiden Länder beschirmt, HqA.t mnx(.t) HkA die Herrscherin mit vortrefflicher Zauberkraft, shrj(.t) ib nTr.w m md.w=s die die Herzen der Götter mit ihrer Rede zufriedenstellt, Sd(.t) Hr-n-Hr{n} mnx(.t) sS die vor Bedrängnis1774 errettet, die Vortreffliche der Schrift,1775 tStS(.t) sbj.w […] die die Rebellen zerhackt, […], snj(.t)(?) p.t tA dwA.t die den Himmel, die Erde und die Unterwelt passiert

1771 I. Portes 25; CAUVILLE, Dend. Porte d’Isis, S. XI; vgl. VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 233; BUDDE, Götterkind, S. 168–172. 1772 Zu diesem Ausdruck vgl. Philae-Hymne Nektanebes und Parallelen. KLOTZ, City of Amun, S. 131, liest sbx.t StA.t „geheimes Portal“. 1773 Eine Bezeichnung des Opet-Tempels (sonst: Hw.t-wtT=f), vgl. DE WIT, Opet I, S. VII. 1774 Zur Bedeutung von Hr-n-Hr „Kampf“ oder allgemeiner „Bedrängnis, Notsituation“ siehe D. KLOTZ, Between Heaven and Earth in Deir el-Medina: Stela MMA 21.2.6, in: SAK 34, 2006, S. 269–283: 274–276, (c). 1775 Dieses Epitheton fällt hier etwas aus dem Themenkomplex der kriegerischen Uräusschlange heraus.

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Kol. 3:

Kol. 4:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

pXr(.t)1776 imj.w HAp(.t) XA.t und die umkreist, die darin sind, die den Leichnam n sn=s Wsjr pS(S.t)(?) g(A)b.tj=s Hr=f ihres Bruders Osiris verbirgt und ihre Arme über ihm ausbreitet,1777 xwj=s Ha.w=f1778 indem sie seinen Leib beschirmt, irj(.t) TAj n/m Hm.t Ax.t wr.t die das Männliche als Frau macht,1779 die große Wirkmächtige, Hnw.t m ip.t-s.wt die Gebieterin in Ipet-sut (Karnak), Ra.t n p.t n Km.t die Sonnengöttin des Himmels von Ägypten,1780 As.t m WAs.t Isis in Theben, HqA.t m Iwnw mrj(.t) PtH m anx-tA.wj die Herrscherin von Heliopolis, geliebt von Ptah in Anchtaui (Memphis).1781 nb.t antj.w snTr Herrin von Myrrhe und Weihrauch,1782 nDm.wj sTj=T r Pwn.t oh, wieviel süßer ist dein Duft als (derjenige von) Punt, nfr(.wj) mAA=T r Hsp oh, wieviel schöner dein Anblick als (derjenige) ein(es) Garten(s), THn iw/r a.t n.j.t mfkA.t glänzender als eine Kammer von Türkis!

1776 DE WIT, Opet III, S. 76, liest hier statt dessen -qAb imj.w „inmitten derer, die darin sind“. Vgl. zur obigen Lesung auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 224. 1777 Vgl. zu diesem Ausdruck oKairo CG 25218 + oDeM 1266 (Liebeslied), Z. 14: gAb.tj=i pS(S) r qnjw=s „meine beiden Arme sind ausgebreitet, sie zu umarmen“. 1778 Man beachte die dreifache Alliteration auf H, die die magische Schutzfunktion unterstützt. 1779 Vgl. zu dieser Passage bereits die bekannte Stelle in den Klageliedern sAxw IV (pMMA 35.9.21, 18, 11–12 und Parallelen): irj.n=i TAj iw=i m Hm.t „Ich handelte als Mann, obwohl ich eine Frau bin.“, und „Songs“ pBM 10188, 17, 7: s.t irj(.t) TAy n it=s „die Frau, die als Mann handelte wegen ihres Vaters.“ Siehe zu beiden Texten sowie zur Opet-Stelle KUCHAREK, Klagelieder, S. 98, 185 und besonders den ausführlichen Kommentar S. 222–226; außerdem BERGMAN, Ich bin Isis, S. 132, m. Anm. 1; MÜNSTER, Isis, S. 5–6; VINSON, Through a Woman’s Eyes, S. 319–320, m. Anm. 56; und J. F. QUACK, Ein neues demotisches Traumbuch der Ptolemäerzeit (Papyrus Gießen D 102 rekto), in S. L. Lippert/M. Schentuleit/M. A. Stadler (Hrsg.), Sapientia Felicitas: Festschrift für Günter Vittmann zum 29. Februar 2016, CENiM 14, Montpellier, S. 489–505, bes. 498. 1780 Mit diesem Ausdruck könnte Theben gemeint sein, vgl. GDG II, S. 155; KLOTZ, City of Amun, S. 131. Auch Heliopolis oder Edfu können so bezeichnet werden, doch folgt die kulttopographische Aufzählung erst nach einer weiteren Nennung von Theben selbst. 1781 Die Passage bildet eine Kurzversion der kulttopographischen Litanei (siehe Dend. Isis, 78, 16–79, 5 mit Parallelen), indem nur die drei wichtigsten religiösen Hauptstädte genannt sind. Vgl. zu dieser Passage Philae-Photo 1297: wsr.t m WAs.t aA.t m Iwnw{.t} nb(.t) wAD.tj m anx-tA.wj. In sehr ähnlicher Weise wird auch Osiris im Opet-Tempel die Herrschaft über diese wichtigen Kultzentren zugeschrieben: nb m WAs.t ity m Iwnw HqA m Inb-HD (Opet I, 54), siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 148. 1782 Vgl. zu dieser Thematik z. B. Philae-Hymne 3.

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Theben, Karnak

Kol. 5:

Kol. 6:

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Hwnw.t ij.tj m Htp Das junge Mädchen1783 ist gekommen in Frieden, iw=s ij.tw wHm.n=s Sn sie ist gekommen, nachdem sie den Kreislauf erneuert hat (= die Verjüngung vollzogen hat), HqA.t n spA.wt m Hb ra nb die Herrscherin der Gaue1784 ist im Fest jeden Tag, nTr.w n p.t m THH.wt die Götter des Himmels sind im Jubel, mAA=s pr=s aq=s r=f aDn1785 m kA.t=f wenn sie ihr Haus sieht und es betritt, wenn es in seiner Arbeit vollendet ist swAD m irw und gedeihend in (seiner Gestalt) (oder: gedeihend mit (seinen) Bildnissen). nfr.wj=sw r wnn=f xnt Oh, um wieviel schöner ist es (nun) als es am Anfang war, ij bA.t=s n p.t ra nb ihr Bat geht zum Himmel jeden Tag, Hr Xnm sxm=s m s.t tn indem sie sich mit ihrem Abbild vereint an diesem Platz. xwj=s sA=s mrj=s sA Ra [(Ptwlmys anx Dt mrj PtH) Möge sie ihren geliebten Sohn behüten, den Sohn des Re [(Ptolemaios, er lebe ewig, geliebt von Ptah), pA nTr mnx m wAD n anx den Gott Euergetes (= Ptolemaios VIII.), mit dem Papyrusszepter des Lebens, dj=s wnn=s mn.tw m HA.t=f mj Ra und möge sie veranlassen, daß sie fest an seiner Stirn ist, wie (bei) Re.

Kommentar: Die Isis-Hymne, die die zentrale Theologie der Göttin im Opet-Tempel zusammenfaßt, findet ihr Komplement in einer Osiris-Hymne, die sich an der Ostwand des gegenüberliegenden Nordsaales (VIII) befindet.1786 Der Isis-Text widmet sich verschiedenen Themenbereichen, die teilweise überregional typisch sind, teilweise vor allem die lokalen theologischen Besonderheiten widerspiegeln. So finden sich die Charakterisierung der Isis als zaubermächtige und kämpferisch-wehrhafte Uräusschlange (des Re, sowie des Pharao: Kol. 1–2 und Schlußgebet in Kol. 6), ihr Herrschaftsanspruch über den Kosmos (Kol. 2), Versionen der kulttopographischen Litanei, die ihre Herrschaft über die Gesamtheit des Landes 1783 Das Epitheton korrespondiert mit dem häufigen Beinamen Hwnw des verjüngten Osiris, was auch zu den folgenden Phrasen paßt. 1784 Dieser Beiname gehört nochmals zum Themenkomplex der kulttopographischen Litanei (vgl. Anm. 1781). 1785 Siehe zur Lesung J. F. QUACK, Zur Lesung von Gardiner Sign List Aa 8, in LingAeg 7, 2000, S. 219– 224; vgl. auch ID., Beiträge zur koptischen Etymologie, in: G. Takács (Hrsg.), Egyptian and SemitoHamitic (Afro-Asiatic) Studies, In Memoriam W. Vycichl, Studies in Semitic Languages and Linguistics 39, Leiden – Boston 2004, S. 116–133: 118–119. 1786 Opet I, 112–113.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

ausdrücken (Kol. 3–4 und 5), sowie Anspielungen auf Liebreiz und Schönheit, die sie besonders eng mit Hathor verbinden (Kol. 4), in zahlreichen Hymnen und Epithetareihen. Geographische Epitheta in Kol. 1 („an der Spitze des Hauses der Zeugung“), Kol. 3 („Gebieterin in Ipet-Sut“ und „Isis in Theben“1787) ordnen sie dagegen explizit ihrer lokalen Umgebung zu. Die Betonung der Beziehung von Isis zu Osiris, ihr Klagen, ihre Sorge für seinen Leichnam, die selbständige post-mortem-Empfängnis des Horus, und die den Kreislauf abschließende Verjüngung ihres Bruders werden zwar oftmals auch in anderen Isishymnen (z. B. in Philae) thematisiert, aber kaum jemals so konzentriert1788 wie hier im „Geburtshaus“ des Osiris, wo dieses Konzept eine zentrale Rolle spielt.1789 Insbesondere die Betonung der aktiven, „männlichen“ Handlung von Isis ist relativ selten belegt.1790 Die herausragende Besonderheit und Bedeutung dieser Aktion wird in der Parallele in sAxw IV noch zusätzlich durch die Einleitung des Passus mit den Worten „Es gibt keinen Gott, der getan hat, was ich getan habe, noch eine Göttin“ hervorgehoben. Isis nimmt also gerade durch diese Handlung eine einzigartige Stellung unter allen Gottheiten ein.1791 Die Südkapelle, in der die Isishymne angebracht ist, ist speziell der Geburt und Krönung des Harsiese gewidmet, weshalb seine Mutter dort eine herausragende Rolle spielt: Der Raum wird als „Haus der Gottesmacht von Isis“ (Hw.t bA.w As.t) bezeichnet.1792 Aufgrund der Position des Textes auf dem schmalen Wandstück zwischen der seitlich Richtung Osten verschobenen Eingangstür und dem direkt hinter der Ecke zur Ostwand anschließenden Zugang zu der Krypta läßt sich ein Bezug zwischen der Hymne und dieser Räumlichkeit herstellen:1793 Tatsächlich befand sich darin eine Statue der Isis, die Horus säugt, welche somit dem besprochenen Textabschnitt entspricht, da in beiden Fällen die Geburt des Horus (der wiederum hier in Theben mit Amun gleichgesetzt wird) und die dadurch vollzogene „Wiedergeburt“ des Osiris thematisiert wird. Ebendiese Statue könnte mit dem in Kol. 6 genannten „Abbild“ der Isis auch gemeint sein. Daß Isis die Herrin des Südsaales (IX) ist, geht nicht nur aus der Formulierung in Kol. 5 hervor, wo es heißt, daß 1787 Dieser lokale Beiname bildet gleichzeitig aber den Übergang zu der kurzen kulttopographischen Litanei. 1788 Ähnlich wird diese Abfolge allerdings auch in dem Osiris-Hymnus der Stele Louvre C 286 ausgedrückt, vgl. KUCHAREK, Klagelieder, S. 224–225. 1789 Vgl. zur Theologie des Tempels z. B. DE WIT, Opet I, S. VII–IX; ID., Opet III, S. 145–161; DAUMAS, Mammisis, S. 37–41; VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 237; HERBIN, Renaissance d’Osiris; BERGMAN, Isis auf der Sau, S. 97 u. 101. Möglicherweise aufgrund der großen Bedeutung dieses „Osiris-Mysteriums“ wurde der Tempel griechisch auch als „Demetreion“ bezeichnet, vgl. BERGMAN, Isis auf der Sau, S. 101. Zur Verbindung zwischen Osirismysterien, Isiskult und Demeterkult siehe unten, Kap. 6.1.2.1, 6.6 und 7.2.1.1. 1790 Vgl. Anm. 1779 zum Text. Im Gegensatz dazu scheint PT 366, § 632, noch eine – zumindest teilweise – aktive Rolle des Osiris zu behaupten: „Deine (Osiris) Schwester kommt zu dir, jubelnd aus Liebe zu dir. Du hast sie auf deinen Phallus gesetzt, damit dein Same hervorgehe in sie…“. 1791 Vgl. KUCHAREK, Klagelieder, S. 223. Allerdings kann von Neith Ähnliches gesagt werden: „(an) Neith-Mann, die als Frau handelte, (an) Neith-Frau, die als Mann handelte.“ Litanei Esna III, Nr. 216, 2; vgl. KUCHAREK, Klagelieder, S. 225. Da Neith jedoch schon in ihrem Wesen selbst als zweigeschlechtlich gilt, bleibt die spezielle Handlung der an sich gänzlich weiblichen Isis dennoch eine Einzigartigkeit. 1792 Opet I, 126; vgl. KLOTZ, City of Amun, S. 131. 1793 Vgl. zur Krypta C. TRAUNECKER, Cryptes decorées, Cryptes anépigraphes, in: Hommages Daumas II, S. 571–577: 575; ID., s. v. „Krypta“, in: LÄ III, Kol. 823–830: 826.

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Theben, Karnak

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sie „ihr Haus sieht und es betritt“, sondern auch aus den Friesinschriften dieses Raumes.1794 Diese thematisieren Isis und die Geburt ihres Sohnes Horus und ähneln damit stark üblichen Mammisi-Texten. 4.7.2

Karnak: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Opet-Tempels und weiteren Teilen von Karnak Wiederverwendete Blöcke eines Vorgängerbaus von Thutmosis III. und Amenophis II. zeigen, daß es möglicherweise bereits im NR innerhalb des Kultbezirks von Karnak eine Kapelle für die Nilpferdgöttin Opet gab.1795 Aus späterer Zeit sind außerdem Baumaßnahmen von Taharqa und Nektanebes belegt. Der heute erhaltene kleine Tempelbau stammt aber aus der Regierungszeit des Ptolemaios VIII. und wurde unter Ptolemaios XII. und Augustus weiter, aber nie vollständig dekoriert. Es handelt sich um einen kleinen, auf einem Sockel erhöht errichteten Naos mit mehreren dekorierten Krypten.1796 Trotz der Zuweisung des Kultbaus an die Göttin Opet, die dort neben Amun verehrt wurde, ist die zentrale Theologie auf den Geburts- und Wiedergeburtszyklus des Osiris fokussiert, als dessen Geburtsstätte bzw. Hw.t wtT=f „das Haus, in dem er (= Osiris) gezeugt wurde“ der Tempel angesehen wurde. Besonders in der augusteischen Dekoration läßt sich ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen den Gottheiten Amun, Osiris, Opet, Nut und Isis feststellen:1797 Opet übernimmt, identifiziert mit Nut, die Rolle der Mutter des Osiris. Amun kann sowohl als Vater als auch als Sohn fungieren – er wird damit sowohl mit Osiris als auch Horus gleichgesetzt. Mutter von Horus (= junger Amun) ist wiederum Isis, die somit indirekt mit Opet identifiziert wird.1798 An der Nordwand des zentralen Saales (VII) wird die thebanische Triade Amun, Mut und Chons durch ihre Epitheta der osirianischen Familie angenähert.1799 Während Osiris der passive Inhaber des Tempels ist, wird auch im oben übersetzten Hymnus Isis’ aktive Rolle betont: Sie ist in jeder Form (als seine Gattin Isis, als Mutter des Horus) dafür zuständig, ihm Leben zu verleihen und seine Verjüngung zu bewirken.1800 Daneben findet sich im Opet-Tempel außerdem die Darstellung einer skorpiongestaltigen

1794 Opet I, 146–147; III, S. 81–82 u. 167. 1795 Zur Baugeschichte vgl. P. BARGUET, s. v. „Karnak“, in: LÄ III, Sp. 341–352: 347; DE WIT, Opet I, S. VI; zur Baugeschichte und Architektur E. LAROZE, Osiris et le temple d’Opet. Apports de l’étude architecturale, in: Coulon (Hrsg.), Culte d’Osiris, S. 219–238. 1796 Zu den Krypten und den dortigen Darstellungen siehe C. TRAUNECKER, Dimensions réelles et dimensions imaginaires des dieux d’Égypte: les statues secrètes du temple d’Opet à Karnak, in: Ktèma 29, 2004, S. 51–65. 1797 Vgl. dazu oben Anm. 1789, mit Literatur. 1798 Vgl. J. QUAEGEBEUR, Les appellations grecques des temples de Karnak, in: OLP 6/7, 1975/76, S. 463–478: 474; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich I, S. 54–55; VERHOEVEN, Neue Tempel, S. 237. KLOTZ, City of Amun, S. 131, Anm. 736, wendet ein, daß die Inschriften des Tempels keinen direkten Beleg für eine Assimilation zwischen Opet und Isis liefern. In Opet I, 138, wird Isis allerdings zumindest in Nilpferdgestalt (und komplementär in Löwinnengestalt) als Beschützerin von Horus dargestellt; die Beischrift dazu ist entweder als As.t-Ip.t oder As.t wr.t zu lesen, was m. E. eventuell durchaus als Doppeldeutigkeit beabsichtigt war. Siehe dazu LGG I, 68b; und COULON, Isis à Karnak, S. 125. 1799 Siehe DE WIT, Opet I, S. VIII. 1800 Zu Isis in Opet vgl. auch COULON, Isis à Karnak, S. 124–125.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Isis, die in der Beischrift dem pr-hyn xmny.w dem „Wohnsitz der Achtheit“, einer weiteren Bezeichnung des Opet-Tempels, zugeordnet wird.1801 In enger Beziehung zu Osiris (und Horus) erscheint Isis bereits in einigen der zahlreichen spätzeitlichen Osiriskapellen von Karnak.1802 Besonders interessant ist die unter Osorkon II. errichtete Osiriskapelle J, die unter anderem auch als Hw.t-nTr/pr n As.t n iA.twr.t „Tempel/Haus der Isis von der großen iA.t-Stätte“1803 bezeichnet wurde.1804 Hier tritt Isis in Doppelfunktion in Bezug auf Osiris und Horus auf. Die Westwand zeigt Szenen eines Isisfestes, bei dem die sieben Hathoren mit Sistren und Tamburinen musizieren, was an Darstellungen dieser Göttinnen in Geburtshäusern erinnert.1805 Zudem findet sich ein besser erhaltener Vorläufer der Szene mit dem Isisfest bereits gegen Ende der Ramessidenzeit im Grab des Hormose in Hierakonpolis, wo deutlich wird, daß die Geburt des Horus gefeiert wird.1806 Aus dem pBremner-Rhind, der dem Priester Nesmin gehörte, der auch für einen Umbau der Kapelle in der frühen Ptolemäerzeit verantwortlich zeichnete, geht hervor, daß Klagerituale mit Liedern („Songs“) der Isis und Nephthys für Osiris, die innerhalb der Choiakriten zu verorten sind, ebendort abgehalten wurden.1807 Die grundlegende Rolle der Isis im Opet-Tempel dürfte noch von den ursprünglichen Wurzeln des thebanischen Isiskultes beeinflußt sein: Die Verehrung von Isis in Theben entstand wohl zunächst in einer Abhängigkeit des bedeutenden Kultes der Isis von Koptos,1808 die dort als Muttergattin von Min eine Doppelrolle einnahm, die letztlich derjenigen gegenüber 1801 Opet I, 141; vgl. Opet I, 125, 5: hyn pw n xmny.w; vgl. COULON, Isis à Karnak, S. 142–143. Zur skorpiongestaltigen Isis vgl. Isis-Hededet in Behbeit el-Hagar und Edfu. 1802 Eine Übersicht der Osiriskapellen in Nord-Karnak geben L. COULON/C. DEFERNEZ, La chapelle d’Osiris Ounnefer Neb-Djefaou à Karnak, in: BIFAO 104, 2004, S. 135–190: 136–139, m. Abb. 1. Hier werden (inklusive des saitischen Osirisgrabes und der ptolemäischen Osiriskatakomben) insgesamt 20 zum Osiriskult zugehörige Bauten gezählt, die ab der 3. ZwZt errichtet wurden. 1803 „Große iA.t-Stätte“ ist eine gängige Bezeichnung von Osirisgräbern an verschiedenen Orten, vgl. COULON, Trauerrituale, S. 329. 1804 Siehe O. PERDU, La chapelle „osirienne“ J de Karnak: sa moitié occidentale et la situation à Thèbes à la fin du règne d’Osorkon II, in: Coulon (Hrsg.), Culte d’Osiris, S. 101–121, bes. 117–118 zu Isis; D. B. Redford, New Light on Temple J at Karnak, in: Or 55, 1986, S. 1–15; COULON, Trauerrituale, S. 334–340. Zu weiteren Osiriskapellen und -bauten von Karnak siehe (neben der in den vorigen beiden Anm. zitierten Literatur) z. B. C. TRAUNECKER, La chapelle d’Osiris „seigneur de l’éternité-neheh“ à Karnak, in: Coulon (Hrsg.), Culte d’Osiris, S. 155–194; F. LECLERE, Fouilles dans le cimetière osirien de Karnak – travaux récents, in: BSFE 153, 2002, S. 24–44; F. LECLERE/L. COULON, La nécropole osirienne de la ‚Grande Place‘ à Karnak. Fouilles dans le secteur nord-est du temple d’Amon, in: Eyre (Hrsg.), 7th International Congress, S. 649–659; L. COULON, Un aspect du culte osirien à Thèbes à l’époque saïte. La chapelle d’Osiris Ounnefer „Maître des aliments“, in: Égypte, Afrique et Orient 28, 2003, S. 47–60; ID., Sanctuaire de Chentayt; A. KUCHAREK, Auf der Suche nach Konstruktionen der Macht. Die Festprozession des Osiris in Karnak, in: J. Maran et al. (Hrsg.), Constructing Power. Architecture, Ideology and Social Practice/Konstruktion der Macht. Architektur, Ideologie und soziales Handeln, Münster 2006, S. 117–130; EAD., Klagelieder, S. 18. 1805 Siehe dazu COULON, Trauerrituale, S. 336; M. ROCHHOLZ, Schöpfung, Feindvernichtung, Regeneration. Untersuchung zum Symbolgehalt der machtgeladenen Zahl 7 im alten Ägypten, ÄAT 56, Wiesbaden 2002, S. 72–84; WALTERS, Women in the Cult of Isis. 1806 Ausführlich besprochen von WALTERS, Women in the Cult of Isis. 1807 COULON, Trauerrituale, S. 337–339; zu den Klageliedern des pBremner-Rhind („Songs“) KUCHAREK, Klagelieder, S. 166–226. 1808 Vgl. zu Koptos Kap. 4.9–10.

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Theben, Karnak

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Osiris und Horus ähnelt. Im Zuge der Gleichsetzung von Min mit Amun gelangte ihr Kult ebenfalls nach Theben, wo sie im NR einen Gastkult im Tempel von Karnak besaß.1809 So erscheint Isis noch am ptolemäischen Propylon des Month-Bezirkes in Nord-Karnak zwischen Min und Harpokrates in einer Speiseopferszene, in deren Beischrift sie außerdem mit Hathor von Dendara identifiziert wird. Daher verwundert es nicht, daß auch auf ihre dortige Geburt und ihr Königtum – beides zentrale Themen in Dendara (siehe Kap. 4.6) – angespielt wird: As.t wr.t mw.t-nTr @w.t-@r wr.t nb(.t) Iwn.t Isis, die Große, die Gottesmutter, Hathor, die Große, die Herrin von Dendara, irj(.t) m Ikr die im Tentyrites geboren (‚gemacht‘) wurde, HqA(.t) tA.wj m Hw.t Aw.t-ib die Herrscherin der Beiden Länder im Haus der Freude,1810 Xnw=s wr m SAa nsjw.t=s deren Residenz groß ist, indem sie ihr Königtum begonnen hat. (Propylône, Nr. 13b, S. 241–253)1811 Tatsächlich handelt es sich hierbei sogar um den frühesten bekannten Beleg für die Isisgeburt in Dendara, da die Texte aus dem dortigen Heiligtum selbst jünger sind.1812 Ansonsten stand in Karnak während der griechisch-römischen Epoche jedoch Isis’ Position innerhalb der osirianischen Familie klar im Vordergrund und äußert sich abgesehen vom Opet-Tempel auch noch an anderen in dieser Zeit entstandenen Bauten innerhalb des großen Tempelbezirks. In einer Ruderlaufszene am Architrav (N-Seite) des Euergetes-Tores steht die Göttin hinter ihrem thronenden Gemahl und trägt die Titel: As.t wr.t mw.t-nTr Hm.t-nswt tpj.t n [(Wn-nfr mAa [xrw]) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an [Stimme]), Haa(.t) m p.t dr(.t) mH m tA die jubelt im Himmel, die den Kummer von der Erde vertreibt, rdj(.t) iwa=s Hr ns.t it=f die ihren Erben auf den Thron seines Vaters setzt. (Porte d’Évergète II, Taf. 33)1813 Die Epitheta sind ganz auf den Osirismythos bezogen und thematisieren die Restitution der Maat nach dem Tod des Osiris durch die Inthronisierung des rechtmäßigen Herrschers Horus, so daß der durch den Tod ausgelöste Kummer schließlich vertrieben wird. Eine sinngemäß sehr ähnliche Beischrift der Isis findet sich auch am Propylon des Amun-Re-Month in einer Halskragen-Szene für Harendotes und Isis.1814 In einer Libationsszene, wiederum vor

1809 1810 1811 1812

Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 174. Ort oder Heiligtum im Koptites mit einem lokalen Hathorkult, siehe GDG IV, S. 45–46. = Urk. VIII, 29, 1 (Nr. 33d); Nordseite, westl. Torpfeiler, Türlaibung, 2. Reg. Siehe dazu oben, Kap. 4.6.3; vgl. KOCKELMANN, Toponymen- und Kultnamenlisten, S. 84; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 270. 1813 4. Szene; siehe dazu auch LABRIQUE, Ancrages locaux, S. 196–198, m. Abb. 2. 1814 Propylône, Nr. 25 b, S. 402–406.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Osiris, hinter dem Isis steht, werden auch ihre göttliche Eltern in ihre Epitheta miteinbezogen und die Göttin so einzig über ihre familiären Konstellationen definiert: As.t wr.t mw.t-nTr mnx.t n it=s Isis, die Große, die Gottesmutter, die Vortreffliche ihres Vaters, Ax.t n mw.t=s Hm.t sn.t n hAy=s die Wirkmächtige ihrer Mutter,1815 die Gemahlin und Schwester ihres Gatten. (Porte d’Évergète II, Taf. 45)1816 Eventuell wurde Isis am Euergetes-Tor in Karnak auch in Fällen der Rechtsprechung angerufen, wenngleich die Beleglage dünn ist:1817 Zwei thebanische Dokumente belegen eine „Isis vom Tor“ (As.t n/tA rw.t(?)), wovon eine Nennung in einem Graffiti auf dem Dach des Chons-Tempels zu finden ist, vor dessen Tor (dem Euergetes-Tor), ebenso wie vor anderen Tempeltoren, Rechtsprechung betrieben wurde.1818

4.8

Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

4.8.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften1819

4.8.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen Zwei snD-n-Hymnen und weitere Texte am Propylon Text/Hauptpublikation Deir Chelouit I, Nr. 1, S. 3–6; III, Taf. 1–2 Anbringungsort Deir el-Schelwit, Isistempel, Propylon, Außenseite, linker (südlicher) Türpfosten, Soubassement Bibliographie RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 53–56

1815 Vgl. z. B. „die Große ihres Vaters Geb, die Edle ihrer Mutter Nut“ in Dend. I, 74, 11–13; und ähnliche Ausdrücke in Dend. III, 38, 2–5 u. a. In Dendara wird die Beziehung zu den Eltern aufgrund der zentralen Geburtsthematik hervorgehoben. Zur Verbindung von Isis-Texten in Karnak zu Dendara siehe bereits oben, zu Propylône, Nr. 13b. 1816 Westliche Innenseite, Nordpfeiler, 3. Reg.; siehe dazu auch LABRIQUE, Ancrages locaux, S. 205–208; m. Taf. 6. 1817 Vgl. COULON, Isis à Karnak, S. 139–140. 1818 P. DERCHAIN, La justice à la porte d’Évergète, in: Kurth (Hrsg.), Systeme und Programme, S. 1–12. Vgl. dazu auch eine biographische Inschrift auf der Statue des Senu aus Koptos, der demzufolge einen Pylon als ‚Tor der Rechtsprechung‘ der Isis errichtet bzw. erneuert hat: qd.n(=i) bxn m rw.tdj(.t)-mAa.t n As.t wr.t mw.t-nTr, siehe GORRE, Clergé Égyptien, Nr. 27, S. 108. 1819 Mein herzlicher Dank gilt Christian LEITZ, der mir freundlicherweise seine privaten Photos der Inschriften Deir Chelouit III, Nr. 120, 121, 129, 141, 154, 155, 156 und 157 zur Überprüfung der Textedition zur Verfügung gestellt hat.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

Kol. 4:

i rmT.w(?) nTr.w1820 x[…1821 … As.t]1822 n p(A) Dw Oh ihr Menschen und Götter, [verehrt o. ä. Isis] vom Gebirge, nts tA Hnw.t wa.t(?)1823 m Iwnw Smaj (denn) sie ist die einzigartige(?) Gebieterin im oberägyptischen On (= Armant).1824 snD n As.t […].t [… … …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […], […].t1825 tmA.t bX.n=s Dt=f ra nb(?)1826 [denn sie ist …?] die Mutter(?), indem sie seinen Leib gebiert,1827 jeden Tag(?). snD n As.t mw.t(?) Ra(?)1828 wr(.t) Hsw.t n [… …] xr nb Iwnw (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Mutter(?) des Re(?), groß an Gunst in/bei(?) […] beim Herrn von On (= Armant),1829 Iwny.t m rn=s mAa (denn) Iunit (‚Die von Armant‘) ist ihr wahrer Name. snD n As[.t … … …] nTr.w(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] der Götter(?), n […] ???1830 Ds m tA nicht [gibt es?] ??? selbst(?) auf der Erde.

1820 Für die Anrufung an Menschen und Götter in der Einleitung der Hymne vgl. TRAUNECKER, Coptos, S. 143, Nr. 24, und S. 146, § 136 b). 1821 JAMBON/FORTIER, Médamoud no. 343, S. 53, ergänzen nach den Parallelen in anderen snD-n-Hymnen (A)x[.w (?)…]. 1822 Zur Ergänzung vgl. die komplementäre snD-n-Hymne Deir Chelouit I, Nr. 7 (siehe unten), die sich ebenfalls an „Isis vom Gebirge“ richtet. 1823 Möglicherweise ist auch aA.t „die Große“ zu lesen, vgl. ZIVIE, Deir Chelouit I, S. 3 und 6, Anm. b). 1824 Vgl. GDG I, 56. 1825 . Möglicherweise auch zu [n]ts zu ergänzen, vgl. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 53. 1826 Zwei übereinander geschriebene runde Zeichen ohne Spezifizierung, vgl. ZIVIE, Deir Chelouit I, S. 6, f); gemeint ist wohl ra nb, vgl. auch RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 53. 1827 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 53, macht hieraus in der Übersetzung einen Relativsatz „die seinen Leib täglich geboren hat“. 1828 Unsichere Stelle: Es steht wohl entweder , so daß eigentlich nur mw.t zu lesen wäre (so auch die Deutung der Zeichen bei RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 53, Anm. 234, der ungenau dennoch Ra transliteriert). Möglicherweise ist in den Zeichenresten jedoch auch oder zu lesen, also tatsächlich mw.t (abgekürzt) Ra. 1829 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 53, unterschlägt xr in der Übersetzung und übersetzt ohne Berücksichtigung der Lokaltheologie nb.t Iwn.t (tatsächlich sind keine t-Endungen geschrieben) „die Herrin von Dendara“, obwohl er selbst die nachfolgend genannte Iunit als Lokalgöttin von Armant erkennt. 1830 Unklare Gruppe: zwei runde Zeichen umgeben . xr Ra „bei Re“?

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358 Kol. 5:

Kol. 6:

Kol. 7:

Kol. 8:

Kol. 9:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

snD n As.t wjA(?)1831 n [… … … …] Ra m dwAw(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, die Sonnenbarke von […] Re am Morgen [… …] sfsf wdn […] Gaben darbringt. snD n As.t wjA(?)1832 n [… … …] n n(?)1833 (Habt) Ehrfurcht vor Isis, die Sonnenbarke von […] ? […] {i}xaj(.t)(?)1834 nTr.t m tA […] […] die das göttliche Auge erscheinen läßt(?) auf der Erde […]. snD n As.t Hnw.t xAbAs.w […] Hr [… …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gebieterin der Himmelsleuchten […] auf/bei […] [… …iw]r1835 m wAD(?)1836 ms[…] h/hrw(?) […] schwanger mit einem Sprößling,1837 Geburts-/geboren[…]?1838 snD n As.t […] Hnw.t xAs.t (Habt) Ehrfurcht vor Isis […], der Gebieterin des Fremdlandes/Berglandes, HD(.t)1839 tA.wj m(?) i1840[Axw=s(?)1841 … … …].t im=s die die Beiden Länder erhellt mit [ihrem Lichtglanz(?) …] durch sie/in/aus ihr, tA(?) xAs.t m kA.tw/Dd.tw(?)1842 m […] die Erde(?) und das Fremdland/Bergland, indem es genannt wird(?) als/mit/in […]. snD n As.t [imn(?)]t.t1843 [… … … … … …]t.t? tA.wj m [gs?] sp(j)(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Westlichen(?) […] der Beiden Länder, in …?

1831 Der Neulesung des Zeichens durch RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54 m. Anm. 237, als nswt-bjtj kann ich anhand des Photos Deir Chelouit III, Taf. 2, nicht zustimmen, da die Uräen in diesem Fall außergewöhnlich weit von der Sonnenscheibe abgespreizt wären, was ich selbst bei römerzeitlicher Paläographie nicht erwarten würde. Es besteht m. E. deutlich größere Ähnlichkeit zum Zeichen oder wjA (wie in der Transkription Deir Chelouit I, S. 4, angegeben), was im Zusammenhang mit dem Folgenden, das sich offenbar um die Sonne dreht, auch mehr Sinn ergibt: Die Rede ist von der Sonnenbarke. 1832 Vgl. die vorige Anm. 1833 Oder mw bzw. Wasserdeterminativ. Zwei Wasserlinien übereinander. 1834 Emendationsvorschlag von RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54 m. Anm. 238. 1835 Die Ergänzung ergibt sich aus dem erhaltenen Determinativ . 1836 Vgl. ZIVIE, Deir Chelouit I, S. 6, i). 1837 Zu wAD „Kind, Sprößling“, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 204. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54, übersetzt (mit Ergänzung) m. E. wenig sinnvoll „empfangen als die, die die Geburts[ziegel] gedeihen läßt“. Die Lesung des letzten Wortes als msxn.tj ist m. E. keineswegs sicher. 1838 Sinn und Anschluß sind unklar. 1839 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54, liest xAs.t Smaj(.t) „oberägyptisches Fremdland“, doch ist hinter der Krone eine Sonnenscheibe geschrieben ( ), was eine Lesung als HD m. E. wahrscheinlicher macht. RÜTER bietet diese Alternative in Anm. 242 ebenfalls an. 1840 Auf Deir Chelouit III, Taf. 2, deutlich lesbar, aber in Deir Chelouit I, S. 4, nicht transkribiert. 1841 M. E. sehr gut passender Ergänzungsvorschlag von RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54, Anm. 242. 1842 Die Emendierung zu .tj wird von RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54, nicht begründet und ist für mich nicht nachvollziehbar. 1843 Die zwei t über dem Fremdland-Determinativ machen m. E. eine Schreibung für imn.t.t wahrscheinlicher als die von RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 54, vorgeschlagene Lesung und Ergänzung der Stelle zu [Hnw.t] xAs.t [mHj.t…], das er wohl als Gegenstück zu dem von ihm in Kol. 8 gelesenen xAs.t Smaj(.t) vorschlägt, vgl. Anm. 1839.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Kol. 10: snD n As.t stj(.t) Hapj r [… … …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, die den Nil ausgießt1844 zu/um […] m rn=s wr baH(.t) tA.wj m nfr.w=s in ihrem großen Namen ‚Die die Beiden Länder mit ihrer Schönheit überschwemmt‘.1845 Kol. 11: snD n [A]s[.t] Ax.t(?)1846 n nbw [… …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, dem Horizont(?) des Goldenen (?) […] [… … …] X.t prj ntj nb im=f […] Leib, aus dem alles hervorkam.1847 Kol. 12: snD n As.t [… … … …].t nts wD.t mdw n wt/tw(?) […] mr(?) r […]?-st nn/wbn(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] (denn) sie ist es, die Befehle erteilt an ?[…] ??? Kol. 13: snD n As.t [… … … …].t […] mnH(?) n […].wt (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] Wachs(?)1848 von/zu […], Ts(.t) msxn.t n wnn.yw(?)1849 die die Geburtsstätte für die Seienden(?) zusammenbaut. Kol. 14: snD n As.t wAH(.t) nswy(.t) [… …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, mit dauerhaftem Königtum, […] [… …] Dba.w(?) Htm(?)1850 snTr1851 Hr nmtt =s […] Siegel(?), Schminke(?) und Weihrauch bei ihrem Schreiten. Kol. 15: snD n A[s].t ? Rm.t/Rnn.t(?)1852 n Ra (Habt) Ehrfurcht vor Isis, die ? Uräusschlange/Renenutet(?) des Re, wr(.t) Hsw.t n Mn[Tw1853… …*]nn.t(?) groß an Gunst bei Month [… …Tje]nenet(?), Tnj(.t) r nTr.w xwj.t n @r-Ax.tj erhabener1854 als die Götter, die Beschützerin von Harachte. 1844 Vgl. hierzu Assuan-Hymne 5. 1845 Vgl. zu diesem Epitheton einen weiteren Beleg in Athribis: W. M. F. PETRIE, Athribis, London 1908, Taf. 18; vgl. LGG II, 787a. 1846 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 55, liest wbn(.t) nbw „die als Gold erglänzt“, vgl. zu diesem Epitheton LGG II, 330a. Da Isis hier jedoch insgesamt die Rolle des Himmels einnimmt, an dem der Sonnengott aufgeht, halte ich diese Lesung für weniger wahrscheinlich. 1847 Aufgrund der Lücke sind die Bezüge unklar. im=f kann sich theoretisch eigentlich nicht auf das feminine X.t beziehen. Vgl. aber für einen ähnlichen Fall Assuan-Hymne 1. 1848 Nach RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 55, Anm. 249 (mit Angabe einer möglichen Parallele in Esna), liegt hier vielleicht ein Hinweis auf die Schicksalsbestimmung durch Wachsformung vor. 1849 Vgl. LGG VII, 498a; RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 55. 1850 Aufgrund des Determinativs vielleicht mit Htm „mineralischer Stoff“; als Var. zu msdm.t „schwarze Schminke“, Wb III, 199, 1–2, zu identifizieren? 1851 Die Zeichen sind etwas unklar, möglicherweise handelt es sich um . 1852 Die Lesung der Zeichengruppe ist unklar, vgl. auch RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 55 m. Anm. 251, der noch iAr.t (?) und Hrj.t-tp rnn.t vorschlägt. Anhand von Deir Chelouit III, Taf. 2, kann ich die in Deir Chelouit I, S. 5, transkribierten Zeichen vor der Uräusschlange auch nicht wirklich nachvollziehen. 1853 Vgl. die Schreibung des Gottesnamens in Deir Chelouit I, Nr. 2, Z. 2. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 55, liest spA.t n „Gau von […]“. Auf Deir Chelouit III, Taf. 2, sieht das Zeichen aber definitiv eher aus wie als wie . Vgl. zu dieser Lesung auch LGG II, 493a. Vgl. auch den ebenfalls mit wr(.t) Hsw.t n […] beginnenden Ausdruck in Kol. 3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 16: snD n As.t i(?)/s[x.t(?)1855 … … …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der [Feldgöttin(?) …], dj=s […].wt aA(.t) n nsw.t bj.tj [( ) Dt möge sie geben große […] an den König von Ober- und Unterägypten [( ), ewiglich. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir Chelouit I, Nr. 7, S. 22–25; III, Taf. 7 Deir el-Schelwit, Isistempel, Propylon, Außenseite, rechter (nördlicher) Türpfosten, Soubassement RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 56–59

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

Kol. 4:

i r[mT.w?] nb.w [… … … … …] As.t n p(A) Dw Oh, alle Menschen(?) [und alle Götter etc., verehrt o.ä. …]1856 Isis vom Gebirge, […?] Msn/msn.t(?) […] Mesen/die Spinnerin(?).1857 snD n As.t [… … …]t pAw.tj.w (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] Urgötter, nts wD(.t) md.t r-a Hp.tj (denn) sie ist es, die Befehle erteilt1858 bis an die Grenzen (der Welt), m? sxr(.w) n Hrj.w die Ratschläge(?) &erteilt?\ (o. ä.)1859 an die Himmlischen. snD n [A]s.t […]pj[…] n p b[…]f inj.n=f(?) […] m Xrd(?)[…]s[…] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] ? […] er gebracht hat(?) […] als Kind(?) […], nts(?) itj.t m [… …] smA1860 ?s(?)[…] r=s (denn) sie ist die Fürstin in […] tötet(?) […]gegen sie.1861 snD n As.t […]t[…] sAH(.t)/srd(?) […] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] die beschenkt/wachsen läßt(?) […]

1854 Zu Tjenenet und Wortspielen mit ihrem Namen vgl. die Litanei mit der Namensformel in AssuanHymne 5 und Parallelen, Kap. 4.2.1.A. 1855 Vgl. ZIVIE, Deir Chelouit I, S. 6, Anm. p). 1856 Vgl. das Pendant Deir Chelouit I, Nr. 1, siehe oben. 1857 Das Epitheton msn.t „die Weberin“ ist sonst in Edfu mehrfach für Isis belegt, siehe LGG III, 431a. Zu Isis und Nephthys als Spinnerinnen vgl. MÜNSTER, Isis, S. 150–152; BACKES, Hedjhotep, S. 79–81. 1858 Vgl. das Pendant Deir Chelouit I, Nr. 1, Kol. 12. 1859 Die Lesung des zu vermutenden Verbes/Adjektivs ist fraglich (in der Edition mit Fragezeichen über dem hinteren Zeichen); RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 56, ergänzt sxr.w „die die Angelegenheiten leitet“. Vgl. auch LGG II, 640b: „‘Die Befehle erteilt bis an die Grenzen der Welt’ mit unklarer Fortsetzung.“ 1860 Oder smAa? 1861 Die ganze Zeile ist zu schlecht erhalten und zu unsicher, um wirklich Sinn hineinzubringen. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 56, übersetzt den Schlußteil mit Ergänzungen (und nicht unproblematisch): „und sie tötet die, die ihr [feindlich] entgegen[treten].“

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Kol. 5:

Kol. 6:

Kol. 7:

Kol. 8:

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[… …] SA.t m (i)x.t […] wbA.t?1862 DfA.w dj.n=s/dj n=s […] das Fruchtland mit Dingen/Gaben(?) […] die eröffnet(?) die Speisen, die sie gegeben hat/die ihr gegeben wurden(?). snD n As.t [n]xw.t(?) [… … … …].w (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Schützerin(?) […], nts nxt(?)1863 n nb(.t) rA-a-xt dj=s hrw dmD (denn) sie ist die Starke als Herrin des Kampfes,1864 sie legt den Tag des Kampfes fest(?).1865 snD n As.t wr(.t) mw.t (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Großen, der Mutter, irj(.t) nht(?) n BHd.tj(?) a[A?] die den Schutz(?) des großen(?) Behedeti(?) besorgt,1866 nts nb.t/iH.t1867 n @r […] (denn) sie ist die Herrin/(Mutter-)Kuh von Horus […], sHr(.t) Dw nb irj.w=f die alles Böse vertreibt, das an ihm ist.1868 snD n [As].t […] Hrj.t-ib m nwn sAw(.t)(?) [… H]sA.t(?)1869 ? (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] die inmitten des Nun ist, die Wächterin(?) [… He]sat-Kuh(?) ?, nts *nn.t(?)1870 Hrj(.t)-ib Iwnw Smaj denn sie ist Tjenenet(?), die inmitten des oberägyptischen On (= Armant) ist, [n] Hrj xr MnTw m Iwnj1871 ohne fern zu sein(?) von Month in Armant. snD n As.t iar.t1872 Sms(.t) kA.w DfA.w{t} xr kA=s (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Kobra, vor deren Ka Nahrung und Speisen zugeführt werden,1873

1862 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 56, liest wDb DfA „die die Opferspeisen weiterleitet/umwendet“. Es steht aber wbA. 1863 Zur Lesung der Zeichengruppe als nxt vgl. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57. 1864 Vgl. dazu auch „die Herrin des Kampfplatzes, unter deren Kommando das Haus des Month ist“ im Text Philae-Photos 385–386, und „die Herrin des ‚Hauses von Month‘ am Tag des Zusammentreffens (= Kampfes)“ in Dend. VI, 2, 21–4, 6. 1865 Oder dj-s(j) hrw dmD „die sich zeigt am Tag des Kampfes“, vgl. zu dieser Möglichkeit RÜTER, cnD-nHymnen, S. 57. 1866 Möglicherweise ist statt dessen auch … wr.t wnm.t ?? BHd.tj „…die Große, das rechte Auge des(?) Behedeti“ zu lesen. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57, Anm. 261, gibt außerdem noch die Alternative …mw.t irj.t Tnt.t „…die Mutter, die die Kühe erschuf“, was ich weniger nachvollziehen kann. 1867 Zur Lesung iH.t n @r „(Mutter)-Kuh des Horus“, vgl. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57. 1868 Vgl. zu dieser häufig in Ritualtexten verwendeten Phraseologie QUACK, Fragmente, S. 74. 1869 Ergänzung nach RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57. 1870 Verderbte Schreibung? Vgl. zur Interpretation der Zeichen RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57, Anm. 262. Zu Tjenenet siehe oben, Deir Chelouit I, Nr. 1, Kol. 15. 1871 Vgl. zur Ergänzung RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57, der außerdem zu [n] Hrj r MnTw m Iwnw emendiert und übersetzt „und sich [nicht] entfernt von Month in Heliopolis“, wobei ich die Übersetzung als Relativsatz nicht verstehe und eher Armant als Heliopolis annehmen würde. 1872 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57, liest die Kobrahieroglyphe Rnn-wt.t, was aufgrund des folgenden Inhalts durchaus auch möglich ist.

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Kol. 9:

Kol. 10:

Kol. 11:

Kol. 12:

Kol. 13:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nts wr(.t) Xr(.t) xr Hr nb (denn) sie ist die mit großem Bedarf vor jedermann, [nb.t?] t(?) rdj(.t) n mrj=s [die Herrin?] des Brotes(?), die dem gibt, den sie liebt. snD n As.t […].t n nTr.w (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] der (Menschen? und) Götter, Dsr(.t) rn.w m rA n Hnmm.t mit geheiligten Namen im Munde des Sonnenvolks, nts wr(.t) Xr(.t) xr rmT.w nTr.w (denn) sie ist die mit großem Bedarf vor Menschen und Göttern, S.tw(?) ij.tw m wD.t=s und man kommt und geht auf ihren Befehl hin. snD n As.t [mw].t n @r wr[.t] Hts(?)1874 n [… … …] (Habt) Ehrfurcht vor Isis, [der Mutter] des Horus, groß an Vollendung ?[…], wr.t […]1875 n Ra m rn=s n Ra.t-tA.wj der Großen […] des Re in ihrem Namen Rattaui.1876 snD n As.t [%r]q.t t[?] xntS xprw.t(?)1877=s im=s (Habt) Ehrfurcht vor Isis-Selket, [?] über die sich ihre Schöpfung(?) freut, nts skm(.t)(?)1878 SAw x(r?) Hr nb (denn) sie ist es, die das Schicksal vollendet(?) für jedermann,1879 Sj.w(?) bw(A).w m(j) […]1880 qd(?) die Armen und die Vornehmen gleichermaßen. snD n As.t Dr.t-nTr btj[… …] Hr […] n [… …] ? (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gotteshand,1881 die (er)leuchtet(?) […] auf/Gesicht/ [jeder]mann […] ? […] m xA [wr? … …] wD(A) […] […] in der [Großen?] Halle […] wohlbehalten(?) […]. snD n [As.t] Hnw.t ndb (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Gebieterin der ganzen Erde, itr.tj Xr s.t-Hr=s unter deren Aufsicht die beiden Heiligtümer (= Ägypten) sind,

1873 xr kA=s ist in der Übersetzung von RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 57, unterschlagen. 1874 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58, liest wr.t Hsw.t, vgl. aber Assuan-Hymne 3 und Parallelen. 1875 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58, ergänzt hier zu wr.t[-HkA.w], was möglich ist, doch da vorher soviel verloren ist, ist dies m. E. sehr unsicher, wr.t könnte auch zum Vorhergehenden gehören, und anschließend ein unabhängiger kurzer Titel stehen. 1876 Es handelt sich offensichtlich um ein Wortspiel mit dem Namen Rattaui. 1877 Die Lesung ist problematisch, vgl. auch RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58 m. Anm. 271. 1878 Oder sqr oder sTj? 1879 Vgl. zum Verständnis dieser Phrase RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58. 1880 Die Lücke in Größe eines halben Schriftquadrates war möglicherweise nie beschrieben, vgl. ZIVIE, Deir Chelouit I, S. 25, b‘). 1881 Zu diesem Epitheton siehe bereits Philae-Hymne 3.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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nts nb(.t) hy Hnw.t […1882 … … …] n tA [mj] qj (denn) sie ist die Herrin des Jubels,1883 die Gebieterin von […], […] des ganzen(?) Landes. Kol. 14: snD n As.t [dj.t] 1884 mdw drf(.t) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, die die Schriftstücke sprechen läßt, rx.t/iqr(?) s.t-rA=s m nTr.w die ihren Ausspruch unter den Göttern kennt/deren Ausspruch trefflich ist unter den Göttern, nts MAa.t wr.t nb(.t) md.t-nTr […?] Hnw.t [mj.wt?1885 …]1886 idb.w (denn) sie ist Maat,1887 die Große, die Herrin der Gottesworte, […?] die Gebieterin [der Wege? …] der Ufer. Kol. 15: snD n [As].t […]S(?).t1888 n pr.w/pr(.t)(?) r [HH] m ix.wt (Habt) Ehrfurcht vor Isis, […] von Überschuß (oder Saat?) zu [Millionen] als Opfergaben,1889 nts MAa.t nfr(.t)(?)1890 mrj(.t) mA[a.t]1891 (denn) sie ist die vollkommene Maat, die die Maat (Wahrheit/Gerechtigkeit) liebt(?), [nxt?] i[…]1892 TAw n anx r a.wt [die Starke?] ?[…] die Lebensatem1893 an die Glieder [gibt/empfängt ö. ä.]. Kol. 16: snD n As.t [n]xt(.t)/[n]xj(.t) (?) n irj.w-a(.t)(?) (Habt) Ehrfurcht vor Isis, der Starken/Schützerin der irj.w-a(?),1894 rdj(.t) [q]n(.t)(?) n X[r](j.w)(?) id.t=s die Kraft gibt denjenigen, die unter ihrem Duft sind(?),1895 1882 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58 m. Anm. 274, ergänzt zu Hnw.t [hnw] „die Gebieterin des Lobpreises“, was denkbar wäre. 1883 Häufiges Epitheton der Hathor, vgl. LGG IV, 90–91. 1884 Zu dieser Ergänzung vgl. auch LGG IV, 778b; in der Thoth-Aretalogie von Tb 182 sagt Thoth dies über sich selbst aus, vgl. STADLER, Weiser und Wesir, S. 220–221; LUFT, Osiris-Hymnen; RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58, übersetzt dagegen: [irj.t] md.t drf „die Wort und Schrift erschuf“. 1885 Ergänzung nach RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58 m. Anm. 276. 1886 Hier kann kaum ein m gestanden haben, wie RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 58, annimmt, da es sich um drei kleine Zeichen handelt, vgl. ZIVIE, Deir Chelouit I, S. 25, Anm. f‘), und Deir Chelouit III, Taf. 7. 1887 Zu Isis als Maat siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 176–208 und 271–272; GRIFFITHS, Isis as Maat. 1888 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 59, ergänzt zu [s]x.t „die Feldgöttin“. 1889 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 59, emendiert zu [HH] m ix.t „die Millionen von Dingen erschafft“. 1890 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 59, transliteriert wr.t. Vgl. aber zur speziellen Verknüpfung von Maat und nfr(.t) BERGMAN, Ich bin Isis, S. 181–193. 1891 Oder evtl. mrj.t mA(A=s) „die zu sehen geliebt wird“? 1892 RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 59, ergänzt zu Ssp. 1893 Zu Maat und dem Atmen siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 182–187. 1894 Vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 91–92: „Mann des Gefäßes“ als priesterlicher Titel des Königs in Weihrauchszenen. Dies paßt hier allerdings nicht in den Kontext. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 59, schlägt irj.wa.t „die Hausangestellten“ (vgl. Wb I, 160, 5) vor. Auch dies paßt hier m. E. nicht so recht hinein. 1895 Ob verderbt aus rdj(.t) qn.t n Hrj.w-mw=s „Die denjenigen Kraft gibt, die auf ihrem Wasser sind = ihr ergeben sind“? Die Formulierung xnd mw=s, die RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 59, (mit gleicher Bedeutung) hier annimmt, ist mir hingegen ägyptisch nicht bekannt.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dj=s tA.w nb n sA Ra [( ) Dt möge sie alle Länder geben an den Sohn des Re [( ), ewiglich. Kommentar: Die beiden Texte (Anbringung 68–96 n. Chr.)1896 des nur griech.-röm. belegten Typus der snD-n-Hymne sind, einander ergänzend, im Soubassement der Außenseite des Propylons angebracht, nehmen also einen für diese Textgattung häufig belegten Platz – an einem Tor – ein.1897 Ein Vergleich mit der wohl etwas früher (in tiberischer Zeit?) angebrachten snD-nHymne für Isis in Philae1898 liegt nahe, wenngleich er durch die schlechte Lesbarkeit aller drei Inschriften erschwert wird. Wie in Philae weisen auch die beiden obigen Texte eine strenge formale Struktur auf, bei der jeweils ein Vers eine Kolumne einnimmt. In jedem Vers folgt auf die Aufforderung, die Göttin, die mit ihrem Namen und kurzen Epitheta genannt wird, zu fürchten, eine mit nts eingeleitete Begründung,1899 die weitere Aussagen über ihren Zuständigkeitsbereich enthält. Anders als in Philae geht den beiden Hymnen in Deir el-Schelwit jedoch jeweils in der ersten Kolumne eine direkte Anrede an Menschen und Götter (und vielleicht weitere Gruppen?) voraus, die in anderen Texten dieser Gattung auch über die einzelnen Kolumnen verteilt sein kann.1900 Diese Gruppen werden hier jedoch immer wieder durch die Epitheta in die Aussagen mit eingebunden (Nr. 1, Kol. 4(?) und 15; Nr. 7, Kol. 2 und 8–9). Inhaltlich spielt einerseits die Einbettung der Isis in die lokale Kultlandschaft und das Pantheon von Theben und mehr noch Armant eine wichtige Rolle. So werden zu Beginn ihre geographischen Zuordnungen zum „Gebirge“ (= thebanisches Westgebirge) (Nr. 1 und Nr. 7, Kol. 1) und zum „oberägyptischen On (Armant)“ (Nr. 1, Kol. 1; Nr. 7, Kol. 7) aufgeführt. Sicherlich beziehen sich auch die Epitheta „Gebieterin des Fremdlandes/Berglandes“ und „die Westliche“ (Nr. 1, Kol. 8–9) auf das Westgebirge. Der Kontext des in Nr. 7, Kol. 1 neben „Isis vom Gebirge“ eventuell genannten Epithetons „die Spinnerin“ bleibt dagegen aufgrund der Zerstörungen im Unklaren.1901 Isis von Deir el-Schelwit wird Month(Re-Harachte) von Armant als Partnerin zur Seite gestellt (Nr. 1, Kol. 3 und 15; Nr. 7, Kol. 7), und sie nimmt daher auch die Namen von Months anderen Partnergöttinnen Iunit (Nr. 1, Kol. 3), Tjenenet (Nr. 1, Kol. 15; Nr. 7, Kol. 7) und Rattaui (Nr. 7, Kol. 10) an,1902 wobei speziell Iunit noch zusätzlich als „ihr wahrer Name“ qualifiziert wird. Auch einige weitere in den beiden Hymnen erwähnten Charakteristika sind eng mit der thebanischen 1896 Zur Datierung der Inschriften des Propylons siehe ZIVIE, Trois campagnes, S. 157; EAD., Isis méconnue, S. 43. Aufgrund der leeren Kartusche in der letzten Kolumne ist hier möglicherweise mit einer Datierung in das wechselhafte „Vierkaiserjahr“ 68–69 n. Chr. zu rechnen. 1897 Siehe zu diesem Texttypus RÜTER, cnD-n-Hymnen; LEITZ, Tempelinschriften, § 1, S. 17–21; TRAUNECKER, Coptos, S. 365–370; vgl. auch GUTBUB, Textes fondamentaux, S. 286–288. 1898 Philae-Photos 164–165, Kap. 4.1.1.A. Vgl. außerdem zu weiteren snD-n-Hymnen des thebanischen Raumes JAMBON/FORTIER, Médamoud no. 343, bes. 84–88. 1899 Diese Einleitung des Nebensatzes ist nicht in allen Beispielen dieses Texttypus enthalten, vgl. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 84. 1900 Vgl. RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 89. 1901 Vgl. aber die Anm. 1857 zum Text. 1902 Vgl. dazu auch RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 125; ZIVIE-COCHE, Isis méconnue, S. 43–44; EAD., Isis thébaine, S. 101; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 15. Zu Iunit, Tjenenet und Rattaui von Armant und der Thebais, siehe rezent KLOTZ, City of Amun, S. 132–133 und 204–212.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Theologie dieser Göttinnen, die in den Tempeln von Armant, Medamud, Tôd und Karnak zusammen mit Month verehrt wurden, verknüpft: So gilt Rattaui als Mutter des solaren Gottes Harpre (@r-pA-Ra), die somit die Sonne gebiert.1903 Exakt diese Vorstellung ist es, die hinter zahlreichen Aussagen steht, welche Isis als aktive Kraft in den Sonnenlauf einbeziehen und sie als Mutter des Re oder einer solaren Horusform bezeichnen. Diese ziehen sich durch beide Texte, sind aber in Nr. 1, also auf dem südlichen, in Richtung Armant gelegenen Türpfosten,1904 besonders präsent (Kol. 2–3, 5–7, 11 („Horizont des Goldenen“)). In den gleichen Kontext gehören wahrscheinlich die nur lückenhaft erhaltenen Erwähnungen eines „Kindes“ (Nr. 7, Kol. 3) sowie die Lokalisierung der Isis „inmitten des Nun“ (Nr. 7, Kol. 7), da Rattaui zusammen mit ihrem Sohn bei der Geburt auf der Lotusblüte im Nun erscheint.1905 Auch die Gestalt der Mutter- oder Himmelskuh (Nr. 7, Kol. 6(?) und 7) ist charakteristisch für Rattaui und bildet ein Pendant zur häufigen Erscheinungsform des Month als Stier.1906 Isis ist hier jedoch nicht nur Himmelsgöttin und Mutter der Sonne, sondern außerdem selbst ein leuchtendes Gestirn, das die Beiden Länder erhellt (Nr. 1, Kol. 8; Nr. 7, Kol. 12) und „Gebieterin der Himmelsleuchten (xAbAs.w)“ (Nr. 1, Kol. 7). Letzteres ist ein häufiger Beiname der Isis-Sothis, den sie mit leichter Abwandlung auch in der snD-n-Hymne in Philae trägt.1907 Als Sothis (die allerdings nicht namentlich genannt ist, zumindest nicht in den lesbaren Teilen) verursacht sie die Nilflut (Nr. 1, Kol. 10) und sorgt so für die Fruchtbarkeit der Felder und des ganzen Landes und die Versorgung mit Speisen (Nr. 7, Kol. 4, 8 und 15; eventuell auch Nr. 1, Kol. 16: „Feldgöttin(?)“). Zudem ist sie generell für die Schöpfung sowie das Schicksal der Menschen (Nr. 7, Kol. 11; evtl. auch Nr. 1, Kol. 13) und den Lebensodem (Nr. 1, Kol. 13) zuständig. Die für Isis typische, dauerhafte königliche Herrschaft und Befehlsgewalt über den gesamten irdischen und himmlischen Bereich geht aus mehreren Textstellen beider Hymnen deutlich hervor: Nr. 1, Kol. 12 und 14; Nr. 7, Kol. 2 und 13. Ein weiterer großer Schwerpunkt besonders der nördlichen Hymne (Nr. 7) ist die allgegenwärtige Thematik des Schutzes, den die Göttin insbesondere gegenüber ihrem Sohn (Horus, Re) ausübt, für den sie als regelrechte Kriegsgöttin Feinde vernichtet (Nr. 1, Kol. 15; Nr. 7, Kol. 3, 5–7, 16). Die apotropäische Funktion spielt in der snD-n-Hymne in Philae ebenfalls eine zentrale Rolle.1908 Neben den genannten Wirkungsbereichen, die jeweils über die beiden Texte verteilt mehrfach angeschnitten werden, finden sich noch einige Einzelaspekte, die jeweils nur kurz angedeutet oder in einem Abschnitt zusammenhängend abgehandelt werden. So wird Isis außer mit den lokalen Partnergöttinnen des Month (s. o.) noch mit Selket (Nr. 7, Kol. 11), Maat (Nr. 7, Kol. 14–15) und implizit evtl. Seschat (Nr. 7, Kol. 14: „die die Schriftstücke

1903 Siehe dazu BUDDE, Harpare-pa-chered, S. 31–38 und 82–86. 1904 Auch in den Ritualszenen des Propylons und des Tempels befinden sich die Götter von Armant vor allem auf der Südseite, vgl. ZIVIE-COCHE, Isis méconnue, S. 43. 1905 Vgl. BUDDE, Harpare-pa-chered, S. 34–35, mit Belegen. 1906 Vgl. KLOTZ, City of Amun, S. 205–206; BUDDE, Harpare-pa-chered, S. 36. 1907 Philae-Photos 164–165, Kol. 1: „Herrscherin der Himmelsleuchten“. 1908 Vgl. den Kommentar dort, Philae-Photos 164–165.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sprechen läßt“ oder „die Wort und Schrift erschuf“) gleichgesetzt. Besonders die Verbindung mit Maat wird über zwei Kolumnen etwas ausführlicher dargestellt.1909 Insgesamt werden also Themenfelder (Herrschaftsaspekte, Macht, Feinde, Fruchtbarkeit/Speisen und Schutz…) abgedeckt, die generell relativ typisch für die Textgattung sind, jedoch jeweils für die angebetete Gottheit spezifiziert werden, wie es auch hier der Fall ist.1910 Auffällig ist m. E. allerdings, gerade im Vergleich mit der snD-n-Hymne in Philae, daß die Beziehung der Isis zu Osiris in den beiden Deir el-Schelwit-Texten überhaupt nicht thematisiert zu werden scheint, soweit der Erhaltungszustand des Textes ein solches Urteil erlaubt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir Chelouit I, Nr. 11, S. 33–34 Deir el-Schelwit, Isistempel, Propylon, Außenseite, linke (südliche) Türlaibung, Untere Randinschrift –

Text: Z. 1:

Z. 2:

wnn MnTw wr.tw(?)1911 r nTr.w m HH(?) [wr] twA nn.t Es ist Month größer als die Götter, als große Himmelsstütze(?), der den Himmel stützt. wnn As.t m mHj.t nfr(.t) nn Dw xr=s i[w]/r &A-mrj Es ist Isis der gute Nordwind, ohne daß ein Unheil bei ihr ist1912 gegen Ägypten. njs=tw n kA=sn nn[…]b? nw m(?)-Hr rn=sn Man ruft zu ihren Kas, […] beu[gen sich(?)] vor ihrem Namen,1913 sDm=tw mdw=sn nn mAA[=sn] man erhört ihre Worte, ohne daß man sie sieht.1914 MnTw m kA [psD.t?] it?1915 it.w n nTr.w pAw.tj.w Month ist der Stier [der Neunheit?], der Vater der Väter der urzeitlichen Götter. wnn As.t m ih.t(?) Hna=f ih.t(?) msj(.t) iwt.t msj.tw=s Es ist Isis als Himmelskuh bei ihm, die Himmelskuh, die gebiert, ohne geboren worden zu sein. &mA.t pw wp(.t)=f(?) […]=f(?) bA(?) […] n rn[…]t iw?[…] m […] tm[… …]stj […] Sie ist die Mutter, die er geöffnet hat(?) […?]

1909 1910 1911 1912 1913

Vgl. die Anm. zum Text. Siehe RÜTER, cnD-n-Hymnen, S. 106–120 und speziell zu den Isis-Hymnen 126. Oder itj? Dann ist allerdings das nachfolgende r problematisch. Zu Parallelen zu dieser Bezeichnung, siehe LGG III, 380c. Die Passage ist völlig unklar; das mit nn beginnende Wort mit dem anscheinend verderbten Determinativ (falls das umfallende Männchen überhaupt noch zum Wort gehört) könnte vielleicht noch am ehesten ein nnj „sich beugen vor“, Wb II, 276, 8, sein, oder (ohne die beiden n) [xA]b „sich ehrfurchtsvoll beugen“. In LGG IV, 676b, wurde auch nur der hintere Teil „in ihrem Namen“ transliteriert und übersetzt. 1914 Vgl. entsprechende Epitheta männlicher Gottheiten in den griechisch-römischen Tempeln: LGG VI, 735c–736a. 1915 Vgl. zur Lesung LGG I, 576c.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Kommentar: Die untere Randinschrift der südlichen Türlaibung untermauert die bereits aus der südlichen snD-n-Hymne (Nr. 1) hervorgegangene lokale Theologie, die Isis als Himmelskuh an die Seite von Month als Stier stellt, in welchem sich die männlichen Vertreter der acht Urgötter vereinen.1916 Auch Isis ist hier entsprechend durch die Worte „die gebiert, ohne geboren worden zu sein“ als Urgöttin gekennzeichnet. Das Konzept von Isis als gutem Nordwind ist relativ verbreitet 1917 und läßt sich mit ihrer Sothis-Identität verbinden, da der Nordwind zusammen mit der Nilflut eintrifft und diese möglichst lange andauern läßt.1918 Möglicherweise könnten die Aussagen, daß man zu Month und Isis ruft und sie hört, ohne sie zu sehen, auf eine Funktion des Tores als Gebets-, Gerichts- und/oder Orakelstätte für die Gläubigen hindeuten, die auch an anderen Tempeltoren bekannt ist.1919 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir Chelouit I, Nr. 16, S. 45–46 Deir el-Schelwit, Isistempel, Propylon, Außenseite, rechte (nördliche) Türlaibung, untere Randinschrift KLOTZ, City of Amun, S. 334 (nur zu Z.1)

Text: Z. 1:

Z. 2:

wnn MnTw m itn dj=f-sw m [email protected] Hrj nTr.w nb Es ist Month die Sonnenscheibe, die sich zeigt als Re-Harachte, Oberster aller Götter. wnn *nn.t m bAq.t Xr=f Es ist Tjenenet der Himmel unter ihm, sw1920 m As.t m (m)skt.t n Hm=f sie ist Isis in der Morgenbarke Seiner Majestät,1921 nbw nbnb(.t) tA m sA.wj das Gold,1922 die das Land mit Gold durchzieht, nbw.t1923 […] m […] gs-pr die Goldene, die […] in(?) […] Tempel [… …] m Hpt(?) Hr Wsjr Aw-ib=f snxn(?)[…] […] beim Umfassen(?) des Gesichtes(?) von Osiris, er freut sich, verjüngt[…]. [wnn]1924 M[nTw](?) m bjtj(?) n njw.wt [Es ist] M[onth](?) der König von Unterägypten der Städte,

1916 Siehe H. STERNBERG-EL HOTABI, Der Propylon des Month-Tempels in Karnak-Nord. Zum Dekorationsprinzip des Tores, GOF IV, 25, Wiesbaden 1993, S. 42, unter 1., mit weiteren Belegen und Literatur. 1917 Vgl. Philae-Photo 1298; weitere Belege in LGG III, 379–380. 1918 Vgl. dazu THIERS, Ciel septentrional, S. 475, d). 1919 Vgl. dazu oben, Kap. 4.7.2 zum Euergetes-Tor. 1920 Für sj. 1921 Vgl. zu diesem Abschnitt KLOTZ, City of Amun, S. 334. 1922 Ein häufiger Beiname der Tjenenet, siehe LGG IV, 178–179. 1923 Uräusschlangen-Determinativ. 1924 Ergänzung nach dem parallelen Aufbau der Z. 1, und dem in Z. 2. wieder folgenden wnn As.t.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hrj-tp tA.wj m rn=f wr das Oberhaupt der Beiden Länder in seinem großen Namen. wnn As.t n[…] m Hrj.t-tp wD.t md.t m xry.t n Hm=f Es ist Isis […] die Uräusschlange, die Befehle erteilt als Orakelentscheid1925 für Seine Majestät, MnTw p(A?) HqA swDA ib.w=f […] ? Month, der Herrscher, der seine Herzen erfreut/dessen Herzen erfreut sind […], s[…] Xr s.t-rA=f […] sind unter seinem Befehl, sw m nb pr-kAp(?) HqA tA.wj r[…] (denn) er ist der Herr des (Prinzen-)Hauses(?),1926 der Herrscher der Beiden Länder bis zu […]. Kommentar: Auch der Nordteil der Randinschrift greift Themen auf, die ausführlich in den beiden snD-nHymnen behandelt werden. Die mit Tjenenet gleichgesetzte und mit Month verbundene Isis ist der Himmel, an dem der Sonnengott dahinzieht; gleichzeitig befindet sie sich als Uräusschlange in seiner Barke. Der Verweis auf Orakelentscheide paßt wiederum zur vermuteten Funktion des Tores, vgl. den Kommentar zur vorigen Inschrift Deir Chelouit I, Nr. 11. Türinschriften am Tempeltor und am Eingang des Sanktuars Text/Hauptpublikation Deir Chelouit I, Nr. 39, S. 107 Anbringungsort Deir el-Schelwit, Isistempel, Tempeltor, Außenseite, linker (südlicher) Türpfosten, untere Randinschrift Bibliographie – Text: Der Text ist nur sehr bruchstückhaft erhalten; die einzige zusammenhängend verständliche Textstelle ist: Z. 2:

[…] wr.t Hnw.t ndb […] die Große, die Gebieterin der Welt (wörtlich: des Fundaments), HqA.t m ifd.t n nn.t […] die Herrscherin in den vier Ecken des Himmels […]

Kommentar: Isis, deren Name nicht erhalten, die aber sehr wahrscheinlich gemeint ist, wird als Herrin der ganzen Welt dargestellt.

1925 xry.t < xr.tw, Wb III, 318, 5–8. Zur Schreibung vgl. HERBIN, Renaissance d’Osiris, S. 87–89; KLOTZ, City of Amun, S. 359–360, Anm. 873 (auch zur obigen Stelle); QUACK, Dekret, S. 230, mit Anm. 32; ID., Philologische Bemerkungen zu den Dokumenten vom Atmen im British Museum, in: LingAeg 20, 2012, S. 271–280: 275. 1926 kAp: „Haus, in dem Prinzen erzogen werden“, Wb V, 105, 7.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

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Deir Chelouit II, Nr. 84, S. 62–64 Deir el-Schelwit, Isistempel, Tür zum Sanktuar, Außenseite, linker Türpfosten –1927

Text: Kol. 1:

(nswj.t bj.tj.t) SpSj.t1928 wsr.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Edle und Mächtige, […]1929 dwA(.t)(?) nTr(?) nTr.t(?) […] gepriesen von Gott und Göttin (?), mw.t1930 n @r kA nxt Hm.t nswt tpj.t n.j.t [(Wn-nfr) die Mutter des Horus, des Starken Stiers, die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris), HqA.t wD(.t) ns.t n1931 wtT=s die Herrscherin, die den Thron demjenigen zuweist, den sie erschaffen hat, wAD(.t) [.wj?]1932 nb.t n [t]A.wj(?) die die [beiden] (?) gedeihen läßt, die Herrin der [beiden?] Länder, mrj[t?] […] SAy n wn[n].t [nb(.t)]1933 die […] liebt(?),1934 das Schicksal1935 von [allem], was existiert(?), n[t]j [nHm?]1936 [Ha.w/D.t?] sn [=s] der/die [rettet?] [den Leib?] [ihres] Bruders,1937

1927 Ich danke den Teilnehmern der 4. Ptolemäischen Sommerschule 2011 in Oostduinkerke, Belgien, wo ich diesen Text vorgestellt habe, für Lesungsvorschläge und Anregungen. 1928 Das alte Sps.t wird in Deir el-Schelwit häufig bereits entsprechend der demotischen Form (vgl. ERICHSEN, Glossar, S. 504) mit zwei S geschrieben, die wie hier auch desöfteren ineinander geschrieben werden, worauf erst das p folgt. 1929 In der Lücke vielleicht eine Schreibung von dwA mit Einkonsonantenzeichen, vgl. ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, a), die „drei kleine Zeichen“ zu erkennen meint. 1930 Statt dwA(.t) nTr nTr.t(?), mw.t n @r vielleicht dwA.t nTr, mw.t-nTr n @r „die Gottesanbeterin, die Gottesmutter des Horus“? Vgl. zum ersten Ausdruck z. B. Philae-Hymne 3 und die Parallele Dend. II, 100, 6–11, wo dieser allerdings jeweils in einem Verbund zusammenhängender Epitheta („die Gottesgemahlin, die große Gottesanbeterin, die Gottesmutter, die Gotteshand“) steht. 1931 Laut ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, b), ein „petit signe de forme indéterminée“. Dem Sinn nach kann hier nur n stehen. 1932 Vgl. Philä III, Nr. 124 (Friesinschrift für Hathor am ‚Durchgang des Tiberius‘, vgl. den Kommentar zur komplementären Inschrift Philä III, Nr. 114, Kap. 4.1.1.A): wAD(.t) m wAD=s n anx „Die die beiden Länder gedeihen läßt mit ihrem Papyrusszepter des Lebens“, siehe den Kommentar von KOCKELMANN/WINTER, Philä III, S. 261, Anm. 13, zur Verschreibung von tA.wj zu n tA. 1933 Vgl. zur Ergänzung LGG VII, 6b (unsicher). 1934 Oder zugehörig zu dem Vorherigen: nb.t n tA-mrj „Herrin Ägyptens“? 1935 Es stellt sich die Frage, ob Isis selbst hier als „Schicksal“ bezeichnet wird, was aufgrund der vorigen Lücken und Unsicherheiten zweifelhaft bleiben muß. Eine eventuelle Parallele bietet eine ebenfalls unsichere Stelle in oHor 10, Z. 8–9 (siehe unten, Kap. 6.2.1.1), wo Isis vielleicht als pA Sy aA(?) „das große(?) Schicksal“ bezeichnet wird, vgl. zur Problematik QUACK, Schicksalsvorstellungen, S. 55; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 16 u. 67, m. Anm. 300 zur Stelle. Falls zuvor nb.t n tA-mrj zu lesen ist, könnte dieses Epitheton auch zu [wD.t/dj.t] SAy n wn[n].t [nb(.t)] „die allem, was existiert, das Schicksal zuweist“ ergänzt werden. 1936 Ergänzung anhand des erhaltenen Determinatives .

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Kol. 2:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

[ …] nxt(.t) irj(.t) mk(.t)=f r ms.w bdS(.t) starke/r […], die seinen Schutz besorgt gegen die Nachkommen der Ermüdeten,1938 nD(.t) Ha.w-nTr ntj1939 [(Wn-nfr mAa xrw) die die Gottesglieder des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme) bewahrt, wAH(.t) ix.t n wrD-ib die Opfergaben darbringt für den Herzensmüden, Hnw.t nxt.w die Gebieterin der Siege/Stärke, Dr.t imn(.t)-s(j) m Ax-bj.t(?) r gs bA(?)=f1940 das Milanweibchen, das sich verbirgt in Chemmis an der Seite seines Ba(?), msj(.t) n(?) @r […] die Horus geboren hat1941 […], irj(.t) […] Hp.tj(?) n irj/tm(?)1942 Hr rn[=s] die erschaffen hat […?] die ganze (?) Welt in ihrem Namen, imj.t-pr=s Dr pAw.t tpj(.t) deren Testament seit der ersten Urzeit/Urgötterschaft1943 besteht, wr(.t) […].t […] pr nsw.t(?) [… … …] die Große, die […] des Königspalastes(?) […], wr(.t) Hsw.t xnt stp-sA groß an Lobpreis an der Spitze des Palastes, n [hb aH.t]1944 m xm=s ohne deren Kenntnis man nicht [den Palast betritt],

1937 Evtl. auch zu einem Ausdruck der Art „die [schlägt] [die Feinde] [ihres] Bruders“ zu ergänzen? 1938 Zu diesen feindlichen Schlangenwesen, die aus den Fingern der Hand des Schöpfergottes hervorgehen, siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 199–202; M. TARASENKO, The Image of mc.w BdSt in Ancient Egyptian Mythology, Studies on the Vignettes from Chapter 17 of the Book of the Dead I, Archaeopress Egyptology 16, Oxford 2016; ferner LGG III, 422–423; WILSON, Ptol. Lex., S. 339–340. 1939 Eine ptolemäisch übliche Schreibung für das Genitiv-Nisbe-Adjektiv nj(.t). 1940 Oder it=f „an der Seite seines Vaters“? Wenn sich das Suffix auf den zuvor genannten Osiris („Herzensmüden“) bezieht, wäre nun Geb gemeint. Die Stelle ist inhaltlich problematisch. Sinnvoller wäre r gs sA=f „an der Seite seines Sohnes (Horus)“; vielleicht handelt es sich um eine Verschreibung. Zu Isis als Dr.t siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 567–578; EAD., Isis und Nephthys als Drt-Vögel, in: GM 218, 2008, S. 57–61. 1941 Das n (falls das Zeichen so zu lesen ist) ist störend. Handelt es sich um eine Genitivkonstruktion „die Gebärerin des Horus“? Alternative Lesung: m S @r „im See des Horus“, das „runde Zeichen“ (vgl. ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, e)) hinter dem Horusfalken wäre demnach ein Stadtdeterminativ. Könnte damit Schenhur gemeint sein? Es finden sich verschiedene Toponyme S (n) @r, die oft nicht zuzuordnen sind, vgl. GDG V, S. 124–125. Falls zuvor wirklich Chemmis gemeint ist, wäre es wahrscheinlicher, daß hier ebenfalls auf eine Lokalität im Delta angespielt wird. 1942 Laut ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, f), trägt der hockende Mann das Zeichen auf den Knien. 1943 Ein unklares Götterdeterminativ hinter pAw.t, vgl. zur Übersetzung LGG III, 20b (ohne diese Stelle). Evtl. auch pAw.tj tpj „seit dem ersten Urzeitlichen“. 1944 Ergänzt nach z. B. Dend. XI, 140, 2, vgl. auch LGG III, 496b–c.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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fAw(.t) irj(.t) qbH.w(?)1945 die Angesehene, die Libationen vollzieht (?), irj.tw mks [m r]n=s (?)1946 [in] deren [Na]men(?) das Mekes1947 gemacht wurde, tA.wj m […] n […] msxn(.t?) n qmA(.t?) wnn[.t] die Beiden Länder (sind?) in […] für […]1948 Aufenthaltsort/Geburtsstätte(?) von dem/der, der/die das Seiende erschuf (?) n[…] idb.w n[…] wAH/im(?) […].tw rwD.tj r n[HH] der […?] Ufergestade von(?) […] sind fest bis in Ewig[keit], nb(.t) mrw.t mnx.t n nTr.w nTr.wt die Herrin der Beliebtheit, die Treffliche der Götter und Göttinnen, Hnw.t [sS?] rx.t im=s1949 die Herrin der Schrift(?), die weiß, was darin ist, %SA.t wr.t smnx(.t) tA.wj Seschat, die Große, die die Beiden Länder vortrefflich macht, Dsr n=s mnw für die Denkmäler geweiht werden,1950 ns(?) pr.w-anx/-dwA.t(?) (i)fd.w1951 die zu den vier Lebenshäusern1952/Morgenhäusern gehört(?), kA.w ir.w m wD.t=s baHj(.t)(?) s[…]?1953 mdw-nTr(?) in deren Befehl(sgewalt) alle Speisen sind, 1954 die überflutet […]? Gottesworte(?),

1945 Oder QbH.wj „die Ägypten geschaffen hat“? Die zwei runden Zeichen deuten vielleicht einen Dual an (zwei Stadtdeterminative?), vgl. Wb V, 29, 8–11. 1946 Hypothetische Ergänzung; es ist nicht sicher, ob die Reste n=s zusammen mit der davor stehenden Lücke nicht doch vielleicht erst zur nächsten Phrase gehören, wo am ehesten ein Ausdruck wie [iwj] n=s tA.wj m [ksw/Hnw]… „zu der die Beiden Länder in Verbeugung/in Jubel kommen“ o. ä. zu erwarten wäre. 1947 Das Mekes ist ein Dokumentenbehälter, der als Symbol für das Königtum wohl die Dokumente des königlichen Besitzes enthält und daher häufig zusammen mit dem auch hier (Kol. 1) genannten imj.tpr erwähnt wird, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 473–474. 1948 Laut ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, g), ein vierbeiniges Tier. 1949 Falls in der Lücke tatsächlich sS zu lesen ist (vgl. ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, h)), ist das Suffix =s nicht korrekt. Vielleicht auch Hnw.t [mDA.(w?)t] „die Herrin der Buchrolle(n)“, vgl. LGG V, 184c. 1950 LGG VII, 670a–671b, übersetzt mit „Die für sich das Denkmal erhaben macht“ („mit unklarer Fortsetzung“). 1951 Eventuell ist die Zahl auch der nächsten Phrase zuzuordnen. 1952 In der ideellen Architektur der Lebenshäuser befindet sich auf allen vier Seiten, welche den Himmelsrichtungen entsprechen, je ein Torbau, siehe die Darstellungen im pSalt 825, DERCHAIN, Papyrus Salt 825, S. 23*, Abb. XIIIb; und im Fayumbuch, BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 124, Abb. 56. Eine Erklärung dafür (und für die ungewöhnliche Schreibung ) liefert pSalt 825, 6, 5–6: „Was die vier Häuser und das Zeichen anx betrifft: der Lebende (anxy), das ist Osiris. Was die vier Häuser betrifft: das sind Isis, Nephthys, Geb und Nut.“; siehe DERCHAIN, op. cit., S. 48–51. Vgl. außerdem Esna III, Nr. 307bis (Kap. 4.11.1.1.A) zu Isis(-Seschat) als Herrin des Lebenshauses. 1953 Ein weiterer Vogel bildet das Determinativ(?). Bei dem ersten baH-Vogel fehlen die langen Federn am Kopf. baHj=s [baH] „sie überflutet das Ackerland“? Allerdings wäre der Anschluß von mdwnTr(?) problematisch.

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Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wD.t(?) n=s nnj(?) die für sich die Überschwemmung befiehlt (?), Hrj(.t) nTr.w msxn(.t?) n nb.t[?] Htp(.t?) […].w [… … … …] die Oberste(?) der Götter des Aufenthaltsortes/der Geburtsstätte der Herrin der Opfergaben/Nebethetepet(?)1955 […], ©Hwtj(?) [… … … … …]x(?) r[…]m[…] Thoth(?) […] [… … … …] ms[xn.wt(?)]1956 nfr.t rrj(.t)1957 […] xmn.yw1958 r=s(?) pw(?) anx=s […] die vollkommene Mes[chenet(?)], die nährt/aufzieht […] die Achtheit(?) zu ihr(?), ist? ihr Leben/sie lebt(?), nbw(.t) wr(.t) n[…] i[…]i die große Goldene von […], nb(.t) wAHy(.t?) […1959 H]rr.(w)t(?)[n?] sx.t(?) die Herrin des Getreides,1960 [die Gebieterin der, o. ä.?] Blumen(?)1961 des Feldes, wbg(.t?) a[…] anx.w die erblühen1962 läßt […] Blumen(sträuße), nhm.tw n=s r[A-a] nn.t mHy.t {H}1963 njnj n[=s] der man zujubelt bis zum Himmel, der Nordwind,1964 dem man huldigt, dwA.t[w] rn=s Hr qn.w(?) deren Namen man preist auf dem trockenen Acker (o. ä.),1965 Rnn.t nfr(.t) sanx(.t) wbs1966 m nb(.t) iAd.t m tA pn die vollkommene Renenutet, die die Pflanzen belebt als Herrin des Taues in diesem Land, p.t pw Hna [sr]f(?) n b(?) Iwnj.t(?) der Himmel ist es und das Wasser ?, Iunit(?), saSA(.t) HAy/Hwy(?) ??1967 Ax.t die die Überschwemmung(?) über das Fruchtland vermehrt,1968

1954 Möglicherweise gehört ifd.w noch zu dieser Phrase und es sind trotz der Schreibung von kA.w mit dem Opferbrot-Determinativ vier Kas gemeint: „in deren Befehlsgewalt alle vier Kas sind“? 1955 Zur Göttin Nebethetepet siehe REFAI, Nebet-Hetepet; VANDIER, Iousâas I–IV. 1956 Falls die Zeichen noch zu dem mit ms beginnenden Wort gehören, kann eigentlich nicht Meschenet gemeint sein. 1957 Das Determinativ einer knienden Frau mit einem „runden Objekt“ (ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 64, i). Tamburin? dürfte eigentlich die kniende Frau, die ein Kind nährt , meinen. 1958 Oder xmn.w Hermopolis? 1959 Die Lücke könnte möglicherweise nach dem Determinativ zu wAHy auch noch ein weiteres Nomen parallel zu nb.t (z. B. Hnw.t) enthalten. 1960 Vgl. einen Beleg für dieses Epitheton aus Opet I, 221 (dort Epitheton der %x.t-nfr.t), siehe LGG IV, 36c. 1961 Zu nb.t Hrr.wt als Epitheton der Isis und Hathor gibt es Parallelen in Dendara (Isistor), siehe oben, Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; vgl. auch LGG IV, 108a. 1962 Für die transitive Bedeutung von wbg siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 220. Vielleicht ist sx.t wbg(.t) aber auch als eigenes Epitheton (das blühende Feld) abzutrennen. 1963 Möglicherweise ein fehlerhaft positioniertes phonetisches Komplement zu mHy.t. 1964 Zu Isis als Nordwind vgl. den Text Deir Chelouit I, Nr. 11, s. o. 1965 Zur Wortbedeutung von qn.w siehe Wb V, 48, 1; WILSON, Ptol. Lex., S. 1060. 1966 ist in der Transkription durch zu emendieren. 1967 Die Stelle scheint verderbt (oder falsch transkribiert) zu sein: Es folgen ein H und ein x aufeinander.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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r grH(?) n […]Hw(?) xaj(.t?) r-hAw nTr.w/sbA.w r […] n [… … …] ij(?)=sn ra nb zur Nacht(?) von ??, die erscheint(?) vor den Göttern/Sternen […] sie kommen(?) jeden Tag. Kommentar: Trotz der schlechten Lesbarkeit dieses wohl unter Hadrian datierenden1969 Textes am Eingang zum Sanktuar ist deutlich erkennbar, daß die in den Inschriften am Propylon so vordergründige Konzeption von Isis als himmlischer Partnerin von Month und Mutter des Sonnengottes hier zugunsten ihrer klassischen Rolle als aktives Mitglied der osirianischen Familie zurücktritt. Sie wird zwar in der zweiten Hälfte der Inschrift wiederum mit verschiedenen Göttinnen (Seschat, Nebethetepet(?), Meschenet(?), Renenutet, Iunit(?)) gleichgesetzt, die teilweise auch in den beiden snD-n-Hymnen eine Rolle spielen, doch speziell der erste Teil stellt die bereits aus zahlreichen Inschriften bekannte Familienkonstellation, verbunden mit dem Thema des Königtums und der Herrschaftsübertragung, in den Vordergrund. Neben der Sicherung des Erbes für Horus werden hier aber gerade besonders die am Propylon gänzlich vernachlässigten Handlungen gegenüber Osiris betont: Isis beschützt seine Körperglieder und besorgt seinen Totenkult (wAH ix.t).1970 Die Charakterisierung in Kol. 2–3 als Bringerin der Nilflut, die für Belebung, Fruchtbarkeit und Nahrungsfülle des Landes sorgt (Renenutet), sowie ihre in unklarem Kontext angedeutete Macht über das Schicksal aller Lebewesen (Kol. 1) decken sich wiederum mit ähnlichen Abschnitten in den snD-n-Hymnen. 1971 Ebenso scheinen die Benennungen als Seschat (Kol. 2) und Nordwind (Kol. 3) Themen des Propylons wieder aufzugreifen. Gerade die Belebung des Landes ist hier jedoch sicherlich im Zusammenhang mit den belebenden Handlungen an Osiris zu sehen, die die Voraussetzung und das mythische Vorbild dazu bilden. Für diese das Land und sein ideologisches System (das legitime Königtum) erhaltenden Taten empfängt die Göttin die Huldigungen der Menschen (Kol. 3) (und Götter, Kol. 1?). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir Chelouit II, Nr. 85, S. 65–67 Deir el-Schelwit, Isistempel, Tür zum Sanktuar, Außenseite, rechter Türpfosten –1972

1968 Oder: „die die Kornfülle auf dem Fruchtland vermehrt“? In LGG VI, 203b, wird der erste Teil dieser Stelle saSA.t wAHy.t „Die die Kornfülle vermehrt“ gelesen, der Rest ist weggelassen. 1969 Zur Datierung der Dekoration des Sanktuars unter Hadrian und Antoninus Pius siehe D. WILDUNG, s. v. „Deir esch-Schelwit“, in: LÄ I, Sp. 1034–1035. Die Kartuschen Hadrians befinden sich im Durchgang des Tores, siehe Deir Chelouit II, Nr. 86–89, auf der Außenseite des Türrahmens sind jedoch keine Königstitel graviert. 1970 Zum Ritual wAH(.t) ix.t für Osiris siehe ausführlich FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagar, S. 401–433; EAD., „Temple de la fête“, S. 131–133. Vgl. zu diesem Thema die Isis-Hymne im Opet-Tempel, Opet I, 139; siehe oben, Kap. 4.7.1. 1971 Vgl. den Kommentar zu Deir Chelouit I, Nr. 1 und Nr. 7, oben. 1972 Ich danke den Teilnehmern der 4. Ptolemäischen Sommerschule 2011 in Oostduinkerke, Belgien, wo ich diesen Text vorgestellt habe, für Lesungsvorschläge und Anregungen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: Kol. 1:

(nswj.t bj.tj.t) @r.t wr.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten), der große weibliche Horus, iqr.t1973 nTr/@r(?)[… …] ns.t(?) nTr n nbw die Vortreffliche des(?) Horus […] der Thron(?) des Gottes aus Gold, Hrj.t-tp dj(.t)-s(j) n TAj n=f wbn=f die Stirnschlange, die sich dem gibt, der für sich sein Aufgehen ergreift (Re),1974 n/m MHnj.t(?) m tp n nb [=s] als Ringelschlange an der Stirn [ihres] Herrn, Spss[…].t(?)1975 [wa.t?]1976 die Vornehme(?), die [Einzigartige (Uräusschlange)], wt[.t](?)1977 m […]? dngngns(?)1978 wr[.t] die Älteste (Uräusschlange) in/an/als […]?, die große(?) Uräusschlange, [nb.t n]m[t.t]1979 m wjA n HH die [Herrin des Aus]schrei[tens] in der Barke der Millionen, irj(.t)-HA.t m dpw-nTr die Steuerfrau in der Götterbarke,1980 pAw.tj [.t1981 tpj(.t)?1982] [irj(.t)?1983 …] die [erste?] Urzeitliche, [die macht/gemacht hat …] n[…] sAw/irj(?)1984 […] xAwj ?[…] behütet(?) […] Abend(?),

1973 Das „kleine runde Zeichen vor dem Vogel“ (ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 67, a)) könnte vielleicht ein Ei sein. 1974 Oder Hrj.t-tp dj-s(w) n kmA.n=f wbn=f „die Stirnschlange dessen, der sich dem gibt/zeigt, was er erschaffen hat, wenn er aufgeht (= Re)“? 1975 Oder ? ss[j].t „die Verbrennende“? Vgl. zu Schlangennamen mit dem Element ss „verbrennen“ LGG VI, 597–598. 1976 Determinativ: Uräus . 1977 Zu wt.t „die Älteste/ weibliche Schlange“ vgl. Wb I, 378, 4–6; WILSON, Ptol. Lex., S. 271; LGG II, 596b–c. 1978 Wb V, 470, 8–11; LGG VII, 551f. Zu dieser Bezeichnung der Isis vgl. den Text Philä II, 8–9. Auch die Bezeichnung weiter oben (Anm. 1974) als „Stirnschlange, die sich dem gibt, der für sich das Aufgehen ergreift“ findet dort eine sinngemäße Entsprechung als „Stirnschlange dessen, Der in Gold erglänzt“. 1979 Laut ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 67, g), befinden sich in der Lücke vor dem m drei kleine rundliche Zeichen, die sich leider nicht genau mit der oben vorgeschlagenen Ergänzung zusammenbringen lassen. Zu diesem häufig belegten Epitheton von Isis und Hathor siehe Philae-Hymne 7 mit Parallelen, zu der inhaltlich auch hier einige Übereinstimmungen bestehen (vgl. die folgenden Anm.); vgl. auch LGG IV, 76a. 1980 Vgl. Philae-Hymne 7, wo irj.t sxr.wt m dp.t-nTr nach nb.t nmt.t m wjA n HH folgt. 1981 Zwei der von ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 67, h), genannten vier kleinen Zeichen dürften sein. 1982 Mehrere Belege für diese Kombination in LGG III, 27b–c. Noch häufiger ist die maskuline Version pAw.tj tpj bzw. Plural pAw.tj.w tpj.w zu finden: LGG III, 24–26. 1983 Vgl. ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 67, i). 1984 Oder handelt es sich um ein Göttinnendeterminativ, so daß vorher evtl. N.t „Neith“ zu lesen wäre?

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Kol. 2:

375

afn(?)=f(?)1985 Hw.t-nTr m md.w n ? sA.t=f wenn er(?) den Tempel umhüllt(?) mit den Worten von ? seiner Tochter, nD(.t) [… … …] rs.tj m Hw.t(?) die schützt […], die wacht im Tempel, Hrj(.t) anx.tw im=s Hrj-tp tA die Obere/Himmlische, durch die man lebt auf der Erde, wbn(.t) st[j.t?]1986 p[.t] r sHD tA.wj die aufgeht und den Himmel erleuchtet, um die Beiden Länder zu erhellen, psD(.t) m wDA.t die erglänzt am Himmel, nxt(.t) [m] grH [m?] msxa.wj(?) r s[anx p]a.wt die schützt/siegreich ist [bei] Nacht [mit] dem Erglänzen(?), um die Pat-Menschen zu beleben, [… w]bn(.t)(?) Htp(.t)(?) r tr.wj(?) […] die erscheint und ruht (= untergeht) zu den beiden Zeiten (= Morgen und Abend/Tag und Nacht),1987 ir.t[j=s] m mAw(.t) n ir[.t? …] [deren] beide Augen die Strahlen des Auges(?) […] sind, n snj grH/kkw r hrw nicht gleicht die Nacht dem Tage, *n[n.t?]1988 Sps.t(?) m [p.t?] Hr(=)s[…]1989 xtm.tj[.t?] ?1990 [… …] nb [… … … …] Tjenenet, die Edle(?) im [Himmel(?)] ? die Sieglerin ? […] alle/Herr(in) […] […] dj(.t?) [… …] r? kA.w […] gibt(?) […] ? Speisen, Hr.t tA [tA.wj/idb.wj?]1991 Hr(?) m(?) [… …]1992 twt=s deren Abbild der Himmel, die Erde, die Beiden Länder/Ufer, [tragen, verehren?], As.t rs(.t?) m […] Isis/Himmel,1993 die wacht(?) in(?) […], smAa(.t) pr(.w) ix.t nb im=s (die) einen Überschuß an allen Dingen darbringt, die darin/in ihr sind, r/iw(?) tA nn.t dwn.ty(?) SAa msH(?)[…]1994 tA pw(?) indem Erde und Himmel sich erstrecken bis zu ?? die/der Erde ist es(?),

1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993

Oder sA-tA? Oder: wbn=s [m] p.t „wenn sie aufgeht am Himmel“. Vgl. Wb V, 316, 1–2. Die Lücke erscheint eigentlich etwas klein für den Göttinnennamen. In der Lücke die phonetische Schreibung von xtm? Verdorbene oder mißverstandene Schreibung für Axbj.t „Chemmis“ (oder wAD) ? Das Determinativ spricht für diese Ergänzung. In der zweiten Hälfte der Lücke vielleicht die phonetische Schreibung von tw.t. Mit Himmelsdeterminativ (oder neues Wort?). Zur Schreibung „Isis“ mit der Bedeutung „Himmel“ siehe D. KURTH, Ast (Isis), eine Bezeichnung des Himmels in Texten griech.-röm. Zeit, in: GM 19, 1976, S. 35–37. 1994 Oder SAa(.t) msw.t „die die Geburt begonnen hat“?

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376

Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Xnm(.t)(?) Hr.t die sich mit dem Himmel vereint, irj(.t) hrw(?) m nmtt=s die den Tag mit ihrem Schreiten/Schritt verbringt, nb(.t) p.t m[wnf(.t)?]1995 nTr/@r die Herrin des Himmels, [die Helferin?] des Gottes/Horus, Hnw.t tA.wj nb(.t)(?) […1996 …] Dt/dwA.t1997 die Gebieterin der Beiden Länder, die Herrin(?) […] Ewigkeit/Unterwelt, wnn=s wAH.tw r wn(?) Ra.t n tA.wj [… … …] Sie ist dazu bestimmt, die Sonnengöttin der Beiden Länder (Rattaui) zu sein […] anx […] aS/njs/Hkn (?) […] nb[.t?] lebend/Leben/Es lebe […] ruft/jubelt(?) […] die Herrin/alle, njn[j?] tA.wj(?) nb(.t)(?) ay[…?] die die Beiden Länder grüßt(?), die Herrin des Jauchzens(?), [nb.t?] Ax.t nbw n=f(?) Dam n […] ? […] ? wAD(?) [die Herrin?] des Horizontes, das Gold ??, das Weißgold von […] …? […] Wp-wA.wt(?) Dr(?)[… … … …] r mAA(?)[=s] […] Upuaut(?) ? […], um [sie?] zu sehen(?), wb[n(.t)] n/m(?) BAq.t m anx(.t) nn.t die aufgeht in Ägypten als Lebende (Uräusschlange) des Himmels, […] xaj.t m p.t wsr.t m tA [… …] […] die erscheint am Himmel, die Mächtige auf der Erde […], nsr(.t)(?) sbj.w(?) die die Rebellen verbrennt(?), nts wD(.t) md.t r tA pn (denn) sie ist es, die diesem Land Befehle erteilt, irj(.t)1998 tp n nTr aA die zum Haupt des großen Gottes gehört,1999 wr(.t) SAa(.t)(?) xp(r) is m nb(.t) tA imj.{w}t(?) nTr.w die Große, die zuerst entstanden ist als Herrin der Erde unter den Göttern (?), […]r[… …] sSm(.t) dj(.t) nnj(?)=f […] die Führerin, die veranlaßt, daß er weggeht(?), xtm(.t)(?) ? =s(?) xntj(.t) sAw.n=sn die Sieglerin(?) ?, die an der Spitze der Schutzgötter (des Tempels = synnaoi theoi) ist,

1995 Ergänzung aufgrund des Determinatives; vgl. z. B. LGG III, 273b: mwnf.t n nTr.w nTr.wt „Die Helferin der Götter und Göttinnen“. 1996 Laut ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 67, m), befinden sich unter dem (unsicheren) drei kleine runde Zeichen. 1997 Vielleicht ist der gesamte Ausdruck zu nb(.t) [p.t tA] dwA.t „Herrin des Himmels, der Erde und der Unterwelt“ zu ergänzen? Die von ZIVIE (vgl. vorige Anm.) beschriebenen Zeichenreste kann ich dieser Rekonstruktion allerdings nicht zuordnen. 1998 Oder sAw(.t) tp? 1999 Oder „die das Haupt des großen Gottes schützt“, vgl. die vorige Anm.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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nD.tj(.t) […] m tA r Aw=f n/m(?) nb(.t?) m […] r [Dt?] die Beschützerin von […] im ganzen Land als(?) Herrin in […] in Ewigkeit. Kommentar: Wie das Pendant Nr. 84 ist auch die rechte (nördliche) Türpfosteninschrift schlecht erhalten und insgesamt nur schwer verständlich. Einige grundlegende Tendenzen lassen sich aber feststellen: Dieser Text ist mit seiner Thematik näher an der Propylon-Dekoration, da das Verhältnis von Isis zum Sonnengott im Mittelpunkt steht. Die 1. Kolumne widmet sich zunächst mit zahlreichen Benennungsvarianten ihrer Rolle als Uräusschlange des Sonnengottes und Pilotin seiner Barke. Als solche übt sie auch Befehlsgewalt aus (Kol. 3), und ihre schützende, apotropäische Kraft wird in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisiert. 2000 Des weiteren ist Isis wieder mit Months Partnerinnen Tjenenet(?) und Rattaui gleichgesetzt (Kol. 2), was ebenfalls die enge Beziehung zum Sonnengott impliziert. Sie wird selbst als leuchtende Himmels- und Gestirnsgöttin verstanden, was insbesondere anhand der Kumulation von Wörtern für „Himmel“ und „Horizont“2001 und Umschreibungen des „Aufgehens“ bzw. „Leuchtens“ 2002 festzustellen ist. Während sie in der korrespondierenden Inschrift Nr. 84 (s. o.) durch ihre Handlungen an Osiris und das Verursachen der Nilschwelle als Lebensspenderin gilt, wird sie dies2003 im obigen Text durch ihr Licht und das Vertreiben der Finsternis. Mit diesen lebensspendenden und damit schöpferischen Kräften hängt hier möglicherweise auch ihre Charakterisierung als Urgöttin zusammen (Kol. 1: „erste Urzeitliche“; Kol. 3: „Große, die zuerst entstanden ist“). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Deir Chelouit II, Nr. 86, S. 68–69 Deir el-Schelwit, Isistempel, Tür zum Sanktuar, linke Türlaibung Notizen JAMBON2004 1 Kol. für Pharao (Hadrian), 1 für Isis.

Text: – Text Isis: As.t wr.t mw.t-nTr SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw StA Isis, die Große, die Gottesmutter, die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge2005 residiert,

2000 2001 2002 2003 2004

Kol. 1: Schutz im Tempel; Kol. 3: verbrennt Rebellen; Beschützerin von […] im ganzen Land. Hrj.t: Kol. 1, 2 (2x); p.t: Kol. 1, 2 (2x), 3; wDA.t: Kol. 1; As.tHimmel-Det.: Kol. 2; nn.t: Kol. 2; Ax.t: Kol. 3. wbn: Kol. 1 (2x), 3; stj.t(?): Kol. 1; sHD: Kol. 1; psD.t: Kol. 1; msxa.wj: Kol. 1; mAw.t: Kol. 2; xaj: Kol. 3. Kol. 1: anx.tw im=s Hrj-tp tA; r s[anx p]a.wt; Kol. 3: […] anx […];anx(.t) nn.t. Ich danke EMMANUEL JAMBON herzlich für seine Unterstützung, indem er mir freundlicherweise seine Notizen von einem durch C. ZIVIE-COCHE abgehaltenen Seminar (EPHE, 1999), in dem einige Texte aus Deir el-Schelwit behandelt wurden, zur Verfügung stellte. 2005 Zu dem in den Deir el-Schelwit-Texten immer wieder erwähnten „geheimen Gebirge“ (siehe auch die folgenden Texte), vgl. ZIVIE, Trois campagnes, S. 156.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hrj(.t)-{ib}2006 n nTr.w nb(.w) wr.t HkA(.w) Hrj(.t)-ib aH.t die Uräusschlange aller Götter, die Zauberreiche inmitten des Palastes, xaj nswt m wD.t=s durch deren Befehl der oberägyptische König erscheint, bj.tj xft Dd=s gemäß deren Rede der unterägyptische König (erscheint), xA n sDmy.w m Hn DbA.w=s in deren Amtsgewalt die Halle der Verhörenden (= Richter) ist,2007 nrw=s pXr.tw xt tA.wj idb.w deren Schrecken durch die Beiden Länder und die Ufer umherzieht, snD=s xr Hnmm.t deren Ehrfurcht (= die Ehrfurcht vor ihr) beim Sonnenvolk ist. dj=s qnw nb nxt nb Aw(.t)-ib nb rSw.t nb n 2008 Möge sie geben alle Tapferkeit und alle Stärke, alle Fröhlichkeit und alle Freude für ! Kommentar: Vergleichbar mit der äußeren Türpfosteninschrift (Nr. 85, s. o.) der gegenüberliegenden Seite des Tores, stellt auch dieser Text Isis nach ihren lokalen Haupttiteln2009 als mächtige Uräusschlange dar, wobei insbesondere der Aspekt ihres Schreckens sowie ihrer Befehlsgewalt betont wird. Letzterer wird neben relativ verbreiteten Aussagen, die sich auf den König beziehen,2010 noch durch ein ansonsten unbekanntes Epitheton bereichert, das ihr auch die Gerichtshalle unterordnet, womit sie gleichzeitig mit Maat2011 in Verbindung gebracht wird (vgl. Nr. 7). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Deir Chelouit II, Nr. 87, S. 70–71 Deir el-Schelwit, Isistempel, Tür zum Sanktuar, rechte Türlaibung Notizen JAMBON 1 Kol. für Pharao (Hadrian), 1 für Isis.

2006 Die Determinierung durch die Uräusschlange spricht stark für diese Korrektur. Vgl. auch LGG 5, 425a. 2007 Siehe zu dem Terminus sDmy, ursprünglich einer realen Verwaltungsfunktion bei Gericht (Ermittler, Untersuchungsrichter?) im MR: WILSON, Ptol. Lex., S. 700; H. GOEDICKE, Comments Concerning the „Story of the Eloquent Peasant“, in: ZÄS 125, 1998, S. 109–125: 112; E. D. BEDELL, Criminal Law in the Egyptian Ramesside Period, Diss., Brandeis University 1973, S. 9–10. Das Epitheton ist ansonsten nicht belegt, vgl. LGG V, 625a. Vgl. aber den Kommentar zu Deir Chelouit I, Nr. 11, zu einer möglichen Gerichtsstätte am Tor des Tempels. 2008 Das Ende des Textes fehlt, da kein Platz mehr vorhanden war, siehe ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 69, k). 2009 Vgl. dazu Kap. 4.8.2. 2010 Vgl. dazu z. B. zahlreiche Dendara-Texte und BERGMAN, Ich bin Isis, S. 166–169. 2011 Siehe dazu BERGMAN, Ich bin Isis, S. 176–208 und 271–272; GRIFFITHS, Isis as Maat.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Text: – Text Isis: As.t wr[.t] mw.t-nTr Sps.t wsr.t xnt Dw imntj Isis, die Große, die Gottesmutter, die Edle und Mächtige an der Spitze des Westgebirges, Ray.t wr(.t) n Snw [it]n die große Sonnengöttin im Umkreis der Sonnenscheibe, HqA.t n [xAbAs.w?] nn.t [… …] m [… … …] die Herrscherin [der Leuchten?] des Himmels […] […] m X.t/Hw.t2012 bnbn nfr(.t) Hr bnr.t mrw.t […] im Haus des Benben,2013 schön an Gesicht, süß an Beliebtheit, mrj(.t) nTr.w mAA=s ra nb die Tag für Tag zu sehen die Götter lieben, Hm.t nswt wr.t n.j.t [(Wn-nfr) die Große Königliche Gemahlin des [(Onnophris), mw.t-nTr n @r kA nxt die Gottesmutter des Horus, des Starken Stiers. dj=s anx nb snb nb nsyw(.t) aA.t m 2014 Möge sie alles Leben und alle Gesundheit und großes Königtum geben ! Kommentar: Der Beginn der rechten Türlaibungsinschrift greift die Darstellung der Isis als Gestirns- und Himmelsgöttin aus der äußeren Türrahmeninschrift der gleichen Seite wieder auf (Nr. 85). Am Ende, vor der Segensformel, wird sie hingegen wie in der linken Türrahmeninschrift (Nr. 84), in den Kreis der osirianischen Familie gestellt, wodurch sich im Dekorationsprogramm chiastische und parallele Bezüge ergeben: Türrahmen, außen Türlaibung

Links (Nordseite) Osirianische Familie, Königtum Uräusschlange, Befehlsgewalt, Königtum

Rechts (Südseite) Uräusschlange, Befehlsgewalt, Gestirnsgöttin Gestirnsgöttin, Osirianische Familie

2012 Vgl. zur Schreibung Wb III, 358, 12. 2013 Vgl. z. B. Philae-Hymne 7: „Einzigartige im Haus des Benben“. 2014 Vgl. die gegenüberliegende Inschrift, Nr. 86.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Bandeau-Inschriften und zentrale Szenen im Sanktuar Text/Hauptpublikation Deir Chelouit III, Nr. 120, S. 68–692015 Anbringungsort Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, untere Randinschrift, linke Hälfte Bibliographie ZIVIE-COCHE, Religion, S. 141 (kurze Besprechung, ohne Übersetzung) Text: (nswj.t bjtj.t) As.t wr.t mw.t-nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw nTr(j)(?)2016 die Edle, die Mächtige, die im göttlichen(?) (bzw. ) Gebirge residiert, HqA.t n p.t Ax.t m tA [… …]2017 m [dwA.]t(?) die Herrscherin des Himmels, die Prächtige auf der Erde, […] in [der Unterwelt?],2018 [s]anx(.t?) wnn.t(?) […] n @r/nTr(?) m [… …]=sn ?2019=sn xft […]=s die das Seiende(?) [be]lebt(?) […] Horus/Gott(?) als/in […] sie/ihr […] ihren ? gemäß ihrem […], Hrj(.t)-{ib}2020 bs(.t) nb Uräusschlange, die den Herrn einführt (in das Königtum) t[…]nn(?)[…] m Ir-tA […] tA […] ? […] als(?) Erdschöpferschlange […] Erde, mH &ib\2021=sn im=s in nswt.w(?) bjtj.w gefüllt wurden ihre &Herzen\ mit ihr seitens der Könige von Ober- und Unterägypten, wnn(.t) &nb\2022 Sm=sn ijj=sn ij.wt=s alles Existierende kommt und geht ihrem Kommen. m[w.t]/id[.t](?) pw As.t iw=s m [nx]y[.t] nfr.t n ib Eine Mu[tter(?)] ist Isis, indem sie vollkommene [Schützerin?] ist für das Herz(?),

2015 Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. Außerdem danke ich herzlich Frau C. COCHE-ZIVIE für die Diskussion und hilfreiche Bemerkungen zu diesem Text und den Lesungen einzelner Zeichen, die ich bei einem Gespräch während der 5. Ptolemäischen Sommerschule im September 2015 in Montpellier von ihr erhalten habe. 2016 ist wohl Verschreibung für imntj. 2017 Eventuell eine Vogelhieroglyphe. 2018 Vgl. andere, ähnliche Formeln, z. B. in Assuan-Hymne 5; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; XV, 25, 7–26, 14 (hier jeweils mit Namensformel): Ax.t(j) m p.t (…) wsr.t(j) m tA (…) Tnj.tj m dwA.t (…). 2019 In Deir Chelouit III als transkribiert (mit Fragezeichen). Ich erkenne hier (anhand des Photos von C. LEITZ) aber mehrere Zeichen, evtl. eine Standarte mit etwas darauf, Pluralstrichen und noch einem weiteren flachen Zeichen darunter. 2020 Uräusdeterminativ. Siehe auch oben, Nr. 86. 2021 Ergänzt anhand des Photos von C. LEITZ: Es handelt sich um ein schwer erkennbares, etwas unförmiges Zeichen, das aber aufgrund des Kontextes m. E. nur sein kann (in Deir Chelouit III, S. 69, d), als unleserlich angegeben. 2022 Abgewetzt, aber Spuren der Zeichenform erhalten.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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ptH.t X.t qmA2023.n=f ?2024Dw ? Hr(?)=s die die Leiber öffnet, wenn er (= Seth) Böses ersinnt gegen sie(?) msxn.t rr.t(?) Rnn.t(?) m rn=s die Geburtsstätte/Meschenet, die Aufzieherin; Renen(ut)et ist ihr Name (?), prj [SA]y2025 […] Hr […] dndn(?)[…] Hr [… … … … … … …] Hr(?) [… …] n […] pn(?) n=f [… …]s [… …] Auf [deren …(?)] das Schicksal hervorkommt (?) […] ? […] Wütende(?) […] Kommentar: Der lückenhafte Text wird fortgesetzt mit der Titulatur des Königs (Hadrian) und den Gaben/Leistungen, die Isis ihm bringen soll. Leider ist der Text insgesamt zu schwer lesbar, um sichere konkrete Aussagen zu dem auf die Haupttitel folgenden Inhalt treffen zu können. Offenbar geht es wieder um verschiedene Schlangenformen der Göttin (Hrj.t-tp, Rnn.t), die sowohl schützende als auch belebende/schöpferische Funktionen haben (vgl. Deir Chelouit II, Nr. 85). Eventuell ist auch die Einführung in das Königtum genannt (zumindest ein Bezug zu Königen/Königtum ist sicher). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir Chelouit III, Nr. 121, S. 70–712026 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, untere Randinschrift, rechte Hälfte ZIVIE-COCHE, Religion, S. 141 (kurze Besprechung, ohne Übersetzung)

Text: (nswj.t bjtj.t) As.t wr.t [mw.t-]nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Große, die Gottes[mutter], [SpSj.t] wsr[.t] Hrj(.t)-ib Dw StA wA[.t]-nTr(?) die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge residiert, dem Gottesweg(?),2027 [… …]r(?).t2028 imj.wtj(?)/imj.w m(?) &p.t(?)\ i[… …] […] diejenigen, die im/inmitten von ? &Himmel(?)\ sind […] n ??[…].w i(?)[…] ? [… …] ir.t(?) a/dj(?)[…] ?? […] das Auge/die macht ?? […]

2023 Die Edition Deir Chelouit III gibt hier „nicht identifizierbare Spuren“ an. Anhand des Photos von C. LEITZ ist m. E. ziemlich sicher zu erkennen. qmA Dw (…) ist als Bezeichnung des Seth belegt, vgl. LGG VII, 207b. 2024 Die Edition gibt hier noch ein an, das jedoch nicht (mehr) sicher erkennbar ist. Es könnte sich auch um ein anderes Zeichen gehandelt haben. 2025 Schlangendeterminativ erhalten. 2026 Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. 2027 D. h. auf dem Prozessionsweg des Month von Armant, vgl. Deir Chelouit III, Nr. 154 (in der Beischrift der Isis). 2028 Wohl ein Göttinnenname: .

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

s[tj] 2029=s(?) Hapj(?) Sie g[ießt] die Überschwemmung (?) aus/die die Überschwemmung ausgießt xf[t(?)] Ax.tj m an.w=f gemäß dem Horizontischen bei seiner Rückkehr; Dd.tw %tj.t m rn=s man sagt (daher) ‚Satet‘ als ihren Namen, anq(.t)-sw2030 mjt.t r an=f-s(w) die sie ebenso flutet/herbeiführt, so daß er sich umwendet, r ar tp m kA=s n anq.t um aufzusteigen zu den oberen/besten (Feldern(?)),2031 in ihrem Namen Anuket,2032 iw=&s\2033 m sAy(?) n tA m MHw(?)/Ax.w(?) indem sie(?) der Balken der Erde2034 ist in Unterägypten(?)/mit Pflanzen(?) &nm\t(?)2035 nswt2036 r[…(?)] m tA Dr=f n snD=sn es schreitet der (oberägyptische) König, […(?)] im ganzen Land aus Ehrfurcht vor ihnen. qnj Xs n=s m rA-a.wj Stärke und Schwäche sind für sie als Werk (?), r sanx Hrj.w Xrj.w m-xnt=s um die Oberen und die Unteren (Lebewesen = die Himmlischen und die Irdischen) durch sie zu versorgen. dj=s qnw nb n sA=s mrj=s nswt bjtj … Möge sie geben alle Stärke an ihren Sohn, den sie liebt, den König von Ober- und Unterägypten… (Es folgen die Titulatur des Königs (Hadrian) und die erwünschten Gaben von Isis an ihn.) Kommentar: Die rechte Hälfte der unteren Randinschrift ist beinahe genauso schlecht lesbar wie die linke; dennoch läßt sich hier zumindest ein zusammenhängender Schwerpunkt feststellen. In Korrespondenz mit den Türrahmeninschriften (Nr. 84–85, s. o.) wird Isis vorrangig als Lebensspenderin für Götter und Menschen („um die Oberen und Unteren durch sie zu versorgen“) präsentiert, die das Land durch die Nilflut, die sie als Satet und Anuket verursacht, 2029 Ein Wortspiel mit dem kurz darauf genannten Namen der Satet ist aufgrund von Parallelen und dem kurz darauf folgenden Wortspiel mit Anuket sehr wahrscheinlich. 2030 In diesem Zusammenhang kann nur der Nil gemeint sein, was den Übersetzungs- und Ergänzungsvorschlag der vorigen Formulierung unterstützt (Anm. 2029); vgl. z. B. die Litanei mit der Namensformel in Assuan-Hymne 5 und Parallelen: stj(.t) Hapj baHj.n=f tA.wj m rn=T pfj n %pd.t/%Tj.t inq=T-s(w) r sjwr sx.t m rn=T pfj n anq.t „die du den Nil ausgießt, wenn er die Beiden Länder überschwemmt, in jenem deinem Namen ‚Sothis/Satet‘, du flutest ihn (den Nil), um das Feld fruchtbar zu machen, in jenem deinem Namen ‚Anuket‘“. 2031 Vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1140: tp.w „beste Felder, Fruchtland“. 2032 In LGG II, 173a, heißt es über die Stelle: „in unklarem Zusammenhang“ (unter Belegnr. [34], vgl. [12] = Assuan-Hymne 5 und [46] = Dend. XV, 25, 7–26, 14). 2033 Nach Photo von C. LEITZ. Deir Chelouit III gibt ein Schilfblatt (mit Fragezeichen) an. 2034 Zu diesem Götterepitheton siehe LGG VI, 141b. 2035 Nach Photo von C. LEITZ. M. E. ist zu lesen (Deir Chelouit III: ). 2036 In Deir Chelouit III sind Pluralstriche hinter angegeben; nach dem Photo von C. LEITZ sind jedoch keine zu erkennen.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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fruchtbar macht und Pflanzen in Fülle wachsen läßt. Die Stelle, die sie mit Wortspielen mit den beiden Quellgöttinnen identifiziert, ist eng verwandt mit der mehrfach belegten Passage in der Litanei mit der Namensformel,2037 wenngleich zumindest der erste Teil hier nicht ganz klar lesbar ist. Der Text nennt neben den allgemeinen Nutznießern Göttern und Menschen explizit einzelne Personengruppen, die von ihrer Lebenskraft und Macht profitieren: der König (in unklarem Zusammenhang) und die „Oberen und Unteren“. Stärke und Schwäche sind gleichermaßen ihr Werk. Stärke (qnw) ist es wiederum, die sie in der Schlußformel dem regierenden Herrscher, Kaiser Hadrian, geben soll. Mit dieser Aufzählung wird deutlich, daß Isis für alle Lebewesen ohne Unterschied zuständig ist.2038 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 154, S. 192–196; Taf. 192039 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Westwand (= Rückwand), oberes Register, linke Szene VON LIEVEN, Isishymnus; KLOTZ, City of Amun, S. 327–332; Notizen JAMBON; THIERS, Ciel septentrional, S. 55 (nur Kol. 6–8)2040 Der König (Hadrian) steht mit erhobenen Armen anbetend vor der thronenden Isis; hinter ihm das Wappen von Oberägypten: Geiergöttin auf nb-Zeichen auf Lotospflanze. Der Text der Hymne befindet sich unten zwischen Pharao und Isis.

Text: – Hymne (= Rede des Königs): zwei Zeilen mit Einleitung, darunter sieben Kolumnen: Z. 1: iAw n=T As.t hy n=T nb(.t) tA.wj Lobpreis für dich, Isis, Jubel für dich, Herrin der Beiden Länder, hnw n=T wr.t-HkA.w Jauchzen für dich, Zauberreiche, Z. 2: hy n kA=T hy n Hm(.t)=T As.t wr(.t) mw.t-nTr Jubel für deinen Ka, Jubel für deine Majestät, Isis, die Große, die Gottesmutter, hnw n=T es jauchzt für dich:2041 Kol. 3: itn m D.t=f die Sonnenscheibe in ihrem Leib (= am Morgen),

2037 Assuan-Hymne 5; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14. 2038 Vgl. Deir Chelouit II, Nr. 84: „sie ist es, die das Schicksal vollendet(?) für jedermann, die Geringen und die Vornehmen gleichermaßen“. 2039 Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. Das Photo der Szene in Deir Chelouit III, Taf. 19, ist zu klein und von zu schlechter Qualität, um den Text darauf sicher lesen zu können. 2040 THIERS folgt in der Auffassung der Textstruktur offenbar der Übersetzung von VON LIEVEN, Isishymnus. 2041 Es handelt sich hierbei um den Refrain, der am Anfang jeder Kolumne, die jeweils mit einem substantivischen Ausdruck, nämlich einer Gruppe von Himmelswesen, beginnen, zu wiederholen ist. Vgl. die Struktur der Philae-Hymnen 1 und 2. Vgl. den Kommentar unten.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hkn n=T Itm m X.t=f es preist dich Atum in seinem Bauch (= am Abend),2042 mj ntT p.t dj=s(w) Ra m Xnw=s weil du der Himmel bist,2043 in welchen sich Re (die Sonne) begibt, psD IaH m qAb=s und in dessen Inneren Iah (der Mond) erglänzt. Kol. 4: (hnw n=T) nTr.w/sbA.w imj.w p.t (Es jauchzen für dich) die Götter/Sterne, die im Himmel sind,2044 swAS-t(j) rA.w Ax.tj.w2045 es verehren dich die Münder der Horizontischen, mj ntT id.t wnm(.t) rrj.w=s msj(.t)-sn r nw=s (ra nb?)2046 weil du das Muttertier bist,2047 das seine Ferkel frißt und sie zu seiner Zeit gebiert, (jeden Tag?). Kol. 5: (hnw n=T) sar md.t imj.w skt.t (Es jauchzen für dich) diejenigen, die die Worte aufsteigen lassen, die in der Morgenbarke sind, sHtp-tw mAa.tj.w Ra (m) manD.t(?)2048 es stellen dich zufrieden die Gerechtfertigten2049 des Re in der Abendbarke,2050 mj ntT sxaj(.t) Ra tp dwAw weil du es bist, die Re erscheinen läßt jeden Morgen, sHtp(.t) Itm m grH und die Atum ruhen (= untergehen) läßt in der Nacht/am Abend.

2042 Vgl. zu D.t=f…X.t=f: WILSON, Ptol. Lex., S. 1250; siehe auch unten, Nr. 141. 2043 Zur Konstruktion vgl. GARDINER, Egyptian Grammar, § 154. 2044 VON LIEVEN, Isishymnus, S. 166, ignoriert den Refrain und hängt „und die Sterne, die sich im Himmel befinden“ direkt an Kol. 3 an. Auch KLOTZ, City of Amun, S. 330, erkennt die Refrain-Struktur nicht und liest nTr.w imj.w p.t (Hr) swAS=T „die Götter im Himmel verehren dich“. 2045 KLOTZ, City of Amun, S. 330, liest irj.w Ax.tj.w „die der Achet“. 2046 Zwei runde Zeichen sind unter den eigentlichen Kolumnenrand geschrieben; auch ergänzt von VON LIEVEN, Isishymnus, S. 166 m. Anm. d) auf S. 168. Vielleicht ist =s auch zu =s[n] zu ergänzen: „…zu ihrer Zeit gebiert“, Vorschlag nach KLOTZ, City of Amun, S. 330; und Notizen JAMBON. 2047 Vgl. VON LIEVEN, Grundriß, S. 161, die die Stelle dort allerdings als Nw.t (wohl statt ntT) id.t wnm(.t) versteht; in ihrer Besprechung des gesamten Hymnus, Isishymnus, S. 166, übersetzt sie jedoch ebenfalls ntT id.t. 2048 Das Wort ist etwas seltsam geschrieben, scheint mir aber durch das Determinativ und den typischen Parallelismus zu (m)skt.t recht sicher. 2049 Die mAa.tj.w sind Bewohner der Unterwelt, die in mehreren Quellen auch mit der Sonnenbarke in Verbindung gebracht werden, in der sie das Vordertau greifen, siehe LGG III, 230–231, bes. Belege [25–16, 29, 35]; siehe zu den mAa.tj.w auch F. LABRIQUE, L’escorte de la lune sur la porte d’Évergète à Karnak, in: Gundlach/Rochholz (Hrsg.), Feste im Tempel, S. 91–121, bes. 114–115; QUACK, Götterliste, S. 220–225 und 232. 2050 Zur Vertauschung der Bedeutungen von (m)skt.t – ehemals die Abendbarke – und (m)anD.t – ehemals die Morgenbarke – in spätägyptischen Texten, siehe M. SMITH, pBM 10507, S. 85. VON LIEVEN, Isishymnus, S. 167, bezieht die Aussagen als aktive Partizipien auf Isis: „die die… Angelegenheiten erhebt, die die beiden Wahrheiten… ruhen läßt.“ Dagegen spricht sowohl die Gesamtstruktur der Hymne als auch das ausgeschriebene unabhängige Pronomen 2. Pers. Sing. fem. tw hinter sHtp.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Kol. 6: (hnw n=T) ixm.w-skj.w (Es jauchzen für dich) die Unvergänglichen (Zirkumpolarsterne), ixw2051 n=T wpw.tj.w (nTr.w?)2052 n p.t rsj.t es preisen dich die Boten (der Götter?) des südlichen Himmels,2053 mj ntT %T.t/%pd.t nb(.t) tp-rnp.t weil du Satet/Sothis bist, die Herrin des Jahresanfangs, [Hnw?].t2054 xAbAs.w r gs %AH {k} die Gebieterin(?) der Himmelsleuchten an der Seite von Orion, Kol. 7: (hnw n=T) ixm.w-wrD(.w) (Es jauchzen für dich) die Nimmermüden (Sterne), snsj(?)-tw2055 [w]nw.wt(?)2056 n p.t mHtj.t es preisen dich die [Stunden(?)]-Sterne des nördlichen Himmels, mj ntT Ip.t wr.t m ghr.t2057 weil du die große Ipet am Nordhimmel bist, sAw(.t) msx.tj.w m pXr2058 die den ‚Schenkel‘ bewacht im Umlauf (= immer wieder, zyklisch). Kol. 8: (hnw n=T) nTr.w/sbA.w Htp.w imj.w Xr.t-nTr (Es jauchzen für dich) die Götter/Sterne, die in der Nekropole ruhen,2059 2051 Nach Photo von C. LEITZ steht hier m. E.: . Deir Chelouit III gibt an: , woraus dann von VON LIEVEN, Isishymnus, S. 167, und KLOTZ, City of Amun, S. 330, das Verb [s]nsj rekonstruiert wurde. Das Schilfblatt am Wortanfang ist m. E. jedoch unbezweifelbar. In der folgenden Kolumne ist dagegen snsj eindeutig geschrieben. 2052 Ich bin nicht sicher, ob die Gruppe hier für das Wort nTr.w steht (so verstanden von VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 137) oder nur Determinativ für die „Boten“ bildet. VON LIEVEN, Isishymnus, S. 167, läßt das nTr.w nun ebenfalls weg. 2053 KLOTZ, City of Amun, S. 330, konstruiert wieder wie in Kol. 4: ixm.w-skj.w (Hr) [s]nsj n=T, wpw.tj.w n p.t rsj.t „Die unvergänglichen Sterne preisen dich, (nämlich) die Boten des südlichen Himmels“. 2054 Falls die Lücke und das folgende t nicht noch zu rnp.t gehören. Vgl. zur Ergänzung auch KLOTZ, City of Amun, S. 330. 2055 KLOTZ, City of Amun, S. 330, liest hier nun ixm.w-wrD dwA=sn-tw „die Nimmermüden Sterne beten dich ständig an“, und weicht damit etwas von seinem bisherigen Schema ab. 2056 bildet wahrscheinlich nur Determinativ zum vorgehenden Wort; wohl wieder die Bezeichnung einer Sternengruppe o. ä., vgl. die parallele Formulierung in Kol. 6. Zu der von mir vorgeschlagenen Ergänzung wnw.wt „Stundensterne“, siehe Année lexicographique II, 78.0975; QUACK, Dekane, S. 10–11, mit weiteren Verweisen. KLOTZ, City of Amun, S. 330, ergänzt zu [g]n[X].wt „Sterne“ (Wb V, 177, 1–3); WILSON, Ptol. Lex., S. 1103. 2057 Die Lesung dieser Passage richtet sich nach THIERS, Ciel septentrional, S. 55, nach einem Vorschlag von D. KLOTZ, siehe ibid., S. 55, Anm. 14; und KLOTZ, City of Amun, S. 330 mit S. 331, (g). Die Stelle war nach der Wiedergabe der Hieroglyphen in Deir Chelouit III kaum verständlich, siehe LGG I, 218a, [20]: „Bezeichnung der Isis in unklarem Zusammenhang…“; VON LIEVEN, Isishymnus, S. 167–168: ?? shr Hr sAw msx.tj.w… „…die zufriedengestellt ist(?) beim(?) Bewachen des Großen Wagens…“. Notizen JAMBON: gm-s(j) hr(.tj) Hr sAw… „die sich froh befindet beim Bewachen…(?)“. 2058 KLOTZ, City of Amun, S. 330, zieht das erste Wort der folgenden Kolumne hinzu und liest: sAw(.t)(?) msx.tj.w m-kAb nTr.w „die den Großen Wagen bewacht inmitten der Sterne“. 2059 KLOTZ, City of Amun, S. 330, m. S. 331, (j): Htp(.tj).w imj.w Xr.t-nTr „die Ruhenden (= seligen Toten), die in der Nekropole sind“. Zu den Htp.tj.w vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 687–688. Zu den imj.w Xr.t-nTr vgl. auch die Szene Deir Chelouit III, Nr. 124, siehe unten.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Haa n=T qrtj.w m qr(r).t=sn es jubeln dir zu die Höhlenbewohner in ihrer Höhle,2060 mj ntT @w.t-@r Hnw.t imnt.t [wD.t] mdw n 2061 weil du Hathor bist, die Gebieterin des Westens, die Befehle [erteilt] an (?) Kol. 9: (hnw n=T (?))2062 sDrj.w Hr X.t=sn (Es jauchzen für dich(?)) diejenigen, die auf ihrem Bauch liegen, aHa.w(?)2063 Hr sd2064=sn und diejenigen, die auf ihrem Schwanz stehen,2065 mAa.tj.w m wsx.t mAa.tj die Wahrhaftigen/Gerechten2066 in der Halle der Beiden Wahrheiten, mj ntT MAa.t m tp mAa.tj weil du Maat bist2067 an der Spitze der Beiden Wahrheiten. anx=sn m rA=t (denn) sie leben durch deinen Ausspruch, Kol. 10: ntj m dwA.t(?) der2068 in der Unterwelt ist(?). – Beischrift der Isis: (Dd mdw in) As.t wr(.t) mw.t-nTr (Rezitation:) Isis, die Große, die Gottesmutter,

2060 Es handelt sich um das Totenreich bzw. Götter desselben, vgl. Wb V, 62, 4–10. KLOTZ, City of Amun, S. 330, liest die ganze Stelle Htp(.tj).w imj.w Xr.t-nTr (Hr) Haa n=T, qrtj.w m qrr.wt=sn „die seligen Toten, die in der Nekropole sind, jubeln für dich, nämlich die Höhlenbewohner in ihren Höhlen.“ 2061 Eventuell ist hier noch ein flaches zerstörtes Zeichen (nach Photo C. LEITZ). 2062 Aufgrund des n am Ende von Kol. 8, auf das evtl. (wenn überhaupt) nur noch ein Zeichen folgt, scheint hier die Struktur mit dem Refrain unterbrochen zu sein; möglicherweise ist auch aus Platzmangel etwas ausgelassen worden. Andererseits weicht die Kolumne auch insofern ab, als kein weiteres Verb folgt, das die Handlung der zweiten genannten Gruppe angibt (vgl. die Struktur der anderen Kolumnen/Strophen). Evtl. ist auch eine Doppeldeutigkeit intendiert: „die Befehle erteilt an diejenigen, die auf ihrem Bauch liegen“ – „es jauchzen für dich diejenigen, die auf ihrem Bauch liegen“. 2063 Deir Chelouit III gibt an: . Das Determinativ sowie die Pluralstriche sind jedoch anhand des Photos (von C. LEITZ) nicht zu verifizieren: die Zeichen sind kaum erkennbar. 2064 M. E. ist recht eindeutig zu erkennen (Deir Chelouit III: ). Zu dieser Lesung siehe auch KLOTZ, Adoration of the Ram, S. 97, Anm. 201; ID., City of Amun, S. 332, (l), der dies ebenfalls anhand eines Photos des Textes absichern konnte. VON LIEVEN, Isishymnus, S. 168 m. Anm. k) auf S. 169, liest und ergänzt den hinteren Teil als sxm.w Hr i[A.wt]=sn „die Abbilder auf ihren Standarten“. 2065 Ein Verweis auf Wesen in der Unterwelt, die auch in der Funerärliteratur erwähnt werden, dort meist mit Schlangendeterminativ, vgl. KLOTZ, Adoration of the Ram, S. 97, Anm. 201. 2066 Die gerechtfertigten Toten, vgl. Wb II, 21, 7–16. 2067 Zu Isis-Maat vgl. die snD-n-Hymne Nr. 7, oben; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 176–208 und 271–272; GRIFFITHS, Isis as Maat. 2068 Hier gilt das Gleiche wie zu Beginn von Kol. 9 („es jauchzen für dich diejenigen die in der Unterwelt sind“, auch wenn man eher imj.w anstatt ntj m erwarten würde), siehe Anm. 2062. Es handelt sich allerdings nicht mehr um eine vorgezeichnete Kolumne, sondern die Zeichen wurden mittig neben die Randlinie der letzten Kolumne geschrieben, unter die Spitze des Schurzes von Pharao; es handelt sich also möglicherweise ohnehin um den Schluß von Kol. 9, der dort nicht mehr hingepaßt hat.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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SpSj.t wsr.t2069 Hrj(.t)-ib Dw StA die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge residiert, qbH.t mnx.t die vortreffliche Wasserspenderin, sqbb(.t) ib n sn=s m qbH.w nDm.w die das Herz ihres Bruders mit süßer Libation erfrischt, nn ws m kA n Wsir nTr aA n *Am.t (damit) kein Mangel ist im Ka2070 des Osiris, des großen Gottes von Djeme, Htp [r-gs]2071 Ax aA n Km-A.t=f der ruht an der Seite des großen Achs des Kematef, [Hna]2072 bA.w(?) Sps.w n it.w mw.wt xmn.yw [zusammen mit] den edlen Bas der Väter und Mütter der Achtheit, SAa grg tA die mit der Gründung der Erde begonnen haben.2073 iw=s r gs=f Hrj-ib Dw SpS2074 Sie (Isis) ist an seiner (Osiris’) Seite inmitten des edlen Gebirges, Hr wA.t-nTr n MnTw @r-Ax.tj auf dem Gottesweg des Month-Harachte,2075 r s[n]xn Ha.w=f m wHm-anx rnpj um seine Glieder zu verjüngen mit der verjüngenden „Erneuerung des Lebens“ (= Nilflut), m kA[=s] n %Tj.t sTj(.t) Hapj r tr=f in ihrem Namen Satet, die den Nil ausgießt zu seiner Zeit,2076 mj nts Ax.t n(?)2077 sn=s Wsjr wr weil sie die Wirkmächtige für ihren Bruder Osiris, den Großen, ist, sA=sn m rwD(?) r irj(?) Xr.t und ihr (gemeinsamer) Sohn der Starke/Tüchtige(?)ist, um die Speisen zu bereiten.2078 2069 SpSj.t und wsr.t scheinen hier abgekürzt in eine Gruppe zusammengefaßt worden zu sein. 2070 Oder „(damit) kein Mangel an Nahrung für Osiris ist“, vgl. zu dieser Übersetzung KLOTZ, City of Amun, S. 329. 2071 Zu dieser Ergänzung siehe die Lesung dieser Stelle durch KLOTZ, City of Amun, S. 329, der das nachfolgende Ax allerdings als bA liest. 2072 Ein r unter einem länglichen kaputten Zeichen ist zu erkennen: wohl , vgl. Notizen JAMBON. 2073 Zur lokalen Kulttopographie und der Theologie von Kematef und den acht Urgöttern in Djeme (Medinet Habu) siehe SETHE, Amun, S. 53–61, §§ 103–119; KLOTZ, City of Amun, S. 133–142 und 174–185. 2074 Ob Verschreibung für StA? Zum „geheimen Gebirge“ vgl. die anderen Deir Schelwit-Texte; und ZIVIE, Trois campagnes, S. 156. 2075 Diese Formulierung legt nahe, daß es sich bei Deir el-Schelwit um eine Station auf dem Prozessionsweg von Armant nach Medinet Habu bzw. Djeme handelte, siehe auch die Verweise auf das Fest am 26. Choiak in Text Nr. 157 (siehe unten); vgl. EGBERTS, In Quest of Meaning, S. 348–349 m. Anm. 160; KLOTZ, City of Amun, S. 392–398. 2076 Vgl. dazu die problematische Passage mit Isis als Satet und Anuket in Nr. 121, siehe oben. 2077 Ein rundes Zeichen, soll wohl darstellen. 2078 Der letzte Satz ist sehr unsicher; KLOTZ, City of Amun, S. 329, zieht wr hinzu und liest: wr sA=sn m rwD r irj Xr.w „ihr Sohn ist groß an Pflanzen, um Nahrung bereitzustellen“, was ich nicht ganz nach-

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

– Göttliche Randzeile: (nswy.t bjtj.t) %x.t nfr.t m tA (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Die gute Feldgöttin auf der Erde, Ax.t sxp(r.t) xt-n-anx das Fruchtland,2079 das das Getreide („Holz des Lebens“) entstehen läßt, smAwj(.t) D.t=s tp-rnp.t in Wsjr wr m kA ar ntf2080 deren Leib zum Jahresbeginn erneuert wird durch Osiris,2081 den Großen, als Stier, der die Flut steigen läßt, kA DAj mAa(?)=f2082 r dwA.t/TpH.t(?)=f m iA.t-©Am.t(?)2083 der Stier, der sich zuwendet zu seiner Unterwelt/seiner Höhle im Hügel von Djeme, ir(.t) s.t=s r gs=f Hr Dw StA die (Isis) ihren Sitz einnimmt an seiner Seite auf dem geheimen Gebirge. Kommentar: Nicht alle Wörter der Hymne sind sicher lesbar und an einigen Stellen ist der Aufbau bzw. Satzbau unklar, da immer wieder Ausdrücke am Kolumnenanfang allein zu stehen scheinen. An diesen Positionen befinden sich jeweils Bezeichnungen für Sterne, Sterngruppen oder andere himmlische bzw. göttliche Wesen. Die einzige sinnvolle Erklärung dafür ist m. E. eine intendierte Wiederholung der Einleitung in den ersten beiden – durch ihre waagerechte Ausrichtung deutlich abgetrennten – Zeilen vor jeder Kolumne im Sinne eines Refrains, ähnlich wie es in den Philae-Hymnen 1 und 2 der Fall ist, wo aber mit der Einleitung iAw n=T operiert wird. Demzufolge müßte zumindest der letzte Ausdruck in Zeile 2 hnw n=T jeweils an den Anfang der Kolumnen gestellt werden, und dort wahrscheinlich sogar verbal aufgefaßt werden. Dieses Schema führt bei strikter Anwendung innerhalb der ganzen Hymne jedoch zu Problemen am Beginn der Kolumnen 9 und 10, die sich letztlich aber ebenfalls sinnvoll erklären lassen.2084 Insgesamt läßt sich somit eine sehr einheitliche Struktur der Hymne erkennen: Zunächst werden jeweils verschiedene Himmelskörper genannt, die die Göttin – die mit dem abhängigen Pronomen und dem Suffixpronomen der 2. Pers. fem. sing. bezeichnet wird – preisen und andere ähnliche Handlungen für sie ausführen. Im Anschluß daran wird Isis mit begründendem mj plus unabhäng. Pronomen der 2. Pers. ntT vorangestellt und mit verschiedenen Namen und Epitheta versehen. Soweit erkennbar, löst

2079 2080 2081 2082 2083

2084

vollziehen kann: rwD heißt nicht Pflanze, gemeint ist wohl rd „wachsen, Gewächs“, doch fehlt jegliches Pflanzendeterminativ. Oder als Zusatz zum vorigen Ausdruck: „die gute Feldgöttin auf der Erde und dem Fruchtland“ (so Notizen JAMBON)? In LGG I, 49c–50a wird Ax.t jedoch wie in obigem Übersetzungsvorschlag als separates Epitheton angesehen und von der vorigen Phrase %x.t nfr.t m tA (LGG VI, 498a) abgetrennt. t und f sind im Originaltext vertauscht. KLOTZ, City of Amun, S. 329, übersetzt aktivisch: „die ihren Leib zum Neuen Jahr erneuert für Osiris“. Lesung nach einem Vorschlag von J. F. QUACK; zum idiomatischen Ausdruck DAj mAa Wb V, 514, 13. Zur Schreibung von mAa mit vgl. D. MEEKS, Étymologies coptes. Notes et remarques, in: Giversen/Krause/Nagel (Hrsg.), Coptology, S. 197–212: 203–204. Nach Notizen JAMBON handelt es sich bei um eine seltene Schreibung für ©Am.t; so auch gelesen von KLOTZ, City of Amun, S. 329. Dies ergibt offenbar ein Wortspiel zwischen DAj mAa und ©Am.t, das durch die Verwendung der mAa-Feder in der Schreibung von letzterem auch in das Schriftbild übertragen wird. Siehe die an den entsprechenden Textstellen angegebenen Erklärungsmöglichkeiten.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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sich diese Struktur in den letzten beiden Kolumnen etwas auf; der Eindruck könnte allerdings auch durch die Lücken und möglichen Fehllesungen entstehen. Dieser Aufbau steht insgesamt demjenigen von snD-n-Hymnen2085 nahe, wobei diese in der 3. Pers. gehalten sind, und statt hnw n=T eben snD n X steht. Inhaltlich ist in der Hymne die starke Fokussierung auf den Himmel und die Himmelskörper, in deren Zentrum Isis/Sothis als Objekt der Verehrung steht, eindeutig. Sie wird dabei im Verlauf des Textes selbst als Himmel(sgöttin) (Kol. 3–4) sowie als Sothis (Kol. 6), Ipet (Kol. 7) und Hathor (Kol. 8), am Ende auch als Maat (Kol. 9), angesprochen. Die Gleichsetzung der Isis mit dem Himmel geht auch aus anderen Texten dieses Tempels deutlich hervor (z. B. Nr. 11; Nr. 156); sie äußert sich hier in dem ungewöhnlichen Epitheton der Nut „Muttertier, das seine Ferkel frißt“, womit die untergehenden Dekane gemeint sein dürften.2086 Unter den jubelnden bzw. verehrenden Wesen ist die Zusammenstellung verschiedener Gruppen von Himmelskörpern bzw. -wesen und ihre Zuordnung von besonderem Interesse; in Kol. 6 werden die „Unvergänglichen“ zusammen mit den Boten (der Götter?) des südlichen Himmels genannt, parallel dazu in Kol. 7 die „Nimmermüden“ mit Wesen im Nordhimmel. Diese unerwartete Zuordnung der „Unvergänglichen“ und „Nimmermüden“ zu den Himmelsrichtungen hängt VON LIEVEN2087 zufolge vielleicht mit der Vertauschung der Bezeichnungen von Abend- und Morgenbarke zusammen (siehe oben die Anm. zum Text). Parallel dazu befinden sich auch Sothis und Orion im Abschnitt über den Südhimmel, Ipet und der Große Wagen („der Schenkel“) dagegen am Nordhimmel. Auf mythologischer Ebene ist Orion mit Osiris gleichzusetzen, und „der Schenkel“ mit Seth, der von Isis als Ipet in Schach gehalten wird, um ihren Gemahl zu schützen.2088 Der Schlußteil des Hymnus (ab Kol. 8) wendet sich schließlich dem Bereich der Nekropole bzw. Unterwelt zu: Die anbetenden Wesen sind nun die Götter oder Sterne der Nekropole sowie „Höhlenbewohner“ und Mächte in der Halle der Beiden Wahrheiten, und die Göttin ist entsprechend Hathor, Herrin des Westens, was auf die lokale Situierung des Textes und Tempels in Theben-West anspielt. Mit der Gruppe der in der Nekropole ruhenden göttlichen Wesen können aber nach VON LIEVEN gleichzeitig auch noch Dekane in ihrer Unsichtbarkeitsphase gemeint sein.2089 Passend zur Thematik der Hymne heißt es in der Beischrift des Königs, daß der Himmel „klar und wolkenlos“ sei, was einen Idealzustand ausdrückt.2090 Isis’ Sorge um Osiris, die sich innerhalb des Hymnus in der Beschreibung der Gestirnskonstellationen Sothis – Orion – Ipet – Schenkel äußert, wird in ihren Szenenbeischriften wieder aufgegriffen und schließlich ganz auf die lokale Ebene des thebanischen Osiris- und

2085 Siehe die Texte Deir Chelouit I, Nr. 1 und 7, oben. 2086 VON LIEVEN, Isishymnus, S. 169; ausführlich dazu: EAD., Grundriß, S. 157–160. Vgl. auch BERGMAN, Isis auf der Sau, bes. S. 91–97. 2087 VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 137. 2088 Vgl. dazu z. B. auch die Texte Esna Nr. 400 und 450, Bearbeitung von VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 20–29 und 164–171. Siehe auch EAD., Isishymnus, S. 170. 2089 VON LIEVEN, Isishymnus, S. 170. 2090 Vgl. KLOTZ, City of Amun, S. 328.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kematef-Kultes transponiert.2091 Hier stehen seine Verjüngung und die damit verbundene Nilflut zu Jahresbeginn, jeweils herbeigeführt durch das Wirken der Isis-Sothis-Satet, im Vordergrund. Dabei geht es ebenso sehr um Osiris wie um Isis, und insgesamt um ihr Zusammenwirken bei Erneuerung, Überschwemmung und Fruchtbarkeit des Landes. Der Anknüpfungspunkt zur Hymne ist neben der Konstellation Isis-Osiris/Sothis-Orion das Datum des Jahresanfangs, über das Isis als Sothis, Herrin der Sterne, herrscht, und an welchem Überschwemmung und Erneuerung stattfinden. Zur Konzeption des Osiris-Orion als Nil und Isis-Sothis als Feld vgl. den Text Philae-Photo 1298. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 155, S. 197–201, Taf. 202092 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Westwand (= Rückwand), oberes Register, rechte Szene Notizen JAMBON Der König (Hadrian) steht grüßend, mit einer Hand erhoben, einer herabhängend, vor der thronenden Isis; hinter ihm das Wappen von Unterägypten: Kobragöttin mit unteräg. Krone auf Papyruspflanzen. Die Hymne befindet sich unten zwischen Pharao und Isis.

Text: – Hymne (= Rede des Pharao): zwei Zeilen mit Einleitung, darunter sieben Kolumnen. Z. 1: iAw n=T As.t Hknw n kA=T Lobpreis für dich, Isis, Jubel für deinen Ka/Namen, Hnw.t tA.wj Gebieterin der Beiden Länder! Htp sp sn mrw.tj.t(?) wsr.t Friede, Friede, Beliebte/Liebreizende, Mächtige, Hnw.t(?) nt-a/mDA.t(?) Gebieterin des Rituals/der Buchrolle(?), Z. 2: smn n sk das/die festgesetzt ist ohne zu vergehen! Aw ib n Ir-tA Froh ist das Herz des Erdschöpfers (Irta),2093 Hr mAA(?)2094 Ax.wt=T wenn er deine wirkmächtigen Handlungen sieht(?)! Hnk.tw n=T ifd.wt n nn.t

2091 Zu Osiris und Kematef von Djeme siehe KLOTZ, City of Amun, S. 197–199; vgl. auch oben, Anm. 2073 und 2075 zum Text. 2092 Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. 2093 Mit der Erwähnung von Irta, dem Sohn von Kematef und Vater der Achtheit, wird an thebanische Lokaltheologie angeknüpft. Zu Irta siehe KLOTZ, City of Amun, S. 121–126. Vgl. auch den Kommentar zur korrespondierenden Szene mit Hymne Nr. 154, s. o. 2094 So gelesen nach Notizen JAMBON. Vielleicht ist auch s zu lesen: Hr sAx.w=T „wegen deiner Zaubersprüche/Verklärungen“.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Überreicht werden (mögen) dir die vier Gegenden des Himmels, Kol. 3: dj.tw n=T HD.t sqr.tw2095 n=T dSr.t gegeben wird dir die Weiße Krone, dargereicht wird dir die Rote Krone, dmD.tw sxm.tj n kA=T vereinigt wird die Doppelkrone für deinen Ka/Namen. nt(T)2096 Nxb.t Hnw.t tA ^ma (Denn) du bist Nechbet, die Gebieterin des oberägytischen Landes, WAD.t nb(.t) tA MHw2097 Wadjet, die Herrin des unterägyptischen Landes. Kol. 4: dj.tw n=T tA.wj xAs.wt Gegeben werden dir die Beiden Länder und die Fremdländer, Hnk.tw n=T iA.(w)t iw.w2098 Hrj.w-ib gereicht werden dir die Hügel/Stätten und die Inseln in der Mitte,2099 ntT nb(.t) Dw.w (denn) du bist die Herrin der Berge, [hy/Hkn?] n=T(?) tA.w(?) xAs.wt(?) und die Länder(?) und Fremdländer(?) jubeln dir zu. Kol. 5: dj.tw n=T mw nn rnp n tA r Aw=f Gegeben wird dir dieses frische Wasser der ganzen Erde, baH wAD-wr m isd=f das das Große Grüne mit seinem Speichel (= Überschwemmungswasser) überflutet,2100 Abx dp(.t?) qb(.t)=f(?) und(?) vermischt(?) Brot/Kuchen2101 und seine Libation (?), qrr.t/TpH.t(?) mn.tj (?) […] wAD(?) […] die Höhle/Quelllöcher ? […] frisch(?)2102 […] Kol. 6: dj.tw n=T sx.wt nb Xr rd.w(?)=sn Gegeben werden dir alle Felder mit ihren Gewächsen,

2095 Es soll sich wohl um das Tierbein handeln. 2096 Zur Schreibung des unabhängigen Personalpron. 2. Pers. Sing. fem., siehe KURTH, Einführung II, S. 612, § 64. 2097 Nach der Transkription von Zivie steht . Gemeint muß aber sein (auf dem Photo von C. LEITZ nicht mehr erkennbar). Vgl. die Wappen von Ober- und Unterägypten (hier Unterägypten), die hinter dieser und der korrespondierenden Szene Nr. 154 dargestellt sind. 2098 Die Worte iA.t und iw dürften zu dieser Zeit lautlich zusammenfallen, weswegen die Schreibungen auch oft vertauscht werden, z. B. in den Schreibungen von Philae (iw/iA.t-rq) und dem Abaton (iA.t/iw -wab.t), vgl. Wb I, 26 und 47. 2099 Der Terminus bezieht sich auf die Mittelmeerinseln oder auf das Land im Delta zwischen den Nilarmen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 47; C. VANDERSLEYEN, Le delta et la vallée du Nil. Le sens de ouadj our (wAD wr), Brüssel 2008, S. 40–43; J. F. QUACK, Das Problem der @Aw-nb.wt, in: R. Rollinger/A. Luther/J. Wiesehöfer (Hrsg.), Getrennte Wege? Kommunikation, Raum und Wahrnehmung in der Alten Welt, Oikumene 2, Frankfurt a. M. 2007, S. 331–362: 345–347. 2100 Gemeint ist wohl, daß das Überschwemmungswasser das Seewasser zurückdrängt. 2101 Vgl. Wb V, 447, 6–11; WILSON, Ptol. Lex., S. 1193. 2102 Die ganze Stelle ist sowohl grammatikalisch als auch inhaltlich unklar.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

baH[.tw?] tA.wj m dr

.w(?)2103 n anx so daß die Beiden Länder überflutet sind mit Speisen/Gaben(?) des Lebens, rdj[.tw?] Htp(.w)-nTr n nTr.w pr.t-xrw n [Ax.]w (so daß?) gegeben werden Gottesopfer an die Götter und Totenopfer an [die Verklärten].2104 Kol. 7: dj.tw n=T mHj.t nfr(.t) %pd.t(?) n(?) nn.t Man gibt dir den guten Nordwind,2105 Sothis(?) des Himmels/am Himmel(?),2106 TAw ifd.w wbn(.w) pXr(.w?) p.t(?) (und) die vier Winde, die erscheinen und den Himmel(?) umwehen, rdj nf=sn xr(?) Dr.t(?) As.t n Dw(?)2107 die ihren Hauch geben durch die Hand(?) der Isis, ohne Übel(?). Kol. 8: dj.tw n=T Iwn.tj.w MnTj.w %Ttj.w *{s}n.w Man gibt dir das Bogenvolk,2108 die Mentju,2109 die Asiaten und Libyer, n tAS(?) Sw/gs[…]m? (xAs.t(?))2110 mr.w2111 Dw(?) von(?) der Grenze ?[…] (Fremdland), Wüste(?) und Berge(?) HAgAg(?) xAs.wt(?) […] sDb/tA(?)[…] es freuen sich die Fremdländer(?) […] ? […] Kol. 9: [r?]dj(?)[s]xr(.w)=T(?) m-Xnw WAs.t(?) gegeben werden(?) deine Angelegenheiten(?)2112 im Inneren von Theben(?), wsx.t nmt.t &m(?) …?\ njs(?) ?2113 weit ausschreitend &in …?\, ruft an(?) ? wr Sfj.t m TpH.t-DA.t mit großem Ansehen in der Djat-Höhle,2114 2103 Oder ix.wt(?), beruhend auf Fehllesung einer kursiven Vorlage (Vorschlag von J. F. QUACK). 2104 Die Ergänzung ist aufgrund der üblichen Phraseologie relativ sicher, vgl. z. B. J. ASSMANN, Der König als Sonnenpriester. Ein kosmographischer Begleittext zur kultischen Sonnenhymnik in thebanischen Tempeln und Gräbern, ADAIK 7, Glückstadt 1970, S. 36, m. Anm. 3. 2105 In Deir Chelouit I, Nr. 11 und II, Nr. 84 wird Isis selbst mit dem (guten) Nordwind gleichgesetzt, s. o. 2106 Oder „der gute wirksame (spd) Nordwind des Himmels“? Notizen JAMBON: „Man gibt dir den schönen, wirksamen Nordwind für Nut.“ Für den Zusammenhang zwischen Nordwind und spd „scharf, tüchtig, wirksam“ vgl. PT 511, §§ 1158c–1159a: „Er wird Luft atmen, Überfluß am Nordwind haben und unter den Göttern gedeihen. Er soll also scharf sein als Großer Scharfer.“ Übersetzung nach D. TOPMANN, TLA (Stand: 08.11.2011). Unmittelbar vorher ist auch vom „überschwemmen mit Gottesopfern“ die Rede wie in der vorigen Kolumne der obigen Hymne. 2107 Verneinungsarme mit schlechtem Vogel. Zu erwarten wäre hier vielleicht eher n sk „ohne Unterlaß“ o. ä. 2108 Nomaden aus Nubien oder vom Sinai, vgl. Wb I, 55, 3–7. 2109 Nomadenstämme im Nordosten Ägyptens, vgl. Wb II, 92, 4–6. 2110 Wahrscheinlich nur Determinativ zum vorigen, nicht ganz erhaltenen Wort. 2111 mr.w „Wüste“? Wb II, 109, 5–8. 2112 Die Stelle ist durch die Zerstörungen und unsichere Transkription durch ZIVIE, Deir Chelouit III, S. 198, nicht ganz klar. Dem bisherigen Schema zufolge müßte hier am Kolumnenbeginn wieder eine passive Form stehen; ob es sich hier um endungsloses Passiv handelt? Oder ist das von ZIVIE vor xr ergänzte s durch die Passivendung .tw zu ersetzen: „gegeben wird dein Bedarf/Besitz“? 2113 Determinativ ? (Nach Photo C. LEITZ; dagegen Deir Chelouit III: mit Fragezeichen). 2114 Zu TpH.t-DA.t, die meist mit Memphis verbunden wird, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 1162–1163; BORGHOUTS, pLeiden I 348, S. 194–198; J. F. QUACK, Fragmente memphitischer Religion und Astronomie in semidemotischer Schrift (pBerlin P. 14402 + pCarlsberg 651 + PSI Inv. D 23), in:

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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ntT pw sqr(.t)2115 sA=T(?) n[… …] (denn) du bist es, die deinen Sohn(?) bringt zu […]. – Beischrift der Isis: Dd mdw in As.t wr[.t] mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t2116 wsr.t Hrj(.t)-ib Dw imntj die Edle und Mächtige, residierend im Westgebirge, Hm.t nswt tpj.t n nswt bj.tj die Erste Königliche Gemahlin des Königs von Ober- und Unterägypten, wr.t Hts2117 n [(Wn-nfr mAa xrw) die ‚Große an Vollkommenheit‘ des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), Ax.t n hy=s mnx.t n sn=s die Wirkmächtige für ihren Gatten, die Vortreffliche für ihren Bruder, irj(.t) Ha.w=f mn(?)2118 n/m gs(.w)-pr(.w)2119 sp sn(?)2120 die macht, daß seine Glieder dauerhaft sind in den Tempeln, wahrhaftig, Hwn.t n WAs.t xntj(.t)(?) Inb HD das Mädchen von Theben, die an der Spitze von Memphis, HqA.t n +dw AbDw die Herrscherin von Busiris und Abydos, saq(.t) [sn?]2121=s(?) Iwn(j) r iAb.t die ihren [Bruder?] Iun/den Pfeiler (= Osiris)2122 in das linke Auge (= den Mond) eintreten läßt,2123 mH(.t) wDA.t m rA.w=s die das Udjat-Auge mit seinen Bestandteilen (oder: mit ihren Sprüchen?) füllt m Hnw.t Ha.w als Gebieterin der Körperglieder,

2115 2116 2117 2118 2119 2120 2121 2122 2123

Hoffmann/Thissen (Hrsg.), Res severa, S. 467–496: 493, m. Anm. 34. Vgl. zur Lesung des Ausdrucks Notizen JAMBON. Unsicher, auch das anschließende Determinativ(?) des hockenden Mannes/Gottes paßt eigentlich nicht dazu. Beide Titel scheinen wieder in eine Gruppe hineingeschrieben worden zu sein. Ein alter Königinnen- und Prinzessinnentitel, vgl. Assuan-Hymne 3 mit Parallelen. Nach Photo C. LEITZ: (evtl. könnte das erste Zeichen auch ein sein: smn). Deir Chelouit III: (mit Fragezeichen). Vgl. Nr. 127. In der Transkription von ZIVIE, Deir Chelouit III, S. 199, stehen zwei nw-Töpfe. Die Lücke würde am ehesten zu einem Ei passen, zumal darunter ein Ideogrammstrich folgt. Da jedoch Osiris gemeint ist, sollte eigentlich sn=s zu erwarten sein. Vgl. zu diesem Osirisepitheton die Beischrift der Isis in der Szene Edfu I, 144, 5–145, 3. Vgl. Edfu I, 327, 7: r saq Wsjr m iAb.t. Zu Osiris als oder im linken Auge siehe z. B. PH. DERCHAIN, La pêche de l’oeil et les mystères d’Osiris à Dendara, in: RdÉ 15, 1963, S. 11–25, bes. 21–22; F.-R. HERBIN, Un hymne à la lune croissante, in: BIFAO 82, 1982, S. 237–282; GUTBUB, Textes fondamentaux, S. 389–393; P. KOEMOTH, Osiris-Lune, l‘horizon et l‘oeil oudjat, in: CdÉ 71, 1996, S. 203– 220; KUCHAREK, Klagelieder, S. 105, 135–138 und 630 (sAxw IV).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

irj(.t) s.t2124=s r gs rA.w-pr.w n igr.t=s(?)2125 die ihren Platz einrichtet an der Seite der Tempel ihres(?) Totenreiches, sqbb(.t) ib=f m kbH.w=s tp sw [10?] die sein (= Osiris’) Herz erfrischt mit ihrem kühlen Wasser alle [10?] Tage, r ij=f m rnp m Wsjr wr damit er kommt als Verjüngter als Osiris, der Große, iw=s Hr sTj=f m %Tj.t während/und sie es (das Wasser) ausgießt als Satet.2126 snDm=s Dw StA r gs *Am.t Sie hat sich niedergelassen (im?)2127 verborgenen Gebirge an der Seite von Djeme, r sanx bA=f xr it.w um seinen Ba zu beleben bei den Vätern. – Göttliche Randzeile: (nswy.t bjtj.t) As.t p.t msj(.t) sA=s (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, der Himmel, die ihren Sohn geboren hat, smA(.t)-s(j)(?) m itn Itm r sHD tA.wj die sich mit der Sonnenscheibe, Atum?,2128 vereint, um die Beiden Länder zu erhellen, ir(.t) nHH sxpr(.t) D.t nn(?)2129 Abw die die Ewigkeit macht und die Unendlichkeit entstehen läßt, ohne Aufhören, Ssr(.t) knHw m aq-prj=s die die Nacht erleuchtet bei ihrem Ein- und Ausgehen, ij(.t) r s.t=s m nw=s m rn=s n As.t2130 die kommt zu ihrem Sitz zu ihrer Zeit in ihrem Namen Isis, Xr msxa=s (?) iw/r tA.wj (?) unter ihrem Erglänzen in (?) Beiden Ländern (oder: auf der Erde?) (?).2131

2124 Man könnte aus den ersten beiden Zeichen auch „Osiris“ lesen und diesen mit einem Genitiv an den vorigen Ausdruck anschließen: „…den Körpergliedern des Osiris“. Vielleicht ist die Doppeldeutigkeit beabsichtigt? Nach Notizen JAMBON werden die drei Fleischzeichen als Wsjr gelesen, die aber eher ganz normal Ha.w meinen dürften. 2125 Das Zeichen ist laut ZIVIE unsicher, anhand des Photos von C. LEITZ m. E. jedoch recht gut erkennbar. 2126 Vgl. das Wortspiel mit Satet in Deir Chelouit III, Nr. 121 und Nr. 154. 2127 Oder ohne Emendierung: „sie macht das verborgene Gebirge gefällig/angenehm…“? Dies erscheint mir weniger sinnvoll. 2128 Auf dem Photo ist relativ eindeutig itn Itm ohne weitere Zeichen dazwischen zu erkennen. Ob Verschreibung für smA(.t)-s(j)(?) m it Itm „die sich mit ihrem Vater Atum vereint“? 2129 Zwei nebeneinander über Abw/iAb angeordnete runde Zeichen. Ob zwei nw-Töpfe, die für die Verneinung nn stehen? Anders kann ich mir die Stelle nicht erklären. 2130 Man beachte das Homöoteleuton auf =s. In der Aussprache dürfte sich auch der Eigenname As.t (kopt. s.hse, b.hsi) ungefähr in die Reihe eingefügt haben. 2131 Der Schluß ist problematisch und ergibt so keinen rechten Sinn. Eventuell wurde die Wortfolge vertauscht – bei Umstellung ergäbe sich iw tA.wj Xr msxa=s(?) „indem die Beiden Länder unter ihrem Glanz sind“, was besser passen würde.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Kommentar: In der Anordnung der beiden Isishymnen innerhalb von Ritualszenen (Nr. 154–155) an der Rückwand des Sanktuars findet sich interessanterweise eine Tradition wieder, die zuerst im Tempel von Philae, im Sanktuar von Ptolemaios II., zu beobachten ist.2132 Somit wird hier, an einem römischen Tempel der mittleren Kaiserzeit, auf das alte Dekorationsschema von Philae zurückgegriffen, so daß die Szenen mit Hymnen an die Hauptgöttin des Tempels sich im innersten Kern des Heiligtums befinden. Die Hymne stellt Isis’ Aspekt als Königin und Herrscherin der Welt in den Vordergrund und zeichnet dabei eine im Rahmen der Situation einer Inthronisierung bzw. Krönung vorstellbare Übergabe des Herrschaftsbereiches nach:2133 Sie wird mit der Doppelkrone gekrönt (Kol. 3),2134 und die verschiedenen Teile der Erde/des Kosmos werden ihr in einer ausführlichen Auflistung feierlich zugeteilt, wobei die Betonung der vier Himmelsrichtungen den Anspruch auf flächendeckende Vollständigkeit untermauert.2135 Die Aufzählung weist ein klar strukturiertes Schema auf, das teilweise parallel zu dem von Nr. 154 verläuft: Die beiden einleitenden Zeilen enthalten wohl wieder den Refrain, an dessen Ende Isis übergreifend die vier Gegenden des Himmels überreicht werden. Dies wird in den einzelnen Kolumnen/Strophen spezifiziert, indem zunächst mit passiven sDm.tw=f-Formen, die immer Verben des Gebens oder Überreichens enthalten, mehrere Bereiche oder Objekte genannt werden. Darauf folgt in den Kol. 3–4 und 9, in Entsprechung zu der korrespondierenden Hymne (Nr. 154), ein begründender Nominalsatz, eingeleitet durch ntT, der die Herrschaftsberechtigung der Göttin unterstützt. In den übrigen Kolumnen werden im zweiten Teil Eigenschaften der genannten Bereiche näher ausgeführt oder weitere übergeben. Die Isis zugeteilten Gegenden beinhalten konkret: Ägypten und die Fremdländer, heilige Stätten/Nekropolen und Inseln (Kol. 4), (Überschwemmungs-)Wasser (Kol. 5) und Fruchtland mit den Erträgen der Felder (Kol. 6), die Winde des Himmels (Kol. 7), Fremdvölker, Wüste, Berge und Grenzland (Kol. 8), sowie möglicherweise Dinge/Handlungen in Verbindung mit den heiligen ägyptischen Städten Theben und Memphis in der unsicheren Kol. 9;2136 in Anbetracht des Kontextes handelt es sich hier um Riten, die mit Krönung bzw. Inthronisierung zu tun haben. Diesen beiden Städten wird die Göttin explizit nochmals in ihrer Beischrift zugeordnet, worauf dort die beiden wichtigsten Osiriskultstätten Busiris und Abydos 2132 Siehe Kap. 4.1.1.A. 2133 Vgl. zum Krönungsritual H. FRANKFORT, Kingship and the Gods. A Study of Ancient Near Eastern Religion as the Integration of Society & Nature, Chicago – London 1948, S. 105–109; W. BARTA, Untersuchungen zur Göttlichkeit des regierenden Königs. Ritus und Sakralkönigtum in Altägypten nach Zeugnissen der Frühzeit und des Alten Reiches, MÄS 32, München – Berlin 1975, S. 44–61; ID., Thronbesteigung und Krönungsfeier als unterschiedliche Zeugnisse königlicher Herrschaftsausübung, in: SAK 8, 1980, S. 33–53; ID., Bemerkungen zur Existenz der Rituale für Geburt und Krönung, in: ZÄS 112, 1985, S. 1–13; M. E. A. IBRAHIM, The Chapel of the Throne of Re of Edfu, BAe 16, Brüssel 1975, S. 11–29; QUACK, Königsweihe. 2134 Vgl. die Darstellung der Inthronisierung und Krönung der Isis in ihrem Tempel in Dendara, siehe Kap. 4.6.3, und CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, 283–318, bes. 307–318; vgl. auch entsprechende Szenen in Philae: PM VI, 232, Nr. 252–257 = Philae-Photos 284–285 = Wb-Zettel 3254–3269. 2135 Z. 2: „die vier Gegenden des Himmels“; Kol. 7: „die vier Winde“; Kol. 8: „Trogodyten (S), Mentju (O), Asiaten (N) und Libyer (W)“. Zur Bedeutung der vier Himmelsrichtungen in Ritualen der Krönung und/oder Herrschaftsbestätigung siehe z. B. NAGEL, Behedet-Fest, S. 623 u. passim. 2136 Vgl. die Anm. zum Text.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

folgen, als deren Herrscherin sie bezeichnet wird. So bildet der Passus eine Kurzform der kulttopographischen Litanei, welche das in der Hymne umfassend behandelte Konzept vom Machtbereich der Isis zusätzlich stützt.2137 Die Hymne komplementiert diejenige der korrespondierenden Szene Nr. 154 (s. o.) insofern, als dort Isis als Himmelsgöttin und Herrin über die dort befindlichen Wesen/Himmelskörper dargestellt wird, während sie hier den Herrschaftsbereich eines irdischen Königs zugewiesen bekommt. Formal und inhaltlich ist Isis in beiden Texten passive Handlungsempfängerin: in Nr. 154 wird sie von den Himmelswesen gepriesen, in Nr. 155 werden ihr die ihr unterstehenden Objekte, Gegenden und Bewohner durch einen anonym bleibenden Akteur übergeben. Dieses zentrale Szenario des oberen Wandregisters, das Isis als universale Herrscherin herausstellt, wird zudem passenderweise von den Wappen Ober- und Unterägyptens mit den beiden Kronengöttinnen gerahmt.2138 Eine weitere enge Verschränkung der beiden Szenen ergibt sich durch das gemeinsame Thema der nachtodlichen Versorgung des Osiris in den Beischriften der Isis. Ihre kultischen Handlungen an ihrem Gatten (Installation seines Kultes in den Tempeln, Vereinen seiner Glieder = Füllen des Mondes, Totenkult, Verjüngung, die zur Belebung führen) garantieren auf irdischer Ebene die Nilflut und Fruchtbarkeit des Landes, was gleichzeitig eine Verbindung zur obigen Hymne herstellt, wo Wasser und Felder (Kol. 5–6) zu dem Herrschaftsbereich der Königin Isis gehören. Das Geschehen wirkt sich jedoch ebenso in der himmlischen Sphäre, die ja im Zentrum der Hymne Nr. 154 steht, aus: Osiris ist der Mond, der durch das Vereinigen seiner Körperteile voll wird, 2139 und Isis wird in ihrer göttlichen Randzeile wieder zur lichthaften Gestirnsgöttin, die eng mit dem Sonnengott (als seine Mutter und Tochter(?)) verbunden ist.2140 Die in diesem Kontext enthaltene Aussage, daß sie die nHH- und die D.t-Ewigkeit entstehen läßt, fügt ihrem Herrschaftsbereich noch die Dimension der Zeit hinzu und kongruiert damit wieder bestens mit dem königlichen Krönungsritual, welches Eide beinhaltet, die die Unveränderlichkeit der Zeit und eine ordnungsgemäße Balance zwischen Land und Wasser sichern sollen.2141 Die Beschreibung der Handlungen Isis’ für den verstorbenen Osiris bildet im thebanischen Raum ein Komplement zu der Isis-Hymne des Opet-Tempels, 2142 obgleich dort andere Schwerpunkte gesetzt werden (Schutz des Leichnams und Empfängnis des Horus). Hier wie dort wird sie in diesem Zusammenhang aber als Hwn(w).t „junges Mädchen“ bezeichnet.

2137 2138 2139 2140 2141 2142

Vgl. die ausführliche kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 mit Parallelen. Siehe die Umzeichnungen der Szenen in Deir Chelouit III, S. 195 u. 201. Vgl. zu dieser Thematik die Anm. zum Text. Vgl. die snD-n-Hymnen Deir Chelouit I, Nr. 1 und Nr. 7. Siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 96–98. Opet I, 139, Kap. 4.7.1.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

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Deir Chelouit III, Nr. 156, S. 202–2032143 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, obere Randinschrift, linke (südliche) Hälfte ZIVIE-COCHE, Religion, S. 141 (kurze Besprechung, ohne Übersetzung)

Text: (nswy.t bjtj.t) As.t wr.t mw.t-nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw StA die Edle und Mächtige, die im verborgenen Gebirge residiert, gb.t n HAy.tj die (südliche) Himmelskuppel2144 der Beiden Lichter (Sonne und Mond), sHD(.t?) tA.wj die die Beiden Länder erleuchten/erleuchtet(?), sxy(.t) (i)Axw r Ax.t Xr2145 a.wj=s die das Sonnenlicht zum Horizont erhebt auf ihren beiden Armen, gwH(?)2146 hAy.t(?) n Ax.w der Lichthof(?) der Achs/der Glänzenden ((Dekan)sterne?),2147 anx=sn im=s in der (= Isis) sie leben, wnm=sn sam=sn m(?) q(A)b(?)=s ra nb in deren Inneren sie essen und schlucken/trinken, jeden Tag,

2143 Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. Dieser und der folgende Text Nr. 157 wurden am 11.08.2009 während der 3. Ptolemäischen Sommerschule in Freudenstadt von A. VON LIEVEN vorgestellt und von den Teilnehmern diskutiert. Ergebnisse der Diskussion sind in die Übersetzungen eingeflossen und werden entsprechend kommentiert. 2144 Vgl. zum komplementären Verhältnis von gb.t und ghr.t THIERS, Ciel septentrional. Im folgenden Text Nr. 157 wird Isis dementsprechend ghr.t genannt. 2145 Für Hr? 2146 Unklare Zeichen. Aufgrund des anlautenden g und des Zusammenhangs ist vielleicht g/kAwt(.t), Wb V, 103, 1, zu lesen. Möglicherweise gehören alle Zeichen auch zum Substantiv gAj.t/gAw.t „Schrein“ oder „Kasten“, Wb V, 150, 1–4, bzw. 153, 9–12. Das Epitheton hieße dann: „der Schrein der Achs, in welchem sie leben“. Vgl. die Bezeichnung der Isis als gAj.t im folgenden Text Nr. 157. Eine weitere Möglichkeit wäre das in Wb V, 67, 3, verzeichnete qH.t, das griech. als Bezeichnung für einen Teil des Himmels, allerdings nur einmal in Philae, belegt ist; vgl. aber auch SAUNERON, Esna V, S. 177, Übers. zu Esna III, Nr. 368, 33, mit Anm. y) auf S. 181. R. STADELMANN, Zwei Reliefs eines Rindervorstehers namens Hajja, in: MDAIK 21, 1966, S.110–115: 112, deutet ein ähnliches Wort aus dem NR im Zusammenhang mit dem Beleg aus Philae als von qH „Sonnenlicht“ abgeleitet und als Bezeichnung einer Räumlichkeit, die durch Sonnenlicht erhellt wird. Auch dies würde inhaltlich zum obigen Text passen; also in etwa „der Lichthof der Achs“ o. ä. A. VON LIEVEN gab bei der 3. Ptol. Sommerschule als mögliche Lesung qaH bzw. dem. qH „Bezirk“ an. 2147 Wb I, 16, 12–14: „in Namen von Dekansternen“. Vgl. auch die Sternbezeichnung AxAx, Wb I, 19, 1; M. WAGNER, Anchnesneferibre, S. 31–32. Aufgrund des Plurals sowie des Gesamtzusammenhangs scheint mir eine allgemeine Sternbezeichnung wahrscheinlicher als der Name bestimmter Dekane.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

iw Ra wr m DAj im=s r spr=f r irj-wHmw während Re, der Große, durch sie hindurch segelt, so daß er den Himmel erreicht.2148 sw m Hrj.t-tp mn.tw m tp=f Sie ist die Uräusschlange, die fest ist auf seinem Haupt, hh=s m 2149 nbj.t rky.w=f deren Gluthauch , die seine Gegner schmilzt. wr.wj nbj.t=f r(?)2150.bS.n=f Stw (?) Oh wie groß ist seine Flamme, die er ausspeit/ausspie die Schildkröte (= Apophis)!2151 Wsjr wr m wHm rnpj2152 Osiris, der Große, ist derjenige, der die Verjüngung wiederholt, wrm(?)=s2153 m ¤T.t/¤pd.t während ihre (= Isis’) Gestalt(?) die von Satet/Sothis ist, sTj.n=s r tr=f wenn sie (ihn/den Nil/Osiris) ausgießt zu seiner Zeit, wab.tj n Dw xr=f indem er rein ist und kein Übel bei ihm ist,

2148 Vgl. zum Ausdruck ir(j) wHmw: WILSON, Ptol. Lex., S. 254; Wb I, 345, 1–2. Im vorliegenden Text wird das Element irj aber nicht wie in den anderen Belegen mit dem Auge für das Verb irj geschrieben, sondern mit dem sitzenden Mann für irj „Hüter, Genosse“. 2149 Deir Chelouit III, S. 203, a), gibt ein unleserliches Zeichen bzw. eine Spur im Stein an. Es sieht (nach dem Photo von C. LEITZ) am ehesten wie ein Determinativstrich aus, der in seiner Position zwischen dem zweiten hinter hh, und der nbj.t-Gruppe jedoch keinen Sinn macht. Auch wird hh üblicherweise nur mit einem Flammendeterminativ geschrieben, hier ist also eines ‚übrig‘. Ohne Lesung eines zusätzlichen Wortes wäre des weiteren die Präposition m vor einem Infinitiv (nbj.t), der keine Bewegung impliziert, problematisch. J. F. QUACK schlug bei der 3. Ptol. Sommerschule vor, in der in der Edition angegebenen Lücke sD.t zu ergänzen (damals noch ohne die Stelle anhand von Photos überprüfen zu können). Aufgrund der Anordnung der Zeichen dürfte hier wohl ein Fehler vorliegen, daher wird oben nach dem Vorschlag von J. F. QUACK zu sD.t emendiert. 2150 Eventuell steht hier auch gar kein Zeichen, sondern es handelt sich nur um eine Beschädigung in der Tempelwand. 2151 Es scheint hier wieder um Re zu gehen, was ungewöhnlich ist, da eigentlich die Uräusschlange es sein müßte, die die Flamme ausspeit. Ob hier eine Verwechslung der Suffixe vorliegt? Des weiteren erscheint der Satz in der vorliegenden Zeichenanordnung nicht ganz stimmig; logisch wäre nbj.t bS.n=f r Stw. 2152 Ein unklares Zeichen, nach A. VON LIEVENs Besprechung auf der 3. Ptol. Sommerschule wohl verderbt aus der rnp-Rispe. Dafür spricht auch das Determinativ des Kindes. 2153 Die Zeichen sind auf dem Photo von C. LEITZ schlecht zu erkennen; Deir Chelouit III gibt direkt unter dem Kind die Schlaufe an. Bei der 3. Ptol. Sommerschule wurde von einem Teilnehmer der Vorschlag gemacht, die Schlaufe unter dem sitzenden Kind abzutrennen und mit den folgenden Zeichen als wrm „Gestalt“ (o. ä.) zu lesen. Die Schlaufe müßte dann auf die wA-Schleife zurückgehen. Für dieses äußerst seltene und nur in der Römerzeit belegte Wort (Wb I, 333, 1; z. B. im mythologischen Handbuch PSI I 72, x+3, 3; vgl. zu diesem Text Kap. 4.13.1.2) würde immerhin die Tatsache sprechen, daß es in Deir el-Schelwit an anderer Stelle sicher vorkommt, nämlich im Text Deir Chelouit III, Nr. 138, 6, vgl. LGG II, 507b.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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iwj=f m nn(j) m iT-kA er kommt als Müder/Wasserflut (oder: in Trägheit)2154 während der Überschwemmung (oder: als Überschwemmung),2155 Xnm.n=f Ax.t sx.t und vereint sich mit Fruchtland und Feld. sn.t=f rwD.n=s m anx m pr.t Ax.t Seine Schwester, sie gedeiht mit Leben als prächtige Saat, tA.wj idb.w anx m kA.wt=s die Beiden Länder und die Ufer leben durch ihr Werk,2156 wr(.t)(?)2157 smnx(.t) iDr nTr.w (die Große??), die die Grenzen der Götter (= Ewigkeit auf Erden)2158 trefflich macht, As.t2159 wr.t {m} nb(.t) Dw StA Isis, die Große, die Herrin des verborgenen Gebirges, Hr gs rA wry.t n.j.t [(Wnn-nfr mAa ) an der Seite des Tors zum ‚Großen Land’ (= die Unterwelt, das Totenreich)2160 des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), sqbb.n=s ib2161=f m qbH.w=s nDm.w dessen Herz sie erfrischt mit ihrem süßen Kühlen (= Milch?), (i)ab Hb(?) tp a.wj=s die Vogel- und Fischfang(?)2162 auf ihren Armen darbringt (oder: auf deren Armen Opfergaben und Vogel- und Fischfang(?) sind), pr.t-xrw=f mnx ra nb2163 sein Totenopfer ist vortrefflich jeden Tag(?)/damit sein Totenopfer vortrefflich sein möge jeden Tag.

2154 Möglicherweise handelt es sich hier um ein beabsichtigtes Wortspiel bzw. eine Doppeldeutigkeit. 2155 Zur Bedeutung von iT kA („Stierdieb“ oder „Diebstahl der Stiere“) als Überschwemmung, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 125; J. F. QUACK, Danaergeschenk des Nils? Zu viel und zu wenig Wasser im Alten Ägypten, in A. Berlejung (Hrsg.), Disaster and Relief Management. Katastrophen und ihre Bewältigung, FAT 81, Tübingen 2012, S. 333–381: 354. 2156 Alternativ könnte man vielleicht auch Ax.t an den Anfang dieser Phrase stellen und übersetzen: „Die Prächtige der Beiden Länder und der Ufer, in deren Werk das Leben ist.“ 2157 Oder wry „Flut, Hochwasser“? Die Lesung ist sehr hypothetisch. In der Textedition ist wiedergegeben (mit Fragezeichen); auf dem Photo von C. LEITZ ist das Zeichen nicht erkennbar. Zur Schreibung vgl. wr „Löwe“, WILSON, Ptol. Lex., S. 243. 2158 Vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 1241. 2159 Das Schilfblatt auf einem runden Zeichen könnte ein phonetisches Komplement zum Göttinnennamen sein. 2160 Siehe GDG I, S. 201. Oder: „Balsamierungsstätte“, vgl. GOYON, Glorification d’Osiris, S. 112, (27). Dazu würde aber das obige Determinativ weniger gut passen. 2161 Geschrieben wie . 2162 Es ist nur ein Vogel-, aber kein Fischdeterminativ geschrieben, statt dessen noch ein Opferbrot über Pluralstrichen. 2163 Beide sitzenden Gottheiten sind (in der Textedition) mit Sonnenscheibe auf dem Kopf dargestellt; auf dem Photo von C. LEITZ ist jedoch trotz einer leichten Zerstörung im oberen Bereich der Figuren zu erkennen, daß sie unterschiedliche Kopfaufsätze tragen; vgl. auch die entsprechenden, direkt mit dem Rücken zu diesen anschließenden Gottheiten des folgenden Textes Deir Chelouit III, Nr. 157.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Wie in der Hymne Nr. 154 präsentiert die Friesinschrift Isis als Himmelsgöttin, die den Lauf der Gestirne, insbesondere des Sonnengottes, ermöglicht. Sie bildet dabei nicht nur passiv den Raum selbst, innerhalb dessen sich die kosmischen Vorgänge abspielen, sondern steuert aktiv das Geschehen, indem sie die Sonne auf ihren Armen emporhebt – ein altes, gut bekanntes Bild für die „Geburt“ der Sonne am Morgen – und seine Feinde, speziell Apophis, als Uräusschlange bekämpft. Der Aufgang und Tageslauf der Sonne wird weiterhin wiederum mit der Verjüngung des Osiris, der dadurch entstehenden Nilflut, Erneuerung und Fruchtbarkeit des Landes (vgl. Nr. 84, 154, 155) verbunden, welche sie als Isis-Sothis bewirkt. Vgl. den Kommentar zur folgenden rechten Hälfte der Inschrift, Nr. 157. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir Chelouit III, Nr. 157, S. 204–2052164 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, obere Randinschrift, rechte (nördliche) Hälfte KLOTZ, City of Amun, S. 332–335 (Translit., Übers. u. Kommentar); KURTH, Einführung I, S. 77–78 und S. 563–564, Übung 4, Nr. 3 (teilweise Transkript.,Translit. u. Übers. m. kurzem Kommentar); ZIVIE-COCHE, Religion, S. 141 (kurze Besprechung, ohne Übersetzung)

Text: (nswy.t bjtj.t) As.t wr.t mw.t-nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Isis, die Große, die Gottesmutter, ir.t Ra Hrj(.t)-ib Dw imntj das Auge des Re, die im Westgebirge residiert, ghr.t wr(.t) Ssp(.t) itn Hna mnj.w(?)/HH.w2165 die große (nördliche) Himmelskuppel, 2166 die die Sonnenscheibe und die Sterne („die Bleibenden“/„die Millionen“?) empfängt, r sxpr D.t=f X.t=f um seinen Leib und seinen Bauch (= Morgen und Abend)2167 entstehen zu lassen, gAj.t/gAw.t hAj(.t) Ra r=s m-ab {a}AxAx.w=f der Schrein,2168 in welchen Re hinabsteigt zusammen mit seinen Sternen, 2164 Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. Siehe außerdem Anm. 2143. 2165 Lesung unsicher, aufgrund des Determinativs aber sicher eine Bezeichnung für Sterne, vgl. auch das ähnliche, ebenfalls unklare Wort in Deir Chelouit III, Nr. 141, 8 (mn(t/T?)y.w). Vgl. auch KURTH, Einführung I, S. 564, der mögliche Lesungen als AxAx.w oder HH.w erwägt. Die Lesung HH.w auch bei THIERS, Ciel septentrional, S. 54. KLOTZ, City of Amun, S. 332–333, m. Anm. (b), liest mntj.w „verstorbene Sterne“. 2166 Siehe zu diesem Wort THIERS, Ciel septentrional; KLOTZ, City of Amun, S. 331, (g). KURTH, Einführung I, S. 563 m. Erläuterung S. 564, liest qHr.t „Himmelsgefäß“. Vgl. auch die Diskussion bei S. SAUNERON, Copte skalaàh, in: Mélanges Maspero I, 4, MIFAO 66, 1961, S. 113–120; VON LIEVEN, Grundriß, S. 47, Anm. 160. 2167 Vgl. zu diesem Ausdruck die Hymne in Deir Chelouit III, Nr. 154. 2168 KURTH, Einführung I, liest gAw.t und übersetzt mit „Sargkasten“. Vgl. Deir Chelouit III, Nr. 156. KLOTZ, City of Amun, S. 332–333, m. Anm. (d), liest nhp Ra r=s „Re springt auf zu ihr“.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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r sqdj=f r rA{t}-a=f n sf damit er fahre bis hin zu seiner Stelle vom Vortag, Dr sHD.n=f dwA.t pXr.n=f igr.t wenn/nachdem er die Unterwelt erhellt hat und durch das Totenreich gezogen ist, ntj.w-im Hr irj(.t) n=f iAw (wobei) die Darin Befindlichen (= die Verstorbenen, die in der Unterwelt) Lobpreisungen für ihn machen, Abx stw.t Ha.w n wrD-ib seine Strahlen vermischen sich mit dem Leib des Herzensmüden (= Osiris), Xnm itn itn und Scheibe und Scheibe vereinen sich, wHm.n=f xaj m xy2169 tp dwAw a.wj HAy.tj er wiederholt das Erscheinen als Kind am Morgen auf den Armen der Beiden Klagefrauen2170 (Isis und Nephthys), r bs m Ax.t m DAj(.t)=f m (m)sk.t.t um einzutreten2171 in den Horizont bei seinem Überfahren in der Abendbarke, wr.tj m pH.tj=f aApp xr.tj(?)2172 m nbj.t[=f] der groß ist in seiner Kraft, so daß Apophis durch seine Flamme gefallen ist, rn=f wr m MnTw m Iwnj dessen großer Name Month ist in Armant,2173 Hr gs rsj [iAb.tj?]2174 ntj IA.t *Am.t(?)2175 auf der Süd-Ost(?)-Seite des Hügels von Djeme, wHm.n=f [… …]r S[…]t[…] m Hb nfr n Abd 4 Ax.t sw 26 er wiederholt [das Hinkommen o. ä. …] an dem schönen Fest des 4. Monats der Überschwemmungsjahreszeit, Tag 26 (= 26. Choiak),

2169 KLOTZ, City of Amun, S. 332, liest Ra trotz des Kind-Determinativs , er interpretiert das runde Zeichen über also als . Möglicherweise handelt es sich aber um . 2170 Genau diese Situation wird durch die hier für das Wort dwAw verwendete Hieroglyphe ausgedrückt, siehe auch KURTH, Einführung I, S. 564, der die Auslassung von Hr eben damit erklärt. KLOTZ, City of Amun, S. 332–333, m. Anm. (f) versteht die Stelle ganz anders als (separat vom Vorigen): a.wj=fj HAy.tj.w „indem seine Glieder Lichtwesen sind.“ Vorläufer für das Konzept finden sich bereits in Sonnenhymnen des NR, siehe z. B. MÜNSTER, Isis, S. 97. 2171 Zur intransitiven Bedeutung von bs siehe Wb I, 473, 15–18. KLOTZ, City of Amun, S. 333, liest bsj „hervorkommen“. 2172 Die Textedition gibt das ungewöhnliche Zeichen eines schreitenden Löwen mit Messer im Rücken wieder. KURTH, Einführung I, S. 564, hält es für möglich, daß es sich um das etwas mißglückte Zeichen des fallenden Mannes handelt, was ich anhand des Photos von C. LEITZ bestätigen kann – das Zeichen ist etwas undeutlich und unförmig, sieht aber nicht nach einem Löwen aus. 2173 An dieser Stelle endet die zusammenhängende Übersetzung bei KURTH, Einführung I, S. 563. Vgl. aber den kurzen Kommentar zum Folgenden auf S. 564. 2174 Vgl. zur Ergänzung KLOTZ, City of Amun, S. 333. 2175 Die Schreibung ist seltsam, doch es muß sich um Djeme (gemeint ist wohl (auf einer Standarte?)) handeln, siehe GDG I, S. 35; zu den Schreibungen SETHE, Amun, S. 53–54. Anhand des Photos von C. LEITZ ist das Zeichen auch nicht sicher erkennbar.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wAH.n=f ix.wt n{tj} it it.w=f mw.t mw.t=f2176 nachdem er Opfergaben dargebracht hat für den Vater seiner Väter und die Mutter seiner Mütter,2177 sjA(?)2178.n=f sxr.w n xr-m-a=s(n) (?)2179 nachdem er die Angelegenheiten derer, die in/bei ihnen sind (?), erkannt hatte. iw sA As.t m bjtj n tA.wj m wD[?] n mdw Der Sohn der Isis ist der (unterägyptische) König der Beiden Länder, beim Erteilen (?) von Befehlen, twt=f Hrj tp tA mn.tj Hr ns.t ra nb seine Gestalt auf Erden ist fest auf dem Thron, jeden Tag. Kommentar: Die Friesinschrift des Sanktuars bezieht sich zwar, wie es für diese Texte üblich ist, theoretisch auf die Hauptgottheit des Tempels, in diesem Falle Isis, doch wird Isis selbst hier nur am Anfang erwähnt, als Einleitung für einen theologischen Text über Month-Re, der als Sonnengott aufgefaßt wird. Er kann als männlicher Hauptgott des Tempels von Deir elSchelwit gelten. Der Schlußteil des Textes stellt auch die Verbindung zur heiligen Urgötternekropole Djeme her, zu der Month von Armant in einer Prozession während des Choiakfestes zieht.2180 Isis selbst bildet in der Beschreibung des Textes den großen Rahmen, innerhalb dessen die geschilderten kosmischen Vorgänge stattfinden. Sie wird, komplementär zur linken Hälfte der Inschrift, mit dem Nordhimmel bzw. mit der Unterwelt gleichgesetzt,2181 die die Himmelskörper – Sonne, Mond und Sterne – in sich aufnimmt und wieder hervorbringt. Die Benennung der Isis als Süd- bzw. Nordhimmel in den beiden Hälften der Friesinschrift entspricht genau ihrer Platzierung (südliche Hälfte, Nr. 156: Südhimmel (gb.t); nördliche Hälfte, Nr. 157: Nordhimmel (ghr.t)). Obwohl sich der Großteil des nördlichen Textes dann um Month-Re selbst dreht, ist doch zu Beginn klar, daß auch hier Isis die aktive Rolle zukommt, indem sie es ist, die den Sonnenlauf ermöglicht und „Morgen und Abend entstehen läßt“. Diese Rolle wird nicht nur ebenfalls zu Beginn der anderen Hälfte der Friesinschrift (Text Nr. 156) ausgeführt, son2176 KLOTZ, City of Amun, S. 333, liest nur it.w mw.wt=f „für seine Väter und Mütter“. Zu it-it.w siehe LGG I, 575–577, zu mw.t mw.wt LGG III, 258–259. 2177 Vgl. eine entsprechende Passage mit Verweis auf dieses Datum des Sokarfestes am ptolemäischen Pylon von Medinet Habu (EGBERTS, In Quest of Meaning, Taf. 150a): spr=f r IA.t +Am.t m hrw n HH is m Hb=f nfr Abd 4 Ax.t sw 26 r wAH ix.t n it.w mw.wt „Er erreicht den Hügel von Djeme am Tag des „Tretens auf dem Grab“ an seinem schönen Fest am 26. Choiak, um Opfergaben darzubringen für die Väter und Mütter (= Kematef und die Achtheit)“. Der vorliegende Text aus Deir el-Schelwit ist sicherlich in diesem Sinne zu ergänzen. Siehe zu weiteren Texten und zum Fest insgesamt A. EGBERTS, In Quest of Meaning, S. 348–349; C. THIERS/Y. VOLOKHINE, Ermant I, Les cryptes du temple ptolémaique, Étude épigraphique, MIFAO 124, Kairo 2005, S. 77–78; KLOTZ, City of Amun, S. 392–398, auch zum obigen Text und der zitierten Parallele. 2178 Zu dieser Lesung vgl. KLOTZ, City of Amun, S. 333–334, m. Anm. (j). 2179 Die mit Fragezeichen versehenen Wörter folgen den Lesungsvorschlägen von J. F. QUACK bei der 3. Ptol. Sommerschule; vgl. auch KLOTZ, City of Amun, S. 333–334, m. Anm. (k). Die zusammengesetzte Präposition xr-m-a bedeutet nach WILSON, Ptol. Lex., S. 744, „in; darin“ und wird in Verbindung mit Suffix häufig resumptiv verwendet. 2180 Vgl. dazu Anm. 2177 zum Text. 2181 Zum Konzept des ghr.t-Himmels vgl. die Anm. 2166 zum Text.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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dern fügt sich überhaupt gut in das Bild ein, das sich aus den Texten des Tempels über die Isis von Deir el-Schelwit gewinnen läßt: Sie ist eine Himmelsgöttin, die den Kosmos regiert, wird häufig mit der den Jahreslauf bestimmenden Sothis/Satet gleichgesetzt und immer wieder mit den Himmelskörpern in Verbindung gebracht. Besonders eng ist die inhaltliche Verbindung mit der Hymne in der linken der beiden zentralen Ritualszenen der Rückwand des Sanktuars (Nr. 154). Das Konzept von Isis als Himmelsgöttin, die den Sonnenkreislauf lenkt, scheint in diesem Tempel von zentraler Bedeutung gewesen zu sein und demonstriert die enge theologische Verbindung zu Month von Armant, der mit dem Sonnengott gleichgesetzt wird. Vor dem Hintergrund der ebenso starken Bezüge – wohl auch aufgrund der geographischen Mittelposition – zur heiligen Nekropole von Djeme mitsamt Osirisgrab läßt sich auch die nächtliche Seite des Sonnenlaufes von dieser Warte aus verstehen. Innerhalb des nächtlichen (Nord-)Himmels, der gleichzeitig die Unterwelt und auf irdischer Ebene die Nekropole repräsentiert, vereinigt sich (Month-)Re mit Osiris („seine Strahlen vermischen sich mit dem Leib des Herzensmüden“) und führen damit zu dessen Verjüngung. Dies entspricht im Kult der Reise des Month nach Djeme anläßlich des Sokarfestes und der durch seine Opfergaben und Ritualhandlungen erzielten Verjüngung der Ahnengötter. Der Tempel von Deir el-Schelwit bildet dabei eine Zwischenstation und verbildlicht so die Fahrt des Sonnengottes durch Isis’ Leib hindurch.2182 Topographische Lage und lokale Abhängigkeiten, Feste (Sokarfest), theologische Vorstellungen von den beteiligten Gottheiten und kosmische Beobachtungen sind hier somit in einen ausgewogenen Zusammenhang gebracht. Noch in dieser späten Zeit sind die Inschriften eines kleinen, lokalen Heiligtums also eigens konzipiert und auf das kulttopographische Setting abgestimmt worden. 4.8.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. Text/Hauptpublikation Deir Chelouit I, Nr. 21; S. 56–59 Anbringungsort Deir el-Schelwit, Isistempel, Propylon, Durchgang, linke (südliche) Seitenwand, unteres Register Bibliographie – Inhalt der Szene Pharao (Otho – Mrqs Awtwns) reicht Ober- und Unterägypten an Isis, begleitet von Harsiese, gefolgt von Nephthys. Text: – Beischrift der Isis (57, 2–4): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr n p(A) Dw imnt(j) n Iwnw Smaj (Rezitation:) Isis, die Große, die Gottesmutter vom Westgebirge vom südlichen On (Armant), ir.t Ra HqA.t n psD.t nb(.t) njw.t wa.t das Auge des Re, die Herrscherin der Neunheit, die Herrin der einzigartigen Stadt (Theben),

2182 Siehe zur Gleichsetzung der Festprozession des Month von Armant mit dem Sonnenlauf auch KLOTZ, City of Amun, S. 396–397.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hnw.t qbHw @r die Gebieterin des Wassergebietes von Horus (= Ägypten),2183 papa(.t) sA r nD it=f die einen Sohn gebar, um seinen Vater zu schützen/rächen. – Göttliche Randzeile (57, 9–11): wnn As.t m Hnw.t QbH.wj sA=s m iwa nD it=f Es ist Isis die Gebieterin Ägyptens, und ihr Sohn der Erbe, der seinen Vater schützt/rächt. sw m p.t papa(.t) Sww=s n […]2184 Hnmm.t Sie ist der Himmel, die ihr Sonnenlicht hevorbringt für das Sonnenvolk, tA n [… … …]r[…]b? m ??? n D.t=f […] r […] das Land des […] ??? seines Leibes […] ? Kommentar: Die Beischrift nennt vor allem auf die lokale Topographie (Westgebirge, Theben) bezogene Titel der Isis. Mit der göttlichen Randzeile werden diese durch die Ausweitung auf ihre Herrschaft über ganz Ägypten verknüpft, die dort gleich zu Beginn eine Rolle spielt, ebenso wie die wiederholte Thematik des Horus als Rächer seines Vaters. Gleichzeitig wird Isis wie in den ausführlicheren Texten auch mit dem Himmel, der das Sonnenlicht hervorbringt, identifiziert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort

Bibliographie

Deir Chelouit I, Nr. 22; S. 60 Deir el-Schelwit, Isistempel, Propylon, Durchgang, linke (südliche) Seitenwand, Inschriftenband zw. unterem u. oberem Register –

Text: [As].t itj.t m nn.t HqA.t n tA.wj Hna xAs.wt Isis, die Fürstin im Himmel, die Herrscherin der Beiden Länder und Fremdländer, mw.t Sdj.t n @r kA nxt die Mutter und Aufzieherin von Horus, des starken Stiers, Sdj.t Hm=f m anx wAs die Seine Majestät mit Milch aufzieht. sn.t=s mnx.t mna(.t) sA=s Ihre treffliche Schwester,2185 die Amme ihres Sohnes, xpr MnTw m rn=s in deren Namen Month entstanden ist. iw=s Hr wA.t(?)=s nn Hrj(.t) r=s Sie (Nephthys?) ist auf ihrem Weg, ohne von ihr fern zu sein, 2183 Vgl. zu dieser Bezeichnung E. EDEL, Zu den Inschriften auf den Jahreszeitenreliefs der „Weltkammer“ aus dem Sonnenheiligtum des Niuserre II, Göttingen 1964, S. 111–112. 2184 Es fehlt nur ein Zeichen, das vielleicht zu Hnmm.t gehört hat; vgl. zur Lesung auch LGG III, 34b. 2185 Nun geht es offenbar um Nephthys, vgl. die wohl zugehörige Szene Nr. 21, oben, und den Kommentar, unten.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

405

Hr xbj inw m ndb und sammelt Gaben ein auf dem Fundament (= der ganzen Erde).2186 sA=s @r HqA.n=f Hp.tj ^ma.w MHw Ihr (Isis’) Sohn Horus, er beherrscht die äußersten Grenzen Ober- und Unterägyptens, Dsr.tw n kA=f die geheiligt/abgegrenzt sind für seinen Ka (?). Kommentar: Der Text ist auf die unter der Inschrift befindliche Szene Nr. 21, s. o, zu beziehen. Wie am Isistor in Dendara 2187 befinden sich im Durchgang zusätzliche Bandeau-Inschriften über den einzelnen Ritualszenen, die als eine Art zweite göttliche Randzeile fungieren. Wie in der Szene selbst werden die Beziehung der Isis und Nephthys zu Horus, der mit Month(Re) geglichen wird, und die Herrschaft über das ganze Land thematisiert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit II, Nr. 61; S. 12–14 Deir el-Schelwit, Isistempel, Pronaos, Ostwand (= Front des Naos), rechte (nördliche) Seite, Soubassement – Pharao (leere Kartuschen) führt die Überschwemmungsgötterund Feldgöttinnen-Prozession Unterägyptens an und bringt Gaben vor Isis (Einführungsszene).

Text: – Beischrift der Isis (14, 2–4): (Dd mdw in) As.t [w]r.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, HqA.t [… …] &mA.t/wr.t(?) n Hptj die Herrscherin […], die Mutter/Große der Welt, itj.t […] n.j.t p.t(?)2188 Hna tA(.wj?) die […] Fürstin des Himmels und der Erde; sw wD.t r tA.w (?) sie ist es, die Befehle gibt an die Länder (?). – Göttliche Randzeile (14, 5–6): (nswj.t bjtj.t) wr.t-HqA.w (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Zauberreiche, nb(.t) MHny.t mH(.t)(?)2189 dhn.t n Ax.t(?)/SA[… … … … … …] nb […] die Herrin, die Ringelschlange, die die Stirn von […] umwindet […]?

2186 2187 2188 2189

Vgl. die Bezeichnung der Isis als xbj.t inw m ndb=f, LGG V, 680c. Vgl. Kap. 4.6.1.B. Fälschlich als geschrieben. Das Wort beginnt mit einem unklaren Zeichen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Isis wird in den Beischriften als Herrscherin der Welt und zaubermächtige Uräusschlange dargestellt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit II, Nr. 69; S. 28–30 Deir el-Schelwit, Isistempel, Pronaos, Ostwand (= Front des Naos), linke (südliche) Seite, 1. Register, rechte Szene – Pharao (leere Kartuschen) reicht Isis, vor der Harsiese steht, ein wnSb-Symbol2190 (in der Darstellung zerstört).

Text: – Beischrift der Isis (30, 2–6): (Dd mdw in) As.t wr(.t) [… …] nb(.t) Iwnw Smaj (Rezitation durch) Isis, die Große […], die Herrin des oberägyptischen On (Armant), Hrj(.t)-ib Dw [StA …].t2191 die im [geheimen] Gebirge residiert, die [Uräusschlange?], Hnw.t imnt[.t … … sbj.w?] die Gebieterin des Westens, [die die Rebellen(?) …], ds/smA(?)2192 r xnt[… … … … m]aHa.t(?) [… … …] ? ?? […] Grab(?) […] ? tpj(.t) nTr(?) Xnm(.t) [… die Erste/Kobra des Gottes(?), die (sich?) vereint (mit?) […], … … … km-]At=f 2193 ??[…] Xkr(.t?) D.t [… …] [… Kem]atef ?? […], die den Leib […] schmückt(?) […]. – Göttliche Randzeile (30, 7–8): (nswj.t bjtj.t) r[… …] r […w]DA(?) (Die Königin von Ober- und Unterägypten), […] wohlbehalten, irj(.t) gs-dp s(?)njnj(?)2194 n Xr.t(?)-nTr die Schutz bereitet(?) ? in der Nekropole(?) […] a[…] wAy.w=s r itH […] ihre Verschwörer(?) ins Gefängnis/zur Befestigung. Kommentar: Trotz der schlechten Erhaltung des Textes läßt sich erkennen, daß es vorrangig um den wehrhaften, schützenden Charakter der Göttin geht, der sich hier möglicherweise speziell auf den Kontext von Grab bzw. Nekropole bezieht.

2190 2191 2192 2193 2194

Vgl. zu diesem Objekt den Text Edfu III, 69, 17–70, 3, Kap. 4.5.1.A, m. Anm. 916. . Eventuell nur Determinativ zum vorangehenden Ausdruck. Schlangendeterminativ. Die Stelle ist problematisch; die Hieroglyphen oder die Abschrift in der Edition scheinen fehlerhaft zu sein.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

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Deir Chelouit II, Nr. 73; S. 36–38; Deir Chelouit III, Taf. 10 Deir el-Schelwit, Isistempel, Pronaos, Ostwand (= Front des Naos), linke (südliche) Seite, 3. Register, rechte Szene – Pharao (leere Kartuschen) reicht Hknw-Öl und einen Spiegel an Isis.

Text: – Beischrift der Isis (38, 4–7): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, nb(.t) Iwnw Smaj Hrj(.t)-ib Dw StA die Herrin des oberägyptischen On (= Armant), die im geheimen Gebirge residiert, nbw(.t)(?) nmt.t xnt msx.tj.w(?) die Goldene(?), die an der Spitze des „Schenkels“(?) (Großer Wagen) dahinschreitet,2195 njw.wt spA.wt ir.w Xr aXm.w=s unter deren Götterbildern alle Städte und Gaue sind, njs.tw n=s m hrw n Hr-n-Hr zu der man ruft am Tag des Schreckens, wr.t(?)2196 ibA nb(.t) n tA r Aw=f die Große(?) des Tanzes, die Herrin des gesamten Landes. – Göttliche Randzeile (38, 8–10): (nswj.t bj.tj.t) nbw niw.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten), das Gold der Stadt (Theben), Hnw.t grg.wt2197 nn ms.t Sw m sStA=s die Gebieterin der Siedlungen, von deren Abbild kein ‚Gebärboden‘ frei ist,2198 Hr.w nb snsn [n] kA=s smH n=s […].w […] Hr pr n hb.wt(?) jedermann preist ihren Ka, […] flehen zu ihr […] am(?) Haus der Richtstätten(?).2199 Kommentar: Die Begleittexte der Isis kombinieren mehrere Themen: zentral in Beischrift und Randzeile ist ihre Herrschaft über Städte, Gaue, Siedlungen und zu bebauenden Boden. Die mehrfache Erwähnung ihres Abbildes/Götterbildes (aXm, sStA) läßt sich eventuell mit dem in der Szene dargestellten Darreichen des Spiegels in Verbindung bringen. Zu dem durch Spiegel und Öl angedeuteten Thema des weiblichen Liebreizes paßt auch die Angleichung der Isis an Hathor durch den Beinamen „die Goldene“ und die (etwas unsichere) Verbindung zum Tanz. 2195 Vgl. dazu die Hymne Deir Chelouit III, Nr. 154, Kol. 7, mit Kommentar; siehe oben. 2196 Lesung sehr unsicher; die Zeichen sind von ZIVIE, Deir Chelouit II, 38, bereits mit Fragezeichen angegeben. 2197 Zur Lesung vgl. LGG V, 210a. 2198 Vgl. zur Deutung von ms.t als „Gebärboden“ die Diskussion bei BUDDE, Götterkind, S. 381–382, m. Anm. 455 (zur obigen Stelle); in LGG III, 489a, wird das Wort mit „Gehöft“ übersetzt. 2199 Zu hb.t „Richtstätte“ siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 604. Was ZIVIE, Deir Chelouit II, S. 38, (g), als Ohr ansieht, dürfte die Hacke (hb) sein.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Das Ende der göttlichen Randzeile betont die Verehrung und die Gebete in Notlagen, die der Göttin von den Menschen entgegen gebracht werden. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit II, Nr. 75; S. 42–44 Deir el-Schelwit, Isistempel, Pronaos, Ostwand (= Front des Naos), rechte (nördliche) Seite, 1. Register, linke Szene – Pharao (leere Kartuschen) reicht ein Myrrhegefäß an Isis, vor ihr Harsiese.

Text: – Beischrift der Isis (44, 1–3): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) Iwnw Smaj (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin des oberägyptischen On (= Armant), [S]pSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw StA die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge residiert, [MHnj.t?] mHj(.t) h[… … … die Ringelschlange(?), die umwindet […], … …]k xA.w nb(.t) wAH sTj […] Duftstoffe,2200 die Herrin des Opferns von Düften(?).2201 – Göttliche Randzeile (44, 4–6): (nswj.t bj.tj.t) Hnw.t nb(.t) sTj(?) (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Gebieterin, die Herrin des Duftes(?), Hnw.t(?)2202 xaj nswt(?) m hrw=f die Gebieterin, der oberägyptische König erscheint an seinem Tag (?), bjtj xft wD.t.n=s der unterägyptische König (erscheint) gemäß dem, was sie befohlen hat (?),2203 nb(.t) […].t wr[… …].t2204 die Herrin von […], […] rdj(.t) mrj(.t)=s Hr ns.t nb.wj […] die den, den sie liebt, auf den Thron der beiden Herren setzt […]. Kommentar: Wie in anderen Texten aus Deir el-Schelwit wird Isis wieder als Ringelschlange (Mehenit) charakterisiert. Die Randzeile konkretisiert ihre Funktion als Herrscherin über Thron und Königsamt. 2200 2201 2202 2203

Vgl. Wb III, 221, 8–10. Oder „…alle Räucherstoffe, die Düfte absondern(?)“? Oder Determinativ zum vorangehenden Wort? Die Stelle scheint verderbt zu sein, vgl. Deir Chelouit II, Nr. 86, 2: xaj nswt m wD.t=s bj.tj xft Dd=s „durch deren Befehl der oberägyptische König erscheint, gemäß deren Rede der unterägyptische König (erscheint).“ Ähnliches muß auch hier gemeint sein. 2204 Determinativ .

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

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Deir Chelouit II, Nr. 79; S. 55–57 Deir el-Schelwit, Isistempel, Pronaos, Ostwand (= Front des Naos), rechte (nördliche) Seite, 3. Register, linke Szene – Pharao (leere Kartuschen) reicht verschiedene Opfergaben (Htp ix.t nb nfr) an Isis.

Text: – Beischrift der Isis (56, 1–2): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw StA die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge residiert, nb(.t) snTr wr(.t) aq.w rdj(.t) n mrj(.t)=s die Herrin des Weihrauchs, groß an Speisen, die dem gibt, den sie liebt(?). – Göttliche Randzeile (56, 3–5): (nswj.t bj.tj.t) nb(.t) itr.tj (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Herrin der Beiden Heiligtümer, Hnw.t QbH.wj die Gebieterin von Ägypten („der beiden Wassergebiete“), Hrj(.t)-tp {s} idb.w njw.wt(?)2205 irj.w Xr aXm.w=s das Oberhaupt der Uferländer, unter deren Götterbildern alle Städte(?) sind, n(n) ms(.t) grg(.t) niw.t Swj(.t) m sStA=s ohne deren Abbild kein ‚Gebärboden‘, keine Siedlung und keine Stadt existiert.2206 Kommentar: Die Herrschaft und Präsenz der Isis (bzw. ihres Götterbildes) in allen Teilen des Landes stehen im Mittelpunkt der Texte. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 90; S. 3–5 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, Westwand (= Rückwand), Soubassement, linke Hälfte, 1. Szene – Pharao (leere Kartuschen) führt die Überschwemmungsgötterund Feldgöttinnen-Prozession Oberägyptens an und bringt Gaben vor Isis (Einführungsszene).

2205 Das Zeichen vor den Pluralstrichen ist nicht klar identifizierbar, hinter den Pluralstrichen ist aber ein Stadt-Determinativ. 2206 Vgl. die göttliche Randzeile der Szene Deir Chelouit II, Nr. 73, mit einem ähnlichen Ausdruck; siehe oben; vgl. BUDDE, Götterkind, S. 381, Anm. 455, zu beiden Stellen.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: – Beischrift der Isis (4, 1–3): stark zerstört. – Göttliche Randzeile (4, 4–6): [… As].t [… … … … …] Htp.w=s […] Isis […] ihre Opferspeisen, DAj.tw(?) m tA Dr nHH indem sie ernähren (?) im ganzen Land bis zur Ewigkeit, […] ? mdw/Hptj(?) mj Hm nb-Dr […] Worte/Weltgrenzen wie die Majestät des Allhern, nb(.t) wD.t irj=s n […] sp sn(?) die Herrin des Befehls, den sie macht an […]. Kommentar: Die spiegelsymmetrische Szene Nr. 105 führt die ökonomische Prozession der rechten Seite an; dort sind Beischrift und göttliche Randzeile jedoch noch schlechter erhalten und haben wenig Informationswert. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 124; S. 80–84; Taf. 15 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Eingangstür, Architrav, rechte Szene – Eine große Szene, in der Pharao für den thronenden SokarOsiris räuchert und libiert, mit Hymne an den Gott; hinter diesem thront schützend (mit erhobener Hand) und belebend (anx-Symbol in der Hand) Isis.

Text: – Beischrift der Isis (82, 12–84, 3): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, Sps.t wsr.t Hr(j.t) Dw imntj die Edle und Mächtige, die im Westgebirge residiert, Ax.t m p.t Sm.t m tA die Prächtige im Himmel, die wandelt auf Erden, wD.t md.t n imj.w Xr.t-nTr die denen in der Nekropole2207 Befehle erteilt, Hm.t nswt mw.t nswt sn(.t) die Königsgemahlin, Königsmutter und Königsschwester, sxp(r.t) sA=s m nD Hr2208 it=f die ihren Sohn erschuf als Beschützer seines Vaters,

2207 Zu den imj.w Xr.t-nTr vgl. auch Deir Chelouit III, Nr. 154, Kol. 8, siehe oben. 2208 Zum Gebrauch des Verbs nD „schützen“ mit Hr, siehe Wb II, 375, 6 und 13.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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sxp(r.t) bA=f(?) m sAH m p.t(?) rsj(.t) die dessen (= Osiris’) Ba als Orion am südlichen Himmel entstehen ließ, iw=s r gs=f m %tj.t während sie an seiner Seite ist als Satet/Sothis.2209 Kommentar: Die Beischrift der Isis weist inhaltlich deutliche Verbindungen zu der gegenüber an der Rückwand des Sanktuars liegenden Szene Nr. 154 auf.2210 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 127; S. 92–96 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Eingangstür, Architrav, linke Szene COULON, Deux versions, S. 121 (kurzer Auszug der Osirishymne) Eine große Szene, in der Pharao für den thronenden Osiris räuchert und libiert, mit Hymne an den Gott; hinter diesem thront schützend (mit erhobener Hand) und belebend (Anch in der Hand) Isis. Korrespondierende Szene zu Nr. 124, s. o.

Text: – Beischrift der Isis (94, 11–96, 1): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw StA die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge residiert, r.t-pa.t wr(.t)(?) Hnw.t Sn itn die große Prinzessin, die Gebieterin des Umkreises der Sonnenscheibe, HqA.t n tA.w{j} fnx.w(?) die Herrscherin der Länder der Phönizier, mHj(.t) Hr hy=s wSb(.t) Hr sn (nTr(j))2211 die sich um ihren Gatten sorgt, die für den (göttlichen) Bruder eintritt, irj(.t) Ha.w=f m nTr(j?) imj.w gs.w-pr.w die seine Glieder zu Göttern/göttlich macht in den Tempeln (Ägyptens).2212 Kommentar: Wie die korrespondierende Szene thematisiert die Beischrift der Isis vornehmlich ihre Handlungen gegenüber Osiris und läßt sich mit der an der Rückwand gegenüber liegenden Szene Nr. 155 verbinden.

2209 Es steht eigentlich Satet geschrieben, doch ist im Zusammenhang mit Orion hier sicherlich Sothis gemeint. Die Schreibungen beider Namen fallen in der gr.-röm. Zeit oft zusammen, vgl. zum umgekehrten Fall Assuan-Hymne 5. 2210 Siehe den ausführlichen Kommentar dort (s. o.). 2211 Möglicherweise nur als Determinativ verwendet. 2212 Vgl. zu dieser Phrase Nr. 155, Beischrift der Isis. S. o.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Nr. 154

Nr. 155

Nr. 124

Nr. 127

Isis’ Leistungen für den verstorbenen Osiris werden des weiteren innerhalb der an den Gott gerichteten Hymne im Spruch der hier behandelten Szene aufgezählt, und zwar innerhalb einer Passage, die aus der Dekadenliturgie von Djeme adaptiert wurde und in weiterer Variation – mit Aussagen der Isis in Ich-Form! – auch in eine Osirishymne in Philae integriert wurde (Philae-Photos 1591–1592):2213 – Spruch (Auszug: 93, 3–5): dj=k Hr=k nfr n sn.t=k As.t Mögest du dein vollkommenes Gesicht deiner Schwester Isis zuwenden! sn.t iwH.t Hr iwH n kA=k Deine Schwester Iuhet/die Klagefrau klagt für deinen Ka. prj Hr xrw=s Komme heraus auf ihre Stimme! Ssp=k qbH.w m-a=s Mögest du die Libation aus ihrer Hand empfangen, anx bA=k m qbH.w=s nfr.w auf daß dein Ba durch ihre vollkommenen Libationen lebe, prj-xrw=s n=k m ix.t nb(.t) nfr.t wenn sie für dich das Totenopfer („Herauskommen auf die Stimme“) vollzieht mit allen guten Dingen. irj=s sA=k snTrj=s kA=k Sie besorgt deinen Schutz und vergöttlicht deinen Ka. Auffällig ist, daß Isis in ihrer Beischrift als „Herrscherin der phönizischen Länder“ bezeichnet wird, was kein übliches oder traditionelles Epitheton ist. Gerade in dieser Szene, die sich um Osiris dreht, stellt sich die Frage, ob es möglicherweise in Verbindung mit der Version des Osirismythos stehen könnte, in der Isis auch in Byblos nach ihrem verstorbenen Gemahl sucht.2214 Epitheta, die einen Gott/eine Göttin mit Phönizien in Verbindung bringen, sind relativ selten und kommen nur vereinzelt für verschiedene Gottheiten vor (Osiris, Horus, verschiedene Göttinnen).2215 Andererseits werden Isis aber gerade in der Hymne der assoziierten Szene Nr. 155 verschiedene Fremdvölker übergeben, um ihre Herrschaft über die Welt zu demonstrieren. Die Phönizier sind dort nicht darunter, doch scheint mir deren Erwähnung in Nr. 127 eine eindeutige Anspielung darauf zu sein.

2213 Kap. 4.1.1.A (siehe dort auch den Kommentar zum Inhalt); vgl. COULON, Deux versions, bes. S. 121 zur Stelle in Deir el-Schelwit. 2214 Plutarch, De Iside, 15–16. Siehe dazu unten, Kap. 8.1.2.3. 2215 Vgl. LGG III, 192a, mit weiteren Verweisen.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Deir Chelouit III, Nr. 129; S. 100–1032216 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Südwand (links), unteres Register, 2. Szene von links – Pharao reicht etwas (zerstört) an zwei hintereinanderstehende Isis-Formen, die – soweit erhalten – ikonographisch gleich gestaltet sind.

Text: – Beischrift der vorderen Isis (101, 2–5): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw [StA] die Edle und Mächtige, die im [verborgenen] Gebirge residiert, itj.t mnx.t […] tA.wj […] die vortreffliche Fürstin (in?) den Beiden Ländern […], sxm(.t?)[…] i[… n]t(j) xmn.w2217 die Mächtige(?) […] der Achtheit, sanx(.t) bA SpSj n Km-A.t=f m Ax.w[=s] ra nb die den prächtigen Ba des Kematef täglich mit ihren Zaubersprüchen belebt. – Beischrift der hinteren Isis (101, 6–8): (Dd mdw in) As.t wr.t Hrj(.t)-ib rA wry.t Sps.t wsr.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die inmitten des „Eingangs der Halle“ (= Grabkammer, Unterwelt)2218 ist, die Edle und Mächtige, [s]Htp(.t) Itm(?)[…]2219 m X.t/Hw.t-Itm sqbb ib=f die Atum(?) zufrieden stellt [?] im Haus des Atum,2220 die sein Herz erfrischt […]s[…].w Hr Dw qA[… … … … …] […] auf dem hohen Berg2221 […]. – Göttliche Randzeile (101, 9–11): (nswy.t bjtj.t) mnx.t imj-wtj sAw-n=sn (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Die Treffliche unter den Schutzgöttern (des Tempels), prj nswt [Hr] s.t [X]r wD.t=s unter deren Befehl der König auf seinem Thron erscheint, 2216 2217 2218 2219

Text überprüft anhand von privaten Photos von C. LEITZ. Siehe unten in der göttlichen Randzeile. Vgl. z. B. Deir Chelouit III, Nr. 156. Siehe Wb I, 332, 13; WILSON, Ptol. Lex., S. 245. So nach der Edition Deir Chelouit III: . Auf dem Photo von C. LEITZ ist das Wort nicht sicher lesbar (sieht eher aus wie ?) und das rechte untere Zeichen stark beschädigt. Falls die Wiedergabe der Edition stimmt, fehlt in der anschließenden Lücke wohl nur das Determinativ zu Atum. 2220 „Haus des Atum“ ist eine Bezeichnung des Atum-Tempels (bzw. des Bucheums) in Armant, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 628. 2221 Osirisgrab/Nekropole von Qau el-Kebir (10. o.äg. Gau), bzw. auf Bigge oder el-Hesa, vgl. GDG VI, S. 125; LOCHER, Topographie, S. 175–177. Möglicherweise handelt es sich auch um eine allgemeine Bezeichnung für Osirisgräber.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

mH(.t) wnm.t apr(.t) iAb.t die das rechte Auge füllt, die das linke Auge ausstattet, sxp(r.t) hrw grH m a=s die Tag und Nacht entstehen läßt durch ihre Urkunde(?), irj(.t) sn[…]=s […] nHH D.t […] m […]n[…] die ihren Bruder […] macht für immer und ewig […]. Kommentar: Während die erste Isisform das übliche Titelformular der Göttin von Deir el-Schelwit trägt, weist die zweite eine ungewöhnliche, für Isis ansonsten nicht belegte lokale Zuordnung zum „Eingang der Halle“ auf, womit sicherlich ein Grab, ein Bau der Nekropole oder Osirisheiligtum gemeint ist. Osiris wird nur als „ihr Bruder“ in der göttlichen Randzeile erwähnt, die opfernden und dadurch belebenden Handlungen der Isis beziehen sich in den Beischriften dagegen auf die in Theben verehrten Urgötter Kematef 2222 und Atum (von Armant), die hier wohl mit Osiris identifiziert werden. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 137; S. 130–132 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Südwand (links), oberes Register, 2. Szene von links – Pharao (Hadrian) reicht zwei Sistren an Isis und Nephthys (beide thronend).

Text: – Beischrift der Isis (132, 3–4): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, SpSj.t wsr.t Hrj(.t)-ib Dw StA imntj/imnt.t WAs.t die Edle und Mächtige, die im geheimen Gebirge westlich von Theben residiert, irj(.t) s.t=s r gs Km-A.t=f die ihren Wohnsitz einrichtet an der Seite von Kematef, i[w]/r sanx [Ha]=f(?) ra nb um seinen [Leib] zu beleben, jeden Tag. – Göttliche Randzeile (132, 8–10): (nswy.t bjtj.t) rnp.t nfr.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Das ‚Gute Jahr‘,2223 iw(.t) r s.t=s m rn=s n As.t die gekommen ist zu ihrem Sitz in ihrem Namen Isis,

2222 Zu Kematef im römischen Theben siehe KLOTZ, City of Amun, S. 133–142. 2223 Zu rnp.t nfr.t als Göttin, die das gute Jahr verkörpert, bzw. als Aspekt großer Göttinnen, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 586.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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inj(.t) sn=s apr.tw(?)2224 m Abd.w=s hrw.w=s wnw.wt=s die ihren Bruder herbeibringt, ausgestattet mit ihren Monaten, ihren Tagen und ihren Stunden, wDA.t2225 wDA.tj n @r=s rnpj(.t) tA r Aw=f m rA-a.wj=s das Udjatauge ist heil für ihren Horus, verjüngt ist das ganze Land durch ihr Werk, mDH(.t) tp=sn im[…] die ihre Köpfe umwindet in […]. Kommentar: Wieder wird die belebende Funktion der Isis gegenüber Kematef herausgestellt und mit ihren Handlungen an Osiris kombiniert. Die Bezeichnung als das „Gute Jahr“ und ihre (im Detail etwas unklare) Verbindung zu den Monaten, Tagen und Stunden weisen auf ihre Identifikation mit Sothis hin, ähnlich wie in Assuan-Hymne 6 und Philae-Photo 1297. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 141; S. 144–147 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Nordwand (rechts), unteres Register, 2. Szene von rechts – Pharao (Hadrian) reicht ein Myrrhegefäß an Isis und Nephthys (beide stehend).

Text: – Beischrift der Isis (145, 4–7): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, nb(.t) hAy.t nxx(.t) x(A)b(A)s.w die Herrin des Himmels, die Alte der Sterne,2226 iwj bAkty.w mnTy.w(?) Hr mTn=s auf deren Weg die Dekane (‚Die zur Arbeit gehörigen‘)2227 und die Asiaten(?)2228 gehen, %T.t/%pd.t wr.t nb(.t) tp rnp.t Satet/Sothis, die Große, die Herrin des Jahresanfangs, wD.t sxr n imj.w p.t die Rat sendet an die, die im Himmel sind. 2224 Ein etwas unklares Zeichen. 2225 Eventuell auch wDA.t „die heil sein läßt…“ mit Haplographie des s aufgrund des vorhergehenden Suffixpronomens. 2226 Sonst nicht belegtes Epitheton, vgl. LGG IV, 311b. 2227 Zu dieser Bezeichnung siehe QUACK, Dekane, Index s. v. 2228 Aufgrund des Determinativs und des Gesamtzusammenhangs muß es sich dabei ebenfalls um ein Sternbild, eine Dekangruppe o. ä. handeln, wenngleich die Beleglage dünn ist. KLOTZ, City of Amun, S. 129, m. Anm. 725, interpretiert sie als Gegenstück zu den zuvor genannten bAkty.w als inaktive bzw. ‚verstorbene‘ Dekane (vgl. mnj „anpflocken, sterben“). Auf dem Dekaden-Naos aus Saft el-Henna ist die 28. Dekade geographisch den Asiaten (mnTy.w) zugeordnet, vgl. LEITZ, Sternuhren, S. 46; dazu und zur Problematik der Verbindung zwischen Dekaden und Dekanen QUACK, Dekane, S. 213; zur Stelle und der schlechten Beleglage für mnTy.w/mnty.w ibid., S. 5.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

- Göttliche Randzeile (146, 1–4): (nswy.t bjtj.t) sn.tj m snsn [r] itn r p.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Die beiden Schwestern sind in der Vereinigung [mit] der Sonnenscheibe am Himmel, r sxp(r) D.t=f um seinen Leib/seine Pupille (= den Morgen) entstehen zu lassen, […] Itm m mSrw r sxpr X.t=f […] Atum am Abend, um seinen Bauch (= den Abend) entstehen zu lassen,2229 prj=f hAj=f Hr a.wj=sn sein Hervorkommen und sein Hinabsteigen (= Aufgang und Untergang) sind ihnen unterstellt,2230 kA psj pw m xt n ws ‚der hitzige Stier‘2231 ist es beim Umherziehen(?) ohne Unterlaß, wAj m irw=sn r 2232 der fern ist durch ihre Ritualhandlungen (?) bis in . Kommentar: Isis wird hier, ähnlich wie in Szene Deir Chelouit III, Nr. 137, mit Sothis identifiziert, die Herrscherin über die Sterne und das Jahr ist. Das Thema der Herrin der Himmelskörper erinnert an die ausführliche Hymne in Deir Chelouit III, Nr. 157 (s. o.). Die göttliche Randzeile bezieht sich hier ungewöhnlicherweise auf beide in der Szene auftretenden Göttinnen; die beiden Schwestern Isis und Nephthys werden als Paar genannt und als Bestimmerinnen des Sonnen- und Mondlaufes dargestellt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 144; S. 156–159 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Nordwand (rechts), mittleres Register, 1. Szene von rechts – Pharao (Hadrian) reicht Stoff an den thronenden Osiris, hinter ihm steht Isis.

Text: – Beischrift der Isis (157, 9–12): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, wsr.t SpSj.t Hrj(.t)-ib Dw StA die Mächtige und Edle, die im geheimen Gebirge residiert,

2229 Zum Wortspiel mit dem Paar D.t=f und X.t=f vgl. oben, Deir Chelouit III, Nr. 154. 2230 Oder wörtlicher: „sind/geschehen auf ihren Armen“, vgl. die symbolische Hieroglyphe . Siehe dazu oben den Kommentar zu Edfu V, 332, 14–333, 2 (Kap. 4.5.1.A) sowie die Texte Deir Chelouit III, Nr. 156 und 157: „die das Sonnenlicht zum Horizont erhebt auf ihren (= Isis’) beiden Armen“, bzw. „er wiederholt das Erscheinen als Kind am Morgen auf den Armen der Beiden Klagefrauen“. 2231 Bezeichnung des Mondes, vgl. VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 76. 2232 statt .

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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nswy.t n nHH die oberägyptische Königin der Ewigkeit, [bjtj.t (?)] n D.t die [unterägyptische Königin o. ä.) der Unendlichkeit, Ra.t n tA.wj Hna idb.w die Sonnengöttin der Beiden Länder (Rattaui) und der Ufer, xaj nb Xr s.t-rA=s nach deren Ausspruch der Herr (= König) erscheint. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Deir Chelouit III, Nr. 149; S. 175–177 Deir el-Schelwit, Isistempel, Sanktuar, innen, Nordwand (rechts), oberes Register, 2. Szene von rechts – Pharao (Hadrian) reicht zwei Spiegel an Isis und Nephthys, beide thronend.

Text: – Beischrift der Isis (176, 2–4): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, wsr.t SpSj.t Hrj(.t)-ib p(A) Dw imntj die Mächtige und Edle, die im Westgebirge residiert, ir(.t) Ra nb.t p.t Hnw.t nTr.w nb.w das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter.2233 – Göttliche Randzeile (176, 8–10): (nswy.t bjtj.t) sn.tj nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten) Die beiden Schwestern des Gottes: wnn(?) pa(j).t{i}2234 wr.t n/m Snw itn es ist die große Flammende2235 im Umkreis der Sonnenscheibe, $rj-sk.t pw mnx(.t?) und $rj-sk.t2236 ist die Vortreffliche(?);2237 HAj.tj irj(.wt) mk.t wnm.t iAb.t die beiden Leuchtenden (= Sonne und Mond), die den Schutz des rechten und des linken Auges machen, prj=sn hAj=sn m qAb=s iw/r Ra aus denen sie hervorkommen und in die sie hinabsteigen zu Re,

2233 2234 2235 2236

Standardtitulatur von Isis/Hathor, bes. in Dendara. Das Schilfblatt (vielleicht auch beide) könnte eine Verschreibung aus dem Feuerdeterminativ sein. Sonst Epitheton von Tjenenet oder Tefnut, vgl. LGG III, 30; Wb I, 504, 1. Die genaue Bedeutung des Namens ist unbekannt, vielleicht „die Abwischerin“ o. ä., vgl. GUGLIELMI, Die Göttin Mr.t, S. 191–192, h); LGG VI, 47b–c. Es handelt sich um ein typisches Epitheton der Nephthys, v. a. nördlich von Qus, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 774. Es können aber auch beide Osiris-Schwestern so bezeichnet werden, vgl. GUGLIELMI, loc. cit. 2237 Die grammatische Struktur der göttlichen Randzeile ist problematisch.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

n ws m (i)Dr nTr.w ohne Unterlaß, innerhalb der Grenzen der Götter. Kommentar: Wie in der entsprechenden Szene des unteren Registers, Deir Chelouit III, Nr. 141, sind Isis und Nephthys auch hier gemeinsam Kultempfängerinnen, und die Randzeile bezieht sich ungewöhnlicherweise auf beide Göttinnen. In diesem Fall handelt es sich außerdem um zwei Gaben (zwei Spiegel), was aber typisch für den Szenentypus ist. Die Spiegel werden auch hier mit leuchtenden Himmelskörpern in Zusammenhang gebracht, was sich deutlich auf die Charakterisierung von Isis und Nephthys in der Randzeile auswirkt.2238 Sie sind „die beiden Leuchtenden“, die aus den beiden Augen des Sonnengottes hervorkommen bzw. wieder hinabsteigen und diese gleichzeitig beschützen. 4.8.2 Deir el-Schelwit: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums Zur Baugeschichte des Isis-Tempels von Deir el-Schelwit Der kleine römerzeitliche Isis-Tempel von Deir el-Schelwit befindet sich auf dem thebanischen Westufer, ca. 3,5 km südlich von Medinet Habu, und liegt damit auf halbem Wege nach Armant.2239 Innerhalb des von einer Nilschlammziegelmauer eingefaßten Bezirkes ist neben dem eigentlichen Tempelbau noch ein Tor erhalten, das die Kartuschen von Galba, Otho und Vespasian zeigt, dessen Dekoration also in das Vierkaiserjahr 68–69 n. Chr. datiert, wenngleich die Konstruktion nach ZIVIE aufgrund der Bautechnik bereits aus der 30. Dyn. oder der frühen Ptolemäerzeit stammen muß.2240 Der eigentliche Tempelbau, mit Hof und Wabet, Pronaos, Couloir mystérieux und drei kleinen Kapellen um das Sanktuar, dürfte kurz vor der Dekoration des Tores entstanden sein, wie aus Armant und Deir el-Schelwit stammende bilingue Quittungen für Geldkollekten aus der Regierungszeit von Claudius und Nero, die für „den Gott“ (wohl Month) und Isis bestimmt waren und von Verwaltern (rd) und Priestern (Hm) der Isis durchgeführt wurden, nahelegen.2241 Die Dekoration des Tempelhauses ist unvollendet; die Außenwände sind in Bosse gelassen. Nur die Tür des Tempels, die Front und das Innere der Cella sind unter Hadrian und Antoninus Pius mit Reliefs und Inschriften versehen worden. Auf der Rückseite zeigt eine Scheintür die Existenz eines Gegentempels an. Nordöstlich des Tempels befindet sich ein elliptischer Brunnen. Nach Champollion und Lepsius wurde innerhalb des Bezirkes eine kleine Tür mit der Kartusche des Augustus gefunden; diese ist allerdings heute verschollen und ihre originale Zugehörigkeit zum Heiligtum ist unsicher.2242 Archäologische Reste von früheren (d. h. vor 2238 Vgl. insbesondere die beiden komplementären Spiegelszenen im Hof von Edfu, Edfu V, 77, 8–17, und Edfu V, 173, 10–174, 4, mit Kommentar. 2239 Siehe WILDUNG, „Deir esch-Schelwit“; ZIVIE, Entre Thèbes et Erment, S. 21. 2240 ZIVIE-COCHE, Isis méconnue, S. 43. 2241 Zur Zuordnung der Quittungen an den Tempelbau von Deir el-Schelwit siehe D. KLOTZ, ΛογείαReceipts and the Construction of Deir Shelwit, in: ZPE 168, 2009, S. 252–256; ID., City of Amun, S. 296–297; eine andere Interpretation der Quittungen (reguläre Steuern der Isispriester) bietet LANCIERS, Isis Cult II, S. 379–390. 2242 Vgl. C. ZIVIE-COCHE, Deir Chelouit: A propos de deux publications récentes, in: BIFAO 93, 1993, S. 419–423: 420.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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die Römerzeit datierenden) Bauten konnten in diesem Areal nicht festgestellt werden.2243 Ein ägyptischer Name des Heiligtums von Deir el-Schelwit ist nicht belegt,2244 auch wenn noch in rezenter Literatur eine angebliche ägyptische Bezeichnung als „Tempel der Isis am Südwestende des Sees“ umhergeistert.2245 Dies beruht offenbar auf einer Folge von Abschreibefehlern: P. JOUGUET, in: Studies presented to F. Ll. Griffith, Oxford 1932, S. 241– 244: 241, nennt den Tempel ‚temple d’Isis de l’extrémité S. O. du lac‘, und zitiert damit anscheinend die Bezeichnung von LD III, S. 191. In keiner der beiden Publikationen wird jedoch behauptet, daß es sich dabei um die altägyptische Bezeichnung des Tempels handelt. Dies schreibt jedoch BATAILLE – die Quelle für die rezenten Fehlangaben –, der sich wiederum auf JOUGUET beruft. Da die lokalen Haupttitel der Isis sich jeweils auf das Westgebirge beziehen (s. u.), könnte nach LANCIERS das in pLips I 97 erwähnte Ἰσίδιον  Ὄρους „Isistempel des Berges“ eine Bezeichnung des Tempels bzw. einer beim Tempel gelegenen Gemeinde sein.2246 Eventuell ist außerdem eine in dokumentarischen Quellen aus Theben mehrfach belegte Siedlung namens Pakerkeēsis („Der (Ort) der Gründung von Isis“) in der Umgebung des Tempels zu lokalisieren (und wohl mit Isidion Orous identisch), zumal im Nordosten des Tempelbezirks auch entsprechende archäologische Reste gefunden wurden.2247 Der späteste Beleg für die Nutzung des Tempels sind zwei griechische Graffiti des Stolisten Pamontekysis im Neujahrshof, die seine Amtseinsetzung im Jahr 200 n. Chr. kommemorieren.2248 Falls sich der oben erwähnte griechische Papyrus mit Nennung eines Ἰσίδιον Ὄρους jedoch tatsächlich auf Deir el-Schelwit bezieht, würde ein darin in diesem Zusammenhang genannter Priester die Nutzung des Tempels sogar bis mindestens in das Jahr 338 n. Chr. belegen.2249 Titel und Charakter der Isis von Deir el-Schelwit Der auf die lokale Kulttopographie bezogene Haupttitel der Isis von Deir el-Schelwit ist „die im geheimen Gebirge (oder: im Westgebirge) residiert“ (Hrj-ib Dw StA/imntj)2250 oder

2243 Siehe Malkata South IV. The Excavation at the North-Western Precinct of the Isis Temple (Deir alSchalwit), The Committee of the Archaeological Survey in Egypt, Waseda University, Tokyo 1992, S. 406 (Engl. Zusammenfassung). 2244 Vgl. ZIVIE-COCHE, Isis méconnue, S. 41. Wenngleich der Kultname der Isis hier „die im geheimen Gebirge/im Westgebirge residiert“ bzw. „Isis vom Gebirge“ lautet, muß „(geheimes/West-) Gebirge“ keineswegs der Name von Deir el-Schelwit sein, wie KLOTZ, City of Amun, S. 127, behauptet. Vielmehr ist wohl das ganze bergige Gebiet von Theben-West bis hin nach Armant gemeint. 2245 So HAASE, Repertoire, S. 201, mit Verweis auf A. BATAILLE, Les Memnonia. Recherches de papyrologie et d’épigraphie grecques sur la nécropole de la Thèbes d’Égypte aux époques hellénistique et romaine, Recherches d’archéologie, de philologie et d’histoire 23, 1952, S. 105–106; ebenso noch der überhaupt veraltete Ansichten vertretende Beitrag von M. BOMMAS, Isis, Osiris, and Serapis, in: C. Riggs (Hrsg.), The Oxford Handbook of Roman Egypt, Oxford 2012, S. 419–435: 427. 2246 LANCIERS, Isis Cult I, S. 126–127. 2247 LANCIERS, Isis Cult I, S. 122–129. 2248 Deir Chelouit IV, S. 93–94; Taf. 68c–d; vgl. auch KLOTZ, City of Amun, S. 371. 2249 LANCIERS, Isis Cult I, S. 127. 2250 „Im geheimen Gebirge“: Deir Chelouit II, Nr. 69; 73; 75; 79; 86–87; III, Nr. 121; 127; 129; 137; 144; 154–156. „Im Westgebirge“: Deir Chelouit I, Nr. 21; III, Nr. 124; 149; 155; 157. Varianten „im göttlichen Gebirge“: Deir Chelouit III, Nr. 120; „im edlen Gebirge“: Deir Chelouit III, Nr. 154;

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

kürzer As.t n pA Dw „Isis vom Gebirge“.2251 Hier sorgt sie wie an anderen Orten für den dort, in der Urgötternekropole von Djeme, bestatteten Osiris und belebt ihn wieder durch ihre kultischen Handlungen.2252 Wie überall in Theben werden Isis und Osiris mit dem thebanischen Amun(-Re) vergesellschaftet, hier entsprechend der Position des Heiligtums auf dem Westufer speziell mit Amun bzw. Kematef von Djeme, besonders auf der Nordseite des Tempels.2253 Aufgrund der Lage des Tempels zwischen Theben und Armant steht Isis andererseits in enger Verbindung zu Month, dem männlichen Hauptgott von Deir el-Schelwit, als dessen Partnerin sie dort angesehen und daher mit Iunit, Tjenenet und Rattaui gleichgesetzt wurde. 2254 Diese erscheinen aber außerdem unabhängig in eigenen Szenen. Auch als „Herrin/Gebieterin von Armant“ wird Isis mehrfach in ihren nahen Beinamen bezeichnet.2255 Es handelt sich also um die Verknüpfung von zwei lokalen Theologien, die der periphären Lage des Tempels, den ZIVIE daher auch als „Grenztempel“ bezeichnet, geschuldet ist. 2256 Wahrscheinlich diente er als Stationsheiligtum bei der feierlichen Prozession des Month von Armant zu der Urgötternekropole von Djeme am 26. Choiak.2257 Bereits am Propylon zeichnen die beiden umfangreichen snD-n-Hymnen 2258 – neben dem schlecht lesbaren Text am Philadelphos-Tor in Philae2259 die einzigen bekannten Hymnen dieses Typus für Isis – ein detailliertes Bild der vielfältigen Eigenschaften und Zuständigkeitsbereiche der Göttin, die in anderen Inschriften des Tempels von Deir el-Schelwit wieder aufgenommen werden. Ausgeschlossen scheint in diesem nach außen gerichteten Tempelteil jedoch auffälligerweise die Beziehung zu Osiris und die Besorgung des Totenkultes zu sein, der dagegen im Inneren des Tempels eine wichtige Rolle spielt (s. u.). Besonders in den zentralen Texten im Sanktuar2260 wird Isis als allmächtige kosmische Göttin präsentiert, die sogar mit dem Himmel selbst gleichgesetzt wird und damit den Rahmen für sämtliche kosmischen Vorgänge, besonders den Sonnenlauf, bildet, für den sie demnach verantwortlich zeichnet.2261 Alle Himmelskörper sind von ihr abhängig und verehren sie. Daneben ist sie aber selbst auch die Führerin der Sterne, Isis-Sothis, die die Nilüberschwemmung und den Beginn des Jahres bringt.2262 In dieser Funktion erscheint sie wie im

2251 2252 2253 2254 2255 2256 2257 2258 2259 2260 2261 2262

„Herrin des geheimen Gebirges“: Deir Chelouit III, Nr. 156. Vgl. auch ZIVIE, Entre Thèbes et Erment, S. 30; EAD., Trois campagnes, S. 156. Deir Chelouit I, Nr. 1 u. 7. Vgl. die Texte Deir Chelouit II, Nr. 84; III, Nr. 154–156. Siehe ZIVIE-COCHE, Isis méconnue, S. 43–44; EAD., Isis thébaine, S. 108. Vgl. Deir Chelouit III, Nr. 129; 137; 155. Deir Chelouit I, Nr. 1; 7; 11; 16; III, Nr. 157. Deir Chelouit I, Nr. 1; II, Nr. 69; 73; 75. Vgl. auch „residierend in Armant“: Deir Chelouit I, Nr. 7; „Gottesmutter vom Westgebirge von Armant“: Deir Chelouit I, Nr. 21. Vgl. ZIVIE, Entre Thèbes et Erment, S. 30; EAD., Trois campagnes, S. 156; EAD., Isis méconnue, S. 44. Siehe Deir Chelouit III, Nr. 157; siehe dazu ZIVIE-COCHE, Isis thébaine, S. 103. Deir Chelouit I, Nr. 1 und Nr. 7. Philae-Photos 164–165; siehe oben, Kap. 4.1.1.A. Für die in den Sanktuartexten hervorgehobenen Eigenschaften der Isis vgl. auch ZIVIE-COCHE, Isis thébaine, S. 103. Deir Chelouit II, Nr. 84–87; III, Nr. 120–121; 154–157; vgl. auch die Ritualszenen Deir Chelouit I, Nr. 21; 22; III, Nr. 141; 149. Deir Chelouit I, Nr. 1; II, Nr. 84–85; III, Nr. 121; 154–156. Vgl. auch die Ritualszenen Deir Chelouit III, Nr. 124; 137; 141.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

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Kataraktgebiet zudem als Satet (und Anuket).2263 Insbesondere in den Beischriften wird ihre Sorge für den Totenkult (des Osiris) und damit ihre mit Hathor verbundene Rolle als Herrin des Westgebirges bzw. des Jenseits betont. 2264 Als irdischer Herrscherin unterstehen ihr ganz Ägypten und alle Länder, 2265 wofür ein Text eine besonders ausführliche und klar strukturierte Auflistung der ihr zugewiesenen Gebiete und Völker liefert und dabei auch Versatzstücke der kulttopographischen Litanei verwendet.2266 In engem Zusammenhang damit und mit der Sorge um Osiris steht wie üblich die Übertragung der Herrschaft an ihren Sohn Horus bzw. den rechtmäßigen König.2267 Mehr noch, die Zuständigkeit der Isis für Recht und Gerechtigkeit bzw. ihre Identifikation mit Maat wird auffälligerweise in mehreren der zentralen Texte stark betont.2268 Neben ihren mythischen, kosmischen und königsideologischen Funktionen demonstrieren die Inschriften des Tempels – wenngleich nicht die zentralen Texte des Sanktuars – jedoch auch ihre Nähe zur Menschenwelt und ihr direktes Eingreifen in individuelle Schicksale: „sie ist es, die das Schicksal vollendet(?) für jedermann, die Geringen und die Vornehmen gleichermaßen“2269 bzw. sie ist „das Schicksal von [allem], was existiert(?)“2270 und „Stärke und Schwäche sind für sie durch ihr Werk(?)“.2271 Die Hymnen und Eulogien für Isis in Deir el-Schelwit weisen nur wenige und kurze direkte Parallelen in bekannten anderen Tempeln auf. Handelt es sich um – zumindest teilweise – neue Konzepte und Kompositionen, oder muß man die Vorbilder und Quellen in thebanischen Tempelarchiven suchen, die heute verloren sind? Zumindest zeigen sich starke Bezüge zu anderen Tempeln im Umkreis von Theben, allen voran natürlich zu dem MonthHeiligtum von Armant, aber auch zu denjenigen von Medamud und Tôd. Daß Iunit, Tjenenet und Rattaui als Erscheinungsformen der Isis aufgefaßt wurden, zeigen auch die Texte dieser Heiligtümer selbst (s. u., 4.8.3).2272 Viele der in den Hymnen von Deir elSchelwit beschriebenen Charakteristika der Isis lassen sich ebenfalls aus den Verbindungen mit diesen Göttinnen ableiten.2273

2263 Deir Chelouit III, Nr. 121; 154–156. Vgl. auch die Ritualszene Deir Chelouit III, Nr. 124. 2264 Deir Chelouit II, Nr. 84; III, Nr. 154–156. Vgl. auch die Ritualszenen Deir Chelouit III, Nr. 124; 127; 129. Zu der bereits im NR belegten Rolle der Isis als Totengöttin (wie Hathor) in Theben-West vgl. MÜNSTER, Isis, S. 175–176. Zu dem Schwerpunkt auf der regenerierenden Versorgung des Osiris durch Isis in Theben vgl. auch die Texte und besonders den Isishymnus im Opet-Tempel, siehe oben, Kap. 4.7. 2265 Deir Chelouit I, Nr. 22; 39; II, Nr. 84–85; III, Nr. 155. Vgl. auch die Ritualszenen Deir Chelouit II, Nr. 61; 73; 79. 2266 Deir Chelouit III, Nr. 155. 2267 Deir Chelouit I, Nr. 22; II, Nr. 84; 86; III, Nr. 120 (?); 157. Vgl. auch die Ritualszenen Deir Chelouit II, Nr. 75; III, Nr. 144. 2268 Deir Chelouit I, Nr. 7; II, Nr. 86; III, Nr. 154. Vgl. zu Isis und Maat BERGMAN, Ich bin Isis, S. 271– 272; GRIFFITHS, Isis as Maat. 2269 Deir Chelouit I, Nr. 7. 2270 Deir Chelouit II, Nr. 84. 2271 Deir Chelouit III, Nr. 121. Vgl. auch die Ritualszene Deir Chelouit II, Nr. 73, in der mehrfach das Anrufen und Beten zu Isis thematisiert wird. 2272 Vgl. auch KLOTZ, City of Amun, S. 133 und 206–207. 2273 Vgl. z. B. den Kommentar zu Deir Chelouit I, Nr. 1 und Nr. 7.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

4.8.3

Theben: Die Rolle der Isis in weiteren Tempeln der Umgebung von Theben: Armant, Tôd und Medamud Komplementär zu den Inschriften des Tempels von Deir el-Schelwit, die Isis unter anderem mit Iunit und Tjenenet gleichsetzen, erscheinen diese beiden Gefährtinnen des Month in Armant wiederum als Formen von Hathor-Isis, Mutter des Horus.2274 Im Month-Tempel von Tôd ist ein ganzer Raum (sog. „Saal der Göttinnen“) Rattaui und Tjenenet sowie weiteren mit ihnen gleichgesetzten Göttinnen, darunter Isis, gewidmet. 2275 Die Tür zu dieser Kapelle ist mit Hymnen an sie dekoriert, die in ihrer Art denjenigen am Eingang zum pr-nw und pr-nsr des Isis-Tempels von Dendara ähneln:2276 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Tôd II, Nr. 244; S. 132–134; III, S. 162 Tôd, Month-Tempel, Saal der Göttinnen, Tür, rechter Türpfosten –

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

[nfr?].wj [… … … … …]dn=sn wpS.n stw.t=s Sn n tA Oh, wie [schön? …] ihren […] (als?) ihr Licht den Umkreis der Erde bestrahlt hat, iqH.n mAw.t=s Hr.w und ihre Strahlen die Gesichter erleuchtet haben (?), irj(.t) mk.t n it=s Ra(?) [… …]=s die den Schutz ihres Vaters Re bereitet […] ihr […] ? mH(.t) ib=f m mdw=s die sein Herz mit ihren Worten erfüllt, nswj(.t) bjtj(.t) As.t Hrj-ib +r.tj die Königin von Ober- und Unterägypten Isis, residierend in Tôd, Sps[.t wsr.t … … …] die Edle [und Mächtige…] Ax.wj dgj.t=T [… …] Hrj xndw=T %Aq-N.t(?) Oh, wie prächtig ist es, dich zu erblicken […] auf deiner Treppe, SaqNeith(?),2277 tmA.t n Isdn(?)2278 papa(.t) sfr.w r tA.wj die Mutter des Isden(?), die die Greifen(?)2279 zur Welt gebracht hat,

2274 Vgl. DUNAND, Culte d’Isis I, S. 15. 2275 Siehe für Isis die Szene Tôd II, Nr. 276. Ausführlich zu diesem Raum THIERS, Salle des déesses. 2276 Dend. Isis, 138; 139; 189. Die gleichen Texte sind auch im Haupttempel von Dendara für Hathor verwendet worden; siehe oben, Kap. 4.6.1.A. 2277 Lesung und Bedeutung dieses Namens sind bisher nicht sicher geklärt, vgl. LGG VI, 160c; und KLOTZ, City of Amun, S. 210–211, der swH.t sbAq.t „das leuchtende Ei“ oder sqn/skn/sgn für demotisches sgyns/sknks „Skink“ vorschlägt (beides mit Unsicherheiten). 2278 Lesung nach THIERS, Tôd II, S. 133, Anm. b, aufgrund der Parallelstellen. Nach ID., Salle des déesses, S. 290, Anm. 8, wird Harpre, der Kindgott und Sohn der Rattaui in Armant, häufig mit Thoth gleichgesetzt, was hier die Mutterrolle der Göttin ihm gegenüber erklärt.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Kol. 3:

Kol. 4:

423

mH(.t) ib n xntj Ax.t die Vertraute dessen, der an der Spitze des Horizontes ist, nm.t(?) iqr.t Hrj-ib WAs.t die Duftende(?),2280 die Vortreffliche, residierend in Theben, irj(.t) nh.t n mry.tj die Schutz für den Geliebten bereitet, nswj(.t) bjtj(.t) Ra.t-tA.wj Hrj-ib Iwnw die Königin von Ober- und Unterägypten Rattaui residierend in On (Armant(?)), Sps.t nfr(.t) [… … … …] die Edle und Vollkommene […] pHtj.wj mAA=T aq.tj m Hw.t=T Oh, wie kräftig ist dein Anblick, wenn du eingetreten bist in dein Haus, Ra.t irj(.t) DbA.w n itn Sonnengöttin, die die Sonnenscheibe ersetzt (= ihr gleichkommt), Ah.t-wr.t n Ra die große Ahet-Kuh des Re,2281 mw.t-nTr irj(.t) sA Wsjr die Gottesmutter, die den Sohn des Osiris geboren hat,2282 mk(.t) @r=s m Xnw n Ax-bj.t die ihren Horus beschützt im Inneren von Chemmis, r iwj=f m rn [… … …] a.wj(?) bis er kam (?) in [seinem?] Namen(?) […] Arme(?), nswj(.t) bjtj(.t) Ra.t-tA.wj [… … … … … … …] die Königin von Ober- und Unterägypten Rattaui […] wsr.wj snn=T prj.tj r HA Oh, wie machtvoll ist dein Abbild, wenn du nach draußen gekommen bist, Xrsk.t2283 aSA(.t) Hb.w mH(.t) ib n it=s Ra m rA-DA.t Chersket, mit zahlreichen Festen, die Vertraute ihres Vaters Re auf dem Schlachtfeld, sxm(.t) ib xrp(.t) xrp-qnw mit mächtigem Herzen/die Kühne, die das Streitroß/die Reiterei2284 lenkt, T(n)r(.t) m skyw nb(.t) rA-a-xt die Starke in der Schlacht, die Herrin des Kampfes, xtm(.t)[… …] Xr rnp.t die versiegelt(?) […] im(?) Jahr,

2279 Das Determinativ paßt eigentlich nicht zu dieser Übersetzung, die nur aus Mangel an Alternativen vorgeschlagen wird. In LGG III, 34a, wird ein anderes, unbekanntes Wort angenommen; THIERS, Tôd II, S. 133, Anm. c, glaubt, daß es sich nach Isden um ein weiteres (allerdings unbekanntes) Epitheton von Thoth handelt. 2280 Lesung und Übersetzung nach THIERS, Tôd II, S. 133, Anm. d; allerdings fraglich. 2281 Zur Ahet-Kuh siehe die Studie von WÜTHRICH, Ihet. 2282 Anders verstanden von THIERS, Salle des déesses, S. 297, der „die (ihren) Sohn Osiris geboren hat“ übersetzt. 2283 Ein gängiger Beiname der Nephthys, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 774; LGG VI, 47b–48a. 2284 Zum Ausdruck xrp-qnw, der nur in griech.-röm. Zeit belegt ist, siehe Wb III, 329, 3–6.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kol. 5:

nswj(.t) bjtj(.t) Ra.t tA.wj [… … … … … … …] die Königin von Ober- und Unterägypten Rattaui […] wAD.wj sxm=T xa.tj Hr wT[s-nfr.w?]2285=T Oh, wie frisch ist dein Kultbild, wenn du in „die deine Schönheit trägt“ (= deiner Götterbarke) erscheinst, Hr wD anx n anx.w MHnj.t S[w?] indem du das Leben den Lebenden anbefiehlst, Ringelschlange des Lichtes,2286 rsj(.t)[-tp]2287 Hr @r=s mit wachsamem Kopf über ihren Horus, wp.t p.t tA m xpr.w=s die Himmel und Erde trennt/öffnet durch ihre Gestalt/in ihrer Gestalt, bX(.t) sA=s @r m wHm m [… …] %xm.t die ihren Sohn Horus wiederum geboren hat in/als […], Sachmet, nswj(.t) bjtj(.t) WADy.t Hrj-ib +r.tj Sps.t die Königin von Ober- und Unterägypten Uto, residierend in Tôd, die Edle.

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Tôd II, Nr. 245; S. 135–136; III, S. 162 Tôd, Month-Tempel, Saal der Göttinnen, Tür, linker Türpfosten –

Text: Kol. 1:

2285 2286 2287 2288 2289

nfr.wj mAA=T [xa?].tj n(?) [… … …] Oh, wie schön ist es, dich anzusehen, wenn du [erschienen bist?] in(?) […], Hrj.t-tp n Ra Stirnschlange des Re, kA Hrj(.t) kA.w (weiblicher) Ka, der über den (weiblichen) Kas (= Göttinnen) ist, sA.t nb-Dr nb(.t) n [… … …] die Tochter des Allherrn, die Herrin von […], imn(.t) sxr.w=s nn 2288 m rwtj =s(?) dgA.n(?)2289 s(j) nb deren Pläne verborgen sind, ohne die nichts existiert, die(?) jedermann sieht (?), nswj(.t) bjtj(.t) *nn.t Hrj-ib +r.tj die Königin von Ober- und Unterägypten Tjenenet, residierend in Tôd, ir.t Ra xnt Hw.t-nbw das Auge des Re, die an der Spitze des Goldhauses ist.

Ergänzungsvorschlag von THIERS, Tôd II, S. 133, Anm. f. Vgl. zu diesem Epitheton LGG III, 391c, und die (evtl.) Parallele Tôd II, Nr. 272, 7. Ergänzung nach THIERS, Tôd II, S. 133, Anm. g, mit Parallelstelle Edfu V, 318, 15. Emendation nach THIERS, Tôd II, S. 135, Anm. a. Der Text scheint hier fehlerhaft zu sein; vgl. LGG III, 482c, s. v. nn wn m rwtj=s, Beleg [3]: „mit unklarer Fortsetzung (dg n s nb)“.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

Kol. 2:

Kol. 3:

Kol. 4:

425

[an].wj dgj.t=T imA.tj m im(Aw)=T Oh, wie [schön] ist es, dich zu erblicken, wenn du dich mit deinem Zelt vereinst (= in deinen Tempel trittst), As.t mw.t nj.t @r rdj(.t) [… … … …] Isis, die Mutter des Horus, die […] gibt […], Htm(.t) bw.w(?)2290=s nb r tp-Hsb die jeden ihrer Orte(?) richtig versorgt, apr(.t) wDA.t hrw smd.t die das Udjat-Auge ausstattet (= voll macht) am 15. Mondmonatstag, rnp.tw n(n) sab indem es verjüngt ist ohne Minderung/Kastration (?),2291 nswj(.t) bjtj(.t) Iwny.t Hrj-ib +r.tj die Königin von Ober- und Unterägypten Iunit, residierend in Tôd, Sps.t wsr.t m Iwnw Sma.w die Edle und Mächtige im oberägyptischen On (Armant). pHtj(?).wj mAA=T xa.tj Hr srx=T Oh, wie kraftvoll bist du anzusehen, wenn du erschienen bist auf deinem Thron, [s]x[r].w=T imn m Hr.w deine Pläne sind verborgen vor den Gesichtern (= den Menschen), irj.tw irw nb m txn [… …].t [… s?]nb s(j).w nb und man führt alle Zeremonien im Geheimen aus […] gesund(?) jedermann, nb(.t) mAa.t mrj(.t) Imn m Hnw.t(?) sxr.(?)=f m spA.t HA.t die Herrin der Maat, die Geliebte des Amun als Gebieterin seiner Pläne im Gau des Anfangs, nswj(.t) bjtj(.t) @w.t-@r Hrj-ib +r.tj die Königin von Ober- und Unterägypten Hathor, residierend in Tôd, Sps.t sbq.t m Hw.t-kA die Edle, das Strahlauge im Haus des Stiers (= Tôd). sxm.wj xf Hm=T m Xnw n iw[nn=T] Oh, wie machtvoll ist deine Majestät anzuschauen im Inneren [deines] Schr[eins], nb(.t) nsr.t sxm(.t) Sfj.t anx.t wr.t Herrin der Flamme, mächtig an Ansehen, große Lebende (Uräusschlange), wnm(.t) w[nn].wt [n f…?] nbj.t r xftj.w=s die verschlingt, was ex[isti]ert [in/durch …?], die Flamme gegen ihre Feinde,

2290 Möglicherweise ist auch eine Verschreibung für xAw.t „Altar“: „die alle ihre Altäre richtig versorgt“. 2291 Übersetzung nach J. F. QUACK, Zur Beschneidung im Alten Ägypten, in: A. Berlejung/J. Dietrich/J. F. Quack (Hrsg.), Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient, ORA 9, Tübingen 2012, S. 561–651: 583–584; zur Diskussion des problematischen Begriffes ibid., 580–586. Zu sab als Mondbezeichnung vgl. auch ALTMANN-WENDLING, MondSymbolik. Ich danke VICTORIA ALTMANN-WENDLING herzlich für ihre Diskussionsbereitschaft und die Informationen zu dieser Begrifflichkeit.

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Kol. 5:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wnm(.t) wAD.w sXb(.t) [snf wnm(.t)]2292 HA.tj.w mjs.wt die rohe Fleischstücke frißt, die [Blut] schlürft, die Herzen und Lebern [frißt], nswj(.t) bjtj(.t) %xm.t Hrj-ib +r.tj die Königin von Ober- und Unterägypten Sachmet, residierend in Tôd, Sps.t wsr.t m Hw.t Ra die Edle und Mächtige im Haus des Re. a[A].wj sn kA=T m Xnw n [… … Oh, wie [groß(artig)] ist es, deinen Ka zu küssen im Inneren von [deinem Tempel o. ä., … …].t n […] nhp bs(.t) nbj.t=s r xftj.w=s …] ? […] frühmorgens(?), die ihre Flamme gegen ihre Feinde leitet, irj(.t) Sa.t m sbj.w n [it=s(?)]2293 die Gemetzel anrichtet unter den Rebellen [ihres Vaters(?)], qmA(.t) stw.t xsr(.t) kkw die die Lichtstrahlen erschafft, die die Finsternis beseitigt, wDA imj[=s a]nx=f(?) ra nb so daß der heil ist, der in [ihr?] ist, und [le]bt jeden Tag, nswj(.t) bjtj(.t) BAs.t Hrj-ib +r.tj die Königin von Ober- und Unterägypten Bastet, residierend in Tôd, Sps.t nfr[.t m] Hw.t-TAj die Edle und Vollkommene im „Haus des Männlichen“ (= Tôd).

Kommentar: Die in den beiden Hymnen adressierte Göttin wird jeweils mit mehreren Namen angesprochen: Fokussiert Nr. 244 trotz der ebenfalls vorkommenden Namensnennungen von SaqNeith(?), Chersket (= Nephthys), Sachmet und Uto zumindest inhaltlich hauptsächlich auf Charakteristika von Isis und Rattaui, werden in Nr. 245 Tjenenet, Isis, Iunit, Hathor, Sachmet und Bastet namentlich und mit ihnen eigenen Epitheta und Eigenschaften genannt. In beiden Hymnen wird jeweils am Ende jeder Kolumne der Titel „Königin von Ober- und Unterägypten“ gefolgt von einem Göttinnennamen genannt. Auf dem rechten Türpfosten (Nr. 244) ist dies in Kol. 1 Isis, in den Kol. 2–4 Rattaui und in Kol. 5 schließlich Uto. Die Nennungen von Rattaui überwiegen also deutlich. Auf dem linken Türpfosten (Nr. 245) tragen dagegen Tjenenet (Kol. 1), Iunit (Kol. 2), Hathor (Kol. 3), Sachmet (Kol. 4) und Bastet (Kol. 5) diesen Titel, während Isis zu Beginn von Kol. 2 angesprochen wird. Inhaltlich fokussiert der erste Text der schwerpunktmäßigen Nennung von Rattaui entsprechend auf dem leuchtenden Gestirn-Charakter der Göttin und insbesondere auf ihrer Beziehung zum Sonnengott, die unter verschiedenen Aspekten betrachtet wird: sie ist seine Beschützerin (Kol. 1–2), Ratgeberin und Vertraute (Kol. 1–2 und 4), sie ist die Kuh des Re (Kol. 3), sie hat den Sonnengott als Horus geboren und beschützt (Kol. 3 und 5), sie kämpft für ihn gegen Feinde (Kol. 4) und wacht als Uräusschlange an seiner Stirn über ihn (Kol. 5). Auch in Nr. 245 spielt der Aspekt der schützenden und Feinde vernichtenden Stirnschlange des Son2292 Zur Ergänzung siehe THIERS, Tôd II, S. 135, Anm. d. 2293 Die Lücke ist sehr klein, und auch inhaltlich paßt die vorgeschlagene Ergänzung gut (vgl. die Erwähnung zu Licht und Finsternis im Folgenden).

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

427

nengottes oder „Auge des Re“ eine zentrale Rolle (Kol. 1 und 4–5).2294 Jede der namentlich aufgeführten Göttinnen kann diese verkörpern, doch gerade bei den sehr kriegerischen Aspekten in Kol. 4 und 5 sind besonders passend Sachmet und Bastet genannt. Wie in der Beischrift in Deir Chelouit III, Nr. 155 ist Isis für das Ausstatten bzw. Füllen des Udjat-Auges zuständig (Kol. 2). In Kol. 3 wird die angesprochene Göttin als „Herrin der Maat“ bezeichnet, ein ebenfalls in Deir el-Schelwit mehrfach betonter Aspekt. 2295 Auffällig ist außerdem die Unterstreichung des geheimen und verborgenen Charakters ihrer Handlungen (Kol. 1 und 3).2296 Die in der Hymne auf dem rechten Türpfosten (Nr. 244) offenbar werdende Identifikation von Rattaui und Isis tritt auch in der Türlaibung dieser Seite (Tôd II, Nr. 248) zu Tage, wo Rattaui mit der Filiation und den übrigen familiären Titeln der Isis bedacht wird: r.t-pa.t wr.t n it=s Gbb Sps.t wsr.t n mw.t=s Nw.t Die Prinzessin, die Große ihres Vaters Geb, die Edle und Mächtige ihrer Mutter Nut, Hm.t-nswt tpj.t n [(Wn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nTr n bjk die Gottesmutter des Falken. In einer kurzen kulttopographischen Litanei, die ebenfalls im Tempel von Tôd angebracht ist, werden die Kultstätten der Rattaui in der Umgebung Thebens mit Hilfe von Wortspielen folgendermaßen zusammengefaßt: „die Mächtige (wsr.t) in Theben (WAs.t), Neith (N.t) in Armant (Iwn.t), die Fürstin (itj.t) in Tôd (+r.tj), Maat in Medamud (MAdw).“2297 Auch hier findet sich unter anderem Maat wieder, die in den Texten von Deir el-Schelwit mehrfach Isis zugeordnet wird.2298 In dem kurzen Text aus Tôd gilt sie als Erscheinungsform der Rattaui in Medamud. Im Bezirk des dortigen Month-Tempels wurde von Ptolemaios II. ein Hebsed-Tor errichtet, an dessen linkem Türpfosten sich auf der Rückseite eine beschädigte Inschrift mit einer Rede der Isis befindet, in der sie ihre Taten für Osiris darlegt. Der gleiche Text ist aus dem – besser erhaltenen – Papyrus BM 10209 des Nesmin (pNesmin) bekannt, der aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls aus Theben stammt und auf 312 v. Chr. datiert ist:

2294 Vgl. dazu z. B. die Hymne Deir Chelouit II, Nr. 85. Zum Schutzaspekt der Göttinnen in Tôd II, Nr. 244–245 vgl. auch THIERS, Salle des déesses, S. 290–291. 2295 Siehe oben, unter Kap. 4.8.2. 2296 Vgl. dazu THIERS, Tôd II, S. XV, mit weiteren Beispielen aus anderen Texten. 2297 Tôd I, Nr. 68, 7–8; vgl. KLOTZ, City of Amun, S. 205. 2298 Siehe oben, unter Kap. 4.8.2.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Parallelen

SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409 u. 453–455, Abb. 27–29 Medamud, Month-Tempel, Hebsed-Tor von Ptolemaios II., linker Türpfosten, Rückseite HAIKAL, pNesmin I, S. 36; II, S. 20; KUCHAREK, Klagelieder, S. 136; M. SMITH, Traversing Eternity, S. 188–189; QUACK, Dekane, S. 129–131 pNesmin, 3, 1–9

Text:2299 pN: wDj.t n Hm.t=s Dd jn M: [… … …]=s Dd Auszug2300 ihrer Majestät, Rezitation: pN: nTr.w nn irj=tn iwd=i iwd sn=i Wsjr M: nA nTr[.w] [… … … … … … … …] ‚(Oh) Götter, ihr sollt nicht zwischen mir und meinem Bruder Osiris stehen, pN: sDm=f nAy Dd.t=i Hsj=f tw=i2301 Hr irj=n M: sDm=f nAy Dd.t[… … … … … irj… … so daß er das höre, was ich gesagt habe, und mich lobe für das, was wir getan haben. pN: rx=k sp.w n nfr.w nb(.w) i:irj=i n pr=k2302 Hna sn.t=i Nb.t-Hw.t M: … … … … … … nb(.w) [… … … …] Hna sn(.t)=i Nb.t-Hw.t Mögest du alle Wohltaten erfahren, die ich gemacht habe für dein Haus zusammen mit meiner Schwester Nephthys. pN: dj.t=i ak=k m ir.t iAb(.t) M: [… … … … … Ich habe veranlaßt, daß du in das linke Auge eintrittst, pN: xpr=k m iaH Haa p.t Hna ir.t @r M: … … … … …] p.t [… … … so daß du zum Mond wurdest und der Himmel mit dem Horusauge jubelt.2303

2299 Zur Übersetzung vgl. QUACK, Dekane, S. 129. Aufgrund der vollständigeren Erhaltung ist der Version in pNesmin in der Synopse der Vorzug gegeben. pN = Papyrus Nesmin M = Medamud 2300 Aufgrund des Determinatives dürfte wohl nicht wD.t „Dekret“ gemeint sein, wie SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 409–416, und HAIKAL, pNesmin II, S. 20 u. 38, Anm. 106, annehmen; Korrektur nach QUACK, Dekane, S. 129, Anm. 269. 2301 Spätneuägyptische bis demotische Form des abhängigen Personalpronomens, vgl. QUACK, Dekane, S. 129, Anm. 272. 2302 Zur Lesung dieser im Papyrus verschmierten Stelle siehe QUACK, Dekane, S. 129, Anm. 273. 2303 Vgl. dazu eine Passage in sAxw IV, 21, 4–5: „Ich habe die Große Neunheit geschaffen, ich habe die Kleine Neunheit ausgestattet für das Udjat-Auge am Vollmondfest – das ist das ‚Füllen des Monats‘. Sei nicht fern, denn ich habe das Eintreten in das Udjat-Auge bewirkt – das ist das Entstehen der Macht des Osiris.“; siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 105 und 135–136.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M: pN: M:

429

mH wDA.t m Hw.t aA.t sSm=k Dsr …] wDA.t [… … … … … … …] Das Udjat-Auge ist vollständig im Großen Palast, dein Abbild ist geheiligt, Hw.t-sr Xr sStA=k &Hw.t-sr Xr sStA\=k das Haus des Fürsten trägt dein geheimes Abbild, iw=k m %AH m p.t rsj.t iw=i m %pd.t m sAw=k iw=k m %AH m [… … … … … … s]Aw=k wenn du als Orion im Südhimmel bist, indem ich als Sothis dein Schutz bin. iTj=i sbj.w=k m Msxtjw n p.t mH.tj.t iTj sbj.w=k [… M]sxtjw &m p.t\ mH.tj.t Ich habe deine Feinde als Stierschenkel im Nordhimmel ergriffen, Sm=k iw=k m %AH m p.t rsj.t -----------------------so daß du wandeln kannst, indem du als Orion am Südhimmel bist, iw=i n Knm.t Hr dwA=k ----------------iw=i m [K]nm.t Hr dwA[=k] iw [… … …] wobei ich als Kenmet dich anbete(, und […?]). Wsjr Ssp=k mw m a.wj=i -------------Wsjr Ssp=k mw m a.wj=i iw ib=k nDm Osiris, mögest du Wasser aus meinen Händen empfangen, indem dein Herz süß/froh ist! ink sn.t=k As.t ink sn.t=k As.t Ich bin deine Schwester Isis. pA nb nTr.w Aw.t-ib nb.t xr=k pA nb nTr.w --------------------Oh Herr der Götter, jegliche Herzensfreude ist bei dir! swDA=i n=k sA=k @r swDA=i n=k sA=k @r Ich habe für dich deinen Sohn Horus heil sein lassen. dj.t=i bA=k m Xnw n Ax.t &dj=i\ [… … … … … Ich habe deinen Ba in den Horizont gesetzt, ---------------------------dj=i?] sSm=k m spA.t nb [ich habe] dein Abbild in jeden Gau [gegeben],2304

2304 Vgl. zu diesem in der letzten Kolumne der Medamud-Version eingefügten Teil eine andere Stelle des pNesmin (3, 18–20): „Ich habe veranlaßt, daß deine Statuen im ganzen Land verteilt sind (…) Deine Statuen erscheinen in den Tempeln (…) Ich habe den Himmel unter deinen Ba gesetzt, die Unterwelt unter dein Abbild, und jeder Gau beherbergt deine Statuen.“

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430 pN: M:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

smn=i n=k sA=k [(Pr-aA) anx wDA snb Hr s.t=k n D.t smn=i n=k sA=k nb m s.t=k n D.t ich habe deinen Sohn [(Pharao), L. H. G./den Herrn, fest gemacht auf deinem Thron, in Ewigkeit.‘

Kommentar: Die Komposition, die aufgrund der jungen Sprachformen wohl erst aus der Spätzeit stammt,2305 steht in Zusammenhang mit dem thebanischen Talfest2306 und stellt die Handlungen und Leistungen der Isis gegenüber ihrem verstorbenen Gemahl Osiris heraus, wobei sie selbst von sich in der 1. Pers. sing. spricht, was dem Text einen aretalogischen Charakter verleiht, wenngleich er inhaltlich nur bei dem osirianischen Thema verweilt. Damit sind sowohl Form als auch Inhalt eng mit dem der Dekadenliturgie von Djeme entstammenden Abschnitt mit Selbstaussagen der Göttin im Osirishymnus der Philae-Photos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331) verwandt.2307 Die Geschehnisse sind hier jedoch zu einem großen Teil an den Himmel verlegt, und die beiden Gottheiten treten dementsprechend jeweils in Form verschiedener Himmelskörper auf: Osiris ist einerseits zum Mond geworden, andererseits ist er Orion am Südhimmel. Isis ist mit Sothis identifiziert, dann mit Ipet, die Orion beschützt, indem sie seinen Feind, den Stierschenkel (Mesechtiu), festhält, sowie mit dem Dekan Kenmet, in dessen Rolle sie Osiris anbetet.2308 Kenmet (Chnumis) nimmt üblicherweise den ersten oder zweiten Platz ein unter den Dekanen, die jedoch alle von ihrer Herrin Sothis angeführt werden.2309 In einigen Dekan-Familien wird Kenmet wie hier mit Isis identifiziert.2310 Weitere Leistungen der Isis für ihren Gemahl sind die Verrichtung des Totenkultes in Form einer belebenden Wasserspende – speziell diese Aussage ist fast deckungsgleich mit einer Passage in PhilaePhotos 1591–1592 und 1331 – und die Sorge für seine Verehrung in allen Gauen Ägyptens sowie das Aufziehen und die Sicherung des Thrones für seinen rechtmäßigen Erben. Das Motiv der Herrschaftsübertragung durch Isis wird in einer Ritualszene an der Portikus des Month-Tempels von Medamud wieder aufgenommen: Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Médamoud I, 2, Nr. 23–24; S. 19–20 Medamud, Month-Tempel, Portikus, Schrankenwand zwischen 2. u. 3. nördl. Säule, Ritualszene ELGAWADY, Schranken, S. 156–157 Pharao (Ptolemaios XII.), mit osirianischer Krone, betet Isis an.

2305 QUACK, Dekane, S. 131. 2306 pNesmin enthält dem Titel sAxw m Hb in.t zufolge insgesamt ein Handbuch für die Verklärung der Toten beim Talfest, vgl. SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 417. 2307 Siehe Kap. 4.1.1.A. 2308 Vgl. QUACK, Dekane, S. 130. 2309 Vgl. SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 422; QUACK, Dekane. 2310 Senmut, Sethos I. A, Petamenope; vgl. SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 423. Die weiteren Ausführungen von SAMBIN/CARLOTTI zur Rolle des Dekans Kenmet werden von QUACK, Dekane, S. 130, widerlegt.

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Deir el-Schelwit (Theben), Isistempel

431

Text: – Friesinschrift über Szene (Nr. 23): nswj(.t) bjtj(.t) Sps.t m aH.t Die Königin von Ober- und Unterägypten, die Edle im Palast, [Hrj].t[-tp n] tA Dr=f die [Oberste/Uräusschlange?] der ganzen Erde, dj(.t) mrj=s r HqA m aH die den, den sie liebt, zum Herrscher im Palast macht, rdj(.t) ns.t n Ab ib=s die den Thron demjenigen gibt, den ihr Herz wünscht. – Beischrift der Isis (Nr. 24): (Dd mdw jn) As.t wr.t [mw].t[-nTr…?] Hrj(.t)-ib Gbtjw (Rezitation durch) Isis, die Große, die [Gottesmutter?], die in Koptos residiert, HkA.t Hnw.t ^maw MHw die Zauberin(?),2311 die Gebieterin von Ober- und Unterägypten, Hm.t nswt [tpj.t] n [(Wn-nfr mAa xrw) die [Erste] Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), mw.t-nswt n @r kA nxt die Königsmutter des Horus, des Starken Stiers. Mit den genannten Themen steht die aretalogische Ich-Aussage der Isis am Hebsed-Tor von Medamud den zentralen Texten im Sanktuar von Deir el-Schelwit2312 sehr nahe. Auch mit der Isis-Hymne im Opet-Tempel2313 ergeben sich insofern Verbindungen, als dort, wenn auch konzentrierter und mit anderem Schwerpunkt, ebenfalls Handlungen der Isis an Osiris aufgezählt werden. Von der Verbreitung der offenbar zentralen Konzeption von Isis-Sothis und Osiris-Orion im Raum Theben zeugt weiterhin eine Szene im ptolemäischen HathorTempel von Deir el-Medina: Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Deir al-Médîna, Nr. 89; S. 82 Deir el-Medina, Hathor-Tempel, nördliche Seitenkapelle (C), Ostwand, oberes Bandeau über Szene –

2311 Möglicherweise liegt eine Verschreibung von HqA.t „Herrscherin“ vor, was im Zusammenhang mit dem Folgenden besser passen würde. 2312 Deir Chelouit III, Nr. 154–157. Vgl. z. B. speziell zur Situierung von Sothis und Orion am Südhimmel contra Ipet und Schenkel am Nordhimmel Deir Chelouit III, Nr. 154; zur Libation an Osiris Deir Chelouit III, Nr. 154–156; zu Osiris in den Tempeln und seinem Eintritt in das linke Auge (= Mond) Deir Chelouit III, Nr. 155, zu Horus auf dem Thron Deir Chelouit III, Nr. 157. 2313 Opet I, 139.

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432

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: bA n As.t m rn=s n %pd.t aA.t n p.t rsj.t Der Ba der Isis in ihrem Namen Sothis, die Große des südlichen Himmels, Hr irj(.t) sA n sn=s Wsjr m %AH n p.t indem sie Schutz bereitet für ihren Bruder Osiris als Orion des Himmels, r sHtp=f m Xr.t-nTr um ihn ruhen zu lassen in der Nekropole. Kommentar: Es handelt sich offenbar um die erläuternde Beischrift zu der Darstellung der unter dem Bandeau befindlichen Szene. Diese zeigt Orion als Mann mit einem Was-Szepter in der einen Hand und einem Stern in der nach hinten ausgestreckten anderen, den Kopf nach hinten gewendet. Ihm folgt Sothis, die als Kuh mit dem Sothis-Stern zwischen den Hörnern dargestellt ist. Der lokale Bezug zur thebanischen Nekropole äußert sich auch in dem Epitheton „Herrin von tA-Dsr“, welches sich Isis im Tempel von Deir el-Medina mit Hathor teilt.2314 In einer Szene des Thoth-Tempels von Qasr el-Agouz wird Isis wie in den Inschriften von Deir elSchelwit speziell mit Djeme in Verbindung gebracht: Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Kasr el-Agoûz, S. 83, Abb. 42 Qasr el-Agoûz, Thoth-Tempel, Raum D, Westwand, Oberes Reg., 2. Szene – Pharao Ptolemaios VIII. reicht zwei Spiegel an die thronende Isis (mit einfacher Hathorkrone).

Text: – Beischrift der Isis (83, 8–10): (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, Hrj(.t)-tp iA.t +Am.t wsr.t die Oberste des Hügels von Djeme, die Mächtige, Hnw.t QbH.wj die Gebieterin der Beiden Wassergebiete (= Ägypten), Hnw.t Sn nb n itn die Gebieterin des ganzen Umkreises der Sonnenscheibe.

2314 BOURGUET, Deir al-Médîna, Index, S. 238; LGG IV, 157b. Zu Isis und Hathor als Totengöttinnen von Theben-West vgl. MÜNSTER, Isis, S. 175; zu eventuellen weiteren (kleineren) Isistempeln in Theben-West LANCIERS, Isis Cult II, S. 392–405. Davon abgesehen sind die Epitheta der Isis in den Wandreliefs des Hathor-Tempels von Deir el-Medina knapp und allgemein gehalten, siehe BOURGUET, Deir al-Médîna, Index, S. 208.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

4.9

El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

4.9.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften: Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen

433

Inschriften im Zentralsanktuar Text/Hauptpublikation El-Qal‘a I, Nr. 19; S. 42; El-Qal‘a II, S. 153 Anbringungsort El-Qal‘a, Isistempel, Zentralsanktuar, Obere Randinschrift, Südhälfte Bibliographie – Text: anx s.t xaj n As.t wr.t mw.t-nTr Es lebe der Sitz des Erscheinens von Isis, der Großen, der Gottesmutter, [ir.t] n Ra Hrj.t-tp n [(Wn-nfr mAa xrw) dem [Auge] des Re, der Uräusschlange von [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), sA.t=f wr.t ir.t wnmj.t2315 m hrw ir.t iAbj.t m grH seine große Tochter, das rechte Auge am Tage, das linke Auge in der Nacht, xa=f Htp=f (i)m=s ra nb in welchem er erscheint und zur Ruhe kommt jeden Tag,2316 p.t Hr sA tA n nTr.w nTr.wt der Himmel über der Erde für Götter und Göttinnen, Ax.t=sn n wbn Htp ihr Horizont des Aufgehens und Untergehens. dj n=s iAw(?)[in(?) …?] sn-tA in is.t Ra Ihr Lobpreis geben [durch(?)2317 …?], die Erde küssen durch die Mannschaft des Re, hnw n=s imj.w manD.t die in der Morgenbarke sind jubeln ihr zu, bA[.w iAbt.t(?)] hTt n kA=s2318 während die Ba[s des Ostens(?)] für ihren Ka jauchzen,

2315 Eine kleine Lücke hinter dem . In der Lücke dürften eigentlich nur phonetische Komplemente zu wnmj(.t) gestanden haben. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, lesen zwei getrennte Ausdrücke an dieser Stelle: „das rechte Auge […], das rechte Auge des Tages…“, was von den Zeichen her prinzipiell auch möglich ist, mir aber wenig Sinn zu machen scheint. 2316 Handelt es sich noch immer um Bezeichnungen der Isis, d. h. bezieht sich =s noch auf die beiden Augen, oder aber um solche des Tempels („Sitz des Erscheinens“), der am Anfang genannt wird? In letzterem Fall wäre auffällig, daß von einem männlichen Gott, der „erscheint und zur Ruhe kommt“ die Rede ist (also weiterhin von Osiris oder Re?) und nicht von der Tempelherrin selbst. Oder handelt es sich um eine simple Verschreibung der Suffixe? Zumindest die folgenden beiden Ausdrücke scheinen sich wieder auf den Tempel zu beziehen. 2317 Ergänzt nach dem Vorbild der folgenden Phrase, die möglicherweise parallel gestaltet sein könnte. 2318 Ergänzt nach der Parallele in den Listen der solaren und lunaren Genien (im Buch vom Tempel, und in mehreren Parallelen in den gr.-röm. Tempeln), siehe QUACK, Götterliste, S. 235 (Synopse).

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434

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

imj.w p.t m h[y] [… … m H]ay sp sn ra nb sp sn n Ab die im Himmel sind frohlocken [… … in] Freude, in Freude, jeden Tag, jeden Tag, ohne Unterlaß. Kommentar: Diese Hälfte der oberen Friesinschrift des unter Augustus dekorierten zentralen Sanktuars präsentiert die Tempelherrin Isis als Uräusschlange des Osiris und Sonnenauge. Üblicherweise gilt die Göttin in diesem Zusammenhang als Tochter des Re (vgl. z. B. PhilaeHymne 5), hier scheint sich sA.t=f jedoch auf den unmittelbar vorher genannten Osiris zu beziehen, was höchst ungewöhnlich wäre und vielleicht auf eine etwas unachtsame Textkomposition zurückzuführen ist (Re ist kurz zuvor im Titel „Auge des Re“ genannt, das Epitheton mit Bezug auf Osiris scheint sich dazwischengedrängt zu haben). Auch die folgenden Aussagen, die Isis als rechtes und linkes Auge bezeichnen und von „seinem“ Erscheinen sprechen, sind typisch für den Sonnengott.2319 Da die Göttin hier beide Augen verkörpert, dürfte mit dem rechten die Sonnenscheibe, mit dem linken wohl der Mond gemeint sein. 2320 Möglicherweise ist an die Vereinigung von Osiris mit Re beim Sonnenkreislauf gedacht. Im Folgenden ist teilweise unklar, ob die Ausdrücke sich noch auf Isis oder aber auf den Tempel/das Sanktuar beziehen, zumal es sich um typische in Friesinschriften verwendete Bezeichnungen handelt (Himmel und Horizont der Gottheit(en)). Auch der Schluß des Textes illustriert nochmals den gedanklichen Hintergrund des Sonnenlaufes, denn nun wird die Verehrung der Göttin durch Begleiter der Sonnenbarke (die Mannschaft des Re, die in der Morgenbarke, die im Himmel) verdeutlicht.2321 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

El-Qal‘a I, Nr. 31; S. 44; El-Qal‘a II, S. 154 El-Qal‘a, Isistempel, Zentralsanktuar, Tür, südliche Türlaibung – 1 Kol. für den König (Augustus), 1 Kol. für Isis.

Text: – Text Isis: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels,

2319 Vgl. zum rechten und linken Auge WILSON, Ptol. Lex., S. 236 und 32–33. Die „beiden Augen“ können gleichzeitig für die Kronengöttinnen Nechbet und Uto stehen, was wiederum zur voranstehenden Bezeichnung der Isis als Uräusschlange (Hrj.t-tp) des Onnophris paßt. 2320 Vgl. den Kommentar zum Text Dend. II, 98, 2–99, 3: dort ist von „den beiden Himmelslichtern (HAy.tj)“ (wohl Sonne und Mond) die Rede, die am Himmel aufgehen, als Isis geboren wird und „ihre beiden Augen öffnet“. Hier werden Sonne und Mond zwar indirekt mit den Augen der Isis selbst, nicht denen des Sonnengottes assoziiert, aber es scheint sich dennoch um eine verwandte Vorstellung zu handeln. 2321 Vgl. dazu z. B. den in Philae-Hymne 8 (mit Parallelen), und anderenorts häufig wiederkehrenden Satz „Lobpreis für dich in der Abendbarke, Jubel für dich in der Morgenbarke“.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

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Hrj(.t) s.t [wr.t?/ =s?] Hrj-ib NTr.wj die über dem Großen(?) Sitz ist, inmitten des Koptites, t(A) nTr.t aA.t ir.t @r [… …] n=s die große Göttin, das Auge des Horus, […], Hrj(.t)-tp n Ra wa.tj.t n ^w die Uräusschlange des Re, die Einzigartige (Uräusschlange) des Schu, iar.t Gbb Hm.t nswt tpj.t n [[(Wn-nfr mAa xrw)… … …]f n=s(?) [… … … … …] n @r [… …] das Uräusdiadem des Geb, die Erste Königliche Gemahlin des [[(Onnophris, wahrhaft an Stimme), …] … des Horus […]. Kommentar: Wie in der Friesinschrift wird Isis auch in der Türlaibung des Zentralsanktuars primär als Stirnschlange angesprochen. In diesem Fall scheint damit jedoch gleichzeitig die königliche Erbfolge der männlichen Mitglieder der heliopolitanischen Neunheit im Mittelpunkt zu stehen, deren Kontinuität durch Isis garantiert wird, hier in Form des von Re an Schu, von diesem an Geb, von Geb an Osiris und schließlich an Horus weitergegebenen Uräusdiadems. Wenngleich der genaue Inhalt des letzten Drittels der Inschrift nicht erhalten ist, bieten die noch erkennbaren Namen (im Falle des Osiris ist nur der Beginn des Kartuschenbogens erhalten, aber durch den voranstehenden Isistitel ist die Ergänzung klar) von OsirisOnnophris und Horus einen deutlichen Anhaltspunkt dafür.2322 Diese Kontinuität reflektiert auch die für den Koptites lokaltypische Partnerschaft der Isis mit Min, der sich als Kamutef mit Isis als Muttergattin selbst erzeugt und in den Wandreliefs von El-Qal‘a gut vertreten ist.2323 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

El-Qal‘a I, Nr. 32; S. 44; El-Qal‘a II, S. 154 El-Qal‘a, Isistempel, Zentralsanktuar, Tür, nördliche Türlaibung – 1 Kol. für den König (Augustus), 1 für Isis.

Text: – Text Isis: As.t(?) [wr.t mw.t-nTr ir.t Ra nb.t p.t (?)2324 Isis(?)2325 [die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels (?), Hrj(.t)] s.t wr.t Hrj-ib NTr.wj die über] dem Großen Sitz ist, inmitten des Koptites, 2322 Vgl. zu diesem Thema eine Passage in Assuan-Hymne 2 (Kol. 4), Kap. 4.2.1.A, mit Kommentar. 2323 Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 9. Zur Min-Theologie von Koptos siehe TRAUNECKER, Coptos; vgl. unten, Kap. 4.10.3. 2324 Ergänzt nach den übrigen Inschriften, siehe z. B. oben, Nr. 31. 2325 Möglicherweise ist hier auch Nephthys gemeint, in Analogie zu den Türlaibungen des Nordsanktuars, wo eine Seite Isis, die andere Nephthys-Anuket geweiht ist. Da die Haupttitel der Göttin hier fehlen, ist dies aber unsicher.

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436

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) txw aSA.w Hb.w die Herrin der Trunkenheit, die mit zahlreichen Festen, nb(.t) [irj.t?]2326 hrw nfr die Herrin des [Feierns des] Festtages/der Festtage, N.t wr(.t) mw.t-nTr &mA.t ms(.t) Ra Neith, die Große, die Gottesmutter, die Mutter, die Re gebiert,2327 nb(.t) [S]mr Hnw.t Ssr.w die Herrin des Bogens, die Gebieterin der Pfeile,2328 njs.tw n kA=s [… … …] aHaw n @r [… zu deren Ka man ruft […], die die Lebenszeit des Horus […], …] HqA(.t) n ^w ns.t n Gbb imj(.t)-pr n Dt […] die Herrschaft des Schu, den Thron des Geb, das Erbe des ,2329 ewiglich. Kommentar: Parallel zur gegenüberliegenden Türlaibung (Nr. 31, siehe oben) wird auch auf dieser Seite offenbar zumindest am Ende die Kontinuität der Königsherrschaft, die in der Neunheit weitervererbt wird, thematisiert.2330 Aufgrund der schlechten Erhaltung des Schlusses ist jedoch nicht klar, wie Isis in diesem Fall in die Thematik eingebunden ist. Zu Beginn der Inschrift wird nach den (hier ergänzten) Haupttiteln ihr hathorischer Aspekt als Herrin von Trunkenheit und Festen hervorgehoben; zudem wird sie mit der Schöpfergöttin Neith(Temat) gleichgesetzt, was gerade in der Region von Koptos eine typische Verbindung ist.2331 Inschriften am Nordsanktuar und im Couloir mystérieux Text/Hauptpublikation El-Qal‘a I, Nr. 69; S. 69; El-Qal‘a II, S. 156 Anbringungsort El-Qal‘a, Isistempel, Nordsanktuar, Tür, westliche Türlaibung Bibliographie – Inhalt 1 Kol. für den König (Augustus), 1 für Isis.

2326 Von PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 44, in einer schmalen Lücke ergänzt, aber eventuell falsch (die Lücke ist sehr schmal, und bei der Ergänzung ist das sehr eng an das direkt darüber erhaltene gedrängt). Vgl. auch LGG IV, 19b, wo die Stelle allerdings als Bezeichnung der Nephthys aufgenommen ist (vgl. die vorige Anm.). 2327 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 154, übersetzen „geboren von Re“, was gerade nicht zur Bezeichnung als &mA.t paßt. Vgl. die zahlreichen Belege in LGG III, 419. Zu Neith als Mutter von Re siehe EL-SAYED, Neith, S. 106–109. 2328 Typische Epitheta der Neith, die sich auf ihr Namenssymbol beziehen, siehe LGG IV, 143a; V, 208c (üblicherweise Ssr im Singular). 2329 Der Text bricht hinter der Genitivanbindung einfach ab, nur das typische Dt ist noch an den Schluß gesetzt, vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 154, Anm. 3. Zu erwarten wäre als nächstes Osiris, vgl. den vorigen Text El-Qal‘a I, Nr. 32. Alternativ könnte aber auch „ein Testament in Ewigkeit“ gemeint sein. 2330 Vgl. Anm. 6 oben. 2331 Vgl. WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 35. Zu Isis und Neith allgemein vgl. den Text Edfu V, 332, 14–333, 2 und EL-SAYED, Neith, S. 134–135.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

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Text: – Text Isis: As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hrj(.t) s.t wr.t die über dem Großen Sitz ist, xwj(.t) sA=s @r mk(.t) sn=s Wsjr die ihren Sohn Horus beschützt, die ihren Bruder Osiris beschirmt, &A-mr.t sA.t Itm ir.t Ra Tameret, die Tochter des Atum, das Auge des Re, hAj(.t) m Kns.t […] NTr.wj die herabgestiegen ist aus Kenset (Nubien) [nach] Koptos. dj=s anx Dd wAs [……] xa.tj m nswt bjtj Hr [ns.t] @r […] xnt kA.w anx.w Dt {n} Möge sie Leben, Dauer und Macht verleihen dem [NN], der erschienen ist als König von Ober- und Unterägypten auf dem [Thron] des Horus, an der Spitze der lebenden Kas, ewiglich. Kommentar: Wie im Zentralsanktuar widmet sich auch im Nordsanktuar zumindest eine der Türlaibungsinschriften Isis, die einerseits in ihrer typischen doppelten Schutzfunktion gegenüber ihren Familienmitgliedern Horus und Osiris dargestellt, andererseits aber mit dem Namen Tameret, „der Tochter“ des Atum angesprochen ist. Diese ist eine Verkörperung der Fernen Göttin (= Auge des Re), auf deren Reise im Folgenden auch explizit angespielt wird, und die im Tempel von El-Qal‘a mehrfach mit Isis assoziiert auftaucht.2332 Ihr Pendant in der östlichen Türlaibung und an anderen Stellen in der Nord-Süd-Achse des Tempels ist Nephthys-Anuket.2333 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Text:

El-Qal‘a II, Nr. 120; S. 11 u. 160 El-Qal‘a, Isistempel, Couloir mystérieux, Wandstück zwischen Südtür und der Tür zum Neujahrshof COPPENS, Wabet, S. 185

(i)nD2334 Hr=T As.t wr.t [… …… nTr.t2335] aA.t Sps.t aA.t m Gb.tjw Sei gegrüßt, Isis, die Große […], die große [Göttin], die Edle, die Große in Koptos,

2332 Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 11. 2333 El-Qal‘a I, Nr. 70. Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 12–13. 2334 Vgl. zu dieser Lesung des nTr-Zeichens PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 160 m. Anm. 11. Solche unetymologischen Schreibungen für (i)nD mit finden sich auch in demotischen religiösen Papyri aus Soknopaiou Nesos, z. B. in der Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 (zu diesem Text siehe Kap. 6.1.2.2), vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 245, Komm. zu Z. 14, (b). 2335 Mit großer Wahrscheinlichkeit hier zu ergänzen, da „die große Göttin“ in El-Qal‘a häufig als Bezeichnung (oft sogar ohne weiteren Götternamen) der Tempelherrin verwendet wird, vgl. dazu PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 13; II, S. 3–4; TRAUNECKER, Lessons, S. 173.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

nb(.t) [nTr.w Hnw.t ?]2336 nTr.wt die Herrin der [Götter, die Gebieterin der] Göttinnen, [wsr.t]2337 wr.t m tA.wj xAs.wt mw.t-nTr S[…?] die große [Mächtige] in den Beiden Ländern und den Fremdländern, die Gottesmutter, […] Kommentar: Aufgrund der Platzierung der Hymne (wohl unter Claudius) direkt neben dem Tor zum Komplex des Neujahrshofes und der Wabet handelt es sich wohl um einen Text, der anläßlich der entsprechenden Festprozession rezitiert wurde. 2338 Die erhaltenen Teile der Inschrift geben neben lokalen Haupttiteln wie „die Große Göttin“ (mit bestimmtem Artikel tA), der häufig auch stellvertretend für den Eigennamen stehen kann,2339 vor allem allgemeine Epitheta wieder, die Isis’ Herrschaftsmacht in der göttlichen und irdischen Sphäre betonen. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

El-Qal‘a II, Nr. 121; S. 12 u. 160 El-Qal‘a, Isistempel, Couloir mystérieux, Außenwand des Sanktuars, Inschrift hinter nördlicher Tür zum Couloir –

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

dwA tA nTr.t aA.t [… …]=s Dd mdw Die große Göttin anbeten […] ihr/sie […]. Rezitation: inD Hr=T m [?]iw […] Haa Hr mAA kA nfr Sei gegrüßt in […], bei dem Anblick von (deren) vollkommenem Ka man jubelt (?), [?]2340gm nTr.w nTr.wt aHa.w m Hr=T [?] die Götter und Göttinnen finden (ihren) Platz vor deinem Angesicht [m?] hrw(?) ij kA=T [… … …]t.t Ssp=T [am] Tag, an dem dein Ka kommt […] dein(em) Abbild,2341 [?] xwj=f-Tw sA=T wr [?] er2342 beschützt dich, dein großer Sohn,

2336 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 160, sowie COPPENS, Wabet, S. 185, ergänzen nur „Götter“. Ein Epitheton „Herrin der Götter und Göttinnen“ ist jedoch laut LGG nicht belegt, mehrfach dagegen die Kombination „Herrin der Götter, Gebieterin der Göttinnen“, siehe LGG IV, 84c, Beleg [3]– [4] und [10], vgl. z. B. auch unten, El-Qal‘a II, Nr. 217. Auch der Platz müßte ausreichend dafür sein. 2337 Vielleicht auch HqA.t zu ergänzen, vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 160 m. Anm. 12. 2338 Vgl. auch COPPENS, Wabet, S. 185, zu den anzunehmenden Prozessionen. 2339 Vgl. die Anm. 2335 oben zum Text. 2340 Nur sehr schmale Fehlstelle. 2341 Möglicherweise geht es um das häufig belegte „Vereinen“ der Gottheit mit ihrem Abbild. Alternativ könnte man auch nb lesen: […]t.t nb=T „[…] dein(em) Herr(n)“. 2342 Es ist unklar, wer hier gemeint ist, der erst im Folgenden genannte Sohn? Der König (so die Annahme von PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 160)? Es ist ungewöhnlich, daß Isis hier beschützt werden soll, denn üblicherweise ist sie selbst die Schützerin (ihres Sohnes, von Osiris und dem König), doch von den Zeichen her ist die Stelle nicht anders zu deuten.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

Kol. 4:

439

wdj/Ssp(?) n […] Hr sA sXkr D.t=T(?) [… … ? […] nach dem Schmücken/Ausstatten deines Leibes [… … …] nfr.t wp=T …] Vollkommene, mögest du öffnen n=f ir.tj sk rA(?) [… (seine) beiden Augen für ihn, den Mund(?) abwischen (?)2343 S]sm2344 Sp/Spt(?)2345 n[… […] entflammt/entzündet (vom Auge),2346 blind(?)/wütend(?) [… … … …] ij.tw …] willkommen(?)!

Kommentar: Trotz des schlechten Erhaltungszustandes, der eine zusammenhängende Übersetzung verhindert, scheint es sich um eine Begrüßungs-Hymne anläßlich der Ankunft der Fernen Göttin aus der Fremde zu handeln. Die angesprochenen Themen Jubel und Willkommensgruß, das Einfinden der Götter, Bewegungsverben (ij) sowie das möglicherweise zu ergänzende Vereinigen der Göttin mit ihrem Abbild (oder ihrem Vater?) deuten darauf hin, daß hier auf Vorgänge eines entsprechenden Festes angespielt wird. Die korrespondierende Hymne (ElQal‘a II, Nr. 122) richtet sich an Schesemtet, die als Löwengöttin ebenfalls eindeutig mit diesem Themenkomplex verbunden ist,2347 und spricht von der Beziehung zwischen ihr und ihrem Vater Re, der sie als Herrscherin der Beiden Länder eingesetzt hat.2348 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

El-Qal‘a II, Nr. 171; S. 61 u. 164 El-Qal‘a, Isistempel, Couloir mystérieux, Soubassement-Inschrift, Nordhälfte –

Text: anx [… …]mw.t[-nTr…].t [… …] n […] @r Es lebe […], die [Gottes-]Mutter, […] Horus,

2343 Möglicherweise ein Verweis auf das Mundöffnungsritual (MÖR Szene 48), siehe QUACK, Fragmente, S. 87–88; OTTO, Mundöffnungsritual I, S. 117; II, S. 110–111. 2344 Mögliche Ergänzung zu Ssm nach PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 160, Anm. 16. Eventuell liegt ein beabsichtigtes Wortspiel mit dem Namen der Göttin Schesemtet vor, die in der korrespondierenden Hymne Nr. 122 angesprochen wird. Zu Schesemtet, einer Form der Gefährlichen Göttin in Löwengestalt, siehe oben, Kap. 4.2.1.A, Assuan-Hymne 6, m. Anm. 615. 2345 Es liegt offenbar eine Abfolge von Alliterationen auf s/S vor, was auf ein apotropäisches Thema hindeutet. Zur hier vorgeschlagenen eventuellen Lesung als Sp „blind“ vgl. Edfu I, 210: wn=f n=k ir.tj=k Sp „Er öffnet deine beiden blinden Augen für dich“, was deutliche Parallelen zum obigen Abschnitt aufweist, und Tb Spruch 26 („Er (Geb) öffnet meine verschlossenen Augen“). 2346 In der Sonnenlitanei 42 wird Re als Ssm nTr.t „der mit entzündetem Gottesauge“ bezeichnet, vgl. LGG VII, 125c. Möglicherweise geht es in der obigen Hymne um den Mythos von der Fernen Göttin. 2347 Vgl. auch Anm. 2344 zum Text. 2348 Vgl. die Übersetzung bei PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 160.

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440

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wr.t Hnw.t(?)2349 tA{.wj} pn die Große, die Gebieterin(?) dieses Landes, nb(.t) p.t HD(.t) Hr.w mj itn die Herrin des Himmels, die die Gesichter erleuchtet wie die Sonnenscheibe, nb(.t) Haa m-xnt2350 rxy.t die Herrin des Morgenlichtes (o. ä.)2351 vor den/im Angesicht der Rechit-Menschen, [psD.t(?)] imAw2352 m Hr-ib pa.t mit leuchtendem Strahlen unter den Pat-Leuten, xsr(.t) kkw m-Hr-ib tmw?2353 die die Finsternis unter der Menschheit vertreibt (?) nswt bjtj nb tA.wj [(&jbrys Grwtjs) Der König von Ober- und Unterägypten, der Herr der Beiden Länder [(Tiberius Claudius), sA Ra nb xa.w [(Gjsrs ntj xwj Grmnjqs Awtgrtr) der Sohn des Re, der Herr der Erscheinungen [(Caesar, der Schützer, Germanikus Autokrator), Dd=f xr mw.t=f As.t wr.t mw.t[-nTr?]2354 tA nTr.t aA.t er spricht zu seiner Mutter Isis, der Großen, der Gottesmutter(?), der Großen Göttin, N.t Hrj-ib NTr.wj rdj(.t) ib Hr wA.t [… …] Neith inmitten des Koptites, die kommt auf dem Weg […], x(y)/Xrd(?) [… … … …] dj(?) […]n Hr […]p ??? das Kind(?) […] (möge sie?) geben […] ??? @r nbw Hr srx(?) Ra(?) xa.tj m [… … …] @r […] Dt der Goldhorus auf dem Thron des Re (?), erschienen als […] Horus […] ewiglich. Kommentar: Isis wird primär als himmlische Lichtgöttin – wohl in ihrer Funktion als Sonnenauge/Sothis – dargestellt, die speziell unter den Menschen die Finsternis vertreibt, was sich möglicherweise zusätzlich auch im übertragenen Sinne deuten läßt.2355 Wie in den beiden zuvor besprochenen Texten (Nr. 120–121) trägt sie hier den lokaltypischen Titel „die große Göttin“ und wird wie in Nr. 32 mit Neith gleichgesetzt. Trotz der starken Zerstörung des Schlusses ist anzunehmen, daß es sich um ein Schlußgebet für den zuvor genannten König (Kaiser Claudius) handelt.

2349 In der Umzeichnung der Hieroglyphen in El-Qal‘a II, S. 61, ist eine Straußenfeder in der Hand der sitzenden Figur angegeben: ? 2350 Oder m-Hr? Die Umschrift ist vage. 2351 Die genaue Bedeutung des Ausdruckes ist nicht bekannt, vgl. Wb III, 41, 12: „vom Sonnenaufgang“. 2352 Zur Ergänzung vgl. die Belege für das Epitheton (allerdings hier nur für männliche Gottheiten) in LGG III, 120a. 2353 Es folgt noch ein Fleisch-Zeichen unklaren Zusammenhanges. 2354 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 164, ergänzen in der Übersetzung „mère [divine]“, obwohl sie in der Umzeichnung keine Lücke/Zerstörung angeben. 2355 Vgl. dazu z. B. den Text Philä II, 76–77.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

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Türinschriften an der Wabet Text/Hauptpublikation El-Qal‘a II, Nr. 195; S. 84 u. 166 Anbringungsort El-Qal‘a, Isistempel, Wabet,2356 südlicher Türpfosten, Außenseite Bibliographie COPPENS, Wabet, S. 193 Text: As.t wr.t mw.t-nTr tA nTr.t aA.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Große Göttin, Xnm it=s Ra stw.t=f nTr(.jt) m Ha.w=s mit deren Leib ihr Vater Re seine göttlichen Strahlen vereint, wbn.{t}j(?) (m) tp(?)2357 nb-(r-)Dr die aufgeht am Kopf (?) des Allherrn! Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

El-Qal‘a II, Nr. 196; S. 84 u. 166 El-Qal‘a, Isistempel, Wabet, nördlicher Türpfosten, Außenseite COPPENS, Wabet, S. 193 Shanhûr I, Nr. 59 (tw.)

Text: wbn nbw.t m xnt Ax.t Es erscheint die Goldene an der Spitze des Horizontes, psD Ax.t m srx(?)2358=s es erstrahlt die Herrliche2359 in ihrem Palast/Schrein(?),2360 Twt irf wr.t Hnw.t [it]=s Ra denn du bist die Große, die Gebieterin ihres Vaters Re, Hnsq(j).t bnr(.t) mr(w.t) die mit der Haarflechte, süß an Beliebtheit. Kommentar: Die beiden Türpfosteninschriften der Wabet beziehen sich auf den Kontext der Riten der Vereinigung mit der Sonnenscheibe (die in den Texten ja auch ausdrücklich erwähnt wird),

2356 Zur Wabet von El Qal’a siehe COPPENS, Wabet, S. 42–43 u. 184–194. 2357 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 84, Anm. a, und S. 166, halten die von ihnen transkribierte Zeichengruppe für eine Verschreibung für und übersetzen imperativisch „Erscheine, erscheine, Tochter des Allherrn!“, was jedoch an dieser Stelle nicht gut in den Textfluß paßt. Bedenkt man die schwierige Lesbarkeit der Zeichen im Stein, könnte auch mindestens statt gemeint sein. Vgl. für ähnliche Ausdrücke LGG II, 333a. 2358 Oder HD; kAr o. ä. = Schrein? 2359 Oder Ax.tj.t „Die Horizontische“? Vgl. Shanhûr I, Nr. 59. 2360 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 166; und COPPENS, Wabet, S. 193, verstehen die Verben als Imperative; vgl. dazu auch Anm. 2357.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

die zum Jahresbeginn stattfinden und sich in der Dekoration des Komplexes Wabet und Hof widerspiegeln.2361 Inschriften des Per-nu und Per-wer Text/Hauptpublikation El-Qal‘a II, Nr. 217; S. 100 u. 168 Anbringungsort El-Qal‘a, Isistempel, Per-nu, westliche Türlaibung Bibliographie – Text: rs=T nfr m Htp Mögest du schön aufwachen in Frieden, As.t wr.t [tA] nTr.t aA.t Sps.t [Hm/nDm?…] Isis, die Große, die Große Göttin, die Edle, […], tw=T wr.t Hnw.t irj-s(j) Du bist die Große, die Gebieterin dessen, der sie erschaffen hat, aA(.t) xa.w m NTr.wj nb(.t) nTr.w Hnw.t nTr.wt [?]2362 groß an Erscheinungen im Koptites, die Herrin der Götter, die Gebieterin der Göttinnen [?]. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

El-Qal‘a II, Nr. 218; S. 100 u. 168 El-Qal‘a, Isistempel, Per-nu, östliche Türlaibung –

Text: i.nD Hr=T wr.t m Hrj.t-tp […] %xm.t(?)2363 Sei gegrüßt, Große, als Uräusschlange,…, Sachmet(?), Hnw.t pr-nsr nb(.t) pr-nw Gebieterin des Per-neser, Herrin des Per-nu, [Nxb].t HD(.t) Nxn […] r bw ib=s [Nechbet], die Weiße von Hierakonpolis, […] zu dem Ort ihres Herzens, dj=s nsr(?)2364 [s(?)]2365 (wenn) sie [ihre(?)] Flamme spuckt(?).

2361 Siehe COPPENS, Wabet, zu den Stellen S. 193. 2362 Nur sehr schmale Fehlstelle am Ende. 2363 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 168, lesen die erste der zwei sitzenden Löwen(?)göttinnen (?) gar nicht mit. 2364 Die Lesung von PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 168, ist unsicher, da zumindest in ihrer Umschrift keine feuerspuckende, sondern eine einfache Kobra angegeben ist. 2365 Nur schmale Fehlstelle am Ende.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

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El-Qal‘a II, Nr. 238; S. 118 u. 169 El-Qal‘a, Isistempel, Per-wer (Ostkapelle), westliche Türlaibung – Assuan-Hymne 6 (zumindest teilweise inhaltlich, s. d.); Philae-Photo 1297

Text: nD Hr=T As.t(?)2366 wr.t mw.t-nTr tA nTr.t aA.t Sei gegrüßt, Isis, die Große, die Gottesmutter, die Große Göttin, [nb(.t)] p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) [die Herrin] des Himmels, die Gebieterin aller Götter, nb(.t) pr-wr Hnw.t pr-nsr die Herrin des Per-wer, die Gebieterin des Per-neser, Hm[.t nswt] tp[j.t] n [(Wnn-nfr mAa xrw) die Erste Königliche Gemahlin des [(Onnophris, wahrhaft an Stimme), anx(.t)(?)2367 nb(.t) nsr die Lebendige (= Uräusschlange), die Herrin der Flamme, nb(.t) Hr[j.t]=s(?) nb(.t) tp-rnp(.t) die Herrin ihres Schreckens(?),2368 die Herrin des Jahresanfangs (= Sothis), Hnw.t ibd.w hrw(.w) wnw.wt [… … …] die Gebieterin der Monate, Tage und Stunden […]. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

El-Qal‘a II, Nr. 239; S. 118 u. 169 El-Qal‘a, Isistempel, Per-wer (Ostkapelle), östliche Türlaibung –

Text: inD Hr=T %xm.t aSA(.t) ir.w Sei gegrüßt, Sachmet, mit zahlreichen Gestalten, nb(.t) Hnw.t2369 iAw die Herrin und Gebieterin des Lobpreises, sqdj.t tA.wj m nfr.w=s die die Beiden Länder mit ihrer Vollkommenheit durchzieht, nfr(.t) Hr sHb(.t) mn.tj ? [… … …] schön an Gesicht, mit festlich geschminkten Augen ? […].

2366 Eigentlich . 2367 Oder nTr(.t) anx(.t)? anx(.t) „die Lebendige“ ist als Beiname der Isis (und anderer Göttinnen) mehrfach belegt, LGG II, 166–167. Vgl. auch die Hymne mit der Namensformel Assuan-Hymne 5 mit Parallelen. 2368 Falls die Lesung richtig ist, so wäre dies der einzige Beleg dieses Epithetons, vgl. LGG IV, 108a, wo die Lesung ebenfalls als unsicher angesehen wird. 2369 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 169, lassen offenbar Hnw.t aus und übersetzen nur „Herrin des Lobpreises“.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die Türlaibungen des zusammengehörigen Kapellenkomplexes Per-nu und Per-wer sind ähnlich wie Per-nu und Per-neser2370 im Isistempel von Dendara2371 mit einem Zyklus von begrüßenden Hymnen dekoriert, die sich an unterschiedliche Formen der Gefährlichen Göttin – als Manifestationen der Tempelherrin Isis – richten, und wahrscheinlich mit dem Prozessionsweg eines (oder mehrerer?) Festes (Nr. 239: „festlich geschminkte Augen“) zu verbinden sind.2372 Die Aufforderung an die Gottheit „schön und in Frieden zu erwachen“ (Nr. 217) ist auch Teil des Täglichen Kultbildrituals, bei dem die Gottheit am Morgen geweckt wird (Morgenlied). 2373 Die übrigen drei Hymnen beginnen alle mit der gängigen Grußformel (i)nD Hr=T. Die wilde Seite der Göttin, die neben ihrem lokalen Haupttitel Isis, die Große Göttin, in den Texten unter den Namen Sachmet, (wohl) Nechbet, „Uräusschlange“ und „Herrin des Jahresanfangs“ (= Sothis) beschworen wird, wird in mehreren Epitheta betont. In Nr. 238 stellt ein paralleler Abschnitt zu Assuan-Hymne 6 und PhilaePhoto 1297 Isis-Sothis als Herrin über die Zeitrechnung heraus. Möglicherweise wurden die Texte im Rahmen der Neujahrsfeierlichkeiten rezitiert, bei denen die Gefährliche Göttin besänftigt werden mußte, vgl. die Hymne am Zugang zum Neujahrshof Nr. 120. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

El-Qal‘a II, Nr. 253; S. 131 u. 169 El-Qal‘a, Isistempel, Per-wer (Ostkapelle), untere Randinschrift, Westteil –

Text: anx aH.t wr.t n wr.t-HkA.w Es lebe der große Palast derjenigen mit großer Zauberkraft, pr-wr n Nxb.t nb(.t) Nxb das Per-wer von Nechbet, der Herrin von Necheb, pr-nsr n WAD.t nb(.t) _p das Per-neser der Uto, der Herrin von Dep, Sps.t wr.t ir.t Itm(?)2374 die Edle, die Große, das Auge des Atum(?), mw.t-nTr xnt Ax-bj.t2375 die Gottesmutter an der Spitze von Chemmis, 2370 Auch dieses wird hier im Text Nr. 238 explizit erwähnt, wie umgekehrt auch das Per-wer in den Texten im Isis-Tempel von Dendara erwähnt wird. 2371 Dend. Isis, 138;139; 189. Siehe Kap. 4.6.1.A. 2372 Vgl. den Kommentar zu den genannten Dendara-Inschriften, siehe obige Anm. 2371. 2373 Zum täglichen Ritual siehe A. MORET, Le Rituel du Culte divin journalier en Égypte, Paris 1902, bes. 122–124; und N. S. BRAUN, Pharao und Priester – sakrale Affirmation durch Kultvollzug. Das tägliche Kultbildritual im Neuen Reich und in der Dritten Zwischenzeit, Philippika 23, Wiesbaden 2013, bes. S. 105–106 u. 140–147. Speziell zum Morgenlied M. PATANÈ, Les hymnes du matin, Diss., Univ. Genf 1986 (ersch. ca. 1989); ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 27–28. 2374 Zur Lesung vgl. den Schluß des Textes, wo die Hieroglyphe für Atum klarer ist: . Hier fehlt dagegen die Krone. 2375 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 169, lesen falsch „Uto“, was sie als „Buto“ auffassen.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

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irj(.t) nh.t sA=s @r die den Schutz ihres Sohnes Horus besorgt, dr(.t)2376 xftj.w2377=f Dt […] die seine Feinde vertreibt, ewiglich […?]. wa.t nb(.t) nmt.t m pr-wr […]s Die Einzigartige, die Herrin des Umherschreitens/des Schrittes im Per-wer […], Ams-ib [n?] nTr.w (dj?) xwj(.t) @r=s die sich freut [für?] die Götter,2378 die ihren Horus beschützt, (Hrj.t-tp/iar.t?) […] WAD.t […] nb(.t) pr-wr die Uräusschlange(?) […], Uto […], die Herrin des Per-wer,2379 […] sA mk(.t) @r rs(.t) Hr ra nb […] Schutz, die Horus beschützt, mit wachsamem Gesicht jeden Tag, ir.t Itm sHD grH m DbA.w n itn m 2380 das Auge des Atum, die die Nacht erhellt als Ersatz der Sonnenscheibe am Tag. Kommentar: Die Westhälfte der Soubassement-Inschrift des Per-wer bestätigt und ergänzt das bereits in den Türlaibungsinschriften der beiden Kapellen Per-nu und Per-wer (vgl. Kommentar oben zu Nr. 217–218 und 238–239) gewonnene Bild von der Weihung dieser Kapellen an die Formen der Gefährlichen Göttin, unter denen hier besonders die Kronengöttinnen Nechbet und Uto hervorgehoben werden. Thematisch steht passend zu dem wilden, gefährlichen Aspekt die stetige Schutzfunktion gegenüber Horus im Mittelpunkt, was mehrfach betont wird („die den Schutz ihres Sohnes Horus besorgt, die seine Feinde vertreibt“; „die ihren Horus beschützt“; „[…] Schutz, die Horus beschützt, die wacht jeden Tag“). Der kindliche Horus bzw. Harpokrates und weitere Horusformen spielen im Tempel eine zentrale Rolle und sind in einem Großteil der Szenen präsent.2381 Durch dessen Benennung als „ihr Sohn“ im Text ist evident, daß letztlich Isis hinter den genannten Göttinnen steht. Ebenfalls doppelt erwähnt – einmal im Anfangsteil, einmal am Schluß – ist die Eigenschaft der Göttin als Auge des Sonnengottes, der hier anders als sonst meist als Atum bezeichnet wird. Als (nicht explizit genannte) Sothis bildet sie sein nächtliches Pendant am Himmel und steht somit auf gleicher Ebene mit der Sonne selbst. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

El-Qal‘a II, Nr. 254; S. 131 u. 169 El-Qal‘a, Isistempel, Per-wer (Ostkapelle), untere Randinschrift, Ostteil –

2376 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 131, a), lesen kfj. 2377 Das Kind ist wohl Verschreibung für den sterbenden Mann, vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, ElQal‘a II, S. 131, a). 2378 Oder: „die die Herzen der Götter erfreut“? Vgl. eine ähnliche Stelle in LGG I, 21a. 2379 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 169, übersetzen die Stelle, offenbar mit dem Folgenden zusammen, als „Herrin der sA-Amulette“, ignorieren dabei jedoch das und die Lücke vor . 2380 Geschrieben ist nur . 2381 Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 10; vgl. auch SANDRI, Har-pa-chered, S. 48–50.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: anx s.t tnn nfr n As.t mw.t-nTr tA nTr.t aA.t Es lebe dieser vollkommene Platz der Isis, der Gottesmutter, der Großen Göttin, pr-wr Sps n Nxb.t das edle Per-wer der Nechbet, xm wsr.t m tA Sma.w mHw das Heiligtum der Mächtigen in Ober- und Unterägypten, MHnj.t Hr[…] nTr(?) (?) MHnj.t=f(?)[… …]h[…]ss[…] n[…] Hr msj sfx(.t) mw.t die Ringelschlange auf […] Gott(es?)… seine(?) Ringelschlange(?) […] ?? beim Gebären, die die Mutter entbindet(?). Kommentar: Auch in dieser Hälfte der Bauinschrift des Per-wer, deren zweiter Teil kaum lesbar ist, wird diese Kapelle den Kronengöttinnen Nechbet und der Uräusschlange zugeschrieben, die mit der Tempelherrin Isis assoziiert sind. Am Ende scheint es um die Geburt des Horus (dessen Name jedoch zumindest nicht erhalten ist) zu gehen, was zu der starken Fokussierung auf den Schutz des Horus in der Westhälfte der Soubassement-Inschrift passen würde. 4.9.2

El-Qal‘a: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums Der kleine Tempel von El-Qal‘a befindet sich im Nordosten von Koptos und geht wohl auf augusteische Zeit zurück. Er ist ungewöhnlicherweise nach Osten, d. h. zur Wüste hin, orientiert. Der Grundriß zeichnet sich durch das Vorhandensein von zwei verschiedenen Kultachsen aus, die sich im Opfersaal kreuzen:2382 Im Norden befindet sich ein kleines Sanktuar in der S-N-Achse, im Westen das Zentralsanktuar, das nach Art der größeren Tempelbauten von einem Umgang mit Kapellen (Couloir mystérieux) umgeben ist. Beide Sanktuare tragen die Kartuschen des Augustus; weitere Dekoration wurde unter Caligula, Claudius und Nero angebracht.2383 Der Bauinschrift im oberen Bandeau des Nordsanktuars zufolge bildete ein kleines Sanktuar aus Ziegeln den Vorgängerbau des augusteischen Tempels: (…) xwsj.n=f s.t wr.t n mw.t=f As.t wr.t mw.t-nTr (…) Er hat den Großen Sitz errichtet für seine Mutter Isis, die Große, die Gottesmutter, Nb.t-Hw.t nTr.t sn.t N.t wr(.t) mw.t(-nTr?) psD.t Nephthys, die Schwestergöttin, Neith, die Große, die (Gottes-)Mutter der Neunheit, ij(.t) Hr xAs.t die durch(?) die Wüste gekommen ist/sind, Dr gm.n=f-sj m Db.t (…) nachdem er ihn (den Sitz) aus Ziegeln vorgefunden hat (…) (El-Qal‘a I, Nr. 56)2384

2382 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 5; Abb. 2; ID., Premières observations sur le temple coptite d’ El-Qal‘a, in: ASAE 70, S. 133–141: 133 u. Abb. 2. 2383 PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 6. 2384 Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 8; ID., Temple d’Isis, S. 208.

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El-Qal‘a (Koptos), Isistempel

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Nach früheren Unsicherheiten aufgrund der schweren Lesbarkeit der in den harten lokalen Kalkstein gravierten Inschriften wird das Heiligtum mittlerweile von PANTALACCI und TRAUNECKER – m. E. richtig – als Isistempel bezeichnet. Isis wird in der Friesinschrift des Zentralsanktuars als Tempelherrin genannt.2385 Wie die oben zitierte Bauinschrift im Nordsanktuar zeigt, wurden dort weitere Göttinnen, besonders Nephthys und Neith mit ihr gemeinsam verehrt, und im Falle von Neith auch mit ihr identifiziert.2386 Nephthys wird Isis dagegen als Schwester gerne in korrespondierenden Szenen gegenübergestellt.2387 In den beiden Sanktuaren erscheinen die Schwestern jeweils zusammen mit Min, wodurch der Bezug zum Kult von Koptos und seinem zentralen Heiligtum selbst hergestellt wird.2388 Oft werden sie von je einer weiteren Göttin begleitet, die vorrangig das Sonnenauge bzw. die Ferne Göttin verkörpert: Es handelt sich dabei um Neith und Tameret, Anuket und Tairetperatum („das Auge von Pithom“), wobei Tameret und Tairetperatum besonders in der späteren Dekoration auftreten.2389 Der Mythos vom Sonnenauge und die Ankunft der Gefährlichen Göttin(nen) aus der Wüste spielen eine zentrale Rolle in den Inschriften des Tempels, was auch zu seiner Orientierung zur Ostwüste hin paßt.2390 Wie die andere Hälfte der oben zitierten Friesinschrift des Nordsanktuars demonstriert, sind diese Göttinnen im übergreifenden Konzept der Isis aufgegangen: … HAy.t aA.t n Sps.t wsr.t … das große Heiligtum der Edlen und Mächtigen, As.t wr.t mw.t-nTr ir.t Ra Hrj(.t)-ib NTr.wj Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, residierend im Koptites, Nb.t-Hw.t sn.t nTrj.t [… nTr.t?…] ij.t Hr xAs.t […] n […] und Nephthys, die göttliche Schwester…, die durch die Wüste gekommen ist […], Hrj-ib Pwn.t hAj(.t) m Kns.t r[… …] residierend in Punt, die aus Kenset herabgestiegen ist/sind […] gm s.t=sn m NTr.wj ir=sn s.t=sn r gs As.t um ihren Platz zu finden im Koptites, indem sie sich an die Seite von Isis begaben, p.t ntj iw rn=sn r rn=s… dem ‚Himmel‘,2391 zu deren Name ihre Namen wurden… (El-Qal‘a I, Nr. 55)2392

2385 El-Qal‘a I, Nr. 19. Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 9. 2386 So z. B. in El-Qal‘a I, Nr. 32 u. 171. 2387 Siehe El-Qal‘a I, Nr. 70; vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 10 u. 12–13; und oben, Kommentar zu El-Qal’a I, Nr. 69. 2388 El-Qal‘a I, Nr. 4; 8; 43; 46; vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 9. Zum Kult von Min und Isis von Koptos siehe unten, Kap. 4.10.3. 2389 Zu Tameret siehe El-Qal’a I, Nr. 69; zu Neith El-Qal’a I, Nr. 32 u. 171 (hier jeweils mit Isis identifiziert; Anuket und Tairetperatum werden hingegen mit Nephthys gleichgesetzt, siehe oben, Kommentar zu El- Qal’a , Nr. 69). Vgl. zu diesen Göttinnen PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 11–12; ID., Temple d’Isis, S. 209; PANTALACCI, Quadruple ou double, S. 681–682. Zur Identifikation von Isis mit Neith in der Region von Koptos vgl. auch WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 35. 2390 Vgl. die oben zitierte Bauinschrift des Nordsanktuars, El-Qal’a I, Nr. 56. Siehe PANTALACCI/ TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 10–11. 2391 Zu Isis als Himmel vgl. die Texte von Deir el-Schelwit, Kap. 4.8, bes. Deir Chelouit II, Nr. 85 und III, Nr. 154; vgl. auch oben, Kap. 4.8.1.A, Deir Chelouit II, Nr. 85, Anm. 1993. 2392 Siehe PANTALACCI/TRAUNECKER, Temple d’Isis, S. 208.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

In zahlreichen Texten wird daher auch Isis’ Rolle als Sonnenauge, Tochter des Re, bzw. seine Uräusschlange (oder sogar die anderer Götter wie Osiris, Schu und Geb)2393 besonders betont.2394 Als Neith ist sie jedoch gleichzeitig auch Schöpfergöttin und Mutter des Re.2395 Selbst in der Tochterrolle zeigen die Titel „Gebieterin ihres Vaters“ bzw. „Gebieterin dessen, der sie geschaffen hat“, noch eine gewisse Vorrangstellung gegenüber dem Sonnengott an.2396 In der Rolle der Gefährlichen Göttin wird Isis zudem mit Sachmet und Nechbet gleichgesetzt,2397 und im Türdurchgang zum Per-wer wird sie in einer Parallelstelle zu Assuan-Hymne 6 und Philae-Photo 1297 als Herrin der verschiedenen Zeitabschnitte gelobt, ein Charakteristikum, das sich vor allem mit Sothis als Herrin des Jahresanfangs verbinden läßt.2398 Als solche leuchtet sie auch am Himmel und erhellt die Nacht.2399 Assoziiert mit den Göttinnen erscheint in zahlreichen Szenen Harpokrates, der ebenfalls in verschiedenen Formen auftritt – einer osirianischen und einer amunischen.2400 Eng mit der Beziehung zu Harpokrates und den männlichen Gottheiten der heliopolitanischen Neunheit verbunden ist die Konzeption der Vermittlung des rechtmäßigen Erbes und damit des Königsamtes durch Isis. Dies verdeutlichen insbesondere die Türlaibungsinschriften des Zentralsanktuars, 2401 das von TRAUNECKER bereits mit einem Mammisi verglichen wurde.2402 Der lokale kulttopographische Haupttitel von Isis ordnet sie nicht einem Namen des Heiligtums zu, sondern dem Gau von Koptos insgesamt: „Isis, die im koptitischen Gau residiert (Hrj(.t)-ib NTr.wj)“.2403 Ihr vorrangiges Epitheton in El-Qal‘a ist jedoch tA nTr.t aA.t „die große Göttin“, das häufig sogar wie ein Eigenname an Stelle von „Isis“ gebraucht wird und damit nochmals verdeutlicht, daß Isis als die Große Göttin par excellence angesehen wurde, der andere Göttinnen als Verkörperung bestimmter Aspekte einverleibt wurden.2404 2393 2394 2395 2396 2397 2398 2399 2400 2401 2402 2403

El-Qal‘a I, Nr. 19; 31. El-Qal‘a I, Nr. 19; 31; 69; II, 121(?); 195; 218; 238; 253–254. El-Qal‘a I, Nr. 32. El-Qal‘a II, Nr. 196; 217. El-Qal‘a II, Nr. 218; 239. El-Qal‘a II, Nr. 238. El-Qal‘a II, Nr. 171; 196; 253. Siehe PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 12; TRAUNECKER, Lessons, S. 173. El-Qal‘a I, Nr. 31–32. TRAUNECKER, Lessons, S. 171. El-Qal‘a I, Nr. 31–32. Siehe PANTALACCI/TRAUNECKER, Temple d’Isis, S. 205. Vgl. auch die Epitheta aA.t m Gb.tjw „Die Große in Koptos“ (El-Qal‘a II, Nr. 120) und aA.t xa.w m NTr.wj „Groß an Erscheinungen im Koptites“ (El-Qal‘a II, Nr. 217). 2404 Siehe El-Qal‘a II, Nr. 120–121; 195; 217; 238. In Nr. 31 findet sich noch die klassische Form ohne Artikel nTr.t aA.t; ansonsten meist in Ritualszenen, besonders in der O-W-Achse des Tempels bzw. den etwas später (unter Caligula und Claudius) dekorierten Tempelteilen. Auch in der Bandeau-Inschrift auf der Rückseite des Tempels wird die Hauptgöttin mit diesem Namen genannt. Siehe dazu PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 13; ID., El-Qal‘a II, S. 3; und ID., Temple d’Isis, S. 205, wo sich noch frühere Interpretationen als unabhängige Gottheit, die Aspekte verschiedener Göttinnen abstrahiert, bzw. als Personifikation eines Epithetons der Isis („Antonomasie“) finden. Zu tA nTr.t aA.t als Name der Isis in El-Qal‘a und Schenhur siehe aber WILLEMS, Theologie, S. 286, der dies mit der alleinigen Verwendung des Titels nb-Dr „Allherr“ für Atum vergleicht. In der kontemporären gesprochenen Sprache ist tA nTr.t aA.t überhaupt der gängigste Haupttitel der Isis, wie die demotischen Zeugnisse zeigen (siehe übergreifend Kap. 6.7.2.1 unten).

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Schenhur (Koptos), Isistempel

449

Offenbar war es klar, daß nur sie mit diesem Titel gemeint sein konnte. In der unter Caligula und Claudius angebrachten Dekoration wird „Die große Göttin“ häufig wie zuvor Nephthys in korrespondierenden Szenen Isis (mit anderen Titeln) gegenübergestellt.2405 Isis nimmt also mehr und mehr Raum ein. Ein weiteres, in Ritualszenen auftretendes lokalspezifisches Epitheton, das Isis sich mit der ihr eng verbundenen Verkörperung der Gefährlichen Göttin Tameret teilt, ist ifd.wt „Die Vierheit“.2406 Dies verdeutlicht, daß die Göttin sich in El-Qal‘a in vier verschiedenen (Haupt-)Erscheinungsformen verkörpert. Damit übernimmt sie ein altes Charakteristikum der Hathor Quadrifrons.2407

4.10

Schenhur (Koptos), Isistempel

4.10.1

Kommentierte Übersetzung der Inschriften

4.10.1.A Zentrale Texte: Hymnen, Bandeau-Inschriften, Epithetareihen Text/Hauptpublikation Shanhûr I, Nr. 1; Taf. 6–7; S. 49 Anbringungsort Schenhur, Isistempel, Sanktuar, Fassade, Untere Randinschrift, Osthälfte Bibliographie – Text: [dwA?] tA nTr.t aA.t As.t &mw.t\ [-nTr … …] Das Preisen der Großen Göttin Isis, der [Gottesmutter …], irj nsw.t-bj.tj [nb-tA.wj] [(Kysyrs) das der König von Ober- und Unterägypten, [der Herr der Beiden Länder] [(Kaisaros) gemacht hat. Kommentar: Die Tempelherrin Isis wird mit dem Titel „die Große Göttin“ vorgestellt, der bereits aus dem nahe gelegenen Tempel von El-Qal‘a bekannt ist (Kap. 4.9). Hier wird er dem Eigennamen der Göttin vorangestellt, während er in El-Qal‘a nachgestellt wird (meist sogar noch hinter den althergebrachten Haupttiteln „die Große, die Gottesmutter“) oder ganz allein in der Art eines Eigennamens steht. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Shanhûr I, Nr. 3; Taf. 10–11; S. 49 Schenhur, Isistempel, Sanktuar, Fassade, Untere Randinschrift, Westhälfte –

2405 Vgl. PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a II, S. 3; TRAUNECKER, Lessons, S. 173. 2406 Genauer ifd.wt Hrj.t-ib NTr.wj „die Vierheit, residierend in Koptos“, El-Qal‘a II, Nr. 179; 185; 268. Speziell dazu PANTALACCI, Quadruple ou double; WILLEMS, Theologie, S. 289; vgl. auch NAGEL, One for All, S. 218–219. 2407 Vgl. dazu DERCHAIN, Hathor quadrifrons.

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450

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: dwA(?) As.t tA nTr.t &aA.\t(?)2408 [q]mA(.t) tA(?) Zu preisen/Das Preisen der2409 Isis, die große Göttin, die die Erde erschuf (?), [… …] n […] sA Ra [(Awdg[r]tr) […] für(?) […] der/den Sohn des Re [(Autokrator). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Shanhûr I, Nr. 21; Taf. 24–25; S. 62–63 u. 19 Schenhur, Isistempel, Sanktuar, Tür, östliche Türlaibung – 1 Kol. für den König (Augustus), 1 für Isis.

Text: – Text Isis: As.t wr.t mw.t-nTr tA nTr.t [aA].t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Große Göttin, ms(.t) n Nw.t Hnw.t n spA.wt nb.w(t) nb(.t) […]2410 geboren von Nut, die Gebieterin aller Gaue, die Herrin von […] Kommentar: Die Türlaibungsinschrift spricht Isis wiederum mit ihren Haupttiteln an, wobei „die Große Göttin“ dieses Mal wie in El-Qal‘a nachgestellt ist. Wie in zahlreichen anderen erhaltenen Texten (z. B. aus Dendara) kombiniert der erhaltene Rest ihre Genealogie mit dem Aspekt der Herrschaft über das ganze Land („alle Gaue“).2411 Komplementär widmet sich die göttliche Kolumne der westlichen Türlaibung 2412 der thebanischen Mut, der zweitrangigen Hauptgöttin des Tempels, die Isis auch sonst in der Westhälfte gegenübergestellt wird.2413 In der Inschrift wird sie als leuchtende Gestirnsgöttin beschrieben. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Shanhûr I, Nr. 30; Taf. 37–38; S. 68–70 Schenhur, Isistempel, Sanktuar, innen, Untere Randinschrift, Osthälfte –

2408 WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 19 u. 49, Anm. 111, schlagen vor, [tpj.]t zu lesen, da die Zeichenreste ihrer Aussage nach nicht zu passen würden. Da wenig zu erkennen ist, halte ich den gängigen Titel der Isis von Schenhur dennoch für viel wahrscheinlicher. 2409 Vgl. oben, Nr. 1. 2410 Etwa die zweite Hälfte der Inschrift ist verloren. 2411 WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 19, betrachten den Text als vollständige offizielle Titelreihe der lokalen Isisform. 2412 Shanhûr I, Nr. 22, Taf. 24–25; S. 63–64. 2413 Vgl. QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 209–210; WILLEMS, Theologie, S. 286–287; WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 47.

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Schenhur (Koptos), Isistempel

451

Text: – Text nach Titelreihe des Königs (Augustus): …irj.n=f Hw.t [ …]x2414 n mw.t[=f …].t …er hat den …-Tempel gemacht für seine Mutter […], tA nTr.t aA.t As.t Hr(j.t)-ib [p(A)] ^-[n-@r …] … die Große Göttin Isis residierend in Sche[nhur] … Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Shanhûr I, Nr. 32; Taf. 41–42, S. 70–71 Schenhur, Isistempel, Sanktuar, innen, Obere Randinschrift, Osthälfte –

Text: – Text nach Titelreihe des Königs (Augustus): … qd.n=f s.t wr.t n mw.t=f … er hat den Großen Sitz gebaut für seine Mutter, tA nTr.t aA.t As.t Hrj(.t)-ib p(A) ^(-n-)@r … die Große Göttin Isis residierend in Schenhur … Kommentar: Es handelt sich um die Bauinschriften des Sanktuars und damit auch um die Weihung des Tempels an die Hauptgöttin Isis, deren Titel hier ausnahmsweise durch einen direkten Lokalbezug ergänzt werden (Hr(j.t)-ib [p(A)] ^-[n-@r]). Die komplementären Inschriften der Westseite (Nr. 31 und 33) waren wohl beide Mut gewidmet, wenngleich ihr Name nur in der Friesinschrift noch erhalten ist (Nr. 33). Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie

Shanhûr I, Nr. 58; Taf. 90–91; S. 113 Schenhur, Isistempel, Wabet,2415 östlicher Türpfosten, Innenseite COPPENS, Wabet, S. 181

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

[…]=T xaj.t(j) […] mögest(?) du […], wenn du erscheinst, psD=T iwj n=T it=T mögest du erstrahlen, wenn dein Vater zu dir kommt, [… … nb?] xp(r) nb im=f stj=T Sn-wr pXr-wr [… Herr?] alles ist durch ihn entstanden.2416 Du erleuchtest den Sn-wr und pXrwr,2417

2414 Oder sp 2? 2415 Zur Wabet von Schenhur siehe COPPENS, Wabet, S. 40–42 u. 179–183.

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452 Kol. 3:

Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

[… …] nb(.t) (P)wn.t HqA.t n tA.w nTr.w […] die Herrin von Punt, die Herrscherin der Gottesländer.

Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen

Shanhûr I, Nr. 59; Taf. 90–91; S. 113 Schenhur, Isistempel, Wabet, westlicher Türpfosten, Innenseite COPPENS, Wabet, S. 181 El-Qal‘a II, Nr. 195–196 (tw.)

Text: Kol. 1:

Kol. 2:

Kol. 3:

[… wbn nbw.t]2418 m xnt Ax.t(=s?) [… es erscheint die Goldene] an der Spitze (ihres(?)) Horizontes, psD Ax.tj.t m kAr(?)/srx(?)=s n […] es erglänzt die Horizontische in ihrem Schrein/Thron des/wegen(?) […],2419 […] dj.t.n Ra m s.t Hb tpj […], die Re auf den Sitz des Ersten Festes2420 gegeben hat, stw.t=f Xnm m Ha.w[=s …]2421 während seine Strahlen vereint sind mit ihrem Leib, [… pr …?] Ra.t2422 tfj itn(.t) dmD=s[n?] m sp(?) […] […?] diese Sonnengöttin, die weibliche Sonnenscheibe, sie (Pl.?) vereinen sich(?) miteinander(?) […]

Kommentar: Die Türpfosteninschriften der Wabet bilden eine deutliche inhaltliche Parallele zu den etwas kürzer gehaltenen im Tempel von El-Qal‘a (Nr. 195–196). Wie dort wird auf das Neujahrsfest und die dabei stattfindende „Vereinigung mit der Sonnenscheibe“ angespielt, das in dem Komplex Wabet + Neujahrshof begangen wurde.2423 Der Name der angesprochenen Göttin (zumindest auf dem östlichen Türpfosten, in Nr. 58, wird sie direkt in der 2. Pers. 2416 Oder: „[der Herr], durch den alles entstanden ist“? WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 113; sowie COPPENS, Wabet, S. 181, übersetzen das unsichere Wort nb überhaupt nicht, sondern nur: „everything that came into existence in him“. 2417 Beides Bezeichnungen für den Urozean, wobei der erste Begriff auch speziell die östlichen Nilarme und das Rote Meer meinen kann, der zweite hingegen den Euphrat, vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 369 und 1016. Da anschließend Punt und die Gottesländer genannt werden, könnte mit den Begriffen insgesamt tatsächlich ein konkreter geographischer Rahmen abgesteckt werden. 2418 Zu ergänzen nach der Parallele in El-Qal‘a II, Nr. 196. 2419 WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 114; sowie COPPENS, Wabet, S. 181, übersetzen die Verben jeweils als Imperative (vgl. die Parallelen in El-Qal‘a), was mir hier wegen der Nutzung des Suffixpronomens der 3. Pers. sing. fem. jedoch weniger passend vorkommt. 2420 Bezeichnung des Komplexes Wabet + Neujahrshof, vgl. COPPENS, Wabet, S. 179. 2421 Vgl. zu diesem Satz sinngemäß die Parallele El-Qal‘a II, Nr. 195: Xnm it=s Ra stw.t=f nTr(.jt) m Ha.w=s. 2422 Die Schreibung erscheint sehr ausführlich – evtl. auch separat Ra Ra.t „Re und (diese) Rat/Sonnengöttin“ zu lesen, vgl. das Ende der Inschrift: „Re und diese Rat/Sonnengöttin, die weibliche Sonnenscheibe (oder ebenfalls: die Sonnenscheibe und die weibliche Sonnenscheibe? – auch hier ausführliche Schreibung), sie sind miteinander vereint“? 2423 Vgl. COPPENS, Wabet, S. 181.

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Schenhur (Koptos), Isistempel

453

angesprochen) ist nicht erhalten, doch ist sicherlich die Hauptgöttin Isis, „die Große Göttin“ gemeint, die auch in der Wabet im Mittelpunkt steht. In den Parallelen in El-Qal‘a wird diese auch ausdrücklich genannt. 4.10.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen Text/Hauptpublikation Shanhûr I, Nr. 68; Taf. 101–103; S. 121–123 Anbringungsort Schenhur, Isistempel, Wabet, Westwand, 2. (= oberes) Register Bibliographie – Inhalt der Szene Der König (Caligula) opfert für Geb, Osiris, Isis, Horus und eine weitere Horusform.2424 Text: – Beischrift der Isis: Dd mdw jn As.t wr.t mw.t-nTr Rezitation durch Isis, der Großen, der Gottesmutter, ir.t Ra nb(.t) p.t dem Auge des Re, der Herrin des Himmels. Kommentar: Ausnahmsweise ist hier in einer Szene die ganze Beischrift der Isis erhalten, die die überregionale „Standard-Titulatur“ der Isis zeigt.2425 4.10.2

Schenhur: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums Der kleine Tempel von Schenhur (äg. pA S n @r „der See des Horus“) liegt relativ genau in der Mitte zwischen Koptos und Theben, befindet sich damit aber noch im koptitischen Gau.2426 Wie der Isistempel von El-Qal‘a wurde auch das Heiligtum in Schenhur von Augustus errichtet, und zwar den Bandeau-Inschriften des Sanktuars zufolge für Isis (von Koptos) und Mut (von Theben),2427 was sich aus der beschriebenen Lage des Tempels zwischen den beiden Städten ergibt. So ist die Ostseite des Kultbaues vornehmlich Isis und ihrem koptitischen Götterkreis gewidmet, die Westseite dagegen oftmals Mut, begleitet von einem thebanischen Pantheon. Die Wanddekoration des Heiligtums ist allerdings unvollendet.2428 Eine kleine, unter Tiberius erbaute Kapelle im Südwesten des Naos ist dem Kindgott Horudja geweiht, der von seiner Mutter, „Der großen Göttin“ (= Isis),2429 begleitet wird.2430 Er wird als „Erstgeborener des Amun“ bezeichnet, wobei Amun wohl mit Min identifiziert

2424 2425 2426 2427

Zu Harpokrates im Tempel von Schenhur vgl. SANDRI, Har-pa-chered, S. 50–52. Vgl. dazu Kap. 5.2.1. Vgl. QUAEGEBEUR, Excavating, S. 159. Siehe den Kommentar zu Shanhûr I, Nr. 30 u. 32. Vgl. QUAEGEBEUR, Excavating, S. 161; ID., Chenhour, S. 209. 2428 Siehe QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 208, zu den dekorierten Partien. 2429 Vgl. zu diesem Titel die Inschriften von El-Qal‘a, siehe oben, Kap. 4.9. 2430 QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 204.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wird. Möglicherweise erfüllte der Bau also die Funktion eines Mammisi.2431 Der Pronaos und das Hypostyl stammen vermutlich aus trajanischer Zeit, sind allerdings fast völlig zerstört.2432 An der Nord- und Westseite des Tempels wurden Reste einer nach und nach hinzu gebauten Kolonnade ergraben, deren Aufgehendes auch griechische Bau- und Dekorelemente aufwies.2433 Es scheint sich also um einen gemischten Heiligtums-Typus zu handeln, der möglicherweise sogar einem griechischen Peripteraltempel angeglichen war.2434 An der rückwärtigen Fassade des Naos befindet sich ähnlich wie am Tempel von Deir el-Schelwit eine Kultnische (Gegentempel) in Form einer Scheintür.2435 In einer der beiden großen komplementären Szenen der Rückwand, die die lokalen Götterfamilien von Koptos und Theben zeigen, werden Isis (mit Horuskind) und Min-Re von Tutu und Nebet-ihy begleitet.2436 Tutu gilt üblicherweise als Sohn der Neith, die hier wohl wie in El-Qal‘a mit Isis identifiziert wird. 2437 Nebet-ihy wird auf der gegenüberliegenden Seite sowie im Sanktuar durch „die große Göttin“ komplementiert, die ab der Dekoration unter Tiberius auch ohne Eigennamen genannt wird;2438 gemeint sind Nephthys und Isis, die hier teilweise nur mit ihren lokalen Haupttiteln bezeichnet werden. Dabei ist zu beachten, daß „die große Göttin“ jeweils der thebanischen Seite zugeordnet ist, während unter den koptitischen Gottheiten Isis nochmals primär mit ihrem Eigennamen und weiteren Epitheta, darunter ebenfalls „die große Göttin“, erscheint; der Titel wird dabei teils vor den Eigennamen gestellt („die große Göttin Isis“),2439 teils hinter diesem, manchmal auch weiteren Titeln, genannt.2440 Eher ausnahmsweise taucht auch ihre traditionelle Titelreihe „Isis, die Große, die Gottesmutter“ auf. 2441 In der Wabet und den seitlichen Außenwänden des Tempels werden Isis und ihre Manifestation als „die große Göttin“ einander gegenübergestellt.2442 Trotz der Weihung der Westseite an die thebanische Mut ist Isis also dennoch die eindeutig dominierende Gottheit in der gesamten Tempeldekoration und damit die erste Hauptgöttin des Tempels.2443 Die Rückwand der Wabet wird von den vier Göttinnen bzw. Manifestatio-

2431 2432 2433 2434 2435 2436 2437

2438 2439 2440 2441 2442 2443

QUAEGEBEUR, Excavating, S. 164. QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 203. Siehe WILLEMS, Theologie, S. 281; WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 6–7. Zu derartigen Portiken bei anderen ägyptischen Tempeln vgl. G. HAENY, Peripteraltempel in Ägypten – Tempel mit Umgang, in: M. Bietak (Hrsg.), Archaische griechische Tempel und Altägypten, DÖAW 21, Wien 2001, S. 89–106. QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 205. Vgl. Kap. 4.8.2. Shanhûr, Nr. 172; siehe QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 211–212; WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 20. Siehe oben, Kap. 4.9; vgl. dazu WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 35. Zu Tutu, speziell in Schenhur, siehe O. E. KAPER, The God Tutu in Behbeit el-Hagar and Shenhur, in: Clarysse/Schoors/Willems (Hrsg.), Egyptian Religion I, S. 139–157, bes. 150–155 für Bezüge des Tutu zu Amun(-Min) und Harpokrates; ID., The God Tutu, OLA 119, Leuven 2003, S. 116 u. 132–136. Rückwand: Shanhûr, Nr. 169. Sanktuar: Shanhûr, Nr. 37 u. 45. Vgl. QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 215; WILLEMS, Theologie, S. 284; WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 20. Siehe Shanhûr I, Nr. 1; 30; 32. Siehe Shanhûr I, Nr. 3; 21. Shanhûr I, Nr. 21; 68. Siehe WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 21. Zur Deutung des Titels „die große Göttin“ als Abkürzung für Isis und Isis als Hauptgöttin des Tempels siehe WILLEMS, Theologie, S. 285–287, der die älteren Deutungen als eigenständige, aus einer

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Schenhur (Koptos), Isistempel

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nen der Göttin „Isis, die Große, die Gottesmutter“, „die große Göttin Isis“, Mut und Nephthys Nebet-Ihy beherrscht. Dieser „Vierteilung“ entspricht die Dekoration des oberen Wandfrieses dieses Raumes mit Hathor-Quadrifrons-Köpfen (mit Naos).2444 Mit WILLEMS läßt sich darin sicherlich ein Bezug zu dem in El-Qal‘a für Isis und ihre Erscheinungsformen benutzten Titel ifd.wt „die Vierheit“ erkennen.2445 Wie in El-Qal‘a betonen die Türpfosteninschriften der Wabet Isis’ Charakter als Tochter des Sonnengottes und Ferne Göttin.2446 Mit Koptos wird Isis, ähnlich wie in El-Qal‘a, durch den kulttopographischen Beinamen Hrj.t-ib Gbtjw direkt verbunden.2447 4.10.3

Koptos: Die Rolle der Isis in Koptos

Zur Geschichte des Isiskultes in Koptos bzw. im Heiligtum des Min Mit den im Umkreis von Koptos gelegenen kleinen Isistempeln von El-Qal‘a und Shenhur, die ebenso wie der Tempel von Deir el-Schelwit (Kap. 4.8) in der frühen Kaiserzeit erbaut oder neu errichtet wurden und entsprechend einen ähnlichen Architekturtyp aufweisen,2448 wird die Tradition des koptitischen Isiskultes weitergeführt, der bereits seit dem MR belegt ist und spätestens im NR überregionale Bedeutung erlangte.2449 Sie gilt dort als Muttergattin des Min2450 und wurde in dessen Tempelbezirk mit verehrt. Gleichzeitig war auch die gesamte osirianische Familie in die Min-Theologie mit eingebunden: Osiris erscheint traditionell auch als Gatte der Isis und Vater des Min, der somit die Horus-Rolle einnimmt.2451 Ab dem NR bildet Isis außerdem mit Min und ihrem gemeinsamen Sohn Harsiese eine Triade, wodurch Min auch mit Osiris identifiziert werden konnte.2452 Es ergibt sich also ein endloser Kreislauf, in dem Isis das stabile und den männlichen Gott regenerierende Element bildet, während Min sich als Kamutef („Stier seiner Mutter“) selbst erzeugt. In der Spätzeit entwickelte Koptos sich zu einem regelrechten Zentrum des Isiskultes, dessen Ruf in der griechisch-römischen Epoche entsprechend weiter gedieh.2453 Besonders die ersten beiden Ptolemäer widmeten dem Heiligtum von Min und Isis große Aufmerksamkeit und sind für den Neubau eines gemeinsamen Doppeltempels mit zwei parallelen Achsen verantwortlich.2454 In diesen wurden ältere Strukturen und Bauteile von Sesostris I.

2444 2445 2446 2447 2448 2449 2450 2451 2452 2453 2454

Antonomasie entstandene Gottheit durch TRAUNECKER und QUAEGEBEUR widerlegt; ebenso WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 18–19 u. 47. Vgl. dazu auch Kap. 4.9.2. Shanhûr I, Nr. 64 u. 79; vgl. WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 101 u. 104–105. Vgl. WILLEMS, Theologie, S. 289–290; WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 104–105. Siehe oben, Kap. 4.9. Shanhûr I, Nr. 58–59; vgl. El-Qal‘a II, Nr. 195–196, Kap. 4.9.1. Shanhûr I, Nr. 51; siehe WILLEMS/COPPENS/DE MEYER, Shanhûr I, S. 19. Vgl. F. COPPENS, The Roman Temple of Isis in Shanhûr (Upper Egypt), in: Aegyptus et Pannonia II, S. 13–26: 17. Siehe dazu MÜNSTER, Isis, S. 162; 171–172; 129–134. Vgl. auch Kap. 4.7.2. Vgl. TRAUNECKER, Coptos, S. 335. TRAUNECKER, Coptos, S. 333–335. Zur Verbindung von Isis und Min vgl. auch C. J. BLEEKER, Die Geburt eines Gottes. Eine Studie über den ägyptischen Gott Min und sein Fest, Leiden 1956, S. 18– 20; TÖPFER, Sothisritual, S. 145–146. TRAUNECKER, Coptos, S. 334. Siehe GABOLDE, Temple de Min et Isis; PANTALACCI/TRAUNECKER, El-Qal‘a I, S. 9; PETRIE, Koptos, S. 17–23.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

und Thutmosis III. integriert; zudem finden sich wiederverwendete Blöcke des Nubcheperre Antef.2455 Der nördliche Teil des ptolemäischen Tempels war der Isis gewidmet, der südliche dem Min. In seiner letzten Bauphase besaß der Bau ein Podium, zu dem man über zwei den beiden Gottheiten zugeordnete Treppen hinaufsteigen konnte.2456 Seit dem NR gibt es Hinweise auf eine Orakelfunktion des Heiligtums, wobei Isis, Horus und Geb als orakelgebende Gottheiten angerufen wurden.2457 Die Befragung wurde wie im NR üblich zunächst bei Barkenprozessionen durchgeführt,2458 später errichtete Kleopatra (VII.) südlich des Gebtempels im südlichen Heiligtumsbezirk NTrj Sma auch eine Orakelkapelle des Chons.2459 Der gesamte unter Nektanebos gegründete südliche Bezirk war in erster Linie Geb, Isis und Harpokrates gewidmet.2460 In der nur sehr fragmentarisch erhaltenen Wanddekoration der Tempel sind jedoch keine längeren Texte zu Isis überliefert. Titel und Charakter der Isis von Koptos Speziell mit Koptos wird spätestens ab dem NR die Trauer der Isis um den Tod des Osiris verbunden, weshalb sie dort häufig einfach als „Witwe“ (XAr.t) bezeichnet wird.2461 Dieser Beiname wird meist mit dem Zeichen der Haarlocke ( oder ) determiniert, und es existiert eine Tradition, der zufolge in Koptos eine von Isis aus Trauer abgeschnittene Haarlocke verehrt wird.2462 Bereits in einem der Texte des Osirisbeckens („cuve osirienne“) von Koptos aus der 22. Dyn., die Choiakriten des pr-SntAy.t von Busiris schildern, wird das parfümierte Haar der Schentait (ebenfalls „die Witwe“) gepriesen (II, 1–23), welches bei der Wiederbelebung des Osiris eine Rolle spielt.2463 In einer der Vignetten wird die Göttin 2455 2456 2457 2458

2459 2460 2461 2462 2463

GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 60. GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 60. Siehe GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 72 u. 83; TRAUNECKER, Coptos, S. 384–386. Hiervon zeugen eine Orakelstele aus der Zeit Ramses II. (Oxford, Ashmolean Mus., 1894/106), in der die Barke der Isis erwähnt wird, sowie das aufgefundene Fragment eines Barkensockels mit dem Rest einer Darstellung des Bugs der Barke, der von einem Isis-Hathor-Kopf geschmückt ist; siehe GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 72, Kat. 36. Siehe dazu TRAUNECKER, Coptos, S. 49–53 u. 379–386; Kritik zur dort vorgeschlagenen Funktionsweise des Orakels bei RENBERG, Where Dreams May Come II, S. 592–593. Siehe TRAUNECKER, Coptos, S. 340–341. Zu den durch die Dokumente des Parthenios, Verwalter der Isis, belegten Bauarbeiten, siehe unten, Kap. 6.2.6. Vgl. GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 83; KUCHAREK, Klagelieder, S. 347–348. Siehe dazu auch unten, Kap. 6.2.6 und 8.1.2.2 zur Überlieferung bei Plutarch. Zu Trauervokabular, das mit der Haarlocke determiniert wird und demnach in Zusammenhang mit Trauergebärden steht, die das Kopfhaar betreffen, siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 544–545. Kairo JE 37516, ursprünglich war eine Publikation durch F. R. HERBIN geplant (gemeinsam mit Paralleltexten auf einem Leichentuch in New York, MMA 31.9.8), aktuell ist jedoch eine Edition von C. LEITZ in Arbeit; außerdem wird eine inhaltliche Studie gemeinsam mit weiteren Texten zum Choiakfest von A.-K. GILL vorbereitet; siehe vorläufig YOYOTTE, Cuve osirienne I–III, bes. I, S. 166–168, zu den Texten über das parfümierte Haar der Schentait; vgl. dazu auch NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis, S. 592; KUCHAREK, Klagelieder, S. 190; KOEMOTH, Du Nil à Byblos, S. 484; GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 84. Zu Schentait in den ptolemäisch-römischen Tempeln siehe oben, Kap. 4.5, und CAUVILLE, Chentayt et Merkhetes. Eine Parallele zu dieser Preisung des Haares findet sich im Hibistempel (Hibis III, Taf. 22). Vgl. zur Adaption in Hibis und in den Stundenwachen auch PRIES, Stundenwachen, S. 382–383. Mein herzlicher Dank gilt ANDREA KUCHAREK, die mir zusätzliche Informationen über die „cuve osirienne“ und das Leichentuch zur Verfügung stellte.

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Schenhur (Koptos), Isistempel

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ikonographisch mit langer Perücke und geflochtenem Seitenzopf dargestellt. 2464 Die Inschriften des Beckens enthalten weiterhin mehrere hymnische Anrufungen an (Hathor-) Schentait (I, 2–15, und VI, 19–31), „die Edle“ (Sps.t), die unter anderem als Göttin der Frauen und der Fruchtbarkeit gelobt und mit Neith gleichgesetzt wird.2465 Zudem präsentiert sich die Göttin selbst in der Ich-Form in mehreren aufeinanderfolgenden Sätzen als Hathor und ordnet sich selbst verschiedenen Orten kulttopographisch zu, darunter auch Byblos, bevor sie weitere Eigenschaften und Handlungen aufzählt (I, 16–25).2466 Ein anderer Abschnitt mit einem nächtlichen Gesang fragt nach dem Aufenthaltsort der Göttin („Wo verbringt das Gold die Nacht?“), um dann ihre Omnipräsenz in den Sanktuaren von Busiris sowie weiteren Hathor-Heiligtümern Ägyptens aufzuzeigen (III, 34–44). Auch der Isistempel von Koptos (oder eher ein Raum?) wird entsprechend in einer Inschrift in der nördlichen Türlaibung des 2. Pylons (= Pylon der Isis) als „Haus der Witwe“ (pr-SntAy.t) bezeichnet.2467 Derselbe Text führt die charakteristische Verzweiflung der Göttin in diesem Gau vor Augen: wr.wj nx.w(t) m NTr.wj r njw.t nb Oh, wie laut war der Schrei der Trauer im Koptites, lauter als in jeder anderen Stadt!2468 Die Ausrichtung der koptitischen Isis auf den Osiriskult geht des weiteren aus einer in der Ptolemäerzeit belegten Epiklese As.t tA insw „(Isis), der Reliquienschrein“ oder „Isis vom Reliquienschrein“ hervor:2469 Der insw-Schrein wird im Choiaktext von Dendara ausführlich beschrieben. Da Isis insbesondere im südlichen Heiligtumsbezirk, dem NTrj Sma, eine wichtige Rolle spielte, wird sie diesem auch ausdrücklich mit den lokalen Epitheta „Herrin des NTrj Sma“ oder „Gottesmutter im NTrj Sma“ zugeordnet.2470 Der Name des Heiligtums deutet möglicherweise eine enge kultische Beziehung zu Behbeit el-Hagar (NTr.w/NTrj) an. 2471 Beide Heiligtümer waren unter anderem Isis gewidmet und wurden unter Nektanebos sowie den ersten Ptolemäern ausgebaut.2472 In einer Szene in der Kapelle der Kleopatra überreicht die Königin (Kleopatra VII.) Weihrauch an Min, Isis, und Harsiese. Isis trägt die Titel:

2464 KUCHAREK, Klagelieder, S. 190, mit weiteren Belegen für diese Ikonographie der Isis/Schentait und anderen markanten Frisuren/Zöpfen von Klagefrauen S. 190–191. 2465 YOYOTTE, Cuve osirienne III, S. 190; Übersetzung des ersten Textteils mit Anrufungen in YOYOTTE, Cuve osirienne I, S. 165–167. Vgl. die Identifikation der Isis mit Neith in den Tempeln von El-Qal‘a und Schenhur, siehe Kap. 4.9 und 4.10.2. 2466 YOYOTTE, Cuve osirienne I, S. 166, zitiert nur kurze Auszüge dieser Selbstaussagen in (unsicherer) Übersetzung. 2467 PETRIE, Koptos, Taf. 22/1; vgl. KUCHAREK, Klagelieder, S. 347. 2468 PETRIE, Koptos, Taf. 22/1; vgl. GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 83; NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis, S. 592. 2469 Vgl. TRAUNECKER, Coptos, S. 336–337; LGG I, 400c: dort mit „die Sänfte“ übersetzt, im Kommentar wird jedoch auch die alternative Deutung „Isis des Reliquienschreins“ von TRAUNECKER erwogen, für die m. E. auch das jeweils benutzte Determinativ spricht. 2470 Siehe TRAUNECKER, Coptos, S. 339. 2471 Vgl. dazu oben, Kap. 4.4. 2472 Siehe TRAUNECKER, Coptos, S. 340–341; FAVARD-MEEKS, Toponymes Nétjer.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

As.t [wr.t] mw.t-nTr ir.t Ra nb(.t) p.t Isis, die Große, die Gottesmutter, das Auge des Re, die Herrin des Himmels, Hnw.t nTr.w nb.w Sps.t wsr.t Hrj(.t)-ib NTrj Sma die Gebieterin aller Götter, die Edle und Mächtige, die im südlichen NTrj residiert. (TRAUNECKER, Coptos, Nr. 64)2473 Vergleicht man die Texte der beiden kleinen Isistempel von El-Qal‘a und Schenhur mit dem, was über die Funktion und den Charakter der Göttin im großen Heiligtum von Koptos selbst bekannt ist, wird deutlich, daß diese einen gänzlich anderen Schwerpunkt aufweisen, wenngleich es bei jeglicher Analyse die schlechte Erhaltung von letzterem zu bedenken gilt. Die in Koptos offenbar zentrale Beziehung zu Osiris spielt in den beiden römerzeitlichen Tempeln, die sich mehr oder weniger in der Peripherie des Koptites befinden, keine wichtige Rolle. Hier stehen Isis und andere Göttinnen, die als ihre Manifestationen gelten, im Fokus. Das häufig sogar allein stehende Epitheton „Die große Göttin“ verdeutlicht die Vorrangstellung der Isis und ihre Vereinnahmung anderer, weniger bedeutender Göttinnen unter ihrem Namen.

4.11

Esna und weitere Tempel, in denen Isis eine untergeordnete Rolle spielt

4.11.1

Esna, Chnum-Tempel

4.11.1.1 Kommentierte Übersetzung der Inschriften 4.11.1.1.A Zentrale Texte: Götterreden und Litaneien Reden von Nebetuu(-Isis) und Isis im Drama von der königlichen Geburt Im Pronaos des Tempels von Esna bilden verschiedenartige Texte eine Einheit, die eine die feierliche Schöpfung (keine Geburt im eigentlichen Sinne) des Königs durch Chnum betreffende Zeremonie wiedergeben, welche nach der Interpretations SAUNERONs möglicherweise als dramatische Aufführung realisiert wurde.2474 In dem Einleitungsteil heißt es unter anderem: Der König als Kind wird gestaltet auf seiner (Chnums) Töpferscheibe, denn es ist Horus, und alle Kinder sind die Söhne der Isis… (Esna III, Nr. 369, 37–38).2475 Neben einer Reihe von Hymnen an den Hauptgott des Tempels beinhalten die Texte acht längere Reden der synnaoi theoi von Esna, in denen dem König jeweils verschiedene Eigenschaften und Funktionen zugeteilt werden.2476 Die Gottheiten – außer Chnum handelt es sich um Menhit, Neith, Nebetuu, Osiris, Isis, Heka und Thoth – sprechen ihre Monologe in 2473 TRAUNECKER, Coptos, S. 8–10, S. 285–288; vgl. auch ibid., Nr. 66, S. 303–305 (einige identische Titel erhalten). 2474 Siehe dazu SAUNERON, Esna V, S. 185–231, zur Aufführung S. 187. 2475 Vgl. zur Einleitung SAUNERON, Esna V, S. 186. 2476 Vgl. SAUNERON, Esna V, S. 186 u. 189.

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Esna und weitere Tempel

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der Ich-Form (außer Osiris) und zählen dabei auch ihre eigenen Epitheta und Kompetenzen auf, wobei auffällt, daß darunter Isis die größte Anzahl an Ich-Aussagen aufweist.2477 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Esna III, Nr. 306, S. 221 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Säule 11 SAUNERON, Esna V, S. 203–204; MANASSA, Mistress of the Field, S. 57 (tw.) Rede der Nebetuu

Text: Dd mdw in Nb.t-ww Hnw.t Iwny.t Rezitation durch Nebetuu (‚Herrin des Fruchtlandes‘), der Gebieterin von Iunit (= Esna): ink Nb.t-ww Rnn.t WAD.t Hnw.t sx.t Ich bin Nebetuu, Renenet, Uto, die Gebieterin des Feldes,2478 ink Sps.t wsr.t xnt pr-$nmw2479 nb.t aH ich bin die Edle und Mächtige an der Spitze des Hauses von Chnum (= Tempel von Esna), die Herrin des Palastes. mAA Ax.t=s(?) Siehe ihre Herrlichkeiten/nützlichen Dinge (?):2480 irj.n=i s.t nwn m iw=f Ich habe den Platz der Urflut bereitet bei ihrem Kommen m rn=i pfj n As.t in jenem meinem Namen Isis,2481 rd.n=i THn(.w) sxp(r).n=i ix.(w)t nb.w(t) ich habe die Blumen wachsen lassen, ich habe alle Dinge entstehen lassen, Hr Sd im=sn r sanx ir.wt nb.w(t) m xt=k indem ich mit ihnen nähre, um allen Menschen („jedem Auge“)2482 in deinem Gefolge den Lebensunterhalt zu gewähren, sA=i mry=i [(pr-aA anx Dt) mein geliebter Sohn [(Pharao, er lebe ewig), iw n=k sx.t Xr bw-nfr dir gehöre das Feld mitsamt (seinen) Gütern, saSA=i nfr.w m rk=k Dt und ich vermehre die guten Gaben in deiner Zeit, ewiglich. 2477 Vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 227, Anm. 1. 2478 sx.t „das Feld“ ist ein Toponym in der Region von Esna, vgl. GDG V, S. 48. Im Norden von Esna, in den Feldern, gab es noch einen „Chnumtempel des Feldes“ (pr $nm n sx.t), der häufig auch nur „das Feld“ (sx.t) genannt wird, siehe SAUNERON, Esna I, S. 28. 2479 MANASSA, Mistress of the Field, S. 57, liest hier falsch pr-qbHw. 2480 SAUNERON, Esna V, S. 203, gibt (wohl mit Emendierung des Suffixes) „Siehe meine Wohltaten!“ an. MANASSA, Mistress of the Field, S. 57, liest trotz der Doppeltschreibung des Auges iry.t Ax.t „die wirkmächtige Dinge vollbringt“. 2481 Zum Wortspiel s.t – As.t in der Namensformel vgl. z. B. Assuan-Hymne 5 und Parallelen. 2482 Zu dieser Wendung siehe Wb I, 107, 4.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: Die mit einer Uräusschlange determinierte Feld- und Fruchtbarkeitsgöttin Nebetuu2483 setzt sich zu Beginn ihrer Rede mit den Kobragöttinnen Renenet und Uto gleich. Zudem identifiziert sie sich durch die Namensformel mit Isis, die selbst aber auf der gleichen Säule nochmals als unabhängige Göttin mit eigener Rede auftritt (s. u.). Als Nebetuu-Isis bringt sie die Urflut/Überschwemmung hervor. Sowohl ihre Selbstprädikation als auch ihre Gabe an Pharao zeigen deutlich die Hauptfunktion dieses Isis-Aspektes als Fruchtbarkeits- und Feldgöttin, die für das Gedeihen des Landes und den Lebensunterhalt der Menschen zuständig ist. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Esna III, Nr. 307bis, S. 222–223 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Säule 11 SAUNERON, Esna V, S. 207–208; BUDDE, Götterkind, S. 70 (tw.); BERGMAN, Ich bin Isis, S. 227–228 Rede der Isis

Text: Dd in As.t2484 nb.t Iwny.t Hnw.t aH.t Hr Hw.t-bA.w Rezitation durch Isis, der Herrin von Esna, der Gebieterin des Palastes, die in(?)2485 des Hauses der Bas2486 ist: ink As.t %x.t nb.t sx.t Ich bin Isis, die Feldgöttin, die Herrin des Feldes,2487 Ax.t mnx.t n pr-$nmw2488 die Wirkmächtige und Vortreffliche im Haus des Chnum (= Tempel von Esna) m rn=s(?) As.t(?)2489 in ihrem(?) Namen Isis(?),2490 ink Hnw.t nTr.w xnt pr2491 ich bin die Gebieterin der Götter an der Spitze des (Gold-?)Hauses,

2483 Siehe zu Nebetuu W. BARTA, s. v. „Nebet-uu“, in: LÄ IV, Sp. 363–364; RÄRG, S. 506; STERNBERG, Mythische Motive, S. 41–43 (als Aspekt von Menhit). 2484 Zur ungewöhnlichen Schreibung des Namens, siehe DERCHAIN-URTEL, Epigraphische Untersuchungen, S. 86. 2485 Oder ist ohne Emendierung „die Oberste des Hauses der Bas“ zu lesen? 2486 Ein Ortsname bei Esna, vgl. LGG V, 427a. 2487 Zum „Feld“ (sx.t) von Esna siehe oben, Anm. 2478. Eventuell ist hier auch nb.t ww „Herrin des Fruchtlandes (= Nebetuu)“ zu lesen, allerdings ohne Göttinnendeterminativ o. ä. 2488 Und nicht Wp („Upe“), wie SAUNERON, Esna V, S. 207, gefolgt von BERGMAN, Ich bin Isis, S. 227, liest. 2489 Die Lesung von in der Kartusche ist unklar, eventuell Suffix =s; SAUNERON, Esna V, S. 207, übersetzt die Stelle „in (meinem) Namen Nebetuu“, was aufgrund der Namensformel und des zu erwartenden Wortspieles nahe läge. Allerdings ist die Lesung „Nebetuu“ problematisch, denn auf die Kartusche folgt das gängige Isis-Determinativ wie am Anfang des Textes. 2490 Vgl. zu dieser Stelle auch MANASSA, Mistress of the Field, S. 57, die aber die Übersetzung von SAUNERON übernimmt. 2491 Zur Ergänzung vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 227, Anm. 4.

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Esna und weitere Tempel

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nb.tj rxj.t xnt pr-anx2492 die Beiden Herrinnen der Untertanen an der Spitze des Lebenshauses, ink %SA.t wr.t xnt pr-mDA.t ich bin Seschat, die Große, an der Spitze des Hauses der Buchrollen, wr(.t)-HkA.w Hnw.t pr-nsw.t die Zauberreiche, die Gebieterin des Königshauses, ink HqA.t n BAq.t ich bin die Herrscherin von Ägypten, iTj.n=i xAs.wt m Hsb(?)2493 ich habe die Fremdländer in (ihrer) Summe/Rechnung (?) erobert, ink mw.t nsw.t mw.t-nTr @r ich bin die Königsmutter und die Gottesmutter des Horus, Hm.t nsw.t sn.t nsw.t [(Wn-nfr nb) die Königsgemahlin und die Schwester des [(Onnophris, des Herrn(?)). irj n=k tA.w nb(.w) xAs.wt nb(.w) Dir sollen gehören 2494 alle Länder und alle Fremdländer, sA=i @r [(pr-aA mrj As.t/=i) mein Sohn Horus, [(Pharao, geliebt von mir/Isis), iw n=k mks imj.t-pr n tA Dr=f dir sollen gehören das Mekes-Szepter, das Vermächtnis der ganzen Erde grb arq.tw m mAa xrw und das Eigentum, vollendet in Rechtfertigung,2495 n=k ifd.t n tA Hr ndb=f dir sollen gehören die vier Ecken der Erde auf ihrem Fundament (= der gesamten Erde), nswy(.t) aA wr rnp.wt xw.w(?) m Htp m Aw D.t nHH ein sehr großes Königtum und behütete(?)2496 Jahre in Frieden, für die Dauer von Unendlichkeit und Ewigkeit.

2492 Das am Ende stehende t über p dürfte eine Verschreibung für t über Hausgrundriß sein, vgl. eine entsprechende Schreibung in WILSON, Ptol. Lex., S. 351. 2493 Das letzte Wort, nur mit der Eiterbeule geschrieben, ist unklar; SAUNERON, Esna V, S. 207, liest zögernd m-isw, BERGMAN, Ich bin Isis, S. 227 u. 153, Anm. 5, liest, die Beule für ein Ei nehmend, swH.t, was inhaltlich am meisten Sinn ergäbe: „Ich habe die Fremdländer (schon) im Ei erobert“. 2494 Zur Form irj n=k (neuägyptische Schreibung des Futur III vor Substantiven) an dieser Stelle siehe J. F. QUACK, Philologische Miszellen 3, in: LingAeg 5, 1997, S. 237–240: 239; nach der These von BERGMAN, Ich bin Isis, S. 228, Anm. 1, wird durch die gewählte Form intentionell ein Gleichklang mit dem zuvor immer am Beginn stehenden ink erzielt, welcher sich auch in den nächsten beiden Versen mit iw n=k fortsetzt. Vielleicht soll ihm zufolge darüber hinaus sogar eine Doppeldeutigkeit erzielt werden, die gleichzeitig Isis weiterhin durch das unabhängige Personalpronomen ink die Gaben als eigenen Besitz zuschreibt. 2495 SAUNERON, Esna V, S. 208, gefolgt von BERGMAN, Ich bin Isis, S. 228, übersetzt: „la pleine propriété assurée(?) par le triomphe(?)“ bzw. „das ganze Besitztum gesichert (?) durch den Triumph“. 2496 SAUNERON, Esna V, S. 208, und BERGMAN, Ich bin Isis, S. 228: „viele Jahre“, was zwar Sinn ergibt, ich in den Hieroglyphen aber nicht erkennen kann.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Kommentar: In Anlehnung an Nebetuu präsentiert sich auch Isis zunächst als Feldgöttin,2497 stellt jedoch in ihrer folgenden Selbstprädikation insbesondere ihre Kompetenzen im Bereich Herrschaft und Königtum über Ägypten und Fremdländer in den Vordergrund, was auch ihrer Gabe an den König entspricht, die sich als Herrschaftsübertragung verschlagworten läßt. Um diese Thematik in das mythische Vorbild einzubetten, nennt sie auch ihre eigenen familiären Zugehörigkeiten: Königsmutter des Horus, Königsgemahlin des Onnophris (Osiris). Außerdem setzt sie sich als Herrin des Lebenshauses und des Bücherhauses mit Seschat gleich.2498 Das in der Kartusche dem allgemeinen Titel pr-aA hinzugefügte „geliebt von Isis“ ist tatsächlich üblicher Bestandteil des Königsnamens mehrerer Ptolemäer und eines Großteils der römischen Kaiser.2499 Opferlitaneien für Isis und Nebetuu Auf sechs Säulen des Pronaos von Esna befinden sich sieben Opferlitaneien (wdnw),2500 die sich an die Hauptgötter des Tempels richten: Chnum, Neith, Menhit, Nebetuu, Heka, Osiris und Isis von Per-Netjer, dem Osiris-Heiligtum des Feldes im Norden von Esna, in dem auch die verstorbenen Ahnengötter verehrt werden.2501 Die Litaneien sind auf den Säulen jeweils in vertikalen Hieroglyphenbändern angebracht und nehmen insgesamt einen großen Anteil an Text ein. Sie sind stilistisch einheitlich gestaltet, jeweils mit der gleichen Einleitungsformel und abschließendem Segenswunsch für den Pharao. Der Anlaß der Rezitation ist das Fest des „Hochhebens des Himmels“ am 1. Phamenoth.2502 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt

Esna III, Nr. 209, S. 39–40 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Säule 2 SAUNERON, Esna VIII, S. 43 Opferlitanei für Isis

2497 Vgl. zu diesem Aspekt der Isis MANASSA, Mistress of the Field; MÜNSTER, Isis, S. 198–200 (Isis als Erde). Zu der Feldgöttin Sechet siehe W. GUGLIELMI, Die Feldgöttin %x.t, in: WdO 7, 1974, S. 206– 227, bes. 214–215 zu Sechet und Isis. 2498 Siehe dazu BUDDE, Seschat, S. 163–169, bes. 169 zur Textstelle oben. Zu Isis’ Verbindung zum Lebenshaus vgl. Deir Chelouit II, Nr. 84 und den 5. Papyrusabschnitt des Fayumbuches, Kap. 4.8.1.A und 4.13.4. 2499 Ptolemaios IV., XII. und Kaisarion sowie die julisch-claudischen Kaiser, siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 236 u. 244–255; NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 132. 2500 Zu den Litaneien von Esna und ägyptischen Litaneien allgemein, siehe SAUNERON, Esna VIII, S. 3– 14; J. ASSMANN, s. v. „Litanei“, in: LÄ III, Sp.1062–1066; speziell zur Opferlitanei wdnw auch S. SCHOTT, Eine ägyptische Bezeichnung für Litaneien, in: O. Firchow (Hrsg.), Ägyptologische Studien, Hermann Grapow zum 70. Geburtstag gewidmet, Berlin 1955, S. 289–295; QUACK, Neuer funerärer Text, S. 77–82; zu einer Litanei für Hathor im Hypostyl von Dendara S. CAUVILLE, Hathor „en tous ses noms“, in: BIFAO 115, 2015, S. 37–75. Ein hieratischer, römerzeitlicher Papyrus aus Tebtynis enthält ebenfalls ausführliche Opferlitaneien (Ed. TÖPFER, Sothisritual); s. u., Kap. 4.13.1.1. 2501 Siehe SAUNERON, Esna I, S. 28. 2502 SAUNERON, Esna VIII, S. 5.

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Esna und weitere Tempel

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Text: – Einleitung (Nr. 209, 27–28): irj p(A) wdnw n As.t m hrw pn mj ra nb Dd mdw Die Opferlitanei für Isis ausführen an diesem Tag, wie an jedem Tag. Rezitation: wdnw n As.t wr(.t) mw.t-nTr nb.t &A-sn.t Eine Opferlitanei für Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Esna, Hr tp anx wDA snb n nsw.t bj.tj [(&ryns xw) zugunsten des Lebens, Heils und der Gesundheit des Königs von Ober- und Unterägypten [(Traianus, der Retter). – Litanei (Nr. 209, 28): n As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) &A-sn.t xnt pr-$nmw Für Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Esna, an der Spitze des Hauses von Chnum, n As.t wr.t mw.t-nTr nb(.t) Hw.t-bA.w xntj.t Iwny.t für Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin des Hauses der Bas,2503 die an der Spitze von Iunit (Esna) ist, {n} n As.t wr.t mw.t-nTr Hrj(.t) s.t wr.t xntj(.t) pr-nTr für Isis, die Große, die Gottesmutter, die auf dem Großen Sitz ist, die an der Spitze von Per-Netjer ist, n As.t wr.t Hrj(.t)-ib Hw.t-TA.wj(?) xntj(.t) pr-sAH(.w)-Ra für Isis, die Große, die inmitten des Hauses der beiden Kinder ist, die an der Spitze des Hauses des Herankommens von Re ist.2504 Kommentar: In der Litanei wird Isis mithilfe der üblichen kulttopographischen Zuordnungswörter Hrj(.t)ib, xntj(.t) und nb(.t) mit verschiedenen Toponymen von Esna und den Heiligtümern dieses Ortes verbunden. Sie trägt dabei neben ihrem Eigennamen ansonsten nur ihre überregionalen nahen Beinamen „die Große, die Gottesmutter“. Andere Lokalitäten bzw. Kultorte außerhalb von Esna spielen in dieser kurzen Litanei hingegen überhaupt keine Rolle, wodurch sie sich von der wesentlich ausführlicheren Litanei an Osiris (auf der gleichen Säule) und den Litaneien der anderen Götter deutlich unterscheidet. Besonders bemerkenswert sind die ausgefallenen variierenden Schreibungen des Göttinnennamens, so vor allem im letzten Vers, wo die Hieroglyphen für die Laute i/A und s spiegelverkehrt wenig später die Ideogramme für %AH(.w)-Ra bilden. Wesentlich länger und elaborierter ist die Litanei für Nebetuu auf Säule 6:2505 Nebetuu wird zunächst – wie Isis in ihrer Litanei – Lokalitäten in bzw. bei Esna zugeordnet (Kol. 1– 10), dann erst mit Isis, „der Großen, der Gottesmutter, der Herrin des Hauses der Bas“ gleichgesetzt (11), danach mit diversen anderen ägyptischen Göttinnen (11–19; mit Unterbrechungen durch ergänzende Epitheta), teilweise bereits mit der Nennung bestimmter 2503 Vgl. Anm. 2486 oben. 2504 Beide Bezeichnungen sind Toponyme in Esna; laut GDG, S. 142, meinen beide das Stadtviertel von Esna, in dem sich der Tempel befindet, während in LGG V, 429a, erstere als Bezeichnung des Tempels oder eines Raumes in Esna gedeutet wird, zweitere in LGG V, 907b, als „Ortsname bei Esna“. 2505 Esna III, Nr. 241, S. 108–112; Übersetzung: SAUNERON, Esna VIII, S. 27–31.

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zugehöriger Kultorte. Es folgen verschiedene Eigenschaften der Nebetuu als Vegetationsgöttin (20–35), daraufhin eine Reihe von Göttinnen-Epitheta, die besonders typisch für Hathor oder Isis sind (36–52), einige durchmischte Epitheta, die sich v. a. auf einzelne Orte und Naturbereiche beziehen (53–59), abgeschlossen von einer langen Reihe von synkretistischen Verbindungen Nebetuu-Göttin NN plus eine kulttopograpische Zuordnung (60–89). Das Ende bilden nur noch zusammenfassende Bemerkungen, die auch für die anderen Litaneien typisch sind („Nebetuu unter all ihren Namen…“ etc.). Insbesondere der Teil mit den synkretistischen Verbindungen läßt sich dabei gut mit den kulttopographischen Litaneien für Isis und Hathor in Dendara (und Parallelen anderenorts) vergleichen.2506 4.11.1.1.B Ergänzende Texte in Ritualszenen u. a. Text/Hauptpublikation Esna II, Nr. 24, S. 61–63 Anbringungsort Esna, Chnum-Tempel, Ptolemäische Tempelfassade, 2. Reg., 3. Szene v. r. Bibliographie SAMBIN, Clepsydre, S. 189–191 Inhalt der Szene Ptolemaios VI. reicht ein wnSb-Symbol2507 an Isis. Text: – Beischrift der Isis (Nr. 24, 8–11): (Dd mdw in) As.t Nb.t-ww Hrj(.t)-ib Hw.t-bA.w (Rezitation durch) Isis-Nebetuu, die inmitten des Hauses der Bas ist, @r.t mrj(.t) @r aA(.t) weiblicher Horus, geliebt vom großen Horus,2508 rn wr m HA.t nTr.wt nb(.t) snD der große Name an der Spitze der Göttinnen, die Herrin der Furcht, aA(.t) sdA die mit großem Zittern (vor ihr), mdw n=s nTr.w m Dr.t=sn zu der die Götter mit ihren Händen sprechen (= im Anbetungsgestus), dwA-s(j) ^w Hr simA ib=s welche Schu anbetet beim Erfreuen ihres Herzens, ©Hwtj Hr sHtp Hm=s während Thoth ihre Majestät besänftigt. – Göttliche Randzeile (Nr. 24, 13): (nswj.t bj.tj.t) Hwnw.t Sps.t (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die junge Maid, die Edle, sDtj.t bs(.t) m Ra das Mädchen, das aus Re hervorkam,

2506 Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. I, 20, 14–21, 5; siehe Kap. 4.6.1–2. Siehe dazu NAGEL, One for All. 2507 Vgl. zu diesem Objekt den Text Edfu III, 69, 17–70, 3, Kap. 4.5.1.A, m. Anm. 916. 2508 SAMBIN, Clepsydre, S. 191, übersetzt „die Göttin, geliebt vom Gott“; vgl. aber Philae-Hymne 5, Kol. 2, und Paralleltexte: „weiblicher Horus, geliebt vom großen Horus“.

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nb.tj rxj.t HqA.t xnt sx.t die Beiden Herrinnen der Untertanen, 2509 die Herrscherin an der Spitze des Feldes,2510 xwj(.t) sn=s Wsjr xnt pr-nTr die ihren Bruder in Per-Netjer2511 beschützt, prj(.t) HA tp sw 10 nb Hr sfsf Aw Hr rA dwA.t StA.t die alle 10 Tage hervorkommt und Opfergaben darbringt am Tor der geheimen Unterwelt, As.t2512 wr.t mw.t-nTr gb.t bX n=s itn Isis, die Große, die Gottesmutter, der Himmel,2513 der die Sonnenscheibe für sich zur Welt bringt. Kommentar: Isis wird in dieser Szene wie häufiger in Esna mit der Feldgöttin Nebetuu identifiziert. Diese wird in Esna üblicherweise mit Geierhaube und Hathor-Hörnerkrone mit Uräus ohne weitere spezifische Merkmale dargestellt (z. B. Esna II, Nr. 62), ihre Ikonographie entspricht also der von Isis und Hathor. Nebetuu ist in sehr vielen Ritualszenen in Esna präsent, häufig als Partnerin von Chnum, und wird meist mit Isis gleichgesetzt, was aus ihren Epitheta deutlich hervorgeht. Andererseits hebt die Beischrift hier besonders den Aspekt der Gefährlichen Göttin hervor, die in Esna häufiger von Nebetuu verkörpert wird,2514 und von Schu und Thoth besänftigt werden muß. Die göttliche Randzeile beschäftigt sich außerdem mit der Ausübung des Schutzes und Totenkultes für Osiris, der zusammen mit anderen verstorbenen Ahnengöttern in der heiligen Stätte Per-Netjer, im „Feld“, begraben ist.2515 In der auch andernorts (z. B. Philae – Bigge) belegten 10-tägigen Prozession (Dekadenritual) bringt sie dort Opfergaben dar. Einen Kontrast zum Beginn der Randzeile, wo es heißt, daß Isis als junges Mädchen aus Re hervorkommt, bildet der Schluß, denn hier wird die Göttin – wie in den Tempelinschriften von Deir el-Schelwit2516 – als Himmel aufgefaßt, der wiederum die Sonnenscheibe gebiert. Isis ist damit gleichzeitig Mutter und Tochter des Sonnengottes.

2509 Ausführlich zu diesem Titel, den vornehmlich Isis und Hathor tragen: PREYS, Isis et Hathor, zu dieser Szene: S. 350. 2510 Vgl. die Rede der Isis in Esna III, Nr. 307bis, mit Anm. 2487, oben. 2511 Heiligtum der verstorbenen Götter im Norden von Esna, siehe SAUNERON, Esna I, S. 28. 2512 Man beachte die Schreibung des Namens mit dem iA.t-Hügel direkt im Anschluß an die Nekropolen-/ Unterwelt-Thematik. 2513 Zu Isis als Himmel vgl. den Text Deir Chelouit III, Nr. 156, Kap. 4.8.1.A. 2514 Vgl. dazu STERNBERG, Mythische Motive, S. 41–43. 2515 Hinweise darauf finden sich z. B. im Text Esna III, Nr. 345, wo es heißt, daß es um folgende Götter in der nördlich der Stadt gelegenen Nekropole geht: die große Seele des Kneph, Re, Schu, Geb, Osiris u. a., vgl. SAUNERON, Esna V, S. 45–46. 2516 Siehe oben, Kap. 4.8.

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Esna II, Nr. 71, S. 150–152 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Fassade, NordAnte, oberes Reg. – Vespasian „gibt das Haus an seinen Herrn“ vor Neith und Isis.

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 71, 10–12): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr Hrj(.t)-ib Hw.t-bA.w (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die inmitten des Hauses der Bas ist, Nb.t-ww pw xnt ww es ist Nebetuu an der Spitze des Fruchtlandes, HAp(.t) sn=s Wsjr m xnt abA=f die ihren Bruder Osiris verhüllt an seinem Opferstein (= Grabmal),2517 dwA.t StA.t pw [X]r axm.w=f es ist die geheime Unterwelt unter seinen Götterbildern, wn=f m xnw=s wenn er in ihrem Inneren ist. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna III, Nr. 266, S. 163–165 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Säule 8 – Pharao (Hadrian und Antoninus Pius)2518 tötet den Schlachtstier vor Menhuy („der Schlächter“, falkenköpfig, mit Hemhem-Krone) und Isis (zerstört).

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 266, 10–12): (Dd mdw in) As.t irj(.t) nfr.t (Rezitation durch) Isis, die Gutes tut, nb(.t) Pr-mAnw Sps.t [wsr.t …] die Herrin des ‚Hauses des Westgebirges‘,2519 die Edle [und Mächtige…], Rmnw.t (=Rnn.t) nfr.t Hnw.t npr nb(.t) sx.t [… … … …] die gute Renenutet, die Gebieterin des Korns, die Herrin des Feldes, […],

2517 Siehe dazu unten, Anm. 2526, zu Esna VI, Nr. 476. 2518 Siehe zu pluralischen Kaisernennungen (obwohl natürlich in den Szenen nur ein Pharao dargestellt wird) in Esna SAUNERON, Esna VI, S. 201 m. Anm. 1. 2519 Ortsname im 3. u.äg. Gau, siehe GDG II, 82. Dieses Epitheton ist sonst nicht für Isis belegt, aber noch einmal für Sachmet in Esna, außerdem heißt so eine der unterägyptischen Hathoren im Mammisi von Dendara, vgl. LGG IV, 54a–b. Ob hier aber wirklich eine unterägyptische Zuordnung gemeint ist?

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wAH(.t) ix.wt n sn=s m xnt abA.t die Opfergaben darbringt für ihren Bruder an der Spitze von Abet/des Opfersteins2520 Hna nTr.w [im=s?] zusammen mit den Göttern, [die darinnen sind(?)]. Kommentar: Isis wird unter ihrem Fruchtbarkeitsaspekt dargestellt, welcher sie wie in den Götterreden Esna III, Nr. 306 und Nr. 307bis mit Renenutet und Nebetuu verbindet. Wie auch in den beiden vorigen Szenen mit Isis (Esna II, Nr. 24 und Nr. 71) wird außerdem der Totenkult für Osiris und die Ahnengötter thematisiert. Die Signifikanz des ungewöhnlichen Epithetons „Herrin von Per-Manu“ im Zusammenhang mit dieser Szene ist unklar, zumal dieses Toponym im 3. u.äg. Gau zu lokalisieren ist. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna III, Nr. 360, S. 315–318 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Säule 15 KINNAER, Le mekes, S. 85–86 Domitian reicht ein Mekes mit Falkenkopf an Chnum, hinter dem schützend Isis-Nebetuu steht.

Text: – Beischrift der Isis-Nebetuu (Nr. 360, 13–15): (Dd mdw in) As.t Nb.t-ww xnt %x.t (Rezitation durch) Isis-Nebetuu, die an der Spitze des Feldes ist, MAa.t wr.t r gs $nmw die große Maat an der Seite von Chnum, xaj(.t) r HA tp sw 10 nb Hr sfsf Aw n sn=s Hna Htp.tjw die in einer Prozession herauskommt2521 alle 10 Tage und Opfer darbringt für ihren Bruder und die seligen Toten, r rnp bA.w=sn n mAA=s n(n) Ab ra nb so daß ihre Bas sich davon verjüngen, sie zu sehen, ohne Unterlaß, jeden Tag. Kommentar: Nochmals wird ausdrücklich auf Isis’ 10tägige Prozession zum Osiris-Grab hingewiesen, wo sie den Totenkult besorgt. Zusätzlich zum Dekadenfest findet jährlich ein solcher Festumzug im Rahmen des Festes am 30. Athyr statt.2522 In Esna III, Nr. 345, 14, auf Säule 14, heißt es in einer kurzen Beschreibung des Festes:2523 Abd 3 Ax.t arqj 3. Monat der Überschwemmungsjahreszeit, letzter Tag:

2520 2521 2522 2523

Siehe dazu unten, Anm. 2526, zu Esna VI, Nr. 476. Zu xaj r HA, siehe Wb III, 10, 6. Siehe dazu SAUNERON, Esna V, S. 45–46. Vgl. SAUNERON, Esna V, S. 45.

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irj xaj n As.t nb(.t) Ab.t(?) zur Prozession erscheinen lassen die Isis, Herrin von Abet(?),2524 prj(.t) r HA tp sw 10 nb die alle 10 Tage herauskommt… Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt der Szene

Esna VI, Nr. 476, S. 9–11 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Südwand, oberes Reg., 2. Szene v. l. – Esna VI, Nr. 527 (Beischrift der Isis) Septimius Severus reicht ein Gefäß mit kühlem Wasser an Isis und Harsiese.

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 476, 6–10): (Dd mdw in) As.t wr(.t) mw.t-nTr nb(.t) &A-sn.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Esna, Hrj(.t)-ib Hw.t-bA.w nTr.t aA.t xnt sx.t die inmitten des Hauses der Bas ist, die große Göttin an der Spitze des Feldes, Ax.t mnx.t n pr-nTr nb(.t) tx die Prächtige und Vortreffliche von Per-Netjer, die Herrin der Trunkenheit, mrj(.t) hrw nfr nb(.t) ibA bnr(.t) mr.wt die den schönen Tag (= Festtag) liebt, die Herrin des Tanzes, mit süßem Liebreiz, SAa.tw sb-tx n kA=s für deren Ka am Anfang das Weinopfer und die Trunkenheit gemacht wurden.2525 – Göttliche Randzeile (Nr. 476, 15): (nswj.t bj.tj.t) snhp(.t) H{Hr}pj m TpH.t=f (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die den Nil aus seiner Höhle aufsteigen läßt, swr(.t) n.t r-dj ib=s die die Flut ansteigen läßt soviel sie will, dj.n=s xdj(?) {n} m a.wj Ds=s sie veranlaßt das Stromabfahren (=fließen) auf ihren eigenen Armen, rA-a n nTr nb bis hin zu jedem Gott, As.t wr.t mw.t nb(.t) ab.t (=abA) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Aba.2526 2524 Das Toponym ist m. E. unsicher, da es hier ganz anders geschrieben ist als sonst; vgl. unten, Anm. 2526, zu Esna VI, Nr. 476. 2525 Der ganze Abschnitt hat eine Parallele in Esna VI, Nr. 527, 8–12, ebenfalls als Beischrift der Isis; siehe unten. 2526 SAUNERON, Esna VI, S. 10, Anm. e), bringt das mit einem Stadtdeterminativ versehene Wort ab.t in Zusammenhang mit dem Toponym &A ab.t n As.t, koptisch Tabenesi, das heutige Tafnis (el-Mataanah), welches sich 16 km nördlich von Esna befindet, siehe dazu S. SAUNERON, Villes et légendes

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Kommentar: Passend zur Gabe des kühlen Wassers in der Opferhandlung wird Isis in der Göttlichen Randzeile als Urheberin der Nilflut präsentiert, wodurch sie gleichzeitig der Hauptgöttin von Esna, Neith (vgl. die Verwendung der Bezeichnung n.t für die Flut in der Randzeile), angenähert wird. Die Beischrift dagegen scheint besser zu einem Weinopfer zu passen, was durch Esna VI, Nr. 527, 8–12 (s. u.), bestätigt wird, wo die gleiche Beischrift in einer Weinopferszene verwendet wird. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna VI, Nr. 494, S. 62–64 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Westwand, Südhälfte, 3. Reg., 1. Szene v. l. – Der Kaiser (Autokratores Kaisares Antoninus)2527 reicht anx Dd wAs an Osiris, Isis und Harsiese.

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 494, 12–14): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, Hrj(.t)-ib Hw.t-bA.w nb(.t) &A-sn.t die inmitten des Hauses der Bas ist, die Herrin von Esna, nTr.t aA.t xnt Hw.t-TA.wj die große Göttin an der Spitze des Hauses der beiden Kinder,2528 HqA.t n nTr.w tA nb.t-Dr n nTr.w dA.t die Herrscherin der Götter der Erde, die Allherrin der Götter der Unterwelt.2529 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna VI, Nr. 509, S. 97–100 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Nordwand, 1. Reg., 2. Szene v. r. – Caracalla reicht eine Girlande an Hathor und Isis, um sie umzubinden (Ts mAH).

d’Égypte (§ XV–XXIX), in: BIFAO 66, 1968, S. 11–35: 22–24; zur Lesung abA siehe EGBERTS, In Quest of Meaning, S. 127, 6). Vgl. auch die oben bearbeiteten Texte Esna II, Nr. 71 und Esna III, Nr. 266, wo von einem abA(.t) des Osiris die Rede ist, welches SAUNERON, loc. cit., S. 23, ebenfalls mit diesem Toponym in Verbindung bringt. Es handelt sich wohl um einen Teil des Heiligtumsbezirks von Pr-nTr. 2527 Gemeint ist Marc Aurel mit seinem Sohn und Mitregenten Commodus. Vgl. zu pluralischen Kaisernennungen oben, Esna III, Nr. 266, m. Anm. 2518. 2528 Zu diesem Toponym siehe oben, Anm. 2504. 2529 Neben Isis wird auch Neith, die Hauptgöttin von Esna, mehrfach so bezeichnet, vgl. LGG IV, 171a.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 509, 9–13): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr i(w)=s dj anx (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, indem sie Leben gibt,2530 Hrj(.t)-ib p.t wa(.t)(?)2531 […] n $nm ir.t Ra die im Himmel residiert, die Einzigartige(?), […] des Chnum, das Auge des Re, sHD(.t) tA.wj mH(.t) aH m nfr.w=s die die Beiden Länder erleuchtet, die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt, nb(.t) ihy aSA(.t) Hb nb.t tx […] die Herrin der Freude, mit zahlreichen Festen, die Herrin der Trunkenheit […], mrj(.t) nfr hrw (sic!) die den schönen Tag (= Festtag) liebt. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna VI, Nr. 523, S. 141–143 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Nordwand, 3. Reg., 2. Szene v. r. – Caracalla reicht ein Menit an Isis, hinter ihr ein Kindgott (Harpokrates); das Menit ist an einem Ende mit dem Oberkörper einer Sistren spielenden Hathor/Isis verziert.

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 523, 6–9): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, wDA.t nfr(.t) Hnw.t Hw.t-Htp das vollkommene Udjatauge, die Gebieterin des Hauses des Ruhens,2532 SpSj(.t) wsr.t n nb-Dr StA(.t) n.t Hm n Ra die Edle und Mächtige des Allherrn, die Geheime der Majestät des Re, nb.t sSS.wt Hnw.t mnj.t sxm.w die Herrin der sSS.t-Sistren, die Gebieterin des Menit und der sxm-Sistren, apr(.t) 2533 m itr.tj die mit Schmuck Ausgestattete in den Beiden Heiligtümern. – Göttliche Randzeile (Nr. 523, 12): (nswj.t bj.tj.t) ir.t Ra (Die Königin von Ober- und Unterägypten), das Auge des Re, MHnj.t m HA.t=f irj.w ix.wt xft wD.wt {wA} die Ringelschlange an seiner Stirn, gemäß deren Befehlen die Dinge getan werden, 2530 Zum Titel Lebensspenderin, der in Philae ein Haupttitel der Isis ist, siehe oben, Kap. 4.1. 2531 vor Lücke. 2532 Eine Bezeichnung des Tempels von Esna oder ein anderes Toponym im 3. o.äg. Gau? Lokalisierung unsicher, vgl. dazu LGG V, 195c; GDG IV, S. 115–116. 2533 Vgl. zur Ergänzung SAUNERON, Esna VI, S. 142 (Nr. 523), Anm. f), nach der Parallele in Esna VI, Nr. 565, 10.

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&A{wj}-mrj irj hA-snD n kA=s deren Ka von ganz Ägypten ehrfürchtig verehrt wird, As.t wr.t mw.t-nTr irj(.t) nfr nb.t mrw.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Gutes tut, die Herrin der Beliebtheit. Kommentar: Sowohl in Nr. 523 als auch in Nr. 509 wird Isis mit stark hathorisch gefärbten Epitheta bedacht, die sie mit Festfreude, Liebreiz und Trunkenheit in Verbindung bringen; in Nr. 509 ist sie tatsächlich auch die Begleiterin von Hathor, während in Nr. 523 das ursprünglich typisch hathorische Menit-Opfer den Ausschlag geben dürfte. Etwas nördlich von Esna, in Gebelein, hat der Hathorkult bereits eine Tradition, die in das AR zurückreicht.2534 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna VI, Nr. 525, S. 147–149 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Nordwand, 3. Reg., 4. Szene v. r. KINNAER, Le mekes, S. 86–87 Commodus reicht einen Mekes-Behälter an den thronenden Osiris, hinter diesem steht schützend Isis.2535

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 525, 13–16): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr nb.t &A-sn.t (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Esna, Hrj(.t)-ib Hw.t-bA.w nTr.t aA.t xnt sx.t die inmitten des Hauses der Bas ist, die große Göttin an der Spitze des Feldes. Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Parallelen Inhalt der Szene

Esna VI, Nr. 527, S. 153–155 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, innen, Westwand, Nordhälfte, 3. Reg., 1. Szene v. r. – Esna VI, Nr. 476 (Beischrift der Isis) Commodus reicht zwei Weinkrüge („Grünes Horusauge“) an zwei hintereinander thronende und ikonographisch identische Isiden.

Text: – Beischrift der 1. Isis (Nr. 527, 8–12): Parallele zur Beischrift in Nr. 476, s. o. – Beischrift der 2. Isis (Nr. 527, 13–15): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr i(w)=s rSw.tj (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, indem sie erfreut ist,

2534 DUNAND, Culte d’Isis I, S. 146. 2535 Vgl. die Mekes-Szene Esna III, Nr. 360, s. o.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Hrj(.t)-ib Pkr.t(?)2536 nb(.t) &A-sn.t Hnw.t ihy die inmitten von Pekert(?) ist, die Herrin von Esna, die Gebieterin der Freude, aSA.t Hb.w wHm(.w) tx n kA=s mit zahlreichen Festen, für deren Ka das Trinken wiederholt wird. – Göttliche Randzeile (Nr. 527, 17): (nswj.t bj.tj.t) Ax.t mnx.t xnt pr-nTr (Die Königin von Ober- und Unterägypten), die Prächtige und Vortreffliche an der Spitze von Per-Netjer, %x.t nfr.t sxp(r.t) ix.t nb(.t) m xnt=s die schöne Feldgöttin, die alle Dinge an ihrer Spitze entstehen läßt, nb(.t) SA.w THn(.t) wADwAD.w die Herrin der Feldpflanzen, die die Grünpflanzen (farbig) erleuchten läßt, sxp(r.t) irp iw/r sHaa [… … …] die den Wein entstehen läßt, um zu erfreuen […]. Kommentar: In der göttlichen Randzeile wird Isis wieder mit der Feldgöttin Nebetuu verbunden, obwohl deren Name nicht explizit genannt wird. Die Bezeichnung als %x.t „Feld(göttin)“ trägt sie auch in ihrer Selbstvorstellung in Esna III, Nr. 307bis. Hier stehen die Fruchtbarkeit und das Gedeihen der Felder im Vordergrund, die den größeren Sinn des Weinopfers bilden.2537 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna VII, Nr. 608, S. 159–161 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Westaußenwand, linke (nördliche) Hälfte, 4. (oberes) Reg., rechte Szene – Pharao (Commodus) überreicht ein Heh an Chnum, hinter dem Nebetuu und Isis stehen.

Text: – Beischrift der Nebetuu (Nr. 608, 8–9): (Dd mdw in) Nb.t-ww ir.t Ra (Rezitation durch) Nebetuu, das Auge des Re, Hrj.t s.t wr.t die auf/über dem großen Sitz ist; ib=s pw irj(.t) {pA}w n anx ihr Herz ist es, das den Lebensatem macht. – Beischrift der Isis (Nr. 608, 11–13): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-[nTr] (Rezitation durch) Isis, die Große, die [Gottes]mutter.

2536 Von SAUNERON, Esna VI, 155, mit einem sic kommentiert, da er offenbar eine Verschreibung aus (pA) Iw-rk „Philae“ annimmt. Ob vielleicht der Bezirk Poqer bei Abydos mit dem Osirisgrab gemeint ist? Auch dafür wäre die Schreibung allerdings ungewöhnlich. 2537 Zum Weinopfer siehe POO, Wine and Wine Offering, S. 24–25.

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Esna und weitere Tempel

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iw=s rSw Hrj-ib &A-sn.t nb(.t) Pqr Sie freut sich inmitten von Esna, die Herrin von Peker.2538 Text/Hauptpublikation Anbringungsort Bibliographie Inhalt der Szene

Esna VII, Nr. 611, S. 167–169 Esna, Chnum-Tempel, Römisches Hypostyl, Nordaußenwand, 3. Reg., 3. Szene v. l. – Pharao (Domitian) spendet Weihrauch vor der thronenden Isis.

Text: – Beischrift der Isis (Nr. 611, 7–10): (Dd mdw in) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, nb.t Hw.t-bA.w nTr.t aA.t nb(.t) sx.t die Herrin des Hauses der Bas, die große Göttin, die Herrin des Feldes, HqA.t aA.t m tA-Dsr isb.t die große Herrscherin in Ta-Djeser (= in der Nekropole), der Thronsitz, Hnw.t i[tr].tj is.tj die Gebieterin der Beiden He[iligtüm]er der Beiden Paläste (= Ägypten),2539 xaj nb Xr s.t-rA=s auf deren Ausspruch hin der Herr erscheint, mkj(.t) sn=s Wsjr m Xnw(?) n abA sA=f die ihren Bruder Osiris beschützt im Inneren von Aba,2540 (und?) seinen Sohn. 4.11.1.2 Esna: Gesamtkommentar zu den Texten und der Isis-Theologie des Heiligtums Hauptgottheit des Tempels von Esna, von dem nur noch der römerzeitliche Pronaos erhalten ist, war der Schöpfergott Chnum, der mit Neith und Heka eine Triade bildet. Isis spielt innerhalb des lokalen Pantheons zwar eine untergeordnete, jedoch keine geringe Rolle. Ein heute zerstörter kleiner Tempel mit Hathorsäulen, der sich direkt gegenüber des ChnumTempels auf dem rechten Nilufer befand (Kontralatopolis, heute El-Hilla), könnte vielleicht Isis gewidmet gewesen sein, da sie mehrfach in den teilweise in Hauswände des Dorfes ElHilla verbauten Reliefs dargestellt ist.2541 Eine große Bedeutung dürfte Isis im pr-nTr, dem Heiligtum des Osiris und der verstorbenen Ahnengötter im „Feld“ (sx.t), einem Bezirk nördlich des Esna-Tempels,2542 innegehabt haben. Diesem Heiligtum und dem Nekropolenbezirk wird sie regelmäßig in den Texten zugeordnet,2543 und sie bringt dort, wie auch an anderen Orten, beim Dekadenfest Opfer für ihren verstorbenen Brudergatten dar. Neben 2538 2539 2540 2541

Zu diesem Toponym, siehe oben, Anm. 2536 zu Nr. 527. Vgl. WILSON, Ptol. Lex., S. 113. Siehe oben, Esna, Nr. 476, m. Anm. 2526. Siehe SAUNERON, Esna I, S. 29; ABDEL-RAHMAN, Lost Temples, S. 6. Zur Unsicherheit der Identifizierung auch HAASE, Repertoire, S. 207. 2542 Siehe zum pr-nTr und seiner Umgebung ABDEL-RAHMAN, Lost Temples, S. 5–6. 2543 Esna, Nr. 307bis; 209; 24; 360; 525; 527; 611; vgl. auch Esna, Nr. 71; 266.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

dieser traditionellen Funktion gegenüber Osiris – Schutz und Vollzug des Totenkultes – tritt Isis in Esna in erster Linie als Königin und Herrschaftsüberträgerin sowie als Fruchtbarkeitsgöttin auf. Ersterer Aspekt wird dem Gesamtthema entsprechend natürlich in ihrer Rede im Geburtsdrama in den Mittelpunkt gestellt,2544 kennzeichnet aber z. B. auch die Beischrift der Szene Esna, Nr. 611. Das Hauptcharakteristikum der Isis in Esna scheint jedoch ihre Identifikation mit der lokalen Feldgöttin Nebetuu zu sein,2545 deren Eigenname („Herrin des Fruchtlandes“) ihre vorrangige Zuständigkeit für Fruchtbarkeit und Gedeihen anzeigt. Sie wird stark an die überregionale Göttin Isis(-Hathor) angeglichen, wie nicht nur die häufig parallelen bzw. direkt nebeneinander stehenden Nennungen beider Namen in den besprochenen Texten demonstrieren,2546 sondern auch die unspezifische Ikonographie der Nebetuu, die nur die Basiselemente der Isis- und Hathorkrone (Geierhaube, Kuhgehörn mit Sonnenscheibe, Uräus) aufweist. Isis(-Nebetuu) ist für die Nilüberschwemmung und das Gedeihen der Pflanzen verantwortlich, was aufgrund der Doppeldeutigkeit des Toponyms sx.t („Feld“) mehrfach in Verknüpfung mit dessen Nennung ausgeführt wird.2547 In diesem Zusammenhang wird sie auch mit Renenutet,2548 und als Verursacherin der Nilflut mit der lokalen Hauptgöttin Neith2549 identifiziert. Des weiteren ist Isis-Nebetuu auch eine Verkörperung des Sonnenauges und Tochter des Re.2550 Hier lassen sich die lokalen Göttinnen Tameret und Tairetperatum des Tempels von El-Qal‘a vergleichen, die ebenfalls das Sonnenauge verkörpern und mit Isis gleichgesetzt sind.2551 Andererseits wird Isis aber in einer Szene wie in Deir el-Schelwit als ‚Himmel‘ bezeichnet, aus dem der Sonnengott wiederum hervorgeht.2552 4.11.2 Kom Ombo Im Doppeltempel für Haroeris und Sobek in Kom Ombo spielt Isis eine recht untergeordnete Rolle; neben ihrer traditionellen Rolle als für den Totenkult sorgende Witwe des Osiris2553 wird sie vor allem mit Hathor identifiziert und tritt so als Partnerin des Sobek und Tochter des Re auf.2554 So wird z. B. in einer der zahlreichen Monographien des Tempels festgestellt:

2544 Esna, Nr. 307bis. 2545 Nebetuu ist besonders mit Esna verbunden, aber auch an anderen Orten mehrfach belegt, z. B. Kom Ombo, siehe LGG IV, 34c–36a. 2546 Esna, Nr. 306 (hier mit Hilfe der Namensformel mit Isis identifiziert); Esna, Nr. 241 (Opferlitanei für Nebetuu); Esna, Nr. 24 (Isis-Nebetuu); Esna, Nr. 71 (Isis, Nebetuu); Esna, Nr. 360 (Isis-Nebetuu). 2547 Esna, Nr. 306; 307bis; 266; 527. 2548 Esna, Nr. 306; 307bis; 266. 2549 Esna, Nr. 476. 2550 Esna, Nr. 24; 509; 523; 608; vgl. auch die Opferlitanei für Nebetuu Esna III, Nr. 241. Zu Nebetuu als Verkörperung des Sonnenauges bzw. besänftigtem Aspekt der Gefährlichen Göttin (als Gegenstück zur ‚wilden‘ Menhit) vgl. STERNBERG, Mythische Motive, S. 41–43. 2551 Siehe oben, Kap. 4.9. 2552 Esna, Nr. 24. 2553 Siehe z. B. Kom Ombos II, Nr. 613, 7–8: „Isis und Nephthys sind dort die Beiden Schwestern in Freude jeden Tag wegen dem, der angekommen ist (= Osiris).“ Dazu GUTBUB, Textes fondamentaux, S. 20 u. 27, Kom. y)–aa). 2554 Zu Isis in Kom Ombo auch ZAKI, Premier Nome, S. 192, allerdings ungenau und fehlerhaft.

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Esna und weitere Tempel

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As.t im m @w.t-@r Hr irj(.t) qbH.w n it=s Ra Isis ist dort als Hathor, die die Libation von frischem Wasser macht für ihren Vater Re. (GUTBUB, KO, Nr. 292, 16–17)2555 Komplementär zu dieser Aussage wird Hathor von Schedbeg, der Götternekropole von Ombos, umgekehrt auch als Wasser libierende Isis ausgedeutet: @w.t-@r nb(.t) ^dbg Hathor, Herrin von Schedbeg: As.t pw Hr irj(.t) qbH.w n it=s Ra das ist Isis, die das frische Wasser libiert für ihren Vater Re. (Kom Ombos II, Nr. 922, Beischrift d. Hathor)2556 In traditioneller Manier sorgt Isis(-Hathor) also auch hier für das Totenopfer. Nur selten erscheint Isis in den Ritualszenen des Tempels als Rezipientin; die Beischriften geben ihr jeweils den kulttopographischen Haupttitel nb.t Nbw.t „Herrin von Ombos“. Diesen trägt sie z. B. in einer Szene des Sistrum-Darreichens im Saal der Neunheit, während ihre übrigen Epitheta ihre Funktion gegenüber Osiris in den Vordergrund stellen: As.t wr.t mw.t-nTr nb.t Nbw.t Ax.t Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Ombos, die Wirkmächtige, sn[.t … … …] Wsjr sAx(.t) bA=f die Schwester […] des Osiris, dessen Ba sie verklärt. (GUTBUB, KO, Nr. 159) Im Opfersaal ist Isis in einer Ritualszene schützend hinter Sobek stehend dargestellt, mit der Beischrift: As.t nb(.t) Nbw.t Isis, die Herrin von Ombos, Hm.t-nswt tpj.t nj.t nswt-bjtj die Erste Königliche Gemahlin des Königs von Ober- und Unterägypten, Xnm.t Xnm(.t) Hna it=s die Vereinende, die sich mit ihrem Vater vereint, HAy.t wr.t Hwj(.t) xftj=sn die große Beschirmerin, die ihre Feinde schlägt. (GUTBUB, KO, Nr. 320) Nach der aus zahlreichen Texten bekannten Titulatur als Königsgemahlin – wenngleich der Name des Osiris bzw. Onnophris hier nicht ausdrücklich genannt ist – beziehen sich die folgenden Epitheta auf ihre Vereinigung mit ihrem Vater, dem Sonnengott und stellen sie damit als Verkörperung des Sonnenauges heraus. Als solche nimmt sie die in der Szene durch ihre Position und die abschließenden Titel betonte schützende und feindvernichtende Rolle ein.

2555 = Kom Ombos II, Nr. 709; siehe GUTBUB, Textes fondamentaux, S. 3. 2556 Vgl. GUTBUB, Textes fondamentaux, S. 15, Anm. az); zu Hathor-Isis als Herrin der Nekropole, deren Aufgabe es ist, für das Totenopfer zu sorgen, ibid., S. 489, Anm. i).

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

4.11.3 Athribis (Oberägypten) In dem unter Ptolemaios XII. errichteten Tempel der Repit und des Min(-Re) im oberägyptischen Athribis (9. o.äg. Gau), dessen Wandinschriften bisher noch nicht vollständig publiziert sind,2557 ist Isis die Mutter des Kindgottes @r-snDm-ib, einer lokalen Horusform, dessen Name regulär in Kartusche geschrieben wird.2558 Auch der zweite, prominentere lokale Kindgott Kolanthes, der vor allem mit Repit und Min eine Triade bildet, kann alternativ als Sohn von Isis und Osiris gelten.2559 Im ersten Sanktuarraum ist sie entsprechend beim Stillen ihres Sohnes dargestellt (Athribis II, D1, 7). Ein Text im Durchgang zwischen der Halle der Neunheit (C2) und dem ersten Sanktuarraum (D1) gibt eine Ansprache der Göttin wieder, die die Götter zum Lobpreis ihres Sohnes auffordert und diesen ihres Schutzes versichert: ink mw.t=k dj=i2560 m sA=k Ich bin deine Mutter Isis. Ich bin dein Schutz (?). n dj=i sxm awAy nb im=k Ich werde nicht zulassen, daß sich irgendein Räuber deiner bemächtigt. (Athribis II, D1, 17)2561 Auch im linken Türdurchgang zum zweiten Sanktuarraum (D2) befindet sich ein kurzer Text der Isis, der weit nach der Zeit Ptolemaios’ XII. angebracht wurde.2562 Am Türrahmen zum Sanktuar präsentieren zwei übereinander stehende Szenen je eine kurze Titelreihe der Isis. Sie ergänzen sich gegenseitig, indem sie ihre Abstammung von Geb respektive Nut angeben: (Dd mdw jn) As.t wr.t mw.t-nTr (Rezitation durch) Isis, die Große, die Gottesmutter, Sps.t wsr.t prj(.t) m Gbb die Edle und Mächtige, die hervorgekommen ist aus Geb. (Athribis II, C 2, 16)2563 (Dd mdw jn) As.t dwA.t smsw.t n mw.t=s Nw.t (Rezitation durch) Isis, das Klageweib, die Älteste ihrer Mutter Nut. (Athribis II, C 2, 17)2564 Es scheint, daß in Athribis ähnlich wie in den nubischen (Kap. 4.3) und anderen Tempeln die osirianische Familie den lokalen Hauptgöttern als zweite Triade zur Seite gestellt wurde,2565 was auf ihre zentrale und überregionale Bedeutung ‚im ganzen Land‘ verweist. 2557 Die Publikation erfolgt durch ein Kooperationsprojekt der Universität Tübingen (unter Leitung von C. LEITZ) und des SCA. Siehe auch W. M. F. PETRIE, Athribis, British School of Archaeology in Egypt and Egyptian Research Account 14, London 1908. 2558 Siehe EL-SAYED/Y. EL-MASRY, Athribis I, S. 11 u. 13; LEITZ/MENDEL/EL-MASRY, Athribis II, 1, S. XI; LGG VI, 406b–c. 2559 EL-SAYED/Y. EL-MASRY, Athribis I, S. 11; vgl. zu den beiden Kindgöttern auch bereits A. SCHARFF, Ein Denkstein der römischen Kaiserzeit aus Achmim, in: ZÄS 62, 1927, S. 86–110: 89–91. 2560 Schreibung für tw=i, d. h. neuägyptisches/demotisches Präsens I (hier Adverbialsatz)? 2561 Vgl. LEITZ/MENDEL/EL-MASRY, Athribis II, 1, S. XXVII. 2562 Siehe LEITZ/MENDEL/EL-MASRY, Athribis II, 1, S. XXX. 2563 Athribis II, S. 410; Taf. 40: Tür zum Sanktuar, rechter Türrahmen, 1. Reg. 2564 Athribis II, S. 413; Taf. 41: Tür zum Sanktuar, rechter Türrahmen, 2. Reg.

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Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis

4.12

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Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis

Bis auf den Isis-Tempel von Behbeit el-Hagar (Kap. 4.4) sind alle erhaltenen Tempel mit auführlichen Hymnen und Inschriften für Isis in Oberägypten oder sogar Nubien (Kap. 4.3) zu verorten. In Unterägypten ist dagegen von den Heiligtümern der griechisch-römischen (aber auch der früheren) Zeit nur wenig übriggeblieben, was detaillierten Aufschluß über die dortige Verehrung und lokalen Charakteristika der Göttin geben könnte.2566 Dennoch wissen wir aus diversen anderen, unter anderem auch griechischen Quellen, daß der Isiskult gerade z. B. in Memphis und vielen Orten im Delta, z. B. Sebennytos, Busiris und Bubastis eine starke Präsenz hatte bzw. zu den Hauptkulten zählte.2567 So erweist die griechische Isisaretalogie der Stadt Bubastis im Text Reverenz,2568 und einige Versionen (Kyme und Andros) bezeichnen sich selbst in der Einleitung als Abschrift einer vor dem Ptah-Tempel von Memphis aufgestellten Stele,2569 was – ganz unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage2570 – Memphis als ein Zentrum des Isiskultes auszeichnet. Aufgrund seiner zentralen Bedeutung sollen die für Isis dort belegten Heiligtümer hier exemplarisch zur Sprache kommen. Wenngleich uns Wandinschriften aus großen Heiligtümern fehlen, lassen sich zumindest einige vereinzelte, teils auch bereits vorptolemäische Inschriften und andere Zeugnisse zu Kult und Charakter der Isis von Memphis zusammentragen. 4.12.1 Memphis Für Memphis hat in dieser Hinsicht besonders BERGMAN wichtige Arbeit geleistet, da er versuchte, den Bezug der griechischen Isis-Aretalogie zum religiösen und politischen Milieu von Memphis und des dortigen Isiskultes aufzuzeigen, den er anhand verschiedener und teils außermemphitischer Quellen (die sich aber auf Memphis beziehen) rekonstruiert.2571 4.12.1.1 Nekropolen Nach MÜNSTER, die sich nur mit den älteren Epochen der ägyptischen Geschichte beschäftigt hat (AR–NR), beginnt sich der Isiskult in Memphis ab dem NR insbesondere in den Nekropolen abzuzeichnen, wo sie als Göttin des Westens und der Nekropole verehrt wird.2572 Speziell in Giza besaß sie als „Gebieterin der Pyramide“ (As.t Hnw.t mHr) minde2565 Vgl. die Beschreibung einiger Szenen und Gauprozessionen des Tempels mit Isis, Osiris und einem Kindgott als Kultempfänger sowie einiger weiterer lokaler Inschriften bei EL-SAYED/Y. EL-MASRY, Athribis I, S. 12. 2566 Vgl. zu dieser Problematik QUACK, „Ich bin Isis …“, S. 328. 2567 Es sei hierfür auf die unten besprochenen Informationen aus kulttopographisch-mythologischen Handbüchern (Kap. 4.13) sowie demotischen und griechischen Quellen (Kap. 6) verwiesen. 2568 Kyme: RICIS 302/0204, M 11 (ebenso Ios: RICIS 202/1101; Thessaloniki: RICIS 113/0545; Kassandreia: RICIS 113/1201 (Suppl. I)); Andros: RICIS 202/1801, Z. 3 u. 25; Diod., I, 27, 4. Siehe dazu den Versuch von BERGMAN, Isis-Seele, zur Assoziation der Kulte von Isis und Bastet; kurze Bemerkung auch bei QUACK, „Ich bin Isis …“, S. 346. Siehe ausführlich zur Memphitischen Isisaretalogie unten, Kap. 6.6. 2569 Kyme: RICIS 302/0204, Z. 2. Andros: RICIS 202/1801, Z. 3–6. 2570 M. E. gibt es freilich keinen Grund, diese Erklärung in Zweifel zu ziehen. 2571 BERGMAN, Ich bin Isis. 2572 MÜNSTER, Isis, S. 181–184.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

stens von der 21. Dyn. an bis in die Spätzeit einen Tempel bzw. eine Kapelle nahe der Cheops-Pyramide, wie die in den Überresten des Baues gefundene sog. ‚Inventory Stela‘ (auch ‚Stele der Tochter des Cheops‘, wohl aus der 26. Dyn.) und einige Inschriften der Spätzeit zeigen.2573 Wie der Rufname der Stele anzeigt, enthält diese Angaben und Darstellungen des Tempelinventars, darunter Abbildungen von mehreren Isis-lactans-Figuren und einer Barke der Göttin. Auch ein erhaltenes Wandrelief des Kultbaues zeigt die Göttin mit dem Horuskind auf ihrem Schoß, und die teilweise noch lesbare Beischrift bezeichnet sie als: mw.t-nTr nb.t p.t Hn.wt nTr.w Gottesmutter, Herrin des Himmels, Gebieterin der Götter.2574 Hierbei handelt es sich um den Vorläufer von einer ihrer Haupt-Titelreihen, die z. B. im Tempel von Dendara noch häufig belegt ist (Kap. 4.6, vgl. 5.1); Tatsächlich wird Isis in den Inschriften der Inventarstele auch mit Hathor gleichgesetzt, deren Kopfschmuck sie in der Barkendarstellung trägt („Isis, die Gottesmutter, Hathor, die Gebieterin des Himmels“; „Isis, die Große, die Gottesmutter, die Gebieterin der Pyramide, Hathor, die in ihrer Barke ist.“).2575 Des weiteren ist die Form „Isis-Selket/Skorpion“ (As.t srq(.t)) auf der Stele erhalten,2576 außerdem Isis-Meschenet, Isis „auf dem großen Sitz“ und „Isis vom Mammisi“.2577 Eine Vielfalt an Erscheinungsformen der Isis und die Identifikation mit anderen Göttinnen wie Hathor und Selket macht sich hier bereits bemerkbar.2578 Opferszenen auf noch erhaltenen, wiederverbauten ramessidischen Säulenfragmenten zeigen Isis in Verbindung mit Ptah, Sokar und Osiris,2579 an deren Kult der ihrige wohl angeschlossen war. Bereits einige Stelen der 18. Dyn., die Isis darstellen bzw. ihr gewidmet sind, könnten auf eine frühere Existenz eines Kultes in diesem Bereich, evtl. in Verbindung mit dem des Sphinx (Harmachis), hindeuten.2580 Eine davon, die heute verschollene Stele des Prinzen Amenemope (wohl ein Sohn Amenophis’ II.), zeigt Isis in einer Art Kiosk unterhalb des Sphinx thronend.2581 Sie trägt die (besonders in dieser Zeit) recht ungewöhnlichen Epitheta: As.t wr.t mw.t-nTr Hnw.t nTr.w Isis, die Große, die Gottesmutter, die Gebieterin der Götter,

2573 Siehe MÜNSTER, Isis, S. 182–183; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 243; ZIVIE-COCHE, Temple d’Isis à Giza; EAD., Giza (bes. zur Baugeschichte): Es handelte sich ursprünglich um die Kapelle der südlichen Königinnenpyramide, die dann zu einer Isiskapelle umgebaut wurde. Zur ‚Inventory Stela‘ ausführlich ZIVIE-COCHE, Giza, S. 218–246; Taf. 39–40. F. TIRADRITTI, The Return of Isis in Egypt. Remarks on some Statues of Isis and on the Diffusion of her cult in the Greco-Roman World, in: A. Hoffmann (Hrsg.), Ägyptische Kulte, S. 209–225: 214, schließt daraus, daß die Nebenpyramide als Grab der Isis betrachtet wurde, was sicherlich falsch ist. 2574 MÜNSTER, Isis, S. 183. 2575 ZIVIE-COCHE, Giza, S. 225 u. 228. 2576 ZIVIE-COCHE, Giza, S. 125 u. 230. Vgl. zu Isis-Skorpion (besonders in Oberägypten auch Isis-Hededet) Kap. 4.4–5; und GOYON, Hededyt. 2577 ZIVIE-COCHE, Giza, S. 229 u. 231. 2578 Vgl. auch ZIVIE-COCHE, Giza, S. 236 u. 243. 2579 ZIVIE-COCHE, Temple d’Isis à Giza, S. 123. 2580 Vgl. ZIVIE-COCHE, Temple d’Isis à Giza, S. 121–122; EAD., Giza, S. 21–42. 2581 ZIVIE-COCHE, Giza, S. 21–22.

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Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis

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wa.t m p.t nn sn.nw=s tpj.t n Itm die Einzigartige im Himmel, deren Zweite es nicht gibt, die Erst(geboren)e des Atum. In der 26.–27. Dynastie belegen Graffiti die Aktivität einer Priesterfamilie, die sowohl für den Kult der Isis als auch für den der Könige der 4. Dynastie zuständig war.2582 Möglicherweise war die Kapelle auch in der Ptolemäerzeit noch in Betrieb.2583 Auch in Sakkara besaß Isis mehrere Tempel oder Kapellen, die verschiedenen Aspekten gewidmet waren. Von ihrer zunehmenden Bedeutung bereits in der 18. Dyn. zeugt eine Inschrift im Grab der Maïa, der Amme des Tutanchamun: Die Göttin wird bezeichnet als aSA(.t) rn.w m njw.wt spA.wt „diejenige mit zahlreichen Namen in den Städten und Gauen“,2584 was ihre universelle Präsenz in Ägypten, unter verschiedenen Erscheinungsformen, ausdrückt.2585 Damit bietet dieses Grab den ersten Beleg für das Isis in späterer Zeit häufig zugeschriebene Epitheton aSA(.t) rn.w.2586 Nach Ausweis von demotischen Papyri war im Nekropolenbereich von Sakkara pA irpy n As.t nb(.t) anx-tA.wy „der Tempel der Isis, Herrin von Anchtaui“ situiert.2587 Er befand sich den Angaben in einem der Papyri zufolge im Süden der Nekropole, in der Nähe von zwei Felsgräbern, und besaß einen ihm zugeordneten Wachposten (tA rsy(.t) n pA irpy n As.t nb(.t) anx-tA.wy). Diese geographische Beschreibung schließt also eine Identifizierung mit der unter Nektanebos errichteten Kapelle der Isis, Mutter des Apis, und des Osiris-Apis in Sakkara-Nord aus, welche mit Grabkammern der verstorbenen Apis-Mütter verbunden war. 2588 In der Umgebung der letzteren Kapelle wurden zahlreiche Inschriften mit persönlichen Bitten an Isis, Mutter des Apis, und Osiris-Apis gefunden.2589 Innerhalb des Sarapeionsbezirks, nördlich des Dromos, ist eine weitere Kultstätte der Isis zu verorten: der

2582 2583 2584 2585 2586

ZIVIE-COCHE, Temple d’Isis à Giza, S. 124; EAD., Giza, S. 136–171. ZIVIE-COCHE, Temple d’Isis à Giza, S. 124. ZIVIE, Tombe de Maïa, Taf. 33. Vgl. dazu NAGEL, One for All. Vgl. auch QUACK, Irrungen, Wirrungen, S. 449. BRICAULT, Isis Myrionyme, war dieser Beleg noch nicht bekannt, weshalb er ibid., S. 68, konstatierte, daß Isis erstmals in ptolemäischer Zeit so genannt worden sei. 2587 pLeiden I 379, Z. 3; vgl. pLouvre E 3266, Z. 4 (hier nur „Tempel der Isis“ erhalten); siehe MARTIN, Demotic Papyri, S. 50 u. 174 (Text 9). Vgl. das Isis-Epitheton nb(.t) wAD.tj m anx-tA.wj „die Herrin der beiden Uräen in Anchtaui“ in Philae-Photo 1297 (Kap. 4.1.1.A). 2588 Vgl. MARTIN, Demotic Papyri, S. 50. Siehe zur Kapelle und den Grabkammern der Apis-Mütter DAVIES/SMITH, Sacred Animal Temples, S. 116; SMITH/ANDREWS/DAVIES, Sacred Animal Necropolis; DEVAUCHELLE, Osiris, Apis, Sarapis, S. 54; THOMPSON, Memphis, S. 30–31; vgl. auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 251–256. 2589 DAVIES/SMITH, Sacred Animal Temples, S. 122–123 u. 126, Anm. 21; RAY, DO Saqqara, bes. DO Saqqara 1 (Gebet an Isis, Mutter des Apis, um Beistand nach widerfahrenem Unrecht), DO Saqqara 2 (Selbstdedikation(?) an Osiris-Apis und Isis, Mutter des Apis, aus der Perserzeit), DO Saqqara 31– 50 (Weihungen an Osiris-Apis), DO Saqqara 51–77 (Weihungen an Isis, Mutter des Apis); vgl. auch zusammenfassend ibid., S. 359–363; H. S. SMITH, Saqqara Papyri, S. 367–368; und DAVIES/SMITH, Demotic Papyri: Götterbriefe und Orakelanfragen an Osiris-Apis und Isis, Mutter des Apis, aus dem Zeitraum des 5. Jhs. bis zur ersten Hälfte des 3. Jhs. v. Chr.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

„Hügel der Isis vom ‚Haus dessen an der Spitze des Nun‘“ (sbt(.t) n As.t n pr-xnt-Nn).2590 In diesem Heiligtum wurde die Göttin in der Saiten- bis Ptolemäerzeit gemeinsam mit Ptah verehrt, was durch zahlreiche erhaltene Priestertitel gut belegt ist. 2591 Nicht weit vom Sarapeion waren außerdem ein Anubieion sowie ein Bubasteion situiert,2592 was die enge Assoziation der entsprechenden Kulte (Isis, Sarapis/Apis, Anubis, Bastet, außerdem Ptah und Thoth2593) in Memphis demonstriert. Exkurs: Die Tunika von Sakkara (Taf. I) In Sakkara, in einem Sarkophag bei der NO-Ecke der Pyramide des Teti, wurde zudem eine mit vier großen religiös-kultischen Szenen verzierte Tunika gefunden, die in der Vergangenheit in der Forschung häufig als ‚liturgisches Gewand‘, ‚Ritualgewand‘ o. ä. angesprochen und unterschiedlich interpretiert wurde.2594 Das Kleidungsstück läßt sich anhand des ägyptischen, aber bereits deutlich durch griechisch-römische Elemente (bspw. der Nimbus mit sieben Strahlen um den Kopf des Phönix) geprägten Stils sowie des Inhalts der Darstellungen und der Gewandform in das 1.–2. Jh. n. Chr. datieren.2595 Es handelt sich bei den Darstellungen in erster Linie um Szenen der zyklischen Regeneration und des Sonnenkreislaufes, die verschiedene Erscheinungsformen des Sonnengottes zeigen (Phönix, zwei krokodilsgestaltige Mischwesen, anthropomorph mit vier Widderköpfen, Widder).2596 Diese 2590 Siehe P. W. PESTMAN/J. QUAEGEBEUR/R. L. VOS, Recueil de textes démotiques et bilingues II, Leiden 1977, S. 4; LEAHY, Beer for the Gods, S. 384–387; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 247–250; THOMPSON, Memphis, S. 29; M. SANDMAN-HOLMBERG, The God Ptah, Lund 1946, S. 217–219; zur Lesung M. SMITH, The Liturgy of Opening the Mouth for Breathing, Oxford 1993, S. 64–65, Anm. zu Z. 12 (b). Bei dem Namen pr-xnt-Nn könnte es sich nach LEAHY um eine Reinterpretation des älteren xnt-Tnn.t handeln, das in den älteren Epochen als kulttopographischer Beiname von Ptah und Isis in Sakkara belegt ist. Zur alten memphitischen Kultstätte *nn.t und den Belegen zur dortigen Verehrung der Isis und des Osiris siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 247–250. 2591 Siehe die Belegliste bei LEAHY, Beer for the Gods, S. 382–383, mit Zusammenfassung der Priestertitel auf S. 387: So besaß Isis einen Propheten, einen Stundenpriester, einen Schreiber, eine Sistrumspielerin und einen Wab-Priester. 2592 Siehe D. G. JEFFREYS/H. S. SMITH, The Anubieion at Saqqâra I. The Settlement and the Temple Precinct, London 1988; L. L. GIDDY, The Anubieion at Saqqâra II. The Cemeteries, London 1988; A. ZIVIE, Découverte à Saqqarah. Le vizir oublié, Paris 1990; ID., Une stèle tardive récemment découverte dans la zone du Boubasteion à Saqqarah, in: Clarysse/Schoors/Willems (Hrsg.), Egyptian Religion I, S. 287–294. 2593 Zu Thoth und Isis in Sakkara vgl. unten, Kap. 6.2.1.1 und 6.5.1.2 zum Archiv des Hor. 2594 Kairo JE 59117. Siehe zu diesem Gewand und der Interpretation der einzelnen Szenen: PERDRIZET, Tunique liturgique; L. KÁKOSY, Das Krokodil als Symbol der Ewigkeit und der Zeit, in: MDAIK 20, 1965, S. 116–120: 118; ID., Tunique solaire; VAN DEN BROEK, Phoenix, S. 238–246; LASKOWSKAKUSZTAL, Tunique liturgique; NAUERTH, Tunika, m. Taf. 18; und TALLET, Fabrique des rites; zusammenfassend BRICAULT, Cultes isiaques, S. 441; eine neue ausführliche Analyse wurde rezent von LABRIQUE, Tunique historiée, vorgelegt. Die zwei unteren Szenen sind vollständig erhalten, die zwei oberen dagegen in der Mitte zerstört. 2595 Teilweise wird es aufgrund der Phönix-Darstellung genau in das Jahr 139 n. Chr. bzw. zumindest unter Antoninus Pius datiert, siehe PERDRIZET, Tunique liturgique, S. 110–113; NAUERTH, Tunika, S. 160; VAN DEN BROEK, Phoenix, S. 238–246. TALLET, Fabrique des rites, S. 149–150, kommt in ihrer neueren Studie jetzt allerdings auf ein Datum erst im 3. Jh. 2596 Vgl. KÁKOSY, Tunique solaire; LASKOWSKA-KUSZTAL, Tunique liturgique, S. 363–366; VAN DEN BROEK, Phoenix, S. 241–248; zum Inhalt der Szenen im Detail rezent TALLET, Fabrique des rites, S. 150–155; LABRIQUE, Tunique historiée.

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Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis

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werden von weiteren Gottheiten begleitet, die sie anbeten, beschützen oder eine Gabe überreichen. Auf der einen Seite (Seite A nach LABRIQUE) wird in beiden Szenen Maat und die zyklische Erneuerung der Weltordnung sowie des Sonnenkreislaufes thematisiert. 2597 In einem der Bildfelder (auf Seite B nach LABRIQUE) ist das zentrale Emblem aber das einer im Papyrusdickicht knienden Isis, die eine Hathorkrone mit Doppelfedern (‚Basileion‘) und ein mit Sternen dekoriertes Gewand trägt.2598 Aufgrund des Papyrusdickichts würde man eine klassische Isis-lactans-Szene mit dem Horuskind erwarten, doch stattdessen ist hier ungewöhnlicherweise eine Schlange um Leib und Hals der Göttin gewunden, die sie zusätzlich mit beiden Händen festhält. Der Kopf ist mit einer Atefkrone bekrönt und befindet sich direkt gegenüber dem Gesicht der Isis. Anhand von Parallelen, besonders aus Alexandria,2599 muß die Schlange eine Erscheinungsform des Osiris bzw. Sarapis-Agathodaimon meinen. Die Art, wie die menschengestaltige Göttin und der schlangenförmige Gott dargestellt sind – die Gesichter berühren sich fast und das Schwanzende der Schlange kommt genau auf Isis’ Schoß zu liegen – läßt m. E. eindeutig an eine Vereinigungs- bzw. Zeugungsszene denken.2600 Vermutlich wird hier die Zeugung des Horus als (weiterer) Form des neugeborenen Sonnengottes angedeutet. Die tägliche Regeneration der Sonne ist in den Darstellungen des Gewandes wie häufig mit dem Osiris- bzw. Totenkult verbunden,2601 der durch die Präsenz zweier Schnabelkannen, auf denen sich je eine Kobra aufrichtet, visualisiert wird. Sie befinden sich in den das zentrale Papyrusdickicht-Emblem desselben Bildfeldes umrahmenden Seitenszenen. Diese Hydriaform, die wohl die belebenden Libationen symbolisiert und wie hier häufig mit Isis und Osiris in Verbindung steht, taucht ebenso wie einige der anderen auf dem Kleidungsstück verwendeten Elemente auf verschiedenen Funerärmaterialien der Römerzeit, unter anderem auf Särgen und Leichentüchern, auf.2602 2597 LABRIQUE, Tunique historiée, S. 235–240. 2598 Abgebildet z. B. bei MERKELBACH, Isis regina, S. 667, Abb. 206; TALLET, Fabrique des rites, S. 150–151, m. Abb. 1; Umzeichnung bei KÁKOSY, Tunique solaire, S. 194. LABRIQUE, Tunique historiée, S. 242, zufolge handelt es sich bei der Krone um das „Attribut der Isis-Sothis“, allerdings sind hier die kürzeren Kuhhörner der Hathorkrone dargestellt, nicht die typischen langen Antilopenhörner, die Sothis z. B. in der unteren Szene auf der anderen Seite des Gewandes trägt (zusammen mit weißer Krone und kleiner Sonnenscheibe). 2599 Siehe unten, Kap. 6.2.10.1. 2600 Man vergleiche die Szenen der Vereinigung zwischen Königin und Gott im Zyklus des königlichen Geburtsmythos im NR (siehe z. B. BRUNNER, Geburt des Gottkönigs, Taf. 4 (Szene IV L)): Wenngleich dort beide Partner menschengestaltig dargestellt sind, sind die Parallelen der inniglichen Berührung und der einander zugewandten Gesichter m. E. evident. Bereits PERDRIZET, Tunique liturgique, denkt bei der Schlange an (Sarapis-) Agathodaimon von Alexandria und bezeichnet Isis hier als „amoureuse“; so auch die Deutung von TALLET, Fabrique des rites, S. 155–159, mit detaillierter Besprechung; ähnlich LABRIQUE, Tunique historiée, S. 242. Vgl. dazu auch BUDDE, Götterkind, S. 401, Anm. 586, und S. 406, Anm. 618, die ebenfalls an eine Zeugungsdarstellung denkt. 2601 Eine ähnliche Kombination von Motiven des Sonnenkreislaufs bzw. Sonnenaufgangs mit osirianischen Motiven und Figuren des Osiriskreises findet sich z. B. auch auf Osiris-Kanopos-Skulpturen, siehe z. B. BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 323, S. 712 (J. F. QUACK). Zu diesen Skulpturen siehe unten, Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, 63–65, außerdem Kap. 6.2.5.3 und 6.2.10.2–3. 2602 Für einen Vergleich der Einzelmotive mit denen auf Leichentüchern, siehe LASKOWSKA-KUSZTAL, Tunique liturgique, S. 363–365. Zur ‚Isis-Hydria‘ siehe KOEMOTH, Hydrie isiaque; WILD, Water, S. 103–113; GENAILLE, Eau sacrée, S. 301–303; MALAISE, Ciste et hydrie, bes. S. 143–155; ID., Terminologie, S. 59–63; KNAUER, Urnula; vgl. auch NAGEL, Kult und Ritual, S. 167. Zu verwandten

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

In der stark zerstörten oberen Szene ist möglicherweise Isis als Weberin, d. h. in ihrer Rolle als Bekleiderin und Schützerin des Osiris bzw. des Verstorbenen mit Leinenstoffen, dargestellt.2603 Diese in der ägyptischen Ikonographie einmalige Darstellung verbindet Isis nach LABRIQUE möglicherweise mit Persephone, die in der griechischen Mythologie ebenfalls als Weberin agiert.2604 Aufgrund der Parallelen zu anderen kontemporären Funerärmaterialien möchte ich das Textil mit LASKOWSKA-KUSZTAL2605 eher als Totengewand denn als ‚Liturgie‘- oder ‚Sakralgewand‘ bzw. gar ‚Mysteriengewand‘ verstehen.2606 4.12.1.2 Memphitische Isisheiligtümer außerhalb der Nekropolen (?) Ein großes und „sehenswertes“ memphitisches Isisheiligtum wird erstmals von Herodot (II, 176) erwähnt, der die Erbauung Amasis zuschreibt.2607 Aus dessen Regierungszeit datieren auch die älteste Stele der Apismutter-Kühe (siehe dazu oben) sowie weitere Denkmäler des Isis- und Osiriskultes,2608 was auf eine Förderung oder Etablierung dieser Götter in Memphis unter diesem Herrscher schließen läßt. Archäologisch ist das genannte Isisheiligtum nicht zu identifizieren, was m. E. eher dafür spricht, daß es sich im Stadtgebiet, d. h. nicht im Bereich der Nekropolen, befand. Eine weitere literarische Quelle, Polyainos, berichtet, daß der Isistempel – womit aufgrund seiner Größe und Berühmtheit noch der von Herodot

2603

2604

2605 2606

2607 2608

Gefäßen im abydenischen Totenkult der frühen Kaiserzeit siehe KOEMOTH/RADELET, Hydrie abydénienne. Vgl. auch TALLET, Fabrique des rites, S. 160–166 u. 171–176, allerdings offenbar in Unkenntnis der entscheidenden Beiträge von KOEMOTH (und RADELET). Ausführlicher dazu und zu Isis in der kaiserzeitlichen Funerärkunst unten, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs). LASKOWSKA-KUSZTAL, Tunique liturgique, S. 367–369; LABRIQUE, Tunique historiée, S. 247–248. Zu erkennen sind im Zentrum der Szene noch die Fäden des Webrahmens sowie eine Hand, die das Webschiffchen führt, und die Füße mit dem unteren Rand des Kleides einer weiblichen Person. Zu Isis (-Schentait) als Weberin siehe oben, Kap. 4.5.2. LABRIQUE, Tunique historiée, S. 247–251 u. 258; und F. LABRIQUE/I. PAPADOPOULOU, Les déesses au métier: Isis et Perséphone tisserandes, in: Donum natalicium digitaliter confectum Gregorio Nagy septuagenario a discipulis collegis familiaribus oblatum. A virtual birthday gift presented to Gregory Nagy on turning seventy by his students, colleagues, and friends, 2012 (online: http://chs. harvard.edu/CHS/article/display/4835), wo auch auf die entsprechende Parallelisierung von Balsamierung und Regeneration des Osiris mit dem Raub der Persephone in Kom el-Schugafa/ Alexandria hingewiesen wird. LASKOWSKA-KUSZTAL, Tunique liturgique, S. 369. So wird es bezeichnet bzw. interpretiert von NAUERTH, Tunika, S. 160; KÁKOSY, Tunique solaire, S. 196: beide denken an eine eventuelle Verbindung zu der von Apul., Met. XI, 24, beschriebenen ‚Stola Olympika‘ des neu eingeweihten Mysten. Zu Apuleius’ Roman siehe unten, Kap. 8.2. Als Gewand, das in seinen Szenen die bei der Einweihung vermittelte Doktrin des Isiskultes (den hieros logos) symbolisch darstellt, auch bei TALLET, Fabrique des rites, S. 165–170, interpretiert. Etwas allgemeiner bezeichnet LABRIQUE, Tunique historiée, S. 256–257, es als Liturgiegewand zur Verwendung bei Festen oder Initiationsritualen. BRICAULT, Cultes isiaques, S. 440–441, verbindet die Tunika mit der in anderen Quellen erwähnten Bezeichnung heptastolos „mit sieben Mänteln“, die Isis’ Herrschaft über die sieben Planeten symbolisieren soll (siehe dazu M. MARCOVICH, Isis with Seven Robes, in: ZPE 64, 1986, S. 295–296). PERDRIZET, Tunique liturgique, S. 113–114, sieht das Kleidungsstück als liturgisches Gewand des heliopolitanischen Sonnenkultes. Vgl. THOMPSON, Memphis, S. 31; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 242; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 123. Vgl. den ebenfalls unter Amasis erfolgten Bau des früheren Isistempels von Philae, siehe Kap. 4.1.2. Vgl. THOMPSON, Memphis, S. 31; T. ZAKÉYA, Amasis à Memphis: détails sur le culte memphite d’Osiris et d’Isis, in: Hawass (Hrsg.), 8th International Congress II, S. 527–533.

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Nicht erhaltene Isis-Heiligtümer in Unterägypten – Memphis

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erwähnte gemeint sein dürfte – fünf Stadien vom Königspalast entfernt war.2609 Allerdings gibt es keine genaueren Angaben bezüglich der Himmelsrichtung o. ä., weswegen BERGMAN durchaus eine Lokalisierung in Richtung der Nekropolen erwägt.2610 Er möchte außerdem den bei Herodot, II, 122, genannten Tempel der Demeter, der sich demnach 20 Stadien außerhalb der Stadt befunden habe, als einen weiteren Isistempel (unter dem Decknamen ihres auch sonst oft bei Herodot genannten Äquivalents)2611 interpretieren,2612 was ich jedoch für zweifelhaft halte. Aufgrund der hohen ionischen und karischen Präsenz in Memphis seit der Regierungszeit des Amasis ist die Existenz eines tatsächlichen Demeterheiligtums in dieser Epoche durchaus nicht unwahrscheinlich.2613 Ein weiterer, privater und daher möglicherweise kleiner Tempel für Sarapis und Isis wurde einer griechischen Dedikationsinschrift aus Mitrahina zufolge von einem Apollonios und seiner Frau Demetria im Namen von Ptolemaios III. und Berenike II. gestiftet, doch auch hier ist die Lokalisierung unbekannt.2614 Vor allem durch Priestertitulaturen ist der Kult einer speziellen, memphitischen Isisform, As.t xsbD(.t) tp „Isis mit Lapislazulikopf“ beziehungsweise As.t xsbD.t „Isis, die Lapislazulifarbene“ belegt. 2615 Dieser Name könnte sich nach BERGMAN auf eine entsprechende Kultstatue mit Edelsteinen beziehen, andererseits aber mit der aus den kulttopographischen Litaneien bekannten memphitischen Isisbezeichnung „(das) Jahr“ (Rnp.t) 2616 zusammenhängen, da Lapislazuli in ägyptischen Texten häufig mit dem Neujahr und der Fruchtbarkeit der Felder assoziiert wird.2617 Des weiteren ist Isis als „Herrin von %mn-MAa.t“ belegt, einem Heiligtum wohl im Süden von Memphis, in dem neben Isis auch Ptah und Thoth als Hauptgötter verehrt 2609 2610 2611 2612 2613 2614 2615

Polyainos, Stratagemata, 7, 3; vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 242. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 242–243. Z. B. Herodot II, 59. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 244. Zur Verehrung von Demeter in Ägypten, vor allem ab ptolemäischer Zeit, siehe THOMPSON, Demeter. OGIS 64; siehe DUNAND, Culte d’Isis I, S. 125. Siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 245–247; LGG I, 76b; V, 953c–954a: auch Hathor wird aber häufig in Tempelinschriften als xsbD(.t) tp bezeichnet. 2616 Siehe Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen; oben, Kap. 4.6.1.A. 2617 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 246, m. Anm. 3, der dafür speziell Dend. VI, 35, 9–10, zitiert, wo Isis in einer Pflanzen-überreichen-Szene als nsw(j.t) bjtj(.t) wr.t m Iwn.t snfr(.t) sx.t m wbn nb(.t) tp-rnp.t Hnw.t SmA(y).w sTHn sx.t Xr wADwAD mfk(.t) in(m) xsbD(.t) tp As.t wr.t mw.t-nTr „Königin von Ober- und Unterägypten, die Große in Dendara, die das Feld bei (ihrem) Aufgang schön macht, die Herrin des Jahresanfangs, die Gebieterin der Wanderdämonen, welche das Feld mit den Pflanzen glänzen läßt, mit Malachithaut und Lapislazulikopf, Isis, die Große, die Gottesmutter“ bezeichnet wird. Vgl. außerdem die Säuleninschriften des Mammisis von Philae (Philä II, 244–247, Kap. 4.1.1.B), in denen Isis als „Farbenreiche“, „Lapislazuli[farbene?]“, „Türkisfarbene“ u. a. bezeichnet wird, wobei der Kontext den Schutz vor feindlichen Einflüssen thematisiert, der auch beim Jahreswechsel ja eine wichtige Rolle spielte. Zu Isis und Lapislazuli im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit und der Nilschwemme vgl. weiterhin Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Dend. VI, 2, 21–4, 6, Kap. 4.6. S. AUFRÈRE, De Dendara a Montserrat: Isis à la tête de lapis-lazuli et la Vierge noire de Catalogne: points de convergence, in: Nilus, Butlletí de la Societat Catalana d‘Egiptologia 6, 1997, S. 15–23: 16, schreibt die Bezeichnung der Isis „mit dem Kopf aus Lapislazuli“ als Gegenstück zu „Hathor mit Türkisgesicht“ den Mondphasen Neumond vs. Vollmond zu, doch überzeugen mich AUFRÈREs Theorien zur lunaren Symbolik nicht.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

wurden.2618 Ursprünglich befand sich an diesem Ort wohl außerdem ein Hathorkult und heiligtum, und zwar der „Herrin der Sykomore“, die nach BERGMAN dann möglicherweise von Isis abgelöst wurde.2619 Rein hypothetisch ist aber seine Erwägung, daß – aufgrund der passenden Maat-Thematik – das von Nigidius Figulus genannte Adyton, in das der König bei der Inthronisation durch einen Isispriester eingeführt wird, gerade in diesem Heiligtum zu lokalisieren sein könnte. 2620 Interessanterweise wird Isis aber in der kurzen kulttopographischen Litanei von Philae-Photo 1297 gerade in Letopolis, dem Nachbargau des Memphites, mit ‚Maat‘ identifiziert.2621

4.13

Ergänzende hieroglyphische und hieratische Texte zur Kulttopographie und Mythologie (Handbücher und Gaumonographien)

In Ergänzung zu den Wandinschriften der Tempel liefern umfangreiche, auf Papyrus erhaltene Handbücher in hieroglyphischer oder hieratischer Schrift, die aus Tempelbibliotheken stammen dürften, systematisch gesammelte und geordnete Informationen zur Mythologie und Kulttopographie, teilweise auch Liturgie, einzelner Gaue und Orte. Dabei handelt es sich einerseits um Gaumonographien für ganz Ägypten, die entsprechend stark kategorisiert und vereinheitlicht sind, andererseits um Sammlungen kultischen Wissens über einzelne Regionen, die detailreicher gestaltet sind. In einem Fall ist der Textträger kein Papyrus, sondern ein Soubassement im Tempel von Edfu, wodurch die enge Verbindung zwischen handbuchartigen Textvorlagen und monumentaler Realisierung an den Tempelwänden apparent wird. Isis und der Osiriskreis spielen in diesen kulttopographisch strukturierten Texten, die Mythen oftmals in Form von Ätiologien für bestimmte Orte oder lokale Materia sacra referieren, naturgemäß eine zentrale Rolle. Der aus der schlechten Erhaltung von Tempeln in Unterägypten und im Fayum resultierende Mangel an Quellen zum Kult der Isis in diesen Regionen 2622 kann durch die Papyrusmanuale zumindest zum Teil wieder ausgeglichen werden.

2618 Siehe dazu BERGMAN, Ich bin Isis, S. 257–258; GDG V, S. 36; J. QUAEGEBEUR/A. RAMMANTPEETERS, Un relief memphite d’époque ptolémaïque de l’héritage de William Fox Talbot, in: GM 148, 1995, S. 71–90: 75–76, Anm. j), u. 78–79; LGG IV, 128b (die Belege dieses Epithetons sind alle für Isis). 2619 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 257. 2620 Ap. Schol. ad Germanici Aratea (Edition A. SWOBODA, P. Nigidii Figuli operum reliquiae, Amsterdam 1964 (Nachdruck, Originalausgabe Wien – Prag 1889), S. 123, 8–10); BERGMAN, Ich bin Isis, S. 258. 2621 Siehe oben, Kap. 4.1.1.A. 2622 S. o., Kap. 4.12.

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Handbücher und Gaumonographien

4.13.1

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Übergreifende kulttopographische und mythologische Handbücher

4.13.1.1 Kulttopographische Litaneien für Isis und Hathor pTebt. H I Ein hieratischer Papyrus des 2. Jhs. n. Chr. (pTebt. H I) aus der Tempelbibliothek von Tebtynis enthält eine fragmentarisch erhaltene Version einer kulttopographischen Litanei2623 der Art, wie sie im Hathor- und Isistempel von Dendara in ausführlicher Form begegnet.2624 Der Text bildet hier eine Rubrik innerhalb eines Kompendiums priesterlichen Wissens und ist in einen größeren Abschnitt (III) zu Materia sacra eingeordnet. Nur ein Bruchteil einer Sektion, die Erscheinungsformen der Göttin in Städten des Deltas aufzählt, ist gut erhalten, wobei ihre Namen durch die Formel „A ist ihr Name in Stadt B“ mit den Orten verknüpft werden, im Gegensatz zu dem einfacheren „A in Stadt B“ in der langen Litanei des Isis-Tempels von Dendara.2625 Erhaltener Text (unter Auslassung der Glossen): X 1, 3: […].t2626 m[…]2627 […](Göttin xy) in […](?) […] wr [SsA.t(?)]2628 […] groß [?] X 1, 5: [BAs].t2629 bA pw n Hm (n) As.t2630 [Bastet]: Das ist der Ba der Majestät von Isis, 2623 OSING, Hieratische Papyri I, S. 163–164; Taf. 13: Papyrus I (pCarlsberg 180 + pBerlin P. 10465 und 14475 + PSI I 76), X 1, 3–3, 2. Im Textband, S. 163, gibt OSING fälschlich X 2, 3–4, 2 an, vgl. aber die tatsächliche Textverteilung auf Taf. 13. Zur Datierung siehe OSING, Hieratische Papyri I, S. 38. 2624 Dend. I, 20, 14–21, 5 und Dend. Isis, 78, 16–79, 5, Kap. 4.6.1–2. Siehe dazu und zum vorliegenden Text auch NAGEL, One for All. 2625 Die Version im Haupttempel von Dendara (siehe vorige Anm.) besitzt eine etwas lockerere Form und wechselt zwischen beiden Formeln. 2626 Deutlich die Endung eines Göttinnennamens, mit . 2627 Diese Zeilenreste werden von OSING, Hieratische Papyri I, S. 163, überhaupt nicht gelesen, wohl versehentlich, da er statt dessen die nächste Zeile als X 2, 3 (= X 1, 3) bezeichnet, und somit für dieses Fragment mit der Zeilenzählung im Textband um eine Stelle nach vorn gerutscht ist (Zeilen 3–5 anstatt 3–6). 2628 Mögliche Ergänzung nach der Glosse, vgl. OSING, Hieratische Papyri I, S. 164, a). Laut LGG ist jedoch kein Göttername mit der Kombination wr(.t) SsA… belegt. 2629 Aufgrund der folgenden theologischen Erklärung halte ich es für sehr wahrscheinlich, daß der Göttinnenname zu ‚Bastet‘ zu ergänzen sein dürfte, da dieser auch in anderen Texten ätiologisch als BA(n)-As.t verstanden wird, vgl. z. B. die Version der Litanei im Isis-Tempel Dendara (Dend. Isis, 78, 16–79, 5) und die geographische Liste in Edfu: Edfu I, 335, 4–5, siehe unten, Kap. 4.13.1.2. 2630 Aufgrund der über die Zeile geschriebenen Glosse, die OSING, Hieratische Papyri I, S. 163–164, m. Anm. b), als Hm=s wiedergibt, möchte er auch im Haupttext Hm=s statt Hm As.t lesen, wobei er die Schreibung des Namens „Isis“ hier als singuläre Schreibung für das Suffix-Pronomen =s erklärt, da der Göttinnenname wahrscheinlich zuvor genannt wurde. Diese Erklärung ist m. E. sehr umständlich und unwahrscheinlich; in der Glosse folgt hinter dem s noch etwas (schlecht erkennbar), zudem dürfte die Glosse entweder eine Erklärung oder lautliche Wiedergabe des Zeilentextes sein. GOYON, Rituel du sHtp %xmt, S. 99, dagegen erklärt die Version des Manuskriptes für einen Fehler, der durch die Glosse korrigiert wurde.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

[…] r wp.t rnp.t nfr.t […] um das gute Jahr zu eröffnen.2631 X 2, 1: StA.t rn=s m BAs[.t] WAD[.t] rn=s m P2632 ‚Die Geheime‘ ist ihr Name in Bubastis, Uto ist ihr Name in Pe, _pj.t rn=s m [_p] N[.t] rn=s m %A Depet ist ihr Name in Dep, Neith ist ihr Name in Sais, WADw.t rn=s [m] Im.t Uto ist ihr Name in Imet (Tell el-Faraoun), Hnw.t wa[.t (?)]2633 rn=s [m ¢nt-IA]b.t.t ‚Einzigartige Gebieterin‘ ist ihr Name im Vorderen Ostgau (= 14. u.äg. Gau),2634 X 2, 5: [email protected] rn=s m [w]w Ra-nfr Nebethetepet ist ihr Name im Bezirk von Ranefer,2635 ¢nsj.t rn=s m IAb.t.t Chenset ist ihr Name im Ostgau. Darauf folgt ein kleiner Abschnitt über die Namen der vier Himmelsstützen (X 2, 7–11), und dann ein nur am Anfang erhaltener Text über den Himmel selbst (X 2, 12–13). Die Zeilen 15–21 von X 2 sind nicht erhalten. Anschließend werden wieder Namen von Göttinnen bzw. Erscheinungsformen einer Göttin aufgezählt, wobei die genaue Zuordnung dieses Abschnittes nicht klar ist: X 2, 22: […] &f[nw.t] pw […] Das ist Tefnut. [… I]mn.t(?) Nw.t pw [… A]maunet. Das ist Nut. [… p]w […] Das ist […] Im nächsten Fragment X 3, 1–2 werden nach dem Rubrum „Throne der Beiden Länder“ die religiösen Hauptstädte Theben, Heliopolis und Memphis genannt, anschließend als „Sitze der Götter“ Himmel, Erde und Unterwelt – beides Bereiche, die gerne in Epithetareihen, Hymnen oder Litaneien systematisch einer Gottheit, wie z. B. auch Isis, zugeordnet werden. In der folgenden Zeile beginnt ein der Isis-Litanei sehr ähnliches, aber besser erhaltenes Kapitel mit der Aufzählung von Erscheinungsformen der Hathor2636 unter dem Titel [rx] 2631 Vgl. die Version der Litanei in Dend. I, 20, 14–21, 5: wbn(.t) m wp-rnp.t r wp rnp.t nfr.t. Siehe auch OSING, Hieratische Papyri I, S. 165, Anm. d). 2632 Die Version der Litanei in Dend. Isis, 78, 16–79, 5, hat: Py.t m P. 2633 Die Lücke scheint etwas groß zu sein, um nur das Ende des Wortes zu enthalten. Möglicherweise folgte aber noch ein Göttinnendeterminativ. 2634 Vgl. zu dieser Isisform im 14. u.äg. Gau, bes. in Sile: VANDIER, Iousâas II, S. 131 u. 167–169. Siehe auch LGG V, 172c–173a. 2635 Ort im Ostdelta, wohl in der Nähe von Bubastis und/oder Tanis, siehe GDG III, S. 130; LGG IV, 627b. Ausführlich zur Göttin Nebethetepet: VANDIER, Iousâas I–IV; LGG IV, 111–112; REFAI, Nebet-Hetepet. Vgl. auch den Isis-Beinamen Nebethetepet im Stundenbuch: FAULKNER, Book of Hours, 18, 21. Diese und die vorige Angabe fehlen in den Dendara-Litaneien. 2636 X 3, 3–X 4, 7; OSING, Hieratische Papyri I, S. 166–170; Taf. 13–14. Bisher ist keine Parallele dieses Textes bekannt, siehe ibid., S. 167, a).

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Sps.wt nTrj.wt m @[email protected] „Zu kennen die Edlen (= Göttinnen), die göttlich sind als Hathoren“:2637 Erhaltener Text: X 3, 3: [rx] Sps.wt nTrj.wt m @[email protected] [Zu kennen] die Edlen (Göttinnen), die göttlich/heilig sind als Hathoren: [ir] @w.t-@r nb.t Iwn.t [Betreffs] Hathor, der Herrin von Dendara: ir.t Ra pw [rdj.t] n=s Iwn.t m DbA [Iwnw]2638 Das ist das Auge des Re, dem Dendara [gegeben wurde] als Ersatz für [Heliopolis]. X 3, 5: [ir] @w.t-@r [email protected] Hm.t n [Ra] Dr.t{j}=f [Betreffs] Hathor Nebethetepet, die Gemahlin des [Re], seine Hand, Hnw.t tA.wj [nb.t?] die Gebieterin der Beiden Länder,2639 [die Herrin?] a.wt(?) nb [Dr.t] pw n Ra m xt ihAd=f im=s allen Viehs(?):2640 Das ist [die Hand] des Re, nachdem er sich mit ihr befriedigt hat.2641 ir Mr.t [^m]a ir.t Ra pw Betreffs Meret von [Oberägy]pten: Das ist das Auge des Re.

2637 Bemerkenswerterweise wird für Hathor ausdrücklich der Plural verwendet; vgl. pLeiden I 347, 9, 1– 2, wo der Plural offensichtlich für „Göttinnen“ steht: „Oh jeder Gott in seinem Tag, oh jede Hathor in ihrem Tag…“, siehe M. MÜLLER, Ausgewählte Beschwörungen, in: Janowski/Wilhelm (Hrsg.), TUAT N. F. 4, S. 259–293: 270; und YOYOTTE, Monumentale litanie, S. 61, der die Stelle im Kontext der weiblichen Chronokratoren, die Formen der Göttin sind, zitiert. Ich danke J. F. QUACK herzlich für den Hinweis. Ein Grund für die Verwendung des Plurals an der obigen Stelle könnte auch der sein, daß die Mehrzahl der Hathor aufgrund der sieben Hathoren durchaus üblich war. Besonders in griechisch-römischer Zeit agieren diese auch als Musikerinnen für Hathor und wurden schließlich als Manifestationen der Hathor an verschiedenen Kultorten verstanden (vgl. BONNET, RÄRG, S. 282; DAUMAS, Temple d’Hathor, S. 24; GUGLIELMI, Die Göttin Mr.t, S. 92–100), was wiederum exakt zu dem Kontext des Tebtynis-Textes paßt. Soweit mir bekannt ist, wird Isis in solchen Listen jedoch niemals im Plural genannt. 2638 Zu ergänzen nach der Parallele in Edfu I, 39, 8: rdj n=s Iwn.t r sbj.tw Iwnw „der Dendara als Ersatz für Heliopolis gegeben wird“, vgl. auch LGG IV, 735a. OSING, Hieratische Papyri I, S. 168, b), war diese Parallele noch nicht bekannt. 2639 Vgl. zu diesen üblichen Bezeichnungen der Nebethetepet VANDIER, Iousâas I, S. 78; ID., Iousâas II, S. 123–127. 2640 Die Lesung und Ergänzung dieses Epithetons ist äußerst unsicher, zumal es laut LGG sonst nicht belegt ist, vgl. auch OSING, Hieratische Papyri I, S. 168, Anm. c). Zumindest für Atum gibt es jedoch einen Beleg als „Herrn des Viehs“, LGG III, 593c. 2641 Zum Verb (i)h(A)d, siehe OSING, Hieratische Papyri I, S. 168, Anm. d). Zu der engen Verbindung der hier aufeinanderfolgenden Formen Hathor von Dendara und Hathor-Nebethetepet von Heliopolis vgl. auch eine Szene am Isistempel von Dendara: Dend. Isis, 351–352, Taf. 280, wo Hathor die Krone der Nebethetepet trägt, siehe dazu CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 251. Zur Schöpfung durch Masturbation mit der Hand des Sonnengottes, die als weibliche Gottheit bzw. weiblicher Aspekt des Sonnengottes personifiziert wird, nach heliopolitanischer Kosmogonie siehe auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 123–124.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Mr.t MHw ir.t @r pw Meret von Unterägypten: Das ist das Auge des Horus.2642 ir @w.t-@r nb.t Kpnj Betreffs Hathor, der Herrin von Byblos: Hm.t n Ra pw Hr dSr.t sjDas ist die Gemahlin des Re im Ausland. Das -ar(.t) kA=f pw ist die, die seinen Ka aufsteigen läßt.2643 X 3, 10: ir @w.t-@r nb.t psD Betreffs Hathor, der Herrin des Leuchtens:2644 &fnw.t pw sA.t Itm nb.t tfn Das ist Tefnut, die Tochter des Atum, die Herrin der Freude.2645 ir @w.t-@r nb.t &p-iH Betreffs Hathor, der Herrin von Atfih: As.t pw [mw.t] n.j.t @r […] Das ist Isis, [die Mutter] des Horus. [Eine Statue?]2646 snj X.t=s pw ist es, deren Leib (bzw. deren Kopf)2647 abgeschnitten wurde Hna rdj.t n=s DADA [n id.t] Hr nHb.t[=s iw sAq] und der der Kopf [einer Kuh] auf [ihren] Hals gegeben wurde, [um] X.t=s j[n] psD.t […] ihren Leib (ihren Kopf) (wieder) [zusammenzufügen] dur[ch] die Neunheit […].2648 Die Zeilen 14–18 fehlen, in den folgenden drei Zeilen sind jeweils nur Reste des Anfangs ir @w.t-hr erhalten. Darauf folgt: X 3, 22: [ir @w.t]-@r [nb.t] ^s.tj Nb.t-Hw.t [pw …] [Betreffs] Hathor, [der Herrin] von ^s.tj:2649 [Das ist] Nephthys. [ir @w.t]-@r [nb.t] arw.w[…] [Betreffs Hat]hor, [der Herrin] der arw-Bäume2650 […]

2642 Zu Meret und ihren im Text zugewiesenen Eigenschaften siehe GUGLIELMI, Die Göttin Mr.t, bes. S. 201–211 und 226–229. 2643 Für diese Bezeichnungen der Hathor gibt es keine Parallelen, siehe LGG V, 137c. 2644 Auch dieses Epitheton ist ansonsten unbekannt, siehe LGG IV, 58c, und kann daher auch nicht geographisch eingeordnet werden. Vgl. aber den häufigen Beinamen von Hathor (und anderen Göttinnen) als psD.t „die Leuchtende“, vgl. LGG III, 129c–133b. 2645 Ebenfalls ohne Parallelen, trotz des naheliegenden Wortspiels, vgl. LGG IV, 162b. 2646 Ergänzungsvorschlag von OSING, Hieratische Papyri I, S. 169, Anm. l), nach „Horus und Seth“ (pChester Beatty I, 9, 9–10). 2647 So die besser passende Glosse (snj tp=s). 2648 Diese mythologische Episode, nach der Horus Isis den Kopf abgeschlagen hat, wird speziell mit Atfih verbunden und in diversen Texten erwähnt, siehe unten, Kap. 4.13.2–4. 2649 Ein Ort im 17. o.äg. Gau, wo sonst jedoch bisher kein Hathor- oder Nephthys-Kult bezeugt ist, vgl. OSING, Hieratische Papyri I, S. 170, Anm. o). Zum Ortsnamen VANDIER, pJumilhac, S. 158, Anm. 152.

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[…]n=f m mw […] rn{n} n wab[=s(?) …] […] ? im Wasser […] der Name(?) [ihres?] Wab-Priesters2651 […] X 4, 1: bw.t=f TAj inHAs [n] sSn.w Sein Abscheu ist es, Blütenblätter von Lotusblumen abzureißen.2652 ir @w.t-@r nb.t As.t p[w] Betreffs jeder Hathor: Das [ist] Isis.2653 ir @w.t-@r wr.t Hm.t n Ra [pw Betreffs Hathor, der Großen: [Das ist] die Gemahlin des Re. Htp]=s s.t=f m Ax.t imn.t.t Iwnw Sie [nimmt] seinen Platz [ein] im westlichen Horizont von Heliopolis m rn=s [pfj n] @w.t-@r Nb.t-[@tp].t As.t pw in [jenem] ihrem Namen Hathor Nebet[-Hetep]et.2654 Das ist Isis. X 4, 5: ir @w.t-@r nb.t ax.wj Betreffs Hathor, der Herrin von El-Siririya (‚Die beiden Kohlenbecken‘): [As.t p]w(?) @w.t-@r nb.t &p.t\2655 Das [ist Isis].2656 Hathor, die Herrin […]. 2650 nb.t arw ist als Name der Chronokratin des II. Ax.t 20 bekannt, siehe LGG IV, 32b. Mit der Pluralschreibung könnte jedoch auch ein (nicht lokalisierbarer) Ortsname gemeint sein, vgl. OSING, Hieratische Papyri I, S. 170, Anm. p); KOEMOTH, Osiris et les arbres, S. 179. Der arw-Baum, der botanisch bisher nicht identifiziert ist, wird in ägyptischen Texten häufig mit dem Osirismythos und seinem Grab in Verbindung gebracht, vgl. BAUM, Arbres et arbustes, S. 326; DERCHAIN, Papyrus Salt 825, S. 159–161, Anm. 45; KOEMOTH, Osiris et les arbres, S. 179–193, der den Baum versuchsweise mit Acacia seyal identifiziert; und I. RÉGEN, À propos d‘une mention de l’arbre arw dans le chapitre 151 A du Livre des Morts, in: Aufrère (Hrsg.), Encyclopédie religieuse II, S. 299–317; ALTMANN, Kultfrevel, S. 143–144; TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 164, i); JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 69–70. Vgl. z. B. die Legende des 14. o.äg. Gaues nach PSI I 72, 3, 22–4, 10, s. u., Kap. 4.13.1.2, derzufolge der Leichnam des Osiris dort unter einem arw-Baum gefunden wird. 2651 Hier wird die Struktur des vorhergehenden Textes aufgebrochen, indem zusätzliche Informationen zur Kulttopographie eingefügt werden. Vgl. z. B. die Angabe von Titeln der wab-Priester einzelner Gottheiten in den Abschnitten zu einzelnen Städten im pJumilhac, z. B. 21, 7. 2652 Dieses Tabu ist m. W. ansonsten nicht bekannt, siehe z. B. P. MONTET, Le fruit défendu, in: Kêmi 11, 1950, S. 85–116; S. H. AUFRERE, Les interdits religieux des nomes dans les monographies en Égypte. Un autre regard, in: J.-M. Marconot/S. H. Aufrère (Hrsg.), L’interdit et le sacré dans les religions de la Bible et de l’Égypte, Actes du Colloque Montpellier, le 20 mars 1998, Montpellier 1998, S. 69– 113; TLA, Belegstellen für das Lemma 55150 (bw.t), aufgerufen am 02.11.2011. 2653 Es besteht die sehr geringe Möglichkeit, daß hier bloß wie im übrigen Text eine weitere Form der Hathor, genannt „Hathor, die Herrin“ gemeint ist, doch ist dies m. E. sehr unwahrscheinlich, da die übrigen Phrasen sehr viel länger und spezifischer sind und zudem oft ein Toponym enthalten. Des weiteren bildet dieser Satz offenbar die Einleitung eines neuen Textabschnittes, da die Aufzählung der Hathor-Formen zuvor durch den Einschub mit den zusätzlichen kulttopographischen Angaben unterbrochen wurde, vgl. Anm. 2651. 2654 Vgl. zu dieser Hathorform bereits oben X 3, 5. 2655 OSING, Hieratische Papyri I, S. 167, transliteriert unkommentiert nb.t p.t, obwohl er auf Taf. 14A hinter nb.t keine Hieroglyphen mehr transkribiert, sondern die Zeichenreste faksimiliert hat. Auf dem Foto des Originals Taf. 14 sind die Zeichen nicht wirklich erkennbar, zumal der Papyrus an dieser Stelle auch etwas zerstört ist. 2656 Vgl. zu dieser lokalen Hathorform des 17. o.äg. Gaues LGG IV, 33c, und besonders pJumilhac, 2, 23–25, und 21, 23, wo sie ausdrücklich mit Isis und Sachmet identifiziert wird, siehe unten, Kap. 4.13.3.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

ir @w.t-@r nb.t In(r).tj Nw.t pw Hm.t n Gbb Betreffs Hathor, der Herrin von Gebelein: Das ist Nut, die Gemahlin des Geb.2657 ir @w.t-@r nb.t @w.t-sxm [Nb.t-Hw.t] pw Betreffs Hathor, der Herrin von Diospolis parva: Das ist [Nephthys].2658 Die Struktur der einzelnen Sätze ist komplexer als in der Isis-Litanei, und sie geben jeweils eine theologische Erklärung an. Hinter der Abfolge der einzelnen Manifestationen läßt sich kein Schema erkennen,2659 abgesehen davon, daß Dendara als Hauptkultort an erster Stelle genannt wird; neben Orten in Ägypten ist zusätzlich Byblos aufgenommen, wo der Hathorund Isiskult eine lange Tradition hat. 2660 Einige Hathorformen weisen überhaupt keine explizite geographische Zuordnung auf. Auffällig ist aber, daß trotz der Überschrift, die Hathor als die hinter den einzelnen Formen stehende Göttin benennt, im Mittelteil festgestellt wird: „Betreffs jeder Hathor: das ist Isis.“2661 Da der Satz auf einen Einschub in dem ansonsten klar strukturierten Text folgt,2662 scheint er einen neuen Abschnitt einzuleiten, der die zuvor unterbrochene Aufzählung der Hathorformen fortführt, die nun pauschal mit Isis identifiziert werden, was bei der ersten Göttin, Hathor, die Große, Nebethetepet, auch nochmals wiederholt wird. Diese zweite „Strophe“ ist parallel zur ersten aufgebaut und greift zumindest die zuvor bereits erwähnte Hathorform Nebethetepet, die Gemahlin des Re (X 3, 5 und X 4, 3–4), in einem neuen Kontext wieder auf. Daß es sich um Manifestationen der Isis handelt, wird durch die einzelnen Phrasen in gewisser Weise bestätigt: Während die Identifikation in X 3, 3–4 und wahrscheinlich auch für die Göttin von El-Siririya (X 3, 5) explizit wiederholt wird (s. o.), werden in den letzten beiden Sätzen mit Nut und Nephthys enge Verwandte der Isis genannt, die häufig mit ihr gleichgesetzt werden können.2663 Verwendung einer kulttopographischen Litanei im Tempelritual: pCarlsberg 206 Aus der Tempelbibliothek von Tebtynis stammt ein weiterer hieratischer Papyrus (pCarlsberg 206 und zahlreiche Fragmente in Berlin und Florenz2664), der eine kulttopographische

2657 Zu dieser lokalen Hathor (einmal wird auch Isis so bezeichnet) siehe K. SETHE/A. H. GARDINER, Zur Vokalisation des Dualis im Ägyptischen. Der Name von Gebelên und der Name des Gottes Antaios, in: ZÄS 47, 1910, S. 42–59: 44–48; MORENZ, Hathor in Gebelein; ID., Die Zeit der Regionen im Spiegel der Gebelein-Region, PdÄ 27, Leiden 2010, S. 115–123; MAROCHETTI, Chapel of Nebhepetra; LGG IV, 18c–19a. Die Gleichsetzung mit Nut ist ansonsten unbekannt; möglicherweise resultiert die Verbindung zum Himmel jedoch daraus, daß es sich bei dem Hathor-Heiligtum von Gebelein um ein Höhenheiligtum handelte, vgl. zum Himmelsaspekt des Heiligtums MORENZ, Hathor in Gebelein, S. 198–199. 2658 Hu (Diospolis parva) gilt als Geburtsort der Nephthys, vgl. die Texte Dend. XII, 28, 13–32, 7 und Dend. XII, 183, 9–12, siehe oben, Kap. 4.6.2. Vgl. zu Hathor und Nephthys als Hauptgottheiten von Hu die Gaumonographie Edfu I, 339, 6: Nb.t-Hw.t im @w.t-@r m [rn=s?] „Nephthys ist dort: Hathor ist [ihr Name?]“; vgl. LEITZ, Gaumonographien, S. 71. 2659 Vgl. auch OSING, Hieratische Papyri I, S. 167, a). 2660 Siehe z. B. HOLLIS, Hathor and Isis. 2661 X 4, 2. 2662 Vgl. Anm. 2651 und 2653. 2663 Siehe dazu bereits MÜNSTER, Isis, S. 100–102 (Nut) und 148–149 (Nephthys). 2664 pBerlin P. 23033 a–f, pFlorenz PSI Inv. I 112. Außerdem ein Fragment in Yale: pCtYBR inv. 4523 (Nr. 6).

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Litanei für Thoeris-Isis-Hathor enthält (x+3, 13–19). 2665 Es handelt sich dabei um eine Kurzfassung, die in eine längere Opferlitanei für verschiedene Gottheiten innerhalb eines größeren Ritualzusammenhangs eingearbeitet wurde. Ort des Rituals, in welchem die Göttin Sothis eine zentrale Rolle spielt, ist jedoch kein Tempel in Tebtynis selbst, sondern das Per-Chefyt von Oxyrhynchos, ein Tempel, welcher der Manifestation der Göttin als Uräusschlange bzw. Haarlocke oder Perücke gewidmet war.2666 Entsprechend wird die weibliche Kultempfängerin in einer vertikalen Zeile entlang des Beginns der Opferlitanei als „Gebieterin der Stadt im Per-Chefyt“ (Hnw.t njw.t m pr-xfy.t) bezeichnet. Der entsprechende Abschnitt zählt jeweils Opfer (wdnw) für Göttinnen bzw. Erscheinungsformen der Thoeris-Isis-Hathor in verschiedenen Städten der Umgebung von Oxyrhynchos auf, wobei das Schema der Zuordnung offenbar anfangs mit „Herrin von Stadt X“ (nb.t X) gebildet wird, während später nur noch Göttinnennamen zu erkennen sind.2667 Allerdings erlaubt der fragmentarische Zustand des Papyrus ohnehin nur einen unvollständigen Eindruck von dieser Sequenz. In einigen Fällen sind Eigennamen von Göttinnen erhalten, in vielen Zeilen läßt sich am Anfang jedoch nur noch das Göttinnendeterminativ erkennen. Genannt werden im Einzelnen, soweit erkennbar: x+3, 13: […GN].t nb.t %AkA […Göttin X], Herrin von Saka,2668 […GN].t nb.t niw.t wdn n &A-iH[.t(?)…] […Göttin X], Herrin der Stadt,2669 Opfer für die Ku[h-Stadt(?)],2670 x+3, 15: […GN] wdn n %SA.t wr.t […] […Göttin X], Opfer für Seschat, die Große […], […GN].t wdn n N.t […] […Göttin X], Opfer für Neith […] x+3, 17: […GN] wdn n #wj.t […Göttin X], Opfer für Chuit,2671 […] &Nxb\.t/&Mw\.t (?) […]&Nechbe\t/&Mu\t (?) x+3, 19: […WA]Dy.t &^smt.t\ [%xm.t (?)] […U]to &Schesemtet\ [Sachmet (?)].2672

2665 Edition: TÖPFER, Sothisritual. Zur Opferlitanei ibid., S. 62–105. 2666 Vgl. den ausführlichen Kommentar zu Chefyt und Per-Chefyt bei TÖPFER, Sothisritual, S. 121–131. Zu Oxyrhynchos und Tebtynis siehe auch unten, Kap. 6.1.3–4. 2667 Vgl. den Inhaltskommentar bei TÖPFER, Sothisritual, S. 76. 2668 Saka liegt im 17. o.äg. Gau, siehe dazu TÖPFER, Sothisritual, S. 64–65, h). Vgl. zu diesem Gau die Texte des pJumilhac, siehe unten, 4.13.3. 2669 Nach TÖPFER, Sothisritual, S. 65–67, i), ist hier wohl Oxyrhynchos selbst gemeint. 2670 Nach TÖPFER, Sothisritual, S. 65–67, i), könnte Atfih (üblicherweise: &p-iH.w) als Hauptstadt des 22. o.äg. Gaues gemeint sein. Zu Atfih siehe unten, 4.13.2–4. 2671 Chuit ist die Erscheinungsform der Göttin in Athribis, vgl. TÖPFER, Sothisritual, S. 68, n). In der Dendara-Version der kulttopographischen Litanei wird Chuit bzw. Athribis nicht genannt, allerdings in der Gauprozession Dend. I, 122, 14–128, 12, in der Isis bzw. Hathor ebenfalls mit den Hauptgöttinnen der Gaue identifiziert werden, s. o., Kap. 4.6.2. 2672 Umschrift und Übersetzung sowie Ergänzungen nach TÖPFER, Sothisritual, S. 62–63.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Nach TÖPFERs m. E. überzeugender Rekonstruktion könnten, der für kulttopographische Litaneien üblichen Reihenfolge folgend, vor Saka (17. o.äg. Gau) noch Hauptstädte des 15. und 16. o.äg. Gaues genannt worden sein (Hermopolis und Hebenu). 2673 Anschließend würden logisch Hardai (18. o.äg.), Oxyrhynchos („die Stadt“, 19. o.äg.) und Atfih („die Kuh“, 22. o.äg.) folgen. Die im Anschluß genannten Göttinnennamen lassen sich trotz der separaten Nennung anhand anderer kulttopographischer Texte mit den entsprechenden Städten korrelieren:2674 Seschat [Heket] [Nephthys] [Uto] Neith

Hermopolis (15. o.äg.) [Hebenu (16. o.äg.)] Saka (17. o.äg.) [Hardai (18. o.äg.)] Oxyrhynchos (19. o.äg.)

Gegen Ende des Abschnittes, ab Z. 17, werden nur noch Namen von Erscheinungsformen der Gefährlichen Göttin/Uräusschlange hintereinander weg aufgezählt (Nechbet/Mut, Uto, Schesemtet, Sachmet), ähnlich wie zu Beginn von Assuan-Hymne 6 (Nechbet, Uto, Satet/Schesemtet, Unut). 2675 Auch wenn die Zerstörungen einige Unsicherheiten bereiten, könnte es sich an der Stelle sogar um eine direkte Parallele handeln; diese und ähnliche Göttinnen werden auch in weiteren Texten direkt miteinander verbunden.2676 In der folgenden Kolumne (x+4) richtet sich die Opferlitanei explizit an Sothis, deren Namen in Z. 3–8 jeweils wiederholt wird, und Materia sacra bzw. Tempelinventar, die ihr zugeordnet werden.2677 Auch in der kulttopographischen Litanei der Dendara-Tradition ist Sothis die zentrale, mit Isis gleichgesetzte Göttin, die in Dend. Isis, 78, 16–79, 5 in der Einleitung namentlich genannt ist. Des weiteren sind die Opferlitaneien auf den PronaosSäulen im Tempel von Esna, die ebenfalls auf die kulttopographische Umgebung des Tempels ausgerichtet sind, gut mit dem Aufbau der Litanei des Tebtynis-Papyrus zu vergleichen.2678 4.13.1.2 Die ausführlichen Gaumonographien (Tebtynis, Tanis, Edfu I) Mehrere Texte oder listenförmige Aufzählungen zu den Materia sacra und Mythen aller ägyptischen Gaue sind erhalten: – Hieroglyphische und hieratische Papyri aus der Tempelbibliothek von Tebtynis: der hieratische pTebtynis II (pTebt. H II),2679 der hieratische pTebtynis III (pTebt. H III),2680 2673 TÖPFER, Sothisritual, S. 77–78. 2674 Siehe TÖPFER, Sothisritual, S. 80–81. 2675 Siehe Kap. 4.2.1.A; außerdem Dend. XII, 28, 13–15, siehe den Kommentar zu Dend. XII, 28, 13–32, 7 (Kap. 4.6.2). Vgl. TÖPFER, Sothisritual, S. 81–82. 2676 Vgl. TÖPFER, Sothisritual, S. 68–70, o)–q), mit Belegen. 2677 Siehe den Kommentar von TÖPFER, Sothisritual, S. 99–101. Vgl. außerdem eine Sothis-Litanei aus dem Bezirk des Isistempels von Assuan, s. o., Kap. 4.2.2. 2678 Vgl. Esna III, Nr. 209; siehe oben, Kap. 4.11.1.1.A. 2679 OSING, Hieratische Papyri I, S. 230–247; Taf. 23–25: Papyrus II (pCarlsberg 182 + PSI I 77), L 12, 28–21, 2. 2680 OSING, Hieratische Papyri I, S. 267–272; Taf. 27–28: Papyrus III (pBerlin P. 14447 + PSI I 78), D 3, 8–D 11+x.

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eine hieroglyphische Priesterenzyklopädie,2681 und der hieratische Papyrus PSI I 72 mit einem kulttopographisch-mythologischen Handbuch der Gaue.2682 – Eine hieroglyphisch geschriebene Priesterenzyklopädie aus Tanis: der Geographische pTanis.2683 – Die große Gauprozession im Soubassement der Außenwand des Naos des Tempels von Edfu: Edfu I, 329–344.2684 Im Folgenden werden die Aussagen der Monographien über die Rolle der Isis in den einzelnen Gauen kurz kommentiert. 5. o.äg. Gau: pTebt. H III nennt Isis als Hauptgöttin des Koptites (D 4, 8). Dahinter ist noch ein weiterer, unklarer Göttinnenname erhalten, evtl. mit der Schreibung , was möglicherweise als is.t „die Alte“ oder aber als erneute Nennung der Isis zu lesen ist, auf die dann ein heute verlorenes Epitheton gefolgt wäre.2685 Letzteres halte ich trotz des ansprechenden Wortspiels As.t – is.t für die wahrscheinlichere Erklärung, zumal der Beiname is.t „die Alte“ zumindest auf Ägyptisch ansonsten nicht sicher belegt ist.2686 12. o.äg. Gau: In einem zentralen Mythos des Antaiopolites erscheint die dortige Hauptgöttin, die Löwengöttin Matit, „in ihrer geheimen Gestalt der Isis“ und beschützt dem Text zufolge zusammen mit Nephthys(?) durch Beschwörungen Horus, den „Neugeborenen“, vor einem Angriff durch Apophis (Sd n=f MAtj[.t m] sStA=s n As.t Hna [Nb.t-hw.t?] m xsf.w n aApp).2687 Auch in Gauprozessionen aus Dendara, die ebenfalls mythologische bzw. kulttopographische Informationen in Auszügen wiedergeben, wird Matit mit ähnlichen Worten als Isis interpretiert:

2681 PSI Inv. I 2 + pCarlsberg 54 + pTebt. Tait Add. 1 a–f + pBerlin P. 14412i, Frg. 21–38: OSING/ ROSATI, Papiri geroglifici, S. 30–43; Taf. 2–3. In dieser fragmentarischen Version ist die Rubrik mit den Hauptgottheiten jedoch nur für sehr wenige Gaue erhalten. 2682 OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 129–188; Taf. 17–21; Übersetzung auch bei JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 223–241. 2683 W. M. F. PETRIE, Two Hieroglyphic Papyri from Tanis, EM 9, London 1889; Neuedition: LEITZ, Gaumonographien, S. 443–492; Taf. 89–118. 2684 Jetzt ausführlich unter Berücksichtigung der Papyrusparallelen bearbeitet von LEITZ, Gaumonographien, S. 1–441; Taf. 1–88; außerdem W. WAITKUS, Edfu: die kulttopographische Inschrift am Sanktuar des Tempels von Edfu, ITE Begleitheft 7, Gladbeck 2014. 2685 Vgl. dazu OSING, Hieratische Papyri I, S. 272, ad). LEITZ, Gaumonographien, S. 50, liest das Wort nicht. 2686 Vgl. LGG I, 555. Die Interpretation des is in der umstrittenen Stelle in Dend. Isis, 78, 4–8 und Parallelen als „alt“ durch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 280, dürfte falsch sein, siehe oben, Kap. 4.6.1.A, zum Text. Nach Diodor I, 11, 4, wird der Name Isis allerdings auch als παλαιά „die Alte“ gedeutet, was auf einem ägyptischen Wortspiel aufgrund der konsonantischen Ähnlichkeit der beiden Wörter beruhen könnte. 2687 PSI I 72, 2, 18–19; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 141; Taf. 19. Vgl. zur Übersetzung und zur lokalen Form des Harpokrates @rw xpr msw.t bzw. Horus als „Neugeborenem“ JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 52–53 u. 226. Siehe auch LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 156, der zu Sd.n{=f}MAtj.t „(Horus…), den die Matit gerettet hat“ emendieren möchte.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Du bist Matit in ihrer Gestalt (StA) der Isis. bzw. Deine (= Osiris) Schwester Isis als Matit wehrt ab deinen (= gegen dich) Wütenden.2688 13. o.äg. Gau: Im hieratischen Papyrus PSI I 72 wird für den Lykopolites mit der Hauptstadt Assiut „Hathor, Gebieterin der 16“ als eine der Hauptgottheiten genannt und mit Isis auf der Suche nach Osiris identifiziert:2689 ir @w.t-@r Hnw.t 16 As.t pw m sA n Wsir Betreffs Hathor, Gebieterin der 16: das ist Isis als Schutz des Osiris, rpy.t Hmsj(.t) Hr bHd.t m Hr n pa.t eine Statue einer Frau, die auf einem Thron sitzt, mit menschlichem Gesicht. xay=s pw hAy.t sSS.t Ihre Erscheinung ist die ‚Vorhalle des Sistrums‘. a.wj=sn (sic!) […] &iw=s?\ njs Hr sn=s Ihre(?) beiden Arme [sind ausgebreitet?] &und sie\ ruft wegen(?) ihres Bruders.2690 Isis selbst wird nochmals mit dem Titel „Gottesmutter“ als eine Hauptgottheit des Gaues aufgeführt: &ir\ mw.t-nTr ntj m s.t tn As.t pw Betreffs der Gottesmutter, die an diesem Ort (Assiut) ist: Das ist Isis.2691 Später ist außerdem noch von „16 Geheimnissen“ die Rede: Sie werden in diesem Distrikt bewahrt durch das Schweigen der Isis, das ihr von Upuaut, den sie an der Brust nährt, auferlegt wurde.2692 Die Zahl 16 hängt wohl mit der lunaren Symbolik des Osiris zusammen. Es gibt die Überlieferung, daß Osiris in 14 oder 16 Teile zerrissen worden ist; die 14 und 16 entsprechen den 30 Tagen eines Mondmonats mit dem zunehmenden (= 14 Tage) und wieder abnehmenden Mond.2693 PREYS zieht außerdem anhand von Szenen aus dem Per-nu von Dendara eine Verbindung des Hathor-Epithetons zu den idealen 16 Ellen der Nilüberschwem-

2688 Dend. I, 94, 7–8; und Dend. X, 326, 10 (ähnlich: BÉNÉDITE, Philae, 91, 15–16). Siehe zu beiden Stellen BEINLICH, Geographische Inschriften, S. 74 und 134; und LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 150 u. 155–156; vgl. oben Kap. 4.6.2 (zu Dend. I, 90, 15–97, 3). 2689 3, 13–15; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 143–146, m. Anm. b. Vgl. zu diesem Textabschnitt auch LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 170; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 228; BACKES, „Papyrus Schmitt“, Bd. I, S. 848–849. 2690 Vgl. zum Titel „Herrin der 16“: GOYON, Seize et quatorze; PREYS, Maîtresse des Seize. Vgl. dazu auch Assuan-Hymne 6, oben, Kap. 4.2.1.A. 2691 3, 19–20. Siehe auch BEINLICH, Geographische Inschriften, S. 154–155, der weitere Quellen für die „Gottesmutter“ von Assiut aufführt, was in vielen Fällen aber offenbar das Amt einer Priesterin bezeichnet; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 229. 2692 3, 21–22; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 144–145; vgl. LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 170; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 229. 2693 Vgl. QUACK, Sonne und Mond, S. 48, der noch weitere Belege für die Verbindung Osiris’ zu diesen Zahlen anbringt; und jüngst ID., Resting in Pieces, S. 252–253; VON LIEVEN, Himmel über Esna, S. 23, Anm. 77; siehe auch BEINLICH, „Osirisreliquien“, S. 60–68; KUCHAREK, Klagelieder, S. 636– 637, m. Anm. 29.

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mung.2694 LEITZ erkennt zudem, daß die 16 (koptisch mNtase) in obigem Text mit einem impliziten Wortspiel als „Rede (koptisch mNt) der Isis (koptisch hse)“ ausgedeutet worden sein könnte.2695 Der explanatorische Aufbau der zitierten Sätze („Betreffs… das ist…“) entspricht genau dem oben besprochenen Text „Zu kennen die Edlen (= Göttinnen), die göttlich sind als Hathoren“ des pTebt. H I.2696 Ein weiterer Abschnitt, der als Ätiologie des Ortsnamens Assiut dient, berichtet, wie Isis die Ausflüsse der Gottesglieder des Osiris einbalsamierte und im Tempel der ‚Achtheit der Bäume‘ deponierte.2697 Diese (heiligen?) Bäume von Assiut werden anschließend als „das Suchen (i. e. nach Osiris) von Isis, Horus und Nephthys“ (wxA As.t pw @r Nb.t-Hw.t) ausgedeutet.2698 14. o.äg. Gau: Der zentrale Mythos des Gaues von Cusae berichtet nach PSI I 72 davon, daß die schwangere Isis ihre Schwester Nephthys in diesen Gau schickte, um Osiris zu suchen. Diese findet ihn dort unter einem arw-Baum am westlichen Flußufer, mit bereits verwesten Gesäßmuskeln (pH.wj, eine Reminiszenz an den Namen des Gaues, Atf.t pH.t) und in Leinen gehüllt, und bestattet ihn in Cusae.2699 Der arw-Baum, möglicherweise Acacia seyal, wird in mehreren Quellen mit dem Grab des Osiris in Zusammenhang gebracht oder, so im ‚Balsamierungsritual‘, sogar mit Osiris identifiziert;2700 in der Liste der verschiedenen Erscheinungsformen der Hathor im großen hieratischen Priesterkompendium von Tebtynis wird auch eine „Hathor, Herrin der arwBäume“ genannt, 2701 bei der es sich dem vorliegenden Text zufolge um die Göttin von Cusae handeln könnte. Weiter hinten gibt der Abschnitt von PSI I 72 zum Gau von Cusae außerdem noch eine Ätiologie für zwei Akazien als heilige Bäume des Gaues: Demzufolge bittet Horus seine Mutter Isis und ihre Schwester Nephthys darum, Seth zu verzaubern (Snj), woraus dann zwei Dornakazien (SnD.t) entstanden seien, die eben mit den beiden Göttinnen zu identifizieren sind. 2702 Weiterhin werden Isis und Nephthys aber auch noch von zwei Geierweibchen (Hwr.t) verkörpert, die seitlich einer Sonnenscheibe plaziert sind, die Horus repräsentiert und sich auf einer Statue mit Krokodilkopf, welche entsprechend als Seth ausgedeutet wird, befindet (4, 9–11). Einen Hinweis darauf liefert auch der ebenfalls kulttopographisch organisierte Geiertext des Thothbuches, der für Cusae Geier auf einer 2694 2695 2696 2697 2698 2699 2700 2701 2702

PREYS, Maîtresse des Seize. LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 170. Siehe oben, Kap. 4.13.1.1. 3, 15–18; vgl. JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 228–229. 3, 18–19; vgl. die verbesserte Übersetzung von JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 228– 229. 3, 35–4, 8; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 151–152; siehe auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 68–72. Siehe TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 164, i). pTebt. H I, X 3, 23; siehe oben, Kap. 4.13.1.1, mit ausführlichen Literaturangaben zum arw-Baum in Anm. 2650. 4, 8–9; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 152; LEITZ, Gaumonographien, S. 112; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 71, der auf eine mögliche Verbindung zu einer Episode der Horus- und Seth-Geschichte von pChester Beatty I (6, 13–7, 1) hinweist: Darin trickst Isis Seth aus und landet dann als Milanweibchen auf einer Akazie.

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Dornakazie aufführt, deren Junge im Fluß ihnen gegenüber sind (nly.t 2.t […] wa.t Snt.t r [nA]e=w Dw[.w n] pA yr wbA[=w] Qs pAy).2703 17. o.äg. Gau: Für den 17. o.äg. Gau zählen pTebt. H II und III Isis neben Bata, Horus und Nephthys als eine der Hauptgottheiten auf,2704 was durch die Texte des pJumilhac (s. u.) bestätigt wird. 22. o.äg. Gau: Über die Hauptgottheit des Aphroditopolites heißt es in der Gaumonographie Edfu I: As.t im m @w.t-@r nb(.t) &p-iH.w „Isis ist dort als Hathor, Herrin von Atfih“,2705 was mit der Aussage über die entsprechende Hathorform in der Auflistung der Hathoren in pTebt. H I übereinstimmt.2706 2. u.äg. Gau: In der hieroglyphischen Priesterenzyklopädie2707 sowie in pTebt. H II2708 wird Isis zusammen mit drei verschiedenen Horusformen als Göttin des Letopolites genannt. 10. u.äg. Gau: Der Athribites steht nach pTebt. H II unter der Obhut der Götter HorusChentechtai, xw[y.t] („die Beschützerin“), Osiris und Isis (von?) Km-wr (Athribis).2709 Isis gilt dort als Gattin des Horus-Chentechtai,2710 und die als eigenständige Gottheit abgespaltene xwy.t repräsentiert letztlich einen typischen Aspekt von Isis.2711 18. u.äg. Gau: Die Hauptgöttin im Bubastites ist laut der Gauprozession Edfu I folgendermaßen zu identifizieren: bA n As.t im m BAs.t Htp.tw Dsr.tw m NTr.w der Ba der Isis ist dort als Bastet, indem sie zufrieden gestellt und geheiligt wird in NTr.w.2712 Das Wortspiel, das den Namen Bastet als „Ba der Isis“ ausdeutet, ist in ähnlicher Weise in der großen kulttopographischen Isislitanei im Isistempel von Dendara enthalten.2713 In einer Inschrift von Nektanebos aus Bubastis heißt es:

2703 L01, x+2, 13; R. JASNOW/K.-Th. ZAUZICH, The Ancient Egyptian Book of Thoth. A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, Wiesbaden 2005, S. 341–342; verbesserte Lesung von J. F. QUACK, Ein ägyptischer Dialog über die Schreibkunst und das arkane Wissen, in: ARG 9, 2007, S. 259–294: 286. Vgl. zur Parallele, mit genauer Erläuterung des darin enthaltenen komplexen Wortspiels C. LEITZ, Die Geierweibchen des Thothbuches in den 42 Gauen Ägyptens, in: RdÉ 63, 2012, S. 137–186: 152–154; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 68. 2704 pTebt. H II, L 16, 2–3; pTebt. H III, D 7, x+2; OSING, Hieratische Papyri I, S. 234 und 268. 2705 Edfu I, 343, 16–17; vgl. LEITZ, Gaumonographien, S. 171. 2706 pTebt. H I, X 3, 11–13; siehe oben. 2707 Frg. 32; OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 37; Taf. 3. 2708 pTebt. H II, L 17, 11–12; OSING, Hieratische Papyri I, S. 239. 2709 pTebt. H II, L 19, 4–5; OSING, Hieratische Papyri I, S. 242, m. Anm. h). Zu den Göttern von Athribis siehe im Detail VERNUS, Athribis, S. 367–463. 2710 VERNUS, Athribis, S. 459. 2711 Vgl. auch den entsprechenden Abschnitt in der Gauprozession Dend. I, 122, 14–128, 12 und die Nennung der Chuit in der Opferlitanei von Oxyrhynchos (s. o., 4.13.1.1). Siehe zu xwy.t VERNUS, Athribis, S. 440–444; LGG V, 675–676; TÖPFER, Sothisritual, S. 68, n). 2712 Edfu I, 335, 4. Zur Problematik des Toponyms NTr.w/NTr.t siehe oben, Kap. 4.4.2. 2713 Dend. Isis, 78, 16–79, 5, und die Parallele in pTebt. H I, X 1, 5, siehe oben, Kap. 4.6.1.A u. 4.13.1.1, und BERGMAN, Isis-Seele, S. 26–34. Bei LEITZ, Gaumonographien, S. 338, wird als einziger weiterer Beleg für bA n As.t in Verbindung mit Bastet El-Qal‘a II, Nr. 230, angegeben.

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xaj BAs.t.t mj Ra m sp tpj rnn=s nTr.t/As.t(?) m Xnw n NTr.t Bastet erscheint wie Re, beim ersten Mal. Sie säugt die Göttin/Isis(?) im Inneren von NTr.t […].2714 Wieder taucht die Orts- oder Tempelbezeichnung NTr.w/NTr.t auf, und mit der Göttin dürfte wohl Isis gemeint sein, jedoch ist die implizierte Beziehung der beiden Göttinnen (Bastet als Mutter oder Amme der Isis?) sehr ungewöhnlich. Möglicherweise wird Bastet hier mit Nut identifiziert; andererseits könnte mit BERGMAN auch umgekehrt zu lesen sein: rnn-s(j) nTr.t/As.t m Xnw NTr.t Die Göttin/Isis säugt sie im Inneren von NTr.t […]. 19. u.äg. Gau: Im tanitischen Gau ist Isis präsent „als Uto, Herrin von Imet (Tell elFaraun)“ (As.t im m WAD.t nb(.t) Im.t).2715 Hiermit läßt sich wiederum eine Angabe der kulttopographischen Isislitanei im Haupttempel von Dendara und in pTebt. H I (X 2, 3) vergleichen.2716 4.13.2 Unterägypten: Deltapapyrus Bei dem sogenannten Deltapapyrus (pBrooklyn 47.218.84)2717 handelt es sich um eine frühsaitische, hieratische Handschrift unbekannter Provenienz (möglicherweise Elephantine), 2718 die Mythologie und Kulttopographie unterägyptischer Städte kompiliert, wobei das Fehlen von jeweils mindestens einer Seite am Anfang und am Ende die Rekonstruktion und Deutung des Gesamtwerkes erschwert. Von der geographischen Ausdehnung her ist zumindest noch ein Abschnitt über den Saites und den Memphites zu erwarten, die ganz fehlen, während die Gaue von Heliopolis und Letopolis einen auffällig großen Teil des Textes einnehmen.2719 Die Hauptrollen spielen entsprechend vor allem die Götter Re/Atum, Horus von Letopolis und auch Osiris, die zusammen den Zyklus von Geburt, Herrschaft, Tod und Regeneration repräsentieren.2720 Dieser Kreislauf wiederum kann nur durch die Unterstützung einer weiblichen Gottheit, die als Herrscherin und Überträgerin von Leben 2714 E. NAVILLE, Bubastis, London 1891, Taf. 44; L. HABACHI, Tell Basta, SASAE 22, Kairo 1957, S. 79– 80, Abb. 21; siehe FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 387; BERGMAN, Isis-Seele, S. 29–30. Die problematische Bezeichnung der Göttin ist nur mit dem Ideogramm einer sitzenden Göttin mit Lebenszeichen und Hathorkrone geschrieben. BERGMAN, Isis-Seele, S. 29, hält die Deutung „Isis“ jedoch für sicher, da auf einem weiteren Fragment (NAVILLE, op. cit., Taf. 45; HABACHI, op. cit., S. 89) eindeutig „Isis im Inneren von NTr(.t)“ geschrieben ist. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagara, S. 387, liest „die Göttin“, die sie aber ebenfalls als Isis deutet. 2715 Edfu I, 335, 15–16; vgl. LEITZ, Gaumonographien, S. 349. 2716 Dend. I, 20, 14–21, 5, siehe oben, Kap. 4.6.2 u. 4.13.1.1. 2717 Umfassende Edition MEEKS, Mythes et légendes. 2718 Verschiedene Herkunftsorte wurden bisher vorgeschlagen, darunter Heliopolis (von MEEKS selbst), Elephantine (HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 230 u. 361, Anm. (a)) und Theben (K. RYHOLT, Libraries from Late Period and Greco-Roman Egypt, i. Dr.); vgl. die Zusammenfassung der Diskussion bei JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 119. Nach persönlicher Mitteilung von J. F. QUACK haben sich die Indizien für eine Herkunft aus Elephantine mittlerweile erhärtet, da sich ein Zusammenhang mit in Berlin befindlichen Fragmenten aus den Rubenson/Zucker-Grabungen feststellen läßt. 2719 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 167. 2720 MEEKS, Mythes et légendes, S. 168.

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und Herrschaft fungiert, garantiert werden. Diese ist in den Texten besonders unter dem Namen Horit, weiblicher Horus, vertreten, kann aber durch verschiedene andere Göttinnen verkörpert werden (Hathor, Tefnut, Bastet, Uto, Sachmet) und wird als Tochter des Osiris bezeichnet.2721 Isis agiert jeweils in eher unauffälliger Weise und nimmt häufig die Gestalt einer anderen Göttin an. Der Sebennytes, dem ebenfalls ein recht langer Text gewidmet ist, wurde ungewöhnlicherweise in zwei Abschnitte zu Sebennytos und Behbeit el-Hagar unterteilt, die thematisch-mythologisch unterschieden sind: Der erste Teil dreht sich um die Herrschaftsnachfolge, der zweite um die Mysterien der Regeneration des verstorbenen Königs. 2722 Eventuell läßt sich damit der demotische, liturgische pBerlin P. 6750 (mit Parallele P. 8765) vergleichen, für dessen Inhalt WIDMER eine ähnliche Gliederung erkannte, die die Begräbniszeremonien des Osiris einerseits und die Geburt des Horus andererseits umfaßt.2723 Auch insgesamt entspricht die Aufteilung der Gaue im Deltapapyrus weder der traditionell-theologischen der späteren geographischen Texte noch der politischen der Saitenzeit.2724 In den Texten im Abschnitt über Heliopolis, in denen die ‚Reliquie‘, nämlich das Schulterblatt, des Osiris in Letopolis2725 behandelt wird, bekleidet Isis in Begleitung von Nephthys und Horit (und einmal Tefnut) ihre traditionelle Rolle als klagende Witwe, die das Körperteil ihres Gatten auffindet und einer ordnungsgemäßen Bestattung zuführt (2, 7–8 und 5, 5–6, 1). Es wird berichtet, daß die Eingeweide des Gottes, die unter dem Schutz der vier Horussöhne stehen, in Tierhäute gehüllt werden und im Inneren des Mnevis-Stieres nach Heliopolis transportiert werden (2, 9–11), 2726 was möglicherweise mit anderen später belegten Traditionen in Zusammenhang gebracht werden kann, denen zufolge der Leichnam des Osiris in rinderförmigen Behältern aufbewahrt bzw. vom Apis- oder Mnevis-Stier getragen wird.2727 2721 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 49, 31) und S. 168. Zur herausragenden Rolle des Osiriskreises (Osiris, Isis, Horus und Seth) im Deltapapyrus und dem mythologischen Handbuch PSI I 72 vgl. JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 184–185. 2722 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 169. 2723 Siehe WIDMER, On Egyptian Religion, S. 172, und besonders die Gesamtedition WIDMER, Résurrection d’Osiris. Siehe dazu unten, Kap. 6.1.2.2. 2724 MEEKS, Mythes et légendes, S. 169. 2725 Dieses wird mit der Osirisform ‚Ehrwürdiger Sepa (=Tausendfüßer) (der?) Bas von Heliopolis‘ gleichgesetzt, vgl. dazu MEEKS, Mythes et légendes, S. 175–177. Zu dieser Bezeichnung des Osiris vgl. auch LGG VI, 270b–c; J. F. QUACK, Ein neuer funerärer Text der Spätzeit (pHohenzollernSigmaringen II), in: ZÄS 127, 2000, S. 74–87. 2726 Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 7, § 5. 2727 Nach den Totenpapyri Rhind, II, 7, sind die Eingeweide der Verstorbenen sowohl im Apis als auch im Mnevis präsent, siehe rezent M. SMITH, Traversing Eternity, S. 320. Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 177–178. In den Osiriskatakomben von Karnak zeigen zwei komplementäre Szenen, wie der König (hier Ptolemaios IV.) gemeinsam mit dem Apis-Stier läuft, um die Osirisglieder aus Oberund Unterägypten herbeizubringen, siehe COULON, Trauerrituale, S. 331 m. Abb. 3 auf S. 333. Auch pJumilhac zeigt in der Vignette auf S. 7 eine Szene mit zwei Stieren, die die Gottesglieder von Oberbzw. Unterägypten zu Isis und Nephthys tragen. In pBrooklyn 47.218.138 (Edition GOYON, Recueil de prophylaxie) wird in x+X, 10–11 einem Übersetzungsvorschlag von J. F. QUACK, Rez. zu: Goyon, Recueil de prophylaxie, in: WdO 43, 2013, S. 256–272: 265–266, zufolge ebenfalls auf den Transport der Osirisglieder auf dem Apis-Stier angespielt. Vgl. Diodor I, 85, 4, der im Zusammenhang mit Apis berichtet, daß Isis die Glieder des Osiris einsammelte und in einen Holzkasten legte, der die Form eines Rindes hat. Als Gegenstück zu den Stieren agieren außerdem auch weibliche Kühe (die

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Die Beschreibung des Festtages Hbs-tp („Verhüllen des Kopfes“) am 3. Mondmonatstag2728 deutet diesen lunaren Vorgang als das Ausreißen des Horusauges durch Seth aus (6, 2– 6).2729 Demnach nimmt Isis ihren wütenden und geschwächten Sohn, der sich in seinem Haus verkriecht, bringt ihn in das Innere ihrer Mutter Nut (also an den Himmel) und umarmt ihn (6, 3–4). Schließlich erhält Horus seine Augen durch Geb wieder, der sie von Seth zurückgebracht hat. Erst zu diesem Zeitpunkt (4. Neumondtag) tritt auch der Sempriester wieder aus dem Haus heraus („Tag des Herauskommens des Sem“). Dieser Abschnitt ist ein Exzerpt aus dem Mondkapitel des bereits im Osireion von Sethos I. in Abydos belegten2730 „Nutbuches“, wo allerdings nicht von Hbs-tp, sondern von Hbs pH.wj „Verhüllen der Hinterbacken“ (des Horus) die Rede ist.2731 Weitere wichtige Ereignisse finden dem Text zufolge am 16. Tag von I. Schemu (Pachons) und am Neumond von II. Peret (Mechir) statt, wobei an letzterem das Fest mit Namen Inj-sw stattfindet (5, 4–6, 1): 2732 Osiris-Sepa („der Tausendfüßer“) bzw. ein Körperteil von ihm (spy.t) wird auf dem Rücken eines Esels, der wohl Seth repräsentiert, befestigt, woraufhin dieser jedoch unter der Last zusammenbricht. Isis und Nephthys bringen ihn wieder zum Aufstehen und Weiterlaufen, indem sie ihm göttlichen Samen (des Atum) an die Nase halten. Er wird dann zu einer Höhle in Pr-@apj (= $r-aHA, Babylon)2733 gebracht, wo die beiden Göttinnen die lokalen Reliquien von Letopolis und Heliopolis, Schulterblatt und Schienbein, einwickeln und zu einer Osiris-Mumie machen. Diese wird wieder auf den Rücken des Esels geladen, der aber wie zuvor erschöpft zu Boden fällt. Isis und Nephthys halten ihm nochmals Samen(?) 2734 an die Nase, woraufhin der Esel ejakuliert (bnbn) und aufsteht. Noch eine weitere Reliquie, das Flagellum (das das Schulterblatt ersetzen kann),2735 wird ihm aufgeladen und der Schwächeanfall wiederholt sich. Dieses Mal helfen ihm die Göttinnen, indem sie die Beine spreizen (wohl, um ihn erneut zu erregen) und seine Nüstern streicheln.

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Isis/Hathor/Schentait o. ä. verkörpern) entsprechend im Osiriskult: So wird im Choiaktext von Dendara eine kopflose Osirisfigur in einen Sykomorenholzkasten in der Form einer Kuh, genannt „die Trägerin“ (tA rmny.t), gelegt. Hbs-tp kann in verschiedenen Quellen einerseits den 16., andererseits den 3. Mondmonatstag bezeichnen; vgl. zum Problem der Daten ALTMANN, Kultfrevel, S. 95–97; A. VON LIEVEN, Rez. zu: Altmann, Kultfrevel, in: WdO 42, 2012, S. 244–256: 250; MEEKS, Mythes et légendes, S. 78–79, 176), und 216–217. Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 14, § 13. Zum entsprechenden Abschnitt: H. FRANKFORT, The Cenotaph of Seti I at Abydos, MEES 39, London 1933, S. 84–85; Taf. 84–85, Kol. 16–20; vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 217. VON LIEVEN, Grundriß, S. 455–463. Zu diesem Abschnitt auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 75–76. Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 12–13, § 11. Siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 75, 158). Im Text steht mtw.t=sn „ihren Samen“, nicht wie zuvor mtw.t nTr. Die Deutung dieser Stelle ist sehr problematisch, vgl. auch MEEKS, Mythes et légendes, S. 76, 163); JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 123, m. Anm. 498. Möglicherweise ist eine andere Körpersubstanz (der beiden Frauen) gemeint. BEINLICH, „Osirisreliquien“, S. 240.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

Obwohl der Text dies nicht explizit angibt, ist der Esel möglicherweise als Verkörperung des Seth zu verstehen, der bereits in den PT und CT als Träger des OsirisLeichnames herhalten muß:2736 – Horus hat Seth gepackt und er hat ihn für dich plaziert, damit er dich trage und unter dir bebe, wie die Erde bebt…2737 – sie (die Neunheit) werden Seth nicht erlauben, davon befreit zu sein, dich für immer oben zu tragen, o Osiris2738 – …als du auf seinen Rücken gelegt warst für ihn und er unter deinen Füßen gerannt ist, als er dich auf seinen Schultern stemmte.2739 Im Hibis-Tempel illustriert eine Darstellung den Text des Papyrus, da dort die Mumie „Osiris-Sepa, der Ehrwürdige der(?) Bas von Heliopolis“ in einem Kasten mit einem Eselskopf gezeigt wird.2740 Der Esel kann nach verschiedenen Quellen, die von MEEKS aufgeführt werden, als Transporttier von Osiris und anderen Gottheiten durchaus positive Konnotationen haben und mit dem Sonnenkreislauf und der Regeneration in Verbindung stehen.2741 Wenn es sich bei dem Esel um eine Verkörperung des Seth handelt, findet sich trotz unterschiedlichem Kontext zumindest eine gewisse Parallele für das Sperma, das die Göttinnen ihm unter die Nase halten: In der Horus-und-Seth-Erzählung des pChester Beatty I (11, 8–12) fängt Isis den Samen des Horus in einem Becher auf und gibt ihn im Garten des Seth auf den Lattich, den dieser dann ißt. Während sie dort aber als „Rächerin“ des Horus agiert, nimmt sie in der Episode des Deltamythos zusammen mit Nephthys eine lebens- und kraftspendende Funktion gegenüber dem Esel ein, den sie durch Sperma einerseits, durch ihre weiblichen Reize andererseits erregen und so mit neuer Lebenskraft versorgen. Im Abschnitt über Bubastis, wo fünf verschiedene Horusformen aufgezählt und beschrieben werden, heißt es, daß Isis (die wohl mit Bastet identifiziert wird)2742 die Gottesausflüsse im Mendesischen Gau 2743 eingesammelt und das Gottesglied in ihrer Vagina „versteckt“ hat,2744 wodurch sie von Osiris post mortem Horus empfängt und ihn in Mendes zur Welt bringt (11, 1–3).2745 Die 14 Tage, die ihm als Lebenszeit auf Erden zugeschrieben werden, korrespondieren mit der Periode der Einbalsamierung einer Mumie und der Hälfte eines 2736 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 209 und 210, zu Darstellungen, in denen ein Esel Osiris transportiert. 2737 PT 356, § 581. Übersetzung nach D. TOPMANN, in: TLA, Stand: 08.07.2011. 2738 CT I, 305g (Spruch 73). Übersetzung nach FAULKNER, Coffin Texts I, S. 68. 2739 CT I, 309a–e (Spruch 74). Übersetzung nach FAULKNER, Coffin Texts I, S. 69. 2740 Hibis III, Taf. 3, Reg. VI; vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 210. Zum Transport der Osiristeile mit Hilfe eines Tieres oder Behälters in Form eines Tieres vgl. auch den Transport im Inneren des Mnevis-Stieres in 2, 9–11 des Deltapapyrus, s. o. 2741 MEEKS, Mythes et légendes, S. 211–212. 2742 Vgl. die Bezeichnung der Bastet als Ba der Isis im Abschnitt über Bubastis der Gaumonographie Edfu I, siehe oben, Kap. 4.13.1.2. 2743 Mendes wird im Anschluß an Bubastis behandelt. 2744 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 113, 346). 2745 Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 23, § 24; vgl. auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 158.

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Mondmonats sowie den traditionellen 14 Teilen der (Osiris-)Sokar-Mumie, die wieder zusammengefügt werden sollen.2746 Daran schließt sich eine Version der Vergewaltigung einer Göttin durch Seth2747 an (11, 3–6),2748 die in Imet lokalisiert ist, aber noch zum Abschnitt zu Bubastis gehört. Sie wird nur als „diese Göttin“ (nTr.t tn) bezeichnet, doch laut M. SMITH könnte die im vorigen Abschnitt genannte Isis gemeint sein.2749 Das Ei der schwangeren Göttin fällt frühzeitig ins Wasser und offenbart einen halbfertigen pavianförmigen Ibis, der offenbar auf Thoth verweist.2750 Isis(-Uto) scheint hier also im Gegensatz zu der geläufigeren Tradition, die sie als Tochter des Thoth kennt, stattdessen die Mutter einer Thoth-Form zu sein. Auch die folgende mythische Episode, die keine neue Überschrift trägt und davon berichtet, wie Horus von Medenit (Aphroditopolis), der bereits zuvor (9, 9) als einer der fünf Horusformen aufgezählt wird, aus Wut seiner Mutter den Kopf abschlägt (11, 6–8),2751 da diese (den in dieser Version gefesselten) Seth aus geschwisterlichem Mitgefühl befreit hat, ist durch zahlreiche andere Quellen bekannt. Wieder ist Isis dabei nur als „diese Göttin“ benannt. Auch die eigentliche Tat wird bloß angedeutet: wn.jn=f wdj qnw Hr=s sp Dw pfj wAj r xpr m tp=s Da beging er (Horus) ein Verbrechen gegen sie, und jenes schlimme Ereignis geschah mit ihrem Kopf. (11, 8) Zur Strafe wird er anschließend von Dedun zum Himmel gebracht, wo mit ihm dasselbe geschieht, was jedoch nur in dieser Version des Mythos belegt ist.2752 Diese mythologische Episode überliefert bereits die aus dem Neuen Reich stammende Erzählung von Horus und Seth (pChester Beatty I):2753 Darin schlägt Horus seiner Mutter Isis aus Wut dem Kopf ab, 2746 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 253–254; FAVARD-MEEKS/MEEKS, Corps osiriens, S. 41–42. Zur Zahlensymbolik der 14 siehe auch oben, Kommentar zu Assuan-Hymne 6, Kap. 4.2.1.A. 2747 Noch mehrere Versionen dieser Episode mit unterschiedlichen Göttinnen werden im Deltapapyrus berichtet, vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 255. Sie dürften (zumindest teilweise) im Kern auf den ursprünglich heliopolitanischen Mythos von der Vergewaltigung Tefnuts durch ihren Sohn Geb zurückgehen, siehe dazu JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 73–83 u. 134–146, mit Zusammenstellung und Vergleich der bekannten Versionen; vgl. auch LEITZ, Gaumonographien, S. 287–288 u. 292. 2748 Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 24, § 25. 2749 M. SMITH, Reign of Seth, S. 401–402. MEEKS, Mythes et légendes, S. 257 u. 260, Anm. 688, geht davon aus, daß Uto gemeint ist. Vgl. dazu die Angabe in der Gaumonographie Edfu I zu Imet: As.t im m WAD.t nb(.t) Im.t „Isis ist dort als Uto, die Herrin von Imet.“, siehe oben, Kap. 4.13.1.2. JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 135–136, bezieht den Abschnitt auf Horit, die eine Schlüsselrolle in den Mythen des Deltapapyrus spielt; ebenso bereits QUACK, Pavianshaar, S. 325. 2750 Siehe auch STADLER, Weiser und Wesir, S. 157, der MEEKS’ Interpretation der Göttin als Uto übernimmt. 2751 Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 24, § 26; vgl. auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 155–156. 2752 Vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 261. Eine weitere kurze Version des Mythos, in der Dedun ebenfalls eine Rolle spielt, findet sich im mythologischen Handbuch aus Tebtynis: OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 135 u. 140; Taf. 18B u. 19B; vgl. JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 50–53. 2753 pChester Beatty I, 8, 9–9, 12. Siehe die Neubearbeitung von M. BROZE, Mythes et roman en Égypte ancienne. Les aventures d’Horus et Seth dans le Papyrus Chester Beatty I, OLA 76, Leuven 1996, S. 74–82 u. 234–237; vgl. dazu auch J. G. GRIFFITHS, The Conflict of Horus and Seth, Liverpool 1960,

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

da diese dem Feind zu Hilfe gekommen war. Nach pSallier IV (Tagewählkalender), wo dieses Ereignis dem Tag 26 von I Achet und der Kampf der Stadt Cher-Aha (Babylon) zugeordnet wird, setzt Thoth ihr anschließend einen Kuhkopf als Ersatz auf.2754 Der Gau von Aphroditopolis, seine Götter und Mythen spielen hier im Deltapapyrus innerhalb des Abschnittes über Bubastis deshalb eine Rolle, weil Hesat, die heilige Kuh von Atfih, mit Mnevis von Heliopolis und Anubis von Tura eine Triade bildet und außerdem Bastet selbst eng mit der Region von Aphroditopolis verbunden wird.2755 .

Erstaunlich ist angesichts der Bedeutung des Isiskultes in Behbeit el-Hagar in späterer Zeit,2756 daß der Papyrus im entsprechenden Abschnitt (13, 6–14, 8)2757 Isis nicht namentlich erwähnt. Sie tritt statt dessen aber in ihren Formen als Schentait und Achet-Kuh auf, in denen sie sich um die Mumie des Osiris kümmert, was auch den Texten des Tempels von Behbeit el-Hagar zufolge noch in der Ptolemäerzeit ihre Hauptfunktion an diesem Ort ist.2758 Als Schentait2759 assistiert sie Isden bei der Herstellung einer mumifizierten Figur des Osiris, „des großen Prinzen“,2760 die die Form eines göttlichen Falken (bjk nTrj) bzw. das Gesicht eines sjA-Falken hat (13, 10–11). Bei seiner Verjüngung transformiert Osiris in Behbeit also seine Gestalt zu der eines Falken.2761 Dies stellt gleichzeitig eine Verbindung zum Kult des königlichen Falken her, der ebenfalls in Behbeit verehrt wurde. Die Achet-Kuh soll in diesem Gau unter dem HbAy.t-Baum,2762 der dort auch in anderen mythischen Episoden eine Rolle spielt, begraben sein (14, 7–8). Ein Papyrus der Ptolemäerzeit gibt nähere Ausführungen zu einer wohl damit zusammenhängenden mythischen Episode in dem nahe Behbeit gelegenen Busiris unter dem Titel rx irw StA iry.t As.t {n} imn nTr m StA.w=f „Kennen die geheime Form, die Isis annahm, um den Gott in seinem Versteck zu verbergen“, in der die Göttin in Gestalt der Achet-Kuh Osiris vor

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S. 46; 90; 107. Siehe auch die Anspielung in der Charakterisierung der Hathor von Atfih im hieratischen Papyrus (pTebt H) I, X 3, 11: oben, Kap. 4.13.1, und unten, 4.13.3 und 4.13.4. Siehe LEITZ, Tagewählerei, S. 54–57; J. BERLANDINI, La déesse bucéphale: une iconographie particulière de l’Hathor memphite, in: BIFAO 83, 1983, S. 33–49, bes. 43; D. MEEKS, Zoomorphie et image des dieux, in: Le temps de la reflexion 7, 1986, S. 171–191: 181–182; MÜNSTER, Isis, S. 13; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 50–53; Y. VOLOKHINE, La décapitation de la déesse vache, in: Égypte, Afrique & Orient 83, 2016, S. 7–18. Siehe auch den Kommentar von MEEKS, Mythes et légendes, S. 260–262. Aus älterer Zeit finden sich bereits Anspielungen in den Sargtexten: CT II, Spruch 80, 37c, 38g, 41h; IV, Spruch 334, 181o. Siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 251. Zur Hesatkuh und ihrer Verbindung mit Isis in Bubastis siehe auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 64–65. Siehe Kap. 4.4. Übersetzung bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 29–31, §§ 33–37. Siehe Kap. 4.4. Siehe zu Schentait oben, Kap. 4.5 und 4.10.3. Noch zwei andere Osirisfiguren werden in Behbeit angefertigt, siehe dazu FAVARD-MEEKS, „Temple de la fête“; MEEKS, Mythes et légendes, S. 278–282; FAVARD-MEEKS/MEEKS, Corps osiriens, S. 42–44. Vgl. FAVARD-MEEKS, Behbeit el-Hagar, 346; EAD., The Temple of Behbeit, S. 108; FAVARDMEEKS/MEEKS, Corps osiriens, S. 42–43. Siehe zu diesem heiligen Baum von Behbeit MEEKS, Mythes et légendes, S. 134–135, Anm. 456; S. AUFRÈRE, Les végétaux sacrés de l’Égypte ancienne, in: Aufrère (Hrsg.), Encyclopédie religieuse I, S. 121–207: 174–175; LEITZ, Gaumonographien, S. 292. Die botanische Identifikation ist unklar (nach AUFRÈRE evtl. Steinklee, dagegen aber MEEKS), der Name bildet ein Wortspiel mit dem Tempel- bzw. Ortsnamen (Pr-)@bj.t.

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Seth und seiner Bande beschützt.2763 Später soll auf dem Grab der Achet-Kuh, die offenbar von Seth getötet wird (was allerdings nicht ausgeführt wird), ein Tamariskenwäldchen gewachsen sein. Im Deltapapyrus wurde das Motiv offenbar lokal adaptiert und die Tamariske durch den HbAy.t-Baum ersetzt; weiter vorne im Abschnitt über Behbeit wird angedeutet, daß die Göttin (die nur als mw.t-nTr „Gottesmutter“ bezeichnet wird) von Seth gefesselt und unter ebendiesem Baum vergewaltigt wird (14, 1–2).2764 Im ptolemäischen Isis-Tempel von Behbeit el-Hagara erscheint die kuhköpfige Isis-Achet als Hauptgöttin in der südlichen Osiriskapelle, dem „Hohen Haus“ (pr qA). 2765 Die Achet-Kuh wurde auch nach Zerstörung des Tempels, noch im 1. Jh. n. Chr. dort verehrt.2766 4.13.3 17. und 18. Oberägyptischer Gau: pJumilhac Der pJumilhac, ein hieroglyphisch geschriebenes kulttopographisch-mythologisches Handbuch für den 17./18. oberägyptischen Gau, dessen Niederschrift wohl an den Beginn der Ptolemäerzeit oder noch früher zu datieren ist,2767 überliefert mehrere Mythen, die teilweise lokale Spezialversionen der überregional bedeutenden Mythenkreise wie etwa des Osirisund Horusmythos darstellen.2768 Isis wird in der Götterliste des Gaues auf Seite 4 nur mit ihrem Eigennamen im Kreise ihrer Familie nach Osiris und Horus genannt (4, 18), die wiederum nach verschiedenen Formen des Anubis, dem Hauptgott des Gaues, und dem Ba des Osiris, Herr von Hardai,2769 stehen. Ihr Heiligtum wird Hw.t mnx.t „das Haus der Vortrefflichen/das vortreffliche Haus“2770 genannt (7, 9), ihr wab-Priester heißt sAw-rDw („der den Ausfluß (des Osiris) behütet“) oder smn-afn.t („der das Kopftuch befestigt“). Ersterer Titel scheint sich auf die Leichensäfte des Osiris zu beziehen, die als sog. ‚Osirisreliquie‘ eine

2763 R. A. CAMINOS, Another Hieratic Manuscript from the Library of Pwerem Son of Kiki (Pap. BM 10288), in: JEA 58, 1972, S. 205–224: 210–213; vgl. MEEKS, Mythes et légendes, S. 287. 2764 Siehe dazu auch M. SMITH, Reign of Seth, S. 402; JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 147–148; LEITZ, Gaumonographien, S. 287–288 u. 292: Offenbar spielt auch die große Gaumonographie in Edfu im Abschnitt über den Sebennytes auf diese Episode an, allerdings in negierter Form: „Horit (oder: die Göttin/das Falkenweibchen?) ist unversehrt, ohne daß es ihre Verletzung gibt.“ (Edfu I, 333, 6); kurz darauf wird der Hby.t-Baum als heiliger Baum genannt (Edfu I, 333, 8). 2765 Siehe dazu oben, Kap. 4.4.2. 2766 FAVARD-MEEKS, Constructions de Nectanébo II, S. 106; EAD., Toponymes Nétjer, S. 44, Anm. 87; EAD., Behbeit el-Hagara, S. 359–360: im griechischen pLund III, 10, von 98 n. Chr. wird Isidos polis im Sebennytes als Kultort der heiligen Kuh Ἦχις genannt, siehe K. HANELL, Aus der Papyrussammlung der Universitätsbibliothek in Lund, Lund 1938, S. 22 u. 24, Anm. 23. 2767 Siehe J. F. QUACK, Corpus oder Membra disjecta. Zur Sprach- und Redaktionskritik des Papyrus Jumilhac, in: W. Waitkus (Hrsg.), Diener des Horus – Festschrift für Dieter Kurth zum 65. Geburtstag, Aegyptiaca Hamburgensia 1, Gladbeck 2008, 203–228: 206–207. Die Redaktionsgeschichte des Textes reicht sogar bis mindestens in das Neue Reich zurück, ibid. 2768 Vgl. dazu QUACK, Lokalressourcen. 2769 Die in pJumilhac und anderen Quellen für den 17.–18. o.äg. Gau aufgeführten Ortsnamen wurden bisher teilweise falsch gelesen, was inhaltlich zu großer Verwirrung führte. Nach Ph. Collombert bezeichnen die verschiedenen Schreibungen und Namensvarianten mit derselben Konsonantenfolge ein und denselben Ort, die Hauptstadt Hardai (@w.t-rdw/@w.t-rDw = @r-dw/@r-dy), siehe dazu oben, Kap. 4.6.1.A, Anm. 1065. 2770 VANDIER, pJumilhac, S. 159, (164), gibt noch den alternativen Übersetzungsvorschlag als „Stoffhaus“, das aber üblicherweise nur einen Teil eines Tempels ausmacht.

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zentrale Rolle für den Gau spielen. Der zweite Titel könnte ebenfalls mit Osiris oder aber auch mit Isis selbst zu tun haben.2771 Der Abschnitt 1, x+3–4, 15 schildert die Kämpfe von Horus, Anubis, Thoth und Isis gegen Seth und seine Rotte, die das Osirisgrab überfallen haben.2772 Isis tritt darin als wütende und starke Kämpferin auf, die sich auch körperlich an den Gefechten beteiligt und die Feinde zur Strecke bringt: wnn As[.t] sTp ibH.w=s m psD =f Isis aber stieß ihre Zähne in seinen (= Seths) Rücken… (1, x+13–14) Später versammelt Seth seine Bande erneut um sich, und ein längerer Abschnitt (2, 21–3, 12)2773 schildert das Vorgehen von Isis, nun in der Hauptrolle, gegen diese,2774 indem sie sich zunächst auf dem Berg südlich von Hardai versteckt und die Gestalt „ihrer Mutter Sachmet“ annimmt, die Feindvernichterin par excellence (2, 21–23). Sachmet als Mutter der Isis erscheint noch zwei weitere Male innerhalb des Papyrus,2775 ist ansonsten aber nicht gängig. QUACK erwägt, ob hier ursprünglich eine lokale Göttin diese Rolle spielte, die später durch die überregionale Isis ersetzt wurde.2776 Das anschließende Verbrennen der Feinde durch Isis-Sachmets Flamme wird als Ätiologie für eine lokale Form der Hathor, „Herrin der beiden Kohlenbecken“ (nb.t ax{x}.wj) und einen dazu gehörigen Heiligtumsnamen („Haus der Herrin der beiden Kohlenbecken“) bei elSiririya herangezogen (2, 23–25);2777 Isis und Hathor sind hier also als eine Göttin aufgefaßt, was in 21, 23 mit den Worten ir @w.t-@r nt(.t) m s.t tn As.t pw „Was die Hathor betrifft, die an diesem Ort ist: Isis ist es.“ verdeutlicht wird. 2778 Die hinterste Vignette auf Seite 21 des Papyrus stellt diese Form entsprechend als löwenköpfige Göttin mit Hathorkopfschmuck und zwei Feuerbecken oder Fackeln in den Händen dar. Im weiteren Verlauf der Ereignisse entdeckt Seth selbst Isis und verfolgt sie in Gestalt eines Stieres mit offenbar sexuellen Absichten (wie im Deltapapyrus, s. o.), während sie sich in eine Hündin mit einem Messer an der Spitze des Schwanzes verwandelt und vor ihm davon läuft (3, 1–3).2779 Seth schleudert 2771 In einem Text in Kom Ombo wird Isis „Herrin des Kopftuches“ genannt (Kom Ombos I, Nr. 16). Vgl. dazu auch Göttinnen bzw. die Uräusschlange als Verkörperungen der Perücke (des Sonnengottes), siehe dazu TÖPFER, Sothisritual, S. 125–127. 2772 Zu dieser Episode vgl. VANDIER, pJumilhac, S. 103–105 u. 109–110; siehe auch STERNBERG, Mythische Motive, S. 144–151. 2773 Vgl. auch eine kürzere Version dieser Episode im geographischen Teil des Papyrus (21, 21–22, 3). 2774 Zu diesem Abschnitt vgl. auch QUACK, Lokalressourcen, S. 15–16. 2775 21, 24 und 22, 2; vgl. VANDIER, pJumilhac, S. 35 u. 109. 2776 QUACK, Lokalressourcen, S. 15; vgl. dazu auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 246–247. 2777 Das Epitheton und der Ortsname sind auch in anderen Quellen, unter anderem aus el-Siririya selbst, belegt, siehe LGG IV, 33b. Das Felsheiligtum der Hathor, das auf Merenptah zurückgeht, ist teilweise noch erhalten; siehe dazu VANDIER, pJumilhac, S. 50; PM IV, S. 126–127; H. SOUROUZIAN, Une chapelle rupestre de Merenptah dédiée à la déesse Hathor, maitresse d‘Akhouy, in: MDAIK 39, 1983, S. 207–223. 2778 Vgl. dazu die ähnlichen Formulierungen im Handbuch aus Tebtynis, pTebt. H I, X 4, 2: „Was jede Hathor betrifft: Isis ist es.“, und X 4, 5 zur Hathor von El-Siririya. Siehe oben, Kap. 4.13.1.1. 2779 In der Kurzfassung der Geschichte wird in pJumilhac, 20, 11 konkret gesagt, daß Isis sich in Anubis verwandelt. Vgl. zu dieser Episode auch M. SMITH, Reign of Seth, S. 402–403; VANDIER, Anubis fe-

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frustriert seinen Samen zu Boden, woraufhin eine Pflanze (Flaschenkürbis) entsteht;2780 Isis aber – nun in eine Schlange verwandelt – flüchtet sich wiederum auf einen Berg und bewacht die Bande des Seth (3, 3–8). In dieser Form wird die Göttin kulttopographisch als Hathor, Herrin von Geheset,2781 verehrt (3, 8).2782 Als Kobra tötet Isis die Feinde nun mit ihrem Gift (3, 10–11). Die Schlangengestalt erklärt sich wohl aus einer Verbindung mit Uto, die ebenfalls eine wichtige Göttin des 18. oberägyptischen Gaues war. 2783 Diese wird in den Erläuterungen zu den Hauptgöttern des Gaues und ihren Beziehungen zu Anubis (Seite 6) als „Isis, Mutter des Anubis“ bezeichnet (6, 2). 2784 Anubis wiederum wird in den darauf folgenden Sätzen als Name des Horus, Sohn der Isis und des Osiris, erklärt (6, 3–9). Mit Anubis und einer Lokalität im 17.–18. o.äg. Gau ist Isis auch im Titel eines Priesters namens Paesis (Pa-As.t „Der der Isis“) der 30. Dynastie verbunden, der Hm-nTr n As.t Pr-Inpw „Prophet der Isis von ‚Haus des Anubis‘“ lautet, wobei ein solches Toponym auch in pJumilhac, 15, 15 belegt und wohl in bzw. um Hardai zu lokalisieren ist.2785 Anspielungen auf Isis’ Angriffe gegen Seth sind verstreut auch in anderen Ätiologien und längeren Erzählungen des Papyrus zu finden, z. B. in 6, 18–19. Ein anderer Mythos, der sich um den Imiut-Balg dreht (12, 22–13, 10), spielt auf einen im Gau von Aphroditopolis, genauer im Tempel der Hathor, der Herrin von Mefkat, begangenen Frevel an (12, 23);2786 näher ausgeführt wird die entsprechende mythische Episode in

2780

2781 2782 2783 2784

2785 2786

melle. Vgl. die Angabe der Gauprozession Dend. I, 90, 15–97, 3, die für den 16. o.äg. Gau die Hündin AS.t nennt, die Seth zerschneidet, vgl. Kap. 4.6.2; LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 211–213. T. DUQUESNE, The Jackal Divinities of Egypt I. From the Archaic Period to Dynasty X, OCE 6, London 2005, S. 87–89; 402–404; nahmen an, daß die Existenz einer weiblichen Anubisform Inpw.t im Kynopolites eventuell bis in das AR zurückgeht; vgl. dazu auch BUDDE, Götterkind, S. 261–262. Die Belege sind allerdings alles andere als sicher, siehe zur Kritik COLLOMBERT, Le toponyme, S. 24–25, der eine Neuerung der Spätzeit (aus der alle sicheren Belege frühestens stammen) für wahrscheinlicher hält. Der daraufhin von Isis geäußerte Ausruf bw.t wdj(.t)=k kA „Dein Ejakulieren ist Abscheu, Stier!“ dient dabei als Ätiologie für den Namen der Pflanze bdd.w-kA, siehe VANDIER, pJumilhac, S. 148, (59); vgl. zu dieser Pflanze und ihrer Anwendung in medizinischen Rezepten bzw. Schwangerschaftsprognostika (später adaptiert für griechische Rezepte) T. POMMERENING, βούτυρος ‚Flaschenkürbis‘ und κουροτόκος im Corpus Hippocraticum, De sterilibus 214: Entlehnung und Lehnübersetzung aus dem Ägyptischen, in: Glotta 86, 2010, S. 40–54, zur Stelle S. 53; EAD., Milch einer Frau, die einen Knaben geboren hat, in: Kousoulis/Lazaridis (Hrsg.), Tenth International Congress, S. 2083–2095: 2090–2093. Siehe dazu VANDIER, pJumilhac, S. 53–54. Vgl. die Kurzfassung im kulttopographischen Abschnitt über Geheset: 23, 10–16. Zu Uto im pJumilhac, siehe VANDIER, pJumilhac, S. 35. Ähnlich auch pJumilhac, 13, 9–10. Vgl. zu Uto als mütterlicher Hauptgöttin des 18. o.äg. Gaues auch die entsprechenden Abschnitte in der kulttopographischen Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen, wonach Isis in Hardai „Uto“ genannt wird, sowie in der Gauprozession Dend. I, 90, 15–97, 3: „du bist Uto, indem sie ihren Sohn aufzieht, die ihr Kind stillt mit Milch.“; siehe Kap. 4.6.1.A und 4.6.2. In einer Mundöffnungsszene in Edfu (Edfu VII, 235, 13–326, 11) tritt Uto von Hardai zusammen mit Anubis auf und übernimmt die Rolle der Isis, vgl. BUDDE, Götterkind, S. 258, Anm. 1369. Siehe dazu N. RODRIGUEZ I CORCOLL, Sacerdoci i cultes del nord de l’Egipte Mitjà durant la Baixa Època (s. VII–IV aC). Del nomus 14 al 22 de l’Alt Egipte, Nova studia aegyptiaca 7, Barcelona 2009, S. 303–304; 310 u. 316–317. Vgl. auch pJumilhac, 9, 2. Zum Hathorkult von Atfih (Aphroditopolis) siehe ALLAM, Beiträge zum Hathorkult, S. 92–93.

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einem späteren Teil des Papyrus in einer Ätiologie zum Ortsnamen ‚Stadt der Kuh‘ (njw.t nj.t iH.t),2787 deren Hauptgottheit Isis ist (21, 1–9). Darin heißt es, daß der Name von derjenigen Kuh abgeleitet ist, die Thoth dort fand und deren Kopf er auf den Rumpf „dieser Göttin“2788 aufsetzte, nachdem ein Frevel im Gau von Aphroditopolis (&p-iH.w) begangen worden war. In pJumilhac wird diese gut bekannte Episode von der Köpfung der Isis2789 jedoch nur als Grundlage für den lokalen Mythos um den Gott Anti, der hier die Rolle von Horus einnimmt, und das Imiut zitiert.2790 Die HsA.t-Kuh wird darin als Mutter des Imiut dargestellt und belebt den Tierbalg mit ihrer Milch (13, 3–5); sie ist mit Isis und Hathor gleichzusetzen. Im kulttopographischen Abschnitt über die ‚Stadt der Kuh‘ wird diese auch Hw.t wSby.t „Haus der wSby.t-Kuh(?)“2791 genannt (21, 1), und der wab-Priester der Göttin „Stallhüter“ (sAw-sA) (21, 7). Das Fest der Isis an diesem Ort findet am 5. Tag von IV. Ax.t (= 5. Choiak) statt (21, 9).2792 Aus der Spätzeit ist auch der Priestertitel „Prophet der Isis von ‚Stadt der Kuh‘“ (Hm-nTr As.t nj.t njw.t nj.t iH.t) auf zwei Statuen belegt.2793 Auch in der Legende der zwei Kästen des Horus (13, 15–14, 21) spielt Isis eine, wenngleich untergeordnete, Rolle an der Seite ihres Sohnes Horus-Anubis. Sie besucht mit ihrem Sohn den Ort im Gebirge, wo seine beiden Udjataugen vergraben liegen, aus denen in der Zwischenzeit Weinreben getrieben haben (14, 5–8). Horus erbaut seiner Mutter daraufhin einen Palast an diesem Ort, der „Haus der Gottesgemahlin“ genannt wird, und sie sorgt für die Bewässerung der Pflanzen, „um sie zu beleben“. Sie führt damit für die Pflanzen die gleiche Funktion aus, die sie sonst auch durch ihre Libationen gegenüber Osiris ausübt.2794 Anschließend bittet Isis Re darum, Horus seine Augen zurückzugeben und ihn auf den Thron seines Vaters zu setzen (14, 8–10). Und Re befiehlt, daß alles getan werde, was die Göttin verlangt, denn „ihre Rede ist süß (bnr)“ (14, 11). Diese Erzählung dient wiederum als Ätiologie für die Dattelpalme (bnr.t), die dem Text zufolge eine Erscheinungsform der Isis ist, 2787 Zu diesem Toponym, das möglicherweise nahe bei Tehneh im 16. o.äg. Gau zu lokalisieren ist, siehe die Erläuterungen von VANDIER, pJumilhac, S. 47–49; vgl. außerdem TÖPFER, Sothisritual, S. 65–67, i). 2788 Zur Verwendung der allgemeinen Bezeichnung „diese Göttin“ (nTr.t tn) vgl. die Formulierungen des Deltapapyrus, s. o., Kap. 4.13.2. 2789 Siehe ausführlicher dazu oben, 4.13.2, zu der entsprechenden Stelle im Deltapapyrus. 2790 Siehe zur ausführlichen Interpretation VANDIER, pJumilhac, S. 63–73; T. DUQUESNE, Milk of the Jackal: Some Reflexions on Hezat, Anubis and the imywt, in: Cahiers caribéens d’égyptologie 1, 2000, S. 53–60; E. WELVAERT, The fossils of Qau el Kebir and their role in the mythology of the 10th nome of Upper-Egypt, in: ZÄS 129, 2002, S. 166–183: 174–176; vgl. auch JØRGENSEN, Egyptian Mythological Manuals, S. 52–53 u. 244. 2791 Siehe zur Diskussion des Wortes, das häufig im Kontext der um Osiris trauernden und ihn beschützenden Isis verwendet wird, M. SMITH, The Demotic Mortuary Papyrus Louvre E. 3452, Chicago 1979, S. 51–55. Ein demotisches Graffito in Philae erwähnt ein wSb-Gefäß, das zum Isistempel gebracht wird: Ph. 415. Tatsächlich werden solche Gefäße in den Choiakritualen für die Wiederbelebung des Osiris genutzt, vgl. CHASSINAT, Khoiak, S. 211–213. Vgl. zu Isis als Kuh beim Beschützen des Osiris auch den Abschnitt über die Achet-Kuh in Behbeit el-Hagar im Deltapapyrus und die verwandte mythologische Episode in pBM 10288, s. o., Kap. 4.13.2. 2792 Die erhaltenen Festkalender der griechisch-römischen Tempel geben für den 5. Choiak kein Isis-Fest an, vgl. A. GRIMM, Festkalender, S. 383. 2793 Siehe VANDIER, pJumilhac, S. 47; LGG I, 73a. 2794 Vgl. z. B. ihre Titel dj.t-anx „Lebensspenderin“ und qbH.t „Spenderin von kühlem Wasser“ in Philae, siehe oben, Kap. 4.1.2; vgl. LGG IV, 775b–c; VII, 183c–184c.

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da sie in der Form einer vorgebeugten Frau gleiche (14, 12–13). 2795 Isis beschützt den Weinberg und die darin verborgenen Augen des Horus wie in der Natur die Dattelpalmen die Weinreben beschatten, an deren Rand sie oft gepflanzt sind.2796 Traditionell hausen in diesen Bäumen, ebenso wie in der Sykomore, himmlische und Nahrung spendende Göttinnen.2797 Für die Ikonographie einer vorgebeugten Isis gibt es einige wenige Beispiele (eines davon wiederum aus Atfih), die sie zusammen mit Horus „der auf seinem Papyrus ist“ zeigen, einer Horusform, die in Buto verehrt wurde.2798 Die Dattelpalme wird noch an einer anderen Stelle des Papyrus erwähnt und war für den 18. o.äg. Gau offenbar von einiger Bedeutung, wenngleich sie nicht in der Liste der ‚offiziellen‘ heiligen Bäume (12, 11) geführt wird: So wird der Ortsname rA-n-pr-bnr.w auf ein Dattelpalmenwäldchen zurückgeführt, das aus dem Ausfluß des Osiris erwachsen ist (8, 20–21).2799 Das Motiv, daß Isis vor den Göttervater Re tritt und verlangt, daß Horus sein rechtmäßiges Erbe antrete, ist ein gängiges Element des Horusmythos, das in zahlreichen Texten wiedergegeben oder erwähnt wird; in CT 148 zum Beispiel kündigt sie dies bereits vor seiner Geburt vor Re-Atum und der Neunheit an und verlangt, daß er beschützt werde.2800 Eine Kurzversion der Geschichte vom Urteil über Horus und Seth findet sich auch im pJumilhac selbst (16, 23–17, 14): Isis und Horus beschweren sich bei Re über die Untaten des Seth, woraufhin der Göttervater Thoth beauftragt, über die Streitenden zu richten. In den kulttopographischen Monographien über die bedeutenden Orte der beiden Gaue (17. und 18.) werden unter anderem die jeweiligen Hauptgötter mit ihren spezifischen Formen aufgezählt (19, 1–23, 16). Neben den bereits erwähnten Isis-Hathor-Sachmet, „Herrin der beiden Kohlenbecken“ bei El-Siririya, der kobragestaltigen Isis-Hathor(-Uto) von Geheset und Isis von ‚Stadt der Kuh‘, wird auch für @w.t-nswt, die alte Hauptstadt des 18. Gaues, eine Isis genannt. Ihre Kultstatue zeigt sie der Beschreibung zufolge in Menschengestalt thronend mit Hathorkrone und ihrem Sohn in den Armen (also im Typus der Isis lactans) (19, 10), und diese wird in der Vignette auf Seite 19 auch dargestellt.2801 4.13.4 Fayum: Das Fayumbuch Das Buch vom Fayum ist in mehreren, teilweise sehr fragmentarischen, hieroglyphischen und hieratischen Versionen – letztere teils mit demotischer Übersetzung und Kommentar – 2795 Zu dieser Episode, besonders in Hinblick auf die Kombination Weinberg und Dattelpalmen, siehe auch BAUM, Arbres et arbustes, S. 261–262; F. SERVAJEAN, Enquête sur la palmeraie de Bouto (I). Les lymphes d’Osiris et la résurrection végétal, in: Aufrère (Hrsg.), Encyclopédie religieuse I, S. 227–247: 240–243; außerdem QUACK, Lokalressourcen, S. 16–17. AUFRÈRE, Parures vegetales, S. 390, interpretiert die „gebeugte Isis“ als die um Osiris trauernde Isis, zumal die Dattel ein spezifisches Opfer für Osiris darstellt, vgl. dazu S. CAUVILLE, Une offrande spécifique d’Osiris: le récipient de dattes mDA n bnr, in: RdÉ 32, 1980, S. 47–64. Zu Isis als Baum vgl. auch die Ausdeutung der Akazie, des heiligen Baumes des 14. o.äg. Gaues (Cusae), als Isis respektive Nephthys in PSI I 72, 4, 8–9, s. o., Kap. 4.13.1.2. 2796 Vgl. BAUM, Arbres et arbustes, S. 261. 2797 Siehe BAUM, Arbres et arbustes, S. 103; 277–280. 2798 Vgl. den ausführlichen Kommentar und die Bildverweise bei VANDIER, pJumilhac, S. 186–187, (431). 2799 Vgl. dazu BAUM, Arbres et arbustes, S. 104–105. 2800 Zu CT 148 siehe unten, Kap. 5.1.4 und 6.5.1.1. 2801 Vgl. VANDIER, pJumilhac, S. 209, (675–676).

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aus römischer Zeit belegt. 2802 Wie der Rufname andeutet, handelt es sich dabei um ein kulttopographisches Handbuch für das Gebiet des Fayum, wobei einige Kopien mit zahlreichen Vignetten illustriert sind. Das Alter der Komposition insgesamt ist ungewiß; die einzelnen Textträger werden von BEINLICH etwa zwischen dem Ende des 1. und der ersten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. angesetzt, die Entstehungsphase vermutet er bereits in der Ptolemäerzeit.2803 Wie im Deltapapyrus und in pJumilhac (s. o.), wird auch im Fayumbuch auf den Mythos des abgehackten Kopfes der Göttin von Atfih angespielt. Im 1. Papyrusabschnitt, der ‚Landkarte‘ des Feuchtgebietes (Hn.t) stellt eine Vignette unterhalb des in der Mitte verlaufenden langen Kanals (Bahr Yussuf)2804 eine auf einem Sockel liegende Kuh mit einer aus Hörnern, Sonnenscheibe und Federn bestehenden Krone dar, die als nb(.t) &p-iH „Herrin von Atfih“ bezeichnet wird.2805 Der Begleittext2806 gibt nähere Informationen zu dem Ort, an dem sie verehrt wird: s.t tn WDa-tp.w (pw) rn=f Dieser Ort, ‚Abschneiden der Köpfe‘ ist sein Name. s.t sSm ix.wt n %bk ^d.t Es ist der Platz des Bringens von Dingen zu Sobek von Schedet n mw.t=f As.t nb.t Mdnj.t und zu seiner Mutter Isis,2807 Herrin von Medenit (= Aphroditopolis, 22. o.äg. Gau). (Z. 66–68)2808

2802 Edition von BEINLICH, Buch vom Fayum; Neuedition ID., Mythos I–II (der dritte Band zu den hieratisch-demotischen Handschriften ist in Vorbereitung durch H. BEINLICH und R. JASNOW); vgl. auch die jeweiligen Rezensionen von PH. DERCHAIN, in: BiOr 51, 1994, S. 42–50; und C. LEITZ, in: OLZ 111/2, 2016, S. 115–118. Außerdem H. BEINLICH, Ein Fragment des Buches vom Fayum (W/P) in Berlin, in: ZÄS 123, 1996, S. 10–18; ID., Hieratische Fragmente des ‚Buches vom Fayum‘ und ein Nachtrag zu BF Carlsberg, in: ZÄS 124, 1997, S. 1–22; ID., Drei weitere hieratische Fragmente des „Buch vom Fayum“ und Überlegungen zur Meßbarkeit der Unterwelt, in: ZÄS 126, 1999, S. 1–18; F. R. HERBIN, La section I du Livre du Fayoum d’après le pLouvre AF 13423, in: ZivieCoche/Guermeur (Hrsg.), Hommages Yoyotte I, S. 557–578; BEINLICH/SCHULZ/WIECZOREK (Hrsg.), Mysterious BoF, bes. H. BEINLICH, The Book of the Faiyum, ibid., S. 27–78. Vgl. auch die Bemerkungen in QUACK, Lokalressourcen, S. 19–21, besonders zu den ‚Landkarten‘ im 1. und 3. Papyrusabschnitt (Kanal und See); LIPPERT, Fayyûm als Abbild. 2803 Siehe zur Datierungsfrage BEINLICH, Mythos I, S. 35–38. 2804 Bei Hn.t n.t Mr-wr, der den 1. Papyrusabschnitt einnimmt, handelt es sich konkret um den Abschnitt des Bahr Yussuf von seiner Wendung nach Westen an bis zum Fayumsee, vgl. LIPPERT, Fayyûm als Abbild, S. 96. 2805 BEINLICH, Buch vom Fayum, Taf. 4, ; ID., Mythos I, S. 45, Abb. 18; 51, Abb. 25; Taf. 4. Zur engen Beziehung zwischen dem Fayum und dem Aphroditopolites (22. o.äg. Gau) vgl. H. WILD, Quatre statuettes du Moyen Empire dans une collection privée de Suisse, in: BIFAO 69, 1971, S. 89– 130: 102–104; WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 218–219, (a). 2806 Ich danke J. F. QUACK herzlich für zahlreiche Hinweise und Verbesserungen (ggü. BEINLICHs Editionen) von Lesungen insbesondere in den hieratischen Textzeugen des Fayumbuches, die in die folgenden Übersetzungen der zitierten Auszüge übernommen wurden. 2807 Oder: „…Platz des Bringens von Dingen des Sobek zu seiner Mutter Isis“? Zu Sobek als lokaler Form des Horus (und auch des Osiris) im Fayum vgl. z. B. TALLET, Isis, the Crocodiles; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 158–159 u. 228–233.

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Ein zweiter Ort gleichen Namens2809 wird nochmals im 3. Papyrusabschnitt am Ufer des Fayumsees genannt, mit auffällig ähnlichen Inhalten (Z. 473–479): s.t tn WDa-tp.w rn=f Dieser Ort, ‚Abschneiden der Köpfe‘ ist sein Name. s.t pw ntj %bk ^d.t Hr ix.wt As.t Es ist der Ort des Sobek von Schedet wegen(?) der Dinge(?) (ix.wt) der Isis. nb.t (&p-iH.w) tp.w &A-S rn=s Herrin (von Atfih und)2810 der Köpfe des Seelandes ist ihr Name. Was jeweils mit den „Dingen/Angelegenheiten der Isis“ gemeint ist, ist nicht ganz klar: Wird damit auf die mythische Episode vom Abschlagen des Kopfes angespielt oder ist ix.wt als „Opfergaben“ zu verstehen?2811 Des weiteren kann ix.wt speziell ab der Spätzeit auch Glieder oder Körpersubstanzen eines Gottes bezeichnen.2812 Bei ersterer Textstelle würde es sich dann, je nach Übersetzungsvariante, 2813 entweder um Körpersubstanz des Sobek oder eines ungenannten Gottes (Osiris?) handeln, im zweiten Zitat hingegen um diejenige der Isis (= der Kopf?). Diese Abweichung erscheint angesichts der sonstigen Ähnlichkeit der beiden Abschnitte etwas irritierend. In der jeweils genannten Hauptstadt Schedet selbst ist ein Tempel (oder eine Kapelle) der Göttin bereits seit dem Neuen Reich bezeugt.2814 Im 3. Papyrusabschnitt, der sich um den Fayumsee und seine Ufer dreht, findet sich innerhalb des in der Mitte dargestellten Sees eine kleine Vignette, die die zwei Beine des Osiris darstellt, dessen Name in der Bildbeischrift genannt wird.2815 Im Gegensatz zu der bekannten Darstellung der Beine in Philae2816 werden diese hier jedoch einzeln nebeneinandergestellt und sind jeweils stark gebeugt. Der Begleittext besagt, daß Osiris aus Herakleopolis herauskommt und sein Weg geleitet wird durch seine Schwester Isis (Z. 187).2817 „Der Weg 2808 Siehe dazu auch ZECCHI, Geografia religiosa, S. 204; LIPPERT, Divinités du Fayoum, S. 95–97. 2809 ZECCHI, Geografia religiosa, S. 204, glaubt, daß es sich um zwei verschiedene Orte gleichen Namens (und mit den gleichen Hauptgöttern) handelt; ebenso PERNIGOTTI, Isis a Bakchias, S. 211; und LIPPERT, Divinités du Fayoum, S. 95–96, mit Kommentar zu den zitierten Stellen; zur geographischen Interpretation der „Landkarte“ im Fayumbuch vgl. auch EAD., Fayyûm als Abbild, S. 100–105. 2810 Nur in Version Bo. A vorhanden und von BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 185, als Verwechslung aufgrund der Kopf-Hieroglyphe des Wortes tp.w „Köpfe/Leute“ gedeutet. Es dürfte sich eher um ein beabsichtigtes Wortspiel als um ein Versehen handeln, wie auch die Parallele im liturgischen pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 nahelegt, siehe unten, Kap. 6.1.2.2. 2811 So verstanden von LIPPERT, Divinités du Fayoum, S. 96, die obige Stelle übersetzt als: „Es ist der Ort des Sobek von Schedet mit den Opfergaben der Isis“; von BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 185, wird ix.wt dagegen mit „Eigentum“ übersetzt. 2812 Vgl. J. F. QUACK, Das Pavianshaar und die Taten des Thot (pBrooklyn 47.218.48+85 3, 1–6), in: SAK 23, 1996, S. 305–333: 310–311. 2813 Vgl. Anm. 2807. 2814 ZECCHI, Geografia religiosa, S. 31–32 u. 73; vgl. auch RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 32, zu Belegen aus ptolemäischer Zeit; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 132, die jedoch nur von einem Heiligtum ab dem 3. Jh. v. Chr. spricht. Zu Isis in Schedet, siehe auch unten, Kap. 6.1.2. 2815 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 109–110, Abb. 46, ; ID., Mythos I, S. 75–76, m. Abb. 61. 2816 BÉNÉDITE, Philae, Taf. 40; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich II, S. 76, Abb. 101. 2817 Vgl. dazu auch ZECCHI, Geografia religiosa, S. 75 und 173–174.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

des Osiris“ wird bereits ganz am Anfang des Buches in einem zerstörten Zusammenhang mit der Überschwemmung erwähnt (Z. 1–4) und offenbar mit dem Feuchtgebiet (Hn.t) des Bahr Yussuf gleichgesetzt.2818 Im Gau von Herakleopolis wurde tatsächlich ein Bein als ‚Reliquie‘ des Osiris verehrt.2819 Oberhalb des Sees bildet die Darstellung der thronenden Isis Nepherses (As.t nfr.t-s.t), die einen Hathorkopfschmuck mit zwei Uräen auf der Sonnenscheibe trägt, die erste Vignette.2820 Sie ist die Göttin von: diese[m] Ort, Hügel/Insel (iA.t/iw) ist sein Name. Es ist der Ort des Sobek von Schedet. Zufrieden ist Isis Nepherses dort. Der gemeinte Ort dürfte Soknopaiou Nesos, demotisch tA mAy.t (%bk nb Pay) „die Insel (des Sobek, des Herrn der Insel)“, sein, wo Sobek und Isis Nepherses als Hauptgötter verehrt wurden.2821 Der älteste Beleg für Isis Nepherses stammt von einer Statuette aus der Saitenzeit.2822 Im 5. Papyrusabschnitt über den Ort Ra-Sehui spielt Isis eine bedeutendere Rolle. Die Vignette zeigt den Tempel des Sobek, Herrn von Ra-Sehui. In einem Naos ruht die mumienförmige Gestalt des offenbar mit Osiris gleichgesetzten Sobek-Geb.2823 Der Naos ist dem Text zufolge von je einem Tor in allen vier Himmelsrichtungen umgeben; BEINLICH interpretiert diesen Gebäudekomplex als Lebenshaus, das ähnlich auch in pSalt 825 dargestellt ist.2824 Das Ende des Begleittextes zur Lebenshausdarstellung gibt an: rx sxn.w nb in As.t [n] sA=s @r Kennen aller Vorzeichen/Orakel durch Isis [für] ihren Sohn Horus.

2818 2819 2820 2821

Vgl. BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 110; vgl. auch S. 286 u. 323. Siehe BEINLICH, „Osirisreliquien“, S. 236–237. BEINLICH, Buch vom Fayum, Taf. 18, ; ID., Mythos I, S. 85, Abb. 77; Taf. 11. Vgl. BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 304; auch ZECCHI, Geografia religiosa, S. 227–228; LIPPERT, Fayyûm als Abbild, S. 101; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 167. Zu Isis Nepherses siehe: W. SPIEGELBERG, Demotische Miszellen, in: Recueil de travaux relatifs à la philologie et à l’archéologie égyptiennes et assyriennes (RecTrav) 26, 1904, S. 53–58: 55–56; BRICAULT, Isis Néphersès (die Behauptung BRICAULTs, S. 523–524, es habe ursprünglich eine eigenständige Gottheit Nepherses gegeben, stützt sich auf kein Argument, das S. 523 angegebene Zitat aus dem Fayumbuch ist falsch); ID., Trône; LIPPERT/SCHENTULEIT (Hrsg.), Tebtynis und Soknopaiu Nesos, Index, S. 193, s. v.; EAED., DDD II, S. 274, Index, s. v.; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 157–159; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 127–129; WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 216, (b). Siehe auch unten, Kap. 6.1.2. 2822 BRICAULT, Isis Néphersès, S. 523; W. SPIEGELBERG, Demotica II, SBAW, München 1928, S. 55–57. 2823 Vgl. BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 122–123. Zu Sobek als lokaler Osirisform im Fayum in griechisch-römischer Zeit siehe z. B. TALLET, Isis, the Crocodiles; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 209–213 (zur beschriebenen Vignette im Fayumbuch: 212). 2824 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 124, Abb. 56; ID., Mythos I, S. 99–111. Vgl. DERCHAIN, Papyrus Salt 825, S. 23*, Abb. XIIIb. Eine Erklärung dafür (und für die ungewöhnliche Schreibung ) liefert pSalt 825, 6, 5–6: „Was die vier Häuser und das Zeichen anx betrifft: der Lebende (anxy), das ist Osiris. Was die vier Häuser betrifft: das sind Isis, Nephthys, Geb und Nut.“; siehe DERCHAIN, Papyrus Salt 825, S. 48–51.

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Handbücher und Gaumonographien

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smn.tw n=f aHa.w=f Hr tp tA m Aw-ib Dt Seine Lebenszeit auf der Erde wird für ihn festgesetzt, in Herzensfreude, ewiglich.2825 (Z. 1004–1007) In der längeren Beschreibung des Lebenshauses im Fließtext heißt es, daß darin Weissagungen der Götter, vielleicht durch Orakelbefragung, eingeholt werden:2826 s.t pw n Snn.t xmnw.w sxr.w n it.w Nnw im Es ist der Platz, wo die Achtheit fragt nach den Angelegenheiten der Väter und des Nun, Snn.t Gbb sxr.w n ms.w=f im wo Geb fragt nach den Angelegenheiten seiner Kinder, Snn.t As.t sxn.w2827 n sA=s @r im m aHa.w=f Xr sxm.tj im und wo Isis fragt nach den Vorzeichen für ihren Sohn Horus in seiner Lebenszeit mit der Doppelkrone. (Z. 1030–1038) Mit Horus könnte in der realen Umsetzung der jeweils aktuell regierende Herrscher gemeint gewesen sein, für den entsprechende Rituale der Herrschaftsprognose/-bestätigung durchgeführt worden sein könnten.2828 Darauf folgt eine Beschreibung der Aktivitäten von Isis, die aus dem Osten in den Mochites (16. o.äg. Gau) gekommen ist:2829 Smj=s Hr tA-wr n iAbt.t n MH (= MA-HD) Sie zog von der ‚Backbordseite‘ (= Osten) des Ostens in den Oryxgau (Mochites),2830 grg=s pr Xr ix.wt=s sie gründete (dort) einen Tempel mit ihren Dingen (= ihrer göttlichen Körpersubstanz?),2831 2825 Übersetzung nach einem Vorschlag von J. F. QUACK (persönliche Mitteilung). 2826 Übersetzung nach QUACK, The Heliopolitan Ennead (dort Kommentar zum Problem der Schreibungen und Grammatik von Snj.tw/Snn.t, das von ihm als Relativform gedeutet wird); vgl. zum Inhalt auch den Kommentar von BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 129; außerdem STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 262–264, mit passiver Übersetzung von Snj.tw, wobei die von QUACK vorgeschlagene Relativform sogar besser zu dem von ihm edierten Text passen würde, da auch dort Isis diejenige ist, die nachfragt; siehe unten, Kap. 6.5.1.3. 2827 Nach Handschrift Botti A. B/H/A hat wieder sxr.w; vgl. aber den oben zitierten Abschnitt Z. 1004– 1007. 2828 Vgl. BEINLICH, Mythos I, S. 105. 2829 Eigene Übersetzung mit einigen Abweichungen (inklusive der Verbesserungen der Lesungen durch J. F. QUACK, siehe oben, Anm. 2806) von BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243; vgl. auch ID., Mythos I, S. 108; II, S. 375–376 und 466–467 (mit tw. abweichender Übersetzung zu derjenigen in Bd. I). 2830 Nach BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243, Anm. 2 „wohl ein Ort im Fayum“; dagegen ID., Mythos II, S. 466, Anm. 936, „wohl der nördliche Bereich des Fayum“. Tatsächlich handelt es sich um die abgekürzte Schreibung für MA-HD, den 16. o.äg. Gau (zur Schreibung siehe Wb II, 121, 11–12; WILSON, Ptol. Lex., S. 450–451). Bereits weiter vorne im Papyrus, innerhalb der Sobek-Litanei wird das Toponym erwähnt (Z. 701); auch hier muß allein aufgrund des Kontextes (Sobek als Herr der ägyptischen Gaue in ihrer Reihenfolge) der 16. o.äg. Gau gemeint sein. 2831 S. o., m. Anm. 2812.

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Isis und ihre Lokalformen in den Tempeln

sanx.n=s saH.w2832 m [r]m[T.w] [i]m2833 Sie hat die edlen Verstorbenen/Mumien(?) unter den Menschen dort belebt. stj sfT(.wt) m iwA.w Apd.w irp Hnq.t irT.t in2834 As.t Ausgegossen werden die (Schlacht-)Opfer2835 von Kühen, Vögeln, Wein, Bier und Milch durch Isis, dwA=s ir.t wnm.t n Ra m Dd.w während sie das rechte Auge des Re anbetet, mit den Worten: mj n=i sp sn mw.t Xr HD.t Komm zu mir, komm zu mir, Mutter/Mut mit der weißen Krone,2836 wsx.t tp n it=s Ra die einen breiten Kopf hat für ihren Vater Re!2837 2838 wDA ir=T Smj(.t) m nmt.t=T2839 Zieh doch aus, geh in deinen Schritten!2840 prj iqH.t m S snfnf Es möge herauskommen/kommt heraus 2841 die Leuchtende (Geierin) 2842 aus dem See-des-Herausspritzenden/-blutenden2843! 2832 Man beachte die Alliteration, ebenso im Folgenden. 2833 Abweichend in Bo. A: saHa=s saH.w m rmT.w im „Sie richtet die Mumien unter den Menschen dort auf.“ (Das hinter dem Determinativ zu saH.w dürfte aufgrund dieser häufigen Zeichenkombination im Wort Sps fälschlich hineingeraten sein). 2834 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243, emendiert zu und übersetzt zusammen mit dem Folgenden: „Isis, es preist sie das rechte Auge des Re…“. Dagegen ID., Mythos II, S. 466: in Is.t dwA=s ir.t wnmj… „Isis, sie preist das rechte Auge…“. 2835 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243, übersetzt versuchsweise mit „Opfertisch“ (mit Fragezeichen): „Es fließt über der Opfertisch…“. Das Messer-Determinativ deutet trotz der Zeichenreihenfolge stf auf ein von sfT „schlachten“ abgeleitetes Wort hin, das hier möglicherweise primär aufgrund der Alliteration ausgewählt wurde. 2836 Das Folgende zeigt, daß es um eine Geiergöttin geht. 2837 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243, übersetzt „indem sie sich breitet über den Kopf…“; vgl. auch LGG II, 589b: „die sich breit Machende am Kopf ihres Vaters Re“. Für diese Übersetzung würde man ein reflexives Pronomen und eine Präposition (Hr) erwarten. 2838 Das hier von BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 242; und ID., Mythos II, S. 376, transkribierte n ist nach Hinweis von J. F. QUACK nur eine Verfärbung des Papyrus. 2839 Am Ende des Begleittextes zur Lebenshausdarstellung steht „Kennen ihr Schreiten an diesem Ort“ kurz nach „Kennen jedes Suchens durch Isis“. Später, in Z. 1107 ist es der par.t-Vogel (Vogel-, kein Göttinnendeterminativ), der herauskommt, „um ihren Sohn zu schützen, (…), indem er umfaßt ist von ihrem Schritt“. 2840 BEINLICH, der anders transkribiert und segmentiert (vgl. Anm. 2838), übersetzt: n wDA ir, Sm m nmt „…um das Zugehörige zu schützen, die im Schreiten kommt“ (BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243; ID., Mythos II, S. 466–467). 2841 Könnte hier ein Optativ (im Anschluß an die vorangehenden Imperative) vorliegen, oder ist die lobende Anrufung bereits zu Ende, und die darauf folgenden Handlungen der Geiergöttin werden geschildert? 2842 Göttin in Geiergestalt, siehe Wb I, 138, 17; WILSON, Ptol. Lex., S. 117; LGG I, 568b–c. Wortspiel mit dem Verb iqH „gehen, betreten“? 2843 Zu snfnf, reduplizierte Form von snf „Blut, bluten“, siehe H. BEINLICH, Die spezifischen Opfer der oberägyptischen Gaue, in: SAK 7, 1979, S. 11–22: 12–13; ID., Mythos II, S. 466, Anm. 934; WILSON, Ptol. Lex., S. 863. Zur Bedeutung von Blut und rotem Pigment (Realgar bzw. Rubinschwefel oder Rauschrot) im 16. o.äg. Gau siehe LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 201–202.

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Handbücher und Gaumonographien

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mk wr.t ij.tj m Xss Siehe, die Große ist gekommen um die Ecke!2844 (Z. 1041–1056) Es folgt eine Rechnung, die mit der Zahl 160 anfängt und diese immer wieder halbiert, bis am Ende 5 steht, eingeleitet mit den Worten gsgs.tj „Ordnung, Berechnung“.2845 Der Sinn dieser Stelle ist noch unklar.2846 Elemente des zitierten Textes lassen sich in der Darstellung des Lebenshauses wiederfinden:2847 Von den beschriebenen Opfergaben sind Teile von Rindern, Wein und Milch erhalten, außerdem ein Opfertisch. 2848 Die Mumie im Naos könnte die „edlen Verstorbenen“ repräsentieren. Die Geiergöttin, um die es in der „Lobpreisung“ geht, ist rechts unten abgebildet. Die Frage nach der Verbindung des Tempels/Lebenshauses von Ra-Sehui mit den in dem Abschnitt beschriebenen kultischen Spezifika des Mochites muß vorerst offen bleiben.

2844 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 243; ID., Mythos II, S. 467: „Die große Schützerin, indem sie in die Ecke geht“. 2845 BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 242–243; ID., Mythos II, S. 376 u. 467, liest gs gs=f „die Seite seiner Hälfte“. Verbesserung oben nach J. F. QUACK (persönliche Mitteilung): Von dem angeblichen f ist im Papyrus (Botti A) tatsächlich nichts zu erkennen. 2846 Eine Studie zu dieser Stelle ist in Vorbereitung durch J. F. QUACK (im Rahmen einer Untersuchung zur religiösen Mathematik). 2847 Siehe BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 123 und Taf. 27–28. 2848 Vgl. auch BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 125.

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5

Analyse: Die Isishymnen, -litaneien und -eulogien und der Charakter der Isis in den ägyptischen Tempeln griechisch-römischer Zeit

5.1

Vergleichende Analyse der Texte: Form, Platzierung und Chronologie

5.1.1 Platzierung im Tempel: Inschriftenformen, Anbringungsorte Bei den unter Kap. 4 behandelten Texten handelt es sich einerseits um Hymnen und Litaneien mit relativ typischer, grammatikalisch auch komplexer, formaler Gestaltung, die teilweise mit einer rituellen Handlung bzw. einem performativen Sprechakt durch den Pharao (anbeten, preisen, den Boden küssen etc.) verbunden sind, andererseits um einfache Titel- und Epithetareihen mit weniger und anspruchsloserer formaler Gestaltung (meist im Nominalstil), die von ASSMANN auch als „Eulogien“ bezeichnet wurden.1 Zum Zwecke der genaueren Spezifizierung möchte ich sie „eulogische Epithetareihen“ nennen. Im geordneten Kosmos des Tempels haben bestimmte Arten von Texten auch einen bestimmten Platz; folgende Anbringungsorte lassen sich für die behandelten Wandinschriften feststellen: 1. Bandeau-Inschriften, 2 d. h. die oberen und unteren Randinschriften von Wänden (franz. „Bandeau de la frise“ und „Bandeau du soubassement“): Sie enthalten meist Informationen über die Errichtung und Dedikation eines Bauwerks oder Raumes, über die lokalen Hauptgottheiten sowie die Gottheiten und Funktionen einzelner Räume. Oft sind sie auch in Form von Hymnen und eulogischen Epithetareihen für die jeweilige Gottheit ausgestaltet. 2. Ritualszenen:3 Ein Hymnus oder eine eulogische Epithetareihe ist in eine Ritualszene integriert und mit bildlich dargestellter Ritualhandlung verbunden, z. B. preisen, Erde 1 ASSMANN, Liturgische Lieder, S. 6; ID., Re und Amun, S. 145–146. 2 Dazu gehören die Texte: Philä II, 6–7; Philä II, 8–9; Philä III, Nr. 114; Philä III, Nr. 2; Philä III, Nr. 59b; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 118; Kalabchah I, 169–170; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. III, 92, 10–13; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. VI, 86, 6– 10; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 183–185; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 46, 5–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Dend. XV, 337, 10–14; Deir Chelouit I, Nr. 11; Deir Chelouit I, Nr. 16; Deir Chelouit I, Nr. 39; Deir Chelouit III, Nr. 120; Deir Chelouit III, Nr. 121; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 157; El-Qal‘a I, Nr. 19; El-Qal‘a II, Nr. 171; El-Qal‘a II, Nr. 253; El-Qal‘a II, Nr. 254; Shanhûr I, Nr. 1; Shanhûr I, Nr. 3. 3 Dazu gehören die Texte: Philae-Hymne 1; Philae-Hymne 2; Philae-Hymne 3; Philae-Hymne 4; PhilaeHymne 7; Philae-Hymne 8 (und die Parallele BÉNÉDITE, Philae, 20); Philä I, 64–65; Dakke I, 266–269,

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

küssen, Sistrum spielen. Solche Hymnen und eulogische Texte innerhalb von Ritualszenen, wo sie meist im Textfeld der Rede des Königs erscheinen, sind insgesamt relativ selten. 3. Türen: Der wichtigste und häufigste Anbringungsort für Hymnen und eulogische Epithetareihen sind Tore und Türen.4 Hier gibt es verschiedene Stellen und Inschriftentypen: a. Außen am Türrahmen, auf den Türpfosten:5 Hierbei handelt es sich meist (aber nicht immer) um formal gestaltete Hymnen über mehrere Kolumnen. b. Innen in der Türlaibung (häufigster Anbringungsort): In den Türlaibungen findet oft eine Aufteilung der Textkolumnen zwischen der Gottheit und dem König statt; sie sind entsprechend einander zugewandt.6 Meist handelt es sich bei den der Isis zuzuordnenden Kolumnen um einfache Epithetareihen. Manchmal sind in den Türlaibungen aber auch reine Hymnen oder Eulogien an die Göttin platziert,7 z. B. die Hymnen im Isis-Tempel von Assuan. c. Die seitlichen Wände im Durchgang (bzw. Türschatten eines Tores) 8 oder die Wandflächen außen im Soubassement 9 eines Tores: Beide Anbringungsorte sind eher selten vertreten, enthalten dafür aber (aufgrund des Platzes) besonders längere Texte, z. B. snD-n-Hymnen. Die möglichen Gründe für die häufige Anbringung solcher Texte auf Türen sind vielfältig. Zunächst könnten bereits rein praktische Kriterien entscheidend sein, da sich die Form des Türrahmens aufgrund der schmalen Flächen eher für Inschriftenkolumnen als

4 5

6

7

8 9

§ 592–596; Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155. Ein Sonderfall (Türriegeltext) ist Philä III, Nr. 93. Eine Dissertation zu den Türinschriften speziell der Tempel von Edfu und Dendara ist in Vorbereitung durch J. TATTKO (Tübingen). Dazu gehören die Texte: Philae-Hymne 5; Philae-Hymne 6; Kalabchah I, 4; Dend. I, 74, 11–13; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 38, 2–5; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 60, 5–10; Opet I, 139; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 85; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; El-Qal‘a II, Nr. 195; El-Qal‘a II, Nr. 196; Shanhûr I, Nr. 58; Shanhûr I, Nr. 59. Dazu gehören die Texte: Philä I, 169; Philä I, 168–169; Philä II, 76–77; Philä II, 78–79; Philä III, Nr. 143; Philä III, Nr. 144; Philae-Photo 1297; Philae-Photo 1298; Bîgeh, 40; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 103, 6–11; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VII, 109, 13–110, 4; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Deir Chelouit II, Nr. 86; Deir Chelouit II, Nr. 87; El-Qal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a I, Nr. 32; ElQal‘a I, Nr. 69; Shanhûr I, Nr. 21. Dazu gehören die Texte: Philä II, 136–137; Assuan-Hymne 1; Assuan-Hymne 2; Assuan-Hymne 3; Assuan-Hymne 4; Assuan-Hymne 5; Assuan-Hymne 6; Edfu V, 332, 14–333, 2; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 189; Dend. II, 100, 6–11; Dend. III, 35, 9–11; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. XV, 210, 5–13; El-Qal‘a II, Nr. 217; El-Qal‘a II, Nr. 218; El-Qal‘a II, Nr. 238; El-Qal‘a II, Nr. 239. Die Türlaibungsinschrift Philae-Photos 1591–1592 (und die Parallele Philae-Photo 1331) enthält eine Hymne an Osiris, die von Isis gesprochen wird und Ich-Aussagen über Leistungen der Göttin selbst beinhaltet. Dazu gehören die Texte: Philae-Photos 164–165; Dend. VI, 66, 10–67, 9; El-Qal‘a II, Nr. 121. Dazu gehören die Texte: Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7.

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Vergleichende Analyse der Texte

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für Ritualszenen anbietet. Ein zweiter Grund hängt mit der Funktion von Türen und der Tempelliturgie zusammen: Türen und Tore bilden den Übergang zur sakralen Sphäre, zu bestimmten Räumen etc., so daß eine Begrüßung der Gottheit, die Nennung ihres Namens bzw. das hymnische Preisen gerade an der Schwelle ihres Hauses bzw. eines einzelnen Raumes sinnvoll erscheinen.10 Auch in Gräbern stehen Hymnen meist an den Wandungen der Durchgänge und begleiten hier den Übergang vom Diesseits in das Jenseits.11 Drittens scheint sich in einigen Tempeln ein spezifischer räumlicher Zusammenhang der an den Türen angebrachten Hymnen und Litaneien mit bestimmten Götterfesten und den während diesen durchgeführten Prozessionen abzuzeichnen, insbesondere in Assuan und Dendara.12 Die Türen können somit als ‚Wegweiser‘ bzw. Markierungen für den Prozessionsweg dienen. 4. Sonderformen: In einigen Tempeln lassen sich daneben lokal spezifische oder auf bestimmte Architekturteile begrenzte Sonderformen der Anbringung von Hymnen und eulogischen Epithetareihen feststellen. So befindet sich die älteste Isishymne (unter Nektanebes) auf dem Architrav eines Kiosks13 und in Assuan sind längere Epithetareihen auch in spezielle zentrale Randzeilen geschrieben, die nicht mit den üblichen Randzeilen der Ritualszenen identisch sind.14 Ausnahmsweise wurden auch die Beischriften einer im Soubassement befindlichen Gauprozession als Ganzes unter die Hymnen, Litaneien und Epithetareihen aufgenommen, da die Hauptgöttin des Tempels (Isis-Hathor) jeweils in litaneihaften, parallelen Aussagen in der 2. Pers. sing. fem. mit einer Göttin des Gaues identifiziert wird. 15 Einen speziellen Fall stellen weiterhin die Texte des Tempels von Esna dar, wo sowohl aretalogische Götterreden in der Ich-Form als auch Opferlitaneien die Säulen des Pronaos schmückten.16 5.1.2 Formale Merkmale Die Texte sind zu großen Teilen im Nominalstil gehalten und enthalten vornehmlich lange Reihen von Epitheta, die durch Substantive und Partizipien gebildet werden, teilweise auch durch ganze Partizipialsätze. Nominal- und Verbalsätze sind bei den Hymnen oft eingestreut. Je nach genauer Textgattung weisen die Inschriften gemeinsame gattungsspezifische formale Merkmale auf,17 die jedoch variieren können.

10 Vgl. zur kultischen Funktionalität der Tempeltüren und -tore KONRAD, Architektur und Theologie, S. 240–245. Im täglichen Kultbildritual folgt das Preisen des Gottes auf das Betreten des Sanktuars und das Öffnen der Türen des Schreines, siehe zum Handlungsablauf z. B. H. HUSSY, Die Epiphanie und Erneuerung der Macht Gottes. Szenen des täglichen Kultbildrituals in den ägyptischen Tempeln der griechisch-römischen Epoche, SRaT 5, Dettelbach 2007, S. 8–21. 11 ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 9. 12 Siehe speziell zu Dendara CAUVILLE, Fêtes d’Hathor, S. 22. 13 Hymne Nektanebes. 14 Assuan, B.6a; Assuan, B.6b. 15 Dend. I, 90, 15–97, 3 und Dend. I, 122, 14–128, 12. 16 Esna III, Nr. 306; Esna III, Nr. 307bis; Esna III, Nr. 209. 17 Zu den formalen Merkmalen der betreffenden Texte siehe J. ASSMANN, s. v. „Hymnus“, in: LÄ III, Sp. 103–110; ID., Liturgische Lieder, S. 3–6; ID., Hymnen und Gebete, S. 26–45 u. 78–94; BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 25–32.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

5.1.2.1 Bezugnahme auf Isis In den Texten wird Isis entweder direkt in der 2. Pers. sing. fem. adressiert,18 was besonders häufig in regelrechten Hymnen mit Verbalphrasen vorkommt, oder es wird über sie in der 3. Pers. sing. fem. bzw. in neutralen Epithetareihen (Nominalstil) gesprochen. Die 3. Pers.19 ist die Regel (mit Ausnahmen) bei Bandeau-Inschriften sowie im speziellen Typus der snDn-Hymnen, kommt aber auch sonst häufig vor. Bei einer ganzen Reihe von Kompositionen findet allerdings innerhalb des Textes ein Wechsel von der 3. Pers./Nominalstil zur 2. Pers. statt,20 besonders im Schlußgebet nach einer eulogischen Epithetareihe. Nur in Einzelfällen erscheinen Götterreden mit aretalogischer Selbstprädikation in der 1. Pers. sing. fem.21

18 Hymne Nektanebes; Philae-Hymne 1; Philae-Hymne 2; Philae-Hymne 6; Philae-Hymne 7; PhilaeHymne 8; Philä II, 136–137; Philä III, Nr. 93; Philae-Photo 1297; Philä I, 64–65; Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37; Assuan-Hymne 1; Assuan-Hymne 5; Assuan-Hymne 6; Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 189; Dend. I, 74, 11–13; Dend. I, 90, 15–97, 3; Dend. I, 122, 14–128, 12; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. III, 35, 9–11; Dend. VI, 66, 10–67, 9; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155; Tôd II, Nr. 245; El-Qal‘a II, Nr. 121; ElQal‘a II, Nr. 217; Shanhûr I, Nr. 58. 19 Philae-Hymne 3; Philae-Hymne 4; Philae-Hymne 5; Philae-Photos 164–165; Philä I, 169; Philä I, 168–169; Philä II, 6–7; Philä II, 8–9; Philä II, 78–79; Philä III, Nr. 114; Philä III, Nr. 143; Philä III, Nr. 144; Philä III, Nr. 2; Philä III, Nr. 59b; Philae-Photos 385–386; Bîgeh, 40; Assuan, B.6a; Assuan, B.6b; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 4; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 118; Kalabchah I, 169–170; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 300, 8– 11; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 100, 6–11; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 103, 6–11; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. VI, 86, 6–10; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. VII, 109, 13– 110, 4; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XII, 183–185; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 46, 5–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 210, 5–13; Dend. XV, 269, 4– 270, 5; Dend. XV, 337, 10–14; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit I, Nr. 11; Deir Chelouit I, Nr. 16; Deir Chelouit I, Nr. 22; Deir Chelouit I, Nr. 39; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit II, Nr. 86; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 120; Deir Chelouit III, Nr. 121; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 157; El-Qal‘a I, Nr. 19; ElQal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a I, Nr. 32; El-Qal‘a I, Nr. 69; El-Qal‘a II, Nr. 120; El-Qal‘a II, Nr. 171; ElQal‘a II, Nr. 195; El-Qal‘a II, Nr. 218; El-Qal‘a II, Nr. 238; El-Qal‘a II, Nr. 239; El-Qal‘a II, Nr. 253; El-Qal‘a II, Nr. 254; Shanhûr I, Nr. 1; Shanhûr I, Nr. 3; Shanhûr I, Nr. 21; Shanhûr I, Nr. 59; Esna III, Nr. 209; pTebt. H 1; pCarlsberg 206 (u. a.). 20 Philä II, 76–77; Philae-Photo 1298; Assuan-Hymne 2; Assuan-Hymne 3; Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 16; Edfu V, 332, 14–333, 2; Dend. Isis, 138; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 92, 10–13; Dend. III, 138, 16–139, 4; Opet I, 139; Tôd II, Nr. 244; El-Qal‘a II, Nr. 196. Zur Fluktuation zwischen der Nutzung von 1., 2. und 3. Person in Ritual- und Rezitationstexten allgemein vgl. A. H. PRIES, Ritualvollzug im Spiegel der überkommenen Tradition, oder: Wie festgelegt war die altägyptische Kultpraxis tatsächlich?, in: Beinlich (Hrsg.), Kultabbildung und Kultrealität, S. 279–295: 290; ASSMANN, Totenliturgien I, S. 29–33; jeweils mit Angabe der älteren Literatur. 21 Philae-Photos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331); SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; Esna III, Nr. 306; Esna III, Nr. 307bis.

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Vergleichende Analyse der Texte

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5.1.2.2 Einleitungsformeln Typisch für Hymnen, die die Göttin in der 2. Pers. ansprechen, sind die Einleitungsformeln (i.)nD Hr=T22 und seltener iAw n=T.23 Eher selten finden sich zu Beginn direkt an die Gottheit appellierende Imperative wie mj.t24 oder Interjektionen wie hy25 und i.26 Nur bei der in die Gauprozession integrierten kulttopographischen Litanei in Dendara kommt die wiederkehrende Formel ntT X am Anfang jeden Abschnittes vor.27 Auf bestimmte (Fest-) Hymnen beschränkt ist der freudige Ausruf (i) nfr.wj;28 vereinzelt erscheint außerdem nfr.wj Hr=T.29 Ein Morgenlied weist den charakteristischen Eingangsvers rs=T nfr m Htp auf.30 Die Texte in der 2. Pers. können außerdem durch eine der eigentlichen Rede vorgeschaltete rituelle Handlungsbeschreibung, z. B. mit dem Verb dwA (mw.t=f)31 oder ij(.n) n=T32 markiert sein und/oder durch einen performativen Sprechakt des Rezitierenden (also des Königs) eingeleitet werden.33 Eulogische Epithetareihen und Hymnen in der 3. Pers., die in Bandeau-Inschriften integriert sind, beginnen manchmal mit einem optativischen anx („Es lebe…“), 34 das teilweise auf den Tempel selbst bezogen ist. Wenn die Bandeaus Bauinschriften beinhalten, schließen sich die eulogischen Epithetareihen an die Beschreibung der (bauenden, stiftenden etc.) Handlung des Königs für die gelobte Gottheit an.35 Die Untergruppe der snD-n-Hymnen wird mit der namengebenden Formel snD-n + Name der Gottheit, manchmal mit zusätzlicher Nennung der Adressaten i rmT.w nTr.w davor, eingeleitet. 36 Ähnlich beginnen die wdnw-Litaneien gattungsgemäß mit wdnw n + Name der Gottheit.37 Vor allem Bandeau-Inschriften und Türlaibungs-Inschriften setzen häufig einfach mit den (lokalen) Haupttiteln ein,38 und viele Texte besitzen überhaupt keine Einleitung.39 22 Hymne Nektanebes; Philae-Hymne 8; Philä II, 136–137 (b); Philä I, 64–65 (a); Assuan-Hymne 1; Assuan-Hymne 2 (a + b); Assuan-Hymne 5 (a); Assuan-Hymne 6; Edfu V, 332, 14–333, 2; Dend. I, 74, 11–13; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Opet I, 139; El-Qal‘a II, Nr. 120; El-Qal‘a II, Nr. 121; El-Qal‘a II, Nr. 218; El-Qal‘a II, Nr. 238; El-Qal‘a II, Nr. 239. 23 Philae-Hymne 1; Philae-Hymne 2; Philä III, Nr. 93; Assuan-Hymne 2 (a); Dend. II, 98, 2–99, 3; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155. 24 Philae-Hymne 6. 25 Philae-Hymne 7 (b). 26 Dend. Isis, 189. 27 Dend. I, 90, 15–97, 3 und Dend. I, 122, 14–128, 12. 28 Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 139; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245. 29 Philä I, 64–65 (b); Dend. III, 35, 9–11. 30 El-Qal‘a II, Nr. 217. 31 Philae-Hymne 5; Philae-Hymne 6; Philae-Hymne 8; Philae-Photo 1298; El-Qal‘a II, Nr. 121; Shanhûr I, Nr. 1(?); Shanhûr I, Nr. 3. 32 Dend. VI, 66, 10–67, 9. 33 Philae-Hymne 7 (a); Assuan-Hymne 5 (b). 34 Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; El-Qal‘a I, Nr. 19; El-Qal‘a II, Nr. 171; El-Qal‘a II, Nr. 253; El-Qal‘a II, Nr. 254. 35 Philä III, Nr. 2; Kalabchah I, 169–170. 36 Philae-Photos 164–165; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7. 37 Esna III, Nr. 209; pCarlsberg 206 (u. a.). 38 Philä I, 169; Philä I, 168–169; Philä II, 76–77; Philä II, 78–79; Philä III, Nr. 143; Philä III, Nr. 144; Philä III, Nr. 59b; Philae-Photo 1297; Philae-Photos 385–386; Bîgeh, 40; Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37; Assuan, B.6a; Assuan, B.6b; Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 118; Dend. Isis,

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

Die aretalogischen Reden der Gottheit selbst beginnen mit dem unabhängigen Personalpronomen der 1. Pers. sing. ink.40 5.1.2.3 Schlußgebet Die Hymnen schließen regulär mit einem kurzen Gebet zugunsten des Königs ab. 41 Es handelt sich üblicherweise nur um eine kurze formelhafte Phrase (z. B. „mögest du schützen König NN“), ist in einigen Fällen (z. B. in einigen Hymnen, die mit dem Neujahrsfest in Verbindung stehen) aber auch erweitert zu längeren Ausführungen, die den Pharao betreffen.42 Das Lob der Gottheit wird durch das Schlußgebet nach dem do ut des-Prinzip mit einem Zweck verbunden, der das Wohl des Pharao und damit letztlich der Weltordnung betrifft.43 Neben den Hymnen erscheint das Schlußgebet häufig in Bandeau-Inschriften.44

39

40 41

42 43 44

300, 8–11; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 103, 6–11; Dend. III, 134, 16– 135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VII, 109, 13–110, 4; Dend. VII, 140, 13– 141, 2; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Deir Chelouit II, Nr. 86; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 120; Deir Chelouit III, Nr. 121; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 157; El-Qal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a I, Nr. 32; El-Qal‘a I, Nr. 69; El-Qal‘a II, Nr. 195; Shanhûr I, Nr. 21. Philae-Hymne 3; Philae-Hymne 4; Philä II, 6–7; Philä II, 8–9; Philä II, 136–137 (a); Philä III, Nr. 114; Assuan-Hymne 3; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 4; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 117–118; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. II, 100, 6–11; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. III, 92, 10–13; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. VI, 86, 6–10; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 183–185; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 46, 5–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Dend. XV, 337, 10–14; Deir Chelouit I, Nr. 11; Deir Chelouit I, Nr. 16; Deir Chelouit I, Nr. 22; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 85; ElQal‘a II, Nr. 196. Philae-Photos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331); SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; Esna III, Nr. 306; Esna III, Nr. 307bis. Vgl. auch die Aretalogie der Hathor-Schentait auf der „cuve osirienne“ von Koptos, Kap. 4.10.3. Philae-Hymne 5; Philae-Hymne 6; Philae-Hymne 7; Philae-Hymne 8; Philä II, 136–137; AssuanHymne 2; Assuan-Hymne 3; Assuan-Hymne 4; Assuan-Hymne 5 (a); Assuan-Hymne 6; Dakke I, 266– 269, § 592–596; Kalabchah I, 4; Edfu V, 332, 14–333, 2; Dend. I, 74, 11–13; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 35, 9–11; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. VI, 66, 10–67, 9; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 60, 5–10 (Litanei); Dend. XV, 25, 7–26, 14; Opet I, 139; ElQal‘a II, Nr. 195; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7. Bei Hymnen, die in Ritualszenen eingebettet sind, fehlt das Gebet am Ende der Hymne häufig, was vielleicht daran liegt, daß die Szenen eigene Textfelder für die Gegengabe der Gottheit an den König aufweisen: Philae-Hymne 1; PhilaeHymne 2; Philae-Hymne 3; Philae-Hymne 4; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155. Philae-Hymne 8; Assuan-Hymne 6; Kalabchah I, 4; Deir Chelouit III, Nr. 120; Deir Chelouit III, Nr. 121. Zur häufig fließenden Grenze zwischen ‚Hymnen‘ und ‚Gebeten‘ siehe z. B. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 3–4. Philä III, Nr. 114; Philä III, Nr. 2; Philä III, Nr. 59b; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 118; Kalabchah I, 169–170; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. III, 92, 10–13; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. VI, 86, 6–10; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. IX, 167, 11–16; Dend.

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Vergleichende Analyse der Texte

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Auch bei Türlaibungs-Inschriften, die Textkolumnen für den König denen der Isis gegenüberstellen, ist die formelhafte Fürbitte meist vorhanden.45 Eine Ausnahme bilden die zahlreichen Inschriften dieser Art in Dendara, wo das Gebet immer fehlt. In El-Qal‘a und Schenhur könnte das insgesamt häufige Fehlen des Schlußgebetes durch die generelle Kürze der einzelnen Inschriften bedingt sein. 5.1.3 Chronologie und Beziehung der Texte untereinander (Parallelen) Die früheste große Zusammenstellung von ausführlichen Hymnen, die die Göttin mit verschiedenen Eigenschaften und Funktionen anrufen, wurde unter Ptolemaios II. angebracht und befindet sich im Sanktuar und im Opfersaal des Isis-Tempels von Philae (Kap. 4.1).46 Es handelt sich um insgesamt acht Hymnen, von denen sich vier kürzere in Ritualszenen integriert an der Rückwand des Sanktuars befinden, also dem innersten Kern des Tempels insgesamt. Zwei längere Hymnen sind an der Südwand des Sanktuars am Türrahmen angebracht, und zwei weitere an der West- und Ostwand des Opfersaals zwischen den Darstellungen von Isis und Pharao, die nur kurze Beischriften haben, also eine Art verkürzte Ritualszenen darstellen. Es gibt jedoch noch eine ältere Isis-Hymne auf Philae, die sicherlich als Vorläufer der ptolemäischen Texte angesehen werden kann: die Inschrift am westlichen Architrav des Kiosks von Nektanebes.47 Der Text der Hymne Nektanebes wurde auch zu späterer Zeit nochmals im Mammisi von Philae kopiert,48 wo er an den Text von Philae-Hymne 6, die hier ebenfalls nochmals erscheint, angehängt wurde. Daneben findet sich der kürzere Text noch auf einem Fragment aus dem Löwentempel von Musawwarat Es-Sufra in Nubien.49 Da nur Teile des Nektanebes-Kiosks und sogar nur einzelne Blöcke des vorptolemäischen Haupttempels erhalten sind, läßt sich nur vermuten, daß es womöglich weitere Isishymnen bereits im Philae-Heiligtum der 30. Dynastie gab. Interessanterweise befindet sich auf einem Block des Nektanebes die markante Aussage @r iAbt.t smAa=f n=T aAb.t „Horus des Ostens bringt dir ein großes Opfer dar“,50 die auch Philae-Hymne 6 unter Ptolemaios II. aufweist, was vielleicht bedeutet, daß diese Hymne bzw. ein Vorläufer bereits im älteren Tempel angebracht war.

45 46 47 48 49 50

XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 46, 5–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Deir Chelouit III, Nr. 120; Deir Chelouit III, Nr. 121; El-Qal‘a II, Nr. 171(?). Philä I, 169; Philä I, 168–169; Philae-Photo 1297; Philae-Photo 1298; Deir Chelouit II, Nr. 86; Deir Chelouit II, Nr. 87; El-Qal‘a I, Nr. 32(?);El-Qal‘a I, Nr. 69. Philae-Hymnen 1–8; erstmals gemeinsam ediert und kommentiert von ŽABKAR, Hymns to Isis. Hymne Nektanebes. Philä II, 136–137. Musawwarat Es Sufra, Nr. 26. FARAG/WAHBAH/FARID, Blocks of Nectanebo I, Taf. XIIa; vgl. Kap. 4.1.1.A, Anm. 128 zu PhilaeHymne 6.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

Schema: Abhängigkeit der Texte in Nubien Philae Hymne Nektanebes Philae-Hymne 5 Philae-Hymne 7

Philae-Hymne 8 Philä I, 168–169 + Philä I, 169 Philä III, Nr. 2

Assuan Assuan-Hymne 5 Assuan-Hymne 2 ---------------------------------------------Assuan-Hymne 3 Assuan-Hymne 4 Nubien Musawwarat Es Sufra, Nr. 26 Dakke I, S. 266–269, § 592–596 Kalabchah I, 117–118

Kalabchah I, 15–16

Kalabchah I, 16

Kalabchah I, Kalabchah I, 118 169–170

Im Gebiet des 1. Katarakts und in Nubien ist eine starke Abhängigkeit der Tempel und entsprechend auch der Texte von dem bedeutendsten Kultzentrum Philae festzustellen (vgl. das Schema). Der zeitlich nahe Isis-Tempel von Assuan (Ptolemaios III.–IV.) weist zwar eine durchaus eigene Theologie und Konzeption auf, doch sind zwei der Philae-Hymnen des Ptolemaios II. nahezu komplett übernommen worden,51 wobei sie allerdings jeweils mit einem weiteren Text kombiniert wurden (Kap. 4.2). Außerdem wurden die Hymnen hier in einen anderen architektonischen Kontext gesetzt: alle befinden sich in den Türlaibungen der Tore, und der Bezug auf das Neujahrsfest tritt teilweise deutlich hervor. Noch stärker ist die Abhängigkeit der nubischen Tempel (Kap. 4.3) zur Theologie von Philae: nicht nur wurden Isis von Philae und ihre Götterfamilie jeweils den lokalen Hauptgottheiten als geradezu gleichwertige Tempelherren zur Seite gestellt, sondern auch die Isishymnen wurden aus Philae übernommen. So ist in Musawwarat El-Sufra die Hymne vom Nektanebes-Kiosk belegt,52 in Dakke und Kalabscha findet sich jeweils Philae-Hymne 5 wieder,53 in Kalabscha außerdem noch drei eulogische Epithetareihen aus Philae54 sowie zwei der Hymnen aus Assuan.55 In Kalabscha wurden die Texte jeweils ebenfalls in einen anderen architektonischen Kontext übertragen: sie befinden sich in den Bandeau-Inschriften des Sanktuars und der beiden Vestibüle. Nur eine Hymne in Kalabscha wurde außen am Türrahmen des Sanktuars angebracht,56 wo sie mit einer entsprechenden Inschrift für Osiris ein Paar bildet, 51 52 53 54 55 56

Assuan-Hymne 2 (a) = Philae-Hymne 8; Assuan-Hymne 5 (b) = Philae-Hymne 7. Musawwarat Es Sufra, Nr. 26 = Hymne Nektanebes. Dakke I, S. 266–269, § 592–596 = Kalabchah I, 117–118 = Philae-Hymne 5. Kalabchah I, 118 = Philä I, 168–169 + Philä I, 169; Kalabchah I, 169–170 = Philä III, Nr. 2. Kalabchah I, 15–16 = Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 16 = Assuan-Hymne 4. Kalabchah I, 4.

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Vergleichende Analyse der Texte

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und bisher ist mir keine Parallele dazu bekannt (doch die fortlaufende Edition der Inschriften von Philae mag in Zukunft eine solche vielleicht noch offenbaren). Das etwa gleichzeitig (Nektanebes bis Nektanebos, Ptolemaios II.–III.) mit Philae entstandene unterägyptische Kultzentrum der Isis in Behbeit el-Hagar (Kap. 4.4) ist leider stark zerstört, so daß hier keine langen Texte erhalten sind. Nur ein Bruchstück einer ebenfalls an der Sanktuarrückwand platzierten Szene scheint Lobpreisungen der Isis durch eine Götter(?)gruppe, die von sich selbst in der 1. Pers. pl. spricht, zu enthalten.57 Auffällig ist die besondere Gestaltung dieser Inschrift, was möglicherweise für ihre zentrale Bedeutung spricht: Die Lobpreisungen sind jeweils in erhöhtem Relief gemeißelt, die je folgenden Titel der Isis jedoch vertieft – vielleicht waren sie ursprünglich sogar mit Gold eingelegt. Ein weiterer in der Regierungszeit von Ptolemaios II. errichteter Isistempel wurde erst kürzlich im Süden von Beni Suef (Gebel el-Nour, ägyptisch Mr-wA.t?) entdeckt; von den Reliefs ist jedoch nur wenig erhalten und bisher ist keine Isishymne bekannt.58 In anderen und späteren Tempeln erscheinen Isis-Hymnen und eulogische Epithetareihen vor allem in Türlaibungen und Türrahmeninschriften, was sich besonders gehäuft bereits im Assuan-Tempel (Ptolemaios IV.), außerdem in Philae am 1. Pylon (Ptolemaios IV.), am 2. Pylon und im Mammisi (Ptolemaios VIII.), und schließlich in Dendara (Ptolemaios XII.–Augustus) feststellen läßt. Auch die Hymnen und eulogischen Epithetareihen der Hathor und Hathor-Isis in Edfu (Ptolemaios IV.–XII.) befinden sich an den Türrahmen und in den Türlaibungen (Kap. 4.5). Im Hathortempel von Dendara befinden sich von insgesamt 52 bearbeiteten Texten 29 an Türen, davon 23 in den Türlaibungen (Kap. 4.6).59 Bei den übrigen handelt es sich um Bandeau-Inschriften; eine einzige Hymne in einer Ritualszene bildet hier die absolute Ausnahme.60 Auch im kleinen Geburtstempel der Isis in Dendara enthalten die Bandeau-Inschriften und Türlaibungen die entscheidenden Texte. Die Dendara-Texte und die lokale Theologie sind größtenteils unabhängig von Philae. Es gibt nur wenige Paralleltexte, die außerdem bloß kurze Auszüge betreffen, wobei vor allem Philae-Hymne 3 und Assuan-Hymne 3 verarbeitet wurden. 61 Auch Teile von Assuan-Hymne 5 (a) sind zweimal in Dendara belegt, und zwar erst viel später in Inschriften der Kaiserzeit. 62 Andererseits sind in Dendara enge Bezüge zu Heliopolis und Bubastis zu greifen: So wird z. B. in der kulttopographischen Litanei, für die sich in Dendara die vollständigsten Versionen finden,63 die Identifikation der Isis mit Bastet besonders betont. Diese Komposition hatte offenbar den größten überregionalen 57 Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37. 58 Vorläufiger Bericht: M. BORAIK/R. EISSA, A Recent Discovery near Beni Suef: The Temple of Ptolemy II at Gebel el-Nour, in: Memnonia 25, 2014, S. 187–195. 59 Zu den Belegen siehe oben, 5.1.1. 60 Dend. XIV, 210, 11–211, 5. 61 Dend. Isis, 327, 5–9 und Dend. XIV, 146, 3–14 enthalten parallele Abschnitte zu Philae-Hymne 3 und Assuan-Hymne 3 = Kalabchah I, 15–16. Dend. II, 100, 6–11 und Dend. VI, 2, 21–4, 6 haben ebenfalls Auszüge aus Philae-Hymne 3; Dend. XII, 2, 2–12 bietet wieder eine Parallele zu Assuan-Hymne 3 = Kalabchah I, 15–16. 62 Dend. XIV, 210, 11–211, 5 und Dend. XV, 25, 7–26, 14. 63 Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Dend. I, 20, 14–21, 5. Daneben finden sich kürzere Ausschnitte in zahlreichen weiteren Dendara-Inschriften: Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 73, 14–74, 1.

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Bekanntheitsgrad, denn neben kurzen Auszügen in Philae und Edfu 64 enthält auch ein hieratisches Priesterkompendium aus Tebtynis im Fayum65 diesen Text (Kap. 4.13.1.1), der mir zentral für die Bedeutung und Entwicklung der Isis in römischer Zeit erscheint. Innerhalb der längeren Inschriften im Heiligtum von Dendara selbst finden sich darüberhinaus zahlreiche Textparallelen, die das Hauptthema der lokalen Isis-Theologie, nämlich die Geburt der Isis und ihren Aufgang als Sothis, betreffen. Ein großer Teil der Inschriften des Hathortempels von Dendara wurde erst zu Beginn der Kaiserzeit, unter Augustus angebracht, und zu dieser Zeit entstand auch der Neubau des Isistempels. Zeitgleich entstehen neben einer ganzen Reihe von nubischen Tempeln, in denen Isis von Philae wie oben ausgeführt, eine Hauptrolle spielte, auch mehrere kleinere Isistempel, die jeweils ähnliche Grundrisse und recht komplexe eigene theologische Konzepte aufweisen: Die Tempel von El-Qal‘a und Schenhur in der Umgebung von Koptos, wo Isis bereits eine lange Kulttradition hatte (Kap. 4.9–10), und der Tempel von Deir el-Schelwit zwischen Theben und Armant (Kap. 4.8), deren Bau und Dekoration jeweils unter den folgenden Kaisern der julisch-claudischen Dynastie, teilweise sogar noch deutlich später (Deir el-Schelwit: Galba bis Antoninus Pius) weitergeführt wurden. Auch die Dekoration des Opet-Tempels in Karnak wurde unter Augustus weiter vorangetrieben, womit offenbar auch eine Weiterentwicklung der lokalen Theologie einherging (Kap. 4.7). Die Hymnen und eulogischen Epithetareihen in diesen Tempeln haben praktisch keine bekannten Parallelen in anderen Tempeln.66 Die Tempel von El-Qal‘a und Schenhur weisen zumindest Verbindungen untereinander auf,67 und zwischen Deir el-Schelwit und anderen Tempeln aus der Umgebung von Theben lassen sich ebenfalls immerhin inhaltliche Bezüge feststellen, z. B. zu den Month-Tempeln von Armant und Tôd (Kap. 4.8.3). Vorbilder und Quellen der längeren Textkompositionen sind aber insgesamt schwer zu fassen; möglicherweise fanden sich diese in den koptitischen und thebanischen Tempelarchiven, die uns verloren sind. Auch vom ptolemäischen Min- und Isistempel in Koptos (Kap. 4.10.3) ist zu wenig erhalten, um Bezüge zu den römischen Isistempeln der Umgebung analysieren zu können. In den beiden koptitischen Tempeln finden sich Hymnen und eulogische Epithetareihen wieder hauptsächlich an Türen; insgesamt sind hier (besonders in Schenhur) jedoch nur deutlich kürzere Texte als in den anderen Heiligtümern vorhanden. In Deir el-Schelwit erscheinen hingegen sehr ausführliche Inschriften mit Lobpreis der Isis, darunter auch zwei snD-n-Hymnen68 und zwei große Ritualszenen mit Hymnen an der Sanktuarrückwand69 wie in frühptolemäischer Zeit in Philae oder Behbeit el-Hagar. Daneben kommen auch alle anderen gängigen Inschriftentypen hier vor (Bandeau-Inschriften, Türlaibungsinschriften, die zwischen Göttin und König aufgeteilt sind, und Türrahmeninschriften), obwohl der Tempel nie vollständig dekoriert wurde. 64 Philä I, 6; Philä I, 72; Philä I, 168–169; Edfu III, 69, 17–70, 3; Edfu V, 226, 13–227, 9; Edfu VIII, 64. 65 pTebt. H I, X 1, 3–3, 2. 66 Ein kurzer Abschnitt in El-Qal‘a II, Nr. 238, der Parallelen in Assuan-Hymne 6 und Philae-Photo 1297 hat, ist eine Ausnahme. 67 Eine (nicht wörtliche) Textparallele im weiteren Sinne läßt sich ebenfalls feststellen: Shanhûr I, Nr. 59 = El-Qal‘a II, Nr. 195 u. El-Qal‘a II, Nr. 196. 68 Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7. 69 Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155.

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Vergleichende Analyse der Texte

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In anderen Tempeln, in denen Isis nur eine untergeordnete Rolle spielte (Kap. 4.11), sind keine Hymnen und langen Epithetareihen dieser Art für sie vorhanden (zumindest nicht in den erhaltenen Teilen). Stattdessen weist zumindest der Tempel von Esna noch in der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. zwei spezielle Textgattungen auf den Säulen des Pronaos auf, die für Isis, jedoch auch für andere Gottheiten des lokalen Pantheons vorhanden sind: Götterreden mit Selbstprädikationen und wdnw-Litaneien. Auffällig ist, daß die Rede der Isis im Geburtsdrama70 von allen Göttern die meisten Ich-Aussagen enthält. Anders als in ihren ebenfalls von Ich-Aussagen geprägten Reden in dem Osirishymnus Philae-Photos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331) und in dem Text auf dem Hebsed-Tor des Ptolemaios II. in Medamud (Kap. 4.8.3),71 die einzig auf ihren Taten für Osiris fokussieren, ist das Spektrum der Selbstvorstellung in Esna deutlich erweitert. In allen Fällen bildet die aretalogische Götterrede aber offenbar Teil einer Festliturgie; diejenige des Osirishymnus in Philae ist eine Adaption eines Abschnittes der thebanischen Dekadenliturgie, diejenige des HebsedTors in Medamud ist nochmals in dem ebenfalls thebanischen und nur wenig früheren Papyrus des Nesmin (pBM 10209) belegt. 5.1.4

Tradition und Neuerung: Mögliche Vorläufer/Vorbilder der Hymnen, Litaneien und eulogischen Epithetareihen für Isis Vor der Spätzeit, genauer vor der Hymne auf dem Nektanebes-Kiosk, ist keine einzige IsisHymne aus Ägypten erhalten.72 Natürlich ist nicht auszuschließen, daß dies nur eine zufällige Überlieferungslücke ist, dennoch ist es m. E. auffällig, daß selbst im gut erhaltenen Tempel des Sethos I. in Abydos, wo Isis eine relativ bedeutende Rolle spielt, kein einziger hymnischer oder eulogischer Text speziell für die Göttin in die Dekoration integriert worden ist73 – immerhin dokumentiert dort jedoch eine Inschrift eine etwas längere Rede der Isis selbst in der Ich-Form, die an Osiris gerichtet ist.74 Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Isiskult wohl erst unter den Königen der Spätzeit, insbesondere der Bubastiden und Saiten sowie schließlich der 30. Dynastie, wirklich große eigenständige und überregionale Bedeutung außerhalb von Isis’ Rolle als Totengöttin75 erlangt. Eine Datierung der hier bearbeiteten Texte bzw. eine Rückführung auf ältere Vorbilder erweist sich also als schwierig, was ein generelles Problem der noch nicht allzu weit vorangeschrittenen Forschung an ägyptischen Götterhymnen ist. 76 Die glücklicherweise erhaltene Hymne am Nektanebes-Kiosk und ihre mehrfache Wiederverwendung in der 70 Esna III, Nr. 307bis. 71 SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409. 72 Vgl. BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 528; LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 114; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 1, Anm. 5. 73 Vgl. QUACK, Lobpreis, S. 62. Zu Isis in Abydos siehe MÜNSTER, Isis, S. 160 (MR) u. 165–169. 74 CALVERLEY/GARDINER, Temple of Sethos I, Taf. 9; vgl. dazu unten, Kap. 6.6.1. 75 Zu Isis’ zentraler Bedeutung in den Funerärtexten – ein Themenkomplex, der auch in griechisch-römischer Zeit noch eine ungebrochene Rolle spielt, in der vorliegenden Untersuchung jedoch nicht speziell behandelt wird – siehe MÜNSTER, Isis, S. 22–79, vor allem zu den Sargtexten; und KUCHAREK, Klagelieder, passim. 76 Siehe zu dieser Problematik grundlegend QUACK, Perspektiven zur Theologie; ID., Kritische Bemerkungen.

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Ptolemäerzeit mahnt hier jedenfalls zur Vorsicht, was die Beurteilung der ptolemäischen Texte betrifft. Mit einiger Wahrscheinlichkeit sind Vorläufer der ptolemäischen Isishymnen, vielleicht in kürzerer Form, bereits in der Spätzeit anzunehmen. Zudem werden mit der wachsenden Bedeutung der Isis als kosmischer Ur- und Schöpfergöttin77 natürlich Strukturen und Elemente älterer Hymnen für andere, vor allem männliche Schöpfergötter wie Amun, Ptah und Re, die mindestens in das Neue Reich, teilweise aber sicher noch weiter zurück datieren, für Isis adaptiert.78 Bei den einzigen älteren, längeren Texten, die je eine Reihe Informationen über Kultorte, Eigenschaften und/oder Taten der Isis enthalten, handelt es sich dagegen interessanterweise um Reden der Göttin selbst mit Selbstprädikation79 und um Litaneien, die verschiedene Kultorte aufzählen,80 also um Vorläufer der ‚Aretalogien‘ in der 1. Pers.81 und der kulttopographischen Isislitaneien.82 Erstere finden sich vorrangig im Rahmen von Ritualtexten, wie es auch bei den Belegen aus der Ptolemäer- (Medamud) und Römerzeit (Philae und Esna) der Fall ist. Ältestes bekanntes Beispiel ist die berühmte Rede der Isis im Sargtext-Spruch 148 (MR) – einem Spruch zur Verwandlung des Toten in einen Falken –, mit der sie nach dem Tod des Osiris den Göttern ihre Schwangerschaft mit Horus verkündet:83 Oh Götter, ich bin Isis, die Schwester des Osiris, die über den Vater der Götter weint, Osiris, der den Kampf der Beiden Länder schlichtete. Sein Same ist in meinem Leib. (Ich) habe die Gestalt eines Gottes gebildet im Ei als Sohn dessen, der an der Spitze der Neunheit ist, (als den), der diese Erde beherrschen wird, der Geb beerben wird, der Fürsprache einlegen wird für seinen Vater, der Seth töten wird, den Feind seines Vaters Osiris. (…) (§§ 211a–213b) Nach einer Nachfrage durch Re-Atum setzt sie nochmals an: Ich bin Isis, die zaubermächtiger (Ax) und erhabener (Sps) ist als die (anderen) Götter! Der Gott, der in diesem meinem Leib ist, der Same des Osiris ist er! (§ 216c–217b)

77 Zu den inhaltlichen Aspekten der Texte siehe unten, Kap. 5.2. 78 Dazu bereits NAGEL, One for All. 79 Zur ägyptischen Textgattung der (Selbst-)Aretalogie siehe ASSMANN, „Aretalogien“; STADLER, Weiser und Wesir, S. 229–231. 80 Zur ägyptischen religiösen Textgattung der Litanei siehe ASSMANN, „Litanei“; SAUNERON, Esna VIII, S. 3–14; QUACK, Geographie als Struktur, S. 131–132; QUACK, Neuer funerärer Text, bes. S. 77–78 u. 83–86; NAGEL, One for All. 81 Philae-Photos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331); SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; Esna III, Nr. 307bis. 82 Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen. 83 Siehe dazu MÜNSTER, Isis, S. 6–9 und 196; ferner, zur Übersetzung und Interpretation des Spruches R. HANNIG, Die Schwangerschaft der Isis, in: Festschrift Jürgen von Beckerath. Zum 70. Geburtstag am 19. Februar 1990, HÄB 30, Hildesheim 1990, S. 91–95; R. FAULKNER, The Pregnancy of Isis, in: JEA 54, 1968, S. 40–44; M. GILULA, Coffin Text Spell 148, in: JEA 57, 1971, S. 14–19; R. O’CONNELL, The Emergence of Horus. An Analysis of Coffin Text Spell 148, in: JEA 69, 1983, S. 66–87; STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 201–203.

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Mit dieser Aussage wird gleichzeitig erstmals Isis’ Vorrangstellung vor anderen Gottheiten herausgestellt, bleibt aber zunächst, abgesehen von Texten aus dem medizinisch-magischen Bereich, 84 einzigartig. Hinzu kommt die Betonung ihrer eigenen aktiven schöpferischen Kräfte mit der Aussage „Ich habe die Gestalt eines Gottes gebildet im Ei…“.85 Auf der bisher unpublizierten „cuve osirienne“ aus der 22. Dynastie aus Koptos stellt sich die um Osiris trauernde (Hathor-)Schentait, die in späterer Zeit fast immer eng mit Isis verbunden ist, ebenfalls in aretalogischen Selbstprädikationen vor, die unter anderem auch eine kurze kulttopographische Liste enthalten. 86 Die Texte der „cuve“ geben Teile der busiritischen Choiakriten wieder; wie die aretalogischen Aussagen der Isis in den griechisch-römischen Tempeln in Medamud, Philae und Esna stammt auch dieses Beispiel aus dem Kontext eines Festes mit wohl dramatischen Elementen. Alle Texte weisen außerdem einen Bezug zu Osiris oder Horus (bzw. in Esna der König als göttliches Kind) auf, die Selbstvorstellung ist also immer gewissermaßen zweckgebunden. Auch Vorläufer der kulttopographischen Litanei sind hauptsächlich im osirianischen Kontext anzusiedeln; Hymnen für Osiris selbst, die eine Liste von kulttopographischen Epitheta enthalten, sind bereits aus dem MR bekannt, wobei Ansätze sogar schon in den Pyramidentexten zu finden sind. Ab dem NR nehmen sie in der Anzahl noch deutlich zu.87 Im Totenbuch-Spruch 142 werden zahlreiche Osirisformen mit zumindest teilweise geographischer Zuordnung unter der Überschrift „Zu kennen die Namen des Osiris an jedem Platz, an dem er zu sein wünscht“ in einfacher Listenform aufgezählt, wobei der Eigenname des Gottes jeder Epiklese vorangestellt ist.88 Zwischen den langen Osiris betreffenden Sektionen befinden sich aber in den erweiterten Versionen ab der 3. ZwZt. auch kürzere Listen für andere Gottheiten (die in den älteren Versionen von Tb 141–143 nur kurz am Anfang genannt sind), hauptsächlich des Osiriskreises, darunter Horus, Anubis und eben auch Isis. Sie wird ebenfalls mit verschiedenen Erscheinungsformen angerufen, die teilweise wieder topographische Zuordnungen, teilweise aber auch solche zu kosmischen Lokalitäten, sowie andere, einfache Epitheta enthalten: Isis, die Große, die Gottesmutter, Isis, die Göttliche, Isis, die Tochter von Nut, Isis, die Zauberreiche, Isis, die Herrin des magischen Schutzes, Isis, die Herrin der Schriftrollen, 84 Zu derartigen (Selbst-)Charakterisierungen der Isis in magischen und medizinischen Texten ab dem Mittleren Reich siehe unten, Kap. 6.5.1. 85 Zu der engen Verknüpfung der Ei-Symbolik mit Isis, insbesondere in diesem Spruch, vgl. RASHED, The Egg. 86 Siehe Kap. 4.10.3. 87 Siehe dazu ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 53; BARUCQ/DAUMAS, Hymnes et prières, S. 33 u. 74; QUACK, Resting in Pieces, S. 250; ID., Geographie als Struktur, S. 131–132 u. 143–147. 88 ALLEN, Book of the Dead, S. 118–120; E. HORNUNG, Das Totenbuch der Ägypter, Zürich – München 1979, S. 501–502; ASSMANN, Grab des Basa, S. 86–92; U. VERHOEVEN, Das saitische Totenbuch der Iahtesnacht, Bonn 1993, S. 267–273. Vgl. zu diesem und den im Folgenden genannten Texten auch QUACK, Neuer funerärer Text; NAGEL, One for All.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

Isis, die ihren Vater schützte, Isis, die Herrscherin der Schriftrollen, Isis in Assiut, Isis als Herrscherin der (Stadt) [Schesmin], Isis in Behbeit (Iseum), Isis in Pe, Isis in Dep, Isis in Koptos, Isis, [herrschend über] Pe, Isis in Achmin, Isis in Abydos, Isis im Königspalast, Isis im Himmel, Isis auf der Erde, Isis im Süden, Isis im Norden, Isis im Westen, Isis im Osten, Isis in der südlichen {und nördlichen} Kapelle (von Sais), Isis in der nördlichen Kapelle (von Sais), Isis in all ihren Erscheinungsformen, Isis in all ihren Gestalten, Isis in all ihren Aspekten, Isis in jedem Platz, an dem ihr Ka zu sein wünscht.89 Eine sehr ähnliche, aber noch längere Komposition enthält das sogenannte ‚Stundenbuch‘, das auf einem hieratischen Papyrus wohl der frühen Ptolemäerzeit erhalten ist.90 Die Litaneien für Osiris und in geringerem Umfang auch andere Gottheiten waren für eine Rezitation zu den einzelnen Tagesstunden bestimmt. Die sechste Stunde ist verschiedenen Göttern gewidmet, vor allem Isis (Kol. 17, 23–19, 5), die mit Hathor, Bastet und Sachmet identifiziert und kulttopographisch verschiedenen Orten zugeordnet wird. Auch innerhalb der Rituale zur jährlichen Erneuerung der Macht des Königs finden sich, in kürzerem Umfang, Opferlitaneien (wdnw) für verschiedene Gottheiten mit ihren Erscheinungsformen. 91 Isis erscheint darin als: Isis, die Große, die Gottesmutter, Isis, die Zauberreiche, Isis, die Beiden Herrinnen (= Königin) der Rechit-Menschen,92 89 pBM 10554 (Nj-sj-tA-nb.t-iSrw, Theben). Nach ALLEN, Book of the Dead, S. 119, § S 4. 90 pBM 10569, siehe R. O. FAULKNER, An Ancient Book of Hours (pBM 10569), Oxford 1958. Vgl. auch einen ähnlichen Text in dem fragmentarischen pGiessen 115: R. O. FAULKNER, Giessen University Library Papyrus No. 115, in: JEA 44, 1958, S. 66–74; mit Verbesserungen und zusätzlichen Bemerkungen bei J. F. QUACK, Zu einer ungewöhnlichen Zeichengruppierung im Papyrus Gießen 115, in: GM 159, 1997, S. 85–86; ID., Papyrus Gießen 115 – ein Nachtrag, GM 190, 2002, S. 68. 91 pBrooklyn 47.218.50, 4, 1–15, 19; GOYON, Confirmation, S. 63–70 (Übersetzung). 92 Ein besonders typischer Titel in Dendara, vgl. Kap. 4.6; PREYS, Isis et Hathor.

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Vergleichende Analyse der Texte

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Isis-Hededet,93 Isis-Sothis, die die Beiden Länder behütet, Isis mit zahlreichen Gestalten, Isis, die Herrin der Namen.94 Die oben bereits genannte „cuve osirienne“ von Koptos beinhaltet neben einer kulttopographischen Sektion in der Aretalogie der Hathor-Schentait außerdem hymnische Anrufungen an sie.95 In einen verwandten Kontext gehört das aus zahlreichen Textzeugen bekannte „Ritual, um Sokar aus dem StAy.t-Heiligtum herauszubringen“,96 das ebenfalls im Osiriskult verwendet wurde und bei dem Hathor eine wichtige Rolle spielt. So ist eine Hymne mit Namensformel97 an sie adressiert, in der sie zunächst als Herrin über verschiedene Kultorte bezeichnet und anschließend mit anderen Göttinnen gleichgesetzt wird, z. B. Sachmet: Mächtig (sxm) ist Hathor gegen die Feinde ihres Vaters, in jenem ihrem Namen Sachmet (%xm.t). Interessanterweise scheint die Sprecherin dieser Sektion gerade Isis zu sein; zumindest spricht sie den Teil, der zu der Hymne überleitet.98 Es folgt eine Litanei, die Hathor wieder mit verschiedenen Kultorten verbindet, die teilweise bereits im ersten Teil vorkommen, wobei nun jeweils die Formel „Hathor, Herrin von Stadt X“ (@w.t-@r nb.t X) verwendet wird. An Isis selbst ist hingegen wieder ein hymnischer Abschnitt innerhalb der osirianischen „Großen Zeremonien des Geb“ adressiert, einer Ritualkomposition, die – gemeinsam mit dem zuvor genannten „Ritual, um Sokar aus dem StAy.t-Heiligtum herauszubringen“ – auf funerären Ritualpapyri der frühen Ptolemäerzeit erhalten ist.99 Wie in vielen Tempelhymnen (s. o., 5.1.2.2) wird die Hymne mit der Begrüßung i.nD Hr=T eingeleitet, der Eigenname der Göttin ist hier allerdings nicht explizit genannt: Sei gegrüßt, edles junges Mädchen (Hwn.t Sps.t), Mädchen (sD.tj.t), das aus Re hervorkam, mit starker Gewalt, die die mit wütendem Herzen stürzt, 93 94 95 96

Isis-Hededet, eine Skorpionform der Göttin, ist besonders in Edfu präsent, vgl. Kap. 4.5. pBrooklyn 47.218.50, 9, 4–10; siehe GOYON, Confirmation, S. 65; Taf. 7–7a. Siehe Kap. 4.10.3. Siehe besonders pLouvre I 3079, 112–114; pBremner-Rhind, 18, 1–21, 6: GOYON, Faire sortir Sokaris, bes. S. 67–68 u. 76–80; R. O. FAULKNER, The Papyrus Bremner-Rhind (British Museum No. 10188), BAeg 3, Brüssel 1933; ID., The Bremner-Rhind Papyrus, II, in: JEA 23, 1937, S. 10–16, bes. 12–16; BURKARD, Osiris-Liturgien, S. 228–249; CAUVILLE, Chapelles osiriennes Transcription, S. 5–10 u. 143–144; EAD., Chapelles osiriennes Transcription, S. 14–17 u. 134; rezent QUACK, Sokarritual, mit weiterer Literatur; BACKES, „Papyrus Schmitt“, Bd. I, S. 814–864, bes. 838–849 zur Hathor-Hymne und -Litanei. 97 Zu diesem Typus siehe Assuan-Hymne 5 und Parallelen, sowie Edfu V, 332, 14–333, 2. 98 Vgl. GOYON, Faire sortir Sokaris, S. 67. Der entsprechende Satz wird anders interpretiert – als Ankündigung einer rituellen Rede der Isis, deren Wortlaut jedoch nicht angegeben werde – bei BACKES, „Papyrus Schmitt“, Bd. I, S. 839. 99 pBerlin P. 3057, Kol. x+1–10 (Hymnus an Isis/die Witwe: x+3, 13–19), siehe BACKES, „Papyrus Schmitt“, S. 67–329, besonders 162–166 zum Hymnus; und pBM 10252 (Edition durch Ann-Katrin GILL in Vorb.); und weitere kürzere Textzeugen (aufgelistet bei BACKES, loc. cit.).

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

wenn ihre Marschroute(?) in fremden Ländern anzutreffen ist (?)! Dies ist das Abbild meines Vaters, [dies ist] Erbe seiner [Mutter], indem du dich eilends an ihn heftest (m wnj im=f „beim Eilen an ihn“), Herrin beider Länder, da er dir anbefohlen(?) ist.100 Derartige Hymnen, Listen und Litaneien, speziell aus dem osirianischen Bereich, könnten m. E. als Vorläufer für die Komposition der aus den griechisch-römischen Tempeln bekannten Hymnen, Litaneien und eulogischen Epithetareihen für Isis in Frage kommen. Vergleichbare Listen und Litaneien in Priesterhandbüchern, wie sie z. B. aus Tebtynis vorliegen (Kap. 4.13.1), könnten dabei als Vorlagen und Nachschlagewerke gedient haben. Inhaltlich wurden die Isistexte wahrscheinlich nach und nach mit Material angereichert, das teilweise von älteren Hymnen für männliche Schöpfergottheiten für die Göttin adaptiert wurde. Die Vielgestaltigkeit und kulttopographische Omnipräsenz der Isis rührt letztlich m. E. von zwei Seiten her: Einerseits von ihrer Zugehörigkeit zu und ihren eigenen Taten für Osiris, in dessen göttlichem Wesen die Form der Litanei mit ASSMANN bereits begründet liegt,101 andererseits von ihrer Identifizierung mit Hathor/Sachmet/der Gefährlichen Göttin, die nach ägyptischer Tradition sogar an jedem Tag des Jahres zwei verschiedene Manifestationen hatte und mit entsprechenden Litaneien in Ritualen zur Besänftigung geehrt wurde.102

5.2

Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

5.2.1 Die Haupttitel (nahen Epitheta) der Isis Isis trägt an jedem ihrer Kultorte bestimmte feste Haupttitel, die regelmäßig direkt hinter ihrem Namen (daher auch ‚nahe Epitheta‘ genannt) und vor anderen, je nach Text individuell variierenden Epitheta stehen. Teilweise handelt es sich dabei um überregionale Haupttitel, die die Göttin generell häufig trägt, worunter die Reihe (As.t) wr.t mw.t-nTr „(Isis), die Große, die Gottesmutter“ besonders verbreitet ist. Sie ist bereits im NR häufig belegt103 und kann als eine Art ‚Standardtitulatur‘ der Isis angesehen werden. Andere nahe Epitheta sind dagegen lokal individuell gewählt und weisen oft kulttopographischen Charakter auf, indem die Göttin dem jeweiligen Ort oder Tempel zugeordnet wird („Herrin von X“). In der folgenden Tabelle sind die Haupttitel der Isis – unterschieden nach allgemeinen und lokalspezifischen – an den einzelnen in Kap. 4 besprochenen Orten zusammengetragen.

100 Übersetzung (mit leichten Änderungen) nach BACKES, „Papyrus Schmitt“, S. 162–166 (mit Kommentaren). 101 ASSMANN, Grab des Basa, S. 92. 102 Siehe z. B. YOYOTTE, Monumentale litanie; QUACK, Kultkalender; vgl. NAGEL, One for All. 103 Vgl. (zu mw.t-nTr) z. B. MÜNSTER, Isis, S. 205; LGG III, 261–262.

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

Ort/Tempel Philae, Isisheiligtum

Allgemeine Haupttitel wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

Bigge, Isisund Osiristempel Assuan, Isistempel

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

Dakke, Thoth-Tempel Kalabscha, MandulisTempel

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

Behbeit elHagar, Isistempel

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) („das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter“) wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

Edfu, Horustempel

Dendara, Hathor- und Isistempel

Theben, Opet-Tempel

Theben, Deir el-Schelwit (Isistempel)

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) ir.t Ra nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) („das Auge des Re, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter“) wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) ir.t Ra nb(.t) p.t („das Auge des Re, die Herrin des Himmels“) wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) SpSj.t wsr.t („die Edle und Mächtige“)

531

Lokalspezifische Haupttitel nb.t Iw-rq („die Herrin von Philae“) dj(.t) anx („die Lebensspenderin“) nb.t iw-wab („die Herrin des Abatons“) dj(.t) anx („die Lebensspenderin“) nb.t iw-wab („die Herrin des Abatons“) nb.t Iw-rq („die Herrin von Philae“) nb(.t) %wnw („die Herrin von Syene“) HA.t pA mSa („die an der Spitze des Heeres ist“) nb.t Iw-rq („die Herrin von Philae“) dj(.t) anx („die Lebensspenderin“) nb.t Iw-rq („die Herrin von Philae“) dj(.t) anx („die Lebensspenderin“) nb.t iw-wab („die Herrin des Abatons“) nb(.t) @bj.t („die Herrin von Hebit“) wAH(.t) ix.t n sn=s Wsjr („die Opfergaben darbringt für ihren Bruder Osiris“)

Hrj(.t)-ib WTs.t-@r („die im ‚Thronsitz des Horus‘ (= Edfu) residiert“) As.t @dd.t n BHd.t („Isis-Hededet von Edfu“) nb.t IA.t-dj („die Herrin von Iatdi“) Hrj(.t)-ib Iwn.t („die in Dendara residiert“)

xnt Hw.t-wtT („die an der Spitze des Hauses der Zeugung (= Opet-Tempel) ist“) As.t n p(A) Dw („Isis vom Gebirge“) Hrj(.t)-ib Dw StA („die im geheimen Gebirge residiert“) xnt Dw imntj („die an der Spitze des Westgebirges“)

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

Ort/Tempel

Allgemeine Haupttitel

El-Qal‘a, Isistempel

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) ir.t Ra nb(.t) p.t („das Auge des Re, die Herrin des Himmels“) tA nTr.t aA.t („die große Göttin“) wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) tA nTr.t aA.t („die große Göttin“) wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

Schenhur, Isistempel Koptos, Minund Isistempel Esna, Chnumtempel

Kom Ombo, Haroeris- und Sobektempel Memphis, Giza, Isistempel Memphis, Sakkara, Isistempel Memphis, Sakkara, Sarapeion Memphis, ? Memphis, Heiligtum von Ptah, Thoth und Isis? el-Siririya (17./18. o.äg. Gau) Pr-Inpw (17./18. o.äg. Gau)

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“)

wr.t mw.t-nTr („die Große, die Gottesmutter“) mw.t-nTr („die Gottesmutter“)

Lokalspezifische Haupttitel nb(.t) Iwnw Smaj („die Herrin des oberägyptischen On (Armant)“) Hrj(.t) s.t wr.t („die über dem großen Sitz ist“) Hrj(.t)-ib NTr.wj („die im Koptites residiert“) Hrj(.t)-ib p(A) ^(-n-)@r („die in Schenhur residiert“) nb(.t) NTrj Sma („Herrin des NTrj Sma“) XAr.t („Witwe“) nb.t Iwny.t/ nb.t &A-sn.t („Herrin von Esna“) Hrj(.t)-ib Hw.t-bA.w („die im Haus der Bas residiert“) As.t Nb.t-ww („Isis-Nebetuu“) nb.t Nbw.t („Herrin von Ombos“)

Hnw.t mHr („Gebieterin der Pyramide“) nb(.t) anx-tA.wy „Herrin von Anchtaui“ As.t n pr-xnt-Nn („Isis vom ‚Haus dessen an der Spitze des Nun‘“) As.t xsbD(.t) tp („Isis mit Lapislazulikopf“) nb(.t) %mn-MAa.t („Herrin von %mnMAa.t“)

nb.t ax.wj („Herrin der beiden Kohlenbecken“) As.t Pr-Inpw („Isis von ‚Haus des Anubis‘“)

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

Ort/Tempel Njw.t nj.t iH.t (17./18. o.äg. Gau) WDa-tp.w (Fayum) Soknopaiou Nesos

Allgemeine Haupttitel

533

Lokalspezifische Haupttitel As.t nj.t njw.t nj.t iH.t („Isis von ‚Stadt der Kuh‘“) nb(.t) &p-iH („Herrin von Atfih“) nb.t tp.w &A-S („Herrin der Leute des Seelandes“) As.t nfr.t-s.t („Isis Nepherses (= mit vollkommenem Sitz/Thron)“)

5.2.2

Themen der Hymnen und das Bild der Göttin in den Tempeln unter Berücksichtigung chronologischer und regionaler Unterschiede: Eigenschaften und Funktionen der Isis in griechisch-römischer Zeit Der Charakter der Isis erreicht in den Tempeln der griechisch-römischen Zeit eine enorme Vielfalt, die teilweise auch durch die sukzessive zunehmende Identifikation mit anderen Göttinnen bedingt ist, teilweise sich aber direkt aus ihrem ursprünglichen Charakter und ihrer mythischen Rolle entwickelt hat. Die in den Texten angesprochenen Eigenschaften, Charakterzüge und Handlungen der Isis lassen sich grob nach den vier großen Bezugssystemen und Wirkungsbereichen Götterwelt (oder mit ASSMANN die „Sphäre des Seinigen“, die Konstellationen),104 Kosmos/Natur (die „Manifestiertheit des Göttlichen“),105 Königtum und Welt der Menschen („personaler Aspekt“ oder „soziale Instanz“)106 einteilen. Hier kann nicht jeder Einzelaspekt und jedes Epitheton der längeren Texte und der Beischriften in den Ritualszenen, die oben unter Kap. 4 ausführlich behandelt und kommentiert wurden, nochmals aufgeführt werden. Statt dessen soll das Bild des Charakters der Isis und der in den Texten behandelten Themen in seinen Grundzügen nachgezeichnet werden, und bei Gelegenheit auf ältere Vorläufer und mögliche Entwicklungslinien eingegangen werden. Für die Details sei auf die Kommentare zu den Einzeltexten und am Ende der Unterkapitel in Kap. 4 verwiesen. 5.2.2.1 Götterwelt A. Osiris und Horus Im Mittelpunkt der götterweltlichen Identität und der Beziehungen der Isis steht die traditionelle Doppelrolle in ihrem Familienkreis, d. h. der osirianischen Familie. Sie ist Schwester und Gattin sowie Vollzieherin des Totenkultes für Osiris einerseits, und Mutter, Aufzieherin und Überträgerin des königlichen Erbes für Horus andererseits. Die familiäre Stellung als (Erste) Königliche Gemahlin des Osiris107 und Gottesmutter des Horus108 bzw. 104 105 106 107

Z. B. ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 43. ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 56. ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 69–71. Philae-Hymne 2; Philae-Hymne 5; Philae-Hymne 7; Philae-Photo 1297; Philä I, 25–32; Philä II, 304–305; Assuan, B.6b; Assuan-Hymne 3; Assuan-Hymne 4; Assuan-Hymne 5; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 117–118; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Isis, 96,10–97, 10; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 38, 2–5; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XV,

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

das Thema der Geburt des Horus109 werden in praktisch allen Tempeln häufig betont und erscheinen in den nahen Titeln. Besonders in den frühptolemäischen Tempeln von Philae und Behbeit el-Hagar (Kap. 4.1 und 4.4) scheinen die Einbindung der Isis in ihre Familie und die Handlungen für Osiris und Horus insgesamt zentral für die Konzeption des Tempelkults und ihres Charakters zu sein, wobei Isis jeweils einen aktiven Part einnimmt. Diese Handlungen werden in den Texten bis in die späte Römerzeit hinein immer wieder betont: Im Mittelpunkt der Handlungen für Osiris stehen Klage, Besorgung seiner Bestattung und Versorgung durch Totenkult.110 Dabei belebt und verjüngt sie ihren verstorbenen Gemahl111 und beschützt ihn, teilweise durch den aktiven Kampf mit Angreifern.112 Seltener heißt es, daß sie in der Unterwelt bei Osiris ist,113 oder als seine Uräusschlange fungiert.114 Isis ist es auch, die den Kult des Osiris in den Tempeln etabliert hat.115

108 109

110

111 112

113 114 115

210, 5–13; Porte d’Évergète II, Taf. 33; Porte d’Évergète II, Taf. 45; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 155; Médamoud I, 2, Nr. 23–24; El-Qal‘a I, Nr. 31; ElQal‘a II, Nr. 238. Zum allgemeinen Haupttitel „Gottesmutter“ vgl. auch die Tabelle oben, unter 5.2.1. Philae-Hymne 1; Philae-Hymne 5; Philae-Photos 164–165; Philae-Photo 1297; Philä II, 184–185; Philä II, 186–187; Philä II, 220–223; Philä II, 304–305; Philä II, 358–359; Philä II, 390–391; Philä I, 64–65; Assuan, B.6b; Assuan-Hymne 1; Assuan-Hymne 3; Assuan-Hymne 4; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 117–118; Edfu V, 77, 8–17; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Isis, 128, 12–129, 9; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. III, 38, 2–5; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIV, 45, 6– 46, 2; Dend. XIV, 46, 5–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 210, 5–13; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit I, Nr. 22; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 157; Deir Chelouit I, Nr. 21; Deir Chelouit I, Nr. 22; Deir Chelouit III, Nr. 124; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245; Médamoud I, 2, Nr. 23–24; El-Qal‘a II, Nr. 171; El-Qal‘a II, Nr. 238; El-Qal‘a II, Nr. 253; pTebt. H I; pJumilhac. Philae-Hymne 4; Philae-Photos 164–165; Philä I, 169; Philä II, 78–79; Philae-Photo 1298; PhilaePhotos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331); Philä I, 25–32; Philä I, 40–41; Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 118; Behbeit el-Hagara, 5–6, SAE 60–62; Behbeit el-Hagara, 86–87, SAE 227; Edfu I, 144, 5–145, 3; Dend. Isis, 128, 12–129, 9; Dend. Isis, 308, 13–309, 10; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. II, 100, 6–11; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Opet I, 139; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 127; Deir Chelouit III, Nr. 137; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fêtesed, S. 408–409; Deir al-Médîna, Nr. 89; Esna II, Nr. 71; Esna III, Nr. 266; Esna III, Nr. 360; GUTBUB, KO, Nr. 159; Athribis II, C 2, 17; PSI I 72; Deltapapyrus; Fayumbuch. Philae-Photos 164–165; Philä I, 169; Edfu I, 144, 5–145, 3; Opet I, 139; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 156. Philae-Hymne 5; Philä III, Nr. 93 (?); Philae-Photo 1298; Philae-Photos 164–165; Philä I, 25–32; Assuan-Hymne 5; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 117–118; Behbeit el-Hagara, 5–6, SAE 60–62; Edfu I, 144, 5–145, 3; Edfu I, 148, 16–149, 19; Edfu V, 77, 8–17; Edfu VII, 119, 10–120, 8; Dend. Isis, 308, 13–309, 10; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 3; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Opet I, 139; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit II, Nr. 73; Deir Chelouit III, Nr. 137; Tôd II, Nr. 244; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; Deir al-Médîna, Nr. 89; El-Qal‘a I, Nr. 69; Esna II, Nr. 24; Esna VII, Nr. 611; PSI I 7; pJumilhac. Assuan-Hymne 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14. El-Qal‘a I, Nr. 19. Philä II, 8–9; Deir Chelouit III, Nr. 127; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409.

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

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Osiris’ Sohn und Erben Horus nährt Isis durch ihre Milch 116 und zieht ihn auf 117 – teilweise heißt es auch, daß sie allgemein Kinder (oder Kindgötter) an verschiedenen Orten aufzieht 118 –, sie beschützt ihn, bekämpft seine Feinde 119 und überträgt die rechtmäßige Königsherrschaft auf ihn bzw. verhilft ihm dazu.120 Als Überträgerin des Erbes vom Vater auf seinen Sohn kann sie auch als „Gottesmutter des Kamutef“ bezeichnet werden,121 wobei dieser Titel sich auf verschiedene männliche Gottheiten wie Min, Amun oder Re beziehen kann.122 Vereinzelt werden, speziell in der Kaiserzeit, auch andere Arten der Beziehung von Isis zu Horus genannt: so kann sie den Thron des Horus 123 oder das Horusauge (Udjatauge)124 verkörpern, und sorgt für die Bewahrung seines Kultes in den Tempeln.125 Gemeinsam mit ihren Familienmitgliedern ist Isis präsent in allen Städten, Gauen und Tempeln Ägyptens, was wiederholt betont wird. 126 So herrscht die osirianische Familie über Ägypten127 und über den ganzen Kosmos.128 Aus der klassischen Mutter- und Gattinfunktion lassen sich verschiedene Aspekte ableiten, die in den Texten immer weiter ausgeführt werden und sich zusehends verselbständigen – darauf wird unten jeweils unter den einzelnen Themen mit Belegen näher eingegangen, doch die folgende Tabelle bietet einen ersten Überblick:

116 Philä II, 76–77; Philä II, 244–247; Assuan, B.6b; Deir Chelouit I, Nr. 22. 117 Philae-Photo 1298; Philä I, 64–65; Philä II, 46–47; Philä II, 184–185; Philä I, 64–65; Edfu V, 77, 8–17; Dend. Isis, 90,1–92, 8; Deir Chelouit I, Nr. 22. 118 Philae-Hymne 7; Edfu Mam., 73, 3–12. 119 Philä I, 64–65; Philä II, 322–323; Philä I, 64–65; Assuan, B.6a; Edfu I, 148, 16–149, 19; Edfu II, 82, 15–83, 6; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Deir Chelouit I, Nr. 7; Tôd II, Nr. 244; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; El-Qal‘a I, Nr. 69; El-Qal‘a II, Nr. 253; Esna VII, Nr. 611; Athribis II, D1, 17; PSI I 72; Deltapapyrus; pJumilhac. 120 Philae-Photos 164–165; Philä II, 184–185; Assuan-Hymne 1; Assuan-Hymne 2; Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50–51, 184 und 240; Edfu I, 148, 16–149, 19; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. IX, 167, 11–16; Porte d’Évergète II, Taf. 33; Deir Chelouit III, Nr. 157; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; El-Qal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a I, Nr. 32. 121 Philae-Hymne 7; Assuan-Hymne 5; Dend. Isis, 96,10–97, 10. 122 So finden sich Hinweise auf die Rolle der Isis als Muttergattin des Re-Kamutef bereits in den Sargtexten im MR, siehe MÜNSTER, Isis, S. 83–86. 123 Deir Chelouit II, Nr. 85. 124 Deir Chelouit III, Nr. 137; El-Qal‘a I, Nr. 31; Esna VI, Nr. 523. 125 Philä III, Nr. 143. 126 Philae-Hymne 4; Bîgeh, 40; Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 210, 5–13; Dend. XV, 337, 10–14. 127 Philä II, 186–187; Dend. Isis, 78, 4–8. 128 Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

Mythische Ausgangssituation Belebung von Osiris, Geburt von Horus Suche nach Osiris und Bestattung Sorge und Schutz für Osiris und das Horuskind Übertragung des Erbes an Horus

Entsprechende Eigenschaften der Isis Lebensspenderin, Fruchtbarkeit, Schöpfergöttin Funerärgöttin Heilerin, Magierin und Beschützerin, Wehrhaftigkeit Königsgöttin, Herrscherin/Königin, Allherrschaft

Die meisten dieser Funktionen werden bereits in den frühptolemäischen Hymnen näher ausgeführt, wobei die Texte meistens einen oder mehrere Themenschwerpunkte zeigen, die mit verschiedenen eng zusammenhängenden Einzelaspekten erläutert werden. Die späteren Texte weisen tendenziell häufig eine größere Themenvielfalt innerhalb der einzelnen Kompositionen auf, wobei unterschiedliche Züge der Isis miteinander kombiniert werden. Die Beziehung zu Osiris und Horus bildet dabei immernoch meist den Hintergrund und wird angedeutet, steht jedoch weniger im Fokus. Stattdessen werden die Macht und Eigenständigkeit der Isis immer stärker betont. B. Re/Atum Ebenso wichtig wie die Beziehung der Isis zu Osiris und Horus scheint in den griechischrömischen Tempeln zunehmend diejenige zum Sonnengott zu sein. Isis wird mehrfach als seine Tochter bezeichnet,129 bzw. sie wurde von ihm erschaffen130 und ist so das Abbild ihres Schöpfers. 131 Besonders häufig ist sie aber als Auge des Re 132 und seine Uräusschlange133 identifiziert; als solche befindet sie sich auch in der Sonnenbarke, unter ande-

129 Philae-Hymne 5; Philä II, 6–7; Philä III, Nr. 114; Philä I, 64–65; Philä III, Nr. 2; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 169–170; Edfu V, 332, 14–333, 2; Edfu III, 171, 16–172, 8; Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Tôd II, Nr. 245; El-Qal‘a I, Nr. 19; El-Qal‘a I, Nr. 69; ElQal‘a II, Nr. 195; Shanhûr I, Nr. 58; Esna II, Nr. 24. 130 Edfu II, 82, 15–83, 6; Dend. XV, 25, 7–26, 14. 131 Dend. Porte d’Isis, Nr. 45. 132 Philae-Hymne 6; Philae-Hymne 7; Philae-Hymne 8; Philä II, 136–137; Philä III, Nr. 114; Philä I, 64–65; Philä II, 358–359; Assuan-Hymne 2; Assuan-Hymne 5; Dakke I, S. 110, § 245; Behbeit elHagara, 3, SAE 58; Dend. Isis, 90,1–92, 8; Dend. Isis, 121, 1–13; Dend. Isis, 334, 11–335, 12; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Deir Chelouit III, Nr. 121(?); Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit I, Nr. 21; Deir Chelouit III, Nr. 149; El-Qal‘a I, Nr. 19; El-Qal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a I, Nr. 69; El-Qal‘a II, Nr. 253; Shanhûr I, Nr. 68; Esna VI, Nr. 509; Esna VI, Nr. 523; Fayumbuch. 133 Hymne Nektanebes; Philae-Hymne 5; Philae-Hymne 6; Philä II, 6–7; Philä II, 8–9; Philä II, 136– 137; Philä III, Nr. 114; Philä I, 64–65; Philä III, Nr. 2; Philä III, Nr. 59b; Philä I, 231–232; Philä II, 244–247; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 169–170; Edfu III, 171, 16–172, 8; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Opet I, 139; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 16; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 156; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245; El-Qal‘a I, Nr. 31; Esna VI, Nr. 523.

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

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rem als Steuerfrau,134 und wehrt die Feinde des Sonnengottes, z. B. Apophis, ab.135 In ihrer wehrhaften Form als Uräusschlange zeigen sich besonders schützende und kämpferische Aspekte der Göttin, die in diesem Zusammenhang auch mit Zauberkraft einhergehen, die ihr als wr.t-HkA.w zugeschrieben wird.136 Ihre Zugehörigkeit zum Sonnengott offenbart sich zudem in Formeln, die ihre Nähe zu ihm oder seine Zuneigung zu ihr ausdrücken: sie befindet sich bei ihm am Himmel137 und vereinigt sich – meist im Kontext entsprechender Rituale – mit ihm und seinen Strahlen.138 Sie stellt ihn zufrieden und versorgt ihn.139 Re wiederum umarmt140 und bejubelt sie bzw. bringt ihr Verehrung entgegen.141 In Dendara, wo die Geburt der Isis das zentrale Thema der lokalen Theologie bildet, wiederholen die Texte immer wieder, daß die Sonne für Isis aufgeht nach oder bei ihrer Geburt,142 was mit dem himmlischen Ereignis des Sothis-Frühaufgangs gleichzusetzen ist. Eine gewisse Vorrangstellung der Isis gegenüber ihrem göttlichen Vater lassen bereits Bezeichnungen als Gebieterin des Re oder „ihres Schöpfers“ erahnen.143 Speziell in den römerzeitlichen Tempeln wird die Beziehung zwischen Re/Atum und Isis jedoch häufig ganz umgekehrt: Isis selbst ist nun die urzeitliche Mutter (teilweise gleichgesetzt mit Rattaui144 und Neith145) des Re,146 die als aktiv Handelnde den Sonnenlauf lenkt und so Tag und Nacht entstehen läßt,147 wobei sie in den Texten von Deir el-Schelwit als Himmel identifiziert gleichzeitig den kosmischen Rahmen dafür bildet (s. u., 5.2.2.2.A). Die Vorstellung von Isis als Mutter(gattin) des Sonnengottes deutet sich allerdings bereits in den Sargtexten des MR an,148 wird aber in den Texten der römischen Tempel, besonders Deir el-Schelwit, ausführlich expliziert. 134 Philae-Hymne 7; Assuan-Hymne 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 16; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 154. 135 Philae-Hymne 5; Philae-Hymne 8: Philä I, 169; Philä II, 6–7; Philä III, Nr. 2; Philae-Photo 1297; Philä II, 244–247; Assuan-Hymne 2; Dakke I, 266–269, § 592–596; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 118; Kalabchah I, 169–170; Opet I, 139; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 149; Tôd II, Nr. 244; El-Qal‘a I, Nr. 32; GUTBUB, KO, Nr. 320. 136 Philae-Hymne 8; Philä I, 169; Philä II, 6–7; Philae-Photo 1297; Assuan-Hymne 2; Kalabchah I, 118; Opet I, 139; Deir Chelouit II, Nr. 61. 137 Assuan-Hymne 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit III, Nr. 155. 138 Edfu V, 173, 10–174, 4; Dend. Isis, 138; El-Qal‘a II, Nr. 195; Shanhûr I, Nr. 59; GUTBUB, KO, Nr. 320. 139 Deir Chelouit III, Nr. 129; GUTBUB, KO, Nr. 292; Kom Ombos II, Nr. 922. 140 Dend. XV, 25, 7–26, 14. 141 Philä II, 220–223; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Deir Chelouit III, Nr. 154. 142 Edfu V, 173, 10–174, 4; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Isis, 128, 12–129, 9; Dend. Porte d’Isis, Nr. 1; Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 2, 2–7; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XII, 183–185; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 269, 4–270, 5. 143 Philä II, 358–359; El-Qal‘a II, Nr. 196; El-Qal‘a II, Nr. 217. 144 Deir Chelouit I, Nr. 7; Tôd II, Nr. 244. 145 El-Qal‘a I, Nr. 32; El-Qal‘a II, Nr. 171. 146 Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 157; Deir Chelouit I, Nr. 21; El-Qal‘a I, Nr. 32; Esna II, Nr. 24. 147 Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 157; Deir Chelouit III, Nr. 129; Deir Chelouit III, Nr. 141. 148 Siehe dazu MÜNSTER, Isis, S. 80–93.

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C. Geb und Nut Als Mitglied der heliopolitanischen Götterneunheit ist Isis die Tochter des Paars Geb (Erde) und Nut (Himmel). Diese Abstammung wird in den Tempeltexten oft in Form einer Filiation (teilweise auch nur mit Nennung von einem Elternteil) erwähnt, wenngleich nirgends so häufig wie in Dendara, wo die Geburt der Isis eine zentrale Rolle spielt.149 Manchmal wird zudem die Besonderheit oder Vorrangstellung der Tochter durch Beiworte wie „die ihren Vater und ihre Mutter leitet“150 oder „die Vortreffliche/Wirkmächtige von Geb und Nut“151 betont. Ihr Herrschaftsbereich befindet sich nicht nur im Himmel bei Re (s. o.), sondern erstreckt sich auch „auf der Erde bei Geb“,152 und als Verkörperung des Königtums, das jeweils von einem männlichen Repräsentanten der Neunheit zum nächsten übergeht, kann Isis auch als Uräusschlange von Schu und Geb fungieren.153 D. Geburt der Isis Zahlreiche Texte in Dendara und einige vereinzelte Belege an anderen Orten beschreiben die mythische Geburt der Isis durch Nut in Dendara in der „Nacht des Kindes in seinem Nest“,154 die durch die Gleichsetzung mit dem Sothisaufgang am Neujahrsmorgen gleichzeitig auf eine kosmische Ebene gehoben wird. Nur vereinzelt wird in diesem Zusammenhang abweichend der vierte Epagomene als ‚klassisches‘ (heliopolitanisches) Datum der Isisgeburt genannt. 155 Die Geburtsbeschreibungen ähneln einander stark und verwenden immer wiederkehrende Formeln: so wird Isis geboren als schwarze und rote (oder schwarzrote) Frau,156 erfüllt mit Liebreiz und Leben,157 die den blutroten Stoff liebt.158 Sie erhält

149 Philae-Photo 1297; Philae-Photo 1298; Philä I, 40–41; Assuan, F.15b; Edfu V, 77, 8–17; Edfu V, 173, 10–174, 4; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 31; Dend. I, 74, 11–13; Dend. II, 100, 6–11; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Shanhûr I, Nr. 21; Athribis II, C 2, 16; Athribis II, C 2, 17. 150 Z. B. Dend. IV, 60, 11–17. 151 Z. B. Porte d’Évergète II, Taf. 45. 152 Dend. XV, 25, 7–26, 14. 153 El-Qal‘a I, Nr. 31. 154 Philä II, 220–223; Edfu V, 173, 10–174, 4; Edfu V, 278, 7–17; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. Isis, 128, 12–129, 9; Dend. Porte d’Isis, Nr. 1; Dend. I, 74, 11–13; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XII, 183–185; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 210, 5–13; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Dend. XV, 337, 10–14; Propylône, Nr. 13b. 155 Dend. IV, 60, 11–17; Dend. VI, 66, 10–67, 9. 156 Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 337, 10–14. 157 Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VI, 86, 6–10; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 337, 10–14. 158 Dend. Isis, 300, 1–5; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. XIV, 146, 3–14.

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ihren Namen mit einem Wortspiel durch ihre Mutter Nut,159 Schai erhebt sie auf den Geburtsziegeln oder noch bevor sie aus dem Leib ihrer Mutter kommt,160 und Thoth verleiht ihr die königliche Titulatur (s. u., E.). Zwei Texte an der Außenwand des Naos von Dendara erwähnen außerdem zusätzlich die Geburt der Geschwister der Isis.161 E. Thoth In einigen Texten spiegelt sich auch die Tradition von Isis als Tochter des Thoth wider,162 wobei diese Filiation immer im Verbund einer festen Titelreihe steht, die auch von Königinnen und Prinzessinnen getragen wurde, und die kurz zuvor außerdem die heliopolitanische Tradition „Tochter des Geb“ nennt. Eine enge Beziehung zu und vor allem ‚geistige‘ Vaterschaft des Thoth demonstrieren aber davon abgesehen eine Reihe von Eigenschaften, die Isis mit diesem Gott teilt, was teilweise durch den Zusatz „wie Thoth“ o. ä. expliziert ist: ihre Weisheit, wodurch sie auch als Lehrerin auftritt,163 ihre magischen Kenntnisse und Kräfte (die daneben mit der Identifikation als Uräusschlange des Re verbunden sind, s. o.),164 und die Zuständigkeit für die Erfindung und Weitergabe der Schrift, wobei sie in diesem Zusammenhang meist mit Seschat identifiziert wird.165 Entsprechend fungiert sie auch als Herrin und Schutzgöttin des Lebenshauses.166 In Dendara handelt Thoth für Isis insbesondere bei ihrer Geburt, indem er ihre Königstitulatur festlegt;167 außerdem öffnet er Wege für sie.168 Nur ausnahmsweise scheint an einigen Orten auch die Beziehung zu Thoth umgekehrt zu werden, indem Isis als seine Mutter charakterisiert ist.169

159 Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 337, 10–14. 160 Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 210, 5–13; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Dend. XV, 337, 10–14. 161 Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XII, 183–185. 162 Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14. 163 Philä III, Nr. 2; Kalabchah I, 169–170; Dend. VII, 109, 13–110, 4; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit II, Nr. 84. 164 Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Edfu I, 148, 16–149, 19; Edfu V, 173, 10–174, 4; Dend. XII, 2, 2– 12; Deir Chelouit III, Nr. 129; Médamoud I, 2, Nr. 23–24; Esna III, Nr. 307bis. Die Belege, die im Kontext ihrer Beziehung zu Re stehen, sind oben aufgeführt. 165 Philä III, Nr. 143; Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Edfu I, 151, 6–152, 3; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. XII, 3, 4–9; Deir Chelouit II, Nr. 84; Esna III, Nr. 307bis. Zu Gemeinsamkeiten von Isis und Thoth und der mehrfach belegten Tradition von Texten bzw. ‚Dekreten‘, die ihnen zugeschrieben werden (insbesondere in osirianischem bzw. funerärem Kontext), vgl. J. QUAEGEBEUR, Diodore I, 20 et les mystères d’Osiris, in: T. du Quesne (Hrsg.), Hermes Aegyptiacus. Egyptological Studies for B. H. Stricker on his 85th Birthday, DE Special number 2, 1995, S. 157–181. 166 Deir Chelouit II, Nr. 84; Esna III, Nr. 307bis; Fayumbuch. Vgl. auch Isis’ Epitheton Hnw.t pr-anx „Gebieterin des Lebenshauses“ auf einigen Särgen der 3. ZwZt, siehe LGG V, 177a, Belege [1, 4–5, 12, 16, 25]; DE SALVIA, Figura del mago, S. 347. 167 Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Porte d’Isis, Nr. 1; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14. 168 Dend. XV, 25, 7–26, 14. 169 Tôd II, Nr. 244; Deltapapyrus.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

F. Sachmet, Hathor und diverse Manifestationen der Gefährlichen Göttin/Sonnenauge (Bastet, Nechbet, Uto, Satet, Unut, Selket usw.) Die oben thematisierte häufige Rolle der Isis (auch als Sothis, siehe dazu unten) als Sonnenauge oder Uräusschlange des Re bezieht sich häufig explizit auf den Mythos vom Sonnenauge bzw. der Fernen Göttin, die aus ihrer Abwesenheit zur Wiedervereinigung mit ReAtum zurückkehrt. Die Gestalt der Fernen Göttin bietet ein hohes Potenzial zur Identifikation der Isis mit anderen Göttinnen, die diese verkörpern können, so vor allem Sachmet, Hathor, Bastet, Nechbet, Uto, Satet, Unut und andere. Zahlreiche Texte sprechen die Göttin entsprechend mit meist einer ganzen Reihe solcher Namen an170 und stellen ihre wehrhaften, gefährlichen Seiten in den Vordergrund.171 Während Hathor, Bastet/Sachmet und andere Göttinnen überregional für diese Rolle bekannt sind und häufig mit Isis gleichgesetzt werden, tauchen gerade in den kleinen römischen Isistempeln, die sich jeweils nicht innerhalb der Städte, sondern in der Peripherie befinden, auch spezielle lokale Formen auf, die dem übergreifenden Konzept der Isis angegliedert bzw. untergeordnet werden: in Deir elSchelwit vor allem die Gefährtinnen des Month von Armant und Tôd (Iunit, Tjenenet, Rattaui), in El-Qal‘a Tameret und Tairetperatum. Die wilde, gefährliche Seite der Göttin muß durch Lobpreisungen und Ritualhandlungen besänftigt werden, was in einigen Hymnen zum Ausdruck kommt.172 G. Hathor Mit Hathor ist Isis natürlich auch auf zahlreichen anderen Ebenen seit dem AR engstens verbunden173 und bildet mit ihr in griech.-röm. Zeit manchmal eine fast untrennbare Einheit mit verschiedenen Aspekten, z. B. in Dendara oder nach den Aussagen des Textes „Zu kennen die Edlen (= Göttinnen), die göttlich sind als Hathoren“ in pTebt. H I.174 Da eine explizite oder implizite (über Epitheta) enge Verbindung bzw. Identität der beiden Göttinnen in einer sehr großen Anzahl von Texten aufscheint, kann hier keine Belegliste angeführt werden. 175 Isis teilt unter anderem zahlreiche Epitheta mit ihr, die Liebreiz, Schönheit und Wohlgeruch beschreiben.176 Wie Hathor wird sie außerdem häufig als Bat (BA.t), die „Be-

170 Philae-Photos 385–386; Assuan-Hymne 6; Edfu V, 332, 14–333, 2; Edfu VII, 119, 10–120, 8; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 190, 13–191, 5; Dend. III, 35, 9–11; Deir Chelouit I, Nr. 7; Tôd II, Nr. 245; El-Qal‘a II, Nr. 217; El-Qal‘a II, Nr. 239; pJumilhac; Fayumbuch. 171 Philae-Photos 385–386; Behbeit el-Hagara, 35–36, SAE 185; Edfu V, 332, 14–333, 2; Edfu VII, 119, 10–120, 8; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 189; Dend. Isis, 190, 13–191, 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 3; Tôd II, Nr. 245; El-Qal‘a II, Nr. 238; pJumilhac; Fayumbuch. 172 Philae-Hymne 8; Assuan-Hymne 2; Assuan-Hymne 6; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 189. 173 Siehe zu Isis und Hathor vor der Spätzeit MÜNSTER, Isis, S. 91–92 u. 119–124. 174 pTebt. H I, X 3, 3–X 4, 7; s. o., Kap. 4.13.1.1. 175 Stellvertretend seien aber einige Beispiele für die explizite Identifikation der Isis mit Hathor bzw. für ihre Übernahme typischer Hathorepitheta wie „die Goldene“ genannt: Edfu Mam., 73, 3–12; Dend. III, 38, 2–5; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XII, 183–185; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 154; El-Qal‘a II, Nr. 196; pTebt. H I. 176 Philae-Hymne 7; Philä I, 64–65; Assuan-Hymne 4; Assuan-Hymne 5; Kalabchah I, 16; Behbeit elHagara, 87, SAE 222; Edfu III, 171, 16–172, 8; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 189; Dend. Isis, 88, 3– 16; Dend. Isis, 90, 1–92, 8; Dend. Isis, 96, 10–97, 10; Dend. Porte d’Isis, Nr. 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 23; Dend. II, 201, 12–17; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. IX, 167, 11–16;

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seelte“ oder sogar überhaupt die weibliche Ba-Seele, bezeichnet.177 Als Ba-Seele kann sie sich in diversen Formen und Gestalten manifestieren. H. Beziehung zu weiteren Gottheiten Die Beziehungen der Isis zu weiteren Gottheiten sind meist lokal begrenzt und durch die jeweilige spezifische Konstellation des Pantheons bestimmt. So gilt Isis in Deir el-Schelwit und el-Tôd als Gattin des Month und wird entsprechend mit Tjenenet, 178 Iunit 179 und Rattaui180 identifiziert und erscheint als urzeitliche Himmelskuh neben Month als Stier.181 In Koptos (Kap. 4.10.3) sowie in Theben (Kap. 4.7.2) hat ihre Rolle als Muttergattin des Min eine lange Tradition, wobei sie in Theben schließlich über die Verbindung von Min und Amun zu Osiris auch als Besorgerin des Totenkultes des (Amun-)Kematef gilt (Kap. 4.7–8). Im 17.–18. o.äg. Gau ist Isis die Mutter des mit Horus identifizierten Anubis,182 und im Fayum die Mutter des Sobek.183 In Memphis (Kap. 4.12.1) besteht eine enge Beziehung der Isis zu Ptah, doch fehlen hier die Tempeltexte; vereinzelt wird sie aber auch andernorts z. B. als „geliebt von Ptah“ bezeichnet184 oder in Bezug zu (Ptah-)Tatenen gesetzt.185 I. Die Stellung der Isis in der Götterwelt Einen großen Platz nehmen Epitheta und Aussagen ein, die Isis’ herausragende Stellung unter den Göttern betonen und ihr in diesem Bereich verschiedene Autoritäten zuschreiben. Häufig ist sie als Einzigartige186 und Urgöttin187 gekennzeichnet, was ihre Entstehung am Anbeginn der Zeit, vor den anderen Göttern, voraussetzt.188 Manchmal heißt es sogar explizit, daß sie die anderen Götter erschaffen oder geboren hat und sie dementsprechend Mutter

177 178 179 180 181 182 183 184 185 186

187

188

Opet I, 139; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit II, Nr. 75; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 155; Tôd II, Nr. 244; El-Qal‘a II, Nr. 196; El-Qal‘a II, Nr. 239; Esna VI, Nr. 509. Philä II, 322–323; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 92, 10–13; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XII, 28, 13–32, 7. Vereinzelte Belege finden sich bereits ab dem MR, siehe MÜNSTER, Isis, S. 115–116. Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit I, Nr. 16; Tôd II, Nr. 245. Deir Chelouit I, Nr. 1; Tôd II, Nr. 245. Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 144; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245. Deir Chelouit I, Nr. 11. pJumilhac. Fayumbuch. Assuan-Hymne 6; Opet I, 139. Dend. VI, 2, 21–4, 6. Philä I, 231–232; Philä II, 358–359; Behbeit el-Hagara, 256, SAE 218; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 43; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 92, 10–13; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VII, 109, 13–110, 4; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Esna VI, Nr. 509. Philä II, 46–47; Philä III, Nr. 114; Bîgeh, 40; Dend. Isis, 90, 1–92, 8; Dend. Isis, 334, 11–335, 12; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 31; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Deir Chelouit I, Nr. 11; Deir Chelouit II, Nr. 85; Esna III, Nr. 306. Zu den Implikationen des Epithetons „Einzige/Einzigartige“ siehe z. B. DOUSA, Imagining Isis, S. 169–175.

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der Götter ist.189 Wie für Re, Osiris, Schu und Geb (s. o.) kann sie auch für die Götter insgesamt als Uräusschlange fungieren.190 Sie wird mit zahlreichen Epitheta als Oberste an die Spitze der Götter gestellt,191 teilweise auch speziell der weiblichen Gottheiten,192 und hat Befehlsgewalt über das Pantheon oder die Neunheit, 193 sowie über verschiedene andere göttliche oder dämonenhafte Wesen wie ‚Boten‘- und Krankheitsdämonen 194 (über die Identifikation als Sachmet) und Wesen der Unterwelt.195 Zudem ist sie die Vorsteherin der Schutzgötter.196 Die Götter (und andere Wesen) hingegen bringen ihr Verehrung und Ehrfurcht entgegen197 oder jubeln bzw. freuen sich über sie,198 letzteres häufig im Kontext von Festen der Isis (Geburtsfest der Isis, Geburt des Horus etc.). Speziell bei ihrer eigenen Geburt (in Dendara, s. o.) führen verschiedene Götter diverse Handlungen für sie aus,199 versorgen sie und huldigen ihr,200 und bereiten ihren Schutz.201

189 Assuan-Hymne 1; Dend. Isis, 307, 17–308, 11 („die Mutter der Mütter“); Deir Chelouit I, Nr. 11. 190 Behbeit el-Hagara, 256, SAE 218; Deir Chelouit II, Nr. 86 191 Philä I, 169; Philä II, 6–7; Philä II, 8–9; Philä III, Nr. 114; Philä I, 64–65; Philä III, Nr. 2; Philä I, 231–232; Philä II, 184–185; Philä II, 322–323; Assuan-Hymne 2; Kalabchah I, 118; Dakke I, S. 110, § 245; Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37; Behbeit el-Hagara, 3, SAE 58; Behbeit el-Hagara, 35–36, SAE 185; Behbeit el-Hagara, 246, Kairo JE 59135; Edfu III, 171, 16–172, 8; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 134, 16– 135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XV, 337, 10–14; Deir Chelouit III, Nr. 149; ElQal‘a II, Nr. 120; El-Qal‘a II, Nr. 217; El-Qal‘a II, Nr. 238; Esna III, Nr. 307bis; Esna VI, Nr. 494. 192 Edfu V, 173, 10–174, 4; Dend. Porte d’Isis, Nr. 3; Dend. Porte d’Isis, Nr. 43; Tôd II, Nr. 245; Esna II, Nr. 24. 193 Philä II, 6–7; Kalabchah I, 16; Deir Chelouit I, Nr. 21. 194 Philä II, 322–323; Philä III, Nr. 143; Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XV, 210, 5–13. 195 Philä III, Nr. 143; Deir Chelouit III, Nr. 154. 196 Dend. VII, 140, 13–141, 2; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 129. 197 Philä III, Nr. 2; Philä I, 64–65; Philä II, 186–187; Kalabchah I, 169–170; Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37; Behbeit el-Hagara, 76–77, SAE 214 und 223; Edfu V, 173, 10–174, 4; Dend. Isis, 190, 13– 191, 5; Dend. III, 92, 10–13; Dend. III, 103, 6–11; Dend. III, 138, 16–139, 4; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit III, Nr. 154; El-Qal‘a I, Nr. 19; Esna II, Nr. 24. 198 Dend. Isis, 138; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2. 199 Dend. VI, 66, 10–67, 9; Dend. VI, 86, 6–10; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 146, 3–14; Dend. XV, 210, 5–13; Dend. XV, 269, 4–270, 5. 200 Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. I, 74, 11–13; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. III, 2, 2–7; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VI, 52, 12–53, 2. 201 Dend. II, 107, 10–108, 2.

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5.2.2.2 Kosmos/Natur A. Himmelsgöttin Wie Hathor, teilweise auch über ihre Mutter Nut, ist Isis mindestens seit dem MR eine Himmelsgöttin.202 Sie wird regelmäßig als Herrin des Himmels sowie der Sterne und Dekane gekennzeichnet,203 während sie besonders in späterer Zeit, und vor allem in Deir elSchelwit auch selbst mit dem Himmel direkt gleichgesetzt wird und so als Mutter aller Himmelskörper – Sonne, Mond und Gestirne – erscheint,204 die sogar Lobpreisungen durch die Sonne und die Himmelswesen erhält. 205 Vorläufer dieser Vorstellungen sowie eine Assimilation mit Nut sind bereits im Mittleren und noch deutlicher im Neuen Reich zu finden, insbesondere in Sonnenhymnen, wo Isis aber noch als Totengöttin bzw. Göttin des Westens speziell als Mutter der untergehenden Sonne aufgefaßt wird206 und noch keine so universelle Gültigkeit zu haben scheint wie in den Inschriften von Deir el-Schelwit. B. Sothis, Gestirn/leuchtende Scheibe Zentral für Isis’ oben beschriebene Rolle als Himmelsgöttin und Herrin der Sterne und Dekane ist aber in griechisch-römischer Zeit speziell ihre enge Identifizierung mit Sothis,207 dem Sirius-Stern, die bereits in den Pyramidentexten belegt ist.208 Als leuchtendes Gestirn bildet sie ein weibliches Gegenstück zu Re (Ra.t) und wird immer wieder mit ähnlichen Begriffen wie der Sonnengott selbst beschrieben, 209 die ihren Lichtcharakter und ihren

202 Siehe für die ältere Zeit MÜNSTER, Isis, S. 198 und 204 (Epitheton „Herrin des Himmels“; dazu auch oben, 5.2.1, Tabelle). 203 Philae-Photos 164–165; Philä I, 168–169; Philä I, 231–232; Philä II, 186–187; Philä III, Nr. 59b; Assuan-Hymne 4; Assuan-Hymne 5; Assuan, F.15b; Assuan, F.16; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 118; Dakke I, S. 110, § 245; Behbeit el-Hagara, 3, SAE 58; Behbeit el-Hagara, 87, SAE 222; Dend. Isis, 90,1–92, 8; Dend. Isis, 228, 12–229, 8; Dend. Isis, 334, 11–335, 12; Dend. Porte d’Isis, Nr. 23; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 35, 9–11; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 92, 10–13; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Dend. XV, 210, 5–13; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit I, Nr. 22; Deir Chelouit III, Nr. 141; Deir Chelouit III, Nr. 149; Deir al-Médîna, Nr. 89; El-Qal‘a II, Nr. 171; Shanhûr I, Nr. 68; Esna VI, Nr. 509. 204 Edfu V, 77, 8–17; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 157; Deir Chelouit I, Nr. 21; Esna II, Nr. 24. Zu Isis als Mutter der Sonne siehe auch oben, 5.2.2.1 B. 205 Deir Chelouit III, Nr. 154. 206 Siehe MÜNSTER, Isis, S. 94–98. 207 Philä III, Nr. 143; Philae-Photo 1298; Assuan-Hymne 5; Assuan-Hymne 6; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. Isis, 307, 17–308, 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 23; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 201, 12– 17; Dend. III, 35, 9–11; Dend. III, 55, 2–8; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XIII, 26, 7– 28, 3; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Dend. XV, 210, 5–13; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 124; Deir Chelouit III, Nr. 141; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; Deir al-Médîna, Nr. 89. 208 Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 153–154; BEAUX, Sirius étoile. 209 Siehe dazu VON LIEVEN, Scheiben am Himmel.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

morgendlichen Aufgang210 oder ihre Fahrt am Himmel211 preisen. Als himmlische Manifestation bzw. Ba der Isis sorgt Sothis auch für die entsprechende Manifestation des Osiris, Orion, folgt ihm und schützt ihn (vor Seth, dem ‚Schenkel‘ = Großer Wagen).212 C. Nilflut Sowohl durch ihre Identifikation mit Sothis, deren heliakischer Aufgang die Überschwemmung ankündigt, als auch durch ihre belebenden Handlungen an Osiris, der das Nilwasser verkörpert, gilt Isis als Urheberin und Auslöserin der Nilflut.213 Als solche wird sie auch mit den Kataraktgöttinnen Satet, deren Name in griech.-röm. Zeit ohnehin mit dem der Sothis zusammenfällt, und Anuket gleichgesetzt, die als Herrinnen der oberägyptischen Nilquellen und der Überschwemmung gelten.214 D. Fruchtbarkeit, Gedeihen von Pflanzen, Leben Aus der Rolle der Isis als Lebensspenderin für Osiris und nährende Mutter des Horus und aus der durch sie ausgelösten Nilüberschwemmung leiten sich auch die allgemeinen Eigenschaften als Lebensspenderin215 und Herrin des Lebens216 bzw. von Leben und Tod217 ab, die insbesondere in Philae und im ganzen Kataraktgebiet betont werden. Sie sorgt für das

210 Philae-Photos 164–165; Philä II, 76–77; Philä II, 78–79; Philä III, Nr. 93; Philä I, 25–32; Philä II, 304–305; Philä II, 338–339; Philä II, 390–391; Assuan-Hymne 5; Debod I, 44–45, §§ 112–115; Behbeit el-Hagara, 35–36, SAE 185; Edfu II, 82, 15–83, 6; Edfu V, 77, 8–17; Edfu V, 173, 10–174, 4; Edfu Mam., 73, 3–12; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. Isis, 121, 1–13; Dend. Porte d’Isis, Nr. 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 43; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit I, Nr. 1; El-Qal‘a II, Nr. 171; El-Qal‘a II, Nr. 196; El-Qal‘a II, Nr. 253; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit II, Nr. 87; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 144; Deir Chelouit III, Nr. 149; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245; Shanhûr I, Nr. 58; Shanhûr I, Nr. 59. 211 Dend. Isis, 189; Deir Chelouit II, Nr. 85. 212 Assuan-Hymne 5; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. Isis, 228, 12–229, 8; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Dend. XV, 210, 5–13; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 124; SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; Deir al-Médîna, Nr. 89. 213 Philae-Photos 164–165; Dend. Isis, 307, 17–308, 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit II, Nr. 84; Esna III, Nr. 306; Esna VI, Nr. 476; Fayumbuch. Als Sothis: Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. Isis, 228, 12–229, 8; Dend. Isis, 307, 17–308, 11; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 201, 12–17; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Deir Chelouit III, Nr. 156 214 Philae-Hymne 4; Assuan-Hymne 5; Assuan, F.16; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit III, Nr. 121; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 156. 215 Philae-Hymne 6; Philä I, 169; Philä II, 136–137; Philä III, Nr. 59b; Philä I, 40–41; Philä I, 64–65; Philä II, 184–185; Philä II, 186–187; Philä II, 220–223; Philä II, 322–323; Philä II, 390–391; Assuan-Hymne 4; Assuan, F.16; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 118; Dend. Isis, 138; Dend. Isis, 307, 17–308, 11; Dend. II, 201, 12–17; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 156; Deir Chelouit III, Nr. 129; Deir Chelouit III, Nr. 137; Tôd II, Nr. 244; Esna III, Nr. 360; Esna VI, Nr. 509; pJumilhac; Fayumbuch. 216 Philä III, Nr. 2; Assuan-Hymne 6; Kalabchah I, 169–170; Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. I, 81, 15–82, 6. 217 Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Dend. IX, 167, 11–16.

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

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Gedeihen der Pflanzen218 und ist Feldgöttin bzw. das Feld selbst,219 unter anderem auch in der Verbindung Isis-Nebetuu in Esna. 220 Damit ist sie wiederum auch für Nahrung und Versorgung zuständig, wodurch sie häufig mit Renenutet gleichgesetzt erscheint.221 Diese Charakteristika der Isis werden in älteren Texten nicht explizit ausgeführt. MÜNSTER konnte aber Vorläufer der Konzeption von Isis als fruchtbarem Nilland, das von Osiris als Nil befruchtet wird, bereits in den Sargtexten feststellen, wo Isis (teils zusammen mit Nephthys) die Nilufer repräsentiert, und dem Überschwemmungswasser als Ausfluß aus dem Osirisleichnam gegenübergestellt wird.222 Ein von ihr ebenfalls zitierter Hymnus an Horus(?) (als solare Gottheit), in dem Isis als Mutter des Kindgottes mit dem ihn hervorbringenden Feld gleichgesetzt wird,223 geht vielleicht sogar schon auf das Alte Reich zurück und steht in den erhaltenen Belegen meist im direkten Kontext des Opferrituals.224 E. Schöpfergöttin Ihre Leben spendenden und Leben schaffenden Kräfte machen Isis schließlich zur Schöpfergöttin, die sogar die ganze Welt erschaffen hat.225 Dieser Aspekt macht sich gehäuft in den etwas späteren Texten (ab der frühen Kaiserzeit) bemerkbar. F. Allgöttin, Herrin des Kosmos Noch deutlich öfter wird Isis als Allgöttin beschrieben, deren Machtbereich sich über den gesamten Kosmos, mit Himmel, Erde und Unterwelt, erstreckt.226 Teilweise wird dies auch 218 Philä II, 338–339; Assuan-Hymne 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Dend. XI, 61, 10–62, 3; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit III, Nr. 121; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 156; pJumilhac. 219 Philae-Photo 1298; Philä II, 338–339; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Esna III, Nr. 306; Esna III, Nr. 307bis; Esna II, Nr. 24; Esna II, Nr. 71; Esna III, Nr. 266; Esna III, Nr. 360; Esna VI, Nr. 527. 220 Esna III, Nr. 306; Esna II, Nr. 24; Esna II, Nr. 71; Esna III, Nr. 360. 221 Philä I, 40–41; Philä II, 244–247; Assuan-Hymne 6; Behbeit el-Hagara, 256, SAE 218; Dend. Isis, 228, 12–229, 8; Dend. Porte d’Isis, Nr. 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 43; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit I, Nr. 22; Deir Chelouit III, Nr. 90; Tôd II, Nr. 245; Esna III, Nr. 306; Esna III, Nr. 266 222 MÜNSTER, Isis, S. 198–200. 223 Allerdings interpretiert W. Barta, Bemerkungen zu einem alten Götterhymnus, in: RdÉ 25, 1973, S. 84–89: 87 und 89, „das edle Feld, das im Leib der Ostgöttin/Östlichen befindlich ist“ als östliches iArw-Gefilde, aus dem am Morgen der Sonnengott aufgeht. M. E. spricht aber die Verwendung des Wortes rd „wachsen“ (besonders von Pflanzen) für das Hervorkommen des angesprochenen Gottes aus dem Feld doch für eine Betonung der pflanzlichen Eigenschaften. 224 MÜNSTER, Isis, S. 82–83; H. KEES, Ein alter Götterhymnus als Begleittext zur Opfertafel, in: ZÄS 57, 1922, S. 92–120; J. F. BORGHOUTS, The Victorious Eyes: A Structural Analysis of Two Egyptian Mythologizing Texts of the Middle Kingdom, in: Studien zu Sprache und Religion Ägyptens. Zu Ehren von Wolfhart Westendorf, Göttingen 1984, S. 703–716, bes. 711–716 (mit Angabe der älteren Literatur seit KEES). 225 Philae-Hymne 4; Philä III, Nr. 2; Assuan-Hymne 5; Kalabchah I, 169–170; Dend. Isis, 189; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Dend. Porte d’Isis, Nr. 31; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Deir Chelouit I, Nr. 1; Tôd II, Nr. 244; Tôd II, Nr. 245; Shanhûr I, Nr. 3; Esna III, Nr. 306; Esna VI, Nr. 527. 226 Philae-Hymne 4; Philä I, 169; Philä II, 8–9; Philä I, 64–65; Philä III, Nr. 2; Philä III, Nr. 59b; PhilaePhotos 385–386; Philä I, 64–65; Bîgeh, 40; Assuan, F.15b; Kalabchah I, 118; Kalabchah I, 169–170; Debod I, 44–45, §§ 112–115; Edfu V, 278, 7–17; Dend. Isis, 190, 13–191, 5; Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. I, 81, 15–82, 6;

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

durch die Aufzählung der verschiedenen Teile der Welt, so z. B. der vier Himmelsrichtungen,227 verschiedener Völker228 sowie der Benennung als Herrin aller Lebewesen229 ausgedrückt. G. Herrin der Zeit Besonders in ihrer Rolle als Sothis, durch die neben anderen Himmelskörpern die ägyptische Zeitrechnung getaktet ist, erscheint Isis als Herrin der Zeit, eingeteilt in Jahre, Tage und Stunden. 230 In ihrem Gefolge befinden sich entsprechend die ChronokratorenGottheiten, die jedem Tag des Jahres, teilweise auch in Verdopplung, zugeteilt sind.231 Die Göttin selbst lebt ewig232 und ist damit Herrin der Ewigkeit233 oder vereint sich mit der Ewigkeit. 234 Des weiteren kann sie als Herrin der Generationen, also der Vor- und Nachfahren, bezeichnet werden.235 Durch das Ereignis des heliakischen Frühaufgangs der Sothis ist ihr besonders der Zeitabschnitt des Jahresanfangs bzw. überhaupt das Jahr als Zeiteinheit zugeteilt und sie kann selbst mit diesem Namen (Rnp.t „Jahr“) benannt werden;236 letzteres ist der häufigen Nennung in der kulttopographischen Litanei zufolge insbesondere mit Memphis verbunden. H. Herrin der Maat Als Mitglied der die Rechtmäßigkeit und Kontinuität des Königtums konstituierenden osirianischen Familie sowie als Herrin des Kosmos insgesamt ist Isis auch für die Maat, d. h. die Weltordnung, Gerechtigkeit und Wahrheit zuständig. Sie ist Herrin der Maat,237 setzt die Maat ein (o. ä.)238 und gilt in ihrem Amt als ‚Wesirin‘, das sie nach einigen Texten

227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238

Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 100, 6–11; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 103, 6–11; Dend. III, 134, 16–135, 3; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. VII, 109, 13–110, 4; Dend. VII, 168, 9–13; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 210, 11–211, 5; Dend. XV, 25, 7–26, 14; Opet I, 139; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit I, Nr. 39; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 120; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit II, Nr. 61; Deir Chelouit III, Nr. 124; Deir Chelouit III, Nr. 127; Médamoud I, 2, Nr. 23–24; Kasr el-Agoûz, S. 83; Esna VI, Nr. 494. Philä III, Nr. 2; Philä III, Nr. 59b; Philä II, 186–187; Philä II, 304–305; Kalabchah I, 4; Kalabchah I, 169–170; Dend. Isis, 190, 13–191, 5; Deir Chelouit I, Nr. 39. Deir Chelouit III, Nr. 155. Dend. IX, 18, 11–20, 6; Deir Chelouit III, Nr. 121. Philae-Photo 1297; Assuan-Hymne 6; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Deir Chelouit III, Nr. 137; El-Qal‘a II, Nr. 238. Philae-Photo 1297; Assuan-Hymne 6. Dend. VII, 140, 13–141, 2. Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit III, Nr. 144. Philä II, 76–77. Philä II, 186–187. Philä III, Nr. 143; Assuan-Hymne 2; Assuan, F.15b; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 151, 13– 152, 8; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit III, Nr. 141. Tôd II, Nr. 245. Assuan-Hymne 2.

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

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durch ihre (geistige) Abstammung von Thoth ausübt, als Ordnungshüterin.239 Öfter wird sie selbst direkt mit Maat identifiziert,240 was in älteren Texten noch selten ist.241 I. Herrin des Totenreichs Auf ihre alte Rolle als Bestatterin und Beleberin des Osiris bzw. des Toten geht die Herrschaft der Isis über das Totenreich zurück, die auch in den Tempelhymnen und Epithetareihen manchmal speziell betont wird (neben den allgemeinen Nennungen ihrer Herrschaft der drei Bereiche Himmel, Erde, Unterwelt -> F. Allgöttin).242 Hierzu gehören auch die Bezeichnung als „Herrin des Westens“243 und ihre Befehlsgewalt über das Jenseitsgericht.244 Diese Aspekte spielen vorrangig im Isistempel von Deir el-Schelwit eine Rolle. J. Weitere Teile der Natur/des Kosmos: Berge, Meere, Wind Wahrscheinlich ebenfalls auf das im westlichen Gebirge verortete Totenreich bzw. die Nekropolengebiete bezogen (s. o., I.) sind auch die Benennungen der Isis als Herrin über die Berge bzw. das Westgebirge, speziell in Deir el-Schelwit, wo entsprechende Epitheta zu den Haupttiteln der Isis gehören und hauptsächlich vorkommen.245 Nur vereinzelt wird Isis in Dendara einmal als Herrin verschiedener Meere bezeichnet,246 und einmal in Deir elSchelwit mit dem guten Nordwind (gut, weil er Abkühlung über das heiße Nilland bringt) identifiziert.247 5.2.2.3 Königtum Durch ihre Rolle in der osirianischen Familie ist Isis auf das Engste mit dem Konzept des Königtums verbunden.248 A. Beziehung zum König Sie ist es, die das rechtmäßige Erbe von Osiris auf ihren Sohn Horus überträgt und diesem schließlich zu seinem Amt verhilft (s. o., 5.2.2.1.A). Die gleiche Funktion übt sie für den irdischen Pharao aus, was in der Ptolemäerzeit immer häufiger in den Texten betont wird.249 Darunter nehmen Phrasen, die ihre Entscheidungsgewalt über das Königsamt aus-

239 Dend. I, 81, 15–82, 6, und siehe oben, unter 5.2.2.1.E zu Isis als Tochter des Thoth. 240 Dend. Isis, 139; Dend. Isis, 334, 11–335, 12; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit III, Nr. 154; Esna III, Nr. 360. 241 Siehe dazu GRIFFITHS, Isis as Maat, S. 255–259. 242 Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XIII, 26, 7–28, 3. 243 Deir Chelouit III, Nr. 154; Deir Chelouit II, Nr. 69. 244 Deir Chelouit III, Nr. 154. 245 Debod I, 44–45, §§ 112–115; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 21; Deir Chelouit II, Nr. 69; Deir Chelouit II, Nr. 73; Deir Chelouit II, Nr. 75; Deir Chelouit II, Nr. 79; Deir Chelouit III, Nr. 124; Deir Chelouit III, Nr. 127; Deir Chelouit III, Nr. 129; Deir Chelouit III, Nr. 137; Deir Chelouit III, Nr. 144; Deir Chelouit III, Nr. 149. 246 Dend. Porte d’Isis, Nr. 43. 247 Deir Chelouit I, Nr. 11. 248 Vgl. hierzu umfassend NAGEL, Isis und die Herrscher. 249 Zu dieser Rolle der Isis vor der Spätzeit, vor allem im Neuen Reich, siehe MÜNSTER, Isis, S. 137–145.

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Analyse: Isishymnen und Charakter der Isis

drücken, den größten Platz ein.250 Isis ist für die Erwählung des Herrschers und die Herrschaftsübergabe zuständig 251 und ist Herrin des (rechtmäßigen) Erbes. 252 In Analogie zu ihrer Beziehung zu Horus ist sie Mutter des Königs,253 zieht ihn auf254 und schützt ihn.255 Bereits in einem liturgischen Text aus der 3. Zwischenzeit oder Spätzeit, dem „Dekret des Amun an Isis“, das wahrscheinlich im Zusammenhang der Krönung oder Thronbesteigung rezitiert wurde, macht sich die zentrale Bedeutung der Isis für das Amt des Pharao bemerkbar.256 Die Komposition ist durch einen Papyrus des 1. Jhs. v. – 1. Jhs. n. Chr. bekannt und enthält Beschlüsse des Amun für die Versorgung des verstorbenen Osiris und den Herrschaftsantritt des Horus, die dieser auf Initiative der Isis erläßt. Mit dem Schlußwort empfiehlt Amun bzw. der Sprecher Thoth den Pharao Isis an: Ich (Amun) habe mein großes und erstes edles Dekret befohlen an Isis, die Große, die Gottesmutter, die Tochter der Nut, die Königsgemahlin des Königs von Ober[und Unterägypten Osiris Wenne]fer selig, meine allererste Tochter, während Thoth sagte: „(…) und du sollst sanft sein, und du sollst jeden Groll entfernen, und jede Wut, und jeden Zorn und jedes Mißfallen deines Herzens, und du sollst dem ganzen Land Freude, Jubel und Glück geben, und du sollst sanftmütig zu deinem Sohn, deinem Geliebten, dem lebenden Pharao sein.“257 Ein inhaltlich ähnlicher Text ist im (hinteren) Sanktuar des Mammisis von Philae angebracht,258 was die Kontinuität dieser Tradition in der Ptolemäerzeit verdeutlicht. B. Beziehung zu Palast, Thron und Kronen Nicht nur für Re und andere männliche Gottheiten, sondern auch für den König kann Isis die Rolle der Uräusschlange259 und allgemein Kronengöttin übernehmen, wobei sie auch mit Uto und Nechbet gleichgesetzt wird. 260 Sie ist zudem Herrin des Palastes (und der 250 Philae-Hymne 3; Philä I, 169; Philä I, 168–169; Philä II, 8–9; Philä III, Nr. 143; Philae-Photos 385–386; Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Kalabchah I, 118; Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50– 51, 184 und 240; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. II, 201, 12–17; Dend. III, 103, 6–11; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit II, Nr. 86; Deir Chelouit II, Nr. 75; Deir Chelouit III, Nr. 129; Deir Chelouit III, Nr. 144; Esna VII, Nr. 611; Fayumbuch. 251 Philae-Photos 164–165; Deir Chelouit II, Nr. 84; Deir Chelouit III, Nr. 120(?); Deir Chelouit II, Nr. 75; Médamoud I, 2, Nr. 23–24; Esna III, Nr. 307bis. 252 Behbeit el-Hagara, 28–30, SAE 50–51, 184 und 240; Dend. II, 107, 10–108, 2; Dend. VI, 88, 12–89, 2; El-Qal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a I, Nr. 32. 253 Philä II, 186–187; Philä II, 390–391; Deir Chelouit III, Nr. 124. 254 Philä II, 46–47. 255 Assuan-Hymne 2; Dend. II, 107, 10–108, 2. 256 pKairo CG 58034 + 58028, siehe zuletzt QUACK, Dekret; vgl. zur Bedeutung innerhalb der Enwicklung der Bedeutung von Isis in der Spätzeit ID., Lobpreis, S. 63. 257 Übersetzung nach QUACK, Dekret, S. 125–126. 258 Philä II, 14–21; siehe QUACK, Dekret, S. 233–234. 259 Hymne Nektanebes; Philae-Hymne 7; Philä II, 136–137; Behbeit el-Hagara, 32–34, SAE 238, 180 und 192; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XIV, 46, 5–9; Deir Chelouit II, Nr. 86; Deir Chelouit II, Nr. 61; Deir Chelouit II, Nr. 75; El-Qal‘a I, Nr. 31; El-Qal‘a II, Nr. 217; El-Qal‘a II, Nr. 253; El-Qal‘a II, Nr. 254. 260 Hymne Nektanebes; Philae-Hymne 7; Philä II, 136–137; Deir Chelouit III, Nr. 155; El-Qal‘a II, Nr. 253; El-Qal‘a II, Nr. 254.

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Reichsheiligtümer)261 und ist im Palast präsent.262 Vereinzelt wird Isis auch mit dem Thronsitz selbst identifiziert.263 Lange wurde die kontinuierliche Schreibung ihres Namens mit dem Thronzeichen in der Forschung sogar als Hinweis auf das ursprüngliche Wesen der Isis als Personifikation des Königsthrones angesehen.264 Dies ist mittlerweile sehr umstritten, zumal es in den älteren Texten kaum Anspielungen auf eine direkte Verbindung zum Thron gibt, und jüngere Überlegungen gehen daher eher von einer ursprünglich rein phonetischen Bedeutung des Zeichens aus.265 C. Isis als Königsgemahlin und Prinzessin Als Königsgemahlin des Osiris und als Tochter des Geb oder Re (s. o.) trägt Isis mehrfach Titel und ganze Titelreihen, die denen von irdischen Königinnen und Prinzessinnen, besonders in der Ptolemäerzeit, entsprechen.266 Diese betonen einerseits ihre Stellung in der Königsfamilie, andererseits aber auch weibliche Eigenschaften wie Schönheit und Liebreiz, was sie mit Hathor und weiteren ähnlichen Titeln von Hathor und Isis, die ihre weiblichen Seiten (Schönheit, Liebenswürdigkeit, Schmuck und Wohlgeruch) betonen, in Verbindung bringt.267 D. Isis als Königin und ihre Herrschaft Im Laufe der Ptolemäerzeit und speziell im Zuge der zunehmenden Macht und realen Regierungsgewalt der ptolemäischen Königinnen268 bildet sich ein immer stärkerer Schwerpunkt auf der Präsentation der Isis selbst als herrschender Königin heraus. Zahlreiche Titel bezeichnen sie als „Königin von Ober- u. Unterägypten“ (nswj.t bjtj.t) und „Weiblicher Horus“ (@r.t), „Herrscherin“ (HqA.t) etc. oder stellen ihre uneingeschränkte Befehlsgewalt 261 Hymne Nektanebes; Philä II, 136–137; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; El-Qal‘a II, Nr. 217; El-Qal‘a II, Nr. 238. 262 Deir Chelouit II, Nr. 86. 263 Esna VII, Nr. 611. 264 Diese Annahme stammt ursprünglich von K. SETHE, Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes 18,4, Leipzig 1930, § 102, wurde aber häufig übernommen, siehe z. B. BERGMAN, s. v. „Isis“, Sp. 186; MÜNSTER, Isis, S. 137. 265 Gegen die Deutung des Namens als ‚Thron‘ argumentieren z. B. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 123–130; und J. OSING, Isis und Osiris, in: MDAIK 30, 1974, S. 91–113; gegen eine etymologische (nicht jedoch gegen eine inhaltliche) Beziehung der Isis zum Thron auch STADLER, Weiser und Wesir, S. 152. OSING nimmt statt dessen (nach philologischen Untersuchungen) an, daß Isis und Osiris als männliche und weibliche Verkörperungen von Herrschaftsmacht o. ä. (wAs) von Anfang an als Paar konzipiert worden sind; vgl. auch SCHULZ, Warum Isis?, S. 252–253. Andere Deutungsvorschläge z. B. bei H. ALTENMÜLLER, Zum Ursprung von Isis und Nephthys, in: SAK 27, 1999, S. 1–26, mit Literatur zu weiteren bisherigen Interpretationen des Namens; J. P. ALLEN, The Name of Osiris (and Isis), in: LingAeg 21, 2013, S. 9–14, der die Namen Osiris und Isis als „männliches und weibliches schöpferisches Prinzip“ deutet, was etymologisch sicher falsch ist (Hinweis von J. F. QUACK). 266 Philae-Hymne 3; Philae-Photos 385–386; Philä II, 390–391; Assuan-Hymne 3; Kalabchah I, 15–16; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 327, 17–328, 2; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. II, 100, 6–11; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIV, 146, 3–14; Deir Chelouit III, Nr. 124; Deir Chelouit III, Nr. 127; GUTBUB, KO, Nr. 320. 267 Siehe oben, 5.2.2.1.G. 268 Siehe dazu z. B. rezent A. BIELMAN SANCHEZ/G. LENZO, Inventer le pouvoir féminin: Cléopâtre I et Cléopâtre II, reines d’Égypte au IIe s. av. J.-C., Bern 2015. Weitere Literatur bei NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 128–135.

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heraus. 269 Der Herrschaftsradius wird durch Epitheta umrissen, die sie als Königin oder Herrscherin aller Gaue und Länder270 oder Königin Ägyptens und der Fremdländer271 benennen. Unter Ptolemaios II. erscheinen im Tempel von Behbeit el-Hagar erstmals Kartuschen mit dem Namen und den Haupttiteln („die Große, die Gottesmutter“) der Isis (Kap. 4.4.2), die dann später auch in Philae, Assuan und Dendara häufig verwendet werden.272 Besonders zentrale Bedeutung hat der Herrschaftsaspekt der Isis im Heiligtum von Dendara (Kap. 4.6), wo Isis’ rechtmäßige Herrschaft über Ägypten von Geburt an273 in nahezu allen Texten betont wird: dazu gehören auch die Filiation (s. o., 5.2.2.1.C–D), wodurch ihre Abstammung und damit ihre Eigenschaft als rechtmäßige Erbin274 deutlich werden, und die Bestimmung ihrer Titulatur durch Thot (s. o., 5.2.2.1.E). Eine regelrechte mehrteilige (allerdings nicht fünfteilige) Königstitulatur wird in Dendara auch tatsächlich einmal für Isis – parallel zu einer Titulatur des Osiris – ausgeführt.275

269 Philae-Hymne 5; Philä I, 169; Philä I, 168–169; Philä II, 8–9; Philä III, Nr. 114; Philä I, 64–65; Philä III, Nr. 2; Philae-Photos 385–386; Philä I, 40–41; Philä II, 186–187; Bîgeh, 40; Dakke I, 266– 269, § 592–596; Kalabchah I, 15–16; Kalabchah I, 117–118; Kalabchah I, 118; Kalabchah I, 169– 170; Behbeit el-Hagara, 35–36, SAE 185; Behbeit el-Hagara, 87, SAE 222; Behbeit el-Hagara, 256, SAE 218; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. Isis, 88, 3–16; Dend. Isis, 190, 13–191, 5; Dend. Isis, 308, 13–309, 10; Dend. Isis, 334, 11–335, 12; Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. Porte d’Isis, Nr. 3; Dend. Porte d’Isis, Nr. 43; Dend. Porte d’Isis, Nr. 45; Dend. I, 74, 11–13; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 100, 6–11; Dend. II, 105, 11–106, 2; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 38, 2–5; Dend. III, 55, 2–8; Dend. III, 92, 10–13; Dend. III, 103, 6–11; Dend. III, 138, 16– 139, 4; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. VI, 86, 6–10; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Dend. VII, 140, 13–141, 2; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 6, 2–8; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XII, 3, 4–9; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XII, 183–185; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Dend. XIV, 45, 6–46, 2; Dend. XIV, 46, 5–9; Dend. XV, 269, 4–270, 5; Propylône , Nr. 13b; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 16; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit II, Nr. 61; Deir Chelouit II, Nr. 73; Deir Chelouit III, Nr. 90; Deir Chelouit III, Nr. 144; Tôd II, Nr. 245; Médamoud I, 2, Nr. 23–24; Esna II, Nr. 24; Esna VI, Nr. 523. 270 Philae-Photos 164–165; Philae-Photos 385–386; Philä III, Nr. 93; Philä III, Nr. 2; Philä II, 220– 223; Bîgeh, 40; Assuan, B.9; Edfu Mam., 73, 3–12; Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. Isis, 90,1–92, 8; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. III, 92, 10–13; Opet I, 139; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit III, Nr. 155; Deir Chelouit I, Nr. 21; Deir Chelouit II, Nr. 79; Deir Chelouit III, Nr. 129; Tôd II, Nr. 244; Kasr el-Agoûz, S. 83; Shanhûr I, Nr. 21; Esna VII, Nr. 611 271 Philä III, Nr. 114; Philä III, Nr. 144; Philae-Photo 1298; Behbeit el-Hagara, 76–77, SAE 214 und 223; Dend. III, 134, 16–135, 3; Deir Chelouit I, Nr. 22; El-Qal‘a II, Nr. 120; Esna III, Nr. 307bis. 272 Philä III, Nr. 114; Philae-Photo 1297; Assuan-Hymne 3; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. Isis, 128, 12– 129, 9; Dend. Isis, 151, 13–152, 8; Dend. Isis, 307, 17–308, 11; Dend. Isis, 308, 13–309, 10; Dend. Porte d’Isis, Nr. 3; Dend. Porte d’Isis, Nr. 11; Dend. Porte d’Isis, Nr. 17; Dend. Porte d’Isis, Nr. 31; Dend. Porte d’Isis, Nr. 43; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. II, 100, 6–11; Dend. IV, 60, 11–17; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14. 273 Dend. Isis, 300, 8–11; Dend. III, 38, 2–5; Dend. IV, 104, 7–13; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VI, 52, 12–53, 2; Dend. XI, 4, 6–10; Dend. XI, 139, 13–140, 5; Dend. XIII, 26, 7–28, 3. Vgl. die Belege zu Isis als Königin in den vorigen Anm. 274 Bîgeh, 40; Dend. Isis, 308, 13–309, 10. 275 Dend. II, 100, 6–11.

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5.2.2.4 Welt der Menschen A. Kult der Isis im ganzen Land Ein zentrales Thema des griechisch-römischen Isiskultes ist neben ihrer Herrschaft über ganz Ägypten (5.2.2.3.D) die Verbreitung ihres Kultes im ganzen Land und ihre Präsenz in den Tempeln. Dieses Thema wurde oben unter 5.2.2.1.A bereits kurz angeschnitten, da es Isis häufig im Verbund mit der osirianischen Familie zugeschrieben wird (siehe dort). Oftmals heißt es aber ebenso über sie allein, daß sie in jedem Gau ist,276 oder ihr Abbild (also ihre Kultstatue) in den Städten und Gauen verbreitet ist.277 Ihr wird auch die Autorität über die Tempel zugeschrieben, wo sie Kultregeln gestiftet hat und omnipräsent ist.278 Den Kult des Osiris soll sie ebenfalls in allen Tempeln etabliert haben (s. o., 5.2.2.1.A). Städte, Gaue und Länder hat sie sogar selbst gegründet.279 Die häufig für Isis belegte Form der kulttopographischen Liste oder Litanei280 gibt ihrer Herrschaft und Omnipräsenz in allen Teilen Ägyptens eine feste hymnische Struktur, in der dieses Konzept umfassend dargestellt und sie selbst außerdem mit verschiedenen lokalen Göttinnen gleichgesetzt wird, die so als ihre Erscheinungsformen deklariert werden. Dazu passen die Aussagen, daß sie zahlreiche Namen 281 und zahlreiche Gestalten 282 besitzt. Gewissermaßen eine optische Umsetzung der kulttopographischen Litanei bieten die Soubassements im Sanktuar des Mammisis von Edfu, allerdings hier für Hathor anstelle von Isis.283 Dargestellt sind zwei Reihen von Gottheiten, die den Inschriften zufolge gekommen sind, um „die Mächtige (= Hathor) mit ihrem Sohn zu sehen“. Die Südhälfte wird durch 20 männliche Gottheiten vertreten, die Nordhälfte dagegen durch 24 Göttinnen. Insgesamt repräsentieren sie die verschiedenen Gaue Ägyptens, die wie üblich von Süden nach Norden geordnet sind. Während die männlichen Götter jedoch durch ihre individuelle Ikonographie und entsprechende Attribute deutlich voneinander unterschieden sind, weisen die Göttinnen auffälligerweise trotz ihrer unterschiedlichen Benennungen ein homogenes Aussehen auf. Sie alle tragen die Hathorkrone mit Sonnenscheibe und Kuhgehörn, wodurch sie ikonographisch an Hathor selbst, die Muttergöttin des Mammisi, angenähert sind. Zusätzlich sind die Göttinnen Nr. 11–17 auch tatsächlich als Hathor benannt. Eine ähnliche Soubassement-Dekoration bietet das Sanktuar des römischen Mammisis von Dendara: hier sind es nun auf beiden Seiten ausschließlich 276 Philä III, Nr. 93; Edfu V, 226, 13–227, 9; Dend. Porte d’Isis, Nr. 23; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. XIV, 45, 6–46, 2. 277 Dend. II, 98, 2–99, 3; Deir Chelouit II, Nr. 73; Deir Chelouit II, Nr. 79. 278 Philä III, Nr. 143; Dend. Porte d’Isis, Nr. 49; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. XI, 6, 2–8; Deir Chelouit II, Nr. 84. 279 Behbeit el-Hagara, 32–34, SAE 238, 180 und 192; Dend. I, 75, 12–76, 2. 280 Philae-Hymne 7; Philä I, 168–169; Philae-Photo 1297; Philä I, 231–232; Assuan-Hymne 5; Kalabchah I, 118; Edfu Mam., 73, 3–12; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. I, 90, 15– 97, 3; Dend. I, 122, 14–128, 12; Dend. III, 35, 9–11; Dend. XI, 60, 5–10; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7; Dend. XIII, 26, 7–28, 3; Opet I, 139; Deir Chelouit III, Nr. 155; pTebt. H I; pCarlsberg 206 u. a. 281 Edfu V, 332, 14–333, 2; Dend. III, 103, 6–11. 282 Dend. Isis, 228, 12–229, 8; El-Qal‘a II, Nr. 239. 283 Edfu Mam., 8–12, Taf. 12–15. Ausführliche Studie: BUDDE, Die Eine, bes. S. 279–293 zu den hier relevanten Teilen; zum Zusammenhang mit den kulttopographischen Litaneien („Listen“) S. 290–293; vgl. dazu auch NAGEL, One for All, S. 224–225.

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weibliche Gottheiten mit Isis-Hathor-Ikonographie (plus Neith in ihrer eigenen Ikonographie).284 B. Verehrung und Ehrfurcht Eng mit dem oben ausgeführten Thema der Omnipräsenz des Isiskultes verbunden ist ihre Verehrung285 und die Ehrfurcht286 vor ihr an allen Orten und durch verschiedene Personengruppen und sogar Tiere.287 Bereits bei ihrer Geburt huldigen ihr Götter und Menschen.288 Sie genießt Ansehen in den Städten und Gauen Ägyptens,289 wird in den Ländern,290 in den vier Himmelsrichtungen, die auch Tribut bringen,291 und von Millionen292 verehrt, während die Feinde in Schrecken vor ihr sind.293 C. Feste Ein großer Teil der Hymnen und eulogischen Texte für Isis aus den Tempeln stammt aus dem Kontext von Festen und wurde vermutlich in deren Verlauf rezitiert. Entsprechend wird in den Texten selbst mehrfach explizit Bezug auf konkrete Feste genommen, so das Geburtsfest des Horus294 und das Fest der Übergabe des Tempels295 im Mammisi von Philae, das Fest beim Abaton,296 das Geburtsfest der Isis in Dendara,297 das Fest der Vereinigung mit der Sonnenscheibe, 298 verschiedene Prozessionsfeste, unter anderem zu Neujahr, 299 und Senut- sowie andere Feste. 300 Diesem Bereich sind auch Epitheta der Isis zuzuordnen, die sie ursprünglich von Hathor übernommen hat und sie mit Trunkenheit, Musik und Festfreude in Verbindung bringen. 301 Sie ist Herrin der Sistren, 302 oder von Sistrum und Menit,303 sowie Herrin des Tanzes.304

284 Dend. Mam., 101, 18–103, 13; Taf. 57 u. 59; 122, 15–124, 15; Taf. 57 u. 60; vgl. BUDDE, Die Eine, S. 290–293. 285 Allgemein: Philä III, Nr. 93; Philä III, Nr. 59b; Dend. II, 98, 2–99, 3; Deir Chelouit II, Nr. 73. 286 Allgemein: Philä III, Nr. 144; Deir Chelouit II, Nr. 86; Esna II, Nr. 24. 287 Philä III, Nr. 144. 288 Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. I, 74, 11–13; Dend. III, 2, 2–7; Dend. III, 138, 16–139, 4; Dend. IV, 150, 17–151, 5; Dend. VI, 2, 21–4, 6. 289 Dend. Isis, 139; Dend. III, 103, 6–11; Dend. V, 103, 17–104, 8; Esna VI, Nr. 523. 290 Philä II, 76–77; Philä I, 64–65; Philä II, 220–223. 291 Philä III, Nr. 144; Kalabchah I, 4. 292 Dend. I, 75, 12–76, 2. 293 Philä II, 76–77. 294 Philä II, 8–9. 295 Philä II, 304–305. 296 Philä II, 78–79. 297 Dend. VI, 66, 10–67, 9; Dend. IX, 18, 11–20, 6; Dend. XV, 210, 5–13. 298 Shanhûr I, Nr. 59. 299 Assuan-Hymne 1; Dend. VII, 168, 9–13; Esna III, Nr. 360. 300 Philae-Hymne 6; Philä II, 136–137. 301 Philä II, 6–7; Philä I, 40–41; Edfu I, 151, 6–152, 3; Dend. Isis, 96,10–97, 10; El-Qal‘a I, Nr. 32; Esna VI, Nr. 476; Esna VI, Nr. 509; Esna VI, Nr. 527. 302 Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37; Dend. Isis, 96,10–97, 10. 303 Dend. II, 100, 6–11; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Esna VI, Nr. 523. 304 Philä I, 40–41; Deir Chelouit II, Nr. 73; Esna VI, Nr. 476.

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Inhaltliche Analyse der Tempelinschriften und ergänzender Texte

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D. Persönliches Menschenleben: von der Geburt bis zum Tod Die Rollen und Handlungen der Isis, die sie im Mythos für ihre Familie und verschiedene andere Götter ausführt, können neben der königlichen Sphäre auch auf die Menschen insgesamt bzw. auf das Leben des einzelnen Individuums übertragen werden. Sie ist Herrin des Lebens305 und Lebensspenderin für ihre Anhänger,306 aber bestimmt damit auch über Leben und Tod.307 Für den Verstorbenen sorgt sie wie für Osiris in einer ihrer ältesten Rollen als Herrin der Bestattung308 oder in Gleichsetzung mit Tait als Herrin von Stoffen und Binden309 für die Mumifizierung. Als Herrin über das Schicksal310 kann sie in den individuellen Lebensweg eingreifen, für Gesundheit sorgen, 311 beschützen und Feinde bekämpfen, 312 weissagen, 313 sowie Kummer vertreiben und Freude bringen.314 Speziell für ihre Anhänger und die, die sie liebt, sorgt sie und bereitet Schutz,315 öffnet Wege316 und spendet gute Dinge.317 Besonders ihren weiblichen Anhängerinnen ist sie zugewendet als Herrin der Frauen.318 Als menschennahe Göttin wird sie in römischer Zeit auch dadurch gekennzeichnet, daß man zu ihr ruft319 und sie die Bitten erhört.320 Ihre Ratschläge haben Gültigkeit, denn man hört auf sie321 und erkennt auch vor Gericht ihre Autorität an.322

305 Philä III, Nr. 2; Assuan-Hymne 6; Kalabchah I, 169–170; Dend. Porte d’Isis, Nr. 15; Dend. I, 81, 15–82, 6. 306 Assuan-Hymne 4; Kalabchah I, 16; Dend. IX, 167, 11–16. 307 Assuan-Hymne 4; Dend. IX, 167, 11–16; Kalabchah I, 16. 308 Dend. V, 103, 17–104, 8; Dend. IX, 167, 11–16; Dend. XII, 3, 4–9. 309 Dend. Isis, 308, 13–309, 10; Dend. IV, 104, 7–13. 310 Philä II, 6–7; Philä III, Nr. 2; Assuan-Hymne 6; Kalabchah I, 169–170; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Deir Chelouit I, Nr. 7; Deir Chelouit II, Nr. 84(?). 311 Philä III, Nr. 2; Kalabchah I, 169–170; Dend. I, 81, 15–82, 6. 312 Philä III, Nr. 2; Philae-Photos 385–386; Philä II, 244–247; Assuan, B.6a; Assuan, B.9; Assuan, B.12; Kalabchah I, 169–170; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 100, 6–11; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. IX, 167, 11–16; Opet I, 139; Deir Chelouit II, Nr. 85; Deir Chelouit II, Nr. 69; Tôd II, Nr. 244; Esna VI, Nr. 509. 313 Philä III, Nr. 2; Kalabchah I, 169–170; Dend. I, 81, 15–82, 6; Dend. II, 66, 13–67, 3; Fayumbuch. 314 Porte d’Évergète II, Taf. 33. 315 Dend. I, 81, 15–82, 6; Deir Chelouit III, Nr. 121. 316 Dend. Isis, 189. 317 Dend. I, 75, 12–76, 2; Deir Chelouit II, Nr. 79. 318 Philä I, 40–41; Dend. II, 100, 6–11; Dend. VI, 2, 21–4, 6. 319 Deir Chelouit I, Nr. 11; Deir Chelouit II, Nr. 73; El-Qal‘a I, Nr. 32. 320 Dend. Porte d’Isis, Nr. 11. 321 Deir Chelouit I, Nr. 11. 322 Deir Chelouit II, Nr. 86.

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6

Demotische und griechische (und meroitische) Zeugnisse zu Isis aus Ägypten: Zusammenfluß und Austausch

6.1

Hymnen und Gebete aus den Tempelbibliotheken und in literarischen Kontexten

In den folgenden beiden Kapiteln (6.1–2) werden demotische sowie griechische Hymnen, Gebete und Anrufungen an Isis behandelt, die in ihrer erhaltenen Anzahl solche an andere Gottheiten deutlich übertreffen.1 Diese werden hier unterschieden nach „offiziellen“, elaborierten Kompositionen aus dem Bereich des Tempels oder evtl. innerhalb literarischer (narrativer) Texte2 einerseits (Kap. 6.1), und individuellen Gebeten und Ehrungen aus „privatem“ Kontext andererseits (Kap. 6.2). Dabei muß jedoch im Auge behalten werden, daß diese Trennung nicht immer ganz eindeutig vorgenommen werden kann und die Übergänge oft fließend sind: so stammen z. B. einige der von mir dem „privaten“ Kontext zugeordneten Zeugnisse von Priestern (z. B. Archiv des Hor, Kap. 6.2.1.1), die sich dementsprechend auch bis zu einem gewissen Grad dem Tempel- und offiziellen Bereich zuordnen lassen. Zudem orientieren sich die „individuellen“ Gebete und Proskynemata (Kap. 6.2.2) natürlich sehr stark an „offiziellen“ Tempeltexten und -formularen, während andererseits die Hymnen des Isidoros (Kap. 6.1.2.1) durchaus eine persönliche Note aufweisen. Die Anordnung der in diesem Kapitel thematisierten „offiziellen“ Kompositionen erfolgt nach mehreren Kriterien: der – soweit möglich – chronologischen Ordnung, der Zusammengehörigkeit verschiedener Texte aufgrund inhaltlicher Kriterien (direkte Textparallelen bzw. vergleichbarer Inhalt) sowie regionaler Zugehörigkeit (z. B. Fayum). Unter den sechs von KOCKELMANN neu edierten demotischen Hymnen und Gebeten an Isis3 lassen sich nur zwei, Nr. 1 und Nr. 6, der Kategorie der offiziellen bzw. literarischen Kompositionen zuordnen4 und umspannen gleichzeitig den chronologischen Rahmen der hier präsentierten Texte. Die weiterführende Interpretation und Kontextualisierung der Texte wird im Folgenden jeweils durch die Heranziehung archäologischer Zeugnisse ergänzt.

1 Vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 1–2 u. 83–88; einen knappen Überblick über die demotischen und ‚gräko-ägyptischen‘ Isishymnen gibt auch STADLER, Einführung, S. 106–112. 2 Zur Einbettung von Hymnen in literarischen Texten, vgl. die Hymnen an Mut und den Affen (Thoth) innerhalb des Mythos vom Sonnenauge, siehe dazu QUACK, Literatur, S. 117; vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 31. 3 KOCKELMANN, Praising the Goddess. 4 Vgl. auch die Rezension von L. BRICAULT, in: BMCR 2009.04.21 (http://bmcr.brynmawr.edu/2009/ 20094-21.html).

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

6.1.1 Die Anrufung an Isis des pHeid. dem. 736 vs. Der von KOCKELMANN als Nr. 1 geführte pHeid. dem. 736 vs.5 aus dem 2. Jh. v. Chr.6 bildet den ältesten erhaltenen, aber sehr fragmentarischen Beleg eines demotischen Isishymnus. Die Herkunft des Papyrus ist unbekannt, läßt sich aber nach paläographischen Gesichtspunkten mit einiger Wahrscheinlichkeit der Region von Gebelein zuordnen.7 Auf der Vorderseite des Papyrus befinden sich die Reste einer Zauberer-Erzählung; daher und aufgrund des unvollständigen Erhaltungszustandes läßt sich nicht ausschließen, daß der Hymnus in einen literarischen Text eingebettet war.8 Zudem ist zu bemerken, daß es sich bei dem Verso um einen Palimpsest handelt. Der erhaltene Teil weist eine klare und einheitliche, und außerdem metrische Struktur auf, die durch kurze Strophen, jeweils eingeleitet durch die Anrufung im(.t) n=i As.t „Komm zu mir, Isis!“,9 gekennzeichnet ist. Diese offensichtliche Gliederung schlägt sich allerdings nicht im Schriftbild nieder. Auf die erste erhaltene Anrufung folgt vor einer Lücke nur ein problematischer Ausdruck, der von SPIEGELBERG und KOCKELMANN als nA sqsq(?) bzw. nA sqsq.w(?) gelesen, und von KOCKELMANN mit „die Sammler(?)/Reiniger(?)“ übersetzt wurde (x+2). M. E. ist mit VITTMANN und QUACK wahrscheinlicher ein Epitheton der Isis tA sq(.t) ? […] „die sammelt, zusammenfügt“ anzunehmen,10 für das ich die Lesung tA sq(.t) Wsjr(?) „die Osiris zusammenfügt“ vorschlagen möchte.11 Nach einer Lücke folgt wahrscheinlich noch die Benennung als Königliche Gemahlin (Hm.t-nswt a. w. s.),12 ein für Isis üblicher Titel. Der lückenhafte Rest der Zeile gibt an, daß „sie“ etwas sehen läßt (iw=s dj.t nw […]) und wohl eine weitere, nicht erhaltene, Handlung13 „vor Pharao, L. H. G.“ (m-bAH pr-aA a. w. s.) ausführt. Abgesehen vom einleitenden Imperativ wird über Isis in der 3. Pers. fem. sing.

5 Erstedition: SPIEGELBERG, Pap. Heidelberg 736, S. 33–34; verbessert durch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 6–10 (Nr. 1); G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012; QUACK, Demotische Hymnen, S. 262. Vgl. auch die knappen Bemerkungen bei QUACK, Literatur, S. 116; ID., „Ich bin Isis…“, S. 355, Anm. 158; 357, Anm. 170; DOUSA, Imagining Isis, S. 157, m. Anm. 31. 6 „…can be ascribed on palaeographical and historical grounds indubitably to the second century BC.“ KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 3. 7 Vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 6; QUACK, Demotische Hymnen, S. 262; SPIEGELBERG, Pap. Heidelberg 736, S. 30, Anm. 2. 8 Das vs. ist allerdings in einer anderen Handschrift geschrieben als die Erzählung auf dem rto., vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 6. 9 Z. x+2; x+4; x+5 (2x); x+6 (2x); x+7 (2x). 10 G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012; QUACK, Demotische Hymnen, S. 262, der danach in bzw. mn liest. 11 Vgl. z. B. eine Stelle im Deltapapyrus, 11, 1: „Isis sammelte die Ausflüsse (des Osiris) im Gau von Mendes zusammen.“ (wn.jn As.t Hr sAq rDw.w m @A.t-mHj.t), siehe dazu oben, Kap. 4.13.2. 12 Lesung nach QUACK, Demotische Hymnen, S. 262. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8–9, liest sS-nswt „Königsleinen“; ebenso G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012. Sollte dies zutreffen, könnte im Zusammenhang mit dem zuvor vermuteten tA sq(.t) Wsjr(?) möglicherweise in diesem Abschnitt auf die Balsamierung des Osiris angespielt werden; vgl. z. B. pMag. LL, 6, 12: „Bist du das Byssosgewand des Osiris, des göttlichen Seligen, gewoben(?) von der Hand der Isis, gesponnen(?) von der Hand der Nephthys?“ Siehe dazu Kap. 6.5.2.1. Auch der Titel „Königliche Gemahlin“ der Isis bezieht sich jedoch immerhin auf Osiris, vgl. entsprechende Benennungen in den Tempeltexten, Kap. 5.2.2.1.A. 13 Die Lücke ist so groß, daß darin wahrscheinlich mehr als nur das Objekt des Sehens gestanden haben dürfte.

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Hymnen und Gebete

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gesprochen, es handelt sich also offenbar um Epitheta der Isis, die an ihren Namen angehängt werden. Dies ändert sich in der nächsten Zeile (x+3), wo die Göttin wie auch im übrigen erhaltenen Text direkt in der 2. Pers. sing. fem. angesprochen wird. Im folgenden ist von verschiedenen Personengruppen die Rede, was eine weitere Gemeinsamkeit der restlichen Zeilen bildet.14 Von x+3 ist nur noch der Anfang „du kennst die Feinde […]/mögest du die Feinde […] kennen“ (rx=T nA xrwy.w […]) zusammenhängend zu lesen, 15 am Ende eventuell nach QUACK noch […] sHm.t iw=w Aq „[…] Frau, indem sie zugrunde gegangen sind“. 16 Das Thema der Feinde setzt sich in x+4 fort, wo Isis aufgefordert wird, ein Gemetzel gegen sie anzurichten (i.ir tA Xdb.t r(?)-[r=w]). Möglicherweise geht es hier weiterhin um einen osirianischen Kontext, doch Isis könnte ebenso in ihrer allgemeinen Rolle als Feindvernichterin angerufen werden.17 Die anschließenden Anrufungen (ab x+4) weisen eine noch stärker vereinheitlichte Struktur auf, indem jeweils auf die Einleitung „Komm zu mir, Isis“ eine Gruppe von Personen oder Wesen mit der Präposition m-qdy „wie“ 18 angeschlossen wird. Zur Untermauerung der Bitte um die Epiphanie oder den Beistand der Gottheit werden also Beispiele aufgezählt, wie sie prinzipiell positiv auf an sie gerichtetes Rufen reagiert und erscheint:19 x+4: x+5:

(…) [i]m.t &n=i As.t m-\[q]dy [nA ntj gb i.irj=w aS (o. ä.) n=T]20 (…) [K]omm &zu mir, Isis, w\ie [zu den Schwachen: wenn sie zu dir rufen,] xr Dr=w dann werden sie stark!21 im.t n=i As.t &m-qd\y nA ntj Hqr i.irj=w aS n=T Komm zu mir, Isis, &wi\e zu den Hungrigen: wenn sie zu dir rufen,

14 Falls mit KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8–9, in Z. x+2 tatsächlich nA sqsq.w(?) „die Sammler/Reiniger“ zu lesen ist, ginge es darin ebenfalls um eine Personengruppe, wenngleich einerseits der Anschluß dort nicht klar ist und andererseits das für Isis verwendete Suffixpronomen der 3. Pers. sing. fem. diese Zeile dennoch deutlich vom Rest absetzt. 15 Zu dieser Stelle vgl. auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 357, Anm. 170. 16 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8–9, und SPIEGELBERG, Pap. Heidelberg 736, S. 33, lesen dagegen wie am Ende der letzten Zeile (x+8) „die Ufer“ (nA qr.w). 17 Zu Isis als Kriegerin und Feindvernichterin vgl. z. B. Philae-Photos 385–386, Kap. 4.1.1.A. 18 Vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8–9; SPIEGELBERG, Pap. Heidelberg 736, S. 34, m. Anm. 2, übersetzt dagegen „zum Schutze“, und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012, mit „in die Nähe (der)“, was beides weniger passend ist. 19 Lesung und Übersetzung folgt weitestgehend der Edition von KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8–10; Probleme und Abweichungen werden in den Fußnoten diskutiert. 20 Es ist unklar, wie lange die Zeilen ursprünglich noch weiter gingen, was für die anzunehmenden Ergänzungen an den Zeilenenden relevant ist. So ergänzt KOCKELMANN hier einen relativ langen Satzteil, um die Struktur der folgenden, erhaltenen Anrufung nachzuahmen. G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07. 2012, fügt dagegen jeweils nur etwa ein Wort am Ende an. Auf der Höhe von x+7 ist der Papyrus auf der linken Seite am weitesten erhalten. Da dort nach dem Kontext recht sicher ergänzt werden kann (s. u.), rekonstruiert KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 10, an dieser Stelle den fehlenden Rand der Kolumne mit 1–1,5 cm. In den Zeilen darüber fehlt jeweils etwas mehr. 21 Eine inhaltliche Parallele findet sich in der Bandeau-Inschrift Deir Chelouit III, Nr. 121: qnj Xs n=s m rA-a.wj „Stärke und Schwäche sind für sie als Werk (?)“; siehe oben, Kap. 4.8.1.A.

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x+6:

x+7:

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

xr [sy=w dann werden [sie satt! i]m.t n=i [As.t] &m-qdy\ nA &ntj\ [… … … iw=w(?)22] K]omm zu mir, [Isis,] &wie\ zu &den\ [… sie] mH pA wrxf füllen die Säulenhalle!23 im.t n=i As.t m-qdy nA Sma.w i.irj=w tbH[?] mtw&=T\ Komm zu mir, Isis, wie zu den Vagabunden:24 di&ch\ flehen sie [?] an!25 im[.t n=i As.t m-qdy … … …]26 Kom[m zu mir, Isis, wie zu … …] xaj=T n %pd.t iwt=w mögest du als Sothis zwischen ihnen erscheinen!27 im.t n=i As.t m-qdy nA.w Pa-irq(?)28 Komm zu mir, Isis, wie zu denen von Philae(?) (oder: denen vom Schilf?): wxA=T(?) pA Swy(?)29 [… …] du hast das Licht gewünscht(?)/mögest du das Licht suchen(?) […]!

22 Diese Ergänzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012. Daß ein anderes Satzmuster vorliegen muß als in den vorigen Fällen ergibt sich aus der am Anfang von x+6 erhaltenen Verbform im Infinitiv. 23 Evtl. bezieht sich diese Stelle wieder auf Isis, und nicht auf die Personengruppe; vgl. Epitheta wie mH.t wAxy m nfr.w=s etc., LGG III, 367, oder baHj(.t) wrx m sTj id.t=s, LGG II, 785a–b, und oben, Kap. 4.3.1.2 (Kalabchah I, 16). 24 Nach QUACK, Demotische Hymnen, S. 262: „Vagabunden“; und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012: „die Umherstreifenden“(?). KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8, übersetzt dagegen „die Sänger“. Es handelt sich aber nicht um eine übliche Schreibung für Smaj „Sänger, Musikant“, vgl. ERICHSEN, Glossar, 509; CDD, S, S. 138–139. Nicht nur orthographisch, sondern auch inhaltlich passen „Vagabunden“ als hilfsbedürftige Gruppe besser. 25 Aufgrund des 2. Tempus und des Inhaltes würde man eigentlich eine Fortsetzung im Sinne der Anrufungen in x+4–5 erwarten. Ob hier versehentlich etwas ausgelassen worden ist? QUACK, Demotische Hymnen, S. 262, ergänzt aufgrund der kleinen Lücke hinter tbH zu: „Sie erbetteln [Lebensunterhalt] bei dir.“ Dagegen DOUSA, Praising Isis, S. 250: i.ir=w tbH[=s] mtw&=T\ „Von dir erfragen sie es.“, wobei aber das Suffix =s kein offensichtliches Antezedent hätte. 26 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8 u. 10; DOUSA, Praising Isis, S. 250; und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 24.07.2012, ergänzen aufgrund des folgenden wie SPIEGELBERG, Pap. Heidelberg 736, S. 34, nA syw.w „die Sterne“. Obwohl dies inhaltlich gut passen würde, habe ich dennoch Zweifel, da „die Sterne“ sich von den sonstigen Gruppen, bei denen es sich immer um (menschliche) Personen handelt, deutlich absetzen würden. So meint QUACK, Demotische Hymnen, S. 262, noch die Spuren von m-qdy i:ir zu erkennen („die, die […] haben“). 27 Zur Übersetzung von xaj=T als prospektivisches sDm=f siehe DOUSA, Praising Isis, S. 250. 28 Vgl. zur Lesung QUACK, Demotische Hymnen, S. 262. In CDD, i, S. 103, wird vorgeschlagen, daß es sich bei iqr hier um eine Variante für aqr/akr „Schilf“ handeln könnte, vgl. CDD, a, S. 150–151. DOUSA, Praising Isis, S. 250, möchte pA itn „der Boden“ lesen und interpretiert entsprechend „die des Bodens“ als Kreaturen der Erde, was einen Kontrast zu den vielleicht zuvor genannten Himmelskörpern bilden würde. 29 Lesung nach QUACK, Demotische Hymnen, S. 262. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 10, liest: Sm pA Swy(?) „die Hitze(?) ist gegangen“.

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Hymnen und Gebete

x+8:

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i&m\[.t n=i As.t]30 K&o\[mm zu mir, Isis,] m-qdy i.irj &m\r(?) inj st r nA qr.w31 wie zu , die übergesetzt(?) haben. Du hast sie an die Ufer gebracht!

Die nur bis etwa zur Hälfte der erhaltenen Länge beschriebene letzte Zeile deutet an, daß es sich hierbei um das tatsächliche Ende der Hymne handelt. Der Text weicht im Aufbau deutlich von den erhaltenen hieroglyphischen Isis-Hymnen der Tempeltexte ab, in denen sich keine solche, jeweils mit „Komm zu mir, Isis“ eingeleitete Strophen-Struktur findet. 32 Die initiale Aufforderung an die Gottheit, zu kommen, ist jedoch ein altes und typisches Element von Beschwörungen und Gebeten und demonstriert im Gegensatz zu den allgemein gehaltenen Hymnen der Tempeltexte den Wunsch eines Individuums nach persönlichem und direktem Gotteskontakt.33 Wegen der zahlreichen Lücken, Unsicherheiten und bis dato mangelnder Parallelen ist das Verständnis des Inhaltes der Hymne im Detail problematisch. In dem ausführlich zitierten Teil, der zumindest einige zusammenhängende Phrasen erkennen läßt und offenbar auch inhaltlich eng zusammen gehört, scheint der allgemeine Tenor zu sein, daß Isis den verschiedensten Leuten in diversen (Not)situationen zu Hilfe kommt, wenn sie von ihnen angerufen wird. In x+4 und x+5 ist konkret davon die Rede, daß sie die negative Lage zum positiven Gegenteil gewendet hat, d. h. Schwäche in Stärke verwandelt und Hunger in Sättigung. 34 Die anschließenden, jeweils auf die immer identische Anrufung folgenden Aussagen sind weniger klar. In x+7 wird Isis zunächst in altbekannter Weise mit Sothis identifiziert, 35 und danach wird sie in Philae mit Licht verbunden. 36 Der Abschluß des Textes (x+8) ist wieder eindeutiger und beinhaltet, daß Isis Reisende zu Schiff sicher ans Ufer bringt, was aber auch im übertragenen Sinne gemeint sein kann. Man vergleiche die bereits seit den Pyramidentexten belegte Bezeichnung der Isis als mnj.t Landepflock37 und die euphemistische Verwendung von mnj für „sterben“ (d. h. das sichere Anlanden im Jenseits).

30 Die Ergänzung ist wegen des erhaltenen Anschlusses in der nächsten Zeile relativ sicher, vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 10; vgl. oben, Anm. 20, zur Folgerung für die ursprüngliche Zeilenlänge. Ein kleiner Zweifel bleibt allerdings bestehen, da von im.t nur noch das i sicher erkennbar ist, und daher nicht sicher, ob hier tatsächlich schon eine neue Anrufung beginnt. 31 Lesung nach QUACK, Demotische Hymnen, S. 262. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 8: mn r nA qr.w „und an den Ufern angelegt haben“. 32 Vgl. Kap. 5.1.2 zu den formalen Merkmalen der hieroglyphischen Isishymnen. Philae-Hymne 6 wird zumindest mit der Aufforderung mj.t r aH.t „Komm zum Palast“ eingeleitet, was aber im weiteren Textverlauf nicht mehr aufgegriffen wird. Vgl. auch den kurzen Lobpreis an Isis bzw. eine Geiergöttin im Fayumbuch, der mit den Worten „Komm zu mir, komm zu mir“ (mj n=i sp sn) beginnt, siehe oben, Kap. 4.13.4. 33 Siehe dazu KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 42–43; RAY, Archive, S. 48, m. Anm. 1. 34 Vgl. dazu auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 65. 35 Vgl. dazu KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 60–61; s. o. Kap. 5.2.2.2.B. 36 Zu Isis als Licht- bzw. Gestirnsgöttin in Philae vgl. z. B. die Texte Philä II, 76–77; Philä II, 78–79; Philä II, 338–339; Philä II, 390–391, siehe Kap. 4.1.1. 37 Siehe LGG III, 296b–c.

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560 6.1.2

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Lobpreis der Isis im Fayum: Die griechischen Hymnen an Isis-Thermuthis in Narmuthis (Medinet Madi) und eine Litanei in den liturgischen pBerlin P. 6750 und P. 8765

6.1.2.1 Die Hymnen von Medinet Madi (MM I–IV) Im Tempel der Isis-Thermuthis in Narmuthis (Medinet Madi) im Fayum hat ein Mann namens Isidoros („Gabe der Isis“)38 vier ausführliche, poetisch ausgestaltete Hymnen in griechischer Sprache am Propylon verewigt, von denen drei der Tempelherrin gewidmet sind.39 Mit größter Wahrscheinlichkeit sind sie in das frühe 1. Jh. v. Chr. zu datieren, mit 96 v. Chr., dem Datum der griechischen Dedikationsinschriften am Propylon, als terminus post quem.40 Der eigentliche Tempelbau für die Erntegöttin Renenutet (griech. Thermuthis bzw. Hermuthis), die mit Sobek von Schedet ein Paar bildet, stammt bereits von Amenemhet III. und IV. und wurde in ptolemäischer Zeit um einige Anbauten nach Süden hin sowie um eine der Isis gewidmete Gegenkapelle auf der Rückseite erweitert.41 Letztere gibt somit der Identifikation der lokalen mit der überregionalen Göttin eine Ausprägung in der 38 „Isidoros“ ist die verbreitete griechische Umsetzung des ägyptischen Namens PA-dj-As.t, was jedoch nicht notwendigerweise bedeutet, daß es sich bei Isidoros von Medinet Madi um einen Einheimischen dieses Namens handelt, vgl. zur Diskussion É. BERNAND, IM, S. 650–651, und unten zur Identität des Isidoros. 39 Editionen: IM 175; VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 27–51; Taf. 14–17; VANDERLIP, Four Greek Hymns; TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 76–82. Vgl. dazu auch DRIJVERS, Hymnen; BROEKHUIS, Renenwetet, S. 110–141; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 100–105; MUÑIZ GRIJALVO, Himnos, S. 110–120; SFAMENI GASPARRO, Hellenistic Face, S. 48–57; und rezent QUACK, Religion gréco-égyptienne; JÖRDENS, Griechische Texte, S. 279–284 (dt. Übersetzung); sowie die detaillierte Analyse von MOYER, Hymns of Isidorus; ähnlich auch ID., Isidorus at the Gates. Die vierte Hymne richtet sich an den im Fayum verehrten vergöttlichten Amenemhet III. (Porromanres). Die vier Hymnen werden hier als MM I– IV zitiert. 40 Vgl. für die Datierung in die späte Ptolemäerzeit bereits VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 30–34; VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 9–16; bestätigt auch von BERNAND, Rez. Vanderlip, S. 82; BRICAULT, Dame des flots, S. 39, Anm. 12; und MOYER, Hymns of Isidorus, S. 185. Eine abweichende Datierung an den Anfang der Ptolemäerzeit wurde von BOLLÓK, Problème de la datation, bes. S. 30 u. 34, vorgeschlagen, ist jedoch zurückzuweisen. Vgl. zur Diskussion auch DOUSA, Imagining Isis, S. 151, Anm. 7. 41 Siehe zu Renenutet BONNET, RÄRG, Sp. 803–804; DRIJVERS, Hymnen, S. 142–147; BROEKHUIS, Renenwetet (unter Beachtung der Rez. von D. WILDUNG, in: BiOr 29, 1972, S. 291–293; und PH. DERCHAIN, in: CdÉ 47, 1972, S. 134–139); H. SATZINGER, Zum Namen der Göttin Thermouthis (Rrwt = Rnnwtt?), in: OrAn 22, 1983, S. 233–245: 238–245; und PH. COLLOMBERT, Renenoutet et Renenet, in: BSEG 27, 2005–2007, S. 21–32 (letztere beiden mit unterschiedlichen Positionen zu den zahlreichen Schreibungsvarianten des Namens); D’ASCOLI, Renenutet; der thematische Sammelband Renenutet/Isis Thermouthis enthält mehrere Beiträge von stark variierender Qualität. Zum Tempel vgl. die Grabungsberichte VOGLIANO, Primo Rapporto; ID., Secondo rapporto degli scavi condotti dalla missione archeologica d’Egitto della R. Università di Milano nella zona di Madīnet Mādī (campagna inverno e primavera 1936–XIV), Mailand 1937; ID., Rapporto preliminare della IVa campagna di scavo a Madînet Mâdi (R. Università di Milano), ASAE 38, 1938, S. 533–549; ID., Rapporto preliminare della Va campagna di scavo a Madīnet Mādi (R. Università di Milano), ASAE 39, 1939, S. 687–707; u. a.; außerdem S. DONADONI, Testi geroglifici di Madinet Madi, in: Or 16, 1947, S. 333–352 u. 506–524; VANDONI, Madînet Mâdi; DOLZANI, Culto del dio Sobek. Zusammenfassend auch BRESCIANI, Iside de Medinet Madi; ZECCHI, Geografia religiosa, S. 164–166; KOCKELMANN, Herr der Seen II, S. 407–410.

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Architektur. Zudem befindet sich auf der Innenseite des Tores zum Tempelbezirk ein (allerdings stark zerstörtes) Relief, das die thronende Isis mit Harpokrates zeigt.42 In einer Nische im 2. Hof zeigt ein Wandgemälde auf Stuck die Triade Isis, Horus/Anchoes und Sokonopis.43 Die Hymnen sind an den Pfeilern des Propylon vor dem äußersten (ptolemäischen) Vorhof angebracht, wobei sich zwar je zwei Hymnen an einem Pfeiler befinden, diese jedoch keineswegs symmetrisch angeordnet sind: Die Hymnen MM II (Westpfeiler) und III (Ostpfeiler) stehen sich an den Innenseiten des Durchganges gegenüber, MM I befindet sich vom Tempel her nach außen (Süden) gewandt an der Vorderseite des Westpfeilers, und MM IV zum Tempelinneren hin gerichtet an der Rückseite des Ostpfeilers.44 Die Hymnen verfolgen also praktisch in der Reihenfolge von I–IV ein Durchschreiten des Tores nach innen (oder in umgekehrter Reihenfolge ein Herauskommen aus dem Tor). Was den Anbringungsort betrifft, sei an die Häufung von Hymnen und eulogischen Epithetareihen in Türlaibungen und an Türrahmen erinnert, wie sie oben, Kap. 5.1.1, insbesondere für die Isistexte in Dendara festgestellt wurde. Auch wenn es sich hier um griechische Kompositionen handelt, die nicht zur offiziellen, ägyptischen Tempeldekoration gehören, schließt sich die Anbringung doch eng an ägyptische Traditionen an und läßt sich möglicherweise mit Festprozessionen o. ä. in Verbindung bringen.45 Von Festen der Göttin ist tatsächlich auch in MM II und III die Rede. Die vier Texte sind in (nicht ganz fehlerfreien) griechischen Versmaßen komponiert, davon zwei in daktylischem Hexameter (MM I und III), und zwei in elegischem Distichon (MM II und IV), die ebenfalls gleichmäßig auf die beiden Pfeiler verteilt sind. Alle drei Hymnen an Isis-Thermuthis (MM I–III) sprechen die Tempelgöttin in der 2. Person an. Der bisher ausführlichste Kommentar zu den vier Hymnen von VANDERLIP 46 weist auf zahlreiche Parallelstellen hin, allerdings vornehmlich aus griechischen und lateinischen Texten (besonders die griechischen Isis-Aretalogien), weniger aus ägyptischen. Mein Fokus im Folgenden liegt dagegen zunächst auf dem Herausarbeiten der ägyptischen Traditionen hinter den Formulierungen, was für einzelne Passagen zwar auch bereits von DOUSA sowie KOCKELMANN vorgenommen, 47 jedoch bisher nicht systematisch durchgeführt wurde. Zweitens soll die Charakterisierung der Isis in den Hymnen in den lokalen kulttopographischen Kontext des Fayum in der griechisch-römischen Zeit eingegliedert werden.

42 VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 13–14; Taf. 4. 43 VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 6; Taf. 11; VANDERLIP, Four Greek Hymns, Taf. 14; KOCKELMANN, Herr der Seen II, S. 408; III, Taf. 39. Isis ist erkennbar an der Hathorkrone mit aufgesetztem Isisthron; da die untere Hälfte des Bildes jedoch zerstört ist, läßt sich nicht ausschließen, daß auch ein auf Thermuthis verweisender Schlangenunterleib dargestellt war, wie ihn zahlreiche Stelen und Terrakotten zeigen, siehe z. B. BRESCIANI, Dea-cobra; und unten. Zu Sokonopis siehe KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 41–43. 44 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, Taf. 23, Abb. 1; ID., Isidorus at the Gates, 212–215, m. Abb. 9.1. 45 Vgl. zur Verbindung mit Festprozessionen auch QUACK, Religion gréco-égyptienne. 46 VANDERLIP, Four Greek Hymns. 47 DOUSA, Imagining Isis, passim; KOCKELMANN, Praising the Goddess, passim. DUNAND, Culte d’Isis I, S. 101, stellt nur generell fest, daß das in den Hymnen entworfene Bild in etwa demjenigen in den Hymnen von Philae und Assuan entspricht und führt exemplarisch einige einzelne Textparallelen daraus an.

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MM I läßt sich inhaltlich in folgende fünf Abschnitte untergliedern:48 Abschnitt 1.

Zeilen 1–3

Inhalt Einleitung: Anrede der Göttin Taten der Isis: Schöpfung/Erfindung von Kultur (Gesetze und Fertigkeiten) und Natur

2.

4–13 (4–8 und 9–13)

3.

14–23

Verehrung der Isis unter verschiedenen Namen durch verschiedene Völker

4.

24–34

5.

35–38

Ewiger Lobpreis durch Isidoros: Rettung verschiedener Personengruppen, die Isis anbeten Persönliches Schlußgebet des Isidoros mit Nennung seines Namens

Form Titelreihe a) Satz mit Werken der Isis als Subjekt in 3. Pers. pl. b) Sätze mit Isis als Subjekt in 2. Pers. sing. fem. c) Sätze mit Teilen der Natur als Subjekt a) Sätze mit versch. Volksgruppen als Subjekt in 3. Pers. pl. b) Schlußsatz mit Isis als Subjekt in 2. Pers. sing. fem. a) Satz mit Isidoros als Subjekt in 1. Pers. sing. + Epithetareihe Isis b) Sätze mit Personengruppen als Subjekt in 3. Pers. pl. a) Imperativsätze an Isis b) Satz mit Isidoros als Subjekt in 3. Pers. sing.

Abschnitt 1: Die einleitende Anrede wendet sich an die Reichtum spendende (πλουτοδότι) Königin der Götter, die Herrin Hermuthis, die Allherrscherin (παντοκράτειρα), Agathe Tyche, Isis mit großem Namen, höchste Deo, Erfinderin/Schöpferin (εὑρέτρια)49 allen Lebens (Z. 1–3).50 Diese Titulatur vermittelt gleich zu Beginn den universalen Anspruch einer Schöpfergöttin, deren lokale Identität (Hermuthis/Renenutet) einerseits in ein griechisches Pendant (Agathe Tyche) übertragen wird, 51 andererseits in dem „großen Namen“ der überregionalen Isis

48 Vgl. davon etwas abweichend die (kleinteiligere) Gliederung nach dem Stellenkommentar von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 19–34. Siehe zu MM I auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 137–140. 49 DOUSA, Imagining Isis, S. 156, plädiert meiner Ansicht nach überzeugend dafür, das griechische εὑρέτρια (nochmals in MM II, 3) nicht im euhemeristischen Sinne mit „Erfinderin“, sondern vielmehr, basierend auf ägyptischen Konzepten, mit „Schöpferin“ wiederzugeben, vgl. ägyptisch SAa; einen ähnlichen Ansatz präsentiert bereits VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 5 u. 23, betont aber zusätzlich, daß die wörtliche Bedeutung des Verbs εὑρίσκω „suchen und finden“ prinzipiell ebenfalls zu Isis paßt, die im Mythos den Leichnam bzw. die Körperteile von Osiris sucht und findet. 50 Die hier jeweils angegebene deutsche Übersetzung orientiert sich an den englischen Übersetzungen von VANDERLIP, Four Greek Hymns; und MOYER, Hymns of Isidorus (auszugsweise). 51 Zur Gleichsetzung der Renenutet mit Agathe Tyche siehe VANDONI, Madînet Mâdi, S. 114–115; BROEKHUIS, Renenwetet, S. 127–129, der jedoch tatsächlich mehr auf die Beziehung zwischen Isis und Agathe Tyche eingeht; und QUAEGEBEUR, Shaï, S. 153 (Renen(ut)et-Bona Fortuna (= Agathe Tyche) als Pendant zu Schai-Agathos Daimon), speziell zum Text auch DOUSA, Imagining Isis, S. 177–178.

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aufgeht, für die wiederum zusätzlich eine griechische Entsprechung (Deo = Demeter) genannt ist.52 Daß Isis das Attribut „mit großem Namen“ trägt,53 findet eine gute ägyptische Parallele in ihrer Bezeichnung als rn wr m HA.t nTr.wt „der große Name an der Spitze der Göttinnen“ in Tempelinschriften aus Philae, Karnak und Esna. 54 Selbst der zweite Teil dieses Epithetons läßt sich gewissermaßen mit der Stelle im griechischen Hymnus verbinden, da Isis im gleichen Abschnitt ja als „Königin der Götter“ und „höchste Deo“ bezeichnet wird, was ebenfalls ihre Vorrangstellung vor anderen Gottheiten unterstreicht. Die Schlagwörter „Königin der Götter“, „Allherrscherin“ und „Schöpferin allen Lebens“ benennen bereits die Eigenschaften, die in den folgenden Hauptteilen näher ausgeführt werden. In Abschnitt 2 werden die schöpferischen und erfinderischen Leistungen der Göttin gepriesen. Diese sind wiederum unterteilt nach menschlicher Kultur (Z. 4–8) einerseits, welche durch ihre Gaben Leben, rechte Ordnung und Gerechtigkeit, (handwerkliche) Fähigkeiten und das Gedeihen der Früchte konstituiert wird, und den Grundlagen der Natur (Z. 9–13) andererseits, die mit der Schöpfung von Himmel und Erde, Wind und Sonnenlicht, Nilüberschwemmung und Fruchtbarkeit des Landes den großen Rahmen55 für dieses menschliche Leben bildet. All diese Bereiche sind als Zuständigkeiten der Isis bestens aus den ägyptischen Tempeltexten bekannt.56

52

53

54

55

56

Auch in einer griechischen Weihinschrift aus Medinet Madi wird Thermuthis als Agathe Tyche bezeichnet, siehe É. BERNAND, IM, S. 644. Die Gleichsetzung der Isis mit Demeter ist bereits im 5. Jh. v. Chr. bei Herodot (II, 59 und 156) bezeugt, vgl. dazu KOLTA, Gleichsetzung, S. 42–51; V. A. TOBIN, Isis and Demeter: Symbols of Divine Motherhood, JARCE 28, 1991, S. 187–200; THOMPSON, Demeter; P. PACHIS, „Manufacturing Religion“ in the Hellenistic Age: The Case of Isis-Demeter Cult, in: L. H. Martin/P. Pachis (Hrsg.), Hellenisation, Empire and Globalisation: Lessons from Antiquity, Acts of the Panel held during the 3rd Congress of the European Association for the Study of Religion, Bergen, Norway, 8–10 May 2003, Thessaloniki 2004, S. 163–208 (allerdings teilweise etwas oberflächlich und fehlerhaft); MALAISE, Calathos, S. 242–249. Zu Thermuthis und Demeter, siehe unten. „Mit großem Namen“ (μεγαλώνυμος) ist kein gängiges Epitheton der Isis im Griechischen. Üblicherweise findet sich die Bildung μυριώνυμος „mit 10000/unzähligen Namen“ oder πολυώνυμος „mit vielen Namen“ (so auch in MM I, 26), basierend auf ägyptischem aSA(.t) rn.w „mit zahlreichen Namen“, siehe dazu BRICAULT, Isis Myrionyme; QUACK, Irrungen, Wirrungen, S. 449; vgl. Kap. 4.5.1.A, Anm. 941. In ägyptischen Litaneien wird generell auch gern die Phrase „in allen seinen/ihren Namen“ vor die Aufzählung verschiedener Götternamen gestellt, vgl. zur Form der Litanei Kap. 4.11.1.1.A und 5.1.4. Siehe den Text Esna II, Nr. 24 (Kap. 4.11.1.1.B); weitere Belege in LGG IV, 677a–b. Das Epitheton ist interessanterweise nur für Isis bzw. Isis-Nebetuu (Esna) belegt; bei letzterer Form steht wie in Medinet Madi der agrare, mit der Fruchtbarkeit der Felder verbundene Charakter der Göttin im Vordergrund, siehe dazu oben, Kap. 4.11.1. Zudem gibt es ein ägyptisches Epitheton aA rn „mit großem Namen“, das jedoch nur für männliche Gottheiten belegt ist, siehe LGG II, 34a. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 188; und ID., Isidorus at the Gates, S. 218, bemerkt zu dieser Stelle, daß mit der Beschreibung der Nilüberschwemmung der zuvor gesetzte kosmische Rahmen sich nun mit Fokus auf Ägypten verengt; dies ist m. E. aber eine unägyptische Ansicht. Mir scheint es vielmehr, daß der Nil und sein jährlicher Rhythmus für die Ägypter ein ebenso zentrales und kosmisches Grundprinzip ihrer Weltvorstellung darstellten wie Himmel, Erde, Sonne und Wind, und nicht ein bloßes national oder geographisch beschränktes Merkmal. Vgl. Kap. 5.2.2.

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Abschnitt 3: Auch die Verehrung der Isis durch verschiedene Gruppen bzw. an verschiedenen Orten,57 ist ein typischer Bestandteil ägyptischer Hymnen und Litaneien,58 wobei auch dort die vier Himmelsrichtungen ein wichtiges Ordnungsprinzip bilden.59 Wie im Isidoros-Hymnus zählen kulttopographische Litaneien Erscheinungsformen der Isis an einzelnen Orten mit den Namen der lokal verehrten Göttinnen auf.60 Der entscheidende Unterschied zu entsprechenden ägyptischsprachigen Passagen ist die geographische Erweiterung auf Völker außerhalb Ägyptens und damit auch Namen ausländischer Göttinnen.61 So stellt Isidoros zunächst generell fest, daß Isis von allen Völkern der Erde verehrt wird, indem diese ihren Namen in ihrer jeweiligen eigenen Sprache nennen (Z. 14– 17). In nun typisch hellenozentrischer Manier werden dabei Thraker62 und Griechen allen anderen Volksgruppen, zusammengefaßt als „jegliche Barbaren“, gegenübergestellt (Z. 15). Darauf folgt die konkrete Aufzählung einzelner Beispiele: Die Syrer nennen dich Astarte, Artemis, Nanaia, und die lykischen Stämme nennen dich die Herrin Leto, thrakische Männer nennen dich auch Mutter der Götter, die Griechen nennen dich Hera63 vom Großen Thron und Aphrodite, und gute Hestia64 und Rhea und Demeter. (Z. 18–22). Es handelt sich vorrangig um bekannte Namen großer Göttinnen Griechenlands und des Nahen Ostens, die hier nicht eigens kommentiert werden sollen.65 Zu der alten sumerischen Liebes-, Kriegs- und Mondgöttin Nanaia, die tatsächlich im Seleukidenreich mit Artemis

57 Vgl. zu diesem Abschnitt auch DUNAND, Syncrétisme isiaque, S. 79–82; DOUSA, Imagining Isis, S. 168–169. 58 Vgl. z. B. Philä III, Nr. 2 (Kap. 4.1.1.A); Dend. II, 98, 2–99, 3 (Kap. 4.6.2); Kalabchah I, 4 (Kap. 4.3.1.2); El-Qal‘a I, Nr. 19 (Kap. 4.9.1). 59 Z. B. Philä III, Nr. 2; Kalabchah I, 4. 60 Siehe vor allem Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (Kap. 4.6.1.A) mit Parallelen. Für diese Textstelle vermutet bereits VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 92, ägyptische Vorbilder; vgl. auch ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 139–140, mit einigen ägyptischen Parallelen, und ausführlich zu diesem Thema NAGEL, One for All. 61 Vgl. zu dieser Textgestaltung und der unterschiedlichen Benennung durch verschiedene Völker auch einen Hymnenabschnitt in PGM XII 263–267, wo der Allgott auf entsprechende Weise mit seinen Namen bei Ägyptern, Juden, Griechen, Hohepriestern und Parthern angerufen wird; siehe dazu und zum Vergleich mit Isislitaneien DIELEMAN, Priests, S. 165–168; M. TARDIEU, „Ceux qui font la voix des oiseaux“: Les dénominations des langues, in: M. Tardieu/A. Van den Kerchove/M. Zago (Hrsg.), Noms Barbares I. Formes et contextes d’une pratique magique, Turnhout 2013, S. 143–153: 146–149. 62 Thraker stellten nach Griechen und Makedonen die größte Volksgruppe innerhalb des ptolemäischen Heeres und wurden außerdem in größerer Anzahl im Fayum angesiedelt, weshalb sie wohl hier mit den Hellenen zusammengestellt sind, vgl. É. BERNAND, IM, S. 642–643; VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 27; DUNAND, Syncrétisme isiaque, S. 80; MOYER, Hymns of Isidorus, S. 188; ID., Isidorus at the Gates, S. 218. 63 Zur Identifizierung von Isis mit Hera sowie weiteren Göttinnen vgl. Diodor, I, 25: „Dieselbe Göttin nennt man bald Isis, bald Demeter, bald Mondgöttin, bald Hera, bald mit allen diesen Namen zugleich.“ Übersetzung nach J. F. WURM, Diodor’s von Sicilien Historische Bibliothek I, Stuttgart 1827 (online: http://www.nubien.de/diodor.shtml). 64 Hestia galt wie Isis als Tochter des Kronos und der Rhea, den griechischen Entsprechungen von Geb und Nut, vgl. dazu GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 206; Diodor, I, 13. 65 Siehe dazu den Kommentar von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 27–31.

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gleichgesetzt wurde,66 sei jedoch bemerkt, daß in dem wie Narmuthis im Fayum gelegenen Ort Nabla, der einen großen Anteil an semitischer Bevölkerung aufwies, interessanterweise ein Tempel erster Ordnung für Isis Nanaia (zusammen mit Sarapis, Harpokrates und Sobek) existierte, der in einer Pastophorenliste dokumentiert ist. 67 Auch das Attribut der Hera, μεγαλόθρονον, bedarf eines Kommentars, denn es handelt sich um ein hapax legomenon.68 Obwohl also sonst nicht belegt, paßt es inhaltlich zu Hera als Gattin des Zeus, aber noch mehr zu Isis selbst, deren enge Verbindung zum Königsthron in Ägypten gut bekannt ist.69 Möglicherweise handelt es sich auch um eine direkte Übertragung des ägyptischen (Hr) s.t wr.t „auf dem großen Sitz/Thron“.70 Des weiteren dominierte gerade im Fayum in griechisch-römischer Zeit vielerorts die spezielle Isisform Isis Nepherses (dem. As.t nA.w-nfr-ir-s.t) „Isis mit vollkommenem Sitz/Thron“, besonders in Soknopaiou Nesos (Dime), wo sie als Partnerin des Hauptgottes Soknopaios in dessen großem Tempel verehrt wurde und auch als Orakelgottheit befragt wurde. 71 Beide Nennungen (Nanaia und μεγαλόθρονον) könnten also durchaus von lokalen Verhältnissen beeinflußt sein. Den dramatischen Abschluß von Abschnitt 3 der Isidoroshymne bildet die Nennung von Isis’ Heimatland selbst innerhalb eines Resümees der vorigen Aufzählung: Aber die Ägypter nennen dich Thiouis, denn du allein bist alle anderen Göttinnen, benannt von den Völkern. (Z. 23–24). Die genannten Volksgruppen verteilen sich grob auf die Himmelsrichtungen Osten, Norden und Süden, wohingegen der Westen – hier könnte man Rom/Italien oder zumindest die westlich angrenzenden nordafrikanischen Regionen erwarten – gänzlich ausgelassen ist. Offenbar spielte er zu dieser Zeit bzw. vom Standpunkt des Autors aus keine Rolle.72 Die zugespitzte Fokussierung auf Ägypten gewinnt noch an Gewicht durch den griechisch sonst nicht belegten73 Titel Thiouis (θιοῦιν, Akk.), der an Stelle des zu erwartenden Eigenna66 Vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 29. Rezent O. DREWNOWSKA-RYMARZ, Mesopotamian Goddess Nanāja, Warschau 2008. 67 pLond. II 345, siehe VANDONI, Madînet Mâdi, S. 116; É. BERNAND, IM, S. 643; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 124–125. 68 Vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 30. 69 Siehe dazu z. B. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 131; NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 119–120; und oben, Kap. 5.2.2.3.B. 70 Vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 131; BRICAULT, Trône, S. 134–135. Für die zahlreichen mit s.t wr.t, was ja auch als Bezeichnung eines Tempels oder Sanktuars dienen kann, gebildeten Götterepitheta (für Isis und andere Götter) vgl. LGG VI, 62–63a; WILSON, Ptol. Lex., S. 948–949. In der Aretalogie von Andros (RICIS 202/1801, 1. Jh. v. Chr.) nennt Isis sich selbst zu Beginn ihrer Rede (Z. 7) mit einem homerischen Epitheton „Isis vom goldenen Thron (χρυσόθρονος)“. Vgl. zu diesen beiden griechischen Belegen BRICAULT, Trône. 71 Siehe zu dieser Isisform oben, Kap. 4.13.4. Speziell zur Orakelfunktion der Isis Nepherses unten, Kap. 6.5.1.3. Neben Soknopaiou Nesos wurde Isis Nepherses den demotischen und griechischen Quellen zufolge auch in Euhemeria und Neilupolis verehrt, vgl. BRICAULT, Isis Néphersès, S. 525–527; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 83 u. 126; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 216–217 u. 226. 72 Für die Aufzählung selbst bildet die Nennung von Griechenland die West-Koordinate, vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 188–189; ID., Isidorus at the Gates, S. 219; dennoch ist die Auslassung von Rom m. E. auffällig, da dieses ja im Laufe des 1. Jhs. v. Chr., in das die Hymnen ja aller Wahrscheinlichkeit nach datieren, eine zunehmende Rolle innerhalb der Politik des Ptolemäerreiches spielte. 73 DUNAND, Syncrétisme isiaque, S. 81.

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mens Isis bzw. Hermuthis proklamiert und vom Autor selbst in der folgenden Begründung übersetzt, bzw. erklärt wird:74 Isis-Thermuthis ist die einzige Göttin, die aber zugleich alle anderen Göttinnen in sich umfaßt. Tatsächlich handelt es sich bei dem griechischen hapax um eine einfache Transkription des ägyptischen Epithetons tA wa.t „die Einzige“ bzw. „die Einzigartige“,75 das für Isis, aber auch andere Gottheiten häufig verwendet wird, um sie jeweils als Ur- und Schöpfergottheit obersten Ranges zu kennzeichnen.76 BROEKHUIS bringt den Titel zudem speziell mit Thermuthis in Verbindung, da wa.t/wa.tj.t seit der 18. Dyn. häufig als Bezeichnung der Uräusschlange (des Sonnengottes) auftritt, und diese die übliche Erscheinungsform dieser Göttin ist.77 Eine solche verschriftlichte Begründung oder theologische Ausdeutung eines Wortes/Titels, wie Isidoros sie vornimmt, entspricht ganz ägyptischer religiöser Textgestaltung. Zudem steht der Schlußsatz des Abschnitts in der Tradition der abschließenden Formel in der ägyptischen kulttopographischen Litanei: nb.t m spA.t nb(.t) nts pw wn(.t) m njw.t nb(.t) spA.t nb(.t) die Herrin in jedem Gau, (denn) sie ist es, die in jeder Stadt und jedem Gau ist.78 oder auch: IR @w.t-@r nb.t As.t p[w] BETREFFS jeder Hathor (= Göttin/Erscheinungsform): das ist Isis.79 Eine weitere Parallele bietet das Ende der Epithetareihe Dend. I, 75, 12–76, 2, wo Isis bezeichnet wird als: „die einzigartige Göttin, die Millionen verehren“.80 Abschnitt 4: Nach diesem Rundumschlag bringt der Autor sich zu Beginn des Abschnitts 4 erstmals selbst, in der 1. Pers. sing., ins Spiel und verspricht der Göttin, auf ewig ihre große Macht zu preisen (Z. 25) – eine Phrase, die nach MOYER ihr Vorbild in den Homerischen Hymnen hat. 81 Damit minimiert Isidoros den Blickwinkel des Textes kurzzeitig auf sein persönliches Leben, bevor er den Rahmen wieder erweitert und erneut verschiedene Personengruppen aufzählt (Z. 27–34). Dieses Hauptelement verklammert den 4. gewissermaßen mit dem vorigen Abschnitt, wobei nun nicht mehr ethnische oder geographische Faktoren die Aufzählung bestimmen, sondern verschiedene Gefahren- oder Leidenssituationen, die Menschen erleben können; so wird die von Isidoros hereingebrachte persönliche Note nicht wirklich abgelegt, sondern nur anhand einer großen Summe an privaten Einzelschicksalen generalisiert und mit Beispielen unterlegt. Als Einleitung für den erneut im Schlußsatz (des Abschnitts) zusammengefaßten thematischen Schwerpunkt – nämlich die Errettung einzelner Menschen in Notsituationen, wenn sie zu 74 ὅτι μούνη εἶ σὺ ἅπασαι αἱ ὑπὸ τῶν ἐθνῶν ὀνομαζόμεναι θεαὶ ἄλλαι. 75 So bereits der Erstbearbeiter VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 42; vgl. auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 31. 76 LGG II, 286: tatsächlich betreffen die meisten Belege Isis und Hathor; speziell zu Isis vgl. die detaillierten Ausführungen von DOUSA, Imagining Isis, S. 168–173. 77 BROEKHUIS, Renenwetet, S. 132–133. 78 Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (Kap. 4.6.1.A). 79 pTebt. H I, X 4, 2 (Kap. 4.13.1.1). 80 Siehe Kap. 4.6.2. 81 MOYER, Hymns of Isidorus, S. 189; ID., Isidorus at the Gates, S. 220.

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Hymnen und Gebete

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Isis beten (Z. 34) – dient bereits die Anrede der Göttin innerhalb des persönlichen Statements von Isidoros: Unsterbliche Retterin, vielnamige 82 Isis, die Größte (σώτειρ’  ἀθανάτη  πολυώνυμε  Ἶσι  μεγίστη), die du errettest vor dem Krieg Städte und alle ihre Bürger, Männer, Frauen, Besitztümer, und geliebte Kinder. (Z. 26–28). Diese Betitelung steckt so bereits das Terrain ab für die folgende Proklamation der Isis als gnädige Rettergöttin:83 sie befreit zum Tod verdammte Gefangene,84 an Schmerzen Leidende,85 Reisende in der Fremde und auf See bzw. Schiffbrüchige (Z. 27–34). Direkte Vorbilder für solche Formulierungen inklusive des Fazits „All diese werden gerettet, wenn sie dich anbeten, daß du erscheinst“ (Z. 34)86 bieten wieder die hieroglyphischen Isishymnen, besonders konzentriert z. B. in Dend. I, 81, 15–82, 6: die für den sorgt, der nicht ihren Grund verläßt (= der nicht illoyal ihr gegenüber ist), die den behütet, den sie liebt, am Tag des Schlachtfeldes, (…) die vortreffliche Beschützerin derer mit Besitz und der Besitzlosen; ähnlich auch in Kalabchah I, 16: die Leben gibt an den, der auf ihrem Wasser geht (= ihr untertan ist) und nicht illoyal ist.87 Abschnitt 5: Betrachtet man zusätzlich den letzten Abschnitt von MM I mit dem für das Ende von ägyptischen Hymnen typischen Schlußgebet,88 wird die eigentliche Intention der vorigen Aufzählung klar: Durch die gegebenen Beispiele göttlichen Beistandes durch Isis möchte Isidoros seinem eigenen Anliegen Nachdruck verleihen – er fleht sie an, seine Ge82 Zu diesem typischen Isisbeinamen (äg. aSA(.t) rn.w), der ebenfalls nochmals auf Abschnitt 3 zurückgreift (die Aufzählung ihrer vielen Namen), siehe BRICAULT, Isis Myrionyme; vgl. oben, Anm. 53. Das griechische Epitheton ist auch für Demeter belegt, vgl. É. BERNAND, IM, S. 643. 83 Gleichzeitig handelt es sich bei dem Titel σώτειρα um eine politische Anspielung, welche die Göttin mit Ptolemaios IX. Soter II. und Kleopatra II. Soteira verbindet, und wird daher auch von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 14–15, als Datierungskriterium verwendet. Zur griechischen Tradition hinter diesem Epitheton siehe ibid., S. 31–32. Vgl. dazu auch A. D. NOCK, Soter and Euergetes, in: The Joy of Study. Papers in Honor of F. J. Grant, New York 1951, S. 127–148 (repr. in: A. D. NOCK, Essays on Religion and the Ancient World, Oxford 1972, S. 720–735). Zu Isis als Retterin und Heilsgöttin siehe SFAMENI GASPARRO, Iside salutaris, zu den Isidoros-Hymnen S. 407. 84 Im ägyptischen Mythos handelt Isis, wohl aus Mitleid, als Befreierin des gefesselten Seth, obwohl dieser gegen Horus kämpft, so z. B. im Deltapapyrus, 11, 6–8, vgl. Kap. 4.13.2. In älteren ägyptischen Texten werden andere Gottheiten, wie Amun-Re, ebenfalls als Befreier von Gefangenen gepriesen, vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 67–68, m. Anm. 307. Sein Verweis auf Isis als Befreierin in den PGM nach VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 33, ist jedoch nicht ganz korrekt: VANDERLIP zitiert zwar zum Vergleich Quellen zur Befreiung in den PGM, Isis ist in diesen Texten jedoch nicht dafür zuständig; siehe zu ihren Charakteristika in den magischen Texten Kap. 6.5. Zu Isis als Befreierin vgl. oHor 10, Z. 19, siehe unten, Kap. 6.2.1.1 mit Kommentar. 85 Vgl. zu diesem Punkt Isis’ alte und bedeutende Rolle in magisch-medizinischen Texten, siehe Kap. 6.5.1. 86 Vgl. zu dieser Passage auch ALVAR, Romanising Oriental Gods, S. 238. 87 Siehe Kap. 4.3.1.2. 88 Vgl. Kap. 5.1.2.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

bete zu erhören und ihn von seinem Kummer zu erlösen (Z. 35–36). Dadurch schließt sich der Bogen von Isidoros’ erster Bezugnahme auf sich selbst (Z. 25) bis zu seiner abschließenden Namensnennung (Z. 37–38).89 Insgesamt zeichnet sich somit in den Abschnitten 4 bis 5 die gleiche strategische Vorgehensweise ab, die im oben (Kap. 6.1.1) kommentierten demotischen Isislob des pHeid. dem. 736 vs. zu beobachten ist: zwar formal anders umgesetzt, werden auch dort zur Untermauerung der eigenen Bitte (dort „Komm zu mir, Isis!“) Beispiele für die Rettung verschiedener Gruppen aus Notsituationen aufgeführt. 90 Als besonders offensichtliche Parallele sei hier die in beiden Texten angeführte Thematik der Schiff- oder Bootsfahrt genannt (pHeid. dem. 736 vs., x+8; MM I, Z. 32–33). Besondere Merkmale: Auf den in dieser Hymne besungenen Charakter und die Eigenschaften der Isis-Thermuthis soll erst nach der Einzelbesprechung aller vier Texte zusammenfassend eingegangen werden. Eine besondere Eigenheit von MM I muß jedoch noch an dieser Stelle abschließend aufgegriffen werden. Wie die Gliederung des Textes deutlich macht, bildet die Aufzählung der Göttinnennamen, die ich in Anlehnung an den von mir als „kulttopographische Litanei“ bezeichneten ägyptischen Texttypus ebenfalls so bezeichnen möchte, genau den Mittelteil und damit das Herzstück der Hymne. Dies wird neben der zentralen Positionierung des Abschnitts aber noch an einer weiteren Auffälligkeit deutlich: bei genauer Betrachtung zieht sich die Thematik des „Namens bzw. der Namen der Isis(-Thermuthis)“ tatsächlich gehäuft durch nahezu den ganzen Text hindurch. So ruft Isidoros die Göttin in der Einleitung (1.) als „Isis mit großem Namen“ (μεγαλώνυμε Ἶσι, Z. 2) an,91 im Einleitungssatz der eigentlichen Namensaufzählung (3.) spricht er von ihrem „schönen Namen“ (οὔνομά  σου  τὸ  καλόν, Z. 16), im Einleitungssatz des 4. Abschnitts nennt er sie „vielnamige Isis“ (πολυώνυμε  Ἶσι, Z. 26), und in seinem Schlußgebet (5.) „die du einen mächtigen Namen besitzt“ (μεγαλοσθενὲς οὔνομ‘ ἔχουσα, Z. 35). Nur der 2. Abschnitt, der Isis als universale Schöpfergöttin preist, ist gänzlich frei von Namensnennungen oder Anspielungen auf Namen, was sicherlich kein Zufall ist: eine als einziges existierende Schöpfergottheit, die Welt und Menschen erst erschaffen muß, braucht noch keinen Namen. MM II weist folgende Gliederung auf, die sich bereits durch die nun verwendete poetische Form des elegischen Distichons deutlich von derjenigen von MM I abhebt, wobei die Strophenstruktur (drei Strophen zu jeweils zehn Zeilen plus Nachschrift)92 nicht der inhaltlichen Einteilung entspricht. Stattdessen scheint der Inhalt eher auf jeweils zwei Verspaare (also vier Zeilen/Verse) bzw. zwei mal zwei Verspaare (acht Zeilen/Verse) verteilt zu sein:

89 Zu dieser Verbindung des Versprechens an die Göttin mit der Bitte an sie – dem typischen do ut desPrinzip –, vgl. auch MOYER, Hymns of Isidorus, S. 189; ID., Isidorus at the Gates, S. 220. 90 Zu dieser Übereinstimmung zwischen den Texten vgl. auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 66. 91 Speziell diese Bezeichnung trägt sie auch in den jeweiligen Einleitungsabschnitten von MM II (Z. 1) und III (Z. 2). 92 So nach MOYER, Hymns of Isidorus, S. 189–192; ID., Isidorus at the Gates, S. 215. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 36–49, unterteilt den Text ähnlich wie in der Tabelle von mir vorgenommen, nur an einigen Stellen etwas kleinteiliger.

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Hymnen und Gebete

Abschnitt 1.

Zeilen 1–4

2.

5–8

3.

9–16

4.

17–20

5.

21–28

6.

29–32

7.

33–34

Inhalt Einleitung: Anrede der Göttin Rettung verschiedener Personengruppen, die Isis anbeten Titel und Taten der lokalen Triade: Sokonopis + Anchoes + Thermuthis

Überschwemmung und Fruchtbarkeit durch IsisThermuthis Opfer und Feste für IsisThermuthis Persönliches Schlußgebet des Isidoros mit Nennung seines Namens Nachschrift: Bitte erfüllt

Form Titelreihe Sätze mit Personengruppen als Subjekt in 3. Pers. pl. a) Satz und Titelreihe mit Sokonopis als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. b) Satz und Titelreihe mit Anchoes als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. c) Satz an Triade (2. Pers. pl.) mit Personengruppen als Subjekt in 3. Pers. pl. Sätze mit Isis als Subjekt in 2. Pers. sing. fem. Sätze mit Personen als Subjekt in 3. Pers. pl. a) Imperativsätze an Isis b) Satz mit Isidoros als Subjekt in 3. Pers. sing. Satz mit Göttern (Triade) als Subjekt in 3. Pers. pl.

Abschnitt 1: In der mit χαῖρε93 beginnenden Einleitung wird ähnlich wie in MM I wieder Isis-Hermuthis-Agathe Tyche als Adressatin angesprochen, deren Titel nun jedoch weniger auf das Bild einer Universalgottheit abzielen, sondern noch stärker die bereits zuvor angesprochenen lebenspendenden Kräfte und die für Thermuthis typische enge Verbindung zur Vegetation in den Vordergrund stellen: Sei gegrüßt, Agathe Tyche, Isis mit großem Namen (μεγαλώνυμε  Ἶσι), 94 die Größte, Hermuthis, über dich jubelt jede Stadt, oh Erfinderin/Schöpferin von Leben und Feldfrüchten (ζωῆς καὶ καρπῶν εὑρέτρια),95 woran sich alle Sterblichen erfreuen durch deinen Segen. (Z. 1–4). Durch die Wortwahl wird ein deutlicher Bezug zu der Einleitung von MM I hergestellt. Der Jubel über die Göttin bzw. ihre Verehrung „in jeder Stadt“ ist ein Motiv, das in zahlreichen ägyptischen Texten in extenso ausgeführt wird – insbesondere in den kulttopographischen

93 Dieser Gruß wird in griechischen Götterhymnen üblicherweise am Ende, nicht am Anfang verwendet, vgl. VANDONI, Madînet Mâdi, S. 117, der bereits ägyptische Vorbilder vermutet. Tatsächlich entspricht das initiale χαῖρε etwa ägyptischem (i)nD Hr=T zu Beginn der Hymnen, siehe dazu Kap. 5.1.2. 94 Vgl. MM I, 2; siehe oben. 95 Vgl. MM I, 3: ζωῆς  εὑρέτρια πάσης. Zur Übersetzung von εὑρέτρια siehe oben, Anm. 49. Vgl. zu diesem Thema auch D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 31–33.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Litaneien96 –, sich aber auch in einzelnen Formulierungen wie „die groß an Schrecken ist in den Städten, und groß an Ehrfurcht in den Gauen“97 konzentriert vorfindet.98 Abschnitt 2 greift ebenso wie Abschnitt 1 ein Motiv der 1. Hymne wieder auf: die Hilfe der Göttin für verschiedene Personengruppen, die zu ihr beten. Die Passage ist hier deutlich kürzer, nutzt aber das gleiche Schema: Alle diejenigen… wenn sie zu dir beten… (ὅσσοι… σοὶ εὐξάμενοι/ἐπευξάμενοί σε) (Z. 5–8).99 Ergänzend zu den in MM I genannten Beispielen werden hier solche genannt, die besonders gut zum Leben und Reichtum spendenden Charakter der Thermuthis passen: sie sorgt für geschäftlichen Erfolg und Wohlstand100 und gewährt den Todkranken neue Lebenskraft. Abschnitt 3: Dieser lange Abschnitt, der sich aus zwei mal vier Versen zusammensetzt, führt erstmals näher in die lokalen Kultverhältnisse ein und stellt die Familienmitglieder der Tempelherrin vor:101 Sokonopis (%bk-m-Hb oder %bk-@apj),102 der – ähnlich wie Isis in MM I – als kosmischer Schöpfergott präsentiert und zudem als Agathos Daimon103 bezeichnet wird, und der ansonsten unbekannte Anchoes104 als lokale, solare Horusform (Z. 9–14). Das abschließende Verspaar dieses Abschnitts spricht dann die gesamte Triade (2. Pers. Pl.) an und fügt nochmals einen Satz der Form „Alle diejenigen… wenn sie zu euch beten…“ an (Z. 15–16), was diesen Teil mit dem vorigen Abschnitt verklammert.105 Das Grundthema „Leben/Fruchtbarkeit“106 wird dabei weitergeführt und nun im Hinblick auf den menschlichen Wunsch nach Kindern abgewandelt. Eine solche Ausweitung der Anbetung von einer zentralen Gottheit auf mehrere zusammengehörige Götter findet sich auch in den

96 S. o., Kommentar zu MM I, Abschn. 3. 97 Dend. III, 103, 6–11 (Kap. 4.6.2). 98 Zu Parallelen in den griechischen und lateinischen Isistexten siehe VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 36. 99 Vgl. MM I, 29–34. 100 Vgl. äg. rnn.t „Glück, Reichtum“, Wb II, 437, 3–5; vgl. auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 37; BROEKHUIS, Renenwetet, S. 2; kritisch zu dieser Übersetzung äußern sich S. MORENZ/D. MÜLLER, Untersuchungen zur Rolle des Schicksals in der ägyptischen Religion, ASAW 52/1, Berlin 1960, S. 20–23. 101 Vgl. zum lokalen Kontext dieses Abschnitts auch MOYER, Hymns of Isidorus, S. 190; ID., Isidorus at the Gates, S. 221–223. 102 Siehe A. MONSON, Priests of Soknebtunis and Sokonopis: P. BM EA 10647, in: JEA 92, 2006, S. 205–216: 209; J. F. QUACK, Sokonopis als Gott und Mensch, in: Enchoria 30, 2006/7, S. 75–87; MOYER, Hymns of Isidorus, S. 191, Anm. 33; ID., Isidorus at the Gates, S. 223; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 41–43. 103 Agathos Daimon bildet das Gegenstück zu Agathe Tyche, die von Thermuthis repräsentiert wird, vgl. dazu oben, Anm. 51; und VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 38; DUNAND, Agathodémon; MALAISE, Terminologie, S. 163–175. 104 Zur Problematik von Anchoes vgl. VANDONI, Madînet Mâdi, S. 117; VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 41–42; BROEKHUIS, Renenwetet, S. 136–137. 105 Vgl. die Zusammenstellung dieser beiden Abschnitte im Kommentar von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 36 und 43. 106 Darunter läßt sich auch die „geschäftliche Fruchtbarkeit“ des 2. Abschnitts gewissermaßen noch einordnen.

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ägyptischen Isishymnen, die die enge Zusammengehörigkeit und Allherrschaft der osirianischen Familie betonen.107 Abschnitt 4: Daran schließt sich passend ein Abschnitt über die Fruchtbarkeit der Natur an, die durch den von Isis-Thermuthis angeleiteten Nil hervorgebracht wird und den Menschen nach ihrem Wunsch zugute kommt: Den goldfließenden108 Nil überzeugend, leitest du ihn zur rechten Zeit über das Land von Ägypten zur Freude der Menschen. Dann gedeihen alle Feldfrüchte und du teilst allen, denen du willst, ein Leben mannigfaltiger Gaben zu. (Z. 17–20). Der Inhalt entspricht wiederum relativ genau den Zeilen 11–13 (2. Abschnitt) von MM I, und die Formulierungen orientieren sich eng an einschlägigen ägyptischen Formeln, die Isis-Sothis betreffen, wie z. B.: – Sie ist es, die den Nil ausschüttet, um jedermann leben zu lassen und die grünen Pflanzen wachsen zu lassen (…) ihr Gatte ist der Nil, wenn er sich verjüngt in Bigge zu seiner Zeit109 – Die den Nil aus seiner Höhle herauszieht, damit Leben entsteht für die Lebenden110 und noch ausführlicher: – Die du den Nil ausgießt, wenn/damit er die Beiden Länder überschwemmt, in jenem deinem Namen ‚Sothis/Satet‘, du flutest ihn (den Nil), um das Feld fruchtbar zu machen, in jenem deinem Namen ‚Anuket‘, die (du) alles, was auf Erden existiert, entstehen läßt; es lebt durch dich in jenem deinem Namen ‚die Lebendige‘.111 – Die die Nilflut bringt, um die Beiden Länder zu überschwemmen, die das Wasser ausgießt zu seiner Zeit, um Speisen zu spenden und Opfergaben darzubringen für die göttlichen Mächte, um die Herzen derer, die in Iat-di sind, zu erfrischen usw.112 – Ihre (= Isis’) Gestalt(?)ist die von Satet/Sothis, wenn sie (ihn/den Nil/Osiris) ausgießt zu seiner Zeit, indem er rein ist und kein Übel bei ihm ist, er kommt als Müder/Wasserflut (oder: in Trägheit) während der Überschwemmung (oder: als Überschwemmung) und vereint sich mit Fruchtland und Feld. Seine Schwester,

107 Z. B. Assuan-Hymnen 3 und 4 (Kap. 4.2.1.A) mit den Parallelen Kalabchah I, 15–16 und I, 16. 108 Ein poetisches Adjektiv, das im Griechischen häufig für den Nil verwendet wird, also hier eine eher griechische als ägyptische Tradition, vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 43–44. 109 Philae-Hymne 4 (Kap. 4.1.1.A). Die Stelle wurde bereits von ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 152, als mögliches Vorbild für die entsprechenden Passagen in der Kyme-Aretalogie (s. u., Kap. 6.6) und in den Isidoros-Hymnen angesehen. 110 Dend. II, 98, 2–99, 3 (Kap. 4.6.2). 111 Assuan-Hymne 5 (Kap. 4.2.1.A). 112 Dend. XI, 61, 10–62, 3 (Kap. 4.6.2).

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sie gedeiht mit Leben als prächtige Saat, die Beiden Länder und die Ufer leben durch ihr Werk.113 Nach ägyptischer Tradition werden die Gaben der Gottheit dieser in Form von Opfern zumindest teilweise wieder zurückgegeben, und dies gehäuft anläßlich der Kalenderfeste. Abschnitt 5: Ebendiese Reziprozität schildert der wieder aus acht Versen bestehende 5. Abschnitt, in welchem von Freude und Feierlichkeiten bei einem Fest im Pachons die Rede ist (Z. 21–28); eventuell könnten auch zwei verschiedene Festdaten gemeint sein, die sich dann auf jeweils vier Verse verteilen würden; der Text ist etwas vage.114 Abschnitt 6: Wie in MM I nutzt Isidoros diese Vorrede wieder zur Untermauerung seines eigenen Schlußgebets, in welchem er die „Herrin Hermuthis“ (Ἑρμοῦθι  ἄνασσα) bittet, auch ihn an ihren Gaben – Wohlstand und Kindersegen – teilhaben zu lassen (Z. 29– 30).115 Abschnitt 7: In der Nachschrift, die die Gunst „der Götter“ – also wohl der lokalen Triade – ihm gegenüber festhält, bestätigt Isidoros selbst, daß seine Gebete offenbar erhört worden sind. Dieser nachträgliche Blickwinkel verleiht der Hymne ein wenig den Charakter eines Dankgebetes.116 Besondere Merkmale: Auch in diesem Text gibt es neben dem bereits mehrfach angesprochenen allgegenwärtigen Grundthema „Fruchtbarkeit“ noch ein weiteres, welches sich durch subtile Wortwahl über einen Großteil des Hymnus verteilt: 117 dasjenige des allgemeinen Jubels und der (Fest)freude, 118 welches nach zunächst nur vereinzelten Andeutungen schließlich in dem langen Paragraphen (Abschnitt 5) über die Feierlichkeiten zu Ehren der Göttin gipfelt. Bereits in der Einleitung heißt es, daß jede Stadt über die Göttin jubelt (γέγηθε, Z. 2) und alle Sterblichen sich an ihrem Segen erfreuen (τέρπονταί, Z. 4). Im Abschnitt über die Nilflut leitet sie diesen „zur Freude (εὐτερπίην, Z. 18) der Menschen“, und in der Beschreibung der Opfer und Feste selbst heißt es gebündelt, daß die Menschen sich jedes Jahr bei dem Fest der Göttin freuen (χαίροντες, Z. 24), im Monat Pachons in Freude sind (ἐς  εὐφροσύνην, Z. 26) und nach dem Feiern fröhlich (τερφθέντες, Z. 27) nach Hause gehen. Die Kumulation solcher Ausdrücke aus 113 Deir Chelouit III, Nr. 156 (Kap. 4.8.1.A). Zu Isis(-Sothis/-Renenutet) als Bringerin der Nilflut in Hinblick auf den Textabschnitt von MM II siehe auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 26; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 102; DOUSA, Imagining Isis, S. 155–156; BRICAULT, Dame de flots, S. 17, m. Anm. 46; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 60–61. 114 So ist am Ende von MM III eventuell von zwei Festen, in den Monaten Pachons und Thoth, die Rede, siehe unten und MOYER, Hymns of Isidorus, S. 192, Anm. 35; ID., Isidorus at the Gates, S. 224, Anm. 36. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 45, geht bei obiger Stelle dagegen nicht von zwei unterschiedlichen Festen aus, sondern von dem gleichen Fest in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Im Pachons fand nach alter Tradition das Geburtsfest des Getreidegottes Neper, Sohn der Renenutet, in Form eines Erntefestes statt, vgl. z. B. DRIJVERS, Hymnen, S. 145; PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 133; A. JÖRDENS, Griechische Papyri aus Soknopaiu Nesos (P. Louvre I), Bonn 1998, S. 41–42. 115 Vgl. für den Zusammenhang zwischen den beiden Abschnitten auch MOYER, Hymns of Isidorus, S. 192; ID., Isidorus at the Gates, S. 224. 116 Vgl. MUÑIZ GRIJALVO, Himnos a Isis, S. 118. 117 Vgl. die Betonung des Namens bzw. der Namen von Isis in MM I, s. o. 118 Vgl. zu diesem Thema auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 36–37, mit (fast ausschließlich) griechischen Parallelen, und ohne systematische Wortfelduntersuchung innerhalb der gesamten Hymne.

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dem Wortfeld „Freude/Fest“ ist typisch für ägyptische Texte, die Festbeschreibungen beinhalten oder auch zu festlichen Anlässen rezitiert wurden (z. B. Hymnen).119 VANDERLIP geht davon aus, daß diese Hymne speziell zum Anlaß des Erntefestes der Isis-Thermuthis im Pachons komponiert wurde, was gut zum geschilderten Befund passen würde.120 Die Hymne MM III gliedert sich folgendermaßen:121 Abschnitt 1.

Zeilen 1–6

2.

7–11

3.

12–18

4.

19–27

5.

28–33

6.

34–38

Inhalt Einleitung: Anrede der Göttin + Gaben an fromme Menschen Gaben an fromme Könige (allgem.) Gaben an idealen König

Anrufung durch Isidoros: Isis als allgegenwärtige Universalgöttin und Richterin Isis-Thermuthis vor Ort: Rechtsprechung durch Isis, Opfer und Feste durch Bevölkerung d. Gaues Persönliches Schlußgebet des Isidoros mit Nennung seines Namens

Form a) Titelreihe b) Sätze mit Isis als Subjekt in 2. Pers. sing. fem. Sätze mit Königen als Subjekt in 3. Pers. pl. a) Satz mit idealem König als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. b) Satz mit Feldfrüchten als Subjekt in 3. Pers. pl. c) Satz mit Macht d. Isis als Subjekt in 3. Pers. sing. a) Imperativsatz an Isis b) Konditionalsätze mit Isis als Subjekt in 2. Pers. sing. fem. a) Sätze mit Isis als Subjekt in 2. Pers. sing. fem. b) Sätze mit Bevölkerung als Subjekt in 3. Pers. pl. a) Imperativsatz an Isis u. synnaoi theoi b) Satz mit Isidoros als Subjekt in 3. Pers. sing.

Wie MOYER in seiner Analyse bemerkt hat, 122 kombiniert die 3. Hymne des Isidoros Grundelemente der ersten beiden miteinander und löst so den zuvor aufgebauten Kontrast zwischen globaler Universalgöttin Isis (MM I) einerseits und lokaler Erntegöttin Thermuthis (MM II) andererseits wieder etwas auf. Abschnitt 1: Die Titel in der Einleitung orientieren sich zum Großteil noch stark an denjenigen von MM I: 119 Z. B. die Texte Dend. III, 2, 2–7; IX, 18, 11–20, 6; XIII, 26, 7–28, 3 (Kap. 4.6.2); vgl. zu diesem Thema z. B. DERCHAIN-URTEL, „Der Himmel ist festlich…“. 120 VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 45. Auch die Weihung des Tempelvorhofes und der Löwenskulpturen datiert in den Monat Pachons, wurde also möglicherweise anläßlich des Festes ausgeführt, vgl. ibid., S. 47. 121 Vgl. die sehr ähnliche Gliederung von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 51–63. 122 MOYER, Hymns of Isidorus, S. 192; ID., Isidorus at the Gates, S. 225.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

(Oh) Herrscherin der höchsten Götter, Herrin Hermuthis,123 Isis, die Reine, Heiligste, Große, Deo, mit großem Namen, 124 höchst geheiligte Spenderin guter Gaben125… (Z. 1–3). Die einleitende Betitelung als „Herrscherin der höchsten Götter“ ist wohl angelehnt an gängige ägyptische Isis-Epitheta wie „Herrin des Himmels, Gebieterin aller Götter“ oder „Gebieterin aller Götter und Göttinnen“, die sich häufig unter den engeren Beinamen finden. 126 Auch die verwendeten Adjektive für „rein“ oder „heilig“ (ἁγνή,  ἁγία,  σεμνοτάτη) dürften nach DUNAND auf das gängige nahe Epitheton Sps.t „die Edle/Ehrwürdige“ zurückzuführen sein. 127 Von den „Gaben“ bzw. dem „Segen“ der IsisThermuthis ist besonders in MM II bereits mehrfach die Rede gewesen.128 Um welche Gaben es sich konkret handelt, und für wen diese bestimmt sind, wird in den folgenden Zeilen ausgeführt. Diese gehören noch zur Titelreihe, da es sich dabei um eine Erweiterung des letzten Epithetons handelt, leiten aber gleichzeitig inhaltlich zum nächsten Abschnitt (2, s. u.) über: alle frommen Menschen erhalten große Gunst und Reichtum, ein freudevolles Leben, Glück und eine Gemütsverfassung ohne Kummer (Z. 3–6). Auffällig ist dabei die Doppeltnennung von Reichtum bzw. Wohlstand,129 eine Gabe, die ganz besonders der Göttin Renenutet eigen ist. 130 Die Abhängigkeit des Segens der Göttin von menschlicher Frömmigkeit131 wird durch die geschickte Verteilung des Satzes auf die Verszeilen besonders betont: das entscheidende Wort εὐσεβέσιν („fromm sein“) ist an den Anfang von Z. 4 gestellt. Eine ähnliche Formulierung findet sich wiederum bereits in MM II.132 Die Abschnitte 2 und 3 setzen dieses Thema fort,133 überführen es nun jedoch von der allgemein menschlichen in die königliche Sphäre. Es sind also die guten und frommen Könige, die mit üblichen ägyptischen Herrscherqualitäten wie langer Regierungszeit,

123 ὑψίστων  μεδέουσα  θεῶν  Ἑρμοῦθι  ἄνασσα, vgl. MM I, 1: (πλουτοδότι)  βασίλεια  θεῶν  Ἐρμοῦθι ἄνασσα. 124 Ἶσι ἁγνή, ἁγία, μεγάλη, μεγαλώνυμε Δηοῖ, vgl. MM I, 2–3: μεγαλώνυμε Ἶσι Δηοῖ ὑψίστη.  Zu ἁγία als Epitheton der Isis vgl. pOxy. 1380, Z. 34–35; 35–36; 89; 256; und die griechische Aretalogie von Maroneia (RICIS 114/0202), vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 52. Zu den Aretalogien siehe unten, Kap. 6.6. 125 σεμνοτάτη δώτειρ’ ἀγαθῶν. 126 Z. B. in Dend. II, 201, 12–17; vgl. Kap. 5.2.1 und 5.2.2.1.I; und LGG V, 189–191b, jeweils mit den meisten Belegen für Isis und Hathor. 127 DUNAND, Culte d’Isis I, S. 101. 128 MM II, 4: σῶν  χαρίτων; MM II, 19–20: μερίζ[εις]  (…)  ζωὴν  παντοδαπῶν  ἀγαθῶν; MM II, 21: σῶν  δώρων;  πλοῦτόν  τ’  ἀνέδωκας; MM II, 22: χάριτας  μεγάλας  σάς; MM II, 25: ἐδωρήσω…; MM II, 29: σ̣ῶν  δώρων  κἀμοὶ  μετάδος; MM II, 34: ἀνταπέδωκαν  ἐμοὶ  εὐθυμίαν χάριτα.  129 Z. 4: πλοῦτον; Z. 6: ὄλβον. 130 Siehe oben, Anm. 100 zu MM II. Zu der Betonung von Reichtum/Wohlstand speziell in MM II, vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 43–44. 131 Vgl. zu diesem Grundtenor der Hymne MOYER, Hymns of Isidorus, S. 193–195; ID., Isidorus at the Gates, S. 225. 132 Z. 6: πλουτοῦσ’ εὐσεβέες εἰς τὸν ἅπαντα χρόνον. 133 Man könnte die Abschnitte 2. und 3. auch als einen Abschnitt mit zwei unterschiedlichen Schwerpunkten ansehen, da das Grundthema eigentlich weitergeführt wird.

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Reichtum und zahlreicher Nachkommenschaft, die das Erbe antreten kann, gesegnet werden (Z. 7–11). Hier fällt ein weiteres Mal das Wort ὄ[λβον] „Reichtum“.134 Abschnitt 3: Der erste Satz des 3. Abschnitts demonstriert, daß es Isis ist, die den idealen Herrscher auswählt und in sein Amt einsetzt. Damit wird der Fokus von Herrschern im Allgemeinen auf einen repräsentativen, idealen König verengt, mit den Worten: Wen aber die Königin bevorzugt unter den Herrschern, derjenige wird herrschen über Asien und Europa. (Z. 12–13).135 Darin hallen ägyptische Formulierungen wie „durch deren Beschluß ergreift man das (Königs-)Amt, auf deren Ausspruch hin erscheint der Herr; auserwählt ist der, den ihr Herz wünscht, auf den Thron zu steigen“ nach,136 die hier zeitgemäß über Ägypten hinaus auf den Rahmen der bekannten „Welt“ der hellenistischen Epoche erweitert sind. Die Bezeichnung des Königs als „geliebt von Isis“ – hier ausgedrückt durch φίλτατον  (…)  ἡ  βασίλε[ια]  – entspricht dem königlichen Epitheton mrj As.t, welches Ptolemaios IV. und XII. sowie Kaisarion und im Anschluß auch die julisch-claudischen Kaiser in ihrer offiziellen Titulatur führten.137 Auffällig ist auch der Wechsel von der 2. Pers. fem. sing. zur 3. Pers. fem. sing. für Isis in diesem Teil des Textes.138 Auch dies hat aber Parallelen in ägyptischen Hymnen139 und dient hier möglicherweise vor allem der Betonung des Titels „Königin“. Im Anschluß an den einleitenden Satz des Abschnitts 3 konkretisiert der Text von MM III die Gaben der Göttin an den König, die letztlich dem Wohl des ganzen Landes zugute kommen: Frieden, reiche Ernten und Unterstützung in Kriegssituationen (Z. 14–18). Letztere Thematik nimmt mit drei Verszeilen einen eigenen kleinen Unterabschnitt ein und spricht Isis direkt als Kriegsgöttin an, die selbst in das Geschehen eingreift: Und wo auch immer Kriege und das Schlachten unzähliger Massen stattfinden, vernichtet deine Kraft, deine Macht, die Menge und gibt Mut den Wenigen. (Z. 16–18) Wie bereits für andere Stellen demonstriert, lassen sich ähnliche Formulierungen in den ägyptischen Tempeltexten wiederfinden;140 Isis als Göttin des Kampfes ist mit dem Titel HA.t pA mSa „die an der Spitze des Heeres ist“ aus ihrem Tempel in Assuan bekannt.141 In Philae heißt sie:

134 Vgl. Anm. 130–131 oben, und VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 52. 135 ὃν  δέ  κε  φίλτατον  ἔσκε  ἀνάκτων  ἡ  βασίλε[ια],  οὗτος  καὶ  Ἀσίας  τε  καὶ  Εὐρώπης  τε  ἀν[ά]σσει. 136 Philä II, 8–9. Zu Belegen für weitere ähnliche Formeln siehe oben, Kap. 5.2.2.3.A; NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 123–124; CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 289–290; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 166–169. Zur Idee eines durch Isis erwählten idealen Herrschers, der ein goldenes Zeitalter herbeiführt, vgl. die Demotische Chronik und das Töpferorakel, siehe unten, Kap. 6.5.1.3. 137 Siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 236 und 244–255. Der Titel wird auch von BOLLÓK, Problème de la datation, S. 33, im Hinblick auf seine Datierung unter Ptolemaios IV. als Parallele angeführt. 138 Bemerkt auch von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 54, die dies aber mit weiteren stilistischen „Fehlern“ in diesem Abschnitt in Verbindung bringt. 139 Vgl. Kap. 5.1.2.1. 140 Vgl. Kap. 5.2.2.1.A–B u. 5.2.2.4.D. 141 Kap. 4.2.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Die die Starken angreift, mutiger als die Mutigen, kräftiger als die Kräftigen, die Millionen schlägt, indem sie/die Köpfe abschlägt, mit großem Gemetzel gegen ihren Feind,142 und: Die man anruft am Tag des Zusammentreffens, große Schützerin, derengleichen es nicht gibt, die all die, die sie liebt, auf dem Schlachtfeld errettet.143 Besonders nahe steht dem zweiten Teil des griechischen Satzes mit dem Kontrast der Vielen und Wenigen eine Passage in Dendara: …so daß sie die Vielen von den Wenigen abwehrt, und daß sie einen (Einzelnen) Tausende ergreifen läßt.144 Als Retterin der Menschen im Krieg wird Isis ja auch bereits in MM I (Z. 26–28) präsentiert (s. o.). VANDERLIP interpretiert diesen Abschnitt trotz der auch von ihr als traditionsgemäß erkannten Formulierungen als Anspielung auf aktuelle realpolitische Ereignisse, konkret auf den knappen Sieg von Ptolemaios IX. nach seiner Vertreibung und seine Rückkehr als regierender Pharao 88 v. Chr. 145 Als impliziter, in allgemeinen Formulierungen versteckter Hintersinn ist diese Interpretation zumindest nicht auszuschließen. Die Verantwortlichkeit des Königs für das Gedeihen des Landes, das er nur durch die Gnade der Götter, welche er sich wiederum durch frommes Verhalten diesen gegenüber sichert, erreichen kann, ist ein grundlegender Gedanke des ägyptischen Weltbildes und der darin eingebetteten Königsideologie. Anders als MM I und II bringt diese Hymne damit auch die traditionelle Rolle der Isis als Patronin des Herrschers und des legitimen Königtums ins Spiel.146 Um diese Funktion zu unterstreichen, wird sie an der Stelle selbst auch als „Königin“ (βασίλε[ια], Z. 12) betitelt, was ebenfalls ägyptischem Usus entspricht.147 Die enge Verbindung der Göttin zum irdischen Pharao wird gerade im Laufe der Ptolemäerzeit immer stärker im Sinne der religionspolitischen Herrscherpropaganda ausgespielt und gipfelt in der Identifikation der ptolemäischen Königinnen mit Isis. 148 MOYER macht darauf aufmerksam, daß die geographische Ausweitung des Herrschaftsgebietes auf Asien und Europa sowie der geschilderte Idealzustand eines „goldenen Zeitalters“ keineswegs mit den realpolitischen Verhältnissen der späten

142 Philae-Hymne 5, Kap. 4.1.1.A. 143 Philae-Photos 385–386, Kap. 4.1.1.A. 144 Dend. IX, 167, 11–16, Kap. 4.6.2. Zum ägyptischen Hintergrund dieses Konzepts siehe auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 54. 145 VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 13–14 u. 54–55. Zu den Ereignissen 88 v. Chr. vgl. HÖLBL, Geschichte, S. 190–191. Kritik bei BERNAND, Rez. Vanderlip, S. 82. 146 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 193–194; zu Isis’ Beziehung zum Königtum vgl. DOUSA, Imagining Isis, S. 164–168 (speziell zum obigen Text 166–167); und ausführlich NAGEL, Isis und die Herrscher. 147 Vgl. Kap. 5.2.2.3; NAGEL, Isis und die Herrscher; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 159–161; KÁKOSY, Isis Regina. 148 Siehe NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 126–135.

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Ptolemäerzeit, die eine deutliche Schwächung des Reiches verzeichnet, übereinstimmen.149 Er interpretiert die Passage daher als möglichen „nostalgischen Blick zurück in die Tage von Ptolamaios (II.) Philadelphos“, wohingegen VOGLIANO und MUÑIZ GRIJALVO entsprechend der Datierung der Hymnen glauben, daß Ptolemaios IX. mit dem beschriebenen Herrscher gemeint ist.150 M. E. liegt hier aber eher eine allgemeine Hoffnung auf einen bewußt anonym gehaltenen Herrscher und eine bessere Zukunft ganz in der Tradition ägyptischer prophetischer Texte wie der „Demotischen Chronik“ oder dem „Töpferorakel“ vor.151 Mit Abschnitt 4 lenkt Isidoros wie in MM I und II schließlich den Blick wieder auf sich und ruft die Göttin an, ihn zu erhören (Z. 19).152 Angeschlossen an diese Anrufung sind acht Verse, die mit indirekten Fragen den möglichen „Aufenthaltsort“ von Isis zu ergründen versuchen und damit das Bild einer allgegenwärtigen Panthea zeichnen, die die Welt in den vier Himmelsrichtungen beherrscht, und vom Himmel selbst aus die Taten aller Menschen beobachtet und beurteilt (Z. 20–27). 153 Es handelt sich letztlich nur um den ausführlich geäußerten Wunsch, daß Isis den Bittsteller erhören möge, ganz gleich von welchem Ort aus.154 In ihrem globalen Anspruch und der Verteilung auf die Himmelsrichtungen läßt sich diese Passage gut neben die kulttopographische Litanei von MM I stellen;155 die typisch ägyptische Verteilung auf die Himmelsrichtungen wird hier nun explizit: …ob du umhergereist bist nach Libyen oder in den Süden, oder du am Ende des ewig süß wehenden Nordwinds156 verweilst, oder bei den Böen des Ostwindes, wo die Sonnenaufgänge sind… (Z. 20–22).157 Der folgende Teil bindet auch griechische Vorstellungen in das grundsätzlich ägyptische Gerüst mit ein, indem die Göttin auf dem Olymp158 und im Sonnenwagen fahrend gedacht

149 MOYER, Hymns of Isidorus, S. 194; ID., Isidorus at the Gates, S. 227; dieser Punkt wird auch bereits von BOLLÓK, Problème de la datation, S. 32–34, zur Unterstützung seines alternativen Datierungsvorschlags diskutiert. Zum Niedergang des Ptolemäerreiches im 1. Jh. v. Chr. siehe den Überblick bei HÖLBL, Geschichte, S. 183–227. 150 VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 31–32; MUÑIZ GRIJALVO, Himnos a Isis, S. 118. 151 Vgl. Anm. 136, oben. 152 Vgl. besonders MM I, 35: „Erhöre meine Gebete…!“ 153 Siehe zu diesem Abschnitt auch DOUSA, Imagining Isis, S. 160, Anm. 44; 163, Anm. 55. Die Vorstellung von der allsehenden Gottheit läßt sich sowohl in ägyptischer als auch griechischer Tradition zurückverfolgen, vgl. dazu BORTOLANI, Magical Hymns, S. 70–71. 154 Eine ganz ähnliche Passage findet sich in dem demotischen Graffito Theben 3156, siehe unten, Kap. 6.2.5.1. Vgl. zur Gegenüberstellung auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 56–57. 155 So auch É. BERNAND, IM, S. 647, der zudem bemerkt, daß in der Passage implizit drei Kontinente evoziert werden: Afrika, Europa und Asien. 156 Zur ägyptischen Vorstellung des Erleichterung bringenden und die Nilflut regulierenden Nordwinds und dessen Verbindung mit Isis vgl. z. B. Deir Chelouit I, Nr. 11: „Es ist Isis der gute Nordwind, ohne daß ein Unheil bei ihr ist gegen Ägypten“ (Kap. 4.8.1.A); KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 61–62; LGG III, 379c–380c. Siehe auch den Kommentar zum Text von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 55; VANDONI, Madînet Mâdi, S. 118. 157 Speziell zu der Passage mit den Himmelsrichtungen vgl. bereits CT 834, mit Parallelen (an den Verstorbenen, Osiris von NN): „Bist du in den südlichen Stätten? Bist du in den nördlichen Stätten? …“ usw., siehe ASSMANN, Totenliturgien I, S. 506–507.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

wird (Z. 23–26), was sich wiederum leicht mit dem ägyptischen Konzept von Isis an Bord der Sonnenbarke vereinbaren läßt.159 Dazu paßt gut eine (leider am Anfang zerstörte) Passage in einer Türlaibungsinschrift für Isis in Dendara: […] (für) sie der Süden[…?], der Norden bis hin zur Finsternis, Westen und Osten sind unter dem, was sie befiehlt, der Umkreis der Sonnenscheibe gehört ihr.160 Eng verwandt ist weiterhin die Hymne Deir Chelouit III, Nr. 155, in der verschiedene Teile der Erde/des Kosmos der Göttin in einer ausführlichen Auflistung feierlich zugeteilt werden, wobei die vier Himmelsrichtungen betont sind.161 Inhaltlich steht dem Abschnitt auch „die Große im Himmel, die Mächtige auf Erden, die Herrscherin, die die vier Ecken des Himmels beherrscht, die Wesirin, die Gebieterin der Beiden Länder, die Herrin der rechten Ordnung“ recht nahe,162 zumal hier mit „der rechten Ordnung“ ein Faktor ins Spiel kommt, der dem Thema des Urteilens über die Menschen in der Medinet Madi-Hymne verwandt ist, da Isis in beiden Fällen als Schutzherrin der Maat agiert, nachdem in MM I, 5–6 schon konstatiert wurde, daß sie Ordnung, Gesetz und Gerechtigkeit überhaupt erst erschaffen hat.163 Nach der Frömmigkeit der Könige (Abschnitt 2.–3.) geht es nun um die Frömmigkeit der (gewöhnlichen) Menschen im Allgemeinen. Abschnitt 5: Die in den Fokus gerückte, zunächst global angesetzte Beobachtung und Beurteilung der Menschen durch Isis wird in Abschnitt 5 entsprechend Isidoros’ üblicher Vorgehensweise spezifisch auf die lokalen Verhältnisse bezogen.164 Dies geschieht durch eine geschickte Überleitung, die formal an die indirekten Fragesätze des vorigen Abschnittes anknüpft: Und wenn du auch hier (ὧδε) präsent bist… (Z. 28).165

158 Vgl. dazu auch die griechische Isishymne von Andros (RICIS 202/1801), Z. 26–27; pOxy. 1380, 129– 130, siehe unten, Kap. 6.1.3.2; und die Anubis-Hymne Kios (RICIS 308/0302), Z. 8; siehe VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 55. 159 So auch die Analyse von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 57; und MOYER, Hymns of Isidorus, S. 195, Anm. 43; ID., Isidorus at the Gates, S. 228, Anm. 45. 160 Dend. XIII, 26, 7–28, 3, Kap. 4.6.2. Vgl. auch: „die oberägyptische Königin von Oberägypten, die unterägyptische Königin von Unterägypten, Bat (weiblicher Ba) im Westen und Osten“, Dend. III, 55, 2–8; und ähnlich „die oberägyptische Königin im [Süden], die unterägyptische Königin im Norden, Westen und Osten sind unter ihrem Befehl“, Dend. IX, 18, 11–20, 6. 161 Siehe Kap. 4.8.1. Besonders auffällig sind die Bezüge in der Passage „Man gibt dir den guten Nordwind, Sothis(?) des Himmels, (und) die vier Winde, die erscheinen und den Himmel(?) umwehen, die ihren Hauch geben durch die Hand(?) der Isis, ohne Übel(?).“ (Kol. 7). 162 Dend. I, 81, 15–82, 6, Kap. 4.6.2. 163 ἀναδοίης (…) εὐνομίην (…) καὶ  θεσμοὺς  κατέδειξας  ἵν‘ εὐδικίη  τις  ὑπάρχῃ.  Zu IsisThermuthis als Trägerin der Maat in den MM-Hymnen siehe auch BROEKHUIS, Renenwetet, S. 130– 132; VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 24; vgl. zum Thema auch D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 42–44; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 176–209 u. 271–272; GRIFFITHS, Isis as Maat. 164 Das Beurteilen der Menschen durch Isis steht in engem Zusammenhang mit dem Anbringungsort der Hymnen, da im Vorhof der Tempel auch Gericht gehalten wurde, vgl. dazu MOYER, Hymns of Isidorus, S. 195; ID., Isidorus at the Gates, S. 229. Vgl. auch eine thebanische Isisform „des Tores“, siehe Kap. 4.7.2. 165 Zu Einsatz und Funktion deiktischer Ausdrücke (wie ὧδε) in den Isidoros-Hymnen, vgl. MOYER, Hymns of Isidorus; ID., Isidorus at the Gates.

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Auch der Name des Gaues wird explizit genannt, einmal als „Gau von Souchos“ nach ägyptischem Vorbild, und zusätzlich mit der griechischen Bezeichnung Arsinoïtes (Z. 30).166 Hier beobachtet die Göttin die persönliche Tugend und Frömmigkeit (ἰδίαν  ἀρετὴν) der ansässigen Bevölkerung und empfängt deren Opfergaben zusammen mit Sokonopis und Anchoes während ihrer jährlichen Feste am 20. Pachons und 20. Thoth (?) (Z. 28–33).167 Mit der Erwähnung der Festdaten und der zu diesem Anlaß den Göttern dargebrachten Gaben wird eine Querverbindung zu MM II hergestellt, wo die entsprechende Thematik ebenfalls im 5. Abschnitt behandelt wird. Da die beiden Texte ja außerdem einander gegenüber an den Innenseiten der Türpfosten plaziert sind, handelt es sich um achsensymmetrische, bzw. miteinander korrespondierende Dekorationseinheiten entsprechend ägyptischer „grammaire du temple“, so daß eine solche inhaltliche Entsprechung nur passend ist.168 Abschnitt 6: Das übliche persönliche Schlußgebet von Isidoros selbst wendet sich an die „schwarzgewandete, barmherzige Isis“ (μελανηφόρε Ἶσι ἐλήμων) und ihre synnaoi theoi mit der Bitte, ihm doch den Heilgott Paian169 zu senden (Z. 34–36). Damit appelliert er an das Mitgefühl der Göttin, die im Mythos selbst leiden mußte durch den Tod ihres Gatten; darauf bezieht sich wahrscheinlich das Attribut μελανηφόρος:170 das schwarze Gewand ist ein Trauergewand.171 Möglicherweise resultiert diese, in ägyptischen Texten nicht belegte172 Vorstellung wiederum aus einer Beeinflussung durch den Demeterkult,173 166 Alt tA-Sy oder tA-Sy %bk, demotisch auch pA tS n pA ym. Siehe dazu MOYER, Hymns of Isidorus, S. 196, Anm. 46; ID., Isidorus at the Gates, S. 229; vgl. auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 59–60. 167 εἰκάδι  μηνὶ  Παχὼν  καὶ  Θωὺθ. Die Datumsangabe ist problematisch; VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 46; VANDONI, Madînet Mâdi, S. 118; É. BERNAND, IM, S. 647; und MOYER, Hymns of Isidorus, S. 192, Anm. 35; ID., Isidorus at the Gates, S. 224, Anm. 36, gehen davon aus, daß zumindest hier zwei verschiedene Feste gemeint sind, vgl. auch oben, Anm. 114, zur Erwähnung von Festen(?) in MM II. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 61–62, hält die ungewöhnliche doppelte Datumsangabe hingegen für zwei Ausdrucksweisen für ein und dasselbe Datum, welches einmal nach zivilem und einmal nach religiösem Kalender festgehalten wird. Beide Festdaten sind nicht in papyrologischen Quellen belegt, vgl. PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, wo sie nicht aufgeführt werden. 168 Vgl. auch das in beiden Hymnen durchgehend präsente Thema der „Gaben der Isis(-Thermuthis)“, s. o. zu Abschn. 1. 169 Es handelt sich nach VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 62–63, möglicherweise um eine Bezeichnung für eine aus Imhotep, Apollo und Asklepios verschmolzene gräko-ägyptische Gottheit. Vgl. aber auch die Gleichsetzung des Mandulis mit (Apollon-)Paian in einer griechischen Hymne in Kalabscha (IM 167), s. u., Kap. 6.2.4. 170 Interessanterweise wird in Verbindung mit Isis und Mandulis-Paian in der genannten KalabschaHymne (IM 167) in zerstörtem Zusammenhang ebenfalls eine schwarze Gewandung (μελανόστολου) erwähnt, siehe die vorige Anm. 169. μελανηφόρος findet sich als Bezeichnung der Isis auch nochmals in den Orphica, XLII, 9: „die ehrwürdige Göttin Isis, gekleidet in schwarz“ (siehe die neue Edition von M.-C. FAYANT, Hymnes orphiques, Paris 2014, S. 353–358); vgl. auch VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 62. An der entsprechenden Stelle im Hymnus an Mise, eine mannweibliche Gottheit mit Bezügen zu Dionysos und Demeter, wird Isis als deren/dessen Mutter ausgewiesen. 171 Siehe zur schwarzgewandeten Isis BASLEZ, Mélanéphores; C. TRAUNECKER, L’étole diaconale copte et ses antécédents, in: Deuxième journée d’études coptes, Cahiers de la Bibliothèque Copte 3, Leuven 1986, S. 93–110: 101–107; BRICAULT, Isis dolente, S. 48–49; jetzt auch GRAND-CLEMENT, Du blanc, S. 354–355 u. 360–362. Zu möglichen Darstellungen der Isis mit schwarzer Schärpe aus Ägypten siehe TALLET, Mourir en isiaque?, S. 423–425. 172 In den Texten zur Isisgeburt aus Dendara wird Isis immer wieder als „schwarzrote Frau“ (s.t km.t dSr.t) bezeichnet, siehe oben, Kap. 4.6, was jedoch nicht in Zusammenhang mit obenstehender The-

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

denn in der aus dem 7. oder 6. Jh. v. Chr. stammenden „Homerischen Hymne“ an Demeter (Verse 360 und 374), die den Persephone-Mythos wiedergibt, wird diese Göttin charakterisiert als „die mit dem dunklen Peplos“, was dort ihre Trauer um die mit Hades in die Unterwelt entschwundene Tochter ausdrückt.174 Der griechische Ausdruck ist jedoch ein anderer (κυανόπεπλον) als die für Isis verwendeten. Möglicherweise spielte aber auch die ägyptische Symbolik der Farbe schwarz als zur Unterwelt, der fruchtbaren Erde (km.t) und Osiris gehörig eine Rolle bei dieser Übertragung.175 Die Anspielung auf (Mit-) Leid und Trauer im Schlußgebet bildet ein Gegengewicht zu dem letzten Wort der Einleitung (1.) ἄλυπον „frei von Kummer“ (Z. 6) und rundet die Hymne damit sinnvoll ab. Besondere Merkmale: Wie in MM I und II läßt sich m. E. auch in Isidoros’ dritter Hymne ein Leitthema durch den Text hindurch verfolgen: in diesem Fall ist dies die Tugend und Pietät der Menschen, welche die Grundvoraussetzung für die in diesem Text angesprochenen Segnungen der Isis für König, Land und Bevölkerung bilden. So sind es der Einleitung zufolge „diejenigen, die fromm sind“ (εὐσεβέσιν, Z. 4), die an den Wohltaten der Göttin teilhaben können, und im zweiten Abschnitt die „am glücklichsten lebenden, besten Männer“ (ὅσσοι  δὲ  ζώουσι  μακάρτατοι,  ἄνδρες  ἄριστοι, Z. 7), die als Herrscher von ihr gesegnet werden, wenn sie sich ihr anheimgeben (σοι  ἐπέχοντες, Z. 9). Das Thema der Frömmigkeit wird wieder aufgegriffen am Ende von Abschnitt 4 und in Abschnitt 5, wo es heißt, daß Isis die „unfrommen und frommen“ (ἀσεβῶν  τε  καὶ  εὐσεβέων) Taten der Menschheit insgesamt beobachtet (Z. 27) und die persönliche Tugendhaftigkeit (ἰδίαν  ἀρετὴν) 176 der lokalen Bevölkerung des Arsinoïtes erlebt. Die Hymne betont damit das ideelle Wechselspiel zwischen menschlichem Gottesdienst und göttlichen Wohltaten. Die 4. Hymne des Isidoros (MM IV) hebt sich inhaltlich deutlich von den drei ersten ab, da hier nicht Isis, sondern Pharao Porramanres (Amenemhet III.) gepriesen wird.177 Allerdings nimmt der Lobpreis direkt Bezug auf den von ihm gegründeten Tempel, so daß es sich geradezu um eine Art ausgeschmückte, nachträgliche Bauinschrift handelt. Hier steht wie in

173 174 175 176 177

matik stehen dürfte. Schwarz ist keine traditionell ägyptische Trauerfarbe, vgl. auch MALAISE, Iconographie „canonique“, S. 339; BRICAULT, Isis dolente, S. 49, kann aber zumindest symbolisch für Tod und Unterwelt stehen, siehe E. BRUNNER-TRAUT, s. v. „Farben“, in: LÄ II, Sp. 117–128: 123; H. KEES, Farbensymbolik in ägyptischen religiösen Texten, NAWG 11, 1943, S. 413–479: 416–425. S. 422 bezeichnet KEES Schwarz aber tatsächlich als „Farbe der Dunkelheit und Trauer“, ohne jedoch für letztere Konnotation Belege zu nennen. Siehe dazu oben, im Kommentar zu MM I, Anm. 52. Vgl. z. B. H. P. FOLEY, The Homeric Hymn to Demeter. Translation, Commentary, and Interpretive Essays, Princeton/New Jersey 1994, S. 57. Vgl. MALAISE, Conditions, S. 148–149. Zur Deutung dieser Stelle vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 58. In Studien zum Isiskult wird diese Hymne daher meist ignoriert; eine Ausnahme bildet SFAMENI GASPARRO, Hellenistic Face, S. 49–51. Zur Verehrung des Amenemhet III. im Fayum siehe E. BRESCIANI, Iconografia e culto di Premarres nel Fayyum, in: Egitto e Vicino Oriente 9, 1986, S. 49– 58; G. WIDMER, Pharaoh Maâ-Rê, Pharaoh Amenemhat and Sesostris: Three Figures from Egypt’s Past as Seen in Sources of the Graeco-Roman Period, in: Ryholt (Hrsg.), 7th International Conference, S. 377–393.

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Hymnen und Gebete

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der Hymne MM II, die ebenfalls das elegische Distichon verwendet, der lokale Kontext im Vordergrund.178 Der Text läßt sich wie folgt untergliedern:179 Abschnitt 1.

Zeilen 1–2

Inhalt Einleitung: Fragen nach Tempelgründer

2.

3–6

3.

7–28

4.

29–30

Dedikation des Tempels mit Nennung der Gottheiten Antwort = Königseulogie: Eigenschaften und Wundertaten des „unbekannten“ Tempelgründers Fragen nach Tempelgründer

5.

31–36

Antwort = Königseulogie: Filiation, Name, Wundertat

6.

37–41

Abschließende Erklärung des Isidoros mit Nennung seines Namens

Form Fragen mit „unbekanntem“ Tempelgründer als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. Sätze mit „unbekanntem“ Tempelgründer als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. a) Sätze mit undefinierter Personengruppe als Subjekt in 3. Pers. pl. b) Sätze mit„unbekanntem“ Tempelgründer als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. Fragen mit „unbekanntem“ Tempelgründer als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. a) Satz mit Sesoosis als Subjekt in 3. Pers. sing. masc. b) Satz mit Ägyptern als Subjekt in 3. Pers. pl. c) Satz mit Isidorus als Subjekt in 1. Pers. sing. a) Sätze mit Isidoros als Subjekt in 1. Pers. sing. b) Satz mit Isidoros als Subjekt in 3. Pers. sing.

Auch formal hebt sich MM IV von den übrigen Hymnen ab, denn das Objekt des Preisens, Amenemhet III., wird nicht direkt lobend angesprochen wie zuvor Isis, sondern in einem stilisierten Dialog zwischen Isidoros und einem anonymen Fragesteller vorgestellt.180 In der ersten der beiden einleitenden Fragen – „Wer erbaute diesen heiligen Tempel für Hermuthis, die Größte?“ (Z. 1) – wird die alteingesessene Lokalgöttin als Tempelherrin genannt, 181 in der folgenden Dedikationsformel (Abschnitt 2) hingegen die universale „höchste Deo, 182 Isis Thesmophoros“ (Δηοῖ  ὑψίστηι  Ἴσιδι  θεσμοφόρωι) neben die beiden männlichen Mitglieder der lokalen Triade gestellt (Z. 4–5). Die Bezeichnung des 178 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 196; ID., Isidorus at the Gates, S. 230–231 u. 237. 179 Vgl. die in diesem Fall etwas gröbere, aber ähnliche Gliederung bei VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 65–74. 180 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 196; ID., Isidorus at the Gates, S. 230. 181 Hermuthis wird auch in den anderen drei Hymnen jeweils in der ersten oder zweiten Zeile genannt: MM I, 1; II, 2; III, 1. 182 Der gleiche Titel auch in MM I, 3.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

inneren Sanktuars als deren „Olymp“ (Z. 3) erinnert an die Erwähnung desselben als möglichem Aufenthaltsort der Isis in MM III.183 Innerhalb der vier Hymnen erhält Isis nur hier den geläufigen Demeter-Beinamen θεσμοφόρος „Gesetzgeberin“; mit umschreibenden Worten wird sie jedoch auch in MM I und MM III als Schöpferin bzw. Erfinderin der Gesetze und oberste Instanz der Gerechtigkeit und des Richtens charakterisiert.184 Das Hauptthema der Hymne, das besonders in dem langen Mittelteil in Form einer Eulogie auf Amenemhet III. (Porramanres) ausgeführt wird (Abschnitt 3), übernimmt das Motiv des ideellen Königtums von MM III und entwickelt dieses anhand des Paradebeispiels des vergöttlichten Tempelgründers weiter. 185 Damit läßt sich eine ähnliche Vorgehensweise wie in den anderen Hymnen beobachten, wo ebenfalls jeweils einzelne Elemente der benachbarten Texte wieder aufgegriffen werden. Der vergöttlichte Amenemhet III. wurde auch in oder bei Nabla mit Isis (Σονονa‐?, „die sehr große Göttin“) und Harpokrates vergesellschaftet, wo ein Tempel dieser Triade in einer Weihinschrift von 104 v. Chr. belegt ist.186 Besondere Merkmale: Eine interessante Besonderheit von MM IV ist die explizite Angabe der Quellen und Methodik, die Isidoros für die Komposition seiner Hymne verwendet hat. Gleich zu Beginn des langen eulogischen Teils (Abschnitt 3) leitet er seine Ausführungen mit dem von Herodots „Quellenangaben“ bekannten,187 aber noch anonymen φασι „sie sagen“ (Z. 7) ein. Näher spezifiziert werden seine Gewährsmänner erst etwa in der Mitte desselben Abschnitts, und zwar als „diese, die die heiligen Buchstaben lesen“

183 MM III, 23, siehe dazu oben; vgl. auch É. BERNAND, IM, S. 648. In etwa zu vergleichen wäre die ägyptische Bezeichnung des Tempels/Sanktuars als „Horizont“ (Ax.t) oder „Himmel“ (p.t, Hrj.t) der Gottheit, oder die allgemeine Vorstellung vom Tempel als Urhügel und Mittelpunkt der Schöpfung, siehe dazu z. B. KONRAD, Architektur und Theologie, S. 16–18. 184 Vgl. besonders die Wendung θεσμοὺς κατέδειξας… in MM I, 6. Siehe oben, bes. Anm. 163, mit Literatur zu Isis als Maat etc.; zur Stelle außerdem VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 66. 185 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 196–197; ID., Isidorus at the Gates, S. 230–231, der den Kontrast zwischen weit entferntem ideellen König und lokalem realen Heros in den Vordergrund stellt. 186 IG Fayoum 69; vgl. VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 50; DRIJVERS, Hymnen, S. 149; VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 73; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 129, m. Anm. 3; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 124 u. 160; J. GASCOU, Nabla/Labla, in: CdÉ 65, 1990, S. 111–115 (mit Diskussion der umstrittenen Provenienz und Vorschlag der Lokalisierung von Nabla bei Hawara). Der Inschrift zufolge stiftet ein gewisser Dionysos mit seiner Familie einen Altar für das Heiligtum und läßt eine (dazu gehörige) Straße ausbauen. Die Bedeutung des Beinamens der Isis ist ungeklärt; eventuell ist er von der Verbindung von Isis mit der sumerischen Göttin Nanaia abgeleitet, deren Kult ja in Nabla ebenfalls dokumentiert ist (siehe dazu oben, Kommentar zu MM I, 18–22, m. Anm. 67), vgl. G. WAGNER/J. QUAEGEBEUR, Une dédicace grecque au dieu égyptien Mestasytmis de la part de son synode (Fayoum – époque romain), in: BIFAO 73, 1973, S. 59, Anm. 2. In der Form Σ(ο)νοναει ist der Beiname auch in der Weihung eines Vereinsgebäudes zugunsten von Kleopatra VII. (oder evtl. Kleopatra Berenike III.) durch die Kultassoziation der Isis unter Leitung des Vorstandes Onnophris von 51 v. Chr. (Fayum, evtl. wieder aus Nabla) belegt: IG Fayoum 205, siehe dazu auch PFEIFFER, Inschriften, S. 177–181, Nr. 37. Das Giebelfeld der Stele mit der griechischen Weihinschrift zeigt eine ägyptische Opferszene, in der ein Pharao zwei Trankgefäße an Isis lactans reicht, siehe PFEIFFER, Inschriften, S. 179, Abb. 12. Eine weitere, in Tanta angekaufte Inschrift von 86 v. Chr., SB 8957, enthält eine Dedikation an Isis Sononais und die synnaoi theoi. 187 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 197; ID., Isidorus at the Gates, S. 232.

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(Z. 18), 188 wobei es sich in dieser Zeit und diesem Zusammenhang nur um ägyptische Priester handeln kann. Dieser Verweis, der letztlich auf ägyptische Texte zurückführt, soll Isidoros’ Ausführungen offensichtlich größere Autorität verleihen.189 In Abschnitt 5 nennt er außerdem allgemein „die Ägypter“ (Z. 33) und noch unspezifischer „andere“ (Z. 35) als Quellen, bevor er in seiner abschließenden Erklärung (Abschnitt 6) ausführlich seine Vorgehensweise und Intention offenbart: die Fakten, die er von gelehrten Männern, welche Untersuchungen anstellen (gemeint sind wohl Recherchen in Tempelarchiven), erfahren hat, hat er für die Griechen in dieser Inschrift übersetzt (Z. 37–40). Dies läßt in Verbindung mit den oben jeweils aufgeführten, direkten ägyptischen Vorbildern einzelner Textpassagen190 darauf schließen, daß Isidoros bei der Komposition der anderen drei Hymnen ebenso oder ähnlich vorgegangen ist, wenngleich dies nur hier in MM IV ausdrücklich erklärt wird. Gleichzeitig gibt der Hinweis auf „diese, die die heiligen Buchstaben lesen“ Anlaß zu der Schlußfolgerung, daß Isidoros selbst nicht dazu in der Lage ist, Hieroglyphen zu verstehen,191 und demnach wohl auch entgegen der in der Forschung häufig vertretenen Annahme kein Priester (zumindest nicht höheren Ranges) sein kann.192 Abschließend sei noch zu dem von den drei anderen Hymnen abweichenden Inhalt von MM IV bemerkt, daß die prinzipielle – wenn auch hier nicht achsensymmetrisch ausgeführte – Gegenüberstellung von Hymnen auf eine Gottheit einerseits und einen König andererseits an einem Tor eine gewisse Parallele in den Türlaibungsinschriften der ägyptischen Tempel hat, die häufig eulogische Epithetareihen von Gottheit und König komplementär miteinander verbinden.193 Übergreifende Analyse: Isis-Thermuthis in Medinet Madi In seinen vier Hymnen verbindet Isidoros auf geschickte Weise althergebrachte lokale Traditionen um die Göttertriade seiner (anzunehmenden) fayumischen Heimat mit aktuellen „globalen“ Entwicklungen, welche die bereits in Ägypten transregional verehrte Isis als übergeordenete Universalgöttin auch außerhalb der Landesgrenzen propagieren. Der konkrete inhaltliche Fokus ist bei jeder Hymne ein anderer:194 so präsentiert MM I sie als lebensspendende, von allen Menschen verehrte Universalgöttin, die andere Göttinnen in sich umfaßt. Das universale Isisbild, das darin entworfen wird, richtet sich entsprechend an ein überregionales Publikum und ist auch durch den Anbringungsort deutlich nach außen gewandt. Die zweite Hymne konzentriert sich dagegen viel stärker auf die traditionellen lokalen Verhältnisse und beschäftigt sich auch mit ihrem alten lokalen Familienkreis, d. h. dem der Renenutet. MM III schließlich bildet eine Mischung aus beiden Ansätzen, indem Isis188 οἱ  τῶν  ἱερῶν  γράμμ’  ἀναλεξάμενοι. Vgl. die griech. Bezeichnung der schriftgelehrten Priester/ Vorlesepriester als ἱερογραμματεῖς. 189 Vgl. dazu MOYER, Hymns of Isidorus, S. 197–198; ID., Isidorus at the Gates, S. 232–233. 190 Vgl. dazu auch die Analyse von Isidoros’ Griechisch bei VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 97–102: besonders eindringlich im Hinblick auf ägyptische Vorbilder in Form von Hymnen oder Epithetareihen ist m. E. VANDERLIPs Aussage „Sometimes he seems to write merely nouns and adjectives joined by very unclear connectives.“ 191 So bereits VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 69. 192 Vgl. auch FOWDEN, Hermes, S. 49–50. Siehe dazu unten. 193 Vgl. dazu Kap. 5.1.1. 194 Vgl. hierzu die ausführliche Analyse von MOYER, Hymns of Isidorus; ID., Isidorus at the Gates.

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Thermuthis zunächst wie in MM I als Universalgöttin angerufen, und dann ihre spezielle – ägyptische! – Beziehung zu König, Herrschaft und lokaler Bevölkerung herausgestellt wird. Entsprechend nennt Isidoros die Tempelherrin am Ende von MM II nur „Hermuthis“, am Ende von MM III dagegen „Isis“, am Schluß von MM I wiederum steht gar kein konkreter Name.195 MM IV taucht tiefer in die historische Dimension der lokalen Tradition ein und kommemoriert die Gründungslegende des Tempels und seinen Erbauer; es handelt sich um den Text, der am nächsten zum Tempelinneren positioniert ist. Innerhalb dieser Eckpunkte bewegt sich die Charakterisierung der von Isidoros verehrten und um Hilfe angerufenen Göttin. Als lokale Herrin angesprochen wird die häufig kobragestaltig dargestellte Feld- und Erntegöttin Renenutet/Thermuthis, die nach PT 301 (§ 454–456), wo sie zusammen mit Sobek von Bachu genannt wird, wohl schon mindestens seit dem AR im Fayum beheimatet ist. 196 Deren Fruchtbarkeit, Leben, Reichtum und Glück spendende Kräfte197 stehen gehäuft im Mittelpunkt von MM II (s. o.), werden aber auch in den beiden anderen Hymnen an die Göttin immer wieder in Erinnerung gerufen.198 Bereits in den Tempelreliefs der 12. Dynastie wird Renenutet als Spenderin von Leben, Glück und gutem Schicksal/Gesundheit bezeichnet.199 Durch das NR und die Spätzeit hindurch besteht das Heiligtum fort und der Kult der Renenutet gewinnt an Bedeutung.200 Es zeigt sich also eine direkte Kontinuität bis hin zu den Isidoros-Hymnen. Des weiteren trägt sie in den MR-Dekorationen den engen Beinamen anx.t (n.j.t ©A) „die Lebende (von Dja = Narmuthis)“.201 Ab wann genau Renenutet in Ägypten mit Isis identifiziert worden ist, läßt sich anhand der mangelnden eindeutigen Quellen nicht sicher feststellen. Einerseits kann Isis natürlich seit alters her – wie andere Göttinnen auch – die Gestalt der Uräusschlange annehmen und damit das Diadem repräsentieren, 202 so daß eine Verbindung mit dieser speziellen Kobragöttin, die bereits in den PT auch als königliches Abzeichen angesprochen wird,203 prinzipiell nahe liegt. Auch über beider Funktion als stillende Mutter bzw. Amme (rnn „(ein Kind) warten, aufziehen“204) können die Göttinnen einander nahe kommen,205 und

195 Vgl. MOYER, Hymns of Isidorus, S. 196. 196 Vgl. DERCHAIN, Rez. zu: Broekhuis, Renenwetet, S. 136; SPIEGEL, Auferstehungsritual, S. 376–377, Anm. 8. Zu Renenutet im Fayum siehe auch BROEKHUIS, Renenwetet, S. 57–58 (ohne den PT-Beleg). 197 Zu den Eigenschaften der Renenutet vgl. BONNET, RÄRG, Sp. 803–804; BROEKHUIS, Renenwetet, S. 67–87; DRIJVERS, Hymnen, S. 142–147. 198 MM I, 1: πλουτοδότι; 3: ζωῆς  εὑρέτρια  πάσης; 4–5: ἀναδοίης (…) βίον; 13: ἀνέγλιπος  καρπὸς; MM III, 4: πλοῦτον; 6: ὄλβον εὐτυχίην; 10: πολὺν  ὄ[λβον]; 14–15: καρποὶ  βρίθουσιν ἐ̣π’ αὐτῶι παντοίων ἀγαθῶν καρπόν τε φέροντες ἄρ̣[ισ]τ̣[ον]. 199 VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 6; DONADONI, Testi geroglifici, passim. 200 Vgl. BRESCIANI, Iside de Medinet Madi, S. 37. 201 VANDONI, Madînet Mâdi, S. 106; DONADONI, Testi geroglifici, passim; DOLZANI, Culto del dio Sobek, S. 96; vgl. LGG II, 168c. 202 Sicher bezeugt seit dem MR, siehe dazu MÜNSTER, Isis, S. 106–115. 203 PT 256 und 301, vgl. SPIEGEL, Auferstehungsritual, S. 376–377, Anm. 8. 204 Wb II, 436, 2–15. 205 Vgl. dazu BROEKHUIS, Renenwetet, S. 105, der aber mit der alten und unsicheren „Isis = Thron“These (woraus er eine Vorstellung vom Thron als Mutter des Königs ableitet) zu kompliziert und problematisch argumentiert, vgl. dazu Kap. 5.2.2.3.B und die generelle Kritik von DERCHAIN, Rez. zu: Broekhuis, Renenwetet, S. 138.

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nicht nur als solche gilt auch Isis als „Lebensspenderin“ par excellence.206 Konkrete Belege für eine Gleichsetzung fehlen tatsächlich aber vor der griechisch-römischen Zeit. 207 VANDERLIPs Argumentation für eine relativ frühe Identifikation aufgrund der Gleichsetzung Isis – Demeter bei Herodot (5. Jh. v. Chr.)208 überzeugt mich nicht, da Isis m. E. keineswegs über den Umweg der Renenutet als Pendant der griechischen Göttin angesehen worden sein muß. Die Gemeinsamkeiten zwischen Isis und Demeter sind bereits ihrer beider mythischen Einbindung inhärent: Sie agieren als aktives Element innerhalb eines Zyklus von Tod und Auferstehung bzw. Ersterben und Gedeihen der Natur.209 Als noch konkreteren Beleg für die originäre und eigenständige Verbindung der Isis zu den Feldfrüchten führt QUACK die Zuständigkeit der Isis-Schentait (bzw. ihrer Priesterin) für die Herstellung der Osirisfiguren mit gekeimter Gerste – einer zentralen Handlung des Choiakfestes – an. 210 Als einen weiteren Aspekt, der Isis bereits seit alter Zeit mit der Fruchtbarkeit der Felder assoziiert, bringt DOUSA ihre bereits seit dem AR bestehende enge Identifikation mit Sothis, der Bringerin der Nilflut, ins Spiel.211 Die häufig gestellte Frage, ob Isis erst mit Demeter und dann mit Thermuthis oder umgekehrt erst über Thermuthis mit Demeter identifiziert wurde, 212 spielt somit m. E. im Hinblick auf die Entwicklung der hellenistisch-römischen Isis angesichts dieser multilateralen Einbindung der Göttin in das Gedeihen der Natur keine Rolle, da sie die entsprechenden Funktionen keineswegs erst von einer der anderen Göttinnen übernommen hat, sondern diese bereits innehatte. Umgekehrt erscheint gerade aufgrund der bereits bestehenden Gemeinsamkeiten der Göttinnen die dreifache Assoziation Isis-Thermuthis-Demeter in Medinet Madi besonders passend und wird daher mehrfach in den Hymnen des Isidoros explizit gemacht.213 Demeter ist ab der Ptolemäerzeit tatsächlich auch als eigenständige, hellenistische Gottheit in demotischen 206 Man vergleiche nur ihre Rolle bei der Wiederbelebung des Osiris/des Verstorbenen, siehe MÜNSTER, Isis, S. 1–79; KUCHAREK, Klagelieder, passim; und ihren Haupttitel in Philae dj.t anx, siehe oben, Kap. 4.1.2. 207 Früher wurde eine Kobradarstellung mit Hathorkrone und der Bezeichnung als Werethekau auf einem Collier des Tutanchamun als Beleg für eine Verbindung Isis-Renenutet im NR angesehen, z. B. noch bei DESCHÊNES, Biculturalisme, S. 365, m. Anm. 5; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 89 (unter Heranziehung weiterer möglicher ikonographischer Indizien). Dies ist jedoch sehr unsicher, vgl. die m. E. überzeugende Verneinung einer solchen Identifizierung anhand dieses Stückes bei MÜNSTER, Isis, S. 155. Zur Identifikation der Isis mit Renenutet in ägyptischen Texten der griechisch-römischen Zeit siehe z. B. Assuan-Hymne 6; Deir Chelouit II, Nr. 84 (Kap. 4.2.1.A und 4.8.1.A). 208 VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 75. Siehe zu Isis und Demeter oben, Anm. 52. 209 Vgl. dazu auch MALAISE, Calathos, S. 242–249. VON LIEVEN, Translating Gods, S. 65, sieht hingegen die gemeinsamen „mütterlichen Aspekte“ als hauptsächliche Basis der Gleichsetzung von Demeter und Isis bei Herodot an. 210 QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 344–346. Zu Isis-Schentait siehe Kap. 4.5, bes. Anm. 863; vgl. auch Kap. 4.10.3 zur cuve osirienne von Koptos. 211 DOUSA, Imagining Isis, S. 155–156. Zu Isis-Sothis als Bringerin der Nilflut siehe oben den Kommentar zu MM II. Dieser Aspekt der Isis wird auch an einer Stelle im Fayumbuch hervorgehoben, wo es heißt, daß Isis den „Weg des Osiris“ (in Zusammenhang mit Nilüberschwemmung) leitet (Z. 187), s. o., Kap. 4.13.4. 212 Z. B. exponiert bei DOUSA, Imagining Isis, S. 154. 213 MM I, 3; MM III, 2 und MM IV, 4: Deo; MM I, 21: Demeter; MM IV, 4: Thesmophoros. Auch Schlagwörter wie καρπὸς (MM I, 8; 13; MM II, 3; 19; MM III, 14; 15) und πλουτοδότι (MM I, 1) wecken starke eleusinische Assoziationen, vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 19; 21 und 25; DOUSA, Imagining Isis, S. 154, m. Anm. 18.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Papyri aus dem Fayum belegt (als &Amtr),214 so daß auch hier – neben der überregionalen Konvention der Identifikation mit Isis – lokale Tendenzen mit hineinspielen könnten. Von der Popularität der Isis-Thermuthis besonders im Fayum zeugen zahlreiche Terrakotten, Stelen und andere Darstellungen dieser Göttin, die zwischen unterschiedlichen, mehr oder weniger hellenisierten Ikonographien variieren.215 Von Thermuthis übernimmt sie die Schlangengestalt, von Isis das Basileion, Knotengewand, Sistrum und Situla,216 von Demeter häufig das Attribut der Fackel, und von Tyche oder auch Demeter (seltener) das Füllhorn. Namentlich wird sie auch in einer ebenfalls aus dem Tempelbezirk von Medinet Madi stammenden Weihinschrift als „Größte Göttin, gastfreundliche (φιλοξένος) Isermuthis“ adressiert.217 Einen Höhepunkt der Beliebtheit und überregionalen Verbreitung erreicht diese Isisform in der hohen Kaiserzeit (2. Jh. n. Chr.), in die zahlreiche Darstellungen, auch auf alexandrinischen Münzen und Reliefs, zu datieren sind,218 die zudem häufig den männlichen Schlangengenius (Sarapis-) Agathos Daimon neben die Göttin stellen.219 Die im Fayum naheliegende Vergesellschaftung der (Isis-)Thermuthis mit Sobek läßt sich auch in Tebtynis feststellen, wo eine Kapelle der Schlangengöttin in der Nähe der Nordostecke der Umfassungsmauer des großen Soknebtynis-Tempels innerhalb einer Insula mit drei weiteren Gebäuden gefunden wurde.220 Die einzelnen Bauphasen der Kapelle lassen sich vom 3. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. datieren.221 Die ältesten Mauerreste stammen aus der gleichen Zeit wie die Temenosmauer des Soknebtynis-Tempels oder sind sogar

214 Siehe THOMPSON, Demeter, S. 700–701 u. 703. Vgl. z. B. pMich. dem. 4244/4a.5 als Beleg für einen ägyptischen Priester der Demeter mit Namen Petiese („Den Isis gegeben hat“ = griech. Isidoros); siehe dazu QUAEGEBEUR, Cultes égyptiens, S. 306; E. LÜDDECKENS, Ägyptische Eheverträge, ÄgAb 1, Wiesbaden 1960, S. 156–157, Urk. 6 Z. 215 Siehe z. B. DUNAND, Religion populaire, S. 173–175; EAD., Agathodémon; EAD., Culte d’Isis I, S. 90–92; FISCHER, Griechisch-römische Terrakotten, Nr. 871–873; BRESCIANI, Dea-cobra; DESCHÊNES, Biculturalisme; EAD., Statuette; D’ASCOLI, Renenutet, S. 11–12; vgl. auch BRICAULT, Cultes isiaques, S. 479–482 zu Isis-Thermuthis und Demeter. 216 Zu diesen typischen Elementen der hellenisierten Isis-Ikonographie siehe im Detail NAGEL, The Goddess’s New Clothes. 217 IG Fayoum 163, 1. Jh. v. Chr.(?); vgl. dazu auch DUNAND, Pèlerinages isiaques, S. 636. Der Dedikant ist ein Steinmetz oder Graveur (γλύπτης), der ebenfalls Isidoros heißt, aber wohl contra VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 102, nicht mit dem Autor der vier Hymnen identisch sein dürfte, vgl. E. BERNAND, IG Fayoum III, S. 84. 218 Vgl. DESCHÊNES, Statuette, S. 315; DUNAND, Agathodémon, S. 25–33; M. BOMMAS, Die Genese der Isis Thermouthis im kaiserzeitlichen Ägypten sowie im Mittelmeerraum zwischen Aufnahme und Abgrenzung, in: Mediterraneo Antico 9.1, 2006, S. 221–240, dessen theoretischen Interpretationsansätzen (S. 230–231 u. 234–239) ich jedoch nicht folge (außerdem sind einige Detailangaben fehlerhaft, z. B. die Datierung der Isidoros-Hymnen in das 1. Jh. n. Chr. anstatt v. Chr., S. 234). 219 Zu Agathos Daimon als Partner der Thermuthis vgl. MM II, 9 und MM IV, 5 (als Beiname des Sokonopis); vgl. oben, Anm. 51 und 103. Zu Isis-Thermuthis und Sarapis-Agathodaimon in Alexandria vgl. unten, Kap. 6.2.10.1. 220 GALLAZZI/HADJI-MINAGLOU, Tebtynis I, S. 43–65; vgl. die Pläne S. 40–41, Abb. 2–3, und S. 45, Abb. 4; Photos 13–14. Vgl. dazu auch den Vorbericht von G. HADJI-MINAGLOU, Fouilles à Tebtynis en 1988, in: BIFAO 89, 1989, S. 192–202. 221 GALLAZZI/HADJI-MINAGLOU, Tebtynis I, S. 50; zur Chronologie der einzelnen Teile siehe S. 50–61 m. Abb. 8–14.

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noch etwas älter.222 Die von den Ausgräbern vorgenommene Identifikation als Kapelle der Isis-Thermuthis wurde durch vier demotische Papyri des 2.–1. Jhs. v. Chr. aus Tebtynis ermöglicht, welche ein „Haus der Anrufung der Renenet, der großen Göttin“ erwähnen und durch die Beschreibung der benachbarten Bauten genau lokalisieren.223 Isis wird darin zwar tatsächlich nicht ausdrücklich genannt, wurde im Tempel von Soknebtynis jedoch nachweislich ebenfalls verehrt (zusammen mit Harpokrates und Sarapis), wie verschiedene Texte und Darstellungen, darunter eine außergewöhnliche Glasfluß-Einlegearbeit in Holz in traditionell ägyptischem Stil, bestätigen.224 Eine zusätzliche Identifikation mit Demeter und evtl. Agathe Tyche wie in den MM-Hymnen scheint sich zudem zumindest ikonographisch in einem in griechisch-römischem Stil auf Holz gemalten Tafelbild abzuzeichnen.225 Das an vielen Stellen abgeplatzte Gemälde zeigt Soknebtynis (als einen an die Ikonographie von Sarapis angeglichenen, thronenden, bärtigen Mann mit Szepter und Krokodil im Schoß) zusammen mit einer weiteren Gottheit, die von RONDOT als Min bezeichnet, jetzt aber m. E. korrekt von TÖPFER als wahrscheinliche Darstellung der Isis(-Demeter) identifiziert wurde. 226 Dafür sprechen neben dem recht eindeutigen Basileion die ebenfalls noch zu 222 GALLAZZI/HADJI-MINAGLOU, Tebtynis I, S. 55–56. 223 pKairo dem. CG 30617a; pKairo dem. CG 30612; pKairo dem. CG 30620; pKairo dem. CG 30628; vgl. GALLAZZI/HADJI-MINAGLOU, Tebtynis I, S. 62–64; siehe zu den Papyri auch BROEKHUIS, Renenwetet, S. 58. 224 Siehe zur Holztafel: RONDOT, Tebtynis II, S. 33–35; 261, Photo 71. Zu weiteren Zeugnissen für Isis, Harpokrates und Sarapis in Tebtynis ibid., S. 48–50; 195; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 177–178. Interessanterweise verbindet zudem ein außergewöhnliches ikonographisches Detail – ein Kleid, das im Bauchbereich die Dekoration eines Geiers mit Schen-Ring in den Krallen aufweist – eine Göttin (wohl Isis) in den Tempelreliefs von Tebtynis mit einer (oben erwähnten) Darstellung der thronenden Isis in Medinet Madi, siehe RONDOT, Tebtynis II, S. 121; 119, Abb. 44; 269, Photo 89; und oben, Anm. 42. 225 RONDOT, Tebtynis II, S. 37–41; 261, Photo 72; ID., Derniers visages, S. 75–80; nochmals ID., Fayum Pantheons, S. 146–147; H. BEINLICH/R. SCHULZ/A. WIECZOREK (Hrsg.), Egypt’s Mysterious Book of the Faiyum, Dettelbach 2013, S. 102, Abb. 8. 226 TÖPFER, Sothisritual, S. 146–148, siehe dort die detaillierte Argumentation für diese Identifizierung; alternativ erwägt sie jedoch auch eine Identifizierung als Horus-Min. Ich danke Susanne Töpfer herzlich für die bereichernden Diskussionen zu diesem Objekt. Vgl. ähnliche Tafelbilder mit Isis aus Dachla (2. Jh. n. Chr., siehe dazu unten, Kap. 6.2.9.2), in Berlin (Äg. Mus., 14443 u. 12712), im J. Paul Getty Museum in Malibu (Prov. unbekannt, wohl zweite Hälfte bis Ende 2. Jh. n. Chr.) und in Kairo (Kairo, Äg. Mus., JE 31571b und 38250): WHITEHOUSE, Painted Panel; vgl. KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 169, Abb. 10; D. L. THOMPSON, A Painted Triptych from Roman Egypt, in: J. Paul Getty Museum Journal 6–7, 1978–79, S. 185–192; S. WALKER/M. BIERBRIER et al., Ancient Faces. Mummy Portraits from Roman Egypt, London 1997, S. 123–124, Nr. 119; R. SÖRRIES, Das MalibuTriptychon. Ein Totengedenkbild aus dem römischen Ägypten und verwandte Werke der spätantiken Tafelmalerei, Dettelbach 2003, S. 74–75, Kat. 7; S. 110–111, Kat. 19; S. 124–125, Kat. 24, und passim; TALLET, Isis, the Crocodiles, S. 146–148, Abb. 4–5; K. PARLASCA, Kaiserzeitliche Votivgemälde aus Ägypten, in: CdÉ 79, 2004, S. 320–335, bes. 324, 328–329 u. 331, Nr. 7, 10 u. 20; Abb. 2 u. 7; M. I. ROSTOVTZEFF, Kleinasiatische und Syrische Götter im römischen Ägypten, in: Aegyptus 13, 1933, S. 493–513. In diese Reihe läßt sich außerdem noch eine ursprünglich bemalte Kalksteinplatte aus der Nekropole von Sakkara (Kairo, Äg. Mus., JE 30001) einordnen, die trotz ihrer abweichenden Herkunft mit dem Isiskult im Fayum verbunden zu sein scheint – vgl. die Interpretation von TALLET, Isis, the Crocodiles: Dargestellt ist eine Zeremonie um einen Gott mit Krokodil auf dem Schoß, wohl eine lokale Form des Sobek-Re (als Erscheinungsform des Horus) und eine Göttin mit Hund und evtl. einer Palmrispe in der Hand, bei der es sich um Isis-Sothis oder Isis, „das Jahr“ (As.t

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erkennenden Attribute (jeweils von RONDOT verkannt) Füllhorn (in linker Hand) und Fackel (in rechter Hand). Eventuell sind sogar noch Isislocken und das für die Terrakottendarstellungen227 so typische Herzamulett zu erkennen. Den lokalen Traditionen um die Göttin Thermuthis, die in ptolemäischer Zeit bereits um die Identifikation mit Isis und Demeter bereichert worden sind, steht in den Hymnen von Isidoros die in ägyptischen Texten dieser Zeit verbreitete Idee einer überall verehrten, universalen und höchsten – geradezu „einzigen“228 – Göttin Isis gegenüber bzw. ist eng mit diesen verflochten. Wie in der Forschung immer wieder erkannt und betont wurde, ist es insbesondere die Hymne MM I, die das Thema „Isis als Pantokrateira“ (MM I, 2) in aller Deutlichkeit ausführt.229 Das in späterer Zeit häufig, auch in christlichen Kontexten, verwendete griechische Epitheton Pantokrateira (bzw. masc. Pankrator/Pantokrator, vgl. MM IV, 23 für Souchos) ist hier erstmals überhaupt belegt.230 Tatsächlich wird die Betonung der Allherrschaft und des generellen universalen Anspruchs in Hinblick auf sämtliche Aspekte von Isis’ Eigenschaften sowie ihrer Verehrung durch alle vier Hymnen hindurch bis zum Exzeß betrieben: dies demonstriert in deutlichster Weise eine Wortfelduntersuchung der Art, wie ich sie für einzelne Themen bereits separat je Hymne durchgeführt habe (s. o.). Nicht nur in den drei an Isis gerichteten Hymnen, sondern auch in derjenigen für Amenemhet III., ist die Häufigkeit der Wörter für „alle/alles“, griech. πᾶς, πᾶσα, πᾶν (oder damit zusammengesetzte Begriffe) bzw. „jeder, der“, griech. ὅσσοι, etc. geradezu überwältigend, wobei passenderweise in der 1. Hymne diese Wörter noch ca. doppelt so häufig auftreten wie in den übrigen drei. 231 Nach Ausweis von MM IV wird dieser Universalanspruch auch für den

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rnp.t = Eseremphis, eine im Fayum mehrfach belegte Isisform, siehe auch unten, Anm. 262) handeln könnte (TALLET, Isis, the Crocodiles, S. 143–152). Vgl. jetzt auch die neue Monographie zu dieser Art von Götterbildnissen von RONDOT, Derniers visages, der die Darstellungen von Göttinnen mit Basileion-artigem Kopfschmuck eher als Hathor (tw. auch als andere Gottheit) anstatt als Isis deutet (z. B. S. 255 u. 355–356; nochmals ID., Fayum Pantheons, S. 150), und damit eine artifizielle Trennung von Isis und Hathor durchführt, die m. E. zu dieser Zeit aber problematisch ist. Wenn man sich auch nur etwas mit den Texten des griechisch-römischen Ägypten – und zwar sowohl ägyptischen als auch griechischen – beschäftigt, offenbart sich, daß die Göttin an der Seite von Sarapis und diejenige, mit der lokale Göttinnen identifiziert wurden, meist als Isis benannt wurde, die zumindest nach ägyptischen Quellen aber gleichzeitig auch Hathor verkörpern konnte. Vgl. mit ähnlichen Argumenten jetzt auch M. SMITH, Following Osiris, S. 387, der RONDOTs Interpretation derartiger Darstellungen ebenfalls zugunsten einer Deutung als Isis ablehnt; ebenfalls kritisch dazu TALLET, Mourir en isiaque?, S. 421. S. o., Anm. 215. Vgl. MM I, 22, siehe den Kommentar oben. Tatsächlich wurde diese Hymne von allen wohl am häufigsten zitiert und immer wieder im Zusammenhang mit den Isis-Aretalogien und mit Synkretismus/Henotheismus-Diskussionen herangezogen. DOUSA, Imagining Isis, S. 161, Anm. 47; vgl. zu diesem Epitheton O. MONTEVECCHI, Pantokrator, in: Studi in onore di A. Calderini e R. Paribeni II, Mailand 1956, S. 401–432, bes. 403–411. Vgl. pOxy. 1380, Z. 20. MM I, 2: παντοκράτειρα; 3: πάσης;  4: παντοίων; 5: ἅπασι; 8: πάντων; 9: ἅπασα; 11: ἅπαντες; 13: πᾶσαν; 14: ὅσσοι; 15: ὅσσοι; 16: πᾶσι; 23: ἅπασαι; 27: πάντας; 29: ὅσσοι; 30: ὅσοι; 32: ὅσοι; 34: ἅπαντες; 36: ἁπάσης  (= letztes Wort der Hymne, vor Isidoros’ „Unterschrift“). MM II, 2: πᾶσα; 3: πάντες; 5: ὅσσοι; 7: ὅσοι; 12: πάντων; 15: ὅσσοι; 19: ἅπασ; πᾶσι; 23: ἅπαντες; 26: πᾶσιν.

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vergöttlichten Amenemhet sowie für Isidoros’ eigene „Vollständigkeit“ bei der Übersetzung der lokalen Legende (Z. 38: „Ich hielt alles in einer Inschrift fest.“) übernommen. Bei der Charakterisierung der Isis und der Beschreibung ihrer Taten in den vier Hymnen fällt auf, daß der gesamte Bereich Jenseits – Osiris(mysterien)/Mysterien gänzlich ausgelassen ist.232 Statt dessen konzentrieren sich die Lobpreisungen und Gebete allein auf gute Gaben, Wohltaten und Erlösung im Diesseits. Der Autor Über die Identität des Autors der Hymnen, Isidoros, ist abgesehen von seinem Namen kaum etwas bekannt, weswegen von vielen Seiten spekuliert wurde, ob es sich um einen Griechen oder Ägypter, und eventuell auch um einen Priester handelte.233 Gegen die Priester-These spricht m. E. die Aussage in MM IV, Isidorus habe seine Informationen von „diesen, die die heiligen Buchstaben lesen“ erhalten, was nahelegt, daß er selbst dessen nicht mächtig ist noch über das priesterliche Wissen verfügt.234 Letztlich ist seine genaue kulturelle und intellektuelle Zugehörigkeit m. E. jedoch zweitrangig, denn seine Intention offenbart er selbst explizit in MM IV: er will den Griechen die Macht des vergöttlichten Amenemhet III. erklären und demonstrieren, und hat dafür auf ägyptische Quellen zurückgegriffen (Z. 37–40).235 Eine ähnliche Verkündungsmission dürfte auch den drei Hymnen an die Göttin als (ein) Ziel inhärent sein; Isidoros sieht und präsentiert sich selbst als Mittler zwischen den Kulturen, indem er ägyptische religiöse Vorstellungen und sogar konkrete Epitheta in für ein griechisches Publikum verständliche Formen (Schrift, Sprache, Versmaß, Ausdruck) überträgt.236 In MM III spricht Isidoros außerdem explizit von der „ge-

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MM III, 3: ἅπασι; 7: ὅσσοι; 15: παντοίων; 16: ὅππου; 26: ἅπαντα; 31: παμφύλων; 36: πάντων (= letztes Wort der Hymne, vor Isidoros’ „Unterschrift“). MM IV, 2: πανιεροῦ; 12: πάντων; 14: πᾶσιν; 16: πάντα; 23: παγκράτορος; 27: πάντα; ὅσσ‘; 38: πάντ‘; 40: οὐδέτερος. Vgl. PREAUX, Rez. Vogliano, S. 171. Z. B. DUNAND, Syncrétisme isiaque, S. 92: hellenisierter Ägypter; EAD., Culte d’Isis I, S. 100: vielleicht Priester; VOGLIANO, Primo Rapporto, S. 30 u. 32–34; FRANKFURTER, Religion, S. 100; VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 14; und BOLLOK, Problème de la datation, S. 34: (ägyptischer) Priester; FOWDEN, Hermes, S. 49–50: Grieche; M. ROSTOVTZEFF, ΚΑΡΠΟΙ, in: Mélanges d’études anciennes offerts à Georges Radet, REA 42, Bordeaux 1940, S. 508–514: 512: hellenisierter und ägyptisierter Thraker oder hellenisierter Ägypter (nach É. BERNAND, IM, S. 650); BRICAULT, Trône, S. 134: hellenisierter Ägypter. Vgl. auch MOYER, Hymns of Isidorus, S. 186–187; ID., Isidorus at the Gates, S. 215–216; MUÑIZ GRIJALVO, Himnos a Isis, S. 118–119. Vgl. auch oben, Anm. 217 zu einer von VANDERLIP vorgeschlagenen Identifizierung mit dem Bildhauer/Steinmetz Isidoros von IG Fayoum 163 (ebenfalls Medinet Madi). S. o., Kommentar zu MM IV. Mit ähnlichen Argumenten – Isidoros präsentiert sich an keiner Stelle selbst als Priester oder stellt sich mit diesen auf eine Ebene – zweifelt auch É. BERNAND, IM, S. 650– 651, an der gängigen These und hält Isidoros eher für einen im Fayum lebenden und mit den lokalen Traditionen und den Einheimischen vertrauten Griechen. Vgl. auch FOWDEN, Hermes, S. 49–50. Zur Nachweisbarkeit dieser Aussage siehe MOYER, Hymns of Isidorus, S. 186–187 u. 198–199; ID., Isidorus at the Gates, S. 233–237. Vgl. bereits PREAUX, Rez. Vogliano, S. 170: „Isidore paraphrasait une litanie égyptienne.“ Dort auch interessante Überlegungen zur Umsetzung ägyptischer Phraseologie in das griechische Metrum. Kritik daran übt É. BERNAND, IM, S. 651. Die ägyptischen Vorstellungen sind geschickt in ein griechisches Gewand gehüllt, denn viele Worte, Phrasen und sogar ganze Zeilen wurden aus der Ilias oder Odyssee u. a. übernommen, vgl. VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 3.

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mischten Bevölkerung“ des Fayum (Z. 31); die Hymnen sind also auch an die lokale, multikulturelle Klientel237 gerichtet, deren gemeinsame Sprache Griechisch war. 6.1.2.2 Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 und verwandte Texte Weiteren Einblick in die Bedeutung der Isis für das religiöse Leben im Fayum gibt die demotische Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 mit der teilweisen Parallele pBerlin P. 8765.238 Beide Papyri stammen aus Soknopaiou Nesos und datieren in die hohe Kaiserzeit (Ende 1. – Anfang 2. Jh. n. Chr.),239 sind also etwas später entstanden als die Hymnen des Isidoros, wenngleich ihr Inhalt sicherlich weiter zurückgeht. Dieser besteht in einem Kompendium mit Liturgien für Begräbniszeremonien des Osiris einerseits und die Geburt des Horus andererseits,240 behandelt also zwei für die Kontinuität des Königtums zentrale Geschehnisse des Osiris- und Horusmythos. Obwohl es sich nicht um spezifische Rituale des Fayum handelt, wurden die gesamtägyptischen Konzepte teilweise an die besonderen lokalen Gegebenheiten angepaßt, und besonders im ersten Teil werden häufig Orte und Gottheiten der Region erwähnt.241 WIDMER stellt die Vermutung auf, daß die Textsammlung als Vorlage für die Zeremonien wichtiger regionaler Feste gedient haben könnte. Tatsächlich wird in der Liturgie das Datum 18.–20. Hathyr für ein „Ritual der Nacht des Suchens“ (nt-a grH HH) erwähnt, das einerseits in den Zeitraum des lokalen Hauptfestes, der Genesia des Gottes Soknopaios (7.–25. Hathyr) fällt, andererseits auffällig genau mit den in einigen ägyptischen (d. h. fayumischen und unterägyptischen) sowie außerägyptischen Quellen belegten Angaben zum Tod des Osiris und entsprechenden Ritualhandlungen zwischen dem 17. und 20. Hathyr übereinstimmt.242 Diese Zeremonien sind in griechischen Dokumenten unter dem Namen Isia bezeugt243 und scheinen eng verwandt mit den osirianischen Ritualen des großen Choiakfestes zu sein.244

237 Siehe zur Stelle und zur gemischten Bevölkerung des Fayum in der Ptolemäerzeit VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 60–61. 238 Umfassende Edition: WIDMER, Résurrection d’Osiris; vgl. auch die Vorberichte EAD., On Egyptian Religion; EAD., Fêtes; EAD., Papyrus démotique; W. SPIEGELBERG, Demotische Papyrus aus den Königlichen Museen zu Berlin, Leipzig 1902, Taf. 71 und 75–83; vgl. auch den Überblick bei STADLER, Einführung, S. 116–118; ID., Interpreting the Architecture, S. 382 u. 385–386. Die Parallele pBerlin P. 8765 enthält nur die Ausschnitte mit den wdnw-Litaneien. Ich danke G. WIDMER herzlich für ihre Diskussionsbereitschaft und für die Möglichkeit, bereits vor der Drucklegung Einblick in ihr Manuskript nehmen zu können (jetzt publiziert). 239 WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 5–6. 240 WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 11–12; EAD., On Egyptian Religion, S. 172; EAD., Papyrus démotique, S. 86. 241 WIDMER, On Egyptian Religion, S. 175–176. 242 pBerlin P. 8765, x+4, 14ff.; WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 66; 97–98; 185–186; 341–342; EAD., On Egyptian Religion, S. 177–178; EAD., Fêtes, S. 17–18. Vgl. dazu auch PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 94–98; QUACK, Resting in Pieces, S. 249–250. 243 Zahlreiche Papyri mit Listen von Abgaben und Kostenaufstellungen aus dem Fayum zeugen von dem großen Aufwand, der für diese Feste betrieben wurde, vgl. auch RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 143; PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 97–98. 244 Vgl. dazu QUACK, Resting in Pieces, S. 249–250.

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Innerhalb des ersten, mit Osiris befaßten Teil des Kompendiums richtet sich eine von mehreren zusammenhängenden wdnw-Litaneien245 mit der Aufzählung verschiedener, vor allem regionaler Erscheinungsformen an „Isis, die Große, die Gottesmutter, die im Seeland residiert“ (As.t wr.t mw.t-nTr Hr-ib &Se). 246 Weiter hinten innerhalb der Litanei wird sie außerdem als „Hathor, Herrin von Atfih, Herrin der Köpfe des Seelandes“ (@w(.t)-tA-@r [nb.t] &&p\-iH.w nb.t tp.w m &Se) bezeichnet, 247 einer fast wörtlichen Parallele zu einem Epitheton der Isis im Fayumbuch. 248 Das gleiche Epitheton ist außerdem nochmals für Hathor auf einem spätzeitlichen Sarg aus Hawara belegt.249 Auch für die zu Beginn der Litanei zitierte Form des Isis-Titels („Isis, die Große, die Gottesmutter,250 die im Seeland residiert“) finden sich weitere Belege unter anderem auf Sarkophagen der Spät- und griechisch-römischen Zeit, die aus der Nekropole von Schedet stammen.251 Es handelt sich offenbar um zwei Varianten des lokalen Haupttitels der Göttin in der Gauhauptstadt. Auf die erste Nennung in der Einleitung der Litanei folgt die in Soknopaiou Nesos selbst ansässige Isis Nepherses,252 und nach einer Lücke weitere Erscheinungsformen der Isis, die teilweise explizit einem Toponym zugeordnet, teilweise durch Beinamen näher bestimmt sind. In dieser formalen Uneinheitlichkeit sowie dem nicht auf alle ägyptischen Gaue abzielenden Inhalt unterscheidet sich die vorliegende Litanei von den Varianten der kulttopographischen Litanei, wie sie in Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen belegt ist.253 Auch die hier verwendete Einleitungsformel wab sp 2 As.t… „Rein, rein ist Isis…“254 ist bisher nicht begegnet; es handelt sich um eine übliche Phrase in Tempelritualen, die besonders typisch für Libationen ist und im Papyrus auch die anderen wdnw-Litaneien einleitet. 255 Die Aufzählung scheint sich vor allem auf das Fayum zu konzentrieren, beinhaltet aber auch allgemein gängige Epitheta der Isis, die sich daher keinem bestimmten Ort zuordnen lassen (z. B. „Auge des Re“): pBerlin P. 6750 (ergänzt durch die Parallele pBerlin P. 8765, x+2, 30–x+3, 1): x+6, 1: As.t MA-wr Isis von Moeris,256

245 pBerlin P. 8765, x+2, 29–31, und pBerlin P. 6750, x+6, 1–7. Die Litanei für Isis steht im Verbund mit solchen für Osiris, Horus, Sokar und anderen Gottheiten (pBerlin P. 6750, x+5, 1–x+7, 14), vgl. dazu ähnliche Texte dieser Art aus dem Bereich des Osiriskultes, siehe Kap. 5.1.4. Zitierte Transliterationen und Übersetzungen richten sich gänzlich nach WIDMER, Résurrection d’Osiris. 246 pBerlin P. 8765, x+2, 29; vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 216. Es handelt sich bei &Se um die in diesem Papyrus geläufige unetymologische Schreibung für &A-S, vgl. WIDMER, Papyrus démotique, S. 85. 247 pBerlin P. 6750, x+6, 2–3, siehe unten. Vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 69. 248 Fayumbuch, Z. 478, siehe oben, Kap. 4.13.4. 249 Siehe LGG IV, 161b; vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 218–219, (a). 250 Eine Variation hat stattdessen sn.t nTr „die Gottesschwester“. 251 Siehe ZECCHI, Geografia religiosa, S. 74; PERNIGOTTI, Isis a Bakchias, S. 211. 252 pBerlin P. 8765, x+2, 29. Zu Isis Nepherses siehe oben, Anm. 71. 253 Siehe oben, Kap. 4.6.1.A. 254 pBerlin P. 8765, x+2, 29. 255 Vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 68. 256 Vgl. weitere Belege zu Isis von Moeris (gemeint ist wohl das Fayum insgesamt) bei ZECCHI, Geografia religiosa, S. 194; siehe zur Bedeutung WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 57.

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x+6, 3:

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

[As.t] &nA-nfr\-ir-imy [Isis Nephr]emmis (=„Isis mit vollkommenem Charakter“),257 As.t ir[.t Ra] Isis, Aug[e des Re], [As.t ir].t @r [Isis, Aug]e des Horus, A[s.t MH-] I[sis Mehet-] wly ihy&.t wly\ mw.t-nTr weret,258 die große Kuh (Ahet),259 die Gottesmutter,260 N.t Hnw{nw}.t nA [nTr].w Neith, die Gebieterin der [Gött]er, @w(.t)-tA-@r [nb.t] &&p\Hathor, [die Herrin] von AtiH.w nb.t tp.w m &Se fih,261 die Herrin der Köpfe im Seeland, rpy&.t\ m &&Se\ die vornehme Dame/die Junge(?) im Seeland,262

257 Isis Nephremmis wurde nach demotischen und griechischen Quellen z. B. in Gynaikon Nesos, Neilupolis (zusammen mit Isis Nepherses; Dependenzheiligtum zunächst von demjenigen in Gynaikon Nesos, später des Soknopaios-Tempels von Soknopaiou Nesos), Soknopaiou Nesos (erst 2.–3. Jh. n. Chr.) und Pelusium (Dependenzheiligtum des Soknopaios-Tempels von Soknopaiou Nesos) verehrt, vgl. RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 89–90; 126–127, 134; 159; BRESCIANI, Archivio demotico, Index, S. 159, s. v.; LIPPERT/SCHENTULEIT, DDD II, S. 17–18 u. 186; LGG IV, 227c; WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 217, (d). Zur Bedeutung des Namens vgl. QUACK, Charakter, S. 66, m. Anm. 39. 258 Zur Verehrung von Mehetweret im Fayum siehe ZECCHI, Geografia religiosa, S. 282, Index, s. v.; weitere Literatur bei WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 69–70 u. 218, (f). 259 Eine häufige Bezeichnung besonders der Neith und der Hathor, siehe LGG I, 538b–539b, vgl. die folgenden Nennungen dieser Göttinnen im Papyrus. Als Mutter des Sonnengottes (im Fayum verkörpert von Sobek) verjüngt sie diesen täglich im Fayumsee, vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 69– 70. Ausführlich zur Ahet-/Ihet-Kuh WÜTHRICH, Ihet, bes. S. 908–909 zum Fayumbuch. 260 Neith, Mehetweret und Isis werden als Mutter des Sobek angesehen, der wiederum nach fayumischer Theologie mit Horus und Re identifiziert wurde, vgl. ZECCHI, Geografia religiosa, S. 58–60 u. 77–78; VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 174; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 153–159. 261 Zur kuhgestaltigen Isis-Hathor von Atfih siehe auch die entsprechenden Angaben im Fayumbuch, siehe Kap. 4.13.4. 262 Vgl. die Angabe in der kulttopographischen Litanei (Dend. Isis, 78, 16–79, 5, mit Parallele in Dend. XIII, 28, 1): Rnp.t m &A-S, siehe dort, Kap. 4.6.1.A, Anm. 1068. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 219, (b), bevorzugt die Übersetzung „Isis, die Verjüngte (celle qui est rajeunie)“. Es handelt sich wohl um die mehrfach auch in griechischen Dokumenten aus dem Fayum (z. B. aus Theadelphia) belegte Isisform Eseremphis, siehe dazu J. QUAEGEBEUR, Eseremphis: Une Isis de haute époque en vogue dans l’Égypte gréco-romaine, in: Grimm/Heinen/Winter (Hrsg.), Römisch-byzantinisches Ägypten, S. 67–75, der den Namen überzeugend als As.t rnpj „Isis ist Verjüngung/Erneuerung“ deutet (vgl. auch DNb I, S. 78, u. Fasz. 18, S. 133: „Isis verjüngt sich“; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 78), was jedoch austauschbar mit As.t rnp.t „Isis, das Jahr (= das sich Erneuernde)“ sei. Bereits K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, 110, Anm. 4, hatte den Namen als As.t rnp.t „Isis, die Junge“ gedeutet, W. SPIEGELBERG, apud E. BRECCIA, Un nuovo ἱερὸν ἄσυλον a Teadelfia, in: BArchAlex 15 NS 4, 1914, S. 39–47: 43, dagegen zuvor als As.t-irj(.t)-rn-nfr „Isis, die

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Hymnen und Gebete

x+6, 4:

x+6, 5:

x+6, 6:

263 264 265 266 267

268

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xnv.t mj-Xn &wAD\die an der Spitze im Großen wr Grünen,263 &As.t\ nb.t yal Isis, die Herrin des Flusses/Kanals, As.t nb.t Km Isis, die Herrin von Ägypten, As.t nb.t Km.w(?)264 Isis, die Herrin der Ägypter(?), As.t nA-nfr-ir-imy Isis Nephremmis (=„Isis mit vollkommenem Charakter“),265 nb.t ISl-mnmn266 die Herrin von ^r.t-bnbn(?),267 @w.t-tA-@r nb.t ISl wly Hathor, die Herrin des großen Ischeru, @w.t-tA-@r Hathor, nb.t ISl mnmn die Herrin von ^r.t-bnbn(?),268 @s.t wa.t-lA.t Xr-s.t @r Hesat,269 die Große(?), die Amme(?)270 des Horus,

einen schönen Namen macht“, und VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 17, gefolgt von BERGMAN, Isis-Seele, S. 47–48, als As.t rnp.t „Isis, das Jahr“. In der hieratischen Isishymne der von A. VON LIEVEN edierten pWien Aeg. 8420 und pWien Aeg. 12405 (siehe unten) werden sowohl „Repit, die Ptah geboren hat“ und „Repit des Seelandes“ als auch „Jahr (rnp.t) im Seeland“ als Namen der Isis genannt, wobei letzterer exakt der Angabe in der kulttopographischen Litanei von Dendara entspricht. Zu Quellen für Eseremphis vgl. auch RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 195; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 131; und unten, Kap. 6.1.3.2 (pOxy. 1380). Möglicherweise wird diese Isisform auch zusammen mit Sobek-Re(-Horus) auf einer Kalksteinplatte aus Sakkara (CGC 27569) in hellenistischer Ikonographie dargestellt, vgl. TALLET, Isis, the Crocodiles; siehe dazu auch oben, Anm. 226. Die entsprechende weibliche Figur trägt eventuell eine Palmrispe für rnpj/rnp.t in der Hand und wird von einem Hund begleitet, der ihre Verbindung mit Sothis visualisiert. Vgl. den Abschnitt der kulttopographischen Litanei (Dend. Isis, 78, 16–79, 5): „‚Jahr‘ ist ihr Name im Haus des Kas von Ptah (= Memphis)“. Gemeint dürfte in diesem Fall der Moeris-See sein, vgl. auch ERICHSEN, Glossar, S. 105. Eventuell auch als Schreibung für Km-wr als Bezeichnung des Qarunsees (bzw. des Fruchtlandes des Fayum, siehe LIPPERT, Fayyûm als Abbild, S. 105), vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 220–221, (c). Vgl. eine entsprechende Nennung im Buch vom Fayum, Z. 230 (siehe LGG IV, 150c). Isis Nephremmis wurde bereits oben in x+6, 1 genannt, vgl. Anm. 252. pBerlin P. 8765, x+2, 31, hat die Variante bnbn. Ein Ort im Fayum; siehe zu dieser möglichen Identifikation nach WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 221–222, (a), auch CDD, i, S. 229; zum Ort F. GOMAÀ, Die Besiedlung Ägyptens während des Mittleren Reiches I. Oberägypten und das Fayyūm, TAVO Beihefte 66, 1, Wiesbaden 1986, S. 420–421: Eine Göttin „Herrin von ^r.t-bnbn“ ist bereits in der 12. Dyn. belegt. Siehe oben, x+6, 5.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

x+6, 7:

As.t m &Se m Isis im Seeland als sxm Sbs nw pr iypn edles Abbild dieses Tempels.271 272

Inhaltlich handelt es sich um eine gewöhnliche Litanei mit der Aufzählung verschiedener Erscheinungsformen, ohne daß ein offensichtlicher Bezug zu den speziellen rituellen Geschehnissen, von denen der übrige Text kündet, hergestellt wird. Unterschwellig könnte die geographische Absteckung des Machtbereichs der Isis jedoch mit der gesamten Thematik der Herrschaftsübertragung zusammenhängen, wobei der übliche breite, auf Gesamtägypten angelegte Anspruch hier zugunsten der lokalen Umgebung auf (soweit erkennbar) fayumische Örtlichkeiten als pars pro toto eingeschränkt wurde. 273 Isis’ bedeutende Rolle bei Horus’ Machtergreifung geht deutlich aus den Worten an ihren Sohn im zweiten Hauptteil der Liturgie hervor: ink&y mw.t=k\ As.t tw=y n=k sDn&y\ (…)274 Ich bin deine Mutter Isis. Ich habe dir Ratschläge(?)275 gegeben (…). Hq=y n=k tA.wj m sp wa (…) Ich habe für dich die Beiden Länder zusammen(?) regiert (…).276 269 Vgl. die Bezeichnungen als Mehetweret und „die große Kuh“, weiter oben, x+6, 1–2. Zur Hesatkuh als Verkörperung von (Isis-)Hathor von Atfih vgl. Kap. 4.13.2 und LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 267–270; WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 222, (b). 270 Es scheint sich nach WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 222, (b), um eine unetymologische Schreibung zu handeln; der erste Teil dürfte für wly/wr.t stehen, der Sinn des zweiten Teils ist weniger klar. Sie übersetzt aus inhaltlichen Gründen (Hesatkuh als typische Milchspenderin) mit „Amme des Horus“. 271 Zur Bezeichnung von Gottheiten als „prächtiges Abbild/Machtbild“ in den Heiligtümern vgl. die zahlreichen Belege in LGG VI, 542–546. 272 Transliteration und Übersetzung nach WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 103–105. 273 Vgl. die offenbar ebenfalls auf das regionale Umfeld beschränkte Opferlitanei an Thoeris-Isis-Hathor in pCarlsberg 206, siehe oben, Kap. 4.13.1.1; vgl. TÖPFER, Sothisritual, S. 78–80. 274 An die Nennung der Leistungen von Isis für Horus schließt sich jeweils ein Refrain an. Der zitierte, offenbar von Isis gesprochene Text ist Teil einer längeren strophischen Hymne (jeweils mit dem gleichen Refrain), die zuvor einen anderen Sprecher hat. Eine Parallele zu dieser Hymne ist noch in einem weiteren demotischen Papyrus aus Soknopaiou Nesos, pWien D. 6951, der hauptsächlich Kulthymnen für Sobek enthält, belegt, vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 7. Die Edition ist in Vorbereitung durch F. HOFFMANN, siehe vorläufig ID., Die Hymnensammlung des P. Wien D6951, in: Ryholt (Hrsg.), 7th International Conference, S. 219–228, zum Hymnus 222–223; ID., Der demotische Papyrus Wien D 6951, in: Quack (Hrsg.), Ägyptische Rituale, S. 121–132. 275 Alternativ könnte mit WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 281, (a), auch sTn.w „die Erhobene“ (von WIDMER bevorzugt), eine Bezeichnung der Weißen Krone gemeint sein, was ich angesichts des Determinativs (wohl Mann mit Hand am Mund) jedoch für weniger wahrscheinlich halte. 276 Zur Übersetzung von m sp wa vgl. den Kommentar von WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 282, Z. 16, (a). Vgl. auch die sehr ähnliche Ich-Aussage der Isis im ‚Drama der königlichen Geburt‘ von Esna: ink HqA.t n BAq.t iTj.n=i xAs.wt m Hsb(?) „Ich bin die Herrscherin von Ägypten, ich habe die Fremdländer in (ihrer) Summe/Rechnung (?) erobert“ (Esna III, Nr. 307bis), siehe Kap. 4.11.1.1.A und den allgemeinen Kommentar zum Text unten. QUACK, Rez. zu: Widmer, Résurrection d’Osiris, S. 316, vermutet einen Imperativ Hq.y n=k… „Beherrsche doch…!“ (gerichtet an Horus). Angesichts der übrigen Aussagen und der inhaltlichen Parallele im Geburtsdrama von Esna folge ich hier jedoch der Interpretation von WIDMER.

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Hymnen und Gebete

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pA sHn nbw iv=k h tp{.v}=k (…) Die goldene Krone deines Vaters ist auf deinem Kopf (…). mw.t-nTr iw twA(.t) (…) Die Gottesmutter ist hierher(?)277 gekommen (…). &tw\=y &n=k\ nHH m itn(?) (…) Ich habe dir die nHH-Ewigkeit gegeben als Sonnenscheibe(?) (…). tw=y n=k D.t mn iaH (…) Ich habe dir die D.t-Ewigkeit als(?) Mond gegeben (…).278 tw=y n=[k] Hapj i.irj Sa Km.w(?) (…) Ich habe dir die Überschwemmung gegeben, die die Ägypter(?)279 erschaffen(?) hat (…). tw=y n=k tA mH.t i.irj aw Nwny (…) Ich habe dir den Nordwind gegeben, der die Urflut ansteigen läßt (…). (pBerlin P. 6750, x+9, 15–20)280 Hier zählt Isis ihre Leistungen für den zukünftigen Herrscher in ganz ähnlicher Weise auf wie innerhalb des auch sonst inhaltlich eng mit der fayumischen Liturgie verwandten ‚Dramas der königlichen Geburt‘ im Tempel von Esna. 281 Wie oben in den Anmerkungen angegeben, finden sich hier insbesondere nahezu deckungsgleiche Aussagen zum Regieren der Beiden Länder durch Isis und zum Hervorbringen der Flut zum Wohle der Landesbewohner. Teilweise Parallelen zu den in der Litanei im ersten Teil genannten Isisformen finden sich in zwei hieratischen Papyri mit Ritualen und Hymnen für Sobek von Krokodilopolis und weitere Gottheiten, die ebenfalls aus dem Fayum stammen und in die Römerzeit (1.–2. Jh.

277 twA(.t) ist wohl unetymologische Schreibung für dy, vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 282, Z. 17, (a). 278 Inhaltlich paßt m. E. nur eine Parallelisierung mit der vorigen Aussage, weswegen ich die Deutung von mn als Schreibung für die Präposition m trotz der von WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 282– 283, (a), angesprochenen phonetischen Probleme dennoch für stimmiger halte. Die Editorin möchte die Stelle stattdessen als mAA iaH lesen, da mn als Schreibung für mA(A) auch anderweitig belegt ist, und übersetzt dies trotz des nicht vorhandenen r mit „um den Mond zu sehen“. 279 Zu dem problematischen Ausdruck vgl. x+6, 4, siehe oben, Anm. 264. Inhaltlich würde etwas wie „das schwarze Land, das Fruchtland“ o. ä. besser passen, vgl. den Kommentar von WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 283, Z. 19, (b). Vgl. aber auch die enge Parallele in der Rede der (Isis-) Nebetuu im ‚Drama der königlichen Geburt‘ in Esna: irj.n=i s.t nwn m iw=f m rn=i pfj n As.t rd.n=i THn(.w) sxp(r).n=i ix.(w)t nb.w(t) Hr Sd im=sn r sanx ir.wt nb.w(t) m xt=k „Ich habe den Platz der Urflut bereitet bei ihrem Kommen, in jenem meinem Namen Isis, ich habe die Blumen wachsen lassen, ich habe alle Dinge entstehen lassen, indem ich mit ihnen nähre, um allen Menschen in deinem Gefolge den Lebensunterhalt zu gewähren.“ (Esna III, Nr. 306). Andererseits könnte mit QUACK, Rez. zu: Widmer, Résurrection d’Osiris, S. 316, auch (in unetymologischer Schreibung) r SAa (r) Km.w (= Km-wr) „bis hin zum Qarunsee“ gemeint sein. 280 WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 119; WIDMER, Papyrus démotique, S. 91. Eventuell steht i.irj aw Nwny jedoch für r-rA-a Nwn „bis zum Ende des Urozeans“, siehe QUACK, Rez. zu: Widmer, Résurrection d’Osiris, S. 316. Zur Verbindung der Isis zum Nordwind siehe oben, MM III, 21, m. Anm. 156. 281 Esna III, Nr. 307bis (Isis), vgl. auch Nr. 306 (Nebetuu), siehe Kap. 4.11.1.1.A. Von WIDMER, Résurrection d’Osiris, wurden diese Parallelen nicht bemerkt.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

n. Chr.) datieren: pWien Aeg. 8420 und 12405.282 Neben Sobek bzw. Sobek-Re von Krokodilopolis ist außerdem ein „König von Ober- und Unterägypten [(Harpsenesis) (‚Horus, Sohn der Isis‘)“ als Nutznießer der Rituale genannt. 283 Möglicherweise handelt es sich dabei um eine lokale Horusform, was die Texte hinsichtlich ihres Zweckes nahe an den zweiten Teil der demotischen Liturgiepapyri heranbringen könnte. Die hier relevante Sektion mit einem Morgenlied für Isis ist in beiden hieratischen Wiener Papyri erhalten und lautet nach der vorläufigen Übersetzung durch VON LIEVEN:284 Die Lobpreisungen der Isis, der Großen, der Gottesmutter im See-Land, an der Spitze der Duat. Rezitation: Erwache in Frieden, Isis, die Große, die Gottesmutter im See-Land, Mutter des Re, Mutter des Horus,285 Gottesgemahlin des [(Onnophris),286 wahrhaft an Stimme! Nepherses287 im Großen Grünen, Herrin von Ägypten,288 Auge des Re,289 Herrin des Großen Schwarzen (Km-wr),290 Prinzessin des Fayum, Hathor, die Große, Herrin des Flusses,291 Herrin der Opfergaben und der Speisen im See-Land,292 Katze in/als ?293 282 Edition in Vorbereitung durch A. VON LIEVEN. Siehe vorläufig EAD., Two Ritual Papyri, bes. 26 zur Isishymne; und EAD., Isis Hymn; vgl. zu den Parallelen auch WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 217, (a). Im letzteren Vorbericht gibt VON LIEVEN an, daß beide Papyri „likely come from the temple library of Soknopaiou Nesos“, während sie in ersterem noch vermutete, daß nur pWien Aeg. 8420 aus Soknopaiou Nesos stamme, pWien Aeg. 12405 hingegen möglicherweise aus Tebtynis. Vgl. hierzu die Diskussion von M. A. STADLER, Archaeology of Discourse: The Scribal Tradition in the Roman Fayyum and the House of Life at Dime, in: M. Capasso/P. Davoli (Hrsg.), Soknopaios. The Temple and Worship, Proceedings of the First Round Table of the Centro di Studi Papirologici of Università del Salento, Lecce, October 9th 2013, Edaphos 1, Lecce 2015, S. 187–232, bes. 196–197, der sich eher für eine Provenienz beider Papyri aus Tebtynis ausspricht. 283 VON LIEVEN, Two Ritual Papyri, S. 26 u. 28; EAD., Isis Hymn, S. 179–180, die einen divinisierten Menschen hinter dem Namen vermutet; WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 217, (a). 284 VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 173–174. Der Vorbericht enthält noch keine Photos, Facsimiles, hieroglyphische Transkription oder Transliteration der betreffenden Textstellen. Die Parallelen zur Litanei in den demotischen Liturgiepapyri aus Soknopaiou Nesos sind in den folgenden Anmerkungen notiert. 285 Interessanterweise wird Isis in der Litanei der demotischen Liturgiepapyri etwas abweichend, aber in gleicher Reihenfolge „Auge des Re, Auge des Horus“ genannt, siehe oben (pBerlin P. 6750, x+6, 1); vgl. WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 217–218, (e). Diese beiden Epitheta kommen auch hier weiter unten im Text vor, jedoch weit voneinander getrennt. Zum Inhalt der hier verwendeten Epitheta vgl. oben Anm. 260. 286 Die Bezeichnung als „Gottesgemahlin“ an Stelle von „großer königlicher Gemahlin“ des Osiris ist ungewöhnlich, vgl. VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 174. Isis erhält den Titel „Gottesgemahlin“ zwar auch in anderen Isishymnen, jedoch dort in anderem Kontext, siehe Philae-Hymne 3, Kap. 4.1.1.A. 287 Vgl. pBerlin P. 8765, x+2, 29, siehe oben, Anm. 252. 288 Vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 4; siehe auch WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 220, (b). 289 Vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 1; vgl. auch oben, Anm. 285. 290 Vgl. evtl. pBerlin P. 6750, x+6, 4; siehe oben, Anm. 264. 291 Vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 4; siehe auch WIDMER, Résurrection d’Osiris, S. 220, (a). 292 Vgl. evtl. die etwas unklaren Sektionen im Buch vom Fayum (Z. 66–68 und 473–479), die auf ix.wt der Isis verweisen, womit Opfergaben oder aber göttliche Körpersubstanzen gemeint sein könnten; siehe Kap. 4.13.4. 293 Bat (BA.t) oder evtl. Schedet? Vgl. VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 176. Schedet (vgl. LGG VII, 155c– 156a) wird als Name der Ahetkuh ebenfalls im Buch vom Fayum genannt, wo sie außerdem als „Gottesgemahlin“ (!) bezeichnet wird: Z. 133–139; 189; 195; 552; siehe dazu BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 325; ID., Mythos I, S. 76–77, m. Abb. 62–63; VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 178–179. Schedet

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Hymnen und Gebete

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im Haus der Schedet, Mafdet, Tochter des Geb im Großen Grünen,294 Repit, die Ptah geboren hat, Auge des Horus,295 die die Achtheit geboren hat, Jahr (Rnp.t) im SeeLand, Teshyt, Repit des See-Landes, die ihren Bruder trägt,296 Satet/Sothis am Himmel, […], Schedet, Herrin der Arbeit, die ihren Vater liebt, Herrin von […], deren Gesicht leuchtet mit Uräen297… Abgesehen von den hier kommentierten teilweisen Parallelen in den aufgezählten Epitheta der Isis zur Litanei der demotischen Liturgiepapyri, konnte VON LIEVEN auch enge Verbindungen zu der im Buch vom Fayum dargestellten sakralen Topographie feststellen,298 die hier jedoch auf Isis als angesprochene Gottheit übertragen wird; ähnlich wie in der kulttopographischen Litanei von Dendara nimmt Isis dabei die Identitäten oder Beinamen von an spezifische Lokalitäten gebundenen Göttinnen an, wenngleich die jeweiligen Orte in dem Morgenlied der Wiener Papyri nicht explizit genannt werden. Dokumentarische Quellen zu Isis im Fayum Die beiden diskutierten Textgruppen – die Hymnen des Isidoros in Medinet Madi und die beiden Berliner liturigischen Papyri aus Soknopaiou Nesos – wurden hier zum Anlaß genommen, um etwas ausführlicher auf den Isiskult im griechisch-römischen Fayum einzugehen, was die aus dem Fayumbuch gewonnenen Informationen (Kap. 4.13.4) ergänzen soll. Isis scheint nach den verschiedenen Sobek-Formen die wichtigste Gottheit im Fayum gewesen zu sein, was sich neben den genannten ausführlich bearbeiteten Quellen auch in den griechischen Weihinschriften aus dieser Region ablesen läßt.299 Zahlreiche papyrologische dokumentarische Quellen liefern zudem Angaben über organisatorische und wirtschaftliche Aspekte des Kultes (z. B. Tempelpersonal und -wirtschaft) sowie einzelner Feste, was hier jedoch nicht ausführlich thematisiert werden soll.300 Ergänzend zu den in den besprochenen Texten erwähnten Festen seien hier jedoch der Vollständigkeit halber noch das Geburtsfest der Isis Nepherses (griech. Amesysia genannt) am 26. Epiphi und ihr Hochzeitsfest am 8. Choiak genannt, die ebenfalls in Soknopaiou Nesos begangen wurden und für die unter anderem Tempelabrechnungen vorliegen.301 Außer den in der Litanei der liturgischen Papy-

294 295 296 297 298 299 300

301

ist allerdings weiter unten im Text der Hymne noch einmal sicher genannt („Schedet, Herrin der Arbeit…“). Diese Sequenz von Epitheta ist ungewöhnlich, vgl. dazu VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 175–177. Vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 1; vgl. auch oben, Anm. 285. Zur Abfolge „Teshyt, Repit …, die ihren Bruder trägt“ vgl. das Buch vom Fayum, Z. 532; siehe VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 177–178. Zum Epitheton „Repit des Seelandes“ sowie dem kurz zuvor genannten „Jahr (Rnp.t) im See-Land“ vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 3, mit Anm. 262. Nach VON LIEVEN, Isis Hymn, S. 179, wohl eine Anspielung auf die Ikonographie der zuvor genannten Isis Nepherses, die im Buch vom Fayum mit zwei Uräen an der Hathorkrone dargestellt wird (siehe oben, Kap. 4.13.4, mit Anm. 2820). Zu diesen Bezügen im einzelnen siehe VON LIEVEN, Isis Hymn, passim. Siehe É. BERNAND, Épigraphie grecque, S. 68–69. Zu den Festen siehe besonders die Übersicht bei PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte; zum Kultpersonal z. B. OTTO, Priester und Tempel (allgemein; speziell zu Isis siehe Index, S. 380, s. v.); DUNAND, Culte d’Isis I, S. 126–138; DEPAUW, The Isionomos (mit einer großen Anzahl fayumischer Quellen). Siehe RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 158; BRICAULT, Isis Néphersès, S. 527; WIDMER, Fêtes, S. 5–6; A. JÖRDENS, Griechische Papyri aus Soknopaiou Nesos, (P. Louvre I), Papyrologische Texte u. Ab-

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

ri genannten, in Soknopaiou Nesos verehrten Isisformen Nepherses und Nephremmis (pBerlin P. 8765, x+2, 29; pBerlin P. 6750, x+6, 1 und x+6, 4) sind für diese Ortschaft noch Esenchebis (= As.t n/m ¢bj.t „Isis in Chemmis“)302 und eventuell Sononais(?)303 belegt.304 Mit einem weiteren ungewöhnlichen Beinamen wird Isis in Theadelphia verehrt:305 ein Asylie-Dekret von 93 v. Chr. betrifft die Priester der Isis Sachypsis (Σαχυψις).306 Den gleichen Beinamen geben wohl auch die griechischen Transkriptionen Sasypsis (Σασυψις) und eventuell Sasophis (Σασοφις) wieder, die in Inschriften aus der Kaiserzeit belegt sind. 307 THISSEN 308 erklärte das Epitheton als ägyptisches TAj-xpS „die das Sichelschwert ergriffen hat“ und führte als Parallele Tempelszenen an, in denen eine Gottheit ein solches Sichelschwert an den König überreicht. 309 Problematisch ist allerdings, daß ein solches Epitheton laut LGG ägyptisch nicht belegt ist, auch nicht für andere Gottheiten.310 Zumindest die zuletzt genannte Form Sasophis könnte hingegen vielmehr auf das ägyptische Epitheton SAa(.t) xpr „die zuerst entstanden ist“ zurückgehen,311 das tatsächlich auch häufig für Isis belegt ist.312 Ein demotischer Götterbrief von 155 v. Chr. bezeugt außerdem die Verehrung von Isis-Nephersais (As.t-nA-nfr.t-ir-Sy), „Isis mit vollkommenem Schicksal“ in Euhemeria.313

302

303 304 305 306 307 308 309 310 311 312 313

handlungen 43, Bonn 1998, S. 39; EAD., Griechische Papyri in Soknopaiou Nesos, in: Lippert/Schentuleit (Hrsg.), Tebtynis und Soknopaiu Nesos, S. 41–56: 51, Anm. 44. Das belegte Datum des Geburtsfestes richtet sich nach dem alexandrinischen Kalender und korrespondiert in dem entsprechenden Jahr (138 n. Chr.) mit dem 2. Thoth des ägyptischen Wandeljahres, fällt also auch hier in den üblicherweise für die Feierlichkeiten zur Isisgeburt angegebenen Zeitraum (beginnend mit dem 4. Epagomenen), vgl. PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 66–71 und 71. Die Feste zogen sich jeweils über mehrere Tage hin. IG Fayoum 204: 68 v. Chr., Weihung eines Areals für Isis Esenchebis durch Mitglieder ihrer Kultassoziation; vgl. RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 160; É. BERNAND, Épigraphie grecque, S. 73; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 129–130; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 295–297. Esenchebis ist auch in Schedet (= Krokodilopolis/Arsinoë) belegt, IG Fayoum 11 (Zeit Ptolemaios’ XII.); vgl. ZECCHI, Geografia religiosa, S. 75. Siehe dazu oben, Anm. 186. Zum Isiskult in Soknopaiou Nesos, besonders nach den verschiedenen demotischen Quellen, siehe auch STADLER, Interpreting the Architecture, S. 385. In Theadelphia war Isis auch in der Form Eseremphis präsent, siehe oben, Anm. 262. IG Fayoum 112–113 (das Dekret ist in zwei Exemplaren erhalten). IG Fayoum 130 u. 125. Vgl. dazu THISSEN, Isis σαχυψις; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 130–131; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 195. THISSEN, Isis σαχυψις, S. 280–281. Die früheren Deutungen von SPIEGELBERG (sAx=f-sj „er verklärt sie“) und RÜBSAM (σαός – ὄφις „die mit der rettenden Schlange“) sind zu vernachlässigen. Vgl. z. B. für Isis die Monumentalszene Philae-Photos 385–386, siehe oben, Kap. 4.1.1.A. Vgl. LGG V, 721b. Vorschlag von J. F. QUACK, persönliche Mitteilung. Siehe z. B. die Texte Dend. Porte d’Isis, Nr. 31; Dend. II, 98, 2–99, 3; Dend. VI, 88, 12–89, 2; Deir Chelouit II, Nr. 85. Vgl. auch LGG VII, 23b–24b. pKairo 31255; siehe MIGAHID, Briefe an Götter, Nr. 4, S. 54–73; Taf. 2–3. Mehr zum Inhalt des Briefes unten, Kap. 6.4.2.2. Zu der Isisform Isis-Nephersais, die von Isis-Nepherses zu unterscheiden ist, QUAEGEBEUR, Shaï, S. 218; LGG IV, 233a; der Name (T)Nefersais kann auch von anderen Göttinnen getragen werden und kommt noch häufiger als weiblicher PN vor, vgl. dazu O. E. KAPER/K. A. WORP, A Bronze Representing Tapsais of Kellis, in: RdÉ 46, 1995, S. 107–118, bes. 115–117.

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Hymnen und Gebete

6.1.3

599

Zwischen Fayum und Oxyrhynchos: Demotische und griechische Isishymnen mit ausführlichen kulttopographischen Litaneien in pWien D. 6297+6329+10101 und pOxy. 1380

6.1.3.1 pWien D. 6297+6329+10101 Ebenfalls möglicherweise aus Soknopaiou Nesos stammt der paläographischen Analyse STADLERs zufolge der bisher unpublizierte pWien D. 6297+6329+10101. 314 Zumindest eine generell fayumische Herkunft ist sehr wahrscheinlich, und die paläographische Datierung in die erste Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.315 bringt den Text noch weiter in die Nähe der zuvor besprochenen Berliner liturgischen Papyri. Die erhaltenen Fragmente lassen sich zu 13 Kolumnen zusammenfügen; der Text dürfte ursprünglich jedoch noch wesentlich länger gewesen sein.316 Der Inhalt des Wiener Papyrus zeigt, daß es sich keinesfalls um eine regionalspezifische Komposition handelt. Vielmehr ist der Text als eine Weiterentwicklung der auf älteren ägyptischen Traditionen beruhenden kulttopographischen Litanei für Isis anzusehen, wie sie in ihrer ausführlichen Form in den Tempeln von Dendara und auf einem hieratischen Papyrus aus Tebtynis erhalten ist. 317 Der Name der Göttin taucht allerdings in den erhaltenen Fragmenten nirgends auf, läßt sich aber aufgrund der großen Anzahl von Paralleltexten für Isis(-Hathor) – und ausschließlich für diese – mit großer Wahrscheinlichkeit rekonstruieren.318 Zu Beginn des erhaltenen Teils wird über die Göttin(?) in der 3. Pers. sing. fem. Gesprochen, und sie wird in Beziehung zu Pa-Schai, Re und dem Pharao gebracht. Da die Epitheta zudem einen aggressiven Grundton haben, dürfte hier eine übliche Charakterisierung als schützende und feindvernichtende Uräusschlange des Königs bzw. der Götter vorliegen,319 wie sie auch aus zahlreichen Tempeltexten bekannt ist.320 Der größte Teil des Erhaltenen entspricht dann den bekannten Formen der kulttopographischen Litanei, die die Adressatin nun – im Kontrast zum vorigen Abschnitt – direkt in der 2. Pers. sing. fem. anspricht, wobei aber unterschiedliche Schemata aneinander gereiht sind. Zunächst erfolgt eine topographische Aufzählung ihrer Herrschaftsbereiche nach dem Muster „Du bist die Herrin von X“, wobei die Orte oder anderen Objekte jedoch

314 Edition in Vorbereitung durch M. STADLER; siehe vorläufig ID., Universality of Isis; ID., in: KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 86; ID., Spätägyptische Hymnen, S. 160–162; ID., Einführung, S. 112; kurze Notiz bei E. A. E. REYMOND, Demotic Literary Works of Graeco-Roman Date in the Rainer Collection of Papyri in Vienna, in: Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Papyrus Erzherzog Rainer (P. Rainer. Cent.), Wien 1983, S. 42–60: 46, allerdings mit falscher Deutung als „Glorifikation der Kleopatra Philopator“. 315 STADLER, Universality of Isis, S. 232. 316 STADLER, Universality of Isis, S. 232–233; die Rekonstruktion von 13 Kolumnen geht bereits auf E. A. E. REYMOND zurück, die sich in den späten 70er und frühen 80er Jahren mit dem Papyrus auseinandersetzte. 317 Siehe die Texte Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (Kap. 4.6.1.A); Dend. I, 20, 14–21, 5 (Kap. 4.6.2); pTebt. H I (Kap. 4.13.1.1). Vgl. allgemein dazu NAGEL, One for All. 318 STADLER, Universality of Isis, S. 233. 319 Vgl. STADLER, Universality of Isis, S. 233. 320 Siehe oben, Kap. 5.2.2.1.B und 5.2.2.3.B.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

fast gänzlich verloren sind.321 Die Reihe wird nach 19 erhaltenen Nennungen zu einer Liste von Gleichsetzungen mit anderen Göttinnen nach dem Muster mtw=T X „Du bist (die Göttin) X“ variiert, teilweise erweitert durch Ortsnamen („…die in Y ist“).322 Ein Teil der erhaltenen Nennungen bezieht sich deutlich wieder auf die Uräusschlange. Für die Formel mtw=T X lassen sich als Vergleich z. B. die Beischriften der Gauprozession Dend. I, 90, 15– 97, 3 und 122, 14–128, 12 heranziehen, die die Tempelgöttin(nen) Isis-Hathor jeweils durch ntT X sukzessive mit den Hauptgöttinnen der Gaue identifizieren.323 STADLER geht allerdings hypothetisch davon aus, daß die Nennungen jeweils in der nicht erhaltenen linken Hälfte der Kolumne durch die alte Namensformel „in diesem deinem Namen X“ (m rn=T pn X) fortgeführt wurden, die tatsächlich auf einigen separaten Fragmenten erhalten ist.324 Zu vergleichen wäre die Hymne mit der Namensformel in Assuan-Hymne 6 und Parallelen.325 In der 10. erhaltenen Kolumne ändert sich das Schema, so daß die Zeilen nun jeweils mit der Formel tj=t Hr… „Du bist über X“ oder tj=t aHa n… „Du stehst für X“ beginnen, während jeweils am Ende Regionen der bekannten Welt in allen vier Himmelsrichtungen genannt werden.326 Sowohl die Formel als auch der inhaltlich angesprochene Geltungsbereich unterscheidet demnach diesen Text von den Mustern der zuvor besprochenen kulttopographischen Litaneien in ägyptischer Sprache, ist aber zumindest thematisch eng mit dem kulttopographischen Abschnitt von MM I verwandt, zumal auch im Wiener Papyrus speziell die einzelnen Völker genannt werden.327 So besagt der Text z. B. konkret, daß die Göttin bei den Griechen Demeter heißt, bei den Medern Anahita, bei den Assyrern Nanaia und bei den Persern athyna(?) oder Athyna(?) 328 (= Latina oder Athena, eine Interpretatio graeca der Anahita). Demeter und Nanaia werden auch in MM I genannt (s. o.); wahrscheinlich handelt es sich hier um eine zusammenhängende Texttradition. 6.1.3.2 pOxy. 1380 Noch enger verwandt mit pWien ist jedoch der griechische pOxy. 1380329 aus der mittelägyptischen Stadt Oxyrhynchos, die über den Bahr Yussuf in direkter Verbindung zum 321 322 323 324 325 326 327 328

329

STADLER, Universality of Isis, S. 233. STADLER, Universality of Isis, S. 233; ID., in: KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 86. Siehe oben, Kap. 4.6. 2. STADLER, Universality of Isis, S. 233–234; ID., in: KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 86. „Die du glänzend bist im Himmel bei Re in jenem deinem Namen ‚Glänzende‘…“ usw., siehe oben, Kap. 4.2.1.A. STADLER, Universality of Isis, S. 234; ID., Spätägyptische Hymnen, S. 160. Die Abfolge der Himmelsrichtungen ist die typisch ägyptische, vgl. ibid., S. 162. Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Geschrieben vielleicht in demotischer Umsetzung des griechischen Akkusativs: athyn&n\, evtl. aber auch athyn&A\. Das L ist eine Emendierung nach pOxy. 1380, Z. 104, und stammt nach STADLER, Spätägyptische Hymnen, S. 162; und ID., Universality of Isis, S. 237–240, evtl. nur von einer aberratio oculi, da im Wiener Papyrus direkt in der Zeile darunter Lty – vielleicht die griechische Leto – genannt ist, bei der das L aber zwischen den Zeilen steht. Siehe zu diesem Problem auch unten, im Stellenkommentar zu pOxy. 1380. Edition GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 190–220; mit K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 106–117, der versuchte, einige der unsicheren, teilweise auch nicht ganz erhaltenen Epitheta direkt als Transkriptionen aus dem Ägyptischen zu erklären – m. E. nicht immer überzeugend. Siehe außerdem VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380; TOTTI, Ausgewählte Texte, S.

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Hymnen und Gebete

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Fayum steht330 und sich ebenfalls durch zahlreiche Papyrusfunde auszeichnet, in denen sich viele Zeugnisse für eine gräko-ägyptische Mischkultur bewahrt haben. Die griechische Handschrift datiert in das frühe 2. Jh. n. Chr., also etwa 100 Jahre später als der Wiener Papyrus. Über den Zeilen wurden in einer zweiten, aber kontemporären Handschrift Korrekturen eingetragen.331 Der Papyrus enthält einen sehr ausführlichen Text mit Lobpreis an Isis in 12 erhaltenen Kolumnen, der sich in eine kulttopographische Litanei, eine eulogische Epithetareihe und eine Prosahymne untergliedert. Zu Beginn der kulttopographischen Litanei findet sich die interessante Kombination einer ägyptischen Städteliste mit griechischen Göttinnennamen und Epitheta; das Muster der Zuordnungen ist also nicht das gleiche wie im pWien, sondern ist nach dem Schema „in Ort X die Göttin Y“ aufgebaut, was demjenigen der Litaneien Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Dend. I, 20, 14–21, 5, sowie den meisten Parallelen entspricht (nur mit Umkehrung der Reihenfolge von Göttin – Stadt). Der erhaltene Teil des Oxyrhynchos-Papyrus beginnt mit Unterägypten, wofür allein bereits 67 Toponyme genannt werden (Abschnitt A: Unterägypten, Z. 1–76), wobei die Anordnung der einzelnen Städte einigermaßen systematisch erfolgt:332 Am Anfang stehen Aphroditopolis und Memphis (Z. 1–2), anschließend folgt die Aufzählung dem westlichen Hauptarm des Nils nach Norden. Dann geht es gen Osten, zunächst in das Zentraldelta (ab Z. 27), dann nach Süden (ab Z. 37), nochmals zurück in den äußersten Westen an der Grenze zu Libyen (ab Z. 43) und schließlich in das östliche Delta (ab Z. 46). Zum Schluß werden Küstenstädte östlich und westlich von Alexandria genannt (ab Z. 60). Alexandria selbst kommt in der Liste jedoch nicht vor.333 Wahrscheinlich ging dem ursprünglich eine ebenso gestaltete oberägyptische Sektion voraus, was der üblichen Reihenfolge in anderen ägyptischen kulttopographischen Texten entspräche. Wie der Wiener Papyrus ist die Aufzählung jedoch nicht auf Ägypten beschränkt, sondern setzt die Liste mit Orten rund um das Mittelmeer fort (Abschnitt B: Mittelmeerraum, Z. 76–119), was wiederum an den kulttopographischen Abschnitt in MM I erinnert, allerdings deutlich ausführlicher ausgestaltet ist. Dabei fällt auf, daß der westliche Mittelmeerraum – wohl aus Unkenntnis – recht stiefmütterlich behandelt wird: nur Rom (Z. 83) und Italien als Ganzes (Z. 109–110) werden genannt, und dies noch dazu getrennt durch zahlreiche Toponyme aus dem östlichen Mittelmeerraum und sogar Persien. Dies gemahnt wieder an die deutlich kürzere kulttopographische Litanei in MM I, wo der Westen ganz ausgelassen ist.334 Bei den eigentlichen Benennungen der Göttin in den einzelnen Städten gibt es drei unterschiedliche Methoden, 335 die oft auch miteinander kombiniert werden, da für viele

330 331 332 333 334 335

62–75; LAFAYE, Litanie grecque; COLLART, Invocation d’Isis; VANDEBEEK, Interpretatio Graeca, S. 133–136; und rezent CHAPOT/LAUROT, Corpus de prières, S. 198–204, G90; MUÑIZ GRIJALVO, Himnos, S. 128–137; JÖRDENS, Griechische Texte, S. 289–295; QUACK, Religion gréco-égyptienne. Vgl. zur geographisch-kultischen Verbindung zwischen Oxyrhynchos und dem Fayum (am Beispiel Tebtynis) TÖPFER, Sothisritual, S. 158–163. LAFAYE, Litanie grecque, S. 55. Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 194; dagegen spricht DUNAND, Culte d’Isis I, S. 120, von einer „désordre évident“. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 195, spekulieren, ob evtl. mit der „Insel“ (Z. 68) die Pharos-Insel stellvertretend für Alexandria gemeint sein könnte. Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. QUACK, Religion gréco-égyptienne.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Orte mehrere Namen bzw. Beinamen hintereinander weg angegeben werden. Relativ selten und auf den Abschnitt über Unterägypten (A) beschränkt sind phonetische Transkriptionen ägyptischer Namen und Epitheta. Hierzu gehören:336 „One“ (Z. 1); „[…]chmeunis“ (Z. 3); „[…]atroichis“ (Z. 14); „Muchis“ (Z. 45–46); „Eseremphis“ (Z. 46); „Thauestis“ (Z. 68); „Tachnepsis“ (Z. 74–75). Mehrfach werden des weiteren griechische und andere ausländische Göttinnennamen genannt, die zumindest in A oftmals ihre jeweiligen ägyptischen Entsprechungen meinen. So heißt Isis z. B. „im Saites die Siegreiche (νικήτριαν), Athena“ (Z. 30), was sich auf die ägyptische Hauptgöttin des Gaues, Neith, beziehen muß, die auch sonst mit Athena gleichgesetzt wird.337 Unter anderem338 wird Isis wie in dem kulttopographischen Abschnitt von MM I Astarte (Z. 116), Artemis (Z. 84–85), Nanai(a) (Z. 106), Leto (Z. 79), Hera (Z. 26, 32, 34, 59–60 u. 67–68),339 Aphrodite (Z. 9, 22, 35, 45, 67) und Hestia (Z. 23 u. 73) genannt, wenngleich die geographischen Zuordnungen sich unterscheiden, was aber bereits aus dem unterschiedlichen Aufbau der beiden Texte resultiert (eine große Anzahl einzelner Städte im ganzen Mittelmeerraum in pOxy. 1380 versus nur sechs verschiedene, große Volksgruppen in MM I). Auffällig ist besonders das Fehlen der in MM I unter den griechischen Göttinnennamen genannten Demeter in pOxy. 1380, was sich jedoch vielleicht mit dem unvollständigen Erhaltungszustand des Papyrus rechtfertigen läßt. Deutlich häufiger als bekannte Eigennamen von Göttinnen sind jedoch griechische Epitheta, die in vielen Fällen ebenfalls auf ägyptische Beinamen zurückzuführen sind. Die prinzipielle Vorgehensweise, Eigennamen bekannter Gottheiten und einzelne Epitheta zu kombinieren, ist bereits aus der ägyptischen kulttopographischen Litanei bekannt (natürlich abzüglich der Übersetzungen und Übertragungen ins Griechische), 340 wenngleich im griechischen Papyrus die geographischen Zuordnungen im Kontrast zu den sorgfältig ausgewählten und theologisch fundierten der Vorbilder teilweise zunächst recht wahllos verteilt zu sein erscheinen.341 Auf die durch die literarische Form der kulttopographischen Litanei selbst ausgedrückte Einzigartigkeit bei gleichzeitiger Vielfältigkeit der Isis wird im Oxyrhynchos-Papyrus 336 Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192; LAFAYE, Litanie grecque, S. 94. 337 Siehe z. B. Herodot, II, 59; Plutarch, De Iside, 9; vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 207; SAYED, Neith, S. 665–674; J. QUAEGEBEUR/W. CLARYSSE/B. VAN MAELE, Athéna, Neith and Thoeris in Greek Documents, in: ZPE 60, 1985, S. 217–232, auch zur Verbindung von Neith-Athena mit Isis in griechischen Quellen; dazu auch VON LIEVEN, Translating Gods, S. 65–66; AUFRÈRE, Sous le vêtement, S. 212–223. Zu den bereits seit Herodot bekannten gängigen Gleichsetzungen ägyptischer und griechischer Götter (‚Interpretatio graeca‘) siehe generell KOLTA, Gleichsetzung; VON LIEVEN, Translating Gods. Im Übrigen wird Neith seit der Saitenzeit auch in Oxyrhynchos selbst verehrt und ab der Ptolemäerzeit mit der dortigen Hauptgöttin Thoeris sowie der griechischen Entsprechung Athena gleichgesetzt, vgl. dazu TÖPFER, Sothisritual, S. 134–138. 338 Für eine Liste aller Göttinnen, mit deren Namen Isis im Papyrus benannt wird, siehe GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192. 339 Zu den genannten Gleichsetzungen mit Hera siehe BRICAULT, Trône, S. 136. 340 Siehe Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (Kap. 4.6.1.A) mit Parallelen. 341 Vgl. GRIFFITHS, Isis-Book, S. 147. Auch F. SOLMSEN, Isis among the Greeks and Romans, Cambridge, MA – London 1979, S. 59; und LAFAYE, Litanie grecque, S. 95, halten einige der Identifikationen für schlicht erfunden, was m. E. jedoch abzulehnen ist: es sei auf die exemplarische Kommentierung einiger Zuordnungen unten verwiesen, wo sich zeigt, daß bei genauem Nachforschen durchaus der Sinngehalt einzelner Zuordnungen und ihr Rückhalt in ägyptischen Quellen erhellt werden kann.

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Hymnen und Gebete

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mehrfach auch explizit angespielt: so heißt sie in Letopolis magna „die Eine“ (μία, Z. 5– 6),342 und in Aphroditopolis „die Vielgestaltige (Aphrodite)“ (πολύμορφος, Z. 9),343 in Sinope und Delos „die Vielnamige“ (πολυώνυμος, Z. 97 u. 101).344 Der auf die kulttopographische Litanei (A+B) folgende Rest des Textes (Z. 119–298), läßt sich, wie bereits die Erstherausgeber richtig andeuteten, 345 aufgrund der deutlichen formalen Unterschiede sowie der dazu passenden ägyptischen Vorbilder346 in zwei einzelne Abschnitte C „eulogische Epithetareihe (im Nominalstil)“ (Z. 119–142) und D „Prosahymne (mit Verbalphrasen)“ (Z. 143–298) unterteilen. 347 In letzterer wird neben vielen anderen Aspekten, die vornehmlich das Wesen und die Taten der Göttin selbst betreffen, nochmals ihre universelle Verehrung verdeutlicht, die aus der Städteliste an sich hervorgeht: Du hast Iseia gegründet in allen Städten für alle Zeit… (Z. 202–203).348 In Z. 298 bricht der Papyrus ab und es ist unklar, wieviel am Ende verloren ist. Formal ist der Text durch eine (nicht immer erhaltene) Interpunktion gegliedert, die einzelne, meist sehr kurze Phrasen oder Paragraphen voneinander abtrennt und im Folgenden in der Übersetzung jeweils durch Semikolon bzw. Punkt wiedergegeben wird. Grammatik und Stil sind uneinheitlich und weisen keine klare Struktur auf: so wunderte sich WEINREICH darüber, daß einerseits der Großteil der kulttopographischen Epiklesen im Akkusativ steht, dieses Schema jedoch an einzelnen Stellen durch Nominative wieder unterbrochen ist, ohne daß ein klarer Anlaß vorliegt.349 Der Text ist bisher gerne insgesamt als Litanei bezeichnet worden; 350 dies trifft im strengen Sinne jedoch nur auf den ersten, den kulttopographischen Abschnitt des Textes zu, wohingegen es sich bei dem Rest um eine Eulogie und eine Prosahymne handelt.351 Eine ausführliche Diskussion des gesamten Textes und sämtlicher einzelner Beinamen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, und erforderte eine eigene Neuedition. Hierfür

342 Ägyptisch wa.t, vgl. NAGEL, One for All; LGG II, 286; DOUSA, Imagining Isis, S. 168–173, zur Stelle S. 174, Anm. 95. 343 Vgl. die ägyptische Formel am Ende von wdnw-Litaneien: „in all seinen/ihren Namen, in all seinen/ihren Gestalten, an all seinen/ihren Orten“, vgl. ASSMANN, s. v. „Litanei“, bes. 1062–1063; QUACK, Geographie als Struktur, S. 131–132; ID., Neuer funerärer Text, bes. S. 77–78 u. 83–86. 344 Vgl. zu letzterer Bezeichnung MM I, 26, siehe oben, Kap. 6.1.2.1; vgl. ägyptisch aSA(.t) rn.w. Vgl. auch die vorige Anm. 343. 345 GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 190, allerdings weniger explizit als hier vorgenommen. 346 Vgl. Kap. 5.1.2. 347 Zur formalen Analyse dieser beiden Abschnitte vgl. bereits LAFAYE, Litanie grecque, S. 96; CHAPOT/LAUROT, Corpus de prières, S. 202–203; TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 52, und QUACK, Religion gréco-égyptienne; bei letzteren beiden auch der Hinweis auf die ägyptischen Vorbilder. 348 Vgl. auch Z. 57: „Herrscherin der Städte“ (ἄνασσα πόλεων). 349 WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 21. 350 Dazu WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 22–24, der allerdings – in Unkenntnis der ägyptischen Quellen – behauptet, daß „kein einziges Zeugnis die Existenz von wirklichen Litaneien im Isiskult nahelegt“. Er zieht stattdessen die Parallele zu christlichen Litaneien und muß daher feststellen, daß der für diese typische Wechselgesang von Priester und Gläubigen in der Antike nicht belegt ist. 351 Vgl. zu dieser Korrektur auch DOUSA, Imagining Isis, S. 151, Anm. 8.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

sei auf die Ankündigung eines solchen Vorhabens durch L. BRICAULT352 sowie vorläufig auf die bereits vorhandenen Kommentare verwiesen.353 Im Folgenden soll aber zumindest auf einige auffälligere Titel und geographische Zuordnungen der kulttopographischen Litanei, bzw. auf solche, die sich durch die von mir bearbeiteten ägyptischen Texte oder rezente Literatur näher beleuchten lassen, eingegangen werden, bevor die Eulogische Epithetareihe und die Prosahymne etwas ausführlicher betrachtet werden. Die geographischen Zuordnungen354 A. In Unterägypten: Z. 3:

[τὴν ἐν τῷ] Ἡφαίστου οἴκῳ [… … …]χμευνιν  [im] Haus des Hephaistos (= Memphis) […]chmeunis.355

Die Übertragung dieses Epithetons aus dem Ägyptischen läßt sich bereits an der Bezeichnung „Haus des Hephaistos“ (ägyptisch @w.t-kA-PtH) für Memphis ablesen. „[…]chmeunis“ ist offenbar die Transkription eines ägyptischen Namens.356 BERGMAN leitet ihn von einer ägyptischen Verbindung Sachmet-Unut (zu ergänzen dann [Sa]chmeunis) ab,357 mit Verweis auf Assuan-Hymne 6, wo als Formen der Uräusschlange „Nechbet, Uto, Schesemtet, Unut (Uräusschlange), die inmitten des Sees, deren Stadt Memphis ist“ genannt sind (siehe Kap. 4.2.1.A). Vorbild ist sicherlich die Rezitation zur Räucherung für die Uräusschlange, ein vielfach und bis in griechisch-römische Zeit belegter Text, in dem das Diadem unter anderem als „Sachmet, Neseret, Uto, die von Pe und Dep, Unut, Menhit…“ angerufen wird. 358 Die direkte Götterverbindung Sachmet-Unut ist ägyptisch nach BERGMAN und auch m. W. bisher nicht bekannt, zumindest aber gibt es Belege für Bastet-Unut: BERGMAN nennt pKairo CG 31168, 3, 14 (nach LGG II, 743a, zu 2, x+13, zu korrigieren; zu diesem Papyrus siehe unten, Kap. 6.3.1); dem ist noch Dend. XI, 157, 12, hinzuzufügen, sowie die Vox magica „Sachmoune“ (Σαχμου[ν]ε) in PGM VII 365. Im Kontrast zu pOxy. 1380 wird Isis der ägyptischen kulttopographischen Litanei zufolge in Memphis „das Jahr“ (rnp.t), 359 „die Vortreffliche“ (mnx.t), 360 „die große Einzigartige“ (wa.t wr.t) 361 oder „die große Göttin“ (nTr.t aA.t) 362 genannt. Gerade diese bereits vorhandene Vielseitigkeit der 352 BRICAULT, Dame des flots, S. 112, Anm. 75. Mittlerweile ist eine gemeinsame Neuedition des pOxy. 1380 zusammen mit der Erstedition des pWien D. 6297+6329+10101 durch M. STADLER und L. BRICAULT geplant. 353 Siehe oben, Anm. 329. 354 Zur archäologischen Evidenz des Isiskultes in den einzelnen genannten Deltastädten siehe die Anmerkungen von DUNAND, Culte d’Isis I, S. 119–122. 355 Der griechische Text folgt, wenn nicht anders vermerkt, der Edition von TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 62–75. 356 Vgl. oben, und LAFAYE, Litanie grecque, S. 94. 357 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 266–267. Die Ergänzung bietet bereits K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 106, allerdings mit der Übersetzung „stark (sxm) ist One“. 358 Siehe ERMAN, Hymnen an das Diadem, S. 29–33. Zuletzt dazu TÖPFER, Sothisritual, S. 32–36. 359 Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. I, 20, 14–21, 5;Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XII, 28, 13–32, 7. 360 Philä I, 168–169; Kalabchah I, 118. 361 Dend. XIII, 73, 14–74, 1. 362 Philae-Hymne 7.

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ägyptischen Quellen, die angesichts der Bedeutung der Isis in Memphis363 nicht verwundern darf, legt m. E. die Möglichkeit einer weiteren (in den erhaltenen ägyptischen Quellen bisher nicht belegten) Tradition „Sachmet-Unut(?)“ nahe. Z. 19–21: [τὴ]ν  ἐν  Ναυκράτι  ἀπάτειραν  εὐφρο[σύ]νην  σώτειραν  παντο‐ κράτειραν [μ]εγίστην in Naukratis die Vaterlose, Froh[si]nn, Retterin, Allherrscherin, Größte. Die Zuordnung des ansonsten nicht belegten Titels „Vaterlose“ zu Isis ist problematisch,364 wohingegen es sich bei den übrigen aneinandergereihten Beinamen um relativ gängige, allgemeine Attribute handelt.365 M. E. könnte sie durch die ungewöhnliche Benennung nach ägyptischem Konzept als Urgöttin, die sich selbst erschuf, gekennzeichnet sein; man vergleiche z. B. ihre Bezeichnung als „die Himmelskuh, die gebiert, ohne geboren worden zu sein“ oder „die Große, die zuerst entstanden ist als Herrin der Erde unter den Göttern (?)“ in Deir el-Schelwit.366 Dagegen zweifelte K. F. W. SCHMIDT die Bedeutung „vaterlos“ hier an und schlägt statt dessen eine Ableitung von ἀπατουρία oder ἀπατούρη, einem Epitheton von Aphrodite u. a. (beim Fest der Apatourien werden die Stammgötter des attischen Volkes gefeiert), vor, da dies gut zum Toponym Naukratis, wo Aphrodite als wichtigste griechische Göttin verehrt wurde, passen würde.367 Z. 28:

[ἐ]ν Θώνι ἀγάπ[ην …]  in Thonis Lieb[e …?].

Zu Thonis (@n.t) als Kultort der Isis vgl. auch Philae-Hymne 7, wo sie aber nicht „Liebe“, sondern „die Herrin des Aufziehens“ genannt wird. 368 Die übliche Identifikation von Thonis und Herakleion ist hier problematisch, da Herakleion im pOxy. 1380 in Z. 61–62 separat genannt wird, siehe unten. Zum griechischen Begriff ἀγάπη vgl. eine weitere Nen-

363 Umfassend dargestellt bei BERGMAN, Ich bin Isis. 364 Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 206. 365 Zu „Frohsinn“ vgl. Z. 178–179: „jeden Tag hast du dem Frohsinn zugewiesen.“ Siehe den Kommentar unten. Als „Retterin“ (Soteira) wird sie nochmals in Z. 91–92 (in Petra) sowie Z. 293 (Prosahymne) bezeichnet, und ähnlich in Z. 76 als „Rettende“ (σώζουσα). Konkreter ist sie die „Retterin von Männern“ (Z. 55, im Isideion im Sethroites). Vgl. dazu BRICAULT, Dame de flots, S. 105–106, bes. Anm. 22–23; C. J. BLEEKER, Isis as a Saviour Goddess, in: S. G. Brandon (Hrsg.), The Saviour God. Comparative Studies in the Conception of Salvation Presented to E. O. James, Manchester 1963, S. 1–16; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 64, Anm. 269. Zu „Allherrscherin“ (Pantokrateira) vgl. πάνταρχος in Z. 136–137 (Prosahymne), siehe die dortige Anm. unten; und bereits MM I, Z. 2, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 366 Deir Chelouit I, Nr. 11 und Deir Chelouit II, Nr. 85. Vgl. auch weitere ägyptische Titel, Kap. 5.2.2.1.I. Nur nebenbei sei bemerkt, daß Horus in PGM V 282 „der Vaterlose“ (ἀπάτωρ) genannt wird, was in seinem Fall aber andeutet, daß der Vater Osiris verstorben ist. 367 K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 109, Anm. 1; vgl. auch LAFAYE, Litanie grecque, S. 78. Zur Kritik daran siehe WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 16–17. 368 Zur Identifikation von Thonis und Henet siehe YOYOTTE, Thônis-Héracléion; ID., Notes de toponymie égyptienne IV, ΘΩΝΙΣ, in: MDAIK 16, 1958, S. 423–430; m. E. ist jedoch nicht sicher, daß in Philae tatsächlich die Stadt Thonis gemeint ist. Siehe Kap. 4.1.1.A, zur Stelle, Anm. 164.

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nung in pOxy. 1380, Z. 109–110, siehe unten.369 Vgl. verschiedene ägyptische Titel, die Isis von Hathor übernommen hat, wie z. B. „süß an Liebreiz/Liebe“,370 „Herrin der Beliebtheit“371 und „mit großer Beliebtheit/Liebe“.372 Eine wichtige Rolle spielt möglicherweise auch die in zahlreichen Texten (z. B. magischen Texten, siehe unten, Kap. 6.5.2.2) thematisierte, geradezu sprichwörtliche große Liebe der Isis zu Osiris, vgl. die Bezeichnung als „zärtlich Liebende“ in der eulogischen Epithetareihe (Z. 130–131) des pOxy. 1380. Z. 33:

ἐν Ἰ[σείῳ Ἶσ]ιν in I[seion Is]is.

Gemeint ist Behbeit el-Hagar mit dem großen Isistempel der frühen Ptolemäerzeit,373 vgl. dazu Kap. 4.4. Da es sich um das bedeutendste unterägyptische Kultzentrum der Isis handelt, ist hier die Benennung mit ihrem Eigennamen gut nachvollziehbar. Z. 37–38: ἐν Βουβάστῳ τὸ ἄνω in Bubastos das Oberhaupt. Die genaue Bedeutung des griechischen Ausdrucks ist bei den bisherigen altphilologischen Kommentatoren umstritten; 374 eine sehr gute, ausführliche Erklärung gibt aber m. E. BERGMAN, der überlegt, ob „das Obere“ den Sothisstern, die Seele der Isis (Bastet = Ba der Isis 375 = Sothis), meinen könne, und außerdem die Umsetzung des ägyptischen Hrj.t-tp, einer Bezeichnung der Uräusschlange/des Sonnenauges sei. 376 So heißt es tatsächlich in Dend. V, 78, 9–10, über Tefnut-Sachmet, daß sie das Auge des Re in Dendara und das Oberhaupt (Hrj.t-tp) in Bubastis sei. Nach der ägyptischen kulttopographischen Litanei heißt Isis dagegen in Bubastis „die Geheime (StA.t)“, vgl. Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen.377 Vgl. auch die Bezeichnung der Göttin selbst als Bubastis (= Bastet) in einer nicht erhaltenen Stadt ([…]ophis) in Z. 4–5 des pOxy. 1380. Z. 38–39: ἐν Ἡλίου π[όλ]ει Ἀφρ[ο]δίτην  in Heliopolis Aphrodite. 369 Vgl. ferner auch Z. 94: „in Dora Freundschaft/Liebe“ (ϕιλία) und Z. 137 (Epithetareihe): „Feindschaftsfeindin“. 370 bnr(.t) mrw.t, z. B. Philae-Hymne 3; Assuan-Hymne 3; diverse Texte in Dendara. 371 nb(.t) imA(.t), z. B. Philae-Hymne 3; Assuan-Hymne 3; nb(.t) mrw.t, z. B. Dend. Isis, 327, 5–9. 372 wr(.t) mr(w.t), z. B. Philae-Hymne 7; Assuan-Hymne 5; diverse Texte in Dendara. 373 Vgl. auch GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 208. 374 So sieht z. B. K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 109, Anm. 4, darin überhaupt keinen griechischen Ausdruck, sondern einen ägyptischen Namen, der von &A-wjnn „die Griechin“ abgeleitet sei, mit aA „groß“ als Endung. Dies ist m. E. sowohl inhaltlich als auch phonetisch sehr unwahrscheinlich, vgl. die griechischen Wiedergaben dieses ägyptischen PN in DNb, S. 1056. 375 Siehe zu diesem Wortspiel die ägyptische kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (Kap. 4.6.1) und pTebt. H I, X 1, 5 (Kap. 4.13.1.1), sowie den kulttopographischen Text Edfu I, 335, 4–5 (Kap. 4.13.1.2). 376 BERGMAN, Isis-Seele, S. 53–54. 377 Alternativ in Dend. III, 35, 9–11, „Bastet, die Große, an der Spitze von Bubastis“ (BAs.t.t aA.t xntj.t BAs.t) bzw. in Edfu VIII, 64, „Bat (weibliche Ba-Seele) in Bubastis“ (BA.t m BAs.t), was wiederum gut zu BERGMANs Idee paßt.

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Aphrodite dürfte hier Hathor(-Nebethetepet, auch Tefnut) meinen, die in Heliopolis als Partnerin des Atum gilt; dies erläutert eine Stelle im Abschnitt über die Hathor-Formen des in Kap. 4.13.1.1 besprochenen pTebt. H I, X 4, 3–5, wo sie wie in pOxy. 1380 letztlich als Isis identifiziert wird: Betreffs Hathor, der Großen: das ist die Gemahlin des Re. Sie nimmt seinen Platz ein im westlichen Horizont von Heliopolis in [jenem] ihrem Namen Hathor Nebet[Hetepet]. Das ist Isis. Auf diese Form der Göttin wird auch bereits im Zusammenhang mit Hathor von Dendara weiter vorne in dem gleichen Text angespielt (X 3, 5): [Betreffs] Hathor, der Herrin von Dendara: das ist das Auge des Re, dem Dendara [gegeben wurde] als Ersatz für [Heliopolis].378 [Betreffs] Hathor Nebethetepet, die Gemahlin des Re, seine Hand, die Gebieterin der Beiden Länder, [die Herrin?] allen Viehs(?): das ist die Hand des Re, nachdem er sich mit ihr befriedigt hat. Z. 45–46: ἐπὶ Λευκῆς Ἀκτῆς Ἀφροδείτην Μοῦχιν Ἐσερέμφ[ι]ν  in Leuke Akte379 Aphrodite, Muchis, Eseremphis. Muchis (äg. (pA/pr)-mx(y) „das Magazin“, vgl. auch die Schreibungsvariante mwVe380) ist der Name mehrerer Ortschaften im Fayum;381 ob hier ein von diesem Toponym abgeleiteter Beiname der Isis vorliegt? SCHMIDT hat die Bezeichnung und die mit dem Element Muchgebildeten Ortsnamen dagegen von äg. mH „füllen“ (kopt. moyà) ableiten wollen und verstand dies als Betitelung der Isis als „die Fülle“.382 Obwohl es im Ägyptischen zahlreiche mit mH.t- („die … erfüllt“) gebildete Epitheta für Isis gibt,383 ist mH(.t) allein laut LGG nicht belegt. Ein griechisches Felsgraffito aus der Zeit von Ptolemaios V. bei der mittelägyptischen Stadt Tehneh (griech. Tenis, Akoris) ist einer ähnlich lautenden Isisform „Isis Mochias, die Retterin (Soteira)“ gewidmet, die nach der dortigen Region um Tenis (Mochites) benannt ist.384 Zu der im Fayum gut belegten Isisform Eseremphis vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 3, siehe oben, Kap. 6.1.2.2.385 Vgl. zur Stelle auch BERGMAN, Isis-Seele, S. 47–48. Z. 51:

ἐν Βουσείρει Τύχην Ἀγαθήν in Busiris Agathe Tyche.

378 Mit Parallele in Edfu I, 39, 8: rdj n=s Iwn.t r sbj.tw Iwnw „der Dendara als Ersatz für Heliopolis gegeben wird“, s. o. Kap. 4.13.1.1, zur Stelle. 379 Wohl mit Ras el-Kanais zu identifizieren, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 210. 380 CDD, m, S. 219. 381 Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 210; VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 440 (1396); K. VANDORPE, Egyptische geografische elementen in Griekse transcriptie, Leuven 1988, S. 114–117. 382 K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 110, Anm. 3. 383 Häufig z. B. mH(.t) aH.t m nfr.w=s „die den Palast mit ihrer Schönheit erfüllt“, Philae-Hymne 3 und Parallelen; vgl. zu weiteren Epitheta mit mH(.t) LGG III, 365–370. 384 I. Akôris 1; vgl. auch 10. Siehe DREW-BEAR, Cultes locaux, S. 291. In der Nähe befindet sich auch das Dorf Iseiou. 385 Mit Anm. 262, vgl. auch Anm. 226.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Isis wird zwar allgemein häufig mit (Agathe) Tyche identifiziert,386 der konkrete Bezug zu Busiris ist hier jedoch nicht evident; die ägyptische kulttopographische Litanei (Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen) gibt hier einhellig sDm(.t) nb „die den Herrn hört“ als Göttinnenname an. Z. 51–53: ἐν Ἑρμοῦ π[ό]λε[ι] τοῦ Μενδησίου ἡγεμονί[δ]α in Hermupolis im Mendesios Führerin. Isis und Hathor, seltener auch andere Göttinnen, werden ägyptisch generell häufig als sSm.t „Führerin“ (meist von Gottheiten oder Menschen) bezeichnet;387 sSm(w).t „die Führende“ ist außerdem ein geläufiger Name der Uräusschlange,388 deren Gestalt – neben der einer Löwin – Unut von Hermopolis meist annimmt,389 was m. E. hier die naheliegendste Erklärung ist. Zusätzlich ist das Verb sSm „führen, leiten“ auch eng mit dem männlichen Hauptgott des Gaues, Thoth, verbunden.390 Sehr hypothetisch ist AUFRÈREs Kommentar zu dieser Stelle, der speziell auf die (von ihm angenommene, aber m. E. nicht eindeutig belegte) Beziehung der Unut (Wnw.t) zum Mond verweist, wodurch sie als Führerin der Sterne gelte.391 Möglicherweise besteht aber auch ein Zusammenhang zwischen Unut und den Stunden(göttinnen) (wnw.wt),392 die die Nacht einteilen: im Amduat heißt die fünfte der zwölf Stundengöttinnen (wnw.wt), die den Sonnengott geleiten (nTr.wt sSm.wt nTr aA), „Die Führerin, die in ihrer Barke ist“. 393 „Führerin“ in Hinblick auf die Uräusschlange bzw. die Göttin Unut dürfte also in jedem Fall „Führerin des Sonnengottes“ meinen. Auch Isis selbst wird häufig als Leiterin o. ä. des Sonnengottes in seiner Barke charakterisiert, z. B. „die Anweisungen gibt in der Sonnenbarke“ oder „Herrin des Ausschreitens in der Barke von Millionen“.394 386 So die lapidaren Verweise von GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 1380, und LAFAYE, Litanie grecque, S. 81, die überhaupt kaum auf die jeweilige Verknüpfung zwischen Ort und Epitheton eingehen. Vgl. die Bezeichnung der Isis-Thermuthis als Agathe Tyche in den MM-Hymnen, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. zu Isis als Agathe Tyche auch DOUSA, Imagining Isis, S. 176–177. 387 Vgl. LGG VI, 631c–636c. Z. B. Deir Chelouit II, Nr. 85: „die Führerin, die veranlaßt, daß er weggeht(?)“. 388 LGG VI, 636c–638a. 389 Zu Unut von Hermopolis, die in historischer Zeit mehr Uräus- und Löwengöttin als Hasengöttin ist, siehe M. STOOF, Hasendarstellungen im alten Ägypten, Antiquitates 33, Hamburg 2005, S. 13–15. Gerade diese Tatsache schwächt m. E. die hypothetische hasengestaltige Mondgöttin AUFRÈREs (Taches lunaires) weiter ab, zur Kritik siehe unten, mit der folgenden Anm. 391. 390 Siehe STADLER, Weiser und Wesir, S. 162–164; 373–374; 442–443; LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 190. 391 AUFRÈRE, Taches lunaires, S. 28 (zur Stelle). Seine Argumentation auf S. 26–29 ist jedoch insgesamt schwammig, und an keiner Stelle wird eine eindeutige Quelle für eine direkte Beziehung der Unut zum Mond gegeben. Vor der griechischen Beeinflussung, die Isis mit Selene gleichsetzt, ist in Ägypten keine weibliche Mondgottheit sicher belegbar, vgl. DELIA, Isis, or the Moon; VON LIEVEN, Grundriß, S. 193–195; EAD., Translating Gods, S. 66. 392 Zu einer möglichen Beziehung der Unut zu den Stunden siehe AUFRÈRE, Taches lunaires, S. 22 u. 45–46. Eine etymologische Verwandtschaft des Göttinnennamens mit dem Wort wnw.t „Stunde“ ist laut J. F. QUACK (persönliche Mitteilung) jedoch wahrscheinlich nicht möglich. 393 Amd. 124, Nr. 35; vgl. LGG VI, 634c. In ähnlichem Zusammenhang heißen die Stundengöttinnen auch im Pfortenbuch: Pfb. 370: „Die den großen Gott in der Unterwelt führen“. 394 Philae-Hymne 5 und Assuan-Hymne 5.

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In der Prosahymne (Z. 193–194) wird Isis als „Führerin der Diademe“ bezeichnet, siehe unten. Z. 61–62: ἐ[π]ὶ τ[ο]ῦ Ἡρακλίου πελάγους κυρείαν in Herakleion Herrin des Meeres. Herakleion war eine wichtige Hafenstadt an der kanopischen Nilmündung, weshalb der zugeordnete Titel besonders gut paßt, vgl. auch weiter unten im Papyrus die Zuordnungen ὁρμίστρια („die den sicheren Hafen erreichen läßt“)395 zur Hafenstadt Pelusium (Z. 74)396 und „die mit guter Fahrt“ (εὔπλεα  = Euploia) zu Gaza (Z. 99).397 Fraglich ist, ob auch bereits der ägyptische Imn-grb von Herakleion für die Schiffahrt zuständig war.398 In der Prosahymne wird das Meer ebenfalls zweimal der Isis untergeordnet (Z. 122–123 und 230). Z. 63–65: [ἐ]ν Μεν[ι]ούει Ἰοῦς ᾗ κτίζεται π[… …]μερεί[α]ς προκαθημέν[η]ν in Men[i]uis die vor Io sitzt, durch welche […] gegründet wird. Die Stadt Men[i]uis (mit unsicherer Lesung) ist bisher nicht identifiziert, muß aber auch am kanopischen Nilarm nahe der Küste situiert sein;399 sie wird direkt nach den dicht beieinander liegenden Städten Kanopos und Menuthis (Z. 62–63: „in Kanobos Musengeleiterin; bei Menuthis Wahrheit“) genannt.400 Letztere beiden waren in der griechisch-römischen Zeit wichtige und weithin berühmte Kultzentren von Osiris/Sarapis und Isis,401 die dort spezielle 395 Ähnlich auch unten in der Prosahymne, Z. 146–148, siehe unten. Vgl. dazu pHeid. dem. 736 vs., x+8: „Du hast sie an die Ufer gebracht!“, siehe oben, Kap. 6.1.1. 396 Vgl. zu dieser Stelle auch BRICAULT, Dame de flots, S. 111; ALVAR, Romanising Oriental Gods, S. 239: der Beiname ist epigraphisch nicht belegt. Avienus, Phaenom. Arat. 282, nennt Isis dea litoris Pelusiaci. 397 MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 163, liest: „die Weibliche“. Siehe zu Isis Euploia aber BRICAULT, Dame de flots, S. 101–102, zur Stelle S. 102. 398 Vgl. M. MALAISE/J. WINAND, La racine grb et l’Amon-grb, in: CdÉ 68, 1993, S. 12–28, bes. 26; und LGG I, 337b, mit der interpretierenden Übersetzung „Amun, der (die Wolken für die Seeleute) enthüllt“. Dagegen bringen EGBERTS, In Quest of Meaning, S. 117; und YOYOTTE, Thônis-Héracléion, S. 30–31, die Amunform mit dem juristischen Dokument über das Inventar der königlichen Domäne in Verbindung (ebenfalls grb). Vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 15, Anm. 17. PFEIFFER, Dekret, S. 156, übersetzt „Amun, der sich offenbart“. Die Identifikation von Thonis und Herakleion ist hier problematisch, da Thonis im pOxy. 1380 bereits in Z. 28 separat genannt wird, siehe oben. 399 Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 212. 400 Könnte es sich bei dem unbekannten Toponym Men[i]uis vielleicht um einen Abschreibefehler aus einer anderen Vorlage handeln, der ebenfalls auf ursprüngliches „Menuthis“ zurückgeht? 401 Zu Osiris, Sarapis und Isis in Kanopos und Menuthis siehe KISS, Sarapis de Canope; MALAISE, Isis à Canope; ID., Terminologie, S. 102; 140–141; zur möglichen Identifikation von Unterwasserfunden von Architekturresten u. a. mit Menuthis und dem dortigen Isistempel Y. STOLZ, Kanopos oder Menouthis? Zur Identifikation einer Ruinenstätte in der Bucht von Abuqir in Ägypten, in: Klio 90, 2008, S. 193–207. Gerade in Menuthis ist ein besonders langlebiger Isiskult mit Inkubation im Tempel bezeugt, der noch im 4. und 5. Jh. aktiv praktiziert worden zu sein scheint: Eun., Vit. soph., 471 = VI, 9, 16; Zachariah, Vita Severi, 27–29; siehe W. C. WRIGHT, Philostratus and Eunapius, Loeb Classical Library 134, London et al. 1952, S. 416–417; M.-A. KUGENER, Vie de Sévère, patriarche d’Antioche 512–518, par Zacharie le scholastique. Textes syriaques publiés, traduits et annotés, Paris 1907, S. 27–29; F. R. TROMBLEY, Hellenic Religion and Christianization C. 370–529, RGRW 115,

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Erscheinungsformen entwickelten, unter denen besonders die im 1. Jh. n. Chr. auftauchende neue Ikonographie des Osiris-Kanopos, welche den Gott als Verkörperung des Wassers in Gefäßform visualisiert, weite Verbreitung erfuhr.402 Im ganzen Gebiet um Alexandria und insbesondere in Kanopos wurde Isis mit dem griechischen Io-Mythos assoziiert,403 da Io nach ihrer Befreiung durch Hermes von ihrem Wächter Argos nach Ägypten geflohen und bei Kanopos gelandet sein soll, wo sie von Isis aufgenommen wurde.404 Tatsächlich paßt das deskriptive Epitheton „die vor Io sitzt“ so gut zu der Darstellung der mythischen Empfangsszene, die in zwei auf derselben, wohl alexandrinischen Vorlage beruhenden Gemälden aus Pompeji erhaltenen ist, daß GRENIER die m. E. naheliegende Vermutung äußerte, mit der Angabe im Oxyrhynchos-Papyrus werde ein konkretes Kultbild bzw. eine spezielle, im Raum Alexandria – Kanopos heimische Erscheinungsform der Göttin beschrieben.405 Z. 67–68: ἐν Ταπόσιρι Θαυῆστιν Ἥηρ[α]ν δώτειραν in Taposiris Thauestis, Hera, Schenkerin. Wie der Name bereits sagt, war Taposiris eine wichtige Kultstätte des Osiris; bekannt sind jedoch zwei Städte dieses Namens: Taposiris Magna und Taposiris Parva, die beide in der Umgebung von Alexandria gelegen sind, wobei letzteres sich näher bei Kanopos befindet. Aufgrunddessen könnte hier auch Taposiris Parva gemeint sein,406 wenngleich ich aufgrund der größeren Berühmtheit zunächst von Taposiris Magna ausgehe.407 Taposiris Magna ist

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Leiden 1995, S. 221–222; vgl. auch STADLER, Einführung, S. 193–194; RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 369–377 u. 387–388. Siehe zur Osiris-Kanopos-Ikonographie WILD, Water, S. 113–123; W. WEBER, Zwei Formen; BISSING, Das heilige Bild; FOUQUET, Quelques représentations; F. THELAMON, Païens et chrétiens au IVème siècle, l’apport de l’„Histoire ecclésiastique“ de Rufin de Aquilée, Paris 1981, S. 207–224; RAVEN, Rare Type; DUNAND, Prêtre portant; KETTEL, Canopes; G. CLERC/J. LECLANT, s. v. „Osiris Kanopos“, in: LIMC VII, S. 116–131; WINAND, Divinités-canopes; ID., Paires; F. SARAGOZA, À propos d’un Osiris-Canope inédit du musée d’Aquitaine, in: Revue des musées de France 60/3, Paris, Juni 2010, S. 30–40; vgl. auch NAGEL, Kult und Ritual, 168–169. Vgl. auch die Anrede der Isis als Io-Sothis unten in Z. 143–144 des pOxy. 1380. Aischylos, Der gefesselte Prometheus, 846–847; id., Die Schutzflehenden, 311–312; Apollodoros Mythographos, Bibliotheca II, 7–9; vgl. auch Ovid, Met. I, 568–750; siehe A. BERNAND, Le Delta égyptien d’après les textes grecs I/1, MIFAO 91, Kairo 1970, S. 303–304; GRENIER, Isis assise; MALAISE, Terminologie, S. 109–110; FREYER-SCHAUENBURG, Io in Alexandria; R. VEYMIERS, Les cultes isiaques à Argos. Du mythe à l’archéologie, in: BIs 2, 2011, S. 111–130; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 482–484; ferner L. BALENSIEFEN, The Greek-Egyptian Progeny of Io: Augustus’ Mythological Propaganda, in: Bonacasa/Naro/Tullio (Hrsg.), L’Egitto in Italia, S. 23–32, zu politischen Konnotationen des Io- und Danaidenmythos unter Augustus. GRENIER, Isis assise, zur Textstelle S. 29; vgl. bereits ID., Décoration statuaire, S. 952–954. Ausführlich zur speziellen Ikonographie der Isis von Alexandria/Kanopos/Menuthis/Meniuis siehe unten, Kap. 6.2.10.3; zu den Bildern aus Pompeji Kap. 7.3.3.1.1. Eine griechische Inschrift aus Taposiris Parva aus der Zeit von Ptolemaios V. weiht einen Altar und Perseabäume an „Osoros, der auch Sarapis ist, und Isis, und Anubis, alle anderen Götter und alle Göttinnen“: OGIS 97 = SB 8873; vgl. DUNAND, Culte d’Isis I, S. 114–116; MALAISE, Isis à Canope, S. 354–355, Anm. 9, u. S. 367. Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 212; und MALAISE, Isis à Canope, S. 367, die ebenfalls davon ausgehen, daß jede der beiden Städte gemeint sein könnte. GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 370, Anm. 4, tendiert eher zu einer Identifikation als Taposiris Parva.

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Hymnen und Gebete

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wohl eine Gründung der frühen Ptolemäerzeit;408 ein ägyptisches Toponym ist nicht bekannt. Die Form „Isis Taposirias“ besaß auch im Oxyrhynchites selbst (mindestens) ein Heiligtum, wie aus zwei weiteren griechischen Oxyrhynchos-Papyri sowie mehreren weiblichen Personennamen hervorgeht.409 Thauestis wird von den bisherigen Kommentatoren einhellig als ägyptisches Epitheton aufgefaßt. 410 Konkrete Deutungsvorschläge wurden bisher jedoch nur von SCHMIDT und DASZEWSKI vorgelegt: Ersterer deutet (mit Fragezeichen) eine Ableitung von kopt. oyhési (= wsx.t „Weite, Ausdehnung“) an, 411 was ich aus lautlichen Gründen für wenig wahrscheinlich halte. Letzterer stellt eine Verbindung zu dem Personennamen Θαυῆς, Θαυῆσις etc. her, den er mit „(Die) der Isis“ (= dem. &a-As.t) übersetzt, wenngleich er eine genaue Erklärung der Form und des für eine Bezeichnung der Göttin selbst problematischen Inhaltes schuldig bleibt.412 Im DNb wird hingegen die Form Θαυῆς auf dem. &a-wA/&A(y)-wA und nicht &a-As.t zurückgeführt.413 Laut J. F. QUACK dürfte die Form Θαυῆς  auf einen Personennamen noch ungeklärter Etymologie zurückgehen, der im Demotischen mit mehreren orthographischen Varianten auftaucht und hieratisch einmal in der Schreibung wie &a-iAw.t „die der Alten“ belegt ist.414 Zur Gleichsetzung von Isis mit Hera, die hier wahrscheinlich aufgrund der im Vordergrund stehenden Rolle der Isis als treuer Gattin des Osiris vorgenommen wurde,415 vgl. MM I, 21, s. o., Kap. 6.1.2.1.

408 Siehe zu Taposiris Magna z. B. VÖRÖS, Taposiris magna I–II; außerdem M.-F. BOUSSAC, À propos des divinités de Taposiris Magna à l’époque hellénistique, in: P. Carlier/C. Lerouge-Cohen (Hrsg.), Paysage et religion en Grèce antique. Mélanges offerts à Madeleine Jost, Travaux de la Maison RenéGinouvès 10, Lyon 2010, S. 69–74, zu einem (fragmentarischen) Inschriftenfund mit Weihung an Sarapis, Isis und eventuell weitere synnaoi theoi, die gemeinsam als nikephoroi („die Siegbringenden“) bezeichnet werden, wahrscheinlich aus der Zeit Ptolemaios’ IV.; Z. HAWASS/K. MARTINEZ, Preliminary Report on the Excavations at Taposiris Magna: 2005–2006, in: M. C. Flossmann-Schütze et al. (Hrsg.), Kleine Götter – Große Götter. Festschrift für Dieter Kessler zum 65. Geburtstag, Tuna elGebel 4, Vaterstetten 2013, S. 235–251; M.-F. BOUSSAC, Recent Works at Taposiris and Plinthine, in: M. Haggag (Hrsg.), Proceedings of the International Conference Alexandria: Current Archaeological Activities and Future Perspectives, Bd. 1, Bulletin de la Société Archéologique d’Alexandrie 49, 2015, S. 189–217: 200–202. Fehlerhaft ist der Eintrag bei KLEIBL, Iseion, S. 328, Kat. 48, die Taposiris Magna mit dem altägyptischen Busiris identifiziert. 409 Heiligtum: pOxy. 1434, 11; PSI IX 1036, 5. Weiblicher PN: pOxy. 1209; 1276, 4; 1542, 5; 1631, 1; 1636, 2; 1750, 10. Vgl. BRICAULT, Isis dolente, S. 45–46, m. Anm. 32. 410 Siehe GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192; LAFAYE, Litanie grecque, S. 82 u. 94. 411 K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 111, Anm. 8. 412 W. A. DASZEWSKI, The Gods of the North-West Coast of Egypt in the Graeco-Roman Period, in: MEFRA 103, 1991, S. 91–104: 93. Ein zusätzliches t am Ende weisen auch verschiedene demotische Schreibungen auf (&a-As.t.t), siehe DNb, S. 1166–1167; das griechische y findet in den ibid. angegeben griechischen Entsprechungen jedoch keine Parallele. Die übliche griechische Wiedergabe für äg. &a-As.t ist Θαησις bzw. Ταησις und ähnliches. 413 Siehe DNb, S. 1169; vgl. RANKE, Ägyptische PN, S. 355, 5 (&A-wA.t), jeweils ohne Übersetzung. 414 Persönliche Mitteilung. Mögliche Orthographien sind &a-iw=y-iwj.w, &a-iw=y, &a-ywA u. a. Siehe dazu J. F. QUACK, Quelques apports récents des études démotiques à la compréhension du livre II d’Hérodote, in: Coulon/Giovannelli-Jouanna/Kimmel-Clauzet (Hrsg.), Hérodote et l’Égypte, S. 63– 88: 78–79. 415 Vgl. BRICAULT, Trône, S. 136.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Z. 74–75: ἐπὶ το[ῦ] Κασίου Ταχνῆψιν auf dem Kasios Tachnepsis. Passenderweise wird Tachnepsis auch in zwei (gleichlautenden) Inschriften des ägyptischen Priesters Horus aus dem Sarapieion A auf Delos zusammen mit „dem großen Gott“ (= Sarapis) und Zeus Kasios, der ein Heiligtum auf dem eponymen Berg hatte, erwähnt: RICIS 202/0199–200.416 P. CHUVIN/J. YOYOTTE möchten in der Epiklese eine griechische Wiedergabe des ägyptischen ta-xt-nbs „Die des Christusdorn-Baumes“ sehen.417 BRICAULT schlägt zudem vor, daß auch der Blätterzweig, der auf Amuletten des Zeus Kasios zu sehen ist,418 eben den Christusdorn repräsentieren soll. Ein Göttinnenname ta-xt-nbs (< tA-n.t-xt-nbs) ist laut LGG jedoch bisher ägyptisch nicht belegt. B. Außerhalb Ägyptens: Für die außerhalb Ägyptens, d. h. vor allem im östlichen Mittelmeerraum angegebenen Orte und Landschaften läßt sich häufig eine relativ klare Zuordnung zu bedeutenden Göttinnen dieser Gegenden erkennen. So wird Isis z. B. in Myra in Lykien mit Eleuthera identifiziert (Z. 79–80), welche in Lykien nachweislich als Form der Artemis verehrt wurde,419 ebenso wie Dictynna (Z. 82) bekanntlich zu Kreta gehört und Astarte zu Sidon (Z. 116– 117). In Kyrene (Z. 81) wird Isis ausnahmsweise nur mit ihrem Eigennamen benannt, und ihr Kult hatte dort tatsächlich eine lange Tradition, wovon unten in Kap. 7.2.1 in aller Ausführlichkeit die Rede sein soll. In anderen Fällen bereiten uns die Gleichsetzungen und Epitheta größere Schwierigkeiten, und einige lassen sich wiederum mit anderen hier besprochenen (ägyptischen) Texten verbinden: Z. 83:

ἐν Ῥώμη στρατίαν in Rom die Kriegerische.

Das Epitheton στρατία „die Kriegerische“ oder ein lateinisches Äquivalent ist in Rom nicht für Isis belegt,420 könnte m. E. aber einerseits gut aufgrund der naheliegenden Auffassung Roms als (in erster Linie) Militärmacht zugeordnet worden sein,421 parallel zu der Zuordnung des gleichen Epithetons „bei den Amazonen“ (Z. 102–103, s. u.), die der Antike hauptsächlich als Kriegerinnen bekannt waren. Falls der Kompilator des Textes oder seine 416 Vgl. bereits VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 75; dazu auch BRICAULT, Cultes isiaques, S. 264–265; SPALINGER, Plutarch’s „Egyptian“ Dates, S. 771–772. 417 P. CHUVIN/J. YOYOTTE, Documents relatifs au culte pélusien de Zeus Casios, in: RA 1986, 1, S. 41– 63: 51–52. 418 BRICAULT, RICIS 202/0199–200, S. 230; siehe C. BONNER, Harpokrates (Zeus Kasios) of Pelusium, in: Hesperia 15, 1946, S. 59; Taf. 12. 419 Siehe dazu WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 17; L. ROBERT, Isis Eleuthera, in: RHR 98, 1929, S. 56–59. 420 Vgl. zumindest aber die thematisch verwandten Beinamen Invicta (RICIS 501/0138) und Triumphalis (RICIS 501/0152). Zu Isis in Rom siehe ausführlich unten, Kap. 7.3.2. 421 Das Gleiche meinen wohl auch GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 214, mit ihrem Kommentar „the title is appropriate enough at Rome“; vgl. auch VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 26–27; und LAFAYE, Litanie grecque, S. 95. Nicht ganz überzeugt davon ist WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 17.

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Hymnen und Gebete

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Quelle jedoch mehr wußte, als LAFAYE, der das Epitheton für schlicht vom Verfasser erfunden hält, ihm zuschreibt,422 könnte sich die Bezeichnung m. E. eventuell auch von dem großen Isisheiligtum auf dem Marsfeld in Rom ableiten. Der Campus Martius war ursprünglich – wie der Name bereits sagt – dem Kriegsgott Mars geweiht und diente als Truppenübungsplatz. Nur die lateinische Ableitung „Isis Campensis“ ist belegt, siehe Apul., Met. XI, 26. Siehe zum Iseum Campense unten, Kap. 7.3.2.2.2. Das gleiche Epitheton wird Isis außerdem noch in der nicht identifizierbaren ägyptischen Stadt Menuphis (Z. 71) zugeordnet. Zu vergleichen sind außerdem die Beinamen „Siegerin“ (Z. 30 u. 48: im Saites und in Choateine) und „schneller Sieg“ (ταχυνίκης, Z. 69: „auf der Insel“ = Alexandria?). Z. 94–95: ἐν Στρ[άτω]ν[ος] Πύργῳ Ἑλλάδα ἀγαθήν in Str[atonos] Pyrgos Hellas, die Gute. Diese Benennung hat – neben „in Persien Latina“ in Z. 104, s. u. – in der Forschung für besonders großes Aufsehen gesorgt, da die Erstherausgeber hierin die Personifikation Griechenlands erkannten und feststellten, daß es bemerkenswert sei, daß Isis ausgerechnet an einem Ort unweit Ägyptens als spefizisch griechische Göttin angesehen wurde,423 was einer Überbewertung der Hellenisierung von Isis natürlich Tür und Tor öffnet. R. R. STIEGLITZ erklärt diesen in einer Hafenstadt Palästinas unerwarteten Beinamen der Isis damit, daß die Mehrheit der Bevölkerung einen starken griechischen Hintergrund habe.424 VAN GRONINGEN dagegen hielt den Namen aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit für eine Ableitung von Allāt. 425 Anhand der archäologischen Befunde kann aber keine der Deutungen verifiziert werden.426 Die Stadt war seit 70 oder 71 n. Chr. römische colonia, wenngleich es auch noch griechischsprachige Bevölkerungsteile gab.427 Der Haupttempel der neuen Stadt war derjenige von Augustus und Roma; letztere ist jedoch gänzlich in den Kaiserkult eingebunden und kann daher nicht als Stadtgöttin angesehen werden. 428 Als solche galt WENNING zufolge offenbar vielmehr die Tyche der Stadt, deren Kult jedoch nicht sicher mit einer zuvor dort verehrten einheimischen Göttin in Verbindung gebracht werden kann. Zumindest paßt das in pOxy. 1380 genannte zusätzliche Attribut ἀγαθή  („die Gute“) bestens zu Tyche; zudem wurde das jährliche Fest der Stadtgöttin am 5.–7. März begangen und fiel demnach also mit dem Navigium Isidis zusammen.429 Für diese 422 LAFAYE, Litanie grecque, S. 95. 423 GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 215; gefolgt von LAFAYE, Litanie grecque, S. 85. Des weiteren interpretiert K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 112, Anm. 7, den Namen nicht als „Griechenland“ (Hellas), sondern als „die Griechin“, was inhaltlich jedoch dieselben Probleme aufwirft. 424 STIEGLITZ, Stratonos Pyrgos, S. 594. 425 VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 29. 426 Vgl. auch JÖRDENS, Griechische Texte, S. 292, Anm. 79. 427 Vgl. W. ECK, Caesarea Maritima – eine römische Stadt?, in: A. Hartmann/G. Weber (Hrsg.), Zwischen Antike und Moderne. Festschrift für Jürgen Malitz zum 65. Geburtstag, Speyer 2012, S. 233–244. 428 R. WENNING, Die Stadtgöttin von Caesarea Maritima, in: Boreas 9, 1986, S. 113–129, bes. 124–129. 429 Vgl. dazu J. PATRICH, Studies in the Archaeology and History of Caesarea Maritima, Ancient Judaism and Early Christianity 77, Leiden – Boston 2011, S. 22; STIEGLITZ, Stratonos Pyrgos, S. 594; GERSHT, Representation, S. 310–311.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Identifikation Isis-Tyche in Caesarea sprechen auch ikonographische Zeugnisse auf Gemmen und in Form einer Bleistatuette mit Füllhorn und Harpokrates.430 Z. 102–103: ἐν Ἀμάζοις στράτιαν ἐν Ἰνδοῖς Μαῖαν bei den Amazonen431 die Kriegerische, bei den Indern Maia. Eine Bestätigung für die Auffassung sowohl der geographischen Nähe des Amazonenlandes zu Indien als auch der Verehrung der Isis in diesen beiden Ländern gibt die demotische Amazonenerzählung, siehe ausführlich dazu unten, Kap. 6.4.2.1. 432 Das Epitheton „die Kriegerische“ führt Isis pOxy. 1380 zufolge auch in Menuphis (Z. 71) und Rom (Z. 83), siehe oben. Mit einer Göttin Maia wird Isis ebenfalls noch an mehreren anderen Orten identifiziert: in Athribis (Z. 39), „unter den Bukolen“ (Z. 42), und in Berytos (Z. 116). Nach griechischer Mythologie ist Maia die Mutter des Hermes und nach GRENFELL und HUNT vielleicht auch deswegen mit Isis identifiziert worden. 433 Isis ist allerdings in ägyptischen Texten als Mutter statt Tochter des Thoth nicht sicher belegt.434 In Z. 103 muß jedoch die indische Maya, eine Göttin bzw. Personifikation, die auch als Weltmutter, Schöpferin des Universums, sowie Göttin der Illusion/Zauberei gilt, gemeint sein. Auch die Mutter Buddhas hieß Maya. 435 Indien und der Ganges werden in pOxy. 1380 nochmals unten in der abschließenden Prosahymne genannt (Z. 226). Z. 103–104: ἐν θεσσαλοῖς Σελήνεν bei den Thessalern Selene. Diese Zuschreibung ist insofern interessant, als erstens in zahlreichen Zaubersprüchen der PGM eine Mondgöttin (Selene-Artemis-Hekate) beschworen wird, die teilweise auch mit Isis gleichgesetzt wird,436 und zweitens gleichzeitig die antike Tradition derlei magische Praktiken insbesondere mit Thessalien als Ursprungsland in Verbindung bringt.437 430 Vgl. GERSHT, Representation, S. 310–313, mit weiteren archäologischen Zeugnissen für die Verehrung von Isis und Sarapis in der Stadt; siehe für eine Übersicht auch BRICAULT, Atlas, S. 75. Die Osiris-Kaltwasser-Inschrift RICIS 403/0401 bezeugt sogar die Verehrung von Osiris; zu dieser funerären Formel siehe unten, Kap. 6.2.10.2. 431 JÖRDENS, Griechische Texte, S. 292, Anm. 81, emendiert mit CAZZANIGA, Epiteti di Iside, S. 233–234, und TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 67, zu „in Amaxa“ (ἐν Ἀμάξοις), was m. E. jedoch abzulehnen ist. 432 Siehe dazu auch STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 206. 433 GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 209. Vgl. dazu auch RUTHERFORD, Pilgrimage, S. 186: Im Osireion von Abydos befindet sich ein griechisches Graffito, in dem die „Tochter des Atlas“, also Maia, angerufen wird. Die wohl aus Italien stammenden Dedikanten Onesikrates und Dorotheos bitten die Göttin, ihren Sohn Hermes zu ihrer Hilfe zu senden. RUTHERFORD vermutet, daß auch in Abydos Maia mit Isis und Hermes mit Thoth identifiziert wurden. 434 Vgl. STADLER, Weiser und Wesir, S. 152–155. Siehe aber zumindest PGM XII 144–151, wo ein Bild des Hermes (= Thoth) mit Ibisgesicht gezeichnet werden soll, und anschließend der Gott (hier nicht explizit namentlich genannt) bei seinen Eltern Osiris und Isis beschworen wird, siehe unten, Kap. 6.5.2.1. 435 Vgl. VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 37–38; WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 18. 436 Zu Isis als Verkörperung des Mondes in griechisch-römischer Zeit siehe DELIA, Isis, or the Moon, speziell S. 548 zu Isis als Mondgöttin in den magischen Papyri; VON LIEVEN, Grundriß, S. 193–195. Auch mit Hekate wird Isis in pOxy. 1380 gleichgesetzt: Z. 113 nennt sie „in Karien Hekate“, vgl. DELIA, Isis, or the Moon, S. 549, Anm. 60. Durch Epitheta wird sie wohl auch in Z. 90–91 („in Asien

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Hymnen und Gebete

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In Oxyrhynchos selbst ist eine Bronzestatuette mit der Ikonographie der Isis-Selene (wohl 2.–3. Jh. n. Chr.) gefunden worden.438 Z. 104:

ἐν Πέρσαις Λατείνην bei den Persern Latina(?).

Diese Zuordnung hat in der Vergangenheit große Probleme bereitet. Wunderten sich GRENFELL und HUNT noch darüber, daß dieser Name suggeriere, die Perser hätten die IsisVerehrung von den Römern gelernt, 439 kam man CUMONTs Emendierung folgend mehr oder weniger überein, die Angabe als Korruptel für „Anahita“ anzusehen.440 Neues Licht wirft STADLER auf diese Stelle, der die Parallele im demotischen pWien D. 6297+6329+10101 (s. o.) diskutiert, wo athyn&n\ oder athyn&A\ steht.441 Damit könnte Athena gemeint sein, mit der Anahita wohl identifiziert wird.442 Das in pOxy. 1380 angegebene initiale L könnte STADLER zufolge von einem Abschreibefehler stammen: in der Zeile unter athyn&n\/athyn&A\ steht im Wiener Papyrus Lty (Leto?), wobei das L etwas nach oben gerutscht ist und so versehentlich auch als zu athyn&n\/athyn&A\ gehörig angesehen worden sein könnte. Der auf pOxy. 1380 erhaltene Text wäre also abhängig von dem demotischen Text des Wiener Papyrus.443 Z. 104–105: ἐν Μάοις Κόρην θαψ[ε]υσιν unter den Magi Kore, Thapseusis. Daß die Magi trotz der bereits zuvor genannten Perser, zu denen sie als Priester gehörten, hier als eigene Gruppe genannt werden, findet eine Parallele in PGM XII 263–267, wo eine Hymne an den Allgott „die Hohepriester“ ebenfalls als separate Einheit neben verschiedenen Völkern führt, die jeweils ihren individuellen Namen für den Gott haben.444 Zu dem

437 438 439 440

441 442 443 444

die am Dreiweg“) und vielleicht Z. 83–84 („[auf] den Kykladeninseln die Dreifache(?)“) mit Hekate verbunden, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192, der auch noch die (eventuellen) Erwähnungen der Unterwelt in Z. 127 und 164(?) Hekate zuordnet. Siehe dazu W. FAUTH, Hekate Polymorphos – Wesensvarianten einer antiken Gottheit. Zwischen frühgriechischer Theogonie und spätantikem Synkretismus, Altsprachliche Forschungsergebnisse 4, Hamburg 2006, S. 67–76; S. I. JOHNSTON, Hekate Soteira. A Study of Hekate’s Roles in the Chaldean Oracles and Related Literature, American Classical Studies 21, Atlanta 1990, S. 21–28. Vgl. dazu auch Kap. 6.5.2.2. Siehe auch VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 38. Siehe B. P. GRENFELL/A. S. HUNT, Excavations at Oxyrhynchus (1896–1907), in: Bowman (Hrsg.), Oxyrhynchus, S. 345–368: 365. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 216. F. CUMONT, Isis Latina, in: Revue de Philologie 40, 1916, S. 133–134; VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 38; WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 18; TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 67; BRICAULT, Myrionymi, S. 14; JÖRDENS, Griechische Texte, S. 292, Anm. 82. Dagegen behielten CHAPOT/LAUROT, Corpus de prières, S. 201 u. 203, „Isis Latina“ bei. STADLER, Universality of Isis, S. 237–240. STADLER, Universality of Isis, S. 238. Vgl. das Stemma bei STADLER, Universality of Isis, S. 239. Siehe zur Traditionsgeschichte des Textes auch unten. Vgl. dazu DIELEMAN, Priests, S. 165 u. 169.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

speziellen Wissen der Magi paßt vielleicht auch der rätselhafte Name Thapseusis, nach LAFAYE „zweifellos ein Wort persischen Ursprungs“.445 Z. 106:

ἐν Σούσοις Νανίαν in Susa Nan(a)ia.

Die Fruchtbarkeitsgöttin Nanaia besaß einen wichtigen Tempel bei Susa.446 In der demotischen Parallele pWien D. 6297+6329+10101 heißt es etwas umfassender „bei den Assyrern Nanaia“ (s. o.). Vgl. auch MM I, 18, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Z. 106–107: ἐν Φοινίκ Συρείας θεό im syrischen Phoinikien Göttin. Zur frühen und umfassenden Adaption von Isis(-Ikonographie) und ihrer Identifikation mit einheimischen Göttinnen im phönizischen Kulturraum siehe ausführlich unten, Kap. 7.1. Vgl. auch die Angabe „in Sidon Astarte“ in Z. 116–117 des pOxy. 1380. Z. 109–110: ἐν Ἰταλίᾳ ἀ[γά]πην θεῶν in Italien die L[ie]be der Götter. Die Deutung dieses Epithetons ist sehr umstritten: MANTEUFFEL korrigierte die Lesung der Erstherausgeber zu „die Gute, Ungetrübte“ (ἀ[γα]θὴν ἄθολον);447 dagegen argumentierte wiederum C. H. ROBERTS.448 WEST emendierte die Stelle in Anlehnung an MANTEUFFEL und PETERSON449 zu ἀγαθὴν θεόν und hält dies für eine Umsetzung der italischen Bona Dea, was zumindest inhaltlich sinnvoll wäre.450 Dies wird bestritten von R. E. WITT, gefolgt von weiteren Bearbeitern der Stelle.451 Falls nicht tatsächlich mit ST. WEST zu ἀγαθὴν θεόν zu emendieren ist, könnte der Titel möglicherweise aus ägyptischen Titeln der Art, wie sie bereits oben im Kommentar zu Z. 28 („in Thonis Lieb[e …?]“) zitiert worden sind, sowie solchen, die die Liebe verschiedener Götter zu ihr ausdrücken, entstanden sein. Zu letzteren gehören z. B. „geliebt von Ptah“, 452 „geliebt vom Bock (Ba)“, 453 „die Tochter des Re, geliebt von seinem

445 446 447 448 449 450

LAFAYE, Litanie grecque, S. 86; vgl. bereits GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 216. Vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 216. MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 163. C. H. ROBERTS, ΑΓΑΠΗ in the Invocation of Isis (P. Oxy. xi. 1380), in: JEA 39, 1953, S. 114. E. PETERSON, Ἀγάπη, in: Biblische Zeitschrift 20, 1932, S. 378–382: 380. St. WEST, An Alleged Pagan Use of ΑΓΑΠΗ in P. Oxy. 1380, in: JTS N. S. 18, 1967, S. 142–143, und bekräftigend EAD., A Further Note on ΑΓΑΠΗ in P. Oxy. 1380, in: JTS N. S. 20, 1969, S. 228–230. 451 R. E. WITT, The Use of ΑΓΑΠΗ in P.Oxy. 1380: A Reply, in: JTS N. S. 19, 1968, S. 209–211. Siehe zur Diskussion zugunsten der Erstlesung auch A. CERESA-GASTALDO, ΑΓΑΠΗ nei documenti anteriori al Nuovo Testamento, in: Aegyptus 31, 1951, S. 269–306: 293–296; O. WISCHMEYER, Vorkommen und Bedeutung von Agape in der ausserchristlichen Antike, in: Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft 69, 1978, S. 212–238: 219–221, bes. Anm. 41; ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 154; J. G. GRIFFITHS, Isis and ‘The Love of the Gods’, in: Griffiths, Atlantis, S. 114–117; ID., Isis and Agape. Vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 292, Anm. 83. 452 mrj(.t) PtH, Assuan-Hymne 6. 453 mrj(.t) BA, Assuan-Hymne 3.

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Hymnen und Gebete

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Herzen“,454 „geliebt vom großen Horus“,455 und besonders „die Tag für Tag zu sehen die Götter lieben“. 456 Damit bliebe die spezifische Zuordnung des Titels in pOxy. 1380 zu Italien jedoch noch immer ungeklärt. GRIFFITHS hält einen direkten Nexus zwischen Lokalität und jeweiligem Kultnamen auch gar nicht für nötig und führt als Parallele andere Zuordnungen abstrakter Konzepte, die Isis verkörpern soll, zu scheinbar beliebigen Städten an:457 sie ist dem Papyrus zufolge Freude (Εὐφροσύνην) in Caene (Z. 31–32), Vorsehung (πρ[ό]νοιαν) in Catabathmus (Z. 43–44), Verstand (φρόνησιν) in Apis (Z. 44), Einsicht (ἐπίνοιαν) in Schedia (Z. 60–61), Wahrheit (ἀλήθιαν) in Menuthis (Z. 63) und Freiheit (ἐλευθέραν) in Myra in Lykien (Z. 79–80). In den vorangehenden Kommentaren wurde für einige Orte aber bereits ein deutlicher Sinngehalt der Zuordnungen aufgezeigt, so daß man dessen Mangel auch bei anderen Toponymen m. E. nicht grundsätzlich postulieren kann. Eulogische Epithetareihe und Prosahymne Die Eulogische Epithetareihe und die Prosahymne sollen hier aufgrund ihres dichten Informationsgehalts in voller Länge in Übersetzung zitiert458 und in den Anmerkungen kommentiert werden (nach Vorbild der Bearbeitung der ägyptischen Tempeltexte in Kap. 4), zumal dieser Teil des Papyrus im Kontrast zum kulttopographischen Teil bisher etwas stiefmütterlich und besonders von den Gräzisten mit wenig Wertschätzung für die von ihnen als chaotisch, redundant und stilistisch schwach empfundene Komposition behandelt worden ist. 459 Die folgende Behandlung erfolgt wie oben im Fall der MM-Hymnen mit Schwerpunkt auf intertextuellen Bezügen zu ägyptischen Isishymnen und Epitheta sowie Querverbindungen innerhalb des gesamten Manuskriptes.460 C. Eulogische Epithetareihe:461 119–120 Die du auch unter den Zehn für jeden durch Satzungen die ersten Dinge verdolmetschst/erklärst/offenbarst;462 120 Herrscherin der bewohnten Welt; 454 455 456 457 458

459 460 461 462

sA.t Ra mrj(.t) ib=f, Philae-Hymne 5. mrj(.t) @r aA, Philae-Hymne 5. mrj(.t) nTr.w mAA=s ra nb, Deir Chelouit II, Nr. 87. GRIFFITHS, Isis and Agape, S. 118. Übersetzung nach JÖRDENS, Griechische Texte, S. 292–295. Die Interpunktion richtet sich nach derjenigen des griechischen Originaltextes; Einzelaussagen bzw. Epitheta werden der Übersichtlichkeit halber zusätzlich durch einen Zeilenumbruch abgetrennt. Die Zahlen vor den Segmenten verweisen auf die Zeilen des Originaltextes. Vgl. QUACK, Religion gréco-égyptienne. Die thematischen Parallelen zur griechischen Isis-Aretalogie (M-Tradition) sind unten, Kap. 6.6.3, aufgeführt. Der Beginn eines neuen Abschnitts wird an dieser Stelle neben dem deutlich neuen Inhalt (allgemeine Epitheta anstatt topographischer Zuordnungen) auch stilistisch durch den Einschub eines Relativsatzes markiert, vgl. WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 21. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 198, emendieren zu „fünfzehn“. Dagegen K. F. W. SCHMIDT, Rez. zu: Grenfell/Hunt, pOxy. XI, S. 113, Anm. 11: „zehn Satzungen für jeden“, was er für einen ägyptischen Buchtitel hält; ebenso MANTEUFFEL, De opusculis, Nr. 2, S. 79. Vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 292, Anm. 86. Was genau hier gemeint ist, bleibt jedoch unklar.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

121–122 122–123 123–124 124

Vormund und Wegweiser, Herrin der Meeres-463 und Flußmündungen; Schreibkundige;464 Rechenkundige;465 die Verständige (φρονίμην);466 125–126 die du auch den Nil über alles Land heraufführst;467 126–127 schönes Lebewesen aller Götter;468 127–128 das bei der Lethe fröhliche Antlitz;469 128 die Musengeleiterin;470 129 die Vieläugige;471

463 Vgl. Z. 61: „in Herakleion Herrin des Meeres“, siehe den Kommentar oben. 464 Evtl. nochmals in Z. 48–49 (Wort nur teilweise erhalten). 465 Zu diesem und dem folgenden Epitheton vgl. den astronomischen Text Dend. XV, 28, 12–29, 13 (neu bearbeitet von ALTMANN-WENDLING, MondSymbolik), in dem Isis als den anderen Göttern geistig überlegen gekennzeichnet wird und ihnen einen Fehler beim Bemessen der Füllung des Udjatauges nachweist; siehe dazu unten, Kap. 6.5.1.4. 466 Vgl. Z. 117 („die Verständi[ge]“ (φρονίμην)), 79 („die Verständige“ (κεδνή)), 44 („Verstand“ (φρόνησιν)), 34 u. 60–61 („Einsicht“ (ἐπίνοιαν)). Die drei aufeinanderfolgenden Epitheta „Schreibkundige, Rechenkundige, Verständige“ gehören offensichtlich zusammen und dürften von der ägyptischen Verbindung Isis-Seschat abgeleitet sein. Vgl. ihre Gleichsetzung mit Seschat und ihre Bezeichnung als Tochter des Thoth in ägyptischen Texten, siehe z. B. Dend. I, 75, 12–76, 2; Dend. I, 81, 15–82, 6 und Dend. XII, 3, 4–9 (Kap. 4.6.2); Deir Chelouit II, Nr. 84 (Kap. 4.8.1.A) und Esna III, Nr. 307bis (Kap. 4.11.1.1.A), zusammenfassend Kap. 5.2.2.1.E. Vgl. auch den Kommentar von VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 17–18 u. 44. 467 Isis als Sothis bringt die Nilüberschwemmung, vgl. typische ägyptische Phrasen; MM II, 17–20, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. dazu auch CLERC, Isis-Sothis, S. 252; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 98; BRICAULT, Dame de flots, S. 17, m. Anm. 46. 468 Ob vom ägyptischen Wn-nfr, dem Titel des Osiris, beeinflußt? GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192, und MANTEUFFEL, De opusculis, Nr. 2, S. 79, halten dieses Epitheton dagegen für eine Anspielung auf Isis’ Tier-/Kuhgestalt, was mir aber keineswegs evident erscheint. DUNAND, Les syncrétismes, S. 162, übersetzt: „die schöne Essenz aller Götter“. Vgl. z. B. „die Götter sind im Fest, die Göttinnen, sie freuen sich, als sie ihre Gebieterin erblicken“ (Dend. IV, 60, 11–17). Vgl. die Bezeichnung als „Liebe der Götter“ in Italien in Z. 109–110, s. o. den Stellenkommentar. 469 Isis wird hier nach ägyptischer Tradition mit dem Jenseits verbunden, was jedoch in ein griechisches Jenseits-Konzept umgesetzt ist. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192, nehmen sogar an, daß das Epitheton von der Unterweltsgöttin Hekate stammt. Vgl. die Anubishymne von Kios (RICIS 308/0302), derzufolge Isis von Erebos (der personifizierten Finsternis der Unterwelt) als „Licht für die Sterblichen“ aufgezogen wurde (Z. 8), vgl. zu beiden Stellen und ähnlichem PANAYOTAKIS, Underworld Journeys, S. 245 u. 248–249. 470 Auch in Z. 62–63: „in Kanopos Musengeleiterin“. Nach Horapollo, II, 29, bezeichnet ‚Muse‘ die äg. Göttin Seschat, vgl. VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 19–20. Die Musen sind möglicherweise auch mit den 7 Hathoren gleichzusetzen, siehe ibid., S. 20; und GRIFFITHS, Isis as Maat, S. 260. 471 Vielleicht auch im Sinne von „Alleserblickerin“ in Z. 93 (in Rhinokorura) zu verstehen; zum Motiv der auf die Erde hinabblickenden und die Taten der Menschen sehenden/beurteilenden Isis siehe MM III, 26–27, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Diodor, I, 11, 2, und Plutarch, De Iside 10, erklären dagegen den Namen des Osiris unter anderem mit der Bedeutung „vieläugig“, wobei Diodor als Ausdeutung angibt, daß er als Sonne alles Land und alle See überblickt; vgl. LAFAYE, Litanie grecque, S. 88; zur Erklärung der Etymologie H.-J. THISSEN, Osiris der „Vieläugige“. Zu Plut. Is. 10, in: GM 88, 1985,

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Hymnen und Gebete

129–130 130–131 131–132 133–134 134–135 135–136

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die holde Göttin472 auf dem Olymp;473 Schmuck der Weiblichkeit474 und zärtlich Liebende475; die süße Wohlfahrt bei den Zusammenkünften; bei den Festen die Haarlocke(?);476 Wohlergehen derer, die schöne Tage verleben477; Harpokratis der Götter;478

S. 55–61; ID., „…αἰγυπτιάζων  τῃ  φωνῃ…“: Zum Umgang mit der ägyptischen Sprache in der griechisch-römischen Antike, in: ZPE 97, 1993, S. 239–252: 246. Oder „der holde Anblick“, vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 293, Anm. 88. Vgl. zur Lokalisierung der Göttin auf dem Olymp MM III, 23, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Die hellenisierte Kontrastierung von Lethe (Z. 127–128) und Olymp entspricht ägyptischen Kontrastierungen der göttlichen Machtbereiche „Himmel“ und „Duat“, häufig noch vervollständigt durch die „Erde“, vgl. dazu Kap. 5.2.2.2.F. Vgl. z. B. „Zierde und Herrin des Schmuckes des Palastes“, Philae-Hymne 3; „Schmuck und Herrin des Palastes“, „ausgestattet mit Schmuck“, Dend. II, 100, 6–11; „Herrin des Schmuckes“, Dend. IV, 60, 11–17; „die Geschmückte, die Herrin des Schmuckes“, Dend. VI, 2, 21–4, 6; „mit glänzendem Schmuck“, Dend. VII, 140, 13–141, 2; u. a., bzw. „die Gebieterin aller Frauen“, Dend. II, 100, 6–11; „die Herrin der Frauen, die (Himmels-)Scheibe der Mädchen“, Dend. VI, 2, 21–4, 6. Die Schönheit und Lieblichkeit der Göttin betonen in pOxy. 1380 auch die Beinamen „Wohlgestaltige“ bzw. „Schöne“ (καλλίμορϕος, Z. 54), Schönste (καλλίστη, Z. 100) und „von anmutiger Gestalt“ (χαριτόμορφος, Z. 59). Dies dürfte sich auf ihre Liebe zu Osiris beziehen, vgl. oben, Kommentar zu Z. 28 („in Thonis Liebe“). Die Bedeutung ist unsicher. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 217, spekulieren einerseits über einen Bezug zur Jugendlocke des Harpokrates und erwägen andererseits, ob mit βόστρυχον  stattdessen eher Weintrauben gemeint sein könnten, die auf Isis’ Entdeckung des Weines (vgl. Z. 179–183) anspielen. Das Haar der Isis spielt jedoch eine zentrale Rolle im Osirismythos und der hellenistischen Ikonographie, siehe ausführlich zur Bedeutung der Haare/Haarlocke im Isiskult NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis (zur Stelle: S. 591); und besonders KUCHAREK, Klagelieder, S. 189–191. Zur hellenistischen Ikonographie vgl. NAGEL, The Goddess’s New Clothes, mit Literaturhinweisen. Isis wird in ägyptischen Texten auch als „die Bezopfte/die mit der Haarlocke“ (Hnsk.tj.t) bezeichnet, z. B. in Philae-Hymne 3, vgl. auch LGG V, 223c–224c, und auch Priesterinnen in der Rolle der Klagefrauen können so genannt werden. Speziell in Koptos wurde eine Locke der Isis verehrt, siehe oben, Kap. 4.10.3 (insbesondere die Rituale der „cuve osirienne“), und unten, Kap. 6.2.6. Des weiteren werden Manifestationen der Uräusschlange (= Isis-Hathor-Sothis) als Haarlocke in einem Ritual für das prxfy.t von Oxyrhynchos als xnsy.t, iAr.t und xfy.t bezeichnet, siehe dazu und zu den engen theologischen Beziehungen zwischen Koptos und Oxyrhynchos TÖPFER, Sothisritual, S. 125–127 u. 148–151. Vgl. die typische ägyptische Formulierung irj hrw nfr „einen schönen Tag/Festtag verbringen“. Für das Wohlergehen der Menschen sorgt Isis auch als Tyche (Z. 51, in Busiris), Schenkerin (δότειρα, Z. 68, in Taposiris, siehe oben den Stellenkommentar), Gnadengabenschenkerin (χαριτοδώτειραν,  Z. 10, im Delta) und Überreichliche (πανάφθον[ο]ν,  Z. 88–89, auf Zypern). Vgl. das Grundthema in MM II, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. die häufigen Titel Ra.t und @r.t innerhalb der ägyptischen Epitheta der Isis; siehe dazu bereits den Kommentar von GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 217. Gerade z. B. in Philae-Hymne 5 wird ebenfalls die Beziehung von Isis, „dem weiblichen Horus“, zu anderen Gottheiten thematisiert: „(Oh) Weiblicher Horus, geliebt vom großen Horus, die Gottesmutter, erschaffen von Atum, die Große Königliche Gemahlin, die mit Re vereint ist, die ihren Bruder Osiris beschützt, die die Beiden Länder ergreift, die Herrscherin der Götter und Göttinnen.“, Kap. 4.1.1.A. Gleichzeitig bildet @r.t ein weibliches Pendant zur Bezeichnung des Horusnamens in der Königstitulatur, so daß hier auch die Eigenschaft der Isis als „Königin der Götter“ gemeint sein könnte. Siehe zu diesem Thema NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 121–125. Zu Isis’ Beziehung zu den Göttern in pOxy. 1380 vgl. die Epitheta „Liebe der Götter“ (Z. 109–110, in Italien) und „schönes Lebewesen aller Götter“ (Z. 126–127).

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Allherrscherin (πάνταρχος)479 bei den Prozessionen der Götter;480 Feindschaftsfeindin;481 getreuer Jaspis (?);482 Diadem des Windes und des Lebens (ζωῆς);483 aus welcher die Abbilder und die Lebewesen (ζῷα) aller Götter sind;484 was von deinem Namen […] hat, bezeugt Verehrung.485

479 Vgl. Z. 20 (Pantokrateira); und MM I, 2, siehe oben, Kap. 6.1.2.1; vgl. DOUSA, Imagining Isis, S. 161, m. Anm. 47. Ferner Z. 231: „Herrin von allen“ (πάντων δεσπότις); Z. 24: „Herrin allen Landes“ (κυρία πάσησ χώρας); Z. 121: „Herrscherin der Oikumene“ (ἄνασσα τῆς οἰκουμένης); und Z. 57: „Herrscherin der Städte“ (ἄνασσα πόλεων). 480 Wie in Z. 131–135 werden hier kultische Feste thematisiert, vgl. VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 46–47. 481 Vgl. oben den Stellenkommentar zu Z. 28: „in Thonis Lieb[e …?]“, mit Anm. 369. 482 Ein ungewöhnlicher zusammengesetzter Begriff; evtl. anders zu lesen, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 198 u. 217; verschiedene andere Lesungsmöglichkeiten sind im Apparat bei TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 69, angegeben. Falls „Jaspis“ stimmt, könnte entweder grüner (äg. wAD-Sma) oder roter Jaspis (äg. (m)xnm.t) gemeint sein. Grüner Jaspis besitzt nach ägyptischer Vorstellung ähnliche symbolische Bedeutung wie Türkis und steht in Verbindung mit Wachstum, aber auch Freude, vgl. AUFRÈRE, Univers minéral, S. 545. Dies würde sich gut in die Thematik des Abschnittes einfügen. Roter Jaspis hat aufgrund seiner Farbe aggressive bzw. apotropäische Konnotationen und spielt daher auch beim Schutz des Osiris eine Rolle, siehe ibid., S. 553–554. In Verbindung mit dem Adjektiv „treu“ würde dies hier noch besser zu Isis passen. Auch das ihr zugeordnete tjt-Amulett ist Tb 156 zufolge aus rotem Jaspis herzustellen, und AUFRÉRE (ibid., S. 554) zufolge wird Jaspis entsprechend als Blut der Isis angesehen. Wie der grüne steht auch der rote Jaspis außerdem mit Freude (äg. xnm „sich freuen“) in Verbindung. 483 Nach VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 48, liegt hier vielleicht ein Übersetzungsfehler aus dem Ägyptischen vor, wobei ursprünglich anx.t, eine Bezeichnung der Uräusschlange (mißverstanden als anx „Leben“), und eventuell der Gott Schu (anstelle des durch ihn repräsentierten Konzeptes des Luftraums) in Verbindung mit dem Diadem genannt waren. Vgl. unten Z. 193–194: „Führerin der Diademe“. 484 Vgl. besonders Assuan-Hymne 1: „Du liebst sie (= die Götter), wenn du sie zusammenfügst/ausstattest, indem sie stark und wirkmächtig sind, du gibst Leben aus dem Leib, in dem du (auch) Horus geschaffen hast. Du gibst Leben allen Göttern, ohne daß es ein Aufhören gibt (= unaufhörlich).“ Siehe auch Edfu V, 332, 8–12: „Geheime, die die Götter gebiert“, und Edfu V, 332, 14–333, 2: „die Gottesmutter der Götter, aus der sie hervorkommen in jenem ihrem Namen Mut“. Ein vergleichbares Wortspiel um den Begriff „Leben“ wie hier Z. 138–140 findet sich in Assuan-Hymne 5: „es lebt (anx=sn) durch dich in jenem deinem Namen ‚die Lebendige‘ (anx.t)“. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 192, interpretieren diese Stelle und Z. 159–163 (s. u.) dahingehend, daß Isis die Tierverehrung erfunden hätte. Die Stellen dürften nach der Übersetzung von JÖRDENS, Griechische Texte, S. 293, aber beide eine andere Bedeutung haben. 485 TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 69, verbindet trotz des Kolumnenwechsels zwischen Z. 140 und 141 die beiden Phrasen miteinander, so daß zu übersetzen wäre: „aus welcher die Abbilder und die Lebewesen aller Götter deinen Namen bitten […]“, vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 293, Anm. 89.

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Hymnen und Gebete

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D. Prosahymne: Herrin Isis, größte der Götter, erster Name, Io-Sothis!486 Du beherrschst das in der Höhe487 und das Unermeßliche;488 du b[ed]enkst auch, daß der Chiton gewebt werde;489 du auch (bist es, die) die unversehrt[en Frau]en zusammen mit Männern gemeinsam den sicheren Hafen errei[chen] lassen will.490 148–149 Alle alten (Männer) opfern im E[…]kton, alle jungen Frauen preisen dich;491 150–152 [sie al]le in Herakleopolis492 w[end]en (?) sich zu dir und haben dir das Land gegründet; 152–153 es sehen dich die, die in Treue (dich) anrufen;493

142–144 144–145 145–146 146–148

486 Die hier genannten Haupttitel in Form einer direkten Anrede (Vokativ, im Kontrast zu den vorigen Akkusativen) leiten einen neuen Textabschnitt ein, der sich nun mit ganzen Sätzen in der 2. Pers. sing. direkt an die Göttin richtet; siehe zur stilistischen Analyse auch VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 48; und WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 21. Vgl. dazu die Einleitungsformulare der MM-Hymnen, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Dort wird jedesmal „die mit großem Namen“ als ein Haupttitel verwendet, was gut zu „erster Name“ in pOxy. 1380 paßt. Zur Gleichsetzung mit Sothis vgl. diverse Texte bes. in Assuan und Dendara, Kap. 4.2 und 4.6; übergreifend 5.2.2.2.B. Zu Isis und Io vgl. den Kommentar zu Z. 63–64 oben. 487 Wohl Übersetzung des ägyptischen Hr.t „das Obere = Himmel“, vgl. VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 49. 488 Die Eigenschaften als Himmelsgöttin und (All-)Herrscherin werden auch in ägyptischen Texten häufig an den Anfang, hinter die Haupttitel, gestellt, vgl. Kap. 5.2.1. Dagegen MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 163: „Denn dein großer Name, der göttliche, (ist) unermeßlich.“ 489 Siehe MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 164. Vgl. Isis als Weberin in ägyptischen Texten und ihre Gleichsetzung mit Tait, z. B. in Edfu (Mesenet, Kap. 4.5); Dend. IV, 104, 7–13; evtl. ist sie auch auf der römerzeitlichen Tunika aus Sakkara als Weberin dargestellt (Kap. 4.12.1). Auch VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 50, leitet die Bezeichnung von der ägyptischen Auffassung der Isis als Bekleiderin des Verstorbenen ab; vgl. zu Isis als Erfinderin des Leinens auch Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii, II, 158; vgl. BROEKHUIS, Renenwetet, S. 130; zu (Isis-)Renenutet als Stoffgöttin außerdem auch D’ASCOLI, Renenutet, S. 8–9. Speziell mit dem Chiton wurde sie vielleicht über die Identifikation mit Neith-Athena verbunden, wenngleich für Athena eigentlich der Peplos, nicht der Chiton, besondere Bedeutung hatte. Vgl. zu Athena pOxy. 1380, Z. 30, siehe dazu oben. Zu Neith und Sais in Verbindung mit der wichtigen Rolle dieser Stadt als Produktionsstätte von Stoffen siehe TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 268–269; 282. Eine weitere Möglichkeit ist die Gleichsetzung der Isis mit Persephone, vgl. Kap. 4.12.1 zur Tunika von Sakkara. 490 Vgl. Z. 74: „in Pelusium die den sicheren Hafen erreichen läßt“, siehe oben den Kommentar zu Z. 61–62. Vgl. BRICAULT, Dame de flots, S. 111; ALVAR, Romanising Oriental Gods, S. 239. 491 Vgl. ägyptische Formulierungen wie „Männer und Frauen sind in Verbeugung vor deiner Gottesmacht“ (Dend. II, 98, 2–99, 3). 492 Hier dürfte Herakleopolis Magna (20. o.äg. Gau) gemeint sein, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 218. Zur Bedeutung der Isis in dieser Stadt vgl. das Fayumbuch (Z. 187): Isis leitet den Weg des Osiris (gemeint ist wohl das Überschwemmungswasser/der Bahr Yussuf) aus Herakleopolis; siehe oben, Kap. 4.13.4. Der Bahr Yussuf wiederum nimmt bei Oxyrhynchos (19. o.äg. Gau) seinen Anfang, weshalb hier enge theologische Verbindungen bestehen, vgl. dazu TÖPFER, Sothisritual, S. 158–160. Nach der kulttopographischen Litanei in Dendara Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (und Parallelen) wird Isis in Herakleopolis „die das Ereignis/Glück/die Konstellation(?) liebt“ (mrj(.t) sxn m Nnj-nswt) genannt. Herakleopolis gilt außerdem als Krönungsort des Osiris, siehe Dend. II, 100, 13–101, 7 (vgl. den Kommentar zu Dend. II, 100, 6–11, Kap. 4.6.2).

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

153–155 aus welchen […] nach dem Verdienst der zusammengefügten 365 Tage.494 155–157 Mild495 und wohlversöhnend ist deine Gnadengabe der z[we]i Anordnungen;496 157–159 die Sonne vom Aufgang bis zum Untergang führst du herauf,497 u[nd] gänzlich wohlgestimmt si[nd d]ie Götter; 159–162 mit den Aufgängen der Gestirne verehren dich unermüdlich die Einheimischen und die anderen heiligen Lebewesen im Allerheiligsten des Osiris;498 162–163 fröhlich werden sie, wenn sie dich nennen. 164 Die […] Gottheiten/Dämonen (δ[α]ίμονες)499 werden dir untertan; 165–171 deine […] hast du gezeigt […] all […]500 und die Erde besäbar [gemach]t, 171–174 alle Nahrung […] überall […], bedenkend den Tau und alles Ge[wachsene];501 174–175 und Verderben, wem du willst, verleihst du; 175–177 den Vernichteten aber verleihst du Vermehrung, und alles reinigst du durch.502 178–179 Jeden Tag hast du dem Frohsinn zugewiesen; 179–180 du, die du […] gefunden hast des Weines, hast alle [Wonn]e dargeboten;503 493 Gemeint ist wohl, daß Isis denen erscheint, die sie als Gläubige um Hilfe anrufen, z. B. im Rahmen der Tempelinkubation. Vgl. z. B. „die für den sorgt, der nicht ihren Grund verläßt (= der nicht illoyal ihr gegenüber ist), die den behütet, den sie liebt, am Tag des Schlachtfeldes“ (Dend. I, 81, 15–82, 6), und MM I, 34: „all diese werden gerettet, wenn sie dich anbeten, daß du erscheinst“ (s. o.). Vgl. zur Diskussion dieser Stelle auch A. J. FESTUGIÈRE, Foi ou formule dans le culte d’Isis, in: Revue biblique 41, 1932, S. 257–261, der die Übersetzung „gläubig“ oder „im Glauben/in Treue“ für κατὰ τὸ πιστόν anzweifelt und stattdessen „auf richtige/authentische Weise“ vorschlägt. 494 Vgl. die ägyptische Bezeichnung der Isis(-Sothis) als „Herrin des Jahresanfangs“ und „das Jahr“, besonders in Memphis, nach der kulttopographischen Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen. Siehe dazu auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 98. 495 Isis selbst wird in Z. 11 (in Kalamisis) und Z. 86 (in Paphos) als „die Milde“ bezeichnet. 496 Es ist nicht klar, was hiermit gemeint ist. Vgl. die Satzungen (thesmoi) in Z. 120. 497 In zahlreichen ägyptischen Texten lenkt Isis die Barke des Re und damit den Sonnenlauf, ausführlich z. B. Deir Chelouit III, Nr. 154. 498 Vgl. auch hierzu Deir Chelouit III, Nr. 154, worin Isis von verschiedenen Gruppen am Sternhimmel und in der Unterwelt (die ja Osiris zugeordnet ist) verehrt wird. Vielleicht ist auch die zeitliche Einteilung des Priesterdienstes gemeint, da es offenbar im ganzen Abschnitt um Himmelskörper und Zeiteinteilung/Kalender geht. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 218, gehen davon aus, daß die „heiligen Lebewesen“ auf die heiligen Tiere in den Tempeln verweisen, was durchaus auch möglich ist. Vgl. Anm. 484 zu Z. 139–140. 499 MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 164: „Die Gottheiten des St[yx]“. 500 Nach MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 219: „all[e K]riech[tie]re“. 501 Zu Isis als Fruchtbarkeits- und Agrargöttin vgl. besonders die MM-Hymnen, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 502 Zu diesen beiden Aussagen, die Isis als Schicksalsgöttin und Herrin über Leben und Tod der Menschen präsentieren, vgl. z. B. „nach deren Wunsch getötet und leben gelassen wird“ (Kalabchah I, 16) oder „unter deren Befehl Leben und Tod sind“ (Dend. IX, 167, 11–16), sowie „sie ist es, die das Schicksal vollendet(?) für jedermann, die Geringen und die Vornehmen gleichermaßen“ (Deir Chelouit I, Nr. 7). Siehe auch weiter unten im Text, Z. 194–196. 503 Vgl. die ägyptischen Entsprechungen, insbesondere in Weinopferszenen: sxpr.t inm.t „die den Wein(krug) entstehen läßt“, sxpr.t irp „die den Wein entstehen läßt“ (z. B. Esna VI, Nr. 527), sxpr.t wnS.w „die die Trauben entstehen läßt“, sxpr.t SA „die die Weinstöcke entstehen läßt“, SAa.tw Ssmw(?) tx n kA=s „für deren Ka am Anfang die Weinpresse(?) und die Trunkenheit gemacht wurden“ (Esna VI, Nr. 476), ferner nb(.t) inm.t(j) „die Herrin des Weines/der beiden Weinkrüge“ (z. B. Philä I, 40– 41), siehe LGG VI, 518–519; 522a; IV, 18b. In pJumilhac, 14, 5–8, bewässert Isis Weinreben, die aus den Augen des Horus gewachsen sind, siehe oben, Kap. 4.13.3. Nach GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S.

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Hymnen und Gebete

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181–183 erstmals bringst du bei den Festen der Götter Tra[nkopfer] und Wohlgüsse dar und rührest (sie).504 183–186 Du bist von allem Feuchten und Trockenen, und K[al]ten, woraus alles zusammengefügt ist, die Finderin/Erfinderin (εὑρέτρια = Schöpferin) {von allem} geworden;505 186–189 du hast deinen Bruder [herauf]geführt, indem du allein Steuerfrau warst506 und ihn schön und wohlangemessen bestattetest;507 189–192 [… der gut]en Gottheit508 [… …] für die Stadt […]509 193 [… … …] hast du vermehrt. 193–194 Führerin der Diademe;510 194–196 Herrin der Vermeh[rung] und des Verderbens un[d der Erschaf]fung u[nd des Ve]r[ge]hens;511 196–199 du, der […] Bestattung [… …] Osiris […];512 200–202 du hast alles […] und alles zu […];513

504

505 506 507

508 509 510

511 512 513

218–219, wird sie dagegen sonst nirgends als Erfinderin des Weines gepriesen. Zur großen Bedeutung von Wein besonders für Hathor(-Isis) siehe z. B. VON LIEVEN, Wein, Weib und Gesang. In ägyptischen Texten wird die Göttin häufig allgemein als Spenderin von Opferspeisen und Libationen bezeichnet, z. B. Assuan-Hymne 2: „die die Opferspeisen bringt“; Dend. XII, 28, 13–32, 7: „Herrin der Opfergaben, (…), die Herrin der Speisen, (…), die Herrin des Brotes, die Bier bereitet“; Deir Chelouit II, Nr. 84 „in deren Befehl(sgewalt) alle Speisen sind“. Speziell für die Libation hat sie durch ihre mythischen Handlungen zur Belebung des Osiris ein Vorbild gegeben; siehe dazu besonders die Texte in Philae, unter anderem ihren dortigen Titel als qbH.t „Spenderin von kühlem Wasser“, Kap. 4.1.2. Vgl. zu εὑρέτρια  (Finderin/Erfinderin/Schöpferin) MM I, 3; MM II, 3, s. o., Kap. 6.1.2.1; vgl. auch DOUSA, Imagining Isis, S. 154, Anm. 19, und zur Stelle S. 161, Anm. 45. Text nach TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 71. In pOxy. 1380 selbst wird sie auch in Z. 81 (in Knidos) εὑρέτρια genannt. Zu Isis als Steuerfrau siehe auch Z. 69–70: „in Peukestis Steuerfrau (κυβερνήτις)“ und ferner Z. 7– 9: „in Aphroditopo[lis i]m Prosopites Flottengebiete[rin] (στολαρχ(ίς)), die vielgestaltige Aphrodite“, siehe dazu BRICAULT, Dame de flots, S. 35–36 u. 111. Diese Aussage über das Finden und Bestatten von Osiris ist m. E. in enger Verbindung mit den beiden vorigen Paragraphen zu sehen: das unmittelbar zuvor genannte, abstrahierte „(Er)Finderin von allem“ wird hier auf das zentrale mythische Moment des „Findens“ von Osiris zurückgeführt; vgl. auch Anm. 504 zur Libation. Vgl. zur Stelle auch BRICAULT, Dame de flots, S. 140, m. Anm. 149. Agathos Daimon; gemeint sein kann entweder der Schlangengenius oder der so benannte westliche Hauptarm des Nils, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 219. Eventuell ist noch „Isis“ am Zeilenende zu lesen, vgl. TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 71. Siehe dazu DOUSA, Imagining Isis, S. 167, Anm. 67. Vgl. die Formulierung nA sHny(.w) n As.t nA i[pt.w] n[b](.t) tA.wj „die Diademe der Isis, die Kronen der Her[rin] der Beiden Länder“ im „Kampf um den Panzer des Inaros“ und der „Lehre des Chascheschonqi“, siehe Kap. 6.4.2.2. Vgl. zum Diadem bereits Z. 138–139. Sinngemäß ebenso bereits in Z. 174–177, vgl. die Anm. 502 dort. Vgl. oben, Z. 186–189; vgl. auch ägyptische Epitheta wie „Herrin der Bestattung“ u. ä., z. B. Dend. V, 103, 17–104, 8; ausführlich in Dend. IX, 167, 11–16: „unter deren Befehl Leben und Tod sind, die Herrin der Bestattung, die Gebieterin des Begräbnisses“. MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 165, liest und ergänzt die lückenhaften Zeilen 196–202 folgendermaßen: „du, die du bei Krankh[eiten] erschie[nest, hast] magi[sche(?) Heil]mit[tel geg]eb[en], Re[tt]erin; den Osir[is hast du] einge[hüllt]; und alle, die zu Fall gek[ommen sind, hast du geret]tet“; vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 294, Anm. 102. Sehr unsicher, vgl. den Apparat mit unterschiedlichen Lesungen und Ergänzungen bei TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 71–72.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Iseia hast du in allen Städten auf [al]le Zei[t einge]richtet;514 u[nd a]lle[n] hast du die Sitten515 u[nd] den voll[en] Jahreskreis [dar]geboten;516 u[nd …] allen [… …] n[ach] jedem Ort; an jedem Or[t hast du (es?) an]gewiesen, damit es wüßten al[le M]enschen, daß der Himmel er[richtet wurde v]on dir.517 209–214 Du hast deinen Sohn Horus Apollon überall zum neuen Herrn de[s gan]zen Weltalls und [… …] die ga[nz]e […]518 auf al[le] Zeit eingerichtet.519 214–216 Du hast den Frauen die gleiche Macht wie den Männern ver[lie]hen;520 216–220 und im Allerheiligsten hast du [… …] die Völkerschaften [… …] Königin […], Herrin […], die du dir alles Land521 auserwählt hast [unter dei]nen Flügeln;522

202–203 203–205 205–206 206–209

514 Gemeint ist, daß Isis-Tempel überall verbreitet sind, was im Kern nochmals die vorige kulttopographische Litanei zusammenfaßt, auch wenn die Phrase durch einen großen Abschnitt der Prosahymne von dieser getrennt steht. Vgl. die Standard-Abschlußformel der ägyptischen kulttopographischen Litanei: „Sie ist es, die in allen Städten und Gauen ist, zusammen mit ihrem Sohn Horus und ihrem Bruder Osiris.“: Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen. Vgl. auch pOxy. 1380, Z. 57: „Herrscherin der Städte“ (ἄνασσα πόλεων). 515 Vgl. auch Z. 119–120 zu thesmoi und Z. 155–157 zu zwei prostagmata der Isis. Außerdem wird sie als Praxidike, „die Rechtschaffene“ (Z. 50) und als „Wahrheit“ (Z. 63, in Menuthis) bezeichnet. All dies entspricht dem ägyptischen Konzept der Maat, mit der Isis häufig gleichgesetzt wird, vgl. dazu Kap. 5.2.2.2.H, die Ausführung dieser Rolle in den MM-Hymnen (s. o., Kap. 6.1.2.1); BERGMAN, Ich bin Isis, S. 176–209 u. 271–272; und GRIFFITHS, Isis as Maat, bes. S. 259. Zu diesem Themenfeld könnten auch ihre Bezeichnungen als „Hinabblickerin“ (Z. 87–88, in Salamis) und „Alleserblickerin“ (Z. 93, in Rhinokorura) passen, denn das Motiv der auf die Erde hinabblickenden und die Taten der Menschen sehenden/beurteilenden Isis findet sich auch in MM III, 26–27. 516 Vgl. bereits Z. 153–155. Siehe dazu BERGMAN, Ich bin Isis, S. 98. 517 Isis verbreitet die Lehre von ihren Taten und ihrer Macht also selbst, ebenso wie sie selbst die Heiligtümer in allen Städten gründet (Z. 202–203). 518 MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 165, liest und ergänzt hier: „ga[nz Ägyp]tens zur ewigen Er[neuerung]“. 519 Vgl. die häufigen Beschreibungen der Herrschaftsübergabe an Horus mit Hilfe von Isis in ägyptischen Texten, z. B.: „die seinen (= Osiris’) Sohn auf seinen Thron setzt, in Ewigkeit“ (Dend. III, 134, 16–135, 3); „die ihren Sohn Horus auf seinen (= Osiris’) Thron setzt in Ewigkeit, ohne daß ein anderer es wiederholen wird“ (Dend. IV, 104, 7–13), u. ä. Vgl. auch unten, Z. 262–268. 520 Diodor, I, 27, schreibt ebenfalls die hohe Stellung der Frauen in Ägypten der Isis zu. Auf ägyptisch wird Isis mehrfach als „Herrin der Frauen“ u. ä. bezeichnet (vgl. Anm. 474 oben, zu Z. 130–131), und auch die realiter immer mächtiger und ihren männlichen Koregenten teilweise sogar überlegenen ptolemäischen Königinnen leiteten ihre Macht von Isis ab bzw. setzten sich systematisch mit dieser gleich, vgl. dazu NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 128–135. Die Zeile könnte unter dem Eindruck der Herrschaft der Ptolemäerinnen entstanden sein. 521 Dieser und vergleichbare Ausdrücke (siehe Z. 22–24: „Herrin allen Landes“; Z. 121: „Herrscherin der Oikumene (= die zivilisierte Welt)“) können jeweils einerseits als „ganz Ägypten“ als auch universell als „die ganze Welt“ begriffen werden und wurden möglicherweise auch je nach Publikum unterschiedlich gedeutet, siehe dazu BERGMAN, Ich bin Isis, S. 149, m. Anm. 4; vgl. DOUSA, Imagining Isis, S. 159–160, Anm. 43. 522 Möglicherweise ist Isis hier als Geierin und mit Nechbet gleichgesetzt gedacht, wie z. B. in AssuanHymne 6, Edfu V, 332, 14–333, 2, Dend. Isis, 138, oder El-Qal‘a II, Nr. 218, vgl. auch ihre Bezeichnung als „Geiergestaltige“ (in einer nicht ganz erhaltenen, unbekannten Stadt M…nestion in Unterägypten) in Z. 66–67 des Papyrus. Andererseits sind Darstellungen der Isis mit seitlich ausgebreiteten oder am Rock des Kleides anliegenden Flügeln so häufig, daß dies nicht notwendigerweise der

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Hymnen und Gebete

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220–222 […] ist die Entscheidung, die du(?) es unternah[mst(?), die] Sonne als(?) Horus […].523 222–230 Du, die [Her]rin der Er[de], führst über die Fel[der den Übe]rfluß der Ströme [… hera]uf – auch in Ägypten des N[il]s, in Tripolis aber des Eleutheros, in Indien aber des Ganges524 – und durch welche das Ganze u[nd da]s Eine rechtzeitig ist mittels jeden Regens525 und jeder Quelle und je[de]n Taues526 un[d Sc]hnees und jeder Flüssigkeit(?) de[r Er]de wie des Meeres.527 231 Du auch (bist) aller Herrin auf immerdar; 232–233 du hast alle […] des Himmelspoles […], du hast den neuen Horus zur Sonne […];528 234 […] eine vollere Stunde(?) alles Gebirge(?); 235 du hast [die] Diosku[ren zu Re]ttern gemacht;529

523 524

525

526

527 528 529

Fall sein muß. Zum ikonographischen Typus der geflügelten Göttin siehe auch ausführlich unten, Kap. 7.1.4. Zur Thematik vgl. z. B. Assuan-Hymne 1. Vgl. bereits oben, Z. 209–214 zur Einsetzung des HorusApollon durch Isis, und Z. 157–159 zu Isis als Lenkerin des Sonnenlaufes. Vgl. bereits Z. 122–123 und 125–126, siehe Anm. 467. Hier kommen allerdings noch die beiden zusätzlichen, eigens genannten Flüsse außerhalb Ägyptens hinzu. Zu Indien siehe bereits Z. 103, vgl. den Stellenkommentar oben. Der Eleutheros (heute Nahr el-Kabir) zwischen Libanon und Syrien bildete lange die nördliche Grenze des Ptolemäerreiches, vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 294, Anm. 110. Siehe zur Stelle auch BRICAULT, Dame de flots, S. 40, m. Anm. 16. BRICAULT, Dame de flots, S. 40, Anm. 18, hält ὄμβρος  hier eher für eine Bezeichnung der Überschwemmung; zur Beziehung/Opposition Nilüberschwemmung – Regen in der griechischen und lateinischen Literatur siehe S. SAUNERON, Un thème littéraire de l’antiquité classique: Le Nil et la pluie, in: BIFAO 51, 1952, S. 41–48. Zur Problematik Isis und Regen siehe unten, Kap. 6.3.2. Zum Tau siehe bereits oben, Z. 173. Vgl. dazu KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 61–62: Der Tau steht in engem Zusammenhang mit Sothis und der Nilflut sowie dem kühlenden Nordwind, mit dem Isis ebenfalls häufig verbunden wird (vgl. MM III, 21, siehe oben, Anm. 156); vgl. auch BONNEAU, Crue du Nil, S. 254–256; K. R. WEEKS, The Sycamore Fig, in: N. Grimal et al. (Hrsg.), Hommages à Fayza Haikal, BdÉ 138, Kairo 2003, S. 305–313: 312. Vgl. auch eine Passage in Deir Chelouit II, Nr. 84 (Kap. 4.8.1.A): Rnn.t nfr(.t) sanx(.t) wbs m nb(.t) iAd.t m tA pn „die vollkommene Renenutet, die die Pflanzen belebt als Herrin des Taues in diesem Land“. Vgl. bereits Z. 122–123: „Herrin der Meeres- und Flußmündungen“, und Z. 61: „in Herakleion Herrin des Meeres“. Vgl. bereits Z. 220–222, mit Anm. 523. Hier kommen möglicherweise auch lokale Elemente in den Hymnus hinein: die Dioskuren wurden in Oxyrhynchos zusammen mit Isis verehrt, siehe KRÜGER, Oxyrhynchos, S. 103, Nr. 12. In pOxy. 254 (19/20 n. Chr.) wird ein „Priester der Isis, der größten Göttin, des Tempels, der ‚der der beiden Brüder‘ (= die beiden Krokodilgötter Psosnaus? Dioskuren?) genannt wird, gelegen nahe beim Sarapeion“ erwähnt. Die Dioskuren wurden in Ägypten wohl mit lokalen Krokodilgötterpaaren identifiziert, vgl. dazu QUAEGEBEUR, Cultes égyptiens, S. 312–316; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 235– 237. Von ihrem mit Isis vergesellschafteten Kult in Mittelägypten zeugt auch ein Felsrelief bei Akoris mit der Darstellung der Dioskuren sowie von zwei möglicherweise mit diesen identifizierten Krokodilen (in der Nähe befindet sich auch die Stadt Krokodilon polis), die Isis-Sothis-Helena(?) umgeben, siehe dazu M. DREW-BEAR, La triade du rocher d’Akôris, in: N. Fick (Hrsg.), Mélanges Étienne Bernand, Paris 1991, S. 227–234; EAD., Cultes locaux, S. 291; KOCKELMANN, Herr der Seen II, S. 350– 351. Zu verwandten Isis-Sothis-Darstellungen mit Krokodilen bes. im Fayum vgl. TALLET, Isis, the Crocodiles (zum Relief in Akoris S. 139–140), siehe auch oben, Anm. 226 und 262.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

236–237 […] der Nahrung, alles […] hast du verm[ehr]t;530 237–239 du hast der Winde un[d Do]nner und Blitze und Schneestürme Gewalt;531 239–242 du, Herrin des Krieges532 und der Herrschaft – die im Wohlleben verdirbst du durch treuliche Ratschläge.533 242–243 Du hast den großen Osiris unsterblich gemacht;534 244–245 […] und für das ganze Land hast du [my]st[ische…]535 Verehrungsdienste dargeboten;536 246–247 ebenso aber auch den Horus,537 der d[es Vater]s Wohltäter538 geworden [ist] und ein Guter.539 248–249 Du bist auch Herrin des Lichtes und der Flammen;540 249 du [bes]it[zt] in Memphis das [Aller]heiligste (Adyton).541

530 531 532 533 534 535 536

537 538 539

540 541

Zudem wurden sowohl Isis als auch die Dioskuren als Retter auf See verehrt, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 220. Siehe zur Vergesellschaftung der Dioskuren mit dem Isiskreis im Hinblick auf die Seefahrt und allgemein BRICAULT, Dame de flots, S. 25, m. Anm. 97 (auch zur Stelle oben). Zu Isis als Nahrungsspenderin vgl. bereits Z. 171–174. Vgl. Z. 138: „Diadem des Windes…“, und Z. 227–230: „mittels jeden Regens und jeder Quelle und je[de]n Taues un[d Sc]hnees…“. Vgl. Z. 71, 83 und 102: „die Kriegerische“, sowie Z. 30 u. 48: „Siegerin“ und Z. 69: „schneller Sieg“. Siehe dazu oben, Kommentare zu Z. 83 u. 102; vgl. auch STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 206. Vgl. Z. 174–177. Siehe zu diesem Thema bereits Z. 186–189 und 196–199, sowie Z. 12–13 („in Nikiu Unsterblichkeitsschenkerin“). Ergänzung nach MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 166. Falls die Phrase inhaltlich noch mit der vorigen zusammenhängt, lassen sich ägyptische Parallelen über die Einführung des Osiriskultes durch Isis anführen: „[die Klagefrau], die für die Geheimnisse (Mysterien) ihres Bruders sorgt“ (Philä I, 169); „Sie schmückt/stattet aus ihren Bruder in den Städten und Gauen“ (Dend. IV, 104, 7–13); „die Wirkmächtige für ihren Gatten, die Vortreffliche für ihren Bruder, die seinen Leib göttlich macht in den Tempeln, wahrhaftig“ (Deir Chelouit III, Nr. 155); ausführlich: „Ihr großer Bruder ist der Herr der Gaue und die Tempel tragen seine Götterbilder, seine Abbilder sind geheiligt an den Stätten der Götter; diejenigen, die in ihnen (den Götterstätten) sind, sind für ihn im Jubel, denn er ist ihrer aller Herr zusammen mit Horus und gemeinsam mit seiner Schwester, die Geleiterin(?), derengleichen es nicht gibt, die wohltätige/vortreffliche Göttin, die dieses alles für ihren großen Bruder vollzieht“ (Assuan-Hymne 3). Wohl noch abhängig vom Prädikat „du hast unsterblich gemacht“ in Z. 243, vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 220. Auf ägyptisch üblicherweise eher nD it=f „Schützer/Rächer seines Vaters“ = Harendotes. Die direkte Verknüpfung von Handlungen an Osiris und Unterstützung des Horus ist typisch für ägyptische Texte, vgl. z. B. Dend. IV, 104, 7–13, wo direkt auf den Abschnitt zu Osiris (siehe Anm. 536) folgt: „die ihren Sohn Horus auf seinen Thron setzt in Ewigkeit, ohne daß ein anderer es wiederholen wird.“ Vgl. auch unten, Z. 295. In ägyptischen Texten wird Isis häufig Nsr.t „Flamme“ genannt, gleichzeitig eine Bezeichnung der feuerspuckenden Uräusschlange. Lichtgöttin ist sie als Himmelslicht Sothis. Vgl. Kap. 5.2.2.2.B. Zu Isis in Memphis siehe umfassend BERGMAN, Ich bin Isis, zur Stelle S. 258–259, m. Anm. 5: Da es anschließend um Horus und die Inthronisation geht, ergänzt er hier abweichend zu „Du führst in Memphis in das Allerheiligste ein“, was ich auch für gut möglich halte. Von einem Adyton in Memphis berichtet Nigidius Figulus, daß der König bei der Inthronisation durch den Isispriester eingeführt wurde, siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 95–96 und 258. Siehe oben, Kap. 4.12.1.

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Hymnen und Gebete

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250–252 Horus, zuvor entscheidend, daß du [mach]test für ihn542 einen Nachfolger […] Inthronisierer;543 252–256 orakelgeb[end …]544 und […] führst du hinab durch die […] auch die heilige; 257 […] hast du [ver]mehrt die Stärke. 258–261 […] mit Ratlosigkeit […], anordnend, was zuvor […] alles Erbrachte von allem […] 262–264 […] zum Nachfolger in der He[rrscha]ft aller Götter hast du ihn gemac[ht];545 264–266 und den […] von allen Herren des Thrones; 266–268 und als orakelgebenden König über das väterliche Haus hast du ihn eingesetzt auf al[le] Zeit;546 269–271 da dein ist aus dreien das Heiligtum in Busiris, das sogenannte B[…] 272–279 […] Wunder […] dem Heiligtum und der Stadt [… A]bydos, die Tür […]; 280–283 du, die du gründetest in […] die rasche […];547 284–286 du hast gegründet […] und in der […]taabdeus; 286–289 du aber […] du all […] 289–292 du hast gemacht den [… auf] Ewigkeit; 292–293 […] Retterin (σώτιρα)548; 293–294 du […] hast die Gründung […];549 295–297 du (hast?/bist?) auch das Licht […];550 297–298 du verme[hrst …] die Unfrom[men u]nd […] 542 Hier müßte Osiris gemeint sein, auch wenn seine einige Zeilen (246–247) zurückliegende Nennung problematisch ist, siehe auch GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 220. 543 Die zahlreichen bisherigen Ergänzungsvorschläge kamen nicht ohne Emendationen aus, vgl. JÖRDENS, Griechische Texte, S. 295, Anm. 121. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 258–259, m. Anm. 5, schlägt im Zusammenhang mit der vorigen Aussage (vgl. Anm. 541) „Isis hat dort den Nachfolger des Horus eingeweiht“ vor, was allerdings nicht ganz nachvollziehbar ist, zumal die Göttin im Hymnus sonst in der 2. Pers. sing. angesprochen wird. Zu Isis als Inthronisiererin (des Horus/Königs) siehe Kap. 5.2.2.3.A–B und NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 116–125; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 92– 120 (auch allgemein zur Krönung in Memphis) und 257–259. 544 MANTEUFFEL, Pap. Oxy. XI, 1380, S. 166, und ID., De opusculis, S. 84, ergänzt die Z. 152–154 folgendermaßen: „orakelgeb[end nötigst du den, der zu be]reden sucht, zur Umkehr; [… Er]d[e und Me]er “. Zu Isis als Orakelgöttin siehe Philä III, Nr. 2: „Sie ist es, die vorhersagt, was in der Ewigkeit kommen wird (= die Zukunft)“, und ähnlich Dend. I, 81, 15–82, 6: „die vorhersagt, was geschehen wird in ferner Zeit“. In pOxy. 1380 wird sie außerdem „Orakelgebende“ (Z. 43, in Xois) und außerdem „Vorsehung“ (πρόνοια, Z. 43–44, in Katabathmos) genannt. Ausführlich dazu unten, Kap. 6.5.1. In Oxyrhynchos selbst sind zumindest einige Orakelanfragen an Sarapis erhalten, siehe z. B. WHITEHORN, Pagan Cults, S. 3079. 545 Hier und im Folgenden geht es offenbar wieder um Horus resp. den König, vgl. Z. 250–252. 546 Siehe bereits Z. 252, mit Anm. 544. Zu Isis und Horus als Orakelgottheiten für das Königtum vgl. insbesondere die ‚Sortes Isiacae‘, siehe unten, Kap. 6.5.1.3. 547 Zu Isis als Gründerin von Städten und Tempeln vgl. oben, Z. 202–203, und die häufigen Erwähnungen in den Tempeltexten, z. B. „die die Städte gründet und die Gaue fest einrichtet“ (Dend. I, 75, 12– 76, 2). 548 So wird sie auch in Z. 20 (Naukratis, siehe Stellenkommentar oben) und Z. 91–92 (Petra) bezeichnet, außerdem in Z. 76 als „Rettende“ (σώζουσα, beim Ekregma, siehe dazu AUFRÈRE, Osiris-Nil, S. 127– 128 u. 135) und als „Retterin von Männern“ in Z. 55 (ἀνδραςώτειραν, im Isideion im Sethroites). 549 Vgl. Z. 280–286, siehe Anm. 547. 550 Vgl. bereits Z. 248–249.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Übergreifende Analyse: Gliederung und Inhalt Rein formal bzw. grammatikalisch läßt sich eine Unterteilung in verschiedene Abschnitte erkennen.551 Die Eulogische Epithetareihe (Z. 119–142) weist den für diese Textform im Ägyptischen typischen, knappen Nominalstil mit Relativsätzen, Substantiven, Adjektiven und Partizipien auf.552 Die Prosahymne wird dagegen aus längeren Hauptsätzen gebildet, wobei die Verben anfangs in der 2. oder 3. Pers. stehen, da auch Haltungen, Taten etc. anderer Lebewesen gegenüber Isis, oder durch Isis von deren Standpunkt aus beschrieben werden (Z. 142–179). Auch hierzu finden sich die Vorbilder in zahlreichen ägyptischen Hymnen.553 Ab Z. 179 sind die übrigen Sätze der Prosahymne, soweit es der Erhaltungszustand erkennen läßt, in der 2. Pers. sing. gehalten und beginnen mit dem Personalpronomen σύ als Subjekt. Dies entspricht in etwa denjenigen ägyptischen Isishymnen, die jeden Sinnabschnitt mit nts „Sie ist…“ beginnen, wenngleich dort die 3. Pers. sing. benutzt wird.554 Inhaltlich scheinen zunächst, wie LAFAYE bereits kritisch anmerkte, die zahlreichen Beinamen und der Göttin zugeschriebenen Handlungen in der Eulogischen Epithetareihe und der Prosahymne relativ ungeordnet und beliebig hintereinander gereiht zu sein, ohne daß sich irgendeine Logik oder ein System erkennen läßt. 555 Auch fehlen stilistische Gestaltungsmittel, und es gibt einige inhaltliche Redundanzen. Bei näherem Hinsehen lassen sich aber oftmals Gruppen von Epitheta bzw. Sätzen feststellen, die ein gemeinsames Oberthema ausführen und durchaus von einem logischen Aufbau großer Teile des Textes zeugen. Eulogische Epithetareihe: Abschnitt Z. 123–124 Z. 126–142

Unterabschnitt

127–130 130–142

Inhalt drei Epitheta zum Thema Weisheit/Wissenschaft Beziehungen zu Göttern und Menschen: – im Himmel und in der Unterwelt – auf der Erde: Feste, Versammlungen, Prozessionen, Verehrung

551 Vgl. zur formalen Gliederung LAFAYE, Litanie grecque, S. 96; VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 48; und WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 21; CHAPOT/LAUROT, Corpus de prières, S. 202–203. 552 Vgl. dazu die Analyse der ägyptischen Tempeltexte, Kap. 5.1.2. 553 Z. B. Philae-Hymne 6 (Festhandlungen); Philä II, 76–77 (Verehrung durch Länder); Philä III, Nr. 2 (Verehrung durch Götter und Menschen); Assuan-Hymne 6 (Handlungen des Königs); diverse Dendara-Texte mit Geburtsthema (Handlungen der Götter) usw. Vgl. Kap. 5.2.2.1.I und 5.2.2.4.A–C. 554 Z. B. Philae-Hymne 4; bei snD-n-Hymnen beginnt nach dem anfangs immer wiederholten Refrain „Habt Ehrfurcht vor…“ ebenfalls jeder neue Satz mit nts: Philae-Photos 164–165; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7; ähnlich ist auch Deir Chelouit III, Nr. 154 aufgebaut (mit mj ntT). Vgl. auch die Texte der Gauprozession Dend. I, 90, 15–97, 3, und Dend. I, 122, 14–128, 12, in denen die Tempelgöttin Isis-Hathor jeweils mit ntT-Sätzen („Du bist…“) mit den einzelnen Hauptgöttinnen der Gaue gleichgesetzt wird. 555 So LAFAYE, Litanie grecque, S. 97.

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Hymnen und Gebete

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Prosahymne: Abschnitt Z. 142–145 Z. 145–183

Unterabschnitt

145–148 148–153 153–160 158–164 164–183 Z. 183–186 Z. 186–222 186–199(?)

200–209

209–214 214–220 220–222 Z. 222–242

Z. 242– 286(?)

Inhalt Anrede, Namen: Himmelsgöttin Beziehung zu und Leistungen für Menschen und Götter: – Leistungen der Isis für Menschen – Verehrung und Anrufung der Isis durch Menschen – Leistungen der Isis für Menschen und Götter (I): Einteilung der Zeit (I) – Dank, Freude und Verehrung dafür durch Menschen und Götter – Leistungen der Isis für Menschen und Götter (II): Wachstum, Speise und Trank, Leben und Tod Isis als Schöpferin und Herrin des Kosmos und seiner Elemente (I) Leben und Leistung der Isis im Mythos: – Osirismythos: Finden und Bestatten des Osiris durch Isis, Isis allgemein als Herrin über Leben und Tod – religiös-ethische Leistungen der Isis: Gründung von Tempeln, Erlaß von Sitten, Einteilung der Zeit (II), Lehre von ihren Leistungen an Menschen – Einsetzung des Horus zum Weltherrscher – Allherrschaft der Isis(?) und Gleichstellung von Frauen und Männern – Einsetzung des Horus als Sonnengott(?) Isis als Herrin des Kosmos (II): Erde und Gewässer, Himmel und Sonne, Gebirge, Nahrung, Wetter, Krieg und Herrschaft Leistungen der Isis im Mythos und für Menschen (II): Unsterblichmachen des Osiris, Mysterien, Einsetzung des Horus als Nachfolger (Inthronisation), Gründung von (Osiris-? und) Isisheiligtümern in Abydos und Busiris

Diese Aufstellung zeigt, daß es zwar mehrere Textteile gibt, die bestimmte Themen wiederholen – aufgrund der vielen Fehlstellen und unsicheren Ergänzungen läßt sich die Trennung zwischen einzelnen Partien oder sogar Sätzen nicht immer bestimmen –, daß aber innerhalb der einzelnen Teile durchaus Logik und Ordnung vorhanden sind. Gerade die enge Abfolge beziehungsweise die Übergänge bestimmter Themenkomplexe ineinander (z. B. Leistungen der Isis für Menschen und Götter und daraus resultierende Freude und Verehrung dieser Gruppen ihr gegenüber; oder Finden und Bestatten des Osiris, Gründung

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

von Tempeln und Einrichtung seiner Verehrung bzw. Mysterien) sind typisch für ägyptische Isishymnen. Mehrfach ausgeführt werden in verschiedenen Abschnitten folgende Themen, wobei auch hier zu bedenken ist, daß sich die genaue Bedeutung einiger Aussagen aufgrund der Lücken und Unsicherheiten nicht genau klären läßt:556 Thema Gebote der Isis Jahresrechnung Flüsse und Überschwemmung

Tau/Wasser/Feuchtigkeit/Wetter

Fruchtbarkeitsgöttin/Nahrungsspenderin Bestattung/Unsterblichmachung des Osiris

Heiligtümer des Osiris Heiligtümer der Isis

Isis als Schicksalsgöttin, die über Gedeih und Verderb der Menschen entscheidet Einsetzung des Horus als König, Sonnengott und Herrscher der Götter

Stellen – Z. 119–121 (Epithetareihe) – Z. 155–157 (Prosahymne) – Z. 153–155 (Prosahymne) – Z. 203–205 (Prosahymne) – Z. 122–123 (Epithetareihe) – Z. 125–126 (Epithetareihe) – Z. 222–226 (Prosahymne) – Z. 172–174 (Prosahymne) – Z. 226–230 (Prosahymne) – Z. 237–239 (Prosahymne) – Z. 171–174 (Prosahymne) – Z. 236–237 (Prosahymne) – Z. 186–189 (Prosahymne) – Z. 196–199 (Prosahymne) – Z. 242–243 (Prosahymne) – Z. 159–162 (Prosahymne) – Z. 269–279 (Prosahymne) – Z. 202–203 (Prosahymne) – Z. 249 (Prosahymne) – Z. 269–279 (Prosahymne) – Z. 174–177 (Prosahymne) – Z. 194–196 (Prosahymne) – Z. 239–242 (Prosahymne) – Z. 209–214 (Prosahymne) – Z. 220–222 (Prosahymne) – Z. 232–233 (Prosahymne) – Z. 250–252 (Prosahymne) – Z. 262–268 (Prosahymne)

Die Wiederholungen könnten m. E. zumindest teilweise auf der Kompilationsarbeit des Redaktors beruhen, der möglicherweise verschiedene Quelltexte, die ins Griechische übertragen wurden, aneinanderreihte. Das gesamte Manuskript (kulttopographische Litanei + Epithetareihe + Prosahymne) könnte schlußendlich vielleicht als reichhaltige Vorlage bzw. Nachschlagewerk – etwa nach Art ägyptischer kulttopographisch-mythologischer Handbü-

556 Vgl. dazu auch LAFAYE, Litanie grecque, S. 97.

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Hymnen und Gebete

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cher557 – für kürzere griechischsprachige Kompositionen wie Hymnen, Gebete etc. an Isis gedient haben.558 Betrachtet man sämtliche Epitheta der Isis und die ihr zugeschriebenen Leistungen im ganzen Text,559 wird praktisch jeder Bereich, der einer Gottheit überhaupt zugeordnet werden kann, abgedeckt, und für fast alle Angaben finden sich inhaltliche oder sogar wörtliche Parallelen in ägyptischen Texten, wenngleich diese teilweise in griechische Konzeptionen übertragen werden, z. B. bei ihrer Bezeichnung als „das bei der Lethe fröhliche Antlitz“ (Z. 127–128). Auch sind die angesprochenen Themenkomplexe ganz typisch für ägyptische Isishymnen.560 Im Vergleich mit den aufgrund der griechischen Sprache einerseits und direkten Abhängigkeit von ägyptischen Texten andererseits eng verwandten MM-Hymnen lassen sich sowohl inhaltlich als auch formal viele Parallelen aufzeigen. Auf erstere wurde stellenweise bereits in den Kommentaren und Anmerkungen oben aufmerksam gemacht; was letztere betrifft, so findet sich besonders im Abschnitt zwischen Z. 164 und 186, aber auch sonst innerhalb der Prosahymne, ein Phänomen wieder, das bereits bei den MMHymnen ins Auge gefallen ist: die Betonung der Isis als All-Herrscherin und AllSchöpferin mit Hilfe einer Anhäufung von πᾶς, πᾶσα,  πᾶν  bzw. davon abgeleiteter Ausdrücke. Dies paßt wiederum inhaltlich genau zu dem, was durch die Multiplizität der kulttopographischen Litanei zu Beginn der Komposition letztlich auch ausgedrückt werden soll. Zweitens besitzt auch das in MM II allgegenwärtige Thema der Freude, des Wohlergehens und der Festlichkeit, das dort durch eine Wortfelduntersuchung aufgezeigt wurde (Kap. 6.1.2.1), eine Entsprechung in pOxy. 1380, die sich nur auf die Abschnitte zwischen Z. 126 (Epithetareihe) und Z. 183 (Prosahymne) konzentriert, wo es, wie oben dargestellt, um die Beziehung der Isis zu Menschen und Göttern geht: Isis selbst ist das „bei der Lethe fröhliche Antlitz (ἱλαρὰν ὄψιν)“ (Z. 127–128), die „süße Wohlfahrt bei den Zusammenkünften (ταῖς  συνόδοις  ἡδίαν  εὐπορίαν)“ (Z. 132), „bei den Festen (πανη[γ]ύρεσιν) die Haarlocke(?)“ sowie „Wohlergehen derer, die schöne Tage verleben (τῶν  τὰς  καλὰς  ἀγόντων  ἡμέρας  εὐθηνίαν)“ (Z. 133–135) und auch „bei den Prozessionen (ἐξοδίαις) der Götter Allherrscherin“ (Z. 136–137). Entsprechend sind ihre Untertanen, Götter und Menschen, „wohlgestimmt (εὐφραίνονται)“ (Z. 159), „werden fröhlich (ἱλαροί)“ (Z. 162–163), und ihre Tage sind mit „Frohsinn (εὐφροσύνῃ)“ (Z. 178)561 und „Wonne ([χάρμ]α)“ (Z. 180) gefüllt durch die Göttin. Auch hieran läßt sich der oben (in der Gliederung) aufgezeigte Wechsel zwischen Leistungen der Isis für Menschen und Götter und deren Dankbarkeit und Freude darüber erkennen. 557 Siehe hierzu oben, Kap. 4.13, und für vergleichbare demotische Texte unten, Kap. 6.3, insbesondere die Liste von Erscheinungsformen verschiedener Götter, 6.3.1. 558 Zu ägyptischen Archiv- und Vorlagenbüchern dieser Art vgl. VON LIEVEN, Grundriß, S. 206–250; PRIES, Stundenwachen, S. 445–447. Möglicherweise ist sogar anzunehmen, daß Isidoros seine Isishymnen (MM I–III, s. o., 6.1.2.1) auf der Grundlage exakt solcher Textsammlungen ins Griechische übertragener Isishymnen oder -epitheta komponiert hat. 559 Für eine thematisch geordnete Klassifizierung der Isis-Epitheta und ihrer Handlungen in pOxy. 1380 siehe GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 191–194. 560 Vgl. hierzu die Übersicht der Themen in den Tempelhymnen und eulogischen Epithetareihen in Kap. 5.2.2. 561 Isis selbst wird in Z. 19–20 (Naukratis, siehe den Stellenkommentar oben) u. 31–32 (Kaine) Euphrosyne genannt.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Sprache und kultureller Hintergrund Was die sprachliche und kulturelle Bewertung des Textes angeht, so hat sich die Foschungslage seit der Erstedition um einiges weiterentwickelt, doch einige Punkte sind noch immer umstritten. GRENFELL und HUNT glaubten noch an eine zwar sich aus ägyptischen Quellen speisende, aber dennoch genuin griechische Komposition.562 COLLART zufolge sollen die Epitheta „zum größten Teil von griechischen Hymnen, besonders den orphischen Hymnen, beeinflußt“ sein. 563 Auch den gesamten Aufbau des Textes, den er hypothetisch um eine – durchaus wahrscheinliche – lobpreisende Anrede der Göttin am Anfang und ein unsicheres, aber auch in ägyptischen Hymnen übliches, Schlußgebet mit konkreter Bitte am Ende ergänzt, sieht er als typisch für griechische Hymnen an, wobei er allerdings die dafür eigentlich ungewöhnliche Form der kulttopographischen Litanei umständlich von dem griechischen Götterepitheton πολυώνυμος  und  einzelnen geographischen Anspielungen innerhalb griechischer Hymnen her erklären muß.564 Als eine konkretere Parallele führt er zudem einen Abschnitt aus den Dionysiaka des Nonnos (40, 392– 401) an, in dem Herakles Astrochiton folgendermaßen gepriesen wird: Genannt Belus am Euphrat, Ammon in Libyen, du bist Apis am Nil, Kronos in Arabien, Zeus in Assyrien…, daß du Sarapis, ägyptischer Zeus ohne Wolken, oder Kronos, oder Phaeton mit zahlreichen Namen bist, daß du Mithras, Helios in Babylon, in Griechenland delphischer Apollo bist.565 Die Tatsache, daß Nonnos erstens erst im 5. Jh. n. Chr. lebte und schrieb, zweitens aus dem ägyptischen Achmim stammte, und drittens allein vier mehr oder weniger ägyptische Götternamen (Ammon, Apis am Nil, Sarapis, ägyptischer Zeus) genannt werden, entkräftet COLLARTs Anführung dieser Stelle zugunsten der Entwicklung aus einer angeblich griechischen Tradition heraus deutlich. 566 Daß die hier vorliegende Prosaform nicht der Norm griechischer Götterhymnen entspricht, räumt er selbst ein.567

562 GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 191. 563 COLLART, Invocation d’Isis, S. 96. 564 COLLART, Invocation d’Isis, S. 96–97. Bereits WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 21, stellt klar, daß eine solche ausführliche Reihung geographischer Epitheta für griechische Hymnen absolut unüblich ist. 565 COLLART, Invocation d’Isis, S. 98. 566 In griechischsprachigen Texten dieser Zeit und erst recht solchen aus Ägypten sind derartige kulttopographische Litaneien durchaus zu belegen und haben sich sicher aus der fruchtbaren Zusammenführung ägyptischer, griechischer und anderer Traditionen heraus entwickelt, wie z. B. auch eine – wenngleich sehr viel kürzere – Anrufung an den Allgott in PGM XII 263–267 zeigt: „Und wieder rufe ich dich an, nach den Ägyptern PHNŌ EAI IABŌK, nach den Juden ADŌNAIE SABAŌTH, nach den Griechen „der König von allen, der allein herrscht“, nach den Hohepriestern „verborgen, unsichtbar, Aufseher von allem“, nach den Parthern OUERTŌ, Herr von allem.“ Siehe dazu und zur Form der kulttopographischen Litanei, oder wie er sie nach ASSMANN nennt, dem „Namen der Völker“-Motiv, DIELEMAN, Priests, S. 165–170, auch zu pOxy. 1380; vgl. zum „Namen der Völker“-Motiv ASSMANN, Moses, S. 73–82; ID., Translating Gods: Religion as a Factor of Cultural (Un)Translatability, in: S. Budick/W. Iser (Hrsg.), The Translatability of Cultures. Figurations of the Space Between, Stanford 1996, S. 23–36. Siehe auch oben, Anm. 61. 567 COLLART, Invocation d’Isis, S. 98.

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Hymnen und Gebete

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Entgegen COLLART hoffe ich durch die Anführung der zahlreichen ägyptischen Parallelen in den Anmerkungen demonstriert zu haben, wie stark der ägyptische Hintergrund ist, aus dem sich die griechischen Zuschreibungen entwickelt haben, wenngleich ich darauf verzichtet habe, allgemeine und allzu geläufige Titel eigens zu kommentieren. An anderer Stelle habe ich die kulttopographische Litanei ausführlich in den Kontext der dahinter stehenden alten ägyptischen Traditionen eingeordnet. 568 Auch die Kombination dieses Texttypus mit einer Epithetareihe und einer längeren Prosahymne entspricht der Zusammensetzung ägyptischer Vorbilder, keineswegs griechischer. Kritik an der Analyse COLLARTs, die den Text in den Rahmen einer griechischen Hymne hineinzupressen versuchte, übten bereits VAN GRONINGEN und WEINREICH. 569 VAN GRONINGEN vermutete, daß ein ägyptischer Kulthymnus von einem Isiastenverein, wahrscheinlich in einer weltoffenen Hafenstadt, umgestaltet und erweitert worden sein könnte, 570 WEINREICH dagegen glaubt trotz aller Unbeholfenheiten, die er darauf zurückführt, daß es sich um einen bloßen Entwurf, eine Materialsammlung handele, an das einheitliche Werk eines einzigen Autors, in dem er wie zuvor GRENFELL und HUNT einen Isispriester sehen möchte. 571 Das endgültige Werk hätte dann in einer hellenistischen Isisgemeinde Ägyptens liturgische Verwendung gefunden. LAFAYE drückt sich etwas zurückhaltender aus, indem er nur konstatiert, der Text sei von einem „Bewohner Ägyptens“ nach lokalen Quellen zusammengestellt worden.572 Später vermutete TAIT im Vergleich mit dem demotischen pTebt. Tait 14 (s. u., Kap. 6.1.4) in pOxy. 1380 eine direkte Übersetzung oder Übertragung aus dem Ägyptischen.573 Diese These erscheint besonders verlockend insofern, als das Verso des Papyrus einen weiteren interessanten religiösen Text (= pOxy. 1381) enthält, der von einem Heilungswunder durch Imhotep berichtet, woran sich ein Lobpreis des Imhotep mit Tatenbericht anschließt (nur der Anfang ist erhalten), den der Geheilte als eine Übersetzung aus dem Ägyptischen ausgibt. 574 Daß es solche Übersetzungen gegeben hat, belegt eine Reihe von, besonders literarischen, Werken, die sowohl in Demotisch als auch in Griechisch überliefert sind.575 Einen konkreten Versuch der Überlieferungs- (und Übersetzungs-)geschichte von pOxy. 1380 konnte schließlich 568 NAGEL, One for All. Vgl. die Texte Dend. Isis, 78, 16–79, 5; Dend. I, 20, 14–21, 5; und pTebt. H I, X 1, 3–3, 2. 569 VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 77–84; WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 22. 570 VAN GRONINGEN, Papyro Oxyrhynchita 1380, S. 77–84. 571 WEINREICH, Rez. van Groningen, S. 22; vgl. GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 195, die einen lokalen Isispriester aus Oxyrhynchos oder, was sie für noch wahrscheinlicher halten, aus Memphis, als Autor des Textes rekonstruieren. 572 LAFAYE, Litanie grecque, S. 98. 573 TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 52; ebenso QUACK, Religion gréco-égyptienne. 574 Edition GRENFELL/HUNT, pOxy. XI, S. 221–234; vgl. die Übersetzung von A. JÖRDENS, Griechische Texte aus Ägypten, in: B. Böck et al., Texte zur Heilkunde, TUAT N. F. 5, Gütersloh 2010, S. 318– 321. Eine Bearbeitung demotischer Imhotep-Texte, die auch den Kontext dieses Textes näher beleuchten, erfolgt derzeit durch J. F. QUACK, vgl. vorläufig die kurze Erwähnung einer möglichen ägyptischen Vorlage in ID., Das Buch vom Tempel und verwandte Texte. Ein Vorbericht, in: ARG 2, 2000, S. 1–20: 19; ID., Literatur, S. 182–183. STADLER, Einführung, S. 111, hält es aufgrund des Verso-Textes für wahrscheinlich, daß der Isishymnus sich in einer nicht erhaltenen Einleitung ebenfalls als Übersetzung aus dem Ägyptischen proklamierte. 575 Siehe dazu beispielsweise QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 330–332; DIELEMAN/MOYER, Egyptian Literature, S. 433–434.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

STADLER mit Hilfe des von ihm in Bearbeitung befindlichen demotischen Paralleltextes pWien D. 6297+6329+10101 vorlegen (s. o.). 576 Bereits oben im Stellenkommentar zu pOxy. 1380, 104, wurde auf seine Deutung des dort angegebenen „bei den Persern Latina“ hingewiesen, die aus einem Abschreibefehler auf Basis des Wiener Papyrus bzw. eines Zwischengliedes entstanden sein könne. Anhand dessen entwirft STADLER ein Stemma, das weitere ägyptische sowie griechische Isishymnen als mögliche Vorbilder integriert, und pOxy. 1380 als von pWien abhängig (über eine unbekannte Anzahl von Zwischengliedern) erklärt. 577 Gleichzeitig wird darin die wechselseitige Beeinflussung altägyptischer Traditionen und griechischer Isishymnen demonstriert: so geht STADLER davon aus – und trägt damit der derzeitigen Quellenlage Rechnung –, daß die Erweiterung der (ursprünglich ägyptischen) kulttopographischen Litanei auf Orte und Göttinnen außerhalb Ägyptens erstmals in der griechischen Hymnentradition um Isis vonstatten ging und von dort aus wiederum in ägyptischen Texten (wie dem pWien) aufgenommen wurde. 578 Dies muß vorerst jedoch reine Hypothese bleiben. Der Isiskult im griechisch-römischen Oxyrhynchos Die mittelägyptische Stadt Oxyrhynchos (äg. pr-mD(A)), der Fundort von pOxy. 1380 wie auch zahlreicher anderer griechischer und ägyptischer Papyri, weist in der Kaiserzeit eine florierende griechisch-ägyptische Mischkultur auf. 579 Hauptgöttin der Stadt war Thoëris, die aber mit Isis(-Sothis)580 gleichgesetzt und zusammen mit Osiris und den Söhnen Dedun und einer Horusform (Harpokrates bzw. „Horus das Abbild“) verehrt wurde.581 Sie steht zudem in enger Verbindung mit Neith (bzw. Athena) und wird theologisch mit dem Konzept der Nilüberschwemmung verbunden,582 was sich in mehreren Passagen des pOxy. 1380 ebenfalls widerspiegelt.583 Damit hängt wohl auch zusammen, daß diese wichtigste Göttin 576 577 578 579

580 581

582

583

Siehe vorläufig STADLER, Universality of Isis. STADLER, Universality of Isis, S. 239. Vgl. STADLER, Universality of Isis, S. 240. Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 329–330, m. Anm. 41. Siehe zu Oxyrhynchos und seinen Kulten z. B. WHITEHORN, Pagan Cults; J. PADRÓ I PARCERISA, Oxyrhynchos I. Fouilles archéologiques à ElBahnasa (1982–2005), Nova studia aegyptiaca 3, Barcelona 2006; J. PADRÓ et al., Fouilles archéologiques à Oxyrhynchos, 1992–1994, in: Eyre (Hrsg.), 7th International Congress, S. 823–828; ERROUX-MORFIN/PADRÓ I PARCERISA (Hrsg.), Oxyrhynchos; KRÜGER, Oxyrhynchos; BOWMAN (Hrsg.), Oxyrhynchus. Vgl. die Anrufung zu Beginn der Prosahymne (pOxy. 1380, 142–144): „Herrin Isis, Größte der Götter, erster Name, Io-Sothis!“ Ein Papyrus aus Tebtynis mit einer hieratisch geschriebenen Tempelliturgie für Thoeris-Isis((Hathor)-Sothis des Per-Chefyt in Oxyrhynchos und ihren kulttopographisch-religiösen Kontext wurde von TÖPFER, Sothisritual, ediert, siehe Kap. 4.13.1.1. Zu frühptolemäischen Reliefblöcken, die aus ebendiesem Per-Chefyt stammen könnten und die oben genannten Gottheiten darstellen, siehe ibid.; und J. PADRÓ, Histoire du site d’Oxyrhynchos, in: Erroux-Morfin/Padró i Parcerisa (Hrsg.), Oxyrhynchos, S. 7–22: 11. Siehe des weiteren H. AMER, Le panthéon de Pemdjé à partir des fouilles saïtes, in: Erroux-Morfin/Padró i Parcerisa (Hrsg.), Oxyrhynchos, S. 117–123: 117 u. 121–122. Vgl. dazu oben, Anm. 337, und Anm. 489 (zu Isis als Erfinderin des Chiton in pOxy. 1380, 145–146). Die Gleichsetzung der Isis mit Neith und anderen Flutgöttinnen findet sich auch im Fayum, vgl. pBerlin P. 6750, siehe oben, Kap. 6.1.2.2. Siehe dazu auch J. QUAEGEBEUR/W. CLARYSSE/B. VAN MAELE, Athéna, Neith and Thoeris in Greek Documents, in: ZPE 60, 1985, S. 217–232. Z. 122–123, 125–126, 173, 222–226, 227–230. Vgl. auch CLERC, Isis-Sothis, S. 252.

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Hymnen und Gebete

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des Gaues die Gestalt eines Oxyrhynchos-Fisches (äg. XA.t) annehmen kann, wie ERROUXMORFIN konzis dargelegt hat.584 Mit einem Wortspiel wird diese Gestalt mit der Rolle der Isis als trauernde Witwe (äg. XAr.t) des Osiris verbunden.585 Dieser funeräre Aspekt der Isis ist auch in hellenistischem Stil umgesetzt worden, wie eine Grabstele des 2.–3. Jhs. n. Chr. aus Oxyrhynchos zeigt, auf deren Bildfeld neben der für diese Gruppe von Stelen üblichen Darstellung des Verstorbenen mit Anubis auch Isis und zwei trauernde Angehörige zu sehen sind.586 Ein eigenes Iseion ist durch papyrologische Quellen bereits für das 1. Jh. v. Chr. belegt, der Sarapiskult sogar bereits ab dem 3./2. Jh. v. Chr., und jeweils bis in byzantinische Zeit; zudem gab es innerhalb des Oxyrhynchites in der Ptolemäer- und Römerzeit mindestens sechs weitere Isistempel, wie Ortsnamen mit dem Element „Iseion“ belegen. 587 Die Bedeutung der Isis an diesem Ort unterstreicht auch ein weiterer griechischer Papyrus, der die Göttin als „große Hoffnung“ bezeichnet und so ihren Charakter als Rettergöttin betont.588 6.1.4

Aufforderung zum Isislob mit kulttopographischer Litanei in drei demotischen Parallelversionen: pTebtunis Tait 14+PSI Inv. D 79+ pCarlsberg 130 rt.+pCtYBR inv. 4390(19)+4805(18), pCarlsberg 652 vs. und pHamburg 33 vs. Eine formal den zuletzt zitierten Texten ebenfalls sehr ähnliche kulttopographische Sequenz weist auch der bereits erwähnte demotische Isishymnus des pTebt. Tait 14 (+PSI Inv. D 79+pCarlsberg 130 rt.+pCtYBR inv. 4390(19)+4805(18)) auf,589 der mindestens noch in 584 ERROUX-MORFIN, L’oxyrhynque; vgl. auch H. HEINEN, Thoeris und heilige Fische. Eine neue griechische Inschrift für Ptolemaios X Alexander Ier, in: J. Seibert (Hrsg.), Hellenistische Studien. Gedenkschrift für Hermann Bengtson, Münchener Arbeiten zur Alten Geschichte 5, München 1991, S. 41–54. 585 ERROUX-MORFIN, L’oxyrhynque, S. 128–129 u. 133. Vgl. die Themenkomplexe zum Osirismythos in der Prosahymne. 586 Siehe K. PARLASCA, Grave-Reliefs and Architectural Sculpture, in: Bowman (Hrsg.), Oxyrhynchus, S. 91–103: 96 u. 98, Abb. 7.4. 587 Siehe DUNAND, Culte d’Isis I, S. 138; WHITEHORN, Pagan Cults, S. 3073–3074 (Iseum) und 3078– 3079 (Sarapeion); DREW-BEAR, Cultes locaux, S. 290; KRÜGER, Oxyrhynchos, S. 101–103. Zu archäologischen Funden aus dem Sarapeion siehe rezent PARLASCA, Sarapistempel in Oxyrhynchos?, der aufgrund von Bauteilen, die er dem Heiligtum zuschreibt, von einem „relativ kleinen Antentempel“ (S. 263) ausgeht; derzeit werden aber die baulichen Reste einer sehr großen Anlage durch ein katalanisches Team um J. PADRÓ I PARCERISA ergraben, die von diesen mutmaßlich mit dem Serapeion identifiziert werden (Quelle: http://www.lavanguardia.com/cultura/20120206/54248652856/ egiptologos-catalanes-excavar-egipto.html), siehe vorläufig ID., Histoire du site d’Oxyrhynchos, in: ErrouxMorfin/Padró i Parcerisa (Hrsg.), Oxyrhynchos, S. 7–22: 18–19. Die Lokalisierung des Sarapeions im NW der Stadt durch KRÜGER, Oxyrhynchos, (im Stadtplan am Ende des Buches) ist laut PARLASCA, Sarapistempel in Oxyrhynchos?, S. 270, Anm. 56 „unverbindlich und archäologisch wertlos“. Den dokumentarischen Papyri zufolge befanden sich innerhalb des Sarapeion-Komplexes auch das Notariat und wichtige Banken, vgl. KRÜGER, Oxyrhynchos, S. 101; E. G. TURNER, Roman Oxyrhynchus, in: Bowman (Hrsg.), Oxyrhynchus, S. 141–154: 144–145. 588 pOxy. 3239, Z. 21. Es handelt sich bei dem Text aus dem späten 2. Jh. n. Chr. um ein alphabetisches Glossar; siehe DOUSA, Imagining Isis, S. 182, m. Anm. 142. 589 Zu den Parallelen zu pOxy. 1380 vgl. auch TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 52–53; FOWDEN, Hermes, S. 49, Anm. 12; DOUSA, Imagining Isis, S. 157, m. Anm. 32.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

einem weiteren Paralleltext (pCarlsberg 652 vs.) aus Tebtynis belegt ist und zudem durch den pHamburg 33 vs. (Herkunft unbekannt) ergänzt wird, welcher wahrscheinlich einen Rest derselben Komposition enthält.590 Alle Textzeugen datieren wie pOxy. 1380 wohl in das 2. Jh. n. Chr.591 In pTebt. Tait 14 ist nur ein relativ kleiner Abschnitt der Hymne erhalten und die Einbettung des Textes ist unklar; in pCarlsberg 652 vs. sowie den Fragmenten von PSI Inv. D 79 scheint der erhaltene Kontext jedoch eine Integration in einen literarischen, narrativen Text anzuzeigen. 592 Die unmittelbar vorausgehende Ausgangssituation dürfte sich nach pCarlsberg 652 vs. in der Barke des Re abspielen. Auch in PSI Inv. D 79, Frg. 4, ist von einer Flußfahrt die Rede, bei der männliche Protagonisten beteiligt sind und in Gefahr geraten. Schließlich lobt Re Isis, möglicherweise dafür, daß sie ihn gerettet oder beschützt hat,593 und fordert die Besatzung auf, einen preisenden Hymnus auf die Göttin zu sprechen, worauf Thoth mit einem solchen reagiert.594 Zuvor gibt es jedoch noch eine wörtliche Rede mit einem ersten hymnischen Abschnitt auf Isis, deren Sprecher aufgrund der Lücken nicht klar ist. Über die Göttin wird dabei in der 3. Pers. sing. fem. gesprochen, wobei inhaltlich besonders ihre urzeitliche Entstehung vor und ihre Vormachtstellung gegenüber den anderen Göttern im Mittelpunkt zu stehen scheint: wa.t nTr.t [tAi iw=s] xpr tA HA.t [Sie ist] eine Göttin, [die] am Anfang entstand,

590 pTebt. Tait 14: Erstedition TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 48–53; pl. 4; mit Rez. von M. SMITH, in: JEA 69, 1983, S. 199–203, bes. 201 zu Text 14; ID., Lexicographical Notes on Demotic Texts II, in: Enchoria 13, 1985, S. 103–114: 113–114; QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 73; Neubearbeitung von KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 31–36, Nr. 6. pHamburg 33 vs.: BRUNSCH, Zwei Demotische Texte, S. 7–9; und ZAUZICH, Schülerübung, S. 165–166. pCarlsberg 652 vs.: Eine neue Edition von pTebt. Tait 14 inklusive der zusätzlichen (bisher unpublizierten) Fragmente (der Einfachheit halber wird dieses Manuskript im Folgenden weiter als pTebt. Tait 14 benannt) sowie der Parallelversionen pCarlsberg 652 vs. und pHamburg 33 vs. ist jetzt publiziert worden durch QUACK, Lobpreis. Ich danke Prof. Quack herzlich dafür, mir bereits sein vorläufiges Manuskript zur Verfügung gestellt zu haben. Siehe dazu auch ID., Demotische Hymnen, S. 264–266; ferner ID., Literatur, S. 115–116. Die Stellenangaben im Folgenden beziehen sich jeweils, wenn nicht anders angegeben, auf pCarlsberg 652 vs. (nach QUACK, Lobpreis). 591 pTebt. Tait 14 nach TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 49, in die zweite Hälfte des 2. Jhs. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 31; und QUACK, Demotische Hymnen, S. 264: 2. Jh. n. Chr.; ID., Lobpreis, S. 38: 1.–2. Jh. n. Chr. Für pCarlsberg 652 vs. gibt QUACK, Lobpreis, S. 38, das 2. Jh. n. Chr. an. pHamburg 33 vs. nach BRUNSCH, Zwei Demotische Texte, S. 7, in das 1.–2. Jh. n. Chr.; ebenso QUACK, Lobpreis, S. 39. 592 QUACK, Demotische Hymnen, S. 264; vgl. auch DOUSA, Praising Isis, S. 243; und TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 53, der dies bereits für das bloße Fragment pTebt. Tait 14 vermutete, auf dessen Verso sich eine unpublizierte Erzählung über zwei Priester befindet, vgl. QUACK, Religion gréco-égyptienne. Die Erzählung wurde jetzt von J. F. QUACK, Eine Erzählung von Priestern von Heliopolis und ihren Kindern, in: Quack/Ryholt, Carlsberg Papyri 11, S. 511–524, publiziert, hat aber keine Verbindung zum Recto (persönliche Mitteilung von J. F. QUACK). 593 Das Motiv der Isis als Schützerin des Re in seiner Barke ist bereits aus dem Amduat bekannt und sehr geläufig; auch in den Tempelinschriften wird es häufig verarbeitet, siehe Kap. 5.2.2.1.B. Vgl. zu verschiedenen Parallelen auch QUACK, Lobpreis, S. 59. 594 Siehe zu dieser Ausgangssituation auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 341.

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r bw-irj-Dj nTr nTr.t [xpr …] bevor Gott und Göttin [entstanden waren…] (…) iw=s [r irj] syVy iw=s r ab[A …] Sie [wird] Macht haben, sie wird lei[ten…] [iw=s r] irj [nb] n tA p.t pA [tA tA twA.t] [Sie wird Herrin] des Himmels, [der Erde und der Unterwelt] werden (…) […] nTr.w Hwv […] die männlichen Götter.595 iw=s r irj nb r nA [nTr.w sHm.t …] Sie wird Herr werden über die [weiblichen Götter…].596 (…) […] Mn-nfr(?) iw=w(?) tbH(?) n tA qsj.t mtw=s(?) […] Memphis (?), wobei man die Bestattung von ihr erbittet(?).597 iw=s r irj Tsy r tA/nA […] iv.w Sie wird Befehlshaberin sein über die […] Väter. (…) [iw=s] r irj pr-aA […] nTr.w Hwv [Sie] wird König sein [über die] männlichen Götter. [iw] =s r irj Hnw.t r nA nTr.w [sHm.t] S[ie] wird Gebieterin sein über die [weiblichen] Götter. (Frg. 1, x+1, 7–11, und PSI Inv. D 79, Frg. 1, x+1, x+6–x+10)598 Aufgrund der parallelen Formulierungen mit Sätzen des demotischen Futur III (jeweils iw=s r…) wird hier wohl eine Wahrsagung über Isis’ zukünftige Herrschaft über die Götter getroffen, ähnlich der Prophezeiung, die Isis selbst in ihrer einschlägigen Rede in CT Spruch 148 über den zukünftigen Herrscher Horus ausspricht.599 Die Ausgangssituation läßt an die Szene mit einer wohl von anderen Göttern gesprochenen Isishymne in Behbeit elHagara denken:600 darin heißt es, daß sich alle Götter vor Isis verbeugen, und sie selbst wird die „Herrscherin der Götter“ genannt, was in etwa den Tenor der obigen Hymne zusammenfaßt.

595 Vgl. zu dieser und den folgenden Aussagen pOxy. 1380, 164: „Die […] Gottheiten/Dämonen werden dir untertan.“ 596 Vgl. z. B. das Epitheton bjtj.t nTr.w nTr.wt „die unterägyptische Königin der Götter und Göttinnen“, in Philä III, Nr. 2. 597 Zu Isis als Göttin der memphitischen Nekropolen siehe oben, Kap. 4.12.1, und unten, 6.2.1.1 (zu den Ostraka des Hor). 598 Transliteration und Übersetzung hier und bei den folgenden Zitaten nach QUACK, Lobpreis; vgl. ID., Demotische Hymnen, S. 265. 599 „(Ich) habe die Gestalt eines Gottes gebildet im Ei als Sohn dessen, der an der Spitze der Neunheit ist, (als den), der diese Erde beherrschen wird, der Geb beerben wird, der Fürsprache einlegen wird für seinen Vater, der Seth töten wird, den Feind seines Vaters Osiris.“ (211a); siehe dazu oben, Kap. 5.1.4 und unten, 6.5.1.1. 600 Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37, siehe oben, Kap. 4.4.1.A.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Gegen Ende des hymnischen Abschnittes von pCarlsberg 652 vs. werden außerdem Isis’ Wohltaten gegenüber den Göttern hervorgehoben, 601 mit den Worten „d[ie] Unheilsbeseitigerin aller Götter ist sie.“ (tA sv wvy(?) nA nTr.w Dr=w tAi, Frg. 1, x+1, 13). Gleichzeitig kann umgekehrt kein anderer Gott ihr eigenes Unheil beseitigen (Frg. 1, x+1, 13; PSI Inv. D 79, Frg. 1, x+1, x+10). Anschließend spricht Re und ruft die Insassen seiner Barke zum Gotteslob der „Isis, der großen Göttin“ auf (Frg. 1, x+1, 14–15, und PSI Inv. D 79, Frg. 1, x+1, x+11–x+12). Darauf folgt ein durch Thoth gesprochener Hymnus, der kaum erhalten ist, aber wiederum auf die urzeitliche Entstehung und die Schöpfereigenschaften der Isis Bezug zu nehmen scheint. Mit dem am besten erhaltenen Textteil, dessen Platzierung im Verhältnis zu dem oben zitierten Abschnitt nicht klar ist, beginnt die Parallele zu pTebt. Tait 14. Darin werden verschiedene Gruppen von Menschen und sogar Tieren in verschiedenen Lebenslagen mit dem sich in jedem Vers wiederholenden Refrain „Ruft zu Isis!“ dazu aufgefordert, die Göttin anzubeten.602 Auf die Anrede (nA XX) und den Imperativ (aS (n) As.t) folgt jeweils noch eine daraus folgende helfende Handlung der Isis als Argument, z. B.: [nA] ntj Xn nA [y]ar.w aS (n) As.t inj=s tn r pA at [Ihr], die in/auf den [Flüs]sen seid,603 ruft zu Isis! Dann bringt sie euch an das Ufer! (pTebt. Tait 14, x+1) Man vergleiche gerade zu dieser Aussage den ganz ähnlichen Satz im Isislob von pHeid. dem. 736 vs., x+7–x+8: i&m\[.t n=i As.t] m-qdy i.irj &m\r(?) inj st r nA qr.w K&o\[mm zu mir, Isis,] wie zu , die übergesetzt(?) haben. Du hast sie an die Ufer gebracht!604 Neben denen, die in den Flüssen sind, wird im erhaltenen Teil eine (verlorene) Gruppe angesprochen, die Isis nach Ägypten bringt (pTebt. Tait 14, x+2) – also geht es möglicherweise um Ägypter, die in der Fremde sind605 –, weiterhin Tiere des Berges (pTebt. Tait 14, x+2) und Kriechtiere (pTebt. Tait 14, x+3) sowie „Leute der Südlichen“ (Fragmentgruppe 2, x+4). Von Isis’ entsprechenden rettenden Handlungen lassen sich noch drei einigermaßen vollständige Phrasen erkennen bzw. rekonstruieren: – mtw=s tA ntj Dj.t xpr rnvy m-sA [Sft] Sie ist es, die Reichtum erzeugt606 nach [Armut].607 (pTebt. Tait 14, x+3) 601 Vgl. die Abschnitte in pOxy. 1380 über die Leistungen der Isis gegenüber Göttern und Menschen, siehe oben, Kap. 6.1.3.2. 602 Vgl. zu diesem Abschnitt auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 355–356, mit Anm. 158. 603 Nach QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 359–360, sind Schiffsleute gemeint, die auf den Flüssen verkehren. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 34, erwägt daneben auch eine Deutung als Ertrinkende im Wasser. 604 Siehe oben, Kap. 6.1.1. Vgl. außerdem pOxy. 1380, 74 u. 146–148: „die den sicheren Hafen erreichen läßt“, s. o., Kap. 6.1.3.2; und TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 50. 605 Vgl. die Anrufung im Graffito Ph. 421: „die du das Flehen von denen erhörst, die weit weg sind“, und eine Reihe von entsprechenden Bitten im Graffito Ph. 416, sowie Graffito Theben 3462. Siehe unten Kap. 6.2.2 und 6.2.5.1. 606 Dies entspricht dem älteren Isis-Epitheton sxpr.t rnn.t, vgl. M. SMITH, Rez. zu: Tait, Papyri from Tebtunis, in: JEA 69, 1983, S. 199–203: 201, mit Literaturangaben; vgl. auch KOCKELMANN, Prai-

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– […] mH.t nfr.t r Dj.t msj tA yaty(.t) [Sie schickt/Sie ist? o. ä.] den/r guten Nordwind,608 um den Tau zu erzeugen.609 (pTebt. Tait 14, x+4) – Dj=s xaj [pA ra] n vAwy Dann läßt sie [die Sonne] am Morgen erscheinen.610 (Fragmentgruppe 2, x+6) Die durch den Refrain „Ruft zu Isis!“ betonte Insistenz verleiht der Komposition proselytische Tendenzen. Diese gipfeln in den expliziten Imperativen: na nA tA.w Dr=w aS n As.t m-irj aS n kjj [nTr n-bnr=s] Ihr Leute aller Länder, ruft zu Isis! Ruft nicht zu irgendeinem anderen [Gott außer ihr]! (Fragmentgruppe 2, x+7 = pTebt. Tait 14, x+5). In der Aufzählung der verschiedenen Gruppen zeigt sich eine deutliche Parallele zum Hymnus von pHeid. dem. 736 vs., wo die Nennung der Personen, denen Isis nach ihrer Anrufung zu Hilfe kommt, als nachdrückliche Unterstützung der eigenen Bitten des Sprechers dient.611 Der entsprechende Refrain wird in pHeid. dem. 736 vs. an den erhaltenen Stellen jeweils mit irj=w aS n=T bzw. i.irj=w tbH mtw&=T\ gebildet. Die Nutzung des gleichen inhaltlichen Themas ließ sich auch in MM I und MM II feststellen, wo der ganze Komplex mit dem Satz „All diese werden gerettet, wenn sie dich anbeten, daß du erscheinst.“ (MM I, 34) zusammengefaßt wird. 612 In jedem Fall sind die Einzelelemente Anrufung der Isis, Personengruppe X und entsprechende Handlung der Isis Y vorhanden. Auch was den konkreten Inhalt der einzelnen auf das Gebet folgenden Hilfeleistungen der Isis anbelangt, lassen sich zahlreiche Parallelen in den bisher in diesem Kapitel diskutierten Texten finden, wie in den Anmerkungen zu den Textzitaten oben demonstriert wurde.613 Noch deutlicher ist die große Nähe einiger Aussagen innerhalb der entsprechenden Abschnitte: Sind es in pTebt. Tait 14 und pHeid. dem. 736 vs. ‚noch‘ ganz ägyptisch die Befahrer von Flüssen, die Isis um Hilfe anflehen (sollen), wird dasselbe Thema in MM I (Z. 32–33) auf die Seefahrer (speziell im besonders gefährlichen Winter) erweitert. Die für pTebt. Tait 14, x+2 von mir vorgenommene Ergänzung um die Ägypter in der Fremde (s. o.) findet ihre Bestätigung in dem – wiederum für die Oikumene des Mittelmeerraums erweiterten – Satz „Alle die Män-

607 608 609

610 611 612 613

sing the Goddess, S. 34. Zu vergleichen ist auch die Bezeichnung der Isis als „Reichtum spendende“ (πλουτοδότι) in MM I, 1, und ausführlicher MM II, 5–6, sowie MM III, 3–6 u. 10; siehe dazu oben, Kap. 6.1.2.1. Siehe hierzu auch ausführlich unten, Kap. 6.4.2.2, mit parallelen Formulierungen. Vgl. auch die Ergänzung von QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 357, und ID., Perspektiven zur Theologie, S. 73: „[Sie ist es, die] schönen Nordwind [bringt]“. Zum Tau und dem Nordwind vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 61–62; siehe auch oben, Kap. 6.1.3.2, zu pOxy. 1380, 173 u. 228 (Anm. 526); vgl. auch TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 50. Vgl. des weiteren MM III, 21, mit Anm. 156, sowie pBerlin P. 6750, x+9, 20, siehe Kap. 6.1.2.2, m. Anm. 280. QUACK, Lobpreis, S. 39, ergänzt entsprechend in der dazugehörigen Aufforderung: „[Ihr Leute, die ihr in der Finsternis seid, ruft] zu Isis!“. Vgl. zum Thema pOxy. 1380, 157–158: „die Sonne vom Aufgang bis zum Untergang führst du herauf“, siehe oben, Kap. 6.1.3.2. Siehe oben, Kap. 6.1.1. Vgl. zur Anrufung der Isis durch verschiedene Personengruppen in diesen beiden Texten auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 355–356, mit Anm. 158. Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Zu dieser Parallele bereits KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 66. Anm. 604–610.

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640

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

ner, die in einem fremden Land umherwandern…“ in MM I (Z. 31). Das Konzept vom ‚Reichtum nach Armut‘ (pTebt. Tait 14, x+3) läßt sich in ‚Geschäftserfolg und Reichtum‘ in MM II (Z. 5–6) wiedererkennen. Die grundsätzliche Idee des allgemeinen Aufrufs zur Verehrung einer einzelnen Gottheit steht auch hinter dem in den römerzeitlichen Tempeltexten geläufigen Hymnentypus der snD-n-Hymnen, 614 wenngleich darin nicht konkret zum Anrufen der Gottheit (aS n X), sondern allgemeiner zur Ehrfurcht vor dieser (snD n X) gemahnt wird und die Begründungen mit ihren Leistungen kaum personalisiert, sondern sehr allgemein gehalten sind. Weitaus seltener ist dagegen das ausdrückliche Abraten davon, andere Gottheiten als die gepriesene anzurufen (Fragmentgruppe 2, x+7). Eine solche Forderung stellt zumindest schon Thoth an seinen Anhänger Hor in dessen in oHor 8 aufgezeichnetem Traum, und Hor selbst rät dem Pharao, nur Isis zu verehren.615 Wie in MM I ist der genannte ‚Baustein‘, den ich mit „Verehrung durch verschiedene Gruppen“ bezeichnen möchte, auch in dem Tebtynis-Hymnus eng mit dem ebenfalls gut bekannten ‚Baustein‘ der kulttopographischen Litanei kombiniert, die hier direkt auf die Verehrungssequenz folgt (in MM I ist die Reihenfolge umgekehrt). Als passende Überleitung dient dabei offenbar die bereits zitierte Zeile: Ihr Leute aller Länder, ruft zu Isis! Ruft nicht zu irgendeinem anderen Gott! (Fragmentgruppe 2, x+7) Erhalten sind in den beiden Tebtynis-Papyri (pTebt. Tait 14 und pCarlsberg 652 vs.) nur Erscheinungsformen der Göttin an oberägyptischen Orten, die wie üblich von Süden nach Norden angeordnet sind, wenngleich sich nur wenige Toponyme identifizieren lassen. Die Verknüpfung erfolgt jeweils durch das Schema: „Göttin X ntj Xn Ort Y“; zu vergleichen ist der pWien, der unter anderem die Formel „Du bist (die Göttin) X, die in Y ist“ aufweist.616 Die oberägyptische Litanei der Tebtynis-Parallelen wird ergänzt durch pHamburg 33 vs., der einen stark fragmentarischen Teil entsprechender unterägyptischer Toponyme enthält, welcher sich durch das gleiche Zuordnungsschema als wahrscheinlicher weiterer Textzeuge der gleichen Komposition erweist.617 Da in keinem der Papyri das Ende des Textes erhalten ist, läßt sich keine sichere Aussage darüber treffen, ob der kulttopographische Teil wie in pWien und pOxy. 1380 auch über Ägypten hinausging.618 Aus allen Textzeugen lassen sich insgesamt folgende Zuordnungen gewinnen:619

614 Vgl. QUACK, Lobpreis, S. 51–52. Siehe zu den snD-n-Hymnen oben, Kap. 4.1.1.A, Kommentar zu Philae-Photos 164–165. 615 oHor 8, Z. 5; vgl. RAY, Archive, S. 41 u. 42, i; und oHor 3, Z. 23–24. Zum Archiv des Hor siehe unten, Kap. 6.2.1.1, und speziell zu den Traumorakeln Kap. 6.5.1.2. 616 Siehe oben, Kap. 6.1.3.1. 617 Siehe zum gleichen Zuordnungsschema bereits BRUNSCH, Zwei Demotische Texte, S. 9, Anm. 16. 618 Vgl. QUACK, Religion gréco-égyptienne. 619 Im Folgenden werden nur diejenigen Passagen zitiert, in denen entweder jeweils mindestens ein Teil von Göttinnenname und Toponym erhalten (oder sicher rekonstruierbar) ist, oder zumindest ein vollständiger Göttinnenname oder ein vollständiges Toponym.

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641

Hymnen und Gebete

Oberägypten: Zuordnung

pCarlsberg 652 vs.

Die Herrin (tA nb(.t)) […, die in Elephantin]e ist620

Fragmentgruppe 2, x+8 Fragmentgruppe 2, x+9 Fragmentgruppe 2, x+9 Fragmentgruppe 2, x+9 Fragmentgruppe 2, x+10

Die Herrin der Flamme (tA nb(.t) nsry),621 die im Berg622 ist Die Geier[in] (tA nry[.t]),623 [die in … ist]624 Die Herrin der Liebe (tA nb(.t) mrj), [die in … ist]625 Die Zauberreiche (tA wr(.t) Hyq),626 die im Westen(?)627 ist

pTebt. Tait 14

x+6 x+6

x+7

620 Hiermit fängt die kulttopographische Litanei an; unmittelbar zuvor ist in nicht erhaltenem Zusammenhang von einem „Dekret vor ihr“ die Rede (Fragmentgruppe 2, x+8). In der kulttopographischen Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen beginnt der geographisch von Süd nach Nord geordnete Teil ebenfalls mit Elephantine („Sothis in Elephantine“), zuvor werden dort jedoch jeweils (d. h. in den vollständigen Versionen und soweit erhalten) noch die Erscheinungsformen in den drei religiösen Hauptstädten Theben, Heliopolis und Memphis genannt. Vielleicht ist der Göttinnenname hier zu tA nb.t [tprnp.t] „die Herrin des Jahresanfangs“, einem häufigen Haupttitel der (Isis-)Sothis zu ergänzen. 621 Eine häufige Bezeichnung von Isis, Sachmet und anderen Göttinnen, die die feuerspuckende Uräusschlange verkörpern, siehe LGG IV, 82c–83c. 622 Das Toponym ist nicht bekannt. Auffällig ist allerdings, daß speziell Sachmet von Bigge in diversen Philae-Texten als „Herrin der Flamme“ bzw. „Herrin der großen Flamme“ bezeichnet wird (nb.t nsr.t (wr.t) m %nm.t), vgl. LGG IV, 83b–c. Auf Bigge befindet sich das Abaton des Osiris, welches für den Isiskult von Philae eine grundlegende Rolle spielt, und der Name der Insel wird häufig mit Berg- ( ) oder Wüstendeterminativ ( ) geschrieben. Vgl. zu Philae und Bigge Kap. 4.1, siehe besonders die Göttliche Randzeile der Monumentalszene Philae-Photos 385–386, in der Isis als Wepset („die Verbrennende“) bezeichnet wird, die Osiris auf Bigge beschützt und „seine Feinde verbrennt an der Spitze des Hohen Berges (Dw qA)“. Auch die geographische Nähe von Bigge zu dem kurz zuvor genannten Elephantine spräche für die Identifizierung – denkbar wäre, daß in dem nicht erhaltenen Teil dazwischen die Isisformen von Assuan und Philae genannt waren. 623 Segmentierung hier nach QUACK, Lobpreis, S. 39; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 33, folgt dagegen mit „Herrin der Flamme, die in ‚Berg des Geiers‘ ist“ der Deutung von TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 49–50, Anm. m), der beide Möglichkeiten diskutiert und letztere präferiert. 624 Wenn die in Anm. 622 diskutierte Vermutung zutrifft, daß mit dem „Berg“ Bigge gemeint ist, so dürfte hier kaum bereits Elkab folgen, wenngleich die Göttin dort der Dendara-Litanei und den Parallelen zufolge „die Geierin“, „Nechbet“ oder „Huret“ (ein Beiname der Nechbet) heißt und die Geierin natürlich überhaupt insbesondere mit dieser Stadt und dem 3. o.äg. Gau verbunden ist. In der Version von Dend. Isis, 78, 16–79, 5 folgt Nechbet unter Auslassung von Edfu zwar direkt auf Elephantine, doch ist eine so frühe Nennung direkt hinter dem hypothetischen Bigge im vorliegenden Text aufgrund der größeren Ausführlichkeit (zumal, wenn hier tatsächlich für den 1. o.äg. Gau Elephantine, Assuan, Philae und Bigge genannt wären) eher unwahrscheinlich, wenn auch nicht auszuschließen. 625 Da es sich bei dem Epitheton um einen sehr häufigen Titel der Hathor und der Isis handelt (vgl. LGG IV, 65), läßt sich hier kein Toponym sicher ergänzen. 626 Mit Schlangendeterminativ. Ein typisches Isisepitheton, vgl. LGG II, 493b–498b. 627 Lesung nach QUACK, Lobpreis, S. 39–40 (unsicher); KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 33 u. 35, und TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 49–50, Anm. n), lesen Iwnw „Armant“. Angesichts der direkt anschließenden Nennung der Isisform in Theben dürfte hiermit vermutlich Theben-West bzw. das

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642

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Zuordnung

pCarlsberg 652 vs.

Das Mädchen (tA Hwn.t), das in Theben ist628

Fragmentgruppe 2, x+10 Fragmentgruppe 2, x+11

Die [[…]] Schwester(?) […] (tA [[…]] sn.t(?) […]),629 die im Haus des Sistrums630 ist […], die Große ([…] wr.t), die in Per-Benu631 ist Die große Göttin (tA in.nTr.t aA.t), die in […] ist […], die in Abydos ist632 Die [erste Königs]gemahlin [des] Königs des ganzen Landes, Osiris […] (tA Hm.t-[…] pr-aA n pA tA Dr=f Wsjr […])633 […] der Schrift ([…] sXA), die in dem Mehenut634 ist Die Göttin (tA in.nTr.t), die in [… ist] [Die …], die in Assiut ist635

x+8 x+8 Fragmentgruppe 2, x+12 Fragmentgruppe 2, x+12 x+9 x+9 Fragmentgruppe 2, x+13

[…], die in Hebenu636 ist

628

629 630

631 632 633 634 635 636

pTebt. Tait 14 x+7

x+10

Westgebirge gemeint sein: Tatsächlich heißt es über Werethekau im Königsgrab von Ramses VII. „sie ist die große Bergspitze, die im Westen von Theben ist“, siehe LGG II, 495a, Beleg [2]; und Werethekau ist „der schöne Name der Meresger“, der Schlangengöttin des Westgebirges (LGG II, 495a, Beleg [74]). Im Chons-Tempel von Karnak heißt Mut „Werethekau von Theben“. Die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen nennt für Theben, das dort als eine der Hauptstädte am Beginn der Liste steht, Amaunet als Erscheinungsform der Göttin. Der Isisbeiname Hwn.t „(junges) Mädchen“ in Theben wird aber von der Isishymne im Opet-Tempel bestätigt: Opet I, 139, siehe Kap. 4.7.1. Dieses Epitheton korrespondiert dort mit der entsprechenden Bezeichnung des verjüngten Osiris als Hwnw „Jüngling“. Einschlägig wäre natürlich sn.t-nTr, die „Gottesschwester“ oder sn.t mnx.t „die vortreffliche Schwester“ (so QUACK, Lobpreis, S. 41) als Bezeichnung der Nephthys; siehe LGG VI, 370–374; vgl. die folgende Anm. Ist hier bereits Hu (Diospolis parva), die Hauptstadt des 7. o.äg. Gaues gemeint? Dies wird auch durch das als nächstes erhaltene Toponym Per-Benu, welches unweit von Hu zu lokalisieren ist, nahegelegt, sowie durch die eventuelle Bezeichnung der Göttin als sn.t[(n)-nTr/mnx.t?]. Zwischen Theben und Hu sind zumindestens noch Koptos und Dendara zu erwarten, die entsprechend am Zeilenende von pCarlsberg 652 vs., Frg.-Gr. 2, x+10 und am Zeilenanfang von x+11 zu ergänzen wären. In der Nähe von Hu (Diospolis parva) im 7. o.äg. Gau gelegen, vgl. die vorige Anm., und GDG II, S. 76–77; TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 51, Anm. p). In der kulttopographischen Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 wird für Abydos einfach „Isis“ als Name der Göttin angegeben (ähnlich in der Parallele Dend. Dend. XIII, 26, 7–28, 3: „Isis, die Große“), in Dend. I, 20, 14–21, 5 und weiteren Parallelen dagegen HqA.t „die Herrscherin“. Vgl. zu dieser Titulatur als Königsgemahlin z. B. Philae-Hymne 7 und Philä II, 304–305. Ein ansonsten unbekanntes Toponym, vgl. VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 473, außerdem mit Artikel pA davor. Zu Isis in Assiut vgl. den entsprechenden Abschnitt in der Gaumonographie von PSI I 72 (x+3, 13– 15, und x+3, 19–22), siehe oben, Kap. 4.13.1.2. Hauptstadt des 16. o.äg. Gaues, siehe TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 51, Anm. t). Vgl. die Bezeichnung der Isis in einer Ritualszene in Dendara als „Die inmitten von Hebenu ist“ (Hrj.t-ib-@bnw), was

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643

Hymnen und Gebete

Zuordnung

pCarlsberg 652 vs.

Die Gottesmutter (tA mw.t-nTr), die in Hardai (Kynopolis) ist.637

Fragmentgruppe 2, x+14

pTebt. Tait 14 x+10

Unterägypten:638 Zuordnung Die große […639], die das Leben wiederholt (wHm anx)640 […] Die Starke (tA wsl.t), die in Per-Syu(?)641 ist Die mit hehrem Charakter (tA xy-bAy),642 die in […] ist Die große Witwe (tA SntA.t aA.t), die in Busiris (©d.t) ist643 Die vortreffliche Gebieterin644 (tA Hnw.t(?) mnx), [die in … ist] […], die in Heliopolis ist645

637

638 639 640 641 642

643

644

pHamburg 33 vs. x+1 x+2 x+3 x+4 x+5 x+6

hier jedoch mit dem Szenentypus (Oryx-Antilope töten) zusammenhängt: Dend. IX, 182, 4, vgl. LGG V, 429a. In der kulttopographischen Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen wird Isis in Hardai „Uto“ genannt. Beide Beinamen (Uto/die Gottesmutter) bestätigen sich durch die Gaumonographie des pJumilhac, wo Uto, eine Hauptgöttin des Gaues, als „Isis, Mutter des Anubis“ bezeichnet (6, 2) und Anubis wiederum mit Horus, Sohn der Isis und des Osiris, identifiziert wird (6, 3–9). Siehe Kap. 4.13.3. Hebenu und Hardai werden auch in anderen Texten unmittelbar hintereinander genannt, siehe TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 52; vgl. dazu auch TÖPFER, Sothisritual, S. 66 u. 79. Transliteration und Übersetzung folgen der Neubearbeitung von QUACK, Lobpreis. Die Reste könnten laut QUACK, Lobpreis, S. 41, zu tA sn.t „die Schwester“ passen. Vgl. die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen, wo Isis in Aphroditopolis „Herrin des Lebens“ genannt wird – ob dieser Ort hier auch gemeint ist? In dem Fall wäre man mit dieser Zeile noch im Endteil des oberägyptischen Abschnitts. Evtl. identisch mit Pr-swy/Pr-sAy im nördlichen Delta, vgl. QUACK, Lobpreis, S. 41; GDG II, 124. Dieser Name ist ansonsten hauptsächlich als Personenname, besonders aus Theben, bekannt, siehe dazu D. DEVAUCHELLE, À propos du papyrus de Genève D 229, in: Enchoria 8.2, 1978, S. 73–75; J. QUAEGEBEUR, in: M. Bietak/E. Reiser-Haslauer, Das Grab des oAnch-Hor II, Wien 1982, S. 264; DNb, S. 1081. Vgl. inhaltlich auch den im Fayum häufigen Isis-Beinamen Nephremmis = nfr-ir-imy „mit vollkommenem Charakter“. Siehe dazu oben, Kap. 6.1.2.2 zu pBerlin P. 6750 und P 8765. Zu den beiden demotischen Ausdrücken für „Charakter“ siehe QUACK, Charakter. Die spezielle, auf Osiris und seine Mysterien bezogene Isisform der Schentait ist für Busiris gut bezeugt, vgl. z. B. ^ntAy.t Hrj.t-ib ©dw (pLeiden I 346, 1, 1). Siehe zu Schentait Kap. 4.5, Anm. 863, mit Literaturangaben. Zur Bedeutung von Busiris für den Isiskult vgl. auch die Erwähnungen in pOxy. 1380, Z. 51 u. 269–271, siehe oben, Kap. 6.1.3.2. Die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen gibt allerdings für Busiris den Namen sDm(.t) nb „die den Herrn hört“ an. In einem Text in Edfu (Edfu Mam., 96, 7) wird Hatmehit als Hnw.t mnx.t m anp.t „Die vortreffliche Gebieterin in Mendes“ bezeichnet, vgl. QUACK, Lobpreis, S. 42; LGG V, 183b. Ob hier auch Mendes (ägyptisch sonst auch ©d.t), die Hauptstadt des 16. u.äg. Gaues, gemeint ist? In der kulttopographischen Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen wird Mendes standardmäßig aufgezählt, allerdings vor Busiris (9. u.äg. Gau) und mit dem Isis-Beinamen ©d.t „Die Dauernde“ oder „Rezitiererin“. Da die Reihenfolge der unterägyptischen Gaue jedoch in ägyptischen Quellen sehr unterschiedlich sein kann, und die demotischen Isis-Epitheta offenbar einer anderen Tradition folgen als die DendaraLitanei, ist Mendes hier nicht auszuschließen – jedoch ist das Epitheton zu allgemein (wenn auch sonst kaum belegt), um eine sichere Aussage treffen zu können.

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644

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Zuordnung Die Herrin der Kikellia (tA nb.t qjqj),646 [die in … ist] […], die in Busiris (pr-Wsjr) ist die Herrscherin (tA HqA.t), die in […] ist

pHamburg 33 vs. x+6 x+7 x+7

Die erhaltenen Toponyme zeigen, daß es sich insgesamt um eine ausführlichere Liste als diejenige, welche die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen bietet, gehandelt haben muß, andererseits aber um eine kürzere als diejenige von pOxy. 1380.647 Die in den demotischen Papyri erhaltenen Erscheinungsformen und Orte lassen sich nicht mit denjenigen der kulttopographischen Litanei Dendara und Parallelen korrelieren, folgen aber dem gleichen Prinzip. Es handelt sich offenbar um eine andere, wohl jüngere648 Texttradition. Aus Tebtynis selbst, dem Fundort von pTebt. Tait 14 und pCarlsberg 652 vs., stammt aber auch das hieratische Priesterkompendium (pTebt. H I) mit der in Kap. 4.13.1.1 diskutierten kulttopographischen Isis-Litanei, welche die Dendara-Tradition konserviert. Die gesamte Evidenz aus Tebtynis ist insofern besonders bemerkenswert, als Isis dort nicht wie in Dendara die Hauptgöttin war. Die älteste Erwähnung eines Isistempels findet sich in einem Papyrus von 124 v. Chr., ein Isionomos ist jedoch bereits im 3. Jh. v. Chr. bezeugt. 649 Ein griechischer Papyrus dokumentiert in dieser Zeit außerdem die Vergesellschaftung von Arsinoë II. mit Isis. 650 Neben ihrer Verehrung im Tempel des Soknebtynis und der Kapelle der Isis-Thermuthis651 ist mindestens noch ein privates Iseion in Tebtynis durch eine griechische Weihinschrift von 80/79 v. Chr. belegt.652 Es bleiben die Texteditionen von QUACK und STADLER abzuwarten, um genauere Schlüsse über die Beziehungen zwischen der hier vorgestellten Textgruppe und dem pWien D. 6297+6329+10101, der ja wahrscheinlich aus dem ebenfalls fayumischen Soknopaiou Nesos stammt, ziehen zu können. Weitere Fragmente enthalten zu wenig zusammenhängenden Text, um diesen innerhalb der genannten Abschnitte sicher plazieren zu können. Einige Aussagen beziehen sich eindeutig noch auf Isis, z. B.:

645 Die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen gibt für Heliopolis den Namen der Göttin Menhit an. Nach pOxy. 1380, Z. 38–39, heißt Isis „in Heliopolis Aphrodite“, siehe oben, Kap. 6.1.3.2. 646 Das Epitheton ist m. W. bisher einmalig. Vgl. dazu QUACK, Lobpreis, S. 42. 647 Vgl. auch die Einschätzung von TAIT, Papyri from Tebtunis, S. 52, der von ursprünglich relativ breiten Kolumnen in pTebt. Tait 14 ausgeht, um eine solch detaillierte Liste zu rekonstruieren. 648 Das jüngere Kompositionsdatum wird nahegelegt durch die (bisher) einzig in Demotisch geschriebenen Textzeugen und den Verweis auf die Kikellia, deren ägyptische Bezeichnung sonst nur noch im Kanopos-Dekret belegt ist, siehe PFEIFFER, Dekret, S. 184–185; PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 103–105. 649 pTebt. 700; pTebt. 1078; vgl. É. BERNAND, IG Fayoum III, S. 16 (zu Nr. 145); DUNAND, Culte d’Isis I, S. 136. 650 PSI V 539; siehe RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 192; MALAISE, Isis à Canope, S. 359. 651 Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 652 IG Fayoum 145; vgl. auch RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 178; É. BERNAND, Épigraphie grecque, S. 66.

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Hymnen und Gebete

645

– pA ntj aS n As.t […] […] n tAy=s nxv.t Wer zu Isis ruft […] […] in ihrem Schutz (Frg. 3, x+3–x+4) – […] &anx\ r nA ntj h[br …] […] Leben zu denen, die miß[handelt?] sind […] (PSI Inv. D 79, Frg. 3, x+2) Auch Freude und Jubel der Menschen werden mehrfach betont, eventuell in Zusammenhang mit der Geburt des Horus.653 Ein weiteres, größeres Fragment enthält eindeutige Hinweise auf eine literarische Komposition über den lebenden Osiris und den „Großen des Ostens“ Arian (pCarlsberg 130 rt., Frg. 11), gehört also möglicherweise zu der unten in Kap. 6.3.2 besprochenen Erzählung von pCarlsberg 79 + PSI Inv. D 80.654 6.1.5 Sonstige bzw. unsichere Isishymnen KOCKELMANN erwähnt neben den hier besprochenen Texten ein unpubliziertes Ostrakon mit unbekanntem Aufbewahrungsort, das nach VAN SICLEN III einen Isishymnus der „Spätzeit“ enthalten soll, wobei es aber keine Angaben über die Sprache und Schrift (demotisch oder hieratisch?) gibt.655 Bekannt und publiziert, allerdings nur als Fragment liegt dagegen der griechische Hymnus des Papyrus PSI VII 844 vor, der mittlerweile allgemein als Isishymnus anerkannt wird, obgleich weder ein Göttername enthalten noch eine Textparallele bekannt ist. 656 Datiert wird der Text in das 3. Jh. n. Chr. Trotz seiner Einzigartigkeit, was die konkreten Formulierungen angeht, weist der Inhalt große Ähnlichkeit zu Passagen in den MM-Hymnen sowie insbesondere in der Prosahymne von pOxy. 1380 („Leistungen für Menschen und Götter“) auf,657 so daß die Identifizierung als Isishymnus durchaus plausibel erscheint: Formal zeigen sich zwar einige Unterschiede, die aber durchaus auch auf die späte Datierung (falls korrekt) zurückzuführen sein könnten, welche die Komposition damit von den hier besprochenen demotischen und griechischen Hymnen absetzt. Die epischen Hexameter erinnern zumindest an MM I und III, in denen ebenfalls dieses Versmaß verwendet wird. Ungewöhnlich ist die Formulierung in der 1. Pers. Pl. – es spricht also eine Gruppe von Menschen,658 die laut der zu Anfang erhaltenen Aussagen von Unwettern, Wolken, Winter und Schnee verschont und statt dessen immer von der Frühlingssonne gewärmt werden 653 Vgl. QUACK, Lobpreis, S. 50. Vgl. zum Thema des Jubels und der Festfreude die Analyse von MM II, oben, Kap. 6.1.2.1, wo die Wortfelduntersuchung eine Konzentration auf ebendiesen Themenbereich ergab. 654 Vgl. QUACK, Lobpreis, S. 50–51. 655 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 2, Anm. 7, der C. C. VAN SICLEN III, An Illustrated Checklist for Mummies, Myths and Magic, San Antonio/Texas 1990, S. 45, Nr. 3, zitiert. 656 Die Identifikation gründet sich vor allem auf die Neuedition durch BARIGAZZI, L’inno a Iside. Der Deutungsvorschlag wurde jedoch bereits zuvor auch schon von HEITSCH, PSI VII 844, gegeben. Siehe jetzt auch die deutsche Übersetzung von JÖRDENS, Griechische Texte, S. 284–285; bei KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 49, wird der Text kurz erwähnt. Der Erstherausgeber G. VITELLI, in: PSI 7, 1925, S. 146–149, nahm an, daß es sich um eine Eulogie auf einen Naturphilosophen handelte. 657 Zu den Parallelen in pOxy. 1380 vgl. oben, Kap. 6.1.3.2, und konkret die von HEITSCH, PSI VII 844, angeführten Stellen. 658 Vgl. aber einen ägyptischen Lobpreis der Isis durch eine Gruppe (wohl von Göttern), die von sich in der 1. Pers. Pl. spricht, in der Szene Behbeit el-Hagara, 44–45, SAE 37.

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646

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

(Kol. 1, 2–4). Dieses milde Klima findet sich tatsächlich in Ägypten, was HEITSCH daher den ersten Hinweis für die Interpretation des Textes gab. An die Wetterbeschreibung schließt sich, wohl durch die übertragene Bedeutung der „Klarheit“,659 ein Lob der Isis(?) als derjenigen an, die der sprechenden Gruppe das Wissen bzw. die Erkenntnis über die Naturphänomene und ihren Ursprung vermittelt hat: Von dir aber wissen wir, woher das Licht kommt der Sonne, wo auch die schwarze Nacht heraufziehen läßt…660 usw. (Kol. 1, 5–13). Genannt werden neben Sonne und Nachtschwärze auch die auf- und untergehenden Sterne, das Meer, die Unterwelt, Blitz, Donner und Winde, sowie die „körperlichen Dinge“, die Natur und die Sterblichen, über deren Entstehung Isis die Menschen aufgeklärt hat. Dabei werden mit der Zuordnung des Meeres an Poseidon und der Unterwelt an Hades (Kol. 1, 8– 9, eigentlich wäre zuvor noch die Zuordnung Himmel – Zeus zu erwarten, die aber ausgefallen ist 661 ) klassisch griechische Konzepte und Formulierungen eingeflochten. 662 Gegen Ende des erhaltenen Teils läßt sich noch erkennen, daß von den Naturphänomenen zu den kulturellen Gütern der Menschheit übergegangen wird (Kol. 1, 13–14). Im Gegensatz zu den meisten bereits von HEITSCH angeführten Parallelen in pOxy. 1380 geht es hier jedoch weniger um Isis’(?) Herrschaft über die entsprechenden Bereiche, sondern um ihre Rolle als Lehrerin der Menschen, die ihnen Zugang zur Wissenschaft um die Natur vermittelt.663 Ganz gut dazu paßt allerdings pOxy. 1380, 203–209, wo es heißt, daß Isis selbst den Menschen die Lehre von ihren Schöpfungen erteilt. Insgesamt steht der griechische Hymnus mit diesem Fokus bereits entsprechenden Abschnitten über Isis im Corpus Hermeticum (genauer im Traktat Kore Kosmou) nahe, die jedoch an anderer Stelle (Kap. 6.5.1.4) behandelt werden sollen.

6.2

Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

Eine große Anzahl von Papyri und Ostraka mit persönlichen Gebeten oder Briefen sowie im Bereich von Heiligtümern oder markanten Landschaftszügen angebrachten Graffiti, Proskynemata und Weihinschriften zeugt von der persönlichen Verehrung der Göttin und ihrem Ansehen innerhalb der ägyptischen, meroitischen, griechischen und römischen Bevölkerung bzw. ebenso bei Reisenden in Ägypten.664 Damit bieten diese Quellen eine Ergänzung zu den in Kap. 4 angeführten offiziellen Wandinschriften der Heiligtümer, in 659 660 661 662 663 664

Vgl. BARIGAZZI, L’inno a Iside, S. 4. Die Übersetzung nach JÖRDENS, Griechische Texte, S. 285. Siehe BARIGAZZI, L’inno a Iside, S. 3, Apparat, u. 6. Vgl. dazu die Passage MM III, 23–26, wo Vergleichbares zu beobachten ist, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Darauf weist bereits BARIGAZZI, L’inno a Iside, S. 6–7, hin. Dieses Kapitel versteht sich keineswegs als Sammlung sämtlicher Dokumente und Inschriften, die Isis erwähnen. Vielmehr soll das Augenmerk auf solche Texte gelegt werden, die sich einem größeren Kontext zuordnen lassen und/oder in Hinblick auf den lokalen Charakter der Göttin und die persönliche Auffassung von ihr bei den Weihenden aussagekräftig sind. Einige Inschriften, Briefe etc. werden in anderen Kapiteln (z. B. 6.1, 6.4 und 6.5) angesprochen, da sie insbesondere im Zusammenhang mit den dort thematisierten Texten von Interesse sind, und hier nicht mehr einzeln erwähnt.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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denen Isis Tempelherrin oder auch ein untergeordnetes Mitglied des Pantheons ist. Der Gottheit in Form einer Inschrift – ob nun einfach und hingekritzelt oder förmlich und z. B. in Verbund mit einer Stiftung – Ehrerbietung zu erweisen, hat eine jahrtausendealte Tradition im Nilland und wird auch von anderen antiken Kulturen praktiziert.665 An praktisch jedem ägyptischen Tempel, aber auch an anderen Orten wie Steinbrüchen, Felsen etc., lassen sich Graffiti oder Dipinti finden, wobei die Menge stark variiert.666 Eine spezielle Form solcher Graffiti sind die Proskynemata, die sowohl in ägyptischer als auch in griechischer Sprache einem festen Formular folgen bzw. wiederkehrende Formeln verwenden.667 Allerdings gibt es auch hier knappere und ausführlichere, individuelle Varianten. Es handelt sich um eine Anbetung der Gottheit, die meist mit der Bitte verbunden ist, den Namen des Beters dauerhaft bei der Gottheit bleiben zu lassen, was häufig auch im Namen eines Zweiten (Freund oder Familienangehöriger) erbeten wird. Sehr unterschiedlichen Charakter weisen dagegen die außerdem in diesem Kapitel besprochenen Texte auf Papyri und Ostraka auf, die ergänzend zu den öffentlichen Inschriften Gebete oder andere, teils eher beiläufige, Ehrfurchtsbekundungen gegenüber Isis (und/oder Sarapis) bezeugen. 6.2.1

Memphis (Sakkara)

6.2.1.1 Das Archiv des Hor Zur Biographie des Hor Einen einzigartigen Einblick in den persönlichen Kontakt einer Einzelperson mit der Göttin Isis im einheimischen Milieu der Ptolemäerzeit gewähren die Ostraka des Hor, eines 665 Zur gemeinsamen Behandlung von Graffiti und (anderen) Weihinschriften in einem Kapitel vgl. die Bemerkungen von DIJKSTRA, Philae, S. 180–181, mit Verweis auf M. PARCA, Local Languages and Native Cultures, in: J. Bodel (Hrsg.), Epigraphic Evidence. Ancient History from Inscriptions, London – New York 2001, S. 57–72: 61–63; B. H. MCLEAN, An Introduction to Greek Epigraphy of the Hellenistic and Roman Periods from Alexander the Great down to the Reign of Constantine (323 B.C.–A.D. 337), Ann Arbor 2002, S. 181–182 u. 207–208. Allgemein zu Graffiti in der Antike rezent J. A. BAIRD/C. TAYLOR (Hrsg.), Ancient Graffiti in Context, Routledge Studies in Ancient History 2, New York – Abingdon 2011, siehe hier besonders die Einführung der Herausgeber (Introduction, S. 1–19). Sowohl Graffiti als auch Weihinschriften (auf separaten Objekten) können einen offiziellen oder inoffiziellen Charakter haben. 666 Siehe dazu DIJKSTRA, Structuring Graffiti, S. 77–78; ID., Syene I, S. 19–22; MOJE, Entwicklung; H.J. THISSEN, s. v. „Graffiti“, in: LÄ II, Sp. 880–882; ID., Die demotischen Graffiti, S. 1–2; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 226; É. BERNAND, Pèlerins. Zu Graffiti der vorptolemäischen Zeit siehe YOYOTTE, Pélerinages; M. MALAISE, Pèlerinages et pèlerins dans l’Égypte ancienne, in: J. Chélini/H. Branthomme (Hrsg.), Histoire des pèlerinages non chrétiens. Entre magique et sacré: le chemin des dieux, Paris 1987, S. 55–82; VOLOKHINE, Déplacements pieux; DUNAND, Pèlerinages isiaques; und umfassend P. J. PEDEN, The Graffiti of Pharaonic Egypt. Scope and Roles of Informal Writings (c. 3100–332 B. C.), PÄ 17, Leiden – Boston – Köln 2001. Vgl. zu Verteilung, Inhalt und Funktion solcher Graffiti an Tempeln und Umgebung z. B. auch S. J. SEIDLMAYER, Frohe – und andere – Botschaften. Kult und Kommunikation im Alten Ägypten, in: U. Peter/S. J. Seidlmayer (Hrsg.), Mediengesellschaft Antike? Information und Kommunikation vom alten Ägypten bis Byzanz, BBAW, Berichte und Abhandlungen, Sonderband 10, Berlin 2006, S. 93–111: 98–108. 667 Zu den Proskynemata siehe BONNET, RÄRG, S. 609–610; W. HELCK, in: LÄ IV, Sp. 1125; G. GERACI, Ricerche sul Proskynema, in: Aegyptus 51, 1971, S. 3–211, bes. 3–26.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Schreibers und rangniedrigen Priesters, der in der Regierungszeit von Ptolemaios VI. und Kleopatra II. im Sarapeion von Memphis lebte, in dessen Umgebung auch sein Archiv gefunden wurde. Die von RAY edierten 68 demotischen und fünf griechischen Texte 668 geben Aufschluß über das religiöse Leben und Handeln eines Mannes, der wahrscheinlich um 200 v. Chr. im Sebennytes669 geboren wurde. Die Informationen über die Zeit seines Lebens vor seiner Ankunft in Memphis sind spärlich; in seinen jüngeren Jahren verbrachte er wohl längere Zeit in einem sebennytischen Ort namens „Stadt der Isis“ (dmj-n-As.t), wo er Dienst für die Göttin verrichtete.670 Dies geht aus oHor 2 hervor, zu dessen Beginn er sich als „Hor, der Schreiber und Mann von „Stadt der Isis“, der Herrin von ?, der großen Göttin im Gau von Sebennytos“ (Z. 1–3) einführt. 671 Eventuell könnte es sich bei dem Toponym um Behbeit el-Hagar handeln, das griechisch als „Iseion“ und evtl. lateinisch als „Isidis oppidum“ bezeichnet wurde.672 In den griechischen oHor C und E wird als Entsprechung für dmj-n-As.t „Isiospolis“ genannt.673 Könnte hiermit eine Alternative zum üblichen griechischen „Iseion“ vorliegen oder handelt es sich doch um eine andere Stadt? Gleich der auf den Ortsnamen folgende Ausdruck „Herrin von ?“ bietet ein weiteres Problem, da die Lesung des Wortes, für das RAY tpH „Höhle“ vorschlägt,674 sehr unsicher ist. Ich halte die Lesung tpH auch inhaltlich für sehr zweifelhaft, da es sich der Position nach um einen lokalen Haupttitel der Isis handeln müßte, und „Herrin der Höhle“ ansonsten überhaupt nicht für Isis belegt ist.675 Wenn mit „Stadt der Isis“ tatsächlich Behbeit gemeint ist, wäre eigentlich der dort übliche Haupttitel nb.t @bj.t „die Herrin von Behbeit“ zu erwarten,676 was sich jedoch nicht mit der Schreibung des Wortes in oHor 2, 2 vereinbaren läßt.677 Zuletzt hat MANASSA eine Neulesung des Titels als nb.t pA AH „Herrin des Feldes“ vorgeschlagen,678 die orthographisch wohl möglich ist, allerdings von M. SMITH ebenfalls bezweifelt wird.679 668 RAY, Archive; ID., Observations on the Archive of Hor, in: JEA 64, 1978, S. 113–120; vgl. auch die Rezensionen von K.-Th. ZAUZICH, in: Enchoria 8/2, 1978, S. 95–100; und M. SMITH, in: JEA 64, 1978, S. 179–181. Siehe außerdem Bemerkungen und teilweise Übersetzungen einzelner Texte bei DOUSA, Imagining Isis, S. 158–159 u. 166–167; QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. S. 377–381; ID., Apokalyptische Passage; ID., Literatur, S. 117–118; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 187–194; STADLER, Einführung, S. 74–81; ferner jetzt auch RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 394–447; II, S. 622–623 u. 724–726. 669 In diesem Gau spielte der Isiskult eine zentrale Rolle, siehe oben, Kap. 4.4. 670 Vgl. F. HOFFMANN, Ägypten, S. 188; RAY, Archive, S. 117–119. 671 RAY, Archive, S. 14–19; Taf. 3. Eine neue Bearbeitung von oHor 2 bietet M. SMITH, History and Orthography. Als „Mann von ‚Stadt der Isis‘“ außerdem auch in den Texten oHor 7, 3; oHor 26, 2; oHor 27, 2–3 (?); und oHor 29, 2 u. 9. 672 So auch identifiziert von VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 338; siehe dazu oben, Kap. 4.4.2. Argumente, die gegen diese Identifizierung sprechen, bei RAY, Archive, S. 19, a). 673 Siehe RAY, Archive, S. 2–3. 674 Siehe RAY, Archive, S. 15, a); M. SMITH, History and Orthography, S. 69; vgl. die stark abweichende normale demotische Schreibung: ERICHSEN, Glossar, S. 628. Von QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 378, wird das Wort gar nicht gelesen. 675 Vgl. LGG IV, 164c. RAY, DO Saqqara, S. 172–173 und S. 361, bringt tpH sowohl im Hor-Ostrakon als auch in dem ebenfalls unsicheren Beleg DO Saqqara 99 mit dem Kult der Isis, Mutter des Apis, in Sakkara-Nord in Verbindung. 676 Siehe oben, Kap. 4.4. 677 RAY, Archive, S. 15, a). 678 MANASSA, Mistress of the Field. 679 M. SMITH, History and Orthography, S. 69.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Als Epitheton der Isis ist immerhin die hieroglyphische Version nb.t sx.t häufig belegt,680 und der Beiname würde sich laut MANASSA auf das Fruchtland des Deltas beziehen, als deren Herrin die sebennytische Isis entsprechend angesehen würde. Das demotische nb.t pA AH wäre dennoch bisher einmalig für Isis,681 und nb.t sx.t ist weder in Behbeit el-Hagar noch im Deltapapyrus bezeugt,682 so daß vielleicht entweder die Identifikation von „Stadt der Isis“ oder aber, mit M. SMITH, MANASSAs Neulesung des Titels falsch ist. Die griechischen Texte von oHor C und E liefern noch die zusätzliche Information, daß Hor in Isiospolis als Pastophor tätig war, ein Titel, der in seinen gesamten demotischen Dokumenten keine Entsprechung findet.683 oHor 9 thematisiert einen Abschnitt in Hors Leben, der sich um das Jahr 167/66 v. Chr. in der wohl im Sebennytes gelegenen Stadt Pi-Thoth abspielt, wo er als Kultdiener in einem Heiligtum arbeitete.684 RAY vermutet in Pi-Thoth, in dem Hor laut oHor 10 (169 v. Chr. und später, s. u.) auch mehrere Anrufungen an Isis niedergeschrieben hat, sogar dessen Geburtsort;685 zumindest bezeichnet sich der Autor in oHor 1 und oHor 28 selbst als „Mann von Pi-Thoth“686 (im Kontrast zu der oben diskutierten, weitaus häufigeren Angabe „Mann von ‚Stadt der Isis‘“). In oHor 59 heißt es außerdem, daß Isis in Pi-Thoth ruht (Htp).687 Im Sarapeion von Sakkara, wo Hor wohl ab ca. 165 v. Chr. lebte, oblag ihm schließlich die Sorge für die heiligen Ibisse des Thoth, dessen Kult dem Sarapeion angegliedert war und der dementsprechend neben Isis den größten Platz in Hors persönlichem religiösen Interesse und seinen Schriften einnimmt. Bei einer ganzen Reihe der Ostraka handelt es sich offenbar um verschiedene Stufen eines Entwurfs für eine Petition an Ptolemaios VI., in der Hor wohl über Mißstände in der Verwaltung des Ibiskultes klagt.688 Um seinen Bitten mehr Gewicht zu verleihen, erinnert er den Herrscher an die Fürsorge der Götter für das Königshaus und ganz Ägypten. In diesen und einigen weiteren Texten schildert er auch Traumvisionen, in denen ihm Isis oder Thoth erscheinen, um eine göttliche Botschaft über die Zukunft zu offenbaren, wobei diese teils Hor persönlich, teils das Schicksal des ganzen Landes und der regierenden Ptolemäer betreffen. Diese Dokumente sollen jedoch aufgrund ihres (Traum-)Orakelcharakters erst in Kap. 6.5.1.2 ausführlich diskutiert werden. Stattdessen kommt hier zunächst nur eine Sammlung von Anrufungen des Hor an Isis im Detail zur Sprache, die sich einerseits mit den im vorigen Kap. 6.1 thematisierten 680 MANASSA, Mistress of the Field, S. 56–57; vgl. dazu bes. Philae-Photo 1298, Kap. 4.1.1.A, und die Identifikation von Isis mit Nebetuu in Esna, Kap. 4.11. 681 Siehe LGG IV, 3b; auch zitiert von MANASSA, Mistress of the Field, S. 56, Anm. 14. 682 Siehe oben, Kap. 4.4 und 4.13.2; vgl. LGG IV, 132b. 683 RAY, Archive, S. 2–3 u. 136; vgl. DOUSA, Imagining Isis, S. 158, Anm. 37. Zum griechischen Titel ‚Pastophor‘ und seiner demotischen Entsprechung irj-aA siehe rezent HOFFMANN/QUACK, Pastophoros; RENBERG, Where Dreams May Come II, S. 719–726. 684 RAY, Archive, S. 44–46; vgl. S. 8, b)–c). Zur möglichen Lokalisierung von Pi-Thoth im Sebennytes, unweit von dem daneben in oHor 10 erwähnten Buto, vgl. ibid., S. 117–118. 685 RAY, Archive, S. 46 u. 117. 686 oHor 1, Z. 1; oHor 28, Z. 3; RAY, Archive, S. 7–14 u. 97–98. Ein weiterer Verweis auf Pi-Thoth als ursprüngliche Heimat des Hor findet sich in oHor 8, Z. 19, siehe RAY, Archive, S. 41. 687 Z. 20; vgl. RAY, Archive, S. 167–169. Neuübersetzung und -interpretation dieses Textes bei QUACK, Apokalyptische Passage, S. 248–252. 688 Vgl. M. SMITH, Rez. zu: Ray, Archive, S. 180; vgl. auch die etwas abweichende Interpretation von RAY, Archive, S. 122–123.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

„offiziellen“ und literarischen Hymnen vergleichen läßt, andererseits aber zu den privaten Gebeten und Weihinschriften des vorliegenden Kap. 6.2 gehört. Es sei jedoch bereits angemerkt, daß auch diese Anrufungen, die ohne klaren Kontext aufgeschrieben wurden, möglicherweise als Gebete zur Auslösung der Traumorakel dienten.689 Anrufungen an Isis in oHor 10 Der hier im Mittelpunkt des Interesses stehende Text ist oHor 10,690 auf dem der Autor offenbar nach und nach insgesamt sieben, an verschiedenen Orten komponierte Anrufungen an seine Göttin aufgezeichnet hat, die jeweils nur ein paar Zeilen lang sind, aber in der Gesamtheit ein gemeinsames Muster aufweisen: jede Phrase wird mit der üblichen Gebetsformel im(.t) n=i eingeleitet, 691 auf die Lobpreisungen der Göttin in Form von Epitheta sowie ganzen Sätzen folgen. Anhand der Nachschriften, die jeweils die Urheberschaft des Hor („geschrieben von Hor…“) und meist einen Ort angeben, lassen sich fünf Sektionen unterscheiden.692 Die erste Sektion ist in der Nachschrift sogar mit einer Datierung auf den 18. Mai 169 v. Chr.693 versehen, gibt dafür aber keinen Ort an (Z. 5). Mittig über dem Text steht als Überschrift „Die Erste:“ (Z. 1), was möglicherweise eine ursprüngliche Existenz weiterer Ostraka mit ähnlichen Anrufungen nahelegt.694 In Abschnitt 1 (Z. 2–5) ruft Hor Isis nach der Einleitung mit folgender Epithetareihe im Nominalstil an: Gebieterin (HnA),695 die Herrin des Schreins (knHy), die Herrin der Uräusschlange, die Herrin der Beiden Länder, Isis, die Große, die Gottesmutter, die große Göttin des Wadis des Sees696 (pA kAn pA Sy), die Herrin der Hand des Horus, die ihm Osiris gegeben hat in Assiut.697

689 Vgl. QUACK, Apokalyptische Passage, S. 245; STADLER, Einführung, S. 78; und RAY, Archive, S. 48 u. 119, der die Möglichkeit in Betracht zieht, daß die Anrufungen sogar speziell dazu dienten, den in oHor 1 dokumentierten Traum herbeizuführen, siehe dazu unten, Kap. 6.5.1.2. 690 RAY, Archive, S. 46–48; vgl. ZAUZICH, Rez. zu: Ray, Archive, S. 98; DOUSA, Imagining Isis, S. 179– 180; teilweise Neuübersetzung bei QUACK, Apokalyptische Passage, S. 245–246; Neuedition von KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 11–17, Nr. 2; nochmals QUACK, Demotische Hymnen, S. 263–264; Bemerkungen auch ID., Schicksalsvorstellungen, S. 55. 691 Vgl. den Aufbau von pHeid. dem. 736 vs., siehe oben, Kap. 6.1.1. Die gleiche Formel verwendet Hor auch in einem kurzen Gebet an Isis, das ihm ein Traum vorgibt, aufgezeichnet auf oHor 8 (vs., Z. 2), sowie in der Anrufung zu Beginn von oHor 65 (Z. 1), siehe dazu unten, Kap. 6.5.1.2. 692 Vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 11; die Nachschriften befinden sich in Z. 5, 9, 11, 17 und 19. 693 „Regierungsjahr 12, 3. Pharmuthi, Tag 17“. Zu diesem Zeitpunkt hatte Antiochos IV. de facto die Herrschaft in Ägypten übernommen, vgl. RAY, Archive, S. 48; und ausführlich zum historischen Hintergrund HÖLBL, Geschichte, S. 128–134. 694 Siehe zur Diskussion KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 14; RAY, Archive, S. 48, a). 695 Zur Deutung als unetymologische Schreibung für Hnw.t siehe ZAUZICH, Rez. zu: Ray, Archive, S. 98; vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 15. 696 Oder: „des Wadis und des Sees“; vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 15.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Für die Niederschrift dieser ersten Sektion der Anrufungen hat Hor im Gegensatz zu den folgenden Sektionen keine explizite Ortsangabe hinterlassen, was im Zusammenspiel mit den hier genannten nahen Epitheta darauf hindeutet, daß dieser Abschnitt möglicherweise in Sakkara entstanden ist. Das auf den in oHor 10 häufig verwendeten nahen und allgemeinen Titel „Gebieterin“ folgende „Herrin des Schreins“ ist nur hier für Isis belegt.698 RAY übersetzt knHy noch etwas konkreter mit „Gruft (vault)“ und bezieht das Epitheton auf den lokalen Kontext der Grabkammern der Mütter des Apis in Sakkara-Nord, die in der Nähe des Ostraka-Fundortes gelegen sind, und mit einer Kapelle von Osiris-Apis und „Isis, Mutter des Apis“ aus der Zeit des Nektanebos verbunden waren.699 Tatsächlich werden in den Apismütter-Stelen die Grabgewölbe als qnHy(.t) bezeichnet, 700 weshalb RAYs Deutung vermutlich zutreffend ist, wenngleich Hor nach Ausweis von oHor 9 im Jahr 169 v. Chr. noch nicht permanent in Sakkara lebte.701 Auch der ebenfalls nur hier bezeugte Beiname „die große Göttin des Wadis (und?) des Sees“702 bezieht sich wohl auf die lokale Umgebung von Sakkara.703 „Herrin der Uräusschlange“ und „Herrin der Beiden Länder“ sind geläufige Beinamen, die das Königtum der Göttin in den Vordergrund stellen.704 Größere Probleme bereitet die letzte Bezeichnung, welche einen Bezug zu einem in Assiut lokalisierten, offenbar mythischen Geschehen um Isis, Horus und Osiris herstellt. RAY und KOCKELMANN sprechen von einem „bisher unbekannten Mythos“, 705 doch existieren immerhin Allusionen auf einen mythischen Verlust der Hand des Horus in anderen Texten.706 Besonders nahe kommt der Stelle bei Hor Tb 137 (spät) in pTurin 1791 mit dem Ausspruch „Oh Osiris von NN, gerechtfertigt, Horus, deine Hand ist die Hand des OsirisChontamenti!“ Allerdings ist „Horus“ nur in diesem Papyrus eingefügt, die anderen Versionen sprechen nur von Osiris von NN und Osiris-Chontamenti, und LUFT interpretiert die 697 Die zitierten Übersetzungen folgen jeweils KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 13–14; und QUACK, Demotische Hymnen, S. 263–264. Fragliches wird in den Anmerkungen diskutiert. 698 LGG IV, 150c. Vgl. aber mit der Schreibung nb.t qnH eine Bezeichnung einer Göttin, die auch „große Lobpreisende“ genannt wird, in pMag. LL, 10, 25 und 27, 3, siehe LGG IV, 147b. 699 RAY, Archive, S. 47, b); 148; 158, (f) 26. Zur Kapelle vgl. Kap. 4.12.1, mit Literaturangaben in Anm. 20. 700 Siehe SMITH/ANDREWS/DAVIES, Sacred Animal Necropolis, passim. 701 Siehe zu oHor 9 oben und weiter unten. 702 Vgl. LGG IV, 563c. 703 Vgl. RAY, Archive, S. 48, b); 150; und 158, (f) 26, der vorschlägt, daß mit dem See der sog. (ausgetrocknete) „See von Abusir“ gemeint sein dürfte, von dem aus ein Wadi nach Süden zum Serapeum führt. 704 Zu „Herrin der Uräusschlange“ siehe LGG IV, 8c–9a; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 54– 55. „Herrin der Beiden Länder“ auch in oHor 1, 10, und oHor 31A, 5; vgl. zu diesem Titel, der bereits vor griechisch-römischer Zeit belegt ist, auch LGG IV, 157c–159a; MÜNSTER, Isis, S. 204; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 153; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 52; DOUSA, Imagining Isis, S. 162; und bes. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 339–340, der sogar erwägt, ob es sich um ein speziell memphitisches Epitheton handelt, das auf Isis’ dortige Verbindung mit der Krönung des Königs zurückgeht. Siehe auch oben, Kap. 5.2.2.3 zu den Tempeltexten. 705 RAY, Archive, S. 48, c); KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 15 u. 70; vgl. auch LGG IV, 171c, wo wiederum nur der Beleg in oHor 10 genannt ist. 706 Z. B. in der Drohformel des magischen oDeM 1213 (NR): „Wenn du nicht stehenbleibst, um zu hören meine Rede, dann (…), und ich werde die Hand des Horus abtrennen, (…)“; die gleiche Formel abgekürzt auch in pLeiden I 348, 13, 8–9: „(…) Ich will eine Hand abhacken…“.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Stelle im Hinblick auf die titelgebende Fackel, die sowohl der Verstorbene als auch der Gott in der Hand halten.707 Ein Bezug zu einem Mythos ist also keineswegs gesichert. Der Deltapapyrus nennt konkreter die „Hand des Haroeris“ als eine von mehreren ‚Reliquien‘ bzw. göttlichen Körperteilen, die von Seth verletzt worden waren.708 Auch MEEKS kennt aber eine solche nicht aus anderen Quellen.709 Der Mythos von Horus und Seth berichtet, daß Horus den Samen von Seth bei dessen versuchter Vergewaltigung an ihm mit seinen Händen auffängt, die daraufhin von Isis abgehackt werden. Auch in Tb 113 spielen die Arme bzw. Hände des Horus eine Rolle, allerdings in Zusammenhang mit Hierakonpolis, den Bas von Nechen und den beiden Horussöhnen Duamutef und Qebehsenuef.710 Hier läßt Isis sie wieder anwachsen, nachdem Sobek sie aus dem Sumpf gefischt hat. SERVAJEAN erkennt diesen Mythos hinter einer Darstellung auf dem Naos von Saft el-Henna, die eine Hand in einem falkenköpfigen Kanopenkrug zeigt, hinter dem ein Falke von Isis gesäugt wird.711 Aufgrund der Nennung von Assiut und von Osiris, der Horus eine Hand (Singular!) gegeben haben soll, ist jedoch sehr unsicher, ob die Stelle in der Isis-Anrufung des Hor sich auf diesen Mythos bezieht. Besser bekannt als eine „Hand des Horus“ ist die Verbindung der Isis bzw. Hathor Nebethetepet mit der Hand des Sonnengottes Atum/Re, wie sie auch in der Liste mit Erscheinungsformen der Hathor(-Isis) in pTebt. H I zur Sprache kommt.712 Tatsächlich erwähnt auch ein Sarg aus Assiut in der Htp-dj-nswt-Formel Atum und seine Hand (als Göttin),713 was vielleicht für eine besondere Bedeutung der Hände von Göttern im Lykopolites spricht. Immerhin überliefert der pJumilhac die Tradition, daß die Finger die ‚Osirisreliquie‘ des 13./14. o.äg. Gaues waren. 714 MEEKS hält eine Verbindung zwischen der Hand des Haroeris/Horus mit der Hand des Atum jedoch für unwahrscheinlich.715 M. E. ist es naheliegend, daß ähnlich wie bei anderen Episoden des Horus-Mythos verschiedene Gaue lokal individuelle Versionen des Hand-des-Horus-Themas ausgearbeitet haben, so sicherlich auch Assiut, wenngleich uns diese nicht überliefert ist. Abschnitt 2 wurde laut Nachschrift in Pi-Thoth verfaßt (Z. 9), wo Hor in seiner vormemphitischen Zeit lebte und als Kultdiener arbeitete (s. o.). Auf die Einleitung „Komm zu mir, meine Gebieterin Isis“ folgt eine unklare Passage Dr.v=y irm pAy=t wy(?) (Z. 6–7), 707 Siehe D. LUFT, Das Anzünden der Fackel. Untersuchungen zu Spruch 137 des Totenbuches, SAT 15, Wiesbaden 2009, S. 228, Apparat, 229, m. Anm. 6, und Synopse S. 334. 708 pBrooklyn 47.218.84, 3, 4, siehe MEEKS, Mythes et légendes, S. 188. Zum Deltapapyrus vgl. oben, Kap. 4.13.2. 709 MEEKS, Mythes et légendes, S. 188. 710 Vgl. den Hinweis auf Tb 113 bei KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 70, Anm. 328. Siehe ausführlich zu Tb 113 und den Händen des Horus SERVAJEAN, Lotus emergeant, S. 272–275. 711 SERVAJEAN, Lotus emergeant, S. 273–274. 712 „[Betreffs] Hathor Nebethetepet, die Gemahlin des Re, seine Hand, die Gebieterin der Beiden Länder, [die Herrin?] allen Viehs(?): das ist die Hand des Re, nachdem er sich mit ihr befriedigt hat.“ (X 3, 5–6), siehe oben, Kap. 4.13.1.1. Vgl. außerdem die Betitelung der Isis als „Gotteshand“ (Dr.tnTr) in Philae-Hymne 3; Dend. Isis, 327, 5–9; Dend. II, 100, 6–11; Dend. VI, 2, 21–4, 6; Dend. XII, 2, 2–12; Dend. XIV, 146, 3–14; und Deir Chelouit I, Nr. 7. 713 Publiziert von A. Bey KAMAL, Fouilles à Deir Dronka et à Assiout (1913–1914), in: ASAE 16, 1916, S. 65–114: 72 u. 75; vgl. LGG VII, 627c. 714 pJumilhac, Kol. 5, Vignette; vgl. BEINLICH, „Osirisreliquien“, S. 228. Üblicherweise werden die Finger aber dem 12. o.äg. Gau zugeordnet. Zu pJumilhac vgl. oben, Kap. 4.13.3. 715 MEEKS, Mythes et légendes, S. 188.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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die RAY und ihm folgend KOCKELMANN zu der Einleitung ziehen und mit „… in meiner Gegenwart, zusammen mit deinem Erzeuger“ übersetzen, wobei sie in dem „Erzeuger“ Thoth sehen möchten,716 die zweite von Hor favorisierte Gottheit, die auch nach anderen Texten als (geistiger/funktioneller) Vater der Isis gilt. QUACK übersetzt dagegen „Meine Hand ist mit deinem Abkömmling(?)“, was inhaltlich problematisch ist. 717 Sollte damit etwa ein Rückverweis auf die in der ersten Sektion genannte „Hand des Horus“ (Z. 4–5) gemeint sein? Die Göttin wird anschließend angerufen als: Isis, die Große, die Gottesmutter, die große Göttin des ganzen Landes (tA nTr.t aA.t n pA tA Dr=f) (Z. 7) und, nach einer Wiederholung der Formel „Komm zu mir“: Isis, die Große, die Gottesmutter, die große Göttin, Herrin der Beliebtheit, die Edle (SpSy.t), die große Schicksalsgottheit (pA Sy aA) (Z. 8–9) Während es sich dabei hauptsächlich um allgemeine Haupttitel der Isis handelt,718 verdienen die letzten beiden Ausdrücke, insbesondere aufgrund der direkten Kombination miteinander, genauere Beachtung. Häufig komplementär gebraucht, werden SpSy.t (alt: Sps.t) und Sy (alt: SAy) üblicherweise als ägyptische Entsprechung für das griechische Begriffs(gottheiten)paar Agathe Tyche (= (gutes) Glück, Geschick) und Agathos Daimon ((gutes) Schicksal) eingesetzt.719 Zu vergleichen ist auch die Bezeichnung der Isis-Thermuthis als Agathe Tyche in den MM-Hymnen.720 SAy kann zwar vielen Göttern und Göttinnen untergeordnet werden (z. B. „Schai (und Renenet) ist (sind) in der Hand von Gott xy“),721 doch die Bezeichnung einer weiblichen Göttin mit dem eigentlich masculinen SAy, wie sie hier vorliegt, ist ungewöhnlich.722 DOUSA schlägt daher alternativ eine Genitivverbindung „die Edle des großen Schicksals“ vor.723 Eventuell bietet aber der Text Deir Chelouit II, Nr. 84 mit dem allerdings durch die vorangehende Fehlstelle unsicheren SAy n wn[n].t [nb(.t)] eine Parallele für die direkte Identifikation der Isis als Schai/Schicksal.724 716 RAY, Archive, S. 48, e); KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 15. 717 QUACK, Apokalyptische Passage, S. 245; ID., Demotische Hymnen, S. 263 (jeweils ohne Kommentar); gefolgt von STADLER, Einführung, S. 77 (ebenfalls unkommentiert). 718 Siehe oben, Kap. 5.2.1. tA nTr.t aA.t n pA tA Dr=f ist zwar ganz konkret laut LGG IV, 564a, nur hier belegt, doch sinngemäß sehr ähnliche Epitheta finden sich für Isis massenhaft. 719 Vgl. die Nennung in einem Wunsch für das Königshaus in oHor 3, 3–4, siehe unten, Kap. 6.5.1.2. Siehe zu dem Begriffspaar QUAEGEBEUR, Shaï, S. 155–160; DOUSA, Imagining Isis, S. 177–179; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 51, § 10. QUACK, Apokalyptische Passage, S. 245, Anm. 13, und ID., Schicksalsvorstellungen, S. 55, betont, daß sich die Begriffe zudem in der astrologischen Terminologie auf zwei Häuser der Dodekatropos beziehen. 720 Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Nach pOxy. 1380, Z. 51, wird Isis außerdem in Busiris Agathe Tyche genannt, siehe Kap. 6.1.3.2. 721 Vgl. dazu auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 66–67, § 25; QUACK, Schicksalsvorstellungen, S. 50–56. 722 Vgl. LGG VII, 4b–8b: die Belege LGG VII, 5a, [19] (die Totenfresserin), 6a, SAy aA, [1] (In.t/Iwny.t(?)), und 7a, SAy rr.t, [2] (Satet) erweisen sich bei näherer Betrachtung allesamt als sehr unsicher im Sinne einer direkten Betitelung der jeweiligen Göttin. 723 DOUSA, Imagining Isis, S. 179, m. Anm. 125; vgl. auch ID., Praising Isis, S. 246. 724 Siehe oben, Kap. 4.8.1.A, m. Anm. 1935; darauf verweist auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 67, m. Anm. 300. Zu Isis und dem Schicksal vgl. BERGMAN, „I Overcome Fate“; QUAEGEBEUR,

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Abschnitt 3 wurde von Hor in Buto725 geschrieben und vom Autor selbst als „ein guter Anfang“ gelobt (Z. 11), was nochmals den vorläufigen, notizhaften Charakter des Ostrakons verdeutlicht. Daß es sich tatsächlich nur um einen „Anfang“ handelt, zeigt sich in der im Vergleich mit den übrigen Abschnitten auffälligen Kürze der Anrufung: Komm zu mir, Isis, Gebieterin, Herrin von Himmel und Erde, Herrin der großen Hauptstadt (nb.t bqy(.t) aA.t)726! (Z. 10). Abschnitt 4, geschrieben in Pi-Thoth (Z. 17), ist deutlich länger und umspannt die Zeilen 12–17. Zunächst wird Lob (Hs.t) und Ansehen (SfA.t) der Isis unter Menschen und Göttern konstatiert (Z. 12–13),727 bevor dieser Ruhm durch ihre sorgenden Handlungen für sowohl Leben als auch Tod begründet wird: weil du dem Menschen Speise gibst in seinen Lebenstagen, und wenn er stirbt, du es bist, die bestattet. (Z. 13–14).728 Obwohl zuvor Menschen und Götter genannt waren, fokussiert Hor in der Begründung ihres Ruhmes nur noch auf ihren Wohltaten für den Menschen und damit eingeschlossen sich selbst, denn die allgemeine Aussage leitet zu dem Zitat einer persönlichen Versicherung der Göttin für ihren treuen Anhänger in diesem Sinne über, die man sich im Kontext des übrigen Archivs wohl wiederum als Mitteilung im Rahmen einer Traumerscheinung vorzustellen hat:729 Isis sprach zu mir: „Sie sind für dich selbst (bestimmt), die beiden guten Dinge (tA md.t nfr.t 2.t): deine Speise ist abgesichert für dich in deinen Lebenstagen. Wenn du stirbst, werde ich dich bestatten lassen.“ (Z. 14–16). Hors thematischer Übergang von der allgemeinen Funktion der Isis (als Garantin von Speise und Bestattung) zu der gewünschten entsprechenden individuellen Hilfeleistung korrespondiert mit dem Vorgehen von Isidoros in MM I und II.730 Mit dieser Passage, die

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Shaï, S. 85–88; STERNBERG-EL-HOTABI, Isis und das Schicksal; ferner ALVAR, Romanizing Oriental Gods, 28–29. Vgl. dazu oben, Anm. 684. Lesung nach QUACK, Demotische Hymnen, S. 263; ähnlich bereits ID., Apokalyptische Passage, S. 246: „Herrin Ägyptens (alt BAq.t)“; übernommen auch von CDD, b, S. 4 u. 89; STADLER, Einführung, S. 77. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 13 u. 16, liest RAY, Archive, S. 47–48, g), folgend nb.t bay(.t)(?) aA.t „Herrin eines großen Grabes(?)“, erwägt aber auch QUACKs Lesung. Auch DOUSA, Imagining Isis, S. 179, Anm. 124; und LGG IV, 44c, übernehmen RAYs Vorschlag. Das Wort bay(.t), bzw. nach ERICHSEN, Glossar, S. 109, b.t (koptisch bh), ist in der hier vorliegenden Schreibung sonst nicht belegt, was weiter für QUACKs Lesung spräche. Vgl. das mehrfach in hieroglyphischen Texten belegte Isis-Epitheton HqA.t BAq.t, siehe LGG V, 542a–b; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 16 u. 52; und nb.t itr.tj BAq.t, LGG 24c. Die Verehrung der Gottheit durch verschiedene Gruppen ist ein typisches Element der ägyptischen Hymnen, siehe z. B. Philä III, Nr. 2: nTr.w rmT.w htt n kA=s „Götter und Menschen jubilieren/schreien für ihren Ka“; vgl. Kap. 5.2.2.4.B. Vgl. zu dieser Aussage und zu der Sorge der Isis für beide Bereiche auch DUNAND, Religion isiaque?, S. 43. Vgl. dazu DOUSA, Imagining Isis, S. 180. Siehe oben, Kap. 6.1.2.1.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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durch ein Spatium von den nachfolgenden Anrufungen abgetrennt ist,731 steht das Protokoll eines Traumes auf oHor 9 in engem Zusammenhang; es handelt sich dabei offenbar um einen retrospektiv geschriebenen Bericht über den entscheidenden Wendepunkt in Hors Leben, als er sich in Pi-Thoth im Sebennytes aufhält, aber sein endgültiger Umzug nach Memphis bevorsteht.732 In seinem Traum verspricht er Isis, jedes Jahr in Memphis einen Vogel als Brandopfer für sie darzubringen (vs., Z. 3–4), woraufhin ihm die Göttin prophezeit, daß er für immer (SAa Dt) in Memphis bleiben werde (vs., Z. 5–6). Auf seine Nachfrage hin, ob ein Mann denn auf ewig existieren werde (Z. 7), erläutert sie die genauen Implikationen ihrer Aussage, indem sie ihm sinngemäß das Gleiche garantiert wie in dem Zitat in oHor 10: ein Leben sowie ein Tod „in guten Dingen“ (Xn nA nfr.w), und ein Begräbnis innerhalb der Nekropole des Sarapeions (vs., Z. 7–10).733 RAY übersetzt das Abstraktum nA nfr.w jeweils mit „Glück“ (happiness), während DOUSA das allgemeinere „die guten Dinge“ präferiert, was dem ägyptischen Ausdruck m. E. besser entspricht. Vergleicht man die oben zitierte Formulierung in oHor 10, wird deutlich, was mit nA nfr.w hier gemeint ist: nicht eine vage Vorstellung von „Glück“, sondern ganz konkret die (materielle) Versorgungssicherheit734 im Leben und im Tod – durch die Wohltaten der Isis. Entsprechend ist die Göttin wahrscheinlich auch mit der Bezeichnung tA nb.t (n) tA md.t nfr.t „Die Herrin der guten Dinge“ in oHor 31B gemeint, einem Text, der ein Memorandum an den eponymen Alexanderpriester Sarapion (Ende 160er Jahre) enthält und sich auf Hors Zeit im Sebennytes und den dortigen Isiskult bezieht.735 Ein Papyrus aus dem Bereich der Nekropole in Sakkara-Nord enthält möglicherweise einen Orakelspruch, der verspricht, daß Isis, Mutter des Apis, den in der 2. Pers. sing. masc. angesprochenen männlichen Petenten mit „allen Dingen, die gut sind“ (md.t nb.t [ntj] nA-nfr) versorgen wird.736 „Gute Dinge“ gibt Isis denjenigen, die sie liebt, auch nach der Epithetareihe Dend. I, 75, 12–76, 2.737 In oHor 9 wird der Traumdialog zwischen Hor und der Göttin ausführlich wiedergegeben, während die Z. 14–16 von oHor 10 nur knapp die grundlegende Aussage der Isis zusammenfassen. Möglicherweise rekurrieren jedoch beide Texte auf den gleichen Traum bzw. den gleichen Wendepunkt in Hors Biographie. Die Angabe am Ende der Sektion, die wiederum angibt, daß Hor diese Zeilen in Pi-Thoth geschrieben hat (Z. 17), stützen diese Annahme. Das gleiche Versprechen auf eine Bestattung in Memphis erhält Hor aber auch in zwei in oHor 8 dokumentierten Träumen,738 dort allerdings von Thoth (Z. 11–12) respek731 Vgl. STADLER, Einführung, S. 78. 732 RAY, Archive, S. 44–46 u. 120. Vgl. zu diesem Text und der Parallele zur Passage in oHor 10 auch DOUSA, Imagining Isis, S. 179–180; kurze Bemerkung auch bei KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 69. 733 Siehe dazu auch STERNBERG-EL-HOTABI, Isis und das Schicksal, S. 58–59. 734 STERNBERG-EL-HOTABI, Isis und das Schicksal, S. 59, übersetzt in diesem Sinne interpretativ mit „Wohlstand“ bzw. „Fülle“. 735 Z. 4; vgl. RAY, Archive, S. 102–103, und S. 157, (17), wo er ebenfalls den Bezug zu oHor 10 und 9 herstellt. Ein solches Epitheton ist laut LGG IV allerdings sonst nicht belegt. 736 DAVIES/SMITH, Demotic Papyri, S. 270–271. Zu Gebeten, Götterbriefen und Orakelanfragen an Osiris-Apis und Isis, Mutter des Apis aus der Tiernekropole von Sakkara vgl. auch Kap. 4.12.1, mit Anm. 2589. 737 SAa(.t) ix.wt nb.wt nfr(.wt) dj(.t) im=sn n mrj=s, siehe Kap. 4.6.2. 738 Siehe RAY, Archive, S. 38–44; Neuübersetzung von QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 379–381. Zur Parallele auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 69.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

tive einem „großen Mann“ (Z. 21–24), mit RAY wahrscheinlich ein Totengeist.739 Dieser weist Hor wiederum dazu an, einzeln vor die Götter Thoth, Isis und Osiris zu treten und sie anzurufen, und zwar jeweils mit der üblichen, auch in oHor 10 verwendeten Gebetsformel im(.t) n=i (vs., Z. 1–6). So verwundert es nicht, daß sich die hier empfohlene Anrufung an Isis eng mit dem diskutierten Abschnitt von oHor 10 sowie dem ausführlich zitierten Versprechen der Göttin im Traum von oHor 9 berührt: Komm zu mir, meine Gebieterin Isis (im(.t) n=i tAy=i Hnw.t As.t).740 Schön ist das Begräbnis innerhalb der Nekropole von Memphis. (vs., Z. 1–3). Für die Wiederbelebung und Versorgung des Toten ist Isis nach alter Tradition aufgrund ihrer mythischen Rolle gegenüber dem verstorbenen Osiris zuständig, weshalb sie von den Sargtexten an in Funerärtexten durchweg präsent ist.741 In den Isishymnen und Epithetareihen der Tempelinschriften ist die Sorge für den verstorbenen Osiris bzw. sein Grab zwar desöfteren ein zentrales Thema, doch mit Bezug auf eine menschliche Bestattung wird dieser Aspekt nur selten erwähnt. In der Bandeau-Inschrift Dend. V, 103, 17–104, 8 ist sie immerhin „die Gebieterin der Bestattung, die dem Nackten Kleidung gibt“ und in Dend. IX, 167, 11–16 diejenige, „unter deren Befehl Leben und Tod sind, die Herrin der Bestattung, die Gebieterin des Begräbnisses“.742 In dem ersten hymnischen Abschnitt des demotischen pCarlsberg 652 vs. heißt es genau passend zu den Passagen im Hor-Archiv: „indem man die Bestattung von ihr erbitten wird.“743 Kurz zuvor wird in letzterem Text sogar Memphis erwähnt, und dazu paßt, daß Isis spätestens ab der 3. ZwZt., eventuell sogar bereits ab der 18. Dyn., ein Heiligtum in Giza besaß und als „Gebieterin der Pyramide“ wohl als Nekropolengöttin fungierte. Auch in Sakkara wurde sie mindestens seit der Saitenzeit verehrt.744 Der Abschnitt schließt mit einer weiteren Anrufung an Isis, die ihre königliche Allherrschaft und ihre Weisungsbefugnis in Ägypten herausstellt: im(.t) n=i tAy=i Hnw.t As.t tA pr-aA.t a.w.s. n tm nb Komm zu mir, meine Gebieterin, Isis, die Königin, L. H. G. von allem insgesamt, nty wAH sHn n pA tA Dr=f die Befehle erteilt im ganzen Land. (Z. 16–17) Die gleichen Titel745 trägt Isis auch in weiteren Texten des Hor-Archivs.746

739 Siehe RAY, Archive, S. 43, u), mit Verweisen auf Parallelen. 740 Vgl. die Parallelen zu dieser Anrufung in oHor 10, Z. 2; 6; 10; 16; 18. 741 Grundlegend dazu MÜNSTER, Isis, S. 1–79; zu Parallelen aus der Funerärliteratur griechisch-römischer Zeit, die ebenfalls Isis als Garantin eines guten Begräbnisses ansprechen, siehe DOUSA, Imagining Isis, S. 180–181; M. SMITH, A Demotic Formula of Intercession for the Deceased, in: Enchoria 19/20, 1992/1993, S. 131–154: 138–139. Vgl. auch ID., Traversing Eternity, passim; KUCHAREK, Klagelieder, passim. Siehe dazu auch oben, Kap. 5.2.2.1.A und 5.2.2.4.D. 742 Vgl. Kap. 4.6.2. 743 Siehe oben, Kap. 6.1.4. 744 Siehe zu Giza und Sakkara oben, Kap. 4.12.1. 745 Siehe zu diesen Epitheta DOUSA, Imagining Isis, S. 162, m. Anm. 50; QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72; STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 106; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 17. 746 oHor 3 vs., Z. 6–7, und oHor 6 vs., 10. Siehe dazu ausführlich unten, 6.5.1.2. Zu Isis als Königin vgl. oben, Kap. 5.2.2.3.D und NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 121–125.

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Abschnitt 5, der letzte, ebenfalls in Pi-Thoth geschriebene (Z. 19) Abschnitt der Hymne lobt die Göttin als: Die Herrin des Stricks, die fesselt und wieder freien Lauf gibt.747 Es handelt sich einerseits um die gleiche Idee von Isis als Befreierin von Gefangenen wie in MM I, 29,748 andererseits ist sie hier auch für das Gegenteil, die Bestrafung und Fesselung zuständig. 749 KOCKELMANN schlägt für das Thema außerdem übertragene Interpretationsmöglichkeiten vor: So könnten Gefangenschaft und Befreiung allgemein für die Höhen und Tiefen des Schicksals stehen oder im Kontext mit dem Thema der Bestattung auf oHor 10 auch die Befreiung von den Beschränkungen des Todes gemeint sein.750 Daß dies ein typischer Wunsch der Ägypter war, zeigen unter anderem die zahlreichen TbSprüche, die es dem Nutzer ermöglichen sollen, auch nach dem Tod z. B. die Bewegungsfreiheit (das „Herausgehen am Tage“) wiederzuerlangen. Im Ritualtext der „Großen Zeremonien des Geb“ fordert (ein Sprecher in der Rolle des) Horus Isis eventuell auf, „die Bande(?) meines Vaters (= Osiris) (zu) zerreißen“.751 Auch die direkte explizite Verbindung zwischen Gefangenschaft und vom Schicksal bestimmten Tod in der herangezogenen Parallele in MM I könnte für diese Deutung sprechen. 6.2.1.2 Griechische Dokumente und Inschriften aus dem Sarapeionsbezirk Papyri: Das Dossier des Ptolemaios, Sohn des Glaukias Dem (hauptsächlich) demotischen Archiv des Hor lassen sich zahlreiche und gut bekannte griechische Dokumente gegenüberstellen, die von innerhalb des Sarapeionsbezirks lebenden Personen stammen. Ein großes Dossier an Texten – darunter auch einige demotische – hat ein Mann namens Ptolemaios, Sohn des Glaukias, eines makedonischen Soldaten, hinterlassen, der ab 172 v. Chr. zusammen mit anderen Personen in κατοχή (‚Gotteshaft‘) im Sarapeion lebte, also etwa gleichzeitig mit Hor.752 In UPZ 6 und weiteren Dokumenten 747 Vgl. hierzu QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 358–359. 748 „All diejenigen, die im Gefängnis festgehalten werden zu ihrer zugewiesenen Todeszeit… All diese werden gerettet, wenn sie dich anbeten, daß du erscheinst.“ Siehe oben, Kap. 6.1.2.1 mit Kommentar. 749 Als Fesslerin von mythischen Feinden wie Seth tritt Isis klassischerweise auch in den Tempelhymnen sowie in magischen Texten auf, z. B. Philae-Photos 164–165, Kol. 15 (Kap. 4.1.1.A); Debod I, 44– 45, §§ 112–115 (Kap. 4.3.2); Edfu V, 332, 14–333, 2 (Kap. 4.5.1.A); PDM lxi 79–94 (Kap. 6.5.2.3). Allgemein ‚Gott‘ zugeordnet wird das Befreien aus Fesseln in pInsinger, 31, 8: „der Gott läßt ihn entkommen aus dem Abschlachten, nachdem er gefesselt wurde“, vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 359. 750 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 67–68, § 26. Auch M. SMITH, pHarkness, S. 96 (a), interpretiert eine ähnliche Stelle in dem demotischen Graffito Theben 3445, Z. 13 (s. u., 6.2.5.1) dahingehend, daß Isis durch ihre funerären Funktionen den Verstorbenen von den Fesseln des Todes befreit. 751 pBerlin P. 3057, x+3, 12. Das Wort nwH ersetzt hier aber möglicherweise ein ursprüngliches nw.w „Unrecht“, vgl. dazu und zur Deutung der Stelle BACKES, „Papyrus Schmitt“, S. 160–162. Zu diesem Ritualtext vgl. Kap. 5.1.4. 752 UPZ I, S. 104–452 (Nr. 2–105); siehe dazu THOMPSON, Memphis, S. 213–265; neue ausführliche Studie: LEGRAS, Reclus grecs. Auch von Ptolemaios’ Brüdern, die sich zeitweise ebenfalls im Sarapeion aufhielten, liegen einige Schriftstücke vor, siehe z. B. ibid., S. 245–252. Die Gründe für einen (freiwilligen oder auferlegten?) ‚Einschluß‘ in einen Tempel sind nicht klar; zur Diskussion der Katoche siehe L. DELEKAT, Katoche, Hierodulie und Adoptionsfreilassung, Münchener Beiträge zur

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

beschreibt Ptolemaios seinen Aufenthaltsort allerdings noch genauer als Pastophorion im Heiligtum der Astarte (innerhalb des Sarapeionsbezirks).753 Ähnlich wie Hor dokumentierte er Träume sowie an das Königshaus oder hohe Beamte gerichtete Briefe mit Beschwerden und Bitten, außerdem aber auch Abrechnungen und andere Unterlagen, die seine wirtschaftlichen Tätigkeiten betreffen. Der Grundton ist dabei aber weitaus weniger religiös als bei Hors Texten; Ptolemaios war mehr mit seinen persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen beschäftigt.754 Von Interesse im Hinblick auf die Gottheiten Isis und Sarapis, die neben anderen ägyptischen Gottheiten (und der wohl ägyptisierten Astarte) in der Dokumentation erscheinen,755 ist eine Petition zugunsten seines jüngeren Bruders Apollonios an Ptolemaios VI.756 Darin empfiehlt er das ptolemäische Königspaar und seine Nachkommen der Obhut von Sarapis und Isis, „den größten der Götter“, an, indem er den Wunsch äußert, daß die beiden Gottheiten die Herrschaft der Dynastie über „jedes Land, das Helios bescheint,“ festigen möge. Die Formulierung geht ganz klar auf ägyptische Vorbilder zurück, so z. B. auf die Kennzeichnung eines Herrschaftsbereiches mit der gängigen Phrase „das, was die Sonne umkreist“ (bzw. „im Umkreis der Sonnenscheibe“), äg. (m) Sn (n) itn.757 Es handelt sich also um eine Übernahme offizieller Formulare, wie auch andere Briefe zeigen, die ähnliche Wünsche für die Königsfamilie beinhalten. 758 Auch den memphitischen Hypodioiketes (Gaufinanzverwalter) Sarapion, an den zahlreiche Schreiben gerichtet sind, umschmeichelt er mit guten Wünschen, z. B. daß Sarapis und Isis ihm Gunst und Beliebtheit bei Hofe gewähren mögen, als Lohn für seine (erwünschte) Frömmigkeit gegenüber den Göttern und ihren Dienern im Sarapeion.759 Eine etwas stärker persönliche Note im Hinblick auf Ptolemaios’ eigenen Glauben suggeriert die Aussage „Wir haben keine Hilfe außer von dir und Sarapis“ in einem dieser Briefe an den Hypodioiketes,760 wenngleich auch hier mit einer vor allem zweckorientierten Instrumentalisierung der Gottesnennung zu rechnen ist.

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Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte, München 1964; kritische Rez. dazu von H. BRAUNERT, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung, 82, 1965, S. 360–367; R. MERKELBACH, Zur ἐγκατοχή im Serapeum zu Memphis, in: id., Philologica. Ausgewählte Kleine Schriften, Stuttgart 1997, S. 292–295 (zuerst erschienen in: ZPE 103, 1994, S. 293–296); LEGRAS, Reclus grecs, passim; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 345–348; Renberg, Where Dreams May Come II, S. 731–733. Siehe THOMPSON, Memphis, S. 215–218. Speziell zu letzterem Aspekt siehe D. AGUT, La ΠΑΡΑΘΗΚΗ au Serapeum: les (petites) affaires de Ptolémaios, in: Jördens/Quack (Hrsg.), Zeit Ptolemaios’ VI. bis VIII., S. 276–291. Zu den innerhalb des Archivs genannten Gottheiten siehe LEGRAS, Reclus grecs, S. 253–271 u. 277. UPZ 15, Z. 42–48; UPZ 16, Z. 30–33; siehe THOMPSON, Memphis, S. 250; LEGRAS, Reclus grecs, S. 255. Dies wird z. B. häufig zur Kennzeichnung des Herrschaftsbereiches der Isis verwendet, z. B. in Dend. Porte d’Isis, Nr. 45: „die Herrscherin des Umkreises der Sonnenscheibe“ (Kap. 4.6.1.B). Vgl. z. B. UPZ 20, Z. 63–64; siehe THOMPSON, Memphis, S. 235. UPZ 33–36; siehe THOMPSON, Memphis, S. 244. Zur ägyptischen Tradition hinter derartigen Wunschformeln in Briefen an Höhergestellte siehe QUACK, From Ritual to Magic, bes. S. 49 zum Sarapeion-Archiv. UPZ 52, Z. 4–9; UPZ 53, Z. 4–9; siehe THOMPSON, Memphis, S. 244.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Ptolemaios protegierte außerdem die beiden im Kult von Sarapis und Isis tätigen 761 ägyptischen Zwillinge Thaues und Taus, und aus den von ihm in deren Namen aufgesetzten Petitionen geht hervor, daß sie in der Rolle von Isis und Nephthys im Jahr 164 v. Chr. Klagerituale für den verstorbenen Apis-Stier (Osorapis) vollzogen, und in den folgenden Jahren für seine Libationen zuständig waren. 762 Ein von Ptolemaios schriftlich festgehaltener Traum vom Jahr 159 zeugt von seiner engen Beziehung zu den Mädchen und seiner Sorge um sie, denn er betet – wohl noch im Traum – zu Sarapis und Isis für sie, wobei auch Gedanken an seinen möglicherweise nahenden Tod aufkommen.763 Das dann zitierte Gebet scheint sich aber an die Göttin allein zu richten, mit den Worten: Komm zu mir, Göttin der Götter (θεὰ θεῶν), sei gnädig und erhöre mich! Erbarme dich der Zwillinge, die du zu Zwillingen gemacht hast! Mich aber laß frei, siehe, ich habe graue Haare. Ich weiß, daß es mit mir in kurzer Zeit zu Ende sein wird; sie jedoch sind Frauen. Wenn sie befleckt werden, werden sie sicher niemals wieder rein. (UPZ 78, Z. 22–28)764 Die Anrufung an Isis weist klare Parallelen zu denjenigen des Hor (s. o., 6.2.1.1) auf. So entspricht die Anrufung „Komm zu mir“ (griech. ἐλθέ  μοι) genau der ägyptischen Gebetseinleitung im n=i, und die Beschäftigung mit dem eigenen Tod in Gebeten zu Isis findet sich ebenfalls bei Hor, wenngleich dort die Sicherheit der ordnungsgemäßen Bestattung im Vordergrund steht (s. o.). Dagegen zeugt einer der letzten Briefe von Ptolemaios’ jüngstem Bruder Apollonios im Jahr 152 v. Chr. von großer Verzweiflung angesichts der offenbar von Gewalt, Armut und Mißgunst geprägten chaotischen Zustände innerhalb der im Sarapeion lebenden Gruppierungen.765 Apollonios klagt Sarapis und die anderen Götter, auf deren durch Träume gesendeten Rat Ptolemaios vertraute, an, die Brüder fehlgeleitet zu haben und für ihre problematische Situation verantwortlich zu sein. Dies steht in starkem Kontrast zu seinen früheren Briefen, die noch von Gottesvertrauen geprägt sind. Hier wird also eine Gegenstimme zu den größtenteils von Frömmigkeit und Glauben gegenüber Isis und Sarapis zeugenden Dokumenten dieses Kapitels hörbar. Inschriften: „Sklaven von Sarapis und Isis“ Die Popularität des memphitischen Sarapeions und der dort verehrten Götter Sarapis und Isis spiegelt sich auch in griechischen Besucherinschriften wider, die in ptolemäischer Zeit unter anderem auf den Sphingen entlang des Dromos angebracht wurden.766 Die betreffenden Personen bezeichnen sich selbst sowie weitere Begleitpersonen darin jeweils als „Skla-

761 Die im Griechischen dafür verwendeten Begriffe sind θεραπεύειν (Verb) bzw. θεραπεία  (Substantiv) sowie λειτουργεῖν/λειτουργία, siehe dazu LEGRAS, Reclus grecs, S. 149–150 u. 153–155. 762 UPZ I, S. 46–47 und 177–295 (Nr. 17–58); siehe dazu THOMPSON, Memphis, S. 233–245; SCHOLL, Ἱερόδουλος, S. 476; LEGRAS, Reclus grecs, S. 153–155; KUCHAREK, Klagelieder, S. 580. 763 UPZ 78. 764 Übersetzung nach WILCKEN, UPZ I, S. 361; vgl. auch LEGRAS, Reclus grecs, S. 258. 765 UPZ 70; siehe THOMPSON, Memphis, S. 251–252; LEGRAS, Reclus grecs, S. 255–256; RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 420–421, m. Anm. 70. 766 NACHTERGAEL, Graffites du Sarapieion.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

ve (δοῦλος) von Sarapis und Isis“. 767 Die genaue Bedeutung und Implikationen dieser Designation sind allerdings unklar; eine Verbindung mit den im Sarapeion tätigen bzw. dort lebenden Hierodulen oder Enkatochoi ist unwahrscheinlich.768 NACHTERGAEL hält den Gebrauch des Wortes „Sklave“ in diesem Zusammenhang vielmehr für einen metaphorischen, der die große Frömmigkeit und enge Bindung der von ihm als Pilger interpretierten Personen zu den beiden Gottheiten ausdrücken soll.769 6.2.2 Philae (und Bigge)770 Die größte Anzahl von Graffiti und anderen Weihinschriften ist wohl im Bereich des Isistempels von Philae zu finden.771 Das Heiligtum entwickelte sich im Laufe der griechischrömischen Zeit zu dem wichtigsten Isiskultzentrum Ägyptens, das nicht zuletzt durch seine Lage an der Südgrenze des Landes auch transkulturelle Bedeutung erlangte, wie die Besucherinschriften verschiedener Bevölkerungsgruppen über einen Zeitraum von mindestens 700 Jahren eindrucksvoll demonstrieren: es finden sich sowohl ägyptische, als auch griechische, lateinische und meroitische Weihungen an die Göttin.772 Ausführlich hat RUTHERFORD im Vergleich der Graffiti untersucht, wie Pilger verschiedener Herkunft und Tradition sich auf das Heiligtum beziehen, z. B. anhand verschiedener Formulare und der Positionierung der Graffiti innerhalb des Tempelkomplexes, sowie deren unterschiedlichem Bezug

767 NACHTERGAEL, Graffites du Sarapieion, S. 347–353, Nr. 1–6. 768 Ich folge hier der Argumentation von NACHTERGAEL, Graffites du Sarapieion, S. 351–352. Zu den Hierodulen siehe SCHOLL, Ἱερόδουλος; vgl. auch ID., Tempelprostitution im griechisch-römischen Ägypten? Hierodouloi als Tempelsklaven und Tempelprostituierte?, in: T. S. Scheer (Hrsg.), Tempelprostitution im Altertum: Fakten und Fiktionen, Berlin 2009, S. 183–197; LEGRAS, Reclus grecs, S. 162–165: Es handelt sich um Personen, die in einer besonderen, möglicherweise auch wirtschaftlichen, Beziehung zu einer Gottheit stehen, jedoch weder Sklaven, noch Priester sind. Die genaue Bedeutung ist jedoch unbekannt. Wahrscheinlich besteht ein Zusammenhang mit demotischen Selbstdedikations-Urkunden, z. B. pOx. Griffith A 5 zu einer „Dienerin der Isis“ aus Soknopaiou Nesos: BRESCIANI, Archivio demotico, Nr. 57, S. 78–79. Ein ungewöhnliches, früheres Beispiel aus der Perserzeit ist DO Saqqara 2 mit einem „Diener von Osiris-Apis und unserer Gebieterin Isis, Mutter des Apis“: RAY, DO Saqqara, 16–21. Zu den Enkatochoi siehe oben, m. Anm. 752. 769 NACHTERGAEL, Graffites du Sarapieion, S. 352; vgl. auch DEVAUCHELLE, Osiris, Apis, Sarapis, S. 61. Diese Interpretation findet sich bereits bei DUNAND, Culte d’Isis I, S. 175. 770 Vgl. hierzu Kap. 4.1 mit den offiziellen Tempelinschriften. 771 Vgl. DIJKSTRA, Structuring Graffiti, S. 77; ID., Philae, S. 181–182: 450 demotische, 361 griechische, 31 meroitische und 5 lateinische Inschriften. 534 weitere demotische Graffiti mit kürzerem Text wurden nun von CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti (GPH), publiziert. 772 Siehe RUTHERFORD, Island, S. 230 u. 235. Publiziert sind die Inschriften in IG Philae; GRIFFITH, Catalogue; und ID., Mer. Inscr. II, Nr. 95–125 bzw. (Re-Edition:) J. LECLANT et al. (Hrsg.), Repertoire d’épigraphie meroïtique. Corpus des inscriptions publiées, Paris 2000, Nr. 0095–0125. Einige Verbesserungen zu den griechischen Graffiti am 1. Pylon bietet J. BINGEN, De quelques inscriptions pariétales de Philae, in: CdÉ 79, 2004, S. 249–256. Zu den bilinguen/biskripten Graffiti MOJE, Schrift- und Sprachwahl. Eine aktuelle Übersetzung zahlreicher demotischer Graffiti bietet G. VITTMANN, in: TLA; einige Ergänzungen bei VLEEMING, Demotic Graffiti. Vgl. außerdem die vorige Anm. 771 zu weiteren demotischen Graffiti.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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auf Isis.773 Die folgenden Ausführungen stützen sich vor allem auf seine Analyse, ebenso wie auf diejenige von BURKHARDT.774 6.2.2.1 Aktivitäten und Inschriftenpraxis von Ägyptern, Griechen, Römern und Meroiten in Philae In den frühesten griechischen Weihinschriften, die unter Ptolemaios III. einsetzen, wurde oft nur der Name der weihenden Person hinterlassen, manchmal auch die knappe Aussage „Ich bin hergekommen“,775 und auch unter den – erst später bezeugten – demotischen Graffiti finden sich kurze Varianten, die nur den Namen angeben.776 Aus der frühen Ptolemäerzeit sind außerdem einige wenige lateinische Dedikationen erhalten, die von frühen Reisenden aus Italien zeugen.777 Erst ab dem 1. Jh. v. Chr. beginnt die Tradition der eigentlichen Proskynemata in größerem Umfang im Bereich des Dromos.778 Die Besucher, die ihre Herkunft explizit angeben, stammen in der Ptolemäerzeit vor allem aus dem östlichen Mittelmeerraum; daneben erweisen auch lokale Mitglieder der Oberschicht und Verwaltung dem Tempel und seiner Gottheit Reverenz.779 Teilweise waren griechische Beamte auch als Priester in Philae tätig; 780 eine Statuenweihung bezeugt außerdem die Existenz eines Isiskultvereins in augusteischer Zeit.781 Nach GRIFFITH und YOYOTTE dürfte ein Großteil 773 RUTHERFORD, Island. 774 BURKHARDT, Ägypter und Meroiten. Vgl. außerdem auch DIJKSTRA, Philae, S. 175–218; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 233–242; FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae; BUMBAUGH, Meroitic Worship. 2016 wurde eine Dissertation von S. ASHBY BUMBAUGH über die nubischen/meroitischen Aktivitäten in Philae abgeschlossen (Calling out to Isis: The Enduring Nubian Presence at Philae, Diss., Univ. of Chicago 2016), konnte in der vorliegenden Studie jedoch nicht mehr berücksichtigt werden. 775 Vgl. BERNAND/BERNAND, IG Philae II, S. 9; ROCCATI, Iscrizioni greche; ID., Nuove epigrafi; RUTHERFORD, Island, S. 236–237. 776 BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, Typ 1, S. 20–22; vgl. auch RUTHERFORD, Island, S. 240. 777 ROCCATI, Nuove epigrafi, Nr. 5 (CIL I2 2 2937a–b): 116. v. Chr. Vgl. dazu VAN’T DACK, Relations, S. 393–397; RUTHERFORD, Island, S. 237; J. L. BENESS/T. HILLARD, The First Romans at Philae (CIL 12.2.2937a), in: ZPE 144, 2003, S. 203–207; GASPARINI, Santuari isiaci, S. 68. 778 RUTHERFORD, Island, S. 237–238. Zur Problematik der Datierung der frühesten Proskynemata im eigentlichen Sinne siehe J. BINGEN, Pages d’épigraphie grecque I, Attique – Égypte (1952–1982), Epigraphica Bruxellensia 1, Brüssel 1991, S. 136–137. 779 Vgl. FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae, S. 182–183; RUTHERFORD, Island, S. 238. 780 So Eraton, Archiereus und Prophet der „Isis, der sehr großen in Philae“: IG Philae 14 und 23; vgl. FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae, S. 182. 781 Siehe LOCHER, Topographie, S. 150. Kultverein: IG Philae 139, 13. v. Chr. Vgl. demotische Graffiti, die ebenfalls von Kultassoziationen zeugen: Ph. 36 (46 n. Chr.): Kultassoziation des Thoth von Pnubs; Ph. 55/GPH 55: Vorsteher der Kultassoziation (der Isis?); Ph. 412: „die große Kultassoziation“ (der Isis?); Ph. 443 (72 n. Chr.): Kultassoziation des Harpokrates; und GPH 857: „Mann der Kultassoziation“. Siehe dazu DIJKSTRA, Philae, S. 213; HUGHES, Sixth Day, S. 152–153; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 295–297. Zu Kultassoziationen und ihren ägyptischen Wurzeln vgl. F. DE CENIVAL, Les associations religieuses en Égypte d’après les documents démotiques, Paris 1972; M. MUSZYNSKI, Les „Associations religieuses“ en Égypte, in: OLP 8, 1977, S. 145–147; B. P. MUHS, Membership in Private Associations in Ptolemaic Tebtunis, in: JESHO 44, 2001, S. 1–21; allgemein: O. M. VAN NIJF, The Civic World of Professional Associations in the Roman East, Amsterdam 1997; aktuellere Ansichten bei A. MONSON, Religious Associations and Temples in Ptolemaic Tebtunis, in: J. Frösén/T. Purola/E. Salmenkivi (Hrsg.), Proceedings of the 24th International Congress of Papyrology, Helsinki, 1–7 August, 2004, Helsinki 2007, Bd. II, S. 769–780; ID., Private Associations in the Ptolemaic Fayyum: The Evidence of Demotic Accounts, in: M. Capasso/P. Davoli (Hrsg.), New Ar-

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

der demotischen Graffiti von lokal ansässigen und teilweise sogar in Diensten des Heiligtums stehenden Ägyptern hinterlassen worden sein und weniger von eigens angereisten Besuchern stammen (von den meroitischen Gesandtschaften einmal abgesehen). 782 Eine chaeological and Papyrological Researches on the Fayyum, PLup 14, Lecce 2007, S. 178–196; ID., The Ethics and Economics of Ptolemaic Religious Associations, in: Ancient Society 36, 2006, S. 221–238. 782 GRIFFITH, Catalogue I, S. 11; YOYOTTE, Pélerinages, S. 55; RUTHERFORD, Island, S. 240; vgl. allgemein dazu auch H. BEINLICH, s. v. „Wallfahrt“, in: LÄ VI, Sp. 1145–1146; J. F. QUACK, What is an Isiac Priest in the Egyptian World?, in: V. Gasparini/R. Veymiers (Hrsg.), The Greco-Roman Cults of Isis. Agents, Images and Practices, Proceedings of the VIth International Conference of Isis Studies (Erfurt, May 6–8, 2013 – Liège, September 23–24, 2013, RGRW, Leiden – Boston 2017 (i. Dr.). Graffiti von Mitgliedern des Kultpersonals, die im Heiligtum von Philae tätig waren (oder gewesen sein könnten, in den Fällen, in denen kein Toponym angegeben ist), sind: Ph. 69; 85; 210; 237; 253; 358; 424; GPH 601; 628 (?); 712; 815; 871: Prophet der Isis (von Philae); Ph. 71/GPH 71: Prophet der Isis und der Hathor(?) (und des Horus?); Ph. 29–30: Erster Prophet der Isis und […] der Isispriester der 5 Phylen; Ph. 233; 332; 351; 359; 365; 376; 396; 399; GPH 758: Erster Prophet der Isis; Ph. 230; 248; 365; 375; 436; GPH 242: Zweiter Prophet der Isis; Ph. 422: Zweiter Prophet und WabPriester der Isis von Philae; GPH 159: Zweiter Prophet und Geldverwalter der Isis; Ph. 381: Dritter(?) Prophet; Ph. 410: Propheten, Qorenes (meroit. Titel) und Verwalter der Isis, „(…) die die Aufgänge der fünf lebenden Sterne (= Planeten) kennen und die Verfinsterungszeit der Sonne und des Mondes herausfinden“; Ph. 362: Prophet des Horus und Wab-Priester der Isis; Ph. 17: Prophet des Horus; Ph. 385: Schreiber des Gottesbuches, Dritter Prophet, Wab-Priester des Horus von Edfu und Hathor von Dendara; Ph. 175: Prophet […]; Ph. 67; 121: Prophet und Gesangsvorsteher; Ph. 134: Träger des Re und Wab-Priester der Isis von Philae; Ph. 353: Träger des Re und Diener des Horus; Ph. 361: Träger des Re, Diener des Horus und Wab-Priester der Isis; Ph. 113; 211; 240; 258; 317; 343; 355; 357; 366; 370–371; 384: Schreiber des Gottesbuches (der Isis); Ph. 216: Schreiber des Gottesbuches und Wab-Priester der Isis; Ph. 360; 364: Hüter des Geheimnisses (der Isis); Ph. 43; 57; 86; 122; 309; 319; 405: Gesangsvorsteher (der Isis von Philae); Ph. 34/GPH 34; GPH 667: Tänzer der Isis (gleiche Person in beiden Graffiti); Ph. 54: Verwalter der Isis, außerdem mehrere Tänzer und Gesangsvorsteher; Ph. 55; 75; 290; 314; 327; 411; GPH 105; 753: Verwalter der Isis; Ph. 120; 251; 255: Qorene (meroit. Titel) und Verwalter der Isis; Ph. 254; 256–257: Qorene, Verwalter und Prophet der Isis; Ph. 316: Verwalter des Gottes; Ph. 421: Qorene der Isis; Ph. 403: Chuite (meroit. Titel) der Isis; Ph. 417: Arebetanki (meroit. Titel) der Isis; Ph. 315: Vorsteher des Schreines(?) der Isis vom Abaton; Ph. 89; 93–96; 98–100; 106–107; 109; 114; 117–118; 125; 130; 134; 136; 138; 142–143; 145; 147–148; 150; 153; 156; 158; 161; 169; 174; 181; 183–185; 191–192; 196–198; 200–201; 203–206; 214–215; 218; 221; 234; 274; 386; 396; 413; 415; 418; 426–427; 429; 434–435; 448; GPH 607 (?); 640; 645; 650; 654; 689–690; 698; 710–711; 718; 724; 734; 740; 748; 755; 778; 782; 819; 821; 857; 870; 876; 892; 894; 904; 944; 958; 975; 979; 986; 988; 999: Wab-Priester der Isis (von Philae); GPH 39: Goldschmied und Wab-Priester der Isis (von Philae); GPH 580: Wab-Priester der Isis vom Abaton; GPH 157; 368: Wab-Priester und Bäcker der Isis (von Philae); GPH 856: WabPriester und Schiffsmann (nf) der Isis; GPH 217: Wab-Priester der Isis (von Philae) und Oberster Türhüter der Hathor (von Philae); Ph. 37: Wab-Priester des Harendotes, die Wab-Priester und Pastophoren der Isis der 5 Phylen; Ph. 123; 131; 137; 139; 149; 154; 164; 170–171; 178; 182; 190; 199; 280; 286; 348–349; 401; GPH 563; 600; 770; 863; 929; 931; 1008; 1027: Oberster Türhüter der Isis; Ph. 60: Türhüter(?) der Isis von Philae, außerdem Prophet der Isis, Tempelschreiber; Ph. 207: Türhüter des Abaton; Ph. 3: Oberster Pastophor; GPH 934: Wächter(?) (rs) der Isis; Ph. 223: Lesonis; Ph. 412: Lesonis der großen Kultassoziation; Ph. 23; 248: Vorsteher von […] der Isis (vom Abaton); Ph. 65: Diener der Isis von Philae; Ph. 393: Transportschiffer des Horus v. Edfu und der Isis v. Philae; Ph. 388: Transportschiffer des Horus v. Edfu, der Isis v. Philae und des Osiris v. Abaton; Ph. 387: Transportschiffer des Horus v. Edfu; Ph. 180; GPH 833: Oberster des Landeplatzes oder Oberster Reisebeauftragter (o. ä.) (Hrj nae) der Isis; Ph. 283: […] der Isis. Daneben sind außerdem zahlreiche Handwerker wie Bäcker, Goldschmiede und Steinmetze in Diensten der Isis von Philae belegt.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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ganze Reihe von Personen hat gleich mehrere Graffiti in Philae hinterlassen.783 Aus der Kaiserzeit gibt es nur ein einziges Proskynema in lateinischer Sprache,784 daneben außerdem die dreisprachige (ägyptisch-hieroglyphisch, griechisch und latein) Stele des C. Cornelius Gallus, des Präfekten Ägyptens in den ersten Regierungsjahren des Augustus.785 Diese stellt in erster Linie ein politisches Denkmal mit historischem Inhalt dar, das aber nach ägyptischer Tradition die lokalen Triaden von Philae und des Kataraktgebietes mit einbindet, und unter anderem auch Stiftungen zugunsten der Heiligtümer festhält, die vor allem in dem wesentlich längeren hieroglyphischen Text betont werden.786 Trotz der zunehmenden Bedeutung des Isiskultes im westlichen Mittelmeerraum sind auffallend wenige Besuche von Personen aus diesem Einzugsgebiet bezeugt. 787 Die Besucherinschriften der Römerzeit konzentrieren sich insgesamt besonders auf das 1. Jh. v.– 3. Jh. n. Chr., wobei für die demotischen ein starker Anstieg im 3. Jh. zu verzeichnen ist, 788 danach schwindet die Gesamtzahl mehr und mehr – ein Trend, der jedoch auch an den abnehmenden Zeugnissen für Besucher in anderen großen Heiligtümern im Mittelmeerraum zu beobachten ist und sich daher wohl veränderten religiösen Bedürfnissen der Bevölkerung zuschreiben läßt.789 Die griechischen Proskynemata der Ptolemäerzeit weisen zum Großteil einen relativ einheitlichen, einfachen Aufbau mit den Formeln „Name X/ich ist/bin zur Herrin Isis gekommen, (Datum Y)“ oder „Ich habe das Proskynema gemacht für die Herrin Isis…“ auf. 790 Da derartige Inschriften hauptsächlich – die des letzteren Typs mit der ausdrücklichen Bezeichnung „Proskynema“ sogar ausschließlich – aus Ägypten bekannt sind,791 hält RUTHERFORD es für möglich, daß sie von den ägyptischen Dedikationen der Form „die Anbetung (tA wSt.t) der Gottheit X“ abhängig sind, die sich ebenfalls in großer Anzahl in Philae finden.792 Tatsächlich erscheint diese demotische Verehrungsformel aber erst in den Graffiti der Römerzeit, so daß es sich wohl mit THISSEN eher um eine ägyptische Übertragung des griechischen τὸ προσκύνημα handeln dürfte.793 Wahrscheinlich wurden

783 784 785 786 787 788 789 790 791 792 793

Auch im Tempel von Bigge finden sich mehrere Graffiti, in denen teilweise Priesterämter (wohl der Isis von Philae?) angegeben werden: Bīja 3: Schreiber des Gottesbuches der Isis; Bīja 4: Wab-Priester der Isis von Philae und vom Abaton; Bīja 6: Schreiber des Gottesbuches und erster Prophet der Isis (= Person in Ph. 240; 332; 343; 366); Bīja 9: Verwalter und Schreiber des Gottesbuches (= Person in Ph. 145; 224; 231; 317). Vgl. CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 23–24. IG Philae 147; RUTHERFORD, Island, S. 239. Siehe dazu die Neuedition von F. HOFFMANN/M. MINAS-NERPEL/St. PFEIFFER, Die dreisprachige Stele des C. Cornelius Gallus. Übersetzung und Kommentar, APf Beiheft 9, Berlin – New York 2009. Siehe F. HOFFMANN/M. MINAS-NERPEL/St. PFEIFFER, op. cit., S. 74–112. Vgl. RUTHERFORD, Island, S. 239. Vgl. die Statistik griechischer und demotischer Graffiti der nachchristlichen Jahrhunderte bei DIJKSTRA, Philae, S. 182. Vgl. RUTHERFORD, Island, S. 239–240; siehe z. B. für Samothrake S. G. COLE, Theoi Megaloi: The Cult of the Great Gods at Samothrace, Leiden 1984, S. 97–100. Vgl. zu den Formeln FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae, S. 183–185 u. 193–194; RUTHERFORD, Island, S. 237. Vgl. auch DIJKSTRA, Philae, S. 187. RUTHERFORD, Island, S. 237 u. 240. Er hält aber auch eine umgekehrte Beeinflussung nicht für ausgeschlossen. Zur demotischen Formel vgl. BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, Typ 2, S. 22–25. THISSEN, Die demotischen Graffiti, S. 202.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

die griechischen Proskynemata von der ägyptischen Graffiti-Tradition inspiriert, brachten aber eine neue, eigene Form auf, die wiederum in ägyptischer Sprache ‚kopiert‘ wurde.794 Ebenso häufig und bereits älter ist in den ägyptischen Graffiti nämlich der Wunsch, daß „der gute Name vor der Gottheit bleiben möge“ (rn nfr mn ty m-bAH X).795 Die griechisch belegte Formel „Ich bin gekommen…“ ist aus ägyptischen Besucherinschriften des NR gut bekannt, 796 wird jedoch in den demotischen Graffiti nicht mehr verwendet. Die Hinterlassenschaften in meroitischer Sprache können bisher nur teilweise verstanden werden; zumindest die immer wiederkehrende Form tiwisti dürfte aber tatsächlich eine Transkription des demotischen tA wSt.t darstellen.797 Die demotischen Graffiti enthalten im Gegensatz zu den griechischen häufig auch offizielle Dokumente wie Vereinbarungen und Eide.798 Weitere Inschriften enthalten andere Informationen oder Formeln, die sich keinem der typischen Formulare zuordnen lassen.799 Seit jeher werden in ägyptischen Privatinschriften abschließende Drohformeln benutzt, die sich gegen etwaige Zerstörungen oder Mißachtungen der eigenen Hinterlassenschaften richten. In einigen demotischen Graffiti von Philae wird diese Tradition ebenfalls fortgesetzt, und im 5. Jh. schließlich auch auf griechischsprachige Inschriften (von ägyptischen(?) Priestern) übertragen.800 Meist wird dabei mit einer Strafe durch Isis selbst gedroht.801

794 Vgl. VOLOKHINE, Déplacements pieux, S. 84; ebenso DIJKSTRA, Philae, S. 187–188; knapper PFEIFFER, Inschriften, S. 215–217, Nr. 45 (mit Bezug auf die griechische Praxis: Tradition und Formular aus dem Ägyptischen übernommen). 795 Siehe BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, Typ 3, S. 26–29. Eine Zusammenfassung zu den Typen 1–3 auch bei DIJKSTRA, Philae, S. 188. Vgl. zu den Formularen in Philae auch die Übersicht der teilweise abweichenden verwendeten Formeln in den demotischen Graffiti von Medinet Habu bei THISSEN, Die demotischen Graffiti, S. 196–202. Eine Gesamtübersicht der verschiedenen Formulare für ganz Ägypten jetzt bei MOJE, Entwicklung, S. 297–299. 796 Siehe z. B. YOYOTTE, Pélerinages, S. 53 u. 57–58; P. J. PEDEN, The Graffiti of Pharaonic Egypt. Scope and Roles of Informal Writings (c. 3100–332 B. C.), PÄ 17, Leiden – Boston – Köln 2001, S. 58–118; VOLOKHINE, Déplacements pieux, S. 77–78. 797 Vgl. GRIFFITH, Mer. Inscr. II, S. 49; N. B. MILLET, Meroitic Religion, in: F. Hintze (Hrsg.), Meroitistische Forschungen 1980, Akten der 4. Internationalen Tagung für meroitistische Forschungen vom 24. bis 29. November 1980 in Berlin, Meroitica 7, Berlin 1984, S. 111–121: 113; TÖRÖK, Meroitic Religion, S. 178–180; RUTHERFORD, Island, S. 245. 798 Z. B. Ph. 65: Schwur eines Dieners (bk) der Isis, 78 n. Chr.; Ph. 54: Abstandsschrift eines Verwalters (rd) der Isis, 30 n. Chr. Siehe BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, Typ 4, S. 29–30; vgl. auch RUTHERFORD, Island, S. 240; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 233–234, mit Neuübersetzung von Ph. 58. 799 BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, Typ 5, S. 31. 800 Ph. 244; 269; 416–417; 422; 159; 450; IG Philae 190–191. Vgl. dazu DIJKSTRA, Philae, S. 191; und allgemein zu den Drohformeln mit dem Begriff xyv RITNER, Eternal Curse; zur korrekten Etymologie (< xryv < xr.tw „göttlicher Ausspruch, Dekret, Orakelentscheid“) QUACK, Dekret, S. 230, mit Anm. 32; ID., Philologische Bemerkungen zu den Dokumenten vom Atmen im British Museum, in: LingAeg 20, 2012, S. 271–280: 275; ID., Fieser Fluch oder gütliche Einigung? Das Rätsel des Holzobjekts ÄMUL 5512, in: ZÄS (in Vorb.). 801 Vgl. zu Isis als strafender Göttin auch pCarlsberg 652 vs., Frg. 1, x+1, 13 und PSI Inv. D 79, Frg. 1, x+1, x+10, Kap. 6.1.4, und literarische Erzählungen, Kap. 6.4.1.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Insgesamt ist auffällig, daß sich demotische, meroitische und griechische Graffiti auf unterschiedliche Teile des Tempels konzentrieren.802 Demotische Graffiti finden sich in besonders großer Zahl im Mammisi, weitere sind auch an anderen Stellen zu lokalisieren, so am Kiosk des Nektanebes, an den Pylonen und der Kolonnade. Die meroitischen und meroitisch-demotischen Besucherinschriften nehmen vor allem das Hadrianstor sowie das „Meroitische Zimmer“ und das Mammisi ein. Griechische Inschriften befinden sich vor allem an gut sichtbaren, exponierten Stellen: Sie häufen sich massiv am 1. Pylon, besonders auf seiner Südseite, wo sie teilweise noch vor der offiziellen Reliefdekoration unter Ptolemaios XII. angebracht wurden, da sie sich darunter befinden. In römischer Zeit weiten sie sich auch auf die Bereiche des 2. Pylons, der Kolonnade, des Kiosks des Nektanebes und schließlich, nach seiner Fertigstellung, auch des Hadrianstors aus, das als Ausgangspunkt für die Überfahrt der Isis nach Bigge diente und im 3. Jh. auch insgesamt der beliebteste Ort für Graffiti zu sein scheint.803 Die entsprechenden Inschriften wurden wohl bei Besuchen anläßlich der festlichen Barkenprozessionen angebracht. 804 Im Gegensatz zu den ägyptischen und meroitischen Weihenden sind die griechischen Besucher jedoch nicht in das Mammisi und kaum in das Haupttempelhaus vorgedrungen, was eventuell durch Zugangsbeschränkungen für Nichtägypter/-meroiten bzw. Personen, die nicht in den Kult involviert waren, zu erklären ist: Die demotischen Graffiti im Mammisi stammen fast ausschließlich von Priestern oder anderem Kultpersonal der Isis.805 Erst im frühen 5. Jh. n. Chr. werden die letzten demotischen und griechischen Graffiti einer Priesterfamilie auch auf dem Dach des Naos und an der dortigen Osiriskapelle angebracht.806 Gesandtschaften von meroitischen Priestern und Verwaltern (dem. rd) der Isis sowie Beamten des meroitischen Königs besuchten regelmäßig den Tempel von Philae anläßlich des

802 Vgl. RUTHERFORD, Island, S. 240 u. 250–252; DIJKSTRA, Philae, S. 183–185; CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 10–45. 803 Vgl. FESTUGIERE, Proscynèmes de Philae, S. 186. 804 Ausdrücklich erwähnt in Ph. 421 (227/8 n. Chr.: Einweihungsfest der Kapelle/des Schreines der Isis vom Abaton), vgl. BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 68. Zur festlichen Überfahrt von Philae zum Abaton vgl. Kap. 4.1. Die Praxis des Ausführens von Proskynemata speziell zum Anlaß kultischer Feste bezeugt auch ein griechischer Brief aus dem Raum von Hermopolis von 118 n. Chr., in dessen Abschlußformel der Architekt Herodes dem Strategen Apollonios versichert: „Das Proskynema für dich habe ich bei den Opfern für Isis in der Nacht an ihrem Geburtstag verrichtet und ich betete dafür, daß du noch mehr die stärksten Fortschritte machen würdest.“; U. WILCKEN, Die Bremer Papyri, APAW, Berlin 1936, S. 45–51, Nr. 15. Zu Isis’ Geburtstagsfest, der „Nacht des Kindes in seinem Nest“, siehe oben, Kap. 4.6. 805 Siehe Ph. 94–242. Vgl. oben, Anm. 782. 806 Siehe dazu und ausführlich zu der Familie BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 36–39; EAD., Zu späten heidnischen Priestern in Philae, in: P. Nagel (Hrsg.), Graeco-Coptica. Griechen und Kopten im byzantinischen Ägypten, Halle 1984, S. 77–83; DIJKSTRA, Philae, S. 193–218; ID., Les derniers prêtres de Philae, un mystère?, in: Égypte Afrique et Orient 60, 2011, S. 57–66; E. CRUZ-URIBE, The Death of Demotic at Philae. A Study in Pilgrimage and Politics, in: T. A. Bácz (Hrsg.), A Tribute to Excellence. Studies in Honor of E. Gaál, U. Luft, L. Török, Budapest 2002, S. 163–184; ID., Death of Demotic Redux; ID., Demotic Graffiti, S. 8–9; RUTHERFORD, Island, S. 249 u. 253; MOJE, Kultwissen, S. 134–140, Dok.07–12. Siehe auch unten.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

osirianischen Choiakfestes,807 das in der feierlichen Überfahrt der Göttin zum Abaton am 22. Choiak gipfelte,808 sowie zu anderen Festen (demotisch allgemein mit a(y)q(e) bezeichnet).809 Teilweise waren die Besuche wohl auch politisch motiviert.810 Einige der meroitischen Amtsträger tragen die Titel pA imj-rA mSa n pA mw (bzw. meroitisch pelmoS atolis) „der General des Wassers“, der möglicherweise direkt mit der kultischen Funktion auf den Pilgerfahrten, die ja auf dem Nil stattfanden, zusammenhängt.811 Zudem sind in Ph. 388 und Ph. 393 zwei ägyptische Brüder, die jeweils den Titel nf alal „Transportschiffer“ des Horus von Edfu, sowie von Isis und Osiris von Philae tragen, genannt.812 Auch Graffiti mit Darstellungen von Booten, insbesondere an der Westkolonnade, dürften sich auf die Festprozessionen zu Wasser beziehen.813 Der Höhepunkt meroitischer Aktivität auf Philae koinzidiert mit der Spitzenanzahl demotischer Graffiti im 3. Jh. n. Chr.814 Die Reisenden hinterließen Inschriften, die in erster Linie in meroitischer Kursive und Demotisch geschrieben wurden, vereinzelt aber auch in Griechisch.815 Eine der frühesten Quellen für die meroitischen Besuche bildet aber eine in augusteischer Zeit am 1. Pylon angebrachte griechische Versinschrift, die von der Ankunft äthiopischer Schiffe mit Naoi in Philae berichtet.816 Die Graffiti der meroitischen Besucher selbst setzen in größerer Menge ab dem späten 2. Jh. n. Chr. ein und konzentrieren sich 807 Demotische Inschriften (von Meroiten, ägyptischen Priestern und anderen Besuchern): Ph. 240; 366; 416: 1. Choiak; Ph. 271: 5.(?) Choiak; Ph. 365: 6. Choiak, bzw. 16. nach MOJE, Kultwissen, S. 138, Dok.11; Ph. 449: 9. Choiak; Ph. 375: 10. Choiak; Ph. 120–121 u. 403: 11. Choiak; Ph. 252: 17. u. 24. Choiak; Ph. 328: 19. Choiak; Ph. 370: 20. Choiak; Ph. 290 u. 369: 21. Choiak; Ph. 266: 24. Choiak; Ph. 52; 276: 25. Choiak; Ph. 53: 27. Choiak; Ph. 396: 29. Choiak; Ph. 372 (= IG Philae 186); 416: Choiak; Ph. 289; 301; 310–311; 320: Erwähnung der (jährlichen) Angelegenheiten des Osiris. Vgl. dazu DIJKSTRA, Philae, S. 204 (allerdings nicht mit allen Belegen); und M. SMITH, Following Osiris, S. 454. Auch einige griechische Besuche dürften dem Datum der Inschriften nach zu diesem Anlaß stattgefunden haben. Griechische Inschriften der Ptolemäerzeit: IG Philae 58: 1. Choiak. Griechische Inschriften der Kaiserzeit: I. Thèbes 328: 7. Choiak; IG Philae 196: 15. Choiak; IG Philae 197: 23. Choiak; IG Philae 164: 25. Choiak. Speziell zu den auf dem Dach des Tempels anläßlich des Choiakfestes angebrachten Graffiti auch COLIN, Le parfumeur, S. 77–81. 808 Siehe dazu DIJKSTRA, Philae, S. 203; BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 67. 809 Vgl. dazu DIJKSTRA, Philae, S. 208–209, m. Anm. 87. RUTHERFORD, Island, S. 246; und BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 67, verstehen den allgemeinen demotischen Ausdruck fälschlich als ein spezielles Fest des „Eintretens“; CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 37–38, versteht es dagegen als „Einweihungsfest“ (fertiger Bauteile). Zur weiter gefaßten Bedeutung des Wortes vgl. auch KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 113–114. 810 RUTHERFORD, Island, S. 247. 811 Vgl. dazu I. HOFMANN, Zur Bedeutung des Titels pelmoš atolis, in: MNL 17, 1976, S. 36–40. Vgl. auch RUTHERFORD, Island, S. 255, m. Anm. 80. 812 Vgl. auch GPH 647 (ebenfalls ein Transportschiffer des Horus von Edfu). Siehe dazu die Diskussion dieser (und ähnlicher, bereits früher belegter) Titel bei S. VINSON, The Nile Boatman at Work, MÄS 48, Mainz 1998, S. 134–136. Vgl. auch einen Titel im Graffito Silsila 306: nf arar n pr-As.t. 813 Vgl. CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 13 u. 15. 814 DIJKSTRA, Philae, S. 183. 815 Vgl. BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 66; RUTHERFORD, Island, S. 246. 816 IG Philae 158 II; FHN II, Nr. 170 II, S. 711–713; vgl. dazu RUTHERFORD, Island, S. 243; VOLOKHINE, Déplacements pieux, S. 92; LOCHER, Topographie, S. 123; E. WINTER, Inscriptions et reliefs du Temple de Philae dans la documentation des deux derniers siècles, in: Égypte Afrique et Orient 60, 2011, S. 17–29: 25; É. BERNAND, Pèlerins, S. 57–58; TÖRÖK, Between Two Worlds, S. 453. Siehe zu dieser Inschrift auch unten, Kap. 6.2.2.2, mit Wiedergabe des vollständigen Textes.

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innerhalb des Heiligtums auf das Mammisi und das Hadrianstor sowie das nach ihnen benannte „Meroitische Zimmer“, in welchem drei Wände mit Inschriften und Zeichnungen bedeckt sind.817 Ein Großteil der ausführlicheren meroitischen Zeugnisse ist Angehörigen der weitverzweigten Wayekiye-Familie zuzuordnen, die im 3. Jh. offenbar großen Einfluß in der Dodekaschoinos und speziell in Philae hatten.818 Sie waren tätig als Isispriester und Verwalter des meroitischen Königs, und sind in den figürlichen Graffiti im „Meroitischen Zimmer“ in den 250er Jahren 819 auch in ihrer Prozession nach Philae und zurück dargestellt, wobei sie Palmzweige in den Händen tragen, ein häufig in Verbindung mit Proskynemata, Opfertischen u. a. vorkommendes Emblem in Nubien.820 In den teilweise recht ausführlichen demotischen Gebeten berichten die angereisten Amtsträger auch von den reichen Gaben, die sie für die Ausstattung des Heiligtums mitgebracht haben (teilweise im Auftrag des meroitischen Königs), so z. B. Götterstatuen oder Gold für solche, 821 Silber für Isis 822 oder für das Auskommen der Priester, Libationsgefäße, Räuchergeräte, Sistren und anderes Kultgerät aus Gold,823 sowie eine neu gefertigte Kapelle bzw. einen Schrein der Isis vom Abaton.824 Ein Mann namens Tami mit dem meroitischen Titel „Arebetanki der Isis“ verrichtet insgesamt zehn Jahre lang Dienst am Tempel von Philae.825 Davon verbringt er drei Jahre an Ort und Stelle, wo er Lampenöl, Kuchen, Weihrauch und Brot für die Feste der Isis abmißt. Außerdem pflanzt er vier Perseabäume im Abaton sowie auf Philae und bestreicht die Barke der Isis mit Pech. Auch in die Krönung oder Bekränzung eines Propheten ist er involviert. 826 Neben den Schriftzeugnissen könnte auch eine hellenistische Terrakotte in Budapest, die eine kniende, 817 Ausführlich dazu TÖRÖK, Two Meroitic Studies, S. 217–229; ID., Remarks on the Meroitic Chamber in Philae, in: Études nubiennes, Colloque de Chantilly, 2–6 Juillet 1975, BdÉ 77, Paris 1978, S. 313– 316; ID., Between Two Worlds, S. 468–469; vgl. auch BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 67 u. 69; RUTHERFORD, Island, S. 243; 245; CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 7–10. 818 TÖRÖK, Two Meroitic Studies, S. 219–220; ID., Between Two Worlds, S. 456–464; und BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 89–96 (jeweils mit Stammbaum); vgl. auch BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 69; RUTHERFORD, Island, S. 243–244. 819 Zur Datierung siehe TÖRÖK, Two Meroitic Studies. 820 Vgl. zu den Palmzweigen und ihrer Bedeutung in Nubien L. V. ŽABKAR, A Hieracocephalos Deity from Naqa, Qustul and Philae, in: ZÄS 102, 1975, S. 143–153: 148–149; RUTHERFORD, Island, S. 245; BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 69. ROEDER, Blumen der Isis, hielt die Palmzweige irrig für spezielle ‚Isisblumen‘; T. SAKAMOTO, „Isisblumen“ au Pays de Kouch: Bilan et Perspectives, in: JARCE 53, 2017, S. 91–103, scheint jetzt diese Idee wieder aufzugreifen. 821 Ph. 254: Wigti stiftet vergoldete Götterstatuen des Osiris und der Isis, damit Isis ihn und seine Tochter jedes Jahr wieder nach Philae bringt und lange Lebenszeit spendet. 822 Ph. 25. 823 Ph. 416 (253 n. Chr.); vgl. POPE, Demotic Proskynema; BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 68; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 235–238; KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 103–104; CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 38–39. Teilweise werden griechische Lehnwörter zur Bezeichnung bestimmter Objekte verwendet (Phiale und Protome), was möglicherweise darauf hindeutet, daß auch hellenistische Ausstattung in den Tempel Einzug hielt, vgl. POPE, Demotic Proskynema, S. 92, K). 824 Ph. 421. 825 Ph. 417; IG Philae 181; vgl. dazu auch BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 68; zu den in Tamis Bericht enthaltenen historischen Informationen TÖRÖK, Two Meroitic Studies, S. 228; ID., Between Two Worlds, S. 467; CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 39. 826 IG Philae 181.

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libierende Kultdienerin mit nubischen Zügen, dreiteiligem Gewand mit Fransenborte und einem floralen Kranz auf dem Kopf zeigt, von den Aktivitäten der Meroiten im Isiskult (von Philae?) zeugen.827 Statuen wurden aber nicht nur von Meroiten und ägyptischen Priestern,828 sondern auch von Griechen und Römern gestiftet: so hat Iul[ios Ko?]marchos zur Zeit des Augustus 13 v. Chr. eine Statue der Isis für einen Kultverein errichtet. 829 Daneben gibt es griechische Weihinschriften, die die Dedikation von Altären,830 Naoi831 u. a.832 festhalten. Weitere Amtsträger, die teilweise in Diensten anderer Heiligtümer stehen, berichten von den Renovierungs- und Dekorationsarbeiten, die sie am Tempel ausführten oder ausführen ließen: Thothsotem, der Lesonis des Amun von Djeme, läßt 6 n. Chr. eine Säule und ein Kapitell(?) von einem bekannten Steinmetzen herstellen.833 Ein Priester von Dendara mit zahlreichen Titeln, darunter dem eines Priesters der „Isis vom Haus der Ewigkeit“ (As.t n pr-D.t), leiht seine Handwerker und Ausstattung für die Tempeldekoration in Philae aus.834 Da seine genannten Ämter exakt mit denen des gut bekannten Strategen von Dendara Pschenpachy/Ptolemaios, Sohn des Pana, übereinstimmen, geht CAUVILLE davon aus, daß das Graffito in Philae ebenfalls von diesem stammt.835 Mehrfach wird in weiteren Graffiti vom Anfertigen, Erneuern oder Vergolden von Götterstatuen durch entsprechende ägyptische Handwerker berichtet. 836 Noch 268 n. Chr. erneuerte Pachom, Sohn des Asklepiades, Oberster der Obersten des Tempels der Isis, die Bemalung(?) der Wandreliefs.837 Zudem besorgte er laut einem weiteren Graffito im Jahr 258/9 zusammen mit seinem Bruder Teos die „Ausstattung/Angelegenheiten (smv) des Osiris“.838

827 TÖRÖK, Between Two Worlds, S. 1–6; Taf. 2–5. 828 Noch im 4. Jh. n. Chr. überzieht der Pterophor PA-dj-As.t-nfr.t eine Statue der Kleopatra (VII.?) mit Gold: Ph. 370, siehe dazu DIJKSTRA, Philae, S. 204–205; MOJE, Kultwissen, S. 129–131, Dok.03,b. 829 IG Philae 139; vgl. dazu LOCHER, Topographie, S. 148. Des weiteren handelt es sich bei IG Philae 10 und 12 um Statuenbasen. 830 Z. B. IG Philae 18 (Altäre und ein Libationstisch im Namen von Ptolemaios VIII.); 20 (Altar für Kolanthes, Pan und Demetrios); 25 (Votivaltar). 831 IG Philae 16. 832 IG Philae 178 (Weihung einer Art Omphalos, 197–217/8 n. Chr.). 833 Ph. 27. 834 Ph. 244. Siehe dazu KOCKELMANN, Wem gehören die Götter?, S. 93–94, m. Anm. 88. 835 S. CAUVILLE, Dieux et prêtres à Dendera au Ier siècle avant Jésus-Christ, in: BIFAO 91, 1991, S. 69– 97: 83; vgl. auch CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 28–29, der den Autor des Graffitos ebenfalls „Ptolemaios“ nennt. Vgl. dagegen jedoch die berechtigte Kritik von KOCKELMANN, Wem gehören die Götter?, S. 93–94, m. Anm. 88. Zu den zahlreichen Inschriften von Ptolemaios, S. d. Pana, in Dendara siehe unten, Kap. 6.2.8; zu „Isis vom Haus der Ewigkeit“ vgl. auch LGG I, 72b. 836 Ph. 317; 339. Vgl. auch die Grabstele Aswan 1057, auf der ein lokaler Offizier und Priester von Chnum und Isis namens Petiese von seinen Arbeiten und Gaben für mehrere Tempel berichtet, darunter eine goldene Harfe und ein Türriegel(?) für den Tempel von Philae; siehe J. D. RAY, A pious soldier: stele Aswan 1057, in: JEA 73, 1987, S. 169–180. 837 Ph. 269. So gedeutet (der Text ist schlecht erhalten) von GRIFFITH, Catalogue, S. 87. 838 Ph. 273. Weitere Graffiti von Mitgliedern derselben Familie sind Ph. 301 (von Teos); 304 (Teos und Bruder Petephowt); 330 (Pachom); 302 (Bilingue = IG Philae 182) u. 303 (Asklepiades, Sohn v. Petephowt), vgl. GRIFFITH, Catalogue, S. 88.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Trotz der zunehmenden Christianisierung Ägyptens in der Spätantike wurde der Kult auf Philae noch relativ lange fortgeführt. Noch im späten 4. und in der ersten Hälfte des 5. Jhs. n. Chr. hat es nach Ausweis von 24 demotischen und 11 griechischen Graffiti, die sich hauptsächlich auf dem Dach des Tempels und des Mammisis befinden, Priester auf Philae gegeben.839 Ein Pasnous, Sohn von Pachoumios, nennt sich außerdem 456/7 n. Chr. noch Protoklinarchos, was nur den ersten Vorsitzenden einer Kultgenossenschaft meinen kann.840 Die Onomastik legt nahe, daß es sich um Mitglieder einer einzelnen Famlie handelte, die den Isiskult – wohl in stark zusammengeschrumpftem Umfang – weiter betrieben. 841 Einige dieser Weihinschriften sind mit Darstellungen von Füßen verbunden und/oder benutzen die Formel: „Die Füße (dem. pte, meroit. Stqo, gr. πόδας) des NN“.842 Der Brauch der Fußdarstellungen war in der Kaiserzeit im ganzen Mittelmeerraum verbreitet,843 kann in Ägypten aber auf Vorläufer aus dem NR zurückverfolgt werden.844 Auch ist ein Großteil der entsprechenden Relikte außerhalb Ägyptens mit einer Weihung an Isis, Sarapis und andere Gottheiten ihres Kreises verbunden.845 Mit den ‚Fußabdrücken‘ wird die Präsenz des Gläubigen (häufig auch von Priestern) vor der Gottheit quasi im Stein verewigt. Es sei an die ägyptische Formulierung rn nfr mn ty m-bAH X sowie an das griechische „Ich bin gekommen“ in zahlreichen Graffiti erinnert.846 Der Historiker Priscus berichtet, daß die Blemmyer und Nobaden, nachdem sie von Maximinus, General des Kaisers Marcianus (450–457), besiegt worden waren, in einem

839 Vgl. oben, Anm. 806. 840 IG Philae 199; vgl. DIJKSTRA, Philae, S. 213–214; MOJE, Kultwissen, S. 139–140, Dok.12,d. Zu Kultassoziationen vgl. oben, Anm. 781. 841 Ein Stammbaum der Familie nach den Inschriften bei BERNAND/BERNAND, IG Philae II, S. 241; BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 37; kürzlich korrigiert auf nur noch 3 (statt 5) Generationen von DIJKSTRA, Philae, S. 199–200. 842 Ph. 235 (Pachnum, d. J., S. d. Panechate, d. Ä.); Bilingue Ph. 237 = Mer. Inscr. 116 (Esmet, S. d. Pachom); Ph. 242 (Esmet, d. J., S. d. Petearnufe); Ph. 377 (Panechatetchem); Ph. 445 (Bek, S. d. Tetu); Bilingue Ph. 376 = IG Philae 188 (Smetchem, S. d. Pachoumios, 1. Prophet d. Isis von Philae, 408/9 n. Chr.); IG Philae 189 (Pachomios, 411/2 n. Chr.); 196 (Smetchem, S. d. Pachomios, Prophet, 452 n. Chr.); 198 (Smetachates, S. d. Smeto, 454/5 n. Chr.). Siehe dazu BERNAND/BERNAND, IG Philae II, S. 219; FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae, S. 196; TÖRÖK, Meroitic Religion, S. 177 u. 180; S. A. TAKÁCS, Divine and Human Feet: Records of Pilgrims Honouring Isis, in: J. Elsner/I. Rutherford (Hrsg.), Pilgrimage in Graeco-Roman and Early Christian Antiquity: Seeing the Gods, Oxford 2005, S. 353–369; DIJKSTRA, Syene I, S. 43–46; und besonders DUNBABIN, Ipsa deae vestigia. 843 Vgl. FESTUGIERE, Proscynèmes de Philae, S. 196. 844 Siehe H. JACQUET-GORDON, The Graffiti on the Khonsu Temple Roof at Karnak. A Manifestation of Personal Piety, Temple of Khonsu III, OIP 123, Chicago 2003; L. CASTIGLIONE, Tables votives à empreintes de pied dans les temples d’Égypte, in: ActaOrientHung 20, 1967, S. 239–252. 845 Vgl. DUNBABIN, Ipsa deae vestigia, S. 86; PUCCIO, Pieds, S. 143–149. Ungewöhnlich viele Weihungen mit Fußabdrücken finden sich aber auch in Heiligtümern verschiedener Gottheiten in Nordafrika, siehe DUNBABIN, Ipsa deae vestigia, S. 91–94. Zur möglichen Bedeutung, speziell in Verbindung mit Inschriften in Heiligtümern außerhalb Ägyptens, vgl. auch RENBERG, Divine Communications, S. 662–664. 846 Vgl. dazu VOLOKHINE, Déplacements pieux, S. 84–85; DIJKSTRA, Philae, S. 189.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Friedensvertrag weiterhin das Recht zugesichert bekamen, sich auf Pilgerreise nach Philae zu begeben, um die Statue der Isis (u. a. zu Orakelzwecken) mitzunehmen.847 Offiziell wurde die Verehrung der heidnischen Gottheiten auf Philae erst mit der gewaltsamen Schließung des Tempels unter Justinian 535–537 beendet, wenngleich der organisierte Kult wohl schon im 5. Jh. langsam aufhörte.848 6.2.2.2 Das Bild der Isis in den Graffiti Die übergeordnete Bedeutung von Isis auch für die Besucher des Tempels zeigt sich unter anderem darin, daß das Gros der Weihinschriften und Proskynemata ausschließlich an sie selbst gerichtet ist; nur vereinzelte Ausnahmen schließen auch die synnaoi theoi oder „die Götter des Abaton“ mit ein. 849 Während die demotischen Texte desöfteren auch an die ganze göttliche Familie Isis, Osiris und Horus gerichtet sind,850 wird diese Triade in der hellenisierten Form mit Sarapis statt Osiris in den griechischen Inschriften kaum genannt. 851 In ptolemäischer Zeit scheint Horus bzw. Harpokrates neben Isis eine gewisse Rolle auch in den Weihinschriften zu spielen; 852 der unter Ptolemaios III. angebrachten griechischen Bauinschrift an der Tür zum Naos zufolge ist sogar der ganze Tempel Isis und Harpokrates geweiht. 853 Ein Telexenus von Kyrene scheint in Horus Apollo erkannt zu haben, da er diesem gemeinsam mit Isis huldigt. 854 In der Kaiserzeit dagegen wird Harpokrates nicht mehr explizit angerufen. Einige demotische Proskynemata richten sich allein an Osiris855 oder an Isis von Philae und Osiris vom Abaton.856 Mehrfach wenden sich 847 Vgl. dazu auch Ph. 371 (373 n. Chr.): Wegen eines Konfliktes zwischen Blemmyern und Nubiern blieb die Barke der Isis für zwei Jahre dem Heiligtum von Philae fern. Vgl. zu den beiden Quellen É. BERNAND, Pèlerins, S. 58; DIJKSTRA, Philae, S. 206–208; MOJE, Kultwissen, S. 127–129, Dok.02,c. 848 Vgl. DIJKSTRA, Philae, S. 214–218; J. HAHN, Die Zerstörung der Kulte von Philae. Geschichte und Legende am ersten Nilkatarakt, in: J. Hahn/S. Emmel/U. Gotter (Hrsg.), From Temple to Church. Destruction and Renewal of Local Cultic Topography in Late Antiquity, RGRW 163, Leiden – Boston 2008, S. 203–242. Zu möglichen vereinzelten späteren Vorfällen, bei denen nochmals heidnische Schreine geweiht wurden, siehe ibid., S. 4–10; und ID., A Cult of Isis at Philae after Justinian? Reconsidering P. Cair. Masp. I 67004, in: ZPE 146, 2004, S. 137–154. 849 Isis und synnaoi theoi: IG Philae 150; 171; 180; demotisch: Ph. 81 (Isis und die Götter des Geburtshauses); Ph. 245; 327–328; 421; 433. Isis und Götter des/im Abaton (und von Philae): IG Philae 24; 54; 64; 68; 146; 162; 268; I. Thèbes 318 (Familie von Ptolemaios VIII., Isis, Sarapis, Horus und Götter des Abaton und von Philae); 319 (Familie von Ptolemaios VIII., Chnum, Isis, Hera, Athena, und die Götter des Abaton); 320 (Familie von Ptolemaios VIII., Isis, Sarapis, Horus und Götter des Abaton); 324; demotisch: Ph. 80; 392; 410 (Isis, Arensnuphis, Hathor, Hornacht, und die großen Götter des Abaton und von Philae). Vgl. zu den griechischen Inschriften BERNAND/BERNAND, IG Philae I, S. 60; II, S. 31; FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae, S. 183. 850 Ph. 85; 120; 258; 264; 266–268; 271–272; 276 (+ Nephthys); Ph. 277; 279; 292; 298 (+ Tefnut?); Ph. 306; 320; 334; 341; 350; 357 (+ Arensnuphis, […]); Ph. 361; 369; 433. 851 IG Philae 3 (Steinbasis); I. Thèbes 315–316 (Altäre); 318; 320. 852 Griechisch: IG Philae 4; 10 (Weihung von Statuenbasis); 12 (griech.-dem. Bilingue mit Weihung von Statuenbasis, vgl. VLEEMING, Some Coins, Nr. 99); demotisch: Ph. 48 (Horus Behedeti). 853 IG Philae 4; siehe dazu auch J. BINGEN, Ptolemy III and Philae: Snapshot of a Reign, a Temple and a Cult, in: R. S. Bagnall (Hrsg.), Jean Bingen, Hellenistic Egypt. Monarchy, Society, Economy, Culture, Hellenistic Culture and Society 49, Edinburgh 2007, S. 31–43; PFEIFFER, Inschriften, S. 53–56, Nr. 10. 854 I. Thèbes 310 (Zeit Ptolemaios II.–IV.); vgl. RUTHERFORD, Island, S. 236. 855 Z. B. Ph. 342; 344; 368.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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griechische Weihungen ebenfalls an Isis und Sarapis,857 vereinzelt auch an ein erweitertes Pantheon.858 Nur in der Kaiserzeit werden zweimal Isis und Osiris auf griechisch angerufen. 859 Die griechischen Dedikationen der Ptolemäerzeit vergesellschaften manchmal die Mitglieder der königlichen Familie mit den Tempelgöttern.860 In der Inschrift des Hermias werden Isis und die „Götter des Abaton“ zusammen mit Chnum, Hera und Athena angerufen, wobei die beiden griechischen Göttinnennamen offenbar die Kataraktgöttinnen Satet und Anuket repräsentieren, wie der Vergleich mit Inschriften von Elephantine zeigt. 861 Teilweise sind Graffiti mit Bedacht neben solche offiziellen Wandreliefs plaziert, die die in der Weihung angesprochenen Gottheiten darstellen.862 Die aus den hieroglyphischen Tempelinschriften hervorgehende lokale Doppelrolle der Isis als Herrin von Philae und vom Abaton863 spiegeln auch die Graffiti wider, wo ihre Haupttitel auf demotisch tA nTr.t aA.t „die große Göttin“ und n Pr-wab Pr-Alq „vom Abaton und von Philae“ lauten.864 Auf griechisch wird dies mit ἡ ἐν τῷ Ἀβάτῳ καί ἐν Φίλαις Ἴσις θεὰ  μεγίστη „Isis, die sehr große Göttin im Abaton und in Philae“ oder kürzer „die Herrin Isis von Philae und dem Abaton“ oder „Isis in Philae und im Abaton“ umgesetzt.865 In einer Inschrift der mittleren bis späten Kaiserzeit werden die Lokalepitheta noch um die Dodekaschoinos erweitert. 866 Weitaus häufiger wird die Göttin in den griechischen

856 Z. B. Ph. 388–391; 393. 857 Belege der Ptol. Zt.: IG Philae 3; 5–6; 16 (Stiftung eines Naos); 25 (Votivaltar). Belege der Kaiserzeit: IG Philae 150; 158; 249. 858 I. Thèbes 309: Isis, Sarapis, Harpokrates, Ammon, und die Rettergötter (theoi soteres). 859 IG Philae 183; 197. 860 IG Philae 3 (Steinbasis): Familie von Ptolemaios III.; IG Philae 5 (Steinbasis): Familie von Ptolemaios IV.; I. Thèbes 314: Familie von Ptolemaios V.; I. Thèbes 315–316 u. 318–320: Familie von Ptolemaios VIII. 861 I. Thèbes 319. Hermias ist auch durch verschiedene Dokumente aus der Thebais bekannt. Zur Vergesellschaftung der Gottheiten von Philae und Elephantine siehe oben, Kap. 4.2. 862 Z. B. Ph. 48: für Isis von Philae und dem Abaton und Horus Behedeti, innerhalb einer Kolossalszene, die Isis und Horus zeigt. 863 Siehe oben, Kap. 4.1.2. 864 Graffiti GPH 35; 39; 69; 95; 134; 150; 154; 157; 217–218; 324; 363; 368; 435; 573; 578; 615; 650; 677; 703; 718; 731; 750; 896; 904 (tA nTr.t aA.t pr-iylq); 946; 954; 979; 986; Ph. 45; 48 (nTr.t aA.t sp sn); 65; 120; 251 u. 289 (Variante nb.t Pr-wab nb.t Pr-Alq); 254–255; 257; 269 (nb.t Pr-wab nb.t PrAlq); 330; 389; 403; 408; 410–411; 416–417; 420; 449. Häufig sind beide Haupttitel zusammen genannt. 865 Vgl. BERNAND/BERNAND, IG Philae I, S. 60–61; RUTHERFORD, Island, S. 232; BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 71; KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 99–100, m. Anm. 13. „Isis, die sehr große Göttin im Abaton und in Philae“: IG Philae 19; I. Thèbes 315–316. „Isis in Philae und im Abaton“: IG Philae 18. In allen Fällen handelt es sich allerdings um (halb)offizielle Dokumente derselben Regierungszeit: eine Petition der Priester an Ptolemaios VIII. (Nr. 19), die Weihung von zwei Altären an die Familie von Ptolemaios VIII. und die Götter von Philae; und eine Weihung von Altären sowie eines Libationstisches im Namen von Ptolemaios VIII. (Nr. 18). „Die Herrin Isis von Philae und dem Abaton“: IG Philae 171; 180–181. 866 IG Philae 307: „Isis von Philae, vom Abaton und der Dodekaschoinos“. Vgl. z. B. die Titelreihe „die Herrin des Abaton, die Gebieterin, die Herrin von Philae, die Edle, die Mächtige, die Gebieterin in Unternubien“ im Tempel von Bigge (Bîgeh, 14, e) und Epitheta wie „Herrin der südlichen Fremdländer“ in den Tempelinschriften von Philae, siehe Kap. 4.1.2.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Anrufungen nur mit Philae selbst in Verbindung gebracht.867 Auch auf Meroitisch wird den beiden Heiligtümern, denen Isis zugeordnet ist, Rechnung getragen mit der entsprechenden Benennung als „Isis von Philae und Isis vom Abaton“ (woS: pileoe-teli: woS: tebwe-teli).868 Der starke Lokalbezug entspricht dem Vorgehen der Tempelinschriften. Ansonsten weisen die griechischen Inschriften relativ wenig Varianz in der Wahl von Epitheta auf, die außerdem meist sehr kurz gehalten sind und den ägyptischen Haupttiteln entsprechen: sowohl in ptolemäischer als auch – wenngleich etwas seltener – in der Kaiserzeit wird Isis in den meisten Fällen einfach als „Herrin (κυρία) Isis“ bezeichnet.869 In Variationen wird auch noch „Göttin (θεά)“ als zweiter Titel hinzugefügt, 870 bzw., hauptsächlich in der Kaiserzeit, auch als alleinige Bezeichnung neben dem Namen benutzt.871 Manchmal wird außerdem der bloße Name der Göttin ohne Hinzufügung eines Titels verwendet.872 Die ägyptischen Haupttitel wr.t „die Große“873 bzw. demotisch tA nTr.t aA.t „die große Göttin“ (s. o.) werden in der Form „die sehr große (μεγίστη) Isis“, 874 „die große (μεγάλη) Göttin“,875 am häufigsten aber „die sehr große Göttin“876 ins Griechische übertragen. Demotisch kommt auch der geläufige Göttinnentitel Hnw.t „Gebieterin“ vor.877 Mehrmals wird ihr der Beiname μυριώνυμος „mit 10.000 (oder: unzähligen) Namen“ gegeben, bei dem es sich um eine griechische Weiterentwicklung des ägyptischen Epithetons aSA.t rn.w handelt, das Isis bereits seit dem NR trägt, wenngleich die Masse der Bezeugungen wiederum in griechisch-römischer Zeit zu finden ist.878 Nur selten sind konkrete persönliche Bitten an die griechischen Proskynemata angehängt, wenngleich einige Weihende der Göttin gegenüber ihre Dankbarkeit (εὐχαριστία) ausdrücken. 879 Mehr Individualität, Abwechslung und künstlerische Gestaltung bieten die Epigramme.880 Ein Doppelepigramm in elegischem Meter am 1. Pylon, das in das späte 1. Jh. v. Chr. bis frühe 1. Jh. n. Chr. datiert, zeichnet ein lebendiges Bild, das die ägyptische Idee von Philae als wichtigstem Heiligtum der Isis, das in engem 867 IG Philae 14; 23; 28; 54; 118–119; 146; 151;154; 168; 188; 256; 289. 868 Siehe RUTHERFORD, Island, S. 246–247. Vgl. dazu die Rezeption der Haupttitel der Isis von Philae in den nubischen Tempeln, siehe oben, Kap. 4.3.2. 869 Vgl. FESTUGIERE, Proscynèmes de Philae, S. 183. Belege der Ptol. Zt.: IG Philae 14; 21–22; 26; 28 (erweitert zu: „Herrin Isis in Philae“); 30; 32–35; 37–38; 40; 42; 44–50; 52–53; 55–56; 58; 61–63; 68; 75; 82; 85; 89; 92–93; 100; 105; 111; 117; 119. Belege der Kaiserzeit: IG Philae 132–133; 148; 152–153; 156; 160; 262–263; 273; 286; 288; 306; 321; I. Thèbes 328 („unsere Herrin Isis“). 870 IG Philae 15 (untere Inschrift); 51; 129; 136. 871 I. Thèbes 324 (wohl Ptolemäerzeit); IG Philae 139; 279–281. 872 Belege der Ptol. Zt.: IG Philae 27; 31; 36; I. Thèbes 308–310; 314; 318–320. Belege der Kaiserzeit: IG Philae 131; 165; 264; 267; 271; 320. 873 So ausnahmsweise wohl auch demotisch in GPH 608. 874 IG Philae 112; 303. 875 IG Philae 43; 130; 151. 876 IG Philae 14; 19; 24; 41; 54; 59; 64; 118; 124; 134–135; 146; 172; 178; 268; 270; I. Thèbes 315. 877 Ph. 251; 255; 289 (Variante: Hnw.t nfr.t). 878 IG Philae 162; 168; 180–181. Siehe zu diesem Beinamen BRICAULT, Isis Myrionyme, speziell zu den Belegen aus Philae: S. 80–82; siehe oben, Kap. 4.12.1 (m. Anm. 2584–2586), zu einem frühen Beleg im Grab der Maïa aus der 18. Dyn. 879 IG Philae 174; 184; 271. Vgl. RUTHERFORD, Island, S. 253. 880 IG Philae 130; 142–144; 151; 158–159; 166; 168. Vgl. BERNAND/BERNAND, IG Philae II, S. 29–30.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Verbund mit dem Abaton des Osiris (griechisch als Sarapis) und dem Fruchtbarkeit bringenden Nil steht, in griechischen Worten darstellt.881 Isis wird darin mit der griechischen Io identifiziert und als „geliebte Herrin“ (ἄνασσα φίλα) angerufen: I. Wir sind gekommen zu den Grenzen Ägyptens, zu der schönsten der Inseln, um zu schauen das Land der Isis, der Tochter Inachos’ und den tiefen Strom des Nils, der Ägypten gedeihen läßt, Jahr für Jahr für das gute Glück/durch das gute Glück des Caesar. Heil dir, geliebte Herrin, und heil auch dir, Sarapis, der im Land über dem Wasser wohnt, dem überaus heiligen Abaton, und möget ihr uns sicher zu Kronos’ Hafen senden. II. Angekommen auf der Insel, den Grenzen von Ägypten, dem schönsten, heiligen (Ort) der Isis, im Angesicht Äthiopiens, sahen wir auf dem Fluß Nil schnell segelnde Schiffe, die Schreine der Äthiopier tragend, den Göttern würdig, zu unserem Land, dem Weizen tragenden, eines Besuches wert, das alle sterblichen Menschen auf Erden verehren.882 In einem weiteren Epigramm berichtet Serenus, Auxiliar des „sehr berühmten Ptolemaios“ in der Regierungszeit von Kaiser Commodus, daß er in Begleitung von zwei weiteren Männern (darunter ein Maler) auf ein Orakel des Apollon hin nach Philae gekommen sei, um an den Libationen und Opfern des Tempels teilzuhaben;883 er will die Kulthandlungen also aus nächster Nähe miterleben. In seiner Heimat Alexandria ist Serenus bereits mit Isis in Berührung gekommen, wie die Umschreibung „der ich bei Isis Pharia genährt wurde“ demonstriert. Celsus faßt Isis in seinem Epigramm vor allem als Garantin für Fruchtbarkeit auf, wie das von ihm gewählte Epitheton καρποτόκος zeigt.884 Dieses Konzept begegnete bereits in den Hymnen des Isidoros in Medinet Madi.885 Wie RUTHERFORD feststellen konnte, sind die demotischen Graffiti besonders der Meroiten insgesamt weitaus detaillierter und gehen stärker auf das Wesen der Göttin sowie auf die persönlichen Schicksale und Hoffnungen der jeweiligen Weihenden ein.886 Häufig finden sich hier wie bereits in den demotischen Hymnen von Kap. 6.1 Übereinstimmungen mit typischen Isis-Beinamen der offiziellen Tempeltexte, die sie als Herrscherin des Landes, der Götter und des Kosmos loben, wie:

881 IG Philae 158 I–II; FHN II, Nr. 170. Siehe dazu auch oben, Kap. 6.2.2.1, mit Anm. 816. 882 Zur Thematik dieses zweiten Teiles, siehe oben, Kap. 6.2.2.1. 883 IG Philae 168. Siehe dazu auch FESTUGIÈRE, Proscynèmes de Philae, S. 188; TOTTI, Ausgewählte Texte, Nr. 35, S. 94–95; RUTHERFORD, Island, S. 239; VOLOKHINE, Déplacements pieux, S. 91; BRICAULT, Dame des flots, S. 108, Anm. 46. 884 IG Philae 166; siehe zu diesem Epigramm auch PFEIFFER, Inschriften, S. 311–313, Nr. 72. 885 Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 886 RUTHERFORD, Island, S. 244–245; vgl. auch DIJKSTRA, Philae, S. 188–190. Interessanterweise sind die Graffiti von Meroiten, die in meroitischer Sprache und nicht in Demotisch abgefaßt wurden, dagegen sehr knapp gehalten.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

die Befehlshaberin des ganzen Landes (tA TsyA.t n pA tA Dr=f)887 die Gebieterin der Länder (Hnw.t n nA tA.w)888 die Mächtigste aller Götter (tA wsry.t n nA nTr.w Dr=w)889 die Befehlshaberin der Könige (tA TsyA.t n nA Pr-aA.w)890 die Herrin des Südens, Nordens, Ostens und Westens (tA TsyA.t n pA-rsA pr-mHj.ve pr-iAb.ve pr-imn.ve)891 – die Befehlshaberin des Himmels, der Erde und der Unterwelt (tA TsyA.t n tA py.t n pA tA tA twA.t).892

– – – – –

Das alte nb.t „Herrin“ wird hier jeweils durch das demotische TsyA.t „Befehlshaberin/Herrin“ ersetzt.893 Dem entspricht griechisches κυρία (s. o.) oder auch δεσποίνα (IG Philae 197). Relativ geläufig ist außerdem der Titel SpSy.t nfr.t „die schöne Edle“,894 wobei SpSy.t zu dieser Zeit wie oben (Kap. 6.2.1.1) dargelegt für griechisches Agathe Tyche stehen kann. Nur in einem einzigen Graffito aus Philae und sonst nirgends belegt ist die Anrede als „meine Herrin, die die Länder der/für die(?) Götter richtet“ (tAj=i TsjA tA wpj tA.w n nA nTr.w) bzw. „die die Länder richtet“ (tA wpj tA.w).895 Mit POPE und M. SMITH könnte es sich bei wpj tA.w aber um eine Schreibvariante (oder Verschreibung) zu nb.t tA.w(j) „Herrin der (beiden) Länder“ handeln, die auch in pHarkness, 2, 34, belegt ist.896 POPE zufolge könnte mit tA.w n nA nTr.w „Länder der Götter“ außerdem Nubien gemeint sein.897 Auch Isis’ zentrale Aufgabe der Versorgung von Osiris mit belebendem, frischem Wasser begegnet wieder in ihrem offiziellen philensischen Haupttitel „Lebensspenderin“ (dj(.t) anx)898 und in der Bezeichnung:

887 Ph. 255; 408. Varianten: Ph. 410 (TsjA.t aA.t „große Befehlshaberin…“); 411 (Pr-aA.t „Königin…“); siehe zu diesen Titeln auch M. SMITH, pHarkness, S. 96–97, Komm. (d) zu Kol. 1, 5; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 340; DOUSA, Imagining Isis, S. 162–163. Vgl. pCarlsberg 652 vs., Frg. 1, x+1, 11, und oHor 10, 7 („die große Göttin des ganzen Landes“), siehe Kap. 6.1.4 und 6.2.1.1. 888 Ph. 421. 889 Ph. 421; Variante: Ph. 422: „die Königin (Pr-aA.t) [aller Götter]“. 890 Ph. 422. 891 Ph. 416. 892 Ph. 417. Kürzere Variante: Ph. 251 (TsjA.t n tA p.t „die Befehlshaberin des Himmels“). Vgl. zur Liste der genannten Isis-Epitheta in den Graffiti BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 71. Zu den sprachlich älteren Entsprechungen der Tempeltexte siehe Kap. 5.2.2. Vgl. dazu auch DOUSA, Imagining Isis, S. 164, m. Anm. 57. 893 Vgl. auch die Anrede tAj=i TsjA „meine Herrin“, Ph. 416–417. 894 Ph. 408; 411; 417; 420; 422; 449. Nur SpSe: Ph. 269. Möglicherweise handelt es sich bei dem nur einmal (IG Philae 157) belegten griechischen Götterepitheton σεμνή „die Ehrwürdige“ um eine Übertragung des ägyptischen SpSy.t. 895 Ph. 416. Vgl. LGG II, 361c. 896 Siehe M. SMITH, pHarkness, S. 158, Kom. (a) zu 2, 34; ID., pBM 10507, S. 110–111, Kom. zu 9, 9; POPE, Demotic Proskynema, S. 98–99, Kom. Q). 897 POPE, Demotic Proskynema, S. 99, Kom. Q): vgl. Mythos vom Sonnenauge (pLeiden I 384, 4, 12, und 9, 22: tA.w-nTr). Traditionell bezeichnet tA(.w) nTr(.w) exotische Nachbarregionen Ägyptens, besonders Punt, Libanon und Sinai, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 1119–1120. Im Vergleich mit Ph. 421 (siehe unten) hält POPE es des weiteren für möglich, daß das erste Epitheton in Ph. 416 fehlerhaft und zu wpy (= nb.t) tA.w n nA nTr.w zu emendieren ist. 898 Ph. 247; 251; 269; 289; 359; 402; GPH 605.

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tA qbHj.t nfr.t m(?) s.t (n) wAH iVyA(.t) die vollkommene Wasserspenderin an der Stätte des Opferdarbringens.899 Auf die Libationen für Osiris beziehen sich auch die schwer zu deutenden Titel pA SajA tA SpS.t n pA a.wj-qbHj bzw. -qbj die Gottheit/der Schai(?) und die Edle/Agathe Tyche(?) des Hauses der Kühle/Libation in mehreren Anbetungen.900 Hier taucht die gleiche Problematik wie in oHor 1, Z. 8–9, auf:901 wird Isis selbst nicht nur als SpS.t (entspricht Agathe Tyche, s. o.), sondern auch als Schai, das Schicksal, bezeichnet? Obwohl zuvor nur von Isis die Rede ist,902 könnte nun von Osiris (als Schai = Gott oder Agathodaimon des Ortes) und Isis (als Tyche des Ortes) die Rede sein.903 In Ph. 253 wird das Proskynema von einem Propheten der Isis allerdings einzig „vor dem Schai des Großen Kühlen (qbHe aA = a.wj-qbHj?) der Isis“ ausgeführt, und ebenso unsicher läßt Schai sich in Ph. 258 zuordnen, wo „Osiris, Horus, Isis und(?) der Schai vom Haus der Kühle“ eine Reihe bilden. Es bleibt die Frage, ob Schai jeweils eine separate Entität meint oder als Epitheton von Isis zu lesen ist. 904 Das „Haus der Kühle/Libation“ wird außerdem noch im Graffito Ph. 254 erwähnt, wo von einer dort aufgestellten Statue des Osiris die Rede ist. Es könnte sich um die Bezeichnung des hypaethralen Saales handeln, zu dem das Hadrianstor, an dem die Graffiti angebracht sind, Zugang gewährte.905 Nach KOCKELMANN könnte es sich andererseits aber auch um einen Namen des Isistempels an sich handeln, denn in der östlichen unteren Randinschrift des Naos wird das Hw.t qbH.w „Haus der Kühle/Libation“ ebenfalls in hieroglyphischer Schrift genannt und Isis QbH.t „der Spenderin von kühlem Wasser“ zugeordnet.906 Mit dem „kühlen Wasser des Osiris“ möchte Teos, Sohn des Asklepiades, der in Diensten des Tempels steht, auch

899 Ph. 416–417; 449(?). Lesung m s.t nach POPE, Demotic Proskynema, S. 74–75, Kom. B); vgl. auch G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 12.08.2013. GRIFFITH, Catalogue, S. 114–115; BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 71, und RUTHERFORD, Island, S. 254, haben den hinteren Teil bisher als tAj rnp.t wAH-iVye „…dieses Jahres, das Reichtum bringt“ gelesen; in CDD, A, S. 80, wurde die Stelle bereits teilweise korrigiert zu m(?) rnp.t (n) wAH iVyA(.t) „…in einem Jahr des Opferdarbringens“. Vgl. zur Bezeichnung der Isis als „Wasserspenderin“ Kap. 4.1.2. Zu Isis und dem von ihr für Osiris ausgeführten Ritual wAH ix.t bzw. dem s.t wAH ix.t siehe besonders oben, Kap. 4.4, z. B. Behbeit el-Hagara, 86– 87, SAE 227: qbH.t wAH(.t) ix.t n sn=s. Zur Verbindung dieses Epithetons zu Behbeit el-Hagar siehe auch KOCKELMANN, Wem gehören die Götter?, S. 94. Vgl. außerdem die Bezeichnung der Isis als wAH.t ix.t n sn=s Wsjr in einer Szene am 2. Pylon von Philae: LD Text IV, 154α); LGG II, 250b. 900 Ph. 408; 420; so wohl auch in Ph. 422 zu ergänzen. Kontext: „Sein Name bleibe hier dauerhaft vor Schai und Schepschyt…“. 901 Siehe oben, Kap. 6.2.1.1. 902 Ihre Titel lauten: „Isis vom Abaton und von Philae, die große Göttin, die schöne Vornehme (SpSy.t nfr.t), die Herrin des ganzen Landes, Isis.“ 903 Vgl. GRIFFITH, Catalogue, S. 112. 904 Die Problematik setzt sich bei der Betrachtung weiterer Graffiti mit ähnlichen Formulierungen fort, siehe unten, Kap. 6.2.4. CRUZ-URIBE, Demotic Graffiti, S. 28, hält die Nennungen in Philae für die Bezeichnung einer Erscheinungsform der Hathor-Isis. 905 GRIFFITH, Catalogue, S. 112; vgl. auch F. HOFFMANN, Ägypten, S. 227. 906 KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 105.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

seine verstorbene Mutter versorgt sehen (255/6 n. Chr.).907 Dasselbe wünscht Sansnos für seinen Vater und seinen Bruder (373 n. Chr.),908 und der Pterophor PA-dj-As.t-nfr.t bittet (ebenfalls 373 n. Chr.) darum, daß das kühle Wasser seines Vaters Harendotes „leben möge“.909 Eine weitere Version dieser Bittformel in Ph. 290 ist passend in den Zeitraum des Choiakfestes datiert (21. Choiak), und der Kontext zeigt, daß der Autor des Graffito selbst Dienste bei der Herstellung des Kornosiris während dieser Zeit verrichtet hat.910 An die insgesamt lebensspendenden Kräfte der Isis appellieren einige der Gläubigen, die um Lebenszeit oder Lebensatem für sich oder ihren König bitten.911 Dieses Motiv begegnet in dem griechischen Epigramm des Serenus wieder, der die Göttin lobt: Wenn er Isis von Philae verehrt hat, hat ein Mann gutes Glück, nicht nur weil er reich wird,912 sondern weil er damit ein langes Leben erreicht.913 Meroitische Besucher adressieren Isis häufig als Helferin, von der sie sich mitfühlende Sorge für individuelle Anliegen erhoffen, wobei oftmals die ganze Familie mit eingeschlossen wird.914 So wird sie als „Retterin“ (tA nHm.t) angesprochen915 – zumindest dieser Titel findet eine Entsprechung in der Benennung als „Soteira“ und noch umfassender „Pansoteira“ in den griechischen Proskynemata.916 In zwei demotischen Graffiti wird auch die Bitte um ewige Unversehrtheit (wDA Dt) an sie gerichtet.917 907 … mte Pr-aA Wsjr dj.t n=s mw iw=f qbe; Ph. 301. Zur Familie des Teos siehe oben, Kap. 6.2.2.1, Anm. 838. 908 Ph. 372. 909 Ph. 370. Vgl. die Neuübersetzung des Satzes von DIJKSTRA, Philae, S. 204–205, zusammen mit B. MUHS (Anm. 61); auch kurz besprochen von MOJE, Kultwissen, S. 129–131, Dok.03,b. 910 Vgl. oben, Anm. 807; COLIN, Le parfumeur, S. 79, Anm. 36. Zu den Osiris-Kaltwasser-Inschriften vgl. auch DIJKSTRA, Philae, S. 205–206; NAGEL, Kult und Ritual, S. 164–166; und DELIA, Refreshing Water, der die demotischen Belege aus Philae jedoch nicht bekannt waren. Vorläufer dieser Formel zu Gunsten des Verstorbenen sind bereits in der 18. Dynastie belegt (Grab des Rechmire und in pBM 10819), siehe M. SMITH, Whose Ritual? Osirian Texts and Texts Written for the Deceased in P. BM EA 10209: A Case Study, in: Backes/Dieleman (Hrsg.), Liturgical Texts, S. 161–177: 167; für einen Beleg der Perserzeit siehe P. GRELOT, Documents araméens d’Égypte, Littératures anciennes du Proche-Orient 5, Paris 1972, S. 342–343, Nr. 86; N. BOSSON/S. H. AUFRÈRE (Hrsg.), Catalogue de l’Exposition „Égyptes… L’Égyptien et le copte“, Lattes 1999, S. 176, Nr. 12; P. KOEMOTH/J. RADELET, Osiris et l’hydrie abydénienne à l’époque impériale, in: CdÉ 82, 2007, S. 126–146: 137; außerdem finden sich auf einer spätptolemäischen Statue die Worte „mögest du das kühle Wasser erhalten“, siehe H. DE MEULENAERE/B. V. BOTHMER, Une statue thébaine de la fin de l’époque ptolémaïque, in: ZÄS 101, 1974, S. 109–133: 110; Taf. 4; vgl. DELIA, Refreshing Water, S. 181, Anm. 5. Die Hauptmenge der Zeugnisse stammt jedoch aus der Kaiserzeit. 911 So Ph. 254; 411. 912 Vgl. Epitheta wie πλουτοδότι  („Reichtum spendende“) in den Isidoros-Hymnen, z. B. MM I, 1; siehe Kap. 6.1.2.1. 913 IG Philae 168. Siehe zu diesem Epigramm auch oben, m. Anm. 883. 914 Vgl. auch BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 69; RUTHERFORD, Island, S. 254. Die Einbeziehung von Familienmitgliedern ist auch für die griechischen Proskynemata typisch. 915 Ph. 403. Die allgemeine Bitte an sie, gerettet (i.ir nHme) zu werden, außerdem in Ph. 251. 916 IG Philae 5–6 (Isis und Sarapis Soteres); 59. Pansoteira („Allretterin“): IG Philae 134. Ähnlich auch in dem Epigramm IG Philae 159 (= FHN II, Nr. 171): „die die Welt zu retten weiß“ (ἐκσῴζειν κόσμον ἐπισταμέναν). Mit einer griechischen Weihung auf einem Altar des Dromos wird Isis, Sarapis, Harpokrates, Ammon, den Rettergöttern (theoi soteres), für die Rettung von Elephanten ge-

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Besonders die Entfernung von der Heimat und die Unbilden der weiten Reisen, die sie auf sich nehmen mußten, um das Heiligtum der Göttin zu erreichen, scheinen den meroitischen Pilgern auf dem Herzen gelegen zu haben, so daß sie Isis mehrfach um Schutz auf dem Weg bitten. So wird sie betitelt als tA sDm.t sprj.w n nA ntj ww „diejenige, die die Bitten derer erhört, die fern sind“, 918 und mehrfach wird der Wunsch geäußert, daß Isis die Bittsteller jedes Jahr wieder zum Fest nach Philae bringen möge, damit sie sie verehren können.919 Man vergleiche Verse in den Isishymnen MM I und in pTebt. Tait 14, in denen Isis gepriesen wird, daß sie Reisende in der Fremde wieder zurück bringt bzw. rettet.920 Symbolisch erweitert wird das Weg- und Reisemotiv in dem längsten demotischen Graffito in Philae (253 n. Chr.).921 Darin demonstriert Sesan, ein Beamter des meroitischen Königs Taqereramani (=Teqorideamani?)922 und Abgesandter zu den Römern, sein unverbrüchliches Vertrauen, daß Isis ihn und seine Familie in allen Lebenslagen führen werde mit den Worten: …unsere Herzen hängen an dir auf dem Weg, um uns auf den Weg des Lebens zu bringen; und wir rufen zu dir zu allen Zeiten und sagen: „Erhöre du uns“. Ich bin dein guter Diener, Isis; es gibt keinen Weg [ohne dich]… mein Herz hängt an dir in Ägypten, in Meroe und in den Wüsten.923 Oh Isis, dieser einzige Bruder, den ich habe, den werde ich verlassen und ich sage: „Lasse du ihn sicher sein, bis du mich wieder nach Ägypten bringst…“ (Z. 20–21).924 Passend dazu benennt er Isis mit dem Epitheton „Herrin des Weges“ (tA npy (= nb.t) n pA myv) (Z. 19).925 Bereits bei einer zurückliegenden Reise hatte die Göttin Sesan seiner Aussage nach gute Dienste geleistet, denn er berichtet: Jahr 2: Ich kam nach Ägypten, nachdem ich in dieser Wüste durch das Werk der Isis,926 der großen Göttin, geblüht habe (= es ging mir gut), indem sie unsere flehentlichen Rufe hörte, und indem sie uns wohlbehalten nach Ägypten brachte. (Z. 2–3).

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dankt: I. Thèbes 309. Nach ROCCATI, Iscrizioni greche, Nr. 6, S. 326–327, könnte sich dies auf die Schlacht von Raphia beziehen, vgl. dazu auch BRICAULT, Sérapis et Isis, sauveurs. Ph. 247; 361. Ph. 416; 421; vgl. BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 69; DEPAUW, The Isionomos, S. 1151. Ph. 254–255; 257; 410–412. MM I, 31; pTebt. Tait 14, x+2, siehe oben, Kap. 6.1.2.1 und 6.1.4. Vgl. zu Isis als Schützerin der Reisenden auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 64–65. Ph. 416. Ausführliche Neubearbeitung von POPE, Demotic Proskynema; Übersetzung oben nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 12.08.2013, der die Bearbeitung von POPE berücksichtigt. Vgl. dazu auch F. HOFFMANN, Ägypten, S. 234–238; DIJKSTRA, Philae, S. 135–136; TÖRÖK, Two Meroitic Studies, S. 228. Vgl. den Kommentar von POPE, Demotic Proskynema, S. 85–86, H). Siehe dazu und allgemein zum „Weg des Lebens“ auch VITTMANN, Wegmetaphorik, S. 31–49, zur Stelle S. 47–48, § 4.19. Vgl. Graff. Theben 3462: „Sie verläßt nicht den, der sie anruft auf dem Weg“, Kap. 6.2.5.1. Siehe dazu auch BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 67–68; RUTHERFORD, Island, S. 255, Anm. 79. Vgl. dazu JASNOW, Mistress of the Road; DEPAUW, The Isionomos, S. 1151. Von GRIFFITH, Catalogue, S. 116, noch falsch als „Korngöttin des Weges“ übersetzt. POPE, Demotic Proskynema, S. 76–77, D)–E), interpretiert twe (oben mit „Wüste“ übersetzt) als „Berg, Fels“ und hält dies für eine Bezeichnung von Bigge bzw. des Abaton, was ebenfalls möglich

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Auf diese (oder eine weitere?) vergangene Führung in der Fremde kommt er am Ende des Graffito wohl nochmals zurück, um seinen aktuellen Bitten noch mehr Nachdruck zu verleihen: Die flehentlichen Rufe, die ich zu dir machte in Pa-Anpy(?),927 als ich verirrt war, indem ich zu dir rief; du hast mich erhört, (als ich sagte): ‚[Du sollst] mich erhören […]‘, indem ich wohlbehalten war. (Z. 22–23). Auch Tami, der jahrelang Dienst am Tempel verrichtet hat (s. o.), fleht Isis an, daß sie ihm „den Weg (des Lebens?) von heute an fürderhin gewähren“ und seine Wünsche („das, was in meinem Herzen ist“) erfüllen möge.928 Interessanterweise gibt es in dem römerzeitlichen Tempel der ca. 260 km östlich von Philae am Roten Meer gelegenen Stadt Berenike Troglodytica eine Inschrift, die sich möglicherweise auf Isis bezieht und ebenfalls die Wegsymbolik thematisiert: Sie liebt den, der den Weg des Lebens eingeschlagen hat(?), sie bewahrt euch vor dem Übel, sie errettet euch aus dem Kampf.929 Ein Pachom, Sohn des Lucius – hier zeigt bereits die Onomastik eine Vermischung ägyptischer und römischer Traditionen oder gar von Familienmitgliedern an – und seine Angehörigen (seine Brüder und Kinder) scheinen dagegen bereits in akuten Schwierigkeiten zu stecken (iw=w thre n wa sp) und erhoffen sich daher nach ihrer Ankunft in Philae die Gnade der Göttin: r.irj=T Htp nA=y „mögest du mir gnädig sein!“ bzw. […] dj.t anx=w „[…] veranlassen, daß sie leben“, und r.irj=T dj.t n=n tA game.t „Mögest du uns Kraft geben!“.930 Im Dunkeln bleibt der Hintergrund einer Sünde, die Pachom offenbar gegen das ausdrückliche Verbot der Isis begangen hat, und der er seine momentane Situation zuschreibt.931 Die Bitte um Gnade impliziert entsprechend eine Bitte um Vergebung der eigenen Sünden.

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ist. Weiter hinten, in Z. 17, ist wohl tatsächlich twe qi „der hohe Berg“ = Bigge geschrieben. wpy.t n As.t „das Werk der Isis“ hält POPE entsprechend für eine Zusammenfassung oder spezifische Benennung von Riten, die im Zusammenhang der feierlichen Überfahrt der Isis von Philae zum Abaton ausgeführt wurden. M. E. könnte die folgende Aussage „indem sie unsere flehentlichen Rufe hörte, und indem sie uns wohlbehalten nach Ägypten brachte“ vielleicht jedoch eher auf den Kontext der Reise und die dabei erfolgte Hilfe der Isis hindeuten. In diese Richtung geht auch die Übersetzung von F. HOFFMANN, Ägypten, S. 235. Zum Ausdruck „Werk der Isis“ vgl. oHor 3 vs., 6, und die Amazonengeschichte (pWien D. 6165A, 2, x+18), wo jeweils das helfende Eingreifen der Göttin gemeint sein muß, siehe dazu Kap. 6.4.2.1 und 6.5.1.2. Ein unbekanntes Toponym, vgl. POPE, Demotic Proskynema, S. 100–102, U). Ph. 417, 260 n. Chr. Siehe dazu auch VITTMANN, Wegmetaphorik, S. 95, § 6.19; TÖRÖK, Two Meroitic Studies, S. 228 (zum historischen Inhalt). MEREDITH, Berenice Troglodytica, S. 66; siehe jetzt G. VITTMANN, Nachlese zur ägyptischen Wegmetaphorik, in: J. Hallof (Hrsg.), Auf den Spuren des Sobek. Festschrift für Horst Beinlich zum 28. Dezember 2012, SRaT 12, Dettelbach 2012, S. 275–294: 278. Zu Isis als Göttin, die Reisende auf dem Weg schützt, läßt sich als Vergleich die Amun-Statue namens „Amun von der Straße“ (Imn tA mj.t) heranziehen, die Wenamun auf seiner Reise mit sich führt, vgl. JASNOW, Mistress of the Road. Ph. 449, Z. 4–6, 8–9 u. 13–14; vgl. auch RUTHERFORD, Island, S. 241; BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 67; Übersetzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 19.08.2013.

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Auch Wayekiye, Sohn des Hornachtitef, geboren von Tschapsche, der sich unter anderem als „Prophet der Sothis im Kommen und Gehen des Mondes“ bezeichnet, versichert Isis im Jahr 227/8 n. Chr. mit eindringlichen Worten seiner uneingeschränkten Anbetung und seines Vertrauens:932 Ich bete dich an, indem ich die Schulter neige und mein Mund gefüllt mit unbegrenztem Lobpreis ist. Ich küsse den Boden vor dir, indem ich deine Würde anbete und die Ehrfurcht vor dir in meinem Bauch ist. (…) Ich bin dein Diener, mein Herz ist trefflich. (Z. 3–5 u. 9). Im Gegenzug erhofft er sich von der Göttin Stärke und Ansehen beim Königshaus: Höre meine Gebete, du Herrin der Länder, du Mächtigste aller Götter. Mögest du zu mir kommen mit deinem friedlichen Antlitz, das zu sehen sich die Götter erfreuen; erhöre mein Flehen, meine Herrin, oh Isis, und gewähre mir Stärke, um dem gleichzukommen, was meine älteren Brüder getan haben, und gewähre mir Gunst und Liebe und Respekt vor der Schutzgottheit (pA SAy) der Könige. (Z. 5–8) Der zweite Wunsch führt eine ägyptische Tradition fort, die sich ab dem NR in Bitten an Götter und in Briefformeln äußert und ebenfalls nach Gunst (Hsw.t) beim Königshaus oder bei hohen Beamten strebt.933 Wie in oHor 10 und einigen der in Kap. 6.1 diskutierten Hymnen und Gebeten untermauert auch Wayekiye seine persönlichen Bitten mit einer ‚Erinnerung‘ an die allgemeingültigen Leistungen der Göttin für die Menschen, indem er sie anspricht als: tA sDm sbre.w n nA nty ww [r-X.t(?)] nA ntj Xnj n=s tA ntj Dj.t nxv wa r HH iw=s Dj.t pAj=s xfvj Xr pAj=s mrj.t (Oh) du, die die Bitten von denen erhört, die weit weg sind [ebenso wie] von denen, die ihr nahe sind, die einem Kraft/Sieg gibt gegen eine Menge, indem sie ihren Feind unter ihren Liebling gibt. (Z. 9–10) Zumindest für den zweiten Teil finden sich einschlägige Vorbilder in den Tempeltexten, auf denen vermutlich auch eine sehr ähnliche Formulierung in MM III, 16–18, beruht.934 Als Garantin des Sieges wird Isis bereits in dem griechischen Epigramm des Iunius Sabinus aus augusteischer Zeit gelobt, einer Triumphinschrift anläßlich eines militärischen Sieges,

931 Z. 9–12: „Diese Sünden (nAi axle.w), in denen ich gewandelt bin […], indem du sie (Pl.) nicht befohlen hast […] uns von heute an fürderhin. Ich weiß, daß ein Vorwurf (lwH) [auf mir lastet (o. ä.)], indem (= weswegen) dies alles mit mir geschieht.“ Dieses „Sündenbekenntnis“ erinnert an die Beichtinschriften und juristischen Orakel des NR; zu diesen ist eine Dissertation durch ILDIKÓ MAAßEN, Heidelberg, in Vorbereitung. 932 Ph. 421; siehe dazu RUTHERFORD, Island, S. 255; Übersetzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 19.08.2013. 933 Vgl. dazu QUACK, From Ritual to Magic. Ähnliches erfleht auch ein weiterer Vertreter des Namens Wayekiye in Ph. 120: Kraft im Dienste des Königs sowie für immer Gunst und Beliebtheit bei ihm. Tami (Ph. 417) bittet um „Lob und Liebe vor jedem großen Mann des nördlichen Hauses und des südlichen Hauses“, d. h. vor hohen Beamten. Vgl. dazu auch ähnliche Bitten im griechischen Dossier des Ptolemaios aus dem Sarapeion von Sakkara, siehe oben, Kap. 6.2.1.2. 934 Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. auch oHor 3, siehe Kap. 6.5.1.2.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

wohl über die Meroiten, die passenderweise auf dem 1. Pylon in dem Relief, das Ptolemaios XII. beim Niederschlagen der Feinde zeigt, angebracht wurde: Iunius Sabinus zusammen mit seiner ityräischen porpe/Kohorte, ist hierhergekommen, führend einen Schwarm der syenischen Armee, die in ehrwürdigem Feste mit neuen Chören glorifizieren Isis, die die Welt zu retten weiß…935 6.2.3 Assuan Der Isis-Tempel von Assuan weist trotz seiner geringen Größe eine relativ hohe Anzahl an Graffiti aus verschiedenen Zeiten auf. Von BRESCIANI wurden 45 demotische und hieroglyphische, zwei griechische und acht koptische, sowie einige figürliche Graffiti publiziert.936 Eine Gesamtedition aller Graffiti (insgesamt 352, inklusive moderner Hinterlassenschaften) am Assuan-Tempel, darunter zahlreiche figürliche Graffiti aus der Zeit seiner christlichen Nachnutzung als Kirche, wurde jüngst von DIJKSTRA herausgegeben.937 Aus griechisch-römischer Zeit stammen 122 Textgraffiti, von denen 117 in ägyptischer Schrift und Sprache verfaßt sind.938 Ein Großteil der ptolemäer- und römerzeitlichen Dedikationsinschriften wurde in Form von Dipinti zwischen der Regierungszeit von Ptolemaios V. und Commodus in der Pfeilerhalle (D) angebracht, wo es vor allem Inschriften, aber kaum figürliche Darstellungen gibt.939 Nur drei demotische und zwei griechische Graffiti befinden sich an der Außenfront des Tempels, wobei die mit offiziellen Reliefs dekorierten Torbereiche ausgespart wurden.940 Diese und die Graffiti auf der südlichen Außenwand (darunter die drei übrigen griechischen) datieren laut DIJKSTRA wahrscheinlich in die Kaiserzeit. 941 Wie in Philae wurden demotische Weihungen und Fußabdrücke auf dem Dach platziert, die auch hier von römerzeitlichen Priestern stammen dürften.942 Die Urheber der übrigen Inschriften sind teils als Besucher, teils als Priester zu identifizieren.943 Insge935 IG Philae 159 (= FHN II, Nr. 171); siehe dazu auch oben, Anm. 916. 936 Assuan, S. 121–152, zu Graffiti und Dipinti; vgl. auch den Plan mit den Anbringungsorten der Graffiti, S. 120. 937 DIJKSTRA, Syene I, mit Konkordanz auf S. 170 (im Folgenden werden die laufenden Nummern nach dieser Edition zitiert); vgl. auch den Vorbericht, ID., Structuring Graffiti, und ID., Philae, S. 97–102. 938 Siehe DIJKSTRA, Syene I, S. 23. 939 Vgl. DIJKSTRA, Syene, S. 25; ID., Structuring Graffiti, S. 88; ID., Philae, S. 97–98. 940 Syene 180–182 (demotisch); Syene 297 u. 299 (griechisch); vgl. DIJKSTRA, Structuring Graffiti, S. 83; ID., Philae, S. 97–98. 941 DIJKSTRA, Syene, S. 25. 942 Fußabdrücke: Syene 16–20; Textgraffiti: Syene 291–296; vgl. DIJKSTRA, Syene, S. 25 u. 43–47; ID., Structuring Graffiti, S. 81; E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 112. 943 DIJKSTRA, Philae, S. 100. Priester und andere Tempelbedienstete der Isis werden ausdrücklich in Syene 213 (19 n. Chr.) genannt: Oberster der Pastophoren der Isis; Prophet der Isis-Anuket(?); Schreiber der Wab-Priester der Isis. Nach Syene 250 kommt Onnophris zu dem Propheten der Isis. In Syene 260 wird ein Wab-Priester erwähnt. Bei Syene 201 handelt es sich wohl um eine Opfer- und Namensliste mit Zuständigen für den Kultdienst der Isis an den Epagomenen eines 27. Regierungsjahres (wahrscheinlich Ptolemaios VI. oder VIII. = 154 od. 143 v. Chr.); siehe dazu (mit Korrekturen) VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1304, S. 42–44. Außerdem sind mehrere der aufgelisteten Personennamen mit dem theophoren Element Isis gebildet. Vgl. dazu auch E. CRUZURIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 115.

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samt stammen die datierbaren ägyptischen Graffiti zu fast gleichen Teilen aus der Ptolemäer- (50 Texte) und Römerzeit (40 Texte).944 Auffällig ist, daß es im Gegensatz zu Philae nur vereinzelte (insgesamt fünf, sehr schlecht erhaltene) griechische Proskynemata gibt, und sich diese ausschließlich auf den Außenmauern befinden – ganz im Kontrast zu den ägyptischen, die sich im Innenraum und auf dem Dach häufen: Diese wurden wahrscheinlich zumindest von Priestern angebracht, da Laien keinen Zugang zu diesen Bereichen gehabt haben dürften.945 Die demotischen und hieroglyphischen Proskynemata weisen meist das geläufige Formular rn=f mn dj m-bAH… auf,946 während die in Philae häufig verwendete Form mit tA wSt(.t) interessanterweise überhaupt nur zweimal (in der Römerzeit) belegt ist.947 Die beiden griechischen Weihungen beginnen wie üblich mit „Das Proskynema…“.948 Unter allen Dedikanten ist nur eine einzige Frau belegt.949 Neben den Dedikationsformeln, Datierung (tw.) und Name des Dedikanten halten einige Inschriften Opferspenden von Wein, Öl, etc. an den Tempel fest.950 Die lange Inschrift Syene 201 bezieht sich offensichtlich auf kultische Aktivitäten und Opfergaben während der fünf Epagomenentage, spezieller vielleicht zum Geburtsfest der Isis am 4. Epagomenen.951 Auch Syene 253 erwähnt ein Fest der Isis, das dieser Inschrift zufolge am 10. Thoth stattfand.952 Ein weiteres, schlecht erhaltenes Datum in der Ax.t-Jahreszeit, möglicherweise der 26. Thoth,953 in demselben Text ist mit einer Prozession der Göttin verbunden, und ein nicht erhaltenes Tagesdatum in diesem Monat steht in Syene 221,954 in dem Brandopfer und Libationen dokumentiert sind. Die aus den hieroglyphischen Hymnen des Tempels hervorgehende enge Identifikation mit Sothis und deren zentrale Rolle für die Theologie des Tempels bestätigt sich durch die Benennung des Heiligtums als Hw.t-nTr %pd.t „Tempel der Sothis“ in Syene 194.955 In der vorigen Zeile wird der „Dromos der Isis“ genannt (xft-Hr As.t).

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953 954 955

Siehe E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 112. Vgl. DIJKSTRA, Syene, S. 25. Vgl. BRESCIANI, Assuan, S. 121. Syene 182 u. 193; vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 113 u. 117. Syene 297 u. 299. Syene 263: &A-Sr.t-Wsjr spendet 5 Hin Olivenöl, vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 142. Syene 198 (?): Angabe von Geldbeträgen in Kiten (26 v. Chr.) (allerdings andere Lesung bei VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1306, S. 45–46); Syene 221: der Dedikant hat Brandopfer und Libationen vollzogen (139–138 v. Chr.(?)); Syene 275: 2 Hin […]; Syene 263: 9 bzw. 5 Hin Olivenöl von zwei Personen; vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 121. Bei Syene 266 scheint es sich außerdem um eine lange Liste bzw. Abrechnung für Getreidelieferungen zu handeln (sehr schlecht erhalten), und weitere Texte sind ebenfalls dem Bereich der Tempelwirtschaft zuzuordnen, vgl. E. CRUZURIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 112, 114 u. 142–144. Vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 114 und 123–124; vgl. oben, Anm. 943. Vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 114 u. 139. Das einzige vergleichbare bekannte Festdatum für Isis ist eine Prozession der Isis in Pi-Netjer am 10. Thoth im Festkalender von Esna, siehe ibid. Möglicherweise handelt es sich um ein Ereignis innerhalb des länger andauernden Festzyklus um Isis’ Geburt am 4. Epagomenen und den kurz darauf stattfindenden heliakischen Sothisaufgang, vgl. dazu auch Kap. 4.6. So gelesen von VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1330, S. 57. Vgl. auch VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1327, S. 56. Siehe VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1308, S. 47. Vgl. Kap. 4.2.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Die Proskynemata adressieren fast immer nur Isis; nur in Einzelfällen werden auch Osiris oder Horus angerufen.956 In der bereits mehrfach zitierten, wohl offiziellen Inschrift Syene 201 werden unter anderem Opferanteile bzw. ein Altar des Onnophris (= Osiris) „im Namen(?) der Isis“ aufgeführt.957 In Syene 282, das möglicherweise unter Ptolemaios V. datiert, wird von einer Reise des Osiris(!) nach Nubien berichtet, wobei Gaben der Griechen (= der Ptolemäer?) gebracht wurden.958 Zudem ist eine Bitte an einen männlichen Gott („oh Herr!“) um „reines Wasser, damit es kühle […]“, entsprechend ähnlichen an Osiris gerichteten Wünschen aus Philae, erhalten.959 Die Tempelgöttin wird meist mit ihren Haupttiteln „Isis, die Große“ (As.t wr.t) und/oder „Isis, die große Göttin“ (As.t tA nTr.t aA.t) angesprochen.960 In dem griechischen Proskynema Syene 299 ist mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls „Isi[s, die gr]oße [Göttin]“ zu ergänzen.961 Häufig ist auch die lokale Zuordnung „Herrin von Syene“ (nb.t %wn)962 mit der Variation Hnw.t %wn „Gebieterin von Syene“.963 Desweiteren findet sich der im Rahmen der offiziellen Tempelinschriften diskutierte lokalspezifische Titel HA.t pA mSa „die an der Spitze des Heeres ist“ in einigen demotischen Graffiti der Ptolemäerzeit und zwei Graffiti der frühen Römerzeit wieder.964 Eine recht ungewöhnliche Kombination ist „Isis, die Vollkommene, die große Göttin“ (As.t nfr.t tA nTr.t aA.t).965 Ein Text nennt sie nb.t n pA t[A …] „Herrin des Landes/der Erde […].966 Selten wird die Göttin nur mit ihrem Eigennamen „Isis“ angerufen.967 Besonders ausführlich, aber schlecht erhalten ist das demotische Graffito Syene 203,968 in dem Isis neben ihren allgemeinen und lokalspezifischen Titeln („die große Göttin“, „Herrin von Syene“, „Oberste der Armee“ (Hry pA mSa)) auch als „Herrin der Kraft“ (nb.t 956 Syene 198: Isis („die Herrin von Assuan“) und Osiris (26 v. Chr.), vgl. auch VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1306, S. 45–46; Syene 236: Osiris; Syene 259: Osiris […]; Syene 195: Harsiese und Isis. Vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 113. 957 VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1304, S. 44, liest dagegen rd statt rn: „der Altar des Onnophris, der Verwalter(?) der Isis“. 958 Vgl. den Kommentar von E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 147 959 Syene 277; vgl. Ph. 290; 301; 370; 372; siehe oben, Kap. 6.2.2.2. Auch in dem schlecht erhaltenen, in eine Tabula ansata geschriebenen Proskynema für Isis Syene 246 ist von Wasser, möglicherweise in Zusammenhang mit Philae, die Rede (Z. 3). 960 Syene 182; 198; 203: „Isis, die Große, die große Göttin“; Syene 181(?); 184; 201; 204; 207; 245; 265: „Isis, die große Göttin“; vgl. auch BRESCIANI, Assuan, S. 122; E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 114, m. Anm. 500. 961 Siehe DIJKSTRA, Syene, S. 155–156: Die ursprüngliche, vom ägyptischen HA.t pA mSa inspirierte Lesung .... von Z. 6 (γιστ[ης) durch D. FORABOSCHI, in: BRESCIANI, Assuan, S. 144, als προτ[ομαχω] für πρωτομάχῳ „die in der ersten Reihe kämpft“ ist zu streichen. 962 Syene 203–204; 221; 222(?); 223; 228; 230; vgl. die übliche Haupttitelreihe in den offiziellen Wandreliefs „Isis, die Große, die Gottesmutter, die Herrin von Syene“, siehe Kap. 4.2. 963 Syene 195(?). 964 Syene 203; 213; 220; 228–229; 248. Vgl. auch die zusätzliche Variante Hry pA mSa „die Oberste des Heeres“ in Syene 203–204 und 257(?). Vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 114, m. Anm. 502; LOCHER, Topographie, S. 87; BRESCIANI, Assuan, S. 23; ZAKI, Isis HA.t pA mSa, S. 421–428. Frührömisch sind Syene 213 und 248. Siehe zu dieser Epiklese oben, Kap. 4.2. 965 Syene 251 (79 n. Chr.); siehe auch VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1316, S. 50–51. 966 Syene 220. 967 Syene 269; 281. In Syene 241, 246 und 288 sind eventuelle auf „Isis“ folgende Epitheta nicht erhalten. 968 Siehe auch VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1301, S. 40–42.

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pH.tj)969 angerufen wird. Der genaue Inhalt des Proskynemas ist aufgrund der vielen Lücken nicht eindeutig;970 es scheint, daß der Dedikant nicht nur seinen eigenen Namen (Z. 1), sondern auch denjenigen aller Akteure im Kultdienst (Z. 5–6) dauerhaft vor der Göttin sein lassen will. Das Ende der Inschrift enthält sehr ausführliche Drohformeln gegen etwaige Zerstörer oder Frevler, wobei auch mit der Kürzung der Lebenszeit durch Isis gedroht wird.971 Nur in wenigen Fällen sind konkrete persönliche Bitten und Anliegen nachzuvollziehen. Interessant ist eine Inschrift, die dem Datum und der Formulierung nach eventuell den Tod Vespasians kommemoriert.972 Bei einer schlecht erhaltenen und in einer Kombination aus Hieroglyphen und Demotisch geschriebenen Anrufung, daß die Gottheit(?) zu demjenigen kommen möge, „der den Tod kennt“, könnte es sich um eine Bitte um einen Heiltraum im Rahmen der Tempelinkubation handeln. 973 Dazu paßt auch, daß Isis(?) vielleicht als xnm.t(?) rs n=f „Amme(?), die über ihn wacht“ bezeichnet wird.974 Problematisch in der genauen Bedeutung ist die auf „der den Tod kennt“ folgende Passage: vor Wtn-htn (hieroglyphisch geschrieben), der Gefolgsmann der Isis, der in […] ist. Weder gibt es eine exakte Parallele für diesen Namen, noch ist überhaupt ein Gottesdeterminativ geschrieben, doch handelt es sich bei Wtn um eine Bezeichnung von (göttlichen) Affen, die nach anderen Texten die Sonne bei ihrem Aufgang preisen bzw. deswegen jubeln/kreischen (hTT, seltener hTn).975 Der Name ist möglicherweise von dem Toponym Wtn.t, einem Gebiet in Punt bzw. der Küste des Roten Meeres,976 abgeleitet. CRUZURIBE glaubt (wohl aufgrund des vorangehenden m-bAH), daß es sich bei Wtn-htn („kreischender/jubelnder Affe“) um die angerufene Gottheit handelt, und daß das Folgende sich als Epitheton auf diesen bezieht. 977 Der „Gefolgsmann der Isis…“ könnte aber m. E. vielleicht eher den Petenten selbst bezeichnen. 969 Eine relativ seltene Bezeichnung für weibliche Gottheiten, vgl. LGG IV, 58a. Das Epitheton unterstützt die durch den Haupttitel Hry pA mSa ausgedrückte kriegerisch-militärische Rolle der Isis in Assuan zusätzlich. 970 Vgl. die Kommentare von BRESCIANI, Assuan, S. 128–129; E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 124–125; und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 16.09.2013. 971 Vgl. die kürzeren Drohformeln in Syene 182, und in Philae: Ph. 244; 269; 416–417; 422; 159; 450; IG Philae 190–191. Siehe oben, Kap. 6.2.2.1, Anm. 800–801. 972 Syene 251: „Regierungsjahr 11 von Imperator Caesar Vespasian Augustus, Epiphi, Tag 21. Der Tag der Vollendung (der Lebenszeit). Derjenige, der einen Gruß/eine Totenklage (sm.w) macht vor Isis, der Vollkommenen, der großen Göttin“. Das angegebene Datum ist ca. 3 Wochen später als der Todestag des Kaisers, was in etwa mit der Zeit, welche eine Nachricht brauchte, um nach Ägypten zu gelangen, übereinstimmen könnte. Vgl. den Kommentar von E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 139. Anderes Verständnis (sw arq einfach als letzter Monatstag – die Datumsangabe würde sich dann auf eine Woche Tempeldienst beziehen!) bei VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1316, S. 51. 973 Syene 281; VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1338, S. 60; vgl. E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 147. 974 VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1338, S. 60, liest wmn.t(?) statt xmn.t (= xnm.t?), ohne Übersetzung. Oder ist xmn.t „die Achtheit (von Hermopolis)“ gemeint? 975 Vgl. Wb II, 504, 7–8; LGG II, 629a u. 597b; WILSON, Ptol. Lex., S. 279 u. 608; E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 147. 976 WILSON, Ptol. Lex., S. 269–280. 977 E. CRUZ-URIBE, in: DIJKSTRA, Syene, S. 147.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Unter den figürlichen Graffiti griechisch-römischer Zeit, die sich auf die südliche Außenwand und diejenige der Tempelfront konzentrieren, erscheinen Darstellungen von Gottheiten, Menschen und Tieren, die zum größten Teil nur sehr grob – wohl von Besuchern – eingeritzt wurden und nicht immer klar erkennbar sind.978 Das demotische Graffito eines Imhotep an der Tempelfassade ist mit der Ritzzeichnung eines frontal stehenden Mannes mit Palmzweig in den Händen verbunden, wodurch sein Akt der Verehrung dargestellt wird.979 Eine weitere Zeichnung auf derselben Wand zeigt Isis mit Stab oder Szepter.980 Zudem wurde der Kopf der Göttin von einem der offiziellen Wandreliefs kopiert.981 Zwei griechische Inschriften aus Elephantine assoziieren wie die offiziellen Inschriften des Assuan-Tempels die lokale Triade Chnum, Satet und Anuket mit Isis und Osiris.982 Es handelt sich um eine Weihung des makedonischen Phrurarchen von Elephantine, Asklepiades, an Ptolemaios VIII., Kleopatra II. und III., sowie an hohe Hofbeamte und die genannten Gottheiten in griechischer Auffassung: „Chnoub, Hera, Anuket, Isis und Dionysos“. 6.2.4 Nubien Wie in Kap. 4.3 und 6.2.2.1 dargelegt, übte der Kult von Philae besonders in römischer Zeit einen starken Einfluß auf Nubien aus, weshalb Isis und Osiris von Philae auch dort in vielen Tempeln verehrt wurden. Die Abhängigkeit von und die Verbindungen der Meroiten mit dem großen Heiligtum wird auch in den an verschiedenen nubischen Tempen hinterlassenen Graffiti deutlich, die einige Gemeinsamkeiten aufweisen. So wurde im Tempel von Dakke ein Eid der Priester und Pastophoren der Isis von Philae und des Abaton, dessen genauer Inhalt aufgrund der Lücken unklar ist, geleistet und festgehalten.983 Auch weitere Personen, die Graffiti am Tempel anbrachten oder in solchen erwähnt werden, tragen Titel in Verbindung mit Isis (von Philae).984 In dem hieroglyphisch und demotisch notierten Graffito Dak. 30 berichtet ein Lesonis des Thoth von Pnubs und Verwalter der philensischen Isis von seiner Fahrt nach Philae anläßlich des Geburtsfestes der Isis, sowie von einem Schrein, den er am 22. Epiphi, dem Datum der Flußfahrt der Isis (zum Abaton? oder nach Nubien?), zusammen mit seinem Bruder für Thoth von Pnubs einweihte.985 Tatsächlich handelt es sich um einen Angehörigen der in Philae gut belegten 978 Vgl. DIJKSTRA, Philae, S. 100; ID., Syene, S. 23. 979 Syene 56 + 180; vgl. DIJKSTRA, Syene, S. 23. Zur Bedeutung der Palmzweige in den – besonders meroitischen – Graffiti, siehe oben, Kap. 6.2.2.1 zu Philae; und M. LANGNER, Antike Graffitizeichnungen. Motive, Gestaltung und Bedeutung, Palilia 11, Wiesbaden 2001, S. 31–32. 980 Syene 59; vgl. auch DIJKSTRA, Structuring Graffiti, S. 85, Abb. 4. 981 Syene 61; vgl. DIJKSTRA, Syene, S. 65 u. 69: Es könnte sich auch um eine Vorzeichnung für das entsprechende Relief handeln. 982 I. Thèbes 243 und 246. Bei der zweiten Inschrift ist der Name des Dedikanten nicht erhalten. Vgl. Kap. 4.2. 983 Dak. 12; siehe GRIFFITH, Catalogue, S. 21–22; BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 97–98; FHN II, Nr. 185; G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 16.09.2013. 984 Dak. 7: Verwalter der Isis; Dak. 15: Verwalter und Wab-Priester der Isis, außerdem geschrieben vom Schreiber des Tempels der Isis vom Abaton und Philae; Dak. 25: Oberster …? der Isis vom Abaton und von Philae; Dak. 29: Verwalter der Isis vom Abaton und von Philae; Dak. 30: Qorene und Verwalter der Isis; Dak. 33: Qorene und Verwalter der Isis. 985 Siehe dazu GRIFFITH, Catalogue, S. 26–31; BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 99–101; FHN III, Nr. 251; RUTHERFORD, Island, S. 242; BUMBAUGH, Meroitic Worship, S. 30; DIJKSTRA, Philae, S.

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meroitischen Wayekiye-Familie.986 Isis nennt er „die Oberste des ganzen Landes“ (tA Hrj.t n pA tA Dr=f)987 und wie üblich „die große Göttin“. An die Wünsche zugunsten des Königs, die aus Proskynemata in Philae bekannt sind, erinnert die in den Details nicht ganz klare Inschrift Dak. 15, in der Wohltaten für Isis von Philae dokumentiert werden, die als Gegenleistung für den Lebensatem des Königs getan wurden.988 Sowohl in Dakke als auch im Mandulis-Heiligtum von Kalabscha und in Qertassi verwenden einige Graffiti wieder die Bezeichnungen SAy und SpSy.t, von denen bereits oben im Zusammenhang mit den Graffiti von Philae und oHor 10 die Rede war. In Dakke scheint mit pA SAy aA „der große Schai“ (etwa im Sinne von „der große Gott/der große Agathodaimon/Ortsgott)989 mehrfach der Tempelherr Thoth von Pnubs gemeint zu sein.990 In entsprechender Weise wird aber auch Isis in Kalabscha als pA Sye As.t n [p] Xve(?) „Der Schai/die Gottheit Isis von der Terrasse(?)“ bezeichnet.991 Im Steinbruch von Qertassi, wo die Göttin in den aus der ersten Hälfte des 3. Jhs. stammenden Proskynemata als As.t n tA Xe.t „Isis vom Steinbruch“992 und As.t n PA-Ra-wyny „Isis von ‚Die Sonne leuchtet‘“993 der lokalen Umgebung zugeordnet wird, folgt auf ihre Nennung einmal Sy tA hy[…?].t994 und einmal (m-)bAH pA Sy […],995 wobei zumindest letztere Formulierung darauf hindeutet, daß mit pA Sy eine separate Gottheit gemeint ist.996 Besonders im Hofbereich des Mandulis-Tempels in Kalabscha wurden außerdem griechische Proskynemata angebracht,997 von denen einige ausführliche metrische Hymnen enthalten und außerdem Aufschluß über einen Orakelbetrieb innerhalb des Heiligtums geben, bei dem die Ratsuchenden wahrscheinlich durch Inkubation eine Vision des Gottes erhielten.998 Allein zwei der metrischen Inschriften sowie ein Prosa-Proskynema stammen von einem Angehörigen des Militärs namens Paccius Maximus mit möglicherweise nubischen Wurzeln, der im späten 1. Jh. n. Chr. in der Region tätig war und ein weiteres

986 987 988 989 990 991 992 993 994 995 996 997 998

208–209; G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 16.09.2013; TÖRÖK, Between Two Worlds, S. 461–462; KOCKELMANN, Zur Kultpraxis, S. 100–101; MOJE, Kultwissen, S. 124–127, Dok.01; ID., Schrift- und Sprachwahl, Nr. [02]. Siehe dazu oben, Kap. 6.2.2.1. Vgl. entsprechende Bezeichnungen in den Graffiti von Philae, besonders TsjA.t aA.t n pA tA Dr=f im Graffito Ph. 410, das ebenfalls von einem Mitglied der Wayekiye-Familie stammt; siehe oben, Kap. 6.2.2.2. Vgl. dazu auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 340; DOUSA, Imagining Isis, S. 162, Anm. 51. Siehe GRIFFITH, Catalogue, S. 22–23; BURKHARDT, Ägypter und Meroiten, S. 98–99. Für diese Bedeutung vgl. QUAEGEBEUR, Shaï, S. 146 u. 161. Dak. 30–33. In der Götteraufzählung des Proskynema Dak. 1 ist bAH pA SAy aA tA SpSe aA.t deutlich von dem zuvor genannten Thoth von Pnubs abgetrennt. Möglicherweise sind Osiris und Isis gemeint. Kal. 3; GRIFFITH, Catalogue, S. 37: die Lesung des letzten Wortes ist unsicher. Siehe zu der Stelle auch QUAEGEBEUR, Shaï, S. 87. Girt. 3–5. Girt. 2. Alle Graffiti sind um einen nach Osten gerichteten Felsschrein in Form einer Nische im Steinbruch platziert, vgl. GRIFFITH, Catalogue, S. 38–39; siehe zu der Nische und den Graffiti auch ROEDER, Blumen der Isis, S. 119. Girt. 5. Vielleicht hy[Ae].t „Vorhalle“, vgl. Ph. 43 u. 45: „im Namen des Schai der Vorhalle“. Siehe GRIFFITH, Catalogue, S. 39; CDD, h, S. 3; LGG VII, 7c. Girt. 3. Vgl. QUAEGEBEUR, Shaï, S. 87. Siehe Kalabchah, 237–293; IM 165–169. Dazu ausführlich TALLET, Interpréter les signes; KNUF, Poet und Pilger.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Proskynema dieser Art im Sarapis-Tempel von Maharraqa hinterließ, in dem ein Mitdedikant, Bruttius Bruttaras nach ägyptischer Art als „geliebt von Isis Pharia“ apostrophiert wird.999 Gerichtet an den mit Apollon, Helios und Aion identifizierten lokalen Hauptgott Mandulis, erweisen die Anrufungen ebenso wie die offiziellen Wandinschriften des Tempels von Kalabscha 1000 aber auch der überregionalen Vormachtstellung der Isis Reverenz: eine der Hymnen an Mandulis endet mit der Aussage, daß Talmis (Kalabscha) unter dem Szepter der „10.000-namigen (μυριώνυμος) 1001 Isis mit schönem Haar (εὐέθειρα)“ sei. 1002 Sowohl Paccius Maximus als auch der unbekannte Autor einer weiteren Hymne sehen Mandulis „zur Rechten der Isis schreiten“,1003 was möglicherweise auf ein entsprechendes Götterbild verweist, welches die Orakelsuchenden sehen konnten. In IM 167 ist zu Beginn innerhalb der Epitheta des Mandulis, welcher mit Paian gleichgesetzt wird, in einem leider zerstörten Zusammenhang von einer „schwarzen Robe für(?) die Königin Isis“ die Rede.1004 Dies erinnert stark an das Schlußgebet der dritten Isis-Hymne des Isidoros in Medinet Madi, in dem er die „schwarzgewandete, barmherzige Isis“ anruft, ihm Paian zu schicken.1005 In einem anderen Text bittet Paccius Maximus „die Königin Isis“ und Mandulis um militärischen Erfolg und verspricht den Gottheiten dafür ewige Libationen und Ehrungen.1006 Dies paßt in den militärischen Kontext anderer Anrufungen an Isis aus Philae und Assuan.1007 Die in IM 167 und 169 verwendete Anrede der Isis als Königin (βασιλίσσα) spiegelt entsprechende hieroglyphische Benennungen in den bei der offiziellen Wanddekoration verwendeten Hymnen wider 1008 – dort sind Name und Haupttitel der Göttin außerdem in eine Königskartusche geschrieben. Dies deutet darauf hin, daß entsprechende Angaben oder Belehrungen von Seiten der Priesterschaft an die Rat 999 Metrische Inschriften: IM 168–169. Prosa-Proskynema: Kalabchah, S. 276–277, Nr. 19. Proskynema in Maharraqa: SB 8542 (= CIG 5119); siehe dazu auch BRICAULT, Dame des flots, S. 108, Anm. 46. Zu der Person des Paccius Maximus und seinen Inschriften siehe G. WAGNER, Le Decurion Paccius Maximus, Champion de l’Acrostiche, in: ZPE 95, 1993, S. 147–148, der glaubt, daß auch die ähnliche metrische Inschrift IM 167 von ihm stammt, vgl. aber É. BERNAND, IM, S. 591; S. M. BURSTEIN, Paccius Maximus: A Greek Poet in Nubia or a Nubian Greek Poet?, in: CRIPEL 17, 3, 1998, S. 47– 52; ID., A Soldier and his God in Lower Nubia: The Mandulis Hymns of Paccius Maximus, in: V. Christides (Hrsg.), Proceedings of the Sixth International Congress of Graeco-Oriental and African Studies, Nicosia 30 April – 5 May 1996, Graeco-Arabica 7–8, Nicosia 2000, S. 45–50; TÖRÖK, Between Two Worlds, S. 444–445. 1000 Vgl. Kap. 4.3.1.2. 1001 Vgl. zu diesem Epitheton die griechischen Inschriften IG Philae 162; 168; 180–181, siehe oben, Kap. 6.2.2.2. 1002 IM 166, Z. 20–21; Kalabchah, S. 240–241, Nr. 4; TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 102–103, Nr. 40; A. D. NOCK, A Vision of Mandulis Aion, in: Z. Stewart (Hrsg.), Essays on Religion and the Ancient World I, Oxford 1972, S. 357–400; TALLET, Interpréter les signes (Transkription und Übersetzung: S. 348–349). 1003 IM 167, Z. 11; IM 168, Z. 26: δεξιὸς Ἴσιδι βαίνων. Zu diesen Stellen auch KNUF, Poet und Pilger, S. 286, Anm. 67. 1004 IM 167, Z. 3: ὅ τὴν μελανόστολον βασιλίσῃ Ἴσειδι έ[…].  1005 MM III, Z. 34–36; siehe dazu oben, Kap. 6.1.2.1. 1006 IM 169, Name in Z. 6; TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 111, Nr. 43. 1007 Siehe oben, Kap. 6.2.2.1–2, besonders Ph. 421 (Z. 9–10); IG Philae 159; und den Titel HA.t pA mSa in Assuan. 1008 Z. B. Kalabchah I, 15–16: nswy.t bjtj.t [(As.t wr[.t] mw.t-nTr), oder die Titulatur mit weiblichem Horusnamen in Kalabchah I, 117–118; siehe oben, Kap. 4.3.1.2.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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bei der Gottheit suchenden Gläubigen weitergegeben wurden, oder aber Mitglieder der Priesterschaft sogar für die Komposition der ausführlichen Proskynemata bzw. deren Vorlagen verantwortlich zeichneten. 1009 Diese Theorie wird durch die relativ geringe Zeitspanne zwischen offizieller Wanddekoration (unter Augustus) und Anbringung der Graffiti (Paccius Maximus: spätes 1. Jh. n. Chr.) zusätzlich unterstützt. Eine weitere metrische griechische Inschrift, die in iambischem Trimeter abgefaßt wurde, stammt von einem gewissen Sansnos, dessen Name auf einen ägyptischen kulturellen Kontext hindeutet.1010 Sie stammt aus dem 2.–3. Jh. n. Chr. und ist mit QUACK vor dem Hintergrund ägyptischer Weisheitslehren zu verstehen,1011 da ähnlich wie dort zum frommen Verhalten in Heiligtümern und zur Verehrung der Götter aufgefordert wird. Durch die besondere Hervorhebung von Isis und Sarapis handelt es sich gleichzeitig um einen Propagandatext: Verehre das Göttliche, opfere allen Göttern! Tritt an jedes Heiligtum mit Proskynema heran! Halte am höchsten die Heimischen und verehre Isis und Sarapis, die größten der Götter als Retter, Gute, Wohlgesinnte, Wohltäter!1012 Ebendiesen Anspruch des Sansnos, der möglicherweise dem lokalen Tempelpersonal zuzurechnen ist,1013 haben zahlreiche Gläubige verschiedener Herkunft in den Heiligtümern am ersten Katarakt und in der Dodekaschoinos tatsächlich erfüllt, wie die Texte zeigen. Auch an weiteren nubischen Tempeln zeugen Graffiti von der Verehrung von Osiris bzw. Sarapis und Isis, so z. B. in Maharraqa, wo die demotischen Proskynemata sich vor allem an Osiris und Isis richten,1014 während sich römische Militärangehörige (wie Paccius Maximus) in den griechischen Inschriften an Isis und Sarapis wenden.1015 Sie werden unter anderem als „Vielnamige (πολυώνυμος) Isis“ und „Helios Sarapis“ bezeichnet.1016 Die Anzahl der griechischen Verehrungsbezeugungen übersteigt hier deutlich diejenige der ägyptischen Texte. 1009 Zu ähnlichen Schlüssen kommt aufgrund anderer Beobachtungen auch TALLET, Interpréter les signes, S. 367; 375; und passim. Teilweise läßt sich außerdem feststellen, daß mehrere Proskynemata von derselben Schreiberhand stammen, vgl. dazu É. BERNAND, IM, S. 591. 1010 IM 165; TOTTI, Ausgewählte Texte, S. 123, Nr. 47; siehe auch A. N. OIKONOMIDES, The Commandments of Amenotes and the Commandments of Sansnos, in: Sarapis 5, 1979/80, S. 43–50: 48–50; VOLOKHINE, Déplacements pieux, S. 85; QUACK, Literatur, S. 156. 1011 Vgl. QUACK, Literatur, S. 156. Siehe zu Weisheitstexten auch Kap. 6.4.2.2. 1012 Die letzten beiden Zeilen mit den Epiklesen von Isis und Sarapis lauten im griechischen Originaltext: Ἴσιν Σάραπιν το[ὺς με]γίστους τῶν θεῶν [σω]τῆρας ἀγαθο[ύς εὐμε]νεῖς εὐεργέτας. 1013 Vgl. TALLET, Interpréter les signes, S. 376. 1014 Mah. 1 und Mah. 3–5. In Mah. 1 erhält Isis möglicherweise die topographische Zuordnung „von Takompso(?)“ (n &j-km(?)-[sw(?)]), das sich wohl nahe bei Maharaqqa befand. Eventuell heißt es auch in Mah. 4 „Osiris, Horus, Isis, Nephthys und die Götter von Takompso(?)“. Vgl. dazu einen Altar des „Amun von Takompso“ in Philae, siehe Kap. 4.1.2, Anm. 489. Siehe zum Toponym VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 643–644. 1015 SB 301 ([Ἴσ]ις  πάνκαλος „Isis, die gänzlich Schöne“); 4116 („Herrin Isis“); 8537; 8539; 8542– 8543. Vgl. HERKLOTZ, Prinzeps und Pharao, S. 146. 1016 SB 8543. Zu πολυώνυμος (ein weiteres Mal sicherlich für Isis in SB 8537) vgl. MM I, Z. 26, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. auch den Beinamen μυριώνυμος in IG Philae 162; 168; 180–181; und IM 166 in Kalabscha.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Theben

6.2.5.1 Demotische Graffiti im Westgebirge Das thebanische Westgebirge ist zwar im Kontrast zu den in den vorigen Abschnitten besprochenen Anbringungs- bzw. Aufstellungsorten von Graffiti und Inschriften kein Heiligtum im eigentlichen Sinne, kann jedoch aufgrund seiner religiösen Bedeutung und der zahlreichen dort lokalisierten Gräber und Tempel durchaus in seiner Gesamtheit als heiliger Raum angesehen werden. Unzählige Graffiti wurden an verschiedensten Stellen in die Felsoberfläche eingeritzt.1017 Darunter befinden sich drei demotische Gebete an Isis aus spätptolemäischer bis römischer Zeit, welche die Ausstrahlung des (west)thebanischen Isiskultes1018 einerseits und die partielle Übernahme gewisser literarischer Hymnentraditionen durch Privatpersonen andererseits bezeugen.1019 Eines der drei Graffiti befindet sich im Tal der Königinnen (Theben 3156), die anderen beiden im Tal der Steinbrucharbeiter (Theben 3462 und 3445). Über den Kontext der Anbringung ist praktisch nichts bekannt.1020 Ein Großteil des langen Gebetes von Theben 3156 verwendet wie pHeid. dem. 736 vs. und oHor 10 die Formel „Komm zu mir!“ zu Beginn jeder Epiklese.1021 Darauf folgt hier jeweils der Name Isis und ein meist mit nb.t „Herrin (von)“ gebildetes kurzes Epitheton, wodurch die einzelnen Anrufungen sehr viel kürzer als in den beiden anderen zitierten Texten sind. Außerdem nehmen sie jeweils genau eine Zeile ein. In der ersten Zeile spricht der Autor des Graffito die Göttin persönlich mit „Isis, meine Gebieterin (tAy(=y) Hnw.t)“ an. 1022 Die einzelnen, darauf folgenden und meist mit nb.t 1023 der Göttin zugeordneten Bereiche und Eigenschaften sind in einigen Fällen nicht mehr (vollständig bzw. sicher) lesbar;1024 die erhaltenen Epitheta zeigen jedoch keine ungewöhnlichen Inhalte. Isis wird

1017 Vgl. J. ČERNY et al., Graffiti de la Montagne Thébaine, CEDAE, Kairo 1969–1977; P. J. PEDEN, The Graffiti of Pharaonic Egypt. Scope and Roles of Informal Writings (c. 3100–332 B. C.), PÄ 17, Leiden – Boston – Köln 2001, passim. 1018 Vgl. dazu oben, Kap. 4.7–8. Auch auf einem Fragment einer Sandsteinstele mit demotischer Inschrift wird „Isis, die in Djeme residiert (Hrj-ib ©mAa)“ sowie Month von Armant Reverenz erwiesen, was die Vergesellschaftung dieser beiden Gottheiten in Deir el-Schelwit widerspiegelt: VLEEMING, Some Coins, Nr. 215, S. 217–218 (CGC 31152). 1019 Graffiti Theben 3156; 3462 und 3445. Erstedition: JASNOW, Demotic Graffiti, S. 91–93 u. 97–105; Neuedition: KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 18–30 (Nr. 3–5); VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1535; 1550; 1553. Vgl. dazu auch KLOTZ, City of Amun, S. 130; LANCIERS, Isis Cult II, S. 403. In Theben 3445 ist der Name Isis tatsächlich nirgends leserlich erhalten, doch der Inhalt zeigt deutlich, daß von ihr die Rede ist, vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 28. 1020 Vgl. DOUSA, Praising Isis, S. 242. 1021 Siehe oben, Kap. 6.1.1 und 6.2.1.1. Vgl. zu der Einleitungsformel KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 42–43. Auch STADLER, Einführung, S. 108, ordnet diese drei Texte aufgrund der genannten Gemeinsamkeit in eine Gruppe ein. 1022 Die Zeilenzählung folgt der Edition von KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 18–24 (Nr. 3), der m. E. korrekt die linke Kolumne vor der rechten liest, vgl. den Kommentar ibid., S. 18. Anders noch JASNOW, Demotic Graffiti, S. 100–105. Vgl. auch die Übersetzung von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 04.10.2013; und VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1535, S. 152–155. Eine auszugsweise Übersetzung des Graffito bietet außerdem F. HOFFMANN, Ägypten, S. 140. 1023 Z. 2–4 und 7–13. 1024 Z. 2–7 und 14–18.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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wie in zahlreichen Tempelinschriften und anderen Texten besonders als Herrin Ägyptens und allen Landes bezeichnet: – – – –

tA wby tA.wj „die Herrin der Beiden Länder“1025 tA nb.t &Kmy(?)\ „die Herrin von Ägypten“1026 tA nb.t n pA tA &Dr\=f „die Herrin des gesamten Landes“1027 Pr-aA[.t](?) &a.w.s.\ n &tA(?)\ [nb(?)] „die Königin, L.H.G., der ganzen(?) [Erde(?)]“1028

Auch tA nb.t arA[.t] „die Herrin der Uräusschlange“ 1029 kann unter anderem ihren Herrschaftsaspekt hervorheben. Allgemeine Epitheta, die ihre göttliche Würde und ihre Liebe bzw. ihren Liebreiz loben, sind tA nb.t SfA.t und tA nb.t mr.t.1030 Ungewöhnlicher ist das zweimal hintereinander verwendete tA Hs.t „die Gepriesene“,1031 wenngleich inhaltlich eng verwandte Epitheta häufig in den Tempelhymnen verwendet werden.1032 In Z. 17 steht eventuell, vielleicht als passende Überleitung zu dem persönlichen Anliegen der Betenden, tA nb.t nA gb(.w)(?) „die Herrin der Schwachen“.1033 Nach dem homogenen Teil mit den „Komm zu mir, Isis…“-Anrufungen (Z. 1–18) folgen nämlich längere Sätze, die zunächst offenbar die persönliche (Not?-)Situation einer Gruppe von Personen, die als Urheber des Graffitos anzusehen sind,1034 schildern (Z. 19–22). In der 1. Pers. Pl. wird nach zwei stark lückenhaften Zeilen von einem drei Jahre und sechs Monate währenden Aufenthalt im Westen berichtet (Z. 21); der für das genaue Verständnis der Umstände entscheidende Ausdruck iw=n xtm ist jedoch in der Interpretation nicht eindeutig. Entweder waren die

1025 Z. 10; vgl. dazu KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 20–21; DOUSA, Imagining Isis, S. 161–162, m. Anm. 48 (mit falscher Referenz auf Ph. 417 statt Ph. 416), u. S. 183. Vgl. auch wpj tA.w in Ph. 416, siehe oben, Kap. 6.2.2.2. 1026 Z. 12; vgl. pBerlin P. 6750, x+6, 4; siehe oben, Kap. 6.1.2.2. 1027 Z. 13; vgl. oHor 10, Z. 7 (Variante nTr.t aA.t n pA tA Dr=f); Ph. 255; 408; 410 (Variante tA TsyA.t (aA.t) n pA tA Dr=f), siehe oben, Kap. 6.2.1.1 und 6.2.2.2. 1028 Z. 14; zum Ergänzungsvorschlag siehe KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 22. Vgl. oHor 10, Z. 16: tA pr-aA.t a. w. s. n tm nb; IM 167 u. 169: βασιλίσσα, siehe oben, Kap. 6.2.1.1 und 6.2.4. 1029 Z. 11; vgl. oHor 10, Z. 2–3, Kap. 6.2.1.1. 1030 Z. 8–9. Vgl. dazu KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 55 u. 68. 1031 Z. 14: direkt vor dem oben zitierten Pr-aA[.t](?) &a.w.s.\ n &tA(?)\ [nb(?)]; Z. 15: der folgende Ausdruck ist nicht erhalten. Vgl. LGG V, 477: es handelt sich nicht um eine bekannte Göttinnenbezeichnung. Für männliche Gottheiten sind Verbindungen mit Hsj „Der Gepriesene“ dagegen mehrfach belegt, siehe LGG V, 474c–476a. 1032 Besonders der Königinnentitel wr(.t) Hsw.t „groß an Gunst/Lobpreis“, u. a. in Philae-Hymne 3 und Parallelen, und Assuan-Hymne 3 und Parallelen. Vgl. dazu auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 68–69. In oHor 10, Z. 12–13, werden Hs.t und SfA.t in direktem Zusammenhang genannt und den Bereichen Menschen (Lob) respektive Götterwelt (Ansehen) zugeordnet, siehe oben, Kap. 6.2.1.1. 1033 Lesevorschlag von M. SMITH, vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 21–22. Vgl. dazu Deir Chelouit III, Nr. 121: qnj Xs n=s m rA-a.wj „Stärke und Schwäche sind für sie als Werk (?)“, und wahrscheinlich (ergänzt) pHeid. dem. 736 vs., Z. x+4–5: „[K]omm zu mir, Isis, wie [zu den Schwachen: wenn sie zu dir rufen,] dann werden sie stark!“; siehe oben, Kap. 4.8.1.A und 6.1.1. 1034 Vgl. die (schlecht erhaltene) Nachschrift des Textes, Z. 25–26: „[…] Schreiben, das wir gemacht haben (für) Isis, die Worte, die wir sprechen […]“.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

betreffenden Personen im Westen „eingeschlossen“, also wohl gefangen oder verirrt,1035 oder aber sie waren als Siegler (wohl von Gräbern) dort zuständig.1036 Jedenfalls bittet die Gruppe die Göttin darum, von nun an Ruhe finden zu dürfen (Z. 22). 1037 Unmittelbar anschließend richten sich die Betenden mit einem ganzen, pantheistisch anmutenden (wohl rhetorischen) Fragenkatalog bezüglich ihres Aufenthaltsortes an Isis (Z. 22–25), der sowohl inhaltlich als auch von seiner Positionierung her – direkt nach der eigentlichen Bitte – stark an einen entsprechenden Abschnitt in MM III (Z. 20–27) erinnert, wenngleich es sich dort nicht um direkte, sondern um indirekte Fragen handelt.1038 Jeweils eingeleitet mit in tw=t n „Bist du in…?“, einer Konstruktion, die auf in zahlreichen religiösen Kompositionen bis in griechisch-römische Zeit hinein belegte mittelägyptische Vorbilder zurückgeht, 1039 listen die kurzen Phrasen des Graffito verschiedene Bereiche des Kosmos auf, in denen die Präsenz der Göttin vermutet wird.1040 Im Einzelnen sind dies (soweit erhalten): der Himmel (tA p.t), der Boden (pA itn), das Meer/der Nil (pA ym), der Urozean (pA nnj), der Wald (pA Ste), das Holz (pA xt) und schließlich komplexere religiöse Ausdrücke wie n tA iVy &m-bAH\ [pA] &Ra\ „im Horizont &vor\ [P]&re\“,1041 und n [tA] dwA.t m-bAH Wsjr „in der Unterwelt vor Osiris“, sowie n [nA StA].w n hwr „in den Wäldern der hwr-Pflanze“. Die (religiösen?) Implikationen des letzten Ausdrucks sind unklar; im Mythos vom Sonnenauge (Mythus, 12, 23) und in Setne II, 4, 3, wird ein solcher Wald in Nubien lokalisiert, es handelt sich also wahrscheinlich um eine dort ansässige Baumart. 1042 Könnte dies darauf hindeuten, daß es sich bei der Gruppe von Leuten, die das Gebet hinterlassen haben, um Personen aus Nubien handelte? Darauf gibt es ansonsten allerdings keinerlei Hinweise, wenngleich die Gewohnheit, Graffiti zu Ehren von Isis zu hinterlassen, gerade bei Meroiten sehr beliebt war, wie die diskutierten Texte aus Philae und der Dodekaschoinos demonstrieren. Im Vergleich mit dem entsprechenden Abschnitt in MM III läßt sich zumindest feststellen, daß Isidoros die 1035 Zu dieser Interpretation vgl. oHor 10, Z. 18–19, und MM I, 29, wo Isis als Fesslerin und Befreierin von Gefangenen gelobt wird, siehe Kap. 6.1.2.1 und 6.2.1.1. 1036 Vgl. die Diskussion bei JASNOW, Demotic Graffiti, S. 103–104, T), und KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 23: Es könnte sich um einen Infinitiv oder ein PsP handeln. Der Gebrauch von xtm „(ver)siegeln, einschließen“ ist jedoch sonst nur für Objekte, nicht für Personen und Lebewesen belegt. 1037 Htp=n (n-)TAj pA hrw r-Hry; vgl. die gegenüber KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 21 („Wir haben hier geruht…“), verbesserte, prospektivische Übersetzung bei DOUSA, Praising Isis, S. 252; und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 04.10.2013. 1038 Siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Vgl. auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 56–57, der die inhaltliche, jedoch nicht die strukturelle Verwandtschaft (Positionierung des Abschnittes nach der Bitte) notiert. 1039 Vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 56; besonders beliebt offenbar in osirianischen Texten: siehe ASSMANN, Totenliturgien I, S. 505–507; H. BEINLICH, Zwei Osirishymnen in Dendera, in: ZÄS 122, 1995, S. 5–31, bes. S. 19, m. Anm. 172. Es sei außerdem auf die Frage „Wo verbringt das Gold (= Hathor-Schentait) die Nacht?“ mit folgender Aufzählung von Hathor-Kultstätten in den osirianischen Ritualtexten des Osirisbeckens von Koptos („cuve osirienne“) verwiesen, siehe oben, Kap. 4.10.3. 1040 Siehe zu diesem Abschnitt auch DOUSA, Imagining Isis, S. 164, Anm. 57. 1041 Lesung und Ergänzung nach KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 22 u. 24. 1042 Siehe dazu, mit weiteren Belegen, M. SMITH, pHarkness, S. 107; J. F. QUACK/K. RYHOLT, Notes on the Setne Story P. Carlsberg 207, in: Frandsen/Ryholt (Hrsg.), Carlsberg Papyri 3, S. 151–163: 153– 154.

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Aufzählung mit der Überleitung zu seinem eigenen Heimatort (in diesem Fall identisch mit dem Anbringungsort) beschließt: „Wenn du auch hier präsent bist…“ (Z. 28). Von dem abschließenden Ausdruck abgesehen, ist der Katalog der möglichen Aufenthaltsorte der Göttin im thebanischen Graffito offenbar in Form von komplementären Begriffspaaren angeordnet: 1043 Himmel – Boden (= Erde), Meer/Nil – Urozean, Wald – Holz, Horizont/[Pre?] – Unterwelt/Osiris. Es handelt sich im Graffito also um ein anderes Ordnungsschema als in der MM III-Passage, die in erster Linie nach den Himmelsrichtungen geordnet ist. In beiden Texten werden jedoch die Bereiche Sonnenaufgang und Sonnenlauf sowie Himmel/Götterreich thematisiert. Speziell zu dem ersten Begriffspaar existiert bereits eine Parallele in einer entsprechenden Frage in einem Sargtext-Spruch: in-iw=k m p.t in-iw=k m tA Bist du im Himmel? Bist du in der Erde?1044 Die komplementären Bereiche Himmel und Erde (hier: Boden) bzw. Himmel, Erde und Unterwelt werden Isis in zahlreichen Texten griechisch-römischer Zeit systematisch zugeordnet. 1045 In einigen Texten, besonders aus Dendara, wird diese Grundstruktur um zusätzliche Bereiche, die teilweise den in Theben 3156 genannten entsprechen, erweitert, z. B. „die Herrin von Himmel, Erde, Unterwelt, Wasser, Gebirgen und Urozean“. 1046 Zu vergleichen ist auch ein Abschnitt der Isis-Hymne Deir Chelouit III, Nr. 155, in dem der Göttin verschiedene Bereiche der Natur zugeordnet werden.1047 Die Gegenüberstellung von „im Horizont vor Pre(?)“ und „in der Unterwelt vor Osiris“ ist für Isis bereits ähnlich aus der mehrfach belegten Hymne mit der Namensformel bekannt: die du glänzend/wirkmächtig bist im Himmel bei Re in jenem deinem Namen ‚Glänzende/Wirkmächtige‘, (…) die Erhabene in der Unterwelt bei Osiris in jenem deinem Namen Tjenenet.1048 Weniger geläufig ist die Verbindung der Isis mit „Wald“ und „Holz“,1049 ein Bereich der im Gebet des Graffito durch das abschließende, spezifischere „Wälder der hwr-Pflanze“ relativ dominant erscheint. 1043 Ein Problem bildet allerdings die Frage mit dem nicht mehr lesbaren Ausdruck am Anfang von Z. 24 (zwischen den Fragen/Zuordnungen zu „Holz“ und „Horizont“), die die Paar-Struktur bereits dort unterbrechen müßte. 1044 CT 834, und Parallelen, siehe ASSMANN, Totenliturgien I, S. 505–507. 1045 Siehe z. B. oHor 10, Z. 10: „Herrin von Himmel und Erde“; Ph. 417: „die Befehlshaberin des Himmels, der Erde und der Unterwelt“, siehe oben, Kap. 6.2.1.1 und 6.2.2.2. Vgl. auch DOUSA, Imagining Isis, S. 164. Diese Zwei- bzw. Dreiteilung hat auch in der thebanischen Funerärliteratur eine lange Tradition, vgl. dazu TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 85, an)–ao), mit weiterführender Literatur. 1046 Dend. III, 103, 6–11; vgl. auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 56. Siehe LGG IV, 51a–b, für weitere, ähnliche Belege. Siehe oben, Kap. 4.6.2. 1047 Siehe oben, Kap. 4.8.1.A. 1048 Assuan-Hymne 5, mit Parallelen in Dend. XIV, 210, 11–211, 5; und Dend. XV, 25, 7–26, 14. Siehe oben, Kap. 4.2.1.A und 4.6.2. 1049 Mit xt „Holz“ wird sie in Deir Chelouit III, Nr. 154 in der Wendung Ax.t sxp(r.t) xt-n-anx „das Fruchtland, das das Getreide („Holz des Lebens“) entstehen läßt“ in Verbindung gebracht, wobei hier ihre fruchtbarkeitspendenden Kräfte im Vordergrund stehen. In ähnlichem Zusammenhang steht auch

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Die beiden Graffiti im Tal der Steinbrucharbeiter, Theben 3462 und 3445,1050 zeigen eine enge Verwandtschaft miteinander. Sie sind jeweils von einem eingeritzten Rahmen umgeben und benutzen teilweise dieselben Phrasen, die wiederum offenbar Auszüge aus dem Isishymnus von pTebt. Tait 14 (und Parallelen) zitieren.1051 So beginnen beide Texte mit der Anrufung „Oh, ihr Leute aller Länder!“, 1052 worauf in Theben 3462 auch noch die Aufforderung „Ruft zu Isis, der großen Göttin!“ folgt,1053 während die entsprechende Stelle in Theben 3445 (Z. 2) Isis passend zur Umgebung als Herrin des Westens nennt (As.t(?) tA nb(.t) imnt.t).1054 In ähnlicher Weise wie einige der von Meroiten stammenden demotischen Graffiti in Philae1055 berichtet Theben 3462 wohl von der Reise einer Gruppe von Personen – in diesem Fall offenbar mit dem Ziel des Heiligtums von Amenhotep, S. d. Hapu, in Deir el-Bahari.1056 Isis wird von dem Autor der Inschrift als schützende und helfende Göttin gepriesen, die diejenigen erhört, die zu ihr flehen, und besonders Reisende.1057 So begründet er die universale Aufforderung, zu Isis zu rufen, mit der allgemeingültigen1058 Aussage: xr sDm=s n nw nb bw-irj=s xAa pA ntj aS n=s n pA myt Sie erhört zu jeder Zeit,1059 sie verläßt den nicht, der zu ihr ruft auf dem Weg. (Z. 2–4)

1050

1051 1052 1053 1054 1055 1056 1057 1058 1059

nb(.t) Ax.t HqA.t wADwAD AxAx Sn.w nb m wbn=s „die Herrin des Feldes, die Herrscherin der Vegetation, bei deren Aufgang alle Bäume erblühen/sprießen“, Philä II, 338–339 (passend in einer Sträußeüberreichen-Szene). Mit einzelnen heiligen Bäumen werden Isis, aber auch andere Göttinnen, in den mythologisch-kulttopographischen Handbüchern in Verbindung gebracht, z. B. im Deltapapyrus (14, 1–2 u. 7–8), in pTebt. H I (X 3, 23), und in pJumilhac (14, 8–13); auch in der Opferlitanei von pCarlsberg 206 werden nach der Litanei für Sothis Opfer an ihr bzw. dem Tempel (pr-xfy.t von Oxyrhynchos) zugeordnete Materia sacra, darunter heilige Hölzer (x+4, 11) aufgezählt, vgl. TÖPFER, Sothisritual, S. 84 u. 101–103; siehe zu diesen Texten oben, Kap. 4.13. Theben 3462: KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 25–27 (Nr. 4); JASNOW, Demotic Graffiti, S. 91–93; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 356; ID., Demotische Hymnen, S. 266–267; G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 07.10.13; VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1553, S. 165–166. Theben 3445: KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 28–30 (Nr. 5); JASNOW, Demotic Graffiti, S. 97–100; G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 07.10.13; VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1550, S. 162– 163. Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 355–356; ID., Demotische Hymnen, S. 266 (nur zu Theben 3462); ID., Lobpreis, S. 59. Siehe oben, Kap. 6.1.4. iw-iw=y nAy tA.w Dr=w (Theben 3462, Z. 1) bzw. iw=y nAy tA.w Dr=w (Theben 3445, Z. 1). Vgl. pCarlsberg 652 vs., Fragmentgruppe 2, x+7 (= pTebt. Tait 14, x+5): [na] nA tA.wj Dr=w. aS n As.t tA nTr.t aA.t (Z. 1–2); vgl. pCarlsberg 652 vs., Frge. B–D, x+7 (= pTebt. Tait 14, x+5): aS n As.t. So nach VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 1550, S. 162–163. Nicht gelesen (bis auf tA nb(.t)) von KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 28–30; JASNOW, Demotic Graffiti, S. 98. Zu Isis als Herrin des Westens bzw. des Westgebirges vgl. die Tempelinschriften von Deir el-Schelwit, Kap. 4.8. Besonders Ph. 416 und 421; siehe oben, Kap. 6.2.2.2. Der letzte, durch eine horizontale Trennlinie abgeteilte Abschnitt des Graffitos (Z. 9–12) enthält einen Gruß an Amenhotep, Sohn des Hapu, der die Pilger „in seiner Hand empfangen hat“ (Z. 11); vgl. QUACK, Demotische Hymnen, S. 266–267. Vgl. dazu auch VITTMANN, Wegmetaphorik, S. 31–49, zur Stelle S. 48. Diese Allgemeingültigkeit wird grammatikalisch durch die Verwendung des Aorist betont, vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 27; JASNOW, Demotic Graffiti, S. 92–93. Auch am Ende der ansonsten unleserlichen Z. 3 von Theben 3445 ist noch nw(?) nb erkennbar: möglicherweise handelte es sich um eine ähnliche Aussage.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Diese Garantie wird im folgenden Bericht durch die entsprechende persönliche Erfahrung des Autors untermauert: aS=y n As.t sDm=s xrw=y irm nAy=y iry.w Ich rief zu Isis, und sie erhörte meine Stimme, sowie diejenige meiner Gefährten. inj=s v=y r pAy=n(?) a.wj aA Sie brachte mich zu unserem(?) großen Haus, iw=n wDA r-xrw As.t irm nA nTr.w n +mAa indem wir wohlbehalten waren auf das Geheiß der Isis und der Götter von Djeme. (Z. 6–8) Besonders eng sind hier die Parallelen zu Ph. 416, in dem Isis als „Herrin des Weges“ bezeichnet wird, und Sesan von ihrem Schutz auf seiner Reise berichtet.1060 In Theben ist außerdem für Isis auf einer spätzeitlichen Priesterstatue aus der Cachette von Karnak ein nicht ganz eindeutig verständlicher Titel belegt, der die Göttin selbst als „die Verlassene auf dem Weg“ oder aber „die Witwe auf dem Weg“ bezeichnet (tA xAy.t Hr wA.t) und wahrscheinlich auf ihre mythische Suche nach Osiris verweisen dürfte.1061 Reste von möglicherweise gleichen oder zumindest ähnlichen Aussagen wie in Theben 3462 sind auch in dem von einem ungewöhnlichen dreieckigen Rahmen umgebenen Graffito Theben 3445 noch erhalten, denn der Autor berichtet ebenfalls, daß Isis ihn erhört und beschützt hat:1062 aS=y n=s sDm=s xrw=y tw=s wDA=y Ich rief sie an und sie erhörte meine Stimme. Sie ließ mich wohlbehalten sein. (Z. 4–5). Nach drei unleserlichen Zeilen ist in Z. 9–10 von Personen (3. Pers. Pl.) die Rede, die nicht in die Unterwelt des großen Schai (= Osiris?) fahren. Es ist unklar, um wen es sich bei den Personen handelt, aber möglicherweise ist mit dwA.t […] die westthebanische Nekropole gemeint. Abschließend präsentiert der Text eine Reihe von wiederum mit nb.t gebildeten Epitheta, die anhand der Parallelen in Theben 3156, dem Hymnus von pTebt. Tait 14/pCarlsberg 652vs. und den Hor-Ostraka eindeutig Isis zuzuordnen sind: &tA nb.t …\ qs.t(?) &…\ &Die Herrin… \ der Bestattung(?),1063 &…\, tA nb.t Hs.t tA nb.t SfA.t die Herrin des Lobpreises,1064 die Herrin des Ansehens,1065 1060 „Ich kam nach Ägypten, nachdem ich in dieser Wüste durch das Werk der Isis, der großen Göttin, geblüht habe (= es ging mir gut), indem sie unsere flehentlichen Rufe hörte, und indem sie uns wohlbehalten nach Ägypten brachte.“ (Z. 2–3). Vgl. auch JASNOW, Demotic Graffiti, S. 93; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 64–65, m. Anm. 276. 1061 Siehe, mit Kommentar zu den Interpretationsmöglichkeiten, K. JANSEN-WINKELN, Zwei Statuen der Spätzeit aus der Cachette von Karnak, in: MDAIK 60, 2004, S. 98–105: 102, Anm. 14; COULON, Isis à Karnak, S. 143–144. 1062 Zu den ersten drei Zeilen vgl. die Bemerkungen oben. 1063 Vgl. dazu Hors Wünsche nach einer guten Bestattung und die entsprechenden Bitten an Isis in oHor 8–10, und „wobei man die Bestattung von ihr erbittet“ in pCarlsberg 652 vs., siehe oben, Kap. 6.1.4 und 6.2.1.1. Vgl. auch nb.t qrs Hnw.t smA-tA in Dend. IX, 167, 11–16.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

tA nb.t n pA Dw tA nb.t &n pA\ ym die Herrin des Berges/Gebirges, die Herrin &des\ Meeres,1066 &tA nb.t\ DtH tA nb.t plg an &die Herrin\ der Gefangenschaft, die Herrin der Befreiung ebenfalls,1067 tA nb.t n tA ara(.t) […] die Herrin der Uräusschlange,1068 […] (Z. 11–13) Direkt neben diesem Graffito befindet sich ein weiteres, Theben 3446, welches sich mit einem Gebet an eine männliche Schutzgottheit des Steinbruchs richtet.1069 Unter anderem fleht der Autor den Gott darum an, ihn auf dem Weg nicht zu verlassen,1070 womit sich der Text ebenfalls unter diejenigen mit der Weg- und Reise-Thematik einreiht. Außer diesen ausführlichen textlichen Graffiti finden sich im Westgebirge auch bildliche Darstellungen der Göttin, unter anderem eine mit griechischer Namensbeischrift (Ἴσι).1071 Die grobe Ritzzeichnung zeigt eine thronende Göttin mit Hathorkrone, die in der rechten Hand ein Lebenszeichen(?) hält und in der linken ein Szepter mit aufgesetztem Göttinnenkopf, der ein übergroßes Kuhgehörn zu tragen scheint. 6.2.5.2 Weitere ägyptische Inschriften aus Theben Mit weniger elaborierten Worten richtet sich ein Steinbrucharbeiter in einer demotischen Votivinschrift auf den Seiten einer Horusstele aus Theben an die Göttin: [As(.t)] wr(.t) mw.t-nTr dj.t anx wDA snb aHa q(A) iAw aA nfr n Agj Prs PA-dj-Wsjr (…) [Isis,] die Große, die Gottesmutter, gibt Leben, Heil, Gesundheit, langes Leben, hohes und gutes Alter an den Steinbrucharbeiter von Persu,1072 Petosiris (…).1073 1064 Vgl. Theben 3156, Z. 14–15: tA Hs.t „die Gepriesene“, s. o. 1065 Ebenso in Theben 3156, Z. 8, s. o. 1066 Vgl. die Aufzählung der kosmischen Bereiche in Theben 3156 (pA ym: Z. 23). Berg/Gebirge und Wasser bzw. Urozean werden in Dend. II, 66, 13–67, 3; Dend. III, 103, 6–11; und Dend. III, 134, 16– 135, 3 ebenfalls zusammen genannt. Im Fall des Graffito könnte mit „dem Berg“ auch spezifisch das thebanische Westgebirge gemeint sein, vgl. die Texte aus Deir Schelwit, Kap. 4.8, bes. Deir Chelouit I, Nr. 1 und. Nr. 7 mit der Nennung der As.t n pA Dw („Isis vom Berg“) und einen auf einem Ostrakon aus dem Bucheum von Armant belegten Pastophoren von ebendieser, siehe zu letzterem D. KLOTZ, Λογεία-Receipts and the Construction of Deir Shelwit, in: ZPE 168, 2009, S. 252–256: 253. Mit pA ym könnte außerdem auch das Fayum gemeint sein, vgl. JASNOW, Demotic Graffiti, S. 99, R), was im thebanischen Kontext jedoch weniger wahrscheinlich sein dürfte. Zu dieser Stelle siehe auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 357. 1067 Vgl. oHor 10, Z. 18–19: tA nb.t pA nwH ntj snH mtw=s dj w an „die Herrin des Stricks, die fesselt und wieder freien Lauf gibt“, Kap. 6.2.1.1; zur Befreiung von Gefangenen siehe auch MM I, 29, Kap. 6.1.2.1. 1068 Ebenso in Theben 3156, Z. 11; vgl. auch oHor 10, Z. 2–3. 1069 Siehe JASNOW, Demotic Graffiti, S. 93–97; neue, verbesserte Übersetzung bei QUACK, Demotische Hymnen, S. 267–268. 1070 Z. 11: m-ir xAa v n pA myt. 1071 Theben 3675; VLEEMING, Demotic Graffiti, S. 169–170, Nr. 1557. Siehe dazu auch LANCIERS, Isis Cult II, S. 402–403. 1072 Ein Ort in der Ostwüste, im Wadi Hammamat, siehe VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 535 (6520). 1073 VLEEMING, Some Coins, Nr. 121, S. 83–84 (CGC 9406), Seite A, Z. 1–11; Datierung: Ptolemäisch (DARESSY) oder römisch (SPIEGELBERG). Zur Übersetzung der Formel dj.t anx (als Infinitiv innerhalb

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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Der vor allem aus den Tempelinschriften von Philae (Kap. 4.1) bekannte Isistitel dj.t anx könnte hier gleichzeitig als übliches Epitheton „Lebensspenderin“ und als Ausdruck des Wunsches von Petosiris verstanden werden. Die Formel wird in der Inschrift noch zwei weitere Male benutzt, davon einmal als sDm=f, das hier m. E. vielleicht im Sinne des Gebets eher einen Subjunktiv anstelle des von VLEEMING übersetzten Vergangenheitstempus darstellt:1074 dj=T n=i anx wDA snb(?) irm(?) nAy(=y) rmT[.w …] Mögest du mir Leben, Heil, Gesundheit(?) geben, zusammen mit meinen Leuten […].1075 Auf der anderen Seite trägt die Göttin den Haupttitel rp(y.t) „die vornehme Dame/die Junge“ vor dj.t anx.1076 Als Vorläufer der Anrufungen und Gebete an Isis aus dem ptolemäischen und römerzeitlichen Theben kann eine Isisstatue aus der 26. Dyn. angesehen werden, die von Scheschonq, dem Obersten Güterverwalter der Gottesgemahlin des Amun gestiftet worden ist.1077 Die Skulptur zeigt die Göttin, indem sie den kleiner vor ihr dargestellten Osiris mit ihren Flügeln beschirmt. Entsprechend erhält sie in der Inschrift die Epitheta: As.t wr.t mw.t-nTr nb.t p.t Hnw.t nTr.w nb.w Isis die Große, die Gottesmutter, die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter, irj(.t) mk n sn=s Wsjr sxr xftj.w=f Xr=f die Schutz bereitet für ihren Bruder Osiris, die seine Feinde unter ihn niederwirft, nb(.t) anx Hnw.t SAy rnn(.t) Herrin des Lebens, Gebieterin von Schicksal und Gedeihen, irj(.t) psD.t m wD.t=s auf deren Befehl hin die Neunheit handelt, rdj.t Ha n it=s Ra sHtm sbj Hr=f die ihrem Vater Re Jubel gibt und den vernichtet, der gegen ihn rebelliert. Der Beginn zeigt die Titelreihe, die auch noch in den späten Tempelinschriften, besonders in Dendara (dort meist noch hinzugefügt: ir.t Ra), standardmäßig Isis zugeschrieben wird.1078 An die durch die weiteren Epitheta als kämpferische Beschützerin und Lebensspenderin ausgezeichnete Göttin richtet Scheschonq sich noch mit einem persönlichen Gebet:

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des Präsens I) im Demotischen vgl. J. F. QUACK, Zum Partizip im Demotischen, in: LingAeg 17, 2009, S. 231–258: 232–233. Vgl. auch QUACK, Rez. Sternberg-el Hotabi, Sp. 724: „Dort erfährt man, daß (…) er (der Stifter) sich davon für sich und seine Leute Leben, Heil, Gesundheit, lange Lebenszeit und ein schönes Alter erhofft.“ Seite A, Z. 14–17. Seite B, Z. 1–2. Vgl. zu diesem Titel pBerlin P. 6750, x+6, 3, siehe oben, Kap. 6.1.2.2. O. PERDU, Un appel à Isis (statue Londres, BM [1162]), in: CdÉ 74, 1999, S. 231–239; zur Inschrift siehe auch K. JANSEN-WINKELN, Beiträge zu den Privatinschriften der Spätzeit, in: ZÄS 12, 1998, S. 1–13: 7–8; vgl. dazu QUACK, Lobpreis, S. 55. Siehe oben, Kap. 5.2.1.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

sxA-wj Hnw.t=i mrj(.t) Sm.n(=i) Hr mw=T Erinnere dich an mich, oh meine geliebte Gebieterin! Ich bin dir loyal gewesen! imj n(=i) isw m aHa Aw qrs nfr m pH irj rn=i mn n sk Gib mir die Belohnung in Form einer langen Lebenszeit und einer schönen Bestattung am Ende davon, indem mein Name dauert, ohne zu vergehen! Die Bitten um ein langes Leben und eine schöne Bestattung kehren in den Ostraka des Hor wieder, der ebenfalls eine starke Betonung auf diese Themen legt. 1079 Dazu passen die Epitheta der Isis „Herrin des Lebens, Gebieterin von Schicksal (SAy) und Gedeihen (rnn.t)“.1080 6.2.5.3 Das ‚Sarapeion‘ von Luxor Von der griechisch-römischen Adaption des Isis- und Sarapiskultes zeugt in Theben ein kleines ‚Sarapeion‘ in der nordwestlichen Ecke des Vorhofes des Luxortempels, das von einem Neokoren des Sarapis1081 und ehemaligen Dekurio namens C. Iulius Antoninus erneuert wurde, wie seine griechische Dedikationsinschrift angibt.1082 Des weiteren hält er die Stiftung von Statuen fest. Der Anlaß der Weihung ist auffälligerweise der Geburtstag des Kaisers Hadrian am 24. Januar 126 n. Chr., der bekanntermaßen eine Vorliebe für die ägyptischen Gottheiten hegte. Es handelt sich bei dem Bau um einen aus (ursprünglich verputzten) Lehmziegeln errichteten römischen Peripteros auf einem Podium; der insgesamt römische, wenn auch etwas unproportionale und teilweise vereinfachte Bautypus wurde über dem Eingang mit einer ägyptischen Hohlkehle, die mit einer Sonnenscheibe mit Uräen dekoriert ist, kombiniert. 1083 An den Außenwänden waren Nischen eingetieft, die vielleicht der Aufstellung von Statuen dienten. 1084 Die Nordwand weist zudem einen Nebeneingang auf. 1085 An der Rückwand der Cella befindet sich eine die ganze Breite 1079 Siehe oben, Kap. 6.2.1.1. 1080 Vgl. oHor 10, Z. 9, wo Isis eventuell selbst als „die große Schicksalsgottheit (pA Sy aA)“ bezeichnet wird. 1081 Zu dem besonders in Verbindung mit Sarapis bekannten, griechischen Priestertitel Neokor, der in Ägypten erst ab dem 2. Jh. n. Chr., wie oben unter Hadrian, belegt ist, siehe RÜPKE, Organisationsmuster; KLEIBL, Iseion, S. 160; MALAISE, Conditions, S. 131–134; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 53– 54 u. 57–60; M. RICL, Neokoroi in the Greek World, in: Belgrade Historical Review 2, 2011, S. 7– 26; B. BURRELL, Neokoroi: Greek Cities and Roman Emperors, Cincinnati Classical Studies, N. S. 9, Leiden 2004, S. 3–6; vgl. speziell zur Bedeutung in Ägypten KLOTZ, City of Amun, S. 326–327. Zu weiteren Inhabern dieses Amtes in Theben A. BATAILLE, Néocores de Sérapis à Thèbes, in: BIFAO 36, 1936–1937, S. 164–174. 1082 GOLVIN et al., Sarapieion romain, speziell zur Inschrift G. WAGNER, in: ibid., S. 129–134; Taf. 30; J. VAN DER LEEST, The Prefect of Egypt of an Inscription from Luxor (AE 1952, 159), in: ZPE 59, 1985, S. 141–145; PFEIFFER, Inschriften, S. 289–293, Nr. 65; zum Tempel außerdem KLOTZ, City of Amun, S. 324–327; LECLANT, Fouilles et travaux I, S. 455–456; KRAUS, Archäologische Zeugnisse, S. 103–105; GROSSMANN, Sarapistempel von Luqsur; vgl. auch KLEIBL, Iseion, Kat. 54, S. 338–340; HAASE, Repertoire, S. 205; WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1789–1791; COULON, Isis à Karnak, S. 127; SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 355–356. 1083 J. C. GOLVIN/S. ABD EL-HAMID, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 122 u. 127; Taf. 27. Zur Architektur siehe besonders GROSSMANN, Sarapistempel von Luqsur. 1084 Vgl. KRAUS, Archäologische Zeugnisse, S. 104; J. C. GOLVIN/S. ABD EL-HAMID, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 124. 1085 J. C. GOLVIN/S. ABD EL-HAMID, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 122; Taf. 28.

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einnehmende Statuenbasis. Die Bauinschrift nennt Zeus Helios megas Sarapis,1086 und möglicherweise ist diesem ein vor der Nische der Südaußenwand aufgefundenes Statuenfragment zuzuordnen.1087 Besser erhalten sind aber eine größere Statue von Isis mit Korkenzieherlocken, Knotenpalla, und einem (heute verlorenen) Füllhorn in der Hand,1088 eine OsirisKanopos-Skulptur, 1089 zwei Apis-Statuen (aus Kalkstein bzw. Granit), 1090 und ein Fragment, das möglicherweise zu einer weiteren Isis-Statue gehörte,1091 die in der Cella ergraben wurden. Die große Isisstatue war ihrer Fundlage unmittelbar vor der Mitte der Statuenbasis zufolge ursprünglich zentral auf dieser aufgestellt, was in der heutigen Rekonstruktion nachempfunden wird. Ihre Darstellung mit Füllhorn entspricht dem in Alexandria beliebten Isis-Tyche-Typus.1092 Die Osiris-Kanopos-Skulptur befand sich auf einer weiteren kleinen Basis in der Mitte der Cella. Den beiden Apis-Statuen kommt vielleicht in Hinblick darauf besondere Bedeutung zu, daß im Jahr von Hadrians Regierungsantritt nach längerem Warten schließlich ein neuer Apis-Stier gefunden wurde, woraufhin sogar ein Konflikt zwischen Memphis und Alexandria um das Vorrecht seiner Aufnahme ausbrach.1093 Es besteht jedoch noch eine weitere, im Osiriskult zu verortende Interpretationsmöglichkeit für die zweifache Apisdarstellung, speziell in Kombination mit der Osiris-Kanopos-Skulptur: Es gibt eine in der Spätzeit und griech.-röm. Zeit recht gut belegte Tradition, nach der der Apis- oder Mnevis-Stier die verstreuten Glieder des Osiris – die in osirianischen Prozessionen ja durch Kanopen mit Nilwasser repräsentiert werden können – auf seinem Rücken transportiert, um sie der ordnungsgemäßen Bestattung zuzuführen.1094 Tatsächlich befinden sich gerade in den ptolemäischen Osiriskatakomben von Karnak zwei komplementäre Szenen, die jeweils den König (Ptolemaios IV.) zeigen, der mit dem Apis-Stier läuft, wobei die Beischriften angeben, daß sie gemeinsam die Körperteile des Osiris aus Oberägypten (Südwand) bzw. Unterägypten (Nordwand) einsammeln.1095 M. E. handelt es sich bei der gemeinsamen Aufstellung von Osiris-Kanopos-Skulptur und zwei Stierbildnissen um eine dreidimensionale Umsetzung dieser auf den Osiriskult bezogenen Szene bzw. Konzeption. In der Achse vor dem Kultbau befand sich ein Altar, der darauf schließen läßt, daß die Opferriten nach griechisch-römischer Tradition außerhalb des Naos vollzogen wurden.1096

1086 Vgl. zu diesem synkretistischen Götternamen und speziell dem „Sarapeion“ in Luxor BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis; TALLET, Zeus Hélios. 1087 Vgl. G. WAGNER, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 131. 1088 LECLANT, Fouilles et travaux I, S. 455–456; ID., Fouilles et travaux en Égypte, 1957–1960 (Deuxième partie), in: Or 30, 1961, Taf. 37, Abb. 32; F. DUNAND, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 135–138; Taf. 31–32. 1089 LECLANT, Fouilles et travaux I, S. 455–456; Taf. 47, Abb. 4–5. 1090 LECLANT, Fouilles et travaux I, S. 456. 1091 LECLANT, Fouilles et travaux I, S. 456. 1092 Vgl. Kap. 6.2.10.1 unten. 1093 Siehe zu dieser Episode unter der Regierung Hadrians PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 148–151. 1094 Siehe dazu oben, Kap. 4.13.2. 1095 Siehe COULON, Trauerrituale, S. 331, m. Abb. 3 auf S. 333; Parallele (ohne König) in pJumilhac, 7 (Vignette). 1096 Vgl. F. DUNAND, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 144–145.

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Andererseits waren auch ägyptische Opfertafeln Bestandteil der Tempelausstattung.1097 Vor der Südwestecke wurden die Reste eines Wasserbeckens ausgegraben.1098 Aufgrund der geringen Größe und der rechtwinkligen Position seitlich des Dromos des Luxortempels könnte das kleine Heiligtum nach KLOTZ auch als Barkenkapelle bei den Prozessionen zwischen Luxor und Karnak gedient haben. 1099 Ein Vorgängerbau des „Sarapeion“ bestand möglicherweise bereits in der Ptolemäerzeit.1100 Von QUAEGEBEUR und BRICAULT wurde ein weiteres Dokument aus Luxor mit dem in der Inschrift des Stifters genannten Zeus Helios megas Sarapis in Verbindung gebracht.1101 Es handelt sich um ein monumentales Sandsteinrelief (Höhe: 2,81 m!), das in drei Einzelfragmenten in der Nähe des römischen Militärlagers von Luxor gefunden wurde. 1102 Es zeigt die frontale Darstellung einer schreitenden männlichen Person in römischer Offizierskleidung mit lockigem Bart und Haupthaar, bekrönt mit Lorbeerkranz, Strahlenkrone und Nimbus, sowie einer neben dieser stehenden, teilweise zerstörten, weiblichen Figur mit in der Mitte gescheitelten Buckellocken in sechs Reihen und einem Diadem aus Sonnenscheibe, Kuhgehörn und einem weiteren, unklar geformten Objekt (wahrscheinlich handelt es sich um die Doppelfeder).1103 In der rechten Hand trägt sie ein langes Szepter, während der Mann mit der linken Hand die Hörner einer schlaff herabhängenden Oryx-Antilope packt, deren Kehle er mit einem Schwert durchbohrt, das er in der nicht mehr erhaltenen rechten Hand hielt. Bei der Tötung der Oryx-Antilope handelt es sich um ein ägyptisches Ritual, das die Vernichtung von Seth, bzw. von Feinden symbolisiert und auch in traditionellen Tempelreliefs mit genau dieser Arm- und Schwerthaltung dargestellt wird.1104 In der rechten oberen Ecke des Reliefs befindet sich ein Adler mit einem Lorbeerkranz in den Klauen. Zwischen den Köpfen der beiden Personen sitzt ein Kindgott, wohl Harpokrates, auf einer Lotusblüte. Von BRICAULT wurden die Figuren mit Zeus Helios megas Sarapis, möglicherweise mit den Zügen Kaiser Hadrians, und Isis, möglicherweise mit den Zügen Sabinas, identifiziert.1105 Eine Datierung in hadrianische Zeit ist m. E. keineswegs zwingend, auch weisen die Götterfiguren keine Porträtzüge auf. Frisuren und Stil scheinen mir mit KISS besser in severische Zeit zu passen.1106 Aufgrund der Größe und der ursprünglich eingeleg1097 Vgl. F. DUNAND, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain. 1098 J. C. GOLVIN/S. ABD EL-HAMID, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 127; F. DUNAND, in: ibid., S. 145. 1099 KLOTZ, City of Amun, S. 326. 1100 Vgl. eine ptolemäische Weihinschrift für Isis, Sarapis und Apollon aus Theben, siehe GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 131; KRAUS, Archäologische Zeugnisse, S. 104. Auch wird ein Sarapeion auf einem ptolemäerzeitlichen Ostrakon erwähnt: R. S. BAGNALL/P. J. SIJPESTIJN/K. A. WORP, Ostraka in Amsterdam Collections (O. Amst.), Zutphen 1976, S. 5, Nr. 7. 1101 CGC 27572. QUAEGEBEUR, Dieu égyptien, S. 341–344; BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis; vgl. dazu auch TALLET, Zeus Hélios, S. 252–259. 1102 BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 245. 1103 Siehe BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 243–244, Abb. 1–3. 1104 Siehe zum ägyptischen Ritual Ph. DERCHAIN, Le sacrifice de l’oryx, Rites égyptiens 1, Brüssel 1962; rezent LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 195–199. 1105 BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 254; vgl. zu der Interpretation als Kaiserpaar, das sich mit ägyptischen Gottheiten identifiziert, bereits QUAEGEBEUR, Dieu égyptien, S. 344 (ohne genaue Identifikation); KISS, Septime Sévère, S. 226. 1106 KISS, Septime Sévère, S. 226.

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ten Augen handelte es sich vielleicht sogar um ein Kultrelief, eventuell in Zusammenhang mit dem Kaiserkult.1107 Des weiteren zeigt eine Stele mit unbekanntem Fundort in Luxor im Hauptbildfeld in einer Reihe nebeneinander die frontal dargestellten Götter Isis mit dem kleinen Harpokrates, Sarapis, Horus (mit Falkenkopf und Militärrüstung),1108 Amun-Re (als junger Mann mit Widderhörnern und Sonnenscheibe) und einen berittenen Kaiser, der von einem Horusfalken beschirmt wird. 1109 Alle erheben die rechte Hand zum Gruße. Die Vergesellschaftung der osirianischen Familie mit Amun-Re spiegelt mit gräko-römischägyptischer Bildsprache die ägyptische Kultlandschaft Thebens wider, 1110 und spezieller vielleicht sogar die Situation des vor dem Luxor-Tempel gelegenen „Sarapeions“.1111 Da die frühesten Belege der Epiklese „Zeus Helios megas Sarapis“ aus Ägypten, genauer aus der Ostwüste, 1112 und aus Theben, stammen, halte ich es für gut möglich, daß die griechische Namenskombination die thebanische Verbindung von Amun-Re (griech. Äquivalent wäre Zeus Helios) mit Osiris zum Vorbild hatte.1113 Zusammen mit den bereits in früherer Zeit durchgeführten unabhängigen Gleichsetzungen von Sarapis mit Zeus und Helios1114 könnte dies zu der ab dem 2. Jh. so beliebten Form geführt haben. Ein weiteres Isis- und Sarapisheiligtum aus römischer Zeit mit einer Skulpturenausstattung im griechisch-römischen Stil ist möglicherweise in einem kleinen Bau nahe der Umfassungsmauer des ptolemäischen Tempels von Medamud zu identifizieren.1115 Es handelt sich um einen quadratischen Ziegelbau, von dem offenbar nur die Fundamentmauern erhalten sind, die wahrscheinlich auf einen Podiumtempel ähnlich wie in Luxor hindeuten. 1116 Fragmentarische Reste einer Isisstatue mit Knotenpalla und Korkenzieherlocken 1107 Vgl. QUAEGEBEUR, Dieu égyptien, S. 343. 1108 Laut BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 246. M. E. könnte es sich im thebanischen Kontext hier auch um Month handeln! 1109 CGC 27573. BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 246–247, m. Abb. 4. 1110 Vgl. die römischen Tafelbilder aus dem Fayum, die in ähnlicher Weise Isis und Sarapis in ihrem kulttopographischen Kontext zeigen, siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 1111 BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 246, hält die Verbindung des Reliefs zu dem kleinen Tempel für unzweifelhaft. M. E. ist dies angesichts des unklaren Fundortes jedoch keineswegs sicher. Vgl. zur ägyptischen Konzeption der Isis in Theben oben, Kap. 4.7–8. 1112 Siehe unten, Kap. 6.2.7. 1113 Zu der in griechisch-römischer Zeit besonders betonten theologischen Gleichsetzung von Osiris und dem thebanischen Amun(-Re) vgl. z. B. den Opet-Tempel, siehe Kap. 4.7. BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 253, erkennt zwar ebenfalls Amun-Re hinter Zeus Helios, ignoriert jedoch die im Hintergrund stehende thebanische Osiristheologie. TALLET, Zeus Hélios, S. 237–242; und ihr folgend CUVIGNY, Praesidium of Dios, S. 277–278, vermuten die Herkunft von Zeus Helios Megas Sarapis dagegen in Alexandria. 1114 Siehe dafür BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 250–251. Vgl. auch die Weihung von zwei kolossalen Statuen aus thasischem Marmor an Zeus Helios megas Sarapis und die synnaoi theoi: I. Alexandrie 54; siehe PFEIFFER, Inschriften, Nr. 69. Die Skulpturen zeigen einen jugendlichen Gott, dessen Ikonographie auf Helios verweisen dürfte, und eine Göttin ohne erhaltene Attribute (Isis oder (Isis-)Selene?). Der ursprüngliche archäologische Kontext ist unsicher; Antinoopolis, Assiut und Alexandria wurden als mögliche Aufstellungsorte angenommen. 1115 Siehe dazu SARAGOZA, Maison à double-carré; originaler Grabungsbericht: F. BISSON DE LA ROQUE, Rapports préliminaires sur les fouilles de Médamoud (1930), FIFAO 8, 1, Kairo 1931, S. 44–45. Zu Medamud vgl. oben, Kap. 4.8.3. 1116 Vgl. SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 352; 369, Abb. 4; 370, Abb. 5.

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lassen sich laut SARAGOZA aufgrund der Haltung des teilweise noch vorhandenen linken Armes möglicherweise wie die Isisstatue von Luxor zu einer Isis mit Füllhorn ergänzen.1117 Des weiteren wurden ein Sarapiskopf mit Kalathos, ein möglicherweise dazu gehöriges Fragment eines männlichen Oberkörpers sowie Reste mindestens einer weiteren weiblichen Statue gefunden.1118 Die Skulpturen datieren gegen das Ende des 2. oder Anfang des 3. Jhs. n. Chr. 1119 Aufgrund des Fehlens epigraphischer Zeugnisse läßt sich jedoch nichts Genaueres über Gründung und Stifter des kleinen Tempels sagen. 6.2.5.4 Späte Zeugnisse des thebanischen Isiskultes Ähnlich wie in Philae wurde der Isiskult auch in Theben noch im 3.–4. Jh. n. Chr. weiter lebendig erhalten, wie Ostraka griechischer Kultvereine (synodoi) demonstrieren. 1120 Sie zeugen von monatlichen Treffen, einem feierlich mit alkoholischen Getränken begangenen Isisfest und einem Lampenfest für Apollo (= Horus?) und Isis.1121 Amtierende Priester des Tempels von Deir el-Schelwit sind noch in den Jahren 200 und (sehr wahrscheinlich) 338 n. Chr. durch griechische Graffiti respektive einen griechischen Papyrus belegt.1122 6.2.6 Koptos Aus Koptos, wo Isis nicht nur seit dem Mittleren Reich zusammen mit dem lokalen Hauptgott Min verehrt wurde, sondern noch in der Römerzeit zwei Tempel für die Göttin entstanden,1123 existiert ein ganzes trilingues Dossier an Inschriften eines „Verwalters (dem. rd, griech. Prostates) der Isis“ namens Parthenios, Sohn des Paminis und der Tapachois.1124 Hierzu gehören hieroglyphisch-griechische, hieroglyphisch-demotische sowie nur demotische und griechische Stelen, die Parthenios’ aktive Sorge für Bauten und Ausstattung des großen Heiligtums von Koptos in tiberischer bis neronischer Zeit (ca. 14–68 n. Chr.) doku1117 1118 1119 1120

1121

1122 1123 1124

SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 351; 369, Abb. 1. SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 351–352; 369, Abb. 2–3. Vgl. SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 353. oPetr. Mus. 428; oBodl. II 1861, 8; SB 13622 und 13625. Siehe S. PFEIFFER, Die religiöse Praxis im thebanischen Raum zwischen hoher Kaiserzeit und Spätantike, in: F. Feder/A. Lohwasser (Hrsg.), Ägypten und sein Umfeld in der Spätantike. Vom Regierungsantritt Diokletians 284/285 bis zur arabischen Eroberung des Vorderen Orients um 635–646, Philippika 61, Wiesbaden 2013, S. 59–79: 67–68; F. DUNAND, in: GOLVIN et al., Sarapieion romain, S. 140–141; LANCIERS, Isis Cult I, S. 129–130. Zu Lampenfesten der Isis, die möglicherweise anläßlich ihres Geburtstages stattfanden, siehe DUNAND, Culte d’Isis III, S. 238–239; M. S. SALEM, The Lychnapsia Philocaliana and the Birthday of Isis, in: JRS, 1937, S. 165–167; PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 66–71; PODVIN, Luminaire, S. 174 u. 183–184; allgemeiner zu Lampenfesten auch FRANKFURTER, Religion, S. 137–138. Ein „Lampenfest der Geburt des Horus“ wird auch im Raphia-Dekret (dem. Z. 26) erwähnt. Vgl. oben, Kap. 4.8.2. Vgl. oben, Kap. 4.9–10. Ausführlich zur Person und seinen Inschriften: FARID, Denkmäler des Parthenios; ID., Fünf demotische Stelen; TRAUNECKER, Coptos, S. 33–36 u. 330–331; VLEEMING, Some Coins, Nr. 179–202, S. 170–197; PASQUALI, Nouvelle stèle; L. PANTALACCI, in: L. PANTALACCI/S. DENOIX (Hrsg.), Travaux de l’Institut français d’archéologie orientale en 2006–2007, in: BIFAO 107, 2007, S. 243–377: 286–287, Abb. 19; EAD., in: L. PANTALACCI/S. DENOIX (Hrsg.), Travaux de l’Institut français d’archéologie orientale en 2007–2008, in: BIFAO 108, 2008, S. 371–521: 414; kurze Erwähnung auch bei HAASE, Repertoire, S. 203. Da bei VLEEMING alle Dokumente (in allen Sprachen/Schriften) aufgenommen sind, werden diese im Folgenden nach seinen Katalognummern zitiert.

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mentieren.1125 Auch von Parthenios’ Vater Paminis, dessen Vater ebenfalls Parthenios hieß, sind entsprechende Weihungen und andere Zeugnisse erhalten.1126 Es handelt sich bei der Familie den Namen und mehrsprachigen Inschriften zufolge vermutlich um hellenisierte Ägypter.1127 Da Parthenios ein Angestellter des Tempels war und seine Weihungen teils offizielle Bauarbeiten darstellen, die auch mit offiziellen Szenen, die den jeweiligen Pharao/Kaiser vor den lokalen Gottheiten zeigen, verbunden sind, haben wir es nur bedingt mit „privaten Inschriften“ zu tun, doch dasselbe Problem stellte sich bereits bei anderen in diesem und dem vorigen Kapitel behandelten Texten. Im Fall der Parthenios-Denkmäler läßt sich eine klare Trennung zwischen dem „offiziellen Teil“, der in die Sphäre der Tempelinschriften gehört, und einem auf die Person des Parthenios selbst bezogenen, also „privaten Teil“, feststellen: Bildfeld und hieroglyphische Texte beziehen sich jeweils auf Pharao und Götterwelt, weswegen Parthenios darin nie genannt ist.1128 Er taucht jedoch in allen demotischen und griechischen Textteilen auf. Wenngleich Parthenios selbst speziell für Isis zuständig war, richten sich seine Dedikationen auch an die anderen Gottheiten des heiligen Bezirkes: Min (griech. Pan), Geb (griech. Kronos), Nut, Harpokrates und Osiris.1129 Unter anderem betreffen Parthenios’ Arbeiten die Umfassungsmauer des Isis und Harpokrates geweihten NTrj Sma-Heiligtums inklusive einem Tor 1130 und die Barke der Isis.1131 Außerdem wird in mehreren Dokumenten ein „Haus der Isis“ (pA a.wj (n) As.t) erwähnt, das möglicherweise einen weiteren(?), separaten Tempel bezeichnet.1132 In einer der hieroglyphisch-griechischen Stelen ist nach der Neulesung von J. BINGEN des weiteren von einem vielleicht identischen „Isieion, genannt Pimmeiomis“ die Rede.1133 PASQUALI leitet das unbekannte Wort von demotischem pA a.wj n my(.t) ym „Das Haus der Straße des (Roten) Meeres“ ab und sieht eine Verbindung zu einem Isis-Epitheton, welches auf einer weiteren, hieroglyphisch-demotischen Parthenios-Stele in beiden Textteilen belegt ist und 1125 Hieroglyphisch-griechisch: VLEEMING, Some Coins, Nr. 185–186; 198. Hieroglyphisch-demotisch: VLEEMING, Some Coins, Nr. 187–189; 193; 195–197; 201; PASQUALI, Nouvelle stèle. Demotisch: VLEEMING, Some Coins, Nr. 179 (fragm.); 180 (fragm.); 181 (fragm.); 183; 190–192; 194; 199–200; 202. Griechisch: VLEEMING, Some Coins, Nr. 182 (fragm.); 184 (m. hieroglyph. Bildbeischriften). Zu Priestern und Tempelverwaltern sowie Privatpersonen als Stiftern von Tempelbauten in der griechisch-römischen Zeit siehe KOCKELMANN/PFEIFFER, Dedikation von Tempeln. 1126 Griechische Stele: I. Portes 78. Zu einigen Ostraka des Paminis außerdem: J. BINGEN, Épigraphie grecque et latine: d’Antinoé à Edfou, in: CdÉ 59, 1984, S. 359–370: 360–361. 1127 Vgl. BINGEN, Parthénios, S. 4. 1128 Vgl. FARID, Denkmäler des Parthenios, S. 15. 1129 Isis und Geb/Kronos: VLEEMING, Some Coins, Nr. 183; 189; 196–197. Geb/Kronos: VLEEMING, Some Coins, Nr. 186; 199. Isis, Harpokrates/Harsiese und Min/Pan: VLEEMING, Some Coins, Nr. 184; 200. Harpokrates, Geb (und Isis?): VLEEMING, Some Coins, Nr. 187. Harpokrates/Horus(?) und Isis: VLEEMING, Some Coins, Nr. 188; 191–192; 195. Min und Geb: VLEEMING, Some Coins, Nr. 201. (Sokar-)Osiris und Isis: VLEEMING, Some Coins, Nr. 185; 193–194. 1130 VLEEMING, Some Coins, Nr. 184; 186–187; 189; 200; PASQUALI, Nouvelle stèle(?). Siehe TRAUNECKER, Coptos, S. 33–36. 1131 VLEEMING, Some Coins, Nr. 183. Zur Barke der Isis in Koptos vgl. C. TRAUNECKER, Geb de Coptos et les oracles divins, in: Ballet (Hrsg.), Coptos, S. 116–123. 1132 VLEEMING, Some Coins, Nr. 188–192. Neulesung pA a.wj n As.t „Das Haus der Isis“ statt pA bw (n) As.t (SPIEGELBERG, FARID, VLEEMING (bis auf Nr. 191)) nach PASQUALI, Πιμμειῶμις  de Coptos, S. 392–395; vgl. auch G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 14.10.2013. 1133 BINGEN, Parthénios.

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von ihm nb(.t) tp(?) wA.t nfr.t „die Herrin der guten Abreise(?)“ gelesen wird. 1134 Dies würde gut zur Lage von Koptos am Eingang zum Wadi Hammamat passen.1135 Die Lesung des Epithetons ist allerdings sowohl im hieroglyphischen als auch im demotischen Text sehr unsicher; zudem ist ein solches Epitheton laut LGG sonst unbekannt.1136 Interessant ist aber zumindest, daß auch im Schlußteil der längsten und persönlichsten Inschrift des Parthenios nochmals in zerstörtem Zusammenhang ein „guter Weg“ (mi.t nA-nfr.t) genannt ist (Z. 26), nachdem es zuvor um die Arbeiten des Parthenios für Isis und eventuell sein Flehen (Sll) zu ihr ging (Z. 24).1137 Abschließend bittet er sie, ihn unter ihre Günstlinge (Hs.w) aufzunehmen. In den anderen Texten des Parthenios wird Isis nur mit ihren allgemeinen, überregionalen Haupttiteln As.t wr.t mw.t-nTr, erweitert durch das typisch demotische tA nTr.t aA.t1138 bzw. griechisch als θεὰ μεγίστη „die sehr große Göttin“1139 attributiert. Einmal wird sie mit „Isis von Koptos“ (As.t n Qb.t) topographisch zugeordnet.1140 Gut bekannt ist in der Kaiserzeit die Tradition von einer Haarlocke der trauernden Isis, die in Koptos aufbewahrt und verehrt worden sein soll: nach Plutarch erfuhr Isis vom Tod des Osiris, als sie sich gerade in Koptos aufhielt, und opferte daher eine Locke.1141 So wendet sich ein Balbillos, Sohn des Herakleides, in einer Weihinschrift 105 n. Chr. für das Wohl Kaiser Trajans an Isis Τριχώματος – also etwa „Isis von der Haarlocke“ –, „die sehr große Göttin“.1142 In ähnlicher Weise versichert der im 2. Jh. n. Chr. in Koptos lebende Soldat Valerius Gemellus in einem Brief an seinen Bruder in Karanis, in welchem er um eine Versöhnung bittet, daß er zu dessen Gunsten unablässig das Proskynema vor der Haarlocke in Koptos vollzieht.1143 Hier ist wohl nicht eine als ‚Reliquie‘ o. ä. aufbewahrte Haarlocke 1134 PASQUALI, Πιμμειῶμις de Coptos; vgl. ID., Nouvelle stèle; VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 2270, S. 463–464. 1135 PASQUALI, Nouvelle stèle, S. 188, Anm. b) u. e). Zur Bedeutung der Lage von Koptos am Wadi Hammamat vgl. LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 81–82. 1136 Vgl. aber tA npy n pA myv „Die Herrin des Weges“ in Ph. 416. 1137 VLEEMING, Some Coins, Nr. 200; vgl. auch die Übersetzung von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 14.10.2013. Zur Thematik vgl. die Graffiti Ph. 416 u. 421, und Theben 3462, siehe oben, Kap. 6.2.2.2 und 6.2.5.1. 1138 VLEEMING, Some Coins, Nr. 188 (ergänzt)–192; 200. Zu dem Titel tA nTr.t aA.t, der in den Tempeln von El-Qal‘a und Schenhur sogar den Eigennamen Isis vertreten kann und damit im römerzeitlichen Koptos besonders große Bedeutung hatte, siehe Kap. 4.9–10. 1139 VLEEMING, Some Coins, Nr. 182; 184; 198. 1140 VLEEMING, Some Coins, Nr. 183. 1141 Plutarch, De Iside, 14, siehe dazu unten, Kap. 8.1.2.2. Vgl. zur besonderen Verehrung der Isis als Witwe (XAr.t) in Koptos auch Kap. 4.10.3 und 6.3.2; vgl. auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 347. Zur Hervorhebung des Haares der Isis vgl. außerdem das Beiwort „schöngelockt“ (εὐέθειρα) im Mandulis-Hymnus IM 166 in Kalabscha, und die Bezeichnung „bei den Festen die Haarlocke(?)“ in pOxy. 1380, 133–134, vgl. den dortigen Kommentar. 1142 I. Portes 71, S. 215–216; TOTTI, Ausgewählte Texte, Nr. 67, S. 154–155; siehe dazu auch É. BERNAND, Isis déesse de la chevelure, in: ZPE 45, 1982, S. 103–104; H. C. YOUTIE, Ἶσις  Τριχώματος, in: HTR 39, 1946, S. 165–167; ID., Isis trichômatos, in: ZPE 13, 1974, S. 239; vgl. NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis, bes. S. 591–595 (zur Inschrift S. 593, Anm. 40); J. CAYZAC, Franges textiles ou mèches capillaires? À propos d’un bas-relief d’Isis à Philae, in: RdÉ 59, 2008, S. 381–388: 387. 1143 pMichigan 4683 (Trismegistos Nr. 27112). Siehe NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis, S. 593. Zur Locke der Isis und den dazugehörigen Inschriften auch GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 84. In ei-

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im wörtlichen Sinne, sondern wahrscheinlicher ein Beiname der Isis gemeint (Isis als personifizierte Haarlocke). Diese Verbindung der Isis mit dem Haar oder der Haarlocke dürfte auf alte Traditionen osirianischer Rituale zurückgehen, bei denen die mit Hathor und später vor allem Isis verbundene Göttin Schentait Osiris mit ihrem parfümierten Haar wiederbelebt, wie die Texte des Osirisbeckens von Koptos („cuve osirienne“) aus der 22. Dyn. zeigen.1144 Des weiteren gab es die ägyptische Tradition, nach Beendigung der Trauer die Haarlocke(n) abzuschneiden, die man während der Trauerzeit wachsen ließ.1145 Nach verschiedenen ägyptischen Texten ist es Haroeris von der nicht weit von Koptos entfernten Stadt Qus, der so die Trauer von Isis und Nephthys beendet.1146 Im Hinblick auf die gemeinsame Verehrung von Isis und der thebanischen Mut im Tempel von Schenhur1147 ist die griechische Weihinschrift des Kaufmannes Hermeros, Sohn des Athenion, aus Aden von 70 n. Chr. von Interesse.1148 Diese richtet sich – für das Wohl des Kaisers Vespasian und seine Familie – an Isis und Hera,1149 mit welcher Mut als Gattin des nach alter Tradition höchsten Gottes Amun identifiziert werden konnte, und bezeichnet beide als „die sehr großen Göttinnen“. Noch eine zweite Dedikation für Isis, die große Göttin, stammt wohl ebenfalls von dem Kaufmann.1150 Einige weitere griechische Weihinschriften für Isis („die sehr große Göttin“) sind aus Koptos bekannt.1151 Ausnahmsweise von einer Frau, Isidora, Tochter des Theon, stammt ein der „Herrin Isis, mit 10.000 Namen,1152 der sehr großen Göttin“ geweihter Altar.1153 An ihre Funktion als Schützerin der Seefahrt appelliert eine Dedikation auf einer Kalksteinsäule, welche die Göttin um die gute Fahrt (εὐπλοίας) eines Schiffes, das passenderweise

1144 1145 1146 1147 1148

1149 1150 1151

1152 1153

nem medizinischen Text des NR werden der Locke der Isis sogar Heilkräfte zugesprochen: Sie soll sie auf Horus’ Augen gelegt haben, um sie zu heilen: pBM 10059, 8, 7, vgl. MÜNSTER, Isis, S. 12; LEITZ, Magical and Medical Papyri, S. 66. Es läßt sich allerdings keine Verbindung zur Locke der Isis in Koptos herstellen. Vgl. YOYOTTE, Cuve osirienne I, S. 168; siehe dazu oben, Kap. 4.10.3. Siehe BORGHOUTS, pLeiden I 348, S. 72–75, Anm. 112; LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 226–228, § 19a. Siehe LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 226–228, § 19a. Siehe oben, Kap. 4.10. I. Portes 65. Siehe G. WAGNER, Dédicace à Isis; vgl. dazu auch QUAEGEBEUR, Chenhour, S. 214. Der ethnische Hintergrund des Kaufmannes ist trotz der griechischen Namen von ihm und seinem Vater nicht klar: Laut WAGNER könnte er aus einer arabischen, ägyptischen, griechischen oder jüdischen Familie stammen. Vgl. außerdem zur Verbindung oder Gleichsetzung von Isis und Hera MM I, 21; pOxy. 1380, 26, 32, 34, 59–60 u. 67–68; siehe oben, Kap. 6.1.2.1 und 6.1.3.2. I. Portes 62: Erhalten ist die Bezeichnung als „Kaufmann von Aden“, der Name ist zerstört. Hermeros ist außerdem im Nikanor-Archiv, in oTait P. 287 (57 n. Chr.) belegt, vgl. G. WAGNER, Dédicace à Isis, S. 279–280. Z. B. I. Portes 49: Weihung eines Brunnens an [Isis, die gro]ße [Göttin] (?) (74/73 v. Chr.); I. Portes 70: Weihung einer Holzstatue und einer (tragbaren?) Kapelle an „Isis im Atrium“ durch einen Rhetor, für Kaiser Trajan (103 n. Chr.), vgl. dazu I. Alexandrie 55, siehe unten, Kap. 6.2.10.1. I. Portes 73 ist zwar eine Weihinschrift an Harpokrates, der Stifter Paniskos, S. d. Ptollis, ist jedoch wie Parthenios Prostates der Isis und führt in antoninischer Zeit (Inschrift von 149 n. Chr.) verschiedene Restaurationsarbeiten im Bereich des Heiligtums durch, siehe GABOLDE, Temple de Min et Isis, S. 78. Vgl. IG Philae 162; 168; 180–181 und IM 166; s. o., Kap. 6.2.2.2 u. 6.2.4. SB 7791 (159 n. Chr.).

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„Sarapis“ heißt, bittet.1154 Eine griechische Versinschrift der hohen Kaiserzeit nimmt mit der Weihung einer Gazelle an Isis Bezug auf das lokale heilige Tier,1155 welches sowohl durch ägyptische Quellen 1156 als auch durch römerzeitliche Gaumünzen 1157 und eine Bemerkung Aelians1158 für den Koptites bezeugt ist. 6.2.7 Ostwüste Von Koptos und Edfu aus führten zentrale Handelsrouten durch die Ostwüste zu den dort gelegenen Steinbrüchen sowie den Häfen am Roten Meer.1159 An verschiedenen Stationen auf dem Weg, in Steinbrüchen und Felsheiligtümern haben die auf der Durchreise befindlichen oder an den jeweiligen Orten beschäftigten Menschen Graffiti und Weihinschriften hinterlassen, von denen sich ein Großteil an den in diesem Gebiet besonders verehrten Pan/Min richtet und diesen um Schutz auf dem Weg o. ä. bitten bzw. ihm für bereits vollbrachten Schutz danken.1160 Daneben spielen aber auch Isis und Sarapis eine Rolle und werden mehrfach angerufen. Wie Pan wird Isis ebenfalls als Schützerin und Retterin angesehen, wie eine griechische Weihung an „Isis Soteira“ im Paneion von El-Boueib durch Parmenion, Thaesis (äg. „Die der Isis“) und Symponos zeigt.1161 Zusammen mit Pan bzw. mit Sarapis und Pan wird Isis in griechischen Inschriften im Amethyst-Steinbruch von Wadi Abu Diyeiba angebetet.1162 Der Speos von Senskis (Sikkait, bei Berenike) wird zwischen 262 und 268 n. Chr. durch eine griechische Bauinschrift zum Dank an Sarapis, Isis, Apollon und die synnaoi theoi dediziert.1163 Isis, „Herrin von Senskis“, und der mit Min identifizierte Sarapis („Sarapis-Min“) erhalten außerdem einen Silberbecher und eine Silbervase von dem Stifter. Am Mons Porphyrites, dem Abbaugebiet für den in Rom so 1154 I. Portes 94; vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 170, auch zu anderen theophoren Schiffsnamen, die sich auf Isis und Sarapis beziehen. So ist z. B. Sarapis als Schiffsname auch in IG XII, 8, 584 (vom thrakischen Archipel) belegt, vgl. A. BERNAND, I. Portes, S. 256–257. Zu Isis als Schützerin der Seefahrt vgl. pOxy. 1380, 61–62, 74, 99 (εὔπλεα), 122–123 und 230; pHeid. dem. 736 vs., x+8; MM I, 32–33; pTebt. Tait 14, x+1; siehe oben, Kap. 6.1. 1155 IM 105. 1156 Vgl. WEBER/GEISSEN, Gaumünzen, S. 92–93. Die Gazelle wurde auch speziell mit Anuket verbunden, siehe STRANDBERG, Gazelle, S. 173–180; vgl. zu Anukets Rolle in Koptos Kap. 4.9. 1157 Vgl. H. G. FISCHER, s. v. „Koptos“, in: LÄ III, Sp. 739; rezent WEBER/GEISSEN, Gaumünzen, S. 98– 101. 1158 De nat. anim., 10, 23: Weibliche Gazellen galten in Koptos als Lieblingstier der Isis; vgl. É. BERNAND, IM, S. 405; STRANDBERG, Gazelle, S. 184–185; und rezent WEBER/GEISSEN, Gaumünzen, S. 92–93. 1159 Siehe dazu z. B. T. DE PUTTER, Les routes vers les mines et les carrières, in: P. Ballet (Hrsg.), Coptos. L’Égypte antique aux portes du désert, Lyon 2000, S. 144–156; H. CUVIGNY, Coptos, plaque tournant du commerce érythréen, et les routes transdésertiques, in: ibid., S. 158–175. Zum Handel vgl. auch die Inschriften des Kaufmannes aus Aden in Koptos, s. o., Kap. 6.2.6. 1160 Siehe A. BERNAND, I. Pan; ID., I. Koptos; R. MAIRS, Egyptian ‚Inscriptions‘ and Greek ‚Graffiti‘ at El Kanais in the Egyptian Eastern Desert, in: J. A. Baird/C. Taylor (Hrsg.), Ancient Graffiti in Context, Routledge Studies in Ancient History 2, New York 2011, S. 153–164. 1161 I. Koptos 154. Zu Isis Soteira vgl. IG Philae 5–6; 59; 134; 159. 1162 I. Pan 62; und jüngst neu entdeckte Inschriften, publiziert bei J. A. HARRELL et al., The Ptolemaic to Early Roman Amethyst Quarry at Abu Diyeiba in Egypt’s Eastern Desert, in: BIFAO 106, 2006, S. 127–162, Nr. 2 u. Nr. 4. 1163 I. Pan 69; vgl. dazu auch P. J. SIJPESTIJN, Polyphantos-Polyphantès et l’inscription Pan 69, in: CdÉ 52, 1977, S. 342–344.

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beliebten Porphyr, ist ebenfalls mindestens ein kleines römisches Heiligtum (genannt „östlicher Isistempel“) für Isis, „die sehr große Göttin“ durch eine in das Jahr 113 n. Chr. datierende griechische Dedikationsinschrift auf einem Türsturz bezeugt.1164 Es handelt sich um einen kleinen, langrechteckigen Bau am Steilhang im Süden des zentralen Lagers. Der Stifter, M. Papirius Celer, war Dekurion der in Ägypten stationierten Ala Vocontiorum. Ein weiterer Angehöriger des Militärs, der Centurio Fanius Severus, weihte 137–138 n. Chr. einen zylindrischen Granitblock, der vielleicht als Altar diente, an Isis Myrionymos („die 10.000-namige“). 1165 Etwas oberhalb des Auffindungsortes befinden sich mehrere kleine Gebäude, von denen eines möglicherweise eine Kapelle war. Eine sichere Zuordnung der heute verschollenen Inschrift zu dieser ist jedoch nicht möglich.1166 Gesichert ist jedoch die Zuordnung eines auf der Ostseite des Tales, südlich des Lagers, gelegenen, ionischen Tempels an Sarapis, der ähnlich wie der „östliche Isistempel“ durch eine griechische Dedikationsinschrift auf einem Architrav auf 117–119 n. Chr. datiert ist.1167 Gestiftet wurde er demzufolge von dem kaiserlichen Sklaven und Pächter der Steinbrüche Epaphroditos, im Auftrag des Präfekten Rammius Martialis.1168 Sarapis wird, genau wie im Sarapieion von Luxor, mit der im 2.–3. Jh. n. Chr. gerade unter römischen (zum Militär gehörigen) Dedikanten immer geläufiger werdenden synkretistischen Formel „Zeus Helios megas Sarapis“ angesprochen, wobei es sich hier um eines der ältesten sicher datierbaren Zeugnisse dafür

1164 I. Pan 20; siehe MEREDITH, Eastern Desert, S. 128–129, Nr. 2; zum Bau KRAUS/RÖDER/MÜLLERWIENER, Mons Claudianus – Mons Porphyrites, S. 171–172; MAXFIELD/PEACOCK, Roman Imperial Quarries I, S. 23–24; vgl. auch HAASE, Repertoire, S. 204; KLEIBL, Iseion, Kat. 50, S. 332. 1165 I. Pan 22; siehe MEREDITH, Eastern Desert, S. 129–131, Nr. 3; vgl. auch HAASE, Repertoire, S. 205. Zu Isis Myrionymos vgl. die Inschriften IG Philae 162; 168; 180–181; IM 166; sowie SB 7791 aus Koptos. 1166 Vgl. MEREDITH, Eastern Desert, S. 131; zuvor wurde der Altar einem weiter unterhalb liegenden Gebäude zugeordnet, das von WILKINSON und BURTON, die die Inschrift fanden, entsprechend als „Tempel der Isis Myrionymos“ bezeichnet wurde, vgl. ibid., S. 129. Siehe zum „westlichen Isistempel“ und seiner unsicheren Identifizierung auch KRAUS/RÖDER/MÜLLER-WIENER, Mons Claudianus – Mons Porphyrites, S. 181; MAXFIELD/PEACOCK, Roman Imperial Quarries I, S. 39–42. Bei KLEIBL, Iseion, Kat. 52, S. 336, wurde das unterhalb gelegene Gebäude kommentarlos als sicherer Isistempel aufgenommen. 1167 I. Pan 21; siehe MEREDITH, Eastern Desert, S. 126–128, Nr. 1; zur Architektur des Tempels KRAUS/RÖDER/MÜLLER-WIENER, Mons Claudianus – Mons Porphyrites, S. 172–181; MAXFIELD/PEACOCK, Roman Imperial Quarries I, S. 36–38; vgl. auch KLEIBL, Iseion, Kat. 51, S. 333–334; PFEIFFER, Inschriften, S. 286–289, Nr. 64b). 1168 Dieselbe Person hat zu dieser Zeit (118 n. Chr.) auch am Mons Claudianus einen Tempel für Zeus Helios Megas Sarapis geweiht: I. Pan 42; vgl. MAXFIELD/PEACOCK, Roman Imperial Quarries I, S. 37; zum Bau und weiteren Funden Th. KRAUS/J. RÖDER, Mons Claudianus – Bericht über eine erste Erkundungsfahrt im März 1961, in: MDAIK 18, 1962, S. 80–120: 91–97; ID., Der Tempel des Sarapis, in: AA 1962, S. 706–716; KRAUS/RÖDER/MÜLLER-WIENER, Mons Claudianus – Mons Porphyrites, S. 132–134; J.-M. CARRIÉ, Le temple de Sérapis, in: V. Maxfield/D. Peacock (Hrsg.), Survey and Excavation. Mons Claudianus (1987–1993) II. Excavations 1, FIFAO 43, Kairo 2001, S. 127–156: 136; Abb. 6.17 (Fragment eines Osiris-Kanopos?); KLEIBL, Iseion, Kat. 49, S. 330–331; PFEIFFER, Inschriften, S. 286–289, Nr. 64a); zu einer weiteren dort gefundenen Weihinschrift (auf einem Altar) eines alexandrinischen Architekten an Zeus Helios Megas Sarapis siehe E. BERNAND, À propos de l’autel dédié à Zeus Soleil, grand Sarapis, par l’architecte alexandrin Apollônios, fils d’Ammônios, au Mons Claudianus, in: ZPE 91, 1992, S. 221–225.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

handelt.1169 Sowohl die Inschrift als auch der dazugehörige Tempel scheinen unvollendet geblieben zu sein.1170 Des weiteren wurde nach dem Zeugnis einer rezent aufgefundenen Stele ein gemeinsames Heiligtum für Pan und Sarapis bereits im Jahr 18 n. Chr. durch den römischen Entdecker des Steinbruches am Mons Porphyrites, C. Cominius Leugas, geweiht.1171 In der Hafenstadt Berenike, einem wichtigen Handelszentrum am Roten Meer, befinden sich archäologische Reste eines unter Tiberius dekorierten Tempels, der üblicherweise Sarapis zugeschrieben wird, wahrscheinlich aber tatsächlich in erster Linie Isis (eventuell mit Osiris oder Min als männlichem Partner) geweiht war.1172 Erst unter Hadrian, oder noch später, datieren Fragmente einer im Allerheiligsten aufgestellten Sarapisbüste mit Inschrift, die den Gott wieder als „Zeus Helios megas Sarapis“ lobt.1173 Die gleichen Titel trägt er auch auf einem Alabasterblock aus dem Pronaos, dessen Inschrift sich außerdem noch an die tempelteilenden Götter (synnaoi theoi) richtet. 1174 Vor der Ostwand des Heiligtums wurde eine griechische Weihung an „Isis in Berenike, die sehr große, nährende Göttin (ἡ  θεὰ  τροφὸς  μεγίστη)“ in situ gefunden, die auf 49 n. Chr. datiert ist.1175 Stifter ist ein Sekretär des paralemptes (Zollempfängers) namens Eirenaios, Sohn des Harpochration. Obwohl das Epitheton der Göttin in griechischen Inschriften aus Ägypten sonst nicht belegt ist, dürfte es sich wahrscheinlich auf den verbreiteten ikonographischen Typus der Isis lactans beziehen, also der das Horuskind stillenden Mutter, der sowohl in traditionell ägyptischer als auch hellenistischer Ikonographie umgesetzt werden konnte. 1176 Zwei weitere Weihungen an Isis waren in sekundäre Kontexte integriert, könnten aber ursprünglich ebenfalls aus dem Tempelbereich stammen: 1177 Die eine, von 98 n. Chr., richtet sich an Isis Tyche, „die größte Göttin“, die andere, bei der nach „Isis“ nur noch Reste einer Epiklese erhalten sind (mindestens ebenfalls zu „[die größte] Göttin“ zu ergänzen) datiert auf ca. 113–117 n. Chr. und wurde von einem Übersetzer mit einer Widmung an Kaiser Trajan aufgestellt.1178 1169 Siehe dazu oben, Kap. 6.2.5.3, und BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, bes. S. 249–250. Vgl. auch die etwa gleichzeitige Dedikationsinschrift des Sarapistempels am Mons Claudianus, siehe die vorige Anm. 1168; und eine Orakelkapelle für Zeus Helios Megas Sarapis und andere Götter im Praesidium von Dios, siehe H. CUVIGNY, in: Travaux de l’Institut français d’archéologie orientale 2007–2008. Déserts. Praesidia du désert Oriental, Dios, Bi’r Bayza, in: BIFAO 108, 2008, S. 446– 447; EAD., Praesidium of Dios, Nr. 2, S. 250–251; und Nr. 4, S. 253. Dazu auch SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 358–359. 1170 MEREDITH, Eastern Desert, S. 128. 1171 Siehe W. VAN RENGEN, A New Paneion at Mons Porphyrites, in: CdÉ 70, 1995, S. 240–245; BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis, S. 249, Anm. 20; PFEIFFER, Inschriften, S. 234–236, Nr. 51. 1172 Siehe zu diesem Tempel MEREDITH, Berenice Troglodytica, S. 59–70; HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich III, S. 19–22 m. Abb. 34–36; AST/BAGNALL, Documents from Berenike III, S. 13–14; vgl. auch oben, Kap. 6.2.2.2, Anm. 929. 1173 I. Pan 72; vgl. HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich III, S. 20–22. 1174 I. Pan 71; vgl. HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich III, S. 22. 1175 AST/BAGNALL, Receivers of Berenike, Nr. 1. 1176 Vgl. AST/BAGNALL, Receivers of Berenike, S. 176–178; ID., Documents from Berenike III, S. 13–14. 1177 AST/BAGNALL, Documents from Berenike III, S. 12–14. 1178 Editionen: R. AST/R. S. BAGNALL, Inscriptions from Berenike, 2010–2011, in: E. S. Sidebotham/I. Zych (Hrsg.), Berenike 2010–2011. Report on Two Seasons of Excavations at Berenike, Including Survey in the Eastern Desert and Reports on Earlier Work, Polish Centre of Mediterranean Archae-

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6.2.8 Dendara Ähnlich wie in Koptos ist auch aus Dendara eine dreisprachige Gruppe von Stelen und anderen Inschriften bekannt, die Arbeiten eines lokalen Beamten im Tempelbezirk festhält: Pschenpachy (PA-Sr-pA-Vy), genannt Ptolemaios, Sohn des Pana, war in augusteischer Zeit – also während der Fertigstellung des Hathor- und dem Neubau des Isistempels!1179 – dort als Stratege, Priester (verschiedener Götter von Dendara inklusive Isis), Finanzverwalter und Leiter einer Kultassoziation aktiv.1180 So errichtete er zusammen mit einem Lesonis und einer nicht näher bezeichneten religiösen Assoziation eine „Küche (Sna) der Isis“ vor deren Kapelle (pA HA n As.t) im Jahr 19 v. Chr.,1181 allein einen Vorhof der Isis 13 v. Chr.,1182 einen Schrein bzw. eine Kapelle für Isis-Thermuthis im Süden des Hathor-Tempels im Jahr 12 v. Chr.1183 und den Dromos der Isis 10 v. Chr.1184 Zahlreiche weitere Leistungen zählt er in einer demotischen Inschrift von mindestens 59 Zeilen auf einer Bronzetafel auf,1185 darunter insbesondere die Herstellung mehrerer Schreine aus Silber, Gold und Edelsteinen, Kultbilder und Opfergaben für Hathor, Isis und andere Gottheiten des Heiligtums. Die mehrsprachigen Inschriften, die zahlreichen Verwaltungs- und Priestertitel, ebenso wie die zusätzlichen griechischen Namen, die Pschenpachoy und seine Söhne1186 tragen, weisen auf das hohe Prestige der Familie im ägyptischen und griechischen Milieu hin, das sie auch nach der römischen Eroberung halten konnte.1187 Isis wird in den meisten Inschriften des Ptolemaios als As.t n pr-D.t „Isis vom Haus der Ewigkeit“ einer Domäne des Heiligtums zugeordnet, 1188 bei der es sich um die des Isistempels handeln muß;1189 die gleiche Bezeichnung findet sich auch in der demotischen Weihinschrift einer silbernen Ohrenvase, die Trompilak („die Frau von Philae“), Tochter des Pana, zusammen mit ihren Kindern und ihrer Mutter Tatriphis gestiftet hat, sowie

1179 1180

1181 1182 1183 1184 1185 1186 1187 1188 1189

ology Excavation Series 4, i. Dr.; und R. S. BAGNALL/C. HELMS/A. M. F. W. VERHOOGT, Documents from Berenike II. Greek Ostraca from the 1999–2001 Seasons (O. Ber. II), Pap. Brux. 33, Brüssel 2005, Nr. 121, S. 27–28. Siehe oben, Kap. 4.6. Siehe zur Person und den Inschriften des Ptolemaios: FARID, Inschriften der Strategen, S. 5–32, zum Vater Panas und dem Großvater Psenobastet, beide ebenfalls Strategen, ibid., S. 3–4; VLEEMING, Some Coins, passim (siehe die Anmerkungen unten); KOCKELMANN/PFEIFFER, Dedikation von Tempeln, passim. VLEEMING, Some Coins, Nr. 159 (Stele, demotisch). VLEEMING, Some Coins, Nr. 161–162 (Stelen, demotisch). VLEEMING, Some Coins, Nr. 163 (Stele, hieroglyphisch, demotisch und griechisch); PFEIFFER, Inschriften, S. 219–225, Nr. 47. VLEEMING, Some Coins, Nr. 164 (Stele, demotisch). VLEEMING, Some Coins, Nr. 39. Zu den Söhnen, die ebenfalls den Titel „Stratege“ inne hatten, siehe FARID, Inschriften der Strategen, 33–34. Siehe zur Bedeutung und zu administrativen Veränderungen in der Kaiserzeit A. K. BOWMAN/D. RATHBONE, Cities and Administration in Roman Egypt, in: JRS 82, 1992, S. 107–127, zu Ptolemaios S. 107. Z. B. VLEEMING, Some Coins, Nr. 39, Z. 39 u. 41. Belegliste bei FARID, Sieben Metallgefäße, S. 127– 129. Vgl. CAUVILLE, Dend. Isis, S. XV–XVI; siehe oben, Kap. 4.6.3.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

weiteren Dokumenten. 1190 In den hieroglyphischen Inschriften des Tempels wird die Domäne allerdings einfach pr-As.t und nicht pr-D.t genannt.1191 Besonders interessant ist die dreisprachige Stele mit der Weihung eines Areals im Süden des Hathor-Tempels an As.t n &A-rmv.t „Isis als Thermuthis“.1192 In den griechischen Textteil wurden die beiden Göttinnen Isis-Renenutet und Hathor in der Form „Isis, die sehr große Göttin, die auch Thermuthis genannt wird“ und „Aphrodite“ übertragen. In ähnlicher Weise bezeichnet die – nun gänzlich griechische – Bauinschrift der Umfassungsmauer vom 4. Epagomenen (Geburtstag der Isis! 27. August) 23 n. Chr. das ganze Heiligtum als „Tempel der Aphrodite und Isis, der sehr großen Göttinnen“.1193 Entsprechend richtet sich ein griechisches Inschriftenfragment der Kaiserzeit an Isis und Apollon (= Horus). 1194 Auffällig ist die Beibehaltung des ägyptischen Göttinnennamens Isis in allen genannten Fällen, während für die anderen Gottheiten jeweils das griechische Äquivalent eingesetzt wird. 6.2.9 Die Oasen: Charga und Dachla Auch in den beiden großen Oasen Charga und Dachla wurde Isis, ebenso wie Osiris/Sarapis, als tempelteilende Gottheit in die Heiligtümer der lokalen Hauptgötter mit aufgenommen und von den ägyptischen, griechischen und römischen Bewohnern mit einer Vielfalt an (Bei-)Namen und Bildnissen geehrt. 6.2.9.1 Charga Der römerzeitliche Tempel von Qasr Dusch (Kysis) in Charga war nach den ägyptischen Texten Osiris (genauer Wsjr-ij.wj „Osiris ist gekommen“)1195 und Isis geweiht, die in den Wandreliefs auch in traditioneller Weise dargestellt wurden. 1196 Auf dem Architrav des

1190 VLEEMING, Some Coins, Nr. 47. Der Vater Pana könnte mit dem Strategen Panas, Vater des Ptolemaios (Pschenpachoy) identisch sein, was bedeuten würde, daß es sich bei Trompilak um Ptolemaios‘ Schwester handelte; jedoch gibt es keinen sicheren Beleg dafür, weil Ptolemaios nirgends den Namen seiner Mutter oder Großmutter erwähnt, vgl. FARID, Sieben Metallgefäße, S. 129, und den rekonstruierten Stammbaum auf S. 130; ID., Three Mirrors with Demotic Inscriptions, in: J. H. Johnson (Hrsg.), Life in a Multi-Cultural Society. Egypt from Cambyses to Constantine and Beyond, SAOC 51, Chicago 1992, S. 103–118. Metallgefäße von allen Personen wurden in der gleichen Cachette in Dendara gefunden. 1191 CAUVILLE, Dend. Isis, S. XVI, m. Anm. 15. 1192 VLEEMING, Some Coins, Nr. 163 (= I. Portes 24). vgl. dazu auch C. A. LA’DA, One Stone: Two Messages (CG 50044), in: Bülow-Jacobsen (Hrsg.), 20th International Congress, S. 160–164. 1193 I. Portes 27. Vgl. zur Formulierung und Umsetzung der beiden Namen die Weihinschrift des Kaufmannes aus Aden an „Isis und Hera, die sehr großen Göttinnen“ in Koptos, I. Portes 65, siehe oben, Kap. 6.2.6. 1194 I. Portes 40. 1195 Möglicherweise bezieht sich diese Form des Osiris auf die Rolle von Kysis als Handels- und Karawanenzentrum und stellt den Gott als Schutzpatron der Händler und Reisenden dar, vgl. HÖLBL, Altägypten im Römischen Reich III, S. 54. A. VON LIEVEN, Heiligenkult und Vergöttlichung im Alten Ägypten, Habil. Berlin 2008, schlägt dagegen eine Deutung als verstorbener Mensch vor. 1196 Publikation der Reliefs und Inschriften von DILS, Dusch; eine Auflistung der Beinamen der Isis in den Wandreliefs findet sich bei KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 157–161; zu Isis und Sarapis in Qasr Dusch siehe auch G. WAGNER, Les oasis, S. 335–338. Zu den Grabungen und der Architektur

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ersten Tores befindet sich hingegen eine griechische Bauinschrift von 116 n. Chr, die besagt, dass die Bewohner von Kysis zum Wohl des Kaisers Trajan unter dem Präfekten Marcus Rutilius Lupus für die sehr großen Götter Sarapis und Isis den Bau des Pylons vollbrachten.1197 Gleichzeitig zeigen die griechischen Epitheta der Isis, der in allen anderen Quellen der Vorzug vor Sarapis gegeben wird, daß diese wie in den hieroglyphischen Tempelinschriften als Fruchtbarkeitsgöttin angesehen wurde:1198 In einer metrischen Bauinschrift, mit der Epius Olbius, der Hohepriester der „sehr göttlichen (ζαθήες) Isis“, die Errichtung eines „Prothyron“, für die er zuvor Geld eingesammelt hat, festhält, wird die Göttin (in zerstörtem Zusammenhang) charakterisiert als: Isis, die sich erfreut über den fruchtbaren Feldern (?) […].1199 Auch eine weitere metrische Inschrift, nach G. WAGNER aus dem 2. Jh. n. Chr., die vielleicht eine kurze Hymne enthält, 1200 aber nur noch schlecht lesbar ist, hebt den noch erkennbaren Worten zufolge die lebenspendenden Kräfte der Göttin und ihre Sorge für das Gedeihen der Natur hervor.1201 Die erste Zeile spricht sie als „Retterin1202 von/vor den Klippen(?), die das Leben bringt […]“ an, wobei φερέσβιος eventuell das geläufige ägyptische Isis-Epitheton dj.t anx wiedergeben könnte. In Z. 6 wird „Isis, die Göttin“ in Zusammenhang mit Feldern (πεδίοισιν, vgl. die Inschrift des Olbius) im Dativ genannt, und in den übrigen Zeilen werden ein Garten (Z. 5), lebenspendende Früchte (Z. 7) und Wein (Z. 8) erwähnt. Zum Schluß (Z. 9) wird der Wunsch geäußert, der Nil möge eine große Menge Wasser geben. Trotz des fehlenden Gesamtzusammenhangs ist die thematische Fokussierung auf Nahrungsmitteln und Fruchtbarkeit offensichtlich und erinnert an die Isishymnen von Medinet Madi.1203 Aufgrund der Nennung der Göttin im Dativ könnte es sich natürlich auch um eine in poetische Form gebrachte Aufzählung von Opfergaben und (bauliche?) Leistungen für Isis handeln, zumal in den Z. 2–3 auch ein Tor und eine Mauer erwähnt werden. Eventuell ist am Ende von Z. 5 sogar von einem „Nanaion“ die Rede, was neben den bekannten Bezeugungen im Fayum und in Alexandria ein weiterer Beleg für die Verbindung der Isis mit Nanaia wäre.1204

1197 1198 1199

1200 1201 1202 1203 1204

des Tempels M. REDDÉ, Kysis, Fouilles de l’IFAO à Douch, Oasis de Kharga (1985–1990), Douch III, DFIFAO 42, Kairo 2004, S. 93–177. Siehe W. HELCK, Die Inschrift am Pylon des Tempels von Dusch (OGIS 677), in: CdÉ 42, 1967, S. 212; DILS, Dusch, 246–248, Nr. A1. Vgl. dazu auch DUNAND, Syncrétrisme ou coexistence, S. 106. Vgl. KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 162. Zu der Gleichsetzung von Isis mit Renenutet/Thermuthis in den Wandinschriften vgl. die Beliebtheit dieser Verbindung im Fayum (bes. Medinet Madi und Tebtynis), siehe oben, Kap. 6.1.2.1. Ἴ[σ]ις  [ε]ὐκάρποις  τερπομένη  πεδίοις (Z. 6). G. WAGNER, Les oasis, S. 48–50; Taf. 16 (= IM 118); DILS, Dusch, 249–251, Nr. A6. Terminus post quem der Inschrift ist 116 n. Chr., das Datum der Bauinschrift des Pylons, an dessen Ostturm sich die Inschrift des Olbius befindet. ζαθήες ist ein ungewöhnliches Götterepitheton, vgl. É. BERNAND, IM, S. 474, weshalb es sich m. E. vielleicht um die griechische Umsetzung eines ägyptischen Titels wie z. B. Sps(.t) handeln könnte. DILS, Dusch, S. 254, bezeichnet den Text als „Kurze Isisaretalogie (?)“. G. WAGNER, Les oasis, S. 50–51 u. 336; Taf. 17; DILS, Dusch, S. 254–255, A17. Die Übersetzung folgt DILS; WAGNER hat aufgrund der schlechten Lesbarkeit keine Übersetzung angegeben. Zu Isis als Retterin (Soteira) vgl. oben, Kap. 6.2.2.2 und 6.2.5.1. Vgl. Kap. 6.1.2.1. Vgl. den Kommentar von G. WAGNER, Les oasis, S. 51. Zu Isis Nanaia siehe oben, Kap. 6.1.2–3.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Auf der nördlichen Tempelwand haben zwei ägyptische Priester (zumindest tragen sie ägyptische Namen) des Heiligtums griechische Dipinti in roter Farbe mit Proskynemata für „Isis und Sarapis, die sehr großen Götter“ hinterlassen.1205 Die Inschriften datieren bereits in das späte 2. oder frühe 3. Jh. n. Chr. und spiegeln damit ein weit fortgeschrittenes Stadium des ägyptisch-griechisch-römischen Synkretismus wider, das selbst die ägyptische Priesterschaft offenbar nachhaltig beeinflußte. Ein weiteres Proskynema eines zum Heiligtum gehörigen Priesters, mit dem dieser die Weihung einer Sarapis-Statue festhält, wird von G. WAGNER allerdings bereits in das 1.–2. Jh. v. Chr. datiert.1206 Des weiteren unterscheiden sich die Darstellungsweisen des männlichen Tempelherrn in den Tempelreliefs und dem aufgefundenen Tempelschatz: Bei einem Golddiadem, das vielleicht von Priestern getragen wurde, wird das zentrale Schmuckelement von einem Bild des Sarapis mit Harpokrates gebildet.1207 Die Grabungen am Tempel brachten außerdem einen Marmorkopf des Gottes zutage. Auch zahlreiche goldene Medaillons, die Isis und den Apis-Stier darstellen, wurden in dem Goldhort gefunden und verweisen auf die ägyptischmemphitischen Wurzeln des Sarapis.1208 6.2.9.2 Dachla Im Mammisi des Tutu in Kellis (Ismant el-Kharab) in der Oase von Dachla wurde Isis als überregionale Göttin in das lokale Pantheon integriert. Von ihrer Bedeutung zeugen neben den ägyptischen Reliefszenen auch hellenistische Darstellungen: Sowohl an der gewölbten Decke als auch der Fassade des Tempels befanden sich Malereien mit der Darstellung der Göttin, die jedoch stark zerstört sind.1209 In beiden Fällen lassen sich noch eine Perlenkette und ein Schleier erkennen; die von der Fassade stammenden Fragmente zeigen außerdem Korkenzieherlocken, sowie einen Kranz aus Rosen und eine von Getreideähren gerahmte Uräusschlange auf dem Kopf. Diese Dekoration stammt erst aus dem 3. Jh. n. Chr. und schloß weitere Bilder eines Mannes und einer Frau ein, die KAPER zufolge möglicherweise als Stifter der Dekoration zu identifizieren sind.1210 Eine im Bereich des Heiligtums gefundene Holztafel weist ebenfalls ein Gemälde der Göttin auf, das sie mit Basileion und Kobra sowie wiederum Getreideähren präsentiert.1211 Daneben wurden zahlreiche Fragmente von Statuen, Büsten und Köpfen der Isis aus Stein und Stuck gefunden, die ihr griechisch-römisches Gesicht zeigen und wahrscheinlich als 1205 G. WAGNER, Les oasis, S. 52–53, Nr. 2–3; ID., Inscriptions et graffiti grecs inédits de la Grande Oasis, in: BIFAO 76, Kairo 1976, S. 283–288: 287; DILS, Dusch, S. 263–265, Nr. A55 und A57. 1206 G. WAGNER, Les oasis, S. 56–57, Nr. 10; vgl. DILS, Dusch, S. 267, A64. 1207 Farbabbildung in J. WILLEITNER, Die ägyptischen Oasen. Städte, Tempel und Gräber in der Libyschen Wüste, Mainz 2003, S. 48, Abb. 63; vgl. KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 172. Vgl. auch das goldene Pektoral mit Apis-Plaketten, das eine Sarapisbüste als zentrales Element zeigt, WILLEITNER, op. cit., S. 48, Abb. 62. Der gesamte Tempelschatz ist publiziert in M. REDDÉ, Le trésor. Inventaire des objets et essai d’interprétation, Douch IV, DFIFAO 28, Kairo 1993. 1208 Vgl. dazu auch FRANKFURTER, Religion, S. 47. 1209 KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 166; Abb. 7. 1210 KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 167; vgl. C. A. HOPE, Excavations at Mut el-Kharab and Ismant el-Kharab in 2001/2, in: BACE 13, 2002, S. 85–107, Taf. 18. 1211 WHITEHOUSE, Painted Panel; KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 169, u. Abb. 10. Vgl. zu derartigen Bildnissen, die unter anderem auch aus dem Fayum bekannt sind, bereits Kap. 6.1.2.1 oben, Anm. 226, und rezent RONDOT, Derniers visages.

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Votive an den Tempel gestiftet wurden.1212 Eine Skulptur stellt Isis lactans dar,1213 mehrere Köpfe weisen Locken und ein Diadem, teilweise auch einen Schleier auf, 1214 und zwei lebensgroße Büsten veranschaulichen durch einen Kalathos mit Sonnenscheibe auf dem Kopf die Identifikation von Isis und Demeter1215 und zeugen ebenso wie die Getreideähren in den Gemälden und die zitierten Texte aus Kysis von einer besonderen Betonung der agraren Züge von Isis in Charga und Dachla, was natürlich besonders gut zum Charakter der Oasen selbst paßt sowie Gemeinsamkeiten mit den fayumischen Isisformen aufweist.1216 Zu einer der Büsten gehört wahrscheinlich eine Steinbasis mit griechischer Weihinschrift für „[Isis-]Deme[ter, die sehr] gro[ße Göttin]“ von einem ehemaligen Magistraten und Prostates namens Aurelius Ophellianus, die in das 3. Jh. n. Chr. datiert.1217 Auch Darstellungen des Sarapis lassen sich anhand der gefundenen Fragmente rekonstruieren, darunter eine vergoldete Büste und ein sog. „Sarapisfuß“.1218 Derlei Bildnisse wurden auch in den Wohnhäusern aufgenommen, wie die gemalte Deckendekoration eines großen Hauses des 2. Jhs. in Kellis zeigt.1219 Hier wurden goldene Büsten von Isis und Sarapis-Helios in Sterne und geometrische Muster eingefaßt, die den Eindruck einer Kassettendecke nachahmen. Des weiteren fanden sich wieder zahlreiche Stuckfragmente, die wahrscheinlich von Skulpturen ähnlich denjenigen des Tempels stammen.1220 1212 1213 1214 1215

1216 1217

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1219 1220

Siehe HOPE, Isis and Serapis at Kellis; KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 169–170. HOPE, Isis and Serapis at Kellis, Taf. 4. HOPE, Isis and Serapis at Kellis, Taf. 5. HOPE, Isis and Serapis at Kellis, Taf. 6; KAPER, Isis in Roman Dakhleh, Abb. 11. Zur Ikonographie der Isis mit Kalathos siehe M. MALAISE, Le calathos sur la tête d’Isis, in: SAK 43, 2014, S. 223–265. Vgl. auch die Vorstellung von Isis als „Meßscheffel (Oipe)“ und als korrekter Bemesserin (des Udjatauges) im astronomischen Text Dend. XV, 28, 12–29, 13, siehe unten, Kap. 6.5.1.4. Vgl. Kap. 4.13.4 und 6.1.2–3. K. A. WORP/C. A. HOPE, Dedication Inscriptions from the Main Temple, in: C. A. Hope/G. E. Bowen (Hrsg.), Dakhleh Oasis Project. Preliminary Reports of the 1994–1995 to 1998–1999 Field Seasons, Dakhleh Oasis Project Monograph 11, Oxford – Oakville 2002, S. 323–331: 324–325; KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 170. Zu weiteren vereinzelten Funden von Statuetten und Büsten der Isis in griech.-röm. Stil aus den Oasen siehe ibid., S. 171–172. HOPE, Isis and Serapis at Kellis, S. 40; ID., Objects from the Temple of Tutu, in: W. Clarysse/A. Schoors/H. Willems (Hrsg.), Egyptian Religion: The Last Thousand Years. Studies dedicated to the memory of Jan Quaegebeur II, OLA 84, Leuven 1998, S. 803–858: 815 u. 818, Abb. 5.1; vgl. KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 171. Zu den „Sarapisfüßen“ siehe ST. DOW/F. S. UPSON, The Foot of Sarapis, in: Hesperia 13, 1944, S. 58–77; L. CASTIGLIONE, Zur Frage der Sarapis-Füße, in: ZÄS 97, 1971, S. 30–43; ID., Das wichtigste Denkmal der Sarapis-Füße im British Museum wiedergefunden, in: StudAeg 1, Budapest 1974, S. 75–81; M. MALAISE, L’expression du sacré dans les cultes isiaques, in: J. Ries (Hrsg.), L’expression du sacré dans les grandes religions, Homo Religiosus 3, Leuven 1986, S. 25–107: 72–78; PUCCIO, Pieds, S. 139–142; bes. zu Fußlampen F. SANTORO L’HOIR, The Sandalled Footlamps: their Apotropaic Potentiality in the Cult of Sarapis, in: AA, 1983, S. 225–237; bes. zu Gemmen VEYMIERS, Ἵλεως  τῷ  φοροῦντι, I.E 1–2, S. 43–46 u. 276; Taf. XII; zusammenfassend auch BRICAULT, Cultes isiaques, S. 506–507. Für Darstellungen auf Münzen siehe SNRIS Alexandria 205; 280; 314; 375; 476; 493. C. A. HOPE/H. WHITEHOUSE, A Painted Residence at Ismant el-Kharab (Kellis) in the Dakhleh Oasis, in: JRA 19, 2006, S. 312–328, bes. 316 u. 321; Taf. 5a–b; vgl. KAPER, Isis in Roman Dakhleh, S. 173; Abb. 12. Siehe G. E. BOWEN et al., Brief Report on the 2007 Excavations at Ismant el-Kharab, in: BACE 18, 2007, S. 21–52: 34 u. 47, Abb. 11.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Alexandria und Umgebung

6.2.10.1 Sarapeion und (mögliche) Heiligtümer der Isis im Stadtgebiet Aus Alexandria ist eine Reihe vor allem griechischer Weihinschriften für Isis und Sarapis erhalten.1221 Seit der Gründung des ersten Sarapeions wohl bereits unter Ptolemaios I. und dem anschließenden Neu- und Ausbau unter Ptolemaios III.1222 wurde die Hafenstadt sowie die ptolemäische Dynastie mehr und mehr unter die Ägide des Götterpaares gestellt, das somit besonders auch für die griechische Welt ein offizielles, repräsentatives Gepräge erhielt.1223 In dem großen Heiligtum von vornehmlich griechischem Stil ionischer Ordnung, durchmischt mit ägyptischen Elementen,1224 wurde Isis gemeinsam mit Sarapis verehrt, wie private Weihungen bereits aus der frühen Ptolemäerzeit zeigen.1225 Die Dedikation eines griechischen Ehepaars (Ende 3.–Anfang 2. Jh. v. Chr.) richtet sich sogar statt an Sarapis ausdrücklich an „Isis und die a[nderen] ret[tenden] [Göt]tinnen“.1226 Aufgefundene bilingue Gründungstäfelchen des Neubaues von Ptolemaios III. nennen zwar nur Sarapis (griechisch) bzw. Osiris-Apis (hieroglyphisch) als Tempelherrn,1227 andererseits halten aber die Gründungsplaketten des ebenfalls im Sarapeions-Bezirk errichteten Harpokrates-Tempels fest, daß dessen Bau unter Ptolemaios IV. auf Befehl (πρόσταγμα) von Sarapis und Isis erfolgt ist.1228 Die Formulierung deutet möglicherweise auf eine entsprechende Traumerscheinung bzw. einen Orakelspruch der beiden Gottheiten hin.1229 In die gleiche Epoche 1221 Die Aussage von BOMMAS in seinen (nahezu identischen) Beiträgen (BOMMAS, Theologie und Ikonographie, S. 134; ID., Isis in Alexandria, S. 30), epigraphische Quellen für die frühen ägyptischen Kulte in Alexandria würden „nahezu völlig“ fehlen, ist nicht korrekt. 1222 Siehe dazu M. SABOTTKA, Das Serapeum in Alexandria. Untersuchungen zur Architektur und Baugeschichte des Heiligtums von der frühen ptolemäischen Zeit bis zur Zerstörung 391 n. Chr., Études Alexandrines 15, Kairo 2008, S. 43–66; HÖLBL, Geschichte, S. 93–94; C. A. CAROLI, Ptolemaios I. Soter. Herrscher zweier Kulturen, Historia Orientis & Africae, Konstanz 2007, S. 327–329; KESSLER, Serapeum, S. 192–194; MCKENZIE/GIBSON/REYES, Reconstructing the Serapeum; vgl. auch die Übersicht über Baugeschichte, Architektur und Ausstattung bei KLEIBL, Iseion, Kat. 46, S. 316–325. Zum alexandrinischen Isis- und Sarapiskult siehe besonders die Übersicht bei MALAISE, Terminologie, S. 127–180. Ungenauer und teilweise fehlerhaft sind die beiden Beiträge von BOMMAS, Isis in Alexandria; und ID., Theologie und Ikonographie. 1223 Zur (ideologischen) Beziehung der ptolemäischen Herrscher zu Isis und Sarapis siehe NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 126–135. 1224 Dazu SAVVOPOULOS, Alexandria, S. 79–80. 1225 So eine Statuenbasis von 300–275 v. Chr.: IG Alexandrie 2 für Sarapis und Isis. Die paläographische Datierung durch FRASER und BERNAND, wird jedoch jetzt von LEGRAS, Pouvoir lagide, S. 105–106, zumindest in Frage gestellt. Für eine noch frühere Weihung an Sarapis und Isis zugunsten von Ptolemaios I. und seine Kinder, IG Alexandrie 1, ist der Fundort leider unbekannt. Siehe zu diesen beiden Inschriften auch MALAISE, Terminologie, S. 179, m. Anm. 337. 1226 IG Alexandrie 49; siehe auch MALAISE, Terminologie, S. 179. Zu Isis als Retterin vgl. z. B. die Graffiti in Philae, siehe oben, Kap. 6.2.2.2. 1227 IG Alexandrie 13. Zu diesem Problem jetzt auch LEGRAS, Pouvoir lagide, S. 101–106. Zu den zahlreichen in Alexandria gefundenen Gründungsplaketten siehe A. BERNAND, Alexandrie des Ptolémées, Paris 1995, S. 81–82; vgl. auch M. SMITH, Following Osiris, S. 395; speziell zur Bilingualität FASSA, Shifting Conceptions, S. 133–134. 1228 IG Alexandrie 21; siehe auch MALAISE, Terminologie, S. 179. Vgl. Weihungen an Isis und Harpokrates aus Philae, die ebenfalls aus der frühen Ptolemäerzeit stammen, siehe oben Kap. 6.2.2.2. 1229 Zu Isis als Orakelgottheit siehe unten, Kap. 6.5.1.3.

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datiert die griechische Dedikation der Ältesten einer Kultassoziation für Anubis, 1230 der ebenfalls im Sarapeions-Bezirk einen Tempel besaß. Alle sieben genannten Mitgliedernamen sind ägyptisch und deuten auf die Adaption griechischer Bräuche, wie die Weihung zum Wohle des Herrscherpaares, die griechische Sprache der Weihinschrift und die griechischen Titel der Ämter im Kultverein, im lokalen einheimischen Milieu hin. Ein weiteres – nicht lokalisierbares – gemeinsames Heiligtum für Sarapis und Isis wurde einer Inschrift zufolge von Archagathos, einem ansonsten unbekannten „Epistates von Libyen“, für Ptolemaios II. geweiht (zwischen 283 und 279 v. Chr.).1231 Ein Gründungstäfelchen mit Dedikation für Sarapis (hierogl.: Osiris-Apis) und Isis, die Rettergötter, und das vierte Ptolemäerpaar wurde unter der Ecke eines ptolemäerzeitlichen Gebäudes nahe dem Sarapeion gefunden. 1232 Ungewöhnlich ist, daß kein Stifter in der bilinguen Inschrift genannt wird; möglicherweise war es Ptolemaios IV. selbst.1233 In einer durch die Namensangabe (Archepolis, S. d. Kosmos) eindeutig privaten Weihung werden ebenfalls die Philopatoren zusammen mit Sarapis und Isis, den Rettergöttern, geehrt.1234 Die Bezeichnung der beiden Gottheiten als theoi soteres ist unter Ptolemaios IV. häufiger belegt, unter anderem auch in Philae,1235 und bezieht sich wahrscheinlich auf dessen Sieg gegen Antiochos III. in der Schlacht von Raphia 217 v. Chr., der mit der schützenden Rolle der dynastischen Patrone in Verbindung gebracht wurde, wie die ausführliche dreisprachige Inschrift des Raphia-Dekretes auch offiziell bezeugt.1236 Ptolemaios IV. Philopator, der als erster seiner Dynastie das Epitheton mrj-As.t „geliebt von Isis“ in seinem Königsnamen führt, wird darin in die Tradition des siegreichen Horus, Sohn der Isis, gestellt.1237 Er war es auch, der eine alexandrinische Emission von Tetradrachmen mit der Doppelbüste von Isis und Sarapis (mit Atefkrone) herausgab.1238 Eine weitere Inschrift eines Alexandriners mit seinen vier Söhnen stellt die beiden Gottheiten ebenfalls neben das Herrscherpaar, wenngleich Sarapis und Isis darin nicht den Titel „Rettergötter“ tragen.1239

1230 1231 1232 1233 1234 1235

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IG Alexandrie 24. IG Alexandrie 5; zur möglichen Identifizierung des Stifters siehe É. BERNAND, IG Alexandrie, S. 30–31. IG Alexandrie 18. So die Annahme von P. M. FRASER, Two Studies on the Cult of Sarapis in the Hellenistic World, in: Opuscula Atheniensia 3, 1960, S. 1–54: 12, Anm. 4; siehe auch MALAISE, Terminologie, S. 180, Anm. 342. IG Alexandrie 19. IG Philae 5–6; I. Thèbes 309; siehe oben, Kap. 6.2.2.2. Vgl. auch die Inschrift eines Alexandriners mit Weihung an Sarapis-Dionysos und Isis-Aphrodite, „die rettenden und Wohlstand bringenden (πολυφόρος) Götter“, aus Kom Abu Afrita (westliches Delta), die vielleicht ebenfalls unter Ptolemaios IV. datiert, siehe A. BERNAND, Delta III, S. 925–928, Nr. 1; MALAISE, Calathos, S. 251 u. 261. Siehe dazu BRICAULT, Sérapis et Isis, sauveurs; H. J. THISSEN, Studien zum Raphiadekret, Beiträge zur klassischen Philologie 23, Meisenheim am Glan 1966, S. 51; 55; 63f.; 67; NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 131–132. Vgl. auch eine möglicherweise unter Ptolemaios IV. datierende Inschrift aus Taposiris Magna für Sarapis, Isis (und weitere Götter?), die die Gottheiten als nikephoroi „Siegbringer“ bezeichnet, siehe Kap. 6.1.3.2.A, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 67–68, m. Anm. 408. In diesen Zusammenhang könnte auch die Weihung des Harpokrates-Tempels im Sarapeumsbezirk in seiner Regierungszeit gehören, IG Alexandrie 21, siehe oben. SNRIS Alexandria P02, S. 84. IG Alexandrie 20.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Obwohl im Stadtgebiet kein gesicherter eigener Tempel der Isis archäologisch erhalten ist, 1240 zeugen Inschriften- und Statuenfunde sowie literarische Quellen von mehreren Heiligtümern der Göttin, die teilweise von Privatpersonen, auch aus dem Dunstkreis des ptolemäischen Hofes, gestiftet worden sind.1241 Nach Arrian soll freilich bereits Alexander neben Tempeln für die griechischen Götter auch ein Heiligtum für „die ägyptische Isis“ gegründet haben.1242 Der früheste aus der Stadt selbst stammende Beleg, in welchem der Name der Göttin allerdings anhand des Beinamens und des Kontexts ergänzt werden muß, stammt aber wiederum von Ptolemaios IV.: es handelt sich um eine goldene Gründungsplakette, die „[Isis,] der sehr großen [Göttin]“ gewidmet ist und deren Wohltaten (εὐεργεσιῶν) ihm gegenüber hervorhebt, was für eine solche Plakette ungewöhnlich ist.1243 Aus dem Meer bei Kap Lochias wurde 2009 ein 3 m hoher, monolithischer Pylon geborgen, der von einigen Forschern mit einem aufgrund schriftlicher Quellen vermuteten Tempel der ‚Isis Lochias‘ in Verbindung gebracht wird.1244 Die ursprüngliche Annahme eines solchen Heiligtums beruht jedoch auf einer alten Fehllesung der in Kap. 6.1.3.2 kurz angesprochenen Inschrift für „Isis Mochias, die Retterin“ aus Akoris (Mittelägypten!), wie bereits FRASER feststellte.1245 Eine Epiklese Isis Lochia (gr. etwa „Geburtshelferin“), von der sich eventuell Rückschlüsse auf einen auf Kap Lochias zu lokalisierenden Tempel ziehen ließen, ist tatsächlich nur in Inschriften aus Makedonien belegt, wo der Kult der Isis als Schützerin der Gebärenden sich aus einem entsprechenden Kult der Artemis, die den Beinamen Lochia auch außerhalb Makedoniens tragen kann, weiterentwickelt.1246 Auf Kap Lochias befand sich zumindest ein Teil des ptolemäischen Königspalastes, in dessen Bereich Cassius Dio das Kleopatra-Mausoleum lokalisiert,1247 von dem wiederum Plutarch schreibt, es habe sich nahe einem Isistempel befunden. 1248 Eine Verbindung zu der

1240 Vgl. BOMMAS, Isis in Alexandria, S. 26. 1241 So war z. B. eine ptolemäerzeitliche Stele mit Weihung an Isis von einem Ptolemaios und seiner Familie in die Mauer eines kleinen Heiligtums eingebaut, das demnach vielleicht der Göttin geweiht war: IG Alexandrie 51; vgl. dazu auch FRASER, Ptolemaic Alexandria I, S. 190–191. 1242 Arrian, Anabasis, 3, 1, 5; vgl. BOMMAS, Isis in Alexandria, S. 30; D. SCHÄFER, Pharao Alexander „der Große“ in Ägypten – eine Bewertung, in: Grieb/Nawotka/Wojciechowska (Hrsg.), Alexander the Great, S. 153–168: 163–165 (zur Frage der Historizität dieser Aussage durch Arrian). 1243 IG Alexandrie 17; zur Ergänzung siehe ibid., S. 52–53; und MALAISE, Terminologie, S. 179–180. 1244 Siehe SAVVOPOULOS, Alexandria, S. 86. Vgl. zu Isis Lochias DUNAND, Culte d’Isis I, S. 111. 1245 FRASER, Ptolemaic Alexandria II, Anm. 81; MALAISE, Terminologie, S. 149–151. Noch in den rezenten Beiträgen von BOMMAS, Isis in Alexandria, S. 32; und ID., Theologie und Ikonographie, S. 136, wird die falsche Information gegeben, ein von Kleopatra der Isis Soteira geweihter Tempel solle sich am Kap Lochias befunden haben. Tatsächlich ist in den zitierten literarischen Quellen nur vom Grab der Kleopatra nahe bei einem Isistempel die Rede, siehe die folgende Ausführung. 1246 Aus Dion: RICIS 113/0201–0202; 113/0218. Aus Beroia: RICIS 113/0301. Aus Thessaloniki: RICIS 113/0523. Die Ergänzung eines mit Λο[…] beginnenden Namens der Isis in Buto in pOxy. 1380 (siehe Kap. 6.1.3.2), Z. 27, ist rein hypothetisch, wenngleich eine solche Epiklese tatsächlich auch gut zur ägyptischen Uto passen würde. Siehe rezent C. STEIMLE, Religion im römischen Thessaloniki. Sakraltopographie, Kult und Gesellschaft, Studium und Texte zu Antike und Christentum 47, Tübingen 2008, S. 119–120. 1247 Cassius Dio, 51, 8, 6. 1248 Plutarch, Ant., 74.

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griechischen Isis-Epiklese läßt sich jedoch nicht nachweisen.1249 Viel wahrscheinlicher ist aufgrund der Lage des Tempels am Meer und der Popularität der marinen Isis, daß es sich um einen Tempel für diese Form der Göttin handelte,1250 zumal diese insbesondere mit Alexandria assoziiert wurde und sich vermutlich ursprünglich ebendort aufgrund der Verbindung von Arsinoë  II. mit Aphrodite Euploia entwickelte.1251 Der Bildnistypus der Isis mit aufgeblähtem Segel, die teilweise und besonders ab Antoninus Pius vor dem Leuchtturm von Pharos dargestellt wird, ist in Alexandria allerdings erst durch Belege der Kaiserzeit bekannt.1252 Die im 1. Jh. v. Chr. erstmals belegte und im Mittelmeerraum gut bekannte Epiklese „Isis Pharia“ zeugt von der engen Assoziation der Göttin mit dem Leuchtturm von Pharos,1253 der im römischen Verständnis stellvertretend für die Stadt selbst oder sogar ganz Ägypten stehen kann,1254 andererseits aber auch die sichere Ankunft der Seefahrer symbolisiert.1255 Aufgrund dieser Benennung von Isis wurde häufig postuliert, daß sich ein entsprechendes Heiligtum der Göttin direkt auf der Insel Pharos befand; dies ist jedoch nicht mit Sicherheit nachzuweisen.1256 Ovid zählt neben anderen Orten zwar Pharos als Standort eines Isistempels auf, doch ist nach BRICAULT aufgrund der Auslassung von Alexandria in seiner Liste davon auszugehen, daß auch hier Pharos als pars pro toto für die Stadt genannt ist.1257 Ein Ägypter namens Nepheros hält auf einer griechisch beschrifteten Stele in ägyptischem Stil, datiert auf 52 v. Chr., seine Renovierungs- oder Dekorationsarbeiten an einem Heiligtum der „sehr großen Göttin Isis und des sehr großen Gottes Sarapis“ fest und widmet sie der Familie von Ptolemaios XII.1258 Die Lunette ist mit einer von Uräen und Flügeln eingefaßten Sonnenscheibe dekoriert, darunter befindet sich ein Bildfeld, in das grobe Darstellungen der einander gegenüber thronenden Götter Isis und Sarapis im Profil eingeritzt 1249 Auch MALAISE, Terminologie, S. 151, hält eine Ableitung des Namens von Kap Lochias von „Isis Lochia“ für sehr unwahrscheinlich. 1250 Siehe MALAISE, Terminologie, S. 151. 1251 BRICAULT, Dame des flots, S. 25–33; MALAISE, Isis à Canope, S. 364. Nach der Litanei von pOxy. 1380, Z. 7–9, wird Isis in Aphroditopolis im Prosopites „Flottengebiete[rin], die vielgestaltige Aphrodite“ genannt, siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 35–36; und oben, Kap. 6.1.3.2, Anm. 506. Mit Aphrodite wird Isis außerdem in der griechischen Inschrift eines Alexandriners aus Kom Abu Afrita (westliches Delta), die wohl unter Ptolemaios IV. datiert, identifiziert („Isis-Aphrodite“), siehe oben, Anm. 1235. Zu der mit Isis identifizierten Arsinoë II. siehe NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 128–131. 1252 So auf alexandrinischen Münzen domitianischer bis aurelianischer Zeit: BRICAULT, Dame des flots, S. 48–67. 1253 Siehe dazu BRICAULT, Dame des flots, S. 106–110; MALAISE, Terminologie, S. 141–149. Von BOMMAS, Isis in Alexandria, S. 38; und ID., Theologie und Ikonographie, S. 142, werden diese beiden grundlegenden Diskussionen der Epiklese überhaupt nicht zitiert. Isis Pharia wird auch im Epigramm des Serenus in Philae sowie in einem Proskynema des Maximus in Maharraqa genannt: IG Philae 168 u. SB 8542 (= CIG 5119), s. o., Kap. 6.2.2.2 und 6.2.4. 1254 Vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 107; MALAISE, Terminologie, S. 145–146. 1255 Vgl. die Deutung von „Isis Pharia“ von MALAISE, Terminologie, S. 148. 1256 Siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 107. Eine Liste der (modernen) Autoren, die von einem solchen Tempel ausgehen, bei MALAISE, Terminologie, S. 142, Anm. 94. 1257 Ovid, Am. II, 13, 9. Siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 107, Anm. 39; MALAISE, Terminologie, S. 146; A. RAMIREZ DE VERGER, The text of Ovid, Amores 2.13.17–18, in: AJPh 109, 1, 1988, S. 87–89. 1258 I. Alexandrie 34; vgl. dazu auch FASSA, Shifting Conceptions, S. 135.

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sind.1259 Es handelt sich um prinzipiell ägyptische Bildschemata in ungelenker Ausführung. Isis trägt die Hathorkrone, Sarapis eine von Uräen(?) gerahmte weiße Krone auf Widderhörnern(?) und eventuell einen Strahlenkranz im offenbar kurzen Haar. Gewandungen, Körperhaltungen und die in der Hand gehaltenen langen Szepter entsprechen üblichen ägyptischen Götterdarstellungen. Hinter Isis thront außerdem der ibisköpfige Thoth, hinter Sarapis ist eine große Situla dargestellt. Die Herkunft des ungewöhnlichen Stückes aus Alexandria ist jedoch nicht gesichert.1260 Einer Inschrift von 29 v. Chr. zufolge wurde eine „Prosbasis“ für Isis, die große Göttin, ähnlich wie im Falle des Harpokrates-Tempels im Sarapeionsbezirk auf Eingabe der Isis selbst gestiftet.1261 KAYSER hält, im Anschluß an FRASER, den Terminus „Prosbasis“ für die Zugangsrampe an dem zum Pylon hinführenden Ende eines Dromos und schließt daraus auf einen Tempel ägyptischen Stils.1262 Es läßt sich jedoch nicht mehr feststellen, zu welchem Heiligtum (und welcher Art von Heiligtum) das geweihte Bauteil einst gehörte. In der Römerzeit weisen die an die Göttin gerichteten Weihungen eine größere Bandbreite an ihr zugeschriebenen Beinamen auf, die teils typisch für diese Epoche, teils aber individuell auf die lokalen Gegebenheiten oder den Weihenden selbst abgestimmt sind. Zu ersterer Kategorie gehört die Dedikation einer Statue(?) an Isis Panto[krateira] („die All[herrscherin]“) aus dem späteren 2. Jh. n. Chr.,1263 wobei die Ergänzung durch die Belege dieser Epiklese in MM I, Z. 2, und pOxy. 1380, Z. 20,1264 abgesichert ist. Ebenso läßt sich die Inschrift einer Votivsäule aus der Umgebung von Kap Lochias (Fort Silsile) für „die Herrin mit 10.000 Namen (Myrionymos)“ mit vielen Weihungen an Isis Myrionymos aus ganz Ägypten parallelisieren.1265 Ein Säulenschaft, der zusammen mit Resten eines antiken Gebäudes an einer Straßenkreuzung gefunden wurde, war als Basis einer Statue der „sehr großen Göttin Isis Plousia“ am 26. August 158 n. Chr. aufgestellt worden.1266 Der Stifter Tiberius Iulius Alexander, Präfekt der Kohorte I Flavia, war laut der Inschrift zuständig für die Versorgung des „Quartiers B“ und wandte sich offenbar im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit an die Überfluß spendende Göttin. Die nicht erhaltene zugehörige Statue läßt sich entsprechend gut in einem Getreideähren oder ein Füllhorn haltenden Bildnistypus vorstellen – gut bekannte hellenistische ikonographische Formen der Isis, die heute allerdings meist als „Isis-Demeter“ respektive „Isis-Tyche“ bezeichnet werden. Im ptolemäischen Alexandria ebenso wie auf der direkt von der ptolemäischen Hauptstadt beeinflußten Insel Delos wurde Isis tatsächlich besonders eng mit der griechischen Tyche, oder Agathe Tyche,1267 verbunden, und die Darstellungen der Göttin mit Füllhorn waren auch in römischer Zeit noch 1259 1260 1261 1262 1263 1264 1265

Siehe KAYSER, I. Alexandrie, Taf. 19. Vgl. KAYSER, I. Alexandrie, S. 96. I. Alexandrie 56. KAYSER, I. Alexandrie, S. 195. I. Alexandrie 59. Siehe oben, Kap. 6.1.2–3. I. Alexandrie 60; vgl. IG Philae 162; 168; 180–181; IM 166; SB 7791; s. o., Kap. 6.2.2.2, 6.2.4 und 6.2.6. 1266 I. Alexandrie 32. Kreuzung Rue Nabi Daniel und Rue d’Istamboul. Siehe dazu auch MALAISE, Terminologie, S. 146. 1267 Zu Agathe Tyche und Isis vgl. oben, Kap. 6.1.2.1 und 6.2.1.1.

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beliebt.1268 Eine Statuette aus Alexandria, die Isis-Tyche, mit Steuerruder und Füllhorn, auf einem Schiff zeigt, demonstriert, daß dieser Aspekt hier auch mit den ebenfalls hervorstechenden marinen Zügen der Göttin (s. o.) direkt assoziiert wurde.1269 Trotz unserer modernen Trennung und Benennung ikonographischer Typen als „Isis Tyche“, „Isis Pharia/Euploia“ etc. zeigt sich, daß die antike Auffassung der Gottheit eine andere war.1270 Beide Darstellungstypen konnten verwendet werden, um Isis als Schützerin der Seefahrt und der jährlichen Getreidelieferungen nach Rom darzustellen, doch gleichzeitig umfaßten diese Ikonographien auch noch andere Aspekte wie die Suche nach Osiris (zu Schiff/Boot), Macht über das Schicksal (Steuerruder, Symbolik von Schiffahrt als Lebensweg), Fruchtbarkeit und Wohlstand (Füllhorn), die je nach Kontext im Vordergrund stehen können. Eine gleiche oder ähnliche Kombination von Aspekten der Isis weisen die demotischen und griechischen Hymnen aus Ägypten auf, da sie ebenfalls vornehmlich das Bild einer Fruchtbarkeits-/Reichtumspenderin, Herrin über das (individuelle) Schicksal und Erretterin aus der Not – zu Wasser oder zu Land – zeichnen.1271 Mit einer griechisch beschrifteten, heute verschollenen Stele, die daher nur noch in Umzeichnung vorliegt,1272 wandte sich ein Sarapodoros im Jahr 180 n. Chr. an „Zeus, den Großen, König Sarapis“, 1273 weihte diesem aber ein Bildnis der „glückseligen Isis im Atrium/in der Vorhalle“ (ἐν ἀτρίῳ μάκαιραν1274 Εἶσιν). Im Bildfeld ist die Göttin frontal stehend dargestellt; Details sind anhand der groben Umzeichnung nicht zu erkennen. Links neben ihr sollen sich allerdings drei liegende Kleinkinder befinden, was eine sehr ungewöhnliche Darstellung wäre. KAYSER glaubt, daß es sich bei dem gestifteten Bildnis nicht um eine separate Isis-Statue handelte, sondern um das beschriebene Relief der Stele selbst, und daß sich der Dedikant damit vielleicht für die Geburt von Drillingen bedanken wollte. 1275 Eine „Isis im Atrium“ ist auch in einer Inschrift aus Koptos belegt 1276 und bezeichnet nach dem Astrologen Teukros von Babylon (1. Jh. v./1. Jh. n. Chr.) die

1268 Siehe TRAN TAM TINH, s. v. „Isis“, S. 792 u. 794; FRASER, Ptolemaic Alexandria, S. 240–243; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 92–94; BOMMAS, Isis in Alexandria, S. 39. Trajanische Münzen aus Alexandria zeigen die Göttin mit einem Füllhorn in einem Tempel mit ägyptischer Architektur, siehe SNRIS Alexandria 85a. 1269 Siehe MALAISE, Terminologie, S. 144; ID., Conditions, S. 181. Vgl. auch, mit weiteren ähnlichen Darstellungen, die Tyche-Typen mit Elementen der marinen Isis kombinieren, BRICAULT, Dame des flots, S. 80–86. 1270 Vgl. generell zu diesem Problem der Interpretation ikonographischer Typen BRICAULT, Nom des images; MALAISE, Calathos, S. 225–226, speziell zu ‚Isis-Tyche/Fortuna‘ auch S. 234–242; NAGEL, The Goddess’s New Clothes, S. 202. 1271 Siehe Kap. 6.1, bes. pHeid. dem. 736 vs.; MM I; pTebt. Tait 14. 1272 I. Alexandrie 55, m. Taf. 31. Siehe dazu auch TRAN TAM TINH, Isis lactans, S. 19. 1273 Genau zwischen Διὶ  und μ[εγάλῳ]  ist der untere Teil der Sonnenscheibe der Lunette positioniert, die somit vielleicht das in dieser Namensfolge übliche Element „Helios“ andeutet (vgl. SB 8283, wo [Helios] deswegen sogar ergänzt wurde), wenngleich die Titelreihe des Gottes mit „König“ (basileus) sowieso von der üblichen Epiklese „Zeus Helios megas Sarapis“ abweicht. 1274 Poetische Form, die auch klassisch als Epitheton für griechische Gottheiten belegt ist, siehe LSJ, S. 1073. 1275 KAYSER, I. Alexandrie, S. 192–193. 1276 I. Portes 70, siehe oben, Kap. 6.2.6.

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thronende Isis lactans, die das Sternbild Virgo repräsentiert.1277 Diese Konnotation würde zu der angegebenen Darstellung der Kleinkinder und dem von KAYSER angenommenen Grund der Dedikation passen. Interessanterweise findet sich eine auffallend ähnliche Angabe in dem hieratischen kulttopographischen Handbuch PSI I 72, wo für den 13. o.äg. Gau eine Isisstatue beschrieben wird: „eine Statue einer Frau, die auf einem Thron sitzt, mit menschlichem Gesicht. Ihre Erscheinung ist die ‚Vorhalle des Sistrums’ (hAy.t sSS.t). Ihre beiden Arme [sind ausgebreitet?] in Anrufung für ihren Bruder.“ 1278 Dem Text zufolge handelt es sich allerdings um Isis auf der Suche nach Osiris, nicht um Isis mit dem Horuskind. Dennoch ist die Assoziation mit einer „Vorhalle“ verdächtig. 1279 Das in der alexandrinischen Inschrift hinzugefügte Adjektiv μάκαιρα, das für Isis nur vereinzelt belegt ist,1280 könnte die freudige Stimmung nach der Geburt, wie sie auch in einschlägigen ägyptischen Tempeltexten (speziell der Mammisis) beschrieben wird,1281 wiedergeben. Die Epiklese könnte sich demnach m. E. auf die mütterliche Isis im Geburtshaus beziehen. Die ebenfalls ihre mütterlichen Züge betonende Darstellung als Isis lactans war in Alexandria gut bekannt, und erscheint unter anderem auf einem Relieffragment innerhalb einer ägyptischen Architektur, die ein Mammisi andeuten könnte.1282 Die hellenisierte Form des Typus ist ab trajanischer Zeit auch auf alexandrinischen Münzen belegt, die – ähnlich dem Relieffragment – eine solche Darstellung in einem Tempel oder einer Kapelle zeigen.1283 1277 Teukros 1, 6, 1–3; F. BOLL, Sphaera. Neue griechische Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Sternbilder, Leipzig 1903, S. 18 und 209–216; siehe KAYSER, I. Alexandrie, S. 192, Anm. 3; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 497–499, der die Epiklese jedoch m. E. falsch im Sinne von ‚Isis als Schützerin des Hauses‘ (Atrium als Teil römischer Häuser) interpretiert. Vgl. dazu auch AST/BAGNALL, Receivers of Berenike, S. 177–178 (mit richtiger Deutung). Zu den abweichenden Angaben für Virgo in der lateinischen Version bei Hermes Trismegistus (Lucina anstatt Isis und Eileithyia) siehe W. GUNDEL, Neue astrologische Texte des Hermes Trismegistos. Funde und Forschungen auf dem Gebiet der antiken Astronomie und Astrologie, München 1936, S. 220–222; W. HÜBNER, Grade und Gradbezirke des Tierkreises. Der anonyme Traktat De stellis fixis in quibus gradibus oriuntur signorum (Stuttgart/Leipzig 1995), Band II, S. 47–48. Zur Symbolik der Geburt des Kindgottes in verschiedenen Gebäudeformen (Torgebäude und Mammisi oder Halle (hAy.t)) vgl. BUDDE, Götterkind, bes. S. 304–375. 1278 PSI I 72, x+3, 13–15. Siehe oben, Kap. 4.13.1.2. Zum Wort hAy.t, das einen Kiosk oder eine Portikus, jedenfalls eine kleinere Architektureinheit mit Säulen (und üblicherweise Schrankenwänden) bezeichnen kann, siehe WILSON, Ptol. Lex., S. 598–599; P. SPENCER, The Egyptian Temple. A Lexicographical Study, London et al. 1984, S. 155–161; und die vorige Anm. 1277. In diesem Zusammenhang könnte der Zusatz sSS.t die Säulenform (Sistrumkapitell = Hathorsäule) benennen, vgl. z. B. den Kiosk des Nektanebes auf Philae. OSING/ROSATI, Papiri geroglifici, S. 149, Anm. ae), führen dagegen die Dekoration der Säulen des Hathor-Kiosks auf Philae mit Musikantenszenen als Vergleich an. 1279 Des weiteren ist in Theben eine „Isis, die Große, die inmitten des Eingangs der Halle(?) ist (Hrj(.t)-ib rA wry.t)“ belegt: Deir Chelouit III, Nr. 129, siehe Kap. 4.8.1.A. 1280 Nochmal im Anubis-Hymnus aus Kios: RICIS 308/0302, ebenfalls im Zusammenhang ihrer Mutterrolle (allerdings gegenüber Anubis). Ein weiterer Beleg stammt vom Isistempel von Ras el-Soda bei Alexandria, siehe unten, Kap. 6.2.10.3. 1281 Vgl. z. B. Philä II, 8–9, wo die Freude der Götter über die Geburt des Horus beschrieben wird. Zu Festfreude und Jubel für Isis vgl. auch MM II, Kap. 6.1.2.1. 1282 BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 36.233, S. 646–647. Zu diesem Typus in Alexandria vgl. BOMMAS, Theologie und Ikonographie, S. 140. Für Beispiele aus Kanopos: GODDIO/CLAUSS, Ägyptens versunkene Schätze, S. 116–120. 1283 Siehe MALAISE, Terminologie, S. 152; z. B. J. S. MCKENZIE, The Architecture of Alexandria and Egypt c. 300 BC to AD 700, New Haven – London 2007, S. 63, Abb. 87 (Münze d. Antoninus Pius).

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In der römischen Kaiserzeit erfreut sich zudem die schlangengestaltige Isis-Thermuthis, die üblicherweise gemeinsam mit dem ebenfalls schlangenförmigen Sarapis-Agathodaimon dargestellt wird, großer Beliebtheit. 1284 Agathodaimon galt möglicherweise bereits in ptolemäischer Zeit als Patron Alexandrias, wenngleich die Quellen dafür alle aus der Römerzeit stammen.1285 Eine ganze Reihe von Reliefs im Griechisch-Römischen Museum von Alexandria zeigt eine oder beide der schlangenförmigen Gottheiten, wobei sich zumindest die Darstellungen der Isis-Thermuthis mit ähnlichen Bildnissen aus Medinet Madi vergleichen lassen.1286 Auch Terrakotten und andere kleine Objekte (z. B. sogenannte ‚Sarapisfüße‘ und Lampen) aus verschiedenen Orten zeigen dieselben Motive.1287 Die Gottheiten werden sowohl gänzlich zoomorph als auch in Mischform mit Schlangen(unter)leib und menschlichem Kopf bzw. Oberkörper dargestellt. In jedem Fall tragen sie Kronen bzw. einen Kopfschmuck: der Agathodaimon üblicherweise die Doppelkrone oder den von Sarapis übernommenen Kalathos,1288 Thermuthis eine einfache Hathorkrone oder das von Isis übernommene Basileion. Häufig sind die beiden Schlangen symmetrisch um ein zentrales Objekt oder eine weitere assoziierte Gottheit herum gruppiert.1289 Die Ikonographie findet sich auf alexandrinischen Münzen der Kaiserzeit ab Nero wieder, wobei hier der männliche Schlangengenius deutlich dominiert.1290 Dem Alexander-Roman zufolge soll Alexander einen Tempel für Agathodaimon errichtet haben, nachdem er eine während der ersten Bauarbeiten an der Stadtgründung auftauchende riesige Schlange hatte töten lassen.1291 Ein derarti-

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Vgl. auch das thematisch verwandte Ikon des Götterkindes im Tempel bzw. einer Säulenhallen- oder Mammisi-artigen Architektur, dazu BUDDE, Götterkind, S. 344–375. Zum hellenisierten Isis lactansTypus siehe TRAN TAM TINH, Isis lactans; ID., Isis mit dem Horuskinde; S. HIGGINS, Divine Mothers: The Influence of Isis on the Virgin Mary in Egyptian Lactans-Iconography, in: JCSCS 3–4, 2012, S. 71–90. Siehe dazu DUNAND, Agathodémon; MALAISE, Terminologie, S. 168–176; besonders zu IsisThermuthis DESCHÊNES, Statuette; EAD., Biculturalisme; teils problematisch ist M. BOMMAS, Die Genese der Isis Thermouthis im kaiserzeitlichen Ägypten sowie im Mittelmeerraum zwischen Aufnahme und Abgrenzung, in: Mediterraneo Antico 9.1, 2006, S. 221–240. Zumindest die Komposition des Töpferorakels, in dem vorausgesagt wird, daß die Griechen sich selbst zerstören werden und Agathodaimon (zusammen mit Kneph) Alexandria verlassen und nach Memphis zurückkehren wird, dürfte auf die Ptolemäerzeit zurückgehen. Siehe MALAISE, Terminologie, S. 159–167. Zum Töpferorakel vgl. auch unten, Kap. 6.5.1.3. Siehe ausführlich dazu oben, Kap. 6.1.2.1. DUNAND, Agathodémon, S. 21–25. In Einzelfällen kommen die Kronen von Ober- und Unterägypten auch einzeln vor, sowie die Atefkrone, vgl. MALAISE, Terminologie, S. 167. Vgl. auch eine Darstellung auf der Tunika von Sakkara, in der Isis (menschengestaltig) von Osiris als Schlange mit Atefkrone ‚umarmt‘ wird, siehe oben, Kap. 4.12.1. Siehe DUNAND, Agathodémon, Kat. 4; Taf. 2A; S. 23, Abb. 7: Hydria; Kat. 5; Taf. 2B: Altar; Kat. 7; Taf. 2C: Sarapisbüste; Taf. 3C: (Isis-)Demeter/Hekate(?); Kat. 9; Taf. 3B: Isis; Kat. 10, S. 15, Abb. 2; S. 24, Abb. 8: Harpokrates; S. 21, Abb. 6: Flügelgreif (Nemesis). Vgl. auch ein römerzeitliches Sistrum mit den beiden Schlangen, die ein bxn.t-Gebäude mit Kindgott (Harpokrates) umgeben, vgl. BUDDE, Götterkind, S. 317–319. SNRIS, Alexandria 11; 46; 59; 62; 67; 155; 177–178; 220; 230; 259; 298; 328; 330; 398–399. Vgl. DUNAND, Agathodémon, S. 25–30. Ps.-Kallistenes, I, 32; siehe z. B. F. PFISTER, Der Alexanderroman, mit einer Auswahl aus den verwandten Texten, Beiträge zur Klassischen Philologie 92, Meisenheim am Glan 1978, S. 17–18; A. WOJCIECHOWSKA/K. NAWOTKA, Alexander in Egypt: Chronology, in: Grieb/Nawotka/ Wojciechow-

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ger Tempel ist jedoch durch andere Quellen nicht belegt, und es stellt sich zudem die Frage, ob – zumindest in der Römerzeit – Isis-Thermuthis dort mitverehrt wurde. Trotz der zahlreichen Weihreliefs wird die Göttin in keiner bekannten Inschrift aus Alexandria so benannt. In einer Inschrift der späten Kaiserzeit aus Alexandria-Ramleh oder Kafr el-Zayat (ca. 100 km südöstl. von Alexandria) weiht ein Mann namens Anubion mit seinen Kindern einen Altar an: Isis mit schönen Locken (εὐπλοκάμος), den gehörnten Ammon und Karpokrates, der sich in doppelter Form manifestiert.1292 Die Namensform Karpokrates ist wohl erst spät als griechische Uminterpretation von Harpokrates zum „Herrn der Feldfrüchte“ entstanden.1293 Der auf das Haar bezogene Beiname der Isis läßt sich mit anderen ähnlichen Epitheta in griechischen Inschriften aus Ägypten parallelisieren,1294 doch die Zusammenstellung der Triade sowie das Epitheton des Karpokrates1295 sind ungewöhnlich, was möglicherweise aber mit dem späten Entstehungsdatum der Inschrift zusammenhängt. Im östlichen Vorort Maamura wurde eine weibliche Kalksteinstatue mit Knotengewand gefunden, das möglicherweise auf eine Identifizierung als Isis hinweist.1296 Es handelt sich

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ska (Hrsg.), Alexander the Great, S. 49–54: 49–50; B. P. REARDON (Hrsg.), Collected Ancient Greek Novels, Berkeley 2008, S. 675–676; C. JOUANNO, Naissance et métamorphoses du Roman d’Alexandre, Domaine grec, Paris 2002, S. 74–76. Allgemein zu Alexander in Ägypten, mit zahlreichen Kommentaren zum Alexanderroman, GRIEB/NAWOTKA/ WOJCIECHOWSKA (Hrsg.), Alexander the Great. IM 107 (3. Jh. n. Chr. oder später). Vgl. dazu auch NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis, S. 589; SANDRI, Har-pa-chered, S. 177; MATTHEY, Karpocrate de Chalcis, S. 203. Zu einem weiteren Beleg aus dem spätkaiserzeitlichen Ägypten (von 215 n. Chr.) siehe SANDRI, Harpa-chered, S. 177. Außerhalb Ägyptens ist Karpokrates ebenfalls einige Male belegt; eine Hauptquelle ist die Aretalogie des Karpokrates von Chalkis auf Euböa (RICIS 104/0206), die ebenfalls erst aus der Spätantike (Ende 3. – Anfang 4. Jh. n. Chr.) stammt, siehe HARDER, Karpokrates; SANDRI, Har-pa-chered, S. 178; M. TOTTI, Καρποκράτης  ἀστρόμαντις  und die λυχνομαντεία, in: ZPE 73, 1988, S. 297–301; MATTHEY, Karpocrate de Chalcis, bes. S. 203–210 zu Karpokrates und den weiteren Belegen; außerdem M. MALAISE, À la découverte d’Harpocrate à travers son historiographie, Brüssel 2011, S. 161, Index, s. v. Auch die Isisaretalogie von Ios (RICIS 202/1101, 3. Jh. n. Chr.) ist Isis, Sarapis, Anubis und Karpokrates gewidmet. Vgl. das Attribut „mit schönem Haar“ (εὐέθειρα) in Kalabscha (IM 166), siehe Kap. 6.2.4, und Isis Τριχώματος in Koptos (I. Portes 71), Kap. 6.2.6. Die „doppelte Form“ könnte sich auf Terrakotten beziehen, die zwei Harpokrates-Kinder wie Zwillinge darstellen bzw. Harpokrates mit einer Zwillingsschwester, die teils als „Harpokratis“, eine angebliche Form der Isis, interpretiert wird, siehe MATTHEY, Karpocrate de Chalcis, S. 204; V. DASEN, Jumeaux, jumelles dans l’Antiquité grecque et romain, Zürich 2005, S. 213; Abb. 147–149; vgl. dazu pOxy. 1380, Z. 135–136, wo Isis als „Harpokratis der Götter“ bezeichnet wird, siehe oben, Kap. 6.1.3.2, m. Anm. 478. Desweiteren spielt eine Göttin Horit, die ein weibliches Pendant zu Horus bildet, eine zentrale Rolle in den Mythen des Deltapapyrus, siehe Kap. 4.13.2. Es könnte sich bei der „doppelten Form“ hier aber auch um eine Anspielung auf die beiden Horusformen Kind (Harpokrates) einerseits und Erwachsener (Horus, der Ältere) andererseits handeln, was MATTHEY, loc. cit. und S. 219–220, insbesondere mit Verweis auf die Parallelen bei Dionysos, der ebenfalls Dimorphos genannt wurde und mit Harpokrates/Karpokrates gleichgesetzt werden konnte, für wahrscheinlicher hält. J. LECLANT, Fouilles et travaux en Égypte, 1954–1955, in: Or 25, 1956, S. 251–268: 262–263; Taf. 53, Abb. 22; ALBERSMEIER, Frauenstatuen, S. 13, Anm. 66; BOMMAS, Isis in Alexandria, S. 33. Nach ALBERSMEIER könnte die Kolossalstatue sowohl ptolemäisch als auch kaiserzeitlich sein.

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allerdings um eine Dyade – von der ursprünglich viel größeren männlichen Figur (Gesamthöhe wohl > 5 m) ist nur noch das Bein erhalten, neben dem nach alter ägyptischer Tradition die Frau steht. Diese Anordnung spricht m. E. eher für die Darstellung einer (ptolemäischen?) Königin neben dem Pharao. 6.2.10.2 Nekropolen Auch aus den Nekropolenbereichen Alexandrias, in deren Dekoration sich ägyptische und griechisch-römische Vorstellungen und Stile besonders eindrucksvoll vermischen,1297 sind einige Weihinschriften zutage gekommen. Der Inhalt der Dedikationen bzw. die genannten Gottheiten verweisen dabei häufig direkt auf den funerären Kontext: So richtet sich die wohl ptolemäerzeitliche Inschrift auf einem Hörneraltar aus einem Grab in der Nekropole Hadra neben Isis und Sarapis auch an Anubis, 1298 der ja spätestens seit der Zeit Ptolemaios’ IV. einen Tempel im Sarapeionsbezirk besaß (s. o., 6.2.10.1). Aber auch der griechische Psychopomp par excellence Hermes wurde in einer Weihung des 2. Jhs. v. Chr. mit dem Götterpaar assoziiert, wenngleich die neben der entsprechenden Inschrift befindliche Darstellung eines Ibis auf einem Caduceus bereits dessen Identifikation mit dem ägyptischen Thoth anzeigt.1299 Erst in das 2. Jh. n. Chr. oder noch später datiert ein Grabepigramm mit einer OsirisKaltwasser-Inschrift aus der westlichen Nekropole von Alexandria.1300 Für die Verstorbene, Sarapias, wird darin der Wunsch geäußert, daß Isis ihr das reine Wasser des Osiris spenden möge: σοὶ δὲ Ὀσείριδος ἁγνὸν ὕδωρ Εἶσις χαρίσαιτο  Es handelt sich um eine Variante der Formel, die auch aus den spätkaiserzeitlichen demotischen Inschriften in Philae bekannt ist, wo üblicherweise vom „kühlen Wasser“ die Rede ist, das Osiris einem verstorbenen Familienmitglied geben soll.1301 Auch in den anderen griechischen Belegen, die in erster Linie aus Ägypten und Rom stammen, 1302 wird eine feste Formel verwendet, die „Möge Osiris dir kühles Wasser geben“ (Δοί(η)  σοι  ὁ  Ὄσειρις  τὸ  ψυχρὸν ὕδωρ) lautet.1303 Allein sechs dieser Inschriften stammen ebenfalls aus Alexandria.1304 Nur im Epigramm der Sarapias wird jedoch Isis als aktive Spenderin 1297 Siehe zur umfassenden Analyse der alexandrinischen Grabarchitektur und -dekoration VENIT, Monumental Tombs; vgl. außerdem allgemeiner A. VON LIEVEN, Kulturelle Interaktion am Beispiel römerzeitlicher Funerärkunst, in: Beck/Bol/Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, S. 384–386. 1298 IG Alexandrie 55. 1299 I. Alexandrie 55bis. 1300 IM 52; DELIA, Refreshing Water, S. 189–190, Nr. 3; vgl. dazu auch TRICOCHE, L’eau, S. 91–92, Doc. 6; GASPARINI, Afterlife, S. 133–134. 1301 Ph. 290; Siehe oben, Kap. 6.2.2.2, m. Anm. 910. 1302 Siehe unten, Kap. 7.3.2.2.8 (Rom), und für eine Ausnahme aus Karthago Kap. 7.2.3.2.2. Ein Katalog aller außerägyptischen Belege findet sich bei TRICOCHE, L’eau, S. 94–95, Doc. 11–20. 1303 Siehe dazu: DELIA, Refreshing Water; WILD, Water, S. 102–103; LUKASZEWICZ, Osiris Cool Water Inscription; GENAILLE, Eau sacrée; TRICOCHE, L’eau, S. 89–100; und NAGEL, Kult und Ritual, S. 164–166 (jedoch alle ohne Berücksichtigung der Parallelen in Philae). 1304 BRECCIA, Iscrizioni greche e latine, Nr. 332; 341; SB 335; 1415; LUKASZEWICZ, Osiris Cool Water Inscription; IM 47 (Variante: „Möge Osiris dich zu feinem Staub verwandeln und dir kühles Wasser spenden.“); vgl. auch TRICOCHE, L’eau, S. 90–92, Doc. 1–6.

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des Wassers genannt, was auf ihre belebenden Handlungen für Osiris selbst rekurriert.1305 Die griechischen Zeugnisse datieren alle aus dem 1.–3. Jh. n. Chr., 1306 die demotischen Inschriften aus Philae interessanterweise dagegen erst in das 3.–4. Jh. Auch TerrakottenSkulpturen des Osiris-Kanopos sind in Gräbern der alexandrinischen Nekropolen gefunden worden.1307 Diese Bildnisse zeugen wie die Osiris-Kaltwasser-Inschriften von der Popularität der durch sie visualisierten Verbindung des Osiris zum belebenden Wasser in der Region um Alexandria. 1308 Die Aufnahme der Darstellung in das Grab dürfte denselben Wunsch nach belebendem Wasser für den Toten ausdrücken wie die genannten Inschriften.1309 Außerhalb der Nekropolenbezirke wurde Osiris ausnahmsweise auch bereits Ende des 3. oder im 2. Jh. v. Chr. in einer griechischen Weihung durch einen Kreter, der diese auf Befehl (prostagma) des Gottes ausführte, geehrt.1310 Exkurs: Darstellungen von Initiation in den Isiskult in der alexandrinischen Grabdekoration?1311 (Taf. II) Die Dekoration einiger römerzeitlicher alexandrinischer Gräber enthält – abgesehen von gängigen Motiven, die aus der ägyptischen Funerärkunst entlehnt und in einem hellenisierten Mischstil wiedergegeben sind 1312 – möglicherweise auch konkrete Anspielungen auf den Isiskult. 1313 So zeigen in den ptolemäerzeitlichen Gräbern Anfushi I und II auf die Wand aufgebrachte Felder farbig gemalte Kronen von Isis/Hathor und Osiris (Atefkrone, Hemhem-Krone, anD.tj-Krone und Basileion bzw. Abwandlungen der Hathorkrone mit verschiedenen Zusätzen).1314 Eine der wohl Isis zuzuordnenden Kronen besteht aus Kuhgehörn mit Sonnenscheibe mit einer darauf sitzenden gewundenen Uräusschlange.1315 1305 Vgl. zu dieser Rolle z. B. ihren Titel qbH.t in Philae, siehe Kap. 4.1.2. 1306 Siehe DELIA, Refreshing Water, S. 181. 1307 DUNAND, Prêtre portant, S. 189. Zu Osiris-Kanopos siehe bereits oben, Kap. 6.1.3.1, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 63–64. 1308 Vgl. zu diesem Zusammenhang NAGEL, Kult und Ritual, S. 168–169; WILD, Water, S. 113–123, und bes. 125. 1309 Vgl. KETTEL, Canopes, S. 329. 1310 I. Alexandrie 53. Wohl Ende 3.–2. Jh. v. Chr. 1311 Der Exkurs setzt sich mit den Intepretationen einiger Szenen in Gräbern Alexandrias durch M. S. VENIT auseinander. 1312 So z. B. die geläufige Darstellung der Isis, die den Toten mit ausgebreiteten Flügeln beschützt, teils gemeinsam mit Nephthys, siehe VENIT, Monumental Tombs, S. 123–124, Abb. 101–102; S. 136, Abb. 114; S. 139, Abb. 118; S. 146, Abb. 126 (alle in der Nekropole von Kom el-Schugafa); EAD., Referencing Isis, S. 91–92; vgl. auch A.-M. GUIMIER-SORBETS, The Function of Funerary Iconography in Roman Alexandria. The Original Form of Bilingual Iconography in the Necropolis of Kom el Shoqafa, in: R. F. Docter/E. M. Moormann (Hrsg.), Proceedings of the XVth International Congress of Classical Archaeology, Amsterdam, July 12–17, 1998. Classical Archaeology towards the Third Millennium. Reflections and Perspectives, Amsterdam 1999, S. 180–182. 1313 Vgl. dazu VENIT, Referencing Isis; EAD., Monumental Tombs, S. 120. 1314 Siehe ADRIANI, Necropoles, S. 68–69, Abb. 39; VENIT, Monumental Tombs, S. 81–83, m. Abb. 65 u. Taf. II; und jetzt besonders HELMBOLD-DOYÉ, Kronen. Die Kronen in Anfushy II gehören zur 2. Dekorationsphase des Grabes, dessen 1. Phase wohl in die Mitte bis zweite Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. datiert, siehe VENIT, Monumental Tombs, S. 77. Zur Bedeutung von Kronen in ägyptischem Funerärmaterial der Römerzeit siehe auch L. KÁKOSY, Die Kronen im spätägyptischen Totenglauben, in:

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Im Hauptgrab von Kom el-Schugafa sind sowohl Rück- als auch Seitenwände der Nischen mit ägyptisierenden Reliefs dekoriert.1316 Die beiden Ritualszenen auf der linken und rechten Seitenwand der Zentralnische zeigen eindeutig als Priester zu identifizierende Offizianten, die weiteren Personen – ägyptischem Verständnis solcher Szenen nach müssen sie als entsprechende Rezipienten der jeweiligen Handlungen aufzufassen sein – gegenübergestellt sind, welche in ihrer Deutung umstritten sind.1317 Von VENIT werden sie als Eingeweihte in den Isiskult gedeutet.1318 Es handelt sich um eine männliche und eine weibliche Figur, die jeweils eine einfache Sonnenscheibe ohne Zusätze auf dem Kopf tragen. Diese unterscheidet sich damit von dem Kopfschmuck der eindeutigen, geflügelten Isisdarstellungen auf den Rückwänden der rechten und der linken Nische, bei denen sie jeweils mit einem Uräusdiadem kombiniert ist, entspricht jedoch den ebenfalls einfachen Sonnenscheiben einiger Figuren auf den Seitenwänden der rechten und linken Nische. Der männliche ‚Initiierte‘ (linke Seitenwand) trägt eine schulterlange ungegliederte Perücke und einen knöchellangen, um die Taille gebundenen Schurz. Sein Oberkörper ist frei. VENIT sieht diese Tracht (die konventionellen langen ägyptischen Schurzen für Männer entspricht) ohne jeglichen Verweis als „in the manner of an initiate in the cult of Isis“ an,1319 was nicht wirklich nachvollziehbar ist. In der rechten, ausgestreckten Hand hält die männliche Figur ein herabhängendes Objekt, das mit VENIT wohl als Leinenstreifen zu interpretieren ist.1320 Die linke Hand des Mannes ist mit der Handfläche nach innen zum Gesicht erhoben. Ihm gegenüber steht ein Vorlesepriester (ägyptisch Xrj-Hb) mit Pantherfell, der aus einer Papyrusrolle rezitiert. Zwischen beiden Figuren befindet sich ein kleiner Altar mit zylindrischem Räuchergefäß. Die weibliche ‚Initiierte‘ (rechte Seitenwand) trägt eine gestufte Löckchenperücke und ein knöchellanges Gewand, dessen von der rechten Schulter herabfallender Saum mit Fransen besetzt ist.1321 Beide Hände sind mit den Handflächen nach innen vor das Gesicht erhoben, was einem ägyptischen Klagegestus entspricht. Obwohl auch die in römischer Zeit von Isis (und ihren Anhängerinnen) getragene Palla mit Fransen besetzt ist, geht diese ägyptische Mode bereits auf Frauenkleidung des Neuen Reiches zurück und bekleidet in ptolemäischer Zeit Königinnen und weibliche

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Grimm/Heinen/Winter (Hrsg.), Römisch-byzantinisches Ägypten, S. 57–60; vgl. außerdem K. GOEBS, Crowns in Egyptian Funerary Literature. Royalty, Rebirth, and Destruction, Oxford 2008. Siehe HELMBOLD-DOYÉ, Kronen, S. 96, Abb. 15, u. S. 107. Siehe VENIT, Monumental Tombs, S. 136–142, Abb. 114–122; KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, Taf. 34–36; A.-M. GUIMIER-SORBETS; A. PELLE/M. SEIF EL-DIN, Renaître avec Osiris et Perséphone. Alexandrie, les tombes peintes de Kôm el-Chougafa, Antiquités Alexandrines 1, Alexandria 2015. VENIT, Monumental Tombs, S. 138–139, Abb. 116–117; KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, Taf. 34b–c. VENIT, Monumental Tombs, S. 138–139. VENIT, Monumental Tombs, S. 138. VENIT, Monumental Tombs, S. 138. J.-Y. EMPEREUR, A Short Guide to the Catacombs of Kom el Shoqafa Alexandria, Alexandria 1995, S. 11, sieht das Objekt als Füllhorn (gefolgt von KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 131) und die ganze Figur als weibliche Gottheit an, was sicher falsch ist. Möglicherweise handelt es sich auch um zwei Kleidungsstücke: ein Kleid und einen darüber drapierten Mantel.

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Privatpersonen gleichermaßen. 1322 Ein für Isisdarstellungen weiterhin typischer Gewandknoten ist hier nicht sichtbar. Der Frau gegenüber steht ein durch zwei in einer Stirnbinde steckende Federn als Pterophor oder Hierogrammateus gekennzeichneter Priester,1323 der außerdem ebenfalls ein Pantherfell über den Schultern trägt. In der ausgestreckten rechten Hand hält er wohl eine geschlossene Lotusknospe, in der erhobenen linken eine mit einer Uräusschlange verzierte Hydria mit Ausguß. Zwischen beiden Figuren befindet sich ein kleiner lotusförmiger Altar mit zwei kleinen runden Objekten (Früchten oder Gebäck) und einem mittigen Gefäß, das eine Lotusblume enthält. Ein der Hydria in der linken Hand des Offizianten sehr ähnliches Gefäß, bei dem die Kobra sich allerdings üblicherweise am oberen Gefäßrand und nicht wie hier seitlich am Bauch befindet, kommt in der Römerzeit in Funerärszenen auf, wo es offenbar die belebenden Libationen im Totenkult symbolisiert.1324 Es wird auch mit Isis verbunden, die ja für den Totenkult des Osiris zuständig ist, doch es ist nicht eindeutig zu ermitteln, welcher Kontext der ursprüngliche ist – Isiskult oder Funerärkult. Die Symbolik und das etwa gleichzeitige Aufkommen im 1. Jh. n. Chr. legen eine inhaltliche Verbindung zu den OsirisKaltwasser-Inschriften (s. o.) nahe. KAPLAN identifiziert den Priester in der Nischenszene aufgrund dieses Gefäßes als Choachyten,1325 doch ikonographisch zeichnen die beiden Federn ihn eindeutig als Pterophoros aus. Hier muß zwischen zwei verschiedenen Interpretationsebenen unterschieden werden, nämlich dem Deuten des Inhaltes anhand von traditionell ägyptischen Vorbildern (Choachyt als für die Wasserspende des Toten zuständiger Priester der Spätzeit) einerseits, 1326 und der Deutung der Ikonographie und ihrer zeitgenössischen Symbolik in ihrem individuellen Kontext andererseits. Ikonographisch direkt vergleichbar ist der Sarg der Didyme in Minia, der aus der Nähe von Tuna el-Gebel stammt und an den Anfang des 2. Jhs. n. Chr. datiert.1327 Nicht nur zeigt 1322 Siehe dazu ALBERSMEIER, Frauenstatuen, S. 91–94; R. S. BIANCHI, Not the Isis Knot, in: Bulletin of the Egyptological Seminar 2, 1980, S. 9–31: 10–12. 1323 VENIT, Monumental Tombs, S. 138 u. 142, scheint diese Art von Priestern fälschlich ausschließlich dem Isiskult zuzuordnen, was ihre Deutung der Szene natürlich stark einschränkt. Siehe zum Pterophoren, der in dreisprachigen Dekreten der Ptolemäerzeit dem ägyptischen sS mDA.t-nTr entspricht, OTTO, Priester und Tempel, S. 86–88; PFEIFFER, Dekret, S. 78; K. RYHOLT, A Parallel to the Inaros Story of P. Krall (P. Carlsberg 456 + P. CtYBR 4513): Demotic Narratives from the Tebtunis Temple Library (I), in: JEA 84, 1998, S. 151–169: Appendix S. 168–169. 1324 Siehe dazu KOEMOTH, Hydrie isiaque; WILD, Water, S. 103–113; GENAILLE, Eau sacrée, S. 301– 303; MALAISE, Ciste et hydrie, bes. S. 143–155; ID., Terminologie, S. 59–63; KNAUER, Urnula; vgl. auch NAGEL, Kult und Ritual, S. 167. Zu verwandten Gefäßen im abydenischen Totenkult der frühen Kaiserzeit siehe KOEMOTH/RADELET, Hydrie abydénienne. Siehe dazu auch oben, Kap. 4.12.1.1 (Exkurs zur Tunika von Sakkara). 1325 KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 36. 1326 Zu dem spätestens in der Spätzeit, eventuell bereits in der Ramessidenzeit belegten Amt des Choachyten (äg. wAH-mw) siehe K. DONKER VAN HEEL, Use And Meaning Of The Egyptian Term wAH mw, in: R. J. Demarée/A. Egberts (Hrsg.), Village Voices, Proceedings of the Symposium „Texts from Deir el-Medîna and their Interpretation“, Leiden, May 31 – June 1, 1991, CNWS Publications 13, Leiden 1992, S. 19–30; S. P. VLEEMING, The Office Of A Choachyte In The Theban Area, in: S. P. Vleeming (Hrsg.), Hundred-Gated Thebes, Acts Of A Colloqium On Thebes And The Theban Area In The Graeco-Roman Period, P. L. Bat. 27, Leiden – New York – Köln 1995, S. 241–255; vgl. NAGEL, Kult und Ritual, S. 165. 1327 Siehe KURTH, Sarg der Teüris, S. 33–38; Taf. 4–8.

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er zwei Szenen mit besagter Uräus-Hydria – eine davon in den mit einem Fransenmantel verhüllten Händen eines Priesters, die andere auf einem in der Form dem der alexandrinischen Szene ähnlichen Altar vor Osiris1328 –, sondern die linke der beiden Klagefrauen, die die Hände im gleichen Klagegestus wie die weibliche Figur in Alexandria vor das Gesicht geführt haben (gemeint sind wohl Isis und Nephthys, obwohl sie keinerlei göttliche Attribute tragen), trägt auch das gleiche Gewand: ein knöchellanges, enges Kleid und einen von einer Schulter schräg herabfallenden Mantel(?) mit Fransensaum.1329 Es handelt sich wohl um ein ikonographisches Versatzstück, das in Alexandria allerdings in eine andere Szene eingefügt wurde: Wenn die weibliche Figur als Verstorbene zu identifizieren ist – und in den meisten Parallelen wird die Hydria dem oder der Verstorbenen bzw. (Sokar-)Osiris entgegengereicht1330 –, dann wäre es nach ägyptischem Verständnis inhaltlich ungewöhnlich, daß sie selbst den Trauergestus ausführt. Geht man aber, wie ich vorschlagen möchte, von einer Nutzung ikonographischer Vorbilder mit einem nur teilweisen Verständnis der einzelnen Details aus, würde dies kein Problem darstellen. Von KAPLAN wurden die beiden Szenen im Grab von Kom el-Schugafa bereits ausführlich vor dem Hintergrund ägyptischer Vorbilder diskutiert, und ihrer – m. E. überzeugender – Deutung zufolge handelt es sich bei den Rezipienten jeweils um den bzw. die Verstorbene, der bzw. die durch die Sonnenscheibe als bereits verklärt gekennzeichnet ist.1331 Eine Initiation in den Isiskult muß hier keineswegs vorliegen, zumal der Grabkontext und die ebenfalls römerzeitlichen Parallelen solcher Szenen auf Särgen und ähnlichem Material die Deutung als Kulthandlungen zur Verklärung der Verstorbenen nach ägyptischem Vorbild so viel naheliegender erscheinen lassen! Dafür spricht auch, daß sich weitere Szenentypen der zum Vergleich herangezogenen römerzeitlichen Särge sowie anderer funerärer Denkmäler der gleichen Zeit aus Ägypten (Auferstehung des/der Verstorbenen als Osiris, umgeben von Isis und Nephthys, Horussöhne etc.) ebenfalls in diesem und anderen Gräbern Alexandrias wiederfinden lassen, wobei eine wünschenswerte Detailuntersuchung im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden kann.1332 Des weiteren schlägt VENIT für die linke Figur in der Szene auf der linken Wand der linken Nische eine mögliche Deutung als „rare image of Isis seemingly in mummy form“ vor,1333 mit der ich nicht übereinstimme. Es dürfte sich m. E. nicht einmal notwendigerwie1328 KURTH, Sarg der Teüris, Taf. 4.1 u. 7.1; KOEMOTH, Hydrie isiaque, S. 111; Taf. 5B–C. 1329 Siehe KURTH, Sarg der Teüris, Taf. 5. 1330 Siehe KOEMOTH, Hydrie isiaque, S. 120; Taf. 5A; 7A–B; 8A. In allen anderen Szenen steht die Hydria auf einem Altar zwischen zwei Gottheiten – häufig Isis (oder evtl. auch Nephthys) und Osiris: KURTH, Sarg der Teüris, Taf. 4.1; KOEMOTH, Hydrie isiaque, Taf. 6A–D u. 8B–C. 1331 KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 34–37. Vgl. zur Sonnenscheibe für den Verstorbenen einen Auszug des pNesmin (BM 10209), 1, 41f. (Ende 4. Jh. n. Chr.): „Eine Sonnenscheibe wird für dich gemacht in der Nekropole, genau bei deinem Grab, damit sie für dich erhelle die Dunkelheit der Unterwelt, indem sie leuchtend aufgeht auf deinem Kopf.“; vgl. KURTH, Sarg der Teüris, S. 8. Generell zur Bedeutung der Sonnenscheibe auf dem Kopf von Verstorbenen und Göttern siehe jetzt auch M. SMITH, Following Osiris, S. 325–326. 1332 Zur Analyse dieser Szenen auf dem Sarg der Teüris und weiteren Särgen siehe KURTH, Sarg der Teüris; außerdem zu Leichentüchern und weiterem Funerärmaterial mit teilweise vergleichbaren Szenen ID., Materialien zum Totenglauben im römerzeitlichen Ägypten, Hützel 2010; RIGGS, Beautiful Burial; zu Mumienmasken G. GRIMM, Die römischen Mumienmasken aus Ägypten, Wiesbaden 1974. 1333 VENIT, Monumental Tombs, S. 140, Abb. 119.

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se um eine weibliche Figur handeln, auch wenn Perücke und Sonnenscheibe derjenigen der oben besprochenen weiblichen Figur der Hydria-Szene ähneln. Der Körper ist wie bei der gegenüberstehenden Figur und den beiden in gleicher Pose einander zugewandten Figuren der rechten Wand der rechten Nische bis zu den Händen in ein Mumiengewand gehüllt.1334 Beide Hände greifen jeweils scheinbar einen langen Stab. Der Gott gegenüber der sog. ‚mumienförmigen Isis‘ ist falkenköpfig und trägt als einziges eine Doppelkrone anstelle einer Sonnenscheibe. In der rechten Nische ist die linke Figur wieder menschenköpfig, allerdings mit einer kürzeren und nicht untergliederten Perücke, die rechte Figur hat wohl einen Pavianskopf. KAPLAN, deren Beschreibung teilweise fehlerhaft ist,1335 interpretiert die vier Gestalten als Horussöhne, was m. E. ebenfalls nicht unbedingt zutrifft, zumal zwei (anstelle von nur einer) Figuren menschenköpfig sind und der Kopfschmuck des falkenköpfigen Gottes abweicht.1336 Vergleicht man wiederum die etwa gleichzeitigen Särge und andere Funerärobjekte, zeigt sich, daß sowohl der Verstorbene als auch die Horussöhne sowie teilweise andere Götter, darunter Isis und Nephthys häufig mit Sonnenscheiben auf dem Kopf dargestellt werden und außerdem die ‚Stäbe‘ oder ‚Szepter‘ (so VENIT) tatsächlich auf lang herabhängende Stoffbinden (zur Mumifizierung) zurückgehen.1337 Es könnte sich somit entweder (mit KAPLAN) um abgewandelte Darstellungen der vier Horussöhne handeln, oder zwei Darstellungen, in denen der/die Verstorbene (je menschenköpfig) vor jeweils einem der Horussöhne (Qebehsenuef und Hapi) steht. Angesichts der Tatsache, daß die Horussöhne ohnehin je ein Organ bzw. einen Teil des wiederauferstehenden Toten repräsentieren,1338 ist der Unterschied zwischen beiden Deutungen marginal. Von einer Interpretation von einer dieser Figuren als Isis ist hingegen abzusehen.1339 In der Nischendekoration des möglicherweise hadrianischen Tigrane-Grabes (Taf. II) möchte VENIT gar Szenen, die die Initiation in den Isiskult direkt darstellen, erkennen.1340

1334 Siehe KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 70–71. 1335 Z. B. KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 71: „In beiden Gräbern (i. e. Kom el-Schugafa und Gabbari) tragen die vier Götter eine Sonnenscheibe auf dem Kopf.“ Der falkenköpfige Gott trägt in Kom el-Schugafa, wie oben gesagt, eine Doppelkrone, keine Sonnenscheibe. 1336 Vgl. auch die Kritik von S. SCHMIDT, Rez. Kaplan, S. 358. 1337 Vgl. z. B. ein Leichentuch in New York: RIGGS, Beautiful Burial, S. 253. Zur Ikonographie der vier Horussöhne auf Monumenten dieser Zeit siehe z. B. KURTH, Sarg der Teüris, S. 8–9. 1338 Vgl. dazu KURTH, Sarg der Teüris, S. 8–9. 1339 VENIT, Monumental Tombs, S. 142, bevorzugt schließlich ihre Deutung der beiden menschenköpfigen Personen als „Eingeweihte“, was m. E. ebenso irreführend ist. In ihrer neuen Publikation Visualizing the Afterlife, S. 74–77, widerruft auch M. S. VENIT ihre frühere Interpretation und deutet die Gestalten mit der Sonnenscheibe in diesen vier Szenen nun ebenfalls als Verstorbene, bleibt aber bei dem Verständnis des Mannes und der Frau in den beiden Szenen auf den Seitenwänden der Zentralnische als Eingeweihte in den Isiskult. 1340 VENIT, Monumental Tombs, S. 146–159; die gleiche Deutung wurde bereits von EAD., The Tomb from Tigrane Pasha Street and the Iconography of Death in Roman Alexandria, in: AJA 101, 1997, S. 701–729, vorgelegt, und nochmals bekräftigt in EAD., Referencing Isis, S. 109–113; siehe ferner auch EAD., Ancient Egyptomania: The ‘Uses’ of Egypt in Graeco-Roman Alexandria, in: E. Ehrenberg (Hrsg.), Leaving No Stones Unturned. Essays on the Ancient Near East and Egypt in Honor of Donald P. Hansen, Winona Lake 2002, S. 261–278: 272–278; EAD., Egypt as Metaphor. Decoration and Eschatology in the Monumental Tombs of Ancient Alexandria, in: D. Robinson/A. Wilson, Alexandria and the North-Western Delta, Oxford Centre for Maritime Archaeology Monograph 5, Oxford

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Die alte Deutung von ADRIANI und KAPLAN als Szenen der Wiederbelebung des Osiris (mit dem sich der Tote identifiziert) tut sie ab, da seine kultische Rolle in hellenisierten Zentren gänzlich von Isis verdrängt worden sei.1341 Angesichts der zahlreichen archäologischen und inschriftlichen Zeugnisse für die Bedeutung des Osiris in der Region von Alexandria (so Osiris-Kanopos und die Kaltwasserinschriften), der ägyptischen Darstellungen in den Gräbern und dem starken Osiris-Bezug des kaiserzeitlichen Isiskultes sogar außerhalb Ägyptens (siehe dazu bes. Kap. 7.3 und 8) ist eine solche Behauptung doch recht wagemutig. Von der Datierung des Grabes in die Zeit Kaiser Hadrians, der gerade mit seiner Konzeption des Osiris Antinoos diese Strömung noch besonders förderte, einmal ganz zu schweigen. Die Szene der Zentralnische 1342 zeigt wie in anderen Gräbern die aufgebahrte Mumie, die von Isis und Nephthys umgeben ist (Taf. IIa), wenngleich die Ikonographie der Schwestergöttinnen von Darstellungen des Pharao kontaminiert ist: sie tragen zwar Federkleider, aber auch Nemes-Kopftücher und Bärte.1343 Die Göttin zu Füßen der Mumie ist zudem geflügelt und hält zwei längliche, weich gebogene Objekte mit fransigem unteren Rand in Richtung des Toten. Objekte der gleichen Art hält auch die Göttin der Kopfseite in den vor die Brust geführten Händen. In anderen Szenen dieser Art halten die geflügelten Göttinnen dem Verstorbenen Maat-Federn, Symbole der Rechtfertigung, entgegen,1344 was auch hier, trotz stilistisch anderer Formgebung gemeint sein könnte. KAPLAN und VENIT sehen darin dagegen Palmwedel.1345 Aber auch für diese gibt es Vorbilder in der ägyptischen Funerärliteratur, wo Palmzweige ewiges Leben für den Verstorbenen symbolisieren.1346 Entsprechend wurden auch bei den Osirismysterien am 22. Choiak Palmzweige für den Gott dargebracht. Hinter Isis und Nephthys steht jeweils ein Falke, einer mit unterägyptischer, einer mit oberägyptischer Krone, auf einem Podest. Trotz der Kronen könnten auch sie von den geläufigen falkengestaltigen Erscheinungsformen der beiden Göttinnen inspiriert sein, die in ägyptischen Szenen häufig den aufgebahrten Osiris umgeben. Die Darstellung der Mumie ist insofern ungewöhnlich, als sie von Kopf bis Fuß in Binden mit typisch römerzeitlicher Wicklung und ohne Mumienmaske gezeigt wird. Auch weitere dargestellte Realia, wie die Kline, auf der sie liegt, entsprechen zeitgemäßer griechisch-römischer Ausstattung und demonstrieren so ein Zusammenfließen ägyptischer Grundmotive und ikonographischer Muster mit griechisch-römischer, stärker naturalistischer Darstellungsweise. Im Zentrum der linken Nische1347 wird ein frontal stehender Mann mit geschorenem Kopf und dem Federstirnband eines Pterophoren1348 dargestellt (Taf. IIb). In den vor dem

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2010, S. 243–257; und EAD., Visualizing the Afterlife, S. 78–80. S. SCHMIDT, Rez. Kaplan, S. 358, folgt der Deutung VENITs contra KAPLAN. VENIT, Monumental Tombs, S. 150. KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, Taf. 54a; VENIT, Monumental Tombs, S. 151, Abb. 132. Vgl. dazu KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 54; auch BRENK, In the Image, S. 93, interpretiert die Gestalten traditionell als Isis und Nephthys. Siehe z. B. das Grab des Petosiris in Dachla: KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, Taf. 109a. KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 46; VENIT, Monumental Tombs, S. 152. pBM 10507, 4, 8; pHarkness, 2, 13, und 4, 6; siehe die Kommentare mit weiteren Belegen von M. SMITH, pHarkness, S. 141; und ID., pBM 10507, S. 83. KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, Taf. 58a; VENIT, Monumental Tombs, S. 153, Abb. 133. Von KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 31, m. E. falsch als Lorbeerkranz gedeutet.

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Bauch verschränkten Händen trägt er zwei lange Federn oder Palmwedel. Seine parallel nebeneinander stehenden Beine und die Haltung der Arme entsprechen dabei ägyptischen Osirisdarstellungen, wobei diese mit Krummstab und Geißel anstelle von Palmwedeln in den Händen gezeigt werden. Der Pterophor trägt eine kurze, ungewöhnliche Tunika, die am Oberkörper ein anderes Muster (das auf den ersten Blick einem Federmuster ähnelt)1349 zeigt, um die Hüften aber ein Rautenmuster; das bedeutet wohl, daß über den Oberkörper ein zweites Kleidungsstück gezogen ist. Über den Schultern erkennt man kleine Schlaufen, die wohl dessen Befestigung andeuten. Im Zusammenhang mit den Federn am Stirnband könnte dieser Überwurf als Ableitung vom ägyptischen qnj-Latz zu interpretieren sein, den der Schreiber des Gottesbuches (sS mDA.t-nTr = Pterophor) nach Ausweis des Buches vom Tempel trägt,1350 sowie der Sempriester und/oder Oberste Vorlesepriester beim Mundöffnungsritual.1351 Dieser wird ebenfalls mit den charakteristischen Schlaufen über den Schultern dargestellt. Die Beine des Pterophoren sind nackt. Er wird gerahmt von zwei zu ihm aufschauenden, sitzenden Schakalen, zwei geflügelten Figuren in gefiederten kurzen Tuniken über Leggings(!) mit Rautenmuster und Nemes-Kopftuch mit Uräus. Sie strecken ihre Flügel in Richtung auf den Mann aus und gehen trotz der Abweichungen wiederum auf Isis und Nephthys zurück.1352 Ganz außen steht jeweils ein säulenförmiger Ständer mit einem eiförmigen großen Gegenstand, der mit einer Schärpe umwunden ist. Zu vergleichen ist eine stilistisch noch klarer ägyptische, aber vom Aufbau her entsprechende Szene im SieglinGrab mit einem frontal stehenden Osiris in der Mitte, gerahmt von zwei kleinen Falken, zwei geflügelten Göttinnen, zwei weiteren Gottheiten und zwei Ständern, die in diesem Fall wohl Gefäße tragen.1353 VENIT interpretiert jedoch den Mann im Tigrane-Grab als einen symbolisch auferstandenen Eingeweihten in den Isiskult.1354 Noch problematischer ist die insgesamt untypische Szene in der rechten Nische: In der Mitte ist ein nach rechts gewandter Mann dargestellt, der auf einem Knie kniet, während 1349 VENIT, Monumental Tombs, S. 152–153, hält diese Struktur für die Andeutung von Muskeln auf einem angeblich nackten Oberkörper, was m. E. weder in ägyptischem noch römischem ikonographischen und stilistischen Empfinden möglich wäre. 1350 Für den Hinweis danke ich J. F. QUACK (persönliche Mitteilung); z. B. pCarlsberg 313, 16, 12: „[…] zwei Straußenfedern an seinem Kopf und einem qnj-Latz auf seiner Schulter“, vgl. auch FISCHERELFERT, Vision von der Statue, S. 40–41, Anm. 95. 1351 MöR Szenen 1, 9 und 11, vgl. OTTO, Mundöffnungsritual I, S. 3 (Text 80 u. 83), 4 (Szene 2a – hier werden in diesem Zusammenhang auch die Straußenfedern wieder genannt), 22 (Text 80 u. 83) und 30; II, S. 53–55 und bes. 60; FISCHER-ELFERT, Vision von der Statue, S. 40–43, m. Abb. 4; QUACK, Fragmente, S. 72–73 u. 78–79; vgl. auch E. HORNUNG, Das Tal der Könige, Darmstadt 1982, S. 205, Abb. 166 für die Darstellung im Grab der Tausret. FISCHER-ELFERT zufolge handelt es sich bei dem qnj-Latz um ein Gewebe mit Netz-Struktur, das aus verschiedenen Materialien wie Papyrusfasern, Rohr, Schilf und Perlen hergestellt sein kann (op. cit., S. 42). Der Zusatz 2a (nach J. F. QUACK und V. ALTMANNWENDLING tatsächlich bereits zu Szene 1 gehörig), in dem vom Vorlesepriester mit Latz und Straußenfedern die Rede ist, ist außer in der von OTTO aufgenommenen Version auch in mehreren späten Papyrusversionen (meist für Sokar-Osiris) belegt; diese werden von V. ALTMANN-WENDLING im Rahmen des MöR-Editionsprojektes unter Leitung von J. F. QUACK, Heidelberg, ediert. Ich danke VICTORIA ALTMANN-WENDLING für die Informationen und die Diskussionsbereitschaft. 1352 VENIT, Monumental Tombs, S. 159, sieht sie aufgrund der ungewöhnlichen Kleidung als männlich an. 1353 VENIT, Monumental Tombs, S. 124, Abb. 102. 1354 VENIT, Monumental Tombs, S. 153.

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der andere Fuß aufgestellt ist (Taf. IIc). KAPLAN betrachtet ihn als gerade wieder aufstehenden Toten und VENIT als neu Initiierten, der Isis anbetet.1355 Er trägt Leggings und ein Obergewand mit Netzmuster und darüber offenbar einen gefiederten Schurz, der aber fast ganz zerstört ist. Er hält Federn oder Palmzweige in den ausgestreckten Händen einer Göttin entgegen, die ein langes Flügelkleid und ein Nemes-Kopftuch mit Uräusschlange trägt und ihrerseits „Getreideähren“ in den Händen hält, die m. E. formal wiederum von den in den Funerärszenen üblichen Stoffbinden bzw. Zeugstreifen abgeleitet sind. Falls in diesem Fall tatsächlich Getreideähren gemeint sein sollten, 1356 würden sie Isis hier als Fruchtbarkeitsgöttin, evtl. auch konkret als Isis-Thermuthis(-Demeter) kennzeichnen.1357 Im Rücken des Mannes ist eine weitere, größtenteils zerstörte, wohl männliche Figur mit nackten Beinen zu sehen, die nicht eindeutig identifizierbare Objekte trägt: Eines sieht aus wie ein Räucherständer,1358 möglicherweise auch ein Kandelaber, das andere ist länglich und waagerecht und scheint vorne in einem Schlangenkopf auszulaufen. Auch diese Szene ist gerahmt von den eiförmigen Objekten auf Säulen. Sie dürften sicherlich als Symbole des Lebens sowie Symbole der Isis selbst anzusehen sein.1359 Die Bilder im Tigrane-Grab sind sicherlich als stark für den Verstorbenen individualisierte und stilistisch ‚romanisierte‘ Abwandlungen typischer ägyptischer Funerärszenentypen anzusehen; auch eine Zugehörigkeit des Grabinhabers zu einer Isiskultassoziation o. ä., wie VENIT sie vorschlägt, kann durchaus nicht ausgeschlossen werden.1360 Falls die Darstellungen einigermaßen wörtlich zu nehmen sind und nicht einfach stereotype Versatzstücke neu kombinieren, könnte es sich bei dem Verstorbenen sogar um einen Pterophoren handeln. Für die Interpretation als tatsächliche Darstellungen einer Einweihung in den Isiskult besteht m. E. aber keine konkrete Veranlassung, wenngleich die Idee vielleicht nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist: Nach allem, was wir über die Initiationsriten des römerzeitlichen Isiskultes wissen – und das ist trotz zahlreicher Spekulationen de facto nicht allzu viel – scheinen diese ja gerade auf dem Vorbild osirianischer bzw. funerärer Riten zu 1355 KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 33; VENIT, Monumental Tombs, S. 159; 155, Abb. 135. 1356 Getreideähren werden auf Mumienporträts/-kartonnagen manchmal von den Verstorbenen in den Händen gehalten, weshalb diese Umdeutung zum Überreichen von Ähren m. E. durchaus nahe liegt; vgl. z. B. die Mumie eines Mädchens bei RIGGS, Beautiful Burial, S. 158, Abb. 73. 1357 Vgl. VENIT, Monumental Tombs, S. 155. Vergleichbar ist trotz traditionellerer ägyptischer Ikonographie immerhin eine heute stark zerstörte Darstellung der Isis im spätptolemäischen oder frührömischen „Krokodilsgrab“ in Siwa (A. FAKHRY, The Egyptian Deserts: Siwa Oasis. Its History and Antiquities, Kairo 1944, S. 166, Abb. 45; VENIT, Visualizing the Afterlife, S. 134, Abb. 4.26): Die sitzende Göttin mit Basileion gießt mit der linken Hand aus einer Vase eine Libation aus, während von ihrem linken Handgelenk zusätzlich eine Situla herabhängt. In der rechten Hand, die auf ihren Oberschenkeln ruht, hält sie Getreideähren. Die Ikonographie der Getreideähre weicht jedoch stark von der Darstellung im Tigrane-Grab ab. 1358 So die Interpretation von VENIT, Monumental Tombs, S. 155. 1359 Das Ei verweist auf Isis’ Mutterschaft (des Horus), da es im Ägyptischen auch für die Gebärmutter stehen kann, und damit auf ihre lebenspendenden Eigenschaften allgemein. Gleichzeitig wird das Ei/die Gebärmutter mit dem Ort der Schöpfung gleichgesetzt und steht damit auch für die schöpferischen Kräfte der Gottheit. Vgl. Sargtext-Spruch CT 148 (Kap. 5.1.4 und 6.5.1) und die im Ägyptischen seit dem NR übliche Determinierung von Göttinnennamen mit der Ei-Hieroglyphe, die zunächst jedoch dem Namen der Isis bereits in den Sargtexten beigefügt wird. Vgl. zur Ei-Symbolik und Isis RASHED, The Egg; BUDDE, Götterkind, S. 402–404. 1360 VENIT, Monumental Tombs, S. 156.

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beruhen.1361 In einem Grab erscheint mir die Darstellung einer Wiederbelebung im Jenseits nach dem tatsächlichen Verscheiden jedoch immer noch wahrscheinlicher als die Darstellung eines bereits im Leben erfahrenen symbolischen Todes inklusive Wiederauferstehung.1362 Auch VENITs Deutung des zentralen Nischengemäldes im Stagni-Grab in der Nekropole von Gabbari1363 überzeugt mich nicht: sie sieht in der sehr schlecht erhaltenen, wohl mumienförmigen Figur, die innerhalb eines ägyptischen Naos von Sphingen umgeben ist, die Darstellung einer mumiengestaltigen Isis-Aphrodite, was absolut einmalig wäre. Es läßt sich m. E. nicht einmal sagen, ob es sich um eine weibliche oder männliche Gestalt handelt;1364 die von VENIT beschriebene Pose mit leicht herausgeschobener linker Hüfte deutet einen griechischen Kontrapost an und ist damit keineswegs Frauen vorbehalten. Die Arme sind nach osirianischem Vorbild vor die Brust gehalten und es ist die Spitze eines Szepters zu erkennen, das VENIT als Lotusknospenszepter deutet, was jedoch nicht sicher ist. Ebenso schlecht erhalten und schwer deutbar ist ein schemenhaft erkennbarer Kopfschmuck – nach VENIT eine Strahlenkrone mit zentraler Sonnenscheibe. Ich halte eine Darstellung des oder eventuell der Verstorbenen in Mumien- bzw. Osirisgestalt für am wahrscheinlichsten.1365 Falls es sich um eine weibliche Verstorbene handelt, ließe sich für das Objekt in den Händen und eine eventuelle (Isis-/Hathor-?)Krone z. B. die mumienförmige Darstellung der Sennesis (&A-Srj.t-As.t „Tochter der Isis“!) auf dem Deckel ihres Sarges aus Charga (erste Hälfte 1. Jh. n. Chr.) zum Vergleich heranziehen: Sie trägt eine Hathorkrone mit Federn und in den vor die Brust geführten Händen ein Papyrusszepter (in der rechten Hand wie das Szepter im Stagni-Grab!) sowie ein Libationsgefäß, genauer eine Hs-Vase.1366 6.2.10.3 Heiligtümer in der Umgebung von Alexandria Besonders berühmt für den dortigen Isis- und Osiris- bzw. Sarapiskult war die ca. 25 km von Alexandria entfernt gelegene Hafenstadt Kanopos (heute Abukir). 1367 Die dortigen Tempel zogen, unter anderem aufgrund ihres Rufes als Orakel- und Heilstätten, auch auswärtige Besucher an.1368 So belegen Votive aus dem 2. Jh. n. Chr. mit Darstellungen von

1361 Siehe dazu unten, Kap. 8.2.2.6.G. 1362 Knappe Kritik an VENITs Theorien auch bei S. PFEIFFER, Rez. zu: Bricault/Versluys (Hrsg.), Isis on the Nile, in: Sehepunkte 11, 2011, Nr. 10. 1363 VENIT, Monumental Tombs, S. 163–165, m. Abb. 141–142; EAD., The Stagni Painted Tomb. Cultural Interchange and Gender Differentiation in Roman Alexandria, in: AJA 103, 1999, S. 641–669: 661– 665, m. Abb. 14–15; siehe auch das Farbphoto bei KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, Taf. 66a. 1364 Wie VENIT erkennt auch KAPLAN, Grabmalerei und Grabreliefs, S. 149, die die Darstellung allerdings nicht weiter interpretiert, eine weibliche Gestalt. 1365 Vgl. die übliche Szene mit Mumie/Osiris in der Zentralnische anderer alexandrinischer Gräber. 1366 Siehe dazu RIGGS, Beautiful Burial, S. 51–53, m. Abb. 16. 1367 Siehe KISS, Sarapis de Canope; MALAISE, Isis à Canope; ID., Terminologie, S. 102; 140–141; A. BERNAND, Delta, S. 306–309. 1368 Vgl. KISS, Sarapis de Canope, S. 387; FRANKFURTER, Religion, S. 40–41 u. 162; A. BERNAND, Delta, S. 314 u. 323; RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 339–334 u. 382–383. Vgl. auch die (hauptsächlich spätantiken) Quellen zum Inkubationskult der Isis in der nahegelegenen Stadt Menuthis, siehe oben, Kap. 6.1.3.2.A, zu pOxy. 1380, Z. 63–65.

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Ohren und Atefkronen, und in einem Fall auch einer kurzen Dedikationsinschrift für Isis, das (erwünschte) Erhören der Gläubigen durch die Göttin und Osiris/Sarapis.1369 Bereits unter Ptolemaios II. wurde in Kanopos ein Tempel für Isis und Anubis durch den Admiral Kallikrates im Namen des Herrscherpaares (Ptolemaios II. und Arsinoë II.) gestiftet. 1370 Eine goldene Gründungsplakette mit griechischer Inschrift belegt die Errichtung eines Osirisheiligtums (Temenos) durch Ptolemaios III. und Berenike II.,1371 dessen große Bedeutung als Heiligtum ersten Ranges nicht zuletzt durch den Text des Kanopos-Dekretes deutlich wird.1372 Ein silbernes Gründungstäfelchen mit unbekannter Provenienz hält die Dedikation eines Sarapis-Tempels (Naos), ebenfalls durch den dritten Ptolemäer, fest und wird aufgrund seiner – im Gegensatz zu den alexandrinischen Exemplaren – allein griechischen Beschriftung jetzt mit Kanopos in Verbindung gebracht.1373 Am Meeresgrund vor der Küste wurden archäologische Überreste eines großen Tempels freigelegt, der aufgrund seiner Größe und eines dort aufgefundenen Kopfes einer Sarapis-Kultstatue als das berühmte Sarapeion von Kanopos interpretiert wird.1374 Des weiteren bezeugt eine ebenfalls im Areal des Tempels zutage geförderte Osiris-Kanopos-Skulptur, wie in der ganzen Umgebung Alexandrias, die Verehrung dieser Osiris-Form.1375 Zudem wurde eine rundplastische Priesterfigur, die dieses heilige Abbild des Gottes in den verhüllten Händen trägt, im Meer gefunden. 1376 Osiris-Kanopos wird des weiteren auf zahlreichen alexandrinischen Münzen der Kaiserzeit, die von Galba bis Gallienus datieren, dargestellt, ab trajanischer Zeit manchmal begleitet durch eine zweite Kanopos-Figur eines anderen Typus (Typen A und B), der auch in einigen rundplastischen Exemplaren belegt ist,1377 jedoch deutlich seltener als Typ A. Zumindest für die Fälle, in denen beide als Paar dargestellt sind, macht WINAND mit m. E. überzeugenden Argumenten nun wieder eine Identifizierung der zweiten

1369 F. KAISER, Oreilles et couronnes. À propos des cultes de Canope, in: BIFAO 91, 1991, S. 207–217; GASPARINI, Listening Stones, Kat. 1–2, S. 557 u. 566–567. Der Brauch der Darstellung von Ohren zu diesem Zweck reicht bis in das NR zurück (vgl. sog. „Ohrenstelen“), siehe dazu E. E. MORGAN, Untersuchungen zu den Ohrenstelen aus Deir el Medine, ÄAT 61, Wiesbaden 2004; allgemein zur Deutung von Ohrenvotiven und -darstellungen in Ägypten und im Mittelmeerraum (mit zahlreichen Beispielen in den Fußnoten) auch RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 350–353. Zur Darstellung der Atefkrone vgl. z. B. die Kronendarstellungen im alexandrinischen Grab Anfushi II, s. o., 6.2.10.2. 1370 I. Canope 2. Vgl. dazu BRICAULT, Dame des flots, S. 30–33. 1371 I. Canope 7. 1372 Vgl. A. BERNAND, Delta, S. 306; ausführlich zum Kanopos-Dekret PFEIFFER, Dekret. 1373 PH. BORGEAUD/Y. VOLOKHINE, Plaquette d’argent épigraphe provenant du dépôt de fondation d’un Sérapeum, in: „Sortir au jour“. Art égyptien de la Fondation Martin Bodmer, Cahiers de la Société d’Égyptologie 7, Genf 2001, S. 151–156; vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 31–33. 1374 GODDIO, Topography, S. 50–57; KISS, Sarapis de Canope, Abb. 4–5. Vgl. auch YOYOTTE, Osiris d’Alexandrie, S. 36. 1375 GODDIO, Topography, S. 53, Abb. 2.54; vgl. auch GODDIO/CLAUSS, Ägyptens versunkene Schätze, S. 98–102. Gegen die Verbindung der Ikonographie des Osiris-Kanopos mit der Stadt Kanopos argumentiert WILD, Water, S. 102, der die Bezeichnung der gefäßförmigen Skulpturen als Osiris Hydreios vorzieht. 1376 Siehe DUNAND, Prêtre portant; GALLO, Aegyptiaca Alexandrina VI. 1377 Siehe z. B. unten, zum Iseum von Ras el-Soda.

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Kanopengottheit (B) als Isis plausibel, wenngleich er einräumt, daß nicht alle Belege eindeutig zu dieser Interpretation passen.1378 Die aus Kanopos stammenden Weihinschriften der frühen Ptolemäerzeit richten sich meist an Sarapis und Isis und schließen in einigen Fällen das dritte Ptolemäerpaar (die Euergeten) sowie weitere Gottheiten mit ein.1379 In zwei Dedikationen verschiedener Stifter werden das Götterpaar und die Euergeten gemeinsam mit dem Nil geehrt,1380 was möglicherweise auf dieselben Vorstellungen von der Zuständigkeit von Osiris (hier Sarapis) und Isis für das (Nil-)Wasser zurückgeht wie die erst später bezeugten Kaltwasserinschriften und die Osiris-Kanopos-Bildnisse. Die zentrale Bedeutung des Nilwassers in der Umgebung von Kanopos wird weiter von einer Dedikation zu Ehren von Arsinoë III. durch einen Priester des Nil unterstrichen.1381 Vergleicht man diese Ptolemaios III. und Berenike II. einschließenden Inschriften mit dem oben genannten Gründungstäfelchen mit der Weihung eines Heiligtums an Osiris durch die Euergeten, ist wohl von ein und demselben großen Heiligtum auszugehen, dessen Hauptgott je nachdem als Osiris oder Sarapis bezeichnet wurde, und in dem Sarapis möglicherweise einen separaten Tempel besaß (der auf der silbernen Gründungsplakette genannte Naos).1382 An Sarapis allein wenden sich mehrfach Weihungen der hohen bis späten Kaiserzeit, in denen er unter anderem mit der auch aus anderen Orten gut belegten Titelreihe „Zeus Helios megas Sarapis (von Kanopos)“ angesprochen wird. 1383 Der kulttopographischen Liste in pOxy. 1380 zufolge heißt Isis in Kanopos „Musengeleiterin“,1384 was sich allerdings mit keinerlei Zeugnissen aus dem Stadtgebiet selbst in Verbindung bringen läßt. Aus dem Gebiet von Abukir sind drei Statuen der Göttin (oder einer ptolemäischen Königin?) aus schwarzem Basalt bzw. schwarzem Granit bekannt, die sie jeweils mit Füllhorn zeigen, dem im alexandrinischen Raum beliebten Typus der IsisTyche, wobei eine davon in einer Hand ein Lebenszeichen trägt und somit auch ägyptische Einflüsse zeigt.1385

1378 Siehe SNRIS Alexandria 20; 157; 181; 183A; 242; 263–265; 357; 360a–b; 362–363; 404–406; 415; 424–425; 429A; 448; 655; WINAND, Divinités-canopes; ID., Paires, mit Zusammenfassung der Forschungsdiskussion (Darstellung von zwei verschiedenen Aspekten des Osiris vs. Darstellung von Osiris und Isis); vgl. auch MALAISE, Terminologie, S. 141. 1379 I. Canope 4: Sarapis, Isis, Ptolemaios III. und Berenike II.; I. Canope 5–6: Sarapis, Isis, Nil und die Euergeten; I. Canope 17: Sarapis, Isis und Herakles. In einer stark zerstörten Inschrift ist nur der Name der Isis lesbar: I. Canope 16. 1380 I. Canope 5–6. Die Stifter sind Artemidoros, Sohn des Apollonios, aus Bargylia (Nr. 5) und Kallikrates, Sohn des Antipatros (Nr. 6). 1381 I. Canope 8; vgl. auch MALAISE, Isis à Canope, S. 365. 1382 A. BERNAND, Delta, S. 307, geht dagegen von zwei verschiedenen Heiligtümern aus; vgl. aber rezent, mit Argumenten für einen einzigen Tempel, PFEIFFER, Dekret, S. 154–155; MALAISE, Isis à Canope, S. 354, Anm. 9; für einen separaten Sarapis-Tempel, der sich vielleicht im großen Osirisheiligtum befand, BRICAULT, Dame des flots, S. 32–33. Seine These beruht freilich auf der – völlig unsicheren – Zuordnung des silbernen Gründungstäfelchens zu Kanopos. 1383 I. Canope 13–15 und 25; vgl. A. BERNAND, Delta I, S. 308–309 u. 315–316. Vgl. zur Titelreihe oben, Kap. 6.2.5.3 und 6.2.7. 1384 pOxy. 1380, Z. 62–63; siehe oben, Kap. 6.1.3.1, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 63–64. 1385 TRAN TAM TINH, s. v. „Isis“, S. 765, Nr. 23–24; P. BALLET, in: Gloire d’Alexandrie, Kat. 223, S. 282. Siehe MALAISE, Isis à Canope, S. 368–369.

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Aus Taposiris Parva, das auf halbem Weg zwischen Kanopos und Alexandria gelegen ist, stammt eine griechische Inschrift aus der Zeit Ptolemaios’ V., die eine Weihung eines Altars sowie von Perseabäumen an „Osoros, der auch Sarapis ist, an Isis, Anubis und all die anderen Götter und Göttinnen“ verzeichnet.1386 Am Kanal zwischen Kanopos und Herakleion, auf dem jährlich während des Choiakfestes eine feierliche Barkenfahrt des Osiris in den kultisch assoziierten Tempel des Amun-Gereb („Amun, der sich offenbart“) durchgeführt wurde,1387 waren private Schreine aufgestellt, in deren Umgebung auch Kultgerät wie Situlen u. a. zutage kam.1388 In Ras el-Soda, südostlich von Alexandria an der Straße nach Abukir (Kanopos), hat sich ein kleiner privater Podiumtempel in Form eines ionischen, tetrastylen Prostylos erhalten, bei dem es sich der größten der aufgefundenen Statuen zufolge wohl um einen Isistempel handelt.1389 Die Cella weist einen Nebeneingang in der östlichen Seitenwand auf und um den Tempel herum befinden sich einige Raumstrukturen, deren originale Zugehörigkeit zum Heiligtum jedoch nicht gesichert ist.1390 Die wohl wie der Tempel in das späte 2. Jh. n. Chr. datierende große Marmorskulptur zeigt die Göttin in hellenistischem Stil im Typus der „Isis mit Kobra“ (Taf. III):1391 Sie trägt eine Knotenpalla und die Frisur weist Korkenzieherlocken auf, in der rechten Hand hält sie eine Uräusschlange, deren Leib um ihren Arm gewunden ist, in der linken Hand eine Situla. Ein Fuß ist zudem auf ein Krokodil aufgestellt. Bekrönt ist sie mit einem Basileion. Der Typus ist in Ägypten vor allem durch kleinformatige Statuetten aus Terrakotta oder Bronze bekannt, die etwas mehr von ägyptischer Formensprache beeinflußt sind.1392 Aufgrund der schwierigen Datierung dieser Objekte ist der Entstehungszeitpunkt unbekannt, wird aber meist in der mittleren bis späten Ptolemäer-

1386 SB 8873; vgl. DUNAND, Culte d’Isis I, S. 114–116; MALAISE, Isis à Canope, S. 367–368; M. SMITH, Following Osiris, S. 398, der auch die von einigen Autoren favorisierte mögliche Übersetzung „Osiris sowie Sarapis“ anstatt „Osiris, der auch Sarapis ist“ erwägt (griechisch: Ὀσόρωι τε καὶ Σαράπιδι). Zum Pflanzen von Perseabäumen vgl. auch Ph. 417, siehe oben, Kap. 6.2.2.1. 1387 Siehe PFEIFFER, Dekret, S. 155–157. Zu Amun-grb siehe oben, Kap. 6.1.3.1, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 61–62. 1388 Siehe YOYOTTE, Osiris d’Alexandrie, S. 37. 1389 Siehe zu diesem Tempel ADRIANI, Sanctuaire; NAEREBOUT, Ras el-Soda (besonders zur Einordnung des Architekturtyps); WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1810–1811; KLEIBL, Iseion, Kat. 47, S. 326– 327; SARAGOZA, Maison à double-carré, S. 356–357. Zur Identifikation als Isistempel siehe die Diskussion bei NAEREBOUT, Ras el-Soda, S. 510–517. 1390 Vgl. NAEREBOUT, Ras el-Soda, S. 506–507. 1391 Siehe zu dieser Ikonographie TRAN TAM TINH, s. v. „Isis“, S. 764–765, Nr. 9–17; GRENIER, Décoration statuaire, S. 952–954; ID., Isis assise; MALAISE, Terminologie, S. 102–103 u. 109–110; und BRICAULT, Cultes isiaques, S. 33–34, der sie für etwas jünger als den Typus der Isis mit Füllhorn hält (allerdings ohne konkrete Belege oder Argumente). Diese Ikonographie wird in der Fachliteratur auch als „Isis als Magierin“ bezeichnet, z. B. GRENIER, Isis assise, S. 27; P. BALLET, in: Gloire d’Alexandrie, Kat. 222, S. 281. Zu den bisherigen Datierungen der Statue (Anfang 2. – Ende 2./Anfang 3. Jh. n. Chr.) siehe NAEREBOUT, Ras el-Soda, S. 508, Anm. 5–6. 1392 Siehe TRAN TAM TINH, s. v. „Isis“, S. 764–765, Nr. 9–17. Aus Alexandria stammt z. B. eine Bronze in Paris, Musée du Petit Palais: P. BALLET, in: Gloire d’Alexandrie, Kat. 222, S. 281. Daneben zeigen außerdem auch magische Gemmen das Motiv, z. B. S. MICHEL, Die Magischen Gemmen im Britischen Museum, London 2001, S. 76–77, Kat. 117 (Isis mit Horuskind); S. 80, Nr. 122 (Isis thronend, Füße auf Krokodil), siehe dazu auch unten, Kap. 6.5.4.

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zeit vermutet.1393 Die aus Pompeji erhaltenen Belege des Typus1394 liefern einen terminus ante quem Mitte des 1. Jhs. n. Chr. Die symbolische Unterwerfung der gefährlichen Tiermächte Schlange und Krokodil1395 erinnert an die Ikonographie der magischen Horusstelen, die den göttlichen Knaben mit Schlangen sowie anderen gefährlichen Tieren in den Händen und einem oder mehreren Krokodilen unter den Füßen zeigen.1396 Auf einigen Exemplaren ist außerdem die Göttin Wr.t-HkA.w „die Zaubermächtige“, bzw. Isis-Werethekau, ebenfalls auf einem Krokodil stehend und mit Schlangen und/oder Skorpionen in den Händen dargestellt.1397 Des weiteren zeigen vereinzelte Stelen auch die nackte Isis an Stelle des Horuskindes im Hauptbild.1398 In den Zaubersprüchen, die auf den Rückseiten dieser Stelen angebracht waren, ist es wiederum hauptsächlich Isis, die mit ihrer Zauberkraft ihren Sohn heilt und beschützt.1399 Daß Isis in den genannten rundplastischen Darstellungen – anders als Horus und (Isis-)Werethekau auf den Stelen, die jeweils mehrere unspezifische Schlangen greifen – eine Kobra mit aggressiv aufgeblähtem Hals von sich weg hält, symbolisiert apotropäische und feindabwehrende Funktionen, wie sie auch der aufgerichteten Uräusschlange an der Stirn des Königs und in ähnlichen Zusammenhängen inhärent sind. Gleichzeitig ist mit dieser Ikonographie der Isis möglicherweise auch ihre eigene Identifizierung mit der Uräusschlange angegeben, die in den ägyptischen Texten so häufig und deutlich zutage tritt.1400 Zu vergleichen ist weiterhin das in den demotischen Zeugnissen mehrfach 1393 Vgl. z. B. BRICAULT, Cultes isiaques, S. 34. 1394 Siehe unten, Kap. 7.3.3.1.1. 1395 MALAISE, Terminologie, S. 102–110, zweifelt die Deutung als Symbol für eine Unterwerfung des Krokodils, die bereits von GRENIER vorgebracht wurde, an, wofür er Krokodildarstellungen aus anderen Kontexten sowie die Vergesellschaftung von Gottheiten des Osiris-Isis-Kreises mit Sobek etc. anführt. Dabei mißachtet er jedoch m. E. die unterschiedlichen Kontexte und Darstellungsweisen sowie die gut bekannte traditionell ägyptische Symbolik von Feind- und (gefährlichen) Tierdarstellungen, auf die mit Füßen getreten wird, bzw. die unter den Fußsohlen angebracht waren. 1396 Siehe zu dieser Denkmälergruppe auch unten, Kap. 6.5.1.1. Der Vergleich zwischen der Isisikonographie und den Horusstelen wird bereits von GRENIER, Décoration statuaire, S. 952–954, gezogen. 1397 Z. B. auf der Stele CGC 9402: G. DARESSY, Textes et dessins magiques, CGC Nos. 9401–9449, Kairo 1903, Taf. 2; vgl. dazu PERDU, Isis de Ptahirdis, S. 112–114; GASSE, Stèle Brügger, S. 137– 138, mit weiteren Beispielen. Ikonographisch möglicherweise ebenfalls verwandt, aber ansonsten ungewöhnlich ist die Darstellung eines nackten, Harfe spielenden Mädchens, das auf einem Laute spielenden Krokodil steht, auf einem Block von einer Kapelle der Gottesgemahlin Schepenupet (25. Dyn.) in Medamud, siehe PH. COLLOMBERT, Des animaux qui parlent néo-égyptien. Relief Caire JE 58925, in: C. Gallois/P. Grandet/L. Pantalacci (Hrsg.), Mélanges offerts à François Neveu, BdÉ 145, Kairo 2008, S. 63–72: Abb. 4. Die Darstellung gehört zu einer Reihe von Szenen mit Tieren inklusive einer dazugehörigen Inschrift, die sich an die sogenannten Tiersatiren der Ramessidenzeit anschließen lassen, aufgrund ihrer Anbringung an einem Kultbau jedoch mit A. VON LIEVEN, Fragments of a Monumental Proto-Myth of the Sun’s Eye, in: Widmer/Devauchelle (Hrsg.), Actes du IXe congrès, S. 173–181, gefolgt von JAY, Orality and Literacy, S. 228–229, wohl als Auszüge von Tierfabeln aus dem bzw. aus einer Vorform des Mythos vom Sonnenauge zu verstehen sind. Die ikonographische Kontinuität des Motivs zeigt sich trotz des völlig abweichenden Kontexts (hier Krokodil und Mädchen als Musiker) z. B. an dem zu dem Mädchen zurückgewandten Kopf des Krokodils. 1398 GASSE, Stèle Brügger; vgl. auch Kap. 6.5.1.1. 1399 Zu Isis als Magierin siehe unten, Kap. 6.5.1. Vgl. zur Deutung als zaubermächtige Isis GRENIER, Isis assise, S. 27. 1400 Siehe Kap. 5.2.2.1.B und 5.2.2.3.B. Vgl. auch die Verbindung mit Renenutet/Thermuthis, siehe Kap. 6.1.2,1, und oben, 6.2.10.1 zu Isis-Thermuthis in Alexandria.

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belegte Epitheton „Herrin der Uräusschlange“,1401 das m. E. besonders gut zu dem diskutierten ikonographischen Typus paßt. Dieser geht vermutlich auf noch ältere ägyptische Traditionen zurück, denn apotropäische Götter und Dämonen mit Schlangen (und anderen Tieren wie Eidechsen) in den Händen sind bereits erstmals auf den Zaubermessern des Mittleren Reiches,1402 dann auch in den Sargtexten und im Totenbuch belegt.1403 WILLEMS äußert die Idee, daß die apotropäischen Götter mit Schlangen in den Händen insbesondere für den Schutz des Osiris bei seiner Mumifizierung zuständig sind.1404 Die Darstellungen werden außerdem auch mit Libationen für Osiris verbunden. Wenn diese Idee noch hinter dem Motiv steht, könnte dies auch für Isis bedeuten, daß sie mit der Kobra in der Hand als Beschützerin des Osiris dargestellt wird, während die Situla in ihrer anderen Hand ihre Zuständigkeit für seine Libationen andeutet, die in demselben Kontext anzusiedeln sind. Auch das Lebenszeichen, das Isis bei einigen Exemplaren des Typus anstelle der Situla in der linken Hand trägt, würde zu dieser Deutung passen.1405 Tatsächlich war die Isisstatue im Tempel von Ras el-Soda gemeinsam mit (mindestens) einer Osiris-Kanopos-Skulptur auf einer Kultbildbank aufgestellt,1406 so daß auch hier der Bezug zu Osiris und dem erquickenden Nilwasser hergestellt ist. Sicherlich dürfte des weiteren die Assoziation der Uräusschlange mit dem Königtum, das Isis nach zahlreichen ägyptischen Texten innehat bzw. auf Horus überträgt, eine Rolle gespielt haben. 1401 So oHor 10, Z. 2–3; Theben 3156, Z. 11; Theben 3445, Z. 13; siehe oben, Kap. 6.2.1.1 und 6.2.5.1. 1402 Siehe H. ALTENMÜLLER, Die Apotropaia und die Götter Mittelägyptens: eine typologische und religionsgeschichtliche Untersuchung der sog. ‚Zaubermesser‘ des Mittleren Reiches, Diss., Univ. München 1964, Bd. I, S. 37–38 und 44; zu den Zaubermessern auch J. ROBERSON, The Early History of „New Kingdom“ Netherworld Iconography: A Late Middle Kingdom Apotropaic Wand Reconsidered, in: D. P. Silverman (Hrsg.), Archaism and Innovation. Studies in the Culture of Middle Kingdom Egypt, New Haven 2009, S. 427–445: 436–442. 1403 Siehe z. B. K. MYŚLIWIEC, Studien zum Gott Atum I: Die heiligen Tiere des Atum, HÄB 5, Hildesheim 1978, S. 126–130, Abb. 74–76; WILLEMS, Coffin of Heqata, S. 127–131. 1404 WILLEMS, Coffin of Heqata, S. 128–131. 1405 Vgl. die in Philae häufiger belegte Schreibung des Epithetons dj.t-anx mit Wasserdeterminativ. Siehe Kap. 4.1.2. Zur gleichen Symbolik von Situla und Lebenszeichen läßt sich außerdem die Beschreibung des Dekans Aries 2 in der lateinischen Fassung des Hermes Trismegistus (Editionen: W. GUNDEL, Neue astrologische Texte des Hermes Trismegistos. Funde und Forschungen auf dem Gebiet der antiken Astronomie und Astrologie, ABAW NF 12, München 1936; S. FERABOLI, Hermetis trismegisti de Triginta sex decanis, Hermes latinus IV, pars 1, Corpus christianorum, continuatio mediaevalis 144, Turnhout 1994) heranziehen: „(…) Wassergefäß, das ‚Leben‘ genannt wird.“ Ich danke J. F. QUACK für diesen Hinweis; siehe zur Stelle ID., Dekane, S. 573, und zu Wasser(gefäßen) als Lebenssymbol allgemein ibid., S. 609. 1406 Vgl. zur gemeinsamen Aufstellung auch BIANCHI, Images of Isis, S. 495–496, der dies allerdings – m. E. nicht korrekt – mit der bekannten Darstellung im Hadrianstor von Philae in Zusammenhang bringt, in der der Leichnam des Osiris auf dem Rücken eines Krokodils zum Abaton transportiert wird. Siehe zu diesem Relief JUNKER, Götterdekret, S. 41–45, der eine Erläuterung dieses Bildes im Choiaktext in Dendara (16. Choiak) aufzeigt: Das Krokodil ist in Philae als Form des Horus anzusehen (vgl. dazu auch GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 339–340; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 197–206, bes. 200–201). Dies kann bei der Isis-Ikonographie hingegen kaum zutreffen. Auch in dem hadrianischen „Sarapeion“ von Luxor war eine Isisstatue, allerdings mit anderer Ikonographie, mit einer Osiris-Kanopos-Skulptur in der Cella vergesellschaftet, siehe oben, Kap. 6.2.5.3. Tatsächlich handelt es sich in Ras el-Soda sogar um zwei Kanopos-Skulpturen (Typen A und B), wobei die Deutung der zweiten entweder als zweite Osirisform oder aber als Isis in angeglichener Ikonographie jedoch umstritten ist, siehe oben, und auch unten.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

GRENIER möchte die Ikonographie der Göttin mit Schlange und Krokodil als spezifische Darstellung der „Isis von Kanopos“ ansehen:1407 So wird Isis in zwei Wandmalereien aus Pompeji, die auf ein gemeinsames alexandrinisches Vorbild zurückgehen dürften, in einem entsprechenden Bildnistypus beim Empfang der Io in Kanopos gezeigt, wo diese dem griechischen Mythos zufolge auf der Flucht vor Argos gelandet sein soll.1408 Obwohl Isis dort im Gegensatz zu den rundplastischen Darstellungen thront und nicht steht, trägt sie auch hier eine Kobra in der rechten, erhobenen Hand, und unter ihren Füßen befindet sich ein Krokodil. Entsprechend nennt die kulttopographische Litanei von pOxy. 1380 die Göttin in Men[i]uis, einer unbekannten, aber der Plazierung im Text nach wohl bei Kanopos gelegenen Stadt, „die vor Io sitzt“.1409 GRENIER zieht des weiteren die OdysseeEpisode von Menelaos und Helena, die in Thonis an der kanopischen Nilmündung von Thon(is) und Polydamna empfangen wurden (Od. IV 227–232), als Parallele heran. 1410 Demnach hat Polydamna Helena heilsame Drogen gegeben und sie gelehrt, sich vor Schlangen zu schützen – ganz wie Isis es nach ägyptischer Vorstellung für das Horuskind tut. Dadurch ist Helena wiederum in der Lage, eine Viper in der Hand zu zerquetschen, die den Schiffskommandanten Kanopos – den eponymen Heros der Stadt Kanopos – gebissen hat. Dieser mit der Stadt Kanopos verknüpfte Mythos könnte ebenfalls in der Ikonographie der Isis mit Kobra seinen Widerhall finden. Damit käme eine weitere, hellenistische, Deutungsebene hinzu, die m. E. jedoch der oben angeführten ‚ägyptischen‘ Deutung meinerseits keineswegs widerspricht, sondern diese vielmehr von anderer Seite her unterstützt und ergänzt. Die bereits erwähnte Osiris-Kanopos-Skulptur im Tempel von Ras el-Soda wird durch eine zweite Kanopos-Skulptur komplementiert, wobei eine Typus A, die andere Typus B repräsentiert, ganz wie auf den alexandrinischen Münzen mit Paaren von KanoposBildnissen.1411 Ungeachtet der oben bereits angesprochenen Problematik, welche Gottheit jeweils mit dem zweiten Exemplar dargestellt wird, könnte die Dualität im Kontext der gemeinsamen Aufstellung dieser Skulpturen in einem Heiligtum m. E. insbesondere auf die beiden Landesteile Ober- und Unterägypten und damit letztlich auf die Gesamtheit der ägyptischen Gaue verweisen. Bereits oben wurde anhand des kleinen ‚Sarapeions‘ in Luxor, wo stattdessen ein Kanopos-Bildnis zusammen mit zwei (Apis-)Stieren (u. a.) aufgestellt war, argumentiert, daß mit solchen Statuengruppen ägyptische Traditionen aus dem Bereich des Osiriskultes, und speziell die Zusammenführung und Regeneration seiner über das ganze Land verteilten Körperteile, die wiederum gleichzeitig das Nilwasser 1407 1408 1409 1410

GRENIER, Décoration statuaire, S. 952–954; ID., Isis assise; vgl. MALAISE, Terminologie, S. 102–103. Siehe dazu auch unten, Kap. 7.3.3.1.1. pOxy. 1380, Z. 63–64, vgl. den Kommentar dort, Kap. 6.1.3.2. GRENIER, Décoration statuaire, S. 953; ID., Isis assise, S. 27–28. Ausführlichere Versionen und Verweise auf diese Odyssee-Episode und den Gründungsmythos der Stadt Kanopos finden sich bei Herodot, II, 113–117; Diodor I, 97, 7; Strabon, XVII, 1, 16; Nikander, Theriaka, 309; und Aelian, De natura animalium, 15, 13. Vgl. dazu auch A. VON LIEVEN, Fiktionales und historisches Ägypten. Das Ägyptenbild der Odyssee aus ägyptologischer Perspektive, in: A. Luther (Hrsg.), Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee, Zetemata 125, München 2006, S. 61–75, bes. 64–68, mit weiteren möglichen ägyptischen Hintergründen der Episode (z. B. Polydamna evtl. als Übertragung des ägyptischen wr.t-HkA.w). 1411 Siehe dazu WINAND, Paires, S. 1082; vgl. dazu auch oben.

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Private Anrufungen, Graffiti und Weihungen

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repräsentieren, in konzentrierter Form wiedergegeben werden. 1412 Dazu paßt auch, daß außer den Skulpturen der Isis und den Kanopos-Bildern auf der Kultbank des Tempels noch Bildnisse des Hermanubis mit Palmzweig und ursprünglich wohl einem Kerykeion (abgebrochen), und begleitet von einem Schakal, sowie des nackten Knaben Harpokrates aufgestellt waren, die den osirianischen Kreis ergänzen. 1413 Alle Marmorskulpturen entstammen laut ADRIANI derselben Bildhauerwerkstatt 1414 und sind von exzeptioneller Qualität. Sie wurden in situ gefunden und standen von links nach rechts (von W nach O) in folgender Reihenfolge: Isis, Osiris-Kanopos Typ A, (Osiris/Isis(?)-)Kanopos Typ B, Hermanubis, Harpokrates. In der Cella standen außerdem ein kleiner konischer Marmoraltar und zwei schwarze Sphingen aus Granit.1415 In dem erweiterten zentralen Interkolumnium des Pronaos war eine hohe Marmorsäule mit einem marmornen Fuß, auf dem sich (wie Bruchstellen zeigen) ursprünglich noch eine Büste (der Isis?) befand, und einer metrischen Weihinschrift aufgestellt.1416 Diese nimmt ausnahmsweise sogar direkt Bezug auf das abgebildete Körperteil und dankt der „Glückseligen“ (μάκαρι) – womit Isis gemeint sein muß1417 – für die Heilung seiner Füße nach einem Sturz: Geworfen vom Wagen durch die Pferde, hat Isidoros („Gabe der Isis“!) nach seiner Rettung im Austausch für seine Füße das Fußvotiv hier aufgestellt für die Glückselige. Die zentrale Aufstellung dieser Dedikation im Eingang des Tempels legt m. E. nahe, daß es sich bei Isidoros möglicherweise gleichzeitig um den Stifter des ganzen Heiligtums handelte.1418 Auch paßt diese persönliche Geschichte einer Heilung durch die Gottheit1419 gut zu der oben anhand des Vergleiches mit den Horusstelen herausgestellten Konnotation der Isis mit Uräusschlange als Heilerin und Magierin (Werethekau).1420

1412 Kap. 6.2.5.3. 1413 Siehe ADRIANI, Sanctuaire, S. 139–145; Taf. 52–53; 55–57; 59.1; NAEREBOUT, Ras el-Soda, S. 552, Abb. 5. 1414 ADRIANI, Sanctuaire, S. 147. 1415 Siehe ADRIANI, Sanctuaire, Taf. 58; NAEREBOUT, Ras el-Soda, S. 507. 1416 IM 109. 1417 Vgl. das Epitheton μάκαιραν  für Isis in der alexandrinischen Inschrift I. Alexandrie 55 von 180 n. Chr., siehe oben, Kap. 6.2.10.1. Diese sichere Datierung der alexandrinischen Inschrift würde mit der angenommenen des Tempels von Ras el-Soda und seiner Ausstattung in das späte 2. Jh. n. Chr. übereinstimmen. 1418 So bereits die Vermutung von ADRIANI, Sanctuaire, S. 148. 1419 Trotz der Ähnlichkeit des Grundmotives – eines Fußes – ist, wie die Inschrift deutlich macht, der Zweck dieser Weihung von denjenigen mit Fußabdrücken, wie sie z. B. in Philae (s. o.) zahlreich belegt sind, zu unterscheiden! Zu vergleichen ist aber ein Fragment eines Marmorfußes aus el-Daba bei Alexandria mit einer griechischen Inschrift, die allerdings nur anzeigt, daß Ammonios Apitos die Skulptur Isis geweiht hat, siehe NAEREBOUT, Ras el-Soda, S. 511 (ohne weitere Referenz). Ein weiteres Vergleichsobjekt, das ebenfalls aus Anlaß der Heilung eines Fußes, in diesem Fall durch Osiris, aufgestellt wurde, ist die Moschion-Stele aus Xoïs (IM 108; VLEEMING, Some Coins, Nr. 205, S. 199–209); für den Hinweis danke ich J. F. QUACK; vgl. dazu auch ID., Literatur, S. 119. 1420 Zu dieser Rolle der Isis siehe ausführlich unten, Kap. 6.5.1.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Kulttopographische und mythologische Texte

Ergänzend zu den besprochenen hieroglyphischen und hieratischen Handbüchern aus den Tempelarchiven (Kap. 4.13) finden sich kulttopographische, mythologische und theologisch-diskursive Texte auch im demotischen Material. Die unter Kap. 6.3.2 aufgeführten Verarbeitungen des Osiris- und Horus-Mythenkreises ließen sich teilweise wohl ebensogut unter „Literarische Texte“ (Kap. 6.4) fassen, denn einige der nur fragmentarisch erhaltenen Quellen scheinen in eine literarische Rahmenerzählung (mit nicht direkt mythologischer Thematik) eingebettet zu sein, wie es z. B. auch für das Isislob von pTebt. Tait 14 und Parallelen anzunehmen ist (Kap. 6.1.4). 6.3.1 Eine Liste von Epiklesen der Isis im „Kairener Onomastikon“ Der pKairo CG 31168+31169 („Kairener Onomastikon“), der in frühptolemäische Zeit (4. Jh. v. Chr.) datiert wird, wurde einem Verstorbenen in sein Grab in Sakkara (Grab des Ptahhotep) mitgegeben.1421 Ein Großteil des erhaltenen Textes wird von einer Götterliste eingenommen, in der neben einigen Einzelnennungen zahlreiche Erscheinungsformen bzw. Kultnamen der großen Götter Osiris, Amun, Horus, Isis, Ptah, Neith, Min, Thoth, Sachmet, Atum, Bastet, Anubis, Chons, Nefertem, Schu, Onuris, Herischef, Mut, der Horussöhne und Hathor aufgeführt werden. Die 18 Nennungen von Isisformen sind in 31169, Kol. x+10 enthalten:1422 x+10, 1: […] As.t wry(.t) ?? mw.t-nTr(?) Isis, die Große, ?? die Gottesmutter(?),1423 As.t m ©dw Isis in Busiris, As.t Nbw(?)1424 Isis von Ombos(?)

1421 Edition von SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 266–280; entgegen Spiegelberg gehören beide Papyri zusammen, 31168 schließt links an 31169 an, siehe dazu F. HOFFMANN, Ägypten, S. 104–106; ausschließlich die im Manuskript enthaltene Ortsnamenliste wurde bearbeitet von ZAUZICH, Onomastikon; und DE CENIVAL/YOYOTTE, CG 31169. Eine regelrechte Edition der gesamten Handschrift fehlt bisher. Vgl. zur Städteliste das Ostrakon Ashmolean D.956: Hier lautet die Überschrift „Die Gaue des Osiris und die Städte von Ober- und Unterägypten“, siehe M. SMITH, Four Demotic Ostraca in the Collection of the Ashmolean Museum, in: Enchoria 16, 1988, S. 77–88: 78– 84; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 105; ZAUZICH, Onomastikon, S. 91. 1422 Der Papyrus ist auf dem Photo in SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, Taf. 110, nur sehr schwer zu lesen. 1423 SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, m. Anm. 1, schlägt „Die Mutter der Mütter“ als Lesung vor und hält das eher anzunehmende Epitheton „die Gottesmutter“ den Zeichen nach für ausgeschlossen. „Die Mutter der Mütter“ halte ich aber für unwahrscheinlich, zumal dieses Epitheton eher für Neith und weniger für Isis typisch wäre, vgl. LGG III, 258–259. Die letzte Zeichengruppe könnte durchaus eine Schreibung von mw.t-nTr sein, vgl. CDD, „M“, S. 75–76. Davor befinden sich allerdings noch unklare Zeichenreste. 1424 Sehr unsicher. Von SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, nur das n gelesen.

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Kulttopographische und mythologische Texte

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x+10, 5: As.t tA aA.t(?)1425 Isis, die Große(?), As.t n pA wab(?) Isis vom Abaton(?),1426 As.t n Qbv Isis von Koptos, As.t […?] wry(.t)1427 Isis, die große […], As.t ta pA ym Isis, die vom Meer,1428 x+10, 10: As.t tA Sdy(.t)1429 Isis, die Zauberin(?)/von Schedet(?),1430 As.t trg1431 Isis ? As.t nb.t %x.t(?)1432 Isis, die Herrin (der Stadt) des Feldes,1433 1425 Lesung nach SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, Anm. 3; ungewöhnliche Schreibung mit . 1426 SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, übersetzt „Isis von Philae(?)“; VERRETH, Toponyms in Demotic, liest PA-lq „Philae“, was anhand der vorhandenen Zeichen nicht nachzuvollziehen ist. 1427 SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277: As.t irj(.t) mw wry; aufgrund dunkler Flecken auf dem Papyrus kann ich die Lesung nicht nachvollziehen. wry(.t) ist erkennbar, paßt aber grammatikalisch (feminine Form) nicht zu dem von SPIEGELBERG gelesenen mw. 1428 Damit könnte entgegen DUNAND, Culte d’Isis I, S. 95, die das Epitheton tatsächlich auf das Meer bezieht, eher das Nildelta oder das Fayum gemeint sein, vgl. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, Anm. 5; ebenso MALAISE, Isis à Canope, S. 362 (Fayum): vgl. die im Fayum häufigen PN Taphiomis/Tapiomis/Paphiomis. Vgl. zu diesem Epitheton die Graffiti Theben 3156 u. 3445: in tw=t n pA ym bzw. nb.t n pA ym; siehe KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 21–22; 28–30 u. 58, § 19, und oben, Kap. 6.2.5.1. 1429 Schlangendeterminativ. 1430 Vgl. zu Isis als Zauberin pMag. LL, 19, 7–8: As.t tA Sde(.t) tA nb.t Sde(.t) ntj Sde n ntj nb ntj-iw bwirj=w Sde n=s n rn=s As.t tA Sde(.t) „Isis, die Zauberin, die Herrin der Zauberei, die alles bezaubert, ohne (selbst) bezaubert zu werden, in ihrem Namen als Isis, die Zauberin.“, vgl. Kap. 6.5.1.4; siehe auch SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, Anm. 6, der alternativ die Übersetzung als „Ernährerin“ vorschlägt. Für noch wahrscheinlicher halte ich „Isis von Schedet (Krokodilopolis)“, vgl. zur Schreibung CDD, „S“, S. 237. 1431 So die Lesung von SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277; das Wortende kann ich nicht gut erkennen. Ob statt dessen vielleicht tre.t „Isis, das Milanweibchen“ zu lesen ist? Zu Isis als Dr.t/tre.t siehe Deir Chelouit II, Nr. 84 (Kap. 4.8.1.A); LGG VII, 630–631; KUCHAREK, Klagelieder, S. 567– 578; EAD., Isis und Nephthys als Drt-Vögel, in: GM 218, 2008, S. 57–61. 1432 Stadtdeterminativ. 1433 Ein Ort namens Sechet ist für den Gau von Bubastis (18. u. äg. Gau) belegt, siehe GDG V, S. 49; zudem wird das Fruchtland (w) in diesem Gau in kulttopographischen Texten als sx.t-nTr „Gottesfeld“ bezeichnet und spielt in den dem Bubastites zugeordneten mythologischen Episoden eine gewisse Rolle, siehe LEITZ, Gaumonographien, S. 344–347. In pWien 3871, einer hieratisch-demotischen Liturgie des Sokar-Osiris-Kultes, die für das Begräbnis einer Privatperson, Artemis, Tochter von Herais, übernommen wurde (Ptolemäerzeit), wird Hathor in Kol. 1, 18, ebenfalls als Herrin eines Ortes Sechet bezeichnet, siehe LGG IV, 132b; die Publikation ist in Vorbereitung durch J. DIELEMAN, siehe vorläufig ID., The Artemis Liturgical Papyrus, in: Quack (Hrsg.), Ägyptische Rituale, S. 171–

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

As.t nb.t Pr-nbw(?)1434 Isis, die Herrin des Goldhauses(?),1435 As.t pA(?) srgy(?)1436 Isis, der Skorpion(?),1437 x+10, 15: As.t xsdb Isis, Lapislazuli,1438 As.t &nb.t\ @w.t-wry1439 Isis, die Herrin von Hut-wery (Hawara?), As.t [nb.t/i.irj?] tA(?)1440 Isis [die Herrin der/die geschaffen hat die?] Erde, As.t i.irj(?)1441 xpr Isis, die entstanden ist(?). Die listenartig aufgezählten Erscheinungsformen der Isis folgen im Gegensatz zu den kulttopographischen Litaneien 1442 keiner evidenten Ordnung, außerdem sind topographische

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1438

1439 1440 1441 1442

183; ID., Scribal Bricolage in the Artemis Liturgical Papyrus, in: Backes/Dieleman (Hrsg.), Liturgical Texts, S. 217–232. In pKairo CG 31169 kommt bereits innerhalb der nach Gauen geordneten Städteliste, Kol. 1, 18, ein Toponym Pa-sx.t für einen Ort im Westdelta vor, siehe DE CENIVAL/YOYOTTE, CG 31169, S. 244. Allerdings gab es auch bei Esna einen heiligen Bezirk mit Namen „Feld“, wo sich ein Heiligtum des Osiris und der verstorbenen Urgötter von Esna befand, vgl. Kap. 4.11.1. Vgl. zur Stelle auch MANASSA, Mistress of the Field, S. 57, Anm. 15. Stadtdeterminativ. Im Mammisi von Dendara (Dend. Mam., 102, 8) ist dies der Name einer von insgesamt 32 unterägyptischen Hathoren, möglicherweise handelt es sich dort um einen Ort im 3. u.äg. Gau, vgl. LGG IV, 56a; allerdings sind weitere Orte dieses Namens belegt, vgl. GDG II, 93; VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 527–528, Nr. 10629, 11196. Das gleiche Toponym kommt im Papyrus pKairo CG 31169 bereits innerhalb der nach Gauen geordneten Städteliste, Kol. 1, 11, für den 2. u.äg. Gau vor, vgl. DE CENIVAL/YOYOTTE, CG 31169, S. 243; VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 527, Nr. 10629. Lesung nach SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277; sehr zweifelhaft. Der maskuline Artikel ist problematisch. Zu Isis-Selket siehe LGG I, 77a–b (obige Stelle dort ebenfalls als unsicher angegeben); GOYON, Hededyt, S. 444–445; STOOF, Skorpion, S. 81–87; RITNER, Wives of Horus, S. 1038–1039; MÜNSTER, Isis, S. 147–148; vgl. Kap. 4.5. Möglicherweise ist eine speziell memphitische Isisform gemeint, die auch auf der sog. ‚Inventory Stela‘ aus der Kapelle der Isis, „Herrin der Pyramide“ in Giza belegt ist, siehe Kap. 4.12.1. Lapislazuli wird in erster Linie mit Hathor assoziiert, ist aber mehrfach auch für Isis belegt, siehe LGG V, 953–954; AUFRÈRE, Univers minéral, S. 480–481. Speziell memphitisch ist eine Form der Isis, die üblicherweise als As.t xsbD.t tp „Isis mit dem Kopf aus Lapislazuli“ bekannt ist und möglicherweise mit der oben genannten „Isis (aus) Lapislazuli“ identisch ist, für die in einer Serapeumsstele auch ein Priester genannt wird, siehe dazu J. YOYOTTE, Études géographiques II. Les localités méridionales de la région Memphite et „le pehou d’Héracléopolis“, in: RdÉ 15, 1963, S. 87–119: 117–118; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 245–246; siehe dazu oben, Kap. 4.12.1. Evtl. Hawara im Fayum, siehe VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 292–296, Nr. 747; desweiteren existiert eine Stadt dieses Namens im 15. o.äg. Gau, siehe LGG IV, 101b; GDG IV, S. 58; eine weitere konnte bisher nicht lokalisiert werden, vgl. VERRETH, Toponyms in Demotic, S. 330, Nr. 10653. Zu nb.t tA als Bezeichnung von Göttinnen siehe LGG IV, 154b (Isis ist allerdings nicht belegt). irj.t tA ist laut LGG I, 531b, hingegen nur einmal für Neith in Esna belegt. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277, gibt keinen Ergänzungsvorschlag. Vgl. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277. Dend. I, 20, 14–21, 5; Dend. Isis, 78, 16–79, 5; pTebt. H I, X 1, 3–3, 2; siehe Kap. 4.6 und 4.13.1.1.

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Zuordnungen und andere Epitheta miteinander vermischt, was sich auch in den Listen der anderen Götter feststellen läßt.1443 Zumindest fällt auf, daß Orte, die bereits in der vorangehenden, geographisch nach Gauen geordneten Städteliste (mit vier Städten je Gau)1444 vorkommen, hier wieder aufgegriffen werden (Kol. x+10, 12–13). Inhaltlich ist zu bemerken, daß neben einigen wenigen typischen Beinamen und topographischen Zuordnungen der Isis (Isis in Busiris; Isis, die Große; Isis von Koptos) der Großteil der Nennungen – jeweils unter Vorbehalt aufgrund der Leseschwierigkeiten – weniger häufige bis gar nicht anderweitig belegte Epitheta enthalten. Thematisch passen diese dennoch gut mit vielen Aussagen der bisher bearbeiteten Texte zusammen: Verursacherin der Überschwemmung (sehr unsicher, Z. 8), Magierin(?) (Z. 10), Skorpiongöttin (Z. 14) und Schöpfergöttin (Z. 17) sind bekannte Aspekte der Isis, die hier nur mit anderen Worten ausgedrückt werden. Die genannten Unterschiede könnten einerseits mit der Herkunft des Papyrus aus dem memphitischen Raum, aus dem die zuvor im Fokus stehenden Tempeltexte eben gerade nicht erhalten sind, zusammenhängen; 1445 so erweisen sich beispielsweise die Bezeichnungen als „Skorpion“ und „Lapislazuli“ (Z. 14–15) als Referenzen an spezifisch memphitische Isisformen.1446 Andererseits spielt vielleicht aber auch der private Hintergrund der Textaufzeichnung eine Rolle, der zumindest für die letzte Deponierung der Handschrift offensichtlich ist. Ob der Text zuvor als priesterliches Referenzwerk diente, wie es bei den hieroglyphischen und hieratischen Handbüchern (Kap. 4.13) der Fall war, oder als private Sammlung von nützlichem Wissen, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Ersteres ist m. E. jedoch sehr wahrscheinlich. Von SPIEGELBERG wird der Papyrus als „Schulbuch“ bezeichnet.1447 Auf das Verso von pKairo CG 31169 ist eine teilweise wiederum nach Göttern, teilweise aber auch nach anderen Bildungselementen geordnete Liste theophorer Personennamen geschrieben. Mit Isis als erstem Element werden folgende Namen gebildet:1448 x+2, 2:

As.t-rSj Isis freut sich1449 As.t-i.ir-dj=s Isis ist es, die sie gegeben hat (Esertaios)1450

1443 1444 1445 1446 1447 1448 1449

Vgl. die Übersetzung von SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 267–277. Siehe dazu ZAUZICH, Onomastikon. Vgl. zum memphitischen Raum aber die Ostraka des Hor, siehe Kap. 6.2.1.1 und 6.5.1.2. Vgl. die Anm. zu den Textstellen. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 277. Vgl. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 279. Vgl. DNb I, S. 79, u. Fasz. 18, S. 134; zu diesem Namen auch RANKE, PN, S. 4, Nr. 10; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 81; TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 41, m. Anm. 24, u. S. 50: Der Name ist in der Spätzeit und griechisch-römischen Zeit mehrfach in Totenbüchern, Büchern vom Atmen und dem Balsamierungsritual belegt. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 279, liest As.t-whm-nfr. 1450 Vgl. DNb I, S. 75, u. Fasz. 18, S. 133; RANKE, PN, S. 3, Nr. 19; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 78.

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x+2, 5:

Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

As.t-n-pr-msj(?)1451 Isis ist im Geburtshaus(?) As.t-m-HA.t Isis ist an der Spitze (Esemes)1452 As.t-iH.t(?)1453 Isis, die Kuh(?) (Estaes?) As.t-? Isis ? As.t-(m-)xb Isis in Chemmis (Esenchebis).1454

Bei den sicher lesbaren Namen (Z. 2, 3, 5 und 8) sowie dem sehr wahrscheinlichen As.t-npr-msj(?) (Z. 4) handelt es sich um häufig belegte Personennamen, wie der Abgleich mit DNb und RANKE, Personennamen, ergibt. Nur As.t-iH.t – falls die Lesung korrekt ist – ist ansonsten nicht bekannt. 6.3.2 Verarbeitungen des Osiris- und Horusmythos Grundlegend für die ägyptische Religion der Spät- bis Römerzeit ist der Osirismythos,1455 der die Ermordung des Gottes und die Zerstückelung seines Leichnams durch Seth, die unermüdliche Suche der treuen, trauernden Ehefrau Isis, das Vereinen der Körperteile und die schlußendliche Wiederbelebung mit dem vorläufigen glücklichen Ausgang der Empfängnis und Geburt des legitimen Herrschers Horus beinhaltet. Als kohärente Erzählung ist der gesamte Mythos jedoch bisher nur in der Verarbeitung durch Plutarch bekannt, während die bekannten ägyptischen Quellen jeweils nur Auszüge, Versatzstücke, Anspielungen etc. enthalten. Erzählerisch gestaltete Auszüge und Varianten dieses zentralen Mythos finden sich entsprechend auch in verschiedenen demotischen Textzeugen.1456 So ist wohl das Ostrakon Kairo JdÉ 50266 mit dem Rest eines Textes in diese Tradition einzuordnen: Erhalten ist die Beschreibung von jemandem (wohl Osiris), „der mitten in der Halle des Tempels von Koptos ruht“, und daß „Isis einen lauten Schrei ausstößt“.1457 Dies läßt sich direkt mit einer Inschrift am 2. Pylon des ptolemäischen Tempels für Min und Isis in

1451 Lesung nach einem Vorschlag von J. F. QUACK; vgl. zu diesem Namen KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 80; RANKE, PN, S. 259, Nr. 19. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 279: As.t…?. 1452 DNb I, S. 77, u. Fasz. 18, S. 133; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 79. 1453 Vgl. SPIEGELBERG, Demotische Denkmäler II, S. 279. Zweifelhaft; nicht im DNb oder bei RANKE, PN, aufgeführt. 1454 DNb I, S. 78, u. Fasz. 18, S. 133; RANKE, PN, S. 4, Nr. 3; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 80. Vgl. außerdem zu der im Fayum verehrten Isisform Esenchebis oben, Kap. 6.1.2. 1455 Siehe rezent dazu und zur übergreifenden Bedeutung für die ideologische Konstitution Ägyptens QUACK, Resting in Pieces. Zur Bedeutung des Konzeptes in Jenseitstexten (die in dieser Arbeit nicht eigens behandelt werden), siehe z. B. grundlegend KUCHAREK, Klagelieder; M. SMITH, Traversing Eternity. 1456 Siehe dazu auch die Übersicht bei STADLER, Einführung, S. 55–56. 1457 K. LEMBKE/G. FLUCK/G. VITTMANN, Ägyptens späte Blüte. Die Römer am Nil, Mainz 2004, S. 89, Abb. 160; vgl. QUACK, Literatur, S. 31. Vgl. zur Trauer der Isis um Osiris in Koptos Kap. 4.10.3 und 6.2.6, und unten, Kap. 8.1.2.2 zu Plutarch, De Iside 14.

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Koptos in Verbindung bringen, wo es heißt, daß Isis’ Schrei der Trauer im Koptites lauter war als in jedem anderen Gau.1458 Motive des Osirismythos können auch in nicht-mythologische literarische Rahmenerzählungen eingebettet sein. Ein griechischer Text des 3. Jhs. n. Chr. aus Oxyrhynchos,1459 der aufgrund des Inhaltes aber wohl aus ägyptischem Milieu stammt, dreht sich vorrangig um einen Amen[o]ph[this] (= einer der Könige Amenophis aus der 18. Dyn.?).1460 Innerhalb der nur fragmentarisch erhaltenen Geschichte wird aber ein Weg erwähnt, der in drei Tagen nach Memphis führt und kniehoch mit Wasser überschwemmt ist. Auf ebendiesem Weg soll nun der „große Gott Hermes“ (= Thoth) zusammen mit der „Göttin mit 10.000 Namen (μυριώνυμος θέα) Isis“1461 gegangen sein, um den „König der Götter“ (= Osiris) zu suchen.1462 Einige ausführlichere demotische Papyrusfragmente können trotz ihrer nur bruchstückhaften Erhaltung nach QUACK möglicherweise sogar zu mindestens einer ausführlichen, narrativen Gesamtdarstellung rekonstruiert werden. 1463 Darin wird die aus dem zitierten griechischen Textstück hervorgehende Unterstützung der umherirrenden Isis durch Thoth bestätigt. So berichtet einer der Textzeugen, ein fragmentarisch erhaltener, römerzeitlicher (2. Jh. n. Chr.) demotischer Papyrus, der aller Wahrscheinlichkeit nach aus Tebtynis stammt,1464 ebenfalls von der gemeinsamen Suche, und Thoth wird hier ausdrücklich als „ihr Vater“ bezeichnet (Frg. 1, x+4), wenngleich der Name der Isis nicht erhalten ist. Das Verhältnis der beiden Götter wird jedoch nochmals in Frg. 2, x+2, 11–13, deutlich, wo zuerst Thoth über Isis spricht, sie werde nach Ägypten heraufkommen, und anschließend die Göttin selbst ansetzt mit den Worten: „Mein Vater,…“. Diese Vorstellung von Thoth als

1458 Siehe oben, Kap. 4.10.3. 1459 pOxy. 3011, evtl. auch pFreiburg 47; Edition J. P. PARSONS, The Oxyrhynchus Papyri 42, London 1974, S. 41–43; vgl. R. KUSSL, Papyrusfragmente griechischer Romane, Classica Monacensia 2, Tübingen 1991, S. 178–179; S. A. STEPHENS/J. J. WINKLER, Ancient Greek Novels. The Fragments. Introduction, Text, Translation, and Commentary, Princeton 1994, S. 470, Nr. 10; QUACK, Literatur, S. 37; ID., Resting in Pieces, S. 261; ID., Isis, Thot und Arian, S. 115. Zu pFreiburg 47: R. W. DANIEL/M. GRONEWALD/H.-J. THISSEN, Griechische und Demotische Papyri der Universitätsbibliothek Freiburg. Mitteilungen aus der Freiburger Papyrussammlung IV, Papyrologische Texte und Abhandlungen 38, Bonn 1986, S. 7–9. 1460 Zur Diskussion der Wiedergabe dieses Königsnamens in der griechischen Literatur vgl. J. QUAEGEBEUR, Amenophis, nom royal et nom divin. Questions méthodologiques, in: RdÉ 37, S. 97– 106: 101. 1461 Zu diesem Epitheton siehe oben, Kap. 6.2.2.2, 6.2.4, 6.2.6, 6.2.7 und 6.2.10.1. 1462 Osiris wird hier sicher intentionell wie häufig mit Überschwemmungswasser in Verbindung gebracht, vgl. z. B. den im Fayumbuch mehrfach erwähnten „Weg des Osiris“, was dort wohl den Bahr Yussuf meint, siehe Kap. 4.13.4. 1463 QUACK, Isis, Thot und Arian. Ich danke Herrn Quack herzlich dafür, mir sein Manuskript bereits vor der Publikation zur Verfügung gestellt zu haben. Siehe vorläufig auch ID., Resting in Pieces, S. 260– 261. 1464 pCarlsberg 621+PSI Inv. D 81+pMichigan 6397h; QUACK, Isis, Thot und Arian, Handschrift 2 (in obiger Besprechung habe ich diese Handschrift aufgrund der häufigeren Erwähnungen von Isis vorgezogen); vgl. auch QUACK, Literatur, S. 29.

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Isis’ (geistigem) Vater ist auch in den Tempeltexten sowie in oHor 3 und weiteren Zeugnissen der griech.-röm. Zeit faßbar.1465 Isis selbst trägt möglicherweise neben ihren Haupttiteln „die Große, die Gottesmutter, [die große Göttin]“ (Frg. 2, x+1, 22–23, und x+2, 17) die Beinamen „[Befehlshaberi]n des ganzen Landes, diejenige, welche die Armee kommandiert“ ([…Ts].t(?) n pA tA Dr=f tA ntj s&H\[n] pA mSa, Frg. 1, x+3). Der Bezug dieser Benennungen zur Suche nach Osiris ist durch die großen Textlücken zwar unklar, 1466 das erste Epitheton findet jedoch eine genaue Parallele in mehreren Graffiti in Philae,1467 während sich der militärische Titel gut an ihre Erscheinungsform als HA.t pA mSa „die an der Spitze des Heeres ist“ in Assuan 1468 anschließen läßt. Gut zu vergleichen ist auch das ntj wAH-sHn n pA tA Dr=f in den Ostraka des Hor.1469 Konkrete kriegerische Aktivität der Göttin äußert sich innerhalb der Erzählung in der Aussage „Ich bin es, die veranlaßt hat, daß &Seth(?) zu Fall kam(?)\“ (Frg. 2, x+1, 21), die wohl der in der nächsten Zeile genannten Isis in den Mund gelegt ist. Nach mehreren, im genauen Verständnis unklaren Stellen in Kol. x+2 steht Isis in Kontakt mit den offenbar als Feinden aufzufassenden Giganten (nA ap(a)p.w).1470 Auch die für die königliche Stellung der Isis bezeichnende Titelreihe tA sn.t-nswt tA Hm.t-nswt tA &nsw(j.t)?\ Hty=s „die Königsschwester, die Königsgemahlin, die &Königin?\ selbst“ (Frg. 2, x+2, 16) dürften sich auf sie beziehen.1471 Typischerweise und in die gleiche Richtung gehend wird sie auch als nb(.t) tA.wj As.t „Herrin der Beiden Länder, Isis“ bezeichnet (Frg. 3, 2).1472 Sie ist damit als Regentin Ägyptens während der Abwesenheit des Osiris bzw. bereits nach seinem Tode gekennzeichnet.1473 Eventuell ist auch von der Geburt des Horus die Rede (Frg. 4, x+1–4). In einem sehr kleinen Fragment werden die Namen von Horus, Anubis und Thoth direkt hintereinander genannt (Frg. 9, x+1), und in der nächsten Zeile der verjüngte(?) Osiris, doch der Kontext ist verloren.1474 Besonders interessant ist zudem der geographische Rahmen dieses Textes, denn die Mission führt die Götter zumindest zwischenzeitlich über die Grenzen Ägyptens hinaus, was sich anhand des Titels eines „Großen von Persien“ (pA wr n Pls, Frg. 3, 1) und der Erwähnung des „Landes der Frauen“ (= Amazonen, Frg. 7, x+4),1475 eventuell auch von 1465 Siehe oben, Kap. 5.2.2.1.E, und besonders Assuan-Hymne 3 mit Parallelen, Kap. 4.2.1.A; oHor 3, Z. 12–13, siehe Kap. 6.5.1.2, und 6.5.2.1 zu weiteren Belegen in magischen Texten. Vgl. STADLER, Weiser und Wesir, S. 153–155; BUDDE, Seschat, S. 145–146; QUACK, Resting in Pieces, S. 260–261; ID., Isis, Thot und Arian, S. 115. 1466 Ein militärischer Kontext scheint jedenfalls auch dem weiteren Verlauf des Textes zugrunde zu liegen: So wird z. B. in Frg. 1, x+8, die Frage gestellt: „Schläft ein Herr der Armee?“. Zur Deutung der Grundzüge der Geschichte siehe QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 113–124. 1467 Ph. 255; 408; 410; Variante Ph. 411; siehe Kap. 6.2.2.2. 1468 Siehe Kap. 4.2 und 6.2.3. 1469 oHor 3 vs., 6–7; oHor 10, 16–17; oHor 6 vs., 10; siehe dazu oben, Kap. 6.2.1.1. 1470 Vgl. QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 116–120. 1471 Zu Isis als Königin und entsprechenden Titeln siehe Kap. 5.2.2.3.C–D und NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 121–125. Vgl. Diodor I, 17, 3, siehe QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 115. 1472 Zu diesem Titel siehe oben, Kap. 6.2.1.1. 1473 Vgl. QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 115. 1474 Eventuell könnten die Götternamen und die Verjüngung des Osiris auf seine Balsamierung verweisen, siehe dazu TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 151 (zu x+7, 5); 154, k). 1475 Möglicherweise bestehen hier Bezüge zur Amazonengeschichte (siehe dazu unten, Kap. 6.4.2.1).

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Kabul (antik Kabura, Frg. 2, x+2, 2), feststellen läßt. Die Präsenz der Isis im Amazonenland sowie ihr militärischer Titel bestätigen sich in der Angabe der Litanei des pOxy. 1380, derzufolge Isis bei den Amazonen „die Kriegerische“ heißt.1476 Des weiteren taucht ein Protagonist namens Arian (Aryn) auf (Frg. 2, x+2, 3), der auch in den wenigen anderen Belegen Bezüge zu Osiris aufweist, hier jedoch eindeutig als eigenständige Person agiert.1477 Diese Figur Arian (AryAn) spielt ebenfalls eine Hauptrolle in dem sicherlich zur gleichen Erzähltradition gehörenden pCarlsberg 79 + PSI Inv. D 80,1478 wo es heißt, daß er die Assyrer den Himmel beobachten läßt und aus der abweichenden Bahn des Orion („Stern des Osiris“) erfährt, daß Osiris verstorben ist, was ihn zu großer Verzweiflung und Trauer veranlaßt (Frg. 1, x+21–26). Hinweise auf ein ausländisches Szenario in beiden Handschriften geben zusätzlich zu den Assyrern die genannten Orte Bachtan (Handschrift 1, Frg. 1, x+20) und eventuell Alwand (Handschrift 2, Frg. 2, x+1, 26) sowie weitere fremde Eigennamen. 1479 An einer Stelle wird Isis angerufen mit den Worten: anx As.t tA Xra.t aA(.t) n ©dw „Bei Isis, der großen Witwe von Busiris“ (Handschrift 1, Frg. 3, x+14).1480 Die nächsten Parallelen stehen alle im Kontext der Versorgung des verstorbenen Osiris; 1481 in der Arian-Geschichte scheint darauf eine Klage der Isis um Osiris zu folgen (Handschrift 1, Frg. 3, x+17–20).1482 Auf einem weiteren Fragment zählt sie möglicherweise die Taten ihres Gatten auf (Handschrift 1, Frg. 14, x+2). Die durch die beiden Handschriften bezeugte Erzählung scheint, unter anderem durch einen weiteren – wohl feindlichen – Akteur, den „Großen des Ostens“ Apophis (oder: „der Gigant“), 1483 mit dem Inaros-Zyklus sowie mit einer demotischen Erzählung über einen Feldzug des lebenden Osiris (pCarlsberg 643 u. a.) zusammenzuhängen.1484 Die Texte zeigen, daß es spätestens in römischer Zeit eine Erzähltradition in demotischer Sprache und Schrift gab, die die Suche nach Osiris im vorderasiatischen Ausland lokalisiert und mit anderen, fiktiven Figuren, die teils aus weiteren Erzählungen bekannt sind, sowie einem 1476 pOxy. 1380, Z. 102–103, siehe oben, Kap. 6.1.3.2. Vgl. dazu außerdem die Amazonenerzählung, wo Isis und Osiris von der Amazonenkönigin als Helfer in Kriegssituationen angerufen werden, siehe unten Kap. 6.4.2.1. 1477 Zu Arian und seiner Deutung QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 120–122. 1478 QUACK, Isis, Thot und Arian, Handschrift 1. Siehe auch ID., Resting in Pieces, S. 261; ID., Dämonen, S. 462; ID., Literatur, S. 29–30. 1479 Vgl. QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 123–124. 1480 Die Schreibung von ©dw ist ungewöhnlich, vgl. QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 88, s). Bei Xra.t handelt es sich offenbar um eine Schreibung für X(A)r.t „Witwe“, vgl. zum Epitheton die Beispiele in LGG VI, 9c (XAr.t aA.t n.j.t ©dw „Die große Witwe von Busiris“). Eine weitere Schreibung für dasselbe Wort bieten wohl die Belege in Philae für ähnliche Epitheta der Isis: Xry.t aA.t bzw. Xry.t aA.t IA.twab.t „die große Xry.t (des Abatons)“, jeweils im Kontext der Fahrt zum Abaton, siehe LGG VI, 43c. Im LGG wird Xry.t nicht übersetzt. 1481 Vgl. zu den Parallelen die vorige Anm. 1480. 1482 Vgl. QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 115, zur Deutung als Klage. 1483 Vgl. QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 82–83, r), und 116–120, zur Bedeutung „Gigant“ für app. 1484 QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 124; ID., Resting in Pieces, S. 261. pCarlsberg 643 ist noch unpubliziert, kurz erwähnt bei QUACK, Literatur, S. 28–29; ID., „Ich bin Isis…“, S. 343–344. Ein weiteres Papyrusfragment, das sich ebenfalls auf diese Erzähltradition beziehen dürfte, ist pMich. 6794c, siehe K. RYHOLT, An Egyptian Narrative from Karanis (P. Mich. inv. 5641a), in: R. Jasnow/G. Widmer (Hrsg.), Illuminating Osiris. Egyptological Studies in Honor of Mark Smith, Material and Visual Culture of Ancient Egypt 2, Atlanta 2017, S. 325–335: 333–335 (Addendum) m. Taf. 23.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

offenbar militärisch-kriegerischen Plot verwebt. Nach QUACK könnte es sich bei all diesen Textzeugen um Reste eines einzigen großen literarischen Werkes mit Motiven des Osirismythos handeln, das als mögliche Vorlage für Plutarchs und Diodors Ausführungen über Isis und Osiris zu postulieren wäre (siehe dazu unten, Kap. 8). Auch der sehr fragmentarische mythologische(?) Text von pWien D. 62 rt., dessen Inhalt aufgrund der Fehlstellen schwer zu bestimmen ist, sich aber wohl um Angriffe o. ä. (auch von Krankheit, Tod und Schicksal ist die Rede) gegen verschiedene Götter und deren Flucht dreht,1485 bringt Osiris mit dem vorderasiatischen Ausland in Verbindung: in Z. x+2, 6 heißt es: „Osiris ging fort nach Ninive“ (Sm-nA.w Wsjr r NnywA). Auch Isis spielt darin eine Rolle als Mutter des Anubis, der ihr ein Holzobjekt(?) anvertraut (?) (x+2, 11–13). Anschließend nimmt sie die Gestalt einer Uräusschlange an (irj As.t irj wa.t ira&y\)1486 und flieht vor dem Schicksal(sgott?) des Todes (pA Sy pA mwt, x+2, 13–14). Diese Rolle der Isis erinnert ein wenig an einen in pJumilhac überlieferten Mythos des 17./18. o.äg. Gaues, wo Isis, Mutter des Anubis, mit Uto identifiziert wird und in Gestalt einer Kobra zunächst vor Seth und seiner Bande flieht, sie schließlich aber mit ihrem Gift tötet.1487 Eine andere Erzählung, die sich ebenfalls um Kämpfe, unter anderem zwischen Magiern, im Ausland dreht, läßt König Djoser und Imhotep in Vorderasien nach den Gottesgliedern des Osiris suchen.1488 Ein weiterer demotischer Papyrus aus Tebtynis (pCarlsberg 460) mit einer mythologisch-literarischen Erzählung über militärische Aktivitäten des Osiris und seiner Armee im Ausland, unter anderem in Syrien, Indien und Bachtan (vgl. die Geschichte von Isis, Thoth und Arian, s. o.), wird von H. KOCKELMANN ediert.1489 Für das Komplement des Osirismythos, den Streit zwischen Horus- und Seth,1490 gibt es ebenfalls mehrere demotische Belege:1491 Noch unpubliziert ist ein Papyrus aus Sakkara (4. Jh. v. Chr.), in dem sowohl Horus als auch Seth von Thoth gekrönt werden, woraufhin Isis’ 1485 Edition F. HOFFMANN, Demotische Erzählungen; Übersetzung auch von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 27.05.2014; vgl. auch die Rez. von J. F. QUACK, in: APf 51, 2005, S. 179–186: 183; STADLER, Einführung, S. 55. 1486 Einzelne Wörter, Satzteile und Sätze des Textes sind rubriziert, doch es läßt sich keine Regelhaftigkeit erkennen, vgl. F. HOFFMANN, Demotische Erzählungen, S. 251. 1487 pJumilhac, 3, 3–11, und 6, 2; s. o., Kap. 4.13.3. 1488 pCarlsberg 85 (frühe(?) Römerzeit); Edition durch K. RYHOLT in Vorb.; siehe vorläufig ID., The Assyrian Invasion of Egypt in Egyptian Literary Tradition. A Survey of the Narrative Source Material, in: J. G. Dercksen (Hrsg.), Assyria and Beyond. Studies Presented to Mogens Trolle Larsen, Leiden 2004, S. 483–510: 500–502; ID., The Life of Imhotep? (P. Carlsberg 85), in: Widmer/Devauchelle (Hrsg.), Actes du IXe congrès, S. 305–315; QUACK, Literatur, S. 32–33. 1489 Vorbericht: H. KOCKELMANN, Gods at War. Two Demotic Mythological Narratives in the Carlsberg Papyrus Collection, Copenhagen (PC 460 and PC 284), in: M. Depauw/Y. Broux (Hrsg.), Acts of the Tenth International Congress of Demotic Studies, Leuven, 26–30 August 2008, OLA 231, Leuven – Paris – Walpole, MA 2014, S. 115–125; vgl. auch STADLER, Einführung, S. 55–56; QUACK, Literatur, S. 29. 1490 Siehe dazu M. BROZE, Mythes et roman en Égypte ancienne. Les aventures d’Horus et Seth dans le Papyrus Chester Beatty I, OLA 76, Leuven 1996, S. 74–82 u. 234–237; vgl. dazu auch J. G. GRIFFITHS, The Conflict of Horus and Seth, Liverpool 1960, S. 46; 90; 107; zur Edfu-Version: H. W. FAIRMAN, The Triumph of Horus, London 1974; ALLIOT, Culte d’Horus, S. 677–804. 1491 Vgl. QUACK, Literatur, S. 30–31.

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Kulttopographische und mythologische Texte

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jeweilige Reaktion beschrieben wird.1492 Auf einem weiteren Fragment (spätptolemäisch) ist ein lückenhafter Abschnitt mit der Verhandlung über das Herrscheramt enthalten.1493 Dem Zeugnis mehrerer Papyrusfragmente zufolge, die wahrscheinlich aus Pelusium im Fayum (Themistes-Bezirk) stammen und in die Mitte des 2. Jhs. v. Chr. datieren, wurde während des Choiakfestes ein kultisches Drama um Horus und Seth aufgeführt, das eine szenische Darstellung der mythologischen Geschehnisse in teilweise burlesk-satirischer Manier beinhaltet.1494 Seth tritt dabei als Esel auf, der beschimpft und bestraft wird. Neben anderen Göttern hat auch Isis eine Sprechrolle, die sich jedoch hauptsächlich auf Ausrufe beschränkt, die beschreiben, was Seth getan hat oder was zur Strafe mit ihm geschieht. So beschimpft sie ihn zum Beispiel, daß er Wasser in seine eigenen Hände genommen habe; das Wasser wird daraufhin in einer Glosse mit Osiris identifiziert.1495 Exkurs: Isis als Regengöttin Etwas aussagekräftiger im Hinblick auf Aktionen der Isis ist pWien D. 6920–22 rto. aus dem 2. Jh. n. Chr.1496 In einer der besser erhaltenen Passagen (x+2, 4–6) ist die Rede davon, daß Isis ihren Sohn durch einen Zauberspruch in einen schwarzen Stier verwandelt, der Apis(?)1497 verkörpert, und ihn dergestalt auf die Jagd nach Seth schickt.1498 Weitere magische Kräfte, die sich auf die Beherrschung der Natur erstrecken, offenbart sie in dem auf diese Handlung folgenden Spruch: Dj=y nA.w Dj.t irj p.t [Hwj]1499 r pA tA Ich werde veranlassen, daß der Himmel [Regen] macht auf das Land. Dj=y nA.w smA r pA tw […] Ich werde den Berg segnen […] […] &t\w &qy\ i&Xy\ n Xr HA.v=k mtw=f […] n=k xr-mtw=k iyj r […] […] hohe Berg wird grün werden vor dir und er wird […] für dich, bis du kommst zu […]. (x+2, 6–8)1500 1492 Erwähnt bei H. S. SMITH, Demotic Literary Papyri and Letters, in: Proceedings of the XIV. International Congress of Papyrologists, Graeco-Roman Memoirs 61, London 1975, S. 258; J. TAIT, Egyptian Fiction in Demotic and Greek, in: J. R. Morgan/R. Stoneman (Hrsg.), Greek Fiction. The Greek Novel in Context, London – New York 1994, S. 203–222: 209–210. 1493 Edition: K.-Th. ZAUZICH, Der Streit zwischen Horus und Seth in einer demotischen Fassung (Pap. Berlin P 15549 + 15551 + 23727), in: Thissen/Zauzich (Hrsg.), Grammata Demotika, S. 275–281. 1494 pBerlin P. 8278a, b, c; 15662; 15677; 15818; 23536; 23537a, b, c, d, e, f, g; Edition GAUDARD, Demotic Drama, zu Herkunft und Datierung ibid., S. 16–28; außerdem ID., Pap. Berlin P. 8278 and its Fragments: Testimony of the Osiris Khoiak Festival Celebration during the Ptolemaic Period, in: Lepper (Hrsg.), Forschung in der Papyrussammlung, S. 269–286. Vgl. auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 672, bes. zur Rolle der Nephthys; STADLER, Einführung, S. 59–60. Mittlerweile konnte ein weiteres Fragment in Aberdeen durch J. F. QUACK identifiziert werden; außerdem gibt es mehrere Handschriften, die nur die Basisversion ohne Kommentare enthalten (für die Informationen danke ich J. F. QUACK, vgl. auch ID., Literatur, S. 158; dort als „Eseltext“ benannt). 1495 pBerlin P. 8278b, Z. x+9–x+11; vgl. GAUDARD, Demotic Drama, S. 64, 169 u. 201. 1496 Edition: F. HOFFMANN, pWien D6920–22; vgl. dazu auch G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 27.05.2014; QUACK, Literatur, S. 30–31; STADLER, Einführung, S. 59. 1497 Im Papyrus nicht erhalten, aber HOFFMANNs Ergänzung ist hier sehr wahrscheinlich. 1498 Siehe F. HOFFMANN, pWien D6920–22, S. 173–174. 1499 Das Wasserdeterminativ ist erhalten, vgl. F. HOFFMANN, pWien D6920–22, S. 174, Anm. 54.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Ihre Ankündigung bewahrheitet sich kurz darauf, aber der Text ist auch bei dieser die wörtliche Rede mehr oder weniger wiederholenden Beschreibung der Ereignisse stark lückenhaft (x+2, 10–13).1501 Isis’ Macht über die Naturgewalten und das Wetter, insbesondere den Regen, ist bereits für ältere Zeiten diskutiert worden, jedoch nur spärlich belegt.1502 Zumindest gibt ein Abschnitt des Mathematischen pRhind (2. ZwZt) die Information, daß am Tag der Geburt der Isis „der Himmel regnete“,1503 auch wenn – anders als im Abschnitt über die Geburt des Seth, der es demnach donnern ließ – nicht ausdrücklich gesagt wird, daß die Göttin selbst hier für das in Ägypten eher ungewöhnliche (und üblicherweise im Gegensatz zu anderen Wasserquellen negativ aufgefaßte) Naturereignis verantwortlich zeichnet. 1504 Etwas konkreter ist eine Passage des pWestcar (späte 2. ZwZt), in der sie selbst zusammen mit den sie begleitenden Göttern Nephthys, Meschenet, Heket und Chnum Sturm und Regen auslöst, um einen Vorwand für die Rückkehr zum Haus des Rawoser zu schaffen (11, 14).1505 In ähnlicher Weise berichtet der Text von Spruch VI der Metternichstele von einem – wohl durch Isis heraufbeschworenen – Regenschauer, der wunderbarerweise einen Brand löscht.1506 Da sie auch dort vor allem als Magierin auftritt, ist die Stelle gut mit derjenigen 1500 Übersetzung nach F. HOFFMANN, pWien D6920–22, S. 174; G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 27.05.2014. 1501 Siehe F. HOFFMANN, pWien D6920–22, S. 174–176. 1502 Siehe SCHÄFER, Isis Regengöttin?; D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 67–69; MÜNSTER, Isis, S. 200; GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 303–304; ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 147–149; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 361; kritisch dazu DERCHAIN, Rez. zu: Münster, Isis, der behauptet, kein ägyptischer Text würde Isis eindeutig als Regengöttin darstellen; gefolgt von BRICAULT, Dame de flots, S. 40, Anm. 18 (siehe dagegen aber die hier diskutierten Belege!). Die Verweise von QUACK, loc. cit.; F. HOFFMANN, pWien D6920–22, S. 174, Anm. 58; und BRICAULT, Dame de flots, S. 40, Anm. 18, auf L. V. ŽABKAR, Six Hymns to Isis in the Sanctuary of Her Temple at Philae and Their Theological Significance, Part 1, in: JEA 69, 1983, S. 115–137: 130, m. Anm. 100 und 103, bzw. ŽABKAR, Hymns to Isis, S. 42–43 (= Philae-Hymne 3), erübrigen sich, da die entsprechende Stelle von ŽABKAR mißverstanden wurde; siehe oben, Kap. 4.1.1.A, PhilaeHymne 3. 1503 Mathematischer pRhind, 87; T. E. PEET, The Rhind Mathematical Papyrus, Liverpool – London 1923, S. 129; Taf. Y; vgl. zur Stelle auch J. F. QUACK, Gibt es in Ägypten schriftliche Quellen zum Thera-Ausbruch?, in: H. Meller et al. (Hrsg.), 1600 – Kultureller Umbruch im Schatten des TheraAusbruchs? 4. Mitteldeutscher Archäologentag vom 14. bis 16. Oktober 2011 in Halle (Saale), Tagungen des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle 9, Halle 2013, 221–233: 225–226, mit einer Interpretation als Aufzeichnungen historischer meteorologischer Ereignisse unter Ahmose, während des Feldzuges gegen die Hyksos – womit eine spezifische Verbindung der Isis zum Regen in diesem Text nicht mehr gegeben wäre, da es sich nur um ein einmaliges Ereignis am 4. Epagomenen eines Jahres handeln würde. 1504 So die Kritik von DERCHAIN, Rez. zu: Münster, Isis, S. 22. Die negative Konnotation entspricht natürlich den allgemein als gefährlich angesehenen Epagomenen-Tagen. 1505 Dieser Beleg wird auch von D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 68, sowie POSENER, „Pluie miraculeuse“, S. 163, aufgeführt, von DERCHAIN, Rez. zu: Münster, Isis, S. 23, aber kritisiert, da die ganze Göttergruppe, nicht allein Isis, Verursacher ist. 1506 Metternichstele, Z. 55–56. In älteren Zaubersprüchen, die offenbar auf dieselbe Tradition zurückgehen, löscht Isis den Brand etwas vulgärer, indem sie ihr Wasser darauf läßt bzw. darauf spuckt, vgl. die Sammlung der Belege mit Variationen bei H. SCHÄFER, Ein Spruch gegen Brandwunden aus dem Papyrus Ebers, in: ZÄS 36, 1898, S. 129–131. Siehe zur Metternichstele unten, Kap. 6.5.1.1. Auch ein Spruch (gegen Krokodile) des mag. pHarris wurde von SCHÄFER, Isis Regengöttin?, herangezogen, um die Funktion von Isis als „Regengöttin“ zu untermauern, gibt dies aber wohl tat-

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Kulttopographische und mythologische Texte

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in der demotischen Horus-und-Seth-Geschichte des Wiener Papyrus zu vergleichen. In medizinischen Rezepten werden Fieber- und Entzündungssymptome üblicherweise als Feuer ausgedeutet, das gelöscht werden muß, was wahrscheinlich auch auf den Spruch der Metternichstele zutrifft, denn das Feuer wird erwähnt, nachdem der Sohn einer Dame von einem der Isis begleitenden Skorpione gestochen wurde. Auch im Fall von (evtl.) tatsächlichen Verbrennungen ist Isis häufig die zuständige „Brandlöscherin“ für den mit dem Horuskind identifizierten Patienten, wobei sie teils ihre eigenen körperlichen Ausflüsse (Urin und Spucke gleichgesetzt mit der Nilüberschwemmung) verwendet.1507 Von Regen ist jedoch ausdrücklich sonst nicht die Rede. Tatsächlich können, wie DERCHAIN zu Recht einwendet,1508 in Ägypten natürlich verschiedene Gottheiten über den Regen und weitere Naturgewalten verfügen, was jedoch auch für zahlreiche andere göttliche Eigenschaften gilt. In pOxy. 1380 wird Isis mit „Regen, Quellen, Tau und Schnee“ verbunden,1509 wenngleich das griechische Wort ὄμβρος  („Regen“) in Ägypten wohl auch die Nilflut bezeichnen kann.1510 Ende des Exkurses Speziell die Geburt und Kindheit des Horus in Chemmis und die Abwehr der dort auf den jungen Knaben lauernden Gefahren dienen, noch häufiger als Elemente des Osirismythos, als Hintergrund für zahlreiche Texte aus dem Bereich der Medizin und Magie, bzw. sind in Form einer Historiola in mythisch-erzählerischer Ausformung in diese eingebettet. 1511 Aufgrund dieser Instrumentalisierung werden sie jedoch, soweit relevant, in Kap. 6.5 im Rahmen der „magischen Rolle“ der Isis besprochen.

1507

1508 1509

1510 1511

sächlich nicht her: „Isis ist ermattet auf dem Wasser, Isis erhebt sich auf dem Wasser, und ihre Tränen fallen in das Wasser. Siehe, Horus vergewaltigt seine Mutter Isis, und ihre Tränen fallen in das Wasser.“ (7, 10–11), siehe LEITZ, Magical and Medical Papyri, S. 42; PH. DERCHAIN, Les pleurs d’Isis et la crue du Nil, in: CdÉ 45, 1970, S. 282–284: 283. Z. B. pBM 10059, 10, 14–11, 2 (= pEbers, 69, 3–5): (Isis:) „Wasser ist in meinem Mund, Nilüberschwemmung ist zwischen meinen Schenkeln.“, siehe LEITZ, Magical and Medical Papyri, S. 73. Vgl. zu diesem und ähnlichen Sprüchen FARAONE, Mystodokos, S. 301–303; RITNER, Wives of Horus, S. 1028–1029, speziell zum Spruch der Metternichstele 1037–1038. DERCHAIN, Rez. zu: Münster, Isis, S. 23. Z. 226–230: „durch welche das Ganze u[nd da]s Eine rechtzeitig ist mittels jeden Regens und jeder Quelle und je[de]n Taues un[d Sc]hnees und jeder Flüssigkeit(?) de[r Er]de wie des Meeres.“ Vgl. dazu auch pTebt. Tait 14, x+4: „[Sie schickt/Sie ist? o. ä.] den/r guten Nordwind, um den Tau zu erzeugen.“ Siehe oben, Kap. 6.1.3–4; vgl. zu Isis und Tau auch QUACK, The Heliopolitan Ennead. BRICAULT, Dame de flots, S. 40, Anm. 18. Auch in eine literarische Erzählung, den „Kampf um die Pfründe des Amun“ scheint in der Rede des Horuspriesters aus Buto (Kol. G, 1–25, und 1, 1–2, 1) eine Zusammenfassung der mythischen Geschehnisse eingebettet zu sein: siehe die neuere Übersetzung von F. HOFFMANN, in: HOFFMANN/ QUACK, Anthologie, S. 92–93.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Literarische Texte (Erzählungen und Weisheitstexte): Rächerin und Retterin

In der demotischen und gräko-ägyptischen Literatur,1512 womit hier in erster Linie Erzählungen und Weisheitslehren gemeint sind, spielt Isis häufig eine tragende Rolle. Dabei lassen sich zwei Hauptfunktionen der Isis erkennen, die sie besonders bei ihrem Auftreten in narrativen Texten einnimmt: 1. Isis als strafende/rächende Göttin, in Eigeninitiative 2. Isis als helfend eingreifende Göttin, nach Gebeten/Flehen Beide Aspekte hängen jedoch eng miteinander zusammen, insofern als es jeweils darum geht, daß die Göttin direkt – auf Bitten hin oder aber auch eigenständig – in das Leben der Menschen beziehungsweise konkreter einzelner Schicksale1513 eingreift und somit entscheidende Wendungen des Handlungsverlaufes bewirkt. 6.4.1

Isis als strafende/rächende Göttin, in Eigeninitiative

6.4.1.1 Isis bestraft Frevler mit Lepra: Die Bes-Geschichte (pCarlsberg 137 + 205) und die Erzählung des pCarlsberg 448 Als strafende/rächende Göttin tritt Isis z. B. in einer Erzählung des pCarlsberg 137 + 205 auf, die in den weiteren Umkreis der Inaros-Tradition gehört.1514 Darin läßt sie einen Frevler namens Bes an Lepra (syX.t) erkranken, nachdem dieser einen Rivalen (Haryothes) ermordet, dessen Geliebte (Tasis) bedrängt und sich nach ihrem Selbstmord im Grab des Geliebten, mit dem sie ihn austrickst, schließlich an ihrer Leiche vergangen hat. Daß gerade Isis es ist, die die Strafe über Bes verhängt, liegt wohl daran, daß er zuvor zusammen mit seinem Opfer Haryothes einen Freundschaftsbund unter Eid vor Isis eingegangen ist (x+2, 3–4).1515 Das Aussenden von Krankheiten wird üblicherweise Sachmet bzw. der Gefährlichen Göttin zugeschrieben, die hier wie häufig von Isis verkörpert wird. Hinzu kommt das Element der göttlichen Bestrafung eines individuellen Frevels, was besonders bei Lepra als Krankheitsursache angesehen wurde.1516 Mit dieser Krankheit ist Isis möglicherweise noch durch einen weiteren Faktor verbunden: in dem genannten Text wird die Milch, die ja in 1512 Ich übernehme hier die Bezeichnung von QUACK, Literatur; vgl. dazu auch DIELEMAN/MOYER, Egyptian Literature. 1513 Zu Isis als Herrin des Schicksals vgl. BERGMAN, „I Overcome Fate“; STERNBERG-EL-HOTABI, Isis und das Schicksal; QUAEGEBEUR, Shaï, S. 86–87; QUACK, Schicksalsvorstellungen, S. 55. 1514 Edition in Vorbereitung durch F. HOFFMANN; siehe vorläufig ID., Ägypten, S. 205; HOFFMANN/ QUACK, Anthologie, S. 55–59; QUACK, Literatur, S. 57–58; FISCHER-ELFERT, Abseits von Ma‘at, S. 83; RUTHERFORD, Greek Fiction, S. 33–34. 1515 Zum Eid vor Isis vgl. auch die Amazonenerzählung (3, 41), siehe unten, Kap. 6.4.2.1. 1516 Vgl. FISCHER-ELFERT, Abseits von Ma‘at, S. 83; T. BARDINET, Remarques sur les maladies de la peau, la lèpre, et le châtiment divin dans l’Égypte Ancienne, in: RdÉ 39, 1988, S. 3–36; S. HERRMANN, Eine medizingeschichtliche Anmerkung zur demotischen „Geschichte des Bes“, in: GM 222, 2009, S. 19–25; J. F. QUACK, „Sage nicht: ‚Der Frevler gegen Gott lebt heute‘; auf das Ende sollst du achten!“. Gedanken der spätägyptischen Literatur zum Problem des Bösen in der Welt, in: B. Ego/U. Mittmann (Hrsg.), Evil and Death. Conceptions of the Human in Biblical, Early Jewish, Early Christian, GrecoRoman and Egyptian Literature, Berlin – New York 2015, S. 377–409: 383–384.

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Rächerin und Retterin

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besonderem Maße der Muttergöttin Isis zu eigen ist, im Zusammenhang der Krankheitsübertragung durch die Göttin genannt (der genaue Ausdruck ist unklar: Sby n irty „Rache von Milch“?), woraus sich vielleicht ableiten läßt, daß (eine bestimmte Art von) Milch als Auslöser der Erkrankung galt.1517 Des weiteren dürfte Isis mit der Erzählung selbst bereits durch das Grundmotiv assoziiert sein: der Geliebte einer treuen Frau wird durch seinen Rivalen, der ihm zuvor nahe stand, aus Eifersucht hinterrücks ermordet, woraufhin die Frau zunächst verzweifelt ist, ihrem Feind aber letztendlich eine Falle stellt und sich somit rächt. Dabei spielt die Bestattung des toten Geliebten eine wichtige Rolle. Dies erinnert stark an den Osirismythos, wenngleich der vorrangige Grund der Eifersucht hier nicht das Königtum, sondern eine Frau ist,1518 die beiden Männer nicht Brüder, sondern „nur“ Freunde sind (aber immerhin unter Eid), und die Frau ihre Rache nicht durch die Geburt und Ausbildung eines legitimen Sohnes, sondern durch Selbstmord vollzieht. M. E. ist es offensichtlich, daß hier Elemente des Mythos zu einer individuellen, dramatischen, romanhaften Erzählung weiterverarbeitet wurden. Um einen mit Lepra verfluchten Mann sowie einen weiteren(?), der kastriert wurde, geht es auch in der in der frühen Saitenzeit spielenden (ein wohl mit dem Königsnamen Necho gebildeter Personenname und ein Pharao Psammetich werden genannt) Erzählung des pCarlsberg 448.1519 Der Kastrierte wird interessanterweise als Psammetich, Sohn der tAygmj(=i)-i.ir-Is.t („Diejenige, die ich bei Isis gefunden habe“)1520 bezeichnet. An der Stelle, die den strafenden Fluch betrifft, wird die Erkrankung als „Lepra des Harsiese“ bezeichnet, 1517 Vgl. FISCHER-ELFERT, Abseits von Ma‘at, S. 84–85, mit Parallelen in anderen Kulturen. Nach Quellen des MR soll außerdem auch die baa-Kinderkrankheit durch Muttermilch übertragen worden sein, siehe dazu H. VON DEINES/H. GRAPOW, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter 6, Berlin 1959, S. 245, § 1; T. BARDINET, Le mot bââ dans les papyrus médicaux de l’Egypte pharaonique, in: D. Gourevitch (Hrsg.), Leçons d’histoire de la médecine, Paris 1995; R. A. JEAN/A.-M. LOYRETTE, La mère, l’enfant et le lait en Égypte ancienne, Paris 2010, S. 285–298. Ich danke SUSANNE TÖPFER für den freundlichen Hinweis sowie die Literaturverweise. Vgl. auch den Ausdruck „die Milch der Sachmet“, die Krankheiten bzw. Fieber übertragen kann, z. B. in der Drohformel in Dend. V, 54, 7–8: „Wer immer einen Zauber dagegen beschwört: die Milch der Sachmet sei in seinem Leib!“ 1518 Vgl. aber z. B. einige Anspielungen im ägyptischen Mythos auf einen Ehebruch der Nephthys mit Osiris, der vielleicht doch auch als Motiv für Seths Handlungen dienen kann, siehe VON LIEVEN, Seth ist im Recht, bes. S. 144–148; vgl. auch unten, Kap. 6.5.2.2. Außerdem gibt es Quellen für (Versuche) sexuelle(r) Übergriffe des Seth auf Isis (sowie andere Göttinnen), siehe Kap. 4.13.2 (Deltapapyrus) und 4.13.3 (pJumilhac). In der Bes-Geschichte könnte zudem ein sprechender Esel, welcher in einer anderen Episode Inaros (in unklarem Zusammenhang) begegnet, auf Seth verweisen. 1519 SÉRIDA, Castration Story. Der Text wurde auf der Demotischen Sommerschule vom 23.–26. August 2009 in Heidelberg von der Bearbeiterin R. SÉRIDA vorgestellt, der ich herzlich für die bereits damals zur Verfügung gestellten Informationen und Teile des Manuskripts danke. Teilweise andere Lesungen und Interpretationen, denen ich hier folge, schlägt QUACK, Literatur, S. 79–82; und ausführlicher ID., Psammetich der Eunuch, vor. Aus dem fragmentarischen Text geht nicht eindeutig hervor, ob es sich bei dem Kastrierten und dem Leprakranken um dieselbe Person handelt oder nicht. Nach der Interpretation der Erstbearbeiterin sind die beiden eher Gegenspieler in einem (persönlichen?) Konflikt. 1520 Zur Lesung des männlichen Personennamens bzw. der femininen Filiation (die von der Edition abweicht) und der möglichen Identifizierung mit einer historischen Person (Oberarzt mit gleichem Mutternamen) in einem Grab in Saqqara siehe QUACK, Literatur, S. 80; ID., Psammetich der Eunuch, S. 477. Zum weiblichen theophoren Namen P. VERNUS, Études de philologie et de linguistique (II), in: RdÉ 34, 1982–1983, S. 115–128: 126–128.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

was eventuell wieder Isis als göttliche Senderin impliziert.1521 In Frg. 12, Z. 2, heißt es außerdem (in unklarem Zusammenhang): „[...] und Isis findet für ihn Lepra“ (mtw As.t gm n=f syX.t). Des weiteren betet ein Kalasiris zu Isis, daß der Kranke nicht geheilt werden soll.1522 Dabei spielt auch eine Gruppe spezieller Isispriester, die in-ww oder Isionomoi,1523 eine Rolle, denn ihre Tränen (der Klage um Osiris?) sollen wohl der Heilung dienen,1524 was der Kalasiris aber verhindern will. Möglicherweise steckt also auch hier ein Rachemotiv dahinter. In einer noch stärker fragmentarischen Sektion wird etwas als „Werk der Isis“ (ipy.t n As.t) bezeichnet.1525 Die Einbindung der Isionomoi sowie weitere Erwähnungen von Isis und Osiris (und Harsiese) sowie deren Kultorte Chemmis, Busiris und Abydos deuten auch hier auf eine Verortung der Erzählung im Bereich des Osiriskultes hin bzw. lassen darauf schließen, daß eventuell wieder Motive des Osirismythos verarbeitet worden sind (z. B. der Verlust von Osiris’ Penis?). Als strafende Rachegöttin wird Isis z. B. auch in Drohformeln in an sie gerichteten Graffiti angerufen: – Ph. 244: …möge er gehen zur Vernichtung der Isis! – Syene 203: …dessen Lebenszeit wird Isis, die Große, die Oberste des Heeres, deswegen verkürzen… (siehe Kap. 6.2.3). Solche Drohformeln können sich allerdings auf verschiedene Gottheiten berufen und in den zitierten Fällen ist die Nennung von Isis logisch, da es sich um Proskynemata für sie in ihren eigenen Tempeln handelt. Zu bedenken ist aber die Aussage im Isislob von pCarlsberg 652 vs., daß Isis das Unheil aller Götter beseitigen kann, andererseits jedoch kein Gott das von ihr selbst verhängte aufheben kann.1526 Die Zuordnung des Konzepts der ‚Vergeltung‘ zu Isis wird in der griechisch-römischen Zeit außerdem in ihrer Assoziation mit der griechischen Personifikation Nemesis oder dem ägyptischen Pendant ‚Petbe‘ deutlich. Nemesis und Petbe können in Gestalt eines Greifen (oft mit gräzisierter Ikonographie, d. h. weiblichen Zügen) visualisiert sein, der wiederum Isis, neben anderen Gottheiten, begleitet.1527 1521 Frg. 8, x+7; siehe SÉRIDA, Castration Story, S. 19–20 u. 59. Harsiese ist hier vielleicht nicht der göttliche Sender, sondern das mythologische Vorbild für den Kranken, vgl. oben zur Übertragung von Lepra durch Muttermilch. 1522 SÉRIDA, Castration Story, S. 57, geht davon aus, daß der Kalasiris mit dem Kastrierten identisch sein könnte, der Leprakranke hingegen eine andere Person ist, vgl. Anm. 1519. 1523 Frg. 3; SÉRIDA, Castration Story, S. 12–14 u. 56–57. Zu diesen Priestern, die evtl. mit der rituellen Klage um Osiris oder den Verstorbenen betraut waren (ww < wy „fern sein“; in-ww „der/die den Fernen (zurück-?)gebracht hat“), siehe DEPAUW, The Isionomos. Vgl. auch die Osirisform Wsjr ww, belegt z. B. in pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 (x+5, 21ff.). 1524 Zur Heilung durch Tränen vgl. magisch-medizinische Texte, in denen Isis’ Körperflüssigkeiten zu demselben Zweck verwendet werden, s. o., Kap. 6.3.2. 1525 Frg. 11, Z. 3; SÉRIDA, Castration Story, S. 23–24. Der Anfang der Zeile ist verloren, am Ende der vorherigen Zeile ist jedoch von den „männlichen Gliedern“ ([a.]wt n Hwt) die Rede – eventuell geht es wieder um die Kastration (oder ihre Heilung?). Als „Werk der Isis“ wird in anderen demotischen Texten das (meist helfende) Eingreifen der Göttin bezeichnet: Graffito Ph. 416 (Kap. 6.2.2.2); Amazonengeschichte (pWien D. 6165A, 2, x+18, 6.5.1.2); oHor 3 vs., 6 (6.5.1.2). 1526 pCarlsberg 652 vs., Frg. 1, x+1, 13 und PSI Inv. D 79, Frg. 1, x+1, x+10. Siehe oben, Kap. 6.1.4. 1527 Siehe dazu J. QUAEGEBEUR, De l’origine égyptienne du griffon Némésis, in: F. Jouan (Hrsg.), Visages du destin dans les mythologies. Mélanges Jacqueline Duchemin, Actes du colloque de Chan-

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6.4.1.2 Die Rache der Isis? pSaqqâra 2 rt. Schwierig ist die Deutung der von den Herausgebern irreführend mit „Die Rache der Isis“ betitelten Geschichte des pSaqqâra 2 rt. aus dem 4. Jh. v. Chr.,1528 in der Isis eine zentrale, wenn auch aufgrund der schlechten Erhaltung nicht klar zu definierende Rolle – eventuell wieder als strafende Rachegottheit – spielt.1529 Zu Beginn des erhaltenen Teils scheint die Ausgangssituation ein Gebet oder Ritual zu sein, das eine Frau in einem eigens hergerichteten Sanktuar vor einem männlichen Gott(?) ausführt, um einen bösen Dämon(?)1530 zu vertreiben (6, 1–8). Auch ein Falke wird angesprochen, und dann wendet sich die Frau wohl Isis zu und erschreckt sich, da diese allein bei einem toten oder sterbenden Mann1531 (um den es wohl zuvor ging) zurück bleibt (6, 9). SMITH und TAIT ergänzen die Fehlstelle am Ende dieses problematischen Satzes dahingehend, daß die Göttin dabei ist, den Mann zu töten, um die Passage in ihre Gesamtinterpretation der Rolle der Isis als zentrale rächende Macht innerhalb der Handlung einzufügen;1532 dies ist jedoch keineswegs sicher. Die Frau betet anschließend weinend in der Kapelle zu „der Dame/Herrin (tA rpy(.t)) Isis“, über die noch die zusätzliche Aussage getroffen wird, daß sie sie gebären lassen wird (6, 10).1533 Die Anrufung beginnt mit den Worten „Erhebe dich und höre [mir] zu, Herrin der Beiden Länder“ (aHa &sDm\ [n=i] tA nb.t &tA.wj\, 6, 10–11) und wird gefolgt von einer Aufzählung der ordnungsgemäßen kultischen Handlungen und Vorbereitungen der Betenden, um ihrem Appell mehr Gewicht zu verleihen. Anlaß für die Titelgebung („Rache der Isis“) gab den Herausgebern eine sehr fragwürdige Stelle,1534 die entweder noch zu der Anrufung gehört oder bereits die Antwort der Göttin darstellt: Es ist die Rede davon, daß jemand (die Sprecherin? der sterbende/tote Mann?) Rache an oder für einen Geringen genommen hat (iw=i r TAj n=f qba), darauf folgt ein problematischer Göttername, der von den Herausgebern als „Isis“ gelesen wurde, wahrscheinlicher aber „Osiris“ ist,1535 und die

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tilly, 1–2 mai 1980, Paris 1983, S. 41–54: 45–48; S. GERKE, Der altägyptische Greif, SAK Beiheft 15, Hamburg 2014, S. 9, m. Abb. 3; 110–111; B. LICHOCKA, Némésis en Égypte romaine, AegTrev 5, Mainz 2004, S. 9–11 zu Isis und Nemesis, für die sie jedoch nur wenige Belege anführt. Vgl. zu Isis und Nemesis auch unten, Kap. 6.5.2.2. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 70–109; QUACK, Literatur, S. 98–100. So nach SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 104–105. Zur Diskussion siehe unten. HmAr – von den Herausgebern als „Todesvogel“ übersetzt, SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 94, Anm. ε; H. S. SMITH, Some Coptic Etymologies, in: JEA 61, 1975, S. 197–200: 198–200. Zu einer neuen Deutung dieses Wortes als „Sonstiger“ (= sonstiges schädigendes Wesen), entstanden aus Hmw.t-rA „usw.“, vgl. J. F. QUACK, Dämonen und andere höhere Wesen in der Magie als Feinde und Helfer, in: A. Jördens (Hrsg.), Ägyptische Magie und ihre Umwelt, Philippika 80, Wiesbaden 2015, 101–118. pA mwt.v: SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 77, Anm. ax, interpretieren dies als „Sterbenden“, G. VITTMANN, in TLA (Stand: 11.04.2012), sowie QUACK, Literatur, S. 98, überzeugender als „Verstorbenen“. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 95, Anm. η; vgl. ihre Interpretation der Rolle der Isis S. 104–105. Vgl. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 77, Anm. bd, die den Relativsatz allerdings in die Vergangenheit setzen (wörtlich „die sie veranlaßte zu gehen, um Geburt zu geben“). ntj-iw=s (r) dj.t Sm=s r dj.t ms ist jedoch Futur III. Zusammen mit der ebenso fragwürdigen Stelle in 6, 17, siehe unten. Zur verbesserten Lesung des Götternamens hier und in 6, 17, gegenüber der Lesung „Isis“ durch die Herausgeber (SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 79, Anm. bt, und 82, Anm. cv.) vgl. M. SMITH, Rez. zu: Smith/Tait, Saqqâra Papyri I, in: BiOr 45, 1988, Sp. 306–309; QUACK, Literatur, S. 98. G.

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Aufforderung, „ihn“ (Osiris? den sterbenden/toten Mann?) nicht zu beschämen(?) (m-ir Slf=f) (6, 12). Selbst der Anschluß des Götternamens ist unklar: handelt es sich um einen Vokativ, der zu der folgenden Aufforderung gehört, oder um einen Genitiv im Sinne „die Rache des Osiris/der Isis“? SMITH und TAIT interpretieren die Stelle als Aufforderung an Isis, den sterbenden Mann trotz seines Frevels (nämlich der Rache an einem Geringen) zu verschonen (6, 12).1536 QUACK dagegen sieht dies bereits als Antwort der Göttin, die die vorige Sprecherin ermahnt, Osiris (als vorgezogenes Objekt1537 genannt) nicht gering zu achten.1538 Aus dem Erhaltenen läßt sich nicht mehr feststellen, wer hier tatsächlich zu wem spricht. Wenig später spricht jemand Isis als Mutter an (oder spricht über sie als Mutter?) und behauptet von sich selbst, daß er sterben werde, da er sich vor ihr (Isis?) befände (6, 15), weshalb der Sprecher vielleicht mit dem zuvor genannten jungen, sterbenden(?) Mann identisch sein könnte. Die Anrede „meine Mutter Isis“ veranlaßte SMITHs und TAITs Deutung dieses Charakters als Horus(form),1539 für die es m. E. jedoch keine klaren Anhaltspunkte gibt. Möglicherweise ist auch noch der Vorwurf, daß „ihre“ (im Text 2. Pers. sing. fem.) Ratschläge keine Weisheit in sich getragen hätten und ihre Prophezeiungen nicht eingetroffen seien (6, 15), an Isis gerichtet. Dies ist jedoch unklar, da neben Pronomen der 2. Pers. sing. fem. auch noch solche der 3. Pers. sing. fem. verwendet werden („Ich werde sie diese Vorwürfe wissen lassen“), die sich ebenfalls auf Isis beziehen könnten, so daß die in der 2. Pers. angesprochene Frau vielleicht statt dessen mit der vorigen Sprecherin identisch wäre.1540 In diesem Fall würde der Sterbende der Frau androhen, sich (nach seinem Tode?) gerade über deren fehlgeleitete Ratschläge und Prophezeiungen bei der Göttin zu beklagen. Dies würde vielleicht zu einer wenig später folgenden Anrede an eine weibliche Person passen, in der es heißt: Die göttliche Macht (Fluch oder Segen: xyv)1541 des Osiris1542 liegt auf dir! Du hast Isis in ihrem Fleisch (= Isis selbst) zu mir gebracht! (6, 17) Anschließend philosophiert der Sprecher wieder über den nahenden(?) Tod,1543 der jedoch der Weg von jedermann sei. Ein Problem bildet die Interpretation der beiden diese Aussa-

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VITTMANN folgt in seiner Übersetzung in TLA (Stand: 11.04.2012) den Herausgebern und übersetzt mit „Isis“. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 95–96, Anm. λ, und S. 102–104, die den Sterbenden zudem eventuell als Horus identifizieren wollen. Der Übersetzung folgt auch G. VITTMANN, in TLA (Stand: 11.04.2012). Subjekt oder Objekt werden in dem Text tatsächlich mehrfach vorangestellt und in der Verbalform dann mit Suffixpronomina wieder aufgegriffen, z. B. in 6, 21: imnv dj=i s n HAtj[…] „Der Westen, ich habe ihn in das Herz von […] gesetzt […]“. QUACK, Literatur, S. 98. Vgl. Anm. 1536. Siehe zur Problematik SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 97, Anm. ξ. Vgl. dazu oben, Kap. 6.2.2.1 mit Anm. 800. Siehe Anm. 1535 oben. Auch dies ist aufgrund einer Lücke unsicher, wörtlich: „[…] Der Tod, wenn er uns trifft, ist der Weg von jedermann“. Es ist fraglich, ob mit „uns“ hier ganz allgemein gesprochen wird, oder ob nach QUACK, Literatur, S. 99, der Tod speziell den beiden Protagonisten – dem Sprecher (= sterbender Mann?) und der Frau – bald zustoßen wird.

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gen rahmenden Sätze, in denen jeweils ein „Abbild der Isis“ (sSm n As.t) relevant ist. Unmittelbar vor den Worten „Die göttliche Macht…“ steht aHa tA ntj n sSm n As.t (6, 16), was SMITH und TAIT bereits als Einleitung der Rede des Sterbenden imperativisch mit „Steh auf, die du bei(?) dem Bildnis (= Statue) der Isis bist“ übersetzen,1544 wohingegen QUACK den von SMITH und TAIT verworfenen Alternativen folgt und dies als narratives sDm=f so interpretiert, daß die Frau sich in Gestalt der Isis erhebt.1545 Eine ähnliche Schwierigkeit ergibt sich bei der auf die Rede folgende Fortführung der Erzählung mit xAa=s pA sSm As.t […] (6, 17): entweder verläßt sie (= die Frau) die Statue der Isis oder legt sie weg, geht dann aus der Kapelle heraus (?) und betet (6, 18), oder sie stellt die Statue außerhalb der Kapelle ab und betet, oder aber sie legt die Gestalt bzw. Verkleidung als Isis ab.1546 Je nach Auslegung dieser Sätze läßt sich daraus entweder folgern, daß der Frevel der Frau (der den Fluch(?) nach sich zieht) eben gerade darin besteht, daß sie als Isis auftritt, oder aber, daß in der Szene eine Götterbefragung mit Hilfe der Statue durchgeführt wird.1547 Zuvor in 6, 13 wird bereits von der „Sättigung“ (sj) einer Statue oder eines Abbildes gesprochen, wobei dort der Begriff twtw, und nicht sSm, verwendet wird. Da dieser Passus nach einer Lücke auf die weiter oben zitierte problematische Stelle (6, 12) folgt, die von der Rache an einem (bzw. für einen) Geringen und dem Beschämen einer männlichen Person handelt, scheint es mir, daß Abbilder von Göttern (und hier ist die genaue Interpretation entscheidend) für den Verlauf der Handlung eine zentrale Rolle spielen. Dies wird weiter bestätigt durch eine auf den Abschnitt der Anklagen des/der Sterbenden(?) (6, 15, siehe oben) folgenden Passage, in der von etwas die Rede ist, das „die fünf Götter“ zu einer weiblichen Person (Isis? die Frau?) gesagt haben, das aber nicht funktioniert hat, woraufhin diese Person die fünf Götter herausfinden ließ, was mit dem „Herrn des Abbildes“ (pA nb sSm) geschah (6, 16). Auch dessen Identität sowie sein Schicksal bleiben aufgrund der Lücken jedoch im Dunkeln.1548 Die fünf Götter lassen sich vielleicht mit den Göttern des Osiriskreises Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephthys verbinden, da Osiris mehrfach als „Ältester bzw. Erster oder Großer der fünf (Götter)“ bezeichnet wird.1549 Diese Identifikation würde im Text wiederum nur dann Sinn machen, wenn die weibliche Person nicht auch Isis ist. Nachdem die Frau die Statue oder die Erscheinungsform der Isis abgelegt hat (6, 17–18, s. o.), ereignet sich eine Wendung innerhalb der Geschichte: die beiden Protagonisten(?) (die Suffixe wechseln plötzlich von 3. Pers. fem. sing. zu 3. Pers. Pl.) 1550 sehen einen 1544 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 91, vgl. S. 82, Anm. ct und cy, und S. 97, Anm. π. Deren Übersetzung der demotischen Präposition n (< m) mit engl. „at“ „an, bei“ ist allerdings problematisch. M. E. kann eigentlich nur „in“ oder m/n der Identifikation gemeint sein. 1545 QUACK, Literatur, S. 99. Eine Kombination aus beiden Varianten bietet G. VITTMANN, in TLA (Stand: 11.04.2012), der wie SMITH und TAIT einen Imperativ annimmt, aber wie QUACK n wie altes m auffaßt: „Steh auf, (du), die das Bild der Isis ist“ bzw. „…die in der Gestalt der Isis ist“. 1546 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 91, vgl. S. 82, Anm. cy–cz, und S. 97, Anm. ρ. QUACK, Literatur, S. 99, deutet inkonsequenterweise an dieser Stelle das „Abbild“ nun doch wie SMITH und TAIT als Statue der Isis. 1547 Vgl. QUACK, Literatur, S. 99. 1548 Vgl. die Diskussion bei SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 81, Anm. cp–cs; 97, Anm. ο; und 102–103. 1549 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 81, Anm. cp; vgl. auch H. DE MEULENAERE, La statue d’un vizir thébain, in: JEA 68, 1982, S. 139–144: 142–144; LGG II, 450b–c; VI, 356b; VII, 390b–c. 1550 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 82–83, Anm. db, vermuten, daß entweder die ein Stück zuvor genannten fünf Götter oder aber unbeteiligte Zuschauer („onlookers or bystanders“), deren Identität

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großen geflügelten Skarabäus vom Himmel zu ihnen herabfliegen (6, 18). Kurz darauf erblicken sie aber Imhotep 1551 und werfen sich vor ihm auf den Boden (6, 19–20). Dann spricht eine, die als „die Kranke“ bezeichnet wird (= die Frau von vorher?), ihn an und stellt zwei Fragen, von denen die erste sehr schlecht erhalten und unverständlich ist („Hat […] ??? ihn/mich(?) ergriffen?“),1552 die zweite aber deutlich auf die vorigen Ereignisse in Verbindung mit Isis Bezug nimmt: Hast du deine Hand ausgestreckt gegen Isis, die diese Worte vollendet, die wegen der Ermordung von einem meiner(?) &Art\ (= meiner Ermordung?) gesprochen wurden?1553 (6, 20–21) Dies läßt darauf schließen, daß Imhotep bereits zuvor darum gebeten worden war, gegen die Absichten oder Handlungen der Isis einzuschreiten. Offenbar hatte er dabei jedoch wenig Erfolg, da als Zusatz einer weiteren Frage (deren Inhalt nicht erhalten ist) gesagt wird, daß er nicht siegreich gegen Isis war, die stärker als jeder starke Gott gewesen sei (6, 22).1554 An dieser Stelle wird die Übermacht von Isis und ihrer Familie gegenüber anderen Gottheiten mehr als deutlich.1555 Die Frau(?) erwähnt außerdem, daß ihre „Habe einer anderen meiner Art zugefallen ist“ (6, 21). Weiterhin geht es in der Bitte um etwas (verloren), das „der Gott“ (pA nTr) einem Sterbenden geschehen läßt, um dessen Herz zu erleichtern (6, 23). „Der Gott“ ist nach SMITH und TAIT möglicherweise aufgrund des Todes-Kontextes mit Osiris zu identifizieren.1556 Die Sprecherin bittet abschließend für jemanden (sich selbst, den sterbenden Mann

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absichtlich offen gelassen wird, gemeint sein könnten. Zur Identifikation mit den beiden vorigen Sprechern vgl. QUACK, Literatur, S. 99. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 105, gehen trotz des lückenhaften Textes zwischen beiden Aussagen davon aus, daß der Sonnenkäfer sich in die menschliche Gestalt des Imhotep verwandelt und somit mit diesem identisch ist. Dies kann durchaus bezweifelt werden. Zu den möglichen Alternativen des Inhaltes vgl. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 84, Anm. dr. in dj=k Dr.v=k r As.t ntj mnq nAy mdw n Dd r-DbA Xdb xpr n pAy=(i) smt. Die Deutung dieses Satzes ist m. E. aufgrund der umständlichen Formulierung sehr problematisch. Nach CDD, m, S. 119–120, bedeutet die Verbindung mnq mdw soviel wie „beraten, erwägen“. Heißt dies, daß Isis zur Ermordung desjenigen geraten hat oder daß sie sie bereits ausgeführt hat? Da ausgesagt wird, daß Isis die Worte vollendet, die wegen der Ermordung gesprochen worden sind, könnte auch eine Reaktion auf einen bereits (durch andere Urheber) geschehenen Mord gemeint sein. Vgl. QUACK, Literatur, S. 99. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 73 u. 92, lesen i:irj naS @r r nTr nb &qn\, doch ist ‚@r‘ tatsächlich nur Determinativ zu naS und kann auch aufgrund der Wortstellung hier nicht „Horus“ sein (freundlicher Hinweis von J. F. QUACK). Vgl. zur Charakterisierung der Isis z. B. Philae-Hymne 5 (und Parallelen): hAj.t nxt.w qn(.t) r qn.w pH.tj(.t) r pH.tj.w „die die Starken angreift, mutiger als die Mutigen, kräftiger als die Kräftigen“, siehe Kap. 4.1.1.A. Die Phrase r nTr nb qn kommt innerhalb der Erzählung bereits in 6, 7 in zerstörtem Zusammenhang vor; möglicherweise wird dort die direkte Vorgeschichte zu den Fragen an Imhotep erzählt, eventuell die Gebete der Frau in der eigens hergerichteten Kapelle, daß er sich gegen Isis stellen und den Sterbenden/Toten retten möge? Vgl. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 105. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 103–104, interpretieren die Stelle dagegen so, daß Horus unterstützend auf der Seite der Protagonisten steht (also Gegner der Isis wäre), und vielleicht sogar entweder mit dem Verstorbenen/Sterbenden oder aber sogar mit Imhotep identisch ist. Auf S. 108 erwägen sie zudem die Möglichkeit, daß Horus auf der Seite der Isis steht und eben einfach unbesiegbar ist – vgl. aber zu dem angeblichen ‚Horus‘ die vorige Anm. 1554. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 99, Anm. αβ, und S. 105.

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von vorher, oder das folgend erwähnte Mädchen?)1557 darum, daß er/sie alt werde, für eine (identische?) männliche Person, daß er nicht im Unglück verweile, und für ein Mädchen oder eine Dienerin um „den Weg des Lebens“ (6, 23–24).1558 Diese ergreift dann selbst das Wort und spricht mit „dem Gott“ (Imhotep? Osiris?), 1559 indem sie ihn wegen seines Verhaltens gegenüber seiner Dienerin (sie selbst? die kranke Frau?)1560 anklagt; auch von einem kleinen Mädchen, das ihr nicht gebracht worden ist, ist die Rede (6, 26). Des weiteren wünscht sie, daß „sie“ (?) veranlassen möge, daß für „ihn“ (den sterbenden/toten Mann?) ein Sokarfest veranstaltet würde mit Klageliedern eines Mädchens in der Rolle der Isis (nA Hs.w n tA Xr.t ntj n As.t, 6, 27).1561 Der Gott hält ihr aber entgegen, daß „sie“ (?) zu bestimmten Lästerungen, die jemand gegenüber der Herrin der Sprecherin (tAy=T rp&y\(.t) […]) ausgesprochen habe, geschwiegen habe oder selbst von ihren Lästerungen abgelassen habe, und warnt das Mädchen, die Lästerung nicht zu wiederholen (6, 27–28). SMITH und TAIT ergänzen nach rp&y\(.t) „Isis“, da diese Verbindung direkt anschließend in Z. 28 erhalten ist, wo nochmals die Lästerungen gegen sie betont werden, und daß dies nun deren Wiederholung sei.1562 Auch in Z. 10 wurde Isis bereits als tA rpy(.t) angesprochen (s. o.).1563 Dies würde die unsicheren Vermutungen oben bestätigen, daß die Protagonistin vom Anfang einen Frevel an der Göttin begangen hat, was offenbar zur Verweigerung der Sokarriten für einen Verstorbenen seitens Isis (und/oder Osiris?) führt, die auch Imhotep 1557 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 86, Anm. eg, ergänzen masculines Suffixpronomen. 1558 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 101, interpretieren den Ausdruck als „Lebensunterhalt“, den die Frau ihrer Tochter (?) wegen ihres nahenden Todes als Erbe vermacht, da kurz zuvor gesagt wird, daß ihr Besitz an eine andere ihrer Art übergegangen ist (6, 21). Vgl. zu dieser Stelle VITTMANN, Wegmetaphorik, S. 44, § 4.13, der der Interpretation der Herausgeber zustimmt. 1559 Vgl. die Diskussion bei SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 105. Wahrscheinlich ist hier wieder Imhotep gemeint, da die kranke Frau zuvor ebenfalls mit diesem sprach. 1560 Vgl. SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 99, Anm. αη. Nach Abschluß der Rede der Frau heißt es, daß er (der Gott?) zu Boden blickt (6, 25) – eine Geste der Verlegenheit oder Hilflosigkeit? Ob sich der Vorwurf des Mädchens („Was soll dieses Gesicht, in dem du bist (= diese Haltung, die du einnimmst) wegen deiner Dienerin…“ auf dieses Verhalten bezieht? 1561 Siehe zu dieser Praxis KUCHAREK, Klagelieder, S. 566–580; EAD., Frauen im Tempel. Zur Frage der Ritualakteure in den „Klageliedern von Isis und Nephthys“, in: Quack (Hrsg.), Ägyptische Rituale, S. 185–199. Man vergleiche besonders den im griechischen Papyrusarchiv aus dem Sarapeion von Memphis dokumentierten Fall der jungen Zwillinge Thaues und Taus, die als Klagefrauen für den Apis-Stier agierten, UPZ I, S. 46–47 und 177–295; siehe oben, Kap. 6.2.1.2. Zur Darstellung von Göttern durch Menschen in kultischen Dramen vgl. auch GAUDARD, Demotic Drama, S. 66–124. Aufgrund der ähnlichen Formulierung ntj n As.t stellt sich die Frage, ob eventuell eine Verbindung zu dem umstrittenen ntj n sSm n As.t von 6, 16, (s. o.) herzustellen ist, vgl. auch SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 87, Anm. ey, und 99–100, Anm. αι. G. VITTMANN, in TLA (Stand: 11.04.2012), erwägt eine alternative Interpretation als „die Gesänge eines Mädchens, die (= Gesänge) für Isis bestimmt sind“. 1562 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 87, Anm. ez. 1563 Vgl. zu diesem Titel auch LGG IV, 662c–663b. Interessanterweise spielt gerade Repit innerhalb der Klagen des Milanweibchens in den Stundenwachen eine wichtige Rolle (1. NS, 1. TS, 3. TS, 12. TS), vgl. W. KAISER, Zu den der älteren Bilddarstellungen und der Bedeutung von rpw.t, in: MDAIK 39, 1983, S. 261–296: 281 („…wie eine den Dr.tj vergleichbare Ritualfigur wirkt die Reput der Stundenwachen des Osiris…“) und 284–286; PRIES, Stundenwachen, S. 145–146. Besonders interessant daran ist, daß Repit auch durch einen Possessivausdruck an Osiris gebunden wird (Rpj.t=k „deine Repit“ (1. NS und 12. TS)), entsprechend dem tAy=T rp&y\(.t) im obigen Text. Zu den Klagefrauen oder Dr.tj vgl. oben Anm. 1561.

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nicht aufheben kann: er ist, wie zuvor festgestellt wurde, machtlos gegenüber den dominierenden Gottheiten des Osiriskreises, die dieses Schicksal verhängt haben. Dennoch insistiert die Bittstellerin auf der Durchführung des Sokarfestes und fragt außerdem, ob es für sie nicht möglich sei, nach einer männlichen Person (dem Verstorbenen/Toten?) zu suchen, und zwar „nach/hinter(?) ihrer Mutter“ oder „ohne ihre Mutter“ (m-sA tAy(=y) mw.t, 6, 28–29). Die Editoren gehen aufgrund dieser Stelle davon aus, daß es sich bei der anderen weiblichen Protagonistin um die Mutter des Mädchens handelt, die bereits durch Isis’ Handlungen (das unsichere „Vollenden der Worte“)1564 verstorben ist oder es zumindest bald sein wird.1565 Interessant ist noch, daß Imhotep auf die Nachforschungen des Mädchens, wo er gewesen sei, antwortet, daß er im Westen(?)1566 war und Osiris wegen Isis ausgefragt habe, „die dort war“ (6, 30). Möglicherweise bezieht sich der Gott hier wieder auf den an ihn gestellten Anspruch, daß er sich den Plänen von (Osiris und) Isis entgegenstellen sollte. Anschließend sind nur noch wenige Satzbruchstücke erhalten, in denen nochmals der „Todesvogel/Dämon“1567 (6, 30), ein „sSm-Abbild“ (6, 31) und ein „twtw-Abbild des Balsamierungshauses“ (twtw pr-nfr; 7, 5) erwähnt werden,1568 außerdem „der große Zorn der Sachmet“ (xary qy %xm.t; 6, 31). Eventuell besteht Hoffnung auf eine Klärung zumindest einiger Punkte der schwer zu rekonstruierenden Handlung1569 durch fünf Papyrusfragmente, die eine Erzählung über eine Göttin, einen Geist und ein Mädchen enthalten und damit eventuell Teil der gleichen Geschichte bilden.1570 Allerdings ist auch dort kaum ein vollständiger Satz erhalten; dem Bearbeiter J. DIELEMAN zufolge spricht ein Geist mit einer Göttin (= Isis?), wobei Sachmet,1571 Nut (oder Neith) und vielleicht Hathor erwähnt werden. Der Geist berichtet, daß er ermordet wurde, und die Göttin scheint ihm den Grund zu nennen (der allerdings nicht erhalten ist). Dann wird ein Mädchen erwähnt, sowie der „Todesvogel/Dämon“ (Hmr). Osiris kommt im Zusammenhang mit einem Gericht vor. Auch Imhotep tritt auf und schwört einen Eid beim Sonnengott. Aufgrund der Übereinstimmungen der dramatis personae (Geist = Toter?; Göttin = Isis?; Mädchen; Todesvogel; Osiris; Imhotep) ist die Zugehörigkeit zu der Geschichte von pSaqqâra 2 mehr als wahrscheinlich. Denkbar wäre zum Beispiel, daß es sich um Teile des Anfangs handelt. Innerhalb der Handlung scheint es gewisse Parallelen zum Osirismythos zu geben, denn das Mädchen will sich auf die Suche nach einer männlichen Person begeben, die wahrscheinlich mit dem verstorbenen Mann identisch ist, für den sie auch Sokarriten durch eine 1564 Vgl. Anm. 1553. 1565 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 88, Anm. fe, und S. 101. 1566 Das Wort ist schlecht erhalten, eventuell ist auch „Osten“ zu lesen, was von SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 88, Anm. fh, präferiert wird (vgl. aber ibid., S. 100, Anm. αλ). Für den eher mit Osiris verbundenen Westen spricht sich (auch mit Fragezeichen) QUACK, Literatur, S. 99, aus. 1567 Siehe oben, Anm. 1530. 1568 Zur entscheidenden Rolle der Götterbilder innerhalb der Geschichte siehe oben. 1569 Vgl. die stark voneinander abweichenden Versuche einer Zusammenfassung und Interpretation bei SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 101–108, und QUACK, Literatur, S. 98–100. 1570 pDemarée 5; Edition in Vorbereitung durch J. DIELEMAN, dem ich ganz herzlich für die freundlichen Vorabinformationen über den Inhalt der Fragmente danke. Kurze Zusammenfassung bei QUACK, Literatur, S. 100. 1571 Vgl. die Erwähnung des „großen Zornes der Sachmet“ in 6, 31 des pSaqqâra 2.

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Rächerin und Retterin

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Isisdarstellerin(?) ausgeführt sehen möchte. Auch die ganze sich trotz aller Lücken und Unsicherheiten abzeichnende Thematik der Errettung eines sterbenden oder bereits verstorbenen Menschen sowie die zentrale Rolle von Isis (und Osiris) fügen sich in diesen Themenkreis ein. Aufgrund der genannten Lücken und Unsicherheiten ist eine Beurteilung der Rolle der Isis innerhalb der Erzählung äußerst problematisch.1572 SMITH und TAIT machen ausgerechnet die schlecht erhaltenen und unklaren Stellen zum Zentrum ihrer Deutung, die sie im Sinne einer „göttlichen Rache der Isis“ ergänzen:1573 so z. B. 6, 9, wo sie davon ausgehen, daß Isis den Mann, bei dem sie zurückbleibt, töten wird (s. o.), oder 6, 12, wo es um Rache geht, die genannte Gottheit jedoch vielleicht eher Osiris als Isis zu lesen ist. Die Unsicherheiten sind hier jedoch zu groß, um diese Passagen zur Interpretation heranzuziehen. Versucht man hingegen, nur die eindeutigen Aussagen über Isis zusammenzustellen, so ergibt sich folgendes Bild: – Isis bleibt bei einem sterbenden/toten Mann zurück, für den oder mit dem sie etwas tun wird, und die Frau, die zuvor zu einer Gottheit(?) gebetet hat, erschreckt sich. – Die Frau, die dank Isis ein Kind gebären wird, ruft sie an; der Inhalt ihrer Bitte ist jedoch unklar. – Eine Person, die sterben wird, nennt Isis, die sich offenbar vor dem/der Sterbenden befindet, „meine Mutter“ und möchte sich vielleicht bei ihr über fehlgeleitete Handlungen einer weiblichen Person beklagen; von dieser wird behauptet, daß sie Isis selbst zu der sterbenden Person gebracht habe. – Es gibt ein Bild der Isis, dessen genaue Merkmale ebenso unklar sind wie die genaue Verbindung zwischen Isis und der Frau: die Frau betet zu ihr, wendet sich eventuell an ein Bildnis, d. h. eine Statue der Isis, oder sie selbst verkörpert Isis in irgendeiner Weise. – Isis „vollendet Worte“ (= berät oder führt aus) bezüglich der Ermordung eines Menschen, eine kranke Frau fragt Imhotep, ob er sich deswegen mit Isis angelegt habe. – Isis hat Imhotep besiegt. – Ein Mädchen oder eine Dienerin wünscht, daß ein Sokarfest für eine männliche Person gefeiert wird, wobei ein Mädchen als Isis auftreten und Klage(?)gesänge anstimmen soll. – Jemand hat gegen Isis gefrevelt, und Imhotep betrachtet die Bitte um das Sokarfest offenbar als weiteren Frevel. – Imhotep hat (bevor oder nachdem Isis ihn besiegt hat?) im Westen(?) Osiris nach Isis befragt. Aus keiner Stelle geht also klar hervor, daß Isis in irgendeiner Weise eine Rachehandlung ausführt, obwohl offenbar gegen sie ein Frevel begangen wurde, dessen genauer Inhalt sowie der Urheber jedoch unbekannt sind. Die Handlung, die sie an dem sterbenden/toten Mann ausführt, ist nicht erhalten, und „die Worte vollenden, die wegen der Ermordung ei1572 Vgl. auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 361–362; und ID., Schicksalsvorstellungen, S. 55, der sich aufgrund der Probleme auf die Bemerkung beschränkt, daß Isis sich darin offenbar als Schicksalsbestimmerin in das Leben der Menschen einmischt; ähnlich STERNBERG-EL-HOTABI, Isis und das Schicksal, S. 58. 1573 SMITH/TAIT, Saqqâra Papyri I, S. 104–105.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

nes (Menschen) von meiner Art gesprochen wurden“ muß nicht heißen, daß sie den Mord begeht. Deutlich ist, daß Isis erstens mehrfach angerufen wird und dabei an keiner Stelle eindeutig beschuldigt zu werden scheint. Im Gegenteil: Jemand nennt sie „meine Mutter“, außerdem läßt sie eine Frau ein Kind bekommen. Einen Interessenkonflikt gibt es offenbar zwischen Isis und Imhotep bezüglich eines verstorbenen/ermordeten Menschen, wobei Imhotep aber unterliegt. Die neutral formulierten Fragen der kranken Frau an Imhotep lassen nicht erkennen, daß sie ihn gegen Isis unterstützt, oder umgekehrt von ihm Unterstützung gegen Isis erwartet, auch wenn sie ihn als Gottheit naturgemäß in preisender Form anspricht. Im Gegenteil scheint die folgende Ansprache des Mädchens an ihn „Was soll diese Haltung, die du einnimmst wegen deiner Dienerin…“ (6, 26) eher anklagenden Charakter zu haben. Daß Imhotep selbst Respekt vor Isis hat und sich ihr unterordnet, zeigt sich darin, daß er das Mädchen auf Lästerungen gegen die Göttin aufmerksam macht, und selbst in der Art und Weise eines Bittstellers Osiris aufsucht, um ihn nach Isis zu fragen. 6.4.1.3 Isis als oberste Göttin und Rächerin oder Retterin Ägyptens im „Traum des Nektanebos“ Ebenfalls problematisch ist die Einordnung der Rolle der Isis in der demotisch und griechisch überlieferten Erzählung vom „Traum des Nektanebos“,1574 da der Schluß der Geschichte fehlt. In Übereinstimmung mit den Bautätigkeiten der Könige der 30. Dynastie in Philae und Behbeit el-Hagar (Kap. 4.1 und 4.4) und der allgemein zunehmenden Bedeutung der Isis in dieser Zeit tritt sie am (erhaltenen) Anfang als oberste Gottheit auf,1575 bei der andere Götter um Rat fragen und Beschwerden vorbringen (Onuris). Der letzte einheimische König träumt von einem Schiff aus Papyrus, das in Memphis vor Anker liegt, und auf dem Isis, die als „ruhmreiche, wohltätige (der) Feldfrüchte 1576 und Königin der Götter“ (μεγαλόδοξον 1577 εὐεργέτειαν καρπῶν 1574 Demotisch: pCarlsberg 562 (Parallele zum griechisch erhaltenen Text) und pCarlsberg 424, 499 und 559 (Fortsetzung). Griechisch: UPZ 81. Siehe dazu unter anderem: GAUGER, Traum des Nektanebos; RYHOLT, Nectanebo’s Dream, S. 236; ID., A Demotic Version of Nectanebos’ Dream (P. Carlsberg 562), in: ZPE 122, 1998, S. 197–200; KOENEN, Dream of Nektanebos; PERRY, Egyptian Legend; HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 162–165; QUACK, Literatur, S. 82–84. Vgl. auch A. SPALINGER, The Date of the Dream of Nectanebo, in: SAK 19, 1992, S. 295–304. Die demotischen Papyri stammen aus der Kaiserzeit, der griechische Textzeuge aus der Ptolemäerzeit (2. Jh. v. Chr.), genauer aus dem Archiv der Katochoi im Sarapeion von Memphis, siehe dazu LEGRAS, Reclus grecs, S. 216–225, und oben, Kap. 6.2.1.2. 1575 Zu Nektanebos und Isis siehe auch S. AUFRERE, Quelques aspects du dernier Nectanébo et les échos de la magie égyptienne dans le Roman d’Alexandre, in: A. Moreau/J.-C. Turpin (Hrsg.), La magie I. Du monde babylonien au monde hellénistique, Montpellier 2000, S. 95–118. 1576 Zur Emendierung siehe KOENEN, Dream of Nektanebos, S. 177; vgl. zu dieser Stelle auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 344–345, der die Beziehung der Isis zu den Feldfrüchten unter anderem mit der Rolle der Isis-Schentait bei der Herstellung der Osirisfiguren aus gekeimter Gerste beim Choiakfest in Verbindung bringt. Innerhalb der Geschichte vom „Traum des Nektanebos“ erscheint mir dieses Epitheton insofern besonders auffällig, als es im Gegensatz zu den übrigen, die ihre Autorität und Gnade herausstellen, keinerlei Bezug zu der Situation aufweist. Zur Übersetzung von εὑρέτρια  mit „Schöpferin“ vgl. den Kommentar zu MM I, 3, s. o., Kap. 6.1.2.1, Anm. 49. Vgl. zu diesem Epitheton auch die Bezeichnung als καρπῶν εὑρέτρια in MM II, 3 und als καρποτόκος in IG Philae 166, Kap. 6.2.2.2.

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Rächerin und Retterin

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εὐιαν καὶ θεῶν ἄνασσαν Ἴσιν) betitelt wird,1578 inmitten aller Götter Ägyptens thront (UPZ 81, 2, 6–12). Sie erscheint somit als oberste Instanz der Götterwelt,1579 eine Rolle, die traditionell dem männlichen Allgott ((Amun-)Re/Atum) zukommt, wie es z. B. in der Horus- und Seth-Erzählung des pChester Beatty I der Fall ist. Onuris, der im griechischen Text mit Ares gleichgesetzt wird, vollzieht die Proskynese vor ihr und fleht die Götterkönigin zunächst in typisch ägyptischer Manier an: Komm zu mir, Göttin der Götter, die du die größte Macht hast, Herrin derer in der Welt, und die alle Götter rettet, Isis,1580 und sei gnädig (und) höre mich! (2, 13–19) Anschließend ereifert er sich über die unfertige Dekoration des Tempels von Sebennytos, die der Vernachlässigung durch Nektanebos, der „von dir (= Isis) in die Herrschaft eingesetzt wurde“ (3, 3–4), zuzuschreiben sei (2, 20–3, 9). Isis aber bleibt daraufhin stumm und Nektanebos erwacht voll Tatendrang aus seinem Traum (3, 10–15). Dem erhaltenen Rest zufolge verzögern sich die Arbeiten aber weiter durch die Erlebnisse des zuständigen Hieroglyphengraveurs Petiesis (PA-dj-As.t „Den Isis gegeben hat“).1581 Die Epitheta „Königin der Götter“ und „Göttin der Götter“ stellen sie deutlich als oberste Gottheit heraus und basieren sicherlich auf ägyptischen Beinamen wie z. B. HqA(.t) nTr.w nTr.wt, 1582 Hnw.t nTr.w 1583 oder nb(.t) nTr.w Hnw.t nTr.wt. 1584 Die Bezeichnung als Retterin aller Götter ist mit einer Stelle in dem ebenfalls in eine Erzählung integrierten Isislob von pTebt. Tait 14 und pCarlsberg 652 vs. vergleichbar, wo es von Isis heißt: „d[ie] Unheilsbeseitigerin aller Götter ist sie.“1585 Die Beschreibung der Götterversammlung zu Beginn erinnert dagegen stark an eine Stelle in oHor 11, wo ebenfalls von den Göttern Ägyptens unter Leitung der Isis die Rede ist, die sich in Memphis (auf einem Damm/Deich) eingefunden haben.1586 Der Anruf des Onuris an Isis „Komm zu mir, Göttin der Götter, sei gnädig und erhöre mich!“ findet außerdem eine wörtliche Parallele in UPZ 78, einer griechischen Traumaufzeichnung mit Gebet an Isis des Ptolemaios aus dem Sarapeion von Memphis, aus dem auch die griechische Version vom „Traum des Nektanebos“ stammt.1587 Zur Aufforderung 1577 μεγαλόδοξος wird in der Rosettana (Z. 1) zur Übersetzung des demotischen ntj nA-aA tAy=f pH.t (< aA pH.tj) in den Beinamen von Ptolemaios V. verwendet. 1578 Es handelt sich nach VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 4 u. 75, um die ältesten erhaltenen griechischen Titel der Isis und die erste griechische Erwähnung ihrer Zuständigkeit für die Feldfrüchte. 1579 Vgl. zu dieser Stelle auch DOUSA, Imagining Isis, S. 184 (Addenda). 1580 Die Titel lauten auf Griechisch: θεὰ  θεῶν  κράτος  ἔχουςα  μέγιστον  καὶ  τῶν  ἐν  τῷ  κόσμωι  ἄρχουσα καὶ σώζουσα θεοὺς πάντας. 1581 Daß diesem schließlich ein Unglück zustößt, bestätigt ein demotischer Text, der offenbar einen Teil der Fortsetzung des im Griechischen erhaltenen Textes beinhaltet, siehe dazu RYHOLT, Nectanebo’s Dream, S. 228–241. 1582 Z. B. in Philae-Hymne 5; vgl. LGG V, 545c–546a. 1583 Z. B. in Texte Philae/Kalabscha; vgl. LGG V, 188–190. 1584 Z. B. in Philä I, 231–232; vgl. LGG IV, 84b–c. Allgemein zu derartigen Titeln der Isis LGG VIII, 29–31. 1585 pCarlsberg 652 vs., Frg. 1, x+1, 13; siehe oben, Kap. 6.1.4. 1586 Siehe unten, Kap. 6.5.1.2. Die Übereinstimmung wird auch von RAY, Archive, S. 158, (23), herausgestellt. 1587 Siehe oben, Kap. 6.2.1.2. Zu dieser Parallele bereits U. WILCKEN, Der Traum des Königs Nektonabos, in: Mélanges Nicole. Recueil de mémoires de philologie classique et d’archéologie offerts à

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

an die Göttin, zu (er)hören, ist auch die Anrufung in der Geschichte „Rache der Isis“ (6, 10–11, s. o.) zu vergleichen.1588 Durch das Fehlen jeglicher Worte oder Handlungen erscheint Isis im „Traum des Nektanebos“ ungewöhnlich distanziert und unbeteiligt. Während sie in anderen Erzählungen (s. o. und u.) unmittelbar helfend oder auch strafend in das Geschehen eingreift, leistet sie in dieser dem historischen Hintergrund zufolge wohl negativ ausgehenden Geschichte 1589 keine Hilfestellung, obwohl sie selbst von anderen Göttern angerufen wird. Umgekehrt wird die nachfolgende persische Eroberung Ägyptens möglicherweise als Strafe der Götter (unter Leitung der Isis) für die unterlassene Sorge Nektanebos’ für die einheimischen Tempel ausgedeutet: Die Götter wenden sich ab und überlassen das Land seinem Schicksal, das wahrscheinlich im verlorenen Teil von Petiese prophezeit wird.1590 Allerdings läßt der fehlende Schluß des Textes auch Spielraum für andere Wendungen und Deutungsmöglichkeiten: Greift Isis am Ende doch noch helfend ein wie in anderen Erzählungen?1591 Ein ganz ähnliches Grundmotiv wie im „Traum des Nektanebos“ könnte auch der Anfang einer Erzählung(?) aufweisen, der auf einer Kalksteinplatte (A) in Strasbourg – wohl als Schreiberübung – erhalten ist, die von SPIEGELBERG in die erste Hälfte der Ptolemäerzeit datiert wird.1592 Pharao hat in einer Apisgruft einen Traum, in dem ihm ein „großer Mann“ (rmT aA)1593 verschiedene kultische Handlungen aufzählt, darunter auch die Teilnahme an Prozessionen der Isis. Der Sinn ist aufgrund des fehlenden Kontextes nicht ganz eindeutig: während SPIEGELBERG die Sätze mit sDm=f-Formen als optativische Aufforderungen verstand, eine zuvor vernachlässigte Betreuung der Kulte nun durchzuführen, stellt VLEEMING

1588 1589

1590 1591 1592 1593

Jules Nicole, Genf 1905, S. 579–596: 588. Dies spricht dafür, daß es sich um eine feste, gebräuchliche (memphitische?) Formel handelt. Die Anrufung „Komm zu mir, Gott NN!“ (äg. im n=i Gott NN) ist eine typische Einleitung des ägyptischen Gebets, siehe KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 42–43; RAY, Archive, S. 48, m. Anm. 1; vgl. Kap. 6.1–2, und unten, Kap. 6.7.1.1. Vgl. auch MM I, 35 und MM III, 19, Kap. 6.1.2.1; sowie die Graffiti Ph. 416 und 421, Kap. 6.2.2.2.2. Vgl. das griech. Isisepitheton ἐπήκοος (siehe RICIS II, Index, S. 770, für Belege). Siehe zu Isis als erhörender Göttin auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 39–40. Der Schluß ist sowohl in dem griechischen Text als auch in den demotischen Zeugnissen verloren, vgl. zum möglichen (negativen) Handlungsausgang QUACK, Literatur, S. 83. A. HERMANN, Die ägyptische Königsnovelle, LÄS 10, Glückstadt – Hamburg – New York 1938, S. 40–42, ging dagegen von einem „Happy End“ mit Vollendung des Tempelbaus aus. Teilweise wird sogar angenommen, daß es sich um die Vorgeschichte zum sog. „Trug des Nektanebos“ am Beginn des Alexanderromans handelt, und somit auf den zunächst schlechten Ausgang hin wieder ein Hintertürchen zu erneuter glücklicher Wendung geöffnet wird, so PERRY, Egyptian Legend, S. 332–333; vgl. auch R. JASNOW, The Greek Alexander Romance and Demotic Egyptian Literature, in: JNES 56, 1997, S. 95–103. Siehe zusammenfassend zur Interpretation und Ergänzung des Schlusses GAUGER, Traum des Nektanebos, S. 212–214. Siehe RYHOLT, Nectanebo’s Dream, S. 232–234. Eine aktive Abwendung der Götter von Ägypten legt der Alexanderroman nahe: Dort erkennt Nektanebos, daß die ägyptischen Götter selbst fremde Armeen in das Land führen, vgl. ibid., S. 236. So z. B. einer der Vorschläge von GAUGER, Traum des Nektanebos, S. 216–217. SPIEGELBERG, Zwei Kalksteinplatten, S. 32–34; vgl. auch VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 2099, S. 385–387. Möglicherweise der Geist eines Verstorbenen, vgl. SPIEGELBERG, Zwei Kalksteinplatten, S. 34, und RAY, Archive, S. 43, Anm. u.

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Rächerin und Retterin

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diese Interpretation nun zumindest in Frage und übersetzt mit einem Perfekt („Du hast die Prozessionen der Isis besucht“ etc.). 1594 Die Begegnung mit einem „großen Mann“ im Traum, der dann Anweisungen gibt, entspricht genau einem Traumerlebnis des Hor (oHor 8), in dem er von einem solchen aufgefordert wird, Thoth, Isis und Osiris anzubeten.1595 6.4.2

Isis als helfend eingreifende Göttin, nach Gebeten/Flehen

6.4.2.1 Isis als Kriegsgöttin der Amazonen: pWien D. 6165 + D. 6764 und D. 6165A Die Rolle der helfend eingreifenden Göttin erfüllt Isis in der demotischen Erzählung „Ägypter und Amazonen“,1596 und zwar jeweils auf eindringliche Bitten durch die Amazonenkönigin Serpot hin, die angesichts gefährlicher Kriegssituationen Isis und Osiris (in dieser Reihenfolge!) anruft.1597 Das erste Mal hat sie offenbar gerade erfahren, daß der zunächst feindlich gesinnte, ägyptische Held Petechons mit seinem Heer ein Lager aufgeschlagen hat, und wendet sich an die Götter mit den Worten: Hilf mir (i.ir n=i nxt), oh Isis, me[ine(?) Gebieterin(?), …], große Göttin (nTr.t aA.t), und Osiris, [großer Gott]! (2, 10–11)1598 Ihr zweites Gebet folgt nur wenig später, nachdem ihre Spionin mit einem Bericht aus dem feindlichen Lager zurückgekehrt ist: [Hil]f mir, oh Isis, du große Göttin, Osiris, du großer Gott, [all] ihr großen Götter [des Landes der Frauen!] (…) Werden wir es denn mit ihm aufnehmen können? (2, 22–25)1599 1594 Siehe den Kommentar von VLEEMING, Demotic Graffiti, Nr. 2099, S. 387, zu Z. 3–5. Vor diesen Sätzen steht immerhin eine wohl negative Aussage oder Anklage: „Siehe, eine schlechte Sache [ist es, die du getan hast (?)]“ (Z. 3). 1595 Siehe oben, Kap. 6.2.1.1; vgl. den Kommentar von RAY, Archive, S. 43, Anm. u. 1596 Erhalten in zwei Papyri aus Soknopaiou Nesos: pWien D. 6165 + D. 6764 (Haupthandschrift) und D 6165A; Edition F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen; ID., Neue Fragmente zu den drei großen Inaros-Petubastis-Texten, in: Enchoria 22, 1995, S. 27–39: 27–29; vgl. ID., Warlike Women, S. 54–57; HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 107–117 u. 338–339; QUACK, Literatur, S. 64–66; vgl. auch die Übersetzung von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 28.06.2012. Siehe jüngst außerdem PH. COLLOMBERT, Padikhonsou fils de Pakrour: „(ein) Ägypter und (die) Amazonen“?, in: Enchoria 30, 2006/7, S. 141–143; Verbesserungen einiger Lesungen bei K. RYHOLT, New Readings in the Demotic Narrative of Petechons and Sarpot, in Vorb. Speziell zur kriegerischen Rolle der Isis in der Erzählung auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 357; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 38. 1597 Vgl. zu den Gebeten in der Amazonengeschichte auch JAY, Orality and Literacy, S. 162–163, mit der Bemerkung, daß die Wahl der Isis als Göttin, zu der Königin Serpot betet, aufgrund ihrer eigenen Stellung in der Götterwelt besonders gut zu dem Status der Protagonistin als Königin paßt. 1598 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 40–42; in HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 338–339, Anm. f, schlägt F. HOFFMANN als alternative Ergänzung in der Lücke aufgrund der späteren Nennungen „die Große, die Gottesmutter“ vor. Die gleiche (in demotischen Texten übliche) Standardtitulatur „die Große, die Gottesmutter, die große Göttin“ trägt Isis übrigens auch in dem offenbar literarisch mit der Amazonenerzählung verwandten Motiven ausgeschmückten Text über die Suche nach Osiris des pCarlsberg 621+PSI Inv. D 81+pMichigan 6397h (Edition QUACK, Isis, Thot und Arian), siehe oben, Kap. 6.3.2. 1599 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 44–46; vgl. zu dieser Stelle auch STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 206; QUACK, Literatur, S. 64–65.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Bevor die Kriegerinnen in den Kampf ziehen, spricht Serpot ihnen Mut zu, indem sie versichert, daß Osiris ihnen als „Kampfstier“ beistehen werde (2, 39).1600 Die folgende Aussage ist stark zerstört, doch da anschließend gesagt wird „[Isis(?), die König(in?) (pr-aA(.t))1601], sie ist mit uns, sie wird uns nicht verlassen“ (iw=s mtw=n bn-iw=s wAj r-Hr=n, 2, 40) und aufgrund der vorigen Anrufungen, dürfte mit aller Wahrscheinlichkeit parallel wieder Isis genannt sein,1602 wenngleich auffällt, daß sie nun im Kontrast zu vorher erst nach ihrem Gatten genannt wäre. Noch deutlicher wird die unverbrüchliche Unterstützung der Isis aber direkt im Anschluß an Serpots Rede(?),1603 denn „[Isis],1604 die große Göttin, ordnete das Heer (sr pA mSa) der [Frauen] an…“ (2, 45–46) und greift damit direkt in das Geschehen ein.1605 In dieser Erzählung tritt Isis in Übereinstimmung mit dem Charakter der Protagonistin(nen) also vorrangig als kriegerische Göttin auf, eine Rolle, die auch durch andere (ägyptische) Texte aus der religiösen Praxis gut belegt ist.1606 Speziell die zuletzt zitierte Stelle läßt sich besonders gut mit ihrem Titel HA.t pA mSa „die an der Spitze des Heeres ist“ in ihrem Tempel in Assuan (Kap. 4.2 und 6.2.3) verbinden, wo gerade der bestimmte Artikel andeutet, daß es sich ebenfalls um ein bestimmtes, realweltliches Heer handelt, das Isis persönlich anführt. In einem der oben in Kap. 6.3.2 besprochenen demotischen Texte über die Suche nach Osiris beziehen sich wohl auch die Beinamen [Ts].t(?) n pA tA Dr=f tA ntj s&H\[n] pA mSa auf Isis. 1607 Gut zu vergleichen ist auch das mehrfach belegte ntj wAH-sHn n pA tA Dr=f „die Befehle erteilt im ganzen Land“ in den Ostraka des Hor.1608 In oHor 3 versichert der Priester Hor den Herrschern, daß Isis deine Feinde unter deine Füße gibt, und sie gibt dir […] derer, die deine Grenzen angreifen(?) (iw=s Dj.t nAy=k DDy Xr rd.wj=k iw=s Dj.t n=k pAy=s ? 1609 nA ntj tk[n](?) nA tS.w, vs., 3–5).1610 Eine teilweise ähnliche Formulierung wie diejenige im Hor-Ostrakon findet sich auch in einem demotischen Besuchergraffito in Philae (Ph. 421):

1600 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 50. Zum kriegerischen Charakter des Osiris siehe ibid., S. 41, Anm. 56. 1601 Das Ende des Titels (anx wDA snb) ist noch erhalten. 1602 Vgl. F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 50–51, m. Anm. 125. 1603 Aufgrund des teils lückenhaften Textes ist nicht ganz eindeutig, ob die Rede wirklich schon beendet ist. 1604 Wie F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 51, Anm. 130, zu Recht bemerkt, ist die Ergänzung durch das folgende Epitheton und die vorigen Nennungen gesichert. 1605 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 51, m. Anm. 130. Die Anrufung vor der Schlacht und die tatsächlich erfolgende Unterstützung durch persönliches Erscheinen der Gottheit finden einen Vorläufer in dem Kadesch-Gedicht Ramses’ II. (die Gottheit ist dort Amun), vgl. ibid., S. 26–27. 1606 Siehe Kap. 5.2.2.1.A–B u. F und 5.2.2.4.D. 1607 pCarlsberg 621, Frg. 1, x+3; QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 101. 1608 oHor 3 vs., 6–7; oHor 10, 16–17; oHor 6 vs., 10; siehe dazu DOUSA, Imagining Isis, S. 162; und oben, Kap. 6.2.1.1. 1609 RAY, Archive, S. 21, m. Anm. h (S. 24), liest mit Bedenken (n) pAy=s rn „in ihrem Namen“; QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72, liest die Stelle nicht. 1610 Lesung hier nach QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72; siehe unten, Kap. 6.5.1.2.

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tA ntj Dj.t nxv wa r HH iw=s Dj.t pAy=s xfvj Xr pAy=s mrj.t die Kraft gibt einem gegen eine Menge, indem sie ihren Feind unter ihren Liebling gibt.1611 Damit direkt vergleichbar ist eine Stelle im griechischen Isishymnus MM III des Isidoros: Und wo auch immer Kriege und das Schlachten unzähliger Massen stattfinden, vernichtet deine Kraft, deine Macht, die Menge und gibt Mut den Wenigen. (MM III, 16–18)1612 Hier ist es also jeweils Isis, die für die Kriegsentscheidung sorgt, wie auch die Tempeltexte bestätigen.1613 Dementsprechend ist es kaum verwunderlich, daß die Königin Serpot in der Amazonengeschichte Isis (nun ohne Osiris) noch mehrere Male in Kampfsituationen anruft, allein dreimal im Kontext eines Zweikampfes mit dem ägyptischen Helden Petechons: Den ersten Hilferuf äußert sie, als sie sich – ihr Heer hat mit Hilfe der Götitn bereits einmal über die Feinde gesiegt – zu einem Zweikampf mit Petechons bereitmacht: H[i]lf mir, meine Gebieter[in Isis, große Göttin!] Du wirst mich vor dem Verderben dieser bösen ägy[pt]ischen Schlange retten! (3, 35–36)1614 Ihren Kampfeswillen bekräftigt sie gleich darauf (nachdem ihre Schwester statt ihrer das Duell ausfechten wollte) nochmals mit einem Eid „bei Isis, der großen Göttin, der Herrin des Landes der Frauen (tA Hry.t n pA tA nA sHm.wt)“ (3, 41),1615 womit endgültig die kulttopographische Zuordnung der Isis zum Amazonengebiet explizit wird. Mit anderen Beiworten (nb(.t) nswj.t As.t wr.t mw.t-nTr [tA nTr.t aA.t] „Herrin und Königin, Isis, die Große, die Gottesmutter, [die große Göttin]“) ruft Serpot die Göttin nochmals gegen Abend als Zeugin auf (4, 11),1616 als nach einem den ganzen Tag andauernden Zweikampf noch immer kein Sieger feststeht und das Gefecht vertagt werden soll. Es läßt sich m. E. gut spekulieren, ob bei dem folgenden Verlauf der Geschichte, bei dem sich die anfänglichen Antagonisten à la Achill und Penthesilea1617 ineinander verlieben (4, 26–27), implizit Isis im Hintergrund als Liebesgöttin wirkt1618 und somit die beiden Seiten sowohl der ägyptischen Gefährlichen Göttin (als die sie hier in der Kriegssituation ja agiert) Sachmet-Bastet als auch der im Amazonenland1619 heimischen Astarte ausspielt.1620 1611 Siehe oben, Kap. 6.2.2.2. 1612 Siehe Kap. 6.1.2.1. 1613 Vgl. z. B. den Text Philae-Photos 385–386 (= LD IV, 74c): nb(.t) rA-DAw pr-MnTw r-xt=s, njs.tw n=s hrw dmD, nD.tj.t wr.t iwt.t wn mjt.t=s nHm mrj(.w)=s nb.w Hr ptr.t „die Herrin des Kampfplatzes, unter deren Kommando das Haus des Month (= Waffen- oder Gerätelager) ist, die man anruft am Tag des Zusammentreffens, große Schützerin, derengleichen es nicht gibt, die all die, die sie liebt, auf dem Schlachtfeld errettet“, siehe Kap. 4.1.1.A. 1614 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 60. 1615 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 61. Zum Eid vor Isis vgl. auch die Bes-Erzählung, wo Bes mit Haryothes einen Freundschaftsbund unter Eid vor Isis eingeht (x+2, 3–4), s. o., 6.4.1.1. 1616 F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 66, m. Anm. 238. 1617 Zu weiteren Parallelen siehe VITTMANN, Tradition und Neuerung, S. 66–67. 1618 Zu Isis als Liebesgöttin vgl. vor allem die magische Tradition, Kap. 6.5.2.2. 1619 Der Amazonenerzählung zufolge wird das „Land der Frauen“ wohl in Syrien lokalisiert, pWien D. 6165A, 2, x+29, vgl. F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 18 u. 105. VITTMANN, Tradition und Neuerung, S. 76–77, interpretiert die Textstelle anders und möchte es „irgendwo zwischen ‚Syrien‘

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Isis und Osiris spielen später nochmals eine – wenn auch aufgrund des stark zerstörten Kontextes nicht genauer zu definierende – Rolle innerhalb des Traumes des Petechons von Inaros (6, x+10 und 6, x+16). Eventuell handelt es sich um eine Traumoffenbarung (mit Prophezeiung?), ähnlich wie im „Traum des Nektanebos“ und den Hor-Ostraka.1621 Ebenfalls unsicher ist der genaue Zusammenhang einer Stelle innerhalb der lückenhaften Erzählung über den Konflikt mit den Indern, in der Serpot(?) die Hilfe der Göttin preist, möglicherweise auf den Rückzug der Inder bezogen(?):1622 […] das Werk der Isis, der Großen, der Gottesmutter, der Großen Göttin: Sie ist wirklich mit uns. Sie ist unter uns erschienen […], indem sie ist bei […] (pWien D. 6165A, 2, x+18)1623 Wie in der ersten Schlacht gegen die Armee des Petechons zeichnet sich Isis hier offenbar wieder durch ein direktes Eingreifen in das Geschehen aus, auch die Formulierungen sind ähnlich, denn es wird betont, daß die Göttin direkt bei ihnen ist, und sie nicht verlassen wird (vgl. 2, 40). Als sich Amazonen und Petechons zum gemeinsamen Kampf gegen die Inder zusammenschließen, „ist/soll sein Isis, die große Göttin, zufrieden mit ihnen“ (pWien D. 6165A, 2, x+33).1624 Auch zu diesen Formulierungen lassen sich wieder enge Parallelen aus dem bereits oben zitierten oHor 3 heranziehen: – Sie ist zu keiner Stunde entfernt von dir. (rt., 11)1625 – Wenn du es wünschst, werden sie dir Tribut zahlen [durch?] das Werk der Isis, der Königin von allen/m Existierenden(?), die Befehle erteilt im ganzen Land (vs., 5–6) – Sie ist es, die das Gebiet Ägyptens hütet. Du wirst kein Heer fürchten. (rt., 7–8) Die der Amazonenkönigin in den Mund gelegten Gebete und Schwüre, die sie bei nahezu jeder Aussage an Isis und Osiris richtet, konstatieren neben der kriegerischen Seite und der direkten Hilfe durch Isis auch ihre große Verehrung selbst in fernen Ländern und wird durch die entsprechende Angabe in pOxy. 1380, Z. 102–103 bestätigt, die Isis bei den

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und ‚Indien‘“ ansiedeln, gefolgt von THISSEN, Homerischer Einfluß, S. 375. Die Bezeichnung ‚Syrien‘ meine zudem zu dieser Zeit Assyrien. Die geographische Nähe des Amazonenlandes zu Indien bestätigt sich tatsächlich durch die direkt aufeinanderfolgenden Angaben zu diesen beiden Gebieten in der Isislitanei pOxy. 1380, Z. 102–103, siehe unten, und oben, Kap. 6.1.3.2. F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 25–26, überlegt, ob die Erzählung sogar insgesamt indirekt auf einen Astarte-Mythos des Nahen Ostens zurückgeht, stellt allerdings fest, daß konkrete Belege für einen solchen Mythos fehlen. Zudem weist er auf Parallelen zu dem mesopotamischen Mythos von Nergal und Ereschkigal hin. Zu Isis und Astarte siehe unten, Kap. 7.1. Siehe oben, Kap. 6.4.1.3 und 6.5.1.2. Vgl. den Versuch einer Zusammenfassung des Geschehens in dieser Episode bei F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 19, und speziell zur Stelle S. 27. F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 101. F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 106, vgl. S. 19. Vgl. dazu auch Philae-Hymne 6: nn Hrj=T Ra „Du bist nicht fern von Re“, auch hier im Kontext der Herrschaft und Machtsicherung, denn darauf folgt: iTj(.t) tA.wj r Snw „um zu ergreifen die Beiden Länder bis zum (ganzen) Umkreis (?)“, siehe Kap. 4.1.1.A.

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Amazonen „die Kriegerische“ (στρατία) nennt.1626 Auch in Hinblick auf die geographische Ausweitung bis nach Indien, das in der Nähe des Amazonenlandes liegen soll, läßt sich eine Verbindung zu pOxy. 1380, Z. 103 herstellen, da Isis demzufolge dort unter dem Namen Maia (tatsächlich eine indische Göttin) verehrt werden soll. Osiris heißt in der Amazonenerzählung sogar explizit „der große Agathodaimon (pA Sy) von Indien“ (9, 4)1627 und ist damit möglicherweise mit Dionysos gleichgesetzt gedacht, den ein Kriegszug nach Indien geführt haben soll.1628 Die Übereinstimmung der Angaben in den beiden Quellen (Amazonenerzählung und pOxy. 1380) zeigt, daß man sich offenbar (in gebildeten Kreisen) mit diesen Ländern auseinandergesetzt und auch ein sorgfältiges Quellenstudium betrieben hat.1629 Möglicherweise greifen beide Texte auf eine gemeinsame Quelle bzw. Tradition zurück; immerhin bestanden enge Verbindungen zwischen Oxyrhynchos und Soknopaiou Nesos (bzw. dem Fayum generell), den jeweiligen Fundorten der Papyri.1630 6.4.2.2 Isis als Hoffnungsträgerin verzweifelter Menschen: ein Krugtext und seine intertextuellen Bezüge zu demotischen Weisheitstexten und weiteren Erzählungen Stärker auf das Schicksal einer privaten Einzelperson fokussiert ist ein Krugtext (also eine Schüler-Schreibübung) wohl des 1. Jhs. v. Chr., der ähnlich wie hellenistische, aretalogische Wundererzählungen von der Rettung eines Einzelnen durch den Beistand der Göttin kündet und damit auch dem Zweck der Propaganda dient. 1631 Wie andere Krugtexte in Briefform verfaßt, ist die Erzählung als persönlicher Erlebnisbericht eines Ich-Erzählers, ein Syrer mit dem ägyptischen Namen Chalamenti (#r-Lmnv),1632 gestaltet. Laut seinen Aussagen befand sich der Schneider(?) Chalamenti Hunger leidend in seiner Heimatstadt Punub (im Ostdelta) (Z. 11–14) und wendet sich schließlich an seinen offenbar wohlhabenden Bruder Haryothes, der seinen Geburtstag feiert (Z. 15–16). Seine Bitte um ein Stück Brot wird ihm jedoch mit dem Aussenden einer Schlägertruppe beantwortet, die ihn fast zu Tode prügelt. Ihn tatsächlich für tot haltend, tragen sie ihn zu den Häusern der Stadt (Z. 17–19). Als die Nacht über den Schmerzen leidenden Protagonisten hereinbricht, sieht er plötzlich über sich: 1626 1627 1628 1629

Siehe oben, Kap. 6.1.3.2. Vgl. THISSEN, Homerischer Einfluß, S. 379. F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 97, vgl. S. 30 u. 41, Anm. 56. Vgl. auch VITTMANN, Tradition und Neuerung, S. 67; F. HOFFMANN, Warlike Women, S. 57. In pOxy. 1380, 226, ist sogar vom Ganges die Rede, dessen Wasser Isis – ebenso wie den Nil und den Eleutheros (zwischen Libanon und Syrien) – herbeiführen soll. 1630 Vgl. oben, Kap. 6.1.3. 1631 Krug B, 9–21; Edition SPIEGELBERG, Demotische Texte auf Krügen, S. 18–21; vgl. die verbesserte Übersetzung von J. F. QUACK, in: HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 178–180; weitere Bemerkungen außerdem bei QUACK, Literatur, S. 185; ID., Perspektiven zur Theologie, S. 73; ID., „Ich bin Isis…“, S. 356; ID., La religion gréco-égyptienne; ID., Schicksalsvorstellungen, S. 55; THISSEN, „Wer lebt, dessen Kraut blüht!“, S. 587–594, Nr. 72. Zur Datierung in das 1. Jh. v. Chr. an Stelle des 1.–2. Jh. n. Chr. (SPIEGELBERG) siehe PH. COLLOMBERT, Le conte de l’hirondelle et de la mer, in: RYHOLT (Hrsg.), 7th International Conference, S. 59–76: 60. Zum Charakter aretalogischer Erzählungen, die die Macht und persönliche Hilfe der Göttin verkünden, vgl. z. B. auch die thebanischen Graffiti Theben 3156, 3462 und 3445, siehe oben, Kap. 6.2.5.1. Zur Definition von ‚Aretalogien‘ vgl. JÖRDENS, Aretalogies (siehe dazu Kap. 6.6). 1632 Der Name bedeutet „So wahr Lamenti (ein König der Libyerzeit) lebt“; xr steht wie häufig im Demotischen für anx in der Eidformel, siehe DNb Suppl., S. 193.

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nA xa.w &n As.t wr.t\ mw.t-nTr tA nTr.t aA.t die Erscheinungen der Isis, der Großen, der Gottesmutter, der großen Göttin (Z. 19–20).1633 Der Formulierung nach dürften nächtliche Himmelskörper (Sothisstern, Mond, Sterne…?) mit den „Erscheinungen“ gemeint sein.1634 Chalamenti betet nun die „große [Isis] (?)“1635 an: [tA] Hnw.t As.t wr.t [mw.t]-nTr tA nTr.t aA.t Gebieterin Isis, Große, Gottes[mutter], große Göttin! und bittet sie, seinen Rechtsstreit mit dem Bruder zur Kenntnis zu nehmen (rx pA hp tA wpy.t [irm(?)] @r-wDA #r-Lm[nv] pAi=y sn xm, Z. 20). An Stelle einer Antwort findet er augenblicklich ein Goldobjekt (Xt; ein Diadem?) an seinen Augenbrauen(?)1636 (Z. 20–21). Für die Interpretation als Diadem1637 spricht zumindest die (wahrscheinliche) Plazierung an den Brauen und eventuell die Tatsache, daß Isis, die sonst nur ihre üblichen Haupttitel trägt, 1638 direkt im Anschluß als „Herrin des [Ur]äus“ (Hrj.t [Ar]ay, Z. 21) bezeichnet wird,1639 ein Epitheton, das ihr in der Variante nb.t arA(.t)/ara(.t) auch in anderen demotischen Quellen mehrfach zugeschrieben wird.1640 Handelt es sich also um ein Königsdiadem? In dem überschwenglichen Dankgebet an die Göttin, in dem er ihr Millionen von Festen wünscht, behauptet Chalamenti noch, daß das Diadem(?) zuvor verloren gegangen war (Z. 21). Danach endet der Krug und die Frage bleibt offen, ob die Geschichte ursprünglich noch weiterging. Die geschilderte Situation des verprügelten Unschuldigen, der Isis um Rechtsbeistand bittet, findet eine interessante Parallele in einem Zeugnis aus der realen Praxis, in einem Götterbrief von 155 v. Chr. aus Euhemeria wendet sich ein von einem gewissen @r-Sn durch Raub und Gewalt Geschädigter flehend an Isis-Nephersais („Isis mit vollkommenem Schicksal“), daß sie ihm Recht verschaffen möge.1641 In seiner Anrufung verwendet er ähnliche Formulierungen wie Chalamenti in der Geschichte: &Hry\.t As.t-nA-[nfr.t-ir-Sy] tA nTr.t [aA.t] Gebieterin Isis-Ne[phersais], die [große] Göttin, 1633 Es handelt sich wieder um die geläufigsten Haupttitel der Isis, vgl. z. B. die Amazonenerzählung, s. o. Zu dieser Anrufung vgl. auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 38. 1634 Vgl. QUACK, Literatur, S. 185; HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 180, Anm. 303. 1635 Lesung nach HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 180. Es scheint allerdings […] wrr(.t) da zu stehen (falls es sich bei dem zweiten r nicht um einen aus der Zeile darüber hereinragenden Strich handelt), weswegen THISSEN, „Wer lebt, dessen Kraut blüht!“, S. 588, m. Kommentar auf S. 593, [s.t] wrr.t „der erhabene [Thron]“ liest, was jedoch an dieser Stelle weniger Sinn macht. 1636 inH. Übersetzung nach HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 180. THISSEN, „Wer lebt, dessen Kraut blüht!“, S. 589, faßt dagegen das Wort trotz des Fleischdeterminativs wie zuvor SPIEGELBERG, Demotische Texte auf Krügen, S. 45, Anm. 137, als Verb inH „umgeben, umfassen“ auf. 1637 Nach HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 180. 1638 Nochmals kurz darauf im Dankgebet des Chalamenti. 1639 Zur Ergänzung siehe THISSEN, „Wer lebt, dessen Kraut blüht!“, S. 594. 1640 Z. B. in oHor 10 (Z. 2–3) und den Graffiti Theben 3156 (Kol. 2, 11) und Theben 3445 (Z. 13), siehe oben, Kap. 6.2.1.1 und 6.2.5.1. Vgl. LGG IV, 8c–9a mit weiteren Belegen. 1641 pKairo 31255; siehe MIGAHID, Briefe an Götter, Nr. 4, S. 54–73; Taf. 2–3. Zu den demotischen Briefen an Götter siehe außerdem M. DEPAUW, The Demotic Letter. A Study of Epistolographic Scribal Traditions against their Intra- and Intercultural Background, DS 14, Sommerhausen 2006, S. 307–313; QUACK, Göttliche Gerechtigkeit, S. 141–142. Zu Isis-Nephersais siehe oben, Kap. 6.1.2.2.

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i.irj=T irj pAy(=y) hp du sollst (mir) mein Recht (hp) verschaffen [irm tAy(=y) w]py irm pA ntj &nxt r-r=y\ […] [und meine Ent]scheidung ([w]py) treffen mit dem, der stärker ist als ich […] (…) (Z. 12–14) In vergleichbarer Weise wie im Krugtext wird Isis auch in der 2. Setnegeschichte von den Beamten Pharaos als gütige, helfende Göttin charakterisiert, indem sie diesen nach seiner Auspeitschung in Kusch mit den Worten trösten: r As.t tA nTr.t aA.t r &wsf\ n nAy=k VygwA.w Isis, die große Göttin, wird deinen Kummer vertreiben! (4, 28)1642 Die Situation ist wieder eine ähnliche: Das verprügelte, bzw. hier ausgepeitschte Opfer erhält Aufmunterung durch Isis. Die Erzählung des Krugtextes weist außerdem eine enge Verflechtung mit Weisheitstexten auf, denn sie ist in der Einleitung ausdrücklich leidenden und verzweifelten Menschen, „…die täglich den Tod erbitten“, (Z. 9–10) gewidmet, was die belehrende Intention offenbart. Diese wird noch deutlicher durch das anschließend zitierte Sprichwort „Wer lebt, dessen Kraut wächst“ (Z. 11), ein wörtliches Zitat aus der Weisheitslehre des Chascheschonqi,1643 wo es vorher heißt: Sei nicht kleinmütig, wenn du niedergeschlagen bist, so daß du (am Ende noch) den Tod herbeisehnst! (19, 15), was bestens zu dem grundlegenden Tenor des Krugtextes paßt. Falls im Krugtext mit dem Goldobjekt tatsächlich ein Königsdiadem gemeint ist, ließe sich anhand dessen eine Brücke zu anderen demotischen Texten schlagen, in denen explizit (Teile der) königliche(n) Kronen sogar als „Kronen der Isis“ bezeichnet werden: in der Geschichte über den „Kampf um den Panzer des Inaros“ tritt Pharao Petubastis mit „den Diademen der Isis, den Kronen der Her[rin] der Beiden Länder“ (nA sHny(.w) n As.t nA i[pt.w] n[b](.t) tA.wj) bekrönt auf (pKrall, Kol. 17, 20–21). 1644 Fast exakt die gleiche Formulierung begegnet nochmals in einer Version der Einleitung zu der oben aufgrund des

1642 Edition F. L. GRIFFITH, Stories of the High Priests of Memphis. The Sethon of Herodotus and the Demotic Tales of Khamwas, Oxford 1900, S. 41–66 u. 142–207; vgl. QUACK, Literatur, S. 45–50; und die Neuübersetzung durch F. HOFFMANN, in: HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 118–137; G. VITTMANN, in: TLA, Stand 27.05.2014. 1643 Chascheschonqi 19, 16; vgl. THISSEN, „Wer lebt, dessen Kraut blüht!“, S. 591; QUACK, Literatur, S. 185. Auch das Ende der Lehre des Chascheschonqi „Werde nicht müde, den Gott anzurufen. Er hat seine Stunde des Hörens.“ (28, 10) wird in anderem Kontext zitiert, und zwar auf einem Ostrakon aus dem Bucheum mit einer flehenden Anrufung an den verstorbenen Buchis-Stier (oBucheum 167 rt., 9– 10), siehe G. Mattha, in: R. Mond/O. H. Myers (Hrsg.), The Bucheum II: The Inscriptions, London 1934, S. 56 (dort falsch gelesen); neue, verbesserte Übersetzung von QUACK, Demotische Hymnen, S. 269–270. 1644 F. HOFFMANN, Der Kampf um den Panzer des Inaros. Studien zum P.Krall und seiner Stellung innerhalb des Inaros-Petubastis-Zyklus, MPER N. S. 26, Wien 1996, S. 325–326.

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Sprichwortes zitierten Lehre des Chascheschonqi,1645 so daß es sich möglicherweise um eine offizielle Bezeichnung der Doppelkrone handelte. Zu vergleichen sind auch hierzu mehrere Stellen in oHor 3, in dem der Priester Hor dem amtierenden Pharao die Autorität der Isis über die Herrschaft seiner Dynastie verkündet: – Isis, die Herrin des Diadems, das deinem Kopf ist (tA nb.t n tA grpy.t ntj (r) DADA=k) (Z. 6)1646 – Isis bringt im Tempel von Memphis deinem Sohn die Kronen und seinen Kindern nach ihm für sehr viele lange Tage. (Vs., Z. 1–2)1647 In pOxy. 1380, Z. 193–194, wird die Göttin als „Führerin der Diademe“ gepriesen.1648 In der kurzen kulttopographischen Litanei in Philae-Photo 1297 heißt sie „die Herrin der beiden Uräen in Anchtaui“.1649 Diese Formulierungen lassen sich auf das memphitische Krönungsritual zurückführen, bei dem Isis eine zentrale Rolle spielte.1650 Neben die Kronenbezeichnungen läßt sich aufgrund des ähnlichen, zweiteiligen Aufbaus noch eine ansonsten ungewöhnliche Formulierung stellen, mit der neben weiteren eulogischen Epitheta der Fürst Petechons in der Erzählung „Kampf um die Pfründe des Amun“ betitelt wird, wenngleich darin nicht von Kronen die Rede ist: Bronzemauer, die mir (= der Große des Ostens Pakrur, Vater des Petechons) Isis gegeben hat, der Landepflock von Eisen, den mir die Herrin der Beiden Länder gegeben hat. (pSpiegelberg, 12, 13–14)1651 Die Parallelität zwischen den Objekten und den Kronenbezeichnungen, die beide jeweils zuerst „Isis“, dann „der Herrin der Beiden Länder“ (= Isis) zugeordnet werden, gewinnt an zusätzlicher Bedeutung, bedenkt man, daß es sich wieder um einen Text des InarosPetubastis-Kreises1652 handelt und wie im „Kampf um den Panzer des Inaros“ (s. o.) eine der Hauptpersonen (dort König Petubastis, hier sein Rivale, der Held Petechons) an der jeweiligen Stelle beschrieben wird. Die ungewöhnliche Gleichung des Petechons mit den beiden Metallobjekten soll offenbar die Stärke und Charakterfestigkeit des Fürsten betonen und paßt somit zu den anderen Epitheta, die ebenfalls in diese Richtung weisen und starke 1645 nA sHny(.w) n As.t nA ipt.w n tA nb.t tA.wj, pCarlsberg 304 + PSI Inv. D 5 + pCtYBR 4512 + pBerlin P. 30489, Kol. 8, 3: K. RYHOLT, A New Version of the Introduction to the Teachings of aOnchSheshonqy, in: Frandsen/Ryholt (Hrsg.), Carlsberg Papyri 3, S. 113–140: 126, m. Anm. 97; vgl. auch QUACK, Zum ägyptischen Kult, S. 64; und DOUSA, Imagining Isis, S. 183 (Addenda). Zur engen Beziehung der Königskrone zu Isis siehe auch NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 121; und oben, Kap. 5.2.2.3.B. 1646 Das gleiche Epitheton trägt Isis auch in oHor 6, 7. 1647 Siehe unten, Kap. 6.5.1.2. 1648 Siehe oben, Kap. 6.1.3.2. 1649 Siehe oben, Kap. 4.1.1.A. 1650 Vgl. dazu QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 340; ID., Königsweihe. Zu Isis in der Krönungszeremonie von Memphis siehe ausführlich BERGMAN, Ich bin Isis, passim. 1651 Edition W. SPIEGELBERG, Der Sagenkreis des Königs Petubastis nach dem Straßburger demotischen Papyrus sowie den Wiener und Pariser Bruchstücken, Dem. St. 3, Leipzig 1910; vgl. die Neuübersetzung von F. HOFFMANN in HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 88–107, zur Stelle S. 102; QUACK, Literatur, S. 66–70. 1652 Bzw. sog. ‚Inaroszyklus‘, vgl. dazu QUACK, Literatur, S. 55–75; JAY, Orality and Literacy, S. 127–210.

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Rächerin und Retterin

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Ähnlichkeit zu eulogischen Königstiteln haben.1653 Die Bezeichnung von Göttern und Königen als „Mauer/Bollwerk“ ist mehrfach belegt:1654 Besonders nahe kommt der Stelle die Bezeichnung des Sethos I. als „Mauer aus Erz“ (sbtj m biA) in der 2. Beth-Shan-Stele (Z. 4).1655 Eine wörtliche Parallele hat die „Bronzemauer“ in der Lehre des pInsinger, 11, 15: „Er (der wahre Diener) ist seinem Herrn eine Bronzemauer in der Finsternis.“ Die Anmerkung, daß Isis ihm Petechons gegeben hat, spricht Pakrur wohl als stolzer und dankbarer Vater, doch fällt auf, daß ausgerechnet nur diese beiden Objekte als Gaben der Göttin bezeichnet werden, was die Frage nach dem Grund dafür aufwirft. Interessanterwiese findet sich die Gegenüberstellung von Bronzemauer (sbt Hmt) und Eisen (bnpj) auch in dem von NAETHER als ‚Sortes Isiacae‘ bezeichneten Orakeltext von pWien D. 12006;1656 dort heißt es an einer Stelle, die das künftige Gedeihen des Ziziphusbaumes nach einer Phase der Trockenheit betrifft: Gemacht wird seine (des Baumes) Heckenumzäunung, [indem sein] Eisen sein Äußeres und seine Mauer aus Bronze sein Äußeres (sic!) ist. (5, 22–23)1657 Auf den Abschnitt folgt der Lehrsatz „Es gibt Besitz nach Elend“, und es ist wahrscheinlich, daß wie häufig in diesem Text letztlich das Gedeihen des Landes unter einem rechtmäßigen, starken König gemeint ist.1658 Mit dem Lehrsatz vergleichbar ist ein Epitheton der Isis in der demotischen Isishymne des pTebt. Tait 14: mtw=s tA ntj Dj.t xpr rnnv m-sA [Sft] Sie ist es, die Reichtum/Glück schafft nach [Armut/Elend?].1659 Gerade das Durchhaltevermögen in schwierigen Situationen (und die Hoffnung auf eine schließliche glückliche Wendung), das im Mittelpunkt des Orakelspruches steht und mög1653 „Kraftvoller Stier…“, „Löwe…“, „das gute Steuerruder von Ägypten…“. 1654 Siehe Wb IV, 96, 4; und LGG VI, 266c. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 188, bezieht die beiden Bezeichnungen in der Erzählung dagegen auf den Ostgau, da Petechons zuvor „der Löwe derer des Ostgaus“ genannt wird. Dies halte ich für sehr unwahrscheinlich, da es sich bei der ganzen Reihe um Anreden an Petechons zu Beginn des Briefes handelt. Auch die (oben im Text) angeführten Parallelen zeigen, daß es sich um Metaphern handelt, die zur Bezeichnung von Personen/Göttern verwendet werden. Im Gegensatz zur Erz- oder Bronzemauer ist ein eiserner Landepflock m. W. nicht als Metapher, Königs- oder Gottesbezeichnung geläufig. Zumindest aber spielt ein Landepflock bereits weiter vorne in der Erzählung (pSpiegelberg, 1, 15–16) eine Rolle, innerhalb der Rede des Horuspriesters aus Buto, der die Einzelteile der Barke des Amun mit Gottheiten wohl des Horusmythos gleichsetzt: Darin wird der Haltepflock der Barke mit Uto identifiziert. 1655 KRI I, 15–16. 1656 Siehe ausführlich zu diesem Text unten, Kap. 6.5.1.3. 1657 Übersetzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 19.04.2012. 1658 Vgl. den Kommentar von STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 188–190. 1659 pTebt. Tait 14, x+3; siehe oben, Kap. 6.1.4. Tatsächlich ist dies nicht die einzige Parallele zwischen dem Orakelspruch und dem Isishymnus: Auf die Stelle in pTebt. Tait 14 folgt direkt eine Anrufung der Isis mit dem Epitheton „die den guten Nordwind bringt, um Tau zu erschaffen“ (x+4), während es im Orakelspruch des pWien D. 12006 kurz vor der zitierten Stelle über den Baum heißt: „Er hat keine Trockenheit. Amun wird zu ihm kommen zusammen mit dem guten Nordwind. Er bringt ihm das […] Wasser…“ (5, 21). Zu dieser Parallele vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 189, der die andere Übereinstimmung jedoch nicht erwähnt.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

licherweise auch durch die Metapher der Widerstandskraft von Bronzemauer und Eisen(pflock) ausgedrückt wird, scheint mir in demotischen Texten in besonderem Maße der Isis zugeordnet zu sein, wie im Folgenden noch weiter ausgeführt wird. Möglicherweise werden gerade diese „Eigenschaften“ des Petechons daher im pSpiegelberg als ihre Gaben bezeichnet. Speziell mit einem Landepflock bzw. Landeplatz (njA.t aA(?)1660) wird Isis tatsächlich in einem Graffito des Gebel Schech Haridi (bei Achmim) in Verbindung gebracht: Isis vom Landeplatz, die große Göttin (Z. 2).1661 Da es sich dort jedoch offenbar um eine topographische Zuordnung handelt,1662 die allerdings nicht wie „Der Kampf um die Pfründe des Amun“ in Theben zu lokalisieren ist, dürfte dies für die Deutung der dortigen Stelle nicht relevant sein. Interessant ist dagegen, daß das ältere ägyptische Wort für den Landepflock, mnj.t, konkreter mnj.t wr.t „der große Landepflock“, eine gängige Bezeichnung der Isis in Jenseitstexten ab den Pyramidentexten ist.1663 Deutlicher drückt ihre Funktion – nämlich dem Verstorbenen (durch die Bestattung) Halt im Jenseits zu geben – der Osiris-Hymnus der Stele Louvre C 286 aus, wo sie als „Landepflock ihres Bruders“ bezeichnet wird.1664 Das sichere Anlanden am Ufer durch den Beistand der Isis thematisiert auch die Hymne des pHeid. dem. 736 vs.1665 Eine griechische Umsetzung des Konzeptes von Isis als „Landepflock“ läßt sich m. E. in dem Epitheton ὁρμίστρια („die anlanden läßt/die den sicheren Hafen erreichen läßt“) erkennen, welches der Göttin nach pOxy. 1380 in der Hafenstadt Pelusium zugeschrieben wird.1666 Möglicherweise baut auch ihre hellenistische Entwicklung zur Göttin der Seefahrt unter anderem auf diesem Konzept auf. Das Bild der Isis als Patronin oder Symbol des Bestehens in Lebenskrisen und anschließenden Triumphierens bestätigt sich weiter in der 17. Lehre des möglicherweise bereits in der Saitenzeit entstandenen 1667 großen demotischen Weisheitsbuches (pInsinger, 20, 14ff.). 1668 Denn dort wird dazu geraten, in schwierigen Situationen durchzuhalten und nicht vor Sorge

1660 Das jeweils hinter njA.t geschriebene aA dürfte wohl nur ein lautliches Komplement sein, vgl. den Kommentar zu pSpiegelberg, 1, 15–16, von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 20.04.2012. 1661 VLEEMING, Some Coins, Nr. 153; vgl. auch EL-SAYED/Y. EL-MASRY, Athribis I, S. 19. 1662 Vgl. den Kommentar von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 20.04.2012. 1663 Siehe LGG III, 296b–c. 1664 Z. 15. Vgl. A. MORET, La légende d’Osiris à l’époque thébaine d’après l’hymne à Osiris du Louvre, in: BIFAO 30, 1931, S. 725–750: 741–743, Anm. 61. Eine Neuedition des Textes wurde von D. LUFT in ihrer Dissertation zu Osirishymnen vorgenommen, die Publikation ist in Vorbereitung (LUFT, Osiris-Hymnen). mnj „anpflocken, anlanden“ ist auch eine Metapher für „sterben“ oder die Bestattung. 1665 Z. x+8, siehe oben, Kap. 6.1.1. 1666 Z. 74; siehe oben, Kap. 6.1.3.2. 1667 Vgl. QUACK, Literatur, S. 123; ausführlich ID., Zur Chronologie der demotischen Weisheitsliteratur, in: RYHOLT (Hrsg.), 7th International Conference, S. 329–342. 1668 F. LEXA, Papyrus Insinger. Les enseignements moraux d’un scribe égyptien du premier siècle après J.-C., 2 Bde., Paris 1926; H.-J. THISSEN, Die Lehre des P. Insinger, in: O. Kaiser (Hrsg.), Weisheitstexte II, TUAT 3/2, Gütersloh 1991, S. 280–317; HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 239–273 (mit einer Liste weiterer Literatur inklusive der Editionen der übrigen Handschriften S. 361–362); QUACK, Literatur, S. 122–134 (zur Stelle: 130).

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Rächerin und Retterin

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zu verzweifeln,1669 wobei als mythische Vorbilder Schicksalsschläge von Re, Horus und Isis und deren anschließende glückliche Überwindung angeführt werden. So heißt es von Isis: xpr aw-n-ir.t n As.t Xn s.t-DbA r pH.w nAi irj=s Isis erlangte Glück im Unglück am Ende dessen, was sie durchgemacht hatte. (20, 19)1670 Auch hierzu läßt sich eine ähnliche Stelle im Isis-Orakel von pWien D. 12006 anführen,1671 denn innerhalb dieser 17. Lehre des pInsinger fällt unter anderem der Satz: Ein Tag ist anders als der andere bei dem, dessen Herz voll Sorge ist. (20, 14) Zumindest der Anfang desselben Satzes steht im Wiener Papyrus in einem Orakelspruch, der ein im Kontext nicht ganz klares Problem der Isis behandelt, das ihr gewaltsames Ergreifen (durch Seth) und wohl die erwünschte Vergeltung dafür beinhaltet (2, 3–7). Isis wird zu Geduld geraten, und der Abschnitt schließt mit dem Versprechen „Besitz (nkt) wird nicht von dir genommen werden“ (2, 7), was wieder an die zuvor zitierten Phrasen zum Besitz nach Elend erinnert (s. o.).1672 Im nächsten Orakel, das sich auch thematisch direkt anschließt (Isis fragt „Werde ich stürzen durch Seth, wenn er mich finden wird?“ 2, 8), wird der Göttin nochmals versichert: Wenn du besonders schwach bist, wirst du stark sein… (2, 10) Ebendieses (Stärke in einer Situation der Schwäche) bewirkt sie nach der Hymne des pHeid. dem. 736 vs. auch selbst für Menschen, die zu ihr rufen.1673 Isis kann diese Rolle also deswegen einnehmen, weil sie selbst in ihrem mythischen Leben einen solchen Tiefpunkt und große Trauer (um Osiris) sowie Angst und Sorge (um Horus) erfahren hat, schließlich aber durch Hartnäckigkeit (bei der Suche nach Osiris) und Kampfeswillen (für Horus gegen Seth) wieder triumphieren konnte.

1669 Vgl. speziell zu dieser Thematik im pInsinger M. LICHTHEIM, Late Egyptian Wisdom Literature in the International Context. A Study of Demotic Instructions, OBO 52, Freiburg – Göttingen 1983, S. 128–132. 1670 Übersetzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 12.06.2012; vgl. auch HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 260. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 169, läßt sich wohl von dem in dem Orakelspruch (siehe unten und die folgende Anm.) auftauchenden aw HA.v „geduldig sein“ (dort als Gegensatz zu sbk HAv „kleinmütig sein“) dazu verleiten, auch in pInsinger aw n HA.v statt aw n ir.t „Glück“ zu lesen. 1671 Vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 169. Siehe ausführlich zu diesem Text Kap. 6.5.1.3, unten. 1672 Vgl. dazu eventuell auch die Passage in der Erzählung des pSaqqâra 2 rt. („Die Rache der Isis“), in der die kranke/verfluchte Frau zu Imhotep sagt, daß ihre „Habe einer anderen meiner Art zugefallen ist“ (6, 21). 1673 x+4–5. Siehe oben, Kap. 6.1.1. Vgl. evtl. auch Graffito Theben 3156, Z. 17: „Die Herrin der Schwachen(?)“, siehe Kap. 6.2.5.1.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Wer sich in persönlicher Krise flehend an Isis wendet, dem wird – sowohl durch die Güte und Hilfsbereitschaft der Göttin als auch durch ihr eigenes beispielhaftes Vorbild – geholfen werden, so das Fazit der hier unter 6.4.2 zitierten Texte. So heißt es auch in der griech. Litanei an Isis des pOxy. 1380, 151–152: Du wirst gesehen von denen, die dich vertrauensvoll anrufen.1674

6.5

Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

Neben den in den letzten vier Kapiteln thematisierten Hymnen und Gebeten offizieller und privater Natur, theologischen, mythologischen und literarischen Quellen spielt Isis in der griechisch-römischen Zeit eine herausragende Rolle in magischen Texten und Artefakten sowie als Orakelgöttin.1675 Wieder lassen sich zahlreiche Überschneidungen mit den anderen ‚Textsorten‘ feststellen, so daß auch hier die praktikable Auswahl der Zusammenstellung in einem Kapitel keineswegs als kategorische Unterteilung zu verstehen ist. So enthalten die magischen Texte üblicherweise Götteranrufungen und Gebete, die sich in Form und Inhalt nicht prinzipiell von denjenigen unterscheiden, die im Rahmen anderer religiöser Praktiken verortet (Kap. 6.1–2) oder gar in literarische Texte eingebettet sind (Kap. 6.4). Ebenso werden mythologische Motive und Erzählungen (vgl. Kap. 6.3) in Form einer Historiola für magische Praktiken instrumentalisiert und dienen so als Präzedenzfall für aktuelle irdische Probleme und deren Lösungen mit Hilfe der aufgrund eigenem – mythischen – Erleben verständnisvollen Götterwelt. 1676 Außer Gebet-artigen Anrufungen und dem Verweis auf mythologische Vorbilder gibt es aber weitere Mechanismen, mit denen die Gottheit, hier Isis, in Orakel- und magische Praxis eingebunden werden kann: – durch Drohungen an die Gottheit – durch die Identifikation des Ritualisten mit der Gottheit – durch die Verwendung der Gottheit zugeordneter („sympathischer“) Objekte und Materialien.

1674 Vgl. dazu BERGMAN, „I Overcome Fate“, S. 43; vgl. Kap. 6.1.3.2. Zu dieser Idee sei auch nochmals auf das oben, Anm. 1643, zitierte Schlußwort der Lehre des Chascheschonqi „Werde nicht müde, den Gott anzurufen. Er hat seine Stunde des Hörens.“ (28, 10) verwiesen. 1675 In diesem Rahmen kann und soll keine Grundsatzdiskussion über die nach wie vor problematischen Begriffe „Magie“ und „Zauber“ und ihre Definition geführt werden. Zahlreiche Arbeiten haben sich ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt, so daß diese als hinreichend bekannt vorausgesetzt wird. Für Ägypten sei stellvertretend auf den rezenten Überblick der Diskussion bei STADLER, Einführung, S. 8–12, verwiesen; vgl. außerdem die Einleitung zur ägyptischen Magie von FISCHER-ELFERT, Altägyptische Zaubersprüche, S. 9–32. Zur Zusammengehörigkeit von Magie und Divination in Ägypten siehe RITNER, Mechanics, S. 36–37, m. Anm. 167. 1676 Ausführlich zur Verwendung von Historiolae in magischen Texten FRANKFURTER, Narrating Power; siehe auch J. ASSMANN, Die Verborgenheit des Mythos in Ägypten, in: GM 25, 1977, S. 7–43: 26– 33, bes. 30: „Bei mythischen Aussagen des im vorhergehenden Abschnitt betrachteten Typs, den um eine ‚epische Einleitung‘ erweiterten Zauberformeln, pflegt man von ‚mythischen Präzedenzfällen‘ zu sprechen und damit die Vorstellung argumentativen Zwanges zu verbinden, den eine unsichere Gegenwart auf die Formen einer exemplarischen Geschichte festlegen will.“

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Die insbesondere aus der Römerzeit zu diesem Thema vorliegenden Quellen in Form umfangreicher Zauberhandbücher (PGM und PDM) sowie archäologische Artefakte magischer Praxis wie Gemmen und Fluchtäfelchen zeichnen sich in besonderem Maße nicht nur durch ihre Zwei- oder Mehrsprachigkeit (der Großteil der hier thematisierten Texte ist in demotischer und/oder griechischer Sprache und Schrift geschrieben) aus, sondern auch durch ein weit fortgeschrittenes Stadium der Verarbeitung und Vermischung verschiedenster kultureller Einflüsse, 1677 was dieses Material für die vorliegende Arbeit besonders interessant macht. Bisher weniger bekannt, da meist stark fragmentarisch erhalten und zu einem Großteil noch unpubliziert, sind Vorläufer der demotischen Manuale aus der Ptolemäer- oder sogar bereits der Spätzeit, die noch deutlich weniger Elemente griechischer oder semitischer Sprache und Religion aufweisen.1678 6.5.1

Isis als Heilerin, Magierin und Orakelgottheit

6.5.1.1 Isis als Magierin vor der Ptolemäerzeit Die herausragende Stellung der Isis in magischen und divinatorischen Texten und Praktiken der griechisch-römischen Zeit beruht außer auf ihrer generellen Popularität in dieser Epoche vornehmlich auf dem ihr eigenen Ruf als Weise und Magierin, der bereits ab dem Mittleren Reich zu belegen ist.1679 Mit diesem Charakteristikum stellt sie sich selbst mehrfach in Ich-Aussagen innerhalb verschiedener Texte vor, häufig mit der Intention einer Machtdemonstration gegenüber anderen Göttern, unter denen sie so eine Sonderstellung einnimmt. 1680 Das bekannteste und gleichzeitig älteste Beispiel ist ihre wörtliche Rede im

1677 Siehe z. B. die Einführungen von H. D. BETZ und J. H. JOHNSON, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. xli–lviii; RITNER, Egyptian Magical Practice; W. M. BRASHEAR, The Greek Magical Papyri: an Introduction and Survey. Annotated Bibliography (1928–1994), in: ANRW II, 18, 5, 1995, S. 3380– 3648; außerdem QUACK, Kontinuität und Wandel; ID., Dämonen; ID., Zauber ohne Grenzen. Zur Transkulturalität der spätantiken Magie, in: Pries et al. (Hrsg.), „Synkretismus“, S. 177–199. In dem von J. F. QUACK und W. FURLEY geleiteten Projekt „The Magic of Transculturality“ des Exzellenzclusters „Asia and Europe in a Global Context“ der Universität Heidelberg habe ich gemeinsam mit L. BORTOLANI das Zusammenwirken der verschiedenen kulturellen Traditionen anhand der Gruppe der Divinationsrituale in den magischen Papyri untersucht; eine daraus resultierende Monographie ist in Vorbereitung. 1678 Die Edition zahlreicher Fragmente magischer Papyri aus verschiedenen Sammlungen ist in Vorbereitung durch J. F. QUACK: QUACK, Demotische magische Papyri 4. Ich danke J. F. QUACK herzlich dafür, mir sein Manuskript vor der Veröffentlichung zur Verfügung gestellt zu haben. 1679 Vgl. dazu MÜNSTER, Isis, S. 12 u. 192–197; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 285–289; QUACK, Lobpreis, S. 54–55. Zu Isis als Magierin siehe auch KÁKOSY, Iside Magia; einige Textzitate auch bei RITNER, Mechanics, S. 30–49. Speziell zu magisch-medizinischen Texten zur Schwangerschaft und Geburt O. GISBERT PUYO, El papel mágico de Isis: una aproximación a los embarazos, los alumbramientos y sus problemas derivados, in: N. Castellano et al. (Hrsg.), Ex Aegypto lux et sapientia. Homenatge al professor Josep Padró Parcerisa, Nova studia aegyptiaca 9, Barcelona 2015, S. 273–280; zur allgemeinen Funktion der Isis als magischer Schützerin, insbesondere von Orten und Raumeinheiten (auch im Rahmen von Ritualen), siehe THEIS, Magie und Raum, S. 600–602. 1680 Zu Isis’ Sonderstellung als Zauberin MÜNSTER, Isis, S. 196. Einige der folgend zitierten Texte in 6.5.1.1 und 6.5.1.4 werden auch bei GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, erwähnt, allerdings ohne z. B. auf die Besonderheit ihrer betonten Vorrangstellung gegenüber anderen Göttern in diesem Bereich einzugehen, noch auf die auffällig häufigen Selbstdeklarationen in der wörtlichen Rede der

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Sargtext-Spruch CT 148, wenngleich hier insgesamt ihre familiäre Situation und das Königtum des Horus im Mittelpunkt stehen. Die mythische Ausgangssituation ist ihre Schwangerschaft mit Horus nach dem Tod des Osiris. Sie bittet die Götter um Schutz für ihren Sohn, den sie als zukünftigen Herrscher der Götter prophezeit:1681 (Ich) habe die Gestalt eines Gottes gebildet im Ei als Sohn dessen, der an der Spitze der Neunheit ist, (als den), der diese Erde beherrschen wird, der Geb beerben wird, der Fürsprache einlegen wird für seinen Vater, der Seth töten wird, den Feind seines Vaters Osiris. (…) Wisset in eurem Herzen: euer Herr ist dieser Gott, der in seinem Ei ist, gewaltig an Gestalt, der Herr der Götter (…) (§§ 212a–214c) Auf die kritische Nachfrage durch Re-Atum, woher Isis denn wisse, daß es der Gott, Herr und Erbe der Götterneunheit ist, den sie im Leib trägt, antwortet sie selbstbewußt: Ich bin Isis, die zaubermächtiger (Ax) und erhabener (Sps) ist als jeder (andere) Gott! Der Gott, der in meinem Leib ist, der Same des Osiris ist er! (§ 216c) Ihr Wissen um die Zukunft wird hier also als ihrer Natur zugrunde liegend und damit selbstverständlich angesehen. Eindrücklich wird Isis’ Zauberkraft, mit der sie sich selbst über den Göttervater Re und damit in eine Spitzenposition unter allen Gottheiten erheben kann, in der Erzählung von der „List der Isis“ präsentiert, die in der oben beschriebenen Weise als mythischer Präzedenzfall in ein magisch-medizinisches Rezept gegen Schlangen- und Skorpiongift verwoben ist.1682 Zu Beginn der Erzählung betont eine ausführliche Charakterisierung ihre geistige Vormachtstellung: Nun war Isis eine kluge Frau (s.t sAr.t). Ihr Herz war rebellischer (XAq ib=s) als das einer Million von Leuten. Sie war hervorgehoben (stp) gegenüber einer Million von Göttern. Ihre Wahrnehmung (ip.t) war mehr als die von Millionen von Ach-Geistern. Es gab nichts, was sie nicht kannte im Himmel und auf der Erde wie Re, der den Bedarf der Erde ausführt.1683 In der Parallele auf pChester Beatty XI spricht Isis über sich selbst:

Göttin in der 1. Person. Aufgrund mangelnder Kenntnisse der ägyptischen Quellen (von den Autoren selbst eingeräumt auf S. 44) ist deren Beurteilung in Teilen als problematisch anzusehen. 1681 Siehe dazu bereits oben, Kap. 5.1.4, mit Literaturangaben. 1682 pTurin 1993 = CGT 54051; pChester-Beatty XI rto.; siehe BORGHOUTS, Ancient Egyptian Magical Texts, S. 51–55, Nr. 84; Y. KOENIG, Magie et magiciens dans l’Égypte antique, Paris 1994, S. 158– 161; K. STEGBAUER, in: TLA, Stand: 24.03.2014; A. ROCCATI, Magica Taurinensia, il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, AnOr 56, Rom 2011; vgl. auch MÜNSTER, Isis, S. 80 und 196; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 287–288; L. COULON, La rhétorique et ses fictions. Pouvoir et duplicité du discours à travers la littérature égyptienne du Moyen et du Nouvel Empire, in: BIFAO 99, 1999, S. 103–132: 128–130; VERNUS, Isis et les scorpions, S. 29–31; vgl. auch SBORDONE, Iside maga, S. 146–147, zur Magie des Namens. 1683 pTurin 1993, 1, 14–2, 1; pChester Beatty XI, 1, 5–6; vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 199.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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[Ich bin] Isis, die göttlich (nTrj.t) ist durch die Formeln (Ax.w) meines Mundes und durch die Weisheit (sAr.t) meines Herzens, die mein Vater, der Gott, mir gegeben hat.1684 Durch ihre List, mit der sie gleichzeitig ihre Zaubermacht beweist, erfährt sie schließlich auch noch das letzte Geheimnis, den geheimen Namen des Re: Aus dem Speichel des Gottes, vermischt mit Erde, formt sie eine Schlange und belebt diese, so daß sie ihn beißt und vergiftet. Während alle anderen Götter unter Trauergesten zum Göttervater eilen, kam Isis mit ihren Zaubersprüchen (Ax.w=s). Ihr Ausspruch ist Lebensluft, ihre Rede vertreibt Leiden, ihre Worte beleben die mit enger Kehle.1685 Um ihn zu heilen, müsse sie seinen wahren Namen rezitieren, versichert sie dem Sonnengott, der schließlich nachgibt und ihn ihr – und ihr allein, mit Ausnahme des eingeräumten Rechtes zur Weitergabe an ihren Sohn Horus – verrät. Entsprechend trägt die Göttin in der Erzählung bereits den später so häufigen Beinamen wr.t HkA.w „die Zaubermächtige“.1686 Noch detaillierter formuliert sie ihre magischen Fähigkeiten in der Historiola von Spruch VI der unter Nektanebos datierten Metternichstele. Dieser Spruch ist neben weiteren spätzeitlichen Textzeugen auch bereits auf einem Ostrakon der Ramessidenzeit (oGardiner 333) belegt und reicht wahrscheinlich noch weiter zurück: – Ich bin eine Tochter, eine Wissende (rx.t) in ihrer Stadt, die die Giftschlange mit ihrem Ausspruch vertreibt, nachdem mein Vater1687 mich Wissen gelehrt hat! – Ich bin Isis, die Göttliche/Göttin, Herrin der Zauberkraft (HkA), die die Zauberkraft (HkA) ausübt, zaubermächtig (Ax) an Beschwörungen, so daß jede beißende Schlange mir gehorcht!1688 – So sprach Isis, die Göttliche/Göttin, die Zauberreiche an der Spitze der Götter, der Geb seine Zaubermacht (Ax.w) gegeben hat, um das Gift mit ihrer Macht abzuwehren.1689 Die Aussagen sind deutlich mit derjenigen auf dem Rto. von pChester Beatty XI (s. o.) verwandt. Die genannte Eigenschaft als Herrin und Bezwingerin giftiger Tiere wird dadurch 1684 pChester Beatty XI, Frg. A, 2; A. H. GARDINER, Hieratic Papyri in the British Museum 3: Chester Beatty Gift, London 1935, S. 118; Taf. 66; vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 229, Anm. 2, u. 287. 1685 pTurin 1993, 3, 1–2. 1686 pTurin 1993, 3, 14. 1687 Gemeint ist nach heliopolitanischer Tradition ihr Vater Geb, wie aus Z. 61 (s. u.) hervorgeht. 1688 Zu dieser Aussage und zur Diskussion der beiden Begriffe HkA und Ax(.w) siehe RITNER, Mechanics, S. 30–35. 1689 Metternichstele, Z. 57, 59 und 60–61; siehe zu diesem Spruch C. E. SANDER-HANSEN, Die Texte der Metternichstele, AnAeg 7, Kopenhagen 1956, S. 35–43; J. P. ALLEN, The Art Of Medicine in Ancient Egypt, New York 2005, S. 60–62; BORGHOUTS, Ancient Egyptian Magical Texts, S. 59–62, Nr. 90; VERNUS, Isis et les scorpions, S. 35–36; H. STERNBERG-EL-HOTABI, Die Metternichstele, in: TUAT II, 2: Religiöse Texte, Gütersloh 1988, S. 358–380, bes. 376–378. Zum ersten Zitat vgl. auch D. KARL, Funktion und Bedeutung einer weisen Frau im alten Ägypten, SAK 28, 2000, S. 131–160; BORGHOUTS, Divine Intervention, S. 26. Weitere Textzeugen: ‚Socle Béhague‘ (Spruch I), siehe A. KLASENS, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, OMRO 33, 1952, S. 52–53 und 64–78. Vgl. zu den Aussagen der Isis auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 287; SFAMENI GASPARRO, Iside salutaris, S. 413–414.

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unterstrichen, daß Isis in der Erzählung von Spruch VI der Metternichstele von sieben ihr untergebenen Skorpionen begleitet wird,1690 die den Sohn einer Dame stechen, die sich der Göttin gegenüber unhöflich verhalten hat. Isis selbst hat jedoch Mitleid und heilt den Knaben mit ihren magischen Worten. Eine ähnliche Proklamation der Isis bezüglich ihrer Macht über giftige und gefährliche Tiere und deren Gefahren findet sich in einem weiteren magischen Spruch, der ebenfalls von der Ramessidenzeit bis in die Ptolemäerzeit belegt ist; besonders gut erhalten ist die Version auf einer thronenden Isisstatue der 26. Dynastie aus Giza.1691 Beginnend mit ink As.t „Ich bin Isis“ zählt die Göttin (bzw. der in ihrem Namen handelnde Rezitator des Spruches) in der Ich-Form ihre verschiedenen diesbezüglichen Kompetenzen auf. Als zaubermächtige Heilerin ihres eigenen jungen und noch verletzlichen Sohnes Horus, der an Krankheiten leidet oder von Schlangen und Skorpionen gebissen bzw. gestochen wird, tritt Isis in zahlreichen Historiolae magisch-medizinischer Rezepte ab dem Mittleren Reich auf. 1692 Horusstelen, zu denen auch die bereits zitierte Metternichstele gehört, und die generell die Heilung des Horuskindes durch seine Mutter Isis sowie speziell die Abwehr gefährlicher Tiere in Bild und Text thematisieren, sind bereits in der Ramessidenzeit belegt.1693 Insbesondere ab der Spätzeit erfahren sie große Verbreitung, die schließlich auch weit über die Grenzen Ägyptens hinausreicht.1694 Ihre praktische Anwendung bestand in dem Trinken von Wasser, das man zuvor über die Stele laufen ließ und damit magisch mit der Macht der auf ihnen angebrachten Sprüche und Bilder auflud; starke Abriebspuren weisen außerdem auf eine vorgestellte Wirkung durch Berührung hin.1695 In den Vignetten der Rückseite ist zunächst der Gott Amun-Re als zentrales Motiv im Stelengiebel vorherrschend, wird jedoch in der Ptolemäerzeit mehr und mehr von dem Ikon der Isis lactans im Papyrusdickicht verdrängt.1696 Einzelne Exemplare der Spät- bis Ptolemäerzeit

1690 Isis selbst kann als skorpionförmige Göttin erscheinen, z. B. in Behbeit el-Hagar und Edfu, siehe Kap. 4.4–5; vgl. auch pKairo CG 31168+31169, x+10, 14, siehe Kap. 6.3.1. 1691 PERDU, Isis de Ptahirdis (unter Berücksichtigung der anderen Versionen). 1692 Siehe MÜNSTER, Isis, S. 12 und 195, die jedoch erst Belege ab dem Neuen Reich anführt; M. MÜLLER, Magie in der Schule, Die magischen Sprüche der Schülerhandschrift pBM EA 10.085 + 10.105, in: G. Moers et al. (Hrsg.), jn.t Dr.w. Festschrift für Friedrich Junge, Göttingen 2006, S. 449– 465; weitere Sprüche der Metternichstele und des ‚Socle Béhague‘ mit Parallelen, siehe z. B. C. TRAUNECKER, Une chapelle de magie guérisseuse sur le parvis du temple de Mout à Karnak, in: JARCE 20, 1983, S. 65–92; vgl. auch QUACK, Lobpreis, S. 54–55, Anm. 38, mit weiteren Beispielen; außerdem die von K. STEGBAUER gesammelten und übersetzten Texte, in: TLA, Projekt „Digital Heka“ (Universität Leipzig). Auch in einem sehr langen medizinisch-magischen Rezept des frühdemotischen magischen Papyrus pBM 10378 aus dem 5.–4. Jh. v. Chr. wird der Patient in den ausführlichen und teils repetitiven Rezitationen immer wieder mit Horus, Sohn der Isis, identifiziert. Die bisher unpublizierte Handschrift wird ediert von QUACK, Demotische magische Papyri 4. 1693 Zu den Horusstelen STERNBERG-EL-HOTABI, Horusstelen, mit oft problematischer Datierung, Analyse und Deutung; siehe dazu die Rez. von J. F. QUACK, in: OLZ 97, 2002, Sp. 713–729; und ID., Die Horus-Stelen und ihr Bildprogramm, in: M. Gander et al. (Hrsg.), Ägypten: ein Tempel der Tiere, Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom 15. Juli bis 17. September 2006 im Zoologischen Garten Berlin, Berlin 2006, S. 107–109. 1694 Vgl. unten, Kap. 7.3. 1695 Siehe STERNBERG-EL-HOTABI, Horusstelen I, S. 188–189. 1696 Siehe STERNBERG-EL-HOTABI, Horusstelen I, S. 188; vgl. EAD., Isis und das Schicksal, S. 51.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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wurden sogar durch persönliche Weihinschriften der Stifter explizit an Isis dediziert.1697 Wenige Ausnahmeexemplare solcher Stelen zeigen im Hauptbild auf der Vorderseite Isis selbst an Stelle von Horus in der typischen Haltung als Herrin über die gefährlichen Tiere.1698 Die Göttin ist, wie Horus auf dem üblicheren Typus, nackt dargestellt. Eine Abwandlung dieser Konzeption in hellenistischem Stil könnte eine Stele aus Alexandria darstellen, die eine nackte Göttin mit Basileion in einer Variation des Aphrodite Anadyomene-Typus auf zwei Krokodilen hockend innerhalb von ägyptischer Tempelarchitektur zeigt.1699 Möglicherweise spielt Isis außerdem eine Rolle in Anrufungen an Imhotep aus dem 7.– 6. Jh. v. Chr., die Bitten um die Offenbarung von Heilmitteln mittels Traumorakeln enthalten.1700 6.5.1.2 Isis in den divinatorischen Träumen des Hor Das memphitische Archiv hauptsächlich demotischer Ostraka des ptolemäerzeitlichen Priesters Hor aus Sebennytos wurde bereits oben in Kap. 6.2.1.1 in seinen Grundzügen vorgestellt. Nachdem dort das Leben des Hor und die Anrufungen an Isis in oHor 10 mit einigen Parallelen in seinem übrigen Werk im Vordergrund standen, soll an dieser Stelle nun auf die Rolle der Isis in seinen prophetischen Träumen eingegangen werden. Diese lassen sich grundlegend in zwei Gruppen aufteilen: einerseits Träume, die Hors private Zukunft betreffen, und andererseits solche, die die Familie des Königs Ptolemaios VI. und die politische Zukunft des Landes betreffen. Aus ersterer Gruppe wurden oHor 8 und 9 bereits oben aufgrund der engen Verbindung zu einem Abschnitt in oHor 10 diskutiert, weitere Texte sind im genauen Verständnis aufgrund ihrer schlechten Erhaltung problematisch. Auf dem Verso von oHor 11 scheint die Beschreibung einer Traumsituation vorzuliegen; der Text der Vorderseite wird mit den Worten „Ich träumte…“ eingeleitet, und Hor soll darin ein Dokument über Getreiderationen ausfüllen.1701 Die Rückseite, die diesen Bericht vielleicht fortsetzt (in vs., Z. 11 werden die Dokumente wieder erwähnt), beginnt mit einer Anrufung an Isis und die Götter Ägyptens:1702

1697 CGC 9402 und 9406, siehe zu den Inschriften mit Weihung an Isis QUACK, Rez. Sternberg-el Hotabi, Sp. 723–724. 1698 GASSE, Stèle Brügger, die außer der von ihr besprochenen noch eine zweite Stele mit diesem Motiv in Paris, Bibliothèque Nationale, erwähnt sowie eine weitere mit Isis-Thoeris. 1699 ARSLAN (Hrsg.), Iside, S. 66, Kat. II.37. Vgl. dazu auch GASSE, Stèle Brügger, S. 139. 1700 pBrooklyn 47.218.47 vs. (hier ist Isis sicher genannt); pHeidelberg dem. 5 (Erwähnung von Isis unsicher). Publikation in Vorbereitung durch J. F. QUACK, Visionen von Imhotep; siehe vorläufig ID., Imhotep. Der Weise, der zum Gott wurde, in: V. M. Lepper (Hrsg.), Persönlichkeiten aus dem Alten Ägypten im Neuen Museum, Berlin 2014, S. 43–66; vgl. auch ID., Lobpreis, S. 56. Isis und Imhotep erscheinen auch gemeinsam (in unklarem Zusammenhang) in einem Zauberspruch auf einem wohl ptolemäerzeitlichen, aus Mumienkartonnage stammenden Fragment in Berkeley: pBerkeley 14931 (Edition: QUACK, Demotische magische Papyri 4). Ich danke J. F. QUACK herzlich für hilfreiche Hinweise, und dafür, mir seine vorläufigen Manuskripte zur Verfügung gestellt zu haben. Zu Isis und Imhotep vgl. die Erzählung „Rache(?) der Isis“ (pSaqqâra 2 rt.), siehe oben, Kap. 6.4.1.2, wenngleich sie dort offenbar in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stehen. 1701 RAY, Archive, S. 49–51. 1702 Übersetzungen (teilweise unsicher) nach RAY, Archive, S. 49–50.

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Vor Isis und den Göttern des Nordlandes, die versammelt sind auf dem Damm (tnay(?))1703 des südlichen Deiches (wn) von Memphis; vor Isis und den Göttern des Südlandes, diese […], indem sie groß an Herzen sind. (vs., Z. 1–5) Von Isis heißt es anschließend an einer teilweise zerstörten und etwas unklaren Stelle noch, daß sie „versammelt(?) ist in Ewigkeit […] (?)“ (As.t ntj swxy nHH […], vs., Z. 5). Die Gültigkeit ihrer Prophezeiungen an Hor soll wohl mit dem Satz „Isis spricht Wahrheit zu denen(?), die wahrhaftig sind“ (As.t Dd mAa.t n nA ntj mAa, vs., Z. 7) unterstrichen werden.1704 Anschließend redet Hor mit einem männlichen Ansprechpartner über seinen Aufenthalt beim Gott (xpr irm pA nTr = Inkubation im Heiligtum?).1705 Die Götterversammlung unter der Leitung von Isis erinnert stark an die Beschreibung einer ähnlichen Zusammenkunft in der Erzählung vom „Traum des Nektanebos“, die ebenfalls in Memphis zu lokalisieren ist und deren einziger griechischer Textzeuge zudem aus dem dortigen Sarapeion stammt und kontemporär zu Hors Aufenthalt dort ist (!).1706 Wahrscheinlich handelt es sich auch bei dem kleinen und schlecht erhaltenen oHor 65 um eine Traumaufzeichnung, denn nach einer kurzen Anrufung in der Art von oHor 10 („Komm zu mir, meine […]“, Z. 1),1707 ist es wohl die Göttin Isis selbst, die spätestens ab Z. 5 oder 6 in der 1. Pers. sing. spricht, wenngleich ihr Name nicht erhalten ist.1708 Noch im Einleitungsteil heißt es „denn sie spricht zu mir…“ (Z. 2) und es ist vom „Handeln gemäß den Worten, die sie geschrieben hat für die Menschen“ die Rede (Z. 3), was eine Art Erlaß oder Gesetzgebung der Göttin präsentieren könnte.1709 In den Aussagen der Isis(?) scheint es dann aber zunächst um Osiris zu gehen bzw. um Statuen von diesem, die von ihr(?) gefunden wurden (Z. 4–5). Solche werden auch in oHor 20 (Z. x+6) in ebenfalls insgesamt unklarem Zusammenhang erwähnt, doch Nephthys und Isis werden im direkten Kontext genannt.1710 Möglicherweise ist ein Bezug auf osirianische Riten gegeben, z. B. im Rahmen des Choiakfestes o. ä.1711 In dem bruchstückhaft erhaltenen Rest von oHor 65 scheint die Göttin ihren Schutz und Beistand (gegenüber Hor?) zuzusichern:

1703 Ein Damm wird auch in oHor 15, vs., Z. 4, und oHor 24B, Z. 5, erwähnt, ohne daß klar ist, ob es sich um eine identische Lokalität handelt und was genau gemeint ist, siehe den Kommentar von RAY, Archive, S. 146–147. Es sei zumindest darauf hingewiesen, daß das „Buch vom Durchwandeln der Ewigkeit“ ein wohl während des Choiakfestes stattfindendes Ereignis „die Nacht des Suchens nach dem Müdherzigen“ erwähnt, in der Isis „auf den Uferdamm (mry.t) kommt“, siehe HERBIN, Parcourir l’éternité, S. 203–204; KUCHAREK, Klagelieder, S. 143–144. Ob hier ein Zusammenhang besteht, kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden. 1704 Vgl. zu dieser Stelle auch STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 200. Zur Verbindung von Isis und Maat siehe BERGMAN, Ich bin Isis, S. 178–195; GRIFFITHS, Isis as Maat; vgl. Kap. 5.2.2.2.H. 1705 Vgl. RAY, Archive, S. 51. 1706 Siehe oben, Kap. 6.4.1.3; vgl. auch RAY, Archive, S. 158, (23). 1707 Vgl. oben, Kap. 6.2.1.1. 1708 RAY, Archive, S. 173–174. 1709 Zu Isis als Gesetzgeberin vgl. MM I u. MM III–IV, Kap. 6.1.2.1. 1710 Vgl. RAY, Archive, S. 80–81 und 174. 1711 Vgl. das griechische Serapeumsarchiv, siehe dazu oben, Kap. 6.2.1.2.

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Ich beschütze den, der eintritt, ich wache über den, der […] (Z. 6–7) und […] ich bin bei dir (vs., Z. 5). Am erhaltenen Ende wechselt der Text nochmals zur 3. Pers. sing. fem.: Sie ist gekommen(?). (vs., Z. 7) Die Texte der zweiten Gruppe, der „politischen Träume“, sind vor dem historischen Hintergrund der unsicheren Situation Ägyptens und der ptolemäischen Herrscher während des 6. Syrischen Krieges zu betrachten. 1712 Sie betreffen den zukünftigen Sieg über Antiochos (168 v. Chr.) und die Kontinuität der Herrscherdynastie. In dem auf oHor 1 dokumentierten Traum, der in die Zeit der Invasion des Antiochos IV. Epiphanes (169/8 v. Chr.) datiert, erhält Hor die Verkündigung von Isis über die Zukunft der ptolemäischen Dynastie.1713 Isis, die klassisch als „Herrin der Beiden Länder“ (Z. 10) tituliert ist,1714 agiert als Informantin über den Fortgang des 6. Syrischen Krieges: Siehe, Isis, die große Göttin, ist aus Syrien nach Ägypten gekommen, indem sie mit ihren Füßen auf der Wasseroberfläche des Meeres von Syrien (= das (östliche) Mittelmeer) lief. (Z. 11–13)1715 Nachdem sie von Thoth empfangen wurde, gibt sie im Traum die Weissagung, daß Alexandria sicher vor dem Feind ist (Z. 13–14) und der König von seinen direkten Nachkommen bis zu seinem Urururenkel beerbt werden wird (Z. 15–17). Die Bestätigung hierfür sei, daß die Königin mit einem männlichen Kind schwanger sei (Z. 17–18). Die Traumerscheinung der Isis auf dem Meer vor Alexandria paßt zu ihrer großen Rolle als Göttin der Häfen und der Seefahrt sowie als Patronin von Alexandria.1716 Für die Verbindung zu Syrien und dem syrischen Meer ist besonders interessant, daß etwa zur gleichen Zeit, nämlich unter Antiochos IV., der ikonographische Typus der „Isis mit Segel“ in der Münzprägung von Byblos erscheint.1717 Noch ausführlicher ist oHor 3, in dem Isis wieder eine zentrale Rolle als Garantin des Königtums spielt.1718 oHor 2 scheint mit RAY ein vorläufiger Entwurf zu sein, der später zu 1712 Vgl. QUACK, Apokalyptische Passage, S. 246–247. 1713 RAY, Archive, S. 7–14; vgl. dazu STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 200; DOUSA, Imagining Isis, S. 166; Y. E. BALBALIGO, Egyptology beyond Philology: Agency, Identity and the Individual in Ancient Egyptian Texts, in: R. J. Dann (Hrsg.), Current Research in Egyptology 2004, Proceedings of the Fifth Annual Symposium, University of Durham 2004, Oxford 2006, S. 1–19: 7. Der gleiche Traum war offenbar auch auf dem schlechter erhaltenen oHor 47 aufgezeichnet, siehe RAY, Archive, S. 112. 1714 Das gleiche Epitheton trägt sie auch in oHor 10 und 31B, vgl. RAY, Archive, S. 102–103. 1715 Übersetzung nach QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 378, m. Anm. 292. 1716 Siehe oben, Kap. 6.2.10.1. Vgl. dazu auch RAY, Archive, S. 156. 1717 Siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 20. 1718 RAY, Archive, S. 20–29; siehe außerdem, jeweils mit teilweiser Neuübersetzung, F. HOFFMANN, Ägypten, S. 190–192; DOUSA, Imagining Isis, S. 165–166 u. 169–170; QUACK, Literatur, S. 118; ID., Perspektiven zur Theologie, S. 72–73. Komplette Übersetzung bei G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 17.02.2014.

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dem Text von oHor 3 umgearbeitet wurde.1719 Ähnlich verhält es sich bei oHor 6, das wohl eine kürzere Version desselben Textes wiedergibt.1720 Der Text auf dem Recto der langen Version von oHor 3 beginnt mit einem enkomiastischen Gruß an Ptolemaios VI., der direkt angesprochen wird. Das Enkomion geht auf dem Verso schließlich über in eine Eingabe Hors, in der er von seiner korrekten Prophezeiung über den Rückzug des feindlichen Heeres mit Hilfe einer Traumvision berichtet, mit der wohl der auf oHor 1 dokumentierte Traum gemeint ist. 1721 Anlaß für die Ansprache an Ptolemaios VI. ist möglicherweise dessen Geburtstag am 13. Oktober 158 v. Chr. bzw. sein Besuch des Sarapeions von Memphis, der ebenfalls im Oktober desselben Jahres stattfand. 1722 Das Zusammenfallen seines Geburtstages mit dem großen Fest des Thoth ist laut Hor dem Wirken der Isis zu verdanken, als deren Vater Thoth auch hier bezeichnet wird (Z. 13).1723 Möglicherweise ist hierbei sogar mit einer ursprünglich memphitischen Tradition zu rechnen, die sich auf die Nähe und damit kulttopographische Verbindung der Heiligtümer von Isis und Thoth in Nord-Sakkara gründet.1724 In seiner Ansprache an den König versichert Hor diesen der anhaltenden Unterstützung seiner Dynastie durch Isis. Sie ist es auch, die ihm zufolge für Ptolemaios’ Geschick im neuen (Lebens-)Jahr verantwortlich ist, das seinen militärischen Erfolg und das Fortdauern seiner Dynastie beinhaltet: Eröffnet hat es (= das Jahr) Isis,1725 die Herrin des Diadems, das deinem Kopf ist (tA nb.t n tA grpy.t ntj (r) DADA=k).1726 Kein anderer Gott außer ihr wird Macht haben deinen Herrschaftsbereich.1727 Sie ist es, die das Gebiet Ägyptens hütet.1728 Du wirst kein Heer fürchten. (Denn) Thoth (ist) mit dir, indem er dir eine Schrift rezitiert (zur) Übergabe der Stärke und Bereitschaft deines Heeres (und) des Heiles deines Herrschaftsbereiches. Dein Vorhaben, das täglich kommt, ist dauernd, dauernd angefangen von Isis. Sie ist zu keiner Stunde entfernt von dir,1729 denn du liebst sie (?).1730 Denn du bist der Sohn ihres Sohnes. Sie hat jegliches gute Geschick 1719 RAY, Archive, S. 20. 1720 Siehe RAY, Archive, S. 34–35. 1721 Vgl. RAY, Archive, S. 27–28, Anm. a, c, i. Zu den Details der historischen Anspielungen siehe F. HOFFMANN, Ägypten, S. 192–194. 1722 Siehe F. HOFFMANN, Ägypten, S. 192. 1723 Vgl. Kap. 6.3.2; und zu den Belegen in den Tempeltexten Kap. 5.2.2.1.E. 1724 Vgl. RAY, Archive, S. 27, Anm. j, u. S. 157; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 340–341. Siehe auch STADLER, Weiser und Wesir, S. 153–155; BUDDE, Seschat, S. 145–146. 1725 Isis(-Sothis) ist üblicherweise die Eröffnerin des Jahres (wp.t rnp.t), Herrin des Jahresanfangs (nb(.t) tp-rnp.t) und Personifikation des guten Jahres (Rnp.t nfr.t) und beschützt den Pharao beim Jahreswechsel, vgl. z. B. Philae-Hymne 8; Dend. I, 20, 14–21, 5. 1726 Das gleiche Epitheton trägt Isis auch in oHor 6, 7. 1727 Enge Parallele in oHor 6, 8. 1728 Zum Abschnitt bis zu dieser Stelle auch DOUSA, Imagining Isis, S. 165–166. 1729 Vgl. dazu Philae-Hymne 6: nn Hrj=T Ra „Du bist nicht fern von Re“, auch hier im Kontext der Herrschaft und Machtsicherung, denn darauf folgt: iTj(.t) tA.wj r Snw „um zu ergreifen die Beiden Länder bis zum (ganzen) Umkreis (?)“, siehe Kap. 4.1.1.A. 1730 QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72, erwägt alternativ noch die Übersetzung „sie liebt dich“, was im Hinblick auf die Beziehung zwischen Gottheit und Mensch üblicher wäre, siehe dazu z. B. MINAS, Ahnenreihen, S. 55–59.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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für dich geschehen lassen. Sie veranlaßte deine Geburt im 1. Monat der Überschwemmungszeit, (am) 12.1731 Tag, dem großen Fest des Thoth, ihres Vaters. Ihr Herz pflegt darüber jährlich glücklich zu sein wegen der Wohltaten, die dir am nämlichen Tag geschehen sind. (Z. 5–14)1732 Ptolemaios VI. wird von Hor als idealer und siegreicher Herrscher präsentiert, dessen Vorhaben gelingen werden. Dies hat er jedoch zu einem Gutteil Isis zu verdanken, die in ihrer traditionellen Rolle als Kronengöttin1733 und mythische Mutter des Pharao präsentiert wird. Sie hat sich nicht nur bereits in der Vergangenheit um die Geschicke der Dynastie gekümmert (Z. 26–27: „Sie hat dich und all deine Väter versorgt.“),1734 sondern gewährt auch seinen Nachfahren die Herrschaft: Isis bringt im Tempel von Memphis1735 deinem Sohn die Kronen und seinen Kindern nach ihm für sehr viele lange Tage. (Vs., Z. 1–2) Diese Zeile rekurriert eindeutig auf den Traum in oHor 1 (s. o.), demzufolge die Söhne bis in die Generation der Urururenkel das Diadem tragen werden (Z. 15–17).1736 Interessanterweise wird damit auf genau die gleichen Themen angespielt wie in MM III (Abschnitt 2–3), siehe Kap. 6.1.2.1.1737 Aufgrund der genannten Leistungen der Göttin für das Königshaus empfiehlt Hor Ptolemaios VI. nachdrücklich ihrer ausschließlichen Fürsorge an: Du sollst dein Herz Isis überlassen in jeder Sache,1738 du sollst dich Isis in jedem Anvertrauen anvertrauen! Du sollst zu keinem anderen Gott rufen außer Isis, denn sie allein kennt dich.1739 Sie ist die Einzige/Einzigartige, die Millionen fürchten. (Z. 22–26)1740 1731 Eigentlich müßte der 19. als Datum des großen Thoth-Festes stehen, vgl. QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72, Anm. 27. 1732 Übersetzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 17.02.2014; vgl. zu diesem Abschnitt auch F. HOFFMANN, Ägypten, S. 191; QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72. 1733 Zu Isis als Herrin des Diadems vgl. oben, Kap. 6.4.2.2. 1734 Übersetzung nach QUACK, Literatur, S. 118. Dagegen RAY, Archive, S. 25: „Sie hat dein Diadem gemacht, zusammen mit (dem von) all deinen Angehörigen.“; DOUSA, Imagining Isis, S. 165, m. Anm. 61: „Sie hat dein Diadem und all deine (Krönungs-?)Zeremonien gemacht“. sHn kann hier aufgrund des fehlenden Schlangendeterminativs aber kaum das Diadem sein, vgl. ERICHSEN, Glossar, S. 446, und die eindeutige Schreibung von sHn „Diadem“ auf dem Vs., Z. 1. 1735 Memphis war der traditionelle Krönungsort, wo sich einige Ptolemäer wohl ebenfalls nach ägyptischem Zeremoniell krönen ließen, siehe RAY, Archive, S. 20, Anm. b; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 92–120; sehr skeptisch zu angeblichen ägyptischen Krönungen verschiedener Ptolemäer M. A. STADLER, Die Krönung der Ptolemäer zu Pharaonen, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft NF 36, 2012, S. 59–95, speziell zur durchaus betonten Rolle von Memphis bei der königlichen Legitimation bes. S. 95. Vgl. dazu auch pOxy. 1380, Z. 249 (siehe oben, Kap. 6.1.3.2, mit Anm. zur Stelle). 1736 Siehe RAY, Archive, S. 28, Anm. c. Historisch könnte die Zeile auf eine vorgenommene Krönung von Ptolemaios Eupator als Mitregenten anspielen, siehe dazu RAY, Archive, S. 27–28, Anm. a; F. HOFFMANN, Ägypten, S. 192. 1737 Vgl. zu dieser Parallele auch DOUSA, Imagining Isis, S. 166–167. 1738 Vgl. Graffito Ph. 416: „Mein Herz hängt an dir in Ägypten, in Meroe und in den Wüsten.“ Kap. 6.2.2.2. 1739 Vgl. den Personennamen As.t-rx-s; zu dessen Übersetzung DOUSA, Praising Isis, S. 248, Anm. 11; W. SPIEGELBERG, Demotische Kleinigkeiten 6: Der Name Θουθορχῆς, in: ZÄS 54, 1918, S. 124.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Der auffällige Ausschließlichkeitsanspruch, nur zu Isis und keinem anderen Gott zu rufen, entspricht genau demjenigen in pTebt. Tait (und Parallelen) (Kap. 6.1.4). Die Parallele gewinnt noch zusätzlich an Bedeutung insofern, als es dort offenbar Thoth ist, der diese Aufforderung ausspricht und somit wie in den Ostraka des Hor an Isis’ Seite steht.1741 Eine direkte Aufforderung, Isis (und Sarapis) anzubeten, findet sich auch in der Inschrift des Sansnos in Kalabscha (IM 165), wenngleich hier andere Gottheiten nicht ausgeschlossen werden.1742 Besonders interessant ist aufgrund der gleichen Datierung und des königlichen Kontextes eine Szenenbeischrift in Philae, die der Königin Kleopatra II. die an ihren Gemahl Ptolemaios VI. gerichteten Worte in den Mund legt: Mein geliebter Bruder, fülle dein Herz mit Isis, denn sie ist die Herrin der Götter, die Gebieterin der Göttinnen. (Philä I, 231– 232)1743 Die Betonung ihrer Vormachtstellung gegenüber dem übrigen Pantheon ist, wie oben (Kap. 6.5.1.1) gezeigt, bereits in Isis’ Selbstcharakterisierung in CT 148 präsent. Zur Aussage, sie allein werde von Millionen verehrt, bietet wiederum MM I, 23–24, eine Parallele, wo es heißt, daß sie allein als alle anderen Göttinnen von den Völkern verehrt wird.1744 Mit einem ganz ähnlichen, eindringlichen Appell, sich ganz der Göttin zu überlassen, beschließt Hor sein Enkomion für Ptolemaios VI. auf dem Verso von oHor 3. Hier wird auch nochmals der militärische Sieg im Detail als Gabe der Isis thematisiert: Du sollst dich in die Arme (= den Schutz) der Isis begeben, denn sie veranlaßt, daß deine Lebenszeit heil ist. Sie gibt deine Feinde unter deine Füße, und sie gibt dir […?] derer, die deine Grenzen angreifen. Wenn du es wünschst, werden sie dir Tribut zahlen [durch?] das Werk der Isis, der Königin von allen/m Existierenden(?) (praA.t n tm(?) nb),1745 die Befehle erteilt im ganzen Land (wAH sHn (n) pA tA Dr=f).1746 (vs., Z. 2–7)1747 Die Charakterisierung von Isis als kriegerische Göttin, die bei der Bekämpfung von Feinden hilft, entspricht ihrer Rolle in der Amazonengeschichte (siehe Kap. 6.4.2.1) und zahlreichen anderen Texten.1748 1740 1741 1742 1743 1744

Übersetzung nach QUACK, Literatur, S. 118. Vgl. QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 73. Siehe Kap. 6.2.4. Siehe Kap. 4.1.1.B. Siehe Kap. 6.1.2.1. Vgl. dazu RAY, Archive, S. 155; und DOUSA, Imagining Isis, S. 169–170, die die Stelle (trotz abweichender Übersetzung) ebenfalls mit der Isidoros-Hymne in Verbindung bringen. 1745 Das gleiche Epitheton wird auch in oHor 6, 9 und oHor 10, 16, genannt. Die Lesung tm ist unsicher, als alternative Lesung gibt RAY, Archive, S. 47, Anm. p, und S. 156, noch iwa „die Herrin allen Erbes“ an; zur Diskussion dieser Stelle siehe auch DOUSA, Imagining Isis, S. 162, m. Anm. 50; KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 17 (zur Parallele in oHor 10, 16). Vgl. den griechischen Titel Pantokrateira u. ä., in MM I, 2; pOxy. 1380, 20; 136–137. 1746 Die gleiche Folge von Epitheta (von pr-aA.t bis tA Dr=f) benutzt Hor in oHor 10, Z. 16–17, für Isis, siehe Kap. 6.2.1.1. Der zweite Titel ähnelt außerdem dem in den Philae-Graffiti mehrfach belegten tA TsyA.t n pA tA Dr=f (u. ä.), siehe Kap. 6.2.2.2. 1747 Übersetzung nach QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 72; und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 17.02.2014.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Auch der bereits in der Antike absichtlich zerstörte Text von oHor 28 aus der Zeit der gemeinsamen Regierung von Ptolemaios VI., Ptolemaios VIII. und Kleopatra II. (170–163 v. Chr.) scheint einen Traum für das Wohl der ptolemäischen Herrscher aufzuzeichnen: Es läßt sich noch erkennen, daß Isis (in einem Traumorakel an Hor?) ein Heilmittel für die erkrankte Königin gegeben haben soll (Z. 15–16).1749 Isis nimmt darin also die traditionelle Funktion als Heilerin ein, die in medizinischen Texten seit dem MR belegt ist (siehe oben, 6.5.1.1). Spätestens ab der Ptolemäerzeit wandte man sich in der Praxis der Tempelinkubation zur Genesung unter anderem an Isis und Sarapis;1750 gerade aus dem Sarapeion von Memphis sind außerdem griechische Traumaufzeichnungen der dort lebenden Enkatochoi erhalten.1751 Des weiteren sind Traumerscheinungen der Gottheiten dokumentiert, in denen sie dem Träumer (durch ein πρόσταγμα) eingeben, einen Tempel für sie zu errichten, wie es auch in ptolemäischen Gründungstäfelchen aus Alexandria festgehalten wird.1752 Auch Gründungen von Isis- und Sarapis-Heiligtümern außerhalb Ägyptens sollen so vonstatten gegangen sein.1753 6.5.1.3 Die ‚Sortes Isiacae‘, Isis als Orakel-Gottheit und ihre Rolle in weiteren prophetischen Texten Aus Soknopaiou Nesos stammt ein ungewöhnlicher demotischer Orakeltext, der dort auf mindestens zwei Papyri des 1. Jhs. n. Chr. belegt ist, von dem jedoch Teile bereits auf einem Papyrus der 30. Dyn. bezeugt sind.1754 Inhaltlich ist der Text im ersten Teil als Dialog 1748 Vgl. z. B. Graffito Ph. 421: „die Kraft gibt einem gegen eine Menge, indem sie ihren Feind unter ihren Liebling gibt“, siehe Kap. 6.2.2.2. 1749 RAY, Archive, S. 97–98. Vgl. dazu auch DUNAND, Religion isiaque?, S. 45; EAD., Guérison, S. 11; RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 445–446. 1750 Dazu z. B. DUNAND, Guérison; und jetzt besonders RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 329– 393, der der üblicherweise in der Sekundärliteratur angenommenen ‘weiten Verbreitung’ dieser Praxis in Heiligtümern von Isis und Sarapis skeptisch gegenübersteht: in vielen Fällen lassen die erhaltenen Quellen weder eindeutig erkennen, ob einerseits entsprechende Träume durch rituellen Tempelschlaf herbeigeführt wurden, noch, ob Isis’ und Sarapis’ Aspekt als Heilgottheiten immer mit dieser Praxis verbunden ist. 1751 Vgl. zu deren Archiv oben, Kap. 6.2.1.2. Zu den Traumaufzeichnungen z. B. LEGRAS, Reclus grecs, S. 256–259; L. PRADA, Dreams, Bilingualism, and Oneiromancy in Ptolemaic Egypt: Remarks on a Recent Study, in: ZPE 184, 2013, S. 85–101 (der die Interpretationen von S. KIDD, Dreams in Bilingual Papyri from the Ptolemaic Period, in: BASP 48, 2011, S. 113–130, zu Recht kritisiert); RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 418–423. 1752 Siehe oben, Kap. 6.2.10.1. 1753 So überliefert Libanius, 11, 114, daß Isis durch eine Traumanweisung an Seleukos II. nach Antiochia gekommen ist; siehe F. W. NORRIS, Isis, Sarapis and Demeter in Antioch of Syria, in: HTR 75, 1982, S. 189–207, bes. 190–191; vgl. H. S. VERSNEL, Ter Unus: Isis Dionysos Hermes. Three Studies in Henotheism, Inconsistencies in Greek and Roman Religion I, Studies in Greek and Roman Religion 6, Leiden et al. 1990, S. 39–95: 40. 1754 pWien D. 12006 und pWien D. 12194. Eine weitere demotische Handschrift, pWien D. 6335, ist bisher unpubliziert und wird derzeit von J. F. QUACK bearbeitet; nach seiner freundlichen Auskunft bietet sie für einige Fehlstellen der anderen Textzeugen neue Informationen. Aus der 30. Dyn.: pBerlin P. 23057. Edition des Textes: STADLER, Isis, das göttliche Kind; Vorberichte bereits ID., Isis, das göttliche Kind und die Weltordnung. Prolegomena zur Deutung des unpublizierten Pap. Wien D. 12006 Recto, in: Assmann/Bommas (Hrsg.), Ägyptische Mysterien?, S. 109–125; und ID., „Das Kind sprach zu ihr“; rezent nochmals, mit Zusammenfassung der Diskussion, ID., Einführung, S. 165–177.

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zwischen Isis und einem als Orakel dienenden ‚Stein‘ oder ‚Kind‘ (?) gestaltet,1755 wobei die Göttin Fragen stellt, die sich auf mythische Geschehnisse beziehen, die vermutlich als Präzedenzfälle für realweltliche Anfragen dienen.1756 Sie werden jeweils eingeleitet durch die Formel „Die Frage, die Isis, die große Göttin, stellte, indem sie sagte:…“ (pA Sn i.ir As.t tA in.nTr.t aA.t iw=s Dd). Die Antworten, die wohl über die jeweils davor stehenden Zahlenkombinationen erschlossen werden, gibt ‚der Stein/das Kind(?)‘ (pA al), den STADLER mit Harpokrates gleichsetzt,1757 was jedoch unsicher bleiben muß.1758 Es scheint sich insgesamt um eine Art Handbuch zur Divination zu handeln; allerdings ist aufgrund des fehlenden Anfangs und zahlreicher weiterer Fehlstellen eine sichere Deutung der Gattung und Funktion des Textes problematisch.1759

1755

1756

1757 1758

1759

Vgl. die Rezensionen von DEVAUCHELLE; DIELEMAN; QUACK; T. S. RICHTER; WINKLER, und die Reaktion mit erneuter Bekräftigung seiner Deutung von M. A. STADLER, Isis würfelt nicht, in: Studi di Egittologia e di Papirologia 3, 2006, S. 187–203. Weitere Bemerkungen bei NAETHER, Sortes Astrampsychi, S. 333–336; vgl. außerdem die Übersetzung bei QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 362–367 (nur die besser erhaltenen Partien), und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 26.03.2014. Kolumnen 1–3. Der zweite Teil ab Kol. 4 wendet sich allgemeiner gehaltenen Orakelsprüchen („Der Orakelspruch über XY, der/indem er (nähere Beschreibung)…“ zu, die nicht mehr an Isis gerichtet sind, vgl. den Kommentar bei STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 178–179. J. DIELEMAN, in: BiOr 66, 2009, S. 228, vermutet, daß mit dem Suffix der 2. Pers. Sing. masc. in den Antworten nun der junge Horus selbst angesprochen wird, der auf seine Aufgaben in der Auseinandersetzung mit Seth und der Ergreifung des Königsamtes vorbereitet wird. Zum Stein oder Kind s. u., Anm. 1758. NAETHER, Sortes Astrampsychi, tituliert diesen ersten Teil als ‚Sortes Isiacae‘; STADLER, Einführung, S. 171–172, gibt allerdings zu Recht zu bedenken, daß beide Teile durch die Art ihrer Niederschrift und das gemeinsame Zahlensystem eine Einheit bilden und nicht artifiziell voneinander getrennt werden sollten. Vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 168 und 207–214. STADLERs Deutung von al als ‚Kind‘ (alw) ist problematisch, da weder auslautendes w noch Kinddeterminativ geschrieben sind, vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 88–89. Wahrscheinlicher ist ein Zauberwürfel oder Kiesel gemeint: QUACK, Rez. zu: Stadler, Isis, das göttliche Kind, S. 175; ID., Demotische magische und divinatorische Texte, S. 362–367; DEVAUCHELLE, Rez. zu: Stadler, Isis, das göttliche Kind, S. 244; T. S. RICHTER, Rez. zu: Stadler, Isis, das göttliche Kind, S. 380–386; und DIELEMAN, Rez. zu: Stadler, Isis, das göttliche Kind, Sp. 227–228, erkennen ein Steindeterminativ (an Stelle des von STADLER gelesenen Sonnendeterminativs) und plädieren somit für die Deutung als Stein/Würfel; auch G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 12.10.2016, übersetzt „Stein“, mit ausführlichem Kommentar zur ersten Nennung in 1, 1, wo er auch eine Parallele zu sprechenden Steinen in magischem Zusammenhang in dem in Edition durch H.-W. FISCHER-ELFERT befindlichen pQueens College Oxford anführt. Eventuell impliziert die Ähnlichkeit der beiden Wörter ein intendiertes Wortspiel: nach A. WINKLER, in: LingAeg 15, 2007, S. 363, wird für die Ausübung der Divination wohl ein Stein (al) benutzt, der jedoch auf mythologischer Ebene das ungeborene Kind (alw) der Isis repräsentiert. Zusammenfassung der Diskussion nochmals bei STADLER, Einführung, S. 172–177, mit erneuter Argumentation für eine Deutung als (Sonnen-)Kind. Neue Parallelen für die Interpretation als Orakel mit Hilfe eines Stein(würfel)s führt QUACK, Losorakel, S. 331, Anm. 42; ID., Demotische literarische und subliterarische Texte in Wien (in Vorb.) an. Versuche und Problematik der Deutung bei STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 257–276; zur möglichen Funktionsweise des Zahlensystems NAETHER, Sortes Astrampsychi, S. 334–336; vgl. dazu (mit Bemerkungen zu den weiterhin bestehenden Problemen) STADLER, Einführung, S. 167–173.

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Die Anfragen der Isis betreffen verschiedene Mythenkreise, in denen sie eine Rolle spielt, hauptsächlich aber den Horusmythos. 1760 Zu Beginn geht es um die Auseinandersetzungen zwischen Horus und Seth (1, 9–19), und Isis befragt den Stein/das Kind(?), ob Seth mit seinen Vorhaben (Ergreifen des Thrones und Gewalttaten gegen Horus) Erfolg haben wird. Eine Anfrage dreht sich um eine Reise der Isis nach Nubien (1, 23–27), die sich eventuell mit dem Mythos der Fernen Göttin verbinden läßt.1761 Eine weitere Möglichkeit wäre m. E. eine Anspielung auf Isis’ Suche nach Osiris in Nubien, die auch in anderen magischen Texten als Motiv erscheint. 1762 Gefragt wird im Orakel möglicherweise (die Stelle ist nicht ganz erhalten) nach dem glücklichen Verlauf dieser Reise, und aus der Antwort geht hervor, daß es sich um eine Reise auf dem Seeweg handelte – was gut zur Suche nach Osiris passen würde –, falls nicht nur mit einer bloßen Metapher zu rechnen ist. Anschließend wenden sich die Orakel wieder der Thematik um Isis, Horus und Seth zu, mit den Fragen, ob Isis sich verstecken soll (mit Horus vor Seth, 1, 27–32), und einem nicht ganz klaren Problem, das ein gewaltsames Ergreifen der Isis und wohl die erwünschte Vergeltung dafür beinhaltet (2, 3–7). Im Vergleich mit der 17. Lehre des pInsinger (20, 14– 20) macht STADLER plausibel, daß Isis Geduld bis zur Überwindung ihres Unglücks angeraten wird, denn es wird der dortige Satz „Ein Tag ist anders als der andere“ wörtlich zitiert (2, 5), und die in pInsinger aufgezählten mythologischen Vorbilder der Erlebnisse von Horus und Isis entsprechen ebenfalls der Situation des Orakeltexts.1763 Auch die folgenden Fragen betreffen die Sicherheit der Göttin und ihres Sohnes vor Seth und anderen Gefahren (z. B. Fehlgeburt) (2, 7–34; 3, 11–30) sowie die Horusgeburt selbst (3, 2–6) und seine Krönung bzw. Ergreifung des Herrscheramtes (3, 6–11;1764 36– 38), wobei die Reihenfolge nicht der logischen Chronologie des Geschehens folgt, sondern zwischen verschiedenen Phasen und Themen der Basisgeschichte hin und her springt. In 3, 21, ist von einer Gefangenschaft der Göttin durch Seth die Rede (vgl. 2, 3–7?), was an eine Passage des Deltapapyrus erinnert, in der „die Gottesmutter“ (wohl Isis, obwohl der Name nicht genannt ist) von Seth gefesselt und vergewaltigt wird.1765 Auch konkret kriegerische Aspekte und die persönliche Kampfkraft der Isis gegen Seth werden hervorgehoben, wenn das Orakel(kind?) ihr – geradezu in der Art der motivierenden Ansprache eines Generals vor der Schlacht – einerseits zur raschen Flucht, noch mehr aber zur Konfrontation rät: Laufe, um nicht zuzulassen, daß dir Gewalt angetan wird! Wenn du dich rettest, sei auch behende! Wenn du [Ka]mpf liebst, wirst du zu nehmen. Wenn du kämpfst, wird es dir gut gehen. (3, 18–20)1766

1760 Vgl. die Übersetzung bei STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 47–62, die Inhaltsübersicht S. 168– 178 und die Deutung 258–260. 1761 STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 168, bleibt etwas unsicher bei dieser Deutung. 1762 Siehe dazu unten, Kap. 6.5.2.1. 1763 STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 169–170. Siehe dazu Kap. 6.4.2.2. 1764 Vgl. speziell zu dieser Stelle auch QUACK, Schicksalsvorstellungen, S. 47. 1765 pBrooklyn 47.218.84, 14, 1–2; siehe oben, Kap. 4.13.2; vgl. DEVAUCHELLE, Rez. zu: Stadler, Isis, das göttliche Kind, S. 244. 1766 Die Übersetzung der jeweils mit i.irj=T beginnenden Sätze ist unsicher; die Wiedergabe oben folgt STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 59, mit Korrekturen durch G. VITTMANN, in: TLA, Stand:

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In einer einzigen Anfrage erkundigt sich Isis ausnahmsweise auch nach der Sicherheit des Osiris (3, 30–36), was ein wenig verwundert, bedenkt man, wie zentral wichtig diese Thematik speziell für die spätägyptische Religion war; auf einen möglichen weiteren Bezug auf Osiris in dem Orakel habe ich oben bei dem Thema der „Reise nach Nubien“ (1, 23–27) hingewiesen. Die sonst übliche Charakterisierung der Isis als weise Magierin wird in diesem Text trotz seines Orakelcharakters zugunsten des mythischen Vorbildes einer durch zahlreiche Faktoren in Bedrängnis geratenen Frau stark zurückgenommen.1767 Innerhalb der Basis-Situation des Orakels ist sie nicht die mächtige, allwissende Göttin der Hymnen und Tempeltexte, sondern die zunächst hilflose und ängstliche Fragestellerin, die der Weissagung und moralischen Bestärkung durch ein göttliches Medium bedarf, das letztlich wohl als ihr eigener Sohn zu identifizieren ist. Die Göttin zeigt hier Schwäche und erscheint nur allzu menschlich, was generell als Merkmal ihrer ‚irdischen‘ Erlebnisse im Mythos gelten darf und mit besonderer Vorliebe für die praktische Anwendung im Bereich der Magie genutzt wird. So tritt Isis beispielsweise im altkoptischen Liebeszauber PGM IV 94–153 als verzweifelte betrogene Ehefrau auf, die weinend zu ihrem Vater Thoth läuft.1768 Die für die mächtige Göttin als typisch bekannten Verhaltensweisen und Eigenschaften bilden sich im Wiener Papyrustext vielmehr erst durch die Orakelausdeutungen und Ratschläge des al heraus: Isis wird angewiesen, stark und kämpferisch zu sein (s. o.),1769 ihr wird vorausgesagt, daß sie durch ihre Erziehung den Charakter des jungen Horus formen und ihn so zu einem würdigen Thronfolger und Rächer seines Vaters heranziehen wird (3, 15–16).1770 Die Aussagen des al enthalten jeweils eine Heilsbotschaft, indem sie grundsätzlich ankündigen, daß schließlich ‚alles gut werden‘ wird, häufig durch die Hilfe der Götter, unter denen hier vor allem Amun eine zentrale Rolle spielt. Eine ähnliche Grundsituation, falls zumindest die übertragene Deutung des al als noch ungeborenes Kind der Isis zutrifft,1771 wird von dem Delos-Hymnus des ptolemäischen Hofpoeten Kallimachos (tätig unter Ptolemaios II.) überliefert, der offenbar vom ägyptischen

1767 1768 1769 1770 1771

25.03.2014. Möglich wäre auch mit QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 365, „Du sollst dich schützen, oder dich beeilen! Du sollst es lieben, zu kämpfen, du sollst nehmen! Du wirst kämpfen, du wirst gut dran sein!“ zu übersetzen (die Verwendung des 2. Tempus läßt beide Übersetzungsmöglichkeiten zu), vgl. die Kommentare von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 25.03.2014. Vgl. auch den Kommentar von STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 199–207. Zu dieser Rolle der Isis in magischen Texten vgl. auch unten, Kap. 6.5.2. Siehe dazu unten, Kap. 6.5.2.2. Vgl. zu dieser Rolle besonders die Bemerkungen zur Amazonengeschichte, oben, Kap. 6.4.2.1. Vgl. den Kommentar zu dieser Stelle bei STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 118–120. Zu Isis’ Rolle gegenüber Horus generell NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 116–125; und oben, Kap. 5.2.2.1.A. Eine mindestens übertragene Deutung (selbst wenn in der Realität ein Steinchen-/Würfelorakel benutzt wurde) wird an den Stellen deutlich, wo der Antwortgeber, also der al in der 2. Pers. sing. masc. angesprochen wird, oder selbst in der 1. Pers. Pl. spricht, und durch den Inhalt der Aussagen mit Isis’ Sohn verbunden wird: 3, 22 (Isis zum al) „Wird dir Nachruhm entstehen?“; 3, 5 (al zu Isis) „Wir werden nicht dadurch zu Fall kommen“; vgl. STADLER, Einführung, S. 173–174.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Horus-in-Chemmis-Mythos beeinflußt ist; 1772 darin prophezeit Apollo – der griechische Orakelgott par excellence, der übrigens auch häufig mit Horus gleichgesetzt wurde – seiner Mutter Leto noch in ihrem Leib, während Leto von der wütenden Hera verfolgt wird. Dem Rückzug der Isis nach Chemmis und der dortigen Geburt des Horus entspricht hier die Flucht Letos auf die ‚schwimmende Insel‘ Delos. Für die Thematik des Horusmythos lassen sich in zahlreichen Orakeln und orakelhaften Texten Parallelen finden, wobei hier Isis entweder selbst als Geberin des Orakels auftritt, oder aber als Objekt, über das eine Prophezeiung gegeben wird, erscheinen kann. So gemahnen die Fragen und Antworten des Wiener Papyrus inhaltlich an die Zukunftsvorhersage, die Isis bereits im Sargtextspruch 148 über ihren Sohn abgibt (siehe oben, Kap. 6.5.1.1).1773 Sie selbst wird auch im Hymnus am Ende von pOxy. 1380 als „orakelgebend“ (Z. 252) bezeichnet und setzt wiederum Horus(?) „als orakelgebenden König über das väterliche Haus auf alle Zeit“ ein (Z. 266–268).1774 STADLER führt auch eine (oben diskutierte) Passage im Fayumbuch als Vergleich an, wobei Isis selbst die Rolle einer Orakelgöttin einnehme, die über das Geschick ihres Sohnes weissage, denn dem Text zufolge solle sie in Ra-Sehui über die Zukunft des Horus und seine Lebensdauer als Pharao befragt werden.1775 Der hieratische Text ist aber in der Deutung problematisch, und nach einem neuen Übersetzungsvorschlag von QUACK ist es eben umgekehrt Isis, die über die Zukunft des Horus Fragen stellt;1776 das bedeutet, die Situation wäre sogar eben genau parallel zum Wiener Orakelpapyrus. Im Fayumbuch ist aber möglicherweise der jeweils irdisch regierende König gemeint. Ein solcher Schwerpunkt auf der Zukunft des realen, historischen Herrschers findet sich auch in einigen der oben zitierten Texte des Hor-Archivs.1777 Ebenfalls um den irdischen Herrscher geht es in der „Demotischen Chronik“ (auch „Das demotische Orakel“).1778 Hier gibt Isis zwar nicht selbst das 1772 Diese Parallele wird angeführt von WINKLER, Rez. zu: Stadler, Isis, das göttliche Kind, S. 362; siehe dazu S. A. STEPHENS, Seeing Double: Intercultural Poetics in Hellenistic Alexandria, Hellenistic Culture and Society 37, Berkeley 2003, S. 114–121. 1773 STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 201–203, zitiert diesen Sargtextspruch ebenfalls, jedoch in erster Linie aufgrund des Schutzes für Horus, den Isis sich auch dort von den Göttern erbittet. 1774 Siehe oben, Kap. 6.1.3.2. Zu Horus (bzw. Harpokrates-Apollon, Karpokrates) als Orakelgottheit vgl. die Aretalogie des Karpokrates von Chalkis (RICIS 104/0206), siehe M. TOTTI, Καρποκράτης  ἀστρόμαντις  und die λυχνομαντεία, in: ZPE 73, 1988, S. 297–301. Vgl. dazu auch SFAMENI GASPARRO, Iside salutaris, S. 407–408; zu Harpokrates und anderen Kindgöttern als Orakelgottheiten D. BUDDE, Ägyptische Kindgötter und das Orakelwesen in griechisch-römischer Zeit, in: Beck/Bol/Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, S. 334–341. 1775 Z. 1030–1038, BEINLICH, Buch vom Fayum, S. 240–241. Siehe oben, Kap. 4.13.4. Vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 262–264. 1776 QUACK, Heliopolitan Ennead; siehe zur Stelle Kap. 4.13.4, Anm. 2826. 1777 Siehe oben, Kap. 6.5.1.2. 1778 Dem. Chr. (pParis BN 215 rto.); Edition W. SPIEGELBERG, Die sogenannte demotische Chronik des Pap. 215 der Bibliothèque National zu Paris, Dem. St. 7, Leipzig 1914; Übersetzung und Interpretation bei H. FELBER, Die demotische Chronik, in: Blasius/Schipper (Hrsg.), Apokalyptik und Ägypten, S. 65–111, bes. 97–99 zu Isis und dem Osiris-/Horusmythos; QUACK, Menetekel; ID., Literatur, S. 196–200; HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 183–191. Zu den implizierten Aussagen über legitimes und ideales Königtum in diesem Text siehe J. H. JOHNSON, The Demotic Chronicle as a Statement of a Theory of Kingship, in: JSSEA 13, 1983, S. 61–76, zu den zitierten Stellen S. 67–68.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Orakel, spielt jedoch eine entscheidende Rolle innerhalb der Aussagen über einen zukünftigen König. Die entsprechende Stelle besagt über einen prophezeiten idealen und rechtmäßigen Herrscher, der aus Herakleopolis kommen soll, daß Isis aufhören werde zu trauern (um Osiris), da nun der legitime Thronfolger, der mit Harsiese identifiziert wird, den Thron bestiegen habe. Kurz darauf heißt es: Glücklich ist ihr Herz, das derer von Atfih (Aphroditopolis).1779 Das bedeutet das Herz der Einzigartigen, das bedeutet Isis, welche die Herrin von Atfih ist. Das bedeutet Herzenszufriedenheit gegenüber dem zukünftigen Herrscher, weil er das Gesetz nicht mißachten wird. (3, 10–16)1780 In Nachfolge ihres eigenen Sohnes segnet Isis also selbstverständlich nur einen rechtmäßigen König ab. Die Formulierung bietet eine Parallele zu einem Satz in oHor 3, wo es ebenfalls um die Sorge der Isis für den (aktuellen) Herrscher geht: Ihr Herz pflegt darüber jährlich glücklich zu sein wegen der Wohltaten, die dir am nämlichen Tag geschehen sind. (oHor 3, Z. 13)1781 In ähnlicher Weise qualifiziert auch das in seiner Deutung problematische, sog. „Töpferorakel“ (bzw. korrekter die „Verteidigung des Töpfers“), das zwar nur in griechischen Handschriften überliefert ist, aber wohl auf eine ägyptische Vorlage zurückgeht,1782 den verkündeten guten König, der von Re abstammt, als „eingesetzt von der größten Göttin Isis“ (P2, Z. 41; P3, Z. 67).1783 Bereits zu Beginn des erhaltenen Textes wird wohl ein Tempel des Osiris und der Isis erwähnt, wobei die Göttin möglicherweise weiter charakterisiert wird als „würdig der höchsten Lobpreisungen“1784 und „fruchttragend (καρποτόκος) in Bezug auf gute Dinge“1785 (P1, Z. 7–8). In der alternativen, anti-jüdischen Rezension des Töpferorakels (Handschriften P4 und P5) ist im Zusammenhang mit einer Aufforderung zur

1779 Zu Isis als Göttin von Atfih vgl. Kap. 4.13 passim. 1780 Übersetzung nach J. F. QUACK, in HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 187; vgl. ID., Literatur, S. 197. Vgl. die Präsentation eines idealen Herrschers, unterstützt von Isis, in MM III und oHor 3; s. o., Kap. 6.1.2.1 und 6.5.1.2. 1781 Siehe oben, Kap. 6.5.1.2. 1782 Edition: L. KOENEN, Die Prophezeiungen des Töpfers, in: ZPE 2, 1968, S. 178–209; verbessert durch ID., Apologie; KERKESLAGER, Apology; vgl. auch QUACK, Literatur, S. 193–196; ID., Prophetische und apokalyptische Texte aus dem späten Ägypten, in: K. Martin/C. Sieg (Hrsg.), Zukunftsvisionen zwischen Apokalypse und Utopie, Religion und Politik 13, Würzburg 2016, S. 83–106: 93–96; HOFFMANN/QUACK, Anthologie, S. 192–193; JÖRDENS, Griechische Texte, S. 420–425. 1783 καθιστάμενος  ὑπὸ θεᾶς μεγίστης Ἵσιδος.  Vgl. eine ähnliche Formulierung im „Traum des Nektanebos“ (siehe Kap. 6.4.1.3), wo Onuris zu Isis spricht, daß sie Nektanebos in sein Amt eingesetzt habe (ὑπὸ σοῦ κατασταθὶς ἐπὶς τῆς ἀρχῆς: 3, 3–4). 1784 Auf Isis bezogen von KERKESLAGER, Apology, S. 70, Anm. 15. 1785 So wird Isis auch in IG Philae 166, 1, genannt, s. o., Kap. 6.2.2.2, und KOENEN, Apologie, S. 149, Anm. 6. Vgl. außerdem die Bezeichnungen als καρπῶν  εὑρέτρια in MM II, 3, Kap. 6.1.2.1; und als εὐεργέτειαν καρπῶν εὐιαν im „Traum des Nektanebos“, Kap. 6.4.1.3.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Gewalt gegen Juden vom „Zorn der Isis“ die Rede (P4, Z. 9).1786 Möglicherweise ist es die Göttin selbst, die zu kriegerischem Vorgehen gegen die vorgeblichen Frevler aufruft.1787 In der Alltagspraxis wurde Isis ebenfalls für private Angelegenheiten um Orakel gebeten. In Koptos wird sie zusammen mit ihrem Sohn Horus und ihrem Vater Geb bereits im NR bei Barkenprozessionen befragt.1788 Ein demotischer Brief erwähnt ein Isisorakel, das bei der Wahl einer Ehegattin konsultiert werden soll.1789 Auch Hor erhält neben den auf das Königshaus bezogenen Botschaften private Weissagungen von Isis in Träumen, die sein weiteres Leben betreffen.1790 Weitere Orakelanfragen an Isis sind in teils noch unpublizierten Sakkara-Papyri des 5.–4. Jhs. v. Chr. belegt (an Osiris-Apis und Isis, Mutter des Apis),1791 sowie in Papyri aus Soknopaiou Nesos (an Soknopaios und Isis Nepherses).1792 Besonders in der Ptolemäerzeit wurden in Heiligtümern der Isis und des Sarapis Orakelstätten und Heilschlaf (Inkubation) betrieben.1793 Auch für eine Statue der Isis von Philae ist noch im 5. Jh. n. Chr. eine Orakelfunktion belegt: So gestattete Kaiser Maximinus den Nobaden und Blemmyern, die nach wie vor Isis von Philae verehrten, eine Statue der Göttin nach Nubien zu transportieren, wo diese in einer Prozession Orakel geben sollte.1794 Prinzipiell konnte in Ägypten natürlich jede Gottheit Orakel geben,1795 Isis mag sich jedoch aufgrund der ihr zugeschriebenen Eigenschaften wie Weisheit (als Tochter des Thoth), Kenntnis von Mysterien (Witwe des Osiris und Besorgerin seiner Totenriten) und Zauberkraft (als Werethekau) zu einer besonders eng mit diesem Thema verbundenen Göttin entwickelt haben. 6.5.1.4 Isis als Heilerin, Weise und Magierin in den PGM/PDM und verwandten Quellen (Corpus Hermeticum u. a.) Eine im Magischen Papyrus London-Leiden (pMag. LL)1796 dokumentierte Gefäßdivination, die mit Hilfe eines als Medium dienenden Knaben durchgeführt werden soll, wird ebenfalls mit den mythischen Problemsituationen der Isis in Verbindung gebracht: 1786 KOENEN, Apologie, S. 148 u. 164, Anm. 91, sowie S. 183–186 zur Interpretation dieser Rezension; vgl. zur Stelle auch QUACK, Perspektiven zur Theologie, S. 74. 1787 Zur Rolle der Isis als Kriegsgöttin vgl. die Amazonenerzählung, Kap. 6.4.2.1. Vgl. die Aufforderung an sie in den ‚Sortes Isiacae‘ (pWien D. 12006), stark und kämpferisch zu sein (3, 18–20), s. o. 1788 Siehe Kap. 4.10.3. 1789 pBerlin P. 13538, rt. 20–vs. 9; K.-Th. ZAUZICH, Papyri von der Insel Elephantine. Demotische Papyri aus den Staatlichen Museen zu Berlin, Lieferung 1, Berlin 1978; vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 199–200. 1790 oHor 9 und 10; siehe oben, Kap. 6.5.1.2; vgl. auch STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 200. 1791 Siehe H. S. SMITH, Saqqara Papyri, S. 367–368; DAVIES/SMITH, Demotic Papyri; vgl. oben, Kap. 4.12.1.1. 1792 pOx. Griffith B, D, M 7, X 2, D 9, X 7; BRESCIANI, Archivio demotico, S. 2–11; RÜBSAM, Götter und Kulte, S. 158; vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 200. 1793 Siehe dazu SFAMENI GASPARRO, Iside salutaris; vgl. auch, bes. zu Sarapis, ALVAR, Romanising Oriental Gods, S. 333–336; PFEIFFER, Inschriften, S. 313–316, Nr. 73 (zum Orakelkult des Sarapis im römischen Fort Didymoi/Ostwüste). Zum Heilschlaf siehe bereits oben, Kap. 6.5.1.2, m. Anm. 1750. 1794 Priscus, Historien, Frg. 21, 1; siehe oben, Kap. 6.2.2.1. 1795 Vgl. NAETHER, Sortes Astrampsychi, S. 394–401. 1796 Edition: GRIFFITH/THOMPSON, Demotic Magical Papyrus; die im folgenden zitierten Übersetzungen sind angelehnt an G. VITTMANN, in: TLA; Stand 20.02.2014, mit einigen eigenen Änderungen; vgl.

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…denn diese Gefäßdivination ist die Gefäßdivination der Isis, als sie umherirrte […] (1, 9)1797 Daher identifiziert sich der Operator auch in der Rezitation mit der Göttin: Komm zu den Mündungen dieses Gefäßes heute und gib mir Antwort in Wahrheit auf alles, was ich erfrage, indem keine Lüge darin ist, denn ich bin Isis, die Weise, und was mein Mund sagt, geschieht! (ink As.t tA rx.t ntj-iw nA Dd n rA=y xpr).1798 (2, 21–23) Diese Ich-Aussage der Göttin aus dem Mund des Magiers schließt nahtlos an die oben unter 6.5.1.1 zitierten wörtlichen Reden früherer ägyptischer magischer Texte an. Ähnliche Formulierungen finden sich zahlreich in den Tempelinschriften, z. B. D(d.t)=s nb(.t) xpr=sn Hr-a „deren sämtliche Aussprüche sofort geschehen“.1799 Das Motiv des ‚Umherirrens‘ bzw. ‚Suchens‘ (iw=s qdy […] 1, 9) ist ganz dezidiert mit der Suche der Isis nach Osiris verbunden.1800 Die gleiche Tradition einer zu diesem Zweck von der Göttin benutzten Gefäßdivination referenziert auch pMag. LL 28, 11–15 (= PDM xiv 851–855): Laß mein Gefäß (und) meine Binde hier und heute herauskommen wegen des Gefäßes der großen Isis, indem sie nach ihrem Mann sucht, indem sie hinter ihrem Bruder her ist! (28, 12–13)1801 Auch in ersterem Spruch muß diese Situation also als mythologischer Hintergrund angesetzt werden. Dazu paßt auch, daß die kurz vor der Sprecheridentifikation mit Isis angerufene Gottheit Thoth ist (2, 21: „Du bist Thoth“), der nach den Traditionen dieser Zeit Isis

1797 1798 1799 1800

1801

auch J. H. JOHNSON, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 195–251; Neuübersetzung einiger Sprüche von QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 334–350. Wichtige Studien zu Schriften, Sprachen und kulturellem Milieu des Papyrus bei DIELEMAN, Priests. Vgl. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 209–210. Der gesamte Spruch ist pMag. LL, 1, 1–3, 35 (PDM xiv 1–92). Zur Gefäßdivination BORTOLANI/NAGEL, Divination Rituals (in Vorb.). Zum letzten Teil (Ich-Aussage der Isis) vgl. auch DOUSA, Imagining Isis, S. 173. Der hintere Teil ist grammatikalisch ein Relativsatz, wörtlich in etwa (im Deutschen schlecht übersetzbar): „Ich bin Isis, die Weise, deren (meines) Mundes Aussprüche geschehen!“ S. o., Kap. 5.2.2.3.D. Siehe dazu oben, Kap. 6.3.2, und unten, Kap. 6.5.2.1. Da der Text hinter dem entscheidenden Wort qdy nicht erhalten ist, ist nicht auszuschließen, daß evtl. wie in dem nachfolgend zitierten Lekanomantie-Spruch [m-sA pAy=s sn] o. ä. folgte, also explizit „als sie nach ihrem Bruder/Ehemann/ Osiris suchte“. STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 210, und ID., „Das Kind sprach zu ihr“, S. 314, hält es dagegen für ebenso wahrscheinlich, diese Anspielung mit dem Horusmythos und der Flucht vor Seth zu verbinden. Er argumentiert damit, daß die Modellfälle in Zaubersprüchen „besonders aus dem Bereich der Horus-Mythologie und weniger dem osirianischen Komplex“ stammen. Dies ist m. E. jedoch zu modifizieren; gerade auf Heilzauber trifft es zwar naturgemäß zu, doch spielen Isis und Osiris bzw. Motive aus dem Osirismythos durchaus eine große Rolle als mythologischer Präzedenzfall in Liebeszaubern und Divinationssprüchen (s. u., Kap. 6.5.2.1–2). Übersetzung nach G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 04.03.2014. Vgl. zu den von Isis bei der Suche nach Osiris benutzten Divinationsmethoden nach magischen Texten auch HOPFNER, Offenbarungszauber II, S. 125, § 256.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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bei der Suche nach Osiris helfend zur Seite steht (s. u., 6.5.2.1) und damit auch auf mythologischer Ebene ein wahrscheinlicher Adressat der „Gefäßdivination der Isis“ ist. In einem weiteren Lekanomantie-Spruch dieses Papyrus, der als „Gefäßbefragung des Chons“ betitelt ist und ebenfalls ein Kindmedium nutzt,1802 dient Isis – neben anderen Göttern – dem Magier sowohl als Identifikationsfigur (9, 17: „Ich bin Isis“, gefolgt von Identifikationen mit Anubis und Osiris)1803 als auch als Adressatin, an die er sich aufgrund ihrer Zauberkraft mit einer Anrufung wendet: r.im.t n=y As.t tA nb.t Hyq tA wr-Hyq n nA nTr.w Komm zu mir,1804 Isis, Herrin der Zauberei, die Zauberreiche aller Götter! (9, 19)1805 Außerdem beruft er sich mit der Aussage „Isis ist hinter mir“ (9, 19) auf den Schutz der Göttin, den sie häufig für Pharao oder Osiris u. a. ausübt.1806 Ähnliche Auszeichnungen der Isis als Magierin und Herrin der Zauberei, teils auch im Zusammenhang mit der Identifikation des Ritualisten mit der Göttin, finden sich noch in weiteren Rezepten des pMag. LL. Wie in der erstgenannten Gefäßdivination behauptet der Ritualist in einer Lychnomantie: Ich bin Isis, die Weise, und was mein Mund sagt, geschieht! (25, 7–8)1807 Noch einen Schritt weiter geht die Charakterisierung der Isis in einem der magischmedizinischen Tradition zuzurechnenden Rezept gegen einen Hundebiß, in dem sie nicht nur selbst als zaubermächtig, sondern auch als immun gegen die Magie anderer eingestuft wird. Der Magier kündigt an, daß er handelt r-X(.t) pA xrw n As.t tA Sde(.t) tA nb.t Sde(.t) ntj Sde n ntj nb ntj-iw bw-irj=w Sde n=s n rn=s As.t tA Sde(.t) gemäß der Stimme der Isis, die Zauberin, die Herrin der Zauberei, die alles bezaubert und selbst nicht bezaubert wird in ihrem Namen Isis, die Zauberin. (19, 7–8)1808

1802 pMag. LL, 9, 1–10, 22 (PDM xiv 239–295). 1803 Vgl. auch den fragmentarisch erhaltenen Spruch in pLouvre E 3229 vs., 1–24 (PDM Suppl. 185–208), in dem sich der Magier ebenfalls mit Anubis, Isis und Osiris identifiziert; siehe JOHNSON, pLouvre E 3229, S. 74–75; EAD., in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 329–330. 1804 Zu dieser typischen Gebetsformel siehe z. B. Kap. 6.1.1 u. 6.7.1.1. 1805 Siehe dazu auch DOUSA, Imagining Isis, S. 173, Anm. 91. Zu wr-Hyq < wr.t-HqA.w „die Zauberreiche“ als Bezeichnung der (Isis als) Uräusschlange vgl. z. B. den Kommentar zu Philä II, 6–7, Kap. 4.1.1.A. 1806 Der Kontext zeigt, daß der Magier sich in dieser Passage mit dem Pharao identifiziert: „Horus ist vor mir, Isis ist hinter mir, Nephthys ist als mein Diadem. Eine Schlange als Kind des Atum ist es, die als Uräusschlange auf meinem Kopf liegt, so daß der, der den König schlagen wird, mich schlagen wird.“ (9, 19–20). 1807 Der gesamte Spruch ist pMag. LL, 25, 1–22 (PDM xiv 750–771); vgl. zu der Passage auch DOUSA, Imagining Isis, S. 173, Anm. 92. Mit Isis, jedoch nicht ausdrücklich aufgrund ihres Rufes als Magierin, identifiziert sich der Ritualist weiterhin in: PGM XII 234–235; pLouvre E 3229 vs., 12 u. 23 (PDM Suppl. 185–208). 1808 Der gesamte Spruch ist pMag. LL, 19, 1–9 (PDM xiv 554–562). Vgl. dazu, speziell zur „Stimme der Isis“, auch den demotischen Zauberspruch auf oStrasbourg 1338, siehe unten, Kap. 6.5.2.1.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Im Negativabdruck wird die eigentliche Selbstverständlichkeit, mit der Isis Magie betreibt, in einem weiteren Heilzauberspruch (gegen Fieber) in einer rhetorischen Frage des kranken Horus, der hier wie üblich als mythisches Vorbild dient, ausgedrückt: [Hört] Isis [auf] zu zaubern? (vs., 33, 5)1809 Weitere magisch-medizinische Sprüche zeugen von der kontinuierlichen Tradition des mythologischen Vorbildes vom kranken Horuskind, das von Isis geheilt wird, in den ägyptischen Texten.1810 In einem Heilzauber gegen einen Skorpionstich oder Schlangenbiß1811 – einem typischen Thema der älteren Texte – identifiziert sich der Patient (oder stellvertretend der ihn behandelnde Magier) allerdings mit Anubis, der hier anstelle von Horus als Isis’ Sohn auftritt (pMag. LL, 20, 2). Aus der Perspektive der 1. Person (= Patient-Anubis) wird eine ansonsten unbekannte Historiola erzählt, derzufolge Sachmet-Isis Anubis nach Syrien, „in die Region der Menschenfresser“ gefolgt ist, um ihm das Königtum seines Vaters Osiris zu verkünden und ihn zu diesem Anlaß nach Ägypten zurückzuholen (20, 2– 6).1812 Just in diesem Moment der Verkündigung wird Anubis gestochen oder gebissen (der Urheber wird nicht ausdrücklich genannt), und Isis – nun nur noch mit ihrem Eigennamen und als „meine Mutter“ bezeichnet – sagt ihm, was zur Heilung zu tun sei (20, 7–13). Zudem wird der (reale) Patient im Rezept angewiesen, das Öl, das täglich aufgetragen werden soll, zu beschwören, und zwar wiederum mit den Worten der Isis (20, 17–27). Ausdrücklich wird betont, daß sie es ist, die zu dem Öl spricht (20, 21–22). Anubis gilt auch nach anderen Quellen als Sohn der Isis; die ausführlichste ist pJumilhac, das Handbuch des 17.– 18. o.äg. Gaues, wo er eine Erscheinungsform des Horus ist.1813 Auf eine Verbindung mit den Überlieferungen dieses Gaues könnte auch die Identifizierung der Isis mit Sachmet im vorliegenden Spruch hindeuten, die in pJumilhac ebenfalls eine ausdrückliche Rolle spielt. Als Magierin tritt Isis des weiteren wie in älterer Zeit in mythologischen Erzählungen auf, so z. B. in der demotischen Version des Horusmythos von pWien D. 6920–22 rto., wo 1809 Im Rezept pMag. LL vs., 33, 1–9 (PDM xiv 1219–1227), neben ähnlichen Fragen, z. B.: „Hört Nephthys auf, zu heilen?“. Siehe zu der Passage auch LANG, Medicine and Society, S. 60. 1810 Z. B. pMag. LL vs., 20, 1–7 (PDM xiv 1097–1101), ein Rezept gegen ein Augenleiden, in dem Isis zwar nicht ausdrücklich erwähnt wird, aber die Aussage „mein Sohn Horus“ in der Rezitation klar auf sie als Sprecherin hinweist, wenngleich der Fokus hier ansonsten stärker auf nubischer Magie und dem nubischen Amun liegt. Isis wiederum rezitiert einen magischen Spruch in nubischer Sprache, den laut Historiola eben der lokale Amun angewandt haben soll. Die Historiola spielt sich also auf zwei Ebenen ab. Siehe dazu DIELEMAN, Priests, S. 138–143. Ein weiteres Beispiel auf bisher unveröffentlichten Fragmenten aus Tebtynis in Berkeley wird bei QUACK, Kontinuität und Wandel, S. 82, erwähnt und teilweise zitiert; Edition in Vorbereitung durch ID., Demotische magische Papyri 4. 1811 pMag. LL, 20, 1–27 (PDM xiv 594–620). 1812 Vgl. zu dieser Passage, insbesondere zum wohl unägyptischen Motiv der „Menschenfresser“, G. VITTMANN, Von Kastraten, Hundskopfmenschen und Kannibalen, in: ZÄS 127, 2000, S. 167–180: 173–176. 1813 Siehe dazu oben, Kap. 4.13.3. Vgl. außerdem eine Anrufung an Anubis in der Gefäßdivination pMag. LL, 14, 1–34 (PDM xiv 395–427), in der er „Sohn eines Schakals und eines Hundes“, nach einer Alternativversion einer anderen Vorlage aber „Sohn von […] Isis und eines Hundes“ genannt wird (14, 28–29). Aufgrund der schlecht lesbaren Stelle ist die genaue Genealogie allerdings nicht klar. Im Anubishymnus von Kios (RICIS 308/0302) ist Anubis Sohn von Isis und Osiris. Siehe dazu auch, mit weiteren Quellenangaben, J. QUAEGEBEUR, Anubis, fils d’Osiris, le vacher, in: StudAeg 3, Budapest 1977, S. 119–130: 120–123; FEDER, Nephthys, S. 71; BUDDE, Götterkind, S. 257–265.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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sie Horus in verschiedene Gestalten verwandelt und Regenfälle verursacht (siehe oben, Kap. 6.3.2). Auffällig ist, daß das ägyptische Konzept der Isis als Magierin und Heilerin nicht in dieser expliziten Weise in die griechischen Zauberrezepte und angewandten Sprüche übernommen wurde, was m. E. aber zumindest zum Teil auch auf die generell weitgehend fehlende Inklusion medizinischer Sprüche in die PGM zurückzuführen ist. Isis spielt in den griechischen Zaubersprüchen zwar auch häufig eine Rolle als mythisches Vorbild oder angerufene Gottheit, die Schwerpunkte scheinen jedoch andere zu sein (siehe unten, Kap. 6.5.2).1814 Zumindest beruft man sich aber noch gerne auf die Autorität der Isis, was die Originalität und Wirksamkeit der Sprüche angeht, wodurch implizit ihre magische Kraft vorausgesetzt wird: In einem kurzen griechischen Divinationsspruch heißt es über die zu rezitierende magische Formel, daß Isis sie benutzt und aufgeschrieben habe, als sie die Glieder des Osiris wieder zusammenfügte, was selbst der Heilgott Asklepios nicht vermocht hatte (PGM VII 1001–1004).1815 Auch einen sehr expliziten erotischen Zauber, der auf einer griechischen Fluchtafel aus Ägypten erhalten ist, soll Isis persönlich angewandt haben.1816 In dieser Tradition steht bereits der medizinische pBM 10059 aus dem Neuen Reich, in dem es über ein Rezept heißt: Dieser Schutzzauber wurde bei Nacht gefunden, indem er herabgekommen war in den Hof des Tempels von Koptos als Geheimnis (StA.w) dieser Göttin (Isis), durch den Vorlesepriester dieses Tempels, während dieses Land in Dunkelheit war. Der Mondgott war es, der dieses Buch beleuchtete auf dem ganzen Weg. Es wurde als Wunder zur Majestät des Königs von Ober- und Unterägypten, Cheops, getragen. (14, 11–13)1817 Der Tempel von Koptos wird als bekanntes Kultzentrum der Isis1818 als Ursprungsort angegeben und verleiht dem Spruch so zusammen mit der Rückführung auf Cheops besondere Autorität. Auch die spezifische Zuschreibung von „Geheimnissen“ an Isis ist somit hier schon belegt. Einige magisch-medizinische Sprüche deuten nur eine mythologische Analogie nur kurz an, ohne diese zu einer ausführlichen Historiola auszuformulieren. Solche Analogien scheinen teils opportune ad hoc-„Erfindungen“ zu sein, da bisher keine entsprechenden Mythen durch andere Textquellen bekannt sind.1819 So operiert ein kurzer Spruch auf einem griechi1814 Vgl. zu Isis in den griechischen und koptischen Zaubersprüchen TARDIEU, Isis Magicienne, der allerdings, u. a. aufgrund der Auslassung der demotischen Texte, recht oberflächlich bleibt; ähnlich PACHOUMI, Concepts of the Divine, S. 152–155. Vgl. außerdem GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, ebenfalls mit der Schlußfolgerung (S. 53), daß Isis dort anders als in den ägyptischsprachigen Sprüchen nicht explizit als Zauberin charakterisiert wird. 1815 Der ganze Spruch ist PGM VII 993–1009; siehe dazu auch AUFRÈRE, Encres magiques, S. 365. 1816 SM 38; siehe auch J. G. GAGER, Curse Tablets and Binding Spells from the Ancient World, New York – Oxford 1992, Nr. 34. 1817 Siehe LEITZ, Magical and Medical Papyri, S. 81; vgl. auch L. KÁKOSY, Zauberei im Alten Ägypten, Leipzig 1989, S. 49. 1818 Zu Isis in Koptos siehe oben, Kap. 4.9–10 und 6.2.6. 1819 Dies läßt sich natürlich nicht grundsätzlich postulieren und ist möglicherweise (zumindest teils) nur auf die lückenhafte Überlieferung zurückzuführen.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

schen Papyrus des 1. Jhs. aus Abusir el-Meleq mit der Drohung, daß die als Analogie vorausgesetzten Kopfschmerzen von Osiris, Ammon und „Esenephthys“ (= Isis-Nephthys) nicht aufhören werden, bevor der Patient nicht von seinen eigenen Kopfschmerzen geheilt ist.1820 Ähnliches findet sich in den demotischen Papyri: Z. B. schreibt ein Mittel gegen Vergiftung, pMag. LL, 19, 10–21 (PDM xiv 563–574), ein zu trinkendes Gegengift vor, bei dessen Beschwörung „der goldene Becher des Osiris“ angesprochen wird (19, 11). Um sich der Wirksamkeit zu versichern, konstatiert der Magier, daß bereits Isis, Osiris und der große Schai davon getrunken haben (19, 12). Im Corpus der griechischen Alchemisten (Ende 2. – Anfang 3. Jh. n. Chr.; die Datierung ist allerdings sehr unsicher) wird Isis noch ausdrücklich „Prophetin (προφῆτις, von προφήτης = äg. Hm-nTr) ihres Sohnes“ genannt. Sie weist ihn mit einem Brief in das Geheimnis der Gold- und Silberherstellung ein, die sie ihrem Bericht nach selbst in Armant vom Engel Amnael gelernt habe.1821 Ähnlich wie in der neuägyptischen Historiola von der „List der Isis“ (s. o., 6.5.1.1) darf sie dieses Wissen eben nur an ihren Sohn Horus weitergeben.1822 Die Szene wurzelt wohl in der ägyptischen Vorstellung, daß sie diesem ihr Wissen vermittelt, um ihn als König und in die Welt der Götter einzuführen. Die Bezeichnung „Prophetin“ ist für Isis allerdings einzigartig, obwohl die Rolle der Isis als Bewahrerin und Überträgerin von Geheimnissen traditionell typisch ist (vgl. das medizinische Rezept aus dem NR, s. o.) und in der Initiationsleiterin Isis des griechisch-römischen ‚Mysterienkultes‘ fortlebt.1823 Immerhin berichtet bereits Diodor (I, 25, 7) im 1. Jh. v. Chr., daß Isis ihren Sohn Horus in die Lehren der Medizin und Divination einführte.1824 Diese Tradition greift auch Lukians satirischer Dialog Philopseudes aus dem 2. Jh. n. Chr. auf, in welchem über

1820 PGM CXXII 51–55. Edition BRASHEAR, Berliner Zauberpapyrus; siehe auch H. D. BETZ, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 316–317; MALTOMINI, Osservazioni; speziell zu diesem Spruch auch LANG, Medicine and Society, S. 60. Vgl. dazu eine ähnliche Götterbedrohung in dem Schadenzauber pLouvre E 3229, 5, 22–6, 6 (PDM Suppl. 138–149): Eine Kupferschale mit einer Zeichnung des Osiris wird im Lampenlicht niedergeworfen oder wohl vielmehr umgestülpt (pXv; letztere Deutung nach QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 354), was auf mythologischer Ebene als Sinken der Neschmet-Barke ausgedeutet wird. Außerdem sollen Isis und Nephthys krank sein und weitere Götter werden ebenfalls bedroht, bis sie den Schadenzauber ausführen. Die Bedrohung wurde mißverstanden als Historiola von GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, S. 45. Obgleich auch die Bedrohung in der mythischen Welt angesetzt ist, ist der Mechanismus ein anderer als bei einer Historiola. 1821 M. BERTHELOT/C. E. RUELLE, Collection des anciens alchimistes grecs, Osnabrück 1967, II, S. 28– 35; III, S. 31–36. Vgl. M. MERTENS, Pourquoi Isis est-elle appelée prophaetis?, in: CdÉ 64, 1989, S. 260–266; EAD., Initiation alchimique; KAKOSY, Iside. Magia, S. 147; AUFRÈRE, Cueillette des herbes, S. 352; T. S. RICHTER, Miscellanea magica III; STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 200–201; C. BULL, Wicked Angels, S. 18–21; zum Engel(namen) Amnael und seiner möglichen Beeinflussung durch den ägyptischen Amun ibid., S. 20 u. 23–24. 1822 Diese Vorschrift, daß Geheimnisse nur an das eigene Kind weitergegeben werden dürfen, findet sich auch in den magischen Papyri sowie anderen, verwandten Texten mehrfach, siehe MERTENS, Initiation alchimique, S. 19–20. 1823 Siehe dazu unten, Kap. 6.6 und 8.2.2.6.G. Vgl. zu diesem Thema z. B. auch die Inschrift Dend. VII, 109, 13–110, 4, in der Isis als Leiterin und Lehrerin des Schöpfergottes charakterisiert wird, siehe oben, Kap. 4.6.2. 1824 Siehe zu dieser Passage z. B. Renberg, Where Dreams May Come I, S. 360–363.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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den memphitischen Hierogrammateus Panchrates berichtet wird, daß er 23 Jahre unterirdisch in ägyptischen Tempeln verbrachte und Magie von Isis erlernte.1825 Auch im Corpus Hermeticum (die dazu gehörigen Texte datieren von ca. Ende 1. bis Ende 3. Jh. n. Chr., wobei auch hier die Datierungen im Einzelnen sehr problematisch sind) ist Isis neben ihrem Vater und Lehrer Hermes-Thoth eine der wichtigsten Gottheiten, die göttliches Wissen und Wahrheit offenbaren.1826 Ähnlich wie im Corpus der Alchemisten finden sich auch hier lehrhafte Dialoge zwischen Isis und ihrem Sohn Horus.1827 Innerhalb dieser ist ein aretalogischer Abschnitt in dem Traktat Kore Kosmou besonders einschlägig, in welchem Isis und Osiris von Hermes als Kulturbringer der Menschheit gepriesen werden.1828 Die spätägyptische Tradition, die Isis (und Osiris) in enge Beziehung zu HermesThoth stellt, wird hiermit fortgesetzt.1829 Speziell der Lobpreis durch Thoth hat eine Parallele in pCarlsberg 652 vs.1830 Die Aretalogie setzt sich aus versartigen Sätzen zusammen, die jeweils mit οὕτοι  „diese“ (= Isis und Osiris) eingeleitet werden. Damit entspricht die Grundstruktur derjenigen der freilich in der 1. Pers. sing. gehaltenen memphitischen Aretalogie-Tradition (Hauptvertreter Kyme), wenngleich der konkrete Inhalt im Corpus Hermeticum ein individueller ist. 1831 Formal ist zudem die komplexe Einbettung der Aretalogie in Kore Kosmou zu beachten, die zu einigen Unstimmigkeiten führte: Bei dem Traktat handelt es sich um eine Rede der Isis an Horus, doch in der Aretalogie gibt die Göttin eine Verkündigung des Hermes über Osiris’ und ihre eigene Heraufkunft auf der Erde wieder, die weit in der Vergangenheit liegt. Daher ist dessen wörtlich zitierte Rede in XXIIII, 66, im Futur gehalten, während die übrigen Sätze den Aorist aufweisen.1832

1825 Lukian, Philopseudes, 34–35; siehe z. B. FRANKFURTER, Religion, S. 220; DIELEMAN, Priests, S. 241–246. 1826 Daneben treten besonders Asklepios-Imhotep, Ammon, Horus und Agathos Daimon auf; vgl. FOWDEN, Hermes, S. 32; VAN DEN KERCHOVE, Voie d’Hermès, S. 50–55. Zu den ägyptischen Wurzeln des Corpus Hermeticum außerdem P. DERCHAIN, L’authenticité de l’inspiration égyptienne dans le „Corpus Hermeticum“, in: RHR 161, 1962, S. 175–198; F. DAUMAS, Le fonds égyptien de l’hérmetisme, in: J. Ries (Hrsg.), Gnosticisme et monde hellénistique, Actes du Colloque de Louvainla-Neuve (11–14 mars 1980), Louvain-la-Neuve 1982, S. 3–25; J. F. QUACK, Société hermétique ou société ménant vers l’hermétisme? Remarques sur l’attitude intellectuelle des prêtres égyptiens à l’époque gréco-romaine, in: Un hellénisme égyptien? (Akten der Tagung in Lille, 19.–20.06.2014), i. Dr. Eine Übersicht der hermetischen Texte und ihrer problematischen Datierung findet sich z. B. bei FOWDEN, Hermes, S. 1–11; VAN DEN KERCHOVE, Voie d’Hermès, S. 1–6. 1827 S. H. XXIII–XXVII; vgl. FOWDEN, Hermes, S. 33; und SFAMENI GASPARRO, Iside salutaris, S. 405. 1828 S. H. XXIII 65–68; Edition: A.-J. FESTUGIÈRE/A. D. NOCK, Corpus Hermeticum IV, Paris 1954, S. 21–22; FESTUGIÈRE, Korè Kosmou; vgl. dazu auch ID., Etudes de religion grecque et hellénistique, Paris 1972, S. 167–169; JACKSON, Κόρη  Κόσμου; VAN DEN KERCHOVE, Voie d’Hermès, S. 225– 232; BULL, Wicked Angels, S. 21–26. 1829 Zu Isis und Thoth vgl. die Ostraka des Hor, oben, 6.5.1.2; und die PGM/PDM, unten, 6.5.2.1 (Exkurs). QUACK ordnet Hor einer Frühstufe der Hermetik zu, siehe QUACK, Apokalyptische Passage, S. 244; ID., „Ich bin Isis…“, S. 341. 1830 Siehe Kap. 6.1.4. Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 341. 1831 Vgl. FOWDEN, Hermes, S. 35. Zu den Isis-Aretalogien der memphitischen Tradition siehe unten, Kap. 6.6. 1832 Vgl. FESTUGIÈRE, Korè Kosmou, S. 377.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Während der erste Teil (Aussagen 1–7)1833 allgemeine kulturelle Errungenschaften wie Behausung, Schrift, Nahrung, Tempel und Gesetze betreffen, die sich in ähnlicher Weise auch in der memphitischen Aretalogie-Tradition finden, ist die übrige Lobrede zeitgenössischen und spezifisch hermetischen Vorstellungen von der Welt, bzw. der Götterund Dämonenwelt, und der Religion gewidmet.1834 S. H. XXIII § 65

Aussage Nr.

Inhalt

1

Einleitung: Isis und Osiris haben „Leben“ (= Kultur, Sinn?) in das menschliche Leben gebracht Sie haben Wildheit/Feindseligkeit der Menschen beendet Sie haben den Ahnengöttern Tempel und Opfer gestiftet Sie haben Gesetze, Nahrung und Behausung gegeben

2 3 4 66

5

67

6

7 8 9 10

68

11

Sie kennen und verstehen alle Geheimnisse der Schriften des Hermes und werden diejenigen, die sie als geeignet für Menschen ansehen, auf Stelen und Obelisken schreiben, während sie andere geheim halten Sie haben Gerichtsverfahren, Gleichheit und Gerechtigkeit eingeführt

Sie haben Eide und Schwüre eingeführt Sie haben die Bestattung bzw. Mumifizierung der Toten eingeführt1836 Sie haben das Aufhören des Atmens als Ursache für den Tod erkannt Sie haben von Hermes gelernt, daß die Atmosphäre von Dämonen bevölkert wird und es auf geheime Stelen geschrieben Sie allein haben von Hermes die geheimen Anweisungen des (All-)Gottes gelernt und die Mensch

Entsprechender § Aretalogie M(emphis)1835

M 21 M 24 M 24 M7 M3

M 16, M 28, M 38; ferner M 20; M 34–35; M 37 M 33 – – –



1833 Die Nummerierung der einzelnen Aussagen richtet sich nach der Edition von FESTUGIÈRE, Korè Kosmou. 1834 Vgl. FESTUGIÈRE, Korè Kosmou, S. 378–379. 1835 Vgl. FESTUGIÈRE, Korè Kosmou. 1836 Vgl. dazu oHor 10, vs., 7–10, und oHor 9. Siehe DOUSA, Imagining Isis, S. 181. Die Aussage bildet eine Ausnahme innerhalb der aretalogischen Texte, die sonst nicht auf die funeräre Sphäre eingehen.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

S. H. XXIII §

Aussage Nr.

12

13

Inhalt

heit in die Künste, Wissenschaften und Berufe eingeführt Sie haben von Hermes die Sympathienlehre der unteren und oberen Dinge (= irdisches und himmlisches) gelernt und auf der Erde die heiligen Riten eingeführt, die direkte Verbindungen zu den Mysterien des Himmels schaffen Sie haben die Bestechlichkeit der Körper erkannt und die vortrefflichen Fähigkeiten der Propheten erschaffen, so daß diese, wenn sie die Hände zu den Göttern erheben, dies in Kenntnis aller Wesen tun, und Philosophie und Magie die Seele nähren, während Medizin den Körper bewahren soll

Entsprechender § Aretalogie M(emphis)1835





Demnach gelten Isis und Osiris unter anderem als Erfinder von Medizin, Ritual, Philosophie und Magie; dieses Wissen sollen sie dann an die Priesterschaft weitergegeben haben.1837 In dem der Aretalogie vorausgehenden, von Isis gesprochenen Teil des Traktats heißt es außerdem, daß sie vom Schöpfergott als Teil seiner Essenz auf die Erde gesandt worden waren, um über die Handlungen der Menschen zu wachen, zu richten und im schlimmsten Fall, sie zu bestrafen.1838 Gleichzeitig bringen sie der unvollkommenen Welt Erleichterung durch die kulturellen Errungenschaften, die in der Aretalogie aufgezählt werden.1839 Damit bildet das Götterpaar die verbindende Instanz zwischen Menschen- und Götterwelt – eine Rolle, die sich in ägyptischen literarischen Texten sowie der religiösen Praxis der griechisch-römischen Zeit in der häufigen Hinwendung der Menschen zu Isis und deren aktivem Eingreifen in das menschliche Leben äußert. Nach H. JACKSON ist in diesem Sinne auch der originale Titel des gesamten Traktats, Κόρη  Κόσμου eher als „Pupille der Welt“ denn „Mädchen der Welt“ zu übersetzen und als Benennung der Isis zu verstehen. 1840 Die Bezeichnung als „Pupille“ würde die altägyptische Tradition von der Göttin als Auge des Sonnengottes (= Sothis) fortführen.1841 Tatsächlich ist das ägyptische Äquivalent Hwnw.t „junges Mädchen“, das wie das griechische Wort (im religiösen Kontext) auch „Pupille“ bedeuten kann, ein gängiges Epitheton von Isis und Hathor, und

1837 S. H. XXIII 68, Aussage 13. Siehe dazu FESTUGIÈRE, Korè Kosmou, S. 379–380; vgl. auch FOWDEN, Hermes, S. 117–118. 1838 S. H. XXIII 62. Vgl. dazu die Charakterisierung der Isis in den MM-Hymnen, insbesondere MM III, 27: Isis blickt auf die Erde herab und beobachtet die unfrommen und frommen Taten der ganzen Menschheit; vgl. auch JACKSON, Κόρη Κόσμου, S. 132. Siehe Kap. 6.1.2.1. 1839 S. H. XXIII 64; vgl. JACKSON, Κόρη  Κόσμου, S. 133. Zu Isis als Vermittlerin vgl. auch Plutarch, siehe unten, Kap. 8.1.3.5–6. 1840 JACKSON, Κόρη  Κόσμου. Das griechische Wort Κόρη  ist zweideutig und wurde von den meisten früheren Bearbeitern als „Mädchen, Jungfrau“ übersetzt. Den Beinamen Κόρη  trägt Isis nach der Isislitanei pOxy. 1380, 71–72, im Metelites, vgl. ibid., S. 122. 1841 Vgl. JACKSON, Κόρη Κόσμου, S. 127–130.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

besonders in Theben sowie in osirianischem Zusammenhang für Isis belegt.1842 In letzterem Kontext wird sie tatsächlich auch als Sonnenauge charakterisiert. In Dendara wiederum berichten mehrere Inschriften von der Entstehung der Hathor aus den Augen bzw. Tränen des Sonnen- und Schöpfergottes. 1843 In einem von V. ALTMANN-WENDLING neu bearbeiteten, schwierigen astronomischen Text an der Decke des Pronaos in Dendara1844 trägt Isis ebendiesen Beinamen in einem Kontext ihrer kognitiven Überlegenheit gegenüber den anderen Göttern, wie er bereits aus vorptolemäischen Quellen bekannt ist: 1845 Es handelt sich um eine mythologische Episode, die das Füllen des Udjatauges (= Mondes) betrifft, wobei Isis, die in einem Wortspiel mit dem Monatsnamen Epiphi (Ipip) sowohl mit der himmlischen Nilpferdgöttin Ipet (Ip.t) gleichgesetzt wird als auch den Namen „Meßscheffel/Oipe“ (ip.t) trägt, den (anderen) Göttern offenbar einen Fehler beim Bemessen der Füllmenge des Udjatauges nachweisen kann. Abschließend wird sie gelobt als: Hwnw.t pw sjA ib=s r=w aA=s r=w m sH-imn=s Es ist das Mädchen/die Pupille, deren Herz mehr weiß als sie (i. e. die Götter), die größer ist als sie in ihrem verborgenen Ratschlag. (Dend. XV, 29, 6–7) Im Rahmen der hermetischen Lehre dürfte das Bedeutungsspektrum des Isistitels erweitert worden sein im Sinne eines „Auges“ oder „Fensters“ der Menschheit zur Götterwelt, das – noch im Einklang mit dem ägyptischen Lichtcharakter der Göttin – sozusagen Licht ins irdische Dunkel bringt.1846 6.5.2 Isis als mythologisches Vorbild in magischen Texten Neben ihrer Funktion als Magierin und Heilerin, die wie festgestellt vorrangig in ägyptischen Quellen und besonders im Kontext des Horusmythos thematisiert wird, wird Isis in den magischen Texten der griechisch-römischen Zeit mit weiteren Eigenschaften und mythischen Situationen in Verbindung gebracht, aufgrund derer sie als passendes Vorbild für den betroffenen Anwender des Zauberspruches gelten kann. Die Themen weisen hier einen stärker osirianischen Hintergrund auf: Mehrfach erscheint das bereits in Kap. 6.3.2 anhand einiger Texte vorgestellte Motiv der Suche nach dem verstorbenen Osiris; des weiteren ist Isis eine der Hauptgottheiten in der Gattung der Liebeszauber, was sich wiederum auf ihre 1842 Siehe Opet I, 139, Kap. 4.7.1, die Isishymne im osirianischen Ritual „Die großen Zeremonien des Geb“, Kap. 5.1.4, und die kulttopographische Litanei in pTebt. Tait 14, x+7, Kap. 6.1.4. Vgl. auch den Kommentar zu diesem Epitheton bei BACKES, „Papyrus Schmitt“, S. 162–163, mit weiteren Parallelen; und N. GRÄßLER, Konzepte des Auges im alten Ägypten, BSAK 20, Hamburg 2017, S. 150–159, zu der bereits seit den Pyramidentexten belegten Vorstellung eines „Mädchens“ im Horusauge (Hwnw.t imj.t ir.t ¡r), außerdem mit Hinweisen zu vergleichbaren Konzepten in anderen Kultur- und Sprachräumen. 1843 Z. B. Dend. Porte d’Isis, Nr. 2; Dend. Isis, 78, 10–13; siehe Kap. 4.6.1, Kommentare zu Dend. Isis, 78, 4–8, und Dend. Porte d’Isis, Nr. 1. 1844 Dend. XV, 28, 12–29, 13; ALTMANN-WENDLING, MondSymbolik; teilweise problematisch ist die Übersetzung von CAUVILLE, Dend. XV Traduction, S. 38–41. Ich danke Victoria ALTMANNWENDLING für die Diskussionsbereitschaft und dafür, mir ihre Bearbeitung des Textes vor der Publikation zur Verfügung gestellt zu haben. 1845 Siehe oben, Kap. 6.5.1.1. 1846 Vgl. JACKSON, Κόρη Κόσμου, S. 133–135.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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(mythische) innige Liebe und Treue zu Osiris gründet. Beide Komplexe weisen daher natürlich eine gewisse Schnittmenge auf. 6.5.2.1 Die Suche nach Osiris, seine Bestattung und Isis’ Beziehung zu Thoth In Kap. 6.3.2 wurden bereits demotische Belege des Osirismythos besprochen, die zumindest Teile der Geschehnisse im syrischen bzw. vorderasiatischen Raum ansiedeln. Auf diese Tradition bezieht sich offenbar auch die ausführliche Lampendivination pMag. LL, 6, 1–8, 11 (PDM xiv 150–231).1847 Der Magier ruft die für das Ritual benutzte Lampe explizit an, während sie „hinaufgeht vor dem großen Meer, dem Meer von Syrien,1848 dem Meer des Osiris“ (6, 30). Diese Aussage könnte als Hinweis auf die auf das östliche Mittelmeer und Syrien ausgedehnte Suche nach Osiris zu verstehen sein, wie sie auch durch die Byblos-Episode bei Plutarch überliefert ist.1849 Das Hinaustreiben von Osiris’ Leichnam über die Nilmündung in das Mittelmeer hinein wird auch in der Götterbedrohung in PGM V 269–278 referiert.1850 Daß es in der demotischen Lychnomantie um die Auffindung von Isis’ Gatten geht, legt auch die auf einige direkte Aufforderungen an die Lampe folgende Historiola nahe, die dem Wunsch des Operators Nachdruck verleiht, sich die divinatorische Macht der Leuchte, den Gott zu finden, zu Nutze zu machen: Als Isis sagte: ‚Man lasse einen Gott zu mir rufen, daß ich ihn aussende, indem er zuverlässig ist betreffend der Dinge, die zu erfüllen er loszieht!‘, ging man und brachte ihr einen (Gott). Du, Lampe, bist es, die ihr gebracht wurde! (6, 34–35) Wenngleich der genaue Auftrag der Isis an die Lampe hier nicht explizit dargelegt wird, sprechen erstens die Parallelen anderer Divinationssprüche, die Isis bei ihrer Suche nach 1847 Ich verweise auf meinen ausführlichen Kommentar zu diesem Spruch in BORTOLANI/NAGEL, Divination Rituals (in Vorb.). 1848 Zum „Meer von Syrien“ vgl. auch oHor 1, siehe oben, Kap. 6.5.1.2. 1849 Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 359; ID., Resting in Pieces, S. 258; ferner C. VANDERSLEYEN, L’ym d’Osiris et l’ym de Kharou, DE 61, 2005, 81–83, mit problematischer Interpretation der geographischen Bezeichnungen, die er in Ägypten lokalisiert, gefolgt von KOEMOTH, Du Nil à Byblos, S. 472, Anm. 55. 1850 Im Folgenden findet sich dann auch der Verweis darauf, daß Fische ihn angeknabbert haben. Der ganze Spruch ist PGM V 213–303, siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 104–106; vgl. QUACK, Resting in Pieces, S. 258. Zu einer weiteren Drohung in diesem Spruch siehe unten, 6.5.2.3. Unsicher, da sehr vage in den Formulierungen, ist hingegen, ob entsprechende Anspielungen eventuell auch bereits in dem spätzeitlichen demotischen magischen Handbuch (ca. 5.–4. Jh. v. Chr.) pBM 10378 (Edition QUACK, Demotische magische Papyri 4) enthalten sind. In dem über mehrere Kolumnen laufenden magisch-medizinischen Spruch (s. o., 6.5.1.1, mit Anm. 1692) finden sich innerhalb der Rezitationen – allerdings nicht in direktem Zusammenhang miteinander – die Aussagen: „Wehe, Abscheu, weiblicher Fisch, der unter Osiris ist! Mögest du deinen Mund anhalten, mögest du deine Hand innehalten, mögest du deinen Mund sich schließen lassen!“ (Kol. x+6, x+9–10) und „Wenn du (masc.) auf dem Meer bist, werde ich über dich wachen.“ (vs., Kol. x+1, x+12). Insbesondere bei letzterer Aussage ist ein Zusammenhang mit dem Osirismythos jedoch äußerst hypothetisch; unmittelbar zuvor findet sich zwar der Ausruf „Oh Isis, meine Mutter!“ (x+11), allerdings kann Isis im folgenden Satz nicht mehr die Adressatin sein, da ein Suffixpronomen der 2. Pers. sing. masc. folgt (iw=k n pA ym). Auch wenn dies durch nichts markiert wird, könnte nun vielleicht Isis selbst die Sprecherin sein, die zu Osiris(?) spricht. Im folgenden Teil geht es allerdings wieder um Horus, der durch Skorpione gestochen wurde.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Osiris benutzt haben soll (s. o., 6.5.1.4, und unten), dafür, daß dies auch hier gemeint ist. Zweitens deutet die komplexe Forderung des Magiers selbst an die Lampe, Isis und Osiris aufzufinden und die Göttin zu bitten, bei ihrem Gatten anfragen zu lassen, damit dieser wiederum einen untergeordneten Gott sende, um die Wahrsagung vorzunehmen (6, 30–34), auf eine implizite Analogie zwischen dem Wunsch des Magiers und dem mythologischen Präzedenzfall hin, in diesem Fall also wohl der Suche nach Osiris. Die Situation der Rückführung des Leichnams nach Ägypten klingt drittens in der Aussage an, daß die Lampe Osiris „auf seinem Boot aus Papyrus und Fayence, mit Isis an seinem Kopf und Nephthys zu seinen Füßen“ auffindet (6, 31–32). 1851 Die Forderungen des Magiers werden weiter unterstrichen durch eine Drohung an die Lampe, daß sie nicht mehr für Osiris, Isis und Anubis brennen werde, falls sie diese nicht erfüllen sollte (6, 36–37). Schon die allererste Rezitation des Lampenorakels ist mit der nächsten Etappe des Osirismythos, nämlich der Balsamierung des aufgefundenen Gottes, verbunden. Der textile Lampendocht wird dabei selbst angerufen und nacheinander mit verschiedenen bei der Mumifizierung verwendeten Materialien gleichgesetzt, darunter dem „Byssosgewand des Osiris, des göttlichen Ertrunkenen, gewebt von der Hand der Isis, gesponnen von der Hand der Nephthys“ (6, 12). Damit wird auf die in zahlreichen ägyptischen Texten gut belegte Tätigkeit der göttlichen Schwestern als Herstellerinnen von Stoffen für den Verstorbenen verwiesen.1852 In entgegengesetzte Richtung, und zwar südlich nach Nubien, wo sich speziell Isis und Osiris von Philae ja größter Verehrung erfreuten,1853 führt die Suche der Isis nach ihrem verstorbenen Gatten laut dem demotischen oStrasbourg 1338, das in die Kaiserzeit datiert.1854 Es handelt sich um einen Spruch, „um das Blut aus dem Leib einer Frau fließen zu lassen“, d. h. es geht um die Anregung der Menstruation. Der Operator spricht, um den Zauber wirksam zu machen, „mit der Stimme der Isis,1855 der Großen, der Gottesmutter (As.t wr.t mw.t-nTr), als sie den großen Gott in Nubien suchte“ (Z. 5–6). Die Göttin trägt damit ihre allgegenwärtig typischste Titelkombination.1856 Die eigentliche Analogie zur Grundsituation der magischen Handlung scheint jedoch nicht in der Ausgangslage der Isis, sondern einzig in der Macht ihrer bei dieser Gelegenheit ausgestoßenen Götter-Invokation zu bestehen, womit sich der Text auch unter diejenigen, die Isis als Magierin präsentieren, einordnen läßt (s. o., 6.5.1.4). Angerufen werden Götter der vier Himmelsrichtungen, der große und der kleine Götterkreis, und zwar nun auf die Stimme des „Amun, des großen Gottes, des Herrn von Theben“. Das Geforderte(?) wird dann als „Gottesentscheid (xyv)“ von vier 1851 Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 359. 1852 Diese Funktion (der Isis-Schentait) wird z. B. in Edfu betont, siehe oben, Kap. 4.5.2. Für den ganzen Abschnitt bietet insbesondere das ‚Balsamierungsritual‘ auffällige Parallelen (Neuedition TÖPFER, Balsamierungsritual), vgl. meinen Stellenkommentar in BORTOLANI/NAGEL, Divination Rituals (in Vorb.). 1853 Siehe oben, Kap. 4.3 und 6.2.4. 1854 SPIEGELBERG, Straßburger Sammlung, S. 34–37; HOPFNER, Offenbarungszauber II, S. 125, § 256; RITNER, Egyptian Magical Practice, S. 3343–3344; THISSEN, Nubien, S. 374; QUACK, Resting in Pieces, S. 262; Neubearbeitung mit verbesserten Lesungen ID., Demotische magische Papyri 4. Obige Textauszüge folgen der Übersetzung und Neulesung von letzterem. 1855 Zur „Stimme der Isis“, mit der der Magier zu sprechen vorgibt, vgl. auch pMag. LL, 19, 7; siehe oben, Kap. 6.5.1.4. Vgl. auch SPIEGELBERG, Straßburger Sammlung, S. 36, Anm. 5. 1856 Vgl. Kap. 5.2.1.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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weiteren Gottheiten, nämlich Re(?) („der in dieser Barke der Millionen ist“, Z. 10), PtahTatenen (Z. 11–12) und „der beiden Schwestern Isis und Nephthys, dieser beider Göttinnen, welche Kematef, der große Schicksalsgott, erschaffen hat“ (Z. 13–14) deklariert. Zumindest durch die Erwähnung der letzteren beiden wird möglicherweise nochmals der mythologischen Anspielung auf die Suche und Trauer um Osiris Rechnung getragen.1857 Die Nennung von Amun von Theben und Kematef weisen auf einen thebanischen Kontext hin. Ein weiterer demotischer Zauberspruch1858 bekräftigt, daß es wohl eine Tradition gab, die Isis bei ihrer Suche nach Osiris in Nubien vier Götter (wenn man im oben zitierten Text Isis selbst abzieht, bleiben Amun, Re, Ptah-Tatenen, Nephthys) zur Seite stellt. Darin identifiziert sich der Operator als „Schlange der vier Götter, die mit Isis waren, als sie den Guten (pA nfr = Osiris, vgl. traditioneller Wnn-nfr) suchte“. Anschließend heißt es, daß SApl(?)1859 der Name der Sothis, und „Nubier“ (pA kS) der Name des Osiris ist. Zusätzlich wird noch Re „Stier der Magie“ (oder: Stier Haka)1860 genannt, und der Operator selbst schließt die Reihe mit den Worten „‚göttliches Licht‘ ist mein Name…“.1861 Obwohl man auch damit insgesamt wieder auf die Zahl vier kommt, ist es doch stark zweifelhaft, daß damit die zuvor erwähnten vier begleitenden Götter gemeint sind (obwohl zumindest Re auch in der Aufzählung des oStrasbourg 1338 genannt ist), da Osiris ja bereits das Objekt der Suche ist, und Sothis prinzipiell wohl wieder mit Isis gleichzusetzen ist. Weniger klar ist der Anwendungskontext der ebenfalls erwähnten Suche der Isis nach Osiris in einem bereits ptolemäerzeitlichen magischen Papyrus, da dieser nur sehr fragmentarisch erhalten ist. 1862 In den zwei hieratisch geschriebenen, aber sprachlich demotischen Fragmenten geht es wahrscheinlich um die Gewinnung eines Parhedros.1863 Die Suche nach Osiris wird wiederum in Nubien lokalisiert, konkreter auf den „Kliffs von Napata, im Lande Nubien“ (Frg. B, x+12). Isis, deren Name nicht erhalten, jedoch sicher zu identifizieren ist, wird in diesem Zusammenhang bezeichnet als „Edeldame, wobei sie trauert um ihren Bruder, um zu suchen […]“ (rpy.t i(w)=s gAjs n sn=s r &HH\ […], x+13). Bereits zuvor ist die Rede von „[…] der Trauer (gAjs), Herrin des Trauerhabitats (snm), mit 1857 Zu Nephthys siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 662–672. 1858 pLouvre E 3229, 6, 19–24 (PDM Suppl. 162–168), „Spruch, um dein Haus des Lebens zu finden“; JOHNSON, pLouvre E 3229; EAD., in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 329; vgl. THISSEN, Nubien, S. 375; QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 355; ID., Resting in Pieces, S. 262. 1859 Hieratisch geschrieben, Bedeutung unklar und von der Herausgeberin sowie den weiteren Bearbeitern bisher nicht weiter kommentiert (von JOHNSON, pLouvre E 3229, S. 87, nur allgemein unter die „magischen, nicht ägyptischen Namen“ gezählt). In einem Zauberspruch auf einer Heilstatue wird ein Gott SAbr-Bar „Schabar-Baal“ angerufen, siehe L. KÁKOSY, Egyptian Healing Statues in Three Museums in Italy, Turin 1999, S. 126, Kol. x+13; LGG VII, 27a; ob es sich um das gleiche Wort handelt? L. KÁKOSY, op. cit., S. 128, Anm. G, schlägt als Herkunft das akkadische Sabâru „zertrümmern, zerschlagen“ oder das phönizische Smr „bewachen, beschützen“ vor. Letzteres scheint mir in Hinblick auf Isis-Sothis, die Osiris-Orion beschützt, besonders sinnvoll zu sein. Die laut KÁKOSY phonetisch weniger abgesicherte Interpretation als zbl „Herrscher, Fürst“ wäre zumindest inhaltlich passend, ist aber wohl tatsächlich lautlich ganz ausgeschlossen (Hinweis J. F. QUACK). Aufgrund des Kontexts könnte die Bezeichnung evtl. auch ein (pseudo-)nubisches Wort darstellen. 1860 So der alternative Vorschlag (aufgrund der Vokalisation) von QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 355. 1861 Die Übersetzung folgt QUACK, Resting in Pieces, S. 262. 1862 pLeiden Pap. Inst. P. 1000 rt.; Edition QUACK, Demotische magische Papyri 4. 1863 So die Interpretation durch QUACK, Demotische magische Papyri 4.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

großer Musik(?)“, was sicherlich ebenfalls auf Isis zu beziehen ist. 1864 Schließlich wird Osiris auch in pMag. LL, 9, 33, „der Nubier“ (pA igS) genannt,1865 außerdem „nubischer Ba“ in pLeiden I 384 vs., I*, 11,1866 was diese Tradition in demotischen Texten weiter bestätigt. Eine weitere, bereits aus den mythologischen Texten (Kap. 6.3.2) bekannte Tradition stellt Isis bei der Suche nach Osiris Thoth als Helfer und Berater zur Seite, der in diesem Zusammenhang auch als ihr Vater bezeichnet wird.1867 Ähnlich wie die bereits oben angeführte(n) Gefäßdivination(en), die Isis bei ihrem Umherirren genutzt haben soll,1868 beruht ein griechisches Losorakel (PGM XXIVa) vorgeblich auf den „29 Buchstaben“,1869 durch die Hermes (= Thoth) und Isis, die Osiris, ihren Bruder und Gatten suchte, . (PGM XXIVa 5–11)1870 Die Methode wird entsprechend im Titel „Groß ist die Herrin Isis“ genannt und gibt sich als Abschrift eines heiligen Buches aus, das in den Archiven des Hermes gefunden worden sein soll (PGM XXIVa 1–4). Eine ähnliche Urheberschaft wird auch einem Spruch, der eigentlich dazu dient, einem Geschäft zu Kunden und Erfolg zu verhelfen, zugeschrieben (PGM IV 2373–2440): Hermes soll ihn für die „wandernde Isis“, d. h. wiederum auf der Suche nach Osiris, gemacht haben (2375–2376).1871 Entsprechend folgt eine Anweisung,

1864 Zu den Trauer-Begrifflichkeiten gAjs (= Trauer, trauern) und snm (= unreiner Zustand der Trauer, Verwahrlosung des Körpers etc.) siehe Wb V, 156, 1; 159, 1; bzw. KUCHAREK, Klagelieder, S. 591– 592. 1865 Der gesamte Zauberspruch ist pMag. LL, 9, 1–10, 22 (PDM xiv 239–295), siehe dazu oben, Kap. 6.5.1.4. 1866 In einem Traumorakel zur Offenbarung eines Heilmittels, pLeiden I 384 vs., I*, 1–29 (= PDM xii 21– 49), siehe dazu J. F. QUACK, Imhotep, in Vorb. Vgl. zu diesen Belegen zu Osiris als Nubier THISSEN, Nubien, S. 373–375. 1867 Vgl. dazu auch oHor 3, siehe oben, Kap. 6.5.1.2. 1868 pMag. LL, 1, 1–3, 35 (PDM xiv 1–92) und pMag. LL 28, 11–15 (PDM xiv 851–855), siehe oben, Kap. 6.5.1.4. 1869 Mit den „29 Buchstaben“ könnte laut W. SCHUBART, Einführung in die Papyruskunde, Berlin 1918, S. 369, bereits das koptische Alphabet gemeint sein; ebenso AUFRÈRE, Cueillette des herbes, S. 336. Eine ähnliche Praxis wie die in der Ritualanweisung dieses Spruchs beschriebene (Schreiben von Götternamen auf Pflanzenblätter) belegen mehrere erhaltene demotische und altkoptische Versionen inkl. erhaltener Reste der Anwendung (Schilfblätter) eines Losorakels, publiziert von QUACK, Losorakel, bes. S. 338–339 zur Parallele mit dem oben genannten Spruch. Eine der altkoptischen Handschriften (Handschrift 7 in QUACKs Edition) enthält außerdem genau 29 Sektionen mit Befragungen (anders als die demotischen, in denen sehr viel höhere Zahlen erhalten sind). 1870 Übersetzung nach W. C. GRESE, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 264. Siehe auch D. JORDAN, Two Papyri with Formulae for Divination, in: P. Mirecki/M. Meyer (Hrsg.), Magic and Ritual in the Ancient World, Leiden – Boston – Köln 2002, S. 25–36: 25–28; FRANKFURTER, Religion, S. 180; und QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 115–116, m. Anm. 29, der die von den Bearbeitern vorgenommene Einfügung eines Verbes für unnötig hält; ID., Losorakel, S. 338–339; vgl. auch AUFRÈRE, Cueillette des herbes, S. 336. 1871 Siehe R. F. HOCK, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 81–82; vgl. auch QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 115–116; ID., Dekane und Gliedervergottung. Altägyptische Traditionen im Apokryphon Johannis, in: JAC 38, 1995, S. 97–122: 112 (zu weiteren Aspekten der Praxis); AUFRÈRE, Encres magiques, S. 364; E. SUAREZ DE LA TORRE, Magical Hermes: Remarks on the Recipe of the ‚Little Beggar‘ (PGM IV, 2373–2440), in: Μήνη  11, 2011, S. 123–144; A. HALUSZKA, Crowns of Hermanubis: Semiotic

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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aus Wachs die Figur eines Mannes in Haltung eines Bettlers mit Sack und Stab herzustellen. Um den Stab soll eine geringelte Schlange sein, er soll einen Gürtel tragen und auf einer Kugel stehen, die ebenfalls eine geringelte Schlange hat, „wie Isis“ (PGM IV 2378– 2385).1872 Die Statuette soll schließlich in ein Stück ausgehöhltes Wacholderholz gestellt und dieses mit einer weiteren Schlange in einem Korb 1873 abgedeckt werden (PGM IV 2385–2388). Während für die ersten beiden Schlangen das neutrale griechische Wort δράκων  verwendet wird, nennt der Text die Schlange mit dem Korb dagegen konkret θέρμουθις – sicher eine Anspielung auf die mit Isis identifizierte gleichnamige Kobragöttin. Hier fließen also griechische (Hermes als Gott der Reisenden, das Kerykeion des Hermes) und ägyptische Traditionen (Isis auf Wanderschaft und in Not, die Uräusschlange als Symbol der Isis) ineinander. In dem zu rezitierenden Zauberspruch heißt es noch: „Ich empfange dich als Witwe und Waise“ (PGM IV 2436–2437), womit Isis und das vaterlose Horuskind gemeint sein müssen.1874 Exkurs: Isis und Thoth in weiteren Zaubersprüchen Thoth gilt auch laut dem „Liebesbindezauber des Astrampsoukos“ PGM VIII 1–63 als Helfer der Isis, „der Größten aller Gottheiten“, den sie anruft „in jeder Krise, an jedem Ort…“ (PGM VIII 22–23).1875 Trotz des irreführenden Titels handelt es sich wiederum um einen Spruch, der dazu gedacht ist, ein Geschäft erfolgreich zu führen. Als Berater der Isis tritt Thoth bereits in Spruch VI (Z. 49–50) der Metternichstele auf.1876 In zwei weiteren Zauberrezepten der magischen Papyri wird Thoth bzw. Hermes ausdrücklich als ihr Vater bezeichnet. So spricht er – bzw. der Magier in seiner Identifikation mit dem Gott – über sich: Als Hermes, der Ältere, der Oberste aller Magier, bin ich Isis’ Vater. (PGM IV 2288–2290)1877

1872

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Fusion and Spells for Better Business in the Magical Papyri, in: Bortolani et al. (Hrsg.), Cultural Plurality. Ein weiteres Charitesion zum Gedeihen eines Ortes oder Hauses im gleichen Papyrus (PGM IV 3125–3171) kombiniert ebenfalls die Macht des Thoth und der Isis miteinander: Eine Figur mit drei Köpfen soll hergestellt werden, einer davon ist ein Ibiskopf mit der „Krone der Isis“ (3131–3140). Siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 98–99. Eine Kobra in, oder noch häufiger auf einem Korb, ist von zahlreichen hellenistischen und römischen Darstellungen bekannt, die im Zusammenhang mit dem Isiskult stehen. Es handelt sich um das Sinnbild der speziellen, im Isiskult entwickelten Version einer ‚Cista mystica‘, wie sie aus griechischen Mysterienkulten bekannt ist, siehe dazu HEERMA VAN VOSS, Cista Mystica; MALAISE, Ciste et hydrie; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 439–440. Zur Bedeutung von Gastfreundlichkeit im Isismythos vgl. die Historiola von Spruch VI der Metternichstele; siehe dazu oben. Vgl. R. K. RITNER, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 82, Anm. 307. Siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 145–146. Zu diesem Spruch siehe oben, 6.5.1.1. Vgl. zu Thoth als Berater und Helfer der Isis außerdem den Beginn einer Version des Horus-Mythos in Edfu VI, 214, 1–3; Übersetzung z. B. bei KURTH, Treffpunkt der Götter, S. 257. Siehe zu diesem Thema (Thoth als Helfer von Isis und Osiris) außerdem BLEEKER, Hathor and Thoth, S. 132–136. Der ganze Spruch ist PGM IV 2241–2358, eine Anrufung an den abnehmenden Mond (bzw. HekateSelene), siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 78–81; MO. SMITH, The Hymn to the Moon, PGM IV 2242–2355, in: L. Koenen et al. (Hrsg.), Proceedings of the XVI International Con-

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In der Historiola des altkoptischen Spruches PGM IV 94–153 wendet sich die Göttin wiederum hilfesuchend an ihren Vater Thoth, jedoch in diesem Fall in einer Liebesangelegenheit. Ausführlich soll diese Thematik im folgenden Abschnitt (6.5.2.2) zur Sprache kommen. In praktisch allen zitierten Fällen thematisiert die jeweilige Stelle letztlich eine Übertragung von magischem Wissen durch Hermes-Thoth an Isis. Auch seine Selbstaussage in PGM IV 2288–2290 scheint seine Vaterstellung insbesondere im Hinblick auf ihre gemeinsamen magischen Kräfte, die Isis entsprechend von ihm geerbt/gelernt hat, hervorzuheben. Umgekehrt wird das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Isis und Thoth anscheinend in dem Traumorakel PGM XII 144–151.1878 Der Anweisung zufolge muß der Orakelsuchende ein Bild des Hermes (= Thoth) mit Ibisgesicht zeichnen (PGM XII 145–146), und anschließend den Gott, der nun allerdings nicht mehr explizit namentlich genannt wird, bei seinen Eltern Osiris und Isis beschwören (148). Wäre hier nicht Hermes-Thoth angesprochen, hätte die Anrufung keinerlei Bezug zur Zeichnung, was ich für unwahrscheinlich halte. Er muß dann aber implizit mit Horus identifiziert sein. Wie STADLER, der diesen PGM-Spruch allerdings nicht erwähnt, m. E. überzeugend dargelegt hat, ist die bisher einzige ägyptische Quelle, die teilweise im Sinne einer Isis-Sohnschaft des Thoth verstanden wurde, nämlich PT Spruch 511, § 1153b, durch eine verbesserte Übersetzung leicht zu entkräften und als weiterer Beleg für die gut bekannte umgekehrte Verwandtschaftsbeziehung zwischen Isis und Thoth zu verstehen. 1879 Unsicher in der Interpretation bleibt die oben genannte Stelle im Deltapapyrus, derzufolge eine Göttin (Uto? Isis? Horit?) nach der Vergewaltigung durch Seth in einer Frühgeburt einen unfertigen pavianförmigen Ibis gebiert. 1880 Ein weiterer, ebenfalls uneindeutiger Beleg könnte in einem Papyrus aus dem gleichen Konvolut, nämlich dem Brooklyner Schlangenpapyrus, innerhalb einer magischen Anrufung enthalten sein: Hier wird Thoth „Sohn der zauberreichen Göttin“ (sA nTr.t wr.t HkA.w) genannt, was möglicherweise wieder auf Isis hindeuten könnte.1881 Interessant ist im Zusammenhang der Verbindung von Isis und Thoth außerdem ein frühdemotischer magischer Papyrus des 5. oder frühen 4. Jhs. v. Chr.1882 Innerhalb eines enorm langen, wohl über mehrere Kolumnen des Recto und Verso verlaufenden medizinischen Spruches rezitiert der Ritualist unter anderem: tAy=i mw.t As.t hb mx-tA.wj(?) Meine Mutter Isis ist ein Ibis von der ‚Waage der beiden Länder‘(?) (= Memphis). (Kol. x+5, x+13)

1878 1879 1880 1881 1882

gress of Papyrology, Chico 1981, S. 643–654; BORTOLANI, Magical Hymns, S. 243–279. Siehe zu diesem Spruch auch unten, 6.5.2.2. Siehe W. C. GRESE, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 158–159. STADLER, Weiser und Wesir, S. 152–155. 11, 3–6, siehe Kap. 4.13.2. pBrooklyn 47.218.48+85, 3, 4; Edition S. SAUNERON, Un traité égyptien d’ophiologie, Bibl. gén. 11, Kairo 1989; siehe zur Stelle, mit Diskussion, QUACK, Pavianshaar, S. 306–307 u. 325. Zur „Zauberreichen“ vgl. oben, Anm. 1805. pBM 10378. Edition in Vorbereitung durch QUACK, Demotische magische Papyri 4. Vgl. dazu auch oben, 6.5.1.1 und 6.5.2.1.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Isis wird damit also eine Verkörperung durch das üblicherweise mit Thoth verbundene Tier zugeschrieben; das Toponym verweist auf Memphis, mit dem auch andere Quellen zur engen Beziehung von Isis und Thoth in Verbindung stehen.1883 Möglicherweise konnte Isis gerade in der Tradition, die sie als Tochter des Thoth identifiziert (in Memphis?), diese an ihren Vater angeglichene Gestalt annehmen. Weibliche ibisgestaltige Gottheiten sind ansonsten jedoch nahezu unbekannt, sieht man von zwei Ausnahmen ab: einer einzigartigen Statuette wohl des 6. Jhs. v. Chr. in Hannover, die eine stehende ibisköpfige Gottheit mit weiblichem, anthropomorphem Körper zeigt, 1884 und einer ibisköpfigen Darstellung der Nephthys in der zweiten westlichen Osiriskapelle von Dendara, wo sie im Kontext der Achtheit von Hermopolis erscheint.1885 STADLER interpretierte beide Belege als Verweis auf die Zweigeschlechtlichkeit von Thoth in seiner Rolle als Ur- und Schöpfergott.1886 Angesichts des nun hinzugekommenen Beleges für Isis in Ibisgestalt häuft sich m. E. jedoch die Evidenz für die Möglichkeit tatsächlich weiblicher Ibisgottheiten (die jeweils in Verbindung mit Thoth stehen), zumindest ab der Spätzeit. Für Thoth als Sohn des Osiris gibt es dagegen durchaus Quellen, wobei seine Sohnesrolle mit STADLER als eine funktionelle aufzufassen ist.1887 Teilweise wird er auch als Sohn des Horus bzw. als Sohn des Sohnes von Osiris(?) bezeichnet. 1888 Der Hintergrund, auch für die eher für Horus passende Filiation im oben zitierten Spruch in PGM XII, dürfte dabei die enge Verbindung zwischen Thoth und Horus und ihre oftmals parallelen Funktionen und Handlungen sein,1889 die hier wohl zu ihrer Identifikation geführt haben. Zur Verbindung Horus-Thoth ist des weiteren z. B eine demotische Anleitung zur Traumoffenbarung zu vergleichen, da dort ausdrücklich „Harthoth“ angerufen werden soll, was durch die dem Spruch beigeschriebenen Hieroglyphen eines Falken und eines Ibis noch verdeutlicht wird.1890

1883 Vgl. z. B. das Archiv des Hor, Kap. 6.2.1.1 und 6.5.1.2. 1884 Siehe STADLER, Ist Weisheit weiblich?. 1885 STADLER, Ist Weisheit weiblich?, S. 13–14, und Abb. 10. Vgl. außerdem den Text Dend. II, 98, 2–99, 3, in dem ein Epitheton der Isis mit Ibishieroglyphe geschrieben wird: . CAUVILLE und KURTH lesen dort hb.t „Ibisweibchen“, wahrscheinlich ist jedoch eher iqr.t „die Vortreffliche“ zu verstehen, siehe Kap. 4.6.2, m. Anm. 1307. 1886 STADLER, Ist Weisheit weiblich?, S. 15. 1887 STADLER, Weiser und Wesir, S. 148–151 u. 313; siehe auch J. KAHL, Religiöse Sprachsensibilität in den Pyramidentexten und Sargtexten am Beispiel des Namens des Gottes Seth, in: S. Bickel/B. Mathieu (Hrsg.), Textes des Pyramides & Textes des Sarcophages: d’un monde à l’autre, BdÉ 139, Kairo 2004, S. 219–246: 233–234. Zu verschiedenen mythologischen Varianten betreffs der Abstammung des Thoth vgl. auch MEEKS, Mythes et légendes, S. 256. 1888 So CT Spruch 50, siehe dazu STADLER, Weiser und Wesir, S. 148–149; vgl. auch ASSMANN, Totenliturgien I, S. 285–286. 1889 Siehe dazu ausführlich STADLER, Weiser und Wesir, S. 305–314 u. 355–359. 1890 pBM 10588, 5, 1–5a/6 (PDM lxi 63–78). Edition: H. I. BELL/A. D. NOCK/H. THOMPSON, Magical Texts from a Bilingual Papyrus in the British Museum, From the Proceedings of the British Academy 17, London 1932. Siehe auch J. H. JOHNSON, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 288; QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 357. Vgl. außerdem den oben bereits erwähnten pBM 10378, Edition in QUACK, Demotische magische Papyri 4: In Kol. x+6, x+6 und x+18, werden Horus und Thoth jeweils gemeinsam angerufen „Wehe, Abscheu, Horus und Thoth“ (parallel zur gleichen Formel mit „Isis und Osiris“).

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

6.5.2.2 Isis und Osiris im Liebeszauber1891 Wie bereits angedeutet galten Isis und Osiris als mythisches Vorbild par excellence für Liebeszauber, 1892 was sich insbesondere auf die starke und unverbrüchliche Liebe und Treue der trauernden Witwe Isis gründet, die keine Mühen scheute, um den Leichnam ihres Brudergatten zu finden und wiederzubeleben (s. o.). Zusätzlich zu der in ägyptischen und griechischen Texten ebenfalls thematisierten erotischen Anziehungskraft zwischen Isis und Osiris1893 dürfte außerdem die im Laufe der Spätzeit immer enger gewordene Identifizierung der Isis mit den Göttinnen Hathor und Bastet, die unter anderem für erotische Liebe und Fruchtbarkeit zuständig waren, für weitere Autorität in diesem Bereich gesorgt haben. So wird zu Beginn des oben bereits kurz erwähnten altkoptischen Liebesbindezaubers des großen Pariser Zauberpapyrus zunächst erzählt, wie Isis, die von Osiris mit Nephthys betrogen wurde, sich verzweifelt an ihren Vater Thoth wendet (PGM IV 94–106). 1894 Genauer heißt es, daß die Göttin mittags im Sommer von einem Berg herunter kommt.1895 Ihr Zustand ist desolat: Sie ist schmutzig und staubig, außerdem weint und trauert sie. Thoth rät ihr dann, nach Theben und Abydos – d. h. zu heiligen Stätten mit Osirisgräbern – zu gehen und einen doppelten Eisennagel durch den Schmied „Belf, Sohn von Belf“ anfertigen zu lassen, 1896 in das Blut des Osiris zu tunken und zu ihm zurückzubringen (PGM IV 107–114). Obwohl der Nagel in den eigentlichen, sich daran anschließenden Zaubersprüchen und Handlungsanweisungen nicht mehr erwähnt wird, ist vorstellbar, daß ein solcher (in das Blut der Zielperson getauchter?) in der begleitenden Ritualhandlung verwendet wurde, z. B. für die gängige Praxis des Durchbohrens einer Bleitafel

1891 In weniger detaillierter und stark umgearbeiteter Form ist dieser Abschnitt zu Isis und Osiris im Liebeszauber auch in NAGEL/WESPI, Liebeszauber, S. 259–262, publiziert. 1892 Vgl. auch QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 348; jetzt außerdem LOVE, Code-Switching, S. 154–155. 1893 Siehe dazu z. B. QUACK, Der pränatale Geschlechtsverkehr; ID., Where Once Was Love, Love Is No More? What Happens to Expressions of Love in Late Period Egypt?, in WdO 46, 2016, S. 62–89: 75– 79; C. VELIGIANNI-TERZI, Bemerkungen zu den griechischen Isisaretalogien, in: Rheinisches Museum für Philologie, N. F. 129, 1986, S. 63–76. 1894 PGM IV 94–153; M. W. MEYER, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 39–40; verbessert durch die neue Transkription und Übersetzung von H. SATZINGER, An Old Coptic Text Reconsidered: PGM IV 94ff., in: Giversen/Krause/Nagel (Hrsg.), Coptology, S. 213–224; Neubearbeitung durch LOVE, Code-Switching, S. 30–56 u. 150–189. Zu weiteren ägyptischen Quellen, die mit der mythischen Episode vom Betrug des Osiris mit Nephthys in Verbindung gebracht werden können: VON LIEVEN, Seth ist im Recht, bes. S. 144–148: Eine Anspielung darauf könnte auch in einem weiteren Liebeszauber, PGM LXII 1–24 (Z. 4–5) vorliegen, mit den Namen „Osiris, der Gute“ (Osornōphri) und „Isis-Nephthys“ (Senephthys), vgl. QUAEGEBEUR, Senephthys, zur kombinierten Gestalt Isis-Nephthys, die die stark empfundene Einheit der beiden Schwestern wiedergibt; weiterhin FEDER, Nephthys, zur Stelle 70–71; M. SMITH, Reign of Seth, S. 404. Zur Aufnahme der Episode bei Plutarch siehe unten, Kap. 8.1.2.3. 1895 Vgl. pMag. LL vs., 33, 1–9 (PDM xiv 1219–1227), wo anfangs geschildert wird, daß Horus mittags in der Überschwemmungsjahreszeit einen Berg hinaufgeht, siehe oben, Kap. 6.5.1.4. 1896 Der Name Belf geht wahrscheinlich auf äg. bn=f „sein Pavian“ zurück, vgl. den Kommentar von LOVE, Code-Switching, S. 36, Anm. 106, und S. 154. Es handelt sich also um eine Figur, die wiederum mit Thoth verbunden ist, bzw. als sein paviangestaltiger Gefährte und Sohn des Sonnengottes unter dem Namen bntj bekannt ist. Speziell zu diesem Abschnitt und der möglichen Verbindung zur hermetischen/alchemischen Metallurgie vgl. auch BULL, Wicked Angels, S. 20–21.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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(defixio),1897 und so den Konnex zur Historiola herstellt.1898 Dafür werden in der magischen Formel die heiligen Bezirke Alchai (arq-HH) und Oupoke (w-pkr) von Abydos erwähnt (PGM IV 123–124), wo nach alter Tradition das Osirisgrab lokalisiert wurde.1899 Explizit wird außerdem das durch den in der mythischen Episode von Thoth durchgeführten Zauber erweckte Verlangen des Osiris nach Isis mit anderen götterweltlichen Analogien und schließlich dem in der realen Anwendung erwünschten Ergebnis bei der Zielperson in eine Reihe gestellt: (…) schicke das Herz des Osiris hinter Isis her (= erwecke das Verlangen), schicke Re hinter dem Licht her, schicke das Herz von NN, geboren von NN, hinter NN, geboren von NN, her. (PGM IV 141–143) In anderen Sprüchen ist die Historiola zur knappen Analogie abgekürzt, so in der Rezitation, die ein demotisches Rezept zur Herstellung eines Liebestrankes begleitet1900 und diesen mit dem Blut des Osiris gleichsetzt, das ja auch im zuvor thematisierten altkoptischen Liebeszauber eine zentrale Rolle spielt. Gleichzeitig wird eine Analogie hergestellt zwischen Isis’ Suche nach dem Leichnam des Osiris, die letztlich auch durch ihre Liebe veranlaßt war, und der real erwünschten liebestollen Suche der Zielperson nach dem Anwender des Spruches: Gib von ihm, dem Blut des Osiris, das er der Isis gab, damit sie in ihrem Herzen Liebe zu ihm empfände bei Nacht, bei Tag, zu jeder Zeit, ohne daß ein Moment anders ist! (…) Die Liebe, welche Isis zu Osiris empfand, als sie überall nach ihm suchte, möge NN, Tocher der NN, sie empfinden, indem sie überall nach NN, Sohn der NN, sucht (…)! (pMag. LL, 15, 14–18) Verstärkt wird die Beziehung zwischen Götterwelt und Anwendungssituation noch durch die Identifikation des Sprechers mit Osiris:

1897 So befinden sich beispielsweise in zwei Bleitäfelchen mit Liebeszauber in Heidelberg (T.Heid. Arch. Inst. F 429 a–b) vier Löcher, die von Nägeln stammen (Rostspuren), siehe F. BOLL, Griechischer Liebeszauber aus Ägypten auf zwei Bleitafeln des Heidelberger Archäologischen Instituts, Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Heidelberg 1910; SM I, Nr. 37. 1898 Vgl. FRANKFURTER, Narrating Power, S. 470–471; ähnlich auch GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, S. 45. Eine etwas andere Interpretation für die möglicherweise ursprünglich zum Spruch gehörige Ritualpraxis bietet LOVE, Code-Switching, S. 155–158: Er rekonstruiert einen Liebestrank aus Wein (= ‚Blut des Osiris‘), wie in anderen Sprüchen belegt – für den in der Historiola genannten Nagel hält er allerdings ebenfalls die Verwendung im Rahmen einer defixio für wahrscheinlich. 1899 Es gibt Hinweise darauf, daß das Grab in griechisch-römischer Zeit nicht mehr im Nekropolenbereich, sondern im Osiristempel von Abydos bzw. dem Osireion des Sethos-Tempels verortet wurde, siehe dazu M. SMITH, A Demotic Coffin Inscription, in: CLARYSSE/SCHOORS/ WILLEMS (Hrsg.), Egyptian Religion I, S. 425–439: 434; D. O’CONNOR, Abydos. Egypt’s First Pharaohs and the Cult of Osiris, London 2011 (Erstedition: London 2009), S. 135. (Ich danke Susanne TÖPFER für diesen Hinweis). Gegen eine Einstellung der osirianischen Riten in Umm el-Qaab argumentieren jetzt aber U. und E. EFFLAND, Abydos. Tor zur ägyptischen Unterwelt, Darmstadt – Mainz 2013, S. 122–123. 1900 pMag. LL, 15, 1–23 (PDM xiv 428–450); siehe J. H. JOHNSON, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 220–221; deutsche Übersetzungen von QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 348–349; und G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 28.02.2014.

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Ich bin der von Abydos, wahrhaftig, (…) Ich bin diese Figur des Ertrunkenen (…). (pMag. LL, 15, 8–9 und 12) Eine ähnliche Analogie zur Liebe zwischen Isis und Osiris findet sich in dem griechischen Rezept für eine Penissalbe PGM XXXVI 283–294 („Genitalschlüsselzauber“),1901 wo neben das ägyptische Götterpaar zusätzlich ein griechisches Paradebeispiel für eheliche Treue gestellt wird:1902 Lasse sie mich lieben für all ihre Zeit, wie Isis Osiris liebte, und lasse sie mir treu bleiben, wie es Penelope für Odysseus tat. (PGM XXXVI 288–289) Ein weiterer Liebeszauber ist in der in das 1. Jh. n. Chr. und damit relativ früh datierenden Spruchsammlung von PGM CXXII erhalten,1903 die laut Eigenaussage aus einem heiligen Buch namens „Hermes“ stammt, das im Tempel gefunden wurde und hieroglyphische Texte enthielt, die dann ins Griechische übersetzt wurden (PGM CXXII 1–4). In dem Spruch PGM CXXII 26–50 wird die im Ritual verwendete Myrrhe mit der von Isis in entsprechender Situation erfolgreich benutzten Substanz gleichgesetzt: Du bist die Myrrhe, mit der Isis eingerieben war, als sie zur Brust des Osiris kam, ihrem […] Bruder, und ihm ihre Gunst an diesem Tag schenkte. (PGM CXXII 30–31)1904 Anschließend wird Isis angerufen, den Liebeszauber zur Erfüllung zu bringen (PGM CXXII 33–34). Noch auf einer anderen Ebene kann Isis als Helferin diesem Zweck dienlich sein: als Herrin über die Wesen der Unterwelt, was auf ihre ägyptische Funktion als Totengöttin zurückgeht. Sie agiert in einem stark griechisch geprägten Anziehungszauber, der konstatiert, daß sie mit ihrem Bruder und „Bettgefährten“ (Osiris) 1905 auf den Schultern gekommen ist, wohl zusammen mit Zeus als Führerin der Totengeister, die die gewünschten Handlungen ausführen sollen (PGM IV 1471–1475).1906 Daß sie Osiris auf den Schultern trägt, bedeutet 1901 Siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 276. 1902 Vgl. dazu auch PACHOUMI, Concept of the Divine, S. 153. 1903 Edition BRASHEAR, Berliner Zauberpapyrus; siehe auch H. D. BETZ, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 316–317; MALTOMINI, Osservazioni. 1904 Zu Myrrhe als Mittel der Verführung vgl. z. B. den Liebeszauber „über Myrrhe“ PGM IV 1496–1595; ähnlich auch PGM XXXVI 333–360, wo die Myrrhe unter anderem als „Führer der Isis“ bezeichnet wird (338–339), womit im Vergleich mit dem oben zitierten Spruch gemeint sein könnte, daß die Myrrhe Isis zu Osiris hingeführt habe. Siehe zu diesem Thema AUFRÈRE, Encres magiques, S. 376. Eine verwandte Tradition findet sich im koptischen pMich. 4932, in dem ein Öl genannt wird, mit dem Isis Osiris eingerieben habe, s. u., Kap. 6.5.5. Zudem wird in ähnlicher Weise wie bei der Myrrhe ein im Liebeszauber PGM LXI 1–38 verwendetes Olivenöl mit Substanzen verschiedener Gottheiten identifiziert, darunter mit dem „Schleim der Isis“ (8). Zu Olivenöl als Substanz der Isis und zu diesem Text vgl. AUFRÈRE, Parures vegetales, S. 396–397; ID., Cueillette des herbes, S. 351. 1905 Umgekehrt wird Isis in der „Hymne an den Mond“ PGM IV 2241–2358 „Bettgefährtin“ des OsirisHelios genannt (2342), siehe dazu unten. 1906 Der ganze Zauberspruch ist PGM IV 1390–1495; siehe dazu E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 64–66; zur Hymne BORTOLANI, Magical Hymns, S. 219–242. In der vorausgehenden Hymne des Spruches wird neben zahlreichen griechischen chthonischen Gottheiten auch Anubis als Schlüsselträger und Wächter (der Unterwelt?) angerufen, vgl. dazu S. MORENZ, Anubis mit dem

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möglicherweise, daß es sich um den bereits verstorbenen Gott handelt, den Isis gefunden hat und nun zur Wiederbelebung und zur Empfängnis des Horus zurückbringt (siehe dazu oben, 6.5.2.1).1907 Die erfolgreiche Empfängnis des Horus bietet auch den mythologischen Präzedenzfall für einen griechischen Spruch ägyptischer Tradition, 1908 der es offenbar erleichtern soll, nach dem Geschlechtsverkehr schwanger zu werden, und der auf einer Goldlamella im 3.–4. Jh. n. Chr. in einem Grab der Nekropole von Ballana in Nubien deponiert wurde.1909 Der Operator identifiziert sich mit Osiris und ruft Isis an, zu ihm zu kommen, ihre Gebärmutter zu öffnen und seinen Samen zu empfangen. Dieser wird als „Wasser“ verschiedener Götter aus dem unmittelbaren osirianischen Umfeld ausgelegt: Horus, Thoth und Anubis, wobei die ersteren beiden nicht namentlich, sondern nur in ihrer Erscheinungsform als Falke und Ibis angesprochen werden. Die Zielperson wird mit Hilfe der ins Griechische übertragenen ägyptischen Namensformel 1910 in der gewünschten Situation mit Isis identifiziert: Empfange schnell das Wasser, das in dir gesät wurde, in deinem Namen Isis, Herrin, Königin von Dendara! Schnell, schnell, durch deine Macht, schnell! Die hier interessanterweise gewählten Titel der Isis „Herrin, Königin von Dendara“ gehen deutlich auf die Theologie der Göttin im dortigen Tempel zurück, in welchem gerade ihr Königtum besonders betont wird.1911 Der auf der Lamella aktivierte Spruch wurde damit wohl aus einem aus Ägypten stammenden Formular kopiert.1912 Tatsächlich könnte ein nur sehr fragmentarisch erhaltener Spruch in einem erst kürzlich publizierten griechischen

1907 1908 1909

1910 1911 1912

Schlüssel, in: id., Religion und Geschichte des Alten Ägypten, Köln – Wien 1975, S. 510–520; K. PARLASCA, Anubis mit dem Schlüssel in der kaiserzeitlichen Grabkunst Ägyptens, in: Bricault/Versluys (Hrsg.), Isis on the Nile, S. 221–232. Vgl. zu Isis als „aktiver“ Sexualpartnerin, die ihren verstorbenen Gatten wiederbelebt, um Horus zu empfangen, die entsprechenden ägyptischen Quellen, siehe Opet I, 139, Kap. 4.7.1. Vgl. zu Isis als Verführerin des Osiris in diesem Spruch auch AUFRÈRE, Encres magiques, S. 376. Der griechische Text weist eine sehr eigenwillige Orthographie auf, die wohl auf einen ägyptischen oder nubischen Schreiber hinweist, vgl. die Transkription in standardisiertes Griechisch bei KOTANSKY, Greek Magical Amulets I, S. 362. SM II, S. 158 (ad Nr. 79, teilweise Parallele zu Spruch 1 dieses Formulars); GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, S. 47–48; Erstedition L. P. KIRWAN, in: W. B. Emery, The Royal Tombs of Ballana and Qustul I, Kairo 1938, S. 405–407, Nr. III; zum Grab und den anderen dort gefundenen Objekten ibid., S. 75–78; KOTANSKY, Greek Magical Amulets I, Nr. 61, S. 361–368. Zu Isis und Osiris in Nubien vgl. oben, Kap. 6.5.2.1 sowie 4.3 und 6.2.4. Zur Namensformel siehe Kap. 4.2.1.A, Assuan-Hymne 5 und Parallelen, sowie Kap. 4.5.1.A, Edfu V, 332, 14–333, 2. Siehe Kap. 4.6. Inhaltlich ähnlich ist der oben erwähnte „Genitalschlüsselzauber“ PGM XXXVI 283–294, der ebenfalls die Liebe zwischen Isis und Osiris als Vorbild nutzt. Die Interpretation durch GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, S. 48, Anm. 99, die Lamella sei sicher in Ägypten geschrieben worden, greift m. E. zu kurz. Auch der Verwunderung der Autoren über die Nutzung einer Goldlamella für diesen Zweck und ihrer Schlußfolgerung aufgrund des nubischen Fundortes, der genaue Inhalt des Textes sei dem Nutzer bzw. Besitzer möglicherweise nicht bekannt gewesen, kann ich mich aufgrund des Kontextes des Friedhofes nicht anschließen: Es handelt sich um eine insgesamt sehr reich mit zahlreichen Objekten aus Edelmetallen ausgestattete Nekropole, in der Mitglieder der spätantiken Oberschicht, d. h. royale und adlige Personen bestattet worden waren. Grundlegende Griechischkenntnisse sind hier um diese Zeit wohl kaum auszuschließen.

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magischen Handbuch aus Oxyrhynchos (3. Jh. n. Chr.) eine Parallele sein:1913 Auch dort wird die „Königin Isis“ angerufen zu kommen und etwas Verschlossenes zu öffnen (1, 1). Weiter hinten im Text wird sie auch „Mutter“ genannt (1, 7). Leider ist vom Kontext des Spruches insgesamt zu wenig übrig, um sicher zu sein. Osiris selbst erscheint außerdem als Totengott in einem personalisierten Liebeszauber auf einem Papyrusblatt, das zusammen mit zwei sich umarmenden Wachspuppen in einem Tongefäß auf einem Friedhof vergraben worden war.1914 In Fortsetzung der Tradition der funerären „Osiris-Kaltwasserinschriften“ 1915 wird den angerufenen, unruhigen Totengeistern versprochen: Wenn ihr mir Euphemia, geboren von Dorothea, herbringt, mir, Theon, geboren von Proechia, dann werde ich euch Osiris Nophrioth,1916 den Bruder der Isis, geben und er [wird] euch frisches Wasser (τὸ ψυχρὸν ὕδωρ) bringen und euch außerdem Ruhe für eure Seelen geben.1917 (PGM CI 11–14) Unter den auf Geschehnisse in der Götterwelt bezogenen Techniken zur Erlangung magischer Ziele wird neben der Historiola bzw. der Analogie desöfteren auch die Diabolé, eine Verleumdung der Zielperson, frevelhafte Taten gegen die Götter begangen zu haben, einge-

1913 pOxy. 5304, 1, 1–18; siehe den Kommentar des Herausgebers F. MALTOMINI, in: N. Gonis et al., P. Oxy. LXXXII, London 2016, S. 55–56. 1914 PGM CI 1–53 = SM 45; D. WORTMANN, Neue magische Texte, in: Bonner Jahrbücher 168, 1968, S. 56–111: 85–102, Nr. 4, bes. S. 94–95 zur zitierten Stelle; J. G. GAGER, Curse Tablets and Binding Spells from the Ancient World, New York – Oxford 1992, Nr. 30. Eine recht genaue Parallele sowohl zu der gesamten Deponierung als auch zu dem niedergeschriebenen Text bietet das von M. BRASHEAR, Ein neues Zauberensemble in München, in: SAK 19, 1992, S. 79–108, publizierte Ensemble. 1915 Siehe dazu Kap. 6.2.2.2 und 6.2.10.2. 1916 Eventuell eine etwas degenerierte Form von „Osiris Onnophris“, der z. B. in pMag. LL, 18, 16–17, erwähnt wird? Zu der häufigen, hebraisierenden Endung -oth von Voces magicae siehe G. BOHAK, Hebrew, Hebrew Everywhere? Notes on the Interpretation of Voces Magicae, in: S. B. Noegel/J. Walker/B. M. Wheeler (Hrsg.), Prayer, Magic and the Stars in the Ancient and Late Antique World, Magic in History Series, Pennsylvania 2003, S. 69–82: 79. 1917 Für ägyptische Entsprechungen dieser Aussage („Ich werde euch Osiris geben“) auf Mumienbinden der 21. Dyn. siehe L. KÁKOSY, Rdj.t Wsjr n…, in: StudAeg 2, Budapest 1976, S. 173–174 (auch zur Parallele im PGM-Text); mit ausführlicher Interpretation in weiterem Kontext (Wsjr (n) NN als Genitivkonstruktion) M. SMITH, Osiris NN or Osiris of NN, in: B. Burkhardt/I. Munro/S. Stöhr (Hrsg.), Totenbuch-Forschungen: gesammelte Beiträge des 2. Internationalen Totenbuch-Symposiums, Bonn, 25.–29. September 2005, SAT 11, Wiesbaden 2006, S. 325–337, bes. 333–334 (umfassend jetzt auch ID., Following Osiris, S. 372–390): Dem Verstorbenen wird durch entsprechende Rituale ein Osiris gegeben, der dann als verklärte Form des Verstorbenen auf ewig Bestand hat. Der Sinn ist entsprechend ein etwas anderer als im oben zitierten magischen Text, doch eine gewisse Parallele besteht darin, daß die dort angerufenen, unruhigen Totengeister eben noch nicht diese Daseinsform erhalten haben und ihnen damit erst Osiris und die belebenden Rituale, in diesem Fall die Gabe von frischem Wasser, gegeben werden soll, um in einen ‚ruhigen‘ Zustand überführt zu werden. Den letztlichen Sinn der ägyptischen Formel beschreibt M. SMITH folgendermaßen (S. 334): „Through the acquisition of an Osiris, by the ritual means described above, the deceased person is enabled to join the god’s divine retinue and participate in his cult.“ M. E. ist dies als Versprechung an die ruhelosen Toten auch im griechischen Zauberspruch gemeint.

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setzt. 1918 Ebendieses Hilfsmittels bedient sich der Herbeiführungszauber (Agogé) PGM XXXVI 134–160.1919 Auf das verdorbene Opfer „unrechtmäßiger“ Eier, das der Zielperson angehängt wird, reagiert die Götterwelt mit Entsetzen: Denn Isis stieß einen lauten Schrei aus und die Welt war in Verwirrung gestürzt. Sie wälzt sich herum auf dem heiligen Bett und seine Bande und die der Dämonenwelt werden in Stücke gerissen wegen der Feindschaft und dem Frevel von ihr, NN, geboren von NN. (PGM XXXVI 141–144). Die Erwähnung eines „lauten Schreis“ der Isis ist in der ägyptischen Vorstellung engstens mit dem Mythem der Trauer um Osiris konnotiert.1920 Im Mechanismus des Spruches wird die Klage jedoch als Ergebnis der (vorgeblichen) frevelhaften Handlung der Zielperson umgedeutet und somit kausal mit den Handlungen und Rezitationen des Rituals verknüpft.1921 Im Anschluß an die Diabolé werden Isis und Osiris zusammen mit den Unterweltsdämonen angerufen, die Zielperson mit Schlaflosigkeit, Hunger und Durst zu schlagen und sie schließlich als Kurtisane zum Operator kommen zu lassen (PGM XXXVI 144–155). Auch sonst werden Isis und Osiris in den Anrufungen von Liebeszauberritualen um Hilfe ersucht, durch eine Drohung unter Druck gesetzt und/oder mittels einer im Ritual herzustellenden Osirispuppe als Helferfiguren eingesetzt. Reste eines demotischen Papyrus wohl der späten Ptolemäerzeit mit einem erotischen Zauber enthalten mehrere Anspielungen auf Osiris, und Isis wird angerufen zu kommen.1922 Ein weiteres demotisches Fragment mit Invokation der Isis, „der Großen des Himmels“ und „großen Göttin“, sowie einer Erwähnung dessen, „der in Busiris ist“ (= Osiris) gehört möglicherweise zu derselben Papyrusrolle.1923 In einem in das 1. Jh. n. Chr. datierenden, aber sehr fragmentarischen griechischen Liebeszauber werden Osiris und Anubis neben verschiedenen griechischen Unterweltsgottheiten genannt,1924 was demonstriert, daß das Zusammenfließen verschiedener religiöser Traditionen bereits deutlich vor der Zeit, aus der der Großteil der erhaltenen Zeugnisse stammt, stattfand. Später wird Osiris dann auch neben biblischen Engeln wie Michael zu diesem Zweck angerufen.1925 Der Zauberer kann sich das göttliche Liebespaar auch mit Hilfe einer Wachspuppe des Osiris untertan machen, wie das demotische Rezept pBM 10588, 8, 1–16 (PDM lxi 112–

1918 Zum Mechanismus der Diabolé, die oft von tatsächlich ausgeführten, frevelhaften Ritualen (Inversion von Normalopfern) begleitet wird, siehe S. EITREM, Die rituelle ΔΙΑΒΟΛΗ, in: Symbolae Osloenses 2, 1924, S. 43–61; F. GRAF, Gottesnähe und Schadenzauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996, S. 163–166 u. 203–207; RITNER, Egyptian Magical Practice, S. 3369–3370; QUACK, Pavianshaar, S. 331–332. 1919 Siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 272–273. 1920 Vgl. z. B. die Tradition von Isis’ lautem Klagegeschrei in Koptos, siehe Kap. 6.3.2. 1921 Vgl. dazu auch GORDON/GASPARINI, Isis „the Magician“, S. 46. Eine andere Interpretation bei LOVE, Code-Switching, S. 154 (demnach soll der Schrei der Isis ihre Empörung über den Betrug des Osiris mit Nephthys, in Analogie zu PGM IV 94–153 (s. o.), ausdrücken). 1922 pMailand D 5. Ediert von QUACK, Demotische magische Papyri 4. 1923 pMailand D 34; Edition QUACK, Demotische magische Papyri 4. 1924 PGM CXVII; Edition P. FABRINI/F. MALTOMINI, in: A. Carlini et al., Papiri Letterari Greci, Pisa 1978, Nr. 34; siehe auch R. KOTANSKY, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 314. 1925 PGM VII 973–980; siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 144.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

127) angibt.1926 Die Puppe wird unter der Türschwelle der Angebeteten vergraben, und Isis nach Mondaufgang angerufen. Für den Fall, daß die Götterfigur nicht gehorchen sollte, werden Isis und Osiris mit Drohungen unter Druck gesetzt, die inhaltlich aufgrund zahlreicher Fehlstellen allerdings im Detail unklar sind.1927 Durch die gemeinsame Zuständigkeit für amouröse Themen findet innerhalb der Textgattung der Liebeszauber auch eine Gleichsetzung oder synkretistische Verbindung der Isis mit Aphrodite und Selene statt, die in den griechischen Liebeszaubern tragende Rollen spielen.1928 So gelten Isis und Bubastis (Eisi ō Boubasti) in dem kurzen „Becherzauberspruch“ PGM VII 385–389 als zwei von mehreren, bereits zu Voces magicae verschliffenen Beinamen der Aphrodite, die hier wie öfters Kypris genannt wird.1929 Mit leichten Variationen findet sich diese Namensreihe auf magischen Gemmen wieder, die entsprechend auf der Rückseite eine Darstellung von Aphrodite im Typus Anadyomene zeigen, welche häufig anhand von weiteren Attributen wie dem Basileion synkretistisch mit Isis-Hathor verbunden ist.1930Auch die Namen Hathor und Sothis können beigeschrieben sein. So wird des weiteren ein Opfer an den Mond zur Gewinnung von Schutz und Verherrlichung von einer Anrufung an die „Herrin Isis“ begleitet, die außerdem unter anderem „Isis Sothis“ und „Bubastis“ sowie „Herrin Isis, Nemesis, Adrasteia, vielnamige (πολυώνυμος), vielgestaltige (πολύμορφος)“ genannt wird (PGM VII 490–504).1931 In einem mit hexametrischen Hymnen an Aphrodite gerichteten Liebeszauber, PGM IV 2891–2942, erscheinen außerdem in einer Reihe von Voces magicae die Worte SOUI ĒS (σουι  ης) (Z. 2929), was demotisch

1926 Siehe J. H. JOHNSON, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 290; verbesserte Übersetzung bei QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 358–359. 1927 In einer demotischen Traumsendung zum Zweck eines Liebeszaubers (pLouvre E 3229, 3, 1–4, 15 = PDM Suppl. 60–101) wird ebenfalls eine Osirisfigur angefertigt und mit Drohungen gezwungen, die Wünsche des Operators auszuführen. Die Anfertigung der Figur basiert hierbei allerdings auf Rezepten für die Herstellung eines Kornosiris während des Choiakfestes, siehe hierzu J. F. QUACK, Remarks on Egyptian Rituals of Dream-Sending, in: P. Kousoulis (Hrsg.), Ancient Egyptian Demonology. Studies on the Boundaries between the Divine and the Demonic in Egyptian Magic, OLA 175, Leuven 2011, S. 129–150, bes. 131–133 und 135–141. 1928 Vgl. auch SFAMENI GASPARRO, Fra religione e magia, S. 401. 1929 Siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 128; vgl. dazu auch J. QUAEGEBEUR, Le culte de Boubastis-Bastet en Égypte gréco-romaine, in: L. Delvaux (Hrsg.), Les divins chats d’Egypte: un air subtil, un dangereux parfum, Leuven 1991, S. 117–127: 125; SBORDONE, Iside maga, S. 139. Vgl. auch den oben bereits teilweise zitierten Liebeszauber PGM CXXII 26–50 auf einem Papyrus des 1. Jhs. n. Chr.; dort wird zunächst Isis für die mythologische Analogie eingesetzt (die Myrrhe ist Myrrhe, mit der Isis eingerieben war) und um Erfüllung des Zaubers angerufen. Am Ende des Spruches (Z. 50) ist es jedoch die „Göttin, geboren auf Zypern“, also Aphrodite, die ihn vollziehen soll, was ebenfalls für eine Gleichsetzung von Isis und Aphrodite spricht. 1930 Siehe dazu MICHEL, Magische Gemmen, S. 203–219: 211–212; QUACK, Dekane, S. 580–581. Als Steine werden besonders grüner Jaspis und Lapislazuli verwendet, die nach Porphyrius, ap. Eusebius, Praeparatio Evangelii III, 12, Feuchtigkeit und Fruchtbarkeit sowie die Anziehungskraft des Mondes auf Wasser symbolisieren. 1931 Siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 131; zu Isis in diesem Spruch auch SBORDONE, Iside maga, S. 136–138; vgl. zu diesem Spruch außerdem unten, 6.5.3.1. Zu Isis als „vielnamige“ und „vielgestaltige“ vgl. z. B. MM I–III und pOxy. 1380, Z. 9 (ebenfalls als Aphrodite), 97 u. 101, siehe Kap. 6.1.2–3. Zur Identifikation mit Nemesis und Adrasteia (über Isis-Maat) GRIFFITHS, Isis-Book, S. 153– 154, auch zur Stelle. Vgl. zu Isis und dem Konzept der Vergeltung bzw. Nemesis auch Kap. 6.4.1.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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s(j)w As.t „Stern der Isis“, also der Sothis-Stern, sein dürfte.1932 Auch in dem zugehörigen Ritual finden sich einige ägyptische Elemente, so die Vorschrift, das Gehirn eines Geiers zu opfern (Z. 2895–2896), was an die ägyptische Geierhaube erinnert, die Isis und andere Göttinnen (sowie Königinnen) tragen, und die bei einigen hellenistischen Bronzestatuetten der Isis-Aphrodite zu einer Taube, dem Vogel der Aphrodite, transformiert wurde.1933 Der sogenannte „Mondzauber des Claudianus“ (PGM VII 862–918)1934 gibt sich als Schrift aus, die in Aphroditopolis, bei der „größten Göttin Aphrodite Urania, die das Universum umfängt“, aufgefunden worden sein soll (PGM VII 862–865). Mit diesem ‚Fundort‘ dürfte der Tempel der in Aphroditopolis in Form der Himmelskuh verehrten Hathor-Isis gemeint sein,1935 die hier in Interpretatio graeca als himmlische Schöpfergöttin Aphrodite benannt ist. Um die Göttin zu beeinflussen, soll eine Lehmfigur der „Herrin Selene, der Ägypterin“ angefertigt werden, und zwar „in der Form des Universums“ oder „in allen Formen/alle Formen annehmend“ (παντόμορφον).1936 Die Weiterentwicklung der Isis (bzw. Hathor) zur Mondgöttin fand erst in griechisch-römischer Zeit statt, und könnte neben anderen Faktoren auch von dem Verhältnis der Göttin zu Thoth beeinflußt sein.1937 Hier ist sie zudem mit der Konstellation des Großen Bären identifiziert, eine ebenfalls späte Entwicklung.1938 Eine Verbindung – wenn auch keine direkte Gleichsetzung – mit der griechischen Mondgöttin geht auch aus der als Hymne ausgestalteten Anrufung an den abnehmenden Mond PGM IV 2241–2358 hervor.1939 Die nächtliche Göttin wird aufgefordert, sich im Spiegel zu betrachten, in welchem sie sodann die „Schönheit der Göttin/Herrin des Nils (Νειλωίτιδος)“ erblicken wird (2297–2298). Mit letzterer ist sicherlich Isis gemeint, wie bereits PREISENDANZ bemerkte.1940 Zudem wird in einer Art verkürzter Diabolé die Zielperson als Feind von „Helios-Osiris und Isis, seiner Bettgefährtin“ denunziert (2340–2342), um den Zorn der angerufenen Hekate-Selene-Isis auf jene zu erwecken.1941 Spiegel werden tatsächlich im ägyptischen Tempelritual häufig als Gaben an Isis oder Hathor gereicht, wobei die Begleittexte üblicherweise ihren Charakter als leuchtende Gestirnsgottheit, d. h. als

1932 Den Hinweis verdanke ich J. F. QUACK. 1933 Siehe dazu KRUG, Isis – Aphrodite – Astarte. 1934 Siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 141–142. Ein Claudianus ist als Philosoph und Alchemist aus dem Corpus der griechischen Alchemisten bekannt, siehe zu dieser Textgruppe oben, Kap. 6.5.1.4. 1935 Zur kuhgestaltigen Hathor-Isis von Aphroditopolis (Atfih) siehe besonders Kap. 4.13. Vgl. auch Aelian, De natura animalium, 10, 27, zur Verehrung der Hathor von Kusae als Aphrodite Urania, siehe dazu ALLAM, Beiträge zum Hathorkult, S. 25. 1936 Zu letzterer Übersetzungsvariante und Diskussion PACHOUMI, Concepts of the Divine, S. 52–53. Des weiteren wird im Text auf eine Zeichnung der Figur weiter unten verwiesen, die im Papyrus allerdings fehlt. 1937 Zu Isis/Hathor als Herrin des Himmels und Mondgöttin, siehe DELIA, Isis, or the Moon, speziell S. 548 zu Isis als Mondgöttin in den magischen Papyri; VON LIEVEN, Grundriß, S. 193–195; BLEEKER, Hathor and Thoth, S. 46–48; vgl. oben, Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 103–104. Zur Bedeutung des Mondes im Liebeszauber siehe z. B. auch MICHEL, Die Magischen Gemmen, S. 212–213. 1938 Vgl. E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 141, Anm. 141. 1939 Zu diesem Zauberspruch, in dem unter anderem auch Thoth als Vater der Isis auftritt, siehe bereits oben, 6.5.2.1, Anm. 1877, mit Bibliographie zu diesem Spruch. 1940 Siehe zu dieser Stelle BORTOLANI, Magical Hymns, S. 266. 1941 Siehe dazu BORTOLANI, Magical Hymns, S. 276.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Verkörperung der Sothis und damit weiblichem Gegenstück zum Sonnengott, betonen.1942 Dieses ägyptische Konzept könnte im Rahmen der griechischen Hymne im Zauberspruch zu einer lunaren Symbolik umgedeutet worden sein. Ein ägyptischer Hintergrund des Spiegels ist jedoch keinesfalls zwingend. Die Liebe zwischen Isis und Osiris äußert sich außerhalb der Liebeszaubersprüche auch in der ägyptischen Vox magica „emer Isis“ = „geliebt von Isis“, mit der Osiris neben anderen Beinamen in einem multifunktionalen Bindezauber angerufen wird.1943 Umgekehrt kann das mythologische Vorbild des Beziehungsgeflechts zwischen Isis, Osiris und Seth aber ebenso für Trennungszauber eingesetzt werden, die eng verwandt mit den bzw. eine rituelle ‚Vorstufe‘ der Liebeszaubersprüche sind. So fordert der Operator im demotischen Spruch pLeiden I 384 vs., IV, 1–12 (PDM xii 50–61) nicht nur die Trennung der durch einen Platzhalter (NN) markierten realen Zielperson von ihrem Partner, sondern analog auf mythologischer Ebene: „Trenne Isis von […]“ (IV, 12).1944 Der Name von Isis’ Partner ist zerstört, doch aller Wahrscheinlichkeit nach ist Osiris einzusetzen. Dagegen operiert ein griechischer Spruch desselben Papyrus mit dem Vorbild des Hasses und der Feindschaft zwischen Isis und Typhon (= Seth), um ein Ehepaar auseinander zu bringen.1945 6.5.2.3 Isis und Horus außerhalb der Heilzauber Die innige Beziehung zwischen Isis und ihrem Sohn Horus kann in nicht-medizinischen Zaubersprüchen (zu den medizinischen siehe oben, unter 6.5.1.4) ebenfalls für verschiedene Zwecke instrumentalisiert werden, wenngleich dies seltener genutzt wird als Isis’ Verhältnis zu Osiris. So sollen zum Entlarven eines Diebes nach einem demotischen Rezept (pBM 10588, 6, 1–16 = PDM lxi 79–94) Knoten in Flachs geknüpft werden, der zuvor auf dem Schädel eines Ertrunkenen (stellvertretend für Osiris) gepflanzt wurde.1946 Dieser Flachs wird in dem zu rezitierenden Spruch auf mythologischer Ebene mit demjenigen identifiziert, den Isis zum Fesseln der Vorderschenkel von Seth benutzt habe, um ihn vor Horus im Papyrussumpf von Buto zu enthüllen (6, 13–14). Der Anwender des Spruches bezweckt ebenfalls eine Enthüllung und gibt entsprechend an, „die Worte des Geb, die er Isis gab, als Seth sich vor &Horus\ im Papyrussumpf von Buto verbarg“ zu benutzen (6, 11–12).1947 Der 1942 Vgl. z. B. die korrespondierenden Szenen Edfu V, 77, 8–17 und 173, 10–174, 4, siehe Kap. 4.5.1.B. Vgl. auch die Anrede der Hathor-Tefnut als „goldener Spiegel“ in pMag. LL, 12, 24, siehe dazu QUACK, Rückkehr der Göttin, S. 145. 1943 PGM VII 447. Der ganze Spruch ist PGM VII 429–458. 1944 Edition: J. H. JOHNSON, The Demotic Magical Spells of Leiden I 384, in: OMRO 56, 1975, S. 29–64; siehe auch EAD., in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 169. 1945 PGM XII 365–375; siehe R. F. HOCK, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 166; vgl. dazu auch DIELEMAN, Priests, S. 136–137. 1946 Siehe J. H. JOHNSON, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 288–289; Übersetzung mit verbesserten Lesungen und Kommentar bei VON LIEVEN, Osiris; weitere Korrekturen bei T. S. RICHTER, Der Dieb; und QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 357–358. Der Spruch wurde im WS 2010/11 in einer Demotisch-Lektüre-Übung bei T. S. RICHTER, an der ich teilnehmen durfte, gemeinsam übersetzt. Ich möchte Herrn Richter an dieser Stelle für wertvolle Einblicke in die demotischen magischen Texte und sein Interesse an meiner eigenen Arbeit herzlich danken. 1947 Zu Geb als (magischem) Lehrer der Isis bzw. als demjenigen, von dem sie ihre Zauberkraft hat (in Konkurrenz zur Tradition um Thoth in dieser Rolle) vgl. die in 6.5.1.1 zitierten vorptolemäischen

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Dieb wird also mit dem mythologischen Vorbild des Seth gleichgesetzt, der z. B. als Dieb des Horusauges gilt und nach der Historiola des Spruches eben von Isis gefesselt und vor Horus entlarvt wurde. Die Tradition der Fesselung der Vorderschenkel des Seth durch Isis ist aus zahlreichen ägyptischen religiösen Texten hinreichend bekannt und wird dort mit den Sternbildern des „Schenkels“ und der Nilpferdgöttin Ipet (als Manifestation der Isis) verbunden.1948 In PGM III 494–611, einem Spruch zur Herstellung einer Verbindung mit Helios, identifiziert sich der Magier mit Horus, „dem Waisen einer geehrten (oder entehrten?)1949 Witwe (= Isis)“ (542–543), wenngleich die beiden Götternamen nicht explizit genannt werden.1950 Auch in der demotischen Gefäßdivination pMag. LL, 18, 7–33 (PDM xiv 528– 553) tritt der Petent als „Horus, Sohn des Osiris, den Isis geboren hat, das edle Kind, das Isis liebt, das nach seinem Vater Osiris Onnophris sucht“ auf, um seine natürliche Berechtigung zum Kontakt mit den Göttern zu postulieren (pMag. LL, 18, 16–17).1951 PGM V 213–303 nutzt die innige Beziehung zwischen Mutter und Sohn dagegen für eine Götterbedrohung: bei Nichterfüllung der Forderungen des sich mit Thoth identifizierenden Magiers soll „der Vaterlose“ (Horus)1952 von seiner Mutter (Isis) getrennt werden (282– 283).1953 In Kontext und Bedeutung innerhalb des Zauberrituals unklar ist eine in den abschließenden Befehl eines Liebeszaubers integrierte Aussage, daß „Horus heil ist für Isis (in?) den großen Straßen derer von Ägypten“ (pMag. LL, 21, 36).1954

1948 1949 1950 1951

1952 1953 1954

Quellen. Interessant könnte in diesem Zusammenhang auch die Zuschreibung eines osirianischen Ritualtexts, der „Großen Zeremonien des Geb“, an diesen Gott sein, zumal die Hauptakteure innerhalb der darin dokumentierten Riten dann vor allem Isis und Horus sind, siehe dazu (Geb als derjenige, der das Ritual eingerichtet hat) BACKES, „Papyrus Schmitt“, Bd. I, S. 81. Vgl. z. B. den Text Deir Chelouit III, Nr. 154, und den dortigen Kommentar, Kap. 4.8.1.A. Auf diese beiden Sternbilder nimmt auch eine Analogie im Liebeszauber pMag. LL, 21, 10–43 (PDM xiv 636– 669) Bezug (Z. 21, 38). κατατετιμημένη[ς], ein ansonsten nicht belegtes Verb; vgl. den Kommentar von R. K. RITNER, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 32, Anm. 107. Siehe die Übersetzung des Spruches von W. C. GRESE/E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 31–34. Zu dem Zitat vgl. PGM IV 2436–2437: „Ich empfange dich als Witwe und Waise“, s. o., 6.5.2.1. Ähnlich auch in einem demotischen ‚Gott-erreichen‘ (pH-nTr)-Ritual, also einem Orakel, des Osiris: „Oh Isis, oh Nephthys! Oh edler Ba des Osiris Onnophris, komm zu mir! Ich bin dein geliebter Sohn Horus!“ (pLouvre E 3229, 5, 14–15), siehe JOHNSON, pLouvre E 3229, S. 63 u. 71; EAD., in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 328; QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 354. Vgl. dazu auch den frühdemotischen pBM 10378, x+2, x+5–6 und öfter: „Wenn du Horus bist, der Vaterlose…“. Edition in Vorbereitung durch QUACK, Demotische magische Papyri 4; siehe zu diesem magischen Papyrus oben, Kap. 6.5.1.1 und 6.5.2.1. Ein Spruch zur Gewinnung von magischem Wissen; siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 104–106; vgl. zu diesem Spruch auch oben, 6.5.2.1. Im Spruch pMag. LL, 21, 10–43 (PDM xiv 636–669). Vgl. die Übersetzung und den Kommentar zur Stelle bei G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 09.03.2014.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

6.5.3 Charakter und magische Materialien der Isis in den Zaubertexten Außerhalb ihres Schicksals im Mythos und abgesehen von ihrer (expliziten) Rolle als Magierin tritt Isis in verschiedenen weiteren Funktionen und Götterkonstellationen in den Rezepten der demotischen und griechischen Zaubertexte auf. 6.5.3.1 Isis als vielnamige All- und Urgöttin sowie als Königin Anhand der umfangreichen Tempelinschriften zu Isis in ptolemäischer und römischer Zeit (Kap. 4–5) konnte insbesondere ihre sich mehr und mehr festigende Stellung als vielnamige All- und Urgöttin sowie als irdische Königin/Herrscherin verfolgt werden, die entscheidend für ihr Primat ist. Diese Charakteristika zeichnen sich auch in einigen magischen Texten ab.1955 In einer Anrufung des Liebeszaubers pMag. LL, 21, 10–43 (PDM xiv 636–669) wird die Göttin einem männlichen Schöpfergott in Stiergestalt zur Seite gestellt: Du bist der schwarze Stier, der Erste, der aus dem Nun hervorkam, während die Schönheit von Isis bei dir war. (pMag. LL, 21, 33–34) Diese Formulierung läßt sich eindeutig auf die Theologie des thebanischen Month zurückführen, wie sie z. B. auch in den Tempeltexten von Deir el-Schelwit verarbeitet wurde, wo Isis als Himmelskuh die Partnerin des stiergestaltigen Month in der Urzeit ist: Month ist der Stier [der Neunheit?], der Vater der Väter der urzeitlichen Götter. Es ist Isis als Himmelskuh bei ihm, die Himmelskuh, die gebiert, ohne geboren worden zu sein. (Deir Chelouit I, Nr. 11)1956 In dem bereits erwähnten Schutzzauber PGM VII 490–504 (s. o., 6.5.2.2) wird die „Herrin Isis, der Agathos Daimon gestattete, im gesamten Schwarzen (Land, d. h. Ägypten) zu herrschen“ angerufen (492–493). Agathos Daimon, das griechische Äquivalent des ägyptischen Schai,1957 ist hier offenbar der Isis gewissermaßen übergeordnet, da er ihr die Herrschaft Ägyptens überträgt. Eine eng verwandte Tradition gibt der hermetische Traktat Kore Kosmou1958 wieder, wenngleich hier Kneph (= Kematef) an Stelle von Schai steht und damit vielleicht direkt thebanische Einflüsse widerspiegelt:1959 Isis berichtet ihrem Sohn Horus von der geheimen Lehre, die Kneph von Hermes gelernt habe, und Isis wiederum von Kneph, „unser aller Ahnherr, als er mich mit dem Geschenk des gesamten Schwarzen (Landes) ehrte“ (S. H. XXIII 32).1960 1955 Vgl. zu dieser Charakterisierung auch PACHOUMI, Concepts of the Divine, S. 152–155 (anhand der griechischen Sprüche). 1956 Siehe oben, Kap. 4.8.1.A. 1957 Siehe QUAEGEBEUR, Shaï, S. 170–176. 1958 Siehe dazu oben, Kap. 6.5.1.4. 1959 Schai/Agathos Daimon und Kneph sind beide primordiale Schlangengottheiten und eng miteinander assoziiert, vgl. z. B. das Töpferorakel, das Kneph neben Agathos Daimon erwähnt, siehe Kap. 6.2.10.1, Anm. 1285. Siehe zu Kneph KLOTZ, City of Amun, S. 133–142. Zum Kult des Kematef in Theben und seiner Verbindung zum Isis-/Osiris-Kult vgl. Kap. 4.8. 1960 Vgl. zur Parallele auch VAN DER VLIET, Varia Magica Coptica, S. 230; speziell zur Bezeichnung Ägyptens als „vollendetes/gesamtes Schwarzes“ E. ORÉAL, „Noir parfait“. Un jeu de mots de l’égyptien au grec, in: Revue des études grecques 111, 1998, S. 551–565; D. BAIN, Μελανῖτις γῆ, an Unnoticed Greek Name for Egypt: New Evidence for the Origins and Etymology of Alchemy, in: D. R. Jordan/H. Montgomery/E. Thomassen (Hrsg.), The World of Ancient Magic. Papers from the First

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Eventuell findet sich eine ägyptische Parallele zu dieser Epiklese der Isis in einem demotischen Brief an Götter des 1. Jhs. v. Chr.1961 Dieser ist im Hinblick auf die magischen Texte darüberhinaus insofern interessant, als das Leid, das der Klagende durch die beklagten Personen erfahren hat, als Beleidigung auch der Götter definiert wird, so daß diese umso mehr gewillt sein müssen, dem geäußerten Wunsch nach Rache an den Tätern nachzukommen. Dies erinnert an die in der Magie eingesetzte Diabolé. 1962 Neben verschiedenen anderen Gottheiten nennt der Brief: As.t tA &nTr.t aA.t\ r.dj=w n=s pA tA km(?) tA sn.t Htr.t Wn-nfr […] imnv Isis, die große Göttin, der man das Schwarze(?) Land gegeben hat, die Zwillingsschwester des Onnophris, des [Herrn des] Westens, und zwar direkt vor: Pa-Schai, der Große, der ganz Ägypten(?) geschaffen hat (Z. 2–4).1963 Schai ist dort also als Schöpfergott interpretiert, während Isis wiederum die Herrschaft über Ägypten zugeteilt bekommt.1964 Noch nuancierter beschreibt das oben besprochene oStrasbourg 1338 (Kap. 6.5.2.1) das Verhältnis zwischen Isis (und Nephthys) und Kematef/Schai: (…) Isis und Nephthys, diese beiden Göttinnen, welche Kematef, der große Schicksalsgott (pA SAy aA), erschaffen hat. (Z. 13–14) Vorbilder für das Verhältnis zwischen Isis und Schai bieten außerdem die zahlreichen hieroglyphischen Inschriften von Dendara, die die Geburt der Isis und ihre Herrschaftsergreifung thematisieren: hier ist es jeweils Schai, der die Göttin auf den Geburtsziegeln oder

1961 1962 1963 1964

Samson Eitrem Seminar at the Norwegian Institute at Athens, 4–8 May 1997, Bergen 1999, S. 205– 226: S. 217–218; ID., Μελανῖτις γῆ in the Cyranides and Related Texts: New Evidence for the Origins and Etymology of Alchemy?, in: T. E. Klutz (Hrsg.), Magic in the Biblical World. From the Rod of Aaron to the Ring of Solomon, London – New York 2003, S. 191–218, bes. 204–208; BULL, Wicked Angels, S. 23–25, zu den verschiedenen möglichen Interpretationsvarianten des „gesamten Schwarzen“ in diesem Zusammenhang (Ägypten, der Nachthimmel, die Alchemie). Vgl. auch die weitere Parallele im griechisch-koptischen pMichigan 136, siehe unten, 6.5.5. pBerlin P. 15660; siehe ZAUZICH, Paläographische Herausforderungen I; verbesserte Lesungen von G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 17.10.2016. Vgl. dazu auch den Götterbrief pKairo 31255 mit Anrufung an Isis, siehe oben, Kap. 6.4.2.2. Zur Verwandtschaft des Briefes mit magischen Beschwörungen vgl. auch den Kommentar von ZAUZICH, Paläographische Herausforderungen I, S. 179–180. Die Lesungen sind allerdings teilweise unsicher, vgl. ZAUZICH, Paläographische Herausforderungen I, S. 170; G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 17.10.2016, hält qmA nAy Dr=w „der all dies geschaffen hat“ für wahrscheinlicher, räumt aber ebenfalls ein, daß die Stelle problematisch ist. Weiter hinten im Text ist, mit einer ähnlichen Formulierung außerdem von einer namentlich nicht genannten Göttin die Rede, „der man das Land gegeben hat, nachdem man ihr die drei Meere anbefohlen hat“ (Z. 14–15). Damit ist wahrscheinlich ebenfalls Isis gemeint, denn unmittelbar danach lobt der Verfasser des Briefes sie, ihn aufs Trockene gebracht zu haben wie [Horus?] in Chemmis (Z. 15). Welche Gewässer genau die 3 ym bezeichnen sollen, ist unklar, vgl. ZAUZICH, Paläographische Herausforderungen I, S. 173. Zu Isis als Herrin des Meeres/der Gewässer ebenso wie des Landes siehe aber z. B. pOxy. 1380, Z. 61–62, 122–123 u. 222–230; Graffiti Theben 3156 und 3445; siehe Kap. 6.1.3.2 und 6.2.5.1.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

sogar noch vor ihrer Geburt (zur Königin?) erhebt,1965 und im Anschluß daran werden üblicherweise weitere Aktionen, die ihre Herrschaftsergreifung betreffen, geschildert. Meines Erachtens läßt sich hier eine direkte Traditionslinie bis zu dem Zitat aus dem griechischen Schutzzauber nachzeichnen. 1966 Hinzu kommt die bereits oben (6.5.2.2) angesprochene Identifikation der Isis mit Sothis und Bubastis sowie die Erwähnung ihrer Vielnamigkeit und Vielgestaltigkeit in PGM VII 490–504, die ebenfalls eine wichtige Rolle in Dendara spielen.1967 Ein ähnlicher Zusammenhang scheint auch in einer Passage der Selbstidentifikation des Magiers im Liebeszauber pMag. LL, 15, 1–23 (PDM xiv 428–450) (siehe dazu bereits oben, 6.5.2.2) vorzuliegen. Der Sprecher stellt sich vor als: der von Abydos, wahrhaftig, in der Erfüllung der Geburt in ihrem Namen Isis, die den Gluthauch bringt, die vom Platz/Sitz des Flehens des Pschai (As.t tA sbb-hh tAe tA s.t-sbH n pA ^Ay). (pMag. LL, 15, 8–9). Wenngleich die logische Verknüpfung der Nennung von Isis mit der Sprecheridentifikation als Osiris nicht ganz klar ist, wird Isis auch hier mit (Pa-)Schai und Geburt verbunden. Das Epitheton sbb-hh „die den Gluthauch bringt“ läßt sich mit zahlreichen Bezeichnungen der Uräusschlange, die von Isis verkörpert werden kann, als Feuerspeiende, Flamme etc. parallelisieren.1968 Daß sie einem „Sitz/Platz des Flehens“ zugeordnet ist, paßt gut zu den häufig an sie gerichteten Anrufungen, in Notsituationen zu helfen.1969 Als „10.000-namige Göttin Isis“, ähnlich wie in dem Schutzspruch PGM VII 490–504 (dort: vielnamige), wird die Göttin in einem weiteren Schutzzauber – in diesem Fall bereits personalisiert für das Grab eines namentlich genannten Verstorbenen –,1970 sowie in dem an Isis gerichteten, kryptographisch geschriebenen Offenbarungszauber PGM LVII bezeichnet.1971 In letzterem wird zu Beginn ein nicht klar identifizierbarer Gott angerufen, die „Ge-

1965 Z. B. Dend. Isis, 78, 4–8; Dend. IX, 18, 11–20, 6. Siehe oben, Kap. 4.6. 1966 Durch die angeführten Parallelen dürfte die Interpretation durch VAN DER VLIET, Varia Magica Coptica, S. 230–231, der das „gesamte Schwarze“, bzw. nach seiner Übersetzung „die vollkommene Schwärze“ als Nachthimmel auffaßt, widerlegt sein, zumindest was die ursprüngliche Intention der Phrase bzw. ihrer Quellen angeht. Eine sekundäre Assoziation mit dem Nachthimmel durch die Verbindung mit lunaren Göttinnen in den griechischen Texten ist aber nicht auszuschließen. 1967 Vgl. auch die oben (6.5.2.2) besprochene griechische Goldlamella aus Ballana, in deren Spruch zur Empfängnis eine explizite Zuordnung der Isis und ihrer dort genannten Titel „Herrin, Königin“ zu Dendara tatsächlich belegt ist. 1968 Vgl. z. B. zahlreiche mit wdj.t hh „die den Gluthauch aussendet“ gebildete Epitheta: LGG II, 624– 625. Zu Isis als Uräusschlange vgl. bereits die Hymne Nektanebes in Philae. 1969 Vgl. QUACK, Göttliche Gerechtigkeit, S. 143; ID., „Ich bin Isis…“, S. 355: Bei dem „Platz des Flehens“ handelte es sich wohl um einen spezifischen Ort im Tempel, wie z. B. einen Gegentempel, der zu diesem Zweck von den Gläubigen genutzt werden konnte, siehe dazu W. GUGLIELMI, Die Funktion von Tempeleingang und Gegentempel als Gebetsort. Zur Deutung einiger Widder- und Gansstelen des Amun, in: R. Gundlach/M. Rochholz (Hrsg.), Ägyptische Tempel: Struktur, Funktion und Programm, Akten der Ägyptologischen Tempeltagungen in Gosen 1990 und in Mainz 1992, HÄB 37, Hildesheim 1994, S. 55–68. 1970 PGM LIX 1–15 (14–15). Nach alter Tradition (vgl. die Graffiti, Kap. 6.2.2–3) wird mit der Bestrafung der Göttin wohl für Schänder des Grabes gedroht. 1971 Siehe R. F. HOCK, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 284–285.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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heimnisse (κρυπτὰ) der 10.000-namigen Göttin Isis“ zu enthüllen (PGM LVII 13). 1972 Anschließend ruft der Magier die Göttin, „die heilige Jungfrau“ (ἁγνὴ  κούρα), selbst an, ein Zeichen über zukünftige Ereignisse zu geben, ihren Schleier zu lüften, ihre „schwarze [Ty]che(?)“ zu schütteln und das Bärengestirn zu bewegen (PGM LVII 16–18). Das häufig in den Zaubertexten auftauchende Bärengestirn wird dort als Achse des Kosmos verstanden, durch dessen Drehung die Bewegungen der Himmelskörper entstehen.1973 Als dessen Herrin und Bewegerin agiert hier Isis, die nach ägyptischer Tradition als Isis-Sothis ebenfalls Herrin des Himmels und der Sterne ist. Die Konstellation Großer Bär repräsentiert außerdem nach ägyptischer Vorstellung mythologisch den (Stier-)Schenkel des Seth (xpS oder msx.tj.w), der von der häufig als Form der Isis bezeichneten Nilpferdgöttin Ipet am Nordhimmel festgehalten und bewacht wird, um Osiris-Orion zu beschützen. 1974 Wie das Epitheton „heilige Jungfrau“ zeigt, wird Isis in dem Spruch außerdem mit Artemis gleichgesetzt, die nach griechischen Vorstellungen selbst „die Bärin“ verkörpern kann.1975 Des weiteren fungiert Isis in dem magischen Text wieder als Orakelgeberin über die Zukunft und eventuell Herrin des Schicksals (Tyche). In einer am Schluß zu rezitierenden Formel wird die Göttin entsprechend auch als Pronoia, die Personifikation der Vorsehung, angesprochen.1976 6.5.3.2 Pflanzen der Isis und Isis als Fruchtbarkeitsgöttin In mehreren magischen Rezepten werden Pflanzen verwendet, die entweder durch ihren Namen oder eine über sie gemachte Aussage der Göttin Isis zugeordnet werden, die in ihrer Eigenschaft als Fruchtbarkeitsgöttin auch als Herrin von Pflanzen gilt.1977 So sollen in einem Spruch zum Kräutersammeln wie „bei den Ägyptern“ (PGM IV 2967–3006) die entsprechenden Pflanzen mit einer Aufzählung der Handlungen und Verantwortlichkeit verschiedener Gottheiten an ihnen beschworen werden, so zum Beispiel: „Du wurdest geboren von Isis.“ (PGM IV 2980–2981).1978 1972 Siehe dazu auch SFAMENI GASPARRO, Fra religione e magia, S. 401. Zu „Geheimnissen“ der Isis, siehe oben, Kap. 6.5.1.4. 1973 A. DIETERICH, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903, S. 76–78; GUNDEL, Weltbild und Astrologie, S. 59–64; R. BECK, Interpreting the Ponza Zodiac, in: Journal of Mithraic Studies 1, 1976, S. 1–19, bes. S. 2; ID., Interpreting the Ponza Zodiac II, in: Journal of Mithraic Studies 2, 1978, S. 87–147, bes. 120–127. Vgl. auch W. FAUTH, Arktos in den griechischen Zauberpapyri, in: ZPE 57, 1984, S. 93– 99, zur Stelle 93–94; S. NAGEL, „Was im Tempel passiert, bleibt nicht (mehr) im Tempel.“ Transformationen von ägyptischem Tempelritual und rituellem Raum in den Praktiken der demotischen und griechischen magischen Papyri, in: Baumann/Kockelmann (Hrsg.), Tempel als ritueller Raum, S. 507–536: 520–523. 1974 Siehe z. B. den Text Deir Chelouit III, Nr. 154, Kap. 4.8.1.A. 1975 Vgl. BETZ, Greek Magical Papyri, S. 333 (Glossar), mit Bibliographie. Vgl. zur Anrede „Jungfrau“ aber auch den Titel des Traktats Kore Kosmou, s. o., 6.5.1.4. 1976 Zu Isis-Tyche siehe oben, Kap. 6.2.10.1. 1977 Vgl. z. B. die MM-Hymnen, Kap. 6.1.2.1, mit den dort zitierten ägyptischen Vorbildern; und zu Isis, die Pflanzen belebt, z. B. pJumilhac, 14, 8, siehe Kap. 4.13.3. 1978 Siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 95. Zur tatsächlich ägyptischen Tradition hinter diesem Spruch siehe RITNER, Mechanics, S. 39–40; AUFRÈRE, Cueillette des herbes, bes. S. 351–352 zu Isis. Vgl. auch die Gleichsetzung der pflanzlichen Substanzen Olivenöl und Myrrhe mit dem „Schleim der Isis“ respektive der Myrrhe, mit der sich Isis eingerieben hat, in PGM LXI 8 und PGM CXXII 30–31, siehe oben, Kap. 6.5.2.2.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Zur Herstellung einer Augensalbe für eine Lekanomantie wird unter anderen Zutaten die Pflanze „Fußspur der Isis“ (pA-tgs-As.t) verarbeitet (pMag. LL, 10, 32, und 27, 10).1979 Diese Bezeichnung ist sonst nicht belegt, was möglicherweise bedeutet, daß es sich um einen magischen ‚Code-Namen‘ handelt, durch den vornehmlich die Macht der Gottheit, die ja als Expertin auf dem Gebiet der Divination galt (s. o.), in die Zubereitung einfließen sollte.1980 Ähnliches trifft wohl auch auf eine weitere Pflanze, genannt „Amulett der Isis“ (sA As.t), zu, welche in eine mit einem in Öl eingelegten Fisch hergestellten Salbe hinzugegeben wird (pMag. LL, 12, 29–30), die für einen Liebeszauber aufgetragen werden soll.1981 Im Verlauf des Rituals wird die Ferne Göttin angerufen, die auch von Isis verkörpert werden kann, wenngleich sie im Spruch außerhalb des Pflanzennamens nicht explizit genannt wird. Die Identifikation verschiedener Substanzen als körperliche Ausscheidung oder Teil von Göttern ist traditionell ägyptisch; so wird im ‚Balsamierungsritual‘ das Gold, aus dem der an den Leichnam gegebene Fingerring gefertigt ist, als aus Osiris kommend sowie als „Schweiß des Horus“ und „Ausfluß der Isis“ bezeichnet.1982 Als Garanten von Fruchtbarkeit und Gedeihen werden Isis und Osiris indirekt auch durch eine Selbstidentifikation des Magiers gekennzeichnet, die sie nach bekannter Tradition mit Wasser und Feuchtigkeit verknüpft: Ich bin Osiris, genannt Wasser. Ich bin Isis, genannt Tau. Ich bin Ēsenephys (IsisNephthys),1983 genannt Frühling. (PGM XII 234–235) 1984 Gerade die Zuordnung von „Tau“ an Isis ist in den demotischen und griechischen Texten der griechisch-römischen Zeit gut belegt.1985 Derartige komplementäre Gegenüberstellungen von Isis und Osiris zugeordneten Naturphänomenen finden sich auch in ägyptischen Texten, z. B. Philae-Photo 1298: „Osiris-Hapi (= Osiris-Nil) und die Verhüllende (= Isis), die Feldgöttin“. In ähnlicher Weise setzt der bereits oben (6.5.3.1) erwähnte demotische Götterbrief pBerlin P. 15660 Isis und Osiris mit Wasser und Feld gleich und nennt anschließend ebenfalls noch den Tau, der hier mit Nephthys identifiziert wird:

1979 In den parallelen Sprüchen pMag. LL 10, 22–35 (PDM xiv 295–308) und pMag. LL, 27, 1–12 (PDM xiv 805–816). 1980 Vgl. dazu auch S. H. AUFRERE, L’ébène, l’ivoire et la magie en Égypte ancienne, in: Aufrère (Hrsg.), Encyclopédie religieuse II, S. 321–329: 326. GRIFFITH/THOMPSON, Demotic Magical Papyrus I, S. 80, wollten diese Pflanze aufgrund der lautlichen Nähe mit der Kornelkirsche (griech. πίτταξις) identifizieren, siehe dagegen aber CDD, „t“, S. 319. 1981 Der ganze Spruch ist pMag. LL, 12, 21–31 (PDM xiv 355–365); siehe dazu QUACK, Demotische magische und divinatorische Texte, S. 346–348; ID., Rückkehr der Göttin, S. 142–146. 1982 x+8, 2; siehe TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 159 u. 284–285. 1983 Zur Deutung des Namens als Isis-Neph(th)ys siehe bereits PREISENDANZ/HENRICHS, PGM II, S. 74; ausführlicher dazu QUAEGEBEUR, Senephthys, bes. 112–113 zur Stelle; vgl. auch den Beleg in SM II, Nr. 72, Z. 27 u. 29, mit Kommentar auf S. 126–127. R. K. RITNER, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 162, Anm. 75, schlägt dagegen As.t nfr.t vor, was phonetisch jedoch ausgeschlossen ist (Hinweis von J. F. QUACK). Vgl. zu dieser Verbindung auch oben, Anm. 1894 zu PGM LXII 4–5. 1984 In dem Charitesion PGM XII 201–269; siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 161– 163; vgl. zu dieser Passage auch DIELEMAN, Priests, S. 153–154; QUACK, Heliopolitan Ennead. 1985 Vgl. pOxy. 1380, Z. 171–174 u. 222–230; pTebt. Tait 14, x+4; siehe oben, Kap. 6.1.3.2–6.1.4.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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hbr pA mw ntj-iw Wsjr pAy Wehe dem Wasser, das Osiris ist! hbr tA sx.t ntj-iw As.t tA nTr.t aA.t tAy Wehe dem Feld, das Isis, die große Göttin, ist! hbr tA yty ntj-iw Nb.t-Hwe.t tAy Wehe dem Tau, welcher Nephthys ist! (Z. 11–12)1986 Ungewöhnlicher, aber im gleichen Themenbereich – Feuchtigkeit/Fruchtbarkeit/Gedeihen (der Feldfrüchte) – verweilend ist die Benennung von Ēsenephys als „Frühling“ (griech. ἔαρ) im genannten magischen Text.1987 6.5.3.3 Stoffe und Kleidung der Isis sowie ihrer Priester Oben im Abschnitt zur Suche und Bestattung des Osiris in den Zaubertexten (6.5.2.1) war bereits von Isis und Nephthys als Spinnerinnen und Weberinnen für den verstorbenen Gott in pMag. LL, 6, 12, die Rede. Neben diesen bei der Mumifizierung verwendeten Materialien (die dort mit dem Lampendocht identifiziert wurden) spielen weitere explizit mit Isis in Verbindung gebrachte Stoffe und Kleidungsstücke1988 eine Rolle in den rituellen Praktiken, welche die magischen Anrufungen (die bisher hauptsächlich im Fokus standen) begleiten. In verschiedenen Rezepten belegt ist die Verwendung eines schwarzen Bands oder Stoffes der Isis. So schreibt eine Anweisung zur Erlangung eines Daimon als Zauberassistenten vor, nach Reinigung und Fasten in reiner Kleidung auf das Dach zu steigen, um dort mit einem „ganz schwarzen Isisband“ (τελαμῶνα  [ὁλο]μέλανα  Ἰσιακὸν, PGM I 58– 59) über den Augen und einem Falkenkopf in der rechten Hand Opferungen darzubringen und die magischen Sprüche zu rezitieren (PGM I 54–64).1989 Wohl teilweise verwandt ist ein ebenfalls auf dem Dach durchzuführendes Divinationsritual, bei dem sich der Magier zunächst nackt in ein Leinentuch, und zwar „wie ein Leichnam“, einwickeln soll, wobei die Augen wiederum vollständig mit einem schwarzen Band (τελαμῶνι  μέλανι, PGM IV 176) bedeckt sind (PGM IV 169–179).1990 Aufgrund der engen Parallele ist mit Sicherheit wieder ein „Isisband“ gemeint. Als „Schwarzes der Isis“ (μέλαν Ἰσιακὸν) wird es in der Handlungsanweisung des in drei verschiedenen Papyri belegten „Traumorakel des Bes“ bezeichnet, das in römischer Zeit in Abydos praktiziert wurde, wie archäologische Zeugnisse und weitere Schriftquellen nahelegen.1991 Der Stoff wird dabei als Phylakterion 1986 Siehe ZAUZICH, Paläographische Herausforderungen I, S. 167–168 und 172. Zu der (von ZAUZICH nicht erkannten) Lesung des Götternamens als Nephthys siehe G. VITTMANN, in: TLA, Stand: 17.10.2016; QUACK, Heliopolitan Ennead. 1987 Vgl. evtl. die Aussage über die sprechende Personengruppe im Isishymnus PSI VII 844, 1, 2–4, daß sie (in Ägypten) von schlechtem Wetter verschont bleiben und immerzu von der Frühlingssonne gewärmt werden, siehe oben, Kap. 6.1.5. 1988 Vgl. dazu auch die Angabe in pOxy. 1380, Z. 145–146, daß Isis für das Weben des Chitons zuständig sei, siehe oben, Kap. 6.1.3.2, mit Stellenkommentar. 1989 Der ganze Spruch ist PGM I 42–195; siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 4–8; SCIBILIA, Supernatural Assistance, bes. 79–86; PACHOUMI, Concepts of the Divine, S. 49–50. 1990 Der ganze Spruch ist PGM IV 154–285; siehe E. N. O’NEIL, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 40–43. 1991 PGM VII 222–249; VIII 64–110; CII 1–17; siehe W. C. GRESE, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 122–123; W. C. GRESE/E. N. O’NEIL, in: ibid., S. 147–148; H. D. BETZ, in: ibid., S. 309; S. EITREM, Dreams and Divination in Magical Ritual, in: C. A. Faraone/D. Obbink (Hrsg.), Magika Hiera: An-

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

um die Hand und um den Hals gewickelt, „damit er (der Gott/Daimon) dich nicht schlägt“ (PGM VII 227–232; VIII 65–68). Um das mächtige Wesen nach der Orakelauskunft wieder verschwinden zu lassen, muß sein in die Handfläche gezeichnetes Bild mit dem Isisstoff ausgewischt werden (PGM VII 229–231). In der zugehörigen Rezitationsformel wird Bes außerdem angesprochen mit den Worten: Du bist kein Daimon, sondern das Blut der zwei Falken, die schnattern und wachen vor dem Kopf des Himmels/von Osiris. (PGM VII 239; VIII 99–100) Mit den zwei Falken dürften Isis und Nephthys in ihrer üblichen Vogelform gemeint sein, die über den verstorbenen Gott (bzw. in Abydos: seinen Kopf) wachen.1992 Der schwarze Stoff wird also sowohl in dem Divinationsritual auf dem Dach, bei dem sich der Operator „wie ein Leichnam“ einwickeln soll, als auch im „Traumorakel des Bes“ in einen deutlich osirianisch geprägten rituellen Kontext eingebunden.1993 Dies unterstützt die gängige Deutung als Stück Stoff von Statuen der Isis, die nach später Tradition aus Trauer um Osiris schwarze Gewänder trug,1994 wie ihre Epiklese als „Schwarzgewandete“ (μελανηφόρος) unterstreicht.1995 cient Greek Magic and Religion, New York 1991, S. 175–187: 178; D. FRANKFURTER, Voices, Books and Dreams: the Diversification of Divination Media in Late Antique Egypt, in: Johnston/ Struck (Hrsg.), Mantikê, S. 233–254: 238–243; A. EFFLAND, in: U. Effland/J. Budka/A. Effland, Studien zum Osiriskult in Umm el-Qaab/Abydos – Ein Vorbericht, in: MDAIK 66, 2010, S. 19–91: 85–91; M. ZAGO, Bēsas „de la vista débil“. Manipulación de las substancias y détour mítico-ritual en los papiros mágicos griegos (PGM VII y VIII), in: E. S. de la Torre/A. Pérez Jiménez (Hrsg.), Mito y Magia en Grecia y Roma, Supplementum MHNH 1, Barcelona 2013, S. 203–211; L. M. BORTOLANI, Bes e l’ἀκέφαλος θεός dei PGM, in: Egitto e Vicino Oriente 31, 2008, S. 105–26; EAD., The Oracle of Bes at Abydos and the „Dream-oracle of Bes“ in the Magical Papyri: From a Sacred Site to a Magical Ritual?’, in: Simblos: Scritti di Storia Antica 6, 2015, S. 263–281. 1992 Vgl. auch die zwei Falkenskulpturen am Kopf des im Grab des Djer in Abydos gefundenen Osirisbettes, Kairo, JdE 32090, siehe A. EFFLAND, loc. cit., S. 87. Zu Isis und Nephthys als Falken- bzw. Milanweibchen siehe oben, Kap. 4.8.1.A, Anm. 1940 zu Deir Chelouit II, Nr. 84; Kap. 6.3.1, Anm. 1431. 1993 Zur Osirianisierung in PGM I 42–195 siehe auch SCIBILIA, Supernatural Assistance, S. 85–86. 1994 Siehe zur Deutung HOPFNER, Offenbarungszauber I, S. 408–409, § 678; R. K. RITNER, in: Betz, Greek Magical Papyri, Glossar, S. 336; SBORDONE, Iside maga, S. 130–132; und AUFRÈRE, Encres magiques, S. 365, m. Anm. 8 auf S. 366, der auch an die bei Plutarch, De Iside 39, 42, überlieferte Stoffbedeckung einer vergoldeten Kuhstatue, die als Abbild der trauernden Isis gilt, am 10. Hathyr denkt (siehe dazu unten, Kap. 8.1.3.3.C). In diesem Zusammenhang könnte auch die Nutzung verschiedener Produkte einer „schwarzen Kuh“ (die wahrscheinlich als Verkörperung der Isis zu deuten ist) in den magischen Rezepten interessant sein: Milch (PGM III 383; PGM XIII 129; 359–360; 686; pMag. LL, 3, 31; pLouvre E 3229, 4, 29), Dung (PGM IV 1439–1440), Blut (pMag. LL, 25, 25 u. 28). In der oben besprochenen Lampendivination pMag. LL, 6, 1–8, 11 (PDM xiv 150–231) mit insgesamt stark osirianischem Kontext droht der Zauberer der Lampe damit, mit ihr Feuer an die schwarze Kuh zu legen (pMag. LL, 6, 15–16 und 7, 1), neben ähnlichen Drohungen, die Osiris und Anubis schädigen würden. Bereits in dem frühdemotischen pBM 10378 (Edition: QUACK, Demotische magische Papyri 4, vgl. oben, Kap. 6.5.1.1, m. Anm. 1692, und 6.5.2.1 m. Anm. 1882) wird in einer Rezitation eine schwarze Kuh genannt, kurz nach Identifikationen einer angeredeten Person/Gottheit als Osiris(-Sokar) und „Sohn des Osiris“ (Kol. x+6, x+14–15): „Mögest du die Hand der schwarzen Kuh (?) verhüllt (?) sein lassen.“ In einem weiteren Rezept desselben Papyrus wird die Anweisung gegeben, um „eine Frau für dich rein sein zu lassen“ (d. h. nach Menstruation oder Geburt) solle man sie vier Tage in einer schwarzen Kuh (der Text gibt, sicher versehentlich, irp „Wein“ statt irT.t „Milch“ an) baden lassen (vs., Kol. x+2, x+17), vgl. zu verwandten Praktiken auch

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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Die Nutzung derartiger Materialien von Götterstatuen oder aus Tempeln für magische Praktiken, die auch sonst belegt ist, 1996 sollte sicherlich die Kontaktaufnahme mit der Götterwelt erleichtern bzw. eine Beziehung zwischen Magier und Gottheit (hier der Schutz der Isis) herstellen.1997 In die gleiche Richtung geht auch die Anweisung, sich bei der Durchführung eines Rituals zur Gottesschau in das reine Leinengewand eines Isispriesters zu kleiden (PGM IV 3095–3096), wenngleich die adressierte Gottheit des Orakels Kronos ist.1998 6.5.3.4 Sonstiges Neben den genannten magischen Praktiken und Sprüchen, in denen Isis jeweils eine klar definierte Funktion einnimmt, die sich auf ihre mythologischen Erfahrungen oder ihr zugeordnete Eigenschaften gründen, gibt es weitere Texte, in denen die Göttin nur – meist als eine von mehreren Gottheiten – namentlich angerufen wird, ohne daß ein weiterer Kontext oder Epitheta genannt sind. Teilweise ist ihr Name dabei bereits schon zu einem mehr oder weniger gut identifizierbaren magischen Namen innerhalb einer längeren Kette von Voces magicae verschliffen.1999 6.5.4 Magische Gemmen und Ringe Obwohl Isis wie dargelegt in altägyptischer Tradition sowie noch in den späten magischen Papyri eine der wichtigsten für Magie zuständigen Gottheiten ist, erscheint sie auf magischen Gemmen – die freilich nicht nur aus Ägypten stammen – überraschenderweise relativ selten, und ihr Name wird in den Inschriften der geschnittenen Steine kaum je genannt.2000 Am häufigsten ist sie wie auf anderen kleinformatigen Denkmälern im bekannten Typus Isis lactans sowohl in altägyptischem wie hellenisiertem Stil vertreten, wobei Bes meist auf der Rückseite der jeweiligen Steine dargestellt ist:2001 Es handelt sich sicherlich um Amu-

1995 1996 1997 1998

1999 2000 2001

A. VON LIEVEN/J. F. QUACK, Ist Liebe eine Frauenkrankheit? Papyrus Berlin P 13602, ein gynäkomagisches Handbuch, in: K. Donker van Heel/F. A. J. Hoogendijk/C. J. Martin (Hrsg.), Hieratic, Demotic and Greek Studies and Text Editions. Of Making Many Books There Is No End: Festschrift in Honour of Sven P. Vleeming, P. L. Bat. 34, Leiden – Boston 2018, S. 257–274. MM III, Z. 34; vgl. die Erwähnung ihrer schwarzen Robe in IM 167, Z. 3; siehe Kap. 6.1.2.1 und 6.2.4. Z. B. in der Lampendivination PGM IV 930–1114: aus Leinenstoff von einer Marmorstatue des Harpokrates in einem Tempel wird ein Phylakterion hergestellt (1071–1073). Vgl. zur Praxis insgesamt, mit weiteren Beispielen, HOPFNER, Offenbarungszauber I, S. 408–410, §§ 678–679. Vgl. J. F. QUACK, Postulated and Real Efficacy in Late Antique Divination Rituals, in: Journal of Ritual Studies 24, 2010, S. 45–60: 49. Der ganze Spruch ist PGM IV 3086–3124; siehe W. C. GRESE, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 98. Vgl. zur Stelle und zu Isis’ Verbindung zum Leinen AUFRÈRE, Encres magiques, S. 373–374; HOPFNER, Offenbarungszauber I, S. 410, § 679; SBORDONE, Iside maga, S. 132–133. Vgl. Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii, II, 158: Isis soll das Nähen und die Benutzung von Leinen erfunden haben, siehe auch oben, Anm. zu pOxy. 1380, Z. 145–146, Kap. 6.1.3.2. So PGM VII 548: „Mane Ouseiri Mane Isi (evtl. mrj.n Wsjr mrj.n As.t „geliebt von Osiris, geliebt von Isis“) Anoubis…“; PGM XII 81–82: „…Ouseiri Heseiē e Phtha Nouth Sathaē Isis…“. Vgl. DELATTE/DERCHAIN, Intailles magiques, S. 82; MICHEL, Magische Gemmen, S. 44. DELATTE/DERCHAIN, Intailles magiques, Nr. 102–103 = MASTROCINQUE, Intailles magiques, Nr. 92–93; MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.1, S. 46–47 u. 297–298.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

lette zum Schutz von Mutter und Kind.2002 So erscheint sie auch, häufig gemeinsam mit Nephthys, als Schützerin von Harpokrates, was ihrem mythischen Handeln in den magischmedizinischen Rezepten entspricht.2003 Neben Horus/Harpokrates kann aber auch Apis von der Göttin gesäugt werden, die durch die Inschriften wiederum mit Sothis und Hathor verbunden wird.2004 Des weiteren bildet sie Gruppen zusammen mit Osiris2005 oder Anubis.2006 Thema der letzteren beiden Kombinationen ist meist die Mumifizierung und damit die Regeneration des Osiris, an der der Besitzer solcher Gemmen vermutlich – im weitesten Sinne – teilhaben wollte.2007 Die genannten ägyptischen Bildschemata setzen ältere ägyptische Traditionen und Denkmälergruppen wie kleinformatige Amulette und Horusstelen fort. Die Göttin selbst wird in verschiedenen ikonographischen Typen dargestellt: mit Flügeln, 2008 als Büste, 2009 mit Sistrum und/oder Situla, 2010 als „Isis mit Kobra“ (auf Krokodil)2011 und, stärker hellenisiert als „Isis mit Segel (Isis Pharia/Euploia)“.2012 Noch beliebter sind synkretistische Formen 2013 wie Isis-Demeter 2014 und Isis-Tyche, 2015 Isis(-Hathor)Hekate, 2016 Isis Panthea, 2017 Isis-Thermuthis. 2018 Besonders häufig sind halbnackte Darstellungen der Göttin, die zudem häufig eine Schlange halten, von Sternen umgeben und mit dem Zauberwort „Aroriphrasi“ versehen sind: sie zeigen eine Identifikation mit Aphro-

2002 Vgl. dazu MICHEL, Magische Gemmen, S. 46. 2003 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.2, S. 46 u. 298. 2004 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.1.c), S. 47 u. 298; MASTROCINQUE, Sylloge I, Kat. 44 (ohne Inschrift). Zu Isis als Mutter des Apis vgl. Kap. 4.12.1 u. 6.2.1. 2005 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.3.b), S. 35, 37–39 u. 298; vgl. auch SFAMENI GASPARRO, Fra religione e magia, S. 380. 2006 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.3.d), S. 45 u. 299; MASTROCINQUE, Sylloge I, Kat. 45 (hellenisierter Stil). 2007 Vgl. MICHEL, Magische Gemmen, S. 39 u. 43. 2008 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.3.b), S. 298; DELATTE/DERCHAIN, Intailles magiques, Nr. 105 = MASTROCINQUE, Intailles magiques, Nr. 89: mit Szepter und Geißel. 2009 MASTROCINQUE, Intailles magiques, Nr. 85. 2010 DELATTE/DERCHAIN, Intailles magiques, Nr. 111–112, wo sie als „Priesterinnen“ gedeutet werden; verbessert zu ‚Isis‘ in MASTROCINQUE, Intailles magiques, Nr. 88 u. 91; ID., Sylloge I, Kat. 45–46 (hellenisierter Stil, mit Sarapis und Hekate(?)); MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.3.c)–d) u. 30.4– 5, S. 298–299. 2011 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.2.c), 30.3.c) u. 30.5, S. 298–299. Vgl. ausführlich zu diesem Typus Kap. 6.2.10.3. 2012 MASTROCINQUE, Sylloge I, Kat. 43. Vgl. zu diesem Typus oben, Kap. 6.2.10.1. 2013 Vgl. zu den verschiedenen Ikonographien auch SFAMENI GASPARRO, Fra religione e magia, S. 380; C. SFAMENI, in: Mastrocinque, Sylloge I, S. 176–177. 2014 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.6.c), S. 300. 2015 DELATTE/DERCHAIN, Intailles magiques, Nr. 109 (bei MASTROCINQUE, Intailles magiques, Nr. 430, als einfache Tyche gedeutet – der Kopfschmuck sieht allerdings nach einem angedeuteten Basileion aus); MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.3.d) u. 30.4, S. 44, Anm. 202, u. S. 299. Zu Isis-Demeter und Isis-Tyche vgl. Kap. 6.1.2.1 und 6.2.10.1. 2016 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.6.e), S. 300–301. Vgl. die Verbindung von Isis mit HekateSelene in einigen PGM-Texten, siehe oben, 6.5.2.2. 2017 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.5, S. 299. 2018 MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.4, S. 44, Anm. 202, u. S. 299. Zu Isis-Thermuthis vgl. Kap. 6.1.2.1.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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dite und Sothis, die ebenfalls in den Inschriften der Gemmen vorkommt, an, die sich ja auch in einigen der Liebeszaubertexte äußert (s. o., 6.5.2.2).2019 Die in den Papyri häufig als Vorbild instrumentalisierte Liebesbeziehung zwischen Isis und Osiris schlägt sich dagegen kaum eindeutig in der Dekoration von Gemmen nieder.2020 Eine Beziehung läßt sich aber immerhin zwischen den sogenannten „Uterus-Gemmen“ und der Frauenheilkunde sowie dem Liebeszauber feststellen; so erscheinen z. B. Isis, Osiris, Anubis u. Chnoumis oder Osiris, Isis und Nephthys über einem Uterus mit Schlüssel in einer Uroboros-Schlange.2021 Isis kann den Schlüssel auch selbst in der Hand halten.2022 Die Göttin ist das göttliche Vorbild par excellence für eine durch Seth bedrohte Schwangere, und kann so den Schutz schwangerer Frauen garantieren: Die Gebärmutter soll gegen schädigende Einflüsse und daraus resultierende Fehlgeburt etc. „verschlossen“ werden. Andererseits gibt es Parallelen zu Liebeszaubern, in denen die Gebärmutter der Frau (sexuell) „geöffnet“ werden soll.2023 Vereinzelte magische Papyri sowie griechische Lapidarien bieten explizite Anleitungen zur Gravur von Isisbildnissen auf Steine und Ringe, so zum Beispiel im Rezept für den „Zauberring des Hermes“ zur Gewinnung magischen Wissens (PGM V 213–303), wonach eine Figur „der heiligen Isis“ auf die Unterseite eines Skarabäus aus grünem Edelstein geritzt werden soll (239–243).2024 Ihre Rolle als Weise und Magierin, durch die sie in enger Beziehung zu Thoth(-Hermes) steht, wurde oben ausführlich diskutiert (6.5.1 und 6.5.2.1) und bietet sicherlich auch die Grundlage für diese Dekoration des Zauberringes. Die Kombination einer Isisfigur mit einem Skarabäus (optional auch mit einem Adler) findet eine Parallele in Anweisungen der griechischen Lapidarien,2025 wo weiter ausgeführt wird, daß Sma2019 Vgl. DELATTE/DERCHAIN, Intailles magiques, S. 83; Nr. 106–108 = MASTROCINQUE, Intailles magiques, Nr. 334, 346 u. 87; MICHEL, Magische Gemmen, Kat. 30.5 u. 30.6.d), S. 45 u. 299–300. 2020 Siehe MICHEL, Magische Gemmen, S. 215, m. Taf. 9,2: eine Ausnahme bilden evtl. zwei Gemmen, die Isis-Aphrodite im Sternmantel zusammen mit Ptah oder Osiris zeigen, jedoch keine Inschriften aufweisen. 2021 Siehe RITNER, Uterine Amulet; MICHEL, Magische Gemmen, S. 185–187, m. Taf. 70, 2–4 u. 71, 2–3; vgl. auch SFAMENI GASPARRO, Fra religione e magia, S. 395. Zu den Uterus-Gemmen insgesamt K. R. MARINO, Setting the Womb in its Place: Toward a Contextual Archaeology of Graeco-Egyptian Uterine Amulets, Diss., Univ. Providence 2010 (zugänglich online unter: https://repository.library. brown. edu/studio/item/bdr: 11094/); MICHEL, Magische Gemmen, S. 178–202. Ich danke SUSANNE TÖPFER herzlich für Literaturhinweise. 2022 MICHEL, Magische Gemmen, S. 187, Anm. 970; Kat. 54.2.k. 2023 So z. B. der „Genital-Schlüssel-Zauber“ (Physikleidion) PGM XXXVI 283–294, ein Rezept für eine Penissalbe zur Verführung von Frauen, siehe dazu oben, 6.5.2.2. Vgl. RITNER, Uterine Amulet, S. 218–219. Vgl. auch die Goldlamella aus Ballana mit einem Spruch zur Empfängnis, der Isis und Osiris als mythologisches Vorbild heranzieht (s. o., 6.5.2.2). 2024 Siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 104–106. Vgl. dazu auch SFAMENI GASPARRO, Fra religione e magia, S. 400; SBORDONE, Iside maga, S. 134; MICHEL, Magische Gemmen, S. 44; QUACK, Mages égyptianisés, S. 271. 2025 Lapidarium von Sokrates und Dionysius, Kap. 26; Lap. von Damigeron und Evax, 6; siehe die Edition von R. HALLEUX/J. SCHAMP, Les lapidaires grecs, Paris 1985, S. 166 u. 241; vgl. QUACK, Mages égyptianisés, S. 271, und ID., Dekane, S. 556 u. 583, demzufolge die Verbindung von Isis und dem Skarabäus auf die spätägyptische Ikonographie der Dekane zurückgehen könnte: hier erscheint Isis im 2. Dekan des Zeichens Krebs, dessen ägyptische Darstellungsweise der Käfer oder Skarabäus wäre. Möglicherweise meint der Käfer hier aber auch einfach einen Skaraboiden, zu dem der Edel-

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

ragde mit dieser Ikonographie u. a. hilfreich für Erfolg und Hydromantie (Divination mit Wasser, d. h. eine der Schalendivination verwandte Praxis)2026 seien. Eine Darstellung der Krone der Isis dient dem Versiegeln von sprechenden Schädeln (wie sie in nekromantischen Ritualen verwendet werden), wie eine Anweisung für die Herstellung eines Eisenringes PGM IV 2125–2139 angibt.2027 In diesen soll unter anderem ein Löwe, der ein Skelett zertrampelt und anstelle eines Kopfes eine Isiskrone trägt, graviert werden (PGM IV 2132–2135). 6.5.5 Nachleben: Isis in koptischen und arabischen Zaubertexten In den Zaubertexten koptischer Zeit2028 setzt sich neben den nun im Vordergrund stehenden christlichen Vorstellungen noch die altägyptische Tradition fort, das kranke Horuskind als mythisches Vorbild für Heilzauber zu nutzen. So wird in einem koptischen Zauberformular gegen Bauchschmerzen zunächst der mythische Präzedenzfall des Horuskindes, das auf einem Berg 2029 seine Jagdbeute verspeist und anschließend an Magenschmerzen leidet, angeführt.2030 Horus wünscht seine heil- und zauberkundige Mutter Isis herbei und schickt einen von drei Dämonen namens Agrippas zu ihr nach Heliopolis. Sie antwortet ihm, daß er ihren wahren Namen, „der die Sonne nach Westen trägt und den Mond nach Osten trägt und die sechs sühnenden Sterne2031 trägt, die unter der Sonne sind“, nicht kenne,2032 aber dennoch die dreihundert Gefäße, die den Nabel umgeben, beschwören soll. Am Ende des Spruches ist es der „Herr Jesus“, der die Heilung geben soll, was wohl dazu dient, den Bezug auf die heidnischen Gottheiten wieder etwas abzumildern; dennoch wird Isis in dem Satz, der ihren wahren Namen beschreibt, in spätägyptischer Tradition als Herrin über den Kosmos, über den Lauf von Sonne, Mond und Planeten dargestellt. Außerdem handelt sie hier als Alchemistin wie in dem oben zitierten griechischen alchemistischen Traktat (Brief

2026 2027 2028 2029 2030

2031 2032

stein geformt und auf den Isis wie im zitierten PGM-Rezept graviert werden soll, so die nach QUACK überzeugende Deutung von A. M. NAGY, Gemmae magicae selectae: sept notes sur l’interprétation des gemmes magiques, in: A. Mastrocinque (Hrsg.), Gemme gnostiche e cultura ellenistica, Atti dell’incontro di studio, Verona, 22–23 ottobre 1999, Bologna 2002, S. 153–179, bes. 169–170. Zur Rolle der Isis in Lekanomantien siehe oben, Kap. 6.5.1.4. Siehe MO. SMITH, in: Betz, Greek Magical Papyri, S. 75. Vgl. SBORDONE, Iside maga, S. 133; zu diesem Spruch und den aus ägyptischen und griechischen Elementen zusammengesetzten Symbolen auf dem Siegelring FARAONE, Skull, S. 39–40. Zu Isis in koptischen magischen Texten vgl. auch TARDIEU, Isis Magicienne. Zur Ausgangssituation „Horus auf dem Berg“ vgl. z. B. pMag. LL vs., 33, 1–9 (PDM xiv 1219–1227), siehe oben, Kap. 6.5.1.4. Siehe zur Beziehung von Horus zu Bergen den Kommentar von M. SMITH, pBM 10507, S. 58, Anm. (b) zu Kol. 1, 5; und RITNER, Wives of Horus, S. 1029. pBerlin P. 8313, 2, 1–vs., 1, 8. Siehe KROPP, Koptische Zaubertexte II, S. 9–12; MEYER/SMITH, Ancient Christian Magic, S. 95–97, Nr. 49; T. S. RICHTER, in: Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, S. 124–125, Nr. 99; siehe außerdem W. WESSETZKY, Die Wirkung des Altägyptischen in einem koptischen Zauberspruch, in: AOASH 1, 1950, S. 26–31; L. KÁKOSY, Remarks on the Interpretation of a Coptic Magical Text, in: AOASH 13, 1961, S. 325–328; T. S. RICHTER, Miscellanea Magica II: Was warf Horus auf dem Berg aus?, in: JEA 88, 2002, S. 250–252; ID., Miscellanea magica III. Vgl. dazu den Kommentar von T. S. RICHTER, in: Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, S. 173: Ihm zufolge können weder die Pleiaden (Siebengestirn) noch die Planeten gemeint sein. pBerlin P. 8313, vs., 1, 2–6. Zur Macht und Bedeutung des ‚wahren Namens‘ einer Gottheit vgl. die Historiola von der „List der Isis“, s. o., Kap. 6.5.1.1. Vgl. dazu auch SBORDONE, Iside maga, S. 148.

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Magische und divinatorische Texte – Isis als Magierin

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der Isis an Horus, s. o., 6.5.1.4), denn der Dämon trifft sie an, wie sie gerade einen Destillierofen oder ein ähnliches Gerät bedient.2033 Isis, Osiris und Horus treten als mythisches Vorbild außerdem noch in weiteren koptischen Heils- und Liebeszaubern auf, was von der beständigen Verbindung gerade dieser Bereiche mit dem Osiriskreis zeugt. Zum Schutz der Gebärmutter wird Isis in einem koptischgriechischen magisch-medizinischen Handbuch (pMichigan 136) des 6. Jhs. n. Chr. auf Griechisch beschworen: Ich rufe dich an, große Isis, die im gesamten Schwarzen regiert, Herrin der Götter des Himmels von Geburt an!2034 Die Epiklesen der Isis erinnern an PGM VII 490–504,2035 wo sie ebenfalls als Herrscherin des Schwarzen (Landes) gepriesen wird (siehe oben, 6.5.3.1). Der Verweis auf ihre Vormachtstellung über die himmlischen Götter „von Geburt an“ findet wiederum Parallelen besonders in den Dendara-Texten. 2036 In den folgenden Voces magicae des koptischgriechischen Handbuches verbergen sich wie in dem griechischen Schutzzauber unter anderem auch Sothis und Bastet („Sousē“, „Bastai“, pMichigan 136, 22 u. 23). In einem als Amulett verwendeten Spruch gegen Schlaflosigkeit scheint unter anderem das beliebte Thema der Suche nach Osiris wieder aufgegriffen zu werden, wenn Isis und Nephthys heraufbeschworen werden, von denen es heißt, daß sie trauern und durch Himmel und Erde geirrt sind und sich im Nun befinden, der hier wohl die Unterwelt meint. 2037 Horus steht wiederum für das weinende, schlaflose Kind Pate, da seine Mutter Isis sich dem Text nach von ihm entfernt und an den Himmel begeben hatte.2038 Zwei verwandte Sprüche auf pSchmidt 1 und 2 haben das ursprünglich ‚medizinische‘ Thema des schlaflosen Horuskindes zu einem erotischen Zauber ausgebaut: der Jüngling brennt vor „Durst“ bzw. Verlangen nach sieben Jungfrauen, die mit Wasser assoziiert werden, und kann nicht schlafen.2039 Seine Mutter Isis kommt ihm wie immer in dieser

2033 pBerlin P. 8313, 2, 19–20. So nach der Konjektur und Deutung von T. S. RICHTER, Miscellanea magica III. 2034 pMichigan 136, 18–20; Edition: WORRELL, Coptic Magical and Medical Texts, S. 17–37; MEYER/SMITH, Ancient Christian Magic, S. 83–90, Nr. 43; siehe auch VAN DER VLIET, Varia Magica Coptica. 2035 So bereits VAN DER VLIET, Varia Magica Coptica, S. 228–231. 2036 Siehe oben, Kap. 4.6. Vgl. u. a. die in Dendara häufige Titelkombination, z. B. Dend. Porte d’Isis, Nr. 29, „die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter“, sowie die zahlreichen Texte, die ihre Herrschaftsergreifung von Geburt an thematisieren. 2037 pBerlin P. 5565, 5–6 u. 8–10. Siehe W. BELTZ, Die koptischen Zauberpapyri der Papyrus-Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, APf 29, 1983, S. 59–86: 61–63; KROPP, Koptische Zaubertexte II, S. 12–13; MEYER/SMITH, Ancient Christian Magic, S. 92–93, Nr. 47; vgl. dazu auch SANZI, Magia e culti orientali X, S. 229. 2038 pBerlin P. 5565, 7–8. 2039 Siehe KROPP, Koptische Zaubertexte I, S. 11–14; MEYER/SMITH, Ancient Christian Magic, S. 94–95 u. 152–153, Nr. 48 u. 72; T. S. RICHTER, in: Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, S. 123– 124, Nr. 98; ferner MARTÍN HERNÁNDEZ/TORALLAS TOVAR, „You Who Impose Sleep“ (mit etwas abweichender Interpretation bezüglich des Zweckes von pSchmidt 1). Zu dem in beiden Sprüchen enthaltenen Motiv der sieben Jungfrauen vgl. PGM XX 4–10, siehe dazu FARAONE, Mystodokos

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Angelegenheit als Magierin zu Hilfe, wobei sie ihn – und damit auch den Anwender – nach pSchmidt 2 das für die Erfüllung seiner Sehnsüchte benötigte Zauberwort lehrt. Die altägyptische Tradition um Isis und Horus wird dabei mit einer biblischen um den langen Schlaf des Abimelech kombiniert, die ebenfalls als ‚mythischer Präzedenzfall‘ fungiert.2040 pMichigan 4932f scheint dagegen die Tradition der an Isis und Osiris orientierten Liebeszauber direkt weiterzuführen, denn wie in PGM CXXII wird ein Öl beschworen und mit demjenigen identifiziert, mit dem Isis Osiris eingerieben habe.2041 Von diesem heißt es allerdings nun außerdem, daß es unter dem Thron des Iao Sabaoth fließe.2042 Es handelt sich bei dem bereits aus dem 4.–5. Jh. stammenden koptischen Text wahrscheinlich um eine Übersetzung aus dem Griechischen.2043 Die große Bedeutung der Isis in der Zauberei und besonders im Liebeszauber zeigt sich an der Kontinuität ihres Auftretens in magischen Praktiken selbst noch in der Zeit nach der arabischen Eroberung. Arabische Schriften des 19. und 20. Jhs. überliefern shabshabaRituale, eine gängige volkstümliche Praxis, die von Frauen benutzt wird, um zu verhindern, daß der Ehemann mit anderen Frauen flirtet oder sich eine Geliebte nimmt.2044 Eine Anleitung für einen speziellen Zauber dieser Art2045 beinhaltet Handlungen an einem Stein oder Ziegel von einem alten Grab, wodurch sich dieser in ein Kleinkind verwandeln soll, das nach seiner Mutter weint. Die Anwenderin des Zaubers richtet sodann Drohungen an das Kind, es nicht zu seiner Mutter zurückzubringen, bis ihre Forderungen ausgeführt werden. Im Hintergrund der Drohung an „das Kind“ dürfte noch die alte Historiola vom Horuskind, das nach seiner Mutter Isis schreit, stehen, da dies, wie oben dargelegt, ein gängiges Motiv der ägyptischen Zaubertexte war.2046 In einer anderen shabshaba-Variante wird ein Nagel in ein Stück Stoff von der Kleidung des begehrten Mannes gehüllt, was an den Liebeszauber PGM IV 94–153 (auch hier geht es um Untreue des Mannes!) erinnert, in dessen Historiola ein Nagel in das Blut des Osiris getaucht wird (s. o., 6.5.2.2).2047 Derartige Rituale werden üblicherweise von einer Zauberin oder Ritualistin, der Mushabshiba, ausgeführt. Diese soll nach einer Beschreibung ein schwarzes Kleid tragen, welches sich möglicher-

2040 2041 2042 2043 2044 2045 2046 2047

(302, Anm. 16 zum koptischen Spruch); RITNER, Wives of Horus, bes. 1040–1041 zum koptischen Spruch. Zum biblischen Vorbild siehe besonders MARTÍN HERNÁNDEZ/TORALLAS TOVAR, „You Who Impose Sleep“, S. 311. pMichigan 4932f, 3–4. Siehe WORRELL, Coptic Magical and Medical Texts, S. 184–187; MEYER/SMITH, Ancient Christian Magic, S. 175–176, Nr. 82; vgl. auch SANZI, Magia e culti orientali X, S. 230. pMichigan 4932f, 2–3. Vgl. dazu auch WESPI, in: Nagel/Wespi, Liebeszauber. WORRELL, Coptic Magical and Medical Texts, S. 184. Siehe FODOR, Arabic Love Spell, S. 171–172. Ausführliche Besprechung dieses Spruches bei FODOR, Arabic Love Spell. Vgl. hierzu auch NAGEL/WESPI, Liebeszauber. Vgl. z. B. die Drohung in PGM V 213–303, das Horuskind von seiner Mutter zu trennen, s. o., 6.5.2.3. Vgl. FODOR, Arabic Love Spell, S. 178–179.

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

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weise mit dem schwarzen Isisstoff in den griechischen magischen Papyri verbinden läßt (s. o, 6.5.3.3).2048

6.6

Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

Über die sog. griechischen Isis-Aretalogien ist bereits viel Tinte vergossen worden2049 und der Terminus ‚Isis-Aretalogie‘ wird – abgesehen von seiner ohnehin problematischen Definition und Verwendung2050 – in der Forschung oft inflationär und falsch für alle möglichen Texte verwendet, die Isis in umfassender Weise preisen oder als Göttin vor anderen hervorheben.2051 Da sich die Bezeichnung ‚Isis-Aretalogie‘ für eine feste Gruppe von zusammenhängenden griechischen Texten seit langer Zeit eingebürgert hat,2052 soll sie auch hier zumindest für diese Gruppe beibehalten werden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden die griechischen Isis-Aretalogien jedoch aus zwei Gründen nicht ausführlich behandelt: Erstens hat man ihnen erst in jüngerer Zeit eine ausführliche Kommentierung von ägyptologischer Seite angedeihen lassen,2053 wobei der ägyptische Hintergrund der einzelnen Aussagen der M-Tradition2054 mit Hilfe von Texten des griechisch-römischen Ägypten, die in den vorangehenden Teilen dieser Arbeit ebenfalls mit eingeflossen sind, aufgearbeitet worden ist, so daß dies hier nicht wiederholt werden muß. Zweitens sind die bekannten Exemplare der Aretalogien in den Isis-Heiligtümern der griechischen Welt (auffälligerweise in Hafenstädten), d. h. im östlichen Mittelmeerraum, gefunden worden, die nicht Thema dieser Arbeit sind. Eine Ausnahme bildet die allerdings nicht zur M-Tradition gehörige Aretalogie aus dem Heiligtum am Akropolishang von Kyrene, die an entsprechender Stelle in Kap. 7.2.1.2 individuell besprochen wird. Der Selbstaussage der Kyme-Version (Z. 3–4) zufolge war jedoch eine Stele mit dem Originaltext im Ptah-Tempel („Hephaisteion“) von Memphis aufgestellt, wo der Isiskult 2048 Vgl. FODOR, Arabic Love Spell, S. 176, der eine sichere Abhängigkeit von dieser Tradition postuliert. Er führt S. 175–186 außerdem noch weitere mögliche Parallelen zwischen dem arabischen Ritual und dem Isiskult bzw. der spätantiken magischen Praxis an. 2049 Siehe den rezenten Beitrag von JÖRDENS, Aretalogies, mit Auflistung der älteren Literatur; speziell zu den Selbstoffenbarungen in der 1. Person außerdem MOYER, Memphite Self-Revelations; zur Kyme-Inschrift jetzt auch PFEIFFER, Inschriften, S. 199–205, Nr. 42. Vgl. auch Anm. 2053. 2050 Siehe zur alternativen Definition der ‚Aretalogie‘ als Wundererzählung bzw. Bericht von einer besonderen, einmalig und meist individuell erfahrenen Manifestation und Tat eines Gottes jetzt JÖRDENS, Aretalogies, bes. S. 144–153. Zur ägyptischen Aretalogie ASSMANN, „Aretalogien“; STADLER, Weiser und Wesir, S. 229–231. 2051 So z. B. CAUVILLE, Dend. Isis Analyse, S. 19, die eine ägyptische kulttopographische Litanei für Isis so benennt. 2052 Vgl. zur Problematik der Benennung und Kategorisierung dieser Gruppe JÖRDENS, Aretalogies, S. 165–167. 2053 An erster Stelle QUACK, „Ich bin Isis…“, inklusive eines Versuchs der Rückübersetzung des griechischen Textes in das Demotische; weitere Bemerkungen auch bei ID., Lobpreis, S. 56–60; des weiteren DOUSA, Imagining Isis, mit einem Fokus auf den thematischen Schwerpunkten Königtum, Isis als Einzigartige und Schöpfergöttin und Isis’ Macht über das Schicksal. Vgl. auch BUDDE, Götterkind, S. 68–76, mit einem kurzen Vergleich der Aretalogien mit Texten aus Dendara (vgl. dazu Kap. 4.6). 2054 Zu den zusammengehörigen Textzeugen und einem Stemma siehe grundlegend HARDER, Karpokrates, S. 39–52.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

dem des Ptah angegliedert war.2055 Mittlerweile ist auch weitestgehend unbestritten, daß die griechische M-Aretalogie mit ihren fünf Textzeugen aus Kyme, 2056 Telmessos, 2057 Thessaloniki,2058 Kassandreia,2059 Ios2060 und einem leicht veränderten Auszug bei Diodor (I, 27, 4) 2061 in der frühen Ptolemäerzeit in Memphis entstanden sein muß, 2062 und der memphitische Hintergrund einiger zentraler Teile wurde umfassend von BERGMAN aufgearbeitet, wenngleich der von ihm angenommene Ursprung speziell im Krönungsritual wohl nicht zutrifft.2063 Daher erscheint es sinnvoll, anstatt einer erneuten ausführlichen Studie der Aretalogien an dieser Stelle, d. h. am Ende des Kapitels zu demotischen und griechischen Texten aus dem griechisch-römischen Ägypten, zumindest einige Gedanken zum ursprünglichen Kontext und der Entstehungsgeschichte der M-Aretalogie zu äußern und abschließend nochmals kurz einzelne Aussagen hervorzuheben, die bisher noch in ihrer ‚ägyptischen‘ Deutung unsicher geblieben sind. 6.6.1

Die ägyptische Aretalogie-Tradition: Die Selbstvorstellung der Isis(-Schentait) oder Hathor(-Schentait) im Rahmen osirianischer Riten und anderer Ritualtexte Die im Griechischen überlieferte Form der meisten Textzeugen mit dem den einzelnen Aussagen vorgeschalteten Personalpronomen der 1. Pers. sing. ἐγώ  (teilweise aber auch Dativ ἐμοί  oder Genitiv ἐμοῦ) geht klar auf ägyptische Nominalphrasen mit dem unabhängigen Personalpronomen ink zurück – eine im Ägyptischen, nicht aber im Griechischen, natürliche Struktur von Sätzen und speziell auch solcher der hymnischen und eulogischen Literatur. 2064 Hierzu passen außerdem die ungewöhnlichen Punktierungen und kleinen Abstände, welche alle Inschriften der M-Tradition gemeinsam haben und die einzelne ‚Verse‘ bzw. Sinneinheiten trennen und somit den Text strukturieren, worauf IAN MOYER in

2055 Zu Isis und Ptah in Memphis siehe oben, Kap. 4.12 und 6.2.1. 2056 RICIS 302/0204; 1. Jh. n. Chr.? Einzig vollständige Version der M-Tradition, 54 Verse mit Selbstdeklaration in der 1. Pers. 2057 RICIS 306/0201; Ende der hellenistischen Zeit. Fragment. 2058 RICIS 113/0545; 1.–2. Jh. n. Chr. Fragment. 2059 RICIS 113/1201 (Suppl. I); 2. Jh. n. Chr. 2060 RICIS 202/1101; 2.–3. Jh. n. Chr. Fragment. 2061 Siehe dazu BURTON, Diodorus Siculus I, S. 114–117; M. GUSTAFSON, The Isis Hymn of Diodorus of Sicily (1.27.3), in: Kiley (Hrsg.), Prayer, S. 155–158. Bei Diodor wird ein sonst nicht bekannter Stelentext für Osiris dem der Isis gegenübergestellt (I, 27, 5), siehe dazu BERGMAN, Ich bin Isis, S. 27–43; ID., Isis-Seele, S. 73–98. Vgl. zur Osiris-Inschrift aber zumindest die Titulatur, Filiation sowie Angaben zu Osiris’ Krönung und Herrschaft im Durchgang der Geburtskapelle der Isis im Hathortempel von Dendara: Dend. II, 100, 13–101, 7, s. o., Kap. 4.6.2, Kommentar zu Dend. II, 100, 6–11. 2062 Siehe z. B. SFAMENI GASPARRO, Hellenistic Face, S. 59. Zur Zusammengehörigkeit und Abhängigkeit der Vertreter dieser Gruppe untereinander (noch ohne die später gefundenen Exemplare) erstmals ausführlich HARDER, Karpokrates, S. 39–52; vgl. JÖRDENS, Aretalogies, S. 158–159; und jetzt MOYER, Memphite Self-Revelations. 2063 BERGMAN, Ich bin Isis. 2064 Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 332–334. Zur Struktur der entsprechenden ägyptischen Texte siehe oben, Kap. 5.1.

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

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neueren Studien aufmerksam gemacht hat.2065 Andere Kompositionen, die nicht direkt der M-Tradition folgen (so die Hymne von Andros2066 und die Aretalogien von Maroneia2067 und Kyrene2068), haben sich bereits durch eigene Schwerpunkte, andere Formen und Formulierungen und zusätzliche ‚griechische‘ bzw. ‚hellenistische‘ Elemente verselbständigt2069 und sind m. E. im Kontext ihres je eigenen lokalen, historischen und sozialen (d. h. Identität und Anlaß des Stifters etc.) Umfeldes zu betrachten. Das gleiche gilt für entsprechende Texte, die für andere Mitglieder des Isiskreises, namentlich Anubis von Kios2070 und Karpokrates von Chalkis,2071 verfaßt worden sind und sich wahrscheinlich an der ‚IsisAretalogie‘ als Vorbild orientieren. In der Anubis-Hymne, die den Gott als Sohn von Isis und Osiris bezeichnet, was einigen ägyptischen Quellen durchaus entspricht,2072 wird in der gesamten zweiten Hälfte des erhaltenen Teils aber auch wieder die Göttin selbst gelobt (Z. 6–11). Bereits BERGMAN, ASSMANN und QUACK haben eine Reihe von ägyptischen Götterreden in der Ich-Form, in denen die jeweiligen Gottheiten wichtige Taten und Eigenschaften aufzählen, angeführt.2073 So nennen BERGMAN und ASSMANN den Auszug einer Osiris-Liturgie im Tempel des Sethos I. in Abydos 2074 und die Götterreden im Geburtsdrama des Tempels von Esna, 2075 während QUACK eine Rede der mit Isis identifizierten Hathor bereits in den Sargtexten (CT Spruch 332) zitiert und die Klagelieder der Isis und Nephthys, die bei osirianischen Festen von Darstellerinnen rezitiert wurden, kurz erwähnt (siehe dazu unten). Auch der bereits in verschiedenen Zusammenhängen erwähnte Sargtext-Spruch 148 mit der Selbstvorstellung der Isis, in der sie sich als den anderen Gottheiten überlegen präsentiert,2076 zeugt von einer bereits recht alten Tradition solcher Ich-Aussagen, speziell von Isis und Hathor. Derartige Aussprüche der Göttin, die 2065 MOYER, Memphite Self-Revelations; siehe besonders S. 330–332 zu diesen und weiteren formalen Besonderheiten, die wahrscheinlich auf einen ägyptische Versstrukturen zurückgehen. Eine weitere Studie hierzu ist in Vorbereitung durch I. MOYER, dem ich herzlich für den freundlichen Austausch während einer Tagung zu Aretalogien in Würzburg im September 2018 danke. 2066 RICIS 202/1801; PEEK, Isishymnus Andros. 1. Jh. v. – 1. Jh. n. Chr., in Hexametern, wie die MTradition als Selbstdeklaration in der 1. Pers. gestaltet, allerdings deutlich länger und literarisch ausgeschmückt. 2067 RICIS 114/0202; Y. GRANDJEAN, Une nouvelle arétalogie d’Isis à Maronée, EPRO 49, Leiden 1975; rezent dazu D. PAPANIKOLAOU, The Aretalogy of Isis from Maroneia and the Question of Hellenistic „Asianism“, in: ZPE 169, 2009, S. 59–70; globalere Diskussion bei SFAMENI GASPARRO, Hellenistic Face. Ende 2. Jh. v. Chr. Prosatext mit Lobpreis an Isis in der 2. und 3. Pers. Die Inschrift selbst bezeichnet den rhythmischen Prosatext als Enkomion (Z. 5, 8 u. öfters). 2068 RICIS 701/0103; 103 n. Chr., Verse in iambischem Trimeter, Selbstdeklaration in der 1. Pers. Siehe unten, Kap. 7.2.1.2.1. 2069 Siehe zur stärkeren Gräzisierung dieser Texte QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 334–335; JÖRDENS, Aretalogies, S. 162–163. 2070 RICIS 308/0302; späte hellenistische oder frühe Kaiserzeit. Hymne in 2. Pers. 2071 RICIS 104/0206; Ende 3. – Anfang 4. Jh. n. Chr. Selbstdeklaration in Prosa in der 1. Pers. Siehe dazu auch oben, Kap. 6.2.10.1, m. Anm. 1293. 2072 Z. B. pJumilhac, siehe Kap. 4.13.3; und pMag. LL, 20, 1–27, Kap. 6.5.1.4. 2073 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 224–228; ASSMANN, „Aretalogien“; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 333 u. 364. 2074 CALVERLEY/GARDINER, Temple of Sethos I, Taf. 9; siehe dazu BERGMAN, Ich bin Isis, S. 226. 2075 Siehe dazu oben, Kap. 4.11.1.1.A. 2076 Siehe oben, Kap. 5.1.4 und 6.5.1.1.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

insbesondere ihr Wissen, ihre Weisheit und ihre Zauberkräfte herausstellen, finden sich auch in späteren magischen Texten immer wieder.2077 In einem demotischen liturgischen Papyrus aus Soknopaiou Nesos, dessen zweiter Teil ein Ritual zur Herrschaftsübertragung auf Horus enthält, spricht Isis im Rahmen eines Hymnus in ähnlicher Weise wie im Geburtsdrama von Esna zu ihrem Sohn: Ich bin deine Mutter Isis. Ich habe dir Ratschläge(?) gegeben (…). Ich habe für dich die Beiden Länder zusammen(?) regiert (…). Ich habe dir die nHH-Ewigkeit gegeben als Sonnenscheibe(?) (…). Ich habe dir die D.t-Ewigkeit als(?) Mond gegeben (…). Ich habe dir die Überschwemmung gegeben, die die Ägypter(?) erschaffen(?) hat (…). Ich habe dir den Nordwind gegeben, der die Urflut ansteigen läßt (…). (pBerlin P. 6750, x+9, 15–20)2078 Ein wichtiges Zeugnis für die Realisierung von Aretalogien von Isis-Hathor(-Schentait) im Osiriskult und seinen Ritualen ist das Osirisbecken von Koptos aus der 22. Dynastie, das eine Selbstprädikation der Hathor-Schentait enthält. 2079 Zudem belegt dieser Text, wenn auch indirekt, die Involvierung von Byblos in das Osirisritual bereits zu dieser Zeit (die Göttin nennt sich unter anderem Herrin von Byblos).2080 Eventuell sind die Aussagen der griechischen Aretalogie zu Isis als Herrin des Meeres und der Seefahrt (M 15, M 39, M 43 und M 49–50) letztlich (unter anderem) ebenfalls auf diese Thematik zurückzuführen.2081 Im Zusammenhang mit der griechischen M-Aretalogie ist weiterhin interessant, daß die Göttin in den ebenfalls im Text der „cuve osirienne“ enthaltenen hymnischen Anrufungen unter anderem speziell als Göttin der Frauen und der Fruchtbarkeit gepriesen wird, was an die Aussagen M 7 (Feldfrüchte/Fruchtbarkeit), M 10 (Göttin der Frauen), M 18 (Frauen/Geburt), M 27 (Liebe zwischen Frauen und Männern) und M 30 (Eheverträge) erinnert.2082 In einem der bereits erwähnten Klagelieder und Verklärungstexte für Osiris spricht Isis:

2077 2078 2079 2080

Kap. 6.5.1. Siehe oben, Kap. 6.1.2.2. Siehe oben, Kap. 4.10.3 und 5.1.4. Zur Rolle von Byblos bzw. dem östlichen Mittelmeerraum im Osirismythos vgl. oben, Kap. 6.3.2 und 6.5.2.1. Vgl. auch die alte Rolle der Hathor (bereits in Sargtexten) als Herrin von Byblos und der (mit Byblos verkehrenden) Schiffe, siehe dazu QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 347; BRICAULT, Dame des flots, S. 15. 2081 Vereinzelt wird Isis auch in den Tempelinschriften, allerdings erst spät, als Herrin der Meere bezeichnet: Dend. Porte d’Isis, Nr. 43, siehe Kap. 4.6.1.B und 5.2.2.2.J. 2082 Für eventuelle weitere inhaltliche Parallelen bleibt die noch ausstehende Edition der „cuve osirienne“ abzuwarten, die nun durch C. LEITZ geplant ist. Zu M 7 (Feldfrüchte) vgl. außerdem die Bemerkungen von QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 345, zum möglichen Zusammenhang mit der Herstellung der Kornosiris-Figuren beim Choiakfest und zum Epitheton καρπῶν εὑιαν in der Erzählung vom „Traum des Nektanebos“ (vgl. Kap. 6.4.1.3). Auch wird das rechteckige Hsp-Beet, in dem der Osirisleichnam bzw. der Kornosiris während der Choiakriten zum Sprießen gebracht wird, als „Beet der (Isis-)Schentait“ bezeichnet (Dend. X, 199, 14–15), vgl. dazu BUDDE, Götterkind, S. 385–386.

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

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Ich bin deine Schwester Isis. (…) Dein (= Osiris’) göttlicher Same war in meinem Leib, und ich brachte ihn auf die Welt, damit er dein Wesen beschützt, damit er deine Krankheit heilt, damit er Schaden dem zufügt, der ihn angerichtet hat. Seth ist durch sein Schwert gefallen, und die Bande des Seth ist ein Brandopfer. (…) (sAxw IV, pMMA 35.9.21, 18, 11–13)2083 Der zweite Teil des Zitats, der die Rolle des Horus als Rächer seines Vaters Osiris betrifft, entspricht inhaltlich in etwa M 34–35: Ich habe den ausgeliefert, der Unrecht gegen andere ersinnt, in die Hände desjenigen, gegen den er sich verschworen hat. Ich fordere Vergeltung von denen, die Unrecht begehen. Daneben scheint der Kampf des Horus gegen Seth nach dessen Mord an Osiris und der schließliche Sieg, der ihm zu seinem Recht verhilft, letztlich auch im Hintergrund des wiederholt auftauchenden Themas Gerechtigkeit/Strafe/Kampf/Wahrheit in den AretalogieAussagen M 16, M 25–26, M 28–29, M 32, M 37–38 und M 41 zu stehen.2084 Daß es Isis ist, die Horus dabei jeweils zu seinem Erfolg verhilft und auch aktiv für ihn kämpft, zeigen zahlreiche ägyptische Texte. 2085 Ihr eigenes aktives Handeln in dieser Sache betont sie bereits in ihrer Rede im Auszug einer Osiris-Liturgie im Tempel von Abydos: Ich wache(?), ich wache(?),2086 ich bin ja Isis, ich bin ja „die Flammende“ (= Uräusschlange), ich wache(?), ich bin die Mutter des Horus, ich bin die Schwester des Gottes, (…) Ich habe doch gekämpft am Fluß der Beiden Länder, um alle deine Feinde zu fällen.2087 In der Aufzählung ihrer Leistungen für Osiris in dem Text, der auf dem Hebsed-Tor des Ptolemaios II. in Medamud sowie in pNesmin erhalten ist,2088 nennt Isis zu Beginn das Ziel ihrer Rede: Mögest du (gemeint ist Osiris) alle Wohltaten (sp.w n nfr.w) erfahren, die ich gemacht habe für dein Haus zusammen mit meiner Schwester Nephthys. Das Gleiche ließe sich unter Auslassung der Nennung von Nephthys (und Änderung des impliziten Adressaten Osiris) an den Anfang der M-Aretalogie setzen, wobei der ägyptische Ausdruck sp.w n nfr.w gut den Inhalt der einzelnen Aussagen, nämlich Wohltaten oder 2083 Übersetzung nach KUCHAREK, Klagelieder, S. 98–99. 2084 Vgl. für M 34 (zur Vergeltung für böse Taten) in ähnlichem Sinne bereits QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 354 (Vorbild des Osiris-Seth-Konflikts). 2085 Vgl. dazu z. B. Kap. 5.2.2.1.A. Ihr Auftreten in demotischen Erzählungen (Kap. 6.4.1) sowie entsprechende Drohformeln in privaten Graffiti (Kap. 6.2.2.1, 6.2.2.3) demonstrieren zudem, daß sie in der Funktion als Vergelterin und Bestraferin auch außerhalb des Mythos für die Menschen eintritt und zu diesem Zwecke in ägyptischen Texten angerufen wurde,. 2086 Vgl. zur Lesung MÜNSTER, Isis, S. 109, Anm. 1217. Alternativ übersetzt BERGMAN, Ich bin Isis, S. 226, „Ich bin stark“ (wsr.kwj). 2087 Vgl. oben, Anm. 2074. Diese Rolle nimmt Isis auch im osirianischen Ritual „Die großen Zeremonien des Geb“ ein, vgl. BACKES, „Papyrus Schmitt“, S. 134–139 (Hymnus an „die Starke“) und 151–166 (Rede und Hymnus an Isis als Sonnenauge), siehe dazu auch Kap. 5.1.4. 2088 SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; siehe Kap. 4.8.3 und 5.1.4.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Leistungen, zusammenfaßt. In diesem Text finden sich zudem die Selbst-Identifikation der Isis als Sothis (M 9) und ihre Regelungen des Laufes von Sonne, Mond und anderen Himmelskörpern2089 (jeweils als Erscheinungsformen des Osiris) (M 13–14) wieder. Ihre abschließende Erklärung, die Abbilder des Osiris in jeden Gau gegeben zu haben, d. h. seinen Kult in ganz Ägypten etabliert zu haben, könnte wiederum Vorbild für M 22–24 (Einführung in Mysterien, Verehrung von Götterbildern und Gründung von Tempeln) gewesen sein, zumal zahlreiche Tempeltexte demonstrieren, daß diese Leistungen der Isis für Osiris häufig genannt und desöfteren wie in der M-Aretalogie auf Kultgesetze und Tempelgründung im Allgemeinen erweitert werden.2090 Isis offenbart sich in Ägypten also selbst im Rahmen von Ritualen, die häufig zu größeren Festzyklen mit anzunehmenden dramatischen Aufführungen gehörten. 2091 Auch die Verwendung der Ich-Vorstellung in magischen Texten impliziert den dramatischen, performativen Sprechakt eines Priesters oder Magiers, der in die Rolle der Göttin schlüpft. Angesichts der starken Parallelen und der zentralen Bedeutung der osirianischen Rituale bis in die Römerzeit2092 ist es m. E. sehr wahrscheinlich, daß die griechische Isis-Aretalogie der MTradition im Kern auf eine solche Selbstvorstellung der Göttin im Rahmen der (unterägyptischen, vielleicht speziell memphitischen) Choiakriten, der Isia oder anderer osirianischer Feste zurückgeht, die jedoch im Laufe der Zeit und vermutlich im Rahmen einer Neukonzipierung von Riten im Isiskult stark erweitert und um zusätzliche Aussagen ergänzt wurde. Im Hinblick auf diesen rekonstruierten osirianischen Kontext ist die Einbettung des Auszugs der M-Aretalogie bei Diodor – trotz der dort berichteten Spezialüberlieferung zu angeblichen Gräbern der Gottheiten im arabischen Nysa – von besonderem Interesse:2093 Bei ihm erscheint der Isis-Text nicht isoliert, sondern wird gemeinsam mit einer entsprechenden Stele für Osiris beschrieben, die ebenfalls einen Text in Ich-Form enthält, deren Anfang er auch zitiert. Betrachtet man die Parallelen zwischen den ägyptischen ‚Aretalogien‘ der Isis-Hathor im Osiriskult und der griechischen M-Aretalogie genauer, zeigt sich, daß bei einem Großteil der Aussagen die hauptsächliche Änderung oder Übertragungsleistung im Wechsel von der rein mythischen bzw. göttlichen Sphäre (bis auf wenige Ausnahmen) auf die Welt der Menschen besteht. Anders gesagt, die Nutznießer sind in der griechischen Aretalogie nicht mehr Osiris und Horus, wenngleich sich dieser Hintergrund noch hinter vielen Aussagen erkennen läßt, sondern die Menschen.

2089 Vgl. dazu z. B. auch Texte aus dem Tempel von Deir el-Schelwit, siehe oben, Kap. 4.8 und 5.2.2.2.A. 2090 Siehe Kap. 5.2.2.1.A (Osiriskult) und 5.2.2.4.A (allgemein); z. B. Assuan-Hymne 3: „die vortreffliche Göttin, die dieses alles für ihren großen Bruder vollzieht“, siehe Kap. 4.2.1.A, mit Kommentar zu der Formulierung. Vgl. dazu auch Diodor, 1, 20, demzufolge Isis und Hermes heilige Riten und Mysterien für Osiris eingeführt haben. 2091 Einen solchen Kontext nimmt bereits QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 364–365, für die memphitische Aretalogie an; vgl. auch JÖRDENS, Aretalogies, S. 161; MOYER, Memphite Self-Revelations, S. 337– 338. 2092 Vgl. hierzu insbesondere die Selbstvorstellungen der Isis in den Texten Philae-Photos 1591–1592 (mit Parallele Philae-Photo 1331) und SAMBIN/CARLOTTI, Porte de fête-sed, S. 408–409; siehe Kap. 5.1.4. 2093 Siehe dazu oben, Anm. 2061.

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

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Bei der Frage, in welchem spezifischen Rahmen eine solche Umarbeitung der aus den (wahrscheinlich) osirianischen Festen übernommenen Selbstvorstellung der Isis stattgefunden haben könnte, bietet sich m. E. die Überlagerung der ägyptischen ‚Osirismysterien‘, ‚Geheimnisse‘ (StA.w) und Weiherituale mit griechischen Konzepten von ‚Mysterienkulten‘ an,2094 die zu einer Neucharakterisierung des Isiskultes von griechischer Seite geführt haben dürfte. Diese ging den literarischen Quellen und üblichen Thesen zufolge mit einer rituellen Einweihung (‚Initiation‘) einher, wie sie für den griechischen Demeter- und Dionysoskult u. a. bekannt ist.2095 Keine Quelle berichtet im Detail, wie eine solche Einweihung ausgesehen haben könnte, 2096 doch eine Anlehnung an bzw. Weiterentwicklung von ägyptischen Vorbildern ist mehr als wahrscheinlich.2097 Sicherlich wurde der Initiand bei der Einweihung oder in ihrem Vorfeld mit umfassenden Lehren über das Wesen der Gottheiten und ihres Mythos unterrichtet, wobei schließlich möglicherweise auch dramatische Umsetzungen eine Rolle gespielt haben mochten. Nun werden in der griechischen Isis-Aretalogie nicht nur das Wesen und die Leistungen der Göttin umfassend in einer klar belehrenden Weise aufgezählt, sondern M 22 besagt ausdrücklich, daß Isis selbst die Menschen die Initiation in Mysterien gelehrt habe.2098 Solche Einweihungsrituale in den Isiskult bilden m. E. einen plausiblen ‚Sitz im Leben‘ der M-Aretalogie, 2099 die speziell in der seit vorptolemäischer Zeit auch von Griechen und anderen Volksgruppen 2094 Vgl. dazu unter anderem MALAISE, Les caracteristiques; GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 42–43; zur griechischen Prägung des Begriffs ‚Mysterien‘ für die Osirisrituale vgl. auch PRIES, Stundenwachen, S. 19. Zu den ägyptischen Weiheritualen, die wohl maßgeblich in die Mysterien im Isiskult eingeflossen sind, grundlegend QUACK, Königsweihe. Zum ‚geheimen‘ Charakter ägyptischer kosmographischer und Ritualtexte A. VON LIEVEN, Mysterien des Kosmos: Kosmographie und Priesterwissenschaft, in: J. Assmann/M. Bommas (Hrsg.), Ägyptische Mysterien?, München 2002, S. 47–58. 2095 Vgl. zur gegenseitigen Beeinflussung und Gleichsetzung von Dionysos und Osiris und ihren Kulten COULON, Osiris chez Hérodote, S. 177–184. Zu Demeter und Isis vgl. oben, Kap. 6.1.2.1. 2096 Vgl. zur Problematik auch unten, Kap. 7.2.1.2 zum Isiskult in Kyrene und 8.2.2.6.G zur literarisch stilisierten Beschreibung in Apuleius’ Metamorphosen. 2097 Siehe dazu besonders QUACK, Königsweihe, der hierfür die ägyptische Königsweihe sowie die Priesterweihe als mögliche Vorbilder vorschlägt. 2098 Gerade Isis gilt neben Thoth besonders in magischen, medizinischen, später auch hermetischen und alchemistischen Texten als Lehrerin und Einführerin in Geheimnisse, siehe Kap. 6.5.1. Bereits ein Schutzzauber des Neuen Reiches (in pBM 10059) gibt sich als „Geheimnis (StA.w) dieser Göttin (Isis)“ und als „Wunder“ (bjAy.t) aus, siehe 6.5.1.4. 2099 Vgl. dazu auch MARTZAVOU, Isis Aretalogies, bes. S. 276–280, die anhand des archäologischen Kontexts der Kyme-Version ebenfalls darauf schließt, daß im Fall der auf Stein geschriebenen und in Heiligtümern angebrachten Aretalogien diese in Form einer szenischen Aufführung während der Initiationszeremonien Verwendung fanden; sie rekonstruiert damit m. E. einen generell überzeugenden rituellen Kontext dieser Texte. Andere Teile ihrer Argumentation sowie ihre Beurteilung einzelner Aussagen der Aretalogie und ihrer hypothetischen Wirkung auf den Initianden (S. 281–286) halte ich dagegen für größtenteils problematisch; manches basiert sogar auf falsch wiedergegebenen Informationen (als Beispiel sei nur auf die wiederholte Behauptung auf S. 277 u. 281–282 hingewiesen, daß zu Beginn der Inschriften von Kyme und Kassandreia die Information gegeben werde, der ursprüngliche Text befände sich am Grab der Isis im Hephaistos-Heiligtum in Memphis, was schlicht falsch ist, aber als Grundlage einer Argumentation verwendet wird). Siehe zu diesem Thema auch Kap. 8.2, bes. 8.2.2.6. Vgl. dazu die Wandbilder in Herculaneum, die genau so eine Aufführung (allerdings in ihrem ursprünglichen Kontext, während osirianischen Ritualen) darstellen dürften!

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

bewohnten Metropole Memphis entwickelt worden ist und sich von dort – wahrscheinlich durch die Initiative einzelner Personen – in griechische Städte des östlichen Mittelmeerraumes verbreiten konnte. 6.6.2 Ergänzende Anmerkungen zu einigen Aussagen der M-Aretalogie Nach dem obigen Versuch einer allgemeinen Kontextualisierung der memphitischen IsisAretalogie möchte ich im Folgenden kurz einige ausgewählte Einzelaussagen nochmals näher in den Blick nehmen, um sie mit entsprechenden Belegen für Isis in ägyptischen Texten zu verknüpfen, wo dies bisher noch nicht geschehen ist. M 4: Gesetzgebung Ich gab Gesetze der Menschheit und bestimmte, was niemand ändern kann. MÜLLER, BERGMAN und QUACK haben bereits einige allgemeine ägyptische Belege speziell der Spät- und griechisch-römischen Zeit zu Gott als Gesetzgeber angeführt, wobei BERGMAN die Aussage im Lichte der vorangegangenen (M 3) speziell auf die Verbindung zwischen Isis und Thoth zurückführte, der mehrfach als Gesetzgeber belegt ist.2100 Für Isis selbst lassen sich zumindest Stellen in den Tempelinschriften von Dendara anführen, nach denen sie als Erlasserin von Kultgesetzen oder Tempelvorschriften gilt: – dj(.t) tp-rd m sxm.w itr.tj die die Vorschriften in die Heiligtümer der Beiden Heiligtümer (= Ägypten) gab2101 – wD.n=T mdw m gs.w-pr.w Du hast die Anweisungen in den Kultstätten gegeben2102 In dem schlecht erhaltenen oHor 65 ist vom „Handeln gemäß den Worten, die sie (= Isis) geschrieben hat für die Menschen“ die Rede, was in der Formulierung eventuell auf Vorschriften oder Gesetze der Isis hindeuten könnte.2103 Der Demotischen Chronik zufolge ist Isis außerdem nur mit demjenigen König zufrieden, der sich an die Gesetze hält (3, 10– 16).2104 M 7: Feldfrüchte Ich bin diejenige, die das Getreide für die Menschen entdeckt hat. Zu dem bereits oben im Zusammenhang mit den Reden der Isis(-Schentait/Hathor) im Rahmen der Choiakriten angesprochenen Thema der Fruchtbarkeit und Feldfrüchte2105 sei ergänzend auf zwei Stellen im pJumilhac hingewiesen, die deutlich die Verbindung der Göttin zum Gedeihen der Pflanzen und Früchte demonstrieren. In pJumilhac, 14, 5–8, sorgt Isis 2100 D. MÜLLER, Isis-Aretalogien, S. 26–27 („selten“); BERGMAN, Ich bin Isis, S. 173–174 (zu Thoth und Hathor); QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 342 (Gott allgemein: Lehre des pInsinger). 2101 Dend. Porte d’Isis, Nr. 49. Siehe Kap. 4.6.1.B. 2102 Dend. II, 98, 2–99, 3. Siehe Kap. 4.6.2. 2103 Kap. 6.5.1.2. 2104 Kap. 6.5.1.3 (mit genauem Zitat). 2105 3.6.1, m. Anm. 2082.

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für die Bewässerung der Weinreben, die aus dem Auge des Horus gesprossen sind, „um sie zu beleben“ und kurz darauf, in 14, 12–13, wird sie selbst als Dattelpalme identifiziert.2106 Ältere Quellen, die Isis mit dem Feld oder fruchtbaren Nilufer in Verbindung bringen (wenngleich weniger explizit) sind bei MÜNSTER gesammelt.2107 Da der Satz auffälligerweise am Beginn der Aretalogie zwischen die engen Familienbande der Isis zu Osiris und Horus eingefügt ist, haben außerdem BERGMAN und STADLER alternativ vorgeschlagen, die angesprochenen Feldfrüchte auf die „Leibesfrucht“ der Isis, also Horus, zurückzuführen, was mindestens als zweite, mythische Ebene ebenfalls dahinter stecken könnte.2108 M 15: Seefahrt, Meeresberufe Ich habe das Handwerk der Seefahrt ersonnen. QUACK wies zu Recht darauf hin, daß Isis im Delta vielleicht schon früher mit der Seefahrt in Verbindung gebracht wurde, worüber wir nur aufgrund des Mangels an unterägyptischen Quellen schlecht unterrichtet sind.2109 M. E. ist es interessant, daß diese erste von mehreren Aussagen über Isis’ Beziehung zum Meer und zur Seefahrt gerade auf den Satz folgt, der die Lenkung des Laufes von Sonne und Mond betrifft. Im Vergleich mit zahlreichen ägyptischen Texten könnte dieser Abschnitt auch aus der Idee von Isis als Leiterin der Sonnenbarke weiterentwickelt sein.2110 M 21: Isis beendet Menschenfresserei zusammen mit Osiris Ich habe zusammen mit meinem Bruder Osiris dem Kannibalismus ein Ende bereitet.2111 Nach BERGMAN und QUACK könnte diese Aussage auf das geläufige Epitheton des Osiris „der das Gemetzel der Beiden Länder richtet“ (wpj Sa.t tA.wj) zurückgehen.2112 Gerade dafür läßt sich aber sogar ein Beispiel innerhalb einer ägyptischen Selbstvorstellung der Isis heranziehen.2113 In dem bereits mehrfach zitierten Sargtext-Spruch 148 spricht sie:

2106 Siehe oben, Kap. 4.13.3. 2107 Siehe oben, Kap. 5.2.2.2.D. 2108 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 230; STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 117–118, der dies als Parallele für eine Stelle im demotischen Isis-Orakel (pWien D. 12006, 3, 14–15) anführt, wo zu Isis gesagt wird: „Deine Frucht (pAy=T wtH), sie wird unversehrt sein. Du wirst ihren Charakter formen. Dein Sohn (…)“. Zum Isis-Orakel siehe Kap. 6.5.1.3. 2109 QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 347–348, mit dem ausnahmsweise erhaltenen Beispiel der über das Meer wandelnden Isis in oHor 1 (siehe oben, Kap. 6.5.1.2). 2110 Vgl. dazu oben, Kap. 5.2.2.1.B. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 198–200, nimmt dies dagegen für M 49 („Ich bin die Herrin der Seefahrt“) an, wo im direkten Kontext jedoch nicht vom Sonnenlauf die Rede ist. 2111 Vgl. dazu auch Diodor I, 14, 1, mit dem Kommentar von BURTON, Diodorus Siculus I, S. 73–74; und den Zauberspruch gegen einen Skorpionstich/Schlangenbiß pMag. LL, 20, 1–27, nach dessen Historiola Isis-Sachmet ihrem Sohn Anubis in das „Land der Menschenfresser“ folgt, s. o., Kap. 6.5.1.4, vgl. zur Parallele QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 349. 2112 BERGMAN, Ich bin Isis, S. 214, Anm. 2; QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 349. 2113 Diesen Vergleich zieht auch VINSON, Through a Woman’s Eyes, S. 324–325.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Oh Götter, ich bin Isis, die Schwester des Osiris, die über den Vater der Götter, Osiris, der das Gemetzel der Beiden Länder richtete, weint. (§§ 211a–212a) M 47: Untergebung der ganzen Welt Alles ist mir untergeben. Wie QUACK anmerkte, ist eine solche Aussage über einen Gott nicht kulturspezifisch.2114 Die ägyptischen Hymnen und Eulogien für Isis zeigen aber, daß das Konzept in Bezug auf Isis sehr häufig und wortreich ausgeführt wurde.2115 M 51: Gründung von Städten Ich habe die Mauern der Städte gegründet. Die Zuordnung dieser Aussage zu einem ägyptischen oder griechischen Hintergrund ist umstritten.2116 BERGMAN konzentrierte sich in erster Linie auf die Nennung der Mauern bzw. ‚Umfassungsmauern‘ und bezog die Aussage daher speziell auf Memphis aufgrund seiner Benennung als inb(.w) Hd „Weiße Mauer(n)“.2117 Hier liegt m. E. nur eine idiomatische Umschreibung für die Gründung von Städten insgesamt vor,2118 die Isis in den ägyptischen Texten mehrfach zugeschrieben wird, z. B. „die die Städte gründet und die Gaue fest einrichtet“ (Dend. I, 75, 12–76, 2).2119 M 54: Regen Ich bin die Herrin des Regens. Für die umstrittene Bezeichnung der Isis als Herrin des Regens wurden bislang meist nur unsichere ägyptische Belege angeführt. Die hauptsächlich aus älteren magischen und literarisch-mythologischen Texten stammenden uneindeutigen Stellen können jetzt aber durch eine Passage in der demotischen Horus- und Seth-Erzählung von pWien D. 6920–22 rto. bestätigt werden, was für eine ägyptische Tradition der Isis als Regenmacherin speziell im Rahmen ihrer magischen Kräfte spricht.2120 6.6.3 Die memphitische Isis-Aretalogie und der zweite Teil von pOxy. 1380 Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die oben in Kap. 6.1.3.2 behandelten hinteren Teile des griechischen pOxy. 1380 (Anfang 2. Jh. n. Chr.), genauer die eulogische Epithetareihe und die Hymne an Isis, einen Großteil der in der M-Aretalogie genannten Themen

2114 2115 2116 2117 2118

QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 358. Vgl. zu den Tempeltexten Kap. 5.2.2.4.A–B. Vgl. QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 360. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 237–240. Diese alternative Vermutung äußert auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 237, Anm. 2; noch deutlicher ID., Isis-Seele, S. 12–13. 2119 Siehe Kap. 5.2.2.4.A. 2120 Siehe oben, Kap. 6.3.2, mit kurzer Erläuterung der älteren Quellen und Literatur.

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

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ebenfalls – allerdings mit ganz eigenen Worten – umsetzt und teilweise ausführlich ausarbeitet.2121 Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht der thematischen Parallelen: M-Aretalogie (Kyme) § 2 (Einleitung) „Dies wurde kopiert von der Stele in Memphis, die vor dem Tempel des Hephaistos steht (= Ptah-Tempel)“ § 3a „Ich bin Isis, die Herrin aller Länder.“

§ 3b „(…) und mit Hermes erfand ich die Buchstaben, sowohl die heiligen als auch die demotischen, so daß nicht alles mit denselben geschrieben werde.“ § 4 „Ich gab Gesetze der Menschheit und bestimmte, was niemand ändern kann.“

§ 7 „Ich bin diejenige, die das Getreide für die Menschen entdeckt hat.“

§ 9 „Ich bin diejenige, die im Hundsstern aufgeht.“ § 10 „Ich bin diejenige, die „Gott/Göttin“ von den Frauen genannt wird.“ (vgl. § 27 „Ich brachte die Frauen dazu, von den Männern geliebt zu werden.“) § 12–14 Isis als Herrin über die Himmelskörper und der Erde

pOxy. 1380 Z. 249 „Du [bes]it[zt] in Memphis das [Aller]heiligste (Adyton).“

Z. 120 „Herrscherin der bewohnten Welt“ Z. 218–220 „Königin […], Herrin […], die du dir alles Land auserwählt hast [unter dei]nen Flügeln“ Z. 123–124 „Schreibkundige“

Z. 119–120 „Die du auch unter den Zehn für jeden durch Satzungen die ersten Dinge verdolmetschst/ erklärst/offenbarst“ (?) Z. 155–157 „Mild und wohlversöhnend ist deine Gnadengabe der z[we]i Anordnungen“ Z. 203–205 „u[nd a]lle[n] hast du die Sitten u[nd] den voll[en] Jahreskreis [dar]geboten“ Z. 165–174 „deine […] hast du gezeigt […] all […] und die Erde besäbar [gemach]t, alle Nahrung […] überall […], bedenkend den Tau und alles Ge[wachsene]“ Z. 179–180 „du, die du […] gefunden hast des Weines, hast alle [Wonn]e dargeboten“ Z. 142–144 „Herrin Isis, größte der Götter, erster Name, Io-Sothis!“ Z. 130–131 „Schmuck der Weiblichkeit und zärtlich Liebende“

Z. 144–145 „Du beherrschst das in der Höhe und das Unermeßliche“ Z. 232–233 „du hast alle […] des Himmelspoles […], du hast den neuen Horus zur Sonne […]“

2121 Siehe dort, Kap. 6.1.3.2, für eine ausführliche Kommentierung mit Parallelen aus ägyptischen Texten in den Anmerkungen.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

M-Aretalogie § 12 „Ich habe die Erde vom Himmel getrennt.“

§ 13 „Ich habe den Pfad der Sterne gewiesen.“

§ 14 „Ich habe den Lauf von Sonne und Mond geregelt.“ § 15 „Ich habe das Handwerk der Seefahrt ersonnen.“ § 21 „Ich zusammen mit meinem Bruder Osiris habe dem Kannibalismus ein Ende bereitet.“ § 22 „Ich habe die Männer/ Menschen die Initiation in Mysterien gelehrt.“

§ 23 „Ich habe sie angewiesen, die Abbilder von Göttern zu verehren.“ § 24 „Ich habe die heiligen Bezirke (=Tempel) der Götter gegründet.“

§ 25 „Ich habe die Regierungen von Tyrannen abgeschafft.“ § 30 „Ich habe Heiratsverträge erschaffen.“ § 32 „Ich habe bewirkt, daß Gut und Böse von Natur aus unterschieden sind.“

§ 36 „Ich habe bestimmt, daß Gnade gezeigt wird gegenüber Bittstellern.“

pOxy. 1380 Z. 206–209 „an jedem Or[t hast du (es?) an]gewiesen, damit es wüßten al[le M]enschen, daß der Himmel er[richtet wurde v]on dir.“ Z. 159–162 „mit den Aufgängen der Gestirne verehren dich unermüdlich die Einheimischen und die anderen heiligen Lebewesen im Allerheiligsten des Osiris“ Z. 157–158 „die Sonne vom Aufgang bis zum Untergang führst du herauf“ Z. 186–188 „du hast deinen Bruder [herauf]geführt, indem du allein Steuerfrau warst“ Z. 137 „Feindschaftsfeindin“

Z. 242–245 „Du hast den großen Osiris unsterblich gemacht; […] und für das ganze Land hast du [my]st[ische…] Verehrungsdienste dargeboten.“ Z. 139–140 „aus welcher die Abbilder und die Lebewesen (ζῷα) aller Götter sind“ Z. 269–286 „da dein ist aus dreien das Heiligtum in Busiris, das sogenannte B[…] […] Wunder […] dem Heiligtum und der Stadt [… A]bydos, die Tür […]; du, die du gründetest in […] die rasche […]; du hast gegründet […] und in der […]taabdeus“ (?) Z. 239–242 „Du, Herrin des Krieges und der Herrschaft – die im Wohlleben verdirbst du durch treuliche Ratschläge.“ (?) Z. 214–216 „Du hast den Frauen die gleiche Macht wie den Männern ver[lie]hen“ Z. 242–247 „(Du hast den großen Osiris unsterblich gemacht; […] und für das ganze Land hast du [my]st[ische…] Verehrungsdienste dargeboten;) ebenso aber auch den Horus, der d[es Vater]s Wohltäter geworden [ist] und ein Guter.“ Z. 152–153 „es sehen dich die, die in Treue (dich) anrufen“

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

M-Aretalogie § 39 „Ich bin die Herrin von Flüssen und Winden und Meer.“

§ 41 „Ich bin die Herrin des Krieges.“ § 42 „Ich bin die Herrin des Donners.“ § 43 „Ich beruhige die See und mache sie wogend.“

§ 44 „Ich bin in den Strahlen der Sonne.“

§ 47 „Alles ist mir untergeben.“

§ 48 „Ich befreie diejenigen, die in Fesseln sind.“2122 § 49 „Ich bin die Herrin der Seefahrt.“

843

pOxy. 1380 Z. 122–123 „Herrin der Meeres- und Flußmündungen“ Z. 138–139 „Diadem des Windes und des Lebens“ Z. 222–230 „Du, die [Her]rin der Er[de], führst über die Fel[der den Übe]rfluß der Ströme [… hera]uf – auch in Ägypten des N[il]s, in Tripolis aber des Eleutheros, in Indien aber des Ganges – und durch welche das Ganze u[nd da]s Eine rechtzeitig ist mittels jeden Regens und jeder Quelle und je[de]n Taues un[d Sc]hnees und jeder Flüssigkeit(?) de[r Er]de wie des Meeres.“ 239–240 „Du, Herrin des Krieges und der Herrschaft“ Z. 237–239 „Du hast der Winde un[d Do]nner und Blitze und Schneestürme Gewalt“ Z. 146–148 „Du auch (bist es, die) die unversehrt[en Frau]en zusammen mit Männern gemeinsam den sicheren Hafen errei[chen] lassen will.“ Z. 248–249 „Du bist auch Herrin des Lichtes und der Flammen“ Z. 295–297 „Du (hast?/bist?) auch das Licht […]“ Z. 136–137 „Allherrscherin bei den Prozessionen der Götter“ Z. 218–220 „Königin […], Herrin […], die du dir alles Land auserwählt hast [unter dei]nen Flügeln“ Z. 231 „Du auch (bist) aller Herrin auf immerdar“ Z. 292–293 „[…] Retterin“ Z. 146–148 „Du auch (bist es, die) die unversehrt[en Frau]en zusammen mit Männern gemeinsam den sicheren Hafen errei[chen] lassen will.“ Z. 186–188 „du hast deinen Bruder [herauf]geführt, indem du allein Steuerfrau warst“

2122 Vgl. zu diesem Motiv außer den bei QUACK, „Ich bin Isis…“ genannten Stellen oHor 10, 18–19 und Graffito Theben 3445, 13, auch MM I, 29.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

M-Aretalogie § 50 „Ich mache das Befahrbare unbefahrbar, wann immer ich so entscheide.“ § 51 „Ich habe die Umfassungsmauern der Städte gegründet.“

§ 54 „Ich bin die Herrin des Regens.“

§ 55–56 „Ich überwinde das Schicksal. Das Schicksal gehorcht mir.“

pOxy. 1380 Z. 174–175 „und Verderben, wem du willst, verleihst du“ Z. 269–286 „da dein ist aus dreien das Heiligtum in Busiris, das sogenannte B[…] […] Wunder […] dem Heiligtum und der Stadt [… A]bydos, die Tür […]; du, die du gründetest in […] die rasche […]; du hast gegründet […] und in der […]taabdeus“ (?) Z. 293–294 „Du […] hast die Gründung […];“ Z. 222–230 „Du, die [Her]rin der Er[de], führst über die Fel[der den Übe]rfluß der Ströme [… hera]uf – auch in Ägypten des N[il]s, in Tripolis aber des Eleutheros, in Indien aber des Ganges – und durch welche das Ganze u[nd da]s Eine rechtzeitig ist mittels jeden Regens und jeder Quelle und je[de]n Taues un[d Sc]hnees und jeder Flüssigkeit(?) de[r Er]de wie des Meeres.“ Z. 174–177 „und Verderben, wem du willst, verleihst du; den Vernichteten aber verleihst du Vermehrung, und alles reinigst du durch.“ Z. 194–196 „Herrin der Vermeh[rung] und des Verderbens un[d der Erschaf]fung u[nd des Ve]r[ge]hens“

Wie die Texte im zweiten Teil von pOxy. 13802123 geht auch die Aretalogie an verschiedenen Stellen wiederholt auf dieselben Themenkreise ein: Thema Gesetzgebung Recht, Gerechtigkeit, Wahrheit

Befehlsgewalt

Göttin der Frauen und Liebe

Stellen –M4 – M 52 – M 16 – M 25–26 – M 28–29 – M 34–38 –M4 – M 40 – M 46–47 – M 10 – M 17–18

2123 Vgl. Kap. 6.1.3.2, Tabelle zu wiederholten Themen in pOxy. 1380.

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Die memphitische ‚Isis-Aretalogie‘

Thema

Sothis, Herrschaft über Himmelskörper, Sonnenlauf

Seefahrt, Meer

Wetter/Feuchtigkeit

Stellen – M 27 – M 30 –M9 – M 13–14 – M 44–45 – M 15 – M 39 – M 43 – M 49–50 – M 39 – M 42 – M 54

Trotz aller thematischen Ähnlichkeiten stehen die Formulierungen des pOxy. 1380 den ägyptischen Hymnen näher und binden die mythischen Elemente um Osiris und Horus expliziter in den Text ein, während die entsprechenden Handlungen der Isis in der Aretalogie bereits stark abstrahiert bzw. auf einzelne Schlagworte zusammengefaßt erscheinen. Eine noch deutlichere Divergenz offenbart sich im Hinblick auf das Thema Königtum und Beziehung der Isis zum Herrscher,2124 das in pOxy. 1380 (hier in der mythischen Variante auf Horus bezogen) wie in den meisten ägyptischen Hymnen und eulogischen Epithetareihen sowie in den griechischen Hymnen von Medinet Madi (MM III–IV) eine Rolle spielt. In der memphitischen Isis-Aretalogie dagegen wird zwar noch Isis selbst als ἡ  τύραννος  πάσης χώρας bezeichnet (M 3a), und ihr Sohn Horus als König (βασιλεύς) (M 8), doch das irdische Königtum wird, wenn überhaupt, nur in negativer Weise erwähnt, wenn es heißt, daß Isis die Herrschaft von Tyrannen beendet hat (M 25), wobei vermutlich die griechische Umsetzung einer ursprünglich ägyptischen Formulierung für unrechtmäßige Herrschaft (entspricht auf der mythologischen Ebene der angestrebten Herrschaft des Seth) vorliegt.2125 DOUSA sieht die Gründe für das Fehlen des sonst üblichen Bezugs zum (ägyptischen) Herrscher in der Aretalogie in der Loslösung der hellenistischen Isis von der politischen Entität Ägyptens, zumal die bekannten Exemplare der M-Tradition ja außerhalb Ägyptens gefunden wurden.2126 Einerseits ist es m. E. durchaus nicht unwahrscheinlich, daß in der ursprünglichen, in Ägypten entstandenen Version solche Elemente noch vorhanden waren, die jedoch dann für die Adaption des Textes im östlichen Mittelmeerraum herausgestrichen oder vielleicht eher 2124 Vgl. DOUSA, Imagining Isis, S. 167–168. 2125 QUACK, „Ich bin Isis…“, S. 337 mit Kommentar S. 350–351, schlägt hier als mögliche demotische Vorlage ink tA i:irj Dj.t wsf pA vA n nA sAb.w „Ich bin es, welche die Zeit der Rebellen zunichte gemacht hat“ vor. Ein Widerhall des Motivs der Bekämpfung unrechtmäßiger Herrscher/Tyrannen durch Isis läßt sich auch in den demotischen Erzählungen um die Suche nach Osiris und weitere Episoden wiederfinden, in denen Isis wohl unter anderem gegen Giganten kämpft (siehe Kap. 6.3.2). Vgl. zur Deutung der griechischen Umsetzung auch H. S. VERSNEL, Ter Unus: Isis Dionysos Hermes. Three Studies in Henotheism, Inconsistencies in Greek and Roman Religion I, Studies in Greek and Roman Religion 6, Leiden et al. 1990, S. 39–95: 50–95. 2126 DOUSA, Imagining Isis, S. 168.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

umformuliert worden sind. Dies läßt sich z. B. für den sehr prominent vertretenen Themenkomplex ‚Maat‘ (Gerechtigkeit, Wahrheit, Gesetz etc.) 2127 vorstellen, der ursprünglich mit der Bekämpfung des Seth und der rechtmäßigen Thronfolge des Horus (mit Isis’ Hilfe) sowie der Einsetzung des irdischen gerechten Herrschers verbunden gewesen sein könnte. Hinter anderen Formulierungen lassen sich die ägyptischen, ursprünglich auf das Königtum bezogenen Phrasen sogar noch erkennen: so dürfte das allgemein gehaltene „Niemand wird geehrt ohne meine Zustimmung“ (M 40) auf ägyptische Epitheta wie n hb aH m xm=s „ohne deren Kenntnis/Zustimmung man nicht den Palast betritt“, iTj iAw.t m sxr.w=s „durch deren Pläne/deren Beschluß das (Königs-)Amt ergriffen wird“ etc.,2128 die in den Tempeltexten (z. B. in Dendara) häufig sind, zurückgehen. Andererseits läßt sich m. E. neben der von DOUSA vorgebrachten hellenistischen DePolitisierung oder De-Nationalisierung der Isis auch die Individualisierung im Rahmen des oben hypothetisch rekonstruierten Kontexts der griechischen Aretalogie als möglicher Grund des fehlenden Königsbezugs anführen: wenn es sich tatsächlich um eine dramatisch inszenierte Selbstvorstellung während eines von griechischen Mysterienkulten beeinflußten Initiationsrituals gehandelt haben sollte, standen das einzuweihende Individuum und seine persönlichen Erfahrungen und Erwartungen an die Leistungen der Göttin im Mittelpunkt. Für den Einzelnen war die allgemeine Sorge der Isis für Gerechtigkeit, Gnade und Strafe von größerem Nutzen und Interesse als die Thronbesteigung des Königs.

6.7

Resümee: Isis in demotischen und griechischen Texten aus Ägypten. Kulturübergreifende Formen der persönlichen Annäherung an die Göttin

Die demotischen und griechischen Texte zu Isis, die in den vorangegangenen Kapiteln präsentiert und kommentiert wurden, übernehmen einen Großteil der bereits aus den offiziellen Tempeltexten bekannten Themen (vgl. zusammenfassend Kap. 5.2.2) und entwickeln diese weiter, bzw. weisen durch die unterschiedlichen Anwendungskontexte andere Nuancierungen auf. In den häufig von Privatleuten (oder von Priestern in nicht-offizieller Funktion) stammenden Quellen offenbart sich eine enge Beziehung zwischen ägyptischen und griechischen Zeugnissen, die oftmals voneinander abhängig sind und in mehreren Orten und Gattungen Austausch- und Übertragungsprozesse beobachten lassen. Teilweise sind sogar (freie) Übersetzungen vom Ägyptischen (Demotischen) ins Griechische nachzuweisen oder zumindest anzunehmen, wobei einzelne Aspekte und Epitheta der Isis eine neue Konnotation oder Umdeutung erfuhren.2129 Die offenbar unter gegenseitiger Beeinflussung ägyptischer und griechischer Traditionen entwickelte Praxis der Proskynemata führte, be2127 M 16, M 25–26, M 28–29, M 32, M 34–35, M 37–38 und M 41. Siehe dazu auch oben, unter 6.6.1; und vgl. zum ägyptischen/memphitischen Hintergrund der Maat-Konzeption in der Aretalogie BERGMAN, Ich bin Isis, S. 176–219. 2128 Z. B. gehäuft in Philä II, 8–9, Kap. 4.1.1.A. Vgl. insgesamt Kap. 5.2.2.3.A–B. 2129 Vgl. an längeren Kompositionen besonders die memphitische Isis-Aretalogie (6.6), die Hymnen von Medinet Madi (6.1.2.1), und pOxy. 1380 (6.1.3.2). Zu (sicheren) Übersetzungen vom Demotischen ins Griechische vgl. die literarischen Texte, z. B. den „Traum des Nektanebos“ (6.4.1.3).

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Resümee: Isis in demotischen und griechischen Texten

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sonders am 1. Katarakt in der Kaiserzeit, Verehrer der Isis aus verschiedenen Kulturen zusammen, wenngleich die Inhalte, teilweise auch die Platzierung der Weihungen, je eigene Schwerpunkte aufweisen (Kap. 6.2.2–4). Griechische Weihinschriften aus ganz Ägypten demonstrieren die Verehrung der Isis durch Griechen und Römer sowohl auf offizieller (d. h. z. B. in Verbindung mit dem ptolemäischen Königshof) als auch privater Ebene. Bereits im 2. Jh. v. Chr. offenbaren demotische und griechische Archive von Privatpersonen, die sich im Serapeum von Sakkara aufhielten, eine innige Beziehung zu Isis, die den um Rat Suchenden auf ihre Bitten in Träumen erscheint und zukunftsweisende Hilfestellungen oder Weissagungen gewährt (6.2.1 und 6.5.1.2). Als Orakelgöttin und Magierin ist Isis auch in demotischen Orakeltexten und den demotisch-griechischen Zauberpapyri der Kaiserzeit sehr präsent, wenngleich die Wurzeln dieser Rolle in weit ältere Zeiten zurückreichen (6.5). In demotischen Erzählungen und Weisheitstexten werden die real vorliegenden persönlichen Gebete und die Hinwendung der Menschen zu Isis literarisch verarbeitet, wobei deutlich hervorgeht, daß Isis aktiv in das persönliche Leben eingreift und je nach Situation mit Hilfe oder Strafe reagiert (6.4). Ihre eigene mythische Biographie, ihr Leid und schließliches Triumphieren sowie die innige Beziehung zu Osiris und Horus, die immer wieder in allen Arten von Texten durchscheinen,2130 dient dabei als Vorbild für das irdische Menschenleben. 6.7.1 Hymnen und Gebete: Formale Besonderheiten und Gemeinsamkeiten Die demotischen und griechischen Hymnen und Gebete lassen sich unterscheiden in längere, formal und stilistisch anspruchsvolle Kompositionen einerseits,2131 und kürzere, weniger stark durchgeformte, persönlichere ad hoc-Anrufungen andererseits. 2132 Der Kontext bzw. die Einbettung der Lobpreisungen bleibt damit zunächst unberücksichtigt; erstens ist er bei einigen Texten unsicher oder verloren (z. B. pHeid. dem. 736 vs.), zweitens ist die formale Gestaltung zumindest zu großen Teilen davon unabhängig.2133

2130 Die familiären Beziehungen und Isis’ Leistungen für Osiris und Horus spielen immer noch eine wichtige Rolle in: Hymnen, Gebeten und Weihinschriften (6.1–2), naturgemäß in mythologischen Texten (6.3), in romanhaften Erzählungen und Weisheitstexten (6.4) sowie in magischen Texten in Form von Historiolae und Analogien u. a. (6.5). Vgl. dazu auch Kap. 5.2.2.1.A. 2131 Hierzu zählen alle Hymnen aus Kap. 6.1, das Graffito Theben 3156, die griechische Inschrift in Charga G. WAGNER, Les oasis, S. 50–51 u. 336; Taf. 17, bei der es sich vielleicht um eine Hymne handelte, zu einem geringeren Grad auch oHor 10 und die beiden Graffiti Theben 3462 und Theben 3445 (Kap. 6.2), außerdem die memphitische Isisaretalogie (M) (Kap. 6.6). 2132 Hierzu zählen die meisten Graffiti und Proskynemata in Kap. 6.2 (zu einigen Ausnahmen siehe die vorige Anm.), teilweise auch sonstige, vor allem griechische, Weihinschriften in Kap. 6.2, wenngleich diese nicht immer ein Gebet bzw. eine Bitte enthalten. Des weiteren gehören dazu die Gebete und Anrufungen in der Erzählung von pSaqqâra 2 rt., im „Traum des Nektanebos“, in der Amazonengeschichte, im Krugtext und im Götterbrief pKairo 31255 (6.4), in oHor 65 (6.5.1.2) sowie den magischen Sprüchen pMag. LL, 9, 1–10, 22, PGM VII 490–504, PGM CXXII 26–50, PGM XXXVI 134–160, pMailand D 5, PGM LVII, pBM 10588, 8, 1–16 (6.5.1.4–6.5.3.1), wobei hier die Bitten manchmal in Forderungen oder gar Drohungen umschlagen. 2133 Siehe z. B. die Parallelen zwischen der in einen literarischen Text eingebetteten Isishymne von pTebt. Tait 14 und Parallelen (6.1.4), und den privaten Graffiti Theben 3462 und Theben 3445 (6.2.5.1).

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Alle Texte unterscheiden sich deutlich von den Hymnen der Tempelinschriften, 2134 wenngleich bestimmte formale Elemente und Textbausteine aus diesen übernommen und teilweise weiter entwickelt wurden, z. B. die kulttopographische Litanei 2135 oder die aretalogische Götterrede in der Ich-Form.2136 6.7.1.1 Einleitungsformeln Die Einleitungen der Tempelhymnen wie (i.)nD Hr=T, iAw n=T oder snD-n sind in den demotischen Hymnen und Gebeten an Isis überhaupt nicht belegt. Stattdessen findet sich bei den direkt an Isis in der 2. Pers. gerichteten Texten häufig die auf den jeweiligen Sprecher/Autor des Gebets bezogene traditionelle Formel im(.t) n=i „Komm zu mir“,2137 meist direkt gefolgt vom Namen der Göttin, und manchmal refrain-artig wiederholt am Anfang einzelner Sätze oder Strophen.2138 Dieser Einleitung entspricht genau das griechische ἐλθέ  μοι, das in Dokumenten aus dem Serapeum von Sakkara überliefert ist2139 und eine direkte Übertragung aus dem Ägyptischen darstellen könnte.2140 Inhaltlich wird mit dieser einleitenden Aufforderung jeweils der Wunsch nach einer (helfenden, Rat gebenden usw.) Epiphanie der Gottheit, z. B. durch ein Orakel oder einen Traum, ausgedrückt, weswegen diese Einleitung häufig im Kontext von Traumaufzeichnungen (Archiv des Hor, Archiv des Ptolemaios, „Traum des Nektanebos“) oder Divinationsritualen (magische Papyri) erscheint. Der Selbstbezug des Sprechers/Autors der Individualgebete 2141 äußert sich außerdem durch andere Einleitungen, die im Ägyptischen ebenfalls das Suffixpronomen der 1. Pers. sing. verwenden: Aufforderungen ähnlich dem oben genannten im(.t) n=i drücken auch das in den Gebeten in der Amazonengeschichte verwendete i.ir n=i nxt2142 „Hilf mir!“ und aHa &sDm\ [n=i]2143 „Erhebe dich und (er)höre…“ in der Erzählung von der „Rache(?) der Isis“ aus. In den Graffiti von Philae, die auch Gebete enthalten, finden sich die performativen Aussprüche tw=y sbre m[-bAH]=t 2144 „Ich bitte vor dir…“ und ähnlich tw=y smwH mbAH=t2145 „Ich flehe vor dir…“. In etwa vergleichbar, aber mit stärker forderndem Ton, ist 2134 Siehe zu diesen Kap. 5.2.1. Vgl. auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 45, für die Unterschiede zwischen hieroglyphischen und demotischen Hymnen. 2135 MM I; pWien D. 6297+6329+10101; pOxy. 1380; pTebt. Tait 14 und Parallelen (6.1). 2136 Memphitische Isis-Aretalogie (M) (6.6). 2137 Siehe zu dieser Einleitungsformel, mit Belegen ab dem MR, KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 42–43; vgl. auch J. F. QUACK, Gebete als Schultexte in ramessidischen Papyri, in: Janowski/Schwemer (Hrsg.), TUAT N. F. 7, S. 156–164: 156. Allgemein zum Gebet in Ägypten H. BRUNNER, s. v. „Gebet“, in: LÄ II, Sp. 452–459. 2138 pHeid. dem. 736 vs. (Refrain) (6.1.1); oHor 10 (Refrain) (6.2.1.1); Theben 3156 (Refrain) (6.2.5.1); oHor 65 (6.5.1.2); pMag. LL, 9, 1–10, 22 (6.5.1.4); pMailand D 5 (6.5.2.2). 2139 UPZ 78, Z. 22–28 (Traumaufzeichnung des Ptolemaios, 6.2.1.2); UPZ 81 („Traum des Nektanebos“, 6.4.1.3). 2140 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 43. 2141 Siehe dazu ASSMANN, Hymnen und Gebete, S. 20–21. 2142 „Ägypter und Amazonen“ (6.4.2.1). Zu weiteren Belegen für diese Wendung F. HOFFMANN, Ägypter und Amazonen, S. 40, Anm. 54. 2143 pSaqqâra 2 rt. (6.4.1.2). Vgl. zu diesem Ausdruck z. B. das ‚Große Dekret‘ (pMMA 35.9.21), Kol. 2, 2: „Oh ihr Götter in ihrer Menge, erhebt euch und höret…!“, siehe dazu KUCHAREK, Klagelieder, S. 330. 2144 Ph. 449 (6.2.2). 2145 Ph. 421.

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Resümee: Isis in demotischen und griechischen Texten

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das griechische ἐπικαλοῦμαί  σε 2146 „ich rufe dich an“ in magischen Texten. Die speziellen, einander entsprechenden Formeln der demotischen, griechischen und meroitischen Proskynemata wurden oben in Kap. 6.2.2.1 bereits im Zusammenhang behandelt. Eine Gruppe von Texten adressiert nicht direkt Isis selbst, sondern ist mit dem Anruf nA(y)… „Oh ihr…“ an verschiedene Personengruppen und Lebewesen in der 2. Pers. pl. gerichtet, mit der Aufforderung an diese, zu Isis zu beten (aS (n) As.t), die somit selbst in der 3. Pers. sing. genannt wird.2147 Es handelt sich dabei um eine strukturelle Entsprechung zu den snD-n-Hymnen der Tempeltexte, die ebenfalls erst aus griechisch-römischer Zeit bekannt sind und verschiedene Gruppen zur Ehrfurcht vor der Gottheit auffordern.2148 In der Grundaussage vergleichbar sind auch die griechische metrische Inschrift des Sansnos in Kalabscha, die besonders zur Verehrung von Isis und Sarapis auffordert,2149 und das Epigramm des Serenus in Philae, der das glückliche lange Leben hervorhebt, das ein Mann erlangt hat, wenn er Isis von Philae verehrt.2150 6.7.1.2 Strukturelle Merkmale Einige längere Texte weisen eine Strophenstruktur,2151 teils mit Refrain,2152 und/oder ein Metrum auf. Letzteres gilt speziell für griechische Hymnen (allerdings nicht alle) und Epigramme,2153 aber dem Urteil der Bearbeiter zufolge auch mindestens für den demotischen Lobpreis von pHeid. dem. 736 vs., wenngleich der fragmentarische Zustand des Textes keine nähere Analyse erlaubt.2154 6.7.1.3 Schlußgebet und/oder Dank Bei den längeren hymnischen Kompositionen, die wahrscheinlich nicht als private Gebete anzusehen sind, namentlich pWien D. 6297+6329+10101, pOxy. 1380 und pTebt. Tait 14 mit Parallelen, wahrscheinlich auch PSI VII 844, ist der Schluß jeweils nicht erhalten, so daß sich nicht mehr erkennen läßt, ob wie bei den Tempelhymnen ein Schlußgebet zu Gunsten des Königs enthalten war. Die persönlichen Anrufungen an Isis enden oder beginnen

2146 PGM VII 490–504; PGM VII 862–918. 2147 pTebt. Tait 14 und Parallelen: hier wird die Aufforderung unter Anrede unterschiedlicher Gruppen immer wieder wiederholt. Nur mit einer umfassenden Aufforderung an die Leute aller Länder: Theben 3462; Theben 3445. Vgl. KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 43. 2148 Vgl. QUACK, Lobpreis, S. 51–52. Siehe zu den snD-n-Hymnen an Isis (Philae-Photos 164–165; Deir Chelouit I, Nr. 1; Deir Chelouit I, Nr. 7) Kap. 4.1.1.A, 4.8.1.A und 5.1. 2149 IM 165. 2150 IG Philae 168. 2151 pHeid. dem. 736 vs.; MM II; oHor 10; (IG Philae 158 I–II); Theben 3156. Die in Klammern gesetzten Belege betreffen Kompositionen, die nicht in erster Linie Isis loben, sondern sie nur kurz erwähnen. 2152 pHeid. dem. 736 vs.; oHor 10; Theben 3156. Vgl. oben, zu den wiederholten Einleitungen im(.t) n=i und nA(y)… aS (n) As.t. 2153 MM I; MM II; MM III; (MM IV); PSI VII 844; (IG Philae 158 I–II);(IG Philae 159);(IM 166);(IM 169);(IM 165);(IG Philae 168); (IG Philae 166); G. WAGNER, Les oasis, S. 48–50; Taf. 16 = IM 118; G. WAGNER, Les oasis, S. 50–51 u. 336; Taf. 17; IM 109. 2154 Siehe KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 44.

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

immer mit einer Bitte2155 und/oder berichten wie auch einige Weihinschriften von bereits erhaltener Hilfe durch die Göttin bzw. danken ihr.2156 6.7.2

Das Bild der Isis in den demotischen und griechischen Texten

6.7.2.1 Die Haupttitel der Isis Anstelle des klassischen As.t wr.t (mw.t-nTr), das in den Tempeltexten als Haupttitel(reihe) der Isis verwendet wird (siehe Kap. 5.2.1), findet sich in den demotischen Quellen häufiger tA nTr.t aA.t „die große Göttin“ als nahes Epitheton.2157 Diese ‚aktualisierte‘, in der gesprochenen Sprache verwendete allgemeine Epiklese mit bestimmtem Artikel fand aber teilweise auch Eingang in die römerzeitlichen Tempelinschriften, wie insbesondere die häufige Verwendung in El-Qal‘a und Schenhur zeigt, wo tA nTr.t aA.t sogar allein an der Stelle des Eigennamens stehen kann.2158 Teilweise wird tA nTr.t aA.t aber auch an die klassische Titelreihe As.t wr.t mw.t-nTr angehängt, z. B. in oHor 10 (6.2.1.1) und in der auf den Osirismythos bezogenen Erzählung von Isis, Thoth und Arian (6.3.2). Die traditionelle Titelreihe ohne den Zusatz wird manchmal aber auch im Demotischen noch in ‚offizielleren‘ Kompositionen aus dem Tempelmilieu verwendet, so in der fayumischen Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 (6.1.2.2). Das demotische tA nTr.t aA.t wird im Griechischen mit dem Superlativ θεὰ μεγίστη „die sehr große Göttin“ umgesetzt, was standardmäßig in griechischen Dedikationen direkt hinter dem Eigennamen Isis erscheint (siehe bes. 6.2).2159 6.7.2.2 Hauptfunktionen der Isis Bereits KOCKELMANN und DOUSA haben die Tendenzen der Entwicklung von Isis’ Charakter und Funktionen in demotischen und auch griechischen Texten aus Ägypten in ihren Grundzügen aufgezeigt.2160 Die in der vorliegenden Untersuchung zugrunde liegende breitere Materialbasis bestätigt und ergänzt ihre Ergebnisse, wenngleich zusätzlich betont werden muß, daß die Grundlagen aller Aspekte bereits in den offiziellen Tempelinschriften vorhanden sind und somit in der offiziellen Theologie entwickelt werden. Die demotischen und griechischen Texte zeigen aufgrund ihres breiten Spektrums an unterschiedlichen Entstehungs- und Verwendungskontexten einige andere Schwerpunkte und bieten natürlich insbesondere mehr Informationen zur persönlichen Hinwendung zu und Hoffnung der Menschen auf Isis und ihr helfendes, oftmals das persönliche Schicksal entscheidend verän2155 In den oben aufgeführten Einleitungsformeln ist meist schon eine Bitte enthalten, siehe dort für die Belege. Weitere Bitten/Gebete, auch in Weihinschriften: MM I; MM II; MM III; Ph. 254–255; Ph. 410–412; Ph. 247; Ph. 361; Ph. 257; Ph. 416; Syene 281; IM 169; VLEEMING, Some Coins, Nr. 200 (Koptos); I. Portes 94; IM 52 (Kaltwasserinschrift Alexandria); das Gebet in der Krugtext-Erzählung; vgl. auch die Anrufungen in den Liebeszaubersprüchen PGM CXXII 26–50; PGM XXXVI 134–160 und im Offenbarungszauber PGM LVII. 2156 MM II (in Nachschrift); IG Philae 174; IG Philae 184; IG Philae 271; Ph. 416; Theben 3462; Theben 3445; I. Pan 69; IM 109 (Ras el-Soda). 2157 Siehe besonders Kap. 6.4, mit zahlreichen Belegen in den literarischen Texten. Vgl. dazu außerdem KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 49–50. 2158 Siehe oben, Kap. 4.9–10. 2159 Siehe auch KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 49. 2160 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 37–81; DOUSA, Imagining Isis.

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Resümee: Isis in demotischen und griechischen Texten

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dernde Eingreifen. Dieses Thema, das in den hieroglyphischen Tempeltexten immerhin manchmal angedeutet ist,2161 wird sowohl in den elaborierten, hymnischen Kompositionen mit dem Textbaustein „Rettung von bzw. Verehrung durch verschiedene Gruppen“ systematisch in großer Breite propagiert (6.1.1–4), als auch durch reale private Inschriften und Gebete, angefangen beim Archiv des Hor (6.2.1.1 und 6.5.1.2), und das literarisch adaptierte Motiv der Rettung durch Isis (6.4.2) umfassend bestätigt. Auch die ab der Spätzeit stark zunehmende Popularität von theophoren Personennamen, die mit dem Element „Isis“ gebildet werden,2162 ist symptomatisch für ihre wachsende Bedeutung sowie die Betonung der persönlichen Beziehung der Menschen zu ihr: Unter allen Göttern werden sie und ihre Familienmitglieder Horus und Osiris am häufigsten in Anthroponymen referenziert.2163 Dem positiv interpretierten Aspekt als Helferin stehen außerdem das Richten und Bestrafen von Frevlern gegenüber, die ebenfalls in der Hand der Göttin liegen.2164 Ihre Macht über das (menschliche) Schicksal heben auch die beiden finalen Aussagen der Memphitischen Isisaretalogie (6.6) hervor (M 55–56),2165 während sie nach pTebt. Tait 14 und Parallelen sogar das Schicksal der Götter selbst verändern kann,2166 wohingegen das von ihr selbst verhängte Schicksal unangefochten bleibt (6.1.4). Andererseits bilden die aus den Tempelinschriften hervorgehenden Hauptthemen Königtum2167 und universelle, allmächtige Herrschaft der Isis, auch unter zahlreichen Namen,2168 die sich in der Ptolemäerzeit entwickeln, in den demotischen Texten ebenfalls Schwerpunkte.2169 Häufig wird sie als Uräusschlange oder Herrin und Patronin der königlichen Uräusschlange sowie allgemein der Königskrone bezeichnet. 2170 Ein weiterer wichtiger 2161 Siehe Kap. 5.2.2.4. 2162 Siehe dazu die Übersicht bei KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 73–81, mit Verbesserungen und Ergänzungen von DOUSA, Praising Isis, S. 247–248 u. 252. Vgl. exemplarisch auch die im Kairener Onomastikon aufgelisteten PN, Kap. 6.3.1. 2163 KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 73. 2164 MM III; pTebt. Tait und Parallelen; die Drohformeln in Ph. 244; Syene 203; Syene 182; Bes-Geschichte; Erzählung des pCarlsberg 448; Erzählung des pSaqqâra 2 rt.; Krugtext; Götterbrief pKairo 31255; PGM XXXVI 134–160; Götterbrief pBerlin P. 15660; PGM LIX 1–15; Memphitische IsisAretalogie (M). 2165 Siehe dazu bes. BERGMAN, „I Overcome Fate“; STERNBERG-EL-HOTABI, Isis und das Schicksal. 2166 Vgl. auch ihre Anrede als „die alle Götter rettet“ im „Traum des Nektanebos“ (6.4.1.3). 2167 Vgl. Kap. 5.2.2.3. 2168 Vgl. Kap. 5.2.2.1.I, 5.2.2.2.F und 5.2.2.4.A. 2169 Allherrschaft (auch unter vielen Namen): MM I; MM III; pWien D. 6297+6329+10101; pOxy. 1380; pTebt. Tait 14 und Parallelen; oHor 10; diverse Graffiti in Philae (6.2.2); IM 166 (Kalabscha); Theben 3156; Theben 3445; SB 7791 (Koptos); I. Pan 22; I. Alexandrie 59; I. Alexandrie 60; pKairo CG 31168+31169; pOxy. 3011 (mythologischer Text); „Traum des Nektanebos“; oHor 2/oHor 3/oHor 6; PGM VII 490–504; PGM VII 862–918; PGM LIX 1–15; PGM LVII; memphitische Isis-Aretalogie (M). Königtum: MM III; pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765; pWien D. 6297+6329+10101; pOxy. 1380; pTebt. Tait 14; oHor 10; diverse Graffiti in Philae und Assuan (6.2.2–3); IM 169; Theben 3156; Theben 3445; IG Alexandrie 17; Erzählung von Isis, Thoth und Arian (6.3.2); „Traum des Nektanebos“; „Ägypter und Amazonen“; oHor 1; oHor 2/oHor 3/oHor 6; ‚Sortes Isiacae‘; Demotische Chronik; Töpferorakel; Kore Kosmou; PGM VII 490–504; Götterbrief pBerlin P. 15660. 2170 pWien D. 6297+6329+10101; oHor 10; Theben 3156; Theben 3445; pWien D 62 rt. (mythologische(?) Erzählung von Kämpfen der Götter, 6.3.2); Krugtext; „Kampf um den Panzer des Inaros“;

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Demotische und griechische Zeugnisse aus Ägypten

Aspekt der Isis, der häufig betont wird und in der memphitischen Aretalogie weit am Anfang noch innerhalb der Familienbeziehungen der Isis genannt wird, ist ihre Zuständigkeit für Fruchtbarkeit, Gedeihen und Versorgung,2171 die sie auch, aber keineswegs immer, in der Verbindung mit der griechischen Demeter innehat. Ihre herausragenden Eigenschaften Weisheit und Zaubermacht, durch die sie bereits in Texten des MR als allen anderen Göttern überlegen gilt, kommen besonders in magischen und divinatorischen Texten sowie der durch diese beeinflußten spätantiken hermetischen und alchemistischen Tradition zur Geltung (6.5), werden aber auch in Hymnen und Anrufungen gepriesen.2172 Diese Eigenschaften verbinden sie besonders eng mit Thoth/Hermes, der als ihr Helfer (u. a. bei der Suche nach Osiris) und Lehrer2173 sowie – wahrscheinlich nach einer memphitischen Tradition – auch als ihr Vater2174 gelten konnte.

2171

2172 2173 2174

oHor 2/oHor 3/oHor 6; PGM IV 2373–2440; pMag. LL, 15, 1–23. Vgl. hierzu aber auch innerhalb der Tempeltexte z. B. die Szene Philä III, Nr. 6 (Kap. 4.1.1.B). MM I–III; pOxy. 1380; oHor 10; G. WAGNER, Les oasis, S. 48–50 = IM 118; G. WAGNER, Les oasis, S. 50–51 u. 336; IG Philae 166; I. Alexandrie 32; pKairo CG 31168+31169; „Traum des Nektanebos“; Töpferorakel; Kore Kosmou; Götterbrief pBerlin P. 15660; PGM IV 2967–3006; memphitische Isis-Aretalogie. Vgl. zu den Tempeltexten Kap. 5.2.2.2.C–D. pOxy. 1380; pTebt. Tait 14 und Parallelen; Memphitische Isisaretalogie (M). Vgl. außerdem pWien D. 6920–22 rto. (Horus und Seth-Erzählung). pOxy. 3011; Erzählung von Isis, Thoth und Arian (6.3.2); PGM XXIVa; Corpus Hermeticum; PGM IV 2373–2440; PGM VIII 1–63; PGM IV 94–153 (6.5); Memphitische Isisaretalogie (M) (6.6). Erzählung von Isis, Thoth und Arian (6.3.2); oHor 2/oHor 3/oHor 6; PGM IV 2241–2358; PGM IV 94–153 (6.5). Vgl. Kap. 5.2.2.1.E zu den Tempeltexten.

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P H I L I P P I K A

Altertumswissenschaftliche Abhandlungen Contributions to the Study of Ancient World Cultures

Herausgegeben von /Edited by Joachim Hengstl, Elizabeth Irwin, Andrea Jördens, Torsten Mattern, Robert Rollinger, Kai Ruffing, Orell Witthuhn 109

2019

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Svenja Nagel

Isis im Römischen Reich Teil 2: Adaption(en) des Kultes im Westen

2019

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Bis Band 60: Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen. Bei diesem Werk handelt es sich um die überarbeitete Dissertation, die an der Universität Heidelberg unter dem Titel „Die Ausbreitung des Isiskultes im Römischen Reich: Tradition und Transformation auf dem Weg von Ägypten nach Rom. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Isiskultes im griechischrömischen Ägypten und zu seiner Adaption in Rom und dem westlichen Mittelmeerraum“ eingereicht und am 29.05.2015 verteidigt wurde.

Der Band wurde mit dem „Philippika-Preis“ des Jahres 2015 ausgezeichnet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http://dnb.dnb.de.

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Inhalt Herrin der (westlichen) Fremdländer: Ausbreitung, Formen und Mechanismen der Aneignung ägyptischen Kultes in den Römischen Provinzen 7 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.2.A 7.1.2.B 7.1.2.C 7.1.2.D 7.1.2.E 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.5.A 7.1.5.B 7.1.5.C 7.1.5.D 7.1.5.E 7.1.5.F 7.1.5.G 7.1.6 7.2 7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.2 7.2.2.1 7.2.2.2 7.2.2.3 7.2.2.4 7.2.3

Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes nach archäologischen Zeugnissen einzelner Regionen anhand von Fallstudien ............................. Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie innerhalb des ägyptischen Kulturgutes im punisch-phönizischen Raum ..................... Ägyptische Einflüsse auf Religion und Kunst der Phönizier ....................... Isis und ihr Kreis innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca: Amulette, Skarabäen etc. ............................................................................. Figürliche Amulette aus Fayence und Steatit .............................................. Skarabäen und Siegelabdrücke .................................................................... Amulettkapseln ............................................................................................ Rasierklingen ............................................................................................... Weitere Gebrauchsgegenstände, Varia ........................................................ Isis-Motive innerhalb der Punischen Münzprägung .................................... Zur Deutung und Bedeutung der Isis-Motive innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca ......................................... Schriftliche Zeugnisse für eine Verehrung der Isis...................................... Onomastik.................................................................................................... Eine Bronzesitula unbekannter Provenienz ................................................. Malta ............................................................................................................ Iberische Halbinsel ...................................................................................... Zypern ......................................................................................................... Karthago ...................................................................................................... Sizilien ......................................................................................................... Resümee ...................................................................................................... Nordafrika.................................................................................................... Provinz Kyrenaika ....................................................................................... Beziehungen zu Ägypten und Anfänge einer Isisverehrung ........................ Kyrene ......................................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Kyrenaika ............................ Provinz Tripolitania ..................................................................................... Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit .................................... Sabratha ....................................................................................................... Leptis Magna ............................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Tripolitania .......................... Provinz Africa Proconsularis .......................................................................

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855 855 855 857 858 862 864 864 866 866 871 881 881 887 888 892 894 895 896 897 898 899 899 901 933 939 939 940 960 974 976

VI 7.2.3.1 7.2.3.2 7.2.3.3 7.2.3.4 7.2.4 7.2.4.1 7.2.4.2 7.2.4.3 7.2.4.4 7.2.5 7.2.5.1 7.2.5.2 7.2.5.3 7.2.6 7.2.6.1 7.2.6.2 7.2.6.3 7.2.6.4 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.2.1 7.3.2.2 7.3.2.3 7.3.2.4 7.3.2.5 7.3.2.6 7.3.3 7.3.3.1 7.3.3.2 7.3.3.3 7.3.3.4 7.3.4 7.3.4.1 7.3.4.2 7.3.4.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.2.1 7.4.2.2

Inhalt

Der Kult der ägyptischen Götter nach der punischen Zeit ........................... Karthago....................................................................................................... Bulla Regia .................................................................................................. Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Proconsularis........................ Provinz Numidia .......................................................................................... Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit ..................................... Lambaesis .................................................................................................... Thamugadi ................................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten Numidias .................................... Provinz Mauretania (Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana) .... Der Kult der ägyptischen Götter bis zur frühen Kaiserzeit .......................... Caesarea (Iol) ............................................................................................... Die ägyptischen Götter an anderen Orten Mauretanias................................ Resümee: Der Isiskreis in Nordafrika – Zwischen Ägypten, Karthago, Griechenland und Rom ............................... Zeitpunkt und Art der Einführung ägyptischer Gottheiten........................... Bedeutung und Charakter des Isiskreises zwischen älteren Traditionen und neueren Strömungen .............................................. Die Gestalt der Heiligtümer ......................................................................... Kult und Kultträger ...................................................................................... Italien: Latium und Campanien .................................................................... Die Anfänge des Isiskultes in Italien ........................................................... Rom und Latium .......................................................................................... Die ägyptischen Kulte im republikanischen Rom – Zwischen politischem Widerstand und religiöser Integration ...................... Isis und Sarapis im Rom der Kaiserzeit – Die Blüte der ägyptischen Kulte unter imperialer Förderung ...................... Ostia und Portus ........................................................................................... Tibur, Villa Hadriana ................................................................................... Praeneste ...................................................................................................... Nemus Dianae und weitere Orte in Latium .................................................. Campanien (inklusive Benevent/Samnium) ................................................. Pompeji ........................................................................................................ Herculaneum ................................................................................................ Benevent ...................................................................................................... Cumae und weitere Orte in Campanien ....................................................... Resümee: Der Isiskreis im Zentrum der Macht ........................................... Bedeutung und Charakter des Isiskreises ..................................................... Die Gestalt der Heiligtümer ......................................................................... Ausstattung der Heiligtümer, Kult und Kultträger ....................................... Germania Inferior und Superior ................................................................... Die Anfänge des Isiskultes in den germanischen Provinzen ........................ Mogontiacum ............................................................................................... Das Heiligtum der Isis und Magna Mater .................................................... Weitere Zeugnisse aus Mainz ......................................................................

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976 976 989 992 997 997 998 1010 1017 1019 1019 1020 1031 1034 1034 1035 1037 1038 1040 1041 1045 1045 1053 1108 1115 1119 1122 1125 1125 1156 1163 1168 1174 1175 1183 1186 1190 1191 1192 1192 1197

Inhalt

7.4.3 7.4.3.1 7.4.3.2 7.4.3.3 7.4.4 7.4.5 7.4.5.1 7.4.5.2 7.4.5.3 8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.2.1 8.1.2.2 8.1.2.3 8.1.2.4 8.1.3 8.1.3.1 8.1.3.2 8.1.3.3 8.1.3.4 8.1.3.5 8.1.3.6 8.2 8.2.1 8.2.1.1 8.2.1.2 8.2.1.3 8.2.1.4 8.2.1.5 8.2.2 8.2.2.1 8.2.2.2 8.2.2.3 8.2.2.4 8.2.2.5 8.2.2.6 8.3

Colonia Agrippinensis ................................................................................. Ein Isistempel in Köln? ............................................................................... Bedeutung und Charakter der Gottheiten des Isiskreises in Colonia Agrippinensis nach den Weihinschriften und weiteren Zeugnissen ............ Kult und Kultträger ...................................................................................... Die ägyptischen Götter an weiteren Orten in Germanien ............................ Resümee: Die ägyptischen Gottheiten an den Grenzen des Reiches ........... Bedeutung und Charakter des Isiskreises .................................................... Die Gestalt der Heiligtümer ......................................................................... Kult und Kultträger ...................................................................................... Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult: Plutarchs De Iside und Apuleius’ Metamorphosen im Licht der ägyptischen Quellen und archäologischen Befunde ...................................................................... Plutarch, De Iside et Osiride ........................................................................ Einleitung .................................................................................................... Mythos und Kult .......................................................................................... Das Leben des Osiris ................................................................................... Tod des Osiris und Trauer um ihn ............................................................... Die Suche nach Osiris.................................................................................. Aktionen im Kampf zwischen Horus und Seth............................................ Das Konzept der Göttin ............................................................................... Kosmos/Natur .............................................................................................. Kosmos/Natur und Mensch ......................................................................... Kosmos/Natur und Mythos .......................................................................... Kosmos/Natur und Mensch II ...................................................................... Mythos und Mensch .................................................................................... Kosmos/Natur und Mensch III .................................................................... Apuleius, Metamorphosen ........................................................................... Einleitung .................................................................................................... Ägyptische Parallelen .................................................................................. Griechische Vorlage .................................................................................... Zusammenfassung der Grundzüge des Inhalts ............................................ Bezüge zu Plutarch ...................................................................................... Bezüge zum ‚realen‘ Isiskult ....................................................................... Das Konzept der Göttin ............................................................................... Kosmos/Natur und Mensch ......................................................................... Kosmos/Natur und Mythos .......................................................................... Kosmos/Natur .............................................................................................. Kosmos/Natur und Mensch II ...................................................................... Mythos und Mensch .................................................................................... Kosmos/Natur und Mensch III – Gebete und Rituale .................................. Resümee: Die Adaption und gedankliche Weiterentwicklung ägyptischer Konzepte des Isiskultes bei kaiserzeitlichen Autoren ..............

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VII 1198 1198 1198 1203 1204 1210 1210 1212 1212

1215 1217 1217 1218 1219 1219 1221 1226 1227 1229 1232 1234 1235 1237 1241 1243 1243 1243 1245 1245 1247 1248 1248 1249 1251 1251 1253 1257 1260 1271

VIII

Inhalt

Synthese 9

Isis als transkulturelle Göttin im Römischen Reich ..................................... 1277

Anhang 10 10.1 10.2 10.3

Abkürzungsverzeichnisse............................................................................. Allgemeine Abkürzungen ............................................................................ Abkürzungen für Zeitschriften, Reihen und Lexika..................................... Abkürzungen für Texteditionen ...................................................................

11

Literaturverzeichnis ..................................................................................... 1297

12 12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5 12.1.6 12.1.7 12.2 12.2.1 12.2.2 12.2.3 12.2.4 12.2.5 12.2.6 12.2.7 12.2.8 12.2.2

Indices .......................................................................................................... Sachindex ..................................................................................................... Allgemeine Begriffe..................................................................................... Götternamen, -epiklesen, -funktionen und -epitheta .................................... Personen (inkl. Herrscher und fiktive Personen).......................................... Ägyptische Wörter und Ausdrücke .............................................................. Griechische Wörter und Ausdrücke ............................................................. Lateinische Wörter und Ausdrücke .............................................................. Sonstiges (Voces magicae etc.) ................................................................... Quellenindex ................................................................................................ Ägyptische Tempelinschriften ..................................................................... Ägyptische und Griechische Papyri, Codices, Ostraka und Gefäße............. Ägyptische und meroitische Graffiti ............................................................ Sonstige ägyptische Quellen (Inschriften, Kompositionen, Corpora u. a.) ..... Griechische und lateinische Inschriften und Graffiti ................................... Antike Autoren............................................................................................. Münzen ........................................................................................................ Phönizische/Punische Quellen ..................................................................... Sonstige Quellen .......................................................................................... Tafeln

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1289 1289 1290 1294 1361 1361 1361 1382 1410 1417 1418 1418 1418 1419 1419 1430 1438 1441 1443 1449 1452 1453 1453

Herrin der (westlichen) Fremdländer: Ausbreitung, Formen und Mechanismen der Aneignung ägyptischen Kultes in den Römischen Provinzen

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7

Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes nach archäologischen Zeugnissen einzelner Regionen anhand von Fallstudien

7.1

Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie innerhalb des ägyptischen Kulturgutes im punisch-phönizischen Raum

Der Betrachtung der archäologischen Zeugnisse ausgewählter Regionen bzw. Provinzen des Römischen Reiches, in denen sich der Isiskult teilweise schon in vorrömischer Zeit nachweisen läßt und daher auch in seiner historischen Entwicklung analysiert werden muß, soll zunächst ein Abriß der erstmaligen Verbreitung von ägyptischen Kulturelementen in den westlichen Mittelmeerraum unter phönizischem und punischem Einfluß vorausgeschickt werden. Dabei steht natürlich die Stellung von Isis und aus ihrem Familienkreis stammender Gottheiten (Horus, Osiris) im Fokus. Diese „Vorgeschichte“ ist besonders im Hinblick auf das erste, ausführliche Fallbeispiel Nordafrika (Kap. 7.2) von großem Interesse, soll aber auch für andere Regionen, so z. B. Süditalien oder Hispanien (jeweils inklusive der vorgelagerten Inseln) den bereits über eine längere Zeit vorbereiteten Nährboden verdeutlichen, auf den in hellenistischer und römischer Zeit die Saat des Isiskultes fallen konnte. Für die folgenden Kapitel ist die Frage von Interesse, wie sich die historisch und kulturell zu differenzierenden Strömungen wechselseitig beeinflußt und sich auf die Gesamtentwicklung der in der jeweiligen Region ausgebildeten religiösen Formen und Konzepte ausgewirkt haben könnten. 7.1.1 Ägyptische Einflüsse auf Religion und Kunst der Phönizier Dem Thema des „ägyptischen Kulturgutes“ in verschiedenen phönizischen Einflußgebieten hat sich besonders G. HÖLBL intensiv gewidmet,1 in jüngerer Zeit lieferte außerdem E. GUBEL verschiedene Einzeluntersuchungen zu diesem Thema;2 daneben liegen diverse Studien über einzelne Regionen und/oder Denkmälergruppen vor.3 1 An erster Stelle sind die umfassenden Werke HÖLBL, Malta und Gozo; ID., Sardinien; und ID., Altitalien, zu nennen, desweiteren z. B. der resümierende Kurzbeitrag HÖLBL, Methodik. 2 GUBEL, Das libyerzeitliche Ägypten; ID., E pluribus unum: Nubian, Libyan and Phoenician „Bastet“Sphinxes, in: CLARYSSE/SCHOORS/WILLEMS (Hrsg.), Egyptian Religion I, S. 629–645; ID., Multicultural and Multimedial Aspects of Early Phoenician Art ca. 1200–675 BCE, in: Chr. Uehlinger (Hrsg.), Images as Media. Sources for the Cultural History of the Near East and the Eastern Mediterranean (1st Millenium BCE), OBO 175, Freiburg – Göttingen 2000, S. 185–214; ID., Héracléopolis et l’interaction culturelle entre l’Égypte et la côte phénicienne pendant la Troisième Période Intermédiaire, in: Claes/Meulenaere/Hendricks (Hrsg.), Elkab, S. 333–350. Siehe außerdem auch VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 44–83. 3 Hier soll nur eine Auswahl wichtiger Überblickswerke genannt werden: Für das phönizische Mutterland ist dies z. B. A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 169–172, und passim; für die Iberische Halbinsel GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde; und PADRÓ I PARCERISA, Egyptian Type

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Bereits im phönizischen Mutterland in Vorderasien lassen sich starke kulturelle Strömungen von Seiten Ägyptens seit frühester Zeit feststellen, die in der Nachfolge der noch älteren engen Beziehungen des Nillandes mit Syrien und Palästina (vor allem Byblos) seit mindestens dem 3. Jahrtausend zu sehen sind, wo sich der ägyptische Einfluß besonders verstärkt ab der Hyksos-Zeit bemerkbar macht.4 Der Import und später auch die eigene Produktion in erster Linie kleiner, amuletthafter Aegyptiaca wie Skarabäen und FayenceFigürchen in den Gebieten Palästina, Syrien/Phönizien und Zypern zeigt anscheinend eine Konzentration auf den religiösen Bereich der Magie,5 wobei der Hauptanteil der Funde aus Grabkontexten stammt.6 Auch die Übernahme der anthropoiden Sarkophagform in der Perserzeit, die in Kombination mit griechischen Stilelementen zur Ausbildung eines eigenen Typus führte,7 ist kennzeichnend für die funeräre Sparte. Gleichzeitig trugen aber die angeeigneten ägyptischen Ikonographien, Symbole und Stilelemente entscheidend zur Entwicklung der phönizischen Kunst insgesamt bei, indem sie zusammen mit kretisch-mykenischen und vorderasiatischen Elementen verarbeitet wurden.8 Damit findet eine Aneignung auf zwei verschiedenen Ebenen statt – Religion und Kunst –, die zusammen laufen oder aber getrennt voneinander genutzt werden können. Konkret bedeutet dies, daß einerseits der ursprüngliche religiöse Inhalt quasi 1:1 mit der Ikonographie verstanden und übernommen werden kann (was häufig bestritten wird), andererseits ägyptische Formen und Motive zur Darstellung eigener religiöser Inhalte verwendet und dementsprechend angepaßt, abgewandelt und weiterentwickelt werden können. Daß dabei dennoch die grundsätzliche Kernaussage der ägyptischen Ikonographien nicht verloren geht, hat HÖLBL anhand einiger Bei-

Documents I–IV; GARCÍA MARTÍNEZ, Documentos prerromanos I–II; speziell für Ibiza außerdem FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos; für Sardinien ACQUARO, Amuleti egiziani; für Sizilien SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia; für Karthago VERCOUTTER, Objets égyptiens; für Malta, Gozo und Sardinien siehe außerdem Anm. 1. Zu Aegyptiaca im griechischen und etruskischen Italien (hier nicht mit einbezogen), die teilweise ebenfalls über phönizische Vermittlung dorthin gekommen sind, siehe HÖLBL, Altitalien. 4 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 49; A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 172; DU MESNIL DU BUISSON, Dieux phéniciens, S. 73–98. Einen Überblick zu den Beziehungen zwischen Ägypten und Phönizien bieten z. B. S. PERNIGOTTI, Phönizier und Ägypter, in: S. MOSCATI (Hrsg.), Die Phönizier (Ausstellungskatalog), Hamburg 1988 (dt. Übersetzung; Originaltitel „I Fenici“, Mailand 1988), S. 522–531; und GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 14–17; vgl. auch SCANDONE MATTHIAE, Influenze egiziane. 5 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 11–13; ID., Malta und Gozo, S. 20–21; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 35. 6 Vgl. FERRARI, Amuleti del tofet, S. 83. Funde in Tempelbereichen sowie in den Kinderurnen der tofet gibt es ebenfalls, sind jedoch deutlich seltener. Teilweise muß dieser Befund allerdings relativiert betrachtet werden, da Gräber und ihr Inhalt prinzipiell meist besser erhalten sind als z. B. Siedlungsstrukturen. Ausführlich zu den Fundorten von Skarabäen: GORTON, Scarabs, S. 145–180. 7 Vgl. A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 25–29; 175; HÖLBL, Sardinien, S. 43 u. 52; als Überblickswerke zu diesem Thema sind S. FREDE, Die phönizischen anthropoiden Sarkophage, Forschungen zur phönizisch-punischen und zyprischen Plastik 1, 2 Bde., Mainz 2000 u. 2002; und K. LEMBKE, Phönizische anthropoide Sarkophage, Damaszener Forschungen 10, Mainz 2001, zu nennen. 8 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 13; A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 176; S. 183 zu den Daten der Übernahme einzelner Elemente.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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spiele überzeugend demonstriert.9 Auf das Problem der inhaltlichen Deutung soll später noch einmal ausführlicher zurückgekommen werden.10 Die bei diesen frühen Prozessen herausgebildete Grundlage an ägyptischem Kulturgut wird stetig durch weitere Wellen mit neuen Impulsen während der markanten historischen Kontexte der Libyerzeit und schließlich der Aufnahme Ägyptens in das Perserreich ergänzt.11 Aufgrund der ausgreifenden phönizischen Kolonisation im Mittelmeerraum werden auch die ägyptischen Objekte sowie die durch sie erfolgte geistige Prägung bis weit in den Westen getragen, wo sich Aegyptiaca ab der ersten Hälfte des 7. Jhs. in Karthago, Südspanien, den Inseln Ibiza (etwas später), Sardinien, Sizilien, Malta und Gozo, sowie z. T. in Zypern und Etrurien archäologisch nachweisen lassen.12 Auch mit direktem Einfluß Ägyptens auf die westlichen Gebiete, besonders in Form echter Importe, muß gerechnet werden, wobei Karthago sicherlich eine zentrale Vermittlerrolle einnahm. Gleichzeitig findet eine, wenn auch weniger nachhaltige, Verbreitung ägyptischer Objekte und Einflüsse durch die Griechen statt,13 die sowohl auf direktem Wege von Ägypten als auch über den Umweg der vorderasiatischen Verarbeitung verläuft.14 7.1.2

Isis und ihr Kreis innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca: Amulette, Skarabäen etc. Wie bereits oben angedeutet sind kleinformatige Amulette, auch in Skarabäenform, die umfangreichste Gruppe von Aegyptiaca im gesamten phönizisch-punischen Raum,15 die sich

9 HÖLBL, Methodik; vgl. auch ID., Sardinien, S. 14. Die Frage des Inhalts der übernommenen Motive (insbesondere Götterbilder) wird auch bei A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 184–189, diskutiert. Vgl. desweiteren GORTON, Scarabs, S. 185, der die unterschiedliche Nutzung von Skarabäen durch Phönizier und Griechen deutlich macht. 10 Siehe unten, Kap. 7.1.4. 11 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 15–16. Zu letzterem Zeitabschnitt vgl. auch A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, bes. S. 169–172. 12 Karthago: VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 1–2; vgl. auch CHARRON, Témoignages, S. 151. Außerhalb Karthagos wurden Aegyptiaca im punischen Nordafrika nur sehr verstreut gefunden, vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 424–426. Südspanien: GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 240–245; PADRÓ I PARCERISA, Egyptian Type Documents IV, S. 177. Ibiza: FERNANDEZ/PADRO, Amuletos, S. 95–96. Sardinien: HÖLBL, Sardinien, S. 421. Sizilien: Vgl. SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 6–7. Malta und Gozo: HÖLBL, Malta und Gozo, S. 29 u. 174. Zypern: Siehe G. CLERC et al., Fouilles de Kition II: Objets égyptiens, Nicosia 1976; I. JACOBSSON, Aegyptiaca from Late Bronze Age Cyprus, Studies in Mediterranean Archaeology 112, Jonsered 1994; vgl. außerdem M. C. LOULLOUPIS, Evidence of Egyptian Cult in Cyprus, in: W. F. Reineke (Hrsg.), Acts of the 1st International Congress of Egyptology, Cairo 1976, Berlin 1979, S. 431–439; A. CARBILLET, La figure hathorique à Chypre (IIe–Ier mill. av. J.-C.), AOAT 388, Münster 2011. Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 16. Siehe zusammenfassend zur Ausbreitung von Aegyptiaca über die phönizischen Besitzungen im Mittelmeerraum auch PADRO I PARCERISA, Egyptian Type Documents I, S. 47–52; T. REDISSI, La circulation d’aegyptiaca en méditerranée au 1er millénaire av. J.-C., in: E. Fontan (Hrsg.), La Méditerranée des Phéniciens de Tyr à Carthage, Paris 2007, S. 106–107. 13 Dazu z. B. HÖLBL, Altitalien; ID., Vorhellenistische Isisfigürchen. 14 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 16 u. 418–419. 15 Vgl. auch HÖLBL, Malta und Gozo, S. 20.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

außerdem durch eine große Typenvielfalt auszeichnet, wobei die einzelnen Typen meist großflächig über die verschiedenen Regionen verbreitet sind.16 In der Forschung noch immer diskutiert ist die Frage nach den jeweiligen Produktionsstätten und der Herkunft sowie häufig auch die Datierung der einzelnen Stücke;17 original ägyptische Importe18 und Nachahmungen aus phönizischen und punischen Werkstätten, die wohl großteils parallel nebeneinander existierten, sind dabei oft nicht klar voneinander zu unterscheiden. Dieses Problem soll hier aber nicht weiter beschäftigen,19 da der Fokus auf den Motiven liegt, die innerhalb der phönizischen Kultur auf Interesse stießen. Während der hohen Anzahl zufolge Schutzsymbole wie v. a. das Udjatauge sowie Besund Patäken-Darstellungen die beliebtesten ägyptischen Amulettmotive im phönizischen Kulturraum gewesen zu sein scheinen, sind auch Typen mit Isis (und Nephthys), Horus, und in weit geringerem Maße Osiris, fast überall gut vertreten.20 Im phönizischen Stammland sind sie während der Achämenidenzeit zusammen mit Re die am häufigsten in der Glyptik dargestellten ägyptischen Götter, so wie die ihnen zuzuordnenden Attribute und Symbole die geläufigsten sind.21 7.1.2.A Figürliche Amulette aus Fayence und Steatit Bei den figürlichen Amuletten aus Fayence (oder Fayence-ähnlichem, glasiertem Material) oder Steatit finden sich für Isis zwei verschiedene Grundtypen mit Variationen: Isis allein und stehend, und die sitzende Isis lactans. In stark abstrahiertem, grobem Stil sind die Darstellungen einer stehenden Isis mit Thronzeichen auf dem Kopf gehalten, welche nach REDISSI ägyptische Vorbilder des 7.–6.

16 Zu einer Typologie der figürlichen Amulette siehe z. B. CINTAS, Amulettes puniques; REDISSI, Amulettes puniques; ausgehend von Sardinien unterscheidet HÖLBL, Sardinien, S. 79–107, 65 verschiedene Grundtypen (mit einer genaueren Feinunterteilung); vgl. zu Sardinien auch ACQUARO, Amuleti egiziani. GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 137, nennt für Ibiza „an die 50“ verschiedene Typen. Zu den Skarabäen mit ägyptischen Motiven HÖLBL, Sardinien, S. 267–337; BOARDMAN, Classical Phoenician Scarabs, S. 25–60. 17 Vgl. z. B. REDISSI, Amulettes puniques, S. 112–113; zu den Amulettkapseln MARTÍNEZ, Astucci, S. 47– 52. 18 Die phönizisch-punischen Amulett-Typen sind zum Großteil aus Ägypten selbst gut bekannt und zählen teilweise auch dort zu den beliebteren, vgl. GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 137. Zu den ägyptischen Amuletten siehe W. M. FL. PETRIE, Amulets, London 1914, der die entsprechenden Typen in die 26.–30. Dyn., tw. sogar bis in römische Kaiserzeit datiert; außerdem G. A. REISNER, Amulets, CGC, I, Kairo 1907; II, Kairo 1958; A. WIEDEMANN, Die Amulette der alten Ägypter, Alter Orient 12, H. 1, Leipzig 1910, S. 1–32; F. LEXA, La Magie dans l’Égypte Antique I, Paris 1925, S. 80–93; E. A. WALLIS BUDGE, Amulets and Talismans, New York 1961, S. 133–176. Eine neue Arbeit zu ägyptischen Amuletten und ihren Funktionen ist in Vorbereitung durch J. F. QUACK. 19 Versuche der Unterscheidung z. B. bei HÖLBL, Sardinien, S. 162–163, und passim; und C. HERRMANN, Ägyptische Amulette aus Palästina/Israel IV: Von der Spätbronzezeit IIB bis in die römische Zeit, OBO, Series Archaeologica 38, Fribourg – Göttingen 2016, S. 1–3, der sich für eine Produktion der meisten Amulettarten und -typen in Ägypten selbst ausspricht; speziell zu den Skarabäen aus der ersten Hälfte des 1. Jts. v. Chr. GORTON, Scarabs. 20 Vgl. z. B. LIPINSKI, Dieux et déesses, S. 322–323 u. 326; für Karthago VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 267. 21 Vgl. A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 169.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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Jhs. v. Chr. imitieren.22 Die bekannten Exemplare aus Karthago, Ibiza und vor allem Sardinien stammen aus dem 4.–3. Jh. v. Chr.23 Einige der stehenden Isiden zeigen eine mehr oder weniger stark angedeutete Schwangerschaft, die somit ihre Fruchtbarkeitssymbolik hervorhebt.24 Für die ägyptische Isisikonographie ist dies jedoch völlig untypisch, so daß HÖLBL von einer Beeinflussung durch die für Amulette ebenfalls sehr beliebte Nilpferdgöttin (‚Thoëris‘) ausgeht, was besonders bei gänzlich nackt dargestellten Figuren deutlich wird.25 Hier deutet nur der schematisch angegebene Thron auf dem Kopf noch auf Isis hin. Wenn die ikonographische Umsetzung hier auch erst in der punischen Produktion verwirklicht wurde, so ist der theologische Inhalt jedoch ganz und gar nicht unägyptisch, da die Verbindung zwischen Isis und Thoëris (oder anderen Nilpferdgöttinnen) bis in das Neue Reich zurückreicht.26 Der zweite Grundtyp, der die thronende Isis mit Thronzeichen auf dem Kopf beim Stillen des Kindes zeigt, ist noch weitaus stärker verbreitet. Bekannt ist dieser Typus im westlichen Mittelmeerraum aus Karthago, Sardinien, Ibiza und ausnahmsweise auf der iberischen Halbinsel (Ampurias), 27 wohin ägyptische Amulette überhaupt erst ab dem 4./3. Jh. v. Chr., wohl über Ibiza, gekommen sind,28 während die Amulettfunde andernorts bereits mit dem 7./6. Jh. v. Chr. einsetzen.29 Zumindest zwei Exemplare mit dem Isis lactansMotiv stammen auch aus Sizilien, eines aus dem Heiligtum der Demeter Malophoros von Selinunt, eines aus Palermo (mit unbekannter genauer Provenienz), und datieren aus ebendieser frühen Phase.30 Stilistisch ist anhand des Isis-lactans-Typus eine Entwicklung hin zu vereinfachten, geometrischen Formen sowie zu einem dämonenhaften Gesichtstypus erkennbar, die mit dem Übergang von der ägyptischen zur punischen Produktion in Zusammenhang gebracht werden kann.31 Solche Tendenzen machen sich auch bei anderen Amu-

22 REDISSI, Amulettes puniques, S. 105, Nr. XIII. HÖLBL, Sardinien, S. 118, erkennt keine stilistischen Entsprechungen aus Ägypten und ordnet die Exemplare dieses Typs ebenfalls punischer Produktion zu. 23 Karthago: VERCOUTTER, Objets égyptiens, Graphik zwischen S. 276 u. 277; 282–283. Ibiza: GAMERWALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 138 u. 269, B46, Taf. 35e. Sardinien: ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 525–542, S. 21; Taf. XXII–XXIII; HÖLBL, Sardinien, Nr. 8.1, Übersichtstabelle S. 86, und 116–118; Taf. 28. 24 HÖLBL, Sardinien, Typen Nr. 8.1.A.2–3; S. 118. 25 Siehe HÖLBL, Sardinien, Taf. 28, 4. 26 Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 154–155; BERGMAN, Isis auf der Sau, bes. S. 91–95; B. BRUYERE, Un ex-voto d’Isis-Toëris au Musée d’Ismaïlia, in: ASAE 50, 1950, S. 515–522; HÖLBL, Sardinien, S. 118. Vgl. auch Kap. 4.8 zu Isis als Ipet, bes. den Text Deir Chelouit III, Nr. 154, und Kap. 6.1.3.2 zu Isis und Thoëris von Oxyrhynchos. 27 Karthago: CINTAS, Amulettes puniques, S. 83–84, Nr. 104; REDISSI, Amulettes puniques, S. 105–106. Sardinien: ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 525–542, S. 21; Taf. XXI–XXII; HÖLBL, Sardinien, Nr. 8.2, Übersichtstabelle S. 86, und S. 116–118; Taf. 29–30. Ibiza: FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos, Nr. 82– 90, S. 38–40; Taf. VI; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, M16–M22 und B43– 45, S. 138–139, Abb. 41; Taf. 35a–f. Iberische Halbinsel: GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, A14, S. 216–217, Abb. 119. 28 Vgl. GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 236–237. 29 Siehe z. B. FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos, S. 95–96; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 89. 30 SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, Kat. Nr. 109 und 249. 31 So HÖLBL, Sardinien, S. 118; vgl. auch REDISSI, Amulettes puniques, S. 105–106.

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lett-Typen bemerkbar und kennzeichnen besonders die wohl aus außerägyptischer Produktion stammenden Steatitamulette.32 Als seltenere Variante ist bei beiden Grundtypen auch der Hathorkopfschmuck an Stelle des Thrones auf dem Kopf belegt,33 was zeigt, daß die zwei üblichsten Ikonographien, welche die (anthropomorphe) Isis in Ägypten aufweist, auch nach außen getragen wurden. Isisfigürchen der beiden genannten Typen waren in vorhellenistischer Zeit außerdem auch im ägäischen Raum verbreitet, wenn auch nicht in allzu hoher Anzahl.34 Neben diesen Haupttypen kann man Isis zusammen mit Nephthys auch in den geflügelten Schutzgöttinnen erkennen, die als Nebenfiguren auf verschiedenen Amuletten erscheinen. Der Amulett-Typus mit einem Patäken als Bezwinger von Krokodilen mit einer im Profil gezeigten geflügelten Isis auf der Unterseite der Standplatte ist in erster Linie in Karthago und in den davon abhängigen Gebieten des westlichen Mittelmeerraumes, besonders Sardinien, zu finden, wo er vom 6.–3. Jh. v. Chr. ohne größere Veränderungen in der Ikonographie in Gebrauch ist.35 Eine verwandte Form zeigt eine frontal stehende geflügelte Isis mit erhobenen Armen auf dem Rücken der Patäken, die sowohl in den Nekropolen Karthagos im 7.–6. Jh., als auch als Nachahmung schlechterer Qualität des 4.– 3. Jhs., wohl aus punischer Produktion, belegt ist.36 Zusätzlich können zwei weitere Schutzgöttinnen, wohl nochmals Isis und Nephthys, die Nebenseiten schmücken.37 Auf Amuletten in Form rechteckiger Plaketten38 aus Sardinien und Ibiza behüten geflügelte Göttinnen weiterhin auch den jugendlichen Gott, der immer nach ägyptischer Art mit Hand am Mund, auf der Lotusblume kniend oder aufrechtstehend, mit oder ohne stilisierte ägyptische Krone, abgebildet ist.39 Die Gruppe der rechteckigen Plaketten entstammt nach HÖLBL außerägyptischen Produktionsstätten, was sich bei diesem Motiv auch in dem meist einfachen Sonnenscheiben-Kopfschmuck der Göttinnen äußert, welcher phönizischem Usus entspricht.40 Der jugendliche Gott ist im phönizischen Raum ein beliebtes Motiv, das sich nach ägyptischem Verständnis mit Horus oder anderen Kindgöttern in Verbindung bringen

32 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 159–162, der diese Merkmale als „Einheitsstil“ bezeichnet. 33 Siehe z. B. HÖLBL, Sardinien, Typ 8.1.B und 8.2.A.1 und 8.2.B; S. 116–117; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, Typ B 135, S. 138–139. 34 Siehe HÖLBL, Vorhellenistische Isisfigürchen. Z. B. wurde im Artemision von Ephesos das reiche Gehänge der ehemaligen Kultstatue gefunden, das mehrere ägyptische Amulette, darunter auch eine Isis lactans, beinhaltete, woraus sich die kultische Funktion der Amulette und ein möglicher Bezug der Isis zur lokalen Göttin erschließen lassen, siehe ibid., S. 277 u. 282. 35 REDISSI, Amulettes puniques, Typ II, S. 97. 36 REDISSI, Amulettes puniques, Typ III, S. 98. 37 ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 599–606; Taf. XXVI–XXVII; HÖLBL, Sardinien, Typ 5.1.A.4.1–2, Übersichtstabelle S. 81–82; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 140–141, Abb. 44. 38 HÖLBL, Sardinien, faßt diese Gruppe zu einem Typ (Nr. 51) zusammen, der sich jedoch wiederum nach seinen unterschiedlichen Motiven unterteilen läßt, ibid., Übersichtstabelle S. 103–105; und zur Produktion und Vorbildern S. 150–153. 39 Vgl. ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 476 und 480–486; Taf. XIX–XX; HÖLBL, Sardinien, S. 148–149; Taf. 85, 3b und 88, 2–4; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, M 119; Taf. 47k; FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos, Nr. 251, S. 81; Taf. XVII. 40 Vgl. HÖLBL, Sardinien I, S. 148.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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läßt. Auch in anderen Bereichen der phönizischen Kunst, wie z. B. auf Elfenbeinarbeiten, Metallschalen und besonders in der Glyptik, wird es häufig verwendet.41 Horus-artige Darstellungen sind neben den Isis-Typen bei den figürlichen Amuletten auch überhaupt gut vertreten: Er findet sich in der erwähnten Form des Kindgottes bzw. Harpokrates,42 außerdem anthropomorph mit Falkenkopf43 sowie in gänzlich zoomorpher Gestalt als Falke.44 Osiris hingegen ist deutlich seltener als Amulettfigur belegt, und weist dann grundsätzlich den stehenden und mumienförmigen Typus mit Atefkrone auf.45 Nach der Durchsicht fällt auf, daß z. B. auf Malta und Gozo figürliche Fayence- und Steatit-Amulette mit Isis, aber auch mit Osiris oder Horus ganz fehlen,46 wohingegen gerade diese z. B. in Ibiza besonders beliebt sind.47 Dies erscheint um so erstaunlicher, als gerade von Malta ein Papyrus stammt, der möglicherweise von einer tatsächlichen Verehrung der ägyptischen Isis (zumindest in einem Einzelfall) zeugt.48 Desweiteren sind dort falkenköpfige Amulettbehälter aus Metall zu finden.49 Die hier anhand der großen Gruppe der figürlichen Fayence- und Steatit-Amulette vorgestellten Motivtypen sind in analoger oder zumindest ähnlicher Weise auch innerhalb anderer kleinformatiger Denkmälergattungen wiederzufinden. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Karthago und den von ihm abhängigen westlichen Gebieten.

41 Vgl. HÖLBL, Sardinien I, S. 149. 42 Siehe ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 492–503, S. 20–21; Taf. XX–XXI; HÖLBL, Sardinien I, Typ Nr. 10, Übersichtstabelle S. 86–87; II, Taf. 32, 2–34, 6; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 138–139, Abb. 43. Vgl. zu Horus-Amuletten in Karthago auch PONSICH, Representation d’Horus, S. 475. 43 Dieser ist in Ibiza unter den tierköpfigen Gottheiten am häufigsten vertreten, siehe GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 143–144, Abb. 48; für das hispanische Festland (Cádiz) S. 277, Abb. 19, M 122–123; außerdem FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos, Nr. 44–60, S. 25–29; Taf. IV; HÖLBL, Sardinien I, Typ Nr. 18, Übersichtstabelle S. 88; S. 122–124; II, Taf. 40–48; REDISSI, Amulettes puniques, Typ XV, S. 106–107. 44 Auch unter den gänzlich tiergestaltigen Amuletten ist der Falke in Ibiza am beliebtesten, vgl. GAMERWALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 144 und 147, Abb. 54; FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos, Nr. 175–192, S. 64–67; Taf. XI–XII; HÖLBL, Sardinien I, Typ Nr. 25, Übersichtstabelle S. 90–91; S. 127–128; II, Taf. 54–57; REDISSI, Amulettes puniques, Typ XVI, S. 107–108. 45 Vgl. HÖLBL, Sardinien I, S. 116; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 138; siehe zu den einzelnen Exemplaren ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 545, S. 21; Taf. XXIII; HÖLBL, Sardinien I, Typ Nr. 7, Übersichtstabelle S. 86; II, Taf. 27,5; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, M 52–53, S. 138–139, Abb. 42; CINTAS, Amulettes puniques, S. 83–85, Nr. 103. Für Sardinien ist außerdem bei G. SPANO, Nuovi scavi di Tharros, in: BAS 9, 1863, S. 48, noch ein sitzender Fayence-Osiris mit in Hieroglyphen beschriebenem Rückenpfeiler aus Tharros (Slg. G. Busachi) erwähnt, vgl. HÖLBL, Sardinien II, S. 42, Anm. 11. 46 Vgl. HÖLBL, Malta und Gozo, Übersicht S. 40–42. 47 Siehe FERNANDEZ/PADRÓ, Amuletos, S. 99; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 138, die jeweils die ägyptischen Parallel-Typen in den Anm. anführt; Osiris: S. 138–139, Abb. 42; Harpokrates: S. 138–139, Abb. 43; Taf. 35g–i. Für Isis, vgl. Anm. 31 u. 38. 48 Siehe unten, Kap. 7.1.5. 49 Siehe unten, Kap. 7.1.2.C.

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7.1.2.B Skarabäen und Siegelabdrücke Die Skarabäen aus hartem Stein oder Fayence zeigen die vertrauten Motive in unterschiedlichen Ausführungen:50 den jugendlichen Gott (Harpokrates) in variierenden Kontexten, mit oder ohne, teilweise geflügelte(n), Schutzgöttin(nen) (Isis oder Isis und Nephthys), relativ selten den stehenden Osiris mit einer oder zwei geflügelten Schutzgöttinnen.51 Ausnahmsweise steht der mumifizierte Osiris auch vor einer thronenden Isis mit Sonnenscheibe auf dem Kopf.52 Die gleiche Darstellung der Göttin kommt außerdem alleine vor,53 wobei die Identifizierung als Isis ohne szenischen Kontext nicht sicher zu erschließen ist und einzig auf den anderen Beispielen beruht, die einen solchen aufweisen. Die Motivik der Isis lactans (mit äg. Krone) variiert zwischen der thronenden Göttin mit dem Kind auf dem Schoß einerseits, und Mutter und Kind einander gegenüberstehend andererseits.54 Darauf, daß diese Darstellungen auch mit Astarte verbunden wurden, weisen solche Fälle hin, bei denen die weibliche Figur (wenn dies auch nicht häufig vorkommt) mit deren Attributen versehen ist, so z. B. einer Axt auf der Schulter.55 Insgesamt fällt auf, daß die Göttin auf den Skarabäen in den meisten Fällen nach phönizischer Art nur mit der Sonnenscheibe, oder aber mit dem HathorGehörn bekrönt ist.56 Daneben erlaubt die Zweidimensionalität dieser Abbildungen die Hinzufügung von Hintergrundelementen, welche die Szenen in einem mythischen oder rituellen Zusammenhang ansiedeln, der sich deutlich ebenfalls aus ägyptischen Vorlagen speist: besonders beliebt für das Stillen des Kindes oder die alleinige Darstellung des Kind-

50 Vgl. auch den Katalog von BOARDMAN, Classical Phoenician Scarabs, Kat. Nr. 10–11, S. 42–52. 51 Harpokrates: HÖLBL, Sardinien I, S. 271–283; Kat. Nr. 17–53ter; GORTON, Scarabs, S. 58–59, Type XX B, Nr. 9–10; S. 136, Type XXXIX, Nr. 5; S. 24–25, Type VIII, Nr. 16 (mit Göttin/Isis, die ihm gegenüber steht). Mit Schutzgöttin(nen): VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 567–568, 658, 693; GORTON, Scarabs, S. 52–53, Type XVIII, Nr. 1–9 (eine geflügelte Schutzgöttin); S. 55–56, Type XIX, Nr. 15 (eine geflügelte Schutzgöttin und eine männliche Gottheit); VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 656 (zwei Schutzgöttinnen ohne Flügel); QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, Nr. 55 (eine geflügelte Schutzgöttin). Osiris mit einer Schutzgöttin: HÖLBL, Sardinien I, S. 284–285; Kat. Nr. 54–57; VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 659. Auch andere Götter oder Personen können von der geflügelten Göttin begleitet werden, z. B. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 695 (Pharao?) und 696 (Ptah?). Osiris mit zwei Schutzgöttinnen: Aus Amrit, siehe HÖLBL, Malta und Gozo, S. 163. 52 Siehe VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 565; HÖLBL, Sardinien I, S. 284. 53 VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 566; QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, Nr. 69; GORTON, Scarabs, S. 58–59, Type XX A, Nr. 5 (zwischen zwei Uräen). 54 HÖLBL, Sardinien I, S. 285–291; Kat. Nr. 58–82bis; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 86; S. 89, Anm. 1; Kat. Nr. 239–240 (stehend); 241–242 (sitzend); VERCOUTTER, Objets égyptiens, Kat. Nr. 453, 560, 569 (sitzend); 657, 694 (stehend); QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, Nr. 56 (stehend). Zur Chronologie der Skarabäen mit diesem Motiv, siehe zusammenfassend REDISSI, Étude des empreintes, S. 10 (sitzend) und 10–12 (stehend). 55 So z. B. HÖLBL, Sardinien I, Kat. 78, S. 289; vgl. ibid., S. 291; vgl. GUBEL, Axe-Bearing Astarte, bes. S. 6–9. 56 Vgl. auch HÖLBL, Sardinien I, S. 148. Ein sehr ungewöhnliches Motiv zeigt ein Skarabäus aus Ibiza: der Oberkörper einer ägyptisch dargestellten Göttin mit Hathorkrone und im Anbetungsgestus erhobenen Händen ist mit einem Skorpionunterkörper mit Flügeln kombiniert, siehe G. RICHTER, Catalogue of Engraved Gems. Greek, Etruscan and Roman, MMA New York, New York, 1956, Nr. 15, S. 5; Taf. 4. Zu Isis’ Verbindung mit dem Skorpion in Ägypten siehe oben, Kap. 4.4–5, 6.3.1 und 6.5.1.1. Vgl. auch WAHLBERG, Goddess Cults, S. 23.

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gottes ist der szenische Rahmen des Papyrusdickichts,57 welcher auf die mythische Episode des Aufziehens von Horus in den Sümpfen von Chemmis anspielt. Weiterhin können Isis und Horus in einer Götterbarke sitzen58 oder nach Art ägyptischer Ritualszenen ein Altar oder Räuchergefäß das Bild ergänzen.59 Auch zusätzliche schützende Götterfiguren kommen vor.60 Ergänzend zu den Skarabäen, die ja auch als Siegel verwendet wurden, bietet Karthago einen großen Fundkomplex an Tonsiegeln,61 die die Papyrus-Dokumente eines Tempelarchivs verschlossen haben und aus der Zerstörungsschicht der römischen Eroberung von 146 v. Chr. geborgen wurden.62 Sie stammen nach REDISSI aus dem Zeitraum zwischen dem Ende d. 6. und dem 3. Jh. v. Chr.,63 und ein relativ kleiner Anteil zeigt ägyptisierende Bilder,64 darunter an erster Stelle die genannten Motive des Isis-Horus-Themas;65 in einer Variation trägt Isis eine Atef- (oder Hemhem-?)Krone und steht mit schützend erhobener Hand hinter Harpokrates.66 Ansonsten erscheinen die bereits bekannten Typen: Geflügelte Isis schützt Harpokrates,67 geflügelte Isis allein,68 zwei geflügelte Göttinnen (Isis und Nephthys) mit Harpokrates,69 Isis lactans stehend (Variationen: mit Flügeln; in Sonnenbarke; mit Begleitfiguren)70 oder thronend71 und verschiedene Darstellungen des Harpokrates allein (oder mit anderen Begleitfiguren,72 sowie Horus mit Falkenkopf73 und ganz in Falkengestalt.74 Durch die chronologische Ausdehnung des Archivs lassen sich hier innerhalb derselben Grundmotive ältere an ägyptischen Vorbildern orientierte Formen neben bereits 57 58 59 60 61

62 63 64 65 66

67 68 69 70 71

72 73 74

Z. B. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Kat. Nr. 453, 690. Z. B. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Kat. Nr. 560. Z. B. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Kat. Nr. 569. Z. B. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Kat. Nr. 694. Bei den Siegelabdrücken mit verschiedenen ägyptisierenden Motiven handelt es sich größtenteils um Individual-, also Privatsiegel, die jeweils nur in geringer Anzahl vertreten sind, im Gegensatz zu den Siegelmotiven der Archivverwaltung, die in weitaus größeren Mengen vorhanden sind, darunter bes. die Kartusche Thutmosis’ III., vgl. BERGES, Tonsiegel, S. 17–20; REDISSI, Étude des empreintes, S. 5. REDISSI, Étude des empreintes, S. 4; ID., Empreintes de sceaux, S. 13; BERGES, Tonsiegel, S. 11. REDISSI, Empreintes de sceaux, S. 21. Die ägyptisierenden Bildthemen (die getrennt von den ägyptischen Exemplaren der Archivverwaltung zu behandeln sind, siehe Anm. 76) machen nur 103 Stück von insgesamt über 4000 Siegeln aus, vgl. REDISSI, Étude des empreintes, S. 9; BERGES, Tonsiegel, S. 59. Insgesamt 20 Exemplare, siehe REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 45–64, S. 9–16; Taf. 4–6; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 59; Taf. 6; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A.a. Auf einem ähnlichen Stück (REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 58; Taf. 5), das die Göttin mit einer Sonnenscheibe bekrönt zeigt, ist die genaue Armhaltung sowie das evtl. Vorhandensein von Flügeln nicht sicher zu erkennen. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 60; Taf. 6; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A.b. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 61; Taf. 6; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A.f. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 55–56; Taf. 5; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A.e. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 48–54; Taf. 5. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 45–47; Taf. 4; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A.c–d. In einem Beispiel trägt die Göttin ausnahmsweise den Isisthron auf dem Kopf, z. B. BOARDMAN, Classical Phoenician Scarabs, Kat. Nr. 11/X36, Taf. 51 (es handelt sich aber nicht, wie ibid., S. 52, fälschlich angegeben, um das Siegel REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 56). REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 57; 62; 64; Taf. 5–6; ID., Empreintes de sceaux, S. 16, A.g–i. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 62; Taf. 6. REDISSI, Étude des empreintes, Kat. 82–84; Taf. 7–8; ID., Empreintes de sceaux, S. 16–17, B.

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deutlich hellenisierten Varianten feststellen,75 was die Kontinuität der Nutzung dieser Bildelemente zeigt. 7.1.2.C Amulettkapseln Eine weitere Gruppe kleinformatiger Aegyptiaca bilden die Amulettkapseln aus Metall, welche besonders im 7.–4. Jh. v. Chr. aus Ägypten, Nubien, Phönizien, Zypern und dem phönikisch-punischen Westen bekannt sind und um den Hals gehängt wurden.76 Sie enthielten eingerollte Bänder aus Papyrus, Stoff oder Metall, die mit magischen Zeichnungen und/oder Texten versehen waren, jedoch nur selten erhalten sind.77 Meist finden sich darauf ägyptische Dekandarstellungen;78 ein Papyrus aus Malta, der einen phönizischen Text mit einem Isisbildnis kombiniert, bildet hingegen einen Ausnahmefall (zumindest soweit man es anhand der erhaltenen Stücke sagen kann).79 Die Deckel der Behältnisse waren meist mit ägyptischen oder ägyptisierenden Tierköpfen verziert, die teilweise an die figürlichen Fayence- und Steatit-Amulette erinnern.80 Hier bilden löwen-, falken- und widderköpfige Stücke die Mehrzahl, die demnach den Schutz der Götter Sachmet, Horus (oder Re-Harachte) und Amun heraufbeschwören könnten.81 Nach ägyptischer Tradition bieten diese Amulette vor allem Schutz vor Gefahren (insbesondere gefährlichen Tieren) und Krankheiten, wozu die Bevorzugung von Horus und Sachmet besonders gut paßt, da sie in der ägyptischen Magie in ebendiesen Bereichen wirksam waren.82 7.1.2.D Rasierklingen Den Amuletten vergleichbare Bildschemata wurden desweiteren ca. vom 5. bis zum Beginn des 3. Jhs. v. Chr. auf die ab dem 7. Jh. in den punischen Nekropolen zu findenden Rasier-

75 Vgl. BERGES, Tonsiegel, S. 60; REDISSI, Étude des empreintes, z. B. Kat. 50, 60 (ägyptisch geprägt) vs. Kat. 48 (hellenisiert). 76 Vgl. HÖLBL, Malta und Gozo, S. 104 und ff.; ID., Sardinien I, S. 345–353; QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, S. 85–110, bes. 103–110 zu Herkunft und Entwicklung; ID., Les étuis porte-amulettes carthaginois, Karthago 16, 1973, S. 5–32; VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 311–313; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 74–77 u. 158–159; LECLANT, Étuis porte-amulettes; MARTÍNEZ, Astucci. 77 Zu erhaltenen ägyptischen Amuletten dieser Art siehe J. DIELEMAN, The Materiality of Textual Amulets in Ancient Egypt, in: D. Boschung/J. Bremmer (Hrsg.), The Materiality of Magic, Morphomata 20, Paderborn 2015, S. 23–58; MARTÍNEZ, Astucci, S. 61–63; Taf. IX–XI. 78 Siehe dazu QUACK, Dekane, S. 228–231; und BEN GUIZA, Décans égyptiens (offenbar weitgehend nach QUACK); außerdem G. MAAß-LINDEMANN/M. MAAß, Ägyptisierende Amulett-Blechbänder aus Andalusien, in: MM 35, 1994, S. 140–156; MARTÍNEZ, Astucci, S. 34–45. 79 Zum Inhalt siehe ausführlicher unten, Kap. 7.1.5. 80 Die frühen ägyptischen Stücke, die seit der 12. Dyn. bekannt sind, weisen noch keine Tierprotomen auf. Am Ende des 8. Jhs. v. Chr. finden sich diese im kuschitischen Ägypten, wo demnach QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, S. 107–109, zufolge möglicherweise ihre ursprüngliche Herkunft zu lokalisieren sein könnte. Parallel sind aber aus der 22.–23. Dyn. auch vereinzelt hölzerne zylindrische Behälter für die ‚Oracular Amuletic Decrees‘ belegt, die ebenfalls als Vorläufer in Frage kommen, vgl. MARTÍNEZ, Astucci, S. 63; LECLANT, Étuis porte-amulettes, S. 103–105, m. Abb. 1–2. 81 Vgl. VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 311. Vgl. die Typologie bei MARTÍNEZ, Astucci, S. 15–27. 82 Zur Rolle des Horus in magisch-medizinischen Sprüchen und Praktiken vgl. oben, Kap. 6.5.1 und 6.5.5. Zu Sachmet vgl. Kap. 5.2.2.1.F u. 6.4.1.1–2.

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klingen graviert (besonders in Karthago).83 Hierbei handelt es sich zwar zunächst um Gebrauchsgegenstände (vgl. unten, 7.1.2.E), doch wurden sie in der Forschung bisher relativ einhellig als Untergruppe der Amulette betrachtet, da sie häufig in direktem Zusammenhang mit solchen in den Gräbern gefunden wurden, und die teilweise noch erhaltenen Säckchen nahelegen, daß sie auch im Diesseits um den Hals getragen wurden.84 Zudem finden sich größtenteils die gleichen Bildschemata wie auf den Skarabäen und Siegeln, doch andererseits weisen zahlreiche Klingen, besonders außerhalb Karthagos, überhaupt keine bildlichen Darstellungen auf.85 Konkrete Hinweise für eine magische Funktion finden sich jedenfalls nicht, so daß eine dahin gehende Deutung reine Spekulation bleibt. Zu bedenken ist zumindest, daß schließlich nicht nur Amulette, sondern auch Alltagsgegenstände verschiedener Art (Keramik, Schmuck…) ihren Weg in die Gräber gefunden haben, und die teilweise aus Bronze gefertigten Rasierklingen könnten ebenso gut Statussymbole darstellen und einen Gegenpart beispielsweise zu Schmuck-Beigaben in Frauengräbern bilden. Auf einer Klinge aus der punischen Nekropole bei Sainte-Monique in Karthago befindet sich auf einer Seite ein Horusfalke mit unterägyptischer Krone auf einer Lotusblume, auf der anderen Seite eine stehende Isis, die Horus stillt.86 Der obere Teil ihres Gewandes sowie ein Teil der Perücke oder ein über dieser liegender Schleier sind mit einem Sternenmuster verziert, der Unterleib und die Beine scheinen von Flügeln umwickelt zu sein, während eine angedeutete Geierhaube ihren Kopf bedeckt. Das ganze Standschema ist ägyptisch, aber mit einer typisch punischen, nach unten geöffneten Mondsichel über dem Kopf, sowie einer griechisch inspirierten, liegenden bärtigen männlichen Gestalt (ein Satyr?) mit Flöte unterhalb der Standfläche kombiniert. Auch auf den meisten anderen karthagischen Objekten dieser Gattung wurden punische und ägyptische Motive zusammen arrangiert, wobei der erwähnte Falke auf der Lotusblume am häufigsten vorkommt.87 Fast ebenso beliebt sind die Isis-lactans-Darstellungen, wobei in einem Fall Isis die HemhemKrone, und Horus die Doppelkrone trägt.88 Hier scheint die Variante mit stehenden Gottheiten die häufigere zu sein.89 Die Horus mit den Flügeln beschirmende Göttin ist ebenfalls belegt, doch Horus wird in dem von VERCOUTTER abgebildeten Beispiel mit im Anbetungs-

83 Auf den erhaltenen Rasierklingen Sardiniens und Spaniens sind nur relativ selten figürliche Darstellungen zu finden, siehe die Übersicht bei ACQUARO, Rasoi punici, S. 119–184; vgl. zur Datierung auch LECLANT, Carthage et l’Égypte, S. 46. 84 Vgl. dazu VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 302–310, bes. S. 309 zur Funktion; HÖLBL, Sardinien I, S. 402–403; ACQUARO, Rasoi punici; A. PARROT et al., Die Phönizier. Die Entwicklung der phönizischen Kunst von den Anfängen bis zum Ende des Dritten Punischen Krieges, München 1977, S. 183. 85 Vgl. Anm. 83. 86 VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 902, S. 307–308; Taf. XXVII; ACQUARO, Rasoi punici, Kat. Ca 33, S. 104; Abb. 14; vgl. außerdem ibid., Ca 76 (mit Hathorkopfschmuck), Abb. 34, und Ca 79, Abb. 37 (mit Hemhem-Krone). 87 Vgl. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 900–902 u. 909, S. 308. 88 Vgl. VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 902 u. 914, S. 308, der die Hemhem-Krone als Atef-Krone bezeichnet; ACQUARO, Rasoi punici, Kat. Ca 79, Abb. 37. 89 Die sitzende Isis mit Horus auf dem Schoß ist nur einmal bezeugt und stammt den schlecht erhaltenen Resten nach zu urteilen wahrscheinlich erst aus hellenistischer Zeit, vgl. ACQUARO, Rasoi punici, Kat. Ca 93, S. 104 u. 106, Abb. 47.

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gestus erhobenen Armen gezeigt, was ungewöhnlich erscheint.90 Auf der Rückseite ist nach griechischem Vorbild Hermes mit dem Caduceus eingraviert. Teilweise finden sich auch nur einzelne ägyptische Elemente an einer ansonsten punischen Darstellung, so z. B. eine von zwei langhalsigen Vögeln umgebene Göttin (Typ der πότνια  θηρῶν), die nach Art der Isis einen von Flügeln umwickelten Rock trägt.91 7.1.2.E Weitere Gebrauchsgegenstände, Varia Abgesehen von den großen Denkmälergruppen im Bereich der Amulette und Siegel und den Rasierklingen tauchen verwandte Motive auch immer wieder als Dekoration (mit religiöser Implikation?) auf verschiedenen Gebrauchsgegenständen auf, so z. B. an Griffen von Bronzevasen92 oder anderen Geräten,93 sowie an Schmuck. So zeigt ein Goldring aus Karthago eine geflügelte Göttin mit gemischter Ikonographie:94 der Kopf ist gesenkt, die Kobra an der Stirn übergroß, die Haare bilden eine Lockenfrisur, die nicht ägyptischen Konventionen entspricht,95 die Hörner des Hathor-Diadems sind ungewöhnlich geformt, und die Hände halten Lotusblumen, was für die geflügelte Schutzgöttin unüblich ist. Auch die Darstellung allein, ohne eine weitere, zu schützende Person, entspricht nicht dem sonstigen Schema. Möglicherweise soll sich die Schutzgeste auf den Träger des Schmuckstückes beziehen.96 Die Datierung wird von QUILLARD im 3. Jh. v. Chr. angesetzt. 7.1.3 Isis-Motive innerhalb der Punischen Münzprägung Gesondert zu betrachten sind die Isis-Motive innerhalb der Münzprägung des punischen Raumes, die erst in der Zeit ab der zweiten Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. im Zuge der Punischen Kriege zu verorten sind.97 Da ihr offizieller Charakter einen Kontrast zu den Amuletten und anderen kleinen Gegenständen bildet und sie diesen chronologisch nachfolgen, wobei sich teilweise schon stärkere griechisch-hellenistische Einflüsse in den ansonsten noch immer 90 VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 307, Abb. 23, und S. 308; ACQUARO, Rasoi punici, Kat. Ca 36, S. 104; Abb. 16. 91 VERCOUTTER, Objets égyptiens, Nr. 903, S. 308; Taf. XXVII; ACQUARO, Rasoi punici, Kat. Ca 86, S. 103; Abb. 41. 92 Siehe QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, S. 194; C.-G. PICARD, Les oenochoés de bronze de Carthage, in: RA 1959, S. 29–64: S. 30–32, Abb. 1 u. 2. Die Identifizierung der ägyptisierenden Ägiden mit verschiedenen Kopfschmuckformen (Hemhem-Krone und Sonnenscheibe mit zwei Uräen) als Isis (oder auch Hathor) ist zwar unsicher, doch ist zumindest die Hemhem-Krone z. B. auch auf den punischen Rasierklingen für Isis lactans belegt (siehe oben, Kap. 7.1.2.D). 93 Zum Beispiel ist ein möglicherweise zu einer Strigilis gehöriger punischer Elfenbeingriff, der auf dem Landgut von Jorf el Ramra (Tanger) gefunden wurde, mit einer stark stilisierten falkenköpfigen Gestalt verziert, die an die Amulettfigürchen des entsprechenden Typus erinnert, siehe PONSICH, Representation d’Horus. 94 QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, Nr. 309, S. S. 66 u. 193–194; Taf. XXIII; vgl. auch MANFREDI, L’Oriente, S. 160. 95 QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, Nr. 309, S. S. 66 u. 193–194, sieht in der Frisur eine Mischung aus ägyptischer Perücke und libyschen Locken, was jedoch m. E. nicht wirklich aus der kleinformatigen Darstellung hervorgeht. 96 Vgl. QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, S. 194; vgl. auch Nr. 310, Taf. XXIII, mit einer Göttin mit Hathor-Kopfschmuck, in der QUILLARD, op. cit., S. 193 u. 195, Isis-Tanit erkennen möchte. Die von ihr beschriebenen Flügel auf dem Rock sind m. E. nicht wirklich zu erkennen. 97 Siehe dazu v. a. MANFREDI, L’Oriente; SNRIS, S. 168–174; 225–227; GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux.

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durch punische Tradition geprägten Motiven und Ikonographien bemerkbar machen, soll ihnen ein eigener ausführlicher Abschnitt gewidmet sein. Die ältesten punischen Prägungen mit einer als Isis zu identifizierenden Gottheit wurden durch die 241–238 v. Chr. in Karthago revoltierenden libyschen Söldner veranlaßt, was bedeutet, daß die Auswahl dieses Motivs somit eventuell unter anderem durch die bereits frühe libysche Adaption des Isiskultes beeinflußt gewesen sein könnte.98 Auf dem Obvers ist eine im Profil gezeigte Frauenbüste mit einer ringförmig angelegten Struktur auf der Kalotte und darüber angebrachtem Hathorkopfschmuck, manchmal auch mit Uräus an der Stirn, zu sehen, wohingegen das Revers drei Gersteähren abbildet.99 Wahrscheinlich entstand dieser Typus in Anlehnung an sardische Serien mit der Göttin Tanit und drei Wiezenähren, wobei die beiden Getreidearten die für Nordafrika respektive Sardinien typischerweise angebauten Kulturen repräsentieren.100 In der karthagischen Serie sind nach RAHMOUNI drei Gruppen zu unterscheiden, wobei die runde Struktur auf dem Kopf der Göttin entweder wie eine Art Haarnetz, wie eine komplizierte Flechtfrisur oder sogar wie eine Kappe aussieht.101 Der Hathorkopfschmuck kann auch fehlen, so daß kein Element mehr sicher auf Isis hindeutet.102 Eine sehr ähnliche Kombination der Göttin mit den drei Ähren erscheint auf den vorrömischen Prägungen von Iol (später Caesarea; heute Cherchel),103 die vom Ende des 3. Jhs. v. Chr., der Zeit des 2. Punischen Krieges, datieren.104 Die Göttin trägt darauf teilweise eine den karthagischen Vorbildern ähnliche Kappe oder ein Haarnetz,105 teilweise aber auch deutlich erkennbar eine Nachahmung der ägyptischen Geierhaube, die von einem Hathorgehörn bekrönt wird.106 Dies läßt darauf schließen, daß auch das auf den übrigen Münzen nur schematisch angedeutete Gebilde auf dem Kopf, auf dessen Vorderseite scheinbar Haare bzw. eine Uräusschlange hervorstehen, möglicherweise von der Geierhaube abgeleitet sein könnte.107 MANFREDI sieht in einigen der Exemplare bereits erste ptolemäisch-hellenistische Einflüsse, obgleich die Grundformen noch immer von punischer Tradition geprägt sind.108

98 Siehe ausführlich dazu unten, Kap. 7.2.1.1. Vgl. auch GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 118–120. 99 SNRIS Carthago 1–2, S. 225 (L. BRICAULT); MANFREDI, L’Oriente, S. 152–154; Taf. XV, Abb. 2–3; RAHMOUNI, Monnaies des mercenaires, S. 102–108. 100 Vgl. SNRIS, S. 225. 101 MANFREDI, L’Oriente, S. 152–154; RAHMOUNI, Monnaies des mercenaires, S. 102–108. 102 Siehe MANFREDI, L’Oriente, Taf. XV, Abb. 3. 103 SNRIS Iol 1–6; MANFREDI, L’Oriente, Taf. XV, Abb. 4; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, Kat. 1.1, S. 263, Abb. 3; CNNM 546–560; GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 106–108, m. Abb. 3. Zu Iol (Caesarea) und seinen Münzen siehe auch den Sammelband MANFREDI/MEZZOLANI ANDREOSE (Hrsg.), Iside punica. 104 Diese Datierung ist nicht gesichert, vgl. MANFREDI, L’Oriente, S. 156, wird aber durch einen diese Prägungen enthaltenden Münzfund von 211–210 v. Chr., der somit einen terminus ante quem liefert, unterstützt, siehe GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 106–107. 105 SNRIS Iol 5a_h2. 106 SNRIS Iol 5c_f3; MANFREDI, L’Oriente, Taf. XV, Abb. 4a–b. 107 Vgl. MANFREDI, L’Oriente, S. 158. 108 MANFREDI, L’Oriente, S. 159–160. Sie zieht dazu einen Vergleich mit den oben erwähnten Goldringen aus Karthago (Kap. 7.1.2.E), bei denen die von QUILLARD, Bijoux Carthaginois II, 193–195, postulierten libyschen Locken m. E. nicht sicher erkennbar sind, vgl. Anm. 108.

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Etwa in die gleiche Zeit (Ende 3. bis Anfang 2. Jh. v. Chr.) sind wohl auch die beiden punischen Münzserien von Cossura (heute Pantelleria) anzusetzen,109 die zwar auch eine im Profil dargestellte Göttinnenbüste aufweisen, die sich in der Ikonographie jedoch deutlich von den genannten Prägungen Karthagos und Iols unterscheidet. Die Haare sind – wenngleich stark schematisiert – in Form der ägyptischen dreiteiligen Perücke gestaltet, auf welcher ein flaches Diadem o. ä. aufsitzt.110 An der Stirn ragt eine Uräusschlange hervor.111 Auf der ersten Serie ist die Büste im Profil nach rechts dargestellt, wohingegen sie auf der zweiten nach links gewendet ist und durch zwei Hinzufügungen ergänzt wird: Erstens befindet sich auf dem flachen Objekt auf dem Kopf noch eine stilisierte, auf den ersten Blick schwer zu definierende Krone, welche aus drei zentralen, zusammenhängenden schmalen Erhebungen besteht, die seitlich von stärker nach außen schwingenden Elementen umrahmt werden.112 Im Vergleich mit ähnlichen, aber deutlicheren Münzbildern aus Malta (s. u.) kann damit m. E. nur die ägyptische Hemhem-Krone gemeint sein,113 welche ja bereits aus anderen Objektgruppen (s. o.) für die punische Isisdarstellung bekannt ist. Das flache Element direkt über der Perücke bildet hier den Kronenuntersatz. Der zweite Zusatz im Vergleich zur ersten Prägung Cossuras ist eine kleine von vorne heranfliegende Nike, die der Göttin einen Kranz entgegenhält. Hiermit macht sich nun deutlich griechischer Einfluß bemerkbar, wobei Nike-Darstellungen zu dieser Zeit auch sonst in den punischen Motivschatz adaptiert werden.114 Die eher ungewöhnliche Darstellungsweise der bekränzenden Siegesgöttin, die wohl militärischen Erfolg unter der Obhut der Göttin symbolisieren soll, ist sicherlich im Zusammenhang mit der politischen Situation während der Punischen Kriege zu betrachten.115 Das Revers beider Serien zeigt die punische Legende 'yrnm (wohl der punische Name Cossuras) umgeben von einem Lorbeerkranz, was nach Meinung MORAWIECKIS auf eine

109 SNRIS Cossura 1–2, S. 168–170 (C. SFAMENI); MANFREDI, L’Oriente, S. 161–162; Taf. XVI, Abb. 5a (und nicht 5b, wie im Text S. 162 fälschlich angegeben); GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 111– 112, m. Abb. 6. 110 Von C. SFAMENI, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 168, gefolgt von GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 111, wird die Kopfbedeckung als klaft (ägyptisches Kopftuch) bezeichnet, was m. E. nicht korrekt ist. Nach MANFREDI, L’Oriente, S. 161, sind die beiden vorne auf die Schulter fallenden Strähnen der Perücke hier als Ohrgehänge umgedeutet; zumindest erscheint ihre Positionierung etwas ungewöhnlich. 111 MANFREDI, L’Oriente, S. 161, erwägt im Zusammenhang mit dem gleichen Münztypus aus Icosium, daß es sich bei dem Element an der Stirn im Anschluß an die (oben besprochenen) Münzen aus Karthago und Iol auch um den Geierkopf handeln könnte, wobei der Rest des Geierbalgs hier vollkommen weggefallen wäre. Ich halte diese Deutung jedoch für wenig wahrscheinlich, da die Ikonographie auf den Münzen von Cossura und Icosium sich m. E. deutlich von letzteren unterscheidet und in den Details keine direkte Abhängigkeit festzustellen ist. Dies zeigt sich nicht nur an den ganz unterschiedlichen Frisuren/Perücken, sondern auch an den Bekrönungen (Hathorgehörn mit Sonnenscheibe vs. Hemhem-Krone). Eine grundsätzliche Abhängigkeit von den nordafrikanischen Münzen läßt sich höchstens in der Auswahl des Motivs feststellen. 112 Beschreibung anhand der Fotos SNRIS Cossura 2_11 und 2_47D. 113 Vgl. zur Identifikation dieser Krone auf den maltesischen Prägungen HÖLBL, Malta und Gozo, S. 165. Die Interpretation der drei mittigen Elemente als Uräen durch MANFREDI, L’Oriente, S. 161, ist m. E. zurückzuweisen. 114 Siehe dazu MANFREDI, L’Oriente, S. 163–164. 115 Vgl. MANFREDI, L’Oriente, S. 164–165.

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Prägung noch vor der römischen Eroberung 217 v. Chr. hindeutet;116 gleiches gilt auch für die maltesischen Münzen (s. u.). Wiewohl die exakte Datierung dieser ersten Serien unsicher bleibt, ist die Kontinuität des Grundmotives bis in die eindeutig römischen Prägungen mit der lateinischen Legende Cossura auf der Rückseite117 nicht abzustreiten. Letztere Serien werden gewöhnlich in das 2.–1. Jh. v. Chr. datiert, sind jedoch fast durchgehend mit Gegenstempeln versehen, was eine längere Nutzungsdauer anzeigt.118 Nur in einer der beiden Varianten trägt die Göttin jedoch noch die Hemhem-Krone,119 während die andere die Büste wiederum nach rechts gerichtet zeigt, und die Nike, nun von hinten heranfliegend, den Lorbeerkranz direkt auf den ansonsten unbekrönten Kopf aufsetzt.120 Auf der Rückseite ist der Legende jeweils ein Tanit-Symbol hinzugefügt, was für eine Identifikation der vorne dargestellten Göttin mit dieser bzw. Astarte spricht.121 Der Typus mit der Göttinnenbüste, welche von der von vorne heranfliegenden Nike bekränzt wird, wurde auch, wohl in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr., auf Bronze- und Bleimünzen der östlich von Iol gelegenen Stadt Icosium (Algiers) verwendet,122 wobei die Krone hier etwas anders aussieht und entweder auf dem Hathor-Gehörn mit Sonnenscheibe oder aber der Atefkrone beruhen könnte.123 Vorne und hinten sind wiederum zwei weitere nach außen gebogene Elemente angebracht. Auch die Gesichtszüge unterscheiden sich von den klaren, kantigen Formen auf den Cossura-Münzen, und offenbaren stattdessen trotz der schlechten Qualität üppigere, hellenistische Gestaltung. Das Revers zeigt eine männliche Figur, deren Identifikation nicht sicher ist; vorgeschlagen wurden Herakles-Melqart und Baal-Hammon.124 Die Prägungen dürften die in den punischen Regionen verbreiteten Emissionen Cossuras zumindest auf der Vorderseite direkt kopieren – vielleicht zusätzlich inspiriert durch die oben genannte Serie des nahe gelegenen Iol.125 Auch in der Münzprägung Maltas findet sich das Grundmotiv der Büste wieder, doch kommt hier noch ein weiteres Bildschema hinzu, das bestens aus den besprochenen kleinformatigen Aegyptiaca vertraut ist: zwei geflügelte Göttinnen (Isis und Nephthys), die einen Gott, in diesem Fall den mumienförmigen Osiris mit Atefkrone, Szepter und Flagellum, schützend einrahmen. Beide Göttinnen tragen deutlich erkennbar die Hathorkrone auf dem Kopf und halten Palmrispen in einer Hand und eine kleine Schale o. ä. in der an-

116 L. MORAWIECKI, Coins from Cossyra, in: Notae Numismaticae III/IV, 1999, S. 129–139: 133–134; vgl. SNRIS, S. 170. Üblicherweise wird davon ausgegangen, daß die Münzprägung Maltas und Pantellerias erst mit der römischen Eingliederung einsetzt. 117 SNRIS Cossura 4–5, S. 169; MANFREDI, L’Oriente, S. 162. 118 Vgl. SNRIS, S. 170–171. 119 SNRIS Cossura 5. 120 SNRIS Cossura 4. 121 Üblicherweise wird die Frauenbüste als Isis-Astarte interpretiert, vgl. SNRIS, S. 169; zum Problem der Deutung der phönizisch-punischen „Isis“-Darstellungen allgemein, siehe unten, Kap. 7.1.4. 122 SNRIS Icosium 1, S. 227 (L. BRICAULT); MANFREDI, L’Oriente, S. 161–162; Taf. XVI, Abb. 5b (und nicht 5a, wie im Text S. 161 fälschlich angegeben); GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 110–111, m. Abb. 5. MANFREDI sowie GASPARINI und einige andere Forscher folgen einer alternativen Datierung dieser Serie zwischen dem Ende des 3. und dem ersten Viertel des 2. Jhs. v. Chr. 123 Beschreibung anhand des Fotos SNRIS Icosium 1_3. 124 Vgl. SNRIS, S. 227. 125 Vgl. SNRIS, S. 227.

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deren.126 Darüber steht die punische Legende 'nn, wahrscheinlich der Name der Insel. Diese Darstellung befindet sich auf dem Revers der insgesamt zweiten Münzserie Maltas, deren Obvers eine im rechten Profil gezeigte Frauenbüste mit Diadem und Schleier zeigt, die jedoch keinerlei ägyptisierende Elemente aufweist und nach HÖLBL wohl Astarte-Hera/Juno darstellt, die Hauptgöttin des maltesischen Heiligtums von Tas Silġ.127 Es stellt sich die Frage, ob ein Bezug zwischen beiden Seiten der Münze herzustellen ist, und die dargestellten Gottheiten miteinander in Verbindung gebracht worden sind.128 Wie bei der Münzprägung Cossuras ist auch in diesem Fall die Datierung der ersten Emissionen umstritten. C. SELTMAN spricht sich konträr zu den üblichen Annahmen, daß die Münzprägung erst mit der römischen Vorherrschaft beginne,129 für eine Datierung der Stücke mit punischer Legende vor 218 v. Chr. aus, was von C. SFAMENI aufgenommen wird.130 Die dritte Serie131 weist schließlich auf der Vorderseite die griechische Legende MEΛITAIΩN  auf, welche sich hinter dem Kopf einer nach links im Profil dargestellten Frauenbüste mit Löckchenfrisur und Hemhem-Krone132 befindet, die wiederum deutlich den Darstellungen auf den Cossura- und Icosium-Münzen angenähert ist, wenn auch stilistisch weiter entwickelt. Vor ihrem Gesicht ist jedoch keine Nike dargestellt, sondern in einer Variante ein Tanitzeichen,133 welches auf die Identifikation mit Astarte hindeutet, in einer anderen eine Gerstenähre,134 die eine Verbindung zu den Prägungen Karthagos und Iols vom Ende des 3. Jhs. herstellt. Das Revers wird ganz von einem Gott im orientalischen Knielaufschema eingenommen, der sich durch vier Flügel, eine ägyptische Krone (die Doppelkrone?) sowie die Herrschaftsinsignien Szepter und Geißel auszeichnet. Möchte man die beiden Münzserien verbinden,135 so wird man den männlichen Gott jeweils als Gegenpart der auf den Vorderseiten abgebildeten Göttin verstehen müssen, wobei beide Gottheiten durch mehr oder weniger stark ägyptisierende und damit gleichzeitig punischer Tradition verhaftete Ikonographie gekennzeichnet werden können, hinter der vielleicht auch ein tatsächlicher Synkretismus136 der aus den verschiedenen zur bildlichen Wiedergabe beitragenden Kulturen ent126 SNRIS Melita 1, S. 171–173 (C. SFAMENI); HÖLBL, Malta und Gozo, S. 161–162; MANFREDI, L’Oriente, S. 165–166; GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 113–114, m. Abb. 7. 127 Vgl. auch MANFREDI, L’Oriente, S. 165; SNRIS, S. 172. 128 Vgl. HÖLBL, Malta und Gozo, S. 161–163; und unten, Kap. 7.1.4. 129 Siehe dazu z. B. C. PERASSI/M. NOVARESE, La monetazione di Melita e di Gaulos. Note per un riesame, in: L’Africa Romana 16, 2006, S. 2377–2404, die auch auf die ägyptisierende Ikonographie eingehen. 130 C. SELTMAN, in: The Numismatic Chronicle 1946, S. 81–82; SNRIS, S. 172 (SFAMENI); und oben, zu Cossura. 131 SNRIS Melita 2; HÖLBL, Malta und Gozo, S. 165–166; MANFREDI, L’Oriente, S. 165–166; Taf. XVI, Abb. 6a. 132 SFAMENI, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 173, und MANFREDI, L’Oriente, S. 166, bezeichnen den Kopfschmuck m. E. fälschlich als „Hathor-Krone mit Uräen“. Korrekt als Hemhem-Krone gedeutet bei GASPARINI, ‚Frapper‘ les dieux, S. 114. 133 Siehe SNRIS Photo Melita 2_15. Nach HÖLBL, Malta und Gozo, S. 166, handelt es sich um eine Mischung aus dem Tanit-Zeichen und einem Caduceus, doch kann ich dies anhand des Photos nicht verifizieren. 134 Siehe MANFREDI, L’Oriente, Taf. XVI, Abb. 6a. 135 So z. B. HÖLBL, Malta und Gozo, S. 166, der die unterschiedlichen Darstellungen auf den Rückseiten beider Serien als unterschiedliche Bildchiffren für denselben Gott auffaßt. 136 HÖLBL, Malta und Gozo, S. 166.

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stammenden Göttervorstellungen zu vermuten ist. So interpretiert HÖLBL die Darstellung der Göttin mit Kornähre als Widerspiegelung des „hellenistischen Synkretismus zwischen Isis-Demeter und Astarte-Hera-Juno“ (letztere die Göttin auf dem Obvers der VorgängerSerie). 7.1.4

Zur Deutung und Bedeutung der Isis-Motive innerhalb der phönizisch-punischen Aegyptiaca Beim Durchgehen der phönizisch-punischen Aegyptiaca im obigen Abschnitt ist immer wieder die Frage nach der Identifizierung der dargestellten Gottheiten aufgekommen. Wie sind die angeführten Isis-, Osiris- und Horus/Harpokrates-Ikonographien zu deuten, genauer: Werden sie als reine bildliche Schemata zur Abbildung phönizischer bzw. vorderasiatischer Gottheiten verwendet oder kann man von einer tatsächlichen Adaption ägyptischer Götter und religiöser Vorstellungen ausgehen, eventuell auch von einer synkretistischen Verbindung beider Seiten? A. NUNN z. B. spricht sich gegen eine Verwendung von Begriffen wie Assimilation und Synkretismus vor der hellenistischen Zeit aus und nimmt an, daß es „keine Verschmelzung der im Erscheinungsbild erkennbaren Gottheit und der tatsächlich gemeinten Gottheit gegeben hat“ und daß „die gemeinten Götter weiterhin einheimische levantinisch-phönizische Götter“ sind.137 PADRÓ I PARCERISA hingegen glaubt an eine tatsächliche Übernahme und Verehrung der ägyptischen Gottheiten,138 wobei seine Argumentation m. E. jedoch zu flach bleibt und er sowohl die frühesten Prägungen der phönizischen Kunst durch die ägyptische außer Acht läßt, als auch die Möglichkeit, daß in die ägyptischen Götterbilder eigene Gottesvorstellungen mit eigenen Identitäten hinein interpretiert worden sein könnten.139 Offensichtlich erscheint zumindest, daß mit der früh angeeigneten Objektgattung der ägyptischen kleinformatigen Amulette gleichzeitig die dazugehörige Praxis übernommen wurde, sie als magischen Schutz am Körper zu tragen und dem Verstorbenen mit ins Jenseits zu geben, ebenso wie die anthropoide Sarkophagform gleichzeitig die Praxis der Einbalsamierung mit sich getragen hat.140 Neben der prinzipiell gleichartigen Nutzung der Objekte läßt sich nach der Argumentation HÖLBLs außerdem eine eigenständige Anwendung unter Beibehaltung des grundlegenden Symbolgehalts der ägyptischen Bildchiffren festmachen.141 Welche ikonographischen Schemata der Isis und ihrer Familie wurden übernommen und was ist über ihre dadurch transportierten Charakteristika zu sagen?

137 A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 191. Vgl. außerdem z. B. K. LEMBKE, Die Skulpturen aus dem Quellenheiligtum von Amrit. Studie zur Akkulturation in Phönizien, Damaszener Forschungen 12, Mainz 2004, S. 123: „Die ägyptische Ikonographie transportierte aber offenbar nicht die ehemals intendierten Inhalte, sondern wurde verwendet, um phönizische Vorstellungen ins Bild zu setzen.“ 138 PADRO I PARCERISA, Egyptian Type Documents IV, S. 195–201. 139 Sehr weit geht in seinen Annahmen auch S. AUFRERE, Un prolongement méditerranéen du mythe de la Lointaine à l’époque tardive, in: N. GRIMAL/B. MENU (Hrsg.), Le commerce en Égypte ancienne, BdÉ 121, 1998, S. 19–39. 140 Diese Nutzungsweise widerspricht m. E. der Annahme von SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 93, es würde sich bei der weiträumigen Verbreitung der Aegyptiaca eher um eine Modeströmung als um echtes religiöses Interesse handeln. Auch die enorme Nachhaltigkeit der vielschichtigen Adaption spricht gegen eine bloße Modeströmung. 141 Siehe HÖLBL, Methodik.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Um eine Annäherung an diese Fragen zu erlangen, sollen die einzelnen Isis-Typen nochmals im Überblick analysiert werden, wobei einige wenige verwandte Darstellungen innerhalb weiterer Objektgruppen teilweise größeren Formats, die oben nicht eigens besprochen wurden, ergänzend hinzugezogen werden. Die in die phönizische Kunst übernommenen ägyptischen Isis-Ikonographien lassen sich grob in fünf Haupttypen unterteilen:142 1. 2. 3. 4. 5.

Die aufrecht stehende Göttin ohne besondere Zusätze. Die thronende Göttin ohne besondere Zusätze. Die ihren Sohn stillende Göttin. Die geflügelte Göttin, häufig eine andere Gottheit beschützend. Die Büste der Göttin mit ägyptischer Haar- und Kronengestaltung.

Jeder Typus kann durch Unterschiede in den Details, d. h. insbesondere bezüglich der Kronenform, weiteren Attributen, dem Standschema, Nebenfiguren und Elementen des szenischen Kontextes variiert werden. Für nahezu alle Abwandlungen sind die ägyptischen Vorbilder, sowie ein ursprünglicher mythischer oder ritueller Hintergrund, deutlich herauszulesen. Daß dabei auch eigenständig kombiniert wurde, zeigt z. B. die häufige Übertragung der Atef- und Hemhem-Kronen von Osiris und Horus auf Isis. 1. Typus: Die allein dargestellte aufrecht stehende Göttin in langem Kleid und mit Isisthron oder Hathorgehörn auf dem Kopf ist hauptsächlich in der Gruppe der figürlichen Amulette vertreten (Kap. 7.1.2.A), die erst aus dem 4.–3. Jh. v. Chr. datieren und wohl aus punischer Produktion stammen. Prinzipiell wird damit eine typisch ägyptische Ikonographie kopiert, wobei auch die in Ägypten seit langem vollzogene Adaption des Hathorkopfschmuckes für Isis mitgetragen wurde. Daß das ägyptische Schema der stehenden Isis auch vorher schon bekannt gewesen sein muß, zeigt die Zeichnung auf einem kleinen Papyrusröllchen aus dem 6. Jh. v. Chr., welches sich in einem bronzenen Amulettbehälter mit Falkenkopf aus Malta befand.143 Eigene Impulse machen sich in der Weiterentwicklung des Amulett-Typus zu einer schwangeren, nackten Göttin bis hin zu einer Kombination mit Thoeris-Typen bemerkbar, wodurch eine Konzentration auf den Fruchtbarkeitsaspekt der dargestellten Gottheit erzielt wird. 2. Typus: Sehr selten wird eine thronende Göttin mit Isis-/Hathor-Ikonographie allein (d. h. ohne Kind auf dem Schoß) gezeigt: Auf karthagischen Skarabäen des 4. Jhs. v. Chr. trägt sie nach phönizischer Art nur eine Sonnenscheibe auf dem Kopf, wobei nur die Kombination mit einem stehenden Osiris in einem Fall einen Hinweis auf Isis liefert (Kap. 7.1.2.B). Letztlich ist diese Darstellungsweise jedoch keineswegs unbedingt mit Isis verbunden. In Ägypten findet das Schema einer thronenden Gottheit vor allem dann Verwendung, wenn diese als Kultempfänger (also in Ritualszenen im Tempel oder Szenen der Anbetung auf Stelen etc.) oder Beherrscher eines bestimmten Bereiches (z. B. Osiris als Herr über das Jenseits) präsentiert wird. Isis hat abgesehen von diesen allgemeinen Darstellungsschemata außerdem eine spezielle Beziehung zum Thron, da sie diesen zusätzlich als Namenshierogly142 Für eine Übersicht altägyptischer Varianten der Isisikonographie siehe SCHULZ, Warum Isis?, S. 258–261; besonders für die Spätzeit WAHLBERG, Goddess Cults, S. 17–23. 143 Rezente Edition: H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus. Ausführlicher zum gesamten Inhalt des Papyrus unter 7.1.5. Zu den Amulettbehältern siehe Kap. 7.1.2.C.

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phe auf dem Kopf trägt und in besonders enger Beziehung zum Königsamt steht.144 Im phönizischen Mutterland wird allerdings nur das Bild einer thronenden Hathor (d. h. einer Göttin mit Hathor-Kopfschmuck) mehrfach auf Stelen und Reliefs verwendet,145 wobei die Inschrift der YeHaumilk-Stele den Hinweis gibt, daß die „Herrin von Byblos“ (Bolt Gbl) gemeint ist.146 Das im westphönizischen bzw. punischen Raum überhaupt kaum verwendete Motiv kann somit nicht sicher mit Isis verbunden werden. 3. Typus: Sehr viel klarer und weitaus verbreiteter sind hingegen die Darstellungen der thronenden Göttin, die ihr Kind auf dem Schoß stillt, welche sich eindeutig von entsprechenden, besonders in der Spätzeit beliebten, ägyptischen Isis-Horus/Harpokrates-Bildern ableiten lassen, zumal ein Großteil der Beispiele den Thron auf dem Kopf trägt. Dieses Bildschema umfaßt die gesamte geographische und chronologische Spannbreite der phönizisch-punischen Aegyptiaca sowie diverse Objektgruppen: figürliche Amulette, Skarabäen/Siegelabdrücke, Rasiermesser.147 Qualitätvolle Darstellungen der stillenden Göttin finden sich neben anderen ägyptisch beeinflußten Motiven auch unter den zahlreichen phönizischen/levantinischen Elfenbeinschnitzereien, die in Nimrud entdeckt wurden.148 Desweiteren sind einige Bronzestatuetten der Isis lactans bereits der vorhellenistischen Zeit zuzuordnen.149 Bei den zweidimensionalen Darstellungen der Skarabäen, Siegelabdrücke und Rasiermesser wird das Lactans-Motiv gerne auch durch stehende Gottheiten anstelle der sitzenden Isis mit Kind auf dem Schoß variiert, was in diesen Gruppen sogar der häufigere Typus ist. Auch dieses Schema entspricht ägyptischen Vorbildern. Im ostphönizischen Raum wurde das Bildnis der stillenden Göttin bereits im 8. Jh. v. Chr. adaptiert, wo es z. B. auch auf Silberschalen sowie einem Relief auf dem Karatepe verwendet wird.150 Daneben wird üblicherweise auch das (hier nicht eigens besprochene) in großer Anzahl unter den Amuletten vertretene Motiv der Kuh mit saugendem Kälbchen mit Isis bzw. Ha144 Vgl. dazu Kap. 5.2.2.3; und ausführlich zur Beziehung zum Herrscher NAGEL, Isis und die Herrscher; für die frühere Zeit siehe MÜNSTER, Isis, S. 137–145. 145 Besonders die YeHawmilk-Stele aus Byblos (5. Jh.) und ein Relieffragment aus æïr eibbä (Nähe Tyros), siehe z. B. A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 13–14 u. 185–186; Taf. 1; DU MESNIL DU BUISSON, Dieux phéniciens, S. 66–67 m. Abb. 16. 146 Siehe dazu auch QUACK, Importing and Exporting Gods, S. 258. 147 Kap. 7.1.2.A–B und D. Vgl. auch die Beliebtheit dieses Typus auf kaiserzeitlichen Gemmen, s. o., Kap. 6.5.4. 148 G. HERRMANN, Ivories from Room SW 37 Fort Shalmaneser, Ivories from Nimrud (1949–1963), Fsc. IV, London 1986, Kat. 1018–1022; Bd. 1, S. 19–20; 39; und 202–203; Bd. 2, Taf. 264–265. 149 A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 185, erwähnt eine nackte (!) Bronzestatuette mit phönizischer Inschrift für Astarte, die jedoch von CH. CLERMONT-GANNEAU, Séance du 26 août 1904, in: CRAI 1904, S. 472–473, ohne Abbildung und Fundortangabe publiziert wurde und mir daher ein sehr unsicherer Beleg zu sein scheint. SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, erwähnt eine saitische Isis-lactans-Bronze mit Uräenmodius und Hathorgehörn aus Eryx (ibid., Kat. Nr. 274; S. 93) sowie eine ägyptisierende mit abgebrochener Krone des 5.–4. Jhs. (laut SFAMENI GASPARRO punische Produktion) aus Lilybaeum (ibid., Kat. Nr. 298; S. 98; Taf. LX). Zu möglichen vorhellenistischen Bronzestatuetten der Isis-Familie vgl. HÖLBL, Malta und Gozo, S. 167. 150 Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 117 u. 290; A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 169 u. 186. Zum Thema der Mutter-Kind-Ikonographien in Ägypten und dem Vorderen Orient in der Bronzezeit siehe ST. L. BUDIN, Images of Woman and Child from the Bronze Age. Reconsidering Fertility, Maternity, and Gender in the Ancient World, Camden, New Jersey 2011, bes. S. 149–173 zur Levante.

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thor und Horus in Verbindung gebracht.151 Dies wird besonders deutlich, wenn die andere Seite des Amulettes mit Horus in Zusammenhang stehende Symbolik, d. h. das Udjatauge oder noch deutlicher den Kindgott zwischen Flügelgöttinnen, zeigt.152 Transportiert werden mit dem Lactans-Schema die mütterlichen Aspekte der Fürsorge und des Schutzes, was sich gut mit der Verwendung als Amulett in Verbindung bringen läßt. Nach ägyptischem Verständnis repräsentiert das Stillen des Horus oder auch des Königs (in seiner Rolle als Horus) jedoch zudem die Übertragung des Königtums und damit eine Herrschaftslegitimation.153 Ob dieser Inhalt auch im phönizischen Kulturbereich noch in der Szene gesehen wurde, ist allerdings fraglich und wohl nicht nachzuweisen.154 4. Typus: Wohl ebenso beliebt wie Isis lactans ist das Bildschema der geflügelten Göttin, das sich von den in Ägypten häufig als Beschützerinnen (besonders des Verstorbenen) dargestellten Isis und Nephthys ableiten läßt.155 Auch dieses Motiv fand schon früh Eingang in die phönizische Kunst:156 Auf zwei Elfenbeinen des 8. Jhs. v. Chr. aus ArslanTash ist eine Göttin im stark ägyptisierenden Stil einer geflügelten Isis dargestellt.157 Im westphönizischen Raum begegnet die Ikonographie mit seitlich stehender, seltener frontal dargestellter Flügelgöttin, auf Patäken-Amuletten und rechteckigen Plaketten,158 auf Skarabäen und Siegelabdrücken,159 Rasierklingen,160 Goldringen,161 Münzen162 und anderem mehr. In den meisten Fällen bildet sie eine Nebenfigur zu einer weiteren Gottheit, welche das Objekt ihres Schutzes ist. Am häufigsten ist dies der Kindgott, der ebenfalls ägyptischen Darstellungsschemata entspricht (z. B. hockender jugendlicher Gott auf der Lotusblüte). Dabei kann auch eine Kombination mit dem Isis-lactans-Typus vorliegen, indem die stillende Göttin gleichzeitig ihre Flügel ausbreitet.163 Etwas seltener als der Kindgott ist es eine Osiris-förmige Gestalt, die von einer oder zwei Göttinnen beschützt wird, so z. B. auf den maltesischen Münzen.164 Manchmal sind die beiden Götter ikonographisch aneinander 151 Siehe z. B. REDISSI, Amulettes puniques, Nr. IV u. VI, S. 99–101; HÖLBL, Sardinien, S. 147–148; zum Motiv insgesamt siehe KEEL, Böcklein, bes. S. 54–87. 152 Vgl. KEEL, Böcklein, S. 86; Abb. 48a–b (= ACQUARO, Amuleti egiziani, Nr. 486; Taf. XX). 153 Vgl. MÜNSTER, Isis, S. 142–143; NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 118. 154 Auch A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 186, sieht diesen Bezug als unsicher an. 155 Vgl. dazu die Diskussion der Dekoration der alexandrinischen Gräber, wo dieses Bildschema ebenfalls weiter tradiert wurde, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs). Vgl. auch wieder die magischen Gemmen der Kaiserzeit, Kap. 6.5.4. Zu Isis (und anderen ägyptischen Göttinnen wie Chuit) mit Flügeln und ihrer Schutzfunktion siehe z. B. BUDDE, Götterkind, S. 124. 156 Vgl. auch HÖLBL, Sardinien, S. 149. 157 Die Stücke befinden sich im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, Inv. 72/39 und 72/40; siehe U. L. GEHRIG/H. G. NIEMEYER, Die Phönizier im Zeitalter Homers, Kestner-Museum Hannover, 14. Sept. 1990 bis 25. Nov. 1990 (Ausstellungskatalog), Mainz 1990, Nr. 30; JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 165. Noch früher, im frühen 2. Jts. v. Chr., sind bereits geflügelte Göttinnen mit weniger deutlich ägyptisierender Ikonographie auf syrischen und paläophönizischen Rollsiegeln dargestellt, siehe GUBEL, Das libyerzeitliche Ägypten, S. 69–70, Abb. 1. 158 Kap. 7.1.2.A. 159 Kap. 7.1.2.B. 160 Kap. 7.1.2.D. 161 Kap. 7.1.2.E. 162 Kap. 7.1.3. 163 Siehe z. B. HÖLBL, Sardinien I, Kat. 74 u. 81, S. 289–290. 164 Siehe Kap. 7.1.3.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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angenähert, bzw. für Horus typische Zusatzelemente, wie z. B. das Papyrusdickicht, können auch für Osiris auftreten und umgekehrt, weshalb HÖLBL davon ausgeht, daß beide Bildchiffren (Osiris und junger Gott) in der phönizisch-punischen Interpretation für einen einheimischen sterbenden und wieder auferstehenden Wachstumsgott stehen, der in beiden Formen auftritt, möglicherweise Mot, Adonis oder Eschmun.165 Er sieht darin eine Geburtsund Erneuerungsszene. Prinzipiell ist die geflügelte Isis (zusammen mit Nephthys) jedoch auch in Ägypten sowohl als Beschützerin von Horus sowie des verstorbenen Osiris, besonders auf der Balsamierungsliege, häufig belegt. Letzteres Bildschema mit liegendem Osiris wurde jedoch anscheinend nicht in den phönizischen Motivschatz übernommen, sondern der Gott wird immer stehend gezeigt. M. E. kommt in den phönizischen Darstellungen der Flügelgöttin in erster Linie die Schutzfunktion, vor allem gegenüber dem Kind bzw. Kindgott, zum Ausdruck, was sich besonders gut für die Funktion der meisten Bildträger als Amulette eignet. Die Adaption der Variante mit mumienförmigem Gott für die Münzprägung könnte jedoch noch einen anderen Hintergrund haben, der sich wohl nur durch die Bedeutung des dargestellten (einheimischen?) Gottes erklären läßt. Neben dem Typus der Göttin mit schützend seitlich vom Körper ausgebreiteten Flügeln gibt es auch verschiedene Beispiele, welche die von der Körpermitte ausgehenden Flügel um den Rock des Gewandes gewickelt zeigen166 – ein geläufiges Merkmal von Isis und anderen Göttinnen innerhalb der ägyptischen Kunst. Beide Darstellungsweisen sind als engstens miteinander verwandt zu betrachten. Die Flügelrock-Variante ist sogar in der punischen Großplastik belegt; aufgrund seiner außergewöhnlichen Qualität und insgesamt interessanten Ikonographie soll an dieser Stelle näher auf einen Sarkophag aus dem karthagischen Nekropolenbereich von Sainte-Monique eingegangen werden.167 Es handelt sich um einen marmornen Kastensarkophag mit giebelförmigem Deckel, auf dem eine weibliche Figur im Halbrelief angebracht ist, die ursprünglich farbig bemalt war.168 Von den Hüften an abwärts ist sie von zwei großen übereinander geschlagenen Flügeln bedeckt; darunter und am Oberkörper ist ein griechischer Chiton mit halblangen Ärmeln und symmetrisch angelegtem Faltenverlauf erkennbar. In der an die Hüfte gehobenen linken Hand hält sie eine Pyxis, in der gerade herabhängenden Rechten eine Taube. Der Sarkophag wird heutzutage, u. a. aufgrund eines vergleichbaren Stückes aus Tarquinia, üblicherweise in das dritte Viertel des 4. Jhs. v. Chr. datiert, was sich gut in die Hauptnutzungszeit der Nekropole im 4. und 3. Jh. eingliedert.169 In der Forschung wurde die Frauenfigur mehrfach als idealisierte Priesterinnendarstellung,170 speziell der Göttin Tanit, 165 HÖLBL, Sardinien I, S. 149 u. 284–285; ID., Malta und Gozo, S. 161–164; ID., Methodik, S. 321–323. 166 Z. B. HÖLBL, Sardinien I, Kat. 78–80 u. 82, S. 289–290. Zum Federkleid in der phönizischen Kunst siehe auch GUBEL, Axe-Bearing Astarte, S. 5; HÖLBL, Sardinien I, S. 312; zu den Darstellungen punischer Göttinnen sowie des Genius Terrae Africae mit von Flügeln umwickelten Beinen LIPIŃSKI, Peuples de la Mer, S. 83–89. 167 Ich danke B. GESSLER-LÖHR herzlich für ihre Diskussionsbereitschaft sowie für hilfreiche Hinweise zu diesem Sarkophag und den Vergleichsstücken. 168 Siehe ausführlich dazu JUNGINGER, Sarkophagfigur, mit Angabe und Besprechung der älteren Literatur; außerdem: BOL, ‚Menschengestaltige‘ Sarkophage, S. 178–179; Hannibal ad portas, Kat. Nr. 61, S. 284–285 (G. MAAß-LINDEMANN). 169 JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 161, mit weiteren Anhaltspunkten zur Datierung. 170 Auf die Interpretation als Kultakteurin oder Adorantin könnte z. B. das Gefäß in der linken Hand hinweisen, vgl. JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 168, Anm. 109.

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oder sogar als Göttin selbst angesehen.171 Formal läßt sich in der Kopf- und Gewandgestaltung deutlich griechischer Einfluß erkennen, was in Karthago besonders in der Grabausstattung jedoch nicht ungewöhnlich ist.172 Die Flügel hingegen lassen sich mit ägyptischen Götter-, seltener auch Menschendarstellungen in Verbindung bringen.173 Erinnert sei angesichts der Objektgattung weiterhin an den ägyptischen Typus der Rishi-Sarkophage mit Feder-Dekoration. Im Detail unterscheidet sich die Ausführung der Flügel jedoch von den meisten ägyptischen Beispielen unter anderem schon dadurch, daß die Flügel vor dem Körper gefaltet sind anstatt einmal herumgewickelt, sowie durch den Fischschwanz-artigen Abschluß der beiden Flügelspitzen. Sehr nahe kommt dieser Form allerdings eine Teje-Statuette aus Steatit, die wohl Teil einer Familiengruppe zusammen mit ihrem Gatten Amenophis III. (und evtl. weiteren Angehörigen) bildete.174 Auch der Schulterkragen der Deckelfigur läßt sich als Hinweis auf Ägypten deuten. Besonders auffällig ist jedoch der auf dem die Haare bedeckenden Schleier aufliegende Vogelkopf, der trotz fehlenden Leibs an die ägyptische Geierhaube von Göttinnen und Königinnen gemahnt. Der darüber gesetzte zylinderförmige Gegenstand entspricht in etwa dem ägyptischen Kronenuntersatz, der auch im originalen Kontext auf der Geierhaube aufsitzt.175 Auch hier bildet die erwähnte Teje-Statuette eine gute Parallele, da sie sowohl Geierhaube als auch eine Federkrone mit Modius-artigem Unterteil aufweist. Die Haargestaltung der Frauengestalt auf dem Sarkophag ist wahrscheinlich an die ägyptische dreiteilige Perücke angelehnt, über der hier ein Schleiertuch liegt. Insgesamt wurden also zahlreiche ägyptische ikonographische Elemente adaptiert, aber selbständig abgewandelt: die Gestaltung der Flügel, die dreiteilige Perücke, der Halskragen und der Kopfschmuck mit dem Vogelkopf, welcher laut R. BOL den einer Taube statt gut ägyptisch eines Geiers darstellt.176 Der Schnabel sieht jedoch markanter und gebogener aus als derjenige der Taube in der Hand. Wohl deshalb bezeichnet G. MAAß-LINDEMANN den Vogel als Sperber, was mir noch naheliegender erscheint als eine Taube.177 Falls es sich dennoch um eine Taube handeln sollte, würde dieser Kopfschmuck sich in eine Gruppe von griech.-röm. Isisdarstellungen einreihen, deren Vogelkappe A. KRUG erstmals als Taube identifiziert hat, nachdem aufgrund des ägyptischen Vorbildes zuvor immer pauschal ein Geier angenommen wurde.178 Der Sarkophagdeckel wäre damit jedoch ein ungewöhnlich frühes Beispiel für dieses ikonographische Element, wenn seine Datierung zutrifft. Im syrisch-phönikischen Raum war die Konzeption einer Isis-Aphrodite mit Taubenkappe offenbar bekannt, da einige Bronzestatuetten mit diesem Merkmal von dort stammen, die jedoch alle in hellenistische oder römische Zeit datieren.179 Dabei kann leicht eine Ver171 172 173 174

175 176 177 178 179

Zu den verschiedenen Forschungsmeinungen siehe JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 162, Anm. 68–71. Vgl. JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 162; BOL, ‚Menschengestaltige‘ Sarkophage, S. 179. Siehe JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 163, und Taf. 73a u. 74c. Paris, Louvre, Inv. E 25493, N 2312; siehe A. P. KOZLOFF/B. M. BRYAN (Hrsg.), Egypt’s Dazzling Sun. Amenhotep III and his World, The Cleveland Museum of Art July 1 – September 27, 1992, Cleveland 1992, Kat. Nr. 22, S. 191, Taf. 16; 202–203. Ein ähnliches Federkleid findet sich auch bei einer weiteren Teje-Statuette in Kairo, CGC 780. Vgl. JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 164. BOL, ‚Menschengestaltige‘ Sarkophage, S. 179. In: Hannibal ad portas, Kat. Nr. 61, S. 284–285. Siehe KRUG, Isis – Aphrodite – Astarte. Vgl. KRUG, Isis – Aphrodite – Astarte, S. 187.

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bindung zu Astarte (oder einer anderen weiblichen Gottheit dieses Raumes) gezogen werden, da diese verschiedene Eigenschaften sowohl mit Isis als auch mit Aphrodite teilt,180 was ihre Assimilation herbeiführte, und zudem die Taube seit der Frühzeit eine wichtige Rolle für sie (und auch andere Göttinnen) spielte.181 Auch auf den phönizischen Stelen werden häufiger Tauben dargestellt,182 was zeigt, daß ihnen dort eine wichtige symbolische Bedeutung zukommt. Sofern bei der Deckelfigur doch kein Taubenkopfschmuck vorliegen sollte, bliebe zumindest die Taube in der Hand, was ein häufiges Attribut vorderasiatischer Göttinnen ist. Andererseits wurde eine Identifizierung des Vogels auf dem Kopf der Skulptur als Sperber nahegelegt.183 Dieser könnte einerseits eine Anspielung auf Isis’ ägyptische Gestalt als Sperber- (oder Milan-)weibchen bei der Trauer um Osiris sein,184 was hier gut zum funerären Kontext passen würde; andererseits könnte der gebogene Schnabel auch auf die Beziehung zum falkengestaltigen Horus hinweisen. Es ist jedenfalls auffällig, daß mit der Kopfbedeckung, dem Flügelrock und der Taube gleich drei Bezüge zu Vögeln vorliegen. Die Gesamtkonzeption der Deckelfigur legt nahe, daß es sich um die Darstellung einer einheimischen Göttin handelt, die möglicherweise mit einer ägyptischen Gottheit assimiliert wurde.185 JUNGINGER führt auf der Suche nach Parallelen mehrere Terrakotta-Statuetten mit ähnlichen Merkmalen (bes. Flügel, Halskragen, Frisur) an;186 besonders prägnant ist eine Frauenfigur mit Löwinnenkopf, von der mehrere gleichartige Statuetten in einem ländlichen Heiligtum in Thinissut, im Umland Karthagos, gefunden wurden.187 Sie wird aufgrund der Weihung des Heiligtums anhand der erhaltenen Inschriften als Tanit identifiziert, die jedoch über Astarte von der löwenköpfigen Darstellung der ägyptischen Sachmet beeinflußt worden ist.188 Mit dem 1. Jh. v. – 1. Jh. n. Chr. datiert die Terrakotte jedoch deutlich später als die Sarkophagfigur. Löwenköpfige Flügelgöttinnen sind jedoch auch schon früher auf punischen Skarabäen und durch eine goldene Amulett-Statuette der Sachmet mit be-

180 Siehe z. B. auch C. BONNET, Astarté. Dossier documentaire et perspectives historiques, Rom 1996, S. 63–67 zu Astarte und Isis, und S. 147–150; J. LECLANT, Astarté à cheval d’après les représentations égyptiennes, in: Syria 37, 1960, S. 1–67: 3–4; BRICAULT, Dame des flots, S. 20, Anm. 71. Zu Isis und Astarte vgl. auch MM I, Z. 18 (Kap. 6.1.2.1), mit dem Kommentar von VANDERLIP, Four Greek Hymns, S. 28; pOxy. 1380, Z. 116–117, Kap. 6.1.3.2; und die demotische Amazonenerzählung, siehe oben, Kap. 6.4.2.1. 181 KRUG, Isis – Aphrodite – Astarte, S. 188; LIMC III, 1986, Addenda, s. v. Astarte, Sp. 1085. 182 Vgl. JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 171, Anm. 137. 183 S. o., Anm. 177. 184 Siehe dazu oben, Kap. 4.8.1.A, Anm. 117 zu Deir Chelouit II, Nr. 84; Kap. 6.3.1, Anm. 11; 6.5.3.3. 185 Siehe dazu besonders HÖLBL, Sardinien I, S. 14, und ID., Methodik. Weitere Beispiele für phönizische Göttinnen im ägyptischen Habitus bei JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 165, m. Anm. 91. 186 JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 165–167. 187 Aufbewahrt in Tunis, Musée du Bardo; siehe dazu A. MERLIN, Le Sanctuaire de Baal et de Tanit près de Siagu, Paris 1910, S. 44–46; Taf. III, 1–2; JUNGINGER, Sarkophagfigur, Taf. 73d; LIPINSKI, Peuples de la Mer, S. 83–89, m. Abb. auf S. 84. 188 Vgl. JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 166, Anm. 101. Zur Identifikation von Astarte mit Sachmet siehe ausführlicher HOENES, Sachmet, S. 180–181. Vgl. die zahlreichen Amulettkapseln mit Löwenkopf, s. o., Kap. 7.1.2.C.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

reits weiterentwickelter Ikonographie belegt.189 Nach punischem Verständnis könnte der Löwenkopf auch eine Anspielung auf den Löwen sein, von dem Astarte häufig begleitet wird.190 Gut vergleichbar mit dem karthagischen Sarkophag ist weiterhin der Holzsarg der Teteharsiese aus Sakkara,191 der ganz in Gestalt einer Frau gearbeitet ist, wobei sowohl Flügel, in diesem Fall jedoch einmal komplett um den Unterleib gewickelt, als auch eine Geierhaube(?),192 ein Halskragen und eine Abwandlung der dreiteiligen Perücke (mit unägyptischer Behandlung der Stirnhaare) mit einem gefältelten fußlangen Gewand mit Halbärmeln kombiniert sind. Die Flügel gehören in diesem Fall laut PARLASCA allerdings zu einem Falken, der auf dem Rücken dargestellt ist.193 Während das weibliche Gesicht griechisch archaische Züge trägt, scheint die Armhaltung der Frau, mit dem linken, vor dem Körper angewinkelten Unterarm und der rechten etwa im Bereich der Scham zu liegen kommenden Hand, an klassische statuarische Vorbilder vom Typus der Aphrodite Pudica anzuschließen, welche PARLASCA hier mit (Isis-)Hathor gleichgesetzt sieht, zumal diese in griech.-röm. Zeit die Rolle einer Totengöttin für Frauen übernahm.194 Die genaue Datierung des Stückes ist aufgrund des eklektischen Umgangs mit ägyptischen und griechischen Elementen verschiedener Zeiten sowie des verlorenen Fundkontexts problematisch. Daß entgegen PARLASCA195 „eine derartige synkretistische Darstellungsform“ durchaus in ptolemäischer Zeit bereits denkbar ist und nicht zwangsläufig in die frühe Kaiserzeit weisen muß, zeigen bereits allein die hier besprochenen phönizischen und punischen Denkmäler. Trotz der großen, auch stilistischen, Unterschiede in der Ausführung der Details, läßt sich die grundsätzliche enge konzeptuelle Verwandtschaft mit der karthagischen Deckelfigur m. E. nicht absprechen. Die in der Forschung gängige Verbindung der genannten ägyptischen Elemente mit Isis (oder auch Nephthys) wird von JUNGINGER abgelehnt.196 Sie hält eine Darstellung der einheimischen Göttin Tanit aufgrund der ihr zuzuordnenden ähnlichen Figuren für am wahrschein-

189 Siehe HÖLBL, Sardinien I, Kat. 166–167, S. 311–312, der davon ausgeht, daß löwenköpfige und menschenköpfige Flügelgöttinnen prinzipiell dieselbe Göttin meinen. Zur Goldstatuette der Sachmet mit Flügelkleid LIPIŃSKI, Peuples de la Mer, S. 85 u. Abb. auf S. 86. 190 Vgl. BERGES, Tonsiegel, S. 60. 191 Ehemals Ägyptisches Museum Berlin Inv. 31, Kriegsverlust. Siehe dazu H. DRIDI, Sarcophages en bois de Carthage, in: R. Bol/D. Kreikenbom (Hrsg.), Sepulkral- und Votivdenkmäler östlicher Mittelmeergebiete (7. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr). Kulturbegegnungen im Spannungsfeld von Akzeptanz und Resistenz, Paderborn, 2004, S. 142–148: 147–148, Taf. 63; GERMER/KISCHKEWITZ/LÜNING, Berliner Mumiengeschichten, S. 101–103; PARLASCA, Holzsarkophage, S. 122–123. Dieses Vergleichsstück wird trotz seiner Erwähnung in demselben Tagungsband nicht von JUNGINGER herangezogen. 192 Laut A. ERMAN, Ausführliches Verzeichnis der Aegyptischen Altertümer und Gipsabgüsse, Königliche Museen zu Berlin, Berlin 1899, S. 342; auf dem erhaltenen Schwarzweiß-Photo ist diese jedoch nicht zu erkennen; die ausgesparte Rille über den Stirnhaaren weist auf einen weiteren, nicht mehr vorhandenen Kopfschmuck hin. 193 PARLASCA, Holzsarkophage, S. 123. 194 PARLASCA, Holzsarkophage, S. 123; ID., Mumienporträts und verwandte Denkmäler, Wiesbaden 1966, S. 162; vgl. auch GERMER/KISCHKEWITZ/LÜNING, Berliner Mumiengeschichten, S. 101 m. Anm. 4; zu Hathor als Totengöttin siehe jetzt M. SMITH, Following Osiris, S. 251–255 u. 384–389. 195 PARLASCA, Holzsarkophage, S. 123. 196 JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 168–169.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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lichsten.197 M. E. ist deren Identifikation mit einer ägyptischen Göttin – und da wäre Isis die naheliegendste – aufgrund der genannten Indizien jedoch keinesfalls auszuschließen.198 5. Typus: Die Form einer Büste mit ägyptisierenden Zügen ist besonders typisch für Münzbilder,199 kommt jedoch z. B. auch an Griffen von Bronzevasen200 vor, wobei letztere formal direkt von den ägyptischen Ägiden abgeleitet sind.201 Sowohl in der zwei- als auch in der dreidimensionalen Darstellungsweise finden sich sehr ähnliche Merkmale: eine ägyptische Frisur, meist an die dreiteilige Perücke angelehnt, sowie Abwandlungen des HathorKopfschmucks oder der Hemhem-Krone. Die auf den Münzen anzutreffenden Bildschemata der Büsten im Profil sind jedoch im Gegensatz zu den zuvor besprochenen Typen nicht direkt von ägyptischen Vorbildern übernommen, sondern bilden eine eigene punische Umsetzung mit Hilfe einzelner ägyptischer Elemente. Dazu gehört in einigen Fällen auch noch die Geierhaube, die möglicherweise ja ebenfalls auf dem oben besprochenen Sarkophagdeckel von Sainte-Monique präsent ist. Hinweise auf die Identität und Funktionen der jeweils dargestellten Gottheit liefern die Symbole, die in Kombination mit der Büste auf die Münzen geprägt wurden: die Getreideähren der Emissionen Karthagos, Iols und Maltas deuten darauf hin, daß sie mit Fruchtbarkeit und Vegetation in Verbindung steht, während die bekrönende Nike auf den Cossura- und Icosium-Prägungen der Göttin Sieghaftigkeit und damit eine möglicherweise kriegerische Funktion zuschreibt. Beide Eigenschaften passen gut zu Astarte bzw. Tanit, auf die weiterhin das Tanitzeichen auf Münzen Cossuras und Maltas verweist, sind aber gleichzeitig mit Isis gut vereinbar, zumal, falls sich, wie einige Autoren annehmen, in der Münzprägung der genannten Orte ein ptolemäischer Einfluß (als Gegenmacht zu Rom) widerspiegelt. Auch die Lagidendynastie hat schließlich bedeutende militärische Siege (z. B. in der Schlacht von Raphia) unter das Banner der Göttin und ihrer Familie gestellt.202 Auch mag die schon bei Herodot (II, 59) erwähnte Gleichsetzung der Isis mit Demeter für die Kombination mit den Getreideähren eine Rolle spielen.203 Desweiteren wurde Astarte im maltesischen Heiligtum von Tas Silġ mit Hera/Juno verbunden, wie dort gefundene Inschriften belegen.204 Auf diesen Synkretismus könnte die 197 JUNGINGER, Sarkophagfigur, S. 171–172. 198 Interessanterweise findet sich eine weitere vergleichbare Darstellung auf einem leider verschollenen Relief aus Rom (allerdings mit unbekannter genauer Provenienz), das nur durch eine Zeichnung von Dal Pozzo vom Anfang des 17. Jhs. überliefert ist, siehe ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, Kat. 46, Taf. XLIX, Abb. 65; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 140, Taf. LXXXVII; S. 82–83 u. 167. Die Frauenfigur trägt ein knöchellanges plissiertes Gewand ohne Ärmel, um welches von der Taille an abwärts Flügel gewickelt sind. Gewand, sowie Ansatz und Wicklung der Flügel unterscheiden sich also im Detail von dem Sarkophagdeckel. Sehr ähnlich sind hingegen der breite Halskragen und die altertümliche Gestaltung der Haare in vorne auf die Schulter fallenden fein gelockten oder geflochtenen Strähnen mit einem darüber gelegten Kopftuch. Die Göttin auf dem Relief trägt ein Hathorgehörn auf einem flachen runden Untersatz, allerdings keine Vogelhaube. 199 Kap. 7.1.3. 200 Kap. 7.1.2.E. 201 Solche Isis-Hathor-Ägiden finden sich im ägäischen Raum selten auch als Amulett-Typus, vgl. HÖLBL, Vorhellenistische Isisfigürchen, S. 280–281. 202 Siehe oben, Kap. 6.2.10.1; vgl. NAGEL, Isis und die Herrscher, und Isis-Epitheta wie „die einem Kraft/Sieg gibt gegen eine Menge, indem sie ihren Feind unter ihren Liebling gibt“ (Graffito Ph. 421, Kap. 6.2.2.2). 203 Vgl. HÖLBL, Malta und Gozo, S. 166. Zu Isis und Demeter siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 204 Vgl. BONANNO, Egyptianizing Relief, S. 225–226.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

in hellenistischer Art mit Diadem und Schleier dargestellte Büste auf der zweiten Münzserie Maltas anspielen. Zudem stammt von dort eine hellenistische Frauenstatue, die meist als Astarte-Hera gedeutet wird, und einen Halskragen sowie offenbar (der Kopf ist verloren) eine libysche Lockenfrisur trägt.205 Kaiserzeitliche Architekturelemente mit ägyptisierenden Schlangendarstellungen ordnet BONANNO ebenfalls dem Heiligtum von Tas Silġ zu,206 worin sich eine Kontinuität der Verbindung der dortigen Göttin mit zumindest ägyptischer Ikonographie, wenn nicht sogar mit der Verehrung ägyptischer Gottheiten, offenbart. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die in den phönizisch-punischen Raum übertragenen Bildchiffren für Isis die Göttin zunächst natürlicherweise mit den Inhalten verbinden, die auch in Ägypten die ursprünglichsten und zentralen Funktionen darstellen: die mütterliche Beziehung zum Kind Horus und sein Aufziehen, sowie eine in erster Linie auf Horus und Osiris gerichtete, aber auch allgemeingültige Schutzfunktion. In den Szenen, die die Flügelgöttin mit dem mumienförmigen Gott zeigen, könnte auch das Thema der Wiederbelebung und Regeneration mitschwingen. Im Laufe der Zeit kommen durch eigene punische Impulse neue Elemente hinzu, wie z. B. die Darstellung der Schwangerschaft bei den figürlichen Amuletten und eine dadurch erwirkte Betonung des für Isis ursprünglich weniger zentralen Fruchtbarkeitsaspektes. In Ägypten liegt der Blickpunkt vielmehr auf Isis’ aktiven Handlungen, d. h. die Suche nach ihrem Gatten und dessen rituelle Bestattung und Wiederbelebung, die darauffolgende nur durch die Göttin selbst ermöglichte Empfängnis und schließlich die Geburt und das Aufziehen ihres Sohnes unter Abwehr aller möglichen Gefahren. Der zwischen den beiden Episoden liegende Abschnitt der Schwangerschaft spielt hingegen praktisch keine Rolle in der bildlichen Darstellung, stellt jedoch eine konsequente ikonographische Weiterentwicklung der ägyptischen Inhalte dar. Mit der Fruchtbarkeit des Landes und der Ernte werden später die Göttinnenbilder in der punischen Münzprägung in Zusammenhang gebracht, während andere Prägungen eine Schirmherrin des Sieges zeigen. Für diese Aspekte können leicht ägyptische Vorbilder, möglicherweise bereits auch ptolemäische Einflüsse herangezogen werden: Sowohl als Isis-Sothis als auch in ihrer Verbindung mit Thermuthis ist die Göttin für das Gedeihen des Landes zuständig, weshalb sie bereits von Herodot mit Demeter identifiziert wird.207 Schirmherrin des Sieges ist sie von ägyptischer Seite her durch ihre aktive Unterstützung des Sieges von Horus über Seth; zudem werden in der ptolemäischen Propaganda militärische Ereignisse wie beispielsweise der Sieg Ptolemaios’ IV. bei Raphia unter das Banner der Isisfamilie gestellt.208 Auch an den Titel der Isis HA.t pA mSa („die an der Spitze des Heeres“) im Tempel von Assuan (unter Ptolemaios III.–IV.) sei erinnert.209 Der relativ große Anteil der Isis-Ikonographien als Darstellungsschema für Göttinnen im Allgemeinen, sowie die Horus/Harpokrates-Motive, und ihre Verbreitung erscheinen um so klarer, wenn man sie im Kontext der Fundkonzentration von ägyptischen/ägyptisierenden Amuletten in Frauen- und Kindergräbern sowie in Tempeln eben jener weiblichen 205 Siehe BONANNO, Egyptianizing Relief, S. 225, Abb. 3. 206 BONANNO, Egyptianizing Relief. 207 Siehe dazu oben, zu den Hymnen des Isidorus in Medinet Madi, Kap. 6.1.2.1; vgl. auch Kap. 5.2.2.2.B zu Isis-Sothis. 208 Siehe oben. 209 Vgl. Kap. 4.2 und 6.2.3.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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Gottheiten betrachtet. Diese Umstände legen nahe, daß die punische Amulettpraxis neben dem Funerärkult im Allgemeinen insbesondere die weiblichen Bereiche Fruchtbarkeit und Schutz des Kindes abdeckte.210 Welche Identität die jeweils dargestellten Götter nach punischem Verständnis gehabt haben mögen, ist anhand der präsentierten Denkmäler für uns heute schwer nachvollziehbar.211 HÖLBL z. B. geht davon aus, daß sowohl die stillende als auch die geflügelte Göttin grundsätzlich die oberste einheimische Göttin, d. h. Astarte oder Baalat und später im punischen Raum Tanit, gemeint haben müssen,212 ebenso wie er den jungen und den mumifizierten Gott als phönizischen interpretiert.213 Andere Forscher gehen von einer Identifizierung ägyptischer und phönizischer Götter miteinander aus.214 Näheren Aufschluß über die Bekanntheit und eine tatsächliche kultische Verehrung des ägyptischen Isiskreises in Westphönizien können möglicherweise die erhaltenen Schriftzeugnisse geben. 7.1.5 Schriftliche Zeugnisse für eine Verehrung der Isis Konkrete Schriftzeugnisse für eine Verehrung der Isis und ihrer Familie im phönizischpunischen Raum sind relativ rar gesät, und ähnlich wie bei den ikonographischen Zeugnissen ist auch hier die genaue Interpretation des Befundes nicht immer ganz klar. 7.1.5.A Onomastik Daß ägyptische Götter auch unter ihrem originalen Namen bekannt waren und man ihnen eine gewisse Bedeutung zugesprochen haben muß, geht aus ihrer relativ häufigen Verwendung innerhalb der phönizischen Onomastik hervor, wobei bemerkenswert ist, daß es sich dabei vorrangig um dieselben Götter handelt, die den ägyptischen und ägyptisierenden Amuletten am häufigsten zugrunde liegen, darunter auch Isis (phönizisch As) und Osiris (Asr).215 Mit diesen gebildete theophore Personennamen begegnen im Namensschatz ab dem 210 Vgl. speziell dazu: G. HÖLBL, Egyptian Fertility Magic within Phoenician and Punic Culture, in: A. Bonanno (Hrsg.), Archaeology and Fertility Cult in the Ancient Mediterranean, Papers Presented at the First International Conference on Archaeology of the Ancient Mediterranean, The University of Malta 2–5 Sept. 1985, Malta 1986, S. 197–205; außerdem HÖLBL, Malta und Gozo, S. 21; PADRÓ I PARCERISA, Egyptian Type Documents IV, S. 199. Im punischen Raum erlangt die weibliche Gottheit Tanit(-Astarte) überhaupt eine wachsende Bedeutung gegenüber männlichen Gottheiten, und wird häufiger dargestellt, vgl. BERGES, Tonsiegel, S. 60. 211 Auf einem besonders qualitätvollen Skarabäus aus Sardinien werden die Gottheiten Isis (As.t dj(.t) anx) und Chons (¢nsw dj anx) durch die hieroglyphischen Beischriften identifiziert, siehe S. PERNIGOTTI, Una rappresentazione religiosa egiziana su uno scarabeo con iscrizione fenicia, in: Atti del I Congresso Internazionale di Studi Fenici e Punici II, Roma, 5–10 Novembre 1979, Collezione di Studi Fenici 16, Rom 1983, S. 583–587; Taf. CXV; VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 79–80. Ob der phönizische Besitzer Bodeschmun, Sohn des Himilko, der sich durch eine phönizische Inschrift auf dem Stück verewigt hat, die Hieroglyphen aber auch lesen konnte oder zumindest um ihre Bedeutung wußte, sei dahingestellt. 212 HÖLBL, Sardinien I, S. 288 u. 290. 213 Siehe oben. Vgl. auch A. NUNN, Figürlicher Motivschatz, S. 191; BERGES, Tonsiegel, S. 60. 214 Siehe z. B. SNRIS (C. SFAMENI), S. 173, wo die Gottheiten auf den maltesischen Münzen als OsirisEschmun (bzw. Osiris-Baal Hammon) und Isis-Astarte gedeutet werden. 215 Vgl. LIPINSKI, Dieux et déesses, S. 323; LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88. Siehe dazu auch RIBICHINI, Divinità egiziane; HALFF, Onomastique punique, S. 71 u. S. 85ff., passim; SCANDONE MATTHIAE, Influenze egiziane, S. 78 (nur zum phönizischen Mutterland); MUCHIKI, Egyptian Proper

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

8. Jh. v. Chr. in den früh belegten Formen P³As (ägyptisch PA-dj-As.t „Den Isis gegeben hat“) bzw. (A)syrbody („Osiris ist hinter/bei mir“).216 Später finden sich auch weitere Bildungen wie z. B. 'sytn („Isis hat gegeben“) und obdAs („Diener der Isis“) für Isis,217 und obdAsr („Diener des Osiris“) für Osiris.218 Die folgende Tabelle zeigt die geographisch-chronologische219 Verteilung der bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommenen phönizischen und punischen PN mit den theophoren Elementen ‚Isis‘, ‚Osiris‘ und ‚Horus‘:220 Name

Bedeutung

Ort

Datierung

AbrAs AmtAsr Asbrk

Isis ist stark Diener d. Osiris Isis hat gesegnet

? 255/4 v. Chr. 2. Jh. v. Chr.

'sytn221

Isis hat gegeben

El-Hofra (Numidien) Idalion (Zypern) Umm el-Awamid (Phönizien) El-Mina (Syrien)

Anzahl d. Belege 1 1 1

4. Jh. v. Chr.

1

Nebi-Yunis (KoileSyrien/Palästina) Byblos (Phönizien)

Hellenist. Zeit

1

3.–2. Jh. v. Chr.

1

Idalion (Zypern)

3. Jh. v. Chr.

1

AsoA

AsrAdr

216 217 218

219 220

221 222

Äg. As(.t)-aA(.t) Isis, die Große, od. von der griech. Form Ἰσιάς222 Osiris ist mächtig

Names (rein ägyptische Namen sowie Namen mit ägyptischen und phönizischen bzw. punischen Bestandteilen), siehe besonders S. 325 zu den hybriden Namen mit ägyptischen theophoren Elementen. Dort offenbart sich ein fundamentaler Unterschied im Vergleich mit der aramäischen, hebräischen und ugaritischen Evidenz, die kaum ägyptische Götternamen aufweist, was die deutlich stärkere Durchdringung der phönizischen Kultur mit ägyptischer Religion demonstriert, wohingegen die kulturell-religiösen Systeme der anderen genannten semitischen Völker weitaus weniger offen und aufnahmefähig dafür waren. LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 93–98; vgl. auch BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 221. Siehe LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88. LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88. LEMAIRE sieht in den frühen Belegen für Osiris-Namen in Phönizien einen Hinweis auf eine besondere Beziehung zum ägyptischen Osiris-Tempel von Abydos, zumal dort zahlreiche phönizische Graffiti aus der Perserzeit zu finden sind, siehe VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 62–65; RUTHERFORD, Pilgrimage, S. 177–179. Die geographischen und chronologischen Angaben gehen größtenteils aus der Quellenliste bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 11–13, hervor. Sowohl rein ägyptische, in phönizische/punische Schrift übertragene Namen (jeweils mit ägyptischer Umschrift im Feld „Bedeutung“), als auch Hybride in phönizischer Sprache mit bloßen ägyptischen theophoren Elementen sind aufgenommen. Ergänzt wird die Liste durch die bei LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 93, genannten Belege, die bei MUCHIKI offenbar nicht aufgenommen sind (jeweils in den Anm. gekennzeichnet). Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). So LIPINSKI, Peuples de la Mer, S. 177.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

Name

Bedeutung

Ort

Datierung

Asrgn AsrSmr Abk. Ar (?)223 Asrtny

Osiris hat geschützt Osiris hat beschützt

Karthago Malta El-Mina (Syrien)

400–146 v. Chr. 2. Jh. v. Chr. 4. Jh. v. Chr.

Anzahl d. Belege 1 2224 1

Osiris, gib ihm

Mitte 5. Jh. v. Chr.

1

Astkny

400–146 v. Chr.

1

Karthago

zweite Hälfte 3. Jh.

1

bnAs

Isis gründet/stattet aus(?) Durch die Hand der Isis (unsicher) Sohn der Isis

Elephantine (Ägypten) Karthago

5. Jh. v. Chr.

1

bnHr225

Sohn des Horus

5. Jh. v. Chr.

1

Hr

Horus

Elephantine (Ägypten) Elephantine (Ägypten) Elephantine (Ägypten)226 Kition (Zypern)

5. Jh. v. Chr.

1

Ende 4. Jh. v. Chr.

1

Abydos (Ägypten)

5.–3. Jh. v. Chr.

1

Karthago

400–146 v. Chr.

2

Demetrias (Griechenland) 227

Ca. 225 v. Chr.

1

Elephantine (Ägypten)

Mitte 5. Jh. v. Chr.

1

Elephantine (Ägypten)

Mitte 5. Jh. v. Chr.

1

El-Hofra (Numidien)

?

1

bdsy

Var. HAr (unsicher) HrwÕ

Hrkp

Hrms

Äg. @r-wD(A) Horus ist wohlbehalten Äg. @r-k(A)p Horus, der Vogelfänger Äg. @r-ms(.w) Horus ist geboren

223 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 224 Siehe dazu auch unten. 225 Siehe dazu RIBICHINI, Divinità egiziane, S. 10, Anm. 25 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 226 Siehe dazu RIBICHINI, Divinità egiziane, S. 10, Anm. 25 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 227 Vgl. RIBICHINI, Divinità egiziane, S. 10–11.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Name

Bedeutung

Ort

Datierung

syrbody228

Osiris ist hinter/bei mir Äg. sr-Wsjr (?)229 Fürst Osiris (?) Diener der Isis

Phönizien

Ca. 800 v. Chr.

Anzahl d. Belege 1

?

?

1

Sidon (Phönizien)

Mitte 5. Jh.

1

Amrit (Phönizien)231

5. Jh. v. Chr.

1

Karthago

400–146 v. Chr.

3

Kition (Zypern)232

4. Jh. v. Chr.

1

Nebi-Yunis (KoileSyrien/Palästina)233 El-Mina (Syrien)

Hellenistische Zeit

2

4. Jh. v. Chr.

1

Elephantine (Ägypten) Karthago

Mitte 5. Jh. v. Chr.

2

400–146 v. Chr.

7

Kition (Zypern)

4.–3. Jh. v. Chr. ca. 300 v. Chr. Hellenistische Zeit

2 1 1

Ende 3.–Ende 2. Jh. v. Chr. 2. Jh. v. Chr.

2

srAsr obdAs (mit Var. obds (?), obdos)

Abk. os (?)230

obdAsr

Diener des Osiris

Nebi-Yunis (KoileSyrien/Palästina)234 Umm el-Awamid (Phönizien)

1

228 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 94–98 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 229 Nach RANKE, Ägyptische PN I, nicht ägyptisch belegt, vgl. jedoch die gleiche Konstruktion mit anderen Götternamen: ibid., S. 316.26–317.3. 230 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 231 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 232 Siehe dazu RIBICHINI, Divinità egiziane, S. 9; M. G. GUZZO AMADASI/V. KARAGEORGHIS, Fouilles de Kition III. Inscriptions phéniciennes, Nikosia 1977, S. 90–91, B 41 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 233 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 234 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen).

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

Name

Bedeutung

Ort

Datierung

obdAsr

Diener des Osiris

Malta

2. Jh. v. Chr.

Anzahl d. Belege 2235

Memphis (Ägypten)

2.–1. Jh. v. Chr.

2

Kition (Zypern)

frühes 3. Jh. v. Chr.

1

Umm el-Awamid (Phönizien) El-Mina (Syrien)

zweite Hälfte 2. Jh. v. Chr. 4. Jh. v. Chr.

1

Äg. wohl anx-@r Horus lebt (unsicher)237 Isis hat erlöst (unsicher)238 Äg. PA-dj-As(.t) Den Isis gegeben hat

Tharros (Sardinien)

?

1

Karthago

400–146 v. Chr.

2

Samaria (Israel)239

8. Jh. v. Chr.

1

Ur (Assyrien)

Mitte 7. Jh. v. Chr.

1

Elephantine

5. Jh. v. Chr.

3

Griech. Φιλόσιρις Geliebt von Osiris Horus hat gewacht Äg. PA-n-Wsjr (unsicher)241

Karthago

400–146 v. Chr.

1

Karthago Abydos (Ägypten)

400–146 v. Chr. ?

1 1

obdHr

or Abk. für obdAsr (?)236 oHr

pds p³As (mit Var. p³Asy) 240

plAsr

plsHr psr

Diener des Horus

(Diener des Osiris?)

1

235 Siehe dazu auch unten. 236 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 88 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 237 Siehe G. VITTMANN, in: HÖLBL, Sardinien, S. 323–324; VITTMANN, Personennamen, S. 93–94 (Ableitung von anx-@r); MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 31–32 (Ableitung von aA-@r „Horus ist groß“). Im Hinblick auf die typischen Namensbildungen der ägyptischen Spätzeit ist nur VITTMANNs Ableitungsvorschlag plausibel. 238 HALFF, Onomastique punique, S. 139, versteht den Namen als Wiedergabe des ägyptischen PA-djAs.t; dagegen argumentiert aber MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 33, m. E. schlüssig, daß das ägyptische d sonst immer mit phönizisch ô dargestellt wird (vgl. auch die üblichen griechischen Umschriften des Namens, die regulär mit τ gebildet werden). 239 Siehe dazu LEMAIRE, Divinités égyptiennes, S. 93–94 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen). 240 BENZ, Personal Names, S. 175; LIPIŃSKI, Dii patrii, S. 50 (nicht bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, aufgenommen).

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Eine Häufung von phönizischen und punischen PN mit den theophoren Elementen Isis und Osiris mit weiteren Formen läßt sich zwischen dem 4. und 2. Jh. feststellen (siehe Tabelle), wobei ein Blick auf die geographische Verteilung zeigt, daß diese in Karthago besonders stark vertreten sind, aber auch auf Zypern (besonders Osiris-Namen), im phönizischen Stammland und in Ägypten selbst breiter gestreut sind.242 Für die phönizischen und punischen Kolonien weiter im Westen fehlen jedoch weitestgehend inschriftliche Zeugnisse dafür. Besonders beliebt scheint der Name obdAsr gewesen zu sein, der mit einer breiten geographischen und chronologischen Streuung auftritt.243 Horus kommt nur relativ selten in phönizischen Namensbildungen vor, ist jedoch mit einigen phönizisch transkribierten ägyptischen Namen vertreten. Der ägyptische Name PA-dj-As.t wird interessanterweise sowohl in der Originalsprache in phönizische Schrift übertragen (P³As)244 als auch in phönizische Sprache übersetzt ('sytn).245 Desweiteren erscheint dieser in der ägyptischen Spätzeit relativ beliebte Name Petiese (PA-dj-As.t)246 häufig im Original auf den importierten als auch auf selbst hergestellten Skarabäen mit Hieroglypheninschriften,247 doch auch andere PA-dj-Namen werden oftmals kopiert (PA-dj-BAs.t, PA-dj-Imn-Ra…).248 Auch Götternamen allein oder kombiniert mit kurzen Formeln (anx, sA etc.) kommen dort vor.249 Bei den hieroglyphischen Skarabäen ist die Frage nach dem Verständnis und der bewußten Auswahl der Dekoration jedoch wiederum schwierig zu beantworten. Hat man die Hieroglyphen an sich bereits als magisch empfunden, handelt es sich nur um eine modische Strömung oder wurden die in den kurzen Inschriften vertretenen ägyptischen Gottheiten tatsächlich verehrt? Letzteres halte ich aufgrund der noch viel größeren Anzahl von Königskartuschen auf den Skarabäen (bes. der 26. Dyn.) für relativ unwahrscheinlich, wohingegen KEEL und UEHLINGER Formeln wie PA-djAs.t als Ausdruck persönlicher Frömmigkeit interpretieren.250 Gegen eine tatsächliche „Lesung“ der Skarabäenlegenden von phönizischer Seite spricht auch die in den Nachahmungen teilweise freie Verwendung einzelner Zeichen oder Gruppen, die nicht immer einen Sinn ergeben.251 Andererseits ist ein grundsätzliches Verständnis der Bedeutung oder

241 242 243 244 245 246 247 248 249 250 251

Vgl. die Überlegungen von MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 38. Siehe MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 10–43. Vgl. die Belegliste bei MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 30. Zu solchen in phönizische Schrift übertragenen, originär aber rein ägyptischen Namen, siehe BENZ, Personal Names, S. 192–193 mit der Rez. von VITTMANN, Personennamen. Speziell zum Namen Petiese bei Phöniziern auch VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 57. Vgl. dazu auch die griechische Version dieses Namens, Isidoros, siehe Kap. 6.1.2.1. Siehe zu diesem Namen in griech.-röm. Zeit KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 79–80, und 74– 81 zu weiteren mit dem Element „Isis“ gebildeten PN; vgl. auch Kap. 6.3.1 und 6.7.2.2. Vgl. z. B. O. KEEL/CH. UEHLINGER, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg 1992, S. 435; HÖLBL, Sardinien, S. 229. Vgl. HÖLBL, Sardinien, S. 191ff. Siehe z. B. VERCOUTTER, Objets égyptiens, S. 78–80; 84–87; mit Isis: Nr. 118; 396. O. KEEL/CH. UEHLINGER, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg 1992, S. 435. Siehe dazu HÖLBL, Sardinien, S. 194–196.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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immerhin des symbolischen Gehalts einzelner Hieroglyphen und Zeichengruppen zumindest durch gebildete Personenkreise keineswegs auszuschließen. 7.1.5.B Eine Bronzesitula unbekannter Provenienz Auf einer Bronzesitula unbekannter Provenienz im Art Museum of Princeton University, welche mit relativ authentisch, wenn auch etwas unbeholfen wirkenden, ägyptisierenden Darstellungen dekoriert ist, befindet sich am oberen Rand eine phönizische Inschrift mit einer kurzen Bitte an Isis für einen Abdi-Ptah: osy ttn Hn wHym lobdptH bn obd Möge Isis Gunst und Leben geben an Abdi-Ptah, Sohn des Abdo!252 Die Formel beruht auf ägyptischen Vorbildern und ist in ähnlicher Weise auch in einer weiteren phönizischen Inschrift auf einer bilinguen (d. h. ägyptisch-hieroglyphischen und phönizischen) Horusstele aus Memphis aus dem 2. Jh. v. Chr. belegt.253 Dort wird ebenfalls Isis neben Astarte (bzw. Isis-Astarte) und anderen Gottheiten angerufen.254 Die Paläographie auf der Situla datiert MCCARTER jedoch wesentlich früher, nämlich bereits in das 6. Jh. v. Chr.255 Passend zur Bittformel zeigen die Bildfelder auf dem Körper des Gefäßes, welches sicherlich im Kontext des Funerärkultes zu sehen ist,256 den wohl verstorbenen Abdi-Ptah anbetend vor den kanonischen Schutzgöttinnen Isis, Nephthys, Neith und Selket, und über dieser rundherum verlaufenden Szene zwei Barken, eine davon mit Benu-Vogel. Trotz der stilistisch unsicheren Ausführung zeigt die Gesamtkomposition deutlich ein tiefergehendes Verständnis des ägyptischen Funerärkultes und mit dem Jenseits verbundener Vorstellungen. Nicht nur Kultgerät, Form und Stil wurden damit adaptiert, sondern wohl auch die dahinter stehenden religiösen Ideen und Praktiken (die Libation für den Toten mit einer Situla).257 Ebenso zeugt der theophore PN des Verstorbenen selbst von der Verehrung 252 MCCARTER, Phoenician Funerary Situla; zur Lesung und Übersetzung, ibid., S. 115–116. 253 Kairo CG 9402 bzw. KAI 48; vgl. dazu auch VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 74; 76, Abb. 36; THOMPSON, Memphis, S. 88–89; J. F. QUACK, Rez. zu: Sternberg-El-Hotabi, Horusstelen, in: OLZ 97, 2002, Sp. 713–729: 723. Zu den Horusstelen vgl. oben, Kap. 6.5.1.1. 254 Hierzu ist desweiteren anzumerken, daß die Göttin Astarte selbst bereits in der 18. Dynastie einen ägyptisierten Kult in Memphis, mit eigener Priesterschaft, erhielt, siehe A. M. WILSON-WRIGHT, Athtart. The Transmission and Transformation of a Goddess in the Late Bronze Age, Forschungen zum Alten Testament, 2. Reihe, 90, Tübingen 2016, S. 27–71, bes. 52–54; vgl. auch K. TAZAWA, Astarte in New Kingdom Egypt: Reconsideration of her Role and Function, in: D. T. Sugimoto, Transformation of a Goddess: Ishtar – Astarte – Aphrodite, OBO 263, Fribourg – Göttingen 2014, S. 103–123. 255 MCCARTER, Phoenician Funerary Situla, S. 115. 256 Zur Typologie und Funktion ägyptischer Situlen siehe M. LICHTHEIM, Oriental Museum Notes: Situla No. 11395 and Some Remarks on Egyptian Situlae, in: JNES 6, 1947, S. 169–179; M. BOMMAS, Situlae and the Offering of Water in the Divine Funerary Cult, in: Acqua Egitto 2005, S. 257–272; vgl. auch CAßOR-PFEIFFER, „Milch ist es…“, zur Milch- bzw. Wasserspende aus Situlae; und oben, Kap. 4.3.2 und 6.2.10.3. 257 Ein anders geartetes Beispiel bietet eine ägyptische Situla mit vergleichbaren Darstellungen (Isis, Nephthys und andere Götter) aus einem perserzeitlichen Heiligtum in Galiläa, die sekundär mit einer phönizischen Weihinschrift für Astarte beschriftet wurde und demselben Fundkontext entstammt wie einige Bronzestatuetten von Apis, Osiris und eine (wohl erst hellenistische) Triade Isis, Osiris und Horus. Hier wurde also wahrscheinlich Isis mit Astarte identifiziert, wobei die Assoziation der Situla

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der ägyptischen Götter, speziell des Ptah. Aufgrunddessen und aufgrund der vergleichbaren Formel auf der memphitischen Stele möchte MCCARTER das Stück der phönizischen Gemeinde in Memphis zuschreiben, die mindestens ab der 26. Dyn. existierte,258 wohingegen LIPIŃSKI eine Herkunft aus Andalusien vermutet, 259 was ich für eher unwahrscheinlich halte. Aus Ägypten selbst stammen noch weitere Schriftzeugnisse für eine phönizische Verehrung der osirianischen Familie (und anderer Götter), zu denen sicherlich auch die Graffiti im Tempel Sethos’ I. in Abydos zu rechnen sind.260 Wie sieht es jedoch in den eigenen westlichen Gebieten aus? 7.1.5.C Malta In einem der oben angesprochenen falkenköpfigen Amulettbehälter261 aus der Nekropole Tal Virtù in Rabat (Malta) hat sich ein Papyrusröllchen erhalten,262 auf welchem Isis selbst zwar nur ikonographisch und nicht namentlich belegt ist, doch vermag der dazugehörige kurze phönizische Text möglicherweise zusätzlichen Aufschluß über die Bedeutung des Bildes geben. Die Zeichnung zeigt die Göttin in rein ägyptischem Stil im Profil, stehend, mit engem Kleid und Thronzeichen auf dem Kopf; in den Händen hält sie ein langes Szepter (der obere Teil ist nicht erhalten, aber es handelte sich sicher um ein Papyrusszepter) und ein Lebenszeichen. Um den oberen Teil der Darstellung herum ist ein kurzer phönizischer Spruch angeordnet, der sich offenbar um die Vernichtung von Feinden dreht. Die exakte Lesung und Übersetzung der Zeichen ist jedoch nicht ganz klar, zumal es mehrere Lacunae gibt; dem aktuellsten Versuch von MÜLLER zufolge lautet der Text:263 (1) Lacht, ihr Herzensstarken, über euren Feind! (2) Verspottet, zerschlagt, vertreibt den Gegner! (3) …?… behandelt ihn verächtlich, zertretet (ihn) über dem „Quell“! (4) …?… auch lenkt (ihn) ab (5) …?…zum Meer! Bindet(?) …?…! Aus der durchgehenden Verwendung von Imperativen geht hervor, daß es sich um eine wörtliche Rede im Sinne eines magischen, beschwörenden Spruches handeln muß, der

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263

mit Gottheiten aus dem Isiskreis durchaus den Gepflogenheiten in Ägypten (und außerhalb Ägyptens in späterer Zeit) entspricht. Siehe dazu KAMLAH, Nordpalästinische „Heiligtümer“, bes. S. 167–169 u. 181–182; M. WEIPPERT, Eine phönizische Inschrift aus Galiläa, in: ZDPV 115, 1999, S. 191–200; VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 81. MCCARTER, Phoenician Funerary Situla, S. 117; 119. Zur Anwesenheit von Phöniziern in Ägypten siehe VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 61–74; E. BRESCIANI, Fenici in Egitto, in: Egitto e Vicino Oriente 11,1, 1987, S. 69–78. Zu Memphis vgl. oben, Kap. 4.12.1, 6.2.1 und 6.5.1.2. LIPIŃSKI, Dieux et déesses, S. 323, ohne Begründung. Vgl. VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 61–76. Siehe oben, Kap. 7.1.2.C. Zu diesem Papyrus siehe die rezente Edition von H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus; vgl. außerdem HÖLBL, Malta und Gozo, Kat. 49, S. 114–123; GOUDER/ROCCO, Talismano bronzeo; C. GOUDER, Some Amulets from Phoenician Malta, in: Heritage. An Encyclopedia of Maltese Culture and Civilization 16, Valletta 1978, S. 311–315: 313; MARTÍNEZ, Astucci, S. 39–40; Kat. Ma 1; Taf. VII, Abb. 27; kurz erwähnt auch bei QUACK, Dekane, S. 231, Anm. 157. H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus, S. 262, mit Transkription und philologischem Kommentar auf S. 255–262; seine Übersetzung und Analyse weicht nur in einigen Details von denjenigen GOUDERs und ROCCOs ab (vgl. auch die deutsche Übertragung bei HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 117), und ändert nichts am Gesamtsinn.

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aufgrund der engen räumlichen Beziehung zur Darstellung sicherlich in Isis’ Mund zu legen ist.264 Dies entspricht genau Isis’ magischen Funktionen in Ägypten, die sich vor allem auf die mythische Episode vom Schutz des Horusknaben vor Seth und feindlichen Tieren sowie auf die Rolle der Göttin als Werethekau, zauberreiche Uräusschlange am Bug der Barke des Re, „die Apophis mit ihren Zaubersprüchen abwehrt“,265 gründen.266 Auf den Horus-Bezug könnte der falkenköpfige Behälter des Amuletts verweisen;267 es sei außerdem daran erinnert, wie beliebt Darstellungen des von einer Flügelgöttin beschützten bzw. von Isis gestillten Kindgottes im Papyrusdickicht (von Chemmis) auf den Amuletten und Siegeln sind.268 HÖLBL verweist treffend auf eine sehr nahe Parallele zum obigen Text innerhalb der szenischen Darstellungen des Triumphes von Horus im Tempel von Edfu, wo Isis die Harpunierer in der Barke des Horus auffordert, das Seth verkörpernde Nilpferd im Wasser zu besiegen und zu schlachten.269 Auch mit dem eng verwandten erwähnten Motiv der Nachtfahrt des Re sind die Anspielungen auf das Wasser im phönizischen Spruch gut zu verbinden. Überhaupt lassen sich insbesondere in den vielen verschiedenen Ausdrücken für das Besiegen des Feindes klare Parallelen zu ägyptischen Feindvernichtungssprüchen, gerade im Hinblick auf die Bedrohung des durch die Unterwelt fahrenden Sonnengottes durch Apophis (z. B. im Apophisbuch), feststellen.270 Unklar ist, welche Wesen oder Personen mit der Anrede „Herzensstarke“ (oz lb) gemeint sind, denen die Aufforderungen zur Feindvernichtung gelten. Eine ägyptische Entsprechung zu diesem Ausdruck wäre wmt(.w) ib,271 welches z. B. die stierköpfige Schutztruppe von Edfu bezeichnet, die den Westen bewacht.272 HÖLBL hält die Angesprochenen in Analogie zu den genannten Parallelen für Schutzmächte,273 wohingegen MÜLLER annimmt, daß der Spruch an die Toten gerichtet ist.274 Da Amulette jedoch (genau wie ägyptische Jenseitstexte wie z. B. das Totenbuch) üblicherweise speziell für eine Person bestimmt sind und nicht für die Toten im Allgemeinen, wäre der Plural der Anrede m. E. in diesem Kontext unpassend. Wahrscheinlicher ist es, daß schützende Wesen irgendeiner Art dem Amulettträger helfen sollen – ob im diesseitigen oder auch im jenseitigen Leben, sei dahingestellt,275 ebenso wie die Frage, ob es sich dabei um konkrete Gottheiten der ägyptischen 264 Diese Meinung wird von allen Bearbeitern geteilt: GOUDER/ROCCO, Talismano bronzeo, S. 15; HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 118; H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus. S. 256. 265 Z. B. Text Philae II, 6–7, siehe Kap. 4.1.1.A. 266 Zu Isis als Magierin siehe oben, Kap. 6.5. 267 Vgl. auch GOUDER/ROCCO, Talismano bronzeo, S. 7. 268 Siehe oben, Kap. 7.1.2.B–C. 269 Edfu VI, 80, 11–81, 6; siehe ALLIOT, Culte d’Horus, S. 770; FAIRMAN, Triumph of Horus, S. 103– 104; vgl. HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 123. 270 Vgl. HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 120–122. 271 Wb I, 306, 13–14; LGG II, 373c. Die Analogie ist noch deutlicher als bei den strukturell ähnlichen von H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus, S. 257–258, unter 2), aufgezählten ägyptischen Ausdrücken. 272 Edfu III, 9, 8. 273 HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 123. 274 H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus, S. 257. 275 Gegen die von H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus; HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 123; und MARTÍNEZ, Astucci, S. 40; favorisierte Deutung als Amulett für das Jenseits spricht sich QUACK, Dekane, S. 231, Anm. 157, aus. Läßt sich aber eventuell eine Kontinuität von den punischen Amulettkapseln zu den griechischen lamellae des 4.–2. Jhs. v. Chr. annehmen, welche magische Sprüche für

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oder phönizischen Vorstellungswelt handelt oder Isis allgemein die Befehlsgewalt über mächtige Dämonen o. ä. zugeschrieben wird. Möglicherweise sind sogar die sonst üblicherwiese auf den in den Amulettkapseln enthaltenen Bändern dargestellten Dekane mit diesen Wesen gemeint,276 da jene nach ägyptischer Vorstellung das Gefolge der Isis(-Sothis) in ihrer Rolle als Gefährliche Göttin bilden.277 Für MÜLLERs Interpretation könnte einzig das Possessivsuffix der 2. Pers. Pl. -km hinter „Feind“ sprechen, da es für eine persönliche Betroffenheit der Angeredeten spricht. Man könnte jedoch auch argumentieren, daß die angenommenen Schutzmächte sich die Perspektive der zu schützenden Person zu eigen machen (sollen). Ebenfalls unklar ist die Identität des „Feindes“ – nach ägyptischem Verständnis wäre dieser par excellence Apophis oder Seth, doch kann sich dahinter durchaus auch ein Platzhalter für jegliche erdenkliche Gefahr verbergen. Obwohl in dem Feindvernichtungsspruch direkte Hinweise auf die dargestellte Isis fehlen, können deutliche Bezüge zu ägyptischen religiösen Vorstellungen abgeleitet werden, die sowohl mit der Isisdarstellung als auch mit dem Falkenkopfbehälter kongruieren. Aus diesen Gründen halte ich eine Bedeutung des Schriftstückes als tatsächlichen (wenn auch vereinzelten) Beleg für eine gewisse Kenntnis ägyptischer Mythologie und eine Verehrung der Isis zumindest im magischen Bereich für wahrscheinlich.278 MÜLLER und GOUDER/ROCCO stimmen in der Datierung des Papyrus anhand der Paläographie in das 6. Jh. v. Chr. überein.279 Es handelt sich dabei also um ein sehr frühes Zeugnis, sowohl was konkrete Hinweise auf eine Isisverehrung, als auch was phönizische Schriftzeugnisse in Malta überhaupt betrifft.280 Der Amulettpapyrus reiht sich damit in die Verbreitungswelle ägyptischer Amulette im 7./6. Jh. ein, wobei erstaunlicherweise gerade aus Malta solche mit Motiven des Isiskreises nahezu ganz fehlen.281 Der Herstellungsort von Schriftstück und Kapsel wird sich kaum sicher bestimmen lassen,282 ist für die hiesige Fragestellung jedoch auch von untergeordneter Bedeutung. Weitere schriftliche Belege für eine Verehrung ägyptischer Gottheiten auf Malta finden sich erst wesentlich später, in hellenistischer Zeit, allerdings offenbar innerhalb der punischen Bevölkerung: Zwei identische Cippi hellenistischer Art mit bilinguen Wiehinschrif-

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den Toten enthielten und, teilweise ebenfalls in Zylindern, ins Grab beigegeben wurden? Siehe zu den lamellae z. B. G. ZUNTZ, Persephone: Three Essays on Religion and Thought in Magna Graecia, Oxford 1971, S. 277–393; R. G. EDMONDS III, Myths of the Underworld Journey. Plato, Aristophane and the ‚Orphic‘ Gold Tablets, Cambridge et al. 2004; A. BERNABÉ/A. I. JIMÉNEZ SAN CRISTÓBAL, Instructions for the Netherworld. The Orphic Gold Tablets, RGRW 162, Leiden/Boston 2008; R. G. EDMONDS III (Hrsg.), The „Orphic“ Gold Tablets and Greek Religion, Cambridge 2011. Zum möglichen Zusammenhang mit den Amulettkapseln und darin enthaltenen Goldfolienamuletten vgl. P. KINGSLEY, Ancient Philosophy, Mystery and Magic: Empedocles and Pythagorean Tradition, Oxford – New York 1995, S. 312; W. BURKERT, Babylon, Memphis, Persepolis: Eastern Contexts of Greek Culture, Cambridge/MA 2004, S. 87–88. Siehe dazu QUACK, Dekane, und BEN GUIZA, Décans égyptiens. Siehe oben, Kap. 7.1.2.C. Vgl. z. B. Assuan-Hymne 5, siehe oben, Kap. 4.2.1.A, m. Anm. 63. Auch H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus, S. 253 m. Anm. 12, und 265, schreibt dem Stück eine solche Bedeutung zu. H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus, S. 251; GOUDER/ROCCO, Talismano bronzeo, S. 16–18. BEN GUIZA, Décans égyptiens, S. 64, gibt sogar die zweite Hälfte des 7. Jhs. oder das 6. Jh. an. Vgl. H.-P. MÜLLER, Phönizischer Totenpapyrus, S. 253. Siehe oben, Kap. 7.1.2.A. Ein Versuch bei HÖLBL, Malta u. Gozo, S. 117–118.

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ten des 2. Jhs. v. Chr.283 könnten der These BONANNOs zufolge aus dem oben bereits angesprochenen Heiligtum von Tas Silġ (Kap. 7.1.4) stammen.284 Obwohl die Weihung selbst an Melqart, Herr von Tyros, gerichtet ist, zeugen die Namen der Stifter von einer Verehrung des Osiris, der möglicherweise auch mit ersterem assimiliert wurde:285 In der punischen Version werden die Stifter Abdosir („Diener des Osiris“) und Osiršamar („Osiris hat beschützt“) genannt (die gleichen Namen tragen auch der Großvater respektive der Vater), die griechische Version hingegen gibt den ersten der theophoren Namen mit Dionysios, den zweiten mit Sarapion wieder.286 Hierin zeigt sich eine sprachliche Übertragung, die jedoch eine inhaltliche Interpretation mit einschließt: Traditionell punische Namen, die bereits seit langer Zeit ägyptische theophore Elemente aufgenommen haben (s. o.), werden im Zuge der hellenistischen Adaption der ägyptischen Götter an die neuen Strömungen angepaßt, die den traditionellen Osiris einerseits mit Dionysos gleichsetzen,287 andererseits durch die ptolemäisch geförderte und in der hellenistischen Welt beliebte neue Form Sarapis ablösen. Dabei findet jedoch keine wörtliche Übersetzung der punischen Namen statt, sondern sie werden einfach durch gängige griechische theophore Namen ersetzt. Man könnte dieses Vorgehen als eine Art code-switching umschreiben, das die Namen und damit die in ihnen enthaltenen Götter vor unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen verständlich macht.288 Die spezifische Weihung an die lokale Form des Melqart von Tyros könnte möglicherweise bedeuten, daß die beiden Stifter ursprünglich aus dieser Stadt im phönizischen Mutterland stammen, zumal ebendort seit hellenistischer Zeit auch ein Heiligtum des Sarapis und seiner synnaoi theoi belegt ist.289 Trotz ihrer unsicheren Herkunft sind die Inschriften ergänzend zur Münzprägung und weiteren Belegen aus Tas Silġ als möglicher Hinweis auf eine Verehrung von Isis und Osiris/Sarapis in diesem durch punische Tradition geprägten Heiligtum in hellenistischer Zeit zu werten.290 Eine Kontinuität vom Amulettpapyrus bis hin zu dieser Epoche läßt sich jedoch nicht beweisen, da für den langen Zeitraum dazwischen konkrete Zeugnisse fehlen. 283 CIS I 122–122bis; CIG III, 681, 5753; siehe auch LIPIŃSKI, Cippe votif, S. 108, Nr. 33; ID., Dii patrii, S. 46; P. ZANOVELLO, I due „Betili“ di Malta e le Ambrosiai Petrai di Tiro, in: RdA 5, 1981, S. 16– 29, bes. 20–21 zu den PN; M. G. GUZZO AMADASI, Le iscrizioni fenicie e puniche delle colonie in Occidente, Rom 1967, S. 15–17; ID., Les cippes de Malte, in: E. Fontan (Hrsg.), La Méditerranée des Phéniciens de Tyr à Carthage, Paris 2007, S. 82–83; A. CAUBET/É. FONTAN/É. GUBEL (Hrsg.), Art phénicien. La sculpture de tradition phénicienne, Paris 2002, S. 158, Nr. 178. In RICIS sind die beiden Inschriften nicht aufgenommen. 284 BONANNO, Egyptianizing Relief, S. 224 m. Anm. 18. 285 Vgl. LIPINSKI, Cippe votif, S. 108, Nr. 33. 286 Vgl. hierzu auch ALIQUOT, Aegyptiaca et Isiaca, S. 212–213; CRISTOFORI, Individuazione di Egiziani, S. 88. 287 So schon Herodot II, 42; 144; 156. Siehe dazu COULON, Osiris chez Hérodote, S. 177–184. 288 Vgl. zum Phänomen des code-switching in Bezug auf phönizische Götterikonographie QUACK, Importing and Exporting Gods, S. 258–259. 289 Siehe ALIQUOT, Aegyptiaca et Isiaca, S. 217–220; J. P. REY-COQUAIS, Apports d’inscriptions inédites de Syrie et de Phénicie aux listes de divinités ou à la prosopographie de l’Egypte hellénistique ou romaine, in: L. Criscuolo/G. Geraci (Hrsg.), Egitto e storia antica dall’ellenismo all’età araba. Bilancio di un confronto. Atti del Colloquio Internazionale di Bologna, 31 agosto – 2 settembre 1987, Bologna, 1989, S. 609–619: 613; BONNET, Enfants de Cadmos, S. 287–290, bes. 289–290 zu den Cippi von Malta. 290 Vgl. Kap. 7.1.4 oben; und BONANNO, Egyptianizing Relief.

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7.1.5.D Iberische Halbinsel Auf der iberischen Halbinsel drangen orientalisierende und ägyptische Importgüter bis weit in das westliche Binnenland vor; der orientalisierende Goldschatz von La Aliseda in der Provinz Cáceres, nahe der portugiesischen Grenze gelegen, ist das beeindruckendste Beispiel und wird allgemein in das 7.–6. Jh. v. Chr. datiert.291 Neben den zahlreichen Goldarbeiten enthält der Hort auch eine importierte Glaskanne aus dem 8.–7. Jh. v. Chr. mit einer den Körper unter dem Halsansatz umgebenden Hieroglyphenzeile sowie drei Kartuschen auf dem Hals.292 Diese Inschrift ist relevant für die Frage nach der Herkunft der Kanne: Üblicherweise wird sie als phönizisch-punische Nachahmung eines ägyptischen Textes angesehen. Die mittlere Kartusche auf dem Hals enthält eine Art ägyptischen Königstitel, der jedoch in Ägypten nicht belegt ist: [(nswt bjtj nb(?)=i [?]293) [(Der König von Ober- und Unterägypten „Mein Herr(?) ist [Gott NN (?)]“).294 Auch daß der Titel nswt bjtj mit in der Kartusche steht, ist ungewöhnlich. Noch untypischer sind jedoch die beiden diesen Namen umgebenden und in ihrer Schriftrichtung auf ihn ausgerichteten Kartuschen, welche jeweils die in Ritualtexten übliche Einleitungsformel wörtlicher Rede, gefolgt vom Namen der Isis enthalten: [(Dd mdw jn As.t) [(„Worte zu sprechen/Rezitation durch Isis“). Der Göttinnenname ist dabei mit einer Kobra determiniert, was wiederum durchaus ägyptischem Usus entspricht.295 Es stellt sich die Frage, ob die damit angekündigten Worte der Isis in der kryptischen Hieroglyphenzeile stehen sollen, deren Lesung große Probleme bereitet, zumal sich einige Zeichengruppen mehrfach wiederholen, was nach GAMER-WALLERT auf eine unverstandene Abschrift eines kurzen, möglicherweise fragmentarischen Textes hindeutet,296 eine Interpretation, die wesentlich naheliegender ist als verschiedentliche irrtümliche Lesungsversuche.297 Ob der Name der Isis hier ganz bewußt verwendet worden ist und der Kanne demnach eine kultische Bedeutung im phönizisch-punischen Raum bzw. an ihrem Bestimmungsort zukam,298 ist m. E. kaum zu entscheiden. Ebenso könnten die Inschriften ohne konkrete Absicht und Verständnis von einer oder mehreren Vorlagen abkopiert sein, wobei die „fal291 Siehe GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 117. Der Schatz befindet sich heute im Archäologischen Nationalmuseum von Madrid. Weitere Lit.: GARCIA MARTINEZ, Documentos prerromanos I, Nr. 38, S. 179–187; II, S. 39, § 86. 292 Vgl. dazu GARCIA Y BELLIDO, Religions orientales, S. 113, Nr. 13; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 117–120; Taf. 31–32; EAD., Die Hieroglyphen der Glaskanne von La Aliseda (Cáceres), in: Homenaje a Garcia Bellido I, Revista de la Universidad Complutense 25, Nr. 101, 1976, S. 127–131. 293 Ein sitzender Gott, mit zerstörtem Kopf. 294 Vgl. GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 118. 295 Die ägyptische Formel Dd mdw jn zusammen mit einem Kobradeterminativ kommt auch auf phönizischen Elfenbeinplaketten öfters vor, vgl. GUBEL, Das libyerzeitliche Ägypten, S. 92. 296 GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 119. 297 Zur älteren Literatur siehe GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 118, mit Anm. 298 GARCIA Y BELLIDO, Religions orientales, S. 113, Nr. 13, ordnet sie durch die Aufnahme in seinen Katalog, und S. 106 tatsächlich dem Isiskult zu; ebenso PADRÓ I PARCERISA, Egyptian Type Documents IV, S. 195–201; GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 120, spricht sich dagegen aus.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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sche“ Anwendung der Kartuschen sowie die mehrfach genutzten Textfragmente in der längeren Inschrift deutlich machen, daß zumindest auf der Seite des Schreibers keine wirkliche Kenntnis der ägyptischen Schrifttradition vorhanden gewesen sein kann.299 PADRÓ I PARCERISA bringt die Vase mit tartessischen Bronze-Oinochoen ähnlicher Form in Verbindung, die teilweise ägyptisierende Hathor-Darstellungen an den Griffen tragen.300 Vasen dieser Art wurden in einem Grab der iberischen Nekropole La Joya (Huelva) zusammen mit den ebenfalls häufiger belegten flachen Bronzebecken gefunden, die mit zwei vom Griff ausgehenden Armen und/oder Hathorköpfen dekoriert sind, weshalb der Autor sie als Kultgeräte für ein funeräres Libationsritual, das mit Hathor zusammenhängt, interpretieren möchte, wofür es m. E. jedoch keine klaren Hinweise gibt.301 Deutlichere Indizien auf eine tatsächliche Verehrung oder zumindest persönliche Anrufung einer Gottheit des Isiskreises liefern zwei originär ägyptische, einander sehr ähnliche Bronzefiguren des Harpokrates mit unsicherer Herkunft aus dem 6.–5. Jh. v. Chr., die jeweils eine phönizische Inschrift tragen.302 Das eine, im British Museum befindliche Stück,303 ist außerdem mit einem kurzen ägyptischen Hieroglyphentext versehen, der stellenweise allerdings etwas unklar und möglicherweise verderbt ist:304 RÖLLIG305 gibt den Text mit der Übersetzung „Möge Harpokrates Leben spenden an Us-anch, Sohn des Pethy“ wieder. Zu lesen ist möglicherweise eher, trotz unägyptischer Wortstellung (wahrscheinlich wurde die Inschrift in Unverständnis aus Versatzstücken zusammenkopiert): dj TAw(?)306 @r-p(A)-Xrd n Ws-anx(? oder -nD?) sA Pt(? oder !t?)-hy307 Möge Harpokrates Atem spenden an… Diese Inschrift zeigt wohl den ursprünglichen Besitzer des Stückes an. Anschließend wurde die Statuette von einem Graveur namens Npr308 für einen Amos (oms), Sohn des Eschmun-

299 300 301 302

303 304

305 306 307

Contra PADRO I PARCERISA, Egyptian Type Documents IV, S. 201. PADRÓ I PARCERISA, Hathor, S. 400; ID., Egyptian Type Documents IV, S. 200–201. Die Argumentation von PADRÓ I PARCERISA, Hathor, kann m. E. nicht wirklich überzeugen. Siehe GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 223. Ihr zufolge ist die Herkunft der Stücke von der Iberischen Halbinsel nicht gesichert, aber zumindest wahrscheinlich. Dagegen nehmen VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 74–75, mit Farbabb. Taf. 7; und J. C. K. GIBSON, Textbook of Syrian Semitic Inscriptions III: Phoenician Inscriptions Oxford 1982, Nr. 37–38, S. 141– 144, eine Herkunft aus Ägypten an. FERRON, Inscripción cartaginesa, hinwiederum möchte die Stücke in Karthago lokalisieren. BM 132.908; RÖLLIG, Harpokrates-Statuette; FERRON, Statuette d’Harpocrate. Siehe FERRON, Statuette d’Harpocrate, Taf. XXVI.1. Vgl. auch die Beschreibung von VITTMANN, Ägypten und die Fremden, Taf. 7a: „(…) Widmungsinschriften von zwei Personen: einer ägyptischen (nicht recht klaren) und einer phönikischen (…)“. Anschließend gibt er nur die phönikische in Übersetzung wieder. RÖLLIG, Harpokrates-Statuette, S. 118, seiner Angabe zufolge nach J. E. S. EDWARDS und H. JAMES. Die Zeichen vor dem eindeutig lesbaren „Harpokrates“ lauten: , wobei das letzte Zeichen unsicher ist. Falls das Verständnis richtig ist und es sich tatsächlich um Namen handelt, so scheinen sie entweder sehr unbeholfen oder ungewöhnlich geschrieben zu sein, oder es handelt sich nicht um ägyptische Namen. Keiner von beiden ist in RANKE, Ägyptische PN, belegt (es existiert zwar zumindest ein Name Wsr-anx, ibid., I, S. 85.9, doch ist es aufgrund der vorliegenden Schreibung keinesfalls sicher, daß dieser gemeint ist).

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

jatan ('Smnytn), Sohn des Azarmilk (ozrmlk), auf Phönizisch mit einer nahezu identischen Bitte an den Gott (Orpkr³) um Leben beschrieben. RÖLLIG datiert diese Inschrift paläographisch an den Beginn des 5. Jhs. v. Chr.309 Eine dem Wortlaut nach ähnliche Inschrift findet sich auf dem zweiten Figürchen, welches in Madrid aufbewahrt wird:310 Möge Harpokrates Leben spenden seinem Diener Abdeschmun (obd'Smn), Sohn des Aschtartjatan (oStrtytn), Sohn des Magon, Sohn des Hantus (Onts), Sohn des Petebentet (Pôbnôô), Sohn des Pschem[h]e (PSmHy).311 Die Namen der ersten drei Generationen dieser Ahnenreihe sind ägyptisch, während die jüngeren phönizisch benannt wurden, was auf eine mögliche Heirat des Urgroßvaters (Hantus) mit einer Phönizierin zurückgehen könnte.312 Die Statuetten demonstrieren nicht nur die namentliche Anrufung des Harpokrates, sondern zudem die Übernahme der ägyptischen Bittformel ins Phönizische, wie besonders das zweifach beschriftete Stück verdeutlicht. Damit ist die zuvor besprochene Bronzesitula mit einer sehr ähnlichen, phönizisch geschriebenen Formel gut vergleichbar (7.1.5.B). 7.1.5.E Zypern Auf Zypern könnte möglicherweise im 4. Jh. v. Chr. ein Osirisheiligtum bestanden haben, denn eine phönizische Inschrift aus Larnax Lapethou berichtet von der Weihung einer Lampe „in seinem Tempel […] meinem Herrn Osiris in Lapethos […]“.313 Für einen Osiriskult auf der Insel spricht auch eine relativ große Anzahl belegter theophorer PN aus Kition und Idalion, die den Namen des Gottes enthalten.314 Weitere schriftliche Zeugnisse für eine Verehrung der Isisfamilie im westphönizisch-punischen Raum datieren erst aus der hellenistischen Zeit, sind aber aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes ebenso wie oben die Münzen noch in dieses Kapitel mit aufgenommen.

308 Dieser Name wird als mögliche Transkription des ägyptischen PN Nfr angesehen (vgl. zu diesem Namen auch MUCHIKI, Egyptian Proper Names, S. 28), was auf einen phönizisch schreibenden Ägypter oder einen Phönizier mit ägyptischem Namen hindeuten würde, siehe GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 223; RÖLLIG, Harpokrates-Statuette, S. 120, m. Anm. 48– 50. Diese Deutung ist allerdings problematisch, da aufgrund der ägyptischen Aussprache die Bewahrung des auslautenden r bei der Transkription nicht zu erwarten wäre. 309 RÖLLIG, Harpokrates-Statuette, S. 120. 310 MAN 2.150; siehe FERRON, Inscripción cartaginesa; Übersetzung nach VITTMANN, Ägypten und die Fremden, Taf. 7b. 311 Die vorgeschlagenen Datierungen für die Paläographie schwanken zwischen der Mitte d. 6. Jhs. (FERRON) und dem 5. Jh. (RÖLLIG), vgl. GAMER-WALLERT, Ägyptische und ägyptisierende Funde, S. 223. 312 GIBSON, Textbook III, S. 143; VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 75. 313 P. MAGNANINI, Le iscrizioni fenicie dell’oriente. Testi, traduzioni, glossari, Rom 1973, S. 126–127 (Z. 5); vgl. VITTMANN, Ägypten und die Fremden, S. 82. 314 Siehe oben, 7.1.5.A, Tabelle.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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7.1.5.F Karthago Gut bekannt ist eine punische Inschrift aus der beim Bordj Djedid gelegenen Nekropole Karthagos, die auf die Existenz eines Isis-Tempels im 3./2. Jh. v. Chr. hinweist.315 Dem Text316 zufolge hat ein Mann namens ASÕp für den Priester Milkpilles aufgrund seines frommen Dienstes an den Göttern ein Grabmonument (sicherlich eine Stele) aufgestellt. Am Ende des Textes (Z. 7–8) wird der Geehrte als Adr SpH sk[…] b/yrH bt 's bezeichnet. Während die letzten beiden Worte, die durch Punkte abgetrennt und damit hervorgehoben sind, klar als „Tempel der Isis“ zu verstehen sind, sind Lesung und Sinn der davor stehenden Ausdrücke problematisch.317 Adr SpH kann als „Vorsteher der Familie (o. ä.)“ übersetzt werden, und BONNET schlägt vor, diesen Titel im Vergleich mit der ägyptischen Organisation der Tempelpriesterschaft als „Vorsteher der Phyle“ (Phylarch) zu interpretieren, ein Titel, der jedoch außerhalb Ägyptens sonst nirgends belegt ist.318 Hierbei stellt sich außerdem die Frage, was die zwischen diesem vermuteten Titel und dem Ausdruck „Tempel der Isis“ stehenden unsicheren Wörter, welche BONNET nicht übersetzt, bedeuten könnten. Wenn die Amtsbezeichnung „Vorsteher der Phyle“ sich auf den Tempel der Isis beziehen soll, würde zwischen beiden Ausdrücken eigentlich nur eine Spezifizierung des Titels (z. B. eine Bezeichnung der Phyle) oder ein zusätzlicher Titel wirklich Sinn machen. LIPIŃSKI möchte den unsicheren Anfang der Zeile 8 als z[b]H bt As „Opferpriester („sacrificateur“) des Tempels der Isis“ lesen, wobei dieser Priestertitel auch sonst punisch belegt ist.319 Daß der Verstorbene jedenfalls ein hochrangiger Amtsträger gewesen sein muß, zeigt nicht nur die Ehrung an sich, sondern zusätzlich die Nennung von sieben Vorfahren, von denen einer ebenfalls ein hohes religiöses Amt innehatte.320 Die Lokalisation des wie auch immer gearteten karthagischen Isistempels ist aufgrund mangelnder archäologischer und anderer Zeugnisse aus dieser Zeit allerdings unbekannt. Im Lichte seiner durch die Inschrift belegten Existenz erscheinen die zahlreichen onomastischen sowie ikonographischen Belege für Isis (und Osiris) aus Karthago jedoch um so gewichtiger, und es liegt nahe, zumindest den späteren Exemplaren darunter (ab dem 4./3. Jh.) auch eine Bedeutung im Zusammenhang mit einem tatsächlichen Isiskult zuzuweisen, wenngleich es für die eigentliche Gestaltung und Organisation des Kultes im Heiligtum sonst keine weiteren Quellen gibt.321

315 RICIS 703/0101, S. 756–757 mit älterer Literatur; Taf. 133; eine rezente ausführliche Studie der Inschrift liegt mit BONNET, Isis à Carthage, vor; vgl. auch A. VAN DEN BRANDEN, Note riguardanti l’iscrizione punica CIS 6000 bis, in: BeO 23, 1981, S. 155–159; LIPIŃSKI, Dieux et déesses, S. 460; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 222–223. Die genaue Datierung des Textes ist jedoch unsicher. 316 Vgl. Transliteration und Übersetzung bei BONNET, Isis à Carthage, S. 44–45. 317 Vgl. BONNET, Isis à Carthage, S. 45–46, Anm. 8–10. 318 BONNET, Isis à Carthage, S. 52–53. Der ägyptische Ausdruck, von dem dies abgeleitet sein könnte, wäre zu dieser Zeit jedoch eher aA n sA, als das von Bonnet genannte wr sA, vgl. Wb III, 414, 1; ERICHSEN, Glossar, S. 404; OTTO, Priester und Tempel, S. 25–26. 319 LIPINSKI, Dieux et déesses, S. 460; gegen diese Lesung argumentiert BONNET, Isis à Carthage, S. 46, Anm. 10. 320 Vgl. BONNET, Isis à Carthage, S. 46. 321 Zum späteren römischen Isis- und Sarapiskult in Karthago, siehe unten, Kap. 7.2.3.2.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

7.1.5.G Sizilien Eine Lokalität Siziliens, die häufig mit dem punischen Isiskult zusammengebracht wurde, ist die bereits seit prähistorischer Zeit genutzte Grotta Regina am Hang des Monte Gallo nahe Palermo, welche als altes punisches Heiligtum, möglicherweise der Tanit/Astarte, gedeutet wird.322 Die Wände der Höhle sind über und über mit schwer zu deutenden Zeichnungen sowie punischen und neupunischen Graffiti bedeckt, welche jedoch nicht vor das 4. Jh. v. Chr. datieren.323 Eine neupunische Inschrift des 1. Jhs. v. – 1. Jhs. n. Chr. befindet sich an der linken Wand, oberhalb der Darstellung eines zweireihigen Ruderschiffes, und enthält den Namen Isis;324 B. ROCCO hat dafür die Lesung qdm tlk 's „Vorwärts fährt Isis!“ (oder jussivisch: „Vorwärts soll Isis fahren!“) vorgeschlagen und bezog sie direkt auf die Schiffsdarstellung, indem er das Ganze als Anspielung auf das Fest Navigium Isidis deutete.325 Auch weitere Zeichnungen sollen ihm zufolge auf einen rituellen Kontext hinweisen.326 Diese Interpretation birgt aber große Probleme und stützt sich auf eine sehr hypothetische Lesung: GUZZO AMADASI327 erkennt zwar ebenfalls den Namen Isis, den er jedoch als Bestandteil eines längeren theophoren Namens interpretiert, dessen übrige Bestandteile nicht sicher zu entziffern sind. Außerdem handelt es sich bei der Darstellung um ein Kriegsschiff, was sich nicht gut mit dem Isisfest in Zusammenhang bringen läßt.328 Demnach könnte die Inschrift BRICAULT zufolge den (theophoren) Namen des Schiffes bezeichnen.329 Aus diesem unsicheren Beleg eine ganze Isis-Kultstätte zu rekonstruieren, scheint auf jeden Fall zu weit gegriffen. Daß Isis als Schutzherrin der Seefahrt in dieser Zeit (1. Jh. v. – 1. Jh. n. Chr.) auch als Namenspatronin eines Kriegsschiffes fungieren kann, ist hingegen nicht unwahrscheinlich.330 Zu vergleichen wäre die griechische Inschrift „Isis“ über dem Bug eines Schiffes in einem Fresko aus der Mitte des 3. Jhs. v. Chr., das eine Kapelle der Aphrodite beim Hafen von Nymphaion (bei Pantikapaion) auf der Krim schmückte.331 322 Siehe dazu ROCCO, Grotta di Monte Gallo, bes. S. 23–26; ID., Grotta Regina; BISI/GUZZO AMADASI/TUSA, Grotta Regina I, S. 45–46, Inschr. V; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 98–100; Kat. 273; RICIS 518/0101–02; CHRISTIAN, Phoenician Maritime Religion. 323 BISI/GUZZO AMADASI/TUSA, Grotta Regina I, S. 41, Anm. 1; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 99. 324 RICIS 518/0101; ROCCO, Grotta di Monte Gallo, S. 23–26, Abb. 6–7; ROCCO, Grotta Regina; BISI/GUZZO AMADASI/TUSA, Grotta Regina I, S. 45–46, Inschr. V; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 98–100; Kat. 273; BRICAULT, Dame des flots, S. 143, Anm. 170. 325 ROCCO, Grotta di Monte Gallo, S. 23–26; ID., Grotta Regina. 326 ROCCO, Grotta di Monte Gallo, S. 24–28; Abb. 7 u. 12; vgl. SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 99. Direkt links neben dem Schiff befindet sich z. B. eine größere Zeichnung, von der jedoch nur Reste vage zu erkennen sind, die ROCCO als einen von einer Schlange umringelten Arm (einer Isisdienerin) deutet, was sich aufgrund des fehlenden Kontextes (d. h. der Rest der Zeichnung) jedoch nicht mit Sicherheit bestätigen läßt. Die Reste einer Zeichnung mit Hundekopf bringt er mit Anubis (bzw. einem als solchem verkleideten Priester) in Verbindung. 327 In BISI/GUZZO AMADASI/TUSA, Grotta Regina I, S. 45–46, Inschr. V. 328 So P. BARTOLONI, Le navi puniche della Grotta Regina, in: RSF 6, 1978, S. 31–36, bes. 34–35. 329 RICIS 518/0101, S. 663. Vgl. auch BRICAULT, Dame des flots, S. 143, Anm. 170, wo er die Vermutung äußert, „Isis“ allein sei der Name des Schiffes. 330 Vgl. umfassend zu dieser Rolle BRICAULT, Dame des flots. 331 Das Fresko kommemoriert möglicherweise den Besuch einer Gesandtschaft des Ptolemaios II. an den Hof von König Parisades II. Siehe dazu BRICAULT, Dame des flots, S. 22–25 u. 34. Zur Benennung von Schiffen nach Isis und Sarapis vgl. auch oben, Kap. 6.2.6 zur Inschrift I. Portes 94 aus Koptos.

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Die Bedeutung von Isis und ihrer Familie

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Auch in der Grotta del Pozzo der kleinen im Westen Siziliens vorgelagerten Insel Favignana (Aethusa) finden sich laut ROCCO zwei neupunische Graffiti aus demselben Zeitraum, die den Namen der Isis enthalten: Eines lautet demnach „Oh, Isis, gewähre Gunst…!“, das andere „Bleibe, oh Isis!“ oder „Mache lebendig, oh Isis!“332 CHRISTIAN bringt solche Höhlenheiligtümer mit Kulten der phönizischen Seefahrer in Verbindung, die vor allem weibliche Gottheiten (Tanit/Astarte/Aschera) betrafen.333 Hierfür postuliert er semi-priesterliche Funktionen von Seefahrern und Kriegern, die während der Fahrten für die Ausübung des Kultes und den dadurch erhofften Schutz der Göttin(nen) zuständig waren.334 Trifft dies zu, ließe sich hierin womöglich ein Vorläufer ähnlicher, mit der Seefahrt verbundener Ämter innerhalb des hellenistischen Isiskultes (der den Höhleninschriften zufolge bereits mit dem punischen Göttinnenkult verknüpft war) wie Nauarch etc. verbinden.335 7.1.6 Resümee Die Analyse der ikonographischen und schriftlichen Zeugnisse für einen Transfer von Isis und ihrer göttlichen Familie in den phönizisch-punischen Kulturraum hat gezeigt, daß bereits ab dem 8./7. Jh. v. Chr. ein reicher und vielseitiger Schatz an bildlichen Darstellungen dieser Gottheiten in den westlichen Mittelmeerraum getragen wurde, wobei die unterschiedlichen Bildschemata der Göttin inhaltlich deren zentrale Funktionen widerspiegeln, und die Nutzung der Bildträger im funerären Bereich eine magisch-rituelle Wirksamkeit der dargestellten Gottheiten nahelegt, die auch in einigen der angeführten Schriftzeugnisse zum Ausdruck kommt. Die Frage nach der jeweiligen Identifikation der durch ägyptische Ikonographie gekennzeichneten Gottheiten läßt sich nicht pauschal beantworten, sondern dürfte je nach lokalem Kontext und Hintergrund des Besitzers, Trägers oder Betrachters der Objekte unterschiedlich zu bewerten sein. In vielen Fällen scheint eine synkretistische Verbindung einheimischer und ägyptischer Götter naheliegend, z. B. bei der Sarkophagfigur aus Karthago, oder bei den Münzprägungen aus der Zeit der Punischen Kriege, als sich bereits neue ptolemäische Einflüsse, die mit einer ersten großen Verbreitungswelle des Isisund Sarapiskultes einhergingen,336 mit den durch lange phönizisch-punische Tradition hindurch bekannten ägyptischen Götterdarstellungen und möglicherweise -vorstellungen vermischten. Daß schon in älterer Zeit mit den Bildern auch ägyptische Götternamen sowie bestimmte kultische Praktiken (wie die Beigabe der Amulette ins Jenseits) und Konzepte 332 RICIS 518/0201–02; B. ROCCO, La grotta del Pozzo a Favignana, in: SicArch 17, 1972, S. 9–20: 14, Nr. 4, Abb. 8; 14–15, Nr. 5, Zeichnung B, Abb. 9 u. 7a. Die Lesungen erscheinen allerdings sehr unsicher; ich danke CHR. THEIS für seine Hilfe und Diskussionsbereitschaft. 333 CHRISTIAN, Phoenician Maritime Religion, S. 181 und 190–197. Isis und die sie betreffenden Inschriften in den Höhlen erwähnt er nicht. 334 CHRISTIAN, Phoenician Maritime Religion, bes. S. 188–189 und 197–201. 335 Zum engen Kontakt zwischen phönizischen, griechischen und andersstämmigen Seefahrern und möglichen phönizischen Einflüssen auf diese vgl. CHRISTIAN, Phoenician Maritime Religion, S. 200. Auch BRICAULT, Dame des flots, S. 18–22 u. 139, weist auf die möglicherweise phönizischen Ursprünge der maritimen Isis hin, mit Fokus auf Byblos, wo Hathor(-Isis) bereits seit langem neben Astarte und Aschera etabliert war; siehe dazu DU MESNIL DU BUISSON, Dieux phéniciens, S. 73–98; BONNET, Enfants de Cadmos, S. 168–171. 336 Siehe dazu DUNAND, Culte d’Isis I–III. Zu den einzelnen ‚Verbreitungswellen‘ des Isiskultes BRICAULT, Diffusion isiaque.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

(z. B. vom Jenseits) zumindest teilweise aufgenommen wurden, ist aufgrund der engen kulturellen Kontakte nicht nur wahrscheinlich, sondern läßt sich an der Onomastik und weiteren Schriftzeugnissen zumindest in Einzelfällen belegen. Diese scheinen eine tatsächliche persönliche Verehrung der Isis und ihrer Familienmitglieder durch einzelne Personen zu attestieren, lassen jedoch nicht auf einen weit verbreiteten oder offiziellen Kult schließen, zumal der Isiskreis unter den Aegyptiaca im Gesamten zwar eine gängige, aber doch nicht übermäßig herausragende Menge darstellt, und die Schriftquellen vor dem 3. Jh. äußerst selten sind. Spätestens für diese Zeit weist jedoch die Kumulation der Indizien zumindest in Karthago337 auf einen offenbar organisierten Kult hin, da die inschriftlich belegte Existenz eines Tempels auch die rein ikonographische Evidenz dieser Zeit (z. B. die Sarkophagfigur) in einem anderen Licht erscheinen läßt. Auch andernorts, z. B. im Heiligtum von Tas Silġ auf Malta, scheint sich eine gewisse Kontinuität der Verbindung von Isis mit einheimischen Göttinnen abzuzeichnen, wobei schließlich auch griechische und römische Einflüsse hinzukommen.338 Zumindest zeigt sich, daß das in hieroglyphischen Inschriften in Ägypten selbst mehrfach belegte Epitheton der Isis HqA.t n tA.w fnx.w „Herrscherin der Länder der Phönizier“339 mehr als nur bloße, inhaltsleere Floskel ist. Die weite geographische Streuung der besprochenen Zeugnisse im östlichen und westlichen Mittelmeerraum bietet dabei eine breite Basis für die folgende großflächige Verbreitung des Isiskultes in diesem Gebiet in griechischer und besonders römischer Zeit.

7.2

Nordafrika

Wie im vorigen Kapitel dargelegt, waren Teile Nordafrikas bereits seit langer Zeit durch die phönizisch-punische Kultur sowie durch enge Kontakte mit Ägypten geprägt, was zu einer frühen Aufnahme von Aegyptiaca und besonders der Gottheiten des Isiskreises führte. In diesem Kapitel sollen nun die einzelnen römischen Provinzen auf nordafrikanischem Gebiet – die Kyrenaika (7.2.1), Tripolitania (7.2.2), Africa Proconsularis (7.2.3), Numidia (7.2.4) und Mauretania (7.2.5) – auf ihre archäologische Evidenz für den Isis- und Sarapiskult hin untersucht werden, wobei der Fokus in erster Linie auf der Gestaltung des Kultes in den Heiligtümern liegt; jedoch sind auch vereinzelte Funde und private Zeugnisse in die Betrachtung mit aufgenommen. Eine diachrone Perspektive wird dabei die Voraussetzungen, Anfänge und Entwicklungen des Kultes in den jeweiligen Regionen beleuchten. Gerade hier dürfte das Wechselspiel der verschiedenen kulturellen Einflüsse, von den phönizischen über die ägyptischen/ptolemäischen und griechischen bis hin zu den römischen, besonders ausschlaggebend für Veränderungen und mögliche Brechungen innerhalb der Geschichte der betreffenden Gottheiten in diesem Umfeld sein.340 337 Zu den engen Verbindungen Karthagos mit Ägypten siehe M. FANTAR, Présence égyptienne à Carthage, in: BdÉ 106/3, 1994, S. 203–209; LECLANT, Carthage et l’Égypte. 338 Siehe z. B. auch zur Kontinuität von Aegyptiaca und Isiaca im phönizischen Mutterland ALIQUOT, Aegyptiaca et Isiaca. 339 Z. B. in Deir Chelouit III, Nr. 127, s. o., Kap. 4.8.1.B. 340 Von der bisher relativ verbreiteten Unkenntnis über Isis und Sarapis in den afrikanischen Provinzen zeugt noch FICK-MICHEL, Art et mystique, S. 497, m. Anm. 3, die behauptet, daß Afrika sich den ägyptischen Kulten gegenüber wenig empfänglich gezeigt habe. Einen kursorischen Überblick über

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Nordafrika

7.2.1

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Provinz Kyrenaika

7.2.1.1 Beziehungen zu Ägypten und Anfänge einer Isisverehrung Neben Karthago weist auch die Kyrenaika über ihre libysche Geschichte eine weit zurück reichende, enge Verbindung mit Ägypten auf,341 die eine besonders frühe Kenntnis und Aufnahme ägyptischer Götter wahrscheinlich macht.342 Eine direkte Beziehung der 630 v. Chr. als Kolonie von Alt-Thera (Santorin) gegründeten Hauptstadt Kyrene zu Ägypten ist erstmals im 6. Jh. v. Chr. belegt, als laut Herodot (II, 181) Pharao Amasis eine Allianz mit dieser einging und die von dort stammende Ladike zur Frau nahm. An anderer Stelle berichtet der griechische Historiker (Herodot IV, 186), daß die kyrenäischen Frauen zu Ehren von Isis kein Fleisch von Kühen verzehren,343 außerdem weitere Fastengebote einhalten und Feste für sie feiern. Dies bedeutet, daß zu dieser Zeit entweder eine einheimische Göttin mit Isis identifiziert wurde,344 oder aber daß Isis bereits einen eigenständigen Kult genoß, was die Beschreibung eher nahelegt. WHITE argumentiert m. E. schlüssig, daß der von Herodot in demselben Zusammenhang erwähnte Verzicht der Frauen aus Barka auf Schweinefleisch zwar keine Besonderheit darstelle, da domestizierte Schweine in Libyen sowieso fremd waren, die Abstinenz von Kuhfleisch hingegen eine tatsächlich bewußte (und wohl nur durch die Übernahme eines Kultes zu erklärende) Adaption eines Tabus aus einer anderen Kultur darstellen dürfte, weil die Haltung von Kuhherden inklusive ihres Verzehrs durchaus üblich war.345 Die wechselseitigen Beziehungen zwischen griechischen Kolonisten, libyschen Einheimischen und ägyptischen Einflüssen könnten die Verschmelzung einer einheimischen Fruchtbarkeitsgöttin mit Demeter und Isis bewirkt haben,346 welche sich in einigen Statuetten des 5. Jhs. mit Granatapfel in der Hand und ägyptischen Kronenelementen in Form von

341

342 343 344 345 346

einige meiner aus diesem und dem vorigen Kapitel (7.1) erarbeiteten Ergebnisse wurden bereits in einem Artikel über den Isis- und Sarapiskult in Nordafrika in englischer Sprache publiziert: S. Nagel, The Cult of Isis and Sarapis in North Africa. Local Shifts of an Egyptian Cult under the Influence of Different Cultural Traditions, in: Bricault/Versluys (Hrsg.), Egyptian Gods, S. 67–92. Zu den alten Beziehungen Ägyptens zu Libyen siehe z. B. J. Osing, s. v. „Libyen, Libyer“, in: LÄ III, Sp. 1015–1034; Vittmann, Ägypten und die Fremden, S. 1–20; A. Leahy (Hrsg.), Libya and Egypt c. 1300–750 BC, London 1990; St. Snape, The Emergence of Libya on the Horizon of Egypt, in: D. O’Connor/St. Quirke (Hrsg.), Mysterious Lands, Encounters with Ancient Egypt, London 2003, S. 93–106; G. P. F. Broekman/R. J. Demarée/O. E. Kaper (Hrsg.), The Libyan Period in Egypt. Historical and Cultural Studies into the 21st–24th Dynasties, Proceedings of a Conference at Leiden University, 25–27 October 2007, Egyptologische Uitgaven 23, Leuven 2009; speziell zur Kyrenaika: Rowe, Ancient Cyrenaica, bes. S. 1–36 zur vorptolemäischen Zeit. Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 78; BARTOCCINI, Necropoli punica, S. 48–51. Vgl. auch Herodot II, 41, für die Beschreibung dieser Sitte bei den Ägyptern. Siehe dazu auch F. COLIN, Les peuples libyens de la Cyrénaïque à l’Égypte, d’après les sources de l’Antiquité classique, Brüssel 2000, S. 78 u. 128-129. ENSOLI, Indagini, S. 170, will außerdem aus der Aussage Herodots zwei Abschnitte weiter (IV, 188), daß alle Libyer der Sonne (Helios) und dem Mond (Selene) opfern, auf eine weitere Gleichsetzung der einheimischen Göttin, die auch mit Isis verbunden wurde, mit der griechischen Selene schließen. WHITE, Demeter Libyssa, S. 81; vgl. auch ENSOLI, Indagini, S. 169. So die These von ENSOLI, Indagini, S. 167.

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Uräusschlangen widerspiegelt.347 Ein solcher Assimilierungsprozeß wäre als Analogie zum bekannten Zeus-Ammon nicht unwahrscheinlich.348 Auch die Gleichsetzung zwischen Demeter und Isis in der sogenannten ‚Interpretatio graeca‘ findet sich schon bei Herodot (II, 59).349 Demeter selbst besaß zusammen mit Persephone in Kyrene ein extraurbanes Heiligtum,350 in welchem auch ägyptisierende Skarabäen in Naukratis-Typen aus dem 6. Jh. v. Chr. gefunden wurden.351 Konkrete archäologische Hinweise auf eine zusätzliche Verehrung der Isis, wie sie von ENSOLI352 für die archaische Zeit angenommen wird, fehlen dort aber. Dies bedeutet, daß die Beschreibung der kultischen Sitte bei Herodot und die Statuetten, die beide in das 5. Jh. v. Chr. datieren, die ersten und einzigen wirklichen Hinweise für eine relativ frühe Verehrung der Isis bleiben. Die frühesten eindeutigen Belege für einen Kult der ägyptischen Göttin aus Kyrene selbst, und besonders die zwei ihr gewidmeten Heiligtümer, stammen hingegen erst aus hellenistischer Zeit (s. u.), als der direkte ägyptische Einfluß auch auf politischer Ebene durch die Eingliederung der Kyrenaika in das Ptolemäerreich konkretere Formen annahm:353 Um die Wende zum 3. Jh. v. Chr. wurde Magas, der Stiefsohn Ptolemaios’ I., zum Gouverneur (Stratege) der Kyrenaika ernannt und erhob sich später auch selbst zum König über dieses Gebiet.354 Seine Tochter Berenike II. wurde Ende der 250er Jahre mit dem ägyptischen Thronfolger Ptolemaios III. verlobt, was letztlich zur Reintegration der Kyrenaika in das Ptolemäerreich bei dessen Herrschaftsantritt führte.355 Erst Ptolemaios VIII. regierte, nach längeren Streitigkeiten mit seinen Geschwistern um den Thron Ägyptens, als „Ptolemaios, der Jüngere“ die Kyrenaika ab 163 347 Siehe ENSOLI, Indagini, S. 175; Taf. I, 1–3; PARIBENI, Catalogo, Nr. 30, S. 25; Taf. 36; J. BOARDMAN/J. W. HAYES, Excavations at Tocra 1963–1965. The Archaic Deposits II and Later Deposits, London 1973, S. 100; vgl. auch MALAISE, Calathos, S. 242–243, m. Anm. 158. Die Statuette aus Tokra stammt tatsächlich auch aus einem Demeter-Heiligtum. 348 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 171. Zu Zeus-Ammon siehe z. B. A. LARONDE, Zeus-Ammon en Libye, in: Berger-el Naggar (Hrsg.), Études isiaques, S. 331–338; É. LIPIŃSKI, Zeus Ammon et Baal-Hammon, in: C. Bonnet (Hrsg.), Religio Phoenicia, Studia Phoenicia 4, Namur 1986, S. 307–332. Zur Verehrung des Zeus Ammon auch in Athen, die der Aufnahme der Isis deutlich vorausging, siehe DUNAND, Culte d’Isis II, S. 3–4. ENSOLI, loc. cit, vermutet, daß die Ausbreitung des Isiskultes in Attika auch durch die engen Verbindungen mit der Kyrenaika gefördert worden sein könnte. 349 Zu Isis und Demeter siehe oben, Kap. 6.1.2.1, im Kommentar zu den Hymnen von Medinet Madi. 350 Zum Kult der Demeter in Kyrene, siehe den Überblick von WHITE, Demeter Libyssa, bes. S. 80–81 zu Demeter und Isis; vgl. ferner M. G. FILENI/N. SERAFINI/A. TAGLIABRACCI/P. ANGELI BERNARDINI, Cirene e l’Inno a Demetra di Callimaco, in: V. Purcaro/O. Mei (Hrsg.), Cirene Greca e Romana II, Cirene „Atene d’Africa“ 9, Monografie di archeologia libica 44, Rom 2016, S. 105–154. 351 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 172; D. WHITE, Excavations in the Sanctuary of Demeter and Persephone at Cyrene. Fourth Preliminary Report, in: AJA 80, 1976, S. 165–181: 177; S. LOWENSTAM, Scarabs, Inscribed Gems, and Engraved Fingerrings, in: D. White (Hrsg.), The Extramural Sanctuary of Demeter and Persephone at Cyrene, Libia. Final Reports III, Philadelphia 1987, S. 1–20. 352 ENSOLI, Indagini, S. 173. 353 Zum ptolemäischen Einfluß in der Kyrenaika siehe auch M. VON HABSBURG, Egyptian Influence in Cyrenaica during the Ptolemaic Period, in: G. Barker/J. Lloyd/J. Reynolds (Hrsg.), Cyrenaica in Antiquity, BAR International Series 236 (= Society for Libyan Studies, Occasional Papers 1), Oxford 1985, S. 357–364; LARONDE, Alexandrie et Cyrène. 354 Siehe dazu HUß, Ägypten in hellenistischer Zeit, S. 266–268; HÖLBL, Geschichte, S. 36; ROWE, Ancient Cyrenaica, S. 38. 355 HUß, Ägypten in hellenistischer Zeit, S. 333–334; HÖLBL, Geschichte, S. 43–44; ROWE, Ancient Cyrenaica, S. 38.

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v. Chr. wieder getrennt vom ptolemäischen Stammgebiet, das derzeit noch von seinem Bruder Ptolemaios VI. beherrscht wurde.356 Die Herrschaft des Ptolemaios VIII. machte sich in Kyrene besonders durch ein umfangreiches Bauprogramm bemerkbar, welchem möglicherweise auch Maßnahmen an den beiden Isistempeln zuzurechnen sind (s. u.). Mit seiner Thronbesteigung in Ägypten nach dem Tod seines älteren Bruders 145 v. Chr. wurden die beiden Machtbereiche wieder vereint, bis das Gebiet 96 v. Chr. schließlich durch ein Testament an Rom fiel.357 7.2.1.2 Kyrene Zwei Architekturkomplexe mit teilweise weit zurückreichender Geschichte sind als Heiligtümer mit dem hellenistischen und römischen Kult der ägyptischen Gottheiten um Isis in Verbindung zu bringen. Es handelt sich einerseits um das baugeschichtlich ältere und komplexere Heiligtum am Akropolisabhang, das in den letzten beiden Jahrzehnten ausführlich von italienischen Archäologen um S. ENSOLI erforscht wurde (7.2.1.2.1),358 andererseits um den kleineren Isis-Tempel innerhalb des großen Apollon-Bezirkes auf der MyrtousaTerrasse (7.2.1.2.2). Zu den frühesten Zeugnissen für einen hellenistischen Isiskult gehören vielleicht Münzen mit einer eventuellen Darstellung der Göttin aus dem 4. Jh. v. Chr., die aus dem Apollon-Bezirk stammen,359 sowie eine Weihung an Horus durch einen Apollon-Priester aus dem 3. Jh. v. Chr., die ebenfalls dort zutage kam.360 Obwohl damit der Apollon-Bezirk die frühere klare Evidenz hervorgebracht hat, soll das Heiligtum am Akropolishang zuerst betrachtet werden, da dieses erstens besser ergraben und dokumentiert ist und sich zweitens dafür archäologisch deutlich ältere Phasen nachweisen lassen.

356 HUß, Ägypten in hellenistischer Zeit, S. 568–569 u. 571–575; HÖLBL, Geschichte, S. 159–165; ROWE, Ancient Cyrenaica, S. 41–44. Speziell zu Ptolemaios VIII. als Herrscher in Kyrene: A. LARONDE, Ptolémée le jeune, roi de Cyrène, in: QAL 16, Archeologia Cirenaica, Rom 2002, S. 99–108. 357 HUß, Ägypten in hellenistischer Zeit, S. 627 u. 655–656; HÖLBL, Geschichte, S. 183 u. 189–190; ROWE, Ancient Cyrenaica, S. 45; neueste Überlegungen, insbesondere Zweifel an der Existenz des Ptolemaios Apion, des illegitimen Sohnes von Ptolemaios VIII., bei L. CRISCUOLO, I due testamenti di Tolemeo VIII., in: Jördens/Quack (Hrsg.), Zeit Ptolemaios’ VI. bis VIII., S. 132–150. 358 ENSOLI, Indagini; EAD., Il Santuario delle divinità Alessandrine, in: N. Bonacasa/S. Ensoli (Hrsg.), Cirene, Mailand 2000, S. 55–57 u. 218; EAD., Santuario I–III; EAD., L’Egitto e la Libia; EAD., L’Egitto, la Libia; EAD., Risultati; EAD., Cinquant’anni. 359 BMC Cyrenaica, S. cxviii–cxix, Taf. XXV, 4; vgl. BRICAULT, Atlas, S. 80; jedoch nicht in SNRIS aufgenommen. Die Deutung des dargestellten Profils als Isis beruht nur auf dem Vorhandensein eines Ährenbündels, welches auf der kleinen Abbildung der Münze aber nicht erkennbar ist. Da kein ägyptisierendes Merkmal, wie z. B. eine Krone, dargestellt ist, könnte ebenso gut Demeter gemeint sein. Eine weitere Serie, die von E. S. G. ROBINSON, BMC Cyrenaica, S. cxix–cxxi, Taf. XXV, 10, der Kyrenaika zugeschrieben wird, zeigt wiederum einen Frauenkopf auf der Vorderseite, und auf der Rückseite den ptolemäischen Adler mit kyrenäischen Eigenheiten. Die Identifizierung des Kopfes als Isis ist jedoch m. E. ebenso unsicher wie auf der anderen Münze. 360 RICIS 701/0101; ENSOLI, Indagini, S. 187–188; Taf. IV,1; siehe unten, Kap. 7.2.1.2.2.

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7.2.1.2.1 Das Heiligtum am Akropolisabhang361 Baugeschichte Die rezenten Grabungen im Heiligtumsareal am nordwestlichen, der Unterstadt zugewandten, Akropolishang haben acht verschiedene Bauphasen nachgewiesen, deren älteste in archaische Zeit zurückreichen, während die letzten Umgestaltungen noch in der Spätantike vorgenommen wurden.362 Phase I: Der erste Bau, der wohl bald nach der griechischen Stadtgründung Ende des 7./Anfang des 6. Jhs. v. Chr. in lokaler Bautechnik mit unregelmäßigen Blöcken und kleinen Steinen erfolgte, besaß eine Orientierung von NO nach SW.363 Bereits zu dieser Zeit wies das Areal eine beachtliche Ausdehnung (nur vergleichbar mit dem etwas früher erbauten extraurbanen Demeter-Heiligtum) sowie Substruktionen für die Terrassierung am Hang auf.364 Es dürfte sich also von Anfang an um eine bedeutende Kultstätte gehandelt haben.365 Phase II: In der zweiten Phase wird ein Bau (wohl ein Tempel) mit ost-westlicher Orientierung in opus quadratum errichtet.366 Das Heiligtum schließt an die in diesem Bereich des Hügels verlaufende Stadtmauer an, die aus der Mitte des 6. Jhs. datiert; möglicherweise wurde beides gemeinsam oder kurz aufeinander folgend ausgebaut, zumal auch andere Sakralbauten in dieser Zeit entstanden. Desweiteren legte man eine Treppe an, die von der Akropolis zum Heiligtumsareal herabführte.367 Diese Bauaktivitäten fallen chronologisch mit einer neuen Welle von Kolonisten aus Kreta und der kleinasiatischen Küste zusammen. Die beschriebenen Phasen I–II des 7. bis 6. Jhs. v. Chr. lassen sich noch nicht dem Kult der Isis zuschreiben; ENSOLI vermutet, daß in dieser Zeit Aphrodite, möglicherweise angeglichen an eine einheimische Gottheit, dort verehrt wurde, da dem literarisch überlieferten Gründungsmythos zufolge die heilige Hochzeit der eponymen Nymphe Kyrana mit Apollon unter Obhut dieser Göttin auf dem von Myrthen bewachsenen Hügel vollzogen wurde.368 Erst Ende des 5./Anfang des 4. Jhs. v. Chr. wird für Aphrodite auf der Terrasse mit dem Apollonheiligtum (die dann Myrtousa-Terrasse genannt wird) ein Tempel errichtet. Obwohl es aufgrund ihrer großen Bedeutung für die Stadt wahrscheinlich ist, daß ihr schon früher eine Kultstätte gewidmet wurde, lassen sich ENSOLIs Vermutungen doch bisher nicht durch archäologische Funde, wie etwa Votivstatuetten, verifizieren. Die oben erwähnte Ladike, Gemahlin des Amasis, soll laut Herodot (II, 181) eine Statue der Aphrodite gestiftet haben, die außerhalb der Stadtmauer aufgestellt wurde. ENSOLI bezieht die Beschreibung 361 Eine umfangreiche Übersicht auch der älteren Literatur ist relativ rezent in KLEIBL, Iseion, S. 342, Kat. 55, erschienen; siehe auch WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1770–1772; und oben, Anm. 358. Vgl. außerdem DARDAINE et al., Belo VIII, S. 197–198; NIELSEN, Housing the Chosen, S. 59. 362 ENSOLI, L’Egitto, la Libia, S. 181. 363 ENSOLI, Santuario I, S. 249; III, S. 196. 364 ENSOLI, Risultati, S. 114. 365 Von der regen Nutzung des Heiligtums zeugen auch zahlreiche Keramikfunde aus dieser Zeit, vgl. ENSOLI, L’Egitto, la Libia, S. 184. 366 ENSOLI, Santuario I, S. 248–249; III, S. 196. 367 ENSOLI, L’Egitto, la Libia, S. 187–188. 368 Pindar, Pyth., IV, 8; Kallimachos, Hymn., III, 90–91; siehe ENSOLI, Santuario I, S. 251.

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auf das bestehende Heiligtum auf der Akropolis in seiner 2. Bauphase, obwohl es im griechischen Text keinerlei konkreten Hinweis auf einen Tempel gibt.369 Auch ihre Annahme, die Statue sei in ägyptischem Stil gefertigt worden, ist reine Spekulation. Ebenso ist eine Verbindung der Isis mit Aphrodite in dieser frühen Zeit nicht von der ebenfalls unsicheren Existenz einer solchen im Mutterland der Kolonie, Thera, in hellenistischer Zeit abzuleiten.370 Phase III: Die dritte Bauperiode des 5./4. Jhs. v. Chr. fällt zeitlich mit dem Tempelneubau für Aphrodite auf der Myrtousa-Terrasse zusammen, woraus ENSOLI schließt, daß letztere von nun an durch Isis als Hauptgöttin des Akropolisheiligtums ersetzt wird.371 Jedoch fehlen auch hierfür noch immer klare Hinweise. Bei Grabungen im Pronaos des späteren Tempels wurden dorische Architekturelemente mit Farbresten gefunden, die zu einem Bau dieser 3. Phase gehören.372 Phase IV: Im Zuge der vierten Umgestaltung des Bezirks in hellenistischer Zeit wird auf den Fundamenten der alten Strukturen schließlich ein monumentaler Neubau errichtet, dessen Struktur noch dem heute sichtbaren römischen Tempel zugrunde liegt; außerdem umgibt eine neue Umfassungsmauer den Hügel, welche die ursprüngliche Zugangstreppe blockiert und damit obsolet macht.373 Wie eine Temenos-Mauer rahmt sie das Heiligtum auf drei Seiten ein, während im Osten, zur Unterstadt und dem Apollon-Heiligtum hin, ein monumentaler Eingangsbereich entsteht. Der Sakralbau selbst, von dessen Aufgehenden jedoch nur die untersten Steinlagen noch erhalten sind, war ein griechischer Antentempel von 10 x 6 m mit zwei Säulen in antis, die durch zwei Halbsäulen an den Enden der Anten ergänzt werden.374 An der Cellarückwand befand sich ein Kultbildpodium, dessen Front durch eine wiederverwendete Steinplatte mit stark abgenutzten Hieroglyphen gebildet wurde, die wohl aus einer früheren Phase eines den ägyptischen Göttern gewidmeten Heiligtums stammt.375 Auch dorische Architekturblöcke wurden im Podium wiederverwendet. Auf dem Podium ruhte eine Statuenbasis, die Einlassungen für die Füße zweier Skulpturen aufweist, was ENSOLI zu der Annahme verleitet, daß demzufolge Sarapis mit Isis zusammen verehrt wurde.376 Vom Tempel führt eine Art Rampe in den Hof zu einer Struktur, die relativ sicher als Fundament des Altars gedeutet werden kann. Diese umfangreichen Maß-

369 ENSOLI, L’Egitto, la Libia, S. 187; EAD., Santuario I, S. 252; III, S. 195–196. Der Text lautet: ἡ δὲ  Λαδίκη ἀπέδωκε τὴν εὐχὴν τῇ θεῷ· ποιησαμένη γὰρ ἄγαλμα ἀπέπεμψε ἐς Κυρήνην, τὸ  ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ ἦν σόον, ἔξω τετραμμένον τοῦ Κυρηναίων ἄστεος.  370 So offenbar ENSOLI, Santuario III, S. 195–196; vgl. EAD., L’Egitto, la Libia, S. 182 u. 184–185. 371 ENSOLI, Santuario III, S. 196; EAD., L’Egitto, la Libia, S. 188. Sie führt für diesen Prozeß der langsamen Ablösung Aphrodites durch Isis weitere Beispiele in Heiligtümern im griechischen Raum an. 372 ENSOLI, Santuario I, S. 248; EAD., L’Egitto, la Libia, S. 188, nennt außerdem ein „cornicione di stile egittizzante“, was allerdings anhand des dazugehörigen Photos (ibid., S. 189, Abb. 7) nicht nachvollziehbar ist, da dieses offensichtlich ebenfalls dorische Gebälkelemente zeigt (klar zu erkennen sind Guttae). 373 ENSOLI, L’Egitto, la Libia, S. 189–191; vgl. auch EAD., L’Egitto e la Libia, S. 155. 374 Vgl. KLEIBL, Iseion, Kat. 55, S. 341, mit Grundriß des Heiligtums auf S. 342. 375 GOODCHILD, Kyrene, S. 107; ENSOLI, Indagini, S. 200; EAD., Santuario II, S. 18–19, Abb. 6. 376 ENSOLI, Indagini, S. 196; EAD., L’Egitto, la Libia, S. 191.

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nahmen sind möglicherweise der aktiven Baupolitik von Ptolemaios VIII. in der Ära seiner Herrschaft in Kyrene 163–145 v. Chr. zuzuordnen.377 Phase V: In hadrianischer Zeit machte wohl der mit Zerstörungen einhergehende Judenaufstand von 115–117 n. Chr. eine Restaurierung des Heiligtums notwendig.378 Bei dieser Gelegenheit wurde der Tempel mit einem Marmorfußboden ausgestattet, und die Wände erhielten einen weißen Stucküberzug, verziert mit roten Faszien. Desweiteren errichtete man ein weiteres Gebäude, das direkt südlich an den Sakralbau anschließt und möglicherweise eine Portikus besaß.379 Phase VI: Die sechste Bauphase der späten Kaiserzeit läßt sich wahrscheinlich mit Zerstörungen durch ein Erdbeben 262 n. Chr. verbinden, das auch den Wiederaufbau des Isistempels im Apollonheiligtum veranlaßte (s. u.).380 Mit der Restauration ging eine Neustrukturierung des Tempels einher, indem das Kultbildpodium an der Cellarückwand mit zwei seitlichen Mauern und einer marmornen Aedicula bzw. einem Naiskos versehen wurde, dessen Tympanon mit einer Sonnenscheibe dekoriert ist.381 Spuren von Metallklammern an der Seite der marmornen Plinthe für die Kultbilder deuten darauf hin, daß in dieser Phase ein weiterer Block angefügt wurde, auf dem mindestens eine dritte Statue (Harpokrates?) stand.382 Der Pronaos erhielt zwei Bänke entlang der Seitenwände sowie eine neue Front mit zwei Marmorsäulen in antis, die durch zwei Halbsäulen an den Enden der Anten ergänzt werden, jeweils mit sechseckigen Basen.383 Der gesamte Fußboden des Tempels wurde mit polychromen Marmorarten ausgelegt, und ein neuer Treppenaufgang, der die hellenistische Krepis integrierte und auf beiden Seiten verlängert war, gewährte Zugang zum Sakralbau sowie zu den beiderseits anschließenden Räumlichkeiten, über deren genaue Funktion wenig bekannt ist; wahrscheinlich stellten sie Nebenkapellen dar.384 Vor dem nördlichen Raum wurde 1935 eine heute verschollene Sarapis-Büste gefunden, weshalb ENSOLI davon ausgeht, daß es sich um einen Oikos dieses Gottes handelte.385 An der Rückwand der Südkammer soll sich ein Wasserbecken befunden haben. Die breite Fronttreppe verlieh dem Gebäude schließlich den äußeren Eindruck eines römischen Podiumtempels. Phasen VII–VIII: Noch in der Spätantike wurde das Heiligtum am Akropolishang in der siebten bis achten Phase durch größere Neubauten ergänzt: nachdem der Tempel durch ein starkes Erdbeben 365 n. Chr. endgültig zerstört wurde, wurde der Kult offenbar in den nordöstlich von ihm, an der Akropolismauer gelegenen größeren Gebäudekomplex, das sog. „byzantinische Iseum“, verlegt.386 Dieser ist mit offenbar eilig produzierten Mauern 377 ENSOLI, Indagini, S. 203; EAD., L’Egitto, la Libia, S. 191. KLEIBL, Iseion, Kat. 55, S. 342, schreibt die Neubauten des Ptolemaios fälschlich bereits einer 5. Phase zu. 378 ENSOLI, Santuario II, S. 17–18. Zur gleichen Zeit wurden auch Bau- und Restaurationstätigkeiten im Apollon-Heiligtum durchgeführt, siehe EAD., Indagini, S. 229. 379 Vgl. ENSOLI, Risultati, S. 117. 380 ENSOLI, Santuario II, S. 20 u. 22–23; zur Datierung dieser Phase siehe auch STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 334. 381 ENSOLI, Indagini, S. 229–230; Taf. XVII, 2; EAD., Santuario II, S. 18–19, Abb. 7. 382 ENSOLI, Santuario II, S. 18–19, Abb. 8. 383 Siehe ENSOLI, Indagini, S. 229. CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 160, Nr. 56, datiert die Umbauten in die erste Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. 384 ENSOLI, Santuario II, S. 20. Vgl. zu Nebenkapellen auch KLEIBL, Iseion, S. 94. 385 ENSOLI, Santuario II, S. 20; siehe auch unten, unter C. 386 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 242–247; EAD., Santuario III, S. 200–202.

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aus Mörtel und Geröll, möglicherweise auf den Resten älterer Strukturen,387 errichtet worden, aber die genaue Datierung des Neubaus ist umstritten: Der erste Ausgräber GHISLANZONI setzte ihn in der Regierungszeit des Julian Apostata (360–363) an, STUCCHI hingegen sogar erst im letzten Viertel des 5. Jhs.388 Tatsächlich lassen sich wiederum zwei Bauperioden unterscheiden, in denen zwei Raumkomplexe entstanden sind, welche über einen Korridor miteinander kommunizieren, dessen Eingang sich in der südlichen Langseite befindet.389 Der größere, ältere Komplex ist durch Pilasterbögen in drei Längsschiffe unterteilt, was an die Architektur christlicher Basiliken des späteren 5. Jhs. erinnert.390 Der Eingang lag ursprünglich im Osten und korrespondierte damit mit einer Kultbildbasis an der Rückwand des Mittelschiffs. In der ersten Bauphase wurden außerdem diverse, wohl durch das Erdbeben zerstörte Skulpturen restauriert und offenbar auch aus anderen Orten in das Heiligtum am Akropolisabhang verbracht.391 Wohl nicht lange nach der Errichtung scheint das Gebäude schon wieder stark beschädigt worden zu sein, wie unter anderem Brandspuren, auch an den Skulpturen, zeigen; diese Anzeichen für intendierte Zerstörungen, die sich auch an anderen Tempeln Kyrenes finden, lassen sich wohl mit Aktionen von Christen gegen die paganen Kulte in Form von rituellen ‚Reinigungen‘ in Verbindung bringen, die Ende des 4. Jhs. (unter Theodosius I.) oder im Jahr 435 (Theodosius II.) stattfanden.392 Wenig später wurde das Areal wieder restauriert: in dieser zweiten Bauphase (= Phase VIII des Heiligtums) in der ersten Hälfte des 5. Jhs. wurde wohl erst der kleinere, aus zwei hintereinander liegenden Räumen bestehende Trakt direkt an die Akropolismauer herangebaut, wobei der hintere von ihnen eine tiefe rechteckige Apsis oder Nische aufweist. Direkt vor dieser befindet sich im Boden eine quadratische, nach den Himmelsrichtungen ausgerichtete Kultgrube (Bothros), die bei der Auffindung 1916 mit Mörtel verschlossen war und ein Depot von Hühnereiern, Tonlampen, verbrannten Taubenknochen sowie Münzen des 4. Jhs. (Constantin, Constantius II. und Constans) enthielt, die somit einen terminus post quem 361 n. Chr. für die Versiegelung liefern. Da sich die Ausrichtung der Kultgrube von der der Bauten unterscheidet, hat man verschiedentlich angenommen, daß sie schon zu einem älteren Gebäude gehörte.393 In dem neueren Raumkomplex wurden außerdem die zahlreichen, teilweise fragmentierten Marmorskulpturen (s. u.) gefunden, die offenbar in dieser letzten Phase dort deponiert worden waren. Die neuen Räumlichkeiten wurden über einen Korridor mit dem dreischiffigen Gebäude verbunden, in dessen südlicher Längswand ein neuer Eingang hinzugefügt wurde, der mit 387 Zu dieser Vermutung, die sich jedoch nicht auf archäologische Funde gründet: ENSOLI, Indagini, S. 245. 388 GHISLANZONI, Santuario, S. 204–206; STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 441–443; vgl. ENSOLI, Indagini, S. 242. 389 Siehe ENSOLI, Santuario III, S. 203. 390 So STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 442, m. Anm. 2; daher auch seine Datierung des Gebäudes in diese Zeit. 391 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 244, allerdings ohne Begründung für die Datierung der Restaurationen; möglicherweise gründet sich die Vermutung auf die Tatsache, daß andere Tempel, aus denen die Skulpturen teilweise stammen dürften, wie z. B. das extraurbane Demeter-Heiligtum, bereits früher aufgegeben und nicht mehr wieder aufgebaut worden waren, siehe ibid., S. 242. 392 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 246; EAD., Santuario III, S. 209–210; GOODCHILD, Kyrene, S. 107. 393 So ENSOLI, Indagini, S. 211; KLEIBL, Iseion, Kat. 55, S. 341, fragt sich sogar, ob die Räume nicht schon gleichzeitig mit dem Tempel errichtet worden sein könnten, was aufgrund des archäologischen Befundes (Bauweise etc.) jedoch unwahrscheinlich ist.

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dem aus Marmorspolien des zerstörten Tempels errichteten Haupttor des Korridors korrespondiert.394 Zusätzlich wurde eine eilig errichtete Mauer an den Akropoliswall angeschlossen, um den Bereich des Heiligtums auf allen Seiten einzufassen. Funde und Ausstattung Sowohl im älteren Tempelgebäude, welches 365 n. Chr. endgültig zerstört wurde, als auch besonders in den spätantiken Räumen mit dem Bothros wurden eine große Anzahl an teilweise fragmentarischen Skulpturen und Marmorausstattung sowie einige Inschriften gefunden, von denen jedoch nur einige in direkter Verbindung zu einem Isis- und Sarapiskult stehen.395 Von der in den römischen Bauphasen im Tempel angebrachten Fußboden- und Wanddekoration sowie der Marmorfront war bereits oben die Rede, ebenso wie von der marmornen Aedicula auf dem Kultbildpodium (Phase VI), dessen Tympanon später im Haupttor des neuen Gebäudes im Nordosten wieder verwendet wurde.396 Das darauf abgebildete Emblem, das offenbar eine Sonnenscheibe darstellt, gibt einen ersten konkreten Hinweis auf die Weihung des Tempels an ägyptische Gottheiten.397 Davon zeugt weiterhin der Fund einer marmornen Sarapisbüste vor der nördlichen Nebenkapelle, die in das 2. Jh. n. Chr. zu datieren und demnach bereits der 5. (hadrianischen bis antoninischen) Phase des Heiligtums zuzuordnen ist.398 Passend zu dem Wasserbecken in der südlichen Nebenkammer kam auf dem davor liegenden Treppenabschnitt das Unterteil einer Osiris-Kanopos-Skulptur zutage, woraus möglicherweise zu schließen ist, daß die beiden Räumlichkeiten in römischer Zeit ebendiesen Gottheiten geweiht waren.399 Das wohl bedeutendste Stück ist jedoch eine aus dem Jahr 103 n. Chr. datierende Weihinschrift an Isis und Sarapis, welche eine griechische Isis-Aretalogie enthält.400 Der Text folgt nicht der memphitischen Aretalogie-Tradition

394 ENSOLI, Indagini, S. 246–247; EAD., Santuario III, S. 210. 395 Die bei den Grabungen 1935 (G. OLIVERIO) im Tempel gefundenen Skulpturen- und Inschriftenfragmente sind teilweise noch unpubliziert, siehe RICIS 701/0111, S. 747. Laut ENSOLI, Risultati, S. 116, wurden außerdem bei den rezenten Grabungen 2000–2002 weitere Weihinschriften aus hellenistischer Zeit gefunden, doch sind diese offenbar bisher ebenfalls unpubliziert, und von ihrem Inhalt ist nirgends die Rede. Für die genaue Fundlage der 1916 von GHISLANZONI im Bereich des Bothros-Raumes gefundenen Objekte, siehe GHISLANZONI, Santuario, S. 151, Abb. 1. 396 Siehe ENSOLI, Indagini, S. 242; EAD., Santuario III, S. 210. 397 ENSOLI, Indagini, S. 229–230, spekuliert, daß die Sonnenscheibe ursprünglich farbig gefaßt war und so möglicherweise auch die in Ägypten üblichen flankierenden Uräen dargestellt gewesen sein könnten. 398 PARIBENI, Catalogo, Nr. 479, Taf. 208; siehe dazu auch ENSOLI, Indagini, S. 235; EAD., Santuario II, S. 20; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 771, S. 142; HORNBOSTEL, Sarapis, S. 245, Anm. 7; CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 209, Nr. 161. Das in PARIBENI, loc. cit., publizierte Photo ist leider zu schlecht, um eine feinere Datierung zu erlauben. 399 Siehe ENSOLI, Santuario II, S. 20 u. 22, Abb. 11. Zu Osiris-Kanopos-Skulpturen und deren Bezug zu (Nil-)Wasser siehe oben, Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 63–65; außerdem Kap. 6.2.5.3 und 6.2.10.2. 400 RICIS 701/0103. Siehe dazu neben der dort angegebenen älteren Literatur auch MUÑIZ GRIJALVO, Himnos a Isis, S. 138–140; und R. BAUMGARTEN, Heiliges Wort und heilige Schrift bei den Griechen. Hieroi Logoi und verwandte Erscheinungen, Tübingen 1998, S. 211.

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(M),401 sondern ist in iambischen Trimetern gedichtet, wovon nur die erste Aussage mit ἐγώ beginnt. Er läßt die Göttin sich in Übereinstimmung mit ägyptischen Texten (vgl. die Anmerkungen) als oberste Göttin und einzige Allherrscherin vorstellen: Ich, Isis, einzige (μόνη)402 Herrscherin (τύραννος)403 der Äonen,404 blicke auf die Grenzen des Meeres und der Erde,405 und blicke auf sie ein Szepter tragend und allein (μί᾽ οὖσ᾽).406 Alle nennen mich oberste Göttin, Größte aller Götter des Himmels,407 denn ich bin es, die alles erfunden/geschaffen (εὗρον) hat zum Preis meiner Arbeit,408 Die Schrift auf den Siegeln zeigt es deutlich, offenbarend alle meine Erfindungen/Schöpfungen (ἐξευρήματα),409 die ich den Sterblichen gezeigt habe mit den Früchten des Lebens.410 Die Städte habe ich mit ehrwürdigen Mauern befestigt411

401 Siehe dazu Kap. 6.6. 402 Zu Isis als „Einzige“ oder „Einzigartige“ vgl. das Epitheton wa.t in ägyptischen Texten, siehe dazu Kap. 5.2.2.1.I, und Kap. 6.1.2.1, Kommentar zu MM I, 23–24. 403 Zum griechischen Ausdruck vgl. M 3a, siehe oben, Kap. 6.6.3. 404 Zu Isis als Herrin der Zeit und Ewigkeit vgl. Kap. 5.2.2.2.G. 405 Zum Motiv des Überschauens der Welt vgl. MM III, 26–27 (Kap. 6.1.2.1) und pOxy. 1380, 87–88 und 93 (Kap. 6.1.3.2, Anm. 515). Siehe zu diesem Abschnitt auch DOUSA, Imagining Isis, S. 161, m. Anm. 45. Zu Isis als Herrin über Erde und Meer vgl. M 12 („Ich habe die Erde vom Himmel getrennt.“) und M 39 („Ich bin die Herrin von Flüssen und Winden und Meer.“) 406 Die alleinige Stellung der Isis wird hier nochmals betont. Eine inhaltliche Parallele zu diesem ersten Abschnitt bietet die Anubis-Hymne von Kios (RICIS 308/0302): „Die Erste/Älteste der Glückseligen, die im Olymp das Szepter hält, und die göttliche Herrin der ganzen Erde und des Meeres ist, die alles sieht.“ (Z. 9–11). 407 Vgl. dazu die ägyptischen Standardepitheta nb(.t) p.t Hnw.t nTr.w nb(.w) „die Herrin des Himmels, die Gebieterin aller Götter“, siehe Kap. 5.2.1, und MM I, 1: „Herrscherin der höchsten Götter“ (Kap. 6.1.2.1). 408 Vgl. z. B. Philae-Hymne 4: „Sie ist die Herrin des Himmels, der Erde und der Unterwelt, indem sie sie entstehen läßt/ließ nach dem, was ihr Herz ersann, und als das, was ihre Hände machten“ (Kap. 4.1.1.A); Assuan-Hymne 5: „die (du) alles, was auf Erden existiert, entstehen läßt“ (Kap. 4.2.1.A); pOxy. 1380, Z. 183–186 „Du bist von allem Feuchten und Trockenen, und K[al]ten, woraus alles zusammengefügt ist, die Finderin/Erfinderin (εὑρέτρια = Schöpferin) {von allem} geworden.“ (Kap. 6.1.3.2). 409 Eventuell sind ägyptische Formulierungen der Art xtm(.t) xtm Hr xtm=s n irj.tw s[xr].w m xm=s SAa p.t tA &dwA.t\ „die alles zu Siegelnde mit ihrem Siegel siegelt, ohne deren Kenntnis keine Pläne gemacht werden, vom Himmel (bis zur) Erde und zur Unterwelt“ (Philä I, 169) oder xtm tA(?) r Aw[=f] Hr rn=s „auf deren Namen die ganze Erde gesiegelt ist (?)“ (Philä II, 8–9, Kap. 4.1.1.A) als Vorbild anzunehmen. Ob mit der Anspielung hier möglicherweise ein lokaler Bezug zu den zahlreichen aufgefundenen Siegeln des städtischen Nomophylakions intendiert ist? Dort fanden sich auch zahlreiche Siegel mit Isis-Motiven, siehe unten, 7.2.1.2.3. 410 Vgl. dazu M 7 („Ich bin diejenige, die die Feldfrüchte für die Menschen entdeckt hat.“) mit Kommentar in Kap. 6.6.2; die Bezeichnung als „wohltätige (der) Feldfrüchte (εὐεργέτειαν καρπῶν εὐιαν)“ in der Erzählung von Nektanebos’ Traum (Kap. 6.4.1.3); als „Erfinderin/Schöpferin von Leben und Feldfrüchten“ (ζωῆς καὶ καρπῶν εὑρέτρια) in MM II, 3 (Kap. 6.1.2.1); und pOxy. 1380, Z. 165–174 u. Z. 179–180 (Kap. 6.1.3.2). 411 Vgl. M 51, mit Kommentar in in Kap. 6.6.2.

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und den Sterblichen habe ich die Wissenschaften zugeteilt, um sie sich in Klarheit anzueignen.412 Ohne mich ist nichts jemals entstanden,413 und die Sterne würden nicht demselben Weg folgen, wenn sie nicht zuvor meine Anweisungen empfangen hätten,414 (…)415 Der Stifter Agathos Daimon gehörte zum Kultpersonal der ägyptischen Gottheiten, wo er als Neokor tätig war, ein auch in anderen Heiligtümern der ägyptischen Götter belegtes, ursprünglich griechisches Amt von niederem Rang mit der Funktion eines Tempelwächters, das in römischer Zeit jedoch Rang und Bedeutung wandelte und häufig hochgestellte Persönlichkeiten bekleidete.416 Ein Mann gleichen Namens ist außerdem noch in einer weiteren, nur fragmentarisch erhaltenen Inschrift aus Kyrene (mit unbekanntem Fundkontext) mit Erwähnung der Isis Myryonymos (sic!) belegt,417 wo er sich allerdings als Priester (ἱερεύς) bezeichnet. Falls es sich um dieselbe Person handelt, was aufgrund des Namens und der Assoziation mit Isis sehr naheliegend ist,418 hieße dies, daß er entweder weiter im Rang aufgestiegen ist bzw. einen zusätzlichen Titel erhalten hat, und dieses epigraphische Zeugnis nach 103 (dem Datum der Inschrift aus dem Akropolis-Heiligtum) zu datieren ist, oder aber, daß er gleichzeitig Priester einer anderen Gottheit war, denn nach ἱερεύς ist der Text zerstört. Da sich dessen Rest jedoch deutlich auf den Isiskult und anscheinend damit verbundene Fastenregeln für Priester bezieht, ist diese Möglichkeit allerdings weniger wahrscheinlich. Die beiden Inschriften bezeugen jedenfalls einen organisierten Kult mit hierarchisiertem Kultpersonal für die Wende des 1./2. Jhs. n. Chr., der dementsprechend wohl so schon spätestens im letzten Viertel des 1. Jhs. bestanden haben dürfte.419 Es stellt sich freilich die Frage, ob das Aretalogie-Fragment originär für das Heiligtum am Akropolishang bestimmt war oder aber erst in der Spätantike dorthin transportiert wurde, wie es ja auch mit zahlreichen Skulpturen geschah.420 Der Fundort innerhalb des größeren spätanti412 Zu Isis als Göttin mit besonderem Wissen und als Lehrerin der Menschen siehe besonders Kap. 6.5.1, mit entsprechenden Selbstcharakterisierungen der Isis bereits in den Sargtexten. 413 Vgl. ägyptisch nn m rwtj =s(?) „ohne die nichts existiert“ (Tôd II, Nr. 245, Kap. 4.8.3). 414 Vgl. M 13: „Ich habe den Pfad der Sterne gewiesen.“; ägyptisch dj(.t) sbA nb Hr [nmt.]t=sn „die alle Sterne auf ihre Bahn setzt“ (Philä I, 168–169, Kap. 4.1.1.A). 415 Der erhaltene Rest der Inschrift (Z. 18–23) ist stark zerstört, aber es läßt sich noch erkennen, daß es in den folgenden Aussagen unter anderem nochmals um Feldfrüchte und Leben geht (vgl. Z. 12, siehe oben, Anm. 410). 416 Siehe zu den belegten Priesterämtern im Isis- und Sarapiskult RÜPKE, Organisationsmuster; speziell zur Funktion der Neokoroi KLEIBL, Iseion, S. 160; MALAISE, Conditions, S. 131–134, der die Neokoren speziell dem Kult des Sarapis, für den sie – unter den ägyptischen Kulten – meist belegt sind, zuordnet; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 53–54 u. 57–60; B. BURRELL, Neokoroi: Greek Cities and Roman Emperors, Cincinnati Classical Studies, N. S. 9, Leiden 2004, S. 3–6; HOFFMANN/QUACK, Pastophoros, S. 136–137; BRICAULT/VERSLUYS, Isis and Empires, S. 22–23. Vgl. oben, Kap. 6.2.5.3 zu einem kaiserzeitlichen Neokoren des Sarapis im Sarapeion von Luxor. 417 RICIS 701/0110. Zu diesem Beinamen der Isis vgl. zahlreiche Belege aus Ägypten, siehe Kap. 6.2.2.2, 6.2.4, 6.2.6, 6.2.10.1 und 6.5.3.1. 418 Als eine Person auch in MORA, Prosopografia Isiaca, S. 511, Nr. 3, aufgenommen. 419 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 201. 420 Zu dieser Frage siehe unten, Kap. 7.2.1.2.3.

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ken Gebäudeteils421 könnte auf eine Verbringung entweder aus dem benachbarten Tempel oder auch aus dem Isistempel im Apollonbezirk hindeuten. Jedoch läßt sich aus dem Datum dieser Dedikation kein genauerer Hinweis auf die Datierung des Gebäudes, sondern höchstens ein wahrscheinlicher terminus ante quem des Heiligtums an sich ableiten.422 Aus dem spätantiken Areal stammt noch eine ältere, sehr fragmentarische Inschrift auf einer Marmortafel aus dem 1. Jh. v. Chr., die in der Forschung teilweise als weitere Isishymne oder Dankgebet an sie o. ä. interpretiert wurde.423 ENSOLI sieht sie aufgrund des in Z. 2 erhaltenen Wortrestes τελεσ[…] sogar als Beleg für die Existenz eines Telesterions und darin stattfindenden Initiationsriten schon in hellenistischer Zeit.424 Die spärlichen Reste liefern dafür m. E. aber keine konkreten Indizien und eine sichere Ergänzung oder zusammenhängende Übersetzung des Textes ist nicht möglich.425 An Götternamen ist nur [Pers]ephone (Z. 8) mit großer Wahrscheinlichkeit zu lesen, und dementsprechend verweisen einige der erhaltenen Stellen auf die Themen Tod und Unterwelt sowie die Rückführung eines Sterblichen ans Licht bzw. den Aufstieg (?) zum Himmel,426 was zu den o. g. Deutungen im Zusammenhang mit Isismysterien führte, da Parallelen in Apuleius’ fiktiver Beschreibung der Initiation von Lucius in Buch XI der Metamorphosen bestehen.427 In ähnliche Richtung geht die übliche Deutung der auffälligen Isisstatue mit ungewöhnlicher Ikonographie und Resten polychromer Bemalung (Taf. IV), welche in zwei Teilen (Kopf und Körper) in dem Raum mit dem Bothros, nahe der Nische in der Rückwand, ge-

421 Vgl. zum genauen Fundort GHISLANZONI, Santuario, S. 161, Nr. 4. 422 Contra STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 201, Anm. 1, der das Gebäude aufgrund der Inschrift an die Wende vom 1. zum 2. Jh. datiert. 423 RICIS 701/0102. Interpretation als Isishymne/-gebet durch den Erstbearbeiter OLIVERIO, Due frammenti; außerdem FERRI, Telesterio isiaco, S. 11–12; und ENSOLI, Indagini, S. 200 u. 208–209; DARDAINE et al., Belo VIII, S. 197. Auch U. BIANCHI, Iside dea misterica. Quando?, in: Perennitas. Studi in onore di Angelo Brelich, Promossi dalla Cattedra di Religioni del mondo classico dell’Università degli Studi di Roma, Rom 1980, S. 8–36: 12–13, Anm. 4, stimmt zumindest zu, daß eine Verbindung des Textes mit Isismysterien gut möglich sei. Starke Zweifel äußern F. HILLER VON GAERTRINGEN, Miscellanea III, in: Rivista di filologia e di istruzione classica 56, 1928, S. 415, und PEEK, Isishymnus Andros, S. 149–152. BRICAULT, RICIS 701/0102, S. 744, räumt zwar ein, daß der „caractère isiaque“ nicht sicher sei, hält dies aber für wahrscheinlich, indem er prinzipiell der Argumentation ENSOLIs folgt; da die Form der Kultpraxis im Heiligtum während der Spätantike aber keinesfalls klar ist, kann kaum behauptet werden, daß Isis aufgrund der Funde von Hekataia (s. u.) – zumal erst im spätantiken Heiligtum – als Unterweltsgöttin angesehen wurde; weiterhin wurde der (von BRICAULT ebenfalls zur Argumentation herangezogene) an Luna geweihte Altar nicht am Akropolishang, sondern im Heiligtum im Apollonbezirk gefunden und weist somit keine eindeutige Verbindung zu der Inschrift oder dem dortigen Kult auf. 424 ENSOLI, Indagini, S. 207–209; nach FERRI, Telesterio isiaco, bes. S. 11–12. 425 Die Ergänzung von F. HILLER VON GAERTRINGEN, Miscellanea III, in: Rivista di philologia classica 56, 1928, S. 415 (auch abgedruckt bei PEEK, Isishymnus Andros, S. 152), ebenso wie die weniger vollständige von FERRI, Telesterio isiaco, S. 11, müssen als rein hypothetisch angesehen werden. Eine versuchsweise Übersetzung der erhaltenen Reste jüngst auch bei DARDAINE et al., Belo VIII, S. 197. 426 ὑπ‘ ὀργάδα τὲν Ἀχέροντος (…) [Περσ]εφόνας  λιμένας  (…)  ἄγαγε  πρὸς  ϕῶς  (…)  [ἐ]ς  αἰθέρα θνατός.  427 Apul., Met. XI, 6: Acherontis tenebris interlucentem Stygiisque penetralibus regnantem; 23: accessi confinium mortis et calcato Proserpinae limine (…) nocte media vidi solem candido coruscantem lumine. Siehe zu diesem Text im Gesamten Kap. 8.2, besonders 8.2.2.6.G zur Stelle.

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funden wurde.428 Angelehnt an die Südwestwand des Raumes war außerdem die dazugehörige Statuenbasis, was auf eine tatsächliche Aufstellung in diesem Gebäudeteil hindeutet. Die Skulptur ist aus parischem Marmor gefertigt und zeigt eine stehende Göttin, deren Haltung und Stil an archaisch griechische Kultbilder erinnert.429 Sie ist ganz frontal ausgerichtet und steht gerade mit eng nebeneinander stehenden nackten Füßen430 da. Bekleidet ist sie mit einem hellgrünen Chiton, dessen fein gefältelter unterer Saum über den Füßen erkennbar ist, und der von den Hüften an von einem eng anliegenden Rock bedeckt wird, der mit mehrfarbigen, sich kreuzenden Bändern verziert ist, so daß ein Netzmuster entsteht. Der Oberkörper wird hingegen von einem glatten Stoff umhüllt, den aber rätselhafte Symbole schmücken, darunter ein rundes Objekt über der Brust, das an die auf dem oben erwähnten Tympanon des Naiskos dargestellte Sonnenscheibe erinnert. Die asymmetrische Darstellung im Bereich des Bauches ist nicht sicher zu identifizieren, erinnert aber am ehesten an einen Vogel mit einer weiteren, in diesem Fall grünen Scheibe. Um die Brust scheint außerdem ein rotes strophium gewickelt zu sein.431 Über den Schultern liegt ein tiefroter Mantel aus offenbar dickem Stoff, der Arme und Hände (!) bedeckt, und dann in weich herabfallenden, archaisierenden Zickzackfalten den Körper beidseitig einrahmt.432 Die Hände sind symmetrisch vor der Brust angehoben und halten hellgrüne schmale Objekte, deren nach außen geschwungene Enden auf den Schultern aufliegen. Diese wurden als Szepter (PARIBENI) oder Getreideähren (FERRI und CUMONT) gedeutet,433 wobei ersteres m. E. aufgrund der weichen geschwungenen Form nicht nachvollziehbar ist. Tatsächlich sieht es geradezu so aus, als halte die Göttin einfach den Mantelsaum, der in einer anderen Farbe abgesetzt ist, in ihren Fäusten: Zumindest der Teil, der unterhalb der Hände herausschaut, geht eindeutig in die Falten des Mantels über; demzufolge könnte auch der obere Teil dazu gehören, doch läßt sich dies nicht mit Sicherheit feststellen. Für Szepter oder Getreideähren erscheinen mir die „Objekte“ jedenfalls zu flach und zu undefiniert.434 Auch der Kopf ist in archaisierendem Stil gehalten und zeigt das typische archaische Lächeln sowie eine Lockenfrisur, mit einzelnen aufgedrehten Locken, die die Stirn umrahmen, während das

428 Siehe zu dieser Statue PARIBENI, Catalogo, Nr. 411, Taf. 175; GHISLANZONI, Santuario, S. 173–187; CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 319–321; FERRI, Telesterio isiaco, S. 12–13; TRAN TAM TINH, Études iconographiques, S. 1724; ID., „Isis“, Nr. 63; ENSOLI, Indagini, S. 205–207; CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 208, Nr. 160. 429 Vgl. FERRI, Telesterio isiaco, S. 12–13; TRAN TAM TINH, „Isis“, Nr. 63, S. 768; PARIBENI, Catalogo, S. 142, Nr. 411. Vgl. z. B. auch die kanonische Darstellung der Artemis von Ephesos, vgl. GHISLANZONI, Santuario, S. 176. 430 Möglicherweise waren Sandalenriemen aufgemalt, doch haben sich in diesem Falle die Farben nicht erhalten. 431 Vgl. auch CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 319. Laut ENSOLI, Indagini, S. 203, Anm. 122, soll auf dem strophium ein Text in Hieroglyphen geschrieben sein, doch ist dieser auf keiner Abbildung erkennbar noch existiert ein Facsimile o. ä. 432 ENSOLI, Indagini, S. 207, Anm. 133, behauptet, dieser Mantel sei auch für andere hellenistische IsisDarstellungen aus Kyrene typisch, ohne jedoch konkrete Beispiele zu nennen. 433 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 206, Anm. 133. 434 Falls es sich tatsächlich um Getreideähren handelt, könnte eine Parallele in der Darstellung der Göttin(?) mit Uräus an der Stirn und Ähren in den Händen in einer der Szenen (rechte Nische) des Tigrane-Grabes bestehen, die von VENIT, Referencing Isis, S. 108–113, als Initiationszyklus gedeutet werden, siehe ibid., Abb. 14; dazu oben, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs).

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Haupthaar im Nacken frei herabfällt.435 Über den Stirnlocken sitzt ein seitlich mit Lorbeer bekränztes rotes Diadem auf, in dessen Zentrum sich eine große Sonnenscheibe erhebt, die am unteren Rand durch eine Mondsichel eingefaßt ist und in der Mitte eine im Profil dargestellte Uräusschlange zeigt. Dieser Kopfschmuck, der noch Reste von Vergoldung aufweist, bildet den einzigen relativ sicheren Hinweis, daß es sich hierbei um eine Darstellung der Isis handeln dürfte. Davon abgesehen sind jedoch sowohl Datierung als auch Deutung des Stückes sehr umstritten. Der Kopf der Statue ist einzeln gearbeitet, was möglicherweise auf eine längere Verwendung und nachträgliche Restaurierung hindeutet; so datiert beispielsweise PARIBENI den Kopf in römische, den Körper in hellenistische Zeit oder noch früher.436 Auch die Bemalung wurde offenbar schon in der Antike erneuert.437 VIDMAN sieht in der Skulptur das Werk eines Griechen, das auf einem Original des 4. Jhs. v. Chr. beruht,438 doch gibt es m. E. keinen Grund, eine Kopie anzunehmen. Das größte Problem bei der Interpretation stellt das ungewöhnliche Gewand mit seinen rätselhaften Symbolen und den kreuzförmig um den Rock gewickelten Bändern dar. Letztere wurden von den meisten Forschern als Wiedergabe ägyptischer Mumienbinden gedeutet,439 um damit wiederum auf Isis’ in Kyrene angeblich besonders ausgeprägten chthonischen Charakter, die Identifizierung mit Persephone und den Zusammenhang mit Initiationsmysterien zu verweisen.440 Angeblich soll das Aussehen der Statue sogar der Beschreibung der Isis in Apuleius’ Erzählung von Lucius’ Initiation entsprechen (Met. XI, 3–4).441 Tatsächlich trifft dies auf die meisten Details aber nicht zu: Der von Apuleius beschriebene Mantel ist tiefschwarz und nicht rot, außerdem soll er mit einer Fransenborte und Sternen geschmückt sein, in deren Mitte sich ein Vollmond befindet. Bei der Kyrener Statue finden sich zwar runde Elemente, die als Vollmond gedeutet werden könnten, auf Brust- und Bauchteil des Gewandes, nicht jedoch auf dem Mantel. Von gekreuzten Bändern auf dem Rock oder etwas ähnlichem ist bei Apuleius nicht die Rede. Auch der Kopfschmuck stimmt nur in seinem Grundelement der Sonnenscheibe (von Apuleius wiederum als Mondscheibe gedeutet) wirklich überein, die sich aber bei den meisten hellenistischen und römischen Isisdarstellungen findet. Die tatsächlichen Übereinstimmungen sind hingegen insgesamt sehr allgemeiner Art, so das Vorhandensein eines Mantels, von Mond- bzw. Sonnenscheiben, Uräen und einem vegeta435 Leider scheint keine Abbildung der Rückansicht des Stückes zu existieren; Beschreibung der Haare im Nacken nach ENSOLI, Indagini, S. 206, Anm. 133. Jedenfalls ist keine Ähnlichkeit mit der besonders in römischer Zeit für Isis üblichen Korkenzieherlocken-Frisur vorhanden. 436 PARIBENI, Catalogo, S. 143; gefolgt von LARONDE, Alexandrie et Cyrène, S. 109. Ähnlich GHISLANZONI, Santuario, S. 187, der den Kopf in das 2. Jh. v. Chr., den Körper spätestens in das 1. Jh. n. Chr. setzt. Als lokale Arbeit hellenistischer Zeit sieht auch ENSOLI, Indagini, S. 201, die Statue an. TRAN TAM TINH, „Isis“, Nr. 63, hingegen hält die ganze Statue für „vielleicht römisch“. 437 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 206. 438 VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 111. 439 Die abweichende Deutung der Statue durch FERRI, Telesterio isiaco, S. 9–10, als „magisch gebundenes Eidolon“ ist sicher zu verwerfen und wird in der folgenden Diskussion daher vernachlässigt; vgl. auch TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 546. 440 So ENSOLI, Indagini, S. 207; CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 320–322; PARIBENI, Catalogo, S. 142–143, Nr. 411; GHISLANZONI, Santuario, S. 182–186. NIELSEN, Housing the Chosen, S. 59, hält die Statue dagegen für eine Darstellung des Osiris, was mir aufgrund der insgesamt weiblichen Formen (siehe besonders die Hüften) nicht möglich erscheint. 441 ENSOLI, Indagini, S. 207; GHISLANZONI, Santuario, S. 175–177; TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 546.

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bilen Kranz. Eine Identifikation mit der ‚Initiationsleiterin‘ Isis bei Apuleius ruht also auf schwachen Füßen. Wie sieht es jedoch mit der Signifikanz der gekreuzten Bänder aus? Gekreuzte Bänder im Bereich der Beine kommen im griechischen Bereich kaum jemals vor; als Ausnahme sind einige wenige bekannte Darstellungen des Zeus Stratios zu nennen, die solche aufweisen.442 Da es aber praktisch keine Paralleldarstellungen bei weiblichen Götterstatuen griechischen Stils gibt, wird der Ursprung meist im ägyptischen funerären Bereich gesucht, wo sowohl kreuzförmig gewickelte Mumienbinden443 als auch Mumiennetze aus Fayenceperlen444 zu finden sind, so auch in gängigen Osirisdarstellungen. Eine Darstellung der Isis als Mumie wäre jedoch sowohl innerhalb als auch außerhalb Ägyptens höchst ungewöhnlich.445 Gegen Mumienbinden spricht m. E. auch die Auslassung der Füße. Auf spätägyptischen (spätzeitl.-römerzeitl.) Totenstelen werden allerdings die Göttinnen Isis, Nephthys oder Hathor desöfteren in einem engen Kleid mit netzförmigem Muster dargestellt, das in einigen Fällen starke Ähnlichkeit mit dem Totengewand des ebenfalls im Bildfeld gezeigten Osiris aufweist.446 Auch auf einer römerzeitlichen Gedenkstele447 für einen verstorbenen Inaros und seine ebenfalls verstorbene Tochter Tatriphis aus Achmim ist außer den beiden Geehrten selbst, einem libierenden König und Osiris auch noch eine nicht benannte Göttin mit einem netzförmig gemusterten Kleid abgebildet, die vermutlich Hathor (oder aber wiederum Isis) darstellen soll, die „Totengöttin für Frauen“ besonders in römischer Zeit.448 Andererseits trugen ägyptische Frauen bereits seit dem AR auch Perlennetze, die wohl oftmals über ein normales Stoffkleid gezogen wurden;449 möglicherweise könnte diese Bekleidung auch in den zweidimensionalen Darstellungen der Göttinnen auf den Totenstelen gemeint sein, wobei die einzelnen Perlen nicht eigens angegeben werden, so daß nur das Netzmuster erkennbar ist. Es fällt allerdings auf, daß nicht der ganze Körper der Kyre-

442 Siehe A. LAUMONIER, Les cultes indigènes en Carie, Paris 1958, Taf. III–IV; P. FOUCHART, Le Zeus Stratios de Labranda, in: Mon. Piot 18, 1911, S. 145–175, bes. 162–163; vgl. GHISLANZONI, Santuario, S. 179. 443 Vgl. GHISLANZONI, Santuario, S. 182; zur elaborierten netzförmigen Wicklungstechnik in römischer Zeit siehe zum Beispiel CHR. RIGGS, Tradition and Innovation in the Burial Practices of Roman Egypt, in: Lembke/Minas-Nerpel/Pfeiffer (Hrsg.), Tradition and Transformation, S. 343–356: S. 349– 350, m. Abb. 2. 444 So die Interpretation von TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 546. 445 M. S. VENIT interpretiert eine weibliche Figur im Stagni-Grab in Alexandria als mumifizierte Form der Isis-Aphrodite: VENIT, Monumental Tombs, S. 163–165; Abb. 141–142. Das Wandgemälde ist jedoch sehr schlecht erhalten, und ich kann VENITs Deutung nicht zustimmen, siehe oben, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs). Auch eine in Form einer liegenden, bandagierten Gestalt gestaltete Lampe von der Athener Agora (4. Jh. n. Chr.) wird teilweise als mumienförmige Isis interpretiert: DUNAND, Culte d’Isis II, S. 143; Taf. X, 2; dagegen GALLO, Lucerne osiriformi, der in der Figur im Vergleich mit verwandten Stücken trotz großer stilistischer Unterschiede Osiris erkennt, was m. E. wahrscheinlicher ist. 446 Siehe z. B. MUNRO, Totenstelen, Taf. 3, Abb. 10, und passim. Diese Interpretation des Gewandes der Kyrener Statue entgegen der Deutung als Mumienbinden auch bei GALLO, Lucerne osiriformi, S. 151, Anm. 7. 447 Kairo CG 31123. Siehe RIGGS, Beautiful Burial, S. 68. 448 Weibliche Verstorbene wurden in der Römerzeit auch häufig als „Hathor von NN“ bezeichnet, siehe auch oben, Kap. 7.1.4. 449 Siehe zu Perlennetz-Kleidern VOGELSANG-EASTWOOD, Egyptian Clothing, S. 125–129.

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ner Statue, sondern nur der Teil von den Hüften bis knapp über die Fußknöchel sichtbar450 in das netzförmige Gewand gehüllt ist. Tatsächlich existieren aber auch ägyptische Darstellungen, bei denen nur der Rockteil von diesem bedeckt ist.451 Ab dem NR werden die Darstellungen dieser Perlennetze seltener; eine Ausnahme bilden aber Göttinnen und Königinnen, so daß man möglicherweise von einem zunehmenden symbolischen Wert dieser Ikonographie ausgehen kann, vielleicht sogar im Zusammenhang mit den Fayencenetzen von Mumien, die sicher auch magischem Schutz dienten.452 Das Bild einer netzförmigen „Überbekleidung“ könnte also sowohl von ägyptischen Göttinnendarstellungen bekannt gewesen sein, als auch von kreuzförmig gewickelten Mumienbinden oder die Mumie einhüllenden Fayencenetzen. Dementsprechend wurde es wahrscheinlich als typisch ägyptisch angesehen, wenn uns auch die genauere Konnotation (spezifisch funerär? spezifisches Göttinnengewand? spezifisches Gewand der Isis und Nephthys?) der Adaption für die kyrenäische Isis nicht bekannt ist. In ähnlicher Weise wurden schließlich auch der ägyptische Flügelrock für phönizische Göttinnendarstellungen453 sowie das geknotete Fransengewand für die ‚kanonischen‘ hellenistisch – römischen Isisbilder adaptiert.454 Auch die Funktion der kyrenäischen Skulptur ist fraglich: Handelte es sich um die Kultstatue der Isis oder gar um die Darstellung einer initiierten ‚Mystin‘,wie teilweise angenommen wird?455 VIDMAN nimmt sogar an, daß sie jedes Jahr von neuem rituell im Bothros vergraben wurde, was die außergewöhnliche Erhaltung der Farben erklären würde.456 Es ist zumindest auffällig, daß bei allen anderen Marmorfunden keine oder kaum Reste von Polychromie mehr festzustellen sind. GHISLANZONI hingegen interpretiert die Skulptur als Bildnis einer Priesterin, welche als Mumie dargestellt ist, und der erst nachträglich ein Isiskopf aufgesetzt wurde.457 Jedoch wäre die statuarische Repräsentation als Mumie auch für eine Priesterin sehr ungewöhnlich. Gegen die Funktion als Kultstatue des spätantiken Heiligtums (sog. ‚byzantinisches Iseum‘) spricht sich WILD aus, da die Skulptur nicht zentral an der Rückwand plaziert war, sondern an der Seite, was ihm zufolge auf eine sekundäre Bedeutung hinweist.458 Man könnte dagegen einwenden, daß die Fundposition nicht zwingend 450 Es ist nicht zu erkennen, ob die Bekleidung des Oberkörpers an den Rock anschließt oder aber über einem Ganzkörperkleid (das sich unter diesem Hemd nach oben fortsetzen würde) getragen wird. 451 Siehe z. B. VOGELSANG-EASTWOOD, Egyptian Clothing, S. 93, Abb. 6:6b. 452 Vgl. VOGELSANG-EASTWOOD, Egyptian Clothing, S. 129. 453 Siehe Kap. 7.1.4. 454 Gedanken zum Übertragungsprozeß dieses Gewandes auf Isis habe ich in dem Beitrag NAGEL, The Goddess’s New Clothes, S. 192–201, geäußert. 455 Die Deutung als Kultstatue z. B. bei VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 111; ENSOLI, Indagini, S. 207. Die Interpretation als Mystin wurde von CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 321, vorgeschlagen, gefolgt von CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 208, Nr. 160; TURCAN, Cultes orientaux, S. 97. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 118; und EAD., Aegyptiaca romana, S. 147, interpretiert die Statue als Isisanhängerin, die sich in Osiris-Gestalt präsentiert (nach DARDAINE et al., Belo VIII, S. 198). Weibliche Verstorbene, die sich als Osiris darstellen, sind auf einigen Mumientüchern belegt, z. B. Mus. of Fine Arts, Boston, Inv. 50.650 (DE VOS). 456 VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 111. Auch FERRI, Telesterio isiaco, S. 9, vermutet aufgrund der Farben, daß die Statue die meiste Zeit aus kultischen Gründen unter Verschluß gehalten wurde. Eine Aufbewahrung in der entdeckten Kultgrube ist allerdings aufgrund der Maße (Größe der Statue: 1,15 m; Maße der Grube: 0,50 x 0,40 x 0,50 m) nicht möglich. 457 GHISLANZONI, Santuario, S. 186. 458 WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1770, Anm. 70.

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der ursprünglichen Aufstellung entsprochen haben muß, zumal Statue und Basis ja getrennt gefunden worden sind. Als weiteres Argument gegen eine Kultstatue der Isis wurden von CUMONT neben der angenommenen mumienförmigen Darstellung auch die verhüllten Hände der Figur vorgebracht, da diese ansonsten typisch für Priester sind, die heilige Gegenstände tragen.459 Für die Göttin wäre es demnach unlogisch, daß sie ihre eigenen Kultobjekte verunreinigen könnte. Wie oben beschrieben ist m. E. jedoch nicht eindeutig, ob überhaupt und welche Attribute in den Händen gehalten werden. CUMONT deutet die Statue schließlich im Vergleich mit dem Initiationsbericht in Apuleius’ Metamorphosen (XI, 23– 24) als die einer frisch eingeweihten Mystin, deren Gewand den symbolisch durchlebten Tod und die darauf folgende Wiedergeburt widerspiegeln soll.460 Auch in diesem Fall entspricht der Text jedoch keineswegs der Darstellung, abgesehen von der Tatsache, daß der initiierte Lucius ebenfalls einen Mantel über den Schultern trägt. Bei Apuleius ist von 12 Roben (duodecim stolis) die Rede, die der Myste erhält, und von Tierdarstellungen, die den ganzen Aufzug, in dem er erscheint, rundum dekorieren (colore vario circumnotatis insignibar animalibus). Desweiteren hält er eine flammende Fackel in der rechten Hand (manu dextera gerebam flammis adultam facem). Von Mumienbinden oder ähnlichem ist hingegen keine Rede.461 Eine mögliche Parallele findet sich in der Nischendekoration im kaiserzeitlichen (hadrianischen?) Tigrane-Grab von Alexandria, die von M. S. VENIT als Szenen der Einweihung in den Isiskult gedeutet werden: Die Wandbemalung der linken Nische zeigt einen Mann in einem kurzen Gewand mit Netzmuster und zwei über die Schultern hinausragenden Federn oder Palmzweigen in den Händen, der in ähnlicher Pose wie die Kyrener Statue frontal steht.462 Sein Haupt scheint geschoren zu sein und ist mit einer Binde mit zwei Federn umwunden, die üblicherweise Pterophoren kennzeichnet. Möchte man den Vergleich in aller Konsequenz durchziehen, wäre davon auszugehen, daß die Objekte(?) der Kyrener Statue ebenfalls Federn oder Palmblätter darstellen, was mir kaum möglich erscheint; es bliebe allerdings noch der Ausweg geschlechtsspezifischer Unterschiede bei den Details. Auch die Darstellungen im Tigrane-Grab orientieren sich an ägyptischen Funerärszenen und eine Deutung im Sinne von Einweihungszeremonien bleibt m. E. spekulativ. 459 CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 320. Verhüllte Hände weisen v. a. Priester, die kultische Wassergefäße oder Kanopos-Skulpturen tragen, auf, z. B. die Statue eines Priesters mit Osiris-Kanopos, siehe z. B. DUNAND, Prêtre portant; GALLO, Aegyptiaca Alexandrina VI. 460 CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 321. Die Behauptung CUMONTs (S. 320), es könne sich beim Gesicht der Statue gut um ein Porträt handeln, entbehrt jeder Grundlage und widerspricht völlig der idealisierten und archaisierenden Darstellungsweise (vgl. dazu auch die archaisierende Isis-Statue aus dem Isistempel in Pompeji, siehe Kap. 7.3.3.1.1). Die Interpretation als Initiierte, die gerade symbolisch vom Tode aufersteht, auch bei MERKELBACH, Isis regina, S. 172, §§ 328–329; S. 586, Abb. 109–110, der die Episode des Osirismythos bei Plutarch, De Iside 13, heranzieht. 461 CUMONT, Nouvelles découvertes, S. 321–322, erklärt die Abweichungen von der Beschreibung des Apuleius damit, daß dort ein männlicher Eingeweihter beschrieben wird, der dementsprechend durch seine Tracht mit Sarapis assimiliert werde, wohingegen die weibliche Mystin als Isis erscheine. Dies erklärt jedoch keineswegs die „Mumienbinden“. Nur der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, daß Apuleius einen Kranz aus Palmblättern (corona palmae candidae) und nicht einen Lorbeerkranz (auf den CUMONT, S. 321, m. Anm. 4, näher eingeht) beschreibt. 462 VENIT, Monumental Tombs, S. 153–155, m. Abb. 133; EAD., Referencing Isis, S. 109–112; siehe ausführlich dazu oben, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs), mit Argumenten gegen VENITs Deutung.

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Abschließend bleibt festzuhalten, daß trotz aller genannten ungeklärten Probleme und der bisherigen Einzigartigkeit des Stückes spätestens mit der wohl nachträglichen Hinzufügung des Kopfes (im Rahmen einer Restaurierung?) die Göttin selbst aufgrund des Diadems mit der Sonnenscheibe mit dem Bild gemeint gewesen sein dürfte. Die mehrfache Erneuerung und gute Erhaltung der Farben sprechen außerdem für eine besondere Behandlung und gewisse Bedeutung der Statue, die für die bloße Repräsentation einer Kultanhängerin bzw. Mystin so ohne Parallelen und kaum vorstellbar wäre.463 Ungewöhnliche ikonographische Eigenheiten zeigt auch eine weitere, in einer der Nischen der Südwestwand des Bothros-Raumes gefundene weibliche Statue:464 Während der Körper aus pentelischem Marmor dem klassischen statuarischen Typus der Demeter von Kos (bzw. Typus Madrid – Kapitol) darstellt, weist der zu einem späteren Zeitpunkt aufgesetzte Kopf aus grauem, grobkristallinen Marmor eine gestufte Ringellockenfrisur auf, die an ägyptische Perücken oder auch an die sog. „libyschen Locken“ erinnert, welche in unterschiedlichen Abwandlungen von Ptolemäerinnen ab Kleopatra I. getragen und wohl etwa zu derselben Zeit für die Isisikonographie adaptiert worden sind.465 Laut GHISLANZONI enthält die untere Lockenschicht Reste schwarzer Farbe, die obere Reste roter Farbe, woraus er auf eine rote Perücke über schwarzem Kopfhaar schließt,466 was aufgrund der homogenen Haarbehandlung beider Teile ungewöhnlich erscheint. Auf dem Oberkopf sitzt ein Diadem mit weiß-roter Bemalung auf, hinter welchem sich zwei hohe schmale Elemente erheben, die an den oberen Enden leicht nach außen gebogen sind und wohl die hohen Federn des Basileions repräsentieren, von dem sich aber offenbar keine weiteren Teile (Sonnenscheibe, Hörner) erhalten haben.467 Der Kopf wird von PARIBENI in das 1. Jh. v. Chr. datiert, der Körper dürfte älter sein, evtl. aus dem 4. Jh., doch eine sichere Datierung ist kaum möglich. Die ganze Skulptur wird üblicherweise als Isis-Libya oder Isis(-Libya)-Demeter interpretiert;468 allerdings beruht die Identifikation mit Libya einzig auf der Frisur, die aber in dieser Form eher an ägyptische Vorbilder erinnert469 und zudem häufig für Isis selbst belegt 463 Man vergleiche zum Kontrast auch die beiden in Kyrene gefundenen nahezu identischen Skulpturen von Isisanhängerinnen oder Mystinnen mit Fransenmantel und Blumengirlande, von denen eine noch den antoninischen Porträtkopf aufweist, siehe unten. 464 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 23, S. 198–201, Abb. 25; PARIBENI, Catalogo, Nr. 78, S. 47; Taf. 62; LARONDE, Cyrène et la Libye, S. 368–369, Abb. 133; ENSOLI, Indagini, S. 236; Taf. XXIV,1. 465 Siehe dazu EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 53–55; WALTERS, Attic Grave Reliefs, S. 12; ALBERSMEIER, Frauenstatuen, S. 67–74 u. 254; SCHWENTZEL, Boucles d’Isis; NAGEL, The Goddess’s New Clothes, S. 192–201. 466 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 23, S. 198; vgl. auch ENSOLI, Indagini, S. 236. 467 Die länglichen Elemente wurden separat neben dem Kopf gefunden und sind heute verloren. Vgl. zur Interpretation als Federn PARIBENI, Catalogo, Nr. 78, S. 47; und ENSOLI, Indagini, S. 236. GHISLANZONI, Santuario, Nr. 23, S. 199, hingegen hält sie für eine schematische Darstellung einer Lotusblume. Zum üblichen Kopfschmuck der hellenistischen und römischen Isis siehe MALAISE, Basileion; ID., Coiffure hathorique; VEYMIERS, Basileion. 468 Nur LARONDE, Cyrène et la Libye, S. 369, möchte sie als reine Libya-Darstellung deuten, ohne allerdings eine Erklärung für die Feder(?)-Bekrönung zu liefern. 469 Siehe die verschiedenen Variationen der Korkenzieherlocken-Frisur bei den ptolemäischen Frauenstatuen in ALBERSMEIER, Frauenstatuen: eine Stufenfrisur mit relativ kleinen Locken und zwei Reihen in der Stirn ähnlich der Kyrener Skulptur zeigt z. B. ibid., Kat. 33, Taf. 34; vgl. auch Kat. 11 u. 7, Taf. 52. Zu Darstellungen der Libya siehe SCHWENTZEL, Boucles d’Isis; und E. CATANI, Per un’iconografia di Libya in età romana, in: QAL 12, 1987, S. 385–401.

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ist. Eine bewußte Adaption des Demeter-Typus für Isis ist angesichts mehrerer anderer kyrenäischer Darstellungen verschiedener Epochen, die beide Gottheiten miteinander assimilieren, hingegen sehr wahrscheinlich.470 Die übrigen im Heiligtum gefundenen Skulpturen sind weniger spektakulär und stammen größtenteils deutlich erst aus römischer Zeit. Tatsächlich dem Isiskult zuzuordnen sind die wenigsten davon, darunter eine qualitätvoll gearbeitete Marmorskulptur einer Isisanhängerin oder -dienerin antoninischer Zeit mit dem typischen geknoteten Fransengewand und einer schräg von der linken Schulter über die Brust bis zum rechten Unterschenkel verlaufenden vegetabilen Girlande, deren Kopf zwar fehlt,471 die aber fast identisch ist mit einer zweiten Frauenstatue dieser Art inklusive Kopf, die im Isistempel im Apollonbezirk gefunden wurde.472 Die kopflose Plastik kam wie die oben beschriebene fragmentarische Inschrift473 in der Erdauffüllung im Osten des Bothros-Saales zutage und dürfte einer attischen Werkstatt entstammen.474 Eine vergleichbare Ikonographie, wenn auch in gänzlich anderem Stil, weist eine grob gearbeitete Sandsteinstatuette minderer Qualität aus dem Bothros-Raum auf, welche aufgrund der schematisch angegebenen Sonnenscheibe mit Mondsichel und frontal vor die Scheibe gesetzter Uräusschlange auf dem Kopf wohl die Göttin selbst meinen dürfte.475 Sie trägt, wie es in römischer Zeit häufiger vorkommt, einen Schleier über dem Haupt, unter dem in der Stirn eine Mittelscheitelfrisur und im Nacken die typischen „Isislocken“ zu erkennen sind. Der Knoten in der Mitte des Gewandes ist nur als flache Ritzung angegeben, die Girlande verläuft hier von der rechten Schulter zur linken Hüfte. Die eng am Körper herabhängende linke Hand hält ein Gefäß, das im Vergleich mit anderen Darstellungen wohl als Situla zu benennen ist, die erhobene Rechte dürfte dementsprechend ein Sistrum gefaßt haben. Die flache, zweidimensionale Gestaltung, besonders der Gewandfalten, und die insgesamt klobigen Formen weisen das Stück als lokale Arbeit wohl der ersten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. aus.476 Neben diesen eindeutig zum Isiskult gehörigen Skulpturen wurden außerdem Marmorbilder anderer Gottheiten im Heiligtum aufgefunden. Zwei Hekataia aus pentelischem bzw.

470 Siehe oben, Kap. 7.2.1.1; und unten, 7.2.1.2.3. 471 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 24, S. 201–202; Taf. 31; TRAVERSARI, Statue iconiche, Nr. 33, S. 75– 76; Taf. XVII.2; ENSOLI, Indagini, S. 224; Taf. XV,2; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 149, S. 171, der das Stück zwischen 130 u. 140 n. Chr. datiert. Fehlt bei KLEIBL, Iseion, Kat. 55. 472 Siehe unten, Kap. 7.2.1.2.2. 473 RICIS 701/0102. 474 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 224, Anm. 187. 475 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 10, S. 166–167, Abb. 9; ENSOLI, Indagini, S. 224; Taf. XV,3; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 92, S. 141; FABBRICOTTI, Arulette, S. 291–292, Abb. 13. EINGARTNER deutet die Sonnenscheibe als Federnbündel; die in den Publikationen vorhandenen Photos lassen keine sichere Entscheidung zu. ENSOLI, Indagini, S. 224, Anm. 188, bezeichnet die dargestellte Göttin aufgrund der Mondsichel als Isis-Luna. Vgl. zur Krone mit Sonnenscheibe und Uräusschlange z. B. eine (Isis-)Kronendarstellung im Grab Anfushy II in Alexandria, s. o., Kap. 6.2.10.2 (Exkurs). Zur Mondsichel als Element der Isis-Ikonographie vgl. MALAISE, Calathos, S. 262–265; NAGEL, The Goddess’s New Clothes, S. 209. 476 Vgl. zur Datierung EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 92, S. 141 u. 63.

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parischem Marmor stammen aus dem Bothros-Raum und seinem Vestibül,477 ebenso wie eine Graziengruppe,478 eine Statuette und ein Relief der Kybele,479 der Torso eines Eros Sauroktonos,480 eine Statue der Aphrodite Pudica in Begleitung von Eros auf einem Delphin,481 die in situ auf dem Podest in der Nische der Rückwand des Bothros-Raumes stand; weiterhin drei Frauenköpfe,482 deren einer früher als „Berenike“ benannt wurde, aber wohl ein Werk des mittleren 2. Jhs. n. Chr. nach hellenistischen Vorbildern darstellt,483 ein Mithraskopf484 und schließlich eine Statuette des Zeus mit Adler,485 die in der formalen Gestaltung stark der Sandsteinstatuette der Isis (s. o.) ähnelt. Daneben zeugt eine Votivstele der Epheben des Jahres 224 n. Chr., die in der Nische der Rückwand gefunden wurde, von der Verehrung des Hermes und des Herakles.486 Von Interesse sind einige der Namen der Stifter, da drei von ihnen mit dem theophoren Element Sarapis/Serapis gebildet werden: der Sekretär Tiberius Aelius Serapion, Aurelius Serapodoros und Cassius Serapodoros. Eine wesentlich kleinere, schmale anepigraphe Stele mit der Darstellung einer aufgerichteten Schlange auf mehreren gewellten Linien, die Wasser oder aber weitere, liegende Schlangen meinen könnten, ist nicht mit Sicherheit dem Kult einer bestimmten Gottheit zuzuordnen.487 Schlangen spielen zwar im Kult der ägyptischen Götter häufig eine Rolle, doch entspricht das Relief nicht der üblichen Ikonographie von (Isis-)Thermuthis oder (Sarapis-)Agathodaimon.488 Auch in Griechenland können Götter (z. B. Zeus) in Form von 477 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 1 u. 7, S. 153–159, Abb. 2–3; PARIBENI, Catalogo, Nr. 168 u. 170, S. 73–74; Taf. 99–100; ENSOLI, Indagini, S. 232; Taf. XVIII,1–2. 478 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 5, 8 u. 24–25, S. 161–165, Abb. 6a–b; PARIBENI, Catalogo, Nr. 302, S. 109; Taf. 144; ENSOLI, Indagini, S. 232; Taf. XVIII,3. 479 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 2 u. 13, S. 159–160 u. 169, Abb. 4 u. 12; PARIBENI, Catalogo, Nr. 232– 233, S. 90–91; Taf. 120; ENSOLI, Indagini, S. 232; Taf. XIX,1–2. 480 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 3, S. 160–161, Abb. 5; PARIBENI, Catalogo, Nr. 310, S. 111; Taf. 148; ENSOLI, Indagini, S. 233; Taf. XX,1. 481 Diese weist zumindest noch Reste der antiken Bemalung auf. GHISLANZONI, Santuario, Nr. 22, S. 196–197, Abb. 24; PARIBENI, Catalogo, Nr. 258, S. 99; Taf. 130; ENSOLI, Indagini, S. 233; Taf. XX,2. 482 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 9, 12 u. 17, S. 165–166, 168–169 u. 171, Abb. 8, 11 u. 15; PARIBENI, Catalogo, Nr. 91 u. 300, S. 51 u. 108; Taf. 67 u. 143; ENSOLI, Indagini, S. 234 u. 242; Taf. XXI,1–2 u. XXIV,2. 483 Siehe hierzu auch H. KYRIELEIS, Bildnisse der Ptolemäer, Berlin 1975, S. 100. 484 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 6, S. 164, Abb. 7; PARIBENI, Catalogo, Nr. 432, S. 148; Taf. 185; ENSOLI, Indagini, S. 234; Taf. XXI,3. 485 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 11, S. 167–168, Abb. 10; PARIBENI, Catalogo, Nr. 191, S. 81, der das Stück aufgrund der nur summarischen Angabe von Details als unfertig bezeichnet; Taf. 109; ENSOLI, Indagini, S. 234; Taf. XXII,1. Die Anlage des Gewandes entspricht eher statuarischen Typen des Asklepios (Asklepios Neugebauer) als solchen des Zeus, doch der Adler ist eindeutig. 486 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 20, S. 189–196, Abb. 23; im Katalog von KLEIBL, Iseion, Nr. 55, S. 341–342, wird die Stele nicht erwähnt. Auch ENSOLI, Indagini, geht nicht näher auf diesen Fund ein, obwohl sie die Stele auf ihrer Taf. XXIV abbildet. Laut BRICAULT, RICIS, S. 746, wurde die Stele im Heiligtum allerdings einzig als Architekturelement wiederverwendet. 487 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 14, S. 169–170 u. 203, Abb. 13; ENSOLI, Indagini, S. 235; Taf. XXII,2. Man vergleiche z. B. ägyptische Votivstelen an Meretseger aus Deir el-Medina, die übereinander angeordnete Schlangen zeigen, siehe B. BRUYÈRE, Mert Seger à Deir el Médineh, MIFAO 58, Kairo 1930, S. 120–122, Abb. 60–62; S. 247, Abb. 124; S. 273, Abb. 140. 488 Siehe zu diesen unter anderem mit Alexandria verbundenen Schlangengottheiten oben, Kap. 6.1.2.1 und 6.2.10.1; vgl. DUNAND, Agathodémon; MALAISE, Terminologie, S. 159–175.

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Schlangen als chthonischen Manifestationen auftreten oder von ihnen begleitet werden. Da eine aus dem Meer kommende Schlange ein gängiges Element in Legenden zur Übertragung des Asklepios-Kultes bildet,489 deutet ENSOLI die Stele als Hinweis auf Asklepios (identifiziert mit Sarapis), weist aber auch auf die genannten ägyptischen Schlangengottheiten hin, wohingegen GHISLANZONI einen Vergleich zu Votivstelen für Zeus Meilichios vom Piräus zieht, die ihn als Schlange zeigen. Die griechischen, mit männlichen Göttern oder Heroen in Verbindung stehenden Reptilien tragen jedoch häufig einen Bart (wenn auch nicht immer),490 was hier nicht der Fall ist. Tatsächlich kommt die Darstellungsweise im linken Profil mit aufgerichtetem Hals und eingeringeltem Schwanz aber derjenigen der Uräusschlange im Diadem der polychromen Isisstatue (s. o.) sehr nahe,491 und sogar der Hals der Schlange auf der Stele scheint am Kopfansatz etwas breiter zu sein. Somit könnte – mit Vorbehalt – hier tatsächlich ein weiteres (Votiv-?)Objekt mit dem ägyptischen Kult in Verbindung stehen. Bei einer flügellosen Sandsteinsphinx492 hingegen handelt es sich nach Ausweis der schlechten Abbildung offenbar um eine weibliche Sphinx griechischer Art, die demnach entgegen ENSOLIs Aussage keine eindeutig ägyptischen Bezüge aufweist. Es stellt sich die Frage, wie dieser Befund zu interpretieren ist. Hekataia haben sich auch andernorts in Kyrene zahlreich gefunden493 und sind damit nicht speziell dem Heiligtum der Isis zuzuordnen. Gleiches gilt für die Grazien.494 Fast alle Stücke datieren in die römische Kaiserzeit, jedoch variiert die genaue Epoche innerhalb dieser von Fall zu Fall. Das späteste Objekt ist ein Frauenkopf mit Merkmalen vom Ende des 3./Anfang des 4. Jhs. n. Chr.495 Danach wurden offenbar nur Reparaturen an älteren Skulpturen vorgenommen, jedoch keine neuen Votive mehr gestiftet, obwohl nach Ausweis der Münzen im Bothros wohl mindestens bis 361 n. Chr. ein Kultbetrieb stattgefunden haben dürfte. Unter der Zerstörungsschicht des Erdbebens von 365 n. Chr. wurde im Heiligtum außerdem eine große Anzahl an Fragmenten spätantiker Lampen gefunden, die aus lokaler Produktion stammen und mit verschiedenen Mustern und Motiven dekoriert waren.496 Interessanterweise befinden sich darunter jedoch gerade keine mit den ägyptischen Göttern verbundenen Darstellungen, obwohl solche besonders in Nordafrika in großen Mengen produziert wurden.497 Nichtsdestotrotz möchte DEL MORO die Lampenfunde als Evidenz der nächtlichen 489 Z. B. die Gründungslegende von Boiai (Lakonien): Paus. III, 23, 6–7; siehe zum Thema R. GARLAND, Introducing New Gods: The Politics of Athenian Religion, London 1992, S. 121. Vgl. auch FERRI, Telesterio isiaco, S. 14 m. Anm. 39. FERRI selbst deutet die Schlange dennoch bevorzugt als Hinweis auf die Isismysterien. 490 Zu griechischen Schlangendarstellungen siehe E. KÜSTER, Die Schlange in der griechischen Kunst und Religion, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 13,2, Gießen 1913. 491 Vgl. auch GHISLANZONI, Santuario, Nr. 11, S. 167–168. 492 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 15, S. 170–171, Abb. 14; ENSOLI, Indagini, S. 235; Taf. XXIII,1. 493 Siehe PARIBENI, Catalogo, Nr. 167–176. 494 Siehe PARIBENI, Catalogo, Nr. 301–304. 495 GHISLANZONI, Santuario, Nr. 17; siehe oben, Anm. 482. 496 Siehe dazu DEL MORO, Lucerne tardoantiche. 497 Siehe J. J. V. M. DERKSEN, Isis and Serapis on lamps from North Africa, in: Boer/Edridge (Hrsg.), Hommages Vermaseren I, S. 296–304; PODVIN, Anubis et Isis sur lampes; ID., Lampes isiaques; ID., Nouvelles lampes; ID., La triade Isis-Harpocrate-Anubis sur des lampes africaines, in: L. Chrzanovski

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Lampenfeste (Lychnapsia) zu Ehren der Isis werten.498 Eine Konzentration der Fragmente läßt sich entlang der Südmauer des Heiligtums feststellen,499 was die Frage aufwirft, ob es sich dabei um eine Art Deponierungsstätte handelte. Interpretation Die Deutung des Heiligtums am Akropolisabhang wirft eine ganze Reihe an Problemen auf. Es gibt weder klare Hinweise auf die ursprüngliche Weihung der Kultstätte noch auf den konkreten Zeitpunkt, zu dem die ägyptischen Götter dort erstmals Einzug hielten. Auf einen älteren Tempel ägyptischer Götter deutet nur das sehr magere Indiz der Hieroglyphenblöcke im Kultbildpodium hin. Die Baumaßnahmen der Phase IV unter Ptolemaios VIII. lassen ein Heiligtum für die ägyptischen Götter zwar gut möglich erscheinen, doch gibt es auch für diese Zeit noch keine schlagkräftigen Hinweise. Laut ENSOLI wird von diesem Zeitpunkt an auch Sarapis zusammen mit Isis im Heiligtum verehrt; die Existenz einer wohl nicht sicher datierbaren Kultbild-Basis mit Fußspuren zweier Skulpturen (die spätestens in römischer Zeit durch die Anstückung mit einer dritten Statue – vielleicht Harpokrates – erweitert wurde) reicht m. E. jedenfalls nicht als Beweis dafür aus. Ob man also mit ENSOLI von einem „dynastischen Heiligtum“500 sprechen kann, möchte ich aufgrund fehlender Belege jedoch stark in Zweifel ziehen. Bei genauer Betrachtung des tatsächlich vorhandenen archäologischen Befundes zeigt sich, daß eindeutige Zeugnisse für einen Isisoder Sarapiskult am Akropolishang vor der römischen Zeit in Wahrheit äußerst rar gesät sind. Erst der Sarapiskopf und die Sonnenscheibe auf dem Tympanon aus der 5. und 6. Bauphase lassen sich mit den ägyptischen Gottheiten in Verbindung bringen und machen auch die originäre Zugehörigkeit des Fragments mit der Isisaretalogie zu diesem Heiligtum wahrscheinlicher. Für ein separates ‚Telesterion‘, in welchem nach Annahmen von FERRI und ENSOLI Einweihungsriten des Isiskultes, zumal schon in hellenistischer Zeit, stattgefunden haben sollten,501 gibt es m. E. keine konkreten Hinweise. Weder die fragmentarische Inschrift, noch die polychrome Statue oder der Bothros und die spätantiken Statuendepots können als Indiz dafür gewertet werden. Ebenso unsicher wie die Anfänge des Isis- (und Sarapis-)Kultes in dem 365 n. Chr. zerstörten Tempel ist m. E. die Interpretation des Befundes in dem spätantiken Gebäude. Die übliche Deutung dieser Bauten als „byzantinisches Iseum“ ruht auf einer relativ unsicheren Basis und ist möglicherweise zu eng gefaßt.502 Die Deponierung der Statuen im 5. Jh., die Lampen des 4. Jhs., und die den Münzen zufolge zu irgendeinem Zeitpunkt nach

498 499 500 501 502

(Hrsg.), Nouveautés lychnologiques. Lychnological News, Genf 2003, S. 207–210; und umfassend ID., Luminaire. DEL MORO, Lucerne tardoantiche, S. 348. DEL MORO, Lucerne tardoantiche, S. 339. ENSOLI, L’Egitto, la Libia, S. 181. FERRI, Telesterio isiaco; ENSOLI, Indagini, S. 206–207; 211; 245–246. Vgl. auch STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 443. Zweifel äußern auch WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1770; D. ROQUES, Synèsios de Cyrène et la Cyrénaique du Bas-empire, Études d’antiquités Africaines, Paris 1987, S. 319–320; und CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 160, Nr. 56, der die spätantiken Strukturen als Wohnbauten interpretiert, die nach dem Ende des Kultes im Heiligtum genutzt wurden.

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361 n. Chr. versiegelte Opfergrube deuten darauf hin, daß hier noch in dieser späten Zeit ein gewisser Kultbetrieb stattfand – doch in welchem Umfang und für welche Gottheiten? ENSOLI geht prinzipiell von einem Heiligtum der ägyptischen Götter aus und versucht daher, alle Funde diesem Grundkonzept unterzuordnen, indem sie die dargestellten Götter als mit Isis (oder Sarapis) gleichgesetzt versteht,503 zumal Isis in der o. g. Inschrift des Agathos Daimon504 den Beinamen Myryonymos trägt. Sicherlich ist es grundsätzlich möglich, Isis und Sarapis synkretistisch mit allen gefundenen Darstellungen zu verbinden, doch ist dies keineswegs ein Beweis für die Zuordnung des Heiligtums an sie. Oben wurde argumentiert, daß den Funden im eigentlichen Tempelbau zufolge dieser spätestens in hadrianischer Zeit den ägyptischen Göttern geweiht gewesen sein dürfte und dies wiederum die Zugehörigkeit der Aretalogie und damit einen organisierten Kultbetrieb bereits Ende des 1. Jhs. sehr wahrscheinlich macht.505 Am Ende des 4. Jhs. und später trieb der zunehmende Vormarsch des Christentums alle heidnischen Kulte in ihre letzten Bastionen zurück, wie die Spuren mutwilliger Zerstörung in den Tempeln Kyrenes deutlich vor Augen führen. Skulpturen wurden repariert, offenbar teilweise mit neuen Köpfen versehen, und (unter anderem) in das Akropolisheiligtum verbracht, das durch seine Lage und Einfassung möglicherweise einen gewissen Schutz bot, wenngleich es auch selbst den ‚Reinigungen‘ offenbar nicht ganz entging (Brandspuren). Daß es sich bei dem Kult innerhalb der neuen Bauten nur um eine Notlösung handelte, zeigt bereits die eilig errichtete und für einen Tempel gänzlich ungewöhnliche Architektur. Den zuvor dort verehrten ägyptischen Gottheiten wurden dabei wohl die anderen alten Götter ohne Umstände zur Seite gestellt, die man aus ihren zerstörten Heiligtümern aufgelesen hatte, so daß man am Akropolishang nun die heidnischen Kulte insgesamt in Ehren hielt, wie es bereits WILD vorgeschlagen hat.506 Der Zeitpunkt der endgültigen Aufgabe zugunsten des Christentums ist unbekannt. 7.2.1.2.2 Der Tempel im Apollon-Bezirk507 Über den Isistempel innerhalb des Apollon-Heiligtums auf der Myrtousa-Terrasse ist weniger bekannt als über das Heiligtum am Akropolishang, da hier neuere, gründliche Grabungen und demzufolge eine ausführliche Dokumentation fehlen.508 Außerdem ist die Anzahl der Funde geringer. Im Kontrast zu dem oben beschriebenen Heiligtum befindet sich dieser zweite Isistempel mitten im religiösen Zentrum der Stadt und nimmt als kleinerer Bau innerhalb des großen Apollon-Bezirkes deutlich einen untergeordneten Rang ein. Daß auch der Kult selbst an den des griechischen Gottes angegliedert war, legt die Inschrift eines Apollon-Priesters 503 504 505 506 507

ENSOLI, Indagini, S. 231–237. RICIS 701/0110. Vgl. auch WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1772. WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1772. Siehe KLEIBL, Iseion, S. 343–344, Kat. 56, mit Literaturübersicht; WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1772–1775; S. ENSOLI, Studi, scavi e scoperte dal 1996 al 2003: nuovi elementi per servire alla storia della religione e dei complessi monumentali di Cirene, in: E. Fabbricotti/O. Menozzi (Hrsg.), Studi, scavi e scoperte in Cirenaica I, Nuovi dati da città e territorio. Atti del X Convegno di Archeologia Cirenaica, Chieti 24–26 Novembre 2003, Oxford 2006, S. 17–34: 21–25; EAD., Cinquant’anni, S. 2373–2374. 508 Ausgrabungen im Apollon-Heiligtum fanden 1925 unter L. PERNIER statt.

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nahe, der eine Statuenweihung an Horus vornimmt, die ein wohl einheimischer, griechischer Bildhauer (Agathon, Sohn des Agathokles) geschaffen hat.509 Möglicherweise wurde Horus hier auch mit Apollon gleichgesetzt, da dies in hellenistischer Zeit eine übliche Verbindung war.510 Aus dem 3. Jh. v. Chr. datierend, bildet diese Dedikation tatsächlich auch den frühesten eindeutigen Beleg für eine Verehrung der ägyptischen Götter in Kyrene. Dazu paßt umgekehrt gut die Weihinschrift eines Kyreners namens Telexenus an Isis und Apollo im Isis-Tempel von Philae, den dieser wohl irgendwann in der Zeit zwischen Ptolemaios II. und IV. besucht hat.511 Baugeschichte und Architektur Der direkt südlich des großen Apollontempels nah am Terrassenhang errichtete Bau präsentiert sich heute ähnlich wie der Kultbau am Akropolishang als Antentempel mit zwei dorischen Halbsäulen an den Antenenden und zwei Säulen in antis; allerdings weist die Cella einen gedrungeneren Grundriß auf und der Pronaos ist tiefer als diese. Ursprünglich handelte es sich jedoch um einen Oikos-Tempel, der also nur aus dem Naos bestand, der durch eine innere Aedicula strukturiert war. Aufgrund des Architekturtyps datierte STUCCHI den Oikos im Vergleich mit dem Kyrener Strategeion bereits an den Beginn der Ptolemäerzeit (Ende 4. Jh. v. Chr.), ENSOLI sogar noch genauer „um 308 v. Chr.“.512 Da in dieser Zeit ein monumentaler Neubau des Apollon-Heiligtums vorgenommen wurde und zahlreiche Nebenkulte dort ihren Platz erhielten,513 würde sich die Errichtung des Isissanktuars gut in die allgemeinen Bauaktivitäten einfügen. Mehrere weitere Bau- und/oder Restaurierungsphasen des Tempels sind epigraphisch belegt: Auf dem Architrav der Frontsäulen hat sich die hadrianische Bauinschrift eines Apollonpriesters erhalten, der Restaurierungen am Tempel aus den Einkünften des Apollontempels vorgenommen hat.514 Dabei wurde der neue Pronaos an den älteren Tempelkern angefügt, und im Inneren der Vorhalle hat man niedrige Bänke entlang der Wände eingebaut.515 Direkt mittig vor der ersten Stufe der Krepis stellte man einen kleinen Rundaltar oder Votivpfeiler auf, der möglicherweise für Räucheropfer benutzt wurde. In der Nachfolge der oben erwähnten Weihinschrift an Horus wird mit dieser Restaurationsinschrift ein weiterer Hinweis geliefert, daß der Isistempel nicht unabhängig verwaltet wurde, sondern dem Betrieb des Apollontempels zugeordnet war,516 aus dessen Kasse er offenbar auch finanziert wurde. Dem Datum zufolge (Hadrian wird genannt) dürfte ein Zusammenhang der Renovierungen mit vorherigen Zerstörungen im Laufe der Judenaufstände 115–117 n. Chr. herzustellen sein.517

509 RICIS 701/0101; ENSOLI, Indagini, S. 187–188. Die Inschrift wurde im Westen des Apollontempels in eine byzantinische Struktur verbaut gefunden. 510 Vgl. BRICAULT, RICIS 701/0101, S. 743; siehe MALAISE, Terminologie, S. 34–41; ID., Harpocrate, S. 415, zu inschriftlichen Belegen dieser Verbindung an anderen Orten. Siehe auch oben, Kap. 6.5.1.3. 511 I. Thèbes 310; siehe oben, Kap. 6.2.2.2. 512 STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 100; ENSOLI, Cinquant’anni, S. 2373. 513 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 180–183; 185–186. 514 RICIS 701/0104. Der Name des zuständigen Apollon-Priesters ist zerstört; zu lesen ist noch Χα[…]. 515 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 219. 516 Vgl. auch ENSOLI, Indagini, S. 188. 517 Siehe auch oben, zum Tempel am Akropolishang, Kap. 7.2.1.2.1.

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Auf erneute Restaurierungen unter Marc Aurel weist eine weitere griechische Inschrift hin, die sich auf dem oberen Säulenhals der westlichen Pronaos-Säule befindet: Wiederum ist es ein Apollon-Priester, Tiberius Claudius Battus, der für die Arbeiten, darunter auch die Erneuerung des Daches, verantwortlich zeichnet und diese aus der Tempelkasse des Apollon bezahlt.518 Wie das Heiligtum am Akropolishang und diverse weitere Bauten in Kyrene wurde auch der Isistempel auf der Myrtousa-Terrasse nach dem Erdbeben von 262 n. Chr. ein weiteres Mal restauriert, wobei die Innengliederung der Cella neu strukturiert wurde:519 Anstelle der alten Aedicula teilen nun zwei kleine eingezogene Mauern aus Spolien, die einen einfachen Bogen tragen, den Naos in einen vorderen und einen hinteren Teil in der Art eines Adytons ein, wodurch eine stärkere Abgrenzung des Kultbildbereiches entsteht. Das nächste Erdbeben von 365 n. Chr. zerstörte den Tempel schließlich endgültig; da er nicht wieder aufgebaut wurde, markiert dies wohl gleichzeitig das Ende seiner Nutzung.520 Möglicherweise wurde der Kult zusammen mit anderen in das Heiligtum am Akropolisabhang verlegt.521 Funde und Ausstattung Neben der schon erwähnten Innengliederung der Cella sowie dem (Räucher-?)Altar vor dem Tempel haben sich nur wenige Teile der ursprünglichen Ausstattung des Tempels und der dort deponierten Votive vor Ort erhalten. Bezüglich der Innenarchitektur sind enge Parallelen zu dem Kultbau am Akropolishang festzustellen: Hier wie dort befinden sich in römischer Zeit niedrige Bänke im Pronaos, und der hintere Cellabereich wird durch Einbauten abgeteilt.522 Desweiteren besitzt auch das Sanktuar im Apollonbezirk ein Kultbildpodium an der Rückwand. Zumindest in der fortgeschrittenen Kaiserzeit glichen sich also die architektonischen Strukturen beider Heiligtümer und dementsprechend womöglich ebenso die Kultpraxis. Die Bänke im Vorraum dienten möglicherweise zur Deponierung von Opfern und Dedikationen, wie die beiden in situ gefundenen kleinen Altäre des 2. Jhs. n. Chr. aus dem Tempel auf der Myrtousa-Terrasse zeigen.523 Diese sind durch ihre knappen lateinischen Aufschriften allerdings an Mars und Luna, nicht an Isis, geweiht; möglicherweise wurden immerhin die beiden Göttinnen aber hier miteinander identifiziert. Die Verehrung der Luna baut vielleicht auf einer älteren kyrenäischen Tradition auf, da Herodot

518 RICIS 701/0107. Teilweise wird der als M. Aurelios Antoninos Sebastos (griechische Übertragung von M. Aurelius Antoninus Augustus) in der Inschrift genannte Kaiser fälschlich als Caracalla interpretiert, z. B. ENSOLI, Indagini, S. 221; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 512, Nr. 13; dessen offizieller Name lautet jedoch gewöhnlich M. Aurelius Severus Antoninus. Derselbe Ti. Claudius Battus ist offenbar auch für Restaurierungen am Apollon-NymphagetesTempel zuständig, siehe STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 259–260. 519 ENSOLI, Indagini, S. 239. Vgl. oben, zum Tempel am Akropolishang, Kap. 7.2.1.2.1. 520 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 240. 521 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 522 Siehe auch oben, Kap. 7.2.1.2.1. Laut ENSOLI entstanden sowohl die neue Innengliederung der Cella als auch die seitlichen Bänke im Pronaos im Akropolisheiligtum erst 262 n. Chr.; im kleineren Isistempel auf der Myrtousa-Terrasse wurden die Bänke bereits in der hadrianischen Bauphase zusammen mit dem neuen Pronaos eingefügt. 523 RICIS 701/0105–06; ENSOLI, Indagini, S. 220, Taf. XIII,1.

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bereits angibt, daß „alle Libyer Helios und Selene opfern“;524 die in Kyrene eher ungewöhnliche Weihung in Latein legt einen römischen Hintergrund des Stifters nahe, der wohl in den einheimischen bzw. ägyptischen Gottheiten seine eigenen wiedererkannte („codeswitching“).525 Die Verbindung von Isis mit Selene/Luna ist im 2. Jh. n. Chr. im Römischen Reich gut bezeugt und spiegelt sich häufig in der ikonographischen Umdeutung der Kuhhörner des Basileions zu einer Mondsichel wider.526 Anders als im Heiligtum am Akropolishang war die Cella zusätzlich mit einer Ablaufrinne im Boden ausgestattet, welche L-förmig von der Front des Kultbildpodiums nach hinten zur Rückwand verläuft.527 Wahrscheinlich diente diese der Abführung von Reinigungswasser und/oder Libationsflüssigkeiten.528 Nahe am Kultbildpodium wurde außerdem ein fragmentarischer Tuffblock gefunden, der wohl Teil eines Architraves war.529 Darauf sind noch Reste einer Dedikation des 2.–3. Jhs. zu erkennen: „[…] hat geweiht auf seine eigenen Kosten […]“, was ENSOLI auf die Stiftung des Kultbildes bezieht. Bei diesem handelte es sich womöglich um die qualitätvolle Marmorstatue, die ebenfalls im Bereich des Podiums zutage kam.530 Sie zeigt eine weibliche Figur im Kourotrophos-Schema, die einen Chiton und einen um Schultern und Hüften geschlungenen Mantel trägt. Den Knaben hält sie in der linken Armbeuge, der rechte Arm ist in der Art typischer kaiserzeitlicher Isisstatuen erhoben und hält die Reste eines Sistrums.531 Dies bildet gleichzeitig den einzigen deutlichen Hinweis für eine Identifikation als Isis; allerdings sind der Arm sowie der Kopf mit den in der Mitte gescheitelten, und in relativ kurzen Korkenzieherlocken auf die Schultern fallenden Haaren erst nachträglich bei antiken Restaurierungen in einer anderen Marmorart angesetzt worden. Vielleicht wurde die wohl frühhellenistische Skulptur also erst in der späteren Kaiserzeit zu einer Isis umgedeutet und stellte zuvor Persephone oder Eirene mit dem Ploutos-Knaben dar.532 Eine weniger gut erhaltene weibliche Gewandfigur aus der Nähe der Apollon-Quelle zeigt wahrscheinlich denselben statuarischen Typus,533 ist aufgrund des fehlenden Kopfes jedoch nicht zu identifizieren. Auch zwei Knaben mit Resten des haltenden Armes einer Kourotrophos-Statue wurden in Kyrene gefunden.534 Das Schema der Frau mit Kind konnte leicht mit Isis verbunden werden, zumal der Isis-lactans-Typus ab der ägyptischen Spätzeit auch außerhalb Ägyptens als Ikonographie der Göttin weit verbreitet war.535 Ob die im Apollonbezirk verehrte Isis deshalb jedoch bewußt mit Persephone assimiliert oder identifiziert 524 525 526 527 528 529 530 531 532 533 534 535

Herodot IV, 188; vgl. oben, Kap. 7.2.1.1, Anm. 344. Vgl. dazu die Cippi aus Malta, Kap. 7.1.5. Siehe DELIA, Isis, or the Moon, S. 542–543; LECLANT, Déesse universelle, S. 352. ENSOLI, Indagini, S. 189. Vgl. auch KLEIBL, Iseion, S. 82. WILD, Water, S. 21, und ENSOLI, Indagini, S. 189, vermuten aufgrund des Ablaufs, daß ein kleines Wasserbecken vor der Kultstatue stand. RICIS 701/0108; ENSOLI, Indagini, S. 222. Nach G. OLIVERIO, in: G. OLIVERIO/G. Pugliese Carratelli/D. Morelli, Supplemento epigrafico cirenaico, in: ASAtene 39–40, 1961–62, S. 219-375: 260, Nr. 73, könnte es sich um Teile des Architravs (der Tür des Naos) gehandelt haben. PARIBENI, Catalogo, Nr. 418, S. 144–145; Taf. 182; ENSOLI, Indagini, S. 190–191 und 222. Vgl. die zahlreichen Skulpturen bei EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen. Vgl. PARIBENI, Catalogo, Nr. 418, S. 145. PARIBENI, Catalogo, Nr. 104; Taf. 71. PARIBENI, Catalogo, Nr. 419–420; Taf. 182. Siehe dazu Kap. 7.1.4 (3. Typus), und unten, Kap. 7.2.1.2.3.

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wurde,536 läßt sich aber nicht mit Sicherheit ableiten. Zumindest die erhaltenen Inschriften geben keinen Hinweis darauf. Auch ist nichts über das mögliche Aussehen einer früheren Kultstatue bekannt. Eine zweite bei Grabungen im Tempel aufgefundene weibliche Statue537 bildet das fast identische Pendant zur Isisdienerin mit Girlande aus dem Heiligtum am Akropolishang:538 Hier ist aber der Porträtkopf erhalten, der die Frisur der Faustina Maior nachahmt und damit die Datierung (130–140 n. Chr.) für beide Stücke sichert. Die als Privatperson zu deutende Frau trägt also eine reine Modefrisur der Zeit und nicht die in solchen Darstellungen (mit Knotengewand) sehr häufigen Isislocken. Das Haupt wird außerdem, ähnlich wie bei der polychromen, ungewöhnlichen Isisstatue vom Akropolisheiligtum, von einem Lorbeerkranz bekrönt.539 Interpretation Die Weihung des Tempels an Isis ist durch die Restaurationsinschriften ab hadrianischer Zeit gesichert und wird durch den Fund der wahrscheinlichen Kultstatue bestätigt, wenngleich der Zeitpunkt ihrer Restauration als Isis (oder stellte sie von Anfang an Isis dar?) sowie ihrer Aufstellung im Heiligtum unklar sind. Anzunehmen ist die Existenz eines entsprechenden Kultbaues aufgrund der Architektur bereits seit frühhellenistischer Zeit. Daß auch dieser schon ägyptischen Gottheiten gewidmet gewesen sein dürfte, legt wiederum die Weihung an Horus aus dem 3. Jh. nahe, die im Lichte der späteren Restaurationsinschriften bereits auf die Besorgung des Kultes durch die Apollon-Priester verweist. Eine Zuordnung der unsicher zu deutenden Münzen aus dem 4.–3. Jh. v. Chr.540 zum Isistempel findet sich nur in BRICAULTs Atlas,541 läßt sich aber nirgends verifizieren. 7.2.1.2.2a Ein Sarapis-Naiskos? Den beiden besprochenen Heiligtümern der Isis wurde in der Römerzeit, wahrscheinlich im 1. Jh. n. Chr., möglicherweise noch ein kleiner Oikos für Sarapis an der Rückseite des ebenfalls auf der Myrtousa-Terrasse befindlichen ‚Hades-Tempels‘ hinzugefügt.542 Der Naiskos ist zum großen Apollon-Altar hin orientiert und hat zu einem Zeitpunkt nach der jüdischen Revolte (also nach 117) noch zwei Halbsäulen an den Anten und eine kleine Portikus erhalten. Die Zuordnung des Anbaus an Sarapis ist allerdings nicht sicher, ebenso wenig wie eine Identifikation von Hades und Sarapis mit Zeus Ourios.543 Es ist anzuneh-

536 So die Annahme von ENSOLI, Indagini, S. 192. 537 TRAVERSARI, Statue iconiche, Nr. 32, S. 74–75; Taf. XVII.1; ENSOLI, Indagini, S. 223; Taf. XV.1; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 171, Nr. 148. Fehlt im Katalog (Nr. 56) von KLEIBL, Iseion. 538 Vgl. oben, Kap. 7.2.1.2.1 (Funde und Ausstattung). 539 Zur Deutung des Kranzes siehe unten, 7.2.1.2.3 (Kult, Kultpersonal und Anhänger). 540 S. o., Kap. 7.2.1.2, Anm. 359. 541 BRICAULT, Atlas, S. 80. 542 Vgl. ENSOLI, Indagini, S. 186 u. 220–221; STUCCHI, Architettura cirenaica, S. 202, Abb. 193, S. 244 u. 320; Taf. 1, Nr. 25; CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 152, Nr. 12; OLIVERIO, Scavi di Cirene, S. 51. 543 Vgl. CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 152, Nr. 12. Eine solche Assoziation aufgrund der chthonischen Aspekte der Gottheiten nimmt ENSOLI, Indagini, S. 186, an.

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men, daß sich diese Interpretation des Baues auf den Hades-Kopf aus dem Tempel544 und die im Naiskos aufgefundene Marmorstatuette eines thronenden Gottes stützt, der aufgrund der ähnlichen Ikonographie Zeus oder Sarapis darstellen könnte.545 7.2.1.2.3 Der Kult der ägyptischen Götter in Kyrene im Spiegel der Heiligtümer und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Wie oben dargelegt, liegen die Anfänge eines institutionellen Isiskultes in Kyrene trotz der Angaben Herodots zu den Fastensitten zu Ehren der Göttin im Dunkeln. Auch von anderen ägyptischen Göttern ist zunächst nicht die Rede (Zeus-Ammon ist hier aus der Betrachtung ausgeschlossen). Vereinzelte in der Kyrenaika gefundene Statuetten deuten auf eine frühe Assimilation der Isis mit Demeter hin, die im griechischen Raum ja auch sonst bekannt war.546 In Kyrene selbst wurden jedoch weder im extraurbanen Demeter- und PersephoneHeiligtum noch aus dem Heiligtum am Akropolishang solche frühen Zeugnisse für eine Isisverehrung oder deren Verbindung mit Demeter gefunden. Der genaue Fundort der aus Kyrene stammenden Marmorbüste mit Granatapfel und Uräenkranz ist unbekannt.547 Der früheste erhaltene inschriftliche Beleg für die Verehrung einer ägyptischen Gottheit gilt aber nicht Isis, sondern Horus, der mit großer Wahrscheinlichkeit zusammen mit seiner Mutter im Apollon-Heiligtum verehrt wurde,548 was möglicherweise auch die Verwendung einer Kourotrophos-Statue als Kultbild erklärt, wenngleich der Zeitpunkt ihrer (erstmaligen) Aufstellung unbekannt ist. Daß der in Ägypten so bedeutende ikonographische und theologisch-ideologische Typus der Isis als Mutter des Horuskindes (Harpokrates) auch in Kyrene in großem Maße rezipiert wurde549 und vielleicht einen wichtigen Aspekt der Göttin in ihrem dortigen Kult darstellte, demonstrieren weiterhin eine große thronende, kopflose Marmorstatue mit Knabe auf dem Schoß (Fundort unbekannt)550 sowie einige Bildnisse auf den zahlreichen Siegelabdrücken, die im Nomophylakion der Stadt aufgefunden wurden.551 In Anlehnung an die Besprechung der phönizisch-punischen Ikonographien im vorigen Kapitel, wie sie beispielsweise auch auf den Tonsiegeln aus Karthago zu finden sind,552 soll hier kurz auf die Motive der kyrenäischen Siegel eingegangen werden. Mit einer Datierung ab ca. dem 1. Jh. v. Chr. bis zum Anfang des 2. Jhs. n. Chr. decken sie einen deutlich späteren Zeithorizont ab als die karthagischen Exemplare, was sich auch in ihrem hellenistischen Stil äußert. Die Bildtypen sind jedoch teilweise identisch: So ist das

544 PARIBENI, Catalogo, Nr. 478; Taf. 208; CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 193, Nr. 69; von KATERSIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 773, als „Pluton-Serapis“ aufgenommen. 545 OLIVERIO, Scavi di Cirene, S. 51. 546 Vgl. Kap. 7.2.1.1. 547 Zumindest nicht bei PARIBENI, Catalogo, Nr. 30, S. 25, angegeben. 548 RICIS 701/0101. 549 Siehe zur Verbreitung dieses Typus in der phönizisch-punischen Kultur oben, Kap. 7.1.4 (Typus 3). 550 FABBRICOTTI, Arulette, S. 294–295, m. Abb. 15. 551 Siehe MADDOLI, Cretule; vgl. auch ENSOLI, Indagini, S. 212–213. Ibid., S. 193, wird außerdem eine Terrakottastatuette des 3. Jhs. v. Chr. erwähnt, die Isis lactans stehend darstellen soll; allerdings ist weder eine Abbildung noch ein Verweis vorhanden. 552 Vgl. Kap. 7.1.2.B.

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bekannte Schema der thronenden Isis lactans553 ebenso vertreten wie Harpokrates auf der Lotusblüte,554 Harpokrates allein,555 und Harpokrates stehend mit Füllhorn.556 Von der Verehrung des Harpokrates in Kyrene zeugt weiterhin eine kaiserzeitliche Marmorstatuette mit unbekanntem Fundort.557 Die Göttin selbst ist auf den Siegeln außerdem allein thronend558 und in Form einer Büste im Profil mit erkennbarer Hathorkrone und Korkenzieherlocken559 dargestellt, und das Motiv der geflügelten Göttin ist ebenfalls noch präsent,560 wenngleich die Flügel hier nicht mehr nach ägyptischer, sondern hellenistischer Art gestaltet sind und daher möglicherweise auch auf Nikedarstellungen Bezug nehmen. Denn neben – oder vermischt mit – den klassischen Bildnistypen macht sich auch die fortschreitende Hellenisierung der Göttin in neuen und/oder synkretistischen Formen wie Isis-Tyche,561 Isis-Tyche-Demeter,562 Isis-Tyche-Demeter-Selene563 und Isis Pharia mit dem Segel564 bemerkbar. Die oben teilweise schon angeklungenen Verbindungen der Isis mit Demeter und Selene/Luna, die sich besonders in der Ikonographie der Isisbilder (die Statuetten des 5. Jhs., die Statue mit Doppelfeder im Typus Demeter von Kos vom Akropolisheiligtum, evtl. auch die polychrome Kultstatue, falls diese Getreideähren hält) widerspiegelt, aber möglicherweise auch im Votivaltar für Luna im Isistempel auf der Myrtousa-Terrasse, wird somit von den Siegeln bestätigt, wohingegen für Isis-Tyche und Isis Pharia aus Kyrene sonst keine Belege bekannt sind. Die langjährigen engen Beziehungen zu Alexandria565 lassen das Vorkommen dieser Typen jedoch nicht verwunderlich erscheinen, zumal diese in der Kaiserzeit schließlich überhaupt weit verbreitet waren.566 Von einem direkten Einfluß aus Alexandria bzw. Unterägypten zeugt auch das häufig vorkommende ikonographische Element der Kobra, das einerseits an die königliche Uräusschlange am Diadem, andererseits an die mit Isis identifizierte Schlangengöttin Thermuthis denken läßt, die in den Hymnen von Medinet Madi aufgrund ihrer Fruchtbarkeitsaspekte auch mit Demeter identifiziert wird.567 Daß diese tatsächlich in Kyrene verehrt wurde, zeigt besonders anschaulich ein sehr kleiner Weihaltar des 2.–3. Jhs. n. Chr., dessen Hauptseite die Göttin in Kobragestalt mit Basileion zeigt.568 Die Ikonographie erinnert an ähnliche Reliefs auf ägyptischen Stelen.569 Rechts und links befindet sich je ein Getreidesilo, das nach ägyptischer Konvention 553 554 555 556 557 558 559 560 561 562 563 564 565 566 567 568 569

MADDOLI, Cretule, Nr. 255–257. MADDOLI, Cretule, Nr. 266. MADDOLI, Cretule, Nr. 267–270. MADDOLI, Cretule, Nr. 263–265. TRAN TAM TINH/B. JAEGE/S. POULIN, „Harpokrates“, Nr. 3; BRICAULT, Atlas, S. 80. MADDOLI, Cretule, Nr. 261. MADDOLI, Cretule, Nr. 483–485. MADDOLI, Cretule, Nr. 258–259 (als Isis-Tyche-Demeter, siehe unten). MADDOLI, Cretule, Nr. 243–247; 249; 253–254 (mit Harpokrates). MADDOLI, Cretule, Nr. 221–242; 258–259. MADDOLI, Cretule, Nr. 252. MADDOLI, Cretule, Nr. 262. Ausführlich zum Typus der Isis mit dem Segel BRICAULT, Dame des flots, bes. S. 43–100. Siehe oben, Kap. 7.2.1.1; und LARONDE, Alexandrie et Cyrène. Siehe TRAN TAM TINH, „Isis“, S. 784–786 (Isis-Tyche/Fortuna) und S. 782–784 (Isis mit Segel); vgl. zu Isis-Tyche im griechischen Raum auch ENSOLI, Indagini, S. 213; zu Isis in Alexandria Kap. 6.2.10. Siehe oben, Kap. 6.1.2.1; zu Isis-Thermuthis in Alexandria: 6.2.10.1. FABBRICOTTI, Arulette, S. 273–278 u. 285, Abb. 10a–d. Siehe z. B. BRESCIANI, Iside de Medinet Madi, S. 39, Abb. rechts.

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dargestellt ist und die Zuständigkeit der Göttin für Felder und Ernte unterstreicht. Auf der rechten Nebenseite opfert ein nackter, bärtiger Mann mit Szepter und Patera auf einem Hörneraltar, die linke Nebenseite weist ein Bildnis der Isis mit Sistrum und Szepter oder Fackel (teilweise zerstört) auf. Falls es sich tatsächlich um eine Fackel handelte, würde dies gut zur Identifizierung der Isis-Thermuthis mit Demeter passen. Das Relief der Rückseite präsentiert einen jungen Mann in kurzer Tunika und evtl. mit Füllhorn(?) neben einem Stier, der auf einem niedrigen Podest steht, und daher eine Statue des Apis-Stiers meinen könnte. Die Form des Altars sowie einiger anderer in Kyrene gefundener entspricht ebenfalls Exemplaren aus dem griech.-röm. Ägypten.570 Eventuell zeigt auch ein weiterer, aber wesentlich größerer Kalksteinaltar die Kobragöttin:571 auf einer der Hauptseiten befindet sich eine mehrfach gewundene Schlange, deren Kopf allerdings stark beschädigt ist. Die zweite Hauptseite zeigt die Büste einer Göttin mit Korkenzieherlocken, hinter der sich eine große Mondsichel befindet, was wieder auf eine Assoziation der Isis mit Luna hindeutet, wie sie z. B. auch der Luna geweihte Altar im Isistempel des Apollo-Bezirks nahelegt. Auf den Nebenseiten sind Musikinstrumente dargestellt: Glocken oder Zimbeln, eine Flöte und ein Horn. Auffällig, insbesondere im Hinblick auf ENSOLIs Theorie einer Assoziation von Isis und Aphrodite in der vorptolemäischen 3. Phase des Akropolishang-Heiligtums,572 ist weiterhin, daß es für eine Isis-Aphrodite offenbar überhaupt keine Zeugnisse gibt, sieht man von zwei Isis-Funden im sog. Aphrodite-Tempel in der Unterstadt ab: eine kleine Alabasterbüste der Isis573 trägt die typische kaiserzeitliche Tracht aus Chiton und Knotenpalla mit einseitigem Fransensaum, eine Mittelscheitelfrisur mit auf die Schulter fallenden Korkenzieherlocken und ein Diadem, vor dem sich noch ein Befestigungsloch für weiteren Kopfschmuck, wohl das Basileion, befindet. Es handelt sich um eine lokale Arbeit relativ groben Stils, die wohl dem späten 2. Jh. n. Chr. zuzuordnen ist.574 Das zweite Stück zeigt die kopflose Statuette einer Isis oder Isisdienerin, die ebenfalls mit Chiton und Knotenpalla mit Fransensaum bekleidet ist und mit ihrer groben Gewandbehandlung ungefähr aus demselben Zeitraum stammen dürfte.575 Angesichts der Tatsache, daß die Zuordnung des kleinen Tempels an Aphrodite rein hypothetisch ist und darin insgesamt 35 Skulpturen verschiedener Gottheiten, u. a. auch von Hekate und Demeter, gefunden worden waren (davon 10 der Aphrodite, daher die Benennung), verlieren die beiden Isis-Stücke aber deutlich an Signifikanz zumindest in Hinsicht auf eine angenommene Beziehung zu Aphrodite. Es scheint vielmehr, daß hier, möglicherweise in Analogie zum Heiligtum am Akropolishang, wiederum ein Tempel bis zu seiner endgültigen Aufgabe als Sammelbecken für verschiedene heidnische Kulte ge570 Vgl. FABBRICOTTI, Arulette, S. 286; siehe außerdem unten zu einem kleinen Hörneraltar mit Weihung an Sarapis und Isis (RICIS 701/0111). 571 FABBRICOTTI, Arulette, S. 297–301, m. Abb. 16. 572 Z. B. ENSOLI, Santuario III, S. 196. 573 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 77, S. 50 u. 136; Taf. 51; ENSOLI, Indagini, S. 230; CALLOT, Cultes en cyrénaique, S. 208, Nr. 159. 574 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 77, S. 136: 160–190 n. Chr. 575 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 25, S. 20–21 u. S. 119: 170–190 n. Chr.; ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 398: antoninische Zeit. CALLOT, Cultes en Cyrénaïque, S. 208, Nr. 158, datiert hingegen beide Stücke in das 1. Jh. n. Chr., was m. E. sehr unwahrscheinlich ist. Siehe zur Statuette außerdem auch ENSOLI, Indagini, S. 230.

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nutzt wurde, wobei vielleicht auch Skulpturen aus anderen, zerstörten Heiligtümern übernommen wurden. Gänzlich unbekannt ist der genaue Fundkontext dreier weiterer Isis-Statuetten aus Marmor aus späthellenistischer bis römischer Zeit,576 die trotz ihres unvollständigen Erhaltungszustandes alle durch den vorhandenen Gewandknoten auf der Brust und Resten von Korkenzieherlocken als Darstellung der Göttin selbst oder einer ihrer Anhängerinnen zu identifizieren sind. Eine der Skulpturen trägt nach den zerstörten Resten zu urteilen eine Frisur mit fülligen, offen auf die Schultern fallenden gedrehten Locken, die näher an ägyptische Varianten der libyschen Locken bzw. an ägyptische Perückenformen angelehnt ist.577 Aus den besprochenen Zeugnissen ist zu schließen, daß in Kyrene an erster Stelle die mütterlichen und Fruchtbarkeit und Wohlstand bringenden Eigenschaften der Isis betont wurden, über die sie mit Demeter, Tyche und Selene identifiziert werden konnte,578 und die im Großen und Ganzen auch dem entsprechen, was im vorigen Kapitel abschließend über die Inhalte der punischen Ikonographien festgestellt wurde.579 Umgesetzt wurden diese Aussagen nun aber durch hauptsächlich griechische und römische Formen, wenngleich Kyrene auch einige ungewöhnliche Besonderheiten in der bildlichen Gestaltung zu bieten hat, die sich vor allem in den Skulpturen mit nachträglich hinzugefügten Köpfen äußern: der polychromen Isisstatue, die absolut einmalig ist, der Statue im Typus Demeter v. Kos mit Doppelfeder und ägyptisch anmutender Lockenfrisur und/oder Perücke, und der Kourotrophos-Kultstatue. Diese Stücke, die wahrscheinlich noch dazu im Kult innerhalb der Heiligtümer eine Rolle spielten, sind offenbar aus Versatzstücken „zusammengebastelt“ (jedoch keinesfalls willkürlich), doch es ist nicht mehr feststellbar, ob die Körper ursprünglich zu Statuen anderer Göttinnen (und dementsprechend zu anderen Köpfen) gehörten. Ob sich aus dem netzförmigen Muster auf dem Rock der polychromen Statue etwaige Anspielungen auf funeräre Konnotationen oder gar Mysterien ablesen lassen können, wurde oben diskutiert und steht zumindest auf recht wackeligen Füßen. Die meisten erhaltenen Inschriften, die in Verbindung mit dem Isiskult bzw. den beiden Tempeln stehen, geben keinerlei Hinweise auf die theologischen Vorstellungen, da der Name Isis jeweils allein steht und nur erwähnt, nicht jedoch durch Namen weiterer Göttinnen, Beinamen oder konkreter Aussagen erweitert wird. Selbst die griechische kulttopographische Litanei aus Oxyrhynchos nennt sie einfach „in Kyrene Isis“.580 Die einzigen Ausnahmen sind die beiden Inschriften des Priesters Agathos Daimon: In der kürzeren, fragmentarischen wird Isis mit dem Epitheton Myryonymos (sic) versehen, das auf ihre vielfältigen Zuständigkeitsbereiche und ihr breites Identifikationspotential mit 576 PARIBENI, Catalogo, Nr. 412–414, S. 143; Taf. 180; TRAN TAM TINH, „Isis“, Nr. 66–67. 577 PARIBENI, Catalogo, Nr. 414, S. 143. 578 Zur Zuständigkeit des Mondes bzw. der Mondgöttin für Wachstum, Nahrung und Leben siehe DELIA, Isis, or the Moon, bes. S. 540–541. Über ihre Identifikation mit Bastet wurde Isis auch mit Artemis/Diana und anderen griechischen Mondgöttinnen wie Hekate identifiziert, die wiederum auch als Kourotrophos verehrt wurde, vgl. ibid., 546–549. Für eine Verehrung der Isis als Heilgöttin im Apollonbezirk, die ENSOLI, Indagini, S. 189–190, aus ihrer etwas überfrachteten Interpretation des Ablaufrohrs als kultische Wasserinstallation ableitet, gibt es hingegen keinerlei Hinweise. 579 Siehe Kap. 7.1.4. 580 pOxy. 1380, Z. 81. Siehe oben, Kap. 6.1.3.2.

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anderen Göttinnen anspielt, durch die sie schon in Ägypten ihren Machtbereich weit ausdehnen kann.581 Ausführlichere Aussagen über die Göttin bietet natürlich die Isisaretalogie, die jedoch kein unabhängiges lokales Zeugnis darstellt, sondern in die überregionale Tradition dieser Textgruppe einzuordnen ist. Diese Inschrift, soweit erhalten, huldigt Isis in ihrem vielfältigen, universellen Wesen und Machtanspruch, während ihre mütterliche Rolle nicht hervorgehoben wird. Als Weihung eines aktiven Priesters ausgewiesen, stellt sie ein offizielles Statement des institutionalisierten Kultes im Heiligtum dar. An beiden Inschriften zeigt sich, daß die älteren kyrenäischen Traditionen einer wohl mit Demeter (und einheimischen Göttinnen?) identifizierten Isis, die vor allem als mütterliche und Fruchtbarkeit bringende Göttin empfunden wurde, spätestens in der Kaiserzeit zumindest im Akropolisheiligtum durch neue, sich verbreitende Konzepte einer universalen Göttin überlagert oder gar abgelöst wurden. Neben Isis und Horus/Harpokrates ist auch Osiris in seiner neuen kaiserzeitlichen Ikonographie in Form einer Kanope582 unter den Nomophylakion-Siegelabdrücken vertreten, allerdings nur zweimal.583 Die Darstellungen lassen sich mit der in dem Heiligtum am Akropolishang aufgefundenen Skulptur dieser in der Römerzeit weit verbreiteten Form des Gottes verbinden, die möglicherweise als Kultbild in der südlichen Nebenkapelle zusammen mit dem dortigen Wasserbecken Osiris als Verkörperung des Nilwassers inszenierte.584 ENSOLI mutmaßt zudem, ob der Rest der durch die Umfassungsmauer obsolet gewordenen Treppe, die von der oberen Akropolis-Ebene herabführte, deshalb stehen gelassen wurde, weil die Form mit dem Ende vor einer Mauer derjenigen von Pseudo-Nilometern in ägyptischen Heiligtümern entspricht.585 Eine solche Interpretation würde zwar gut zu dem direkt benachbarten osirianischen Befund der Südkapelle passen, bleibt aber sehr spekulativ, zumal sich die „Wasserkrypta“ somit entgegen dem Befund in anderen Heilitümern außerhalb des Bezirkes befinden würde.586 Eine größere Anzahl der Siegelabdrücke zeigt Götterbüsten mit den vermischten Attributen von Sarapis, Zeus, Ammon und Helios,587 wobei Sarapis meist durch seinen Modius gekennzeichnet ist. Diese Typen zeugen vom überregional verbreiteten Synkretismus dieser 581 582 583 584

Zur Signifikanz des Titels Myrionyma siehe NAGEL, One for All; BRICAULT, Isis Myrionyme. Zu Osiris-Kanopos vgl. oben den Kommentar zu pOxy. 1380, 63–64, Kap. 6.1.3.2, und Kap. 6.2.10.1. MADDOLI, Cretule, Nr. 481–482. Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. Eine weitere Kanopos-Skulptur mit abgebrochenem Kopf stammt aus Kyrene, allerdings mit unbekanntem Fundort, siehe FABBRICOTTI, Arulette, S. 293–294, m. Abb. 14. ENSOLI, Indagini, S. 227–228 u. 240, möchte außerdem einen phallusförmigen Betylus, der in der Carneaden-Aedicula im Westen des Isistempels im Apollonbezirk zusammen mit Statuetten der Aphrodite und des Dionysos gefunden wurde, mit Osiris und Phallophoria-Festen zu seinen Ehren in Verbindung bringen und glaubt, daß dieser Bau in der Spätantike als Ersatz für den zerstörten Isistempel diente. Diese Annahmen sind jedoch rein hypothetisch, und es gibt keinerlei Hinweise darauf, zumal man dann sicherlich die Isis-Kultstatue dorthin verbracht hätte. Vielmehr dürfte der Betylus angesichts des Aufstellungskontextes mit den Statuetten zum Dionysos-Kult gehören. 585 ENSOLI, Santuario II, S. 22. Siehe zur Treppe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 586 Zu den Wasserkrypten bzw. Pseudo-Nilometern in den Heiligtümern der ägyptischen Götter siehe KLEIBL, Wasserkrypten, bes. S. 129 zur Lage in den Heiligtümern. 587 MADDOLI, Cretule, Nr. 448–454; S. 57; VEYMIERS, Ἵλεως τῷ φοροῦντι, I.AA 13–14, S. 223; I.AB 70–72, S. 239; VI.BA 7, S. 349; VI.CA 9, S. 353. BRICAULT, Atlas, S. 78, gibt fälschlich an, Sarapis sei nicht unter den Siegeln vertreten.

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hohen Götter zu einem Pantheos in der fortgeschrittenen Kaiserzeit.588 Auch in seiner alexandrinischen Schlangenform als Sarapis-Agathodaimon ist er einmal vertreten.589 Zeugnisse für den Sarapiskult sind in Kyrene jedoch insgesamt relativ rar gesät,590 wenngleich das Heiligtum am Akropolishang zumindest in der Römerzeit neben Isis auch ihm gewidmet gewesen sein dürfte. Trotz ENSOLIs Vermutungen bezüglich eines durch Ptolemaios VIII. eingeführten dynastischen Kultes in der 4. Phase des Tempels591 existiert vor der Inschrift mit der Aretalogie von 103 n. Chr., in der Sarapis zumindest in der einleitenden Dedikation genannt ist, und der Sarapisbüste des 2. Jhs. n. Chr. kein Hinweis auf dessen Verehrung. Der Kult begann wohl erst in der späteren Kaiserzeit wirklich Fuß zu fassen, wovon auch die theophoren Personennamen auf der Epheben-Stele von 224 n. Chr. zeugen,592 blieb aber weiterhin offensichtlich hinter dem schon länger eingegliederten der Isis zurück. Eine Inschrift auf einem kleinen Hörneraltar aus Kalkstein aus Kyrene nennt Sarapis vor Isis, die Datierung und genaue Herkunft sind jedoch unklar.593 Über die unsichere Zuordnung eines Naiskos an Sarapis wurde oben bereits diskutiert; falls ihm der kleine römerzeitliche Bau im Apollon-Bezirk tatsächlich gewidmet war, würde er wohl eine nachträgliche Ergänzung zum dortigen Isistempel darstellen, in welchem Sarapis den erhaltenen Zeugnissen zufolge anscheinend nicht mit verehrt wurde. Eine Darstellung des Apis auf einem kleinen Altar wurde oben bereits erwähnt; für eine Assoziation des ansonsten in römischer Zeit recht beliebten Anubis gibt es hingegen keine Belege.594 Kult, Kultpersonal und Anhänger Wie gestaltete sich der Kultablauf in den Heiligtümern Kyrenes und wer war dafür zuständig? Dem Befund zufolge besteht ein deutlicher Unterschied zwischen Charakter und Organisation der beiden Isisheiligtümer. Während der Tempel auf der Myrtousa-Terrasse nur eine kleinere Nebenkultstätte des großen Apollonheiligtums darstellte und diesem sowohl organisatorisch als auch finanziell untergeordnet war, handelt es sich bei der Kultstätte am Akropolisabhang offenbar um ein bedeutenderes und unabhängiges Heiligtum, das im Gegensatz zu dem kleineren Tempel auch eine eigene Priesterschaft besaß. Die Architekturformen beider Tempel ähneln sich sehr stark und erhalten im Laufe der Zeit nach den Zerstörungen der Judenaufstände und Erdbeben auch parallele Restaurierungen und Modifikationen: Es handelt sich um rein griechische Antentempel mit Pronaos und Cella, die jeweils durch Einbauten nochmals untergliedert wurde, um das Kultbild abzugrenzen und dadurch gleichzeitig hervorzuheben. In beiden Fällen wurden in einer der späteren Bauphasen außerdem niedrige Bänke entlang der Pronaos-Wände errichtet, was auf veränderte, aber beiden Tempeln gemeinsame Kultpraktiken, wahrscheinlich die Aufstellung von Votiven, 588 Vgl. z. B. BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 116. 589 MADDOLI, Cretule, Nr. 324; S. 87; VEYMIERS, Ἵλεως  τῷ  φοροῦντι, VI.AA 2, S. 347; Taf. 60; TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 57; Taf. 54, Abb. 110. 590 So auch ENSOLI, Indagini, S. 235. 591 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 592 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 593 RICIS 701/0111 (RICIS Suppl. II, vgl. RICIS Suppl. III); FABBRICOTTI, Arulette, S. 270, Nr. 7. 594 Vgl. auch KLEIBL, Iseion, S. 46; BRICAULT, Atlas, S. 78. Zur Verbreitung des Anubis vgl. GRENIER, Anubis.

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hindeutet.595 Trotz der Gemeinsamkeiten und der griechischen Architekturformen weist nur das Heiligtum am Akropolishang einige Elemente auf, die dem originär ägyptischen Charakter des Kultes geschuldet sind: Die Hieroglyphenreste auf dem wiederverwendeten Block des Kultbildpodiums deuten vielleicht auf einen älteren Bau mit deutlicher ägyptischer Gestaltung hin, die Sonnenscheibe auf dem Tympanon des Naiskos in der Cella, ebenso wie einige der im Bothros-Raum gefundenen Skulpturen596 zeigen eine (bewußte?) Visualisierung des Rückbezugs auf Ägypten. Möglicherweise stellt auch die archaisierende Darstellung der möglicherweise als Kultbild zu identifizierenden polychromen Statue einen gewollten Hinweis auf das ehrwürdige Alter des Kultes dar.597 Dahingegen findet sich im Tempel auf der Myrtousa-Terrasse kein einziges ägyptisches oder ägyptisierendes Element; selbst das Kultbild ist eine Skulptur in rein hellenistischem Stil nach gängigem statuarischem Typus und die erhaltenen Weihungen richten sich ganz römisch an Mars und Luna. Nach Ausweis der Ablaufrinne im Sanktuar und eventuell des kleinen Rundaltares(?) vor der Krepis fanden hier zumindest rituelle Opfer- und Libationsaktivitäten statt. Von umfangreicheren Opferzeremonien zeugen aber das Fundament eines großen Altares vor dem Kultbau am Akropolishang und ebenso das spätantike Depot des Bothros mit Hühnereierschalen, Tonlampen, verbrannten Vogelknochen und Münzen, wenngleich hier die Zuordnung an den Isiskult nicht mehr ganz sicher ist.598 Solche Opfergruben wurden auch in anderen Isis- und Sarapisheiligtümern im Mittelmeerraum gefunden,599 doch sind sie keineswegs spezifisch für die ägyptischen Götter, sondern finden sich auch in Heiligtümern anderer Gottheiten. Eng mit dem Kult ägyptischer Götter verbunden sind bestimmte kultische Reinheitsgebote, zu denen auch Speisetabus und Fastenperioden gehören.600 Für solche Regeln läßt sich gerade in Kyrene eine lange Kontinuität feststellen, denn wie zu Beginn des Kapitels zitiert, berichtet schon Herodot von den Speisetabus und Fastenperioden der kyrenäischen Frauen zu Ehren der Isis und anläßlich ihrer Feste (Herodot IV, 186). Die leider stark zerstörte Inschrift des Priesters Agathos Daimon erwähnt ca. 550 Jahre später wiederum Fastenzeiten zu Ehren der Isis Myryonymos (sic).601 Leider gehen die genauen Umstände aus dem fragmentarischen Text nicht hervor, aber möglicherweise geht es um Weingenuß (erhalten ist οἰν[οποτῶν?]). Die Inschrift enthält außerdem Stundenangaben, die jeweils einer Zahl zugeordnet sind, doch ist der genaue Sinn nicht erkennbar.602 Konkrete Hinweise auf das zuständige Kultpersonal der Tempel liefern nur die wenigen, bereits erwähnten Inschriften aus der Kaiserzeit. Es wurde bereits oben festgestellt, 595 Vgl. auch ENSOLI, Santuario III, S. 199. 596 Die Bekrönung der polychromen Isisstatue und möglicherweise die undeutlichen Symbole auf ihrem Gewand; die ungewöhnliche Frisur und die hohen Doppelfedern der Isisstatue im Typus der Demeter von Kos. 597 Zur Verwendung und Bedeutung archaisierender Bildnistypen in der römischen Kunst, speziell für die religiöse Sphäre, vgl. T. HÖLSCHER, The Language of Images in Roman Art, Cambridge 2004, S. 65 u. 103. 598 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 599 Siehe dazu KLEIBL, Iseion, S. 100–101. 600 Vgl. NAGEL, Kult und Ritual, S. 171–174; KLEIBL, Iseion, S. 162. 601 RICIS 701/0110. 602 „[…] 17 bis zur 6. Stunde […] 15 bis […?] 20 bis zur 10. Stunde […]“.

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daß für den kleinen Isistempel die Apollonpriester zuständig waren, woraus wahrscheinlich zu schließen ist, daß die beiden Dedikationen des Agathos Daimon603 – dem Namen nach wohl ein Grieche oder sogar Alexandriner – und seine darin genannten Priestertitel zu dem größeren Heiligtum am Akropolishang gehörten, zumal eine davon ja auch dort gefunden wurde. Als Neokoros und Priester (ἱερεύς) ist er das einzig faßbare Mitglied des männlichen Kultpersonals, doch lassen die unterschiedlichen Titel auf eine untergliederte Organisation der Tempelbediensteten schließen, innerhalb derer man aufsteigen konnte, wie es Agathos Daimon getan haben muß. Allerdings ist es schwierig, die genauen Zuständigkeitsbereiche und Rangabstufungen der Titel ἱερεύς und νεωκóρος  zu definieren, zumal letzterer offenbar im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel erfuhr.604 Bemerkenswert ist immerhin, daß Agathos Daimon noch während seiner Tätigkeit als Neokor einen bedeutenden zentralen Text wie die Aretalogie in das Heiligtum stiften konnte. Auch weibliches Kultpersonal muß es in römischer Zeit gegeben haben, wie eine Marmorbasis des 2. Jhs. n. Chr. aus der kyrenäischen Nekropole zeigt, deren griechische Inschrift sie der „Marcia, Tochter des Gaius, aus Kyrene, 37 Jahre alt, Priesterin (ἱέρια) der Isis“ zuweist.605 Die antoninischen weiblichen Skulpturen mit Porträtkopf, Isisgewand, Lorbeerkranz und Girlande, von denen je eine in den beiden Heiligtümern gefunden wurde,606 zeigen eine(?) Kultanhängerin oder eventuell auch Priesterin, die der Qualität der Skulpturen zufolge von hohem sozialen Status war und sich dementsprechend eine solche mehr oder weniger identische Weihung in beide Isisheiligtümer der Stadt leisten konnte (falls die Statue vom Akropolisheiligtum nicht doch erst nachträglich von woanders dorthin gebracht wurde). Das Tragen von vegetabilen Girlanden und Kränzen spielte auch nach weiteren statuarischen Bildnissen zu urteilen (die polychrome Isisstatue, die Sandsteinfigur) im kyrenäischen Isiskult der Römerzeit eine wichtige Rolle. Der Kranz wird wie bei vergleichbaren Darstellungen aus anderen Regionen üblicherweise als „Mysterienkranz“ gedeutet,607 und auch umgehängte Girlanden schmücken die Isiacae desöfteren auf (attischen) Grabreliefs und entsprechen damit einer zumindest im östlichen Mittelmeerraum üblichen Darstellungsweise.608 Zumindest in der Römerzeit ist also in Kyrene möglicherweise von Initiationsmysterien auszugehen, jedoch gibt es entgegen ENSOLI keine wirkliche Evidenz für die hellenistische Epoche, da das Hauptargument, nämlich die fragmentarische Inschrift mit der

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RICIS 701/0103 und 701/0110, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. Vgl. VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 57–60. RICIS 701/0109; MORA, Prosopografia Isiaca I, S. 515, Nr. 31. Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1 und 7.2.1.2.2. So z. B. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 80 u. 86; ENSOLI, Indagini, S. 226, Anm. 195. Dafür wird meist die Initiationsszene des Lucius bei Apul., Met. XI, 24, zitiert, bei der er allerdings einen Kranz aus Palmblättern trägt. In XI, 6 trägt der Hohepriester der Isis bei einer Prozession einen Kranz aus Rosen zusammen mit dem Sistrum in der Hand. Lucius, noch in Eselsgestalt, soll sich diesen schnappen und so seine Menschlichkeit zurückgewinnen. Zur Ableitung vom ägyptischen „Kranz der Rechtfertigung“ siehe DERCHAIN, Couronne, bes. S. 250–252. Zu Rosenkränzen und Girlanden aus Blumen und Früchten im Isiskult siehe KOEMOTH, Enquête phytoreligieuse, bes. S. 175 zu den Statuen aus Kyrene; TALLET, Mourir en isiaque?, S. 425, zu Darstellungen der Isis mit Girlande. 608 Vgl. WALTERS, Attic Grave Reliefs, S. 26–29; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 72 u. 86; vgl. die Grabreliefs ibid., Nr. 116 (Athen), 118 (Athen), 124 (Attika), 127 (Klaros), 136 (Cherchel, siehe auch unten, Kap. 7.2.5.2.2).

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Erwähnung der Περσ]εφόνας λιμένας, nicht wirklich aussagekräftig ist und der Bezug zum Isiskult überhaupt fragwürdig.609 7.2.1.3 Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Kyrenaika Außerhalb der Hauptstadt Kyrene sind nur vereinzelte Zeugnisse für den Kult der ägyptischen Götter in der Kyrenaika bekannt und kein weiterer Tempel wurde bisher archäologisch nachgewiesen. Die Funde konzentrieren sich auf die Küstenstädte610 und beginnen schon in vor- und frühhellenistischer Zeit. Wohl dem 4. Jh. v. Chr. ist eine weibliche Terrakottafigur aus El Gubba zuzuordnen, deren Identifikation als Isis jedoch unsicher ist:611 Sie trägt Himation und Peplos und auf der Brust eine rundes Amulett, die Arme liegen seitlich dicht am Körper an, das Haar ist in der Mitte gescheitelt und aus der Stirn nach hinten geführt; über dem Scheitel ist eine ovale Form zu erkennen, wobei nicht klar ist, ob es sich um Teile des Haares oder ein vegetabiles Element handelt; dahinter fallen zwei Bänder auf die Schultern herab. Die Darstellung ist vergleichbar mit Statuetten aus dem Demeterheiligtum von Tokra, aus welchem ja auch eine Isis-Demeter-Statuette stammt.612 Fraglich ist auch, ob Doppelhermen unter dem Bauch einiger Widderstatuen unterschiedlicher Herkunft auf einer Seite Isis oder eher Libya zeigen.613 Der weibliche Kopf, der jeweils das Pendant zu einer Zeus-Ammon-Darstellung bildet, trägt eine Korkenzieherlockenfrisur mit gleichmäßig in die Stirn und an den Seiten herabfallenden Strähnen, die typisch für Libya-Darstellungen sind, aber ebenso in Ägypten für die Ptolemäerinnen und für Isis verwendet wurden.614 Weitere Skulpturen lokaler Herstellung weisen einen ungewöhnlichen, groben Stil auf und sind ebenfalls schwer zu identifizieren: Aus Martuba stammen zwei kleine weibliche Statuen aus lokalem Gestein, die eine blockhafte Körpergestaltung zeigen und auf der Rückseite ganz unbearbeitet gelassen wurden.615 Beide tragen ein langes Gewand, das in der Taille von einem Gürtel gehalten wird; die Gewandfalten am Rock sind durch eingeritzte parallele Wellen gekennzeichnet, die Arme vor den Hüften angewinkelt und nach vorne gerichtet. Das Gesicht mit großen Augen und kleinem Mund wird ebenfalls nur durch flache Ritzungen angegeben und von sehr schematisch gestalteten Haarsträhnen eingerahmt, die vielleicht wieder eine libysche Korkenzieherlockenfrisur meinen. Eine der beiden Figuren weist noch rote Farbspuren auf; sie trägt ein flaches Objekt, vielleicht ein Opfertablett o. ä. auf den ausgestreckten Händen, und vor dem Rock erheben sich zwei symmetrische Uräen, während eine dritte Schlange sich an der rechten Seite der Frau em-

609 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 610 Vgl. BRICAULT, Atlas, Karte XVI, S. 79. 611 BRICAULT, Atlas, S. 80; P. PENSABENE, Statuine fittili votive dalla χώρα cirenea, in: QAL 12, 1987, S. 93–169: S. 122, Nr. 19. 612 Siehe dazu auch oben, Kap. 7.2.1.1 m. Anm. 7. 613 Zwei im Museum Kyrene mit unbekannter Herkunft (evtl. Martuba): PARIBENI, Catalogo, Nr. 416, S. 144; Taf. 181; BACCHELLI, Scultura libya, S. 477–478, Abb. 24; zwei aus Ptolemais: KRAELING, Ptolemais, Nr. 59–60, S. 180 u. 202; Taf. 39. 614 Siehe dazu SCHWENTZEL, Boucles d’Isis; ALBERSMEIER, Frauenstatuen, S. 68–74; NAGEL, The goddess’ new clothes, S. 197–201. 615 BACCHELLI, Scultura libya, S. 482–485, Abb. 31–34.

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porschlängelt.616 Die zweite Skulptur scheint hingegen nichts in den Händen gehalten zu haben (eine Hand ist auch abgebrochen) und ihr Körper ist teilweise von einer Schlange umringelt, deren Kopf über der linken Brust endet.617 Eine Verbindung zu Isis kann möglicherweise über die Schlangen hergestellt werden, besonders die Uräen;618 vielleicht handelt es sich um einheimische Göttinnen, die mit Isis vermischt oder identifiziert worden sind. Eine mögliche ägyptische Konnotation weisen vielleicht auch zwei andere Objekte aus Martuba auf, die ebenfalls Schlangen zeigen: Ein kleiner Hörneraltar ist auf zwei Seiten mit einer Darstellung dekoriert, die wohl ihrerseits einen Hörneraltar zeigt, auf den beiden anderen Seiten mit einer sich empor ringelnden Schlange, deren Kopf auf der Oberseite des Altares aufliegt.619 Die aus dem Vorderen Orient stammende Form des Hörneraltars war ab hellenistischer Zeit in Ägypten sehr verbreitet und wurde auch außerhalb Ägyptens besonders im Kontext des Isiskultes verwendet.620 Eine weitere Skulptur aus Martuba stellt eine Uräusschlange mit roten Farbresten dar, deren Kopf allerdings fehlt.621 Ähnliche Uräenfiguren sind auch aus Ägypten bzw. Alexandria bekannt;622 eventuell besaß das Exemplar aus Martuba sogar ursprünglich einen Frauenkopf, könnte also Isis-Thermuthis dargestellt haben.623 In der Stadt Apollonia, die als Hafen von Kyrene fungierte und demnach in engem Kontakt mit der Hauptstadt stand, wurde ein weißes Marmorfragment gefunden, das den Rest eines Kleidungsstückes mit Fransensaum erkennen läßt,624 was auf die Zugehörigkeit zu einer Isisstatue oder der einer Isisanhängerin hindeutet. Der einzige Ort neben Kyrene, der eine größere Anhäufung an Isiaca bzw. Aegyptiaca zutage gebracht hat, ist Ptolemais (Tolmeita), eine wohl bereits seit dem 5. Jh. v. Chr. exis-

616 Kyrene Mus. Inv. 408. 617 Kyrene Mus. Inv. 410. 618 Vgl. die polychrome Isisstatue und die Stele aus dem Heiligtum am Akropolishang von Kyrene, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. Eine Uräusschlange, die sich vor den Beinen der Isis erhebt, weist auch eine Terrakotte aus Ägypten auf, siehe DUNAND, Religion populaire, Nr. 39; Taf. 25. 619 BACCHELLI, Scultura libya, S. 479–480, Abb. 26–27. 620 Siehe zu Hörneraltären, speziell in Ägypten, G. SOUKIASSIAN, Les autels „à cornes“ ou „à acrotères“ en Égypte, in: BIFAO 83, 1983, S. 317–333; J. QUAEGEBEUR, L’autel-à-feu et l’abattoir en Égypte tardive, in: J. Quaegebeur (Hrsg.), Ritual and Sacrifice in the Ancient Near East. Proceedings of the International Conference Organized by the Katholieke Universiteit Leuven from the 17th to the 20th of April 1991, OLA 55, Leuven 1993, S. 329–353. Zur Verwendung im Isiskult W. DEONNA, Mobilier délien, in: BCH 58, 1934, S. 381–447; und KLEIBL, Iseion, S. 100. Ein Altar aus Hieraklion, der allerdings nicht zur Gattung der Hörneraltäre gehört, zeigt ebenfalls zwei Schlangen als Dekoration, siehe BACCHELLI, Scultura libya, S. 480–481, Abb. 28. 621 BACCHELLI, Scultura libya, S. 481, Abb. 29. 622 Vgl. z. B. G. GRIMM, Kunst der Ptolemäer- und Römerzeit im Ägyptischen Museum in Kairo, Mainz 1975, Nr. 36, S. 22; Taf. 70–71. 623 Auf der nicht allzu deutlichen Schwarzweiß-Abb. bei BACCHELLI, Scultura libya, S. 481, Abb. 29, sieht es so aus, als hinge eine geringelte Haarsträhne zwischen dem aufgeblähten Hals und der nach oben geschwungenen Windung des Leibes herab, doch ist dies nicht mit Sicherheit zu erkennen. 624 J. PH. MCALLER, A Catalogue of Sculpture from Apollonia, Libya Ant Suppl. 6, 1979, Kat. 28, S. 48–49; Taf. 17,1.

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tierende libysche Siedlung, die ursprünglich nur den Hafen von Barka bildete.625 Erst im 3. Jh. v. Chr. wurde sie zur Stadt und erhielt ihren ptolemäischen Namen, was die enge Verbindung zu Alexandria bereits andeutet. Hier zeichnet sich besonders der sog. ‚Palazzo delle Colonne‘ durch seine reiche ägyptische Ausstattung aus.626 Es handelt sich um ein prachtvolles Gebäude im Zentrum der Stadt, das als mehrstöckiges Peristylhaus von großem Umfang angelegt wurde.627 Der genaue Zweck ist unbekannt, wenngleich der ursprüngliche Ausgräber PESCE sowie ROWE den Bau als Residenz des Hauptverwaltungsbeauftragten in ptolemäischer Zeit bzw. als Sitz des römischen Magistrats in der Kaiserzeit interpretieren.628 Auch die Datierung ist aber stark umstritten und wird durch zahlreiche Umbauten und Restaurierungen zusätzlich erschwert; PESCE setzte den Bau in späthellenistische Zeit, was mittlerweile jedoch häufig kritisiert und zugunsten der römischen Kaiserzeit verworfen wurde. Die Vorschläge reichen von der frühen Kaiserzeit (WARD-PER629 KINS) über flavische Zeit (VON GERKAN)630 bis hin zur Mitte des 3. Jhs. n. Chr. (MINGAZ631 ZINI). Tatsächlich finden sich Architekturelemente verschiedener Phasen, darunter Figuralkapitelle mit Sarapisbüsten und Widderprotomen (anstelle von Voluten) vor Oecus 12, die LAUTER zusammen mit anderen Teilen der Peristylarchitektur nun wieder in späthellenistische Zeit datiert (vor 80 v. Chr.).632 Zahlreiche Teile der Baudekoration und Ausstattung wurden ihm zufolge in flavischer Zeit erneuert.633 Gegen seine Datierung der SarapisKapitelle ist allerdings einzuwenden, daß Darstellungen des Isiskreises auf Figuralkapitellen üblicherweise eher erst ein Phänomen der römischen Kaiserzeit sind.634 Die Stücke aus Ptolemais sind damit entgegen LAUTER aufgrund ihrer üppigen, barocken Fülle wohl in flavische oder severische Zeit zu datieren, wie auch D’ESTE vorschlägt.635 Die Kapitelle, die aufgrund der Widderdarstellungen Sarapis möglicherweise mit dem libyschen (Zeus-)Ammon verbinden, sind jedoch nicht die einzigen Hinweise auf die ägyptischen Götter. Zwei vielleicht flavische Wandmalereifragmente, die heute leider nicht

625 Vgl. KRAELING, Ptolemais, S. 177. Zu den Kategorien ‚Isiaca‘ und ‚Aegyptiaca‘ siehe die Definition von MALAISE, Terminologie, S. 19–31. 626 Zu diesem Gebäude und seinen Funden siehe PESCE, „Palazzo delle Colonne“; D’ESTE, Catalogo; ROWE, Ancient Cyrenaica; LAUTER, Ptolemais in Libyen. 627 Vgl. KRAELING, Ptolemais, S. 87. 628 ROWE, Ancient Cyrenaica, S. 62. Kritisch D’ESTE, Catalogo, S. 83. 629 J. B. WARD-PERKINS, The Art of the Severan Age in the Light of Tripolitanian Discoveries, ProcBritAc 37, 1953, S. 296, Anm. 19. 630 A. VON GERKAN, Rez. zu: Pesce, „Palazzo delle Colonne“, in: Gnomon 23, 1951, S. 337–340, bes. 340. 631 P. MINGAZZINI, L’insula di Giasone Magno a Cirene, Monografie di archeologia libica 8, Rom 1966, S. 146. Eine Übersicht der verschiedenen Datierungsvorschläge findet sich bei LAUTER, Ptolemais in Libyen, S. 149–150. 632 D’ESTE, Catalogo, Kat. 1–2, S. 83–84; Taf. 34a); LAUTER, Ptolemais in Libyen, S. 151–155 u. 158. Siehe dazu auch HORNBOSTEL, Sarapis, S. 245, Anm. 8; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, S. 142, Nr. 774; MERCKLIN, Figuralkapitelle, S. 184–186, Nr. 446a. 633 Vgl. LAUTER, Ptolemais in Libyen, S. 156. 634 Vgl. z. B. die ionischen Kapitelle in Santa Maria in Trastevere in Rom aus den Caracalla-Thermen mit Isis, Sarapis und Harpokrates, vgl. auch D’ESTE, Catalogo, S. 84; oder die Kapitelle aus Pisa, siehe MERCKLIN, Figuralkapitelle, S. 171–172, Nr. 413; Abb. 803–804. 635 D’ESTE, Catalogo, S. 84.

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mehr auffindbar sind, sollen je einen Isiskopf gezeigt haben:636 Sie waren im Profil dargestellt, trugen die typische Isisfrisur mit Korkenzieherlocken, und zwei Uräen an der Stirn, eine von beiden außerdem noch zwei hohe Federn auf dem Kopf.637 Neben solcher Architekturdekoration ist der ‚Palazzo delle Colonne‘ jedoch besonders für die zahlreichen ägyptischen Statuen bekannt, die dort gefunden wurden. Die meisten bestehen aus schwarzem Granit und sind relativ klein; nur vier Stücke wurden noch in situ entdeckt, zahlreiche Fragmente der übrigen Objekte stammen hingegen aus der oberen Füllschicht der Piscina,638 was darauf hindeutet, daß sie zu irgendeinem Zeitpunkt (intentionell?) zerstört wurden. Es handelt sich insgesamt um ca. 30 Skulpturen, die vor allem aus der ägyptischen Spät- bzw. Ptolemäerzeit stammen und teilweise bereits in der Antike restauriert wurden. Einige Fragmente sind auch erst der Kaiserzeit zuzuordnen, wie die Verwendung von Porphyr bei einigen davon bestätigt.639 Eine frühe Ausnahme bildet die Statue des Schreibers Amenmose aus der Zeit Ramses II.640 Auch die meisten anderen Darstellungen zeigen ägyptische Beamte, darunter z. B. Harmachis aus der Dynastie der Hohepriester des Ptah von Memphis während der Ptolemäerzeit.641 Einige Fragmente stammen auch von weiblichen Figuren, die jedoch nicht genauer zu identifizieren sind: Ein Kopffragment trägt beispielsweise eine Geierhaube642 und könnte demzufolge einer Göttin oder Königin angehören. Eindeutige Götterdarstellungen sind hingegen innerhalb der Funde deutlich in der Unterzahl. Bei einer spätzeitlichen Pavianskulptur, die den Gott Thoth verkörpert, verweist das Befestigungsloch auf dem Kopf auf die ursprüngliche Anbringung einer Mondscheibe.643 Noch näher an den Isiskreis führt die fragmentarische Basis einer saitischen Osirisstatuette mit einer Anrufung an den Gott.644 Zwei weitere Skulpturen sind nicht mit Sicherheit zuzuordnen: Eine fragmentarische Basis gehörte zu einer theophoren Statue späthellenistischer oder frührömischer Zeit, die laut D’ESTE Osiris oder Ptah darstellte,645 und das Fragment einer Kinderstatue aus demselben Zeitraum könnte Harpokrates zuzuordnen sein.646 Deutliche Bezüge zur unterägyptischen Isisverehrung weisen schließlich mehrere Schmuckstücke mit Darstellungen der schlangenleibigen Isis-Thermuthis auf: Ein Goldring wird aus dem Körper einer Kobra gebildet und endet auf einer Seite in einer Isisbüste mit Korkenzieherlocken und Diadem mit Kalathos, auf der anderen Seite in einem Kobra636 PESCE, „Palazzo delle Colonne“, Inv. 17–18; D’ESTE, Catalogo, Kat. 3–4, S. 85 (keine Abb. vorhanden). 637 Man vergleiche die hohen Federn der Isisskulptur aus Kyrene im Typus der Demeter von Kos, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 638 Vgl. PESCE, „Palazzo delle Colonne“, S. 69; D’ESTE, Catalogo, S. 83. 639 D’ESTE, Catalogo, Kat. 29–30. 640 D’ESTE, Catalogo, Kat. 5. 641 D’ESTE, Catalogo, Kat. 9, S. 95; vgl. J. YOYOTTE, Un souvenir d’un grand-prêtre memphite en Cyrénaïque, in: RdÉ 30, 1978, S. 174–175. 642 D’ESTE, Catalogo, Kat. 18, Taf. 44b; weitere weibliche Figuren sind ibid., Kat. 10, Taf. 40a–b (Anch in linker Hand), Kat. 11, Taf. 40c–d (Füße und Unterschenkel), Kat. 15, Taf. 43a–b (libysche Locken: Isis? Ptolemäerin?) und Kat. 20, Taf. 14d (lange Ringellocken auf Schulter: Isis? Ptolemäerin?). 643 D’ESTE, Catalogo, Kat. 12, Taf. 41b–d. 644 D’ESTE, Catalogo, Kat. 6, S. 89; Taf. 36a–d. Aufgrund der Inschrift mit Resten des Namens Psammetik ist die Datierung in die Saitenzeit gesichert. 645 D’ESTE, Catalogo, Kat. 16, S. 98; Taf. 44a. 646 D’ESTE, Catalogo, Kat. 21, S. 99; Taf. 45a; Abb. 6.

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kopf.647 Sehr ähnlich gebildet sind ein Gold- und ein Silberarmreif mit Kobraleib und Büste der Göttin, deren Gewand außerdem zwischen den Brüsten geknotet ist.648 Auffällig ist der von dem weitaus häufigeren Basileion abweichende Kopfschmuck mit Kalathos, der die von Isis-Thermuthis verkörperte agrare Fruchtbarkeit zusätzlich betont und an ägyptische Terrakotten mit Darstellungen der Isis-Demeter erinnert.649 Wie ist der Befund aus dem Palazzo nun zu deuten? Zunächst sei noch auf ein weiteres Stück hingewiesen, das hinsichtlich der Klärung dieser Frage besondere Aufmerksamkeit erregte: Es handelt sich um die Statue eines Generals namens Harpokrates aus dem 4. Jh. v. Chr., deren Rückenpfeilerinschrift davon berichtet, daß dieser unter anderem einen Tempel für Osiris, Herr von Hw.t-isr.t, errichtet und einen tragbaren Naos für die Prozession des Osiris beim Sokarfest gestiftet hat.650 Er selbst ist Prophet von Horus, Herr von Hw.t-isr.t, sowie von Chnum, Chons und Imhotep, die jeweils einem Hw.t wrD-ib, „dem Haus des Herzensmüden (= Osiris)“ zugeordnet sind. Das Toponym Hw.t-isr.t (Haus der Tamariske) könnte sich auf den Osirismythos beziehen, da der Sarg des Gottes der bei Plutarch überlieferten Version zufolge von Isis in Byblos unter einer ‚Tamariske‘ gefunden worden war.651 Außerdem wird die Tamariske bereits seit den Pyramidentexten als Ort der Wiedergeburt für den Verstorbenen beschrieben.652 Doch welcher Ort ist mit dieser ansonsten nicht belegten Bezeichnung gemeint? ROWE hält sie für den ägyptischen Namen für Ptolemais selbst und sieht die Skulpturenfunde insgesamt als Beleg für die dortige Existenz einer ägyptischen Kolonie. Dementsprechend würde die Inschrift einen Osiristempel in Ptolemais belegen, in dem sogar eine Reliquie des Gottes rituell verehrt worden wäre.653 Diese Thesen beruhen m. E. jedoch auf einer sehr unsicheren Basis; betrachtet man den Text, in welchem noch weitere Tempel ägyptischer Gottheiten genannt werden, sowie das gesamte Ensemble 647 648 649 650

D’ESTE, Catalogo, Kat. 38, S. 106; Taf. 50c. D’ESTE, Catalogo, Kat. 39–40, S. 106; Taf. 50d. Vgl. D’ESTE, Catalogo, S. 106; DUNAND, Religion populaire, Nr. 44–46; Taf. 28–29. D’ESTE, Catalogo, Kat. 7, S. 91–93; Taf. 37a–c; vgl. zur Datierung E. OTTO, Rez. zu: Rowe, Ancient Cyrenaica, in: BiOr 8, 1951, S. 28–29. 651 Plutarch, De Iside, 15–16; vgl. Kap. 8.1.2.3. Die Identifikation des griechisch ἐρείκῃ (Erika) genannten Baumes ist allerdings unsicher, siehe GRIFFITHS, Plutarch De Iside, S. 322–324; KOEMOTH, Osiris et les arbres, S. 275–279, bes. 277 zu Ptolemais; SERVAJEAN, Les deux arbres, der eine Kombination zweier verschiedener Traditionen vermutet: die ägyptische Vorstellung von ‚Osiris in der Tamariske oder Akazie‘, und die ägyptisch-byblitische von ‚Osiris im aS-Baum‘. Der Hypothese von DALIX, ‚Épisode giblite‘, zufolge könnte der griechisch mit ereike bezeichnete Baum auf ein semitisches (phönizisches?) Wort für die für Byblos typische Zeder (arabisch und hebräisch Aarz) zurückgehen; vgl. aber die Kritik bei NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 234–236. 652 PT 669 (§ 1962b); vgl. auch CT VII, 197f (989); Tb 42. Siehe zur religiösen Bedeutung der Tamariske BAUM, Arbres et arbustes, S. 204–206. 653 ROWE, Ancient Cyrenaica, S. 63. Er wird in dieser Interpretation gefolgt von WILDUNG, Imhotep, S. 125–126, § 84; KOEMOTH, Osiris et les arbres, S. 277; und S. H. AUFRÈRE, Croyances, enjeux économiques et politiques. Acteurs cananéens, phéniciens et égyptiens du mythe de la Lointaine, in: M. Mazoyer/O. Casabonne (Hrsg.), Antiquus Oriens. Mélanges offerts au Professeur R. Lebrun I, Paris 2004, S. 34–35, m. Anm. 22; vgl. auch BRICAULT, Atlas, S. 80, der die Identifikation des Tempels in Ptolemais aber nicht als gesichert ansieht. BAUM, Arbres et arbustes, S. 204, glaubt hingegen, daß es sich um einen Ort in Ägypten handelt. Zur Verehrung der sog. Osirisreliquien und ihrer Bedeutung siehe BEINLICH, „Osirisreliquien“; L. PANTALACCI, Chronique. À propos de reliques osiriennes, in: CdÉ 62, 1987, S. 108–123; und rezent QUACK, Resting in pieces.

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der ägyptischen Statuen im ‚Palazzo delle Colonne‘, so scheint es sich doch eher um eine Sammlung von Aegyptiaca aus verschiedenen Zeiten (wenngleich bevorzugt der Spät- und Ptolemäerzeit) zu handeln, als um Stücke, die von den ägyptischen Besitzern ursprünglich für eine Aufstellung in Ptolemais bestimmt waren. Wäre dies so, und wäre Hw.t-isr.t tatsächlich die ägyptische Bezeichnung des Ortes, so würde man ihre Nennung noch auf anderen Objekten erwarten, wenngleich diese zugegebenermaßen teilweise stark zerstört sind. Der gesamte Kontext spricht doch mehr für eine nachträgliche Verbringung und Ansammlung von Skulpturen aus Ägypten. Daß diese im Rahmen einer Verehrung ägyptischer Götter durch einen oder mehrere Besitzer des Gebäudes zusammengestellt wurde, kann anhand der Sarapiskapitelle, der Wandmalereifragmente und des Schmuckes nur vermutet werden. Belege für eine solche Verehrung des Isiskreises wurden auch in anderen Teilen der Stadt gefunden, wobei der genaue Fundort meist unbekannt ist. In der öffentlichen Thermenanlage kam das Unterteil eines Naophors in hellenistisch-ägyptischem Mischstil zutage; die heute leere Öffnung im Naos läßt nur ein sehr kleines Kultbild zu, eventuell Horus.654 Auf diesen verweist außerdem eine kleine schwarze Granitbasis mit Falkenfüßen.655 Desweiteren ist eine wohl antoninische Marmorstatue des Harpokrates (nun der Gott!) in diese Reihe einzuordnen.656 Von der Verehrung des Anubis legt für die gesamte Kyrenaika nur eine einzige Statuenbasis mit fragmentarischer Inschrift des 1.–2. Jhs. n. Chr. aus den Gärten von Ptolemais Zeugnis ab.657 Auch eine Statue der Isis oder eventuell einer ptolemäischen Königin mit ungewöhnlicher Ikonographie wurde gefunden:658 Im linken Arm trug sie ein Füllhorn, von dem nur die Reste der Stützen entlang des Armes erhalten sind, und um den linken Unterarm windet sich ein Schlangenarmreif. Die Hände sind nicht erhalten. Sie trägt eine Mittelscheitelfrisur mit langen Ringellocken-Strähnen, die aus dem Nacken nach vorne auf die Brust fallen. Am auffälligsten ist der Kopfschmuck: Es scheint sich um einen Helm aus einem Tierbalg zu handeln, inklusive Ohren und Hörnern, die am ehesten auf den einer Kuh(!) hindeuten – möglicherweise eine Reinterpretation der bovinen Form als Isis-Hathor in griechischer Ikonographie.659 Auf dem Scheitel sitzt außerdem eine geringelte Uräusschlange auf, deren Hals und Kopf abgebrochen sind. Die Verehrung des Sarapis in der Kyrenaika ist außer durch die Kapitelle von Ptolemais möglicherweise durch ein Carmen epigraphicum des 3. Jhs. v. Chr. aus Tauromenion in Sizilien bezeugt, das von einem Karneades aus Barka geweiht wurde.660 Dieser war der Inschrift zufolge Neokor und stellte einen „reinen Altar“ für Hestia, die hier vielleicht mit Isis zu identifizieren ist,661 „vor den Toren“ des lokalen Sarapis-Tempels auf, mit der Bitte 654 655 656 657 658 659 660 661

KRAELING, Ptolemais, Kat. 14, S. 178–180; Taf. 39 C. KRAELING, Ptolemais, Kat. 58, S. 180; Taf. 42 B. KRAELING, Ptolemais, Kat. 66, S. 182; Taf. 49 A. RICIS 701/0201; J. M. REYNOLDS, Cyrenaican Links with Alexandria, in: Bonacasa/Di Vita (Hrsg.), Alessandria III, S. 843–844. BRICAULT, Atlas, S. 80; FERRI, Iside basilissa, m. Abb. 1–6. Vgl. FERRI, Iside basilissa, S. 38–41 u. 47–49. RICIS 518/0301; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 30; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, Kat. 192; ID., Les cultes isiaques en Sicile, in: Bricault (Hrsg.), De Memphis à Rome, S. 35–62: 38. Zur Identifikation der Göttinnen: G. MANGANARO, Ricerche di epigrafia siceliota I. Per la storia del culto delle divinità orientali in Sicilia, in: SicGymn NS 14, 1961, S. 175–198: 180.

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um ein glückliches Leben für sich sowie seinen Gefährten Pythias und seine Tochter Eraso. Leider ist nicht klar ersichtlich, ob Karneades in seiner Heimatstadt Barka oder in Tauromenion selbst als Neokor, also wohl Tempelwächter des Sarapis,662 tätig war; sollte ersteres zutreffen, ist davon auszugehen, daß es im kyrenäischen Barka einen Tempel des Sarapis oder der Isis gegeben haben muß. Verglichen mit den besprochenen Zeugnissen aus Kyrene wäre dies ein sehr frühes Zeugnis für einen Sarapiskult. Mit der allgemeinen Weiterentwicklung der Sarapisverehrung im Mittelmeerraum konform geht hingegen ein vereinzeltes Graffito auf einer Hauswand in Berenike (Benghazi) um ca. 200 n. Chr., in welchem Zeus Sarapis angerufen wird, Glück zu gewähren für Kosmikos und seine Gefährten, „die mit ihm in der Fremde reisen“.663 Bei dem Haus handelte es sich vermutlich um ein Hotel664 und der Dedikant war dem Text zufolge offenbar ein Fremder und kein Ansässiger. Vergleichbare Anrufungen an Isis (und seltener Sarapis) von ‚Reisenden in der Fremde‘ belegen die demotischen und griechischen Graffiti aus Ägypten in großer Anzahl, s. o., Kap. 6.2.665 Die besprochenen Zeugnisse aus verschiedenen Orten deuten zumindest auf die zu erwartenden starken alexandrinischen Einflüsse in der Kyrenaika hin, bieten jedoch (mit der Ausnahme von Ptolemais vielleicht) kaum konkrete Hinweise auf einen in größerem Rahmen praktizierten Kult des Isiskreises. Es zeigt sich, daß auch außerhalb der Hauptstadt in erster Linie die „ägyptischeren“ Götter Isis und Horus/Harpokrates (bes. in Ptolemais) beliebt waren, während die hellenistisch-römischen Formen des Sarapis und Anubis deutlich im Hintergrund bleiben. 7.2.2

Provinz Tripolitania

7.2.2.1 Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit In der westlich der Kyrenaika entlang des Küstenstreifens gelegenen Tripolitania finden sich unter der phönizischen Präsenz seit dem 7. Jh. v. Chr. und der späteren Oberherrschaft Karthagos vereinzelte Aegyptiaca, vor allem in den Hafenstädten;666 so enthielt ein punisches Grab (ca. 3. Jh. v. Chr.) in der Küstenstadt Sabratha eine Halskette mit verschiedenen ägyptischen Amulettanhängern aus Glaspaste, darunter zwei nackte Harpokrates-Figuren und ein Stier (Apis?).667 In Leptis Magna wurde nach einer Theorie LIPIŃSKIs in hellenistischer Zeit der einheimische Gott Shadrapha, die interpretatio punica des Stadtgottes Dionysos, aufgrund der Namensähnlichkeit und dem gemeinsamen Charakter als Heilgott auch

662 Zu diesem Priesteramt siehe oben, Kap. 7.2.1.2.3. 663 RICIS 701/0301. 664 Siehe J. M. REYNOLDS, The Sidi Krebish Graffiti: an Interim Note, in: Society for Libyan Studies, Annual Report 6, 1975, S. 13–17; an den Wänden zweier Räume befindet sich eine große Anzahl unterschiedlicher Graffiti. 665 Vgl. z. B. die Graffiti Ph. 416 (Kap. 6.2.2.2) und Theben 3462 (Kap. 6.2.5.1). Vgl. für diese Thematik außerdem die Isishymnen MM I, 31 und pTebt. Tait 14, x+2, Kap. 6.1.2.1 und 6.1.4. 666 Siehe zu ägyptischen Einflüssen in der Tripolitania, vor allem durch Alexandria in hellenistischer Zeit, A. DI VITA, Gli emporia di Tripolitania dall’età di Massinissa a Diocleziano: un profilo storicoistituzionale, in: ANRW II, 10, 2, 1982, S. 516–595: 528–529 u. 567. 667 BARTOCCINI, Necropoli punica, S. 40–43 m. Abb. 2, zur Datierung S. 46.

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mit Sarapis gleichgesetzt.668 Für diese Idee führt er allerdings trotz einer komplexen Argumentation keinerlei reale Belege an, weswegen nicht weiter auf dieses Konstrukt eingegangen werden soll. Erst ab dem 1. Jh. v. Chr. tauchen in den großen Küstenstädten konkrete Zeugnisse für die ägyptischen Kulte auf. Münzen mit einer ungefähren Datierung in die Jahre 60–50 v. Chr. belegen eine frühe Einführung des Sarapiskultes in Sabratha.669 Auf dem Obvers ist der Kopf des Gottes mit Kalathos und langem, gelocktem Bart im rechten Profil abgebildet, das Revers mit der neupunisch geschriebenen Legende cbrton zeigt einen fünfsäuligen Tempel, der dementsprechend wohl Sarapis geweiht war. Im Giebel ist auf der Prägung sogar eine Sonnenscheibe zu erkennen. Ein nahezu identischer Sarapiskopf erscheint auch auf einer weiteren Emission des 1. Jhs. v. Chr., die entweder ebenfalls Sabratha oder der weiter im Landesinneren gelegenen Stadt Zita zuzuordnen ist.670 Spätere Serien unter Augustus und Tiberius nehmen den Typus der Sarapisbüste wieder auf, zeigen auf der Gegenseite (einmal Obvers, einmal Revers) jedoch nun das Porträt des Kaisers anstelle des Tempels.671 7.2.2.2 Sabratha 7.2.2.2.1 Das Heiligtum am Forum (sog. ‚Sarapeion‘)672 Baugeschichte und Architektur Das sog. Sarapeion von Sabratha ist in der NW-Ecke des Forums (Regio I) gelegen, wo es direkt an das Kapitol anschließt, allerdings mit etwas verschobener Orientierung nach NO.673 Phase I und Vorgängerbau(ten): Das urbane Zentrum mit dem Forum wurde im Verlauf der Kaiserzeit durch neue Tempelbezirke monumental umgestaltet, und das in augusteischer Zeit errichtete Heiligtum steht am Beginn bzw. noch vor der umfassenden Planung, wie die abweichende Orientierung zeigt.674 Bei dem heute stark zerstörten Kultbau selbst handelte es sich zunächst um einen sehr breiten, fast quadratischen, Podiumstempel 668 LIPIŃSKI, Dii patrii, S. 46–47. 669 SNRIS Sabratha 1; S. 230 (L. BRICAULT); BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 47–48, m. Abb. 12; zur Datierung nach „stilistischen und ikonographischen Merkmalen“ vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 224; ALEXANDROPOULOS, Monnaies de l’Afrique, Nr. 39, S. 269–270 u. 446; Taf. 10. Die punische Legende macht zumindest eine Entstehung vor der Kaiserzeit sehr wahrscheinlich. Vgl. zur Lesung der Legende K. JONGELING, Handbook of Neo-Punic Inscriptions, Tübingen 2008, S. 304. 670 SNRIS Zita 1, S. 232; ALEXANDROPOULOS, Monnaies de l’Afrique, S. 273 u. 448, Nr. 47. 671 SNRIS Sabratha 2 und 4; S. 230; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 47–48, m. Abb. 12. 672 Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 59, mit älterer Literatur; EINGARTNER, Templa cum Porticibus, Kat. 13, S. 198–199; NIELSEN, Housing the Chosen, S. 81–83; BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide; ID., Sabratha sotterranea. 673 Vgl. den Stadtplan bei EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 248, Abb. 1; BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 83, Abb. 1. 674 Vgl. EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 249; ID., Templa cum Porticibus, S. 132; BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 44–45; KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 116–117: die Datierung wird durch die in einem Testschnitt in der Cella gefundene Keramik bestätigt. Vgl. den Steinplan mit markierter augusteischer Bauphase bei BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 90, Abb. 7. BONACASA/MISTRETTA, Sabratha sotterranea, S. 352, verweisen desweiteren darauf, daß die Orientierung des Sarapeions auf den Isistempel (siehe unten, 7.2.2.2.2) ausgerichtet ist.

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aus lokalem Sandstein mit Stuckverzierung, welcher von einer vierseitigen Portikus mit 10(?) x 14 stuckierten tuskanischen Sandsteinsäulen und einer Umfassungsmauer umgeben war. Erst rezente Grabungen haben die Existenz eines tetrastylen Pronaos nachgewiesen, der wohl bereits mit Marmorsäulen ausgestattet war.675 Eine kleine Öffnung, ein Fenster oder vielleicht nur eine Nische, befand sich in der Rückwand der Cella, und wird von KLEIBL als Kultnische oder Gegenkapelle gedeutet.676 Unter dem Sarapeion wurden Reste eines vorrömischen monumentalen Repräsentations- und Marktgebäudes entdeckt.677 Desweiteren sind Reste der Mauern eines Vorgängerkultbaus im Inneren der späteren Cella gefunden worden.678 Als Übergangsphase zum augusteischen Tempel rekonstruieren BONACASA und MISTRETTA daher hypothetisch einen großen mit Säulen versehenen Naiskos für Sarapis aus Sandstein, der in hellenistischer Zeit als Pendant zu dem am Meeresufer im Osten gelegenen Iseion im Westen der Stadt (s. u.) errichtet worden sei.679 Phase II: Nach kleineren Restaurierungen und Ausschmückungen in flavischer und antoninischer Zeit680 wurden während der zweiten Bauphase in severischer Zeit einige größere bauliche Änderungen vorgenommen: der Bezirk wurde aufgefüllt und erhöht, man verlängerte das Podium (wodurch die rückwärtige Nische verschwand) und gestaltete den Tempel zu einem Pseudoperipteros um, indem sechs der westlichen Portikussäulen mit ihm verbunden und je fünf Stuckpilaster an den Seitenwänden hinzugefügt wurden.681 Die Sandsteinstufen der Treppe wurden durch solche aus weißem Marmor und grauem Kalkstein ersetzt.682 Auch die neuen korinthischen Säulen der Kolonnaden errichtete man nun aus edleren Materialien, mit Schäften aus grauem und Kapitellen und Basen aus weißem Marmor, während die Innenseiten der Portikusmauern ebenfalls mit Marmor verkleidet und der Fußboden mit opus signinum belegt wurden. In der Umfassungsmauer befanden sich drei Eingänge auf der Ostseite, und jeweils ein Nebeneingang im Süden und Westen. Der Frontseite mit den Haupteingängen war eine Rampe vorgelagert, die über Treppenanlagen im Süden und Osten bestiegen werden konnte.683 Das Heiligtum wurde wohl bei dem Erdbeben 365 n. Chr. zerstört und nicht wieder aufgebaut; auf den bis zum Fundament abgetragenen Resten errichtete man Wohnbauten.684 Funde und Ausstattung Zwei überlebensgroße Sarapisköpfe aus Marmor des späten 2. bis frühen 3. Jhs. n. Chr. bilden das Hauptkriterium für die Benennung des Tempels.685 Aufgrund der Größe könnte zu-

675 676 677 678 679 680 681 682 683 684 685

BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 92–94; ID., Sabratha sotterranea, S. 355–356. KLEIBL, Iseion, Kat. 59, S. 95 u. 351. BONACASA/MISTRETTA, Sabratha sotterranea, S. 358–362. BONACASA/MISTRETTA, Sabratha sotterranea, S. 350–352, m. Abb. 5. BONACASA/MISTRETTA, Sabratha sotterranea, S. 363. Vgl. BONACASA/MISTRETTA, Sabratha sotterranea, S. 362. Vgl. KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 115–116; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 45. Siehe KENRICK, Excavations at Sabratha, Taf. 37b. Vgl. EINGARTNER, Templa cum Porticibus, Kat. 13, S. 198. KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 116. BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 88, Abb. 5; ID., Sabratha sotterranea, S. 354, Abb. 8b–c. Zuvor bereits (o. Abb.) erwähnt bei BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 47, und in der nachfolgenden Literatur, z. B. BRICAULT, Atlas, S. 81.

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mindest einer davon zum Kultbild gehört haben.686 Einer der Köpfe trägt einen Modius in reliefiertem Mauerwerk; in der Mitte befindet sich ein Tor, was vielleicht auf die Darstellung eines konkreten Bauwerks hindeutet.687 Der zweite, qualitätvollere Kopf „alexandrinischen Stils“ ist über der Stirn abgebrochen. Epigraphische Hinweise auf die Weihung des Heiligtums fehlen, und das einzige Inschriftenfragment aus dem NW-Bereich des Forums, das möglicherweise dem Bezirk zuzurechnen ist, enthält nur die Reste […M]YTHVMBA[L…], ein neupunischer PN mit der Bedeutung „Geschenk des Baal“.688 Das Stück von monumentalen Ausmaßen besteht aus stuckiertem lokalen Sandstein und ist in die frühe Kaiserzeit, möglicherweise augusteisch, zu datieren, was gut mit der ersten Bauphase des Tempels zusammenpaßt (s. o.). Weiterhin gehörten zur Ausstattung wahrscheinlich Reste von ägyptisierenden Reliefs mit geflügelten Sonnenscheiben mit je zwei Uräen am unteren Rand, die (in sekundärer Verbringung) in den favissae des benachbarten Kapitoltempels aufgefunden wurden.689 Dieser Bauschmuck fügt sich chronologisch in die zweite Bauphase des Heiligtums in severischer Zeit ein und hat nach BONACASA und MISTRETTA die Türstürze der verschiedenen Zugänge und Türen des Heiligtumsbezirks geschmückt. Interpretation Die Zuweisung des Tempels an Sarapis wird teilweise als unsicher angesehen,690 da sie aufgrund des Mangels an Inschriften auf wackeligen Füßen steht. Die Sarapisköpfe und evtl. die Friesfragmente aus dem Kapitol liefern zumindest mehrere Hinweise auf eine Weihung an ägyptische Gottheiten, zumal offenbar keine Zeugnisse für andere Götter gefunden wurden. Doch gilt dies auch bereits für die ältere Phase des Tempels? Dieser kann unter den Funden nur das monumentale Inschriftenfragment mit relativer Wahrscheinlichkeit zugewiesen werden. Jedoch bieten die erwähnten frühen Münzen691 aus Sabratha ein Indiz für die Existenz eines Sarapiskultes, der möglicherweise in dem auf dem Revers abgebildeten fünfsäuligen Tempel stattfand. Es stellt sich die Frage, ob dieser sich mit dem Bau am Forum identifizieren läßt. Da durch neuere Grabungen ein hellenistischer Vorgängerbau, bei dem es sich möglicherweise um einen Naiskos handelte (s. o.), unter der Cella nachgewiesen werden konnte, wäre eine chronologische Übereinstimmung mit den wahrscheinlich aus der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. datierenden Münzen immerhin gegeben. Von BRICAULT wurde – noch vor Publikation der Nachgrabungen durch BONACASA und 686 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 78. 687 Eine solche Bekrönung ist sehr ungewöhnlich für Sarapis; beim Vergleich mit den im LIMC aufgenommenen Sarapis-Ikonographien läßt sich keine direkte Parallele finden: siehe CLERC/ LECLANT, „Sarapis“, die auf S. 691 allerdings zu den Darstellungen Nr. 35 (Sarapisstatue aus Gortyn) und 234 (nur unterer Rand der Kopfbedeckung erhalten) kommentieren: „le calathos orné de motifs verticaux n’est pas sans rappeler une couronne tourelée“. Die Darstellungen unterscheiden sich allerdings von dem deutlich reliefierten Mauerwerk auf dem Kalathos des Sarapiskopfes aus Sabratha. 688 IRT 162; siehe KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 116; Taf. 38b. 689 Siehe KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 116; Taf. 28; BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 92, m. Abb. 10, u. S. 99. 690 Z. B. bei BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 224; SNRIS, S. 230 (L. BRICAULT); BRICAULT, Dieux de l’Orient, S. 290. 691 Siehe oben, Kap. 7.2.2.1.

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MISTRETTA – als stärkstes Gegenargument vorgebracht, daß die Münze einen pentastylen Tempel zeigt, wohingegen der Bau am Forum dem bei KENRICK veröffentlichten Plan zufolge sechs Frontsäulen aufweise.692 Dies ist jedoch nicht korrekt: Tatsächlich sind auf dem Plan693 überhaupt keine Frontsäulen eingezeichnet, noch durch Einzeichnung von Fundamenten oder Basen angedeutet, denn oberhalb der Fußbodenhöhe ist hier nichts erhalten.694 Erst die neueren Untersuchungen konnten zwar für den augusteischen Bau einen viersäuligen Pronaos nachweisen, doch über die Säulenanzahl des Vorgängerbaus ist nichts bekannt. M. E. ist aufgrund der prinzipiell anzunehmenden Kontinuität eines Kultplatzes die Identifikation des auf der Münze dargestellten Tempels mit dem Bezirk im NO des Forums, der durch seine ungewöhnliche Ausrichtung deutlich von den übrigen, erst kaiserzeitlichen Bauten, abgesetzt ist, zumindest wahrscheinlich.695 Ob das Heiligtum in erster Linie Sarapis geweiht war, oder ebenso Isis und anderen assoziierten Göttern, ist mangels Zeugnissen nicht feststellbar. 7.2.2.2.2 Das Heiligtum am Meer (sog. ‚Iseion‘)696 Baugeschichte und Architektur Ein weiteres Heiligtum ägyptischer Gottheiten ist ganz am nordöstlichen Stadtrand, beim Theaterviertel in Regio III (Insula 15) direkt am Meeresufer gelegen.697 Die dorthin gewandte NO-Seite war terrassiert und ist mittlerweile vom Wasser größtenteils zerstört. Die Fundamente des Baues, das Podium sowie acht Räume an der Rückwand des Temenos sind in besserem Erhaltungszustand und heute stark restauriert.698 Das Heiligtum ist nach Osten orientiert, und damit von der Stadt abgewandt und zum Meer hin ausgerichtet. Phase I: Von einem Vorgängertempel oder einer ersten Bauphase stammen Fundamente eines älteren Podiums, die unter dem westlichen Teil des Hofes vor dem späteren Raum V (s. u.) ca. 3 m unter Bodenniveau gefunden wurden.699 Wie der spätere Bau war auch dieser nach Osten orientiert, jedoch von deutlich kleinerem Ausmaß. Die chronologische Einordnung dieses früheren Tempels läßt sich nicht genauer bestimmen, wird aber von PESCE aufgrund der hellenistischen Form des Podiumprofils und von Münzfunden spätestens im frühen 1. Jh. n. Chr. vermutet,700 womit der Tempel älter als das umgebende

692 693 694 695 696 697 698 699 700

BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 224; SNRIS, S. 230 (BRICAULT). KENRICK, Excavations at Sabratha, Abb. 53. KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 115. Alternativ könnte man eine Identifikation mit dem Vorgängerbau des Heiligtums am Meer erwägen, siehe unten, 7.2.2.2.2. Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 58, mit älterer Literatur; Grabungspublikation von PESCE, Tempio d’Iside. Rezent außerdem EINGARTNER, Templa cum Porticibus, Kat. 18, S. 205–207; GOLVIN, Temple No 8; DARDAINE ET AL., Belo VIII, S. 193–197, und passim. Vgl. den Stadtplan bei EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 248, Abb. 1 (F). Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 350, Abb. 58.2; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 250 u. 253, Abb. 5. PESCE, Tempio d’Iside, S. 13–15 u. 62–64; Abb. 3–4; Taf. 4 (Sockelprofil); GOLVIN, Temple No 8, S. 228. PESCE, Tempio d’Iside, S. 62–63.

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Stadtviertel ist, welches erst im 2. Jh. entwickelt wurde.701 Desweiteren wurde beim Podium ein Fragment eines dorischen Kapitells gefunden, was vielleicht auf eine den Tempel umgebende Portikus hindeutet.702 Wahrscheinlich gehörten auch zwei parallel angelegte Zisternen unter dem Podium des späteren Tempels (s. u.) bereits zu der älteren Phase, ebenso wie der Brunnenschacht in der SW-Ecke des Temenos, neben dem später ein Altar und ein Bassin errichtet wurden.703 Nachträglich wurde entlang der Südseite des alten Podiums eine Mauer aus isodomen Quadern errichtet, deren Westfront verputzt ist, wohingegen die Ostfassade aber roh belassen wurde.704 Phase II: Der rechteckige Bezirk des zweiten, großen Heiligtums, über dessen Datierung noch zu sprechen sein wird, war von einer hohen, mit Pilastern gegliederten Umfassungsmauer umgeben, auf deren Ostseite monumentale Propyläen den Haupteingang bildeten.705 Dabei handelte es sich um eine breite Halle mit zwei Reihen von korinthischen Säulen, von denen die erste aus 14 Säulen mit gleichmäßigen Interkolumnien bestand, die zweite hingegen aus acht Säulen, die drei – wohl mit Durchgängen in der dahinter liegenden Portikus korrespondierende – Lücken von je drei Jochen aussparten.706 Zu dem Tor führt von außen eine breite siebenstufige Treppe, welche von zwei rechteckigen Strukturen an den Ecken der Front eingerahmt ist;707 da vom Aufgehenden nichts erhalten ist, stellt sich die Frage, ob es sich vielleicht um Exedren nach Art des Raumes I auf der Westseite handelte.708 Desweiteren befinden sich zwei kleine, mit Pilastern dekorierte Nebeneingänge in der südlichen Temenosmauer und verbinden das Heiligtum mit dem daneben gelegenen Areal, welches einen betonierten Boden sowie einen starken Niveau-Unterschied aufweist.709 Handelte es sich um ein weiteres Gebäude? Zumindest ist es auffällig, daß der Tempelbezirk so stark nach außen geöffnet ist. In seinem Inneren ist er durch eine Quadriportikus mit ca. 15 x 20 korinthischen Säulen gegliedert, die mit vier Stufen vom niedrigeren Hofniveau abgesetzt ist und einen mit opus signinum belegten Fußboden besitzt.710 Wände und Säulen wurden aus lokalem Stein geringer Qualität errichtet, der daher überall verputzt wurde. Die attischen Säulenbasen bestehen aus einem doppelten breiten Torus und weisen keine Plinthe auf.711 Auf der dem Hauptportal zugewandten Ostseite der Portikus waren die Stufen von drei Sockelpaaren unterbrochen (davon zwei erhalten), die mit den drei Durchgängen im Portal korrespondier701 Vgl. BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 274; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 256; ID., Templa cum Porticibus, S. 137. 702 PESCE, Tempio d’Iside, S. 64. 703 PESCE, Tempio d’Iside, S. 63–64. 704 PESCE, Tempio d’Iside, S. 15. 705 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 6. 706 Die Säulenbasen sind teilweise noch in situ. Vgl. BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 61; GOLVIN, Temple No 8, S. 228, und den rekonstruierten Plan S. 237, Abb. 1. KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 348, spricht fälschlich von 13 Säulen. 707 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 7 (südliche Struktur). 708 GOLVIN, Temple No 8, S. 226 u. 228; BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 61: Exedren in den Tortürmen. KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 54 u. 348: „pylonartige Strukturen“. 709 GOLVIN, Temple No 8, S. 227; PESCE, Tempio d’Iside, S. 21. 710 KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 348; GOLVIN, Temple No 8, S. 226–227. 711 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 14; und die Zeichnung der Architekturordnung bei GOLVIN, Temple No 8, S. 238, Abb. 2b.

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ten. Hinter der westlichen Portikus schließt sich eine Reihe von acht Räumen (s. u.) direkt an die rückwärtige Temenosmauer an. Der eigentliche Tempel erhebt sich im hinteren Teil des von der Portikus umgebenen Hofes auf einem Podium. Die starken Podiumsmauern und Reste (nicht in situ) von weiteren korinthischen Säulen zeigen, daß es sich um einen Peripteros nach griechischem Vorbild gehandelt haben dürfte, wenngleich dies eine in Nordafrika eher ungewöhnliche Bauform darstellt.712 Eine tetrastyle Front, wie sie bisher meist angenommen wurde,713 ist jedoch aufgrund der Maße sehr unwahrscheinlich; GOLVIN ergänzt daher realistischer sechs Säulen an den Schmalseiten gegenüber jeweils acht an den Langseiten.714 In die Mitte der Podiumstreppe wurde nachträglich ein achteckiger Altar eingefügt, der von Ascheresten umgeben war.715 Von besonderem Interesse ist allerdings die Innengestaltung des hohlen Podiumsockels: In der Mitte der Rückseite befand sich ursprünglich eine Tür, die Zugang zu einem u-förmigen Gang im Inneren gewährt, welcher entlang der Cella-Außenwände verläuft.716 Genau unterhalb der Cella befinden sich zwei rechteckige überwölbte Räume, die einzeln über den Westkorridor zu erreichen sind; in der Südkammer sind außerdem an der Westwand Reste einer Treppe erhalten, die eine zusätzliche Direktverbindung zur Cella hergestellt haben muß.717 Außerdem ist der Raum verputzt und der Boden mit cocciopesto und tesserae aus weißem Marmor bedeckt. Die Nordkammer und der Korridor weisen dagegen keine besondere Ausstattung auf. Aufgrund der nach oben führenden Treppe des Südraumes ist es wahrscheinlich, daß unmittelbar darüber an der Cellarückwand ein breites Kultbildpodium stand, in welchem sich der Zugang zu der Krypta befand.718 Begehbare Tempelpodien sind keine Seltenheit bei römischen Tempeln;719 ungewöhnlich ist jedoch die direkte Verbindung zur Cella,720 die womöglich auf bestimmte kultische Bedürfnisse schließen läßt. Aufgrund der Zweiteilung der Krypta wird teilweise davon ausgegangen,

712 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, S. 44; Taf. 10 (Kapitell u. Gebälk); vgl. BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 61; GOLVIN, Temple No 8, S. 229. Zu weiteren Beispielen für diese Bauform in Nordafrika siehe EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 251, Anm. 21. 713 BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 61; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 251; KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 348. 714 GOLVIN, Temple No 8, S. 229. 715 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, S. 41 m. Skizze S. 40; GOLVIN, Temple No 8, S. 228. 716 Vgl. hierzu den rekonstruierten Plan bei GOLVIN, Temple No 8, S. 237, Abb. 1, in den auch die Gänge und Räume im Podium eingezeichnet sind (gestrichelt); und die Rekonstruktionszeichnung der Podiumrückseite bei PESCE, Tempio d’Iside, Taf. 9. 717 Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 228–229; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 252; ID., Funktion römischer Tempel, S. 1215; WILD, Water, S. 202–203; PESCE, Tempio d’Iside, S. 42; Abb. 21 u. 25. 718 Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 229; WILD, Water, S. 202–203. 719 Siehe z. B. TRUNK, Römische Tempel, S. 32; vgl. EINGARTNER, Funktion römischer Tempel, S. 1212. 720 Vgl. EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 252. Mögliche Parallelbefunde weisen evtl. die Tempel des Liber Pater und des Hoter Miskar in Mactaris auf, vgl. BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 238; G.-CH. PICARD, Civitas Mactaritana, Karthago 8, Paris 1957, S. 50–52, m. Abb. 3; S. 58–59. Zu Parallelen im syrischen Raum, bei denen Kammern unter der Cella wiederum nur vom Allerheiligsten aus betretbar waren, siehe EINGARTNER, Funktion römischer Tempel, S. 1215; KLEIBL, Iseion, S. 84.

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daß auch die Cella geteilt gewesen sein könnte;721 dies ist jedoch eine unzulässige Schlußfolgerung, da die Unterteilung eines solchen Podiumhohlraumes in zwei Kammern aufgrund der Tonnengewölbe auch bereits rein konstruktionstechnische Ursachen hat.722 Auch unter dem Pronaos und der Freitreppe des Tempels befinden sich unterirdische Anlagen im Podium, bei denen es sich jedoch nun um Zisternen handelt, die durch eine Zuleitung von der Südseite des Hofes mit Regenwasser gespeist wurden.723 Ein überwölbter Gang, der die Treppe im hinteren Bereich unter den höchsten Stufen durchquert, erlaubt in seiner Mitte, und damit in der Achse des Tempels, den Zugriff auf die Zisternen, ebenso wie eine weitere (evtl. spätere?)724 Öffnung im Boden südlich der Treppe. Die Zisternen selbst sind aus der Achse des Tempels nach Süden verschoben und müssen auch aufgrund ihrer Bauweise wohl bereits der älteren Phase des Heiligtums zugerechnet werden (s. o.).725 Auch unter der östlichen Portikus, im Norden des Propylons, wurde noch eine kleine Zisterne angelegt.726 An der Westseite des Hofes befindet sich in der Nord- und Südecke je ein aufgemauertes großes Wasserbecken (allerdings von unterschiedlichen Ausdehnungen), gespeist von je einem anschließenden Brunnenschacht im Boden.727 Aufgrund ihrer relativ rohen Fertigungsweise hält PESCE diese Bassins für spätere Einbauten, die jedoch noch in die Zeit der religiösen Nutzung des Tempelareals gehören.728 Das größere Becken in der Nordecke ist wahrscheinlich früher als das südliche entstanden;729 da der südliche Brunnenschacht jedoch bereits aus der ersten Phase des Heiligtums stammt (s. o.), ist damit zu rechnen, daß die Bassins ältere ähnliche Einrichtungen ersetzen. Vor der Tempelfront ist auf dem Boden des Hofes eine große rechteckige Fläche durch niedrige gerillte Schwellen abgegrenzt, die wahrscheinlich eine Umzäunung bzw. Schranken o. ä. getragen haben.730 An das vordere Ende der südlichen Podiumsmauer schließt außerdem eine Steinplattform an, die sich von dem Estrichboden des übrigen Hofes abhebt und direkt vor der Öffnung zur unterirdischen Zisterne plaziert ist.731 EINGARTNER interpretiert die Plattform im Vergleich mit ähnlichen Konstruktionen in anderen nordafrikanischen Heiligtümern offizieller Kulte als Schlachtplatz, zumal derartige Befunde teilweise im Zusammenhang mit Hinweisen auf zu rekonstruierende Tiergehege stehen und mit dem

721 So BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 61 („sans doute bipartite“); KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 348. 722 Siehe dazu TRUNK, Römische Tempel, S. 32. 723 Vgl. zu den Wasseranlagen WILD, Water, S. 48–49, mit dem Plan Abb. 19; BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 59; PESCE, Tempio d’Iside, S. 63. 724 Siehe WILD, Water, S. 49. 725 Vgl. PESCE, Tempio d’Iside, S. 63; GOLVIN, Temple No 8, S. 229. 726 PESCE, Tempio d’Iside, S. 32; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 61; KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 349. Diese Zisterne ist in dem Plan mit den Wassereinrichtungen von WILD, Water, S. 48, Abb. 19, nicht eingezeichnet. 727 Vgl. PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 17 u. 23, und den Plan Taf. 1; GOLVIN, Temple No 8, S. 254. 728 PESCE, Tempio d’Iside, S. 33. 729 Vgl. WILD, Water, S. 135–136. 730 PESCE, Tempio d’Iside, S. 34, vgl. Abb. 20 u. den Plan Taf. 1 (gestrichelte Linie). 731 PESCE, Tempio d’Iside, S. 34; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 254.

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Wasser aus nahe gelegenen Zisternen, wie hier in Sabratha, gereinigt werden konnten.732 Eine weitere, kleinere Plattform befindet sich auf derselben Achse östlich von der ersten, und trug den Maßen nach einen Altar (oder den Statuensockel einer Dedikation?), von dessen Basis Teile mit Pilastern aufgefunden wurden.733 Die acht Räume, die sich hinter der westlichen Portikus anreihen, sind unterschiedlich gestaltet:734 Raum I ist eine offene, fast quadratische Exedra ohne Tür, deren Boden mit opus signinum ausgelegt ist. Die breite Eingangsfront war möglicherweise mit einem Bogen überwölbt.735 Raum II weist ebenfalls einen opus signinum-Boden auf, besaß aber eine Tür.736 An der Rückwand befindet sich ein hohes Kultbildpodium samt Plinthe und Zierleiste737 und mit einer Statuennische darüber. Eine Seitentür mit Treppe verbindet das Podium mit dem anschließenden Raum III. Das Mittelstück eines mit vegetabilen Motiven in Stuck dekorierten Tympanon, das in der Nähe aufgefunden wurde, gehörte wahrscheinlich zum Eingang dieser Kapelle.738 In der SW-Ecke des Hofes korrespondiert zudem ein Altar mit der Raumachse und ist ihr daher vielleicht funktionell zuzuordnen.739 Der Altar besteht aus zwei Teilen, die chronologisch zu differenzieren sind: Das Vorderteil ist älter, besitzt einen Sockel und eine abschließende Zierleiste und war mit Stuck verkleidet. Später baute man auf der Rückseite einen weiteren Altarblock an, der auf eine kleine Estrichplattform über den ersten drei Stufen der Portikus aufgestellt und ebenfalls stuckiert wurde. Auf der Südseite verschafft ein Felsblock mit eingehauenen Stufen Zutritt zur Altaroberfläche. Raum III besitzt einen Estrichboden und konnte ebenfalls mit einer Tür verschlossen werden. An der Rückwand erhebt sich eine Statuenbasis. Raum IV weist mit einem Mosaikboden und marmorverkleideten Wänden eine besonders üppige Ausstattung auf. Das Mosaik zeigt geometrische Schwarz-Weiß-Muster und ist von einer Machart, die zumindest vor das 2. Jh. n. Chr. zu datieren ist.740 Eine Statuenbasis und eine Tür kennzeichnen auch diese Kammer als verschließbare Kapelle. Raum V hebt sich durch seine Größe und langrechteckige Form deutlich von den kleineren, mehr oder weniger quadratischen Kammern ab. Der Boden ist mit Estrich versehen. In der Südhälfte befindet sich an der Rückwand, direkt gegenüber dem verschließbaren Eingang, ein niedriger Rundaltar mit zentralem Bothros.741 Darin wurden Knochensplit732 EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 254–255, m. Abb. 6, die eine Rekonstruktion einer solchen Einrichtung im Liber Pater-Heiligtum von Sabratha zeigt. BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 61, bezeichnet die Plattform hingegen als Fundament eines Altares oder ex-votos. 733 PESCE, Tempio d’Iside, S. 38 t); Taf. 6 B. 734 Siehe zu Architektur und Innenausstattung der Räume PESCE, Tempio d’Iside, S. 23–28; KLEIBL, Iseion, Kat. 58, S. 348–349; GOLVIN, Temple No 8, S. 226–227. 735 So GOLVIN, Temple No 8, S. 226. 736 Bei den einzelnen Räumen sind noch Reste der Türvorrichtungen, wie Schwellen und Pfosten, teilweise erhalten, vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 227. 737 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 9; Taf. 6 A. 738 PESCE, Tempio d’Iside, S. 38 o), Taf. 8. 739 Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 227; PESCE, Tempio d’Iside, S. 30–31; Abb. 16. 740 Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 227, der das Mosaik allerdings fälschlich dem Raum III zuordnet; PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 10. 741 PESCE, Tempio d’Iside, S. 25–26; Abb. 11–12.

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ter von Nutztieren (Rinder und Schweine, evtl. Ziegen) gefunden, die von den Opferriten zeugen.742 In späterer Zeit teilten weitere, rechteckige Mauern diese SW-Ecke des Raumes nochmals ab, und ein Durchgang in der westlichen Umfassungsmauer (= Rückwand d. Raumes) gewährte einen zusätzlichen Zugang von außen. In der Nordhälfte der Kammer erhebt sich an der Westwand eine Statuenbasis mit einem kleinen Altar davor. Raum VI ist nur ein schmaler Korridor mit Estrichboden, der an seinem hinteren Ende in den benachbarten Raumkomplex VII–VIII überleitet. Er besaß ebenfalls eine Tür zur Portikus hin. Raum VII hat keinen eigenen Eingang von der Portikus aus, sondern wird nur über den Korridor VI erreicht. Er weist ebenfalls einen Estrichboden auf, und ist über einen Durchgang am hinteren Ende der Nordwand mit Raum VIII verbunden. Auch Raum VIII hat keinen weiteren Eingang von außen und ist mit einem Estrichboden versehen. Aufgrund der Statuenbasen bzw. Kultbildpodien sowie des Bothros sind die Räume II– V klar als Sanktuare oder Kapellen zu identifizieren. Der Raumkomplex VI–VIII hingegen dürfte durch seinen andersartigen Aufbau und das Fehlen von kultischer Ausstattung (Statuenbasen, Altäre) eine andere Funktion gehabt haben.743 In der Spätantike errichtete man im östlichen Teil des Bezirks einen Verteidigungswall, womit die sakrale Nutzung wahrscheinlich eingestellt worden war.744 Wahrscheinlich wurde auch dieses Heiligtum bereits vorher durch das Erdbeben von 365 n. Chr. zerstört.745 Funde und Ausstattung Der Komplex war alles in allem recht aufwendig ausgestattet; allein die Größe, die monumentalen Propyläen, die große Säulenanzahl im Inneren und die exponierte Lage zur See hin dürften bereits eine auffällige Wirkung nach außen, und insbesondere zum Meer hin für sich nähernde Schiffe, gehabt haben. Im Inneren verfügt der Heiligtumsbezirk über mehrere unterschiedliche Wasserinstallationen sowie über mehrere Altäre und/oder Opferstätten (s. o.). Die Fußböden von Portikus und Nebenkapellen waren zumindest teilweise mit opus signinum oder Mosaiken belegt, in Raum IV finden sich sogar Wandverkleidungen aus Marmor. Es dürfte sich also in seiner Blütezeit um ein bedeutendes und relativ reiches Heiligtum gehandelt haben. Unter den Einzelfunden sind besonders zwei große Skulpturen, die in den Hohlräumen unter der Cella zutage kamen, von Bedeutung, da es sich möglicherweise um die Kultbilder handelte:746 Aus der nördlichen Kammer stammt das Unterteil einer leicht überlebensgroßen Isis-Statue aus parischem Marmor, die mit Chiton und Diplax bekleidet ist und eine

742 Siehe PESCE, Tempio d’Iside, S. 59, Nr. 150). 743 GOLVIN, Temple No 8, S. 228, deutet sie als funktionale Räume für das Tempelpersonal oder die Anhänger, ebenso DARDAINE ET AL., Belo VIII, S. 211–213, die außerdem die Exedra I als Küche interpretieren. 744 Vgl. BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 63; PESCE, Tempio d’Iside, Abb. 8, ganz rechts im Bild. 745 Vgl. den Sarapistempel am Forum, Kap. 7.2.2.2.1. 746 Vgl. L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 231.

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(noch am Bein erhaltene) Situla in der herabhängenden linken Hand trägt.747 Anhand des Gewandstils mit harten, schematischen Faltengraten dürfte sie an den Beginn des 3. Jhs. n. Chr. datieren. Teilweise wurde diese Statue aufgrund der nahen Fundlage mit einem Inschriftenfragment verbunden, das chronologisch zudem übereinstimmen soll.748 Die Reste der Marmorplatte mit der Weihung ISIDI SAC(RUM) […] LIA […] CA […] wurden in der Schuttschicht im südlichen Podiumsraum aufgefunden.749 Die Inschrift könnte allerdings ebenso zu einer anderen Dedikation gehört haben. In der Südkrypta lagen außerdem Fragmente einer ebenfalls leicht überlebensgroßen Marmorstatue des thronenden Sarapis.750 Aufgrund der übereinstimmenden Größe, chronologischen Einordnung (Ende 2. – Anfang 3. Jh.) und Materialart (parischer Marmor) sowie des Fundkontextes handelt es sich möglicherweise um zusammengehörige Kultstatuen, die als Paar aufgestellt worden waren. Neben diesen kolossalen Stücken wurden aber außerdem noch mehrere kleinformatige Skulpturen im Bereich der Cella bzw. der Krypta gefunden. Auf der obersten Stufe der Treppe, die in die Südkammer hinabführt, lag eine Marmorstatuette der Isis, die kein spezielles Isisgewand trägt, sondern einfach mit einem unter den Brüsten gegürteten Chiton und einem Himation bekleidet ist, dessen eines Ende über die linke Schulter herabfällt, während das andere Ende um die Hüften gelegt und über den linken Arm geworfen ist.751 Sie trägt eine Mittelscheitelfrisur mit zwei in den Nacken herabfallenden Strähnen, die nur leicht gewellt sind. Auf dem Kopf ist noch eine Sonnenscheibe erhalten, die sie als Isis identifiziert, jedoch ist nicht klar, ob ursprünglich weitere Elemente dazugehörten; zumindest die üblichen Kuhhörner bzw. die Mondsichel des Basileions kann hier nicht vorhanden gewesen sein, da es sich ja unter der Sonnenscheibe befinden müßte. Die Gestaltung der Augen und des übrigen Gesichtes weisen ähnlich wie bei den angenommenen (Haupt-)Kultstatuen bereits in das 3. Jh. n. Chr. Die Marmoroberfläche wurde nicht poliert, was dem Stück ein etwas rauhes Erscheinungsbild verleiht. Aus dem Nordraum stammen Fragmente eines lebensgroßen Kuhkopfes aus Stuck mit roten Farbresten, der möglicherweise mit einer theriomorphen Darstellung der Isis(-Hathor) – oder aber eventuell mit Apis? – in Verbindung zu bringen ist.752 In der Füllschicht dieser Kammer lag außerdem ein Fragment eines kleinen Harpokrates-Kopfes, ebenfalls aus Marmor.753 Der jugendliche Gott ist an den Spuren des an den Mund gelegten Fingers zu identifizieren, welche dieser auf Lippen und Kinn hinterlassen hat. Stilistisch ist das Stück in das 1. Jh. n. Chr. zu datieren.754 Auffällig ist, daß der obere Teil der Kalotte nicht abgebrochen ist, sondern glatt abgesägt wurde, wie an der Oberfläche erkennbar ist. Es handelte sich also um einen intentionellen Vorgang, der die Statue vielleicht rituell „entmachten“ sollte, wenngleich es 747 PESCE, Tempio d’Iside, S. 49–50, Nr. 21); Abb. 28; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 67, S. 44 u. 133; Taf. 45. 748 PESCE, Tempio d’Iside, S. 48 u. 50 (nur Vermutung); EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 44. 749 RICIS 702/0201 (vgl. RICIS Suppl. III); PESCE, Tempio d’Iside, S. 48, Nr. 5); Taf. 12. 750 PESCE, Tempio d’Iside, S. 49, Nr. 19), Skizze S. 46 (Gesichtsfragment). 751 PESCE, Tempio d’Iside, S. 50, Nr. 22); Abb. 29. 752 PESCE, Tempio d’Iside, S. 55, Nr. 61). 753 PESCE, Tempio d’Iside, S. 50–51, Nr. 23); Abb. 30; TRAN TAM TINH/B. JAEGE/S. POULIN, „Harpokrates“, Nr. 4. 754 Vgl. BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 63; TRAN TAM TINH/B. JAEGE/S. POULIN, „Harpokrates“, Nr. 4; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 226.

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verwundert, daß die übrigen Skulpturen keine Zeichen solcher Eingriffe aufweisen. Offenbar wurden den ägyptischen Göttern auch klassische Gottheiten zur Seite gestellt: Ganz in der Nähe des Harpokrateskopfes wurde ein kleiner Kopf des Herakles aufgefunden.755 Weitere Statuenfragmente sind zu unspezifisch, um sie konkret zuordnen zu können: Aus dem Nordraum stammen eine linke weibliche Hand, ein Oberkopf eines Eroten oder Harpokrates (aber nicht zu dem oben beschriebenen gehörig), aus dem Südraum Haarfragmente eines weiblichen Kopfes aus dem 3. Jh.756 Der Fundlage nach könnten die Statuen bei der Zerstörung der Gewölbe von der Cella in die Krypten hinabgestürzt sein.757 Auf einem breiten Kultbildpodium, wie es aufgrund des Zugangs zur Krypta anzunehmen ist (s. o.), dürften mehrere Götterbilder aufgestellt gewesen sein.758 Weitere Skulpturenfragmente wurden verstreut innerhalb des Temenos entdeckt. Aus dem Brunnenschacht neben dem Altar in der SW-Ecke stammt ein kleiner Marmorkopf einer sorgfältig gearbeiteten Aphrodite Anadyomene.759 Gerade dieser Aphrodite-Typus wurde in der Kaiserzeit häufig auch mit Isis(-Hathor) in Verbindung gebracht.760 In der NWEcke des Temenos kam ein marmorner Sperberkopf mit abgebrochenem Schnabel zutage,761 der wohl auf die Verehrung von Horus verweist. Die rechte Seite ist detaillierter gearbeitet als die linke, so daß eine entsprechende einseitige Aufstellung zu rekonstruieren ist. In den Nebenräumen an der westlichen Temenosmauer selbst wurden kaum Reste von Bildnissen gefunden. Nur in der Kapelle IV lagen kleinere Fragmente einer lebensgroßen, nicht mehr zu rekonstruierenden Marmorstatue vor der Kultbildbasis.762 Besonders interessant ist in dieser Kapelle jedoch der Fund einer Art Terrakottakrone, die von PESCE als Gefäß in Form eines Kalathos bezeichnet wird.763 Erhalten ist ein breiter Reif, der in einem durchbrochenen geometrischen Muster mit einander jeweils mittig schneidenden Kreisen verziert ist, wobei an jeder Schnittstelle eine kleine Rosette aufsitzt. Darauf befindet sich ein größerer Kreis, der einen achtzackigen Stern enthält. Seitlich anschließende Bruchstücke zeigen an, daß sich in dieser Zone noch weitere Elemente befunden haben. PESCE deutet das ungewöhnliche Stück als rituell verwendbaren Kalathos, der wohl als Votiv im Heiligtum deponiert wurde. Das Bruchstück läßt sich m. E. allerdings nur schwerlich mit einem Kalathos, wie er von Sarapis-Darstellungen her in vielfacher Ausführung bekannt ist, zusammenbringen. Eventuell besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu breiteren Typen der Reifen mit aufgesetztem Stern in einem Kreis, welche sich an kaiserzeitlichen Porträts von Sarapispriestern finden.764 Bei dieser Deutung stellen die acht Zacken des Sterns allerdings ein Problem dar, da der Sarapis-Stern üblicherweise nur sieben Zacken besitzt. Außerdem blie755 756 757 758 759 760 761 762 763 764

PESCE, Tempio d’Iside, S. 51, Nr. 24). PESCE, Tempio d’Iside, S. 52, Nr. 27); Nr. 31); Nr. 30). Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 236; WILD, Water, S. 203. Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 230 u. 235–236. Tatsächlich war der Nordraum mit soviel Schutt gefüllt, daß es sich um die Reste einer solchen Plattform handeln könnte, vgl. WILD, Water, S. 203–204. PESCE, Tempio d’Iside, S. 52, Nr. 28), ohne Abb. Siehe dazu oben, Kap. 6.5.2.2 zu Liebeszauber und magischen Gemmen; vgl. auch QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 403. PESCE, Tempio d’Iside, S. 52, Nr. 29); Skizze S. 62. PESCE, Tempio d’Iside, S. 52, Nr. 32). PESCE, Tempio d’Iside, S. 53, Nr. 43); Abb. 34. Siehe H. R. GOETTE, Kaiserzeitliche Bildnisse von Sarapis-Priestern, in: MDAIK 45, 1989, S. 173– 186, bes. S. 179 u. Taf. 18 u. 20b.

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be das abgebrochene weitere Element daneben zu erklären. Die Interpretation des Stückes bleibt also aus Mangel an konkreten Parallelen bis auf weiteres im Dunkeln; es scheint sich aber um eine Bekrönung (eines Kultbildes?) irgendeiner Art zu handeln. Hierzu wären Inschriften mit der Dedikation vergleichbarer Objekte (Kronen, Kränze) aus anderen Isis- und Sarapisheiligtümern zu vergleichen.765 Eine kopflose Männerbüste des 3. Jhs. n. Chr. mit einem schräg über die ansonsten nackte Brust verlaufenden Mantel mit schwarzen Farbspuren, dessen Ende vorne über die linke Schulter lang herabhängt, könnte einen Priester, möglicherweise aus der Gruppe der Melanephoroi, darstellen.766 Auf der linken Halsseite und Schulter befinden sich Reste von Haaren, die PESCE als Horuslocke deutet,767 was jedoch sehr unsicher ist, zumal Parallelen für erwachsene Männer bzw. Priester aus dieser Zeit m. W. fehlen. Falls die Interpretation von BASLEZ zutrifft, daß die Rolle der Melanephoren mit der Trauer um den verstorbenen Osiris und dem Isia-Fest mit der Inventio Osiridis768 in Zusammenhang steht, könnte die Jugendlocke die männlichen Mitglieder dieser Gruppe passenderweise als Stellvertreter des für seinen Vater den Totenkult vollziehenden Sohnes Horus ausweisen. Die Büste ist sehr flach gearbeitet und die Rückseite unbearbeitet belassen, was auf eine Aufstellung in einer Nische o. ä. hindeutet. Aufgefunden wurde sie im NW-Bereich des Temenos, evtl. in oder nahe bei Raum VIII. Auf dem Gelände verstreut fanden sich diverse Keramikfragmente, besonders Terra Sigillata. Darunter befindet sich ein Fragment, das einen Pygmäen zusammen mit einem Krokodil zeigt769 – typische Elemente von Nillandschaften.770 Unter den erhaltenen Terrakottalampen, die vor allem in den Kapellen III und IV gefunden wurden, weisen drei eine Dekoration im Zusammenhang mit den ägyptischen Göttern auf: eine ist am Griff mit einem kronenartigen Emblem bestehend aus Uräus, Ähre, Feder und Hörnern verziert und stammt aus Kapelle III,771 zwei zeigen Sarapisbüsten mit Kalathos und Szepter.772 Abgesehen von den bereits erwähnten Knochenresten im Bothros von Kapelle V befanden sich solche auch in versteinerter Asche in den beiden Brunnenschächten im westlichen Hof, sowie in dem südwestlichen Becken.773 Es handelt sich um Rinder-, Schweine- und 765 Z. B. in Delos: RICIS 202/0428; Nemi: 503/0301, siehe Kap. 7.3.2.6. 766 PESCE, Tempio d’Iside, S. 51–52, Nr. 25); Abb. 31. Vgl. BASLEZ, Mélanéphores, bes. S. 301 speziell zur Skulptur aus Sabratha; zu Melanephoren auch VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 72–74; MALAISE, Conditions, S. 148–149; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 289–291; zu weiblichen Melanephoren EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 73–82 u. 87–89. 767 PESCE, Tempio d’Iside, S. 51. 768 Zu diesem Fest siehe z. B. DUNAND, Culte d’Isis III, S. 230–238; KLEIBL, Iseion, S. 140–141; PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 94–100. Vgl. auch Kap. 6.1.2.2 zum Isia-Fest in Ägypten, und Kap. 7.3, passim, zu Italien. 769 PESCE, Tempio d’Iside, S. 53, Nr. 42). 770 Siehe dazu F. FOUCHER, Les mosaïques nilothiques africaines, in: Actes du Colloque International sur La Mosaïque gréco-romaine 1, Paris 1965, S. 137–141, bes. 138–139; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, bes. S. 265 u. 275–277; M. J. VERSLUYS/P. G. P. MEYBOOM, Les scènes dites nilotiques et les cultes isiaques. Une interpretation contextuelle, in: Bricault (Hrsg.), De Memphis à Rome, S. 111–127. 771 PESCE, Tempio d’Iside, S. 54, Nr. 49). 772 JOLY, Lucerne, S. 76–77 u. 107, Nr. 79–80; Taf. 8; PODVIN, Luminaire, S. 61 u. 158. Die genaue Fundlage wird nicht genannt. 773 PESCE, Tempio d’Iside, S. 59, Nr. 150.

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Hühnerknochen, die wahrscheinlich von den Opfern stammen, die auf dem daneben stehenden Altar verbrannt wurden, und deren Überreste später heruntergefegt wurden. Ungewöhnlich ist der Fund eines auffällig gut erhaltenen Schädels eines Magot- oder Berberaffen (Macacus inuus oder Inuus ecaudatus) im Bereich der Propyläen.774 Bedeutet dies aber, daß im Tempelbezirk Affen nach ägyptischer Sitte als heilige Tiere gehalten wurden, wie PESCE annimmt? Man müßte dann als heimischen Ersatz für den ägyptischen Pavian, das heilige Tier des Thoth, den lokal häufig vorkommenden Makaken bewußt ausgewählt haben. Dem ursprünglichen Ausgräber PEREZ zufolge soll der Schädel aufgrund seiner Fundlage jedenfalls intentionell deponiert worden sein, möglicherweise als Gründungsopfer.775 Hierbei muß jedoch nicht notwendigerweise ein Bezug zu ägyptischer Tierverehrung zugrunde liegen, sondern es könnte sich auch um einen lokalen Brauch handeln. Mehrere in die spätantike Mauer verbaute große Inschriftenfragmente aus Sandstein wurden teilweise als Dedikationsinschrift des Tempels interpretiert.776 Die Vorderseite ist mit einer weißen Stuckschicht überzogen, und die Buchstaben sind hoch genug, um sich die Inschrift an prominenter Stelle eines größeren Monuments vorzustellen. Mit Sicherheit sagen läßt sich, daß die erhaltenen Stücke Vespasian und seine Söhne sowie den auch aus anderen Quellen bekannten Prokonsul C. Paccius Africanus nennen, und daß die Inschrift aus dem Jahr 77–78 datiert. DI VITA-EVRARD ergänzt die erhaltenen Teile hypothetisch zu einer Weihung des Tempels durch den Prokonsul.777 Diese Interpretation ist in der jüngeren Forschung stark umstritten: – BENARIO und im Anschluß VIDMAN, WILD und BRICAULT sprechen sich gegen eine Zugehörigkeit der Fragmente zum Tempel aus und ordnen sie einem (hypothetischen, nicht bekannten) Ehrenbogen zu, da der Text eher den Charakter einer Ehrenweihung für Vespasian habe.778 – GOLVIN räumt ein, daß die Zuordnung unsicher ist, weist jedoch zu Recht darauf hin, daß im direkten Umkreis des Tempels kein weiteres wichtiges Gebäude, geschweige denn ein Ehrenbogen, stand und es daher wahrscheinlicher sei, daß die im Bezirk gefundenen Blöcke auch tatsächlich von dort stammen.779 Interpretation Die genannte umstrittene Inschrift wurde lange als Hauptkriterium in der Frage um die Datierung des Heiligtums (in der 2. Bauphase) angesehen, die von den Verfechtern dieser

774 PESCE, Tempio d’Iside, S. 58–59, Nr. 149). 775 Vgl. PESCE, Tempio d’Iside, S. 59, Anm. 2. 776 SIRIS 795 (vgl. RICIS, S. 755); PESCE, Tempio d’Iside, S. 46–47, Nr. 2a–b) u. 4), der sie an der Hauptseite des Tempelbaus lokalisiert; E. VERGARA CAFFARELLI, in: FA 12, 1957 (1959), S. 354, Nr. 5621; DI VITA-EVRARD, Dédicace, die sie den Fassaden, die die Propyläen rahmen, zuordnet; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 61–62. 777 Vgl. die Rekonstruktion der Inschrift bei DI VITA-EVRARD, Dédicace, S. 18. 778 H. W. BENARIO, C. Paccius Africanus et Sabratha, in: Epigraphica 28, 1966, S. 135–139 mit Rekonstruktion der Inschrift S. 137 (AE 1968, 551; 1971, 485); SIRIS 795; WILD, Isis-Sarapis Sanctuaries, S. 1817; RICIS, S. 755. 779 GOLVIN, Temple No 8, S. 232–233.

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These daher im Jahr 77–78 n. Chr. angesetzt wurde (s. o.).780 Die Kultstätte hätte somit weiterhin einen isolierten Platz an der Küste, außerhalb der Stadt, eingenommen, bis im 2. Jh. n. Chr. das Theaterviertel darum herum entstand. Dagegen datiert WILD, der die Inschrift nicht als Bauinschrift anerkennt, das Heiligtum nach den relativ späten Skulpturen erst in das 2.–3. Jh. n. Chr.781 Demnach gebe es auch keinerlei Anhaltspunkt, daß bereits der ältere Tempel, der zu dem teilweise erhaltenen Podium (s. o.) gehörte, den ägyptischen Göttern geweiht gewesen sei. Das Argument, daß es vor dem 2. Jh. keinen Beleg für deren Kult im Tempelbezirk gebe, wurde auch von BRICAULT vorgebracht,782 ist jedoch nicht ganz korrekt: Tatsächlich wird das Harpokrates-Köpfchen einhellig bereits in das 1. Jh. n. Chr. datiert,783 während sich einige weitere Stücke überhaupt nicht sicher chronologisch einordnen lassen (die Terrakottakrone, der Sperberkopf, der Kuhkopf). Die Skulpturen des 2./3. Jhs. sowie die Weihinschrift an Isis zeugen nur von der letzten Phase des Heiligtums mit den in dieser Zeit aktuell aufgestellten Dedikationen und Kultstatuen, doch ist die ursprüngliche Existenz von älteren Inschriften und Bildnissen, wie evtl. dem Harpokrateskopf, damit keineswegs ausgeschlossen.784 Zuletzt versuchte GOLVIN, unabhängig von der unsicheren Inschrift und den wenig aussagekräftigen Skulpturen, eine Datierung anhand der Architekturformen vorzunehmen.785 Besonders die Säulenbasen ohne Plinthe weisen auf eine Entstehung vor dem 2. Jh. n. Chr., ebenso wie das Mosaik in Kapelle IV (s. o.). Ein Neubau in flavischer Zeit wird außerdem historisch durch ein starkes Erdbeben unter Vespasian wahrscheinlich gemacht, da der ältere Tempel dabei wohl zerstört worden sein dürfte. Desweiteren ist es zumindest wahrscheinlich, daß ein solcher Neubau wiederum denselben Gottheiten geweiht wurde, denen schon das ältere Heiligtum gewidmet war,786 wenngleich für die ältere Zeit keinerlei konkrete Zeugnisse vorliegen – weder für die ägyptischen Götter noch für andere. Der früheste Beleg für die Verehrung des Isiskreises in diesem Bezirk ist der Harpokrates-Kopf (falls die Datierung stimmt); die späteren, besonders die monumentalen Bildnisse (= Kultbilder?) aus den Cella-Krypten sowie die Weihinschrift an Isis bestätigen, daß diese und wahrscheinlich Sarapis die Hauptgottheiten waren und gemeinsam mit Harpokrates und weiteren synnaoi theoi (evtl. Herakles, Aphrodite?) verehrt wurden, deren Kult wohl teilweise in den Kapellen stattfand. Das Heiligtum dürfte daher als Isis- und Sarapistempel oder Tempel des Isiskreises anzusprechen sein.787

780 PESCE, Tempio d’Iside, S. 64: flavisch; DI VITA-EVRARD, Dédicace, S. 18–19; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 62. 781 WILD, Water, S. 183; ID., Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1817–1818; gefolgt von P. HOFFMANN, IsisTempel, S. 192. 782 BRICAULT, Atlas, S. 78; ID., in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 230. 783 PESCE, Tempio d’Iside, S. 50–51, Nr. 23); TRAN TAM TINH/B. JAEGE/S. POULIN, „Harpokrates“, Nr. 4; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 63; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 226. 784 Vgl. auch GOLVIN, Temple No 8, S. 235. 785 GOLVIN, Temple No 8, S. 233–235. 786 Vgl. GOLVIN, Temple No 8, S. 234. 787 Vgl. z. B. L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 231; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 225–226; die frühere Bezeichnung als „Isistempel“ durch PESCE wird heute gemeinhin als zu eng gefaßt angesehen.

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Es ist m. E. nicht auszuschließen, daß an Stelle des Tempels am Forum788 der Vorgängerbau des Heiligtums am Meer mit dem auf den Münzen von 60–50 v. Chr. wahrscheinlich dargestellten Sarapistempel zu identifizieren sein könnte, zumal die Datierung der Podiumreste in späthellenistische Zeit789 dazu passen würde. 7.2.2.2.3 Der Kult der ägyptischen Götter in Sabratha im Spiegel der Heiligtümer und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Von Amuletten aus der punischen Nekropole abgesehen, zeugen als früheste Belege die Münzen von 60–50 v. Chr.790 von einem Kult des Sarapis in der Küstenstadt und legen nahe, daß zu dieser Zeit auch bereits ein Tempel für ihn bestand, der eventuell mit einer frühen Bauphase des Sarapeions am Forum (7.2.2.2.1) oder aber mit dem nachgewiesenen späthellenistischen Vorgängerbau des Heiligtums am Meer (7.2.2.2.2) zu identifizieren ist. Für Isis hingegen ist aus dieser frühen Phase zumindest kein Dokument bekannt. Die direkte Nähe des Sarapeions zum Kapitol sowie eine sehr ähnliche Münzemission aus der gleichen Zeit wie die oben genannte, die eine bärtige Gottheit, wahrscheinlich Zeus, und einen sechssäuligen Tempel zeigt,791 könnten auf eine lokale Verbindung zwischen Sarapis und Zeus(-Ammon?) hindeuten. Daß Sarapis hier außerdem auch als solare Gottheit verehrt wurde, spiegelt sich in einem der gefundenen Köpfe wider, der eine Strahlenkrone trägt. Zunehmend synkretistische Züge kennzeichnen die Ikonographie des Gottes weiterhin in einigen Bildnissen, die aus verschiedenen Bereichen der Stadt stammen und seine dortige Präsenz vor allem im späten 2. und im 3. Jh. n. Chr. belegen. Die Bronzeapplike eines in Chiton und Chlamys gekleideten, bärtigen Gottes mit Kalathos, Schläfenflügeln, Caduceus und einer vorgestreckten rechten Hand, die vielleicht ein weiteres Attribut hielt, verbindet Sarapis mit Merkur.792 Das Gleiche könnte für fünf fast identische Marmorskulpturen gelten, die im 3. Jh. ein Nymphäum in Regio VI schmückten.793 Durch ihre auffällige Frontalität und die ungewöhnliche aufrechte, geradezu säulenhafte Pose mit symmetrisch auf Höhe der Hüften vorgestreckten Unterarmen (abgebrochen) vermitteln sie einen archaischen Eindruck; im Vergleich mit der Applike läßt sich in der linken Hand evtl. ebenfalls ein Caduceus rekonstruieren.794 An den Schultern sind teilweise noch die Ansätze von Stützen erhalten, die zu den in den Händen gehaltenen Objekten gehört haben müssen. Auch Frisur (keine Stirnfransen, sondern Mittelscheitel) sowie zumindest bei einer der Skulpturen das 788 789 790 791

Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.1. Siehe oben; PESCE, Tempio d’Iside, S. 62–63. Siehe oben, Kap. 7.2.2.1. ALEXANDROPOULOS, Monnaies de l’Afrique, S. 269–270 u. 445, Nr. 38; Taf. 10; vgl. SNRIS, S. 230, Anm. 854. 792 G. CAPUTO, Sincretismo religioso, S. 121–122, m. Abb. 4; vgl. auch BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 88. 793 G. CAPUTO, Sincretismo religioso, S. 122–123, m. Abb. 5–6; TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 82 u. 263–265, Nr. VI 6–10; Taf. 112–115, Abb. 293–297; BONACASA/MISTRETTA, Tempio di Serapide, S. 88 u. 89, Abb. 6; vgl. auch KENRICK, Excavations at Sabratha, S. 115. G. GUIDI, I monumenti della Tripolitania romana, in: Africa Romana, Mailand 1935, S. 235–253: 245, bezeichnet sie fälschlich als „Sarapispriester“. 794 Vgl. G. CAPUTO, Sincretismo religioso, S. 122.

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Gewand mit auf der Brust gebauschter Chlamys795 stimmen mit der Applike überein. Bei den Stücken mit erhaltenem Kopf fehlen zwar Flügel an den Schläfen, statt dessen trägt die (kopflose) Statue mit der Chlamys aber offenbar Flügelschuhe,796 was die Deutung als Sarapis-Merkur unterstützt. Der gröbere Stil der Applike resultiert aus der Objektgattung, widerspricht jedoch nicht einer möglichen direkten Beeinflussung der Ikonographie. Auch mit Asklepios wurde Sarapis dem Zeugnis einer Statue mit Schlangenstab nach verbunden.797 Im Gegensatz zu diesem Befund aus dem Forumstempel und der Stadt scheint Sarapis im Heiligtum am Meer (7.2.2.2.2), das er sich mit Isis und Harpokrates teilte, den Resten des thronenden Kultbildes zufolge keine spezifisch synkretistische Form gehabt zu haben, sondern als Teil der ägyptisch-alexandrinischen Götterfamilie verehrt worden zu sein, für die es im Forumstempel keine (erhaltenen) Hinweise gibt. Freilich sind die nur durch PESCEs Beschreibung publizierten Fragmente nicht allzu aussagekräftig, doch deutet das Vorhandensein eines Thrones auf den verbreiteten Haupttypus des Sarapis(-Pluton) hin, der üblicherweise als Replik des überlieferten ursprünglichen alexandrinischen Kultbildes des Bryaxis angesehen wird.798 Auch die beiden im Tempelbezirk gefundenen Lampen zeigen eine „klassische“ Sarapisbüste im linken Profil mit Modius und Szepter ohne zusätzliche Attribute.799 Zwei weitere Exemplare desselben Typus wurden in Häusern gefunden,800 ebenso wie zwei Lampen des 3. Jhs. mit Sarapisbüste im rechten Profil (vgl. die Münzdarstellungen).801 Aus verschiedenen Bereichen der Stadt stammen insgesamt sechs Doppellampen, die von einer plastischen Sarapisbüste mit Kalathos getragen werden.802 Es fällt auf, daß synkretistische Ikonographien für Sarapis auf den Lampen ganz fehlen. Isis kristalliert sich im Gesamtbefund Sabrathas in erster Linie als Herrin des Tempels am Meer (7.2.2.2.2) heraus, für die dort zumindest die erhaltenen Zeugnisse vor denen ihres Partners Sarapis dominieren. Allerdings stammen die beiden Skulpturen sowie die Inschrift803 wohl erst aus dem 3. Jh. n. Chr. und weisen, wenn auch vielleicht nur aufgrund 795 TRAN TAM TINH, Sérapis debout, VI 10, Taf. 115, Abb. 297: Bei den übrigen Stücken scheint die Figur keine Chlamys über einem Chiton, sondern nur ein Kleidungsstück mit Arm- und Halsauschnitt zu tragen, das dennoch am Rücken mantelartig herabfällt; wahrscheinlich handelt es sich um eine vereinfachte Darstellungsweise. 796 Vgl. TRAN TAM TINH, Sérapis debout, VI 10, Taf. 115, Abb. 297. Die Flügelschuhe wurden bisher nicht erwähnt/erkannt. Bei den vier anderen Skulpturen sind die publizierten Fotos zu schlecht, um die Füße genau zu erkennen, sie werden aber von TRAN TAM TINH, op. cit., S. 263, VI 6, als nackt beschrieben. 797 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 781, S. 143; BARTOCCINI, Necropoli punica, Abb. 2. Vgl. die entsprechenden Darstellungen von Sarapis-Asklepios in Leptis Magna und Karthago, siehe unten, Kap. 7.2.2.3.2 und 7.2.3.2.2. 798 Vgl. HORNBOSTEL, Sarapis, S. 59–102; zu Problematik und Kritik dieser These und der Forschungsdiskussion siehe TRAN TAM TINH, Études iconographiques, S. 1713–1718; ID., Sérapis debout, S. 1–11; S. SCHMIDT, Serapis – Ein neuer Gott für die Griechen in Ägypten, in: Beck/Bol/Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, S. 291–304. 799 JOLY, Lucerne, S. 107, Nr. 79–80; Taf. 8. 800 JOLY, Lucerne, S. 107, Nr. 78 u. 81; Taf. 8; PODVIN, Luminaire, S. 158 u. 226. 801 JOLY, Lucerne, S. 151, Nr. 678–679; Taf. 25. 802 JOLY, Lucerne, S. 151, Nr. 850–855; Taf. 34; vgl. zu den Sarapislampen auch ibid., S. 76–77; und SNRIS, S. 231; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 226; PODVIN, Luminaire, S. 222. 803 RICIS 702/0201.

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ihrer schlechten Erhaltung, keine Besonderheiten, d. h. spezifische Beinamen oder, im Falle der Statuen, ikonographische Auffälligkeiten auf, falls nicht die einsame Sonnenscheibe auf dem Kopf der kleineren Figur tatsächlich bereits ihren vollständigen Kopfschmuck darstellt – dies wäre in einer ansonsten römischen Ikonographie, zumal dieser späten Epoche, wahrhaft ungewöhnlich. Bei den phönizisch-punischen ägyptisierenden Götterdarstellungen ist die reine Sonnenscheibe hingegen ein typisches Charakteristikum.804 Ob hier ein ikonographisches Überbleibsel dieser früheren Zeit vorliegt bzw. eine ältere Statue ersetzt wurde? Das vermutliche Kultbild aber trägt die in der Kaiserzeit verbreitete Situla (wahrscheinlich ursprünglich komplementiert durch ein Sistrum in der verlorenen rechten Hand) und das Diplax. Schwierig zu deuten ist durch den sehr fragmentarischen Zustand der Rinderkopf aus Stuck, der womöglich ebenfalls Isis(-Hathor) darstellt. Die roten Farbreste machen diese Deutung wohl wahrscheinlicher als diejenige als Apis-Stier, der zumindest traditionell üblicherweise mit tendenziell schwarz(-weiß)em Fell dargestellt wurde.805 So oder so verleiht die theriomorphe Darstellung dem Kult im Heiligtum am Meer einen stärker ägyptischen Charakter, worauf unten noch einzugehen sein wird. In dem Tempel am Forum (7.2.2.2.1) und dem übrigen Stadtgebiet fällt das weitgehende Fehlen von Zeugnissen für Isis ins Auge. Wenig aussagekräftige Ausnahmen sind vereinzelte Lampenfunde, auf welchen eine Büste der Göttin im rechten Profil mit Lotusblume auf dem Kopf,806 eine frontale Büste mit Knotenmantel und Korkenzieherlocken807 sowie eine frontale Büste mit fülligen Korkenzieherlocken und Basileion808 dargestellt ist. Letztere befindet sich auf dem Fragment einer Schiffslampe des 1. Jhs. n. Chr., einem Typus, der in Übereinstimmung mit der Küstenlage des Heiligtums auf Isis’ Funktion als Patronin der Seefahrt verweist.809 Neben Isis und Sarapis wurde im Heiligtum am Meer auch Harpokrates/Horus verehrt; der ihn darstellende Marmorkopf aus dem 1. Jh. n. Chr. stellt dort sogar den frühesten Beleg für den Kult der ägyptischen Götterfamilie dar. Ebenso wie Isis(-Hathor) ist Horus je804 Siehe oben, Kap. 7.1.2.A–B. 805 Einige ägyptische Denkmäler zeigen aber tatsächlich sowohl Apis- als auch Buchis- und MnevisStier in roter Farbe, siehe S. MORENZ, Rote Stiere. Unbeachtetes zu Buchis und Mnevis, in: O. Firchow (Hrsg.), Ägyptologische Studien, Hermann Grapow zum 70. Geburtstag gewidmet, Berlin 1955, S. 238–243. Eine weitere Möglichkeit wäre damit eine Interpretation als Mnevis, der ebenso wie Apis auch außerhalb Ägyptens bekannt ist, wie die Erwähnungen bei Diodor, I, 21, 10–11, und Plutarch, De Iside, 33, 364B–C, zeigen. 806 JOLY, Lucerne, S. 167, Nr. 866; Taf. 35. 807 JOLY, Lucerne, S. 148, Nr. 637; Taf. 24. L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 231, Anm. 865, hält die Identifizierung durch JOLY für „wenig überzeugend“, doch ist der Knoten auf der Brust zweifelsfrei erkennbar. Die Göttin trägt auch einen Kopfschmuck, doch die Details sind nicht zu bestimmen. Tatsächlich unsicher ist die Identifikation der Göttin auf den Lampen JOLY, Lucerne, S. 138, Nr. 507–511; Taf. 20 (stehend neben Altar, mit nicht erkennbarem Attribut), S. 143, Nr. 569; Taf. 23 (stehend, mit Füllhorn und Patera) und S. 155, Nr. 722; Taf. 27 (in einem Tempel, thronend, sieht aufgrund des seitlich angelehnten Schildes nach Athena aus). 808 JOLY, Lucerne, S. 164, Nr. 839; Taf. 31. 809 Zu den Schiffslampen mit Isiaca-Motiven und ihrem Bezug zu den nautischen Aspekten der Isis siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 126–134; PODVIN, Lampes isiaques, S. 369–371 (zum Exemplar aus Sabratha auf S. 371); ID., Luminaire, S. 91–94 u. 261, bes. 92, m. Abb. 178; HAASE, Signum, S. 320–328; M. CICERONI, Iside protettrice della navigazione. La testimonianza delle lucerne a forma di barca, in: ScAnt 3–4, 1990, S. 793–801, bes. 796 zum Stück aus Sabratha.

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doch wahrscheinlich zusätzlich in seiner Tiergestalt präsent, wie das Bruchstück eines Falken zeigt. Die Deutung des deponierten Affenschädels ist unsicher, nur eventuell besteht ein Bezug zu Thoth und seinem heiligen Tier. Weitere Hinweise auf ägyptische synnaoi theoi fehlen, statt dessen scheinen Isis und Sarapis im Heiligtum mit griechisch-römischen Gottheiten wie Aphrodite und Herakles vergesellschaftet worden zu sein; möglicherweise handelt es sich bei den Einzelstücken jedoch auch einfach um private Weihungen von klassischen Götterbildern, die mit den ägyptischen Tempelherren identifiziert werden konnten.810 Kult, Kultpersonal und Anhänger Aufgrund des nahezu völligen Fehlens von relevanten Inschriften811 ist man für die Analyse des Kultablaufs und der daran beteiligten Personen einzig auf die Ausstattung der beiden Tempel angewiesen, wobei hier aufgrund der schlechteren Publikationslage (und der schlechteren Erhaltung) des Forumstempels ein Ungleichgewicht entsteht. Dennoch hatten die beiden Bezirke sicherlich unterschiedliche Schwerpunkte, was sich wohl auch in der dort vollzogenen Ritualpraxis widerspiegelte. Während das Sarapeion (7.2.2.2.1) mit seiner Lage am Forum ein zentrales urbanes Heiligtum darstellt, das u. U. in enger Beziehung mit dem benachbarten Kapitoltempel stand (s. o. unter A.) und den erhaltenen Zeugnissen nach vor allem Sarapis als synkretistischer Vatergottheit geweiht war, befand sich die Kultstätte der alexandrinischen Götterfamilie (7.2.2.2.2) durch ihre exponierte Situierung am Meeresufer zumindest anfänglich außerhalb der Stadt und war zudem von dieser abgewandt. Der Sarapistempel liefert durch seine weitgehende Fundleere kaum Informationen; die ältere Bauphase wies eine Nische an der Rückseite auf, die möglicherweise als Gegenkapelle für die Gläubigen diente,812 doch ist diese Interpretation hypothetisch. Den römischen Architekturformen stehen zumindest die ägyptisierenden Frieselemente mit geflügelten Sonnenscheiben gegenüber, wenngleich die Herkunft aus dem Sarapeum nicht gesichert ist. Das ägyptische Motiv der geflügelten Sonnenscheibe ist bereits von zahlreichen phönizisch-punischen Stelen aus früherer Zeit bekannt und hat demnach in der Region eine lange zurückreichende Tradition.813 Die Sarapis-Münzen aus dem 1. Jh. v. Chr. zeigen, daß offenbar bereits dieser frühe Tempel (wo auch immer er sich befand) zumindest im Giebel mit einer Sonnenscheibe geschmückt war, wofür das erhaltene Tympanon aus dem großen IsisHeiligtum in Kyrene eine gute Parallele bietet.814

810 Zu dieser Art der Weihepraxis vgl. z. B. die Inschrift RICIS 101/0221 einer Kultdienerin der Isis, die eine Aphrodite-Statue in das Iseion von Athen stiftete. 811 Von den nur drei Inschriften, die eventuell mit einem der Heiligtümer respektive dem Kult der ägyptischen Götter in Verbindung stehen, sind zwei in ihrer Zugehörigkeit völlig unsicher (der Name Mythumbal vom Forumstempel und die „Bauinschrift“ des Heiligtums am Meer) und die dritte stark zerstört (RICIS 702/0201, s. o.) und nicht besonders aussagekräftig. 812 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.1; KLEIBL, Iseion, S. 95. 813 Ich danke NADIA HERICHI sowie BEATRIX GESSLER-LÖHR für die Diskussion und Beantwortung meiner Fragen; zur ägyptischen Flügelsonne siehe D. WILDUNG, in: LÄ II, s. v. „Flügelsonne“, Sp. 277–279; A. H. GARDINER, Horus the BeHdetite, in: JEA 30, 1944, S. 23–60: 46–52; zur frühen Adaption der geflügelten Sonnenscheibe in Syrien, Kleinasien und Mesopotamien siehe ST. LAUBER, Zur Ikonographie der Flügelsonne, in: ZDPV 124, 2008, S. 89–106. 814 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1.

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Einen deutlicher ägyptischen Charakter und insgesamt reichere Ausstattung weist das Heiligtum am Meer auf, wo – nur nebenbei bemerkt – auch das Element der Sonnenscheibe auf dem Kopf der in der Cella gefundenen Isisstatuette wieder auftaucht. Hier sind zwar keine ägyptischen oder ägyptisierenden Architekturelemente nachgewiesen, doch wurden statt dessen womöglich zumindest Isis(-Hathor) und Horus, eventuell außerdem Thoth, auch in Tiergestalt verehrt, wie die Funde zeigen. Der kultische Betrieb läßt sich anhand der erhaltenen Installationen gut nachvollziehen: im Sanktuar wurden den in die unterirdischen Räume gestürzten Statuenresten nach Isis, Sarapis und Harpokrates verehrt, deren Kultbilder wahrscheinlich auf einem breiten Podium standen. Desweiteren befanden sich dort weitere Götterbilder (s. o.), die entweder ebenfalls auf der Basis Platz fanden, oder aber als einzelne private Weihungen in der Cella aufgestellt waren. Möglicherweise sind auch nicht alle Objekte erst bei der Zerstörung hinabgestürzt, sondern wurden tatsächlich in der Krypta aufbewahrt.815 Nebenkultstätten sind in den Räumen II–V anhand der Statuenbasen, Altäre und des Bothros nachzuweisen; allerdings ist nicht bekannt, welche Gottheiten dort konkret verehrt wurden, oder ob es sich gar wieder um die ägyptischen Götter selbst unter verschiedenen Aspekten handelte.816 Tieropfer von Rindern, Schweinen, Ziegen und Geflügel wurden den kalzinierten organischen Resten zufolge auf dem durch eine kleine Treppe erreichbaren Altar in der SW-Ecke des Temenos, gegenüber der Kapelle II, verbrannt. Reste eines solchen Opfers wurden auch in dem Bothros in Kapelle V gefunden, die noch einen weiteren kleinen Altar an ihrem anderen Ende aufweist. Der nachträglich eingefügte Altar in der Mitte der Podiumstreppe war ebenfalls von Ascheresten umgeben. Nach der These EINGARTNERs wurden außerdem die im offiziellen römischen Kult gängigen Blutopfer durchgeführt817 und die dafür bestimmten Tiere auf der Steinplattform südlich der Podiumstreppe geschlachtet, vor der ein weiterer Altar stand und die sich durch die dahinter liegende Öffnung zur Zisterne leicht reinigen ließ.818 Auffällig ist der ursprünglich wohl durch Schranken abgetrennte Bereich direkt vor der Front des Tempelpodiums; dieser Befund würde prinzipiell zu den von EINGARTNER in demselben Kontext angesprochenen Tiergehegen passen, doch erscheint mir hier eine solche Installation, die die Podiumstreppe ja blockieren würde, wenig sinnvoll. Statt dessen könnte das Areal vielleicht für zeremonielle Handlungen oder Aufführungen abgegrenzt worden sein. Das Heiligtum verfügte über ein besonders ausführliches Wasserversorgungssystem, das sich in verschiedene funktionelle Bestimmungen aufgliedern läßt.819 Das Reinigen der Schlachtplätze bzw. Altäre mit Hilfe von Wasser aus den Zisternen wurde bereits erwähnt. Wahrscheinlich wurde außerdem Wasser für Libationen aus den Zisternen geschöpft. Auch neben dem Altar in der SW-Ecke des Temenos befindet sich ja ein Brunnenschacht, der das 815 Zur möglichen Funktion der unterirdischen Räume siehe unten. Vgl. auch die Krypten ptolemäischer bis römerzeitlicher Tempel in Ägypten, siehe oben, Kap. 4.6, bes. die Kommentare zu Dend. Isis, 121, 1–13 und Dend. V, 103, 17–104, 8, und 4.7.1. 816 Zu den Nebenkultstätten vgl. auch KLEIBL, Iseion, S. 92. 817 Zu römischen Opfersitten siehe rezent A. BENDLIN, Was schmeckt den Göttern? Blutiges Spektakel, Göttergabe und Geselligkeit: Das Opfer, in: A. Bendlin/J. Rüpke/A. V. Siebert (Hrsg.), Axt und Altar. Kult und Ritual als Schlüssel zur römischen Kultur, Erfurt 2001, S. 87–92. 818 EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 254–255. 819 Zu den unterschiedlichen Arten von Wasserinstallationen in den Heiligtümern der gräko-ägyptischen Gottheiten siehe KLEIBL, Iseion, S. 105–114; WILD, Water.

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anschließende Bassin versorgte. Eine ähnliche Anordnung, allerdings ohne Altar, aber mit größerem Becken, befindet sich als Pendant in der SO-Ecke. Die Becken könnten der (kultischen) Reinigung des Kultpersonals gedient haben. Eine sog. Wasserkrypta oder Nilometer-Imitation, wie sie in verschiedenen älteren Isisheiligtümern zu finden ist,820 ist in diesem Bezirk jedoch nicht vorhanden. WILD interpretiert allerdings die Zisternenanlage unter dem Podium mit dem unter der Treppe befindlichen Gang als Weiterentwicklung dieser früheren Installationen, was sich zumindest anhand ihrer Form keineswegs verifizieren läßt.821 Andererseits verlocken gerade die Dopplung und die überwölbte Anlage der Zisternen dazu, sie mit den ägyptischen Vorstellungen von den Quellen des Nils in „den beiden Höhlen“ oder „Löchern“ (qr.tj) zu vergleichen. Falls sie tatsächlich mit dieser Konzeption angelegt worden sind, würde dies bedeuten, daß das ältere Heiligtum ebenfalls schon den ägyptischen Göttern geweiht war, da die Anlage wahrscheinlich bereits zur ersten Bauperiode gehört.822 Die Öffnung genau in der Mitte des Korridors und somit in der Achse des Tempels läßt mindestens auf eine intentionelle Gestaltung dieses Zugangs schließen, der dementsprechend eine gewisse kultische Bedeutung besessen haben dürfte. Mit dieser Öffnung im Boden korrespondiert wiederum der Hintereingang in der Achse der westlichen Podiumseite, der in das Gangsystem unter der Cella führt. Dieses wurde zusammen mit den beiden überwölbten Räumen in der Forschung gerne als Lokalität von Mysterien und Einweihungsriten gedeutet.823 Diese spekulative Vermutung sollte zugunsten einer zumindest sehr wahrscheinlichen Nutzung durch die Priester im Kultgeschehen modifiziert werden;824 möglicherweise diente die Krypta auch wie Podienräume in Tempeln anderer Gottheiten825 (und wie die Krypten in ägyptischen Tempeln) als Magazin für Statuen, Kultgerät etc.,826 doch die ungewöhnliche zusätzliche direkte Verbindung zur Cella spricht für eine spezielle rituelle Funktion.827 Möglicherweise versammelte sich die Kultgemeinde in diesem Heiligtum auch im Sanktuar, in welches die Priester so von hinten und von den unterirdischen Räumen aus plötzlich eintreten konnten und, vielleicht unterstützt durch Bildnisse, Musik und Weihrauch, einen besonderen Effekt hervorriefen. Auch dies bleibt natürlich zunächst hypothetisch.

820 Siehe dazu KLEIBL, Wasserkrypten; EAD., Iseion, S. 108–110; WILD, Water, S. 25–53. 821 WILD, Water, S. 48–49. Gegen diese Interpretation spricht sich EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 254, aus, der die Zisternen als rein zweckmäßige Einrichtung zur Reinigung des Schlachtplatzes interpretiert. M. E. müssen sich beide Deutungen jedoch nicht notwendigerweise ausschließen: Es liegt nahe, daß das in den Zisternen gespeicherte Wasser kultisch als Nilwasser ausgedeutet wurde. Gleichzeitig würde es dieser Vorstellung aber nicht widersprechen, wenn eben dieses „heilige“ Nilwasser auch zur Reinigung von Opferstätten benutzt wurde, die ja nicht nur einer faktischen, sondern auch einer kultischen Reinheit bedurften. 822 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.2. 823 PESCE, Tempio d’Iside, S. 71–74; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 275; LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 248. 824 WILD, Water, S. 202–205, deutet die Krypta als Versammlungsraum für das Kultpersonal. 825 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.2; vgl. TRUNK, Römische Tempel, S. 32; KLEIBL, Iseion, S. 84. 826 Einige der im Nordraum gefundenen Skulpturenfragmente stammen möglicherweise nicht aus der Schuttschicht, sondern befanden sich von vorneherein dort, vgl. WILD, Water, S. 204. 827 Vgl. EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 252, und ID., Funktion römischer Tempel, S. 1212 u. 1215, der glaubt, daß sie mit spezifischen ägyptischen Riten in Verbindung stehen.

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Über das Tempelpersonal selbst gibt nur die Männerbüste Aufschluß, die vielleicht einen Melanephoren (mit Horuslocke?) zeigt.828 Auch über die Anhänger des Kultes in Sabratha ist wegen des Mangels an Inschriften praktisch nichts bekannt. 7.2.2.3 Leptis Magna 7.2.2.3.1 Das römische Sarapeion829 Baugeschichte und Architektur In der Küstenstadt Leptis Magna, dem Herkunftsort der severischen Kaiserdynastie, erstreckt sich ein relativ kleiner Sarapistempel in einem Drittel einer Insula in Regio IV, einem der ältesten römischen Stadtteile, welcher bereits vor 8 v. Chr. gegründet worden ist.830 Der Bezirk öffnet sich zu einem Cardo hin, der vom Alten Forum zum Theater verläuft, und ist somit nach NW orientiert.831 Im Rücken des Heiligtums befinden sich Wohnhäuser. Eine Mauer aus Steinquadern, von der noch Reste erhalten sind, umgibt den Temenos. Die Langseiten sowie die Eingangsseite des Hofes werden von Portiken flankiert, deren Säulen attische Basen und korinthische Kapitelle aufweisen.832 Fußboden und Wände sind mit Marmorplatten verkleidet.833 Gegenüber dem zentralen Tor stehen nur zwei Säulen, zu beiden Seiten befinden sich rechteckige Räume mit schmalen Eingängen von außen, die den Haupteingangsbereich somit einrahmen. Die Portiken der Langseiten enden an der Rückseite des Bezirks jeweils in einem sacellum, von denen das der Westseite eine halbkreisförmige Exedra mit Statuensockel enthält.834 Die Konstruktion des gesamten Heiligtums ging unter Verwendung von zahlreichen Spolien vonstatten und ist insgesamt nachlässig ausgeführt.835 Der prostyle Tempelbau mit vier Frontsäulen aus Marmor erhebt sich auf einem Podium im hinteren Hofbereich. Direkt mittig vor der neunstufigen Treppe befindet sich die Haupt-

828 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.2. 829 Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 57, mit älterer Literatur; rezent außerdem KREIKENBOM, Sarapeion. Eine umfassende Publikation der älteren italienischen Grabungen steht noch aus, vgl. ibid., S. 83; RICIS, S. 748. 830 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 267; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 83. Zur Siedlungs- und Baugeschichte von Leptis Magna siehe J. B. WARD PERKINS, Town Planning in North Africa during the First Two Centuries of the Empire with Special Reference to Lepcis and Sabratha: Character and Sources, in: 150-Jahr-Feier Deutsches Archäologisches Institut Rom, RM, Ergänzungsheft 25, Mainz 1982, S. 29–49. 831 Vgl. den Stadtplan bei FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, vor den Tafeln; BROUQUIERREDDÉ, Temples et cultes, S. 101. 832 Es existiert kein detaillierter Grundriß des Bezirks, außer sehr oberflächlichen in Stadtplänen, z. B. bei BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, Abb. 49. Siehe aber statt dessen die axonometrische Rekonstruktionszeichnung von C. Catanuso in DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 270, Taf. 1. LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 246, Abb. 18; und WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1788, Abb. 20a, bilden einen falschen Grundriß ab. 833 Siehe DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269, Abb. 3. 834 Siehe KREIKENBOM, Sarapeion, S. 84. 835 Nach KREIKENBOM, Sarapeion, S. 85.

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opferstätte, ein Hörneraltar, an den in der letzten Restauration des Heiligtums nach einem Erdbeben zwischen 306 u. 310 n. Chr. zwei Treppenstufen angefügt worden sind.836 Die Cella war im Inneren prunkvoll mit einem Fußboden aus opus sectile ausgestattet.837 Das Dach wurde nach einer Beschädigung durch das Erdbeben (s. o.) zusätzlich mit einem rechteckigen Pfeiler abgestützt. Der sakrale Bereich des Kultbildes, welches auf einem breiten Podium an der Rückwand stand, war architektonisch stark abgegrenzt: die Cella besaß eine verschließbare Tür und eine Gitterwand.838 Eine kleine Tür am rechten Rand des Kultbildpodiums gewährte Zutritt zu seinem Inneren.839 Hinter dem Tempel befinden sich Räumlichkeiten, die von der Westseite begehbar sind, wo im Gegensatz zur Ostseite ein schmaler Hofstreifen zwischen der Portikus und der Flanke des Tempels ausgespart ist.840 Wie das große Heiligtum in Sabratha weist auch der Bezirk in Leptis Magna unterirdische Zisternen auf, von denen sich eine unter dem Hof und eine weitere zwischen der westlichen Apsis und dem Tempel befindet.841 Nach dem Erdbeben Anfang des 4. Jhs. wurden zahlreiche Restaurierungen im Heiligtum vorgenommen, die teilweise etwas unbeholfen oder provisorisch wirken.842 So wurde unter anderem in der östlichen Portikus eine Statuenbasis vor die Wand gestellt, welche die ursprüngliche Marmorverkleidung und ein Profil überschneidet.843 365 n. Chr. wurde das Heiligtum von weiteren seismischen Erschütterungen zerstört und endgültig aufgegeben.844 Bei einer späteren Überflutung durch den Wadi Lebdah wurde das Heiligtum mit Schlamm gefüllt. Funde und Ausstattung Die Schlammfüllung konservierte einen Großteil der üppigen Skulpturen- und Inschriftenausstattung, die daher teilweise sogar intakt geblieben ist. Allerdings sind die Funde bisher nur teilweise publiziert845 und die Angaben besonders über die Skulpturen weichen bei verschiedenen Autoren teilweise voneinander ab.

836 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268; vgl. auch KLEIBL, Iseion, S. 347, Abb. 57.3, und S. 345, wo sie allerdings fälschlich angibt, der Altar sei im Ganzen erst nach dem Erdbeben errichtet worden. Vgl. die Situation im großen Heiligtum von Sabratha, wo der Altar in der SW-Ecke des Bezirks ebenfalls durch einen Teil mit Treppenstufen erweitert wurde, siehe oben Kap. 7.2.2.2.2. Zu Hörneraltären siehe oben, Kap. 7.2.1.3. 837 Siehe DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269, Abb. 2–3. 838 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268. 839 KLEIBL, Iseion, Kat. 57, S. 345. 840 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268. 841 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268. 842 Zu den Erderschütterungen in der Tripolitania siehe DI VITA, Sismi, speziell zum Sarapeion von Leptis S. 441–442; 461–464. 843 Vgl. KREIKENBOM, Sarapeion, S. 85; Abb. 4. 844 Vgl. DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 105. 845 Vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 228.

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Von Reichtum und Bedeutung des Heiligtums zeugen bereits die erwähnten Wand- und Fußbodenverkleidungen aus verschiedenen Buntmarmoren;846 die qualitätvollen Skulpturen bestätigen diesen Eindruck. Das Hauptkultbild war vielleicht die Statue eines thronenden Sarapis aus schwarzem und weißem Marmor mit Kerberos an seiner Seite, die in der nordwestlich des Heiligtums verlaufenden Straße gefunden wurde.847 DI VITA zufolge trägt der dem Rumpf zugeordnete Kopf typische Züge der Epoche des Antoninus Pius, wäre also demnach in die Mitte des 2. Jhs. zu datieren;848 nach KREIKENBOMs Beurteilung hingegen scheint der von ihm im Antiquarium vor Ort gesehene Kopf ein Porträt des Septimius Severus im sog. „Sarapistypus“ zu zeigen.849 Eine Datierung der übrigen Statue in späthadrianische bis frühantoninische Zeit wird allerdings von KREIKENBOM bestätigt. Eine weitere, überlebensgroße Statue des Gottes von geringerem künstlerischen Anspruch hat sich im Schlamm vor dem Tempel erhalten;850 sie zeigt ihn stehend, begleitet von Kerberos, und mit einem Schlangenstab in der linken Hand, der ihn wohl mit Asklepios identifiziert.851 Er trägt einen Chiton und einen um Hüften und die linke Schulter drapierten Mantel sowie auf dem Kopf einen Kalathos, der mit einer Mondscheibe verziert ist. Die stark mit dem Bohrer bearbeiteten, stilisiert gestalteten Stirnhaare rollen sich zu beiden Seiten des Scheitels schneckenförmig ein, was ungewöhnlich ist und geradezu an Widderhörner erinnert. Die Statue ist mindestens severisch, eventuell auch um einiges später zu datieren; sogar eine erst spätantike Entstehung ist zu erwägen.852 Unpubliziert bleiben bisher zwei hochwertige klassizistische Isisköpfe mit zugehörigen Statuenfragmenten,853 die aus dem Tempel stammen und darauf hinweisen, daß Isis neben Sarapis auf dem breiten Kultbildpodium im hinteren Teil der Cella Platz fand. KREIKENBOM ordnet die Köpfe auch derselben Zeitperiode 846 Eine detaillierte Untersuchung der verwendeten Gesteinsarten bei L. LAZZARINI/B. TURI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 286–292; siehe außerdem BRUNO/BIANCHI, Marmi, Index, S. 131, s. v. „Tempio di Serapide“. 847 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 85–86, Nr. 1; DI VITA, Sismi, S. 464; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 776, S. 142; BRUNO/BIANCHI, Marmi, S. 75; Taf. 34.1. 848 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268; wiederholt bei BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 228. 849 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 86. Es stellt sich die Frage, wie sicher die Zugehörigkeit des Kopffragmentes (Vorderteil) zur Statue überhaupt ist; laut FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 116, ist der Kopf „heute verschollen“ (1966). Solange keine Publikation mit Abbildung und Fundgeschichte existiert, ist dieses Problem wohl nicht zu klären. 850 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 87–88, Nr. 5; Abb. 11–13; BIANCHI BANDINELLI/CAPUTO/VERGARA CAFFARELLI, Leptis Magna, Abb. 105 (in Fundlage); DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269; CLERC/LECLANT, „Sarapis“, Nr. 36; laut KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 777, S. 143, in der Cella gefunden; TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 14–15 u. 91, IA 5; Taf. 6, Abb. 6, gibt hingegen (wohl richtig) an, daß diese Statue außerhalb der Cella gefunden wurde; letzteres wiederholt bei BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 103. KLEIBL, Iseion, beschreibt diese Statue (mit Verweis auf die Abbildung bei BIANCHI BANDINELLI) fälschlich als sitzend. 851 Vgl. auch FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 116; TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 15. Vgl. trotz der hier abweichenden Details der Haargestaltung, des Schlangenstabes und der Mondsichel und des unterschiedlichen Stils die Kultstatue des Heiligtums von Gortyn, die grundsätzlich denselben Typus zeigt, TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 13–15 u. 90–91, IA 4; Taf. 4–5, Abb. 4–5. 852 Vgl. die Diskussion bei KREIKENBOM, Sarapeion, S. 87–88. 853 Erwähnt bei DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 88–89. Von FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 117, beschrieben als „zwei weibliche[n] Köpfe[n] mit Haaren aus Bronze oder Stuck und mit eingelegten Augen aus Glaspaste“. Ohne Abbildung.

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(Mitte 2. Jh.) wie die schwarz-weiße Kultstatue zu. Eine noch vollständige, überlebensgroße Statue, allerdings mit antik repariertem Kopf und weiteren Restaurierungen, zeigt die Göttin bekrönt mit Kalathos und ein Füllhorn im Arm tragend,854 also als Isis-Tyche/Fortuna, einem Typus, der sich wohl in Alexandria entwickelt hat und bereits in hellenistischer Zeit auch außerhalb Ägyptens sehr beliebt war.855 Dieses Stück ist anhand des Materials, der Größe und stilistischer Merkmale dem stehenden Sarapis (s. o.) als Gegenstück zuzuordnen.856 Neben den Skulpturen des alexandrinischen Götterpaares wurden im Heiligtum auch andere Bildnisse aufgestellt, welche gemeinsam mit den zahlreichen Inschriften (s. u.) von einer regen Weihepraxis zeugen. So fand man eine prachtvolle kolossale Panzerstatue, die teilweise als Bildnis des jungen Marc Aurel interpretiert wurde, was jetzt von KREIKENBOM aufgrund Abweichungen in Porträt und Frisur zugunsten einer Deutung als hochrangiger Privatperson der lokalen Elite angezweifelt wird.857 Die Skulptur wurde nachträglich auf einer Basis in der Apsis der westlichen Portikus neben einer lebensgroßen, sehr schlanken weiblichen Porträtstatue von ebenfalls ausgezeichneter Qualität aufgestellt.858 Letztere wurde aus mehreren, gut verborgenen Einzelstücken zusammengesetzt und ist der Frisur und den überlängten Proportionen sowie weiteren Merkmalen zufolge wohl in spätantoninische Zeit zu datieren.859 KREIKENBOM ordnet beide Porträtstatuen einer östlichen Werkstatt zu.860 Eine weitere Frauenstatue trägt einen Kopf aus severischer Zeit, der wohl nach der Zerstörung durch das Erdbeben Anfang des 4. Jhs. auf einen neuen, sehr flachen Körper minderer Qualität aufgesetzt worden ist.861 Außerdem ist die Skulptur eines nur mit dem Paludamentum bekleideten jungen Mannes mit leichtem Bartwuchs wohl aus spätantoninischer oder severischer Zeit erhalten.862 Auf den qualitätvoll gearbeiteten Körper wurde nachträglich ein später entstandener Kopf provinzieller Machart aufgesetzt. Von kleinerem Format sind weitere Teile der Ausstattung und Weihepraxis, darunter ein Trapezophor und mehrere archaisierende weibliche Statuetten.863 Den Weihinschriften auf den Podiumwangen zufolge dedizierte Aurelius Dioskoros mit seiner Familie aus Dankbar854 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 88, Nr. 6; FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 116; BROUQUIER-REDDÉ, Temples et cultes, S. 103; DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269. Keine Abbildung vorhanden. 855 Siehe dazu oben, Kap. 6.2.10.1; vgl. TRAN TAM TINH, Études iconographiques, S. 1725; ID., „Isis“, S. 792 u. 794; FRASER, Ptolemaic Alexandria, S. 240–243; DUNAND, Culte d’Isis I, S. 92–94. 856 So KREIKENBOM, Sarapeion, S. 88. 857 FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 117; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 228; DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268; DI VITA, Sismi, S. 465, Abb. 30. KREIKENBOM, Sarapeion, S. 86; Nr. 2; Abb. 8–9, erwägt eine Ehrung des Prokonsuls C. Septimius Severus. 858 DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268; BIANCHI BANDINELLI/CAPUTO/VERGARA CAFFARELLI, Leptis Magna, Abb. 103–104; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 87, Nr. 3; Abb. 10. 859 DI VITA, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268, sieht in dieser im Anschluß an die als Marc Aurel interpretierte Panzerstatue ein Mitglied der Kaiserfamilie und schlägt als Identifizierung Aurelia Fadilla, die Tochter des Antoninus Pius vor. 860 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 87. 861 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 88, Nr. 7; Abb. 14–15; DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269; DI VITA, Sismi, S. 443, Abb. 12. 862 FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 117; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 87 u. 89, Nr. 4. Keine Abb. vorhanden. 863 Vgl. FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 117. Keine Abb. vorhanden.

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keit für seine Rettung eine Statue des Zeus Hypsistos (rechts)864 sowie wahrscheinlich eine des Zeus Sarapis (links),865 die demnach auf diesen Vorsprüngen rechts und links der Tempeltreppe aufgestellt worden waren. Die dort angebrachten Einlassungen für die Füße deuten darauf hin, daß diese wohl überlebensgroß und aus Bronze gefertigt waren866 und dementsprechend nicht erhalten sind. Epigraphisch bezeugt ist weiterhin die Stiftung einer bronzenen Musenstatue zu Ehren des Poeten Aurelius Sempronius Serenus Dulcitius, der wohl Ende des 3. bis Anfang des 4. Jhs. lebte.867 Der Dichter wird zudem noch in einer zweiten, fragmentarischen Inschrift aus dem Heiligtumsbezirk geehrt, die ein Gedicht in Distychen enthält, welche wohl in einem Akrostychon seinen Namen bildeten.868 Insgesamt wurden in dem Bezirk über 30, nahezu ausschließlich griechische, Inschriften gefunden,869 die bisher jedoch nur teilweise publiziert sind. Ein kleiner Weihealtar mit ausnahmsweise lateinisch abgefaßter knapper Dedikation eines römischen Bürgers für Sarapis und Isis bezeugt, daß bereits in der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. ein Kult der ägyptischen Götter praktiziert wurde.870 Die Herkunft aus dem Tempel ist hier allerdings nicht gesichert. Die meisten epigraphischen Zeugnisse stammen dagegen erst aus späterer Zeit (über die Datierung wird unten noch zu sprechen sein). So spendete Publius Servius H[egesil]ochos871 im Namen der Gemeinde für Zeus Megas Sarapis einen Leuchter mit zwei Lampen, der auf der erhaltenen Marmorplatte mit der Inschrift aufgestellt war, wie die kreisförmige Aussparung mit Befestigungslöchern auf ihrer Oberfläche zeigt.872 Eine ähnliche Einlassung weist auch eine Kalksteinbasis auf, die Marcus Aurelius Petronius, genannt Demetrios, für Zeus Helios Megas Sarapis und die synnaoi theoi dedizierte.873 Auf dem oberen Randprofil lassen sich noch die Reste des Wortes [ἀνί]κητος „unbesiegbar“ entziffern. Aurelius Attalos verewig864 RICIS 702/0107; G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 271–272, Nr. 1; S. 276, Abb. 4–4a; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 91. 865 RICIS 702/0108; G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 272–273, Nr. 2; S. 276–277, Abb. 5 u. 5a–b; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 91. 866 Vgl. KREIKENBOM, Sarapeion, S. 90. 867 RICIS 702/0114; Taf. 132 (siehe auch RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 275, Nr. 13, u. 282, Abb. 13; vgl. auch KREIKENBOM, Sarapeion, S. 91, Anm. 56; und besonders TANTILLO, Principalis alessandrino, der S. 412 den Akkusativ Mοῦσαν  ἀοιδοπόλον (Z. 5) als Bezeichnung des Dichters selbst, verstanden als Muse der Stadt, interpretiert. Auch bei großen poetischen Fähigkeiten erscheint mir die Bezeichnung eines Mannes als Muse allerdings eher unwahrscheinlich. 868 RICIS 702/0115 (vgl. auch RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 275–284, Nr. 14, u. 282, Abb. 14; rezent TANTILLO, Principalis alessandrino, bes. S. 414–415 mit neu hinzugefügten Fragmenten. Nur die Anfänge der letzten fünf Zeilen sind erhalten und bilden die Endung […]itios. 869 Vgl. BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 103. 870 RICIS 702/0116; G. DI VITA EVRARD, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 285, Nr. 17; Abb. 17a– b; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 88. 871 Zur Ergänzung des Namens, siehe RICIS 702/0102, S. 748. 872 RICIS 702/0102; Taf. 130 (vgl. auch RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 274–275, Nr. 12, u. 281, Abb. 12–12a; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 338–339. Zum möglichen Aussehen des Leuchters vergleiche man beispielsweise die in Sabratha gefundenen Doppellampen mit Sarapisbüste: JOLY, Lucerne, S. 151, Nr. 850–855; Taf. 34; siehe oben, Kap. 7.2.2.2.3. 873 RICIS 702/0109; Taf. 130; G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 273, Nr. 4, u. 278, Abb. 6.

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te seine Dedikation an die synnaoi theoi des „großen Sarapis“ auf einem marmornen Säulenschaft.874 Ein kleiner, unvollständig bearbeiteter Marmoraltar mit metallenem Befestigungszapfen trägt auf zwei Seiten eine identische, ausnahmsweise lateinische Inschrift, die den Namen des Dedikanten Claudius Syrapiacus nennt.875 Zwei kleine Kalksteinaltäre sowie eine weitere Inschrift wurden von Aurelius Origenes, genannt Athenodoros, zusammen mit seiner Tochter (und seiner Frau) für Zeus Helios Megas Sarapis in das Heiligtum gestiftet.876 Unter diesem Namen wird der Gott auch von L. Aurelius Hierax mit einer Weihung bedacht, deren Reste sich auf Fragmenten einer Marmorplatte erhalten haben.877 Ebenfalls im Heiligtum gefunden, jedoch ursprünglich als Funerärinschrift zu einem Grab gehörig, ist eine lateinische Weihung an die Manen der verstorbenen Aurelia Urtica, die jedoch keinen eindeutigen Bezug zu Sarapis oder Isis aufweist.878 Interpretation Das Heiligtum wird in der Forschung einheitlich als Sarapeion interpretiert,879 da die große Menge an Inschriften eindeutig auf Sarapis – insbesondere unter dem Namen Zeus Helios Megas Sarapis – als Hauptgott hinweisen. Ihm zur Seite gestellt, wenn auch in der Weihepraxis von untergeordneter Bedeutung, war offenbar Isis, worauf vor allem die sie darstellenden Statuen schließen lassen, die jeweils in Größe und chronologischer Einordnung mit einem der großen Sarapis-Kultbilder übereinstimmen und demnach möglicherweise mit diesen zusammen aufgestellt waren. Epigraphisch wird sie nur in der frühen lateinischen Inschrift aus dem 1. Jh. v. Chr. hinter ihrem Partner genannt,880 während andere Weihungen höchstens zusammenfassend die synnaoi theoi des Sarapis nennen,881 unter die Isis demnach zu zählen ist.882 Die Identität der übrigen tempelteilenden Götter geht aus den Funden jedoch nicht hervor. Als weitaus problematischer erweist sich die Datierung des Heiligtums und seiner Ausstattung, zusätzlich erschwert aufgrund der noch ausstehenden Grabungspublikation und Bauaufnahme. Hier gehen die bisherigen Meinungen stark auseinander. Die lateinische Inschrift aus dem 1. Jh. v. Chr.883 bezeugt zwar für Leptis Magna eine Verehrung von Sarapis 874 RICIS 702/0105 (siehe auch RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 274, Nr. 8, u. 279, Abb. 9. 875 RICIS 702/0119 (RICIS Suppl. I); G. DI VITA EVRARD, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 285– 286, Nr. 18, u. 284, Abb. 18a–b. 876 RICIS 702/0110–0111 und 702/0106 (siehe auch RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 273–274, Nr. 5–7, u. S. 278, Abb. 7a–b u. 8. 877 RICIS 702/0112; Taf. 131; G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 274, Nr. 10, u. S. 280, Abb. 10. 878 RICIS 702/0120 (RICIS Suppl. I); G. DI VITA EVRARD, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 286, Nr. 19; S. 284, Abb. 19. 879 Z. B. KREIKENBOM, Sarapeion; DI VITA et al., Serapeo di Leptis; BRICAULT, Atlas, S. 78; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 228; KLEIBL, Iseion, Kat. 57, S. 346. Abweichend TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 547, der von einem „Isis- und Sarapistempel“ spricht. 880 RICIS 702/0116; siehe oben. 881 RICIS 702/0103, 0105–0107, 0109–0112. 882 Vgl. auch BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 105. 883 RICIS 702/0116; siehe oben.

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und Isis in dieser frühen Zeit, steht jedoch bis mindestens zum 2. Jh. n. Chr. ganz allein da und muß keineswegs zu diesem (oder einem anderen) Heiligtum für die ägyptischen Götter gehört haben, zumal mangels Funddokumentation nicht einmal der letzte Aufstellungsort der Dedikation sicher bekannt ist. Das Heiligtum selbst ist auf älteren Strukturen gebaut, die zu einem Vorgängerbau gehören könnten.884 DI VITA datiert die Reste in das 1. Jh. n. Chr. Eine genauere Bestimmung läßt sich jedoch ohne detaillierte Grabungen nicht wagen, ebenso wenig wie die Beantwortung der Frage, ob bereits dieser alte Bau Sarapis (und Isis) geweiht war. Dies ist wegen der noch früheren Inschrift, der allgemeinen Wahrscheinlichkeit von Kultkontinuität sowie der parallelen Situation in Sabratha, wo durch die Münzprägung ein Sarapis-Tempel bereits im 1. Jh. v. Chr. belegt ist,885 zumindest keineswegs auszuschließen.886 Das chronologisch nächste, einigermaßen sichere Datierungskriterium wird von dem schwarz-weißen Kultbild des thronenden Sarapis und den beiden Isisköpfen gebildet, die laut KREIKENBOM in die Mitte des 2. Jhs. weisen.887 Anhand der Statue nehmen DI VITA und BULLO auch eine zeitliche Einordnung des Heiligtums in die Mitte des 2. Jhs. bzw. unter Antoninus Pius vor.888 Andererseits wurden insbesondere auch die epigraphischen Zeugnisse als Anhaltspunkte herangezogen, die wegen des von dem Großteil der Stifter geführten Gentiliz Aurelius in das 3. Jh. n. Chr., also nach der constitutio Antoniniana, datieren dürften889 und somit einen terminus ante quem für die Errichtung des Heiligtums liefern. Sowohl die Datierung dieser Inschriften als auch diejenige des Heiligtums sind in den beiden jüngsten Bearbeitungen des Materials890 in Frage gestellt worden. Einerseits behaupten DI VITA und PUGLIESE CARRATELLI nicht ganz nachvollziehbar, daß die Dedikanten das nomen gentile Aurelius bereits unter der Doppelregierung von Marc Aurel und Lucius Verus erhalten haben können, und daß aufgrund der Datierung des Tempels unter Antoninus Pius zumindest ein Teil der Dedikanten wahrscheinlich bereits vor der constitutio 884 Siehe DI VITA, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 267; ID., Sismi, S. 436 u. 437, Abb. 8; BULLO, Indicazioni di Vitruvio, S. 530. 885 Siehe oben, Kap. 7.2.2.1–2. 886 BRICAULT, Dieux de l’Orient, S. 290; ID., Atlas, S. 78, scheint, der Datierung DI VITAs folgend, von der Existenz des Sarapis-Tempels ab dem 1. Jh. n. Chr. auszugehen. 887 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 88–89. Diese Datierung schlägt auch DI VITA, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 268, vor, allerdings in erster Linie aufgrund des nicht sicher zugehörigen Kopfes, siehe oben. 888 So bereits auch der Vorschlag des Ausgräbers E. VERGARA CAFFARELLI, siehe FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 118, Anm. 80; DI VITA, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 267 u. 269; ID., Sismi, S. 441: erste Hälfte 2. Jh.; BULLO, Indicazioni di Vitruvio, S. 530; gefolgt von TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 547; und, mit Vorbehalt, von BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 228: mindestens antoninisch. Laut DI VITA, Sismi, S. 436, Anm. 10, wurde unter der Fußbodenpflasterung des Sarapeions das Randstück einer Patera aus der ersten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. gefunden, was als terminus post quem einen Hinweis auf den Zeitpunkt der Errichtung gibt. 889 BIANCHI BANDINELLI/CAPUTO/VERGARA CAFFARELLI, Leptis Magna, S. 89–90; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 103; FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 117–118; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 228; WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1789. H. JOUFFROY, La construction publique en Italie et dans l’Afrique romaine, Strasbourg 1986, S. 249, datiert daher auch das Heiligtum erst an das Ende des 2. oder den Anfang des 3. Jhs. n. Chr. 890 KREIKENBOM, Sarapeion; und DI VITA et al., Serapeo di Leptis.

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Antoniniana gelebt haben dürfte.891 Zumindest bekam Leptis Magna bereits von Trajan das römische Bürgerrecht verliehen,892 so daß die Annahme der tria nomina prinzipiell bereits ab dieser Zeit möglich war, und der Name Aurelius gehörte allgemein zu den häufigsten Gentilizes.893 Weitaus wahrscheinlicher bleibt die Annahme dieses nomen gentile m. E. jedoch nach 212 n. Chr.894 Auf der anderen Seite steht die Idee KREIKENBOMs, daß die Inschriften noch wesentlich später entstanden sein könnten, da Aurelii auch im 4.–5. Jh. n. Chr. noch häufig nachweisbar seien.895 Kombiniert mit seiner Beobachtung, daß für die Errichtung des Heiligtums zahlreiche Spolien verwendet sowie ein grobes Gußmauerwerk angefertigt worden sind, verleitet ihn dies zu der neuen These, daß es sich bei dem Sarapeion um einen Neubau des späten 3. oder frühen 4. Jhs. handele, der möglicherweise ein älteres Heiligtum, welches sich an anderer Stelle befunden habe, ersetzt und dessen Ausstattung übernommen habe.896 Als Begründung für einen – doch sehr ungewöhnlichen – Neubau an anderer Stelle bringt er die Bedingungen einer verkleinerten Stadtfläche ins Spiel, die eine Verlegung an eine besser geschützte Stelle notwendig gemacht hätten. Dieses Konstrukt erscheint mir allerdings äußerst fragwürdig, zumal bei einem in der Spätantike im Zuge einer solchen Maßnahme errichteten Neubau kaum eine derartige Weihe- und Inschriftenpraxis, noch eine solch reiche Ausstattung mit Buntmarmoren zu erwarten wäre. Zudem bleibt bei KREIKENBOMs Vorschlag die Frage, welches Gebäude zuvor an diesem Ort gestanden hat und ob dieser für die Umlegung eines Sarapeions einfach abgerissen worden wäre. Auch die in den Inschriften auftretenden Formulierungen und Epiklesen des Sarapis (s. u.) sind durchaus im späten 2. und frühen 3. Jh. n. Chr. üblich und erfordern keine Spätdatierung des epigraphischen Materials. Die architekturale Gesamtkonzeption der Anlage mit einem Podiumstempel im hinteren Teil eines von Portiken umgebenen Hofes ähnelt denjenigen der beiden Heiligtümer in Sabratha und unterstützt somit ebenfalls die frühere Datierung. Aus diesen Gründen sollte m. E. die üblicherweise anerkannte Annahme, der Tempel sei um die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. entstanden, bis auf weiteres beibehalten werden. 7.2.2.3.2 Der Kult der ägyptischen Götter in Leptis Magna im Spiegel der Heiligtümer und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Die lateinische Votivinschrift aus dem 1. Jh. v. Chr. bildet den ersten klaren Beleg für die Verehrung von Sarapis und Isis in Leptis Magna;897 der Aufstellungskontext ist jedoch unbekannt. Bereits hier ist Sarapis seiner Partnerin vorangestellt, und aus den späteren Zeugnissen, die sich nach einer auffallend großen Beleglücke häufen, geht seine Dominanz deutlich hervor. Während die schwarz-weiße Kultstatue aus dem 2. Jh. ihn im gängigen 891 892 893 894

DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 269 u. 271. Vgl. FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 15. Vgl. M. G. SCHMIDT, Einführung, S. 87. Auch TANTILLO, Principalis alessandrino, S. 418, Anm. 32, schließt sich der neuen Idee von DI VITA et al. nicht an. 895 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 92. 896 KREIKENBOM, Sarapeion, S. 92. 897 RICIS 702/0116, siehe oben.

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‚kanonischen‘ Typus des thronenden Gottes präsentiert, zeichnen die spätere Skulptur und die Inschriften des 3. Jhs. ein stark synkretistisch geprägtes Bild. Die nicht sicher datierbare stehende Sarapis-Statue verbindet ihn, ähnlich wie ein Stück aus Sabratha,898 mit dem Heilgott Asklepios.899 Der Aspekt des Heilgottes geht desweiteren aus der langen Inschrift an der linken Podiumwange hervor, in der Aurelius Dioskoros zusammen mit seiner ganzen Familie Sarapis für die Errettung aus einer schlimmen Krankheit dankt.900 Da dieselbe Personengruppe sich auch mit einer Dedikation an der rechten Podiumwange verewigt hat,901 ist diese zweite Inschrift möglicherweise mit demselben Anlaß verbunden, wenngleich dies dort nicht explizit erwähnt wird. Neben der durch den exponierten Anbringungsort augenfälligen Preisung des Sarapis als Bewahrer vor Krankheiten, wird der Gott darin als Ammon, Zeus (Hypsistos) und Uranios („Himmlischer“) bezeichnet und, in der linken Inschrift, mit seinem besonders für das 2.–3. Jh. typischen Titelkonglomerat Zeus Helios Megas Sarapis902 angesprochen. Er wird also als Verkörperung des höchsten Gottes (Hypsistos) angesehen. Vornehmlich unter jener Namenskette scheint er im 3. Jh. in dem Heiligtum verehrt worden zu sein, denn ein Großteil der griechischen Dedikationen nennt ihn so.903 Zwei Inschriftenfragmente, die in RICIS separat aufgenommen wurden und nur noch die Wortreste [π]αμβασιλ[ε…?] (Nominativ παμβασιλεύς „Allkönig“) respektive μερόπω[ν]  „der Menschen“ enthalten,904 werden jetzt von TANTILLO mit den Distychen für Dulcitius verbunden.905 Er geht davon aus, daß der Beginn des Gedichtes als Hymne an Sarapis verfaßt war und es erst am (besser erhaltenen) Ende den Dichter Dulcitius, der offenbar ein Mitglied der Gemeinde war, ehrt und ihn somit dem Gott anempfiehlt. Der ungewöhnliche Titel Pambasileus ist sicherlich auf Sarapis zu beziehen und reiht sich in gut belegte Epitheta ähnlicher Bedeutung wie Pantheus, Kyrios und Kosmokrator ein. Auch das Wort δωτήρ („Gabenspender“) in der ersten erhaltenen Zeile der bisher zusammengefügten Stücke könnte sich auf den Gott beziehen. Einen Einzelfall bildet eine lateinische Weihung an Deus invictus Sarapis auf einem Kalksteinaltar, den ein kaiserlicher Libertus und Sekretär auf dem Severischen Forum aufgestellt hat906 – also außerhalb des Tempelkontextes. Das Epitheton invictus („unbesiegbar“, vgl. das griech. Pendant [ἀνί]κητος auf einer Kalksteinbasis im Tempel, s. o.) deutet

898 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.3. 899 Ungewöhnlich ist die auf dem Kalathos abgebildete Mondsichel, die sonst eher bei Isisdarstellungen vorkommt. Vgl. aber zum Beispiel einen bronzenen Sarapiskopf aus Felmingham Hall (Norfolk), dessen Bekrönung von einer strahlenden Scheibe und einer Mondsichel gebildet wird: K ATERSIBBES, Sarapis-Monuments, Nr. 829, S. 159; Taf. 28. 900 RICIS 702/0107; vgl. KREIKENBOM, Sarapeion, S. 91. 901 RICIS 702/0108. 902 Siehe dazu BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 116. Vgl. auch entsprechende Inschriften aus Ägypten, wo der Ursprung dieser Epiklese zu erkennen ist, siehe oben, Kap. 6.2.5.3 und 6.2.7. 903 RICIS 702/0103, 0106–0107, 0109–0112. In 702/0102 nur Zeus Megas Sarapis. 904 RICIS 702/0117–0118 (vgl. RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 285, Nr. 15a–b, u. 283, Abb. 15a–b. 905 RICIS 702/0115 (vgl. RICIS Suppl. III); TANTILLO, Principalis alessandrino, S. 414–415; siehe oben. 906 RICIS 702/0101; Taf. 129; DI VITA EVRARD, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 285, Nr. 16, u. 283, Abb. 16; BROUQUIER-REDDE, Temples et cultes, S. 105.

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auf eine Datierung unter Caracalla hin, zu dessen Zeit es besonders häufig verwendet wurde.907 Die (nur von KREIKENBOM angezweifelte) Blüte des Sarapiskultes Ende des 2./Anfang des 3. Jhs. in Leptis Magna wurde häufig mit der aktiven Förderung durch die severische Dynastie – die sich sowohl auf den Gott als auch auf die Heimatstadt der Familie erstreckte – in Verbindung gebracht.908 Sehr zweifelhaft ist dennoch die Behauptung, Septimius Severus sei auf einem Relief des severischen Tetrapylons als Sarapis dargestellt.909 Tatsächlich handelt es sich aber zweifellos um eine Darstellung der kapitolinischen Trias zusammen mit der Tyche von Leptis, wobei die Köpfe von Jupiter und Juno an die Porträts von Septimius Severus und Julia Domna angeglichen sind.910 Desweiteren werden Isis und Sarapis teilweise in einer der Gigantomachie-Szenen, welche die Plinthen der Säulen des sog. Tempels der Gens Septimia auf dem severischen Forum schmücken, wiedererkannt.911 Tatsächlich zu sehen sind eine männliche und eine weibliche Gottheit, die auf den besiegten Giganten stehen. Bei beiden fehlen Kopf und Arme, ebenso wie kennzeichnende Attribute; das einzige identifizierende Merkmal ist der neben ‚Sarapis‘ erkennbare Kerberos. Die weibliche Figur weist vor der Brust eine rundliche Verdickung auf, die sich aufgrund des stark abgeriebenen Reliefs jedoch nicht näher bestimmen läßt – ob es sich um den Gewandknoten der Isis handeln könnte?912 Das ägyptische Götterpaar ist in einer Gigantomachie eigentlich ein fremdes Element, doch da auch andere spezifisch für die Stadt Leptis Magna wichtige Gottheiten in den übrigen Szenen – teilweise sogar mehrfach – auftreten,913 fügt sich die Anwesenheit von Isis und Sarapis gut in die lokale Konzeption ein. Zudem zeigen Fragmente demotischer Erzählungen über Feldzüge und andere Aktivitäten von Isis und Osiris im Ausland, daß die Vorstellung vom Kampf des ägyptischen Götterpaares gegen Giganten offenbar auch in Ägypten selbst in die religiösliterarische Vorstellungswelt integriert wurde.914 Im Sarapeion selbst nahm Isis in Form eines Kultbildes den Platz neben ihrem Gemahl ein. Dabei lassen sich der thronenden Sarapis-Statue aus antoninischer Zeit chronologisch 907 Siehe dazu VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 116–117; vgl. unten, Kap. 7.3.2.2.5, m. Anm. 340. 908 So z. B. BRICAULT, Atlas, S. 78; ID., Dieux de l’Orient, S. 291; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 229. Zur Beziehung der Severer zu Sarapis siehe NAGEL, Isis und die Herrscher. 909 So KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 778, S. 143, die sogar Isis mit einer Uräusschlange im Arm (dabei handelt es sich tatsächlich um eine Tyche mit Füllhorn) erkennen will; KÁKOSY, Isis Regina, S. 227; MALAISE, Conditions, S. 438; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 115–116; BRICAULT, Atlas, S. 78; ID., Dieux de l’Orient, S. 291; KREIKENBOM, Sarapeion, S. 91: Sept. Sev. an kapitolinischen Jupiter angeglichen, aber im Typus des Sarapis; ein Foto des fraglichen Reliefs z. B. bei FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, Abb. 16. 910 Vgl. FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 65; RAEDER, Herrscherbildnis, S. 178. 911 FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 102; Abb. 59; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 779, die das Relief fälschlich ebenfalls dem Severus-Bogen zuordnet; TRAN TAM TINH, Sérapis debout, Nr. VI 4, S. 80–81 u. 262–263; Taf. 111, Abb. 292; bei BRICAULT, Atlas, S. 81, doppelt vermerkt (einmal als Reliefsäule, einmal als Teil des Severus-Bogens mit falscher Angabe der Kat.Nummern 779–780 an Stelle von 778–779 bei KATER-SIBBES); rezent dazu MADERNA, Tempel der Gens Septimia, S. 69–70; Abb. 19. 912 Diese Deutung bei MADERNA, Tempel der Gens Septimia, S. 69–70. 913 Vgl. FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 102; MADERNA, Tempel der Gens Septimia, S. 69–70. 914 QUACK, Isis, Thot und Arian; siehe oben, Kap. 6.3.2.

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die beiden Isisköpfe (mit Statuenresten) zuordnen,915 während das spätere SarapisAsklepios-Standbild wohl zusammen mit der Isis-Tyche-Skulptur als Paar aufgestellt war. Wie ihr Partner wurde also auch die Göttin in dieser Zeit in einer synkretistischen Gestalt dargestellt. Für die Gemeinde der Dedikanten des 3. Jhs., die Statuen, Ausstattungsgegenstände (wie Altäre und Lampen) und Inschriften in das Heiligtum gestiftet haben, scheint Isis trotz ihrer bildlichen Repräsentation von deutlich untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein, da sie kein einziges Mal mehr namentlich genannt wird. Zeugnisse für ihre Verehrung fanden sich allerdings außerhalb des Tempelbezirks, in den Hadriansthermen, wo eine große Anzahl Skulpturen hadrianischer Zeit zutage kam. Eine marmorne Kolossalstatue zeigt die stehende Göttin mit Mittelscheitelfrisur und in den Nacken fallenden gewellten Haarsträhnen und bekleidet mit dem Diplax, das rote Farbreste aufweist.916 Auf dem klein proportionierten Kopf trägt sie eine Mondsichel mit Sonnenscheibe, zwischen denen noch Ansätze der offenbar abgebrochenen Federn oder Ähren zu erkennen sind, die das Basileion komplettierten. Die Sonnenscheibe weist noch eine weitere in erhabenem Relief abgesetzte Scheibe in ihrem Inneren auf. In der herabhängenden linken Hand hielt sie wahrscheinlich eine Situla; der gänzlich fehlende rechte Arm dürfte, ein Sistrum tragend, erhoben gewesen sein. Sie war in einer Nische am Rand der östlichen Piscina des Frigidariums aufgestellt. Bei einer zweiten, wesentlich kleineren weiblichen Statue, welche die fransenbesetzte Knotenpalla, ebenfalls mit roten Farbresten, trägt, läßt sich ob des fehlenden Kopfes nicht sicher entscheiden, ob die Göttin selbst oder eine Kultdienerin gemeint ist, wenngleich meist letztere Bezeichnung (bzw. „Isispriesterin“) verwendet wird.917 Auch beide Arme sind abgebrochen. Auf den Schultern und am Hals sind noch die herabhängenden Enden eines über den Kopf gelegten Fransentuches sowie die Spitzen von Korkenzieherlocken zu erkennen. Beide Skulpturen zeigen kaiserzeitliche Standardtypen.918 Ihre Aufstellung im Kontext des reichen statuarischen Dekorationsprogrammes der Thermen919 zeugt von einer profunden Integration der Isis in das städtische Pantheon in der ersten Hälfte des 2. Jhs. und damit wahrscheinlich auch von der Existenz eines Heiligtums bereits zu dieser Zeit, was weiter dafür spricht, daß dem oben besprochenen Sarapeion tatsächlich ein Vorgängerbau vorausging. Von Sarapis oder anderen ägyptischen Gottheiten wurden keine Darstellungen in den Thermen gefunden;920 die übrigen Skulpturen zeigen 915 Siehe oben; bei diesen ist aufgrund der noch ausstehenden Publikation nicht klar, inwieweit sie sich in Größe und Aussehen unterscheiden, so daß die ursprüngliche Aufstellung nicht rekonstruiert werden kann. 916 BARTOCCINI, Terme di Lepcis, S. 134–135, Abb. 134–135; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 48, S. 38 u. 127 (Dat.: 130–140 n. Chr.); Taf. 32; MANDERSCHEID, Skulpturenausstattung, S. 107, Nr. 320, Taf. 40; FINOCCHI, Sculture, S. 104–106 u. 133, Nr. 53; Taf. 56–57. 917 BARTOCCINI, Terme di Lepcis, S. 162–163, Abb. 173; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 12, S. 16 u. 114 (Dat.: 120–130 n. Chr.); Taf. 11; MANDERSCHEID, Skulpturenausstattung, S. 107, Nr. 321, Taf. 40; FINOCCHI, Sculture, S. 106–107 u. 133, Nr. 54; Taf. 58–59. Der genaue Fundort ist unbekannt. 918 Vgl. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen. 919 Siehe BARTOCCINI, Terme di Lepcis, S. 99–179. 920 Eine Statue des delphischen Apoll mit den Zügen des Antinoos wird hier nicht zu den ägyptischen Göttern gezählt. Antinoos soll auch im Folgenden nur dann eine Rolle spielen, wenn er deutlich in einen ägyptischen oder ägyptisierenden Kontext gesetzt bzw. in einem Heiligtum mit ägyptischen Gottheiten vergesellschaftet wird.

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vor allem Repliken klassischer und hellenistischer Werke sowie einige Porträtstatuen verschiedener Zeiten. Außer Sarapis und Isis werden andere ägyptische Gottheiten überhaupt nur möglicherweise unter den synnaoi theoi des Heiligtums subsumiert, bleiben aber namenlos. Nur für Osiris gibt es ein vereinzeltes Zeugnis, das allerdings nicht aus dem Sarapis-Heiligtum selbst stammt: in einem Grabungsschnitt um die nordöstliche Favissa des Tempels von Roma und Augustus am Alten Forum wurde ein kleiner Bronze-Anhänger in Gestalt von Osiris-Kanopos entdeckt.921 Kult, Kultpersonal und Anhänger Auf Basis der nur in kurzen Berichten publizierten Architektur und Ausstattung des Tempels läßt sich die darin stattfindende Kultpraxis nur teilweise rekonstruieren. In der Cella standen mindestens Kultstatuen des Sarapis und der Isis auf dem breiten Podium an der Rückwand; der Zugang zu ihnen war durch die Gitterwand stark eingeschränkt.922 Nebenkapellen wie im großen Heiligtum in Sabratha existieren nicht, doch waren zumindest in den Sacellae der Portiken Statuen aufgestellt, die jedoch offenbar keine Gottheiten, sondern Privatpersonen darstellten und demzufolge auch keinen Kult empfingen. Nach Ausweis der privaten Weihinschriften muß es aber neben Isis noch weitere Nebengötter gegeben haben, wenn man die Formel καὶ τοῖς συννάοις θεοῖς nicht als inhaltslose Phrase abtun möchte. Kultgerät, möglicherweise auch gerade nicht in Gebrauch befindliche Statuen, konnten im Kultbildpodium sowie in den Räumlichkeiten hinter dem Tempel aufbewahrt werden. Opfer wurden vor allem auf dem über Stufen begehbaren Hauptaltar vor der Podiumstreppe vollzogen, doch auch zahlreiche kleinere Altäre wurden in das Heiligtum gestiftet. Das Wasser für Libationen und den sonstigen täglichen Bedarf lieferten wohl die beiden unterirdischen Zisternen, die den aufwendigen Wasserinstallationen des Heiligtums in Sabratha jedoch deutlich nachstehen. Die im Hof zwischen dem Eingang des Heiligtums und dem Tempel gelegene Zisterne könnte auch ein Reinigungsbecken für Gemeinde und Kultpersonal bedient haben.923 Titel und Mitglieder des zuständigen Kultpersonals sind weder epigraphisch noch durch Bildnisse bezeugt. Einzig die kopflose Statue aus den Hadriansthermen läßt die Möglichkeit einer porträtierten Isisdienerin offen, was ich aufgrund ihres Aufstellungskontexts allerdings für weniger wahrscheinlich halte. Ein Nilmosaik aus der Badeanlage einer Villa („Villa del Nilo“) östlich der Stadt stellt u. a. zwei flötenspielende ägyptische Priester vor einem Nilometer dar.924 Ihr Kopfschmuck aus Federn, dem Symbol der Maat, kennzeichnet sie als Pterophoren („Flügelträger“), also Schreiber- bzw. Vorlesepriester (im römischen Kult als Hierogrammateus bzw. Grammateus bezeichnet).925 Gehörig zu der großen Denkmälergruppe der Nillandschaften, muß die Darstellung aus der zweiten Hälfte des 3. Jhs. 921 C. ALFANO, Il bronzetto Osiride-Canope, in: A. Di Vita/M. Livadiotti (Hrsg.), I tre templi del lato nord-ouest del Foro Vecchio a Leptis Magna, Monografie di archeologia libica 12, Rom 2005, S. 299–303. 922 Zur Abschirmung des Kultbildes und Restriktionen bezüglich seiner Sichtbarkeit siehe KLEIBL, Iseion, S. 153; NAGEL, Kult und Ritual, S. 169–171. 923 Vgl. dazu WILD, Water, S. 133. 924 Siehe FOUCHER, Calendrier, S. 99, Abb. 27; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, Kat. 091, S. 185–186. 925 Zu den Pterophoren vgl. Band 1, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs), m. Anm. 1323.

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jedoch keinen lokalen kultischen Bezug haben, sondern kann gerade in einem Privathaus ebenso als bloßes aufwendiges Dekorationselement mit passendem thematischem Bezug zum entsprechenden funktionellen Teil der Räumlichkeiten (hier: Badeanlagen) verwendet worden sein.926 Die weitaus meisten Informationen bieten die privaten Weihinschriften über die Anhängerschaft des Zeus Helios megas Sarapis im 3. Jh. n. Chr. Sowohl der überwiegenden Sprache der Weihungen als auch den Cognomina zufolge handelte es sich um eine griechischsprachige Gemeinde, die – wahrscheinlich nach der constitutio Antoniniana927 – die römischen tria nomina, in fast allen Fällen mit dem Gentiliz Aurelius, annahmen. Die Dedikationen wurden teilweise von ganzen Familien vorgenommen, in einigen Fällen finden sich auch mehrere Stiftungen von einer Person oder Personengruppe. So stammen die beiden prominentesten Inschriften auf den Podiumwangen mit den dazugehörigen Statuen von Aurelius Dioskoros zusammen mit seinem gleichnamigen Vater, seiner Frau Kanoulia Klaudiane und seinen Kindern Aurelius Dioskoros (III.) und Aurelia Eutychia, sowie seiner Schwester Aurelia Theodora mit ihrem Mann Aurelius Potamon und ihren Kindern Aurelius Potamon und Aurelia Theodora.928 Stammbaum: Die Familie des Aurelius Dioskoros Aurelius Dioskoros (I.) Kanoulia Klaudiane = Aurelius Dioskoros (II.) Aurelia Eutychia

Aurelius Dioskoros (III.)

Aurelia Theodora = Aurelius Potamon (I.) (I.) Aurelia Theodora (II.)

Aurelius Potamon (II.)

In den beiden Inschriften sind keine Praenomina genannt, was ab dem späten 2. Jh. n. Chr. jedoch nicht weiter ungewöhnlich ist.929 Allerdings ist auf einer kleinen Inschriftenbasis, die wahrscheinlich ebenfalls aus dem Sarapeion stammt, ein P(ublius) Aurelius Dioskoros als Stifter genannt,930 welcher möglicherweise mit einem der drei Männer dieses Namens aus der Familie identisch ist. Eine weitere Familie ist durch die drei Weihungen des Aurelius Origenes, genannt Athenodoros, bekannt, die er zusammen mit seiner Frau Gellia Aska und seiner Tochter Protarche in das Heiligtum stiftete.931 Zwar nicht gemeinsam mit der 926 927 928 929 930

Vgl. dazu VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 253–258; 381–384. Zur Problematik der Datierung, siehe oben, unter Kap. 7.2.2.3.1. RICIS 702/0107–0108; siehe oben. Vgl. M. G. SCHMIDT, Einführung, S. 88. RICIS 702/0103 (vgl. RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 273, Nr. 3; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 511, Nr. 7. 931 RICIS 702/0106 (nur mit Tochter), 702/0110 (mit Frau und Tochter) und 702/0111 (nur mit Tochter); MORA, Prosopografia Isiaca, S. 511–512, Nr. 8; S. 516, Nr. 39.

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Familie, aber im Namen der Gemeinde dedizierte P(ublius) Servius Hegesilochos den zweiarmigen Leuchter an Sarapis.932 Unter den nur von Einzelpersonen vorgenommenen Weihungen im Sarapeion stammt eine von Aurelius Attalos.933 Ebenfalls nur jeweils eine Inschrift haben M(arkus) Aurelius Petronios, genannt Demetrios,934 L(ucius) Aurelius Hierax935 und Aurelius Aphrodeisios936 hinterlassen, ebenso wie Cl(audius) Syrapiacus937 und der Freigelassene Maro,938 deren Inschriften in Latein verfaßt sind. Eine Besonderheit stellen die beiden Weihungen zu Ehren des Poeten und eques Romanus principalis Alexandriae Aurelius Sempronius Serenus Dulcitius dar, dem noch eine weitere Ehrenbasis in der Stadt aufgestellt worden ist, die von einer Statuenweihung (oder nach TANTILLO zwei in zwei verschiedenen Städten) für ihn spricht.939 Es muß sich um eine bekannte, aus Alexandria stammende Persönlichkeit handeln, die ca. am Ende des 3. bis Anfang des 4. Jhs. in Leptis lebte und neben der Dichtertätigkeit die munizipalen Ämter eines Dekurio und principalis innehatte.940 Außerdem war im Amphitheater für ihn ein Platz in einem Bereich reserviert, in dem auch hochrangige Würdenträger der Stadt saßen.941 Alexandria war in der Spätantike ein wichtiges Zentrum der Dichtkunst942 und so darf es nicht verwundern, daß ein offenbar angesehener Poet von dort stammte. Auch unter den griechischsprachigen Dedikanten des Heiligtums deuten einige ungewöhnliche Namen wie Potamon, Origenes und Hierax auf eine ägyptische Herkunft hin.943 Daß es in der Stadt eine bedeutende, sozial angesehene alexandrinische Gemeinde gegeben haben muß, zeigen wiederum Sitzplatzreservierungen für sie im Amphitheater von Leptis.944 Daraus läßt sich ableiten, daß man womöglich auch in der Lage war, einen „original“ ägyptischen respektive zumindest alexandrinischen Priester für das Heiligtum abzustellen, der einen Kult nach ägyptischem Vorbild vollzog, wie es in einigen Quellen für Heiligtümer der ägyptischen Gottheiten auch außerhalb Ägyptens gefordert wird.945 Was die übrigen Dedikanten anbelangt, so wurde beispielsweise die Herkunft von Aurelius Aphrodeisios wegen seines topographischen Cognomens im karischen Aphrodi932 933 934 935 936 937 938 939 940 941 942 943 944 945

RICIS 702/0102; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 516, Nr. 42; siehe oben. RICIS 0105; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 511, Nr. 6; siehe oben. RICIS 702/0109; siehe oben. RICIS 702/0112; siehe oben. RICIS 702/0104+702/0113 (siehe RICIS Suppl. III); G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 274, Nr. 11, u. 280, Abb. 11. RICIS 702/0119; siehe oben. RICIS 702/0101; siehe oben. Weihungen aus dem Sarapeion: RICIS 702/0114–0115; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 515, Nr. 32; siehe oben. Ehrenbasis: IRT 559; rezent dazu TANTILLO, Principalis alessandrino, bes. S. 407–409. Siehe ausführlich zur Person des Dulcitius und den Hintergründen der aus den Leptitaner Inschriften ableitbaren Informationen TANTILLO, Principalis alessandrino. TANTILLO, Principalis alessandrino, S. 415–416. Vgl. TANTILLO, Principalis alessandrino, S. 433; siehe dazu A. CAMERON, Wandering Poets: a Literary Movement in Byzantine Egypt, in: Historia 14, 1965, S. 470–509. Vgl. G. PUGLIESE CARRATELLI, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 271; BULLO, Indicazioni di Vitruvio, S. 534; zu den Namen in Ägypten PREISIGKE, Nb, s. v. FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 117. Vgl. zu Ägyptern in Leptis auch CRISTOFORI, Egiziani nelle province, S. 1197, Nr. 7; 1200–1201, Nr. 40–41. Vgl. z. B. eine Inschrift aus Priene, die allerdings bereits aus hellenistischer Zeit stammt: RICIS 304/0802. Siehe dazu NAGEL, Kult und Ritual, S. 162 u. 172.

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sias vermutet, woher aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest ein Teil der für das severische Bauprogramm angeheuerten Bildhauer stammte.946 Bei Claudius Syrapiacus läßt sich die Abweichung in der Schreibung des gängigen theophoren Namens (Serapiacus, Sarapiacus) möglicherweise mit dem punischen Hintergrund des Weihenden oder aber des Graveurs erklären.947 7.2.2.4 Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Tripolitania Neben Sabratha und Leptis Magna besaß vielleicht noch eine weitere Hafenstadt, Gigthis (Bu Ghrara), ein Heiligtum für Sarapis.948 Bei dem fraglichen Gebäude handelt es sich um den zentralen Tempel des unter Hadrian erbauten römischen Forums (Tempel A), was an sich bereits Zweifel an der Identifizierung aufkommen läßt.949 Gelegen am Westende des von einer dreiseitigen Portikus umgebenen Forumsplatzes erhebt sich der Kalksteinbau als Pseudoperipteros mit sechs korinthischen Frontsäulen aus Marmor auf einem Podium. Die hinaufführende Treppe ist im unteren Bereich durch eine zentrale große Plattform in zwei seitliche Flügel unterteilt.950 Von einer Fußbodenpflasterung oder Wandverkleidung im Inneren des Naos ist nichts mehr übrig, was bedeutet, daß diese wahrscheinlich aus Marmorplatten bestanden.951 Außen waren die Wände stuckiert. Entlang der Cella-Rückwand verläuft mit etwas Abstand ein zweiter Mauerzug, der wahrscheinlich eine Kultbildbank stützte. Zu beiden Seiten der Treppenaufgänge zum Pronaos befand sich jeweils eine kleine Basis, die Säulen getragen haben müssen, deren südliche den Zeiger einer Sonnenuhr bildete, von der sich ein Rest auf der Tempelplattform erhalten hat.952 Die Vorderseite der Plattform selbst war mit Marmorreliefs geschmückt, die ein Krokodil sowie männliche und weibliche anthropomorphe Gestalten zeigen, welche CONSTANS als Darstellungen ägyptischer Gottheiten, darunter Isis und Anubis, interpretierte.953 Aufgrund des Krokodils könnte es sich aber auch um die Darstellung einer Nillandschaft gehandelt haben.954 Der Hauptgrund für die Identifizierung als Sarapis-Heiligtum war allerdings der Fund eines kolossalen Zeus-Sarapis-Kopfes aus weißem Marmor, der in eine Wand neben dem Forum verbaut worden war.955 Der Kopf weist die langen, in die Stirn fallenden Haarsträhnen des in der Kaiserzeit verbreiteten Typus auf und ist wahrscheinlich in die antoninische Epoche zu datieren.956 Die Maße könnten durchaus für die ursprüngliche Zugehörigkeit zu einem Kult946 BIANCHI BANDINELLI/CAPUTO/VERGARA CAFFARELLI, Leptis Magna, S. 90; vgl. auch FLORIANI SQUARCIAPINO, Leptis Magna, S. 103. 947 Vgl. G. DI VITA EVRARD, in: DI VITA et al., Serapeo di Leptis, S. 286. 948 KLEIBL, Iseion, Kat. 68, S. 366–367 (mit unsicherer Identifizierung), mit älterer Literatur. 949 WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1779, hält eine Identifizierung als Kapitol aufgrund der typischen, zentralen Lage für wahrscheinlicher. 950 Vgl. CONSTANS, Mission archéologique, S. 26–27; KLEIBL, Iseion, Kat. 68, S. 366. 951 CONSTANS, Mission archéologique, S. 28. 952 CONSTANS, Mission archéologique, S. 28. 953 CONSTANS, Mission archéologique, S. 29–30; Taf. 4. Leider ist auf den Abbildungen kaum etwas zu erkennen. 954 So auch PISANU, Vita religiosa, S. 230. 955 CONSTANS, Mission archéologique, S. 30–31; Taf. 6, Abb.1; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 751, S. 138; PISANU, Vita religiosa, S. 230; Taf. 3. KLEIBL, Iseion, Kat. 68, S. 366, führt außerdem einen zweiten kolossalen Zeus-Sarapis-Kopf auf, der in der Cella gefunden worden sein soll. 956 Vgl. CONSTANS, Mission archéologique, S. 31.

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bild sprechen, wenngleich die Zuordnung zu dem Forumstempel, die CONSTANS vornimmt, aufgrund der spätantiken Verbauung sehr unsicher ist. Er rekonstruiert eine Aufstellung auf der großen Basis, die sich hinter der vorderen Ecke der nördlichen Podiumswange, direkt vor der nördlichen Portikus des Forumsplatzes befindet.957 Hinter dem Gebäude wurden desweiteren Fragmente von Stuckreliefs gefunden, die wahrscheinlich zu einem Fries oder zum Giebelschmuck gehörten; die Darstellungen sind jedoch nicht mehr rekonstruierbar.958 Ob der Tempel nun tatsächlich Sarapis bzw. den ägyptischen Gottheiten geweiht war oder nicht, der Fund des Kolossalkopfes spricht zumindestens für die grundsätzliche Existenz eines entsprechenden Kultes in Gigthis. Auch die Verehrung von Isis ist in der Stadt durch einen Statuenkopf nachgewiesen.959 Auf einem Fragment einer Schiffslampe sind die Büsten von Sarapis und Isis, welche einen Kopfschmuck aus Mondsicheln und Sonnenscheibe trägt und von einer Uräusschlange begleitet wird, gemeinsam dargestellt.960 Isis befindet sich zwischen zwei Säulen im Mittelteil des Schiffes, Sarapis im Heck, während der Bug, den wahrscheinlich die Büste des Harpokrates einnahm, zerstört ist. In der übrigen Region Tripolitania gibt es außer den üblichen vereinzelten Lampenfunden961 kaum Zeugnisse für die ägyptischen Gottheiten, schon gar nicht im Hinterland. In Sahel di Homs, unweit von Leptis Magna, fand man eine Marmorstele in Form eines distylen ionischen Naos, dessen Giebel mittig eine Sarapisbüste mit Anastolé-Frisur und Kalathos schmückt.962 Im Hauptfeld zwischen den beiden Säulen erhebt sich eine bärtige Schlange vor einem Pfeiler mit einem Pinienzapfen. Die teils griechische, teils lateinische Weihinschrift, welche sich auf den Geisa, den Säulen und dem ‚Tempelpodium‘ entlangzieht, kennzeichnet das Stück als Dedikation an Asklepios zugunsten des Sieges „der Herrscher“ ([τῶν κυ]ρίων), mit denen wahrscheinlich Septimius Severus und seine Söhne gemeint sind. Der Stifter, der Marmorbildhauer Asklepiades aus Nikomedia (Izmit), zeichnet sich bereits durch seinen theophoren Namen, der zudem identisch mit dem seines Vaters ist, als Verehrer des griechischen Heilgottes aus, der hier in der Umgebung von Leptis offenbar mit Sarapis identifiziert worden ist, wie bereits oben anhand von Zeugnissen aus der Stadt selbst deutlich wurde.963 Als Skulpteur kleinasiatischer Herkunft gehörte Asklepiades möglicherweise zu den für das severische Bauprogramm zuständigen Handwerkern, die am Geburtsort der Kaiserfamilie tätig waren (s. o.). 957 CONSTANS, Mission archéologique, S. 31. 958 CONSTANS, Mission archéologique, S. 28; Taf. 5. 959 Vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 232; M. YACOUB, Musée du Bardo. Musée Antique, Tunis 1970, S. 48, C 1032. Keine Abb. vorhanden. 960 CONSTANS, Mission archéologique, S. 31; PISANU, Vita religiosa, S. 230; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 232; PODVIN, Lampes isiaques, S. 370; ID., Luminaire, S. 92 u. 261; BRICAULT, Dame des flots, S. 128. Zum Typus der Schiffslampen siehe oben, Kap. 7.2.2.2.3. 961 Aus Gholaia (Bu Njem) stammt z. B. eine Lampe mit Sarapiskopf, siehe BRICAULT, Atlas, S. 81; R. REBUFFAT, Divinités de l’oued Kebir (Tripolitaine), in: L’Africa Romana 7, 1, 1990, S. 119–159: 148–149; PODVIN, Luminaire, S. 225. 962 RICIS 702/0401; Taf. 132; HORNBOSTEL, Sarapis, S. 200; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 229; BRICAULT, Dieux de l’Orient, S. 291. 963 Siehe oben, Kap. 7.2.2.3.2. Zur Assoziation und Identifikation von Sarapis und Asklepios im Mittelmeerraum siehe RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 343–347, auch zur Marmorstele aus Sahel di Homs in Anm. 27.

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Provinz Africa Proconsularis

7.2.3.1 Der Kult der ägyptischen Götter nach der punischen Zeit Die frühen Kontakte des punischen Nordafrika mit ägyptischem Kulturgut und ägyptischer Religion, bei denen Karthago eine zentrale Rolle einnahm, wurden oben in Kap. 7.1 eingehend mit Fokus auf die Götter des Isiskreises behandelt. Dabei stellte sich heraus, daß zahlreiche bildliche Darstellungen in Form von Amuletten oder auf Siegeln und anderen Objekten der Kleinkunst sowie theophore PN und ein inschriftlich belegter Isistempel der punischen Hauptstadt eine Übernahme und Verehrung der ägyptischen Götter bereits vor hellenistischer Zeit nahelegen. Wie entwickelte sich dieser Kult nach der Eroberung Karthagos durch Rom und die Eingliederung des Gebietes als römische Provinz Africa Proconsularis weiter? Nach den besprochenen Zeugnissen der punischen Zeit klafft eine größere Lücke in der Beleglage, bis sich die Quellen im 2. Jh. n. Chr. wieder häufen.964 Motive, die im Zusammenhang mit dem Isiskreis stehen, beginnen zwar ab dem 1. Jh. n. Chr. langsam wieder zunehmend auf Münzen und vor allem auf Lampen aufzutauchen, doch archäologische Reste von Heiligtümern lassen sich erst in der fortgeschrittenen Kaiserzeit in den größeren Städten Karthago (7.2.3.2) und Bulla Regia (7.2.3.3) nachweisen. 7.2.3.2 Karthago 7.2.3.2.1 Das römische Sarapeion965 Baugeschichte und Architektur Nach dem in der punischen Inschrift des 3./2. vorchristlichen Jahrhunderts belegten Isistempel966 existierte den zahlreichen Funden zufolge auch im 2. Jh. n. Chr. wieder ein Heiligtum ägyptischer Gottheiten in der nunmehr neu aufgebauten, römischen Stadt. Die Lokalisation der Kultstätte ist heute nicht mehr anhand von sichtbaren architektonischen Resten nachzuvollziehen, sondern beruht auf der bei den ersten Ausgrabungen durch E. P. DE SAINTE-MARIE 1874 und später zutage getretenen Fundkonzentration zwischen dem Hügel von Saint-Louis (= Hügel von Byrsa) und den Zisternen von Bordj Djedid, nicht weit vom Meeresufer.967 Nach zwei offenbar noch in situ befindlichen Objekten erstreckte sich der Tempel genauer auf der Insula zwischen Decumanus II Nord und den Cardines XI–XII Ost und war demzufolge zwischen den Antoninusthermen und dem Theater, mitten im urbanen Zentrum, positioniert.968 Bei den Ausgrabungen wurden auch noch einige Gebäudestrukturen festgestellt, die die Anlage eines Tempels am hinteren Ende eines gepflasterten Hofes, sowie zwei kleinere flankierende Räume erkennen ließen, die möglicherweise 964 965 966 967

Vgl. auch BRICAULT, Dieux de l’Orient, S. 291. Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 60, mit älterer Literatur. RICIS 703/0101; siehe oben, Kap. 7.1.5. Publikation der Grabungen DE SAINTE-MARIE, Mission à Carthage; vgl. KLEIBL, Iseion, Kat. 60, S. 353; AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 403; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 230. Eine gründliche Publikation des Tempels anhand der im Museum von Algier und im Louvre befindlichen Funde ist in Vorbereitung durch J.-P. LAPORTE. 968 Vgl. BESCHAOUCH, Localisation, mit Karten S. 325, Abb. 1, u. S. 329, Abb. 4; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 230.

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als Nebenkapellen für die synnaoi theoi der Hauptgottheit dienten.969 Einer dieser Räume weist einen weißen Mosaikboden auf, was auf eine qualitätvolle Ausstattung der Anlage hindeutet. Die gängige Datierung der Kultstätte in das 2. Jh. beruht auf den Skulpturen- und Inschriftenfunden, die frühestens aus diesem Zeitraum stammen.970 Funde und Ausstattung Die zahlreichen im Bereich des Heiligtums aufgefundenen Skulpturen und Inschriften belegen vor allem einen Kult des Sarapis. Für die genaue Lokalisierung des Tempels (s. o.) entscheidend war u. a. ein noch in situ befindlicher kolossaler Sarapiskopf mit roten Farbspuren in Bart- und Kopfhaar und einem mit Bäumen und Ähren dekorierten Kalathos.971 Die unbearbeitete Rückseite des Kopfes972 spricht für die ursprüngliche Aufstellung in einer Nische oder auf einer Kultbildbasis; auch aufgrund der Kolossalität dürfte er aller Wahrscheinlichkeit nach von der Kultstatue stammen. Das zweite, noch in ursprünglicher Aufstellung auf dem Hof entdeckte Objekt war eine kleine Statuenbasis mit einer bilinguen Weihung an Isis und Sarapis durch Gaius Novius Cano, die epigraphisch in die zweite Hälfte des 2. Jhs. (vorseverisch) zu datieren ist.973 Das außerdem in diesem Bereich gefundene Unterteil einer anepigraphen Basis974 könnte ebenfalls der Aufstellung einer Statue gedient haben. Den Mosaikböden und den übrigen qualitativ hochwertigen Skulpturenfunden zufolge muß das Heiligtum insgesamt üppig und prachtvoll ausgestattet gewesen sein, was sich gut in das Bild eines zentralen, intraurbanen Kultbaues der fortgeschrittenen Kaiserzeit einfügt. Neben dem erwähnten Kolossalkopf zeugen noch vier weitere, aber kleinere Köpfe des Sarapis aus Marmor und Alabaster von der Verehrung des Gottes im 2.–3. Jh. n. Chr.,975 wenngleich die Zugehörigkeit der Stücke zum Tempel aufgrund der verstreuten und teilweise unbekannten Fundlage nicht immer sicher zu ermitteln ist. Auch weitere epigraphische Funde aus dem Tempelbereich erwähnen vor allem Sarapis mit verschiedenen Beinamen; besonders interessant ist die Skulptur eines Schiffsbugs aus dem 2. Jh., auf dem noch der rechte Fuß einer Statue erhalten ist, die der lateinischen Inschrift zufolge „Sarapis Neptun Augustus“ darstellte und den Gott dementsprechend in seiner Rolle als Schutzpatron der Seefahrt hervorhebt, die hier zu seiner Identifikation mit dem römischen Meeresgott führ-

969 Vgl. DE SAINTE-MARIE, Mission à Carthage, S. 25; AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 406–407; KLEIBL, Iseion, Kat. 60, S. 353. Zu solchen Nebenkapellen in Heiligtümern ägyptischer Gottheiten siehe KLEIBL, Iseion, S. 94. Auch der Tempel am Akropolishang von Kyrene besaß ja zwei flankierende Räumlichkeiten, deren Zweck nur zu erraten ist, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 970 Vgl. z. B. GSELL, Cultes égyptiens, S. 151; BRICAULT, RICIS, S. 756, Anm. 1, gibt (ohne Begründung) spezifisch die hadrianische Zeit an. 971 Paris, Louvre Inv. 1830; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 740, S. 137; HORNBOSTEL, Sarapis, S. 246 m. Anm. 8; Taf. 129, Nr. 207; GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2216, Abb. 3, und 2218. 972 Vgl. GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2218. 973 RICIS 703/0112; siehe dazu BESCHAOUCH, Localisation, S. 326–330, m. Abb. 2–3. 974 Siehe BESCHAOUCH, Localisation, S. 330. 975 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 741–744, S. 137–138; HORNBOSTEL, Sarapis, S. 246 m. Anm. 8a–b; Taf. 128, Nr. 205–206; BRICAULT, Atlas, S. 85.

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te.976 Eine weitere lateinische Weihung dieser Zeit durch den Priester (sacerdos) Tiberius Claudius Sarapiacus „und die Seinen“ nennt Sarapis „den größten (maximo) Gott“ und erwähnt eine Weihegabe, die durch ein Dekret der Dekurionen gestiftet wurde.977 Der Stifter betitelt sich zwar nur als sacerdos, doch sein theophorer Name und der Inhalt der Dedikation machen es wahrscheinlich, daß er dieses Amt für Sarapis selbst ausübte.978 Auch zwei kleine Marmorsäulen wurden in das Heiligtum dediziert, wobei nur bei einer davon die griechische Inschrift vollständig erhalten ist: Sie richtet sich an die ab antoninischer Zeit besonders beliebte Form des Gottes Zeus Helios Megas Sarapis und die „synnaoi theoi“.979 Von der zweiten Säule fehlt der obere Teil und nur noch die Reste „[…] hat mit den Seinen aufgestellt“ sind zu lesen.980 Es ist wahrscheinlich, aber nicht klar erkennbar, daß es sich um ein zusammengehöriges Paar von denselben Stiftern, nämlich Titus Valerius Alexandros und den Seinen, handelt.981 Noch mehr synkretistische Epiklesen kumuliert Lyton in seiner Dedikation eines kleinen Marmoraltares an „Zeus Helios Megas Pantheos Sarapis“ zugunsten seiner Tochter Flavia.982 Ein Statuenfragment aus schwarzem Marmor mit Pavianskopf wurde der lateinischen Inschrift auf dem Brustbereich zufolge an „Sarapis Augustus“ geweiht,983 und zwar von derselben Familie, die auch die Skulptur des Sarapis-NeptunAugustus auf dem Schiffsbug stiftete, namentlich den Aurelii Pasinici.984 Die Statue zeigt, daß Thoth zu den auf der kleinen Säule (s. o.) genannten synnaoi theoi des Heiligtums gehört haben dürfte. Etwas schwieriger ist die Interpretation einer weiteren Dedikation der Sippe der Pasinici, da der entscheidende Gottesname auf der kleinen Basis nicht erhalten ist: Lesbar sind die Nennung des Toponyms „in Kanopos“ und das Epitheton „der große Gott“.985 In der lateinischen Weihung des Priesters Tiberius Claudius Sarapiacus986 wird Sarapis „sehr großer Gott“ genannt, der hier wahrscheinlich auch gemeint ist, zumal „Sarapis in Kanopos“ auch in Weihungen aus Delos belegt ist.987 Sehr ungewöhnlich ist der Fund des Restes einer Marmorprotome oder Büste mit der griechischen Inschrift „Manethon“; die 976 RICIS 703/0102; BRICAULT, Dame des flots, S. 163, Abb. 72; siehe auch GSELL, Cultes égyptiens, S. 150; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 231. Zu dieser Funktion des Sarapis, die er im Anschluß an Isis erhält, siehe ausführlich BRICAULT, Dame des flots, S. 155–170, bes. 163–164 zur Weihung aus Karthago. 977 RICIS 703/0105; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 513, Nr. 16. 978 Vgl. auch BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 232. 979 RICIS 703/0106. Vgl. das Sarapeion von Leptis magna, s. o., Kap. 7.2.2.3.1. 980 RICIS 703/0107. 981 In RICIS und SIRIS sind keine Abbildungen vorhanden, und es wird nirgends angegeben, ob die Säulen ihrem Aussehen nach zusammengehören könnten. Zu den Weihenden MORA, Prosopografia Isiaca, S. 516, Nr. 43. 982 RICIS 703/0110; Taf. 133; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 513, Nr. 21, und S. 514, Nr. 28. 983 RICIS 703/0104; Taf. 133. Vgl. zur Identifizierung als Pavian auch GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2217, Anm. 8. Zuvor wurde das Stück als Darstellung des Anubis interpretiert, was aber anhand der erhaltenen Ohren- und Augenform nicht in Frage kommt. Als „Anubis“ oder „hundsköpfig“ bei GSELL, Cultes égyptiens, S. 150; BRICAULT, Atlas, S. 84; RICIS 703/0104; GSELL, Cultes égyptiens, S. 150. 984 Siehe dazu auch unten, Kap. 7.2.3.2.2. 985 RICIS 703/0103. 986 RICIS 703/0105, siehe oben. 987 RICIS 202/0332, 202/0351, 202/0370. Zu Sarapis von Kanopos siehe KISS, Sarapis de Canope; MALAISE, Isis à Canope, S. 354–355, Anm. 9.

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Darstellung selbst ist jedoch nicht erhalten.988 Gemeint sein kann damit eigentlich nur Manetho von Sebennytos, der ägyptische Priester, der als Berater des ersten oder – wahrscheinlicher – zweiten Ptolemäers fungierte und nach Plutarch989 unter anderem mit der Einführung des Sarapiskultes betraut gewesen sein soll.990 Dies würde bedeuten, daß im Heiligtum ein bewußter Rückbezug zum ptolemäischen Alexandria und vielleicht zur Gründungslegende des Sarapiskultes, wie sie bei verschiedenen Autoren überliefert ist, hergestellt wird. Das Fragment wird üblicherweise zusammen mit den übrigen Funden in das 2. Jh. n. Chr. datiert, doch ist dies keineswegs gesichert.991 Für Isis brachte das Heiligtumsareal hingegen keine weiteren Zeugnisse hervor.992 Stattdessen unterstreicht die Darstellung eines Mitglieds der Kaiserfamilie den offiziellen Charakter der Kultstätte; eine qualitätvolle Statue zeigt Hadrians Gemahlin Sabina als Ceres,993 womit die Existenz des Tempels spätestens ab hadrianischer Zeit wahrscheinlich ist994 und möglicherweise eine Verbindung des ägyptischen Kultes zum Kaiserkult bestand. Daneben wurden in dem Areal noch diverse Fragmente von Skulpturen und Reliefs gefunden,995 was die ursprünglich reiche Ausstattung vor Augen führt. Auffällig ist außerdem eine Ansammlung von Terrakottalampen im Randbereich des Heiligtums direkt am Bordj Djedid, die möglicherweise auf dort befindliche Magazinräume oder aber eine Deponierungsstätte hindeuten.996 Diese Situation erinnert etwas an die Konzentration von Lampenresten am Südrand des Heiligtums am Akropolishang von Kyrene,997 mit dem Unterschied, daß die Lampen in Karthago vollständig erhalten sind und tatsächlich auch Isis- und Sarapismotive zeigen: 22 identische Lampen mit dem Paar Isis

988 RICIS 703/0109; vgl. AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 407; GSELL, Cultes égyptiens, S. 151; BONNET, Isis à Carthage, S. 49. 989 De Iside 28. 990 Zu Manetho und der Diskussion um seine Lebens- und Schaffenszeit siehe R. LAQUEUR, s. v. „Manethon“, in: RE XIV, 1, Stuttgart 1928, Sp. 1060–1102 (1062 zur Büste aus Karthago); F. X. RYAN, Die Lebensdaten Manethos, in: GM 176, 2000, S. 85–88; VERBRUGGHE/WICKERSHAM, Berossos and Manetho. 991 Vgl. auch VERBRUGGHE/WICKERSHAM, Berossos and Manetho, S. 121, T1. 992 Die Inschrift RICIS 703/0108; Taf. 133, enthält nur noch den Rest einer Weihung „…hat aufgestellt in guter Hoffnung.“ Da jeglicher Göttername fehlt, deutet nur der Fundort auf eine Stiftung für Sarapis oder Isis hin. 993 Siehe dazu K. DE KERSAUSON, La Sabine „Pricot de Sainte-Marie“, in: RLouvre 47/2, 1997, S. 27– 35; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 231–232. Interessant ist auch die schlangenförmige Gestaltung der Haare über der Stirn, die sonst nicht bei Sabina vorkommt, siehe DE KERSAUSON, op. cit., S. 28, Abb. 3–4. 994 Möglicherweise begründet sich darin BRICAULTs Datierung des Heiligtums in hadrianische Zeit, siehe oben, Anm. 970. 995 Vgl. KLEIBL, Iseion, Kat. 60, S. 353. Laut BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 231, befanden sich darunter auch noch weitere Bildnisse der Kaiserfamilie. 996 Vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 233–234; PODVIN, Lampes isiaques, S. 374–375, Anm. 75. 997 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1.

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und Sarapis stammen offenbar aus einer Serie,998 daneben gibt es einen Lampengriff mit Sarapis-Büste999 und zwei Lampen mit Isis und Anubis.1000 Interpretation Das römische Heiligtum wird in der Forschung heutzutage aufgrund der deutlich überwiegenden Weihungen an Sarapis als Sarapistempel bezeichnet.1001 Besonders die Weihung der kleinen Säule an Zeus Helios Megas Sarapis und die „synnaoi theoi“1002 legt nahe, daß Sarapis als Hauptgottheit angesehen wurde, während die übrigen dort verehrten Götter ihm untergeordnet waren. In der bilinguen Weihung des Novius Cano,1003 die ausnahmsweise an Isis und Sarapis gerichtet ist, wird die Göttin allerdings vor ihrem Partner genannt, für den hier im Gegensatz zu den anderen Inschriften weitere Beinamen fehlen. Läßt sich dies durch eine persönliche Bevorzugung der Göttin durch den Stifter begründen oder findet sich darin ein Hinweis auf die ursprüngliche Weihung des Tempels? Das sonstige Fehlen von bildlichen (abgesehen von den Lampen) sowie epigraphischen Zeugnissen für Isis ist doch auffällig, und wäre kaum zu erklären, wenn sie als gleichberechtigte oder sogar vorrangige Göttin neben Sarapis in dem Tempel residiert hätte. Ganz im Gegensatz dazu wird das ältere Heiligtum, das in der bereits besprochenen punischen Inschrift erwähnt wird, klar als Isistempel bezeichnet,1004 und Zeugnisse für Sarapis fehlen für diese frühe Zeit ohnehin. Wegen der langen Beleglücke dazwischen und der vollständigen Zerstörung Karthagos bei der römischen Eroberung ist es kaum wahrscheinlich, daß das römische Heiligtum des 2. Jhs. den Standort der alten Kultstätte weiternutzte, und nicht eruierbar, ob vielleicht bereits schon in dem Zeitraum zwischen dem Wiederaufbau und der Neubesiedlung ab 122 v. Chr. bzw. der schließlichen Etablierung unter Augustus als Colonia Iulia Concordia Carthago und der Mitte des 2. Jhs. ein römischer Isiskult hier bestand. Das einzige literarische Zeugnis in römischer Zeit liefert Tertullian (Ende 2./Anfang 3. Jh. n. Chr.), der sowohl von einem „serapeum“ als auch von einem „vicus Isidis“ („Quartier/Stadtviertel der Isis“ oder „Isisgasse“) spricht;1005 problematisch ist allerdings, daß der Kontext jeweils keineswegs eine sichere Lokalisierung der angesprochenen Orte in Karthago hergibt.1006 Obwohl der Kirchenschriftsteller in Karthago geboren war, lange dort lebte und eine wichtige Persönlichkeit der christlichen Gemeinde war, hielt er sich möglicherweise in seiner ersten Le998 Siehe DENEAUVE, Lampes de Carthage, S. 202–203, Nr. 981–982; Taf. 89; A.-L. DELATTRE, Lampes romaines trouvées à Bordj-Djedid, in: Revue tunisienne, Mars 1913, S. 189, Nr. 10; PODVIN, Luminaire, S. 243. 999 DENEAUVE, Lampes de Carthage, S. 219, Nr. 1101; Taf. 100; PODVIN, Luminaire, S. 222. 1000 DENEAUVE, Lampes de Carthage, S. 192, Nr. 904; Taf. 82; PODVIN, Luminaire, S. 252. Zu diesem Typus siehe PODVIN, Anubis et Isis sur lampes, speziell zu diesen Exemplaren S. 33 u. 36, Anm. 11. 1001 So z. B. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 230; BRICAULT, Atlas, S. 84; GSELL, Cultes égyptiens, S. 149; AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 404. Nur BESCHAOUCH, Localisation, spricht von einem „Isistempel“. 1002 RICIS 703/0106, siehe oben. 1003 RICIS 703/0112, siehe oben. 1004 RICIS 703/0101; siehe oben, Kap. 7.1.5. 1005 Tertull., De spectaculis, 8; De idolatria, 20. 1006 Auf Karthago und den dortigen Sarapistempel bezogen bei AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 239; und GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, 2214, Anm. 5, der die Vermutung äußert, es könne auch zwei separate Tempel, einen für Sarapis und einen für Isis gegeben haben.

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benshälfte auch lange in Rom auf,1007 weswegen teilweise angenommen wird, daß sich insbesondere der „vicus Isidis“ auf einen Bezirk in Rom bezieht, so z. B. in der nach dem Isis- und Sarapistempel benannten augusteischen Regio III.1008 Auffällig ist aber, daß diese Bezeichnung für einen vicus in Rom ansonsten nicht belegt ist und auch nicht im Regionenkatalog aufgeführt wird. Wenn der „vicus Isidis“ außerdem nach demselben Tempel benannt wäre wie die Regio III, erscheint die Weglassung von Sarapis in der Benennung ungewöhnlich. Auch entstanden die Schriften zum richtigen Verhalten von Christen im heidnisch geprägten Alltagsleben, zu welchen De spectaculis und De idolatria, aus denen die Zitate stammen, gehören, erst in Tertullians zweiter Lebenshälfte, die er ja in Karthago zubrachte. Dort war er wohl als Katechet tätig, weswegen es naheliegend erscheint, daß er sich auf die dort vorgefundenen Verhältnisse bezieht.1009 Ein direkter Bezug auf seine Heimatstadt wird in einigen Schriften explizit deutlich.1010 In demselben Absatz, in dem der vicus Isidis erwähnt wird (De idolatria 20) spricht er auch davon, den Namen des Gottes Saturn zu nennen; da dieser im römischen Nordafrika als höchster Gott verehrt wurde, könnte dies ebenfalls darauf hindeuten, daß Tertullian über seine Heimatstadt Karthago redet. Eine weitere Möglichkeit ist natürlich, daß seine Worte ganz allgemein gehalten sind und überhaupt keine konkreten Orte dahinterstehen: Einen (dort ebenfalls erwähnten) Tempel des Aeskulap und eine Isisgasse kann es schließlich in verschiedenen Städten gegeben haben. Falls Tertullians Beispiele jedoch auf dem Hintergrund der Topographie Karthagos beruhen, was ich für wahrscheinlich halte, spräche die Benennung eines Viertels oder einer Gasse nach der Göttin dafür, daß diese einen eigenen Tempel besaß oder zumindest in einem gemeinsamen Heiligtum neben Sarapis eine prominente Stellung einnahm. Andere ägyptische Gottheiten wie Thoth und eventuell Osiris dürften den oben diskutierten Funden zufolge in dem Heiligtum am Bordj Djedid als synnaoi theoi mitverehrt worden sein. 7.2.3.2.2 Der Kult der ägyptischen Götter in Karthago im Spiegel der Heiligtümer und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Nachdem bereits in punischer Zeit klassische ägyptische Götter, darunter Isis, Horus und Osiris, in das lokale Pantheon Einzug gehalten hatten und zumindest für Isis auch ein Tempel entstand,1011 scheint nach einer sehr belegarmen Zeitspanne von ca. drei bis vier Jahrhunderten im Anschluß an die Zerstörung Karthagos erst in der mittleren Kaiserzeit erneut 1007 Zu Tertullians Leben (soweit bekannt) und Werk siehe rezent z. B. D. E. WILHITE, Tertullian the African. An Anthropological Reading of Tertullians Context and Identities, Millennium-Studien 14, Berlin 2007; H. C. BRENNECKE, Tertullian von Karthago (2./3. Jh.), in: F. W. Graf (Hrsg.), Klassiker der Theologie 1: Von Tertullian bis Calvin, Beck’sche Reihe, München 2005, S. 28–42; ZILLING, Tertullian; BARNES, Tertullian. 1008 So E. A. PALMER, The neighborhood of Sullan Bellona at the Colline Gate, in: MEFRA 87, 2, 1975, S. 653–665: 654, Anm. 4. Auch L. RICHARDSON, A New Topographical Dictionary of Ancient Rome, London 1992, S. 424, vermutet den vicus Isidis in Rom, aber: „without a more precise location“. Ich danke MARION CASAUX herzlich für die Literaturhinweise. 1009 Zum Bezug des Werkes zur christlichen Gemeinde von Karthago siehe ZILLING, Tertullian, S. 61–82; BARNES, Tertullian, S. 60–114. 1010 Z. B. in De pallio. 1011 Vgl. Kap. 7.1.

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ein Kult ägyptischer Götter in Karthago aufzublühen. Die Produktion von TerrakottaLampen mit Isiaca-Motiven läuft schon im 1. Jh. n. Chr. langsam an, wie zwei frühe Exemplare aus Karthago mit Darstellungen des nackten Harpokrates mit Basileion (oder Lotusknospe?) zeigen.1012 Auch ein Exemplar mit Sarapisbüste wird schon in das späte 1. oder frühe 2. Jh. datiert.1013 Spätestens ab dem mittleren 2. Jh., aus dem möglicherweise auch der Tempelbau für die ägyptischen Gottheiten stammt, hat Sarapis mit deutlich romanisierter Prägung Isis offenbar an Bedeutung überflügelt, zumindest was die offiziellen Zeugnisse angeht. Die Weihungen zeichnen mit den Reihungen von Beinamen – ähnlich wie im Heiligtum von Leptis Magna – das Bild eines großen Universalgottes („der größte Gott“,1014 Pantheos1015), der im fortschreitenden Synkretismus des 2.–3. Jhs. eine enge Verbindung mit seinen mächtigen Kollegen Zeus und Helios eingegangen ist1016 und dadurch verstärkt solare Züge erhält, die sich auch ikonographisch in einigen Bildnissen auf Terrakottalampen manifestieren.1017 Sein herrschaftlicher Charakter sowie Bezüge zum Kaiserhaus werden durch den gängigen lateinischen Titel Augustus unterstrichen.1018 Die Schutzherrschaft über die Seefahrt, die er zusammen mit Isis ausübt, spiegelt sich in der Dedikation für Sarapis Neptun wider,1019 aber auch in einer schiffsförmigen Lampe mit acht Dochten, die Büsten von Sarapis und Harpokrates zeigt und aus einem Grab bei der Basilika von Dermech, also noch aus dem Bereich des Serapeums, stammt.1020 Daß auch Isis in Karthago – wie andernorts – als Herrin der Seefahrt angesehen wurde, belegt ein Intaglio mit der üblichen Darstellung der Göttin mit dem Segel und der Aufschrift NAVIGA FELIX.1021 Eine Gemme des 2.–3. Jhs. n. Chr., die aus dem punischen Hafen stammt, zeigt den thronenden Sarapis zwischen Isis, mit Basileion, Füllhorn und Szepter, und Demeter, die einen Kalathos auf dem Kopf und eine Fackel in der Hand trägt.1022 Die Kombination der Gottheiten

1012 DENEAUVE, Lampes de Carthage, S. 129, Nr. 424; Taf. 46; und S. 150, Nr. 584; Taf. 60; TRAN TAM TINH/B. JAEGE/S. POULIN, „Harpokrates“, Nr. 64a. Eine der Lampen stammt aus einer Nekropole, vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 234, Anm. 72. 1013 DENEAUVE, Lampes de Carthage, Nr. 823; Taf. 76; vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 234, Anm. 73. 1014 RICIS 703/0105. Vgl. evtl. (falls es sich um Sarapis und nicht Osiris handelt) auch RICIS 703/0103: „der große Gott“. 1015 RICIS 703/0110. 1016 RICIS 703/0106 u. 703/0110. Siehe dazu BRICAULT, Zeus Hélios mégas Sarapis; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 116; oben, Kap. 6.2.5.3 ; vgl. auch BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 231; AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 403. 1017 Lampen mit Darstellungen von Sarapis-Helios: DENEAUVE, Lampes de Carthage, Nr. 913; Taf. 83; Nr. 1068; Taf. 97. 1018 RICIS 703/0102 u. 703/0104. Zur Häufigkeit des Titels bei Sarapis siehe RICIS, S. 774, Index. Zu den Bezügen von Sarapis (und Isis) zum römischen Kaiserhaus NAGEL, Isis und die Herrscher. 1019 RICIS 703/0102. 1020 Siehe PODVIN, Lampes isiaques, S. 370, Abb. 3. 1021 BRICAULT, Dame des flots, S. 63 u. 66; F. BARATTE et al., Le trésor de Carthage: Contribution à l’étude de l’orfèvrerie de l’Antiquité tardive, Études d’Antiquités africaines, Paris 2002, S. 85–86; Taf. II.5. 1022 VEYMIERS, Ἵλεως τῷ φοροῦντι, V.BBC 10, S. 333; Taf. XX.

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sowie das Attribut des Füllhornes sprechen dafür, daß hier ihre fruchtbringenden Aspekte im Kontext der Annona dargestellt werden.1023 Neben den oben bereits besprochenen Skulpturenfunden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Areal des Heiligtums zuzuordnen sind, stammen weitere Beispiele kaiserzeitlicher Bildnisse des Gottes auch aus anderen Bereichen der Stadt: Eine Marmorstatue des stehenden Sarapis mit einer Schlange auf einem Pfeiler wurde in einer Zisterne des Odeions aufgefunden;1024 ebenso wie eine kleinere Marmorstatuette eines Asklepios mit dem Kalathos des Sarapis auf dem Kopf und Telesphorus an seiner Seite zeugt die Skulptur wohl von einer Identifikation mit dem griechischen Heilgott.1025 Desweiteren stammen eine Bronzestatuette des thronenden Zeus-Sarapis aus den Zisternen von Dar-Saniat1026 und ein kleiner Sarapiskopf aus Terrakotta vom Hafen Karthagos.1027 Für Isis, die im Bereich des kaiserzeitlichen Heiligtums nur durch die bilingue Inschrift und die Darstellungen auf den Lampen belegt ist, finden sich im Stadtgebiet von Karthago noch weitere Zeugnisse, deren ursprünglicher Kontext jedoch nicht zu ermitteln ist. Gehörten sie zu einem Heiligtum (und wenn ja, zu dem großen Sarapis- und Isistempel oder zu einem weiteren Kultbau?) oder stammen sie aus privaten Kontexten, oder aber von anderen öffentlichen Plätzen der Stadt? Eine in der Lagune bei Khereddine (im Süden Karthagos) gefundene marmorne Kolossalstatue der Göttin von hoher Qualität, die sie mit Knotenpalla, Mittelscheitelfrisur mit Korkenzieherlocken und hohem Diadem zeigt,1028 ließe sich aufgrund ihrer Monumentalität gut in einem großen Heiligtum vorstellen. Die Haare sind durch tiefe Bohrrillen strukturiert, was zusammen mit dem Gewandstil am ehesten in frühantoninische Zeit weist.1029 An der Front des Diadems lassen sich eine Sonnenscheibe und vielleicht Uräen erkennen.1030 Erst an den Anfang des 3. Jhs. n. Chr. gehört ein weiblicher Torso, der anhand der Bekleidung aus Chiton und Diplax und vor allem der Reste von Korkenzieherlocken auf den Schultern wahrscheinlich die Göttin selbst oder eine Anhängerin derselben darstellt.1031 Unsicher ist eine Nennung der Isis in zwei stark beschädigten lateinischen Inschriften: Eine Marmorplatte vom Osthang des Hügels von Byrsa ist in vier Teile zerbrochen und wurde von mehreren Personen an eine weibliche Gottheit mit dem Epitheton Augusta geweiht.1032 Vom eigentlichen Götternamen sind nur noch die Reste […]si erhalten, was in ILT zu [Neme]si ergänzt wurde.1033 Nemesis kann zwar wie Isis häufig den 1023 Bei ähnlichen Bildkompositionen auf anderen Gemmen befinden sich diese drei Götter zudem auf einem Schiff, vgl. dazu VEYMIERS, Ἵλεως τῷ φοροῦντι, S. 141–142. 1024 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 738, S. 137; TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 246, Nr. V 4; Abb. 262; GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2216–2217, m. Abb. 2. 1025 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 739, S. 137; Taf. 24. Vgl. TRAN TAM TINH, Sérapis debout, S. 79. Vgl. die Sarapis-Asklepios-Statue aus Sabratha, oben Kap. 7.2.2.2.3. 1026 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 745, S. 138; GSELL, Cultes égyptiens, S. 150. 1027 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 746, S. 138; GSELL, Cultes égyptiens, S. 151. 1028 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 17, S. 19 u. 116; BONNET, Isis à Carthage, S. 50; GSELL, Cultes égyptiens, S. 151; GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2215–2217, m. Abb. 1. 1029 Vgl. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 17, S. 19 u. 116 („um 150“). 1030 Auf der Abb. bei EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Taf. 15, nicht genau zu erkennen. 1031 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 66, S. 43 u. 133. 1032 RICIS 703/0113; Taf. 134; Z. B. BEN ABDALLAH, Catalogue des inscriptions latines païennes du musée du Bardo, CEFR 92, Rom 1986, Nr. 6, S. 253. 1033 ILT 1055 (A. Merlin).

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Beinamen Augusta tragen,1034 doch fehlt am Anfang der Inschrift wohl nur ein Buchstabe, so daß eine Weihung an Isis Augusta insbesondere in Analogie zu Sarapis Augustus (s. o.) m. E. wahrscheinlicher ist.1035 Ein Fragment einer anderen Marmorplakette wurde zusammen mit weiteren Bruchstücken bei den Grabungen an der Basilika in einer Zisterne gefunden und liefert die hypothetisch ergänzten Textreste […] […]ncapa[…] […]t supplic[…] [… pi]etas legi Isid[is? …].1036 Falls die Ergänzung stimmt, könnte also von einem (heiligen?) „Gesetz der Isis“1037 und, damit zusammenhängend, von Frömmigkeit und öffentlichen Gebeten oder Opfern (supplicatio oder supplicium) die Rede sein. Die im älteren punischen Material noch so prominente mütterliche Funktion der Isis1038 spielt im neuen römischen Bild der Göttin (anders als in Kyrene) keine Rolle mehr. Eventuell sind höchstens diverse spätantike Terrakotten, die eine Frau mit einem Kind auf dem Schoß zeigen, als späte Nachklänge von Isis-lactans-Figuren zu interpretieren.1039 Die Stücke sind stilistisch ungewöhnlich und orientieren sich wohl an der älteren einheimischen/punischen Kunst, weisen aber keinerlei konkrete Merkmale der Isis auf, genausowenig wie Hinweise auf christliche Mariendarstellungen. Leider bieten die Funde insgesamt praktisch überhaupt keine Anhaltspunkte für eine nähere Charakterisierung der karthagischen Isis in der Kaiserzeit (außer evtl. als Augusta). Eine synkretistische Verbindung mit Demeter, wie sie in Kyrene (s. o.) deutlich zutage tritt, und wie sie BONNET auch für Karthago postuliert,1040 läßt sich jedenfalls aus den Quellen nicht ablesen, es sei denn, man stellt Isis und die Sabina-Ceres-Statue, die im Tempelareal gefunden wurde, in einen gemeinsamen Kontext.1041 Da Sarapis und Isis als Patrone der Seefahrt (s. o.) auch für die jährlichen Getreidelieferungen aus Ägypten und Nordafrika nach Rom, die Annona, zuständig waren, die natürlich unter der Oberaufsicht der kaiserlichen Familie stand, läßt sich eine Beziehung zwischen den ägyptischen Göttern und dem Kaiserhaus auf verschiedenen offiziellen Denkmälern feststellen.1042 Man vergleiche zur

1034 Vgl. M. B. HORNUM, Nemesis, the Roman State and the Games, EPRO 117, Leiden u. a. 1993, S. 36– 40. 1035 Vorschlag von BRICAULT, RICIS 703/0113, S. 760. Zu Isis Augusta siehe RICIS, Index, S. 773; und NAGEL, Isis und die Herrscher. Für die Form des Dativs Isi anstatt des geläufigeren Isidi in einigen lateinischen Inschriften aus Nordafrika vgl. z. B. RICIS 703/0112, ebenfalls aus Karthago (s. o.). 1036 RICIS 703/0114 (siehe auch RICIS Suppl. III); L. ENNABLI, À propos de Mégara, in: S. Lancel (Hrsg.), Numismatique, langues écritures et arts du livre, spécificité des arts figurés. Actes du VIIe colloque international sur l’histoire et l’archéologie de l’Afrique du nord, Nice, 21 au 31 octobre 1996, Afrique du nord antique et médiévale, Paris 1999, S. 193–211: 200–201, Nr. 7; Abb. 8. 1037 Zu Isis als Gesetzgeberin vgl. Texte aus Ägypten, z. B. Dend. Porte d’Isis, Nr. 49; Dend. II, 98, 2–99, 3; MM I, 5–6; MM IV, 4–5; oHor 65, Z. 3; pOxy. 1380, Z. 119–120; 155–157; 203–205; Kore Kosmou, S. H. XXIII 65; M 4; 52. Vgl. dazu auch übergreifend Kap. 6.6.1–2. 1038 Siehe oben, Kap. 7.1.4 (Typus 3). 1039 GSELL, Cultes égyptiens, S. 152; A. DELATTRE, Musée Lavigerie de Saint Louis de Carthage II: Époque romaine, Paris 1899, S. 45–47, Taf. 11. 1040 BONNET, Isis à Carthage, S. 47. 1041 Einzig auf der im Hafen gefundenen Gemme (s. o.) werden Isis und Sarapis eindeutig mit Demeter vergesellschaftet. 1042 Siehe dazu NAGEL, Isis und die Herrscher; BRICAULT, Dame des flots, S. 171–172; ID., Un phare, une flotte; ID., Dieux de l’Orient, S. 291; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 231–232.

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Zuständigkeit von Isis für die Fruchtbarkeit und die agraren Erträge des Landes auch bereits die karthagischen Münzen mit Isis-Tanit/Astarte und Gersteähren aus dem 3. Jh. v. Chr.1043 Noch in der zweiten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. demonstriert zumindest ein Mosaikfragment aus der Nähe des Serapeums als eines der spätesten Zeugnisse für den ägyptischen Kult aus der Provinz überhaupt die lange Wirkkraft der Isis, die sich in Karthago seit punischer Zeit entfalten konnte. Es handelt sich um den Rest einer Kalenderdarstellung, in der eine Isisdienerin mit Sistrum den Monat November repräsentiert,1044 in den ja das jährliche Fest Isia mit der Inventio Osiridis fällt.1045 Dies legt nahe, daß das Herbstfest zu Ehren von Isis und Osiris womöglich noch zu dieser späten Zeit in Karthago gefeiert wurde oder zumindest noch bekannt war, und modifiziert zusammen mit den anderen in der Stadt gefunden Zeugnissen für Isis den durch die im Heiligtumsbereich konzentrierten Befunde zum Sarapiskult entstandenen Eindruck etwas. Daß auch Osiris in römischer Zeit trotz der starken Präsenz von Sarapis noch eine Rolle neben Isis spielte, zeigt zumindestens das Fragment einer Marmortafel mit einem griechischen Text aus der Gruppe der kaiserzeitlichen „Osiris-Kaltwasserinschriften“, in dem der Gott angerufen wird, einen Verstorbenen mit kühlem Wasser (ψυχρὸν ὕδωρ) zu versorgen.1046 Es handelt sich bei diesen Bittformeln um eine Weiterentwicklung aus der Tradition des ägyptischen Totenkultes, den Toten mit kühlen Wasserspenden wieder zu beleben, so wie es auch Isis für Osiris tut.1047 Ansonsten ist die ψυχρὸν ὕδωρ-Formel allerdings bisher fast nur aus Ägypten (v. a. Alexandria) und der Umgebung Roms bekannt, so daß der Fund aus Karthago, gemeinsam mit einem weiteren vereinzelten Beleg aus Caesarea Maritima,1048 eine Ausnahme darstellt und möglicherweise auf eine direkte Beziehung zu Ägypten/Alexandria zurückgeht bzw. einer aus Ägypten stammenden Person (Name nicht erhalten) gehörte. Im Lichte dieser Inschrift muß auch nochmals auf die Dedikation für den „großen Gott in Kanopos“1049 zurückgekommen werden. Einerseits lassen die Auffindung innerhalb des Heiligtumsareals, die beiden anderen Weihungen der Familie der Pasinici an Sarapis und die Parallelen aus Delos (s. o.) eine erneute Nennung dieses Gottes sehr naheliegend erscheinen; andererseits könnte auch der ägyptische Gottesname Osiris mit Kanopos verbunden worden sein.1050 Dort hat möglicherweise auch seine neue kaiserzeitliche Ikonographie als Osiris-Kanopos ihren Ursprung, die ihn als Verkörperung des Wassers in 1043 Siehe oben, Kap. 7.1.3. 1044 London, BM, MLA 1857.12–18.129; R. P. HINKS, Catalogue of the Greek Etruscan and Roman Paintings and Mosaics in the British Museum, London 1933, Kat. 29c; PARRISH, Season Mosaics, Kat. 10, S. 113–116, Taf. 18b; siehe AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 239; TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 546; nicht in BRICAULT, Atlas, S. 84, aufgenommen. Vgl. dazu auch STERN, Calendrier, S. 279–283, m. Taf. XII, 1; XVII, 2 und XIX, 1; zu der Integration des Festes in den römischen Kalender MALAISE, Conditions, S. 227. Siehe dazu außerdem unten, Kap. 7.2.3.4, Anm. 1130. 1045 Vgl. dazu oben, Anm. 768. 1046 RICIS 703/0111; Taf. 133; vgl. dazu auch TRICOCHE, L’eau, S. 95, Doc. 19; GASPARINI, Afterlife, S. 128. Zu dieser funerären Formel siehe oben, Kap. 6.2.10.2. 1047 Vgl. auch den häufigen Titel qbH.t „Spenderin von kühlem Wasser“ der Isis von Philae, siehe Kap. 4.1, und entsprechende demotische Formeln innerhalb der Graffiti von Philae, Kap. 6.2.2.2. 1048 RICIS 403/0401; siehe auch RICIS Suppl. I, S. 95. 1049 RICIS 703/0103. 1050 Zu Sarapis und Osiris in Kanopos siehe oben, Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 63–65; Kap. 6.2.10.2–3.

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Gefäßform visualisiert und damit vielleicht auch mit den Kaltwasserinschriften zusammenhängt. Noch deutlicher ägyptischen Bezug offenbaren die Reste einer hieroglyphischen Inschrift auf einem grünen Dioritblock mit den erhaltenen Worten „jeder Priester, jeder Prophet, der eintritt in […]“ (wab nb Hm-nTr nb aq r […]) und „[…] Apis-Osiris, Retter des Mannes […]“ (@p-Wsjr Sd n s(j) […]).1051 Aufgrund der Nennung von Priestern und des Gottesnamens ist zu erwägen, ob das Stück vielleicht dem Kontext des karthagischen Sarapis-Heiligtums zuzuordnen ist und dementsprechend mit Apis-Osiris hier konkret die ägyptische Reinterpretation des dort verehrten Gottes gemeint ist. Andererseits ist es gut möglich, daß es sich um ein Importstück aus Ägypten selbst handelte, und mangels genauerer Informationen bzw. einer Abbildung dazu läßt sich eine Beziehung zum lokalen Kult der ägyptischen Gottheiten nicht sicher feststellen. Die weiteren synnaoi theoi1052 der Hauptgötter Isis und Sarapis sind anhand der Funde als Thoth, Anubis und Horus/Harpokrates zu identifizieren; während die Weihinschrift an Sarapis Augustus auf der Pavianskulptur1053 von der Vergesellschaftung von Sarapis und Thoth innerhalb des Heiligtums zeugt, erscheint der ägyptische Anubis zusammen mit Isis auf einer Terrakottalampe1054 sowie auf einem Relieffragment aus dem 2. Jh. n. Chr., auf dem er einen Caduceus hält.1055 Auf der Rückseite dieses Fragmentes ist der Rest eines Pfeilers zu erkennen, der anzeigt, daß das Relief in einem architektonischen Kontext angebracht war.1056 Ein vergoldeter Marmorkopf aus dem 3. Jh. n. Chr. zeigt außerdem die hellenisierte, gänzlich anthropomorphe Form als Hermanubis mit langen Haarlocken, Eichenkranz und Kalathos,1057 die in der späten Kaiserzeit besonders beliebt war.1058 Harpokrates, der bereits in punischer Zeit neben Isis stark in der Ikonographie vertreten ist, spielt auch weiterhin eine – wenn auch offenbar keine große – Rolle. Im Anschluß an die ikonographischen Zeugnisse aus punischer Zeit, die Horus in Falkenform und als jungen Knaben (oft zusammen mit Isis) zeigen,1059 taucht er im 1. Jh. n. Chr. wieder auf Lampen auf (s. o.). Die Skulptur eines Falken oder Sperbers aus schwarzem Marmor,1060 die in der Stadt gefunden wurde, läßt sich möglicherweise ebenfalls mit Horus verbinden.

1051 LIPINSKI, Dieux et déesses, S. 328-329; G. PICARD, Découvertes diverses à Carthage et aux environs, in: Bulletin archéologique du Comité des Travaux Historiques et Scientifiques (BAC) 1943–44, 1951, S. 103–111: 103–104. Ohne Abb. Zu Ägyptern in den nordafrikanischen Provinzen CRISTOFORI, Egiziani nelle province, speziell zu Karthago, S. 1197, Nr. 1–2; 1199–1200, Nr. 22–33. 1052 Vgl. die Inschrift RICIS 703/0106, siehe oben. 1053 RICIS 703/0104, siehe oben. 1054 Siehe oben, Kap. 7.2.3.2.1. 1055 BRICAULT, Atlas, S. 84; GSELL, Cultes égyptiens, S. 150; DE SAINTE-MARIE, Mission à Carthage, S. 16, links auf der Zeichnung der Funde. Das Stück kann anhand der Zeichnung eindeutig mit dem von PICARD, Anubis alexandrin, m. Abb. 1–3, besprochenen Relief im Museum von Alger „mit unbekanntem Fundort“ (ibid., S. 179) identifiziert werden, vgl. auch LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 262. 1056 Vgl. PICARD, Anubis alexandrin, S. 174 u. 175, Abb. 2. 1057 BRICAULT, Atlas, S. 84; GSELL, Cultes égyptiens, S. 150–151; J.-Cl. GRENIER, s. v. „Hermanubis“, in: LIMC V, S. S. 265–268: Nr. 15. Zur Identifikation und Unterscheidung von Anubis besonders M. MALAISE, Anubis et Hermanubis à l’époque gréco-romaine. Who’s who?, in: BIs 3, 2014, S. 73–94. 1058 Vgl. GRENIER, Anubis, S. 53–59 u. 171–175. 1059 Siehe oben, Kap. 7.1. 1060 BRICAULT, Atlas, S. 84; GSELL, Cultes égyptiens, S. 151.

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Kult, Kultpersonal und Anhänger Für die eigentliche Gestaltung des Kultes der ägyptischen Götter in Karthago finden sich nur sehr wenige Anhaltspunkte. Es ist nicht einmal sicher, ob es in römischer Zeit nur den einen großen Tempel für Sarapis, Isis und die synnaoi theoi gab, oder ob daneben noch ein davon unabhängiges Heiligtum für Isis existierte, das sich hinter Tertullians vicus Isidis verbirgt und dem vielleicht die monumentale Isis-Statue aus der Lagune zuzuordnen ist. Sicher nachzuweisen ist ein öffentlicher, organisierter Kult jedoch nur für das große intraurbane Heiligtum, in dem zumindest Tiberius Claudius Sarapiacus als Priester (sacerdos) tätig war.1061 Weiteres Personal ist in den Quellen nicht belegt. Interessanterweise hat in Leptis Magna eine Person sehr ähnlichen Namens, geschrieben Claudius Syrapiacus, eine lateinische Weihung hinterlassen, die in das 2.–3. Jh. datiert.1062 Es stellt sich die Frage, ob hier möglicherweise eine familiäre Verbindung besteht oder es sich trotz der unterschiedlichen Orthographie und der Weglassung des Praenomens in Leptis evtl. sogar um dieselbe Person handeln könnte. Immerhin befand sich in Leptis Magna nicht nur ein Sarapistempel, sondern dort lebte spätestens im 3. Jh. auch eine bedeutende alexandrinische Gemeinde. Hinweise auf eine geregelte Organisation des Isiskultes in Karthago gab möglicherweise die Inschrift mit der unsicheren Erwähnung eines „Gesetzes der Isis“,1063 das sich im Vergleich mit den aus Kyrene bekannten Fastengeboten1064 auf kultische Regeln und Vorgaben für die Priester oder Anhänger beziehen könnte.1065 Vielleicht enthielt sogar die fragmentarische hieroglyphische Inschrift (s. o.) einen Text dieser Kategorie, da von Priestern, die (in das Heiligtum) eintreten, die Rede ist.1066 Zeitpunkt, Akteure und genaue Umstände der Gründung des römischen Heiligtums und damit eines neu eingeführten Kultes, bei dem offenbar Sarapis im Mittelpunkt stand, sind unbekannt, ebenso wie der Charakter des Gottesdienstes. Die Schiffslampen liefern möglicherweise ein Indiz dafür, daß auch hier das Fest des Navigium Isidis begangen wurde,1067 während das Kalendermosaik aus dem 4. Jh. auf das Herbstfest Isia verweist (s. o.). Trotz des offiziellen, römischen Anstrichs1068 des urbanen Heiligtums läßt sich in der ManethoProtome, der Weihung an Osiris oder Sarapis von Kanopos und der Osiris-Kaltwasserinschrift ein deutlicher Rückbezug auf die ägyptischen Wurzeln erkennen, der insbesondere in die Umgebung Alexandrias führt. Da es sich bei mehreren der im Heiligtum bezeugten Dedikanten zudem um griechischstämmige Freigelassene handelt, wie jeweils an dem grie-

1061 RICIS 703/0105, siehe oben. Zum Titel sacerdos im Isis- und Sarapiskult siehe KLEIBL, Iseion, S. 157; RÜPKE, Organisationsmuster, S. 14; VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 48–53; zum PN Sarapiacus ibid., S. 93–94. 1062 RICIS 702/0119; siehe oben, Kap. 7.2.2.3.2. 1063 RICIS 703/0114, siehe oben. 1064 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.3. 1065 Weitere Inschriften mit kultischen Regeln oder Vorgaben sind aus Priene (RICIS 304/0802), Iasos (RICIS 305/1403), Delos (RICIS 202/0175) und Teithras (RICIS 101/0401) bekannt; vgl. außerdem Apul. Met., XI, 23. Siehe dazu NAGEL, Kult und Ritual, S. 171–173. 1066 Zu ägyptischen Priestervorschriften in den Tempeln vgl. die Literaturangaben in Kap. 4.1, Anm. 217. 1067 Obgleich ein Zusammenhang zwischen dieser Lampenform und dem Fest noch keineswegs erwiesen ist, siehe dazu BRICAULT, Dame des flots, S. 132; zum Fest, ibid., S. 134–150. 1068 Daß es sich um einen offiziellen, munizipal geförderten Kult handelte, belegen auch die durch Dekret der Dekurionen oder des Rates abgesegneten Dedikationen (RICIS 703/0102–05).

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chischen Cognomen innerhalb der römischen tria nomina abzulesen ist,1069 vermutet BONNET, daß sie immigrierte alexandrinische Kaufleute gewesen sein könnten, und der Sarapiskult damit direkt von Ägypten nach Karthago gebracht wurde.1070 Auffällig ist dabei der Wechsel zwischen griechischen und lateinischen Inschriften, im Falle der Pasinici sogar innerhalb ein und derselben Familie.1071 Es läßt sich jedoch nicht sicher feststellen, ob die Gründung des Kultes und des Heiligtums nicht doch bereits früher datiert. Immerhin stammt eine der Lampen mit Sarapisbüste bereits aus dem 1. oder zumindest dem frühen 2. Jh. n. Chr.1072 Die privaten Weihungen zeugen von einer starken Familientradition innerhalb der Anhänger des ägyptischen Kultes;1073 Lyton weiht einen Altar „in guter Hoffnung“ für seine Tochter,1074 bei den meisten Inschriften wird die Familie des namentlich genannten Stifters mit einbezogen,1075 und mehrere Mitglieder der Familie der Aurelii Pasinici stifteten sogar gleich drei der erhaltenen Dedikationen.1076 Daß es sich bei ihnen wahrscheinlich um Gemeindemitglieder höheren Ranges gehandelt haben dürfte, zeigt die Absegnung ihrer Weihungen – ebenso wie die des Priesters Sarapiacus1077 – durch Beschluß der Dekurionen oder des Rates, was ihnen einen offiziellen Anstrich verleiht. Die Sarapis-Neptun-Statue haben sie außerdem auf eigene Kosten aufgestellt. Von ATTYA OUERTANI wird weiterhin eine in der Yasmina-Nekropole gefundene lebensgroße Grabstatue einer Frau (nur der Kopf fehlt) als Isisanhängerin interpretiert.1078 Sie bildete ein Skulpturenpaar zusammen mit dem Bildnis eines Wagenlenkers, möglicherweise ihr Ehemann. Sie stammt aus einer lokalen Werkstatt und datiert in das frühe 3. Jh. n. Chr. NORMAN zufolge trägt die Frau in der rechten Hand einen „ägyptisierenden“(?) geflochtenen Kranz, in der linken ein kleines rundes Objekt, „which may be a ball of wool“.1079 Diese Deutung erschließt sie aus einem Gebilde neben dem rechten Bein, das sie als Spinnrocken ansieht. ATTYA OUERTANI spricht hingegen von einem Sistrum.1080 Insgesamt lassen sich einige Parallelen zwischen der Gemeinde des Heiligtums in Karthago und derjenigen des Sarapeions von Leptis Magna feststellen,1081 so die griechischen Cognomina, die mögliche Herkunft zumindest eines Teils der Anhänger (und des Kultes 1069 Pasinicus (Pasinikos), Sarapiacus, Alexandros, Lyton. 1070 BONNET, Isis à Carthage, S. 49. Vgl. auch CRISTOFORI, Egiziani nelle province, Nr. 23 (T. Valerius Alexander, RICIS 703/0106); Nr. 28–29 (Flavia und Lyton, RICIS 703/0110); Nr. 31 (die Aurelii Pasinici); Nr. 33 (Ti. Claudius Sarapiacus), und ibid., S. 1188, m. Anm. 7, wonach die Formel ἐπ‘ἀγαθῷ am Ende einiger Inschriften aus Ägypten stammt.  1071 RICIS 703/0102–04, siehe oben. 1072 DENEAUVE, Lampes de Carthage, Nr. 823; Taf. 76; siehe oben. 1073 Vgl. auch AUDOLLENT, Carthage romaine, S. 407. 1074 RICIS 703/0110, siehe oben. 1075 RICIS 703/0102–06, siehe oben. 1076 RICIS 703/0102–04, siehe oben. 1077 RICIS 703/0105, siehe oben. 1078 ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 398–399; NORMAN, Yasmina Necropolis, S. 9. 1079 NORMAN, Yasmina Necropolis. 1080 ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 399. Es ist allerdings keine Abbildung vorhanden, die es erlauben würde, die divergierenden Beschreibungen beider Autorinnen zu überprüfen und die Interpretation als Isisanhängerin durch ATTYA OUERTANI zu verifizieren. 1081 Siehe oben, Kap. 7.2.2.3.2.

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selbst?) aus Alexandria, die familiäre Tradition bei den Weihungen bis hin zu dem in beiden Städten in lateinischen Inschriften belegten Namen Claudius Sarapiacus (s. o.). Allerdings präsentiert sich die Ausstattung des karthagischen Heiligtums deutlich „ägyptischer“. Dennoch ist eine Verbindung zwischen den Kultstätten und/oder Gemeinden der beiden bedeutenden Städte nicht auszuschließen. 7.2.3.3 Bulla Regia Aus Bulla Regia (Hammam Darradji) sind vor dem 2. Jh. n. Chr. keine Zeugnisse der ägyptischen Kulte bekannt,1082 obwohl die Stadt bis kurz vor dem 3. Punischen Krieg zum Einflußgebiet Karthagos gehörte.1083 7.2.3.3.1 Der römische Isistempel1084 Baugeschichte und Architektur Das grob nord-südlich orientierte Heiligtum wurde zwischen dem Theater und einem kleinen zentralen Platz (Area transitoria) errichtet, welcher Zugang zu zwei monumentalen Platzanlagen (die sog. Esplanaden) sowie weiteren öffentlichen Gebäuden und Heiligtümern gewährt.1085 Zudem liegt es direkt an der Kreuzung der beiden Hauptstraßen der Stadt und ist somit unmittelbar in das urbane Zentrum, und spezieller das Theaterviertel,1086 eingebunden, mit dem es gemeinsam im Rahmen eines großen Bauprojektes errichtet wurde.1087 Wie in Sabratha1088 bildet auch hier das Theaterviertel einen zweiten städtischen Mittelpunkt neben dem eigentlichen Forum.1089 Der rechteckige Temenos der Isis ist von relativ geringem Umfang, an der Front terrassiert und erhebt sich damit ca. 1 m über Straßenniveau.1090 Der Bezirk wird durch eine Umfassungsmauer abgegrenzt, auf deren Südseite sich zentral der Haupteingang mit vorgelagerter Treppe befindet. In die rückwärtige Mauer ist auf der Ostseite ein Nebeneingang, auf der Westseite kurz über dem Bodenniveau ein Fenster eingelassen. Der eigentliche Tempelbau, ein Antentempel mit ionischer Säulenstellung auf einem siebenstufigen Podium, ist ganz an die Rückwand der Temenosmauer gerückt. Zu seinen beiden Seiten er1082 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 84. 1083 Siehe BESCHAOUCH/HANOUNE/THÉBERT, Bulla Regia, S. 9–10. 1084 Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 61, mit älterer Literatur; EINGARTNER, Templa cum Porticibus, Kat. 5, S. 189–190; GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2218–2219. 1085 Vgl. zur Lage EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 256–257 mit Karte Abb. 8; und KLEIBL Iseion, Kat. 61, S. 354 u. 356, Plan Abb. 61.1. 1086 Die Lage in unmittelbarer Nähe des Theaters ist keine Seltenheit bei Heiligtümern der ägyptischen Gottheiten (z. B. in Pompeji), siehe ausfühlich zur Verbindung zwischen Isiskult und Theater GASPARINI, Staging Religion; K. KLEIBL, An Audience in Search of a Theatre – The Staging of the Divine in the Sanctuaries of Graeco-Egyptian Gods, in: Nagel/Quack/Witschel (Hrsg.), Religious Confluences, S. 353–371. 1087 Vgl. BULLO, Indicazioni di Vitruvio, S. 530. 1088 Siehe Kap. 7.2.2.2. 1089 EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 258. 1090 Architekturbeschreibung nach KLEIBL, Iseion, Kat. 61, S. 354–355; BESCHAOUCH/HANOUNE/ THÉBERT, Bulla Regia, S. 107; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 256; ID., Templa cum Porticibus, Kat. 5, S. 189–190.

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streckt sich je eine Reihe von fünf tuscanischen Säulen1091 bis an die Vorderfront des Hofes. Funde und Ausstattung Von der Ausstattung des Tempels hat sich nur sehr wenig erhalten, das zudem im Vergleich mit Kyrene, Karthago und Sabratha eine geringere Qualität aufweist. Immerhin fanden sich noch Reste des opus signinum, mit dem der Hof gepflastert war,1092 und der zentrale Altar, den ein Ehepaar auf einen Eid hin der Isis Augusta geweiht hat, steht noch immer in situ direkt vor der Podiumtreppe.1093 Auf dem Heiligtumsgelände wurden desweiteren der Torso einer marmornen Isis-Skulptur mit befranster Knotenpalla sowie ein Knabenkopf aus Carrara-Marmor gefunden.1094 Die weibliche Statue stellte womöglich das Kultbild des Tempels dar, und ihr Typus entspricht in etwa dem der Kolossalstatue aus Karthago.1095 Chronologisch ist sie wiederum in die zweite Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. einzuordnen.1096 Der Knabenkopf1097 weist ein etwas zerstörtes, rundes Gesicht mit pathetischem Ausdruck auf. Bemerkenswert ist aber vor allem die Gestaltung des Haares, das am Oberkopf und in der Stirn kurz gehalten ist, am Hinterkopf jedoch in langen gelockten Strähnen herabfällt. Zwei davon ringeln sich in auffälliger Weise hinter dem rechten Ohr hervor, um eine ägyptische Jugend- oder „Horus“locke anzudeuten.1098 Die ausgiebige Behandlung des Haares mit dem Bohrer weist das Stück in das späte 2. oder beginnende 3. Jh. n. Chr. Interpretation Zu datieren ist die Anlage aufgrund der Architektur um die Mitte des 2. Jhs. oder etwas später, was sowohl durch die Namen der Stifter des Altares1099 als auch durch die potentielle Kultstatue bestätigt wird,1100 welche außerdem die Zuweisung an Isis sichern. 7.2.3.3.2 Der Kult der ägyptischen Götter in Bulla Regia im Spiegel des Heiligtums und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Den erhaltenen Zeugnissen zufolge wurde der Isiskult erst im 2. Jh. n. Chr. mit dem Bau des Tempels eingeführt, wo die Göttin, wie wohl auch in Karthago,1101 als Isis Augusta verehrt wurde. Auch die wahrscheinlich als Kultstatue zu identifizierende Skulptur mit der 1091 Bei BESCHAOUCH/HANOUNE/THÉBERT, Bulla Regia, S. 107, ist von sechs Säulen die Rede, obwohl auch hier der Plan, S. 102, Abb. 100, nur fünf auf jeder Seite zeigt. 1092 Vgl. KLEIBL, Iseion, Kat. 61, S. 355. 1093 RICIS 703/0401, Taf. 134; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 257, Abb. 7. 1094 Diese Stücke wurden erstmals publiziert von ATTYA OUERTANI, Deux documents. 1095 Siehe oben, Kap. 7.2.3.2.2. Vgl. ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 398, und Taf. 1, Abb. 1–4. 1096 ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 398–399. 1097 ATTYA OUERTANI, Deux documents, Taf. 2, Abb. 1–4. 1098 Vgl. ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 400–401. 1099 RICIS 703/0401. 1100 Vgl. EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 256; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 229. BULLO, Indicazioni di Vitruvio, S. 530: Ende 2. Jh. n. Chr; ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 404: zweite Hälfte 2. Jh. 1101 RICIS 703/0113; siehe oben, Kap. 7.2.3.2.2.

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Knotenpalla entspricht im Typus der überlebensgroßen Isis aus Karthago, was vielleicht auf eine Abhängigkeit des Kultes in Bulla Regia von der Hauptstadt hindeutet. An konkreten Hinweisen für die Verehrung weiterer ägyptischer Götter mangelt es in Bulla Regia aufgrund der mageren Zeugnisse, doch war das übliche Pantheon des Isiskreises sicherlich bekannt, wie die für die Region typischen Lampenfunde aus dem 2.–3. Jh. mit Darstellungen von Isis und Anubis,1102 Isis und Heliosarapis1103 und den Büsten von Isis und Sarapis1104 innerhalb der Stadt nahelegen. Kult, Kultpersonal und Anhänger Zur Kultpraxis und dem Tempelpersonal fehlen aus Bulla Regia jegliche Zeugnisse. Auch was die Anhänger angeht, ist nur das Ehepaar, das den Altar geweiht hat, namentlich bekannt: Es handelt sich um Publius Aelius Privatus und seine Frau Cocceia Bassa.1105 Die Gentilize der beiden Dedikanten entsprechen denen der Kaiser Nerva und Hadrian, woraus sich schließen läßt, daß es sich um Personen aus Familien von kaiserlichen Liberti handelt, die dementsprechend frühestens in die Mitte oder die zweite Hälfte d. 2. Jhs. einzuordnen sind.1106 Als weitere Weihung einer Familie könnte der Knabenkopf mit Horuslocke zu betrachten sein. Solche Knabenbildnisse sind in der römischen Kaiserzeit ab dem 2. Jh. n. Chr. weit verbreitet1107 und stellen nach der Untersuchung durch VON GONZENBACH junge Anhänger des Isiskultes dar, die sicherlich durch ihre Eltern in die Gemeinschaft eingeführt wurden.1108 Ob es jedoch für kleine Kinder bereits eine Art Weihe als Vorstufe zur eigentlichen Initiation gab, wie VON GONZENBACH postuliert,1109 ist m. E. fraglich. Das Bildnis des kindlichen Harpokrates mit der ägyptischen Jugendlocke war in der Kaiserzeit weithin bekannt, so daß die Knaben im Isiskult durch diese (tatsächlich getragene oder nur in Bild1102 Vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 233; PODVIN, Luminaire, S. 252; siehe dazu auch ID., Anubis et Isis sur lampes. 1103 Vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 233. 1104 Siehe dazu TRAN TAM TINH, Isis et Sérapis, speziell zu diesem Exemplar, S. 63, (7); PODVIN, Luminaire, S. 246. 1105 RICIS 703/0401. 1106 Vgl. ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 404; EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 258. 1107 VON GONZENBACH, Knabenweihen, S. 18. 1108 Siehe auch GOETTE, Römische Kinderbildnisse, mit gegenüber VON GONZENBACH aktualisierter Materialsammlung und der Besprechung von Knabenbildnissen mit Jugendlocke und Mysterienkranz, was seines Erachtens dafür spricht, die Jugendlocken tatsächlich mit Einweihungen zu verbinden; vgl. auch C. DERRIKS, Un tête d’enfant isiaque. Hypothèse ou certitude, in: Clarysse/Schoors/ Willems (Hrsg.), Egyptian Religion I, S. 91–103. Alternative Deutungsvorschläge, z. B. durch W. BURKERT, Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, München 1990, S. 32, gehen dagegen davon aus, daß es sich um idealisierte Totenbildnisse handelt, die Angleichung an Harpokrates also nur nach dem Tode (von Kindern) vorgenommen wurde. Im Gegensatz dazu nimmt zwar auch GOETTE, Römische Kinderbildnisse, S. 209, an, daß es sich um Bildnisse verstorbener Kinder handelt, diese jedoch trotzdem bereits vor dem Tode in den Kult eingeweiht worden waren (ohne allerdings Funktionen im Kult zu übernehmen); erneute Besprechung des Materials mit Zusammenfassung der früheren Diskussion von A. BACKE-DAHMEN, Roman Children and the „Horus-Lock“ Between Cult and Image, in: Gasparini/Veymiers (Hrsg.), Individuals and Materials I, S. 509–538, mit genauerer Unterscheidung zwischen tatsächlichen ‚Horuslocken‘ und ähnlichen Frisuren mit anderer Signifikanz. 1109 VON GONZENBACH, Knabenweihen, S. 105–128.

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nissen symbolisch dargestellte?) Haartracht sicherlich dezidiert an den Sohn der Isis angeglichen werden und nicht bloß in ägyptisierender Weise als Kinder dargestellt werden sollten.1110 Dafür spricht auch die Tatsache, daß es nur sehr vereinzelte oder sogar überhaupt keine römischen Bildnisse von Mädchen mit dieser Frisur gibt,1111 obwohl sie die Jugendlocke in Ägypten ebenfalls trugen. 7.2.3.4 Die ägyptischen Götter an anderen Orten der Proconsularis Kleinfunde, die im Zusammenhang mit den ägyptischen Gottheiten des Isiskreises stehen, sind in der Provinz Africa Proconsularis ab dem 2. Jh. n. Chr. relativ gleichmäßig auch im Landesinneren verbreitet.1112 Bei einem Großteil der Objekte handelt es sich allerdings „nur“ um die regional produzierten Lampen mit Isiaca-Motiven, die, wie BRICAULT, LE BOHEC und PODVIN zu Recht einräumen, jedoch allein noch kein Beweis für einen organisierten Kult ägyptischer Gottheiten an dem jeweiligen Fundort sind.1113 Eine nicht geringe Anzahl wurde aber auch in Gräbern gefunden, was zumindest auf eine religiös motivierte Auswahl der Darstellungen hindeutet.1114 Zu den frühesten Zeugnissen für ein neu aufblühendes Interesse am Isiskreis gehören Münzen mit Sarapisbüste auf der einen, Venus-Astarte-Büste auf der anderen Seite, die bereits um die Zeitenwende in der Küstenstadt Thaenae entstanden.1115 Die Tatsache, daß sie im Namen des Prokonsuls Vibius Habitus geprägt wurden, spricht für einen offiziellen Kult des Gottes. Die anhaltende Verehrung des Sarapis an diesem Ort zeigen zudem die Funde zweier Lampen mit Sarapis bzw. Heliosarapis und Isis.1116 Weitere Zeugnisse aus der Provinz sind erst dem 2. Jh. zuzuordnen, wobei Sarapis Isis an Beliebtheit offenbar deutlich übertrifft. Eine Sandsteinplatte aus Ghardimaou1117 und ein Marmorblock in Mactaris1118 (beides Städte im Landesinneren) zeigen seine Büste im Re1110 Gegen die Deutung als „Horuslocke“ spricht sich PARLASCA, Rez. von Gonzenbach, aus, wobei er jedoch nur von der ägyptischen Tradition als Grundlage ausgeht und mögliche Umdeutungen in der Kaiserzeit bzw. außerhalb Ägyptens außer Acht läßt. 1111 PARLASCA, Rez. von Gonzenbach, S. 475, erwähnt ein Sarkophagfragment im Vatikan mit dem Porträtmedaillon einer Attaliane: W. AMELUNG, Die Sculpturen des Vatikanischen Museums I, Berlin 1903, S. 241, Nr. 101f); vgl. dazu auch V. VON GONZENBACH, Der griechisch-römische Scheitelschmuck und die Funde von Thasos, in: BCH 93, 1969, S. 885–945: 903. Der Deutung der Frisur des Mädchens als Horuslocke wird widersprochen durch GOETTE, Römische Kinderbildnisse, S. 206, der in der lang herabfallenden Strähne eine Angleichung an Venus sieht, was wohl wahrscheinlicher ist. 1112 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 83, Karte XVII; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 232. 1113 BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 238–239. 1114 Vgl. MALAISE, Isis en occident, S. 487. 1115 Z. B. SNRIS Thaena 2_5; vgl. BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 226– 227; KLEIBL, Iseion, S. 46; M. AMANDRY, Le monnayage de Thaena/Thena, in: S. Lancel (Hrsg.), Numismatique, langues, écritures et arts du livre, spécificité des arts figurés, Actes du VIIe colloque international réunis dans le cadre du 121e congrès des Sociétés historiques et scientifiques, Nice, 21–31 octobre 1996, Histoire et archéologie de l’Afrique du Nord, Paris 1999, S. 53–66: 57, f, u. 59–60. Die Zuordnung zweier Münzemissionen des 2. Jhs. v. Chr., die einen bärtigen Gott zeigen und eventuell aus Hadrumetum stammen (SNRIS Hadrumetum 1–2, S. 232), zu Sarapis ist sehr unsicher. 1116 BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 227; PODVIN, Luminaire, S. 225. 1117 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 750, S. 138. 1118 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 761, S. 139; Taf. 25.

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lief. Eine Büste schmückt außerdem einen vergoldeten Bronzering aus Ruspina (Monastir).1119 In Thuburbo Maius (Henchir Kasbat) wurde eine Statuette des stehenden ZeusSarapis in den Sommerthermen aufgefunden,1120 und auf einer Stele am Kapitol von Thugga (Dugga) ist er ebenfalls stehend dargestellt.1121 Die wenigen Weihinschriften für ägyptische Gottheiten, die – alle in Latein – aus der Region (aus Theveste, Henchir Debbik und Abitina) bekannt sind, bestätigen das Bild, da sie sich ausschließlich an Sarapis richten, teilweise mit dem bereits aus Karthago bekannten (s. o.) Beinamen Augustus.1122 Die enge Verbindung zum Kaiserhaus wird besonders in der ausführlichen Inschrift des Iulianus, Sohn des Rogatus Geminus Sardanus, aus Henchir Debbik deutlich, der in seinem Namen und dem seiner vier Söhne aufgrund seiner „Liebe zum Vaterland“ eine kostspielige Statue für mehr als die ursprünglich versprochenen 3000 Sesterzen für das Wohl des Kaisers Commodus und seiner Familie an Sarapis Augustus stiftet.1123 Ähnlich wie bei den Dedikationen in Karthago geht daraus die Einbindung der Familie (hier der eigenen sowie der des Kaisers) in die Votivpraxis deutlich hervor. Neben solchen offenbar wohlhabenden Persönlichkeiten konnten jedoch auch (kaiserliche) Sklaven Weihungen vornehmen, wie die knappe Inschrift aus Theveste beweist.1124 Von dort stammen außerdem mehrere Lampen mit Isis- und Sarapis-Motiven.1125 Mehrere Statuetten des Sarapis bezeugen desweiteren seine Beliebtheit in Thysdrus (El Djem).1126 An diesem Ort belegen noch weitere Objekte einen Kult der ägyptischen Götter, die dort möglicherweise sogar ein Heiligtum besaßen: eine der genannten Statuetten wurde in den Ruinen eines Gebäudes aus großen Quadern gefunden, bei denen es sich möglicherweise um die Reste eines (Sarapis-)Tempels handeln könnte.1127 Eine in der Nähe entdeckte kopflose Statue der Isis mit Korkenzieherlocken und Knotenpalla mit Fransensaum zeigt, daß sie zu Beginn des 3. Jhs. ebenfalls verehrt wurde,1128 und wie bei dem Mosaikfragment aus Karthago1129 wird auch hier in einem prachtvollen Jahreszeitenmosaik (des 3. Jhs.) von 1119 1120 1121 1122 1123

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1128 1129

VEYMIERS, Ἵλεως τῷ φοροῦντι, I.AC 28, S. 265 u. 26–28; Taf. 24. KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 765, S. 141. TRAN TAM TINH, Sérapis debout, Nr. IA 3, S. 90; Taf. 3, Abb. 3. Theveste (Tebessa): RICIS 703/0501; Henchir Debbik: RICIS 703/0201; Abitina (Chouhoud el-Batin) RICIS 703/0301–02 (?). RICIS 703/0201; vgl. MORA, Prosopografia Isiaca, S. 514, Nr. 25–26, u. S. 516, Nr. 38 u. 40–41. Zur Beziehung des Commodus zum ägyptischen Kult siehe NAGEL, Isis und die Herrscher. Auch die beiden Weihungen aus Abitina RICIS 703/0301–02 mit der hypothetischen Ergänzung des Namens Sarapis wurden zugunsten der kaiserlichen Familie (des Philippus Arabs bzw. des Gallienus) vorgenommen. RICIS 703/0501; vgl. MORA, Prosopografia Isiaca, S. 515, Nr. 35; S. 517, Nr. 45. Weihung durch die Sklaven Ursus und Maxima; 2. oder 3. Jh. (?) (stark zerstört und verschollen). Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 315–316, Kat. 14.2; PODVIN, Luminaire, S. 211, 225 u. 243–244. Zwei Terrakottastatuetten: GSELL, Cultes égyptiens, S. 152; eine weitere Statuette: KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 766, S. 141. KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 766, S. 141; FOUCHER, Calendrier, S. 100; J. LECLANT, Fouilles et travaux en Égypte et au Soudan, 1964–1965, in: Or 35, 1966, S. 127–178: 174, spricht sogar von einer Statue (statt einer Statuette). KLEIBL, Iseion, S. 46, spricht von einem „Isistempel“ (des 3. Jhs. n. Chr.). EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 29, S. 120; Taf. 22; vgl. auch ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 399. Siehe oben, Kap. 7.2.3.2.2.

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hoher künstlerischer Qualität das Fest der Isia als besonders repräsentativ für den November verstanden.1130 Das großflächige Mosaik befand sich in einem großen Haus gegenüber den Thermen. Auf dem entsprechenden Monatsfeld sind zwei Isispriester mit Leinenschurzen und mit Federn in einer Binde auf dem Kopf dargestellt, gefolgt von Anubis bzw. einem als Anubis gekleideten Priester mit zweifarbigem Mantel und Caduceus.1131 Die beiden ersteren wenden sich zu letzterem um und halten die Hände vor der Brust, doch es ist nicht zu erkennen, ob sie irgendwelche Gegenstände tragen. Die in einer Stirnbinde steckenden Federn weisen sie der Priesterklasse der Pterophoren zu.1132 Die Annahme eines florierenden Kultes in Thysdrus im 3. Jh. wird durch mehrere Lampenfunde mit einander zugewandten Isis- und Sarapisbüsten unterstützt.1133 Isis und Anubis, der den Palmzweig trägt, sind zusammen auf einer Basis vom Kapitol in Thugga vertreten,1134 woher auch eine Stele mit Sarapisdarstellung (s. o.) stammt. Auf einer weiteren Basis, die auf dem Forum gefunden wurde, sind ein Dioskur, Leda, eine Flußpersonifikation (Eurotas?) und der nackte Harpokrates mit Füllhorn und Finger am Mund in den Reliefs dargestellt.1135 Zumindest die beiden Basen dürften wahrscheinlich zu demselben Monument gehört haben, vielleicht sogar zu einem Heiligtum.1136 Bei dem von TRAN TAM TINH als „Stele“ bezeichneten Sarapis-Relief (s. o.) läßt sich die Zugehörigkeit anhand des Fotos und aufgrund der sehr schlechten Erhaltung nicht feststellen;1137 auch steht der Gott hier in einer tieferen und stärker überwölbten Nische als die Götter auf den beiden Basen.

1130 FOUCHER, Calendrier, S. 98–100, Abb. 26; PARRISH, Season Mosaics, Kat. 29, S. 156–160; Taf. 42; H. STERN, L’image du mois d’Octobre sur une mosaïque d’El-Djem, in: JSav 1965, S. 117–131: 119, Abb. 3; siehe auch LECLANT, s. v. „Anubis“, Nr. 44; L. DESCHAMPS, Quelques hypothèses sur le ‚calendrier de Thysdrus‘, in: REA 107.1, 2005, S. 103–130. Auch auf dem Monnus-Mosaik in Trier repräsentiert das Fest der Isia den November: Dort ist ein Isiskopf mit Kuhhörnern, Diadem und Sistrum dargestellt, siehe K. PARLASCA, Die Römischen Mosaiken in Deutschland, Berlin 1959, S. 42; Taf. 47,4. Vgl. auch STERN, Calendrier, S. 279–283, m. Taf. XII, 1; XVII, 2 und XIX, 1, zum Kalender des Philocalus, in dem der November durch einen einzelnen Isispriester dargestellt ist, der ein Sistrum und eine Patera mit einer Schlange darauf in den Händen hält. Neben ihm befindet sich ein Sockel mit Hundekopf (= Anubismaske) und zu seinen Füßen eine Gans. Dazu auch P. P. KOEMOTH, Autour du prêtre isiaque figuré dans le calendrier romain de 354, in: Latomus 67, 2008, S. 1000– 1009; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 392–393. Zum Kalender insgesamt M. R. SALZMAN, On Roman Time. The Codex-Calendar of 354 and the Rhythms of Urban Life in Late Antiquity, Cambridge 1991, bes. S. 76–78 zum November, und S. 169–176 zu Festen des Isis- und Sarapiskultes innerhalb des römischen Kalenders. 1131 Siehe auch GRENIER, Anubis, S. 157, Nr. 250, der den Caduceus allerdings fälschlich als Sistrum interpretiert. 1132 Vgl. die Darstellung zweier Pterophoren im Nilmosaik von Leptis Magna, siehe oben, Kap. 7.2.2.3.2. 1133 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 85; TRAN TAM TINH, Isis et Sérapis, S. 63, Abb. 10–12 u. 17; PODVIN, Luminaire, S. 245 u. 248–249. Außerdem Sarapis allein: PODVIN, Luminaire, S. 213–214 u. 228. 1134 PICARD, Anubis alexandrin, 180; ID., Religions de l’Afrique, S. 225; GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2222, m. Abb. 7. 1135 Vgl. GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2222–2223, m. Abb. 8. 1136 Vgl. GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2223. 1137 Siehe TRAN TAM TINH, Sérapis debout, Nr. IA 3, S. 90; Taf. 3, Abb. 3.

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Die untere Hälfte einer Marmorstatue der Isis (oder einer Isisdienerin?) mit Knotenpalla vom Ende des 2. Jhs. ist nicht sicher einem Ort zuzuordnen; möglicherweise stammt sie aus Tunis.1138 Auf einem Stelenfragment aus dem nahe bei Theveste (s. o.) gelegenen Morsott (wohl das antike Vasampus) sind im oberen Teil Saturn und eine weibliche Gottheit (Caelestis/Ops) auf Thronen dargestellt, im unteren Teil aber vier Köpfe mit ägyptischen/ägyptisierenden Merkmalen.1139 Sicher zu erkennen ist nur der rechte, der einem ägyptischen Hathorkopf mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe entspricht. Der Kopf ganz links ist stark zerstört, trug aber ebenfalls eine Bekrönung (wieder Kuhgehörn mit Sonnenscheibe?). Der zweite Kopf von links weist Hörner auf (Ammon?) und der dritte ein Diadem, darunter möglicherweise gedrehte Stirnlocken (Libya/Isis?). Es ist nicht sicher zu bestimmen, ob tatsächlich Mitglieder des Isiskreises gemeint sind;1140 es handelt sich offensichtlich um ein Denkmal aus dem einheimischen afrikanischen Milieu und demonstriert deutlich, daß Saturn hier die übergeordnete Gottheit ist.1141 Zu dem Knabenkopf mit Horuslocke im Tempel von Bulla Regia1142 existiert eine Parallele aus Jebeniana aus der Mitte des 2. Jhs. n. Chr.1143 Die Haargestaltung dieses jungen Isis-Anhängers unterscheidet sich jedoch stark von ersterem: Er trägt tatsächlich einen geflochtenen Zopf, der von der Stirn bis hinter den Scheitel führt. Diese Frisur ist wesentlich näher an der „echten“ ägyptischen Jugendlocke und auch bei Harpokrates-Darstellungen geläufig,1144 während es sich beim Kopf in Bulla Regia um eine starke Abwandlung handelt, die weniger auffällig ist und daher möglicherweise eher real getragen wurde. Eine Reihe von Fluchtafeln (tabellae defixionum), die in der römischen Nekropole von Hadrumetum deponiert worden waren, zeugt von der regen Anwendung der in der Antike verbreiteten magischen Praxis an diesem Ort, wo wahrscheinlich ein Vorlagenbuch (in der Hand eines Magus oder einer ganzen Gruppe von Spezialisten) existierte.1145 Eines der gefundenen Bleitäfelchen aus dem 2. Jh. n. Chr. enthält einen Liebeszauber in griechischer Schrift und lateinischer Sprache, in dem an erster Stelle Osiris, der „große Gott“ (magnum deum) angerufen wird, dem Wunsch einer Bittstellerin nachzukommen; für den Fall der Nichterfüllung wird nach ägyptischer Tradition mit der Zerstörung des Osirisgrabes gedroht, und sein Leichnam soll ins Wasser geworfen werden.1146 Um dem Zauber mehr 1138 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 23, S. 118; Taf. 19 1139 M. LE GLAY, Saturne africain I: Monuments I, Paris 1961, S. 358–359, Nr. 56, Taf. 13, Abb. 6; II: Histoire, BEFAR 205, Paris 1967, S. 246–247; CIL VIII, 27845. Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 316, Kat. 15; BRICAULT/LE BOHEC/PODVIN, Cultes isiaques en Proconsulaire, S. 240. 1140 Das ikonographische Schema des Hathorkopfes bzw. der -büste ist schon in phönizisch-punischer Zeit bekannt, siehe Kap. 7.1.4 (Typus 4). 1141 Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 316. 1142 Siehe oben, Kap. 7.2.3.3.2. 1143 ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 402. 1144 Vgl. ATTYA OUERTANI, Deux documents, S. 402. 1145 Zu dem Gesamtbefund aus Hadrumetum siehe A. KROPP, Altes Blei neu ausgegraben. Textkritische Bemerkungen zu den lateinischen ‚Defixiones‘ aus Hadrumetum, in: MHNH 4, 2004, S. 63–77. 1146 AUDOLLENT, Defixionum tabellae, Nr. 270; A. KROPP, Defixiones. Ein aktuelles Corpus lateinischer Fluchtafeln, Speyer 2008, Nr. 11.2.1/8; vgl. auch EAD., Le rôle des noms barbares dans le déroulement d’une defixio, in: M. Tardieu/A. van den Kerchove/M. Zago (Hrsg.), Noms Barbares I. Formes et contextes d’une pratique magique, Turnhout 2013, S. 77–92: 86–87; GORDON/GASPARINI, Look-

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Gewicht zu verleihen, bezeichnet sich die Frau selbst als großer Dekan des großen Gottes Achrammachalala?e.1147 Besondere Aufmerksamkeit verdient eine außergewöhnliche Reliefplatte von monumentaler Größe (fast 2 m Höhe) und hoher Qualität, die in Henchir el-Attermine, nahe Thuburbo Minus, in den Resten einer spätantiken Struktur gefunden wurde.1148 Möglicherweise handelte es sich dabei um eine Kirche oder ein Grab, denn die Inschrift und das Kreuz-Monogramm auf der Rückseite zeigen, daß das Stück im 4./5. Jh. als christlicher Grabstein wiederverwendet worden war.1149 Das Relief befindet sich auf einer hohen, schmalen Marmorplatte, die an der oberen, unteren und linken Seite eine vorspringende Umrandung aufweist. Dies bedeutet, daß es sich offenbar um den linken Abschluß eines größeren Reliefs handelt, das sich auf der rechten Seite in unbestimmter, aber mindestens doppelter Länge weiter ausgedehnt haben muß. Die großen Dimensionen deuten darauf hin, daß es als Schmuckelement ursprünglich zu einem größeren architektonischen Monument gehört haben muß, z. B. einem Ehrenbogen. Ein derartiges figürliches Relief von solchen Ausmaßen stellt für das römische Africa Proconsularis eine absolute Seltenheit dar. Dargestellt ist die Isisfamilie mit Isis, Sarapis und Harpokrates zusammen mit Dionysos. Dabei sind Isis, Harpokrates und Dionysos in fast rundplastischer Ausführung prominent in den Vordergrund des tiefen Reliefs gerückt, während sich Sarapis flacher im Hintergrund befindet, so daß praktisch nur sein Kopf und ein Teil des Oberkörpers sichtbar sind. Die Gottheiten sind alle nach rechts gewandt, bis auf Harpokrates, der nahezu frontal steht und den Betrachter anschaut. Die ganz am linken Rand stehende Isis trägt über einem langärmeligen Chiton eine Knotenpalla mit Fransensaum und weit am Rücken herabfallendem Mantel.1150 Die Haare sind in der üblichen Isisfrisur mit Korkenzieherlocken im Nacken arrangiert. Über der Stirn ist ein kleines Basileion auf den Kopf gesetzt, und die erhobene rechte Hand hält ein Sistrum.1151 Vor ihren Beinen steht der nackte Harpokrates mit kinnlangen Locken, der die rechte Hand in Richtung Mund führt (der Finger ist abgebrochen). Von seiner linken Schulter fällt ein Mantel herab und im Arm hält er ein Füllhorn. Eine Krone oder ein anderer Schmuck auf dem Kopf ist abgebrochen.1152 Kopf und Oberkörper des Sarapis befinden sich im Re-

1147

1148 1149 1150 1151 1152

ing for Isis „the Magician“, S. 48 (in Unkenntnis der ägyptischen Tradition der Drohung). Zu Osiris und Isis im Liebeszauber siehe oben, Kap. 6.5.2.2. Der vorletzte Buchstabe ist unsicher in der Lesung; der Name geht sicher auf das aus anderen magischen Texten bekannte Zauberwort Achrammachamarei zurück, vgl. dazu QUACK, Dekane, S. 554, mit weiterer Literatur. Zur Instrumentalisierung eines mit Osiris verbundenen Dekans vgl. den demotischen Zauberspruch zum Entlarven eines Diebes pBM 10588, 6, 1–16 = PDM lxi 79–94; siehe dazu oben, Kap. 6.5.2.3; zum Dekan VON LIEVEN, Osiris; EAD., Himmel über Esna, S. 150–151. Siehe dazu DUVAL/BARATTE, Relief isiaque; E. MICHON, Isis, Horus et Sérapis accompagnés de Dionysos. Bas-relief du musée du Louvre, in: Monuments Piot 25, 1921–1922, S. 229–236; GAVINI, Culti orientali in Zeugitana, S. 2219–2221; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 241. Vgl. DUVAL/BARATTE, Relief isiaque, S. 329, zur Datierung der Inschrift. Der Mantel zeigt an, daß in diesem Fall zwei Kleidungsstücke aneinander geknotet wurden, und es sich nicht wie bei anderen Drapierungen um ein einziges rechteckiges Stoffstück handelt, das um den Körper gewickelt und geknotet wird. Zur Isisdarstellung siehe auch EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 16, S. 18 u. 115–116; Taf. 15. Der Darstellungstypus ist derselbe wie auf dem Relief aus Thugga, s. o. Doch auch dort sind der Kopf und ein eventueller Kopfschmuck stark zerstört.

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liefhintergrund, aber auf derselben Höhe mit Isis, so daß sie wohl als Paar nebeneinander stehend gedacht sind. Bart- und Haupthaar ist in üppigen Wellen gestaltet, im geläufigen Typus mit den in die Stirn fallenden Strähnen.1153 Auf dem Kopf trägt er einen Kalathos. Von dem gänzlich nackten Dionysos mit Thyrsosstab fehlt die ganze linke Hälfte, die sich auf der anschließenden Reliefplatte befunden haben muß. Der Inhalt des verlorenen Restes läßt sich nicht rekonstruieren, und so ist nicht klar, wie prominent die Bedeutung der ägyptischen Götter darauf gewesen sein mag. Deutlich ist, daß sie mit Dionysos assoziiert werden, den schon Herodot mit Osiris gleichsetzt;1154 doch möglicherweise waren auch noch weitere Gottheiten in der Szene vertreten. Auch könnte es sich nicht um eine bloße religiöse bzw. mythologische Darstellung gehandelt haben, sondern um ein sog. „historisches Relief“, in dem z. B. auch der Kaiser präsent gewesen sein könnte. Aufgrund der Größe und außergewöhnlichen Qualität kann diese Plastik nur zu einem wichtigen, sicherlich offiziellen Monument in einer größeren Stadt gehört haben; vielleicht stammt sie aus dem nahe gelegenen Thuburbo Minus, da man ein solch großes Stück zum Zwecke der Wiederverwendung als Grabmonument wohl kaum über weite Strecken transportiert hätte.1155 Jedoch sind aus der Umgebung keine Reste von Bauwerken oder weitere Relieffragmente bekannt, die damit in Zusammenhang gebracht werden könnten.1156 Der Stil weist auf eine versierte, nicht einheimische Werkstatt und eine Entstehung in frühantoninischer Zeit.1157 Trotz der unsicheren Herkunft des außergewöhnlichen Reliefs zeigt die Präsenz des Isiskreises (wobei Sarapis in diesem Fall offenbar zweitrangig ist) auf einem Denkmal dieser Größe, daß die Bedeutung des Isiskultes als offizieller, von römischer Seite geförderter Kult in der Proconsularis bereits in der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. nicht unterschätzt werden darf. 7.2.4

Provinz Numidia

7.2.4.1 Der Kult der ägyptischen Götter vor der Kaiserzeit Trotz bekannter Kontakte zwischen Numidien und Ägypten in vorrömischer Zeit sind in der Provinz vor dem 2. Jh. n. Chr. keine konkreten Zeugnisse für den Kult der ägyptischen Götter bekannt.1158 Aus punischer Zeit finden sich wie in den anderen nordafrikanischen Regionen vereinzelt Amulette in den Gräbern; so stammen beispielsweise aus der libyschphönizischen Nekropole von Collo zwei Terrakotta-Amulette mit Harpokrates.1159

1153 Siehe zur Sarapisdarstellung auch TRAN TAM TINH, Sérapis debout, Nr. VI 2, S. 261–262; Taf. 109, Abb. 290. 1154 Herodot II, 42, vgl. auch 144. Vgl. oben, Kap. 7.1.5, m. Anm. 287. 1155 Frühere Annahmen, die das Relief an einem Ehrenbogen für Hadrian o. ä. in Alexandria lokalisierten, wurden bereits durch DUVAL/BARATTE, Relief isiaque, S. 330–331, zu Recht abgelehnt. 1156 Vgl. DUVAL/BARATTE, Relief isiaque, S. 331. 1157 Vgl. DUVAL/BARATTE, Relief isiaque, S. 333; und EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 18 u. 115–116. Die früher geläufige Datierung in hadrianische Zeit wird von diesen Autoren verworfen. 1158 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 86; ID., Dieux de l’Orient; KLEIBL, Iseion, S. 47. 1159 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 285 u. 319 („Errata“), Kat. 9.5–6; S. 286, Abb. 14B–C; vgl. dazu Kap. 7.1.2.

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7.2.4.2 Lambaesis 7.2.4.2.1 Der römische Isis- und Sarapistempel1160 Baugeschichte und Architektur In Lambaesis, das weit im Landesinneren Numidiens gelegen ist, waren ab 81 n. Chr. Teile der Legio III Augusta stationiert, und unter Trajan oder Hadrian wurde schließlich das Hauptquartier von Theveste dorthin verlegt, wodurch die Stadt sich zum militärischen Zentrum Nordafrikas entwickelte.1161 Unter Septimius Severus wurde Lambaesis zur Provinzhauptstadt ernannt. An der Via Septimiana, die zwischen dem Militärlager und der Stadt verläuft, ist ein nach Osten orientiertes Heiligtum ägyptischer Gottheiten situiert. Die direkte Umgebung ist gekennzeichnet von weiteren sakralen Bauten wie dem Neptun-Tempel, dem Tempel der Dea Africa und einem Mithräum; am Ende führt die Straße zu einem Asklepios-Heiligtum.1162 Direkt neben dem eher kleinformatigen und schlecht erhaltenen Kultbezirk der ägyptischen Gottheiten1163 befindet sich ein Septizonium, eine monumentale Brunnenanlage, die von drei Aquaedukten bewässert wurde.1164 Die Umfassungsmauer des Heiligtums zeichnet sich durch eine ungewöhnliche, unregelmäßige Form aus bzw. ist auf der Südseite nur ein Stück weit überhaupt vorhanden, was entweder bedeutet, daß das Heiligtum in eine Lücke zwischen bereits vorhandenen Bauten eingefügt wurde,1165 oder daß es zuerst mit einer regelmäßigen Umfassungsmauer bestand, die jedoch durch die spätere Errichtung des südlich anschließenden Baues mit rechteckigem Temenos überbaut wurde.1166 Am axial gelegenen Haupteingang auf der Ostseite haben sich Spuren der Türangeln erhalten.1167 Möglicherweise ist in einem in der Nähe liegenden Steinblock, der mit einem Kreis (Sonnenscheibe?) in einem Rechteck dekoriert ist, der dazugehörige Türsturz zu erkennen.1168 Ein schmalerer Nebeneingang im Süden der Frontmauer, der eine Einbettung, wohl für eine Wasserleitung, besaß, gewährt ebenfalls Zutritt in den Temenos. Im Inneren war die Umfassungsmauer mit feinem Kalkputz bedeckt und bemalt, wie gelbe und rote Farbreste in der NW-Ecke zeigen. Die Wände werden durch Nischen gegliedert: Die Nord-

1160 Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 63, S. 358–360, mit älterer Literatur; außerdem CHARRON, Témoignages, S. 154–155; CID, Isis en Numidia, S. 57–61; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“. 1161 Vgl. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 339: 128 n. Chr.; JANON, Lambèse, S. 16: um 120 n. Chr.; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 288: 115 n. Chr. Siehe dazu Y. LE BOHEC, La troisième legion Auguste, Études d’antiquités africaines, Paris 1989, S. 363–364 u. 407–424; ID., L’armée romaine en Afrique et en Gaule, Mavors – Roman Army Researches 14, Stuttgart 2007, S. 296–313. 1162 Vgl. die Pläne bei LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 354, Abb. 3; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 288 u. 289, Abb. 16; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 126, Abb. 1; Rekonstruktionszeichnung von J.-M. Gassend bei JANON, Lambèse, S. 44. 1163 Siehe die Fotos bei LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 356–357, Abb. 6–9. 1164 Siehe dazu AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“. 1165 Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 290 u. Grundriß S. 289, Abb. 16; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 355, Abb. 4; JANON, Lambèse, S. 45. 1166 So AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119, und das Luftphoto S. 127, Abb. 2. Siehe auch unten, 7.2.4.2.1a. 1167 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 344. 1168 Vgl. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 344.

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seite weist drei rechteckige Nischen auf,1169 auf der Westseite befindet sich eine breite rechteckige Nische, und in dem vorhandenen Teil der Südwand ist noch eine halbrunde Nische zu erkennen. Der in der Mittelachse des Bezirks positionierte Podiumtempel ist in die rückwärtige Mauer hineingeschoben, wobei die Rückwand der Cella eine aus dieser heraus ragende Apsis bildet.1170 Eine erhaltene Restaurationsinschrift des Legionslegaten L. Mattucius Fuscinus aus dem Jahr 158 n. Chr.1171 konstatiert die Hinzufügung eines Pronaos durch die Legio III Augusta sowie die Stiftung der dazugehörigen Säulen durch eben jenen Legaten, was bedeutet, daß es mindestens zwei oder drei Bauphasen gab.1172 Zunächst muß es sich um einen nur aus der Cella (mit Apsis) bestehenden Einraumtempel gehandelt haben, der dann in einem oder zwei Schritten durch den viersäuligen Pronaos zum prostylen Antentempel ausgebaut wurde. Diese Bauperioden zeichnen sich auch in dem verwendeten Material ab, denn Cella und Apsis bestehen im Gegensatz zu den großen Steinblöcken des Pronaos aus opus mixtum mit kleinen Bruchsteinen und Ziegeln in den Ecken.1173 Die gleiche Bauweise ist an der nördlichen und nordwestlichen Umfassungsmauer festzustellen.1174 Von den vier Frontsäulen, die korinthische Kapitelle aus weißem Marmor besaßen, haben sich die Basen noch in situ erhalten. Eine breite, siebenstufige Treppe führt zum Pronaos hinauf, unter dem sich eine favissa im Podium befindet, die mit einer weiteren unter der Cella verbunden ist.1175 Sie konnten durch eine Tür in der Nordwand betreten werden. Neben dem bereits erwähnten anzunehmenden Rohr im Boden des Nebeneingangs in den Bezirk (s. o.) verfügte das Heiligtum noch über weitere Wassereinrichtungen, von denen eine Inschriftenplatte des späten 2. oder des 3. Jhs. berichtet.1176 Darauf wird festgehalten, daß zwei Aedilen für Isis Augusta den lacus restauriert haben, welcher zuvor vier Jahre außer Funktion gewesen war. Demzufolge muß ein wie auch immer geartetes Wasserbassin im Heiligtum vorhanden gewesen sein, das möglicherweise durch eine vom benachbarten Reservoir des Septizoniums kommende Leitung gespeist wurde,1177 zumal die Inschriftenplatte am unteren Ende eine Aussparung für eine Mündung aufweist. AGUSTA-BOULAROT, 1169 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119, widersprechen der sonst üblichen Deutung als tatsächlich funktionelle (Statuen-)Nischen und halten die Rücksprünge aufgrund ihrer nur geringen Tiefe (30 cm) für eine rein dekorative Wandgliederung. 1170 Siehe LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 357, Abb. 9. 1171 RICIS 704/0301; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 339; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 292–293, Kat. 11.3; CID, Isis en Numidia, S. 58; JANON, Lambèse, S. 45; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 121; vgl. auch LE BOHEC, Armée romaine, S. 139–140; N. BENSEDDIK, Esculape et Hygie en Afrique II, MemAcInscr 44, Paris 2010, S. 134 u. 137. 1172 Vgl. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 345; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 121. 1173 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 345; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119. 1174 Vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119. 1175 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119. 1176 RICIS 704/0303; Taf. 134; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 340; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 291 u. 293, Kat. 11.4; Abb 18; LE BOHEC, Armée romaine, S. 141–142; AGUSTA-BOULAROT/JANON/ GASSEND, „In Lambaesem“, S. 121–123: Ende 2. oder Anfang 3. Jh.; ibid., S. 129, Abb. 6. X. DUPUIS, Constructions publiques et vie municipale en Afrique de 244 à 276, in: MEFRA 104,1, 1992, S. 233–280: 273, dagegen datiert die Inschrift ca. 250–260 n. Chr. (übernommen in RICIS, loc. cit., und von BRICAULT, Cultes isiaques, S. 338). 1177 Pfeilerreste eines vom Reservoir des Septizoniums abzweigenden Aquaeduktes, das auf die Nordmauer des Heiligtums zuführt, sind erhalten, siehe LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 290 u. den Plan S. 289, Abb. 16; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 124.

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JANON und GASSEND rekonstruieren den lacus vor der großen Nische in der nordwestlichen Umfassungsmauer (neben der Cella), da sich dort ihren Angaben zufolge auch in der Mauer eine Aussparung für eine Wasserleitung befindet.1178 Reste eines Beckens sind nach der bisherigen Dokumentation jedoch noch nicht gefunden wurden. Wohl in byzantinischer Zeit wurde im Süden ein Haus errichtet, das den Tempelbezirk teilweise überlagert.1179 Wann das Heiligtum zerstört und verlassen wurde, ist nicht bekannt. Funde und Ausstattung Wichtige Teile der Ausstattung wie Restaurationsinschriften und die wahrscheinliche Kultstatue sind erhalten geblieben und geben Aufschluß über die Identifizierung und Datierung des Heiligtums. Die oben bereits erwähnte Inschrift des Legaten L. Matuccius Fuscinus von 158 n. Chr. wurde allerdings nicht daselbst, sondern an der nördlichen Böschung des nahegelegenen Asklepieion gefunden.1180 Darin wird neben den Restaurationsmaßnahmen „für Isis und Sarapis“ auch die ursprüngliche Gründung des Tempels durch „die Vorgänger“ des Legaten festgehalten, allerdings ohne Datumsangabe. Tatsächlich aus der direkten Nähe des Bezirks stammt die wohl etwa lebensgroße (die Beine sind nur ca. bis zum Knie erhalten) Marmorstatue der Isis,1181 die über der Stirn eine Mittelscheitelfrisur mit zur Seite geführten gewellten Haaren trägt, die mit seitlich des Gesichts herabfallenden, gestuften libyschen Locken kontrastieren, welche durch tiefe Bohrrillen sehr schematisch gebildet sind. Sie ist mit der Knotenpalla bekleidet und hat zusätzlich einen Mantel (Himation) um die Hüften geschlungen, wo er einen Bausch bildet. Den Kopf bedeckt ein Fransentuch, vor dem ein Diadem befestigt war, dessen drei Befestigungslöcher noch gut erkennbar sind: In der Mitte befindet sich eine große Einlassung, an den Seiten je eine kleinere. Es könnte sich demnach um ein gesondert gefertigtes Basileion oder eine ähnliche Kronenkomposition mit Kuhhörnern/Mondsichel und weiteren Elementen gehandelt haben.1182 Bei Grabungen im Tempelbezirk kam auch ein flaches kleines Objekt zutage, das Kopf und Hals einer Schlange darstellt und möglicherweise zu einem Diadem gehört haben könnte.1183 Die Arme der Marmorskulptur sind über den Ellenbogen abgebrochen, doch es wurde eine wohl zugehörige linke Hand gefunden, die den Henkel einer Situla hält.1184 In der anderen Hand ist dementsprechend wahrscheinlich ein Sistrum zu ergänzen. Anhand der Augen-, Haar- und Gewandgestaltung ist das Stück wahrscheinlich in die mittel- bis späthadrianische Epoche zu datieren.1185 Auch der in der Inschrift des Fuscinus (s. o.) neben 1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184 1185

AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119 u. 123–124. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 344. RICIS 704/0301; siehe oben. Siehe LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 346–347; 353, Abb. 1; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 294, Kat. 11.5; S. 296, Abb. 19; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 89, S. 62 u. 140; Taf. 57; L. LESCHI/M. BOVIS, Algérie antique, Paris 1952, S. 100. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 294, Anm. 185, zieht eine Kombination aus Lotusblüte und Mondsichel vor, die ihm zufolge in der Region häufiger sei (allerdings ohne Belege). Da nirgends eine Abbildung oder Materialangabe vorhanden ist, kann dies nur eine vage Vermutung bleiben. Erwähnt bei LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 350; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 297, Kat. 11.9. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 347. Vgl. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 89, S. 140: 130–140 n. Chr; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 294, u. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 347: 2. Jh. n. Chr.

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Isis genannte Sarapis dürfte eine Kultstatue besessen haben, da ein etwa lebensgroßer Marmorkopf des Gottes mit vegetabil dekoriertem Kalathos in einer „Kapelle nahe dem Mithraeum“ gefunden wurde.1186 Der Fundort ist somit nicht eindeutig identifizierbar; teilweise wird aber davon ausgegangen, daß tatsächlich der Isis- und Sarapistempel damit gemeint gewesen sein könnte.1187 Zu der Skulptur gehörte möglicherweise auch ein Fragment des von Schlangen umwundenen Kerberos.1188 LE GLAY vermutet, daß die Skulptur in der großen Nische in der westlichen Umfassungsmauer aufgestellt war;1189 ebenso gut könnte sie aber neben derjenigen der Isis in der Apsis der Cella gestanden haben. Aus dem Areal stammen desweiteren einzelne Reste von Attributen, die von der Existenz weiterer, kleinerer Statuen zeugen, die wahrscheinlich in den übrigen Nischen Platz fanden: Neben der bereits erwähnten Schlange (s. o.) handelt es sich um eine kleine versilberte Mondsichel aus Bronze, die sicherlich zum Kopfschmuck einer Isisfigur gehörte, einen Delphin und ein Füllhorn, Attribut der Isis/Tyche.1190 Vor der Ostmauer des Bezirks stehen noch Statuenbasen und Weihaltäre, die wie üblich zur Ausstattung des Heiligtums gehörten.1191 Als Füße/Stützen von Mobiliar, möglicherweise auch von tragbaren Altären, lassen sich vier geflügelte weibliche Bronzefiguren interpretieren, die auf einer in eine Lotusblüte übergehende Löwentatze aufsitzen.1192 Die zwei größeren weisen einen weiblichen Kopf mit auf die Schultern fallenden Locken auf je zwei Löwenkörpern auf, von den zwei kleineren besteht eine aus einer Frauen-, die andere aus einer Löwenbüste. An Weihinschriften wurden oben bereits die beiden erwähnt, die Bau- und Restaurationsmaßnahmen am Heiligtum festhalten.1193 Tatsächlich lassen sich am Beginn der Inschrift, welche die Reparatur des lacus dokumentiert, vor den zentriert gesetzten Worten Isidi Aug noch die getilgten Reste des Nominativs Isis erkennen, die BRICAULT, LE GLAY und LAPORTE für einen korrigierten Fehler des Steinmetzen halten.1194 Nach AGUSTABOULAROT, JANON und GASSEND handelt es sich jedoch um eine ganze ältere Inschrift, die von der jüngeren Weihung überschrieben wurde, zumal eine solche Wiederverwendung epigraphischer Denkmäler in Lambaesis gängige Praxis war.1195 Dementsprechend muß eine weitere, frühere, Dedikation an Isis hinzugerechnet werden. Auf einem Sockel ist ein Naos mit zwei seitlichen Säulen und einem Atlas (oder einer Karyatide?) als Mittelstütze dargestellt; auf der Basis ist noch der untere Teil einer Büste erhalten, während die 1186 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 295, Kat. 11.6; Zeichnung S. 298, Abb. 20; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 347; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 759, S. 139–140; CH. PICARD, Manuel d’Archéologie grecque. La sculpture IV, 2, Période classique – IVe siècle, Paris 1963, S. 880–881, Abb. S. 365. 1187 So LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 295, Kat. 11.6. 1188 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119; S. 129, Abb. 5. Nur eine alte Zeichnung ist vorhanden. 1189 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 345. 1190 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 350; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 297, Kat. 11.9. Keine Abbildungen vorhanden. 1191 Vgl. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 344. 1192 Vgl. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 350; S. 359, Abb. 10i–j; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 297, Kat. 11.8. 1193 RICIS 704/0301 u. 704/0303. 1194 RICIS 704/0303; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 340; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 293, Kat. 11.4; LE BOHEC, Armée romaine, S. 141–142. 1195 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 121.

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lateinische Inschrift „Priester des Jupiter Pluton Serapis“ den Fries einnimmt.1196 Der Name des Priesters, der offenbar zerstört ist, dürfte weiter oben gestanden haben. Der Fundort des Stückes ist unbekannt, es ist also nicht sicher, daß es überhaupt zu dem Tempel gehörte. Eine große, profilierte Statuenbasis mit einer ausnahmsweise griechischen Weihung an Sarapis als „erhörenden Gott“ (θεός ἐπήκοος) wurde angeblich im Mithräum an der von den Heiligtümern gesäumten Straße aufgefunden.1197 Interpretation Die Restaurationsinschrift des Matuccius Fuscinus1198 belegt die Existenz eines Heiligtums für Isis und Sarapis, das bereits unter „den Vorgängern“ des amtierenden Legaten Fuscinus entstand und dann sukzessive mit einem Pronaos und schließlich, 158 n. Chr., mit den Frontsäulen weiter ausgestattet wurde. Damit läßt sich das genaue Gründungsdatum nicht bestimmen, aber aufgrund des Plurals „die Vorgänger“ dürfte der Bau wohl über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden sein. Als terminus post quem ist mindestens das Gründungsdatum des kleineren Militärlagers des Titus, 81 n. Chr., noch wahrscheinlicher aber das des großen Legionslagers um 120 n. Chr. zu bestimmen.1199 Obwohl die Inschrift sich bei der Entdeckung nicht in dem Heiligtum befand, ist dieses dennoch relativ sicher anhand der übereinstimmenden Architektur (Pronaos mit vier Frontsäulen) und der dort zutage gekommenen Funde zu identifizieren, so insbesondere aufgrund der Kultstatue der Göttin und der zweiten Restaurationsinschrift, wenngleich der genaue Fundort von letzterer unbekannt ist. Während Sarapis in der Dedikation von 158 n. Chr. als weitere Gottheit nach Isis genannt ist, richtet sich die spätere Weihung des reparierten lacus ausschließlich an Isis (Augusta);1200 verbindet man dies mit der Tatsache, daß erstens die beiden anderen mit einer ägyptischen Gottheit in Verbindung stehenden epigraphischen Zeugnisse ihrerseits nur Sarapis, nicht aber Isis erwähnen,1201 und zweitens von den Sarapis betreffenden Funden (d. h. die beiden Inschriften, der Kopf und das Kerberos-Fragment) kein einziges mit Sicherheit aus dem Heiligtum stammt, könnte das die Vermutung von AGUSTA-BOULAROT, JANON und GASSEND bestärken, daß evtl. nachträglich ein zusätzliches, separates Heiligtum für eine der beiden Gottheiten errichtet wurde.1202

1196 RICIS 704/0302; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 340; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 291–292, Kat. 11.2; CHARRON, Témoignages, S. 155; LE BOHEC, Armée romaine, S. 141. Verschollen, keine Abbildung vorhanden (nur aus Beschreibungen bekannt). 1197 RICIS 704/0304; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 340; CHARRON, Témoignages, S. 155; LE BOHEC, Armée romaine, S. 141. Mithräum als konkreter Fundort nur bei LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 292, Kat. 11.7, angegeben, der auf CIMRM II, S. 21, Nr. 138 E, verweist. 1198 RICIS 704/0301; siehe oben. 1199 Vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 121; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 291: von unmittelbaren Vorgängern, unter Hadrian, gegründet; CID, Isis en Numidia, S. 59: nicht lange vor Regierung des Antoninus Pius, unter Hadrian, gegründet. Zu den Daten des Militärlagers, siehe oben, 7.2.4.2.1 (Baugeschichte und Architektur). 1200 RICIS 704/303; siehe oben. 1201 RICIS 704/0302 u. 704/0304; siehe oben. 1202 Vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119; JANON, Lambèse, S. 45.

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7.2.4.2.1a Ein separater Sarapistempel? AGUSTA-BOULAROT, JANON und GASSEND identifizieren das sich im Süden an das besprochene Heiligtum anschließende Gebäude als hypothetischen separaten Sarapis-Tempel.1203 Hauptargument dafür ist, daß die ungewöhnliche Beschneidung des Temenos im Süden, wie sie bei dem Iseum vorliegt, ansonsten kaum sinnvoll zu erklären wäre. Wegen der spätantiken Überbauung läßt sich das Erscheinungsbild des fraglichen Komplexes aber nur ansatzweise rekonstruieren: Es handelt sich um einen rechteckigen Bezirk mit seitlichen Portiken, die jeweils von drei Säulen getragen werden und an der Rückseite in kleinen rechteckigen Apsiden enden, die etwas aus der geraden Flucht der hinteren Temenosmauer herausragen.1204 An letztere ist mittig ein kleiner, einräumiger Naos mit vier Frontsäulen herangerückt, der im Vergleich mit dem deutlich größeren Bau des benachbarten Heiligtums eher als Kapelle denn als Tempel angesprochen werden kann. Diesem Bezirk ist wahrscheinlich eine nahebei gefundene großformatige Gründungsinschrift vom Anfang des 3. Jhs. n. Chr. zuzuweisen, in welcher ein Tempel mit Portiken sowie sechs Säulen genannt werden, die der Primipilaris L. Aemilius Marcellinus im Namen seines verstorbenen Bruders, des Ritters L. Aemilius Salvianus, hat errichten lassen.1205 Unglücklicherweise ist gerade die am Anfang des Textes zu erwartende Nennung der Gottheit, welcher das Heiligtum geweiht war, nicht erhalten. Falls es sich tatsächlich um Sarapis handelte, wäre es gut vorstellbar, daß es einen verbindenden Durchgang zwischen den benachbarten Bezirken gab.1206 Für die chronologische Abfolge in der Baugeschichte der beiden Heiligtümer werden zwei unterschiedliche Ansätze vorgeschlagen: 1. Das südliche Heiligtum ist das ältere und beherbergte ursprünglich den gemeinsamen Kult für Isis und Sarapis, bis der nördliche Bezirk in asymmetrischer Weise in den beengten Platz hineingebaut wurde, so daß zukünftig Sarapis im südlichen und Isis im nördlichen Tempel verehrt wurde.1207 Falls die o. g. Gründungsinschrift vom Anfang des 3. Jhs. n. Chr. aber tatsächlich zu dem südlichen Heiligtum gehört, würde die Datierung (die auf prosopographischen Daten beruht) diese These bereits widerlegen. 2. Das nördliche Heiligtum („Isis- und Sarapistempel“) ist das ältere, hatte ursprünglich einen regelmäßigeren Grundriß, von dem evtl. auf der Luftaufnahme noch Reste zu erkennen sind,1208 der jedoch durch die spätere (Anfang 3. Jh.?) Anfügung des südlichen Bezirks überbaut wurde, welcher von da an als separate Kultstätte des Sa-

1203 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119; JANON, Lambèse, S. 47. 1204 Vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 120 u. den Plan S. 127, Abb. 2. 1205 AE, 1939, 37 = BACTH, 1938–39–40, S. 270–273; siehe AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 120. 1206 In dem Plan bei AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 127, Abb. 2, scheint ein solcher eingezeichnet zu sein, ohne daß im Text irgendwo darauf eingegangen wird. 1207 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119; JANON, Lambèse, S. 45; die Theorie von der „Einpassung“ des Heiligtums in eine unregelmäßige Lücke auch bei LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 290. Siehe auch oben, Kap. 7.2.4.2.1 (Baugeschichte und Architektur). 1208 Siehe AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 127, Abb. 2.

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rapis genutzt wurde, während das nördliche Heiligtum mit der Wassereinrichtung nur noch Isis vorbehalten war.1209 Letztere Lösung halte ich für die wahrscheinlichere, doch solange weder ein eindeutiges Indiz für die Existenz eines separaten Sarapiskultes noch ausführliche Grabungen vorliegen, bleibt das ganze Konstrukt rein hypothetisch, wenn auch nicht unwahrscheinlich, insbesondere wenn man die Situation zweier getrennter Heiligtümer in Sabratha1210 vergleicht (s. auch u.). 7.2.4.2.2 Der Kult der ägyptischen Götter in Lambaesis im Spiegel der Heiligtümer und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Den erhaltenen Zeugnissen zufolge wurde der Isis- und Sarapiskult mit der Gründung des Heiligtumes durch Legaten der Legio III Augusta in der ersten Hälfte des 2. Jhs. oder frühestens Ende des 1. Jhs. n. Chr. in Lambaesis eingeführt. Die Inschrift von 158 n. Chr. deutet an, daß Isis einen gewissen Vorrang vor ihrem Partner hatte,1211 was zumindest für das mit einer Wassereinrichtung ausgestattete Heiligtum durch die spätere Inschrift der beiden Aedilen bestätigt wird, wo nur sie allein als Isis Augusta genannt ist.1212 Dieser typisch römische Titel, den die Göttin auch in Bulla Regia1213 und evtl. in einer Inschrift aus Karthago1214 trägt, weist auf einen offiziellen Kult und eine enge Verbindung von Isis zum Kaiserhaus hin. Zudem wird speziell in Lambaesis durch die Namensgleichheit ein Bezug zur 3. Legion hergestellt, die ja für die Errichtung des Heiligtums verantwortlich zeichnet. Die qualitätvolle Kultstatue zeigt übliche kaiserzeitliche Ikonographie, wenngleich die Gestaltung der Haare eine eher ungewöhnliche Variante darstellt. Anhand der im Heiligtum gefundenen Reste von Attributen (s. o.) ist anzunehmen, daß noch weitere Darstellungen existierten, von denen eine aufgrund des Füllhorns möglicherweise als Isis-Tyche zu charakterisieren ist.1215 Zusammen mit Sarapis erscheint Isis in Lambaesis außerdem in Büstenform auf zwei Lampen des späten 2.–3. Jhs. n. Chr.1216 Sarapis scheint zumindest zu Beginn mit im Heiligtum verehrt worden zu sein und besaß dort möglicherweise auch eine Kultstatue, der sich vielleicht der Kopf des Gottes und das Kerberos-Fragment zuordnen lassen. Allerdings besteht die Möglichkeit, daß er ab dem späten 2. oder dem frühen 3. Jh. n. Chr. in ein separates Heiligtum „ausgelagert“ wurde (s. o.). Da die Skulpturenfragmente nur durch Zeichnungen publiziert sind und sich nicht genau datieren lassen, könnten sie auch zu diesem gehört haben. In dieser späteren Epoche wurde Sarapis offenbar offiziell unter dem synkretistischen Titel Jupiter Pluton Sarapis 1209 AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 119; JANON, Lambèse, S. 47. 1210 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2. Eventuell gab es auch in Karthago zwei getrennte Heiligtümer für Sarapis und Isis, siehe oben, Kap. 7.2.3.2.1. 1211 RICIS 704/0301; siehe oben. 1212 RICIS 704/0303; siehe oben. 1213 RICIS 703/0401; siehe oben, Kap. 7.2.3.3.2. 1214 RICIS 703/0113; siehe oben, Kap. 7.2.3.2.2. 1215 Vgl. z. B. die Isisstatue mit Füllhorn in Leptis Magna, siehe oben, Kap. 7.2.2.3.2. 1216 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 304, Kat. 11.11; BUSSIERE, Lampes antiques, Nr. 3684 u. 3205; PODVIN, Luminaire, S. 245. Keine Abb. vorhanden.

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verehrt, wie die Erwähnung eines Priesteramtes zeigt.1217 Daß er somit eigenes Kultpersonal besaß, könnte ein weiteres Argument für ein getrenntes Heiligtum sein. Ein Gläubiger von offenbar griechischer oder östlicher Herkunft wandte sich in einer knappen Weihung einfach an Sarapis, den „erhörenden Gott“.1218 Für eine Verehrung anderer ägyptischer Gottheiten im Heiligtum sind zumindest keine Zeugnisse erhalten; es besteht aber zumindest die Möglichkeit, daß auch Statuen klassischer Götter dort aufgestellt worden sind: so könnte das Fragment eines Delphins zu einer Aphrodite-Darstellung gehören.1219 Ein differierendes, deutlicher ägyptisch/alexandrinisch geprägtes Bild der ägyptischen Götter ergibt sich bei der Betrachtung eines außerhalb des Tempelkontextes, in einem Raum eines üppig mit Wandmalereien und Mosaiken ausgestatteten römischen Hauses am Stadtrand gefundenen Ensembles von Bronzeappliken, die offenbar zu einem verbrannten hölzernen Mobiliarstück gehörten, wie karbonisierte Spuren andeuten.1220 Auf einer fragmentierten, reliefierten Bronzeplatte, die vermutlich an zentraler Stelle angebracht war, umgeben Isis und Sarapis in ihren ophiomorphen Mischgestalten als Thermuthis und Agathodaimon eine ägyptisierende Büste des Harpokrates, der ein Nemes-Kopftuch und eine größtenteils abgebrochene Krone1221 auf dem Kopf und eine kleine Keule in der linken Hand trägt, die ihn mit Herakles identifiziert.1222 Der Zeigefinger der rechten Hand ist in der ägyptischen kindlichen Geste an den Mund geführt. Isis und Sarapis tragen hier beide keinen Kopfschmuck. Als Einzelfiguren ohne Reliefhintergrund haben sich weitere theriomorphe ägyptische Gottheiten erhalten: ein stehender, mischgestaltiger Anubis in Tunika und Mantel, der sich mit beiden Händen in die vor der Brust herabfallenden Säume seines Mantels greift,1223 eine hockende Besfigur,1224 zwei bekrönte Uräusschlangen,1225 eine um eine Vase gewundene Schlange (?),1226 ein hockender Pavian als Verkörperung des 1217 RICIS 704/0302; siehe oben. 1218 RICIS 704/0304; siehe oben. 1219 Vgl. z. B. den Fund einer Aphrodite-Statue mit Eros auf einem Delphin im Heiligtum am Akropolishang in Kyrene, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 1220 Siehe dazu GSELL, Cultes égyptiens, S. 154; DERDER/ABDELOUAHAB, Autel isiaque; LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 347–350; S. 358–360, Abb. 10a–h u. 11; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 297–303, Kat. 11.10; Abb. 21–22. 1221 Laut LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; gefolgt von LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299; und LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 347, handelt es sich um eine Doppelkrone mit einer Lotusblume. Dies kann ich anhand des erhaltenen Restes nicht unbedingt nachvollziehen; es könnte evtl. eine HemhemKrone oder eine Federkrone dargestellt sein. 1222 Siehe LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 360, Abb. 11. 1223 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 358, Abb. 10a; LECLANT, s. v. „Anubis“, Nr. 11. Laut LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; gefolgt von LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299; und LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 348, hält Anubis einen Palmzweig und einen Caduceus in den Händen, die auf der Abb. jedoch nicht zu erkennen sind. Vgl. zu dieser Handhaltung die polychrome Isisstatue aus Kyrene, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. Er scheint außerdem einen nicht zu identifizierenden Kopfschmuck zu tragen. 1224 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 358, Abb. 10b. 1225 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349; S. 358, Abb. 10d–e; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 301, Abb. 21.9; GSELL, Cultes égyptiens, S. 154. Sie tragen ein schwer erkennbares Objekt auf dem Kopf, das von LE GLAY, loc. cit., als Lotusblume erkannt wird. 1226 LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349. Keine Abbildung vorhanden. GSELL, Cultes égyptiens, S. 154, bezeichnet die Vase fälschlich als „Pfeiler“, doch im Vergleich mit anderen ähnlichen Darstellungen

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Thoth,1227 und mehrere Stiere, die Apis und/oder Mnevis verkörpern können.1228 Nicht eindeutig identifizierbar ist ein mit einer Tunika bekleideter junger Mann mit üppigem Haupthaar, der ein Objekt, möglicherweise einen Palmzweig, im rechten Arm trägt.1229 Er wird üblicherweise als Isispriester oder Eingeweihter bezeichnet,1230 doch entspricht sein Aussehen keiner üblichen Darstellungsweise. Die ägyptischen Gottheiten (und der Priester(?)) sind kombiniert mit Hermes, der auf einem Felsen sitzt,1231 der Büste eines bärtigen Silens mit Pantherfell und Efeukranz,1232 einem Pantherkopf,1233 und vier frontal dargestellten Silenen, deren Oberkörper jeweils in eine Löwentatze übergehen, weswegen sie offenbar als Füße des ursprünglichen Möbelstückes dienten.1234 Eher dekorativen Charakter haben wohl auch zwei weitere Silene, von denen nur Fragmente gefunden wurden,1235 sowie zwei geflügelte Sphingen mit Diadem auf dem Kopf.1236 Vier als Akanthusblätter ausgestaltete Eckakrotere1237 und zwei Paterae1238 komplettieren das Bronze-Ensemble und liefern Hinweise auf das ursprüngliche Aussehen und die Funktion. Offenbar handelte es sich um einen Hausaltar oder tragbaren Altar für den Kult der ägyptischen Götter, in den nicht nur der weitere, teilweise theriomorph dargestellte Kreis der Isisfamilie, sondern auch einige griechisch-römische Elemente bzw. Gottheiten integriert waren, die sich leicht mit jenem verbinden oder identifizieren ließen, wie beispielsweise die dionysische Sphäre.1239 Die Bronzeelemente waren ursprünglich wohl auf einem Holzrahmen oder -gestell montiert, dem die Silene mit Löwentatzen als Füße dienten,1240 während die Paterae vielleicht oben

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im Kontext des Isiskultes dürfte LE GLAYs Interpretation als Hydria mit dem Wasser des Osiris richtig sein, vgl. dazu auch MALAISE, Terminologie, S. 63. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 358, Abb. 10f. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349; 359, Abb. 10g. Angeblich handelt es sich insgesamt um drei Stiere. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 300, Abb. 21.3. So LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 348, mit Verweis auf Apul., Met. XI, 10, zu Trägern von Palmzweigen und Caduceus. Laut LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; gefolgt von LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299, trägt der „Priester“ ein Lebenszeichen auf dem Kopf und einen Isisknoten auf der Brust, wovon auf der schlechten Abbildung jedoch nichts zu erkennen ist. Beides ist m. E. eher unwahrscheinlich. Davon scheint es zwei Exemplare zu geben, von denen allerdings nur eines gut erhalten ist, siehe LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 300, Abb. 21.2; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 348; GSELL, Cultes égyptiens, S. 154, der ihn auch als „Hermes-Thoth“ bezeichnet (gefolgt von LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299). LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349; S. 358, Abb. 10c. LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; gefolgt von LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299, bezeichnen diesen als „Dionysos“. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 301, Abb. 21.7; GSELL, Cultes égyptiens, S. 154. LE CORSU, Mythe et Mystères, S. 253; gefolgt von LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299; und LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 349, wollen darin Bastet erkennen, doch würde dies nicht der üblichen Ikonographie entsprechen. Der Panther dürfte vielmehr zu der bereits durch den Silen vertretenen Sphäre des Dionysos gehören. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349; S. 359, Abb. 10h; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 301, Abb. 21.14–15. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 300, Abb. 21.10–11; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 301, Abb. 21.12–13; LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 349. Zu den üblichen, mit Isis und Sarapis assoziierten Gottheiten siehe MALAISE, Terminologie, S. 34– 191, der allerdings nicht eigens auf Dionysos eingeht. Siehe zur hypothetischen Rekonstruktion des gesamten Altars DERDER/ABDELOUAHAB, Autel isiaque; bzw. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 299 u. 303; S. 302, Abb. 22; eine weitere Idee bei LE

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aufgelegt werden konnten. Im Kontrast zu den aus dem Bereich des Heiligtums erhaltenen Zeugnissen, die Isis und Sarapis in stark romanisierter Form repräsentieren, kommt in den Darstellungen des Altars ein breites Spektrum ägyptischer Gottheiten und ihrer Formen sowie mit ihnen verbundener Eigenschaften zum Ausdruck. Insbesondere die Präsentation der Triade Isis, Sarapis und Harpokrates gemahnt an alexandrinische (oder unterägyptische) Vorbilder, in denen die schlangenförmigen Gottheiten (Isis-)Thermuthis und (Sarapis-) Agathodaimon symmetrisch um ein zentrales, meist kleineres Bild, angeordnet sind.1241 Obwohl auch das Arrangement mit Harpokrates darunter durchaus üblich ist, zeigen Abweichungen in den ikonographischen Details, daß es sich hier bloß um eine Nachahmung und kaum um eine alexandrinische Arbeit handeln dürfte: Bei den ägyptischen Exemplaren tragen sowohl Isis-Thermuthis als auch Sarapis-Agathodaimon immer eine Krone1242 auf dem Haupt, und zwar sowohl dann, wenn sie gänzlich ophiomorph, als auch dann, wenn sie mit Menschenkopf dargestellt sind. Zweitens wird sonst eine deutliche Unterscheidung der beiden Schlangenkörper vorgenommen; während die weibliche Schlange immer deutlich als Kobra mit geblähtem Hals gekennzeichnet ist, weist die männliche einen insgesamt schlankeren Körper ohne Halsschild auf. Auf dem Altar aus Lambaesis hingegen sind die Schlangenkörper nicht unterschieden und beide werden nach oben hin breiter, scheinen allerdings beide eher in eine menschliche Büste als einen Kobrahals überzugehen.1243 Die Darstellung der Harpokratesbüste mit Nemeskopftuch und Herakles-Keule erinnert immerhin stark an eine ägyptische Terrakotte im Mus. Kairo, und entspricht demnach deutlich Vorbildern aus Ägypten.1244 Daß dieser Harpokrates-Herakles hier mit den beiden Schlangengenien kombiniert wird, ist insofern interessant, als Sarapis-Agathodaimon selbst in einigen ägyptischen Bildnissen die Keule als Attribut in seinem Schwanz trägt.1245 Die auf dem Altar dargestellten Formen der göttlichen Familie werden insbesondere mit

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GLAY, Isis à Lambèse, S. 350. Als tragbarer Altar oder häuslicher Schrein auch gedeutet bei GSELL, Cultes égyptiens, S. 154; TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 547. Siehe dazu oben, Kap. 6.2.10.1. Vgl. DUNAND, Agathodémon; MALAISE, Terminologie, S. 159–176. Männliche Schlange: Doppelkrone oder Kalathos; weibliche Schlange: einfache Hathorkrone oder Basileion. Vgl. auch eine sehr späte, stark romanisierte und stilisierte Darstellung mit Harpokrates in der Mitte, bei der sich die beiden Schlangen praktisch gar nicht unterscheiden lassen: BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 313, S. 703–704 (nach PARLASCA, Sarapistempel in Oxyrhynchos?, S. 273, handelt es sich dabei allerdings um eine Fälschung); und eine Sandsteinstele unbekannter Herkunft, bei der beide Schlangenkörper in gleicher Weise nach oben hin breiter werden, ohne daß ein Kobra-Schild gekennzeichnet ist, siehe WALKER/HIGGS (Hrsg.), Cleopatra, Kat. 151, S. 124–125. Bei diesem Stück zeigt der männliche Schlangengenius zudem keine typische Sarapis-Ikonographie, sondern eine in der Mitte gescheitelten Korkenzieherlockenfrisur, die der der IsisSchlange ähnelt, mit dem Unterschied, daß die Locken bei ihm nicht gestuft sind. Beide tragen auf dem Kopf einen Kalathos mit vorgeschaltetem Diadem: im Falle der Isis-Schlange eine Variante des Basileion, im Falle der Sarapis-Schlange eine Hemhem-Krone, die die Identifikation mit Osiris/Sarapis andeutet. DUNAND, Agathodémon, Taf. 4B; EAD., Religion populaire, Nr. 217; Taf. 82. Siehe DUNAND, Agathodémon, S. 38–40; Kat. 6; 10; u. Abb. 11 (= BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 187, S. 610; F. DUNAND, Catalogue des terres cuites gréco-romaines d’Égypte, Paris 1990, S. 169f., Nr. 460).

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(agrarer) Fruchtbarkeit, Abwehr und Schutz assoziiert;1246 ein Themengebiet, in das sich auch die Bes-Darstellung gut einfügt. Die Verehrung von Horus/Harpokrates, Anubis, Thoth und wahrscheinlich Apis begegnete bereits oben im römischen Sarapeion von Karthago,1247 während Hermes auch in Sabratha in Verbindung mit ägyptischen Gottheiten stand, da er dort ikonographisch mit Sarapis synkretisiert wurde.1248 Zusammen mit Dionysos, dessen Kult hier durch die Silene und den Pantherkopf vertreten ist, wird die Isistriade auf dem prachtvollen Relief aus Henchir el-Attermine gezeigt.1249 Die von einer Schlange umringelte Vase repräsentiert möglicherweise das heilige Wasser des Osiris, das ebenfalls in Karthago, in der funerären Osiris-Kaltwasserinschrift, eine Rolle spielt.1250 Hinsichtlich der großen Bedeutung von Wasser im Kult der ägyptischen Gottheiten muß in diesem Zusammenhang auch die Wasseranlage im Heiligtum unter der Fragestellung nach der Kultpraxis nochmals genauer betrachtet werden. Kult, Kultpersonal und Anhänger Der Kult der ägyptischen Götter vollzog sich in Lambaesis nicht in einem großen, für sich allein stehenden Heiligtum (wie z. B. das große Heiligtum in Sabratha), sondern war mit einem (oder später zwei?) relativ kleinen Tempel(n) in einen größeren, an der Via Septimiana gelegenen heiligen Bezirk integriert, dessen Endpunkt das große Asklepieion bildete. Damit scheint er keine herausragende Stellung einzunehmen, wie auch der Größenvergleich mit dem Kapitol oder dem Asklepieion zeigt, sondern muß als einer von mehreren offiziellen Kulten betrachtet werden.1251 Falls es aber tatsächlich später zwei Tempel gab – einen für Isis und einen für Sarapis, würde sich die Gewichtung bereits etwas verschieben. Der Kultvollzug im Isisheiligtum konzentrierte sich auf das wohl in der Apsis der Cella aufgestellte Bild der Göttin (s. o.),1252 während sich zumindest in den größeren Nischen der Umfassungsmauer vielleicht Statuen der (ägyptischen?) synnaoi theoi befanden. Die favissa im Podium bot, ähnlich wie im Sarapeion in Leptis Magna1253 und in der besonderen Konstruktion im großen Heiligtum in Sabratha,1254 Raum für Kultgerät und weitere Bildnisse. Feste Altäre haben sich noch vor dem Heiligtum erhalten; desweiteren sind vier Bronzefüße vielleicht einem ähnlichen Altar(?)-Gebilde zuzuordnen wie die Bronzeelemente aus der Villa am Stadtrand. Der Restaurationsinschrift der beiden Aedilen zufolge1255 verfügte das Heiligtum über eine lacus genannte Wasserinstallation, die wahrscheinlich für den Kult von Bedeutung war. Auch dafür läßt sich die Anlage von Sabratha als Vergleich heranziehen, obschon in Lambaesis keine unterirdischen Zisternen vorhanden (und auch 1246 KLEIBL, Iseion, Kat. 63, S. 359, identifiziert offenbar aufgrund der Darstellung auf dem Altar die Hauptgöttin des Heiligtums von Lambaesis als Isis-Thermuthis, was jedoch als rein hypothetisch anzusehen ist, da eine Zugehörigkeit des Altares zum Tempel keineswegs sicher ist, siehe auch unten. 1247 Siehe Kap. 7.2.3.2.2. 1248 Siehe Kap. 7.2.2.2.3. 1249 Siehe Kap. 7.2.3.4. 1250 Siehe Kap. 7.2.3.2.2. 1251 Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 288 u. 304. 1252 Vgl. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 345. 1253 Siehe oben, Kap. 7.2.2.3.2. 1254 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.2 und 7.2.2.2.3. 1255 RICIS 704/0303; siehe oben.

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nicht notwendig) waren; hier kam das Wasser von oben, aus dem benachbarten Aquädukt.1256 AGUSTA-BOULAROT, JANON und GASSEND glauben sogar, daß die Anlage dazu diente, eine Nilüberschwemmung zu simulieren, wobei das überschüssige Wasser durch das Rohr im Nebeneingang wieder abfließen konnte.1257 Falls der in dem Wohnhaus am Rande der Stadt gefundene Altar (s. o.) in irgendeiner Weise mit dem Kult im Heiligtum in Verbindung stand, bestätigt die Darstellung der von einer Schlange umringelten Vase die sakrale Bedeutung des Wassers. Allerdings mußte es auch möglich sein, im Kult ohne die Wasseranlage auszukommen, da sie immerhin vier Jahre lang außer Funktion war. Über das Kultpersonal gibt es praktisch keine Informationen; nur ein Priester (sacerdos) des Jupiter Pluton Sarapis hat eine Weihung hinterlassen, in der sein eigener Name jedoch nicht erhalten ist.1258 Möglicherweise stellte auch die abgebrochene Büste ursprünglich den Stifter dar (oder aber die Gottheit). Die Interpretation des unter den Bronzeappliken dargestellten jungen Mannes mit vollem Haupthaar (d. h. mit ungeschorenem Kopf) als Isispriester halte ich hingegen für sehr unsicher (s. o.). Es wäre höchstens zu überlegen, ob ein solch aufwendiges Möbelstück, wie es der zu rekonstruierende Altar aus der Villa darstellt, eventuell im Besitz eines im Heiligtum tätigen Priesters und nicht nur für den häuslichen Kult eines privaten Anhängers der ägyptischen Gottheiten vorgesehen war. Immerhin wurden im Tempelareal Bronzefüße mit geflügelten Sphingen gefunden, die denen des Altares ähneln und möglicherweise zu einem entsprechenden Utensil gehörten, so daß hier durchaus eine Verbindung besteht.1259 Der Zuschnitt des großen Hauses spricht dafür, daß es sich bei dem Besitzer um eine wohlhabende, hochrangige Persönlichkeit handelte. Die Gründer und hauptsächlichen Träger des Kultes waren in Lambaesis offenbar Angehörige der Legion und der Munizipalverwaltung.1260 Nur eine kurze Weihinschrift an Sarapis zeugt von einem griechischsprachigen Anhänger, der sich jedoch nicht genauer zuordnen läßt, da weder Name noch Titel genannt sind.1261 Gegründet und ausgebaut von der Legio III Augusta bzw. ihren Legaten – L. Matuccius Fuscinus und seinen Vorgängern –,1262 erfuhr das Heiligtum bzw. seine Wasseranlage später eine Restauration durch die städtischen Aedilen L. Figilius Secundus und Fl. Crispinus.1263 Fuscinus selbst bezahlte die Säulen des Pronaos sua pecunia, also aus privaten, nicht öffentlichen Mitteln, und bezog zudem seine Frau Volteia Cornificia sowie seine Tochter Matuccia Fuscina1264 in die

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Vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 124. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 124. RICIS 704/0302; siehe oben. LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 350, stellt sogar die Vermutung an, daß es, falls es sich um einen bei Prozessionen mitgeführten, tragbaren Altar handelt, noch mehr Altäre gab, die verschiedene Aspekte der Göttin zur Geltung brachten. Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 254; BRICAULT, Dieux de l’Orient, S. 292; CHARRON, Témoignages, S. 154. RICIS 704/0304; siehe oben. RICIS 704/0301; siehe oben. RICIS 704/0303; siehe oben. MORA, Prosopografia Isiaca, S. 517, Nr. 44; S. 515, Nr. 33. Die Tochter ist auch in einer Inschrift aus Tivoli von 164 n. Chr. belegt.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Weihung mit ein, was durchaus von einem persönlichen Interesse an dem Kult zeugt.1265 Andererseits ließ Fuscinus, der 158 und 159 wahrscheinlich consul designatus respektive consul suffectus war, außerdem auch den Neptuntempel von Aïn-Drinn, wo er die Quellflüsse aus dem Gebirge für die Wasserversorgung der Stadt zusammenführte, und ein weiteres Gebäude erbauen, vielleicht sogar auch das neben dem Isis-Heiligtum befindliche Nymphäum, an dessen Stelle später das Septizonium errichtet wurde.1266 Er kümmerte sich also nicht ausschließlich um den ägyptischen Kult, sondern auch um andere für die Stadt bedeutende sakrale und profane Einrichtungen. Die beiden Aedilen handelten vielleicht in erster Linie von Amts wegen, zumal in ihrer Inschrift auch keine weiteren Details (Familienmitglieder, Kostenstelle etc.), außer den technischen (vier Jahre Funktionsstörung der Wasseranlage) angegeben werden. Der eine von ihnen, L. Figilius Secundus, weihte außerdem ein anderes Wasserreservoir o. ä., das von seinem Vater Figilius Felix begonnen worden war, an Jupiter Propagator.1267 Falls das südlich an den Isistempel anschließende Heiligtum tatsächlich Sarapis geweiht war und die große Bauinschrift des Primipilaris L. Aemilius Marcellinus dazugehörte,1268 wären dieser und sein zum Ritterstand gehöriger Bruder L. Aemilius Salvianus vielleicht ebenfalls zu den Anhängern der ägyptischen Gottheiten zu rechnen. Die Brüder stammen aus dem Milieu des Militärs, jedoch ist nicht sicher, ob sie auch zur 3. Legion gehörten.1269 Für die 3. Legion ist zudem eine relativ große Anzahl an Personen inschriftlich belegt, die sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit ursprünglich aus Ägypten stammen und/oder theophore Personennamen wie Serapion (mit Varianten), Isidorus oder Arpokras tragen1270 und demnach als weitere Anhänger des örtlichen ägyptischen Kultes in Frage kommen. 7.2.4.3 Thamugadi 7.2.4.3.1 Das Heiligtum der Dea Africa, des Sarapis und des Asklepios(?)1271 Baugeschichte und Architektur Etwas außerhalb im Süden der 100 n. Chr. von Trajan gegründeten colonia Thamugadi (modern: Timgad) gelegen, erstreckt sich der langgezogene Heiligtumsbezirk des Genus 1265 Vgl. auch LE GLAY, Isis à Lambèse, S. 341. 1266 CIL VIII, 2653; BCTH, 1932–1933, S. 307, Nr. 12; MORA, Prosopografia Isiaca, S. 515, Nr. 34; vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 292; JANON, Lambèse, S. 45; AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 121. 1267 CIL VIII, 4291 = ILS 3063; vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 122. Zu der Sorge der Figilii für Wassereinrichtungen siehe auch A. BELFAÏDA, Eau et évergétisme en Afrique romaine: témoignages épigraphiques, in: L’Africa Romana 13, 2, 2000, S. 1589–1601: 1596. 1268 AE 1939, 37 = BACTH, 1938–39–40, S. 270–273; siehe oben, Kap. 7.2.4.2.1a. 1269 Vgl. AGUSTA-BOULAROT/JANON/GASSEND, „In Lambaesem“, S. 120; M. CHRISTOL, Sur quelques centurions de la Légion III Augusta, in: ZPE 103, 1994, S. 181–187: 185–187. 1270 Siehe CRISTOFORI, Egiziani nelle province, S. 1194; 1197–1198, Nr. 9–13; 1203–1206, Nr. 61–86. Darunter mit theophorem PN: Arpokras: Nr. 62; Isidorus: Nr. 67; Sarapio/Sarapion/Serapio: Nr. 74– 78; Nilammon: Nr. 70. 1271 Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 62, S. 357–358, mit älterer Literatur; außerdem LESCHI, Études d’épigraphie, S. 240–245; C. ROSSIGNOLI, Templi periurbani di Africa Proconsolare e Numidia: alcuni esempi, in: L’Africa Romana 10, 2, 1994, S. 559–595: 582–584.

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patriae mit nord-südlicher Orientierung als größte sakrale Anlage Nordafrikas.1272 Von den nördlich davon gelegenen Südthermen führt eine Kolonnadenallee zu der Kultstätte. Bisher liegt keine ausführliche Grabungspublikation vor,1273 doch die Grundzüge der Architektur sind bekannt und werden durch eine in vier Exemplaren erhaltene Bauinschrift von 213 n. Chr.1274 bestätigt und ergänzt. Darin wird ein weiterer Ausbau des Heiligtums festgehalten, welches demzufolge bereits früher bestanden haben muß (siehe auch unten) und sich somit in mindestens zwei Bauphasen aufgliedert. Im Norden der langrechteckigen, nur stellenweise erhaltenen Temenosmauer führt der Haupteingang auf eine weitläufige Platzanlage, die von einer dreiseitigen Portikus umgeben ist, hinter der sich viele kleine, rechteckige Räume befinden, die vielleicht als Pilgerherberge gedeutet werden können.1275 Auf der Südseite, die keine Portikus, sondern eine Mauer aufweist, leitet ein mit einem Rundbogen überwölbter Durchgang zu einem weiteren, kleineren Hof von ebenfalls länglichem Zuschnitt über, der fast gänzlich von einem axial gelegenen, großen Wasserbecken (Piscina) eingenommen wird, welches mit Marmor ausgekleidet war.1276 Neben dem Tor befinden sich außerdem zwei Maueröffnungen, bei denen es sich wahrscheinlich um Fenster handelt.1277 Der zentrale Bereich um die Piscina wiederum wird von zwei seitlichen, im Verhältnis dazu etwas nach hinten versetzten, mit Ziegeln gepflasterten Höfen flankiert. An die drei Höfe schließen sich am Südende der ganzen Anlage entsprechend drei Sanktuare oder Kapellen an, von denen das mittlere das größte und in die Umfassungsmauer hineingeschoben ist, während die beiden seitlichen sich hinten an die Mauer anschließen und einander in Umfang und Anordnung symmetrisch entsprechen. Alle drei Cellae erheben sich auf einem gemeinsamen Podium mit kleinen Treppenaufgängen, weisen aber jeweils einen eigenen von einer Portikus gebildeten Eingangsbereich auf.1278 An der Rückwand des mittleren und des westlichen Sanktuars befindet sich jeweils eine Kultbildbank. Durch die Inschriften von 213 n. Chr. lassen sich folgende Teile der Anlage der 2. Bauphase unter Caracalla zuordnen:1279 Das Wasserbecken (fons genannt) wurde von einer bronzenen Balustrade umgeben, und die Portiken wurden zu einem viridarium (Lustgarten) ausgebaut, der demzufolge die große Hofanlage eingenommen haben muß, und mit Malereien ausgeschmückt. Hinzu kamen Türen und ein Pronaos, der zu den Portiken überleitet. M. E. ist nicht ganz klar, welcher Bauteil genau mit dem Pronaos gemeint ist. Zum 1272 Siehe LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 307, Kat. 12.1; Stadtplan mit Einzeichnung des Heiligtums (A) auf S. 305, Abb. 23; Grundriß der Anlage auf S. 306, Abb. 24; vgl. auch ID., Temple de la dea Africa, S. 69; LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 71 u. 73. 1273 Ausgrabungen wurden von L. LESCHI 1947–1949 vorgenommen; grundlegende Beschreibungen des Heiligtums bei COURTOIS, Timgad, S. 60–66; LASSUS, Forteresse byzantine, passim. 1274 LESCHI, Études d’épigraphie, S. 242 = AE 1948, 111 (nicht in RICIS aufgenommen); vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 307, Anm. 213; ID., Temple de la dea Africa, S. 69; LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 73. 1275 Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 307–308; ID., Temple de la dea Africa, S. 70; LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 75. KLEIBL, Iseion, Kat. 62, S. 357, deutet sie dagegen als „Versammlungsräume“. 1276 Siehe COURTOIS, Timgad, S. 60–61, u. Abb. 29; LASSUS, Forteresse byzantine, S. 108, Abb. 74. 1277 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 308; ID., Temple de la dea Africa, S. 70. 1278 Vgl. LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 74. 1279 AE, 1948, 111; siehe oben. Vgl. v. a. LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 73–74, zur Interpretation der in der Inschrift genannten Angaben.

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Schluß ist noch von einer Straßenpflasterung (opus plateae) die Rede, welche die von den Thermen zum Heiligtum führende Allee betrifft. Da der hintere Teil der Anlage mit den drei Cellae unerwähnt bleibt, ergibt sich daraus, daß dieser, wahrscheinlich auch das Wasserbecken selbst, bereits aus einer älteren Bauphase stammen. 539/40 n. Chr. wurde das Heiligtum mit einem großen byzantinischen Fort ost-westlicher Orientierung überbaut,1280 das einige Teile der älteren Anlage weiter nutzte, an anderen Stellen die Untersuchung der antiken Strukturen jedoch erschwert (z. B. bei den beiden antiken Seitenkapellen, die stark überbaut sind). Funde und Ausstattung Allein die Größe und die zahlreichen Portikusanlagen dürften dem Heiligtum ein monumentales Erscheinungsbild verliehen haben. Zudem war es reich mit Marmorverkleidungen und Wandmalereien ausgestattet: der Inschrift von 213 n. Chr. zufolge wurde die zu dem Bezirk führende Allee gepflastert und schmückten Gemälde das viridarium. Das große Wasserbecken war mit Marmor ausgekleidet, die Höfe zumindest teilweise mit Ziegeln belegt, und das zentrale Sanktuar wies Verkleidungen aus weißem und grünem Marmor auf.1281 Funde in den Cellae bzw. der näheren Umgebung ermöglichen eine Zuordnung zu den Gottheiten Dea Africa (Mitte), Sarapis (Osten) und Asklepios (Westen):1282 In der Hauptcella stand eine Basis, die inschriftlich die Weihung eines Elefantenstoßzahnes für den Genius patriae festhält, welcher nur als Dea Africa gedeutet werden kann, zumal diese häufig mit Elefantenkopfschmuck (proboscis) dargestellt und eng mit diesem Tier assoziiert wurde.1283 Weitere Inschriften aus dem Sanktuar ehren sie unter dem Namen Dea patria.1284 Die Verehrung der Personifikation des Landes ist in Timgad zudem durch einige Kleinfunde belegt, u. a. aus den nahegelegenen Thermen, und LE GLAY nimmt an, daß es sich um einen offiziellen Kult handelte,1285 was durch die monumentale Anlage des Heiligtums bestätigt wird. Die westliche Kapelle läßt sich anhand von Resten einer männlichen Statue (wohl der Kultstatue) und eines von einer Schlange umringelten Stabes aller Wahrscheinlichkeit nach dem Heilgott Asklepios zuordnen.1286 Wohl der östlichen Kapelle zuzuordnen sind schließlich mehrere Marmorstücke, die eindeutig auf Sarapis verweisen:1287 Ein kolossaler Kopf des Gottes mit Stirnlockenfrisur, 1280 Publikation LASSUS, Forteresse byzantine. 1281 Siehe COURTOIS, Timgad, S. 64. 1282 Diverse Funde von Inschriften und Objekten, die bei den Grabungen im Areal zutage kamen, sind bisher unpubliziert, siehe LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 308–309, Anm. 220–221. 1283 Vgl. LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 75–76; ID., La déesse Afrique à Timgad, in: Hommages à Jean Bayet, Coll. Latomus 70, Brüssel 1964, S. 374–382. 1284 Siehe LESCHI, Études d’épigraphie, S. 244. 1285 Vgl. Anm. 1283; außerdem PAVIS D’ESCURAC, „Publica religio“. 1286 Vgl. LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 76. 1287 Der genaue Fundort ist nirgends verzeichnet, vgl. die vagen Angaben („Nähe der Tempel“) bei LESCHI, Études d’épigraphie, S. 242–243; bzw. LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 573 („Westseite des Forts“). Allerdings wird üblicherweise die östliche Kapelle Sarapis zugeordnet, so z. B. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 308; LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 77.

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abgeflachtem Oberkopf für den Kalathos und Befestigungslöchern einer Strahlenkrone gehörte sicherlich zur Kultstatue, ebenso wie Reste von Armen.1288 Ein zweiter, etwas kleinerer Kopf, der ebenfalls Stirnlocken und die Abplattung für einen Kalathos-Aufsatz aufweist, ist auf der Rückseite nur wenig bearbeitet,1289 was bedeutet, daß er für eine rein frontale Ansicht konzipiert war. Der Halsausschnitt ist auf der Unterseite gepickt und war offenbar für den Einsatz in eine Statue oder Büste vorgesehen. Die üppige Gestaltung des Haares mit exzessiver Verwendung des Bohrers erlaubt eine Datierung an den Beginn des 3. Jhs. n. Chr. Desweiteren wurde ein kolossaler rechter Marmorfuß ausgegraben, der sich in eine Reihe bekannter ähnlicher Stücke, die eindeutig mit dem Sarapiskult in Verbindung stehen, einfügen läßt.1290 Der Fuß ist nackt und trägt auf der Vorderseite des Schienbeinansatzes die knappe Inschrift PRO SALVTE AVGG[[G]]. Die drei Augusti, von denen einer durch die Tilgung des letzten G nachträglich entfernt wurde, können nur Septimius Severus und seine Söhne Caracalla und Geta (dessen Darstellungen und Erwähnungen unter Caracalla der damnatio memoriae anheimfielen) meinen und datieren die Inschrift somit auf den Zeitraum zwischen 209 und 211 n. Chr. Im Vergleich mit anderen Sarapisfüßen, die besonders gehäuft in antoninischer Zeit auftreten, dürfte auch hier ursprünglich eine Büste (oder sogar eine Miniaturstatue) des Gottes oben auf dem Fuß montiert gewesen sein.1291 Dafür kommen allerdings weder der große, noch der etwas kleinere Sarapiskopf aus dem Heiligtum in Frage.1292 Als weiteres aus den Grabungen stammendes Zeugnis für die Verehrung des Gottes erwähnt LE GLAY eine Stele, die sein Gesicht zeigen soll, jedoch nicht mehr identifiziert werden kann.1293 Neben den genannten Funden, die sich wohl direkt mit den in den Kapellen verehrten Gottheiten verbinden lassen, liefern weitere Inschriften noch andere Informationen über den Charakter und die Nutzung der Anlage. Eine in den Bädern des byzantinischen Forts wiederverwendete Akklamation mit den Worten [Sal]uis Augustis [Aqua Se]ptimiana Felix scheint das Wasserbassin, welches eine prominente Stellung innerhalb des Heiligtumsbezirkes einnimmt, oder dessen (bisher unbekannte) Quelle zu benennen,1294 und bestätigt dadurch außerdem die in der Inschrift von 213 aufgeführten severischen Baumaßnahmen. 1288 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 309 u. 312, Kat. 12.2 u. 12.4; LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 77. Keine Abbildung vorhanden. 1289 F. BARATTE, in: Sintes/Rebahi (Hrsg.), Algérie antique, Kat. 73, S. 164; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 309–312, m. Abb. 26–27. 1290 RICIS 704/0202; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 312–313, Kat. 12.5, m. Abb. 28; LE GLAY, Pied de Sarapis, m. Taf. 130; ID., Centre de syncrétisme, S. 77; Taf. 6. Vgl. dazu, mit weiterer Literatur, Kap. 6.2.9.2, Anm. 1218. 1291 Mit Büste erhalten war z. B. ein mittlerweile verschollenes Exemplar in den Uffizien, Florenz; siehe LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 576, Nr. 7; Taf. 130, 3. 1292 Eine Verbindung des Fußes mit dem kleineren der beiden Köpfe wurde von LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 77; gefolgt von CHARRON, Témoignages, S. 156, vermutet; dies ist aufgrund der konvex zulaufenden Unterseite des Halsausschnittes jedoch nicht möglich, vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 310–312. 1293 LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 573; vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 313, Kat. 12.6; CHARRON, Témoignages, S. 156. 1294 LESCHI, Études d’épigraphie, S. 244–245, sieht felix als Teil des Namens an (Aqua Septimiana Felix), was in der Forschung meist anerkannt wird (z. B. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 308), wohingegen LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 74–75, das Adjektiv als Aussage versteht und nur Aqua Septimiana als Benennung der Quelle oder Wasseranlage interpretiert.

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Die bisher genannten epigraphischen Zeugnisse enthalten deutliche Hinweise darauf, daß auch der Kaiserkult mit demjenigen der verehrten Gottheiten assoziiert war.1295 Dies geht auch aus weiteren Inschriften hervor, die jeweils Mitglieder des Kaiserhauses ehrend bedenken; so ist auf einer Inschriftenplatte, die verkehrt herum zur Abdeckung der betonierten Basis in der westlichen Cella wiederverwendet wurde, der Beiname Germ(anicus) M[ax(imus)] erhalten,1296 den sowohl Kaiser Commodus ab 182 n. Chr. als auch Caracalla ab 213 n. Chr. führten. Eine eindeutige Zuordnung ist somit nicht realisierbar. Eine Dedikation an Diana Augusta wurde durch die mit 52 Mitgliedern verzeichnete „Curia Commodiana“ zum Wohle des Septimius Severus, der Julia Augusta (= Julia Domna), des Caracalla und ursprünglich des Geta, dessen Name offenbar wiederum nachträglich getilgt wurde, aufgestellt.1297 Caracalla und seine Mutter werden auch auf der oktogonalen Basis für die Dea patria aus dem Hauptsanktuar in die Weihung mit einbezogen.1298 Interpretation Die anhand der Titel des Caracalla fest auf das Jahr 213 datierte Restaurationsinschrift1299 liefert zusammen mit den verschiedenen Dedikationen aus dessen Regierungszeit klare Hinweise auf den Ausbau und eine folgende Blüte des Heiligtums sowie einen terminus ante quem für die ursprüngliche Gründung der Anlage, die sicherlich im Laufe des 2. Jhs., nach der Gründung der colonia durch Trajan, anzusiedeln ist.1300 Zu Beginn dürften die Sanktuare entstanden sein, während die Wasseranlage aufgrund ihrer Benennung erst der Ära der severischen Dynastie zugerechnet werden kann. Ob die weitläufigen Hofanlagen dennoch bereits in die ursprüngliche Planung mit integriert waren und in Grundzügen angelegt wurden, läßt sich ohne ausführliche Grabungsberichte mit einer Klärung der Baugeschichte nicht entscheiden. Die oben besprochenen Funde und Inschriften ergeben zumindest für die Zeit ab dem frühen 3. Jh. das Bild eines großen Quellheiligtums primär zu Ehren der Dea Africa, die wegen des zentralen und in der Größe deutlich dominanten Sanktuars als Hauptgöttin angesehen werden muß. Zumindest sekundär wurden in den flankierenden Kapellen wohl Sarapis und Asklepios verehrt, wenngleich die üblicherweise vorgenommene Aufteilung der beiden Nebencellae an diese Gottheiten m. E. aufgrund der nur vagen Fundortangaben der Skulpturenreste keineswegs gesichert scheint. Möglich wäre auch, daß in einer oder in beiden Cellae Sarapis unter verschiedenen Aspekten, darunter als Sarapis-Asklepios verehrt wurde und keine klare Trennungslinie zwischen beiden Göttern gezogen wurde.1301 Immer1295 Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 312. 1296 Siehe LE GLAY, Centre de syncrétisme, S. 74. 1297 Siehe LESCHI, Études d’épigraphie, S. 243–244; M. LE GLAY, Les curiales de la curia Commodiana de Timgad, in: Epigraphica 42, 1980, S. 93–118. Zu den nordafrikanischen curiae siehe J. GASCOU, Les Curies africaines: origine punique ou italienne?, in: Ant. Afr. 10, 1976, S. 33–48. 1298 Siehe LESCHI, Études d’épigraphie, S. 244. 1299 AE 1948, 111; siehe oben. 1300 Vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 307; ID., Temple de la dea Africa, S. 69. LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 580; und CHARRON, Témoignages, S. 156, nehmen, wohl aufgrund des Inschriftrestes im Sanktuar (s. o.), eine Konstruktion unter Commodus an, was jedoch als rein hypothetisch angesehen werden muß. 1301 Siehe dazu auch unten, Kap. 7.2.4.3.2. PAVIS D’ESCURAC, „Publica religio“, S. 328, glaubt, daß entweder Sarapis oder Aeskulap als Heilgott im Heiligtum der Dea Africa mit verehrt worden ist.

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hin ist außer dem von einer Schlange umringelten Stab kein weiterer deutlicher Hinweis auf Asklepios publiziert. Andererseits scheint der Dedikation der „Curia Commodiana“ (s. o.) zufolge auch Diana (mit dem Beinamen Augusta) im Heiligtum mit verehrt worden zu sein.1302 Das Vorhandensein des Asklepiosstabes spricht aber in Kombination mit den Ausmaßen des Heiligtums, dem in prominenter Position und Größe integrierten Wasserbecken und den zahlreichen kleinen Räumen hinter den Portiken des viridarium für eine mögliche Heilfunktion des Wassers und einen angegliederten Sanatoriums- oder zumindest Gästebetrieb. Trotz sehr unterschiedlicher architektonischer Umsetzung weist die Zusammenstellung der einzelnen Elemente starke Parallelen zu der auf das große Asklepieion zuführenden Via Septimiana in Lambaesis auf, die sowohl von einer Wasseranlage (dem Septizonium) und einem Dea-Africa-Tempel als auch von einem oder sogar zwei Heiligtümern für Isis und Sarapis gesäumt ist.1303 Diese auffällige Übereinstimmung einzelner Konstituenten – wenn auch nicht in den Details der Ausführung – eines sakralen Bezirkes könnte auf einem intensiven wechselseitigen Einfluß zwischen den zwei nahe aneinandergelegenen Orten, die zudem beide stark vom römischen Militär geprägt waren (Militärkolonie Thamugadi vs. Legionslager in Lambaesis), beruhen. 7.2.4.3.2 Der Kult der ägyptischen Götter in Thamugadi im Spiegel des Heiligtums und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Nach den aus Thamugadi bekannten Zeugnissen läßt sich kaum von einem Kult ägyptischer Gottheiten sprechen, da unter diesen einzig Sarapis sicher belegt ist, der jedoch selbst ebenfalls keine unabhängige Kultstätte besaß. Stattdessen wird er, wohl im Laufe des 2. Jhs. n. Chr., mit anderen offiziellen Kulten in einem Heiligtum vergesellschaftet, wo er nur eine untergeordnete Rolle neben der offensichtlichen Hauptgottheit Dea Africa einnimmt. Die Ikonographie seines Kultbildes mit Strahlenkranz (s. o.) – obgleich nur aus Beschreibungen bekannt – präsentiert ihn wie in anderen bereits besprochenen nordafrikanischen Kontexten dieser Zeitlage als synkretistische solare Gottheit, wenn auch seine entsprechende Titelreihe Zeus Helios Megas Sarapis oder eine knappere Variante derselben in der epigraphischen Evidenz von Thamugadi bisher nicht aufgetaucht ist. Zusätzlich charakterisiert die Assoziation oder direkte Identifikation mit Asklepios im Rahmen der Gesamtanlage des Heiligtums Sarapis als Heilgott, als der er bereits in Sabratha, Leptis Magna und Karthago aufgrund ikonographischer Merkmale gekennzeichnet wurde.1304 Mit dieser speziellen Funktion läßt sich auch der kolossale Fuß verbinden, der als sichtbares und vielleicht auch berührbares Zeichen der Manifestation des Gottes für die Gläubigen vielleicht vor der Cella aufgestellt war.1305 Für die heilsame Wirkung gerade des göttlichen Fußes liefern Tacitus und Sueton mit ihren Beschreibungen der von Vespasian in Alexandria vollbrachten Wundertaten eine literarische Quelle, der zufolge der kurz zuvor durch Sarapis „designierte“ Kaiser nach dem 1302 WILD, Isis-Sarapis sanctuaries, S. 1826, äußert die Vermutung, daß eines der beiden Nebensanktuare Diana (und nicht Aeskulap) geweiht war. 1303 Siehe oben, Kap. 7.2.4.2. 1304 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.3, 7.2.2.3.2 und 7.2.3.2.2. 1305 Vgl. LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 589; ID., Centre de syncrétisme, S. 77; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 313.

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Besuch des Tempels einen auf Anraten des Gottes zu ihm gekommenen Kranken mithilfe seines Fußes geheilt haben soll. Dies ist so zu interpretieren, daß Vespasian in diesem Moment mit der Macht des Sarapis erfüllt war und als dessen ‚Gesandter‘ handelte.1306 Mit dem Kaiserhaus, dessen Kult im großen Dea Africa-Heiligtum den erhaltenen Inschriften zufolge ebenfalls eine große Rolle spielte (s. o.), wird der Gott auch in einer Weihung an Sarapis Augustus in Verbindung gebracht, die allerdings vom Kapitol stammt.1307 Der ursprünglich hinter den Worten [pro] salute genannte Nutznießer der Dedikation ist nicht erhalten, dürfte aber wiederum ein Mitglied (oder mehrere) der kaiserlichen Familie gewesen sein.1308 Im Gegensatz zu dem üppigen Befund des Altars von Lambaesis fehlen in Thamugadi für eine Verehrung anderer ägyptischer Gottheiten jegliche Zeugnisse; einzige Ausnahme bildet die Bronzestatuette eines Stieres mit einer nicht genau identifizierbaren Krone, der vielleicht Apis als eine Form des Sarapis (oder aber als separate Gottheit?) darstellt.1309 Wenngleich Apis in den nordafrikanischen Provinzen insgesamt selten vorkommt, scheint dieser zumindest in der Region bekannt gewesen zu sein, da sogar mehrere Stiere auch das Möbelstück aus Lambaesis schmücken.1310 Kult, Kultpersonal und Anhänger Wegen der ungewöhnlichen Götterkonstellation innerhalb des Heiligtums und der Tatsache, daß Sarapis trotz mehrerer großformatiger Fundstücke wohl nur eine untergeordnete Bedeutung besaß, läßt sich nicht entscheiden, ob es überhaupt einen eigenen, spezifischen Kult für ihn gab oder ob dieser in jeder Hinsicht in die allgemeine Organisation des gesamten Heiligtums integriert war.1311 Die Existenz des kolossalen Sarapisfußes scheint zumindest für gewisse Besonderheiten im Empfinden der Gläubigen zu sprechen, wenn die Interpretation als heilspendendes, direkt erlebbares Medium des Gottes korrekt ist. Die Septimius Severus und seinen Söhnen gewidmete Inschrift hingegen deutet wie andere, nicht mit Sarapis zu verbindende Weihungen auf einen starken Fokus vor allem auf dem Kaiserkult hin. Aus dem besprochenen Befund gehen weder Hinweise auf das Kultpersonal noch auf die Identität der Anhängerschaft des Sarapis hervor, da bei den beiden ihm geltenden Inschriften kein Stifter genannt bzw. erhalten ist.1312

1306 Tacitus, Hist., 4, 81–82; Sueton, Vesp., 7; siehe dazu im Zusammenhang mit den Sarapisfüßen VEYMIERS, Ἵλεως τῷ φοροῦντι, S. 45; LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 588; PUCCIO, Pieds, S. 141. Zu dieser Episode über Vespasian siehe ausführlicher unten, Kap. 7.3.2.2.1. Siehe außerdem zur heilenden Wirkung des Fußes bzw. besonders des großen Zehs in Zusammenhang mit Asklepios LE GLAY, Pied de Sarapis, S. 584–587. 1307 RICIS 704/0201; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 313, Kat. 12.7. Vgl. diesen Beinamen des Sarapis in Karthago, Kap. 7.2.3.2.2, und an anderen Orten der Proconsularis, Kap. 7.2.3.4. 1308 Vgl. die Inschrift auf dem Sarapisfuß pro salute Auggg, RICIS 704/0202; siehe oben. 1309 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 313, Kat. 12.8; S. 314, Abb. 29. 1310 S. o., Kap. 7.2.4.2.2. 1311 Vgl. auch EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 247, Anm. 2. 1312 RICIS 704/0201 u. 0202; siehe oben.

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7.2.4.4 Die ägyptischen Götter an anderen Orten Numidias Wie bereits an den beiden binnenländischen, militärisch geprägten Orten Lambaesis und Thamugadi zu sehen war, konzentrieren sich im römischen Numidia die Zeugnisse für die Verehrung ägyptischer Gottheiten im Gegensatz zu den anderen nordafrikanischen Regionen keineswegs im Küstenbereich, sondern sind relativ gleichmäßig über die größeren Städte des Gebietes verteilt.1313 Konkrete Quellen für die Existenz eines weiteren Heiligtums sind nur aus der Koloniehauptstadt (ab 48 v. Chr.) Cirta (heute Constantine) bekannt: Dort wurde Ende des 2. oder Anfang des 3. Jhs. ein Altar mit Grabinschrift für Iulia Sidonia Felix, eine schon mit 19 Jahren, noch als Jungfrau verstorbene Sistrumspielerin (sacerdos sistrata{e}1314 „Priesterin mit Sistrum“ oder „sistrumspielende Priesterin“) der Isis aufgestellt.1315 Letztere wird hier mit deutlichem Rückbezug auf Ägypten nur umschreibend als Memphidos diva1316 „die Göttliche von Memphis“ bezeichnet, was sich gut in die insgesamt poetische Komposition des Epitaphs einfügt. Der übrige Text des Grabgedichtes (Carmen epigraphicum) beklagt den frühen Tod dieses einzigen Kindes der Eltern mit Anspielungen auf die römische religiöse Vorstellungswelt: Die Parzen haben ihren Lebensfaden durchgetrennt, die Dryaden trauern und die Geburtsgöttin Lucina verbirgt das Licht ihrer Fackel und zerfließt in Tränen. Zumindest dieser Inschrift zufolge wirkt sich also die Verehrung der Isis durch die ihrem Namen nach aus einer wohl orientalischen Familie1317 stammende junge Frau nicht auf die Jenseitsvorstellungen aus, die ganz durch griechisch-römisches Gedankengut geprägt sind. Statt dessen sind jedoch auf den Nebenseiten des Altares eine Situla (rechts) und eine Patera (links) dargestellt, die offenbar auf die Tätigkeit als Dienerin der Göttin verweisen, wenngleich das Fehlen des im Titel genannten Sistrums hier auffällig ist.1318 Anhand der eindeutigen Textparallelen auf einem Fragment einer stark zerstörten 1313 Vgl. BRICAULT, Atlas, Karte XVIII. 1314 Die Tilgung des e erfolgte bereits durch den Ersteditor A. GRENIER, Deux inscriptions métriques d’Afrique, in: MEFR 25, 1905, S. 63–72, aufgrund der Vorgaben des Metrums, das hier eine kurze Endsilbe benötigt. 1315 RICIS 704/0401; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 283–284, Kat. 9.2; MORA, Prosopografia Isiaca I, S. 514, Nr. 24. 1316 Falls das hinter divae folgende sistratae trotz des metrischen Problems nicht zu emendieren ist (vgl. Anm. 1314), würde sich dieses ebenfalls auf die Göttin, und nicht auf die Priesterin, beziehen; diese Lösung bevorzugt offenbar MORA, Prosopografia Isiaca I, S. 514, Nr. 24; und wird von BRICAULT, RICIS 704/0401, S. 764, zumindest nicht ausgeschlossen. Die alte Hauptstadt Memphis könnte hier einerseits nach griechischer Redensart als pars pro toto für Ägypten stehen, vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 284. Andererseits war Memphis einer der wichtigsten Kultorte der Isis in der Spät- bis römischen Zeit und dürfte aufgrund seiner Bedeutung auch für den außerägyptischen Isiskult prägend gewesen sein, vgl. bes. Kap. 4.12.1, 6.2.1 und 6.6. Vgl. zu Memphidos diva auch die Bezeichnung als Isis Memphitis in einer griechischen Bauinschrift aus Thessaloniki, welche die Errichtung eines Tempels mit Portikus, Propylon und Altären für die so benannte Göttin festhält: RICIS 113/0549. Zu diesen kulttopographischen Epiklesen vgl. auch BRICAULT, Toponymie, S. 446–448. 1317 Auf eine östliche Herkunft deuten auch einige Gräzismen im lateinischen Text hin, vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 284. 1318 Vielleicht ist es gerade deswegen nicht mehr zusätzlich dargestellt worden, weil es bereits im Text genannt wird. Interessant ist, daß zumindest in diesem Text eine im Kult beteiligte Frau, die mit den Kultgeräten Sistrum und Situla in Verbindung gebracht wird, tatsächlich als „Priesterin“ (sacerdos) bezeichnet wird, ein Amt, das den mit Sistrum und Situla dargestellten Frauen üblicherweise abge-

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Kalksteinbasis1319 läßt sich erkennen, daß entweder eine Dublette der Inschrift für Iulia Sidonia Felix existierte, oder aber daß eine zweite Isispriesterin mit einem sehr ähnlichen bzw. teilweise identischen Grabgedicht geehrt worden ist, was ich für weniger wahrscheinlich halte. Durch das bezeugte Priesterinnenamt ist ein Tempel der Göttin in Cirta vorauszusetzen; ihre Verehrung ist in der Umgebung desweiteren durch ein Intaglio mit dem Bildnis der Isis Fortuna1320 aus der nahe gelegenen kleinen Stadt Tiddis bezeugt, von wo außerdem mehrere Lampen mit Sarapis- und Anubisdarstellungen stammen.1321 Harpokrates komplettiert den Kern der kaiserzeitlichen Gens isiaca, wie ein kleiner bemalter Kalksteinkopf des Kindgottes aus Cirta zeigt.1322 Er trägt üppig gelocktes und mit gelbem Ocker bemaltes Haar, das lang in den Nacken fällt, und auf dem Oberkopf einen Aufsatz für eine Krone, welche selbst nicht erhalten ist. Noch für den Anfang des 4. Jhs. n. Chr. belegen die bei Optatus Milevis überlieferten Akten des Prozesses gegen den Donatistenbischof Silvanus von Cirta, daß in der Stadt ein Sarapistempel (fanum Sarapis) in Funktion war, aus welchem der Angeklagte zusammen mit anderen Donatisten Essigfässer entwendete, die für den kaiserlichen Fiscus bestimmt waren.1323 Demnach verfügte das Heiligtum wohl über wirtschaftliche Güter. Auf Basis dieser Quellenlage stellt sich nun die Frage, ob in Cirta sogar zwei Heiligtümer für die ägyptischen Gottheiten existierten – eines für Isis und eines für Sarapis – oder ob der in dem späten Schriftzeugnis als fanum Sarapis bezeichnete Tempel derselbe ist, in welchem schon im 2./3. Jh. auch Isis verehrt wurde und eine Priesterin besaß.1324 In anderen Orten der Provinz scheint in erster Linie Sarapis als synkretistischer, romanisierter Gott beliebt gewesen zu sein, für den jedoch auch nur vereinzelte Weihungen bekannt sind, die nicht notwendigerweise auf einen organisierten lokalen Kult schließen lassen. In der alten punischen Hafenstadt Rusicade (Skikda), die unter Trajan zur colonia wurde, stellt ein kleiner Einsatzkopf aus Marmor den Gott mit den gängigen Stirnlocken und wohl abgebrochenem Kalathos dar.1325 An demselben Ort ist auch Harpokrates durch eine kleine nackte Bronzestatuette mit phrygischer Mütze, Füllhorn und Finger am Mund bezeugt.1326 In den römischen Thermalbädern von Aquae Flavianae (Henchir Hammam) hinterließ ein Militärtribun in severischer Zeit einen Altar mit einer Dedikation an die Ahnen- und

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sprochen wird (Bezeichung als „Isisdienerin“, „Mystin“ etc.), so z. B. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 90–94; und WALTERS, Attic Grave Reliefs, S. 52–57. RICIS 704/0402; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 284, Kat. 9.3. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 282, Kat. 8.1. Keine Abb. vorhanden. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 283, Kat. 8.2. Aus Cirta selbst sind zudem zwei Lampen mit SolSarapis bekannt, ibid., S. 285, Kat. 9.7; PODVIN, Luminaire, S. 227. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 284–285, Kat. 9.4; Zeichnung S. 286, Abb. 14A. Gesta apud Zenophilium (in: S. Optati Milevitani, Lib. VII, App. I, Ed. C. ZIWSA, Prag 1893, S. 193); LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 283, Kat. 9.1. BRICAULT, Dieux de l’Orient, S. 292, geht davon aus, daß es sich um ein und dasselbe Heiligtum handelt. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 286–287, Kat. 10.1; Abb. 15A; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 762, S. 140; CHARRON, Témoignages, S. 156. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 287, Kat. 10.2.

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Heilsgötter (dii patres, dii salutares) sowie an Jupiter Sarapis Augustus,1327 der möglicherweise ähnlich wie in Thamugadi mit der Heilwirkung des Wassers in Verbindung gebracht wurde.1328 Mit dem Beinamen Augustus erhält Sarapis auch eine knappe Weihung auf einer Kalksteinbasis, die vor dem Stadttor der Veteranenkolonie Cuicul (Djemila) gefunden wurde.1329 Hier ist die Verehrung ägyptischer Götter außerdem durch ein Medaillon mit Sarapisbüste,1330 das Torsofragment einer kleinen Isisstatue mit befranster Knotenpalla1331 sowie zwei Lampen mit Darstellungen der beiden Gottheiten belegt,1332 was in der Summe auf die Existenz eines Heiligtums hindeuten könnte. Eine der Lampen, die eine Darstellung des von Helios geküßten Sarapis zeigt, stammt sogar erst aus dem 4.–5. Jh. n. Chr. und demonstriert damit die lange anhaltende Wirkkraft der ägyptischen Götter in der Region. 7.2.5

Provinz Mauretania (Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana)

7.2.5.1 Der Kult der ägyptischen Götter bis zur frühen Kaiserzeit Wie im Kapitel über die Isisadaption im phönizisch-punischen Kulturraum beschrieben, wurden ikonographische Darstellungsschemata, die von der ägyptischen Göttin inspiriert waren, bereits ab der Zeit des 2. Punischen Krieges auf Münzen der Städte Iol (Cherchel) und Icosium (Algiers) geprägt, die offenbar Vorbildern anderer punischer Städte wie Karthago folgten.1333 Diese Tradition erfuhr in Iol unter König Iuba II. (25 v. Chr. – 23 n. Chr.), der die Stadt unter dem neuen Namen Caesarea (so benannt zu Ehren des Augustus) zur Hauptstadt Mauretaniens machte, nach der Heirat mit Kleopatra Selene, der Tochter Kleopatras VII. und des Marc Anton,1334 einen neuen Aufschwung und mündete in diversen Prägungen mit Aegyptiaca- und Isiaca-Motiven, die von einer bewußten Propagierung des ptolemäischen Erbes und einer aktiven Förderung des ägyptischen Kultes sprechen (s. u.).1335 Für den 1327 RICIS 704/0101; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 314–315, Kat. 13; MORA, Prosopografia Isiaca I, S. 517, Nr. 47; DÍEZ DE VELASCO, Invocaciones, S. 151–152; ID., Termalismo y religión, S. 67–68 u. 118. 1328 Vgl. KLEIBL, Iseion, S. 47; DIEZ DE VELASCO, Termalismo y religión, S. 118–120. 1329 RICIS 704/0501; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 281, Kat. 7.1. 1330 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 282, Kat. 7.3; PODVIN, Luminaire, S. 230: Möglicherweise handelt es sich auch um ein Model für die Lampenherstellung. 1331 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 281, Kat. 7.2; Abb. 13. Vgl. zur Ikonographie die Kultstatue der Isis in Lambaesis, s. o., Kap. 7.2.4.2.2. 1332 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 282, Kat. 7.4. 1333 Siehe oben, Kap. 7.1.3. 1334 Zur Regierung von Iuba II. und Kleopatra Selene siehe COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie; GRENIER, Cléopâtre Séléné; ROLLER, Iuba II; FITTSCHEN, Iuba II. Das genaue Datum der Vermählung ist unbekannt; anhand der gemeinsamen Münzprägung ist 19 v. Chr. als terminus ante quem zu nennen; da Kleopatra Selene zu diesem Zeitpunkt aber bereits 21 Jahre und damit älter als andere weibliche Mitglieder der Haushalte von Augustus und seiner Schwester Octavia bei deren Hochzeit war, ist ein früherer Zeitpunkt, beispielsweise bereits im Jahr 25 v. Chr., als Iuba II. als König eingesetzt wurde, keineswegs ausgeschlossen, vgl. ROLLER, Iuba II, S. 86. 1335 SNRIS Caesarea 1–15, S. 227–228; ROLLER, Iuba II, S. 151–152; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 177–186. Ein ausführlicher Katalog der gesamten Münzprägung Iubas und Kleopatras wurde in CNNM, S. 71–126, vorgelegt; vgl. auch, darauf basierend, ALEXANDROPOULOS, Monnaies de l’Afrique, S. 213–233 u. 413–426; SALZMANN, Zur Münzprägung; J. SCHWARTZ,

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dazwischen liegenden Zeitraum sind sonst keine Zeugnisse für die Verehrung der ägyptischen Götter aus Mauretanien bekannt.1336 7.2.5.2 Caesarea (Iol) 7.2.5.2.1 Das römische Isisheiligtum Baugeschichte und Architektur Die Existenz eines Iseums in Caesarea ist für die Regierungszeit Iubas II. schriftlich bei Plinius belegt,1337 archäologische Reste des Baues konnten in der modern überbauten Stadt jedoch bisher nicht lokalisiert werden,1338 so daß Details der Baugeschichte und Architektur vorerst unbekannt bleiben. Allerdings wurden an der Straße, die von den Ostthermen weiter nach Osten führt, im Bereich des Champ de manœvres nahe des Parc Bocquet, eine kolossale Isisstatue zusammen mit einem Harpokrateskopf(?) in einer kleinen Cachette entdeckt (s. u.), die möglicherweise darauf hindeuten könnten, daß das Heiligtum in diesem Bereich zu situieren ist;1339 andererseits könnten die Stücke aber auch nach der Nutzungszeit extern deponiert worden sein. Funde und Ausstattung Auch über die Ausstattung des Heiligtums ist nur das Wenige sicher bekannt, was Plinius in seiner kurzen Anekdote berichtet: Demzufolge habe König Iuba II., der mehr durch seine wissenschaftlichen Tätigkeiten und Schriften als durch politische Aktivitäten hervorstach, eine Expedition in den Westen seines Reiches unternommen und in dem (nicht lokalisierbaren) See „Nilides“ südlich des Atlas-Gebirges ein Krokodil gefangen, das fortan im Iseum von Caesarea untergebracht wurde und dort noch zu Plinius’ Zeit sichtbar gewesen sein soll.1340 Dies setzt voraus, daß der Isistempel über ein größeres Wasserbecken oder einen See verfügte, der möglicherweise auch erst speziell für die Aufnahme des Tieres angelegt wurde.

1336 1337 1338 1339 1340

Quelques monnaies de Maurétanie, in: Ant. afr. 14, 1979, S. 115–119; jetzt auch VEYMIERS, Basileion, S. 226–228. Zu Iol (Caesarea) und seinen Münzen außerdem MANFREDI/MEZZOLANI ANDREOSE (Hrsg.), Iside punica. Die ägyptischen Motive finden sich besonders gehäuft auf den gemeinsamen Prägungen des Königspaares sowie auf denen, die allein unter dem Namen der Kleopatra Selene stehen, kommen aber auch auf den späteren Emissionen Iubas, die teilweise weit nach dem Tod der Königin entstanden sind, immer wieder vor. Zu den Details der Münzbilder, siehe unten, Kap. 7.2.5.2.2. Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 86. Hist. nat., 5, 10, 51; vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 263–264, Kat. 1.2. Daher wurde der Tempel auch nicht in den Katalog von KLEIBL, Iseion, aufgenommen. BRICAULT, Atlas, S. 86, gibt die etwas uneindeutige Information, daß eine Fundkonzentration an Pharaonica im angenommenen Areal des Heiligtums festzustellen sei. Hist. nat., 5, 10, 51; vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 263–264, Kat. 1.2; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 185; GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 110–111; MALAISE, Terminologie, S. 109.

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Von den verschiedenen in der Stadt aufgefundenen Objekten der Kategorien Isiaca, Pharaonica und Aegyptiaca1341 lassen sich insbesondere die beiden Stücke aus dem oben bereits erwähnten Statuendepot aufgrund ihrer gemeinsamen Niederlegung und der kolossalen Größe der Isisstatue mit relativ großer Wahrscheinlichkeit einem Heiligtum zuordnen, wenngleich sie anhand ihres Stils dann erst einer späteren Phase desselben in der mittleren Kaiserzeit angehören können. Die Skulptur der Göttin aus parischem Marmor1342 zeichnet sich zudem durch eine hohe künstlerische Qualität aus; sie hält den Kopf leicht nach rechts unten geneigt, trägt eine Mittelscheitelfrisur mit relativ kurzen, feinen Korkenzieherlocken, die seitlich am Nacken anliegen,1343 ist mit dem Diplax über einem kurzärmeligen Chiton bekleidet und hält in der linken Hand eine zusammen mit dieser in einem Stück gefertigte, erhaltene Situla. Der rechte Arm ist über dem angewinkelten Ellenbogen abgebrochen und muß sicherlich mit einem erhobenen Sistrum ergänzt werden. Ein recht kleines Basileion, von dem nur noch der untere Teil erhalten ist, ist mit einer Binde über der Stirn befestigt. Die Rückseite ist kaum bearbeitet und am Nacken unterhalb des Haarknotens ist sogar ein Stück Marmor in Bosse belassen worden, was für eine frontal ausgerichtete Aufstellung, möglicherweise in einer Nische o. ä. spricht.1344 Größe, Qualität und die Deponierung könnten auf eine ursprüngliche Nutzung als Kultstatue hindeuten. Der gemeinsam mit der Statue in der Cachette gefundene kleine Knabenkopf1345 läßt sich nur aufgrund des Kontextes vielleicht als Darstellung des Harpokrates deuten, da keine eindeutigen ikonographischen Merkmale erhalten sind und die Frisur keinem üblichen Typus entspricht: Die Haare sind über dem Scheitel in einem Büschel nach oben frisiert und fallen zu beiden Seiten des Gesichtes in eingedrehten Wellen herab. Die mindere Qualität des Stückes schließt eine direkte Zusammengehörigkeit mit der Isisskulptur aus, wenngleich es gut möglich ist, daß beide ursprünglich in einem Heiligtum aufgestellt waren und bei dessen Aufgabe oder Zerstörung gerettet und vergraben wurden. Interpretation Anhand der Schriftquelle läßt sich nur feststellen, daß das Iseum in Caesarea mindestens von der Regierungszeit des Iuba II. bis in die Lebenszeit von Plinius d. Ä. (Hist. nat. entstanden um 79 n. Chr.) bestand und in Funktion war, während die späteren Skulpturen, falls 1341 Zur Definition dieser Kategorien siehe grundlegend MALAISE, Terminologie, S. 25–31 u. 201–210. Der Großteil der innerhalb der Stadt gefundenen Stücke soll aufgrund ihrer nicht nachzuweisenden Zugehörigkeit zu diesem Heiligtum erst unten, Kap. 7.2.5.2.2, besprochen werden. 1342 DUVAL, Cherchel et Tipasa, S. 175, Nr. 75; GSELL, Cherchel, Nr. 2, S. 42–43; LEVEAU, Caesarea de Maurétanie, S. 106 u. 203–204, Anm. 137; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 41, S. 35–36 u. 124–125: um 100 n. Chr.; Taf. 29; LANDWEHR, Römische Skulpturen, Kat. 50, S. 66–70: 2. Jh. n. Chr.; Taf. 68b–70; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 266–268, Kat. 1.5: 2. Jh. n. Chr.; Abb. 5; CHARRON, Témoignages, S. 153–154. 1343 Ein typisches Merkmal der Isisstatuen vor der Mitte des 2. Jhs. n. Chr., vgl. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 53. 1344 LANDWEHR, Römische Skulpturen, Kat. 50, S. 66, denkt außerdem an die Wiederverwendung eines Architekturgliedes. 1345 GSELL, Cherchel, Nr. 79, S. 61; M. DURRY, Musée de Cherchel, Suppl., Musées de l’Algérie et de la Tunisie, Paris 1924, S. 95; Taf. 10, Abb. 3; DUVAL, Cherchel et Tipasa, S. 175, Nr. 75; LEVEAU, Caesarea de Maurétanie, S. 203–204, Anm. 137; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 270–271, Kat. 1.8; Abb. 7, der auch eine alternative Deutung als Eros erwägt; CHARRON, Témoignages, S. 154.

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sie zu demselben Heiligtum gehören, ein noch längeres Fortbestehen des Kultes anzeigen. Daß der Tempel erst unter dem mauretanischen König und seiner Gemahlin Kleopatra Selene errichtet wurde, geht aus der Beschreibung nicht eindeutig hervor,1346 ist aber aufgrund der anderen Indizien aus dieser Zeit sehr wahrscheinlich (s. u.). Die älteren Münzen, die eine gewisse Präsenz des Isiskultes – möglicherweise auch nur einen ägyptischen oder ägyptisierenden Einfluß auf die Verehrung der Tanit – in der Region bereits in der punischen und numidischen Epoche anzeigen, lassen noch nicht unbedingt auf die Existenz eines (Vorgänger-?)Heiligtums bereits zu dieser Zeit schließen. 7.2.5.2.2 Der Kult der ägyptischen Götter in Iol Caesarea im Spiegel des Heiligtums und weiterer Zeugnisse Verehrte ägyptische Götter, lokaler Charakter und Ikonographie Der Kult ägyptischer Gottheiten, unter denen Isis mit ihrem Heiligtum sicherlich die dominierende Stellung einnahm, wurde zweifelsohne in großem Rahmen durch Kleopatra Selene neu in der Residenzstadt des Königspaares eingeführt, wo wahrscheinlich zumindest die Göttin bereits seit punischer Zeit in Grundzügen bekannt war. Daß die unter den Namen Iubas und seiner Gattin herausgegebenen Münzen vielleicht auch bewußt die Symbolik der älteren Emissionen Iols wieder aufgriffen, zeigt die spezielle Gestaltung des als häufigstes Bildelement die Rückseiten zierenden Basileions mit Getreideähren,1347 die ja bereits auf den vorrömischen Prägungen mit der Göttinnenbüste kombiniert wurden1348 und deren Fruchtbarkeitsaspekte unterstreichen. Als Teil der Isiskrone wachsen die beiden Ähren üblicherweise zwischen der Sonnenscheibe und den Kuhhörnern hervor, oder sind ausnahmsweise als Bettung noch unter den Kuhhörnern angebracht.1349 Sie ersetzen jedoch nicht die beiden hohen Federn auf der Sonnenscheibe, die bei den meisten Darstellungen vorhanden sind. In einigen Abwandlungen ist die Kombination Sonnenscheibe-Federn aber so sehr stilisiert, daß sie eher einer Art Krug oder Vase ähnelt.1350 Es stellt sich die Frage, ob es sich dabei bloß um eine formale Vereinfachung handelt oder eine intendierte Symbolik, möglicherweise in Anlehnung an punische Flaschenidole, dahintersteckt.1351 Eine wei1346 Die Quelle wird so ausgelegt von TIRADRITTI, Iside in Oriente, S. 546; CHARRON, Témoignages, S. 153. 1347 CNNM 195, 222–223, 225–226, 271–274, 297–298, 301–338, 345, 350–354; SNRIS Caesarea 2–4, S. 227–228 (L. BRICAULT); LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 258–261, m. Abb. 2.; COLTELLONITRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 177; S. 41, Abb. 5, 12–13; GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 102 u. 107–108; ROLLER, Iuba II, S. 151–152. Das Basileion wurde auch auf einer Münzserie der Stadt Carthago Nova, die Iuba II. als duumvir quinquennalis ehrt, übernommen: SNRIS Carthago Nova 1, S. 229; vgl. dazu BELTRÀN, Iuba II y Ptolomeo. In Carthago Nova existierte auch ein Tempel für Sarapis und Isis, siehe RICIS 603/0201–02; M. KOCH, Isis und Sarapis in Carthago Nova, in: MM 23, 1982, S. 348–350. 1348 Siehe oben, Kap. 7.1.3. GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 108, hingegen sieht die Getreideähren als typisches Kennzeichen der „alexandrinischen“ Isis an. 1349 CNNM 272–273, 345. 1350 Z. B. SNRIS Caesarea 3b_f2, 4b_3, CNNM 352, 354. 1351 Bei CNNM 297 steht das krugförmige Gebilde sogar noch zusätzlich auf einer davon abgesetzten Sonnenscheibe.

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tere Besonderheit der caesarensischen Isiskrone ist die Kombination mit einer zusätzlichen Mondsichel, die in der Form deutlich von den Kuhhörnern differenziert ist und entweder als oberstes Element auf den hohen Federn respektive dem Krug aufliegt1352 oder aber unter dem Gehörn eingefügt ist.1353 In einigen Fällen wiederum handelt es sich nicht nur um eine einfache Mondsichel, sondern um die Kombination aus Mondsichel mit kleiner Sonnenscheibe,1354 die ein gängiges ikonographisches Element der phönizischen Kunst ist. Sowohl dieses astrale Zeichen als auch die Getreideähren verbinden Isis mit Tanit1355 und so auch mit den alten lokalen Traditionen des unabhängigen Reiches und mit dem einheimischen Erbe Iubas II.1356 Eine weitere Variante ist die Mondsichel mit einem kleinen sechszackigen Stern, der ebenfalls aus punisch-afrikanischer Tradition stammt und bereits in der älteren Münzprägung vorkommt.1357 Beide Symbole, Mondsichel und sechszackiger Stern, können auch die Büste von Iuba auf dem Obvers einiger Münzen begleiten.1358 Da in einer Variante der Münzemission, welche den Sieg des Königs über die Gaetuler (6 n. Chr.) feiert, auch das Basileion in Kombination mit den ornamenta triumphalia erscheint,1359 wird im Anschluß an die älteren Münzen aus Icosium mit einer die Göttin bekrönenden Nike1360 somit wiederum ein militärischer Erfolg unter das Zeichen der Isis gestellt. Gleichzeitig stellt das wiederkehrende Symbol der Mondsichel in der Kronenkomposition einen deutlichen Bezug zur Königin selbst her, die ja den Namen der griechischen Mondgöttin trägt, und identifiziert diese somit wie ihre Mutter Kleopatra VII. (‚Nea Isis‘) und andere Ptolemäerinnen mit Isis.1361 Besonders deutlich tritt dies auf einer Emission zutage, auf deren Revers das Basi1352 1353 1354 1355 1356 1357

1358 1359 1360 1361

Z. B. SNRIS Caesarea 4_b3, 4_c4; CNNM 345. Z. B. SNRIS Caesarea 3a_a7; CNNM 328–338. CNNM 223, 274, 352–354. Vgl. auch COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 172; 178 u. 179–180. Die dort zusätzlich angegebene Interpretation des astralen Zeichens als Symbol von Isis und Osiris ist hingegen zurückzuweisen, siehe auch GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 106, Anm. 14. Vgl. dazu auch G. CAPRIOTTI VITTOZZI, L’Egitto a Caesarea di Mauretania. Qualche nota, in: RSF 38, 2, 2010, S. 237–246. CNNM 272; vgl. dazu COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 172–173, m. Anm. 67– 69. Dagegen interpretiert GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 105–106, das Symbol des sechszackigen Sternes mit der Mondsichel als spezifisches Zeichen der Zwillinge Kleopatra Selene und Alexander Helios, die ihre kosmischen Namen seiner Theorie zufolge aufgrund einer Sonnenfinsternis am 19. Mai 36 v. Chr., als die Sonne zudem gerade in das Sternzeichen Zwillinge eintrat, erhielten. Ebendieses Symbol möchte er außerdem in der Haaranordnung um ein abgebrochenes rundes Element über der Stirn eines häufig Kleopatra Selene zugewiesenen Porträtkopfes aus Caesarea wiedererkennen, siehe ibid., Taf. 1, 1–2 u. 5. Diese Haaranordnung nimmt allerdings Elemente von Darstellungen ihrer Mutter Kleopatra VII. (z. B. Kopf in Berlin) wieder auf, so daß GRENIERs Theorie m. E. sehr ungewiß ist; siehe dazu auch WALKER/HIGGS (Hrsg.), Cleopatra, Kat. 197, S. 219, u. Kat. 198 (Kopf Kleopatra VII. Berlin), S. 220–221. Häufig wird das Porträt trotz kleinerer Abweichungen in den Details daher auch als Darstellung von Kleopatra VII. selbst gedeutet, was ebenso gut möglich ist, siehe z. B. R. R. R. SMITH, Hellenistic Royal Portraits, Kat. 69, S. 98; Taf. 45; FITTSCHEN, Bildnisse numidischer Könige, S. 222; Taf. 74. Z. B. CNNM 324–325 (Mondsichel) u. 326–327 (sechszackiger Stern). CNNM 195; vgl. CHARRON, Témoignages, S. 152; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 180. Siehe oben, Kap. 7.1.3 und 7.1.4 (Typus 5). Vgl. COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 179. GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 107– 108, sieht das prominente Erscheinen des Basileions auf den Münzen sogar in erster Linie als Refe-

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leion mit Mondsichel mit der Legende CEΛΕΝΕ unterschrieben ist.1362 Auch die Darstellung einer sitzenden weiblichen Gestalt mit Basileion, die ein langes Szepter in der linken und einen (Lotus?-)Blumenstrauß in der rechten Hand hält, auf der Rückseite einer Bronzemünze mit der Legende ΚΛΕΟΠΑΤΡΑ ΒΑCΙΛΙCCΑ könnte sowohl die Göttin als auch die Königin darstellen, zumal auf der Vorderseite ganz parallel dazu ein Ammonkopf mit dem Titel REX IUBA verbunden wird.1363 Möglicherweise ist auch eine real existierende Kultstatue (des Iseums?) damit wiedergegeben. Die besondere Kennzeichnung der Isis mit der Mondsichel von Kleopatra Selene findet sich auf einer aus der Stadt stammenden Lampe wieder, auf welcher das lunare Symbol hinter der Büste der Göttin – mit ägyptischer Perücke, ähnlich wie auf den älteren punischen Münzprägungen – dargestellt ist.1364 Als zweites prägnantes Symbol der Isis taucht neben dem als Hauptelement anzusehenden Basileion auf den Prägungen des Königspaares immer wieder das Sistrum auf,1365 welches auch die spätere, oben beschriebene, Kolossalstatue der Göttin aller Wahrscheinlichkeit nach ursprünglich in der rechten Hand hielt. GRENIER hat festgestellt, daß in der Kombination der beiden Symbole immer das Basileion ohne die Mondsichel verwendet wird, wohingegen das Basileion ohne daneben gestelltes Sistrum diese angeblich immer aufweise, und schloß daraus, daß erstere Kombination auf Kleopatra VII. Nea Isis verweist, die ja laut Plutarch mit Gewand und Insignien der Göttin aufgetreten ist,1366 letztere hingegen auf Kleopatra Selene selbst.1367 Möglicherweise wurde Isis in Caesarea auch in Gestalt der Uräusschlange verehrt, die gleichzeitig Kleopatra Selenes (und durch die Hochzeit auch Iubas) Erbe des pharaonischen Königtums symbolisieren konnte. Erstmals zeigt ein Aureus mit dem noch jugendlichen Porträt Iubas II., der kurz nach der Hochzeit entstanden sein dürfte, auf dem Revers eine mit dem Basileion bekrönte, aufgerichtete Kobra mit einer kleinen Mondsichel hinter dem Rücken.1368 Auf Denaren aus der späteren Phase von Iubas Regierung und bereits nach dem Tod von Kleopatra Selene sitzt eine nur mit der Mondsichel bekrönte Uräusschlange auf einer Cista1369 oder einem Altar, der von zwei Bäumen umgeben ist.1370 Dieses Motiv ist

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renz an Kleopatra VII. und weniger als Anzeichen der Favorisierung von Isis selbst an; diese Ansicht wird geteilt von L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 228. Zur Beziehung der ptolemäischen Königinnen zu Isis siehe NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 128–135. SNRIS Caesarea 7, S. 228; CNNM 345; vgl. GRENIER, Cléopâtre Séléné, Taf. 3, Abb. 4. Die Königin wird sonst in den Legenden immer mit dem Titel Basilissa Kleopatra bezeichnet, ibid., S. 103 u. 111, Anm. 25. CNNM 355–356; SNRIS Caesarea 5, S. 228; vgl. COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 178–179; S. 42, Abb. 6, 9. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 271, Kat. 1.11b). Keine Abb. vorhanden. CNNM 222, 301–327; SNRIS Caesarea 3b; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 178; S. 41, Abb. 5, 12–13. Plut., Ant., 54, 9. GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 108–109, Anm. 18; gefolgt von L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 228, Anm. 843. GRENIERs Angaben sind allerdings nicht ganz korrekt, da in einigen Fällen auch das Basileion ohne Mondsichel allein vorkommt, so bei CNNM 297. Auch das Sistrum erscheint allein noch auf einem Denar des Iuba II., siehe COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 178, Anm. 117. CNNM 298; SNRIS Caesarea 1, S. 227; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 44 u. 178, Anm. 118. So die Deutung von SALZMANN, Zur Münzprägung, S. 178.

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eng an eine andere Emission mit der Darstellung des Altars des lucus Augusti angelehnt, die den römischen Kaiserkult propagiert,1371 und verweist damit vielleicht auf die Existenz eines dem Königspaar gewidmeten Herrscherkultes.1372 Teilweise wurde auch an eine Ehrung der vergöttlichten Kleopatra VII. gedacht,1373 was mir aber angesichts des späten Zeitpunkts bereits nach dem Tod von Kleopatra Selene (Regierungsjahre 31, 47 und 48) eher unplausibel erscheint. Insbesondere aufgrund der einfachen Mondsichel (und nicht des Basileions!) auf dem Kopf der Schlange wird m. E. viel eher mit einer Ehrung der divinisierten Kleopatra Selene (als Isis?) zu rechnen sein. Die umgebenden Bäume des Haines sind deutlich von den Lorbeerbäumen des Augustus-Altares unterschieden und meinen sicherlich eine bedeutende Art der lokalen Flora.1374 Die Uräusdarstellungen werden durch den realen Fund einer Skulptur aus Kalkstein ergänzt, von der noch der aufgerichtete Halsschild erhalten ist.1375 Es ist gut vorstellbar, wenn auch nicht nachzuweisen, daß diese ursprünglich zum Inventar des Iseums gehörte und entsprechend dem Münzbild auf einem Altar plaziert war.1376 Münzen mit der Darstellung eines Rindes, das ebenfalls das Basileion auf dem Kopf oder über dem Rücken trägt, zeigen wahrscheinlich eher Isis(-Hathor) in ihrer Kuhgestalt und nicht Apis,1377 der nur selten mit der Isiskrone dargestellt wird. Mit diesem Motiv werden möglicherweise römische Prägungen, die ein einfaches Rind zeigen, adaptiert und an die ägyptisch beeinflußte Vorstellungswelt des mauretanischen Königshauses angepaßt.1378 In großer Fülle und hoher künstlerischer Qualität ist die anhand der Münzbilder deutlich gewordene komplexe Symbolsprache des mauretanischen Königshauses auf dem vergoldeten Silberteller aus dem Schatz von Boscoreale vereint, der die Büste der Königin umgeben von zahlreichen Attributen zeigt.1379 Darunter erscheinen auch das Sistrum, die Uräusschlange, eine Ähre und – als Bekrönung des von ihr in der linken Hand gehaltenen Füllhorns – die Mondsichel wieder. Der gemeinsame Sohn und Nachfolger von Iuba II. und Kleopatra Selene, Ptolemaios (23– 40 n. Chr.), scheint sich deutlich weniger für den Isiskult zu interessieren, da er die Nut1370 CNNM 162–165; SNRIS Caesarea 15, S. 228–229; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 178; S. 41, Abb. 5, 8. 1371 CNNM 157–161; SALZMANN, Zur Münzprägung, S. 175; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 41, Abb. 5, 7. 1372 Vgl. COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 178. 1373 Siehe CNNM, S. 82. 1374 Auf Münzen von Iubas Sohn Ptolemaios erscheint dieselbe Baumart als Rahmung eines Altares, der dem auf den lucus Augusti-Münzen Iubas nachempfunden ist, siehe CNNM 398, 427; vgl. SALZMANN, Zur Münzprägung, S. 180. 1375 GSELL, Cherchel, Nr. 86, S. 65; Abb. S. 38; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 271, Kat. 1.9; S. 272, Abb. 8. 1376 Vgl. GAUCKLER, Catalogue, S. 87; GSELL, Cultes égyptiens, S. 155. 1377 CNNM 225–226; SNRIS Caesarea 10. Als Isis-Hathor gedeutet von MAZARD, CNNM 225–226; und SALZMANN, Zur Münzprägung, S. 178. Als Apis-Stier bei CHARRON, Témoignages, S. 152; GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 103. Die Zuordnung weiterer Rinderdarstellungen, diesmal aber ohne Kopfschmuck, auf CNNM 224 und 277–279 ist nicht sicher. 1378 Vgl. SALZMANN, Zur Münzprägung, S. 178. 1379 Siehe dazu A. LINFERT, Die Tochter – Nicht die Mutter. Nochmals zur „Africa“-Schale von Boscoreale, in: Bonacasa/Di Vita (Hrsg.), Alessandria II, S. 351–358; WALKER/HIGGS (Hrsg.), Cleopatra, Kat. 324.

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zung der damit verbundenen Symbolik in seiner Münzprägung nicht weiterführt.1380 Dementsprechend ist wahrscheinlich auch die alte und häufig wiederholte These, Kaiser Caligula habe den letzten König Mauretaniens aus Eifersucht auf dessen hohes Priesteramt im Isiskult ermorden lassen, eher zurückzuweisen.1381 Daß aber der Isiskult auch unabhängig von der Favorisierung durch die Herrscher weiterhin Bestand hatte und wahrscheinlich einen prominenten Platz im lokalen Pantheon einnahm, zeigen die Zeugnisse aus dem 2. Jh. und später, darunter die bereits erwähnte Kolossalstatue. Ein verschleierter Marmorkopf der Göttin, der ursprünglich wohl zu einer etwas kleineren Skulptur späthadrianischer oder frühantoninischer Zeit gehörte, wurde außerdem in den Westthermen gefunden.1382 Das Gesicht ist stark bestoßen und wird wie das der Kolossalstatue von einer Mittelscheitelfrisur mit Isislocken eingerahmt. Auf dem Schleier ist noch der abgebrochene Rest eines Basileions zu erkennen.1383 Eine Anhängerin oder Kultdienerin der Isis gibt sich gegen Ende des 2. Jhs. n. Chr. auf einer im typischen Lokalstil gearbeiteten, rechteckigen Totenstele aus weißem Marmor durch die in den Händen getragenen üblichen Kultobjekte Sistrum und Situla zu erkennen.1384 Letztere ist an ihrem Henkel locker über das Gelenk der linken Hand

1380 Vgl. L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 228; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 177. Die Identifikation einer Göttinnenbüste als Isis-Ceres durch MAZARD, CNNM 426, ist aufgrund fehlender auf Isis verweisender Attribute abzulehnen, vgl. auch SALZMANN, Zur Münzprägung, S. 181. Nur auf einer autonomen Emission unter dem Namen des Ptolemaios, die wahrscheinlich der hispanischen Stadt Carthago Nova zuzuordnen ist, erscheint ein stark stilisiertes, kleines Basileion über der Königsbinde und dem Titel REX PTOL, siehe SNRIS Carthago Nova 2, S. 229; CNNM 512; vgl. BELTRÀN, Iuba II y Ptolomeo. 1381 Diese These findet sich bei M. HOFFMANN, s. v. „Ptolemaios von Mauretanien“, in: RE 23, 1959, Kol. 1768–1787; T. KOTULA, Encore sur la mort de Ptolémée, roi de Maurétanie, in: Archeologia (Pologne) 15, 1964, S. 76–91 (zumindest als einen von mehreren Gründen); D. FISHWICK, The Annexation of Mauretania, in: Historia 20, 1971, S. 467–487: 469–471; G. FIRPO, L’imperatore Gaio (Caligola), i τυραννοδιδάσκαλοι e Tolemeo di Mauretania, in: Decima miscellanea greca e romana, Studi pubblicati dall’Istituto Italiano per la Storia Antica 36, Rom 1986, S. 185–253: 246–253; vgl. LEVEAU, Caesarea de Maurétanie, S. 14; ROLLER, Iuba II, S. 254, m. Anm. 55. Nach Sueton, Gaius, 35, 2, wird die Wut des Kaisers dadurch ausgelöst, daß Ptolemaios sich bei einem öffentlichen Anlaß in einer auffälligen purpurnen Robe präsentiert, die von den Befürwortern der These teilweise mit dem Priesteramt in Verbindung gebracht wird. Auch wird von diesen häufig vermutet, daß die Einweihung des Iseum Campense der Anlaß von Ptolemaios’ Rombesuch war. Zum Iseum Campense siehe unten, Kap. 7.3.2.2.2. Gegen diese Erklärung der Beseitigung Ptolemaios’ argumentierte bereits J. C. FAUR, Caligula et la Maurétanie, la fin de Ptolémée, in: Klio 55, 1973, S. 249–271, bes. 249–253; alternative Begründungen auch bei D. FISHWICK/B. D. SHAW, Ptolemy of Mauretania and the Conspiracy of Gaetulicus, in: Historia 25, 1976, S. 491–494. 1382 EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 81, S. 51 u. 137: 130–150 n. Chr.; Taf. 53; MANDERSCHEID, Skulpturenausstattung, S. 129, Nr. 537: Mitte 2. Jh. n. Chr.; Taf. 51; LANDWEHR, Römische Skulpturen, Kat. 51, S. 71; Taf. 71; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 264, Kat. 1.4; S. 265, Abb. 4, der das Stück dagegen nach GAUCKLER in severische Zeit datiert; CHARRON, Témoignages, S. 153: 2.–3. Jh. n. Chr. 1383 LANDWEHR, Römische Skulpturen, Kat. 51, S. 71, sieht darin keine Krone, sondern einen Wulst aus Schleierfalten. 1384 RICIS 705/0101: 180–190 n. Chr.; Taf. 135; SINTES/REBAHI (Hrsg.), Algérie antique, Kat. 75, S. 165; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 268–270, Kat. 1.6; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 136, S. 76–77 u. 164: 180–190 n. Chr.; Taf. 83; GSELL, Cultes égyptiens, S. 155, die abweichend in

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gehängt, die vor der Brust angewinkelt ist. Bekleidet ist die Verstorbene mit einem knöchellangen, fein plissierten Gewand (ohne Isisknoten), einem Fransenschal (pallium) und einer unverzierten, von der linken Schulter zur rechten Hüfte verlaufenden Girlande oder Palla contabulata. Die Haare sind in der Mitte gescheitelt und aus dem Gesicht nach hinten geführt, weisen allerdings keine Korkenzieherlocken auf. Da der linke untere Teil der Steinplatte schräg abgebrochen ist, läßt sich vom Namen der Frau nur noch der Buchstabe […]A erkennen. Von der Isisverehrung weiterer Bewohner Caesareas zeugt der Fund von mindestens einem Bronzesistrum in einem Grab der westlichen Nekropole.1385 Für andere ägyptische Gottheiten aus dem Isiskreis gibt es erstaunlicherweise kaum Zeugnisse. Der Fund des Knabenkopfes bei der Isisstatue (s. o.) zeugt vielleicht von der Verehrung des Harpokrates(-Eros?); laut DURRY wurde außerdem noch ein zweites, ähnliches Stück, aber mit abgeschlagenem(?) Gesicht, ganz in der Nähe, im Amphitheater, gefunden.1386 Selbst Sarapis ist nur durch ein wenig aussagekräftiges Bildnis seiner Büste mit Modius und Strahlenkranz auf vereinzelten Lampen sicher vertreten.1387 Seine auffällige Abwesenheit, die in starkem Kontrast zu seiner großen Bedeutung in den anderen nordafrikanischen Provinzen steht, läßt sich möglicherweise wiederum auf die Abhängigkeit des ägyptischen Kultes von Kleopatra Selene zurückführen, die wie ihre königlichen Vorgängerinnen, allen voran Kleopatra VII., sehr eng mit Isis verbunden war, während Sarapis eine weniger bedeutende Rolle spielte.1388 Die Darstellung eines Rindes mit Sonnenscheibe zwischen den Hörnern auf zwei Silbermünzen unter dem Namen von Kleopatra Selene könnte vielleicht im Gegensatz zu den oben beschriebenen Rindern mit Basileion nun Apis meinen,1389 doch ist dies nicht sicher. Darstellungen der für Nillandschaften typischen Tiere Krokodil, Nilpferd und Ibis (mit Schlange) auf weiteren Münzen der mauretanischen Herrscher können nicht sicher mit einem Götterkult verbunden werden, zumal sie keine Kronen oder andere Attribute tragen, wenngleich zumindest die Unterbringung des Krokodils im Iseum auf einen gewissen sakralen Charakter des Tieres hinweisen könnte.1390

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das 1. Jh. n. Chr. datiert. Andere Grabstelen aus Caesarea zeigen Verstorbene mit den typischen Geräten ihres Berufes, vgl. LEVEAU, Caesarea de Maurétanie, S. 202. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 271, Kat. 1.10; S. 272, Abb. 9 (Zeichnung); GSELL, Cherchel, S. 63; ID., Cultes égyptiens, S. 155; GAUCKLER, Catalogue, S. 155; Taf. 20,1. M. DURRY, Musée de Cherchel, Suppl., Musées de l’Algérie et de la Tunisie, Paris 1924, S. 95, m. Anm. 4. Ohne Abbildung. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 271, Kat. 1.11a); BUSSIERE, Lampes antiques, Nr. 2112; Taf. 59; PODVIN, Luminaire, S. 224 u. 227. Laut CHARRON, Témoignages, S. 154; und MANDERSCHEID, Skulpturenausstattung, S. 129, Nr. 538, wurde in den Westthermen ein kleiner Sarapiskopf gefunden, vgl. GAUCKLER, Catalogue, S. 61, Anm. 2; es existiert jedoch m. W. keine Abbildung, anhand derer sich die Identifizierung verifizieren ließe. Zudem wurde eine Kolossalstatue aus der Nähe des Theaters teilweise als Sarapis interpretiert, siehe CHARRON, Témoignages, S. 154, und GAUCKLER, Catalogue, S. 135–138, Taf. 14. Aufgrund fehlender sicherer Attribute ist diese Identifikation jedoch zurückzuweisen, vgl. LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 262, m. Anm. 51. Siehe dazu NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 134–136. CNNM 392–393. Diese Motive werden auch in SNRIS nicht berücksichtigt, siehe BRICAULT, ibid., S. 227, Anm. 839. Zum Kontext dieser Darstellungen siehe unten.

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Kult, Kultpersonal und Anhänger Die Etablierung des Isiskultes in Caesarea unter Iuba II. und Kleopatra Selene ist in enger Verbindung mit dem ägyptisch-ptolemäischen Erbe der Königin und der darauf bezogenen Propaganda zu betrachten, die auf vielerlei Wegen an ägyptische Vorbilder anzuknüpfen sucht. Daher kann und soll eine klare Unterscheidung zwischen „Isiskult“ und allgemeinerem Ägypten-Bezug sowie einem eventuellen Ahnen- und Herrscherkult anhand der Zeugnisse aus dieser Zeit oft nicht getroffen werden, wie oben bereits mehrfach deutlich wurde. So muß die Haltung eines Krokodils im Iseum auch im größeren Kontext einer ideellen ‚Vereinigung‘ des Reiches Mauretanien mit Ägypten gesehen werden: Nach Plinius’ Angaben1391 sah Iuba die Existenz des Krokodils im See „Nilides“ als Beweis dafür, daß sich die Nilquellen in seinem Reich befanden – eine in der Antike gängige Theorie, die schon vor Iuba aufkam und auch später noch von anderen Autoren überliefert wird, wobei allgemein die Identität der jeweils vorgefundenen Flora und Fauna als Beweis angesehen wurde.1392 Daß das gefangene Krokodil als Repräsentant des für den Wohlstand Ägyptens verantwortlichen Flusses dann Isis geweiht wurde, ist angesichts ihrer häufig betonten Rolle als Urheberin der Überschwemmung nur folgerichtig1393 und stimmt mit der auch sonst im kaiserzeitlichen Isiskult betonten Bedeutung des Nilwassers1394 überein. An das Krokodil im Iseum und die dahinter stehende Vorstellungswelt erinnern möglicherweise auch die Münzen, die das Tier auf den Rückseiten mit dem Titel der Kleopatra Selene zeigen;1395 in einem Fall ersetzt es sogar die sonst übliche Büste des Iuba selbst auf dem Obvers, wo die Legende außerdem ausnahmsweise eine griechische Version seines Namens (ΙΟΒΑ ΒΑCΙΛE) wiedergibt.1396 Andererseits wird mit dem Krokodil-Symbol auf die nach der Eroberung Ägyptens geprägten augusteischen Münzen mit der Legende Aegypto capta zurückverwiesen, wobei die Aussage hiermit nach der Deutung GRENIERs umgekehrt wird: Das Nilland, symbolisiert durch das Krokodil, befindet sich unter der Herrschaft einer weiteren Kleopatra und des Iuba II.1397 Eine ähnliche, wenngleich wohl weniger stark politisch gefärbte Konnotation könnte auch hinter den gemeinsamen Prägungen mit den typischen Nilbewohnern Ibis und Nilpferd stehen.1398 Eventuell läßt sich aber auch noch eine weitere politisch-geographische Dimension bei der Interpretation der Krokodilmünzen hinzugewinnen: So war der erst 6-jährigen Kleopatra Selene nach Cassius Dio und Plutarch bei den „Schenkungen von Alexandria“ 34 v. Chr. durch ihren Vater Marc Anton die römische Provinz Kyrenaika überschrieben worden, wenngleich die politische Realität 1391 Hist. nat., 5, 10, 51; siehe oben. 1392 Vgl. Vitruv, De arch., VIII, 2, 7; Strabon XVII, 3, 4; C. Dio 76, 13, 3; Pausanias I, 33, 6. Siehe dazu ROLLER, Iuba II, S. 192–196; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 185; MALAISE, Terminologie, S. 109. Iubas eigenes geographisches Werk Libyka ist nur fragmentarisch überliefert. 1393 Vgl. GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 111. Zu Isis(-Sothis) als Herrin der Überschwemmung siehe oben, Kap. 5.2.2.2.C. 1394 Vgl. die Wasseranlagen in Sabratha, Lambaesis und Timgad; und allgemein WILD, Water. 1395 CNNM 339–344, 346, 394–395. 1396 CNNM 345: Es handelt sich um die Prägung, die auf der Rückseite eine Variation des MondsichelBasileions mit der ebenfalls unüblichen Legende CEΛΕΝΕ aufweist, siehe oben; vgl. GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 111, m. Anm. 25. 1397 GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 109–110. 1398 CNNM 347–348 (Nilpferd), 349–350 (Ibis mit Schlange); vgl. COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 185.

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dahinter zweifelhaft ist.1399 Tatsächlich aber wurden in dieser Zeit kyrenäische Münzen mit Krokodilmotiv herausgegeben,1400 auf die möglicherweise durch die späteren mauretanischen Prägungen zurückverwiesen wird.1401 Die territorialen und ideellen Ansprüche des Königspaares spiegelt wahrscheinlich auch das Epigramm 25 des Krinagoras von Mytilene wider, in dem die Rede ist von einer Hochzeit zwischen Königskindern Ägyptens und Libyens, den „große(n) benachbarte(n) Regionen der Welt, die der große Nil (…) scheidet“. Trotz der problematischen geographischen Angaben, die sich u. U. jedoch erklären lassen, wird meist davon ausgegangen, daß die Heirat zwischen Iuba II. und Kleopatra Selene gemeint ist.1402 Auch die zentrale Rolle des Nils als letztlich gemeinsames Element der vereinten Regionen wird hier wieder aufgegriffen. Die enge Anknüpfung an das ptolemäische Königshaus zieht sich durch die gesamte Propaganda sowie das Bauprogramm des mauretanischen Herrscherpaares in Iol Caesarea. So wurde die Residenz wohl nach dem Vorbild Alexandrias im Hafen angelegt, der außerdem auch einen Leuchtturm auf einer vorgelagerten Insel erhielt.1403 Neben den auf Isis und allgemein ägyptische Symbolik verweisenden Münzbildern stellt Kleopatra Selene sich auch durch die Verwendung des griechischen Titels ΚΛΕΟΠΑΤΡΑ ΒΑCΙΛΙCCΑ (im Gegensatz zu dem meist lateinischen des Iuba) und die Gestaltung ihres Porträts mit Taenia und Knotenfrisur in die Nachfolge ihrer Vorfahren und besonders ihrer Mutter.1404 Auch die Benennung des gemeinsamen Sohnes von Iuba II. und Kleopatra Selene als Ptolemaios demonstriert, wie sehr dieses Erbe im Vordergrund stand.1405 Der Fund von Porträtköpfen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit Ptolemaios I.1406 und Kleopatra VII.1407 darstellen,

1399 Plutarch, Ant. 54; C. Dio, 49, 41. Kritisch zum Wahrheitsgehalt der von augusteischer Propaganda gefärbten antiken Quellen äußert sich C. SCHÄFER, Kleopatra, Darmstadt 2006, S. 178–183, und bes. S. 154 u. 180 speziell zur Kyrenaika, die de facto zumindest in der nichtmilitärischen Verwaltung eher Kleopatra VII. selbst unterstand. Zu den Schenkungen von Alexandria jetzt auch R. STROOTMAN, Queen of Kings: Kleopatra VII and the Donations of Alexandria, in: M. Facella/T. Kaizer (Hrsg.), Kingdoms and Principalities in the Roman Near East, Oriens et Occidens 19, Stuttgart 2010, S. 139–158. 1400 BMC Cyrenaica, S. ccxxi–ccxxii; Taf. 42, 8 u. 10. 1401 Vgl. ROLLER, Iuba II, S. 80 u. 90, Anm. 86. 1402 Siehe dazu ROLLER, Iuba II, S. 88–89; D. C. BRAUND, Anth. Pal. 9.235: Juba II., Cleopatra Selene and the Course of the Nile, in: ClQ 34, 1984, S. 175–178. So kann mit Libya allgemein Nordafrika westlich Ägyptens bezeichnet sein; ob eine intendierte Anspielung auf Kleopatra Selenes einstige nominelle Herrschaft über die Kyrenaika vorliegt, ist angesichts des engen Kontaktes des Dichters zur Kaiserfamilie fraglich. 1403 Vgl. FITTSCHEN, Iuba II., S. 230; COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 147; ROLLER, Iuba II, S. 124–125. 1404 Vgl. COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 182; und besonders GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 103–105, der Vorbilder speziell in den 36 v. Chr. in Antiochia geprägten Tetradrachmen der Kleopatra VII. sieht. Ein noch direkteres Vorbild liefern allerdings Prägungen der Stadt Patras, wo Marc Anton sich im Winter 32/31 v. Chr., also kurz vor der Schlacht von Actium, aufhielt, da diese tatsächlich wie die Caesarea-Münzen den Titel Kleopatra Basilissa (im Nominativ) mit dem Basileion auf der Rückseite verbinden: SNRIS Patras 1, S. 91–92, m. Anm. 56. 1405 Eine Inschrift aus Athen, OGIS 197, nennt Ptolemaios sogar „Sohn des Königs Iuba und Nachfahre von König Ptolemaios“. 1406 Siehe R. R. R. SMITH, Hellenistic Royal Portraits, Kat. 124, S. 106; Taf. 67; FITTSCHEN, Bildnisse numidischer Könige, S. 221; Taf. 73.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

führten zu Vermutungen, daß die Königin vielleicht sogar im Palast oder eventuell auch in einem Tempel (dem Iseum?) eine Art Ahnengalerie beherbergte.1408 Daneben scheinen auch Originalstücke aus Ägypten nach Caesarea importiert worden zu sein,1409 wie der Fund einer Statuette des Petubastis II. aus schwarzem Basalt mit langem Priestermantel und Pantherfell sowie hieroglyphischer Rückenpfeilerinschrift zeigt.1410 Als Mitglied der bedeutenden Familie der Hohepriester des Ptah von Memphis, die die Herrschaft der ptolemäischen Dynastie begleitete, repräsentiert Petubastis auch die anhaltende Bedeutung der ägyptischen Religion für Kleopatra Selene. In die ältere pharaonische Zeit verweist hingegen das Unterteil einer Skulptur des Thutmosis I.1411 In Anbetracht der gesamten Evidenz ist es durchaus gut vorstellbar, daß die Ahnenporträts und die genannten ägyptischen Skulpturen zusammen mit Götterstatuen zur Ausstattung des Iseums von Caesarea gehörten, wo nach ptolemäischem Vorbild ein Ahnenund Herrscherkult an den Isiskult angeschlossen gewesen sein könnte1412 und ein möglichst ägyptisches Ambiente das Heimatland der Königin sowie der Göttin nach Mauretanien transportierte. Denkbar ist auch, daß zur korrekten Durchführung des Kultes sogar eigens ein Priester aus Ägypten nach Caesarea berufen wurde;1413 Zeugnisse für das Tempelpersonal sind aus dieser Zeit allerdings nicht bekannt. Erst auf der Totenstele des späten 2. Jhs. (s. o.) ist eine wohl einheimische Kultdienerin der Isis zu erkennen, deren besondere Gewandanlage, die sich auch bei anderen kaiserzeitlichen Grabreliefs wiederfindet, sie nach EINGARTNER

1407 Siehe zur umstrittenen Deutung des Kopfes (Kleopatra VII. oder Kleopatra Selene nach Vorbild von Kleopatra VII.?) oben, Anm. 1357. 1408 Vgl. z. B. ROLLER, Iuba II, S. 142; R. R. R. SMITH, Hellenistic Royal Portraits, S. 140–141; FITTSCHEN, Bildnisse numidischer Könige, S. 221–222. 1409 Vgl. COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 156–157. 1410 Siehe GSELL, Cherchel, Nr. 94, S. 66–67; FITTSCHEN, Iuba II., S. 238–239; Taf. 75; EL-ALFI, Two Egyptian Statuettes, S. 14–18; die Statue wurde früher für Petubastis-Imhotep (auch als Petubastis IV. oder in jüngerer Zeit (MAYSTRE) als Petubastis III. geführt), den letzten, während der Eroberung Alexandrias durch Octavian 30 v. Chr. verstorbenen Sproß der memphitischen Hohepriesterfamilie, gehalten. Jedoch hat J. QUAEGEBEUR, The Genealogy of the Memphite High Priest Family in the Hellenistic Period, in: Studies on Ptolemaic Memphis, Studia Hellenistica 24, Leuven 1980, S. 43– 81: 61–63, in einer genaueren Analyse der hieroglyphischen Inschrift mit guten Argumenten gezeigt, daß es sich tatsächlich um den unter Ptolemaios VI. und VIII. amtierenden Petubastis II. handeln muß. Dafür spricht schon allein die Tatsache, daß der gut bekannte Beiname Imhotep des Petubastis III./IV. (Stelen BM 147 u. 188) auf der Statue aus Cherchel nicht auftaucht. Diese neue Identifikation wurde von GRENIER, Cléopâtre Séléné, S. 112–115; und CHARRON, Témoignages, S. 153, aufgenommen, wohingegen E. A. E. REYMOND, From the Records of a Priestly Family from Memphis, Vol. 1, ÄgAb 38, Wiesbaden 1981, S. 211–213 (die die Statue fälschlich als Naophor bezeichnet); und CH. MAYSTRE, Les grand prêtres de Ptah de Memphis, OBO 113, Freiburg, Schweiz – Göttingen 1992, Kat. 203a, S. 427–428, noch die alte Benennung angeben. 1411 GSELL, Cherchel, Nr. 95, S. 66; EL-ALFI, Two Egyptian Statuettes, S. 13–14; Taf. 1. 1412 Vgl. dazu COLTELLONI-TRANNOY, Royaume de Maurétanie, S. 186. 1413 Tatsächlich sind für das 1. Jh. n. Chr. einige aus Ägypten stammende Personen in Caesarea belegt, die vor allem mit dem im Hafen von Caesarea ausgelagerten Teil der classis Augusta Alexandrina in Verbindung zu bringen sind, siehe CRISTOFORI, Egiziani nelle province, S. 1194; 1198, Nr. 13, 16; 1207–1208, Nr. 97, 101, 105.

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vielleicht als Melanephore ausweist.1414 Möglicherweise gehörte auch das aus einem Grab stammende Bronzesistrum (s. o.) zu den Beigaben einer solchen Kultdienerin. Da Inschriften mit Erwähnungen der ägyptischen Götter aus Caesarea überraschenderweise ganz fehlen, läßt sich über die Organisation und die Anhänger des Kultes nichts Konkretes sagen. 7.2.5.3 Die ägyptischen Götter an anderen Orten Mauretanias Die Verehrung der ägyptischen Götter hat sich vor allem im Küstenbereich der beiden Provinzhälften Mauretania Caesariensis und Mauretania Tingitana verbreitet, wo vereinzelte Kleinfunde und nur wenige Inschriften besonders aus den romanisierten Städten stammen.1415 Aus dem östlichen Teil (Mauretania Caesariensis) ist bisher kein weiteres Heiligtum neben demjenigen von Caesarea archäologisch dokumentiert, doch deutet zumindest in Sitifis (Sétif), das im Landesinneren an der Ostgrenze zu Numidia gelegen ist, der Fund eines Knabenporträts mit einer Horuslocke am Hinterkopf1416 auf die Existenz eines solchen spätestens in der ersten Hälfte des 3. Jhs. hin. Daß dort wahrscheinlich Harpokrates zusammen mit Isis und Sarapis einen Kult empfing, zeigen eine Bronzestatuette des nackten Kindgottes mit Flügeln, der Füllhorn und stilisierte Doppelkrone sowie ein Tierfell über dem Arm trägt,1417 und mehrere Lampen aus den Gräbern der Nekropole, die mit verschiedenen Isiaca-Typen dekoriert sind, darunter Sarapis- und Isisbüsten1418 und Isis-Fortuna mit Füllhorn und Ruder.1419 Wie der Knabenkopf stammen die meisten Lampen erst aus der ersten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. (oder frühestens zweite Hälfte 2. Jh.), nur ein vereinzeltes Exemplar mit der Darstellung der Triade Isis, Anubis und Harpokrates aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.1420 läßt vermuten, daß diese Gottheiten eventuell schon früher, vielleicht durch Einfluß der Hauptstadt oder aber durch das nahe gelegene numidische Lambaesis, bei der lokalen Bevölkerung beliebt waren. Den Beschreibungen BUSSIÈREs und LAPORTEs zufolge trägt Isis darauf ein Diadem mit drei Federn(?) auf dem Kopf, ein Sistrum in der linken Hand und eine Krone in der rechten, die zu ihrem Sohn hin ausgestreckt ist.1421 Sofern dies zutrifft, wäre damit die Krönung des Harpokrates durch seine Mutter dargestellt, ein Kon-

1414 Siehe EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 73–82 u. 87–89, der Apuleius’ (Met. XI, 3–4) Beschreibung der Isis-Erscheinung im schwarzen Gewand zugrunde legt (siehe dazu unten, Kap. 8.2.2.1–2). Tatsächlich sind bei einigen Darstellungen von Isisdienerinnen dunkle Farbreste oder sogar im Relief dargestellte Sterne (z. B. ibid., Kat. 135; Taf. 83) erhalten. Siehe zu den Melanephoren oben, Kap. 7.2.2.2.2, m. Anm. 766. 1415 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 87, Karte XVIII–XIX. 1416 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 276–277, Kat. 6.1, Abb. 11; F. BARATTE, Deux portraits d’enfants isiaques, in: RA 1993, S. 101–110, m. Abb. 1–3; das Stück ist heute verschollen. Vgl. den Fund eines ähnlichen Knabenkopfes im Isistempel von Bulla Regia, siehe oben, Kap. 7.2.3.3. 1417 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 277, Kat. 6.2; S. 278, Abb. 12. 1418 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 277–279, Kat. 6.3a)–b) und d); PODVIN, Luminaire, S. 224. 1419 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 279, Kat. 6.3c). 1420 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 279–280, Kat. 6.3e), gibt fälschlich bereits 50–100 n. Chr. an (richtig in seiner Tabelle S. 319); vgl. BUSSIÈRE, Lampes antiques, Nr. 2894, S. 170 u. 340–341. 1421 Die Details sind in der Abb. bei BUSSIÉRE, Lampes antiques, Nr. 2894, S. 170 u. 340–341, nicht erkennbar. Vgl. zu diesem Lampentyp V. TRAN TAM TINH, Ex oriente lux: les dieux orientaux sur les lampes en terre cuite de la Campanie, in: Rivista dei Studi Pompeiani 4, 1990, S. 121–129: Abb. 1, S. 126–130, m. Abb. 1–4.

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zept, daß auch aus ägyptischen Texten und Darstellungen bekannt ist.1422 Eine bronzene Wagendeichsel, die als Isisbüste gestaltet ist, könnte einem Mitglied der unter Nerva in Sitifis angesiedelten Veteranenkolonie gehört haben und stellt die Göttin ägyptisierend mit gestufter Korkenzieherlockenfrisur und befranster Knotenpalla dar.1423 Ein älterer Isistempel könnte vielleicht in Rusippisir (Taksebt) bestanden haben, da dort ein Bronzesistrum innerhalb eines Tempelbezirks mit punischer Architektur gefunden wurde.1424 Neben Isis und Harpokrates dürfte im 2. Jh. n. Chr. auch Anubis bei der Bevölkerung recht beliebt gewesen sein, der mit seiner romanisierten Ikonographie mit Palmzweig und Caduceus auf weiteren Lampen aus Gräbern der Nekropole des Hafens von Caesarea in Tipasa dargestellt ist.1425 Sarapis scheint hingegen erst im 2.–3. Jh. durch römischen, und wahrscheinlich vor allem severischen, Einfluß an Popularität gewonnen zu haben, durchdringt die Provinz aber nicht in demselben Maße wie Isis oder Harpokrates. Außer auf den Lampen aus Sitifis ist er nur durch eine vereinzelte Weihung eines Q. Caecilius Tempori[…] in Malliana (El Khemis) als „heiliger Sarapis“ (sanctus) bezeugt,1426 in der er wie an anderen Orten (z. B. Timgad) mit den Worten pro salut[e] [[…]] mit dem Kaiserkult in Verbindung gebracht wird.1427 Die Ikonographie der Götter auf den genannten Kleinkunstobjekten wie Lampen oder Statuetten weist ab dem 2.–3. Jahrhundert deutlich stärkere synkretistische Tendenzen auf: So wird Harpokrates in Sitifis aufgrund der Flügel der Bronzestatuette wohl mit Amor assoziiert, während Isis auch als Tyche/Fortuna erscheint. Teilweise wurde auch eine in einem Carmen epigraphicum von 246 n. Chr. aus Auzia (Sour-el-Ghozlane) beschriebene Göttergruppe mit synkretistischen Formen von Isis und Sarapis in Verbindung gebracht.1428 Der Text bezieht sich auf die Restaurierung einer Triade mit einer als Panthea bezeichneten weiblichen Gottheit mit dualem Charakter (Domina biformis) zwischen Jupiter Hammon bzw. Ammon (Corniger tonans) und Dis Pater. Mit der Göttin ist aufgrund der Aussage, daß ihr Kult mit dem des Jupiter verbunden ist,1429 aber sicherlich Juno Caelestis, die romanisierte Form der Tanit, gemeint;1430 auf eine Assimilation von Juno und Dis Pater mit 1422 Vgl. z. B. ein Relief am Hadrianstor, in dem Isis und Nephthys die beiden ägyptischen Kronen an Harendotes überreichen: HÖLBL, Die römischen Kaiser, S. 534, Abb. 20. Siehe zu diesem Thema oben, Kap. 5.2.2.3.A–B; und unten, Kap. 7.3.2.2.2 zum Domitiansobelisken. 1423 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 320, Kat. 6.4; ID., in: Sintes/Rebahi (Hrsg.), Algérie antique, Kat. 74, S. 165. Zur Frisur vgl. die Statue der Isis-Demeter aus dem großen Isisheiligtum von Kyrene, siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 1424 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 275, Kat. 5; CHARRON, Témoignages, S. 152. 1425 LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 273–274, Kat. 2; BUSSIÈRE, Lampes antiques, Nr. 92 und 557, S. 170; 253 u. 271. 1426 Dieses Epitheton trägt Sarapis noch in drei weiteren Inschriften aus verschiedenen Regionen des römischen Reiches, RICIS 503/1111, 603/1101 und 618/0201. 1427 RICIS 705/0201; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 274, Kat. 3; MORA, Prosopografia Isiaca I, S. 512, Nr. 12 u. S. 517, Nr. 49. Der Name des Kaisers wurde nachträglich rasiert. 1428 CIL VIII, 9018 = ILS 4428; LAPORTE, Isiaca d’Algérie, S. 274–275, Kat. 4; PICARD, Religions de l’Afrique, S. 226. 1429 Z. 1: Panthea cornigeri sacris adiuncta Tonantis. 1430 Vgl. SIRIS, S. 333, Nota unter 794. Zur Deutung im Detail E. FENTRESS, Dii Mauri and Dii Patrii, in: Latomus 37, 1978, S. 507–516: 511–513; E. COURTNEY, Musa Lapidaria. A Selection of Latin Verse

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Isis und Sarapis gibt es hier hingegen zumindest keine konkreten Hinweise, zumal aus diesem Ort auch sonst keine Zeugnisse für die ägyptischen Gottheiten bekannt sind. In die westliche Provinz Mauretania Tingitana sind die ägyptischen Götter wohl erst im Zuge der Romanisierung eingedrungen, da sich die Funde geographisch auf die römischen Städte im heutigen Nordmarokko und zeitlich auf das 2.–3. Jahrhundert konzentrieren. Isis spielt dort einerseits mit dem Titel Augusta eine Rolle in Weihungen von Freigelassenen aus Volubilis und Banasa, die diese zum Anlaß ihrer Ernennung zu Sevirn, jährlich wechselnden Mitgliedern eines für den lokalen Kaiserkult zuständigen Kollegiums, aufstellten.1431 Der offizielle und repräsentative Charakter der Inschriften geht aus ihrer Plazierung auf dem jeweiligen städtischen Forum hervor, mit der sich die Stifter als Amtsträger im munizipalen Milieu präsentierten und gleichzeitig der Göttin ihre Dankbarkeit (für die Ehrung durch das Amt?) erweisen. LE BOHEC zweifelt an einem direkten Bezug von Isis’ Beinamen Augusta zum Kaiserkult,1432 doch ist gerade die Kombination dieses Titels für Isis mit dem Amt des Sevirn in zwei verschiedenen Inschriften aus zwei verschiedenen Städten auffällig und deutet darauf hin, daß Isis zumindest zu dieser Zeit und in diesem Milieu als vollständig integrierte, offizielle römische Göttin angesehen wurde. Dies wird unterstützt durch weitere ähnliche Inschriften aus dieser Provinz zum Anlaß der Ernennung zum Sevir, in denen die anderen geehrten Gottheiten, die jeweils weiblich sind, den gleichen Beinamen erhielten.1433 Eine weitere, nur sehr fragmentarisch erhaltene Dedikation des 2.–3. Jhs. für Isis (Domina?) ist im Bereich einer Garum-Fabrik in Septem Fratres (Ceuta) am Isthmus von Gibraltar zutage gekommen1434 und wurde von den Ausgräbern zusammen mit zwei nicht weit davon gefundenen Lampen, die mit Isis- und Sarapisbüsten

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Inscriptions, American Classical Studies 36, Atlanta 1995, S. 154–155, Nr. 162; Kommentar S. 362– 363. RICIS 706/0101 und 706/0201; siehe dazu LE BOHEC, Isis dans l’épigraphie, S. 321–326; S. M. ALAIOUD, La vie religieuse à Banasa: témoignages archéologiques, in: L’Africa Romana 17, 2008, S. 549–558: 557; MORALES RODRIGUEZ, Riflessioni. Der Freigelassene aus Banasa (RICIS 706/0201) trägt einen Namen, der auf griechische Herkunft hinweist (Charitus), vgl. A. RHORFI, Les traits majeurs de l’immigration romaine en Tingitaine, in: L’Africa Romana 16, 2006, S. 383–402: 395. LE BOHEC, Isis dans l’épigraphie, S. 324 u. 330. Zur Frage der Implikationen des Epithetons Augusta siehe I. GRADEL, Emperor Worship and Roman Religion, Oxford 2002, S. 103–106, der aufzeigt, daß der Titel durchaus deutliche Assoziationen zum Kaiserhaus und -kult implizierte, diese jedoch relativ vage und undefiniert waren, so daß der Charakter der Gottheit dadurch nicht unbedingt formal verändert worden sein mußte – nur die öffentliche Wahrnehmung änderte sich. Vgl. die Tabelle bei MORALES RODRÍGUEZ, Riflessioni, S. 2062–2063, mit Kommentar auf S. 2064: Die anderen in den Inschriften genannten Göttinnen sind Minerva Augusta, Spes Augusta, Diana Augusta und Venus Augusta (jeweils einmal vertreten – nur Isis kommt zweimal vor!). RICIS 706/0301; die Ausgräber BERNAL CASASOLA/DEL HOYO/PÉREZ RIVERA, Isis en Mauretania Tingitana, S. 1150, nahmen an, daß sich auf der verlorenen linken Seite der ihrer Meinung nach fast vollständigen Inschrift Fußabdrücke (plantae pedum) befanden, wie sie z. B. aus den Iseen von Baelo Claudia und Italica in der Baetica (RICIS 602/0102–03 u. 602/0202–05, vgl. z. B. PUCCIO, Pieds), aber auch aus Ägypten (siehe Kap. 6.2.2) bekannt sind. Diese Rekonstruktion würde aber für das Verständnis große Probleme bereiten, vgl. LE BOHEC, Isis dans l’épigraphie, S. 329, der von einem längeren, links fehlenden Teil des Textes ausgeht.

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dekoriert sind, als Hinweis auf einen dort bestehenden kleinen Tempel interpretiert,1435 was mangels eindeutiger Evidenz jedoch sehr unsicher ist. Kleinbronzen minderer Qualität aus Volubilis und Tocolosida (Bled Takourat)1436 spiegeln die Popularität des ikonographischen Typus der Isis Fortuna wider, deren Füllhorn bei dem Stück aus Volubilis außerdem mit einer Mondsichel bekrönt ist, die von der Bildsprache der Kleopatra Selene (s. o., Kap. 7.2.5.2.2) beeinflußt sein könnte. Ebendiese hat auch in Tamuda (Suiar) ihre Spuren hinterlassen, wo nicht nur Münzen des Iuba II. mit Basileion geprägt wurden, sondern die Isiskrone auch eine Terrakottalampe schmückt.1437 Laut THOUVENOT wurde in einem römischen Grab in Tingis (Tanger) außerdem eine Statuette in „ägyptischerem“ Stil aufgefunden.1438 Neben Isis sind andere ägyptische Gottheiten kaum vertreten; eine Bronzebüste, die vielleicht Sarapis-Herkules darstellt, ergänzt die Funde aus Volubilis,1439 während in Banasa dem Relief auf einem Altar zufolge Anubis zusammen mit Isis verehrt wurde.1440 7.2.6

Resümee: Der Isiskreis in Nordafrika – Zwischen Ägypten, Karthago, Griechenland und Rom Aus der vorausgegangenen Übersicht der Geschichte und Gestaltung des Kultes ägyptischer Gottheiten um Isis und Sarapis in den nordafrikanischen Provinzen lassen sich einige grundsätzliche Aussagen über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und bestimmte Entwicklungstendenzen in diesen Regionen ableiten. 7.2.6.1 Zeitpunkt und Art der Einführung ägyptischer Gottheiten Zunächst sind große Unterschiede zu konstatieren, was den Zeitpunkt und die Art und Weise der Einführung der Gottheiten in den unterschiedlichen Regionen betrifft: Während sich enge Kontakte mit Ägypten in der Kyrenaika und in Karthago sowie, in geringerem Maße, den von Karthago kontrollierten Gebieten bereits in vorhellenistischer Zeit in der Adaption ägyptischer religiöser Vorstellungen und Ikonographien niederschlagen, unter denen der Isiskreis eine Vorrangstellung einnimmt (Kap. 7.1 und 7.2.1), kam der westliche Teil Nordafrikas, d. h. Numidia und Mauretania (Kap. 7.2.4 und 7.2.5), im Großen und Ganzen erst in der fortgeschrittenen Kaiserzeit mit dem bereits „romanisierten“ Isiskult in Berührung, wenngleich auch hier Ausnahmen wie Iol/Caesarea (Kap. 7.2.5.2) das Bild differenzieren. 1435 BERNAL CASASOLA/DEL HOYO/PÉREZ RIVERA, Isis en Mauretania Tingitana, mit den Lampen auf S. 1154, Abb. 6. Nach BRICAULT, Atlas, S. 86, soll der Tempel einen ähnlichen Grundriß wie diejenigen von Baelo Claudia und Italica aufweisen, doch ist bisher kein Plan publiziert. 1436 C. BOUBE-PICCOT, Les bronzes antiques de Maroc 1: La statuaire, Rabat 1969, Nr. 247 u. 270; Taf. 182, 1 u. 191, 1. 1437 C. MORAN/C. GIMENEZ BERNAL, Excavaciones en Tamuda, 1946, S. 30–31, m. Abb. 5; nach BRICAULT, Atlas, S. 89. 1438 THOUVENOT, Valentia Banasa, S. 50, allerdings ohne Verweis oder Abbildung. 1439 R. THOUVENOT, Buste de Sérapis trouvé en Maurétanie Tingitaine, in: Latomus 28, 1957, S. 450– 455, Taf. 61; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 783. Die Identifikation als Sarapis(-Herkules) erscheint mir sehr unsicher. 1440 THOUVENOT, Valentia Banasa, S. 50; Taf. VI, 20. Auf einer der Nebenseiten ist ein Sistrum dargestellt, auf der anderen ein weiteres Symbol, das anhand der Zeichnung (kein Photo publiziert) schwer zu deuten ist. Anubis ist weiterhin auf einer Lampe aus Banasa dargestellt, siehe LECLANT, s. v. „Anubis“, Nr. 8.

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7.2.6.2 Bedeutung und Charakter des Isiskreises zwischen älteren Traditionen und neueren Strömungen Eine gewisse Kontinuität älterer Traditionen läßt sich besonders noch in der römischen Kyrenaika (Kap. 7.2.1) feststellen, wo Isis durchgehend eine zentrale Rolle spielt, während Sarapis auch in späterer Zeit deutlich im Hintergrund bleibt. Bei dem Aufeinandertreffen mit libyschen und vor allem griechischen Vorstellungswelten hat die Göttin hier sehr spezifische Züge herausgebildet, die sie mit Demeter oder Luna verbinden und sich auch ikonographisch in der Verwendung griechischer Statuentypen niederschlagen. Gleichzeitig bleiben unter den griechischen Formen alte ägyptische Muster, wie z. B. das Isis lactansSchema (vgl. dazu Kap. 7.1.4, Typus 3), sehr präsent und ägyptische oder ägyptisierende Elemente verdeutlichen die starken Bezüge zum Heimatland des Kultes. Zudem ist Kyrene der einzige Ort Nordafrikas, aus dem eine Isis-Aretalogie überliefert ist, sowie ein einzigartiges Kultbild(?), das eventuell Bezug auf ägyptische Funerärriten und/oder Einweihungsmysterien nimmt. Starke ägyptische Bezüge und eine andauernde Vorrangstellung der Isis herrschen auch in Iol/Caesarea (Kap. 7.2.5.2) vor, wo Isis(-Tanit?) bereits auf punischen Münzen vertreten ist und schließlich um die Zeitenwende durch die Regierung Iubas II. und Kleopatra Selenes in Anknüpfung an ptolemäische Religionspolitik in großem Maße gefördert wird, wodurch zumindest in dieser Zeit besonders ihr Bezug zu Herrschaft (und Herrscherkult) und Königtum im Vordergrund steht. Sarapis dagegen ist auch in der fortgeschrittenen Kaiserzeit in der gesamten Provinz Mauretanien kaum vertreten. Die einzige Region, in der Sarapis relativ früh Fuß gefaßt zu haben scheint, ist die Tripolitania (Kap. 7.2.2.1): Im 1. Jh. v. Chr. wird seine Büste dort auf Münzen dargestellt und wahrscheinlich waren ihm (und Isis?) Vorgängerbauten der Heiligtümer in Sabratha (7.2.2.2) und Leptis Magna (Kap. 7.2.2.3) gewidmet. In Karthago (Kap. 7.2.3.2) besteht durch die Zerstörung und spätere Neubesiedlung ein starker Bruch und eine lange Lücke zwischen der punischen und römischen Evidenz. Wo zuvor Isis, Osiris und Horus populär waren, dominiert ab der zweiten Hälfte des 2. Jhs. Sarapis als ein eng mit anderen großen Göttern wie Zeus und Helios verbundener Pantheos, der meist mit einer ganzen Reihe an Titeln (Zeus Helios Megas Sarapis o. ä.) angerufen wird. Auch an anderen Orten, an denen der Kult ägyptischer Götter erst relativ spät eingeführt wird, ist ab dem 2. Jh. vornehmlich Sarapis als romanisierter, synkretistischer Allgott anzutreffen und wird mit Inschriften und großen Tempelbauten geehrt:1441 neben Karthago besonders in Leptis Magna (Kap. 7.2.2.3), sowie verschiedenen Orten Numidias (Lambaesis, Thamugadi, Constantine, Kap. 7.2.4).1442 In Lambaesis (Kap. 7.2.4.2.2) ist ihm unter dem offiziellen Namen Jupiter Pluton Serapis sogar ein Priesteramt gewidmet. Inschriften und Ikonographie, teilweise auch der Kontext der Heiligtümer, assoziieren ihn außer mit Zeus und Helios häufig mit Asklepios (Sabratha, Leptis Magna, Karthago, und 1441 Dieser Befund weist Parallelen zu anderen Regionen auf, die ebenfalls erst relativ spät dem Römischen Reich angegliedert wurden, z. B. im militärisch dominierten Osten Pannoniens nach den Markomannenkriegen, siehe u. a. I. TÓTH, Eine Doppelheit der Geschichte des Isis- und Sarapiskultes in Pannonien, in: StudAeg 1, Budapest 1974, S. 345–360; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 178–182; PERRISSIN-FABERT, Isis et les dieux orientaux, S. 451–452. 1442 Selbst in Kyrene, wo Sarapis nur selten belegt ist, zeigen die Nomophylakion-Siegel ihn mit synkretistischer Ikonographie.

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evtl. Thamugadi und Lambaesis). Im Gegensatz dazu wird Isis auch in der Kaiserzeit nur bei ihrem eigenen Namen genannt und die erhaltenen Darstellungen zeigen sie meist (außer in der Kyrenaika) relativ homogen mit der ‚kanonischen‘ Ikonographie dieser Epoche, d. h. mit Korkenzieherlocken, einer Variation des Basileion, Sistrum und Situla und in den meisten Fällen Knotenpalla.1443 Isis scheint sich somit im Kontrast zu Sarapis einen stärker individuellen und ägyptischen Charakter zu bewahren, wenngleich sich auch Bildnisse, die sie als Tyche/Fortuna zeigen, zumindest einiger Beliebtheit erfreuen (in Kyrene, Leptis Magna, Lambaesis(?), Tiddis, Mauretania). Eine weitere Entwicklung der Kaiserzeit stellt die häufige Benennung von Sarapis und Isis mit den Beinamen Augustus respektive Augusta dar (in Karthago, Bulla Regia und anderen Orten der Proconsularis, Timgad, Lambaesis und weiteren Orten Numidias, sowie in Mauretania Tingitana), wodurch sie mit dem Kaiserhaus, teilweise wohl auch dem Kaiserkult, assoziiert werden und ihr Rang als offizielle römische Gottheiten bestätigt wird. Mit dem Herrscherkult, allerdings nach ptolemäischem Vorbild, steht Isis außerdem in Caesarea (Kap. 7.2.5.2) unter der Regierung Iubas II. und Kleopatra Selenes in enger Verbindung. Neben den Hauptgottheiten Isis und Sarapis, deren Bedeutung und Beliebtheit wie oben beschrieben regional und chronologisch aufgrund der differierenden politisch-historischen Gegebenheiten stark variiert, wurden an den meisten Orten auch andere Mitglieder des Isiskreises verehrt und sind im Sinne der manchmal in den Dedikationen erwähnten synnaoi theoi der Heiligtümer zu verstehen, darunter besonders Horus bzw. Harpokrates (Kyrene u. Ptolemais, Sabratha, Karthago und andere Orte der Proconsularis, Lambaesis, Caesarea(?) und andere Orte Mauretanias), und Anubis, der vor allem in römischen Kontexten und auf Lampen vertreten ist (in Ptolemais, Karthago, Bulla Regia und anderen Orten der Proconsularis, Lambaesis und anderen Orten Numidias und Mauretanias). Trotz der übermächtigen Zeugnisse für Sarapis ist auch Osiris(-Apis) noch im römischen Karthago (Kap. 7.2.3.2) bezeugt. Die Existenz eines teilweise angenommenen Osiristempels im kyrenäischen Ptolemais (Kap. 7.2.1.3) ruht aber auf einem unsicheren Konstrukt und überhaupt tritt Osiris nicht als eigenständige Gottheit in Erscheinung (sieht man von dem Fluchtäfelchen aus Hadrumetum ab, das als Teil der sich aus vielen Quellen speisenden magischen Tradition, aber nicht als Zeugnis einer reellen Osiris-Verehrung zu werten ist), sondern verkörpert als eher passives Kultobjekt das belebende Nilwasser, sei es im Gebet für einen Verstorbenen in Karthago, oder in der ikonographischen Umsetzung als Osiris Kanopos auf Siegeln in Kyrene (Kap. 7.2.1.2) und einer von einer Schlange umringelten Vase auf dem Altar von Lambaesis (Kap. 7.2.4.2). Relativ häufig sind auch theriomorphe Erscheinungsformen von Haupt- und Nebengottheiten im Kontext der Heiligtümer anzutreffen. Für Isis spielt dabei vor allem die Uräusschlange, die sie in der Kyrenaika (Kap. 7.2.1) zudem oft als Attribut trägt, eine große Rolle. Entsprechende Darstellungen sind abgesehen von der Kyrenaika aus Caesarea (Kap. 7.2.5.2) und Lambaesis (Kap. 7.2.4.2) bekannt, wobei jeweils entweder ein direkter Einfluß durch Ägypten/Alexandria (Kyrenaika und Caesarea) oder zumindest alexandrinische Vorbilder (Lambaesis) zugrunde liegen, zumal in letzterem Fall ausnahmsweise auch Sarapis als Schlangengenius (Agathodaimon) dargestellt ist. Auch die Kuhgestalt der Isis(-Hathor) 1443 Vgl. zu dieser Ikonographie NAGEL, The Goddess’s New Clothes; speziell zur Knotenpalla rezent ALBERSMEIER, Garments, S. 458–463, mit älterer Literatur.

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ist noch präsent in Caesarea (Münzen) sowie im großen Heiligtum von Sabratha (Kap. 7.2.2.2.2). Unter den Nebengottheiten sind Horus in Falken/Sperbergestalt (Ptolemais(?), Sabratha, Karthago), Thoth als Pavian/Affe (Sabratha(?), Karthago, Lambaesis) und der Apis-Stier (Lambaesis, Thamugadi(?), Caesarea) mehrfach vertreten. In vielen Fällen wird der Isiskreis mit klassischen griechisch-römischen oder einheimischen Gottheiten vergesellschaftet, indem entweder der Sakralbau in einen größeren Bezirk einer oder mehrerer solcher Götter integriert war (Kyrene: Apollon-Bezirk, Lambaesis: heilige Straße zum Asklepieion, Thamugadi: Dea Africa-Heiligtum) oder aber umgekehrt Bildnisse klassischer Gottheiten (als synnaoi theoi?) auch in Isis- und Sarapis-Heiligtümern Platz fanden (Kyrene: Akropolishang(? vielleicht aber erst nachträglich?), Sabratha: Tempel am Meer, Leptis Magna: Sarapeion, Lambaesis: Isistempel), oder ägyptische gemeinsam mit klassischen Gottheiten auf einem Monument oder einer Bildszene dargestellt wurden (z. B. Gigantomachie am Tempel der Gens Septimia in Leptis Magna, Relief v. Henchir el-Attermine, Reliefbasen vom Kapitol in Thugga). Dies zeigt, daß die ägyptischen Gottheiten in hohem Maße in die religiöse Landschaft vor allem römischer Kulte in Nordafrika integriert waren und nicht als „Spezialfall“ behandelt wurden. 7.2.6.3 Die Gestalt der Heiligtümer Die Heiligtümer werden, soweit dies anhand ihres Erhaltungszustandes feststellbar ist, durchweg von griechischen und römischen Architekturformen bestimmt, die teilweise ägyptische oder ägyptisierende Dekorationselemente aufweisen, so die wiederkehrende Darstellung einer Sonnenscheibe auf dem Tympanon oder Türsturz (Kyrene: Akropolisheiligtum, Sabratha: Sarapistempel (Münzen), Lambaesis: Isistempel(?); vgl. auch das ägyptisierende Fries mit Sonnenscheiben in Sabratha (Kapitol/Sarapistempel(?)). Als gemeinsame Grundform kristalliert sich bei mehreren kaiserzeitlichen Heiligtümern ein Podiumstempel im hinteren Teil eines von einer Temenosmauer und Portiken (tw. mit angeschlossenen Nebenräumen) umgebenen Hofes heraus (Sabratha: Sarapistempel u. Tempel am Meer, Leptis Magna: Sarapistempel, Bulla Regia: Isistempel, Lambaesis: Isistempel und der fragliche Sarapistempel).1444 Eine solche Form ist dementsprechend wahrscheinlich auch für das architektonisch nicht erhaltene Sarapisheiligtum in Karthago anzunehmen; die beiden Kultstätten in Kyrene sowie die Sarapiskapelle in Thamugadi fallen aufgrund ihrer besonderen (kult-)topographischen Situierung aus diesem Schema heraus. Ebenso dürfte das bisher nicht lokalisierte Iseum von Caesarea sich durch eine spezifische, möglicherweise stärker an ägyptischen Vorbildern orientierte architektonische Gestaltung (inklusive größerem See o. ä. für das Krokodil?) ausgezeichnet haben. Eine weitere Gemeinsamkeit mehrerer Heiligtümer ist das Vorhandensein von Wasserinstallationen verschiedener Art (Sabratha: Tempel am Meer, Leptis Magna: Sarapeion, Lambaesis: Isistempel, Thamugadi: Dea Africa-Sarapis-(?)-Heiligtum, Caesarea: Isistempel), von denen zumindest einige auch kultische Bedeutung gehabt haben dürften.1445 Eine spezifische kultische Nutzung im Zusammenhang mit Einweihungsmysterien wurde von verschiedenen Seiten dem spätantiken Gebäude (‚Telesterion‘) mit dem Bothros 1444 Vgl. auch EINGARTNER, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 247. 1445 Vgl. umfassend dazu WILD, Water, wenngleich dieser die nordafrikanischen Heiligtümer, außer Sabratha, nicht bespricht.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

in Kyrene (Kap. 7.2.1.2) und den Kammern im Podium des großen Heiligtums in Sabratha (Kap. 7.2.2.2) zugeschrieben, doch lassen sich hierfür bisher keine letztlich überzeugenden Argumente anführen. Hohlräume bzw. favissae unterschiedlicher Größen finden sich auch im Podium und Kultbildpodium des Sarapistempels von Leptis Magna (Kap. 7.2.2.3) sowie im Podium des Isistempels in Lambaesis (Kap. 7.2.4.2) und wurden vielleicht zur Aufbewahrung oder Deponierung von Kultgerät und Statuen genutzt.1446 Auffällig ist, daß es in mehreren größeren Städten jeweils zwei (oder mehrere?) Heiligtümer ägyptischer Gottheiten gibt, die unterschiedliche Hauptgottheiten oder unterschiedliche Charakterzüge der Gottheiten und des Kultes in den Vordergrund stellen; so ist in Kyrene zwischen dem großen Heiligtum der Isis und des Sarapis am Akropolishang (Kap. 7.2.1.2.1) und dem kleinen Tempel für Isis und Harpokrates(?) im Apollonbezirk (Kap. 7.2.1.2.2), und vielleicht einer zusätzlichen Kapelle für Sarapis (Kap. 7.2.1.2.2a) zu unterscheiden, in Sabratha zwischen einem zentral gelegenen Sarapistempel am Forum (7.2.2.2.1), in dem Sarapis vielleicht als stark romanisierte Vatergottheit (Zeus Helios Megas Sarapis?) verehrt wurde, und einem großen abseits am Meer gelegenen Heiligtum der ägyptischen Götter um Isis (7.2.2.2.2), wo ähnlich wie im Akropolishang-Heiligtum von Kyrene sicherlich mit einem „ägyptischeren“ Kult zu rechnen ist. Möglicherweise bestanden auch in Karthago (7.2.3.2), Lambaesis (7.2.4.2) und Cirta (7.2.4.4) in der späteren Kaiserzeit separate Heiligtümer für Isis und Sarapis. 7.2.6.4 Kult und Kultträger Bei mehreren großen Heiligtümern läßt sich ein enger Bezug zu Ägypten oder Alexandria feststellen, was vielleicht teilweise sogar für eine direkte Abhängigkeit des Kultes von dort spricht: In Kyrene bzw. der gesamten Kyrenaika ist diese Beziehung bereits durch die historische Eingliederung in das Ptolemäerreich evident (Kap. 7.2.1.1), während in Caesarea (Kap. 7.2.5.2) durch Kleopatra Selene bewußt an ebendieses angeknüpft wird. In Leptis Magna (Kap. 7.2.2.3) scheint eine alexandrinische Gemeinde zumindest einen Teil der Kultträger des 2.–3. Jhs. gebildet zu haben, ebenso vielleicht in Karthago (Kap. 7.2.3.2), wo innerhalb der Dedikationen zudem auf (Sarapis(?) von) Kanopos und den Priester Manetho verwiesen wird. In Lambaesis (Kap. 7.2.4.2), wo der Isis- und Sarapiskult wie an anderen Orten Numidias stark von Angehörigen des römischen Militärs und der Munizipalverwaltung gefördert wird, deuten die Darstellungen des ungewöhnlichen Altar-Ensembles auf alexandrinische Vorbilder hin und zahlreiche aus Ägypten stammende Mitglieder der dort stationierten Legio III Augusta sind inschriftlich belegt. Häufig waren ganze Familien in die Verehrung der ägyptischen Gottheiten und die Votivpraxis in den Heiligtümern involviert, wie sich besonders am epigraphischen Material in Leptis Magna (Kap. 7.2.2.3) und Karthago (Kap. 7.2.3.2) eruieren läßt. Die frühe Einbindung von Kindern in den Kult zeigen außerdem zwei Knabenporträts mit Horuslocke aus Bulla Regia (Kap. 7.2.3.3) und Jebeniana (Kap. 7.2.3.4) in der Proconsularis. Über die konkrete Organisation und die Gestalt der Kultpraxis sowie das dafür zuständige Personal läßt sich anhand der sehr disparaten Zeugnisse nur ein vages Bild gewinnen. Bestimmte kultische Regeln, die beispielsweise die Enthaltsamkeit von Wein oder Speisen 1446 Zu Räumlichkeiten in anderen Tempelpodien des Isiskreises im Mittelmeerraum siehe KLEIBL, Iseion, S. 84.

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Nordafrika

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beinhalteten, wurden in Kyrene (Kap. 7.2.1.2) und vielleicht Karthago (Kap. 7.2.3.2) auch inschriftlich festgehalten. Fleisch-, Brand- und Räucheropfer fanden vornehmlich auf den Altären in den Höfen der Heiligtümer (Kyrene: Heiligtum am Akropolishang und Tempel im Apollonbezirk, Sabratha: Tempel am Meer, Leptis Magna: Sarapeion, Bulla Regia: Isistempel) statt, in den großen Tempeln von Kyrene (Kap. 7.2.1.2.1) und Sabratha (Kap. 7.2.2.2.2) gab es zudem Bothroi in Nebenräumen. Funde von Lampen mit Isiaca-Motiven im Bereich der Heiligtümer von Sabratha (Kap. 7.2.2.2.2) und Karthago (Kap. 7.2.3.2) deuten darauf hin, daß diese auch im Kult benutzt wurden.1447 Bei den darunter befindlichen Schiffslampen besteht eventuell ein Bezug zum Fest des Navigium Isidis, das in den beiden bedeutenden Hafenstädten sicherlich begangen wurde. Das Fest der Isia bzw. Inventio Osiridis wiederum ist durch Darstellungen auf Jahreszeitenmosaiken aus Karthago und Thysdrus (Kap. 7.2.3.4) belegt. Mit diesem Fest bzw. der Trauer und Suche der Isis nach Osiris ist vielleicht die Priesterassoziation der Melanephoren zu verbinden,1448 zu denen u. U. der in der Büste aus dem Heiligtum von Sabratha (Kap. 7.2.2.2.2) dargestellte Mann (mit Horuslocke?) und die Verstorbene auf der Stele in Caesarea (Kap. 7.2.5.2) gehörten, wenngleich die Identifikation bildlicher Darstellungen dieser Personengruppe bisher mangels eindeutiger Quellen nicht gesichert ist. Zudem datieren die beiden Bildnisse erst aus dem späten 2. bzw. 3. Jh., während die schriftlichen Belege für Melanephoroi, von denen kein einziger aus Nordafrika stammt, einen deutlich früheren Zeithorizont einnehmen (3. Jh. v. – 1. Jh. n. Chr.).1449 Neben den eventuellen Melanephoren finden sich für das Kultpersonal vor allem die allgemeinen Titel ἱερεύς/ἱέρια (Kyrene) bzw. lateinisch sacerdos (für Männer und Frauen) (Karthago, Lambaesis, Cirta), die teilweise noch genauer spezifiziert werden: durch die kumulativen Namen des Gottes Jupiter Pluton Serapis in Lambaesis (Kap. 7.2.4.2) und durch die Bezeichnung sistrata Memphidos divae bei der Priesterin aus Cirta (Kap. 7.2.4.4). Inschriftlich ist sonst nur noch in Kyrene das Amt eines Neokoren bezeugt, doch zumindest durch Mosaikdarstellungen aus Leptis Magna (Kap. 7.2.2.3) und Thysdrus (Kap. 7.2.3.4) sind außerdem Pterophoren vertreten, wobei sich hier die Frage stellt, ob es sich dabei nur um einen motivischen Topos handelt oder um ein reell auch im regionalen Isiskult bestehendes Priesteramt. Indizien für die Durchführung von Einweihungsmysterien, ihre Lokalisierung innerhalb der Heiligtümer (s. o. unter 7.2.6.3) und für die Initiierten oder „Mysten“ selbst lassen sich aus den nordafrikanischen Provinzen kaum gewinnen. Der einzige Ort, der einige, in der Deutung allerdings sehr unsichere Befunde hervorgebracht hat, die einen direkten Zusammenhang mit den Mysterien aufweisen könnten, ist Kyrene (Kap. 7.2.1.2) mit dem ungewöhnlichen Bothros-Raum, dem rätselhaften Inschriftenfragment aus dem 1. Jh. v. Chr., der inschriftlich festgehaltenen Belehrung über das Wesen der Göttin in Form einer Aretalogie und der einzigartigen polychromen Statue, die vielleicht direkt durch ägyptische bzw. alexandrinische Darstellungen aus der funerären Sphäre beeinflußt sein könnte. Epigraphisch ist allerdings weder in Kyrene noch anderswo 1447 Siehe dazu jetzt PODVIN, Luminaire, S. 157–188. 1448 Vgl. BASLEZ, Mélanéphores; BRICAULT, Isis dolente, S. 48–49. Vgl. die Bezeichnung der Isis selbst als μελανηφόρος in MM III, 34, siehe Kap. 6.1.2.1, und als μελανόστολου in der griechischen Mandulis-Hymne in Kalabscha (IM 167), Kap. 6.2.4. 1449 Vgl. BASLEZ, Mélanéphores, S. 297; RICIS, Index, S. 782–783, s. v.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

in Nordafrika ein „Myste“ namentlich bezeugt.1450 Als solche werden aber üblicherweise die beiden weiblichen Statuen aus Kyrene mit Knotenpalla, Girlande und Kranz interpretiert, und diverse kopflose Skulpturen mit Isisgewand(, Sistrum und Situla), die in der Kaiserzeit auch in Nordafrika weit verbreitet sind, lassen diese Möglichkeit zumindest offen, könnten aber ebenso Bildnisse der Göttin selbst sein. Probleme bereitet die Interpretation solcher Bildnisse als weibliche Eingeweihte allerdings schon insofern, als andererseits eindeutige Darstellungen von männlichen erwachsenen Mysten kaum bekannt sind1451 bzw. wir nicht genau wissen, wie diese gekennzeichnet wurden und sich beispielsweise von Priesterdarstellungen unterscheiden. Und wie würde sich umgekehrt eine Isispriesterin in der Darstellung von einer „Mystin“ unterschieden haben? Interessant ist, daß zumindest in dem Grabgedicht aus Cirta eine im Kult beteiligte Frau, die mit den Kultgeräten Sistrum und Situla in Verbindung gebracht wird, tatsächlich als „Priesterin“ (sacerdos) bezeichnet wird (s. o.), ein Amt, das den mit Sistrum und Situla dargestellten Frauen zugunsten der Bezeichnung als „Mystin“ oder „Isisdienerin“ häufig abgesprochen wird.1452 Hier besteht noch einiger Klärungsbedarf, was die Rollen, Funktionen, Titel und bildliche Repräsentation der aktiv oder passiv am Kult beteiligten Personen betrifft.1453 Insgesamt scheint es in den nordafrikanischen Regionen eine sehr differenzierte Kultlandschaft der ägyptischen Gottheiten gegeben zu haben, wobei in der fortschreitenden Kaiserzeit zwar als Kennzeichen der „Romanisierung“ eine gewisse überregionale Homogenität in der Tempelarchitektur, Ikonographie und den in Dedikationen genannten spezifischen Titeln (Zeus Helios Megas Sarapis, Sarapis Augustus und Isis Augusta…), d. h. im äußeren Erscheinungsbild der Götter erreicht wird, hinter denen sich jedoch im Einzelfall individuelle lokale Konzepte verbergen, die sich wiederum auf die sehr unterschiedlichen historisch-politischen Voraussetzungen der einzelnen Orte gründen.

7.3

Italien: Latium und Campanien

Als zentrale Region des Römischen Imperiums hat Italien die meisten und aussagekräftigsten Funde des außerägyptischen Kultes der Isis und assoziierter Gottheiten hervorgebracht und bewahrt. Die enorme erhaltene Materialmenge an Heiligtumskomplexen, Inschriften, archäologischen Zeugnissen des Kultes sowie verschiedensten Aegyptiaca, welche durch1450 Die ausdrückliche Bezeichnung als Myste ist allerdings auch anderswo nur äußerst selten belegt, siehe RICIS, Index, S. 782–783, s. v.; DUNAND, Culte d’Isis III, S. 243–244; kritisch zur Vorstellung vom Isiskult als „Mysterienkult“ überhaupt STEINHAUER, Osiris mystes. 1451 Auf einigen Grabdenkmälern erscheinen Männer in ähnlicher Haltung wie ihre Gattinnen mit Sistrum und Situla oder Sistrum und Patera, siehe EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 105, 107, 117 u. 120, S. 80. 1452 Vgl. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 90–94; und WALTERS, Attic Grave Reliefs, S. 52– 57, die gegen eine Identifikation als Priesterinnen argumentieren. 1453 Die Publikation der Beiträge zweier Tagungen zu personellen Fragen des Isiskultes (Priester, Förderer, Mysten, Anhänger und ihre Darstellung in Ikonographie und Literatur) ist kurz vor Fertigstellung der Druckvorlage des vorliegenden Werks erschienen: GASPARINI/VEYMIERS (Hrsg.), Individuals and Materials; siehe insbesondere zur Frage der Bedeutung der bildlichen Repräsentation MALAISE/ VEYMIERS, Dévotes isiaques.

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Italien: Latium und Campanien

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aus auch einen vom Kult ägyptischer Gottheiten unabhängigen Hintergrund aufweisen können, wurde bereits durch zahlreiche Publikationen vorgestellt, gesammelt und analysiert.1454 Die Gesamtheit der Zeugnisse kann und soll in diesem Rahmen daher nicht erschöpfend untersucht werden, wie es exemplarisch für den Fall der bisher weniger gut untersuchten nordafrikanischen Provinzen durchgeführt wurde (Kap. 7.2). Stattdessen möchte ich auf den Ergebnissen bereits existierender Arbeiten aufbauend nur einige lokale und thematische Bereiche näher in den Blick nehmen. So werden in diesem Kapitel nur die größeren Heiligtümer und Fundkomplexe der für die weitere Ausbreitung in Italien zentralen Regio I, Latium und Campanien,1455 in Hinblick auf den Vergleich mit dem innerägyptischen Isiskult (Band 1) und der Detailanalyse für Nordafrika ausgewertet. Der Hauptfokus liegt dabei jeweils auf dem Charakter der Isis (und ihrer Mitgötter) sowie dem des Kultes. Anhand der Beispiele soll aufgezeigt werden, wie originär ägyptische Konzepte (der Gottheiten, des Kultes, der Heiligtümer …) in einem römischen Kontext mit teilweise neuen, teilweise alten und durch Altes inspirierten Mitteln und Darstellungsformen umgesetzt wurden. Angesichts der Materialmenge und der zentralen Bedeutung der Hauptstadt Rom sowie des Isistempels von Pompeji werden diese beiden Komplexe exemplarisch etwas detaillierter in den Blick genommen. 7.3.1 Die Anfänge des Isiskultes in Italien Ähnlich wie Libyen und die phönizisch-punisch dominierten Gebiete Nordafrikas erfuhren auch Teile Italiens bereits in vorptolemäischer Zeit, etwa ab dem 9. Jh. v. Chr. im Zuge der griechischen Kolonisation, eine Phase des Importes und der Aneignung von Aegyptiaca.1456 So finden sich in Campanien und auf den vorgelagerten Inseln, z. B. in der alten griechischen Kolonie Cumae (Kyme) oder in Pithekussai auf Ischia, ägyptische und ägyptisierende Objekte wie Amulette, Skarabäen, Schmuck und Gefäße bereits in archaischen Grä-

1454 Grundlegend ist die Arbeit von MALAISE, Conditions; vgl. außerdem ID., Documents nouveaux; ID., Nova Isiaca; ergänzend sind neuere Publikationen jüngerer Grabungen an Heiligtümern sowie spezifische Untersuchungen einzelner Orte oder Regionen heranzuziehen, z. B. jüngst für Norditalien FONTANA, Culti isiaci (vgl. die kritische Rez. von V. GASPARINI, in: Mythos n. s. 4, 2010, S. 192– 200); oder für die Marken (Umbrien/Picenum) CAPRIOTTI VITTOZZI, Oggetti, idee. Daneben sind den ägyptischen Kulten und/oder Aegyptiaca in Italien mehrere Ausstellungskataloge und Konferenzbände gewidmet: z. B. BONACASA/NARO/TULLIO (Hrsg.), L’Egitto in Italia; DE CARO (Hrsg.), Egittomania; BRICAULT (Hrsg.), De Memphis à Rome; BRICAULT/VERSLUYS (Hrsg.), Nile into Tiber. Wichtige Bemerkungen außerdem bei QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten; GASPARINI, Santuari isiaci. Insbesondere auf die Integration von Aegyptiaca in die römische Kunst und das Alltagsleben unter anderen als rein kultischen Aspekten war etwa parallel zum Entstehungszeitraum dieser Arbeit das Projekt „Cultural Innovation in a Globalising Society. Egypt in the Roman World“ an der Universität Leiden unter Leitung von M. J. VERSLUYS fokussiert, in dessen Rahmen mehrere Dissertationen zu diesem Thema entstanden sind. Vgl. hierzu auch bereits SWETNAM-BURLAND, Egyptian Objects. 1455 Zur entscheidenden Rolle dieser Regionen siehe MALAISE, Conditions, S. 333–354; BRICAULT, Atlas, S. 142–143 u. 152–153. 1456 Siehe bes. HÖLBL, Altitalien; vgl. außerdem, für Etrurien, F. BUBENHEIMER-ERHART, Aspects of Egyptian Religion in Archaic Etruria (7th–6th Centuries B.C.), in: Aegyptus et Pannonia III, Acta Symposii anno 2004, Budapest 2006, S. 11–26. Zu den Funden in Campanien siehe die folgende Anm. 1457.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

bern.1457 Teilweise sind diese kleinformatigen Stücke ebenfalls der phönizischen Produktion zuzuordnen. Eine aus einem Grab (Nr. 928) in Pontecagnano (Campanien) stammende silberne Kotyle (Trinkschale) trägt sogar eine Inschrift in ‚Pseudohieroglyphen‘, die von echten ägyptischen Texten kopiert worden sein müssen:1458 Trotz der offenbaren Unkenntnis des (Ab-)Schreibers ist der Name der Isis, determiniert mit einer Uräusschlange, zu erkennen und stellt damit den ältesten – obschon vielleicht einen zufälligen – schriftlichen Beleg für die Göttin in Italien dar. Zu vergleichen ist etwa die hieroglyphische Inschrift, ebenfalls mit Nennung der Isis, auf der Glaskanne von Aliseda (iberische Halbinsel).1459 Isis- und Osirisikonographien sind recht selten vertreten, exemplarisch sei aber auf eine phönikische Silberschale aus Palestrina (Praeneste), die sog. ‚Eschmunya’ad-Schale‘ (so benannt nach der phönizischen Inschrift, die einen „Eschmunya’ad, Sohn des Aschto“ nennt), verwiesen.1460 Neben dem Hauptbild eines Gefangene erschlagenden Pharao zeigen die gravierten Reliefs unter anderem Isis lactans im Papyrusdickicht und einen mumienförmigen, stehenden Osiris in einer Papyrusbarke, der von zwei falkenköpfigen Gottheiten mit Sonnenscheibe (Re-Harachte?) gerahmt wird. Mit dem Ende der archaischen Zeit läßt die Menge der Aegyptiaca auf italischem Boden zunächst wieder stark nach.1461 Seit MALAISEs intensiver Studie ist allgemein anerkannt, daß der Kult der ägyptischen Gottheiten hauptsächlich von Delos und eventuell (in geringerem Maße) Rhodos aus, den Zentren des Seehandels im östlichen Mittelmeer, Italien spätestens in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. erreichte.1462 Verantwortlich zeichneten demnach insbesondere die zwi1457 Siehe LIVADIE, „Aegyptiaca“; ID., Remarques sur un groupe de tombes de Cume, in: Contribution à l’étude, S. 53–59; F. DE SALVIA, L’influenza culturale dell’Egitto faraonico sulla Campania preromana (secoli VII–IV a. C.), in: Civiltà dell’Antico Egitto in Campania. Per un riordinamento della Collezione egiziana del Museo Archeologico Nazionale di Napoli, Neapel 1983, S. 31–43; ID., Egitto faraonico e Campania pre-romana: gli aegyptiaca (secoli IX–IV a.C.), in: De Caro (Hrsg.), Egittomania, S. 21–54 (mit Verbreitungskarte der Funde S. 22, Abb. 2); ID., I reperti di tipo egizio di Pithekoussai: problemi e prospettive, in: Contribution à l’étude, S. 87–97; ID., Un aspetto di Mischkultur ellenico-semitica a Pithekoussai (Ischia): I pendagli metallici del tipo a falce, in: Atti del I Congresso Internazionale di Studi Fenici e Punici, Roma, 5–10 novembre 1979, Rom 1983, I, S. 89–95; S. BOSTICCO, Scarabei egiziani nella necropoli di Pithecusa nell’isola di Ischia, in: PP 12, 1957, S. 215– 229; HÖLBL, Altitalien, Kat. 685–687 und 740–936; DEL FRANCIA, Aspetti, S. 146–148; vgl. auch TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 1–2; RAS Foundation, L’Egitto e Stabiae, S. 287; KLEIBL, Iseion, S. 38; GASPARINI, „Palaestra“, S. 229–230. 1458 HÖLBL, Altitalien I, S. 312–315 m. Abb. 13; II, S. 207, Kat. 103; Taf. 175,1; siehe auch LIVADIE, „Aegyptiaca“, S. 51; DEL FRANCIA, Aspetti, S. 148. 1459 S. o., Kap. 7.1.5. 1460 HÖLBL, Altitalien I, S. 293–322; II, S. 154–155, Kat. 618; Taf. 160–161. 1461 DEL FRANCIA, Aspetti, S. 148; RAS Foundation, L’Egitto e Stabiae, S. 287. 1462 MALAISE, Conditions, S. 253–332; MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 85; vgl. auch bereits VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 95–97. Zu den ägyptischen Kulten auf Delos, die durch eine überragend große Menge an erhaltenen Inschriften und die archäologischen Überreste von drei Heiligtümern (Sarapeion A–C) besonders gut belegt sind (RICIS 202/0101–0439), siehe P. ROUSSEL, Les cultes égyptiens à Délos du IIIe au Ier siècle av. J.-C., Nancy 1916; PH. BRUNEAU, Recherches sur les cultes de Délos à l’époque hellénistique et à l’époque impériale, Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 217, Paris 1970, S. 457–466; M.-F. BASLEZ, Recherches sur les conditions de pénétration et de diffusion des religions orientales à Délos (IIe–Ier s. avant notre ère), Paris 1977; vgl. auch rezent P.

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Italien: Latium und Campanien

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schen diesen Inseln und der campanischen Küste sowie Rom verkehrenden Kaufleute, die wiederum selbst sowohl italischer als auch ägyptischer/alexandrinischer oder griechischer Herkunft sein konnten.1463 Dieser Prozeß der Übertragung der ägyptischen Kulte nach Italien wird von BRICAULT in Nachfolge der ersten, hellenistischen Verbreitungswelle als ‚2ème diffusion isiaque‘ bezeichnet.1464 Der Haupthandelshafen Italiens war damals Puteoli, wo bereits für das Jahr 105 v. Chr. ein Sarapeion inschriftlich belegt ist,1465 was zugleich das älteste eindeutige Zeugnis für ein Heiligtum auf dem Festland Italiens darstellt. Es handelt sich um „ein Gesetz für den Bau von Mauern (lex parieti faciundo) in dem Areal, das sich vor dem Tempel des Serapis (aedem Serapi) auf der anderen Seite der Straße befindet“. Dies bedeutet, daß das Sarapeion bereits seit längerem existiert haben muß.1466 Auch z. B. für Praeneste und Cumae lassen sich direkte Verbindungen zu Delos prosopographisch nachweisen.1467 Neben Delos (und Rhodos) dürfte auch Sizilien eine – wenn auch geringere – Rolle bei der Vermittlung der ägyptischen Kulte auf das italische Festland gespielt haben.1468 Nicht nur die Vorprägung durch phönizisch-punische Aegyptiaca (s. o., Kap. 7.1), sondern auch eine frühe Etablierung des ‚hellenistischen‘ Isis- und Sarapiskultes im östlichen Teil unter griechischer Herrschaft1469 prädestinieren die Insel zu einem ersten Zentrum der ägypti-

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MARTZAVOU, Les cultes isiaques et les Italiens entre Délos, Thessalonique et l’Eubée, in: L. Bricault (Hrsg.), Isis au Capitole. Journée d’Études „Jeunes Chercheurs“, TRACES-Université de Toulouse IILe Mirail (04 février 2010), Pallas 84, 2010, S. 181–205. Zu Rhodos BRICAULT, Atlas, S. 54–55 (m. Karte XIII) u. 63; DUNAND, Culte d’Isis III, S. 17–42; MALAISE, Conditions, S. 268, der Rhodos aber eine Rolle als Verbreitungszentrum der ägyptischen Kulte noch abspricht. Zur Frage der Herkunft der entscheidenden Kultüberträger vgl. z. B. STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 212. Zu Alexandrinern in den Hafen- und Handelsstädten Italiens siehe ZEVI, Tempio di Iside, S. 39; MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 86, m. Anm. 34; MALAISE, Nova Isiaca, S. 51 u. 54; ID., Conditions, S. 74–75. Ibid., S. 255–260, 264–275, 283–303 u. 332, schreibt MALAISE aber vor allem den italischen/campanischen Händlern die Ausschlag gebende Initiative in frühester Zeit zu und hält die Rolle von Ägyptern für nur gering und indirekt (ibid., S. 258 u. 306). Vgl. außerdem zur Personenmobilität zwischen Ägypten und Italien in der Ptoleämerzeit VAN’T DACK, Relations, z. B. S. 393–397 zu frühen Besuchern aus Italien im Isisheiligtum von Philae, siehe dazu oben, Kap. 6.2.2.1. Zur generell schwierigen Nachweisbarkeit ‚echter‘ Ägypter, besonders praktizierender Isispriester, in Italien SWETNAM-BURLAND, „Egyptian“ Priests. BRICAULT, Diffusion isiaque, S. 552. RICIS 504/0401. Neben der dort angegebenen älteren Literatur siehe auch ADAMO MUSCETTOLA, Iside a Pozzuoli; ZEVI, Pozzuoli; vgl. MALAISE, Conditions, S. 258. Siehe dazu auch TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Kat. IS 12, S. 3 u. 58–62. Die erhaltene Inschrift ist allerdings nicht das Original von 105 v. Chr., sondern eine kaiserzeitliche Kopie. Vgl. KLEIBL, Iseion, S. 38; P. CAPUTO, Aegyptiaca Cumana, S. 251; COARELLI, Iside e Fortuna, S. 126. Zu Weihungen von Personen aus Puteoli auf Delos TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 25–26. Siehe MALAISE, Conditions, S. 262–263; BRICAULT, Diffusion isiaque, S. 552; ID., Atlas, S. 142; vgl. auch KLEIBL, Iseion, S. 38; GASPARINI, Cronologia, S. 68–69. Die sizilischen Herrscher pflegten enge politische Beziehungen mit Ägypten; so war Agathokles von Syrakus (Tyrann/König von 316–289 v. Chr.) in dritter Ehe mit der ptolemäischen Prinzessin Theoxene verheiratet, und Hieron II. von Syrakus (König 269–215 v. Chr.) schenkte beispielsweise sein riesiges Palastschiff ‚Syracusa‘ König Ptolemaios III.; siehe z. B. SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 1–6; C. LEHMLER, Syrakus unter Agathokles und Hieron II. Die Verbindung von Kultur und Macht in einer hellenistischen Metropole, Frankfurt a. M. 2005. Zu den ägyptischen Kulten auf Sizilien siehe BRICAULT, Atlas, S. 146–151; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia;

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schen Götter im westlichen Mittelmeerraum. So ist in Tauromenion ein Heiligtum bereits für das 3./2. Jh. v. Chr. belegt,1470 und für das Sarapeion in Syrakus finden sich Zeugnisse aus dem 2.–1. Jh. v. Chr.1471 Die ägyptischen Kulte verbreiteten sich von den italischen Hafenstädten aus zunächst über Campanien und Latium. Mit der zunehmenden direkten Involvierung Roms in die ägyptische Politik im 1. Jh. v. Chr., die in der Eingliederung Ägyptens als römische Provinz 30 v. Chr. gipfelte, erhielt das Interesse an den ägyptischen Göttern, aber auch der fremdartigen Kunst und Kultur einen neuen Schub, der in besonderem Maße auch die Hauptstadt Rom selbst betraf.1472 Wohl erst in der frühen Kaiserzeit gelangten die ägyptischen Kulte auch tiefer in das Inland Italiens.1473 Aus ungewöhnlich früher Zeit, vom Ende des 3. bis Anfang des 2. Jhs. v. Chr., stammt einzig eine in archaisch lateinischem Alphabet geschriebene Inschrift mit eventueller Weihung an Isis auf einem Schwarzfirnisbecher aus Ancarano bei Nursia (in der Region Samnium).1474 Weitere Belege für die Verbreitung in Zentralitalien finden sich jedoch erst ab dem 1. Jh. n. Chr. EAD., Cultes

1470 1471 1472

1473 1474

isiaques en Sicile; EAD., Le attestazioni dei culti egiziani in Sicilia nei documenti monetali, in: M. Caccamo Caltabiano (Hrsg.), La Sicilia tra l’Egitto e Roma. La monetazione siracusana dell’età di Ierone II, Atti del Seminario di Studi Messina 2–4 Dicembre 1993, Atti Accademia Peloritana dei Pericolanti, Suppl. 1, vol. LXIX, 1993, Messina 1995, S. 79–146; EAD., La Sicilia fra l’Egitto e Roma: per la storia dei culti egiziani in Italia, in: Bonacasa/Naro/Tullio (Hrsg.), L’Egitto in Italia, S. 653–672; EAD., I culti orientali in Sicilia: stato degli studi e prospettive di ricerca, in: M. Barra Bagnasco/E. De Miro/A. Pinzone (Hrsg.), Origine e incontri di culture nell’antichità, Magna Grecia e Sicilia. Stato degli Studi e prospettive di ricerca, Atti dell’Incontro di Studi Messina, 2–4 dicembre 1996, Messina 1999, S. 355–80; E. DE MIRO, L’Iseo di Agrigento, in: N. Bonacasa/A. M. Donadoni Roveri (Hrsg.), Faraoni come dei: Tolemei come faraoni, Atti del V Congresso Internazionale Italo-Egiziano, Torino, 8–12 dicembre 2001, I, Palermo – Turin 2003, S. 521–526; F. DE SALVIA, Considerazioni metodologiche sull’ „Egittizzante“: la Sicilia preromana, in: C. Basile/A. Di Natale (Hrsg.), Atti del IV Convegno Nazionale di Egittologia e Papirologia, Quaderni del Museo del Papiro 9, Syrakus 2000, S. 69–84; ID., Considerazioni metodologiche sull’ „Egittizzante“: la Sicilia romana, in: C. Basile/A. Di Natale (Hrsg.), La Sicilia antica nei rapporti con l’Egitto, Atti del Convegno internazionale, Siracusa, 17–18 settembre 1999, Quaderni del Museo del Papiro 10, Syrakus 2001, S. 81–93. Siehe RICIS 518/0301, die Weihung des Karneades von Barka; dazu oben, Kap. 7.2.1.3. Siehe RICIS 518/0601–0602 (Weihungen an Sarapis und Isis); Cicero, In Verrem actio secunda, 2, 66, 160; BRICAULT, Atlas, S. 150–151; SFAMENI GASPARRO, Culti orientali in Sicilia, S. 26–27 u. 167–168, Kat. 2–3. Von der intensiven Auseinandersetzung mit Ägypten und seinen Göttern ab etwa der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. zeugen nicht zuletzt die häufigen Verarbeitungen und Erwähnungen bei römischen Schriftstellern wie Varro, Cicero, Lucan, Properz, Ovid, Catull und Tibull, siehe, bes. zu ihren verschiedenen Haltungen den ägyptischen Kulten gegenüber, MALAISE, Conditions, S. 86–87 u. 244–251. Speziell zu den Passagen bei Varro siehe jetzt A. ROLLE, Dall’Oriente a Roma. Cibele, Iside e Serapide nell’opera di Varrone, Testi e studi di cultura classica 65, Pisa 2017. Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 136; MALAISE, Conditions, S. 352–354. RICIS 508/0101 (siehe auch RICIS Suppl. II, S. 286–287); vgl. BRICAULT, Atlas, S. 136; GASPARINI, Cronologia, S. 69. Berechtigte Zweifel daran, daß tatsächlich Isis in der Inschrift gemeint ist, äußern rezent allerdings S. SISANI/V. GASPARINI, Iside dai mille (e uno?) nomi: nuove letture di alcune iscrizioni di (presunto) contenuto isiaco, in: Epigraphica 71, 2009, S. 385–389 (mit neuer Interpretation).

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Rom und Latium

7.3.2.1 Die ägyptischen Kulte im republikanischen Rom – Zwischen politischem Widerstand und religiöser Integration Die Anfänge des Kultes der Isis bzw. ägyptischer Götter in Rom liegen im Dunkeln und besonders die Datierung ihrer beginnenden Verehrung ist stark umstritten.1475 Erste Hinweise auf eine wohl noch private Verehrung von Isis und Sarapis in der römischen Hauptstadt erscheinen um die Wende des 2. zum 1. Jh. v. Chr.,1476 wenngleich ein früherer Beginn etwa zu Anfang des 2. Jhs. v. Chr. zumindest zu vermuten ist.1477 Die offizielle Haltung des Senats gegenüber den fremden Göttern schwankte im Laufe der Zeit mehrfach zwischen passiver Duldung und strikten Verboten bis hin zu aktiver Zerstörung.1478 7.3.2.1.1 Das Iseum Metellinum – Isis als Siegbringerin? Aufgrund einer Passage bei Apuleius, Met. XI, 30, der zufolge das Kollegium der Pastophoren von Osiris in Rom unter Sulla begründet worden sei,1479 wird häufig eine Hinwendung dieses Politikers (Konsul 80 v. Chr.) zum Kult der ägyptischen Gottheiten angenommen.1480 Tatsächlich schreibt eine weitere, ebenfalls erst spätere literarische Quelle, Appian, den Sieg Sullas über Mithradates VI. auf Rhodos dem göttlichen Beistand durch Isis zu, die während der Belagerung der Insel die feindlichen Belagerungstürme, die an der an ihren Tempel grenzenden Mauer standen, mit Feuer zerstört haben soll.1481 Ein solcher – angeblicher – Eingriff der Isis in reale militärische Vorgänge, der schließlich über den Sieg ent1475 Vgl. z. B. den Überblick über die Diskussion bei GASPARINI, Santuari isiaci; und ID., Rez. zu: Fontana, Culti isiaci. 1476 Vgl. z. B. GASPARINI, Santuari isiaci, S. 68–69; VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 444; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 18. 1477 So nimmt COARELLI, Iside Capitolina, S. 472, eine erste Phase vereinzelter privater Verehrung durch sich in Rom/Italien aufhaltende Ägypter ab dem Anfang des 2. Jhs. v. Chr. an. 1478 Zum historisch-politischen Hintergrund des republikanischen Rom und seiner Haltung gegenüber fremden Kulten vgl. VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 440–443, basierend auf den ausführlicheren Auseinandersetzungen von A. ZIOLKOWSKI, The Temples of mid-Republican Rome and their Historical and Topographical Context, Saggi di storia antica 4, Rom 1992; E. M. ORLIN, Temples, Religion and Politics in the Roman Republic, Mnemosyne Suppl. 164, Leiden et al. 1997. Siehe jetzt außerdem M. JEHNE/B. LINKE/J. RÜPKE (Hrsg.), Religiöse Vielfalt und soziale Integration. Die Bedeutung der Religion für die kulturelle Identität und politische Stabilität im republikanischen Italien, Studien zur Alten Geschichte 17, Heidelberg 2013, bes. den Beitrag von J. RÜPKE, Regulating and Conceptualizing Religious Plurality: Italian Experiences and Roman Solutions, S. 275–295. 1479 Siehe dazu z. B. BRICAULT, Associations isiaques, S. 91–93. Zu Pastophoren (außerhalb Ägyptens) siehe H.-B. SCHÖNBORN, Die Pastophoren im Kult der ägyptischen Götter, Beiträge zur Klassischen Philologie 80, Meisenheim 1976, S. 57–64 u. 85–96; zur ursprünglichen Bedeutung des Titels zur Bezeichnung von Torwächtern und nicht-priesterlichen Bediensteten im Tempel siehe HOFFMANN/ QUACK, Pastophoros. 1480 COARELLI, Monumenti, S. 54–55; ID., Iside Capitolina, S. 463; BRICAULT, Isis à Rome, S. 138. Vgl. auch den Kommentar von GRIFFITHS, Isis-Book, S. 343–345. Zweifel an der historischen Realität der Apuleius’schen Aussage hegt VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 444–445. 1481 Appian, Mithr., 27; vgl. BRICAULT, Isis à Rome, S. 138; zur beschriebenen Göttererscheinung im Kontext vergleichbarer Berichte H. S. VERSNEL, What Did an Ancient Man See when He Saw a God?, in: D. van der Plas (Hrsg.), Effigies dei, Leiden 1987, S. 42–55: 51. Zum Isiskult auf Rhodos siehe oben, Kap. 7.3.1, Anm. 1462.

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scheidet, ist mindestens seit Ptolemaios IV. ein beliebter Topos und illustriert einen kriegerischen Teil des Charakters der Göttin, der offenbar auch außerhalb Ägyptens Anklang fand.1482 Natürlich ist im Hinblick auf die Frage nach der Historizität einer solchen Zuschreibung zu bedenken, daß auch Appian, genau wie Apuleius, erst im 2. Jh. n. Chr. schrieb, als der Isiskult bereits im ganzen Mittelmeerraum populär war; zudem stammte er selbst aus Alexandria. Aufgrund der Positionierung der Belagerungstürme in der Nähe des Tempels der Göttin könnte es sich außerdem um eine lokale Legende der Rhodier selbst handeln, die von Appian überliefert wird; hierfür sprechen vielleicht auch rhodische Münzen aus dieser Zeit, die das Basileion oder eine Situla zeigen.1483 Auf die Sieghaftigkeit der Isis verweist zumindest schon relativ früh, 51 n. Chr., eine private Weihung an Isis Invicta („die Unbesiegte“) und Sarapis durch einen Freigelassenen in Rom (nach einer Vision).1484 Im Zusammenhang eines unter Sulla in Rom entfachten Interesses an der ägyptischen Göttin, das auch durch die Zerstörung von Delos 88 v. Chr. und die daraus resultierende Rückkehr italischer Kaufleute bedingt sein könnte,1485 steht möglicherweise die Errichtung des wohl frühesten, namentlich bezeugten Isisheiligtums: des in der Historia Augusta (Triginta tyranni, 25) erwähnten ‚Iseum Metellinum‘. Dieses wurde von DE VOS mit archäologischen Bauresten eines großen Isisheiligtums auf dem Oppius, in Regio III, identifiziert, weswegen diese Region dann auch bereits recht früh den Namen ‚Isis et Serapis‘ erhalten habe.1486 Andere möchten das Iseum Metellinum dagegen in Regio II, auf dem Caelius, lokalisieren, was der Angabe in der Historia Augusta näherkommt.1487 Tatsächlich wurden auch hier einige Aegyptiaca und Zeugnisse des Isis- und Sarapiskultes gefunden, die allerdings größtenteils erst in die spätere Kaiserzeit datieren.1488 Aufgrund der Benennung des Heiligtums wird als Stifter üblicherweise Quintus Caecilius Metellus Pius angenommen, der zusammen mit Sulla im Jahr 80 v. Chr. das Konsulat innehatte; die Errichtung 1482 Siehe oben, Kap. 4.2 und 6.2.3 zu militärischen Zügen der Isis von Assuan, außerdem die Rolle der Isis in der demotischen Amazonengeschichte, Kap. 6.4.2.1, die Träume des Hor, Kap. 6.5.1.2, und Münzen aus Icosium und Iol Caesarea, Kap. 7.1.3, 7.1.4 (Typus 5) und 7.2.5.2.2. 1483 Vgl. zu dieser Deutung BRICAULT/VERSLUYS, Isis and Empires, S. 16–17; SNRIS, S. 121. 1484 RICIS 501/0138 (siehe auch RICIS Suppl. III). Es handelt sich um den frühesten Beleg für dieses lateinische Epitheton der Isis. Sarapis trägt den Titel Invictus erst später, unter Caracalla, vgl. BRICAULT, Myrionymi, S. 124–125; siehe unten, Kap. 7.3.2.2.5. 1485 Vgl. z. B. GASPARINI, Iside a Roma, S. 101. 1486 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 102–107; gefolgt von EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 182; ENSOLI, Santuari di Iside, S. 268; G. SPINOLA, Alcune sculture egittizzanti nell’area lateranense: nuove testimonianze dell’ „Iseum Metellinum“?, in: Bollettino. Monumenti, musei e gallerie pontificie 21, 2001, S. 75–101: 99; GASPARINI, Santuari isiaci, S. 69; KLEIBL, Iseion, Kat. 24, S. 265–266. Diese Vermutung äußerte bereits R. LANCIANI, The Ruins and Excavations of Ancient Rome, London 1897, S. 360; und wurde von COARELLI, Monumenti, weiterentwickelt; vgl. auch TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 66; zur Forschungsgeschichte HÄUBER, Eastern Part, S. 53–55. Zum Heiligtum in Regio III siehe unten, 7.3.2.2.3. 1487 So MALAISE, Octavien, S. 190; BRICAULT, Isis à Rome, S. 138; HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 88–90; HÄUBER, Eastern Part, S. 88 u. 169–170. An der betreffenden Stelle der Historia Augusta wird das Haus des Tetricus beschrieben, das auf dem Caelius, bei dem Iseum Metellinum stehen soll. Aufgrund der benachbarten Lage von Oppius und Caelius (getrennt durch das Tal, in dem in flavischer Zeit das Kolosseum errichtet wurde) ist keine der beiden hypothetischen Lokalisierungen allein anhand der Beschreibung auszuschließen, aber siehe auch unten, 7.3.2.2.3. 1488 Siehe z. B. BRICAULT, Atlas, S. 164; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 336–337.

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wird entsprechend zwischen 71–64 v. Chr. (nach seiner Rückkehr nach Rom) datiert.1489 Der konstantinische Regionenkatalog verzeichnet außerdem ein ansonsten unbekanntes Heiligtum der „Isis Patricia“ für die Regio V, das von einigen Forschern mit dem Iseum Metellinum gleichgesetzt wird, was jedoch eher unwahrscheinlich ist.1490 Von einem in dieser Zeit beginnenden Interesse am Kult der ägyptischen Götter oder zumindest dazugehörigen ikonographischen Elementen zeugen zudem mehrere römische Münzprägungen aus den Jahren 90–60 v. Chr., die Kontrollstempel mit Isiskrone (Basileion), Lotus, Sistrum sowie weiteren ägyptischen Motiven bzw. ‚Nilotica‘ aufweisen.1491 68/67 v. Chr. wird sogar ein Denar mit einer geradezu pantheistisch anmutenden Göttinnenbüste herausgegeben (von M. Plaetorius Cestianus), die libysche Locken, einen Helm mit aufgesetztem Basileion,1492 und hinter den Schultern Flügel sowie Köcher und Bogen aufweist.1493 Da die Familie des Plaetorius Cestianus aus Praeneste stammte, scheint eine Assoziation mit der dort wahrscheinlich schon in republikanischer Zeit verehrten Isis-Fortuna nicht abwegig zu sein.1494

1489 Siehe COARELLI, Monumenti, S. 53–55; DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 102–103; TAKACS, Isis and Sarapis, S. 66; ENSOLI, Santuari isiaci, S. 306 u. 308. Neuerdings möchte aber FONTANA, Culti isiaci, S. 23–31, bereits in Q. Caecilius Metellus Balearicus, Konsul 123 v. Chr., den Gründer des Iseum Metellinum erkennen, was jedoch auf sehr hypothetischen Spekulationen ohne konkrete Hinweise beruht. 1490 So COARELLI, Monumenti, S. 57–58; gefolgt von ENSOLI, Santuari di Iside, S. 269; EAD., Santuari isiaci, S. 311; KLEIBL, Iseion, Kat. 24, S. 265–266. GASPARINI, Iside a Roma, S. 107, unterscheidet dagegen Isis Patricia von Isis Metellina, und bringt sie in Verbindung mit dem Vicus Patricius auf dem Esquilin; siehe dazu auch VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 346; HÄUBER, Eastern Part, S. 93–94. HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 87; und HÄUBER, Eastern Part, S. 94, wenden gegen eine Identifizierung des Iseum Metellinum mit dem Tempel/Schrein der Isis Patricia ein, daß die Metelli eine plebeische, keine patrizische Gens waren, und dementsprechend Isis Patricia nicht nach der Familie benannt worden sein kann. Im Regionenkatalog wird Isis Patricia kurz nach dem Tempel der Minerva Medica genannt. Regio V (Esquiliae) schließt direkt an Regio III an. 1491 SNRIS, S. 185–189 (L. BRICAULT); siehe auch MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 155–162; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 34–51. Eingehende grundlegende Besprechung von A. ALFÖLDI, Isiskult und Umsturzbewegung im letzten Jahrhundert der römischen Republik, in: Schweizer Münzblätter 5, 18, 1954, S. 25–31, dessen Interpretation in Richtung auf (religions-)politische Propaganda bzw. Rebellion gegen den Senat nach heutigem Kenntnisstand nicht mehr haltbar ist. Zur Definition von ‚Nilotica‘, denen an sich (ohne den Kontext konkreter ‚Isiaca‘) wohl eher ein dekorativer denn ein kultischer Charakter zuzuschreiben ist, siehe MALAISE, Terminologie, S. 218; vgl. auch L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 187. 1492 Und nicht einer Lotusblüte, wie MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 159, angibt. 1493 SNRIS Roma 7 u. 7a; vgl. dazu auch VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 101; MALAISE, Conditions, S. 240, Nr. 443g; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 48–50. L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 188–189, folgt der Analyse von MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 159–162, und interpretiert die Gestalt als Fortuna. M. E. ist das Basileion jedoch ein eindeutiger Marker, der auf Isis und Ägypten verweist. Ein reines Fortuna-Bildnis wäre ikonographisch sicherlich anders dargestellt worden. 1494 An eine Verbindung mit Fortuna von Praeneste, evtl. auch Isis-Tyche, denkt MEYBOOM, Nile Mosaic, S.161–162. Zu Isis in Praeneste siehe unten, Kap. 7.3.2.5.

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7.3.2.1.2 Kultstätten im Bereich des Kapitolshügels – Isis Capitolina, Isis Frugifera, Isis Pelagia(?) Für die 50er und 40er Jahre v. Chr. lesen wir in späteren literarischen Quellen von mehreren Verboten und Zerstörungsmaßnahmen durch den Senat, die gegen nicht genauer definierbare kultische Anlagen (Kapellen oder Altäre?)1495 der Isisverehrer am Kapitol gerichtet sind.1496 Im Hintergrund dieser Aktionen standen der Interpretation von TAKÁCS, MALAISE und anderen zufolge jedoch vorrangig politische, weniger religiöse Gründe.1497 Die Installationen, die nach Varro neben Isis auch Sarapis, Harpokrates und Anubis geweiht waren,1498 wurden jedoch zwischen den einzelnen Restriktionen offenbar immer wieder neu aufgebaut. Auf diese, mit MALAISE und VERSLUYS wohl kaum als großes, öffentliches Heiligtum vorzustellende Verehrungsstätte(n?) dürfte sich entsprechend auch die Epiklese „Isis Capitolina“ in einer Grabinschrift der ersten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. beziehen.1499 Sie enthält eine Liste von Mitgliedern römischer Familien von Freigelassenen und Patriziern, von denen ein Ehepaar(?), T. Sulpicius Caecilianus und Porcia Rufa, als Priester (sac(erdotis)) ebendieser Göttin ausgezeichnet wird. Eine weitere, wohl spätere Inschrift unsicherer Datierung nennt den gleichen Titel.1500 Desweiteren existiert ein literarischer Topos, der von einer Flucht vom Kapitol sowohl durch den Aedilen M. Volusius im Jahr 43 v. Chr. als auch durch den späteren Kaiser Domitian im Jahr 69 n. Chr. berichtet, die jeweils mit Hilfe einer Verkleidung als Isispriester geglückt sein soll.1501 Die Historizität dieser Berichte sei 1495 Es werden jeweils unterschiedliche lateinische Ausdrücke für die Anlagen verwendet (aras „Altäre“; naos „Sanktuar/Kapelle“; temenismata „Götterbezirk“ (o. ä.); fana „Heiligtümer“), weswegen auch nicht eindeutig ersichtlich ist, ob jedesmal dasselbe gemeint ist. 1496 Siehe dazu bes. TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 56–70; MALAISE, Conditions, S. 365–375; ID., Octavien, S. 189–193; COARELLI, Iside Capitolina, mit nicht immer überzeugenden Frühdatierungen einiger Zeugnisse; nochmals bekräftigend ID., Isis Capitolina; und ID., Bellum Vitellianum; VERSLUYS, Isis Capitolina, mit kommentierter Sammlung aller Zeugnisse für einen Kult am/auf dem Kapitol, bes. S. 427–432 zu den literarisch bezeugten Maßnahmen; noch mit anderer Interpretation ID., Aegyptiaca Romana, S. 350–352; ENSOLI, Santuari isiaci, S. 312–313; BRICAULT, Isis à Rome, S. 140–143; FONTANA, Culti isiaci, S. 31–41; ferner, mit anderer Interpretation S. MONTERO, Haruspices contra Isiaci. La oposición aruspicinal a la introducción del culto isiaco en Roma, in: J. A. Delgado Delgado (Hrsg.), Dioses viejos, dioses nuevos. Formas de incorporación de nuevos cultos en la ciudad antigua, Las Palmas 2006, S. 41–52; K. SANDBERG, Isis Capitolina and the Pomerium. Notes on the Augural Topography of the Capitolium, in: Arctos 43, 2009, S. 141–160, mit der Argumentation, daß bestimmte Teile des Kapitols, und speziell der Arx, ursprünglich außerhalb des Pomeriums lagen, und ein Tempel oder Schrein für Isis in republikanischer Zeit entsprechend ebenfalls dem Bereich extra pomerium zugeordnet gewesen sein müßte. 1497 Im Mittelpunkt standen demnach Auseinandersetzungen der Optimaten mit den Popularen. 1498 Varro, apud Tert., Ad nat., 1, 10, 17; Tert., Apol., 6, 8. Vgl. dazu, in Verbindung mit einer weiteren Stelle bei Varro, die sich evtl. auf den römischen Isiskult in republikanischer Zeit bezieht, A. ROLLE, Il fr. 191 B. delle Menippee di Varrone: una testimonianza tardo-repubblicana del culto di Iside a Roma?, in: Prometheus, 38, 2012, S. 133–144; EAD., Dall’Oriente a Roma. Cibele, Iside e Serapide nell’opera di Varrone, Pisa 2017, S. 177–185. 1499 RICIS 501/0109; siehe TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 51–56; COARELLI, Iside Capitolina; VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 426. Die jeweils angegebenen Datierungen schwanken zwischen 90–60 und vor 48 v. Chr. 1500 RICIS 501/0110 (dazu auch RICIS Suppl. II, S. 285–286); vgl. VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 427. 1501 Volusius: Valerius Maximus, 7, 3, 8; App., Civ., 4, 47 (mit Anubismaske). Domitian: Tacitus, Hist., 3, 74; Sueton, Dom., 1, 2. Vgl. VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 429; BRICAULT, Isis à Rome, S. 140;

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dahingestellt, doch verweist dies zumindest darauf, daß man im Bereich des Kapitols in Gewändern eines Priesters der ägyptischen Kulte nicht aufgefallen wäre. Gemeint ist wohl speziell ein Priester mit Anubismaske (explizit so bei Appian), wodurch das Gesicht gänzlich verborgen gewesen wäre.1502 Anhand von Aegyptiaca und direkt auf Isis verweisenden, teilweise aber erst späteren (kaiserzeitlichen) Funden aus dem Bereich des Marcellustheaters und des Forum Boarium möchte VERSLUYS ein ‚orientalisches Viertel‘ am Südhang des Kapitolshügels rekonstruieren, wo dementsprechend kleinere Verehrungsstätten ägyptischer Gottheiten im 1. Jh. v. Chr. ihren Platz gehabt haben könnten.1503 Zu diesen Funden gehört ein großes Marmorrelieffragment wohl der frühen Kaiserzeit(?), das Isis – erkennbar an ihrem über der Brust geknoteten Himation (hier ohne Chiton darunter) – von der Seite in einer dynamischen Bewegung zeigt:1504 Der Oberkörper ist nach vorne geneigt, beide Arme (nur die Oberarme sind erhalten) sind nach vorne gestreckt, der Kopf dagegen nach hinten gedreht, und der vom Mantel erhaltene Rest läßt erkennen, daß er durch die Bewegung flattert. Ein Reif mit einem abgebrochenen Ansatz einer Uräusschlange sitzt über dem in der Mitte gescheitelten Haar auf; weitere Kronenteile waren wohl ursprünglich in dem noch sichtbaren Loch in der Mitte befestigt. Aufgrund der im Reliefhintergrund in das Bild ragenden Getreideähren wird die Darstellung üblicherweise als die einer ‚Isis Frugifera‘ bezeichnet; diesen Titel trägt die Göttin tatsächlich in einer kaiserzeitlichen Weihinschrift mit zwei Fußabdrücken,1505 die ganz in der Nähe, unter der Kirche S. Maria in Aracoeli, entdeckt wurde und damit ebenfalls dem Bereich am Kapitol zuzuordnen ist.1506 Ebenfalls unter dieser Kirche gefundene Mauerzüge einer trapezoidalen Baustruktur werden in diesem Zusammenhang daher nun von P. L. TUCCI und F. COARELLI als architektonische Überreste des kapitolinischen Isistempels gedeutet.1507 Dennoch ist fraglich, ob das Marmorrelief mit der Darstellung der Göttin deswegen eine solche spezielle Isisform darstellen muß – immerhin ist diese Epiklese in Rom sonst nicht belegt, sondern nur eventuell noch einmal (erhalten ist nur Is[… …]ferae) in Sarmizegetusa in Dakien in einer Weihung aus der Regierungszeit des Caracalla1508 und einer Inschrift aus Forum Hadriani (Voorburg, Germania inferior), die jedoch möglicherweise eine Fälschung

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EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 184; TAKACS, Isis and Sarapis, S. 68; COARELLI, Bellum Vitellianum. Zu Domitian siehe auch unten, Kap. 7.3.2.2. Zu den Anubis darstellenden Priestern (‚Anubophoren‘) im Isiskult siehe GRENIER, Anubis, S. 71–79 und 178–180; L. BRICAULT, Les Anubophores, in: BSEG 24, 2000–2001, S. 29–42. VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 435–439. Zu den Funden auch ENSOLI, Santuari isiaci, S. 312–314. K. PARLASCA, Ein Isiskultrelief in Rom, in: RM 71, 1964, S. 195–205; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.19, S. 400–402; BRICAULT, Dame des flots, S. 98–99, m. Abb. 54; VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 438, m. Abb. 5. Stark abweichende Datierungsvorschläge wurden bisher vorgetragen; ich folge hier demjenigen von S. ENSOLI, in: Arslan (Hrsg.), Iside, S. 400: iulisch-claudische Dynastie. PARLASCA (loc. cit., S. 202) setzte das Stück in das 2. Jh. n. Chr. BRICAULT, Dame des flots, S. 99, hält es für eine römische Kopie des 1. oder 2. Jhs. n. Chr. nach einem Original des 2. Jhs. v. Chr. Zu dieser Weihepraxis, die besonders häufig für Isis und Sarapis belegt ist, vgl. auch Weihinschriften in Philae, siehe dazu oben, Kap. 6.2.2.1. RICIS 501/0111 (siehe auch RICIS Suppl. III); vgl. VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 427. P. L. TUCCI, La sommità settentrionale del Campidoglio all’epoca dei Flavi, in: Coarelli (Hrsg.), Divus Vespasianus, S. 218–221; COARELLI, Isis Capitolina; ID., Bellum Vitellianum. RICIS 616/0204.

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und zudem heute verloren ist.1509 Zur fruchttragenden Isis sind aber ähnliche griechische Epitheta in den Texten aus Ägypten zu vergleichen, z. B. καρποτόκος  und  καρπῶν  εὑρέτρια, sowie ihre frühe enge Verbindung bzw. Gleichsetzung mit Demeter.1510 Ein großes Marmorrelief des 2. Jhs. n. Chr. mit fast rundplastisch ausgearbeiteten Figuren von der Via della Conciliazione (Ager Vaticanus) zeugt auch für die spätere Kaiserzeit von dieser Verbindung:1511 Dargestellt ist neben einem thronenden Sarapis mit Kerberos und einem kleinen Harpokrates eine Isisfigur mit Knotengewand, Korkenzieherlocken, Kalathos auf dem Kopf und zwei abgebrochenen Attributen in den Händen, wahrscheinlich eine Fackel und ein Sistrum. Die Göttergruppe wird gerahmt von einer männlichen und einer weiblichen Figur, die nicht sicher identifiziert werden können,1512 sowie von zwei geringelten, aufrecht auf den Schwanzspitzen stehenden Schlangen, die sich auf den schmalen Seitenflächen der Reliefrückwand befinden. Wie auch immer man sie bezeichnet haben mag, die Haltung der Göttin auf dem Relief vom Marcellustheater spricht m. E. jedenfalls für eine Darstellung im Typus der ‚Isis mit dem Segel‘.1513 Die enge ideologische Verbindung der Isis als Herrin der Seefahrt mit den ägyptischen Getreidelieferungen nach Rom wurde von BRICAULT bereits ausführlich dargelegt, besonders für die Zeit ab dem 2. Jh. n. Chr.1514 FONTANA möchte nun bereits für die republikanische Zeit eine ähnliche Konnotation der (kapitolinischen) Isis annehmen und assoziiert die Ereignisse um ihre Kultstätten am Kapitol mit den Problemen der Getreideversorgung Roms und daraus resultierenden Auseinandersetzungen im Senat.1515 Wenngleich sich diese Hypothese letztlich nicht beweisen läßt, spricht doch einiges für einen Kult einer fruchtbringenden und/oder seefahrenden Isis in relativ früher Zeit, und eventuell in diesem Bereich. Ein solcher Charakter der Göttin ließe sich recht gut mit der sicherlich 1509 RICIS *610/0201, mit Kommentar; s. u., Kap. 7.4.4. 1510 IG Philae 166 (Kap. 6.2.2.2); MM II, 3 (Kap. 6.1.2.1, dort auch zu Isis und Demeter) und UPZ 81, 2, 10 („Traum des Nektanebos“, Kap. 6.4.1.3). Vgl. zur ikonographischen Assimilation von Isis und Demeter außerdem die punischen Münzen aus Karthago, Iol und Malta, die je einen Göttinnenkopf mit ägyptischer Ikonographie und Getreideähren zeigen, siehe Kap. 7.1.3. 1511 MALAISE, Inventaire, Kat. Roma 420, S. 229–230 („alexandrinisch“); KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 644; TRAN TAM TINH, „Isis“, Nr. 262, S. 781; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.20, S. 403; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 368–369; MURGIA, Iconografia del sacro (mit weiterer Literatur). 1512 Die weibliche Nebenfigur trägt ebenfalls Korkenzieherlocken, eine stark beschädigte Bekrönung, die wohl eine Mondsichel darstellt, und eine Fackel(?), aber kein Knotengewand. Die männliche Figur ist in eine Toga im Pallium-Typus gewickelt, die auch die Hände bedeckt, und trägt überhaupt keine Attribute; es handelt sich sicherlich um den Dedikanten bzw. wahrscheinlicher einen Verstorbenen. M. E. könnten auch zwei Dedikanten bzw. Verstorbene dargestellt sein, von denen zumindest die Frau (die links von Sarapis steht), wohl eine Isisdienerin/-verehrerin, an Isis(-Demeter) oder Kore angeglichen ist. Auf dem Ager Vaticanus befand sich ein Gräberfeld, daher könnte es sich durchaus um ein Grabmonument handeln, vgl. S. ENSOLI, in: Arslan (Hrsg.), Iside, Kat. V.20, S. 403; mit der Deutung des Mannes als Verstorbenem und der Frau als Isisdienerin ähnlich auch MURGIA, Iconografia del sacro. TRAN TAM TINH, „Isis“, Nr. 262, S. 781, bezeichnet die Randfigur als Isis-Demeter und die Isis rechts von Sarapis als Isis-Kore (vgl. dagegen aber MALAISE, Inventaire, Kat. Roma 420, S. 229– 230, der die Figur rechts von Sarapis als Demeter interpretiert und die links als Isis-Aphrodite; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 368: rechts Isis-Demeter, links Isis-Persephone); ähnlich (IsisPersephone statt Isis-Kore) ENSOLI, Santuari isiaci, S. 316. 1513 Vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 98–99. 1514 BRICAULT, Dame des flots, S. 150–154; ID., Un phare, une flotte. 1515 FONTANA, Culti isiaci, S. 40–41.

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vielfältig bevölkerten und von auswärtigen Händlern frequentierten Umgebung des (Vieh-) Marktes in Verbindung bringen; immerhin befindet sich am Forum Boarium auch seit etwa 100 v. Chr. ein Tempel des Hafengottes Portunus. Zudem beschreibt Vitruv1516 in frühaugusteischer Zeit Hafen- und Marktviertel (emporia) als übliche Lokalität, in der Isis- und Sarapistempel errichtet werden. Zu der Darstellung der ‚Isis mit dem Segel‘ auf dem Relief würde außerdem eine Grabinschrift für einen Freigelassenen des Galba (Ende 1. Jh. n. Chr.) passen, der als aedituus (für 10 Jahre) der Isis Pelagia bezeichnet wird, was auf eine Assoziation mit einem dieser Form der Göttin geweihten Heiligtum hindeutet.1517 Mit dem gleichen Namen (erhalten ist Isi Pe[lagiae?]) wird sie wahrscheinlich bereits in einer in das Jahr 1 n. Chr. datierenden, im Tiber gefundenen Inschrift mit Weihung eines Altares an eine ganze Reihe von (ansonsten römischen) Gottheiten erwähnt.1518 Dies läßt darauf schließen, daß eine entsprechende Kultstätte sogar noch früher, schon in republikanischer Zeit, bestanden haben könnte.1519 Zusätzliche Hinweise auf ein im Bereich zwischen Kapitolshang, Marcellustheater und Forum Boarium gelegenes Heiligtum bieten vielleicht weitere, verstreut gefundene Stücke ägyptisierender Ausstattung, so z. B. ein qualitativ hochwertiges marmornes Hathorkapitell römischer Produktion aus der Via della Consolazione.1520 Das aus der Kaiserzeit (1.–2. Jh. n. Chr.) datierende Stück zeigt eindringlich, wie ein ursprünglich ägyptisches Bauschmuckelement in die Formensprache römischer Architektur und Plastik eingepaßt wurde:1521 Es handelt sich um ein in der Grundform korinthisches Kapitell, wobei auf allen vier Seiten je ein emblematischer Hathorkopf (d. h. ein frontal dargestellter Frauenkopf mit schneckenförmig eingerollten Haarenden, Kuhohren und wohl einem Basileion) von Akanthusblättern umgeben ist. Deren zweite Reihe geht aber direkt neben dem Kopf in Uräusschlangen über, von denen nur noch die Hälse erhalten sind, die aber in der Form den Blättern ähneln. Für eine Verehrung bzw. zumindest die Kenntnis einer kuhgestaltigen Isis(-Hathor) im Rom in der frühen Kaiserzeit sprechen bereits Passagen in Ovids Liebesdichtung, in denen vom Tempel und von Altären der „Kuh von Memphis“ die Rede ist.1522 Obwohl ‚Memphis‘ in der Kaiserzeit literarisch häufig als pars pro toto für ‚Ägypten‘ gesetzt wird und damit einfach auf die ägyptische Herkunft der Göttin Bezug nehmen könn-

1516 Vitruv, De archit., I, 7, 30. Das Werk entstand etwa zwischen 33 u. 22 v. Chr. 1517 RICIS 501/0132, aufgestellt durch die Ehefrau. GASPARINI, Santuari isiaci, S. 74, hält es – ohne weitere Ausführungen – für möglich, daß sich die Inschrift auf einen Kult auf dem Forum Boarium, also im Bereich des vermuteten Isisheiligtums, bezieht. ENSOLI, Santuari di Iside, S. 273, bringt sie dagegen mit dem Isisheiligtum in Regio XII in Verbindung, siehe dazu unten, 7.3.2.2.5. 1518 RICIS 501/0137. 1519 Vgl. GASPARINI, Santuari isiaci, S. 74. 1520 VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 439, m. Abb. 6; QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, Kat. 330, S. 716; ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, Kat. 6, S. 56; Taf. 22, Abb. 32. 1521 Zu enger an ägyptischen Vorbildern orientierten römischen Hathorkapitellen (sowohl Säulen- als auch Pfeilerkapitelle) siehe MÜSKENS, Hathor-Support, S. 95–103. Zu den ägyptischen Hathorsäulen und -pfeilern siehe E. BERNHAUER, Hathorsäulen und Hathorpfeiler. Altägyptische Architekturelemente vom Neuen Reich bis zur Spätzeit, Philippika 8, Wiesbaden 2005. 1522 Ovid, Ars amat. I, 77 (Tempel), und III, 393; vgl. MALAISE, Octavien, S. 196.

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te,1523 möchte ich doch zu bedenken geben, daß gerade im Bezirk des Sarapeions von Memphis (in Sakkara) Isis als Mutter des Apis-Stieres verehrt und damit durch Kühe verkörpert wurde, und so vielleicht doch mehr Konkretes hinter Ovids zweimaliger Umschreibung der Isis mit diesen Worten stecken könnte.1524 Auf die memphitische Herkunft der Isis bezieht sich außerdem eine kaiserzeitliche Inschrift eines Priesters (sacerdos) der Isis Regina, der ihr eine „memphitische Statuette“ weihte.1525 Ob damit einfach nur eine Originalskulptur aus Ägypten (oder eine ägyptisierende Skulptur) oder ein ikonographischer Typus einer speziell memphitischen Isisform gemeint ist, bleibt unklar.1526 Speziell auf Memphis könnte eventuell sogar der Beiname Regina „Königin“ bezogen sein, da Isis gerade dort für die Krönung des Pharao zuständig war und als Königsgöttin galt.1527 Ein kleiner Naophor (fragmentarisch), der auf dem Kapitol gefunden wurde, ist vielleicht ebenfalls als römische Nachahmung ägyptischer Vorbilder anzusehen.1528 Desweiteren könnte eine kaiserzeitliche Inschrift mit Weihung eines protomen Serapis ex arg(enti), das dem Text zufolge nach einer Vision für „das Kollegium“ gestiftet wurde, ebenfalls dem Kult der ägyptischen Götter in diesem Bereich zuzuordnen sein und würde dort die Verehrung des Sarapis neben Isis belegen.1529 In direkter Nachbarschaft zum Forum Boarium, im Süden des Kapitols, befindet sich außerdem das Forum Holitorium mit der Porticus Triumphalis, auf die vielleicht die (früh)kaiserzeitliche Dedikation eines Priesters (sacerdos) an „Isis Triumphalis“ verweist.1530 Am Rande erwähnt sei hier außerdem die Erwägung (ohne eindeutige Indizien), im Inneren der 1523 Vgl. z. B. auch eine Grabinschrift aus Cirta (Numidia), RICIS 704/0401, siehe dazu oben, Kap. 7.2.4.4; mit Bezug auf einen Isistempel in Rom, wohl das Iseum Campense, auch Mart., 2, 14; vgl. KARDOS, Satire des cultes, S. 51–52. 1524 Vgl. Kap. 4.12.1 oben. 1525 RICIS 501/0150. Der Priester trägt außerdem den ansonsten unbekannten Titel megalephoros, siehe dazu den Kommentar von BRICAULT, RICIS II, S. 539. Die Inschrift befindet sich auf einer kleinen Säule, die in der Via delle Tre Cannelle, etwas nordöstlich der Kaiserfora, gefunden wurde. 1526 So denkt BRICAULT, Toponymie, S. 446–449, bei vergleichbaren Epiklesen der Isis an eine ägyptische oder ägyptisierende Ikonographie; SWETNAM-BURLAND, Material Evidence, S. 598, erwägt, ob darunter entweder die Bezeichnung eines bestimmten Statuentypus oder die Herkunftsangabe des verwendeten Steins zu verstehen ist. 1527 Vgl. z. B. pOxy. 1380, Z. 249–252, Kap. 6.1.3.2; außerdem Kap. 6.2.1.1 und 6.5.1.2 zum Archiv des Hor; 6.4.1.3 zu Isis als Königin der Götter in Memphis im griechischen Text des „Traumes des Nektanebos“; 6.4.2.2 zu Isis als Herrin der Kronen (in Memphis/Anchtaui); vgl. zu Isis und dem Königtum in Memphis auch BERGMAN, Ich bin Isis, S. 92–120; QUACK, Königsweihe. Regina wird Isis noch in weiteren Dedikationen aus Rom genannt: RICIS 501/0101 (Regio II, unter Sept. Sev.); RICIS 501/0146 (unter Caracalla?). 1528 Vgl. VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 425–426; MALAISE, Inventaire, Kat. Roma 341, S. 187. LOLLIO BARBERI/PAROLA/TOTI, Antichità egiziane, S. 135–136 (m. Abb.), nehmen dagegen an, daß das Stück aus Ägypten stammt. 1529 RICIS 501/0112 (Weihung von Decimus Valerius Chaereas, quinquennalis perpetuus, zusammen mit seinem Sohn Decimus Valerius Chaereas, d. J., quinquennalis, und seinem Bruder Publius Aelius Alexander); siehe auch VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 427; GASPARINI, Iside a Roma, S. 102. 1530 RICIS 501/0152: Weihung des Cn. Domitius Firmus, Priester, für Isis Triumphalis. Er ist außerdem Adlector (Kassenwart) dieses(?) Collegiums. Marmorbasis, Fundort unbekannt, heute verloren. Vgl. dazu und zur möglichen Lokalisierung des ‚kapitolinischen‘ Isisheiligtums bei der Porticus Triumphalis GASPARINI, Iside a Roma, S. 102. Zu der Inschrift auch RÜPKE, Fasti sacerdotum II, S. 950, Nr. 1486.

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heutigen Musei Capitolini ausgegrabene Mauerzüge mit dem ‚kapitolinischen‘ Isisheiligtum zu identifizieren.1531 7.3.2.2 Isis und Sarapis im Rom der Kaiserzeit – Die Blüte der ägyptischen Kulte unter imperialer Förderung 7.3.2.2.1 Historischer Hintergrund: Caesar, Bürgerkrieg und Frühe Kaiserzeit1532 Nach den Streitigkeiten um die kapitolinischen Verehrungsstätten ägyptischer Gottheiten ist als nächstes ein Votum des 2. Triumvirates (Antonius, Octavian, Lepidus) zur Errichtung eines Tempels für Sarapis und Isis aus dem Jahr 43 v. Chr. historisch bezeugt, über dessen tatsächliche Ausführung oder Lokalisierung jedoch nichts bekannt ist, wenngleich einige diese Quelle mit einem Erstbau des Iseum Campense in Verbindung bringen möchten.1533 Es kann nur vermutet werden, daß bereits in der vorausgehenden Epoche unter Caesar dessen enge politische wie private Beziehung zu Kleopatra VII. und deren Aufenthalt in Rom 46–44 v. Chr. möglicherweise zu einer erhöhten Popularität der ägyptischen Kulte beitrug.1534 Caesar selbst setzte der ägyptischen Königin ein Denkmal in Rom, indem er bei seinem Triumphzug 46 v. Chr. das Forum Iulium mit dem vor der Schlacht bei Pharsalos gelobten Tempel der Venus Genetrix weihte und dort eine goldene Statue der Kleopatra neben dem Kultbild aufstellen ließ.1535 Damit erkannte er praktisch öffentlich ihre Göttlichkeit an und verband sie mit der Stammutter seiner Gens, wobei die Nähe von Venus/Aphrodite zu Isis und Hathor sicherlich unterschwellig mitschwang. Nach Octavians Sieg über Marc Anton und Kleopatra in der Seeschlacht von Actium 31 v. Chr. wird Ägypten als Provinz endgültig dem Römischen Reich eingegliedert und das Verhältnis zwischen Rom und dem Nilland damit entscheidend verändert. Literarisch wird die entscheidende Schlacht nachträglich von Vergil, im 8. Buch der Aeneis, als Kampf zwischen ägyptischen und römischen Göttern auf eine höhere Ebene gestellt.1536 Dabei gibt Kleopatra auf ägyptischer Seite mit dem Sistrum, dem typischen Attribut der Isis, das 1531 F. P. ARATA, Un „sacellum“ di età imperiale all’interno del Museo Capitolino: una proposta di identificazione, in: BCAR 98, 1997, S. 129–162, bes. 146–154. Vgl. auch den neueren Vorschlag von TUCCI und COARELLI zu Mauerresten unter S. Maria in Aracoeli, der mir überzeugender erscheint, siehe oben, Anm. 1507. 1532 Teile dieses Abschnittes zum Verhältnis der iulisch-claudischen und flavischen Kaiser zum Isiskult habe ich bereits in dem Aufsatz NAGEL, Isis und die Herrscher, publiziert. Siehe außerdem die detaillierte Arbeit zum Verhältnis der römischen Kaiser zu Ägypten und ihrer Verehrung daselbst von PFEIFFER, Kaiserverehrung. 1533 C. Dio, 47, 15, 4. Siehe dazu TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 69; LEMBKE, Iseum Campense, S. 65; ENSOLI, Santuari isiaci, S. 307; MALAISE, Octavien, S. 194; GASPARINI, Iside a Roma, S. 102; zur Diskussion über mögliche Gründe für dieses Votum VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 446. Zu Argumenten gegen einen Zusammenhang mit dem Iseum Campense siehe SCHEID, Quand fut construit. 1534 Zu Kleopatra VII. und Isis siehe oben, Kap. 4.6, bes. den Kommentar zu Dend. XII, 2, 2–12; vgl. auch NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 134–136. BRICAULT, Isis à Rome, S. 143, widerspricht der recht gängigen Meinung (z. B. TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 70, etwas zurückhaltender dann EAD., Cleopatra, Isis), daß Kleopatras Rom-Aufenthalt großen Einfluß auf die Popularität des Isiskultes gehabt habe. 1535 C. Dio, 51, 22, 3; vgl. HÖLBL, Geschichte, S. 266. Eine abweichende Interpretation dieser Stelle bei J. CARCOPINO, Passion et politique chez les Césars, Paris 1958, S. 57–58. 1536 Vgl. BECHER, Octavians Kampf, S. 44.

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Zeichen zum Kampf, was den ursprünglichen ägyptischen Zweck dieses Ritualinstruments, nämlich die Besänftigung der (wütenden) Göttin, gerade ins Gegenteil verkehrt – ob dies bewußt oder unbewußt geschah, sei allerdings dahingestellt. In den Kontext von Octavians antiägyptischer Propaganda, der Absetzung gegenüber Marc Anton und der eigenen Präsentation als Verfechter der mos maiorum gehören noch die beiden aufeinanderfolgenden ‚Verbannungen‘ der ägyptischen Kulte aus dem Pomerium von Rom bzw. die Ausweitung des Verbotes auf einen Kilometer Umkreis außerhalb des Pomeriums von 28 und 21 v. Chr. unter seinem Prinzipat.1537 Nach letzten bezeugten gewaltsamen Aktionen gegen einen römischen Isistempel (auch hier wird meist an einen Erstbau des Iseum Campense gedacht) unter Tiberius 19 n. Chr.1538 erhielten Isis und Sarapis sowie ihre Mitgötter schließlich spätestens durch die flavische Dynastie, eventuell sogar schon zuvor unter Caligula,1539 aktive Förderung und damit einhergehend eine Monumentalisierung der Verehrungsstätten sowie einen enormen Anschub der Verbreitung und Popularität des Kultes.1540 Die schriftliche Überlieferung schreibt den ägyptischen Göttern sogar eine entscheidende Rolle bei der Machtergreifung der Flavier zu, was möglicherweise auf eine zeitgenössische, der Legitimation dienende Propaganda mit Wurzeln in Ägypten zurückzuführen ist.1541 Vespasian befand sich noch auf seinem JudäaFeldzug, als er am 1. Juli 69 v. Chr. von den ägyptischen Legionen zum Kaiser ausgerufen wurde. Nach errungenem Sieg begab er sich selbst zusammen mit seinem älteren Sohn Ti1537 Siehe dazu BECHER, Octavians Kampf, S. 40–42; P. LAMBRECHTS, Augustus en de egyptische Godsdienst, Mededelingen van de Koninklijke Vlaamse Academie voor Wetenschappen, Lettere en Schone Kunste van Belgie, Kl. d. Letteren 18, 2, Brüssel 1956; rezent MALAISE, Octavien; TAKÁCS, Cleopatra, Isis, S. 85–86; zu Octavians/Augustus’ Haltung gegenüber Ägypten und seinen Gottheiten in weiterem Kontext E. M. ORLIN, Octavian and Egyptian Cults: Redrawing the Boundaries of Romanness, in: AJPh 129, 2, 2008, S. 231–253; BUDDE, Götterkind, S. 155–159. 1538 Flavius Josephus, ant. Jud., 18, 4; vgl. auch Sueton, Tib. 36; Tacitus, Ann., 2, 85, 5. Siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 65; ENSOLI, Santuari isiaci, S. 307; MALAISE, Octavien, S. 196–197; BRICAULT, Isis à Rome, S. 143–144; V. GASPARINI, Negotiating the Body: Between Religious Investment and Narratological Strategies. Paulina, Decius Mundus, and the Priests of Anubis, in: R. L. Gordon/G. Petridou/J. Rüpke (Hrsg.), Beyond Priesthood. Religious Entrepreneurs and Innovators in the Roman Empire, Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 66, Berlin – Boston 2017, S. 385–416. Bei der Zerstörung des Tempels soll demnach die Kultstatue der Isis in den Fluß geworfen worden sein. Eventuell, aber keineswegs sicher, lassen sich die tatsächlich im Tiber am Westrand des Marsfeldes gefundenen Reste zerstörter großer ägyptischer Skulpturen und Sistren mit diesem Ereignis verbinden. Vgl. zu weiteren Aktionen des Tiberius gegen Anhänger ägyptischer Kulte und Juden auch MERKELBACH, Isis regina, S. 133, § 246. Gegen eine Identifikation des unter Tiberius zerstörten Tempels mit dem (ersten) Iseum Campense wieder SCHEID, Quand fut construit. 1539 Zu möglichen Hinweisen auf ein Interesse Caligulas am Isiskult siehe NAGEL, Isis und die Herrscher. Die Position von E. KÖBERLEIN, Caligula und die ägyptischen Kulte, Meisenheim am Glan 1962, wird heutzutage kritisiert, da er die wenn überhaupt eher indirekten Hinweise etwas überbewertet, siehe z. B. TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 87, m. Anm. 49. Vgl. auch oben, Kap. 7.2.5.2.2 zu einer manchmal postulierten diesbezüglichen Rivalität zwischen Caligula und Ptolemaios von Mauretanien. 1540 Dazu rezent z. B. GASPARINI, Culti egizi; CAPRIOTTI VITTOZZI, The Flavians; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea. Vgl. z. B. auch die früheste dokumentierte Errichtung eines Isistempels in den germanischen Provinzen in flavischer Zeit (Isis- und Magna Mater-Heiligtum in Mainz), siehe unten, Kap. 7.4.2.1. 1541 Vgl. zur Propaganda Vespasians auch LEMBKE, Iseum Campense, S. 90–92; VERSLUYS, Mnemohistory, S. 282–288; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 50–55.

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tus nach Alexandria.1542 Tacitus und Sueton berichten in leicht voneinander abweichenden Versionen,1543 daß Vespasian dort den Tempel des Sarapis aufsuchte, um den Gott über seine Herrschaft zu befragen, woraufhin ihm eine Erscheinung zuteil wurde, die ihn als Herrscher bestätigte.1544 Passenderweise soll er, als er wieder aus dem Tempel herauskam, die Nachricht erhalten haben, daß sein Rivale Vitellius tot sei. Desweiteren wird Vespasian auch noch die Heilung von zwei Kranken in Alexandria zugeschrieben, die auf Anraten von Sarapis zu ihm gekommen seien,1545 wodurch er selbst dem für seine Heilwirkung bekannten Gott angeglichen bzw. seine Erwählung durch diesen weiterhin bestätigt wurde.1546 Von seinem Sohn Titus wiederum wird behauptet, daß er sich, eine Krone tragend, aktiv an der consecratio eines Apis-Stiers in Memphis beteiligt habe, wodurch er sich aus ägyptischer Sicht praktisch als Nachfolger oder zumindest Stellvertreter seines Vaters in der Rolle des Pharao präsentierte.1547 Etwa um die Zeit von Vespasians göttlicher Bestätigung soll sein zweiter Sohn Domitian auf dem Kapitol in Rom den Truppen des Vitellius in der Verkleidung eines Isispriesters entkommen sein.1548 Ungeachtet ihres tatsächlichen Wahrheitsgehaltes dienten diese Geschichten dem Zweck, Vespasian (und seine Erben) als vom Gott Sarapis auserwählt zu präsentieren, um seinen kaiserlichen Anspruch trotz unaristokratischer Herkunft zu untermauern1549 und gleichzeitig eine dynastische Kontinuität (durch die Einbindung der Söhne) anzustreben. So schreibt auch Sueton, daß die Handlungen in Alexandria dem Flavier Auctoritas und Maiestas verliehen, welche er zuvor noch nicht besessen habe.1550 Desweiteren stellte ihn die Befragung eines ägyptischen Orakels zum Herrschaftsantritt in die Tradition Alexanders, der sich nach erfolgreichem Feldzug ebenfalls von göttlicher Seite durch das Orakel von Siwa legitimieren ließ.1551 Tatsächlich war es auf realpolitischer Ebene ein kluger 1542 Sueton, Vesp. 6; vgl. MALAISE, Conditions, S. 407; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 74. 1543 Tacitus, Hist., 4, 81–82; Sueton, Vesp., 7. 1544 Siehe zu dieser Episode und zur Analyse der in den Details voneinander abweichenden Quellen PH. DERCHAIN/J. HUBAUX, Vespasien au Sérapéum, in: Latomus 12, 1953, S. 38–52; PH. DERCHAIN, La visite de Vespasien au Sérapéum d’Alexandrie, in: CdÈ 28, 1953, S. 261–279; HENRICHS, Vespasian’s Visit, bes. S. 54–65. DERCHAINs Deutung der Vespasian überreichten Gaben als ‚Zutaten‘ eines ägyptischen Krönungsrituals wird jetzt von PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 116–118, mit guten Argumenten zugunsten üblicher Opfergaben für einen (gräko-)ägyptischen Gott widerlegt. 1545 Siehe dazu S. MORENZ, Vespasian, Heiland der Kranken. Persönliche Frömmigkeit im antiken Herrscherkult, in: Würzburger Jahrbücher 4, 1949–1950, S. 370–378; HENRICHS, Vespasian’s Visit, S. 65–72; LUKE, Healing Touch. Siehe dazu bereits oben, Kap. 7.2.4.3.2. Zu Visionen und Heilung durch Isis und Sarapis vgl. oben, Kap. 6.5.1.2. 1546 PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 111–116, der diese Episode ebenfalls diskutiert, spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚Sendungsvollmacht‘ durch die Gottheit. 1547 Sueton, Titus 5. Ausführlich zu den möglichen politischen Implikationen dieser Handlung PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 119–121. 1548 Tacitus, Hist., 3, 74, 1; Sueton, Dom., 1, 4; siehe DONALSON, Cult of Isis, S. 159. Zu diesem Topos und zum Isiskult am/auf dem Kapitol siehe oben, Kap. 7.3.2.1.2. Es sei allerdings hinzugefügt, daß Domitian in seiner eigenen Propaganda seine Rettung Jupiter Custos („dem Schützer“) zuschrieb, vgl. PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 125. 1549 Vgl. MALAISE, Conditions, S. 411; LUKE, Healing Touch (der die Verbreitung dieser Propaganda speziell in domitianische Zeit setzen möchte); VERSLUYS, Mnemohistory, S. 282–284. 1550 Sueton, Vesp., 7, 4. 1551 Vgl. HENRICHS, Vespasian’s Visit, S. 55–59.

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Schachzug von Vespasian gewesen, sich in der entscheidenden Phase des Bürgerkrieges in Alexandria aufzuhalten, denn somit konnte er die für Rom so wichtigen Getreidelieferungen kontrollieren, die regelmäßig aus Ägypten die Reichshauptstadt versorgten.1552 Selbst noch nach ihrer Rückkehr aus Ägypten nach Rom hielt die neue Kaiserfamilie die Verbindung mit Sarapis und Isis aufrecht, und so verbrachten Vespasian und sein Sohn die Nacht vor dem Triumphzug anläßlich des Sieges über die Judäer im Tempel der Isis auf dem Marsfeld.1553 Durch diesen Startpunkt des Triumphes wird, ähnlich wie bei einigen Ptolemäern und in anderen Fällen, ein Sieg unter die Obhut von Isis und Sarapis gestellt.1554 An die Nacht im Tempel (oder einen beschlossenen Neubau) scheint auch Vespasians römische Münzprägung von 71 und 73 n. Chr. mit der Darstellung des Iseum Campense zu erinnern.1555 Die Integration und Darstellung des Kaisers Domitian in römischen und italischen Isisheiligtümern (Iseum Campense und Iseum von Benevent) untermauern die in den historischen Quellen beschriebene ‚ägyptische‘ Herrscherlegitimation der flavischen Dynastie (s. u., Kap. 7.3.2.2.2 u. 7.3.3.3).1556 M. E. zeigt die Vorgehensweise der Flavier und die Entwicklung eines solchen ‚Dynastiegründungs-Mythos‘ aber auch, daß die ägyptischen Gottheiten zu dieser Zeit bereits eine gewisse Anerkennung unter den römischen Bürgern genossen haben müssen, um sich positiv auf den Ruf der neuen Kaiserfamilie auswirken zu können. 7.3.2.2.2 Iseum (et Serapeum) Campense – Ägypten und ägyptisches Weltbild (Isis-Sothis – Osiris-Nil) in Rom Die Datierung der vordomitianischen Bauphase(n) des Iseum Campense ist umstritten und wurde bisher nur anhand der vagen literarischen Quellen hypothetisch rekonstruiert,1557 die allerdings unspezifisch von einem oder „dem Isistempel“ sprechen, ohne aber einen Hinweis auf Lokalisierung oder Identifizierung mit dem Tempel auf dem Marsfeld zu geben (s. o.).1558 Einige Forscher erwägen sogar, bereits die oben erwähnte Stelle bei Apuleius (Met. XI, 30), die das Pastophorenkollegium des Osiris in Rom in die Zeit Sullas zurückda1552 Vgl. S. PFEIFFER, Ägypten in der Selbstdarstellung der Flavier, in: N. Kramer/C. Reitz (Hrsg.), Tradition und Erneuerung. Mediale Strategien in der Zeit der Flavier, Berlin – New York 2010, S. 273–288: 277–278. 1553 Flavius Josephus, Bell. Iud., 7, 123–124. 1554 Siehe oben, Kap. 7.3.2.1.1, zu dem bei Appian überlieferten Ereignis auf Rhodos und einer Weihung an Isis Invicta von 51 n. Chr., m. Anm. 1482 zu den ägyptischen Quellen. Vgl. außerdem die in pOxy. 1380, Z. 83, verzeichnete Benennung der Isis von Rom als „die Kriegerische“, siehe Kap. 6.1.3.2. Im Zusammenhang des Triumphzuges sei außerdem auf die oben erwähnte kaiserzeitliche Inschrift für „Isis Triumphalis“ verwiesen (RICIS 501/0152), s. o., Kap. 7.3.2.1.2, m. Anm. 1530. 1555 SNRIS Roma 10, S. 189–190; LEMBKE, Iseum Campense, S. 179–181; Taf. 4,1. 1556 Vgl. zu Domitian jetzt auch ROSSO, Empereurs, S. 557–562. 1557 LEMBKE, Iseum Campense, S. 65–67, kommt nach Besprechung der Quellen auf eine Errichtung des Iseum Campense etwa zwischen 20 und 10 v. Chr.; gefolgt von VERSLUYS, Isis Capitolina, S. 447; und M. BOMMAS, The Iseum Campense as a Memory Site, in: Bommas/Harrisson/Roy (Hrsg.), Memory, S. 177–212: 180, der diese Datierung unreflektiert als Fakt anstatt als Hypothese angibt (die Zusammenfassung der „Baugeschichte“ durch denselben Autor auf S. 182–183 beruht ebenfalls auf umstrittenen Hypothesen). Vgl. bereits MALAISE, Conditions, S. 378–389, der die Errichtung ebenfalls in der Zeit zwischen die Verbote unter Octavian/Augustus und die Zerstörung unter Tiberius ansetzt. 1558 Dies wird auch von BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 139, angemerkt.

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tiert, konkret auf einen Vorgängerbau des Iseum Campense zu beziehen.1559 Der (Neu?-) Bau des Tempels, in dem Vespasian und Titus schließlich vor ihrem Triumphzug die Nacht verbringen (s. o.), wird meist der Zeit Caligulas zugeschrieben.1560 J. SCHEID äußerte dagegen die These, daß der Tempel erst von Vespasian selbst im Zuge seines Sieges über die konkurrierenden Anwärter auf den Kaiserthron gelobt worden sei und bei seiner Ankunft in Rom der Bau zumindest weit genug fortgeschritten war, um eine Übernachtung dort zu ermöglichen.1561 Sicher belegt ist schließlich erst die Zerstörung des Iseum Campense durch einen Brand im Jahre 80 und der anschließende monumentale Neubau durch Domitian,1562 der diesen – vermutlich spätestens jetzt als Iseum et Serapeum – in den Jahren 94 und 96 ebenfalls auf Denaren verewigt.1563 Unter Hadrian und den Severern wurde das Heiligtum restauriert und/oder umgebaut.1564 Da von dem Heiligtum an sich keine größeren architektonischen Reste in situ erhalten sind, lassen sich Grundriß und Aussehen anhand eines Fragments der Forma Urbis,1565 der flavischen Münzen, zahlreicher teils schlecht dokumentierter Einzelfunde aus verschiedenen Zeiten und spärlicher neuerer Grabungsbefunde1566 nur annähernd rekonstruieren. Die Meinungen bezüglich vieler architektonischer Details und ihrer jeweiligen Datierung gehen dabei naturgemäß stark auseinander.1567 Die Tempel für Isis und Sarapis nach den Münzbildern Bereits die Sesterzen Vespasians zeigen eine Tempelfassade, die römische Architektur mit ägyptischen Statuen und Dekorationselementen kombiniert.1568 Es handelt sich um einen 1559 QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 57; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 67. 1560 Siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 67–69; vgl. auch EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 175; ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 411; QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 57. Es ist anzumerken, daß Flavius Josephus auch an dieser Stelle nur von „dem Isistempel“ spricht. Da Triumphzüge jedoch üblicherweise vom Marsfeld aus begannen, muß hier nun sicher das Iseum Campense gemeint sein. 1561 SCHEID, Quand fut construit; gefolgt von BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 140. 1562 C. Dio, 66, 24, 2. 1563 SNRIS Roma 11 (Serapeum) und 12 (Iseum), S. 190. 1564 Siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 70–72. Teile einer Restaurationsinschrift von Septimius Severus und Caracalla auf einem Gebälkfragment wurden gefunden, siehe ibid., S. 21 und S. 193, Kat. D.28. 1565 Siehe LEMBKE, Iseum Campense, Kat. C, S. 144–146; Taf. 2,3–4. 1566 Zu diesen siehe ALFANO, Nuovi dati; EAD., Iseo Campense. 1567 Auf all diese Details soll hier aufgrund der vielen Unsicherheiten nicht näher eingegangen werden. Siehe zur Architektur und ihrer Rekonstruktion ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, S. 23–35; LEMBKE, Iseum Campense, S. 18–64 (Rekonstruktionszeichnung des Grundrisses auf S. 25); VERSLUYS, Sanctuary of Isis; ENSOLI, Iseo e Serapeo; BRENK, Isis Campensis; FRANCOCCI, Iseum et Serapeum; KLEIBL, Iseion, Kat. 23, S. 260–264; eine Zusammenfassung der Forschungsgeschichte auch bei KARDOS, Satire des cultes, S. 58–62. Kurz vor Fertigstellung des vorliegenden Werks ist der Tagungsband M. J. VERSLUYS/K. BÜLOW-CLAUSEN/G. CAPRIOTTI VITTOZZI (Hrsg.), The Iseum Campense from the Roman Empire to the Modern Age. Temple – Monument – Lieu de Mémoire, Rom 2019, erschienen, war mir jedoch nicht mehr rechtzeitig zugänglich. 1568 SNRIS Roma 10, S. 189–190; LEMBKE, Iseum Campense, S. 179–181; Taf. 4,1; vgl. zum Münzbild auch ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 411–413; QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 58; ID., Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 398, m. Abb. 1; SNRIS, S. 189–190 (L. BRICAULT); BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 138–139, m. Abb. 38, u. 141.

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römischen viersäuligen, korinthischen Podiumstempel mit breitem zentralen Treppenaufgang und halbrundem Giebel.1569 Zwischen den beiden Außensäulen befindet sich je eine Schranke beiderseits des Durchgangs. Das mittlere Interkolumnium ist erweitert und gibt den Blick frei auf einen im Inneren stehenden ägyptischen Schrein mit geflügelter Sonnenscheibe auf dem Architrav und einem bekrönenden Uräenfries. Darin befindet sich die Kultstatue der Göttin, die in griechisch-römischem Stil gehalten ist und sie entsprechend im Kontrapost und langem Gewand zeigt. Der Kopf ist leicht nach rechts gewandt. Ihr rechter Arm ist schräg nach unten ausgestreckt und scheint eine Patera, jedenfalls ein rundes Objekt, in der Hand zu halten, der linke hängt am Körper entlang herab und trägt vielleicht eine Situla.1570 Ein kleiner Fortsatz auf dem Scheitel zeigt wohl ein (nicht genauer erkennbares) Diadem an. Ähnlich wie der ägyptische Schrein ist auch der Architrav der Tempelfassade selbst mit einer von Uräen flankierten Sonnenscheibe geschmückt. Das Tympanon enthält ein großes Bildnis der auf einem Hund reitenden Isis mit Sistrum in der rechten Hand, die von Sternen umgeben ist. Es handelt sich um einen erst in der Kaiserzeit entwickelten römischen ikonographischen Typus, welcher die zentrale ägyptische Vorstellung der mit Sothis identifizierten Göttin in neue äußere Formen kleidet:1571 Einerseits visualisiert der Hund die griechische und römische Benennung des Sirius als „Hundsstern“, andererseits existierte mit dem Bildnistypus der in der gleichen frontal zum Betrachter gewandten Position auf einem Löwen sitzenden Kybele bereits mindestens seit hellenistischer Zeit ein

1569 Dieser Giebeltypus wird auch in anderen römischen Denkmälern aus Italien zur Darstellung von Heiligtümern ägyptischer Gottheiten verwendet und geht möglicherweise auf alexandrinische Vorbilder zurück, vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 180. 1570 Diese Armhaltung mit Patera und Situla ist nicht häufig belegt; in den meisten Fällen tragen Statuen und Statuetten, die in der linken Hand die Situla halten, in der rechten entweder ein Sistrum oder eine Uräusschlange, vgl. z. B. TRAN TAM TINH, „Isis“, bes. S. 764–769 (hier möchte ich aber zu bedenken geben, daß gerade bei größeren Statuen die Hände inklusive der Objekte oft in nachantiker Zeit ergänzt wurden). ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, S. 32, behauptet, die Statue auf Vespasians Münze würde ebenfalls ein Sistrum tragen, doch dies ist m. E. ausgeschlossen (auch LEMBKE, Iseum Campense, S. 180; und L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 189, erkennen in der rechten Hand eine Patera). Ebenfalls problematisch ist daher die Idee von ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 412–413, die dargestellte Kultstatue mit der berühmten marmornen Isisskulptur in Rom, Mus. Cap. 744, in Verbindung zu bringen, die wahrscheinlich in claudische Zeit datiert: EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Nr. 9, S. 11–15; Taf. 9–10; ARSLAN (Hrsg.), Iside, S. 423, Kat. V.41. Sie trägt eine mit Fransen besetzte Knotenpalla, sowie Sistrum und Situla. Obgleich die Unterarme ergänzt sind, läßt sich anhand des noch erhaltenen Ellenbogens eine angewinkelte (und damit für Sistrum oder Uräusschlange typische) und nicht eine ausgestreckte (wie auf der Münze) Armhaltung erkennen. Vgl. für die auf der Münze dargestellte Haltung mit Patera und Situla aber z. B. eine Bronzestatuette der Isis aus Campanien, die sie außerdem mit Knotenpalla und ägyptisierender Perücke zeigt: London, BM Inv. 1467; abgebildet bei TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Taf. 13, Abb. 15. Da sie aus dem Vesuv-Umfeld stammt und damit wohl vor 79 n. Chr. datiert, könnte sie zeitlich dem Iseum Campense-Kultbild sogar nahestehen. 1571 Siehe zu dieser Ikonographie CLERC, Isis-Sothis, bes. S. 255–256 zur vespasianischen Münze. Die Hypothese von C. DESROCHES-NOBLECOURT, Isis-Sothis, – le chien, la vigne –, et la tradition millénaire, in: Livre du Centenaire, IFAO 1880–1980, Kairo 1980, S. 15–24, daß bereits kleine ägyptische Hundefiguren ab der protodynastischen Zeit (!) Sothis darstellen würden, ist dagegen vehement zurückzuweisen.

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ikonographisches Vorbild, dessen Ursprung zudem ebenfalls im ‚Orient‘ zu verorten ist.1572 Vespasians Emission bildet sogar den frühesten datierbaren Beleg für die Isis-SothisIkonographie.1573 Allein das kleinformatige Münzbild präsentiert Isis also bereits in zwei verschiedenen Formen. Auf dem Giebel befinden sich zwischen Palmetten und Voluten, die wahrscheinlich Antefixe wiedergeben, drei Akroterfiguren, die jeweils einen Falken (mit Doppelkronen?) darstellen und somit Isis’ Sohn Horus repräsentieren. Weitere ägyptische oder mindestens ägyptisierende Statuen sind auf den beiden Podiumwangen erkennbar: hinter oder neben einem Tier (evtl. einem Löwen oder einem Sphinx?)1574 steht jeweils eine männliche anthropomorphe Statue in starrer, frontaler Haltung, mit nacktem Oberkörper und mit Krone auf dem Kopf.1575 Diese werden in den Neubau des Domitian mit nur leichten Variationen integriert, wenn man dem Bildnis des Isistempels auf dem Revers seines Denars von 94–96 n. Chr. Glauben schenken darf:1576 Die Kultstatue hat in etwa dieselbe Haltung und trägt in der linken, herabhängenden Hand wieder eine Situla, doch der rechte Arm ist nun spitz nach oben angewinkelt, was darauf hindeutet, daß sie in der rechten Hand nun ein Sistrum oder eine Uräusschlange hält (das Attribut selbst ist nicht mehr erkennbar).1577 Auch sie steht offenbar in einem separaten Schrein innerhalb des Tempels, doch erscheint dieser kleiner als der auf der vespasianischen Münze, und die Details sind schlechter erkennbar – eventuell sind wieder eine Sonnenscheibe und eine Uräenbekrönung zu erkennen. Bei dem Tempel selbst handelt es sich entgegen der Behauptungen von LEMBKE und BRICAULT m. E. keineswegs um einen römischen Podiumtempel, wie der direkte Vergleich mit der älteren Darstellung zeigt: Die Treppe wird nicht wie bei dieser von den üblichen Podiumwangen eingerahmt, sondern bildet vielmehr eine dreistufige Krepis nach griechischer Art, die in der zweidimensionalen Darstellung die ganze Frontbreite einnimmt und dementsprechend wohl ganz um den Tempel umlaufend vorzustellen ist.1578 Hinter den vier korinthischen Säulen, die auf hohen Postamenten stehen, führt eine weitere drei(?)stufige Treppe zu dem Naos mit der Kultstatue. Gänzlich auf ägyptischen Vorbildern beruhend ist offenbar die Bedachung, die flach ist und von einer Hohlkehle mit Uräenbekrönung abgeschlossen wird. Darauf 1572 Siehe zum Bildnistypus der auf einem Löwen reitenden Kybele F. NAUMANN, Die Ikonographie der Kybele in der phrygischen und der griechischen Kunst, Istanbuler Mitteilungen, Beiheft 28, Tübingen 1983, S. 233–234. Ein weiteres Vorbild könnten Bildnisse der himmlischen Aphrodite Pandemos oder Epitragia auf einem Ziegenbock gewesen sein, die ebenfalls ab dem 4. Jh. v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum belegt sind, vgl. dazu und zu weiteren ikonographischen Vorbildern, die alle himmlische Göttinnen orientalischen Ursprungs darstellen, CLERC, Isis-Sothis, S. 277–280. 1573 CLERC, Isis-Sothis, S. 255. 1574 Vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 181. 1575 Nach QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 58, handelt es sich um Doppelkronen, doch aufgrund des kleinen Formats läßt sich dies m. E. nicht mit Sicherheit erkennen. 1576 SNRIS Roma 12, S. 190; LEMBKE, Iseum Campense, S. 181–182; vgl. auch ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 413; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 142–142, m. Abb. 39. 1577 L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 190, geht von einem Sistrum aus. LEMBKE, Iseum Campense, S. 181, hält das Objekt für ein Szepter (und nicht, wie L. BRICAULT, in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 190, Anm. 636, angibt, für eine Patera!). Diese Kultstatue könnte also im Typus tatsächlich mit der kapitolinischen Isisskulptur übereingestimmt haben, vgl. oben, Anm. 1570. 1578 Für die Verwendung dieses griechischen Bautypus in Rom vergleiche den unter Hadrian errichteten Tempel der Venus und der Roma.

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steht nun eine Statue der Isis-Sothis, die derjenigen im älteren Rundgiebel – soweit erkennbar – genau gleicht. Als Eckakrotere dienen wiederum Horusfalken. Noch in späterer Zeit und nach den hadrianischen und severischen Restaurationen muß ein solches (möglicherweise ein neues) Bildnis der Göttin auf dem Hund ihren Tempel bekrönt haben, denn Cassius Dio schreibt, daß ebendiese Isis auf dem Hund ein Vorzeichen für die Freveltaten des Kaisers Elagabal (218–222 n. Chr.) gegeben habe, indem sie ihren Kopf zum Inneren des Tempels hingewendet habe.1579 Diese Episode setzt möglicherweise ägyptische Traditionen fort, die der Göttin Isis-Sothis besondere divinatorische Kräfte zuschreiben.1580 Folgt man der Interpretation ENSOLIs, könnte ein kolossaler, frontal ausgerichteter Frauentorso mit Knotengewand und flach gearbeiteter Rückseite (sog. ‚Madama Lucrezia‘), der heute auf der Piazza San Marco steht und zu dem eine Datierung in severische Zeit (um 200 n. Chr.) passen würde, mit einer entsprechenden späteren Akroter- oder Giebelfigur der IsisSothis identisch sein.1581 Die leichte Stauchung im Bauchbereich weist zumindest auf eine sitzende Statue hin.1582 Ein anderer Denar aus der domitianischen Münzserie von 94–96 n. Chr. zeigt wahrscheinlich den ebenfalls zu dem Heiligtum auf dem Marsfeld gehörigen Sarapistempel.1583 Dafür sprechen nicht nur die Zugehörigkeit zu derselben Emissionsserie und das im Inneren des Tempels dargestellte Kultbild des thronenden Sarapis mit Kalathos, Szepter und Patera, begleitet von Kerberos, sondern auch der ebenfalls dreistufige und die ganze Breite einnehmende Unterbau sowie die viersäulige Tempelfront. Die Architekturformen sind hier allerdings rein griechisch-römisch und zeigen einen üblichen dreieckigen Giebel mit der Darstellung eines Adlers. Der Mittelakroter ist eine Quadriga, die seitlichen Akrotere könnten 1579 C. Dio, 80, 10, 1; siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 139. HÄUBER, Eastern Part, S. 157–158, nimmt diese Überlieferung meines Erachtens zu wörtlich, indem sie daraus schließt, daß die Giebelfigur dementsprechend einen beweglichen, separat gearbeiteten Kopf gehabt haben müsse, weshalb sie eine Identifikation der Statue mit der sogenannten ‚Madama Lucrezia‘ ausschließt, vgl. dazu auch Anm. 1582 unten. 1580 Vgl. zu Omina in Verbindung mit dem Siriusstern Kap. 4.6.2, Kommentar zum Text Dend. I, 81, 15– 82, 6. Zu Isis als Orakelgöttin im Allgemeinen siehe Kap. 6.5.1. 1581 ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 423, Abb. 16–17 (letztere die Rekonstruktionszeichnung); EAD., Santuari di Iside, S. 276–277, m. Abb. 19; vgl. auch BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 175–176, m. Abb. 55. LEMBKE, Iseum Campense, S. 220–221, Kat. E.9, erwägt eine Datierung zwischen 130–150 n. Chr. Die Gesichtszüge und Haare sind stark verwittert, was zusammen mit der enormen Größe eine Datierung erschwert. 1582 LEMBKE, Iseum Campense, S. 18, denkt dagegen in Anlehnung an die Darstellung einer frontalen, thronenden Isis in der großen Kapelle auf dem Ariccia-Relief (ibid., Taf. 3,1; siehe dazu unten), an eine Aufstellung der Statue in der zentralen Apsis der Exedra. Die Statue hatte etwa doppelte Lebensgröße, weswegen sie hierfür vielleicht etwas zu groß gewesen sein könnte. Auch HÄUBER, Eastern Part, S. 156–158, zweifelt an ENSOLIs Deutung und bevorzugt die Rekonstruktion anderer Autoren, die den Torso für den Rest einer stehenden Statue halten. Meines Erachtens sind ihre Argumente jedoch nicht stichhaltig, vgl. Anm. 1579 oben. Die starke Zerstörung und Verwitterung des Gesichtes könnte ebenfalls für ENSOLIs Interpretation als Akroterfigur sprechen – auf dem Dach wäre die Statue Wind und Wetter ausgesetzt gewesen. 1583 SNRIS Roma 11, S. 190; LEMBKE, Iseum Campense, S. 182–183; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 143–144, m. Abb. 40. ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 413–417, zweifelt diese Identifizierung an und bezieht das Münzbild hypothetisch auf die Porticus Divorum; sie geht S. 425 davon aus, daß erst im Zuge der severischen Renovierungen auch ein Sarapeion in das Heiligtum integriert wurde. Vgl. dagegen aber die folgende Argumentation im Haupttext.

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wieder Horusfalken darstellen, sind jedoch zu schlecht erkennbar, um sicher zu gehen.1584 Eine Darstellung solcher Horusfalken mit Doppelkronen findet sich aber auch im Relief auf einem Gebälkteil aus dem Umfeld des Heiligtums wieder, das sich anhand der ebenfalls erhaltenen Bauornamentik recht eindeutig domitianisch datieren läßt.1585 Mit dem Kult des Sarapis im Iseum Campense ist wahrscheinlich auch eine bei S. Maria in Via Lata gefundene griechische Inschrift vom 6. Mai 146 n. Chr. zu verbinden, die von der Aufstellung eines Ehrenbildnisses des Embes im Haus der Paianisten des Zeus Helios Megas Sarapis und der θεῶν Σεβαστῶν (also des Kaiserkultes) berichtet.1586 Embes war dem Text zufolge Prophet sowie Chorleiter der Vereinigung der Paianisten, und sowohl sein Name als auch die griechische Schrift und Sprache der Inschrift sowie die zusätzliche Datumsangabe nach alexandrinischem Kalender dürften auf eine ägyptische bzw. alexandrinische Herkunft der Vereinigung und (einiger) ihrer Mitglieder hindeuten.1587 An Zeus Helios Megas Sarapis richtet sich auch noch eine ebenfalls griechische Weihung auf einer Säule.1588 Der Grundriß des Heiligtums nach der Forma Urbis Der Heiligtumsbezirk auf dem Marsfeld dürfte also m. E. unter Domitian sowohl einen Isistempel als auch einen Sarapistempel als Gegenstück dazu gefaßt haben. Nach LEMBKE sind beide Bauten, eventuell nebeneinander stehend, im nördlichen Teil der Gesamtanlage zu lokalisieren, der auf der Forma Urbis Romae eben gerade nicht erhalten ist.1589 Der marmorne Stadtplan der Severerzeit zeigt vielmehr eine große halbrunde Exedra mit kleineren halbrunden Apsiden (wohl Kapellen) am Südende eines langgezogenen, großen (ca. 140 m Länge!) und daher wohl offenen Bereiches, der mit LEMBKE vielleicht als „eine Art Gartenanlage“ zu verstehen ist.1590 Entlang der seitlichen Begrenzungsmauer sind Punkte mit recht großen Abständen dazwischen zu erkennen, weswegen sie von LEMBKE als Obelisken oder Bäume, von ALFANO als Statuen oder Ehrenbasen und von ENSOLI als Brunnen interpretiert wurden.1591 Zwischen der Exedra und dem offenen langrechteckigen Platz erstreckt

1584 LEMBKE, Iseum Campense, S. 183: „Statuen(?)“. 1585 LEMBKE, Iseum Campense, S. 193–195, Kat. D.29; Taf. 9,4 u. 10,1. 1586 RICIS 501/0118; LEMBKE, Iseum Campense, S. 141–142, Kat. B.7; R. E. A. PALMER, Paean and Paeanists of Serapis and the Flavian Emperors, in: M. Ostwald/R. Rosen/J. Farrell (Hrsg.), Nomodeiktes. Greek Studies in Honor of Martin Ostwald, Ann Arbor 1993, S. 355–365; vgl. dazu auch EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 178. Zu den Paianisten im Isis- und Sarapiskult siehe MALAISE, Conditions, S. 121–123. Nach BRICAULT, RICIS, S. 524–525, könnten mit den theoi sebastoi vielleicht sogar konkret Vespasian und Titus gemeint sein, für die die zwischen Iseum und Pantheon gelegene Porticus Divorum von Domitian errichtet worden war; auch LUKE, Healing Touch, S. 94 (der o. g. Studie von PALMER folgend), verbindet die Paianisten mit der Porticus Divorum. 1587 Vgl. auch CRISTOFORI, Individuazione di Egiziani, S. 83 u. 92; BELAYCHE, Immigrés orientaux, S. 252; SWETNAM-BURLAND, „Egyptian“ Priests, S. 344. 1588 RICIS 501/0120; LEMBKE, Iseum Campense, S. 143, Kat. B.10. Nur der Gottesname ist genannt. Zu dieser Epiklese und ihrem ägyptischen Ursprung siehe oben, Kap. 6.2.5.3 und 6.2.7. Zu weiteren Weihungen an diese Sarapisform aus Rom siehe unten, Kap. 7.3.2.2.5–6. 1589 LEMBKE, Iseum Campense, S. 23 und Rekonstruktionszeichnung S. 25. 1590 LEMBKE, Iseum Campense, S. 22. 1591 LEMBKE, Iseum Campense, S. 21; ALFANO, Nuovi dati, S. 16–17; ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 419. Vgl. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 58. Obelisken sind aufgrund des runden Grundrisses an sich

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sich ein quergelagerter zentraler rechteckiger Hof, der wohl gleichzeitig als Eingangsbereich der gesamten Anlage zu verstehen ist: Im Westen bildete spätestens unter Hadrian ein monumentaler Quadrifrons den Zugang, im Osten befand sich der leicht versetzt orientierte ‚Arco di Camilliano‘, der anläßlich des Triumphes von Vespasian und Titus errichtet worden war, also vor den domitianischen Neubau des Iseum datiert.1592 Im Süden (zur Exedra hin) und im Norden (zum offenen Platz hin) ist der Hof jeweils durch Mauern und Säulen abgegrenzt. Da der Hof somit nicht nur Zugang zu den beiden Teilen des Heiligtums gewährte, sondern auch einen öffentlichen Durchgangsbereich zu den im Osten und Westen anschließenden Teilen des Marsfeldes bildete, sind hier Begrenzungen der sakralen Temenosbereiche auch notwendig.1593 Ausstattung, sakrale Konzeption und Kult Der Hof trennt also deutlich zwei dezidiert unterschiedliche Teile des Heiligtums voneinander ab, die auch in der ihnen mit einiger Sicherheit zuzuordnenden Ausstattung voneinander abweichen.1594 M. E. sind die beiden Bereiche in einer gut durchdachten Konzeption einander gegenüber gestellt.1595 Der südliche Teil: Nil/Tiber, Seefahrt, Handel und Fruchtbarkeit In der großen Exedra im Süden befand sich aller Wahrscheinlichkeit und dem Vergleich mit dem ‚Kanopus‘ und ‚Serapeum‘ der Villa Hadriana in Tivoli nach ein ebenfalls halbrundes Wasserbecken, das von einer im Grundriß der Forma Urbis erkennbaren Portikus umgeben ist.1596 Der Kreation einer monumental ausgestalteten Wasserlandschaft dienten desweiteren mehrere Skulpturen von Wassergöttern, darunter je eine große Personifikation des Nils und des Tibers, die sicherlich als komplementäres Paar aufgestellt waren.1597 Der

1592

1593 1594 1595 1596 1597

wenig wahrscheinlich, vgl. auch VERSLUYS, Sanctuary of Isis, S. 160, Brunnen wiederum allein bereits aufgrund der großen Anzahl unplausibel. Dieser Triumphbogen könnte mit einer Reliefdarstellung aus dem Hateriergrab gemeint sein, in welcher er passend als „arcus ad Isis“ bezeichnet wird, siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 20 und 178–179, Nr. 3; Taf. 3,3; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 137 u. 251–255. Einen alternativen Lokalisierungsvorschlag für den auf dem Relief dargestellten Bogen, nämlich an der Stelle der Porta Querquetulana in der servianischen Stadtmauer, bieten dagegen DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 109, Abb. 177; und HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 97; vgl. auch HÄUBER, Eastern Part, S. 153; 415–417; und 783–798, die die darauf dargestellten Gottheiten entsprechend mit Minerva Medica, Isis und Osiris vom Oppius (Iseum et Serapeum in Regio III, s. u., 7.3.2.2.3) identifiziert. HÄUBERs Identifikation der seitlichen Gottheiten als Isis und Osiris und der über ihnen befindlichen Darstellungen als Cista mystica (über Osiris, links) und zwei Vögel, die Isis und Nephthys darstellen (über Isis, rechts), gruppiert um ein längliches Objekt, das für Osiris stehen muß (HÄUBER zufolge ein Betylus, m. E. könnte dieser von einem ägyptischen Djed-Pfeiler abgeleitet sein), ist überzeugend. Die Lokalisierung des dargestellten Bogens (beim/am Iseum Campense oder Iseum et Serapeum der Regio III) muß dagegen unsicher bleiben. Vgl. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 60. Zur Skulpturenausstattung des Iseum Campense vgl. die rezente Studie von BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 56–81 u. 144–187, mit besonderem Fokus auf Materialität und Herkunft. Contra VERSLUYS, Sanctuary of Isis, S. 163, der kein religiöses Konzept erkennt. Siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 18 u. 26. LEMBKE, Iseum Campense, S. 26–28 u. 214–219, Kat. E.1–5; Taf. 19–27; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 164–169, m. Abb. 50–51. Die Datierung der beiden Stücke ist stark umstritten (domitianisch

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Nilgott ist von 16 Kindern umgeben, die den Höchststand der Nilschwelle repräsentieren.1598 Die Sockelfriese der beiden Statuen zeigen Szenen einer Nillandschaft mit Pygmäen und Krokodilen einerseits,1599 und auf den Gründungsmythos der Stadt Rom bezogene Darstellungen andererseits.1600 Die am Tiber gelegenen Bauten dürften Ostia als Hafen Roms darstellen, und im Relief auf der Rückseite der Statue wird der Warenverkehr auf dem Fluß gezeigt. Der Flußgott selbst trägt Ruder und Füllhorn und ist somit Repräsentant für den Wohlstand Roms. Daß dieser teilweise durch die Getreidelieferungen aus Ägypten (s. o.) garantiert wird und die flavische Dynastie auf dem Seeweg von Ägypten auf den römischen Kaiserthron kam (s. o.), bestärkt noch die Verbindung zwischen Fruchtbarkeit bringendem Nil einerseits und Rom und Italien versorgendem Tiber andererseits, und stellt diese in einen dynastisch-herrschaftlich repräsentativen Kontext. Die Zuständigkeit von Isis und Sarapis für jedes dieser Elemente (Nilschwelle, Getreidelieferungen, Handel und Seefahrt zwischen Ägypten und Rom, Erwählung der flavischen Kaiser) ist oben bereits hinlänglich betont worden.1601 Eine Verbindung oder gar ‚Gleichsetzung‘ des Nils mit außerhalb Ägyptens lokalisierten Gewässern im Kontext von Isis- und Sarapisheiligtümern findet sich auch an anderen Orten1602 und zeugt vom Versuch, Ägyptisches bzw. Ägypten in die jeweilige lokale (Kult-)Topographie zu integrieren. Auch die Lage des Isistempels auf dem Marsfeld, bei dem es sich ja immerhin um eine tiefe, häufig überschwemmte Flußebene neben der Tiberbiegung handelt (auch wenn dieser Eindruck durch die kaiserzeitliche monumentale Bebauung sicher weniger präsent war als in älterer Zeit),1603 mag die starke Hervorhebung dieser Themen unterstützt haben. Später (wohl in der severischen Renovierungsperiode) wurden Skulpturen von Okeanos-Göttern in die Exedra hinzugestellt, die – ebenfalls mit Ruder bzw. Füllhorn – den Fokus noch stärker auf die Seefahrt legen.1604 LEMBKE nimmt an, daß seit den hadrianischen Baumaßnahmen außerdem auch Antinoos in der Anlage einen Kult genoß und möglicherweise in der nachträglich geschaffenen rechteckigen Nische im Osten der Exedra Platz fand.1605 Eine nahe bei dieser Nische gefundene vereinzelte griechische Weihinschrift auf

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– z. B. LEMBKE – oder erst aus dem 2. Jh. – z. B. SWETNAM-BURLAND, Vatican Nile), vgl. zur Übersicht BÜLOW CLAUSEN, loc. cit. Vgl. hierzu den Titel der Isis/Hathor als „Herrin der 16“ im 13. o.äg. Gau, siehe oben, Kap. 4.13.1.2. Zu diesen gattungstypischen Motiven vgl. VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 275–277. Zu diesem Stück ibid., S. 68–69, Kat. 015. Siehe zu den Details LEMBKE, Iseum Campense, S. 26–27, basierend auf der Detailstudie durch J. LE GALL, Recherches sur le culte du Tibre, Publications Institut d’Art et d’Archéologie 2, Paris 1953, S. 6–22. Eine neuere Studie, die insbesondere die Dekoration der Basen zum Inhalt hat, bietet SWETNAM-BURLAND, Vatican Nile. Es sei nochmals an das möglicherweise aus der frühen Kaiserzeit stammende Relief der segelnden Isis mit Getreideähren im Hintergrund erinnert, s. o., Kap. 7.3.2.1.2. So wird der Fluß Inopos auf Delos, dem Zentrum der ägyptischen Kulte im östlichen Mittelmeerraum, von Kallimachos ideell als Teil des Nils gelobt (Hymnos auf Delos, 206–208), und Iuba II. hielt nach Plinius (Hist. nat., 5, 10, 51) im Iseum von Iol Caesarea ein Krokodil, welches er im Süden des marokkanischen Atlas im See ‚Nilides‘ gefangen haben soll, worin er den Beweis sah, daß die Nilquellen in seinem Reich lagen, siehe oben, Kap. 7.2.5.2.2. Vgl. dazu SWETNAM-BURLAND, Vatican Nile, S. 454–455. LEMBKE, Iseum Campense, S. 27–28 u. 217–219, Kat. E.3–4; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 169–174, m. Abb. 52–53. LEMBKE, Iseum Campense, S. 28.

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einem Altar belegt mit der Bezeichnung des Antinoos als „συνθρόνος“ der „Götter in Ägypten“ die Integration seines Kultes in das Heiligtum.1606 In den Bereich der Wasserinstallation würde er insofern gut hineinpassen, als er seinen Tod durch Ertrinken im Nil fand und so zu Osiris-Antinoos vergöttlicht wurde. Funde von Altären und eines ägyptischen Skulpturen nachempfundenen Pavians mit bilinguer (gr.-lat.) Inschrift des Jahres 159 im südlichen Bereich zeigen, daß hier auch private Weihgeschenke aufgestellt wurden.1607 Starke Abriebspuren an der rechten Hand des Pavians deuten darauf hin, daß diese Figur zugänglich war und möglicherweise regelmäßig von Besuchern des Heiligtums berührt wurde.1608 Der Statue dürfte also eine gewisse religiöse Bedeutung zugeschrieben worden sein, möglicherweise erhoffte man sich von der Berührung Glück bringende oder Heil spendende Wirkung.1609 Auch die repräsentative, hellenistische Architektur der nymphäenartigen Anlage spricht für eine gewisse Öffentlichkeit und Zugänglichkeit, und es ist mit QUACK eher unwahrscheinlich, daß hier das eigentliche Kultgeschehen des Iseum et Serapeum stattfand.1610 Sie ist, gemeinsam mit dem Hof- und Eingangsbereich eher als Bezugspunkt und nach außen gerichtete monumentale Fassade des Tempels anzusehen, vergleichbar dem Bereich von Dromos, Pylon und Hof in ägyptischen Tempeln. Zu betonen ist im Hinblick auf die Symbolik der Wasseranlage desweiteren die häufige Existenz von ‚Wasserkrypten‘ und verschiedenen anderen hydrologischen Installationen in griechisch-römischen Heiligtümern von Isis und Sarapis.1611 Ägyptische Tempel lagen häufig nahe am Nil (oder einem Kanal) und besaßen Nilometer sowie Anlegestellen am Ufer für etwaige Fluß- oder Seeprozessionen bei Festen.1612 Als Paradebeispiel sei hier der Isistempel von Philae mit der regelmäßigen Überfahrt der Isis nach Bigge zum Abaton des Osiris angeführt, aus dessen dort be-

1606 RICIS 501/0117. 1607 LEMBKE, Iseum Campense, S. 28; 245–246, Kat. E.50 (Altäre); 238, Kat. E.36; Taf. 43,1–2 (Pavian; Inschrift = RICIS 501/0123); vgl. auch SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 60–63, m. Abb. 1.22. Der griechische Teil der Inschrift nennt die Bildhauer, die griechische Namen tragen: Phidias und Ammonios. 1608 SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 60. 1609 Zu vergleichbaren Praktiken in Ägypten siehe BUDDE, Götterkind, S. 43 u. 188; C. TRAUNECKER, Une pratique de magie populaire dans les temples de Karnak, in: Roccati/Siliotti (Hrsg.), Magia in Egitto, S. 221–242. 1610 Vgl. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 59–60. 1611 Siehe dazu WILD, Water; KLEIBL, Wasserkrypten. Vgl. zusammenfassend zu den Tempeln der nordafrikanischen Provinzen Kap. 7.2.6.3 oben. Zu dieser Interpretation der Wasseranlage des Iseum Campense vgl. auch SIST, Iseo-Serapeo Campense, S. 304; BRENK, Osirian Reflections, S. 293. Zu ähnlichen nymphäenartigen Anlagen sowie dazugehörigen Kanälen (nili oder euripi) in Heiligtümern und besonders ägyptisierenden Gartenlandschaften LEMBKE, Iseum Campense, S. 60–63. 1612 Verschiedene Forscher wollen ein konkretes ägyptisches Vorbild für das Iseum Campense geltend machen: SIST, Iseo-Serapeo Campense, S. 305, denkt an den Tempel von Philae; ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, S. 24–25 u. 27, an das Sarapeion von Memphis; LEMBKE, Iseum Campense, S. 53–55, an das Sarapeion von Alexandria; und BRENK, Isis Campensis, S. 142, erwägt alle drei Möglichkeiten; vgl. auch MALAISE, Terminologie, S. 205–206. M. E. ist es müßig, nach einem konkreten Vorbild zu suchen, da erstens von der Architektur der Gesamtanlage des römischen Isisheiligtums zu wenig gesichert ist, um klare Aussagen treffen zu können, und zweitens die erkennbaren Konzepte Teil von vielen (Isis-/Sarapis-)Heiligtümern in Ägypten waren.

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stattetem Bein der Nil entspringen soll.1613 Darauf wird im Folgenden noch zurückzukommen sein. Der nördliche Heiligtumsbezirk: Isis-Sothis und der Osiriskult Auf den monumentalen Wasserbereich im Süden mit seiner beschriebenen Thematik (Nilüberschwemmung, Fruchtbarkeit und Verbindung zu Rom/Tiber) nehmen letztlich auch die wohl zum Nordteil gehörigen großen Reliefsäulen (‚columnae caelatae‘) aus grauem Granit Bezug, welche im unteren Teil der Säulenschäfte mit Priestern dekoriert sind, die Kanopen und andere Objekte des ägyptischen Kultes tragen.1614 Die Reliefs sind in Anlehnung an ägyptische Darstellungen dieser Art, bekannt insbesondere durch die Kanopenprozession in der 2. östlichen Osiriskapelle des Tempels von Dendara,1615 als Darstellung von Riten des Choiakfestes zu interpretieren.1616 Ägyptischer Konzeption zufolge verkörpert Osiris das Nilwasser, das ideell in den Kanopengefäßen enthalten ist, die in ihrer Vielzahl gleichzeitig die verstreuten Körperglieder des Osiris symbolisieren. Im ägyptischen Ritus des Choiakfestes werden sie wieder zu einer Einheit zusammengeführt, wenn die aus gekeimter Gerste hergestellte „Kornosiris“-Figur1617 mit dem Wasser begossen wird, um schließlich auf einer 1613 Siehe oben, Kap. 4.1, vgl. auch 6.2.2. 1614 LEMBKE, Iseum Campense, S. 186–189, Kat. D.3–8; Taf. 5–8. 1615 Dend. X, 71–93; Taf. 39–42; vgl. CAUVILLE, Chapelles osiriennes Transcription, S. 40–51; EAD., Chapelles osiriennes Commentaire, S. 33–45. 1616 Siehe im Detail QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 60–63; zu den dargestellten Musikanten außerdem C. VENDRIES, Les musiciens figurées sur les colonnes de l’Iseum du Champ de Mars: une image fidèle de la musique égyptienne?, in: J. Lecocq (Hrsg.), L’Égypte à Rome, Actes du Colloque de Caen des 28–30 septembre 2002, Cahier de la MRSH 41, Caen 2005, S. 383–398. Die Datierung der Reliefsäulen ist aufgrund ihrer ungewöhnlichen Dekorationsweise umstritten: Sie gehörten entweder bereits zum domitianischen Neubau (so LEMBKE, Iseum Campense, S. 186) oder wurden erst im Zuge der severischen Renovierungen hinzugefügt (L. BONGRANI, Le colonne ‚celate‘ dell’Iseo-Serapeo Campense: i risultati di alcuni studi, in: Atti del VI Congresso Internazionale di Egittologia, Turin 1992, S. 67–73; ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 420: nach Domitian; CURTO, Columnae caelatae: zwischen Domitian und Sept. Severus). Da weiter oben bereits die lange Kontinuität der Giebel- bzw. Dachfigur einer Isis-Sothis durch verschiedene Bauphasen des Heiligtums hinweg aufgezeigt werden konnte, möchte ich aufgrund der engen Zusammengehörigkeit der Konzepte (siehe die folgenden Ausführungen) auch für die Ritualdarstellungen der Säulen eine gewisse Langlebigkeit annehmen, wenngleich nicht sicher zu entscheiden ist, ob die Säulen domitianisch sind und bis zum Ende des Heiligtums an ihrem Platz verblieben, oder aber severische Säulen andere Denkmäler mit gleichen oder ähnlichen Darstellungen ersetzt haben. Es sei aber darauf hingewiesen, daß es auf jeden Fall noch eine weitere Gruppe von Reliefsäulen mit Darstellungen ähnlicher Art gegeben haben muß, wie das erhaltene Fragment einer solchen zeigt, siehe PARLASCA, Ägyptisierende Tempelreliefs, S. 411– 412, m. Abb. 6. Zu erkennen ist noch der Fuß mit Sandale und der untere Rand eines langen Schurzes, die sicherlich zu einem schreitenden Priester gehört haben (anders als die Priester auf den oben beschriebenen Säulen hier allerdings offenbar ohne Podest unter den Füßen; siehe zu diesen unten, Exkurs: Die Mensa Isiaca). Darunter befindet sich am Säulenfuß eine Dekoration aus Papyrusblättern, die stilistisch genau derjenigen eines Kapitells aus dem Iseum Campense (LEMBKE, Iseum Campense, S. 192–193, Kat. D.22; Taf. 9,3) entspricht, was PARLASCA zu einer Datierung in domitianische Zeit führt. Vgl. außerdem die sicher flavischen Darstellungen von Riten des osirianischen Festes in den Isistempeln Campaniens (Pompeji, Herculaneum, Benevent), s. u., Kap. 7.3.3. 1617 Zur Herstellung des Kornosiris während der Choiakriten siehe oben, Kap. 6.2.2.2, m. Anm. 910; 6.5.2.2, Anm. 1927; 6.6.1, Anm. 2082; ausführlicher und mit weiterer Literatur auch unten, Kap. 7.3.3.1.1, m. Anm. 2255.

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weiteren Deutungsebene als frisches Nilwasser selbst das Land zu beleben.1618 Das Gleiche wird m. E. im Kern durch Osiris-Kanopos-Skulpturen, die in vielen anderen römerzeitlichen Heiligtümern ‚hellenistischen‘ Stils einzeln oder paarweise neben anderen Statuen aufgestellt waren, ausgedrückt.1619 Im Iseum Campense könnte zusätzlich ebenfalls eine Osiris-Kanopos-Skulptur aufgestellt worden sein, doch die Zuordnung des betreffenden Stückes ist sehr unsicher.1620 Im Gegensatz dazu ist auf den Reliefsäulen aber auch die Ritualhandlung an sich konzentriert und nach dem Vorbild der Ritualszenen ägyptischer Tempel dargestellt. Genau wie bei einzelnen (statuarischen) Darstellungen von Priestern mit Osiris-Kanopos, wie sie z. B. aus dem Meer bei Kanopos geborgen wurden,1621 sind die Hände der Priester aus Ehrfurcht vor den heiligen Objekten verhüllt. Auch die anderen von den Priestern getragenen Objekte, wie Götterstandarten, Halskragen, Weihrauchgefäße, Tamburine (bzw. korrekter Rahmentrommeln) etc., lassen sich ebenfalls gut in den Kontext ägyptischer osirianischer Feste (und die Darstellung ihrer Einzelriten) einordnen.1622 In zahlreichen ägyptischen Texten wird die Zuständigkeit der Isis für die Restitution und Belebung des Osiris betont.1623 Auf kosmischer Ebene wird die Verjüngung des Osiris mit der Fruchtbarkeit bringenden Nilüberschwemmung verbunden, die wiederum durch die himmlische Verkörperung der Isis, die zu Jahresbeginn aufgehende Sothis (Sirius), herbeigeführt wird.1624 Ebendiese ist, wie oben aufgezeigt, durch die gesamte belegbare Geschichte des Iseum Campense hinweg als Giebel- bzw. Dachfigur im oberen (= himmlischen) Bereich ihres Tempels präsent. Die theologische Konzeption des Heiligtums entspricht also sehr gut derjenigen ägyptischer Isistempel griechisch-römischer Zeit. Daß hier entsprechend auch ägyptische Rituale zumindest in Grundzügen durchgeführt wurden, insbesondere osirianische Rituale, die vermutlich im Zusammenhang mit dem ägyptischen Choiakfest oder den durch literarische und kalendarische Quellen der Kaiserzeit ohnehin gut belegten Isia inklusive der Inventio Osiridis im November standen,1625 ist meines Erachtens

1618 Siehe hierzu z. B. BEINLICH, „Osirisreliquien“, S. 80–207; KETTEL, Canopes; CAUVILLE, Chapelles osiriennes Commentaire, S. 33–35. 1619 Siehe oben, Kap. 6.2.5.3. 1620 LEMBKE, Iseum Campense, S. 248–249, Kat. 56, vgl. auch Kat. 57 (dazu SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 34). 1621 Siehe oben, Kap. 6.2.10.3. Eine weitere, weniger bekannte Skulptur dieser Art befand sich bis vor kurzem im Mallawi National Museum in Minya, siehe dazu RITNER, Osiris-Canopus, S. 401–403, m. Abb. 2. Eine Übersicht über weitere Skulpturen dieser Art bietet BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 259–263. 1622 Siehe im Einzelnen QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 62. Speziell zur Rahmentrommel VON LIEVEN, Osirisliturgie, S. 19–35. 1623 Siehe besonders die Kapitel zu Philae (4.1), Theben und Deir el-Schelwit (4.7–8). 1624 Siehe Texte aus Philae (z. B. konzentriert Philae-Photo 1298), Assuan, Dendara, Deir el-Schelwit (Kap.4.1–2; 4.6; 4.8); eine starke Betonung der Zuständigkeit der Isis für die Nilüberschwemmung auch in MM II (Kap. 6.1.2.1) und (als Isis-Sothis) der in der eulogischen Epithetareihe und der Prosahymne von pOxy. 1380 (Kap. 6.1.3.2). 1625 Davon spricht mit Andeutungen bereits Tibull in seinem Geburtstagsgedicht für M. Valerius Messalla Corvinus (I, 7, 43–44) in frühaugusteischer Zeit; zu diversen kalendarischen und literarischen Quellen siehe jetzt V. GASPARINI, Les acteurs sur scène. Théâtre et théâtralisation dans les cultes isiaques, in: Gasparini/Veymiers (Hrsg.), Individuals and Materials II, S. 714–746: 722–727. Zur Durchführung bestimmter osirianischer Riten bei mehrfachen Anlässen bzw. als Teil verschiedener Festri-

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nicht zu bezweifeln und wurde von QUACK bereits ausführlich erörtert.1626 So sind dem Osiriskult, und spezieller den „Stundenwachen“ für Osiris, wahrscheinlich die zwei oder evtl. sogar vier ägyptischen Wasseruhren (Klepsydren) zuzuordnen, die in der Umgebung des Iseum Campense gefunden wurden und der Zeiteinteilung für die einzelnen Ritualabschnitte dienten.1627 Ein nord-südlich verlaufender Kanal1628 könnte zudem als weitere Visualisierung des Nilwassers auch in diesem Hauptbereich des Heiligtums gedient haben. Ein Festritual des ägyptischen Kultes ist sicherlich auch in den Darstellungen des sog. ‚Ariccia‘-Reliefs zu erkennen, auch wenn dieses nicht unbedingt das Heiligtum auf dem Marsfeld darstellen muß.1629 Das untere Register zeigt männliche und weibliche Musikanten,1630 ausgelassene Tänzer (darunter möglicherweise ein Zwerg) und weitere Personen, die dazu in die Hände klatschen. Unter ihrer Standlinie befinden sich Ibisse in einem schmalen Abschnitt, der somit eventuell ein Gewässer bzw. eine Nillandschaft andeutet. Daneben stehen weitere klatschende Personen auf einem mit Girlanden geschmückten Podest und blicken in Richtung der Aufführung. Die Szene wird rechts von einer ägyptisierenden männlichen Statue mit kurzem Schurz und nacktem Oberkörper gerahmt, die als Stütze für ein darüber angedeutetes Gebälk dient. Der linke Rand des Reliefs ist abgebrochen, enthielt aber wahrscheinlich eine entsprechende Rahmung. Im oberen, sehr viel schmaleren Register ist eine Sakralarchitektur zu sehen, die im zentralen Bereich aus kleinen, von Pfeilern und verkröpften Säulen gerahmten Kapellen besteht, die jeweils eine Götterstatue enthalten. In der mittleren Kapelle, die breiter als die anderen ist und etwas vorspringt, befindet sich eine frontal ausgerichtete Sitzstatue der Isis,1631 die ein flaches Objekt, nach LEMBKE vielleicht eine Buchrolle, auf dem Schoß hält und von zwei Kandelabern umgeben

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tualzyklen vgl. für Ägypten z. B. BACKES, „Papyrus Schmitt“ I, S. 82–83; VON LIEVEN, Osirisliturgie, S. 17–18; KUCHAREK, Klagelieder, S. 632–633. QUACK, Zum ägyptischen Ritual. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 63; ID., Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 400. Zum Ritual der Stundenwachen siehe die ausführliche, kommentierte synoptische Edition der ägyptischen Texte von PRIES, Stundenwachen, zur Zeitmessung S. 28–29. Dafür, daß im Iseum Campense ägyptische Zeitrechnung auch allgemein eine Rolle spielte, spricht auch die oben erwähnte griechische Inschrift des Chorleiters der Paianisten von 146 n. Chr., in der zusätzlich eine Datierung nach alexandrinischem Kalender angegeben wird (RICIS 501/0118). Wasseruhren wurden auch in anderen Isisheiligtümern außerhalb Ägyptens gefunden, z. B. in Ephesos, siehe MALAISE, Nova Isiaca, S. 64; QUACK, Dekane, S. 97–98. LEMBKE, Iseum Campense, S. 22 u. 200–201, Kat. D.44–45; vgl. zu Resten eines Kanalsystems in diesem Bereich des Iseums auch BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 132–133 u. 157. LEMBKE, Iseum Campense, bezieht das Relief (dort S. 174–178, Kat. C. Reliefs 1; Taf. 3,1) auf die reale Architektur und Ausstattung des Iseum Campense und baut daher einige Rekonstruktionen darauf auf, was von VERSLUYS, Sanctuary of Isis, S. 165–166, m. E. zu Recht kritisiert wird. Mindestens ebenso spekulativ ist der Ansatz von ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 431, die glaubt, daß statt des Iseum Campense die Porticus Divorum dargestellt sei. Siehe zu dem Relief auch K. LEMBKE, Ein Relief aus Ariccia und seine Geschichte, in: RM 101, 1994, S. 97–102; MALAISE, Bès, S. 285–287; HÄUBER, Eastern Part, S. 626–633. Das Relief wurde entgegen häufig zu findenden Angaben in der Literatur nicht in Ariccia, sondern sekundär als Grababdeckung bei der Via Appia in der Nähe von Ariccia gefunden, siehe HÄUBER, Eastern Part, S. 626, Anm. 1. Auch eine der Reliefsäulen (LEMBKE, Iseum Campense, Taf. 8) zeigt Musikanten, allerdings im Gegensatz zum Ariccia-Relief ganz nach ägyptischer Art, siehe dazu QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 62. In beiden Fällen ist m. E. aber der Festbezug evident. Über der Stirn ist schematisch ein Basileion oder anderes kleines Diadem erkennbar.

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wird.1632 In den je drei Kapellen rechts und links von ihr befindet sich jeweils in der Mitte eine Bes-Figur, auf die Paviane (als Verkörperungen von Thoth)1633 zu beiden Seiten ausgerichtet sind. CAPRIOTTI VITTOZZI interpretiert die dargestellte Isisform aufgrund der (wahrscheinlichen) Buchrolle auf ihrem Schoß und der durch die Paviane visualisierten engen Verbindung zu Thoth als Isis, die Weise und Herrin der Schrift.1634 Parallelen für diese Ikonographie der Göttin sind mir jedoch keine bekannt. Am rechten Rand des Reliefs schließen sich ein Apis-Stier mit Sonnenscheibe auf einem Podest, ein von Dattelpalmen umgebener Rundtempel oder -pavillon mit einer darin befindlichen männlichen Statue(?) in Tunika und Mantel und eine recht tiefe, von Säulen gesäumte und mit einem Rundbogen überwölbte Aedicula mit einer männlichen, möglicherweise bärtigen Herme an.1635 VERSLUYS denkt aufgrund der nilotischen Elemente an Tänze zu Feierlichkeiten anläßlich der Nilflut1636 (die ideell außerdem mit dem ägyptischen Jahresbeginn, also dem Neujahrsfest, zusammenfiel); es könnte m. E. aber auch ein anderes Fest, besonders die ebenfalls mit dem Nilwasser verbundene Inventio Osiridis dargestellt sein.1637

1632 Kandelaberbasen, von denen eine bereits in frühaugusteische Zeit zu datieren ist, wurden im Areal des Iseum Campense tatsächlich gefunden, siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 249–251, Kat. E. 58–59; Taf. 48,2; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 177–179, m. Abb. 57–58; PODVIN, Luminaire, S. 186. 1633 MALAISE, Bès, S. 286, glaubt nicht, daß die Paviane hier auf Thoth verweisen, widerspricht sich dann S. 287 aber implizit selbst, wenn er ägyptische Parallelen für Gemeinsamkeiten und gemeinsames Auftreten von Bes und Pavianen (oder anderen Affen wie Meerkatzen) anführt, die jeweils mit dem Mythos der Rückkehr der Fernen Göttin zusammenhängen, wo der Affe aber sicher in Beziehung zu Thoth steht. 1634 CAPRIOTTI VITTOZZI, The Flavians, S. 250–257. HÄUBER, Eastern Part, S. 633, glaubt dagegen an eine Darstellung im Kult verwendeter heiliger Texte und „the fulfilment of their eschatological promises“. Zu Isis’ Weisheit und ihrer Beziehung zu Thoth siehe oben, Kap. 6.5.1 u. 6.5.2.1. Zur Ikonographie der sitzenden Isis vgl. die typische Darstellungsweise des Imhotep in Ägypten: thronend, als Schreiber mit ausgerollter Papyrusrolle auf dem Schoß; siehe WILDUNG, Imhotep, z. B. S. 47; 302; Taf. 3; 16–17; u. a. Aufgrund des damit generell bekannten ikonographischen Schemas – wenn auch sonst bisher nicht für Isis – halte ich daher im Anschluß an CAPRIOTTI VITTOZZI die Interpretation als Bildnis der Isis als weise Göttin und evtl. Erfinderin der Schrift (vgl. die Memphitische Isisaretalogie) sowie (geistige) Tochter des Thoth für plausibel. 1635 Interessanterweise gab es offenbar im Museum in Berlin ein heute verschollenes zweites Relieffragment mit Darstellungen, die denen im oberen Register des Ariccia-Reliefs ganz nah verwandt sind: PARLASCA, Ägyptisierende Bauglieder, S. 59; Taf. 10,1; LEMBKE, Iseum Campense, S. 176, Kat. C. Reliefs 2. Darauf sind fast gleichartige Kapellen, allerdings mit etwas anderen Säulen dargestellt, in denen wieder Götterfiguren stehen, z. B. ein bärtiger Sphinx. Auf dem Dach der Kapellen befinden sich wie auf dem Ariccia-Relief Vögel, und links steht wieder ein Apis-Stier mit Sonnenscheibe auf einem Podest, und hinter ihm eine Palme. BRICAULT, Cultes isiaques, S. 387, hält beide Relieffragmente für direkt zusammengehörig; möglicherweise handelte es sich auch um zwei komplementäre Wanddekorationen. 1636 VERSLUYS, Sanctuary of Isis, S. 166. 1637 So auch BRENK, Osirian Reflections, S. 297; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 388. M. BOMMAS, in: Beck/Bol/Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 224, S. 640–641, interpretiert das Stück als Sargrelief und die dargestellte Feierlichkeit entsprechend als Totenritual, das aber mythisch mit der Wiederbelebung des Osiris verbunden wird. Es gibt jedoch keine Hinweise auf einen Verstorbenen (z. B. eine Figur mit individuellem Porträt oder eine Inschrift) und die Marmorplatte ist deutlich dünner als für Reliefsärge üblich, siehe zu diesem letzten Punkt HÄUBER, Eastern Part, S. 626.

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Der nördliche Heiligtumsbereich des Iseum Campense war – abgesehen von den Säulen, die möglicherweise die ebenfalls aufgefundenen Papyruskapitelle trugen1638 – außerdem durch zahlreiche ägyptische Originalskulpturen der Spät- und Ptolemäerzeit und sechs Obelisken, die größtenteils aus dem Delta stammen,1639 äußerst üppig und einem ägyptischen Tempel gemäß ausgestattet.1640 Zu den Skulpturen gehören Löwen und Sphingen des NR und der Spät- bis Ptolemäerzeit,1641 zwei zusammengehörige Paviane des Nektanebos, der in den Inschriften als „geliebt von Thoth“ bezeichnet wird,1642 eine Sachmetstatue,1643 eine Statue des Horus mit menschlichem Körper und Falkenkopf,1644 zwei frühptolemäische Porträts1645 und ein Statuenfragment des Amenemhet III.,1646 zwei Naophoren1647 und ein Stelophor mit einer Horusstele, deren Texte große Übereinstimmungen mit denen der Metternichstele aufweisen, also auch deutlich auf durch Isis und Horus erwirkte Heilmagie bezogen sind.1648 Eine Hathorkuh, die den König Haremhab säugt,1649 verweist auf die in Rom offenbar gut bekannte1650 bovine Gestalt der Isis(-Hathor) und die durch dieses Ikon ausgedrückte Übertragung der Herrschaftsmacht auf den König durch die göttliche Muttermilch.1651 Der heutige Aufenthaltsort von zwei ägyptischen oder ägyptisierenden Isisstatuen, von denen eine das Horuskind auf dem Schoß hält, ist unbekannt. Die originalen Aegyptiaca werden durch römische Nachahmungen, die sich teils eng an die vorgefundenen ägyptischen Stücke anlehnen, ergänzt.1652 Sie zeigen ein Krokodil aus rotem Granit,1653 einen Apis-Stier aus Marmor,1654 drei Löwen aus Syenit,1655 einen Sphinx, der von dem ebenfalls aufgestellten ägyptischen Sphinx der Königin Hatschepsut kopiert wurde,1656

1638 LEMBKE, Iseum Campense, S. 22–23: Daneben wurden auch Reste glatter Säulenschäfte, ebenfalls mit passenden Papyruskapitellen aufgefunden. 1639 Vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 29–31; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 153–158. 1640 Vgl. zur ägyptischen und ägyptisierenden Ausstattung auch QUACK, Zum ägyptischen Ritual; ID., Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 398–400. 1641 LEMBKE, Iseum Campense, S. 221–227, Kat. E.10–17. Vgl. die Darstellung von Löwen oder Sphingen vor dem Tempel auf den flavischen Münzen, s. o. 1642 LEMBKE, Iseum Campense, S. 228–229, Kat. E.20–21; Taf. 37,2–3. 1643 LEMBKE, Iseum Campense, S. 229–230, Kat. E.22. 1644 LEMBKE, Iseum Campense, S. 228, Kat. E.19; Taf. 37,1. 1645 LEMBKE, Iseum Campense, S. 234–235, Kat. E.29–30; Taf. 40–41. 1646 LEMBKE, Iseum Campense, S. 234, Kat. E.28; Taf. 40,1. 1647 LEMBKE, Iseum Campense, S. 231–232, Kat. E.25–26; Taf. 38. 1648 LEMBKE, Iseum Campense, S. 233, Kat. E.27; Taf. 39. Vgl. zu den Horusstelen und den Texten der Metternichstele oben, Kap. 6.5.1.1. 1649 LEMBKE, Iseum Campense, S. 227–228, Kat. E.18; Taf. 36. Nur der hintere Teil mit dem König am Kuheuter ist erhalten. 1650 Vgl. die oben, Kap. 7.3.2.1.2, zitierten Passagen von Ovid, der Isis als „memphitische Kuh“ bezeichnet. 1651 Siehe QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 63; ID., Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 399. 1652 So z. B. auch der bilingual beschriftete Pavian (LEMBKE, Iseum Campense, Kat. E.36), der allerdings im Bereich der Exedra im Süden des Heiligtums aufgestellt gewesen sein dürfte, s. o. Zu ihm gehörte möglicherweise ein heute verschollenes Pendant: LEMBKE, Iseum Campense, S. 239, Kat. E.37. 1653 LEMBKE, Iseum Campense, S. 239–240, Kat. E.39; Taf. 43,3; siehe dazu auch KISS, Dieu-crocodile. 1654 LEMBKE, Iseum Campense, S. 240, Kat. E.40. 1655 LEMBKE, Iseum Campense, S. 240–241, Kat. E.41–43; Taf. 44. 1656 LEMBKE, Iseum Campense, S. 242, Kat. E.45; Taf. 34,1.

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einen Sphinx, dessen Kopf wahrscheinlich Domitian als Pharao darstellt,1657 sowie einen Statuenkopf, der ebenfalls Domitian als Pharao visualisiert.1658 Zum Krokodil ist zu bemerken, daß dieses nach Zeugnissen aus Ägypten durchaus in verschiedener Weise mit Isis assoziiert war: Der unter anderem im Iseum von Ras el-Soda belegte Statuentypus der Isis mit Uräusschlange zeigt sie mit einem Fuß auf ein Krokodil tretend,1659 während ihr Kult im Fayum häufig dem des krokodilgestaltigen Sobek (bzw. lokaler Sobekformen) angegliedert war, als dessen Partnerin sie dort fungierte.1660 Der Krokodilgott kann dabei sowohl die Stelle von Osiris als auch diejenige von Horus einnehmen. In den Darstellungen einer Kalksteinplatte aus Sakkara wird sogar konkret IsisSothis mit Sobek(-Re) verbunden.1661 Auch aus Rom selbst sind einige weitere Denkmäler bekannt, die Isis in Verbindung mit Krokodilen darstellen.1662 Zwei davon sind m. E. eventuell von der fayumischen bzw. unterägyptischen Assoziation von Isis und Sobek direkt abhängig, denn in beiden Fällen ist Isis in der Schlangengestalt der Thermuthis dargestellt, die in Medinet Madi mit Sobek assoziiert wurde,1663 und auf einem der Monumente, einem Altar von der Via Appia, stillt sie das Krokodil,1664 das dementsprechend eine Horusform repräsentiert. Besonders interessant ist aber ein Relief von einer Säulenbasis(?) aus Rom (gefunden in Regio II), das offenbar die Fütterung heiliger Krokodile durch bärtige Priester mit langen Schurzen und freien Oberkörpern zeigt.1665 Einer von diesen steht auf einer kleinen Barke und trägt einen Kandelaber, ein weiterer hält einen Futterkorb(?) auf dem Kopf, während der dritte sich zu den Tieren im Wasser hinabbeugt. Hinter diesem steht ein weiterer Mann, der mit einem Mantel bekleidet ist und einen weiteren brennenden Kandelaber trägt. Hinter dem Priester auf dem Boot folgt noch ein ebenfalls in einen Mantel gekleideter Mann mit einem Zweig(? Palmzweig oder Ähren?) in der Hand, der ebenfalls in Richtung Wasser schreitet. Rechts der Fütterungsszene erhebt sich auf einem mehrstufigen Unterbau ein prostyler Tempel mit vier korinthischen Säulen mit spiralförmig kanneliertem Schaft. Das Gebäude wird flankiert von Skulpturen eines liegenden Sphinx und eines Priesters (der Kopf fehlt) mit langem Schurz und nacktem Oberkörper. Im Tympanon des Tempelgiebels ist eine ägyptisierende hockende Figur im Profil dargestellt. Auf dem Kopf trägt sie eine nicht näher identifizierbare Krone und in der Hand ein HekaSzepter. Genau solche hockenden ägyptisierenden Gestalten, allerdings mit Was-Szeptern 1657 LEMBKE, Iseum Campense, S. S. 241–242, Kat. E.44; Taf. 45,1. 1658 LEMBKE, Iseum Campense, S. 242–243, Kat. E.46; Taf. 45. 1659 Siehe oben, Kap. 6.2.10.3. Dieser ikonographische Typus ist auch in Wandmalereien in Pompeji belegt, siehe unten, Kap. 7.3.3.1. 1660 Siehe oben, Kap. 6.1.2; vgl. KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 233–234. 1661 Siehe Kap. 6.1.2.1, Anm. 226; TALLET, Isis, the Crocodiles. 1662 Siehe KISS, Dieu-crocodile, S. 282–285. Zu römischen Darstellungen von Krokodilen im Allgemeinen vgl. F. HOFFMANN, Krokodildarstellungen in Ägypten und Rom, in: Beck/Bol/Bückling (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, S. 428–433 u. 736–740. 1663 Siehe Kap. 6.1.2.1. 1664 MALAISE, Documents nouveaux, Kat. Roma 109a, S. 643; E. BRESCIANI, Ancora sulla dea-cobra allatta il coccodrillo, in: Aegyptus 57, 1977, S. 11–13; zu Vorbildern aus Medinet Madi und Tebtynis vgl. EAD., Dea-cobra che allatta; KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 158–159. 1665 MERKELBACH, Isis regina, S. 665, Abb. 201; BONNEAU, Crue du Nil, S. 354–355; MALAISE, Inventaire, Kat. Roma 310, S. 168; KISS, Dieu-crocodile, S. 278; 280, Abb. 6; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 58–59, Kat. 009.

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und Uräusschlangen und Sonnenscheiben auf dem Kopf, sind wiederum von fragmentarischen Reliefplatten vom Palatin bekannt, die früher der Domus Flavia zugeordnet wurden, was jedoch aufgrund der lückenhaften Funddokumentation ungesichert ist.1666 Auf einen Bezug zur Ausschmückung des Iseum Campense verweist außerdem ein weiteres Bruchstück dieses ägyptisierenden Reliefs, das einen liegenden Stier auf einer Standarte zeigt, wie er sich auch in der Hand eines Priesters auf einer der Reliefsäulen des Iseums findet.1667 Auf der Säulenbasis mit der Krokodilsfütterung schließen sich rechts des Tempels eine weitere bärtige Priesterfigur mit Schurz, nacktem Oberkörper und Futterkorb auf dem Kopf und ein von Schilf umgebener gelagerter Flußgott (wohl der Nil) mit einem weiteren Krokodil unter ihm an. Als Hauptbild ist die deutlich am größten dargestellte Figur der neben ihm sitzenden Isis(-Euthenia?) mit Füllhorn und Getreideähren in den Händen anzusehen. Sie trägt ein zwischen den Brüsten geknotetes Gewand, das aber eine Brust freiläßt und ein nicht mehr genau erkennbares Diadem (Mondsichel oder Kuhhörner/Basileion?). Unter ihrem aufgestützten rechten Ellenbogen steht ein weiterer Sphinx auf einem Sockel, und hinter ihrem linken ausgestrecktem Arm steht ein bartloser Jüngling (Harpokrates?) mit einer (Isis-Hathor-)Kuh oder einem (Apis-)Stier. Ganz offensichtlich kehren hier einige der zentralen Themen des Iseum Campense, wie oben ausgeführt, wieder: eine Fruchtbarkeit und Getreide bringende Isis, eine Wasserlandschaft mit Flußgott, eine Kuh- oder Stierdarstellung, ein viersäuliger Tempel auf einer Krepis, Sphingen und ägyptisierende Statuen sowie eine Priesterprozession (hinter den Krokodilfütterern). Die Dekorationsweise als erhabenes Relief auf dem unteren Bereich eines Säulenschaftes sowie mit Objekten vor der Brust schreitenden Priester erinnern stark an die ‚columnae caelatae‘ des Iseum Campense, wenn auch Material, Stil und die Form der Säulenbasis sich deutlich von diesen abheben. Dennoch könnten sie dem Stück, das sicherlich erst in das 3. Jh. n. Chr. datiert, als Vorbild gedient haben, und der dargestellte Tempel vielleicht auf das Heiligtum auf dem Marsfeld anspielen, wenngleich die Giebelfigur ungewöhnlich erscheint. Der Ursprungsort des Stückes selbst war aber möglicherweise das Iseum Metellinum in Regio II.1668 Eine Krokodilsfütterung durch ebenso gekleidete Priester zeigt weiterhin auch das Fragment eines stadtrömischen Nilmosaiks,1669 wenngleich sich dies eher unter die üblichen Genre-Darstellungen von Nilland-

1666 PARLASCA, Ägyptisierende Tempelreliefs, S. 413–416, m. Abb. 11; vgl. zu Aegyptiaca in der Domus Flavia auch VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 360–361 (eventuell zu einem Schrein gehörig); BRICAULT, Atlas, S. 166. Eine detaillierte Diskussion der der kaiserlichen Anlage lange zugeschriebenen Aegyptiaca durch MÜSKENS, Hathor-Support, stellt die Problematik der Zuordnung dieser Stücke heraus, deren genaue Fundorte teilweise nicht dokumentiert sind, teilweise nicht wirklich innerhalb der Domus Flavia liegen, und die zum Großteil auch nicht einmal mehr in situ aufgefunden wurden, sondern an sekundären Verbringungsplätzen. Die oben beschriebenen Darstellungen sind wahrscheinlich an ägyptische Hieroglyphen bzw. Bildschemata sitzender Götter oder Göttinnen angelehnt (z. B. , ). So ähnelt die Darstellung im Tympanon des Tempels auf dem Säulenrelief in der Form dem Göttinnendeterminativ (hinter nb.tj rxj.t) auf der Westseite des Domitiansobelisken (LEMBKE, Iseum Campense, Taf. 17,6). 1667 PARLASCA, Ägyptisierende Tempelreliefs, S. 408–410, m. Abb. 3–4. 1668 Vgl. VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 58–59 (Datierung: um 250 n. Chr.). 1669 KISS, Dieu-crocodile, S. 280, Abb. 7.

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schaften einordnen läßt.1670 Es könnte allerdings aufgrund des Fundortes zum Sarapeion auf dem Quirinal gehört haben. Auch Teile der Bodenpflasterung aus Marmor sind im Nordteil des Iseum Campense erhalten und zeigen teilweise ägyptisierende Reliefs.1671 Große ägyptisierende Marmorreliefs dürften auch die Wände des Heiligtums verkleidet haben, wie einige bei neueren Grabungen aufgefundene Fragmente zeigen.1672 Sie enthalten Teile eines lebensgroß dargestellten Mannes, vielleicht des Pharao (Hand und Gesicht), Uräusschlangen, eine Krone, Flügel und einen Falkenkopf.1673 Zu einem weiteren Relief gehören Fragmente, die sogar zu einem überlebensgroßen Mann zu rekonstruieren sind. Andere Reliefstücke und Bauglieder, die vielleicht ebenfalls Teil dieser Ausstattung waren, wurden von PARLASCA publiziert,1674 darunter auch ein großer Eckblock mit Uräenfries,1675 in Entsprechung zu den flavischen Münzbildern. Einer Wanddekoration zuzuordnen sind Fragmente von Putz mit farbiger Bemalung sowie von polychromem Marmor. Besonders hervorzuheben ist mindestens ein original ägyptisches Relieffragment mit den hintereinander sitzenden Göttern Horus, Osiris-Anedjti und Osiris (mit Atef-Krone) aus der Regierungszeit von Nektanebos, das aus dem großen und bedeutenden Isistempel von Behbeit el-Hagar (vermutlich aus der Kapelle des Osiris Hemag) stammt und vielleicht bewußt in die Dekoration des Iseum Campense integriert wurde, um einen Bezug zu diesem ägyptischen Isiskultzentrum und den dortigen Osirisriten herzustellen.1676 Am Tempeldach befanden sich Antefixe aus Marmor und Terrakotta, die ägyptisierende Motive, z. B. eine Atefkrone umgeben von zwei Uräusschlangen, zeigen.1677 Zu den wenigen nicht ägyptischen oder ägyptisierenden Objekten, die im nördlichen Bereich des Iseum Campense gefunden wurden,1678 sind die bereits oben erwähnten Kande-

1670 VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 65–67, Kat. 013. 1671 LEMBKE, Iseum Campense, S. 22 u. 200–201, Kat. D.42–47; vgl. auch BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 133–134. 1672 Publiziert bei ALFANO, Iseo Campense. 1673 ALFANO, Iseo Campense, S. 201. 1674 PARLASCA, Ägyptisierende Bauglieder; ID., Ägyptisierende Tempelreliefs. 1675 PARLASCA, Ägyptisierende Tempelreliefs, S. 415–419, Abb. 12. 1676 LEMBKE, Iseum Campense, S. 195–196, Kat. D.31; Taf. 10,3; FAVARD-MEEKS, Constructions de Nectanébo II, S. 103–105, mit Rekonstruktion (Abb. 5) der ursprünglichen, größeren Szene, zu der der Block wohl gehörte: Es handelte sich um ein Weihrauchopfer vor mehreren hintereinander sitzenden Göttern. Weitere ägyptische Relieffragmente aus Granit, die vermutlich ebenfalls aus Behbeit el-Hagar stammten, sind heute verschollen, siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 197–198, Kat. D.32– 34. Zu Behbeit el-Hagar siehe oben, Kap. 4.4 und 4.13.2. 1677 LEMBKE, Iseum Campense, S. 195, Kat. D.30; Taf. 10,2; ALFANO, Iseo Campense, S. 201. Antefixe mit ähnlichen Motiven sind auch an anderen Orten gefunden worden (oft mit weniger detaillierter Ausarbeitung), z. B. befindet sich ein sehr einfach gearbeitetes Exemplar, bei dem das mittlere Element kaum noch als Krone zu identifizieren ist, im Archäologischen Museum von Marino (Inv. 169255; MALAISE, Inventaire, Kat. Marino 2, S. 62). 1678 Das Verhältnis der bekannten Ausstattungsteile ist sicherlich stark verzerrt, da Funde aus der Umgebung, die in griechisch-römischem Stil gehalten sind, sich weniger sicher dem Iseum zuordnen lassen und zudem wohl viele Stücke in dem in der Nähe aktiven Kalkbrennofen „della Pigna“ vernichtet worden sind, siehe hierzu ausführlich BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 163–187.

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laber1679 sowie ein Marmoraltar hadrianisch-antoninischer Zeit1680 zu zählen. Letzterer weist auf der Frontseite die Inschrift Isidi sacr(um) über der Reliefdarstellung einer auf einer Cista mystica geringelten Schlange auf. Die Cista ist mit einer Mondsichel dekoriert. Bei diesem im Kontext des kaiserzeitlichen Isiskultes häufiger belegten Objekt handelt es sich vermutlich ideell um den Behälter der heiligen Körperteile bzw. Eingeweide des Osiris, dessen Ikonographie sich in Anlehnung an die Cistae im Demeter- und Dionysoskult entwickelt hat, dessen inhaltliche Konzeption jedoch auf die ägyptischen Kanopen oder vielmehr Kanopenkästen des Osiris zurückgeht.1681 Realiter könnten die während dem Choiakfest hergestellten Kornosiris- und/oder Sokar-Figurinen darin aufbewahrt worden sein, vielleicht auch ein Behältnis mit ‚Nilwasser‘.1682 Die Mondsichel könnte auf die Identifizierung des Osiris mit dem Mond hinweisen, die auch im Rahmen des Choiakfestes, besonders am 25. Choiak, eine wichtige Rolle spielt.1683 Die Nebenseiten zeigen Darstellungen des nackten Harpokrates mit Füllhorn und Finger am Mund sowie des hundeköpfigen Anubis mit Caduceus, Palmblatt und Situla. Schließlich könnte ein kolossaler Marmorfuß, nach welchem die Via del Piè di Marmo benannt wurde, eventuell zu einer überlebensgroßen Sarapis-Statue im Nordteil gehört haben.1684 Hof und Domitiansobelisk: Herrscherrepräsentation Die Parallelen zu ägyptischen Tempeln reichen bis zur Integration des Herrschers in die Darstellung des Kultes und zu seiner Legitimation durch die Hauptgottheit des Heiligtums. Dies zeigt sich nicht nur in den ägyptisierenden Reliefs, den Sphingen und Statuen, die einen ägyptischen Pharao (teilweise evtl. Domitian selbst) darstellen, sondern noch viel deutlicher im Bereich des Hofes, in dessen Mitte wahrscheinlich der eigens für den Kaiser angefertigte und mit hieroglyphischen Inschriften versehene Domitiansobelisk stand, wie anhand eines kleinen Rechtecks auf der Forma Urbis zu erkennen ist. Neben diesem Rechteck ist auf dem marmornen Stadtplan außerdem ein wenig größerer Kreis eingezeichnet, der vielleicht einen Brunnen darstellt.1685 Darstellungen und Inschriften des Obelisken,1686

1679 LEMBKE, Iseum Campense, S. 249–251, Kat. E.58–59; Taf. 48,2; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 177–179, m. Abb. 57–58; siehe oben, Anm. 1632. 1680 LEMBKE, Iseum Campense, S. 245, Kat. E.49; Taf. 46; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 176–177, m. Abb. 56. 1681 Letzteres die Interpretation von HEERMA VAN VOSS, Cista Mystica. Zu Bedeutung und Ursprung der Cista mystica im Isiskult siehe auch MALAISE, Ciste et hydrie, bes. S. 135–143, mit weiteren Deutungsvorschlägen; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 439–440. Siehe dazu auch oben, Kap. 6.5.2.1, m. Anm. 1873. Im Zusammenhang mit Osiris wird die Cista mystica auch bereits in Tibulls Geburtstagsgedicht für M. Valerius Messalla Corvinus (I, 7, 21–48), genannt, vgl. oben, Anm. 1625. 1682 So MALAISE, Ciste et hydrie, S. 135–138. Weitere Deutungsvorschläge anderer Autoren sind zusammengefaßt ibid., S. 139. 1683 Siehe dazu KUCHAREK, Klagelieder, S. 656–661. 1684 LEMBKE, Iseum Campense, S. 23 u. 183; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 174–175. 1685 Der von LEMBKE, Iseum Campense, S. 21, alternativ zum Brunnen vorgeschlagene Rundtempel ist vor allem von ihrer Interpretation des Ariccia-Reliefs (dort ist ein Rundtempel dargestellt, allerdings übrigens kein Obelisk!) als Darstellung des Iseum Campense inspiriert, ist aufgrund der geringen Größe des Kreises allerdings wenig wahrscheinlich, vgl. zur Kritik VERSLUYS, Sanctuary of Isis, S. 160.

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der sich heute auf der Piazza Navona befindet, präsentieren Domitian ganz nach ägyptischer Tradition als von Isis erwählten und bekrönten Pharao. Auf dem Pyramidion wird sein Herrschaftsantritt in ägyptischen Ritualszenen ausgedrückt, in denen er von ägyptischen Göttern Kronen und andere Herrschaftsinsignien erhält, wobei Isis dem Kaiser jeweils gegenübersteht.1687 In der Szene auf der Südseite überreicht sie ihm die Krone von Unterägypten, auf der Westseite eine kleine Doppelkrone. Auf der Nordseite steht sie mit grüßend erhobener Hand vor dem Pharao, während Thoth hinter ihm die oberägyptische Krone darbietet. Die Ostseite zeigt eine nicht sicher erkennbare Gottheit, die eine MaatFigur an Domitian reicht, hinter dem Horus eine Sonnenscheibe mit Uräusschlange hält. Aufgrund der Position gegenüber dem Pharao, die auf den anderen Seiten sicher Isis einnimmt, könnte sie auch hier wieder gemeint sein. Isis trägt dabei zweimal ein Basileion mit hohen Federn (Nordseite und Westseite), einmal eine Hathorkrone (Kuhgehörn mit Sonnenscheibe) und den Isisthron (Südseite), und, falls die fragmentarisch erhaltene Person auf der Ostseite ebenfalls Isis darstellt, einmal eine oberägyptische Krone. Zwischen den Personen befinden sich Rahmenlinien für Inschriftenkolumnen, die jedoch nicht mit Text gefüllt wurden. Über den Szenen nimmt jeweils eine geflügelte Sonnenscheibe mit herabhängenden Uräen die Spitze der Pyramidionseite ein. Die hieroglyphischen Inschriften auf den vier Seiten des Obelisken loben Domitian und seine Taten im Stil ägyptischer Königseulogien und Bauinschriften: Er hat den Obelisken aufgerichtet für seinen Vater Harachte, um das Heil des Landes unter der Regierung der flavischen Dynastie dauerhaft zu machen (in der Erinnerung), er erneuert zerstörte Denkmäler (gemeint ist wohl konkret das Iseum Campense),1688 er bekämpft Feinde, er versorgt das Land mit Nahrung, er erhielt das Königtum durch seinen Vater Vespasian und seinen Bruder Titus – beide werden als pA nTr „der Gott“ bezeichnet –, usw. Die Anfänge der vier Inschriftenkolumnen enthalten außerdem eine vollständige Königstitulatur mit mehreren Horusnamen, je zwei Goldhorus- und NebtiNamen, einem Thronnamen („Autokrator“) sowie zwei Eigennamen. Hinter den Eigennamen ist einmal die Formel mrj PtH As.t „geliebt von Ptah und Isis“ gesetzt (Ostseite), einmal steht mrj As.t „geliebt von Isis“ noch mit in der Kartusche (Westseite). Dadurch wird er nicht nur in eine direkte Beziehung zu den memphitischen, eng mit der Krönung und dem Königtum verbundenen Göttern Isis und Ptah gesetzt,1689 sondern auch mit Ptolemaios IV. und XII. sowie Ptolemaios XV. Caesarion in eine Reihe gestellt, die diese Titel ebenfalls trugen.1690 Eine solche ausführliche Titulatur sowie die genannten Zusätze sind für Domi-

1686 LEMBKE, Iseum Campense, S. 37–41 u. 210–212, Kat. 55; Taf. 15–17; GRENIER, Obélisque Pamphili; vgl. auch QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 64; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 145–153; einige Bemerkungen auch bei BUDDE, Götterkind, S. 284–286. 1687 Die Beschreibungen der Szenen von LEMBKE, Iseum Campense, S. 210–211, sind teilweise falsch oder ungenau: zum Beispiel schreibt sie das Was-Szepter, das in einigen Szenen in der Hand des Herrschers ist, als zweites Attribut den Göttinnen zu. 1688 Vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 38; GRENIER, Obélisque Pamphili, S. 952. 1689 Vgl. dazu auch QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 64. 1690 Vgl. BECKERATH, Königsnamen, S. 236–237 u. 244–247. Zu Ptolemaios IV. und diesem Titel vgl. Kap. 6.1.2.1 (Kommentar zu MM III, Abschnitt 3) und 6.2.10.1 oben; siehe auch oHor 3 („sie liebt dich“(?)), Kap. 6.5.1.2, m. Anm. 1730. Diese traditionelle Formulierung („geliebt von Gott X“) drückt ebenso wie ähnliche in den Königstitulaturen stehende Ausdrücke („erwählt von Gott X“) usw. eine besondere Bevorzugung und Erwählung durch die Gottheit aus, siehe dazu MINAS, Ahnen-

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tian in Ägypten selbst nicht belegt,1691 obwohl die julisch-claudischen Kaiser ebenso wie Trajan und Hadrian dort mit Kombinationen von Isis und Ptah (mrj As.t, mrj PtH As.t oder stp n PtH mrj As.t) in den Kartuschen ganz in die Tradition der letzten Ptolemäer gestellt wurden.1692 Sie dürfte also eigens für den Obelisken des Iseums geschaffen worden sein. Die im Pyramidion bildlich dargestellte Übertragung der Herrschaft durch Isis wird auch in der restlichen Inschrift der Westseite wieder aufgenommen, wo es heißt: qmA.n nb.tj rxj.t mHnj.t=s Hr tp=f für dessen Haupt die Königin der Menschen (= Isis)1693 ihr Schlangendiadem geschaffen hat.1694 Besonders interessant in Hinblick auf die oben genannte, im Iseum aufgestellte Skulptur einer den Pharao (Haremhab) säugenden Kuh ist die unmittelbar vorangehende Passage dieser Seite, die die Herrschaftsübertragung durch das Trinken der Milch von Göttinnen explizit ausdrückt: rdj nb.tj mnD.w=sn m rA=f die beiden Herrinnen haben ihre Brüste in seinen Mund gegeben, nn{.t}.n-s(w) rr.tj (oder: Sps.tj?) tp nwd.t=f1695 die beiden Ammen/Nilpferdgöttinnen haben ihn auf seinen Windeln gestillt, @[email protected] nhm m pXr=f während die Hathoren um ihn herum jubelten, rdj(.w) n=f iAw.t wr.t das große Amt (= Königsamt) wurde ihm gegeben. Der Text zeigt ganz deutlich, daß die Bedeutung des Stillens des Königs durch Göttinnen den ägyptischen Priestern, die die Inschrift konzipiert haben müssen, gut bekannt war.1696 M. E. kann es kaum Zufall sein, daß auch ein entsprechendes ägyptisches Bildnis in die Ausstattung des römischen Isistempels integriert worden ist.

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reihen, S. 55–59. Die großen Titulaturen auf der Nord- und Ostseite sind von Ptolemaios II. bzw. Ptolemaios III. übernommen worden, vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 37. Siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 256–257; vgl. auch LEMBKE, Iseum Campense, S. 37. Siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 248–255; 258–259. Zu diesem besonders in Dendara häufig belegten Titel der Isis und der Hathor siehe oben, Kap. 4.6.1.B, Kommentar zu Dend. Porte d’Isis, Nr. 29; PREYS, Isis et Hathor. Weniger wahrscheinlich ist m. E. die Übersetzung von LEMBKE, Iseum Campense, S. 212: „auf dessen Haupt die Königin der Untertanen ihr Schlangendiadem geworfen hat“. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 64, übersetzt (ohne Transliteration): „dessen Schlangendiadem die Herrin der Menschen schuf“, offenbar unter Auslassung von =s und Hr tp. Und nicht, wie GRENIER, Obélisque Pamphili, S. 945; und ihm folgend LEMBKE, Iseum Campense, S. 212, angeben: (rdj-sw) mna.tj tp nwd.t=f. Siehe dazu auch E. M. CIAMPINI, The Pamphili Obelisk: Two Notes on Pharaonic Elements in Domitian Ideology, in: M. Sanader/A. R. Miočevič (Hrsg.), Religija i mit kao poticaj provincijalnoi plastici, Akti VIII. Međunarodnog kolokvija o problemima rimskog provincijalnog ujetničkog stvaralaštva. Religion and Myth as an Impetus for the Roman Provincial Culture, The Proceedings of the 8th International Colloquium on Problems of Roman Provincial Art, Zagreb 2005, S. 399–402; CAPRIOTTI VITTOZZI, The Flavians, S. 245.

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Die Krönung des Königs durch eine Gottheit ist ein durchaus übliches Thema auf ägyptischen Obeliskenspitzen,1697 und zum konkreten Motiv des Überreichens der Kronen durch Isis läßt sich als zeitlich relativ nahe stehender Vergleich ein Relief am Hadrianstor in Philae heranziehen, in dem Isis und Nephthys die Kronen von Ober- und Unterägypten an Harendotes überreichen.1698 Vergleichbare Szenen der Krönung des Pharao durch Isis und Osiris sind bereits in der 18. Dyn. für Thutmosis II. und III. in Reliefs aus Karnak belegt.1699 Gerade im griechisch-römischen Ägypten ist Isis dann die Kronengöttin par excellence, die in zahlreichen Texten mit dem Uräusdiadem und der Doppelkrone verbunden wird und für die Erwählung und Krönung des Königs verantwortlich zeichnet.1700 Auch die Position des Domitiansobelisken im Eingangsbereich des Tempels entspricht grundsätzlich ägyptischen Konventionen, wenngleich Obelisken vor den Toren üblicherweise paarweise aufgestellt waren. Domitian wird in Text und Bild des Obelisken also ganz in ägyptischer Manier als von Isis erwählter und gekrönter Pharao präsentiert, was sich bestens in die oben referierte literarische Überlieferung zur Machtergreifung der Flavier mit Hilfe von Isis und Sarapis einfügt. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Motive und Inschriften praktisch keinem oder kaum einem römischen Bürger verständlich gewesen sein dürften. Andererseits ließ Domitian sich zu Lebzeiten vergöttlichen und mit Dominus et Deus „Kaiser und Gott“ anreden;1701 in dieses Konzept des göttlichen Herrschers paßte der bereits von den Ptolemäern (auch) zu diesem Zwecke hervorgehobene Isiskult gut hinein, wenngleich er keinen Schwerpunkt in der offiziellen römischen Propaganda dargestellt zu haben scheint.1702 Auch war immerhin die grundsätzliche, auf die Sonne bzw. den Sonnengott bezogene Symbolik von Obelisken in Rom bereits seit Augustus gut bekannt,1703 der durch die Aufstellung eines solchen bei seinem eigenen Grabmal auch ihre Assoziation mit dem römischen Herrscher begründete.1704 Insgesamt stellte der Komplex des Hofes mit dem den fla1697 Vgl. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 64, mit Verweis auf den Obelisken der Hatschepsut, der ihre Krönung durch Amun zeigt. 1698 Siehe HÖLBL, Die römischen Kaiser, 534, Abb. 20. 1699 Siehe F. MARUEJOL, Les représentations du rituel du couronnement jusqu’au règne de la reine Hatchepsout, in: Un savant au pays du fleuve-dieu. Hommages égyptologiques à Paul Barguet, Kyphi 7, 2015, S. 159–175: 161, Abb. 2, u. 163. 1700 Siehe Kap. 5.2.2.3.A–B; pOxy. 1380, Z. 138–139 u. 193–194 (Kap. 6.1.3.2); oHor 10, Z. 2–3 (Kap. 6.2.1.1); Graffiti Theben 3156, Z. 11, u. Theben 3445, Z. 13 (Kap. 6.2.5.1); oHor 3 (Kap. 6.5.1.2); und Kap. 6.4.2.2; vgl. auch NAGEL, Isis und die Herrscher; QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 64. 1701 Vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 39. Siehe zur Vergöttlichung PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 124– 126. 1702 Zum Widerhall der Beziehung Domitians zu den ägyptischen Göttern in der römischen Dichtung dieser Zeit siehe A. MARTIN, Domitien et les divinités alexandrines: le jugement des poètes, in: Grec et Latin en 1982. Études et documents dédiés à la mémoire de G. Cambier, Brüssel 1982, S. 143–152. Vgl. auch allgemeiner zur Konzeption des Kaisers als Kindgott und Beherrscher des gesamten Weltkreises in Verbindung mit Isis, speziell in den ägyptischen Tempeln, BUDDE, Götterkind, S. 303. 1703 Vgl. BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 409; PFEIFFER, Inschriften, S. 228–231, Nr. 49 (zum Obelisken vom Circus Maximus). Eine ausführliche Studie zum breiteren Kontext der augusteischen Obelisken bietet SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 65–104. 1704 Die Aufstellung eines eigenen Obelisken für Domitian schließt damit ideologisch auch an die Aneignung ägyptischer Obelisken durch den Gründer des Prinzipats an, wie BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 29–30 u. 150, darlegt. Ihre Behauptung S. 145, der Inhalt des Obelisken sei ganz und gar rö-

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vischen Triumph – in für Römer verständlichen Bildern – feiernden Arco di Camilliano und dem Obelisken sowie den mutmaßlich prächtigen Fassaden/Portiken zu der Exedra im Süden und dem ägyptischen Temenosbereich im Norden hin ein beeindruckendes, repräsentatives Monument kaiserlicher Macht und Propaganda dar.1705 Dieser repräsentative Komplex, der der Verherrlichung des Kaisers Domitian und seiner Familie diente, wird mit den ebenfalls von ihm errichteten benachbarten Bauten für seine Patronin Minerva (Tempel der Minerva Chalcidica) und für die vergöttlichten Vorgänger Vespasian und Titus (Porticus Divorum) fortgesetzt.1706 Ägyptische Priester, die zumindest die Vorlage für die Inschriften des Obelisken entworfen haben müssen, waren vielleicht auch für einen Großteil der inhaltlich-religiösen Konzeption des Tempels und seiner Ausstattung verantwortlich,1707 wenngleich die handwerkliche Umsetzung zu einem Großteil in der Hand römischer Architekten und Bildhauer gelegen haben dürfte. Ebensogut könnten aber zumindest einige Handwerker aus Alexandria nach Rom geladen worden sein – von der Beteiligung von Alexandrinern am Kultgeschehen des Heiligtums zeugt noch in antoninischer Zeit die griechische Inschrift der Paianisten.1708 M. E. geht aus der vorangegangenen Besprechung des Iseum Campense deutlich hervor, daß die religiösen Inhalte und der Kult des Iseum Campense so ‚ägyptisch‘ waren, wie sie außerhalb Ägyptens (d. h. an Orten, wo der dominierende Baustil und das zugrunde liegende religiöse System nicht ägyptisch waren, und nur eine begrenzte Anzahl von am Kult aktiv oder passiv Beteiligten zur Verfügung stand) überhaupt nur sein konnten. Exkurs: Die Mensa Isiaca Abschließend seien hier noch einige Bemerkungen zur sog. ‚Mensa Isiaca‘ im Museo Egizio in Turin festgehalten, die häufig ebenfalls hypothetisch der Ausstattung des Iseum Campense zugeordnet wird.1709 Für die Zugehörigkeit spricht unter anderem bereits die Tatsache, daß andere Aegyptiaca aus dem römischen Isistempel ebenfalls in das Turiner Museum gelangt sind.1710 Es handelt sich um eine rechteckige Bronzeplatte mit Einlege-

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misch („Thus, the material and form of the obelisk is Egyptian, its content, however, is purely Roman.“), kann ich allerdings nicht nachvollziehen (vgl. die obigen Ausführungen). Vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 28–29. LEMBKE, Iseum Campense, S. 77–79; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 185–187. Dies vermutet auch FRANCOCCI, Iseum et Serapeum, S. 191. RICIS 501/0118, s. o. Siehe zur Mensa Isiaca E. LEOSPO, La Mensa Isiaca di Torino, EPRO 70, Leiden 1978; Rez. dazu von Ph. DERCHAIN, in: CdÉ 55, 1980, S. 170–172; grundlegend für die Deutung ID., „Mensa Isiaca“; L. BONGRANI FANFONI, La „Mensa Isiaca“: Nuove ipotesi di interpretazione, in: C. Morigi Govi/S. Curto/S. Pernigotti (Hrsg.), L’Egitto fuori dell’Egitto. Dalla riscoperta all’Egittologia, Bologna 1991, S. 41–50; STERNBERG-EL-HOTABI, Mensa Isiaca, mit teils problematischen Deutungen, vgl. QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 404, Anm. 10; zu Herstellung, Objektgattung und (Pseudo-) Hieroglyphen BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 407. Von LEMBKE, Iseum Campense, wird die Mensa Isiaca nicht diskutiert. Vgl. E. LEOSPO, Documenti del Museo Egizio di Torino relativi alla diffusione dei culti egizi in Roma. La Mensa Isiaca e la collezione del Kircher, in: Bonacasa/Naro/Tullio (Hrsg.), L’Egitto in Italia, S. 611–618: 615.

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arbeiten in Edelmetallen und Niello-Technik.1711 Dargestellt sind Ritualszenen und kleinere Vignetten nach ägyptischem Vorbild, die von Hieroglyphenbändern umrahmt sind. Auch kleinere hieroglyphische Beischriftenkolumnen zu einzelnen Figuren sind enthalten. Die Texte sind jedoch nicht lesbar, weswegen es sich anders als bei dem Domitiansobelisken wahrscheinlich um Pseudohieroglyphen handelt, die von einem römischen Graveur ohne ägyptische Schriftkenntnis erstellt wurden.1712 Hier soll keine Neudeutung der Gesamtdekoration des Stückes versucht werden; die Interpretation der einzelnen Szenen und des gut durchdachten Gesamtkonzeptes im Vergleich mit der Dekoration griechisch-römischer Tempel durch DERCHAIN ist m. E. weitestgehend überzeugend.1713 Die Auswahl der Götter und Szenen repräsentiert demnach in der Art ägyptischer geographischer Tempeltexte oder kulttopographischer Litaneien1714 die Gesamtheit Ägyptens, über die die zentral thronende Isis (oder Isis-Hathor) regiert. Ein weiterer Aspekt, der durch verschiedene Elemente ausgedrückt wird, ist (durch die Göttin garantierte) Fruchtbarkeit und Versorgung. Ich möchte an dieser Stelle jedoch noch speziell auf einige Elemente aufmerksam machen, die m. E. einen direkten Bezug zum Osiriskult und sogar speziell zur Ausstattung des Iseum Campense herstellen. 1. Die zentrale Darstellung der Isis Im Zentrum der Bronzetafel thront Isis mit Geierhaube, Hathorkrone und Flügelkleid in einem ägyptischen Naos mit Hathorkapitellen und einer mit Hohlkehle und Uräenfries abschließenden Bedachung. Diese Bedachung entspricht derjenigen des inneren Schreines auf der vespasianischen Münze sowie derjenigen des Isistempels auf der domitianischen Münze. Außerdem wurden bauliche Reste eines solchen Uräenfrieses gefunden (s. o.). 2. Osiris-Kanopen und Osiriskult Der Naos der Isis auf der Mensa Isiaca steht auf einem breiten Unterbau, dessen Form ägyptischen Darstellungen eines geschützten Tempelbereichs entspricht. Diese Architekturform, das sogenannte bxn.t-Gebäude, und ihre Symbolik wurden ausführlich von D. BUDDE untersucht; ihrer Analyse zufolge finden darin Regeneration und Erneuerung des Lebens statt.1715 In seinem Inneren ist auf der Mensa Isiaca ein liegender Greif dargestellt, der eine menschenköpfige Kanope mit Sonnenscheibe und Widderhörnern zwischen den Tatzen hält. Die Darstellung fügt sich damit in die Thematik der Kanopenprozession der Relief1711 Zu vergleichbaren Objekten aus Heiligtümern der ägyptischen Gottheiten außerhalb Ägyptens siehe BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 407. 1712 Siehe hierzu F. HOFFMANN, Die hieroglyphischen Inschriften der Mensa Isiaca, in: M. C. FlossmannSchütze et al. (Hrsg.), Kleine Götter – Große Götter. Festschrift für Dieter Kessler zum 65. Geburtstag, Tuna el-Gebel 4, Vaterstetten 2013, S. 253–264, mit einer plausiblen Deutung als Kopie nach dem (unverstandenen) Vorbild von Versatzstücken ägyptischer Inschriften (in diesem Fall wohl kulttopographische Papyri der griechisch-römischen Zeit). Zu dieser Art der Erstellung von Pseudohieroglyphen vgl. auch die punischen Objekte, siehe Kap. 7.1.5. 1713 DERCHAIN, „Mensa Isiaca“. 1714 Siehe dazu z. B. die kulttopographische Isislitanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen (Kap. 4.6.1.A). 1715 BUDDE, Götterkind, S. 304–343; vgl. dazu auch Kap. 4.5.1.A, Text Edfu III, 69, 17–70, 3 mit Kommentar.

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säulen sowie der gefundenen Osiris-Kanopos-Skulptur ein. Aufgrund der Kombination mit der darüber thronenden Isis ist möglicherweise ein einem Isistempel angeschlossenes Osiris-Grab oder -Heiligtum gemeint, entsprechend zum Beispiel der Zusammengehörigkeit von Isistempel und Abaton von Philae und Bigge. Eine fast identische Darstellung des Greifen mit Kanope findet sich nochmals in einer der Randvignetten.1716 Eine weitere Vignette zeigt den erwachenden Osiris auf einem Löwenbett, unter dem drei Kanopen stehen; davor sitzt die Froschgöttin Heket, die Wiedergeburt symbolisiert und besonders eng mit dem Osiriskultzentrum Abydos verbunden ist.1717 Vorbilder finden sich z. B. in der 3. östlichen und der 3. westlichen Osiriskapelle von Dendara, wo mehrere Szenen ebenfalls den Gott darstellen, wie er sich auf dem Löwenbett aufrichtet.1718 Ebenfalls auf den Osiriskult bezogen sind die beiden antithetisch im mittleren Register der Mensa Isiaca dargestellten ‚Isis-Hydrien‘ mit Uräusschlange.1719 Beides (Kanope, Hydria) steht zudem für die Bedeutung des Nilwassers im Isis- und Osiriskult. Insgesamt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die grundlegende Komposition (insbesondere des mittleren Registers) sowie einige, teils bereits genannte, Einzelelemente eine gewisse Ähnlichkeit zur Dekoration der unteren beiden Register der Nordwand der 3. östlichen Osiriskapelle in Dendara aufweisen: Dort ist mittig die liegende Osiris-Chontamenti-Figur (= Kornosiris) in ihrem Pflanzbecken gezeigt, links und rechts darüber knien Isis und Nephthys jeweils in einem Schrein, dahinter schließen sich wie auf der Mensa Isiaca weitere Gottheiten an, teils auf Sockeln oder Podesten.1720 3. Sothis/Satis? Die erste Szene v. l. im oberen Register zeigt die Schlachtung einer Antilope vor der Kataraktgöttin Satis und verweist somit auf den 1. o.äg. Gau (Elephantine) als südliches Ende Ägyptens. Die Göttin Satis, eindeutig erkennbar an ihrer von Antilopenhörnern flankierten Krone, wird aber in griechisch-römischer Zeit und insbesondere im Kataraktgebiet mit (Isis-)Sothis gleichgesetzt, zumal die beiden Namen auch lautlich zusammenfallen.1721 Beide gelten als Urheberin der Nilflut. Im Iseum Campense war der Sothis-Aspekt der Isis durch die kontinuierlich im Giebel oder auf dem Dach aufgestellte Skulptur in monumentaler Weise präsent (s. o.). 4. Die dargestellten Gottheiten und Tierskulpturen Unter den in den Szenen der Mensa Isiaca dargestellten Gottheiten und kleineren Tierdarstellungen auf eigenen Sockeln (gemeint sind also vermutlich Statuen) und in den Vignetten finden sich zahlreiche Übereinstimmungen mit der Skulpturenausstattung und anderen Zeugnissen aus dem Iseum Campense wieder: Ptah und Sachmet (kulttopographisch: Mem1716 Siehe STERNBERG-EL-HOTABI, Mensa Isiaca, S. 84, Abb. 8 m. 1717 Vgl. STERNBERG-EL-HOTABI, Mensa Isiaca, S. 82–85, m. Abb. 8 g; L. KÁKOSY, s. v. „Heqet“, in: LÄ II, Sp. 1123–1124. 1718 Dend. X, Taf. 87, 89, 106–107, 111, 237–238, 252, 256 u. 262–263. Vgl. auch Hibis III, Taf. 4 u. 20. 1719 Siehe zu diesem in der Kaiserzeit im Toten- und Osiriskult verwendeten Gefäß oben, Kap. 4.12.1 (Exkurs) und 6.2.10.2 (Exkurs). 1720 Dend. X, Taf. 87 (Gesamtansicht der Nordwand). Siehe zu diesen Darstellungen und ihrem Inhalt CAUVILLE, Chapelles osiriennes Commentaire, S. 96–112. 1721 Dazu besonders Kap. 4.2.

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phis), die im unteren Register in eigenen Kapellen stehen, sind im Iseum Campense durch die Inschriften des Domitiansobelisken sowie die Sachmet-Statue vertreten, Apis – ganz links im mittleren Register und in einer der Vignetten – besitzt ebenfalls eine Skulptur und ist wahrscheinlich in dem vielleicht auf das Iseum Campense bezogenen Säulenrelief (s. o.) dargestellt. Das Gleiche gilt für die unter dem Thron des Thoth im mittleren Register befindlichen Krokodile. Thoth selbst ist auf der Mensa Isiaca ibisköpfig und als hockende Pavianfigur auf einem Sockel präsent. Beide Formen finden gute Entsprechungen im Pyramidion des Domitiansobelisken einerseits (selbst die Krone ist praktisch identisch!) und den zahlreichen Pavianskulpturen des Isistempels andererseits. Desweiteren finden sich sowohl auf der Bronzetafel als auch in der überlieferten Ausstattung des Heiligtums Falken und Sphingen. Auch die geflügelte Sonnenscheibe mit seitlichen Uräen taucht auf der Mensa Isiaca wieder auf (unteres Register, über der Figur des Königs in der Mitte links). 5. Die Darstellungsformen Die systematisch an ägyptischen Ritualszenen im Einzelnen und einer homogenen Dekorationssystematik im Ganzen orientierten ägyptisierenden Darstellungen ähneln möglicherweise Teilen der Reliefverkleidung des Heiligtums, die ebenfalls an den Wandschmuck ägyptischer Tempel angelehnt ist und den König als Kultausführenden zeigt, wenngleich die wenigen erhaltenen Fragmente keinen genaueren Vergleich erlauben. Der Domitiansobelisk demonstriert, daß es zumindest in der Periode der Neuerrichtung durch diesen Kaiser ägyptische Priester gab, die in der Lage waren, in ägyptischer Tradition stehende, sinnvolle Ritualszenen zu entwerfen. Möglicherweise taten sie dies anhand von ägyptischen Vorlagenbüchern ähnlich denen, die zur Dekoration ägyptischer Tempel verwendet wurden.1722 Wieder andere und wohl noch weniger Personen waren vielleicht für ägyptische Inschriften zuständig, denn die vorgefertigten Kolumnen auf der Spitze des Domitiansobelisken sind leer geblieben und die Inschriften der Mensa Isiaca unlesbar. Anhand eines einzelnen Details läßt sich eventuell eine chronologische Entwicklung feststellen: Auf den Reliefsäulen des Iseum Campense stehen die Priester der Festprozession alle auf Podesten bzw. Schreinen, deren Form dem oben unter 2. beschriebenen ägyptischen Vorbild des bxn.t-Gebäudes bzw. -Symbols entspricht und damit durchaus sinnvoll die Regenerationssymbolik der dargestellten osirianischen Riten unterstreicht.1723 Ungewöhnlich ist allerdings die Darstellung dieser Schreine unter den Füßen von Priestern.1724 Ebensolche Untersätze kommen auch auf der Mensa Isiaca vor,1725 dort jedoch noch in korrekter Verwendung nicht bei Kultausübenden, sondern nur bei Kultempfängern – neben dem oben bereits beschriebenen Unterbau mit Greif und Kanope stehen außerdem die beiden den Schrein der Isis direkt umgebenden Figuren von Nefertem und einer Göttin unklarer Identität, die vielleicht auch als Statuen zu verstehen sind, auf Sockeln dieser Form. 1722 Zu einem solchen, das auf einem Papyrus aus Tanis erhalten ist, siehe jetzt J. F. QUACK, Die theoretische Normierung der Soubassement-Dekoration. Erste Ergebnisse der Arbeit an der karbonisierten Handschrift von Tanis, in: Rickert/Ventker (Hrsg.), Altägyptische Enzyklopädien, S. 17–27. In diese Richtung geht bereits die Interpretation von DERCHAIN, „Mensa Isiaca“, S. 65. 1723 Siehe die entsprechende Deutung dieser Darstellungen auf den Reliefsäulen durch BUDDE, Götterkind, S. 342–343. 1724 Vgl. zur Problematik QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 62. 1725 Bemerkt bereits von CURTO, Columnae caelatae, S. 394, jedoch ohne weitere Deutung.

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Auch auf dem Ariccia-Relief und dem ähnlichen, verschollenen Relieffragment (ehem. Berlin) stehen die Apis-Stiere jeweils auf entsprechenden Podesten (s. o.), wenngleich die Darstellungen insgesamt römischen, nicht ägyptisierenden Stilformen entsprechen. Dies könnte darauf hindeuten, daß die Reliefsäulen später entstanden sind als die Mensa Isiaca (und die Reliefs). Problematisch ist allerdings, daß die Datierung der Denkmäler sehr umstritten ist und daher, wenn überhaupt, nur eine relative Chronologie zu erreichen ist. Direkt mit der Mensa Isiaca zu vergleichen ist ein ebenso wie die beschriebenen Untersätze wie ein ägyptischer Naos geformter bronzener Sockel aus Herculaneum (terminus ante quem: 79 n. Chr.), der rundum gravierte ägyptisierende Szenen mit Gottheiten und adorierenden Priestern aufweist.1726 Er legt eine Datierung auch der Mensa Isiaca in das 1. Jh. n. Chr. nahe. Statt eines chronologischen könnte natürlich auch ein rein personeller Unterschied zwischen Mensa Isiaca und Reliefsäulen vorliegen, d. h. der Entwurf der Säulen würde von jemandem stammen, der etwas weniger kundig (oder vielleicht auch: innovativer) mit den ägyptischen Vorlagen umging als der Gestalter der Mensa Isiaca. M. E. spricht nach dieser Betrachtung einiges dafür, daß die Mensa Isiaca in direktem Zusammenhang mit dem Iseum Campense stand und vielleicht auch dort aufgestellt oder angebracht war. Ob sie zum originalen Gesamtkonzept der Ausstattung des Heiligtums gehörte, oder ob sie als privates Weihegeschenk eines Kultteilnehmers später dorthin gestiftet wurde, läßt sich nicht entscheiden. 7.3.2.2.3 Iseum et Serapeum in Regio III – Isis-Fortuna und Isis-Aphrodite Die Regio III, etwa zwischen Oppius, Caelius und Esquilin gelegen, trägt in dem auf augusteische Zeit zurückgehenden Regionenkatalog der Stadt Rom den Namen „Isis und Sarapis“, was für die längerfristige Existenz eines Heiligtums der beiden Gottheiten von gewisser Prägnanz spricht.1727 Archäologisch wird diese Annahme bestätigt durch zahlrei1726 Dieser wird auch von BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 407, als Vergleich herangezogen, allerdings nicht aufgrund der Sockelform. Siehe ausführlich zu der Basis unten, Kap. 7.3.3.2.2. 1727 In Frage gestellt wird der Bezug des Regionennamens auf ein entsprechendes Heiligtum von VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 338, allerdings mit wenig überzeugenden Argumenten: „It does indeed seem probable that a temple for the two gods has led to the name of the area (…), while it is also conceivable that the presence of many Egyptians or followers of Egyptian cults in the regions has led to such a name.“ Letztere Annahme ist m. E. unwahrscheinlich: Wenn die Regio nach ägyptischen Bewohnern o. ä. benannt worden wäre, hieße sie wohl nicht „Isis und Sarapis“, sondern „Ägypter“, „Ägyptische (Region)“ o. ä. Andere Regionennamen beziehen sich außerdem ebenfalls auf Bauwerke oder aber größere topographische Einheiten (z. B. Straßennamen oder z. B. „Forum Romanum“), nicht aber auf innerhalb der Stadtteile lebende Bevölkerungsgruppen, auch wenn für den Bereich zwischen Caelius und Esquilin tatsächlich vermutet wird, daß er von größeren Gruppen von Ägyptern/Alexandrinern besiedelt war, siehe L. BONGRANI/M. I. PASQUALI/M. CICERONI, Attestazioni di culti Egizi nella zona sud-occidentale dell’antica Roma, in: R. F. Docter/E. M. Moormann (Hrsg.), Proceedings of the XVth International Congress of Classical Archaeology, Amsterdam 1998. Classical Archaeology towards the Third Millennium: Reflections and Perspectives, Allard Pierson Series 12, Amsterdam 1999, I, S. 80–87, bes. S. 84. Plausibel ist m. E. hingegen die Argumentation von DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 130–131, daß die Benennung der Region bereits vor der flavischen Zeit erfolgt sein dürfte, da anderenfalls sicherlich eher das Kolosseum (antik „Amphi-

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che Funde von Aegyptiaca und anderen Objekten, die sich dem Kult der ägyptischen Gottheiten zuordnen lassen, in der Umgebung und neuerdings auch innerhalb der Reste eines enorm großen Heiligtumskomplexes, der sich HÄUBER zufolge wohl innerhalb der servianischen Stadtmauer befand.1728 Dieser Bau, der sich zwischen der Via Labicana, der Piazza Iside und der heutigen Via P. Villari erstreckte, ist demzufolge mit dem namengebenden Tempel für Isis und Sarapis in Regio III zu identifizieren und könnte nach Meinung einiger Forscher eventuell außerdem mit dem Iseum Metellinum identisch sein (s. o., 7.3.2.1.1); letzteres wird allerdings in der detaillierten topographischen Studie der Region von C. HÄUBER als unwahrscheinlich angesehen, allein schon aufgrund der prominenten Lage innerhalb des Pomerium.1729 Die erhaltenen Architekturreste zeugen von einer großen, terrassierten Plattform mit zentraler Apsis, Piscina, Kanälen und überdachten Portiken mit Granitsäulen.1730 Die Piscina und Kanäle dürften sich innerhalb einer offenen Gartenlandschaft befunden haben; die Wasserversorgung erfolgte wahrscheinlich durch eine große Zisterne.1731 Östlich der Portikus mit Piscina befanden sich außerdem zwei Nymphäen, die teilweise dem Heiligtum der ägyptischen Gottheiten zugerechnet wurden: eines mit rundem und eines mit rechteckigem Grundriß.1732 Ende des 19. Jhs. gefundene Reste von Ziegelmauern mit hadrianischen Ziegelstempeln können vielleicht mit einer zum heiligen Bezirk gehörigen Struktur in Verbindung gebracht werden, wenngleich die genaue Identifikation dieses ebenfalls relativ großen Bauteils kaum möglich scheint: HÄUBER denkt etwa an Substruktionen für eine Vergrößerung der Terrassenanlage, eine monumentale Treppenanlage, die zu dieser führte, oder aber eine Art Gästehaus.1733 Hinweise auf die Lage und Architektur des eigentlichen Naos oder mehrerer Naoi des Heiligtums auf dem Oppius sind jedoch nicht mehr erkennbar; HÄUBER rekonstruiert diese hypothetisch im stark zerstörten Westflügel der Portikus mit Piscina.1734 Der Grund für den Mangel an konkreten Befunden und für eine relative Fundarmut innerhalb der

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theatrum Flavium“) als Namensgeber fungiert hätte. Siehe zur Benennung der Region nach dem Heiligtum auch HÄUBER, Eastern Part, S. 4. Siehe dazu DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis; EAD., Il tempio di Iside in via Labicana a Roma, in: A. Mastrocinque (Hrsg.), I grandi santuari della Grecia e l’Occidente, Labirinti 3, Trient 1993, S. 81–92; EAD., Aegyptiaca romana; ENSOLI, Santuari di Iside, S. 268–269; EAD., Santuari isiaci, S. 308–312; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 338–344, mit Zusammenfassung der vorigen Forschungsdiskussion; KLEIBL, Iseion, Kat. 24, S. 265–266; neuere Untersuchungen und Funde wurden publiziert von HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III; und besonders HÄUBER, Eastern Part, derzufolge das Heiligtum – wenn wirklich alle diesem zugeschriebenen Bauteile dazu gehörten – deutlich größer war als jeder andere Bezirk ägyptischer Gottheiten in Rom (S. 74). Zur wahrscheinlichen prominenten Lage innerhalb der servianischen Mauer siehe ibid., S. 150. HÄUBER, Eastern Part, S. 88; 149; 169–170. Vgl. dazu oben, Kap. 7.3.2.2.1. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, Abb. 149 und S. 101–107 u. 134–136, Abb. 151 u. 153–156; EAD., Aegyptiaca romana, S. 132; HÄUBER, Eastern Part, S. 51–75; 140, Abb. 27–28 (eventuell zugehörige korinthische Kapitelle). HÄUBER, Eastern Part, S. 56–58. Vgl. HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 84; HÄUBER, Eastern Part, S. 75–80; 136; 168; 233–234, der zufolge es sich bei dem Rundbau um die Fons Muscosus, eine Heilquelle, handelt, die später wohl dem Tempel für Minerva Medica angeschlossen war. Er wurde in DE VOS’ Rekonstruktion falsch platziert und als Sarapistempel interpretiert. HÄUBER, Eastern Part, S. 80–83 u. 232–233. HÄUBER, Eastern Part, S. 64–65.

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Heiligtumsreste selbst könnten ein Verfall und eine Überbauung bereits in der Spätantike gewesen sein: Eine bei der Piscina mit Portikus gefundene Inschrift des 5. Jhs. n. Chr. bezeugt den Bau eines Forums im Areal eines ruinösen Gebäudes, in dessen Zuge nach HÄUBER und SCHÜTZ die aufgefundenen Skulpturen(reste) der ägyptischen Gottheiten in die entsprechenden Mauern verbaut worden sein könnten.1735 Auch Inschriften mit deutlichem Bezug auf einen Isis- und Sarapiskult sind aus der Regio III kaum bekannt; neben bloßen Erwähnungen des Regionennamens selbst1736 findet sich nur eine Weihung wohl später Datierung (3. Jh. n. Chr.?) an Isis Lydia educatrix („Isis Lydia, die Erzieherin“), in der die Stiftung von Türflügeln mit (Darstellungen von?) Anubis und einem Altar durch einen kaiserlichen Freigelassenen festgehalten wird.1737 Da ein Architekturteil (Türflügel) dediziert wird, ist ein Zusammenhang der Inschrift mit einem Heiligtum wahrscheinlich. Die Beinamen der Isis sind allerdings einmalig;1738 nach BRICAULT handelt es sich bei Lydia wohl um ein geographisches Epitheton, das vielleicht auf die Heimat des Dedikanten verweist.1739 HÄUBER möchte hierin hingegen eine Identifikation der Isis mit Dea Syria oder Kybele sehen.1740 Die Benennung als educatrix könnte hingegen auf eine persönliche Erfahrung des Weihenden, z. B. eine Vision oder sogar Initiation in den Kult zurückgehen. Eventuell ist auch allgemeiner eine Kennzeichnung der Isis als Weise und Lehrerin gemeint, entsprechend ihrer dahingehenden Charakterisierung in zahlreichen Texten aus Ägypten.1741 Die Datierung des Heiligtums in Regio III ist aufgrund der zahlreichen problematischen Faktoren (genaue Lokalisierung unbekannt, wenige Architekturreste, Identifizierung mit Iseum Metellinum fraglich etc.) sehr unsicher; HÄUBER und SCHÜTZ, die das Heiligtum als ein vom Iseum Metellinum separates auffassen, schlagen aufgrund verschiedener Faktoren eine Errichtung unter Nero oder den Flaviern vor.1742 Mutmaßliche Ausstattung Wie aus den obigen Bemerkungen hervorgeht, wurden in der Umgebung zwar zahlreiche Objekte gefunden, die zur Ausstattung des Iseum et Serapeum von Regio III gehört haben könnten, diesem jedoch größtenteils nicht mit Sicherheit zugeschrieben werden können.1743 1735 CIL VI 1197; siehe HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 87–88; HÄUBER, Eastern Part, S. 8; 95–106; vgl. auch S. 799–802. 1736 RICIS 501/0103–0105; siehe auch HÄUBER, Eastern Part, S. 86. 1737 RICIS 501/0102; Taf. 85. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 153; EAD., Aegyptiaca romana, S. 153. 1738 Siehe RICIS II, Index, S. 773; BRICAULT, Myrionymi, S. 86. 1739 BRICAULT, RICIS II, S. 518 zu RICIS 501/0102. 1740 HÄUBER, Eastern Part, S. 174–175, vgl. dazu auch unten, Anm. 1748 und 1767. 1741 Siehe dazu oben, bes. Kap. 6.5.1. DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 153, interpretiert den Beinamen im Sinne der ‚Kulturbringerin‘ Isis, wie sie die Aretalogien darstellen – diese sind aber wiederum von der ägyptischen Tradition abhängig, siehe Kap. 6.6. Vgl. auch die Darstellung der Isis als Weise/Schriftgelehrte(?) auf dem Ariccia-Relief, s. o., 7.3.2.2.2. 1742 Da Domitian bereits das Iseum Campense errichtet hat, ist es m. E. unwahrscheinlich, daß ihm noch ein zweites Heiligtum der ägyptischen Gottheiten in Rom zuzuschreiben ist, da dies vermutlich im Zusammenhang mit ersterem dokumentiert worden wäre. Zur möglichen Datierung unter Nero vgl. auch HÄUBER, Eastern Part, S. 6; 60; 230. 1743 So denkt beispielsweise VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 343–344, in seiner kultischen Kontexten von Aegyptiaca etc. generell kritisch gegenüberstehenden Besprechung an die alternative Möglichkeit

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Dennoch sollen im Folgenden die interessantesten Stücke aus dieser Region im Zusammenhang anderer Zeugnisse und Heiligtümer der ägyptischen Kulte in Rom diskutiert werden. Dabei zeichnen sich m. E. einige klare Linien ab. Bemalte Stuckdekorationen, die im 17. Jh. in der Gegend von SS. Marcellino e Pietro in Resten eines antiken Gebäudes gefunden wurden und eine gewölbte Decke (oder einen Bogen) und eine Lunette verkleidet haben, sind heute nur noch durch Zeichnungen in der Bibliothek der Windsor Castle bekannt, die durch DE VOS wiederentdeckt wurden.1744 Soweit erkennbar, zeigen die Kassettenfelder eine thronende Isis-Fortuna mit Basileion oder Kalathos, Füllhorn und Patera zusammen mit der stehenden Minerva, Harpokrates als nackten Knaben mit Füllhorn und Finger am Mund gegenüber einer Kultdienerin(?) mit einem Gabenkorb, sowie mehrere Vögel und kniende und stehende, adorierende(?) männliche Priester mit ägyptisierendem Schurz und Kopfschmuck. Weitere Figuren scheinen zu tanzen, ähnlich den Tänzern auf dem Ariccia-Relief,1745 allerdings ikonographisch auf ägyptischen Vorbildern basierend. Die Minerva-Darstellung bezieht sich wahrscheinlich auf den benachbarten Tempel der Minerva Medica, dessen Vorgängerbau bereits seit (mindestens) republikanischer Zeit bestand.1746 Die Stuckdekoration einer Lunette zeigt im Zentrum eine Tholos und eine frontal stehende Isis mit Knotengewand, Szepter und schematischem Basileion (mit zur Seite gebogenen Federn).1747 Links und rechts der Tholos stehen, deutlich kleiner dargestellt, eine weibliche Figur mit Strahlen- oder Mauerkrone, drapiertem Mantel und Szepter sowie ein nackter Jüngling (Harpokrates?), der ebenfalls ein Szepter hält.1748 In den seitlichen Dekorfeldern sind schematische Basileia mit flankierenden geflügelten Uräen sowie Hydrien(?) dargestellt.1749 Der Stil der Stuckreliefs deutet in das 1. Jh. n. Chr., wahrscheinlich in neronische oder flavische Zeit.1750 Zu der dargestellten Isis mit Füllhorn

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einer ursprünglichen Aufstellung zumindest einiger Stücke in den ebenfalls in diesem Bereich gelegenen Gärten des Maecenas. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 137–142; 104, Abb. 157–158; EAD., Aegyptiaca romana, S. 152, Abb. 9; H. WHITEHOUSE, Ancient Mosaics and Wallpaintings, The Paper Museum of Cassiano dal Pozzo, Series A, Pt. 1, London 2001, S. 249–253; HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 90; HÄUBER, Eastern Part, S. 104–106; 155–158; 33–34, Abb. 7–8. Vgl. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 140. Zum Ariccia-Relief siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2. DE VOS, Dionysos, Hylas e Isis, S. 113. Zu möglichen Beziehungen zwischen den beiden Heiligtümern siehe auch BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 107–108; zur Lokalisierung und Datierung von Minerva Medica HÄUBER, Eastern Part, S. 110–138 u. 158–167; zu den Stuck-Reliefs 155–156. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 137, vergleicht diese Ikonographie mit derjenigen der Isisdarstellung auf der neuattischen Kandelaberbasis ‚Grimani‘ in Venedig, die vermutlich ebenfalls aus Rom stammt (ca. 50–20 v. Chr.), siehe MERKELBACH, Isis regina, S. 623, Abb. 152; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 4, S. 10 und 111; Taf. 5. Die Attribute sind tatsächlich die gleichen (auf dem Relief ist zusätzlich noch eine Patera zu erkennen), während die Haltung der Isis in der Stuckdekoration frontal und starr ist, im Gegensatz zu der Halbprofildarstellung mit Kontrapost auf der Basis. Auch Harpokrates ist auf der Kandelaberbasis dargestellt, im gleichen Typus wie in der Kassettendekoration (nicht wie in der Lunette, wo er ein Szepter trägt und die Hand herabhängt). Zu (alternativen) Identifizierungsvorschlägen für die beiden Nebenfiguren als Dea Syria/Atargatis und Apollo/Baal-Hadad siehe HÄUBER, Eastern Part, S. 171–175. Vgl. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 141–142. Zu den Kronendarstellungen vgl. die Dekoration der Gräber Anfushi I–II in Alexandria, s. o., Kap. 6.2.10.2 (Exkurs). Die ‚Hydrien‘ (so DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 142) haben eine eher ungewöhnliche Form. Vgl. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 139–142 zum motivischen und stilistischen Vergleich mit römischen und campanischen Wandmalereien (Datierung: flavisch); HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis

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könnte der Fund von mehreren Fragmenten einer überlebensgroßen Statue mit Füllhorn aus dem Bereich der Plattform mit Portikus und Piscina passen.1751 Da der Kopf fehlt, läßt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren, ob es sich wirklich um eine Isis-Fortuna (d. h. der Kopf hätte ein Basileion oder eine andere ägyptisierende Krone getragen) handelte. Aufgrund der Größe und der Darstellung in der Stuck-Dekoration könnte dies sogar die Kultstatue des Heiligtums gebildet haben.1752 Zahlreiche weitere Statuenfragmente fanden sich in der Umgebung, darunter mehrere Köpfe, die zumindest teilweise zu Isisdarstellungen gehört haben könnten,1753 ein vielleicht unter Commodus entstandener überlebensgroßer Sarapiskopf sowie eine möglicherweise zu derselben Statue gehörige Kerberos-Skulptur,1754 sowie eine Isisskulptur des späteren 3. Jhs. n. Chr. mit befranster Knotenpalla, Korkenzieherlocken, Diadem (der Aufsatz fehlt) und befranstem Schleiertuch über dem Kopf.1755 Ein Knabenkopf mit Horuslocke1756 stellt wohl einen jungen Angehörigen einer Familie, die Anhänger oder Eingeweihte der ägyptischen Götter waren, dar.1757 HÄUBER hält außerdem für drei weitere marmorne Isis-Statuen, die sich im Palazzo Barberini befanden und mittlerweile in verschiedene Sammlungen gelangt sind, eine ursprüngliche Herkunft aus dem Isis- und Sarapistempel der Regio III für gut möglich: Eine davon trägt eine Mondsichel und Getreideähren auf dem Kopf,1758 eine weitere wird von dem nackten Harpokrates mit Füllhorn be-

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in Regio III, S. 88; HÄUBER, Eastern Part, S. 151–152 u. 184 (Datierung: neronisch). Zu möglichen Verbindungen zwischen Isis und Minerva als Kriegs-/Sieges-, Heil- und Schutzgöttinnen in flavischer Zeit vgl. BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 256–258. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 125; HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 90; HÄUBER, Eastern Part, S. 229; 511–513. Vgl. HÄUBER, Eastern Part, S. 156, die ebenfalls davon ausgeht, daß es sich bei der Isis-Fortuna innerhalb der Stuckdekoration um eine Darstellung des Kultbildes handelt. Das von ihr außerdem ebenfalls als Darstellung des Kultbildes interpretierte Relief einer thronenden Fortuna auf einer Basis (HÄUBER, Eastern Part, S. 602–610; 35, Abb. 9) weist m. E. hingegen kein eindeutig der Isis zuzuweisendes Merkmal auf, auch nicht auf den Nebenseiten, und ist daher in diesem Zusammenhang mit Vorsicht zu betrachten (der Kopf der Göttin ist allerdings restauriert, so daß ein ursprünglich darauf befindliches Basileion, wie bei der thronenden Isis-Fortuna der Stuckdekorationen, natürlich nicht auszuschließen ist). DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 124–125, m. Abb. 193–194 (davon sieht Abb. 193 m. E. nicht spezifisch nach Isis aus); HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 86; HÄUBER, Eastern Part, S. 52; 30–32, Abb. 2–5; 498–500. HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 86 u. 90; HÄUBER, Eastern Part, S. 6; 36, Abb. 10–11; 227; 509–511; 740–744. Zu Stil und Datierung auch HORNBOSTEL, Sarapis, S. 235; 248–252; 293. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 129; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 122–123, Kat. 35 („250–280 n. Chr.“); Taf. 26. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 133 (ohne Abbildung); L. NISTA, Materiali marmorei dalla valle dell’Anfiteatro, in: Anfiteatro flavio. Immagine, testimonianze, spettacoli, Rom 1988, S. 110–111, Abb. 4. Zu solchen Bildnissen siehe VON GONZENBACH, Knabenweihen, wenngleich ich ihrer Interpretation dieser Denkmälergruppe nicht gänzlich zustimme; vorsichtigere Überlegungen bei MALAISE, Conditions, S. 150–151. Vgl. oben, Kap. 7.2.3.3.2 zu einem Knabenporträt aus Bulla Regia, mit weiterer Literatur. ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.24, S. 406; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 47, S. 38 u. 126–127; Taf. 32: 120–130 n. Chr.

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gleitet.1759 Eine dritte, mit schwarzer Palla contabulata, könnte auch als Isisdienerin zu identifizieren sein.1760 Wie im Iseum Campense gehörten aber auch hier zur Ausstattung zahlreiche ägyptische bzw. ägyptisierende Objekte, die die Gottheiten in einer traditionelleren Form zeigen. Besonders markant ist ein sehr qualitätvoller Einsatzkopf der Isis oder (ursprünglich?) einer ptolemäischen Königin aus parischem Marmor, mit ägyptischer gestufter Löckchenperücke und einem an die ägyptische Geierhaube angelehnten, darauf aufliegenden Vogelbalg, dessen separat gearbeiteter Kopf verloren ist.1761 Auf dem Scheitel war möglicherweise noch eine Krone eingezapft. Das Stück datiert bereits in das 1. Jh. v. Chr. (oder sogar früher)1762 und ist damit entweder einer teilweise postulierten früheren Phase des Heiligtums – das dann vielleicht tatsächlich mit dem Iseum Metellinum identisch wäre – zuzuordnen oder erst sekundär in die Ausstattung übernommen worden. Interessanterweise soll ein zweiter Kopf desselben Typus, allerdings aus Sandstein, im Tiber gefunden worden sein.1763 Aufgrund des Materials stammt er sicher nicht aus Italien, möglicherweise aber aus Ägypten. Falls der berühmte Kopf, der in eine Statue eingesetzt gewesen sein muß, ursprünglich eine Ptolemäerin darstellte, dürfte auch dieser in Ägypten gefertigt worden sein. Dafür spricht auch, daß offenbar ursprünglich ein Rückenpfeiler angebracht war, dessen Aussparung noch auf der Rückseite des Kopfes zu erkennen ist.1764 Ein konkretes Porträt ist allerdings nicht identifizierbar. Andererseits wird die Ikonographie mit ägyptischer Perücke und Geierhaube bereits in der punischen Adaption von Isis-/Hathor-Bildnissen übernommen.1765 Zumindest in der sekundären Verwendung im Iseum et Serapeum der Regio III ist das Bildnis sicherlich als Darstellung der Isis verstanden worden. Aufgrund der stark von den ägyptischen Vorbildern abweichenden Ikonographie des Vogelbalgs möchte KRUG (gefolgt von HÄUBER) darin in diesem Fall jedoch keinen Geier, sondern vielmehr einen kleineren Vogel, im Vergleich mit anderen Isisdarstellungen möglicherweise eine Taube erkennen, was Isis mit Aphrodite (und/oder Astarte) in Verbindung bringt.1766 Für eine Assoziation der Isis(-Hathor) mit Aphrodite/Venus spricht außerdem der Fund einer lebens1759 HÄUBER, Eastern Part, S. 90; 458, Abb. 87, B (Isisstatue mit Harpokrates in München, Glyptothek); siehe auch EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 27, S. 119–120; Taf. 21: 190–200 n. Chr. 1760 Vgl. EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 80, S. 87–88 u. 139; Taf. 56: um 170 n. Chr. 1761 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 131 u. 126, Abb. 195a–c; KRUG, Isis – Aphrodite – Astarte, bes. S. 180–183, m. Abb. 1–2; BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 206, S. 624; HÄUBER, Eastern Part, S. 30, Abb. 2a–d; 85; 514–517; dazu auch QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 401. 1762 ENSOLI, Santuari isiaci, S. 310, datiert den Kopf sogar in das 2. Jh. v. Chr. und erwägt, ob er aus der Kriegsbeute der Meteller aus Griechenland stammen könnte, was natürlich rein spekulativ ist. 1763 MALAISE, Inventaire, Kat. Roma 428, S. 232; E. SJÖQVIST, Queen or Goddess?, in: Record of the Art Museum, Princeton University 19, 1960, S. 87–92, m. Abb. 1–3. Ob sich eine Verbindung zu der literarisch belegten Zerstörung eines Isistempels unter Tiberius herstellen läßt, bei der ägyptische Statuen in den Tiber geworfen wurden? Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.1, Anm. 1538. 1764 Vgl. HÄUBER, Eastern Part, S. 516–517. 1765 Siehe oben, Kap. 7.1, passim. 1766 KRUG, Isis – Aphrodite – Astarte. Eine Bronzefigur der Isis, ibid., S. 185, Abb. 5, gibt diese Ikonographie, inklusive Löckchenperücke, ebenfalls wieder. Andere Bronzen, vor allem aus dem syrisch-phönikischen Raum übernehmen statuarische Typen der Aphrodite und kombinieren diese mit einer solchen ‚Taubenkappe‘, teilweise auch mit weiteren Attributen der Isis. Vgl. zu dieser Diskussion bereits die punische Sarkophagfigur aus Karthago, s. o., Kap. 7.1.4.

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großen Statue der Aphrodite im Typus Anadyomene, die zusammen mit der ‚Osiris‘-Skulptur (s. u.) entdeckt wurde und daher wohl ebenfalls dem Heiligtum zuzuordnen ist.1767 Gerade dieser statuarische Typus wird aber, z. B. auf magischen Gemmen, häufig mit Isis(-Hathor) verbunden.1768 Abgesehen von der Aphrodite könnten aber auch diverse weitere in der Umgebung gefundene klassische Statuen ursprünglich im Heiligtum aufgestellt gewesen sein.1769 Die ägyptisierende Ikonographie des Einsatzkopfes läßt sich desweiteren mit zwei weiteren Stücken verbinden, die ebenfalls aus dem Heiligtum in Regio III stammen könnten.1770 Eine ptolemäische Steatit-Statuette zeigt die Göttin oder eine Königin ebenfalls mit gestufter Löckchenperücke. Diese trägt einen Halskragen und ein langes Kleid mit um den Rockteil gewickelten Flügeln in ägyptischem Stil. Die gleiche Ikonographie weist eine weibliche Figur auf einem Relief auf, das nur durch eine Zeichnung von dal Pozzo aus dem 17. Jh. bekannt ist.1771 Auf ihrem Kopf befindet sich zudem eine Hathorkrone, und sie hält die Hand eines Mannes, dessen Kopf verloren ist. Zwischen beiden steht ein Knabe mit einer Keule, der dementsprechend vielleicht mit Harpokrates-Herakles zu identifizieren ist. Es könnte sich auch um ein Weih- oder Grabrelief von Kultanhängern handeln, die sich (zumindest die Frau und der Knabe – der Mann weist keine erkennbaren Spezifika auf, obwohl er barfuß dargestellt ist) in der Gewandung der von ihnen verehrten Gottheiten darstellen.1772 Das Flügelkleid erinnert an dasjenige der weiblichen Sarkophagfigur aus Karthago, die außerdem wie der Einsatzkopf eine Art Geier- oder Taubenhaube auf dem Kopf trägt.1773 Ferner könnten ein fragmentarischer ägyptischer Naophor mit Horusfalke, der auf dem Esquilin gefunden wurde,1774 sowie drei späthellenistische oder römerzeitliche Löwenskulpturen, die von LEMBKE hypothetisch dem Iseum Campense zugerechnet worden waren, laut HÄUBER ebenfalls zur Ausstattung des Heiligtums auf dem Oppius gehört haben.1775

1767 DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 150. Vgl. auch HÄUBER, Eastern Part, S. 171–175, die davon ausgeht, daß Isis auf dem Oppius zusammen mit Dea Syria (= Astarte/Atargatis)-Aphrodite verehrt wurde. 1768 Siehe oben, Kap. 6.5.2.2. Es sei außerdem an die von Julius Caesar veranlaßte Aufstellung einer goldenen Statue der Kleopatra (mit Isisikonographie?) im Tempel der Venus Genetrix erinnert, siehe oben, 7.3.2.2.1. 1769 Siehe dazu HÄUBER, Eastern Part, S. 493–508. Dies muß jedoch reine Hypothese bleiben, da diese meist in spätantike Mauern sekundär verbaut aufgefunden worden waren und ebenso gut aus einem anderen Heiligtum oder privaten Anwesen der Umgebung stammen könnten. 1770 Siehe S. ENSOLI, in: Arslan (Hrsg.), Iside, Kat. V.16, S. 398; HÄUBER, Eastern Part, S. 86. 1771 ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, Kat. 46, S. 64; Abb. 65. 1772 Vgl. die Interpretation des Reliefs vom Ager Vaticanus oben, Kap. 7.3.2.1.2, m. Anm. 1511–1512. 1773 Kap. 7.1.4. Vgl. oben, Anm. 1766. 1774 Siehe ROULLET, Egyptian and Egyptianizing Monuments, Kat. 190, S. 111–112; Taf. 154, Abb. 216; HÄUBER, Eastern Part, S. 86. Für weitere kleinere ägyptisierende Stücke aus der Region, die möglicherweise mit dem Heiligtum in Zusammenhang standen, siehe HÄUBER, Eastern Part, S. 86–87. 1775 HÄUBER, Eastern Part, S. 90–91; vgl. LEMBKE, Iseum Campense, S. 240–241, Kat. E* 41–43; Taf. 44. Zur Datierung und wahrscheinlichen Herstellung in Ägypten siehe BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 27–28, S. 475–476 (U. HÖCKMANN/C. MADERNA).

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Die bereits erwähnte ‚Osiris‘-Statue1776 aus dem Bereich des Iseum et Serapeum der Regio III zeigt eine ägyptisierende Figur des 2. Jhs. n. Chr., deren Ikonographie derjenigen des mumienförmigen Osiris bzw. von an Osiris angeglichenen Verstorbenen entspricht, wie sie z. B. auf römerzeitlichen Leichentüchern dargestellt sind.1777 Der Kopf wurde modern wieder angefügt, dürfte jedoch bis auf Ergänzungen auf der Rückseite antik sein.1778 Die Figur trägt ein Nemes-Kopftuch, einen ägyptischen Halskragen und einen Mantel, der auch die Arme mit einhüllt. Diese sind vor die Brust geführt und könnten in den geballten Fäusten einst Szepter und Geißel (aus Bronze o. ä.) gehalten haben.1779 Die Füße stehen dicht nebeneinander, die gesamte Haltung ist frontal und starr. DE VOS vergleicht Haltung und Ikonographie m. E. zu Recht mit der polychromen Statue vom Isisheiligtum in Kyrene.1780 Ungewöhnlich ist jedoch die um den Leib gewundene Schlange, für die DE VOS nur eine Parallele auf einem kaiserzeitlichen Leichentuch aus Sakkara anführt. Sie interpretiert die Schlange als Manifestation der Isis, die sich mit Osiris in einer ‚Theogamie‘ vereint,1781 was m. E. aber unwahrscheinlich ist. Tatsächlich existieren weitere römische, osirianische Statuen/Statuetten dieser Art außerhalb Ägyptens1782 und wurden teilweise als ‚Osiris-Aion‘, ‚Osiris Chronokrator‘ oder ‚Aion-Kronos‘ interpretiert.1783 So stellt das Reptil nach E. BRESCIANI vielmehr die Uroboros-Schlange als Symbol der Ewigkeit dar.1784 In der ägyptischen Tradition haben Umringlerschlangen einen klaren Jenseitsbezug,1785 was auch gut zu der sonstigen Ikonographie der römischen Statue sowie zu dem Leichentuch aus Sakkara paßt. M. E. könnte sich – unbeschadet möglicher Reinterpretationen – noch ein weiteres ägyptisches Vorbild hinter dieser Ikonographie verbergen. Der Leichnam bzw. die Körperteile des Osiris oder sein Grab werden nach ägyptischen Texten und Darstellungen von heiligen Schlangen, die der Materia sacra von Gauen und Städten zugerechnet werden, beschützt, z. B. nach dem mythologischen und kulttopographischen Handbuch des pJumilhac.1786 Diese Idee könnte hinter der römerzeitlichen Statue des Osiris in Mumienge1776 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 116–119, m. Abb. 183–184; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. IV.227, S. 231; HÄUBER, Eastern Part, S. 476, Abb. 111a–b; 634–643. 1777 Beispiele bei DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 118–119, m. Abb. 186–187; vgl. auch EAD., Aegyptiaca romana, S. 145–146. 1778 Vgl. E. BRESCIANI, in: Arslan (Hrsg.), Iside, Kat. IV.227, S. 231. 1779 Vgl. DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 117. 1780 Zur Argumentation für eine Abhängigkeit der Ikonographie der Kyrener Statue von ägyptischen Funerärdarstellungen griechisch-römischer Zeit siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. 1781 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 119. 1782 So z. B. eine sehr viel schematischere Bronze-Statuette vom Heiligtum auf dem Janiculum im Thermenmuseum Rom (siehe unten, 7.3.2.2.7); und eine Statuette des 3.–4. Jhs. n. Chr. in Turin, ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. IV.231, S. 234. 1783 Grundlegend dazu KÁKOSY, Osiris-Aion. 1784 E. BRESCIANI, in: ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. IV.227, S. 231. Ähnlich interpretiert HÄUBER, Eastern Part, S. 637, die Schlange als Aion (basierend auf ägyptischer Uroboros-Schlange). 1785 Vgl. KÁKOSY, Osiris-Aion, S. 19–20, mit Belegen. Vgl. auch die Hieroglyphe für Dt „Ewigkeit“ oder dwA.t „Unterwelt“. 1786 Z. B. pJumilhac, 9, 24–10, 1; 12, 9–11; 14, 21–25. Vgl. u. a. auch Hibis III, Taf. 3. Ausführlich habe ich das Thema der heiligen Schlangen und ihrer unterschiedlichen Rollen in meiner (unpublizierten) Magisterarbeit „Untersuchungen zu Heiligen Schlangen als Agathoi Daimones im griechisch-römischen Ägypten“, Trier 2008, behandelt. Zum pJumilhac bzw. der Rolle der Isis darin siehe oben, Kap. 4.13.3.

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stalt stehen. Eine den Körper umringelnde Schlange weist außerdem eine der sehr provinziellen, wohl weibliche Figuren darstellenden Statuen aus Martuba (Kyrenaika) auf, die jedoch keine osirianischen Züge zu haben scheint.1787 Die Skulptur im Heiligtum der Regio III dürfte entweder Osiris selbst oder aber einen (verstorbenen?) Anhänger der ägyptischen Götter repräsentiert haben,1788 der die Statue entsprechend als Weihgeschenk gestiftet haben könnte. Das Nemes-Kopftuch ist freilich in Ägypten eine Insignie ägyptischer Pharaonen oder eben eines Königsgottes wie Osiris, wurde aber in der Römerzeit vereinzelt auch für divinisierte bzw. osirianisierte Verstorbene wie Antinoos adaptiert.1789 Die ikonographische Aneignung als Symbol der Osirianisierung durch private Anhänger der ägyptischen Kulte wäre (ab der Mitte des 2. Jhs.) also immerhin denkbar, doch halte ich letztlich eine Statue des Gottes selbst für wahrscheinlicher.1790 Ein Nemes-Kopftuch trägt auch ein dem Heiligtum in Regio III zuzuordnender Pharaonenkopf aus weißem Marmor, der römischer Produktion entstammt und wahrscheinlich zu einem Sphinx gehörte.1791 Wie im Iseum Campense gehörten desweiteren ägyptisierende Reliefs zur Ausstattung, von denen allerdings nur sehr wenig erhalten ist: Ein schmales Fragment aus lunensischem Marmor zeigt rechts die vordere Hälfte einer ganz in ägyptischem Stil gehaltenen Frauenfigur mit wadenlangem Kleid, freier Brust, Halskragen und einer auf dem stark zerstörten Kopf (der wohl noch eine Krone o. ä. trug) befindlichen großen Sonnenscheibe mit Uräusschlange.1792 Die erhaltene rechte Hand ist grüßend erhoben in Richtung des am linken Rand des Fragments noch erkennbaren Rinderkopfes, der wahrscheinlich zu einer Apisdarstellung gehörte. Zwischen beiden wachsen Getreideähren aus dem Boden.1793 Die Frauenfigur könnte Isis (als Mutter des Apis) oder aber eine adorierende Königin darstellen. Das zweite, zum gleichen Relief gehörige Fragment enthält die Darstellung eines Tempels auf einem sehr hohen, geböschten Unterbau, der geradezu an einen ägyptischen Pylon erinnert.1794 Die Architektur ist von der Seite dargestellt und wirkt daher relativ gedrängt; zu erkennen sind zwei Frontsäulen mit Papyrus(?)kapitellen und ein dahinter befindlicher Naos, der genau wie der geböschte Unterbau einen Hohlkehlenabschluß 1787 Siehe oben, Kap. 7.2.1.3. 1788 DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 147, hält sie für die Darstellung eines Anhängers, der sich als Osiris darstellte. 1789 Vgl. K. PARLASCA, Osiris und Osirisglaube in der Kaiserzeit, in: Les syncrétismes, S. 95–102: 96–101. 1790 Insbesondere im Vergleich mit der rituell deponierten Statuette desselben Typus im Heiligtum auf dem Janiculum (siehe unten, 7.3.2.2.7) und der an dominus Osiris geweihten Statue aus Fiesole, die möglicherweise ebenfalls diese Ikonographie aufwies, wenngleich nur die Füße erhalten sind (siehe unten, 7.3.3.1.1, Anm. 2201). Zum gleichen Schluß kommt auch HÄUBER, Eastern Part, S. 642. 1791 ARSLAN (Hrsg.), Iside, V.17, S. 399; dazu ENSOLI, Santuari isiaci, S. 311; HÄUBER, Eastern Part, S. 491. 1792 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 122 u. 129, m. Abb. 191a–b; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.23, S. 405 (Beschreibung vertauscht mit V.22); ENSOLI, Santuari isiaci, S. 312; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 339–340; SPINOLA, Alcune sculture egittizzanti, S. 96, Abb. 20; HÄUBER, Eastern Part, S. 88–89; 457, Abb. 85. 1793 VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 339–340, bezeichnet diese fälschlich als Papyrusstengel, doch die Darstellung ähnelt am ehesten Emmer oder Gerste (lange Grannen). 1794 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.22, S. 405 (Beschreibung vertauscht mit V.23); dazu ENSOLI, Santuari isiaci, S. 312; SPINOLA, Alcune sculture egittizzanti, S. 97, Abb. 21; HÄUBER, Eastern Part, S. 88–89; 457, Abb. 86. Zu pylonartigen Strukturen in außerägyptischen Isisheiligtümern vgl. die Heiligtümer von Marathon, Baelo Claudia und Kenchreai, siehe KLEIBL, Iseion, S. 53.

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aufweist. Zwischen den Säulen scheinen sich Schrankenwände zu befinden. Nur der vordere Teil des Tempels (und Unterbaus) ist dargestellt, dahinter befindet sich ein vertikaler Trennsteg. Der obere Teil, der das auf den Säulen aufliegende Gebälk und Dach gezeigt haben muß, ist abgebrochen. Keine Treppe ist zu sehen, die auf den hohen Unterbau hinaufführt, so daß die Architektur unrealistisch bzw. in irgendeiner Weise symbolisch abgekürzt wirkt. Ein weiteres marmornes Relieffragment, dessen Stil auffällig demjenigen der dem Iseum Campense zugeschriebenen Stücke ähnelt, zeigt eine ägyptisierende Hand mit Szepter und Lebenszeichen (Anch).1795 Die Reliefs werden in flavische (SPINOLA) oder hadrianische (ENSOLI) Zeit datiert. Die Verehrung des Apis bezeugt neben dem genannten ägyptisierenden Relief außerdem eine vielleicht bereits ptolemäische Stier-Skulptur aus schwarzem Porphyr, die in mehreren Teilen verstreut aufgefunden wurde, die teilweise in eine spätantike Mauer mit weiteren Statuenfragmenten verbaut war.1796 Keinen direkten Hinweis auf eine Verbindung mit Apis und Hathor liefern trotz der passenden Fundorte zwei große Reliefteile (eines Giebels?), die eine Kuh und einen Stier ganz in römischem Stil und ohne weitere Attribute darstellen.1797 Eine vollplastische Kuhskulptur ganz ähnlicher Ikonographie war zudem in einer spätantiken Mauer nahe dem runden Nymphäum beim Heiligtum verbaut.1798 Dennoch ist die Häufung von Rinderdarstellungen im Umkreis des Iseum et Serapeum sehr auffällig und könnte in Verbindung mit den Ähren auf dem ägyptisierenden Relief sowie der eventuellen Kultstatue der Isis mit Füllhorn auf einen besonders betonten Fruchtbarkeitsaspekt der ägyptischen Gottheiten hinweisen (vgl. Iseum Campense, wo diese Fruchtbarkeit vor allem mit Isis-Sothis und der Nilüberschwemmung/Osiris zusammenhängt). In diesem Zusammenhang ist nochmals auf die bereits oben in Verbindung mit dem Iseum Campense beschriebene Säulen(?)basis des 3. Jhs. (aus Regio II) mit Reliefdarstellungen eines Isisheiligtums zurückzukommen.1799 Darauf ist nicht nur wie in der Stuckdekoration eine sitzende Isis-Fortuna mit Füllhorn dargestellt, sondern diese hält außerdem Getreideähren und wird von einem Jüngling (Harpokrates?) und einem Rind (Apis?) begleitet. Unabhängig davon, ob dort ein konkretes Heiligtum, und wenn ja welches, dargestellt ist, zeigt sich an diesem späten Stück die Kontinuität einiger mehrfach wiederkehrender Themen und Gottheiten (bzw. deren Aspekte), die sowohl im Iseum Campense als auch im Iseum et Serapeum der Regio III präsent waren. Die dem letzteren Heiligtum zugeschriebenen Funde scheinen teilweise bereits eine relativ frühe Datierung aufzuweisen; einige Stücke sind bereits dem 1. Jh. v. (so der Isiskopf mit Geierhaube/Taube) oder dem 1. Jh. n. Chr. (die Stuckdekorationen) zuzuschreiben. Das Heiligtum könnte also etwa gleichzeitig oder sogar früher als das Iseum Campense errichtet worden sein. Auffällig ist außerdem trotz des Regionennamens 1795 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 133, Abb. 201; PARLASCA, Ägyptisierende Bauglieder, S. 61; Taf. 13,3; ID., Ägyptisierende Tempelreliefs, S. 413, Abb. 9. 1796 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 125–126, Abb. 196; 128, Abb. 198; HÄUBER/SCHÜTZ, Isis et Serapis in Regio III, S. 86; HÄUBER, Eastern Part, S. 52; 84–85; 139, Abb. 24. 1797 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 126–128, Abb. 197a–b. 1798 DE VOS, Dionysus, Hylas e Isis, S. 128, Abb. 198. 1799 MERKELBACH, Isis regina, S. 665, Abb. 201; D. BONNEAU, La crue du Nil I: Ses descriptions, ses explications, son culte, Études et commentaires 52, Paris 1964, S. 354–355; MALAISE, Inventaire, Kat. 310, S. 168; KISS, Dieu-crocodile, S. 278; 280, Abb. 6; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 58– 59, Kat. 009. Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2.

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die relativ geringe Bezeugung von Sarapis im gesamten Fundmaterial; mit HÄUBER ließe sich spekulieren, ob sein Kult vielleicht erst in einer späteren Phase des Heiligtums (unter Commodus?) dem der Isis und sie begleitenden Gottheiten hinzugefügt worden sein könnte, zumal er nicht auf den Stuckdekorationen des 1. Jhs. n. Chr. auftaucht, wo Isis deutlich als alleinige übergeordnete Göttin gekennzeichnet ist.1800 7.3.2.2.4 Historischer Hintergrund: Sarapis als neuer Patron der Kaiser im 2.–3. Jh. n. Chr. Unter Hadrian erlebten der Kult der ägyptischen Gottheiten sowie ägyptische und ägyptisierende Kunst einen erneuten Aufschwung, der zu einem Höhepunkt der Bauaktivitäten von Heiligtümern, Inschriften und anderen Zeugnissen im 2. Jh. n. Chr. führte.1801 Nachdem sein junger Liebling Antinoos während der Ägyptenreise des Kaisers 130 n. Chr. im Nil ertrunken war, propagierte er nicht nur in Ägypten, sondern auch in Rom dessen Vergöttlichung und assoziierte ihn als Osiris-Antinoos mit den ägyptischen Gottheiten um Isis. Hiervon zeugt neben der oben bereits genannten Inschrift im Iseum Campense, die ihn als synthronos der ägyptischen Götter bezeichnet,1802 besonders eindrucksvoll der hieroglyphisch beschriftete Obelisk, den Hadrian ihm zu Ehren eigens aufstellen ließ.1803 Unter der antoninischen und severischen Dynastie war es insbesondere Sarapis, der eine intensive Förderung und Verehrung durch das Kaiserhaus genoß und auf offiziellen Monumenten eine gesonderte Stellung einnahm.1804 In Commodus’ Münzemissionen erscheint Sarapis unter anderem als Conserv(ator) Aug(usti) „Schützer/Bewahrer des Kaisers“.1805 Medaillons von 190 n. Chr. mit der Legende Votis felicibus zeigen den Kaiser außerdem beim Opfer an einem Hafen, wohl Ostia, vor ankommenden Schiffen, auf deren größtem Sarapis thront.1806 Nach BRICAULT lassen sich diese Prägungen wiederum mit der Ankunft der Getreidelieferungen aus Ägypten verbinden. Eine noch deutlichere Symbolik weist eine Münze von 192 n. Chr. auf, auf deren Rückseite Commodus von einer hinter ihm stehenden 1800 HÄUBER, Eastern Part, S. 170; 179; 227; 510–511. 1801 Vgl. zu Hadrian und Ägypten/den ägyptischen Kulten z. B. PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 146–168; TAKACS, Isis and Sarapis, S. 105–106; MALAISE, Conditions, S. 419–426; LEMBKE, Iseum Campense, S. 94–96; TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 251–255. 1802 RICIS 501/0117. Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2. 1803 Heute auf dem Monte Pincio in Rom; der ursprüngliche Aufstellungsort ist ungewiß – die Theorien reichen von der Stadt Antinoopolis in Ägypten über die kaiserliche Villa in Tivoli bis hin zur römischen Hauptstadt. Siehe dazu A. GRIMM/D. KESSLER/H. MEYER, Der Obelisk des Antinoos: Eine kommentierte Edition, München 1994; J.-C. GRENIER, L’Osiris Antinoos, Cahiers de l’Égypte Nilotique et Méditérranéenne 1, Montpellier 2008; MALAISE, Terminologie, S. 110–117; G. H. RENBERG, Hadrian and the Oracles of Antinous (SHA Hadr. 14.7); With an Appendix on the So-Called Antinoeion at Hadrian’s Villa and Rome’s Monte Pincio Obelisk, in: Memoirs of the American Academy in Rome 55, 2010, S. 159–198. Rezente Ausgrabungen im ‚Antinoeion‘ der Villa Hadriana scheinen nach MARI, Tomba-tempio, wieder für eine dortige Aufstellung zu sprechen – dem wird jedoch mit guten Argumenten widersprochen durch RENBERG, op. cit. Zur Villa Hadriana siehe unten, Kap. 7.3.2.4. Zum Konzept des vergöttlichten Antinoos und seiner vielschichtigen Symbolik siehe auch M. J. VERSLUYS, Making Meaning with Egypt: Hadrian, Antinous and Rome’s Cultural Renaissance, in: Bricault/Versluys (Hrsg.), Egyptian Gods, S. 25–39. 1804 Vgl. zum folgenden Abschnitt bereits (etwas detaillierter) NAGEL, Isis und die Herrscher. 1805 SNRIS Roma 19aR; 21cD; S. 193. 1806 SNRIS Roma M5a–b; S. 192–193; BRICAULT, Dame des flots, S. 152–153.

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Siegesgöttin Victoria bekrönt wird, während er selbst Sarapis, der ihm zusammen mit Isis gegenübersteht, über einem Altar die Hand reicht.1807 Septimius Severus hatte, ähnlich wie Vespasian, nach Thronwirren die Kaiserwürde erlangt und begründete damit eine neue Dynastie. Seine Verbundenheit zum Sarapiskult kommt, wohl nach einem Aufenthalt in Ägypten 199/200 n. Chr., in dem neuen kaiserlichen Porträttypus (sog. ‚Sarapistypus‘) zum Ausdruck, dessen Haargestaltung mit langen in die Stirn fallenden Korkenzieherlocken derjenigen der römischen Sarapis-Ikonographie gleicht.1808 Daß die Herrschaft seiner Familie dem Reich Stabilität und Wohlstand bringen soll, verdeutlicht eine Münzserie unter dem Namen der Kaiserin Julia Domna, die auf der Rückseite Isis und Harpokrates mit der Legende Saeculi Felicitas („Glück des Zeitalters“) zeigt.1809 Ihr Sohn Caracalla deponiert laut Cassius Dio im Sarapeion von Alexandria das Schwert, mit dem sein Bruder Geta beseitigt wurde,1810 und weiht dem Gott damit das Instrument seiner alleinigen Machtergreifung. In Alexandria trägt er in mehreren Inschriften die Titel Philosarapis („geliebt von Sarapis“) und Kosmokrator („Weltherrscher“).1811 Der Titel Philosarapis könnte in der Nachfolge des Epithetons „geliebt von Gott NN“ (mrj NN) innerhalb der ägyptischen Königstitulaturen verstanden werden; man vergleiche den Beinamen „geliebt von (Ptah und) Isis“ in der Titulatur des Domitian auf seinem Obelisken.1812 Es ist außerdem zu erwägen, ob in diesem Kontext die in den Inschriften ebenfalls genannte, ungewöhnliche Epiklese Caracallas als „Ewiglebender“ (ἀείζωντα) entgegen PFEIFFER1813 evtl. doch mit dem ägyptischen, ebenfalls häufig hinter dem Namen des Pharao genannten anx Dt „er lebe ewiglich“ zu verknüpfen ist. Obwohl diese Titel in den Kartuschen im 3. Jh. nicht mehr belegt sind,1814 könnten m. E. gerade diese gängigen und nahe bei dem Königsnamen stehenden Beinamen auch im griechischen Milieu Alexandrias noch bekannt gewesen sein. Zu der besonderen Beziehung zu und Erwählung durch Sarapis passen auch einige Münzdarstellungen (allerdings nicht aus Rom selbst), in denen der Gott

1807 SNRIS Roma 21a; 22aR; 22b und c; S. 193; BRICAULT, Dame des flots, S. 154. Zu Commodus und Sarapis siehe auch jüngst PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 179. 1808 Siehe dazu A. M. MCCANN, The Portraits of Septimius Severus, Memoirs of the American Academy in Rome 30, Rom 1968, S. 155–178; A. DIMARTINO, Settimio Severo e il Serapistypus. Forme di rappresentazione del potere imperiale, in: F. De Angelis (Hrsg.), Lo sguardo archeologico. I Normalisti per Paul Zanker, Pisa 2007, S. 129–145. Gegen diese gängige Deutung des ‚Sarapistypus‘ hat sich RAEDER, Herrscherbildnis, ausgesprochen, m. E. aber mit schwachen Argumenten. Zusammenfassungen der rezenten Forschungsdiskussion bei PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 196–197; ROSSO, Empereurs, S. 549–552; HÄUBER, Eastern Part, S. 722–727. Ibid., S. 742–743, argumentiert HÄUBER, daß der Typus bereits vor der Ägyptenreise von Septimius Severus geschaffen worden sein könnte. Zum Isis- und Sarapiskult unter den Severern vgl. jetzt auch PODVIN, Tropisme isiaque, zum ‚Sarapistypus‘ ibid., S. 318–319; siehe auch oben, Kap. 7.2.2.3 zur Heimatstadt der Familie, Leptis Magna. 1809 SNRIS Roma 23; S. 194–195; vgl. auch TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 116. 1810 Cassius Dio, 78, 23, 2; 79, 7, 3; vgl. MALAISE, Conditions, S. 442; PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 205. 1811 Siehe dazu A. ŁUKASZEWICZ, Antoninus Philosarapis: Observations on Caracalla’s visit to the Sarapeum of Alexandria (AD 215–216), Warschau 1998, S. 53; und PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 205– 211, der auch mögliche Alexanderbezüge des Titels Kosmokrator erwägt. 1812 Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2. 1813 PFEIFFER, Kaiserverehrung, S. 209, Anm. 1207. 1814 Siehe BECKERATH, Königsnamen, S. 264–265.

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dem Kaiser durch die Übergabe der Weltkugel oder der Krone die Herrschaft überträgt.1815 Dieses Ikon drückt, in römischer Bildsprache, im Prinzip genau das Gleiche aus, wie es die Szenen auf der Spitze des Domitiansobelisken in ägyptischer Bildsprache tun. Allerdings ist nun nicht mehr die ägyptische Isis die für die Krönung zuständige Gottheit, sondern ein deutlich romanisierter Sarapis, der ikonographisch und inhaltlich als Nachfolger griechischrömischer Vatergötter und insbesondere des althergebrachten Patrons der Herrscher, Jupiter/Zeus, erscheint.1816 Eine kurze griechische Inschrift auf der Wand eines stadtrömischen Hauses bringt diese enge Identifikation der beiden Gottheiten mit der Formel εἷς  Ζεὺς Σέραπις „Zeus und Sarapis sind Eins“ auf den Punkt.1817 Kontinuität zeigt sich auch in der militärischen, siegbringenden Funktion von Isis und Sarapis:1818 Sie unterstützen den Feldzug des Alexander Severus gegen die Sassaniden, wie eine Emission der Stadt Perinthus (Thrakien), von der aus der letzte Kaiser der Severerdynastie 231 n. Chr. in See sticht, andeutet. Er wird, auf einer Galeere stehend, von Sarapis bekränzt, während Isis den Bug des Schiffes einnimmt.1819 Noch Julian Apostata schreibt in einem Brief an die Alexandriner, daß Sarapis derjenige sei, „der unter allen Göttern ganz besonders dazu beigetragen hat, uns die Macht zu verleihen“.1820 7.3.2.2.5 Das Sarapeion auf dem Quirinal: Monumentalbauten für Sarapis unter Hadrian und Caracalla Von weiteren stadtrömischen Heiligtümern für Isis, Sarapis und andere ägyptische Gottheiten ist noch weniger erhalten als von den beiden oben besprochenen Komplexen, bzw. die Zuschreibungen sind noch unsicherer, wenn es gilt, eine umfassende Analyse zu erlauben.1821 Das wohl sicherste und überhaupt größte, das Sarapeion auf dem Quirinal (Regio 1815 SNRIS Nicaea 19; Alexandria 516b; A. EL-KHASHAB, Ὅ KAΡAKAΛΛΟΣ KOΣΜΟΚΡΑΤΩΡ, in: JEA 47, 1961, S. 119–133, Taf. 10.1. 1816 Zu Jupiter und Sarapis vgl. auch das Tetrarchenrelief auf dem anläßlich der Vicennalia errichteten Galeriusbogen in Thessaloniki, wo beide Gottheiten einander gegenübergestellt werden: Dem Sarapis auf der linken Seite entspricht Zeus/Jupiter auf der rechten Seite als Schirmherr der Tetrarchie. Isis befindet sich am linken Rand und ist stark zerstört, doch an ihrem Sistrum noch zu identifizieren. Siehe W. RAECK, Tu fortiter, ille sapienter. Augusti und Caesares im Reliefschmuck des Galeriusbogens von Thessaloniki, in: H.-U. Cain (Hrsg.), Beiträge zur Ikonographie und Hermeneutik. Festschrift für Nikolaus Himmelmann, BJb Beihefte 47, Mainz 1989, S. 453–457, bes. S. 455, Taf. 69.4; H. P. LAUBSCHER, Der Reliefschmuck des Galeriusbogens in Thessaloniki, Archäologische Forschungen 1, Berlin 1975, S. 73 und 107; Taf. 45.1 und 54. Vgl. auch MALAISE, Conditions, S. 446–449. 1817 RICIS 501/0216. 1818 Siehe dazu oben, Kap. 7.3.2.1.1 und 7.3.2.2.1. 1819 SNRIS Perinthus 15_5R, S. 205–206; vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 166. In Perinthus ist der Kult der ägyptischen Götter allerdings bereits seit hellenistischer Zeit gut etabliert und zahlreiche entsprechende Motive (Isis, Sarapis, Anubis, Apis, Harpokrates) werden immer wieder auf Münzemissionen der Stadt dargestellt, allerdings zuvor nicht in direkter Beziehung zum Kaiser. 1820 Iul., Epist. 60. 1821 Für eine Übersicht über weitere mögliche Heiligtümer siehe ENSOLI, Santuari di Iside; EAD., Santuari isiaci; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 323–376 (er diskutiert neben Heiligtümern auch einzelne Aegyptiaca etc.); GASPARINI, Iside a Roma. KLEIBL, Iseion, führt in ihrem Katalog neben dem Iseum Campense und dem ‚Iseum Metellinum‘ (= Iseum et Serapeum der Regio III) auch die mit Graffiti und Wandmalereien versehenen Räumlichkeiten bei S. Sabina, die teilweise unter der severischen Stadtmauer liegen, als architektonisch erhaltenes Heiligtum auf (ibid., Kat. 25, S. 267–268). Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch nicht um einen Tempel, sondern höchstens um einen

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VI), wurde aufgrund einer Bauinschrift und einer literarischen Quelle lange Caracalla zugeschrieben,1822 doch nach neueren Untersuchungen durch TAYLOR dürfte der severische Kaiser nur einen älteren Bau von Hadrian renoviert und erweitert haben, eventuell nach Zerstörungen bei dem großen Brand von 181 n. Chr.1823 Von der Tempelarchitektur selbst ist kaum etwas erhalten,1824 aber ein Grundriß von Palladio deutet darauf hin, daß es sich um einen Pseudodipteros sine postico mit 12säuliger(!) Front handelte.1825 In der Umgebung wurden einige sicherlich zum Heiligtum gehörige Skulpturen und Inschriften gefunden. Wie im Iseum Campense dürfte auch hier ein Paar von großformatigen FlußgottSkulpturen zur Ausstattung gehört haben.1826 Eventuell stammen auch eine Basis mit der Reliefdarstellung eines gelagerten Nilgottes (umgeben von Putti, einem Krokodil und einem Nilpferd) sowie ein bereits oben erwähntes Nilmosaik, das unter anderem die Fütterung eines Krokodils durch ägyptische Priester zeigt, aus dem Sarapeion.1827 Eine einzelne Krokodilskulptur wird ebenfalls dem Heiligtum zugeordnet.1828 Ein großer Sarapiskopf ist vielleicht einem Kultbild zuzuordnen.1829 Schriftlich überliefert sind außerdem Bildnisse des Jupiter Ammon, der sich leicht mit Sarapis verbinden ließ.1830 Auf dem Quirinal wurden auch zwei Bes-Statuen aus lunensischem Marmor gefunden, die aufgrund der AbakusPlatten auf ihren Köpfen vielleicht als Telamone einer Kapelle o. ä. dienten und von CAPRIOTTI VITTOZZI hypothetisch dem Sarapeion von Caracalla zugeschrieben werden.1831

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Versammlungsraum (vielleicht für einen Kultverein?) oder eventuell eine private Verehrungsstätte in einem Wohnhaus, siehe VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 365–366; rezent außerdem STEINHAUER, Osiris mystes, S. 58–59; SWETNAM-BURLAND, Material Evidence, S. 590–593; vgl. dazu auch unten, 7.3.2.2.6 (Archäologisch belegte private Kultstätten). RICIS 501/0106: für „Sarapis deus [invictus]“; Hist. Aug., Ant. Car., 9, 10–11. Siehe z. B. BRICAULT, Atlas, S. 165; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 348–349; BUCARELLI, Tempio di Serapide. ENSOLI, Santuari di Iside, S. 269–271; EAD., Santuari isiaci, S. 314–315, denkt aufgrund der Funde bereits an eine frühere Datierung. TAYLOR, Hadrian’s Serapeum. Aus Zeichnungen des 16. Jhs. geht aber hervor, daß zu diesem Zeitpunkt noch höhere Mauerreste anstanden, vgl. TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 225 u. 230, Abb. 9–10. Eine Studie der erhaltenen und überlieferten Architekturteile und ihrer Dekoration ibid., S. 225–251, was zur Datierung in hadrianische Zeit führt. TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 226–227. Die Identifikation der erhaltenen Reste als Sarapeion war lange umstritten und sie wurden teilweise einem Sol- oder Hercules und Liber Pater-Tempel zugeordnet, siehe zu den verschiedenen Positionen VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 348–349; TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 234 und 236–237. Heute auf der Piazza del Campidoglio; TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 223 u. 226, Abb. 3. VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 63–67, Kat. 012–013; ENSOLI, Santuari isiaci, S. 314. Vgl. zum Nilmosaik oben, Kap. 7.3.2.2.2. BUCARELLI, Tempio di Serapide, S. 212 u. 222, Abb. 8; E. FILERI, Statua di coccodrillo, in: M. G. Picozzi (Hrsg.), Palazzo Colonna, Appartamenti. Sculture antiche e dall’antico, Rom 2010, S. 108–110. KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Kat. 638, S. 118. TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 237; vgl. oben, Kap. 7.3.2.2.4, zu Jupiter und Sarapis. G. CAPRIOTTI VITTOZZI, Bes dal Quirinale a Piazza Vittorio. Alia Aegyptiaca Romana, in: Bullettino della Commissione archeologica comunale di Roma 100, 1999, S. 155–165; siehe auch EAD., Una statua di Bes al Museo Gregoriano Egizio, in: Bollettino Monumenti Musei e Gallerie Pontificie 25, 2006, S. 53–78, zu weiteren Bes-Statuen aus Rom; vgl. MALAISE, Bès, S. 283. Die Skulpturen flankieren heute die ‚Porta Magica‘ bzw. ‚Alchemica‘ in der ehemaligen Villa Palombara in Rom. Die Assoziation von Bes und Sarapis (bzw. Osiris-Apis) ist auch in Ägypten belegt: z. B. war im Hof des Sarapeions von Memphis eine Bes-Statue aufgestellt, siehe DASEN, Dwarfs, S. 82. Auch in Abydos

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Architekturformen, Baudekor und Skulpturen scheinen abgesehen davon hier aber anders als bei den großen Isis und Sarapis-Heiligtümern (s. o.) in rein oder vorwiegend griechischrömischen Formen gehalten zu sein. Zumindest zwei ägyptische Naophoren könnten aber ebenfalls dort aufgestellt gewesen sein.1832 In den mit dem Sarapeion in Zusammenhang stehenden Inschriften, die aus der Phase des Neubaus von Caracalla datieren, wird Sarapis im Einklang mit den oben besprochenen Münzbildern der Antoninen und Severer als „[unbesiegter?] Gott“ (deus [invictus]) und als „Bewahrer“ (conservator) bezeichnet.1833 Die griechische Dedikation eines Hierodulen namens Gaius Abidius Trophimianus, der vermutlich aus Ägypten stammte, richtet sich zum Wohl des Kaisers Caracalla an Zeus Helios Megas Sarapis.1834 Der Kaiser trägt darin ebenfalls das Epitheton „der Große“ (megas) und wird so an den Gott, aber auch an Alexander den Großen, angeglichen.1835 Auch in den Caracalla-Thermen fanden sich einige Hinweise auf die kaiserliche Zuwendung zu Sarapis (und Isis), so ein Cippus mit Dedikation an Zeus Helios Megas Sarapis aus dem Mithräum in den Thermen,1836 figürliche Darstellungen von Sarapis, Isis und Harpokrates auf einigen Kapitellen und eine Sarapisstatue aus Porphyr.1837 Der Marmorcippus trägt griechische Inschriften auf Vorder- und Rückseite, wobei der Name des Sarapis auf der Vorderseite nachträglich durch den des Gottes Mithras überschrieben wurde. Auf der Rückseite erhält Sarapis ausnahmsweise eine längere Epithetareihe: „Zeus Helios Megas Sarapis, der Retter, der Spender von Reichtum, der Erhörende, der Wohltäter, der Unbesiegbare“. Als Euergetes „Wohltäter“ wird Sarapis auch in einer weiteren, leider sehr fragmentarischen Inschrift aus Rom bezeichnet:1838 Es scheint sich dabei um eine eulogische Anrede, vielleicht sogar eine Hymne, an Sarapis zu handeln. Der Gott wird außerdem als Neilagogos (Führer des Nils) angeredet und dafür gelobt, daß all seine Jahreszeiten schön seien. Dies bezieht sich eindeutig auf Ägypten und erinnert etwas an die (unsichere) griechische Isishymne PSI VII 844.1839 Möglicherweise befand sich im Bereich zwischen Thermen und der Via Appia auch noch ein Heiligtum der Isis, worauf die Nennung einer ‚Isis Athenodoria‘ im Regionenkata-

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wurde in der griechisch-römischen Zeit Bes neben Osiris bzw. Sarapis verehrt, vgl. die in Kap. 6.5.3.3, Anm. 1991 angegebene Literatur, und außerdem M. SMITH, Following Osiris, S. 477–80. Naophor des Ramses II. und Naophor des Ahmose, siehe ENSOLI, Santuari isiaci, S. 314. RICIS 501/0106 bzw. 501/0108. Als deus invictus wird der Gott auch in einer privaten Weihinschrift an ihn und Isis (ohne Beinamen) vom Mons Testaceus (Regio XIII) und in einer an ihn und Isis Regina bezeichnet: RICIS 501/0130 und 501/0146; eine weitere Dedikation richtet sich allein an Sarapis Invictus: RICIS 501/0147. Möglicherweise datieren diese entsprechend auch unter Caracalla. Vgl. dazu PODVIN, Tropisme isiaque, S. 314. RICIS 501/0107; TAYLOR, Hadrian’s Serapeum, S. 234; vgl. dazu auch MALAISE, Conditions, S. 109. Vgl. oben, Kap. 6.2.1.2, m. Anm. 768, zu Hierodulen in Ägypten. Zu den recht zahlreichen Inschriften, die Caracalla auf ähnliche Weise mit den ägyptischen Gottheiten bzw. vor allem Sarapis verbinden, siehe PODVIN, Tropisme isiaque, S. 310–315. Vgl. BRICAULT, RICIS, S. 520 (zu RICIS 501/0107); vgl. zu Caracalla, Sarapis und Alexandria oben, Kap. 7.3.2.2.4. RICIS 501/0126; vgl. dazu auch BRICAULT, Cultes isiaques, S. 468 u. 469–470. Siehe BRICAULT, Atlas, S. 166. RICIS 501/0215. S. o., Kap. 6.1.5.

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log für Regio XII hindeuten könnte.1840 Der Beiname verweist wahrscheinlich auf eine entsprechende Statue der Göttin, die vielleicht von dem auch anderweitig bekannten rhodischen Bildhauer Athanodoros geschaffen wurde.1841 7.3.2.2.6 Private(?) Heiligtümer, Schreine und Weihungen Neben den großen kaiserlichen Tempelbauten muß es diverse kleinere Heiligtümer, Schreine und Lararien für die ägyptischen Gottheiten gegeben haben, die teilweise auf private Initiativen zurückgehen. Inschriftlich belegte Kultstätten Inschriftlich sind einige Kultbauten belegt, die sich jedoch nicht lokalisieren lassen; auch über Größe und Ausstattung kann, abgesehen von einigen textinternen Hinweisen, nichts Genaues gesagt werden. Eine eventuelle Verbindung mit einem der bereits besprochenen, bekannten Heiligtümer ist jeweils nicht auszuschließen. Zwei Bauinschriften des 1.–2. Jhs. n. Chr. stammen von Mitgliedern von Kultassoziationen bzw. Kollegien, die offenbar selbst am Kult der Götter beteiligt waren.1842 Dennoch ist in beiden auch eine Referenz an das Kaiserhaus mit eingeschlossen. So richtet sich eine der Weihungen an Isis Augusta und hält die Vergrößerung ihres Tempels (templum) fest, die von Mitgliedern des „Kollegiums“ finanziert und von ihrem Schatzmeister ausgeführt worden war.1843 Stellt hier die Epiklese der Isis eine Verbindung zum Kaiser her, ist die zweite Dedikation explizit für „das Wohlergehen des Kaiserhauses“ ausgeführt.1844 Sie betrifft die Errichtung einer ‚Wohnstätte‘ (mansionem) für Isis und Osiris durch die Vereinigung der pausarii und der argentarii (eigentlich „Wechsler, Bänker“). Während pausarius als Name für Kultbedienstete, die bei den Festprozessionen die Bildnisse der ägyptischen Gottheiten trugen und an festgelegten Stationen Halt einlegten, gut bekannt ist,1845 ist die Bedeutung der zweiten Bezeichnung in diesem Zusammenhang fraglich.1846 Sowohl die ungewöhnliche Bezeichnung des Tempels(? falls ein solcher gemeint ist) als mansio1847 als auch die explizite Nennung von Osiris anstelle von Sarapis könnten vielleicht auf ägyptische Wurzeln des Vereins hindeuten. 1840 Sehr hypothetisch ist die Interpretation von ENSOLI, Santuari di Iside, S. 272–273, die aufgrund eines großen marmornen Fußes mit Meeresmotiven, der auf der Südwestseite der Via Appia gefunden wurde, eine zu diesem Heiligtum gehörige riesige Statue der Isis (Pelagia) rekonstruiert; zu den konkreten Fundumständen und einer möglichen Lokalisierung des Heiligtums unter der nahegelegenen Kirche S. Cesareo siehe HÄUBER, Eastern Part, S. 595–596. Kritisch zur Identifizierung des Fußes bzw. seiner Zuweisung an eine hypothetische Isis-Statue VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 363–365. 1841 Siehe HÄUBER, Eastern Part, S. 596. Alternativ wurde der Name auch als Verweis auf den Stifter einer solchen Statue oder eines Schreins interpretiert. 1842 RICIS 501/0135–0136. 1843 RICIS 501/0135. 1844 RICIS 501/0136. 1845 Vgl. MALAISE, Conditions, S. 130; BRICAULT, Associations isiaques, S. 97–98. 1846 BRICAULT, Cultes isiaques, S. 457–458, schlägt vor, daß die argentarii ebenso wie diverse Kaufleute vielleicht aktiv an den Festen der ägyptischen Götter beteiligt waren und dort besonders große Umsätze verzeichnen konnten. 1847 MALAISE, Statues égyptiennes naophores, S. 79, erwägt, ob mansio vielleicht auch eine Station, z. B. einen Altar auf dem Prozessionsweg, bei der die pausarii während der Feste Halt machten (also pausierten), meinen könnte.

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Konkret für Kaiser Commodus, dessen Zuwendung zu Sarapis gut bekannt ist,1848 wurden οἶκοι des Sarapis und seiner tempel- und altarteilenden Götter durch den Pontifex maximus (ab 178 n. Chr.) und Konsul (182 n. Chr.) Tineius Rufus nach seiner griechischen Inschrift geweiht.1849 Noch in der Ära der Tetrarchen, im Jahr 299, errichtet ein Zakor und Neokor namens Dioskuros, der ebenfalls griechisch schreibt und möglicherweise aus Alexandria stammt (alexandrinische Datumsangabe), einen „glänzenden Tempel für Sarapis, der in der Höhe herrscht“ sowie eine Statue des Gottes mit goldenem Strahlenkranz.1850 Archäologisch belegte private Kultstätten Archäologisch sind einige kleinere, private Kultstätten bekannt: Am schwierigsten zu beurteilen ist einer der Räume bei S. Sabina auf dem Aventin, die Teil eines größeren (Wohn?-) Gebäudes bildeten und teilweise unter der severischen Stadtmauer liegen.1851 Aufgrund der an den Wänden angebrachten Graffiti und Wandmalereien des 1.–2. Jhs. n. Chr., die teils kultische Inhalte aufweisen, ist es wahrscheinlich, daß es sich zumindest um eine private Kapelle oder das Lokal eines Kultvereins o. ä. handelte. Eines der Fresken zeigt wohl eine Isisstatue(?) in einer Aedicula, aus der ein Baum herauszuwachsen scheint; von links nähern sich ihr zwei Kultdienerinnen oder –anhängerinnen mit Gaben in den Händen.1852 In den Graffiti tauchen unter anderem Namen von Mysten (mystes dei „Myste des Gottes“)1853 und der Name der Isis auf, allerdings nicht in direktem Zusammenhang miteinander.1854 Es scheint sich bei den genannten Personen vorrangig um Sklaven zu handeln.1855 Auch in einem Haus des 2. Jhs. n. Chr. nahe den Caracalla-Thermen (siehe zu diesen oben, 7.3.2.2.5) zeugen Wandmalereien mit Harpokrates, Anubis, Isis-Demeter (mit Fackel und Ähren) und Sarapis von einem privaten Lararium.1856 Weitaus üppiger erhalten ist die vor allem statuarische Ausstattung eines bereits spätantiken Larariums auf dem Esquilin, bei der Kirche S. Martino ai Monti.1857 In einer kleinen Aedicula konstantinischer

1848 Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.4. 1849 RICIS 501/0140. 1850 RICIS 501/0134; vgl. zur möglichen alexandrinischen Herkunft BRICAULT, RICIS, S. 533; CRISTOFORI, Individuazione di Egiziani, S. 83; BELAYCHE, Immigrés orientaux, S. 251. Möglicherweise ist die Person identisch mit dem Neokoren Dioskoros in RICIS 501/0145, einer weiteren griechischen Weihung an Sarapis (siehe unten). 1851 Die Funde wurden publiziert von DARSY, Recherches archéologiques, S. 30–55; siehe dazu bereits oben, Anm. 1821, mit weiterer Literatur. 1852 DARSY, Recherches archéologiques, Taf. A; vgl. zur Deutung SWETNAM-BURLAND, Material Evidence, S. 590–591. 1853 SOLIN, Sui graffiti, S. 132, glaubt, daß mit dem „Gott“ trotz der maskulinen Form Isis gemeint ist. M. E. könnte es sich vielleicht eher um Osiris handeln. 1854 RICIS 501/0127. Ausführliche Analyse bei SOLIN, Sui graffiti; R. VOLPE, I graffiti isiaci nel’area di S. Sabina a Roma, in: Bianchi/Vermaseren (Hrsg.), Soteriologia, S. 145–148; vgl. auch SWETNAMBURLAND, Material Evidence, S. 593. 1855 Vgl. SOLIN, Sui graffiti, S. 136. 1856 Siehe MALAISE, Inventaire, Kat. Roma 409, S. 224; KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Kat. 657, S. 122; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 364. 1857 Siehe dazu ENSOLI, „Larario“; EAD., Culti isiaci in età tardoantica tra sfera privata e sfera publica, in: Arslan (Hrsg.), Iside, S. 576–583, m. Kat. VI.47–VI.55; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 345– 346; SFAMENI, Isis, Cybele, bes. S. 121–123, auch zu weiteren privaten Kapellen in Rom.

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Zeit,1858 die außerdem mit einem unterirdischen Mithräum verbunden war, war zentral in einer halbrunden Nische eine Statue der Isis-Fortuna mit Füllhorn, Getreideähren, Blumen und Steuerruder aus dem 2. Jh. aufgestellt.1859 An ihrer Krone befinden sich ebenfalls Getreideähren auf einer Sonnenscheibe mit flankierenden Uräen. In kleineren rechteckigen Nischen in den Seitenwänden der Aedicula standen zahlreiche kleinere Skulpturen anderer Gottheiten: ein thronender Sarapis mit Kerberos,1860 eine Sarapisbüste,1861 ein nach ägyptischem Schema hockender Harpokrates(? nur das Unterteil ist erhalten),1862 eine ägyptische Horusstele,1863 wie sie auch im Iseum Campense gefunden wurde (s. o.), Jupiter, eine Hekate-Statuette,1864 eine Aphrodite Pudica,1865 eine thronende Göttin (evtl. Kybele), HeraklesHermen,1866 die Herme einer Bacchantin etc. Die Zusammenstellung der verschiedenen Gottheiten zeugt von einer gemeinsamen Verehrung ägyptischer, ‚orientalischer‘ und römischer Götter, zwischen denen im 4. Jh. vermutlich kein großer Unterschied mehr empfunden wurde, wie auch der ähnliche spätantike Befund aus dem Isis- und Sarapisheiligtum am Akropolishang von Kyrene demonstriert.1867 Parallel dazu wurden auch hier die Stücke teilweise repariert und von anderen Orten in das Lararium verbracht.1868 Isis mit Füllhorn Die Isisstatue wies bei der Auffindung noch Reste einer Vergoldung auf und zeigt mit der Fortuna-Ikonographie einen Typus, der in Rom offenbar recht beliebt war und über Alexandria und Delos nach Italien gelangte.1869 Die Fruchtbarkeit und Wohlstand garantierende Isis mit Füllhorn scheint neben den Zeugnissen aus dem Iseum et Serapeum der Regio III, der reliefierten Säulenbasis aus Regio II und dem Lararium auch in einer der Wandmalereien des genannten privaten Raumes bei S. Sabina dargestellt zu sein (in einer Tholos), wenngleich die Details nicht gut erkennbar sind.1870 Sie erhält Opfergaben von sich 1858 Möglicherweise bestand die Aedicula mit der Hauptstatue bereits in antoninischer Zeit, vgl. ENSOLI, „Larario“, S. 235. 1859 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.47; HÄUBER, Eastern Part, S. 479, Abb. 115. 1860 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.48. 1861 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.49. 1862 ENSOLI, „Larario“, S. 228, Abb. 62. Die hockende Haltung mit angewinkelten Knien entspricht derjenigen der Tympanonfigur auf dem Tempel, der auf der oben, Kap. 7.3.2.2.2, besprochenen Säulenbasis dargestellt ist. 1863 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.50. 1864 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.54. 1865 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.53. 1866 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.51–52 u. 55. 1867 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1. Zu spätantiken paganen (Privat-)Heiligtümern in Italien vgl. übergreifend C. J. GODDARD, The Evolution of Pagan Sanctuaries in Late Antique Italy (4th–6th centuries CE): A New Administrative and Legal Framework. A Paradox, in: M. Ghilardi/C. Goddard/P. Porena (Hrsg.), Les cités de l’Italie tardo-antique (IVe–VIe siècle). Institutions, économie, société, culture et religion, CEFR 369, Rom 2006, S. 281–308. 1868 ENSOLI, „Larario“, S. 236. HÄUBER, Eastern Part, S. 174 u. 512, nimmt sogar an, daß die Isis-Fortuna-Statue und die anderen ägyptisierenden Skulpturen ursprünglich zum Iseum et Serapeum der Regio III gehört haben, siehe zu diesem oben, 7.3.2.2.3. 1869 Vgl. MALAISE, Conditions, S. 179 u. 184–187. Zu Isis-Tyche in Alexandria, siehe oben, Kap. 6.2.10.1. 1870 DARSY, Recherches archéologiques, S. 48; Taf. A.

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von links nähernden Adoranten. Auf die Herkunft aus Alexandria verweist ein Marmorrelief des 2.–3. Jhs. n. Chr., das Sarapis-Agathodaimon mit bärtigem Menschenkopf und Schlangenleib gemeinsam mit der stehenden und zu ihm blickenden Isis-Tyche/Fortuna(?) zeigt.1871 Beide Götter tragen einen Kalathos auf dem Kopf und Isis hält in einer Hand das Füllhorn, die andere streckt ein Büschel Ähren(?) zu Sarapis hin aus. Auf einem kleinen, heute verschollenen Marmoraltar kombinierte eine Darstellung der Göttin das Füllhorn mit dem Sistrum.1872 Auf einer anderen Seite war ein Mann mit Patera und Situla dargestellt, der vermutlich mit dem in der Inschrift genannten und als Priester (sacerdos) betitelten Dedikanten Plaetorius Rhodo zu identifizieren ist. Die übrigen Seiten zeigten nochmals die Kultgeräte Situla und Sistrum einzeln sowie Anubis mit Ähren und Caduceus. Der Priester spendete der Inschrift zufolge 5 Pfund Silber an Isis, die keinen weiteren Beinamen trägt. Explizit als Isityche wird die Göttin nur in einer griechischen Weihung des 1.–2. Jhs. n. Chr. bezeichnet, wo sie außerdem das Epitheton θέα  ἐπηκόος „die erhörende Göttin“ erhält.1873 Heilung und Rettung Ein weiterer Charakterzug der ägyptischen Göttin geht aus einer Dedikation an Isis Salutaris „Isis, die Heilende“ hervor, die eine Mutter für die Gesundheit ihres Sohnes aufgestellt hat.1874 Von ihrer in Ägypten traditionellen Heilfunktion1875 in Rom zeugen – neben den bereits genannten ägyptischen Horusstelen, die sowohl im Iseum Campense als auch in dem privaten Schrein auf dem Esquilin aufgestellt waren – auch die Elegen Tibull und Ovid bereits in frühaugusteischer Zeit. So richtet ersterer, als er 29 v. Chr. erkrankt, ein Gebet an die Göttin, nachdem bereits seine Geliebte Delia, eine aktive Isisanhängerin, Fürbitte für ihn eingelegt hat: Jetzt, Göttin, hilf mir; denn daß du heilen kannst, bezeugen viele Bilder in deinen Tempeln; damit meine Delia, wenn sie nächtelang ihr Gelübde für meine Gesundheit einlöst, in Leinenkleidern vor der Tempeltür sitzen und zweimal am Tag mit offenem Haar dir in der pharischen (= alexandrinischen, ägyptischen)1876 Schar, durch ihre Schönheit herausragend, lobende Danksagungen sprechen kann. (I, 3, 27–32)1877

1871 D. GALLO, Una rappresentazione di Serapis-Agathodaimon a Roma, in: Bianchi/Vermaseren (Hrsg.), Soteriologia, S. 139–144, der die weibliche Figur als Isis-Demeter benennt, was aufgrund der Attribute ebenfalls möglich ist. Ihr Fruchtbarkeits-/Wohlstandsaspekt steht jedenfalls im Vordergrund. Zu (Sarapis-)Agathodaimon in Alexandria siehe oben, Kap. 6.2.10.1. 1872 RICIS 501/0149. 1873 RICIS 501/0139. Isityche ist daneben auch in Weihungen aus verschiedenen anderen Orten belegt: RICIS 113/0216 (Dion); 114/1902 (Neine); 504/0216 (Pompeji); 515/1001 (Mama), sowie einmal lateinisch geschrieben in RICIS 503/0602 (Praeneste). Vgl. dazu auch NAGEL, Kult und Ritual, S. 161. 1874 RICIS 501/0151 (verschollen). 1875 Vgl. Kap. 6.5.1 oben. 1876 Pars pro toto; so z. B. auch bei Germanicus, Aratea, Fragment V, Z. 4. 1877 Übersetzung nach MERKELBACH, Isis regina, S. 213, § 394; vgl. dazu auch MALAISE, Conditions, S. 87; RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 378–379.

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Ovid wiederum bittet Isis um die Errettung seiner kranken Geliebten Corinna nach einer Abtreibung und verspricht der Göttin (bzw. der nach ihr genannten Geburtsgöttin Eileithya?) im Gegenzug, Weihrauch auf ihren Altären zu verbrennen und Opfergaben und Weihinschriften zu ihren Füßen zu deponieren (ca. 15 v. Chr.):1878 Die du im fruchtbaren Land von Kanopos, in Memphis und Pharos, reich an Palmen, sowie in Paraetonium wohnst, Isis, und dort, wo der Nil geschwind herabfließt im breiten Flußbett, um siebenfach dann sich zu ergießen ins Meer, Bei deinen Sistren fleh ich, beim Haupte des hehren Anubis, – Möge fromm deinem Kult huldreich Osiris sein stets, Möge die Schlange träg um die Weihgeschenke sich ringeln, Möge dir Apis der Stier geben beim Zug das Geleit! – Wende dein Antlitz zu uns und schon sie, dann schonst du uns beide! Denn das Leben, das sie dir dann verdankt, gibt sie mir. (Amores II, 13, 7–16)1879 Ovids Worte zeugen nicht nur von der Präsenz und Verehrung von Isis’ teils theriomorphen Mitgöttern Anubis, Osiris und Apis im frühkaiserzeitlichen Rom, sondern zeichnen auch ein Bild der Göttin als Lebensspenderin, das dem der ägyptischen Texte entspricht.1880 Der Historiker T. S. LUKE möchte desweiteren, gestützt unter anderem auf Tacitus’ und Suetons Berichte über Vespasians ‚Heilungswunder‘ in Alexandria, einen unter Domitian etablierten Heilkult des Vespasian (und Titus?) und des Sarapis im Iseum Campense und/oder der benachbarten Portikus Divorum rekonstruieren, an dem auch die in der oben genannten Inschrift RICIS 501/0118 genannten Paianisten des Zeus Helios Megas Sarapis1881 beteiligt gewesen sein sollen.1882 Sicherheit bzw. Unversehrtheit für sich und seine Frau(?) erhofft sich außerdem ein Freigelassener in der Regierungszeit des Caracalla(?) von Sarapis, „dem unbesiegten Gott“, und Isis, „der Königin“ und spendet dafür einen Altar und zwei Statuetten.1883 Weihungen an Sarapis Ein Neokor berichtet in einer griechischen Weihung an Zeus Helios Megas Sarapis und die tempelteilenden Götter auf einer Marmorsäule, daß er bereits mehrfach aus großer Gefahr errettet worden ist.1884 Ein zweiter Dedikant und Neokor des „großen Sarapis“ namens Dioskoros, spendete die ursprünglich auf dieser Säule aufgestellte Statue „in Kanopos“ (τὸν  ἐν  Κανώβῳ). Welcher ikonographische Typus genau mit dieser Bezeichnung ge-

1878 Vgl. MALAISE, Octavien, S. 196. 1879 Übersetzung nach N. HOLZBERG, Publius Ovidius Naso, Liebesgedichte. Amores, Düsseldorf/Zürich 1999, S. 78–79; siehe zu einer möglichen Verehrung der Isis durch Ovid MALAISE, Conditions, S. 86–87. 1880 Vgl. z. B. den Beinamen dj.t anx „Lebensspenderin“ der Göttin auf Philae, siehe Kap. 4.1 und 6.2.2.2. 1881 Siehe dazu oben, Kap. 7.3.2.2.2. 1882 LUKE, Healing Touch, bes. S. 91–99. 1883 RICIS 501/0146, siehe zu den Beinamen von Isis und Sarapis in dieser Inschrift bereits oben, Kap. 7.3.2.1.2, Anm. 1527, und 7.3.2.2.5, Anm. 1833. 1884 RICIS 501/0145.

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meint ist, ist unsicher – ob es sich eventuell um eine Osiris-Kanopos-Skulptur handelte?1885 Dioskoros ist möglicherweise derselbe Neokor, der im Jahr 299 n. Chr. einen Tempel und eine Statue für Sarapis geweiht hat.1886 Noch zwei weitere griechischsprachige Inschriften des 2.–3. Jhs. richten sich an Zeus Helios Megas Sarapis, eine davon wieder für das Wohlergehen und die Erhaltung der Kaiser (Septimius Severus und Caracalla) und ihrer Dynastie.1887 Von einem Dedikanten wird diese Epiklese aber auch in der Form „Sol Serapis Iovis“ ins Lateinische übertragen, wobei der Gott außerdem mit den römischen Göttern Liber Pater, Merkur und Silvanus vergesellschaftet wird.1888 Ein Priester (ἱερεύς) dediziert auf „Befehl von Sarapis“ (hier ohne Beinamen) einen ägyptischen Sphinx,1889 was einen Hinweis darauf gibt, wie auch andere Aegyptiaca in die Heiligtümer der ägyptischen Gottheiten gelangt sein können.1890 Aus ähnlichem Anlaß, nach einer Vision, wurde dem Gott ein Altar mit einem Fußabdruck, umgeben von einer Schlange, neben der Inschrift gestiftet.1891 Die Nebenseiten weisen Darstellungen von Isis mit Sistrum und Situla sowie von Sarapis auf dem Thron mit Kerberos auf. Kultpersonal1892 Neokoren des Sarapis sind außer in den bereits genannten1893 noch in vier zusammengehörigen griechischen Inschriften vom Ende des 2. Jhs. n. Chr. (182–200 n. Chr.) sowie in zwei lateinischen Inschriften vom Ende des 4. Jhs., die ebenfalls zusammengehören, belegt.1894 Das Neokorenamt ist griechischen Ursprungs und die Sprache aller Inschriften von/für Neokoren aus Rom (bis auf die spätantike Inschrift, in der das Neokorenamt nur eines von vielen ist) sowie der Inhalt der vier zusammengehörigen Ehrungen des Alexandriners (und Hermopolitaners?) M. Aurelius Asklepiades, genannt Hermodoros, für seinen Vater M. Aurelius Demetrios sprechen dafür, daß es dort noch im 2.–3. Jh. von Griechen bzw. Alexandrinern bekleidet wurde.1895 Auch weitere Mitglieder des Kultpersonals von Sarapis schreiben griechisch, so der oben erwähnte Priester (ἱερεύς), der einen Sphinx dediziert,1896 und der Prophet und Chorleiter der Vereinigung der Paianisten Embes.1897 Es scheint, daß die Träger speziell des Sarapiskultes in Rom vor allem Griechen (aus Ägypten 1885 Die Bezeichnung der gefäßförmigen Darstellungen des Gottes ist zwar modern, doch liegen durchaus enge Verbindungen zur Stadt Kanopos vor, siehe oben, Kap. 6.2.10.3 u. 7.2.3.2.1 (letztere zu einem „großen Gott in Kanopos“ in Karthago). Vgl. auch eine Marmorplatte mit Priestertiteln (RICIS 101/0216) aus Athen (zweite Hälfte 3. Jh. n. Chr.), auf der ein Priester eines [großen Gottes?] in Kanopos (= Sarapis/Osiris) genannt ist. 1886 RICIS 501/0134, siehe oben, Anm. 1850. 1887 RICIS 501/0141 und 501/0144. 1888 RICIS 501/0143. 1889 RICIS 501/0153 (verschollen), griechisch. 1890 Siehe dazu bereits die Überlegungen oben, Kap. 7.3.2.2.2. 1891 RICIS 501/0155, latein. 1892 Vgl. dazu die Untersuchung von RÜPKE, Organisationsmuster. 1893 RICIS 501/0134 und 501/0145. 1894 RICIS 501/0203–0206 und RICIS 501/0180–1. Zu Amt und Funktion der Neokoren (des Sarapis) siehe oben, Kap. 7.2.1.2.1, Anm. 416 zu einem Priester und Neokor in Kyrene. 1895 MALAISE, Conditions, S. 132, vermutet sogar, daß sich der Titel der genannten Personen jeweils nicht auf ein Heiligtum in Rom, sondern auf Sarapeia in Alexandria und Kanopos bezieht. 1896 RICIS 501/0153. 1897 RICIS 501/0118; s. o., Kap. 7.3.2.2.2.

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bzw. Alexandria?) waren.1898 Eine Ausnahme bildet der lateinische Titel aedituus (etwa „Tempelaufseher“), den ein kaiserlicher Freigelassener um die Mitte des 1. Jhs. n. Chr. innehat und dieses Amt für einen Sarapistempel (templi Serapei) ausübt.1899 Etwa aus der gleichen Zeit stammt auch die Grabinschrift eines aedituus der Isis Pelagia, ebenfalls ein libertus.1900 Der Titel ist nochmals auf einem Altar des 2. Jhs. in der Form aeditimus belegt.1901 Er dürfte in der Funktion dem griechischen pastophoros entsprechen.1902 Für Isis sind ab dem 1. Jh. v. Chr. mehrfach Priester und Priesterinnen (sacerdos) belegt,1903 von denen einer den ansonsten unbekannten Zusatztitel megalephoros trägt,1904 und ein weiterer außerdem als Kassenwart (adlector) des Kollegiums fungiert.1905 Eine Gruppe von Melanephoren, die wahrscheinlich eine Rolle bei den Trauerriten um Osiris während der Isia spielten, ist in zwei Grabinschriften verewigt.1906 Eine junge Frau namens Alexandria nennt sich im 2.–3. Jh. n. Chr. in der bilinguen (latein und griechisch) Inschrift ihres Marmorsarkophages Priesterin des Ogygischen Bacchus (bzw. Dionysos) und Pastophorin (Türhüterin) der „Göttin vom Nil, der reinen Isis“.1907 Als „Prophet der Isis“ bezeichnet sich in der zweiten Hälfte d. 4. Jhs. ein Mann, der noch weitere Priesterämter orientalischer und römischer Kulte in seiner Person vereint (s. u.).1908 ‚Kollegien‘ bzw. Kultassoziationen, darunter die pausarii sind teilweise auch für Tempelstiftungen verantwortlich.1909 Vereinzelt ist außerdem eine Priesterin der Bubastis in einer Grabinschrift bezeugt.1910 Im späten 4. Jh. n. Chr. zeichnet sich eine Ämterkumulation von diversen Priestertiteln verschiedener orientalischer und römischer Gottheiten ab, die für mehrere Personen belegt ist.1911 Sie betreffen – neben Isis und Sarapis – Vesta, Sol, Herkules, Liber Pater, die eleusinischen Götter, Kybele/Magna Mater, Hekate und Mithras. Offenbar gab es zu dieser Zeit, 1898 Vgl. MALAISE, Conditions, S. 133–134. 1899 RICIS 501/0131: Inschrift eines Grabaltars und Ossuariums; vgl. dazu MALAISE, Nova Isiaca, S. 50; HÄUBER, Eastern Part, S. 55, m. Anm. 40; 170–171 (claudisch oder neronisch). 1900 RICIS 501/0132; s. o., Kap. 7.3.2.1.2. 1901 RICIS 501/0122. Der Altar trägt Reliefdarstellungen mit einer Isis(dienerin) mit Sistrum und Situla sowie einem bärtigen Offizianten (der Stifter Astragalus selbst?), der vor einem mit Früchten beladenen Altar eine Taube (oder einen anderen Vogel) opfert. Teilweise wurde das Stück dem Iseum Campense zugeschrieben, doch ist diese Herkunft sehr unsicher, siehe LEMBKE, Iseum Campense, S. 141, Kat. B.6 u. 246, Kat. E.51; Taf. 47,1; zur Inschrift auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 50; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 361–362. 1902 Vgl. HOFFMANN/QUACK, Pastophoros, S. 147. 1903 RICIS 501/0109–0110 (s. o., Kap. 7.3.2.1.2); RICIS 501/0149 (s. o., 7.3.2.2.6 Isis mit Füllhorn); RICIS 501/0208–9 (376 n. Chr., siehe auch unten); RICIS 501/0160 (40 n. Chr., siehe auch unten, Kap. 7.3.2.2.8) 1904 RICIS 501/0150. Siehe zu dieser Inschrift oben, 7.3.2.1.2. 1905 RICIS 501/0152 (s. o., Kap. 7.3.2.1.2). 1906 RICIS 501/0183–4. Zu den Melanephoren siehe oben, Kap. 7.2.6.4. 1907 RICIS 501/0174. Vgl. oben, Kap. 7.3.2.1.1 zur literarisch überlieferten Gründung des PastophorenKollegiums in Rom unter Sulla. Zu Bedeutung und Funktion des Titels Pastophor siehe rezent HOFFMANN/QUACK, Pastophoros. 1908 RICIS 501/0211 (zweite Hälfte 4. Jh. n. Chr.). 1909 RICIS 501/0135–0136 (s. o., Inschriftlich belegte Kultstätten). 1910 RICIS 501/0162. 1911 RICIS 501/0180–0181; 501/0208–0209; 501/0211. Siehe im Detail dazu BRICAULT, Gens isiaca, S. 348–359; vgl. auch SFAMENI, Isis, Cybele, S. 132–134.

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zumindest teilweise oder in bestimmten Teilen der Stadt, einen gemeinsamen Kult für heidnische Gottheiten und nur noch wenige Personen, die diesen durchführen konnten/wollten – eventuell nur noch in einem privaten, häuslichen Rahmen, wie auch die Ausstattung der privaten Kapelle von S. Martino ai Monti zeigt (s. o.). 7.3.2.2.7 Die ägyptischen Gottheiten in Heiligtümern anderer Götter Weitere archäologische Funde deuten darauf hin, daß die ägyptischen Gottheiten teilweise in den Heiligtümern anderer Götter mitverehrt wurden. In einigen Fällen belegen sie die gleichen Verbindungen wie die spätantiken Priestertitel: So fanden sich in den Mithräen von S. Stefano Rotondo und Sta. Prisca ein Kopf der Isis bzw. Sarapisköpfe und eine -büste aus Stuck, Marmor, Terrakotta und Porphyr.1912 Die nachträglich modifizierte Weihung an Zeus Helios Megas Sarapis aus dem Mithräum der Caracalla-Thermen wurde oben bereits erwähnt.1913 Auch im Dolichenum auf dem Aventin scheinen Isis und Sarapis tempelteilende Gottheiten gewesen zu sein oder zumindest von den Kultanhängern mit Jupiter Dolichenus und Juno Dolichena assoziiert worden zu sein, denn zwei Weihungen des 2. und 3. Jhs. an Jupiter tragen auch Reliefdarstellungen des ägyptischen Götterpaars.1914 In der Inschrift aus dem 2. Jh. sind die Götternamen sogar in der Form „Jupiter Optimus Maximus Dolichenus Serapis und Isis Juno“ synkretistisch miteinander verbunden, wobei auffällig ist, daß anders als bei Jupiter und Sarapis der Name der Isis dem der Juno vorangeht, wie es auch sonst für derartige Namensverbindungen mit Isis üblich ist.1915 Darstellungen von Isis bzw. ihren Anhängern wurden außerdem im Magna Mater-Tempel auf dem Palatin und im Heiligtum des Zeus Bronton an der Via Appia Nova aufgefunden.1916 Im 4. Jh. schließlich scheinen ägyptische Gottheiten zusammen mit den syrischen Göttern, unter anderem Jupiter Heliopolitanus, Zeus Keraunios und Hadad im Heiligtum auf dem Janiculum verehrt worden zu sein, oder diesen Kult sogar abgelöst zu haben:1917 In einer polygonalen Raumstruktur im östlichen Teil eines größeren Baukomplexes des 4. Jhs. wurde eine vergoldete Bronzestatuette des von einer Schlange umringelten ‚Osiris-Aion‘ in einem versiegelten Kästchen gefunden,1918 das zusammen mit Eiern, Samen und Wurzeln in der Mitte des

1912 Siehe BRICAULT, Atlas, S. 164 u. 167. 1913 RICIS 501/0126; s. o., 7.3.2.2.5. 1914 RICIS 501/0128–0129; BRICAULT, Atlas, S. 167; vgl. dazu auch ENGSTER, Synkretistische Phänomene, S. 234. 1915 Siehe NAGEL, Kult und Ritual, S. 161. Eine Gleichsetzung oder synkretistische Verbindung zwischen Isis und Juno ist insgesamt sehr selten belegt, vgl. BRICAULT, Trône, S. 137, dort auch zur genannten Inschrift. 1916 Siehe MALAISE, Nova Isiaca, S. 57; BRICAULT, Atlas, S. 167. 1917 Siehe dazu GODDARD, s. v. „Furrinae Lucus“, bes. S. 280–284; ID., Nuove osservazioni, mit Grundriß des spätantiken Baues auf S. 171, Abb. 1; R. GEE, The Lucus Furrinae and the Syrian Sanctuary on the Janiculum: Encroachment? Or Renovation and Transformation?, in: Bollettino di Archeologica online I 2010, Volume speciale D/D3/4: International Congress of Classical Archaeology, Meetings between Cultures in the Ancient Mediterranean, S. 42–48: 45 (http://www. bollettinodiarcheologiaonline.beniculturali.it/documenti/generale/4_GEE.pdf); SwETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 36–40; vgl. dazu auch HÄUBER, Eastern Part, S. 637–642. 1918 SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 39, Abb. 1.11; GODDARD, Nuove osservazioni, S. 166–167; 171, Abb. 2; Zu diesem ikonographischen Typus siehe oben, 7.3.2.2.3.

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Hauptraumes vergraben worden war, außerdem eine Marmorstatue des Dionysos,1919 eine Marmorbasis mit drei Bacchanten sowie Fragmente einer ägyptischen spätzeitlichen Königsstatue aus schwarzem Basalt,1920 die in weiteren Räumen intentionell deponiert waren. Die Deponierung der paganen Statuen, insbesondere die exaltierte der Osirisfigur, erinnert ein wenig an die Isisstatue im Bothros der spätantiken Struktur am Kyrener Akropolishang (siehe Kap. 7.2.1.2.1), während die spezifische Kombination des Osiris mit Schlange und der Beigaben auf den Kontext regenerativer Rituale des Osiriskultes hinweisen könnte,1921 die eventuell in Anlehnung an die ägyptischen Choiakriten durchgeführt wurden.1922 Die Funde im Ostteil werden durch Wandmalereien mit ägyptisierenden Motiven und einen deponierten menschlichen Schädel in der zentralen Nische des westlichen Raumkomplexes ergänzt.1923 GODDARD interpretiert den gesamten Baukomplex des 4. Jhs. aufgrund des Grundrisses als suburbane Villa mit privater Osiriskapelle.1924 7.3.2.2.8 Funerärkult: Isis und Osiris als Totengötter Auf römischen Grabdenkmälern wird die Zugehörigkeit der Verstorbenen zum Kult der ägyptischen Gottheiten und speziell zu Isis oftmals hervorgehoben. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen, doch läßt sich heute kaum mehr beurteilen, ob diese verschiedenen Methoden der Repräsentation auch dezidierte (unterschiedliche) Aussagen in Hinblick auf den genauen Status bzw. die Funktion des/der Verstorbenen innerhalb des Kultes enthalten oder nur allgemein auf die Verehrung dieser Gottheiten hindeuten. Relativ eindeutig sind hier nur die konkreten Angaben von Priestertiteln etc. auf Grabmonumenten.1925 Umstritten sind hingegen die genauen Implikationen der Formel sacrorum Isidis, die einige Personen auf ihren Funerärdenkmälern kennzeichnet.1926 Noch häufiger erscheint sacrorum allein, wobei eine Verbindung zum Isiskult allerdings überhaupt fraglich ist, wenn nicht zusätzlich andere Elemente auf diesen hinweisen.1927 Früher häufig als „eingeweiht in die Mysterien (der Isis)“ verstanden,1928 wird eine solche Übersetzung aufgrund

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SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 40, Abb. 1.12. SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 37, Abb. 1.9. So, mit Verweis auf Plutarch, De Iside, auch GODDARD, s. v. „Furrinae Lucus“, S. 282–283. Vgl. hierzu auch die Kommentare zum Iseum Campense, oben in Kap. 7.3.2.2.2, und das zusammen mit Früchten und Nüssen in der Opfergrube im Hof des Iseums von Pompeji deponierte Uschebti, siehe unten, Kap. 7.3.3.1.1. Letzteres wird auch von SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 38, mit dem Gesamtbefund der deponierten Statuen im Heiligtum auf dem Janiculum verglichen. GODDARD, Nuove osservazioni, S. 167. Zwei Schädel wurden auch in der Cella des Isistempels von Pompeji gefunden, siehe unten, 7.3.3.1.1. GODDARD, Nuove osservazioni, S. 168. Zu privaten Heiligtümern vgl. oben, 7.3.2.2.6. Zu den Priestertiteln siehe oben, Kap. 7.3.2.2.6 (Kultpersonal): ein Großteil der besprochenen Titel stammt von Grabmonumenten, z. B. RICIS 501/0131–0132; 501/0160; 501/0162; 501/0174; 501/0180–0181; 501/0183–0184. RICIS 501/0165, 501/0185 (siehe dazu auch RICIS Suppl. III) und 501/0227 (RICIS Suppl. III). RICIS 501/0166; 501/0168; 501/0188–0189. Vgl. den Kommentar von L. BRICAULT zu RICIS 501/0165, S. 545; und ID., Cultes isiaques, S. 444. Zu RICIS 501/0168, wo zusätzlich ein Sistrum und ein Caduceus dargestellt sind, siehe GENAILLE, Inscription funéraire. So z. B. die Übersetzung von L. BRICAULT, RICIS, z. B. RICIS 501/0165, S. 545; vgl. auch GENAILLE, Inscription funéraire, S. 802–804 (schließt nicht aus, daß es sich – unter anderem – auch um Mysten handeln könnte). VIDMAN, Isis und Sarapis, S. 89, nahm dagegen an, daß so bezeichnete

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der Uneindeutigkeit des lateinischen Ausdrucks mittlerweile z. B. von STEINHAUER angezweifelt.1929 Wahrscheinlich nur auf eine generelle Anhängerschaft deuten Bildungen der Form Isiacus/-a,1930 Bubastiaca1931 etc. hin, d. h. diejenigen, die sich so benannten, konnten verschiedene Ämter im Kult einnehmen oder aber einfach Gläubige sein.1932 Auf einem Marmorsarkophag des 3. Jhs. n. Chr. wird eine Verstorbene von ihrem Ehemann als cultrix deae Phariae „Verehrerin der Göttin vom Pharos“ bezeichnet, was auf die enge Verbindung der Isis zum Hafen von Alexandria Bezug nimmt.1933 Die gleichen Probleme wie die Inschriften bieten auch die Darstellungen auf den Grabdenkmälern: Cistae, Sistren, und andere Kultgeräte (z. B. Paterae) schmücken die Monumente,1934 und Frauen stellen sich teilweise selbst mit den Attributen der Göttin dar1935 – doch bedeutet dies, daß sie zu Lebzeiten Priesterinnen oder Kultdienerinnen waren, oder handelt es sich um bloße Anhängerinnen der Göttin, die speziell im Tode an diese angeglichen wurden?1936 Eine solche Angleichung im Tode würde der ägyptischen Osirianisierung ähneln oder der Identifikation weiblicher Verstorbener mit Hathor im römerzeitlichen Ägypten.1937 Jedoch scheint eine Entsprechung für männliche Verstorbene zu fehlen, wenngleich auf einigen Grabdenkmälern auch Männer in ähnlicher Haltung wie ihre Gattinnen mit Sistrum und Situla oder Sistrum und Patera gezeigt werden.1938 Verstorbene Knaben dagegen könnten durch die Horuslocke als (junge) Anhänger des Kultes gekennzeichnet oder aber durch die Angleichung an Horus in die Obhut der ägyptischen Götter im Jenseits übergeben worden sein.1939 Etwas klarere Hinweise auf eine tatsächliche Hinwendung zu Isis und Osiris auch im Jenseits geben einige spezielle Grabinschriften. So finden sich in Rom mehrere Exemplare

1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935

1936 1937 1938 1939

Personen einen Rang unterhalb desjenigen der „Mysten“ innehatten, was aber ebenso spekulativ bleibt. Siehe auch MALAISE, Terminologie, S. 28, der jedoch nicht weiter auf die Bedeutung eingeht. STEINHAUER, Osiris mystes, S. 58; für eine Bedeutung als „eingeweiht in die Mysterien“ sprechen sich nun wieder MALAISE/VEYMIERS, Dévotes isiaques, S. 504, aus. RICIS 501/0176. RICIS 501/0169. Vgl. MALAISE, Terminologie, S. 26–29; MALAISE/VEYMIERS, Dévotes isiaques, S. 493–494. RICIS 501/0177. Vgl. ein Epigramm auf Philae, in dem Isis Pharia genannt wird: IG Philae 168, s. o., Kap. 6.2.2.2; Mart., 10, 48, 1: „junge Kuh vom Pharos“. Zu Isis Pharia siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 106–110. RICIS 501/0161; 501/0170; 501/0194–0195; siehe auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 51–52; N. GENAILLE, Instruments du culte isiaque figurés sur trois monuments funéraires de Rome, in: Bergerel Naggar (Hrsg.), Études isiaques, S. 223–234. Z. B. das Grabrelief der Galatea (RICIS 501/0171), die neben Sistrum, Situla und einem Diadem (Halbmond und Uräusschlange, oder Basileion?) auch die Palla contabulata trägt, siehe EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 76 u. 163–164, Kat. 135. Vgl. zu Darstellungen von Frauen als Isis auch BRENK, Gleaming Ray, S. 157; ALBERSMEIER, Garments, S. 458–469; MALAISE/VEYMIERS, Dévotes isiaques, S. 483–505. Siehe zur Gesamtproblematik auch oben, Kap. 7.2.5.2.2 und 7.2.6.4 zum entsprechenden Material aus Nordafrika (eine Verstorbene auf einem Relief aus Cherchel trägt ebenfalls Palla contabulata, Sistrum und Situla). Siehe dazu oben, Kap. 7.1.4 zur Sarkophagfigur aus Karthago, und 7.2.1.2.1 (Funde und Ausstattung) zur polychromen Isisstatue aus Kyrene. Siehe EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 105, 107, 117 u. 120, S. 80. Einen Knaben mit Horuslocke zeigt ein Grabaltar des 3.–4. Jhs. n. Chr., RICIS 501/0179. Vgl. auch den Kopf eines Knaben mit Horuslocke aus dem Iseum et Serapeum der Regio III, s. o., Kap. 7.3.2.2.3.

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der aus Ägypten und vereinzelt aus Karthago und Caesarea Maritima bekannten griechischen Osiris-Kaltwasserinschriften.1940 Auf einer kleinen Marmorurne von der Via Nomentana ist die griechische Formel Δοί(η) σοι ὁ Ὄσειρις τὸ ψυχρὸν ὕδωρ sogar in lateinische Schrift übertragen, als „doe se Osiris to psycron hydor“.1941 Wie unter anderem die Tempelinschriften und Graffiti aus Philae zeigen, ist es auf mythischer Ebene Isis, die den Totenkult für Osiris vollzieht und ihm als QbH.t erfrischendes Wasser oder Milch spendet.1942 In den kaiserzeitlichen ψυχρὸν  ὕδωρ-Inschriften ist Osiris dagegen vom Empfänger der Gabe der Isis selbst zum Akteur geworden, der dem Toten das Wasser spenden soll und ihn so an seiner eigenen Regeneration im Jenseits teilhaben läßt. Er selbst verkörpert schließlich das Nilwasser – ein Konzept, das wie oben dargelegt, auch in den römischen Tempeln noch eine wichtige Rolle spielte.1943 Eine Variante der Formel, die in Alexandria belegt ist,1944 orientiert sich noch an der Vorstellung, daß Isis die Libation vollzieht und ist wahrscheinlich auch in der Abkürzung P.H.S.I.T.P.D. am Ende einer lateinischen Grabinschrift für Claudia Isias enthalten, aufzulösen wohl als: p(sychron) h(ydor) s(oi) I(sis) t(ibi) p(acem) d(et).1945 Die Tradition der Kaltwasserinschriften könnte auf direktem Wege von Alexandria bzw. durch Alexandriner nach Rom gekommen sein, zumal die meisten Inschriften auch hier in griechischer Sprache gehalten sind, und abgesehen von den Einzelbelegen in Caesarea in Palästina und Karthago sonst nirgends bekannt sind.1946 Während es sich meist nur um sehr kurze, formelhafte Inschriften handelt, weist eines der stadtrömischen Beispiele, das mit einer Datierung in das späte 1. Jh. n. Chr. zugleich das früheste ist, einen längeren griechischen Text auf, der die Bitte an Osiris mit griechisch-römischen Jenseitsvorstellungen verbindet:1947 Du bist gegangen, süßestes Kind, zum Haus der Unsterblichkeit, um dort ewig zu leben, Markus Ortorios Eleutheros, der 10 Jahre, 3 Monate und 3 Tage alt geworden ist. Möge Osiris dir nun kühles Wasser geben! Nicht hält dich Charon, Kind, sondern Chaos, der dich, durch einen plötzlichen Tod, dem Leben entrissen hat, dich, noch unschuldig, ganz Kind und vor der Stunde. (…) Ortorius Heleis und seine Frau Ortoria Eutychis haben für ihr Kind ein Haus der Ewigkeit errichtet, und für sich

1940 RICIS 501/0178; 501/0198–0199; 501/0164; siehe dazu auch TRICOCHE, L’eau, S. 94–95, Doc. 11– 14; und, mit weiteren Überlegungen zu ägyptisch beeinflußten Jenseitsvorstellungen bei einzelnen Isisanhängern, GASPARINI, Afterlife, bes. S. 128–133 zu den Inschriften aus Rom. RICIS 501/0198 ist auf eine kleine Cista geschrieben. Vgl. oben, Kap. 6.2.2.2 (demotische Graffiti in Philae), 6.2.10.2 (griechische Inschriften aus Alexandria) und 7.2.3.2.2 (eine griechische Inschrift aus Karthago), mit Literaturangaben. Caesarea Maritima: RICIS 403/0401. Auszüge des folgenden Abschnittes sind bereits (in teils umgestalteter Form) in NAGEL, Kult und Ritual, S. 164–169, publiziert worden. 1941 RICIS 501/0198. Zur Übertragung in lateinische Schrift siehe auch BELAYCHE, Immigrés orientaux, S. 254; TRICOCHE, L’eau, S. 97. 1942 Siehe Kap. 4.1.2 und 6.2.2.2. 1943 Siehe bes. Kap. 7.3.2.2.2 zum Iseum Campense. 1944 IM 52; siehe oben, Kap. 6.2.10.2. 1945 RICIS 501/0197 (siehe auch RICIS Suppl. III). Siehe dazu auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 53; TRICOCHE, L’eau, S. 95, Doc. 15, u. S. 97. 1946 Zu Alexandrinern im römischen Isiskult siehe bereits oben, Kap. 7.3.2.2.2 und 7.3.2.2.6. 1947 RICIS 501/0164.

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selbst in Vorbereitung für ihren Tod, indem dieses Monument von einem Garten umgeben ist (…). Hier wird einerseits Osiris als Garant für das neue Leben im Jenseits um Hilfe gerufen, und mit dem „Haus der Ewigkeit“ eine ägyptische Bezeichnung des Grabes (Hw.t n nHH/Hw.t n D.t) verwendet,1948 andererseits wird auf griechische Konzepte vom jenseitigen Fährmann und von der negativ empfundenen Macht des Chaos angespielt, mit dem hier nach einem Vorschlag von GASPARINI der ägyptische Seth als Gegenspieler zu Osiris gemeint sein könnte.1949 Es besteht also bei den Anhängern des Isiskultes im kaiserzeitlichen Rom keinerlei Konflikt oder Widerspruch zwischen ägyptischen und griechisch-römischen Jenseitsvorstellungen; vielmehr existieren ursprünglich verschiedene Elemente einheitlich nebeneinander. In einer weiteren Inschrift aus Rom aus dem 2.–3. Jh. n. Chr. offenbart sich jedoch eine aktive Übertragung: Hier wird die Formel allerdings abgewandelt zu „Möge König Aidoneus (= Hades) dir kaltes Wasser geben!“1950 Dies zeigt, daß noch in dieser Zeit die Vorstellung von Osiris als Herrscher des Totenreiches präsent war, da er durch Hades abgelöst werden kann. Auf Osiris als Herrscher des Jenseits deutet desweiteren eine griechische Grabinschrift hin, die der Verstorbenen wünscht, in Frieden bei Osiris zu ruhen (εὐψύχι (wörtl. etwa: „lebe wohl/glücklich“) μετὰ τοῦ Ὀσείριδος).1951 Von Interesse im Hinblick auf ägyptische Funerärtraditionen sind zudem ein Grabcippus und ein Altar, die beide Drohformeln enthalten, die im Falle etwaiger Zerstörungen oder anderer Frevel gegen die Denkmäler den Zorn der Isis heraufbeschwören.1952 Dies entspricht vergleichbaren ägyptischen Formeln, die vom sogenannten ‚Anruf an die Lebenden‘ ägyptischer Funerärinschriften seit langem bekannt sind, aber auch, speziell mit Nennung der Isis, z. B. in Graffiti in Philae und Assuan vorkommen.1953 Ebenfalls auf Osiris bezogen und sicherlich in einem funerären Kontext deponiert,1954 jedoch inhaltlich dem Genre der magischen Texte zugehörig ist eine griechische Defixio auf

1948 Wb III, 2, 13–14. Vgl. auch die Angabe bei Diodor I, 51, 2, dass die Ägypter ihre Gräber „ewige Häuser“ nennen. 1949 GASPARINI, Afterlife, S. 130 (im Vergleich mit der Fluchtafel RICIS 501/0202, wo Osiris und ‚Typhon‘ explizit genannt werden, s. u.). Zur Vergesellschaftung bzw. gemeinsamen Verehrung ägyptischer, griechisch-römischer und anderer Gottheiten, siehe auch oben, 7.3.2.2.6 (Kultpersonal) und 7.3.2.2.7. Vgl. z. B. den Sarkophag der Priesterin des Bacchus und Pastophorin der Isis, RICIS 501/0174, dessen Inschrift besagt, daß die Verstorbene durch das „eifersüchtige Zeichen der Parzen“ zu Pluton gebracht wurde. 1950 IG XIV, 1842; TRICOCHE, L’eau, S. 95, Doc. 16, u. S. 97. 1951 RICIS 501/0196; vgl. dazu GASPARINI, Afterlife, S. 125–128. Die εὐψύχι-Formel ist vor allem aus Ägypten (bes. Alexandria) bekannt, allerdings üblicherweise ohne Nennung des Gottes, wenngleich Darstellungen von Isis und Osiris häufig in unmittelbarem Kontext auftreten (ibid., S. 126). In zwei der oben genannten Inschriften aus Rom ist sie mit der Osiris-Kaltwasser-Formel kombiniert (RICIS 501/0178 und 501/0199). 1952 RICIS 501/0172 (siehe auch RICIS Suppl. III) und 501/0193; vgl. dazu auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 52. Auf ersterem wird die Inschrift von einem Sistrum und einer Situla mit bekrönender Uräusschlange gerahmt. 1953 S. o., Kap. 6.2.2.1 und 6.2.3. Zu Strafen durch Isis vgl. auch pCarlsberg 652 vs., Frg. 1, x+1, 13 und PSI Inv. D 79, Frg. 1, x+1, x+10, Kap. 6.1.4, und literarische Erzählungen, Kap. 6.4.1. 1954 Wahrscheinlich in einer der Nekropolen des Ager Vaticanus, siehe RICIS 501/0202, S. 559.

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einem Bleitäfelchen,1955 das interessanterweise eine direkte Parallele zu einem Formular in einem der griechischen magischen Papyrushandbücher aus Ägypten darstellt.1956 Darin wird ein frühzeitig Verstorbener beschworen, der „vom bösen Typhon hinweggenommen“ wurde, sich einer unliebsamen Zielperson zu bemächtigen, die mittels einer Diabolé (einer Verleumdung) als Feind der Götter, speziell des Osiris, gebrandmarkt wird: Die Person soll die Papyrusbarke des Osiris in Brand gesteckt und den heiligen Fisch gegessen haben. Auf einer Goldlamella, die im Mund eines Totenschädels in einer versiegelten Urne nahe des Scipionengrabs deponiert war, ist es dagegen Sarapis, an den als „Schöpfer der Ewigkeit(?)“ (Αἰωνεργέτης) appelliert wird, Sieg (über Feinde oder eventuell Totengeister) zu bringen;1957 das Ende der Anrufung ist allerdings zerstört. 7.3.2.3 Ostia und Portus 7.3.2.3.1 Isis als Patronin der Seefahrt und Garantin der Getreideversorgung in den Häfen Roms Die in Rom bereits in Dokumenten ab republikanischer Zeit deutlich zutage tretenden Fruchtbarkeitsaspekte der Isis, die teilweise in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Rolle als Schützerin der Seefahrt stehen,1958 stellen eine direkte Verbindung zu ihrem Kult in Ostia und Portus, den beiden Seehäfen Roms her. Die Verehrung von Isis und Sarapis ist hier noch in der Spätantike eng verquickt mit der in den Hafenstädten zentralen Wirtschaft und besonders dem Seehandel, und dies bis hin in personelle Verbindungen.1959 So weihte z. B. in Ostia ein miles frumentarius in Erfüllung eines Gelübdes einen großen Cippus an Isis und den Genius cenaculi,1960 und in Portus stellte noch im Jahr 376 n. Chr. der Präfekt der Annona Sempronius Faustus im Namen der Kaiser Valens, Gratianus und Valentinianus 1955 RICIS 501/0202; AUDOLLENT, Defixionum tabellae, Nr. 188. Besprechung von G. BEVILACQUA, Il „papiro di Osiride“ in una defixio di Roma, in: Scienze dell’Antichità 6/7, 1992/3, S. 143–151; D. R. JORDAN, Inscribed Lead Tablets from the Games in the Sanctuary of Poseidon, in: Hesperia 63, 1994, S. 111–126: 123–124, Anm. 22; GORDON/GASPARINI, Looking for Isis „the Magician“, S. 48. 1956 PGM LVIII 1–14; siehe BETZ, Greek Magical Papyri, S. 285. Zu Isis und Osiris in den magischen Papyri aus Ägypten siehe oben, Kap. 6.5.1.4–2.4. Zu dieser Tradition im Mittelmeerraum vgl. das ebenfalls Osiris betreffende Fluchtäfelchen aus Hadrumetum, s. o., Kap. 7.2.3.4. 1957 RICIS 501/0217; KOTANSKY, Greek Magical Amulets I, Nr. 28, S. 113–117 (mit Datierung in augusteische Zeit). Das Epitheton könnte eine Übertragung des ägyptischen irj D.t darstellen, vgl. den Kommentar von BRICAULT, RICIS II, S. 567 (mit voriger Literatur). Die Lesung ist allerdings umstritten und die Anrede des Gottes könnte stattdessen auch als „Aion, Schlange, Herr Sarapis“ zu verstehen sein, siehe zusammenfassend FARAONE, Skull, S. 27–34. GORDON/GASPARINI, Looking for Isis „the Magician“, S. 49, vermuten, daß die Lamella in Unkenntnis der eigentlichen Bedeutung des Textes als Phylakterion bzw. nach dem Tod als „Totenpaß“ genutzt wurde (und folgen damit einer Deutung, die bereits von D. JORDAN und R. KOTANSKY favorisiert wurde). Damit widersprechen sie der anderweitigen Interpretation von FARAONE, Skull, der ein nekromantisches Ritual mit einer abschließenden ‚Versiegelung‘ des Mundes des Schädels vermutet; auch zuvor war die Deutung des Goldtäfelchens stark umstritten. 1958 Siehe oben, Kap. 7.3.2.1.2. 1959 Vgl. EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 211; EAD., Religionsästhetik und Raumanordnung am Beispiel der Vereinsgebäude von Ostia, in: U. Egelhaaf-Gaiser/A. Schäfer/J. Rüpke (Hrsg.), Religiöse Vereine in der Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und Raumordnung, Studien und Texte zu Antike und Christentum 13, Tübingen 2002, S. 123–172: 153, Anm. 12. 1960 RICIS 503/1116 (3. Jh. n. Chr.); siehe BAKKER, Living and Working, S. 103; Kat. A 95.

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den Tempel und die Portikus für Isis fertig.1961 Deren Heiligtum in Portus befand sich möglicherweise direkt am Ufer der Isola Sacra, gegenüber einem Thermengebäude, wo Mauerreste gefunden und hypothetisch als Iseum identifiziert wurden.1962 Nach Ausweis von zwei heute zerstörten Inschriften vom 2.–3. Jh. n. Chr. könnte auch eine als Megarum (= Megaron) bezeichnete Räumlichkeit zu dem Isistempel gehört haben.1963 Es wurde demzufolge von Camurenius Verus, Priester der Isis Capitolina, und den „anderen Isiaci“ zum Wohl des Kaisers (Commodus, Caracalla oder Elagabal?) restauriert, und (später?) durch eine Frau und ihre Enkelin (Calventia Severina u. Aurelia Severa) erweitert. Ein Megaron ist im Zusammenhang mit den Heiligtümern der ägyptischen Kulte auch auf Delos belegt,1964 sowie generell im Demeterkult, und bezeichnet wahrscheinlich eine Art unterirdischen Raum, der vielleicht für geheime Riten („Mysterien“) o. ä. genutzt wurde.1965 Während der Großteil der Zeugnisse, darunter auch die erhaltenen Tempel, für die ägyptischen Gottheiten in Ostia und Portus erst aus dem 2. Jh. und späterer Zeit stammt, könnte ein Relieffragment bereits in der spätrepublikanischen Epoche, in der sich auch die stadtrömischen Quellen zu häufen beginnen, die Ankunft der Isis im Hafen von Ostia zeigen, wo sie von Vulcanus empfangen wird.1966 Die Identifikation der Göttin erfolgte aufgrund des Diadems des erhaltenen Frauenkopfes, das eine Lotusknospe darzustellen scheint. Die Datierung des Stücks, von MEYER in der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. angesetzt, ist allerdings umstritten. Eine Verbindung oder Unterordnung der ägyptischen Götter zum Kultbetrieb des Vulcanus ist zumindest noch in der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. durch eine griechische Weihung von Lampen, Altären, einem Räuchergefäß und Bänken an Zeus Helios Megas Sarapis und die synnaoi theoi bezeugt, die einer lateinischen Nachschrift zufolge mit der Erlaubnis des Pontifex des Vulcan und der heiligen Tempel sowie der Duumvirn durchgeführt wurde.1967 Eindeutig wird die Beziehung der Isis zur Seefahrt in einer monumentalen grauen Marmorstatue (Bigio antico) des 2. Jhs. n. Chr. von der Küste von Portus (genauer Isola Sacra), die wohl in ihrem dort vermuteten Tempel (s. o.) aufgestellt war und sie im Typus der ‚Isis mit Segel‘ auf einem Schiffsbug präsentiert.1968 Dazu gehörte wohl eine in der Nähe aufge1961 RICIS 503/1223; siehe dazu STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 256; BRICAULT, Gens isiaca, S. 346– 347. 1962 Siehe ZEVI, „Iseo di Porto“, S. 322; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 216. 1963 RICIS 503/1221–1222; siehe dazu FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 29; EGELHAAFGAISER, Kulträume, S. 206 u. 216; ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 240. 1964 RICIS 202/0252: Sarapeion C, Weihung eines Megaron für Sarapis, Isis und Anubis durch den Priester Athenagoras. 1965 Vgl. BRICAULT, RICIS II, S. 601 zu RICIS 503/1221. Zur Funktion so bezeichneter Gebäude siehe z. B. B. C. DIETRICH, A Religious Function of the Megaron, in: RSA 3, 1973, S. 1–12. 1966 So die Deutung von H. MEYER, Vulcan und Isis in der Sala Rotonda. Ein Beitrag zur Kunst um Pompeius d. Gr., in RendPontAcc 53–54, 1980–1982, S. 247–274, abgebildet S. 249, Abb. 1–2; Rekonstruktion S. 259, Abb. 7; vgl. auch EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 210. 1967 RICIS 503/1205. 1968 BRICAULT, Dame des flots, S. 90–91, m. Abb. 50; ZEVI, „Iseo di Porto“, S. 323; ADAMO MUSCETTOLA, Pozzuoli, S. 327. Ein paralleles Stück aus dem späteren 2. Jh. wurde auch im Uferbereich von Puteoli gefunden, siehe BRICAULT, Dame des flots, S. 91–92, m. Abb. 51, eine weitere Statue dieses Typus stammt vom Posillipo (Neapel) (ibid., S. 88–89, Abb. 48), was die Beliebtheit und Verbreitung dieser Isisform in den Küsten- und Handelsstädten demonstriert, siehe unten, Kap. 7.3.3.

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fundene große bärtige Schlange (= Sarapis-Agathodaimon?) aus dem gleichen Material. In Ostia fand sich eine der auch aus Nordafrika bekannten Schiffslampen; sie weist in der Mitte ein großes Bildnis der stehenden Isis mit einem von einer Uräusschlange bekrönten Füllhorn und Sistrum auf, das oben und unten von kleineren Darstellungen der Büsten des Sarapis und Harpokrates gerahmt wird.1969 Einige weitere Zeugnisse verdeutlichen den engen Bezug der seefahrenden Isis zu Alexandria bzw. den ägyptischen Küstenstädten: Aus Portus stammen zwei griechische Weihungen, die unter anderem „Isis in/von Menuthis“ nennen.1970 In einer davon wird eine Statue der „Isis in Menuthis“ an „Isis Pharia“ für das Wohl des Kaisers Antoninus (= entweder Antoninus Pius, Commodus, oder Caracalla) dediziert,1971 in der anderen je ein Xoanon des „sehr heiligen Gottes Sarapis“ und der „Isis von Menuthis“.1972 Die griechische Sprache der Inschriften deutet möglicherweise auf Dedikanten aus Alexandria oder sogar Menuthis selbst hin. Ein Sarkophag aus dem 2. Jh. n. Chr. stellt zwei Genien für die Städte Alexandria und Ostia nebeneinander, die jeweils einen Leuchtturm in der Hand halten.1973 Unter dem alexandrinischen Leuchtturm befindet sich eine gewundene Schlange, die Agathodaimon darstellen könnte, unter dem ostiensischen aber der Kopf einer Uräusschlange mit der Inschrift Euploia, die damit auf ein gängiges Epitheton der Isis als Herrin der Seefahrt verweist.1974 Als Garantin der aus Ägypten kommenden Getreidelieferungen wird Isis Anfang des 3. Jhs. n. Chr., zur Zeit Caracallas, in den Wandmalereien der Bäckerei ‚Sacello del Silvano‘ in Ostia (Caseggiato dei Molini I, III, 2) präsentiert, wo sie mit dem Sistrum in der Hand zusammen mit Harpokrates, Fortuna, der Personifikation Annona, einem Genius, sowie Augustus und Alexander dem Großen dargestellt ist.1975 Ein Graffito markiert die Anwesenheit von zwei Personen am 25. April 215 n. Chr., dem Datum der (wohl zusammengehörigen) Feste Sacrum Phariae und der Serapia, die mit der Ankunft der Annona in Verbindung standen.1976 In diesen Themenbereich paßt weiterhin ein Wandgemälde in einem Grab an der Via Laurentina aus dem 3. Jh. n. Chr., das ein Schiff beim Beladen mit Getreide zeigt, welches der Beischrift zufolge „Isis Giminiana“ benannt ist.1977

1969 FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 32; siehe dazu auch BRICAULT, Dame des flots, S. 127– 128, m. Abb. 58. Vgl. die Schiffslampen in Sabratha, Gigthis, Karthago (Kap. 7.2.2.2.3, 7.2.2.4, 7.2.3.2.2 und 7.2.6.4). 1970 Zum Kult der Isis in dem nahe bei Alexandria gelegenen Menuthis siehe oben, Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 63–65; vgl. auch BRICAULT, Toponymie, S. 445. 1971 RICIS 503/1204; Taf. 96; vgl. dazu auch BRICAULT, Dame des flots, S. 109–110. 1972 RICIS 503/1212. 1973 G. STUHLFAUTH, Der Leuchtturm von Ostia, in: RM 53, 1938, S. 139–163: 145–147, Nr. 3, Abb. 4; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 211. 1974 Vgl. z. B. pOxy. 1380, Z. 99, siehe oben, Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 61–62. Siehe zu dieser Epiklese BRICAULT, Dame des flots, S. 101–102. 1975 Ausführliche Analyse bei BAKKER, Living and Working, S. 65–66 u. 134–167; vgl. dazu auch BRICAULT, Dame des flots, S. 150–151; PODVIN, Tropisme isiaque, S. 324. 1976 Vgl. BRICAULT, Dame des flots, S. 150–154. 1977 RICIS 503/1132; siehe FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 33; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 210; BRICAULT, Dame des flots, S. 169, m. Abb. 77 u. Anm. 62; ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 239. Der zweite Namensbestandteil bezieht sich auf den Besitzer des Schiffes Geminius. Zur Benennung von Schiffen als Isis oder Sarapis siehe oben, Kap. 6.2.6 und 7.1.5, zur Grotta Regina auf Sizilien.

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7.3.2.3.2 Der Sarapistempel von Ostia Zentral in Forumsnähe wurde der Sarapistempel von Ostia etwa zwischen 123 und 126 n. Chr. als private Stiftung eines Mitglieds der Familie der Caltilii errichtet und, ebenso wie das sogenannte ‚Sarapeion‘ von Luxor,1978 am Geburtstag des Kaisers Hadrian (im Jahr 127) eingeweiht.1979 Es handelt sich um einen römischen Podiumtempel im rückwärtigen Teil eines seitlich von Portiken gerahmten Hofes. Möglicherweise waren auch die benachbarten Gebäude des Viertels noch dem Heiligtum angegliedert: Es handelt sich um das sogenannte ‚Caseggiato di Bacco e Arianna‘, das eventuell als Versammlungsraum einer Kultgemeinschaft diente, 1980 mutmaßliche Priesterunterkünfte (‚Domus accanto al Serapeo‘),1981 Horrea1982 und Thermen.1983 Gerade die Zugehörigkeit der letzten beiden Komplexe ist jedoch fraglich.1984 Der Gott wird den Inschriften zufolge wiederum mit dem griechisch-römischen Göttervater synkretisiert und entsprechend als Jupiter (Sol) Serapis oder griechisch als Zeus Helios Sarapis bezeichnet.1985 Wie die oben ausführlich besprochenen stadtrömischen Heiligtümer der ägyptischen Gottheiten war auch das ostiensische Sarapeion üppig ausgestattet, unter anderem mit original ägyptischen Skulpturen. Dazu gehörte in Entsprechung zum Iseum Campense auch ein Stelophor mit Horusstele,1986 außerdem eine Opfertafel aus Basalt aus der 26. Dynastie, auf die nachträglich das Relief eines thronenden Jupiter-Sarapis-Asklepios eingearbeitet und so ein Bezug zwischen der romanisierten Form des Tempelgottes und seinen ägyptischen Ursprüngen hergestellt wurde.1987 Auch eine Flußgott-Statue (Nil oder Tiber, wohl ursprünglich ein Paar),1988 ein Nilmosaik,1989 Wasseranlagen1990 und Reinigungsbecken1991 finden sich hier wieder.

1978 Siehe oben, Kap. 6.2.5.3. 1979 Weihung: RICIS 503/1102 (Fasti Ostienses). Zum Sarapeion von Ostia siehe MAR, Santuario; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 19–26; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 199–218; STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 92–93 u. 213–219; MOLS, Urban Context; VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 46–47; KLEIBL, Iseion, Kat. 28, S. 272–276; ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 240–241. 1980 MAR, Santuario, S. 57–69 u. 325; STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 93. 1981 MAR, Santuario, S. 50–54. 1982 MAR, Santuario, S. 327. 1983 MAR, Santuario, S. 76; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 21. 1984 Kritisch MOLS, Urban Context, S. 229; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 208. 1985 RICIS 503/1109: Zeus Helios Sarapis; 503/1110: [Jupiter Sol Se]rapis (?); 503/1105: Jupiter Serapis. Vgl. zu Zeus Helios (megas) Sarapis oben, Kap. 6.2.5.3. 1986 Spätzeit bis frühptolemäische Zeit; siehe ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.30, S. 411; MAR, Santuario, S. 234–235, Nr. 8; 262, Abb. 7; STERNBERG-EL-HOTABI, Horusstelen II, S. 107–108; S. DONADONI, Una statuetta egiziana da Ostia, in: Studi in memoria di I. Rosellini nel primo centenario della morte II, Pisa 1955, S. 59–71. 1987 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.27, S. 409; MAR, Santuario, S. 257, Abb. 1–2; vgl. auch STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 215, der das verwendete Originalstück als Garant für Alter und Authentizität (des Kultes) ansieht. 1988 MAR, Santuario, S. 123 u. 260, Abb. 5; STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 219; vgl. dazu auch S. KLEMENTA, Gelagerte Flußgötter des Späthellenismus und der römischen Kaiserzeit, 1993, S. 53–54 u. 221–222, B 2; Taf. 19, auch zu Parallelen in anderen Heiligtümern. 1989 VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 45–48, Kat. 002; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 21.

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Neben Sarapis, der auch in seiner Schlangengestalt als Sarapis-Agathodaimon präsent ist,1992 wurden im Heiligtum Isis und Apis verehrt, wie verschiedene Darstellungen zeigen. Eine Statue stellt Isis im beliebten Fortuna-Typus dar,1993 während eine Bubastiaca aus der Familie der Caltilii (zu der auch der Stifter des Heiligtums gehört) der Göttin unter dem Namen Isis-Bubastis eine Silberstatuette der Venus sowie eine Goldkrone und eine bewegliche(?) Krone (corona analempsiaca) stiftete,1994 was möglicherweise von einer Gleichsetzung zwischen der römischen Liebesgöttin und der ägyptischen Katzengöttin zeugt.1995 Desweiteren präsentiert eine kleine Elfenbeinapplike Isis stillend als Mutter des Apis.1996 Letzterer ist möglicherweise auch mit der Darstellung eines Stieres in einem severischen Mosaik im Eingang des Tempels1997 sowie einer Stier-Intarsie aus Bimsstein in der Tür zur Portikus des anschließenden Wohnblockes1998 gemeint. Zusammen mit Harpokrates, Anubis und einer Kobra schmücken zwei komplementäre Stiergestalten (bei einem ist noch die Sonnenscheibe zwischen den Hörnern erhalten) auch eine marmorne Basis aus Ostia.1999 7.3.2.3.3 Ein separater (und früherer?) Isistempel in Ostia? Einige Funde am Tiberufer deuten darauf hin, daß neben dem gut bekannten Sarapeion möglicherweise ein separater Isistempel in Ostia in der Nähe des Flusses bestand, von des-

1990 Es handelt sich um eine kleine Aedicula mit Wasserbecken vom Anfang des 3. Jhs., in deren Nische wohl nachträglich die Flußgottstatue aus dem 2. Jh. aufgestellt wurde, siehe MAR, Santuario, S. 120– 123, mit Plan S. 121, Abb. 48 (A), und S. 122, Abb. 49; S. 325. 1991 MAR, Santuario, S. 107. Vgl. eine Weihung an Serapis sanctus mit Reparatur eines labrum: RICIS 503/1111; MAR, Santuario, S. 325; BRICAULT, Cultes isiaques, S. 338–339. 1992 Sarapisbüste auf Schlangenkörper, wohl antoninisch, siehe MAR, Santuario, S. 245, Nr. 20; 271, Abb. 17: ursprünglich möglicherweise auf einem Votivfuß befestigt; vgl. den ‚Sarapisfuß‘ aus Thamugadi, Kap. 7.2.4.3. Vgl. außerdem das Sarkophagrelief mit Darstellungen von Schlangen unter den Leuchttürmen von Ostia und Alexandria, s. o. 1993 Antiquarium Ostia Inv. 1006. 1994 RICIS 503/1113; siehe auch MAR, Santuario, S. 99 u. 175–176 (F. ZEVI); FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 29; ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 241. Eine derartige Krone wird auch im Inventar des Isis- und Bubastistempels im Diana-Heiligtum von Nemus Dianae erwähnt: RICIS 503/0301, siehe unten, Kap. 7.3.2.6. Die Zuordnung an Isis und Bubastis in beiden Fällen ist auffällig. Da es sich um die einzigen beiden Belege für eine solche Krone handelt, ist die Deutung als bewegliche oder abnehmbare Krone unsicher, vgl. R. MAU, s. v. „Analempsiaca corona“, in: RE 1, 2, 1894, Sp. 2055. Siehe auch DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 141–143, mit abweichender Interpretation als Krone oder Kranz der Rechtfertigung (nach ägyptischem Vorbild), die mich allerdings aufgrund der spezifischen Zuordnung der einzigen beiden Belege zu Isis und Bubastis (und nicht Osiris) nicht überzeugt. 1995 Zur Gleichsetzung von Bastet und Aphrodite/Venus vgl. VON LIEVEN, Translating Gods, S. 63–64. 1996 MALAISE, Nova Isiaca, S. 63; KATER-SIBBES/VERMASEREN, Apis II, Nr. 291. 1997 MAR, Santuario, S. 119 u. 121, Abb. 47; 160, Taf. 27; BAKKER, Living and Working, S. 193; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 21. 1998 MAR, Santuario, S. 261, Abb. 6; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 21; Taf. 7, Abb. 10; BAKKER, Living and Working, S. 90. 1999 FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 36; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.36, S. 415. Zur paarweisen Anordnung der Stiere siehe oben, Kap. 6.2.5.3.

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sen Architektur allerdings nichts bekannt ist.2000 Zur Ausstattung könnten Marmorantefixe mit Uräen und Atefkrone2001 (vgl. die stadtrömischen Exemplare vom Iseum Campense!), eine marmorne Isisstatue mit Knotengewand, Diadem und Uräusschlange2002 und ein Naophor mit Isisstatue2003 gehört haben. Eine stark zerstörte Inschrift, die ebenfalls im Bereich des Tiberufers gefunden wurde, erwähnt außerdem tabernae im Zusammenhang mit Isis und Sarapis.2004 Auch mehrere Inschriften mit Priestertiteln zeugen von einem eigenständig organisierten Kult der Göttin: Die Mitglieder des Kultpersonals nennen sich Priester (sacerdos) der „Isis Ostiensis“2005 oder in einem Fall sacerdos sanctae reginae.2006 Letzterer wurde seiner Weihung von 251 n. Chr. zufolge zudem auf Beschluß der Göttin (also in einer Vision oder einem Traum?)2007 als Anubiacus ausgewählt. Der gleichen Kultgemeinschaft gehörte im 2.–3. Jh. aufgrund der gleichzeitigen Bezeichnung als Isiacus und Anubiacus sowie des Beinamens Regina der angesprochenen Isis wahrscheinlich auch Publius Cornelius Victorinus an, der außerdem das Amt eines Schreibers der Dekurie der Sekretäre von Ostia bekleidete.2008 Neben einer der genannten Priesterinschriften, die wohl in die zweite Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. datiert,2009 sprechen Darstellungen aus zwei Gräbern ebenfalls für die Existenz eines Isiskultes (und eventuell eines entsprechenden Tempels) vor der Errichtung des Sarapeions: Es handelt sich einerseits um die Darstellung einer Isis oder wahrscheinlicher Isisanhängerin mit Sistrum in einem frühaugusteischen Grab (Nr. 18) an der Via Laurentina,2010 andererseits um den monumentalen Terrakotta-Architrav eines Grabes vom Ende d. 1. bis Anfang d. 2. Jhs. n. Chr., der Reliefs von zwei Kühen (Isis-Hathor?), zwei Sistren mit Uräusschlange, Harpokrates und einem Fruchtkorb zeigt.2011 2000 Zur Annahme eines separaten Isistempels siehe MAR, Santuario, S. 326; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 27–28; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 213; BAKKER, Living and Working, S. 157; STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 92. 2001 STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 214, Abb. 5; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 36. 2002 FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 34–35; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 113, Kat. 11; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.33, S. 413. 2003 EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 214; MALAISE, Inventaire, Kat. Ostia 93, S. 83. 2004 RICIS 503/1120 (2. Jh. n. Chr.): […]duov[ir…] […] Isi et S[erapi…] [… ta]bernas […]. Siehe dazu auch FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 28. 2005 RICIS 503/1123 (siehe auch RICIS Suppl. III): M. Valerius Fyrmus war gleichzeitig auch Priester der Magna Mater; außerdem RICIS 503/1125 und 503/1127. Vgl. dazu FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 28. 2006 RICIS 503/1115: Der in der Inschrift geehrte Fabius Florus Veranus war gleichzeitig Anubiacus, außerdem Inhaber diverser ziviler Ämter, darunter Decurio der Laurentes im vicus Augustanus und Schiffsbesitzer in den fünf ostiensischen Körperschaften der Barkenführer (navicularius V corpor(um) lenunculariorum Ost(iensium)); vgl. STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 221; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 28; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 211; BRICAULT/VERSLUYS, Isis and Empires, S. 21. Als Regina wird die Göttin auch in RICIS 503/0118 bezeichnet. 2007 Zu derartigen Formeln in Inschriften und ihrer möglichen Bedeutung siehe RENBERG, Divine Communications. 2008 RICIS 503/1118 (siehe auch RICIS Suppl. III). 2009 RICIS 503/1123 (siehe auch RICIS Suppl. III). 2010 Siehe FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 31; EAD., Scavi di Ostia III: Le necropoli I, Rom 1958, S. 86; Taf. 13, 3; MOLS, Urban Context, S. 227; STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 220; BRICAULT, RICIS II, S. 580, Kommentar zu RICIS 503/1101. 2011 RICIS 503/1101; siehe FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 31; STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 221.

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7.3.2.3.4 Griechische Priestertitel und Weihungen in Portus Während sich in Ostia hauptsächlich lateinische Inschriften finden, sind in Portus genau wie in Rom griechische Priestertitel, darunter wieder Neokoren, sowie insgesamt vor allem griechischsprachige Zeugnisse für den Kult des (Zeus Helios Megas) Sarapis belegt, die auf alexandrinische Einflüsse bzw. eine Ansiedlung ab dem 2. Jh. n. Chr. hinweisen.2012 Eine Inschrift attestiert sogar die Existenz von Hierodulen und einem Orakeldeuter(?).2013 Offenbar bestand eine direkte Verbindung zwischen dem stadtrömischen Sarapiskult und demjenigen von Portus im 2. bis 3. Jh. n. Chr., denn eine der Weihungen an Zeus Helios Megas Sarapis aus der Hafenstadt stammt von einem Mitglied der Familie des Athleten M. Aurelius Asklepiades, die durch mehrere stadtrömische Dedikationen an den Gott bekannt ist.2014 Möglicherweise handelt es sich bei einer monumentalen Marmortafel (Gesamtlänge wohl ca. 3 m.) mit einer griechisch geschriebenen Weihung an Zeus Helios Megas Epekoos […? Sarapis] aus der Mitte bis zweite Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. um die Bauinschrift des entsprechenden Tempels.2015 Von Interesse ist weiterhin die bereits oben genannte lateinische Dedikation eines Megaron durch einen Priester der Isis Capitolina vom Ende des 2. oder Anfang des 3. Jhs. n. Chr., die die lange Kontinuität dieser stadtrömischen Epiklese der Isis und ihrer Priesterschaft belegt.2016 7.3.2.3.5 Vergesellschaftung mit anderen Gottheiten Weitere Verbindungen zum stadtrömischen Kult zeichnen sich in der Vergesellschaftung von Isis und Sarapis mit anderen Göttern ab. So bezeichnet eine Weihung an Antinoos auf einem Cippus aus Portus den vergöttlichten Jüngling genau wie im Iseum Campense als synthronos der ägyptischen Gottheiten.2017 Isis wurde sowohl in Ostia als auch in Portus offenbar mit Magna Mater assoziiert, wie ein gemeinsames Priesteramt und eine Dedikation an beide Göttinnen zeigen.2018 Im Sarapeion von Ostia finden sich neben der bereits 2012 RICIS 503/1207–1211; vgl. STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 212; MALAISE, Conditions, 132–133; ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 242–244; PFEIFFER, Inschriften, S. 316–318, Nr. 74 (= RICIS 503/1207: Isis wird darin evtl. implizit mit Adrasteia/Nemesis gleichgesetzt, deren Statue gestiftet wird). Allein vier der Inschriften stammen von dem Neokor und Epimeletes (= Curator) der alexandrinischen Flotte C. Valerius Serenus (Xiphidius), der sich in einer der Weihungen (RICIS 503/1210) sogar „Ältester (presbytatos) der Neokoren“ nennt. Vgl. oben, Kap. 7.3.2.2.6 zu Rom. 2013 RICIS 503/1211. Vgl. zu den Hierodulen RICIS 501/0107 für Rom, s. o., Kap. 7.3.2.2.6; siehe dazu auch ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 244. Zu den möglichen Implikationen des zweiten Titels (Hierophonos – „Orakeldeuter?“) siehe RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 383, Anm. 122, und zum Beleg aus Portus S. 384–385. 2014 RICIS 503/1206. Vgl. die stadtrömischen Inschriften RICIS 501/0203 und 501/0205–0206, s. o., Kap. 7.3.2.2.6. 2015 RICIS 503/1201; Taf. 96. Die Identifikation als Dedikationsinschrift des Sarapeions wurde vorgeschlagen von L. MORETTI, Nuovi documenti del culto di Serapide, in: RPAA 48, 1975–1976, S. 315–323. Der Stifter, T. Aelius Felicissimus, hat außerdem eine kleinere Weihung in einer knappen lateinischen Inschrift für [Serapis?], „den Einzigartigen“ (singularis) festgehalten: RICIS 503/1202. 2016 RICIS 503/1221; vgl. COARELLI, Bellum Vitellianum, S. 49. Vgl. zu Isis Capitolina oben, 7.3.2.1.2. 2017 RICIS 503/1203 (siehe auch RICIS Suppl. III). Vgl. die römische Weihung RICIS 501/0117, s. o., 7.3.2.2.2. 2018 RICIS 503/1123 (siehe auch RICIS Suppl. III): Ostia, zweite Hälfte 1. Jh. n. Chr., Priester der Isis Ostiensis und der Magna Mater (s. auch oben). RICIS 503/1218: Portus, 3. Jh. n. Chr., Dedikation ei-

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erwähnten Stiftung einer Venus-Statue an Isis-Bubastis durch eine Bubastiaca2019 außerdem Weihungen an Hercules und die Dioskuren.2020 Desweiteren könnte die Lage des Mithräums „Mitreo della planta pedis“ am Ende der Via del Serapide (etwa ab 180 n. Chr.), d. h. im Viertel des Sarapistempels auf eine gewisse Assoziation der beiden Gottheiten hindeuten, die sich auch in Rom findet.2021 Einen Einzelfall stellt die Weihung einer Statue des Mars mit Pferd an Isis Regina dar, die einen Isiacus und Anubiacus der Inschrift nach von einer Krankheit geheilt hat.2022 7.3.2.4 Tibur, Villa Hadriana Eine große und in ihrer Monumentalität sowie hinsichtlich der Ikonographie ungewöhnliche Menge an ägyptisierenden Skulpturen und anderer Ausstattung wurde in der Villa des Kaisers Hadrian in Tivoli gefunden. Obwohl die Fundorte vieler Stücke nur ungenau dokumentiert sind, scheint sich die ägyptische Thematik doch in den Komplexen ‚Antinoeion‘, der sog. ‚Palaestra‘ sowie in der Umgebung des ‚Kanopos‘ zu konzentrieren, über deren Interpretation bisher keine Einigkeit herrscht.2023 Aufgrund der Unsicherheit, ob es

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ner schola an das Numen der Isis und an Magna Mater Deum (hier allerdings stark ergänzt, daher unsicher), von den cultores des Sarapis, vgl. dazu ROHDE, Individuum und Stadtgemeinde, S. 241–242. Die Arbeit wurde unter anderem beaufsichtigt von einem M. Mettius Harpocration. Siehe zu der in der Kaiserzeit und speziell unter den Flaviern desöfteren belegten Verbindung von Isis und Magna Mater BRICAULT, Mater deum et Isis, bes. 270–272 zu den beiden Inschriften; COLIN, Domitien, Julie et Isis, bes. S. 247–250; ferner S. ADAMO MUSCETTOLA, I Flavi tra Iside e Cibele, in: Alla ricerca di Iside, PP 49, 1994, S. 83–118. RICIS 503/1113, s. o., Kap. 7.3.2.2.2. RICIS 503/1129 (Dioskuren) u. 503/1130 (Hercules); beides Altäre von Marcus Iulius Chrysophorus, Sevir augustalis, quinquennalis, zusammen mit seinem Sohn M. Iulius Aelianus, genannt Sarapion, und M. Iulius Zosimus mit seinem Sohn M. Iulius Philippus. Ende 2. – Anfang 3. Jh. n. Chr. Beide Altäre sind dekoriert mit Patera und Krug. Vgl. dazu auch FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 24. Vgl. STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 255, auch zu personellen Verbindungen zwischen beiden Heiligtümern; FLORIANI SQUARCIAPINO, Culti orientali, S. 22–23. RICIS 503/1118 (siehe auch RICIS Suppl. III). Siehe dazu bereits oben, unter 7.3.2.3.3, m. Anm. 2008. Der Kanopos-Komplex mit der halbrunden Exedra, die seit dem 18. Jh. als ‚Serapeum‘ bezeichnet wird, wird zusammen mit den Statuen in einer sehr hypothetischen Rekonstruktion von GRENIER, Décoration statuaire, als symbolisch aufgeladenes Kultensemble für Antinoos und die ägyptischen Gottheiten gedeutet; vgl. auch ID., Il Canopo di Adriano, in: Lo Sardo (Hrsg.), La lupa, S. 112–117; ID., Le „Sérapeum“ et le „Canope“: Une „Égypte“ monumentale et une „Méditerranée“, in: J. Charles-Gaffiot/H. Lavagne (Hrsg.), Hadrien. Trésors d’une villa impériale, Mailand 1999, S. 75–78. Als Gegenpol dazu findet sich eine Interpretation als dekorative Gartenstatuen bei RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 297–301; und SALZA PRINA RICOTTI, Villa Adriana, S. 241–263. Kritische Bemerkungen zu GRENIERs Deutung auch bei VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 24–26; und B. ADEMBRI, Iside a Tivoli, in: Arslan (Hrsg.), Iside, S. 326–331; QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 59. Es wird zu Recht angeführt, daß die genauen Fundstellen der meisten Skulpturen aus der Villa unbekannt sind, während andererseits am Kanopos der Fund zahlreicher griechischer Statuen dokumentiert wurde. Einen ausgewogenen Blick bietet bereits MALAISE, Inventaire, S. 101–108, der in der Anlage eine Reflektion der religiösen, kulturellen und ‚touristischen‘ Anziehungskraft Ägyptens auf den Kaiser sieht. Die sog. ‚Palaestra‘, in der erst 2002–2004 neue Ausgrabungen durchgeführt wurden, wird von ENSOLI, Prêtres d’Isis; und MARI, „Luoghi egizi“; EAD., Culti orientali, als Isistempel mit integriertem ‚Antinoeion‘ (Grabtempel des Antinoos) gedeutet. Desweiteren möchte S. ENSOLI, Per un cosi-

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sich überhaupt um kultische und nicht rein dekorative oder höchstens kommemorative (für Antinoos) Ensembles handelt, seien an dieser Stelle nur einige knappe Bemerkungen angeführt. Im Zentrum der ägyptisierenden Ausstattung stand sicherlich Antinoos bzw. OsirisAntinoos,2024 der durch zahlreiche Statuen mit Nemes-Kopftuch und ägyptischem kurzen Schurz in der Ikonographie eines Pharao vertreten ist. Die Zusammenstellung der weiteren Stücke weist einige Parallelen zu den besprochenen Isistempeln in Rom auf. Auf Isis selbst verweisen mehrere Statuen,2025 darunter eine Isis-Fortuna,2026 eine möglicherweise ptolemäische oder nach ptolemäischem Vorbild kopierte Frauenstatue mit Knotengewand und Rückenpfeiler2027 und zwei sicherlich in hadrianischer Zeit gefertigte ägyptisierende Statuen aus schwarzem Marmor mit weißer Äderung.2028 Sie setzen in innovativem Stil ägyptische Elemente um: Beide tragen ägyptische Kopftücher und Knotengewand und sind an einen Rückenpfeiler in Form eines Obelisken und ohne reale statische Funktion gelehnt – dennoch ist die Körperhaltung leicht vorgebeugt. Eine von ihnen trägt in der herabhängenden rechten Hand ein ägyptisches Lebenszeichen und streckt den linken Arm nach vorne, die zweite hält beide Arme nach vorne gestreckt (die Unterarme sind modern ergänzt). Sie bildeten offenbar mit der Statue eines Offizianten in gleichem Material und Stil, der eine Opferplatte auf beiden Händen nach vorne hält,2029 sowie einer doppelgesichtigen Herme von Osiris-Apis(?) und einer großen Lotusblüte2030 eine zusammengehörige Gruppe. Weitere Skulpturen repräsentieren interessanterweise dezidiert die memphitische Kultlandschaft: eine Statue aus grauem Marmor des Gottes Ptah in ägyptischer Ikonographie mit eng anliegendem Gewand und einem eigenwillig ausgeführten Szepter,2031 ein nackter Jüngling mit Jugendlocke und einer Situla(?) in einer Hand aus dem gleichen Material, der

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detto Iseo nella Villa di Adriano a Tivoli. Il Padiglione-Nimpheo di „Venere Cnidia“, in: Villa Adriana. Paesaggio antico e ambiente moderno, Mailand 2002, S. 94–112, auch den „Pavillon der Knidischen Venus“ als eventuelles Iseum (für Isis-Aphrodite) deuten. Diese Fülle an hypothetischen Isis- und/oder Sarapisheiligtümern zeigt bereits auf, wie problematisch die Deutung der verschiedenen Areale in der kaiserlichen Villa ist. Zu Hadrian und Antinoos siehe oben, 7.3.2.2.4. Siehe z. B. SALZA PRINA RICOTTI, Villa Adriana, S. 261. Die kolossale Büste einer Göttin mit Kopfschleier und infulae aus der ‚Palaestra‘, die GRENIER, Décoration statuaire, S. 957–958 u. 962–964, m. Taf. 27, als Isis-(Sothis-)Demeter interpretiert, weist keinerlei für Isis typische ikonographische Merkmale auf und ist daher m. E. nicht als Isis zu benennen (evtl. eher Kybele, vgl. MALAISE, Inventaire, S. 109, Kat. 20). RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 172, Kat. III/89; MALAISE, Inventaire, S. 104–105, Kat. 1. ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. III.1, S. 96; MALAISE, Inventaire, S. 105, Kat. 2. MALAISE, Inventaire, S. 105–106, Kat. 3–4; RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 115–116, Kat. I/137–138. GRENIER, Décoration statuaire, S. 936–937, Nr. 1–2; Taf. 6 u. 8. MALAISE, Inventaire, S. 106, Kat. 8; RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 119, Kat. I/143; GRENIER, Décoration statuaire, S. 939, Nr. 3. RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 117, Nr. I/40; MALAISE, Inventaire, S. 106, Nr. 5, und 107, Nr. 13; GRENIER, Décoration statuaire, S. 940–941, Nr. 6; Taf. 15–17. Die Büsten sind modern, daher weist diejenige des menschlichen ‚Osiris‘(?)-Kopfes auch weibliche Brüste auf und wurde früher als Isis interpretiert. MALAISE, Inventaire, S. 106, Kat. 6, Taf. 10b; RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 118, Kat. I/141; GRENIER, Décoration statuaire, S. 939, Nr. 4.

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möglicherweise Nefertem darstellt,2032 und eine echte ägyptische Sachmet-Statue aus schwarzem Basalt.2033 Eine weitere ägyptisierende Jünglingsstatue in einem durchsichtigen langen Mantel und mit einer erhobenen rechten und einer zu dem sichtbaren (allerdings nicht nach ägyptischer Art erigierten) Geschlecht geführten linken Hand dürfte Min oder vielleicht Min-Horus meinen.2034 Nach neueren Ausgrabungen, die Fragmente aus dem gleichen Material zu Tage brachten, könnten die ägyptisierenden Statuen aus schwarzem bzw. grauem, weiß geäderten Marmor ursprünglich zum ‚Antinoeion‘, und nicht, wie noch GRENIER annahm, zum Kanopos-Bereich mit dem sog. ‚Serapeum‘, gehört haben.2035 Direkt dem Isiskreis in typischer kaiserzeitlicher Ikonographie zuzuordnen sind eine Marmorstatue des nackten Harpokrates mit kleinem Füllhorn, einem Finger am Mund und vereinfachter kleiner Doppelkrone2036 sowie gleich mehrere Osiris-Kanopos-Skulpturen aus Basalt und Alabaster.2037 Desweiteren sind wie im Iseum Campense Thoth und Horus in ihren zoomorphen Gestalten vertreten,2038 und die durch die Kanopos-Anlage evozierte Nillandschaft wird durch gelagerte Nil- und Tiber-Personifikationen2039 und Krokodile2040 bereichert. Abgerundet wird das Bild durch ptolemäische und kaiserzeitliche Sphingen2041 so-

2032 MALAISE, Inventaire, S. 106, Kat. 7; GRENIER, Décoration statuaire, S. 939, Nr. 5; Taf. 14. Die Unterarme sind ergänzt, doch das Gefäß, das auch mit dem Oberschenkel verbunden ist, ist wohl original. 2033 MALAISE, Inventaire, S. 110, Kat. 21. 2034 GRENIER, Décoration statuaire, S. 943–944, Nr. 7; Taf. 20; er interpretiert die Skulptur als „triumphierenden Horus“, vgl. dagegen und für Min A. GRIMM, ‚Albanische Antiken‘. Ägyptisches und Ägyptisierendes. Die Skulpturen aus der Villa Albani im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst München, Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 51, 2001, S. 7–64: 28; QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 59. Zu der ‚entschärften‘ Geste gegenüber der ägyptischen ithyphallischen Darstellung kommentierte bereits A. FURTWÄNGLER, Beschreibung der Glyptothek König Ludwigs I. zu München, München 1900, S. 36–37: „decente römische Umbildung einer Darstellung des Gottes Min“. Die erhobene Rechte dürfte eine Geißel gehalten haben. Der jünglingshafte Kopf mit Jugendlocke ist allerdings eine Ergänzung des 18. Jhs. Zu Min und Isis siehe oben, Kap. 4.10.3 zu Koptos. 2035 MARI/SGALAMBRO, Antinoeion, S. 91–92. 2036 MALAISE, Inventaire, S. 108, Kat. 17; GRENIER, Décoration statuaire, S. 959, Nr. 3; Taf. 30. 2037 Siehe BRICAULT, Atlas, S. 157–158; CLERC/LECLANT, „Osiris Kanopos“, Nr. 29; 33a; 34–35; 54; ADEMBRI (Hrsg.), Suggestioni egizie, S. 22, Abb. 4. 2038 Pavianskulptur: MALAISE, Inventaire, S. 107, Kat. 9; GRENIER, Décoration statuaire, S. 971. Ägyptische Falkenstatue aus Basalt (Zugehörigkeit unsicher): siehe RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 158, Kat. III/44. Auf einem Krater mit ägyptisierenden Reliefszenen (MALAISE, Inventaire, S. 108, Kat. 15; ADEMBRI (Hrsg.), Suggestioni egizie, S. 22, Abb. 2–3, u. S. 74) sind auf einer Seite beiderseits eines Obelisken (des Antinoos?) jeweils zwei Falken mit Doppelkronen vor einem Baum dargestellt, denen eine sitzende Person (mit Doppelkrone u. a.) einmal ein Lebenszeichen, einmal eine Schlange und einen Ibis entgegenreicht, während ein bzw. zwei weitere Vögel sich auf deren Schoß befinden. Mit Stuck dekorierte Fragmente von Kassettendecken aus der ‚Palaestra‘ zeigen Bilder von Falken, Ibissen und Widdern (jeweils mit Kronen) sowie einzelne Atef-Kronen, siehe DE VOS, Ricontestualizzazione, 214–215, Abb. 2–7. Zu Atefkronen als Dekorationselement vgl. die AnfushiGräber in Alexandria, s. o., Kap. 6.2.10.2 (Exkurs). 2039 MALAISE, Inventaire, S. 102; RAEDER, Statuarische Ausstattung, S. 89, Kat. I/86–87; S. 96–97, Kat. I/100; dazu auch LEMBKE, Iseum Campense, S. 63. 2040 KISS, Dieu-crocodile, S. 275; MALAISE, Inventaire, S. 107, Kat. 10. 2041 MALAISE, Inventaire, S. 110, Kat. 23–27; GRENIER, Décoration statuaire, S. 971; MARI, „Luoghi egizi“, S. 130; ADEMBRI (Hrsg.), Suggestioni egizie, S. 52–53, Abb. 9–10.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

wie Fragmente von großflächigen ägyptisierenden Reliefs aus dem sog. ‚Antinoeion‘,2042 die wie im Iseum Campense Ritualszenen dargestellt haben dürften. Das ‚Antinoeion‘ war zudem mit Dattelpalmen bepflanzt, wie archäobotanische Analysen gezeigt haben.2043 Aus dem Bereich der ‚Palaestra‘ stammen die Statue eines Priesters, der ein Wassergefäß in den verhüllten Händen trägt,2044 sowie vier Büsten aus rotem Marmor, die Priester (mit den Gesichtszügen von Antinoos?) mit bekränztem, kahlrasiertem Kopf und nacktem Oberkörper zeigen.2045 Ähnliche Kränze tragen auch die auf den Reliefsäulen des Iseum Campense dargestellten Priester. Sowohl in Ägypten als auch in der griechisch-römischen Kultur wurden vegetabile bzw. florale Kränze häufig anläßlich von Götterfesten getragen2046 und bildeten daher ein übertragbares und leicht verständliches Element mit festlicher Symbolik. Speziell im Kontext der Osirisriten kann auch konkreter ein Bezug zum ägyptischen ‚Kranz der Rechtfertigung‘ bestehen, der den Sieg des Osiris über seine Feinde bzw. den Sieg des Verstorbenen über den Tod repräsentiert.2047 Die ägyptische und ägyptisierende Ausstattung entspricht also inhaltlich ganz gut derjenigen nachgewiesener Isisheiligtümer,2048 wenngleich sie in der kaiserlichen Villa besonders reich und prunkvoll ausfällt und natürlich einen stärkeren Fokus auf Antinoos aufweist. Zudem ähneln die monumentale Wasseranlage des Kanopos mit der halbrunden, von Skulpturennischen gerahmten Exedra sowie die Exedra des ‚Antinoeion‘ dem Südteil des Iseum Campense, weswegen auch dessen Errichtung von einigen Autoren erst Hadrian zugeschrieben wird.2049 Es dürfte sich trotz aller Ähnlichkeiten wahrscheinlich bei keinem der in Frage kommenden Bereiche (Kanopos mit ‚Serapeum‘, ‚Antinoeion‘, ‚Palaestra‘) um ein Heiligtum

2042 MARI, „Luoghi egizi“, S. 123; EAD., Tomba-tempio, S. 40–41, Abb. 7–8; MARI/SGALAMBRO, Antinoeion, S. 91, u. 97, Abb. 21. 2043 MARI, Culti orientali, S. 113. Zur Bedeutung von Dattelpalmen im Isis- und Osiriskult vgl. Kap. 4.13.3. 2044 DE VOS, Ricontestualizzazione, S. 215 (modern mit einem Frauenkopf ergänzt). 2045 ENSOLI, Prêtres d’Isis; MARI, „Luoghi egizi“, S. 131; H. LAVAGNE, Les bustes d’Antinous en prêtres d’Isis trouvés par Pirro Ligorio à la Villa d’Hadrien, in: Iconografia 2005. Immagini e immaginari dall’antichità classica al mondo moderno: atti del Convegno internazionale, Venezia, Istituto Veneto di Scienze Lettere e Arti, 26–28 gennaio 2005, Antenor Quaderni 5, Rom 2006, S. 279–290. Ursprünglich handelte es sich wohl um komplette Skulpturen, die erst in der Neuzeit zu Büsten umgeformt wurden. Zur ‚Palaestra‘ siehe noch DE VOS, Ricontestualizzazione; Z. MARI, Il complesso monumentale della Palaestra a Villa Adriana, in: Adembri (Hrsg.), Suggestioni egizie, S. 46–53. 2046 Siehe zum Vorkommen solcher Kränze z. B. RIGGS, Beautiful Burial, S. 81–83. 2047 Siehe dazu DERCHAIN, Couronne. 2048 Vgl. bereits den Vergleich zwischen Ausstattung des Iseum Campense und der Villa Hadriana bei LEMBKE, Iseum Campense, S. 32–33, allerdings mit m. E. falscher Gesamtinterpretation. Zur Kritik daran siehe auch QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 59. Zu Ähnlichkeiten zwischen Iseum Campense und ‚Antinoeion‘ MARI/SGALAMBRO, Antinoeion, S. 92–96. 2049 Z. B. ENSOLI, Iseo e Serapeo, S. 424–425; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 176 u. 181; MARI/SGALAMBRO, Antinoeion, S. 95–96. LEMBKE, Iseum Campense, S. 62–63, geht umgekehrt davon aus, daß es sich bei der Anlage in Hadrians Villa um eine Kopie der ihr zufolge bereits domitianischen Exedra im Iseum handelt; ebenso BRENK, Osirian Reflections, S. 292–293.

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im eigentlichen Sinne,2050 d. h. mit realen Priestern und einem aktiv ausgeübten Kult gehandelt haben, möglicherweise aber zumindest um eine idealisierte Darstellung von Kult, nämlich von demjenigen des osirianisierten Antinoos, der dem der ägyptischen Gottheiten um Isis und Osiris/Sarapis auch in der Praxis angegliedert wurde, wie z. B. Weihinschriften in Rom und Ostia zeigen.2051 Die Weihungen der Sarapeen in Ostia und Luxor am Geburtstag Hadrians weisen außerdem auf eine besondere Verbindung des Kaisers zum Kult der ägyptischen Gottheiten hin, der so von lokalen Funktionären Rechnung getragen wurde.2052 Im architektonischen Kontext der kaiserlichen Villenanlage ist vielleicht mit einer halb privaten, halb repräsentativen ‚(Grab-)Kapelle‘ für Antinoos und die ägyptischen Gottheiten in monumentalem Ausmaß zu rechnen (das ‚Antinoeion‘ und/oder die ‚Palaestra‘?). Weitere Stücke dürften in eher dekorativ-assoziativer Weise den Kanopos-Komplex und vielleicht weitere Teilen der Gartenanlage geschmückt haben, um eine ägyptische Landschaft zu evozieren. 7.3.2.5 Praeneste Die Existenz eines Isistempels in Praeneste, einer Stadt, die vor allem aufgrund ihres monumentalen Terrassenheiligtums der Fortuna Primigenia bekannt ist, ist in der Forschung umstritten. Für eine möglicherweise sehr frühe Identifikation der lokalen Göttin mit Isis könnten zwei Weihungen im Sarapeion C von Delos an „Isis Tyche Protogeneia“ von 115–114 v. Chr. sprechen, die wohl mit der starken Präsenz von Praenestinern auf der Insel in Zusammenhang zu bringen sind.2053 Im Kontext dieser frühen Verbindung zwischen Praeneste und Delos bzw. Isis und Fortuna Primigenia/Tyche Protogeneia wird die apsidiale Halle mit dem berühmten Nilmosaik im Bereich unterhalb des Terrassenheiligtums häufig als ‚Isis(-Fortuna)-Tempel‘ interpretiert, und entsprechend die komplementäre Grotte mit dem Fischmosaik als ‚Sarapis-Tempel bzw. -Kapelle‘ (oder umgekehrt).2054 Architektonisch läßt jedoch kein Teil der Strukturen eine Deutung als Tempel naheliegend erscheinen, weshalb MEYBOOM in seiner grundlegenden Arbeit zum Nilmosaik die Räumlichkeiten als Nymphäen innerhalb des Forumsbereichs deutete.2055 Bei dem unmittelbar anschließenden Gebäude handelt es sich zudem wahrscheinlich um eine Basilika: Die „untere Terrasse“ bildete also das öffentliche Stadtzentrum von Praeneste. Auch das große Nilmosaik selbst, über dessen Datierung Ende des 2. Jhs. v. Chr. zumindest weitgehend Einigkeit herrscht,2056 2050 Vgl. auch QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 401; ID., Zum ägyptischen Ritual, S. 59: „Die Kaiservilla ist zunächst ein Profanbau, der bestenfalls eine Anspielung auf einen anderswo befindlichen Kultbau implizieren kann“. 2051 RICIS 501/0117 und 503/1203, siehe oben, 7.3.2.2.2 und 7.3.2.3.5. 2052 Siehe oben, Kap. 6.2.5.3 und 7.3.2.3.2. 2053 RICIS 202/0283–84; siehe COARELLI, Iside e Fortuna, S. 126; MALAISE, Conditions, S. 186. 2054 So bei KRUMME, Isis in Praeneste; COARELLI, Iside e Fortuna, S. 124; AGNOLI, Sculture, S. 37; NIELSEN, Cultic Theatres, S. 232–234; ID., Housing the Chosen, S. 71–75; KLEIBL, Iseion, Kat. 27, S. 270–272. 2055 MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 9–15; gefolgt von VERSLUYS, Aegyptiaca Romana, S. 52–54, Kat. 006, und S. 310. 2056 Z. B. MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 16–19: 120–110 v. Chr; MERRILLS, Roman Geographies, S. 53: späteres 2. Jh. v. Chr. Eine abweichende Datierung des Mosaiks in die Kaiserzeit wird ausnahmsweise von A. M. PANAYIDES, Überlegungen zum Nilmosaik von Praeneste, in: Hefte des Archäologischen Seminars der Universität Bern 15, 1994, S. 31–47, vorgeschlagen.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

kann für sich noch nicht als Indiz für einen aktiv betriebenen Isiskult gewertet werden, wenngleich es wohl von einer alexandrinischen Werkstatt oder doch zumindest nach einem alexandrinischen Vorbild gefertigt wurde und daher auch Anspielungen auf ägyptische Tempel und Kulthandlungen enthält.2057 Den Torso einer weiblichen Statue aus grauem Marmor, der an das Ende des 2. Jhs. v. Chr. datiert wird, möchten die Verfechter der ‚Iseum-These‘ als Darstellung der Isis Euploia oder Isis Fortuna ansehen.2058 Trotz der dynamisch gebauschten Gewandfalten entspricht die Körperhaltung m. E. nicht wirklich dem Typus der ‚Isis mit Segel‘2059 und der erhaltene Teil enthält keinerlei Hinweis auf eine Identifizierung als Isis (z. B. trägt die Figur keine Knotenpalla). Erst in antoninischer Zeit belegt eine Inschrift, die die Stiftung mehrerer Statuen dokumentiert, mit Sicherheit die Verehrung von Isityche, deren Bildnis neben denen der Minerva, der Spes, des Apollo sowie des Kaisers Antoninus (= Antoninus Pius?) genannt wird.2060 Allerdings bildet selbst dies noch keinen Beleg für einen eigenständigen Isistempel, da die Statuen der Inschrift 2057 Ich möchte hier nicht weiter auf den in der Deutung extrem umstrittenen Inhalt des Mosaiks eingehen, stimme aber prinzipiell mit der Einschätzung von LEGRAS, Reclus grecs, S. 4–5, überein, daß es kaum möglich erscheint, reale Vorbilder für die dargestellten Tempel etc. zu finden. Die teils äußerst wagemutigen Hypothesen bezüglich eines konkreten Ereignisses sowie konkreter realer Tempel und Orte sind m. E. nicht zu verifizieren und wahrscheinlich eher abzulehnen: Solche spezifischen Interpretationen finden sich z. B. bei F. COARELLI, La pompé di Tolomeo Filadelfo e il mosaico nilotico di Palestrina, in: Ktema 15, 1990, S. 225–251 (Darstellung der Pompé des Ptolemaios II.); G. WEILL GOUDCHAUX, Divagations autour de la mosaïque nilotique de Palestrina, in: Bonacasa/Naro/Tullio (Hrsg.), L’Egitto in Italia, S. 525–534 (Mosaik von Kleopatra VII. in Auftrag gegeben – was übrigens auch der üblichen Datierung widersprechen würde, siehe Anm. 2056); F. BURKHALTER, La mosaïque nilotique de Palestrina et les pharaonica d’Alexandrie, in: Topoi 9/1, 1999, S. 229–260 (Darstellung des Pamylien-Festes); G. VÖRÖS, The Taposiris Magna Mosaic in the Museum of Palestrina, in: M. Eldamaty/M. Trad (Hrsg.), Egyptian Museum Collections around the World II, Kairo 2002, S. 1209– 1220 (das ganze Mosaik stellt nicht den Nil, sondern Taposiris Magna, den Mareotis-See, und den von Ptolemaios II. angelegten Zoo dar); teilweise auch bei MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 51–70, wenngleich er für große Teile des Mosaiks auch allgemeine, generische Darstellungen annimmt. Eine Zusammenfassung der verschiedenen Thesen (vor 2008) geben F. ZEVI/E. V. BOVE, Il mosaico nilotico di Palestrina, in: Lo Sardo (Hrsg.), La lupa, S. 78–87; zu Identifikationvorschlägen zu den dargestellten Tempeln und anderen Einzelsektionen siehe auch rezent MERRILLS, Roman Geographies, S. 56–61, der selbst wiederum eher generische Szenen darin sieht. Einen der m. E. bisher besten Kommentare zu möglichen ägyptischen konzeptuellen Vorbildern für die Präsentation der Landschaft bietet J. TRINQUIER, La partie éthiopienne de la mosaïque Barberini. Une proposition de lecture, in: F.-H. Massa-Perault/G. Sauron (Hrsg.), Images et modernité hellénistique. Appropriation et représentation du monde d’Alexandre à César, CEFR 390, Rom 2007, S. 23–60, der an eine mögliche Beeinflussung durch den ägyptischen Mythos von der Fernen Göttin denkt. 2058 So H. G. MARTIN, Römische Tempelkultbilder. Eine archäologische Untersuchung zur späten Republik, Studi e materiali del Museo della Civiltà Romana 12, Rom 1987, S. 180 (Isityche); AGNOLI, Sculture, Kat. I.1, S. 25–37 (Isis-Fortuna); COARELLI, Iside e Fortuna, S. 124–125 (Isis ‚marina‘); GATTI, La diffusione del culto di Iside: Praeneste, in: Arslan (Hrsg.), Iside, S. 332–334; CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 82 (Isis mit Segel). 2059 Vgl. die erhaltenen Beispiele für diesen Statuentypus bei BRICAULT, Dame des flots, S. 86–99, m. Abb. 47–52. In jedem Fall ist das linke Bein deutlich nach vorne gesetzt, während die rechte Schulter sich diesem leicht entgegen neigt. Bei dem Torso aus Praeneste läßt sich kein solcher Ausfallschritt feststellen, der Oberkörper ist stattdessen nach rechts hinten gedreht, und der linke Arm erhoben. 2060 RICIS 503/0602 (siehe auch RICIS Suppl. III); siehe dazu COARELLI, Iside e Fortuna, S. 120; MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 12.

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zufolge sämtlich an Fortuna Primigenia, und zwar in den Pronaos des Tempels, dediziert wurden. Das einzige sichere Zeugnis für die Existenz eines Tempels, allerdings für Zeus Helios Megas Sarapis, ist eine bilingue (griechisch-lateinische) Dedikationsinschrift eines solchen von 157 n. Chr.2061 Die Verwendung des Griechischen paßt gut zu den sonstigen, bereits besprochenen Zeugnissen für diese Epiklese des Gottes.2062 Als nahezu ebenso problematisch wie die apsidiale Halle und das Nilmosaik erweisen sich die zwei(?) Obelisken aus syenischem Rosengranit, die gerne einem eventuellen Heiligtum der ägyptischen Gottheiten im unteren Komplex von Praeneste zugeordnet werden.2063 Fragmente eines Obelisken („Borgia Obelisk“) wurden tatsächlich in Praeneste gefunden; für zwei davon ist der Fundort auf dem großen Platz in der Nähe der apsidialen Halle sogar gesichert.2064 Ein sehr ähnlicher fragmentarischer Obelisk („Obelisk Albani“) stammt dagegen aus Rom, wird aber dennoch teilweise als Pendant zu demjenigen von Palaestrina angesehen. Layout, Form und Inhalt der hieroglypischen Inschriften beider Stücke passen zusammen. Sie offenbaren, daß es sich um eigens beschriftete Obelisken handelt, die von einem Titus Sextius Africanus aufgestellt wurden (&Adjs(?)2065 %qs[ts] AprqAns saHa=f). Auch eine Kaisertitulatur ist teilweise erhalten, inklusive eines Eigennamens in Kartusche, der aller Wahrscheinlichkeit nach zu „Claudius“ zu ergänzen ist ([…] &nb\ tA.wj sA nTr [(qj[srs …]2066) sbsts [(qAr/l[…]).2067 Zumindest im erhaltenen Teil ist nirgends von Isis oder einer anderen Gottheit die Rede; andererseits muß der Stifter Kontakt zu ägyptischen Priestern gehabt haben, die eine solche Inschrift entwerfen konnten. Abgesehen von Terrakottafragmenten, die Isis und Harpokrates zeigen,2068 und dem Fragment einer ägyptischen Frauenstatuette,2069 sind weitere Aegyptiaca, die aus Praeneste stammen sollen, nur durch Stiche von L. Roccheggiani vom Beginn des 19. Jhs. be-

2061 RICIS 503/0601; siehe MEYBOOM, Nile Mosaic, S. 12. 2062 Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.6, 7.3.2.3.2 und 7.3.2.3.4. 2063 Dazu MALAISE, Inventaire, S. 96–97, Kat. Praeneste 5; H. W. MÜLLER, Obélisque Albani; BOVE, Obelisco di Palestrina; BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 410; AGNOLI, Museo Archeologico, S. 284–291, Kat. III.23; CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 84–90. 2064 CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 84–85, m. Abb. 3–4. 2065 Zur Lesung vgl. W. SPIEGELBERG, T. Sextius Africanus als Stifter eines Obelisken, in: ZÄS 56, 1920, S. 102–103. 2066 BOVE, Obelisco di Palestrina, S. 88, liest diese Kartusche alternativ als Gai[us]. 2067 So die Deutung bei H. W. MÜLLER, Obélisque Albani; MALAISE, Inventaire, S. 96–97, Praeneste 5; BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 410 („Mitte 1. Jh.“); CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 87, schlägt dagegen eine Lesung als Ger[manicus] und entsprechend eine Identifizierung mit Nero vor. Ein Titus Sextius Africanus ist tatsächlich in den Regierungszeiten von Claudius und Nero belegt (Suffektkonsul 59 n. Chr.). E. IVERSEN, Obelisks in Exile. The Obelisks in Rome I, Kopenhagen 1968, S. 178, hält den Kaiser nach R. LEPSIUS, Über denselben Obelisk, in: ZÄS 4, 1866, S. 95–96, für Trajan, doch lassen sich die erhaltenen Hieroglyphen nicht mit dessen Titulatur zusammenbringen. 2068 MALAISE, Inventaire, S. 96, Kat. Praeneste 3 bis. 2069 CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 82–84, m. Abb. 1–2.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

kannt:2070 ein Altar mit Reliefdarstellung des Anubis (mit Sistrum und Palmzweig) und ein ägyptischer Spiegel mit Schlangendarstellung(?).2071 In der Zusammenschau der Befunde mit all ihren Unsicherheiten halte ich es zwar für wahrscheinlich, daß Fortuna Primigenia bereits im 2. Jh. v. Chr. von Praenestinern, die in Kontakt mit Delos und so auch mit den dortigen Kulten standen, mit Isis identifiziert wurde, doch gibt es m. E. keine eindeutigen Hinweise auf einen separaten Tempel oder organisierten Kult der Göttin in Praeneste selbst vor der Kaiserzeit. Dennoch zeugt die Weihung an Isityche im 2. Jh. n. Chr. von der Kontinuität dieser Verbindung, die auch an anderen Orten belegt ist.2072 Die unter Claudius oder Nero aufgestellten Obelisken könnten im Vergleich mit den – obschon späteren – Obelisken für Domitian in Rom (s. o.) und Benevent (s. u.) ein Hinweis auf die Existenz eines Tempels in der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. sein, da die Domitiansobelisken ebenfalls eigens angefertigt und für einen Heiligtumskontext geschaffen wurden.2073 Das wenige von den Inschriften Erhaltene gibt jedoch keinerlei konkrete Informationen diesbezüglich preis. Ähnlich wie in Ostia bleibt der Sarapistempel das einzig wirklich sicher bezeugte (wenn auch nicht lokalisierte) Heiligtum, könnte sich jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit ebenso an einen bereits länger bestehenden Isiskult angeschlossen haben. 7.3.2.6 Nemus Dianae und weitere Orte in Latium In Nemus Dianae besaßen einer Inschrift des 1. Jhs. n. Chr. zufolge sowohl Isis als auch Bubastis einen Tempel im heiligen Hain der Diana.2074 Der Text beinhaltet eine Inventarliste von Weihgeschenken für die beiden Göttinnen, wobei nur Bubastis im zweiten Teil explizit genannt wird, doch aufgrund des Inhaltes die Zuordnung des ersten Teils an Isis gesichert erscheint. Es handelt sich unter anderem um Statuen, Kultgeschirr, eine mit einem 2070 Siehe CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 91–93, Abb. 6–7. 2071 Die Wiedergabe bei Roccheggiani sieht m. E. weniger nach einem Delphin (so CAPRIOTTI VITTOZZI, Egitto a Praeneste, S. 91–92) als einer (Uräus-?)Schlange aus. 2072 Inschriften: Griechischer Raum: RICIS 113/0531 und 113/0566 (Isis Tyche); 113/0514–15 (Isis Tyche Agathe); 113/0216 und 114/1902 (Isityche). Italien: RICIS 501/0139, 504/0216 und 515/1001 (Isityche). Vgl. auch die Weihung einer „memphitischen“ Fortuna-Statue an Isis Domina in Terracina, RICIS 502/0701 (vgl. die Bezeichnung „memphitische Statuette“ in einer Dedikation aus Rom, RICIS 501/0150, s. o., Kap. 7.3.2.1.2, Anm. 1525). Siehe zu Isis-Fortuna/Tyche z. B. NAGEL, Kult und Ritual, S. 161; EAD., The Goddess’s New Clothes; LECLANT, Déesse universelle, S. 348; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 78; ID., „Isis“, S. 784–786; MALAISE, Conditions, S. 179 u. 184–187; COARELLI, Iside e Fortuna; G. SFAMENI GASPARRO, Iside Fortuna: Fatalismo e divinità sovrane del destino nel mondo ellenistico-romano, in: B. Coari et al. (Hrsg.), Le Fortune dell’età arcaica nel Lazio ed in Italia e la loro posterità, Palestrina 1997, S. 301–323 (= G. SFAMENI GASPARRO, Oracoli Profeti Sibille. Rivelazione e salvezza nel mondo antico, Biblioteca di scienze religiose 171, Rom 2002, S. 303–325); AMOROSO, Roles of Isis. Vgl. auch oben, Kap. 7.3.2.2.6, m. Anm. 1873, zur Weihung aus Rom. 2073 Ähnlich argumentiert COARELLI, Iside e Fortuna, S. 124. Neben dem Antinoos-Obelisken bleiben dies die einzigen erhaltenen Beispiele für in der Kaiserzeit neu angefertigte und mit neu komponierten, sinnvollen hieroglyphischen Inschriften versehene Obelisken, siehe BAINES/WHITEHOUSE, Ägyptische Hieroglyphen, S. 409–412. 2074 RICIS 503/0301 (siehe auch RICIS Suppl. III); siehe dazu G. GHINI, Dedica a Iside e Bubasti dal santuario di Diana Nemorense, in: ARSLAN (Hrsg.), Iside, S. 335–337; LECLANT, Diana Nemorensis; MALAISE, Terminologie, S. 58; RIGATO, Pietas e magia; NIELSEN, Housing the Chosen, S. 75.

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Edelstein verzierte Krone (basileum),2075 eine bewegliche(?) Krone (corona analempsiaca) mit Edelsteinen und weiterem Schmuck, ein silbernes Sistrum und verschiedene edle Leinen- und Seidengewänder, die teilweise farbig und verziert waren, teilweise aber auch unverziert. Die Objekte weisen auf einen Statuenkult hin, der das rituelle Schmücken und Bekleiden beinhaltete und so demjenigen in ägyptischen Tempeln entspricht.2076 Bubastis wurde hier vielleicht in Interpretatio romana mit Diana gleichgesetzt: Schon Herodot betrachtete Bubastis als Äquivalent der griechischen Artemis.2077 Ihre gemeinsame Verehrung mit Isis (und Sarapis) ist auch auf Delos und Rhodos bezeugt,2078 von wo aus der Kult ja wahrscheinlich nach Italien kam. Auch in Rom und Ostia sind Bubastiacae belegt, Anhängerinnen oder Kultdienerinnen der Bubastis, sowie eine Priesterin.2079 Die Weihinschrift in Ostia zeigt dabei besonders enge Parallelen zum Inventar von Nemus Dianae, da auch dort eine bewegliche Krone an die Göttin (Isis-Bubastis) geweiht wird.2080 Die enge Verbindung zwischen Isis und Bubastis geht auf ägyptische, genauer memphitische Verhältnisse zurück, da dort der Kult der Bastet direkt mit dem von Isis und Sarapis assoziiert war,2081 worauf sowohl die griechische memphitische Isisaretalogie als auch die ägyptische kulttopographische Litanei für Isis Bezug nehmen.2082 Das große Diana-Heiligtum wurde bereits im späten 2. Jh. v. Chr. erneuert und vergrößert, und aus dieser Zeit stammen möglicherweise auch Antefixe mit Darstellungen von Isis und Diana, die die dreiteilige Portikus des Diana-Bezirks schmückten.2083 In einem separaten Temenos westlich des Hauptbezirks, der ebenfalls auf spätrepublikanische Zeit zurückgeht, jedoch Anfang d. 2. Jhs. n. Chr. komplett neugebaut wurde, wurden ein kleiner Elfenbeinkopf der Isis und eine bronzene Harpokrates-Statuette gefunden, was darauf hindeuten könnte, daß dort auch die in der Inschrift erwähnten fana der Isis und Bubastis situiert waren.2084 Innerhalb des Temenos befand sich neben einem kleinen Tempel mit vorgelagertem Wasserbecken auch ein Theater für nur etwa 300 Personen, das von dem Aus2075 Basileia, d. h. wohl ägyptische Götterkronen (hier der Isis), wurden auch auf Delos als Weihgabe in die Heiligtümer der ägyptischen Götter gestiftet, z. B. RICIS 202/0428 (Inventarliste); siehe dazu M. MALAISE, Un disque en basalte avec Sérapis rayonnant destiné à un taureau Apis? (bisher unpubliziert). 2076 Vgl. bereits LECLANT, Diana Nemorensis, S. 251. Vgl. z. B. die Weihung einer stola und eines amictus (Mantel) an Isis in einer Inschrift aus Luna (Etrurien): RICIS 511/0701. In Aquileia (Venetien) ist auch das Amt eines Stolisten (ausgeübt durch einen Alexandriner) belegt: RICIS 515/0125; vgl. MALAISE, Nova Isiaca, S. 50. 2077 Herodot, II, 156; vgl. dazu MALAISE, Terminologie, S. 54–55; LECLANT, Diana Nemorensis, S. 252. 2078 RICIS 202/0424; 202/0371–0372; 204/0101; vgl. MALAISE, Terminologie, S. 56; LECLANT, Diana Nemorensis, S. 251. 2079 RICIS 503/1113, 501/0169 und 501/0162; siehe oben, Kap. 7.3.2.2.6 (Kultpersonal) und 7.3.2.3.2. Zur Deutung der Bezeichnung Bubastiacae als Anhängerinnen, die möglicherweise in Kultassoziationen organisiert waren, MALAISE, Terminologie, S. 57. 2080 Vergleichbar ist auch die Stiftung einer großen Menge an Silber und Edelsteinen, die für Diadem und Schmuck der Isisstatue bestimmt waren, in einer Inschrift aus Guadix (Acci, Tarraconensis) von einer Dame namens Fabia Fabiana für die „Isis der jungen Mädchen“: RICIS 603/0101; siehe dazu RIGATO, Pietas e magia, S. 47–52; KLEIBL, „Fürstin der Frauen“, S. 353. 2081 Siehe oben, Kap. 4.12. 2082 Zur kulttopographischen Litanei siehe oben, Kap. 4.6.1.A, zu Dend. Isis, 78, 16–79, 5, und 4.13.1.1. Zur memphitischen Isisaretalogie Kap. 6.6. 2083 NIELSEN, Cultic Theatres, S. 234. 2084 NIELSEN, Cultic Theatres, S. 235–236; KLEIBL, Iseion, Kat. 26, S. 268–269.

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gräber MORPURGO und ihm folgend NIELSEN als ‚Kulttheater‘ interpretiert wurde.2085 Die Inschrift mit der Inventarliste selbst stammt dagegen, ebenso wie eine Sarapisbüste,2086 aus dem Diana-Bezirk. Sicherlich sind auch vergoldete Situlen sowie das Fragment eines Sistrums, die in den Überresten der beiden Schiffe des Caligula im Nemi-See gefunden wurden,2087 mit dem Kult der Göttinnen in Nemus Dianae zu verbinden. Aus anderen Städten Latiums sind nur vereinzelte Weihungen oder kleinformatige Darstellungen (Statuetten etc.) belegt.2088 Einige Inschriften bezeugen aufgrund ihrer Formulierung die Existenz von Heiligtümern, und zwar in Minturnae,2089 Marino(?),2090 Nomentum,2091 Terracina2092 und eventuell Lavinium.2093 Auch epigraphisch dokumentierte Priestertitel legen mehrfach die Existenz eines Heiligtums zumindest nahe, wenngleich sich der zugehörige Tempel vielleicht nicht unbedingt am gleichen Ort befunden haben muß wie die jeweilige Inschrift.2094 Auffällig ist in Latium die häufige Identifikation oder mindestens Assoziation der Isis mit lokalen Göttinnen:2095 Neben den bereits genannten Fällen von Fortuna/Tyche in Prae-

2085 L. MORPURGO, Nemi: Teatro ed altri edifici romani in contrada ‚Le Valle‘, in: Notizie degli scavi di antichità 1931, S. 237–305; vgl. NIELSEN, Cultic Theatres, S. 236. 2086 KATER-SIBBES, Sarapis Monuments, Nr. 542. 2087 G. UCELLI, Le navi di Nemi, Rom 21950, S. 290–291; S. 22, Abb. 17; S. 136, Abb. 145; vgl. LECLANT, Diana Nemorensis, S. 253. 2088 Siehe die Übersicht bei BRICAULT, Atlas, S. 152–158, m. Karte 33. 2089 RICIS 502/0201: Weihung an Zeus Helios Sarapis und Isis Myrionymos und die „tempelteilenden Götter“ durch einen curator operum publicorum et aedium sacrarium (Verwalter der öffentlichen und sakralen Bauten). Der Kult des ägyptischen Götterpaares könnte den der lokalen Göttin Marica in ihrem auf archaische Zeit zurückgehenden Heiligtum abgelöst haben, siehe F. TROTTA, Minturnae preromana e il culto di Marica, in: F. Coarelli (Hrsg.), Minturnae, Rom 1989, S. 11–28: 21–22. 2090 RICIS 503/0401: „Für Sarapis und Isis hat Pollio N(?) gebaut (exstruxit) […]“. Die Inschrift wurde, ebenso wie Marmorantefixe mit Uräen (s. o., Anm. 1677), allerdings auf dem Gelände einer Villa gefunden, es handelte sich also vielleicht nur um eine private Kapelle. 2091 RICIS 503/0802: Altar mit Reliefdarstellungen eines Priesters mit Zweig und eines Priesters mit Sistrum. Die Inschrift bezeugt die Weihung einer edlen Hydria an Isis und Sarapis durch einen Aedilen. Da es sich um ein Kultgerät handelt, wurde die Weihgabe vermutlich in einen Tempel dediziert. Siehe zu dem Altar und weiteren Stücken aus Nomentum, darunter ein ägyptischer Priesterkopf aus Granit (ptolemäisch), COLAZILLI, Isis and Serapis in Nomentum. 2092 RICIS 502/0401: Weihung von Altären und einem Dromos(!) an Isis Restitutrix (Heilerin der Kranken) durch einen Augustalen, siehe dazu MALAISE, Conditions, S. 108. 2093 RICIS 503/0201: Weihung an Isis Regina mit Fußabdrücken. Solche Fußabdrücke werden üblicherweise im Kontext von Heiligtümern dediziert; vgl. dazu oben, Kap. 6.2.2.1 zu den Weihungen in Philae, mit Literaturangaben. 2094 So in einer Weihung aus Privernum (RICIS 502/0101), die nur einen sacerdos Isidis ohne weiteren Kontext erwähnt, und in einer Inschrift aus Tibur (RICIS 503/0701), in der ebenfalls ein Isispriester genannt ist, der aber gleichzeitig Augustale in Herculaneum war, was auch die Zugehörigkeit des zweiten Titels zu Tibur wenig wahrscheinlich macht. Der Stifter von RICIS 503/0502 aus Tusculum, ebenfalls Priester der Isis, ist auch Sevir Augustalis, aber ohne weitere Zusätze, was eine Zugehörigkeit zum Aufstellungsort der Inschrift eher nahelegt, da der Text vollständig erhalten ist, und er bei Aufstellung in einer fremden Stadt wohl seinen Heimatort genannt hätte. 2095 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 152.

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neste und Diana in Nemi sind außerdem Verbindungen mit Albula in Aquae Albulae (bei Tibur)2096 und Bona Dea in Seripola2097 belegt. 7.3.3

Campanien (inklusive Benevent/Samnium)

7.3.3.1 Pompeji Der Isiskult von Pompeji ist neben dem Sarapis- und Isiskult in Delos der vermutlich am besten dokumentierte Befund für die Verehrung der ägyptischen Gottheiten außerhalb Ägyptens überhaupt, und daher auch der am häufigsten erforschte und kommentierte.2098 Der gut erhaltene Isistempel und seine aufwendige Dekoration werden häufig – zusammen mit den Beschreibungen in Apuleius’ Metamorphosen als Paradebeispiel für das Aussehen eines Heiligtums und die Rekonstruktion des dort stattfindenden Kultes herangezogen.2099 Obwohl auch in der vorliegenden Studie aufgrund der einzigartigen Erhaltung und des klar abgegrenzten Zeithorizontes der Isistempel von Pompeji und sein urbaner Kontext ausführlich thematisiert und einige Elemente einer neuen Interpretation zugeführt werden, sei darauf hingewiesen, daß es sich nur um ein Beispiel für die Integration des ägyptischen Kultes in eine römische – nicht einmal typische – Stadt handelt, dessen Befunde nicht wegen der zufälligen Erhaltung auf andere Kontexte übertragen werden können. Ein Vergleich mit anderen Heiligtümern und Städten, z. B. Rom oder Ostia, ist dagegen durchaus durchführbar. 7.3.3.1.1 Der Isistempel von Pompeji Lage und Architektur Der Isistempel2100 befindet sich im nördlichen Teil des Theaterviertels (VIII, 7, 28) in einem durch eine hohe Mauer zu den Straßen im Norden und Osten deutlich abgegrenzten Bezirk mit einem Eingang an der östlichen Ecke der Nordwand, der so nur einen stark ein-

2096 RICIS 503/0702: Weihung einer Diana-Statue an Albula Isis. 2097 RICIS 503/0901: Weihung an Bona Dea Isiaca; siehe dazu auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 47. 2098 Zu den wichtigsten Arbeiten zählen: TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi; DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca; P. HOFFMANN, Isis-Tempel; Alla ricerca di Iside, PP 49, Rom 1994; BLANC/ERISTOV/FINCKER, A fundamento restituit?. Weitere Beiträge zur Interpretation der Befunde z. B. von MERKELBACH, Isiskult in Pompei; F. E. BRENK, „Great Royal Spouse who Protects her Brother Osiris“. Isis in the Isaeum at Pompeii, in: F. E. Brenk, With Unperfumed Voice. Studies in Plutarch, in Greek Literature, Religion and Philosophy, and in the New Testament Background, Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 21, Stuttgart 2007, S. 346–370; MOORMANN, Temple of Isis; ähnlich nochmals ID., Divine Interiors. Mural Paintings in Greek and Roman Sanctuaries, Amsterdam Archaeological Studies 16, Amsterdam 2011, S. 149–162; GASPARINI, Staging Religion; SARAGOZA, Exploring Walls. Generell zu den Aegyptiaca Pompejis SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca. 2099 Z. B. GOLVIN, Iseum de Pompéi; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 185–199. 2100 Zur Architektur des Tempels siehe P. HOFFMANN, Isis-Tempel; GOLVIN, Iseum de Pompéi; BLANC/ERISTOV/FINCKER, A fundamento restituit?; MOORMANN, Temple of Isis; KLEIBL, Iseion, Kat. 29, S. 277–286; GASPARINI, Cronologia; WOLF, Tempelarchitektur Pompejis, S. 291–298 u. 332–334; NIELSEN, Housing the Chosen, S. 69–70.

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geschränkten Einblick in den Temenos erlaubt.2101 Die Eingangssituation weicht somit deutlich von der üblichen repräsentativen Frontalität römischer Bauten ab. Auf der Südseite bildet die Außenfassade des Theaters die Begrenzung, im Westen schließt sich die Samnitische Palaestra direkt an die Außenmauer der dort gelegenen Räume des Heiligtums an.2102 Gegenüber auf der Ostseite ist der Tempel des Aeskulap und der Salus gelegen. Bei dem eigentlichen Tempelbau, der sich im hinteren Teil des von einer Portikus umgebenen Bezirks befindet, handelt es sich um einen kleinen viersäuligen Prostylos auf einem Podium, das über sieben mittig angebrachte Treppenstufen zu betreten ist. Die mit einer zweiflügeligen Tür verschließbare Cella ist breiter als lang und an ihrer Rückwand befindet sich ein hohles Kultbildpodium mit zwei niedrigen Öffnungen.2103 Ungewöhnlich sind zwei kleine Aediculen rechts und links der Cella, die deren Querausrichtung zusätzlich betonen und sie optisch noch verbreitern.2104 Eine Treppe, die auf der Südseite von hinten zu einem kleinen Nebeneingang führt, erlaubt das direkte Betreten der Cella ähnlich wie im Iseum von Sabratha.2105 Auf der Rückseite der Cella befindet sich mittig nach Art einer Gegenkapelle eine kleine Nische, in der eine von N. Popidius Ampliatus gestiftete Statue des Bacchus mit Panther aufgestellt war.2106 Die Cella des Tempels korrespondiert außerdem mit einer ebenfalls in der Mittelachse befindlichen Aedicula für Harpokrates in der östlichen Portikuswand.2107 Das entsprechende mittlere Interkolumnium der Portikus ist wie das des Pronaos erweitert und durch höhere Pfeiler mit Halbsäulen, die möglicherweise einen Giebel trugen, betont.2108 Im Hof vor dem Tempel steht, aus der Achse nach links herausgerückt,2109 ein großer Altar mit einer zugehörigen Opfergrube mit erhaltenen Resten daneben. Eine weitere, größere und ummauerte Opfergrube war vom Eingang aus rechts, in der Nordostecke des Hofes, eingelassen.2110 Kleinere Altäre standen vor den Seitenkapellen des Tempels und in

2101 Vgl. EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 186; GASPARINI, Staging Religion, S. 201. Zur Einbindung in das Theaterviertel siehe GASPARINI, Staging Religion, S. 189–193. In der Nähe eines Theaters befanden sich auch die Tempel von Bulla Regia und Nemi, siehe Kap. 7.2.3.3.1 und 7.3.2.6. 2102 Nach WOLF, Tempelarchitektur Pompejis, S. 294, gehört die Nordwestmauer des ‚Ekklesiasterion‘ sogar noch zum ursprünglichen Bestand der Palaestra; es handelt sich um opus incertum mit hohem Lavaanteil. 2103 Vgl. EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 187; Taf. 3, 2. 2104 Vgl. WOLF, Tempelarchitektur Pompejis, S. 293. 2105 Siehe dazu oben, Kap. 7.2.2.2.2–3. Vgl. auch das ‚Sarapeion‘ von Luxor, das ebenfalls einen Nebeneingang zur Cella aufweist, siehe Kap. 6.2.5.3; vgl. GOLVIN, Iseum de Pompéi, S. 241. 2106 RICIS 504/0203; siehe DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, S. 69–70, Nr. 3.7. Vgl. z. B. den Isistempel von Deir el-Schelwit mit Scheintür auf der Rückwand, siehe Kap. 4.8.2, und das ‚Sarapeion‘ am Forum von Sabratha, das ebenfalls eine Art Gegenkapelle auf der Cellarückseite aufweist, s. o., Kap. 7.2.2.2.1. 2107 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 203; MOORMANN, Temple of Isis, S. 138; DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 133. 2108 Vgl. WOLF, Tempelarchitektur Pompejis, S. 297. 2109 Siehe zur Asymmetrie des Altars GOLVIN, Iseum de Pompéi, S. 241–242. 2110 Eine sehr ähnliche Situation läßt sich im Iseum von Baelo Claudia (Baetica) feststellen: Hier befand sich der Altar direkt axial vor dem Tempel, mit einer rechts daneben liegenden Opfergrube, siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 36, S. 294–295; DARDAINE et al., Belo VIII, S. 121–125 u. 144, Abb. 76 mit Vergleich der Grundrisse beider Heiligtümer.

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der Portikus.2111 In der Südostecke des Hofes erhebt sich ein quadratischer Bau ohne Dach, in dessen Inneren eine Treppe in ein unterirdisches Gewölbe, eine Wasserkrypta, führt.2112 An der Südostecke der Portikus reihen sich einige kleine Nutzräume aneinander, darunter eine Küche, die einen eigenen Zugang zu dem ursprünglich überdachten Korridor im Osten des Tempels besaß,2113 und ein Raum mit Wasserbecken (= Bad?). Sie werden nach gängiger These als ‚Pastophorion‘ gedeutet. Hinter der westlichen Portikus, also hinter der Tempelrückseite, befinden sich dagegen zwei große, mit Wandmalereien verzierte, sicherlich kultisch genutzte Räumlichkeiten, die vielleicht wie die Wasserkrypta nicht überdacht waren, und die eine große Fundmenge an Kultgeschirr und -gerät aufwiesen. Der kleinere Raum im Süden ist aufgrund seiner Lage an den Theater-Stützpfeilern unregelmäßig geformt und wird wegen seiner direkt auf den Isiskult bezogenen Wandmalereien gern als ‚Sacrarium‘ bezeichnet. Er war zur Portikus hin mit einer Tür verschließbar und besaß außerdem eine Hintertür im Südwesten. Der nördliche, größere Saal, dessen gesamte Front sich mit Arkaden zur Portikus öffnet, wird üblicherweise als Versammlungsraum gedeutet und entsprechend als ‚Ekklesiasterion‘ bezeichnet. Der Boden war mit einem Mosaik belegt, das die Namen der Familie der Popidii, der Stifter des renovierten Heiligtums, trug, wobei die Frau/Mutter, Corelia Celsa in diesem Fall wohl Hauptverantwortliche für die Dekoration des ‚Ekklesiasterion‘ war.2114 Chronologie des Heiligtums Über dem Eingang zum Heiligtum befand sich eine marmorne Inschrift, die die Restaurierung des Heiligtums nach dem Erdbeben von 62 n. Chr. festhält.2115 Offizieller Stifter war demnach der erst sechsjährige N. Popidius Celsinus, der dafür mit der Aufnahme unter die Decurionen geehrt wurde, was – wie häufig angemerkt wurde – das hohe Ansehen und die Verquickung des Isiskultes mit dem zivilen Leben demonstriert.2116 Die Inschrift datiert die letzte Bauphase des Heiligtums also in die Jahre 62–79 n. Chr. Das genaue Ausmaß der durch die Popidii durchgeführten Restaurationen ist trotz der Formulierung a fundamento restituit hingegen stark umstritten: Nahm man früher noch an, daß es sich tatsächlich um einen kompletten Neubau des Heiligtums handelte, wird dies bereits von HOFFMANN angezweifelt, der nur von einem Neubau des Tempelhauses sowie der Wasserkrypta und einer 2111 Siehe P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 204–206. 2112 Zur Wasserkrypta siehe besonders KLEIBL, Wasserkrypten, S. 96–111; EAD., Iseion, S. 108–110, 112 u. 279–280; WILD, Water, S. 44–47 u. 76–85. Das Gebäude wurde früher als ‚Purgatorium‘ bezeichnet, was jedoch irreführend ist. 2113 Siehe dazu GASPARINI, Staging Religion, S. 192. 2114 RICIS 504/0204. Siehe die Neuinterpretation der Inschrift durch SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 124. 2115 RICIS 504/0202. 2116 Vgl. z. B. GASPARINI, Pouvoirs locaux, S. 288–293. Zusammen mit seinen Eltern, die sicherlich die eigentlichen Urheber des Wiederaufbaus waren, ist der Knabe nochmals auf dem beschrifteten Bodenmosaik des ‚Ekklesiasterion‘ genannt: RICIS 504/0204, s. o. Der Vater, N. Popidius Ampliatus, stiftete die oben erwähnte Bacchus-Statue (RICIS 504/0203). Der Name eines Popidius Naeatis (= Popidius Natalis?) steht auf einer der Hydrien, die in einem der Räume des ‚Pastophorions‘ gefunden wurden: RICIS 504/0211. Zu den Popidii und der Verbindung weiterer Familienmitglieder zum Isiskult siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 42–43; GASPARINI, loc. cit.; ZEVI, Tempio di Iside, S. 47–49; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 197; SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 112–125.

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Erneuerung der Wandmalereien, Stuckdekorationen und Mosaiken, die eindeutig dem 4. Stil angehören, ausgeht.2117 Eine frühere Bauphase rekonstruiert er kurz nach dem Bau des Theaters in augusteischer Zeit (3/2 v. Chr.), da sich die südöstlichen Räume an die Stützpfeiler der Theaterarkaden ‚anlehnen‘ bzw. diese integrieren. Für die Errichtung der zwei großen Kulträume hinter dem Tempel wurde die dahinterliegende ‚Samnitische Palaestra‘ verkleinert. Reste von älteren Säulenlagern auf dem Stylobat der Portikus und korinthische Kapitelle, die wohl kurz nach der Mitte des 2. Jhs. v. Chr. datieren, bezeugen die Existenz eines noch älteren Gebäudes an dieser Stelle,2118 was zeitlich zu anderen Zeugnissen für die ägyptischen Kulte und Aegyptiaca in Campanien passen würde,2119 doch läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob dieses bereits den ägyptischen Gottheiten geweiht war. Auch gibt es aus Pompeji keine anderweitigen gesicherten Zeugnisse für einen Isiskult vor der Kaiserzeit, wenngleich einige Statue(tte)n bereits in das 2.–1. Jh. v. Chr. datieren könnten.2120 BLANC, ERISTOV und FINCKER postulierten nach erneuten Untersuchungen des Heiligtumsareals, daß der Isistempel überhaupt erst in augusteischer Zeit gegründet worden sei und die Restaurierungen nach 62 n. Chr. nur einige kleinere Arbeiten betrafen.2121 Gegen diese Thesen sprechen sich wiederum GUZZO und GASPARINI aus.2122 Letzterer führt m. E. überzeugende Argumente dafür an, daß ein bereits bestehendes Heiligtum in augusteischer Zeit um die großen Räume im Westen erweitert wurde,2123 und datiert den Erstbau in das letzte Drittel des 2. Jhs. v. Chr.2124 Ob es sich nur um eine Erweiterung oder gar um die erste Gründung des Isistempels handelte, die Baumaßnahmen in augusteischer Zeit passen mit dem zunehmenden Aufschwung des Isiskultes nach der Eingliederung Ägyptens in das Römische Reich gut zusammen.2125

2117 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 83–88 und 212–213. 2118 Siehe dazu WOLF, Tempelarchitektur Pompejis, S. 296–297; GASPARINI, Cronologia, S. 74 u. 82. 2119 Z. B. der durch das lex parieti faciundo belegte Sarapistempel Ende d. 2. Jhs. in Puteoli, das Nilmosaik von Praeneste (ebenfalls Ende 2. Jh.) und der Isistempel von Cumae (erste Phase wohl erste Hälfte 1. Jh. v. Chr., s. u., 7.3.3.4); vgl. auch ZEVI, Tempio di Iside, S. 38–39. 2120 Siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 77, S. 10 u. 30 mit der Vermutung, daß der Kult bereits in der zweiten Hälfte d. 2. Jhs. v. Chr. in Pompeji von einigen Anhängern praktiziert wurde. 2121 BLANC/ERISTOV/FINCKER, A fundamento restituit?. Zumindest im Tempelbau selbst haben sich noch ältere Putzschichten erhalten, was darauf hindeutet, daß der Tempel bei dem Erdbeben nicht völlig zerstört und von Grund wieder aufgebaut worden sein dürfte, siehe ibid., S. 301. 2122 P. G. GUZZO, Pompei. Storia e paesaggi della città antica, Mailand 2007, S. 107; GASPARINI, Cronologia. 2123 So bringt er (GASPARINI, Cronologia, S. 80) das ‚Ekklesiasterion‘ mit einer epigraphisch belegten Stiftung einer schola durch zwei Brüder in Verbindung: RICIS 504/0208; zu dieser siehe auch SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 114–115. Vgl. die Dedikation einer schola an Isis und Mater deum(?) durch die cultores des Sarapis in Portus (RICIS 503/1218, s. o., Kap. 7.3.2.3.5). 2124 GASPARINI, Cronologia, S. 82. 2125 Vgl. z. B. die zahlreichen Baumaßnahmen an Isistempeln in Ägypten und die regulierte Eingliederung des Kultes in Rom unter Augustus; s. o., Kap. 4.3 und 4.6–10 zu den ägyptischen Tempeln, und 7.3.2.2.1 zu Rom.

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Ausstattung, sakrale Konzeption und Kult: Isis, Osiris und Horus/Harpokrates, Tod und Regeneration Wie das Iseum Campense (soweit bekannt) und andere römische Isis- und Sarapisheiligtümer zeigt auch der Isistempel von Pompeji eine individuelle Kombination von römischer Architektur mit ägyptischer und ägyptisierender Ausstattung,2126 die m. E. jedoch klaren Prinzipien folgt. Hauptgottheit des Heiligtums war Isis, wie nicht nur die Restaurationsinschrift (aedes Isidis),2127 sondern auch die übrigen, wenn auch insgesamt spärlichen epigraphischen Zeugnisse aus dem Bezirk zeigen, die alle nur Isis nennen.2128 Sie ist in zahlreichen aufgefundenen Skulpturen und der Wanddekoration aller Teile des Tempels zu erkennen und bildet damit einen eindeutigen Schwerpunkt in der Gesamtdekoration des Heiligtums. Gleichzeitig wird sie durch die noch erkennbaren Arrangements – diese lassen sich hauptsächlich noch an den Wanddekorationen ablesen, während die genaue Aufstellung der Skulpturen etc. weniger gut bekannt ist – immer wieder in Bezug gesetzt zu den beiden übrigen Mitgliedern der osirianischen Familie, Osiris und Harpokrates,2129 als deren Mittlerin sie fungiert. Die folgende Besprechung der Dekoration und Ausstattung2130 der einzelnen Bereiche des Heiligtums soll dies – unter anderem – aufzeigen. Der Tempel Die Wände der Cella des Tempels selbst waren innen und außen relativ zurückhaltend mit Quadermauerwerk in Anlehnung an den 1. pompejanischen Stil dekoriert, während die Frontseite unspezifische Architekturdekoration im 4. Stil zeigt. Auf der Kultbank an der Cella-Rückwand standen zwei kleine Statuenbasen aus Tuffstein, die die Kultbilder getragen haben müssen, die selbst jedoch nicht in situ gefunden wurden. Mindestens eines davon muß die Göttin selbst repräsentiert haben, während von dem zweiten oft angenommen wird, daß es Osiris darstellte,2131 was zwar wahrscheinlich, aber keineswegs sicher ist. Teilweise wird vorgeschlagen, einen marmornen Einsatzkopf der Göttin mit in den Nacken fallenden Korkenzieherlocken und dazugehörige Arme und Füße als Teile des Kultbildes, das entsprechend ein Akrolith gewesen wäre, zu identifizieren.2132 Weitere synnaoi theoi fanden in

2126 Vgl. zur Ausstattung auch SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 105–137; EGELHAAF-GAISER, World of Images (allerdings kritisch zu betrachten, da die Autorin die Bedeutung der ‚ägyptischen‘ Dekoration m. E. unterschätzt und die Bildnisse teilweise zu sehr aus dem Blickwinkel eines modernen Betrachters interpretiert); ein Überblick mit kurzem Kommentar zu den ägyptischen und ägyptisierenden Stücken auch bei KAUMANNS/SPERVESLAGE, Isis-Tempel. 2127 RICIS 504/0202. 2128 RICIS 504/0206; 504/0209–0210. 2129 Zu diesem Punkt siehe rezent SARAGOZA, Exploring Walls. 2130 Für eine vollständige Inventarliste der Funde und Wandmalereien des Tempels siehe P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 88–168; KLEIBL, Iseion, Kat. 29, S. 277–283. 2131 Z. B. KLEIBL, Iseion, S. 278; WOLF, Tempelarchitektur Pompejis, S. 298. NIELSEN, Housing the Chosen, S. 69, geht von Isis und Sarapis aus. 2132 So GASPARINI, Staging Religion, S. 202–203, m. Abb. 8; siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 82, S. 157; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.47, S. 429. Der Rest des Körpers bestand wahrscheinlich aus Holz, das nicht mehr erhalten ist. Ähnliche Köpfe mit Hand- und Fußfragmenten befanden sich auch im ‚Sacrarium‘ (TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 83–85), so daß die Kultstatue dennoch nicht genau identifiziert werden kann. Nach SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 109, m. Abb.

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den beiden die Cella flankierenden Aediculae Platz, doch auch in diesem Fall sind die entsprechenden Statuen nicht bekannt. Es herrscht ein gewisser Konsens darüber, daß es sich wohl um Harpokrates und Anubis gehandelt haben müsse,2133 doch m. E. könnten Isis hier ebenso gut andere, vielleicht sogar griechisch-römische Gottheiten zur Seite gestellt worden sein, wie aus der übrigen Ausstattung des Heiligtums, die sich keineswegs auf Isis, Osiris, Anubis und Harpokrates beschränkte, ersichtlich wird. Die Kultstatuen müssen wohl vor der Zerstörung Pompejis in Sicherheit gebracht worden sein.2134 Andere Funde aus der Cella beinhalten aber Objekte, die möglicherweise im Kult Verwendung fanden: zwei bronzene Kandelaber mit Lotusblütenkelch2135 sowie zwei Holzkassetten mit einer Bronzelampe an einer Kette, einer Goldtasse, einem Harpokrates-Amulett aus Bronze, eine runde Bronzebasis und eine kleine Kristallvase.2136 Mysteriös ist die Bedeutung von zwei ebenfalls aus der Cella stammenden menschlichen Schädeln, die nicht zu Opfern des Vulkanausbruchs gehört haben dürften, da im Bezirk des Isistempels sonst nur eine einzelne Leiche im ‚Ekklesiasterion‘ gefunden wurde, aber keine weiteren Skelette, die zu den Schädeln gehört haben können.2137 Der Baudekor des Tempelhauses weist an sich offenbar nichts spezifisch Ägyptisches oder Ägyptisierendes auf; dies wird jedoch durch die Integration und Zurschaustellung eines auffälligen ägyptischen Originalstückes an prominenter Stelle wieder aufgewogen: Eine ägyptische ‚Stele(?)‘2138 mit einem kleinen Bildfeld, das ein Kryptogramm in Form einer Götterprozession enthält,2139 und einem langen hieroglyphischen Text wurde an einem Pilaster rechts der Treppe vorne am Podium angebracht.2140 Der Pilaster besaß ursprünglich ein Gegenstück, an dem nach alten Berichten ebenfalls ein ägyptisches oder ägyptisierendes Denkmal mit Hieroglyphen angebracht war, welches jedoch stark zerstört war.2141 Es handelt sich bei der erhaltenen ‚Stele‘ um ein wahrscheinlich aus Herakleopolis stammendes Monument eines Mannes namens Sematauitefnacht, Prophet des Horus von Hebenu und oberster Wab-Priester der Sachmet neben weiteren Priestertiteln, der von seiner Teilnahme

2133 2134

2135 2136 2137 2138 2139 2140 2141

3.3, wurden der Kopf und die Fragmente des großen Akroliths allerdings im Bereich des ‚Ekklesiasterion‘ gefunden; sie geht davon aus, daß sie vom Dach gefallen waren. Z. B. KLEIBL, Iseion, S. 278. Vgl. z. B. die Kultbildbank im Isistempel von Ras el-Soda, auf der neben einer Isis-Statue auch zwei Osiris-Kanopos-Skulpturen sowie Hermanubis und Harpokrates Platz fanden, s. o., Kap. 6.2.10.3. P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 155–156, schließt hingegen aus den fehlenden Kultbildern, daß der Neubau des Tempels nach dem Erdbeben von 62 n. Chr. bei dem Untergang 79 n. Chr. noch nicht wieder ganz fertiggestellt war, was ich jedoch für wenig wahrscheinlich halte. Möglicherweise gehörte eine aufgefundene einzelne Hand aus Marmor (P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 156) zu einem (älteren) Kultbild, dessen übrige Bruchstücke dann jedoch schon abgeräumt worden waren. ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.50, S. 431; siehe dazu auch PODVIN, Luminaire, S. 177; GASPARINI, Altaria o candelabra?, S. 44. P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 156. P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 156 u. 108–109. Vgl. die Deponierung eines Schädels im spätantiken Heiligtum ägyptischer Gottheiten auf dem Janiculum, siehe oben, 7.3.2.2.7. Das Monument wird üblicherweise als ‚Stele‘ bezeichnet, doch es handelte sich wohl mit PERDU, Monument de Samtouetefnakht, S. 91, ursprünglich um den Rückenpfeiler einer Statue. Siehe dazu PERDU, Monument de Samtouetefnakht, S. 96–97, m. Abb. Zu den Details der Anbringung P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 153–154. F. MAZOIS, Les ruines de Pompei IV, Paris 1838, S. 26; P. FUMAGALLI, Pompeia, Florenz 1834– 1846, S. 49. Vgl. PIRELLI, Monumento, S. 639.

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am Kampfgeschehen zwischen Persern und Griechen, also wohl dem Alexanderfeldzug, und einer Traumerscheinung des Gottes Herischef berichtet, der ihn in der Schlacht beschützt und schließlich nach Herakleopolis heimkehren läßt.2142 Die Biographie thematisiert also eine durch das direkte Eingreifen einer ägyptischen Gottheit bewirkte Wende im Leben eines Individuums – ein Motiv, daß in Gebeten an und literarischen Erzählungen über Isis ebenfalls häufig eine Rolle spielt.2143 Die narrative Struktur und Sprache der Biographie sind von hoher Qualität und der historische Hintergrund des Alexanderfeldzugs von großem Interesse; es ist unwahrscheinlich, daß das Stück ‚zufällig‘ als bloßes Exoticum und optischer Blickfang gewählt wurde, wie noch HOFFMANN annimmt.2144 Im Gegenteil dürfte der Text, ebenso wie z. B. die Ritualszene aus dem Isisheiligtum von Behbeit el-Hagar im Iseum Campense, mit Bedacht von einem verständigen Priester in das Konzept des Isistempels von Pompeji integriert worden sein. Herischef wird im Text als Sonnengott angesprochen (Z. 3–5),2145 während seine ikonographische Darstellung im Bildfeld mit der für ihn üblichen Atefkrone an seine Bezüge zu Osiris erinnert.2146 Diese Verbindung wird in einer Textpassage expliziert, die den Gott bezeichnet als „der vollständig ist/Atum in seinem Sarkophag, der sich mit dem großen Gott vereint im Grab des Königs von Ober- und Unterägypten [(Onnophris)“ (Z. 17–18).2147 Auch dies könnte ein Anknüpfungspunkt und einer der Gründe für die Anbringung im Isisheiligtum von Pompeji sein; allein die Nennung des Grabes von Osiris („Onnophris“) weist eindeutige Bezüge zu anderen Teilen der Ausstattung des Tempels auf, die in den folgenden Abschnitten besprochen werden sollen. Die Integration weiterer Aegyptiaca Neben der ‚Stele‘ des Sematauitefnacht waren noch weitere, aber kleinere, ägyptische Originalstücke in das Iseum integriert. Teilweise handelt es sich um ursprünglich funeräre Objekte, die sich entsprechend gut in einen kultisch osirianischen Kontext transponieren ließen:2148 Ein qualitativ sehr hochwertiges Uschebti mit hieroglyphischer Beschriftung 2142 Siehe zum Text der Stele PERDU, Monument de Samtouetefnakht; PIRELLI, Monumento; GORRE, Clergé Égyptien, Nr. 42, S. 210–215; abgebildet (sehr klein und auf dem Kopf) bei DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, S. 78, Nr. 6.1. 2143 Siehe dazu insbesondere die in Kap. 6.1–2 und 6.4.2 angeführten Texte aus Ägypten. PIRELLI, Monumento, zieht außerdem Parallelen zur Geschichte des Lucius in Apuleius’ Metamorphosen; siehe dazu unten, Kap. 8.2. 2144 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 154. Vgl. zu einer ähnlichen Deutung auch SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 8–11 und 32–33. 2145 Siehe dazu PERDU, Monument de Samtouetefnakht, S. 99–100, Anm. b). 2146 Die enge Verbindung von Herischef zu Osiris wird auch von KAUMANNS/SPERVESLAGE, Isis-Tempel, S. 92, als möglicher Grund für die Aufstellung des Stückes im Iseum angeführt. Sie führen außerdem Plutarch, De Iside, 37, an, demzufolge Dionysos als Sohn von Zeus und Isis auch ‚Harsaphis‘ (= Herischef) genannt werden konnte. Dies würde die Stele mit den Zeugnissen für (Osiris-)Dionysos im Tempel verbinden. 2147 (I)tm m DbA.t=f Xnm nTr aA m HAy.t nswt bjtj [(Wn-nfr). Zum Wortspiel (I)tm siehe PERDU, Monument de Samtouetefnakht, S. 113, Anm. h). Nach PERDU, Monument de Samtouetefnakht, S. 113, Anm. b), wird hiermit auf die nächtliche Vereinigung des Sonnengottes mit Osiris angespielt, die angeblich von Herischef verkörpert werden kann; dafür gibt es sonst jedoch keine eindeutigen Belege. Ich danke MAREN SCHENTULEIT herzlich für die Beantwortung meiner Fragen zu Herischef. 2148 So auch die Interpretation des folgend genannten Uschebtis durch KAUMANNS/SPERVESLAGE, IsisTempel, S. 91–92.

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(Uschebti-Spruch Tb 6) befand sich, teilweise verbrannt, zusammen mit Fragmenten einer weiteren Fayence-Figur, Früchten und Nüssen in der Opfergrube neben dem Altar im Hof,2149 was auf eine intentionelle Deponierung hindeuten könnte.2150 Eine Statuette eines hockenden Gottes wurde im ‚Sacrarium‘, nahe eines kleinen Schreins, gefunden.2151 In Pompeji könnten außerdem ägyptische Kanopen auch privat als Götterbilder genutzt worden sein, vielleicht aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Osiris-Kanopos-Skulpturen,2152 falls sie nicht doch bloß als exotische Dekoration dienten. So stammen zwei Kanopen des Pascherienaset (PA-Srj-n-As.t „der Sohn der Isis“!) und zwei des Psammetiknebpehty aus dem Stadtgebiet.2153 Da die genauen Fundorte jedoch nicht dokumentiert sind, läßt sich leider nicht mehr verifizieren, ob sie tatsächlich in einem religiösen Kontext aufgestellt waren, z. B. in einem Lararium. Die Harpokrates-Nische und die Priesterprozession in der Portikus: Kulthandlungen und Kultobjekte Den in der Cella befindlichen Kultbildern war im Zentrum der östlichen Portikus eine Kultnische für Harpokrates gegenübergestellt, die gleichzeitig und prinzipiell in Einklang mit den Dekorationsprinzipien ägyptischer Tempel den Fokus einer von beiden Seiten darauf zulaufenden Priesterprozession bildete.2154 Die formale und stilistische Ausgestaltung der Priesterprozession, die sich auf den anderen Seiten der Portiken (allerdings mit anderer Orientierung) fortsetzt, innerhalb der Gesamtdekoration dagegen steht ganz in der Tradition der pompejanischen Wandmalerei des 4. Stils: Die Priester alternieren als Motive der zentralen kleinen Bildfelder in der von fragilen Architekturen gerahmten mittleren Wandzone (über der Sockelzone) mit bukolischen und sakralen Landschaftsdarstellungen.2155 Jeder der ursprünglich zwölf Priester (von denen heute aber nur noch sieben erhalten sind) ist vor einem mit Architekturteilen gestalteten Hintergrund dargestellt, der einen Tempelkontext suggeriert; oft handelt es sich dabei nur um einzelne Mauerzüge. Das große Bild in der Kultnische im Osten zeigt eine Statue (dies wird durch den schmalen Sockel unter den Füßen deutlich) des nackten Harpokrates-Knaben in hellenistischem Stil, mit dem rechten Finger am Mund und einem Füllhorn im linken Arm.2156 Die Statue steht auf einer Basis vor einem Wandstück mit einer Säule, die mit einer blauen Schleife geschmückt ist. Ein 2149 DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, S. 79, Nr. 6.3; vgl. auch POOLE, Culto di Iside, S. 235–236; SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 33, m. Abb. 1.6. Der ursprüngliche Besitzer war Payefherihesu, und das Stück stammt wohl aus der 26. Dynastie. 2150 Zu weiteren, möglicherweise aus dem Iseum von Pompeji stammenden Uschebtis siehe DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 137–140. 2151 DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, S. 79, Nr. 6.2; Taf. 17; DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 138; SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 64–65. 2152 Vgl. POOLE, Culto di Iside, S. 238 u. 239, Abb. 25. 2153 DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.109–112, S. 202–203; COZZOLINO, Recent Discoveries, S. 32, ordnet die Kanopen des Pascherienaset dagegen dem Iseum zu. 2154 Vgl. zuletzt SARAGOZA, Exploring Walls. Zur Priesterprozession siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 29–38, S. 92–98 u. 135–138; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 130–135; KLEIBL, Iseion, S. 157. 2155 Zur geschickten Kombination von ägyptischen/kultischen Inhalten und römischem Malereistil siehe ausführlich SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 124–132 u. 144–161. Zur Rekonstruktion des Dekorationsschemas der Portikus insgesamt SARAGOZA, Exploring Walls. 2156 DE CARO (Hrsg.), Egittomania, S. 98–99, Kat. II.20, 1.5.

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weißer Thron links davon könnte entweder als symbolische Anspielung auf Isis zu verstehen sein,2157 oder auf Harpokrates’ Rolle als Erbe des Königsthrones seines Vaters Osiris – wenngleich letzteres Konzept außerhalb Ägyptens offenbar kaum eine Rolle spielte.2158 Weitere Elemente des Bildes referenzieren direkt seinen Anbringungsort: Im Hintergrund ist ein kleiner viersäuliger Podiumtempel im hinteren Teil eines Hofes, der von einer Portikus umgeben ist, dargestellt. Es handelt sich eindeutig um eine idealisierte, schematische Abbildung des Heiligtums selbst, wobei sich die Harpokrates-Statue etwa in der Position der Kultnische befindet, wenngleich sie perspektivisch etwas weiter vom Tempel abgerückt erscheint. Durch einen von rechts auf die Skulptur zu schreitenden Priester mit kahlrasiertem Kopf und einem bis an die Brust hinaufreichenden Leinenschurz ist Harpokrates als Kultempfänger gekennzeichnet; der Priester trägt in den Händen zwei Kandelaber, die in der Form gerade denjenigen entsprechen, die in der Cella des Tempels gefunden wurden (s. o.) (obgleich sie in der Darstellung deutlich größer erscheinen als die realen Objekte).2159 Auf der rechten Seite der Ostwand schließt sich ein Priester mit Palmzweig und einem Bündel Zweige(?) an,2160 gefolgt von einem weiteren Priester, der einen mit Fransen besetzten Mantel trägt, mit dem er auch seine Hände verhüllt hat, in denen er eine Uräusschlange mit einem Kranz(?) zu halten scheint.2161 Die Mauer im Hintergrund ist mit einem Löwen oder einer goldenen Löwenstatue bekrönt. Von links näherten sich ein heute nicht mehr erhaltener Priester mit unbekanntem Gerät und ein weiterer Träger eines Palmzweiges sowie eines nicht mehr erkennbaren Objektes.2162 Solche Palmzweige tragen auch Priester auf den Reliefsäulen des Iseum Campense.2163 Die Südwand zeigt einen Priester, der eine möglicherweise schiffsförmige Lampe aus Metall an einer Kette hält,2164 welche möglicherweise – ähnlich wie die beiden Kandelaber in der Harpokrates-Nische – der in der Cella gefundenen Bronzelampe, die ebenfalls an einer Kette hing (s. o.), entspricht.2165 Auch eine weibliche Kultdienerin oder Priesterin, mit Sistrum und Spendenschale, ist auf der Südwand ver-

2157 So der Vorschlag von DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 134. Zu Isis’ Beziehung zum Thron siehe z. B. oben, Kap. 6.1.2.1, Kommentare zu MM I und MM III. Vgl. auch NAGEL, Isis und die Herrscher. 2158 Vgl. MALAISE, Découverte d’Harpocrate, S. 56. 2159 Siehe zu den Kandelabern auch PODVIN, Luminaire, S. 176–177, der weitere Darstellungen von IsisPriestern mit Kandelabern anführt. 2160 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 32, S. 136; Taf. IV, 2; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, S. 101, Kat. II.21, 1.6. 2161 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.8, S. 42; Taf. 7. So die übliche Deutung, z. B. bei KLEIBL, Iseion, S. 157; EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 190. 2162 Pompei VIII, S. 755. 2163 Siehe LEMBKE, Iseum Campense, Taf. 7,4 u. 8,3. Vgl. außerdem ein reliefiertes Sargbrett aus Ägypten(?), das um die Wende zum 3. Jh. n. Chr. datiert und neben Isis ebenfalls einen kahlrasierten Priester mit einem an die Brust reichenden Schurz und einem Palmzweig in der Hand zeigt. 2164 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.43, S. 425; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.30. Zur Lampe und Lampenträgern im Isiskult vgl. TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 93–94 d); HAASE, Signum, S. 320–328; PODVIN, Luminaire, S. 176–187; ID., Les préposés au luminaire dans les cultes isiaques, in: Gasparini/Veymiers (Hrsg.), Individuals and Materials II, S. 609–627. 2165 Dies ist – im Gegensatz zur Übereinstimmung der Kandelaber – m. W. bisher noch nicht bemerkt worden. Daneben wurden noch über 50 weitere Lampen im Tempelbezirk, die meisten davon im ‚Sacrarium‘, gefunden, die sicher für den allgemeinen, täglichen Bedarf gebraucht wurden, siehe PODVIN, Luminaire, S. 179.

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treten.2166 Ein junger Kultdiener in langen weißen Gewändern mit Fransensaum, dessen Kopf nicht rasiert ist, und der eine Situla trägt, beschließt die Prozession auf der Südwand.2167 Seine Positionierung an der hinteren Ecke, die zum ‚Sacrarium‘ überleitet, ist m. E. mit Bedacht gewählt, da die Situla auch in diesem Raum eine Rolle spielt (s. u.). Die Ikonographie eines Priesters der Nordwand entspricht mit seinem Federstirnband und der in beiden Händen gehaltenen, aufgerollten Buchrolle der üblichen Darstellungsweise eines Pterophoren bzw. Vorlesepriesters.2168 Hinter ihm befindet sich eine Katze oder ein Panther mit Krone auf dem Kopf auf einer Mauer. Ein weiterer, nicht mehr erhaltener Priester dürfte den Beschreibungen zufolge eine Osiris-Kanopos-Skulptur getragen haben.2169 Das einzige zu der Prozession gehörige Bild in der westlichen Portikus zeigt einen Priester mit Anubismaske,2170 dessen Anbringungsort im Westen, genauer an der Außenwand des ‚Sacrariums‘ sicherlich ebenfalls nicht zufällig gewählt ist; Anubis’ Assoziation mit dem Jenseits und dem Totenkult (des Osiris) dürfte hier entscheidend für die Platzierung gewesen sein und fügt sich in das räumliche Gesamtkonzept der kultischen Kompartimente des Iseums ein, wie die weitere Besprechung zeigen wird. Die Bildfelder mit den Kultakteuren binden verschiedene Objekte, die auch tatsächlich im Heiligtum gefunden worden sind, in einen rituellen Kontext ein: Die Kandelaber und die Lampe wurden bereits hervorgehoben und sind als reale Objekte auch aus anderen Heiligtümern sowie als (heilige) Gerätschaften in Abbildungen von Kult gut bekannt. So wurden Kandelaber auch im Iseum Campense gefunden, auf dem Ariccia-Relief stehen sie beiderseits der thronenden Isis, und auf der reliefierten Säulenbasis aus Rom, die unter anderem die Fütterung von Krokodilen zeigt, finden sie sich in den Händen eines Priesters wieder.2171 Eine vergleichbare, wenn auch auf engeren Raum zusammengeraffte, Priesterprozession wie im Isistempel von Pompeji scheint sich auf einer der Wände des den ägyptischen Gottheiten gewidmeten privaten Larariums in der Casa degli Amorini dorati (VI, 16, 7) befunden zu haben, ist aber heute fast ganz zerstört.2172 Unter einem noch besser erhaltenen Bild der Götter Anubis, Harpokrates, Isis und Sarapis sind die Reste von zwei Priestern erkennbar, von denen einer ebenfalls Kandelaber trägt. Ein weiteres in der Priesterprozession im Heiligtum dargestelltes Objekt, das auch real dort gefunden wurde, ist das allgegenwärtige Sistrum,2173 während eine silberne Situla zwar nicht direkt im Iseum, jedoch im-

2166 Pompei VIII, S. 772, Abb. 62; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.21, S. 45. 2167 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 35, S. 94–95 f) u. 137; Taf. 4, 3; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 132; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.26, S. 47; Taf. 7. 2168 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.45, S. 427; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.46, S. 51–52. Vgl. ähnliche Pterophorendarstellungen z. B. im Tigrane-Grab von Alexandria, Kap. 6.2.10.2 (Exkurs), im Nilmosaik von Leptis Magna, Kap. 7.2.2.3.2, sowie im Jahreszeitenmosaik aus Thysdrus, Kap. 7.2.3.4. 2169 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 37, S. 95 g) u. 138; Taf. 3, 1; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 135. 2170 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.36, S. 49–50; Taf. 7. Vgl. auch hierzu das Jahreszeitenmosaik aus Thysdrus, auf dem ein Priester mit Anubismaske zusammen mit zwei Pterophoren als Emblem des Novembers (Fest Isia/Inventio Osiridis) dargestellt ist, vgl. Anm. 2168. Vgl. auch oben, 7.3.2.1.2, m. Anm. 1501–1502. 2171 Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2. Vgl. dazu auch GASPARINI, Altaria o candelabra?, S. 43. 2172 Siehe SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 70–71. 2173 Siehe unten, zu den Funden im ‚Ekklesiasterion‘.

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merhin im Bereich des Foro Triangolare zutage kam.2174 Diese ist zudem selbst mit Reliefs, die Kulthandlungen zeigen, graviert. Das Bildnis eines Leuchtturms verortet die Szene in Alexandria oder aber einer anderen Hafenstadt. Zu Alexandria würde auch die auf einem hohen Sockel dargestellte Schlange mit angedeutetem Bart und Kalathos(?) auf dem Kopf passen: Gemeint ist wohl Sarapis-Agathodaimon.2175 An den Sockel ist eine Fackel gelehnt, und eine Kultdienerin, die durch ihre Korkenzieherlocken und einen von einer ägyptischen Geierhaube abgeleiteten Vogelkopfschmuck an Isis angeglichen ist, reicht der Schlange eine kleine Krokodilsfigur auf einer Basis entgegen.2176 Auf einem noch deutlich höheren Sockel steht ein mit einem Bauchgurt oder einer Schärpe und einer Krone(?) geschmückter Widder, evtl. der Bock von Mendes. Daneben schließen sich ein Hörneraltar mit brennendem Opferfeuer, eine weitere Kultdienerin, die selbst Sistrum und Situla trägt, sowie ein Pavian als Verkörperung des Thoth auf einem gestuften Podest an. Neben der Situla zeigen auch zwei Silberbecher, die in der Palaestra gefunden wurden, Kultszenen, die aufgrund der dargestellten Objekte offenbar in direkter Verbindung mit den im Heiligtum ausgeübten Ritualen stehen.2177 Sie weisen, anders als die eingravierten und stilistisch einfachen Szenen der Situla, ein qualitätvolles Hochrelief auf. Auf dem einen Becher trägt ein kahlgeschorener Priester eine große Hydria in seinen mit dem Mantel verhüllten Händen zu einem Altar, auf dem sich ein Gefäß mit einer kleinen HarpokratesStatuette befindet. Ein von Karyatiden getragener Bogen ist als Eingang zu einem Tempelareal zu identifizieren; dahinter sind Treppenstufen und Palmen zu sehen. Links davon hält Isis bzw. eine Isispriesterin mit Uräusschlange an der Stirn eine Sokar-Figur auf einem kleinen Altar heran. Auf dem zweiten Becher ist ein hoher Altar dargestellt, auf dem ein Krokodil eine Hydria auf dem Rücken trägt;2178 da die Hydria als Symbol des Osiris interpretiert werden kann, bildet dies eine Parallele zu ägyptischen Motiven, die ein Krokodil zeigen, das die Mumie des Osiris trägt und als Verkörperung seines Sohnes Horus gilt.2179 Links davon schreitet eine Isis(priesterin) mit einer Abwandlung der Hathorkrone, 2174 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.48, S. 430; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 142, S. 174; Taf. 12, 4. Siehe dazu auch QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 403. 2175 Zu Sarapis-Agathodaimon in Alexandria siehe oben, Kap. 6.2.10.1. Vgl. entsprechende Darstellungen aus Rom und Ostia/Portus, s. o., Kap. 7.3.2.2.6 u. 7.3.2.3.1–2. 2176 Die Basis deutet an, daß es sich wohl um eine Götterfigur (z. B. Sobek) handeln soll, vgl. z. B. eine Figur des Krokodilgottes Petesuchos auf einer Basis mit griechischer Weihinschrift aus dem Fayum, siehe BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 351, S. 736–737. Zu Krokodilen im Isiskult siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2. 2177 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.52–53, S. 432; BECK (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 283, S. 681; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 138, S. 173. 2178 Siehe dazu auch KISS, Dieu-crocodile, S. 282 (ohne weitere Deutung). 2179 Siehe Band 1, Kap. 6.2.10.3, Anm. 1406. Ein entsprechendes Bild im Hadrianstor von Philae ist mit JUNKER, Götterdekret, S. 41–45, im Zusammenhang mit dem Choiaktext von Dendara zu verstehen, wo die Krokodilgestalt des Horus in Philae speziell erwähnt wird; vgl. dazu auch KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 197–206. Ähnliche Konzeptionen waren auch im Fayum populär, wo lokale Krokodilgottheiten teilweise unter zwei Aspekten verehrt wurden, die einerseits Osiris und andererseits Horus verkörperten, z. B. Soknopaios von Soknopaiou Nesos, siehe KOCKELMANN, Herr der Seen I, S. 208–213 u. 227–233. Zu Isis und Sobek im Fayum siehe oben, Kap. 6.1.2. Der Fund einer falkenköpfigen Krokodilstatuette mit Hemhem-Krone (entsprechend der Ikonographie des Soknopaios) auf einer kleinen Basis in einem Haus in Pompeji (I, 12, 6) legt nahe, daß diese Konzeption in Pompeji bekannt war: DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.122, S. 207; DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 157.

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bei der die Kuhhörner eher einer Mondsichel gleichen, und Sistrum und Situla in den Händen. Ihr Kopf ist zu dem Altar mit dem Krokodil umgewendet. Außerdem befindet sich ein Apis-Stier oder eine Hathorkuh auf einer hohen Basis. Die Becher selbst wurden sicherlich auch in einem kultischen Kontext benutzt und gehörten möglicherweise sogar ursprünglich zum Heiligtum: Sie wurden neben dem Skelett eines jungen Mannes gefunden, der sich möglicherweise mit den beiden wertvollen Stücken in Sicherheit bringen wollte. Der westliche Trakt des Heiligtums (Gegenkapelle, ‚Sacrarium‘ und ‚Ekklesiasterion‘): Osiris Die Kapelle für Harpokrates im Osten, also Richtung Sonnenaufgang, entspricht seinem Charakter als jugendlicher Sonnengott.2180 Dieser Aspekt wird zusätzlich durch das ursprünglich ägyptische Ikon des jungen Gottes auf der Lotusblüte in dem Akanthusrankenfries im oberen Wandabschnitt der Portikusrückwand betont.2181 Das Motiv erscheint hier stilistisch hellenisiert, der Knabe trägt ein Sistrum in der Hand und wird von zwei Ibissen flankiert. Die Rankendekoration enthält noch zahlreiche weitere kleine Bilder ägyptischer Gottheiten und heiliger Tiere sowie typische Elemente von Nillandschaften, so z. B. einen Apis-Stier mit Krone, eine Uräusschlange, Pygmäen, Nilpferde und Krokodile.2182 Dem Harpokrates-Schrein ist im Westen die Nische in der Tempelrückwand mit der dort aufgestellten Dionysos-Statue2183 entgegengesetzt, die vermutlich in Interpretatio graeca bzw. romana (als Bacchus) für Osiris steht.2184 Dieser Gleichsetzung trägt auch eine im Heiligtum aufgefundene bärtige Herme des Dionysos Rechnung, die trotz ihres archaisierenden Stils und ihrer ansonsten griechisch-römischen Ikonographie auch ein NemesKopftuch mit Uräusschlange an der Stirn aufweist.2185 Ein Stück Silberfolie vom Foro Triangolare, das aufgrund der Nähe ursprünglich ebenfalls aus dem Isistempel stammen könnte, visualisiert die Assoziation des Dionysos mit dem Isiskult durch eine Darstellung des Gottes neben Isis-Fortuna.2186 Beidseitig der Dionysos-Kapelle an der Tempelrückwand befanden sich stuckierte Ohren, die auf die Gebete erhörende Funktion der Gottheit (Dionysos-Osiris) hindeutet, die sich auch in dem mehrfach Isis und Sarapis zugeschriebenen Epi-

2180 Vgl. DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 133. 2181 Siehe SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.4, S. 40–41; Taf. 8. Vgl. dazu BRENK, Gleaming Ray, S. 158. 2182 Pompei VIII, S. 756 u. 785; vgl. zum Rankenfries P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 130; SWETNAMBURLAND, Aegyptiaca, S. 153–157. 2183 DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, S. 69, Kat. 3.7. Vgl. dazu bereits oben, Anm. 2106. 2184 Zur Zuordnung des westlichen Bereiches des Heiligtums zu Osiris und des östlichen zu Harpokrates siehe bereits DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 133–140. Vgl. zu Osiris und Dionysos Kap. 7.1.5, m. Anm. 287. 2185 Siehe DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, S. 70, Kat. 3.9; POOLE, Culto di Iside, S. 236. 2186 Siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 134, S. 171–172; Taf. 12, 4.

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theton ἐπηκόος abzeichnet.2187 Die Ohrendarstellungen finden Parallelen in ägyptischen ‚Ohrenstelen‘2188 sowie an der Gegenkapelle des ägyptischen Tempels von Kom Ombo.2189 Hinter dem Tempel, im ‚Sacrarium‘ und im ‚Ekklesiasterion‘, ist eine hohe Konzentration kultischer und mythologischer Bilder des ägyptischen Kultes anzutreffen, die möglicherweise auf eine besondere Funktion dieser Räumlichkeiten hindeutet. Der kleinere Raum, das ‚Sacrarium‘, befindet sich im westlichsten und am stärksten abgeschlossenen Teil des Heiligtums; die verwinkelte Form des Raumes, die sich durch die Lage an den Theaterstützpfeilern ergibt, könnte einer Nutzung für spezielle, geheime Riten – z. B. osirianische Riten oder Initiationshandlungen – dienlich gewesen sein.2190 Desweiteren deutet die Existenz eines kleinen Schreins auf die Identifikation als Nebenkultstelle hin. Der Stil und die Komposition der Malereien in diesem Raum unterscheidet sich deutlich von den anderen Wanddekorationen des Heiligtums: Es gibt keine Unterteilung in kleine Bildfelder, die Motive scheinen vielmehr ohne Rahmung auf dem Untergrund zu ‚schwimmen‘ und die Ausführung erscheint insgesamt weitaus weniger professionell.2191 Dargestellt ist das ägyptische Pantheon des Tempels inklusive theriomorpher Gottheiten, und zwar m. E. nicht zusammenhanglos, sondern im Kontext des Osirismythos. Das zentrale Bildnis der thronenden Göttin selbst auf der Westwand2192 ist heute zerstört und nur noch durch eine Zeichnung von G. FIORELLI und A. DELLA VALLE DI CASANOVA bekannt.2193 Sie trug einen langen Mantel und eine quer über die Brust verlaufende Schärpe sowie eine Lotusblüte(?) auf dem Kopf.2194 Daneben befand sich eine Figur, die üblicherweise als Osiris oder Sarapis gedeutet wird,2195 auf einem heute noch erhaltenen Wandfragment (Taf. Va).2196 Die Person sitzt von zwei Kobras mit Basileia auf den Köpfen umgeben auf einem Felsen(?). Die Details der Kleidung, des Gesichts und der Attribute sind bis auf eine um den linken Ellen2187 Z. B. RICIS 704/0304 aus Lambaesis und RICIS 501/0139 aus Rom, siehe oben, 7.2.4.2.1 und 7.3.2.2.6. Vgl. GASPARINI, Listening Stones, S. 563, für eine Liste weiterer Epitheta, die in engem inhaltlichen Zusammenhang mit den Ohrenweihungen stehen können; ibid., S. 564–565, m. Abb. 4 zu den stuckierten Ohren der Dionysoskapelle am Iseum von Pompeji. 2188 Vgl. bereits eine Ohrenstele für Isis aus dem Neuen Reich in Birmingham, siehe dazu KOCKELMANN, Praising the Goddess, S. 39. Vgl. außerdem die Ohrenvotive aus Kanopos (Abukir), siehe dazu oben, Kap. 6.2.10.3, mit Anm. 1369 (mit weiterer Literatur zu Ohrenstelen in Ägypten). Zur Adaption dieser ägyptischen Tradition in der griechisch-römischen Welt jetzt GASPARINI, Listening Stones; RENBERG, Where Dreams May Come I, S. 350–353. 2189 Vgl. GOLVIN, Iseum de Pompéi, S. 241. 2190 Vgl. die Situierung der Osiriskapellen in ägyptischen Tempeln: sie befanden sich im hinteren Bereich der Tempel oder sogar auf dem Dach, wo nur wenige Befugte Zutritt hatten. 2191 Vgl. die stilistische Beurteilung bei MOORMANN, Temple of Isis, S. 148 u. 152. 2192 Zur Verteilung der Wandbilder auf der West- und Nordwand des ‚Sacrariums‘ (die anderen Wände waren nicht dekoriert) vgl. das Schema bei SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 231, Abb. 5.2. 2193 Abgebildet bei ELIA, Pitture, S. 21, Abb. 25. 2194 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 101 (Beschreibung). 2195 Z. B. TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 51, S. 145; MERKELBACH, Isis regina, S. 508, Abb. 27; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.71, S. 58–59; SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 137; BRENK, Osirian Reflections, S. 294 u. 297; GOLVIN, Iseum de Pompéi, S. 244; MOORMANN, Temple of Isis, S. 148. Richtig als Isis gedeutet, allerdings ohne interpretierenden Kommentar, von P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 101–102; ihm zufolge erkannte übrigens bereits der Ausgräber F. LA VEGA darin eine weibliche Figur. 2196 ELIA, Pitture, S. 21, Abb. 25 (Zeichnung); DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.49, 1.41, S. 109 (Farbphoto); SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.71, S. 58 (Sw-Photo).

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bogen gehängte Situla nicht mehr genau erkennbar. Ein langes Szepter in der linken Hand trägt einen undeutlichen Aufbau an der Spitze, und die Kopfbedeckung sieht ungewöhnlich aus: Es scheint sich entweder um einen Nimbus oder um eine Art Hut mit einer aufgesetzten Krone oder Lotusblüte (nur der untere linke Rand ist erhalten) zu handeln. Spuren eines Bartes, wie er meist im Gesicht rekonstruiert wird, sind m. E. nicht zu erkennen. Entscheidend für die Deutung der Figur sind vielmehr ihre Haltung, Blickrichtung, die Situla und der szenische Kontext, in dem dieses Bild erscheint. Die Haltung drückt Verzweiflung oder Trauer aus, denn der rechte Ellenbogen ist auf das rechte Bein gestützt und das Kinn in die rechte Hand, wodurch der ganze Körper, der übrigens recht üppige, eher weibliche Rundungen aufweist, etwas in diese Richtung nach unten sackt. Der Blick ist nach rechts (von der Gottheit aus nach links) auf einen Baum gerichtet, um den eine weitere Schlange – nun ohne den für Kobras kennzeichnenden Halsschild – gewunden ist, und bei dem es sich nur um denjenigen handeln kann, der das Osirisgrab markiert.2197 Die Schlange ist sicherlich als Schutzgenius des Grabes zu verstehen, wie sie in Ägypten häufiger für die Osirisgräber belegt sind.2198 Es gibt m. W. keine Parallele für eine Darstellung des Sarapis (und erst recht nicht für Osiris) mit Situla, zumal dies auch inhaltlich wenig Sinn machen würde: Isis ist es, die mit der Situla die Milch- oder Wasserspende für den verstorbenen Osiris libiert.2199 Im übrigen gibt es mehrere rundplastische Parallelen für diese spezielle Ikonographie der trauernden Isis, darunter eine qualitätvolle Statue aus Fiesole (antik Faesulae) in Etrurien, die spätestens seit der ausführlichen Besprechung durch BRICAULT gut bekannt ist,2200 jedoch bisher nicht mit dem Wandbild des pompejani2197 Je nach lokaler Überlieferung konnten in Ägypten verschiedene Baumarten mit dem Grab des Osiris in Verbindung gebracht werden; siehe dazu z. B. oben, Kap. 4.13.1.1, mit Anm. 2650 (zum arwBaum), und Kap. 7.2.1.3, m. Anm. 651 (zur Tamariske), und generell KOEMOTH, Osiris et les arbres. 2198 Vgl. oben, Kap. 7.3.2.2.3, Anm. 1786. 2199 Zur Situla im realen Kult vgl. die oben beschriebene Silbersitula aus Pompeji sowie die Darstellung des Priesters mit Situla in der Portikusdekoration. Zur Funktion von Situlae siehe oben, Kap. 6.2.10.3 und 7.1.5. 2200 BRICAULT, Isis dolente, mit weiteren, kleinformatigen Statuetten in demselben Typus, meist mit Situla; vgl. auch ID., Nom des images, S. 77–83; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.136, S. 480; zu ergänzen durch K. PARLASCA, Trauernde Isis, Euthenia oder „Aegyptus capta“? Zu einer „alexandrinischen“ Bronzegruppe in Privatbesitz, in: AW 34, 2003, S. 161–164; V. VAELSKE, Isis in Petra. Chronological and Topographical Aspects, in: M. Mouton/S. G. Schmid (Hrsg.), Men on the Rocks. The Formation of Nabataean Petra, Proceedings of a conference held in Berlin 2–4 December 2011, Berlin 2013, S. 351–361: 353–357; zu einer Kamee, die wohl ebenfalls die trauernde Isis auf einem Felsen zeigt, wohl im Kontext des Isia-Festes (sie ist von Tänzern und Musikern sowie einem sistrumspielenden Priester(?) umgeben), siehe jetzt BRICAULT/VEYMIERS, Jouer, chanter et danser, bes. S. 690–692, m. Abb. 25.1. Vgl. zur griechischen Tradition dieser Trauerikonographie ferner I. HUBER, Die Ikonographie der Trauer in der griechischen Kunst, Peleus 10, Mannheim 2001. Eine andere ikonographische Variante der „trauernden Isis“, die aber ebenfalls aus einer Vermischung ägyptischer mit griechischen Elementen (sternotypia-Gestus) zustande gekommen ist, zeigen zwei Figuren aus Tuna el-Gebel, siehe VAELSKE, loc. cit., S. 353–354 m. Abb. 1; D. KESSLER/P. BROSE (Hrsg.), Ägyptens letzte Pyramide. Das Grab des Seuta(s) in Tuna el-Gebel, München 22008, S. 76–78 (wo die Autoren allerdings noch eine Ableitung der Handhaltung vom Aphrodite PudicaTypus erwägen); M. FLOSSMANN/A. SCHÜTZE, Ein römerzeitliches Pyramidengrab und seine Ausstattung in Tuna el-Gebel. Ein Vorbericht zu den Grabungskampagnen 2007 und 2008, in: Lembke/Minas-Nerpel/Pfeiffer (Hrsg.), Tradition and Transformation, S. 79–100: 99–100; Taf. 18– 19.

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schen Iseums in Verbindung gebracht wurde. Der Kopf der Marmorskulptur ist verloren, doch die aufgestützte Haltung der auf einem Felsen sitzenden weiblichen Figur und die um den Ellenbogen gehängte Situla entsprechen genau dem Wandbild, mit dem Unterschied, daß die rundplastische Isis den linken Arm, an dem auch das Gefäß hängt, anstelle des rechten aufgestützt hat, und in der rechten herabhängenden Hand Getreideähren hält. Die Statue wurde der Weihinschrift auf dem Sockel zufolge im 2. Jh. n. Chr. von einem römischen Veteranen an „Isis von Taposiris“ geweiht und war zusammen mit einer zweiten für dominus Osiris in einem sacellum aufgestellt.2201 Von der Osiris-Statue sind nur noch die Füße auf der beschrifteten Basis erhalten, doch deren parallel und dicht nebeneinander gesetzte Stellung läßt mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ein mumienförmiges, ägyptisierendes Bildnis schließen.2202 Die kulttopographische Epiklese „Isis von Taposiris“ ist auch in Ägypten selbst belegt, z. B. in Oxyrhynchos,2203 sowie im Mittelmeerraum in Delos, Athen und Chaironea, und dürfte nach BRICAULT eben speziell die um Osiris trauernde Witwe bezeichnen.2204 Auf dem Gemälde im Isistempel von Pompeji scheint rechts vor der Göttin ein vierbeiniges Tier auf einem Kasten oder einem Sockel zu stehen; möglicherweise handelt es sich um einen Hund, der dann als Anubis zu deuten wäre.2205 Auch der ungewöhnliche Kopfputz der Göttin könnte sich in diesen Zusammenhang einfügen: Falls es sich tatsächlich um einen Hut handelte, könnte dieser eine römische Visualisierung von Isis’ langer Wanderschaft bei der Suche nach Osiris andeuten – die Form erinnert an den Hut, den Hermes/Merkur, unter anderem ein Patron der Wanderer, häufig in Darstellungen trägt.2206 Das so gedeutete Wandbild – die trauernde Isis findet nach langer Suche den Leichnam von Osiris – fügt sich in einen größeren Kontext der Wanddekoration ein, denn das zentrale Bild der Südwand zeigt schließlich Isis auf einer Barke, die an einem Seil eine weitere Barke zieht, auf dem sich ein Kasten befindet.2207 Es handelt sich also um die Rückführung von Osiris’ Leichnam bzw. seiner Körperteile durch Isis,2208 was auch durch die früheren

2201 RICIS 511/0102 (Isis) und RICIS 511/0101 (vgl. auch RICIS Suppl. III) = ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.137, S. 481 (Osiris). 2202 Zu einem solchen siehe oben, Kap. 7.3.2.2.3 zum Iseum et Serapeum in Regio III in Rom. Beide werden auch von HÄUBER, Eastern Part, S. 642, miteinander in Verbindung gebracht und demselben Typus zugeordnet. 2203 Siehe Kap. 6.1.3.2, Kommentar zu pOxy. 1380, Z. 67–68. 2204 RICIS 202/0313, 101/0216 und 105/0895; BRICAULT, Isis dolente, S. 46–47; vgl. auch ID., Toponymie, S. 443–445. 2205 Vgl. auch die Darstellung des Priesters(?) mit Anubismaske in der westlichen Portikus, s. o. V. SAMPAOLO, in: De Caro (Hrsg.), Egittomania, S. 109, zu Kat. II.49, 1.71, identifiziert den Hund aufgrund ihrer Deutung der Figur als Osiris (mit Ikonographie des Sarapis) als Kerberos. 2206 Vgl. auch demotische und griechische magische Texte, denen zufolge Thoth/Hermes Isis bei ihrer Wanderschaft zur Seite stand, siehe oben, Kap. 6.5.2.1. 2207 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 47, S. 143–144; Taf. 10, 1; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 103– 104; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.74, S. 59–60; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, S. 111, Kat. II.51, 1.74 (spiegelverkehrt); vgl. auch KOEMOTH, Byblos, S. 44–45; ID., Du Nil à Byblos, Sp. 480–481. 2208 Vgl. zu diesem Motiv z. B. die Anspielungen in dem Lampendivinations-Spruch pMag. LL, 6, 1–8, 11, siehe oben, Kap. 6.5.2.1.

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Bearbeiter richtig erkannt wurde.2209 Der verstorbene Gott wird nur durch einen auf dem Kasten dargestellten Falken angedeutet und der Bug der Barke ist in Form eines Menschenkopfes ausgestaltet; beides ist ägyptischen Darstellungen von Götterbarken, und spezieller der Sokar-(Osiris-)Barke entlehnt.2210 Isis trägt eine schwarze Schärpe über ihren weißen Gewändern, die ihre Trauer ausdrückt und den ihr zugeschriebenen Beinamen melanephoros oder melanostolos2211 entspricht. Die Szene wird von zwei männlichen, bärtigen Büsten mit Lotuskronen (oder vereinfachten Basileia?) gerahmt, die vielleicht Genien bzw. Personifikationen des Nils (oder sogar des Nils und des Mittelmeers?) darstellen.2212 Ein Vers der griechischen Isishymne von pOxy. 1380 paßt genau zu dem dargestellten Ereignis: Du hast deinen Bruder [herauf]geführt, indem du allein Steuerfrau warst, und ihn schön und wohlangemessen bestattetest.2213 Direkt darunter schließt sich eine Szene mit einer von zwei Schlangengenien umgebenen Cista mystica an, die mit einer Mondsichel geschmückt ist und als Symbol für Osiris bzw. seine Körperteile o. ä. steht.2214 Die genannten Bildnisse der West- und Nordwand sind von zahlreichen Tierdarstellungen umgeben, die auf entsprechende ägyptische Gottheiten verweisen können: Weitere Schlangen, die um Stäbe geringelt sind, sowie (der überlieferten Zeichnung nach) ein Sphinx2215 oder weiblicher Löwe und ein käferartiges Tier, das häufig als Skarabäus gedeutet wird,2216 leiten das Hauptbild auf der Westwand ein. Da der „Käfer“ mit einer großen Anzahl von 2209 Trotzdem behauptet noch MOL, Egypt in Material and Mind, S. 139, fälschlich, daß Isis – abgesehen vom griechischen Io-Mythos im ‚Sacrarium‘ – im Iseum von Pompeji in keinerlei mythologischen Szenen gezeigt werde. 2210 Vgl. auch BRENK, Isis Campensis, S. 140–141; DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 136. Die ägyptische Sokar-Barke (hnw) hat allerdings üblicherweise einen zurückgebogenen Antilopenkopf und nicht einen Menschenkopf am Bug. Jedoch kann die nSm.t-Barke des Osiris einen Menschenkopf aufweisen, vgl. z. B. eine Darstellung in der Barkenkapelle im Tempel von Sethos I. in Abydos: EATON, Festivals, S. 89, Abb. 7. Zur Falkengestalt des mumifizierten (Sokar-) Osiris vgl. z. B. den Abschnitt über Behbeit el-Hagar im Deltapapyrus, 13, 6–14, 8, siehe Kap. 4.13.2. KOEMOTH, Byblos, S. 44–45, deutet den Vogel abweichend als Verkörperung der Isis als Milanweibchen, später jedoch (ID., Du Nil à Byblos, Sp. 480) sieht er darin ebenfalls ein Symbol für Sokar. 2211 MM III, Z. 34, siehe Kap. 6.1.2.1; IM 167, Z. 3, Kap. 6.2.4. Vgl. außerdem die Nutzung eines „schwarzen Isisbands“ in einigen Zauberrezepten der magischen Papyri aus Ägypten, jeweils in osirianischem Kontext, siehe 6.5.3.3. Zu dem wohl ebenso gewandeten Kultpersonal der Melanephoren vgl. Kap. 7.2.2.2.2 und 7.2.6.4 zu Nordafrika, und 7.3.2.2.6 zu den Belegen aus Rom. 2212 So interpretiert BRENK, Gleaming Ray, S. 158, sie als Genien des oberen und unteren Nils. Ähnlich TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 144, der sie für Personifikationen von Ober- und Unterägypten hält. Siehe zu Nilgöttern von Ober- und Unterägypten, die ein Emblem einrahmen, in der ägyptischen Ikonographie BUDDE, Götterkind, S. 206–207; übergreifend J. BAINES, Fecundity Figures. Egyptian Personification and the Iconology of a Genre, Warminster 1985. 2213 pOxy. 1380, Z. 186–189, siehe Kap. 6.1.3.2. 2214 Siehe oben zur Darstellung der Cista auf einem Altar aus dem Iseum Campense, Kap. 7.3.2.2.2; vgl. auch Kap. 6.5.2.1, m. Anm. 1873. 2215 Vgl. auch den Fund eines Terrakotta-Sphinx im ‚Sacrarium‘: DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.135, S. 211. 2216 Z. B. BRENK, Gleaming Ray, S. 158.

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Füßen wiedergegeben ist, könnte es sich m. E. auch um den Hundertfüßler (äg. spA) bzw. den heliopolitanischen Gott Sepa handeln, der Osiris oder eines seiner Körperteile verkörpern kann.2217 Die Nordwand zeigt zunächst einen frontal auf einem Stuhl sitzenden Bes2218 – er bewacht z. B. nach abydenischer Tradition das dortige Grab des Osiris2219 und erscheint auch sonst als Schutzdämon während osirianischer Rituale.2220 Rechts des Hauptbildes mit den Barken und der Cista mystica schlossen sich eine Uräusschlange mit Krone, ein Ibis mit Krone und einer Ähre im Schnabel,2221 ein wohl männlicher Löwe und ein nicht näher zu identifizierender Vogel an.2222 Während der Ibis sicherlich Thoth repräsentiert, können Kobra und Löwe für verschiedene Gottheiten stehen: die Kobra für Uto oder Thermuthis, der Löwe für eine Form des Sonnengottes, oder es könnten im Zusammenhang mit dem Löwen(?) auf der Westwand auch Schu und Tefnut als Löwenpaar gemeint sein. Die Tierdarstellungen setzen sich auf der Ostwand mit einem Pavian, der eine Schlange in Händen hält (Thoth), einer Spitzmaus (Re), einem Geier(?) (Nechbet), einem Ichneumon (Re), einem Widder (Amun, Chnum oder Herischef) und einem Caniden (Anubis oder Upuaut) fort.2223 Neben einem noch erhaltenen Stier2224 soll es außerdem ein weiteres, möglicherweise weibliches Rind gegeben haben;2225 es könnte sich entsprechend entweder um Apis und eine Hathor-/Isiskuh oder – falls beides Stiere waren – um Apis und Mnevis gehandelt haben, die nach verschiedenen ägyptischen Quellen für den Transport der Körperteile des Osiris zuständig waren.2226 Ein Großteil der Tiere ist gut aus anderen Isisheiligtümern oder von Kultdarstellungen bekannt. So erscheinen z. B. auf dem Ariccia-Relief, das ja aller Wahrscheinlichkeit nach ein zentrales Fest des Isiskultes, vielleicht die Inventio Osiridis, wiedergibt,2227 nicht nur eine frontal thronende Isis wie auf dem (nicht mehr erhaltenen) Bild auf der Westwand, sondern auch ein in ähnlicher Weise frontal sitzender Bes, Paviane, Ibisse und ein Apis2217 Z. B. im Deltapapyrus, siehe Kap. 4.13.2 (zu pBrooklyn 47.218.84, 5, 4–6, 1). 2218 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 52, S. 145–146; Taf. 7, 1; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 102– 103; Pompei VIII, S. 814; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.72, S. 58–59. 2219 Vgl. z. B. das „Traumorakel des Bes“ (PGM VII 222–249; VIII 64–110; CII 1–17), s. o., Kap. 6.5.3.3. 2220 Z. B. in den Osiriskapellen des Tempels von Dendara: Dend. X, Taf. 94, 199; DASEN, Dwarfs, S. 77– 78, m. Abb. 6.4. Siehe allgemein zu Bes und seiner Beziehung zum Isis-Osiris-Kreis, auch außerhalb Ägyptens, die Studie von MALAISE, Bès, bes. S. 283–284 zur Wandmalerei in Pompeji; ferner ID., Bès et les croyances solaires, in: Israelit-Groll (Hrsg.), Studies in Egyptology II, S. 670–729. Bei zwei von TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 115–115b, S. 165, aufgelisteten kleinen Fayence-Figuren des Bes, die im Iseum gefunden wurden, handelt es sich wohl tatsächlich um andere ägyptische Statuen/Statuetten, vgl. MOL, Egypt in Material and Mind, S. 189–190. 2221 Vgl. den Fund von zwei Ibis-Statuetten aus Marmor (Körper) und Bronze (Kopf, Hals, Füße) in Pompeji, die wahrscheinlich auch aus dem Iseum stammen: TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 145–146, S. 175. 2222 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 104; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.75–78, S. 59–61; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, S. 112, Kat. II.52, 177 (Ibis); Pompei VIII, S. 815–817 (Löwe, Kobra, Vogel). 2223 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 104–105; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 54, S. 146; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.73, S. 58–60; Pompei VIII, S. 818. 2224 Pompei VIII, S. 818; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.79, S. 60–61. 2225 Siehe P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 104–105. 2226 Siehe dazu oben, Kap. 6.2.5.3. 2227 Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2.

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Stier. Man könnte in einer sehr weitgefaßten Interpretation die Tierdarstellungen im ‚Sacrarium‘ als eine Art ‚Osirianische Prozession‘ mit Gottheiten verschiedener ägyptischer Regionen, die als Akteure im Osirismythos auftreten oder sich auf verschiedene Arten mit Aspekten des Osiris verbinden lassen, auffassen.2228 Dieses ägyptische Konzept, das in den Tempeln Ägyptens üblicherweise in fester Struktur für die einzelnen Gaue durchdekliniert wird, wäre hier in stark vereinfachter Form und im Medium der römischen Wandmalerei wiedergegeben, allerdings nur für einen Priester oder Eingeweihten ‚lesbar‘ und verständlich. Das Gleiche gilt für die beiden Hauptbilder des ‚Sacrariums‘, die mit verschlüsselten Andeutungen – Osiris wird nie direkt dargestellt, sondern nur indirekt durch die besprochenen Bilder und Symbole evoziert – m. E. die zentrale Episode des Osirismythos darstellen: Suche und Finden des Osirisleichnams und seine Rückführung durch Isis. Diese wurde alljährlich bei den Isia mit der Inventio Osiridis gefeiert, die offenbar inhaltlich in enger Verbindung mit dem ägyptischen Choiakfest standen. Hierzu ist zu bemerken, daß in den Darstellungen des Choiakfestes in den Osiriskapellen auf dem Dach des Tempels von Dendara Anubis bzw. ein Priester mit Anubismaske als Begleiter der Sokarbarke beim Festzug erscheint,2229 was wiederum zu der Darstellung des Priesters mit Anubismaske und dem eventuellen Anubis neben der trauernden Isis paßt. Neben den Wandmalereien deutet eine große Fundmenge an Geschirr, Hydrien und anderen Gefäßen, Lampen, sowie zahlreicher Statuenfragmente, darunter auch ägyptische Statuetten (s. o.)2230 auf die kultische Bedeutung dieses Raumes hin, der eventuell gleichzeitig (bzw. vorübergehend) als Aufbewahrungsort von Kultgerät und -bildern diente. Auch römische Porträtköpfe zweier Frauen wurden gefunden, bei denen es sich möglicherweise um Ehrenbildnisse hochrangiger Mitglieder der Kultgemeinde handelte.2231 Ein privates Lararium in der Casa degli Amorini dorati2232 (VI, 16, 7), die Poppaeus Habitus, dem Cousin von Neros Gattin Poppaea zugeschrieben wird, weist einige Parallelen zu den Darstellungen im Iseum auf.2233 In der Südostecke des Peristyls sind auf zwei über Eck aneinander anschließenden, rot eingerahmten und gelb grundierten Feldern in der mittleren Wandzone einerseits Kultobjekte und -geräte, andererseits die Hauptgottheiten des Isiskrei2228 Zu geographisch-osirianischen Prozessionen in den ägyptischen Tempeln siehe LEITZ, Geographischosirianische Prozessionen, mit einem Überblick über die verschiedenen osirianischen Themen auf S. 16–18. Vgl. auch die Kanopenprozession in der Osiriskapelle Ost 2 von Dendara, die sicher als Vorbild für die Kanopenträger auf den Reliefsäulen des Iseum Campense diente: Dend. X, Taf. 39–42; vgl. QUACK, Zum ägyptischen Ritual, S. 61–62. 2229 Dend. X, Taf. 9 u. 13 (hier ist eindeutig eine über den Kopf gestülpte Maske dargestellt). Siehe dazu G. WOHLGEMUTH, Das Sokarfest, Diss., Univ. Göttingen 1957, S. 103; VON LIEVEN, Masks, bes. S. 68–72 zu Kultakteuren in Anubismasken in Ägypten, und speziell S. 69 zur Darstellung in Dendara. Zum Sokarritual siehe Band 1, Kap. 5.1.4, mit Literatur in Anm. 96. 2230 Die Funde im Einzelnen sind aufgelistet bei KLEIBL, Iseion, Kat. 29, S. 282; und, mit Kommentar, P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 94–100. 2231 Siehe dazu SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 119–120, m. Abb. 3.7. 2232 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 18, S. 48–49 u. 130; Taf. 15, 2; F. SEILER, Casa degli Amorini Dorati, Häuser in Pompeji 5, München 1992, S. 46, Abb. 249–250 und 270–75; BRAGANTINI, Culto di Iside, S. 159–160, m. Abb. 2; vgl. auch die Studie von MOL, Egypt in Material and Mind, S. 332–391. 2233 Siehe bereits oben zur Parallele der Priesterprozession. Bereits MOORMANN, Temple of Isis, S. 148, weist auf die Parallele der Schlangendarstellungen in der Sockelzone zu den um die Cista mystica gruppierten Schlangen im ‚Sacrarium‘ hin.

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ses und eine Priesterprozession dargestellt. Erstere sind im Einzelnen ein Sistrum, eine Patera, eine Situla, eine große Cista mystica mit Halbmond, eine kleine ähnliche Cista ohne Halbmond und eine Uräusschlange. Außerdem befand sich jeweils ein nicht mehr identifizierbares Objekt rechts von jeder Cista. Sämtliche Objekte sowie die Uräusschlange finden Entsprechungen in den von den im Isistempel dargestellten Priestern in Händen getragenen Objekten oder in den Darstellungen des ‚Sacrariums‘. Bei den Gottheiten handelt es sich um Anubis mit einem Kerykeion, Harpokrates (stark zerstört) mit Füllhorn, Isis mit Sistrum und – dem herabhängenden Arm nach zu urteilen – Situla (zerstört), und Sarapis(?) mit Sistrum und Füllhorn. Isis trägt genau wie auf dem Bild mit den Barken im Isistempel eine schwarze Schärpe. In der Sockelzone sind zwei um einen Altar gruppierte Schlangen dargestellt, was wiederum an die Bildkomposition der Schlangen mit Cista mystica im Iseum erinnert. Auch eine Lampe, die mit einem Bild der Triade Isis, Anubis und Harpokrates dekoriert ist,2234 eine kopflose Marmorstatuette mit Füllhorn – möglicherweise Isis Fortuna – und eine falkenköpfige Alabasterstatuette des Horus (sehr wahrscheinlich ein Original aus Ägypten) wurden in diesem Bereich gefunden.2235 Dem Lararium des Isiskultes war ein entsprechendes für die kapitolinische Trias auf der Nordseite des Raumes gegenübergestellt, was einmal mehr die Integration der ägyptischen Gottheiten und ihre mühelose gemeinsame Verehrung mit traditionell römischen Göttern demonstriert, auch wenn sie in diesem Fall durch die Verteilung auf verschiedene Schreine offenbar bewußt voneinander getrennt gehalten wurden.2236 Anders als das ‚Sacrarium‘ war das ‚Ekklesiasterion‘ ein deutlich zugänglicherer und offenerer großer Saal ohne weitere Binnengliederung. Auch seine Dekoration unterscheidet sich deutlich von ersterem; die Wandmalereien weisen nicht nur eine sehr viel höhere Qualität auf, sondern fügen sich ganz in griechisch-römische Konventionen ein. Auch der Inhalt der Hauptbilder2237 nimmt Bezug auf einen griechischen, gut bekannten Mythos, der zwar klare Anknüpfungspunkte an den ägyptischen Kult aufweist2238 und die Göttin Isis letztlich auch in den Mittelpunkt stellt, jedoch nicht wie die Darstellungen im ‚Sacrarium‘ auf ursprünglich ägyptischen Traditionen beruht. In den zentralen Feldern der drei durch Architekturgebilde auf vorspringenden Sockeln stark gegliederten Wände sind Szenen des griechischen Io-Mythos dargestellt:2239 auf den Seitenwänden die Befreiung der Io aus Argus’ Gefangenschaft durch Hermes, ihre Ankunft in Ägypten und der dortige Empfang durch Isis sowie

2234 Siehe PODVIN, Luminaire, S. 149; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.105, S. 201. 2235 POOLE, Culto di Iside, S. 237; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.115, S. 204; vgl. zu letzteren beiden Statuetten AMOROSO, Roles of Isis, S. 49; E. MOL, The Perception of Egypt in Networks of Being and Becoming: A Thing Theory Approach to Egyptianising Objects in Roman Domestic Contexts, in: A. Bokern et al. (Hrsg.), TRAC 2012: Proceedings of the Twenty-Second Annual Theoretical Roman Archaeology Conference, Goethe University, Frankfurt, 29 March – 1 April 2012, Oxford 2013, S. 117–132. 2236 Zur bewußten Trennung vgl. MOL, Egypt in Material and Mind, S. 391. 2237 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 110–111; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.63 u. 1.69, S. 34– 37 u. 55–58; Taf. 10 u. 14. 2238 Vgl. SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 157–158. 2239 Zur Einbindung ägyptischer Elemente in griechische Mythen (und umgekehrt) vgl. GRUEN, Rethinking the Other, S. 76–114 u. 265–271.

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eine weitere, nicht mehr erhaltene Szene auf der Längswand.2240 Die Szene mit Io und Isis hat eine relativ genaue, wenn auch weniger qualitätvolle Parallele in der Casa del Duca di Aumale (VI, 9, 1),2241 was darauf hinweist, daß beide auf ein gemeinsames – wahrscheinlich alexandrinisches – Vorbild zurückgehen dürften.2242 Tatsächlich entspricht die Darstellung genau einer Epiklese der Isis, die sie nach der kulttopographischen Litanei des pOxy. 1380 in einer Küstenstadt nahe Kanopos als „die vor Io sitzt“ bezeichnet.2243 In der Prosahymne desselben Papyrus sowie in anderen Texten aus Ägypten wird Io sogar direkt mit Isis synkretisiert,2244 während ihr Sohn Epaphos als Äquivalent von Apis angesehen wurde.2245 Die in dem Bild verwendete Ikonographie der Isis mit Korkenzieherlocken, einer um den Unterarm gewundenen Uräusschlange und einem Krokodil unter den Füßen ist von rundplastischen Darstellungen der Göttin, z. B. aus Ras el-Soda bei Alexandria, ebenfalls gut bekannt, wenngleich sie auf den Wandbildern sitzt und in den statuarischen Wiedergaben steht.2246 Eine entsprechende ägyptisierende Bronzestatuette mit Korkenzieherlockenfrisur, Nemes-Kopftuch mit Uräus an der Stirn, Knotenpalla, einem (abgebrochenen) ursprünglich erhobenem Arm mit Uräusschlange und einer Situla in der anderen Hand wurde in einem Privathaus (VI, 14, 27, Casa di Memmius Auctus) gefunden.2247 Die pompejanischen Malereien zeigen sie zudem in Begleitung des nackten Horus-Knaben und einer ‚Isis-Hydria‘ mit Uräusschlange,2248 d. h. ihre Familienmitglieder Horus und Osiris sind – direkt und indirekt – ebenfalls präsent, was wiederum mit der Aufstellung der Isisstatue von Ras el-Soda neben einer Harpokrates- und einer Osiris-Kanopos-Skulptur (sowie einem Hermanubis) übereinstimmt. Desweiteren wird die Szene jeweils durch den Hintergrund konkret im Bereich eines Heiligtums (der Isis) verortet: Hinter Isis stehen ein männlicher Isispriester mit Sistrum, Situla und Kerykeion (! vgl. Hermanubis) und eine an die Göttin angeglichene Priesterin mit Sistrum und einem langen Stab oder Szepter neben einer 2240 Diese könnte eventuell die Begegnung zwischen Io und Zeus gezeigt haben, so der Vorschlag von P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 111. Zum Io-Mythos und den Bezügen zu Ägypten siehe z. B. MERKELBACH, Ägyptische Deutung, S. 86–88; zu den Bildnissen im ‚Sacrarium‘ des Iseums vgl. auch SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 125–137. 2241 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.65, S. 439; vgl. P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 111. 2242 Zum möglichen Vorbild FREYER-SCHAUENBURG, Io in Alexandria. 2243 pOxy. 1380, Z. 63–65; siehe oben, Kap. 6.1.3.2. Dazu GRENIER, Isis assise, bes. S. 29. 2244 pOxy. 1380, Z. 142–144; siehe oben, Kap. 6.1.3.2. IG Philae 158 I, Z. 2: „Isis, die Tochter Inachos’“; siehe Kap. 6.2.2.2; ähnlich Properz II, 33, 1–4 und 17. Zur Identifikation von Isis und Io vgl. auch einen weiblichen Marmorkopf mit Korkenzieherlocken, kleinen Hörnern an der Stirn und einem Diadem, das an der Front eine Mondsichel und eine Uräusschlange aufweist: ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. III.33, S. 114 (Fundort unbekannt). Ein weiterer Kopf mit ähnlicher Ikonographie stammt aus Aquileia (Venetien), siehe MALAISE, Nova Isiaca, Kat. Aquileia 36, S. 12 u. 58; J. HERRMANN, DemeterIsis or the Egyptian Demeter? A Graeco-Roman Sculpture from an Egyptian Workshop in Boston, in: JdI 114, 1999, S. 65–122. 2245 Vgl. dazu und zu den pompejanischen Bildern MALAISE, Terminologie, S. 109–110; ID., Conditions, S. 214. 2246 Zu dieser Ikonographie siehe ausführlich oben, Kap. 6.2.10.3, mit einer Deutung dieses Isis-Typus als magischer Beschützerin des Osiris, mit eventuellen Bezügen zur königlichen Herrschaft der Isis. 2247 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.57, S. 435; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.25, S. 175. Das Stück war zusammen mit einer Anubisstatuette und zwei Laren in einem Holzkästchen verwahrt. 2248 Zu diesem Gefäßtyp, der speziell mit Isis und Osiris und dem Totenkult assoziiert ist, siehe oben, Kap. 4.12.1 (Exkurs) und 6.2.10.2 (Exkurs).

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Tempelarchitektur (in der Casa del Duca di Aumale) bzw. einem Hörneraltar (im Iseum), während ein Sphinx auf einem Podest2249 das Geschehen von links einrahmt. Isis selbst wird in dem Bildnis als gnädige Befreierin und Retterin präsentiert, was durch die Einbindung in den Io-Mythos und den klaren griechisch-römischen Stil für ein gebildetes römisches Publikum unmittelbar verständlich wird.2250 Die hohe Qualität der Bilder spricht darüberhinaus für einen auch repräsentativen und ästhetisch-dekorativen Zweck, der einem Speise- und Versammlungssaal – wie der Raum üblicherweise und überzeugend gedeutet wird –, in dem man sich länger und in geselliger Runde aufhielt, gerecht wird.2251 Abgesehen von diesen Hauptszenen waren auch die Pilaster der Arkadendurchgänge innen mit statuenhaften Darstellungen von Isis und/oder ihren Priesterinnen mit Knotengewand und Lotusblütendiadem auf goldenen Kandelabern dekoriert.2252 In deren Händen wiederholen sich die Darstellungen einiger bereits von der Priesterprozession u. a. bekannten Kultobjekten/-geräten. Eine der Frauen trägt eine Uräusschlange auf einem tellerartigen Untersatz und eine Situla, eine einen Stab und einen Opferteller, eine ein Sistrum und einen Teller mit einem Kästchen (für Weihrauch?) und Girlanden, eine eine Situla, ein Tablett und ein Krokodil, und schließlich eine weitere eine Situla und einen Pfau. Das mehrfache Vorkommen der Situla verweist wieder auf den Kult des verstorbenen Osiris und findet sein Komplement in einem der zwischen die mythologischen Hauptbilder gesetzten Landschaftsbilder mit sakraler Architektur:2253 In einer Aedicula mit zwei seitlichen Pfeilern, die eine anthropoide Form aufweisen, also entweder Osiris-Pfeiler oder einen Sarkophag nachahmen, steht ein vertikal aufgestelltes Sarg-förmiges Objekt, das ebenso wie die Pfeiler mit Schleifen geschmückt ist, auf einem Sockel (Taf. Vb). Auf dem Sarg sitzt wiederum ein Vogel, der möglicherweise einen Falken (vgl. das Bild mit den Barken im ‚Sacrarium‘), ein Falkenweibchen für Isis oder noch wahrscheinlicher einen Phönix als Symbol der Wiedergeburt darstellt.2254 Nach üblicher Interpretation, der ich folgen und die ich im Folgenden noch ausweiten und spezifizieren möchte, handelt es sich um eine Darstellung des Osiris-Sarges, der einen Kult empfängt, wie durch den vor ihm auf einem Altar opfernden Pterophoren deutlich wird. Ich möchte in der Deutung jedoch noch etwas weiter 2249 So in der Casa del Duca di Aumale; die Version des Isistempels scheint den Sphinx zu einem Kopf abzukürzen. 2250 Vgl. auch die ausführliche Analyse im Lichte der bekannten literarischen Quellen von SWETNAMBURLAND, Egypt in Italy, S. 125–137, die vorschlägt (S. 137), daß die in den Kult eingeweihten Betrachter der Wandbilder die Geschichte der Io als Symbol für die Initiation in den Isiskult verstanden haben könnten. 2251 Siehe auch den Vergleich mit Empfangs- und Speiseräumen in Privathäusern bei P. HOFFMANN, IsisTempel, S. 117. 2252 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.58–61, S. 54–55; Taf. 3; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, S. 105, Kat. II.39, 1.59; Pompei VIII, S. 832–833; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 116; MOORMANN, Temple of Isis, S. 143. 2253 Zu diesen Bildern siehe P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 113–115; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.66–68 u. 1.70, S. 56–59; Taf. 11–13 u. 15. 2254 Vgl. z. B. TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 45, S. 65 u. 142–143; Taf. 10, 2; SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 68, S. 57; Taf. 13; DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 137. Interpretation als Phönix z. B. bei TRAN TAM TINH, loc. cit.; und BRENK, Gleaming Ray, S. 161. P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 113, deutet den Vogel als Pfau (wobei der Pfau häufig für den Phönix stehen kann, vgl. z. B. MERKELBACH, Isiskult in Pompei, S. 148) und das Sarg-artige Gebilde als Betylus. Zu diesem Bild siehe auch KOEMOTH, Du Nil à Byblos, Sp. 478–479 (zum Vogel: Pfau bzw. Phönix).

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gehen. An einen weiteren Altar(?) rechts neben der Sarg-Aedicula scheint eine ithyphallische Statuette gelehnt zu sein, die an die im ägyptischen Choiak-Ritual hergestellten Sokar-Osiris-Figurinen bzw. Kornmumien erinnert.2255 Links der Aedicula wächst ein großer Baum innerhalb eines durch Mauern mit bekrönenden weiblichen Figuren abgegrenzten Bezirks – ein weiteres Kennzeichen des Osirisgrabes (s. o. zum Baum im ‚Sacrarium‘). Sowohl die vertikale Aufstellung des Sarges als auch die ithyphallische Figurine passen zu konkreten ägyptischen Ritualen zur Regeneration des Gottes, wie im Folgenden demonstriert wird. Die Szene mit dem Priester vor dem aufgestellten Sarg könnte m. E. auf das Mündöffnungsritual verweisen, das im Rahmen des Choiakfestes an der aufgestellten Mumie des Osiris durchgeführt wird.2256 Dabei wird in Szene 1 des ägyptischen Rituals zunächst die Mumie auf einen Sockel gestellt (ein Sockel ist auch im pompejanischen Wandbild dargestellt) und der oberste Vorlesepriester, dessen im ägyptischen Text beschriebene Straußenfedern auf dem Kopf genau der Darstellung in Pompeji entsprechen, beginnt mit Räucherungen und Libationen, die von Rezitationen begleitet werden (Szenen 2–3).2257 Der Pterophor, also Vorlesepriester, im Bild aus Pompeji scheint gerade diese beiden Handlungen auszuführen: In der linken Hand hält er ein waagerechtes längliches Objekt, das ein Räucherarm sein könnte, und mit der rechten libiert er aus einem Gefäß auf den Altar. Diese Handlung entspricht genau der ersten Szene des Rituals in Dendara,2258 wenngleich der Vorlesepriester dort ein kleines Räuchergefäß in der linken Hand hält, und den Räucherarm erst in der nächsten Darstellung.2259 In einer weiteren Szene der Mundöffnung in der 2. Osiriskapelle West (an der Tür zu Kapelle 3) von Dendara spricht der Vorlesepriester zu Sokar-Osiris:

2255 Es handelt sich um zwei verschiedene Grundtypen von Figuren, für die es wiederum lokal variierende Traditionen in den Details der Herstellung und rituellen Behandlung gab, siehe dazu CHASSINAT, Khoiak II, S. 41–51; J. F. QUACK, Die rituelle Erneuerung der Osirisfigurinen, in: WdO 31, 2000/01, S. 5–18; ID., Saatprobe und Kornosiris, in: M. Fitzenreiter (Hrsg.) Das Heilige und die Ware. Zum Spannungsfeld von Religion und Ökonomie, IBAES 7, London 2007, S. 325–331; M. MINAS, Die ptolemäischen Sokar-Osiris-Mumien, in: MDAIK 62, 2006, S. 197–213; L. COULON, Du périssable au cyclique: les effigies annuelles d’Osiris, in: S. Estienne et al. (Hrsg.), Figures de dieux: construire le divin en images, Rennes 2014, S. 295–318; zuletzt M. WAGNER, Anchnesneferibre, S. 321–328, mit weiterer Literatur. Von KOEMOTH, Du Nil à Byblos, Sp. 478, und anderen wird die Figur im pompejanischen Wandbild dagegen als Xoanon des Dionysos gedeutet; in der Darstellungsweise des Bildes gibt es weitere Anlehnungen an vergleichbare Bilder des Dionysoskultes, dazu ibid., Sp. 478– 479. Zur engen Assoziation von Osiris und Dionysos in Pompeji vgl. z. B. die Dionysos-Statue in der rückwärtigen Nische des Tempels, s. o. 2256 Vgl. die Darstellungen in Dendara, Osiriskapelle West 2, 1. Register: Dend. X, 339–343; Taf. 180– 181; 188–191; 209–210; 219–222. Siehe CAUVILLE, Chapelles osiriennes Transcription, S. 183–185; EAD., Chapelles osiriennes Commentaire, S. 164–165; KUCHAREK, Klagelieder, S. 650. Ich danke herzlich VICTORIA ALTMANN für ihre Hilfe und die Beantwortung meiner Fragen zum Mundöffnungsritual. 2257 Siehe Dend. X, Taf. 180 u. 188; QUACK, Fragmente, S. 72–75; ID., Bilder vom Mündöffnungsritual – Mundöffnung an Bildern, in: C. Ambos et al. (Hrsg.), Bild und Ritual. Visuelle Kulturen in historischer Perspektive, Darmstadt 2010, S. 18–28. 2258 Dend. X, Taf. 180. 2259 Dend. X, Taf. 188.

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Ich habe deinen Ba herbeigeholt, damit er sich auf deinem Leichnam niederläßt. (Dend X, 390, 12–13)2260 Der Ba, der sich auf dem Leichnam niederläßt, könnte mit dem in dem Bild auf dem Sarg hockenden Vogel gemeint sein. Speziell der Phönix wird in einer Rezitation, die in Dendara über der Eingangsszene zum Mundöffnungsritual an der Tür zur Osiriskapelle West 2 angebracht ist, mit dem Ba des Osiris und seinem Erwachen in Verbindung gebracht: Möge dein Sarg erwachen, der lebt mit deinem Leichnam, während du dich vereinigst mit der Sonnenscheibe des Atum,2261 (…) Möge der Phönix erwachen, der Ba-beseelt ist mit deinem Ba, mumifiziert und wohlbehalten in deinem Grab. (Dend. X, 313, 4–5 u. 8–9)2262 Bereits KOEMOTH hat die zentrale Szene des aufgestellten Sarges (= Osirismumie) mit dem in verschiedenen ägyptischen Texten belegten Ritual des „Aufrichtens von Osiris“ am Morgen des 26. Choiak in Verbindung gebracht,2263 ist jedoch nicht weiter auf die übrigen Elemente des Bildes eingegangen, die sich so gut in den Gesamtzusammenhang der Choiakriten einfügen. Das Aufrichten der Mumie vor der aufgehenden Sonne, das mit dem älteren Ritual des Aufrichtens des Djed-Pfeilers in Zusammenhang steht, fand nach einigen Textzeugen auf einer Treppe oder einem Sockel und unter einem imA- oder iSd-Baum statt, anschließend wurde das Mundöffnungsritual durchgeführt.2264 Das Aufrichten selbst wurde von Isis und Nephthys bewerkstelligt. Das Bildnis in Pompeji repräsentiert meiner Meinung nach in konzentrierter Weise und griechisch-römischem Darstellungsmedium also mehrere Handlungen des ägyptischen Rituals;2265 auch die Verortung neben dem durch den in einen Temenos eingefaßten Baum gekennzeichneten Grab entspricht dem räumlichen Kontext des Mundöffnungsrituals, das ja auch für verstorbene Menschen ausgeführt wurde, vor dem Grab. Der ideelle Ort ist den ägyptischen Texten zufolge aber das sogenannte „Goldhaus“ (pr nbw oder Hw.t nbw), in dem auch die Sokar-Osiris-Mumien und die Kornmumien (= Osiris-Chontamenti-Figuren) während des Choiakfestes hergestellt wurden; entsprechend bezeichnet „Goldhaus“ auch die Osiriskapellen von Dendara.2266 Dies paßt wiederum mit der neben der Aedicula dargestellten ithyphallischen Figurine auf dem Bild im ‚Ekklesiasterion‘ zusammen, die eine solche (Sokar-)Osirisfigur darstellen könnte. Sie ist nur sehr schematisch wiedergege2260 Siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 315. 2261 Vgl. hierzu die oben zitierte Passage im Text der ‚Stele‘ des Sematauitefnacht, die an der Podiumfront des Tempels angebracht war! 2262 Übersetzung nach CAUVILLE, Chapelles osiriennes Transcription, S. 168. Vgl. auch die Darstellung eines Phönix auf der Tunika von Sakkara, s. o., Kap. 4.12.1 (Exkurs). 2263 KOEMOTH, Redresser Osiris, S. 164. 2264 Siehe KOEMOTH, Redresser Osiris, S. 161–165. 2265 Siehe zur möglichen Adaption von Elementen des Mundöffnungsrituals im griechisch-römischen Isiskult in anderem Zusammenhang auch QUACK, Königsweihe, S. 101–102, der einen eventuellen Zusammenhang der Szene 59 B–D mit einem Spruch zum Sehen der Götter (also Visionen o. ä.) mit den Einweihungsritualen in den Isiskult erörtert. 2266 Siehe zum Goldhaus KUCHAREK, Klagelieder, S. 342 u. 468–469; CHASSINAT, Khoiak, S. 15–19; OTTO, Mundöffnungsritual II, S. 36; TÖPFER, Balsamierungsritual, S. 107, n).

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ben, doch eventuell läßt sich am Kopf sogar ein Schnabel erkennen, der auf den Falkenkopf des Sokar hinweisen würde.2267 Auch in den anderen, von Wasser und Felsen umgebenen sakralen Landschaftsbildern des ‚Ekklesiasterion‘ finden sich verstreute Hinweise auf Isis und Osiris. Im Zentrum der Bilder ist jeweils ein großer Baum dargestellt, der durch ein Tor, eine Aedicula oder einen kleinen Tempel hindurchwächst und m. E. wie in den ausführlich diskutierten (und eindeutigeren) Fällen symbolisch für das Osirisgrab steht.2268 Die Sakralbauten werden in mehreren Fällen von goldenen Sphingen und/oder goldenen Hydrien mit schnabelförmigem Ausguß, die in der Form der ‚Isis-Hydria‘ entsprechen (allerdings ohne Uräusschlange), flankiert.2269 Beide Elemente kehren in der Sockeldekoration der Wände wieder, wo eine solche Hydria, die am Fuß von einem Kranz umgeben ist, von zwei geflügelten Sphingen flankiert wird.2270 Eines der Landschaftsbilder zeigt offenbar eine sitzende Isis(-Statue) mit Uräusdiadem und Sistrum(?) neben einer Tholos.2271 Die Dekoration des ‚Ekklesiasterion‘ erweist sich im Kontrast zu der des ‚Sacrariums‘ durch die Verwendung stilistisch und inhaltlich gut griechisch-römischer Malerei demnach als integrativ anstatt exklusiv: Ägyptische Motive und Mythen werden in griechischrömische Bildtypen – wie Landschaftsbilder mit sakraler Architektur – und Mythen – den Io-Mythos – eingewoben und verschmelzen mit diesen zu einem auch optisch ansprechenden Ganzen.2272 Der angenommenen Funktion als repräsentativer Versammlungs- und Bankettsaal entsprechen auch die dortigen Funde von Eßgeschirr, eines Tisches und von Hühnerknochen.2273 Daß die Versammlungen vermutlich im Rahmen kultischer Ereignisse, z. B. Feste oder Initiationen stattfanden, ist logisch und könnte sich ebenfalls im Befund abzeichnen, denn zwei Sistren und zwei Zimbeln stammen aus diesem Raum. Das ‚Sacrarium‘ hingegen scheint mit seinen stilistisch einfachen und plakativen sowie motivisch bis auf einige Ausnahmen (so die um ein Objekt gruppierten Schlangen) rein von 2267 Zur falkenköpfigen, ithyphallischen Sokar-Osiris-Mumie vgl. z. B. Dend. X, Taf. 254 u. 258 (Osiriskapelle West 3). 2268 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.62, 1.66–68, 1.70, S. 55–59; Taf. 9, 11–13 u. 15; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 39 u. 41–45, S. 36–37, 138 u. 140–143; Taf. 8, 2 u. 10, 2. Nur bei dem Bild SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.66; Taf. 11, ist der Baum nicht im Zentrum, sondern am rechten Rand des Bildes positioniert. Das bereits bei der Auffindung großteils zerstörte rechte Bild der Südwand ist nur durch ein Aquarell von 1810 überliefert und zeigt den unteren Teil eines kleinen Tempels, während ein Baum zumindest nicht erhalten ist: V. SAMPAOLO, in: De Caro (Hrsg.), Alla ricerca, Kat. 7.16, S. 85; Taf. 16. Eine Beschreibung der Bilder (ohne Deutung) auch bei P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 112–115. 2269 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.62; Taf. 9 (Sphinx); Kat. 1.66; Taf. 11 (Hydrien und Sphingen); Kat. 1.70; Taf. 15 (Hydria); SAMPAOLO, in: De Caro (Hrsg.), Alla ricerca, Kat. 7.16, S. 85; Taf. 16 (Hydria); vgl. dazu auch DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 137. Zur ‚Isis-Hydria‘ siehe oben, Kap. 4.12.1 (Exkurs) und 6.2.10.2 (Exkurs). 2270 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.64, S. 56; Taf. 16; siehe dazu auch DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 137. 2271 SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.66, S. 56; Taf. 11. 2272 Vgl. zur integrativen Einbindung von Aegyptiaca mit Objekten/Motiven griechisch-römischen Stils auch die Arbeit von BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, mit Fokus auf der Skulpturenausstattung des Iseum Campense und des Iseums in Benevent. 2273 Siehe die Aufstellung der Funde in diesem Raum bei KLEIBL, Iseion, Kat. 29, S. 282; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 106–109.

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ägyptischen Vorbildern geprägten Bildnissen ein tieferes Verständnis der Mythen und Riten des Kultes unbedingt vorauszusetzen und damit exklusives Wissen zu codieren.2274 Die Wasserkrypta: Heiliges Wasser und Regeneration Wie zuvor angemerkt, entspricht die Verteilung der osirianischen Dekorationsthemen auf den Westteil und der Harpokrateskapelle auf den Ostteil des Heiligtums ägyptischen Konzepten. Im östlichen Bereich des Temenos, genauer in der Südostecke des Hofes, befindet sich allerdings ein weiterer Osiris zugeordneter Komplex: die Wasserkrypta, die architektonisch wohl an ägyptische Nilometer und Pseudo-Nilometer angelehnt ist.2275 Sie ist jedoch dem verjüngten und dadurch selbst belebenden Aspekt des Osiris als (Nil-) Wasser zugeordnet und paßt dadurch gut in den Osten (und in den Süden, wo der Nil entspringt).2276 Diese Konzeption läßt sich nicht nur an der Architektur und Funktion des Baues an sich ablesen, sondern auch an der ursprünglich farbig gefaßten Stuckdekoration im 4. Stil an der Frontseite, die allerdings nur noch sehr schlecht erhalten ist.2277 Die stuckierten Pilaster an den Ecken zeigen Akanthusranken, die kultische Symbole und Objekte einfassen, welche bereits aus anderen Teilen der Dekoration des Heiligtums bekannt sind: Sistrum, Situla, ein Basileion mit Ähren, eine Uräusschlange u. a. (teilweise zerstört). Auf den Kapitellen steht jeweils ein nackter Harpokrates-Knabe zwischen Akanthus- und anderen Blättern. Im Zentrum der Hauptwandfelder seitlich des Eingangs ist jeweils eine archaisierende Isis(-Statue) dargestellt, die in frontaler steifer Haltung, mit dicht nebeneinander gesetzten Füßen und eng an die Körperseiten gelegten Armen auf einem Sockel o. ä. steht. Der archaisierende Stil ist speziell bei religiösen Themen mit hohem Alter und Ehrwürdigkeit assoziiert2278 und weist zudem Parallelen zum Stil ägyptischer Skulpturen auf. Eine ebenfalls archaisierende, ursprünglich bemalte und vergoldete Marmorstatue der Göttin mit Sistrum (verloren) und ägyptischem Lebenszeichen (anx), die der Inschrift zufolge von L. Caecilius Phoebus gestiftet wurde, ist in der Portikus des Heiligtums gefunden worden.2279 Unter der archaisierenden Isis auf der Frontwand der Wasserkrypta steht ein Altar, auf dem passend zum Zweck des Gebäudes wieder eine Hydria dargestellt ist. Der Architrav ist mit einem Fries geschmückt, der eine von beiden Seiten auf die Mitte zustre2274 Zu einer solchen funktionellen Unterscheidung von ‚Sacrarium‘ und ‚Ekklesiasterion‘ siehe auch DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 148–149. 2275 Siehe dazu KLEIBL, Iseion, S. 112; vgl. KESSLER, Serapeum, S. 213. 2276 Vgl. die Lage der Wasserkrypta im Sarapeion B von Delos in der Portikus östlich des Tempels, siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 11, S. 218–219. 2277 Vgl. dazu zuletzt die Analyse von SARAGOZA, Exploring Walls, m. Abb. 15; außerdem BLANC/ ERISTOV/FINCKER, A fundamento restituit?, S. 272–280; Beschreibungen auch bei TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 34–35; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 158–161; vgl. MERKELBACH, Isis regina, S. 499–500, Abb. 16–19. 2278 Vgl. dazu SWETNAM-BURLAND, Egyptian Objects, S. 117–118; T. HÖLSCHER, The Language of Images in Roman Art (übers. v. A. Snodgrass u. A.-M. Künzl-Snodgrass), Cambridge 2004, bes. S. 65 u. 103. 2279 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 156, Kat. 81; ID., „Isis“, Nr. 62; P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 128–129; DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, Kat. 3.2, S. 68; Dedikationsinschrift: RICIS 504/0205. Überlegungen zur Ikonographie habe ich in NAGEL, The Goddess’s New Clothes, geäußert; interessante Bemerkungen zum Aufstellungskontext und zur Intention des Dedikanten außerdem rezent bei SWETNAM-BURLAND, Egypt in Italy, S. 58–60.

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bende Prozession von insgesamt zehn schreitenden und knienden Priestern und Kultdienern enthält. Nach Beschreibungen hielten auch sie Kultobjekte in Händen, die denen der übrigen Ausstattung des Iseums entsprachen (z. B. der Priesterprozession in der Portikus). Das Ziel und der Rezipient des Rituals, worauf sie ausgerichtet sind, erscheint erst am höchsten Punkt in der Mitte des Tympanon: Es handelt sich um eine weitere Hydria mit schnabelförmigem Ausguß, die wiederum von Adoranten flankiert wird. Sie ist als Symbol des Nilwassers zu verstehen, mit dem Isis Osiris erfrischt und regeneriert, und das gleichzeitig als Ausfluß oder Manifestation des Gottes selbst verstanden wurde.2280 In diesem Zusammenhang sei auch auf die an verschiedenen Stellen in der Stadt gefundenen Amphoren mit der griechischen Inschrift Σέραπις δῶρα („Geschenk des Serapis“) verwiesen,2281 wenngleich hier die hellenisierte Interpretation des Gottes erscheint. Im Kontrast zu der auf den Kult bezogenen Front zeigen die Nebenseiten der Wasserkrypta in den Mittelfeldern Liebespaare griechischer Mythen – Venus und Mars im Westen, und Perseus und Andromeda im Osten –, die jeweils von Eroten flankiert sind. Die Dekorationsweise ist also wie im ‚Ekklesiasterion‘ integrativ, d. h. Symbole und Elemente des Isiskultes werden in unauffälliger Weise mit Stil und Inhalten, die dem römischen Zeitgeschmack entsprechen, kombiniert; die Auswahl der konkreten Motive ist jedoch sicherlich nicht zufällig. Durch die Einbindung der osirianischen Familie – Isis, Osiris und Harpokrates, die auf der Frontseite präsentiert werden –, in den Kontext klassischer mythischer Liebespaare, scheint m. E. der Aspekt der Isis als leidende und liebende Ehefrau, die keine Mühen scheut, um ihren Gemahl Osiris zu suchen und zu regenerieren, in den Vordergrund gestellt. Auch hier läßt sich, wie bei dem Io-Mythos, ein Anschlußpunkt über in Ägypten lokalisierte Episoden der Geschichte von Perseus und Andromeda und überlieferte ägyptische Ursprünge der Hauptpersonen feststellen.2282 Gleichzeitig wird Isis so der Stadtpatronin Venus angenähert, die zudem, wie häufig auch Isis, marine Züge (Euploia etc.) aufweist,2283 welche sich in der Füllung des Frieses der Außenwände mit Delphinen und Eroten offenbart. Tatsächlich wurde darüberhinaus eine vergoldete Statue der Aphrodite Anadyomene im Heiligtum gefunden; es handelt sich um einen statuarischen Typus, der besonders häufig mit Isis/Hathor assoziiert wird (z. B. auf magischen Gemmen).2284 Eine Begegnung der Isis mit der Stadtgöttin Pompejis ist eindrucksvoll in ei2280 Vgl. dazu z. B. die Osiris-Kaltwasserinschriften, s. o., Kap. 6.2.2.2, 6.2.10.2, 7.2.3.2.2 und 7.3.2.2.8. 2281 RICIS 504/0219; siehe dazu TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 150–155, 157, 160–162, u. 165–167, S. 85 u. 177–180; MALAISE, Conditions, S. 84 u. 194; MERRILLS, Roman Geographies, S. 194–195. 2282 Siehe dazu, mit einer sehr weitgehenden Interpretation der dargestellten Mythen WILD, Water, S. 76– 85; vgl. auch MERKELBACH, Ägyptische Deutung, S. 88–90; ID., Isiskult in Pompeji, S. 146; ID., Isis regina, 238–239; BLANC/ERISTOV/FINCKER, A fundamento restituit?, S. 280; zusammenfassend KLEIBL, Wasserkrypten, S. 109–110. Dagegen argumentieren z. B. EGELHAAF-GAISER, Kulträume, S. 187–188; MOORMANN, Temple of Isis, S. 142–143 u. 149–150, für einen eher modisch-dekorativen als religiösen Charakter der seitlichen Stuckreliefs. 2283 Zur Verbindung Isis-Aphrodite siehe MALAISE, Terminologie, S. 181–186; K. KLEIBL, Bündnis und Verschmelzung zweier Göttinnen: Isis und Aphrodite in hellenistischer und römischer Zeit, in: M. Seifert (Hrsg.), Aphrodite. Herrin des Krieges, Göttin der Liebe, Mainz 2009, S. 111–125; NAGEL, Kult und Ritual, S. 157–161; vgl. oben, Kap. 7.1.4. Zu den marinen Zügen von Aphrodite und Isis BRICAULT, Dame des flots, S. 22–36. 2284 P. HOFFMANN, Isis-Tempel, S. 124–127; DE CARO (Hrsg.), Alla ricerca, Kat. 3.8, S. 69–70. Vgl. QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 403. Zur Assoziation mit Isis und Hathor auf Gem-

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ner Wandmalerei der Casa delle Nozze di Ercole (VII, 9, 47) dargestellt: Darin bewegt sich eine (Fest-) Prozession der Isis von rechts auf Venus, die in dem Tempel des Aeskulap (ggü. dem Iseum) steht, zu, während eine pompa des Hercules auf der linken Seite sich bereits wieder davon wegbewegt und von Venus verabschiedet wird.2285 Nach GASPARINI könnten hier Feste der drei Götter dargestellt sein, die alle auf den 12. August fallen: das Fest von Hercules Invictus und der Venus Victrix sowie das Lychnapsia-Fest anläßlich der Geburt der Isis.2286 Zusammenfassung Wie im Iseum Campense in Rom integriert auch das Iseum von Pompeji ägyptische Originalstücke sowie ägyptisierende Elemente in sinnvoller Weise in eine römische Architektur. In beiden Heiligtümern enthält die Dekoration Darstellungen des ägyptischen Kultes bzw. konkreter Festzyklen, speziell der Isia mit der Inventio Osiridis.2287 Die Kultausübenden sind dabei jeweils als Träger von heiligen Objekten und Kultgerät in Prozession dargestellt. Auch die tiergestaltigen ägyptischen Gottheiten spielen in den Tempeln jeweils eine Rolle und teilweise ist der konkrete Kontext ihrer Einbindung, besonders der Osirismythos, abzulesen. Im Iseum Campense erscheinen diese Elemente natürlich in monumentaler und prunkvollerer Ausgestaltung, z. B. in Form von ägyptischen Originalskulpturen der jeweiligen tiergestaltigen Götter. In dem wohl durch private Initiativen finanzierten Isistempel von Pompeji dagegen wurde Ähnliches mit einfacheren Mitteln umgesetzt, wie die emblematischen Tierdarstellungen im ‚Sacrarium‘ demonstrieren. Besonders deutlich wird in Pompeji aber auch die starke Einbindung des Isiskultes und seiner Götter in die religiöse und soziale Struktur der Stadt, durch die Assoziation von Isis, Osiris etc. mit anderen Gottheiten2288 und die bereits gut erforschte Kombination von religiösen und munizipalen Ämtern der am Kult und der Trägerschaft des Tempels beteiligten Personen.2289

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men und in magischen Texten aus Ägypten siehe oben, Kap. 6.5.2.2. In der Casa di M. Memmius Auctus (VI, 14, 27) in Pompeji wurde eine Marmorstatuette einer Aphrodite Anadyomene zusammen mit einer Silberstatuette des Harpokrates und Bronzen von Isis, Anubis, einem Falken, Jupiter und zwei Laren im Lararium gefunden; Isis, Anubis und die Laren befanden sich gemeinsam in einer Holzkiste, siehe DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 150, Anm. 50; AMOROSO, Roles of Isis, S. 49. Venus und Isis wurden außerdem gemeinsam in der Praedia Iuliae Felicis (II, 4, 3) verehrt, wo beide Göttinnen je ein eigenes Sacellum besaßen, siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 6–7, S. 55– 56; BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi, S. 277. Vgl. auch den Fund ebensolcher Aphrodite-Statuen im Areal des Iseum et Serapeum der Regio III in Rom, s. o., Kap. 7.3.2.2.3, und im Iseum von Sabratha, Kap. 7.2.2.2.2, sowie die Weihung einer Venus-Statuette an Isis-Bubastis in Ostia, Kap. 7.3.2.3.2. TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 24, S. 56–58 u. 132–133; Taf. 11. Siehe dazu, mit neuerer Deutung F. MARCATTILI, Il cosiddetto Tempio di Giove Meilichio nel fregio della Casa delle Nozze di Ercole (VII, 9, 47). Immagini di culto e topografia sacra, in: I. Colpo et al. (Hrsg.), Iconografia 2001. Studi sull’immagine, Rom 2002, S. 319–328; ID., Un tempio di Esculapio a Pompei. Strutture, divinità e culti del cosiddetto Tempio di Giove Meilichio, in: Contributi di Archeologia Vesuviana 2, Rom 2006, S. 11–76: 56–62; M. T. D’ALESSIO, I culti in Pompei. Divinità, luoghi e frequentatori, Rom 2009, S. 56–67; GASPARINI, Staging Religion, S. 191. GASPARINI, Staging Religion, S. 191. Zum Lychnapsia- (oder Lychnaptria/Lampadeia-)Fest der Isis siehe oben, Kap. 6.2.5.4, m. Anm. 1121. Vgl. dazu die ägyptischen Isia im Monat Athyr, siehe Kap. 6.1.2.2. Vgl. z. B. TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 58. Siehe z. B. rezent GASPARINI, Pouvoirs locaux, speziell S. 288–293 zu Pompeji.

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7.3.3.1.2 Private Verehrung des Isiskreises und seine Präsenz in der Stadt Ähnlich wie in Ostia2290 zeichnet sich auch in den privaten Häusern und Läden Pompejis eine starke Verbreitung und Integration der ägyptischen Gottheiten – besonders Isis, aber auch Harpokrates, Osiris und Anubis, seltener Sarapis und Bes – im Alltagsleben der Stadtbewohner ab. Zahlreiche Statuetten und Wandbilder, teilweise integriert in Lararien, in denen daneben auch ‚klassische‘ Gottheiten verehrt wurden, lassen sich in den Wohnbezirken unterschiedlicher Gesellschaftsschichten häufig finden und wurden bereits von TRAN TAM TINH gesammelt und kommentiert.2291 Daneben fanden sich auch zahlreiche Schmuckstücke und Lampen mit Bildnissen der Gottheiten des Isiskreises sowie verschiedene Aegyptiaca in Privathäusern.2292 Einige auffällige Befunde wurden bereits oben im Zusammenhang des Isistempels besprochen (z. B. das Lararium in der Casa degli Amorini dorati). Im Folgenden möchte ich, basierend auf den Ergebnissen von TRAM TAN TINH, MALAISE und anderen, nur knapp einige wenige zusammenfassende Bemerkungen dazu anführen und ein ikonographisch besonders herausragendes Wandbild exemplarisch etwas ausführlicher kommentieren. Die beliebteste Ikonographie der Isis im privaten Kontext ist diejenige als ‚IsisFortuna‘, d. h. mit Füllhorn und Ruder,2293 die sich auch in Rom und anderen Orten Italiens besonders häufig findet. Statuetten dieser Form scheinen in Pompeji in Serienproduktion hergestellt worden zu sein.2294 Hier scheint sich also zumindest ikonographisch ein anderer Schwerpunkt als im Isistempel selbst zu offenbaren, wo diese Form der Göttin praktisch überhaupt nicht vorkommt.2295 Wie in Rom und Praeneste wird sie auch namentlich mit der griechischen Tyche, allerdings nicht der römischen Fortuna verschmolzen: Ein Graffito an einer Hauswand (V, 2, 15) nennt sie Εἰσιτύχη  σώζουσα  „Isityche, die Retterin“ und macht die Göttin durch die Positionierung und die Epiklese so zur Schützerin des Hauses.2296 Ihre apotropäische Funktion ist wahrscheinlich auch der Anlaß für die mehrfach belegten Darstellungen von Isis-Fortuna im Bereich der Latrinen.2297 Interessanterweise sind Wandbilder der Isis-Fortuna einer Vergleichsstudie von EVA MOL zufolge häufig in 2290 Siehe oben, Kap. 7.3.2.3; siehe besonders zur privaten Verehrung und der Trägerschaft durch Vereine in Hafenstädten die Arbeiten von STEUERNAGEL: ‚Corporate Identity‘; Hafenstädte – Knotenpunkte religiöser Mobilität?, in: Bonnet/Ribichini/Steuernagel (Hrsg.), Religioni in contatto, S. 121–133; ID., Kult und Alltag, bes. S. 210–227. 2291 TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, bes. S. 41–88 u. 103–119; siehe auch DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.19–26, 32–34, 36–40, 42–45, 47–51, 53, 55–56. Eine neue Studie, die breiter angelegt ist und Aegyptiaca in den Wohnbereichen insgesamt untersucht, ist die Dissertation von MOL, Egypt in Material and Mind. 2292 Siehe DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.70–71, 73, 81–104 (Schmuck/Amulette), III.105–107 (Lampen), III.108–117, 119–134, 137, 141–150 (Aegyptiaca); TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 117–135. 2293 Siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 78; MALAISE, Conditions, S. 179; COARELLI, Iside e Fortuna; BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi; und rezent AMOROSO, Roles of Isis. Vgl. oben, Kap. 7.3.2.5, m. Anm. 2072. 2294 BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi, S. 274–275. 2295 Eine Ausnahme könnte das oben beschriebene Silbertäfelchen mit Isis-Fortuna und Bacchus sein, das vielleicht ursprünglich zum Tempelinventar gehörte. 2296 RICIS 504/0216; vgl. dazu BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi, S. 276–277. 2297 Siehe BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi, S. 277–279.

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einfacheren Kontexten, d. h. kleineren und Mittelklasse-Häusern, zu finden, und dann auch üblicherweise ohne andere ägyptische Gottheiten, wohingegen die reicheren Anlagen ‚reine‘ Isisdarstellungen (also ohne Fortuna-Ikonographie) in ägyptisierendem bzw. hellenistischem Stil gemeinsam mit anderen ägyptischen Gottheiten in aufwendige Schreine integrieren.2298 Als Anhänger oder Ring wurde das Bildnis der Göttin außerdem direkt am Körper getragen.2299 Die bereits im Heiligtum festgestellten engen Verbindungen zu Venus und Dionysos lassen sich jedoch ebenfalls in der Dekoration und den Lararien von Privathäusern wiederfinden.2300 Ein Wandbild aus dem Laden IX, 3, 7, das mit einer Dedikationsinschrift des Stifters(?) Philocalus versehen ist,2301 gibt ikonographisch eine bereits weit fortgeschrittene Verschmelzung der Isis mit verschiedenen Göttinnen wieder, die sie als eine ‚Panthea‘ erscheinen läßt: Sie ist geflügelt und hält ein Füllhorn und ein Sistrum in den Händen. Auf ihrem Kopf befindet sich eine Mondsichel mit einem Stern in der Mitte, und der rechte Fuß ist auf einen Globus gestellt, an dem ein Steuerruder lehnt. Quer über die Brust verläuft eine vegetabile Girlande. Der Hintergrund ist mit zahlreichen Sternen geschmückt, die dem über ihrem Kopf ähneln.2302 Von BEAURIN und den meisten anderen Bearbeitern wird sie als „Isis-Fortuna“ bezeichnet, doch ist dies m. E. zu kurz gegriffen. An den beigegebenen Attributen lassen sich vielmehr zahlreiche Aspekte ablesen: Der Kopfschmuck und der Hintergrund des Bildes kennzeichnen sie als Mondgöttin (assimiliert mit Selene/Luna) sowie als Herrscherin des Himmels und der Sterne2303 (nach ägyptischer Tradition als IsisSothis). Die Flügel könnten einerseits einfach Victoria entlehnt sein und sie als siegreiche 2298 MOL, Egypt in Material and Mind, S. 178–179. 2299 BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi, S. 281. 2300 Zu Venus/Aphrodite siehe bereits oben, im Abschnitt zur Wasserkrypta, m. Anm. 2284; zu Dionysos siehe z. B. die Casa del Frutteto (Regio I, 9, 6), siehe LE CORSU, Oratoire pompéien; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 197–200; BRAGANTINI, Culto di Iside, S. 164–166, m. Abb. 4–6. MOL, Egypt in Material and Mind, S. 230–236, spricht sich gegen eine religiöse Deutung der Wandbilder in der Casa del Frutteto aus und sieht keinerlei Verbindung zum Iseum (vgl. aber allein die Verbindung der ägyptischen Elemente mit Dionysos!) oder zur Verehrung von Isis. Die auch im Iseum dargestellte Isis-Hydria, die MOL hier offenbar mit einer Situla verwechselt, wird in ihrer Bedeutung heruntergespielt. Desweiteren findet sich auch das Motiv des von einer Schlange umringelten Baumes, der aus dem ‚Sacrarium‘ des Iseums bekannt ist, im schwarzen Cubiculum der Casa del Frutteto wieder (hier ein Feigenbaum, im Iseum sind das Blattwerk und eventuelle Früchte stark verwischt – zu Osiris und Obstbäumen vgl. KOEMOTH, Osiris et les arbres, S. 267-270). Auch kann ich MOLs Argumentation hinsichtlich einer angeblichen Ausschließlichkeit religiöser und exotischer Aspekte nicht zustimmen. 2301 RICIS 504/0218; BEAURIN, Isis-Fortuna à Pompéi, S. 274–275 u. 286, Kat. 16; TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 59, S. 53, 80 u. 148; Taf. 17; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.67, S. 441; SARAGOZA, Des rives, m. Abb. 3 auf S. 76. In der Literatur wird die Wandmalerei üblicherweise dem Haus IX, 3, 15 zugeschrieben, was jedoch von FRÖLICH, Lararien, S. 295, gefolgt und weiter ausgeführt von SARAGOZA, Des rives, S. 79–80, m. E. überzeugend korrigiert wurde. 2302 SARAGOZA, Des rives, S. 75, interpretiert diese Motive als einfache Blütenembleme. Das entsprechende Emblem auf der Mondsichel, die sich auf Isis’ Kopf befindet, ist jedoch deutlich kleiner als diejenigen des ‚Hintergrundes‘ und zudem ganz mittig platziert (womit es aus dem umgebenden Muster deutlich herausfällt), so daß es doch zu Isis’ Kopfschmuck gehören muß. Im Zusammenhang mit der eindeutigen Mondsichel erscheint mir die Deutung als Stern wahrscheinlicher als diejenige als Blüte. 2303 Zu dieser Interpretation des Sternenhintergrunds vgl. MALAISE, Conditions, S. 181.

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und siegbringende Göttin darstellen (vgl. das Epitheton Invicta),2304 andererseits auf die Flügel der ägyptischen Isis zurückgehen, mit denen sie beschützt und (durch Luftzufächeln) belebt.2305 Die vegetabile Girlande ist auch von Darstellungen von Isisanhängerinnen bzw. ‚Mysten‘ bekannt2306 und könnte vielleicht wie die ebenfalls häufiger vorkommenden Kränze den Triumph über den Tod symbolisieren.2307 Das Sistrum verweist – als einziges Attribut – eindeutig auf Isis, während das Füllhorn Wohlstand und Versorgung ausdrückt (assimiliert mit Fortuna und Demeter). Das von Fortuna entlehnte Steuerruder kann einerseits direkt für Isis’ Zuständigkeit für die Seefahrt, andererseits im übertragenen Sinn für ihre Macht über das Schicksal stehen, während der Fuß auf dem Globus ihre Weltherrschaft demonstriert. Wie im Isistempel steht die Göttin hier nicht allein, sondern wird von zwei Knaben flankiert, die das durch den Kopfschmuck und den Hintergrund betonte himmlischastrale Thema weiter entwickeln: Rechts steht ein kleiner nackter, geflügelter Knabe mit Fackel, der vielleicht Hesperos oder Phosphoros, den Abendstern bzw. Morgenstern (= Venus), darstellt,2308 welcher in Darstellungen manchmal vor der Mondgöttin herfliegt, da die Konstellation von Venus und Sichelmond (vgl. den Kopfschmuck der Göttin) am Himmel relativ oft vorkommt.2309 Von links reitet ein etwas älterer Knabe in Tunika und wehendem Mantel auf einem Pferd heran; er trägt eine Strahlenkrone auf dem Kopf und eine Doppelaxt in der Hand und ist offenbar als ein kriegerischer Harpokrates-Helios zu interpretieren, der als Sonnengott das himmlische Bild komplettiert.2310 Die einzigartige Ikonographie der drei Figuren zeugt m. E. von einer besonderen Intention des Stifters, dessen Name Philocalus trotz der lateinischen Sprache der Inschrift auf eine östlich-griechische Herkunft hindeutet. Hiermit könnte auch die Doppelaxt des jugendlichen Gottes in Verbindung stehen, die besonders mit Anatolien verknüpft ist: z. B. ist sie das Attribut des lokalen Zeus Labraundos in Labraunda an der karischen Küste.2311 Nach einem von Plutarch überlieferten Mythos hatte Herakles die Doppelaxt der Amazonenkönigin Hippolyte ent-

2304 Z. B. in Rom, 51 n. Chr.: RICIS 501/0138, s. o., Kap. 7.3.2.1.1. 2305 Zur Ikonographie der geflügelten Isis, die bereits durch die Phönizier im Mittelmeerraum Verbreitung fand, siehe oben, Kap. 7.1.4 (4. Typus). Vgl. z. B. die ägyptisierende Darstellung einer geflügelten Isis mit Sistrum in der Mysterienvilla, siehe MERKELBACH, Isis regina, S. 560, Abb. 81. 2306 Siehe oben, Kap. 7.2.1.2.3 und 7.2.6.4 zu entsprechenden Skulpturen aus Kyrene. 2307 Zu den Kränzen siehe oben, Kap. 7.3.2.3. 2308 Zu dieser Deutung des Knaben siehe TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 59, S. 148, mit älterer Literatur; vgl. auch FRÖLICH, Lararien, S. 294. SARAGOZA, Des rives, S. 75, deutet ihn einfach als Eros. 2309 Siehe zu ikonographischen Belegen F. GURY, s. v. „Stellae (II)“, in: LIMC VIII (Suppl.), S. 1181– 1183. 2310 SARAGOZA, Des rives, S. 78–81, weist darauf hin, daß sich in einem benachbarten Laden (IX, 3, 10– 12) ein Lararium mit einem sehr eng verwandten Bild befand (ibid., S. 79, Abb. 4). Dieses ist heute verloren, doch durch eine Zeichnung dokumentiert. Es zeigt ähnlich Isis-Fortuna mit Flügeln, Füllhorn, Ruder und Globus (allerdings mit etwas abweichendem Kopfschmuck), begleitet von einem fliegenden Eroten mit Fackel und der Göttin Luna, ebenfalls mit Fackel, die frontal auf einem Pferd sitzt. Falls es sich wirklich um Luna handelt, würde sie ein passendes Pendant zu (Harpokrates-) Helios auf dem bekannteren Wandbild abgeben. SARAGOZA selbst läßt allerdings die Identifikation des reitenden Jünglings mit Doppelaxt letztlich offen. 2311 Siehe z. B. L. KARLSSON, Labraunda: The Sanctuary of the Weather God of Heaven, in: Mylasa Labraunda. Archaeology and Rural Architecture in Southern Aegean Region, Istanbul 2010, S. 10– 62; F. BERTI, Iasos, Labrys and Zeus Labraundos, ibid., S. 63–68.

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wendet.2312 Später sei sie dann nach Karien gebracht worden. Der Ikonographie des heranreitenden Harpokrates könnte demnach entweder eine (auch sonst häufige) Gleichsetzung mit Herakles zugrunde liegen, oder (über Helios?) eine Assimilierung mit Zeus (Labraundos). Der karische Zeus galt auch als Zeus Stratios, Gott des Krieges, was weiter für eine möglicherweise durch die (hypothetische) Herkunft des Stifters bedingte Angleichung des in militärischer Ikonographie dargestellten Horus mit dieser lokalen Zeusform spräche. Ein weiterer ‚Trend‘, der sich in vielen Häusern Pompejis findet und ebenso aus anderen campanischen Villen (z. B. in Boscotrecase) bekannt ist, beinhaltet Nachahmungen ägyptischer Ritualszenen mit einander gegenüberstehenden, teilweise zoomorphen Gottheiten in ägyptisierendem Stil, üblicherweise innerhalb des 3. pompejanischen Wandmalereistils.2313 Hierbei läßt sich, wenn keine eindeutigen Indizien für eine kultische Verehrung der Gottheiten durch die Hausbewohner vorliegen, nicht sicher bestimmen, ob es sich um Zeugnisse echter Verehrung oder bloße modische Dekorationen handelte.2314 Zumindest in den Fällen, wo konkret Isis bzw. ihr nahestehende Gottheiten mit gut identifizierbarer Ikonographie dargestellt sind (z. B. Apis, Anubis…), würde ich durchaus von einem echten religiösen Interesse der Hausbewohner ausgehen. Mehrfach wurden aber Kultgeräte, besonders Sistren, in solchen Privathäusern gefunden, die teilweise auch Statuetten oder Malereien mit Themen des Isiskultes enthielten,2315 was darauf hindeuten könnte, daß die Bewohner aktiv an Festen und Ritualen für die ägyptischen Gottheiten beteiligt waren (sofern es sich nicht bloß um Votivgaben handelte). Abgesehen von der eindeutig kultischen Darstellung der ägyptischen Gottheiten und ihrer Symbole in Lararien und auf Kultgerätschaften, waren aber auch zahlreiche alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Lampen, Schmuck etc., die mit entsprechenden Motiven dekoriert waren, im Umlauf (s. o.). Dieser Befund demonstriert, daß die ursprünglich fremden Götter im 1. Jh. n. Chr. bereits voll zu der Bilder- und Vorstellungswelt der Bewohner Pompejis dazugehörten und diesen vertraut waren, wenngleich das Wissen um die komplexeren und ‚ägyptischeren‘ Seiten ihres Charakters, ihrer Mythologie und ihres Kultes 2312 Plut., Quaest. graec. 45. 2313 Siehe zu solchen Szenen TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, S. 62–63; und besonders SWETNAMBURLAND, Aegyptiaca, S. 76–90, mit einem Vergleich mit ägyptischen Papyrusvignetten und römerzeitlicher Grabdekoration und Funerärausstattung in Ägypten (vgl. zu letzteren auch oben, Kap. 4.12.1 und 6.2.10.2); desweiteren MOL, Egypt in Material and Mind, S. 227–242. Z. B. Szenen in der Villa dei Misteri: MERKELBACH, Isis regina, S. 560, Abb. 80–81. 2314 Für ein Nebeneinanderexistieren beider Arten der Adaption solcher Szenen durch verschiedene Personen mit verschiedenen Intentionen und Interessen argumentiert bereits SWETNAM-BURLAND, Aegyptiaca, S. 88–90. Immerhin weisen jedoch mehrere Häuser, in denen sich die ägyptisierenden Szenen finden, auch Hausschreine auf, in denen sich Darstellungen der ägyptischen Gottheiten befanden: so in der Praedia der Julia Felix, der Casa degli Amorini Dorati und der Casa delle Amazzoni, siehe MOL, Egypt in Material and Mind, S. 238. 2315 Z. B. TRAN TAM TINH, Isis à Pompéi, Kat. 168–188, S. 181–185, vgl. auch S. 59: Der Fund von gleich vier Sistren in einem Laden könnte außerdem eher auf eine lokale Verkaufsstätte der Instrumente hinweisen. Bei den in Italien gefundenen Sistren handelt es sich teilweise um Importstücke aus Ägypten; häufig sind die Griffe mit Bes-Figuren verziert, siehe N. GENAILLE, Le sistre Strozzi (à propos des objets cultuels isiaques en Italie), in: BSFE 77–78, 1976–1977, S. 55–67, bes. S. 56; MALAISE, Bès, S. 288–289.

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sicherlich nur einer kleineren Gruppe von aktiven Priestern und Anhängern bzw. Eingeweihten vorbehalten war, die auch Zutritt zu den hinteren Bereichen des Isis-Heiligtums hatten. 7.3.3.2 Herculaneum 7.3.3.2.1 Funde in Privathäusern und Werkstätten Ein ähnlicher Befund wie in den privaten Häusern und Werkstätten von Pompeji läßt sich in Herculaneum feststellen, wo ebenfalls zahlreiche Statuetten der Isis-Fortuna, Schmuck sowie Wandbilder mit den ägyptischen Gottheiten und ägyptisierende Ritualszenen die Wohn- und Arbeitsräume bereicherten.2316 Vereinzelt erscheint Isis auch in der Ikonographie einer ‚Panthea‘2317 sowie im Typus Isis lactans.2318 Recht häufig sind Figuren des Harpokrates belegt,2319 während nur eine einzige Apisfigur bekannt ist.2320 Daneben fanden sich wieder Sistren2321 und außerdem zwei Sistrumamulette.2322 7.3.3.2.2 Die ‚Palaestra‘ – ein Heiligtum der Isis und Mater Deum? Aufgrund einer Häufung von Funden im Bereich der sog. ‚Palaestra‘ in der Insula Orientalis II war man bereits früher davon ausgegangen, daß sich in dem bisher noch nicht ergrabenen Teil dahinter (im Nordosten) möglicherweise ein Heiligtum befand und die Stücke von dort durch die pyroklastischen Ströme des Vesuvausbruchs zur ‚Palaestra‘ hinuntergespült worden waren.2323 Jüngst wird jedoch von GASPARINI die gesamte Anlage der in der Deutung bisher umstrittenen ‚Palaestra‘ selbst inklusive der umgebenden Räume und insbesondere der Sala Absidata als gemeinsames Heiligtum der Isis und Mater Deum in hellenistischem Stil gedeutet.2324 Die in der Mitte der nordwestlichen Längsseite zum Hof hin gelegene Sala Absidata wäre demnach als Tempel anzusehen, die seitlich anschließenden Strukturen als Nebenräume. Falls es sich wirklich um ein Doppelheiligtum der beiden Göttinnen handelte, könnte auf der noch nicht freigelegten gegenüberliegenden Längsseite eine 2316 Siehe im Detail GASPARINI, Iside a Ercolano; ID., „Palaestra“, S. 231–233; TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, S. 8–22; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.27–31, 35, 41, 46, 54, 57, 75–80, 138, 140; zu den Isis-Fortuna-Statuetten AMOROSO, Roles of Isis, bes. S. 47–74. 2317 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 3, S. 17 u. 56, Abb. 13–14. Vgl. die individuelle Ausgestaltung als Panthea in dem Wandbild mit Dedikationsinschrift in Pompeji, IX, 3, 15, s. o., Kap. 7.3.3.1.2. 2318 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 4, S. 18–19 u. 56–58; ID., Isis lactans, S. 73/4, Nr. A–25; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.35, S. 178; siehe auch H. W. MÜLLER, Isis mit dem Horuskinde, S. 28, Nr. 8. Der Hersteller namens Pausanias hat sich mit einer griechischen Inschrift auf dem Fußschemel der Isis verewigt. 2319 GASPARINI, „Palaestra“, S. 232. 2320 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 71, S. 96. 2321 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 53–53bis u. 56, S. 80–81. 2322 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 54–55, S. 81; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.72, S. 194. 2323 Z. B. TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, S. 2–3; vgl. GASPARINI, „Palaestra“, S. 242. 2324 GASPARINI, „Palaestra“, bes. S. 242–249. Isis und Mater Deum (= Magna Mater) waren auch an anderen Orten assoziiert, so z. B. in Ostia/Portus, s. o., Kap. 7.3.2.3.5; vgl. BRICAULT, Mater deum et Isis.

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entsprechende Struktur gestanden haben.2325 Der Hof war von Portiken bzw. auf einer Seite von einer Kryptoportikus umgeben und wies ein kreuzförmiges Wasserbecken in der Mitte sowie ein längliches Becken entlang der Nordostseite auf. Beide waren laut GASPARINI nicht zum Schwimmen geeignet und widersprechen demnach einer athletischen Nutzung als öffentliche Palaestra.2326 Den Zugang bildeten zwei hintereinander liegende monumentale Vestibüle, die in Tempelform mit zwei Säulen in antis ausgestaltet waren. Einen Hinweis für die Identifizierung als Heiligtum liefern zwei Inschriften, die im unteren Vestibül gefunden wurden:2327 Eine Restaurationsinschrift des Vespasian für einen Mater-DeumTempel lag direkt unterhalb des Architravs der Tür und würde dort den Maßen nach hinpassen, eine zweite Inschrift ist nur fragmentarisch erhalten, erwähnt aber aedes und den divus Claudius. Im Hofbereich standen neben zahlreichen Statuen (z. B. Hermes und Aphrodite) auch Bäume,2328 was an die Darstellung der heiligen Bezirke (des Osiris) in einigen der Wandbilder des ‚Ekklesiasterion‘ im Iseum von Pompeji erinnert.2329 Die Ausstattung Auffällig ist besonders die Häufung von ägyptisierenden Objekten und ägyptischen Originalstücken, wie sie bereits aus anderen Isisheiligtümern Italiens (Rom, Pompeji…) bekannt sind. Mehrere davon stammen ebenso wie Bronzestatuetten der Isis-Fortuna und des Harpokrates und ein Kandelaber wiederum aus dem unteren Vestibül, dessen Decke mit Sternen dekoriert war. Eine Naos-förmige Bronzebasis mit eingravierten ägyptisierenden Darstellungen und Hieroglyphen in vergleichbarem Stil wie die ‚Mensa Isiaca‘2330 zeigt auf den Seiten Kultszenen mit symmetrisch um zentrale zoomorphe Gottheiten oder Embleme gruppierten Priestern.2331 Auf einer Langseite schreitet in der Mitte ein Löwe mit Widderhörnern, vor dem das Emblem des Nefertem steht. Zwei kniende Adoranten bieten ihm je ein kleines Gefäß (nw-Topf? ) dar. An den Ecken befinden sich ein Sphinx und ein Greif als Wächterfiguren. Der Löwe ist wohl als Miysis (Mahes), Sohn der Bastet/Sachmet, zu identifizieren, der auch mit Nefertem und Horus gleichgesetzt wurde und eine Manifestation des Sonnengottes darstellt.2332 Den Schlüssel zur Interpretation im Zusammenhang des Isiskultes bildet jedoch die zweite Langseite, auf der das Mittelbild einen Falken mit Straußenfeder auf einem kleinen Podest in einer Barke zeigt, der m. E. im Vergleich mit dem Bild von der Rückführung der Barke im ‚Sacrarium‘ von Pompeji als Sokar und nicht als Horus-Re2333 zu interpretieren ist. Er wird ebenfalls von zwei Nefertem2325 2326 2327 2328 2329 2330 2331 2332 2333

GASPARINI, „Palaestra“, S. 245. GASPARINI, „Palaestra“, S. 244. GASPARINI, „Palaestra“, S. 242–243; Taf. 12. GASPARINI, „Palaestra“, S. 238. Speziell das Bild SAMPAOLO, Decorazione pittorica, Kat. 1.66, S. 56; Taf. 11: hier stehen mehrere Bäume in einem von vage angedeuteten Architekturen umgebenen Bezirk hinter einer von Hydrien und einer Isisstatue flankierten Tholos. S. o., Kap. 7.3.3.1.1. Siehe dazu oben, Kap. 7.3.2.2.2 (Exkurs). TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 2, S. 52–55; GASPARINI, Iside a Ercolano, Kat. II.83, S. 121 u. 126; ID., „Palaestra“, S. 233. Siehe DE WIT, Lion, S. 230–234 (Mahes) u. 235–237 (Nefertem). So die übliche Interpretation nach TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 2, S. 52–55.

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Standarten begleitet, die auch nach ägyptischen Darstellungen beim Sokarfest mitgeführt wurden.2334 Vor ihm kniet ein weiterer Adorant mit einem kleinen Gefäß in der Barke, während hinter ihm ein Pavian (Thoth?) das Boot mit einer Stange fortbewegt. Die beiden Eckfiguren, ein bewachender Löwe und eine Göttin mit Sonnenscheibe auf dem Kopf und ausgebreiteten Flügeln – Isis –, vor der eine Hydria mit langem Ausguß auf einem kleinen Untersatz steht, sind ebenfalls stimmig. Die Dekoration der Nebenseiten bestätigen den Bezug des Stückes zu den Gottheiten des Isiskreises und der Thematik des Osiris- bzw. Sokarfestes, dessen zentrale Bedeutung oben bereits in der Dekoration des Tempels von Pompeji herausgestellt wurde: Eine Seite zeigt in der Mitte das emblematisch auf Isis verweisende Basileion umgeben von zwei Schakalen, und an den Ecken zwei kniende Adoranten, von denen einer ein Libationsgefäß und ein Anch und der andere ein Szepter und ein Anch hält. Auf der zweiten Nebenseite erscheint wieder die Nefertem-Standarte als Mittelemblem, an das sich zu beiden Seiten Falken mit Straußenfedern2335 und kniende Adoranten mit kleinen Salbgefäßen anschließen. Die Seiten des Gefäßes repräsentieren demnach in der Zusammenschau den Zug der Sokarbarke (Falke in Barke, Nefertem-Standarten), sowie die Regeneration des Sokar(-Osiris) als Sonnengott (Nefertem-Miysis-Horus als Löwe).2336 Göttliche Akteure sind Isis, Thoth und Anubis, während Sphinx, Greif und ein weiterer Löwe als Wächterfiguren auftreten, die auch sonst bei osirianischen Ritualen wichtig sind. Die Adoranten erinnern an Szenen in ägyptischen Gräbern und Tempeln, wo der König oder der Grabinhaber jeweils die Sokarbarke anbetet oder Weihrauch, Libationen und Opfergaben darbringt.2337 Die Verbindung des Nefertem zu den Sokar-Osiris-Riten ist möglicherweise auch der Grund für seine Darstellung auf der Mensa Isiaca (dort steht eine Statue des Nefertem direkt hinter dem Naos mit Isis) und die Statue des Gottes in der ägyptisierenden Skulpturengruppe in der Villa Hadriana.2338 Außer der Basis stammt auch eine qualitätvolle Bronzestatuette des Bes, die im Typus ägyptischen Beispielen des 2. Jhs. v. Chr. entspricht, aus der Palaestra, während ein identisches zweites Exemplar in der Stadt gefunden wurde.2339 Ein wahres Prunkstück des Heiligtums dürfte eine ägyptische Statue des Atum aus schwarzem Basalt dargestellt haben, die im Hof aufgestellt war.2340 Eine hieroglyphische Inschrift kennzeichnet den Gott als „Atum, 2334 Siehe z. B. BRESCIANI, „Sokar“, Sp. 1061–1062; zur engen Verbindung von Sokar und Nefertem vgl. auch den „Nefertem-Ptah-Sokar-Komplex“ im Tempel des Sethos I. in Abydos, siehe EATON, Festivals, S. 78–79 u. 97–98. 2335 Ich möchte an dieser Stelle nicht zu sehr ins Detail gehen, was die Parallelen zu ägyptischen Szenen des Sokarfestes angeht. Exemplarisch sei hier allerdings auf eine Darstellung von zwei knienden Adoranten mit Salbgefäßen vor zwei Sokarfalken auf der Südwand der Kapelle des Ptah-Sokar im Sethos I.-Tempel von Abydos verwiesen, siehe EATON, Festivals, S. 82; Taf. 5b. 2336 Zum Löwen als Symbol der Auferstehung, unter anderem des Osiris, siehe DE WIT, Lion, S. 158–172. 2337 Beispiele aus dem NR bis in Ptolemäische Zeit sind aufgelistet bei BRESCIANI, „Sokar“, Sp. 1064– 1065. 2338 Siehe oben, Kap. 7.3.2.2.2 (Exkurs) u. 7.3.2.4. 2339 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 45–46, S. 75–76; Abb. 22–23; GASPARINI, Iside a Ercolano, Kat. II.85, S. 127. Vgl. die Bes-Darstellung im ‚Sacrarium‘ von Pompeji, s. o., 7.3.3.1.1. Zu Bes-Figuren etc. an weiteren Orten Italiens, unter anderem in Ostia bzw. Portus, siehe MALAISE, Bès, S. 281–283. 2340 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 1, S. 4–7 u. 51–52; Abb. 1–2; GASPARINI, Iside a Ercolano, Kat. II.82, S. 126; vgl. ID., „Palaestra“, S. 234–235.

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Herr von Heliopolis“ bzw. „von Babylon (= Alt-Kairo)“. Während TRAN TAM TINH glaubte, daß diese Statue (sowie die Darstellungen der oben diskutierten Basis) nicht mehr in ihrem ursprünglichen Sinn verstanden und dementsprechend mit anderen Inhalten gefüllt wurden, hat CAPRIOTTI VITTOZZI versucht, sie einer umfassenderen Interpretation zuzuführen:2341 In Babylon ($r-aHA) wurde die nördliche Nilquelle (imH.t/pr-@apj)2342 verehrt, entsprechend befand sich dort ein wichtiges Nilometer und noch in römischer Zeit wurden Festlichkeiten zur Nilflut abgehalten. CAPRIOTTI VITTOZZI möchte die Aufstellung der Statue deswegen mit dem konkreten Ereignis einer besonders hohen Nilflut während Vespasians Aufenthalt in Ägypten 69 n. Chr. verbinden, zumal das Heiligtum in Herculaneum unter diesem Kaiser ja offenbar restauriert worden war (s. o. zur Ischrift im Vestibül, die allerdings nur Mater Deum erwähnt). Selbst ohne diesen konkreten Anlaß könnte die aus anderen Heiligtümern wie dem Iseum Campense und dem Iseum von Pompeji deutlich hervorgehende zentrale Bedeutung des Wassers und der Nilflut hier eine Rolle gespielt haben. Dem Deltapapyrus zufolge wird die lokale Reliquie des Osiris, die außerdem mit Sepa von Heliopolis, dem göttlichen Hundertfüßler, identifiziert wird, in der Quellhöhle des Nils (Pr-@apj) bei Babylon (Cher-Aha) regeneriert, die somit gleichzeitig das lokale Osirisgrab darstellt.2343 Es sei außerdem an die ‚Stele‘ des Sematauitefnachte in Pompeji erinnert, in der auf die nächtliche Vereinigung von Atum und Osiris „in seinem Grab“ angespielt wird (Z. 16–18). Durch den ‚Import‘ des ägyptischen Choiakfestes, bei dem nach der Dekoration der Krypten in Dendara verschiedene lokale Überlieferungen zusammengeführt wurden, bzw. von verwandten osirianischen Riten des Isia-Festes im Monat Athyr lassen sich offenbar auch in Italien Hinweise auf Elemente solcher mit bestimmten ägyptischen Orten verbundenen Traditionen fassen. Natürlich setzen die hier angedeuteten Zusammenhänge voraus, daß sowohl in Pompeji als auch in Herculaneum professionelle Priester anwesend waren, die ägyptische Hieroglyphen lesen konnten und mit den entsprechenden theologischen Zusammenhängen gut vertraut waren. Angesichts der bisher besprochenen Indizien aus Latium und Campanien halte ich diese Prämisse allerdings für das 1. Jh. n. Chr. in diesen Regionen für wenig problematisch.2344

2341 G. CAPRIOTTI VITTOZZI, La statua di Atum da Ercolano e la città di Kher-Aha, in: SEL 25, 2008, S. 95–114; EAD., The Flavians, S. 242–243. 2342 Siehe dazu MEEKS, Mythes et légendes, S. 74–75, Anm. 157–158. 2343 Siehe zu lokalen Episoden des Osirismythos in Cher-Aha und Heliopolis die entsprechenden Abschnitte im Deltapapyrus, s. o., Kap. 4.13.2, und den ausführlichen Kommentar zu Atum, Sepa und Osiris in Heliopolis und Cher-Aha bei MEEKS, Mythes et légendes, S. 175–177, 183–185, 207–209 u. 212–214. Es handelt sich um eine sehr komplexe Tradition, die die heiligen Körperteile von Heliopolis (mit Nekropole in Cher-Aha) und Letopolis vereint und diese nicht nur mit Sepa, sondern auch dem Flagellum und dem Heka-Szepter – den Insignien des Königtums, die Osiris üblicherweise in Händen hält – gleichsetzt. Die zu einer vollständigen Mumie zusammengeführten Teile sind schließlich gleichzeitig mit Osiris und Atum identisch. Vgl. auch die (wahrscheinliche) Darstellung des Sepa (Hundertfüßlers) von Heliopolis und den Verweis auf Atum und Osiris auf der Stele des Sematauitefnachte in Pompeji. 2344 Selbst im 2. Jh. n. Chr. konnten noch eigenständige ägyptische religiöse Texte in hieroglyphischer Schrift für eine Aufstellung in Italien neu verfaßt werden, wie der Antinoos-Obelisk demonstriert.

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7.3.3.2.3 Ritualszenen Die berühmtesten Zeugnisse des Isiskultes aus Herculaneum sind zwei Wandmalereien im 3. pompejanischen Stil aus dem 2. Viertel des 1. Jhs. n. Chr., die offensichtlich Festrituale in einem Heiligtum darstellen2345 – aller Wahrscheinlichkeit nach geht es wieder um die zentralen Osirisriten. Es handelt sich um eher kleinformatige Bilder von fast identischer Größe (80 x 85 und 80 x 87 cm), die daher sowie aufgrund ihres Stils und Inhaltes sicher zusammengehörten; der genaue Fundort ist allerdings nicht dokumentiert. Im Fokus des etwas kleineren Bildes steht auf einem Podium mit neunstufiger Treppe ein säulenloser Naos, der eher ägyptisch als römisch wirkt und zudem von zwei Sphingen auf hohen Basen und zwei Palmen flankiert ist. Im Hintergrund und an den Seiten schließen sich Laubbäume an, die so dicht stehen, daß sie ein kleines Wäldchen bilden – vgl. die im Hof der Palaestra gepflanzten Bäume! –, und die zumindest auf der rechten Seite von einer Mauer eingefaßt zu sein scheinen. In der großen Türöffnung des Tempels läßt sich ein von Uräen bekrönter Schrein oder Kasten erkennen, und der Türsturz ist mit einem Kranz behängt. In der Mitte vor der Tür steht ein kahlrasierter Priester auf dem Podium, der – wie von zahlreichen anderen Darstellungen bekannt – in seinen von seinem weißen Leinengewand verhüllten Händen ein bauchiges, goldenes Gefäß hält, das wohl Osiris als heiliges Wasser symbolisiert. Eventuell ist es am Fuß von einem Kranz umgeben wie die Hydriendarstellungen im ‚Ekklesiasterion‘ von Pompeji. Entsprechend dürfte auch der Kranz über dem Eingang auf die Feier des Sieges bzw. der Regeneration des Osiris hinweisen.2346 Zur Rechten des Priesters (links im Bild) steht eine Priesterin, die mit offenen Locken, der schwarzen Stola, und Sistrum und Situla in den Händen Isis darstellt,2347 und zur Linken (rechts im Bild) steht ein offenbar dunkelhäutiger Priester, der ebenfalls ein Sistrum hält. Zu beiden Seiten der Treppe und im Hof hat sich eine große Menschenmenge versammelt, die hauptsächlich in Weiß gekleidet ist; teilweise sind aber wieder schwarze Stolen erkennbar und Sistren werden geschüttelt. Am Fuß der Treppe steht, in der Mittelachse des Bildes, ein weiterer dunkelhäutiger Priester mit langem Stab(?) und einem nicht erkennbaren Objekt in den Händen, während ein anderer sich im Bildvordergrund und ebenfalls auf der Mittelachse um das Feuer auf einem girlandenbekränzten Hörneraltar kümmert. Ein Priester neben ihm hält zwei lange Stäbe in den Händen, während einer am linken vorderen Bildrand ein Sistrum in der Rechten und ein ägyptisches Lebenszeichen in der Linken hat. Rechts vorne sitzt ein Flötenspieler, der wieder eine schwarze Stola trägt. Mehrere Ibisse laufen auf dem Heiligtumsgelände herum.

2345 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 58–59, S. 29–48 u. 83–86; Abb. 40–41; GASPARINI, Iside a Ercolano, Kat. II.87, S. 120 u. 124; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.77, S. 447; BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 365, S. 747–748; MERKELBACH, Isis regina, Farbtaf. 4; siehe dazu jetzt auch RITNER, Osiris-Canopus; SWETNAM-BURLAND, Material Evidence, S. 588–590. 2346 Vgl. auch den auf der Westwand des ‚Sacrariums‘ im Iseum von Pompeji dargestellten Kranz unter einer Art Giebel (links von den Darstellungen der thronenden und der suchenden Isis), s. o., Kap. 7.3.3.1.1. 2347 Vgl. die Darstellung der Isis mit schwarzer Stola im Bild mit der Rückführung der Barke im ‚Sacrarium‘ von Pompeji, s. o.

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Italien: Latium und Campanien

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Die Zeremonie läßt sich als Finden und/oder Regenerieren des verstorbenen Osiris – symbolisiert durch das Wassergefäß – im Rahmen der Isia/Inventio Osiridis deuten.2348 Es wäre vielleicht ein wenig überinterpretiert, in einem der Ibisse, der auf dem linken Sphinx gm steht und seinen Kopf nach unten beugt, eine Anspielung auf die Hieroglyphe „finden“ sehen zu wollen, wenngleich die Haltung exakt übereinstimmt. Das zweite Bild zeigt ebenfalls einen Tempel, zu dem eine Treppe hinaufführt; allerdings ist nicht der ganze Bau zu sehen, sondern nur die untere Hälfte der Frontsäulen und dahinter anschließender Wände(?). Keine Sphingen flankieren hier den Tempel (es handelt sich also eindeutig nicht um denselben Bau wie in dem anderen Bild, falls überhaupt konkrete Tempel gemeint sind), aber im Hintergrund sind wieder Laubbäume und eine Palme hinter Einfriedungen zu erkennen. Im Inneren des mit Palmzweigen und Girlanden geschmückten Tempels tanzt eine offenbar maskierte, dunkelhäutige männliche Person mit sichtbarem (aber nicht erigiertem) Phallus, umgeben von einem Priester mit Sistrum, anderen Musikanten (einer spielt ein Tamburin)2349 und Kindern, von denen ein gut erkennbares in die Hände klatscht. Eine Frau(?) oder ein Kind rechts hält ein Sistrum und eine Situla. Die tanzende Person ist der Ikonographie und Haltung nach am ehesten als ein Darsteller des Bes zu identifizieren,2350 der ja auch durch die zwei identischen Statuetten in Herculaneum vertreten ist.2351 Vor dem Tempel brennt wie im anderen Bild ein Feuer auf einem Hörneraltar, um den weitere Priester und Feiernde sowie zwei Ibisse versammelt sind. In der Mitte vor der Treppe steht ein Priester mit Sistrum und einer kleinen Situla(?), rechts von ihm wieder ein Flötenspieler. Links vor dem Tempel steht ein weiterer Priester mit Sistrum, neben dem eine Frau auf dem Boden kniet und sich, ein Sistrum schüttelnd, nach vorne zum Tempel hin lehnt. In der anderen Hand hält sie ein Tablett mit Opfergaben. Ein Priester, der sich rechts vom Altar im Vordergrund befindet, kniet ebenfalls auf dem Boden und hat beide Hände wie zum Gebet erhoben. Rechts steht eine Frau in der gleichen Tracht der Isis wie die auf dem Podium im anderen Bild: die schwarzen Haare sind offen,2352 sie hat eine schwarze Schärpe quer um die Brust gelegt und hält ebenfalls ein Sistrum. Alle Personen sind dem Geschehen im Tempel zugewandt und wirken emotional stark bewegt und von den Feierlichkeiten mitgerissen.

2348 Vgl. zu dieser (gängigen) Deutung GASPARINI, Iside a Ercolano, S. 124; ID., „Palaestra“, S. 231. 2349 Zum Tamburin bzw. der Rahmentrommel im ägyptischen/osirianischen Kult siehe oben, 7.3.2.2.2, Anm. 1622. 2350 So bereits TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, S. 40–41; zu Details der Ikonographie rezent RITNER, Osiris-Canopus, S. 404–406. Vgl. z. B. Darstellungen des tanzenden Bes auf ptolemäerzeitlichen ägyptischen Reliefvasen, die außerdem Isis, Harpokrates und Sarapis zeigen, siehe ID., À propos d’un vase isiaque inédit du Musée de Toronto, in: RA 1972/2, S. 321–340, sowie in anderen ägyptischen Terrakotten und Lampen der griechisch-römischen Zeit, vgl. dazu auch MALAISE, Bès, S. 273, 275–279, u. 287–288 zum Bild aus Herculaneum. Zu Bes-Darstellern im Kult und Funden von entsprechenden Masken in Ägypten siehe DASEN, Dwarfs, S. 80 u. 82; VON LIEVEN, Masks, S. 72–73. 2351 S. o., und vergleiche die Bes-Darstellung im ‚Sacrarium‘ von Pompeji neben dem Hauptbild mit der Rückführung der Barke, Kap. 7.3.3.1.1. 2352 Zu offenen Haaren im Rahmen von Trauer und Klage in der ägyptischen Tradition siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 190–191.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Die nächste Parallele für die ausgelassene Feier und den Tänzer bietet die Ritualdarstellung des Ariccia-Reliefs, während Musikanten auch auf den Reliefsäulen des Iseum Campense auftreten.2353 Ägyptische Vorbilder für derartige Feierlichkeiten im Rahmen der Osirisrituale lassen sich z. B. in den Wanddarstellungen des Grabes von Cheruef in Theben (TT 192) fassen, wo einige Elemente des Bildes aus Herculaneum ebenfalls auftauchen.2354 Hier ist das Aufrichten des Djed-Pfeilers (des Symbols von Ptah-Sokar-Osiris) beim HebSed-Fest von Amenophis III. dargestellt und wird sowohl von Sistrum spielenden Frauen als auch einer großen Anzahl tanzender Männer begleitet. Weitere Männer tragen Opfertische und Lebenszeichen (wie einer der Männer im ersten Bild), andere scheinen mit langen Stöcken eine Art Schaukampf auszutragen. Da das Aufrichten des Djed-Pfeilers ebenfalls die Wiederbelebung des Osiris symbolisiert und in der griechisch-römischen Zeit Teil der Choiakfeierlichkeiten war,2355 könnten auch die in dem zweiten Wandbild dargestellten Feierlichkeiten ebenso wie die des Ariccia-Reliefs mit dem jährlichen Osirisfest (wohl Isia) zusammenhängen.2356 Während die beschriebenen Bilder ägyptisches Ritual im Medium der römischen Wandmalerei wiedergeben, sind aus der Stadt, wie in Pompeji, auch verschiedene einzelne Ritualszenen in ägyptisierendem Stil erhalten.2357 Entsprechend der Ritualszenen in ägyptischen Tempeln stellen sie jeweils einen Kultakteur einer Gottheit gegenüber.2358 In zwei achsensymmetrisch angeordneten Szenen2359 reicht einerseits ein Offiziant einer falkenoder hundeköpfigen Gottheit – Horus (oder Sokar?) oder Anubis – eine Schlange entgegen, andererseits offeriert ein Priester ein kleines Objekt, das nicht genau erkennbar ist, einer weiblichen Gottheit in langem Kleid mit Netzmuster, die ein Szepter und eine Situla(?) hält und sicherlich Isis darstellen soll. Ein Fries mit mehreren (mind. sieben) ägyptisierenden

2353 S. o., Kap. 7.3.2.2.2. Das Ariccia-Relief wurde bereits von TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, S. 40, als Vergleich herangezogen; zu diesen und weiteren Darstellungen von Musikanten und Tänzern im Kontext des Isiskultes siehe jetzt BRICAULT/VEYMIERS, Jouer, chanter et danser. 2354 Siehe E. BRUNNER-TRAUT, Der Tanz im Alten Ägypten nach bildlichen und inschriftlichen Zeugnissen, ÄgFo 6, Glückstadt – Hamburg – New York 1938, S. 52, m. Abb. 26. Siehe auch die Online-Dokumentation des Grabes: http://www.osirisnet.net/tombes/nobles/kheru/e_kherouef_04.htm (aufgerufen am 20.10.2014). 2355 Siehe dazu z. B. KOEMOTH, Redresser Osiris; vgl. oben die Besprechung der Szene mit dem aufgestellten Sarg des Osiris im ‚Ekklesiasterion‘ von Pompeji, Kap. 7.3.3.1.1. 2356 Anders als TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, S. 48, der in dem ersten Bild – mit dem heiligen Wassergefäß – eine Darstellung des Navigium Isidis-Festes sah und nur den Inhalt des zweiten – mit dem Tänzer – als Feierlichkeiten für den regenerierten Osiris bei den Isia interpretierte, geht auch GASPARINI, Iside a Ercolano, S. 124; ID., „Palaestra“, S. 231, davon aus, daß beide Wandbilder sich auf letzteren Festzyklus beziehen und möglicherweise zusammen mit weiteren (nicht mehr erhaltenen) Malereien verschiedene Episoden der Feierlichkeiten repräsentierten. 2357 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 61–63, S. 87–90; Abb. 36; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.61–62, S. 191. 2358 Und nicht zwei Gottheiten, wie TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, S. 87–88, in seiner Interpretation der Szenen andeutet. 2359 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 61, S. 87–88; Abb. 36; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.61, S. 191.

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Italien: Latium und Campanien

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Szenen2360 zeigt unter anderem eine weibliche Gestalt mit Sistrum und Schlange, eine Katze mit Krone (Bastet?), vor der eine Frau mit Sistrum und Situla steht, mehrere weitere Frauen mit Schlangen in den Händen, eine geflügelte Göttin, außerdem einen Löwen und zwei Sphingen. 7.3.3.3 Benevent In Samnium nahe der Grenze zu Campanien gelegen, besaß die Stadt Benevent ein Isisheiligtum, das wie das Iseum Campense in der Regierungszeit des Domitian (neu) errichtet wurde.2361 Möglicherweise gab es bereits einen Vorgängerbau in republikanischer Zeit. Ein Marmorfragment mit Resten einer Restaurationsinschrift dokumentiert vielleicht weitere Baumaßnahmen im 2. Jh. n. Chr.2362 Obwohl die genaue Situierung und die Architektur des Tempels bis heute nicht bekannt sind, bietet eine große Konzentration von Funden sowohl ägyptischer und ägyptisierender als auch (stilistisch) griechisch-römischer Natur ein recht lebendiges Bild der ursprünglichen Ausstattung.2363 Datierung und Stifter des Iseums sind durch zwei mit identischen, eigens angefertigten hieroglyphischen Inschriften versehene Obelisken bekannt.2364 Sie dokumentieren die Errichtung eines Tempels für „Isis, die Große, Herrin von Benevent“ und ihre synnaoi theoi (A/B 3) durch den Magistraten Rutilius Lupus im Jahr 88–89 n. Chr. Ausdrücklicher Anlaß war die sichere Rückkehr des Kaisers Domitian von einem Feldzug. Diese Stiftung zu Ehren des Kaisers unterstreicht dessen eigene Förderung des ägyptischen Kultes und seine Beziehung zu Isis, die bereits auf seinem Obelisken in Rom deutlich gemacht wird. Zwei der vier beschrifteten Seiten beginnen mit Epithetareihen der Göttin, die so mit der Titulatur des Kaisers/Pharao am Anfang der beiden anderen Seiten (einmal innerhalb der Datierung) alternieren:2365

2360 TRAN TAM TINH, Divinités orientales à Herculaneum, Kat. 63, S. 89–90; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.62, S. 191. 2361 Siehe grundlegend H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent; außerdem BÜLOW-CLAUSEN, Domitian; EAD., Flavian Isea, S. 82–117 u. 192–208; COLIN, Domitien, Julie et Isis; ferner PIRELLI, Iside a Benevento; EAD., Iseo di Benevento; QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 401–402; LEMBKE, Iseum Campense, S. 31–32. 2362 RICIS 505/0803 (siehe auch RICIS Suppl. III); H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 40, Nr. 251; Taf. 13,2. 2363 Die Skulpturen waren sekundär in die lombardische Stadtmauer verbaut, so daß ihre gemeinsame Zugehörigkeit zu einem Heiligtum nur hypothetisch angenommen werden kann. Die verschiedenen Hypothesen zur ursprünglichen Lage des Heiligtums sind zusammengefaßt bei BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 89–95. 2364 RICIS 505/0801–0802; H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 10–11 u. 82, Nr. 278; Taf. 1–3; E. IVERSEN, The Inscriptions from the Obelisks of Benevento, in: Acta Orientalia 35, 1973, S. 17–20; ARSLAN (Hrsg.), Iside, S. 503, V.187; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.97, S. 140; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 86–89 (mit Übernahme der Übersetzung von IVERSEN); siehe zu den Inschriften auch COLIN, Domitien, Julie et Isis, S. 253–258. 2365 Vgl. zu dieser Aufteilung z. B. die alternierenden Kartuschen für Ptolemaios II. und Isis im Isisheiligtum von Behbeit el-Hagar, siehe oben, Kap. 4.4.2. Die Titulatur Domitians auf den Obelisken von Benevent ist nicht identisch mit und weniger ausführlich als diejenige auf seinem Obelisken in Rom.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

As.t wr(.t) mw.t-nT(r) %pd.t nb.t sbA.w/sw.w nb(.t) p.t tA dwA.t Isis, die Große, die Gottesmutter, Sothis, die Herrin der Sterne, die Herrin des Himmels, der Erde und der Unterwelt. As.t wr(.t) mw.t-nT(r) wDA.t/ir.t Ra nb(.t) p.t nTr.w nb Isis, die Große, die Gottesmutter, das (Udjat-)Auge des Re, die Herrin des Himmels und aller Götter.

Die Epitheta der Isis entsprechen in Konstruktion und Inhalt häufigen Haupttiteln in Ägypten2366 und unterstreichen zudem die oben diskutierte Deutung ihrer Ikonographie in einem privaten Wandbild aus Pompeji, in dem sie m. E. ebenfalls als Isis-Sothis (und Isis-Selene), Herrin der Sterne sowie von Himmel und Erde aufgefaßt wird.2367 Die Bedeutung der Erscheinungsform als Isis-Sothis in flavischer Zeit, die ja auch aus der Ausstattung des Iseum Campense (s. o.) deutlich hervorgeht, wird dadurch nochmals verdeutlicht. Die übrigen Formeln der Obeliskeninschriften entstammen deutlich der römischen Weihepraxis und konnten offenbar nur mit einiger Mühe ins Ägyptische übertragen werden.2368 Zudem spielen sie auf konkrete historische Ereignisse – so wohl Domitians Feldzug gegen die Daker – an.2369 Ähnlich dem Iseum Campense war das Heiligtum offenbar üppig mit ägyptischen und ägyptisierenden Skulpturen ausgestattet,2370 von denen einige ganz offensichtlich Kultszenen dargestellt haben, wenngleich die genaue Art und Weise der ursprünglichen Aufstellung nicht bekannt ist. Der Kaiser Domitian selbst ist als Pharao in den Kult eingebunden2371 und wird durch eine ägyptisierende Dioritstatue, die ihn mit Schurz und NemesKopftuch zeigt, vertreten.2372 Ein Torso einer weiteren männlichen Figur mit ägyptischem Schurz und Anch-Zeichen in einer Hand könnte ebenfalls einen Kaiser/Pharao, oder aber einen Gott dargestellt haben.2373 Auf fragmentarisch erhaltenen ägyptisierenden Flachreliefs der Art, wie sie auch das Iseum Campense und das ‚Antinoeion‘ in Hadrians Villa schmückten, sind der Kopf des Pharao (Domitian) sowie der Brustteil einer geflügelten Isis erhalten.2374 Die offenbar eigens für Domitian angefertigen Bildnisse werden durch die

2366 2367 2368 2369 2370 2371 2372

2373 2374

Siehe oben, Kap. 5.2.1. Siehe oben, Kap. 7.3.3.1.2. Vgl. QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 402. Ausführlich zu dem historischen Teil COLIN, Domitien, Julie et Isis, S. 253–257. Siehe zum Vergleich beider Heiligtümer bzw. ihrer Skulpturenausstattung besonders BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea. Vgl. GASPARINI, Culti egizi, S. 351. H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 55–56, Nr. 260; Taf. 19; BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 326, S. 714; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.188, S. 504; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.92, S. 138; QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 402. Eine zweite, ähnliche Statue ist offenbar ein späteres Werk und könnte einen anderen römischen Kaiser repräsentieren: H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 62–63, Nr. 264; Taf. 21. H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 88–91, Nr. 281; Taf. 28 (MÜLLER interpretiert die Skulptur als Anubis/Hermanubis); DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.100, S. 141. H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 49–54, Nr. 257–259; Taf. 17–18; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.91, S. 137; QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 403, Abb. 7. Vgl. die ägyptisierenden Wandbilder mit geflügelter Isis in Herculaneum, s. o., Kap. 7.3.3.2, und die geflügelte Isis als himmlische ‚Panthea‘ in einer privat geweihten Wandmalerei in Pompeji, Kap. 7.3.3.1.2.

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Integration älterer ägyptischer Herrscherskulpturen ergänzt,2375 was die additive Ausstattung ägyptischer Heiligtümer im Laufe der Zeit nachahmt (und so vielleicht ein höheres Alter suggeriert). Isis selbst wurde außerdem einerseits durch einen ptolemäerzeitlichen Kopf in ägyptischem Stil präsentiert, der aufgrund des identischen Gesteins wie ein Relief im Iseum Campense von dem berühmten Iseion in Behbeit el-Hagar stammen könnte.2376 Eine ägyptische Statuette einer thronenden weiblichen Figur, die nur unterhalb der Brust erhalten ist, könnte ebenfalls die Göttin dargestellt haben.2377 Andererseits zeigte sie eine Skulptur, die allerdings nur noch anhand des erhaltenen marmornen Schiffsbugs mit Füßen der Statue rekonstruiert werden kann, im Typus der ‚Isis mit Segel‘ in hellenistischem Stil.2378 Sie datiert möglicherweise bereits in das 1. Jh. v. Chr. und könnte somit zu einem vordomitianischen Heiligtum gehört haben.2379 Sowohl den ägyptischen Ursprüngen als auch ihrer universellen, mediterranen Herrschaft als Göttin des Meeres wurde durch die Auswahl der Stücke also Rechnung getragen. BÜLOW CLAUSEN möchte außerdem das Fragment einer stark bewegten Frauenfigur aus schwarzem Gestein (marmo bigio), der sogenannten „danzatrice“, als Darstellung der Isis(-Fortuna) interpretieren.2380 Für eine sichere Identifizierung ist jedoch zu wenig erhalten (Unterleib und Teile der Oberschenkel, jedoch keine Attribute). Einige Elemente der Skulpturenausstattung stellen m. E. eindeutige Parallelen zu den Wandmalereien in Pompeji und Herculaneum sowie zur Ausstattung des Iseum Campense dar, die, wie oben ausführlich erläutert, konkret in Zusammenhang mit den Osirisriten der Isia/Inventio Osiridis stehen:2381 So entspricht eine Cista mystica aus Porphyr, die mit einer Mondsichel dekoriert ist und eine geringelte Schlange auf dem Deckel trägt,2382 der Darstellung dieses heiligen Objekts unter dem Bild mit der Rückführung der Osiris-SokarBarke im ‚Sacrarium‘ von Pompeji und auf dem Altar im Iseum Campense. Zwei komplementäre Dioritskulpturen von Priestern, die Osiris-Kanopos-Skulpturen in ihren verhüllten Händen tragen,2383 erinnern an die Darstellung des Priesters mit dem bauchigen Gefäß in einem der beiden Ritualbilder aus Herculaneum sowie an die ‚Kanopenprozession‘ der Pries-

2375 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 67, Nr. 268; Taf. 22,3. 2376 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 57–58, Nr. 261; Taf. 20,1; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.189, S. 505. 2377 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 111–112; Taf. 35,1. 2378 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 83–85, Nr. 279; Taf. 26; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.190, S. 505; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.99, S. 141; BRICAULT, Dame des flots, S. 89–90, m. Abb. 49; QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 401–402, m. Abb. 6. 2379 Vgl. H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 21. 2380 BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 108–114, m. Abb. 29. 2381 Vgl. zu dieser Deutung des Skulpturen-Ensembles in Benevent bereits GASPARINI, Culti egizi, S. 351; ID., Santuari isiaci, S. 86, der als Vergleich die Herculaneum-Ritualbilder und Plutarchs De Iside, nicht jedoch die Ausstattung des Isis-Tempels in Pompeji heranzieht. Seiner Interpretation folgt auch BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 98. 2382 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 106–107, Nr. 289; Taf. 32,2; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. XI.3, S. 665; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.104, S. 143. 2383 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 95–98 u. 106, Nr. 284 u. 288; Taf. 30; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.193–194, S. 507–508; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.101, S. 135 u. 142.

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ter auf den Reliefsäulen im Iseum Campense.2384 Eine weitere Dioritstatue zeigt einen wohl männlichen Priester in einem bis zur Brust hochreichenden Schurz, der mit einem gefransten Schultertuch verknotet ist, und einer erhobenen Hand, die sicherlich ein Sistrum hielt,2385 und der damit ebenfalls Parallelen in den Wandbildern aus Herculaneum findet. Die Haltung ist ägyptisierend frontal und steif, und der zweite Arm hängt dicht am Körper entlang gerade herab. Noch eindeutiger liegt der Fall bei drei Marmorstatuen von knienden Isisanhängerinnen im Knotengewand,2386 die zwar in griechisch-römischem Stil gearbeitet sind, deren Haltung jedoch für griechische und römische Statuen sehr ungewöhnlich ist. Genau diese Haltung nimmt aber auch die kniende Anhängerin auf dem Wandbild aus Herculaneum ein,2387 das den Tanz und die ausgelassenen Feierlichkeiten anläßlich des Osirisfestes darstellt. Von einer weiteren, männlichen Priesterstatue ist nur noch die dicke Basisplatte mit den Füßen und dem unteren Saum des langen Gewandes erhalten.2388 Auch diese ‚aktuellen‘, d. h. eigens für die Ausstattung des Heiligtums hergestellten Skulpturen von Priestern und Adoranten wurden durch ägyptische Originale, die Privatpersonen darstellten,2389 sowie wahrscheinlich private römische Statuenweihungen (im griech.-römischen Stil)2390 aufgestockt. Daneben waren wieder die üblichen theriomorphen Gottheiten präsent: zwei Apis-Stiere in griechisch-römischem Stil (einer aus Diorit, einer aus Marmor)2391 sowie mehrere Horusfalken (oder Sokar?) und Paviane (Thoth) in ägyptischem Stil und aus ägyptischem Hartgestein.2392 Apis ist außerdem nochmals in einem von Perlstab und Kymation gerahmten Friesfragment aus Marmor, das zum Bauschmuck des Tempels gehört haben könnte, im

2384 Vgl. auch eine sehr ähnliche Priesterskulptur aus dem Meer bei Kanopos selbst, s. o., Kap. 6.2.10.3. 2385 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 102–104; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.192, S. 506; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.103, S. 143. 2386 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 99–101, 104–105 u. 108, Nr. 285, 287 u. 290; Taf. 31 u. 33–34; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, S. 90–94; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.191, S. 506; BECK/BOL/BÜCKLING (Hrsg.), Ägypten Griechenland Rom, Kat. 47.327, S. 715; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.102, S. 142; BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 97, Abb. 2. 2387 Siehe bereits H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 100. 2388 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 66, Nr. 267; Taf. 22,2. 2389 So ein ägyptischer Würfelhocker der 3. ZwZt, siehe H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 92–93, Nr. 282; Taf. 29,1; QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 402. Sicherlich nicht trivial für die Auswahl des Stückes sind die hieroglyphischen Inschriften, die an die Götter Ptah(-Tatenen) und Sokar von Memphis gerichtet sind, von wo die Skulptur wohl ursprünglich stammte. 2390 Siehe BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 101–102, Abb. 7. 2391 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 70–71 u. 86–87, Nr. 270 u. 280; Taf. 23,1 u. 27; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.98, S. 141. Zur zweifachen Darstellung des Apis-Stiers und ihrer wahrscheinlichen Beziehung zu den zwei Osiris-Kanopos-Darstellungen (hier in den Händen von Priestern) siehe oben, Kap. 6.2.5.3. Ein weiterer Apis- oder Mnevis-Stier ist möglicherweise in dem stark beschädigten Stier aus rotem Granit zu erkennen, der vor der Porta S. Lorenzo in Benevent steht, siehe H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 12; Taf. 4; BÜLOW CLAUSEN, Flavian Isea, S. 85 u. 195, Kat. 15. Zur roten Farbe für die Darstellung der ägyptischen heiligen Stiere vgl. Kap. 7.2.2.2.3, m. Anm. 805. 2392 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 41–42 u. 48, Nr. 252 u. 256; Taf. 14 (Paviane); S. 45–48 u. 68– 69, Nr. 253–255 u. 269; Taf. 15–16 (Falken); DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.88–90, S. 137 (Pavian und zwei Falken); PIRELLI, Iseo di Benevento, S. 376 (Basis mit Falkenfüßen); vgl. QUACK, Heiligtümer ägyptischer Gottheiten, S. 402, Kat. 325 (Falke).

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Relief dargestellt.2393 Ägyptische Sphingen mit Königsköpfen aus verschiedenen Zeiten2394 sowie drei Löwenskulpturen in griechisch-römischem Stil (aber aus syenischem Granit)2395 zeigen auch hier (vgl. Iseum Campense), daß die ‚ideale‘ Ausstattung von Isistempeln, wie sie z. B. in den Wandbildern in Pompeji und Herculaneum suggeriert wird, in reicheren Heiligtümern auch tatsächlich statuarisch realisiert wurde. Eine weitere Parallele zum Iseum Campense sowie zu den ägyptischen Komplexen der Villa Hadriana könnte die Konstruktion eines „Canopos“ sein, die durch eine Inschrift festgehalten ist.2396 Die ägyptischen, ägyptisierenden und direkt auf den ägyptischen Kult bezogenen Skulpturen waren wahrscheinlich mit anderen Skulpturen in griechisch-römischem Stil und an sich un-ägyptischem Inhalt kombiniert, die ebenfalls in der Stadt, und teilweise gemeinsam mit Stücken der ersten Gruppe, gefunden wurden.2397 Das gleiche Phänomen läßt sich auch in anderen Isisheiligtümern beobachten, z. B. im Iseum von Pompeji, wo den Gottheiten des Isiskreises griechisch-römische Mythen und Privatstatuen gegenüber gestellt worden waren.2398 Unter den Beneventer Skulpturen befand sich unter anderem eine Marmorstatue der Minerva, der von Domitian primär favorisierten Göttin, deren Heiligtum ja auch auf dem Marsfeld in Rom mit dem der ägyptischen Götter sowie der Vespasian und Titus geweihten Porticus Divorum einen großen gemeinsamen Komplex domitianischer Bau- und Religionspolitik und Herrscherpropaganda bildete.2399 Nach der Analyse von BÜLOW-CLAUSEN könnte auch hier, wie in anderen flavischen Kontexten, außerdem eine Assoziation der Isis mit Magna Mater eine Rolle gespielt haben;2400 so könnten die aufgefundenen Löwenstatuen (s. o.) zu einem Viergespann vor dem Wagen der Muttergöttin gehört haben.2401 Auch weibliche Familienmitglieder des flavischen Kaiserhauses scheinen unter Domitian eng an Isis und Magna Mater gebunden worden zu sein. Eine Inschrift aus dem nahe Benevent gelegenen Aeclanum belegt, daß eine weibliche Flamen-Priesterin gleichzeitig für die unter Domitian vergöttlichte Julia Pia Augusta (= Julia Titi, Tochter seines Bruders Titus) und für Isis Regina, also Isis unter ihrem königlichen Aspekt, sowie Magna Mater tätig war.2402 Dies scheint an ptolemäische Traditionen anzuschließen, die die

2393 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 39–40, Nr. 250; Taf. 13,1. 2394 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 59–61, 65, 72–73, 80–81, 94 u. 113–114, Nr. 262–26, 266, 272, 276–277 u. 283; Taf. 20,2–3, 22,1, 23,2, 25, 29,2 u. 35,2–36,2. 2395 H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 74–79, Nr. 273–274, Taf. 24 u. Abb. 9–10; BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 97, Abb. 3. 2396 RICIS 505/0804 (siehe auch RICIS Suppl. III); die Inschrift stammt allerdings wahrscheinlich erst vom Ende d. 2. bis Anfang d. 3. Jhs., würde also höchstens zu einer späteren Bauphase des Heiligtums gehören, siehe zur Datierung I. M. IASIELLO, Uso e abuso dell’antico a Benevento, in: Samnium 79, n. s. 19, 2006, S. 39–74: 57–58. 2397 Siehe die ausführliche Besprechung dieser früher oft vernachlässigten ‚unägyptischen‘ Skulpturen bei BÜLOW-CLAUSEN, Domitian; EAD., Flavian Isea, S. 101–114. 2398 S. o., Kap. 7.3.3.1.1. 2399 S. o., Kap. 7.3.2.2.2. Vgl. BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 109–110. 2400 BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 110–113; EAD., Flavian Isea, S. 91–94. 2401 Vgl. H. W. MÜLLER, Isiskult Benevent, S. 76–77. 2402 RICIS 505/0901; siehe ausführlich dazu COLIN, Domitien, Julie et Isis, auch zu weiteren gemeinsamen Priesterschaften der Isis und der Magna Mater in Italien.

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Königinnen – z. B. Kleopatra III. – mit Isis identifizierten und ihnen außerdem eigene Priesterämter zuordneten.2403 7.3.3.4 Cumae und weitere Orte in Campanien Auch an anderen Orten Campaniens läßt sich die Integration der ägyptischen Götter anhand von Tempeln, die teilweise nur durch Inschriften, teilweise aber auch durch einige archäologische Funde bekannt sind, sowie der Verbreitung von kleinformatigen Objekten2404 und Wandmalereien2405 mit Themen des Isiskreises im privaten Raum beobachten.2406 Isis erscheint bei den kleinformatigen Objekten in den Typen Isis-Fortuna, Isis Panthea (vgl. Herculaneum und das private Wandbild in Pompeji) und (vereinzelt) Isis lactans, außerdem oftmals nur durch Basileion, Sistrum und Kleidung gekennzeichnet ohne weitere Attribute.2407 Das durch die Panthea-Ikonographie symbolisierte Konzept der Isis als universale Göttin, die andere Göttinnen in sich aufnimmt, wie es bereits aus den ägyptischen kulttopographischen Litaneien hervorgeht, faßt eine lateinische Dedikation aus Capua mit der knappen Formel una quae es omnia dea Isis „die Eine, die Alles ist, Göttin Isis“ konzis zusammen.2408 Neben Isis sind vor allem Harpokrates und Anubis (die sie in vielen Darstellungen

2403 Siehe dazu NAGEL, Isis und die Herrscher; COLIN, Isis „dynastique“. 2404 Statuetten und Lampen mit Darstellungen der ägyptischen Götter wurden in der Villa von Boscoreale, in Abella, Ager Falernus, Capua, Neapel, Puteoli, Salerno, Scafati und Stabiae gefunden, siehe BRICAULT, Atlas, S. 158–161. 2405 Die Villa von Agrippa Postumus in Boscotrecase ist unter anderem mit ägyptisierenden Szenen mit Isis (mit Sistrum, Situla und Netzkleid), Anubis (als Hund) und Apis geschmückt: BRICAULT, Atlas, S. 158. In der Villa rustica des N. Popidius Florus (ebenfalls Boscotrecase) ist eine Cista mit Uräusschlange und einem Greifen dargestellt, siehe DE VOS, Aegyptiaca romana, S. 137. Auch die Wand der Portikus an der großen Piscina der Thermen von Baiae ist mit ägyptisierenden Figuren zwischen dünnen Architekturgliedern im 3. Stil geschmückt, siehe TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 235–237; Taf. 69, Abb. 95–96. Einige dargestellte Objekte scheinen konkret auf den Isiskult hinzuweisen, doch könnte es sich im Rahmen der Bäder auch um rein dekorative Szenen handeln. Eine Wandmalerei aus der Villa di Varano in Stabiae zeigt bärtige Priester in langen Gewändern, die Situlen tragen, sowie Priesterinnen mit goldenen Schnabelkannen (DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. III.52, S. 185), die auf den Isis- und Osiriskult verweisen und mit ähnlicher Ikonographie z. B. in den Wandmalereien des Iseums von Pompeji vorkommen, s. o. 2406 Siehe zu verschiedenen Orten z. B. TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie; DE CARO, Novità isiache; COZZOLINO, Recent Discoveries; DEL FRANCIA, Aspetti; SIRANO, Culto di Iside. 2407 Isis-Fortuna: zwei Statuetten aus dem Lararium der Villa von Boscoreale (siehe AMOROSO, Roles of Isis, S. 46, m. Abb. 2), Collier mit Figuren aus Cumae, Bronzestatuette aus Neapolis, Schiffslampe aus Puteoli (nur Füllhorn), Silberstatuette aus Stabiae. Isis Panthea: Terrakottalampe aus Neapolis, Bronzestatuette aus Scafati (in ungewöhnlicher Kombination von Attributen: mit Basileion, Kalathos und Mondsichel, Ruder, Situla, Getreideähren und Granatapfel, siehe AMOROSO, Roles of Isis, S. 55– 56, Abb. 4). Isis lactans: Sandsteinstatuette aus Ager Falernus (Carinola). Basileion/Sistrum/Kleidung: Terrakotte aus Abella, Terrakottalampe aus Boscoreale, Terrakottalampen aus Puteoli. 2408 RICIS 504/0601 (siehe auch RICIS Suppl. III), wohl 3. Jh. n. Chr.; TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Kat. IS. 30, S. 41–42 u. 77; Abb. 39; SIRANO, Culto di Iside, S. 154. Der Stifter Arrius Balbinus gehörte zu einer alteingesessenen Familie der lokalen Elite. Zur ägyptischen kulttopographischen Litanei siehe z. B. Dend. Isis, 78, 16–79, 5 und Parallelen (Kap. 4.6.1.A); vgl. auch NAGEL, One for All.

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begleiten) in der Kleinkunst belegt, während Sarapis seltener – und konzentriert nur an wenigen Orten – erscheint.2409 Der relativ großen Anzahl entsprechender Funde zufolge scheinen in Campanien insbesondere in den Heiligtümern originale Skulpturen aus Ägypten einen hohen Stellenwert innegehabt zu haben. Aufgrund der Lage vieler Städte an der Küste und ihrer Beteiligung am Seehandel hatten sie einen leichteren Zugang zu solchen Importstücken,2410 was sich bereits in archaischer Zeit in der Ausstattung zahlreicher Gräber mit ägyptischen und ägyptisierenden/punischen Objekten niederschlug und somit eine gewisse Tradition in dieser Region darstellt.2411 In Cumae wurden erst in den 1990er Jahren die Reste eines Isistempels durch P. CAPUTO ergraben, der sich direkt an der Küste, im ehemaligen Hafengebiet der Stadt, befand.2412 Die Gründung des Heiligtums geht wahrscheinlich bereits auf die erste Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. zurück. Wohl aufgrund einer Absenkung des Bodens im Hafenbereich mußte es bereits in der zweiten Hälfte d. 1. Jhs. v. Chr. erneuert werden; die letzte Bauphase datiert zwischen das Ende des 1. und den Anfang des 2. Jhs. n. Chr. Bei dem Sakralbau handelte es sich um einen Podiumstempel, von dessen Aufgehendem allerdings nichts erhalten ist. Das Podium selbst ist jedoch über vier überwölbten Räumen errichtet,2413 was an ähnliche Podiuminnenräume in anderen Isistempeln, z. B. im Iseum von Sabratha, erinnert.2414 Eine Treppe zeigt an, daß sich die Front im Norden befand. Im Süden (also hinter dem Tempel) befand sich eine apsidiale Halle aus einer späteren Bauphase, im Osten des Podiums und von diesem durch einen L-förmigen Korridor getrennt lag ein quadratischer Raum. Vor dem Tempel, im Norden, war ein rechteckiges Wasserbecken2415 mit einem Brunnen von einer Portikus umgeben. Der Brunnen wies eine Dekoration aus Muscheln und blauen Glastesserae im 4. pompejanischen Stil (nach 62 n. Chr.) auf, die sich aufgrund von bekannten Parallelen wahrscheinlich mit einer Darstellung der Aphrodite Anadyomene ergänzen läßt.2416 Diese war, wie oben mehrfach dokumentiert, überhaupt häufig in Isisheiligtü2409 Harpokrates: Bronzestatuette und Collier mit Figuren aus Cumae, Terrakottalampe aus Puteoli. Harpokrates und Anubis mit Isis: Terrakotte aus Abella, Terrakottalampe aus Boscoreale, Terrakottalampe aus Capua, drei Terrakottalampen aus Puteoli. Sarapis: Schiffslampe (mit Isis), Marmorbüste und drei Terrakottalampen (mit Harpokrates und Anubis) aus Puteoli, Terrakottalampe aus Salerno. Abgesehen von den Wandmalereien, die ihn häufiger zeigen, ist Apis nur in einer einzelnen Bronzestatuette aus Scafati vertreten. 2410 Vgl. MALAISE, Nova Isiaca, S. 65. 2411 S. o., Kap. 7.3.1. 2412 Siehe P. CAPUTO, Rinvenimento; ID., Aegyptiaca Cumana; ID., Nuovo tempio; ID., Tempio di Iside; ID., Aegyptiaca from Cumae: New Evidence for Isis Cult in Campania: Site and Materials, in: G. Casadio/P. A. Johnston (Hrsg.), Mystic Cults in Magna Graecia, Austin 2009, S. 235–250; KLEIBL, Iseion, Kat. 30, S. 287–288. 2413 Siehe Grundriß und Querschnitt der freigelegten Strukturen bei P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 211, Abb. 2–3 (wiedergegeben auch bei KLEIBL, Iseion, Kat. 30, S. 288); vgl. zur Beschreibung der Architektur des Heiligtums P. CAPUTO, Aegyptiaca Cumana, S. 245–250. Ein älteres Podium der ersten Bauphase besaß zwei unterirdische Räume, die bei den Grabungen teilweise mit Grundwasser gefüllt waren; möglicherweise waren sie als Wasserreservoir genutzt worden. 2414 Siehe oben, Kap. 7.2.2.2.2. 2415 DE CARO, Novità isiache, S. 11, Abb. 1. 2416 P. CAPUTO, Aegyptiaca Cumana, S. 251.

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mern assoziiert (z. B. in Rom und Pompeji). Die erkennbare Grundstruktur des Heiligtums erinnert in groben Zügen an diejenige des Iseums von Pompeji: ein Podiumstempel mit weiteren Räumen dahinter und seitlich davon (in Pompeji ‚Sacrarium‘ und ‚Ekklesiasterion‘), und davor, wohl in einem Hof, eine Wassereinrichtung (in Pompeji eine Wasserkrypta), außerdem Portiken. Im Wasserbecken fanden sich die zerstörten, d. h. größtenteils kopflosen, Skulpturen des Heiligtums: ein ptolemäischer Sphinx aus grauem Granit,2417 eine spätptolemäische Frauenstatue aus Basalt mit einseitig über der Brust geknotetem dünnen Gewand und Sistrum und Anch-Zeichen in den seitlich herabhängenden Händen,2418 die im Kontext des Heiligtums als Isis oder eine Kultdienerin interpretiert worden sein könnte, und ein spätzeitlicher Naophor aus Basalt mit einer Osiris-Statuette, der ursprünglich einem Inaros gehörte.2419 Auf dem Rückenpfeiler werden Min, Sokar-Osiris(!) und die Gottheiten von Achmim genannt. Neben diesen ägyptischen Originalstücken gehörten Marmorfragmente einer römischen Harpokrates-Statue,2420 Fragmente einer Gottheit mit Fackel oder Füllhorn2421 und ein Stück eines Nemes-Kopftuches aus rotem Marmor ebenfalls dazu. Außerdem wurden Teile einer gläsernen Schlange gefunden.2422 Der Befund deutet auf eine intentionelle Zerstörung des Tempels und seiner Ausstattung hin, die wahrscheinlich im 4. oder Anfang des 5. Jhs. n. Chr. stattfand.2423 Weitere Statuen, die ursprünglich vielleicht zum Iseum gehört hatten, wurden bereits im frühen 19. Jh. im Bereich der Unterstadt gefunden: Es handelt sich um eine Marmorstatue des stehenden Anubis mit Hundekopf, der mit einer Chlamys bekleidet ist,2424 sowie eine weitere Skulptur des Harpokrates.2425 Die erhaltenen Strukturen und Ausstattungsteile des Heiligtums entsprechen gut dem, was bereits an anderen Orten Campaniens festgestellt wurde: Verehrt wurden wohl Isis, 2417 P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 215, Abb. 8. 2418 P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 214, Abb. 7; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.79, S. 448; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.12, S. 83; ALBERSMEIER, Frauenstatuen, Kat. 103, S. 226 u. 348; Taf. 42c. Vgl. die archaisierende Isis-Statue aus dem Isistempel von Pompeji, die ebenfalls ein ägyptisches Lebenszeichen in der herabhängenden Hand trägt, außerdem ein Sistrum in der erhobenen Rechten, s. o. Sicherlich bildeten ptolemäische Frauenstatuen in der Art der Statue aus Cumae das Vorbild für deren Ikonographie. 2419 P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 214, Abb. 6; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.78, S. 448; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.13, S. 84; COZZOLINO, Recent Discoveries, S. 22–25. 2420 Von P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 215–216, m. Abb. 9, sind die Fragmente zu einem hockenden, noch kindlichen nackten Knaben mit Finger am Mund ergänzt worden. 2421 P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 216, Abb. 10, ergänzt diese zu einem stehenden jugendlichen Harpokrates mit Finger am Mund und Füllhorn(?) im Arm. 2422 P. CAPUTO, Tempio di Iside, S. 216. 2423 Siehe KLEIBL, Iseion, Kat. 30, S. 288, m. Anm. 573. 2424 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.80, S. 449; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.11, S. 83. P. CAPUTO, Aegyptiaca Cumana, S. 252, nimmt aufgrund des Fundes nahe der nördlichen Stadtmauer an, daß ein zweites Heiligtum im Stadtzentrum existierte, was m. E. jedoch sehr hypothetisch ist, zumal keine weiteren Indizien darauf hindeuten. Die Skulptur könnte entweder aus dem Heiligtum am Hafen sekundär dorthin gekommen sein oder zu einem privaten Kontext gehört haben. Vgl. zur Kritik an P. CAPUTOs These auch M. GIGANTE, Un Iseo a Cuma, in: RM 102, 1995, S. 317–319: 318. GIGANTE zieht allerdings auch überhaupt die Identifikation der Funde und Strukturen im Hafenbereich als Iseum in Zweifel, wofür es m. E. jedoch keine überzeugenden Gründe gibt (vgl. auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 33, der den Standpunkt von GIGANTE ebenfalls nicht nachvollziehen kann). 2425 Vgl. zu den Funden P. CAPUTO, Aegyptiaca Cumana, S. 250.

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Osiris, Harpokrates und Anubis, möglicherweise auch Venus (vertreten im Typus Anadyomene), und die Aegyptiaca wurden nach ähnlichen Kriterien ausgesucht. Sie weisen Bezüge zu den Hauptgottheiten auf (Isis und Osiris), stellen möglicherweise am Kult beteiligte Anhänger oder Priester dar (die Frauenstatue und der Naophor) beziehungsweise gehören als Wächterfiguren zur ‚Standardausstattung‘ ägyptischer Tempel (Sphinx). Zwei Sphingen, die heute vor dem Tor der Kathedrale in Teano (Teanum Sidicinum) stehen, werden von SIRANO gemeinsam mit anderem Material, das in der Stadt gefunden wurde, ebenfalls einem lokalen Iseum hypothetisch zugeordnet, das sich vielleicht sogar am Platz der späteren Kathedrale befand.2426 Mehrere Fragmente marmorner Verkleidungsplatten mit Uräenreliefs (wohl 1. Jh. n. Chr.) könnten zu einem Fries oder einer oberen Wandbekrönung gehört haben, ähnlich den mit Uräen bekränzten Schreinen oder Naoi auf den Münzdarstellungen des Iseum Campense und auf einem der Wandbilder aus Herculaneum.2427 Ein mit Uräen und einem Sistrum geschmücktes Antefix wurde ebenfalls gefunden. Einiges deutet darauf hin, daß sich wie in Cumae auch in Puteoli ein Isistempel im Hafenbereich befand und Isis entsprechend als Herrin des Meeres und Schützerin der Seefahrt verehrt wurde. Im Meer vor der Küste wurde sowohl eine auffällige schiffsförmige Lampe des 1.–2. Jhs. n. Chr. mit Darstellungen von Isis mit Füllhorn, Sarapis mit Steuerruder, einem Dioskur und einem zwergenhaften Handwerker (Ptah-Patäke?) gefunden,2428 als auch eine Statue der Isis mit Segel aus antoninischer oder severischer Zeit.2429 Auf einer marmornen Votivtafel mit zwei plastisch gestalteten Ohren, die der Inschrift zufolge Acilius Celadus nach einem Orakel (oraclum) geweiht hat, wird Isis wieder einmal zusammen mit Mater Magna, außerdem aber auch mit Juno Sospita, genannt.2430 Ein Mosaik des 3. Jhs. n. Chr. mit zwei Paaren von Faustkämpfern, das erst in jüngerer Zeit in einer Villa am Stadtrand freigelegt worden ist, trägt eine Inschrift, die andeutet, daß die dargestellten Eusebia-Agone (zu Ehren des Divus Hadrianus und seiner Nachfolger) in oder bei dem örtlichen Iseum stattfanden, was die Integration des Tempels in das öffentliche Leben ver2426 SIRANO, Culto di Iside, S. 152–153, m. Abb. 3–4; DE CARO, Novità isiache, S. 20, Abb. 15. 2427 SIRANO, Culto di Iside, S. 152–153, u. Abb. 5 auf S. 154. 2428 BRICAULT, Dame des flots, S. 126–127; SANZI, Culti egiziani a Pozzuoli, S. 140–149; ZEVI, Pozzuoli, S. 70, m. Abb. 2; STEUERNAGEL, ‚Corporate Identity‘, S. 169, m. Anm. 105; DUBOIS, Cultes et dieux, S. 53; TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 12–20; ID., „Isis“, Nr. 205; ID., Sérapis debout, Nr. V 11, Abb. 267. Isis scheint ihre rechte Hand hinter den Kopf von Sarapis erhoben zu haben und auf einer Welle(?) zu stehen. Die Lampe hat insgesamt 21 Dochte und trägt die griechischen Inschriften RICIS 504/0403: „Gute Fahrt“ ist unter den Dioskuren geschrieben, und auf die Rückseite der Lampe die Aufforderung „Kauf mich, den Heliosarapis!“. 2429 BRICAULT, Dame des flots, S. 91–92, m. Abb. 51; ADAMO MUSCETTOLA, Iside a Pozzuoli, S. 550, Abb. 4–5. Vgl. die parallele Statue aus dem Hafen von Ostia, s. o., Kap. 7.3.2.3.1 m. Anm. 1968. 2430 RICIS 504/0406 (Suppl. I, siehe auch Suppl. III); DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.9, S. 82; GASPARINI, Listening Stones, Kat. 17, S. 559 u. 570–571; vgl. BÜLOW-CLAUSEN, Domitian, S. 100– 101. Da die Namen der drei Göttinnen einfach nur aneinander gereiht wurden (Iunoni Sospiti Matri Ma[gnae] steht über, Isidi genau zwischen den Ohren), ist nicht klar, ob eine synkretistische Göttin Juno Sospita Mater Magna Isis gemeint ist, oder die Weihung sich tatsächlich an drei verschiedene Göttinnen richtet, die nur miteinander assoziiert sind. Letzteres ist wohl wahrscheinlicher. Zu den Ohren vgl. die rückwärtige Nische am Isistempel von Pompeji, s. o., Kap. 7.3.3.1.1.

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deutlicht.2431 Umstritten ist dagegen die Deutung der Legende ISIV auf einer spätantiken Glasvase (3.–4. Jh. n. Chr.), die mit einer Ansicht der Stadt Puteoli dekoriert ist.2432 Es ist nicht eindeutig, auf welches der dargestellten Gebäude sich die Angabe bezieht, oder ob das entsprechende Gebäude überhaupt darauf dargestellt ist, denn unterhalb des Schriftzugs befindet sich ein monumentaler Torbogen, der mit vier Tritonen bekrönt ist. Eine zweite ähnliche, allerdings in den Details teilweise leicht abweichende Glasvase weist an der gleichen Stelle einen Tempel anstelle des Bogens auf, doch fehlt bei diesem die Beschriftung.2433 Falls tatsächlich ein Isistempel an dieser Stelle (zumindest in einer Version) gemeint ist, würde er sich an einer Hafenmole befinden, die unmittelbar darunter angedeutet ist. In die Reihe der Indizien für eine marine Konnotation und wahrscheinliche Verehrung der Isis im Hafenbereich von Puteoli würde sich außerdem das Gedicht des aus Neapel stammenden Statius für M. Maecius Celer gut einfügen.2434 Anläßlich der Abreise des Celer von Puteoli, um einen Posten als Legionslegat in Syrien anzutreten (wohl 94 n. Chr., also unter Domitian!), empfiehlt der Dichter ihn der Obhut der Isis an, indem er die Göttin bittet, ihn „mit lärmendem Sistrum in der Hand“ auf der über Alexandria führenden Seereise zu beschützen. Außerdem soll sie ihn in ihr Land, seine Tempel und Geheimnisse einführen. Die Göttin selbst bezeichnet er als „Königin des Pharos und Göttin des schnaubenden Orients“ (Z. 102) und assoziiert sie zudem durch die Nennung von Phoroneus mit dessen Schwester Io (Z. 101).2435 Die genannten Hinweise auf einen Isistempel in Puteoli stammen allerdings alle erst aus der fortgeschrittenen Kaiserzeit. Anders als an anderen Orten Campaniens deuten in Puteoli stattdessen die ältesten Zeugnisse auf einen früh etablierten Kult des Sarapis hin.2436 Die Inschrift mit dem lex parieti faciundo von 105 v. Chr., in der ein Tempel des Sarapis 2431 RICIS 504/0407 (Suppl. I); STEUERNAGEL, Kult und Alltag, S. 219; S. DE CARO, L’attività archeologica della Soprintendenza Archeologica di Napoli e Caserta nel 1998, in: L’Italia meridionale in età tardo antica. Atti del trentottesimo Convegno di studi sulla Magna Grecia, Taranto, 2–6 ottobre 1998, Tarent 1999, S. 635–661: 651–652; Taf. 67, 1; C. GIALANELLA, Il mosaico con lottatori da una villa del suburbio orientale di Puteoli, in: F. Guidobaldi/A. Paribeni (Hrsg.), AISCOM. Atti dell’VIII Colloquio dell’Associazione Italiana per lo studio e la conservazione del Mosaico, Firenze, 21–23 febbraio 2001, Ravenna 2001, S. 599–608. 2432 Vase von Prag, siehe ADAMO MUSCETTOLA, Iside a Pozzuoli, S. 548–549, m. Abb. 2; TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 6–11; Taf. 25, Abb. 34. 2433 Vase von Odemira, siehe ADAMO MUSCETTOLA, Iside a Pozzuoli, S. 548–549, m. Abb. 1; TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 8; Taf. 25, Abb. 32–33. Die Deutung eines zweiten auf den beiden Vasen dargestellten Tempels als Sarapistempel durch TRAN TAM TINH, gefolgt von SANZI, Culti egiziani a Pozzuoli, S. 162–163, und J.-C. GOLVIN, À propos de la restitution de l’image de Puteoli. Correspondance, ancrage, convergences, in: P. Fleury/O. Desbordes (Hrsg.), Roma illustrata, Caen 2008, S. 157–174: 166, ist wahrscheinlich nicht zutreffend, vgl. ADAMO MUSCETTOLA, Iside a Pozzuoli, S. 549. Zur Problematik der Deutung auch STEUERNAGEL, ‚Corporate Identity‘, S. 166, Anm. 84. 2434 Statius, Silvae III, 2, 100–110; siehe dazu TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 194–195; ALVAR, Romanising Oriental Gods, S. 323; AUFRÈRE, Osiris-Nil, S. 133–134; ausführlicher Kommentar bei E. MANOLARAKI, Noscendi Nilum Cupido: Imagining Egypt from Lucan to Philostratus, Trends in classics, Supplementary volumes 18, Berlin – Boston 2013, S. 184–219; zu Isis bei Statius insgesamt auch S. MONTERO, Los dioses egipcios en Estacio, in: Habis 10–11, 1979– 1980, S. 241–253. 2435 Zu Isis und Io siehe oben, Kap. 7.3.3.1.1. 2436 Vgl. zu der Besonderheit des frühen Sarapiskultes ZEVI, Pozzuoli, S. 73–74.

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erwähnt wird, wurde bereits oben als frühestes sicheres Zeugnis für ein Heiligtum ägyptischer Gottheiten in Italien überhaupt angeführt.2437 Auch dieser Tempel konnte jedoch bisher nicht archäologisch lokalisiert werden. Die Verehrung des Sarapis setzte sich ebenfalls in der Kaiserzeit fort und war bestens in das urbane Leben integriert, wie unter anderem die Aufstellung einer großen Statue des thronenden Gottes (2. Jh. n. Chr.) im Macellum (das deshalb früher fälschlich als „Sarapistempel“ bezeichnet wurde) demonstriert.2438 Noch Ende des 2. oder Anfang des 3. Jhs. wurden ein Eingangsbereich mit Säulen inklusive Epistyl für den Tempel des „großen Gottes (deus magnus) Serapis“ durch einen Sextus Pompeius Primitivus und seinen Sohn gestiftet, für das Wohl des Kaisers (wahrscheinlich Caracalla).2439 Die große Beliebtheit und feste Etablierung von Isis und Sarapis bei der Bevölkerung der Hafenstadt zeichnet sich ferner an zahlreichen mit ihren Namen gebildeten theophoren Personennamen ab.2440 In Neapolis ist wohl von einem Isistempel bereits in republikanischer Zeit auszugehen, wenngleich auch hier die genaue Lokalisierung unbekannt ist. Die Existenz eines alexandrinischen Stadtviertels im Hafenbereich könnte allerdings erneut für eine maritime Lage sprechen.2441 In den angenommenen Tempel, d. h. „für Isis“, stiftet in der Regierungszeit des Tiberius der Prätor Marcus Opsius Navius Phannianus mit einer griechischen Weihinschrift eine Statue des „Apollon-Horus-Harpokrates“.2442 Apollon war einer der Stadtgötter von Neapolis und seine Identifizierung mit Horus/Harpokrates ist z. B. auch in Kyrene belegt.2443 Aus dem gleichen Stadtviertel stammt eine Statue des personifizierten Nils,2444 die sich im Vergleich mit entsprechenden Statuen aus dem Iseum Campense und dem Sarapeion von Ostia vielleicht ebenfalls einem Heiligtum zuordnen läßt. Mehrere Marmorstatuen der Isis in griechisch-römischer Ikonographie belegen die Verehrung der Göttin in der Kaiserzeit, darunter zwei Skulpturen aus schwarzem und weißem Marmor (heute stark ergänzt), die die Göttin mit Knotenpalla und Kopfschleier zeigen (Mitte bis zweite Hälfte 2.

2437 RICIS 504/0401; siehe oben, Kap. 7.3.1. 2438 Siehe TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Kat. IS 1, S. 49–50; Abb. 20; STEUERNAGEL, ‚Corporate Identity‘, S. 170; ADAMO MUSCETTOLA, Pozzuoli, S. 325; BAKKER, Living and Working, S. 94. 2439 RICIS 504/0405; vgl. auch SANZI, Culti egiziani a Pozzuoli, S. 161. Eventuell könnte es sich bei dem genannten Kaiser (Caesar M. Aurelius Antoninus Augustus Pius felix) auch um Marc Aurel oder Elagabal handeln. 2440 Siehe SANZI, Culti egiziani a Pozzuoli, S. 159–160; MALAISE, Inventaire, S. 286–288; ID., Documents nouveaux, S. 653. 2441 Siehe TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, S. 27–29; DEL FRANCIA, Aspetti, S. 151; LONGOBARDO, Iside a Napoli, S. 145–146; GASPARINI, Santuari isiaci, S. 67. 2442 RICIS 504/0301 (siehe auch RICIS Suppl. III); TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Kat. IS. 23, S. 29–30; Abb. 41; LONGOBARDO, Iside a Napoli, S. 146 u. Kat. II.105, S. 148. Vgl. eine ähnliche Namenskette in der Weihung eines Priesters des Harpokrates in Thessaloniki von 15/14 v. Chr.: „Horos Apollon Harphokrates“ (RICIS 113/0525), siehe MALAISE, Terminologie, S. 37. 2443 S. o., Kap. 7.2.1.2.2. 2444 TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Kat. IS 22, S. 35; Abb. 22–23; LONGOBARDO, Iside a Napoli, S. 145.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Jh. n. Chr.).2445 Eine weitere Skulptur im Typus „Isis mit Segel“ wurde außerdem in einer Villa auf dem Posillipo gefunden.2446 Inschriftlich ist außerdem in Ager Falernus (Carinola) ein Isis- (und Sarapis-)tempel ab dem 1. Jh. n. Chr. belegt,2447 während eine Ehrung aus Acerrae aus dem 2. Jh. n. Chr. einem öffentlichen Priester (sacerdos publicus) von Isis und Sarapis gewidmet ist, der daneben politische Ämter ausübte.2448 Sein Beiname (signum) Heuresis zeigt an, daß sich hinter dem in der Inschrift genannten Sarapis vermutlich Osiris verbirgt, da sich das hier in Latein umgeschriebene griechische Wort sicherlich auf das Fest Inventio Osiridis (griech. Heuresis) bezieht.2449 7.3.4 Resümee: Der Isiskreis im Zentrum der Macht Die ausführliche Analyse besonders reichhaltiger zusammenhängender Befunde für den Kult der ägyptischen Gottheiten in der Kernregion ihrer Verbreitung in Italien hat insgesamt – neben der bereits bekannten Abhängigkeit von Delos – eine starke Anbindung an das Ursprungsland Ägypten erwiesen. Die enge Beziehung zwischen ägyptischem und latinisch-campanischem Isiskult, die sich bereits anhand zahlreicher, wenn auch oft relativ vager Zeugnisse aus republikanischer Zeit ablesen läßt, erfährt in der Kaiserzeit eine Festigung durch die neuen politischen Impulse der regierenden Caesaren und die zunehmende Personenmobilität innerhalb des sich ausweitenden Reiches. Die in der Forschung oft verwendete Auffassung und Bezeichnung der Phänomene als ‚(Re-)Ägyptisierung‘2450 des ‚hellenistischen Isiskultes‘ greift m. E. zu kurz und ist sogar irreführend, da sie – wie auch die konkreten Argumentationen einiger Arbeiten – den Eindruck erweckt, es handele sich um eine bewußte und artifizielle Neugestaltung eines bestehenden festen (und mehr oder weniger einheitlichen) Modells, des ‚hellenistischen Isiskults‘, von außen. Auch der von verschiedenen Forschern geteilten Meinung, es handele sich vor allem um eine Frage der äußeren ‚exotischen‘ Formen, weniger jedoch des tatsäch-

2445 TRAN TAM TINH, Divinités orientales en Campanie, Kat. IS 16–17, S. 30–34; Abb. 1–3; EINGARTNER, Isis und ihre Dienerinnen, Kat. 13 u. 20, S. 16–17, 20, 114 u. 117; Taf. 12 u. 17; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. V.213, S. 518; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Kat. II.106–107, S. 148–149. 2446 BRICAULT, Dame des flots, S. 88–89, Abb. 48; DE CARO (Hrsg.), Egittomania, Abb. S. 144. 2447 RICIS 504/0801: Dedikation an Isis Augusta durch C. Novius Priscus, aus eigenen Mitteln, 1.–2. Jh. n. Chr.; RICIS 504/0802 (siehe auch RICIS Suppl. III): Dedikation an Isis und Sarapis, die Duumviri Q. Baebius und C. Birrius haben die Mittel zur Finanzierung gesammelt, 1. Jh. n. Chr. 2448 RICIS 504/0701 (siehe auch RICIS Suppl. III). 2449 Siehe L. BRICAULT, RICIS II, S. 614, Kommentar zu RICIS 504/0701. Auch in den Menologica rustica aus Rom wird das Osirisfest im November Heuresis genannt (RICIS 501/0219). 2450 So z. B. M.-J. VERSLUYS, Orientalising Roman Gods, in: L. Bricault/C. Bonnet (Hrsg.), Panthée. Religious Transformations in the Graeco-Roman Empire, RGRW 177, Leiden 2013, S. 235–259: 250–259; J. HARRISSON, Isis in the Greco-Roman World: Cultural Memory and Imagination, in: Bommas/Harrisson/Roy (Hrsg.), Memory, S. 213–236: 211 (sie bezeichnet den griechisch-römischen Isiskult überhaupt als „deliberately Egyptianizing cult“ und stellt fest: „What Greco-Roman devotees of Isis were actually doing for the most part was not remembering ancient Egyptian rites, values or even myth, but creating an imaginary Isis out of a blend of Greco-Roman Egyptian elements and aspects of Greek ‚mystery‘ religion.“).

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lichen (ägyptischen) Inhaltes und seines Verständnisses,2451 muß nach der vorliegenden Analyse eindringlich widersprochen werden.2452 In den Heiligtümern Italiens und Latiums wurden Rituale nach ägyptischem Vorbild durchgeführt, was sich an der Konzeption von Ausstattung und Dekoration, die direkt darauf, und besonders auf das zentrale Fest der Isia, bezogen war, ablesen läßt. Ägyptische Originalstücke sowie in Italien produzierte Nachahmungen solcher Aegyptiaca wurden nicht bloß ihres authentischen und exotischen Aussehens wegen in die architektonisch hauptsächlich von hellenistischen und römischen Traditionen geprägten Kultbauten (siehe Abschnitt 7.3.4.2) integriert, sondern anhand eines sinnvollen zusammenhängenden Konzepts ausgesucht, das sich bei einem Vergleich der untersuchten Kontexte sogar auf ein gemeinsames, zugrunde liegendes Programm mit Wurzeln in Ägypten zurückführen läßt (siehe Abschnitt 7.3.4.3). Die große Wahrscheinlichkeit, daß solche Importstücke den Heiligtümern außerdem sicherlich zusätzliches Prestige verliehen, bleibt davon unbetroffen. Bedeutung und Charakter der einzelnen in Italien anzutreffenden ägyptischen Gottheiten, insbesondere der Isis, sind jeweils an die lokalen Gegebenheiten und Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung angepaßt (z. B. Betonung der marinen und Fruchtbarkeitsaspekte der Isis in Küsten- und Hafenstädten), gehen jedoch im Kern auf Entwicklungen in Ägypten zurück bzw. laufen mit diesen parallel (Abschnitt 7.3.4.1). Die epigraphischen bzw. prosopographischen Zeugnisse wiederum deuten auf einen relativ großen Anteil an Ägyptern, Alexandrinern und Orientalen hin, der im 2. Jh. n. Chr. sogar noch (zumindest den erhaltenen Zeugnissen nach) zuzunehmen scheint. Entsprechend ist auch die insgesamt sehr vielfältige Struktur des Kultpersonals von (spät-) ägyptischen Vorbildern abhängig, wenngleich die Umsetzung der Titel mit lateinischen und griechischen Bezeichnungen die genauen Implikationen der einzelnen Ämter oftmals verdunkelt (Abschnitt 7.3.4.3). 7.3.4.1 Bedeutung und Charakter des Isiskreises In Latium und Campanien nimmt Isis unter den ägyptischen Gottheiten wie in anderen Teilen Italiens eine eindeutig führende Position ein,2453 und zwar sowohl was die Anzahl der Weihungen und bildlichen Darstellungen betrifft, als auch in Hinsicht auf die Vielfältigkeit ihres Charakters. Es zeigt sich, daß ein Großteil der Wirkungsbereiche und Eigenschaften, die der Göttin in ägyptischen Texten zugeschrieben werden (siehe Band 1), auch auf italischem Boden eine Umsetzung fand, wenngleich oftmals in neuen, eigenen Bildern und Beinamen. 2451 So z. B. der grundsätzliche Tenor bei LEMBKE, Iseum Campense, und in den Arbeiten von M.-J. VERSLUYS. 2452 Dies tue ich im Anschluß an die Vorarbeiten anderer Ägyptologen wie J. F. QUACK und P. P. KOEMOTH, deren Aufsätze (z. B. QUACK, Zum ägyptischen Ritual; ID., Heiligtümer ägyptischer Gottheiten; KOEMOTH, Du Nil à Byblos; ID., Hydrie isiaque) bereits in dieselbe Richtung weisen; vgl. außerdem auch L. SIST, Gli Isei: funzioni e significati delle decorazioni, in: B. Palma Venetucci (Hrsg.), Culti orientali tra scavo e collezionismo, Rom 2008, S. 65–72, zu Bezügen zwischen ägyptischen Tempeln und Isis- und Sarapisheiligtümern außerhalb Ägyptens. Ein ausgewogener Blickwinkel wurde desweiteren von der Klassischen Archäologin BÜLOW CLAUSEN in ihrer Arbeit Flavian Isea angenommen: „(…) the reception of the Egyptian sculptures must have been varied, depending on the viewer’s knowledge and experience.“ (S. 31); vgl. auch EAD., S. 98, zum Bezug der Ausstattung auf die zentralen Festriten. 2453 Vgl. zu Italien insgesamt bereits MALAISE, Conditions, S. 159 u. Tabelle S. 160; ID., Nova Isiaca, S. 66.

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Isis Frugifera/Pelagia: Besonders verbreitet und in engem Zusammenhang mit der Art und den Faktoren ihrer Einführung an der Küste Italiens sind die Fruchtbarkeitsaspekte und der marine Charakter der Isis, die sich bereits in den frühesten Zeugnissen aus Rom und Campanien gehäuft abzeichnen und oftmals miteinander kombiniert erscheinen, da die Schirmherrschaft über die Seefahrt mit der Kontrolle über den Mittelmeerhandel und speziell die Getreidelieferungen aus Ägypten einhergeht.2454 So zeigen Statuen und ein Relief aus republikanischen und frühkaiserzeitlichen Kontexten in Rom (Kapitol: Forum Boarium), Neapel und Benevent die Göttin im Typus ‚Isis mit Segel‘, und in Rom wird sie bereits um die Zeitenwende unter der Epiklese „Isis Pelagia“ verehrt. Weitere Statuen der seefahrenden Isis stammen aus Puteoli und Ostia, wo zahlreiche Zeugnisse sie noch in der fortgeschrittenen Kaiserzeit eng mit der Seefahrt, und konkreter mit Alexandria und der von dort kommenden Annona in Verbindung bringen.2455 Daß Isis Korn, Fülle und Wohlstand insbesondere in die Hauptstadt bringt, unterstreichen die häufigen ikonographischen Darstellungen aus Rom und Ostia, die ihr ein Füllhorn und/oder Getreideähren als Attribute zuweisen, sowie das Epitheton „Frugifera“ (Rom: Kapitol). In einigen Darstellungen aus Rom wird sie durch die Kombination aus Ähren und Fackel auch mit Demeter assimiliert. Zwei Monumente aus Rom repräsentieren die Göttin in der ägyptischen Gestalt als IsisThermuthis, die ebenfalls mit Fülle und Fruchtbarkeit zu verbinden ist.2456 Isis-Fortuna: An anderen Orten (Pompeji, Herculaneum, außerdem Puteoli, Tibur, Boscoreale, Cumae, Neapolis und Stabiae, auch Rom und Ostia) ist das Füllhorn meist mit dem Steuerruder kombiniert, was in Anlehnung an die griechisch-römische Tyche/FortunaIkonographie neben dem Fruchtbarkeits-Aspekt sowohl die Assoziation mit der Seefahrt, als auch die Macht der Isis über das menschliche Schicksal implizieren kann.2457 Mengenmäßig handelt es sich bei ‚Isis-Fortuna‘ auch für ganz Italien um den beliebtesten ikonographischen Typus.2458 Es gilt allerdings zu bedenken, daß diese Statistik zum größten Teil auf sehr kleinformatigen, teilweise in Massenproduktion hergestellten Stücken (v. a. Bronzestatuetten) basiert, während größere Statuen, insbesondere im Heiligtumskontext, deutlich seltener belegt sind. Nur selten schlägt sich die ikonographische Verbindung mit Tyche/Fortuna auch durch die Namenskombination Isityche tatsächlich im epigraphischen Befund nieder,2459 während die modern verwendete, lateinische Version „Isis-Fortuna“ sogar offenbar überhaupt nicht existiert. Verbindung zu lokalen Göttinnen: Daß Isis aber an verschiedenen Orten individuell mit traditionellen lokalen Göttinnen identifiziert oder zumindest assoziiert wurde, zeigen Inschriften aus Aquae Albulae (Albula), Seripola (Bona Dea), und die archäologischen Befunde in Praeneste (Fortuna Primigenia) und Nemus Dianae (Diana). Mehrfach ist eine

2454 Ausführlich dazu BRICAULT, Dame des flots. 2455 MALAISE, Conditions, S. 180, gibt noch an, daß die Ikonographie der Isis mit Segel in Italien nur selten belegt sei; diese Aussage kann anhand der gründlichen Aufarbeitung durch BRICAULT, Dame des flots, nun revidiert werden. 2456 Zu Isis-Thermuthis und Demeter in Ägypten siehe oben, Kap. 6.1.2.1. 2457 Vgl. die Beliebtheit dieses statuarischen Typus in Alexandria, wo er vermutlich entstand, siehe oben, Kap. 6.2.10.1. 2458 Siehe MALAISE, Conditions, S. 179; ID., Nova Isiaca, S. 56–57. 2459 Italien: je einmal in Rom, Pompeji, Praeneste und Mama, siehe oben, Anm. 1873 u. 2072.

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Italien: Latium und Campanien

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Vergesellschaftung, wahrscheinlich mit teilweiser Assimilierung, der Isis mit Aphrodite2460 und Magna Mater2461 nachzuweisen. Beides dürfte an ägyptische Traditionen anknüpfen, die sie einerseits seit langem mit Hathor und Bastet gleichsetzen, und sie andererseits in ptolemäischer Zeit über ihren Haupttitel mw.t-nTr „Gottesmutter“ an die griechische Meter theōn annähern. Isis-Bubastis: Die speziell memphitisch-unterägyptische enge Assoziation der Isis mit Bastet ist in Italien selbst nicht nur durch die Weihung einer Venus-Statuette an Isis-Bubastis im Sarapeion von Ostia, sondern auch durch zusammengehörige Tempel oder Kapellen der beiden ägyptischen Göttinnen im großen Heiligtum der Diana in Nemi bezeugt.2462 Isis Memphitica: Auf eine Prägung des Isiskultes in Italien durch die Kultlandschaft der alten ägyptischen Hauptstadt könnte auch der mehrfache Bezug auf Memphis in literarischen und epigraphischen Zeugnissen hinweisen.2463 Auch die häufigen ägyptischen synnaoi theoi der Isis in Italien, namentlich Apis, Anubis und Thoth,2464 in einigen Fällen sogar Ptah, Sachmet und Nefertem,2465 deuten memphitische Wurzeln dieser Formen des Kultes an.2466 Isis-Hathor/Isis als Kuh u. Isis lactans: Die zoomorphe Verkörperung der Isis als Kuh, die mehrfach in Rom, sowie in Ostia und Pompeji belegt ist, könnte einerseits auf ihre alte ägyptische Verbindung mit Hathor, aber mindestens ebenso gut auf die Kuhgestalt als Mutter von Apis in Memphis zurückgehen. Gerade letztere Rolle der Isis ist zudem durch eine Darstellung der menschengestaltigen Isis lactans mit kleinem Stier aus dem Sarapeion in Ostia auch ikonographisch umgesetzt, während andere Beispiele der Isis lactansIkonographie (aus Rom: Iseum Campense; Herculaneum und Ager Falernus) die Göttin in gängiger Weise mit dem Horus/Harpokrates-Knaben zeigen.2467 Die Integration einer ägyptischen Statue einer den Pharao säugenden Kuh in die Ausstattung des Iseum Campense sowie die Inschrift des Domitiansobelisken bezeugen die Kontinuität des Konzepts der Übertragung von Herrschaftsmacht durch die göttliche Milch zumindest in der Hauptstadt.

2460 Rom: Regio III, Lararium S. Martino ai Monti; Ostia: Sarapeion; Pompeji: Iseum; Cumae: Iseum. 2461 Rom: spätantike Priesterämter; Herculaneum: Palaestra; Puteoli: Votivtafel; Ostia u. Portus: Priesteramt bzw. Weihung; Aeclanum: Priesteramt; Benevent: Iseum? Daneben ist außerdem ein Altar aus Nomentum zu nennen, der bereits in das 2.–1. Jh. v. Chr. datiert, siehe COLAZILLI, Isis and Serapis in Nomentum, S. 3–5, m. Abb. 5–7. Die Inschrift nennt einen Priester der Magna Mater von Nomentum, doch auf den Nebenseiten sind ein Sistrum und eine Situla im Relief dargestellt, was mindestens nahelegt, daß der Priester gleichzeitig auch Anhänger der Isis war oder die beiden Göttinnen miteinander identifizierte. 2462 Bastet/Bubastis selbst ist laut MALAISE, Nova Isiaca, S. 63, in Italien ikonographisch nur in reiner Katzengestalt belegt, z. B. auf Sistren. In Aquileia (Venetien) wurde außerdem eine Bronzestatuette der Katzengöttin gefunden, siehe ibid., Kat. Aquileia 53. 2463 Rom: Ovid; Weihung einer „memphitischen Statuette“ an Isis Regina; Terracina: Weihung einer „memphitischen Fortuna-Statuette“ an Isis Domina. 2464 S. u., Anm. 2492–2493 u. 2496–2497. 2465 S. u., Anm. 2498. 2466 Zum Isiskult in Memphis (Sakkara) und den dort assoziierten Gottheiten siehe oben, Kap. 4.12.1 und 6.2.1. Zur zentralen Rolle von Memphis für den hellenistischen und römischen Isiskult siehe bereits BERGMAN, Ich bin Isis, allerdings mit Fokus auf den Isis-Aretalogien. 2467 Zur Isis-lactans-Ikonographie in Italien siehe auch MALAISE, Conditions, S. 178–179; ID., Nova Isiaca, S. 56.

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Isis Augusta: Mit der zunehmenden Förderung der ägyptischen Gottheiten durch das Kaiserhaus ab flavischer Zeit wird die ägyptische und ptolemäische Rolle der Isis als Patronin des Herrschers und Überträgerin der Herrschaftsmacht auch im römischen Kontext umgesetzt. Insbesondere die Heiligtümer domitianischer Zeit, das Iseum Campense und das Iseum von Benevent legen Zeugnis ab von der Erwählung und Krönung des Kaisers durch Isis, während ein gemeinsames Priesteramt für Isis, Mater Magna und Julia Titi in Aeclanum die Einbindung der ganzen Familie in diese Konzeption nach ptolemäischem Vorbild andeutet. Die Assoziation der Göttin mit dem Kaiserhaus spiegelt sich auch in ihrem Epitheton Augusta (Rom, Pompeji,2468 und Ager Falernus) wider.2469 Isis Invicta: Isis (und Sarapis) wird von den Flaviern zudem mit dem Sieg über die Juden sowie über die Anhänger des Vitellius in Verbindung gebracht, was ebenfalls auf gut bekannten ptolemäischen Vorbildern beruht. Von ihren kriegerischen, siegbringenden Eigenschaften (zugunsten des Kaisers) zeugen die Epitheta Invicta2470 und Triumphalis in Rom sowie das ikonographische Element der Flügel von Victoria in einigen ‚Isis-Panthea‘Darstellungen (Rom: Denar von 68/7 v. Chr.; Pompeji; Herculaneum; Neapolis; Scafati). Die Sieghaftigkeit der Isis könnte sich im übertragenen Sinne jedoch auch auf den Sieg über den Tod durch die Wiederbelebung ihres Gatten Osiris, sowie ihre Macht über das Schicksal2471 beziehen. Mit ihren kämpferischen und schützenden Aspekten hängt ihre ägyptische Tiergestalt als Uräusschlange (z. B. in Pompeji: Iseum; Ostia: Reliefbasis) eng zusammen,2472 die sie außerdem direkt mit der Königsherrschaft in Verbindung bringt. Isis Regina: Mit ihrem ägyptischen Charakter als Königsgöttin stimmen auch die Titel und Darstellungen überein, die Isis selbst als Herrscherin kennzeichnen, so die Beinamen Regina (in Rom, Ostia, Lavinium und Aeclanum) und Domina (in Terracina),2473 und die Bildnisse, die sie auf einem Thron sitzend präsentieren (Rom: Regio III u. Mensa Isiaca; Pompeji: Iseum; Benevent: Iseum; Ariccia-Relief).2474 Herrscherin über Himmel und Erde: Daß sich die Herrschaft und Allmacht der Isis über die ganze Welt sowie den Himmel erstreckt, demonstriert z. B. das Wandbild aus einem Privathaus in Pompeji, das sie auf einer Weltkugel stehend und vor einem Sternenhimmel zeigt. Möglicherweise hängt mit dieser Vorstellung auch die Sternendekoration der gewölbten Decke in dem Raum mit den Isiaca-Funden in der sog. ‚Palaestra‘ von Herculaneum zusammen. Auf den domitianischen Obelisken von Benevent wird sie ganz ägyptisch als „Herrin von Himmel, Erde und Unterwelt“ bezeichnet.

2468 RICIS 504/0206 (oben nicht eigens besprochen). 2469 Für zahlreiche weitere Nennungen aus Italien siehe MALAISE, Conditions, S. 182; RICIS II, Index, S. 773. 2470 Dieser Titel ist in Italien außerdem in Cagli (Picenum) und Aquileia belegt: RICIS 509/0401 und 515/0111. 2471 Zu diesem Aspekt in Verbindung zur Sieghaftigkeit der Isis siehe BERGMAN, „I Overcome Fate“, S. 44–46. 2472 Die Uräusschlange kann allerdings auch für Thermuthis als Feld- und Fruchtbarkeitsgöttin stehen, siehe dazu oben (unter Isis Frugifera/Marina). 2473 Nach MALAISE, Conditions, S. 181–184 (mit weiteren Belegen aus Italien), beziehen sich die meisten Beinamen in Inschriften, sofern der Name der Göttin nicht überhaupt allein steht, auf ihre herrschaftlichen Aspekte bzw. ihre Beziehung zum Kaiserhaus. 2474 Vgl. dazu MALAISE, Conditions, S. 169.

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Isis-Sothis: Herrin der Sterne und des Himmels ist sie nach zahlreichen ägyptischen Texten durch ihre enge Identifikation mit Sothis, die in griechisch-römischer Zeit eine vorrangige Rolle spielte und mit dem Beginn der Nilflut assoziiert war. Im Giebel bzw. auf dem Dach des Iseum Campense wurde dieses Konzept spätestens unter Vespasian durch den neuen römischen Bildtypus der Isis auf dem Hund umgesetzt. Aufgrund der Zuständigkeit der Sothis für die Nilflut und der allgemeinen Rolle der Isis bei der Wiederbelebung des Osiris, der wiederum das Nilwasser repräsentiert, läßt sich Isis-Sothis auch mit den in Rom so häufig betonten Fruchtbarkeitsaspekten der Göttin verknüpfen. Isis-Luna: Das ikonographische Element der Mondsichel auf dem genannten Bild aus Pompeji und auf einem ebenfalls von dort stammenden Silberbecher sowie in Darstellungen aus Rom (Relief vom Ager Vaticanus, Säulenbasis), verbinden Isis mit der römischen Luna, wenngleich im ägyptischen Kult eher Osiris mit dem Mond verbunden wird,2475 wie noch die Mondsichel auf den häufigen Darstellungen der Cista mystica in Italien zeigt. Isis Dolens: Die tragende Rolle der Isis bei der Regeneration des Osiris, die jährlich während des Festes Isia vom 28. Oktober bis 3. November feierlich begangen wurde, kam bereits mehrfach zur Sprache und ist von zentraler Bedeutung für den Kult und die Ausstattung der Heiligtümer (siehe auch unten, 7.3.4.3). Ikonographisch findet die trauernde und suchende Isis ihren Ausdruck in den an den griechischen Statuentypus der ‚trauernden Penelope‘ angelehnten Bildnissen aus Pompeji und Fiesole, die sie zusammengesunken auf einem Felsen zeigen, mit der Situla für die belebenden Libationen um den Ellenbogen gehängt. Isis Restitutrix, Salutaris und Sozousa: Direkt auf den Kult und die Wiederbelebung an Osiris bezogen sind dagegen all die ‚Standard‘-Ikonographien, teilweise ägyptisierend, teilweise hellenisiert, in denen Isis Situla, ägyptisches Lebenszeichen und die Uräusschlange in variierenden Kombinationen (oft mit Sistrum kombiniert) in Händen hält. Ihre Leben, Gesundheit und Rettung spendenden Eigenschaften sind auch natürlicherweise diejenigen, die von den zu ihr betenden Menschen besonders gerne in Anspruch genommen wurden.2476 So appellieren bereits Tibull und Ovid im Rom der frühesten Kaiserzeit an ihre heilenden Kräfte, und Gläubige wenden sich an sie unter den Beinamen Salutaris (Rom), Sozousa (Pompeji) und Restitutrix (Terracina) oder bitten um Sicherheit für die Familie (Rom) und das Erhören der Gebete als Isis Epekoos (Inschrift Rom; Ohrendarstellungen in Pompeji: Iseum, und in Puteoli). Im Zusammenhang der (magischen) Heilung durch Isis und die mit ihr assoziierten Gottheiten stehen möglicherweise auch die im Iseum Campense und im Lararium von S. Martino ai Monti in Rom aufgestellten ägyptischen Horusstelen. Auf Isis’ Unheil abwehrende, magische Kräfte (unter anderem) verweist zudem die mehrfach in Pompeji belegte Ikonographie mit Uräusschlange in der Hand.2477 Isis Educatrix: Als Einweiherin in (geheime oder persönliche Lebens-?) Lehren und Göttin der Weisheit wird Isis möglicherweise durch die in Rom (Regio III) belegte Epiklese Isis Educatrix sowie durch die Darstellung der Göttin mit ausgebreiteter Schriftrolle(?) auf dem Ariccia-Relief gekennzeichnet. 2475 Zur erst griechisch-römischen Verbindung der Isis mit dem Mond siehe oben, Kap. 6.5.2.2. 2476 Vgl. zu diesem häufig in privaten Weihungen belegten Aspekt MALAISE, Conditions, S. 184–187. 2477 Vgl. dazu oben, Kap. 6.2.10.3.

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Rächerin: Neben ihren häufig in Anspruch genommenen helfenden und heilenden Funktionen wenden sich die Menschen auch an Isis in ihrer Rolle als strafende, rächende Gottheit, wie Grabinschriften mit Drohformeln aus Rom zeigen.2478 Panthea: Die vielfältigen Funktionen und Identifikationen der Isis mit anderen Göttinnen kulminieren in der Auffassung als universelle Allgöttin. Ikonographisch wird dieses Konzept mit dem Typus der ‚Isis-Panthea‘2479 umgesetzt, epigraphisch mit dem Beinamen Myrionymos (Minturnae) und der Formel una quae es omnia in der Weihung des Arrius Balbinus aus Capua.2480 Das ägyptische Epitheton „Herrin aller Götter“ auf den Obelisken aus Benevent verweist ebenfalls auf ihre henotheistischen Züge. Sarapis bleibt in Latium und Campanien zunächst deutlich hinter Isis zurück, was die Verbreitung und Bedeutung angeht. In frühen Kontexten scheint er selten eine Rolle zu spielen, sieht man von dem ausnehmend früh belegten Sarapistempel in Puteoli ab, wo stattdessen die Zeugnisse für Isis erst später einsetzen. Meist erscheint er aber zusammen mit Isis und ist ihr als Partner in den Heiligtümern zur Seite gestellt.2481 Erst mit dem 2. Jh. n. Chr. und verstärkt durch die Förderung des Gottes durch die Severer an der Wende zum 3. Jh. häufen sich die Inschriften, besonders von Personen aus dem östlichen Mittelmeerraum, die ihn meist mit Zeus/Jupiter und Helios/Sol verbinden. Hier zeichnet sich ein ähnliches Bild wie in den nordafrikanischen Provinzen ab, wo die Belege für Sarapis ebenfalls in dieser Zeit stark zunehmen und die Verehrung der Isis offenbar teilweise sogar in den Schatten stellen. Der Name ‚Sarapis‘ steht in den schriftlichen Zeugnissen weitaus seltener allein als der der Isis, doch weisen seine Beinamen eine geringere Vielfalt auf.2482 Wenn er nicht in Variationen der synkretistischen Namenskette Zeus Helios Megas Sarapis (oder Jupiter Sol Serapis etc.) eingebunden ist,2483 trägt er Beinamen wie Conservator (ab Commodus, Rom) und Sanctus (Ostia). Auch die Inschrift eines Neokors aus Rom dankt dem Gott nach dem Vorbild des Kaisers für Errettung. Mit Isis teilt Sarapis die Epitheta Epekoos („Erhörender“) (Rom und Portus) und Invictus (Rom), wobei er letzteres erst viel später (unter Caracalla) erhält als seine Partnerin. In der ausnehmend langen Epithetareihe auf dem Cippus aus den Caracalla-Thermen und in einer weiteren, eulogischen Inschrift aus Rom wird er außerdem als Euergetes („Wohltäter“), Ploutodotos („Reichtumspender“) und Neilagogos („Führer des Nils“) gefeiert, und in Zeugnissen der großen Hafenstädte Ostia und Puteoli agiert er wie Isis als Patron der Seefahrt. Direkt alexandrinische Traditionen spiegeln einige ikonographische Belege aus Rom, Ostia, Portus und Pompeji wider, die ihn als (teilweise) 2478 Vgl. zu Isis als Rächerin Kap. 6.4.1. 2479 Rom: republikanische Münze; Pompeji: Bild in Privathaus; Herculaneum: Bronze; Scafati: Bronze; Neapel: Lampe. 2480 Vgl. dazu auch MALAISE, Conditions, S. 190–191. 2481 Heiligtümer: Rom: Kapitol (nach späteren literarischen Quellen), Iseum Campense, Regio III, Sarapeion Quirinal (Sarapis als Hauptgott, Rolle der Isis unbekannt), Lararium bei Caracalla-Thermen, Lararium S. Martino ai Monti; Ostia: Sarapeion (Sarapis als Hauptgott); Praeneste: Sarapeion; Nemus Dianae; Marino; Nomentum; Pompeji: Casa degli Amorini dorati; Puteoli: Sarapeion; Ager Falernus; Acerrae. Wenn Isis und Sarapis zusammen in Inschriften genannt sind, ist Isis insgesamt in Italien auch häufiger an erster Stelle, vgl. MALAISE, Conditions, S. 198. 2482 Vgl. zu den Beinamen den Überblick bei MALAISE, Conditions, S. 10. 2483 Rom: Iseum Campense, Sarapeion Quirinal, Caracalla-Thermen; Ostia: Sarapeion; Portus; Praeneste; Puteoli: Lampe; Minturnae.

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schlangengestaltigen Sarapis-Agathodaimon zeigen. Einen Rückbezug auf die Umgebung Alexandrias enthält auch die Benennung einer Statue des Sarapis (oder Osiris?) „in Kanopos“ aus Rom. Direkt ägyptischer Einfluß läßt außerdem das Epitheton „Schöpfer der Ewigkeit“ (Aionergetes) auf einer Goldlamella in Rom erkennen. Sarapis ist ab der zweiten Hälfte d. 2. Jhs. n. Chr. sehr eng mit dem Kaiserhaus verbunden und scheint in dieser Rolle ein natürlicher Nachfolger des Jupiter zu sein, mit dem er identifiziert wird. Seine Ikonographie läßt ihn als griechisch-römischen Gott erscheinen,2484 während sein Charakter m. E. zwei verschiedene Gesichter hat. Während er in vielen Fällen und besonders in der späteren Kaiserzeit einen sehr ‚römisch‘ wirkenden Gott in Anlehnung an Jupiter, Sol und evtl. Pluto darstellt, dürfte sein Name in anderen Fällen tatsächlich für den ägyptischen Osiris stehen (z. B. in der Inschrift des Priesters mit Beinamen Heuresis aus Acerrae), dessen noch eng an ägyptischen Vorbildern orientierter Kult in den Isisheiligtümern begangen wurde. In allen Darstellungen des ausgeübten Kultes und in denjenigen Isisheiligtümern, von denen ein Großteil der Ausstattung bekannt ist, zeigt sich nämlich, daß es Osiris ist, mit dem Isis und die in den Tempeln stattfindenden Rituale engstens verbunden waren.2485 Nicht nur das zentrale Fest des ägyptischen Kultes, die Isia, sondern auch der Charakter und die Ikonographie des Gottes sind in Italien stark ägyptisch geprägt2486 und werden durch die Einbindung zahlreicher Importstücke und an diese angelehnte ägyptisierende Darstellungen betont. Neben der anthropomorphen, mumienförmigen Darstellung spielen in Bezug auf Osiris vor allem symbolische Bilder eine Rolle, die vermutlich nur von Kundigen, d. h. Eingeweihten und Priestern, verstanden werden konnten: insbesondere Bäume, die Cista mystica,2487 Hydrien/Wassergefäße,2488 Kanopen bzw. Osiris-Kanopos-Darstellungen2489 und überhaupt Wasser. Auch die ägyptische Verbindung mit dem falkengestaltigen, memphitischen Sokar spielt nach den Zeugnissen aus Pompeji und Herculaneum noch eine Rolle. Häufig sind die Bildnisse und Symbole des Osiris von Schlangen umgeben oder umringelt,2490 die entweder Isis in Kobragestalt oder schlangengestaltige Wächtergenien des Grabes bzw. Leichnams oder eines Körperteils des Gottes darstellen. Diese starke Symbolhaftigkeit des Osiris trägt zu dem mysteriösen Charakter des ägyptischen Kultes insgesamt bei. In den Heiligtümern und im Kult ist seine Gleichsetzung mit dem belebenden Nilwasser zentral und steht in enger Verbindung mit den lebenspendenden und Fruchtbarkeit garantierenden Funktionen der Isis sowie ihrer Identifikation als Isis-Sothis. Osiris-Kaltwasser-Inschriften in Rom und Funde von Osiris-Kanopos-Darstellungen und Osiris-gestaltigen

2484 Zur Ikonographie (in Italien) siehe MALAISE, Conditions, S. 198. 2485 Rom: Iseum Campense, Mensa Isiaca, Regio III, vgl. auch Ovid, Ariccia-Relief; Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Iseum, Casa degli Amorini dorati, Silberbecher; Herculaneum: Palaestra und Wandbilder; Benevent: Iseum; Cumae: Iseum; Acerrae. 2486 Zur ägyptischen Ikonographie siehe auch MALAISE, Conditions, S. 161. 2487 Rom: Iseum Campense; Pompeji: Iseum u. Casa degli Amorini dorati; Benevent: Iseum. 2488 Rom: Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana; Nomentum; Pompeji: Iseum u. Silberbecher; Herculaneum: ‚Palaestra‘ u. Wandbild Wassergefäß; Stabiae: Wandbild. 2489 Rom: Iseum Campense, Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Iseum u. Stadt; Benevent: Iseum. 2490 Rom: Iseum Campense, Regio III, Mensa Isiaca; Pompeji: Iseum; Benevent: Iseum.

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Uschebtis (teilweise aus italischer Produktion) in Gräbern2491 demonstrieren, daß er zudem immernoch eine Rolle in den persönlichen Jenseitsvorstellungen spielte, wo sich in einigen Fällen – wie in Ägypten selbst – Ägyptisches mit Griechisch-Römischem verbindet (oder additiv nebeneinander steht). In direktem Zusammenhang mit dem Osiris- und Funerärkult steht auch Anubis, der häufig in diesem Kontext erscheint (bzw. durch einen Priester mit Anubismaske vertreten wird)2492 oder Isis gemeinsam mit Harpokrates in Lararien und kleinformatigen Bildnissen begleitet.2493 Neben dem kindgestaltigen Harpokrates in hellenistischer Ikonographie2494 ist auch Horus als Falke besonders in den Heiligtümern und Darstellungen von Kult präsent (wobei der Falke in Einzelfällen auch Sokar(-Osiris) meinen kann).2495 Eine Weihinschrift aus Neapel verbindet Horus und Harpokrates in einer Aneinanderreihung von Namen außerdem mit Apollo. Im Iseum von Pompeji scheint Harpokrates innerhalb der Gesamtkonzeption des Heiligtums den wiedergeborenen Sonnengott (als Erbe/verjüngte Form des Osiris) zu repräsentieren. Daneben finden sich die zoomorphen Gestalten des Apis (als Stier)2496 und des Thoth (Ibis, Pavian)2497 ebenfalls häufiger als Begleiter von Isis. Weitere Gottheiten, meist in Tiergestalt, aber z. B. auch Bes, sind entweder als Nebenfiguren oder Formen des Osiris im Rahmen der osirianischen Rituale zu deuten.2498 Damit deckt sich der 2491 Siehe MALAISE, Nova Isiaca, S. 62, zu einer großen mumienförmigen Lampe aus Luni; ID., Isis en occident, S. 484–485; CAPRIOTTI VITTOZZI, Oggetti, idee, S. 131–145 u. 216–227 zu „falschen Uschebtis“ und Bronzestatuetten des Osiris in Gräbern in Umbria und Picenum. 2492 Rom: Kapitol, Ovid; Pompeji: Iseum u. Casa degli Amorini dorati; Herculaneum: Palaestra (Bronzebasis); Benevent: Iseum(?); Cumae: Iseum. Im gesamten Mittelmeerraum wurde außerdem ein auffällig großer Anteil von Lampen mit Anubis-Motiven in Gräbern gefunden, siehe PODVIN, Luminaire, S. 156. 2493 Z. B. Rom: Lararium bei Caracalla-Thermen; Ostia: Reliefbasis; Pompeji: Lararium Casa di M. Memmius Auctus. 2494 Rom: Kapitol, Iseum Campense (Altar), Säulenbasis(?), Regio III, Lararium bei Caracalla-Thermen, Lararium S. Martino ai Monti; Ostia: Reliefbasis; Tivoli: Villa Hadriana; Nemus Dianae; Pompeji: Iseum, Casa degli Amorini dorati, Casa di M. Memmius Auctus; Herculaneum: Palaestra; Cumae: Iseum. 2495 Rom: Iseum Campense, Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Silberbecher, Casa di M. Memmius Auctus; Benevent: Iseum. 2496 Rom: Ovid, Iseum Campense, Säulenbasis(?), Mensa Isiaca, Regio III; Ostia: Sarapeion, Reliefbasis; Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Iseum, Silberbecher(?); Benevent: Iseum; Boscotrecase: ägyptisierende Ritualszenen; Ariccia-Relief. 2497 Rom: Iseum Campense, Ariccia-Relief, Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Iseum, Silbersitula; Herculaneum: Fresken; Benevent: Iseum. 2498 Bes: Rom: Quirinal, Ariccia-Relief; Pompeji: Iseum; Herculaneum: Palaestra u. Bild mit Tanzszene. Ptah: Rom: Iseum Campense, Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana. Sachmet: Rom: Iseum Campense, Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana. Nefertem: Rom: Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana; Herculaneum: Palaestra. Min(-Horus): Tivoli: Villa Hadriana. Herischef: Pompeji: Iseum. Widder (Amun, Herischef, Chnum?): Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Iseum u. Silbersitula. Atum: Pompeji: Isistempel; Herculaneum: Palaestra. Sepa (Hundertfüßler) (?): Pompeji: Iseum. Nechbet (Geier): Pompeji: Iseum. Amun (Spitzmaus, Ichneumon): Pompeji: Iseum. Miysis(?) (Löwe): Herculaneum: Palaestra.

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Befund weitestgehend mit dem, was aus den Heiligtümern der ägyptischen Gottheiten in Nordafrika hervorgeht (vgl. 7.2.6.2), wenngleich dort letztere Kategorie der Nebenfiguren und zusätzlichen ägyptischen Götter weniger bzw. kaum belegt ist. Gleichzeitig besteht eine große Diskrepanz zwischen den archäologischen und den epigraphischen Zeugnissen insofern, als letztere bis auf vereinzelte Ausnahmen kaum je andere Gottheiten als Isis und Sarapis nennen.2499 Dies ist m. E. dadurch zu erklären, daß einerseits Osiris – außer im Jenseits, für das ja die Kaltwasser-Inschriften auch Zeugnis ablegen – keine aktive Rolle spielt, sondern heiliges Symbol und Ziel des Kultes ist. Die anderen Gottheiten sind m. E. letztlich als Neben- und Begleitfiguren zu erachten, die eine – und dies gilt selbst für die in der Kleinkunst häufig belegten Harpokrates und Anubis – so deutlich den „allmächtigen“ Göttern Isis und Sarapis untergeordnete Rolle spielen, daß man in den allermeisten Fällen eher auf die Macht letzterer vertraute, und die Dedikationen in Tempeln ihnen als Hauptgöttern sowieso gewidmet waren. Ein eigener Tempel ist nur einmal für Bubastis in Nemus Dianae belegt. Unter Hadrian wird den ägyptischen Gottheiten auch der Kult des verstorbenen Antinoos (teils als Osiris-Antinoos) angegliedert, was außer in den ihm gewidmeten Anlagen in der kaiserlichen Villa (und dem Antinoos-Obelisken) selbst auch durch private Weihinschriften im Iseum Campense und in Portus, die ihn als Synthronos der ägyptischen Götter bezeichnen, realisiert wird. Desweiteren läßt sich wie in Nordafrika in den meisten Heiligtümern sowie in Lararien, Weihinschriften und Priesterämtern, bei letzteren besonders in der späten Kaiserzeit, eine Vergesellschaftung und teilweise Identifizierung mit griechisch-römischen und ‚orientalischen‘ Gottheiten feststellen (siehe bereits oben die Abschnitte zu Isis und Sarapis). Darunter nehmen Venus/Aphrodite und Magna Mater/Kybele eine herausragende Rolle ein;2500 daneben finden sich aber auch Minerva,2501 Dionysos,2502 Jupiter(-Ammon),2503 Hekate,2504 Herakles,2505 Hermes,2506 Mithras2507 und die Dioskuren.2508 7.3.4.2 Die Gestalt der Heiligtümer Wie in Nordafrika sind auch die Heiligtümer der ägyptischen Gottheiten in Italien2509 größtenteils mit griechisch-römischen Architekturformen gestaltet worden, die aber in den Details des Bauschmuckes und der Ausstattung in größerem Umfang durch ägyptische und ägyptisierende Dekorationselemente und kultisches Inventar aufgestockt wurden. Ausmaß, 2499 2500 2501 2502 2503 2504 2505 2506 2507 2508 2509

Siehe für Harpokrates und Anubis MALAISE, Conditions, S. 161. Zu Venus und Magna Mater s. o., zu Isis. Rom: Regio III; Benevent: Iseum(?). Pompeji: Iseum. Rom: Quirinal, Lararium S. Martino ai Monti; Pompeji: Lararium Casa di M. Memmius Auctus. Rom: Lararium S. Martino ai Monti. Rom: Lararium S. Martino ai Monti; Ostia: Sarapeion. Herculaneum: Palaestra. Rom: Mithräum in Caracalla-Thermen, Lararium S. Martino ai Monti; Ostia: Sarapeion. Ostia: Sarapeion; Puteoli: Schiffslampe. In dieser Auswertung aller Befunde werden auch unsichere Heiligtümer (z. B. Praeneste), Heiligtums-ähnliche Anlagen (Antinoeion und Kanopos-‚Serapeum‘-Anlage in der Villa Hadriana) sowie bildliche Darstellungen von Tempeln der ägyptischen Gottheiten mit berücksichtigt, um die oft vorhandenen Übereinstimmungen aufzuzeigen.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

ägyptische Herkunft und Qualität der letzteren Kategorie waren sicherlich stark von den jeweiligen wirtschaftlichen Möglichkeiten der einzelnen Tempel und ihrer Förderer abhängig, wie die prunkvolle Ausstattung kaiserlicher Bauten (Iseum Campense, Villa Hadriana) oder die recht gute Verfügbarkeit von Aegyptiaca in internationalen Hafenstädten (z. B. Puteoli, Ostia, Cumae) demonstrieren. Für einen Großteil der Iseen, insbesondere solchen mit relativ früher Datierung, ist eine Lage in Hafen- und/oder Marktvierteln gesichert (Rom: Kapitol bzw. Forum Boarium; Cumae: Iseum) oder zumindest wahrscheinlich (Ostia: Iseum; Puteoli: Iseum; Neapolis: Iseum), was der Angabe bei Vitruv (frühaugusteische Zeit) entspricht, daß Iseen und Serapeen üblicherweise in den Emporia errichtet werden.2510 Bei dem eigentlichen Naos der architektonisch erhaltenen oder durch andere Denkmäler (Münzen, Forma Urbis etc.) dargestellten Heiligtümer sowie in (idealisierten) Bildern handelt es sich häufig um einen prostylen römischen Tempel auf einem Podium mit zentraler Treppe,2511 oder seltener auf einer Krepis.2512 Relativ häufig tritt ein Typus mit vier Frontsäulen auf,2513 und in einigen Fällen sind die seitlichen Interkolumnien mit Schranken verschlossen (Rom: Iseum Campense; Relief aus Regio III). Ein architektonisch insgesamt stärker an ägyptischen Vorbildern orientierter Kultbau tritt uns nur auf zwei wohl idealisierten Darstellungen von Isisheiligtümern aus Rom und Herculaneum entgegen.2514 Die Podientempel befinden sich meist im hinteren Teil eines offenen Hofbereiches,2515 der nach einem bekannten Typus, der auch in Nordafrika mehrfach anzutreffen ist, bei den gut erhaltenen Heiligtümern in Ostia und Pompeji von Portiken umgeben wird. Weniger gut bekannt und unsicher in der genauen Rekonstruktion und Funktionsbestimmung sind einige Anlagen, die trotz aller Unklarheiten einige Gemeinsamkeiten aufweisen: so befanden sich im Bereich des Iseum et Serapeum der Regio III in Rom, in der ‚Palaestra‘ von Herculaneum, und möglicherweise auch im Unteren Bezirk von Praeneste (falls es sich tatsächlich um ein Isis-Heiligtum handelte) ebenfalls offene Flächen, die von Portiken umgeben waren. Diese wiesen außerdem jeweils einen apsidialen Saal und Piscinae und/oder Nymphäen auf. Ein Raum mit Apsis wurde auch im Iseum von Cumae in einer der späteren Bauphasen hinzugefügt. Verwandt ist möglicherweise zudem der Antinoeion-Komplex in der Hadriansvilla, wo ein großer Hof an einer der Langseiten eine Exedra aufweist, während den Rekonstruktionen nach zwei Tempel/Kapellen und der Antinoos-Obelisk seine Mittelachse einnahmen.2516 2510 Vitruv, De architectura, I, 7, 1. 2511 Rom: Iseum Campense/vordomitianisch; Ostia: Sarapeion; Pompeji: Iseum; Herculaneum: Wandbild mit Tanz; Cumae: Iseum (nur Podium erhalten). 2512 Rom: Iseum Campense/domitianisch, Säulenbasis. 2513 Rom: Iseum Campense, Säulenbasis; (Ostia: Sarapeion – hier ist zumindest das Erscheinungsbild viersäulig: es handelt sich tatsächlich um zwei Säulen zwischen zwei seitlichen Ziegelpilastern mit angesetzten Halbsäulen); Pompeji: Iseum. 2514 Rom: Relief aus Regio III; Herculaneum: Wandbild mit heiligem Wassergefäß. 2515 Rom: Iseum Campense (wahrscheinlich); Ostia: Sarapeion; Pompeji: Iseum; Herculaneum: Wandbild mit Tanz; Cumae: Iseum (wahrscheinlich). 2516 Vgl. zu den Heiligtumsformen in Italien mit weiteren Beispielen GASPARINI, Santuari isiaci, S. 82– 86, m. Abb. 5–7. Er unterscheidet drei Grundtypen: 1. große Terrassenheiligtümer mit umgebenden Portiken (hierzu zählt er in Latium und Campanien: Iseum et Serapeum in Regio III/Rom, Nemus Dianae, Praeneste, die ‚Palaestra‘ von Herculaneum, den Isis-Tempel von Cumae und den ägyptischen

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Eine Gemeinsamkeit aller Heiligtümer sind Wasserinstallationen irgendeiner Art, wobei nur im Iseum von Pompeji eine regelrechte Wasserkrypta gesichert ist. Andere Komplexe beinhalten aber Nymphäen2517 – in den kaiserlichen Anlagen monumentaler Art –, kleinere Wasserbecken2518 und Piscinae2519 bzw. ‚Kanopos‘-Anlagen,2520 die ebenfalls zumindest teilweise kultische Bedeutung gehabt haben dürften. Die Kultbezirke der Iseen waren nach außen hin gut abgegrenzt, wie der archäologische Befund in Pompeji (Iseum) und Herculaneum (‚Palaestra‘) sowie der Grundriß des Iseum Campense auf der Forma Urbis anzeigen. Das Sarapeion von Ostia weist hingegen ein relativ breites, zentrales Eingangstor in der Umfassungsmauer auf, das vielleicht einen besseren Einblick in den Temenos gewährte. Die Heiligtümer besaßen jeweils direkt integrierte oder angeschlossene Nebenräume oder -gebäude, in denen Versammlungen der Kultgemeinde, Festriten und vielleicht Einweihungen stattfinden konnten,2521 wenngleich die genaue Funktion vieler Räumlichkeiten unsicher ist. In Pompeji und Portus ist jeweils eine schola inschriftlich belegt, die vielleicht für die Lehre und Weiterbildung der Initianden und Priesteranwärter gedacht war. Räume in ungewöhnlicher, unterirdischer oder versteckter Lage legen – insbesondere in Kombination mit spezieller Dekoration und Ausstattung im Fall von Pompeji – eine Nutzung für geheime Riten oder ‚Mysterien‘ besonders nahe, so das ‚Sacrarium‘ in Pompeji, vermutlich das inschriftlich belegte Megaron des Iseums von Portus, die Räume im Podium des Iseums von Cumae2522 und eventuell das untere Vestibül oder die Kryptoportikus in der ‚Palaestra‘ von Herculaneum. Nach neueren Thesen könnten für größere Kultspiele im Kontext von Festen möglicherweise die in einigen Fällen in direkter Nähe der Iseen gelegenen Theater genutzt worden sein (Pompeji: Iseum; Nemus Dianae: Iseum und Bubasteum).2523 Ägyptischer bzw. ägyptisierender Baudekor erscheint in Italien besonders häufig in Form von bekrönenden Uräenfriesen2524 und Antefixen mit seitlichen Uräen und weiteren IsisSymbolen (z. B. Basileion).2525 Möglicherweise wurden auch größere, mit Uräen bekrönte Schreine in den Naoi der Tempel aufgestellt, da dies von den Darstellungen auf den flavischen Münzbildern (Iseum Campense) und dem Wandbild aus Herculaneum mit der Präsentation des Wassergefäßes angedeutet zu werden scheint. Der im vespasianischen Münz-

2517 2518 2519 2520 2521 2522 2523 2524 2525

Bereich der Villa Hadriana, außerdem einige unsichere weitere Beispiele aus Italien), 2. halbkreisförmige Heiligtümer bzw. Heiligtümer nach Vorbild des Sarapeions von Kanopos, m. E. eine sehr problematische Kategorie (Vertreter sind das Serapeum (= Südteil) Campense, das Iseum von Industria, und ein unsicher identifiziertes Heiligtum in Alba Fucens), 3. der bekannte italisch-römische Typus der Podientempel in einem eher kleinflächigen Hof mit Portiken (Iseum Pompeji, Iseum Campense und Sarapeion von Ostia, außerdem laut GASPARINI ein Tempel in Syrakus). Rom: Iseum Campense, Regio III (?); Tivoli: Villa Hadriana; Praeneste: Unterer Bezirk. Ostia: Sarapeion; Nemus Dianae: Iseum/Bubasteion? Rom: Regio III; Herculaneum: Palaestra. Tivoli: Villa Hadriana; Benevent: Iseum(?) (ein „Canopos“ ist hier inschriftlich belegt). Ostia: Sarapeion; Pompeji: Iseum; Herculaneum: ‚Palaestra‘(?); Cumae: Iseum. Die Podiumräume könnten allerdings auch als Stauraum benutzt worden sein, vgl. den Hohlraum im Kultbildpodium von Pompeji (der aber natürlich viel kleiner ist), und die Bemerkungen zu den Podiumräumen im Iseum von Sabratha, siehe Kap. 7.2.2.2.2. Siehe GASPARINI, Staging Religion. Rom: Iseum Campense, Mensa Isiaca; Teano. Rom: Iseum Campense; Ostia: Iseum; Marino; Teano.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

bild gezeigte Schrein und der Architrav des Tempels sind zudem mit einer Sonnenscheibe mit Uräen dekoriert. Teilweise wurden obere Wandabschlüsse auch mit einer ägyptischen Hohlkehle gestaltet (Rom: Iseum Campense/domitianisch, Relief aus Regio III). Im Iseum Campense und auf dem Relief aus Regio III finden sich außerdem ägyptisierende Papyrussäulen, und vom Forum Boarium stammt ein römisches Hathorkapitell. Der offene Bezirk in den größeren Heiligtümern wurde vielleicht (teilweise) von Gartenanlagen bzw. Baumwäldchen eingenommen, die in kultischem Zusammenhang mit dem ideellen, von (heiligen) Bäumen bepflanzten Osirisgrab gestanden haben mögen, die manchmal durch entsprechende Darstellungen vertreten werden konnten.2526 Zahlreichen Funden und Darstellungen zufolge müssen flankierende (tw. original ägyptische) Sphingen vor den Tempeln ebenfalls ein vertrauter Anblick gewesen sein.2527 In größeren, reicheren Anlagen dürften sogar mehrere Paare einen regelrechten Dromos nach ägyptischer Art seitlich gerahmt haben. Ein solcher ist sogar in einer Dedikationsinschrift aus Terracina auch namentlich belegt. Obelisken gehörten im römischen Empfinden vermutlich zu den beeindruckendsten Aegyptiaca überhaupt und konnten sicherlich nur in Heiligtümern von finanzkräftigen Stiftern verwirklicht werden,2528 zumal die meisten der einem sakralen Kontext zuzuordnenden Stücke sogar eigens mit neuen hieroglyphischen Texten beschriftet wurden, was nur mit Hilfe kundiger ägyptischer Priester möglich war. 7.3.4.3 Ausstattung der Heiligtümer, Kult und Kultträger Was in Nordafrika anhand einiger verstreuter Zeugnisse und weniger etwas besser erhaltener Fundkomplexe nur erahnt werden kann, wird noch deutlicher bei der Betrachtung der kultischen und bildlichen Ausstattung in den Heiligtümern Italiens. Es fällt auf, daß eine ganze Reihe gemeinsamer Elemente immer wieder vertreten ist (siehe bereits oben unter 7.3.4.2) und vielleicht sogar eine Art Grundstock oder Kanon römischer Isis- (und Sarapis?-)Heiligtümer bildete, zumindest in Latium und Campanien (und soweit die Finanzkraft der Heiligtumsstifter dies erlaubte). Neben den sicherlich überall vorhandenen, aber oft nicht mehr bestimmbaren, Kultbildern der Hauptgottheiten lag ein wichtiger Schwerpunkt offenbar auf der szenischen Darstellung von praktiziertem Kult. Dabei wurde das Vorbild der Ritualszenen ägyptischer Tempel größtenteils in den Rahmen hellenistisch-römischer Architektur und hellenistischrömischen Kunststils transportiert, in einigen Fällen aber durch ägyptisierende Reliefs auch direkt nachgeahmt oder durch ägyptisierende Skulpturen rundplastisch umgesetzt. Diese Grundidee wurde in den behandelten Beispielen auf unterschiedliche Weise realisiert, wobei jedoch in jedem Fall Priester und anderes Kultpersonal dargestellt werden: entweder in zusammengehörigen Statuengruppen2529 oder im Relief/Stuckrelief2530 und in der Wand-

2526 Rom: Iseum Campense (wahrscheinlich); Tivoli: Villa Hadriana/Antinoeion; Pompeji: Landschaftsbilder im ‚Ekklesiasterion‘, Silberbecher (Palmen); Herculaneum: ‚Palaestra‘, Wandbilder mit heiligem Wassergefäß und Tanz. 2527 Rom: Iseum Campense, Säulenbasis, Regio III; Tivoli: Villa Hadriana; Pompeji: Wandbild Empfang der Io, Landschaftsbilder ‚Ekklesiasterion‘; Herculaneum: Wandbild heiliges Wassergefäß; Benevent: Iseum; Cumae: Iseum; Teano. 2528 Rom: Iseum Campense; Tivoli: Villa Hadriana (Antinoeion); Praeneste: Iseum(?); Benevent: Iseum. 2529 Tivoli: Villa Hadriana; Benevent: Iseum.

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malerei.2531 Vergleichbare Szenen finden sich als Dekoration von Kult(?)gefäßen und anderen Objekten2532 sowie in den ägyptisierenden Tableaus (manchmal vielleicht auch ohne religiöse Bedeutung) des 3. Malereistils in Privathäusern wieder. Gezeigt werden Priester in Prozession2533 und Tänze,2534 offenbar jeweils im Kontext von Festen, außerdem einzelne Rituale2535 sowie einfache Szenen mit einer Anbetung der Gottheit bzw. der Überreichung von Objekten und Opfern.2536 Ein Großteil der Kultdarstellungen bezieht sich m. E. ganz konkret auf ägyptische Osirisriten, die Teil des unter den variierenden Namen Isia, Inventio Osiridis, Hilaria und Heuresis bekannten Festes bildeten, welches auch in den römischen Kalender eingegangen ist und demzufolge vom 28. Oktober bis 3. November gefeiert wurde. Die entsprechenden Rituale sind teilweise wohl ähnlich oder eng verwandt mit denjenigen des besser bekannten ägyptischen Choiakfestes.2537 Osiris selbst ist in den Darstellungen vielfach präsent in Form einer Osiris-Kanopos-Skulptur oder eines Wassergefäßes, beides auch mehrfach in den Händen von Priestern. Zahlreiche Hinweise insbesondere im Iseum Campense und im Iseum von Pompeji deuten auf die große Nähe einiger Rituale zu den ägyptischen Bestandteilen des Choiakfestes bzw. osirianischer Riten generell hin (z. B. Kanopenprozession, Mundöffnungsritual, Herstellung und Deponierung von Osiris-Sokar- und/oder KornosirisFigurinen). Auch weitere Teile der Ausstattung einiger Heiligtümer scheinen sich direkt auf den dem genannten Fest zugrunde liegenden Osirismythos und seine Symbole zu beziehen, darunter die szenischen Bilder im ‚Sacrarium‘ von Pompeji mit der Suche und Rückführung des Osiris durch Isis, einige integrierte Aegyptiaca und die Bildnisse von Bes und der tiergestaltigen Gottheiten, die ebenfalls diesem Szenario zuzuordnen sind (s. o., unter 7.3.4.1). Ganz der hellenistischen Bildsprache verhaftet, aber wohl ebenfalls im Kontext ägyptischer Konzepte (Isis als belebende Fruchtbarkeitsgöttin, Osiris als Nil) zu interpretieren sind die in mehreren Heiligtümern anzutreffenden Nil- und Flußgottpersonifikationen2538 und Nilmosaiken.2539

2530 Rom: Iseum Campense; Reliefsäulen und ägyptisierende Reliefs; Regio III, Stuckdekoration; Tivoli: Villa Hadriana: ägyptisierende Reliefs; Pompeji: Iseum: Stuckreliefs Wasserkrypta; Benevent: Iseum: ägyptisierende Reliefs. 2531 Pompeji: Iseum; Herculaneum: Bilder mit Ritualen. 2532 Rom: Mensa Isiaca; Tivoli: Villa Hadriana: Krater; Pompeji: Silbersitula, Silberbecher; Herculaneum: Bronzebasis. 2533 Rom: Iseum Campense: Reliefsäulen; Pompeji: Iseum: Portikusdekoration, Lararium Casa degli Amorini dorati. 2534 Rom: Ariccia-Relief, Regio III: Stuckdekoration; Herculaneum: Wandbild m. Tanz. 2535 Pompeji: Wandbild Mundöffnung im ‚Ekklesiasterion‘; Herculaneum: Bronzebasis, Wandbild mit Präsentation des Wassergefäßes. 2536 Rom: Iseum Campense: ägyptisierende Reliefs, Regio III: Stuckdekoration; Tivoli: Villa Hadriana: ägyptisierende Skulpturen und Priesterskulpturen; Pompeji: Iseum: Stuckreliefs Wasserkrypta, Silbersitula, Silberbecher; Benevent: ägyptisierende Reliefs, Priester- und Frauenstatuen. 2537 Vgl. zu dieser Frage oben, Kap. 6.1.2.2. 2538 Rom: Iseum Campense, Säulenbasis, Quirinal; Ostia: Sarapeion; Tivoli: Villa Hadriana; Neapolis: Iseum(?). 2539 Rom: Quirinal; Ostia: Sarapeion; Tivoli: Villa Hadriana; Praeneste: Iseum(?).

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Einige Heiligtümer mit einer deutlichen Anbindung an das Kaiserhaus integrieren auch den Herrscher nach ägyptischem Vorbild als Pharao in den Kult.2540 Eine ägyptische Objektgruppe, die sich an verschiedenen Orten in Latium und Campanien fassen läßt, verleiht der oben anhand verschiedener Befunde ausgeführten Argumentation zugunsten eines durchaus recht guten Verständnisses ägyptischer Originalstücke durch Anhänger des Isiskultes in Italien noch mehr Gewicht. Es zeigt sich einmal mehr, daß die ägyptischen Objekte, die zur Ausstattung von Heiligtümern Verwendung fanden, nicht willkürlich ausgewählt wurden, sondern meist einen bei ‚ägyptologischer‘ Betrachtung eindeutigen Bezug zu Isis und/oder den Riten um Osiris aufweisen. Gemeint sind die zahlreichen ägyptischen Naophorenstatuen (teilweise auch Statuen von Trägern einer Götterstatue ohne Naos), die sowohl an den ausführlich besprochenen Orten als auch an einigen weiteren, die auch andere Zeugnisse für den Isiskult aufweisen, zutage kamen und entweder eindeutig oder oft zumindest mutmaßlich dem Kontext eines entsprechenden Heiligtums entstammen.2541 In den allermeisten Fällen handelt es sich bei der gehaltenen Gottheit um Osiris, manchmal auch um Isis oder andere Gottheiten des Isiskreises.2542 M. E. sollten mit der Integration dieser ägyptischen Originale in die Heiligtümer, vielleicht als Votive privater Stifter, weitere Abbilder der Verehrung dieser Gottheiten nach ägyptischem Vorbild geschaffen werden. Speziell im Fall der überwiegenden Osiris-Naophoren könnten die Stifter damit auch auf eine mögliche aktive eigene Rolle bei den Osirisriten verweisen; so deutet MALAISE die außerägyptische Verwendung dieser Statuen als bildliche Darstellung des Amtes der pausarii, die die Götterbildnisse während Prozessionen trugen.2543 Die stark ägyptische Ausprägung des Isiskultes in Latium und Campanien läßt sich sicherlich zumindest teilweise auf eine relativ große Präsenz von Ägyptern, Alexandrinern und Orientalen, besonders in Rom und Ostia und ab der mittleren Kaiserzeit, zurückführen.2544 2540 Rom: Iseum Campense; Tivoli: Villa Hadriana; Praeneste: Iseum(?); Benevent: Iseum. 2541 Vollständig gesammelt und kommentiert von MALAISE, Statues égyptiennes naophores; Bemerkungen dazu auch bei KOEMOTH, Du Nil à Byblos, Sp. 474–475. 2542 Osiris: Rom: Iseum Campense (der Träger war außerdem ein Priester d. Horus), Rom(?); Tivoli: Villa Hadriana (3 x); Cumae: Iseum; Neapel: Posillipo. Isis: Ostia: Iseum(?). Horus: Rom: Regio III. Bastet: Rom(?). Thoth: Rom(?). Andere Gottheiten: Rom: Iseum Campense (Neith), Rom(?) (Neith), Rom(?) (Triade von Mendes), Puteoli (Imhotep). Unsicher/Götterstatue zerstört: Rom: Iseum Campense, Quirinal; Puteoli. Die Liste basiert auf dem Katalog von MALAISE, Statues égyptiennes naophores. Nicht alle Stücke wurden oben eigens besprochen. Neben den genannten Stücken aus Italien, die sich zudem auf Latium und Campanien konzentrieren, führt MALAISE auch noch einen Naophor mit Osiris aus Petra und einen, ebenfalls mit Osiris, aus Tyr auf. Neben den 27 von MALAISE dokumentierten Stücken ist außerdem ein weiterer (Götterbild zerstört, vielleicht Horus) aus Ptolemais (Kyrenaika) belegt, siehe oben, Kap. 7.2.1.3. 2543 MALAISE, Statues égyptiennes naophores, S. 74 u. 79. Er gründet diese Interpretation auf die nachträgliche griechische und lateinische Beschriftung des Naophors aus Tyr, in der der Stifter(?) sich „Priester, Träger d. Osiris“ nennt. Es könnte sich aber um eine vereinzelte, individuelle Re-Interpretation handeln, die nicht in allen anderen Fällen ebenfalls zutreffend sein muß. Pausarii sind z. B. in einer Inschrift aus Rom belegt, s. o., Kap. 7.3.2.2.6 (Kultpersonal). 2544 Vgl. MALAISE, Conditions, S. 74–75 u. 321–330 speziell zu Ägyptern; ID., Nova Isiaca, S. 51. Vgl. zu Ägyptern in Italien besonders CRISTOFORI, Individuazione di Egiziani: Spezielle Personengruppen, unter denen sich eine größere Anzahl an Ägyptern feststellen läßt, umfassen z. B. Ärzte und Angehörige der in Misenum und Ravenna stationierten römischen Flotte. Allgemein zu Orientalen in

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Auch Teile des höherrangigen Kultpersonals dürfte zumindest an einigen Orten durch Ägypter gestellt worden sein, die möglicherweise sogar eine ägyptische Priesterausbildung genossen haben. Dies macht die meiner Analyse zufolge sinnvolle Konzeption der Heiligtümer und ihrer Ausstattung, die die Kreation neuer ägyptischer Texte (für die Obelisken) und die Auswahl von Aegyptiaca beinhaltete, wahrscheinlich, da hierfür eine fundierte Kenntnis ägyptischer religiöser Texte und Darstellungen notwendig war. Im Einzelnen ist eine ägyptische Herkunft der Priester aber kaum jeweils nachzuweisen.2545 Ausnahmsweise ist für den Isistempel von Aquileia (aus dem oben bereits mehrfach Material zum Vergleich herangezogen worden ist) ein ägyptischer Hierogrammateus (= Vorlesepriester, Pterophor) namens Harnuphis belegt.2546 Außerdem wissen wir, daß z. B. die Kaiser Nero und Marc Aurel ägyptische Priester und Gelehrte zum Lehrer und Berater hatten (Chairemon und Harnuphis, der wahrscheinlich mit dem Hierogrammateus in Aquileia zu identifizieren ist2547), was somit zumindest für die grundsätzliche Anwesenheit von Mitgliedern dieser Personengruppe im Zentrum des Reiches spricht. In Rom und Ostia scheint insbesondere das Kultpersonal des Sarapis von Alexandrinern und Ägyptern gestellt worden zu sein (siehe 7.3.2.2.6 (Kultpersonal) und 7.3.2.3.4) und nach MALAISE hatte der Sarapiskult auch in Italien insgesamt eine vor allem griechisch-orientalisch-stämmige Trägerschaft.2548 Die Verehrer der Isis stammen dagegen häufig aus dem italischen/latinischen Milieu, und speziell in Campanien ist das Engagement lokaler Magistrate häufig epigraphisch belegt;2549 beides spricht zusätzlich für eine tiefere Verankerung der Göttin in italischem Boden. Ihr Kult hat sich in der Kaiserzeit bei allen sozialen Schichten, vom Sklaven bis zur Kaiserfamilie, etabliert, wobei auch die Zugehörigkeit von Frauen und Kindern (z. B. durch Inschriften und Darstellungen auf Grabdenkmälern) gut dokumentiert ist.2550 Was die einzelnen Abstufungen und Ämter des Kultpersonals betrifft, so ist eine große Vielfalt an Ämtern nur aus Rom und Ostia/Portus bezeugt, darunter auch Propheten, Orakeldeuter und Hierodulen nach ägyptischem Vorbild (siehe 7.3.2.2.6 (Kultpersonal) und 7.3.2.3.4), während die epigraphischen Zeugnisse aus anderen Orten in Latium und Campa-

2545 2546

2547

2548 2549 2550

Rom und Campanien BELAYCHE, Immigrés orientaux; zu Ägyptern in Rom vgl. auch oben, Anm. 1727. Siehe zu dieser Problematik SWETNAM-BURLAND, „Egyptian“ Priests; und EAD., Egypt in Italy, S. 46–49, die insbesondere aufgrund der neu konzipierten Obeliskeninschriften aber ebenfalls eine Präsenz zumindest einiger gut ausgebildeter ägyptischer Priester in Zentralitalien annimmt. RICIS 515/0115: Weihung eines Altars durch Harnuphis, Hierogrammateus aus Ägypten, und Terentius Priscus für die Thea Epiphania („die erscheinende Göttin“ – gemeint ist sicher Isis); siehe MALAISE, Conditions, S. 187; PFEIFFER, Inschriften, S. 309–311, Nr. 71. Zu Isis als „erscheinender Göttin“ vgl. z. B. pOxy. 1380, Z. 152–153: „Es sehen dich die, die in Treue (dich) anrufen“, siehe oben, Kap. 6.1.3.2. So MALAISE, Conditions, S. 430 u. 428–432 zur Episode des von Harnuphis’ Magie hervorgerufenen „Regenwunders“ während Marc Aurels Feldzug gegen die Quaden; BRICAULT, RICIS II, S. 648 zu RICIS 515/0115; PFEIFFER, Inschriften, S. 309–311, Nr. 71; ID., Kaiserverehrung, S. 172–174. Zur ägyptischen Tradition von „Regenwundern“ vgl. POSENER, „Pluie miraculeuse“, und oben, Kap. 6.3.2 zu Isis als Herrin des Regens. MALAISE, Conditions, S. 133–134 u. 164 (Tabelle); MALAISE, Nova Isiaca, S. 54. MALAISE, Conditions, S. 82–85; neuere Studie von GASPARINI, Pouvoirs locaux. Zu Frauen, besonders in Rom und Venetien, siehe auch MALAISE, Nova Isiaca, S. 55–56; allgemein KLEIBL, „Fürstin der Frauen“.

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nien hauptsächlich „Priester“ (sacerdos) nennen.2551 An anderen Orten Italiens sind aber – neben dem genannten ägyptischen Hierogrammateus aus Aquileia – vereinzelt zumindest Pastophoren belegt.2552 Darstellungen des Kultes und der am Kult Beteiligten wie diejenigen aus Pompeji und Herculaneum zeigen aber auch dort ein zumindest ideell hierarchisch gegliedertes Personal an, wenngleich wir die jeweiligen Benennungen und tatsächliche personelle Besetzung im lokalen Kult oft nur erahnen können.

7.4

Germania Inferior und Superior

In diesem abschließenden Kapitel zu den archäologischen Zeugnissen für den Isis- und Sarapiskult außerhalb Ägyptens sollen die Ergebnisse der untersuchten Regionen in Nordafrika und Italien schließlich mit den weitaus spärlicheren Befunden einer nördlichen Randregion des Römischen Reiches verglichen werden: den beiden germanischen Provinzen. Sie wurden erst relativ spät, im Laufe der frühen Kaiserzeit, durch römische Eroberung an die Mittelmeerkulturen angeschlossen und weisen damit ein historisch sehr differentes Verhältnis zu Ägypten auf. Anders als Teile Nordafrikas und Italiens sind sie erst über die Vermittlung durch die Römer mit ägyptischem Kulturgut und Kult in Berührung gekommen und haben dieses somit auch erst in seiner bereits ‚romanisierten‘ Gestalt kennengelernt. Eine erste große Bearbeitung von ägyptischem, ägyptisierendem und auf den Isis- und Sarapiskult bezogenem Material aus dem germanischen Raum erfolgte bereits mit der umfassenden Studie durch GÜNTER GRIMM von 1969,2553 deren geographischer und inhaltlicher Rahmen jedoch ein anderer war: Er nahm den geographischen Bereich des modernen Deutschland als Ausgangspunkt anstatt den antiken Provinzgrenzen zu folgen, und hatte eine Aufarbeitung aller Objekte aus den drei genannten Kategorien (Aegyptiaca, Ägyptisierendes und Isiaca) zum Ziel. Der Fokus dieses Kapitels liegt hingegen auf den gesicherten oder zumindest sehr wahrscheinlichen sowie aussagekräftigen Befunden des Isisund Sarapiskultes. Zudem sind seit GRIMMs Studie einige Neufunde, darunter ganz entscheidend das Heiligtum der Isis und Magna Mater in Mainz, und jüngere Analysen des Materials oder einzelner Teile desselben zu verzeichnen,2554 die eine erneute Betrachtung im Lichte der Ergebnisse aus den anderen Kapiteln der vorliegenden Arbeit interessant machen. Eine große Hilfe stellte hierfür die (unpublizierte) Magisterarbeit meines Kollegen DARIUS FRACKOWIAK dar, die einen ausführlichen Katalogeintrag zum Heiligtum in Mainz

2551 Vgl. auch MALAISE, Conditions, S. 127. 2552 Industria: RICIS 513/0101 (Kollegium der Pastophoren); und Aquae Aponi: RICIS 515/0701 (gleichzeitig Priester); vgl. MALAISE, Conditions, S. 130. 2553 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion. 2554 Hervorzuheben sind besonders die Studien von TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 130–144, und HAASE, Kulte der Isis, jeweils mit Fokus auf den Inschriften. Vgl. auch die (relativ) rezenten überblicksartigen Zusammenfassungen der bekannten Quellen bei G. CLERC, La diffusione del culto isiaco nelle province occidentali dell’impero romano, in: Arslan (Hrsg.), Iside, S. 526–540: 533–534 (gestützt auf GRIMM) und MALAISE, Famille isiaque (mit einigen neuen Gedanken zu Verbreitungswegen und Kultträgern, wodurch GRIMMs Ergebnisse bereits deutlich aktualisiert wurden).

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und ein auswertendes Kapitel zu den Inschriften des Isiskultes in Obergermanien enthält.2555 7.4.1 Die Anfänge des Isiskultes in den germanischen Provinzen Für die Chronologie des Isiskultes in Germanien hat die Entdeckung des Doppelheiligtums für Isis und Magna Mater in Mainz (siehe unter 7.4.2) entscheidende Fortschritte erzielt: Konnte man früher aufgrund der wenigen sicher datierbaren Inschriften aus den Rheinprovinzen von einem Beginn der Verehrung von Isis und Sarapis nicht vor der Mitte des 2. Jhs. ausgehen,2556 ist nun der Bau eines Heiligtums in der Hauptstadt der Germania Superior bereits für die vespasianische Zeit gesichert (s. u.).2557 HAASE hat zudem in einem Aufsatz von 2001, noch ohne Kenntnis des Mainzer Heiligtumsfundes, m. E. überzeugend dargelegt, daß sich eine Bemerkung in Tacitus’ etwa um 98 n. Chr. entstandenem Werk Germania, deren Interpretation zugunsten einer tatsächlichen Verehrung der Isis bereits im 1. Jh. n. Chr. bis dahin stark angezweifelt wurde, doch in ebendiesem Sinne deuten läßt.2558 Der römische Historiker berichtet (Germania, 9, 1), daß „ein Teil der Sueben auch Isis opfert“. Er nennt dies einen „fremden Kult“ (peregrino sacro), dessen Grund und Ursprung er nicht kenne. Weiter beschreibt er das diesem Kult zugeordnete Zeichen (signum) als „nach Art eines Liburnerschiffes gebildet“, was wiederum darauf hindeute, daß die Verehrung von außen eingeführt worden sei. HAASE bezieht die Aussage konkret auf die Gruppe der Neckarsueben (Suebi Nicrenses), die tatsächlich in dem Stadtnamen Civitas Ulpia Sueborum Nicrensium (heute Ladenburg) mit dieser Personenbezeichnung belegt sind und damit, anders als die größeren, bekannteren Bevölkerungsteile der Sueben, zu Tacitus’ Zeiten innerhalb der Grenzen des römischen Reiches bekannt waren.2559 Aber auch weitere, nach Sueton unter Tiberius in Gallien und am Rhein angesiedelte Suebengruppen könnten gemeint sein.2560 Die Beschreibung des heiligen Zeichens bringt HAASE mit den an verschiedenen Orten des Isis- und Sarapiskultes belegten Schiffslampen in Verbindung, die in einigen Fällen auch Darstellungen dieser Gottheiten tragen.2561 Ein Beginn des Kultes im 2555 FRACKOWIAK, Fremde Götter. Die Arbeit entstand ebenso wie das vorliegende Werk im Rahmen des Forschungsprojektes D 7 „From the Orient to Rome and Back Again. Religious Flows and the Expansion of Oriental Cults in the Roman Empire“ des Exzellenzclusters „Asia and Europe in a Global Context. Shifting Asymmetries in Cultural Flows“ an der Universität Heidelberg. Ich danke DARIUS FRACKOWIAK herzlich dafür, mir seine Magisterarbeit zur Verfügung gestellt zu haben sowie für viele anregende Diskussionen im Laufe unserer langjährigen gemeinsamen Arbeit an den sog. ‚Orientalischen Kulten‘. 2556 Grundlegend G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, S. 88 u. 99; vgl. zur Datierungsproblematik HAASE, Signum, S. 318–319; EAD., Kulte der Isis, S. 111–113. Es ist zu konstatieren, daß datierbare Inschriften aus Germanien generell vor dem fortgeschrittenen 2. Jh. n. Chr. selten sind, vgl. z. B. für Untergermanien DERKS, Perception, S. 9–12, m. Tabelle 1. 2557 RICIS 609/0501 (Suppl. I; vgl. Suppl. II–III); WITTEYER, Heiligtum, S. 14–15, Nr. 1. 2558 HAASE, Signum; zusammengefaßt nochmals in EAD., Kulte der Isis, S. 113–115. 2559 HAASE, Signum, S. 330–334. 2560 Sueton, Augustus, 21; Tiberius, 9; siehe MALAISE, Famille isiaque, S. 32. Vgl. zu den Sueben außerdem mehrere Weihungen an die matres Suebae aus der Germania Inferior, bei denen sich allerdings in keinem Fall eine Verbindung zu Isis herstellen läßt, siehe LIERTZ, Isis, S. 111. 2561 HAASE, Signum, S. 320–328. Vgl. Schiffslampen mit Bildnissen der ägyptischen Götter in Sabratha (Kap. 7.2.2.2.3), Gigthis (7.2.2.4), Karthago (7.2.3.2.2), Ostia (7.3.2.3.1) und Puteoli (7.3.3.4); siehe dazu BRICAULT, Dame des flots, S. 126–134.

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1. Jh. n. Chr. entspricht zudem dem Zeithorizont, der auch aus den benachbarten Provinzen bekannt ist.2562 Der Kult breitete sich den Fundorten zufolge entlang der römischen Straßen und Flußwege aus;2563 für Niedergermanien mit der Hauptstadt und dem Hauptfundort Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensium) läßt sich allerdings bisher noch immer kein früheres Datum als die 2. Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. ermitteln, wenngleich ein solches aufgrund der obergermanischen Befunde m. E. doch sehr wahrscheinlich ist. Ein vereinzeltes prosopographisches Zeugnis in Form eines Grabsteines aus der 1. Hälfte des 1. Jhs., der der Inschrift zufolge einem aus Alexandria stammenden Oberbootsmann (Proreta) im römischen Heer mit Namen Horus, Sohn des Pabekis (äg. „der des Falken“), gehörte,2564 demonstriert zumindest die Anwesenheit ägyptischer Militärangehöriger zu einem weitaus früheren Zeitpunkt.2565 7.4.2

Mogontiacum

7.4.2.1 Das Heiligtum der Isis und Magna Mater Erst 1999 wurden bei dem Bau der heutigen Römerpassage im Stadtzentrum von Mainz die Reste eines Heiligtums entdeckt, die anschließend in einer Notgrabung freigelegt und Besuchern in einer kleinen Dauerausstellung in einem Schauraum zugänglich gemacht wurden. Bisher ist kein ausführlicher Grabungsbericht zu dem Heiligtum und seinen Funden publiziert worden, weswegen man sich vorerst auf zwei Informationsbroschüren und einige Vorberichte der Ausgräberin M. WITTEYER (u. a.) stützen muß.2566 Datierung, Weihung und Bauphasen Das Fragment einer Bauinschrift in Form einer Tabula ansata dokumentiert die Errichtung durch einen Kassenverwalter namens Primigenius, der wiederum einem Procurator von Kaiser Vespasian unterstellt war.2567 Für einen staatlich beauftragten und geförderten Bau sprechen auch die verwendeten Ziegel mit Militärstempeln.2568 Im erhaltenen Teil dieser Dedikationsinschrift mit offiziellem Klang ist nur [Mater] deum als göttliche Addressatin erwähnt, doch zwei weitere, zusammengehörige Tabulae ansatae, die mit fast identischem Wortlaut von einer kaiserlichen Freigelassenen und einem kaiserlichen Sklaven unter dem 2562 HAASE, Kulte der Isis, S. 115. 2563 Vgl. zu den Verbreitungswegen MALAISE, Provinces européennes, S. 1662–1667; BRICAULT, Atlas, S. 112–113, mit Karte XXV. 2564 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 21, S. 87 u. 141–142; Taf. 60; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 143; IKöln2, Nr. 394; vgl. auch HAASE, Signum, S. 333–334. 2565 Laut Angaben auf dem Grabstein war Horus mit 60 Jahren verstorben, was auf einen sehr viel früheren Diensteintritt im Verhältnis zur Datierung der Inschrift hindeutet: Wahrscheinlich gehörte er zur ersten Besatzung des Flottenkastells in Köln-Alteburg Ende des 1. Jhs. v./Anfang des 1. Jhs. n. Chr., siehe B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 328, Nr. 394. 2566 WITTEYER, Göttlicher Baugrund; EAD., Heiligtum; EAD., Gaben; HOCHMUTH/WITTEYER, Holocaustes; siehe außerdem KLEIBL, Iseion, Kat. 41, S. 303–306; SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 131–137. Bei einer ausführlichen Besichtigung des Schauraumes in Mainz im Jahr 2009 konnte ich die Funde einer eigenen Betrachtung unterziehen. 2567 RICIS 609/0501 (Suppl. I); WITTEYER, Heiligtum, S. 14–15, Nr. 1; EAD., Gaben, S. 319, m. Abb. 2. 2568 WITTEYER, Heiligtum, S. 28–29, Nr. 1–7.

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Priester (sacerdos) Claudius Atticus, einem libertus, gestiftet wurden, nennen einerseits Magna Mater und andererseits Isis Panthea.2569 Sie datieren nach WITTEYER an das Ende des 1. Jhs. und sind dem Wohl des Kaisers sowie des Senats und Volkes von Rom und dem Heer gewidmet, was ihnen ebenfalls einen offiziellen Anstrich verleiht, wobei die Weihung zum Wohle des Heeres ungewöhnlich und wohl dem lokalen Kontext geschuldet ist.2570 Die Errichtung eines gemeinsamen Heiligtums für Magna Mater und Isis unter Vespasian, die somit zumindest naheliegend erscheint,2571 findet Parallelen in Italien, wo die beiden Göttinnen in dieser Epoche ebenfalls an verschiedenen Orten vergesellschaftet wurden und in enger Beziehung zum Kaiserhaus standen.2572 Die Zuständigkeit desselben Priesters für die Weihungen an beide Göttinnen, die aus den Inschriften hervorgeht, könnte zudem dafür sprechen, daß er in Personalunion für beide Kulte zuständig war,2573 wie es auch für einen Priester in Ostia und eine Priesterin in Aeclanum, die zusätzlich als Flamen-Priesterin dem Kult der Julia Pia Augusta diente, belegt ist.2574 Nach der Gründung unter Vespasian wurde das Heiligtum im 2. Jh. umgebaut und erweitert. Lage und Architektur Der Kultbau wurde über einer Nekropole der Hallstattzeit (7. Jh. v. Chr.) errichtet; diese enthielt Tumulusgräber, die vermutlich zur Zeit der Überbauung noch sichtbar waren.2575 Mit WITTEYER könnte die Nutzung eines alten Begräbnisplatzes sogar intendiert gewesen sein, um dem Jenseitsbezug der zentralen Mythen beider Göttinnen Rechnung zu tragen.2576 Hierzu würden m. E. auch die Funde zahlreicher Fluchtäfelchen passen, die gerne in Nekropolen deponiert wurden. Über eine abzweigende Seitenstraße ist das Heiligtum an die römische Straße, die zwischen dem Legionslager auf dem Kästrich zur Rheinbrücke verläuft, angeschlossen.2577 Der Bau besteht aus einem Steinfundament, über dem das Aufgehende in der regional üblichen Fachwerkbauweise errichtet worden war. In einem von einer Temenosmauer eingefaßten rechteckigen Bezirk befand sich ein relativ kleiner Tempel in der Nordwestecke, der in zwei Cellae – eine für jede Göttin – aufgeteilt war. In der ersten Bauphase gab es ebenfalls bereits zwei einzelne Räume. Die Cellae der zweiten Bauphase wurden mit einem umgebenden System aus Nebenräumen und Gängen versehen. Die Wände waren verputzt und bemalt. Den größten Teil des Heiligtumsareals nahm ein offener Hof ein, der den zahlreichen dort befindlichen Brandopferstellen und Kultgruben zufolge für die kultischen 2569 RICIS 609/0502–0503 (Suppl. I); WITTEYER, Heiligtum, S. 16–17, Nr. 2–3; EAD., Gaben, S. 317– 319, m. Abb. 1; vgl. dazu auch SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 131–132. 2570 SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 132. 2571 Möglicherweise ist im verlorenen Teil der Bauinschrift vor [Matri] deum noch [Isidi et] zu ergänzen, vgl. BRICAULT, RICIS Suppl. I, S. 117 zu RICIS 609/0501. 2572 Siehe Kap. 7.3.3.2.2 und 7.3.4.1. 2573 Vgl. SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 132; WITTEYER, Gaben, S. 319. 2574 RICIS 503/1123 und 505/0901, siehe Kap. 7.3.2.3.5 und 7.3.3.3. Ein weiterer Beleg für eine gemeinsame Priesterschaft der beiden Göttinnen stammt aus Falerii: RICIS 511/0401. 2575 Siehe WITTEYER, Göttlicher Baugrund, S. 9; EAD., Heiligtum, S. 23–25. 2576 WITTEYER, Heiligtum, S. 25; EAD., Gaben, S. 320. 2577 Vgl. HAASE, Kulte der Isis, S. 116.

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Handlungen genutzt wurde. Direkt vor der Front des Kultbaus im Süden wurden drei steinerne Sockel gefunden, auf denen wahrscheinlich Altäre standen. Im Norden wurde genau in der Achse zwischen den beiden Cellae ein kleines, fast quadratisches Brunnenhaus an die Wand angebaut, das aus der Temenosmauer hervorspringt. Die zum Heiligtum führende Nebenstraße war von kleinen Gebäuden mit Herdstellen gesäumt, bei denen es sich möglicherweise um an den Tempel angeschlossene Gaststätten handelte.2578 Funde und Weihinschriften Neben den bereits genannten Inschriften richten sich weitere Weihungen aus dem Heiligtum an Isis, wobei diese immer allein – weder zusammen mit Magna Mater, noch mit einer anderen ägyptischen oder römischen Gottheit – angesprochen wird. Von der Anhängerschaft der lokalen Elite sowie des weiblichen Bevölkerungsteils zeugt ein relativ großer Altar aus örtlichem Kalkstein, der von Grania Quartilla, der Gemahlin des Legatus Augusti Hasta, für Isis Regina gestiftet wurde.2579 Sehr viel einfacher und kleiner ist ein Altärchen mit der Inschrift eines Linus genannten Mannes für INSID(I).2580 Diese ungewöhnliche Schreibung des Namens der Göttin ist vereinzelt auch in anderen Westprovinzen (Gallien und Hispanien) belegt.2581 Eine kleine Tabula ansata aus Bronze mit einer weiteren Weihung an Isis ist stark zerstört; sie trug offenbar ein Epitheton, von dem jedoch nur noch die Endung […]ae erhalten ist.2582 Drei kleine Statuenbasen sind als Weihungen von Pausarii gekennzeichnet;2583 auf zweien davon sind noch die Füße der Statue eines Genius erhalten, die einmal auch als Objekt der Weihung in der Inschrift erwähnt wird, während eine andere den Genius der Pausarii von der vexillatio der Veteranen auch als Adressat anspricht. Es scheint sich bei den hier genannten Pausarii um Rudermeister der Rheinflotte zu handeln, da sie in militärische Einheiten (Dekurien und Vexillationen) eingeteilt sind; sie sind wohl entgegen WITTEYER nicht identisch mit den Pausarii im Isiskult, die die Kultbilder bei Prozessionen trugen.2584 Weitere aus dem Bezirk stammende Steindenkmäler, darunter Altäre und Statuenbasen, wurden den Inschriften zufolge ebenfalls durch private Initiativen gestiftet, nennen jedoch keine Gottheit.2585 Daneben gibt es anepigraphe Steindenkmäler wie einen kleinen Räucheraltar aus Sandstein, von dessen Benutzung Rußspuren in seiner runden

2578 WITTEYER, Göttlicher Baugrund, S. 9; HAASE, Kulte der Isis, S. 116. Nach WITTEYER, Gaben, S. 320, könnte der ursprüngliche Komplex noch um einiges großflächiger gewesen sein, wovon das freigelegte Areal dann nur einen Teil bilden würde. 2579 RICIS 609/0505 (Suppl. I); WITTEYER, Heiligtum, S. 18–19, Nr. 5. Zur möglichen Identität dieses Legaten siehe SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 137; vgl. auch ID., „Initiation“, S. 230. 2580 RICIS 609/0504 (Suppl. I); WITTEYER, Heiligtum, S. 18–19, Nr. 4. 2581 RICIS 515/1202; 602/0601; 605/0701. Siehe BRICAULT, RICIS Suppl. I, S. 118 zu RICIS 609/0504. Es handelt sich jeweils um sehr knappe, einfach gehaltene Inschriften von Privatpersonen. 2582 RICIS 609/0506 (Suppl. I): hypothetische Ergänzung des Epithetons zu [regin]ae, nach RICIS 609/0505; WITTEYER, Heiligtum, Photo S. 34. 2583 RICIS 609/0508–510 (Suppl. I); WITTEYER, Heiligtum, S. 20–21, Nr. 7–9. 2584 Vgl. BRICAULT, RICIS Suppl. I, S. 120 zu RICIS 609/0508. 2585 WITTEYER, Heiligtum, S. 18–21, Nr. 6–9 (nur der Genius der Pausarii ist einmal genannt).

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Vertiefung zeugen.2586 Ein Relieffragment zeigt den Kopf eines jungen Gottes mit Strahlenkrone (Sol?). Das einzige Zeugnis für einen der üblichen synnaoi theoi des Isiskultes ist ein Wandmalereifragment, auf dem der Schakalskopf des Anubis und die von ihm in der Hand gehaltenen Attribute Palmwedel und Kerykeion erhalten sind.2587 Die Darstellung erinnert an die Wandmalerei des Priesters mit Anubismaske in der Portikus des Iseums von Pompeji.2588 Interessant könnte im Vergleich mit den latinischen und campanischen Zeugnissen auch eine qualitätvoll gearbeitete kleine Bronzestatuette eines ithyphallischen Zwerges sein, die bereits in das 1. Jh. v. Chr. zu datieren ist.2589 Die Haarbinde und die Lippen der Figur bestehen aus Kupfer, Fuß- und Fingernägel aus Silber. Außerdem trägt der kleinwüchsige Mann einen Kranz auf dem Kopf (unter diesem ist die Haarbinde festgesteckt), den er mit der erhobenen Rechten anfaßt. Seine weit auseinander gesetzten Beine und die leichte Neigung des Körpers deuten entweder einen unsicheren Stand oder eine Bewegung an. Von WITTEYER wird die Figur als ‚betrunkener Festteilnehmer‘ interpretiert. Der Bezug auf ein Fest ist meiner Meinung nach tatsächlich naheliegend – darauf deuten sowohl der Kranz als auch die Parallelen tanzender Zwerge in Darstellungen der zentralen Isisfeste aus Italien hin –; es könnte sich in diesem Zusammenhang konkreter um die Darstellung eines feiernden Zwerges bei der Inventio Osiridis handeln.2590 Zusammen mit einem Fragment einer (nicht näher bestimmbaren) Maske2591 bleiben das Anubisbild und der Zwerg die einzigen vagen Hinweise, die im Vergleich mit den Denkmälern aus Italien auf eine Durchführung dieser Riten auch im Mainzer Doppelheiligtum deuten könnten. Allerdings gibt es massenhaft Reste von Opfern und Kultmahlzeiten (s. u.), die generell im Kontext von Festen anzusiedeln sein könnten. Zahlreiche kleinformatige Votivgaben zeugen weiter von der regen Frequentierung des Heiligtums und der bereits in anderen Kultstätten beobachteten Vergesellschaftung der Isis (und der Magna Mater) mit römischen Gottheiten. Kleine Terrakottafiguren und eine Bronze stellen Merkur und Venus (Anadyomene) dar, außerdem finden sich Tiere, Liebespaare und militärisch gekleidete Personen in dem Material.2592 Weitere Weihungen, deren spezifischer Zweck nicht bekannt ist, umfassen Münzen, Haarnadeln, Miniaturäxte und durchbohrte Knochen.2593 Spuren des Kultes im Heiligtum Eine große Menge an Funden aus dem Hofbereich des Heiligtums zeichnet ein lebendiges Bild von den dort stattfindenden Opfern, Kultmählern und weiterer Kultpraxis. Die gut erhaltenen Bodenfunde stammen aus einer Schicht, die sich durch die darüberliegenden Ziegelfragmente aus trajanisch-hadrianischer Zeit in die Epoche zwischen Vespasian und 2586 2587 2588 2589 2590

WITTEYER, Heiligtum, S. 21, Nr. 10. WITTEYER, Göttlicher Baugrund, S. 9, Abb. 8; EAD., Heiligtum, S. 29. Siehe oben, Kap. 7.3.3.1.1. WITTEYER, Göttlicher Baugrund, S. 12–13, m. Abb. 14; EAD., Heiligtum, S. 32–33. Vgl. insbesondere das Wandbild mit dem tanzenden Bes-Darsteller aus Herculaneum (dieser hat ebenfalls eine Hand zu seinem Kopf erhoben!), Kap. 7.3.3.2.3, und das Ariccia-Relief, Kap. 7.3.2.2.2. 2591 WITTEYER, Heiligtum, S. 51. 2592 WITTEYER, Heiligtum, S. 34–37. 2593 WITTEYER, Heiligtum, S. 34–35.

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Trajan datieren läßt (ca. letztes Viertel 1. und erstes Viertel 2. Jh. n. Chr.).2594 Leider läßt sich bei dem größten Teil des Befundes nicht erschließen, was dem Isis- und was dem Magna Mater-Kult zuzuordnen ist bzw. ob es (zumindest teilweise?) gemeinsame Veranstaltungen gab, zu deren Anlaß beide Göttinnen vielleicht sogar die gleichen Opfer erhielten. Ähnlich wie im Iseum von Pompeji wurde auch im Mainzer Heiligtum Geschirr gefunden,2595 das vermutlich bei den genannten Handlungen Verwendung fand. Sicherlich nur für kultische Zwecke, nicht für einen tatsächlichen Gebrauch, war ein Set von Miniaturgefäßen bestimmt. In einem mit Opferresten gefüllten Depotschacht hinter einem der kleinen quadratischen Kultbauten wurde abschließend ein der Isis geweihter Altar2596 versenkt und alles mit Bauschutt abgedeckt, was möglicherweise für die Zuordnung dieses Schachtes und des daneben liegenden Kultraumes zu Isis spricht.2597 In den Depotgruben fand man eine große Bandbreite an Opfer- und Speiseresten,2598 unter denen Knochen von Hühnern bzw. in erster Linie Hähnen mengenmäßig bei weitem dominieren, was dem Befund in Mithras-Heiligtümern entspricht.2599 Relativ häufig vertreten sind aber auch Knochen von Singvögeln, die auch aus Opfergruben anderer Isisheiligtümer, z. B. in Baelo Claudia in Spanien, bekannt sind.2600 Daneben fand man mehrere Skelette von Hunden – einem in Germanien und Nordgallien generell beliebten Opfer2601 –, Rinderschädel, Eier, Fische, Muscheln, Gebäck, Getreide, Nüsse, vor allem mediterrane Früchte (Feigen, Datteln, Pfirsiche, Weintrauben),2602 außerdem Pinienkerne, Oliven und Reste von Räucherwerk.2603 Nach dokumentarischen Quellen aus Ägypten wurden für das Isia-Fest am 20. Hathyr große Mengen an Kuchen und Broten zubereitet,2604 was vielleicht zusätzlich darauf hinweisen könnte, daß dieses auch im Mainzer Heiligtum begangen wurde. 2594 Siehe BLÄNSDORF, Defixiones, S. 143. 2595 Dazu gehören ein sog. ‚Schlangengefäß‘, große Kratere, Schalen und Schüsseln sowie Platten, Becher und Räucherkelche, siehe WITTEYER, Heiligtum, S. 51–53 u. 62–63; EAD., Göttlicher Baugrund, S. 14, Abb. 17 (‚Schlangengefäß‘); EAD., Gaben, S. 324–325. 2596 RICIS 609/0504 (Suppl. I). 2597 WITTEYER, Gaben, S. 335–338, m. Abb. 13. 2598 Siehe dazu HOCHMUTH/WITTEYER, Holocaustes; M. HOCHMUTH/N. BRENECKE/M. WITTEYER, Cocks and Song Birds for Isis Panthea and Mater Magna: The Bird Remains from a Sanctuary in Mogontiacum-Mainz, in: G. Grupe/J. Peters (Hrsg.), Feathers, Grit and Symbolism. Birds and Humans in the Ancient Old and New Worlds, Proceedings of the 5th Meeting of the ICAZ Bird Working Group in Munich, 2004, Rahden 2005, S. 319–327; WITTEYER, Gaben, S. 331–344. 2599 FRACKOWIAK, Fremde Götter, S. 65, Anm. 438. 2600 Siehe Y. LIGNEUREUX et al., Sacrifices d’oiseaux en l’honneur d’Isis au Ier siècle ap. J.-C. à Bélo, in: Revue de Médecine Vétérinaire 146, 1995, S. 575–582; vgl. HOCHMUTH/WITTEYER, Holocaustes, S. 123. Zum Geflügelopfer im Isiskult siehe auch KLEIBL, Iseion, S. 135. Vgl. zudem das Kultgesetz von Priene um 200 v. Chr. (RICIS 304/0802), das ein Opfer von zwei Tauben für Isis am Datum des Choiakfestes (es ist das Datum 20. Apaturion nach dem griechischen Kalender genannt) angibt; siehe dazu STAVRIANOPOULOU, Priester gesucht, bes. S. 90–91. 2601 FRACKOWIAK, Fremde Götter, S. 65, Anm. 439; SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 133. 2602 Vgl. zu den Früchten und Nüssen z. B. entsprechende Funde in der Opfergrube neben dem Altar im Iseum von Pompeji, siehe Kap. 7.3.3.1.1. 2603 WITTEYER, Göttlicher Baugrund, S. 10–12, m. Abb.; EAD., Gaben, S. 324–325, m. Abb. 5. 2604 Siehe PERPILLOU-THOMAS, Fêtes d’Égypte, S. 193–201.

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Eine weitere Parallele zum Iseum von Pompeji stellen die zahlreichen Lampenfunde dar – es handelt sich um mehr als 300 Stücke –, die aber in Mainz häufig paarweise auf Brandopferstellen rituell deponiert wurden.2605 Rußspuren zeigen an, daß sie vorher, vielleicht während der Gelage, in Benutzung gewesen waren. Neben dieser sehr kleinformatigen Massenware gab es unter den Funden außerdem mehrere größere Öllampen mit langer Brenndauer, die wohl zur Ausstattung des Heiligtums gehörten. Desweiteren bezeugen Funde von über 30 Fluchtäfelchen (defixiones) und drei manipulierten Puppen magische Praktiken, die im Heiligtum – vielleicht unter Leitung eines zauberkundigen Priesters? – zwischen dem Ende des 1. und dem Anfang des 2. Jhs. betrieben wurden.2606 Trotz der herausragenden Rolle der Isis in vergleichbaren magischen Texten aus Ägypten (Kap. 6.5) richten sich die Götteranrufungen der Mainzer Flüche jedoch einzig an Magna Mater und Attis.2607 Den Funden zufolge war das Heiligtum bis zum Ende des 3. Jhs. n. Chr. in Funktion.2608 7.4.2.2 Weitere Zeugnisse aus Mainz Vereinzelte Funde aus der Stadt belegen, daß auch Sarapis in Mainz nicht unbekannt war, wenngleich kein eigener Tempel des Gottes bekannt ist, und keine Inschrift ihn erwähnt. Von etwas größerem Ausmaß ist zumindest ein Relief aus Kalkstein mit einem Clipeus, der die Büste des Gottes mit Kalathos enthält.2609 Von geringerer Relevanz ist ein Lampengriff aus der Umgebung der Stadt, der ebenfalls in Form einer Sarapisbüste gestaltet ist.2610 Die Herkunft von zwei bei GRIMM katalogisierten Apis-Statuetten aus Mainz ist unsicher, während eine dritte zwar offenbar sicher aus Mainz stammt, jedoch bereits zu GRIMMs Zeiten verschollen war.2611 Isis selbst war vor der Ausgrabung des Heiligtums nur durch eine 2605 Dabei war oft eine der beiden Lampen auf den Kopf gestellt positioniert worden. 2606 Siehe dazu BLÄNSDORF, Defixiones; ID., Cybèle et Attis dans les tablettes de defixio inédites de Mayence, in: CRAI 149, 2005, S. 669–692; ID., The Curse Tablets from the Sanctuary of Isis and Mater Magna in Mainz, in: MHNH 5, 2005, S. 11–26; ID., „Guter, heiliger Atthis“: Eine Fluchtafel aus dem Mainzer Isis- und Mater Magna-Heiligtum (Inv.-Nr. 201 B 36), in: K. Brodersen/A. Kropp (Eds.), Fluchtafeln. Neue Funde und neue Deutungen zum antiken Schadenszauber, Frankfurt 2004, S. 51–58; M. WITTEYER, Verborgene Wünsche. Befunde antiken Schadenzaubers aus MogontiacumMainz, ibid., S. 41–50; EAD., Gaben, S. 328–331; EAD., Curse Tablets and Voodoo Dolls from Mainz. The Archaeological Evidence for Magical Practices in the Sanctuary of Isis and Magna Mater, in: MHNH 5, 2005, S. 105–124. Bei einigen rituellen Deponierungen, die unter anderem Metalltäfelchen einschließen, sind diese unbeschriftet geblieben, siehe EAD., Gaben, S. 325–327. 2607 Anders z. B. im Iseum von Baelo Claudia in der Baetica, wo ein Fluchtäfelchen, das an Isis „muromem“ (= myrionyme) adressiert war, gefunden wurde: RICIS 602/0101 (2. Jh. n. Chr.?). Eine weitere an Isis gerichtete tabella defixionum stammt aus Trier (Augusta Treverorum): A. KROPP, Defixiones. Ein aktuelles Corpus lateinischer Fluchtafeln, Speyer 2008, Kat. 4.1.3/16. Vgl. zu beiden Beispielen auch GORDON/GASPARINI, Looking for Isis „the Magician“, S. 49–50. Beide Texte gehören der als ‚prayer for justice‘ bezeichneten Untergattung an, die in der Forschung teilweise von richtiggehenden Fluchtäfelchen unterschieden wird, und m. E. eine Verbindung zu ägyptischen Götterbriefen aufweist, siehe zu diesen oben, Kap. 6.4.2.2 und 6.5.3.1. 2608 Siehe M. WITTEYER, Opferspuren: Entdeckung eines Sakralbezirks in Mainz, in: AW 31/4, 2000, S. 403–404: 403; BRICAULT, RICIS Suppl. I, S. 117; HAASE, Kulte der Isis, S. 120. 2609 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 94, S. 190–191; Taf. 32. 2610 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 95, S. 191; Taf. 33, 4. 2611 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. u. 99, S. 192–195.

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Bronzestatuette im beliebten ‚Isis-Fortuna‘-Typus,2612 und indirekt durch ein pantheistisches Bronzesymbol, das neben Attributen diverser anderer Gottheiten auch ein Sistrum beinhaltet, bekannt.2613 7.4.3

Colonia Agrippinensis

7.4.3.1 Ein Isistempel in Köln? Bisher ist in Köln, Provinzhauptstadt der Germania Inferior, kein Isistempel archäologisch bekannt, doch eine substanzielle Kumulation von Weihinschriften an Isis, Osiris und Sarapis, von denen mehrere nachträglich in der auf die Mitte des 4. Jhs. zurückgehende Kirche St. Gereon verbaut waren, sowie einige andere Zeugnisse lassen mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ein Heiligtum in der Stadt schließen.2614 Keine der Inschriften läßt sich allerdings als Bauinschrift eines Tempels identifizieren. Sicher datiert – auf das Jahr 179 n. Chr. – ist nur ein Altar für Jupiter Optimus Maximus, Sarapis, und den Genius loci, der von einem Beneficiarius gestiftet wurde.2615 Alle anderen Inschriften werden von den bisherigen Bearbeitern – oft summarisch – in das 2.–3. Jh. n. Chr. datiert.2616 7.4.3.2 Bedeutung und Charakter der Gottheiten des Isiskreises in Colonia Agrippinensis nach den Weihinschriften und weiteren Zeugnissen Der Großteil der Weihungen ist an Isis gerichtet, die die aus Italien bekannten Beinamen Invicta (2x), Myrionymos und Augusta erhält.2617 Eine Inschrift bezeichnet sie als „Göttin Isis“ (deae Isidi),2618 und in den fünf übrigen Fällen steht ihr Name allein.2619 Sowohl bei einer der Dedikationen für Isis Invicta als auch bei der für dea Isis ist das geweihte Objekt 2612 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 92, S. 188–189. 2613 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 93, S. 189–190; Taf. 29, 3. 2614 Dieses wurde aufgrund der Häufung in St. Gereon (RICIS 610/0105, 610/0107–0108 und 0111–0112) oftmals im direkten Umfeld der heutigen Kirche vermutet, z. B. von G. RISTOW, Römischer Götterhimmel und frühes Christentum: Bilder zur Frühzeit der Kölner Religions- und Kirchengeschichte, Köln 1980, S. 47. Die Spolien können aber ebenso von einer anderen Stelle aus der weiteren Umgebung herangeschafft worden sein, vgl. HAASE, Kulte der Isis, S. 118–120. Zudem waren weitere Inschriften in anderen Gebäuden verbaut, u. a. St. Ursula (RICIS 610/0101–0104 und 610/0110), die sich jedoch wie St. Gereon nördlich der Stadtmauer befanden, vgl. TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 143. Zu den Kölner Funden HAASE, Kulte der Isis, S. 121–130 u. Kat. 1–10; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 137–144; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, S. 82–87; K. PARLASCA, Die Isis- und Sarapisverehrung im römischen Köln, in: KJ 1, 1955, S. 18–23; ferner MALAISE, Provinces européennes, S. 1664; ID., Famille isiaque, S. 31–32; SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 141–143. Zu den Inschriften vgl. auch B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 73–79, Nr. 54–57 u. 59–61; S. 109–110, Nr. 103; S. 172, Nr. 187; S. 177–178, Nr. 196; eine Konkordanz mit den RICISNummern findet sich in RICIS Suppl. III, S. 171. 2615 RICIS 610/0101. 2616 Vgl. RICIS II, S. 702–705, zu RICIS 610/0101–0113; HAASE, Kulte der Isis, S. 131–134, Kat. 1–10; SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 142; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 137 (Ende 2. Jh.). 2617 Invicta: RICIS 610/0102–0103. Myrionymos: RICIS 610/0105. Augusta: RICIS 610/0106 (vgl. RICIS Suppl. II, S. 292). 2618 RICIS 610/0111. 2619 RICIS 610/0107–0110 und 610/0113. Einmal (RICIS 610/0107) mit der Weiheformel Is[i]d[i] sacru[m].

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jeweils eine kleine Kalksteinstatue der thronenden Isis (Kopf und Hände sind verloren);2620 im ersten Fall befindet sich die Inschrift auf dem Sockel der Statue, im zweiten (hier ist nur das Unterteil der Statue erhalten) auf einem kleinen Kalksteinaltar, der gleichzeitig als Basis der Statue diente. Aufgrund dieser Parallele könnten die gestifteten Bildnisse vielleicht an das Kultbild eines lokalen Tempels angelehnt sein.2621 Die Ikonographie der frontal thronenden Göttin, bei der besser erhaltenen Statue übrigens ohne Gewandknoten, ist zwar für Isis auch andernorts belegt, aber LIERTZ macht zu Recht darauf aufmerksam, daß es sich dabei zudem um eine in Germanien typische Darstellungsform für Göttinnen handelte,2622 was bedeutet, daß hier auch regionale Traditionen für die ausgewählte Präsentationsweise der Isis mitverantwortlich sein könnten. Bei den meisten anderen beschrifteten Denkmälern handelt es sich um Votivaltäre,2623 von denen drei auf den Schmalseiten mit Bäumen (teilweise mit runden Früchten) dekoriert sind, was offenbar einem gängigen lokalen Brauch entspricht, der auch auf Steindenkmälern für andere Gottheiten in Köln belegt ist.2624 Es ist fraglich, aber nicht auszuschließen, daß damit dennoch – wie HAASE annimmt – auf die Fruchtbarkeit bringenden Aspekte der Göttin verwiesen wird, oder aber die Bäume wie z. B. im Isistempel von Pompeji symbolisch für Osiris stehen.2625 Daß dieser in Köln neben Isis – vermutlich in ihrem Tempel – verehrt wurde, bezeugt ein kleiner Altar mit Weihung „für den Gott Osiris“ (deo Osiri),2626 ebenfalls mit Bäumen auf den Schmalseiten, welcher aufgrund der Parallelität der Inschriften und der Verbauung beider Stücke in St. Gereon sicherlich in direktem Zusammenhang mit der Dedikation für deae Isidi aufgestellt war, vielleicht sogar von demselben Stifter, der allerdings in keinem Fall genannt ist.2627 Ferner sind vier Bronzestatuetten des Gottes in ägyptischem Typus bekannt;2628 allerdings ist die Provenienz aus Köln nur bei einer zumindest annähernd gesichert, läßt sich durch das inschriftliche Zeugnis seiner Verehrung aber auch für die anderen zumindest plausibilisieren. Als bekanntes Symbol könnte auch der Deckel einer

2620 RICIS 610/0102 und 610/0111; Taf. 119 u. 120; HAASE, Kulte der Isis, S. 133, Nr. 5–6. Zur ersteren auch G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 14, S. 132–134; Taf. 19–21; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 142; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.15, S. 559. 2621 Vgl. HAASE, Kulte der Isis, S. 126, und G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, S. 133–134, die an ein alexandrinisches Kultbild als Vorbild denken. Vgl. zur Ikonographie der thronenden Isis oben, Kap. 7.3.4.1 (zu Isis Regina). 2622 LIERTZ, Isis, S. 111. 2623 RICIS 610/0103, 610/0105 und 610/0107–0108 (Isis), RICIS 610/0101 (Jupiter, Sarapis und Genius loci) und RICIS 610/0112 (Osiris). 2624 RICIS 610/0103 und 610/0107–0108; siehe zur Dekoration der Schmalseiten HAASE, Kulte der Isis, S. 126 u. 132–134, Nr. 3–4 u. 8; vgl. auch B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 74–75, Nr. 55– 56; S. 172, Nr. 187. 2625 Siehe oben, Kap. 7.3.3.1.1. 2626 RICIS 610/0112; Taf. 120. 2627 B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 75–76, Nr. 57 (Weihung für dea Isis) nehmen trotz des geringen vorhandenen Platzes an, daß der Name des Stifters ursprünglich mit Farbe aufgemalt war. 2628 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. , – u. 53, S. 66 u. 163–164; Taf. 4, 2. Siehe vergleichbare Stücke aus Italien, Kap. 7.3.4.1, m. Anm. 2496.

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Cista mystica aus Terrakotta, auf dem eine geringelte Schlange im Relief dargestellt ist,2629 auf den Mythos und die geheimen Riten des Gottes verweisen. Eine der Göttin durch die bloße Namensaufschrift auf dem Sockel geweihte Kalksteinstatuette eines liegenden Stiers mit Mondsichel auf der Flanke2630 zeigt außerdem, daß auch der Apis-Stier in den Kult der ägyptischen Gottheiten in Köln involviert war. Er ist zusätzlich durch mindestens zwei Bronzestatuetten vertreten, die einen schreitenden Stier im hellenistischen Stil mit erhobenem Vorderbein und nach rechts gewandtem Kopf darstellen.2631 Die Herkunft von vier weiteren Stierfiguren aus Köln, darunter drei, die einem ägyptischen Typus folgen, ist dagegen nicht gesichert.2632 Bei zwei weiteren Inschriften für Isis aus der Colonia Agrippinensis handelt es sich um knappe Graffiti auf Terrakottaobjekten. Eines davon, das nur den Namen Isidi nennt, war auf einen kleinen Krug geschrieben, der heute verschollen ist.2633 Das andere, in dem neben dem Göttinnennamen auch die Dedikanten [Lu?]canus, Sklave des Rigillus, und Superbus angegeben sind, befindet sich auf einer kleinen Terrakottascheibe, die durch eingeritzte Speichen und ein Loch in der Mitte als Darstellung eines Rades gekennzeichnet ist, möglicherweise als Teil eines Kinderspielzeugs.2634 Da das Stück direkt bei einer Töpferwerkstatt gefunden wurde, könnte es sich bei den beiden Stiftern mit GALSTERER um dort tätige Töpfer handeln, die Isis so mit einem Stück aus eigener Produktion Reverenz erwiesen. HAASE denkt außerdem an eine Konnotation des Rades mit (Isis-)Fortuna,2635 was sich jedoch weder durch Parallelen noch durch ikonographische Zeugnisse eines ‚IsisFortuna‘-Typus mit Rad erhärten läßt und daher wohl wenig wahrscheinlich ist. Tatsächlich zeigen mindestens zwei, eventuell drei Bronzestatuetten aus Köln den ‚IsisFortuna‘-Typus (vgl. auch den Beleg aus Mainz), weisen jedoch wie üblich (und soweit erhalten) die Attribute Steuerruder und Füllhorn auf.2636 Ein Intaglio des 3. Jhs. mit IsisFortuna, Sarapis und Hygieia stammt aus einem spätrömischen Grab.2637 Eine weitere Bronze zeigt Isis mit Sistrum(?)griff in der rechten Hand, während das Attribut in der gesenkten linken (vielleicht eine Situla?) verloren ist.2638 Die Herkunft einer heute verschollenen ägyptischen Statuette der Isis mit Horus auf dem Schoß aus Köln ist un2629 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 34A, S. 84 u. 153. Eine ebensolche Schlange, die als Wächter des Inhaltes der Cista, eventuell sogar als Verkörperung der Isis, zu verstehen ist, ist auch auf dem Deckel der Porphyr-Cista aus Benevent (Kap. 7.3.3.3) dargestellt. Vgl. außerdem Kap. 7.3.2.2.2, 7.3.3.1.1 u. 7.3.4.1. 2630 RICIS 610/0110; Taf. 120; HAASE, Kulte der Isis, S. 133, Nr. 7; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 14A, S. 134–135; Taf. 40. 2631 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 48–49, S. 161–162; Taf. 41, 2 u. 42, 1. 2632 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. –, S. 159–161; Taf. 7, 2 u. 41, 1. 2633 RICIS 610/0109; HAASE, Kulte der Isis, S. 134, Nr. 9; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 142; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 17, S. 137 (mit Vergleichsbeispielen aus anderen Regionen). 2634 RICIS 610/0113; HAASE, Kulte der Isis, S. 128–130 u. 131, Nr. 1; B. GALSTERER, Eine neue Weihung an Isis aus Köln, in: KJ 32, 1999, S. 301–303; vgl. dazu auch LIERTZ, Isis, S. 109. 2635 HAASE, Kulte der Isis, S. 128–130. 2636 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 26, 28 u. , S. 145–147; Taf. 24, 2–3 u. 25, 5–6; S. RITTER, Bronzestatuetten aus Köln: Versuch einer Vernetzung, in: KJ 32, 1999, S. 727–737: 732– 733, m. Abb. 8; vgl. HAASE, Kulte der Isis, S. 129, m. Anm. 93. 2637 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 31, S. 148–149; Taf. 35, 6 u. 8. Hygieia sitzt dem ägyptischen Götterpaar gegenüber, wobei Isis hinter Sarapis dargestellt ist. 2638 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 27, S. 146; Taf. 24, 1.

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sicher.2639 Zumindest zeigt auch eine Münzprägung der Residenzstadt des gallischen Gegenkaisers Victorinus (269–271 n. Chr.) eine Isis mit dem Horusknaben – allerdings in hellenistischem Typus – mit der Legende SAECULI FELICITAS.2640 Die Göttin steht nach vorne gebeugt und ein Fuß ist auf einem Schiffsbug aufgestellt. Auf dem Knie hält sie ihr Kind, um es zu stillen. Hinter ihr steht ein Altar, an dem ein Steuerruder lehnt. Sowohl Motiv als auch Beschriftung kopieren allerdings stadtrömische Prägungen von Septimius Severus mit Julia Domna auf der Vorderseite.2641 Der kindliche Isissohn ist auch ohne seine Mutter durch eine ägyptische Bronzestatuette (verschollen),2642 drei Bronzen in hellenistischer Ikonographie eines (meist) nackten Knaben mit ägyptischer Krone (einmal sicher Doppelkrone)2643 und eine Lampe (Herkunft nicht gesichert)2644 in Köln vertreten. Bronzen mit pantheistischen Symbolen, die jeweils unter anderem ein Sistrum enthalten, lassen sich außer in Mainz (s. o.) auch in Köln konstatieren, wobei nur von einem der Stücke der Fundort wirklich gesichert ist.2645 Neben den bereits genannten Gottheiten des Isiskreises Osiris, Apis und Horus/Harpokrates, ist auch Sarapis durch Weihungen und andere Denkmäler in Colonia Agrippiniensis bezeugt. Bis auf das bereits genannte Intaglio, das aber ohnehin aus einem Grab stammt, erscheinen Isis und Sarapis hier jedoch nie zusammen oder in einem gemeinsamen Kontext, was auch dem Befund in Mainz entspricht. Die beiden Inschriften, die Sarapis bzw. Sol Sarapis nennen, wurden auch nicht zusammen mit einigen der Isis-Weihungen in St. Gereon oder St. Ursula verbaut, sondern stammen von anderen Fundplätzen.2646 Auch zeigen die Kölner Münzen des Gegenkaisers Postumus (266–267 n. Chr.) nur Sarapis,2647 die des Victorinus dagegen nur Isis mit dem Horuskind (s. o.). M. E. könnte dieser Befund insgesamt dafür sprechen, daß die Verehrung des Sarapis möglicherweise vom Kult der Isis und der anderen genannten ägyptischen Gottheiten – und eventuell auch von ihrem Tempel – getrennt ablief. Allerdings weisen die Münzbilder sowohl von Isis als auch von Sarapis gemeinsame Elemente auf, die normalerweise auf eine Verbindung zur Seefahrt hindeuten, konkret jeweils ein Steuerruder und einen Schiffsbug. Im lokalen Kontext könnten beide Götter aber zu Patronen der Flußschiffahrt auf dem Rhein umgedeutet worden sein, wie zumindest der Altar eines Beneficiariers (der eben für die Kontrolle über den Warenverkehr auf dem Fluß zuständig war) für Jupiter, Sarapis und den Genius loci

2639 2640 2641 2642 2643

2644 2645 2646 2647

G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. , S. 143–144. SNRIS Colonia 4; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, S. 82 u. 192, Anm. 2; Taf. 67, 5–6. SNRIS Roma 23. G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 24, S. 63 u. 144. G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 40–42, S. 63, 83 u. 156–158; Taf. 38, 1–2, u. 39. Einmal stehend mit Füllhorn und über den Arm gelegtem Mantel, einmal stehend mit Füllhorn (? sehr schmal) und Finger am Mund, und einmal in ein weites Gewand gehüllt, sitzend mit Füllhorn und Finger am Mund. G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. , S. 158–159. G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 33 u. –, S. 150–152; Taf. 28, 2–3 u. 29, 1–2; ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.13, S. 558. RICIS 610/0101 (Beneficiarier-Altar): Blaubach, Ecke Weißbütten-Straße; RICIS 610/0104 (Marmorplatte für Sol Sarapis und seine kline): in Haus Domkloster 2 verbaut. SNRIS Colonia 1–2; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 96, S. 191–192; Taf. 67, 1–2.

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(179 n. Chr.) nahelegt.2648 Sarapis oder Sol Sarapis scheint auch eine eigene Kultgemeinde bzw. einen Kultverein besessen zu haben, dessen Mitglieder zu regelmäßigen Banketten zusammentrafen; darauf läßt die Dedikation einer Dextrinia Iusta für den Gott und seine cline (= griech. kline) schließen, eine Institution, die sonst hauptsächlich aus Ägypten bekannt ist.2649 Mit MALAISE dürfte die Existenz einer kline in Köln entsprechend auf die Präsenz ägyptisch- oder griechisch-orientalisch-stämmiger Personen in der Stadt zurückgehen,2650 die ja tatsächlich abgesehen von dem viel früheren Grabstein des Horus (s. o., 7.4.1) auch durch eine funeräre Inschrift eines Griechen aus Mylasa, dessen Vater (mit einem Namen griechischen Ursprungs) jedoch aus Alexandria stammte, aus der zweiten Hälfte des 2. Jhs. n. Chr. belegt ist.2651 Mehrere kleinformatige ikonographische Zeugnisse lassen ebenfalls auf eine Hinwendung zu Sarapis schließen: Ein fragmentarischer Schieferkopf im Stirnfransentypus mit gesicherter Provenienz zeigt trotz des ungewöhnlichen Materials eine recht gute Qualität und läßt sich bereits um die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. datieren.2652 Eine Bronzestatuette (Herkunft unsicher, verschollen) zeigt Sarapis thronend,2653 und eine Statuettenlampe mit plastischer Büste des Gottes stammt von einem Gräberfeld.2654 Eine weitere kleine Büste aus Bronze könnte laut GRIMM zu einem Klappspiegel gehört haben.2655

2648 RICIS 610/0101; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 139–140; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 19, S. 138–139; Taf. 31. Zur Deutung vgl. BRICAULT, RICIS II, S. 702; ID., in: Bricault (Hrsg.), SNRIS, S. 198 (jeweils nur zu Sarapis). Auch dieser Altar ist auf den Nebenseiten mit Früchten tragenden Bäumen geschmückt, siehe B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 109–110, Nr. 103. 2649 RICIS 610/0104; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 138–139; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 20, S. 83–84 u. 139–141; Taf. 30; VIDMAN, Träger des Isis- und Sarapiskultes, S. 115; B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 177–178, Nr. 196, u. S. 74 (Kommentar zu Nr. 54); SPICKERMANN, „Initiation“, S. 234. Siehe zur kline des Sarapis H. C. YOUTIE, The Kline of Sarapis, in: Harvard Theological Review 41, 1948, S. 9–29; J. STEINHAUER, Die Kultgemeinschaften der ägyptischen Gottheiten in Griechenland, in: M. Öhler (Hrsg.), Aposteldekret und antikes Vereinswesen. Gemeinschaft und ihre Ordnung, Tübingen 2010, S. 185–205: 196–198 m. Anm. 71– 72; MERKELBACH, Isis regina, S. 165–166; J. F. GILLIAM, Invitations to the Kline of Sarapis, in: Collectanea Papyrologica I. Texts Published in Honor of H. C. Youtie, Papyrologische Texte und Abhandlungen 19, Bonn 1976, S. 315–324; L. CASTIGLIONE, Zur Frage der Sarapis-Kline, in: Acta Antiqua, Academiae Scientificarum Hungaricae IX, 1961, S. 287–303; PFEIFFER, Inschriften, S. 313– 316, Nr. 73. Vgl. außerhalb Ägyptens zumindest einen Beleg für eine Kultassoziation der kline des Sarapis aus Thessaloniki: RICIS 113/0575. Möglicherweise sind aber auch die in einer Inschrift in Delos als Weihgeschenke gestifteten klinai in diesem Sinne zu verstehen: RICIS 202/0134; auch weitere Hinweise scheinen auf vergleichbare Veranstaltungen an anderen Orten hinzudeuten, vgl. GRAF, Sacred Meals. Für andere Gottheiten vgl. außerdem D. MONTSERRAT, The Kline of Anubis, in: JEA 78, 1992, S. 301–307; N. BELAYCHE, L’évolution des formes rituelles: hymnes et mystèria, in: L. Bricault/C. Bonnet (Hrsg.), Panthée: Religious Transfromations in the Graeco-Roman Empire, RGRW 177, Leiden – Boston 2013, S. 17–40: 37; übergreifend GRAF, Sacred Meals. 2650 MALAISE, Provinces européennes, S. 1664. 2651 Grabstein des Ruphus: G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 22, S. 142–143; Taf. 61; IKöln2, Nr. 406. 2652 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 35, S. 59 u. 153–154; Taf. 34. 2653 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 38, S. 155. 2654 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 39, S. 59 u. 155–156; Taf. 33, 5. 2655 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 37, S. 155; Taf. 33, 3.

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7.4.3.3 Kult und Kultträger Die Inschriften und ergänzende Zeugnisse bieten trotz ihrer meist privaten Urheber insgesamt genügend Informationen, um mit einiger Wahrscheinlichkeit mindestens einen Tempel und eine Kultgemeinde für Isis, und eine wohl separate religiöse Assoziation für Sarapis, die zu gemeinsamen Mählern zusammentraf (kline), zu rekonstruieren. Teilweise wurde die Weihung eines Priesters namens Q. Fufius Rig(?)edus an Isis Augusta auf einer Tabula ansata aus Bronze als Beleg für einen Isispriester interpretiert, doch nennt der Stifter sich einfach nur sacerd(os) und nicht sacerdos Isidis o. ä., so daß seine amtliche Zugehörigkeit zum Kult der Isis sehr unsicher ist.2656 Für einen geregelten Kult in einem Heiligtum mit den entsprechenden Festen und Ritualen könnte aber der Deckel der Cista mystica sprechen, der wahrscheinlich auf die Osirismysterien verweist.2657 Die Platzierung eines Altars mit Weihung an Isis Myrionymos nach einem Gelübde wurde durch ein Dekurionendekret bestimmt bzw. zur Verfügung gestellt und zeigt damit die Eingliederung des Kultes in das öffentliche städtische Leben und seine Verwaltung.2658 Ähnlich wie bei einigen Heiligtümern in Nordafrika läßt sich auch hier eine gemeinsame Zugehörigkeit von mehreren Mitgliedern einer Familie zum Isiskult beobachten: Zwei Schwestern, Iulia […] und Valeria Hansuia, Töchter des Afleugus, stifteten zwei sehr ähnliche Altäre mit seitlicher Baumdekoration.2659 Der Onomastik zufolge handelte es sich um eine romanisierte Familie mit einheimischen Wurzeln.2660 Bei den Inschriften, die überhaupt einen Dedikanten nennen, ist eine auffällige Aktivität von Frauen zu verzeichnen (vgl. auch Mainz), denn auch die Weihung für Sol Sarapis und seine kline vom Ende des 2. Jhs. n. Chr. stammt von einer Frau, Dextrinia Iusta, die sich selbst als Kölnerin (Agripp(inensis)) bezeichnet und deren Vater durch die tria nomina (Lucius Dextrinius Iustus) als römischer Bürger gekennzeichnet ist.2661 Sie erfolgte zu Ehren des Kaiserhauses (in h(onorem) d(omus) d(ivinae)). Möglicherweise handelte es sich bei der Familie der Dedikantin um Mitglieder der lokalen Elite,2662 die entsprechend in der Lage gewesen wäre, z. B. ein Vereinshaus o. ä. für die kline zu stiften. Ob dies Inhalt der auf eine qualitätvoll gearbeitete Marmortafel (mit erneuerter Fassung und Restaurationsvermerk der Barockzeit)2663 angebrachten Weihung gewe-

2656 Interpretation als Isispriester: G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, S. 85. Vgl. zur Problematik HAASE, Kulte der Isis, S. 118–119; und U.-M. LIERTZ, Kult und Kaiser: Studien zu Kaiserkult und Kaiserverehrung in den germanischen Provinzen und in Gallia Belgica zur römischen Kaiserzeit, Acta Instituti Romani Finlandiae 20, Rom 1998, S. 67, die davon ausgeht, daß bei Nennung des Titels sacerdos ohne weitere Spezifizierung jeweils städtische Priester des Kaiserkultes gemeint sind. 2657 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 34A, S. 84 u. 153; s. o. 2658 RICIS 610/0105; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 140–141; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 16, S. 135–136; Taf. 17; HAASE, Kulte der Isis, S. 131–132, Nr. 2. Vgl. z. B. Inschriften aus Karthago (Kap. 7.2.3.2). 2659 RICIS 610/0107–0108; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 141; HAASE, Kulte der Isis, S. 123 u. 132, Nr. 3–4. 2660 Siehe TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 141; LIERTZ, Isis, S. 110; HAASE, Kulte der Isis, S. 123; B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 74–75, Nr. 55–56. 2661 RICIS 610/0104; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 20, S. 83–84 u. 139–141; Taf. 30. 2662 So auch B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 178, Nr. 196; SPICKERMANN, „Initiation“, S. 234. 2663 Siehe B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 177–178, Nr. 196.

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sen ist, läßt sich allerdings nur spekulieren. Ursprünglich könnte die Inschrift zu einer Statuenbasis gehört haben, mit entsprechendem Bildnis des Gottes.2664 Unter den übrigen Stiftern lassen sich nur noch der Beneficiarier, der Sarapis in eine Reihe mit Jupiter Optimus Maximus und dem lokalen Genius stellt,2665 sowie ein Sklave und eventuell ein Freigelassener2666 durch ihre eigenen Angaben ermitteln. Letztere beiden, die sich auf dem Tonrad verewigt haben, könnten selbst Handwerker der Töpferwerkstatt gewesen sein, doch bleibt dies unsicher. Auf einem der Altäre wurde in der Opferasche in der Vertiefung ein Follis des Constans von 346 n. Chr. gefunden, was auf eine Weiterführung des Kultes noch im 4. Jh. n. Chr. hindeutet.2667 7.4.4 Die ägyptischen Götter an weiteren Orten in Germanien Abgesehen von den beiden Provinzhauptstädten Köln und Mainz sind sichere Belege für den Isiskult in Germanien nur sehr spärlich erhalten. Eine gute untergermanische Parallele zum Isis- und Mater-Magna-Heiligtum in Mainz bildet zumindest eine ebenfalls erst in jüngerer Zeit bekannt gewordene Weihinschrift aus Aquae Granni (Aachen), die wohl ein weiteres Heiligtum der beiden ‚orientalischen‘ Göttinnen in dem an Thermalquellen reichen Badeort belegt.2668 Wie in den Hauptstädten ist es auch hier eine Frau, Iulia Tiberina, Gattin eines römischen Bürgers und Centurios der 20. Legion Valeria Victrix namens Quintus Iulius Flavius, die als Stifterin tätig wird. Der Inschrift zufolge errichtete oder restaurierte (das Verb ist nicht erhalten) sie aedes, das heißt zwei getrennte, aber wohl zusammengehörige Tempel in einem Kultbezirk (?),2669 für Mater deum und Isis. Eine Formel zu Beginn widmet die Dedikation wie diejenige der Kölnerin Dextrinia Iusta (für Sol Sarapis und seine kline)2670 dem Kaiserhaus. Ansonsten ist nur noch ein Isistempel für Aquae Helvetiorum (Baden/Schweiz) in Obergermanien inschriftlich gesichert,2671 einem vicus, der wie Aachen über Thermalquellen verfügte, was vielleicht in beiden Fällen eine Verehrung der Isis unter ihrem Aspekt als 2664 So der Vorschlag von B. GALSTERER/H. GALSTERER, IKöln2, S. 178, Nr. 196. Ob Sol Sarapis aufgrund der Inschrift aber auf einer kline liegend dargestellt gewesen ist, wie von den beiden Autoren vorgeschlagen, sei dahingestellt; m. E. bezieht sich „seine kline“ eher nur auf die Institution, nicht aber auf ein entsprechendes Götterbildnis. 2665 RICIS 610/0101; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 139–140; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 19, S. 138–139; Taf. 31. 2666 RICIS 610/0113; HAASE, Kulte der Isis, S. 128–130 u. 131, Nr. 1. 2667 RICIS 610/0105; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 140–141; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 16, S. 135–136; Taf. 17; HAASE, Kulte der Isis, S. 131–132, Nr. 2; vgl. SPICKERMANN, Mysteriengemeinde und Öffentlichkeit, S. 141. 2668 RICIS 610/0301 (Suppl. II, vgl. Suppl. III); A. SCHAUB, Altfund von Gewicht – Eine römische Tempelinschrift aus Aachen, in: Landschaftsverband Rheinland und Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege (Hrsg.), Archäologie im Rheinland 2006, Stuttgart 2007, S. 130–132; vgl. auch SPICKERMANN, „Initiation“, S. 230. Frühestens 2. Hälfte 1. Jh. n. Chr. 2669 Vgl. RICIS Suppl. II, S. 306. Der Erstbearbeiter SCHAUB (siehe vorige Anm.) äußerte die Vermutung, daß es sich bei den aedes auch um kleinere Kapellen innerhalb des Heilthermen-Komplexes gehandelt haben könnte, in welchem die Inschrift gefunden wurde. 2670 RICIS 610/0104, s. o., 7.4.3.3. 2671 RICIS 609/0101; Taf. 118; REBETEZ, Cultes égyptiens, S. 40–41, m. Abb. 2; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 132–133; HAASE, Kulte der Isis, S. 123–124 u. 135, Nr. 13.

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Heilgöttin angeregt haben könnte.2672 Isis wird in der Dedikationsinschrift, die wohl in das 2. Jh. n. Chr. datiert, allerdings nur als dea Isis bezeichnet und erhält ebensowenig wie in Aachen irgendein auf ihre Funktion(en) verweisendes Epitheton. Der Tempel wird von einer Familie aus eigenen Mitteln für die Bewohner des vicus errichtet, wobei der pater familias, L. Annusius Magianus für die Finanzierung des Baues an sich zuständig war, seine Frau und Tochter, Alpinia Alpinulla und Peregrina, dagegen 100 Denare für die Dekoration (cuius templi ornamenta), was auch immer genau darunter zu verstehen ist, gespendet haben.2673 Der Platz für das Heiligtum wurde hier durch ein Dekret der Dorfbewohner selbst bestimmt (L(ocus) d(atus) d(ecreto) vicanorum). Die ungewöhnlichen Personennamen deuten wahrscheinlich auf einen einheimischen bzw. keltischen Hintergrund der Familie hin, doch ist dies schwer zu verifizieren.2674 Weitere Zeugnisse für den Isiskult sind aus diesem Ort jedoch nicht bekannt.2675 In einem weiteren Badeort, Aquae Aureliae (Baden-Baden), wurde zumindest eine Bronzefigur des Osiris gefunden,2676 die sich im Anschluß an die oben aufgeführten Entsprechungen aus Köln (7.4.3.2) eventuell ebenfalls als – wenn auch vereinzeltes – Indiz für eine tatsächliche Verehrung der ägyptischen Gottheiten auffassen läßt. Eine gewisse Konzentration von Funden, inklusive einer Inschrift, läßt sich noch im obergermanischen Nida (Heddernheim) bei Frankfurt feststellen, wo ab flavischer Zeit zunächst mehrere Militärlager und schließlich ein daran anschließender vicus entstanden waren. Besonders interessant ist der Fund eines Sistrumgriffs aus Bronze, der von einem Schmied (aerarius) geweiht wurde, der das Stück vermutlich auch selbst angefertigt hat2677 (vgl. die Weihung des Terrakottarads aus Köln, die vielleicht ebenfalls von den Handwerkern selbst stammt). Die Inschrift, in Vulgärlatein, nennt keine Gottheit, doch die richtige Bezeichnung des Objekts als Sistrum legt m. E. nahe, daß das Stück für den Weihenden kultische Bedeutung hatte und als typisches Attribut der Isis auch dieser Göttin gewidmet war. Eine Bronzestatuette aus Nida zeigt sie im Typus der Isis-Fortuna,2678 und zwei reliefierte Votivdreiecke, ebenfalls aus Bronze, für Jupiter Dolichenus und Juno 2672 Zu dieser These (für Baden) z. B. TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 132–133; HAASE, Kulte der Isis, S. 122; vgl. auch DÍEZ DE VELASCO, Invocaciones, zur Inschrift S. 150–151; BRICAULT, Atlas, S. 112. MALAISE, Provinces européennes, S. 1663, führt den „kosmopolitischen Charakter“ des Badeortes als möglicherweise ausschlaggebend für die Isisverehrung an. 2673 Zur Spende durch die Frauen der Familie, die entsprechend ein eigenes Vermögen hatten, siehe W. SPICKERMANN, „Mulieres ex voto“: Untersuchungen zur Götterverehrung von Frauen im römischen Gallien, Germanien und Rätien (1.–3. Jh. n. Chr.), Bochum 1994, S. 305–306; HAASE, Kulte der Isis, S. 123. 2674 Vgl. REBETEZ, Cultes égyptiens, S. 41: für Annusius gibt es sonst keinen Beleg, und es wurde teilweise spekuliert, daß das Pseudo-Gentiliz vom Götternamen „Anubis“ abgeleitet sein könnte (z. B. W. SPICKERMANN, loc. cit., siehe vorige Anm.), was ich jedoch für kaum wahrscheinlich halte. Das Cognomen Magianus könnte keltische Wurzeln haben, der Name der Ehefrau ist in der Schweiz auch sonst belegt, und die Tochter trägt interessanterweise einen römischen Vornamen mit der Bedeutung „die Fremde“. 2675 Vgl. BRICAULT, Atlas, S. 115. 2676 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 121, S. 56, 66 u. 208; Taf. 4, 1. 2677 RICIS 609/0401; G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 84, S. 78 u. 182–184, m. Abb. 25; TAKÁCS, Isis and Sarapis, S. 135–136; HAASE, Kulte der Isis, S. 136, Nr. 15: L. Ulenti(us) sistru(m) posit aerari(us). Das Stück ist verschollen. 2678 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 83, S. 78 u. 182; Taf. 24, 4.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Dolichena weisen auf eine Vergesellschaftung dieses Götterpaars mit Isis und Sarapis hin: Auf dem einen trägt Juno Dolichena das Sistrum der Isis (das oben genannte Sistrum könnte theoretisch also auch Juno geweiht worden sein!), auf dem anderen ist auch eine Sarapisbüste dargestellt.2679 Als Civitas-Hauptort verfügte Nida, obwohl es nie den Status einer römischen Stadt erhielt, über einige städtische und kulturelle Einrichtungen, so ein Forum, Thermen, ein Theater und Mithräen; für den Kult der Magna Mater gibt es ebenfalls Zeugnisse.2680 M. E. ist es aufgrund der Funde und des städtischen Charakters von Nida zumindest wahrscheinlich, daß hier auch ein Isistempel existierte oder aber die ägyptischen Gottheiten in einem Dolichenus-Heiligtum mit verehrt wurden.2681 Gemeinsam mit anderen Gottheiten erscheinen Isis und Sarapis desweiteren auf einem Altar severischer Zeit aus Stockstadt, der wie der Altar für Jupiter O. M., Sarapis und Genius loci in Köln2682 von einem Beneficiarier stammt, in diesem Fall sogar von einem hochrangigen beneficiarius consularis, dessen Name C. Secionius Senilis wohl auf keltische Herkunft hindeutet.2683 Die Inschrift nennt wieder Jupiter Optimus Maximus an erster Stelle, gefolgt von „den anderen Göttern und Göttinnen und dem Genius des Konsularlegaten Iunius Victorinus“. Unter den Buchstaben I O M sind die Büsten eines Götterpaares im Relief eingefügt, das durch die seitlich davon stehenden Legenden als Isis und Sarapis identifiziert wird. Die Göttin trägt allerdings eine Mondsichel auf dem Kopf, die sie mit Luna assimiliert, und der bärtige Gott einen Strahlenkranz, wodurch er Sol angenähert ist (vgl. die Inschrift für Sol Sarapis aus Köln2684). Zwischen beiden befindet sich ein Caduceus, der für Merkur oder eventuell sogar (Herm-)Anubis2685 stehen könnte. In einem kleinen bekrönenden Tympanon des Altars ist außerdem eine Jupiterbüste dargestellt, und auf den Nebenseiten das ihm zugehörige Blitzbündel sowie ein Füllhorn, das im Hinblick

2679 G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 86–87, S. 78–79 u. 184–186; Taf. 37, 1–2; vgl. auch N. BELAYCHE, Les cultes syriens dans les Germanies (et les Gaules voisines), in: W. Spickermann (Hrsg.), Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen 2001, S. 285–316: 299–304; ENGSTER, Synkretistische Phänomene, S. 234–235. 2680 Siehe dazu FRACKOWIAK, Fremde Götter, passim; I. HULD-ZETSCHE, Nida. Eine römische Stadt in Frankfurt am Main, Stuttgart 1994; EAD., Frankfurt am Main. Heddernheim, Nordweststadt, Praunheim. Militärlager und Civitas-Hauptort, in: D. Baatz/F. R. Herrmann (Hrsg.), Die Römer in Hessen, Hamburg 2002, S. 275–293, bes. 288–289. 2681 Vgl. z. B. die Assoziation von Isis und Sarapis mit Jupiter Dolichenus und Juno Dolichena im Dolichenum auf dem Aventin in Rom (2.–3. Jh. n. Chr.), siehe Kap. 7.3.2.2.7. 2682 RICIS 610/0101, s. o., Kap. 7.4.3. 2683 RICIS 609/0301; Taf. 118 (vgl. auch RICIS Suppl. II–III); G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, Kat. 112, S. 201–203; Taf. 36; HAASE, Kulte der Isis, S. 122–123, 126–127 u. 135, Nr. 14; M. MATTERN, Römische Steindenkmäler aus Hessen südlich des Mains sowie vom bayerischen Teil des Mainlimes, Corpus Signorum Imperii Romani, Deutschland II.13, Mainz 2005, S. 54, Nr. 22; Taf. 9 (dort auch zur vermutlich keltischen Herkunft des Namens); M. J. KLEIN, Autels votifs de Jupiter dans le nord de la Germanie supérieure, in: V. Gaggadis-Robin et al. (Hrsg.), Les ateliers de sculpture régionaux: techniques, styles et iconographie, Actes du Xe colloque international sur l’art provincial romain, Arles et Aix-en-Provence, 21–23 mai 2007, Aix-en-Provence – Arles 2009, S. 615–627: 615–617, m. Abb. 2. 2684 RICIS 610/0104, s. o., Kap. 7.4.3. 2685 So die Deutung von HAASE, Kulte der Isis, S. 127 (m. E. sehr unsicher angesichts der großen Beliebtheit von Merkur in Germanien).

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Germania Inferior und Superior

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auf die auch in Germanien gängigen Isis-Fortuna-Statuetten (s. u.) wohl der ägyptischen Göttin zuzuordnen ist. Ein weiteres beschriftetes Objekt aus Obergermanien, das wie das Sistrum aus Nida möglicherweise in direktem Zusammenhang mit kultischen Aktivitäten, genauer Festen, gestanden hat, ist eine zersplitterte gallische Weinamphore vom Typus Lagona, die bei der römischen Brücke in Le Rondet (Schweiz) gefunden wurde.2686 Daß sie für Isis bestimmt war, wird durch die kurze Inschrift Lagona Isi{i}di verdeutlicht, doch der Fundort muß keinesfalls der Bestimmungsort des wahrscheinlich auf Handelswegen gereisten Stückes gewesen sein (zumal dort keine weiteren Funde einen Isiskult bezeugen); möglicherweise ist der Weinkrug an der Brücke einfach vom Wagen gefallen.2687 Zwei weitere Orte der Germania Superior können zudem eine gewisse Anzahl von kleinformatigen Götterbildnissen und Aegyptiaca vorweisen, wobei meist mehrere Mitglieder des Isiskreises vertreten sind: die Colonia Augusta Rauricorum (Augst) mit Statuetten von Isis lactans, Harpokrates und Apis sowie einem Uschebti, und der Kastell-Vicus Bingium (Bingen) mit zwei Isis-Bronzen und einer des Apis. Es handelt sich dabei nicht um sichere Zeugnisse für einen organisierten Kult (inklusive Heiligtum), aber zumindest um Indizien für eine gewisse Verbreitung (mindestens) privater Zuwendung zu den ägyptischen Gottheiten in der Bevölkerung. Einen möglichen ursprünglichen Kontext solcher Figuren, der mit den Funden aus Italien (aufgrund der Erhaltung besonders aus den Vesuvstädten und Ostia) übereinstimmt, demonstriert der gesicherte Befund eines Larariums in einer gallo-römischen Villa in Vallon, in welchem eine Statuette der Isis und eine des Harpokrates zusammen mit denen diverser anderer Götter und einiger kleiner Tiere, die keltischer Tradition entstammen, aufgestellt waren.2688 Die Isisbronze scheint dabei möglicherweise eine zentrale Stellung eingenommen zu haben, da sie etwas größer ist als die anderen Figuren. In der Germania Inferior sind außerhalb Kölns hauptsächlich vereinzelte Kleinfunde zu verzeichnen. Eine heute verlorene Inschrift aus Voorburg (Forum Hadriani)2689 wäre inhaltlich an sich interessant, da sie wie eine Weihung vom Forum Boarium in Rom Isis Frugifera nennt,2690 und zwar neben Jupiter Optimus Maximus Sarapis, Caelestis Fortuna, Bonus Eventus, Felicitas, dem Lar des Weges und dem Genius loci. Stifter ist ein Centurio der in Bonn stationierten 1. Legion Minerva Pia Felix. Allerdings handelte es sich bei dem Stück möglicherweise um eine Fälschung.2691

2686 RICIS 609/0201 (vgl. dazu auch RICIS Suppl. II, S. 290); C. BUCHILLER, À propos de la cruche inscrite du Rondet, in: Archéologie fribourgeoise/Freiburger Archäologie, Chronique archéologique/Archäologischer Fundbericht 1986 (1989), S. 140–146; HAASE, Kulte der Isis, S. 135, Nr. 12; REBETEZ, Cultes égyptiens, S. 43. 2687 Vgl. den Kommentar von BRICAULT, RICIS II, S. 700, zu RICIS 609/0201. 2688 Dazu J. B. GARDIOL/S. REBETEZ/F. SABY, La villa gallo-romaine de Vallon FR. Une seconde mosaïque figurée et un laraire, in: Archäologie der Schweiz 13, 1990, S. 169–184: 172–175, Nr. 11–12, Abb. 6 u. 7a–b; REBETEZ, Cultes égyptiens, S. 38, Abb. 1, u. 41–42, m. Abb. 3; BRICAULT, Atlas, S. 116. 2689 RICIS *610/0201; HAASE, Kulte der Isis, S. 134–135, Nr. 11; siehe auch MALAISE, Famille isiaque, S. 28–29. 2690 RICIS 501/0111; siehe oben, Kap. 7.3.2.1.2. 2691 Siehe BRICAULT, zu RICIS *610/0201.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Eine gewisse Häufung, wenn auch nur von kleinformatigen Figuren, weist zumindest noch die Stadt Noviomagus Batavorum (Nijmegen) auf: Hier fanden sich eine Silberfigur des Harpokrates, eine Büste von Sarapis-Ammon, eine Gemme mit thronendem Sarapis, eine Bronzestatuette des Apis und (mit unsicherer Herkunft) eine Bronzebüste der Isis,2692 wodurch immerhin mehrere Mitglieder des Isiskreises vertreten sind. Aus dem übrigen Gebiet der beiden germanischen Provinzen sind die ägyptischen Gottheiten jeweils (bislang) nur durch vereinzelte Funde von Statuetten (hauptsächlich aus Bronze und Terrakotta) sowie, nur selten, anderen kleinformatigen Objekten, z. B. Schmuck und Lampen, vertreten.2693 Trotz dieser an sich für den Kult an den einzelnen Orten wenig aussagekräftigen Einzelstücke lassen sich bei der Betrachtung des gesamten Materials einige Schwerpunkte erkennen. Am häufigsten sind wie erwartet figürliche Darstellungen sowohl ägyptischer als auch hellenistischer Art der Isis selbst,2694 unter denen wiederum Statuetten im Typus ‚Isis-Fortuna‘2695 und (hauptsächlich ägyptische) der Isis lactans2696 dominieren. Während ersterer Typus offenbar generell römischem Geschmack der Kaiserzeit entspricht und mit den Befunden aus Italien parallel läuft, könnte die Vorliebe für lactans-Darstellungen auch mit einheimischen Traditionen zusammenhängen, da hier häufig die mütterlichen Aspekte von weiblichen Gottheiten betont wurden (vgl. z. B. die Matres).2697 Diese konnten somit stellenweise einfach funktionell von Isis (oder ihrer bloßen Ikonographie?) abgelöst werden.2698 Dies entspricht Befunden aus Gallien, wo die Matronen (Matres) ebenfalls eine zentrale Rolle spielten und möglicherweise den Boden bereiteten für eine besonders bereitwillige Adaption der visuell eingängigen Isis lactans-Ikonographie.2699

2692 Siehe BRICAULT, Atlas, S. 100; MALAISE, Famille isiaque, S. 27. 2693 Siehe zu den im folgenden aufgeführten kleinformatigen Bildnissen die Fundübersicht bei BRICAULT, Atlas, S. 100–101 (niederländischer Teil der Germania Inferior), 105 u. 107 (französischer Teil der Germania Superior) u. 112–117 (deutsche und Schweizer Teile der Germania Inferior und Superior) mit den Karten XXII–XXV. 2694 In Untergermanien: Statuetten aus Aardenburg, Baarderadeel, Houten, Millingen (erhalten ist nur Harpokrates, der aber zu einer Isis lactans-Figur gehörte), s’Gravenage, Valkenburg. In Obergermanien: Statuetten aus Vesontio (Besançon), Aarau, Augusta Raurica (Augst), Aventicum (Avenches), Bingium 2x (Bingen), Durlach, Helellum (Ehl), Prilly, Vallon, Vindonissa (Windisch). Nicht für alle der hier und im Folgenden aufgeführten Stücke ist die Herkunft gänzlich gesichert, doch erstens kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine ausführliche Untersuchung diesbezüglich durchgeführt werden, zweitens spricht die auffällige Häufung gleichartiger oder ähnlicher Statuetten m. E. durchaus für sich. 2695 Aus Aardenburg, Houten, Helellum (Ehl), Prilly. Vgl. entsprechende Statuetten auch aus Mainz (7.4.2), Köln (7.4.3) und Nida (s. o.), sowie ein Intaglio aus einem Grab bei Köln. 2696 Aus Millingen (nur Harpokrates erhalten), s’Gravenage, Aarau, Augusta Raurica (Augst), und Durlach. Vgl. auch die Münzprägung des Victorinus in Köln, s. o., Kap. 7.4.3. 2697 Zur Bedeutung der Matres in Germanien siehe z. B. DERKS, Perception, S. 14. 2698 Überlegungen zur möglichen – wenn auch nicht eindeutig belegbaren – funktionellen Kontinuität einheimischer Göttinnen durch ihre Verschmelzung mit Isis auch bei LIERTZ, Isis. 2699 Zu Isis lactans und den Matres in Gallien siehe CLERC, Personnalité et iconographie, bes. S. 104– 105. Isis-Fortuna war hier ebenfalls verbreitet, ibid., S. 106–107. Zu dem universell verständlichen ikonographischen Code der göttlichen Mutter mit ihrem Kind vergleiche auch die phönizisch-punische Adaption und Verbreitung dieses Typus, s. o., Kap. 7.1.2–4.

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Auch die anderen, aus den oben besprochenen fundreicheren Städten bereits bekannten Gottheiten des Isiskreises sind durch mehr oder weniger viele Statuetten vertreten. Recht verbreitet ist noch Harpokrates,2700 und von Osiris finden sich Bronzen ähnlich denjenigen aus Köln noch an mehreren Orten, vor allem in Obergermanien.2701 Im Zusammenhang mit der Osirisverehrung könnten auch die an einigen Orten gefundenen Uschebtis stehen,2702 von denen in Italien und Gallien immerhin auch Exemplare in gesicherten Grabkontexten entdeckt wurden.2703 Für Germanien ist ein solcher Zusammenhang zwar m. W. nirgends sicher, aber angesichts der anderen Parallelen zu diesen Regionen und der anderen osirianischen Zeugnisse m. E. zumindest naheliegend. Sarapis scheint insgesamt nur relativ geringe Bedeutung erlangt zu haben und ist neben wenigen Statuetten und kleinen Büsten2704 einige Male auf kleinen Schmuckstücken2705 vertreten. Nur eine Terrakotta-Prägeform für ein Medaillon aus Vertillum (Vertault) zeigt Sarapis gemeinsam mit Isis und Harpokrates als Götterfamilie.2706 Die drei Gottheiten befinden sich auf einem Schiff, wodurch wie auf den Kölner Münzen und den beiden Beneficiarier-Altären (aus Köln und Stockstadt) ihre Rolle als Schutzgottheiten der Schiffahrt, in dieser Region wohl speziell der Flußschiffahrt, hervorgehoben wird. Neben den bereits genannten Apisstatuetten aus Mainz, Köln, Augst, Bingen und Nijmegen sind solche auch in Alesia und Grannum (Grand) gefunden worden, was dafür spricht, daß Apis auch in Germanien relativ fest zum Isiskreis dazugehörte. Anubis ist dagegen offenbar weniger verbreitet;2707 abgesehen von Mainz (Wandmalerei im Heiligtum) ist er nur noch in Lousonna (Lausanne-Vidy) durch zwei Terrakotta-Relieffragmente, die

2700 In Untergermanien: Statuetten aus Fectio und Kalkar; außerdem eine bereits oben genannte Silberstatuette aus Nijmegen. In Obergermanien: Statuetten aus Dibio (Dijon), Noviodunum Equestrium (Nyon/Schweiz), Orgelet, Villards d’Héria, Augusta Raurica (Augst), Vallon. Außerdem ist der Kindgott auf einer Lampe aus Vindonissa (Windisch) dargestellt (zu dieser siehe J.-L. PODVIN, Lampes à thèmes isiaque au sud du Danube, de la Germanie supérieure à la Mer Noire, in: Aegyptus et Pannonia V, S. 149–164: 155; Taf. 47a). 2701 Untergermanien: Venlo. Obergermanien: Montmorot, Salins-les-Bains, Aquae Aureliae (Baden-Baden), Brocomagus (Brumath), Riedisheim. 2702 Obergermanien: Augusta Raurica (Augst), Durlach, Praunheim, Saletia (Seltz). 2703 Siehe oben, Kap. 7.3.4.1 zu Italien, und J. LECLANT, Osiris en Gaule, in: StudAeg 1, 1974, S. 263– 285, zu Gallien. 2704 Untergermanien: Kalksteinkopf einer Statuette aus Fectio (Vechten). Vgl. die beiden Inschriften für (Sol) Sarapis, die Münzen des Postumus und einige kleinformatige Darstellungen des Sarapis aus Köln (7.4.3). Obergermanien: Kalksteinstatuette aus Alesia, Büsten aus Dibio (Dijon) und Langendorf. Die Statuette aus Alesia zeigt möglicherweise einen einheimischen, an Sarapis angeglichenen Gott, siehe TRAN TAM TINH, Sérapis debout, Kat. *VI 11, S. 265; Abb. 298a–b. Er wird von zwei Tauben und Kerberos begleitet. Vgl. auch die nur vereinzelten Darstellungen des Sarapis aus Mainz (7.4.2.2), von denen keine im Isis- und Magna Mater-Tempel gefunden wurde. 2705 Obergermanien: Bronzeringe mit Sarapisbüste aus Dieburg und Kastell Zugmantel, Bronzeattasche mit Sarapisbüste aus einem Grab des 4. Jhs. in Praunheim (Echtheit zweifelhaft). 2706 ARSLAN (Hrsg.), Iside, Kat. VI.9, S. 556. 2707 Zur relativen Häufigkeit der einzelnen Gottheiten in den Zeugnissen vgl. BRICAULT, Atlas, S. 112, allerdings unter Auslassung von Osiris.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

den Gott ein kastenartiges Objekt tragend darstellen, und in der Region Wallis durch eine vereinzelte Bronzestatuette vertreten.2708 An mehreren Orten wurden außerdem Sistren gefunden,2709 die vielleicht tatsächlich als Kultgerät bei Isisritualen und -festen verwendet worden waren, aber teilweise auch als Grabbeigabe dienten;2710 allerdings wurde außer dem Exemplar aus Heddernheim (s. o.) keines davon beschriftet. 7.4.5

Resümee: Die ägyptischen Gottheiten an den Grenzen des Reiches

7.4.5.1 Bedeutung und Charakter des Isiskreises Isis scheint in den germanischen Provinzen nach den insgesamt nur wenigen aussagekräftigen Zeugnissen ihren ägyptisch-römischen Charakter mitgetragen zu haben, der sich in den auch aus Italien und Ägypten, aber nur teilweise aus Nordafrika2711 bekannten Epitheta wie Panthea, Regina (Mainz), Myrionymos, Invicta und Augusta (Köln) äußert.2712 Solche Beinamen sind allerdings auch nur in den beiden Provinzhauptstädten faßbar, wo ein hoher Romanisierungsgrad und entsprechend generell eine größere Menge an Inschriften zu erwarten ist. Ikonographische Darstellungen in Form von Statuetten und anderer Kleinkunst deuten an, daß in der privaten Verehrung durch die teilweise einheimische Bevölkerung möglicherweise andere Aspekte im Vordergrund gestanden haben könnten (s. o., 7.4.4), wenngleich der recht häufig zu findende Fortuna-Typus wieder auf die Übernahme römischer ‚Trends‘ deutet. Doch auch hier könnte die ikonographische Visualisierung von Fülle und Fruchtbarkeit einerseits (Füllhorn) und von Schiffahrt andererseits (Steuerruder) besonders gut lokalen Gegebenheiten und Bedürfnissen entgegen gekommen sein, konkret der zentralen Bedeutung des Rheins als Handels- und Verkehrsweg. Der mütterliche Charakter der Isis, ausgedrückt im Ikon der Göttin mit dem Kind, war hingegen aufgrund der traditionellen Matronen-Verehrung in den germanischen und gallischen Regionen möglicherweise besonders attraktiv. Hierzu paßt vielleicht auch die Errichtung gemeinsamer Heiligtümer für Isis und Magna Mater in Mainz und wahrscheinlich Aachen, wenngleich diese Konstellation andererseits gut römische und sogar speziell flavische Hintergründe hat. Für eine 2708 Terrakotta-Reliefs: P. L. MERCANTON, Des vestiges égyptiens à Vidy?, in: Revue historique vaudoise 51, 1943, S. 84–87, m. Abb.; REBETEZ, Cultes égyptiens, S. 44–45, m. Abb. 6. Vor Anubis ist vor dem abgebrochenen Rand noch der Hinterkopf eines weiteren schreitenden Gottes(?) zu sehen; offenbar handelt es sich um eine Prozession von Gabenträgern. Auf dem zweiten Fragment sind Reste von zwei schreitenden Beinpaaren mit zwei Schilfblatt-Hieroglyphen dazwischen erkennbar. Zur Bronze siehe G. GRIMM, Zeugnisse ägyptischer Religion, S. 65 (mit Literatur). 2709 Untergermanien: aus Gelduba (Krefeld-Gellep) und Nijmegen. Bei letzterem handelt es sich allerdings um den ungewöhnlichen Typus des Stangensistrums, der vereinzelt auch in der Gallia Belgica belegt ist, siehe C. VENDRIES, Un objet sonore méconnu: le sistre de Vermand (Aisne) et les „sistres tiges“ gallo-romains, in: Revue du Nord 81, 1999, Nr. 333, S. 187–195. Ob auch bei diesen regionalspezifischen Sistren, die immer in Frauengräbern gefunden wurden, noch ein Bezug zum Isiskult besteht, ist unsicher. Obergermanien: aus Lousonna (Lausanne-Vidy). 2710 So wurde das Sistrum aus Gelduba in einem Grab des 3. Jhs. gefunden. 2711 Dort sind aus der folgenden Reihe nur die Epitheta Myrionymos bzw. -a und häufig Augusta belegt. 2712 Vgl. zu diesen Charakteristika der ‚römischen Isis‘, die sie auch in den Provinzen aufweist, VIDMAN, Träger des Isis- und Sarapiskultes, S. 109–110.

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regelrechte bewußte Assimilierung oder Identifizierung mit indigenen Göttinnen gibt es jedoch keine sicheren Quellen, anders als z. B. im Noricum, wo vereinzelte Belege für eine Verbindung der Isis mit der lokalen Noreia in Form der Namenskombinationen „Isis Noreia“ und „Noreia Isis“ existieren.2713 Verschiedene Denkmäler, die Isis, aber auch Sarapis mit diversen anderen römischen Göttern oder ihren Symbolen gemeinsam nennen oder darstellen, zeigen, daß beide als ein Teil des römischen Pantheons und nicht etwa als ‚exotische Außenseiter‘ verstanden wurden.2714 Eine besondere Stellung nehmen sie aber manchmal insofern ein, als sie dieses offenbar auch in Gänze in sich vertreten konnten, wie der Beneficiarier-Altar aus Stockstadt und das Epitheton der Isis Panthea in Mainz versinnbildlichen. Eine direkte Vergesellschaftung mit speziell ‚orientalischen Gottheiten‘ wie Magna Mater in Mainz und dem dolichenischen Götterpaar in Nida könnten aber dafür sprechen, daß diese Kulte zumindest an einigen Orten auch in der Antike tatsächlich als eigene Kategorie empfunden worden sind. Zum ‚römischen‘ Isiskult gehört wie in Italien offenbar auch in Germanien untrennbar Osiris, wenngleich dieser im Mainzer Heiligtum nicht belegt ist – die Darstellung des in den Rheinprovinzen an sich seltenen Anubis könnte neben weiteren Indizien (s. o., 7.4.2) aber auch dort auf seine Einbindung in den Kult in Form des jährlichen Osirisfestes hindeuten. In Köln sichert neben der Cista mystica eine Inschrift sogar seine direkte Verehrung auch mit Votivgaben ab, während Bronzefiguren und eventuell Uschebtis aus verschiedenen Orten der Provinz seine Bedeutung, vielleicht wie in Gallien und Italien in Verbindung mit dem Totenglauben, konstatieren (7.4.4). Apis und Harpokrates sind ebenfalls durch recht zahlreiche Statuetten vertreten (7.4.4), wobei der Kindgott möglicherweise insbesondere in Verbindung mit den mütterlichen Aspekten der Isis eine Rolle spielte. Die Verehrung des Sarapis ist möglicherweise in Germanien als ein weitestgehend vom Isiskult (inklusive ihrer Mitgötter Osiris, Apis, Harpokrates, Anubis) separates Phänomen zu betrachten. Eine gemeinsame Verehrung in einem Heiligtum ist in keinem Fall belegt, und nur sehr wenige Denkmäler zeigen Isis und Sarapis zusammen.2715 Außerdem erscheint Sarapis in vielen Fällen in einer direkten Verbindung mit Sol (Altar aus Stockstadt, Inschrift aus Köln) oder Jupiter bzw. ist Jupiter (O. M.) untergeordnet (Beneficiarier-Altäre aus Köln und Stockstadt, Votivdreieck des Jupiter Dolichenus aus Nida, Inschrift aus Voorburg).2716 2713 RICIS 612/0101(?), 612/0201 und 612/0301, siehe dazu rezent L. BEAURIN, À propos des pratiques religieuses isiaques en Norique, in: Aegyptus et Pannonia V, S. 1–18; vgl. zur Frage der Identifikation mit einheimischen Göttinnen in Germanien LIERTZ, Isis. 2714 So die Funde von Statuetten römischer Götter im Mainzer Heiligtum (7.4.2.1), die Kombination von Bronzefiguren verschiedener Götter, darunter zentral Isis, im privaten Lararium in Vallon (7.4.4), die pantheistischen Bronzesymbole aus Mainz und Köln (7.4.2.2 u. 7.4.3.2), die Nennung hinter Jupiter und gemeinsam mit anderen Gottheiten auf den Beneficiarier-Altären aus Köln (7.4.3) und Stockstadt (7.4.4). 2715 Altar aus Stockstadt: hier sind beide allerdings mit Luna bzw. Sol identifiziert, sowie möglicherweise sogar mit anderen Gottheiten. Außerdem ein Intaglio aus Köln (Isis-Fortuna, Sarapis und Hygieia) und eine Prägeform aus Vertillum. 2716 Auch in Pannonia Superior finden sich häufig Weihungen an Iuppiter Optimus Maximus Sarapis, speziell im militärischen Milieu, siehe dazu PERRISSIN-FABERT, Isis et les dieux orientaux, S. 452– 453, m. Anm. 12.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

7.4.5.2 Die Gestalt der Heiligtümer Da aus den germanischen Provinzen nur ein einziges Isisheiligtum (Mainz) archäologisch bekannt und erforscht ist, das zudem nicht allein der Göttin und ihrem ägyptischen Götterkreis, sondern Isis und Magna Mater geweiht war, lassen sich praktisch keine allgemeinen Aussagen zur Gestalt der Tempel ägyptischer Gottheiten in dieser Region treffen. Für das Einzelbeispiel Mainz läßt sich zumindest feststellen, daß Grundriß, Bauweise und -material sowie Architekturformen offenbar hauptsächlich einheimischen, nicht römischen Traditionen folgten (siehe 7.4.2.1). Parallel zu Heiligtümern in Italien sind aber die grundsätzlichen Bestandteile Naos (hier Naoi), Wasserreservoir (hier Brunnenhaus), Hof und Umfassungsmauer. Über eventuelle Sarapisheiligtümer ist nichts bekannt, in Köln könnte es der Inschrift für Sol Sarapis und seine kline zufolge (7.4.3.2) aber zumindest ein Vereinshaus oder eine sonstige Einrichtung für gemeinsame Kultmähler gegeben haben, sofern diese nicht sogar einfach privat (und in privaten Räumlichkeiten) ausgerichtet wurden. 7.4.5.3 Kult und Kultträger Die meisten und aussagekräftigsten Reste des Kultes in einem Heiligtum sind in Mainz erhalten (7.4.2.1), wo die reichhaltigen Rückstände von reger Opferpraxis und Kultmählern jedoch nicht nach den beiden im Heiligtum verehrten Gottheiten zu unterscheiden sind; möglicherweise gab es sogar gemeinsame Veranstaltungen für beide Göttinnen im Heiligtum. Benutzte Lampen und Räuchergefäße wurden dort rituell deponiert. Aufgrund einiger Parallelen zu italischen Heiligtümern ist es wahrscheinlich, daß auch hier das jährliche zentrale Fest Isia gefeiert wurde. In den Hauptorten der ober- und untergermanischen Provinz läßt sich jeweils immerhin eine rege Votivpraxis in Form von mit Inschriften versehenen Altären und Statuen/ Statuetten nachweisen. Daneben wurden auch einige ungewöhnlichere Objekte mit Inschriften versehen, die jeweils vielleicht eine besondere persönliche Bedeutung für den Stifter hatten, z. B. das Tonrad aus Köln, oder Haarnadeln und andere kleine Gaben aus Mainz. Andere beschriftete und unbeschriftete Stücke sind möglicherweise einer (ursprünglichen) Nutzung während Kulthandlungen und Festen selbst zuzuschreiben: die an verschiedenen Orten gefundenen Sistren, eines davon mit Inschrift, und ein ebenfalls durch Beschriftung der Isis zugeordnetes Weingefäß (7.4.4). Ein beschriftetes Gefäß aus Köln könnte ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört haben. Die Integration des Sistrums in pantheistische Bronzen mit Attributen verschiedener Götter (aus Mainz und Köln) demonstriert den idolhaften, symbolischen Wert des Musikinstruments, das stellvertretend Isis repräsentiert. Von großem symbolischen Sinngehalt für den Isis- und Osiriskult, wohl speziell im Rahmen der Isia, dürfte desweiteren die Cista mystica, von deren Darstellung in Köln nur noch ein Deckel erhalten war, gewesen sein – sie ist aus mehreren Heiligtümern in Italien gut bekannt, in Germanien jedoch bis auf dieses eine Exemplar nicht belegt. Die Verehrung der Isis und ihres Götterkreises fand wohl im Laufe des 1. Jhs. n. Chr. zunächst durch die sukzessive militärische Erschließung der beiden Rheinprovinzen ihren Weg von Rom nach Germanien. Diese mutmaßliche Verbreitung ist nicht durch sichere Quellen (wie Inschriften) zu belegen, aber naheliegend, zumal einige Inschriften – eine aus Köln sogar noch vor die Mitte des 1. Jhs. n. Chr. datierend – die Anwesenheit von Ägyp-

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Germania Inferior und Superior

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tern beim Militär belegen. Bei einem relativ großen Teil der Fundorte von Isiaca handelt es sich um Orte mit Militärlagern oder zumindest kleineren Kastellen.2717 Weitere Hinweise geben, wie oben unter 7.4.1 vermerkt, die Bemerkung des Tacitus und die Gründung des Heiligtums der Isis und Magna Mater bereits unter Vespasian und durch Beamte der kaiserlichen Verwaltung. Die Inschrift aus Mainz von der Gattin des legatus Augusti, die Aachener Inschrift der Frau eines Centurio, die Beneficiarier-Altäre aus Köln und Stockstadt sowie – falls sie echt ist – die Inschrift des Centurio aus Voorburg belegen noch im 2.–3. Jh. eine Trägerschaft in der römischen Provinzialverwaltung und beim Militär. Einigen Einfluß dürften auch die auf dem Rhein verkehrenden Händler gehabt haben, die wahrscheinlich unter anderem für die Einfuhr von Aegyptiaca nach Germanien sorgten und zu der auf verschiedenen Denkmälern durchscheinenden Assoziation von Isis und Sarapis mit der Schiffahrt bzw. Flußfahrt beitrugen. Ägyptische oder (griechisch-) orientalische Anhänger des Isiskreises lassen sich in Germanien nicht wirklich belegen, doch Elemente wie die Existenz einer kline des Sarapis lassen darauf schließen, daß entsprechende Personen wohl zu der konkreten Ausformung des Kultes beigetragen haben dürften. Neben den Inschriften von alexandrinischen Militärangehörigen aus Köln ist aus Bingen z. B. das Grab eines Arztes bekannt, in dem neben zahlreichen medizinischen Instrumenten auch eine sicherlich ägyptische bzw. alexandrinische Statuette eines Nilpferds mit Uräusschlange auf dem Rükken gefunden wurde, die vermutlich auf eine alexandrinische Herkunft oder zumindest alexandrinische ärztliche Ausbildung des Grabinhabers hindeutet.2718 Die Verehrung der ägyptischen Götter in Germanien ist also von Rom/Italien und in Einzelfällen wohl auch direkt von Ägypten abhängig, hat aber auf dem rheinländischen Boden im Detail zudem eigene Formen gefunden, die an einheimische Traditionen anknüpfen. Einige Inschriften, z. B. aus Köln und Nida, verweisen auf einen indigenen Hintergrund der Weihenden; für eine Verehrung bei der lokalen, nicht römischen, Bevölkerung sprechen daneben auch die Beliebtheit des Isis lactans-Typus und eine eventuelle Angleichung des Sarapis an eine einheimische Gottheit in einer Darstellung aus Alesia (7.4.4). Auffällig ist die inschriftlich gut belegte Aktivität von Frauen, sowohl aus römischen als auch aus einheimischen Familien, die sich, teilweise gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern, rege in der Votivpraxis für Isis und Sarapis engagierten.2719 Desweiteren gilt zu bedenken, daß die Inschriftenpraxis unter niederen Bevölkerungsschichten und erst recht im einheimischen Hinterland kaum verbreitet war und man das Fehlen von Inschriften für die ägyptischen Gottheiten nicht notwendigerweise als Anhaltspunkt für das Nichtvorhandensein ihrer Verehrung interpretieren sollte. Äußerst wenig, um nicht zu sagen überhaupt nichts, ist aus Germanien über das Kultpersonal der ägyptischen Gottheiten bekannt. Die Zuordnung des Titels sacerdos eines römischen Bürgers aus Köln zum Kult der Isis, der zumindest seine Weihung gilt, ist nicht sicher, so daß als einzige Informationen der Name (Claudius Atticus) und Status (ein 2717 Mainz und Köln waren zunächst zentrale Legionslager für die militärische Erschließung Ober- und Untergermaniens, bevor sie unter Domitian als Provinzhauptstädte eingerichtet wurden. Castra befanden sich desweiteren an den Fundorten Nida u. Nijmegen, Kastelle in Vechten und Valkenburg. Vgl. zur Bedeutung des Militärs MALAISE, Famille isiaque, S. 34. 2718 MALAISE, Famille isiaque, S. 31 u. 30, Abb. 12; 34. 2719 So in Mainz, Köln, Aachen und Baden.

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Ausbreitung und Gestaltung des Isiskultes

Freigelassener) eines Priesters im Isis- und Mater-Magna-Heiligtum in Mogontiacum bleiben. Nur zu vermuten ist aufgrund der beiden Weihinschriften, die unter seiner Autorität in das Heiligtum dediziert wurden, seine Zuständigkeit für beide Göttinnen.

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult: Plutarchs De Iside und Apuleius’ Metamorphosen im Licht der ägyptischen Quellen und archäologischen Befunde

Die Ergebnisse der beiden Hauptteile der vorliegenden Arbeit – die Entwicklung des Isiskultes im griechisch-römischen Ägypten einerseits (II.) und die regionalen Fallstudien zur Verbreitung und Adaption im westlichen Mittelmeerraum andererseits (7) – werden im folgenden Teil mit den beiden großen literarischen Werken des 2. Jhs. n. Chr. verglichen, die sich vor dem kulturellen Hintergrund der mittleren Kaiserzeit und ihren intellektuellen Strömungen mit dem Isiskult beschäftigen: Plutarchs De Iside et Osiride und Apuleius’ 11. Buch der Metamorphosen.1 Die beiden Schriften sind seit langem immer wieder als Hauptquellen für den Osirismythos einerseits und den (römischen) Isiskult andererseits, sowie die jeweils dahinterstehenden religiösen Konzepte herangezogen worden, obwohl viele darin enthaltene Aussagen und Deutungen früher nicht mit den bis dato bekannten ägyptischen Quellen in Verbindung gebracht werden konnten. So ist beispielsweise immer noch die Meinung recht verbreitet, daß gerade Plutarch einen ‚veralteten‘ Zustand der ägyptischen Religion resümiert und sich nicht oder kaum mit der aktuellen Entwicklung des Isiskultes in der römischen Kaiserzeit auseinandersetzt.2 Mit der in jüngerer Zeit stark vorangeschrittenen Erschließung und Auswertung ägyptischer religiöser Texte der Spätzeit und griechisch-römischen Epoche insgesamt und der in Band 1 der vorliegenden Arbeit aufgearbeiteten Quellen zu Isis im speziellen ist nun eine Analyse auf breiterer und zeitlich den beiden Autoren nahestehender Materialbasis möglich geworden. Im Lichte dieses umfangreichen Befundes müssen einige frühere Ansichten revidiert werden. Plutarch (tätig Ende 1. bis Anfang 2. Jh. n. Chr.) und Apuleius (Mitte bis 2. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) gehörten beide der philosophischen Strömung des Mittelplatonismus an: Während 1 Ich stütze mich hierbei vor allem auf die beiden kommentierten Textausgaben von GRIFFITHS (GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, und ID., Isis-Book), der mit seinen ägyptologischen Kommentaren eine wichtige Basis für das Verständnis der ‚ägyptischen‘ Inhalte schuf. Siehe dazu aber auch für De Iside bereits HOPFNER, Plutarch. Desweiteren sind die Ausgaben von GÖRGEMANNS, Plutarch (mit ägyptologischen Kommentaren von J. ASSMANN), und E. BRANDT/W. EHLERS (Hrsg.), Apuleius, Der Goldene Esel. Metamorphoseon Libri XI, Düsseldorf – Zürich 51998, zu erwähnen; weitere Kommentare außerdem bei FROIDEFOND, Isis et Osiris, bzw. KEULEN et al. (Hrsg.), Metamorphoses XI (letzteres allerdings weitestgehend auf bis dato bekanntem Forschungsstand verharrend, ohne wirklich neue Interpretationen oder ägyptologische Kommentare). Die deutschen Übersetzungen in diesem Kapitel richten sich nach den genannten Ausgaben, wurden von mir an einigen wenigen Stellen aber modifiziert. Auszüge aus diesem Kapitel wurden in modifizierter Form auch in dem Beitrag S. NAGEL, Mittelplatonische Konzepte der Göttin Isis bei Plutarch und Apuleius im Vergleich mit ägyptischen Quellen der griechisch-römischen Zeit, in: Erler/Stadler (Hrsg.), Platonismus, S. 79–126, publiziert. 2 So das für diese vorherrschende Meinung sicherlich grundlegende Urteil von GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 46.

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

ersterer in De Iside ganz gezielt den ägyptischen Mythos heranzieht, um sein philosophisches Deutungsmodell der Welt daran aufzuzeigen,3 schafft Apuleius mit den Metamorphosen zwar ein in erster Linie unterhaltendes, romanhaftes Werk, doch seine mehrfache Selbstcharakterisierung als Anhänger der platonischen Schule in seiner stilisierten Verteidigung gegen die Hexerei-Anklage (Apologia)4 offenbart mit Nachdruck seine philosophische Gesinnung, und regt und regte dazu an, ein platonisches oder gar von Plutarch beeinflußtes Denkmodell hinter der satirisch anmutenden Oberfläche der Metamorphosen zu vermuten.5 Als Anspielung auf eine solche Lesart des Werkes könnte die in Met. I, 2, und nochmals II, 3, angegebene Abstammung des Protagonisten Lucius von Plutarch und dessen Neffen Sextus (ebenfalls ein Philosoph, der sogar Marc Aurel lehrte) zu verstehen sein.6 Bei der Bewertung der literarischen Aufarbeitungen des Isiskultes müssen der literarische Rahmen, die philosophische, religiöse oder sonstige Intention der Werke sowie der persönliche und besonders der bildungskulturelle Hintergrund der Autoren jeweils mit berücksichtigt werden; hierbei kommt immer wieder die Frage auf, an welchen Schnittstellen der Beschreibungen und Deutungen die ägyptische Religion aufhört und eigene Auslegung und/oder Kontextualisierung beginnt, oder ob es gar größere Schnittmengen gibt zwischen ägyptischer Religion bzw. Isiskult und philosophischem Diskurs der Kaiserzeit. Plutarch und Apuleius waren natürlich keineswegs die ersten Griechen oder Römer, die sich mit ägyptischer Religion auseinandersetzten, sondern konnten bereits auf Generationen von Gelehrten – angefangen bei Herodot – und ihre Werke zurückgreifen, die uns in vielen Fällen jedoch nicht mehr zugänglich sind.7 Dies erschwert die genaue Erforschung der Wege und Neudeutungen, die bestimmte Traditionen durchlaufen haben, erheblich, wenngleich zumindest Plutarch an vielen Stellen explizit seine Quellen angibt.8 Eine wichtige Vermittlerrolle dürften sicherlich die Griechisch schreibenden Autoren in oder aus Ägypten gespielt haben, insbesondere prominente ‚hybride‘ Autoritäten wie Manetho oder Chairemon,9 die sowohl in der ägyptischen Priestertradition zu Hause waren als auch eine griechische Bildung genossen hatten und sich gewandt am hellenistischen Königshof oder im 3 Zu Plutarchs Platonismus-Konzept siehe z. B. SCHOPPE, Plutarchs Interpretation; DILLON, Plutarch. 4 Z. B. in Apologia, 10; 64. 5 Siehe z. B. den Sammelband zu Buch 11 der Metamorphosen, KEULEN/EGELHAAF-GAISER (Hrsg.), Isis Book: besonders die Beiträge von VAN DER STOCKT, Plutarch and Apuleius, und FINKELPEARL, Egyptian Religion, diskutieren den Plutarch-Bezug von Apuleius’ 11. Buch; außerdem KIRICHENKO, Comedy of Storytelling, S. 100–105, zur Abhängigkeit von Apuleius’ Darstellung des Isiskultes von Plutarch sowie weiteren Plutarch-Bezügen; und GASPARINI, Demonology, zur Frage des dämonologischen Interpretationsmodells. Zu direkten Bezügen auf Platon HARRISON, Apuleius’ Metamorphoses; DREWS, Platonic Reading; detaillierte Studie von R. FLETCHER, Apuleius’ Platonism: The Impersonation of Philosophy, Cambridge 2014, bes. S. 262–293 zu den Metamorphosen. Über Apuleius’ genaue platonische Ansichten ist allerdings recht wenig bekannt, vgl. DILLON, Plutarch, S. 224. 6 Vgl. zu dieser Stelle z. B. FINKELPEARL, Egyptian Religion, S. 199; KIRICHENKO, Comedy of Storytelling, S. 91. 7 So sind nach BRENK, Gleaming Ray, S. 149, platonische Vorstellungen, mit denen der Isiskult bei Plutarch und Apuleius durchwoben ist, möglicherweise von Gelehrten bereits seit hellenistischer Zeit mit ägyptischer Religion verbunden worden. Vgl. zur Überlieferung ägyptischer Mythen und Religion durch griechische Schriftsteller generell auch GRUEN, Rethinking the Other, S. 75–107, zu Herodot, Diodor, Plutarch und weiteren Autoren. 8 Ausführliche Überlegungen zu Plutarchs Quellen z. B. bei GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 75–100. 9 Vgl. GÖRGEMANNS, Plutarch, S. 344–345 u. 348.

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Plutarch, De Iside et Osiride

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römischen Kaiserhaus bewegten, und dabei dem griechisch-römischen Bild von Ägypten und seiner Religion ein Stück weit ihren Stempel aufdrückten.10 Desweiteren wichtig für die Überlieferungsgeschichte waren sicherlich Hekataios von Abdera und Eudoxus. Hekataios lebte unter Alexander dem Großen und Ptolemaios I. und verfaßte wohl in der Zeit nach Ptolemaios’ Thronbesteigung ein Werk über Ägypten.11 Dieses wird wiederum traditionell als Hauptquelle für Diodors Ägyptenbuch angesehen – wenngleich kritische Stimmen diese These mittlerweile mit einiger Berechtigung hinterfragen –, wo ebenfalls eine ausführliche Version des Osirismythos geboten wird.12 Eudoxos hielt sich um 365/4 v. Chr. in Ägypten auf und soll nach Diogenes Laertios VIII, 89, beruhend auf Eratosthenes, Texte aus dem Ägyptischen übersetzt haben.13 Schließlich verbrachte auch Diodor selbst etwa zwischen 60 und 55 v. Chr. einige Zeit im Nilland, in der er wahrscheinlich noch an dem Ägypten betreffenden ersten Buch seiner „Bibliothek“ arbeitete.14

8.1

Plutarch, De Iside et Osiride

8.1.1 Einleitung Plutarchs Abhandlung De Iside et Osiride entstand etwa zwischen 100 und 120 n. Chr.15 und ist seiner Freundin Klea gewidmet,16 die besonders in der Einleitung (Kap. 1–3) auch explizit als Adressatin angeredet wird. Wie Plutarch selbst war sie als Priesterin des Apollo von Delphi tätig,17 parallel dazu diente sie aber wohl dem Kult der Isis und des Osiris 10 Siehe zu Manetho VERBRUGGHE/WICKERSHAM, Berossos and Manetho; zu Chairemon P. W. VAN DER HORST, Chaeremon. Egyptian Priest and Stoic Philosopher, EPRO 101, Leiden 1984. GASPARINI, Demonology, S. 714, postuliert Manetho sogar als Hauptquelle von Plutarch, doch läßt sich dies keineswegs belegen, zumal er in De Iside nur an einigen einzelnen Stellen punktuell zitiert wird. Vgl. für die Theorie von Manetho als mögliche wichtige (aber nicht Haupt-)Quelle GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 78 u. 92–94. 11 Siehe zu ihm M. WINIARCZYK, Die hellenistischen Utopien, Beiträge zur Altertumskunde 293, Berlin – Boston 2011, S. 45–71; BERGMAN, Ich bin Isis, S. 26; W. SPOERRI, s. v. „Hecataios von Abdera“, in: Reallexikon für Antike und Christentum 14, 1988, S. 275–310. Vgl. auch die folgende Anm. 12. 12 Zu Diodor und seinen Quellen, insbesondere des 1. Buches, vgl. BERGMAN, Ich bin Isis, S. 23–27; NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 136; I. SULIMANI, Diodorus’ Mythistory and the Pagan Mission. Historiography and Culture-Heroes in the First Pentad of the Bibliotheke, Mnemosyne Suppl. 331, Leiden 2011, S. 57–108, bes. 57–61 und 336 zu Buch 1 und Hekataios; kritisch MUNTZ, Diodorus Siculus, S. 14– 26, bes. 21–23 u. 116; und ausführlicher ID., The Sources of Diodorus Siculus, Book 1, in: Classical Quarterly N. S. 61, 2011, S. 574–594; vgl. ferner auch RATHMANN, Diodor, S. 156–165, bes. 163–164. 13 Vgl. QUACK, Literatur, S. 172; F. LASSERRE, Die Fragmente des Eudoxos von Knidos, Texte und Kommentare 4, Berlin 1966, S. 139–141; 144–145; 268–269. 14 Siehe MUNTZ, Diodorus Siculus, S. 3–4 und 23; RATHMANN, Diodor, S. 82–104: Diodor ist nach eigener Angabe (I, 46, 7) (mindestens) bis nach Theben gereist. 15 GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 17: kurz vor 120 n. Chr.; F. E. BRENK, Religion under Trajan. Plutarch’s Resurrection of Osiris, in: P. Stader/L. Van der Stockt (Hrsg.), Sage and Emperor: Plutarch, Greek Intellectuals, and Roman Power in the Time of Trajan (98–117 A.D.), Leuven 2002, 73–92: 77: 100–115 n. Chr. 16 Ihr ist außerdem ein weiteres Werk Plutarchs, Mulierum Virtutes, gewidmet, siehe GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 95. 17 Vgl. GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 17, zur möglichen Identität der Klea mit einer Führerin der Thyiaden (= Bacchantinnen), die in einer Inschrift aus Delphi selbst belegt ist.

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

beziehungsweise war in diesen eingeweiht.18 Sie ist als Ansprechpartnerin und möglicherweise auch als eine der ‚Quellen‘ Plutarchs für den kaiserzeitlichen Isiskult zu werten. Umgekehrt ist seine Erörterung geradezu als ‚Belehrung‘ oder als platonischer Kommentar zum tieferen Sinn der von Klea verehrten Gottheiten und ihres Mythos stilisiert.19 Im Mittelpunkt seiner Überlegungen steht weniger die Kultpraxis in den ägyptischen Heiligtümern oder in den Isistempeln außerhalb Ägyptens, wenngleich auch dieses Thema immer wieder gestreift wird,20 sondern der Osirismythos (Kap. 12–20) und seine möglichen symbolischen Deutungen (Kap. 21–67).21 Daß dieser innerhalb des kaiserzeitlichen Isiskultes auch außerhalb Ägyptens immernoch eine zentrale Rolle spielte und im römischen Bewußtsein präsent war, bezeugen neben anderen Schriftstellern besonders die oben in Kap. 7.3 kommentierten archäologischen Zeugnisse aus Italien, z. B. in der Hauptstadt Rom, wo sich auch Plutarch wohl mehrere Jahre aufhielt.22 An dieser Stelle kann natürlich keine ausführliche ägyptologische Neukommentierung von De Iside erfolgen, wenngleich ein solches Unternehmen sicherlich ein Desiderat ist; stattdessen möchte ich den Fokus auf das von Plutarch gezeichnete Isisbild und seine Wurzeln in ägyptischen Quellen und kaiserzeitlichem Isiskult aufzeigen. 8.1.2 Mythos und Kult Die von Plutarch wiedergegebene Version des Osirismythos – oder besser: die Versionen, da er häufig verschiedene Traditionen anführt – läßt sich natürlich in keinem bekannten ägyptischen Text in genau dieser Form und Ausführlichkeit wiederfinden, sondern kann nur in einzelnen Teilen anhand von zahlreichen verschiedenen Quellen mit je durch Kontext, Entstehungszeit und vor allem kulttopographischer Tradition bedingten Varianten stückweise nachvollzogen werden. Seit der Studie von GRIFFITHS konnten nach und nach immer mehr Einzelteile aus Plutarchs Zusammenschau, die lange als „unägyptisch“ bzw. bisher unbekannt galten, tatsächlich mit ägyptischen Zeugnissen parallelisiert werden. Hierfür waren unter anderem die Edition des Deltapapyrus mit seiner systematischen Aufzeichnung mythologischer Traditionen23 sowie die Bearbeitung bisher unbekannter demotischer Quellen entscheidend,24 aber auch zahlreiche Einzelarbeiten und -kommentare.25 Im Folgenden 18 Plutarch, De Iside, 2, 351E: „jene Göttin…, welche du verehrst“ (τῇ  θεῷ  ταύτῃ…  ἥν  σὺ  θεραπεύεις); 35, 364E: „geweiht in die osirianischen Riten durch Vater und Mutter“ (τοῖς  δ᾽  Ὀσιριακοῖς καθωσιωμένην ἱεροῖς ἀπὸ πατρὸς καὶ μητρός). 19 Vgl. VAN DER STOCKT, Plutarch and Apuleius, S. 177, zur Intention des Werkes als platonische Interpretation ägyptischer Religion. Klassische Philologen neigen häufig dazu, die Bedeutung des ägyptischen Grundthemas herunterzuspielen und es als bloßes, mehr oder weniger willkürlich gewähltes Beispiel für die Platon-Auslegung an sich zu betrachten. Kritik an dieser Betrachtungsweise auch bei D. RICHTER, Plutarch, S. 191–192. 20 Es spielt eine etwas größere Rolle in den den Hauptteil rahmenden Kapiteln 3–8 und 68–80. 21 Siehe für einen Überblick über die verschiedenen Teile von De Iside die Gliederungen von GÖRGEMANNS, Plutarch, S. 341–343; und HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken, S. 182–184. 22 Siehe GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 19, zu Plutarchs Reisen. 23 MEEKS, Mythes et légendes; siehe dazu oben, Kap. 4.13.2. 24 Siehe besonders zu den demotischen Quellen zum Osirismythos QUACK, Isis, Thot und Arian; ID., Resting in Pieces; siehe oben, Kap. 6.3.2 und 6.5.2.1. 25 Stellvertretend seien hier genannt: KUCHAREK, Klagelieder (siehe Index, S. 799, s. v. „Plutarch, De Iside et Osiride“); QUACK, Der pränatale Geschlechtsverkehr; H.-J. THISSEN, Plutarch und die ägypti-

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sollen einige Stationen des Plutarch’schen Mythos nochmals kurz im Lichte der aufgearbeiteten Dokumente zum Isiskult beleuchtet werden, wobei der Fokus natürlich auf den Aktionen der Isis liegt. 8.1.2.1 Das Leben des Osiris Die Tradition von Osiris als lebendem irdischen Herrscher und Held, von dem Plutarch (De Iside, Kap. 12–13) sowie bereits Diodor (I, 13–20 und 26–27; 1. Jh. v. Chr.) berichten, ist durch ägyptische Quellen ebenfalls gut belegt.26 So erhält Osiris in einer Inschrift im Durchgang der Geburtskapelle der Isis im Hathortempel von Dendara eine regelrechte Königstitulatur, in deren Anschluß außerdem sein Geburtsort (Theben), seine Filiation (Sohn von Geb und Nut), seine Krönung bzw. sein Krönungsort (Herakleopolis) und sein Regierungsapparat (Thoth als Wesir, Hu und Sia als Generäle von Ober- bzw. Unterägypten) systematisch aufgeführt werden.27 In der gegenüberliegenden Türlaibung findet sich ein entsprechender Text für Isis mit kürzerer Königinnen-Titulatur und weiteren Angaben (Dend. II, 100, 6–11).28 Mehrere demotische Papyri berichten auch über Abenteuer und Feldzüge des Osiris, teilweise zusammen mit anderen Göttern, im Ausland, unter anderem in Indien (vgl. Diodor, I, 17–20; Plutarch, De Iside, 13, 356B, u. 72, 379F–380A).29 Der Großteil von Plutarchs Nacherzählung behandelt dann die Reaktion der Isis auf Osiris’ Ermordung, ihre Suche nach ihm und ihre anschließenden Aktionen inklusive der Geburt des Horus und des Kampfes gegen Seth (De Iside, Kap. 14–19): 8.1.2.2 Tod des Osiris und Trauer um ihn Nach De Iside, Kap. 13, 356B–D, wurde Osiris in seinem 28. Regierungsjahr oder Lebensjahr (Plutarch berichtet hier zwei unterschiedliche Versionen),30 am 17. Athyr von Typhon/Seth und seinen Mitverschwörern getötet, indem sie ihn mit einem Trick in einen Kasten (λάρναχ) lockten, diesen verschlossen und in den Nil warfen, von wo er in das Mittelmeer getrieben wurde. Für den Trick mit dem Kasten gibt es zwar keine eindeutigen ägyptischen Quellen, doch eine problematische Passage im Klageritual des „Großen

26 27 28 29 30

sche Schrift, in: ZPE 168, 2009, S. 97–106; zu weiteren Arbeiten siehe in den Fußnoten unten, zu den einzelnen besprochenen Stellen. Vgl. auch den neuen umfassenden Kommentar zu De Iside, Kap. 12–19 von NARDELLI, Osiris de Plutarque, der viele rezente ägyptologische Publikationen berücksichtigt hat. Aufgrund des umständlichen Stils und der als Vollzitate in den Fließtext eingefügten Literaturangaben, häufig sogar inklusive längerer Originalzitate und oft mehrerer verschiedener Übersetzungen ägyptischer Textpassagen, ist dieses Werk allerdings kaum lesbar. Zu den Andeutungen in älteren Quellen ab dem Neuen Reich vgl. NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 117–140. Dend. II, 100, 13–101, 7, s. o., Kap. 4.6.2, Kommentar zu Dend. II, 100, 6–11; siehe auch YOYOTTE, Notice biographique. Vgl. dazu die von Diodor, I, 27, überlieferte Tradition von zwei Grabstelen von Isis und Osiris mit dem Anfang der Memphitischen Isisaretalogie einerseits und einem sonst unbekannten, entsprechenden Text für Osiris andererseits, siehe oben, Kap. 6.6, Anm. 13. Siehe oben, Kap. 6.3.2; QUACK, Isis, Thot und Arian. Zu einem ägyptischen Beleg für die Lebensdauer von 28 Jahren siehe QUACK, Der pränatale Geschlechtsverkehr.

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

Dekrets“ könnte eventuell zumindest als Anspielung darauf zu verstehen sein.31 Das Datum 17. Athyr, das durch eine Angabe im ägyptischen Tagewählkalender bestätigt wird,32 erwähnt Plutarch nochmals in Kap. 39, 366E–F als Beginn eines viertägigen Osirisfestes, das sich vermutlich um die Trauer, das Suchen und Finden des Osirisleichnams dreht. Die entsprechenden Festdaten sind aus papyrologischen Quellen aus dem griechisch-römischen Ägypten unter dem Namen Isia gut bekannt und werden auch in der demotischen Ritualhandschrift pBerlin P. 6750 mit Parallele pBerlin P. 8765 aus Soknopaiou Nesos genannt.33 Im Choiaktext von Dendara werden neben den eigentlichen im Monat Choiak durchgeführten osirianischen Ritualen auch Riten einer großen Trauerprozession beschrieben, deren Datum mit großer Wahrscheinlichkeit entsprechend „18. Athyr“ zu lesen ist.34 Das in den römischen Kalender (hier mit Daten von Ende Oktober bis Anfang November) eingegangene Fest mit dem Höhepunkt der Inventio Osiridis bezieht sich ebenfalls auf diese Ereignisse.35 Daß Osiris von der Flußströmung in das Mittelmeer hinausgetrieben wurde, offenbart neben Plutarch eine Götterbedrohung in einem griechischen Zauberspruch (PGM V 213–303).36 Nachdem sie vom Tod ihres Gatten erfuhr, soll Isis sich in Koptos befunden und aus Trauer eine Locke abgeschnitten sowie Trauergewänder angelegt haben (De Iside, 14, 356D–E). Die Verehrung einer „Haarlocke der Isis“ bzw. der „Isis von der Haarlocke“ in Koptos ist in der Kaiserzeit durch epigraphische und papyrologische Dokumente gut belegt37 und geht wahrscheinlich auf ältere ägyptische Traditionen zurück, nach denen Isis in Koptos vor allem als Witwe (XAr.t) und Klagefrau (als (Isis/Hathor-)Schentait) des Osiris verehrt wird,38 wobei ihr parfümiertes Haar nach Ritualtexten der „cuve osirienne“ eine Rolle bei der Wiederbelebung des Osiris im Choiakritual spielt.39 Auch auf einem demotischen Ostrakon ist von der um Osiris trauernden Isis in Koptos die Rede.40 Nach ägyptischem Brauch schnitt man sich allerdings vielmehr nach Beendigung der Trauer die Haarlocke(n) ab,41 weshalb die bei Plutarch überlieferte Version des Abschneidens der Locke aus Trauer bereits eine griechische Umdeutung ursprünglich ägyptischer Traditionen darstellen dürfte (dies heißt jedoch nicht, daß Plutarch selbst dies erfunden hat).

31 Version des pTamerit 1, x+6, 7–9; siehe QUACK, Resting in Pieces, S. 257. Zum „Großen Dekret“ an sich KUCHAREK, Klagelieder, S. 275–423 (nach pMMA 35.9.21). 32 Siehe MALAISE, Conditions, S. 222–224; LEITZ, Tagewählerei, S. 126–129. 33 Siehe oben, Kap. 6.1.2.2; vgl. QUACK, Resting in Pieces, S. 249–250. 34 Dend. X, 36, 9–11 und 37, 2–4; CHASSINAT, Khoiak, S. 578–584 und 596–604; HERBIN, Parcourir l’éternité, S. 201; siehe dazu besonders LEITZ, Geographisch-osirianische Prozessionen, S. 268–270. 35 Siehe dazu Kap. 7.2.3.2.2, 7.2.6.4, 7.3.2.2.2, 7.3.3.1.1, 7.3.3.2.3, 7.3.3.3–4, 7.3.4.3, 7.4.2.1. Zu den Daten der römerzeitlichen Isisfeste auch SPALINGER, Plutarch’s „Egyptian“ Dates; der Beitrag ist allerdings etwas chaotisch und resümiert in großen Teilen veraltete Literatur (beispielsweise wird trotz der ausführlichen Diskussion des Navigium Isidis die Monographie von BRICAULT, Dame des flots, überhaupt nicht zitiert). 36 Siehe oben, Kap. 6.5.2.1. 37 Siehe Kap. 6.2.6; vgl. auch GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 314. 38 Davon weiß noch Aelian, De natura animalium, 10, 23; vgl. GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 314. 39 Siehe Kap. 4.10.3. 40 Siehe Kap. 6.3.2. 41 Siehe 6.2.6.

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Ein möglicher Zusammenhang könnte mit der sog. ‚Locke der Berenike‘ bestehen: Königin Berenike II. soll der Überlieferung nach anläßlich der siegreichen Rückkehr ihres Gemahls Ptolemaios III. aus dem 3. Syrischen Krieg eine Haarsträhne in den ArsinoëTempel von Kap Zephyrion geweiht haben, die jedoch am nächsten Tag verschwunden war und von dem Astronomen Konon von Samos am Himmel als Sternbild wieder entdeckt wurde.42 Berenike II. wurde wie andere Ptolemäerinnen an Isis angeglichen; ein Papyrus aus Krokodilopolis erwähnt ein sicherlich nach ihrem Tod entstandenes Privatheiligtum der „Isis-die Göttermutter-Berenike und Aphrodite-Arsinoë“.43 Das Geflecht möglicher miteinander verwobener historischer und religiöser Überlieferungen ist kaum noch zu entwirren und hat die kulturellen ‚Grenzen‘ zwischen Griechen und Ägyptern sicherlich mehrmals in beide Richtungen überschritten, bevor es in der uns vorliegenden Version bei Plutarch wiedergegeben wurde.44 Plutarch, Agatharchides und Plinius (der Iuba zitiert) nennen außerdem die schwarzen Korallen des Roten Meeres (Antipatharia) „Haar der Isis“45 – ob hier ein Zusammenhang mit der Verehrung des Haares und der Trauer der Isis (Trauerfarbe schwarz)46 in Koptos und der von dort zum Roten Meer führenden Straße47 bestehen könnte?48 8.1.2.3 Die Suche nach Osiris Plutarch berichtet, daß Isis bei ihrer Suche nach Osiris auch Kinder um Hilfe gefragt habe, und einige tatsächlich das Treiben des Kastens durch die tanitische Nilmündung beobachtet hatten. Dies sei der Grund für den ägyptischen Glauben an die mantischen Kräfte von Kindern (De Iside, Kap. 14, 356E). Gerade in der Römerzeit ist tatsächlich die Nutzung von Kindern als Medien bei der Divination durch die demotischen und griechischen magischen Papyri gut belegt. In paralleler Weise zu der Ätiologie von Plutarch wird Isis’ Suche nach 42 Siehe DUNAND, Culte d’Isis I, S. 38; HÖLBL, Geschichte, S. 99. Ausführlicher zur ‚Locke der Berenike‘ J.-Y. CARREZ-MARATRAY, À propos de la boucle de Bérénice. La publicité des reines Lagides, in: F. Bertholet/A. Bielmann Sánchez/R. Frei-Stolba (Hrsg.), Égypte – Grèce – Rome. Les différents visages des femmes antiques, Travaux et colloques du séminaire d’épigraphie grecque et latine de l’IASA 2002–2006, Bern 2008, S. 93–116. Arsinoë III. soll ebenfalls eine Haarlocke geopfert haben, siehe G. NACHTERGAEL, Bérénice II, Arsinoé III, et l’offrande de la boucle, in: CdÉ 55, 1980, S. 240–253, der die griechischen Hintergründe dieser Handlung bespricht. Vgl. dazu auch NAGEL, Isis und die Herrscher, S. 130–131. 43 pPetrie 2 I, 1, Kol. 2. Siehe dazu F. COLIN, Le P.Petr. 2 I, 1, les terres cuites isiaques et le culte d’Isis et Aphrodite-Hathor, in: Bülow-Jacobsen (Hrsg.), 20th International Congress, S. 534–539; ID., Isis „dynastique“, S. 273. Zur Identifikation von Berenike II. mit Isis siehe auch DUNAND, Culte d’Isis I, S. 38; J. TONDRIAU, Les Souveraines Lagides en déesses au 3e siècle a. C., in: Études de Papyrologie 7, 1948, S. 1–15: 8. Desweiteren ließ Ptolemaios IV. nach ihrem Tod ein Heiligtum für sie als σῴζουσα (Retterin) im Küstenbereich Alexandrias errichten, wodurch sie in die Tradition der Isis als Patronin der Seefahrt gestellt wurde, vgl. HÖLBL, Geschichte, S. 151; BRICAULT, Dame des flots, S. 22–36. 44 Vgl. zu griechischen und ägyptischen Traditionen hinter der ‚Haarlocke‘ NACHTERGAEL, Chevelure d’Isis; siehe auch die Diskussion bei NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 179–186. 45 Plut., De fac., 25, 939D; Plin., Nat. hist., 13, 52; siehe AMIGUES, Plantes associées, S. 424, Anm. 90; GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 314. 46 Zu den Trauergewändern der Isis und der Farbe Schwarz siehe unten, 8.1.3.3.C. 47 Zu Koptos, dem Wadi Hammamat und den Reisewegen zum Roten Meer siehe oben, Kap. 6.2.6–7. 48 Zu weiteren mit Koptos verbundenen Traditionen bei Plutarch und den Parallelen in ägyptischen Quellen siehe LEITZ, Gaumonographien, S. 53–55.

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Osiris zudem in den Zaubertexten, und speziell auch den divinatorischen, häufig als Historiola oder mythische Analogie instrumentalisiert.49 So werden mehrere demotische Lekanomantie-Sprüche des pMag. LL, in denen teilweise auch ein Kindmedium eingebunden ist, mit Isis’ mythischer Wanderung in Verbindung gebracht:50 sie selbst soll den Zauber bei dieser Gelegenheit verwendet haben, oder der Magier identifiziert sich in einer Rezitation mit ihr. Zudem ist das ‚Isisorakel‘ des demotischen Papyrus pWien D. 12006 als Dialog zwischen Isis und einem eventuell als Horuskind ausgedeuteten Stein gestaltet.51 Eine ähnliche Tradition wie die von Plutarch erwähnten Orakelsprüche von Kindern gibt Xenophon von Ephesos in seinem Roman Ephesiaka wieder,52 der überhaupt enge Bezüge zum Isis- und Osirismythos aufweist, was ihn demotischen Erzählungen nahebringt, die ebenfalls dieses Motiv literarisch variieren.53 An der entscheidenden Stelle (5, 4, 9–11) wird ein Orakel des Apis beschrieben, bei dem Kinder vor dem Tempel (ebenso Plutarch) die Fragen der Petenten beantworten und die Zukunft vorhersagen. Der Bericht von Isis’ Suche wird von Plutarch durch eine kurze eingefügte Episode unterbrochen, die davon handelt, daß Isis vom Betrug des Osiris mit ihrer Schwester Nephthys erfuhr, der jedoch versehentlich aufgrund einer Verwechslung mit Isis selbst geschehen sein soll (De Iside, 14, 356E–F).54 Das aus dieser Verbindung entstandene und von Nephthys ausgesetzte Kind, Anubis, habe sie dann mit Hilfe von Hunden gefunden und aufgezogen, worauf er ihr Wächter und Begleiter wurde. Der Seitensprung des Osiris wird in ägyptischen Quellen besonders der griechischrömischen Zeit mehrfach angedeutet, z. B. in den Klageliedern von Isis und Nephthys,55 während ein altkoptischer Liebeszauberspruch den dadurch ausgelösten Liebeskummer der Isis sogar zu einer ausführlichen Historiola ausschmückt.56 Möglicherweise spielt außer-

49 Siehe oben, Kap. 6.5.1.4 und 6.5.2.1. 50 pMag. LL, 1, 1–3, 35; 28, 11–15; und pMag. LL, 9, 1–10, 22; siehe Kap. 6.5.1.4. 51 Siehe Kap. 6.5.1.3; der Verweis auf die Plutarch-Stelle bereits bei STADLER, Isis, das göttliche Kind, S. 204. 52 Siehe dazu auch unten, 8.3; vgl. GRIFFITHS, Xenophon of Ephesus; MERKELBACH, Isis regina, S. 335– 346 (mit m. E. jedoch insgesamt etwas zu weit gehender Interpretation) und bes. 347–363; ferner S. J. HARRISON, Parallel Cults? Religion and Narrative in Apuleius’ Metamorphoses and Some Greek Novels, in: M. Paschalis et al. (Hrsg.), The Greek and the Roman Novel. Parallel Readings, Ancient Narrative Suppl. 8, Groningen 2007, S. 204–218, bes. 214–217 (wenngleich ich seiner Interpretation nicht folge). Eine Doktorarbeit von ALDO TAGLIABUE zu den Ephesiaka wurde kürzlich publiziert: A. TAGLIABUE, Xenophon’s Ephesiaka: A Paraliterary Love-Story from the Ancient World, Ancient Narrative Suppl. 22, Groningen 2017; ich möchte ihm an dieser Stelle herzlich für unseren Austausch zu diesem Thema danken und dafür, mir ein Kapitel seiner Dissertation zum Ägyptenbezug des Werkes (nun S. 123–150) im Vorfeld zur Verfügung gestellt zu haben. 53 Siehe oben, Kap. 6.4.1. 54 Vgl. auch De Iside, 38, 366B–C; 59, 375B. Siehe für eine Erklärung als Metapher für unterschiedliches Überschwemmungsverhalten des Nils (= Osiris) BONNEAU, Crue du Nil, S. 86–87 u. 247–248. 55 Siehe VON LIEVEN, Seth ist im Recht, S. 145–146; FEDER, Nephthys; M. SMITH, Reign of Seth, S. 403– 404; vgl. übergreifend zu Nephthys und ihrer Beziehung zu Seth, Osiris und Anubis KUCHAREK, Klagelieder, S. 662–672. Speziell zu den genannten Stellen bei Plutarch auch NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 196–211. 56 PGM IV 94–153, siehe oben, Kap. 6.5.2.2, mit Literatur zum bisher bekannten Material in Anm. 1894. Vgl. zur PGM-Parallele und den Klageliedern bereits GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 316. Interes-

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dem ein neu edierter, fragmentarischer demotischer Text aus Tebtynis (1.–2. Jh. n. Chr.) mit der Rede von einer oder zwei Frauen auf den mythischen Ehebruch an, wobei die erste Sprecherin offenbar die Schuld allein auf sich nimmt.57 Auch Hinweise auf eine Vernachlässigung oder Verstoßung des Anubis und dessen ‚Adoption‘ durch Isis (wodurch er zum Nekropolengott wurde) lassen sich in den Klageliedern, besonders im „Großen Dekret“, wiederfinden – hier scheint Anubis aber Sohn von Nephthys und Seth zu sein.58 Im pJumilhac (Kap. 4.13.3) und in einigen magischen Texten (Kap. 6.5.1.4)59 wird Anubis als Sohn der Isis bezeichnet. In den demotischen Fragmenten einer Erzählung über die Suche nach Osiris im Ausland (Kap. 6.3.2) spielt Anubis ebenfalls eine Rolle.60 Im römischen Isiskult gehört Anubis oft fest zum engsten Kreis der ägyptischen Gottheiten dazu und ist damit tatsächlich der treue Begleiter der Isis.61 Auf einer Wandmalerei im ‚Sacrarium‘ des Iseums von Pompeji, die ich als Darstellung der trauernden Isis auf der Suche nach Osiris deute (Kap. 7.3.3.1.1, Taf. Va), sitzt ihr möglicherweise ein (nicht mehr gut erkennbarer) Hund zu Füßen, was wiederum zu Diodors (I, 87, 3) etwas von Plutarch abweichender Aussage passen würde, daß Isis bei ihrer Suche nach Osiris von Hunden begleitet und beschützt wird, und diese daher auch bei den Isisfesten der Prozession vorangingen.62 Zahlreiche ikonographische Zeugnisse bestätigen die zentrale Rolle von mit Anubismasken bekleideten Priestern/Kultdienern beim Isia-Fest in der Kaiserzeit.63 In den Kapiteln 15–16 von De Iside berichtet Plutarch von der Reise der Isis nach Byblos, wo sie den Kasten mit dem Leichnam des Osiris findet, um den mittlerweile ein „Tamarisken(?)baum“64 herumgewachsen ist. Dabei handelt es sich um die problematischste und gleichzeitig interessanteste Episode in Plutarchs Mythos-Wiedergabe, da es erstens keine direkten Parallelen gibt und zweitens die Details des Berichts eine intensive Verschmelzung vorderasiatischer, ägyptischer und griechischer kultischer Traditionen offenbaren, die sicherlich nicht einfach von Plutarch ‚erfunden‘ – wenn auch in der vorliegenden Form redigiert – wurde. Zunächst einmal entspricht die ‚Reise‘ von Isis und Osiris nach Byblos gewissermaßen einer kultischen Realität insofern, als Hathor bereits ab dem 3. Jts. v. Chr.

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sant ist in diesem Zusammenhang auch die implizite Gleichsetzung der Nephthys mit Aphrodite bei Diodor, I, 13. pCarlsberg 887+pCtYBR inv. 484, siehe J. F. QUACK, Ehebruch bei Orgie?, in: Quack/Ryholt, Carlsberg Papyri 11, S. 139–149, bes. 145–146. KUCHAREK, Klagelieder, S. 664–666. Vgl. dort bes. Anm. 1813. Siehe QUACK, Isis, Thot und Arian, S. 116. Siehe besonders die Kapitel zu Nordafrika und Italien (7.2–3), aber auch die Anubis-Darstellung im Isis- und Magna Mater-Tempel von Mainz (7.4.2.1); vgl. zu Anubis GRENIER, Anubis; MALAISE, Terminologie, S. 34. Zur Diodor-Stelle im Kontrast zu Plutarch, De Iside, 14, 356E–F, siehe GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 317; GRENIER, Anubis, S. 47–49; BURTON, Diodorus Siculus I, S. 254–255. Siehe z. B. das Jahreszeitenmosaik aus Thysdrus (Kap. 7.2.3.4) und die Priesterprozession in der Portikus des Iseums von Pompeji (Kap. 7.3.3.1.1). Vgl. außerdem App. Civ., 4, 47, zur Flucht von M. Volusius vom Kapitol mit Anubismaske im Jahr 43 v. Chr., siehe oben, Kap. 7.3.2.1.2. Vgl. dazu auch GRENIER, Anubis, S. 178–180. Zur problematischen Identifikation des Baumes vgl. oben, Kap. 7.2.1.3, m. Anm. 651.

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in Byblos verehrt und als „Herrin von Byblos“ (nb.t kbn) bezeichnet worden ist.65 Später und teils in Verbindung mit ihr, übernahm auch Isis diese Funktion und wurde zudem im 1. Jts. v. Chr. zusammen mit Osiris und Horus von Phöniziern auch an anderen Orten sowohl ikonographisch als auch namentlich adaptiert und im Mittelmeerraum verbreitet.66 So wird Isis auch noch in einer hieroglyphischen Inschrift im römerzeitlichen Isistempel von Deir el-Schelwit durchaus treffend „Herrscherin der phönizischen Länder“ (HqA.t n tA.w{j} fnx.w) genannt, was wohl auf ältere Traditionen zurückgehen dürfte.67 Einen möglicherweise entscheidenden Hinweis auf eine Integration von Byblos in den ägyptischen Osirismythos bzw. osirianische Riten mindestens ab der 3. Zwischenzeit könnte die Aretalogie der Hathor-Schentait im Choiakritual des Osirisbeckens von Koptos geben, in der sie sich unter anderem auch „Herrin von Byblos“ nennt.68 In einer Beischrift des Osiris in einer Monumentalszene (unter Kleopatra VII.) auf der Rückseite des Hathortempels von Dendara wird Byblos sogar direkt neben bedeutenden Osiriskultorten Ägyptens wie Busiris, Abydos und Heliopolis genannt.69 Schließlich enthält ein in mehreren Papyri belegter demotischer mythologisch-narrativer Text eine ägyptische Erzählung über die Suche nach Osiris, die zumindest teilweise in vorderasiatischen Regionen angesiedelt ist,70 und eine demotische Lampendivination, die die mythische Suche der Isis nach Osiris zum Vorbild nimmt, nennt das „Meer von Syrien“ auch „Meer des Osiris“.71 Möglicherweise bildete die Tradition von Isis’ Reise nach Byblos auch das Vorbild für Hors in oHor 1 dokumentiertem Traum, in welchem die Göttin „aus Syrien nach Ägypten gekommen ist, indem sie mit ihren Füßen auf der Wasseroberfläche des Meeres von Syrien lief“– übrigens etwa kontemporär mit der Prägung byblitischer Münzen mit dem ikonographischen Typus der „Isis mit Segel“ unter Antiochos IV. (Kap. 6.5.1.2)! Zum Fund des Osiris unter einem über seinem Leichnam gewachsenen Baum (De Iside, 15, 357A)72 lassen sich ägyptische Lokalmythen heranziehen, nach denen jeweils heilige Bäume des Gaues den Fundort respektive das Grab des Gottes markieren;73 so soll der 65 Siehe dazu GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 321–322; ST. WIMMER, Egyptian Temples in Canaan and Sinai, in: Israelit-Groll (Hrsg.), Studies in Egyptology II, S. 1065–1106: 1081–1082; BRICAULT, Dame des flots, S. 18–22; ID., in: Bonnet/Bricault, Quand les dieux voyagent, S. 155–174; HOLLIS, Hathor and Isis; QUACK, Importing and Exporting Gods, S. 258 u. 267–268; BONNET, Enfants de Cadmos, S. 168– 171. Vgl. Kap. 7.1.1 und 7.1.4 (zum 2. Bildtypus). 66 Siehe dazu und zur oftmals problematischen Deutung der ägyptischen Ikonographien Kap. 7.1. 67 Deir Chelouit III, Nr. 127, Kap. 4.8.1.B. 68 Siehe oben, Kap. 4.10.3 und 6.6.1. Das Osirisbecken wird auch von KOEMOTH, Du Nil à Byblos, S. 483–484 in Zusammenhang mit der Byblos-Episode angeführt. 69 Dend. XII, 31, 8–9, innerhalb der Monumentalszene Dend. XII, 28, 13–32, 7. Zu dieser siehe Kap. 4.6.2 (allerdings ohne Besprechung der Osiris-Beischrift). BUDDE, Götterkind, S. 58, Anm. 272, merkt zu Recht an, daß die Nennung von Byblos zusätzlich auch von dem Szenentypus (Räucherung) beeinflußt sein könnte, da Byblos ein Umschlagplatz für Weihrauch war. Daß der Ort in der Szene aber gerade Osiris – und dies im Kontext anderer heiliger Osirisstädte – zugeordnet und ansonsten nicht erwähnt wird, bleibt jedoch auffällig. 70 Siehe oben, Kap. 6.3.2; QUACK, Isis, Thot und Arian; ID., Resting in Pieces, mit Hinweisen zu weiteren Quellen, die den Osiris-Leichnam bzw. die Suche nach ihm im östlichen Mittelmeerraum verorten. Vgl. zum Thema auch KOEMOTH, Du Nil à Byblos; ID., Byblos. 71 pMag. LL, 6, 1–8, 11, Kap. 6.5.2.1. 72 Vgl. dazu SERVAJEAN, Les deux arbres. 73 Umfassend KOEMOTH, Osiris et les arbres.

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Leichnam im Gau von Cusae von Nephthys unter einem arw-Baum gefunden worden sein, der auch sonst öfters in ähnlichem Zusammenhang genannt wird.74 In dem bereits oben erwähnten Wandbild mit der trauernden/suchenden Isis im ‚Sacrarium‘ des Iseums von Pompeji ist neben der Göttin ein von einer Schlange umringelter Baum dargestellt, der m. E. ebenfalls auf den Osirisleichnam bzw. sein Grab verweist (Kap. 7.3.3.1.1). Desweiteren zeigen auch mehrere Bilder des dortigen ‚Ekklesiasterions‘ jeweils einen Baum im Zentrum, der jeweils in Verbindung mit Osiris steht.75 Plutarch selbst geht auf das Thema ‚Osiris und Bäume‘ nochmals in einer kurzen Anmerkung im Rahmen seiner ausführlichen Identifikation des Osiris mit Dionysos (De Iside, Kap. 35) ein, indem er berichtet, daß es Osiris-Anhängern verboten ist, einen angepflanzten Baum zu zerstören (365A). Speziell auf Byblos bezogen, könnte die Plutarch’sche Episode der Hypothese von DALIX zufolge auf einer lokalen Ätiologie zu Byblos’ jahrtausendealter Rolle als Holzlieferant für Ägypten beruhen.76 NARDELLI hingegen geht konkret davon aus, daß die Wurzeln der Plutarch’schen Episode um den Baumstamm, der dann als Säule im Palast diente und schließlich im Isistempel von Byblos verehrt worden sein soll (De Iside, 15, 357A, und 16, 357C), in einem lokalen Baumkult der Aschera zu finden sind, der später durch einen Kult der Isis ersetzt worden sei.77 Auch die Rückführung des Sarges mit Osiris auf einem Schiff (De Iside, 16, 357D, vgl. auch 50, 371D zum Fest der „Rückkehr der Isis aus Phönizien“) findet eine Parallele in einem Wandbild von Pompeji, in dem Isis auf einer Barke eine weitere mit einem Kasten zieht, wenngleich darauf natürlich nicht zu erkennen ist, ob die Fahrt auf dem Meer oder auf dem Nil stattfindet (Kap. 7.3.3.1.1). Gleiches gilt für die entsprechende Stelle in pOxy. 1380 (Z. 186–189), in der Isis gelobt wird, ihren Bruder allein als Steuerfrau heraufgeführt zu haben (Kap. 6.1.3.2). Diese Charakterisierung der Isis und ihre in hellenistischer Zeit ausgeweitete und mehr und mehr an Bedeutung gewinnende Rolle als Herrin der Seefahrt und des Meeres lassen sich im Kern noch zur ägyptischen Vorstellung von Isis als Steuerfrau der Barke des Re zurückführen, wo sie diesen außerdem beschützt und Feinde durch ihre Magie abwehrt.78 An die vielfältigen ägyptischen Traditionen, die also hinter der Byblos-Episode stehen,79 haben sich im Laufe der Zeit vorderasiatische und griechische Assoziationen 74 PSI I 72, zum 14. o.äg. Gau, Kap. 4.13.1.2. 75 Vgl. zu den Bäumen im Zusammenhang mit Osiris in Heiligtümern in Italien auch die Zusammenfassung in Kap. 7.3.4.2. 76 DALIX, ‚Épisode giblite‘; aufgrund sprachlicher Eigenheiten argumentiert sie, daß Plutarchs Wiedergabe des botanischen Namens auf eine ursprünglich aramäische Vorlage des 4. Jhs. v. Chr. zurückgehe; kritisch dazu NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 230–236. 77 NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 261–262 u. 439–440 (im Kern beruhend auf BRICAULT, Dame des flots, S. 18–19): Den Bericht von der Existenz eines Baumstamms im byblitischen Isistempel soll Plutarch der Theorie NARDELLIs zufolge von Philon von Byblos haben, die Ätiologie an sich dagegen schreibt er Plutarchs eigener Feder zu. 78 Vgl. Kap. 5.2.2.1.B. Zu Isis als Herrin des Meeres und Patronin der Seefahrt ab hellenistischer Zeit siehe ausführlich BRICAULT, Dame des flots. 79 Siehe neben dem oben genannten Material noch LABRIQUE, Chevelure des servantes, zum möglichen ägyptischen Hintergrund der Kontaktaufnahme von Isis mit den Hofdamen der byblitischen Königin, indem sie ihre Haare frisiert und ihnen von ihrem göttlichen Duft abgibt (die Kritik an LABRIQUEs Interpretation durch NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 218–219, erscheint mir etwas übertrieben – vgl.

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

aufgelagert: So offenbart Plutarchs Benennung der ‚Königin‘ von Byblos, an deren Hof Isis kommt, als Astarte (u. a.) (De Iside, 15, 357B) den kulttopographischen und -historischen Hintergrund der tatsächlichen Vergesellschaftung und teilweisen Identifizierung der ägyptischen (Hathor-)Isis mit der phönizischen und speziell byblitischen Astarte.80 Desweiteren konnten auch Osiris und der in Byblos verehrte Adonis aufgrund verschiedener Gemeinsamkeiten des Mythos und Kultes angeglichen bzw. gleichgesetzt werden.81 Schließlich hat die griechische Identifizierung der Isis mit Demeter wohl zu einer Beeinflussung durch die mythische Episode von Demeter als Amme des Demophon, Sohn der Metaneira, die aus der Homerischen Hymne an Demeter (etwa 7.–6. Jh. v. Chr.) bekannt ist, geführt.82 8.1.2.4 Aktionen im Kampf zwischen Horus und Seth Bei seiner recht knappen Wiedergabe der aus ägyptischen Quellen gut bekannten Kämpfe zwischen Horus und Seth geht Plutarch auch kurz auf die Episode der Köpfung der Isis durch Horus ein (De Iside, 19, 358D), die er, wie er später (20, 358E) indirekt selbst einräumt, etwas modifiziert hat: Nachdem Horus den gefesselten Seth in ihre Obhut gegeben hat, befreit sie ihn wieder aus seinen Fesseln, was an ihre Bezeichnung als „Löserin von Fesseln“, „Befreierin von Gefangenen“ u. ä. in demotischen und griechischen Texten aus Ägypten erinnert.83 Nach Plutarch bestraft Horus Isis dafür, indem er ihre Krone (hier von Plutarch Basileion genannt!) vom Kopf reißt, anstatt sie wie in ägyptischen Quellen zu enthaupten, was er aufgrund der „Anstößigkeit“ dieser Tradition nicht erzählt. Als Ersatz habe Hermes (Thoth) ihr entsprechend einen Helm in Form eines Kuhkopfes (anstelle eines Kuhkopfes an sich) aufgesetzt.84

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auch ibid., S. 242–246, wo er auch in dieser Episode in erster Linie eine Beeinflussung durch den Demeterkult bzw. den Homerischen Demeterhymnus erkennt). Vgl. zu Hathor/Isis und Astarte Kap. 7.1; vgl. auch LABRIQUE, Chevelure des servantes, S. 205, zu der dahinterstehenden Kultassoziation Hathor-Astarte-Isis. Siehe z. B. KOEMOTH, Byblos, S. 37–39. BONNET, Enfants de Cadmos, S. 171–188, argumentiert für eine direkte Beeinflussung der Entstehung des Adoniskultes in Byblos durch den Osirismythos und kult in der Ptolemäerzeit. NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 246–254 u. 439–441 sieht hingegen keine wirklichen Hinweise auf Anspielungen auf (Osiris-)Adonis in Plutarchs Byblosepisode. Dazu z. B. GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 320–321 u. 324–325; FROIDEFOND, Isis et Osiris, S. 133– 134; D. RICHTER, Plutarch, S. 201–202; SERVAJEAN, Les deux arbres, S. 698–699; AUFRÈRE, OsirisNil, S. 128–129; L. BRICAULT, in: Bonnet/Bricault, Quand les dieux voyagent, S. 164–165; und BONNET, Enfants de Cadmos, S. 170–171, unter anderem zu einem in der Nähe von Byblos gefundenen Relief mit Triptolemos innerhalb einer ägyptischen Architektur (1.–3. Jh. n. Chr.). Siehe zu einer möglichen weiteren Beeinflussung der hellenistischen Isis durch den Demeterhymnus oben, Kap. 6.1.2.1, zu MM III (Abschnitt 6). Vgl. weiterhin zu griechischen und phönizischen/syrischen Motiven innerhalb der gesamten Byblos-Episode NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 213–277 (siehe besondere das Resümee auf S. 272–277), der, insbesondere für letztere, Teile der „Phönizischen Geschichte“ des Philon von Byblos als direktes Vorbild Plutarchs postuliert. Die von ihm genannten Einflüsse auf die Herausbildung der bei Plutarch überlieferten Byblos-Episode sind sicherlich zu großen Teilen zutreffend (insbesondere der Homerischen Demeterhymne, die jedoch bereits von früheren Kommentatoren angeführt wurde). M. E. werden dabei jedoch die ägyptischen Kernmotive der Episode von NARDELLI zu sehr in den Hintergrund gedrängt bzw. in ihrer Bedeutung abgewertet. MM I, 29 (Kap. 6.1.2.1); oHor 10, 19 (6.2.1.1); Graffito Theben 3445, 13 (6.2.5.1); M 48 (6.6). Vgl. GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 350, zur ägyptischen Version in der neuägyptischen Horus- und Seth-Erzählung; vgl. ferner den Kommentar von NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 390–402, der aller-

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Plutarch, De Iside et Osiride

Der Mythos von der Köpfung der Isis durch Horus, welche kulttopographisch vor allem mit Atfih (Aphroditopolis) im 22. o.äg. Gau assoziiert wird, ist gerade in den mythologischen und kulttopographischen Texten der Spät- und griechisch-römischen Zeit sehr präsent, wo häufig darauf angespielt wird (Kap. 4.13). Die Plutarch’sche, abgemilderte Version mit Krone und Helm könnte sogar einen ikonographischen Widerhall in einer Statue der Isis aus Ptolemais haben, die einen Kuhhelm zu tragen scheint (Kap. 7.2.1.3). 8.1.3 Das Konzept der Göttin Neben der Erzählung des Osirismythos an sich gibt Plutarch im Detail verschiedene Auslegungen der einzelnen Elemente und damit auch der Göttin Isis an. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der bloßen Wiedergabe der Interpretationen durch Ägypter bzw. andere Schriftsteller und philosophische Strömungen einerseits und den von Plutarch selbst favorisierten bzw. von ihm selbst ausgearbeiteten Vorstellungen andererseits. Im Folgenden sind seine wichtigsten Aussagen über das Wesen und die Bedeutung der Göttin, so weit möglich nach diesen Kategorien geordnet, zusammengestellt, auf die anschließend im Vergleich mit den korrespondierenden ägyptischen und außerägyptischen Zeugnissen näher eingegangen wird. In der Tabelle habe ich versucht, die von Plutarch zitierten Interpretationen anderer, die ihm nicht weit genug gehen, seinen in den Grundmotiven (jeweils unterstrichen) entsprechenden eigenen Konzepten, die eine tiefere Erkenntnis bringen sollen, gegenüber zu stellen. Stelle

Interpretationen nach anderen Quellen

Stelle

Plutarchs Interpretationen

52, 372D

– „Sie sagen…“ (Ägyper?): Isis = Mond – Statuen mit schwarzer Kleidung repräsentieren Verdunkelungen und Schatten auf der Suche nach Sonne

2–3

– Isis als Weise, Weisheit und Streben zur Weisheit/Wahrheit – Etymologie: Isis als „Wissen“ und „Verstehen“ – Etymologie: Iseion als Erkennen und Wissen des wahrhaft Seienden

3, 352B

– Eingeweihte und Kultdiener kümmern sich um die Kleidung, die teils dunkel und teils hell ist; tragen außerdem im Herzen Wissen über die Götter und ihr dadurch symbolisiertes Wesen

dings teilweise der Interpretation des Mythems von AUFRÈRE folgt, der aus Isis/Hathor eine lunare Göttin macht, was m. E. nicht haltbar ist; auch NARDELLIs auf S. 400–401 vorgeschlagene Emendation des griechischen Textes überzeugt mich nicht.

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1228 Stelle

52, 372D–E

27, 361D–E

Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

Interpretationen nach anderen Quellen

– Ägypter: sie rufen den Mond in Liebesangelegenheiten an – Eudoxus: Isis ist für sexuelle Liebe zuständig (vgl. 64, 377A) – Dämonologische Interpretation: Isis stiftete Vorbild und Ermutigung für Menschen in Notsituationen – wegen ihrer Tugenden wurden Isis und Osiris zu Göttern erhoben

Stelle

Plutarchs Interpretationen

60, 375C–D

– Etymologie: Isis als Bewegung mit Verständnis, Intelligenz – Isis hilft Gläubigen durch Einweihung und asketischen Dienst sich auf Suche nach Wahrheit (= Osiris) zu konzentrieren, die ihr nahe ist – sie zeigt heilige Objekte ihren Eingeweihten

2–3

53, 372E-F

– Isis empfindet tiefe Liebe zu dem Obersten = dem Guten und strebt nach ihm – Isis repräsentiert menschliche Seele und ihr Streben nach Wahrheit

58, 374F– 375A

– Isis begehrt Osiris aus Liebesverlangen nach dem Guten und Schönen

78, 383A

32, 363D

– Physikalische Allegorie: Osiris = Nil, der sich mit Isis = Erde vereint

38, 366A

– Naturprinzipien-Allegorie: Nil = Ausfluß des Osiris; Erde bzw. Fruchtland = Körper der Isis

40, 367A

– die Göttin, die die Erde regiert, war milde gegenüber dem feurigen, trockenen Element (Typhon) und

– Isis begehrt und vereinigt sich mit dem Guten und Schönen und erfüllt „bei uns“ alles damit

53, 372E–F

– Isis ist empfangende, weibliche Materie, auf die die Prinzipien Gut und Böse einwirken können, die aber selbst aktiv dem Guten zuneigt, sie bringt Abbilder des Seienden (Osiris) hervor

54, 373A–B

– Isis als Materie bringt Horus hervor als Bild des Intelligiblen, er ist die erfaßbare Welt

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Plutarch, De Iside et Osiride

Stelle

Interpretationen nach anderen Quellen ließ es frei, da die Welt ohne es nicht komplett wäre

56, 374B

– Die Ägypter: Isis wird auch Mut „Mutter“, Athyri (Hathor) „kosmisches Haus des Horus“ und Methyer „voll und gut“ genannt

43, 368C

– Astronomische Allegorie: Die Ägypter: Eintritt des Osiris (= Sonne) in Mond (= Isis). Macht des Osiris im Mond zu lokalisieren. Isis als schöpferisches Prinzip vereint sich mit ihm; sie verteilt daraufhin zeugende Impulse in der Luft – Astronomische Allegorie: Sirius gehört zu Isis, da er Wasser bringt

38, 365F; vgl. 21, 359C; 22, 359E; 38, 365F; 61, 376A 53, 372E

– die meisten Leute nennen sie Myrionymos (10.000namige)

Stelle

Plutarchs Interpretationen

64, 377A

– Der Gott gibt die anfänglichen Samen, die Göttin empfängt und verteilt sie, daraus entsteht alles Gute in der Natur – das Geordnete, Gute und Nützliche ist Werk der Isis und Bildnis, Nachahmung und Logos des Osiris

56, 373F

– Isis als Mutter, Amme, Sitz und Ort der Schöpfung; Basis des perfekten Dreiecks

53, 372E

– Erklärung von Myrionymos: weil sie durch Logos verwandelt ist und alle körperlichen und geistigen Formen empfängt

8.1.3.1 Kosmos/Natur A. Osiris = Nil/Feuchtigkeit und Isis = Erde/Fruchtland bzw. Sothis (Sirius) Nach der physikalischen Auslegung bzw. der Auslegung als Naturprinzipien wird Osiris als Nil bzw. feuchtes Prinzip, Isis als Erde bzw. vom Nil getränktes Fruchtland erklärt:85

85 Vgl. dazu GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 419–424; BONNEAU, Crue du Nil, S. 243–274; MERRILLS, Roman Geographies, S. 182–183. Dieses Konzept ist bei zahlreichen anderen antiken Schriftstellern ebenfalls überliefert, siehe für eine Übersicht E. STAEHELIN, Alma Mater Isis, in: E. Staehelin/B. Jaeger

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

– De Iside, 32, 363D: So ist bei den Ägyptern Osiris der Nil; er wohnt Isis bei, das heißt der Erde. – De Iside, 38, 366A: Ebenso wie sie den Nil als Ausfluß des Osiris ansehen, so behandeln und betrachten sie die Erde als den Leib der Isis; allerdings (…) den Teil, welchen der Nil besteigt, sie besamend und durchdringend. – De Iside, 38, 365F: Unter den Gestirnen sehen sie den Sirius als Stern der Isis an, weil er Wasser bringt – De Iside, 21, 359C: So werde die Seele der Isis von den Griechen „Hund“ genannt, von den Ägyptern „Sothis“.86 Gerade diese komplementären Gegenüberstellungen von Isis und Osiris zugeordneten Naturphänomenen sind aus ägyptischen Texten speziell der griechisch-römischen Zeit gut bekannt, wenngleich die Wurzeln für diese Vorstellungen weitaus älter sind.87 So wird das Götterpaar in einer unter Ptolemaios VIII. angebrachten Inschrift im Isistempel von Philae gemeinsam gelobt und dabei nacheinander unter anderem als Orion und Sothis, und als Nil und Feld (= Fruchtland) bezeichnet.88 In ähnlicher Weise werden in dem demotischen Götterbrief pBerlin P 15660 (wohl 1. Jh. v. Chr.) Isis und Osiris mit Wasser und Feld gleichgesetzt.89 Das Zusammenwirken von Nil und Fruchtland, wie es bei Plutarch beschrieben wird, verdeutlicht die Begleitinschrift einer in hadrianischer Zeit – also ungefähr kontemporär mit der Entstehung von De Iside! – angebrachten Ritualszene in Deir elSchelwit, wo Isis bezeichnet wird als: Die gute Feldgöttin auf der Erde, das Fruchtland, das das Getreide entstehen läßt, deren Leib zum Jahresbeginn erneuert wird durch Osiris, den Großen, als Stier, der die Flut steigen läßt. (Deir Chelouit III, Nr. 154, Göttliche Randzeile)90 Isis-Sothis wiederum wird in zahlreichen Hymnen und Litaneien auf den Tempelwänden und auf Papyri der Tempelarchive als Bringerin der Nilflut gelobt, was auf mythologischer Ebene häufig mit der Wiederbelebung des Osiris durch die von der Göttin ausgeführte Bestattung und den Totenkult verknüpft wird.91 Daß Sothis/Sirius gerade die ‚Seele‘ der Isis, ägyptisch den Ba, verkörpert, hat Plutarch ebenfalls sehr genau wiedergegeben.92 Des-

86 87 88 89 90 91 92

(Hrsg.), Ägypten-Bilder. Akten des „Symposions zur Ägypten-Rezeption“, Augst bei Basel, von 9.–11. Sept. 1993, OBO 150, Freiburg 1997, S. 103–141: 106–107. Vgl. außerdem Plutarch, De Iside, 22, 359E, und 61, 376A. Siehe oben, Kap. 5.2.2.2.B–D. Philae-Photo 1298, Kap. 4.1.1.A. Vgl. zu dieser Parallele auch KUCHAREK, Klagelieder, S. 668, Anm. 29. Kap. 6.5.3.2. Kap. 4.8.1.A. Vgl. Kap. 5.2.2.2.B–C. Vgl. z. B. die erklärende Einleitung der ägyptischen kulttopographischen Litanei für Isis (Hauptvertreter Dend. Isis, 78, 16–79, 5): „Die Herrin von Bubastis: das ist Iunit; ‚Ba der Isis‘ (= Ba-(a)st(et)) nennt man sie mit ihrem Namen, ‚Bat‘ ist ihr Name im Mund des Sonnenvolkes in der Zeit der Götter und bis heute, das ist Sothis, die Gebieterin und Herrin der SmAy.w-Dämonen, ‚Herrin des Jahresanfangs‘ ist ihr wahrer Name.“ Siehe oben, Kap. 4.6.1.A. Zur Isis-Bastet-Sothis-Bat-Theologie siehe auch BERGMAN, Isis-Seele, S. 15–69.

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Plutarch, De Iside et Osiride

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weiteren spielt die Sothis-Form im römischen Kult außerhalb Ägyptens ebenfalls zumindest in einigen Zentren eine Rolle, wie besonders prägnant die neu geschaffene römische Ikonographie der Isis auf dem Hund zeigt, die erstmals (gesichert) auf einer vespasianischen Münze im Giebel des darauf dargestellten Iseum Campense erscheint.93 Eine etwas andere Tradition, die aber ebenfalls Isis und Osiris mit Feuchtigkeit in Verbindung bringt und damit als Garanten von Fruchtbarkeit und Gedeihen kennzeichnet, spiegelt ein griechischer magischer Text der späten Kaiserzeit aus Ägypten wider (PGM XII 201–269). In einer Rezitation identifiziert sich der Magier darin mit verschiedenen Gottheiten, darunter: Ich bin Osiris, genannt Wasser. Ich bin Isis, genannt Tau.94 Die Zuordnung von „Tau“ an Isis und ihre Zuständigkeit für das feuchte Element wird auch in anderen demotischen und griechischen Texten aus Ägypten hervorgehoben,95 und Plutarch bestätigt dies gewissermaßen in De Iside, 12, 355F, wo es von Isis heißt, sie sei „in Feuchtgebieten“(?) (ἐν παρύγροις bzw. πανύγροις), d. h. wohl in den Deltasümpfen,96 geboren worden. Die Isisgeburt im feuchten Element errinnert aber gewissermaßen an die ägyptische Tradition, da der Mathematische pRhind angibt, daß es bei ihrer Geburt regnete,97 und Isis zudem nach einigen magischen und mythologischen Texten sowie in der Memphitischen Isisaretalogie selbst Regen hervorrufen kann.98

93 Siehe Kap. 7.3.2.2.2, außerdem den Obelisken von Benevent (7.3.3.3) und zusammenfassend Kap. 7.3.4.1 zu weiteren Belegen für Isis-Sothis aus Italien. Vgl. desweiteren eine Darstellung der Isis auf dem Hund im Fries des Isistempels von Savaria (Szombathely), siehe CLERC, Isis-Sothis, S. 257; zum Tempel insgesamt rezent T. MEZÖS, A New Concept for the Reconstruction of the Iseum of Szombathely, in: Aegyptus et Pannonia I, S. 129–145; T. SZENTLÉLEKY, Einige wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Iseums von Savaria, ibid., S. 193–199; O. SOSZTARITS, Topographische und chronologische Probleme des Iseums von Savaria, ibid., S. 173–174; ID., Evidenzen der Chronologie vom Iseum in Savaria, in: Aegyptus et Pannonia IV, S. 145–154; ID., The Isis Sanctuary and the Relics of Egyptian Cults in Savaria, in: F. Tiradritti (Hrsg.), Egyptian Renaissance – Pharaonic Renaissance. Archaism and the Sense of History in Ancient Egypt, Museum of Fine Arts, Budapest, August 8 – November 9 2008, Budapest 2008, S. 129–133; T. MEZÖS/E. BOTOS, Architectural Periods and Theoretic Reconstruction of the Isis Temenos at Szombathely, in: Aegyptus et Pannonia III, S. 169–174. 94 Kap. 6.5.3.2. 95 Zu den Belegen siehe oben, Kap. 6.5.3.2, m. Anm. 1985. 96 Beide Textvarianten (παρύγροις und πανύγροις) sind überliefert; die genaue Übersetzung und Interpretation sind umstritten. Vgl. die Kommentare von FROIDEFOND, Isis et Osiris, S. 263, Anm. 9; und den ausführlichen Kommentar von NARDELLI, Osiris de Plutarque, S. 94–97, die aufgrund der in ägyptischen Texten häufigen Assoziation der Isis (allerdings nicht ihrer Geburt!) mit Chemmis und anderen Deltaorten davon ausgehen, daß dementsprechend hier ihre dortigen Ursprünge angegeben werden. Es gilt jedoch zu bedenken, daß Isis den ägyptischen Quellen der griech.-röm. Zeit zufolge nicht im Delta, sondern in Dendara geboren wurde, siehe Kap. 4.6. Dies wiederum könnte ein Gegenargument zu der Interpretation als geographische Angabe sein, ebenso wie die Tatsache, daß auch bei den übrigen Göttern nicht der Geburtsort angegeben wird – abgesehen von Osiris, bei dem Theben aber innerhalb einer kurzen Anekdote dazu genannt wird. 97 Vgl. dazu auch GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 303–304; vgl. aber zu einer abweichenden Interpretation des Mathematischen pRhind Kap. 6.3.2, Anm. 1503. 98 Siehe Kap. 6.3.2 und 6.6.2 (M 54).

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

Neben den abstrakten Deutungen als Naturphänomene an sich geht Plutarch auch auf deren sichtbare Manifestationen im Kultgeschehen ein, die sich in heiligen Objekten und Symbolen äußern (Kap. 35–37). So schreibt er – De Iside, 36, 365B: Nicht nur den Nil, sondern jegliche Flüssigkeit/Feuchtigkeit überhaupt nennen sie Ausfluß des Osiris; die Wasserkanne (τὸ ὑδρεῖον) geht zu seinen Ehren bei Prozessionen immer den Heiligtümern (τῶν ἱερῶν) voran. Hiermit dürfte die sog. ‚Isis-Hydria‘ gemeint sein, die durch zahlreiche ikonographische Zeugnisse der Kaiserzeit bekannt ist und sich jeweils auf Osiris bezieht.99 Für den kaiserzeitlichen Isiskult außerhalb Ägyptens seien exemplarisch die Mensa Isiaca und verschiedene Darstellungen in Pompeji genannt.100 Eine von einem Priester, vielleicht in Prozession, getragene Hydria zeigt z. B. ein Silberbecher aus Pompeji. 8.1.3.2 Kosmos/Natur und Mensch Einige der von Plutarch zitierten Charakteristika haben sich erst im Kontakt mit griechischer und römischer Kultur entwickelt und rekurrieren eindeutig auf reale Merkmale des zeitgenössischen Kultes. B. Isis als Mond, Kuh und Liebesgöttin Dazu gehört z. B. die Identifizierung der Isis mit dem Mond: – De Iside, 52, 372D–E: Isis, so erklären sie, sei nichts anderes als der Mond; wenn daher ihre Kultbilder Hörner trügen, so sei das eine Nachahmung der Mondsichel, und wenn sie schwarz gekleidet seien, so veranschauliche das ihr Verschwinden und die Schattengestalten, die sie annimmt, wenn sie voller Sehnsucht die Sonne verfolgt. Darum rufen sie den Mond in (erotischen) Liebesdingen an, und auch Isis waltet nach Eudoxus über Liebesdinge. – vgl. De Iside, 43, 368C: (zum Fest „Eintritt des Osiris in den Mond“ am 1. Phamenoth): Auf diese Weise geben sie der Macht des Osiris ihren Platz im Mond und sagen, daß Isis, welche das Werden ist, sich mit ihm vereinige. Darum nennen sie den Mond auch „Mutter der Welt“ und meinen, er habe ein mannweibliches Wesen: er werde von der Sonne voll und schwanger gemacht, sende aber andererseits selber zeugende Impulse als Samen in die Atmosphäre hernieder.101

99 Siehe zu Belegen aus Ägypten Kap. 4.12.1 (Exkurs) und 6.2.10.2 (Exkurs). Zur Hydria im Isiskult und Osiris als Nil/feuchtes Prinzip in Ägypten und bei Plutarch siehe MALAISE, Ciste et hydrie, S. 125–135; KNAUER, Urnula, zur Plutarch-Stelle S. 14. 100 Kap. 7.3.2.2.2 (Exkurs) und 7.3.3.1.1. 101 Vgl. dazu und zur üblichen Auffassung von Osiris als Mond bes. KUCHAREK, Klagelieder, S. 136– 138 u. 656–661; ferner GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 463–464; ID., Osiris and the Moon in Iconography, in: JEA 62, 1976, S. 153–159; ID., The striding bronze figure of Osiris-IaH at Lyon, in: JEA 65, 1979, S. 174–175; E. GRAEFE, Noch einmal Osiris-Lunus, in: JEA 65, 1979, S. 171–173; E. DOETSCH-AMBERGER, Osiris-Iach, in: GM 190, 2002, S. 5–13. Vgl. auch Isis’ Aussage in ihrer Rede

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Plutarch, De Iside et Osiride

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Die Gleichsetzung der Isis mit dem Mond erfolgte erst durch die Gleichsetzung der IsisHathor mit griechisch-römischen Göttinnen wie Selene und Hekate,102 könnte aber parallel auch von dem in zahlreichen ägyptischen und griechischen Texten betonten Vater-TochterVerhältnis zwischen Thoth und Isis beeinflußt worden sein.103 Gerade Plutarchs Assoziation von Isis bzw. dem Mond mit „(erotischen) Liebesdingen“ (ἐρωτικά) scheint prominent in einer bestimmten Textgruppe aus dem kaiserzeitlichen Ägypten auf: den demotischen und griechischen Liebeszaubern.104 Darin wird nicht nur die innige Liebe und Treue der Isis zu Osiris, die in diesem Zusammenhang eindeutig auch stark sexuell konnotiert ist, als Vorbild par excellence für das gewünschte Ergebnis des Zauberspruchs instrumentalisiert. Speziell in den griechischsprachigen Vertretern wird Isis oft mit Aphrodite und Selene zusammen angerufen oder sogar gleichgesetzt. Isis wird dabei zusätzlich mehrfach mit den Göttinnen Hathor und Bastet identifiziert, die nach ägyptischer Tradition besonders mit sexueller Liebe verbunden waren. Als besonders vielschichtig in der kulturell-religiösen Interpretation erweist sich z. B. der sogenannte „Mondzauber des Claudianus“ (PGM VII 862–918): Darin wird die ägyptisch zugrunde liegende und in Spät- bis griechisch-römischer Zeit relativ populäre, in Form der Himmelskuh verehrte Hathor-Isis von Atfih/Aphroditopolis griechisch als „größte Göttin Aphrodite Urania, die das Universum umfängt“ interpretiert, und zur Durchführung des Zaubers zur Anfertigung einer Lehmfigur der „Herrin Selene, der Ägypterin in der Form des Universums“ geraten.105 Es sei als Randnotiz daran erinnert, daß Plutarch in De Iside, 19, 358D–20, 358E, gerade auf den eng mit Atfih verbundenen Mythos von der Köpfung der Göttin und ihrem Ersatzkopf in Kuhgestalt verweist.106 Als ‚äußere‘, d. h. im Kult sichtbare Zeichen für seine Erläuterungen führt Plutarch die Ikonographie der Kultstatuen der Isis an, deren Kuhhörner er in Nachfolge von Diodor, I, 11, 4, als Imitation der Mondsichel interpretiert. Hierbei handelt es sich bereits um eine griechisch-römische Umdeutung, die sich tatsächlich ikonographisch in einer häufigen formalen Umformung der ursprünglichen Kuhhörner zu einer Mondsichel im Kopfschmuck hellenistischer Isisdarstellungen äußert.107 Auch hier scheint die enge Assoziation Kuh – Himmelsgöttin – Mondgöttin durch, die aus dem genannten griechischen Zaubertext hervorgeht.

102 103 104 105 106 107

in pNesmin: „Ich habe veranlaßt, daß du (= Osiris) in das linke Auge eintrittst, so daß du zum Mond wurdest und der Himmel mit dem Horusauge jubelt.“, siehe Kap. 4.8.3. Vgl. GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 500–501; ausführlich dazu DELIA, Isis, or the Moon; siehe oben, Kap. 6.5.2.2; vgl. auch 7.2.1.2.2, 7.3.4.1 und 7.4.3.3 (zu Isis-Luna) sowie die Verbindung von Mond(sichel) und Isis in der Bildsymbolik von Kleopatra Selene in Iol Caesarea, 7.2.5.2.2. Dazu zusammenfassend Kap. 6.7.2.2, mit weiteren Verweisen. Siehe Kap. 6.5.2.2. Siehe Kap. 6.5.2.2. Siehe oben, 8.1.2.4. Vgl. z. B. die Darstellung auf einem der Silberbecher aus Pompeji, Kap. 7.3.3.1.1, sowie eine Wandmalerei in einem pompejanischen Privathaus, 7.3.3.1.2. Vgl. zur ikonographischen Umdeutung auch NAGEL, The Goddess’s New Clothes, S. 209.

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Kaiserzeitliche literarische Quellen zum Isiskult

8.1.3.3 Kosmos/Natur und Mythos C. Isis dolens: Schwarze Kleidung der Isis und ihrer Diener In der zitierten Passage über Isis und den Mond (De Iside, 52, 372D) sowie an mehreren weiteren Stellen spricht Plutarch von schwarzen Gewändern, welche die Kultbilder der Isis bekleiden: – De Iside, 3, 352B: (über Kultdiener der Isis) Dies sind die, die das Heilige Wort von den Göttern (…) in der Seele ‚tragen‘ wie in einem Schrein und es ‚bekleiden‘; sie deuten darauf hin, daß in unseren Annahmen über die Götter manches schwarz verschattet, anderes hell leuchtend ist, wie man es auch bei dem heiligen Gewand sehen kann. – De Iside, 39, 366E: (in der Beschreibung des Isia-Festes vom 17.–20. Athyr) Insbesondere stellen sie eine vergoldete Kuh zur Schau, die in ein schwarzes Tuch aus Byssos gehüllt ist wegen der Trauer der Göttin; denn sie betrachten die Kuh als Abbild der Isis und der Erde. – De Iside, 77, 382C: Die (kultischen Gewänder) der Isis sind buntgefärbt, denn ihr Machtbereich ist die Materie, die zu allem wird und alles aufnimmt, Licht und Dunkel, Tag und Nacht, Feuer und Wasser, Leben und Tod, Anfang und Ende. Wieder leitet Plutarch aus Realia des Kultes, konkret den Gewändern der Isis, Aussagen über das Wesen der Göttin ab.108 Die schwarze Farbe verbindet er mit Isis’ Trauer um Osiris, den Mondphasen und den dunklen Aspekten ihres Wesens, das er in Kap. 3 und 77 anhand der verwendeten Farben schwarz und weiß (bzw. bunt) als dual, und damit alle Gegensätze der Schöpfung umfassend, auslegt. Zwar ist Schwarz in Ägypten keine traditionelle Trauerfarbe, kann aber zumindest symbolisch für Tod und Unterwelt, sowie die Fruchtbarkeit der Erde, die (auch) nach Plutarch ja von Isis symbolisiert wird, stehen.109 Auch sollen nach dem Choiaktext von Dendara (der Riten des Choiakfestes beschreibt, welches inhaltlich eng mit den von Plutarch beschriebenen Isia zusammenhängt, siehe dazu oben, 8.1.2.2) beim Beackern des „Feldes des Osiris“ zur Aussaat des Korns für die Herstellung der Chontamenti-Figur (Kornosiris) zwei schwarze Kühe vor den Pflug gespannt werden, deren Farbe symbolisch mit diesen Themen verbunden ist.110 Für eine schwarze Gewandung bzw. Gewandteile der Isis und ihrer Kultdiener gibt es zahlreiche schriftliche sowie bildliche Zeugnisse aus griechisch-römischer Zeit:111 So wird die Göttin auch in griechischen Inschriften aus Ägypten mehrfach „Schwarzgewandete“ genannt, und für ihre Kultdiener ist die Bezeich108 Vgl. zu den Farben der Gewänder auch SCHILM, Osiris-Mythos, S. 124–127; zu Plutarchs Interpretation weiterer ägyptischer Götterbilder vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken, S. 190, m. Anm. 107. 109 Siehe oben, Kap. 6.1.2.1, m. Anm. 172. 110 Dend. X, 35, Kol. 60; siehe CAUVILLE, Chapelles osiriennes Transcription, S. 20; CHASSINAT, Khoiak I, S. 67–68; vgl. dazu auch GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 63 u. 449–451. 111 Siehe z. B. die Wandmalereien im Isistempel von Pompeji (Rückführung der Barke mit dem Osirisleichnam), Kap. 7.3.3.1.1, und die Bilder mit Isisritualen aus Herculaneum, Kap. 7.3.3.2.3. Vgl. unter anderem auch zwei Isis-Statuen aus Neapel, bei denen die Obergewänder aus schwarzem Marmor gearbeitet sind, Kap. 7.3.3.4.

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nung „Melanephoren“ ebenfalls bezeugt.112 Weitere Belege für eine schwarze Gewandung der Isis liefert wieder das Textcorpus der magischen Texte aus dem römischen Ägypten: In mehreren griechischen Rezepten wird die Verwendung eines „schwarzen Bands oder Stoffes der Isis“ vorgeschrieben, das jeweils in einen osirianisch geprägten rituellen Kontext eingebunden ist.113 In diesem Zusammenhang könnte auch die Nutzung verschiedener Produkte einer „schwarzen Kuh“, die wahrscheinlich – ähnlich wie bei Plutarch – als Verkörperung der Isis zu deuten ist, in diversen demotischen und griechischen Zauberpraktiken interessant sein.114 Die ursprünglich in Ägypten nicht belegte Vorstellung von schwarzen Trauergewändern der Isis jedoch dürfte wahrscheinlich einer Überlagerung der genannten ägyptischen Traditionen mit Einflüssen aus dem Demeterkult zu verdanken sein.115 8.1.3.4 Kosmos/Natur und Mensch II D. Isis Myrionymos Das alles umfassende Wesen der Isis, das durch die Ausdeutung der in ihren Gewändern verwendeten Farben anklingt (s. o.), wird von Plutarch anhand ihres Beinamens μυριώνυμος „Zehntausendnamige“ noch deutlicher erklärt: – De Iside, 53, 372E: Isis ist die weibliche Seite der Natur, das heißt: das, was jegliches Werden in sich aufnimmt, in dem Sinne wie sie von Platon „Amme“ und „allempfangend“ genannt wird, im allgemeinen Sprachgebrauch aber „Zehntausendnamige“, insofern sie unter dem Einfluß des Logos alle möglichen Gestalten und Formen annimmt. Plutarch zitiert also den Isis-Beinamen Myrionymos „Zehntausendnamige“, um ihn mit seinem Konzept der Göttin innerhalb des platonischen Weltbildes zu verbinden. Er verortet den Namen zu Recht im „allgemeinen Sprachgebrauch“, wie unter anderem zahlreiche private Weihinschriften und Graffiti aus ganz Ägypten demonstrieren.116 Der Titel ist, auch außerhalb Ägyptens,117 ausschließlich für Isis belegt und stellt eine griechische Weiterentwicklung des für verschiedene Gottheiten verwendbaren ägyptischen Epithetons aSA(.t) rn.w „mit vielen Namen“ dar.118 Dieses wird Isis entgegen GRIFFITHS’ hier veraltetem Kommentar bereits in einem Grab des Neuen Reiches zugeschrieben,119 gewinnt aber ab der Ptolemäerzeit enorm an Relevanz, insofern als Isis in zahlreichen (kulttopographischen) Litanei112 113 114 115 116

117 118 119

Siehe Kap. 7.3.3.1.1, m. Anm. 2211 zu weiteren Verweisen. Siehe Kap. 6.5.3.3. Siehe Kap. 6.5.3.3, Anm. 1994. Siehe im Detail dazu Kap. 6.1.2.1, zu MM III (Abschnitt 6). Vgl. zur Beeinflussung durch Demeter bereits oben, 8.1.2.3. IG Philae 162; 168; 180–181; IM 166; SB 7791; I. Alexandrie 60 (Kap. 6.2); vgl. auch das mythologische Fragment pOxy. 3011 mit der Suche nach Osiris (Kap. 6.3.2) und die magischen Texte PGM VII 490–504 („vielnamige“ und „vielgestaltige“), PGM LIX 1–15 und PGM LVII (Kap. 6.5.2.2 u. 6.5.3.1). Z. B. in Minturnae: RICIS 502/0201 (Kap. 7.3.2.6, vgl. 7.3.4.1); Köln: RICIS 610/0105 (Kap. 7.4.3.2). Vgl. dazu BRICAULT, Isis Myrionyme. Siehe Kap. 6.2.2.2, Anm. 204.

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en in ägyptischer und griechischer Sprache systematisch mit den Namen diverser anderer Göttinnen angesprochen wird, die so als ihre Erscheinungsformenen an verschiedenen Orten ausgedeutet werden.120 Im kaiserzeitlichen Isiskult in Italien spiegelt sich dieses Konzept auch in der Inschrift des Arrius Balbinus aus Capua für Isis una quae es omnia und in der ‚Panthea‘-Ikonographie wider.121 Sie nimmt also ganz im Sinne der Plutarch’schen Auslegung „alle möglichen Gestalten und Formen an“ und wird damit zu der weiblichen Gottheit par excellence. Ebendies führt Plutarch auch an anderer Stelle mit einigen programmatischen Aussagen über die Verehrung der im Grunde selben Gottheiten bei allen Menschen aus: – De Iside, 66, 377C–D: Erstens lasse man uns die Götter als Gemeingut und mache keine ägyptischen Sondergötter daraus (…). Andere haben keinen Nil, kein Butos und kein Memphis, aber alle haben und kennen eine Isis und die mit ihr verbundenen Götter; manche haben sie zwar erst vor kurzem mit ihren ägyptischen Namen zu nennen gelernt, aber ihre Bedeutung kennen und ehren sie seit je. – De Iside, 67, 377F: Es sind nicht die einen Götter bei diesem, die andern bei jenem Volk, keine Barbaren- und Hellenengötter, keine südlichen und nördlichen; sondern wie Sonne und Mond, Himmel, Erde und Meer allen gemeinsam sind, aber von den einen so, von den anderen anders genannt werden, so ist es ein einziger Logos, der dies alles ordnet, eine einzige Vorsehung, die darüber waltet, und es gibt dienende Mächte, die für alle Bereiche der Welt eingesetzt sind; und für all diese Wesen gibt es verschiedene Ehren und Benennungen bei den verschiedenen Völkern nach ihrem Brauch…122 Ein vergleichbares Konzept überliefert bereits Diodor I, 25, 1, wenn er angibt: „Dieselbe Göttin wird von einigen Isis genannt, von anderen Demeter, von anderen Selene, von anderen Hera, während wieder andere ihr all diese Namen zusprechen.“123 Mit den zitierten Deutungen in De Iside, Kap. 66–67, ist bereits die Seite der von Plutarch selbst favorisierten Interpretationen der Göttin erreicht, die jedoch häufig ein allgemein bekanntes Charakteristikum oder sogar andere Deutungen als Ausgangspunkt nehmen.

120 Siehe dazu übergreifend Kap. 5.1.3–4 und 5.2.2.4.A zu den Tempeltexten; außerdem Kap. 6.1 zu verschiedenen demotischen und griechischen Beispielen (MM I; pWien D. 6297+6329+10101; pOxy. 1380; pTebt. Tait 14 und Parallelen). Vgl. zu diesem Thema insgesamt NAGEL, One for all. 121 Siehe Kap. 7.3.4.1 (zu Isis Panthea). 122 Vgl. zu diesem Konzept in der Antike, auch im Hinblick auf den Isiskult, ASSMANN, Sinngeschichte, S. 464–469; ID., Moses, S. 73–82 (81–82 zur Plutarch-Stelle). 123 Vgl. auch die Isisaretalogie von Maroneia (RICIS 114/0202): „Ihr seid zwei (Isis-Selene und Sarapis-Helios), aber ihr werdet mit vielen Namen genannt bei den Menschen…“ (Z. 19–20); und die 1. Hymne des Isidoros in Medinet Madi (MM I), Kap. 6.1.2.1. Siehe dazu SFAMENI GASPARRO, Hellenistic Face, S. 43–44.

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8.1.3.5 Mythos und Mensch E. Isis als Weise, Weisheit, Streben zur Weisheit Ebenso verhält es sich mit seinem gleich zu Beginn des Werkes ausführlich entworfenen, programmatischen Bild von Isis als Göttin des Wissens und der Weisheit, die auch dem Menschen als Vorbild für die Suche nach der Wahrheit dienen soll. – De Iside, 2, 351E–F: (über die Suche nach Wahrheit bzw. das Streben nach Göttlichkeit) Sie ist insbesondere jener Göttin lieb und wert, welche du verehrst: einer überaus weisen und weisheitsliebenden Göttin, wie schon ihr Name ja kundzutun scheint, daß vor allem das Wissen und die Wissenschaft ihrem Bereich angehört. – De Iside, 2, 352A–3, 352B: Dieses Heilige Wort (so wird Osiris ausgedeutet) zu suchen mahnt die Göttin; es ist bei ihr und mit ihr vereint. Ihr Heiligtum verheißt schon mit seinem Namen ganz deutlich Erkenntnis und Wissen vom Sein: es heißt Iseion (Ἰσεῖον), und das soll besagen: „wir werden wissen das Seiende“ (εἰσομένον  τὸ  ὄν), wenn wir mit Vernunft und Frömmigkeit dem heiligen Bereich der Göttin nahen. Ferner findet man bei vielen Autoren die Feststellung, sie sei eine Tochter des Hermes (…). Daher nennt man auch die Erste der Musen in Hermopolis Isis und Gerechtigkeit (Dikaiosyne) zugleich: sie sei weise – wie wir schon gesagt haben – und sie zeige das Göttliche denen, die in Wahrheit und mit Recht die Titel „Heiligtumsträger“ (Hieraphoroi) und „Heiligtumsbekleider“ (Hierostoloi) tragen usw. – De Iside, 3, 352C: Vielmehr ist ein Isis-Anhänger in Wahrheit derjenige, welcher das, was im Kult der Götter gezeigt und getan wird, nachdem es ihm dem Brauch gemäß anvertraut wurde, mit dem Verstand durchdringt und über die darin liegende Wahrheit philosophische Betrachtungen anstellt.124 – De Iside, 60, 375C–D: Die Bewegung des zeugenden und bewahrenden Prinzips in der Natur ist auf ihn (Osiris) gerichtet und auf das Sein; (…). Darum nennt man das erstere „Isis“; der Name ist abgeleitet vom ‚Eilen mit Wissen‘ (ἵεσθαι  μετ᾽  ἐπιστήμης), dem raschen Lauf, weil sie eine mit Seele und Vernunft begabte Bewegung (κίνεσιν  ἔμψυχον  καὶ  φρόνιμον) ist. (…) So nennen wir also diese Göttin gleichzeitig nach ihrem Wissen und ihrer Bewegung „Isis“, und „Isis“ heißt sie auch bei den Ägyptern. Wenngleich Plutarch zur Unterstützung seiner Deutungen etymologische Ableitungen von griechischen, nicht ägyptischen, Wurzeln heranzieht, sei darauf hingewiesen, daß z. B. gerade ägyptische Verben mit der Bedeutung „eilen“, darunter das konsonantisch dem Wort für Isis (As.t) nahestehende As, in osirianischen Kompositionen wie den Klageliedern immer wieder im Zusammenhang der Trauer und Sorge von Isis und Nephthys um Osiris vorkommen. In Philae-Photo 1298, einem Text, der wichtige Eigenschaften von Isis und Osiris hervorhebt, wird Isis als wnj.t „die Eilende“, oder nach einem Vorschlag von E. 124 Speziell zu dieser Passage vgl. auch AUFRÈRE, Sous le vêtement.

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WINTER sogar als wn(.t) ij.t „die Seiende und Kommende“ bezeichnet,125 was den Plutarch’schen Auslegungen gut entsprechen würde. Bereits in einem Spruch der Pyramidentexte (PT 535) werden Isis und Nephthys aufgefordert: wnt=T wnt=T rm sn=T As.t rm sn=T Nb.t-Hw.t Mögest du eilen, mögest du eilen! Beweine deinen Bruder, Isis! Beweine deinen Bruder, Nephthys! (§ 1281a)126 Im „Großen Dekret“ rufen dagegen Isis und Nephthys jeweils Osiris selbst an, schnell zu ihnen zu eilen (As).127 Von den Etymologien/Wortspielen und möglichen Parallelen der zentralen Begriffe in den ägyptischen Texten abgesehen, beruht Plutarchs Interpretation der Isis als Weise, Weisheitsliebende und -suchende wiederum auf einem in griechisch-römischer Zeit besonders prominenten Charakterzug der Göttin, der allerdings wie das Epitheton Myrionymos auf ältere Traditionen zurückgeht. In vielen Fällen erscheint Isis’ Wissen im ägyptischen Kontext dabei allerdings mit ihrer ebenfalls herausragenden Zauberkraft kombiniert.128 So läßt sich ihr Ruf als Weise und Magierin bereits ab dem Mittleren Reich belegen, und sie stellt sich selbst mit ebendiesem Charakteristikum mehrfach in Ich-Aussagen innerhalb verschiedener Texte vor, in denen sie häufig ihre Sonderstellung unter den Göttern betont.129 Diese Eigenschaften verbinden sie engstens mit Thoth (griech. Hermes), der in ägyptischen und griechischen Quellen ab der Ptolemäerzeit häufig als ihr Vater gilt (vgl. De Iside, 2, 352A–3, 352B).130 Die in diesem Zusammenhang von Plutarch genannte Bezeichnung als „Erste der Musen“ und „Gerechtigkeit“ in Hermopolis läßt sich auf die ägyptische Identifikation der Isis mit der Thoth beigeordneten Göttin Seschat131 sowie mit Maat132 zurückführen. Die griechische Benennung als Dikaiosyne bestätigen zudem Dedikationen an Isis aus Delos.133 Auch in den griechischen Isishymnen aus Ägypten spielen der Maat-Aspekt der Isis bzw. ihre Rolle als Richterin und Gesetzgeberin eine zentrale Rolle.134 Speziell in pOxy. 1380 wird sie an verschiedenen Orten mit geistigen Konzepten identifiziert, die denen bei Plutarch nahestehen: Vorsehung (πρ[ό]νοιαν) in Catabathmus (Z. 43–44), Ver-

125 Siehe oben, Kap. 4.1.1.A. 126 Siehe KUCHAREK, Klagelieder, S. 23. 127 pMMA 35.9.21, 7, 11; 13, 2; vgl. 5, 7 für eine entsprechende Aufforderung der Isis an Nephthys; siehe zum Text KUCHAREK, Klagelieder, S. 275–423. Vgl. auch eine Passage in dem Ritualtext „Die Großen Zeremonien des Geb“, innerhalb einer kurzen Hymne an Isis: „(...) indem du dich eilends an ihn heftest (m wnj im=f ‚beim Eilen an ihn‘), Herrin beider Länder, da er dir anbefohlen(?) ist.“; siehe Kap. 5.1.4. 128 So bereits GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 70; vgl. auch AUFRERE, Sous le vêtement, S. 208–210. 129 Siehe oben, Kap. 6.5.1.1. 130 Siehe mit Verweisen Kap. 6.7.2.2; vgl. auch oben, 8.1.2.2. 131 Siehe Kap. 5.2.2.1.E. Vgl. besonders die kulttopographische Litanei Dend. Isis, 78, 16–79, 5 (Kap. 4.6.1.A), in der Isis spezifisch in Hermopolis, dem Hauptkultort der Seschat, mit dieser gleichgesetzt wird. 132 Siehe 5.2.2.2.H. 133 Siehe dazu GRIFFITHS, Plutarch’s De Iside, S. 264; ID., Isis as Maat. 134 Besonders in den Hymnen des Isidoros (MM I–IV), in pOxy. 1380 und der Memphitischen Isisaretalogie (Kap. 6.1.2.1, 6.1.3.2 und 6.6).

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stand (φρόνησιν)135 in Apis (Z. 44), Einsicht (ἐπίνοιαν) in Schedia (Z. 60–61), und Wahrheit (ἀλήθιαν) in Menouthis (Z. 63).136 Auch Plutarchs Benennung als „Erste der Musen“ findet in diesem Text eine Parallele in der Epiklese „Musengeleiterin“.137 Als Bewahrerin geheimen Wissens und großer Zauberkraft erscheint Isis als eine führende Figur in den magischen, alchemistischen und hermetischen Corpora der Römerzeit.138 Darin fungiert sie tatsächlich als Vorbild und Identifikationsfigur des Menschen auf der Suche nach der Gottheit bzw. der Wahrheit – nämlich bei Divinationsritualen –, oder führt ihren Sohn Horus (und damit den Benutzer) in die Geheimnisse der Alchemie und in göttliches Wissen ein. In diesem Zusammenhang identifiziert sich der Magier auch mit ihr unter dem Namen „Isis, die Weise“ (As.t tA rx.t).139 Bereits in der Zeit Ptolemaios’ VI. lobt der im Sarapeion von Memphis tätige Hor aus Sebennytos, dessen demotisches Ostraka-Archiv von seiner besonders innigen Beziehung zu Isis und Thoth zeugt, Isis explizit als Verkünderin von Wahrheit: Isis spricht Wahrheit zu denen(?), die wahrhaftig sind.140 Von der Memphitischen Isisaretalogie wurden sowohl die enge Beziehung der Isis zu Thoth/Hermes als auch ihre Sorge für die Wahrheit aufgenommen, und dies sogar gleich an mehreren Stellen,141 z. B.: „Ich habe bestimmt, daß das Wahre als gut angesehen wird.“ (M 29) Die von Plutarch im Zusammenhang des Strebens nach tieferer Erkenntnis göttlicher Wahrheit angedeutete Funktion der Isis als Leiterin und Vorbild der Menschen kommt auch an anderen Stellen des Werkes innerhalb unterschiedlicher Interpretationsmodelle zum Tragen und soll Thema der folgenden Abschnitte sein. F. Isis als Vorbild in Lebenskrisen So heißt es innerhalb der dämonologischen Deutung des Mythos in De Iside, Kap. 27, daß Isis’ Erlebnisse und ihr Handeln im Mythos durch die von der Göttin selbst gestifteten Darstellungen und Riten Vorbild und Trost für Menschen in Krisensituationen liefern. – De Iside, 27, 361D–E: Die Vollzieherin der Rache für Osiris, seine Schwester und Gattin, ließ, als sie das Wüten Typhons gestillt und beendet hatte, die Abenteuer und Kämpfe, die sie bestanden hatte, ihre eigenen Irrfahrten, die vielen Erfolge ihrer Weisheit und die vielen Siege ihrer Tapferkeit nicht der Vergessenheit und dem Schweigen anheimfallen, sondern fügte Gleichnisse, Andeutungen und Abbilder142 der leidvollen Ereignisse von damals in hochheilige Einweihungsriten (ταῖς ἁγιωτάταις τελεταῖς) 135 136 137 138 139 140 141 142

Vgl. Plutarch, De Iside, 60, 375C (s. o.); dazu auch LAFAYE, Litanie grecque, S. 80. Siehe Kap. 6.1.3.2. Z. 62–63 (in Kanopos) und Z. 128 (innerhalb der Prosahymne). Siehe besonders Kap. 6.5.1.4. pMag. LL, 1, 1–3, 35; pMag. LL, 25, 1–22. oHor 11; siehe Kap. 6.5.1.2. Siehe Kap. 6.6. Zu möglichen Deutungen der einzelnen von Plutarch genannten Medien siehe rezent GASPARINI, Demonology, S. 711.

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ein und stiftete damit Lehren der Frömmigkeit und Trost für Männer und Frauen in ähnlichen Nöten. Sie selbst aber und Osiris wandelten sich kraft ihrer tätigen Bewährung von guten Dämonen zu Göttern…143 Damit wird ein mythisches, göttliches Modell für die persönliche psychologische Entwicklung durch Leid und seine Überwindung geboten, das durch die Teilnahme am Kult, wohl insbesondere an den Mysterien, mitvollzogen werden konnte und somit als Ventil fungierte.144 Ebendiese von Plutarch hervorgehobene Rolle der Isis als Patronin und Vorbild des Bestehens in Lebenskrisen und anschließenden Triumphierens konnte bereits oben in Kap. 6.4.2.2 anhand demotischer Texte aus Ägypten, besonders Weisheitslehren und dem ‚Isisorakel‘ von pWien D. 12006,145 herausgestellt werden. So wird in der 17. Lehre des großen demotischen Weisheitsbuches (pInsinger, 20, 14ff.) dazu geraten, in schwierigen Situationen durchzuhalten und nicht zu verzweifeln, wobei als mythisches Vorbild unter anderem die Überwindung des Unglücks durch Isis zitiert wird: Isis erlangte Glück im Unglück am Ende dessen, was sie durchgemacht hatte. (20, 19). Diese ‚menschliche Seite‘ der Göttin wird insbesondere in mythologischen und magischen Texten sowie der zitierten Weisheitslehre offenbar, da Isis hier als Vorbild und Präzedenzfall für den Menschen funktionalisiert wird. Die zu ihr betenden Menschen können ihrerseits auf Verständnis und Hilfe durch Isis hoffen, und so wendet sich auch Isidoros, der Verfasser der vier griechischen Hymnen am Isis-Thermuthis-Tempel in Medinet Madi, in seinem persönlichen Schlußgebet am Ende von MM III gerade an die „schwarzgewandete, barmherzige Isis“ und appelliert so an das Mitgefühl der Göttin, die im Mythos selbst leiden mußte durch den Tod ihres Gatten.146 Ist Isis in Plutarchs Einleitung (De Iside, Kap. 2–3, s. o., 8.1.3.5.E) die Führerin zur philosophischen Erhöhung des Menschen, so könnte man sie in De Iside, Kap. 27 und den genannten ägyptischen Quellen als Vorbild für seine psychologische Entwicklung sehen. Dieses Konzept läßt sich anhand von Plutarchs allegorischer Ausdeutung des Mythos als Beispiel für seine platonische Ontologie weiter ausführen: Sie ist das weibliche Schöpfungsprinzip, das zum Guten strebt.

143 Vgl. zu dieser Stelle im Vergleich mit den griechischen und lateinischen „Isisromanen“ (s. u., 8.3) auch MERKELBACH, Isis regina, S. 340. 144 Vgl. die psychologische Interpretation (mit speziellem Bezug auf C. G. Jung) von Plutarchs De Iside durch SCHILM, Osiris-Mythos. Auch Firmicus Maternus, De err. prof. rel. 22, überliefert einen Ausspruch in ähnlichem Sinne: „Seid mutig, Mysten; da der Gott gerettet ist, so wird auch uns nach Leiden Heil.“; siehe dazu JUNGE, Isis und die ägyptischen Mysterien, S. 108. 145 Siehe dazu auch ausführlich Kap. 6.5.1.3, sowie zum Leben und Leiden der Isis als Vorbild in den magischen Corpora Kap. 6.5.2. 146 Siehe Kap. 6.1.2.1. Vgl. zum schwarzen Gewand der Isis und seinen Implikationen oben, 8.1.3.3.C.

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8.1.3.6 Kosmos/Natur und Mensch III G. Isis als weibliches Schöpfungsprinzip, das zum Guten strebt – De Iside, 53, 372E–F: Isis ist die weibliche Seite der Natur, das heißt: das, was jegliches Werden in sich aufnimmt, in dem Sinne, wie sie von Platon „Amme“ und „allempfangend“ genannt wird (…).147 Sie besitzt aber einen angestammten Drang nach dem Ersten und Obersten von allem (= Osiris), welches mit dem Guten identisch ist; nach diesem begehrt und strebt sie. Den Einfluß des Übels aber meidet sie und sträubt sich dagegen. Für beiderlei Kräfte bildet sie den Raum und Stoff, neigt aber doch stets aus eigenem Antrieb zum Besseren (…) – De Iside, 54, 373A–B: Die Abbilder (des Seienden, Guten) (…) werden von der Macht der Unordnung und Störung erfaßt, die aus den Regionen in der Höhe zu der unsrigen verbannt ist und gegen Horus kämpft, welcher der sinnliche Kosmos ist, den Isis als Abbild des intelligiblen Kosmos gebiert. – De Iside, 58, 374F–375A: Im Anschluß hieran hat man sich vorzustellen, daß die Göttin Isis an dem ersten Gott in dieser Weise stets Anteil hat und ihm beiwohnt aus Liebesverlangen nach dem Guten und Schönen, das ihm zu eigen ist; sie ist kein Gegenpol zu ihm, sondern – wie wir von einem wohlgesitteten und rechtschaffenen Mann sagen, daß er in allem Anstand verliebt ist, und von einer braven Frau, die mit einem Mann verheiratet ist und Verkehr hat, dennoch sagen, daß sie ihn begehre, – so verlangt Isis stets nach Osiris, hängt an ihm und wird von ihm mit seinen wesentlichsten und reinsten Teilen erfüllt. – De Iside, 64, 377A–B Vielmehr treffen wir wohl das Richtige, wenn wir (…) die Ordnung, das Gute und Nützliche als Werk der Isis und als Abbild, Nachahmung und Logos des Osiris verehren und achten. (…) Was auch immer die Natur an Schönem und Gutem enthält, das hat sie ihnen zu verdanken: Osiris stiftet dafür die Grundprinzipien, Isis nimmt diese auf und vermittelt sie an die einzelnen Wesen. – De Iside, 78, 383A: Menschliche Seelen (…) haben keine Gemeinschaft mit dem Gott, außer daß sie ein undeutliches Traumbild von ihm erfassen durch Denken mit Hilfe der Philosophie. Aber wenn sie, vom Körper gelöst, hinübergehen zum Unsichtbaren, Unanschaubaren, Leidlosen, Reinen, dann ist dieser Gott ihnen Führer und König; sie hängen gleichsam an ihm,148 sie schauen und ersehnen ohne Sättigung die für Menschen unaussprechliche, nicht mitteilbare Schönheit. Nach ihm, so besagt die alte Lehre, begehrt Isis stets in Liebe, sie eilt ihm nach, vereinigt sich mit ihm und erfüllt hier bei uns alles, was am Werden teilhat, mit lauter Schönem und Gutem. 147 Siehe zu dieser Stelle oben, 8.1.3.4.D. 148 Vgl. die entsprechende Aussage über Isis in De Iside, 58, 375A, s. o.

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– vgl. außerdem De Iside, 40, 367A (Isis hat Typhon/das Böse nicht ganz zerstört) und 56, 373F (Osiris, Isis und Horus als Seiten des perfekten Dreiecks) Isis ist nach dieser Auffassung die Vermittlerin zwischen der Welt der Ideen (Osiris) und der sinnlich erfahrbaren Welt (Horus), ja sie gebiert bzw. erschafft letztere geradezu nach dem Vorbild der ersteren.149 Da sie selbst zum Guten, dem obersten Gott, hinstrebt, vermittelt sie dies auch an die irdischen Wesen weiter. Gleichzeitig ist sie milde gegenüber Typhon, vernichtet dieses chaotische, zerstörerische Prinzip nicht ganz, um das notwendige Gleichgewicht der Welt zu halten (De Iside, 40, 367A).150 Auch die bereits angesprochene vorbildhafte Liebesbeziehung der Isis zu Osiris im Mythos151 wird hier als Metapher für das leidenschaftliche Verlangen nach dem Guten, Vollkommenen (vgl. das ägyptische, teils wie ein Eigenname verwendete Epitheton des Osiris Wnn-nfr „der existiert, indem er vollkommen ist“(?))152 ausgedeutet. Ihr Sehnen wird in Kap. 78, das als finales Resümee von Plutarchs Deutung gelten kann, mit demjenigen der menschlichen Seelen gleichgesetzt, das jedoch erst nach ihrer Loslösung vom Körper, also nach dem Tod, ganz erfüllt werden kann. Hier fungiert Isis also schließlich als Ideal der ethischen Entwicklung des Menschen.153 Das tertium comparationis der von Plutarch angebotenen Interpretationen ist jeweils die bereits durch seine griechische ‚Etymologie‘ des Namens Isis (De Iside, 60, 375C–D, s. o., 8.1.3.5.E) hervorgehobene Bewegung, d. h. im Mythos die Suche der Isis nach Osiris. Dieses Grundmotiv des Suchens – und des Findens – bildet auch in vielen Quellen aus Ägypten ein zentrales Thema sowie Ausgangspunkt für weitere Ausdeutungen oder damit zusammenhängende Konzepte.154 So bildet die Suche der Isis nach Osiris in mehreren Anweisungen für Divinationsritualen das mythologische Vorbild für die reale Suche des Anwenders nach einer Begegnung mit Gott (im Traum oder in einer Vision).155 In den Klageliedern wird die Tätigkeit des Suchens in diversen Sätzen mit dem Ziel des Sehens (des Gottes, Osiris) verknüpft.156 Bedenkt man, daß im Griechischen das Verb „wissen, 149 Zum Verständnis von Plutarchs Ontologie siehe SCHOPPE, Plutarchs Interpretation, besonders S. 144–165 und 259–269. Zu Isis als weiblichem Schöpfungsprinzip vgl. auch ihre ägyptische Bezeichnung als Hn-Kasten/-Behältnis besonders in Texten aus Dendara, wobei der ‚Kasten‘ in diesem Kontext als Mutterleib bzw. Geburts- und Regenerationsstätte ausgedeutet wird, siehe dazu im Detail BUDDE, Götterkind, S. 386–389. 150 Vgl. zur Grundlage im Mythos oben, 8.1.2.4. 151