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German Pages 306 Year 2024
Table of contents :
Vorbemerkung
Prolog
Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg
Die Schoenberg-Kinder · Erster Weltkrieg
1918–1924 Iaşi – Dresden – Berlin · Elsa Rompe
1924–1927 Palästina – Berlin – Paris – Genf – Iaşi · Émile Jaques-Dalcroze
1928–1932 Berlin – Iaşi – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer
1932–1933 Paris – Berlin · Salle Pleyel-Debüt
1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration
1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe
1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx
1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School · Jacob Maxin und David Tudor
1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs
1949–1952 New York – Philadelphia · Ehe mit Hans Rademacher
1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan
1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska
1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher
1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory
1979–1984 London – New York · European Piano Teachers’ Association UK
Erinnerungen an Irma Schoenberg Wolpe Rademacher
Anhang
1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität
2. Konrad Wolff: Irma Wolpe, Teacher of Chopin
3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects of the Händel Variations for Piano op. 24 by Johannes Brahms
4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹
Abkürzungsverzeichnis
Chronik
Auswahlbibliografie
Personenregister
Nora Born
Irma Schoenberg Wolpe Rademacher »… in den Wassern meines Lebens: Es flüstert, meist rauscht es und stürmt.«
Nora Born, Studium der Musikpädagogik und Musikwissenschaft in Klausenburg (Cluj), Rumänien. Tätig in Klangregie und Konzertmanagement im Bereich Zeitgenössische Musik, freischaffende Musikwissenschaftlerin.
Nora Born
Irma Schoenberg Wolpe Rademacher »... in den Wassern meines Lebens: Es flüstert, meist rauscht es und stürmt.«
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Print-ISBN 978-3-96707-911-1
E-ISBN 978-3-96707-912-8
E-Book-Umsetzung: Claudia Wild, Konstanz Umschlagentwurf: Johannes Ayen Umschlagabbildung: Irma Schoenberg, Paris, Sammlung Nora Born Trotz aufwendiger Recherchen ist es nicht für alle Abbildungen gelungen, die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Personen oder Institutionen, die entsprechende Rechte geltend machen können, sind gebeten, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2024 Levelingstraße 6a, 81673 München www.etk-muenchen.de Satz: Claudia Wild, Konstanz
für Austin Clarkson
Inhalt Vorbemerkung 9 Prolog 13 Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg 21 Die Schoenberg-Kinder · Erster Weltkrieg 27 1918–1924 Iaşi – Dresden – Berlin · Elsa Rompe 33 1924–1927 Palästina – Berlin – Paris – Genf – Iaşi · Émile Jaques-Dalcroze 39 1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer 49 1932–1933 Paris – Berlin · Salle Pleyel-Debüt 65 1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration 73 1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe 85 1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx 99 1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School · Jacob Maxin und David Tudor 123 1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs 145
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Inhalt
1949–1952 New York – Philadelphia · Ehe mit Hans Rademacher 169 1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan 183 1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska 199 1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher 217 1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory 229 1979–1984 London – New York · European Piano Teachers’ Association UK 245 Erinnerungen an Irma Schoenberg Wolpe Rademacher 249 Anhang 253
1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität 255 2. Konrad Wolff: Irma Wolpe, Teacher of Chopin 261 3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects of the Händel Variations for Piano op. 24 by Johannes Brahms 265 4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹ 273 Abkürzungsverzeichnis 279 Chronik 281 Auswahlbibliografie 291 Personenregister 297
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Vorbemerkung »They say that in every biography is an autobiography trying to get out. The idea would be diverting if it were not so sobering …«1
Auch wenn Irma Schoenberg Wolpe Rademacher zu Lebzeiten eine gefragte und überaus geschätzte Pianistin gewesen ist – nach ihrem Tod wurde sie von der Musikgeschichte vergessen. Diese Biografie, auf langer Strecke den Lebenslauf von Stefan Wolpe ergänzend und ein Bild der Gesellschaft entlang der einzelnen Lebensstationen zeichnend, beabsichtigt die Erinnerung an diese außergewöhnliche Musikerin wiederzubeleben. Das Zusammentragen der Informationen für diese Biografie stellte eine Herausforderung dar, nicht zuletzt aufgrund des rastlosen Lebens, das Irma und ihre Familienmitglieder führten. Den Ausgangspunkt bildeten die spärlichen Informationen über Irma in der Sammlung Stefan Wolpe der Paul Sacher Stiftung in Basel. Ergänzendes Material wurde 2009 im Archiv der New York Public Library, in der Sammlung Carol Baron research files on Stefan Wolpe freigegeben. Im Kapitel 1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory des vorliegenden Bandes sind die Umstände erklärt, unter denen ein Teil dieser beiden Sammlungen von Irma selbst an Austin Clarkson und Carol Baron weitergegeben wurde, bevor die Dokumente nach Basel bzw. New York gelangt sind. Erstmalig wird auch eine Dokumentation aus diesen beiden bisher noch nicht gänzlich ausgewerteten Archivsammlungen veröffentlicht: Teile der Korrespondenz zwischen Irma und Josef Marx, Oboist und Freund der Wolpes, sodann Teile des Briefwechsels zwischen Stefan Wolpe und seiner Tochter Kathi bzw. Teile des Schriftwechsels zwischen Stefan Wolpe und seiner Gönnerin Else Schlomann (Schlo). Mit Auszügen aus der Korrespondenz zwischen Ola Okuniewska, Stefans Gattin in erster Ehe, und Irma sowie zwischen Irma und ihrem ehemaligen Studenten Jacob Maxin, die aus privaten Sammlungen stammen, werden hiermit auch Daten zu Stefan Wolpes Biografie ergänzt und aktualisiert.
1
Alan Walker: »Man sagt, dass in jeder Biografie eine Autobiografie steckt, die aufgedeckt werden will. Der Gedanke wäre kurzweilig, wenn er nicht so ernüchternd wäre.« Franz Liszt: A Biographer’s Journey, in: The Hungarian Quarterly, 2011, Vol. LII, S. 45.
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Vorbemerkung
Weitere Dokumentation stammt aus den unterschiedlichsten Archiven der Einrichtungen, an denen Irma tätig gewesen ist, angefangen von Schulen, Hochschulen bis hin zu Radiosendern oder Konzertveranstaltungsorten. Die Hauptquellen der Informationen über das Leben der Pianistin wurden mir von Familienmitgliedern zur Verfügung gestellt. Ihre Nichte, Elizabeth (Beth) Brody, Tochter ihres Bruders Iso Schoenberg, übertrug mir einen Großteil der Privatdokumente, Fotografien und einen Teil der Familienkorrespondenz. Als Gast in ihrer New Yorker Wohnung hatte ich wiederholt das Privileg, Erinnerungen aus erster Hand zu hören und ehemalige Bekannte und Studenten von Irma, die mir vorgestellt wurden, kennenzulernen. Beth Brody vermittelte mir auch die Bekanntschaft ihres Cousins David Ussishkin aus Tel Aviv, Sohn von Irmas Schwester Elsa, sowie die mit Karin Loewy, Irmas Stieftochter in Philadelphia. Aus letzterer Verbindung wurde mir der äußerst wichtige Schriftverkehr von Irma an Hans Rademacher, ihrem Gatten in zweiter Ehe, der von Ola Okuniewska an Irma, von Hans Weitz, Irmas Bekannter und Jugendfreund, an Irma sowie eine beträchtliche Fotografien- und Diapositivesammlung der Familie überlassen. Auch bekam ich die freundliche Genehmigung, Kopien des Tagebuchs von Hans Rademacher, die bedeutende Abschnitte ihrer beider Leben abdecken, zu verwenden. Während meiner Besuche in Tel Aviv erlaubte mir entgegenkommenderweise Irmas Neffe, David Ussishkin, sämtliche Dokumente aus dem beeindruckenden Familienarchiv, welche für mich von Bedeutung waren, abzulichten und zu verwenden. Anschließend wurde dieses Privatarchiv an die Central Zionist Archives in Jerusalem zur endgültigen Aufbewahrung weitergegeben. Diese umfangreiche Korrespondenz der Schoenberg-Familienmitglieder, ein Großteil in rumänischer Sprache, welche teilweise über Jahrzehnte von einem Mitglied an das nächste als Original weitergeleitet und von Rachel, Irmas Mutter, und Elsa, Irmas Schwester, gewissenhaft verwahrt wurde, bildet das Rückgrat dieser Biografie. Nach ihrer ersten Emigration nach Palästina lagerte Rachel nicht nur den Briefaustausch, die Dokumente und Fotografien der Familie bei Elsa in Jerusalem, sondern auch unzählige Zeitungsausschnitte ihrer eigenen literarischen und journalistischen Veröffentlichungen sowie Irmas Konzertkritiken, die leider nicht immer den zugehörigen Publikationen zugeordnet werden können, da diese häufig nur noch als Clips vorhanden sind. Nach und nach konnte beinahe der komplette Studierenden- und Bekanntenkreis von Irma rekonstruiert werden, und durch direkte Kontaktaufnahme 10
Vorbemerkung
sind bedeutende Treffen und Interviews zustande gekommen. Des Öfteren wurden mir auch von dieser Seite Korrespondenz oder Dokumente als Original oder in Form von Kopien überlassen, so zum Beispiel von Mary Alfano, Garrick Ohlsson, Susan Kagan, Krista Seddon, Lily Friedman, Lenny Battipaglia, Louise Costigan-Kerns, Nili Goldzeweig Ardon und Dalia Ardon. Wichtige Dokumentation aus der Privatsammlung von Jacob Maxin wurde mir freundlicherweise von Steven Snitzer, seinem ehemaligen Studenten und späteren Assistenten, anvertraut. Ihnen gilt mein innigster Dank. Für Lektorat, Korrekturlesen und wertvolle Ratschläge möchte ich mich bei Dr. Stefan Ardeleanu, Dr. Robert Born sowie bei Herrn Johannes Fenner besonders bedanken. Die langzeitige sachkundige Stütze im Verlauf der Arbeit an der Biografie ist für mich stets Austin Clarkson gewesen, der Irma persönlich kannte und ihr Vertrauen genoss. Ihm ist dieses Buch gewidmet.
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Abb. 1: Irma Wolpe, 1940er Jahre (Alan M. Gordon) 2
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Sammlung N. B.
Prolog »Music forces mankind to confront its nobility« Alfred Cortot3
»Ein durch und durch künstlerisches Naturell […] geistig weit über dem Durchschnitt stehend […] Ausgesprochener Schönheitssinn, das Schönheitserlebnis ist ihr innerstes Bedürfnis. Ein streng logischer und kritischer Geist, der auch an sich selbst hohe Anforderungen stellt. Ambitiös, von starker Impressionabilität. Die geistigen Qualitäten halten denjenigen des Gefühls die Waage, viel Phantasie, stark betonte Sinneselemente. […] Sehr energisch, entschieden in ihren Handlungen, mitunter von Launenhaftigkeit gepackt. Denkt rasch und assoziiert rasch, aber passt sich schwer an. Möchte allem ihr individuelles Gepräge aufdrücken. Großzügig im Wesen, hat ziemliche Erfahrung hinter sich, viel gesehen und fruchtbar in sich aufgenommen. Ein so in intellektueller, wie in sensueller Hinsicht höchst interessanter Mensch, der, obwohl fertig, doch stets an sich arbeitet.«
So lautet eine um 1929 von einem Psychoanalytiker aus Berlin-Charlottenburg verfasste Charakter-Beurteilung von Irma Schoenberg.4 Wer war jedoch Irma Wolpe Rademacher, geborene Schoenberg? Sie war eine Pianistin und eine außergewöhnliche Klavierpädagogin, die aus der Summe ihrer Erfahrungen eine eigenwillige Technik entwickelte, welche sie bereitwillig weitergab an ihre Studierenden oder befreundete Musikschaffende, die auf diese Weise von ihr geprägt wurden und denen sie so zu den erfolgreichsten Karrieren verhalf oder aus schwierigen Momenten und Blockaden heraushalf. Von diesen wiederum wurde sie in höchst lobenden Tönen erwähnt: »She has been an invaluable aid and inspiration to me in my own musical studies. I consider her with her limitless energy, passion and factual knowledge one of the foremost piano teachers in the world today. I certainly know of none better.«5 3
Aphorismus wiederholt von Alan Walker: Some Thoughts About Chopin, I, in: Polonaise, The semi-annual magazine of the Chopin Foundation of the United States, Frühjahr 2018, S. 12. 4 Brief Berlin-Charlottenburg, nur eine Seite erhalten. Unbekannte Handschrift, Unterschrift unleserlich, Sammlung N. B. 5 Brief von Garrick Ohlsson (New York) an Donald Harris, Decan des New England Conservatory (Boston), 17. Juni 1976, Sammlung N. B.
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Prolog »Mrs Wolpe’s approach involves a whole new way of thinking which transcends the musical and the pianistic field and is connected with a philosophy of living in general.«6 » […] for they cannot estimate the importance of a spirit so free, so daring, so exploring as yours and the constant transfusion which you provide to the thin gruel of our souls.«7
1939 stellte Irma sich in einem Brief an Johann Grolle, Gründer und Leiter der Settlement Music School in Philadelphia, folgendermaßen vor: »Ich kann nur sagen, dass ich überall versucht habe, alles was mir wichtig schien, zu assimilieren. Ich habe studiert in Dresden, Berlin, Wien, Paris und Genf über 10 Jahre, und habe später alles, was ich gelernt habe, vergessen müssen um es auf meine Weise, genährt aus tausend Anregungen auch von ganz anderen Ebenen der Kunst, neu zu entdecken. In Paris habe ich zum Beispiel von Malerei und Architektur und Literatur mehr gelernt als von meinen Klavierlehrern. Die Musiktheoretiker Schenker und Kurth in Wien und Bern, Dalcroze aus Genf und die Koordinationslehre von M. Alexander in London haben mich entscheidend beeinflusst. Sie sehen, alles strebt heute zur Synthese, und jeder Künstler hat heute aus den großen Werten der europäischen Kultur, diese Synthese jenseits von Schulen, in sich herzustellen. Warum sollten wir uns künstlich verarmen, in dem wir uns nur einseitig fortbewegen, statt [als] europäische Menschen, das Erbe der europäischen Kultur als ein Ganzes anzutreten? Ich glaube, dass in diesem Lande und in diesem Augenblick, alles reif ist für diese neue Synthese […]«8
An der Seite des Komponisten Stefan Wolpe (1902–1972), ihrem Gatten in erster Ehe, setzte sie sich jahrzehntelang für die Förderung von dessen Musik ein. Bereits 1932 traute sie sich, als Jüdin seine militanten Cinque Marches Characteristiques op. 10 in Paris zur ersten Aufführung zu bringen. 1938 spielte sie in Jerusalem die Uraufführung seiner March and Variations op. 21 für zwei Klaviere zusammen mit Josef Tal, und in den USA folgten später unter anderem die Erstaufführungen von Wolpes Passacaglia, Toccata, Dance in Form of a Chaconne, March and Variations mit Eduard Steuermann sowie die Oboe Sonata mit Josef 6 7 8
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Irma Wolpe, Teacher of Chopin, Konrad Wolff, Sammlung N. B. Anhang, S. 261–264. Brief von Russell Sherman (Boston) an Irma (New York), 7. Juni 1976, Sammlung N. B. Entwurf und Kopie des Briefes von Irma (New York) an Johann Grolle (Philadelphia), Anfang 1939, Sammlung N. B.
Prolog
Marx. In der Widmung seiner Passacaglia an Irma vermerkte Stefan Wolpe: »[…] after many years have passed: no one else but you came so close to the fierce grandeur in playing this piece and only you gave to the song(ness) in the piece the grave air of which it is full. St.«9 Und nach der Aufführung einiger Teile seines The Man from Midian zur 73. Geburtstagsfeier von Heinrich Mann in New York, 1944, gesteht er: »Irma, liebe und gegenwärtige. Die Aufführung meines ›Man from Midian‹ legt dir an dein Herz meines Lebens Nähe, Gesinnung, Wunsch und Dankbarkeit zu dir […] Ohne dich wäre nichts möglich gewesen und du hast den ganz aktiven Anteil an der Gestaltung dieses meines irrenden, kämpfenden, bemühten und sich reinigenden Lebens. Ich fasse deine Hände und drücke sie so vielsagend und so nah über alle Schwierigkeiten hinweg, die unser beider Leben umdunkeln. Aber in den Gründen dieser Leben ist Glanz gemeinsamsten Ortes, gemeinsamsten Ja’s und gemeinsamster Verbindung. In diesen Tiefen Gründen des Gemeinsamsten, Teilheftigsten ist alles unteilbar eins. So fühle leicht an diesem Tag was schwer ist. Es ist reines Glück eines Lebens, von dir verstanden zu sein.«10
Wie etwa Frederic Chopin fürchtete sich Irma vor Auftritten mit Publikum und spielte dafür liebend gern in Gesellschaften. Einer ihrer eminentesten Schüler, Garrick Ohlsson, sah dafür folgenden Grund: »Sometimes she was hard to take because it was so intense, it was always ›art to art‹, she was feverish in this sense. Maybe this is why she never became a concert pianist.«11 Trotzdem überwand sie immer wieder ihre Ängste, und in der Rückschau können mehr als 100 öffentliche Auftritte von ihr auf den verschiedensten Konzertplattformen rekonstruiert werden. Nach ihrem Tod wurde sie jedoch von den meisten ihrer musikalischen Wegbegleitern schon bald vergessen und nur noch selten öffentlich erwähnt. So ist es kein Zufall, dass sie eine der vielen Unbekannten der Musikgeschichte des vergangenen Jahrhunderts geblieben ist.
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Manuskript der Passacaglia aus Four Studies in Basic Rows, 1936, New Music Edition, Oktober 1946, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 103. Interview der Autorin mit Garrick Ohlson (Cleveland), 20. Oktober 2010.
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Prolog
Irma Schoenberg wurde 1902 in Rumänien in eine Familie hineingeboren, in der die Musik einen hohen Stellenwert hatte. Sogar der Schulbesuch orientierte sich immer nach den Möglichkeiten eines soliden Musikunterrichts. In ihrer Vita von 1939 vermerkte sie: »The deepest impression on my childhood was George Enesco, under whose influence I was encouraged to study music.«12 Für Irmas Auslandsstudien scheuten die Eltern keine Ausgaben: Bereits mit 19 Jahren verließ sie das Konservatorium in Iaşi, Rumänien, um die folgenden Jahre in Dresden, Berlin, Paris und Genf mit weiterführenden Studien zu verbringen. Dort zählten Pädagog*innen und Pianist*innen wie Hermann Vetter, Leonid Kreutzer, Elsa Rompe, Alfred Cortot und Émile Jaques-Dalcroze zu ihren Mentor*innen. Aus dieser hart erarbeiteten und aufstrebenden Karriere in Berlin wurde sie 1929 durch die Verlobung und bevorstehende Ehe mit Heinz Oppenheimer, Sohn des Soziologen Franz Oppenheimer, herausgerissen. Einerseits wegen der ihr gestellten Ehe-Konditionen und andererseits aufgrund der zu befürchtenden mittellosen Ehe in Palästina löste sie die Verlobung und kehrte nach Rumänien zurück. Dort wählte sie mit der Hauptstadt Bukarest zwar den richtigen Ort und errang in kürzester Zeit einen Platz in Künstlerkreisen und in der einflussreichen Gesellschaft, die rumänische Wirtschaft brach jedoch gerade dann genauso schnell zusammen. Unter der neuen Regierung der Volkspartei mussten die reichsten jüdischen Unternehmen ihre Betriebe schließen, und die jüdischen Geldinstitute meldeten der Reihe nach Insolvenz an, auch die ihres Vaters. Viele wanderten in der Folge nach Palästina oder in die USA aus. Als Irma zwei Jahre später nach Berlin zurückkehrte, hatte sie den Anschluss an ihre alten Kreise dort verloren und musste sich aufs Neue durchsetzen. Mittlerweile änderten sich jedoch auch in Berlin die Zeiten und Bedingungen radikal ins Ungünstige. Zwei erfolgreiche Konzerttourneen in Palästina und die engagierte Arbeit ihrer Eltern in zionistischen Kreisen ließen Irma auf einen möglichen Neuanfang in Erez Israel erhoffen. Der Hilferuf des befreundeten Komponisten Stefan Wolpe (1902–1972) im Dezember 1933 aus Wien, wo er vorübergehend in einer gefährdeten Situation lebte, machte ihre Pläne jedoch erneut zunichte. Statt nach Palästina reiste sie nach Wien, um Stefan abzuholen und nach Bukarest zu bringen. Erst einige
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Grace Notes, Vol. IX, Nr. 6, Dezember 1939. Settlement Music School, Philadelphia.
Prolog
Monate später gelang es ihnen gemeinsam Palästina zu erreichen, wo sie schließlich heirateten. Eine ähnliche Situation spielte sich 1938 ab, als Irma das Land verließ, in dem sie professionell Erfolge feierte und dem sie sich verbunden fühlte, und Stefan zuliebe den Weg der Emigration in die USA einschlug. Nach allen Exilstationen von Berlin über die Tschechoslowakei, die Schweiz, Österreich, Rumänien und Palästina hieß es nun für Irma und Stefan erneut Fuß zu fassen. In einem Interview mit Austin Clarkson (1976)13 äußerte sie sich über ihre erste Ehe mit Stefan Wolpe: »The relationship between Stefan and me: you know, I knew who he was, but he didn’t know who I was. I came into his life like deus ex machina. At the time of his utmost need there I was and if I deeply understood and I performed everything and inspired and changed […] he didn’t even know what he needed, he didn’t realize nor the danger, nor the needs how, what to do and he took me so for granted. I was there like the Hudson, like something given.«
Worauf der Interviewer Austin Clarkson bemerkte: »a marvellous analogy: the Hudson is the river of life.« Trotz alledem behauptete Irma nie, dass Stefan selbstsüchtig gewesen wäre, sie nannte ihn eher »Spiegelmensch«, sprach von seiner »Selbstempfindung« und bezeichnete sein Benehmen als »Einwärtsschritt«. Selbst nach der Scheidung 1949 unterstütze sie ihn in allen Belangen des Lebens und führte weiterhin seine Werke für und mit Klavier auf. 1975, im Alter von 73 Jahren, spielte sie in Boston, wo sie am New England Conservatory wirkte, das erste und wohl einzige Konzert mit ausschließlich Klavierwerken von Stefan Wolpe, als Hommage an ihren ersten Gatten und lebenslangen seelenverwandten Musikerfreund, der bereits 1972 verstorben war. Ihre zweite Ehe ging sie erneut mit einem außerordentlich begabten Mann ein, dem Mathematiker Hans Rademacher (1892–1969), der jedoch ihr Leben in einer ganz anderen Weise beeinflussen sollte: »In Hans I found something I was looking till now and I am enjoying thoroughly and fully at last: a true husband, truly affectionate and devoted and understanding and caring and thoughtful. No less a ›genius‹ in his own field,
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Interview von Austin Clarkson mit Irma, 1976, New York, Sammlung A. C.
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Prolog than Stefan in music, he took the pain to uphold and develop human qualities I was missing so badly in Stefan.«14
Irma war eine entschlossene, selbstlose und hilfsbereite Person. Zwei ihrer begabtesten Klavierschüler, David Tudor (1926–1996) und Jacob Maxin (1929– 2012), nahm sie selbstverständlich und bedingungslos im Haushalt auf. Sämtliche Familienmitglieder wurden von ihr nicht nur finanziell so oft wie möglich unterstützt, egal, ob es die der eigenen Familie, der Familie von Stefan Wolpe oder von Hans Rademacher waren. Mit dem Ankauf von Werken von Künstlerinnen wie Else Thalheimer, Emily Nelligan, Ola Okuniewska und anderen half sie ihnen über Jahre hinweg nicht nur finanziell, sondern vermittelte sie an andere Kunstbegeisterte. Ihrem Freund aus den 1930er Jahren, dem Maler Mordechai Ardon (Max Bronstein), stelle Irma bald nach dem Krieg ihr Wohnzimmer als improvisierte Galerie und als Sprungbrett zur Verfügung, um sich in die New Yorker Künstlerwelt einzuführen. Nicht zuletzt »lieh« sie bereitwillig Noten, Bücher und Schallplatten an ihre Studierenden und befreundeten Musikschaffenden aus, ohne sich darum zu kümmern, ob diese je zurückgebracht wurden. In ihrem Testament hinterließ sie ihr Vermögen anteilig nicht nur Familienmitgliedern, sondern auch Freunden wie etwa Ola Okuniewska, Stefan Wolpes Gattin aus erster Ehe. Einen Teil vermachte sie einem Fonds im Namen ihrer Eltern an der School of Education of the Kibbutz Movement in Oranim, der Universität in Haifa angegliedert, um bedürftige Musikstudierende zu unterstützen und Exzellenz zu belohnen. Der bedeutendste Anteil wurde jedoch der Stefan Wolpe Society in New York zugedacht. Ihre pädagogische Laufbahn startete sie bereits Ende der 1920er Jahre in Berlin, als sie nicht nur an der privaten Schule ihrer Klavierlehrerin, Elsa Rompe, ihrerseits ehemalige Heinrich-Barth-Studentin, unterrichtete, sondern auch am Rhythmik-Seminar der Musikhochschule in Berlin, an der Seite ihrer ehemaligen Lehrerinnen Anna Epping und Marie Adama van Scheltema. 1930 gründete sie ihre eigene Rhythmik-Schule in Bukarest in einer von ihrem Bruder, dem Architekten Harry Schoenberg, umgebauten alten Villa. Sofort nach ihrer Ankunft in Jerusalem wurde sie 1933 vom Gründer der Academy of Music and Dance, Emil Hauser, als Klavierlehrerin angestellt. Bis 1938
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Brief von Irma (Four Wells, Norwich) an ihre Schwester Elsa (Jerusalem), Sommer 1950, CZA, Jerusalem, A 623.
Prolog
wirkte sie parallel am Lehrerseminar in Tel Aviv, wo sie Meisterklassen für Pianist*innen gab. Nach der Emigration in die Vereinigten Staaten unterrichtete sie an der Settlement Music School und am Swarthmore College in Philadelphia, später an der Contemporary Music School in New York und am New England Conservatory in Boston. Nach der Gründung des Staates Israel kehrte sie regelmäßig in den Sommermonaten nach Jerusalem zurück, um Meisterklassen an der Rubin Academy und in diversen Kibbuzim zu erteilen. »Her […] techniques of playing the piano came from the studies and experiences and work on the coordination. And of course, performing her husband’s music, she had to invent new techniques along the same line. Eventually that made her a very unique teacher, in any case, she was also a remarkable musician. That unique approach brought her many students and I think it’s all about a different quality of piano playing, which I wish were more widespread.«15
In allen Lebenslagen pflegte Irma einen großen Kreis an Privatschüler*innen, der für sie stets ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen ist. Ihre wöchentlichen Musikabende in der eigenen Wohnung, ob in Jerusalem, in New York oder in Philadelphia, waren ein Sprungbrett nicht nur für ihre und Stefan Wolpes Studierenden, sondern auch für viele befreundete Musikschaffende. Dort bekamen Komponist*innen die Möglichkeit, ihre Werke vor anderen Musiker*innen vorzustellen. Pianisten wie David Tudor, Eduard Steuermann, Russell Sherman, Garrick Ohlsson und andere konnten dort ihre Konzertprogramme vor den öffentlichen Auftritten vortragen. Das Juilliard String Quartet und das LaSalle String Quartet debütierten informell in diesen privaten Kreisen.16 In ihrem Artikel im Piano Journal der EPTA17 Comments on ›The Art of Playing the Piano‹18 gab Irma, kurz bevor sie ihre Kräfte verlor, ihr Statement ab: »Talking about myself: A lifetime of playing, teaching most challenging students, and constantly searching for improved answers, has made me see the problems of playing the piano in an entirely new light. Some of my conclusions might interest a bigger circle and may prove that there is a way to overcome the 15 16 17 18
Interview von Austin Clarkson mit David Tudor, 4. Oktober 1982, Stony Point, Sammlung A. C. The New York Schools of Music and Visual Arts, Austin Clarkson, Routledge, NY – London 2002, S. 82 European Piano Teachers’ Association. Piano Journal, Vol. I, no. 2, S. 17–21, EPTA, London 1980. Anhang, S. 271–276.
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Prolog age-old static ways of ruling over the training supposed to form pianists […] Piano playing is as much an art of movement as modern dance or ballet. Dance generally happens to be the very goal of its own action. Performing on an instrument reaches into another world. Music and its realisation borrow the features of proportion and symmetry from architecture. Like architecture, it also exists in space; nearness and distance expressed by loudness and softness. All the variations of touch express a world of emotions which can stir us the way no other art is able to. Music evolves in time, suggests space, evokes colours and fragrances. The performer is the magician who diffuses these images to the audience. Without his action, music would be an abstraction …«
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Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg Rachel, Irmas Mutter, ist 1879 in Galaţi, Rumänien geboren. Ihr Vater, Isaac Segall, lässt sich mit seinem Holzhandelsgeschäft am strategisch günstigen Ort an der Mündung des Flusses Sereth (rumänisch Siret) in die Donau, nahe der heutigen Grenze zur Republik Moldawien, nieder. Seine jüdische Familie lebt im Nordosten des Landes, damals Bukowina, das Teil des Habsburgerreiches war: In Kreuzburg an der Bistritz (rumänisch Piatra Neamț) betreibt sein Bruder, Meir Avram, ebenfalls ein Holzhandelsgeschäft. Ein anderer Bruder, Aron Katz, lebt in Dorna Watra (rumänisch Vatra Dornei). Seine Töchter sind mit Rachel gut befreundet, und sie verbringen jedes Jahr die Sommerferien zusammen in Solka (rumänisch Solca), einem Kurort in der Bukowina. Der eigentliche Familienname der Geschwister ist Segall, die Brüder haben sich die Nachnamen jedoch ändern lassen, um nicht in den Wehrdienst der Habsburgermonarchie eintreten zu müssen. Wenn eine verwitwete Mutter oder ein erwerbsunfähiger Vater nur einen Sohn hatte, war dieser vom Wehrdienst befreit. Die Juden in Bukowina genießen in dieser Zeit bürgerliche Gleichberechtigung, gehören der deutschen Sprachgemeinschaft an und sind emanzipiert. Mehr als 40 Prozent der jüdischen Bevölkerung Bukowinas ist gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Handel und Bankwesen beschäftigt, was ihre Bedeutung im Wirtschaftsleben des Landes unterstreicht.19 Rachels Mutter, Perl (rumänisch Perla) Mandler, ist 1841 in Dorohoi, in der damaligen Moldau geboren. Ihr Bruder Isac Mandler und dessen Frau Sally leben ebenfalls in Galaţi, und sowohl sie als auch ihre drei Kinder sind in Rachels Leben immer eine wichtige Stütze. Bereits im Alter von neun Jahren schreibt Rachel in schönster kalligrafischer Schrift und in einwandfreiem Rumänisch an Vater Isaac. Sie verbringt einige Wochen mit ihrer Mutter in Böhmen, in Karlsbad und Franzensbad. Die Rückreise verläuft über Wien, von dort aus per Schiff auf der Donau bis Galaţi. Sie berichtet sehr nüchtern über ärztliche Verordnungen für die Bäder der Mutter, Einkäufe, Besuche, erlaubt sich auch manchen Scherz und schließt jeden Brief mit »deine dankbare«, oder »deine ergebene Tochter«.
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Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918–1938), Hildrun Glass, R. Oldenbourg Verlag, München 1996, S. 36–61.
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Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg
Abb. 2: Rachel Segall in Galat¸ i, 1894 20
Im selben Jahr, 1888, erlangt der 24-jährige Jacob Schoenberg, zukünftiger Ehegatte von Rachel, die österreichische Staatsangehörigkeit in Bukarest. Er ist in Itzkany (rumänisch Ițcani), Bukowina geboren und arbeitet bei der Marmorosch, Blank & Co Bank in Bukarest. Seine Eltern, Debora Liba und Avram Schoenberg, leben mit den anderen vier Kindern ebenfalls in der Hauptstadt. Obwohl Rachel nur eine städtische Mädchenschule in Galaţi besucht, entwickelt sie einen eleganten und souveränen Schreibstil. Im Hause der Familie Segall wird Deutsch gesprochen, korrespondiert wird auf Hebräisch, Deutsch, Französisch und Rumänisch. Sie liest sehr viel und begleitet ihre Mutter zu diversen Kurorten in Rumänien und nach Bad Reichenhall, das als Drehkreuz für Ausflüge nach München, Salzburg oder an den Chiemsee dient. Die Sommerferien in Dorna Watra oder im benachbarten Kurort Solka werden für Kurzreisen nach Pest (Budapest) genutzt, um den Horizont der jungen Rachel
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CZA, Jerusalem, A 623.
Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg
zu erweitern. Sie ist eine gute Pianistin und spielt oft in den Kurhäusern für kleinere Gesellschaften. 1895 wird Jacob Schoenberg als Vertreter der Marmorosch Bank nach Brăila, die Nachbarstadt von Galaţi an der Donau versetzt. Ein guter Freund, Nathan, der bei Rachels Vater, Isaac Segall, im Holzhandelsgeschäft arbeitet, stellt Jacob seinem Arbeitgeber und dessen Familie vor. Kurz danach bittet Jacob seine Geschäftsfreunde um »diskrete« Auskunft über Segall zwecks einer »Partie« und bekommt gleichzeitig von Isaac die Nachricht: »… dass es mir sehr angenehm sein würde Sie während der Feiertage und überhaupt auch so oft Sie nach Galatz hinüberkommen, bei uns zu sehen.«21 Bereits einen Monat später, am 3. Juni, sind Rachel (16) und Jacob (31) verlobt. Jacob kehrt geschäftshalber zurück nach Bukarest und pendelt gelegentlich nach Galaţi, während Rachel die Sommermonate bis spät in den Herbst erneut in Solka verbringt. Dort kommt es zu ihrer ersten Begegnung mit einem Literaten: dem rumänischen Dichter, Lyriker und Literaturkritiker Traian Demetrescu (Tradim)22, der sie zur Veröffentlichung ihres sporadischen Schreibens ermuntert. Rachel legt sich ein Pseudonym zu und unterzeichnet ihre ersten Publikationen ab sofort mit »Shely«. Anfang November 1895 überschlagen sich die Ereignisse: Jacob wird nach Bukarest zum Assistenten des Generalprokuristen einer großen kommerziellen Firma berufen, und ein Umzug in die Hauptstadt nach der geplanten Hochzeit steht zur Debatte. Bevor er jedoch seine neue Stelle antritt, drängen er und auch Rachels Vater zum Abschluss eines Ehevertrages, der sofort nach der Hochzeit gültig wird: Die Mitgift wird auf 35.000 Lei festgelegt (10.000 in Möbeln, Haus-Wäsche, Kleidung und Schmuck; 10.000 in Barauszahlung; 15.000 in An leihen). Auch Rachel muss vor dem Notar ihre Einwilligung kundgeben, mehr noch, versichern, dass sie keine weiteren Forderungen von ihren Eltern haben wird. Kurz vor dem Termin stellt sich heraus, dass Jacob keine Geburtsurkunde besitzt. Er nutzt die Möglichkeit, mit fünf Zeugen beim Amt zu erscheinen, die sein Alter und seinen Geburtsort als Bukarest (und nicht Itzkany) bezeugen. Die Ersatz-Geburtsurkunde sollte nur am nächsten Tag, dem 4. November 1895, zur Unterzeichnung des Vertrages mit dem zukünftigen Schwiegervater
21 Brief von Isaac Segall (Galaţi) an Jacob (Brăila), 10. Mai 1885, CZA, Jerusalem, A 623. 22 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Traian_Demetrescu [abgerufen am 1.8.2023].
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Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg
Abb. 3: Jacob Schoenberg in Piatra Neamt¸ , 1906 23
Gültigkeit haben. Jacob wird sie aber elf Jahre später trotzdem erneuern und erfolgreich verwenden.24 Ein erster Termin für die Hochzeit im Februar 1896 wird von Jacob kurzfristig abgesagt, da er seine Arbeit in Bukarest nicht verlassen kann. Jacob versichert Rachel aber: »Ich verpflichte mich vor Gott, Gesellschaft, deinen lieben Eltern und Dir, Dir mein Leben lang als getreuer Gefährte zu dienen, Dich zu schützen, geleiten, Dir das Leben so angenehm als nur möglich machen. Ich bin des Vertrauens voll bewusst, das mir Deine lieben Eltern schenken und werde ihr einziges mir anvertrautes Glück auf Erden zu wahren, zu schützen zu lieben und zu respektieren wissen.«
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CZA, Jerusalem, A 623. Diverse Dokumente, CZA, Jerusalem, A 623.
Die Eltern · Rachel und Jacob Schoenberg
Er nennt einen einzigen Ersatztermin, Samstag, den 7. März, und zeigt sich gegenüber der frommen Familie Segall wenig einsichtig: »Ich habe und werde auch nichts dagegen haben, wenn Du auch später den Samstag halten wirst, aber Fanatiker dürfen wir nicht sein.«25 Auch die Tatsache, dass er der zivilen Trauung genau so viel Bedeutung beimisst wie der religiösen, wird unterstrichen. Bereits hier treffen zwei Welten aufeinander: die jüdische Familie Rachels, die an den Traditionen festhält, und die »moderne« jüdische Familie Jacobs, die bereits vor Jahren aus Bukowina in die rumänische Hauptstadt Bukarest umgesiedelt war. Jacob gesteht, dass »die jüdische Religion mir nicht in den Formeln und Gesetzen verkörpert ist, sondern dadurch [dass] das Gewissen des Menschen gemeint wird«. Die Hochzeit findet am von Jacob bestimmten Termin im Choral Tempel in Galaţi, der größten, 1864–1867 gebauten Synagoge Rumäniens statt. Rachels Vater, Isaac Segall, kauft drei Wochen vorher ein Haus, in dem die Feierlichkeiten stattfinden sollen, um die Vorschläge der Familie Schoenberg in Bacău, dem früheren Arbeits- und Aufenthaltsort Jacobs, oder Suceava (Bukowina), nahe seinem Geburtsort, zu umgehen. Die Glückwünsche werden im Hause Segall empfangen und anschließend in einem Buch gebunden, das über 100 Seiten enthält.26
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Brief von Jacob (Bukarest) an Rachel (Galaţi), 6. Januar 1896, CZA, Jerusalem, A 623. CZA, Jerusalem, A 623.
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Die Schoenberg-Kinder · Erster Weltkrieg Rachels Minderjährigkeit hört damit abrupt auf, sie ist von nun an selbst für die Wirtschaft der jungen Familie zuständig. Einen Tag vor Weihnachten desselben Jahres wird das erste Kind geboren, Harry Heinrich, auch Hy oder Ruku genannt (Künstlername später in den USA: Henry Ray). Drei Jahre später verstirbt ihr Sohn, Achiva (Achila, Achille), nur kurze Zeit nach der Geburt. Im Sommer 1900 wird ihre Tochter Elsa, auch Mielu genannt (rumänisch: das Schäfchen, Lämmchen), geboren. Dennoch begleitet Rachel so oft wie möglich ihre Mutter, Perl Segall, zu Kuraufenthalten quer durch Europa. Während eines Neujahrsbesuches in Berlin 1900/01 ereilt sie die Nachricht, dass ihr Vater in Galaţi verstorben sei. Jacob Schoenberg übernimmt die Holzhandelsgeschäfte seines Schwiegervaters. Es stellt sich jedoch schon bald heraus, dass er nicht besonders begabt dafür ist. Am 15. März 1902 kommt Tochter Irma (auch Murl genannt) und im nächsten Jahr der Jüngste, Isaac Jacob, oder Iso (auch Tipca, Tibili oder Jacku genannt), zur Welt. Die Kinder besuchen die Grundschulen in Galaţi. In den Ferien verbringen sie längere Zeiten ohne Eltern bei der Großmutter oder bei Onkeln und Tanten in Kreuzburg an der Bistritz (rumänisch: Piatra Neamț) und werden ermuntert, sich anderen Familien anzupassen. Sie beherrschen Deutsch, Französisch und Rumänisch, lernen Latein, die älteren drei auch ein wenig Hebräisch. Sie schreiben an die Eltern fehlerfrei, sehr artikuliert und schön in Komposition. Obwohl die Nationalität der Familienmitglieder in allen Dokumenten als »Israelit« und die Religion als »Mosaisch« angegeben ist, gibt es Zeiten, in denen das eine oder andere Kind für eine Weile auch in einer deutschen evangelischen Schule untergebracht wird. 1906 gründet die Prinzessin Elizabeth zu Wied, durch Heirat Königin von Rumänien, als Schriftstellerin bekannt als Carmen Sylva, die Blindengesellschaft in Bukarest27. Sie setzt sich für die Erziehung blinder Kinder ein und plant die Eröffnung eines Blinden-Kinderheims. Im Alter von elf Jahren fertigt Harry, der sehr begabt ist, eine Serie von Zeichnungen an, die er der Königin zum Verkauf für die Kollekte schickt. Carmen Sylva ist begeistert und unter27 Vgl. https://archive.org/stream/zeitschriftfrd13aphm/zeitschriftfrd13aphm_djvu.txt [abge-
rufen am 1.8.2023].
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Die Schoenberg-Kinder · Erster Weltkrieg
zeichnet die Postkarten, um einen höchstmöglichen Preis beim Verkauf zu erzielen. Sie bedankt sich mit einer ihrer Porträt-Karten28 und schließt: »Möge der Herrgott dir helfen ein großer Künstler zu werden.« Die Eltern nehmen das zum Anlass und schicken Harry im Alter von 16 Jahren nach Berlin, wo er Privatunterricht in Zeichnen, Malen und Fotografieren erhält. Die Marmorosch & Blank Bank, die Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts 40 Prozent der nationalen Wirtschaft kontrolliert, gründet 1897 die Rumänische Allgemeine Versicherungsgesellschaft, und Mauriciu Blank, Mitbesitzer und Arbeitgeber von Jacob, eröffnet 1910 eine Bankfiliale in Iaşi, die Banca Moldova.29 Jacob wird die Position des Stellvertretenden Direktors angeboten, obwohl er zeitweise noch einige Jahre als Bankprokurator in Galaţi, wo er nach und nach das Holzgeschäft der Familie aufgibt, arbeitet. Nach langen Überlegungen und Vorbereitungen zieht die junge Familie Schoenberg mit ihren vier Kindern 1910 nach Iaşi, Kultur- und Universitätsstadt, in der Rachel bessere Chancen für die intellektuelle Entwicklung ihrer Kinder sieht. Zudem leben in der ehemaligen Hauptstatt des Fürstentums Moldau annähernd 160.000 Juden.30 Elsa und Irma bekommen Klavierunterricht, Harry Cello- und Iso Geigen-Unterricht, und sie treten oft bei Vorführungen auf. In all den Jahren seit der Geburt ihrer Kinder publiziert Rachel Berichte, Epigramme und Aphorismen in Lokal- und Nationalzeitungen. Sie engagiert sich im Kulturbund Jüdischer Frauen, in dem sie über längere Zeit Präsidentin wird. Sie organisiert Veranstaltungen, Basare, sammelt Geld, um Schulen und Kindergärten zu unterstützen oder zu gründen, und versucht, jüdische Frauen für die Idee des Zionismus zu gewinnen. 1904, nach Theodor Herzls Tod, ist sie besonders aktiv in der Gründung einer Abteilung des Kulturbundes Jüdischer Frauen im Osten Rumäniens, in Iaşi.31 1911 findet der 10. Zionistenkongress in Basel statt, zu dem Rachel als Delegierte eingeladen ist. Sie hält zunehmend Vorträge und wird bald eine gefragte Rednerin bei unterschiedlichsten Anlässen. Bekannte Persönlichkeiten der Zio28
Porträt-Karte von Carmen Sylva (Bukarest) an Harry (Galaţi), Februar 1907, CZA, Jerusalem, A 623. 29 Vgl. https://ro.wikipedia.org/wiki/Mauriciu_Blank [abgerufen am 1.8.2023]. 30 Romanian Jewry During the Interwar Period, Raphael Vago, in: The Tragedy of Romanian Jewry, R. L. Braham (Ed.), The Rosenthal Institute for Holocaust Studies, Columbia University Press, New York 1994, S. 33. 31 CZA, Jerusalem, A 623.
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nistischen Weltorganisation, z. B. Nahum Sokolow, werden als Gäste bei den Schoenbergs in Iaşi begrüßt und zu den Vorträgen im Umland begleitet. Unter ihrem Namen und unter ihrem neuen Pseudonym »Donna Clara« publiziert Rachel national und international diverse Artikel über das jüdische Volk, die Ideen des Zionismus oder über das politische und kulturelle Leben, wobei das Hauptmerkmal ihrer Artikel der soziale Status der jüdischen Frau ist. Eine recht kritische Stimme zum Lokalgeschehen, zur Kunst und Literatur, sowie zur internationalen Situation ist ihr eigen.32 Der Anfang des Ersten Weltkrieges 1914 wird von den Schoenberg-Kindern in den Skizzenbüchern ihrer Mutter festgehalten. Irma schreibt: »Ich habe dies am Sonntag, 5. Oktober 1914 niedergeschrieben. Es werden fürchterliche Kämpfe ausgetragen. Warschau ist von den Österreichern belagert und ist kurz vor der Kapitulation [...] Letzte Woche haben die Deutschen Anvers eingenommen und verbuchen einen Sieg nach dem anderen […] Der englische Panzerkreuzer Hawke wurde von deutschen U-Booten versenkt […] Vor zwei Wochen, am 27. September ist unser König Karl gestorben. Das schreiben wir um 11.35 Uhr abends, in Erwartung unseres Vaters aus Wien, der dreieinhalb Wochen lang weg war […] Die Deutschen und die Bulgaren sind in Serbien einmarschiert. Die Engländer landen Truppen in Saloniki …«33
Nachdem Rumänien unter Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen seine Neutralität im ersten Balkankrieg erklärt, tritt das Land im August 1916 unter seinem Neffen und Nachfolger, Ferdinand I. auf der Seite der Entente in den Krieg ein. Dieser Schritt, der die Rückgewinnung der rumänischen Territorien Siebenbürgen und Bukowina vom Habsburgerreich verlangte, wurde bereits seit Kriegsbeginn 1914 von der Liga für die Nationale Einheit der Rumänen, angeführt vom Historiker Nicolae Iorga, vorbereitet.34 Der Unterricht an den Schulen wird immer problematischer, die drei jüngeren Schoenberg-Kinder bekommen bald Privatunterricht und stellen sich nur noch am Ende des Jahres bei den Prüfungen an den Schulen vor. Die antisemitischen Vorfälle häufen sich, doch Rachel kämpft an allen Fronten für die Gleichberechtigung der Juden. Nachdem der jüngste Sohn, Iso, nicht wunschgemäß in den Jugendverein der Pfad32 33 34
Ibid., Zeitungsausschnitte. Übersetzung aus dem Rumänischen. Weitere Notizen kamen in den nächsten Tagen hinzu, CZA, Jerusalem, A 623. Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1930, Mariana Hausleitner, Frank & Timme, Berlin 2021.
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finder, wo es auch um wissenschaftliche Experimente für Kinder geht, aufgenommen und als Begründung seine jüdische Herkunft angegeben wird, schreibt Rachel einen enttäuschten, aber sehr bestimmten Brief and die Redaktion der Jugendzeitschrift, die für den Beitritt wirbt: »Wir sind Juden, die ihre Kinder in Liebe zum Vaterland aber auch in Würde zu ihrer Abstammung erziehen«. Und sie stellt die Frage: »Wenn die Menschen, die diese Entscheidung getroffen haben, die jungen Juden nicht als würdig finden, um die rumänische Wissenschaft mit zu repräsentieren, werden diese jungen Juden dann gut genug sein für die rumänische Armee?«
Rachels Brief35 wird in der Sitzung des Zentralkomitees der Jugendvereinigung verlesen, eine schriftliche Entschuldigung und die Aufnahme Isos in den Verein sind die Konsequenzen. Trotz Kürzungen und Lebensmittelmarken ermöglichen die SchoenbergEltern 1915 Harry inklusive Blüthner-Klavier den Umzug von Berlin nach München, wo er das Studium der Architektur und des Ingenieurwesens an der Technischen Universität beginnt. 1916, nach dem Tod von Rachels Mutter Perl Segall und dem Eintritt Rumäniens in den Ersten Weltkrieg, wird Jacob als Reservist einberufen und ihre Wohnung in Iaşi requiriert. Jacob ist zeitweise in Galaţi und in Răducăneni, nähe Chişinău stationiert und ist für die Versorgung der Truppen zuständig. Gleichzeitig bricht die Typhus-Epidemie in Rumänien aus, und Rachel flieht aus Iaşi mit den jüngeren Kindern in die umgehende ländliche Gegend, wo sie besser geschützt sind und die Versorgung etwas leichter ist. Mitgenommen wird auch ein Bösendorfer-Flügel, auf dem die Kinder weiter musizieren können. Im Spätherbst kehren sie zurück nach Iaşi. Elsa besucht die Belle Arte, Irma ist nach einer gelungenen Aufnahmeprüfung 1918 am Konservatorium, in der Klasse von Enrico Mezzetti36, angemeldet. Gleichwohl wird Irma der Abschluss der 5. Gymnasialklasse nicht genehmigt, da sie Privatunterricht genommen hatte. Rachel muss ihre Wohnung in Iaşi bis 1918 verteidigen. Die dort internierten russischen Offiziere randalieren mehrfach, Hausrat wird zerstört, die Zimmer werden nicht wie abgemacht wieder frei gegeben. Sie lässt sich das nicht gefal35 36
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Brief von Rachel (Iaşi) an Constantin Costa-Foru, Politiker, Journalist und Menschenrechtsaktivist, Bukarest, 2. Mai 1915, CZA, Jerusalem, A 623. Enrico Mezzetti (1870–1930), Komponist, Dirigent, Direktor des Konservatoriums in Iaşi.
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len und verklagt die Offiziere beim Militärgericht.37 Eine Ausnahme ist die Ankunft zweier russischer Soldaten, die sich beim Anblick des Flügels und der Geige im Wohnzimmer einquartieren und pausenlos musizieren möchten. Es sind zwei Preisträger des Konservatoriums aus St. Petersburg. Irma ist von ihrem Spiel so eingeschüchtert, dass sie wochenlang das Klavier nicht anrühren will. Rachel, die den Komponisten George Enescu kennt und verehrt, entscheidet kurzerhand, ihm die jungen Soldaten vorzustellen. Weil das Orchester in Bukarest kriegsbedingt 1916 aufgelöst wurde, siedeln Enescu sowie einige Mitglieder des Orchesters nach Iaşi um, wo er zuerst das Symphonische Orchester der mobilisierten Musiker gründet, das 1917 in George-Enescu-Sinfonieorchester umbenannt wird und das er ehrenamtlich leitet. Er ist begeistert vom Spiel der russischen Soldaten, und sie wetteifern abwechselnd im Vortrag des Violinkonzertes von Tschaikowski.38 Enescus Engagement während der Jahre, die er in Iaşi verbringt, wird von Rachel 1919 in dem Artikel Enescus Erbe geht weiter39 gepriesen: Er gründet ein Konzertzyklus für sinfonische Musik und einen weiteren für Kammermusik, beides in der Absicht, das Publikum musikalisch zu erziehen. Er unterstützt junge Talente des lokalen Konservatoriums durch Möglichkeiten öffentlich aufzutreten, unter anderem auch die junge Sängerin Sara (Sarah) Goldstein, für die er ein besonderes Konzertprogramm mit Orchester zusammenstellt, um sie zu fördern. Sie wird in den kommenden Jahren mit Irma Schoenberg in Iaşi und in Palästina auftreten und sich später, unter ihrem Mädchennamen Gorby, zu einer der wichtigsten Exponentinnen des jiddischen Gesangs entwickeln.
37 CZA, Jerusalem, A 623. 38 Ibid. 39 Ibid., Zeitungsausschnitt.
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1918–1924 Iaşi – Dresden – Berlin · Elsa Rompe Erst nach Ende des Krieges kann Jacob Schoenberg sämtliche Nebenstellen aufgeben und sich auf seine Tätigkeit in Iaşi bei der Banca Moldova konzentrieren. 1918, nach der Annektierung Bessarabiens an Rumänien und dadurch Zuwachs der jüdischen Bevölkerung mit weiteren über 200.000 Personen, wird die Einbürgerung aller Juden in Rumänien von diversen Organisationen im In- und Ausland gefordert.40 Ein neues Gesetz erlaubt es bald auch den Bürgern aus Bukowina, die bislang österreichische Staatsangehörige waren, die rumänische Staatsbürgerschaft anzunehmen, und Jacob reicht sein entsprechendes Gesuch ein. Einige Monate später wird es genehmigt und er 1919 eingebürgert.41 Rachel engagiert sich immer mehr im Zionistenverein Iaşi wie auch im Kulturbund Jüdischer Frauen. Sie berichtet regelmäßig öffentlich über die Lage in Palästina, die Hilfe Englands beim Wiederaufbau sowie die Bedeutung des Erlernens der hebräischen Sprache und der kulturellen Vorbereitung aller Mitglieder, die ins Heilige Land aussiedeln wollen. Einen ihrer Vorträge beschließt sie mit den Worten Chaim Weizmanns bei der Grundsteinlegung der Hebrew University in Jerusalem: »Eine Legende aus dem Talmud besagt, dass die jüdische Seele zwischen Himmel und Erde herumirrt in der Suche des Körpers. Wenn wir unsere anzestrale Kultur wiederherstellen, wird morgen die jüdische Seele ihre Ruhe finden«.42
Ihre Interessen sind breit gefächert, sie nimmt nicht nur zionistische oder kulturelle Themen unter die Lupe, sondern verfolgt ebenso aufmerksam das politische Geschehen im In- und Ausland. Zum Bedauern der Eltern beschließt der jüngste Sohn, Iso, Mathematik statt Musik an der Universität in Iaşi zu studieren. Irma spielt immer öfter bei den Hochschulkonzerten und begleitet auch Studierende und Lehrkräfte. Als Rachel jedoch wiederholt bemerkt, dass die Namen der jüdischen Studierenden, darunter der von Irma, oder gar jüdische Vornamen der Lehrenden, wie 40 41 42
Deutsche und Juden in Bessarabien 1814–1941. Zur Minderheitspolitik Russlands und Großrumäniens, Mariana Hausleitner, IKGS, München 2005, S. 69–74. CZA, Jerusalem, A 623. Vortrag von Rachel, 21. Oktober 1918, Iaşi, Typoskript, CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 4: Irma, Elsa, Rachel und Harry in Dresden, 1921 43
z. B. Salomon, nicht in den Konzertprogrammen erwähnt werden, schreibt sie einen scharf kritisierenden Artikel für die Lokalzeitung.44 Die Familie entscheidet, dass auch Irma im Ausland studieren muss, um weiterzukommen. Harry und Elsa sind bereits unterwegs in Deutschland und suchen eine geeignete Schule für Elsa. Im Oktober 1920 treffen sie sich mit Rachel und Irma in Dresden. Elsa wird dort an der Kunstgewerbeschule und Irma am Konservatorium in der Klasse von Hermann Vetter45 aufgenommen. Parallel besuchen beide die von Émile Jaques-Dalcroze46 1911 gegründete Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus in der Siedlung Hellerau. Irma muss noch das Abitur ablegen und kehrt darum im Herbst 1921 zurück nach Iaşi. Wegen der häufigen Schulwechsel und des Privatunterrichts der letzten Jahre kann sie sich für die Prüfungen jedoch nur in Orhei, im heutigen 43 Sammlung N. B. 44 Ibid., Zeitungsausschnitt. 45 Vgl. https://saebi.isgv.de/biografie/Hermann_Vetter_(1859–1928) [abgerufen am 1.8.2023]. 46 Le rythme, une révolution! Émile Jaques-Dalcroze à Hellerau, C. Kushnig und A. Pellois (Ed.),
Slatkine, Genève 2015.
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Moldawien, unweit von Chişinău, anmelden. Dort gibt es eine Filiale der Bank, für die Jacob tätig ist. Irma wird darum kurzerhand als in Orhei wohnhaft angemeldet. Sie muss in einem Internat mit mangelnden hygienischen Bedingungen wohnen, schlägt sich aber wacker. Mit dem Pfarrer, der die Religions-Prüfung abnimmt, gerät sie jedoch in einem Disput. Nach der Prüfung schreibt sie ihm: »[...] ich habe behauptet, dass die Quintessenz des Judaismus die Auffassung ist, deinen Nächsten zu lieben, wie dich selbst, wobei Sie behaupteten, dass dies die Maxime des Christentums sei. Ich hatte keine Bibel zur Hand, um Sie schwarz auf weiß zu überzeugen, dass ich Recht hatte. Als ich jedoch heimkam und die Heilige Schrift studierte, fand ich wirklich im 3. Buch Moses, Kap. 19, Vers 18: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst […] Ich hoffe, Sie nehmen mir meine Kühnheit nicht übel, sie ist einerseits aus meiner objektiven Liebe zur Gerechtigkeit, andererseits aber auch aus Stolz und Respekt den alten Bräuchen und Glauben unserer Vorfahren gegenüber, gewachsen«.47
Das Engagement der Eltern in zionistischen Kreisen nimmt zu, und die Familie plant nach Beendigung der Studien der Kinder die Auswanderung nach Palästina. Jacob investiert bereits in Grundstücke im Heiligen Land. Rachels journalistische Arbeit wird immer intensiver, sie publiziert unter den Pseudonymen »Rachel« und »Donna Clara« und hält Vorträge auf Meetings und Konferenzen, in denen sie immer öfter das Fehlen junger Frauen im Kampf für die Frauenrechte beklagt. Auf nationaler Ebene ruft sie in der Presse zur Blockade der Hausfrauen gegen die Teuerungen der Lebensmittelprodukte in Zeiten steigender Inflation auf.48 Angestrebt für die Schoenberg-Kinder ist das Studium in Berlin, das damals als kulturelle Drehscheibe zwischen Ost und West gilt. Durch den Jüdischen Kulturbund, in dem Rachel immer mehr Anerkennung gewinnt, kommt sie in Berlin in Kontakt mit einem anderen Mitglied, dem Klaviervirtuosen Leonid Kreutzer49. Irma spielt vor und wird noch im Herbst 1921, kurz nach dem Abitur, in seiner Klasse aufgenommen. Elsa zieht mit Irma nach Berlin, und bald besuchen beide parallel zu ihren anderen Studien auch Kurse von Marie Adama 47 48 49
Entwürfe und Durchschlag des Briefes von Irma an den Pfarrer in Orhei, September 1921, Sammlung N. B. Diverse Artikel und Zeitungsausschnitte, CZA, Jerusalem, A 623. Pianisten in Berlin. Klavierspiel und Klavierausbildung seit dem 19. Jahrhundert, W. Rathert und D. Schenk (Ed.), HdK Berlin 1999, S. 74–75.
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van Scheltema in ihrer privaten Rhythmischen Gymnastik-Schule in der Waghäuseler Straße. Harry arbeitet in Bukarest an seiner Diplomprüfung als Architekt und reicht gleich zwei Projekte ein. 1922 schließt er sich seinen Schwestern in Berlin an, wo er sein Praktikum im Architekturbüro von Adolf Sommerfeld50 beginnt. Auch Iso ist seit Herbst 1922 Student im Ausland, am Mathematischen Institut der Universität in Göttingen. Nach einem Semester wechselt er nach Berlin, um näher bei seinen Schwestern zu sein, kehrt aber bald wieder nach Göttingen zurück, vor allem wegen der Kurse von Professor Edmund Landau51. Obwohl Irma in Berlin drei Jahre lang Studentin von Leonid Kreutzer bleibt, findet sie recht bald eine andere Pianistin, Elsa Rompe52, deren Spiel und Technik ihr mehr zusagen und deren Kurse sie zusätzlich zweimal in der Woche privat besucht. Auch tritt sie im Rahmen von Konzerten dieser Klasse53 in Berlin auf. Harry kehrt 1923 nach Rumänien zurück und hinterlässt bei Bekannten viele Schulden, die die Eltern ausgleichen müssen. Doch die Familie ist in einer sicheren finanziellen Lage und kann nicht nur die Kinder unterstützen, sondern auch immer öfter größere Beträge für den Aufbau des Heiligen Landes an den Keren Hayesod54 spenden. Nichtsdestotrotz möchte Rachel ihre Kinder wieder um sich haben und ruft sie zurück, um Zukunftspläne für die Familie zu schmieden. Nur Elsa folgt ihrem Aufruf. Daraufhin versucht Rachel Irma umzustimmen und ihr Paris als nächsten Ausbildungsort in Aussicht zu stellen. Irma weigert sich, ihre Arbeit mit Elsa Rompe in Berlin zu unterbrechen. Sie will unbedingt ein weiteres Jahr anhängen, vor allem, da sie sich mittlerweile ein Teil des Geldes für den Unterhalt durch Klavierunterricht an Rompes privater Klavierschule verdient. Sie wird nur noch eine minimale Hilfe der Eltern benötigen. Von ihrer Lehrerin hat sie so viel gelernt, dass sie sich nun zutraut, 50 Vgl. https://bauhauskooperation.de/wissen/das-bauhaus/werke/architektur/haus-sommer 51 52
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feld-berlin [abgerufen am 1.8.2023]. Landau und Schur – Dokumente einer Freundschaft bis in den Tod in unmenschlicher Zeit, Reinhard Siegmund-Schultze, in: Mitteilungen DMV, 19, 2011, S. 164–173. »… nicht weit von Braunschweig, in Hildesheim, ist Elsa Rompe zuhause. Sie hat in Hannover bei Evers studiert, mit dreizehn Jahren ihr erstes Konzert gegeben, mit vierzehn am dortigen Konservatorium unterrichtet, mit siebzehn die Berliner Akademie unter Barth und Rudorff bezogen und ist als vortreffliche Konzertpianistin und Klavierpädagogin in den Berliner Kreis hineingewachsen.« Walter Niemann: Meister des Klaviers: die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, Schuster & Loeffler, Berlin 1919, 1921 (14. Aufl.), S. 114. Konzertprogramm vom 17. Februar 1923, Grotrian Steinweg Kammermusiksaal, Berlin, Sammlung N. B. Keren Hayesod ist die Zentralorganisation, die Spenden für das Heilige Land sammelt.
1918–1924 Iaşi – Dresden – Berlin · Elsa Rompe
Abb. 5: Familie Schoenberg in Ias¸ i, Herbst 1924 (v. l. n. r., sitzend: Elsa, Jacob, Rachel, Iso; stehend: Irma, Harry) 55
auch öffentlich zu spielen. Sie erarbeitet sich ohne jegliche Unterstützung den Weg in die jüdische Gesellschaft in Berlin, spielt immer öfter bei wohlhabenden Familien, die ein kultiviertes Publikum darstellen: Motzkin, Moszkowski, Wilenski. Auch lernt sie fleißig Hebräisch, da sie für den Herbst 1924 eine Reise nach Palästina plant. Dort will sie die besten Musikschaffenden kennenlernen, vor allem Maggie Bentwich, eine Schülerin Fritz Kreislers, mit ihnen musizieren und sich den dortigen Pianistinnen und Pianisten stellen.56
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CZA, Jerusalem, A 623. Korrespondenz von Irma mit der Familie, CZA, Jerusalem, A 623.
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In Göttingen schlägt Professor Issai Schur57 Iso für die Promotions-Prüfung in Analytischer Zahlentheorie vor, doch sein rumänisches Hochschuldiplom wird vom Preußischen Ministerium nicht anerkannt. So kehrt er 1925 an die Universität in Iaşi zurück, wo er Assistent von Professor Victor Costin wird und ein Jahr später, inmitten von antisemitischen Aufständen der Studierenden, erfolgreich seine Doktoratsprüfung absolviert. Rachel ist weiterhin überaus engagiert in ihrer Arbeit in diversen Zionistenkreisen. In der ländlichen Gegend der Moldau, in Bãlţi und in Rogojeni, ist sie im Namen der Hechaluz58 an der Gründung zweier landwirtschaftlicher Schulen für die Jugendorganisationen im Rahmen der Alija tätig. Sie hält Vorträge zur »Rolle der jüdischen Frau beim Wiederaufbau Palästinas« und ist zu Zionistenkongressen etwa in Chişinău, Dorna Watra, Bukarest eingeladen. Nach dem Kongress in Cernăuți wird in der Presse vermerkt: »… wenn jemand, dann durfte Frau Rachel Schoenberg (Iaşi) es wagen nach Ussishkin das Wort zu ergreifen«.59 Menahem Ussishkin60, Vorsitzender des Nationalfonds und später der Zionistischen Weltorganisation, wird von seinem Sohn Samuel begleitet, Rachel ist mit Elsa anwesend. Menahem ist besonders angetan von Elsa. Es werden Pläne für weitere Treffen vereinbart, und Elsa wird es ans Herz gelegt, die hebräische Sprache zu beherrschen. Es ist der Anfang einer Liebesgeschichte zwischen Elsa und Samuel (Sama), die bald zur Eheschließung führen wird.
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International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945, Saur, München 1983, S. 1056. Der Dachverband zionistischer Jugendorganisationen. Artikel über Zionismus in der Ostjüdischen Zeitung, 14. Juni 1924, CZA, Jerusalem, A 623. Menahem Ussishkin: His Life and Work, Joseph Klausner, Joint Zionistic Publication Committee, London 1944.
1924–1927 Palästina – Berlin – Paris – Genf – Ias¸i · Émile Jaques-Dalcroze Diese Bekanntschaft kommt auch Irma zugute, die im August 1924 wie geplant allein nach Palästina reist. Solange sie in Tel Aviv verweilt, ist sie Gast der Familie Ussishkin auf dem dortigen Familienanwesen.61 Weitere Details des Aufenthaltes sind nicht überliefert. Im Januar 1925 ist sie jedenfalls zurück in Berlin und setzt ihr Studium bei Elsa Rompe und an der Dalcroze-Rhythmik-Schule von Marie Adama van Scheltema fort. Unermüdlich publiziert Rachel auch über das kulturelle Leben, wobei sie den wichtigsten Ereignissen buchstäblich nachreist. Sie schreibt über den Auftritt von Agatha Bârsescu62 in einem privaten Kreis in Bukarest, die Aufführungen am ersten professionellen jüdischen Theater in Iaşi, gegründet von Abraham Goldfaden, über die Theateraufführungen einer Gruppe aus Palästina in Berlin, die auf Alt-Hebräisch vorgetragen hat, über die Rückkehr von George Enescu für ein Konzert nach Iaşi oder die Einweihung der Hebräischen Universität auf dem Skopus-Berg in Jerusalem. Nach Palästina kommt sie bereits im März 1925 zusammen mit Elsa und vielen Bekannten, die sich in der Absicht, sich im Heiligen Land niederzulassen, umsehen möchten. Im Hafen von Konstanz (rumänisch Constanța) versammeln sich vor der Abfahrt des Schiffes ca. 600 Juden, Reisende und ihre Begleiter. Rachel wird aufgefordert, eine Ansprache zu halten63. In Palästina besuchen sie neue Siedlungen, reisen von Jaffa nach Haifa, Hebron, Tel Aviv und Jericho. Am 1. April wohnen sie der öffentlichen Einweihung der Hebrew University in Jerusalem bei, als Gäste von Professor Edmund Landau aus Göttingen. Landau lobt Iso überschwänglich und prophezeit ihm eine glänzende wissenschaftliche Zukunft. Zusammen mit den Ussishkins nehmen sie an den Gala-Vorstellungen zu Ehren Lord Balfours und des Chief Rabbi teil. Rachel kehrt nach zwei Monaten zurück nach Iaşi, Elsa aber bleibt in Tel Aviv als Assistentin im Architekturbüro von Joseph Minor.64
61 Telegramm und Briefe von Irma (Tel Aviv) an die Eltern (Iaşi), CZA, Jerusalem, A 623. 62 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Agatha_B%C3%A2rsescu [abgerufen am 1.8.2023]. 63 Familienkorrespondenz, CZA, Jerusalem, A 623. 64 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Beit_Bialik [abgerufen am 1.8.2023].
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1924–1927 Palästina – Berlin – Paris – Genf – Ias ¸i · Émile Jaques-Dalcroze
Rachel wird als »die vornehme Schriftstellerin aus Iaşi« überall, wo sie auftritt, gefeiert und ist unter den männlichen Rednern meistens die einzige Frau: »… diejenigen, die Gelegenheit hatten, sie letzten Sonntag gelegentlich der Herzlfeier im Buziascher Tempel zu hören, stimmen darin überein, dass Ihre Rede hinsichtlich Vortrag und Inhalt, nicht nur weil von einer Frau gehalten, sondern auch absolut gemessen, den Vergleich mit den besten männlichen Rednern aushält«.
Dabei zitiert sie Theodor Herzls Worte: Als er einst gefragt wurde, welche Rolle der Frau im Judentum zugedacht sei, antwortete er: »momentan keine« und auf die Frage: Was wird aus ihr später: »Alles«.65 Harry, der als Architekt in Bukarest nicht Fuß fassen kann, fährt erneut nach Berlin und arbeitet für kurze Zeit im Architekturbüro von Peter Behrens66. Im Herbst wechselt er nach Paris. Als Irma im November auch in Paris ankommt, wird sie von Harry und Elsa, die mittlerweile aus Palästina dorthin zurückgekehrt ist, mit der Neuigkeit erwartet, dass sie und Sama Ussishkin heiraten werden. Irma verliert nicht viel Zeit und beginnt im Januar 1926 mit den Rhythmik-Klassen in der Jaques-Dalcroze Schule, wo die Kurse vom Meister67 selbst geleitet werden. Parallel wird sie in der Klavierklasse von Alfred Cortot68 aufgenommen. Die Eltern drängen, dass sie das Klavierdiplom angehen möge, um Chancen für eine Anstellung in Jerusalem zu haben, sobald dort ein Konservatorium eröffnet wird. Irma weigert sich jedoch, sie möchte das Rhythmik-Diplom erhalten, das sie als wertvoller betrachtet und das ihrem Temperament eher entspreche. Sie bezweifelt, dass man in Jerusalem eine junge Frau anstellen werde, nachdem sie gesehen hat, dass dort nur berühmte Pianist*innen der älteren Semester eingeladen werden. Die Eltern verbringen einige Zeit mit den Kindern in Paris und London, bereiten die Braut-Ausstattung für Elsa vor, die von dort direkt nach Palästina verschifft wird, und reisen anschließend mit einigen Kuraufenthalten durch 65 66 67 68
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Temeswarer Volksblatt, 18. Juli 1925, CZA, Jerusalem, A 623. Peter Behrens. Vom Jugendstil zum Industriedesign, Peter T. Föhl et al. (Ed.), Weimarer Verlagsgesellschaft, Weimar 2013. Émile Jaques-Dalcroze: L’homme, le compositeur, le créateur de la rythmique, Frank Martin et al. (Ed.), La Baconnière, Neuchâtel 1965. Alfred Cortot, entre mémoire et oubli : le destin d’un grand pianiste, Limore Yagil, in: Guerres mondiales et conflits contemporains, 2012/2 (no. 246), vgl. https://doi.org/10.3917/gmcc.246.0117 [abgerufen am 1.8.2023].
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Frankreich. Bei ihrer Rückkehr nach Iaşi ist Iso, der seine Doktorarbeit inzwischen erfolgreich verteidigt hat, im Militärdienst in Temeswar (rumänisch Timișoara) im Westen des Landes. Er schreibt über die mangelnde Hygiene, die Schwierigkeit, sich dort als Vegetarier zu ernähren, lobt aber das gute physische Training inklusive Reiten und freut sich, dass es keine Spur von Antisemitismus gibt. Er wird über Weihnachten einen Monat Ferienzeit bekommen, wenn er bereits Sergeant sein wird.69 Émile Jaques-Dalcroze schreibt Irma am 14. Juli 192670 und bittet um die Erlaubnis der Eltern, um sie als besonders talentierte Rhythmikerin ab dem 15. September 1926 zwecks weiterführender Studien mit Diplomabschluss in seinem Institut in Genf aufzunehmen. Die Eltern willigen ein, und Irma kommt mit Verspätung im Oktober in Genf an. Ihre Habseligkeiten aus Paris sollten von Harry nachgeschickt werden, doch geschieht lange Zeit gar nichts. Rachel schreibt erbost an Harry, der seit einem Jahr in Paris ist und vergeblich Arbeit sucht, und rügt seinen Hochmut: Er hat Le Corbusier71 die »Zusammenarbeit« vorgeschlagen. In Genf verbringt Irma eine ihrer glücklichsten Zeiten. Sie vergleicht die Rhythmik-Unterrichtsmethoden aus Berlin und Genf und ist sehr dankbar, dass sie durch intensive Improvisation endlich zur inneren Leichtigkeit der Gestaltung kommt. Obwohl sie 22 Unterrichtsstunden pro Woche hat, muss sie nichts memorisieren, alles kommt von selbst in den Harmonie- und RhythmikStunden. Das Institut ist international ausgerichtet, es sind Studierende aus aller Welt da. Zudem findet Irma in ihrer Freizeit Anschluss zu Studierende des Jean-Jaques Rousseau Instituts in Genf, die sie auf Ausflügen begleitet und bei denen sie auch des Öfteren vorspielt oder Vorträge über Musik oder Rhythmik hält. Sie spielt auch bei zionistischen und theosophischen Treffen. Alles fällt ihr leicht, obwohl sie keinen Klavierunterricht mehr nimmt. Am 9. Dezember 1926 wird die Hochzeit von Elsa und Sama Ussishkin in Jerusalem gefeiert. Vater Jacob kann krankheitsbedingt nicht dabei sein, Iso nicht aufgrund seines Militärdienstes, Harry hat kein Einreisevisum für Palästina bekommen, und Irma will den Unterricht in Genf nicht unterbrechen. So 69 70 71
Korrespondenz mit der Familie, CZA, Jerusalem, A 623. Sammlung N. B. The Architectural Work of Le Corbusier, an Outstanding Contribution to the Modern Movement in: UNESCO World Heritage Convention, vgl. https://whc.unesco.org/en/list/1321 [abgerufen am 1.8.2023].
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ist Rachel allein an Elsas Seite, und sie wünscht, dass das Frauenschicksal ihrer Tochter besser werde, als das ihre gewesen ist. Die Hochzeitsreise kann ebenfalls nicht stattfinden, da Sama plötzlich erkrankt. Kurz nach Rachels Rückreise Ende des Monats brechen erneut antisemitische Unruhen in Iaşi aus. Die Versammlungen und Zionistenkongresse werden polizeilich verboten, und so konzentriert sich Rachel auf die internationale Arbeit. Irma tritt in Genf der Internationalen Studentenvereinigung bei, schon allein wegen des wunderbaren Blüthner-Flügels, der im Musikzimmer der Vereinigung steht. Sie musiziert dort auch mit anderen in kammermusikalischen Besetzungen und spielt zu ihrem Geburtstag ein Konzert mit alter und neuer italienischer und französischer Musik. Am Jaques-Dalcroze Institut gründet sie einen Chor, den sie auch leitet und der zu verschiedenen Gelegenheiten auftritt. Rachel ist endlich zufrieden mit ihr: »Du, liebe Murl72, hast das Hemd des Glücklichen gefunden! Wie du das alles erreicht hast, mit bescheidenen materiellen Ansprüchen dir trotzdem eine weite Welt der Freuden und tiefster Genugtuung einzurichten, scheinst du Herrin deines Lebens zu sein«.73
Nachdem Irma einige Briefe von ihrer ehemaligen Rhythmik-Lehrerin Marie Adama van Scheltema erhält, die sie zurück nach Berlin ruft, um ihr Abschlussdiplom dort zu erlangen, sucht sie das Gespräch mit Émile Jaques-Dalcroze. Dieser ermutigt sie zu bleiben und im Juni 1927 ihren Abschluss in Genf zu machen. Eine so gute Studentin möchte er ungern verlieren. Im Grunde ist sie sich nicht sicher, wohin sie nach dem Abschluss gehen soll. Von Elsa, die in Jerusalem lebt, erbittet sie Informationen über die erste Tanz-Schule in Tel Aviv, gegründet von Margalit Ornstein74. Der Ruf ihrer Kolleginnen aus Berlin wird immer drängender, Irma jedoch entscheidet schließlich in Genf zu bleiben. Vor den Prüfungen nimmt sie aber eine Auszeit und reist allein nach Italien, nachdem sie fleißig Italienisch gelernt hat. In Genua und Rom ist sie zu Gast bei Eltern von Kolleginnen, die ihr vieles zeigen. Nach Neapel, Pompeji und Palermo schließt sie die Reise in Florenz ab. In einem Brief an die Eltern gesteht sie: 72 73 74
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Irmas Neckname in der Familie. Brief von Rachel (Iaşi) an Irma (Genf), 10.–11. März 1927, CZA, Jerusalem, A 623. Dance in the Yishuv and Israel, Ruth Eshel, in: The Shalvi/Hyman Encyclopedia of Jewish Women, Jewish Women’s Archive, vgl. https://jwa.org/encyclopedia/article/dance-in-yishuv-andisrael [abgerufen am 1.8.2023].
1924–1927 Palästina – Berlin – Paris – Genf – Ias ¸i · Émile Jaques-Dalcroze »Ihr müsst wissen, dass ich restlos glücklich war vor der vollkommenen Schönheit der griechischen Statuen, der römischen Bauten. Dachte von Zeit zu Zeit ziemlich verwundert: du bist doch eine Jüdin, und du bejahst, alles in dir bejaht diese Welt. Hättest du dich so gegen sie gewehrt wie es deine Ur-ur-ur-ahnen vor 2000 Jahren getan haben? Und ich musste es gestehen ich glaube ich hätte mich nicht so gewehrt […] Bin ich jetzt erst sehend geworden in den letzten Wochen oder gab es anderswo nichts zu sehen? Ich weiss es nicht […] Es ist doch nicht so einfach damit. Ich fühle mich eins mit dem Volke, das gewagt hat, dieser ungeheuren Kulturmacht zu trotzen und ihr gegenüber seine eigene Idee zu behaupten, aus Stolz und Nationalbewusstsein. Die Idee ist aber nicht mehr die ›meine‹. Beide Feinde liegen besiegt da, Jerusalem ist trostlos, doch noch trauriger wirkt das Forum. Das, was wir heute in Palästina erstreben, hat mit dem alten Judäa nicht viel mehr gemeinsam als das heutige Italien mit dem alten Rom.«75
Sofort nach ihrer Rückkehr nach Genf findet dort die Internationale Musikausstellung76 statt, an der auch eine wichtige Rhythmik-Vorstellung gegeben wird. Irma nimmt daran teil und schätzt das Ereignis als gute Gelegenheit für eine Vorprüfung ein. Für die rhythmische Körper-Improvisation auf ein gegebenes Thema findet sie eigene Wege, um sich darauf vorzubereiten. Obwohl ihr äußerst strenge Prüfungen bevorstehen, verbringt Monsieur Jaques-Dalcroze während des Unterrichts viele Stunden mit belangloser Plauderei, was Irma irritiert. Auch sind nicht alle Studentinnen nach zwei Jahren Studium bei ihm zu den Abschlussprüfungen zugelassen. Sie ist eine der Ausnahmen, die in Rekordzeit (eineinhalb Jahren) so weit ist. Die Nachrichten von Elsa aus Palästina sind nicht erbaulich, so zweifelt Irma, ob sie nach dem Abschluss dorthin gehen sollte oder nicht eher nach Mailand, wo eine Stelle frei ist, oder sogar für eine Weile in die USA, um Geld zu verdienen und anschließend zurückzukehren. Auch die Möglichkeit, ein privates Studio in Bukarest aufzubauen, wird erwogen, jedoch nicht an erster Stelle, zumal der Vater auch gerade in dieser Zeit zwei Bauplätze in der Hauptstadt verkauft, mit der Absicht, in den kommenden Jahren mit der Familie nach Palästina auszuwandern.
75 Brief von Irma (Rom) an den Eltern (Iaşi), 14. April 1927, CZA, Jerusalem, A 623. 76 Vgl. https://collections.geneve.ch/mah/oeuvre/internationale-musik-austellung-28-april-
22-mai-1927-genf/e-74-0446 [abgerufen am 1.8.2023].
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Zuerst müssen aber die Prüfungen abgelegt werden. Nach einer schriftlichen Dissertation kommt eine Abfolge von strengen praktischen Prüfungen. An schließend berichtet Irma ihren Eltern: »Es ist auch eine Art von Mathematik, was ich gearbeitet habe. Eine Arbeit die allerhöchste Konzentration, Geistesgegenwart, Beherrschung des Körpers verlangt und – einen ganzen Musiker. Ich musste, zum Beispiel, auf einen Rhythmus, der auf der Tafel aufgeschrieben war, sofort eine Melodie singend improvisieren und mich sofort möglichst polyphon am Klavier begleiten. Ich musste eine freie Improvisation auf einem bestimmten unglaublich komplizierten rhythmischen Schema aufbauen, ich musste eine Suite: Menuett, Gavotte, Sarabande, Bourrée im Stil improvisieren, und was alles noch. Und außerdem eine Prüfung in Rhythmik die ich in einer Art von Trance realisieren konnte, in normalem Zustande nie und nimmer. Außerdem vor der Jury zwei Rhythmikstunden geben über Polyrhythmik und die zweite über die musikalische Phrase. Heute das letzte: eine Solfègestunde und eine Improvisationsstunde zu geben, eine Solfègeprüfung zu bestehen et last not least, meine Komposition ›vortanzen‹.«77
Irma erhält ihr Diplom mit Lob und wird während eines rauschenden Festes als »Kollegin« in den Kreis der Lehrenden aufgenommen. Kurz darauf verlässt sie Genf, reist nach Lausanne und von dort nach Paris, um sich endgültig von der Stadt zu verabschieden. Trotz diverser Pläne entscheidet sie sich spontan wieder für Berlin. Der polnische Maler Henryk Barczynski78, ein guter Freund aus den Jahren in Dresden und später in Paris, ist auch in Berlin und porträtiert Irma. Zusammen mit ihm, dem Dramaturgen Hans-Joachim Weitz79 und anderen Freunden verbringt sie viel Zeit und versucht, eine Entscheidung für die nächste Zukunft zu treffen. Eltern einer niederländischen Kollegin aus Genf, die Irma bei einer Vorführung gesehen hatten, laden sie nach Eerde in Holland ein, um einen Vortrag über Rhythmus an einem Theosophischen Kongress, präsidiert von Jiddu Krishnamurti80, zu geben. Irma beschreibt Eerde als »Paradies auf Erden, abgesehen jedoch vom geistigen Leben«.81 77 Brief von Irma (Genf) an Eltern (Iaşi), 25. Juni 1927, Sammlung N. B. 78 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Henryk_Barczy%C5%84ski [abgerufen am 1.8.2023]. 79 Weitz, Hans-Joachim, in: Hessische Biografie, vgl. https://www.lagis-hessen.de/pnd/119097966 80 81
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[abgerufen am 1.8.2023]. Krishnamurti. Leben und Werk, Vanamali Gunturu, Diederichs, DG 133, München 1997. Korrespondenz von Irma mit der Familie, CZA, Jerusalem, A 623.
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Anschließend verbringt sie einige Zeit mit ihren Eltern in Evian. Zusammen mit Rachel reist sie nach Basel, zum 15. Internationalen Zionistenkongress und danach zurück nach Iaşi. Harry, der immer noch als Architekt arbeitslos ist und gerade von einer Orientierungsreise aus den USA zurückkehrt, kommt ebenfalls zu den Eltern. Elsa und Sama Ussishkin sind dort auf der Durchreise, ebenso Iso, der seinen Militärdienst absolviert hat. Es ist das letzte Treffen der gesamten Familie, was zu diesem Zeitpunkt natürlich noch keiner ahnt.
Abb. 6: Irma nach dem Konzert in Ias¸i, 2. Dezember 1927 82
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CZA, Jerusalem, A 623.
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Am 2. Dezember 1927 gibt Irma ihr erstes Konzert zusammen mit der Sängerin Sara Goldstein (geborene Gorby) in Iaşi. Obwohl sie laut eigener Aussage in den letzten zwei Jahren das Klavierspiel vernachlässigte, dafür aber viel Improvisation gemacht hat, fühlt sie sich souverän. Sie spielt solo Domenico Scarlatti, Chopin, Beethoven, Debussy und Liszt und begleitet die Sängerin auch in einem zweiten Konzert am nächsten Tag mit Fauré, Schumann, F. Alvarez, Ravel, Rimski-Korsakov, Mussorgsky und Bizet. In der Presse wird sie begeistert gelobt: »Die Pianistin hat nicht debütiert, sondern sich sofort als eine rassenreine Musikerin behauptet.«83 Inzwischen planen Rachel und Jacob in Iaşi den außerordentlichen Empfang von Chaim Weizman84, den Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation. Während seiner Anwesenheit in der Region wird der Gast im Hause Schoenberg wohnen, und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Nach den überaus erfolgreichen und gut besuchten Vorträgen bedankt sich Weizman in einem Brief überschwänglich bei Familie Schoenberg.85 Elsa kehrt zurück nach Jerusalem, Harry zieht nach Bukarest, und Irma macht sich auf den Weg nach Berlin. Iso ist mittlerweile Assistent an der Universität in Iaşi und freut sich, etwas ruhige Zeit zu Hause zu haben.
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Artikel in Opinia, Iaşi, 6. Dezember 1927. Chaim Weizmann: A Biography by Several Hands, Meyer W. et al. (Ed.), Atheneum, New York 1963. Brief von Chaim Weizmann (London) an Familie Schoenberg (Iaşi), 24. Dezember 1927, CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 7: Empfang von Chaim Weizmann im Hause der Schoenbergs in Ias¸ i, 7. Dezember 1927 (sitzend, v.l.n.r: 6. Rachel Schoenberg; 7. Chaim Weizmann; rechts, vorne: Jacob Schoenberg. Stehend, v.l.n.r: 2. Iso, 3. Elsa, 4. Harry, 8. Irma) 86
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Sammlung N. B.
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1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer Ab Januar 1928 ist Irma an das Eurythmische Seminar der Jaques-Dalcroze-Schule, der Musikakademie in Berlin angeschlossen, als Lehrerin für Rhythmik und Klavier berufen und unterrichtet bald auch wieder an der privaten Klavierschule von Elsa Rompe. Schon vor der Reise nimmt sie Kontakt zu ihrer ehemaligen Klavierlehrerin auf und schreibt ihr: »Es gibt eben zu wenig RompeSchüler in der Welt. Dies Gelöste, Schwebende Ihrer Art, dem ich nachstrebe, reizt, entzückt und ist nicht zu durchschauen.«87 Rachel erholt sich nach den Strapazen des Weizmann-Besuchs in Iaşi und fährt für die nächsten zwei Monate nach Berlin, wo sie näheren Kontakt zur zionistischen Gesellschaft knüpft und Irma dort unbedingt als Pianistin einführen will. Irma lehnt jedoch ab, sie wohnt getrennt von der Mutter und lässt sich auf ihrem Weg nicht beirren. In dieser Zeit lernt Rachel auch den jungen Komponisten Stefan Wolpe (1902–1972) kennen, der immer wieder mit Irma musiziert. Sie lädt ihn oft zum Essen ein und alle gemeinsam besuchen sie Konzerte und Theateraufführungen.88 Inzwischen ist Iso von Professor Landau auf längere Zeit nach Palästina berufen worden, um an der Universität in Jerusalem Mathematik zu unterrichten. Dafür muss er in Rekordzeit Hebräisch lernen, kann allerdings seine bisherige Stelle and der Universität in Iaşi nicht ohne Weiteres aufgeben. Ein Antrag auf Krankenurlaub bringt die Lösung. Und Ende März 1928 reist er nach Jerusalem, im Gepäck ein gebrauchtes hebräisches Mathematik-Buch von einem Gymnasium in Bãlţi, einer Kleinstadt in der Moldau. Rachel ist begeistert, kehrt zurück aus Berlin, und eine Woche später schifft sie zusammen mit Jacob nach Jaffa ein, um dort die Lage für eine Niederlassung der Familie in Palästina zu sondieren. Sie empfiehlt Irma, umgehend mit Professor Landau in Göttingen Kontakt aufzunehmen, er solle sich für die Organisation eines Kon-
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Kopie des Briefes von Irma (Iaşi) an Elsa Rompe (Berlin), 11. Dezember 1927, CZA, Jerusalem, A 623 und Sammlung N. B. Familienkorrespondenz, CZA, Jerusalem, A 623.
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zertes für sie einsetzen: »Wenn er den Mathematiker braucht, muss er auch mit der Musikerin vorliebnehmen!«89 Irma spielt in Berlin in vielen Privatkreisen. Auch die jüdische Pädagogin, Journalistin und Komponistin Alice Jacob Löwensohn90 sowie ihre Schwester, Käthe Jacob91, Kollegin von Irma am Rhythmik-Seminar, sind oft dabei. In ihrer Post an die Eltern berichtet Irma: »Ich schwelge in größten musikalischen Freuden«. Über Stefan Wolpe kommt sie bei den Abenden der linksgerichteten Novembergruppe92 in Kontakt mit der Musik weiterer junger Komponisten wie Hanns Eisler93, Heinz Tiessen94 und Hans Heinz Stuckenschmidt95. Irma und Stefan Wolpe kannten sich aus den Jahren, bevor sie nach Paris ging, sie begegneten sich meistens bei den Veranstaltungen der Hochschule für Musik. Nachdem er sie nun spielen hört, bittet Stefan sie, eine Auswahl seiner Arbeiten den Generalmusikdirektoren Rudolf Schulz-Dornburg96 und Erich Kleiber97 vorzuspielen, in der Hoffnung auf Aufnahme seiner Stücke im Repertoire der Opernhäuser98. Auf diesem Wege wird sie vertraut mit seinen Kompositionen, der eigentliche Plan bleibt jedoch erfolglos: »Stefan asked me to play. [The Novembergruppe] were trying to branch out and attract another kind of public. There were some very brilliant people among them who tried to interpret what was happening to a literate, middle class public. There was an inauguration of some building, and some music of Stefan’s was going to be played. He asked me to accompany something of his, some songs, a piano solo. I played, and we started to be very good friends. He lived in the vicinity and asked me to drop by, and so we got acquainted […] In the begin89 Brief von Rachel (Iaşi) an Irma (Berlin), 17. März 1928, CZA, Jerusalem, A 623. 90 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001457?wcmsID=0003
[abgerufen am 1.8.2023].
91 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00003233 [abgerufen
am 1.8.2023]. Novembergruppe 1918. Studien zu einer interdisziplinären Kunst für die Weimarer Republik, Nils Grosch et al. (Hg.), Waxmann, Münster 2018 (= Veröffentlichungen der Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau, Bd. 10). 93 Hanns Eisler, Jürgen Schebera, Schott Music, Mainz 1998. 94 In Memoriam. Für Heinz Tiessen 1887–1971, Josef Tal, in: Schriftenreihe der AdK, Nr. 13, S. 57–62, Berlin, vgl. https://joseftal.org/wp-content/uploads/2012/12/Tal-Tiessen.pdf [abgerufen am 1.8.2023]. 95 Hans Heinz Stuckenschmidt: der Deutsche im Konzertsaal, W. Grünzweig, C. Niklew (Ed.), Wolke Verlag, Hofheim 2010 (= Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts, Bd. 10). 96 Das Ohr der Väter, Stefan Schulz-Dornburg, Allitera Verlag, München 2019. 97 Vgl. https://www.deutsche-biographie.de/sfz41335.html [abgerufen am 1.8.2023]. 98 Brief von Irma (Berlin) an Rachel (Iaşi), Ende März 1928, CZA, Jerusalem, A 623. 92
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1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer ning we started playing endless organ Bach fugues four hands. This was still when he was up to join the Communist Party, playing only his own stuff for the performances. I took him back to music even later. We met at Philharmonic concerts and heard again Brahms. He had never given it up. It was inside him, only the moment demanded political action, committed action …«99
Rachel drängt in jedem Brief, dass Irma ihre Stellung in der höheren jüdischen Gesellschaft in Berlin sichern solle, auch in der Hoffnung, dass sie bald »eine gute Partie« machen kann. Irma verkehrt regelmäßig in dieser Gesellschaft, spielt häufig in den Salons, misst dem Rat ihrer Mutter jedoch nur wenig Bedeutung zu und folgt stattdessen ihrem eigenen Weg. Ihr Ziel ist, in Konzerten aufzutreten. Während eines Besuchs von Edmund Landau bei seiner Mutter in Berlin gewährt er Irma eine kurze »Audienz«. Irma ist jedoch enttäuscht, dass er während des Gesprächs nur Belangloses über sein Treffen mit ihren Eltern und Isos Anfang in Jerusalem erzählt, ihr auch nur ein Foto von ihrer Schwester Elsa zeigen kann und seine Niederlage in einer Schachpartie mit ihr als das außergewöhnlichste Ereignis darstellt. Von Vermittlungshilfe für ein Konzert in Göttingen ist keine Rede. Inzwischen sind Rachel und Jacob überzeugt, dass die Zukunft der Schoenberg-Familie nur in Palästina zu sehen sei, und so sind beide während ihrer Besuchszeit dort überaus aktiv. Obwohl nicht in offizieller Position arbeitet Jacob unermüdlich in Haifa, um zusammen mit einer Kommission aus Bukarest eine nahe gelegene heruntergewirtschaftete Siedlung, in der auch 40 junge Leute aus Rumänien leben, zu retten. Er kauft auch drei Bauplätze auf dem Carmel bei Haifa mit uneingeschränkter Sicht auf das Meer. Das Ehepaar kehrt im Mai 1928 zurück nach Rumänien. Rachel ist in viele Kreise eingeladen, um über ihre Eindrücke aus Palästina zu berichten, und veröffentlicht auch einige Zeitungsartikel darüber.100 Harry bekommt endlich Bauaufträge in Bukarest und stürzt sich gleichzeitig auf mehrere Projekte. Eines davon ist sogar ein eigener Versuch ohne Auftrag, der vom Vater unter bestimmten Konditionen finanziert werden soll. Die Eltern sind von seinem Talent überzeugt und lassen sich überreden, das Haus in Iaşi aufzugeben und in weniger als einem Jahr in das neu zu bauende Haus in Bukarest einzuziehen. Um die Planung voranzutreiben, ruft Rachel ihre Kinder nach 99 100
Interview von Austin Clarkson mit Irma, 22. November 1979, New York, Sammlung A. C. Diverse Zeitungsausschnitte, CZA, Jerusalem, A 623.
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1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer
Iaşi. Irma kommt sowieso aus Berlin, um die Sommerferien dort zu verbringen. Harry hat jedoch keine Zeit dafür, es bleibt beim schriftlichen Verkehr. Während Isos Aufenthalt in Jerusalem trifft er auf Edmund Landaus Tochter, Charlotte (Dolli), die er aus Göttingen kennt und die ebenfalls einige Monate dort verbringt. Sie treffen sich oft bei Elsa und Sama, spielen zusammen Tennis, reiten an Wochenenden aus und reisen so oft wie möglich durch Palästina. Nach Semesterende ist es an der Zeit für Iso Entscheidungen zu treffen. Zusammen mit seinem Kollegen Benjamin Amirà101, der in Göttingen bei Landau promovierte, steht er auf der Vorschlagsliste für den Unterricht in Jerusalem im nächsten Semester. Es ist ein interessanter Kurs, jedoch keine sichere Stelle, zudem auch mit geringer Bezahlung. Dafür müsste er auch seine feste Anstellung an der Universität in Iaşi aufgeben. Unerwarteterweise wird er von Edmund Landau zu einem Kongress im September nach Bologna in Italien eingeladen. Dolli verlässt Palästina, um sich mit den Eltern in der Schweiz zu treffen, bevor sie alle nach Bologna fahren. Rachel schätzt die Lage richtig ein und gibt brieflich Anweisungen an Iso, wie er sich zu verhalten habe, um das Beste aus dieser Doppelchance zu machen. Sie schreibt an Elsa, was zu bestellen und einzukaufen sei, um Isos Garderobe vor dem Anlass aufzubessern. Die Ereignisse in Iaşi überschlagen sich: Irma bekommt einen Brief von Heinz Oppenheimer102, den sie zwar nicht kennt, der sie aber demnächst in Wien treffen möchte. Sollte das Treffen beidseitig zufriedenstellend sein, er wartet der Vater, der Soziologe Franz Oppenheimer103, beide in Celerina bei Sankt Moritz. Rachel findet heraus, dass Oppenheimer Senior der Drahtzieher im Hintergrund ist. Er hat über Kreise aus Berlin, wo seine Gattin getrennt lebt, von Irma gehört und würde sich freuen, sie als Schwiegertochter in der Familie zu begrüßen. Irma wird von den Eltern gedrängt, sich für das Treffen in Wien zu entscheiden, und antwortet Heinz. Dieser Brief gelangt in die Hände seines Vaters, der sofort entscheidet: Sollte Heinz Irma heiraten, wird er ihretwegen jedes Jahr nach Jerusalem kommen. Sie fährt am 14. August 1928 in Begleitung der Mutter nach Wien. Dafür sagt Rachel sogar ihre Teilnahme am 2. Women’s International Zionist Organisation-Kongress in Berlin ab. Ihre Vertreterin, Selma Marguerite Margulies (deren Ziehsohn Ariel Loewy später Irmas Schwieger101 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Binyamin_Amir%C3%A0 [abgerufen am 1.8.2023]. 102 Vgl. https://plants.jstor.org/stable/10.5555/al.ap.person.bm000400852 [abgerufen am 1.8.2023]. 103 Franz Oppenheimer. Ökonom und Soziologe der ersten Stunde, V. Caspari und F. Lichtblau, Socie-
täts-Verlag, Frankfurt/M. 2014.
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1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer
Abb. 8: Iso, Irma, Rachel und Heinz Oppenheimer in Wien, 1. September 1928 104
sohn werden soll), kehrt mit viel Lob für Rachels Arbeit als Präsidentin des Kulturbunds Jüdischer Frauen aus Rumänien nach Bukarest zurück. Durch dieses Engagement konnte die vollständige Finanzierung des Ness-Ziona-Projektes, die Gründung einer großen Farm für Frauen in Palästina, gesichert werden. Nach den ersten Begegnungen stellt sich heraus, dass der Pflanzenphysiologe Heinz entschieden hat, in Palästina zu leben und bereits eine Orangen-Plantage in Ness-Ziona angelegt hat. Die anschließende Begegnung am Tegernsee mit Oppenheimer Senior bewirkt dessen spontane und vollkommene Zuneigung Irma gegenüber, nicht jedoch die von Heinz’ Mutter. In einem Brief an ihre Schwester Elsa gibt Irma ihre Bedenken preis: »Er ist ein Mensch, mit dem ich Jahre verbringen könnte, ohne mich zu langweilen. Er ist außerordentlich intelligent und warmherzig … Wir wollen nicht heiraten, bevor er eine Anstellung am Institut von Warburg105 oder an der Universität bekommt. Aber wir haben entschieden ein Probejahr zu 104 105
Sammlung N. B. Otto Warburg, E. Höxtermann und U. Sucker, Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 1989 (= Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner, Bd. 91).
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1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer machen […] Ich fürchte mich aber vor solch’ ernsthaften und handfesten Entscheidungen, obwohl ich mich, nach dem Herumvagabundieren in den letzten acht Jahren, sehr nach einem Heim sehne. Ich habe heute noch nicht den Mut glücklich zu sein.«106
Inzwischen ist Iso in Iaşi angekommen. Hinsichtig seiner Weiterreise nach Bologna zum Internationalen Mathematischen Kongress und der Wiederbegegnung mit Dolli sieht sich Jacob alleingelassen mit den Ratschlägen, die er seinem Sohn erteilen soll. Es seien Briefe von Dolli Landau angekommen mit der Mitteilung, dass auch sie und ihre Mutter in Bologna sein werden. Jacob stellt Iso genug Geld zur Verfügung, um während der Reise gut dazustehen. Er insistiert, dass Iso Blumen für Dolli und eventuell sogar für Frau Landau besorgen müsse und unbedingt die Ereignisse in Wien und seine Schwester Irma erwähnen solle. Das würde guten Eindruck machen und unter Umständen zur Nachahmung animieren. Masel-Tov- und Glückwunschtelegramme107 aus dem Zeitraum 31. August bis 3. September 1928 deuten unleugbar auf die Verlobung von Irma und Heinz Oppenheimer hin. Irma kehrt unmittelbar darauf nach Berlin zurück und unterrichtet ungeachtet des Wunschs ihres Verlobten, alles aufzugeben, wieder an der Schule für Rhythmus, Musik und Körperbildung, geleitet von Anna Epping und Marie Adama van Scheltema. Sie ist immer öfter eingeladen, in den neuen Kreisen jüdischer Familien zu spielen, und wird langsam auch von Frau Oppenheimer, die sich nicht unbedingt eine Ost-Jüdin als Schwiegertochter vorgestellt hat, akzeptiert. Doch Irma wird immer klarer, dass sie sich solch ein Leben nicht vorstellen kann. Sie fühlt sich gerade auch sehr wohl in ihrem Fortschritt im Beruf und im Klavierspiel und bittet ihre Eltern, Heinz zu schreiben, um die Verlobung aufzuheben. Jacob will nichts davon hören. Im Gegenteil, er versucht bereits, das Haus in Iaşi zu verkaufen, und möchte schnellstmöglich nach Palästina auswandern. Er schickt Rachel, die sich auf Kur in Bad Gastein aufhält, zu Irma nach Berlin, um sie zu überreden, was ihr für den Augenblick auch gelingt. Auch Oppenheimer Senior schreibt regelmäßig an Irma und unterzeichnet mit »Vati« oder »dein Papa«108, worüber Irma ehrlich erfreut ist. Als er im Oktober bei einem Zionisten-Meeting in Berlin einen Vortrag hält, 106 107 108
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Brief von Irma (Berlin) an Elsa (Jerusalem), 16. September 1928, CZA, Jerusalem, A 623. CZA, Jerusalem, A 623. Briefe und eine Fotografie von Franz Oppenheimer an Irma, CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 9: Tischgesellschaft bei Familie Schoenberg: Rachel (2.v.l.), Jacob (3.v.l.), Colonel Wedgwood (vorne, rechts), Ias¸ i, 1928 109
müssen Irma und Rachel an seiner Seite zusammen mit Colonel Wedgwood110 und Professor Warburg den Abend verbringen. Zurück in Iaşi nimmt Rachel ihre Arbeit in zionistischen Kreisen wieder auf und ist einmal mehr beflügelt von der Idee der baldigen Auswanderung der eigenen Familie. Sie verliert keine Zeit und lädt Colonel Wedgwood ein, um die Ansprache bei der Kundgebung des Keren Hayesod in Iaşi vor mehr als 1.000 Mitgliedern zu geben. Er ist Gast im Hause der Schoenbergs. Kurz darauf, auf seinem Weg nach Palästina, kommt auch Heinz Oppenheimer nach Iaşi, um 109 CZA, Jerusalem, A 623. 110 Vgl. http://www.thepeerage.com/p15174.htm#i151733 [abgerufen am 1.8.2023].
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einige Zeit mit den zukünftigen Schwiegereltern zu verbringen und den finanziellen Rahmen der Ehe zu besprechen. Irma versucht, den Termin für die Eheschließung offenzulassen, obwohl sie von allen Seiten bedrängt wird. Rachel und Jacob sind auch mit dem jüdisch-rumänischen Zionistenführer und Ideologe Abraham Leib Zissu111 in enger Zusammenarbeit. Während dessen Aufenthalt im Februar 1929 in Berlin schlägt Rachel vor, dass Irma und Stefan Wolpe Zissu ein Programm mit jüdischer Musik, einschließlich Wolpes Bearbeitungen jüdischer Lieder, vorstellen, in der Hoffnung auf dessen Unterstützung als Mäzen und Förderer.112 Stefan Wolpe, frisch vermählt mit Olga (Ola) Okuniewska113, einer österreichischen Malerin, Schülerin von Johannes Itten in Wien sowie am Bauhaus in Weimar, fragt bei Irma an, ob sie bei den Abenden der Novembergruppe »moderne Kammermusik« spielen möchte. Irma sagt zu, und laut eigener Aussage kommt es zu einigen Auftritten mit der Novembergruppe114. Kurz darauf wird sie von Dolli Landau eingeladen, die Winterfeiertage bei ihnen in Göttingen zu verbringen, da auch Iso, der die Kurse des Gast-Dozenten Harald Bohr115 an der Universität besucht, dort sein wird. Irma entscheidet sich jedoch für eine andere Einladung, und zwar mit Oppenheimer Senior und seiner zweiten Ehefrau und Kind die Ferien in der Schweiz, in Celerina zu verbringen. So gut sie auch in dieser Familie aufgenommen wird, mit der Zeit wachsen ihre Zweifel an einer Ehe mit Heinz Oppenheimer. Er kann keine Anstellung in Palästina finden und geht davon aus, zunächst mit der Mitgift von Irma zurechtkommen zu können. Zudem besteht er auf Irmas Ankunft in Palästina spätestens am 1. April 1929, um die Heirat zu vollziehen. All dies sowie seine engen Ansichten über die Pflichten einer Ehefrau schrecken Irma nachhaltig ab, sodass sie die Verlobung Ende März einseitig auflöst.116
111 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/A._L._Zissu [abgerufen am 1.8.2023]. In Zusammen-
hang mit seiner Interaktion in den jüdischen Kreisen in Rumänien: Jurnal 1935–1944, Mihail Sebastian, Humanitas, Bukarest 2021. 112 Korrespondenz von Rachel mit A. L. Zissu und Brief von Rachel (Iaşi) an Irma (Berlin), 12. Februar 1929, Jerusalem, A 623. 113 Vgl. https://www.ramos-poqui.com/ola [abgerufen am 1.8.2023]. 114 Erwähnungen in der Korrespondenz von Irma mit Familie Schoenberg, CZA, Jerusalem, A 623. 115 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Harald_Bohr [abgerufen am 1.8.2023]. 116 Briefwechsel zwischen Heinz Oppenheimer, Irma und Familie Schoenberg, CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 10: Irma, Dolli Landau und Elsa in Ias¸i, Oktober 1929 117
Anschließend folgt Irma dem Wunsch ihrer Eltern, sich vorläufig in Rumänien niederzulassen. Ein erstes Konzert an der Musikhochschule in Iaşi ist für Mai geplant, kommt aber nicht zustande, weil Irma nach Bukarest muss, um in der überaus erfolgreichen Architektur- und Design-Ausstellung »Mein Eigenheim« ihres Bruders Harry, die einige Wochen verlängert werden muss, auszuhelfen. Er lanciert dabei die Idee des Siedlungsbaus in Rumänien, und das Interesse ist groß. Irma findet in Bukarest sofort Anschluss an Künstler- und Literatenkreise. Auch Elsa kommt aus Jerusalem auf Besuch und lädt Dolli Landau, die mit ihren Eltern in der Slowakei weilt, ein nach Iaşi zu kommen. Rachels Hoffnungen auf einer Ehe zwischen Iso und Dolli kehren zurück, auch wenn sie mit den vielen Freiheiten, die Dolli in ihrer Erziehung genießt, nicht ganz einverstanden ist. Ein weiteres gemeinsames Konzert von Irma und der Sängerin Sara Goldstein (Gorby) findet am 15. November 1929 im Konzertsaal der Musikhoch117
Sammlung N. B.
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schule in Iaşi statt. Bereits der Vorverkauf läuft so gut, dass das Konzert zwei Tage später wiederholt werden muss. Irma spielt Busonis Chaconne, die Sonate op. 57 von Beethoven nebst einer Reihe von Werken Chopins, Debussys und Scarlattis. Ferner begleitet sie die Sängerin in einer Auswahl russischer Kompositionen des beginnenden 20. Jahrhunderts.118 Die Presse lobt sie erneut überschwänglich und bezeichnet sie als die Pianistin mit der besten Technik und mit dem einfühlsamsten Vortrag im Lande119. Irma fährt daraufhin nach Bukarest und wohnt zusammen mit Bruder Harry in einem Haus der Familie. Kurz danach kaufen die Eltern ein weiteres Haus in der Hauptstadt, welches von Harry für die Familienbedürfnisse umgebaut werden soll, unter anderem mit einem Studio für Irma, die eine private RhythmikSchule eröffnen soll. Rachel erkennt das Potenzial beider und setzt alles ein, um Werbung für sie zu machen, obwohl weder Irma noch Harry dies wünschen. Trotzdem spielt Irma sehr oft bei einflussreichen Familien, sie ist beeindruckt vom hohen Kulturniveau der Menschen im Lande. Die Idee der Auswanderung nach Palästina wird vorläufig vertagt. Harry ist mittlerweile ein gefragter Architekt in Bukarest, lebt dementsprechend auf großem Fuß und macht Schulden. Die Eltern lösen ihr Eigentum in Iaşi auf und ziehen allmählich nach Bukarest. Weder sie noch Harry erahnen oder nehmen die Anzeichen der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise ernst. Harry wird bald keine Aufträge mehr haben, und die Banca Moldova in Iaşi, dessen Präsident Jacob mittlerweile ist, wird bald insolvent. Iso reist erneut nach Göttingen und von dort vor Weihnachten mit der Familie Landau nach Arosa, um gemeinsam die Feiertage zu verbringen. Kurz nach Neujahr benachrichtigt er seine Eltern über die Verlobung mit Dolli Landau. Im Februar 1930 kann Irma endlich ihr Privatstudio in Bukarest eröffnen. Ihre guten Beziehungen zu der Pianistin Flora Muzicescu120, deren Student*innen unter anderem Dinu Lipatti121, Radu Lupu122 und Miriam Marbe123 sind und sein 118 Konzertprogramm, Sammlung N. B. 119 Zeitung Lumea, 20. November 1929. 120 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Florica_Musicescu [abgerufen am 1.8.2023]. 121 Lipatti, Dragos Tanasescu und Grigore Bargauanu, Kahn & Averill, London 1988. 122 Dieser Mann macht das Nichts zu stiller Musik, Marianne Mühlemann, vgl. https://web.archive. 123
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org/web/20171201035321/https://www.derbund.ch/kultur/klassik/Dieser-Mann-machtdas-Nichts-zu-stiller-Musik/story/20972202 [abgerufen am 1.8.2023]. Vom Ritual zur Abstraktion – über die rumänische Komponistin Miriam Marbe, Thomas Beimel, Tokkata-Verlag, Wuppertal 1994.
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Abb. 11: Prospekt der privaten Schule für Rhythmik von Irma Schoenberg in Bukarest, 1930 124
werden, das Lob, das sie vom Dichter Tudor Arghezi125 im Rundfunk erhalten hat sowie nicht zuletzt ihre Vorlesungen in diversen Kreisen über die DalcrozeRhythmik bringen ihr genügend Anmeldungen, um bequem leben zu können. Auch architektonisch ist ihr neues Studio eine Neuerung in Bukarest, und Rachel sieht darin sofort eine Chance, es für musikalische und literarische Abende zu nutzen. Die Verhandlungen zwischen Edmund Landau und Jacob Schoenberg bezüglich der finanziellen Absicherung der Ehe von Dolli und Iso geraten ins Stocken. Die hohe Anforderung der Landaus kann kaum erfüllt werden, da der Brauch in Osteuropa eine Mitgift nur für Mädchen vorsieht, nicht aber für Jungen, deren Mitgift lediglich ihre Ausbildung ist. Sie einigen sich auf ein Kompromiss: Der Vater garantiert den geschätzten Jahreslohn von Iso. Plötzlich wird Iso von einem Repräsentanten der Rockefeller Stiftung, bei der er sich für ein Stipendium nach Göttingen beworben hat, nach Bukarest berufen. Man legt ihm nahe, lieber nach Paris oder Chicago zu gehen, da er dort Spezialisten für sein Gebiet, die Zahlentheorie, haben wird. Er entscheidet sich für Chicago, und da Dolli unbedingt mitkommen möchte, muss der Termin für die Hochzeit bald festgelegt werden. 124 Sammlung N. B. 125 Vgl. https://www.biolex.ios-regensburg.de/BioLexViewview.php?ID=474 [abgerufen am
1.8.2023].
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Anfang März 1930 ist das Haus in Iaşi endlich verkauft. Aufgrund der galoppierenden Inflation haben die Eltern jedoch Schwierigkeiten das Geld unterzubringen. Eine Bank nach der anderen ist insolvent. Nach dem Tod des Gründers Mauriciu Blank im November 1929126 gerät auch die Banca Moldova, eine Filiale von Marmorosch & Blank, in Schwierigkeiten. Am 24. März 1930 schickt Irma eine Postkarte an Rachel und Jacob127 und zählt auf, was im neuen Haus in Bukarest bereits fertig ist, damit sie sich vor dem endgültigen Umzug darauf einstellen können. Am selben Abend jedoch stirbt Jacob im Alter von 66 Jahren infolge eines Herzinfarkts. Die Zionistische Vereinigung Rumäniens hebt in einem Nachruf die Bedeutung von Jacobs Arbeit in Jugendkreisen hervor, als einer der Ersten, der die Wichtigkeit des Zionismus verstanden habe. Studierende des Concordia-Vereins aus Rom melden sich bei Rachel mit Dankesschreiben für Jacobs Einsatz als Mitglied des Vorstands, der Studienstipendien verliehen hat. Nach der Abwicklung der Hinterlassenschaft und dem sofortigen Umzug nach Bukarest ist Rachels Gesundheit angeschlagen. Einen Tag bevor sie zu einem Arzt nach Zürich aufbricht, wird das neue Haus in Bukarest mit einem großen Fest eingeweiht. Irma spielt am Abend unter anderem mit dem Violinisten Ludovic Feldman128. Unter den Gästen ist auch der Komponist und Leiter des Rundfunks in Bukarest, Mihail Jora129, der Irma fortan für Aufnahmen verpflichten wird. Während Rachel weiter zu einem Kuraufenthalt nach Franzensbad fährt, müssen Irma, Harry und Iso die Haus-Übergabe in Iaşi sowie die Vermietungen der Wohnungen im Bukarester Haus allein organisieren. Irma springt ein für George Enescu, der bei einem Auftritt im Jüdischen Frauenbund verhindert ist, ebenso für den erkrankten Pianisten der Oper beim Dinerman Festival und begleitet erneut die Sängerin Sara Goldstein (Gorby) im Rahmen desselben Festivals. Lehrerinnen und Kolleginnen aus Berlin rufen sie zu den RhythmikSommerkursen nach Laxenburg bei Wien und sie verlässt schweren Herzens das sehr gelungene neue Haus in Bukarest, in dem sie sich wohlfühlt. Sobald Irma in Laxenburg ankommt, ist sie wieder in ihrem Element und beteiligt sich 126 Vgl. https://www.themarketforideas.com/not-too-big-to-failthe-story-of-the-rise-and-fall127 128 129
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of-marmorosch-blank-bank-a101 [abgerufen am 1.8.2023]. CZA, Jerusalem, A 623. Ludovic Feldman (1893–1987), rumänischer Komponist und Violinist, Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters in Bukarest. Mihail Jora, der prominenteste rumänische Schüler Max Regers, Florinela Popa, in: Musikgeschichte in Mittel- und Ostmitteleuropa, Universität Leipzig 2017, Heft 18, S. 63–74.
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an sämtlichen Aufführungen. Freunde aus Berlin kommen vorbei, auch Stefan Wolpe, der zwar mit der Malerin Ola Okuniewska verheiratet ist, in seinem Tagebuch jedoch bereits Anfang des Jahres vermerkt: »endgültige Klarifikationen […] immer öfter Streitereien mit Ola …«130 Nach einem erfolgreichen Vortrag am Mathematischen Institut in Berlin kommt auch Iso nach Laxenburg und verbringt eine Woche bei Irma, wo sie vor seiner Abreise nach Chicago zum Abschied gemeinsam musizieren, reiten, schwimmen und Tennis spielen. Die Hochzeit von Iso und Dolli wird auf den 8. September 1930 vorgezogen, was Rachel nicht unbedingt billigt, da sich alle noch in der Trauerphase befinden. Sarkastisch vermerkt sie in einer Nachricht: »Aus dem Rockefeller-Stipendium wird eine Hochzeitsreise nach Amerika! Interessant!«131 Die Hochzeit findet in Berlin statt, auf Wunsch von Dollis Großmutter, die dort wohnt. Rachel, Harry und Irma, die der Feier beiwohnen, bleiben noch eine Weile in Berlin. Erst im November kehren sie nach Bukarest zurück. Rachel publiziert nicht nur politische Artikel, sondern auch Dichtung und ist erneut sehr aktiv in Zionistenkreisen. Sie ist die einzige vortragende Frau während der großen Versammlung des Keren Hayesod, bei der auch Shemaryahu Levin132 aus Palästina als Gast anwesend ist.133 Irma gibt am 7. Dezember 1930 ein Solo-Konzert in Iaşi, wobei sie gebeten wird, die Chaconne von Bach / Busoni zu wiederholen. Im übrigen Programm spielt sie mit viel Erfolg Mazurkas, Walzer, Etüden und die Sonate Nr. 2 von Chopin sowie Werke von Debussy und Albeniz.134 Daraufhin lädt sie der Dirigent Antonin Ciolan135 für den 8. Januar 1931 ein, das Liszt-Klavierkonzert mit dem Orchester des Nationaltheaters in Iaşi unter seiner Leitung zu spielen. Die Aufnahme des Konzertes wird am 11. Februar von Radio Bukarest ausgestrahlt, nachdem bereits am 5. Januar eine Aufnahme von Irma mit Beethovens 32 Variationen in c-Moll, zwei Etüden und ein Impromptu von Chopin und Ravels Jeux d’eau 130 131
Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Ansichtskarte von Rachel (Budapest) an Elsa (Jerusalem), 22. Juni 1930, CZA, Jerusalem, A 623. 132 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Schemarjahu_Levin [abgerufen am 1.8.2023]. 133 Korrespondenz und Kopien des Vortrags von Rachel, CZA, Jerusalem, A 623. 134 Briefe von Rachel (Iaşi) an Elsa (Jerusalem), 27. November und 20. Dezember 1930, CZA, Jerusalem, A 623. 135 Antonin Ciolan: inegalabilul maestru al baghetei, Gheorghe Muşat, Ecou Transilvan, ClujNapoca 2012.
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erfolgreich gewesen ist. Auch am 18. März 1931 ist eine Radiosendung mit Irma aufgezeichnet, das Programm ist jedoch nicht überliefert136. Drei Tage später fährt sie überstürzt nach Constanța, um sich nach Palästina einzuschiffen. Nach ihrer Ankunft und bereits unterwegs nach Jerusalem trifft sie Professor David Shor137, der das Department of Musical Education 1934 in Tel Aviv gründen wird, an dem auch Irma einige Jahre später unterrichtet. Vorerst wohnt sie bei ihrer Schwester Elsa und Familie Ussishkin. Unter den Gästen zum Pessach Fest finden sich auch Marc Chagall mit Frau und Kind ein. Chagall wird auf Irmas Klavierspiel aufmerksam, und sie werden sich des Öfteren in Jerusalem treffen. Am 16. April 1931 ist sie eingeladen, sich in einer Gesellschaft musikalisch vorzustellen. Die meisten Musizierenden aus Jerusalem sind versammelt. Sie spielt das Programm ihres letzten Konzertes aus Iaşi und beeindruckt ihr Publikum. Spontan lädt man sie ein, bereits eine Woche später im nächsten Konzert der Musical Society mit dem Jerusalem Quartett zum Beethoven-Programm beizutragen. Sie entscheidet sich für die Sonate op. 23, Appassionata.138 Um die nächsten Auftritte gut über die Bühne bringen zu können, zieht Irma in ein Privatzimmer, wo sie ungestört üben kann. Die Musical Society organisiert für sie am 4. Mai 1931 in Haifa und am 16. Mai in Jerusalem je ein Solo-Konzert139. Professor David Shor lädt sie ein, eines seiner Konzerte in Tel Aviv am 14. Mai mitzubestreiten. Frederick Kisch140 und Oberstaatsanwalt Smoira141 machen ihr den Hof, Irma jedoch stürzt sich ins Konzertleben. Es folgen Auftritte dicht an dicht: Kibbuz Ein-Harod (24. Mai), Beth-Alpha (25. Mai), Haifa (27. und 28. Mai), Jerusalem (30. Mai), ein Konzert für ca. 3.000 Arbeiter in Tel Aviv (das genaue Datum ist nicht überliefert), Jerusalem (4. und 6. Juni) sowie ein Chopin-Kurs, den sie in Tel Aviv gibt.142
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Sämtliche Daten stammen aus der Korrespondenz und aus den Benachrichtigungen von Irma und Rachel an Familienmitglieder und Freunde in Palästina, die die Radiosendungen aus Bukarest empfangen konnten, sowie aus handschriftlichen Programmentwürfen, CZA, Jerusalem, A 623; Sammlung N. B. 137 The Earliest Hebrew Speaking Institutions of Music Education: Tel Aviv 1910s, Anat Viks, in: Israel Studies on Musicology Online, Vol. 20, 2022, S. 107–121, vgl. https://www2.biu.ac.il/hu/mu/ min-ad/Vol_20_2022/8%20Viks%20MINAD%202022.pdf [abgerufen am 1.8.2023]. 138 Konzertprogramm, CZA, Jerusalem, A 623. 139 Konzertprogramm, Sammlung N. B. und Artikel in The Palestine Bulletin, 11. Mai 1931, S. 4. 140 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Frederick_Kisch [abgerufen am 1.8.2023]. 141 Smoira, Moshe, Dr., Joseph Walk (Ed.), in: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945, Leo-Baeck-Institut, Jerusalem, Saur Verlag, München 1988, S. 346. 142 Korrespondenz, CZA, Jerusalem, A 623; Konzertprogramm, Sammlung N. B.
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Irma ist emotional hin- und hergerissen und unschlüssig, was sie für die Zukunft entscheiden und wo sie bleiben soll. Eine Rückkehr nach Bukarest würde ihr weitere Auftrittsmöglichkeiten für Konzerte und Radioaufnahmen ermöglichen. Auch liebt und schätzt sie die kultivierten Menschen dort, die die Qualität des Vortrags gut beurteilen können. Doch sie weiß auch um die Enge des Horizonts in Rumänien. Im Gegensatz dazu haben in Palästina die Konzertsäle und Instrumente zu jener Zeit noch kein gutes Niveau, und der Großteil der Zuhörer kann den Vortrag qualitativ nicht vergleichen. Dafür haben hier die meisten Menschen gute Verbindungen und können international behilflich sein. So auch Marc Chagall, der in Elsas Gesellschaft verkehrt. Die Jüdische Rundschau feiert sie begeistert, und dennoch entscheidet sie, das Land demnächst zu verlassen: »Irma Schoenberg ist in all ihrer Jugend bereits eine Meisterin des Klaviers. Technische Beherrschung des Instruments ist ihr selbstverständlich; doch was sie hoch hinaushebt über so viele andere gute Pianisten, ist die ungeheure Musikalität, mit der ihr Spiel beseelt und durchblutet ist. Alle Register stehen ihr zur Verfügung. Geballte, monumentale Kraft, glitzernde Spielerei, sanfter Hauch, und alle diese Register sind niemals technischer Selbstzweck, sondern Diener kultiviertester, durchgeistigter Musik […] Ihre wahre Kraft erschließt sie aber in der musikalischen Leidenschaft der Chopinschen Sonaten. Spielt Irma Schoenberg Beethovensche Sonaten, die man noch so oft gehört hat – sie spielte hier die Appassionata –, so wird man doch noch beglückt von einer feinen, neuen Nuance, einem Vorhalt, einer Atempause vor dem Sturm, dabei ist nichts eigenwillig, sondern alles gewachsen, geformt, gebändigte Kraft. Scarlatti sie spielen zu hören, ist wie ein Schlürfen perlenden Weines. Ihre höchste Meisterschaft offenbart sie aber in Bach. Wer Irma Schoenberg die D-moll Chaconne von Bach, in der Bearbeitung von Busoni, spielen gehört hat, ist um ein großes musikalisches Ereignis reicher geworden, das Wort Erlebnis so schwer und gewichtig genommen, als nur möglich. In dieser Chaconne – die Busonische Pianoforte-Bearbeitung ist auch für die tiefsten Verehrer des Geigen-Originals beglückend – offenbaren sich alle tiefen Kräfte dieser Musikerin: ihr architektonischer Sinn baut monumentale, polyphone Tonmassen; man hört ein tranquillo, dass die Illusion des Geigens auf dem Klavier entsteht; Leidenschaft schreit auf, geht in innigstes Gebet über und gipfelt zum Schluss in orgelhafter Pracht. Man fühlt sich dem Universum näher […] Irma Schoenberg begibt sich demnächst auf eine Konzertreise nach Paris und Berlin. Es wäre für die Musik in Palästina ein nicht abzuschätzender
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1928–1932 Berlin – Ias¸i – Bukarest – Palästina · Heinz Oppenheimer Gewinn, wenn diese Pianistin, die Rhythmikerin ist und in deren musikalischer Entwicklung, nach ihren eigenen Worten, Dalcroze eine entscheidende Rolle gespielt hat, Palästina erhalten bleiben würde.«143
In Bukarest wartet Harry mittlerweile mit der Idee des Baus eines Musterhauses für den geplanten Siedlungsbau auf. Doch dafür benötigt er mehr Geld, als er besitzt. Mutter Rachel beteiligt sich mit ihrem Anteil aus dem Verkauf des Hauses in Iaşi und verlangt, dass die Schwestern es ihr gleichtun, was jedoch für Irma und Elsa nicht infrage kommt. Harry trifft sich mit dem damals noch Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei und späteren Premierminister Ion Duca144 im Kloster Tismana in der Walachei für Verhandlungen zum Siedlungsbau, ohne jedoch konkrete Zusagen zu bekommen und somit ohne eine Garantie für sein geplantes Projekt. Iso ist erfolgreich in Chicago und bekommt eine Assistenten-Stelle an der Universität sowie eine Lehrstelle an einem College. Mit der Geburt der Tochter Elizabeth ändern sich auch die Pläne der jungen Familie, die sich dazu entschließt, in den USA zu bleiben. Rachel ist Ende Juni zum Kongress der World International Zionist Organisation in Basel eingeladen, wo sie Chaim Weizmann und Nahum Sokolow wiedersieht. Sie hofft für Irma auf eine gute Partie in Palästina, doch sobald Irma erneut einen Heiratsantrag bekommt, verlässt sie trotz Erfolgen und Aussichten für die Zukunft im Spätsommer überstürzt das Land.
143 Artikel Irma Schoenberg in Palästina, in Jüdische Rundschau, Nr. 66, 25. August 1931, S. 408. 144 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ion_Duca [abgerufen am 1.8.2023].
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1932–1933 Paris – Berlin · Salle Pleyel-Debüt Irmas Ziel ist dieses Mal wieder Paris. In Reisenotizen zählt sie die Möglichkeiten auf, die sie hätte, um zu heiraten: »M., J. oder S.«, wobei M. für Moshe Smoira, J. unbekannt und S. für Stefan Wolpe stehen und sowohl M. als auch S. gegenwärtig verheiratet sind. Es ist der erste auffindbare, konkrete Hinweis, dass Irma und Stefan trotz großer Entfernung in Verbindung geblieben sind: »Ehefrau S.’s? Drôle. Unwahrscheinlich. Vielleicht möglich, wenn er so will. ›La constance‹ von der mein hübscher selbstsicherer Nachbar spricht. (7 Jahre). Wenn er es bloß durchhält. Er muss sehr durchhalten und ich muss leider, leider nicht die Chance haben jemand Passenderen zu finden. Und nach S.? Er ist im besten Falle eine Haltestelle, wie er es auch nicht besser erträumt. Und weiter, und weiter – die Tonica – die Lösung in die sich die Dissonanz J. löst??«145
Moshe Smoira (M.) möchte sie am liebsten sofort wieder zurück in Palästina haben: »Ich weiss, dass du ein Vogel bist, der viel ausflattern wird, ausfliegen muss, aber ein Nest musst du haben. Lass mich es dir bereiten. Ich verspreche dir, es sehr behutsam zu tun, keinen deiner Flügel zu verletzen. Was bist du, Schwalbe, Adler, Nachtigall? Alle Vögel sind in dir, alle Vögel, alle.«146
Bedrängt von Rachel schreibt Irma aus Paris einen Artikel für Die Jüdische Frau (rumänisch Femeia Evree), eine Publikation des Kulturbundes Jüdischer Frauen in Rumänien, der in der Februar-Ausgabe 1932 in Bukarest erscheint. Unter dem Titel Palästina, eine Realität zeichnet sie ihre tiefsten Eindrücke ihres monatelangen Aufenthalts in Palästina nach.147 In Paris kontaktiert Irma umgehnd ihre Bekannten aus früheren Jahren: Sara Goldstein (Gorby), die mittlerweile auch hier ist, und Léon Algazi, Komponist, Dirigent, Pädagoge, geboren in der Nähe von Bukarest und Schüler von Arnold 145 146 147
Aufzeichnung von Irma auf Briefpapier der Reederei Lloyd Triestino, Ende September 1931, CZA, Jerusalem, A 623. Brief von Moshe Smoira (Jerusalem) an Irma (Paris), 30. September 1931, CZA, Jerusalem, A 623. Femeia Evree, Bukarest, Februar 1932, Sammlung N. B. Artikel in deutscher Übersetzung im Anhang, S. 253–257.
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Schönberg, Hanns Eisler und Charles Koechlin. Léon Algazi begründet 1929 die Radiosendung La voix d’Israël sowie die Sammlung jüdischer Lieder Mizmor, welche ein Teil der Editions Salabert wird. Irma bittet ihn, Wolpes Komposition Cinq marches caractéristiques zu veröffentlichen, jedoch ohne Erfolg. Mit Hilfe von Marc Chagall, der sie in einflussreiche Pariser Kreise einführt, sichert sich Irma einen Termin in der Salle Pleyel für ein Solo-Konzert am 22. Januar 1932. Ihre Schwester Elsa reist aus Jerusalem an, um ihr bis zum Konzert beizustehen. Sie kümmert sich um den Druck der Programme, versendet Einladungen und gibt Anzeigen auf in Le Figaro148 und im Journal des Debats149. Der jüdische Maler Emmanuel Mané-Katz150 aus dem Künstlerkreis École de Paris, dem auch Amedeo Modigliani und Chaim Soutine angehören, der sich ebenfalls in Paris aufhält, porträtiert Irma. Eine seiner Zeichnungen wird als Titelseite für das Konzertprogramm verwendet. Das dreiteilige Mammut-Programm mit zwei Pausen beinhaltet im ersten Teil Stücke von Frescobaldi, Scarlatti, P. D. Paradisi151 und die Bach / BusoniChaconne, im zweiten Teil die Sonate b-Moll op. 35 von Chopin und im letzten Teil Werke des 20. Jahrhunderts: aus Debussys Images: Mouvement und Reflets dans l’eau, aus Estampes: La soirée dans Grenade und aus den Préludes: Minstrels; vier der Etudes op. 42 von Skrjabin; die Uraufführung von Trois marches (1928) aus den Cinq marches caractéristiques von Stefan Wolpe und de Fallas Aragonesa.152 Das Konzert ist erfolgreich. Einige der Gäste unterzeichnen eine Postkarte für Rachel, die nicht anwesend ist. Unter ihnen sind auch die Tochter von Alexander Skrjabin, Ariadna153, Dichterin und Widerstandskämpferin, die Cembalistin Marcelle de Lacour (geb. Schaeffer)154 sowie der berühmte jüdische Architekt Joseph Minor, der zum »enormen Erfolg Irmas« gratuliert (siehe Abb. 13, S. 68). Nur vier Tage später wird Irma gebeten, in Paris ein Solo-Rezital im Palais der Cercle de l’Union Interalliée zu spielen. Anschließend geben die Familien Weinberg, Chagall, Beauvau-Craon sowie die Witwe von Maxim Winawer155 148 Le Figaro, 22. Januar 1932, S. 8 149 Journal des Debats, 22. Januar 1932, S. 5. 150 L’art et la vie: Mane-Katz, J. M. Aimot, M. Seheur, Paris 1933. 151 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Pietro_Domenico_Paradies [abgerufen am 1.8.2023]. 152 Konzertprogramm, Sammlung N. B. 153 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Ariadna_Scriabina [abgerufen am 1.8.2023]. 154 Vgl. https://www.fondationdelacour.org/musique-et-danse [abgerufen am 1.8.2023]. 155 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Maxim_Winawer [abgerufen am 1.8.2023].
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Abb. 12: Konzert-Poster mit Irmas Porträt von Mané Katz, Paris, Salle Pleyel, 1932
in ihren Pariser Häusern Empfänge für Irma. Anfang März 1932 spielt sie im Pavillon des Etats-Unis der Cité Internationale Universitaire, anschließend soll sie nach Amsterdam fahren, um ein Konzert und eine Radio-Aufnahme mit Sara Goldstein (Gorby) zu bestreiten. Unter dem Vorwand einer Angina reist sie stattdessen jedoch nach Berlin. Aus den geplanten zwei Wochen, die sie in Berlin verbringen will, werden vier Monate, bevor sie im August nach Rumänien zurückkehrt. Unterwegs verweilt sie erneut in Laxenburg bei Wien, und auch Stefan Wolpe folgt ihr dorthin. Intellektuelle aus Bukarest gründen 1932 die Gesellschaft der Künste, Philosophie und Literatur Criterion, die zum Ziel hat, regelmäßige Vorträge zu verschiedenen Themen, gefolgt von Debatten für das breite Publikum zu orga67
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Abb. 13: Postkarte von Irma und Konzertgäste aus Paris, Salle Pleyel, an Rachel, 22. Januar 1932 156
nisieren. Harry ist Vorsitzender der Architekturabteilung, Mircea Eliade157 und Mihail Sebastian158 sind unter anderem Mitglieder der Philosophie- und Literaturabteilungen. Als Mitglieder der Musiksektion wollen Irma und der Komponist und Ethnologe Constantin Brailoiu159 im Rahmen eines Vortrags am 26. November 1932 ein Programm veranstalten.160 Am 3. November verlässt Irma jedoch erneut überstürzt das Land, um Stefan Wolpes Wunsch zu folgen, nach Berlin zurückzukehren. Er ist inzwischen der musikalische Leiter der vor einem Jahr gegründeten kommunistischen Theatergruppe Truppe 156 157 158 159 160
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CZA, Jerusalem, A 623. Mircea Eliade interkulturell gelesen, R. Reschika, Traugott Bautz, Nordhausen 2006 (= Interkulturelle Bibliothek, Bd. 47). A Jew from the Danube: Cuvântul, The Rise of the Right, and Mihail Sebastian, Irina Livezeanu, Diaspora Research Institute, Tel Aviv 1993 (= Shvut: Jewish Problems in the USSR and Eastern Europe, Bd. 6). Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/auf-den-spuren-von-constantin-brailoiu-100.html [abgerufen am 1.8.2023]. Herbstprogramm der Gesellschaft für Kunst, Philosophie und Literatur, Criterion, Bukarest 1932, Sammlung N. B.
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1931161. Seine Gattin, Ola, verlässt ihn 1931 und bringt im September das gemeinsame Kind Katharina (Kathi) in Wien zur Welt. Olas neuer Lebenspartner ist Stefans Freund, der Dramaturg Otto Hahn. Während des Sommers 1932 tourt die Truppe in Deutschland und in der Schweiz mit Wolpes musikalischer Revue Die Mausefalle. In einem Brief an Irma ist Stefan hinsichtlich des Berner Publikums sehr kritisch: »[…] die leben von der Luft und leben von Träumen und Vorstellungen. Kein Mensch geht ins Theater. Man lässt uns (allein) vor 20 Leuten spielen, uns geht es hundeschlecht […]«162 Am 18. Oktober 1932 findet die Premiere von Da liegt der Hund begraben, eine Musikalische Komödie von Gustav von Wangenheim / Stefan Wolpe am Theater am Schiffbauerdamm in Berlin statt163. Es ist nicht belegt, ob Irma nach ihrer Ankunft in Berlin eine aktive Rolle in der Truppe 1931 spielt. Aus Rachels Brief vom 10. November 1932164 an Irma lässt sich dies jedoch vermuten: »Es ist gut, dass du ein Zimmer gefunden hast, mit allem, was du benötigst, vergiss nur nicht, vor lauter Musik, auch noch zu essen. Habt ihr die Aufführungstermine festgelegt? Karlsbad … Prag … warum nicht auch Brünn, dort hast du doch den Ackermann165 […] Ich sehe, ›Da liegt der Hund begraben‹ wird nicht mehr gespielt, dann ist W. [Wolpe] wohl mit dem neuen Repertoire beschäftigt? […] In deinem Studio hier ist es warm, dein Bébé [der Flügel] wartet traurig und stumm in diesem wunderschönen Hause […] Löse mindestens die Entfernung von uns mit dem Glücklichsein ein.«
Rachel arbeitet wie immer überaus engagiert für die Frauenorganisationen im Lande und in Palästina. Zu den Eröffnungen eines Mädchen-Waisenhauses in Bukarest und der Mädchen-Farm in Ness-Ziona, beide zustande gekommen mit Hilfe der jüdischen Frauenvereinigung, schreibt sie die Begrüßungsreden. Sie übersetzt deutsche und rumänische Literatur und Dichtung ins Hebräische und unterstreicht die Bedeutung des Erlernens der Sprache in zionistischen Haushalten. In ihrem Notizbuch verzeichnet sie Irmas Adresse in Berlin: Ruhrstr. 14, Wilmersdorf, Tel. Emserplatz, Tel. 47.67.166 161 162 163 164 165 166
Trab der Schaukelpferde, Steffie Spira-Ruschin, Aufbau Verlag, Berlin 1984. Briefragment von Stefan (Bern) an Irma (Berlin), 1932, Sammlung N. B. Da liegt der Hund begraben, Gustav von Wangenheim, Rowohlt, Hamburg 1974. CZA, Jerusalem, A 623. Otto Ackermann (1907–1960) wurde in Bukarest geboren und war während seiner Studien an der Musikhochschule in Berlin eng mit Irma befreundet. Vgl. https://www.musiklexi kon.ac.at/ml/musik_A/Ackermann_Otto.xml [abgerufen am 1.8.2023]. CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 14: Irma und Stefan in Berlin, 1933 167
Auch Stefan Wolpe wohnt in Wilmersdorf in der Künstlerkolonie am Südwestkorso 45. Zeitweise komponiert er auch in der Kellerwohnung seiner Gönnerin, Else Schlomann168, genannt Schlo, in Dahlem. Am 9. Januar 1933 kommen Rachel und Harry ebenfalls nach Berlin, sie für Arztbesuche und er wegen der Patentierung einiger Designobjekte, die er André Citroën169, der sich in Berlin bei der Internationalen Automobilmesse aufhält, zeigen will. Die Schoenbergs sind oft zusammen mit Stefan Wolpe, den Rachel und Harry bereits aus früheren Jahren kennen, und am 4. Februar anwesend bei der Premiere von Wer ist der Dümmste? der Truppe 1931. Es ist erneut eine Wangenheim / Wolpe-Zusammenarbeit unter Verwendung des Marionettenspiels von K. A. Wittfogel170. Am
167 168 169 170
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Sammlung N. B. Else Schlomann, geb. Oetinger, Gattin von Justizrat Benno Schlomann, Anwalt und Notar in Berlin. André Citroën, Jacques Wolgensinger, Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1996. Wer ist der Dümmste? Eine Frage an das Schicksal. In einem Vorspiel und vier Akten, Karl August Wittfogel, in: Sammlung revolutionärer Bühnenwerke. VII, Malik, Berlin 1922.
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nächsten Tag ist Irma bei Leo Kestenberg171 eingeladen, um ihm Arbeiten von Wolpe vorzuspielen und in der Hoffnung auf Unterstützung für Auftritte. Kestenberg ist eigentlich bereits seit Dezember 1932 in den einstweiligen Ruhestand versetzt, und es kommt zu keinem Ergebnis, da einen Monat später mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten sowohl Stefan und Irma als auch Kestenberg den Weg der Emigration einschlagen müssen. Die politische Lage in Berlin spitzt sich zu. Rachel sieht ein, dass sie nicht weiter an ihrem Leben in Rumänien oder Deutschland festhalten können. Sie bittet Elsa, die für einige Monate getrennt von ihrem Gatten im Bukarester Haus lebt, die endgültige Aufgabe der Immobilie vorzubereiten. Weder Harry noch Irma möchten im Moment jedoch nach Palästina auswandern, sie sehen keine professionelle Perspektive. So wird zusammen mit Stefan Wolpe die Möglichkeit einer Umsiedlung nach Paris erwogen. Dolli kommt mit ihrer Tochter Elizabeth (Betsy) nach Göttingen auf Besuch und reist im Februar weiter nach Berlin, um sich mit den Schoenbergs zu treffen. Noch unterrichtet ihr Vater Edmund Landau an der Universität, ohne der Lage weitere Bedeutung beizumessen. Harry kehrt nach seinen Begegnungen mit André Citroën und Hans Poelzig172 unverrichteter Dinge zurück nach Bukarest. Rachel will zusammen mit Irma unbedingt die Rede des Reichskanzlers Heinrich Brüning bei der Wahlveranstaltung am 3. März im Sportpalast hören. Am Tag der Reichstagswahl, dem 5. März 1933, verzeichnet sie im Tagebuch: »Die Stadt ist voll mit S. A.-Horden, sie durchstreifen alles in langen Bus-Kolonnen mit Fackeln und Gebrüll. Es ist furchterregend. Irma zittert vor Angst.«173 Zwei Tage später fährt Rachel zurück nach Bukarest, ohne dass irgendeine Entscheidung getroffen wurde. Irma ist besorgt wegen Stefan, der die Lage noch nicht als gefährlich einschätzt, obwohl alle weiteren Aufführungen der Truppe 1931 verboten wurden. Sie sorgt dafür, dass er in einem anderen Stadtteil unterkommt, kleidet ihn neu ein und verbietet ihm, in seine Wohnung zurück-
171 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001289 [abgerufen 172 173
am 1.8.2023]. Hans Poelzig. Bauten und Entwürfe. Das Lebensbild eines Deutschen Baumeisters. Unveränderte Wiedergabe der 1939 im Verlag Ernst Wasmuth, Berlin, erschienenen Ausgabe, Theodor Heuss, DVA, Stuttgart 1985. CZA, Jerusalem, A 623.
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zukehren. Bei einer SA-Razzia wird Stefans Bruder Willi Wolpe, alias Woop174, mit dem er zusammenwohnt, inhaftiert und misshandelt. Er verliert ein Auge. Erst jetzt versteht Stefan, wie wichtig es ist, aus Deutschland zu fliehen. Mit Irmas Hilfe kann er am 11. März das Land verlassen. Er findet Unterschlupf in der tschechischen Kleinstadt Cheb (Eger), in der seine jüngere Schwester Bobbi (Boby) Rabl und ihr Mann wohnen.175
174 175
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Wilhelm (Willi) Wolpe (1899–1958) wurde nach seiner Flucht nach Frankreich unter dem Künstlernamen »Woop« als Cartoonist bekannt. Korrespondenz von Irma mit Familie Schoenberg und Interviews von Austin Clarkson und Carol Baron mit Irma in New York, CZA, Jerusalem, A 623; Sammlung N. B.; Sammlung A. C.; Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration Auch in Rumänien überstürzen sich die Ereignisse: Die Banca Moldova, von der Rachel noch einige Jahre eine Witwenrente beziehen sollte, meldet Konkurs an. Die Schoenbergs haben Käufer für ihr Haus in Bukarest, wissen jedoch nicht, wie sie das Geld ins Ausland schaffen sollen und entscheiden, vorerst doch zu bleiben. Die Familie kämpft seit dem Tod des Vaters 1930 mit den Entscheidungen, wo weiterhin zu leben und zu arbeiten – die politische Lage bietet ihnen immer weniger Aussichten. Vorläufig vermieten sie Irmas Studio und eine weitere Wohnung im Haus und warten auf Nachricht aus Berlin. Irma schreibt am 13. März 1933176 und verwendet im Brief den Decknamen »Mihai« für Stefan und »Djinghiskahn« für seinen Bruder Willi Wolpe sowie alternierende Sprachen, um der Familie zu berichten, was aus der Vorfreude auf ihr geplantes baldiges Konzert in Berlin geworden ist: (Rumänisch) »Mihai ist seit vorgestern in einem Städtchen neben dem Kurort in dem du vor drei Jahren gewesen bist. Gut, dass er dort ist. Ich bin ein anderer Mensch seitdem ich weiß, dass er der Gefahr entkommen ist. Djinghiskahn wurde fürs Leben verstümmelt. Sie haben ihn einer Behandlung unterzogen, die unserem Jilava177 alle Ehre macht. Sie übertrumpfen sich. Ich bleibe nicht mehr hier. Meine ganze Welt, die Jüdische, die Christliche, die Empfindliche ist in einer wenig günstigen Verfassung künstlerischen Ausdrucks. Wahrscheinlich werde ich nach Prag fahren und dort auftreten. Dort habe ich Verbindungen und ich möchte mich auch mit Mihai wegen der Zukunft beraten [...] (Hebräisch178): Was hier passiert, kann man unmöglich in einem Brief erzählen. Es gibt kein Recht [mehr]. Es gibt genug zu erzählen. Es lohnt sich, von hier zu fliehen und nicht hierher zurückzukehren [...] (Rumänisch): Mihai ist in einer eindeutigen Krise. Er wollte nach Bukarest kommen. Ich bin sicher, er hätte keine Probleme mit seinem Visum, es hat aber keinen Sinn, weil ich hoffen möchte, dass wir alle nicht mehr lange in Bukarest bleiben [...] (Hebräisch): Er liebt das Leben und ab heute und weiterhin möchte er nicht [mehr] über politische 176
Brief von Irma (Berlin) an Rachel, Harry und Elsa (Bukarest), 13. März 1933, CZA, Jerusalem, A 623. 177 Vgl. https://dewiki.de/Lexikon/Jilava [abgerufen am 1.8.2023]. 178 Mit Dank für die Übersetzung aus dem Hebräischen an Heidy Zimmermann, PSS, Basel.
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1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration Dinge sprechen oder arbeiten. Ich bin sehr, sehr zufrieden darüber […] (Rumänisch): Mihai wird die 5-monatige Tour [in Russland], auf die er hoffte, wahrscheinlich nicht mehr machen. Er will sofort anfangen mir ein Klavierkonzert zu schreiben, welches in 2–3 Monaten fertig wäre. Ich könnte es im Sommer einstudieren, im Winter könnte ich es in Wien oder in Russland mit Scherchen179 aufführen. Mihai will ab sofort nur noch absolute Instrumentalmusik, Klavier[musik], symphonische Werke schreiben (und er kann auch nicht mehr was anderes). Seine Mäzenin, die Dame mit dem weißen Haar180, ist auch nicht mehr hier. Sie ist schon seit einer Weile an der Adria […] Soll ich nun direkt nachhause kommen, allein oder mit Mihai? Erwarte umgehend Nachricht.«
Nicht nur Stefan und Irma können keinen richtigen Entschluss fassen, in welche Richtung sie ihr Leben orientieren sollten, auch Rachel und Harry sind sich unsicher. Dazu kommen Eheprobleme von Elsa, die immer noch in Bukarest ist und eine Scheidung erwägt. Sie rufen schließlich Irma nach Bukarest, doch es ist zu spät, ihre Entscheidung ist gefallen: Sie wird dorthin fahren, wo auch Stefan sich aufhalten wird. Sie sammelt alles, was ihr aus Stefans Kellerstudio im Hause der Schlomanns zu retten gelingt, radiert Namen und schneidet kommunistische Texte aus, bringt einen Teil der Dokumente zu ihrer Freundin Nora Esther, gibt ihre letzte Mietwohnung in der Bayerischen Str. 29 zum 1. April auf und zieht für einige Tage zu Käthe Jacob, der befreundeten Rhythmikerin und Schwester von Alice Jacob-Loewenson.181 Stefan hält es nicht lange in der tschechischen Provinz aus und fährt nach Wien zu Ola, Kathi und Otto Hahn, in der Hoffnung sich aussprechen zu können. »Ich habe jahrelang mit umgestülptem Wesen gelebt. Ich begreife jetzt härter als Alles, wie beinahe alles über mich hinweg geht, rast und mich überfährt. Ich habe zu lange gewartet, habe mich festgefahren in den Bedenken, Meditationen, Kombinationen. Diese ganze Mathematik hat meine Natürlichkeit zerstört; ich, Mensch, ursprünglich härtester Bewegung. Ola wendet sich mir ganz ab. Sie zieht mit Hahn aufs Land. Das Kind ist in einem Heim.«182
179 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001158 [abgerufen 180 181 182
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am 1.8.2023]. Else Schlomann (Schlo), vgl. Anm. 168. Brief von Irma (Berlin) an Rachel, Harry und Elsa (Bukarest), 29. März 1933, CZA, Jerusalem, A 623. Brief von Stefan (Wien) an Schlo (Merano, umgeleitet nach Rom), um den 21. März 1933, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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In Wien wird er verhört, die Polizei droht ihm mit Abschiebung, so fährt Stefan zu Freunden von Otto Hahn nach St. Gallen in die Schweiz. Am 5. April 1933 erwartet er Irma am Hauptbahnhof in Zürich. Im Gepäck hat sie für Stefan das Notwendigste mitgebracht von dem, was sie aus Berlin retten konnte. Beide finden zusammen mit anderen verfolgten Intellektuellen Unterschlupf im Hause des jüdischen Architekten Carl Hubacher183, dessen Frau auch eine Rhythmikerin ist und mit dem Harry (Hy) bereits in Kontakt ist. Irma schreibt nach Hause: »[...] die letzten Wochen in Deutschland und als Krönung, den Boykott, muss man erlebt haben, um Grenzen der menschlichen Möglichkeiten nach dem negativen hinzuerleben. Grauenhaft. Keiner von unseren Freunden ist mehr da, wo er war. Nothman und Ostrowski entlassen, verreisen, bloß wissen sie nicht wohin. Grüngard sind in Schweden, Alice Löwensohn in Holland, ihr Mann in Paris. Dr. Baruch, weg. Kestenberg in Prag. Alle Menschen, nicht nur Juden, die ich kenne, sind brotlos geworden, oder müssen, wie Nora, sich nazionalsoz. Betriebszellen anschließen, um es nicht sofort zu werden. Alle Freunde von Stefan sind entweder in Gefängnissen oder im Ausland. Dem Schönen grosswortigen Willi Wolpe haben die S. A. ein Auge ausgeschlagen und alle Knochen gebrochen. Jetzt liegt er in einem Staatskrankenhaus und bekommt einen Hochverratsprozess. Man wagt kein Wort auszusprechen, der eigne Bruder könnte einen verraten […] Nachmittag bin ich in dies Paradies gekommen. Die Stadt finde ich bezaubernd schön [...] Stefan hatte mich erwartet und wir sind gleich zu Hubacher gezogen. Er ist ein unsagbar lieber, gastlicher, guter Mensch. Sein Haus ein Zentrum für alle Flüchtlinge aus Deutschland. Er lässt uns nicht im Hotel wohnen. Wir müssen, bis wir etwas gefunden haben, bei seinem Vater wohnen, der eine Villa hier hat, da bei ihm schon 3–4 Menschen wohnen. Am Nachmittag ziehen wir hin. Er (der Junge) wohnt in einer entzückenden, ganz modernen Siedlung, die er mit zwei anderen Architekten auf einem Hügel am See gebaut hat. Deinen Brief (Hy) hat er bekommen, hatte aber sehr viel zu tun und kam nicht dazu ihn zu beantworten. Er macht es bald.«184
Sie verlangt Geld von ihrer Mutter, das für die Übergangszeit für Stefan bestimmt ist. Sie möchte in den nächsten 2 bis 3 Monaten für ihn sorgen. Schlo hat ihr aus Rom geschrieben, sie lebe nur von »Wasser und Brot« und könne 183 Vgl. https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=sbz-002%3A1977%3A95%3A%3A317 [abge184
rufen am 1.8.2023]. Brief von Irma (Zürich) an Rachel, Harry und Elsa (Bukarest), 6. April 1933, CZA, Jerusalem, A 623.
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nichts für Stefan beiseitelegen.185 Der internationale Geldverkehr ist jedoch sehr eingeschränkt, sodass Irma Geld von ihrer Freundin Nora Esther leihen und mit den letzten Reserven bis zum Ende des Monats auskommen muss. »Ich habe 8 Tage lang bei Hubacher Sen. auf dem Zürichberg gewohnt. Ein ideales Sanatorium. Wir haben uns etwas erholt. Ich bin in eine Dachkammer mit Klavier, am See, für 50 Franken im Monat, umgezogen. Ich wollte auch Platz machen für andere auf dem Zürichberg. Bei Hubacher Sen. wohnen jetzt 6 Leute, alle aus Deutschland geflüchtet. Es sind Hunderte hier, Ärzte, Professoren, Künstler, Schriftsteller, Musiker, die meisten sind Juden, die nicht wissen, was sie in 2 Wochen machen werden. Ein Komitee für Flüchtlingshilfe, geleitet vom jungen Hubacher, platziert die Menschen provisorisch zu Freunden und Bekannten, wo die Armen nicht vom ersten Tag an die paar Mark, die sie mithaben, ausgeben müssen. Aber wie lange können sie in fremden Häusern von der Großzügigkeit leben? Stefan ist noch oben. Wir überlegen dauernd, wie und was wir weiter machen. Hier haben wir die wichtigsten Musiker kennengelernt und werden weitere kennenlernen, wir haben Adressen von Salons und Empfehlungen. Morgen Abend bin ich eingeladen, bei wichtigen Freunden der Hubachers zu spielen.«186
Am 25. April spielt sie beim Schweizer Pianisten Walter Frey187, der international mit zeitgenössischer Musik auftritt und eine Klasse für Konzertpianist*innen am Konservatorium in Zürich leitet. Es fügt sich jedoch nichts zusammen. Zudem ist es den Flüchtlingen strengstens verboten, in der Schweiz ohne Erlaubnis zu arbeiten. So entscheiden Irma und Stefan, nach Paris zu fahren und sich dort niederzulassen, sobald das Geld aus Rumänien ankommt.188 Dolli und Töchterchen sind immer noch in Europa, haben die letzten Wochen mit den Eltern in Arosa verbracht. Auf der Rückreise nach Göttingen verweilen sie in Zürich, wo sie sich alle kurz mit Irma und Stefan treffen. Die Landaus wohnen immer noch im vornehmen Hotel Baur au Lac, ignorieren die politische Lage, und Irma fragt sich, ob ihre Einstellung gegenüber der Situation echt oder gestellt sei. Edmund Landau hat seine Professur an der Universi185 186
Brief von Irma (Berlin) an Rachel (Bukarest), 4. April 1933, CZA, Jerusalem, A 623. Brief von Irma (Zürich) an Rachel, Harry und Elsa (Bukarest), 16. April 1933, CZA, Jerusalem, A 623. 187 Vgl. https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/020574/2018-01-11 [abgerufen am 1.8.2023]. 188 Briefe von Irma (Zürich) an Familie (Bukarest), 10., 16. und 24. April 1933, CZA, Jerusalem, A 623.
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tät in Göttingen immer noch inne, wird aber bald von einer Gruppe NS-Studierenden unter der Leitung von Oswald Teichmüller189 geächtet und 1934 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Anfang Mai 1933 erreicht Stefan doch noch die lang ersehnte Einladung der russischen Regierung zur Internationalen Olympiade des Arbeitertheaters. In einem Brief an Schlo190 fasst er zusammen: »Ich fahre übermorgen nach Paris – ab 13. von London nach Leningrad und Moskau zur Olympiade des internationalen werktätigen und selbsttätigen (berufstätigen) Arbeitertheaters. Die Russen stellen ein Schiff zur Verfügung, das die Japaner von Japan, die Amerikaner von Amerika, die Inder von Indien u. s. w. abholt und über Hamburg seewärts überführt. Die Olympiade dauert etwa 4 Wochen. Ich muss Dir nicht sagen was sich gerade für mich an Kombina[tionen] ergeben wird, welche Fülle der Möglichkeiten, Aufschlüsse und Verbindungen. Wangenheim schrieb mir [...] ich müsse unbedingt rüber: Friedrich Wolf191 geht mit. Ich bin riesig, riesig neugierig. Die Fahrt wird mein gesamtes Geld auffressen; ich fahre dann von Russland nach Paris, wo ich wahrscheinlich bleiben werde. Wangenheim hat große Theater und Film Projekte; es wird jetzt wegen der Finanzierung verhandelt, du kennst ja W.s Agilität in solchen Dingen. Ich beabsichtige dann in Paris zu bleiben. Das beabsichtigend. Das Adagio192 ist fertig. Bald kriegst du alle Noten. Das Adagio ist ein sehr ernstes Stück Musik geworden. Ich werde bald gute Musik machen, Schlo!! sei sicher. Hier hast du noch die beiden Informationen. Ich habe noch verdammt viel zu kopieren, entsetzend viel zu kopieren. Die Wäsche haben wir vormittags gewaschen. Irma kopiert geduldig. Sie ist famos.«193
Irma bleibt noch bis Ende Mai in Zürich, immer noch wartend auf Geld aus Bukarest. Sie will nach Wien, um mit dem zehn Jahre älteren Eduard Steuermann194, Schüler von Busoni, Schönberg und Webern, zu arbeiten. Er hat es ihr kostenlos angeboten. Rachel möchte nichts davon hören, sie ruft Irma nach 189 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_Teichm%C3%BCller [abgerufen am 1.8.2023]. 190 Brief von Stefan (Zürich) an Schlo (Varna / Vahrn), 8. Mai 1933, Sammlung Stefan Wolpe,
PSS, Basel.
191 Vgl. http://www.friedrichwolf.de/?q=content/friedrich-wolf [abgerufen am 1.8.2023]. 192 Wahrscheinlich die Variation Nr. 8 aus Wolpes Marsch und Variationen für Zwei Klaviere 193 194
(1932–1933). Laut Austin Clarkson: »A copy of March and Variations bound in blue covers contains Variations 1 to 6 copied by Schlomann and Variations 7 to 9 copied by Irma Schoenberg.« E-Mail von A. C. an die Autorin, 31. Januar 2019. The Kindness of Strangers, Salka Viertel, NYRB Classics 2019.
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Bukarest, wo das Haus immer noch nicht verkauft ist und Harry aufgehört hat als Architekt zu arbeiten. Daraufhin reagiert Irma zu guter Letzt energisch und wirft ihrer Mutter vor, sie über Jahre hinweg dominiert und ihr in allem die Meinung aufgezwungen zu haben. Diesmal steht ihr Entschluss fest: »Ich fahr jetzt nach Wien! Selbst wenn ich das Geld für die Reise bei der Jüdischen Flüchtlingshilfe erbetteln muss.«195 Rachel geht auf diese Vorwürfe nicht ein und antwortet trocken: »Also du bist in Wien! Ich wünsche dir gutes Glück und dass du das erträumte Ideal der Kunst findest.«196 Im Gegenteil: Sie schreibt Irma über eine andere Steuermann-Schülerin, die Komponistin und Pianistin Shula (Shulamit) Doniach197, die vor kurzer Zeit aus Wien in Bukarest angekommen ist, wo sie zusammen mit ihren Gatten, ebenfalls Pianist, Arbeit und Auftrittsmöglichkeiten sucht. Shula findet, dass Bukarest im Vergleich zu Wien professionell gesehen ein Paradies sei, und Rachel will es nicht verstehen, warum Irma nicht derselben Meinung sein kann. Sie erlaubt kurzerhand, dass Shula zum Üben auf Irmas Konzertflügel kommen dürfe. Somit ist das Studio endlich wieder in Gebrauch, und Rachel hofft, dass Irma dies zur Rückkehr bewegen wird. Bereits zwei Tage nach ihrer Ankunft spielt Irma in Wien bei Steuermann vor, worauf sich eine intensive Arbeitsphase anschließt. Sie wohnt »fürstlich« im Adolf Loos-Bau in der Starkfriedgasse 19198, im Haus des Textilunternehmers Hans Moller und Anny (Wottitz) Moller199, ehemalige Bauhäuslerin und Freundin von Stefan Wolpe und Friedl Dicker200. Anny fährt bald mit der Tochter nach Paris, Hans ist auf einer längeren Reise in Palästina, somit hat Irma das Haus ganz für sich. Sie erwähnt enthusiastische Briefe von Stefan aus Russland. Er hofft, dass seine Arbeiten dort verlegt werden und er mit Sergei Tretjakow201 eine Oper schreiben wird. Sein Plan ist es, Ende des Monats über
195 196 197
Brief von Irma (Zürich) an Rachel (Bukarest), 23. Mai 1933, CZA, Jerusalem, A 623. Brief von Rachel (Bukarest) an Irma (Wien), 3. Juni 1933, CZA, Jerusalem, A 623. International encyclopedia of women composers: classical and serious music, A. I. Cohen, R. R. Bowker, New York 1981, S. 597. 198 Vgl. https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Haus_Moller [abgerufen am 1.83.2023]. 199 Die klugen Frauen von Weimar. Regentinnen, Salondamen, Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, Ulrike Müller, Elisabeth Sandmann Verlag, München 2007. 200 Friedl. Ein biografischer Roman, Elena Makarova, Mitteldeutscher Verlag, Halle / Saale 2022. 201 Sergej Tretjakow. Biographie des Dings, Fritz Mierau, in: Arbeitsblätter für die Sachbuchforschung #12, Berlin – Hildesheim 2007, S. 4–8.
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Odessa, Konstantinopel und Marseille nach Paris zu fahren.202 Dies ändert sich jedoch plötzlich: »[...] eine große Überraschung: Stefan war Donnerstag und Freitag203 hier. Er ist ganz unerwartet gekommen. Sein Pass läuft ab und er konnte darum nicht den Seeweg wählen von dem ich euch geschrieben hab. Er musste darum auch sofort weiter, in Zürich hofft er einen neuen zu bekommen, und kommt dann hier zurück, wenn es geschieht. Wenn nicht, muss er illegal über die Grenze nach Frankreich. Er hat die 24 Stunden, die er da war, ununterbrochen erzählt. Herrliche Dinge. Er hat dort großen Erfolg gehabt […] Er hat dort ganz große Möglichkeiten und geht im Winter zurück. Ich hab keine Ahnung was ich mache. In zwei Wochen schon nicht mehr […] Im Juli bleib ich aber noch hier.«204
Stefan kehrt zurück in die Schweiz und versucht eine Verlängerung seines Passes von Zürich und St. Gallen aus zu erwirken, was ihm erst einige Wochen später gelingt. Er schreibt an Schlo: »Ich sitze jetzt den 5. Tag wartend auf die Erledigung meines Passes, der abgelaufen ist. Man hat mir nach 4 rückantworl[ich] von mir geschickten Telegrammen nach Berliner Polizeirevieren abschlägig geantwortet. Ich versuch es jetzt durch persönliche Intervention eines guten Berliner Bekannten, der jetzt ein hohes Tier der Nazis ist, und über Schünemann205. Allgemein ist man hier der Meinung, dass so etwas gelingen könnte; auch von Zürich aus will ich durch einen hohen Schweizer Beamten nach Berlin intervenieren lassen mit dem Zweck mich politisch zu neutralisieren. Ich sitze jetzt in Europa und die Misere der Gelder fangt natürlich wieder an. Mein Pariser Fahrgeld ist durch die Regresse restlos aufgebraucht. Ich warte noch einige Tage hier, ich fahre dann nach St. Gallen zu Steiner. Ich bitte Dich dorthin mir Geld zu senden, was Dir möglich ist. Siegfried Steiner-Thoma für Stefan Wolpe, St. Gallen, Rorschacherstr. 133. Ich fahre dann nach weiteren 8 oder 10 Tagen nach Paris.«206
202 203 204 205 206
Brief von Irma (Wien) an Rachel (Bukarest), 14. Juni 1933, CZA, Jerusalem, A 623. Der 29. und 30. Juni 1933. Brief von Irma (Wien) an Rachel (Bukarest), 2. Juli 1933, CZA, Jerusalem, A 623. Georg Schünemann (1884–1945); Musiker, Pädagoge, Wissenschaftler und Organisator; eine Situationsbeschreibung des Berliner Musiklebens, Heike Elftmann, Studio-Verlag, Sinzig 2001. Brief von Stefan (Zürich und St. Gallen) an Schlo (Varna / Vahrn), 1. und Fortsetzung am 15. Juli 1933, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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Stefan vermisst seine Freunde und fragt Schlo, ob sie Neuigkeiten und den Aufenthaltsort von Max Bronstein und Milan Morgenstern wisse, beides Bauhäusler aus Weimar. Auch Max (später Mordechai Ardon207) ist im März 1933 in der Tschechoslowakei untergetaucht. Erst später wird sich herausstellen, dass er mit Hilfe von Hans Moller, der sein Haus in Wien Irma überlassen hat, genau in dieser Zeit in Palästina angekommen ist. Stefan weiß, dass sein Bruder Willi mittlerweile frei ist und nach Hamburg gebracht wurde. Und auch über Ola und über seine Ankunft in Wien berichtet er: »[...] Ola geht es gut. Sie leben sehr schön draußen in Grinzing. Sie ist glänzend beisammen, Otto ist ein famoses Hirn und ist lieb zu ihr. Ich habe immer das Gefühl, ich komme als Schatten, als ausgelöschtes Herz hin und [es] reden dann andere Seelen für mich […] Da war noch Irma in Wien. Sie arbeitet mit Steuermann und ist selig. Sie haben mich beide an der Bahn erwartet. Beide – aber mein Herz gehört Ola. Es war eine Kunst es nicht zu zeigen. Es gab mit der Irma elende und erschütternde Szenen. Sie wurde nun trotz Ideal-Kalender schwanger und ging zum Dr. D. und so weiter. Aber was ich erfuhr, wirft mir die Hölle auf den Schädel. Sie las nicht abgeschickte Briefe an Ola, draußen [in] der Belsitostrasse und diese Briefe, ich habe sie in Moskau weit entschiedener zerrissen – waren intime Briefe an Ola. Als ob eine Entwicklung ohne Widersprüche wäre […] Ich habe jedenfalls Irma beruhigt […] Und habe den gläsernen Sargdeckel meiner Gefühle unhörbar leise geschlossen […]Vielleicht geh ich erst später nach Paris – ich möchte sehr gern zu Webern oder Berg arbeiten gehen, ich möchte eine Symphonie schreiben und alle meine musikalischen Techniken vertiefen, ausweiten […] vieles ist gefroren, halbreif und ich bin an einem Punkt, an dem ich eine viel großzügigere, revolutionärere, genauere, resonantere Musik schreiben möchte. Irma schrieb mir grade, sie will mich im Oesterreichischen vor ihrer Abfahrt nach Bukarest sehen [...]«208
Nachdem sie aus dem Haus der Mollers ausgezogen ist, mietet Irma eine Wohnung am Grundlsee, in der Nähe von Bad Aussee, Stefan folgt ihr am 25. Juli. Sie bleiben für die nächsten zwei Wochen, und Irma berichtet ihrer Familie, wie glücklich sie seien. Auch Stefan fügt einige Zeilen hinzu: »Liebe Mutter Schoenberg. Ich grüße Sie und Harry sehr herzlich. Uns geht es hier auf unsere Art herrlich, sind glücklich und gut gelaunt, kopieren meine 207 Vgl. http://www.ardon.com/Biography.htm [abgerufen am 1.8.2023]. 208 Brief von Stefan (St. Gallen) an Schlo (Varna / Vahrn), 13. Juli 1933, Sammlung Stefan Wolpe,
PSS, Basel.
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1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration Musiken, reden, streiten und erfinden uns viele gute Dinge zum Leben. Haben Sie keine großen Sorgen. Vieles Liebe für euch alle, euer Stefan Wolpe«209
Am selben Tag schreibt er an Schlo über die Pläne, die sie neu geschmiedet haben: »[...] bin hier, erhol mich gut und lebe ein beschwingtes, allmählich sich öffnendes Leben. Die nächste Zeit schaut so aus: ich (oder wir) bleiben noch eine Woche, Weberns Antwort und die Pariser Information abwartend – in Grundsee. Irma fährt nach Bukarest, übend, konzertierend und die Vorbereitungen zum Ausmarsch nach Paris arrangierend; ich plane eine Arbeit bei Webern […] eine Zeitlang in Wien zu arbeiten und ich glaube, dass das besonders jetzt für mich eine wahre wundertuende Kur sein wird. Ich schreibe auf jeden Fall in Wien eine Symphonie (oder ein Klavier Konzert) – denke auch Chöre zu schreiben – aber weg von Klavier plus Chor, Lied oder sonst was – ich plane andere Arten von Musik [...] Im Winter nehme ich für einige Monate Quartier in Paris und fahre dann […?] in die U. S. [...]«210
Nach mehr als einem Jahr getrennt entscheiden Elsa und Sama einen Neuanfang zu machen. Sama kommt nach Wien, und zusammen mit Irma und Stefan erwarten sie Elsa aus Bukarest kommend am Bahnhof. Sie fahren alle nach Mödling bei Wien, wo sie einige Tage bleiben. Irma reist anschließend nach Bukarest. Sobald sie ankommt, fährt Rachel zur Kur nach Watra Dorna. Elsa und Sama fahren nach Prag, wo er Delegierter Palästinas am Zionistischen Kongress ist. Stefan bleibt in Wien und wartet auf die Rückkehr Anton Weberns. Von der Flüchtlingshilfe in Wien bekommt er das Versprechen, dass Ende September ein Konzert mit seinen Werken organisiert wird211, was am Ende jedoch nicht zustande kommt. Dafür mietet Irma den erst vor einem Jahr vom Architekten Emil Prager212 erbauten Dalles-Saal in Bukarest in der Absicht, ein Solokonzert zu geben. Ihr Verehrer aus Palästina, Moshe Smoira, kommt nach Bukarest und möchte Irmas klare Meinung zu ihrer Beziehung haben. Er ist verständnisvoll und hilft Irma mit der Organisation des Konzertes. 209 210 211 212
Brief von Irma und Stefan (Grundlsee) an Rachel und Harry (Bukarest), 1. August 1933, Sammlung N. B. Brief von Stefan (Grundlsee) an Schlo (Varna / Vahrn), 1. August 1933, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Brief von Stefan (Wien) an Schlo (Varna / Vahrn), Mitte September 1933, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Emil Prager: un model, Nicolae St. Noica, Ed. Masina de Scris, Bukarest 2004.
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Stefan hat die ersten Kompositionsstunden mit Webern in Wien und ist zufrieden, obwohl sie am Anfang aneinandergeraten sind: Wolpe zeigt Webern Marsch und Variationen für zwei Klaviere, daraufhin entfacht eine hitzige Auseinandersetzung über die relativen Verdienste der Absoluten Musik versus Gebrauchsmusik. Wolpe behauptet, dass die Rolle der Musik Mobilisierung zur Aktion sei, wohingegen Webern den Standpunkt der Autonomie der Musik vertritt. Ungeachtet ihrer ideologischen Differenzen entwickelt sich zwischen Wolpe und Webern eine freundschaftliche Beziehung. Gearbeitet wird an Wolpes Konzert für neuen Instrumente op. 22, er schreibt Irma: »… arbeite – schwer im teuflischen Seegang der Einfälle und beginnender musikantischerer Arbeit und gegen die ungegorene Hexenküche des 12Ton-Materials.«213 Über die Lage in Wien und über seinen Bruder Willi berichtet Stefan in einem Brief an Schlo: »Ola und Otto sehe ich hin und wieder. Sie haben so ihre bestimmte Art zu leben, in vielen von mir grundgetrennt […] das zauberhafte Katherl alle 14 Tage zu sehen […] Sie redet keine 2 [Wor]te mit mir und als Statist, oder als ideologische Zwischentönung oder als menschliches Temperam[ent] zu flanieren – darauf verzichte ich leidensch[aftlich] […] Also die Flügel sind verkauft zu einem lächerlichen Preis; aber mir ist […?] ein wunderbares Glück angenehm, weil ich diesen Monat für Katerl das Heim zahlen muss, da die Ola nicht einen Pfennig haben (d. h. Otto) also sorge dafür, dass man mir das Geld an die obige Adresse schickt und das aber gleich. Weiterhin bitte ich dich, mir das sog. Geburtstagsgeld zu schicken, das zu haben gut ist; ich habe heute einen sehr guten Brief aus der Schweiz bekommen (nach quälend langem Warten), dass Willy September und Oktober in Zürich und in einem Tessiner Schloss Erholung, Pflege, Ruh und Freunde findet. Ich will ihm das Fahrgeld schicken und etwas Taschengeld dazu. Es geht schlecht und seine Nerven sind futsch und auf[m] Hund [...]214
Bald wird Wolpe jedoch von der Polizei verfolgt und schikaniert, weil er mit seiner (noch) Ehefrau nicht im selben Haushalt lebt. Daraufhin zieht er nach Mödling zu Ola und Otto, doch das hilft nicht. Anfang November wird er aus Österreich ausgewiesen: 213 214
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Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 5. Brief von Stefan (Wien) an Schlo (Varna / Vahrn), Mitte September 1933, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration »Ich bin auf unbeschränkbare Zeit aus Österreich ausgewiesen worden. Seit gestern Zustellung des ›Abschaffung, Erkenntnis und Verkündungs Orders‹. Ich und wir alle sind ziemlich konsterniert. Ich lege heute Rekurs ein, der auf jeden Fall aufschiebende Wirkung hat. Für den Fall der Verweigerung (innerhalb 3 Tage) bleiben mir weitere 3 Tage für die Vorbereitung der Reise. Der äußere Grund ist meine sogenannte Bestimmungslosigkeit […] Ich kann Irma wegen ihres Konzertes in dieser Woche erst am Ende der Woche Mitteilung davon machen; außerdem kann sie nicht vor dem 15. von Bukarest weg. Wo ich hingehen werde, weiß ich nicht, (von den Möglichkeiten U. S. oder Paris oder Palästina jetzt nicht zu reden) ich denke an Budapest zu Bartok, an Winterthur zu Scherchen, an Hába nach Prag oder – an Schönberg, nach Boston, wohin er von Stokowski berufen wurde [...]«215
Irmas Konzert in der Sala Dalles in Bukarest findet am 8. November 1933 statt. Das Programm, eingerahmt von Busonis Chaconne und Carmen Phantasie, schließt Werke ein von P. D. Paradisi, Scarlatti, Chopin, Debussy, drei Stücke von Marcel Mihalovici216 in Uraufführung (Chanson, Pastorale und Danse dans le style roumain, op. 32, 1931) sowie vier von Stefan Wolpes Cinq marches caractéristiques in rumänischer Erstaufführung (siehe Abb. 15, S. 84). Danach wird sie gebeten, einige Benefizkonzerte zugunsten diverser kultureller und zionistischer Vereinigungen in Bukarest zu geben. Am 16. November 1933 verkaufen die Schoenbergs das Haus in Bukarest und ziehen zwei Wochen später provisorisch in ein kleineres. Der Komponist, Pianist und Dirigent Alfred Alessandrescu217 lädt Irma ein, Aufnahmen für Radio Bukarest zu machen. Irma fährt jedoch am 6. Dezember nach Wien, wo Stefan sich immer noch aufhält, obwohl er erneut von der Polizei aufgefordert wurde, das Land zu verlassen. Nach den studentischen antisemitischen Aktionen der folgenden Tage in Bukarest entscheiden die Schoenbergs, zusammen mit anderen jüdischen Familien am 27. Dezember mit dem Schiff Polonia das Land zu verlassen. Irma wird in Wien benachrichtigt. Sie schicken ihr Geld, aber sie kann sich erneut nicht entscheiden. Am liebsten würde sie mit Rachel und Harry nach Palästina fahren, jedoch will sie Stefan in dieser Lage nicht allein in Wien lassen. Am 26. Dezember kommt sie mit ihm nach Bukarest, und so ziehen es Rachel und 215 Ibid., November 1933. 216 Vgl. https://www.zhdk.ch/forschungsprojekt/marcel-mihalovici-biographie-werkverzeich 217
nis-und-musikalische-analyse-582388 [abgerufen am 1.8.2023]. Creația muzicală româneasă. Secolele XIX -XX, Zeno Vancea, Editura muzicală, Bukarest 1968.
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1933 Berlin – Zürich – Wien – Bukarest · Der Weg der Emigration
Abb. 15: Konzertprogramm vom 8. November 1933, Sala Dalles, Bukarest 218
Harry in letzter Minute vor nicht abzureisen, sondern ihretwegen noch einige Wochen im Lande zu bleiben.219 Drei Tage später wird der liberale Premierminister Ion Duca von Mitgliedern der Eisernen Garde220 in Sinaia ermordet und die politische Situation in Rumänien wird gefährlich. Rachel verzeichnet am 31. Dezember in ihrem Tagebuch: »Die Stadt trägt Trauerflor. Welch Omen in diesen Zeiten. Wir sind früh schlafen gegangen, wie immer. – Wir haben Radio gehört mit Stefan.« 218
Sammlung N. B. Originalplakat des Konzertes in Privatsammlung von Leonard Battipaglia, New Haven, USA. 219 Rachel, Tagebuch 1933–1934, CZA, Jerusalem, A 623. 220 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Eiserne_Garde [abgerufen am 1.8.2023].
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe Im Haus der Familie Margulies findet Rachel ein Zimmer mit Klavier, das sie für Stefan mietet, damit er komponieren kann. Er vollendet Marsch und Variationen für zwei Klaviere, Irma gewidmet und sie planen ein Konzert für zwei Klaviere in Bukarest. Am 24. Januar 1934 verlässt Rachel endlich das Land Richtung Palästina, jedoch ohne Harry. Sie ist sehr überrascht über die Fortschritte, vor allem in Jerusalem. Es ist viel gebaut worden in der Zeit seit ihrem letzten Besuch, und die Infrastruktur ist stark verbessert. Das Kulturleben floriert, im Hause von Elsa werden Musikschaffende wie Thelma Yellin221, Bronislaw Huberman222 und Sara Goldstein (Gorby), die mittlerweile dort lebt, als Gäste gern gesehen. Die Pianisten Artur Schnabel223 und Artur Rubinstein224 werden für die nächsten Konzerte erwartet. Elsa kauft eine Arbeit von Henryk Barczynski, dem polnischen Maler, mit dem sie und Irma in Berlin befreundet waren. Ein weiterer gemeinsamer Freund, der Lyriker und Dramatiker Itzak Katzenelson225, besucht Elsa, bevor er nach Warschau zurückkehrt, um dort die Nachrichten über das Befinden von Irma an Henryk weiterzugeben. Sowohl für Itzak als auch für Henryk wird die Wahl ihres Aufenthalts in Warschau zum Verhängnis werden: Itzak wird 1944 zusammen mit seinem Sohn in Auschwitz vergast, Henryk und seine Familie bereits 1941.226 Rachel schreibt nach Bukarest und mahnt Irma, Stefan und Harry, dass sie ihre Energie nicht dort vergeuden, sondern lieber nach Palästina kommen sollten, wo es für sie Perspektiven gäbe. Sie ist besorgt, weil sie nichts von ihnen hört. Auch sorgt sie sich wegen des Haushalts, der aufgelöst und verschifft werden muss, und wegen der Dokumente und Wertsachen, die nicht einfach übermittelt werden können. Am 2. Februar 1934 hört sie endlich Aufnahmen von Irma im Radio Bukarest227: Mozart – Fantasia in C-Dur; Ravel – Prélude et Rigau221 Vgl. https://www.jewishvirtuallibrary.org/yellin-bentwich-thelma [abgerufen am 1.8.2023]. 222 Bronislaw Huberman, Jean-Michel Molkhou, in: Les grands violonistes du XXe siècle. De Kreisler
à Kremer, 1875–1947, Vol. 1, Buchet Chastel, Paris 2011, S. 51–54.
223 Vgl. https://schnabelmusicfoundation.com/musicians/artur-schnabel [abgerufen am 1.8.2023]. 224 Rubinstein: A Life in Music, Harvey Sachs, Grove Press, New York 1995. 225 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jizchak_Katzenelson [abgerufen am 1.8.2023]. 226 Vgl. Anm. 78. 227 Programmzeitschrift Radio Wien, Heft 19, 10. Februar 1934, S. 43.
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe
don; Wolpe – Andante op. 3; Wolpe – Tango; de Falla – Aragonesa, Andaluza; M. Mihalovici – Chanson, Danse. Anfang März 1934 drängt Rachel dann auf Entscheidungen von Irma und Stefan: »[...] Er kann auch ohne Irma kommen, sie kommt dann nach. Also sputet euch, damit es nicht zu spät wird! Trachtet ein Einreisevisum als Tourist für ihn zu bekommen. Noch einmal: schnellstens, denn wenn die Engländer den kurzen Termin am Pass sehen, ist es ausgeschlossen, dass er reinkommt. Ich hoffe ihr habt mich verstanden […] Also nochmals: wegen Stefan sofort Visum erwirken u. herkommen.«228
Am 13. März verzeichnet Rachel in ihrem Tagebuch den Erhalt eines Briefes von Irma, in welchem sie Bescheid gibt, dass sie und Stefan nach Palästina kommen: »Then I decided the only place to go was Israel. At that time, it was mandate country, British-controlled, you still could get a certificate. So, I took him to Israel, and it was the most happy time of his life.«229
Auch Stefan schreibt an Schlo, dass sie am 12. März 1934 einschiffen werden.230 Dieser Termin kommt jedoch nicht zustande. Am 18. März verschickt Irma ein weiteres Telegramm an Rachel, in dem sie endgültig bekannt gibt, dass sie und Stefan die Reise antreten werden. Harry schreibt am 24. März seinen ersten Brief seit zwei Monaten, in denen Rachel in Palästina ist, und erwähnt, wie still es im Hause in Bukarest geworden sei, seit »Stefirma« abgereist sind. Somit liegt das Datum der Schiffsreise von Irma und Stefan eindeutig zwischen dem 18. und 23. März 1934. Harry schickt Fotos mit seinem neu entwickelten, multifunktionalen Klappstuhl und Tisch, auf dem Stefan posiert. Dieser Stuhl wurde vom Repräsentanten der Firma Thonet231 in Österreich für produktionsfähig befunden, sodass Harry ohne Absprache mit Rachel ein Drittel des Familienvermögens in die Fertigstellung von Tausenden von Muster-Stühlen und -Tischen investiert, von denen er hofft, sie direkt verkaufen zu können. Trotz erfolgreicher Vorstellung an der internationalen Levante-Messe in Tel Aviv im Mai 1934 fällt kein 228
Brieffragment von Rachel (Jerusalem) an Irma und Harry (Bukarest), Anfang März 1934, CZA, Jerusalem, A 623. 229 Interview von Austin Clarkson mit Irma, 22. November 1979, New York, Sammlung A. C. 230 Brief von Stefan (Bukarest) an Schlo (Meran), Anfang März 1934, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 231 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Thonet [abgerufen am 1.8.2023].
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe
Abb. 16: Stefan Wolpe auf dem von Harry entwickelten Klappstuhl in Bukarest, 1934 232
großer Gewinn ab, sodass die Fehlinvestition deutlich wird. Harry arbeitet anschließend als Vertreter der Versicherungsgesellschaften Victoria (Berlin) und Adriatica (Triest) und zieht erneut innerhalb Bukarests um, statt nach Palästina auszuwandern. Aus den USA kommen Nachrichten von Iso: Sie sind nach Princeton umgezogen, er hält Vorträge, und bald werden seine ersten Publikationen erscheinen. Sie bereiten auch ihre Einbürgerung vor. Isos Schwiegervater, Professor Landau, ist ohne Anstellung in Berlin. Sein Schwager, Heinz von Schüching, hat noch seine Stelle am Berliner Gericht, aber seine Schwägerin, Suzanne Landau (von Schüching), wurde wegen ihrer jüdischen Abstammung nicht mehr für ihr Doktorat in Chemie an der Universität zugelassen. Rachel antwortet mit der neuesten Nachricht: 232
CZA, Jerusalem, A 623.
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe »Irma und Stefan sind vermählt, viel Glück! Was mit ihnen wird, weiß man noch nicht. Stefans deutscher Pass verliert seine Gültigkeit jetzt im Juli, mal sehen, ob er einen neuen bekommt, wahrscheinlich bleiben sie jetzt hierzulande. Wenn nicht, weiß ich nicht wohin. Vielleicht Paris, vielleicht Russland, alles unbekannt. Aber was ist jetzt schon bekannt!«
Ein Freund Isos aus Iaşi, Niederhofer, fügt einige Zeilen hinzu: »Ich bleibe im Erez einige Wochen, bin oft mit Frau Irma und Stefan Wolpe zusammen. Ein ungewöhnlich interessanter Mensch, der sich in jeder Beziehung aus dem Groß der Allgemeinheit markant hervorhebt.«
Und auch Stefan schickt ein Foto, da Iso und Dolli ihn noch nicht kennen233 (siehe Abb. 17, S. 89). Einige Tage später ist Pessach-Fest, und Rachel notiert die Eindrücke in ihrem Tagebuch: »Am Morgen des Pessachtages ist es geheiligter Brauch / Wille zur Klagemauer wandern. Festlichkeit des Steins. Ehrfurcht, pompöse Formen der Klöster, Triumph der Materie. Klagemauer. Triumph des unbesiegbaren Geistes, des Glaubens an die unsichtbare Göttlichkeit. Ein Tross des Glaubens bewegt die Massen. Wie von einem magischen Faden bewegt sich dieses bunteste aller Menschenströme durch die unwahrscheinlich engen, gewundenen Gässchen. Dicht aneinandergedrängt, die Leibe tasten sich, die Füße auf den runden, von den Schritten zahlloser Generationen geschliffener Steine und Stufen immer abwärts. Trotz der Unsicherheit und Steilheit des Weges muss man immer aufwärts blicken, auf Köpfe des einzigartigen, unglaublichen Menschengewoges. Zu arm ist die Sprache, um all das zu schildern, was sich da bewegt. Staunend und den Blick wahr, welche Formen der Menschenantlitz zeigen kann. Kaum ein Volk, das nicht da vertreten wäre, kaum eine Fracht, die sich da nicht zeigte. Die banalste Hässlichkeit vom Zwielichte verklärt in den Bogengängen wo die Sonne kaum eindringt. Das ist mehr als vergänglicher Zierrat, das ist Leben, das dauern will. Klagemauer, tragischer Hintergrund. Die schweren, vom Zahn der Jahrtausende zerschlissene Blöcke scheinen aus den Tiefen in den blauen unbewegten Himmel steigen zu wollen. Diese Blöcke sind vollgeladen mit der Dynamik jahrtausendealter Sehnsucht, ihre tiefen Furchen sind von Tränenbächen durchwaschen, von frommen Lippen geglättet.«234 233 234
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Brief von Rachel, Irma und Stefan (Jerusalem) an Iso (Princeton), 6. April 1934, CZA, Jerusalem, A 623. Rachel, Tagebuch, April 1934, CZA, Jerusalem, A 623.
1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe Abb. 17: Stefan Wolpe in Jerusalem, 1934 235
Eigentlich hatte Rachel geplant, nach dem Pessach-Fest nach Bukarest zu fahren, um die Angelegenheit mit Harry zu regeln und die Verschiffung des Haushalts in die Wege zu leiten. Hin- und hergerissen kann sie jedoch keine Entscheidung fassen: »… war schon mit fertigem Gepäck u. hatte nicht den Mut zur Abreise. Jetzt sehe ich wie schlecht ich tat. Nun hat sich alles verquickt, Ausstellung, Geldfrage in Rumänien, es ist zum Zusammenbrechen. Weiß nicht was zu beginnen. Bin elend, schlaflos, gehetzt wie ein Tier und was das Schrecklichste ist, verbreite um mich eine Atmosphäre der Sorge, die mich unmöglich macht, bei 235
Sammlung N. B.
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe Fremden und eigenen Kindern. Statt zu jubeln über all das Herrliche, das ich da auf Schritt und Tritt erlebe, muss ich ewig jammern! Ist das die Strafe, weil wir nicht fest glauben? O, Gott, was könnte ich allein tun?«236
Irma verliert nicht viel Zeit in Palästina, sie ist sofort tätig und organisiert Treffen, stellt Stefan überall vor. Sie schicken von Hand kopierte Partituren von Marsch und Variationen und von den Cinq marches caractéristiques an Hermann Scherchen und an Arthur Rubinstein. Letzterer möchte die fünf Märsche eventuell in sein Repertoire aufnehmen, will sie jedoch zuerst vorgespielt bekommen: »Heute hat Irma die Märsche Rubinstein vorgespielt. Er hat bereits nach Paris, an das große Verlagshaus Eschig geschrieben! Ohne zu wissen, dass Sokolov uns gut kennt, hat er ihm sehr enthusiastisch über Stefan berichtet. Wir werden sehen. Vorläufig wissen wir nicht, ob S. den deutschen Pass bekommt. Er hat nach Berlin geschrieben, es müsste aber ein Wunder geschehen, um ihn zu bekommen. Wir warten auf Antwort.«237
Irma stellt Stefan auch im Kibbuz Ein-Harod vor, wo sie gute Bekannte hat und 1931 bereits ein Konzert gab. Dort organisiert Wolpe im Laufe des Monats April ein großes Musikfest für den 1. Mai 1934: »Ich war jetzt lange in einer der großen Komm. Siedlungen und habe Musiken zu einer Maifeier geschrieben in der sich, in diesem wunderbar langgestreckten Tal zwischen Mittelmeer und Transjordanien, 5 Kwuzoth (Siedlung) beteiligten, die Kinder der Schule, ein Orchester und Singchöre. Es war draußen in einem Felsbecken, herrlich zu hören, imposant und gut. Wir haben da eine Montage gemacht aus Chroniken, Zitaten, Liedern […] und einem Kinderstück über den Wiener Aufstand. Ich habe ein paar schöne starke Melodien geliefert, welche hier rasch populär geworden sind. Man hat mir sogar den Antrag gemacht, zu bleiben, Chöre zu organisieren, zu komponieren, Orchester zu bilden. 1000 Möglichkeiten […] aber mit welcher Perspektive?! Wir haben viel in den Siedlungen gespielt, Irma und ich«238
236 Ibid. 237 Brief von Rachel (Jerusalem) an Harry (Bukarest), 12.–14. April 1934, CZA, Jerusalem, 238
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A 623. Brief von Stefan (Jerusalem) an Schlo (Meran), 12. Mai 1934, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe
Im selben Brief lässt Stefan Schlo auch wissen, dass sein Pass für weitere vier Jahre verlängert wurde, nachdem er im Antrag vermerkt hatte, dass er sich in Palästina niederlassen möchte. Er gesteht aber, nicht gerne dort zu sein: »Mein Konzert für 9 Instrumente (Nonett) ist bald fertig (fehlt noch der 4. Satz). Ich schreib dann das Klavierkonzert und dann die Symphonie – nun, Schlo das kling alles sehr mutig, unternehmerisch – aber welche Zaghaftigkeit, Kleinmut – welche bitter erjagten Konzentrationen den Umständen zum Trotz. Und welche sind es? Ich bin nicht gerne hier. Es sind ganz kleine Arbeitsmöglichkeiten (da mal eine Musik, mal Habimah239, Cabaret, vielleicht auch Film).«
Einen Tag später schreibt er erneut an Schlo: »… ich habe gestern ein Visum für 4 Jahre bekommen. Ich bin sehr froh. Das habe ich Palästina zu verdanken. Was wird aus deinem Dahlemer Haus? Wo sind meine Möbel, Wäsche, Noten. Wo muss das alles verkommen, Arbeit von vielen Jahren. Wie kann man das organisieren, dass es hierherkommt. Wie, Schlo?! Das ist eminent wichtig: die Noten besonders.«
Es ist dasselbe Thema, das auch Irma beschäftigt. Nach einem erfolgreichen Konzert mit Sara Goldstein (Gorby) am 10. Mai im britischen Konsulat, bei dem viele Botschafter anderer Länder anwesend sind, bekommt sie Unterstützung von der rumänischen Delegation: Da sie immer noch kein Klavier hat und bei ihrer Schwester Elsa, wo sie wohnen, auch üben muss, schlägt man ihr vor, dass Harry ihr Klavier aus Bukarest der dortigen palästinensischen Botschaft als Spende überlässt, diese es auf eigene Kosten nach Jerusalem verschickt und anschließend wiederum Irma spendet. Somit könnte die Verzollung umgangen werden und sie hätte ihr eigenes Instrument wieder.240 Harry gelingt es jedoch nicht, eines ihrer Klaviere zur Botschaft bringen zu lassen. Irma hat mittlerweile eine Anstellung am von Emil Hauser neu gegründeten Konservatorium in Jerusalem und gibt Seminare für Klavierlehrer in Tel Aviv. Die Wolpes bekommen einen Raum im Konservatorium, wo sie leben und tagsüber unterrichten können:
239 240
Habimah ist das Nationaltheater in Tel Aviv. Rachel, Tagebuch 1934, CZA, Jerusalem, A 623.
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe »Wir leben glücklich zusammen. Haben einen großen Wohnraum und ich in der Stadt ein sehr liebes kleines Zimmerchen in einer vergessenen Straße. Ich arbeite sehr universal; übe sogar viel Klavier und spiele weitaus besser als früher […] Ich habe hier einiges gemacht, eine sehr schöne Musik zum eingebildeten Kranken (Molière) in der Aufführung der Habimah241. Habe große Chöre für X Meetings geschrieben, habe weiter 2 Arbeiterchöre mit denen ich arbeite und für die ich komponiere. Habe mein Orchester Konzert fertig, arbeite jetzt an Chören mit Orchester und dem Klavierkonzert. Ich bin ganz am Anfang.«242
Die Wolpes sind in engem Kontakt mit ihrem Freund, dem Bauhäusler Mordechai Ardon, der mittlerweile auch seine Familie aus Berlin nachkommen ließ. Nach einer zusätzlichen Ausbildung als Lehrer unterrichtet er Kunst an Schulen und verdient damit kaum das Notwendigste. Stefan erleidet Anfang des Sommers einen Nervenzusammenbruch. Die Ankunft des Ehepaars Hirsch aus Stuttgart wird sich als ein Glücksfall für die Wolpes erweisen: Erwin Hirsch eröffnet gleich nach der Ankunft eine Praxis als Nervenarzt und Psychoanalytiker, und Stefan ist einer seiner ersten Patienten. Seine Gattin, Anne HirschFellheimer, ist Sängerin. Sie und Irma arbeiten sofort zusammen und werden im Laufe der nächsten Jahre viele Auftritte gemeinsam bestreiten. Wegen der provisorischen Lage, in der sie Ende des Sommers immer noch leben müssen, stößt auch Irma an ihre Grenzen. Rachel ist im Juli nach Bukarest zurückgefahren, hat dort zwar den Hausrat in Kisten verpackt, jedoch immer noch nicht verschickt. Sie reist zu einem Erholungsaufenthalt und hinterlässt alles in Harrys Verantwortung, der es jedoch erst ein Jahr später schaffen wird, diese Aufgabe zu erledigen. Es scheint wohl bei allen Kindern der Schoenberg-Familie Usus zu sein, Dinge endlos zu verschieben … Nach zwei Monaten, am 27. August 1937, schreibt Irma endlich einen Brief an Rachel, ergänzt und schickt ihn aber erst einen weiteren Monat später ab, wobei sie nebenbei auch erwähnt, dass sie und Stefan vor einem Rabbi geheiratet haben: »Wir leben hier wie die Bettler, ohne Bettwäsche, ohne Möbel, ohne Teppich … Es ist kein Spaß ›Berufsmensch‹ sein zu müssen ohne Haushaltshilfe. Es gibt keine freie Minute, in der ich nicht weiß was zuerst tun: waschen, bügeln, 241 242
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Uraufführung am 14. August in Tel Aviv, Habimah, laut Brief von Elsa (Jerusalem) an Rachel (Bukarest), 4. August 1934, CZA, Jerusalem, A 623. Brief von Stefan ( Jerusalem) an Schlo (Meran), Sommer 1934, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe Abb. 18: Irma und Stefan in Jerusalem, 1934. Handschrift Stefan Wolpe auf Verso 243
aufwischen, etc. Stefan hilft was er kann, er macht die Einkäufe. Wir waren nicht viel Zeit zusammen in der letzten Zeit. Beinahe im ganzen Monat Juli war er an der Habima in Tel Aviv und jetzt, im August, in Haifa, wo er die Musik für eine große Show-Aufführung gegen den Krieg komponiert, im Auftrag der Vaad-Histadruth244 der Arbeiterklasse. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr die gesamte Habima ihn liebt, sie wollen eine Revue mit ihm machen. Jetzt in Haifa wollen sie ihn gar nicht mehr gehen lassen. Er hat alle Arbeiterchöre organisiert und ihnen wunderbare Musik komponiert. Am Donnerstag, den 30. August, wird die Aufführung sein, auch ich fahr morgen hin, um dabei zu sein. Seit eineinhalb Monaten wohnen wir im Konservatorium. Wir müssen aber bald umziehen, die Kurse fangen bald an. Hat Elsa dir 243 244
CZA, Jerusalem, A 623. Histradut ist der Verband der Arbeiter, später der Dachverband der Gewerkschaften in Israel.
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe geschrieben, dass ich eine Meisterklasse am Konservatorium geben werde? Hauser zeigt mir gegenüber so viel Freundschaft und Wertschätzung, das nicht übertroffen werden [kann]. Er wird mir auch das Lehrzertifikat besorgen. Stefan wird seines von der Histraduth bekommen, ich hoffe. Die hiesige ›Musical Society‹ hat mich eingeladen die Konzertsaison mit einem Rezital zu eröffnen. Ende Oktober. Ich hoffe, du wirst bis dahin wieder hier sein. Ich habe mittlerweile auch Schüler, die Lehrer arbeiten sowieso schon mit mir. Ich verdiene aber nicht viel. Du weißt gar nicht wie gut, dass wir dann gekommen sind, als wir sind, und nicht später. Mittlerweile ist eine ganze Schar Pianisten angekommen. Hauser bekommt dauernd Briefe von bekannten Pianisten aus Deutschland, die froh wären, jetzt hier zu arbeiten […] Vor drei Tagen war ich mit Hauser zum Essen beim High-Commissioner eingeladen, danach sind wir alle zu einem Konzert im Amphitheater auf dem Scopus […] Anbei schicke ich dir ein Dialog aus einer Buffa-Inszenierung, die ich mit Marie Zweig, meine Schülerin und Kameradin (die Cousine und Schwägerin von Arnold Zweig) geschrieben und Vorgestern, zu Stefans Geburtstag, gespielt habe […] Wir haben eine lustige Party organisiert, bei der Hauser die Hauptrolle hatte. Stefan ist extra für diesen Abend aus Haifa gekommen. Ich habe ihn seit zwei Wochen nicht mehr gesehen [...] 27. September. Liebe Mama, ich habe den Brief nicht abgeschickt, weil wir beide in Haifa, nach dem Festival (das grandios war) krank geworden sind und es zwei Wochen gedauert hat, bis wir wieder auf den Beinen waren. Danach mussten wir die Angelegenheit unseres Aufenthaltes hier lösen. Alles ist geregelt, pour le mieux. Wir haben geheiratet, ich glaube am 12. September, bei einem reizenden, einfachen Rabbi, zu dem alle Chaluzim245 gehen. Als Minjan246 hat uns ein Freund 10 Arbeiter auf 3 Motorräder gebracht, denen der Rabbi Kippas ausleihen musste. Alles hat um 9 Uhr am Abend stattgefunden, à l’improviste, und wurde von unserem lieben Freund Hauser, der Direktor des Konservatoriums, organisiert. Auch die Sache mit dem Zertifikat hat Hauser erledigt. Er hat Stefan einen Lehrvertrag ausgestellt, hat den Antrag beim Emigration Department eingereicht und hat die Beamten dort überzeugt, auch mich zu akzeptieren, obwohl wir nicht in Deutschland verheiratet waren, eine komplizierte Sache, auch kostspielig, die mich rechtlich in eine deutsche Staatsangehörige verwandelt hätte. Somit wäre das erledigt. Am 27. Oktober findet mein Konzert hier bei der Musical Society statt. Ich werde ein prächtiges Pro245 246
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Hebräisch für »der Pionier«. Minjan ist das Quorum von mindestens zehn mündigen Juden, um einen vollständigen jüdischen Gottesdienst durchführen zu können.
1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe gramm spielen. Wir quälen uns immer noch sehr mit dem Wohnen […] Ich bin jede Minute gestört, ohne das Mindeste an Ruhe oder Komfort […] Ich brauche mein Klavier!«247
Vor Irmas Konzert am 27. Oktober 1934248, erwähnt Stefan in einem Brief an Schlo249: »Sie ist blendend in Form, hat ungeheuer viel gelernt und entwickelt sich rapid«. Irma spielt das Programm ihres letzten Konzerts aus Bukarest 1933, und die Jüdische Rundschau vermerkt: »Irma Schoenbergs Klavierspiel hat hier vor zwei Jahren einen starken Eindruck hinterlassen. Ihr Anschlag hat etwas Straffes, Heroisches und Kämpferisches. Der Pleyel-Flügel war für sie ungeeignet. Es musste eine Pause eingelegt werden zur Reparatur einer Taste, zerschlagen vor der schlanken Pianistin – im Bachspiel [...]«250
Nach wochenlangem Kuraufenthalt kehrt Rachel zurück nach Bukarest und quartiert sich im Grand Hotel Lafayette ein. Sie verkauft alte Möbel, kauft neue sowie ohne Absprache mit Irma ein weiteres Klavier. Sie überlegt, nur vorübergehend nach Palästina zurückzukehren, nur so lange, bis sich Irma und Stefan ein Heim eingerichtet haben. Danach möchte sie zu Iso und seiner Familie in die USA auswandern, kann sich aber erneut nicht entscheiden zu fahren. Am 30. Oktober 1934 hält sie eine Abschiedsrede bei dem Kulturbund Jüdischer Frauen in Rumänien und zieht sich aus der aktiven Mitgliedschaft zurück.251 In Princeton setzt sich der Direktor des Mathematischen Instituts der Universität für die Verlängerung der Aufenthaltsvisa der Schoenbergs sowie für ein neues Stipendium für Iso ein. Zudem bekommt Iso das Angebot, am Swarthmore College bei Philadelphia einen Kollegen zu vertreten.252 Harry reist mittlerweile nach Polen wegen der Fertigung seiner Stühle und Tische und fährt von dort weiter nach Berlin, um alles patentieren zu lassen. 247 248 249 250 251 252
Brief von Irma (Jerusalem) an Rachel (Bukarest), 27. August–27. September 1934, CZA, Jerusalem, A 623. Voranzeige in The Palestine Post, 26. Oktober 1934, S. 12. Brief von Stefan (Jerusalem) an Schlo (Meran), Ende Oktober 1934, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Jüdische Rundschau, Nr. 102/103, 21. Dezember 1934, S. 20. Rachel, Tagebuch, CZA, Jerusalem, A 623. Brief von Iso (Princeton) an Rachel und Harry (Bukarest), 21. Oktober 1934, CZA, Jerusalem, A 623.
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1934 Bukarest – Palästina · Ehe mit Stefan Wolpe
Abb. 19: Irma und Elsa in Jerusalem, 1934 253
Ein Industrieller, Herzogenrath, übernimmt den Vertrieb seiner Möbel in Deutschland, und Harry reist weiter nach London, wo er sich vorläufig niederlässt, um die nächsten Geschäfte anzukurbeln.254 Ende 1934 schreibt Irma einen traurigen und vorwurfsvollen Brief an Rachel.255 Sie hat ihren Bechstein-Flügel immer noch nicht aus Bukarest erhalten, auch keinen einzigen Haushaltsgegenstand oder ihre eigene Kleidung. Harry, der das gesamte Geld verwaltet, habe sich daraus bedient, ohne zu fragen. Er habe den Wechsel in Valuta viel zu lange herausgeschoben und somit 40 Prozent des Wertes verloren, habe dubiose Anlagen in Frankreich gemacht, statt das Geld nach Palästina zu schicken und habe Geld über Leute schicken lassen, die es leugnen, je in Rumänien gewesen zu sein. Irma möchte von Harry eine neue, ehrliche Abrechnung haben und ihr Geld von nun an selbst verwalten. Sie ver253 CZA, Jerusalem, A 623. 254 Brief von Harry (Berlin) an Rachel (Buakrest), 1. Dezember 1934, CZA, Jerusalem, A 623. 255 Ibid.
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dient in Palästina allein, da Stefan noch kein festes Einkommen hat. Alles, was sie benötigen, vom kleinsten Nagel bis zum Bügeleisen muss erst gekauft werden. Dazu kommen die finanziellen Unterstützungen für Stefans Tochter Kathi, die Irma bis dahin auch übernommen hat. Bald wird dies nicht mehr notwendig sein, weil Otto Hahn, Olas Gatte in zweiter Ehe, ein Haus geerbt und verkauft hat und somit künftig seine Familie versorgen kann. Nachdem Stefan jahrelang keinen Kontakt mit seiner Familie hatte, denkt er jetzt über eine Unterstützung für seine Eltern nach. Er und Irma schlagen Rachel vor, dass sein Vater David Wolpe in Harrys Geschäfte einbezogen werden sollte: »Er war vor dem Krieg (1. WK) ein großer Industrieller und Händler im Ledergeschäft, er reiste jedes Jahr nach Amerika. Nach dem Krieg hat er einige Jahre in Spanien gelebt, wo er sehr erfolgreich war, aber vor einigen Jahren wegen des russischen Dumpings ruiniert wurde. Er hat jetzt noch einige spanische Repräsentanzen in Berlin, mit denen er sich übers Wasser halten könnte, wenn er nur Valuta für den Import hätte. Aber so, verhungert er mit seiner armen, kranken Frau. Er spricht perfekt Englisch, Deutsch, Russisch, Spanisch. Er kennt Spanien sehr gut, ist ein hartnäckiger Händler und ein recht widerstandsfähiger Mensch, wenn er der Misere der letzten eisernen Jahre standgehalten hat. Er müsste unbedingt ins Geschäft des Verkaufs der Stühle in Deutschland oder in Spanien einbezogen werden. Es würde uns ein Stein vom Herzen fallen, wenn wir wüssten, dass diese Menschen das Minimum einer Existenz hätten. Kein Bissen schmeckt uns hier, wenn wir an die Misere der Alten denken.«256
Was Irma aber am meisten ärgert, ist, dass sie ihre Finger und ihre Technik auf den schlimmsten Klavieren des Konservatoriums kaputt üben muss, während ihre beiden Klaviere in Bukarest stehen und nicht verschickt werden: »Wäre ich eine arme Frau, hätte ich schon längst ein Darlehen aufgenommen und mich menschlich eingerichtet.« Mitte Dezember 1934 ziehen Irma und Stefan in eine Mietwohnung im neuen Stadtviertel Rehavia. Zusätzlich zum Unterricht in Jerusalem leitet Irma ab sofort eine Meisterklasse am Konservatorium in Tel Aviv. Und nach einem erfolgreichen Konzert in Haifa wird sie auch dort künftig zweimal im Monat Pianist*innen unterrichten. Ebenfalls während dieser Zeit beginnt
256
Brief von Irma (Jerusalem) an Rachel (Bukarest), Ende 1934, CZA, Jerusalem, A 623.
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Irma, Vorträge über unterschiedliche Themen zu halten, was sie über ihre gesamte Laufbahn hinweg regelmäßig machen wird. So spricht sie im Januar 1935 z. B. vor Lehrenden am Konservatorium in Jerusalem über Die Bewegung beim Klavierspiel.257
257
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Jüdische Rundschau, Nr. 6, 19. Januar 1935.
1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx Ende Januar 1935 hat sich an ihrer Situation noch immer nichts geändert. Anstatt nach Jerusalem zu kommen und alles mitzubringen, fährt Rachel zu Harry nach London. Irma fleht sie an, ihr mindestens den Bechstein-Flügel zu schicken, sogar ihre ärmsten Studierenden hätten ein Klavier zuhause, nur sie nach wie vor noch nicht. Die Lage der Wolpes ist erneut verzweifelt, sie schmieden Pläne, die sich jedoch nicht verwirklichen: »Stefan verdient sehr wenig, trotz seiner Anstrengungen, um Arbeit zu finden. Es hat keinen Sinn für ihn hier zu bleiben. Im Herbst wird er weggehen, ich hoffe. Ich bleibe noch mindestens ein Jahr hier.«258 Für Irma bleibt es nicht nur beim Unterrichten. Sie wird eingeladen, bei den verschiedensten Gelegenheiten zu spielen. Am 26. Januar 1935 soll das Jerusalem String Quartet in Haifa ein Konzert bestreiten, die Cellistin Thelma Yellin erkrankt jedoch, sodass Irma gebeten wird einzuspringen. So kommt es zu einem Duo-Programm mit der Geigerin Marjorie Bentwich mit Sonaten von Mozart und Chopin.259 Im Government House in Jerusalem wird am 25. März 1935 ein Chamber Music Concert unter der Ägide des High Commissioners veranstaltet. Eingeladen ist erneut das Jerusalem String Quartet sowie das Duo Anne Hirsch-Fellheimer / Irma Schoenberg260. Harry hat wenig Erfolg in London, auch wenn Rachel seit Monaten ebenfalls dort ist und ihn unterstützt. Im März heiratet er in Hampstead die zehn Jahre jüngere Ungarin Emma Eröss genannt Mouche, die er aus Bukarest kennt, nachdem diese zum Judaismus konvertiert ist. Am 15. März schiffen alle drei in Marseille Richtung Palästina ein. Rachel gibt ihrem Anwalt in Bukarest endgültige Anweisungen, damit das Hab und Gut der Familie endlich nach Jerusalem verschickt wird. Inzwischen bekommt Stefan eine Einladung von Hermann Scherchen, um an der Troisième Session Internationale d’Enseignement Musicale et Dramatique, die vom 16. Mai bis zum 31. Juli 1935 während der Weltausstellung in Brüssel 258 259 260
Brief von Irma und Elsa (Jerusalem) an Rachel (London), 24. Januar 1935, CZA, Jerusalem, A 623. The Palestine Post, 25. Januar 1935, S. 5. Ibid., 22. März 1935, S. 4.
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stattfindet, teilzunehmen. Sie kannten sich bereits aus Berlin, vor allem über Scherchens Melos-Kreis. Stefan schreibt an Schlo261 und bittet um Unterstützung, da er nicht nur die Gebühren, sondern auch die Reise und den dortigen Aufenthalt zahlen muss. Er bekommt jedoch zuerst keine Antwort. Irma übernimmt die Kosten und wird ihn auch während des weiteren Verlaufs des Kurses finanziell unterstützen. Vom Schiff, unterwegs nach Europa, schreibt Stefan erneut an Schlo: »Ich bin bis zum 14. in Wien; zu erreichen durch die alte Adresse oder über Paul Wengraf, Wien IV. Belvedèregasse ich glaube 10a. Vielleicht hast du noch die alte Adresse. Ich fahre nach Brüssel und mache einen Kurs mit Scherchen mit Dirigieren und Orchesterpraxis. Ich glaube, es bedarf keiner langen Apologie, warum und warum jetzt: weil nur jetzt (aktuell und in aller Gegenwart) diese Dinge (Studien plus Erfahrungen) nachzuholen sind und ich ein heißes Interesse habe, das alles zu können, wirklich und nicht nur halb, sondern total, bewusst und begriffen, ganz begreifend und nachdem eine alte Scham fortgefallen ist, mit Scherchen oder Schönberg zu arbeiten … etwas von anderen zu lernen.«262
Während er noch vor dem Kurs in Wien Ola, Otto und Kathi besucht, trifft ein Brief von Scherchens Gattin263 in Jerusalem ein, in dem sie Bescheid gibt, dass versucht würde, Stefan die Hälfte der Gebühren zu erlassen. In Brüssel wohnt Stefan privat, nimmt an den Kursen für Dirigieren und musikalische Analyse teil und ist von Scherchen eingeladen, in seiner Pension die täglichen Hauptmahlzeiten zusammen einzunehmen. Scherchen setzt sich in diesem Jahr besonders für die Verbreitung zeitgenössischer Musik und Literatur ein. In Brüssel gründet er den Musikverlag Ars Viva, in dem ein Jahr später auch die mehrsprachige Zeitschrift Musica Viva erscheinen wird. Stefan bringt die Partituren seiner Arbeiten mit und zeigt sie Scherchen, doch kommt es weder zu einer Aufführung noch zu einer Publikation seiner Werke. Stefan ist in Brüssel mit dem Kurs nicht unbedingt zufrieden, da er sehr viel Zeit zum Üben aufwenden muss. Am 5. Juli 1935 dirigiert er in einem der Abschluss-Konzerte im Festsaal
261 262 263
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Brieffragment von Stefan (Jerusalem) an Schlo (Meran), März-April 1935, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Brief von Stefan (unterwegs nach Europa) an Schlo (Meran), Anfang Mai 1935, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Brief von Auguste-Maria (Gustl) Scherchen (Cambridge) an Stefan (Adresse in Jerusalem), 29. April 1935, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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der Weltausstellung das Concerto Grosso Nr. 12 von Händel. Sein Referat zum Ende des Kurses behandelt Die musikalische Idee und das orchestrale Equilibre.264 Iso und seine Familie kommen im Juni auf Besuch nach Europa, jedoch nicht nach Palästina. So muss Rachel nach Italien fahren, um einige Tage mit ihnen zu verbringen. Bevor sie sich am Lago di Braies in den Dolomiten treffen, halten sie sich einige Tage in Berlin auf. In dieser Zeit holt Iso auch Stefans Dokumente und Papiere von Irmas Freundin Nora Esther ab und schickt diese mit Rachel weiter nach Jerusalem. Auch fahren Iso und Dolli für drei Tage nach Nienhagen, um Freunde zu besuchen: Hans Rademacher265 und seine Gattin in zweiter Ehe Olga Frey, die Irma, Stefan und seinen Bruder Willy noch aus den Berliner 1920er Jahren kennt. 1949, nachdem beide Ehen, die der Rademachers und die der Wolpes in die Brüche gegangen sind, werden Irma und Hans in zweiter bzw. dritter Ehe heiraten. Während des Sommers unterrichtet Irma ununterbrochen. Sie lehrt nicht nur vor jungen Studierenden, auch geflohene, ausgebildete Musikschaffende aus Europa wollen mit ihr arbeiten oder auftreten. Unter ihnen sind Eli (Fritz) Friedman, Josef Marx266, Käthe Klausner, Hanoch Jacoby267 oder die Ärztin Helena Kagan268, die im darauffolgenden Jahr Emil Hauser heiraten wird. Mit dem Maler Mordechai Ardon verbindet Irma eine enge Freundschaft und sie unterstützt ihn während seiner depressiven Zeit, bringt ihn zum Psychoanalytiker Erwin Hirsch, der im vorangehenden Jahr schon Stefan betreut hat. Auch Arnold Zweig269 besucht sie des Öfteren und bittet sie, für ihn zu spielen. Sie führt eine Montagsgesellschaft in ihrem Apartment in Jerusalem ein, was nicht nur für sie, sondern auch für ihre Schüler*innen und Kolleg*innen eine willkommene Gelegenheit des Vor- und Zusammenspiels während der Zeit ihres dortigen Aufenthalts sein wird. Von Stefan verlangt sie die Noten seiner 1924 komponierten Hölderlin Lieder, die er jedoch gerade in Brüssel revidiert. Sie möchte diese baldmöglichst mit Anne Hirsch-Fellheimer einüben und in Konzerten vortragen. In ihren Briefen an Stefan lässt sie ihn wissen, dass sie begon264
Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 17. 265 Vgl. https://mathshistory.st-andrews.ac.uk/Biographies/Rademacher [abgerufen am 1.8.2023]. 266 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Marx_(Oboist) [abgerufen am 1.8.2023]. 267 Vgl. https://www.jewishvirtuallibrary.org/jacobi-hanoch [abgerufen am 1.8.2023]. 268 Vgl. https://jwa.org/encyclopedia/article/kagan-helena [abgerufen am 1.8.2023]. 269 Arnold Zweig zum fünfzigsten Todestag, Krzystof Klosowicz (Ed.), Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u. a. 2019.
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nen habe, Englisch zu lernen. Die Idee, sich in den USA niederzulassen, nimmt erste Gestalt an.270 Über Umwege kehrt Stefan Ende des Sommers nach Jerusalem zurück und erhält die Nachricht, dass Emil Hauser ihn ans Konservatorium berufen hat. Er übernimmt ab Herbst 1935 den Unterricht für Harmonielehre, Kontrapunkt, Instrumentation, Analyse und Formenlehre, auch wenn es nur sehr wenige Studierende sind. Das musikalische Leben Jerusalems spielt sich cliquenhaft ab und konzentriert sich immer mehr um Irma und Stefan. In ihrer Wohnung in Rehavia verkehren regelmäßig nicht nur Studierende, sondern auch Musikschaffende wie Edith Gerson-Kiwi271 und Robert Lachmann272, die 1936 das Fonografische Archiv für Orientalische Musik an der Universität in Jerusalem begründen, oder Peter Gradenwitz273, der den ersten Musikverlag für Konzertmusik, Israeli Music Publications eröffnen wird. Stefan erwähnt in seinem Brief vom 18. November 1935 an Schlo, dass seine Hölderlin Lieder von Anne Hirsch-Fellheimer und Irma aufgeführt wurden und »… die Jerusalemer Menschen das mit eitelster Erschütterung gehört haben«.274 Alice Jacob-Loewenson fasst in einem Artikel der Jüdischen Rundschau die Geschehnisse des Musiklebens im Dezember 1935 in Jerusalem zusammen: »Zum zweiten Male wurde in Palästina der Versuch unternommen, eine Ortsgruppe der ›Internationalen Gesellschaft für neue Musik‹ [IGNM] zu gründen.«275 Das Konzert zu diesem Ereignis findet am 29. Dezember statt. Auf dem Programm stehen Stravinskys Four Russian Peasant Songs, sein für zwei Klaviere bearbeitetes Capriccio (von Irma und Eli Friedman vorgetragen) und erneut Wolpes Fünf Hölderlin Lieder (Anne Hirsch-Fellheimer und Irma). Die Leitung des Programms übernimmt Stefan, der es nach der Pause wiederholen lässt, ganz nach dem Muster der Berliner Konzerte der Novembergruppe.
270
Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Briefe 34, 40. 271 Vgl. https://jwa.org/encyclopedia/article/gerson-kiwi-edith [abgerufen am 1.8.2023]. 272 Robert Lachmann, Edith Gerson-Kiwi, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Duncker & Humblot, Berlin 1982, S. 374 f. 273 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00003464 [abgerufen am 1.8.2023]. 274 Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 275 Jüdische Rundschau, Nr. 13, 14. Februar 1936, S. 15.
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In einem Konzert der Lehrenden des Konservatoriums am 17. Dezember 1935 begleitet Irma neben anderen auch die kürzlich aus Deutschland emigrierte Sopranistin Edith Boroshek276 sowie zum ersten Mal den Oboisten Josef Marx277, der einer der wichtigsten Freunde der Wolpes in den nächsten Jahrzehnten werden sollte.278 Nachdem Elsa und Sama Ussishkins Sohn David im Oktober zur Welt gekommen ist, zieht Rachel endlich nach Jerusalem. Harry fährt zurück nach Bukarest, wo er eine Zusammenarbeit mit dem Architekten Rudolf Fränkel279 anstrebt, der sich mittlerweile dort niederließ. Da Fränkel selbst Probleme mit den Behörden hat, rät er Harry, in die Sowjetunion zu fahren und dort zu arbeiten, was für Harry jedoch nicht infrage kommt.280 Anfang 1936 schreibt Iso aus den USA, dass sie nicht nach Princeton zurückkehren werden. Er hat eine Verlängerung seiner Assistenz für das Sommersemester in Swarthmore bei Philadelphia bekommen, wo die Familie sich endgültig niederlässt.281 Am 30. März 1936 gründet die britische Mandats-Behörde in Ramallah den Radiosender The Palestine Broadcasting Service (PBS), der mehrsprachig (englisch, arabisch und hebräisch) sendet. Der hebräische Name ist Kol Yerushalyim (Die Stimme Jerusalems), und bereits einige Wochen später nimmt Irma ein Programm mit Jüdischer Klaviermusik zeitgenössischer Komponisten auf: M. Mihalovici – Tanz; Wolpe – Tango und Marsch; J. Stutschewsky282 – Tänze. Alice Jacob-Loewenson berichtet über die Anfänge der Radiosendungen, stellt diesen Titel jedoch infrage: »Auch in der zweiten und dritten Woche nach der Eröffnung (30. März 1936) gab es viel jüdische Musik und hierdurch unterscheidet sich diese Radiostation nicht nur von allen anderen, sondern auch räumlich vom hiesigen Konzertleben überhaupt. Hoffentlich wird endlich dadurch eine systematische Erziehung der Juden zu ihrer eigenen Musik möglich sein […] Unter dem Titel ›Jüdische Klaviermusik‹ spielte Irma Schönberg [sic] eine Reihe kleinerer Stü276 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001409 [abgerufen
am 1.8.2023].
277 Vgl. Anm. 266. 278 Konzertprogramm. JNUL, Jerusalem. 279 Vgl. https://deu.archinform.net/arch/64099.htm [abgerufen am 1.8.2023]. 280 Brief von Harry (Bukarest) an Rachel (Jerusalem), 17. März 1936, CZA, Jerusalem, A 623. 281 Brief von Iso (Swarthmore) an Elsa (Jerusalem), 5. Februar 1936, CZA, Jerusalem, A 623. 282 Vgl. http://www.musica-judaica.com/stut_e.htm [abgerufen am 1.8.2023].
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1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx cke, von denen nur die bekannten Tänze von Joachim Stutschewsky als jüdisch gelten können. Ist denn alles jüdisch, was einen der Rasse nach jüdischen Komponisten zum Verfasser hat? Der ›Tanz‹ von Michalovici ist ein interessantes und begabtes Stück – ebenso der ›Tango‹ und der ›Marsch‹ von Stefan Wolpe, über die an dieser Stelle schon bei anderer Gelegenheit berichtet wurde.«283
Die Palestine Post erwähnt ein gemeinsames Konzert der Sopranistin Marguerite Kozenn (Chajes), des Tenors Marcel Noe und Irma Schoenberg, in dem Irma die Begleitung übernimmt und solo Chopin spielt: »In her playing of three compositions by Chopin (among them the rarely played ›Ballade‹ in F sharp major) Mrs. Irma Schoenberg fulfilled almost everything that can be asked of the interpretation of Chopin.«284 Aufgrund der Ausgangssperre, die nach dem Arabischen Aufstand in Palästina verhängt worden ist, wird das kulturelle Leben immer eingeschränkter. Irma erkennt ganz klar, was die Zukunft für alle bereithalten wird: »Wir leben im großen Ganzen ›en suspension‹. Der tägliche curfew hat uns schon etwas stumpf gemacht. Immer wieder aber bäumt sich der Ekel gegen die Sinnlosigkeit oder eher gegen den offenbar werdenden Sinn der Zeit. Es wird über kurz oder lang ein Ende mit Schrecken hier haben, wir sind noch dazu um ein paar wichtige Monate unseres Lebens betrogen und das Ganze ist nur ein Fingerhut voll von dem, was uns und die ganze Welt in ein zwei Jahren in üppiger Fülle erwartet.«285
Sie wird tief depressiv, sieht keinen Hoffnungsschimmer und kann sich schlecht motivieren weiterzumachen: »Im Kafé. Ich will sterben. Ich will sterben. Wie wunderbar, wenn heute Nacht aus dem Dämmern ein ewiger Schlaf geworden wäre. In einer Nacht sterben. Der einzige Tod. Warum glühe ich, woran verbrenne ich, was hetzt mich? Ich verbrenne lebendigen Leibes aus unbekannten Gründen. Irma Kindelein, man liebt dich, von Kopf bis zu Füßen. Warum nach der Nacht die Dämmerung immer wieder der fahle qualbringende Schein? Einschlafen hinübergleiten sich entschwinden auf immer. Ich leide. Ich leide. Ich verbrenne. Wüste. Rote runde Sonne. Wasser, Tränen befeuchtet mein Herz. Erlöse mich, 283 284 285
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Jüdische Rundschau, Nr. 36, 5. Mai 1936, S. 11. The Palestine Post, 8. Juni 1936, S. 4. Brief von Irma (Jerusalem) an Josef Marx (Frankreich), Anfang Juli 1936, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx Gefühl. Ich werde zerrissen, wo führt ein Weg da hinaus? Ein einziger steiler, unsicherer, an tausend Abgründen vorbei, gefährlicher wie der Tod. Irma rette dich. Rette mich Gott. Gott in mir, doch wo bist du ewiges Grundwasser. Warum sind meine Quellen versiegt. Ich muss wieder Brunnen graben. Brunnen graben. --- Tel Aviv den 1sten Juli«286
1936 kehrt Emil Hauser, der Leiter des Konservatoriums, zurück nach Berlin und Wien, um Studierende zu rekrutieren. Es gelingt ihm, 17 junge jüdische Musikstudent*innen nach Jerusalem kommen zu lassen und ihnen so das Leben zu retten. Einige von ihnen werden Irma und Stefan zugeteilt: Peter Jona Korn287, Herbert Brün288, Haim Alexander289, Wolf Rosenberg290, Werner Süssman und Herbert Kaplan. Ruth Samsonov (Cooper)291, ehemalige Studentin der Wolpes in Jerusalem, erinnert sich: »There was no order to life with the Wolpes. Day and night were undifferentiated. Things were done when they had to be done. I came to them on Friday for my lesson and stayed overnight in their house. I would return early Sunday and go to work Sunday morning. I had little money. When I left money for my lessons on the Wolpes’ piano, I would get a letter in the mail with the money returned. I was lucky to get a half-hour alone with him. It was always a group lesson. On Friday evenings all their students would gather at the Wolpes’ place and there would be much music and discussion. I studied piano with Irma and harmony with Stefan. They would call each other in to comment on something here, something there: ›Liebchen, komm schon!‹«292
Immer mehr Musikschaffende kommen aus Europa in Palästina an, mit denen die Wolpes zusammen musizieren oder verkehren: der tschechische Cembalist und Komponist Frank Pelleg293, der kurz nach seiner Ankunft 1936 das Institut für Musikforschung in Palästina gründet, oder der polnische Komponist Emanuel
286 Statement von Irma, Handschrift, CZA, Jerusalem, A 623. 287 Vgl. http://www.peterjonakorn.com/biographie.html [abgerufen am 1.8.2023]. 288 Vgl. https://archiv.adk.de/bigobjekt/6287 [abgerufen am 1.8.2023]. 289 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002538 [abgerufen
am 1.8.2023]. Wolf Rosenberg: Beiträge, Meinungen und Analysen zur neuen Musik, Helmuth Kreysing (Ed.), Pfau Verlag, Saarbrücken 2000. 291 Vgl. http://jmwc.org/samsonov-cooper-ruth [abgerufen am 1.8.2023]. 292 Vgl. https://stefanwolpe.org/recollections [abgerufen am 1.8.2023]. 293 Vgl. https://www.bach-cantatas.com/Bio/Pelleg-Frank.htm [abgerufen am 1.8.2023]. 290
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Abb. 20: Peter Jona Korn, Stefan, Irma und Chemda Davies in Jerusalem, 1936 294
Amiran (Pougatchov)295, der später zusammen mit Leo Kestenberg das Music Teachers’ Seminary in Tel Aviv gründen wird. Der in München geborene Pianist und Komponist Paul Ben-Haim (Chaim)296 nimmt bei Irma privaten Klavierunterricht und besucht ihre Meisterklassen in Tel Aviv. Darüber schreibt Irma: »Ich bin trotz Unruhen und Schießereien jede Woche in Tel Aviv. Mein Mut ist 294 CZA, Jerusalem, A 623. 295 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Emanuel_Amiran-Pougatchov [abgerufen am 1.8.2023]. 296 Paul Ben-Haim: His Life and Works, Jehoash Hirschberg, Israeli Music Institute, Jerusalem
2008.
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aber auch bald erschöpft«. Und am Ende des Briefes ergänzt Stefan: »Sag allen, ich will von hier weg.«297 Mittlerweile kommt es zwischen Emil Hauser und den Wolpes zu ersten Spannungen: »Da mischen sich Wahnsinn, Geltungstrieb und Gemeinheit und Idealismus zu einem tollen und besonders gefährlichen Gebräu. So sitzt man denn da in einer verrückt gewordenen Welt, verdient jetzt im Sommer keine 3 Pfund im Monat und was wird weiter werden? … Ich arbeite ziemlich viel, soweit mir die Notwendigkeit zu Schlafen und Geldverdienen nicht Grenzen setzten. Es ist auch schwer bei einem bestimmten Niveau sichtbare Fortschritte zu machen, aber man misst sie nach Millimetern und hat die Zähigkeit und Tenacité einer Schildkröte.«298
Im Sommer 1936 können Irma und Stefan endlich in eine größere Mietwohnung mit zwei Zimmern umziehen und leben fortan auf der Ben Maimon Straße in Rehavia, ganz in der Nähe von Rachels Wohnung und Elsas Haus. Stefan beendet die Passacaglia und widmet sie Irma. Zusammen spielen sie ihrem Freundeskreis Marsch und Variationen für zwei Klaviere vor und bereiten auch das Programm für die nächsten Aufnahmen für das Radio vor, das am 22. September 1936 ausgestrahlt wird: Stefan dirigiert die Fugen und Kanons aus Bachs Musikalischem Opfer, für Streicher gesetzt, Fantasien von Purcell und mit Irma als Solistin Bachs d-Moll-Konzert (nicht überliefert, ob BWV 1052 oder 1059).299 Irma spielt in derselben Sendung auch Werke von Schönberg, die sie während ihrer Meisterkurse in Tel Aviv für die teilnehmende Lehrerschaft regelmäßig analysiert. In ihrem Bericht über Musik im Radio Jerusalem fasst Alice Jacob-Loewenson das Geschehen des Jahres in der Jüdischen Rundschau zusammen: »Sieben Monate erfolgreichen Wirkens. Die Leitung der Musikabteilung hat es nicht nur verstanden, den Geschmack aller Schichten der Hörer zu befriedigen, sie ist auch immer bemüht gewesen, selbst in volkstümlichen Konzerten ein künstlerisches Mindestniveau aufrechtzuerhalten. Neben den Standardwerken der klassischen Literatur, die allmählich zur Aufführung gelangen, hatten ältere und neue Werke jüdischer Musik sowie die Kammerorchestermusik des Bach-
297 298 299
Brief von Irma (Jerusalem) an Josef Marx (London), 27. Juli 1936, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Ibid., 27. August 1936. The Palestine Post, 22. September 1936, S. 6.
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1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx zeitalters den Vorrang … Bei einem so kleinen Ensemble kann man von eigentlichen dirigentischen Leistungen im üblichen Sinne kaum sprechen. Immerhin verdient Stefan Wolpes klardisponierte Darstellung von Bachs ›Musikalischem Opfer‹ und d-Moll Klavierkonzert hervorragende Erwähnung (22. September 1936). Auch Irma Schönbergs [sic] pianistische Leistung gelang vortrefflich in den Ecksätzen, während der Mittelteil, geistiges Zentrum, inhaltlich nicht erfüllt werden konnte. Auch Irma Schoenbergs Darstellung einiger Klavierstücke Arnold Schönbergs hatte gute Qualität, besonders in der klaren Herausarbeitung von Form und Thematik.«300
Unter den im Zuge der Aliyah geretteten jüdischen Musikschaffenden befindet sich auch Sinai Leichter, ein junger polnischer Lehrer, der Stefans Student ist und im von ihm geleiteten Chor singt. Da Leichter keine finanziellen Möglichkeiten hat, den Unterricht zu bezahlen, bietet er Stefan an, ihm die hebräische Sprache, Dichtung und Tradition beizubringen. Sinai erinnert sich an diese Stunden: »Wenn ich ihm die Wörter vorsagte, sang er sie mir zurück im genauen Rhythmus des hebräischen Textes. Es war seine Fähigkeit, die Bedeutung und den Rhythmus und den Duft seiner neuen Kultur tief aufzusaugen und in Musik zu verwandeln.«301 Leichter erweckt auch Stefans Interesse an der Bibel. In dieser Zeit vertont Wolpe zwei Lieder aus Song of Songs, dem Hohelied Salomons aus dem Alten Testament, sowie Lieder nach Texten der Bibel und von Rachel302. Anne Hirsch-Fellheimer und Irma bereiten einige dieser Lieder für ein Konzert mit weiteren Liedern von Purcell, Händel, Debussy und Brahms vor. Dieses soll am 20. März 1937 im Festsaal der Eveline de Rotschild School stattfinden, wird aber schon am 18. März erfolgen und dann am 25. März303 wiederholt, weil Karel Salomon304, Musikdirektor der hebräischen Abteilung des Radiosenders, Irma und Anne Hirsch-Fellheimer an diesem Tag zu Aufnahmen ins Studio einlädt. Sechs Lieder von Wolpe: Bimkomotenu, Sim Shalom, Shir Hashirim, Smolo tachat roschi, Simeni Chachotam (das sechste konnte nicht ermittelt werden) werden auf-
300 Jüdische Rundschau, Nr. 97, 4. Dezember 1936, S. 13. 301 Vgl. https://stefanwolpe.org/recollections [abgerufen am 1.8.2023]. 302 Quand Israël rêvait. La vie de Rachel Bluwstein, Martine Gozlan, Le Cerf, Paris 2018. 303 Konzertanzeigen und -Programme, Datum handschriftlich geändert. JNUL, Jerusalem und
Sammlung N. B.
304 Vgl.https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001422?wcmsID=0003
[abgerufen am 1.8.2023].
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genommen und gesendet.305 Das Programm der Konzerte in der Eveline de Rotschild School wird am 16. Oktober 1937 während eines Auftritts in Tel Aviv bei der Musicians Association erneut wiederholt.306 Inzwischen zählt das Palestine Conservatory beinahe 200 Studierende, die von 30 Lehrkräften unterrichtet werden, und eröffnet eine Zweigstelle in Rehavia307 neben dem Haus der Ussishkins. Im Hauptgebäude des Konservatoriums, in der Prophetenstraße, weiht Benno Balan308 zusammen mit seiner Gattin das erste Musikgeschäft in Jerusalem ein. Er übernimmt die Vertretung der Klavierhersteller-Firma Kemble und gründet den Musikverlag Pro Musica. Die Studierenden des Konservatoriums haben oft Gelegenheit, in Konzerten aufzutreten. Irma und Stefan unterrichten nicht selten dieselben Student*innen sowohl in der Klavierklasse als auch in der Orchester- und Dirigierklasse. Ihre Konzertprogramme aus dem Jahr 1937 zeugen von ausgeklügelten Rollenverteilungen, z. B. tauschen die Studenten beider Wolpes Heinz (Heim) Alexander und Hans Block die Plätze am Klavier bzw. am Dirigentenpult im ersten und dritten Satz in Bachs Klavierkonzert d-Moll, wobei der zweite Satz von zwei anderen Studierenden übernommen wird.309 Da wegen der politischen Unruhen in den Sommern 1936 und 1937 keine Abschlussprüfungen am Konservatorium abgehalten werden können, sind erste Abschlusskonzerte wieder erst am 30. Dezember 1937 möglich, und sowohl Irma als auch Stefan sind Mitglieder der Prüfungskommission310. Bronislaw Huberman, berühmter polnischer Violinist311, rekrutiert ab 1935 etwa 80 der besten jüdischen Musikschaffenden aus Orchestern und Ensembles aus 14 Ländern Europas, die mit ihren Familien nach Palästina auswandern und rettet so Hunderte Menschenleben vor dem Holocaust. Die Finanzierung sichert er über Spenden reicher jüdischer Familien aus den USA und Großbritannien. David Ben-Gurion, damals Vorsitzender der zionistisch-sozialistischen Arbeiterpartei, besorgt die Aufenthaltsgenehmigungen für die von Huberman 305
Aufnahme im Sound Archive of the Jewish Music Research Centre at the JNUL, Jerusalem. Hinweis von David Bloch, Musikwissenschaftler, Tel Aviv an Austin Clarkson, Toronto 2008, Sammlung A. C. 306 Konzertprogramm, CZA, Jerusalem, A 623. 307 The Palestine Post, 21. März 1937 und 1. Juli 1937, S. 2. 308 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002381 [abgerufen am 1.8.2023]. 309 Konzertprogramme. JNUL, Jerusalem. 310 Ibid., 311 Vgl. Anm. 222.
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ausgewählten Musikschaffende und ihre Familien. Mit ihnen organisiert er das Palestine Symphony Orchestra, welches zugleich das Rundfunkorchester (Kol Israel Orchestra) ist und in der Konzertsaison 1936/37 debütiert. Am 11. Mai 1937 spielt Irma mit dem Orchester bei Radio Jerusalem das zweite Klavierkonzert von Chopin. Hans Schlesinger dirigiert, Sascha Parnes ist Konzertmeister: »Zwei pianistische Leistungen ungewöhnlicher Art seien hervorgehoben. Irma Schoenberg-Wolpe setzte sich mit vorzüglicher technischer Durcharbeitung des f-Moll Chopin-Konzertes erfolgreich gegen die viel zu dünne und farblose Begleitung des Radioorchesters durch.«312
Im späten Frühling 1937 fährt Rachel zurück nach Bukarest und von dort zur Kur und Sommerfrische in die Berge. Sie schreibt Irma und Stefan sowie Elsa und Sama313 ihr nachzukommen, gibt Anweisungen, was mitzubringen sei, und lässt wissen, dass dort die Welt noch in Ordnung sei. Wahrscheinlich sind die Wolpes für eine Weile auch in Sinaia, Rumänien, gewesen. Dies würde die Frage von Ola in einem Brief aus dieser Zeit klären, den sie in Katis Namen an Stefan schreibt314, warum er nicht gekommen sei. Auch ein Foto von Irma und Rachel315 belegt, dass mindestens Irma im Sommer 1937 in Rumänien gewesen ist. Von hier aus fährt Rachel weiter nach Bad Gastein und anschließend zu den Salzburger Festspielen. Sie wohnt Konzerten mit Arturo Toscanini bei und hört Faust, die letzte Inszenierung Max Reinhardts bei den Festspielen, die er 1920 mit Jedermann begründet hatte. Am letzten Tag des Rosch Haschanah316 findet Rachel endlich die Synagoge in Salzburg317 und nimmt an den Gebeten teil. In einem Zeitungsartikel, den sie erst 1938 in Bukarest veröffentlichen wird, beschreibt sie diese letzte jüdische Feier in der Synagoge vor Österreichs »Anschluss«: »Welch Gegensatz zwischen den in einem mystischen Halbdunkel getauchten Kathedralen, reichlich geschmückt von Künstlern, die die Gottheit in Stein und Gold verkörpern versucht haben, und dieser einfache Saal, von Sonne überflu312 313 314 315 316 317
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Artikel von Alice Jacob-Loewenson, Jüdische Rundschau, Nr. 49, 22. Juni 1937. Brief von Rachel (Sinaia) an Irma (Jerusalem), Juli 1937, CZA, Jerusalem, A 623. Typoskript Kathi (Ola) aus Wien an Stefan (Jerusalem), Sommer 1937, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Sammlung N. B. Anfang des neuen jüdischen Jahres. Die Synagoge in Salzburg wurde während des Novemberpogroms 1938 geschändet und beschädigt und erst 1968 wieder eingeweiht.
1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx tet, in dem über der Kanzel als einziger Schmuck die Worte ›Erkenne vor wem du dich befindest!‹ leuchten. Das Schofar Horn mit seinen rauen rituellen Trillern war eine Botschaft aus unserer Welt, eine Welt des absoluten Gegenstandslosen, mit ihren Schmerzen, aber auch ewigen Schönheiten, mit ihren Hoffnungen und Tröstungen. Unmittelbar, die arme Kreatur stand vor dem Schöpfer! Das Schofar Horn ließ uns die glorreichen Fanfaren von ›Fausts‹ Prolog, die ich erst vor einigen Tagen hörte und dessen ursprüngliche Idee Goethe buchstäblich aus dem ersten Teil des Buches Hiob genommen hatte […] Was ist wohl aus der kleinen Juden-Insel in dem Weltmeer von wütendem Hass geworden? Die kleine, weiße Synagoge ist sicherlich in ein braunes Haus verwandelt worden […] Es war mir geschenkt, das Shofar Horn zum letzten Mal in ihren Wänden zu hören.«318
Irma und Stefan verbringen Ende des Sommers 1937 zwei Wochen im Libanon, »in einer bezaubernden Gegend, die unsere Natursehnsucht endlich stillte.«319 Nach ihrer Rückkehr entscheiden sie endgültig, dass mindestens Stefan in die USA auswandern muss, und zwar sobald die Visa-Fragen geklärt sind. Irma überlegt, noch ein Jahr länger in Palästina zu bleiben, um Stefan mit ihrem dortigen sicheren Verdienst finanziell unterstützen zu können. Sie sind sich jedoch der Gefahr einer längeren Trennung durch die in Palästina immer noch wütenden Unruhen bewusst. Über ihre Arbeit und Pläne im Herbst 1937 berichtet Irma in ihrem nächsten Brief vom 20. November320, gerichtet an Josef Marx: »Inliegend ein Check über 10 Dollar. Es ist mein Honorar für meinen Klavierabend in Chedera321 und wird dir gewidmet als dem Urheber meiner Freundschaft mit Ruth Samsonov […] Am Sonnabend habe ich in Chedera gespielt, mit riesigem Erfolg. Man wünscht, dass ich womöglich in 2 Wochen wiederkomme. Ich werde es erst in 4 Wochen tun und mit Bergman322, den die Chederaer von einem Konzert vom vorigen Jahr sehr lieben, Sonaten spielen. Stefan war jetzt viel mit Steinberg323 zusammen, der vor Stefans Par318
Artikel von Rachel: Wie ich das Schofar Horn in Salzburg hörte (Übersetzung aus dem Rumänischen), Zeitungsausschnitt, wahrscheinlich in Lumea, Bukarest 1938 erschienen, Sammlung N. B. 319 Brief von Irma (Jerusalem) an Josef Marx (New York), 9. September 1937, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 320 Ibid., 20. November 1937. 321 Chadera / Hadera bei Haifa. 322 Rudolf Bergman spielte im Wiesbadener Kurorchester; nach seiner Emigration war er Konzertmeister des Palestine Orchestra, vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_ lexmperson_00003119 [abgerufen am 1.8.2023]. 323 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/William_Steinberg [abgerufen am 1.8.2023].
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1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx tituren umgefallen ist. ›Sie sind doch ein ganz bedeutender Komponist, was suchen Sie in diesem Lande?‹ Er ist von der Passacaglia, deren Orchestration fertig ist, begeistert und würde sie sofort machen, wenn der Herr Simon324 nicht nach seinem eigenen Kopf hier Kunstpolitik treiben würde. Das Konzert für 9 Instrumente, ein 4-sätziges großes Werk, hat eher Chancen aufgeführt zu werden. Es wird jetzt verhandelt. Zu unserer Auswanderung: Stefan darf nicht mit einem Touristenvisum weg, er muss ein Einwanderervisum bekommen. Wir bürgern uns jetzt hier ein, um gültige Pässe zu haben. In 4–6 Wochen sind wir so weit. Mein Bruder schickt uns das Affidavit. Wir stehen mit einem New Yorker Rechtsanwalt in Verbindung der uns schon durch seinen Tel-Aviver Associé schrieb und auch meinem Bruder nach Waterville schrieb, wie er sich anzustellen hat. Wir müssen vorsichtig sein, jede Aussage muss vorher überlegt sein. Du siehst, wir sind nicht passiv. Diesmal kriegst du auch mit derselben Post Musiken: das Quartenstück, das Andante, die chinesischen Chöre, 6 große Songs für Singstimme (ich glaube Bariton) und Klavier. Nächtelang wurde für dich abgeschrieben. Du weißt gar nicht wie wir uns schinden. Ich habe 23 Schüler, arbeite jeden freien Augenblick für mich, spiele sehr viel vor, schreibe ab, koche, usw.«
Irmas Bruder Iso, der mittlerweile am Colby College in Waterville, Maine unterrichtet und dessen zweite Tochter Beatrice im Oktober zur Welt kommt, wird die wichtigste Rolle haben und bei der Ausreise der Wolpes in die USA die größte Hilfe sein. Noch während der Zeit, in der Irma und Josef Tal (Grünthal)325 bereits Stefans Marsch und Variationen op. 21 für zwei Klaviere proben, spielt Irma im Spätherbst 1937 in einem Konzert der Musicians Association in Jerusalem Wolpes Three Marches sowie zusammen mit Anne Hirsch-Fellheimer seine Four Hebrew Songs, einige Lieder von Debussy und zusammen mit Sascha Parnes Stravinskys Duo for Violin and Piano.326 Dieses Programm wird am 28. März 1938 in einem Konzert im Konservatorium wiederholt. Die Uraufführung von Marsch und Variationen op. 21 findet am 12. Februar 1938 im großen Auditorium der Y. M.C. A. in Jerusalem statt und wird vom Radio übertragen. Im Konzertprogramm327 für zwei Klaviere stehen auch 324 325 326 327
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Die Musik war unsere Rettung. Die deutschsprachigen Gründungsmitglieder des Palestine Orchestra, Barbara von der Lühe, Mohr Siebeck, Tübingen 1998. Der Sohn des Rabbiners. Ein Weg von Berlin nach Jerusalem, Josef Tal, Quadriga 1985. Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Konzertprogramm, Sammlung N. B.
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Brahms’ Haydn-Variationen op. 56b, Busonis Duettino Concertante, Mozarts Sonate in D-Dur KV 448 und Chopins Rondo op. 73. In der Palestine Post vom 18. Februar ist vermerkt: »Concerts on two pianos are relatively rare; that may be due partly to the shortage of suitable music, but probably the main reason is that this type of performance makes maximum demands on the accuracy of the players, and on their perseverance in rehearsing their concert jointly, two qualities which are the prime essentials for success. Mrs. Irma Schoenberg-Wolpe and Mr. Gruenthal, who presented a very attractive and well-balanced programme of piano duets at the Y. M.C. A. last Saturday have the qualities […] In brief, this concert was one of the best and ablest that we have heard this season […] The Mozart and Mr. Wolpe’s ›Variations‹ were outstandingly good and achieved a musical level that left little to be desired. Mr. Stefan Wolpe’s ›March and Variations‹ the ›piece de resistance‹ of the evening.«
Und in der Jüdischen Rundschau Nr. 18 vom 4. März 1938 schreibt Alice JacobLoewenson: »Dieses Konzert, das auch durchs Radio übertragen wurde, kann den Anspruch erheben, eines der interessantesten zu sein, das man hier seit langem gehört hat. Nicht nur wegen der beträchtlichen pianistischen Qualität beider Künstler, wegen des hohen stilistischen Niveaus und wegen des seltenen Genusses, Werke für zwei Klaviere konzertmäßig dargestellt zu hören, sondern in der Hauptsache wegen des Kernstücks: ›Marsch und Variationen‹ von Stefan Wolpe. Man kann hier eigentlich nicht von einer melodischen, sondern nur von einer rhythmischen Thematik sprechen, von einem unerbittlichen, ehernen Grundrhythmus, der immer wieder durch reich verschlungene, nicht immer bis zur letzten formalen Klarheit durchgeführte, bisweilen zu ausführliche, bisweilen in diesem Zusammenhang unverständliche romantische Lyrismen hindurchbricht. Stefan Wolpe und Irma Schoenberg-Wolpe sind ganz Intellekt und Dynamik – die Struktur wird geradezu skelettartig herausseziert – während Joseph Gruenthal – wenn auch im Virtuosischen schwächer – mehr das lyrische Element zum Ausdruck bringt.«
In einem Brief an Schlo berichtet Stefan von der Uraufführung, ohne jedoch Irma und Josef Tal (Grünthal) mit einem Wort zu erwähnen: »Die Aufführung meiner Variationen am 12 dieses Monates in einem der größten und schönsten Säle dieser Stadt hat dem Werk einen großartigen Erfolg
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1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx gebracht. Die Presse (und es sind letzte Schlieferln328) närrisch und zapplig in Ergriffenheit und Enthusiasmus, das Radio machte während der Aufführung ausgezeichnet gelungene Platten. Die Musiker beginnen mich zu lieben und die Massen junger Menschen sind wie im Sturme gepackt.«329
Dieses Konzert wird am 8. März in der Maccabi-Halle in Haifa330 und am 9. April in Tel Aviv331 wiederholt. Bereits eine Woche nach der Uraufführung am 20. Februar 1938 begleitet Irma Anne Hirsch-Fellheimer, die zwei der neuen Lieder von Stefan (aus Song of Songs) in einem Konzert vorträgt: Set Me As A Seal Upon Thy Heart und Sim Shalom332. In ihren folgenden Briefen an Joseph Marx berichtet Irma nicht nur über ihre Lage, sondern auch über Ola, Kathi, Otto, über Mitglieder des neu gegründeten Orchesters und über Freunde in Palästina: »Man hat auch noch nicht aufgehört über deine und Schumers333 Entlassung zu reden und sich aufzuhalten. Es heißt, dass man für Toscanini drei neue Bläser herholt. Unser Freund Bergman erleidet Demütigungen ohne Zahl. Er hat jetzt einige Konzerte am zweiten Pult gesessen. Es stellt sich auch heraus, dass Bassermann als Konzertmeister inexistent ist, was ihn aber nicht daran hindern wird bei Toscanini an erster Stelle zu sitzen. Der arme Töplitz334 ist bei Dobrowen335 unten durch, wird dauernd angeschnauzt und spielt auch darum immer schlechter […] Hol dir die paar Dollar von der Bank ab. Wir sind arme Hunde und können dir nicht helfen, wie es nötig wäre. Das Geld-Schicken macht mir wahrscheinlich mehr Spaß als es dir Nutzen bringt, aber schließlich sind Geschenke auch dazu da. Selbstverständlich sind sie [Ola, Otto, Kathi] von Hitler in Wien überrascht worden, wollten weg als es zu spät war. Er kam über die Grenze, weil er einen tschechischen Pass hat, sie musste da bleiben mit dem Kind da sie dem Pass nach deutsche ist. Seine ganzen Manuskripte und sein Geld wurden 328 329
Österreichisch für »Schleimer«, »Heuchler«. Brief von Stefan (Jerusalem) an Schlo (Meran), 26. Februar 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 330 Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 47. 331 Brief von Irma (Jerusalem) an Josef Marx (New York), 9. März 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 332 The Palestine Post, 25. Februar 1938, S. 9. 333 Jacob Schumer, Flötist, vgl. https://www.pbs.org/wnet/orchestra-of-exiles/origins-map [abgerufen am 1.8.2023]. 334 Erich Töplitz, Flötist, vgl. https://www.pbs.org/wnet/orchestra-of-exiles/origins-map [abgerufen am 1.8.2023]. 335 Vgl. https://www.naxos.com/person/Issay_Alexandrovich_Dobrowen/29052.htm [abgerufen am 1.8.2023].
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1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx beschlagnahmt. Sie hat vielleicht noch für 2 Wochen zu leben, und er nicht einmal für einen Tag. Er sitzt in Prag, vernichtet vor Verzweiflung und lebt nur noch für den Wunsch sie wiederzusehen. Wir haben ihm jetzt Geld geschickt. Was aus ihnen werden soll, wenn die Ola aus dieser Hölle herauskommt? Wir sind fassungslos und ratlos. Sie herkommen lassen hieße auf Amerika verzichten, denn ich kann mir nicht gut vorstellen, was sie hier anfangen könnten […] Einen kleinen Querschnitt durch die Zusammensetzung unserer psychischen und physischen Atmosphäre: Stefan: krank, kämpft einen täglichen Kampf gegen ein bald schwerer bald leichter auftretendes Gallenleiden. Kämpft einen täglichen Kampf mit seiner Lust am Komponieren. Bremst sie dauernd, verwirft Einfälle, Formungen ohne Zahl, zögernd, fordert und erreicht auch bei dem Wenigen was er gut heißt eine letzte Verdichtung, Süße, Bitterkeit […] Mit großer Leidenschaft und großen Resultaten arbeitet er an seinen 4 Schülern. Sie entwickeln auch alle eine richtige Komponistenintelligenz in Stefans Sinn. Wer Stefan vor 7–8 Jahren gekannt hat, kann die allgemeine Verdunkelung seines Wesens feststellen. Vielleicht findet er in Amerika wieder einen Nährboden für sein Talent und sein Wesen. Ich bin mir selbst entfremdet, lebe nicht mehr im erregten Zwiegespräch mit mir selbst wie sonst, nein, wann könnte ich das? Ich muss unterrichten am laufenden Band, ich habe manchmal die Vorstellung, dass ein Schüler mich wie einen Gebrauchsgegenstand dem andern reicht. Die Ritzen zwischen den Arbeitszeiten sind zum Ersticken ausgefüllt mit Proben, Besuchen, Hausarbeit, usw. Von mir und für mich – nein! […] Irma: kämpft einen schweren Endkampf mit ihrer Neurose. Es scheint auch zu Ende zu gehen und dreieinhalb Jahre bitterer, scheinbar aussichtsloser Arbeit führen auch das Unwahrscheinliche herbei – die seelische Umschichtung bereitet sich vor, Mauern fallen und eröffnen Wege in immer nur geahnte bis jetzt unter Todesstrafe verbotener Freiheiten. Die Analyse scheint uns, als Nutznießern, mit Recht die größte und kühnste geistige Eroberung des Menschen und von allen andern, dem nackten Wunder am nächsten verwandt […] Leb wohl mein Guter, wir verschaffen uns jetzt alle wichtigen Papiere. Stefan wird aktiv. Es wird noch ein paar Monate dauern. Vergiss uns nicht bis dahin.«336
Stefan versucht, seine Kompositionen zu verlegen, was ihm jedoch nicht einmal mit den mittlerweile berühmt gewordenen Chören gelingt. So verlangt er Geld von Schlo, um es im Selbstverlag zu versuchen. Im März erreicht ihn eine Nachricht seiner Schwester Bobbi über den Tod seiner Mutter in Berlin: 336
Briefe von Irma (Jerusalem) an Josef Marx (New York), 16. und 9. März 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx »War es nicht gestern auch unter den Entfremdeten üblich, Mitteilung zu machen von einer Krankheit der Mutter, die nach 2 Monaten Qualen zum Tode führte, so genügt heute die vielleicht bündigere Mitteilung, dass sie schon tot ist. Die Seltenheit, mit der ich schrieb, wird unter Anklage gestellt und die Strafe, ausgeschlossen zu werden von jeder intimeren Beunruhigung, die Möglichkeit zu vernichten, sie vielleicht noch einmal zu sehen, ist eine Rächende und maßlos Horrende.«337
In der Jerusalem Post vom 22. März 1938 findet sich die Voranzeige eines Kammermusikkonzertes vom 25. März im Government House in Jerusalem mit der Genehmigung des High Commissioners. Es treten auf: das Jerusalem String Quartett, Anne Hirsch-Fellheimer und Irma Schoenberg-Wolpe338 mit Werken von Bach und Mozart. Und in der Jüdischen Rundschau / Berliner Rundschau vom 3. Mai 1938 überrascht ein weiterer Artikel, unterzeichnet mit »der Liedbegleiter Heinz«, mit einer bislang nicht bekannten Seite von Irmas Beschäftigung mit Bearbeitungen jüdischer Volkslieder: »Es ist immer noch nicht selbstverständlich geworden, in den ostjüdischen Volksliedern echtes jüdisches Volkslied zu sehen. Umso dankbarer sind wir, ostjüdische Volkslieder in ihrem Originalidiom zu hören, wie bei einem Abend im Klubheim des Jüdischen Frauenbundes in der Wiedergabe von Rachel Ermolnikoff339. Was sie uns im stilechten Vortrag bot, war zum Teil echte Folklore, wie wir sie bei anderen Völkern in gleicher Weise kaum finden. Rachel Ermolnikoff sang diese Lieder in verschiedenen Bearbeitungen von Arno Nadel, Loew, Irma Schoenberg, Alice Jacob-Loewenson, Alfred Guttmann, Darius Milhaud. Bearbeitungen vom üblichen europäischen Konversationston über Versuche stimmungsmäßiger Anlehnung bis zu den vortrefflichen Klangbildern Milhauds.«
Weitere Lieder von Stefan Wolpe, A Flower That Blows Doesn’t Fade, Birds Of Passage Are We (nach Serubbabel), und zwei Lieder nach Noah Stern340, Scents
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Brief von Stefan (Jerusalem) an Schlo (Merano), 19. März 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 338 Irma hat diesen Doppelnamen eigentlich nie geführt. 339 Vgl. https://www.yellowbarn.org/page/wolpe-arrangements-six-yiddish-songs [abgerufen am 1.8.2023]. 340 Vgl. https://www.encyclopedia.com/religion/encyclopedias-almanacs-transcripts-andmaps/stern-noah [abgerufen am 1.8.2023].
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und To A Picture By Ribera341, werden von Anne Hirsch-Fellheimer und Irma am 1. Mai 1938 zur Uraufführung gebracht, nebst Liedern von Brahms und Schumann, der Sonate op. 107 für Viola und Klavier von Reger sowie Hanoch Jacobys Drei Lieder für Alto, Viola und Klavier nach Rilke, wobei der Komponist den Viola-Part übernimmt. Das Programm wird mit Ausnahme der Schumann-Lieder am 21. Mai im Konservatorium in der Serie der Lehrerkonzerte wiederholt342. Dafür werden, nach gewohntem Muster, Wolpes und Jacobys Lieder nach der Pause erneut vorgetragen. Eine detaillierte Besprechung des Konzertes in der Palestinian Post fasst zusammen: »The performers were excellent, and the degree of musical understanding and technique exhibited was most striking, particularly in the quite exceptionally difficult Wolpe songs.«343 Darauf folgt am 13. Juni 1938 ein Concert of Jewish Music344, in dem Irma das Ehepaar Stutchewsky, beide Cellisten, bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt in Jerusalem begleitet und Joachim Stutchewskys Palestinian Sketches for Piano spielt. Am 5. Juli widmet der Rundfunk den Werken von Stefan Wolpe eine halbe Stunde: In der Sendung Hebrew Hour erklingen einige seiner Lieder sowie die Märsche op. 10, gespielt von Irma. In den Konzerten des Konservatoriums zeigen sich bei Irmas Studierenden Fortschritte, und bei der Auswahl des Repertoires wird der Fokus verstärkt auf Musik des 20. Jahrhunderts gesetzt: Ruth Shapira spielt Bartók, Pnina Eisenstadt spielt Chopin und Debussy, Jocheved Sussmann spielt Reger, Peter Jona Korn und Chemda Davies spielen Stravinsky vierhändig, und Chemda, gleichzeitig auch Stefans Studentin, trägt eigene Kompositionen vor.345 1938 wird Stefan der Unterrichtsvertrag aufgekündigt346. Entgegen bisheriger musikwissenschaftlicher Vermutungen scheinen die Beweggründe der Wolpes, in die USA auszuwandern, vielmehr diese geänderte Situation am Konservatorium, die frühzeitig genehmigten Ausreisepapiere und vor allem ihr eigener Entschluss zu diesem Schritt gewesen zu sein. Auch bekräftigt Irma 341
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Angaben der Titel wie im Konzertprogramm vom 1. Mai 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Das letzte Lied ist On A Mural By Diego Rivera, und bei Scents handelt es sich vermutlich um Lilacs, beide erschienen in Six Songs From The Hebrew, bei McGinnis & Marx, New York 1962. JNUL, Jerusalem. The Palestine Post, 25. Mai 1938. Ibid., 17. Juni 1938, S. 9. Konzertprogramm der Studenten des Konservatoriums vom 4. April 1938, JNUL, Jerusalem. Kein Beweismaterial im Archiv der JNUL, Jerusalem, vorhanden.
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1976 in einem Interview mit Austin Clarkson347, dass es keinerlei Widerstand oder Kontroverse im Kollegium des Konservatoriums gegeben habe. Bereits am 23. Juli 1938, also zum Ende des Semesters, als Stefan noch angestellt ist, erklärt Irma die Lage in einem Brief an Josef Marx: »[...] haben gerade die Aufforderung vom amerikanischen Konsulat sich hinzubegeben um die letzten Formalitäten zu erfüllen [erhalten]. Unser Visum wird eher da sein, als wir es erwartet haben […] Hauser kam vor ein paar Tagen aus Berlin und Wien zurück. Er bringt über 50 angebliche Musikstudenten aus Wien, d. h. Musiker, die auf diese Weise ein Zertifikat bekommen, und außerdem auch noch eine Reihe von Lehrern. Er bereitete uns darauf vor, dass unser Lebensstandard gesenkt werden müsse, wir müssten alles was wir an Arbeitsmöglichkeiten hätten mit den Wienern teilen, denn wir mordeten sie, täten wir es nicht. Schwere Aussichten [...] Wenn Stefan oder wir beide nach New York kommen, sind wir bereit alles was wir haben mit dir zu teilen [...] Die entscheidende Frage, vor der wir stehen ist Folgende: ob Stefan allein fahren soll und ich noch ein halbes Jahr hier bleibe und für ihn und mich verdiene oder ob wir alles abbrechen und zusammen fahren. Ich kann vom Oktober bis März noch ungefähr 20–25 Pfund im Monat verdienen und Stefan erhalten, ohne dass wir letzte Reserven angreifen müssen, außerdem gebe ich den Arbeitsplatz nicht sofort auf. Fahre ich mit ihm zusammen, so hat er, abgesehen von allen menschlichen Vorteilen, einen Pianisten-Interpreten und Berater zur Verfügung, ohne den er weder zu arbeiten noch zu entscheiden mehr gewohnt ist. Auch wünsche ich nicht, dass er neue Gewohnheiten annimmt. Und zum Herbst kommt Stefan totsicher herüber und beinah totsicher auch ich, oder höchstens ein paar Monate später […] Stefan ist in einer Form die du noch gar nicht an ihm kennst. Strahlend vor Aktivität auch einer nach außen gewandten; tüchtig, regsam, produktiv. Er hat einige Gruppen von Liedern geschrieben von einer großen und ganz neuen Schönheit und Beredsamkeit. Die Oboen Sonate wird ein tolles Stück. Alles was er jetzt macht hat einen neuen sinnlichen Kern arabischer gutturaler Intensität im Klang und Rhythmus. Du kannst dir kaum vorstellen mit welcher Kunst er diese Elemente verwandelt und umwertet in dem er sie verwendet. Er arbeitet jetzt an einem Orchesterwerk ›Tänze aus den Gegenden Palästinas‹, in dem er keinen der hier üblichen jüdischen Tänze verwendet, sondern nur seine eigene, von den Arabern neu befruchtete Besessenheit austobt. Glaube mir, dass es ihm gerade jetzt sehr schwer fällt dies Land zu verlassen, weil seine eigenen Kompositio-
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Sammlung A. C.
1935–1938 Jerusalem · Palestine Conservatory · Josef Marx nen ihn jetzt zum Palästinenser gemacht haben […] Wolpe könne so unjüdisch eingestellt sein, wie er Lust habe, seine Musik sei doch das jüdischste, was je in Tönen ausgedrückt worden sei.«348
Nachdem Edmund Landau im Februar 1938 gestorben war, kommt Dolli im Sommer nach Berlin, um die Verschiffung der Bibliothek ihres Vaters in die USA zu organisieren. Anschließend fährt sie zusammen mit ihrer Mutter Marianne Landau zur Erholung in die Schweiz, was wohlhabenden jüdischen Familien immer noch möglich ist. Rachel reist erneut nach Bukarest, diesmal entschlossen, zusammen mit Harry und dessen Ehefrau Miriam (Mouche) baldmöglichst ebenfalls in die USA auszuwandern. Als Jude bekommt Harry keine Aufträge mehr, auch sind Häuser und Haushalt verkauft, er wohnt in einer kleinen Block-Wohnung, Rachel bei Freunden. Erst spät im Sommer entscheidet Irma, doch zusammen mit Stefan auszureisen, und schickt am 27. Oktober den Antrag zur Absage ihrer rumänischen Staatsangehörigkeit349 nach Bukarest. »It was an island of free speech and democracy, this little Palestine […] It was too small for him […] I was moved by others, we had to save Stefan […] we got a quota-number for Nov. 1938 […] it was the most tearful departure I have gone thru.«350 Obwohl sie sich mitten in den Vorbereitungen zur Abreise befinden, nimmt Irma ihren Unterricht und ihre Konzerttermine bis zum letzten Augenblick wahr. Stefan ist enttäuscht, dass seine Orchesterwerke trotz Versprechen nicht aufgeführt werden, und beklagt sich bei Schlo, dass im Programm des neu gegründeten Orchesters nur »kommerzielle« Werke stehen351. Eines dieser Konzerte wird, noch bevor sie Palästina verlassen, auch von Irma bestritten. Als Solistin spielt sie mit dem Orchester die Symphonischen Variationen von C. Franck und Liszts Ungarische Fantasie: »On Tuesday the new PBS orchestra will give its
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Brief von Irma (Jerusalem) and Josef Marx (New York), 23. Juli 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Sammlung N. B. Interview von Stefan Wolpes Student, Howard Rovics mit Irma, 1973, New York, Sammlung A. C. Brief von Stefan (Jerusalem) an Schlo (Zürich), Herbst 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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fourth concert, directed by Mr. McNair and with Mrs. Irma Schoenberg, undoubtedly our foremost pianist, as soloist.«352 Irma beteiligt sich auch aktiv an der Durchführung des Abschiedskonzerts für Stefan, das am 23. Oktober 1938 im neuen Saal des Bezalel-Museums stattfindet. Auf dem Programm stehen Werke der loyalsten Studierenden der Wolpes: Chemda (Hemda) Davis, Ernst Hirsch, Zwi Kaplan, Peter Jona Korn, Saly Levy, Wolf Rosenberg und Werner Sussman.353 Sie sind ausnahmslos Emigrées, fast alle in Deutschland geboren und studieren erst seit höchstens zwei Jahren bei den Wolpes. Ihre Werke werden von Edith Boroshek (S), Anne Hirsch-Fellheimer (A), Hauser’s String Quartet, Daniel Hofmekler (Vlc), Sasha Parnes (Vl), Wolfgang Schocken (Vl), Werner Fries (Fl) sowie Irma und ihren begabtesten Studenten, Eli Friedman und Herbert Brün, aufgeführt. Als Einführung zum Konzert verliest Wolpe eine kurze Rede: »[...] Dass ich ihre Kräfte nun nicht mehr in neue, kühnere Unordnungen bringen darf, dass ich die Grenzen, die sich ein junges Bewusstsein so rasch zieht, nun nicht mehr niederreißen darf, um ihre neue Weiten zu erobern, dass ich nicht mehr erleben darf die ewige Unrast ihrer Gehirne, mit welchen sie ihre Welt ordnen und das herrliche Feuer ihrer Herzen, mit welchem sie ihre Welt entzünden – bleibt nach all dem Glück dieser Arbeitszeit ein Schmerz. Für heute, junge Freunde, freut Euch mit Euren Arbeiten, fordert von Euch bessere, lernt, stellt Fragen, irrt Euch, baut Euch auf und schont Euch nicht. Lebt wohl. STEFAN WOLPE«354
Irmas Studierende bedanken sich bei dieser Gelegenheit ebenfalls und nehmen Abschied von ihr: »Der Schatz unserer Arbeit mit Ihnen, Irma Schönberg [sic], ist wohlbehütet. Die Erfahrungen der Beobachtung, die Kunst und die Methode des Trainings, das Feuer und die Klugheit Ihrer Belehrung haben beschwingte und exact denkende Menschen hervorgebracht. Wenn die Gelegenheit (Fest und Abschied zugleich), die Arbeiten unserer Freunde zu hören, uns ermuntert zu reden, so nur um Ihnen zu danken für das Glück, Sie gefunden zu haben, und Ihnen zu danken für den Glanz eines Vorbildes, das unauslöschlich ist, solange wir musizieren werden. Ihre Schüler«355 352 The Palestine Post, 9. September 1938, S. 7. 353 Ibid., 28. Oktober 1938, S. 9. 354 Typoskript, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 355 Ibid.
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Abb. 21: Hinten: Rachel, Stefan, eine Bekannte, Harry. Vorne: Irma und Mouche, Bukarest, November 1938 356
In einem Brief an Iso357 wird der Termin der Ankunft von Irma und Stefan im Hafen von Constanța, Rumänien, erwähnt: der 7. November 1938. Vor dem Hintergrund der nach wie vor tobenden Unruhen in Palästina ist die Familie um die Reise der Wolpes von Jerusalem nach Tel Aviv, wo sie einschiffen werden, sehr besorgt. Nach ihrer Ankunft in Rumänien spielt Irma noch einmal für das Radio in Bukarest: Beethovens erste und letzte Sonate (op. 2 und op. 111).358 Am 21. November verlassen sie das Land in Richtung Zürich, wo sie sich von Schlo verabschieden. Sie und ihr Gatte haben ebenfalls 356 357 358
Sammlung N. B. Brief von Rachel und Harry (Bukarest) an Iso (Waterville), 20. Oktober 1938. AAM, Austin, Texas. Postkarte von Harry (Bukarest) an Iso (Waterville), 22. November 1938, CZA, Jerusalem.
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entschieden, in die USA zu emigrieren und halten sich, während sie auf das Ausreisevisum warten, in Zürich auf359. Auch ein Treffen mit Ola und Kathi wird in der Schweiz möglich. Sie waren Anfang des Jahres von Österreich ins Königreich Jugoslawien und danach weiter in die Schweiz geflüchtet.
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Brief von Schlo (Zürich) an Stefan (Jerusalem), 17. August 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School · Jacob Maxin und David Tudor Über Paris, wo Irma wahrscheinlich ein weiteres Konzert spielt,360 schifft das Ehepaar in Rotterdam auf die Nieuw Amsterdam, einem Schiff der Holland-America-Line, ein und erreicht am 15. Dezember 1938 Ellis Island vor New York. Bei ihrer Ankunft sind sie mit Josef Marx verabredet, der sie erwarten soll, allerdings nicht im Warteraum ist. Nach stundenlanger Befragung kommen sie schließlich frei und finden Josef auf der Straße. Er wurde nicht vorgelassen, weil er seinen Pass vergessen hatte und sich nicht ausweisen konnte, bringt sie nun aber zu einer Herberge in West 90th Street: »I am still indignant about that rotting bathroom, but what could we do?«361 Die erste Zeit in New York ist schwierig. Im Interview mit Austin Clarkson berichtet Irma auch über Stefans Reaktion: »Truly, he lost completely his shape. The moment he left Israel, he fell in love with Israel, and he couldn’t get over the fact that he had left it. He was in mourning for Israel, in mourning for the people, and the sun, and every single student, and every single, I don’t know, aroma. And he met that woman who was an Israeli, and she was Sara Halevi362, a little Yemenite girl who had made a name for herself as a performer of folksongs. And she was for him Israel, and he fell in love with her madly. And four weeks later he simply left me alone, not looking for a job or for anything, just trying to find something of Israel, of life with her. This was before the outbreak of the war, you know, this was a moment in which one needed to trust each other. That’s how our stay in America started […] And I didn’t see how we were going to survive. I had some money, but the money was dwindling quickly. Maybe there was money left for half a year’s life. And she didn’t have anything to live on either, so he used to take from me and give it to her […] But actually, he was completely infatuated. From then on it was one infatuation after another.«
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Erwähnt im Brief von Annarose Just (Jerusalem) an Stefan Wolpe (unterwegs nach Frankreich), 15. November 1938, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 361 Interview von Austin Clarkson mit Irma, 4. April 1976, New York, Sammlung A. C. 362 Obituary: Sarah Osnath-Halevy. 62. Singer, Dancer and Mime, in: The New York Times, 14. Oktober 1975, S. 40.
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Iso und Dolli laden die Wolpes zu sich nach Waterville, Maine ein. Unter diesen Umständen möchte Irma jedoch nicht hinfahren. Erst Mitte Januar 1939 plant sie eine Reise zu Iso und Familie, um sie zu besuchen und bei ihnen wieder üben zu können. Am Colby College, wo Iso unterrichtet, möchte sie vorspielen und sich um eine Anstellung kümmern. Ihr Flügel aus Palästina ist immer noch nicht angekommen, und in der kleinen, einfachen Wohnung in New York ist ein Mietinstrument auch nicht möglich. An Rachel schreibt sie: »Gewaltig ist, was hier an Musik geboten wird. Alle großen ausübenden Künstler leben jetzt hier, was einem das Leben sehr interessant aber nicht gerade leicht macht […] In einer so gewaltigen Stadt mit einem so gewaltigen Hinterland fängt jeden Tag das Leben neu an und jeder neue Mensch hat das gute Gefühl, es wird auch für ihn ein Platz da sein.«363
Am 1. Februar 1939 ziehen Irma und Stefan in eine bessere Wohnung in West 91st Street. Irma nimmt so viele Einladungen zu Vorträgen an wie nur möglich. Zudem finden beide auch Privatstudierende in New York und beginnen umgehend mit dem Unterrichten. Rachel fährt im Anschluss an eine Reise an die Riviera nach Bukarest. Zusammen mit Harry und Mouche entscheiden sie, endlich ihre Dokumente für die Auswanderung in die USA einzureichen. Iso schickt die Affidavits, Elsas Mann, Samuel Ussishkin, besorgt die notwendigen Visa. Bereits am 9. März 1939 erwartet Irma sie am Pier in New York. Sie kommen inmitten der Vorbereitungen für die Weltausstellung an. Für den Palästinapavillon wird unter der Leitung von Benno Fränkel364 ein Cabaret einstudiert, wobei Wolpe für den musikalischen Part zuständig ist. Seine Three Time Wedding. Yemenite Songs and Dances sowie Stücke aus dem Palestinian Notebook, eine Suite für Klavier bestehend aus zehn Bearbeitungen, werden Teile des Cabarets365. Eine der teilnehmenden Sängerinnen ist dabei die junge Jemenitin, Sara Halevi366. In ihrem
363
Brief von Irma (New York) an Rachel (Jerusalem), Anfang Januar 1939, CZA, Jerusalem, A 623. 364 Vgl. https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00001881 [abgerufen am 1.8.2023]. 365 Brief von Rachel (New York) an Elsa (Jerusalem), 17.–21. Juli 1939. Erste zwei Seiten: CZA, Jerusalem, A 623; letzte Seite auf Verso des Proben-Programms geschrieben: Sammlung N. B. 366 Vgl. Anm. 362.
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Brief vom 12. August 1939 meldet Rachel an Elsa, dass sie erneut an einer Probe des Cabarets teilgenommen habe, das aber leider immer noch nicht fertig ist.367 Rachel nimmt Kontakt mit der Hadassah, der Amerikanischen Zionistischen Frauenorganisation, auf und beginnt dort kurze Zeit nach ihrer Ankunft ihre Mitarbeit. Die Präsidentin Judith Epstein368 lädt sie und Irma zu einem Empfang ein, wo Irma ein Programm spielt und der jüdischen Gesellschaft in New York vorgestellt wird. Unter den Gästen ist auch ein Klavierlehrer, Schwartz, der an der Settlement School in Philadelphia unterrichtet. Er ist beeindruckt von Irmas Spiel. Und da ab Herbst ohnehin eine Klavierlehrstelle an der Schule frei ist, lädt er einige Tage später den Leiter und Gründungsmitglied der Schule Johann Grolle und Irma kurzerhand zu sich ein. Grolle macht am Anfang klar, dass sie eine »musikalische Größe« suchen, stellt nach Irmas Vorspiel aber Schwartz die Frage: »ist sie nicht zu groß für uns?«369 Es wird zudem arrangiert, dass Stefan wie zufällig zum Treffen hinzustößt. Schwartz schlägt ihn als Kompositionslehrer für die Schule vor. Grolle meldet sich wenige Tage später mit einem Telegramm und stellt Irma eine Lehrstelle in Aussicht. In einem Brief an Grolle setzt Irma ihre während des Treffens unterbrochene Unterhaltung fort: »Lesen Sie ein großes Werk von Bach, Brahms oder Beethoven und Sie sehn durch ein Schlüsselloch ins Herz der Welt. Wie vielen Deutungen ist die Musik zugänglich, und wieviel verschiedene Welten drückt sie gleichzeitig aus! Dem einfachen Zuhörer schenkt sie den Ausdruck aller großen Gefühle und Leidenschaften. Der Architekt erkennt in ihren Proportionen und ihrer Gesetzmäßigkeit die Gesetze seiner eigenen Kunst wirksam. Dem Philosophen wird sie zum tiefen Symbol des Lebens selbst. Betrachten wir das Problem der Interpretation der Musik. Was muss ein Musiker nicht alles sein! Ein Philosoph und ein Schauspieler, ein Tänzer und ein Architekt, und obendrein noch ein Akrobat. Ich übertreibe kaum. Es müssen sich verbinden in einem Musiker die tiefste Einsicht in die Struktur eines Werkes, mit der Gabe der Identifikation mit der Temperatur, der Deklamation, den Affekten eines Werkes. Dazu gehört ein genaues wissen um den Kulturellen Hintergrund eines Werks, Wissen um Stil und die Charaktere und Entwicklung des Instruments. Ein Spieler muss genau kennen die Bewegungsgesetze des Körpers, um die technische Beherrschung seines Instruments darauf aufzubauen. Als letzte Forderung kommt noch hinzu die Forde367 CZA, Jerusalem, A 623. 368 Vgl. https://jwa.org/encyclopedia/article/epstein-judith-g [abgerufen am 1.8.2023]. 369 Brief von Rachel (New York) an Elsa (Jerusalem), 29. November 1939, CZA, Jerusalem,
A 623.
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1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School … rung um Leichtigkeit, das Empfinden für die rein sinnliche Schönheit des Tones, der Sinn für die klangliche Balance und Rundung der Linie. Wenn wir die drei großen europäischen Schulen betrachten, so ergibt es sich, dass jede von ihnen verschiedene Elemente der geträumten Synthese betont. Die russische Schule hebt bei großer technischer Brillanz das rein emotionelle Element der Musik hervor. Ein Werk ist für sie ein Tummelplatz nackter Leidenschaften und Sentiments. Geistige Zusammenhänge, Einsicht und Gestaltung formaler Zusammenhänge werden meist vernachlässigt. Die deutsche Schule zeigt als hervortretenden Zug die Fähigkeit zur Darstellung energetischer Spannungen innerhalb eines Werkes. Sie wissen um die Gewalten, die in einem Werk eingeschlossen sind, sie hören innerlich das ideelle Orchester, für das Beethoven seine Klaviersonaten geschrieben hat, aber ihre Beziehung zum Instrument ist unentwickelt. Ihr Gefühl für klangliche Balance, für Schönheit des Tones, für die Anmut der Wiedergabe ist vernachlässigt. Die französische Schule hat diese Seite, aber auch nur diese! Musik ist für sie keine Kunst der Tiefe, nein! Sie haben kein Gehör für die elementaren Gewalten. Musik ist für sie ein bezauberndes Spiel, ein höchst verfeinertes Genussmittel. Ob Franzosen komponieren oder spielen, sie denken immer and den kultivierten Zuhörer, dessen zarten Nerven man nicht zu viel zumuten kann. Dagegen wirken die Fugen von Bach oder die letzten Sonaten von Beethoven wie ein tiefes Selbstgespräch in höchster Einsamkeit geformt. Wie soll man sich nun entscheiden, Herr Grolle? Ich wäre untröstlich müsste ich es tun. Keine dieser Richtungen kann man ganz verwerfen. An jeder ist etwas was man lieben muss und brauchen kann. Zum Glück müssen wir uns auch gar nicht entscheiden, denn der Begriff der ›Schule‹ gilt meist nur für die Mittelmäßigen in jedem Lande. Die Persönlichkeit wird darin nicht eingesperrt werden können. Darum ist es auch möglich, dass zum Beispiel Cortot über 30 Jahre von den Franzosen als ihr größter Pianist verehrt wurde obgleich seine Kunst durchaus nicht ›französische Schule‹ ist. Sein Spiel ist oft hart, sein Rubato übertrieben seine Technik altmodisch und unausgeglichen, aber er hat den Franzosen offenbart, dass es mehr gibt als nur Glätte und Eleganz und jeux perlé in der Musik. Er hat durch Pathos und Melancholie zu ihnen gesprochen in der französischen Anschauung, von der Interpretation von Musik hervorgebracht. Immer wieder finden wir die Persönlichkeit über der ›Schule‹ stehend und sie sprengend. Wie weit reicht die Vorstellung ›deutsche Schule‹ aus, um eine Persönlichkeit wie die Giesekings370 zu charakterisieren? oder die Vorstellung ›russische Schule‹ um Arthur Rubinsteins Spiel (der, französische und spanische Musik besser spielt als jeder spanische 370 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Gieseking [abgerufen am 1.8.2023].
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1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School … oder französische Musiker) zu erfassen? Ist nicht Busoni halb Deutscher halb Italiener, Stravinsky Russe aber Franzose durch Wahl, und vor allem Chopin halb Franzose halb Pole? Gibt es noch heutzutage für den Künstler die enge Vorstellung von Schule in einer kleingewordenen Welt, in der jeder jeden kennt, und von jedem lernen kann, wenn er Ohren hat zu hören! Wie ablehnend Sie auch heute zur deutschen Schule stehen, berechtigterweise!, so werden auch Sie finden dass man nur bei ganz wenigen Meistern und diesmal nur bei Deutschen oder Österreichern das Wissen finden wird, um die Gewichtsverhältnisse innerhalb des klassischen Sonatensatzes. Von allen Pianisten, die ich kenne und ich kenne alle, habe ich eine wahrhaft tiefe Erkenntnis im Wesen der klassischen Musik nur bei Steuermann und Schnabel gefunden. Kein Franzose ahnt auch nur von dem Problem des Beethovenspiels. Man kultiviert in Amerika Glätte und Brillanz, wenn aber diese beiden Meister nicht mehr sind, so wird es kaum mehr jemanden geben, der wirklich weiß was in 30 Takten von Brahms oder Beethoven vor sich geht, und wie man es gestaltet. Ich möchte Ihnen nur in ein paar Worten etwas über meine eigenen Lehrjahre erzählen damit Sie mir helfen festzustellen, zu welcher Schule ich gehöre.«371
Auch Stefan lehrt ab Winter 1939 Musiktheorie und Komposition an der Settlement Music School. Die Wolpes pendeln jede Woche zwischen New York und Philadelphia, Stefan für einen Tag, Irma für zwei Tage, da sie mehr Studierende hat. Einer der Ersten, der ihr zugeteilt wird, ist Jackie ( Jacob) Maxin, ein zehnjähriger, außerordentlich begabter Schüler. Er ist zuerst nicht begeistert vom Wechsel in eine neue Klasse, erkennt jedoch in kürzester Zeit die Vorteile: »I never had been spoken to like that in my life by any adult. I was always treated as a baby and a child, told what to do. She was asking my opinion of this or that – what did I think about this piece, or would I like to play that or that […] That was the first time in my life that [anyone asked me for] my opinions and my reflections and my thoughts, and it was very thrilling.«372
Nach einer Weile kommt Jackie auch in die Harmonielehre- und KompositionKlasse von Stefan Wolpe. Die Löhne an der Settlement School sind sehr niedrig, die Hälfte davon müssen die Wolpes für Transport- und Übernachtungskosten ausgeben. Doch sind sie überaus dankbar und zufrieden. Irma, die die englische 371 372
Entwurf und Kopie des Briefes von Irma (New York) an Johann Grolle (Philadelphia), Anfang 1939, Sammlung N. B. Interview von John Holzaepfel mit Jacob Maxin, 1999, Sammlung A. C.
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Sprache mittlerweile viel besser beherrscht, gibt Lecture-Concerts am College und in privaten Kreisen. Ihr Bruder Iso, der die Wolpes unterwegs zu einem Kongress in New York besucht, berichtet anschließend an Elsa: »Irma and Stefan are very, very busy with their Philadelphia Music school, recitals, lecture-recitals and Wolpe music being performed in various places. Just to give you an idea as to how busy Irma is, I mention that Colby College is trying to make Irma to come for a recital and trying unsuccessfully for the last year. We hope it will materialize in February.«373
In Grace Notes, der Zeitschrift der Settlement Music School, werden der erste in einer Reihe von fünf Vorträgen von Stefan sowie Irmas Soloabend besprochen: »The pianist, Irma Wolpe, played an exciting program374, ranging from Frescobaldi to Copland and Schoenberg, including concise explanation of fundamentals; while the lecturer and composer, Stefan Wolpe, focused upon the interval375, creating modern sound progressions out of age-old intervals [...]«376
Das wichtigste Ereignis ist jedoch das Konzert am 11. Februar 1940 im Museum of Modern Art in New York: Irma und Eduard Steuerman, mittlerweile ebenfalls emigriert, spielen die US-amerikanische Erstaufführung von Wolpes March and Variations.377 Bereits 1938, bei der Uraufführung in Jerusalem, be merkte Josef Tal, dass Wolpe im Stück »gesunde Formen zerstöre«. Als er jedoch herausfindet, dass Stefan dies »absichtlich und auf methodischer Weise« getan hat, ist er einmal mehr von dessen Kompositionsweise überzeugt. Ähnlich vermerkt es der Präsident der veranstaltenden League of Composers, Elliott Carter, in seiner anschließenden Rezension: »Although composed many years earlier, [March and Variations] was the only work on the program with signs of real originality.«378 Das Konzert ist zu Ehren europäischer Komponisten ausgerichtet, die jetzt in den Vereinigten Staaten leben. Es werden Werke von Alexander von Zem-
373 374 375 376 377 378
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Brief von Iso (New York) an Elsa (Jerusalem), 25. Dezember 1939, CZA, Jerusalem, A 623. 24. Januar 1940. 10. Januar 1940. Grace Notes, Vol. X, no. 1, März 1940. Settlement Music School, Philadelphia. Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Stranvinsky and Other Moderns in 1940, Elliott Carter, in: The Writings of Elliott Carter, E. und K. Stone (Eds.), Indiana University Press 1988, S. 81.
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Abb. 22: Iso, Irma, Dolli und Stefan in Waterville, 1940 379
linsky380, Karol Rathaus381, Paul Dessau382 und Nikolai Lopatnikoff383 nebst Stefan Wolpes March and Variations aufgeführt. Die Komponisten haben auch die Möglichkeit, kurz über ihre Werke zu sprechen. So zeichnet Wolpe seinen Vortrag auf Deutsch auf und lässt ihn ins Englische übersetzen (wahrscheinlich von Josef Marx)384. Ebenfalls im Februar 1940 kommen zwei Konzerte und ein Vortrag von Irma zustande. In Waterville, am Colby College, wo Iso unterrichtet, spielt sie am 23. Februar Bach / Busoni – Chaconne; Scarlatti – zwei Sonaten; Beethoven – 32 Variations; Chopin – Sonata B-flat minor, Impromptu F-sharp minor, Waltz 379 Sammlung N. B. 380 Zemlinsky, Antony Beaumont, Faber & Faber, London 2000. 381 Karol Rathaus, M. Schüssler, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u. a. 2000. 382 Paul Dessau. Eine Biographie, Fritz Hennenberg, VEB DVfM, Leipzig 1965. 383 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Lopatnikoff [abgerufen am 1.8.2023]. 384 Typoskript, englisch, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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Abb. 23: Elizabeth und Beatrice Schoenberg mit Irmas Konzert-Poster, Waterville, Feburar 1940 385
C-sharp minor und zwei Etudes; Wolpe – Two Marches; Debussy – Reflets dans l’eau, General Levine excentrique, Feux d’artifice.386 Die Presse feiert sie anschließend begeistert: »Mrs. Irma Schoenberg Volpe [sic], the sister of Professor Schoenberg of our Mathematics Department, gave two of the finest concerts and lecture-recitals that have ever been heard in Colby College […] Mrs. Volpe illuminated her fascinating lecture by playing compositions by many modern composers, including works by her husband [...]«387
385 386 387
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Kopie mit freundlicher Genehmigung von Elizabeth Brody, Tochter von Iso Schoenberg. The Colby Echo, 21. und 28. Februar 1940, Special Collections & Archives, Colby College, Waterville. The Colby Alumnus, März 1940. Special Collections & Archives, Colby College, Waterville.
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Nur einige Tage später spricht Stefan bei einem Symposium im Jewish Club in New York mit Dr. Rudolph Reti388 zum Thema What is Jewish Music?389 und setzt die Debatte, die Alice Jacob-Loewenson bereits 1938 in Jerusalem eröffnet hatte, fort. Im Frühling 1940 hängt der Hausfrieden bei den Wolpes erneut schief. Stefans Affäre mit Brigitte Hausberger390 trübt die Erfolge, die sich bei beiden endlich einstellen. Die Schoenberg Familie unterstütz Irma und versucht sie darüber hinwegzutrösten. Vor ihrem nächsten Konzert in Philadelphia hinterlässt Irma eine kurze Nachricht für ihren Bruder Iso: »Ich sehe ich kann das Konzert nicht mehr verheimlichen. Also kommt in Gottes Namen. Aber wozu Tuxedos? Are you crazy? A business suit is just the right thing for the Settlement School. I shall see you after the recital, or after the intermission. Love to you all from a worried pianist, Murla / Ich habe mir ein gewaltiges Programm aufgeladen. I don’t know why. The Lord has to intervene in person to help me get through.«391
Ihr nächstes Konzertprogramm vom 4. April 1940 umfasst Werke von Frescobaldi; Copland – Piano Variations; Schönberg – 5 Klavierstücke op. 23; Skrjabin – (nicht ermittelt); Bartók – Sonate für Klavier; Wolpe – Pasaccaglia for Piano (1936) sowie seine letzte Studie der Four Studies on Basic Rows op. 23.392 Einige Tage später hält Stefan an der Settlement School seinen zweiten Vortrag mit dem Titel Modulation as a Process393. Am 28. Mai werden in der Class Demonstration of Original Works by Pupils of Stefan Wolpe Stücke seiner Studierenden von Irma, Josef Marx und Arthur Lannutti sowie bereits von Studierenden aus Irmas Klavierklasse aufgeführt. Auch eine Sonata for Violin and Piano von Stefans Student Ralph Shapey394 wird von Irma und dem Komponisten (Violine) vorgetragen.395 Im Spätsommer gelingt es Irma endlich, eine größere Wohnung in New York, 410 West 110th Street zu mieten, die sie bis zu ihrem Tod behalten wird. 388 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Rudolph_Reti [abgerufen am 1.8.2023]. 389 Veranstaltungsprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 390 Brigitte Hausberger, geb. 1906 bei Berlin, Tochter von Gustav Landauer, in zweiter Ehe mit
Dr. Franz Hausberger, Physiker, verheiratet, nimmt nach der Emigration den Namen ihres Schwiegervaters aus erster Ehe, Nichols (Nicolai), an. 391 Brief von Irma (New York) an Iso (Waterville), März 1940. AAM, Austin, Texas. 392 Grace Notes, Vol. X, no. 2, Juni 1940. Settlement Music School, Philadelphia. 393 Die Modulation als Prozess, Thomas Phleps (Ed.), in: Das Ganze überdenken. Vorträge über Musik 1935–1962, Pfau 2002. 394 Vgl. http://www.musicaltimes.co.uk/archive/0203/shapey.html [abgerufen am 12.3.2023]. 395 Grace Notes, Vol. X, no. 2, Juni 1940. Settlement Music School, Philadelphia.
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Auch Harry, Mouche und Rachel ziehen vorübergehend in die neue Wohnung ein. Diese Tatsache hält Irma aber nicht davon ab, noch mehr Privatstudierende anzunehmen. Des Öfteren bringt sie auch Jackie Maxin mit nach New York, nimmt ihn mit zu Konzerten oder Opernaufführungen. Er integriert sich aktiv in das Musikleben der Wolpes: »›People were there all the time (it was a Grand Central Station), people such as I have never seen since. Everybody was a genius; everybody was some kind of fantastic creative person.‹ To the precocious boy of eleven, it was a dazzling atmosphere. ›These people seemed to be coming from another planet and only talked about art and aesthetics, and painting, and structures, and analyses, and so on. It was unbelievably exciting for me, because this is what I liked [...]‹«396
Rachel, die längere Zeit bei Irma wohnt, schreibt wieder. Sie publiziert zwei Artikel in Der Tog397 und weitere Jiddische Artikel bei der zionistischen Gemeinde. Am 12. Januar 1941 spielt Irma in einem Faculty Recital der Settlement School ein Konzert398 zusammen mit dem Violinisten Jani Szántó399, Direktor und Präsident der Schule, und am 2. Februar ein weiteres Konzert mit Josef Marx an der New School for Social Research in New York, bei dem auch Wolpes Sonata for Oboe and Piano zur Uraufführung kommt.400 In New York beginnen am 17. Mai 1941 die Konzerte des ISCM401-Festivals in Zusammenarbeit mit den Radioanstalten. Jury-Mitglieder sind unter anderem Ernst Krenek, Karol Rathaus und Roger Sessions. Am 19. Mai werden Stefan Wolpes Psalm 64 und Isaiah, Chapter 35 für Sopran und Klavier (1939) von Anneliese von Molnar402 und Irma aufgeführt. Das Konzert findet im MacMillin Theatre ( jetzt Miller Theatre) der Columbia University statt. Zur Aufführung im Festival kommen auch Werke von Anton Webern, Paul Dessau, Artur Schnabel, Bohuslav Martinu, Aaron Copland, Silvestre Revueltas, Willy Burkhard, Zoltán Kodály und anderen.403
396 Interview von John Holzaepfel mit Jacob Maxin, 1999, Sammlung A. C. 397 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Der_Tog [abgerufen am 11.3.2023]. 398 Grace Notes, Vol. XI, no. 1, Januar 1941. Settlement Music School, Philadelphia. 399 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Jani_Sz%C3%A1nt%C3%B3 [abgerufen am 1.8.2023]. 400 Austin Clarkson: Liste der Uraufführungen von Wolpes Kompositionen, Sammlung A. C. 401 International Society for Contemporary Music. 402 Anneliese (Annelies) von Molnár (1906–1995), geb. Jolowicz. 403 Vgl. https://iscm.org/wnmd/1941-new-york [abgerufen am 1.8.2023].
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Im Juli und August 1941 unterrichtet Wolpe in East Blue Hill, Maine bei den Sommerkursen, die von der Juilliard Music School-Pianistin Henriette Michelson organisiert sind. Seine Studierenden aus New York und Philadelphia, unter anderem Leonard Meyer, Isaac Nemiroff und Elmer Bernstein, nehmen an den Kursen teil, da Wolpe hauptsächlich für die musikalische Analyse zuständig ist. Inzwischen kümmert sich Irma in New York um das Affidavit und die Dokumenten-Zusammenstellung für die Emigration von Stefans Tochter Kathi404, die mittlerweile zehn Jahre alt ist und in Thun in der Schweiz lebt. Auch arrangiert sie ein Interview welches Paul Rosenfeld405, Musikkritiker und Bekannter von Irma, nach seiner Rückkehr mit Stefan führen sollte. Weitere Auseinandersetzungen mit Stefan wegen Brigitte, aber auch sein Bestehen auf Schlos weiteren Verbleib in ihrem Apartment in New York halten Irma davon ab, ihm nach Maine zu folgen: »Ich habe mir einiges betreffend unser Leben in dieser Wohnung sehr gemütlich durchdacht und meine folgendes: Es ist nicht genug, dass meine Mutter hier wegkommt, es muss auch Schlo ausziehen, wenn wir die Wohnung behalten wollen. Ich weiß nicht ob dir bewusst ist wie sehr dich ihre ständige Gegenwart stört und mitbegründet hat deine und meine tiefe Nervosität. Ich muß wieder mit mir und mit dir allein leben in einer Wohnung; die Gegenwart auch noch so wohlmeinender Freunde, die den Haushalt vergrößern und jede Privacy durchkreuzen, darf ich nicht mehr auf mich nehmen. Wir können trotzdem ein Zimmer vermieten an Jemand ganz fremdes der sich Frühstück auf einer elektrischen Kochplatte im eigenen Badezimmer machen kann. Schlo mag meinetwegen im selben Haus wohnen bleiben, aber nicht in der Wohnung. Wenn es dir schwer sein wird es ihr zu sagen, muss ich leider ausziehn und mir eine eigene kleine Wohnung nehmen und du dir ein Studio.«406 »Ich kämpfe täglich um einen neuen Selbstbesitz, Lebensinhalt, Halt im Leben. Ich fange jeden Tag von vorne an. Beethoven ist mein großer Freund. Auch die erste Fuge von Wolpele ist sehr schön. Ich hab leider keine Menschen mehr in der Stadt […] Ich muss das Affidavit fertig machen und alles erfüllen, bevor ich
404 Katharina Wolpe ist schlussendlich nie in die USA emigriert. 405 Vgl. https://archives.yale.edu/agents/people/87419 [abgerufen am 1.8.2023]. 406 Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwech-
sel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 58.
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1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School … weggehe. Es kommt hier Krieg und dann ist alles zu spät. Vielleicht schaffen wir es noch vorher.«407 »Ich lehne mich zurück und lasse mich tragen von den Wassern meines Lebens. Es flüstert, meist rauscht es und stürmt. Gestern wäre ich dabei beinah ertrunken. Heute lebe ich wieder leichter. Es müssen, müssen Wunden heilen, das Gehetzte sich besänftigen das Getrübte sich klären. Ein sanftes Müssen. Ich bin allein und ich muss mich selbst an der Hand nehmen und in eine klare Ruhigkeit führen. Es ist höchste Zeit und die Gefahr ist groß. Hilf mir Stille, red du da wo Menschen stumm bleiben. Berge mich Einsamkeit bis der gehetzte Atem ruhiger wird und die Hände sich wieder zutraulich öffnen.«408
Stefan sieht ein, was er verursacht, bemitleidet aber auch seine eigene Lage, in der er wenig arbeiten kann: »Geliebtes Leben. Deine Tränen überspülen meine Tage. Und alle der Missmut und Schmerz, den ich dir verursache, drückt mein Leben auf ein Minimum seiner Kraft herab. Leben zeugt Leben und ich dachte, ich hätte die Kraft, Ungeheures zu producieren. Schade, ich stifte Verwirrungen und ein lebendiger Doppelbund zehrt meine Kräfte auf.«409
Wolpe zieht Ende des Sommers aus der Wohnung auf der 110th Street und wechselt innerhalb New Yorks in eine Studiowohnung bei 141 West 71st Street. Seine Privatstunden hält er jedoch weiterhin in Irmas Wohnung ab. Sie spielt ungeachtet dessen weiter seine Werke und auch die seiner Studierenden. In einem 1976 geführten Interview mit Austin Clarkson berichtet sie über die Proben für ein solches Konzert: »I remember here I played a sonata by one of his young composers, and the composer didn’t know how to help me at all. He just finished composing it. He didn’t know. I was playing, asking is this right? And it happened that Claus Adam410 was there. Claus Adam has this distance, maybe has too much distance as a performer, but he had it. He showed the composer what he wanted. Then I knew what to do with it.«411
407 Ibid., Brief 76. 408 Ibid., Brief 56. 409 Ibid., Brief 82. 410 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Claus_Adam [abgerufen am 1.8.2023]. 411 Interview von Austin Clarkson mit Irma, 1976, New York, Sammlung A. C.
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Um ihre Aufenthaltsvisa in den USA zu erhalten, wendet Rachel sich zunächst an das National Council of Jewish Women, wo man ihr in dieser Angelegenheit aber nicht helfen kann, da sie den entsprechenden Antrag aus dem Ausland stellen muss. So reist sie nach Montreal, wo sich das nächste US-Konsulat befindet. Auf der Rückreise verweilt sie bei Iso und Familie, kehrt aber danach erneut in Irmas Wohnung zurück. Menahem Ussishkin412, Elsas Schwiegervater, stirbt am 2. Oktober 1941 in Jerusalem. Rachel verfasst einen Nachruf, der am 11. Oktober auf der Titelseite der New Yorker jüdischen Tageszeitung Der Tog (The Day) erscheint. Irma nimmt inzwischen auch Werke anderer zeitgenössischer Komponisten in ihr Repertoire auf. Am 15. Februar 1942 spielt sie eine Sonate von Ulysses Kay413 in einem Konzert der League of Composers in der New York Public Library.414 In Philadelphia hat sie auch mehr Studierende, sodass sie mittlerweile drei Tage die Woche an der Settlement Music School unterrichten muss. Sie erhält ein Zimmer auf dem Campus, wo sie übernachten kann. Im Sommer 1942 eskaliert die Situation zwischen Irma und Stefan wegen Brigitte erneut: »Und wenn du die Frage umdrehst und von dir aus fragst: Weißt du denn und fragst du dich denn wie meine Nächte aussehn, so kann ich dir antworten: wie kann ich es wissen da du mich aus deinem Leben und aus deinem Herzen herausgeschmissen hast, mich ausgeschlossen aus der Wärme des lebendig geteilten Lebens, nur aus deinem Dienst willst du mich nicht entlassen. Ich kann nur annehmen, dass du in einer endlich erfüllten großen Liebe oder Maß von Glück erlebst, das dir gegeben ist zu erleben. Ich verstehe nicht warum du versuchst die ›Ketten‹ dieser Beziehung zu ›brechen‹. Gib dich doch hin und lass dich glücklich sein. Dies aber kannst du nicht, und ich lass mich nicht mehr missbrauchen wie im Juni, als Hebel zu etwas was im Nichts endet. Du liebst mich nicht und darum hast du nicht die geringste Beziehung zu mir als sichtbare, greifbare Kreatur, die schreit, wenn man sie zertritt. An sich müsste einem nicht nur Liebe dafür die Augen öffnen, sondern einfache Menschlichkeit wäre genug, aber die ist eben nicht vorhanden, vorhanden ist nur STEFAN WOLPE ganz groß geschrieben. In deiner fantastischen Naivität denkst du es gibt diesen großgeschriebenen Stefan noch immer in meinem Herzen, in meiner Wohnung, in meinem Bankkonto, in meinem Ehevertrag, nach allem was gesche412 Vgl. Anm. 60. 413 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Ulysses_Kay [abgerufen am 1.8.2023]. 414 Programmzettel, Sammlung N. B.
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1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School … hen ist, und du schreibst mir in meiner Abwesenheit ›Alles Liebe‹ auf ein Papier und gehst dann zu Brigitte und gibst ihr deine Liebe, Gegenwart, Zärtlichkeit, und das soll ein Dauerzustand sein, in dem ich gern verharren soll und mich womöglich auch noch beschenkt fühlen. Schlo in verbesserter Auflage. Am Tag, an dem du zu mir sagen kannst: ich habe mich von B. freigemacht und ich muß zu dir zurück, werde ich dich vielleicht anhören, vielleicht auch nicht. Es ist aber das Einzige was du mir noch sagen kannst. Irma«415
Stefan bereut die Situation: »Ich kenne dich, weiß um dich und habe dich in allen den Dunkelheiten und Verzweiflungen, deren unglückliche Ursache ich wusste, sehr tief erlebt. Nicht dass ich es ertrug, ich ertrug es nicht, es wurde mein Unglück selbst und da ich nur zu schwach war, es zu leben, hielt ich es von mir fern, unsäglich verfallen der ganzen Ausweglosigkeit, für welche ich auf der einen Seite die Wahrheit einer bedingten Notwendigkeit sah, von dir zu gehen um im Schein dieser neuen Wirklichkeit, dich voll zu entbehren, dich, Engel meiner Zwiesprache und Engel meiner Einsamkeiten. Du bist gross, das zu verstehen und ich bitte dich unendlich, es ohne mich zu schmähen, zu verstehen. Noch einmal ganz und mit allem menschlichen Stolz, über einen anderen Menschen solche Macht zu haben. Diese hast du. Sieh hinter meinen Seelen schamhaftes verborgenes Leben. Sieh nicht Kälte, nicht Trotz; sieh einen, der in den Nächten und in den quellenreichen Stunden nach Einheit und Wiedereinsetzung gierigen Lebens mit dir ist, auf dich bezogen, in hunderten ganzen tiefen Geschicks gehalten, eines doppelten, eines zu überwinden (das mit meinem Freunde) und eines zu vollenden und zu erfüllen: das mit dir. So gib mir den Rest meiner Tage, dass ich mich bewähren darf, ohne zu verderben. Ich bitte dich. Und ich bitte dich immer wieder darum. Dein Stefan.«416
Daraufhin verlässt Irma New York und verbringt zwei Wochen in Maine in einem Haus, in dem sie sich mit anderen Émigrées aus Europa trifft: dem Schriftsteller Hermann Kesten417, Beatrice Zweig, Malerin und Ehefrau von Stefan Zweig418, Soma Morgenstern419, Schriftsteller und Journalist, der Schrift415
Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 93. 416 Ibid., Brief 95. 417 Vgl. https://kesten.de/biographie [abgerufen am 1.8.2023]. 418 Das nenne ich ein haltbares Bündnins! Arnold Zweig / Beatrice Zweig und Ruth Klinger – Briefwechsel (1935–1962), Ludger Heid, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u. a. 2005 (= Reihe ExilDokumente, Bd. 8). 419 Vgl. https://www.soma-morgenstern.at/lebenslauf.php [abgerufen am 1.8.2023].
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stellerin Adrienne Thomas (Hertha Strauch)420 sowie der Witwe des rumänischen Schriftstellers, Lyrikers und Historikers Valeriu Marcu421, der einige Wochen zuvor gestorben ist. In dieser Atmosphäre fällt es Irma leichter, die Entscheidung zu treffen, sich mit Stefan auszusöhnen, obwohl sie nach ihrer Rückkehr getrennt in New York wohnen bleiben. Da Iso ab 1941 an die Pennsylvania University berufen wurde und mit der Familie nach Swarthmore bei Philadelphia gezogen ist, treffen sie sich nun regelmäßig mit Irma. Auch lernt Irma in dieser Zeit Isos Freund und Kollegen, den deutschen Mathematiker Hans Rademacher422, kennen. Am 8. Februar 1943 spielt sie erneut ein Rezital an der Settlement Music School in Philadelphia und wählt diesmal ein klassisches Programm: Beethoven – 4 Bagatellen op. 126, Sonate op. 81a und Sonate op. 26; Schubert – Impromptu op. 142 Nr. 4; Ravel – Valses nobles et sentimentales und Jeux d’eau; Chopin – Études op. 10 Nr. 1 und op. 25 Nr. 7, Polonaise fis-moll, op. 42.423 Obwohl Stefan weiterhin in seinem Studio wohnt, läuft nicht nur sein Unterricht, sondern auch das anderweitige musikalische Leben in der Wohnung von Irma unverändert weiter. Freitags werden die wöchentlichen Musikabende veranstaltet, nach dem Muster aus Jerusalem, wo Studierende der beiden dem Freundeskreis ihre Programme vorspielen und neue Kompositionen zur Aufführung bringen. Einige Jahre später, als John Cage gelegentlich diese Abende besucht, bemerkt er: »(The apartment) was always filled with students who were absolutely devoted to (Stefan) so that one had the feeling, being there, that one was at the true center of New York.«424 Am 30. Juni 1943 begeht Irmas Mutter Rachel Selbstmord, niemand kann sich die Beweggründe erklären. Sie wird im Ferncliff Cemetery in New York bestattet. Stefan beginnt das neue Jahr 1944 mit guten Vorsätzen. Auf der Innenseite des Covers seines Tagebuchs vermerkt er: »Tagebuch für das Jahr 1944. Einen
420 Vgl. 421 422 423 424
https://www.onb.ac.at/sammlungen/literaturarchiv/bestaende/personen/thomas-adri enne-1897-1980 [abgerufen am 1.8.2023]. Valeriu Marcu. Ein Rumäne im literarischen Berlin, Andrei Corbea-Hoisie, vgl. https://journals. openedition.org/germanica/380 [abgerufen am 1.8.2023]. Vgl. Anm. 264. Konzertprogramm. University of Texas, AAM, Austin. Stefan Wolpe and Abstract Expressionism, Austin Clarkson, in: Steven Johnson (Ed.), The New York Schools of Music and Visual Arts, Routledge, New York 2002, S. 80.
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eigenen Mut haben und an den Erfüllungen arbeiten, aber wissen, und deswegen die eigenen Gesetze nicht missbrauchen!!«425 Irma stürzt sich in noch mehr Arbeit, unterrichtet mittlerweile auch am Swarthmore College nahe Philadelphia und konzentriert sich auf die bevorstehenden Konzertprogramme. Wie auch in den vorherigen Jahren spielt sie am Anfang des neuen Jahres ein Solo-Rezital an der Settlement Music School. Das Programm besteht aus: Frescobaldi – Aria; Beethoven – Sonate op. 31 Nr. 3 und Sonate op. 57 Nr. 3 (Appassionata); Wolpe – Complaint und Dance in Form of a Chaconne; Brahms – Intermezzi op. 118 Nr. 6, op. 116 Nr. 4 und Nr. 1; Liszt – Mephisto Walzer426. Es ist wahrscheinlich dieses Konzert, dem der junge Orgel-Student am Swarthmore College David Tudor427 beiwohnt. Er ist dermaßen beeindruckt von ihrem Spiel, dass er entscheidet, sofort in ihre Klavierklasse zu wechseln: »The first year I came to Swarthmore I met Irma Wolpe, who completely changed the course of my life. When I heard her play I immediately and spontaneously decided to become a pianist. The revelation of the sensitivity and direct expression of which the piano is capable came as a shock that I can never forget.«428
Er ist 18 Jahre alt, ein Ausnahme-Organist, der bereits seit einem Jahr die Stelle in der Trinity Episcopal Church in Swarthmore innehat. An der Orgel der Clothier Memorial Hall, auf dem Campus der Schule, initiiert er 1944 eine Konzert-Serie mit elf Aufführungen, die auf die nächsten Semester verteilt und vom neu übernommenen Radiosender des Colleges429 übertragen werden. Parallel beginnt er unverzüglich das Klavierstudium mit Irma. Obwohl die jungen Pianisten David Tudor und Jacob Maxin offiziell ihren Klavierunterricht von Irma in Philadelphia erhalten, pendeln sie nun immer öfter mit den Wolpes nach New York. Keiner hat viel Geld, alles wird geteilt. Vor allem wird das Wissen über Musik sowohl von Irma als auch von Stefan freigiebig weitergegeben. Nach wenigen Jahren Unterricht entwickeln sich 425
Tagebuch-Cover, 1944. Der Inhalt fehlt, Hardcover wurde von Irma als Ablage für Notizen benutzt, Sammlung N. B. 426 Konzertprogramm vom 9. Januar 1944, Sammlung N. B. 427 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/David_Tudor [abgerufen am 1.8.2023]. 428 David Tudor’s Apprenticeship. The Years with Irma and Stefan Wolpe, Austin Clarkson, Leonardo Music Journal, Vol. 14, MIT 2004. 429 Swarthmore Network (SN). David Tudor hat als Student bei der Redaktion des Radioprogrammes mitgewirkt. FHL, Swarthmore.
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beide Pianisten zu Ausnahmekünstlern. David Tudor wird der eminenteste Vertreter zeitgenössischer Klaviermusik des 20. Jahrhunderts. Jacob Maxin ist als »der größte unbekannte Pianist«430 in die US-Musikgeschichte eingegangen. Irma spielt weiterhin nicht nur öffentlich Wolpes Werke, sondern auch bei privaten Anlässen, wo sie einen größeren Förderkreis anzusprechen bestrebt ist. Zur Feier für Heinrich Manns 73. Geburtstag in der New York Times Hall spielen Irma und Stefan trotz Ehekrise am 6. Februar 1944 Hymne und Marsch aus Wolpes The Man from Midian431. Organisiert wird die Veranstaltung von der Tribüne für Freie Deutsche Literatur und Kunst in Amerika, dessen Vorsitzende Erwin Piscator432 die Begrüßung übernimmt. Georg Friedrich Alexan433 hat die künstlerische Leitung. Stefans Dank an Irma folgt einige Tage später.434 Sowohl Irma und Stefan als auch Schlo verbringen den Sommer 1944 am Hudson River nördlich von New York. Bevor Schlo in die Sommerfrische nach Tanersville fährt, trifft sie sich mit Brigitte, die Unterstützung von ihr erhofft: »Stefan ist abgefahren heute Morgen […] Wir haben kaum gesprochen, garnicht gequält – mir ist klar, dass er mich liebt, vielleicht nicht weniger als je, – aber, dass er diese Liebe loswerden möchte, sie als ihn hindernd, störend, dekonzentrierend ansehend. Er liebt nicht die natürliche Abrundung seines Lebens durch diese menschliche Verbindung, sondern empfindet sie als zu überwindend im Sinne seiner künstlerischen und persönlichen Vollendung. Er bleibt, aber er wehrt sich dagegen. Er ist gebunden, von sich aus, ersehnt aber die Freiheit. Was also soll ich tun? […] aber, so sehr er in Wirklichkeit auch gebunden ist, er erstrebt vollkommene Freiheit! So öffne ich mein Herz und meine Hände und lasse ihn gehen. Ist Liebe nur eine de-zentralisierende Kraft? Ich habe da andere Vorstellungen! Und wo man Fehler gemacht hat, könnte man lernen. Mein Leben ist ohne Sinn. Ich bin nicht alt genug, nur Mutter zu sein. Kann man je Mutter sein aus der gestörten Harmonie des Wesens?«435 430 431
Jacob Maxin Obituary, Boston Globe, 25. Januar 2013. Die Musik für das Ballett The Man from Midian wurde von Eugene Loring (1911–1982), Tänzer und Choreograf, beauftragt und 1942 von Stefan Wolpe vollendet. Konzertprogramm, Sammlung N. B. 432 Erwin Piscator und die Schicksale der Berliner Dramaturgie. Nachträge zu einem Kapitel deutscher Theatergeschichte, Hermann Haarmann, Wilhelm Fink Verlag, München 1991. 433 Vgl. https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/bio graphische-datenbanken/georg-friedrich-alexan [abgerufen am 1.83.2023]. 434 Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 103. 435 Brief von Brigitte Hausberger an Schlo (beide in New York), Sommer 1944, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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Die Beziehung zwischen Stefan und Brigitte scheint ein Ende zu haben, wird aber noch eine Weile andauern. Da Stefan auch während des Sommers zwischen New York und Kingston pendelt, ist Jackie eingeladen, zu ihnen nach Kingston zu kommen. Irma, Stefan und Schlo besuchen sich gegenseitig, ihre Ferienhäuser liegen nicht zu weit voneinander entfernt: »Heute früh um halb neun war Stefan schon wieder im Bus nach Kingston und N. Y. Ich habe es mir heute endlich gut gehen lassen, mit ausgiebigem Schwimmen, Arbeiten, Ruhen, ohne Hetze und Zwang. Vielleicht komme ich nach einer Weile eines ruhigeren Lebens zu einem etwas ausgeglichenen Lebensgefühl. Die letzten Jahre haben mich beschädigt, und verletzt. Vielleicht kann einiges wieder heilen.«436
Zum Jahresende spielt Irma am 7. Dezember 1944 ein Rezital in der Chlothier Memorial Hall in Swarthmore. Das Programm ist nicht überliefert, nur die Anzeige im Swarthmore Phoenix.437 Eine andere Zeitung, The Swarthmorean, berichtet über den 4. Februar 1945. In ihrer Hoffnung, mit ihren Aufführungen mehr Gönner für Stefan zu erreichen, gestaltet Irma einen musikalischen Nachmittag, an dem Wolpe als Komponist einer einflussreichen Gesellschaft vorgestellt wird. »Mrs. Wolpe presented a program of compositions by Mr. Wolpe who is one of the outstanding contemporary composers.«438 Es wird erwähnt, dass Irma und Stefan Lehrkräfte der Settlement Music School in Philadelphia seien und Irma zusätzlich auch im Swarthmore College lehrt. Der offizielle Vertrag am College wird jedoch erst im folgenden Jahr 1946 unterzeichnet, obwohl Irma bereits seit 1943/44 dort unterrichtet. Sie wird von Alfred J. Swan439, der die Theorie-, Harmonie-, Kontrapunkt- und KompositionKlassen am Swarthmore College innehat, angeworben. In der Schulzeitschrift The Halcyon wird Irma nach einigen Unterrichtsjahren folgendermaßen in Stichwörtern erwähnt: »Irma Wolpe, Music … the other half of the music department … commutes from New York … unique method of piano instruction … dynamic, vibrant personality.«440 436
Brief von Irma (Kingston) an Schlo (Tannersville), 10. Juli 1944, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 437 Swarthmore Phoenix, 5. Dezember 1944. FHL, Swarthmore. 438 Film P398-P427. FHL, Swarthmore [abgerufen am 1.3.2023]. 439 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Alfred_Swan [abgerufen am 1.8.2023]. 440 The Halcyon, Yearbook 1950, S. 17. FHL, Swarthmore.
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Die lang ersehnte US-Einbürgerung beider Wolpes erfolgt am 19. Februar 1945. Das neue Jahr steht ganz im Zeichen der Aufführungen von Stefans Klavierwerk. Am 11. Februar 1945 führt Irma im Rahmen einer Veranstaltung der Young Composers’ Committee of the League of Composers New York sein neues Stück Dance in Form of a Chaconne auf.441 Die Uraufführung seiner Toccata in Three Parts (1941), Irma gewidmet, folgt am 8. April 1945 als Kernstück ihres Konzertes an der Settlement Music School. Außerdem stehen auf dem Programm: Mozart – Sonate KV 282; Brahms – Variations on an Original Theme op. 21; Chopin – zwei Préludes und Sonate op. 58; Debussy – Reflets dans l’eau.442 Bereits am 5. Juni 1945 findet das gemeinsame Konzert von Jackie und David an der Swarthmore Music School statt, wobei beide Werke von Wolpe im Programm haben. Jackie bestreitet den ersten Teil mit Prokofjew – Sonate Nr. 8 op. 83; Wolpe – Two Pieces for Piano: Pastorale, Con Fuoco, und David spielt Schönberg – vier der Fünf Stücke für Klavier op. 23; Beethoven – drei der Sechs Bagatellen op. 126; Wolpe – Toccata in Three Parts. Zusammen führen sie zum Schluss Stravinskys Capriccio for Two Pianos auf.443 Cantor David Putterman von der Park Avenue Synagoge in New York organisiert am 11. Mai 1945 einen Sabbath Eve Service of Liturgical Music by Contemporary Composers. Es werden Werke von Leonard Bernstein, Mario CastelnuovoTedesco, Darius Milhaud und anderen aufgeführt, ebenfalls die Premiere von Stefan Wolpes Cantate Yigdal für Bariton Solo, Chor und Orgel.444 Für David Tudor bereitet Stefan eine Bearbeitung der Cantate für Orgel solo vor, die David im Juli während eines seiner Konzerte in der Orgelmusik-Serie am Swarthmore College spielt. In seinem Brief an Irma berichtet er, dass er kurz danach nach New York fahren und sich in ihrer Wohnung niederlassen würde, da er dringend üben müsse: »You were right about Chopin études – I practiced nothing else for a couple of weeks while preparing my recital and the playing began to improve almost spontaneously. Of course, I had to stop to concentrate on organ and now it is taking me a while to recover the sensitivity of my fingers – I am practising Ravel-Valses and L. H. (Left Hand) Concerto, which are a great help. Also Beethoven op. 81, Bartok 3rd étude, Chopin, Wolpe Passagaglia, etc. Other than 441 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 442 Ibid. 443 David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles. 444 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School … that, I read – intensely. Your letter which I received this morning made me very glad because you sound so happy. I’ll try to make Jackie write. Love to you both. David«445
Den Sommer 1945 verbringen die Wolpes in East Blue Hill, Maine (siehe Abb. 24, S. 143). Stefan unterrichtet erneut einmal pro Woche bei den Sommerkursen von Michelson, die er per Fahrrad erreichen kann. Es wird klassisches Repertoire erarbeitet, und auch Irma spielt diese Beispiele gelegentlich für die Studierenden. Die Wolpes haben ein kleines Haus mit Klavier gemietet, wo Irma übt, und in einem benachbarten Haus ein weiteres Klavier, das von Stefan genutzt wird. Irma hilft beim Kopieren der ersten vier Teile von Wolpes Battle Piece (1943–1944) und übt das Stück in den kommenden Wochen ein. »We are working and swimming and taking long walks. It is heavenly beautiful and cool, serene here. I wish this summer had 2 Julys and 2 Augusts but it won’t. I didn’t even start to practice yet. Other things are more interesting to me right now. Stefan works like mad and tears up most of the things he is doing, always searching for simplicity. What is allowed to stay is terrific, as strong as rock.«446
Bald kümmert sich David um die Wohnung in New York, wo Irmas Mieter gerade auszieht. Seine Schwester Joy kommt ebenfalls für einige Tage nach New York, um für David zu sorgen. Er hat kein Geld, Irma empfiehlt ihm Freunde, bei denen er essen kann. Auch fragt er, ob er sich etwas Geld von Mouche, Irmas Schwägerin, leihen könne. Drei Wochen später verkündet David Fortschritte in seiner Arbeit an Max Regers Variationen und Fuge über ein Thema von J. S. Bach op. 81 und Wolpes Passacaglia: »… the conception of the Passacaglia is forming more rapidly than I dared to hope. I have wings – I feel strong like an eagle!«447
445 446 447
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Brief von David Tudor (Philadelphia) an Irma (Blue Hill Falls), 30. Juli 1945. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL. Brief von Irma (East Blue Hill) an David Tudor (Philadelphia), 27. Juli 1945. David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles. Brief von David Tudor (New York) an Irma (East Blue Hill), 23. August 1945. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
1939–1946 New York – Philadelphia · Settlement Music School … Abb. 24: Isaac Nemiroff, Stefan, Leonard Meyer und Irma in East Blue Hill, 1942 448
An die Arbeit zur Passacaglia (1935) für zwei Klaviere, welche Wolpe für Klavier solo umgearbeitet hat, erinnert sich Irma am 4. April 1976 in einem Interview mit Austin Clarkson449: »When Stefan took the Passacaglia to Steuermann, he handed it to him on his knees. Steuerman looked at it and said, ›But Stefan this is a score not a piano piece. Write it as a piano piece and then I can read it.‹ And then Stefan was mad, and he took a whole year to redo it. Then he gave one copy to me and one to Steuermann. And Steuermann was never heard of, and I played it to him two weeks later and he changed the dedication. This happened in summertime in Maine in ’45, in this little place.« 448 449
Sammlung N. B. Sammlung A. C.
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Stefan widmet ihr die Passacaglia in der New Music Edition von 1946: »after many years have passed: no one else but you came so close to the fierce grandeur in playing this piece and only you gave to the song(ness) in the piece the grave air of which it is full.«450 Auch Jackies Zukunft scheint für eine Weile gesichert zu sein. Nachdem seine Eltern unbedingt wollen, dass er weiter am Curtis Institute of Music in Philadelphia studiert und Irmas und Davids Nähe meidet, kann eine Cousine die Eltern davon überzeugen, dass sie Jackie ein weiteres Jahr mit Irma studieren lassen. Durch Davids Anwesenheit in Irmas Wohnung in New York hat Jackie wiederum die Möglichkeit, in Davids Haus in Philadelphia zu wohnen und zu üben. Er arbeitet gerade an Wolpes Toccata. Irma coacht beide über Briefe, die fast täglich geschrieben werden und in denen sie oft auch einige Dollar für die Jungs mitschickt. Auch kümmert sie sich darum, dass sowohl David als auch Jackie zu ihrem Psychoanalytiker Koebner in New York in Behandlung kommen.451 Beide sind angeschlagen und sehr labil. Abgesehen von der Gesamtatmosphäre, die in der New Yorker Wohnung, in der sie sich immer öfter aufhalten, herrscht, profitieren die jungen Pianisten nicht nur von den Extra-Klavierstunden mit Irma, sondern nehmen inzwischen auch am Kompositionsunterricht von Stefan teil. Die Weihnachtskarte, die Stefan und Irma an David schicken, ist vielsagend: »To you my dear David, with my love for you, my hope for your growth, my conviction and my confidence in your great gifts which will give birth to many important things. Yours Stefan / He says the big words and I do the dirty work. But I am glad too. Love Irma«452
450 451 452
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Partitur von Four Studies on Basic Rows, Passacaglia, New Music Edition, October 1946, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Briefwechsel. David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles und Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL. Weihnachtskarte von Irma und Stefan (New York) an David Tudor (Philadelphia), 24. Dezember 1945. David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles.
1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs Bevor sie ihre erste Arbeitsstelle in den USA an der Settlement Music School 1946 aufgibt, verabschiedet sich Irma mit einem Beethoven-Konzert: Sie spielt die Sechs Bagatellen op. 126, die Sonaten op. 81a und op. 111 und schließt das Programm mit Ravels Gaspard de la nuit.453 Über eine offizielle Anstellung am Swarthmore College, die erst nach einigen Unterrichtsjahren dort erfolgt, berichtet Irma an Elsa: »I was made a professor at Swarthmore College with a very decent salary, too. As Swarthmore College happens to be one of the most distinguished and wellknown schools in this country, the honour is great and the joy too, because I am going to see Iso and his family every week.«454
Stefan gibt seine Stelle an der Settlement Music School ebenfalls auf und unterrichtet inzwischen an der Brooklyn School of Music in New York. Zu seinen Studierenden hier zählen unter anderem Morton Feldman455, die Jazz-Musiker Lee Finegan, John Carisi456 und andere. Das größte Ziel für dieses Jahr ist für Irma jedoch, »ihre« zwei Jungs Jackie und David im New Yorker Kreis bekannt zu machen und ihnen den Start ins Konzertleben außerhalb der Schulen zu ermöglichen. Am 1. Mai 1956 spielt der jüngere Jackie beim Swarthmore Women’s Club ein Rezital mit Werken von Bach, Beethoven, Chopin, Debussy und Wolpe.457 Am 18. Mai 1946 spielt David die New Yorker Premiere von Wolpes Toccata in einem Konzert der Young Men’s Hebrew Association (YMHA).458
453 454
Konzertprogramm vom 11. Februar 1946. AAM, Austin, Texas. Brief von Harry und Irma (Blue Hill Falls) an Elsa (Jerusalem), 23. August 1946, CZA, Jerusalem, A 623. 455 Vgl. https://www.cnvill.net/mfhome.htm [abgerufen am 1.8.2023]. 456 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/John_Carisi [abgerufen am 1.8.2023]. 457 Anzeige in The Swarthmorean, 5/1946. FHL, Swarthmore. 458 Konzertprogramm. David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles.
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Abb. 25: Zeichnung von Harry Schoenberg, Blue Hill Falls, 1946 459 459
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Sammlung N. B.
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Im Sommer 1946 mieten Irma und Harry gemeinsam ein Ferienhaus in Blue Hill Falls, Maine und verbringen die ersten Familien-Ferien in den USA zusammen. Auch Iso und Familie besuchen sie dort. In einem gemeinsamen Brief berichten Irma und Harry darüber an Elsa und fügen eine eindeutige Skizze von Harrys Hand bei: »We all went almost daily swimming to a nearby salt pond, Iso showing off his mastery, Irma & Mouche brave seconds, while Stefan & I heroically and stubbornly helped keep up the glorious tradition of the Rear Guard. Tomorrow, we leave with the Schoenbergs in their car. We return to NY, object of our hate-love.«460
Die Wolpes bleiben nach der Abreise von Harry, Mouche und Iso samt Familie noch bis Ende August im Ferienhaus, während David wieder in ihrer New Yorker Wohnung lebt und arbeitet: »My new plan is: work sometime every day at learning and memorizing new pieces away from the piano, saving the good hours for real practice (instead of only preparing to practice). This way I’ll be able to keep my powers of concentration fresh and perhaps lengthen the necessary hours of coordinated work. What do you think of this idea? I am playing first, dozens of études, Chopin, Liszt, Bartok, Busoni. Beethoven, op. 109, parts of op. 106, ›Im Freien‹ (5 magnificent pieces, including the Night Music) Bartok, both sonatas Chopin, Norma461 Liszt (a strong piece that will surprise you), Terzen Piece Wolpe. The possibility of playing for Mitropoulos made me work again at the Passacaglia and Toccata. Passacaglia especially grew. My playing is much stronger in many ways and is different from what you last heard. Octaves also improved.«462
Irma kümmert sich von Maine aus und versucht, David mit Stefans Studentin Shula Chernoff, seinen Studenten Isaac Nemiroff und Leonard Meyer463 sowie einigen ihrer Bekannten aus New York in Verbindung zu bringen:
460
Brief von Harry und Irma (Blue Hill Falls) an Elsa (Jerusalem), 23. August 1946, CZA, Jerusalem, A 623. 461 Liszt, Réminiscences de Norma, nach Bellini. 462 Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 107. 463 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Leonard_B._Meyer [abgerufen am 1.8.2023].
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1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs »Do you know Bernice Sacks and Ray her husband? You must have met them at our place […] Shula lives right across the street from them […] Get in touch with them if you like to see people. Irma Jurist is in the telephone directory. Stefan’s student who is going to teach at the University of Chicago [Leonard Meyer] is still in Scarsdale. Stefan is writing to him to get in touch with you. He has some interesting piano pieces or might write something for you. Isaac’s address is 69 East 4th Street. He is giving a course on Wednesday evening at our apartment. Most of our other friends are away. These were the only ones I could think of now. You can drop in at [Friedrich] Alexan’s bookstore, The Tribune […] It is an interesting place full of books, prints and paintings. Tell him you are our student and friend. Incidentally if you want books, he will get them for you with a big discount. I am glad you are satisfied with your progress. Your idea of learning the pieces away from the piano sounds good, if you can carry it out. This way of studying requires an even greater amount of concentration than the common one.«464
Auch Stefan ist bestrebt, David mit einem Empfehlungsbrief465 bei dem Dirigenten Dimitri Mitropoulos466 einzuführen, der jedoch nicht wie erhofft reagiert. Ende des Jahres startet am Swarthmore College eine achtteilige BeethovenKonzertreihe, die Irma am 12. Dezember 1946 im Clothier Hall eröffnet. Sie wiederholt die Sonate op. 111 und vier der Bagatellen op. 126 nebst der Sonate op. 57467. Alfred Swan, der Leiter der Musikabteilung am Swarthmore College, bittet sie um ein gemeinsames Konzert, welches am 28. Februar 1947 zusammen mit dem Sänger James Sorber realisiert wird. Irma bringt die Sonata for Piano op. 8 (1945) und Sine nomine (1946) von Swan zur Uraufführung. Das Programm wird von Irma und Swan mit Schuberts Grand Duo Sonata for Piano Four Hands op. 140 beendet.468 Während ihrer Unterrichtstage in Swarthmore wohnt Irma erneut auf dem Campus, kehrt aber an den Wochenenden zurück nach New York, nicht nur für die Freitags-Musicales in ihrer Wohnung, sondern auch wegen ihres Privatunterrichts. Henriette Michelson, die an der Juilliard School in New York unter464
Brief von Irma (Blue Hill Falls) an David Tudor (New York), August 1946. David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles. 465 Brief von Stefan (Blue Hill Falls) an D. Mitropoulos (New York), 1. August 1946. David Tudor papers, Getty Research Institute, Los Angeles. 466 Vgl. http://web.stanford.edu/~ichriss/Mitropoulos.htm [abgerufen am 1.8.2023]. 467 Konzertprogramm. FHL, Swarthmore. 468 Anzeige in Swarthmore Phoenix, 26. Februar 1947. FHL, Swarthmore.
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richtet, empfiehlt einigen ihrer Studierenden, mit Irma weiterzuarbeiten. Unter ihnen sind Elizabeth Rich469 und vor allem Benjamin Oren, mit dem sie eine lebenslange Freundschaft verbinden wird. Nach seiner Rückkehr nach Israel, wo er an der Jerusalem Academy of Music lehren wird, wird er in der Organisation von Meisterklassen für Irma während ihrer späteren Besuche im Land immer eine aktive Rolle spielen.470 Auch Yael (verheiratete Medini)471, die Tochter eines Freundes aus Irmas Jahren in Palästina, dem zukünftigen Premierminister Moshe Sharet (Schertok)472, kommt während ihres Studiums in New York als Privatschülerin zu Irma. Ihr erster Kontakt mit den Wolpes erfolgte 1937 in einem Kibbuz in Palästina, wo ihr Onkel, der Komponist Yehuda Scharet (Schertok), lebte und wo Stefan einen Vortrag hielt. In New York richtet Irma es so ein, dass Isaac Nemiroff, Stefans Student, sofort nach Yaels Klavierstunden kommt und mit ihr weiter Harmonielehre, Musiktheorie und Solfège arbeitet. Sie wird bald auch Wolpes Dance in Form of a Chaconne und Teile aus seiner Zemach Suite spielen. Das Ehepaar Nemiroff (Isaac hat David Tudors Schwester Joy geheiratet) sowie Yael und ihr Gatte, Violinist, werden in kurzer Zeit gute Freunde und musizieren des Öfteren zusammen.473 Die junge Physikerin Bruria Kaufman474, bereits Privatschülerin von Irma in Jerusalem in den 1930er Jahren, die sich nun für ihre Promotion an der Columbia University in New York vorbereitet, kommt ebenfalls regelmäßig in den Klavierunterricht. Sie wird später als Assistentin von Albert Einstein arbeiten und an der University of Pennsylvania unterrichten. Sowohl sie als auch ihr Gatte, der Linguist und Informationstheoretiker Zellig Harris475, bleiben mit Irma und Iso in lebenslanger enger Verbindung.
469 Vgl. https://elizabethrichpianist.com [abgerufen am 1.8.2023]. 470 Interviews der Autorin mit Benjamin Oren, 18. September 2010 in New York und 19. Juni
2015 in K’far Shmaryahu, Tel Aviv.
471 Vgl. https://www.ithl.org.il/page_14326 [abgerufen am 1.8.2023]. Yael kehrt 1948 mit
Anfang des Palästinakrieges zurück in ihre Heimat und dient in der Armee. In den 1950er Jahren wird sie ihre Studien und auch Klavierstunden mit Irma in New York fortsetzen. 472 Moshe Sharett. Diplomatie statt Gewalt. Der ›andere‹ Gründungsvater Israels und die arabische Welt, T. Amar-Dahl, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u. a. 2003. 473 Interviews der Autorin mit Yael Medini, 8. Oktober 2010 über Skype und 17. Juni 2015 in Jerusalem. 474 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bruria_Kaufman [abgerufen am 1.8.2023]. 475 Vgl. http://zelligharris.org [abgerufen am 1.8.2023].
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Der Komponist Jay Reise476, dessen Vater, Harold Reise, ebenfalls in dieser Zeit mit Irma in New York studiert, erwähnt in einem Interview477, dass Irma damals »one of the most celebrated teachers at that time« gewesen ist. Trotz Eheproblemen und intensiver Unterrichtsarbeit übernimmt Irma immer noch Konzerte, in denen Wolpes Musik gespielt wird. Am 14. Mai bringt sie in einem Konzert der ISCM in New York, welches im Hunter College stattfindet, die Passacaglia op. 23, Nr. 3 (die Bearbeitung für ein Klavier) von Stefan zur Uraufführung: »Stefan Wolpe’s Passacaglia for Piano was played by his wife, Irma Wolpe. It was perhaps the most original and intellectual of all the works performed.«478 Irma berichtet darüber in einem Brief an Hans Rademacher: »Das Konzert am Mittwoch verlief herrlich. Die New Yorker Pianisten waren überwältigt. Ich hatte mich bis jetzt noch nie getraut hier zu spielen und war eigentlich erschüttert zu erfahren, wie mein Spiel auf sie wirkte. Am nächsten Morgen um 8 saß ich schon im Zug nach Philadelphia und unterrichtete ohne Unterlass und ohne jede freundliche Hans-ische Unterbrechung bis Sonnabend um 11 p.m.«479
Isos Freund, der Mathematiker Hans Rademacher, stattet Irma üblicherweise einmal in der Woche einen Besuch am College in Swarthmore ab. Nach seiner Trennung im Frühjahr 1947 von seiner Gattin in zweiter Ehe, Olga Frey, bleibt ihr gemeinsamer Sohn Peter bei der Mutter und ihrem Lebensgefährten, dem Astronomen Peter van de Kamp480. Nachdem Hans während der Kriegsjahre den Kontakt zu seiner Tochter Karin aus der ersten Ehe mit der bekannten Übersetzerin Susanna Brenner-Rademacher (geb. Gaspari) verloren hatte, kann er sie mit Hilfe einer guten Bekannten, der Kunsthistorikerin und Schriftstellerin Julie Braun-Vogelstein481, in Berlin ausfindig machen und nach New York ausreisen lassen. Irma, Stefan und Hans erwarten Karin am Hoboken Pier, als sie einen Tag vor ihrem 21. Geburtstag in den USA ankommt.
476 Vgl. https://www.jayreise.com [abgerufen am 1.8.2023]. 477 Vgl. http://www.operatoday.com/content/2010/06 [abgerufen am 1.8.2023]. 478 Present Day Music heard at Concert, in: The New York Times, 15. Mai 1947. 479 Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Northampton), 18. Mai 1947, Samm-
lung N. B.
480 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_van_de_Kamp [abgerufen am 1.8.2023]. 481 Julie Braun-Vogelstein, Gudrun Wedel, in: Biographien von Frauen: ein Lexikon, Böhlau, Köln 2010.
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Sobald im Juli die Ferien beginnen, fahren die Wolpes erneut in die Sommerfrische, diesmal nach Pottersville am Schroon Lake in den Adirondacks. Iso und Familie haben in der Nähe, in Minerva ein Haus gemietet, sodass sie sich oft sehen. Stefan fährt ab und zu nach New York, Iso kehrt immer wieder für einige Tage zurück nach Philadelphia, wo David ihn besucht und sie auch ge meinsam musizieren. Einmal bringt er David mit nach Minerva, und er bleibt mit den Schoenbergs bis zum Ende der Ferien. Auch Jackie ist eingeladen und bleibt bei den Wolpes. Irma arbeitet im Ferienhaus nicht nur an ihrem Repertoire, sondern auch an dem »ihrer Jungs«. An Hans Rademacher schreibt sie: »Ich muss Werke studieren die David und Jackie spielen, um sie ihnen beibringen zu können. Es schadet mir durchaus nicht es zu tun und füllt Lücken in meinem Repertoire, bedeutet aber sehr viel Arbeit und Überlegung. Für meine Collegestudenten hätte ich schon vor 20 Jahren aufhören können zu studieren. Ich weiß nicht was ich anfange, wenn diese beiden genialen Jungen weggehen, und das müssen sie in absehbarer Zeit […] Wir Pianisten sind Sklaven und können zu euch Mathematikern nur aufblicken, die ihr erhaben geheimnisvolle Symbole manipuliert, während wir schwere Handwerksarbeit tun müssen.«482
Irma und Iso mit seiner Familie sind zudem bestrebt, dass die Jungen während ihres Aufenthaltes in Pottersville und Minerva nicht nur üben, sondern auch Ausflüge machen, in der näheren Umgebung einflussreiche Bekannte besuchen und vor allem die Natur genießen können. Über David schreibt Irma anfangs: »ein junger Mensch abgründig genial, der noch nie in einem Boot gesessen oder an einem Strand Ball gespielt hat«. Nach einer Weile pendeln sich jedoch Feriengewohnheiten ein, und sie freut sich, dass David und sie entspannen können: »Die Schoenbergs [Iso und Familie] leben [in Minerva] in rührender Primitivität und verstehen es überall guter Dinge zu sein. Kein elektrisch Licht, kein fließendes Wasser, keine Privacy, kein Kamin, handbreite Spalten in den Wänden, durch die das Mondlicht und die Blitze hineinleuchten, und alles Edel, Glück und Heiterkeit. David hat sich mit allem zurechtgefunden, geht, wenn alle schlafen, auf nächtliche Spaziergänge durch die Landschaft, schläft dafür am Tage, wenn alle andern auf sind. Iso versucht ihn zu erziehen, früher auf482
Brief von Irma (Pottersville) an Hans Rademacher (Stanford / Los Altos), 19./22. Juli 1947, Sammlung N. B.
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1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs zustehen. Ich bin darin toleranter, ich meine, man muss einem Nachmittagsund Abendmenschen seine eigene Kurve lassen. Wir Morgenmenschen bilden uns ein wir seien die einzigen Tüchtigen, was aber nicht wahr ist. Die Nächtlichen sind weiß Gott produktiv.«483 »David und Betsy [Isos Tochter, damals 16 Jahre alt] mieteten ein Kanu, 4 Meilen weit von hier und kamen wie die Indianer auf dem Waterway her trotz starker Wellen. Gegen Abend legte sich der Wind und sie nahmen mich auf dem Rückweg mit. Die Nacht viel rasch, die Seeufer sahen ganz fremdartig aus, wie Alaska, eindringlich – stumm. Ich ruderte die ganze Zeit zum ersten Mal in meinem Leben und fühlte auch zum ersten Mal eine starke einfache Verbundenheit mit meinem Körper, dem Wasser, dem Dunkel. No wonder, zu dieser Natur kann man ›du‹ sagen. Sie hat menschliche Maße, ist sanft und vertraut und freundlich. Ich habe noch nie einen Sommer so entspannt genossen wie diesen. Ich bin nicht geblendet oder erschüttert oder überrascht, einfach erfreut über die Freude der Wiederbegegnung mit Altvertrautem.«484
Da Hans Rademacher während dieser Zeit an der University of Stanford, California, Sommerkurse lehrt und sich Schwierigkeiten mit seiner Tochter Karin anbahnen, erbittet er Rat von Irma. Sie hat zwar keine eigenen Kinder, zeigt jedoch viel Gefühl im Umgang mit jungen Menschen: »Bitte sei vorsichtig. Der Vergleich mit Olga stimmt nicht einmal in Einzelheiten. Sie ist deine Tochter, nicht deine Frau, Herr Doktor, und ein unabhängiger junger Mensch, den du erst seit einigen Monaten kennst. Entfremde sie dir nicht; wenn sie nicht einsehen will, lass sie durch Erfahrung lernen. Dann kannst du sie trösten, bitte nur nicht mit der Haltung ›I told you so‹. Sie wird dich noch sehr brauchen und immer wieder zu dir zurück [kommen] wenn du keine zu großen Fehler machst […] Menschen, besonders junge, sind nicht dazu da, um vollkommen zu sein oder einem alles zu Gefallen zu machen. Man kann nur freundlich raten, wenn man gefragt wird und bereit sein zu helfen, wenn etwas schief geht. Es geht nur auf Distanz und Liebe. Die Welt ist nicht mehr, was sie war als du 21 warst.«485
483 484 485
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Ibid., 4. August 1947. Ibid., 16. August 1947. Ibid., Anfang August und 8. August 1947.
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Abb. 26: Jackie Maxin, Irma, Stefan, Beatrice, David Tudor, Dolli und Elizabeth Schoenberg in Minerva, August 1947 486
Dolli bittet Irma, an Hans zu schreiben, damit er sich dafür einsetzt, dass Iso für die Sommerkurse im nächsten Jahr nach Stanford eingeladen wird. Auf diesem Weg könnte die ganze Familie einige Wochen in Kalifornien verbringen. Rademacher verwirklicht diesen Wunsch, und der Sommer 1948 wird der letzte gemeinsame für die Familie sein, bevor Dolli 1949 stirbt. Stefan pendelt erneut zwischen New York und Pottersville. Obwohl er seine Verbindung mit Brigitte Hausberger noch nicht aufgegeben hat, ist er bereits in einer neuen Beziehung mit der Dichterin Lisa Shapiro (Elizabeth PapernowShapiro487). Am 21. August, kurz vor seinem Geburtstag, schreibt Irma: »Stefan ist vor einer Woche zurück und geht heute wieder nach N. Y.«
486 487
Sammlung N. B. Lisa Papernow-Shapiro wird für den englischen Text von Wolpes Two Chinese Epitaphs op. 25, für gemischten Chor und Schlagzeug, 1937, zeichnen.
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Und weil die Schoenbergs Besuch von Freunden in Minerva bekommen, zieht David auch nach Pottersville zu Irma und Jackie: »Die Freunde der Schoenbergs, nachdenkliche, feine Menschen, wollten Musik und wurden unter Sturzwellen von Musik beinah begraben. Nachdem sie weg waren, gingen wir drei noch lange am See entlang unter einem zauberhaften Licht spazieren. Es war schon lange nach Mitternacht. Die beiden redeten über ihre tiefsten Schwierigkeiten, die sie trotz genialen Anlagen und märchenhafter Leichtigkeit bedrücken. Ein anarchisches Wegwollen, Nichtmehrmitmachenwollen. Im Hintergrund die bittere sexuelle Not.«488
Irma plant am 10. September nach New York zurückzukehren. Die letzten Tage sind genauso erfüllt, die Dreiergruppe wächst noch enger zusammen: »[...] die schöne und fruchtbare Einsamkeit ist vorbei. Ich muss die Sorgen meiner Söhne teilen und ihnen helfen, soweit ich kann. Der Kleine leidet an seinem ersten Liebeskummer, sitzt stundelang in dunklen Ecken und schluchzt. Ich muss ihn immer wieder aus todessüchtigen Phantasien ins Leben zurückrufen. Er entwickelt sich wunderbar und muss halt auch das durchmachen, wie seinerzeit die Masern. Die sechsfußlangen Athleten haben es einfacher. Er will das sinnliche Erlebnis nicht ohne Liebe, und beides in derselben Person vereint kann er noch nicht haben. Man muss ihm Geduld und Sublimierung einreden. Eine undankbare Aufgabe [...] Es ist etwas ermüdend aber macht immer wieder Freude, und da die beiden Jungens da sind, ist der Familienkreis vervollständigt und glücklich abgerundet. Es bleibt nicht viel Zeit für mich übrig [...] Seit meiner Kindheit habe ich dieses Gruppenleben nicht mehr gehabt [...]«489
Zurück in New York freuen sich alle auf den ersten Besuch von Elsa und Sama nach dem Krieg. Sie wohnen bei Irma, deren Wohnung zentraler Treffpunkt für viele Freunde und Bekannte wird. Einige Tage später kommt auch einer der ältesten Freunde der Wolpes in New York an, der Maler Max Bronstein aus Jerusalem, der mittlerweile den Namen Mordecai Ardon angenommen hat. Auch Iso und Familie einschließlich seiner Schwiegermutter Marianne Landau, Tochter des Nobelpreisträgers Paul Ehrlich490, besuchen sie oft. Hans Rademacher kommt nach New York, bevor sein Unterricht in Philadelphia beginnt, 488 489 490
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Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 21. August 1947, Sammlung N. B. Ibid., 28. August 1947. Paul Ehrlich. Forscher für das Leben, Ernst Bäumler, Wötzel Verlag, Frankfurt/M. 1997.
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Abb. 27: Sama, Irma, Stefan, Elsa, Dolli, Mouche, Harry (v.l.n.r), vorne: Beatrice, New York, September 1947 491
und wohnt bei Julie Braun-Vogelstein, um mehr Zeit mit Irmas Familie und Freunden verbringen zu können. Durch den Unterricht, der mittlerweile wieder begonnen hat, und die Betreuung der Gäste und deren Gäste, fühlt Irma sich bereits am Anfang des neuen Schuljahres müde, gesundheitliche Probleme stellen sich ein. Obwohl alle Zimmer ihrer Wohnung besetzt sind, entscheidet sie, ihr Wohnzimmer als »Ausstellungsraum« für die zu verkaufenden Arbeiten von Ardon zur Verfügung zu stellen: »Es war weit mehr Arbeit die Bilder unterzubringen als ich mir vorgestellt habe und es ist auch ein Stück Verantwortung und Einsatz, in den nächsten Wochen sie zu zeigen und für sie zu werben. Gestern, Sonntag, waren am Nachmittag 491
Sammlung N. B.
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1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs und am Abend wieder Menschen da, die sie sehen wollten, Schriftsteller, Journalisten, Maler. Ich bin vollkommen übermüdet. Wir haben alle Bücher und Noten entfernt. Es sind nur noch Sitzgelegenheiten da, und der Flügel und die Bilder. Sie sind wahrhaft herrlich und machen einen gewaltigen Eindruck […] Du musst sie sehn und auch Frau Vogelstein herbringen. Sie bleiben jetzt eine Weile hier.«492
Für etwas Entspannung sorgt Max Raphael493, Kunsthistoriker und enger Freund ihres Bruders Harry. Er schlägt Irma vor, dass sie ihn im Paul-CézanneSaal des Kunstmuseums in Philadelphia besucht, wo er arbeiten wird, und dass sie sich anschließend zusammen das Museum ansehen.494 Die ersten großen Erfolge ihrer Arbeit mit Jackie stellen sich im November 1947 ein, als er den Lucius Pryor Wettbewerb in New York gewinnt, verbunden mit einer Konzerttour im mittleren Westen der USA. Am Swarthmore College, wo er im letzten Jahr dank eines Sonderstipendiums wieder offiziell mit Irma studieren konnte, spielt er am 28. November in einem Konzert. Er wird in der Presse vorgestellt: »Jack first became interested in the piano at home under the influence of his brothers and sisters. He began his music study at the age of six and has done extensive work with the Settlement Music School of Philadelphia. He has been studying with Mme. Wolpe of Swarthmore for the past seven years. ln addition to his piano work and seminar in music history, Jack makes a trip to New York every two weeks to study music composition with Stefan Wolpe [...]«495
Irma sieht den Moment gekommen, in dem sie einen »ihrer Jungs« gehen lassen wird, und organisiert einen Tag vor seinem Konzert eine große Party in ihrer Wohnung in New York, während der er die Gelegenheit hat, das gesamte Programm vor ausgewähltem Publikum vorzutragen. Am 17. Dezember spielt er im Whittier Hall in Swarthmore ein weiteres Konzert. Auf dem Programm stehen Scarlatti, Bach, Brahms, Chopin, Liszt, Ravel 492 493 494 495
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Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 3. November 1947, Sammlung N. B. Max Raphael, Ulrike Wendland, in: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, Saur, München 1999, S. 529–534. Postkarte von Max Raphael (Cornwall) an Harry (New York), 18. Septemebr 1947. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Isos Tochter, Elizabeth Brody. Pianist, Student Here, To Make Midwestern Tour, in Swarthmore Phoenix, 14. November 1947. FHL, Swarthmore.
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und zwei Werke (nicht ermittelt) von Wolpe.496 Seine Tournee beginnt im Januar 1948, Jackie spielt das erste Klavierkonzert von Liszt mit dem Oklahoma City Symphony Orchestra. Inzwischen zeichnet sich die Trennung der Wolpes immer deutlicher ab. Stefan wohnt schon seit Jahren in seinem Studio, nutzt aber fast täglich Irmas Wohnung für seine Privatstunden und Treffen. Irma fasst die Entscheidung, sich endgültig von Stefan zu trennen, kann den Schritt jedoch nicht vollziehen. Das Neujahrsfest verbringen Irma, Stefan, Hans Rademacher und Lisa Shapiro bei Claire Mann in New York. Das Haverford College bei Philadelphia, eine der berühmtesten Hochschulen der Freien Künste in den USA, lädt Irma ein, eine Reihe von lecture-concerts vorzutragen. Das Erste, über die Entwicklung der Tonmittel von der Romantik zur Modernen Musik, findet am 11. Januar 1948 statt. Ein Artikel von Richard W. Schuman in den Haverford News497 berichtet darüber ausführlich: »Modern Music. On Sunday night, January 11 at a concert in the Music Room, a trial for modern music took place, in which Stefan Wolpe, composer, and his wife, Irma, were the defendants. Originally scheduled as a lecture-concert to be presented by Mrs. Wolpe, the program took on the character of a free-for-all discussion concerning the validity of senselessness of modern music as exemplified by the composition of such men as Arnold Schönberg, Alban Berg, Bela Bartók and Stefan Wolpe. There are conservative elements at Haverford, at least in music, and the sudden entrance of Mr. Stefan Wolpe himself was responsible for a lively, if not at times heated, discussion. Before the discussion took place, Mrs. Wolpe presented her case to the audience in terms of the developmental character of the technical art of music. The purpose of her talk was to show that modern music did not just happen; that there are definite traces, both technically and spiritually in our music of today, of classic and romantic bases; that it is a development of music and not a degeneration, especially in so far as it is technically manipulated. During and after her brief talk, she referred frequently to standard and lesser known compositions by classic composers who gave hints in their day as to the nature of the music of the future – greater dissonance and the breaking down of a tonal system. This proved illuminating to students and faculty who had previously acquired some technical knowledge of music, but 496 497
Anzeige in The Swarthmorean, 12/1947. Ibid. Haverford News, 14. Januar 1948, S. 2. Haverford College Libraries, Quaker & Special Collections.
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1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs I’m afraid, the lesser versed found themselves at a loss. The concert period of the program was devoted to the works of Berg, Schoenberg, Bartok, and Wolpe, which Irma Wolpe played with much understanding and skill. Mr. Wolpe intensely defended the modern element in our music, asserting the case even more strongly than his predecessor; he gave examples at the piano and improvised freely to prove his points. One by one the audience filtered out of the Music Room as the discussion became more and more technical. Refreshments were served students and faculty and their friends after the discussion ended, and personal musical opinions had a much greater chance of being aired. Musically speaking the event was very important for Haverfordians; such forces as the Wolpes make for a stimulating musical evening.«
Hans, der wie Iso diese Vortrags-Konzerte immer besuchen wird, zieht sein Fazit aus der Perspektive des Musikliebhabers: »Sie hielt einen brillanten und fein formulierten Vortrag. Dann spielte sie Bartok, dann ein Schüler von Stefan [Timmens] und dann Stefan: ›Complaint‹, [Dance in Form of a] ›Chacconne‹, ›Passacaglia‹. Swan forderte zu Fragen heraus und forderte Stefan auf, zu antworten. Stefan machte leider ein großes Spektakel daraus, war laut und undiszipliniert und suppig in seiner Wortwahl. Dazu kam, dass er die Grundlagen der modernen Musik nur als subjektive Vorlieben der Komponisten darstellte. Er verdarb sich völlig die Chance für seine Musik, die vorher von Irma so überzeugend gespielt war, eine gute Meinung zu erwerben«.498
Mordechai Ardon und Hans freunden sich an und verbringen Zeit zusammen. Am Tag vor der Vernissage seiner Ausstellung im Jewish Museum New York, am 22. Januar 1948, kommt er nach Philadelphia und bittet Hans, ihn ins Kunstmuseum zu begleiten. Irma macht Ardon auch mit Bruria Kaufmann, ihrem Gatten Zelig Harris und Max Raphael bekannt.499 Ein Teil seiner Bilder bleibt immer noch in Irmas Wohnung ausgestellt. Alle sind dann am 8. Februar bei Irma eingeladen, um Eduard Steuermann zu hören, wie sie es in ihrem Brief an Hans mitteilt:
498 499
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Hans Rademacher, Tagebuch 1947–1951. Kopie mit freundlicher Genehmigung seiner Tochter Karin Loewy. Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 15. Februar 1948, Sammlung N. B.
1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs »Heute Abend spielt Steuermann uns hier zuhause ein Konzertprogramm vor. Er gibt eins in der nächsten Woche und will sich etwas an Menschen gewöhnen. ›Kreisleriana, Schönbergstücke und die Diabellivariationen‹. Wenn er so gross spielen wird, wie er es eigentlich kann, musst du in der nächsten Woche nach N. Y. ihn hören. Er ist ein früherer Lehrer und Freund von mir und ein ganz grosser Meister.«500
Am 15. Februar 1948 steht das nächste Rezital von Irma an, für das sie ein neues Stück von Igor Stravinsky (Serenade in A) vorbereitet. Sie verbringt viele Stunden in Bibliotheken und versucht, ihr Wissen über den Komponisten und sein Werk zu erweitern. Hans gegenüber gesteht sie: »Die neuklassische Geste versteh ich nicht ganz.«501 Im Konzert in der Whittier Hall in Swarthmore ist erneut unter anderem auch ein Werk von Swan in ihrem Programm.502 Stravinskys Serenade in A wiederholt Irma nebst Bergs Klaviersonate op. 1, Schönbergs Drei Klavierstücke op. 11, Swans Invocation a Clio, Bartóks Piano Sonata Sz. 80, Timmens’ Sonata und einem Werk von Wolpe (nicht ermittelt) im nächsten lecture-concert am 29. Februar 1948, welches im Swarthmore Phoenix besprochen wird: »Madame Wolpe of the Swarthmore Music Department gave a lecture on, and piano recital of, modern music. Madame Wolpe discussed the development in the tonality and harmonic structure of music, starting with Frescobaldi and going through Wagner.«503
In dieser Zeit sind David und Jackie auf Konzertreisen in Arizona, David mit dem Saxofonisten Sigurd Rascher504 und Jackie mit Solo-Programmen. Letzterer schreibt über seine Erfolge, aber auch über die erneut für ihn unerklärlichen Zustände, die ihn immer noch verfolgen: »The tour was such a whirlpool of events and experiences that it has left me completely confused. My playing is admired by everyone, but it disappoints me almost always. And the change that I want to make involves a complete turnover of everything I have done, and all that I know. It will be difficult; and I am in the dark about how to achieve it. Then I begin to watch myself as a person 500 Ibid., 8. Februar 1948. 501 Ibid., 21. Januar 1948. 502 Anzeige in Swarthmore Phoenix, 13. Februar 1948. FHL, Swarthmore. 503 Ibid., 10. März 1948. 504 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sigurd_Rascher [abgerufen am 1.8.2023].
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1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs and again a feeling of disappointment and a consciousness of some lack comes over me. There is no clarity and sometimes even instinct seems to leave me so that what is left is of an unbearable emptiness. But I don’t feel particularly unhappy about all this – simply dull. When I think that at this age I should be trimming over with strength and new vistas, and of boundless energy, then I know that somewhere something is wrong. I don’t even know whether all this I am saying is true. Each time I started to write to you – what came out of my pen was not what I thought to say. Thoughts wrote themselves and I had faith in them because they would not have materialized if they had no meaning.«505
Am 9. April 1948 folgt Irmas Solo-Rezital im Clothier Hall in Swarthmore.506 Hans vermerkt in seinem Tagebuch: »Sie war vorher verzweifelt, wie immer vor Konzerten und nachher strahlend glücklich. Hunts507 gaben nachher einen Empfang für sie, wo sie dann sich nochmals ans Klavier setzte und einen Teil des Programms wiederholte.«508 Bereits in dieser Zeit zeigen sich bei Harry erste Anzeichen einer tiefen Depression, und Irma versucht, ihm auch durch Vermittlung professioneller Hilfe beizustehen: »Ich habe eine neue menschliche Aufgabe, Harry wieder auf die Beine zu helfen. Er ist mit den Nerven ganz herunter, glaubt nicht mehr an sich und weiß einfach nicht mehr was mit sich anzufangen.«509 Harry und Mouche führen ein sehr einfaches Leben in New York. Er be kommt nur zeitweise Aufträge für seine Arbeiten, kann nur selten Innovationen patentieren lassen und ist zutiefst unzufrieden mit der Richtung, in der sich seine Hoffnungen entwickelt haben. Sein Freund Max Raphael befindet sich in derselben Situation. Dieser wird sich vier Jahre später das Leben nehmen, Harry elf Jahre später. Irma, Jackie und David treten am 25. Mai 1948 zum ersten Mal gemeinsam in einem Konzert auf. Es ist das Compoer’s Concert510 im Theresa Kaufmann Auditorium (The Y) in New York, und es werden ausschließlich Werke von Wolpes Studenten Eugene Hirsch, Leonard Meyer, James Timmens, Isaac Nemiroff, 505 506 507 508 509 510
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Brief von Jacob Maxin (Grand Canyon National Park) an Irma (New York), 21. März 1948. Music Division, Wolpe / Baron archive, NYPL. Konzertprogramm: Chopin – Prelude op. 45 und Sonata op. 35; Schubert – Sonata B-Dur; Ravel – Gaspard de la Nuit, Sammlung N. B. Everett Lee Hunt war Dekan am Swarthmore College. Hans Rademacher, Tagebuch 1947–1951. Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 3. Mai 1948, Sammlung N. B. Konzertprogramm, Sammlung N. B.
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Claus Adam und Cherney Berg aufgeführt. Ray Lev511 und das New Music Quartet mit Claus Adam am Cello sind weitere Aufführende. Nach dem Konzert sprechen Irma und Stefan mit Steuermann und schlagen ihm vor, dass er Jackie als Student an der Juilliard Music School annimmt, was ihnen gelingt. Auch nimmt Irma sich ein Herz und eröffnet ihrem Bruder Harry, dass sie sich von Stefan trennen will. Sie ist weiterhin involviert in die Depressionsproblematik ihres Bruders und Max Raphaels und kontaktiert den Psychotherapeuten Frederik Salomon Perls512, Autor des Buches Ego, Hunger and Aggression. Zusammen mit Harry wird sie seine Sitzungen besuchen513. In einem Brief an Hans erwähnt sie: »Heute fahren die Raphaels aufs Land oder was sie so nennen: eine Scheune in Conn. [Connecticut] wo sie nach Herzenslust hungern dürfen. Ich brachte ihnen einen Berg voll Konfitüre, Himbeersaft und andere netten Dinge und ein kleines Geldgeschenk. Ich liebe beide sehr. Außerdem habe ich neue Schüler, viel Arbeit und alte Sorgen mit Harry […] Ich muss auf die vielen trostlosen Briefe aus Europa mit Paketen antworten, was abgesehn von den großen Ausgaben auch viel Arbeit macht.«514
Empathie und selbstlose Hilfsbereitschaft waren lebenslang Wesenszüge Irmas. Kurz bevor Stefan seine erste Europa-Reise antritt, fliegt Irma nach Stanford, Kalifornien, wo sie an den pädagogischen Sommerkursen der Universität teilnimmt. Iso und Familie, die wie geplant auch dort sind, haben ein großes Haus der Delta Chi Fraternity gemietet, in dem auch Irma wohnen kann. Hans hat währenddessen einen Forschungsauftrag und unterrichtet an den Sommerkursen der Universität in Los Angeles. Stefan ist sich bewusst, dass er Irma bald verlieren wird, und doch versucht er, sie von seinen tiefen Gefühlen für sie zu überzeugen: »Ich sah Dir noch lange nach und – dann verschwanden die beiden Vögel. Du und der Überwinder (das Flugzeug). Dir waren allmächtige Gedanken echtester Nähe zugedacht, die Sonne des Gefühls (verzeih dem Bild) tilgte hinweg die Nebel (und mit ihnen vieles Undurchdringliche und Unwägbare) des Lebens 511 Vgl. https://broadcast41.uoregon.edu/biography/lev-ray [abgerufen am 1.8.2023]. 512 Fritz. An Intimate Portrait of Fritz Perls and Gestalt Therapy, M. Shepard, Saturday Review 513 514
Press 1975. Hans Rademacher, Tagebuch 1947–1951. Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 2. Juni 1948, Sammlung N. B.
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1946–1949 Philadelphia – Stanford · Die Schoenbergs (oder Teile des Lebens) – ich war mitangerührt von dem. Tausendfältiges Glückliches wünschte ich Dir zu und die Gegengabe meines Gefühls und meiner unzertrennlichen Gesinnung für Dich (umfassender Gesinnung, Dich umfassender Gesinnung) flogen Dir nach, mitbeschwingte Mitwisser meines Herzens […] Sonntag […] wachte ich auf und vermisste Dich (I really did) when you were leaving and I told you I will miss you, you didn’t say a bid. Vermisste die kleinen Girlandenphrasen vom Kaffee, vermisste auch eine weibliche Stimme im House, vermisste was immer es an Anstand zwischen uns auch geben mag, vermisste es.«515
Mit Irma war abgemacht, dass Stefan sich in den Tagen vor seiner Abreise nach Europa auch um den letzten Schliff für ein Konzertprogramm von Jackie kümmert, worüber er Irma berichtet: »Jacky spielte die Liszt Sonate, 2 Brahmsstücke und meine ›Complaint und Chaconne‹516. Und spielte intensiv und bezaubernd subtil und oft schrankenlos grob und gemein. Aber immer begabt, im Schauer immer irgendwelcher innerer Wahrnehmungen; das macht seine Fehler so einfach zu überwinden. Als wir gestern am Presto517 arbeiteten war ich eigentlich sehr zufrieden über seine Forscher-Vorarbeit in der Bestimmung von Phrasenlängen und Phrasenwerten. (Oh, er ist liebenswert, durch und durch). Seine Fassungs- und Strahlenkraft ist eigentlich … unendlich).«518
Stefan versucht noch im letzten Augenblick Aufnahmen einiger seiner Werke zu realisieren, um diese mit nach Europa zu nehmen. David und Jackie stehen dafür bereit: »David and I were here to help him. David recorded the Battlepiece which was a difficult task. I learned the Presto Furioso in 3 days and on Friday afternoon David played the Battlepiece twice – there was a farewell party with 50 or 60 people – and I played the Presto twice. I shall record it in a week and send it to Stefan.«519 515 516 517 518 519
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Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 113. Stefan Wolpe, Zemach Suite für Klavier (1939), VI. Complaint, VII. Dance in Form of a Chaconne. Stefan Wolpe, Four Studies on Basic Rows für Klavier (1935–1936), III. Presto Furioso. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 113. Brief von Jacob Maxin (New York) an Irma (Stanford), 6. Juli 1948. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
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Die erwähnte Party ist als Abschied vor seiner Europa-Reise von Lisa Shapiro organisiert, der Frau, mit der Stefan seit einiger Zeit ein Verhältnis hat. Sie erteilt Harry einen Auftrag, als Innenarchitekt ihre neue Wohnung zu gestalten, was ihm für kurze Zeit wieder auf die Beine hilft. In Stanford ist Irma enttäuscht von den sehr oberflächlichen Sommerkursen, will aber tapfer durchhalten. Ihr Ziel ist es, sich das alles anzusehen, um für die eigenen Piano Literature-Kurse am Swarthmore College einen Vergleich zu haben. Nach kurzer Zeit übernimmt sie das Vorspielen sämtlicher Tonbeispiele, die im Kurs besprochen werden, sodass das Abspielen von Plattenaufnahmen nicht mehr notwendig ist. Doch der Flügel im Fraternity-Haus ist so schlecht, dass sie einen besseren aus San Francisco mietet, um üben zu können. Zudem nutzt sie die gut ausgestattete Bibliothek der Universität, um ihre nächsten Konzerte und Vorträge vorzubereiten oder um Werke anzusehen, die ihr bis dahin unzugänglich waren. Die Nachrichten von Elsa über die gefährliche Situation, in der sie mitten im Palästinakrieg leben, betrüben das freudige Ereignis des Zusammenseins von Irma und Iso und seiner Familie während des Sommers. Im Hause in Stanford verkehren viele Kollegen von Iso mit ihren Familien: George Pólya520, Wladimir Minorsky521, Solomon Lefschetz522 und andere. Abends spielt Irma oft für die Gesellschaften. Auch unterrichtet sie Isos jüngste Tochter Beatrice (Bea) sowie Barbara, die Tochter des ersten israelischen Generalkonsuls in New York, Arthur Lourie523, die ihre Sommerferien mit den Schoenbergs verbringt, während ihre Eltern in Tel Aviv sind.524 Irma unternimmt Ausflüge mit Dolli nach Palo Alto, und alle fahren sie zu Konzerten nach Carmel.
520
George Pólya, 1887–1985. A Biographical Memoir, R. P. Boas, National Academy of Sciences, Washington 1990. 521 Iran and Islam: in Memory of the Late Vladimir Minorsky, C. E. Bosworth (Ed.), University Press, Edinburgh 1971. 522 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Solomon_Lefschetz [abgerufen am 1.8.2023]. 523 Arthur Lourie (1903–1978), israelischer Diplomat, guter Bekannter von Iso. Er wird in dieser Zeit Stefan Wolpe mit der Dichterin Hilda Morley, die er in dritter Ehe heiraten wird, bekannt machen. 524 Brief von Irma und Iso (Stanford) an Elsa (Jerusalem), Juli 1948, CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 28: Elizabeth, Beatrice, Dolli und Iso (v. l. n. r.), Irma (vorne), Stanford, 1948 525
525
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Sammlung N. B.
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Sehr bald schon besucht Irma auch die Cembalo-Kurse an der Universität und ist an diesem Instrument sehr interessiert. Mit dem Dozenten des Musikliteratur-Kurses freundet sie sich an, kann im später begonnenen Kurs über moderne Musik jedoch nichts Neues lernen. Dafür spielt sie auch hier die von den Dozenten ausgewählten Beispiele in den Klassen vor: »… bin wieder mein einsames nervöses selbst das von Arbeit zehrt oder an dem die Arbeit zehrt.«526 Einladungen von Schlo, die ebenfalls in Los Angeles ist, und von der Jungianer-Analytikerin Mary Jo Spencer, müssen abgesagt werden. Das Programm von Irma ist in kürzester Zeit überladen. Dennoch genießt sie das abwechslungsreiche und anregende Leben in Stanford, und bevor alles zu einem Ende kommt, spielt sie vor versammelter Gesellschaft ein langes Programm: »Ich spielte ein riesiges Programm war in großer Form und hatte selbst meine Freude dran. Es tut so gut aus der Bergwerkarbeit des Studierens auszubrechen in das Sonnenlicht des Vorspielens oder Konzertierens. Ich müsste viel öfter dazu kommen. Es hat mir gut getan.«527
Irma gesteht, dass sie im Laufe der letzten Jahre von Jackie und David viele neue Anregungen bekommen habe: »Die Beiden wissen gar nicht, wie sehr sie mich anregen und mitreißen … Als ich jung war, wollte ich nicht älter werden als 45. Im vorigen Jahr, als es soweit war, erlebte ich eine so glückliche Umstellung und Erneuerung meiner Kräfte, dass ich sie beinah als Neugeburt ansah. Mit solchen Schlichen kommt [man] um selbst-angesetzte Todesdaten herum.«528
Und auch Jackie, der mittlerweile an der Juilliard in der Klasse von Eduard Steuermann angenommen ist, beteuert: »The more I understand the more I adore you.«529 Nachdem die Schoenbergs die mehrtägige Heimreise per Auto antreten, lädt Irma Schlo doch noch nach San Francisco ein, wo sie sie abholt und dann in Stanford ausführt. Am 28. August fährt Irma mit dem Nachtzug nach Los
526 527 528 529
Brief von Irma (Stanford) an Hans Rademacher (Los Angeles), 28. Juli 1948, Sammlung N. B. Ibid., 3. August 1948. Ibid., 17. August 1948. Brief von Jacob Maxin (New York) an Irma (Stanford), Sommer 1948. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
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Angeles, um einige Tage mit Hans zu verbringen. Mit Blick auf Fernreisen erinnert sie sich: »Ich bin aus meiner Jugend lange Reisen gewohnt. Es dauerte Tage und Tage bis man von Jassy, Rumänien, nach Paris oder Berlin kam, und wie kurz waren die Strecken gemessen an den Weiten hier. Man musste viele Stunden an den vielen Grenzen verwarten, Geld und Sprache wechseln […] Im Flugzeug wird man um die Reisefreude betrogen.«530
Inzwischen ist Stefan von seiner Europa-Reise531 zurückgekehrt. Nicht nur die vielen Eindrücke, sondern auch der Gedanke an die Zukunft nagen an ihm: »Hier bin ich also zurück. Vermisste Dich entsetzlich, als ich ankam, müde, sehr müde, zitternd vor verbrauchten Erregungen und vor dem Missgefühl: ist das mein Land? Sind das meine Freunde? Es sind meine Freunde. Ich habe so viel Länder als es Länder gibt. Ich habe in intensivsten Abläufen gelebt. Die Nächte kürzte ich auf wenigste Stunden ab […] Ich weiß, das ist falsch. Aber es ist noch falscher in 6 Wochen Europa zu verschlingen, Literatur und die […?] und zarten Aufdringlichkeiten vergangener Kulturen und die Macht, Fülle, Grimmheit Widersprüchlichkeit, doch auch Werte, Diesseitigkeit, Zweckhaftigkeit und Dienstverlässlichkeit neuerer und (wenn man die Anzeichen prophetisch deuten will) humanerer Kulturen. Ich war müde. Ich lebte in 6 Wochen die Zeit von 6 Monaten und fühlte schon, als mein von Orkanen gejagtes Schiff in den Hafen einfuhr, die leichte Dämmerung (der Nacht sich zuneigend) beginnender Erschöpfung […] Das Telefon läutet kunterbunt und es sind die Schüler, die hungrig sind (Ich bin ohne Appetit, sie zu speisen. OHNE) […] Wir waren ( Jacky und ich) erschlagen von deiner Ferne, die Du besonders mich fühlen ließest. Schien es mir nur so? Das wäre mein einziger Trost!«532
Irma und Hans verbringen einige Tage in Los Angeles und fahren weiter nach Santa Fé, wo sie die Psychoanalytikerin Edith Weigert533 treffen und in der Zeit der Fiesta viel gemeinsam unternehmen. Mitte September beginnt ihr Unter530 531 532 533
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Brief von Irma (Stanford) an Hans Rademacher (Los Angeles), 23. August 1948, Sammlung N. B. Ausführliche Reiseberichte von Stefan an Irma in: Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Briefe 117–132. Ibid., Brief 133. Düsseldorf – Berlin – Ankara – Washington: Der Lebenslauf von Edith Weigert, geb. Vowinckel (1894–1982), Maren Holmes, in: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, Bd. 20, Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2007.
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richt in Philadelphia und auch in New York. Neben den Privatstudierenden nimmt Irma die Anstellung an der neu gegründeten New York Contemporary Music School an, wo Stefan die Leitung innehat, und will sich dieser neuen Herausforderung bestens vorbereitet stellen: »Ich lese viel, versuche neue, bessere Wege zu finden, um Menschen klarzumachen, was Musik ist. Es ist schwer und [ich] komme mir selbst wie neugeboren vor und ganz unwissend.«534 Darum meinte Jackie auch viel später in einem Interview mit Austin Clarkson, 1983: »She was a seeker until the end of her days.«535 Da Harry mittlerweile nicht nur die Wohnung von Lisa Shapiro neu einrichtet, sondern mit dem verdienten Geld auch seine eigene, in der Hoffnung, sie als Musterwohnung für weitere Aufträge zeigen zu können, übernimmt Irma die Gastgeberrolle in ihrer Wohnung für Harry, Max Raphael und ihre Freunde. Das Verhältnis mit Stefan wird immer schwieriger, obwohl er in dieser Zeit die Dichterin Hilda Morley, seine spätere dritte Ehefrau, kennenlernt. Auf der Suche nach jemandem, der die Texte seiner Yiddish Songs übersetzten sollte, macht der israelische Diplomat und Freund der Schoenbergs, Arthur Lourie536, Barbaras Vater, Stefan bekannt mit Hilda Morley, die als Übersetzerin für die Jewish Agency und die American-Jewish Cultural Foundation arbeitet.
534 535 536
Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 17. September 1948, Sammlung N. B. Interview von Austin Clarkson mit Jacob Maxin, New York, 1983, Sammlung A. C. Vgl. Anm. 523. Nicht zu verwechseln mit dem Komponisten Arthur Lourié.
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1949–1952 New York – Philadelphia · Ehe mit Hans Rademacher Irma kann sich vor Weihnachten 1948 nur mühsam von New York losreißen. Sie unterrichtet bis zum 23. Dezember und leiht Harry ihr letztes Geld, da er sein Budget erneut überzieht, bevor er das Geld überhaupt verdient. Hans schickt Irma eine Bahnkarte per Post, so verbringt sie einige Tage in Philadelphia bei Hans, kehrt aber noch vor dem 31. Dezember zurück. Sie muss mit Jackie arbeiten, der Anfang Januar 1949 seine nächste Konzerttour antritt. An Hans berichtet sie am selben Tag: »… lange, schmerzliche Auseinandersetzungen mit Stefan, der meine Beziehung zu dir ohne Eifersucht akzeptiert aber nicht verstehen kann, warum er mich als Lebenspartner aufgeben soll. Dieser stolze Mensch ist auf irgendeine geheimnisvolle, schwerzuverstehende Weise mit mir verbunden, die sein Selbstgefühl längst hätte auflösen sollen. Ich habe ihn viele, viele Male sozusagen aus der Wohnung geschmissen und er bleibt. Er weiß es und er kann nicht weg.«537
Die Lage verkompliziert sich noch mehr, als Lisa Shapiro erfährt, dass Stefan mittlerweile eine Beziehung mit Hilda Morley eingegangen ist. Während einer Aussprache von Lisa mit Harry wird es klar, dass Stefan Brigitte nicht Irma zuliebe vor einigen Jahren aufgegeben hat, sondern wegen Lisa. Es ist der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt: »Stefan ist im Augenblick rasend vor Wut, weil ich einiges erfahren habe, was die ganzen letzten acht Jahre in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt als er es haben wollte […] Solche Dinge tun einem hinterher noch weh.«538 Es bleibt Irma nicht viel Zeit, um sich zu sammeln. Sie muss die Proben für das nächste Konzert in New York, die sich schwierig gestalten, bestehen. Bei einer Gedenkfeier der League of Composers (ISCM) zu Ehren von Paul Rosenfeld werden Werke von Leo Ornstein539, Roger Sessions540, Roy Harris541, Edgar 537
Brief von Irma (New York) an Hans Rademacher (Philadelphia), 31. Dezember 1948, Sammlung N. B. 538 Ibid., 5. Januar 1949. 539 Vgl. http://www.poonhill.com/leo_ornstein.html [abgerufen am 1.8.2023]. 540 Roger Sessions. How A »Difficult« Composer Got That Way, Frederik Prausnitz, Oxford University Press 2002. 541 Vgl. http://www.royharrisamericancomposer.com/history.html [abgerufen am 1.8.2023].
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Varèse542, Stefan Wolpe und anderen aufgeführt.543 Stefans Six Palestinian Songs werden von der Mezzo-Sopranistin Arline Carmen und dem Bariton Leon Lishner544 teils auf Hebräisch, teils auf Englisch (Übersetzungen von Hilda Morley) vorgetragen und von Irma begleitet. Trotz alledem erlaubt Irma, dass Stefan seine Privatstunden weiterhin in ihrer Wohnung abhält. Auch Jackie kommt nach seiner Tour zu der Wohnung zurück, David ist mittlerweile ausgezogen. Ende Februar sagt Irma zu, in einem ungewöhnlich besetzten Kammermusikkonzert in Swarthmore mit Charles Gilbert (Klarinette) und dem Astronomen Peter van de Kamp (Viola), dem aktuellen Gatten von Hans Rademachers Ex-Ehefrau Olga, mitzuspielen.545 Sie führt die Haverford lecture concerts weiter. Außer Erwähnungen in ihrer Korrespondenz sind leider keine Programme erhalten. Ob Irma das von ihr für 1949 geplante Thema: »Paul Valérys Eupalinos: Or, The Architect546 und die Wirkung der Musik« verwirklicht hat, ist nicht überliefert. Ihre gute Bekannte, die Pianistin Henriette Michelson, entscheidet sich, bei Rentenantritt im Sommer nach Israel zu fahren, eventuell sogar auszuwandern und empfiehlt einigen ihrer Studierenden, bei Irma weiter Unterricht zu nehmen. Irma schreibt an Elsa und bittet sie, sich gut um Michelson zu kümmern, ihr eine Unterkunft zu suchen und sie überall einzuführen, vor allem bei den Musikerkreisen in Jerusalem. Sie erwähnt, dass Michelson ihr und Stefan kurz nach ihrer Ankunft in den USA sehr geholfen habe. Sie hätten einige Sommer zusammen in Maine bei ihren Ferienkursen verbracht und sie hätte regelmäßig ihre Studierende für den Komposition- und Klavierunterricht an Stefan und an sie weiterempfohlen.547 Am Fifth Annual Festival of Contemporary American Music, welches von der American Academy und vom National Institute of Arts and Letters organisiert ist und vom 9. bis zum 15. Mai 1949 an der Columbia University in New York stattfindet, führen Arline Carmen und Irma zum ersten Mal Stefans Song of Songs, auf Hebräisch gesungen, sowie einige seiner Palestinian Songs auf. Im Programm stehen
542 Varèse: Astronomer in Sound, Malcolm MacDonald, Kahn & Averill, London 2003. 543 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 544 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Leon_Lishner [abgerufen am 1.8.2023]. 545 Hans Rademacher, Tagebuch 1947–1951. 546 Oxford University Press, H. Milford 1932. 547 Briefe von Irma (New York) an Elsa (Jerusalem), 30. März und 5. April 1949, CZA, Jerusa-
lem, A 623.
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auch Igor Stravinskys Mass (1948) und John Cages Sonatas XII–XVI für Klavier, vorgetragen von Marco Ajemian.548 Stefan erhält endlich Anerkennung und einen Geldpreis von der American Academy of Arts and Letters und schickt einen Teil des Betrages seiner Tochter Kathi, die in Bern Klavier studiert und kurz davor ist, nach London umzusiedeln. Am 3. Juli 1949 stirbt Dolli Schoenberg an Leukämie. Hans schreibt in sein Tagebuch: »[...] jede andere Frau in diesem Zustand hätte Jahre im Rollstuhl verbracht. Dolli aber hatte die Energie, Geistesgegenwart und Anmut, ihr Gebrechen zu beherrschen und fest zu verbergen. Immer glänzte sie in der Unterhaltung, war bei allem dabei und genoss jedes Erlebnis bis zum Grunde.«549
Jackie, der eine sehr gute Beziehung zu Iso hat, verbringt einige Tage im Sommer in seinem Haus, wo sie viele Stunden musizieren: »And we played together endlessly: Mozart, Mozart, Mozart … Beethoven. It is the greatest pleasure for us both and it means very much for Iso. His playing has become very beautiful and will be even more.« Zum ersten Mal im Leben fühlt er sich wohl in seiner Haut und kann endlich konzentriert arbeiten: »Music becomes the source of the deepest releases of energies and emotions. Then I take the emotions and shape them and articulate them into concrete forms with more and more control.«550 Kurz nach Dollis Beerdigung will Irma die Scheidung einreichen, der Anwalt stellt aber fest, dass die Heiratsurkunden der Wolpes nicht in Ordnung sind und zudem die Gerichte in New York erst wieder im Oktober tagen. So rät man ihnen, die Scheidung in Mexiko durchzuführen. Anfang August fahren Irma, Hans, Mouche und Harry per Auto nach Ciudad Juárez, und Irma erhält die Scheidungsurkunde. Von der Rückreise über Los Angeles schreibt sie an Stefan: »Schrecken ohne Ende, endlose Wanderung durch Dunkelheit, irre Lüge, irre Kälte, nahmen ein freundliches Ende in Juarez, Mexico. Du hattest versprochen mir nach El Paso zu schreiben. Bis zum Schluß bist du dir treu geblieben. Natürlich war keine Zeile von dir da. Ich hätte gerne gewusst und hatte es dir ans Herz gebunden mir zu schreiben, ob Schlo die Operation überstanden hat, 548 549 550
Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Hans Rademacher, Tagebuch 1947–1951. Brief von Jackie (Philadelphia) an Irma (New York), 11. August 1949. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
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1949–1952 New York – Philadelphia · Ehe mit Hans Rademacher ob sie überhaupt noch lebt! Merkst du noch immer nicht, dass man nicht so handeln kann, und sich dabei einbilden, man kann andere zu bessern Menschen erziehen? Leb wohl, Irma«551
Nur einige Tage bevor die Ehe zwischen Irma und Hans geschlossen wird, hält Hans beim International Congress of Mathematics in Cambridge die Eröffnungsrede über die aktuellen Forschungstrends im Bereich der Analytischen Zahlentheorie. Am 10. September 1949 heiraten sie und haben als einzige Zeugin Karin, seine Tochter. Sie studiert bereits Biologie und arbeitet zusätzlich in der Bibliothek der Universität in Philadelphia. Irma zieht aus dem Studentenheim in Philadelphia zu Hans, und auch Karin wohnt so lange bei ihnen, bis sie ihre eigene Wohnung renoviert. Vor Jahresende finden Irma und Hans ein geräumiges Haus und ziehen erneut um. Als Karin ihren Freund Ariel Loewy, einen in Scheidung lebenden Zellbiologen am Haverford College, ihrem Vater und Irma vorstellt, stellt es sich heraus, dass er der Adoptivsohn der langjährig mit Rachel und Irma befreundeten Familie Margulies aus Bukarest ist. Diese Familie stellte Anfang 1934 Stefan Wolpe ein Zimmer mit Klavier zur Verfügung. Auch Stefan unterrichtet ab Herbst wieder in Philadelphia, jedoch an der Musical Academy, wo er die Leitung der Kompositions- und OrchestrationsKlassen innehat. Im nächsten Composer’s Forum-Konzert, welches in Zusammenarbeit mit der New York Public Library am 11. März 1950 im McMillin Theatre der Columbia University stattfindet, werden Werke von Stefan im ersten und von D. Rudhyar552 im zweiten Teil gespielt. Arline Carmen und Irma übernehmen die Uraufführung von Wolpes Excerpts from Dr. Einstein’s Address about Peace in the Atomic Era (1950) sowie von Isaiah LXV:17–1, 21–22, 25 (1939), auf Hebräisch gesungen. David Tudor bringt Wolpes Battle Piece (1945) mit den Teilen Aggressive, With Hesitation, Severe, With Elan, Broadly Surging, Pulsating, Joyful, With Energy, Boldly Spirited zur Uraufführung, und Jackie Maxin spielt in der Premiere von Wolpes Quartet for Trumpet, Tenor-Sax, Drums and Piano (1950) mit, unter der Leitung von Stefans Student, Ralph Shapey.553
551 552 553
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Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 136. Dane Rudhyar. His Music, Thought, and Art, Deniz Ertan, University of Rochester Press 2009. Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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Das Quartet wird am 27. März 1950 in derselben Besetzung in einem Composer’s Concert der Contemporary Music School in der Times Hall in New York wiederholt, wo Irma auch die Piano Sonata von James Timmens spielt und David Tudor und Broadus Earle554 die Sonata for Violin and Piano von Isaac Nemiroff vortragen. Ein Quartett von Ralf Shapey und ein Quintett von Cherney Berg stehen ebenfalls auf dem Programm.555
Abb. 29 + 30: Irma und Iso in Four Wells, Vermont, 1950 // Karin Rademacher, Ariel Loewy, Irma, 1950 556
554 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Broadus_Erle [abgerufen am 1.8.2023]. 555 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 556 Sammlung N. B.
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Die Monate Juli und August verbringen Hans und Irma in Norwich, Vermont, auf dem Four Wells-Gut von Eugen Rosenstock-Huessy557, der mit Hans und Iso gut bekannt ist. Dort empfangen sie einige Gäste, die auch längere Zeit bleiben: Iso und seine Kinder, Karin und Ariel und dazu Ariels Zieheltern, die Margulies, samt seiner Schwester. Karin und Ariel kehren nach Philadelphia zurück, wohnen im Haus der Rademachers bis zu deren Rückkehr und bereiten ihre Umsiedlung nach Boston vor. Bevor auch Harry und Mouche zu Irma und Hans nach Norwich kommen, kann Harry einen Erfolg mit seiner Musterwohnung verbuchen. Sie wird viel gelobt, fotografiert und in der Presse vorgestellt. Das Ereignis wird in kleinem Kreis mit Max und Emma Raphael sowie dem Kunstsammler Horace Richter gefeiert (siehe Abb. 31, S. 175). Obwohl Stefan in seiner neuen Beziehung mit Hilda lebt, kann er die Trennung von Irma nur schwer verkraften: »Liebste Irma, Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass du mir schreiben wirst. Jeder neue Tag gräbt in mir einen tieferen Gram über den Irrsinn unseres Verhältnisses. Schreibe mir wenigstens, wie es dir geht. Dass du glücklich bist und liebst und voll bist von alledem, nehme ich an, wissend und mit Teilnahme. Dass unsere Beziehung verfällt, so völlig, so qualvoll völlig, ist mir eine fürchterliche Folge, zu tragen. Es gibt unauflösbare Substanzen in einer Entente von Menschen, im Bereich von Erfahrungen, die das Mark und Wurzelwerk bilden solcher Entente. (Bündnis, Einvernehmen) Ist da alles tot? Ich glaube es nicht. Spielst du Klavier. Was arbeitest du. Was denkst du? Hast du Pläne? Wie geht es dir? Ich arbeite zäh, grimmig. Manches geht gut vorwärts, manches langsam und langsamer und langsamer, weil ich mich sträube, tief innen, in meinen innersten Wohnsitzen, eine Sprache zu sprechen, die den kommenden Einwohnern der Erde fremd sein wird. Oft zweifle ich; oft aber auch nicht. Aber wenn man so allein lebt, weiß man nicht, ob man immer seinem tiefstem Gehör Glauben schenken kann.«558
557 558
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Eugen Moritz Friedrich Rosenstock-Huessy (1888–1973), Frank Böckelmann et al. (Ed.), Turia & Kant, Wien 1995. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 139.
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Abb. 31: Harrys Wohnung in der Präsentation einer US-Fachzeitschrift, 1950 559
559
Ausschnitt. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Isos Tochter, Elizabeth Brody.
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Zu seinem Geburtstag am 25. August schreibt ihm Irma und schickt auch ein Geldgeschenk, so wie er es über Jahrzehnte von Schlo gewohnt war. Daraufhin folgt eine 14 Seiten lange Antwort von Stefan mit den detailliertesten Angaben zu seinem Arbeits- und Denkprozess in der Entstehung des Streichquartetts, welches vom Juilliard Quartet in Auftrag gegeben ist560. Nach einigen Monaten wird Wolpe diese Arbeit jedoch aufgeben. Im Herbst 1950 lernt Iso die zehn Jahre jüngere Dolly van der Hoop, die bei Bekannten auf Besuch ist, kennen. Sie ist Pianistin, in Amsterdam geboren und wurde während des Krieges von einer niederländischen Familie versteckt. Ihre ältere Schwester, deren Mann und zwei Kinder sind in einem Konzentrationslager umgekommen, und ihre jüngere Schwester, Molly, die anderweitig versteckt war, hat sie erst nach dem Krieg wiedergesehen. Noch vor Jahresende heiraten Dolly und Iso. Irma und Mordechai Ardon unterzeichnen einen Vertrag, in dem festgelegt wird, dass drei seiner nicht verkauften Bilder aus New York (White Landscape, 1946, Red Landscape, 1946 und Selfportrait) in Irmas Haus in Philadelphia bleiben können, jedoch weiterhin Eigentum des Malers sind, dass sie versichert werden müssen und nicht ausgeliehen werden dürfen, mit Ausnahme von Selfportrait, welches nur an Stefan weitergegeben werden kann.561 Bereits Anfang des Jahres 1951 zeichnet sich ab, dass Ardon weitere Ausstellungen in New York haben wird, und sowohl er als auch seine Gattin Miriam schreiben an Irma und bitten sie, das Bild White Landscape trotz Vertrag seiner Kuratorin Duschkin zu geben. Als Ausgleich will Max Irma ein neues Bild bringen.562 Über Ostern sind Irma und Hans für kurze Zeit in Kassel, doch bereits nach ihrer Rückkehr beginnen sie eine längere Europa-Reise für den Sommer zu planen. Zum einen sind sie von den Margulies, die in London leben, eingeladen, zum anderen möchte Hans auch seine Schwester Erna Rademacher, die in Hamburg lebt, besuchen. Irma spielt am 15. April 1951 erneut im Clothier Memorial Hall des Swarthmore College: Bach / Busoni – Chaconne; Beethoven – Sonate op. 57 (Appassionata) und Sonate op. 31 Nr. 3; Chopin – Nocturne op. 27 Nr. 2 und Préludes Es560 561 562
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Ibid., Brief 141. Kopie des Vertrags mit freundlicher Genehmigung von Dalia Ardon, Mordecai Ardons Enkelin. Briefe von Miriam und Ardon (Jerusalem) an Irma (New York), 2. und 16. Februar 1951. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
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Dur, c-Moll, B-Dur, F-Dur, d-Moll.563 Auf einigen losen Arbeitsblättern notiert Irma vor dem Konzert: »Aufpassen! Das Singen im ersten Satz der ›Appassionata‹! Die Linke muss in den Läufen App., 3ter Satz, einfach über [Takt] 345 ›aufgehängt‹ sein, ›hinged‹, wozu ich bis jetzt nie die Courage und das Können gehabt habe.« »April 12 ’51 Donnerstag vorm Konzert. Die Grundstimmung meines Lebens ändert sich stetig (leise). Wie wenn die Farben am Himmel sich aufhellen. Es gibt ein Weiter. Aus der tragischen Ausweglosigkeit der Flucht nach vorne wird eine Wanderung ins Helle, ins bewusste, sichere Tun. Ich gebäre mich allmählig und mein Tun stellt sich heraus als etwas Unterschiedliches, von mir Beschaubares, Rundes, Begrenztes.«564
Am Tag nach dem Konzert meldet sich Jackie bei ihr und vermerkt auf der Postkarte: »Irma, I shall never forget you playing yesterday. You have never moved me so much. Love from Jackie and from Op. 81 A«565 Am 8. Juni 1951 fahren Irma und Hans nach Frankreich. Freunde, die den Sommer anderweitig verbringen, haben ihnen für drei Monate ihre Wohnung in Vanves-sur-Seine bei Paris überlassen. Sie treffen Freunde und Bekannte, unter anderem den jüngeren Mathematiker Benoît Mandelbrot566, mit dem sie viel Zeit verbringen. Über weitere Aufenthaltsorte im Juni und Juli ist nichts bekannt. Im August sind die Rademachers Gäste der Margulies in London, und Irma besucht auch oft Kati und Ola Wolpe. Nach jahrelangem Schweigen gegenüber ihrem Vater schreibt Kathi ihm endlich und berichtet, dass sie mittlerweile mit dem Bildhauer William Turnbull567 verheiratet ist. Stefan antwortet ihr und erzählt über sein Leben der letzten drei Jahre, über seine gesundheitlichen Probleme sowie über Aufführungen seiner Werke und die aktuelle Lage: »I am very closely connected with a large group of abstract painters (like de Kooning, Motherwell, Jackson Pollock etc. and know well new sculptors like de Grippe, David Smith, Lippold and Alex Calder. They have a very active club 563 564 565
Konzertprogramm. FHL, Swarthmore. Handschriftliche Arbeitsnotizen von Irma, Sammlung N. B. Postkarte von Jackie (Philadelphia) an Irma (Philadelphia), 16. April 1951. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL. 566 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Beno%C3%AEt_Mandelbrot [abgerufen am 1.8.2023]. 567 Vgl. https://www.turnbullstudiokimlim.com/william-turnbull [abgerufen am 1.8.2023].
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1949–1952 New York – Philadelphia · Ehe mit Hans Rademacher of which I am a member. I lectured there myself ›about 10 ways of writing a piece‹ I did this in order to tell them something about music and what is actually happening in a piece. (I liked the sculpture whose photo you sent me). Tell me about you and you both. How is Ola? Irma will be in August in London. She is now in Paris with her husband (you must play for her). Do know she is very fond of you. Our relations have (sadly enough) become very strained. Don’t be bothered by this at all. She is a great being and a wonderful pianist. When are we going to see each other again? When? Here are photos (from last summer) of Hilda and me. Hilda is a writer of poems and the darlingest of all […] (I am very happy with Hilda).«568
Stefan schickt Irma auch die Adresse seiner Schwester, Bobbi Rabl, die mittlerweile in London wohnt und vermerkt: »Ich schreibe seit Wochen an einem Brief an dich. Du sollst wissen ich lebe mit dir in unabgebrochener Beziehung. Einmal wird schon wieder diese Totenstarre zwischen uns schwinden.«569 Während ihres Aufenthalts in London arbeitet Irma mit Kathi, die sich sehr dankbar zeigt: »I just wanted to thank you a thousand times. I am working on everything you have told me all the time. You have helped me so much. I can now really work again and feel it’s helping me instead of just getting me tired […] It was so wonderful meeting you. All my love. Kathi«570
Nach ihrer Rückkehr beginnt Irma, mit jeder Gelegenheit Kleidung und Lebensmittel an Kathi und Ola zu schicken. Die Möglichkeit von Kathis Reise in die USA wird erörtert, aber ohne Erfolg. Trotzdem möchte sie Stefans Werke einstudieren: »Wenn mir Stephan nur seine Klaviersachen schicken würde. Ich könnte sie hier im Institute of Contemporary Art spielen. Ich bitte ihn schon längst darum. Könntest du ihn erinnern?«571
568 569 570 571
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Brief von Stefan (Hunter) an Kathi (London), 12. Juli 1951, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 144. Ibid., Brief 145. Brief von Kathi (London) an Irma (Philadelphia), 24. September 1951. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
1949–1952 New York – Philadelphia · Ehe mit Hans Rademacher Abb. 32: Jacob (Jackie) Maxin, 1950er 572
Auch wenn Jackie mittlerweile selbständig lebt und arbeitet, kommt er für Rat und Unterstützung nach wie vor zu Irma. David ist immer häufiger in der Zusammenarbeit mit John Cage involviert und spielt am 1. Januar 1952 die Uraufführung seines kompletten Music of Changes, David gewidmet.573 Das Stück basiert auf dem Zufallsprinzip des chinesischen I Ging (I Ching, Yijing), und das Einstudieren ist für David besonders schwierig. Hans Rademacher muss helfen und zwei Formeln entwickeln, nach denen David die unterschiedlichen Teile des Stückes spielen kann. Bereits am 10. Februar 1952 stellt er sich mit einem Mammut-Programm im Cherry Lane Theatre in New York vor, welches ausschließlich Werke zeitgenössischer Komponisten (Cage, Henry Cowell, Josef Matthias Hauer, Lou Harrison, Christian Wolff, Earle Brown, Morton Feldman, Wolpe) sowie die Variationen op. 27 von Anton Webern einschließt. 572 Sammlung N. B. 573 Vgl. https://johncage.org/pp/John-Cage-Work-Detail.cfm?work_ID=134 [abgerufen am
1.8.2023].
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Irma kann nicht teilnehmen, weil sie an ihrem nächsten Konzertprogramm arbeitet, so schickt ihr David ein Plakat zur Erinnerung.574 Neue Studentinnen melden sich bei Irma in New York an: Lily Friedman, Susan Kagan575, die von Irma wie eine Tochter aufgenommen wird, sowie Fenja Josefowitz, die Irmas Studenten Benjamin Oren heiraten wird. Deren Schwester, Rose Josefowitz576 (später Choron), die das Klavierspiel bald aufgibt und ihren anderen Neigungen Malerei und Dichtung nachgeht, wird bis zu ihrem Lebensende Irmas engste Freundin. Irma setzt ihre lecture Concerts in Swarthmore, Bond Memorial Hall, fort. Ein Programm mit Musik der Vorgänger Bachs: Orlando Gibbons577, Girolamo Frescobaldi578, Gottfried Scheidt579, Musik der Zeit um Bach: Johann Jacob Froberger580, Dietrich Buxtehude581 und die letzten sieben Präludien und Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier sind ihr Thema: »At a lecture-demonstration in Bond, Mrs. Irma Wolpe revolutionized piano recital technique. She not only presented a fine program but gave her audience new insight into appreciation of the selections […] Her interpretation was the result of a thorough knowledge […] of the wishes of the masters. Her novel and brilliant approach made the performance a precious rarity in the musical life of this college.«582
Ein Gesprächskonzert mit Werken Stefans und seiner Studierenden aus Philadelphia ( John Bauder, Miriam Milner, Christopher Trump und Don Cooper) an der Musical Academy kommt am 4. Juni 1952 zustande. Irma, Rudolph Benetzky und Stefan übernehmen einige Klavierparts, Jackie spielt die Sonata von Don Cooper, und Irma und Josef Marx schließen das Programm mit Wolpes Sonate für Oboe und Klavier.583
574 Plakat des Konzerts, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 575 Vgl. http://www.susankagan.com [abgerufen am 1.8.2023]. 576 Vgl. https://www.pressreader.com/uk/the-jewish-chronicle/20140221/282484296670130
[abgerufen am 1.8.2023].
577 Orlando Gibbons and the Gibbons Family of Musicians, J. Harley, Routledge 2020. 578 Girolamo Frescobaldi, F. Hammond, Harvard University Press, Cambridge 1983. 579 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Scheidt [abgerufen am 1.8.2023]. 580 Johann Jakob Froberger. Leben und Werk, Henning Siedentopf, Stuttgarter Verlagskontor 1977. 581 Dietrich Buxtehude – Leben, Werk, Aufführungspraxis, Kerala Johnson Snyder, Bärenreiter, 582 583
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Kassel 2007. Swarthmore Phoenix, 4. März 1952. FHL, Swarthmore. Konzertprogramm. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
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Bevor Stefan und Hilda an das Black Mountain College umsiedeln, wo Stefan bis 1956 als Music Director wirken wird, bekommt Wolpe eine Aufenthaltsgelegenheit in der Künstlerkolonie Yaddo in Saratoga Springs. Hier arbeitet er an Enactments for Three Pianos, welches Irma, David und Jackie zugedacht ist: »Wie geht es dir, Irma? Arbeitest du? Plagst du dich noch immer mit den Schülern? Plage dich nicht. Bereite eine Reihe von Konzerten vor und spiele, spiele, spiele. Spiele überall, unter allen Bedingungen, ohne Aufschub, ohne Angst, ohne Sorge. Musik ist kein geometrischer Ort; sie ist eine menschliche Handlungsweise und eine tiefe, echte Form menschlicher Orientierung. Wir alle sollen aufhören, mehr und mehr, zu unterrichten. Sollen sie doch alle lernen aus unseren Scores und von den Hörszenen, denen man sie unterwerfen soll. Komponieren ist ein Mehrfach-Einfach-Mehrfaches und Spielen ist eine totale Verbindung von Intelligenz, Menschenalter, Transzendenz der Mischungen im Augenblick, im Aufgebot der Augenblicke. Mein zweiter (oder ist es der erste?) Satz des Werks für 2 Klaviere und 3 Spieler ist heute Abend fertig gemacht. Ich plane 5 Sätze verschiedensten Längen, einer wird (mein alter Traum!) the Inception of a movement sum, und der letzte ist called Fugal Motions (in triple Fugue setups).«584
Am 14. Juli 1952 nimmt sich Max Raphael das Leben, und der Freundeskreis ist tief erschüttert. Während Stefan in einem Brief an Irma und Hans vom Tod von Max Dehn585, Mathematiker und Kollege von Hans, am Black Mountain College berichtet, schreibt Irma an Stefan über Max Raphaels Hinscheiden586. Während der Sommerkurse unterrichtet Hans am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston, sodass sie eine längere Zeit gemeinsam mit Karin, Ariel und ihrem ersten Kind, Michael, verbringen können. Erst Anfang September fahren Irma und Hans für einen zehntägigen Urlaub nach Cape Cod. Irma hat ihre Anstellung am Swarthmore College gekündigt und konzentriert sich ab sofort nur noch auf lecture-concerts sowie auf den Unterricht mit ihrem wachsenden Privatstudierendenkreis in Philadelphia und New York.
584
Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 149. 585 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Dehn [abgerufen am 1.8.2023]. 586 Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Briefe 150, 151.
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1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan Stefan versucht Irma zu überzeugen, dass das Black Mountain College ideal für sie wäre. In seinen Briefen berichtet er detailliert über das dortige Leben. Er lässt auch David kommen, der anstelle von Irma jetzt den Vortrag von Stefans Klavierwerken übernimmt. In einem Rezital am 12. August 1952 spielt er Wolpes Passacaglia und Presto Furioso aus den Four Studies on Basic Rows neben Werken von John Cage, der ebenfalls anwesend ist, Morton Feldman, Pierre Boulez und Henry Cowell. Stefan erwartet von Irma und Hans dringend Rat in der Situation, in der er zu entscheiden hat, welches längerfristige Arbeitsangebot er annehmen soll: das vom Black Mountain College oder jenes vom New York College of Music: »I am harassed to make up my mind. And decisions are never easy for me to make.«587 Er entscheidet sich schließlich für Black Mountain College und berichtet über Davids Konzert: »Meine liebe Irma. Ich bekomme gerade deinen Brief. Vielen Dank! David spielte herrlich. Meine Stücke waren wie Siege über den gelähmten Menschenverstand (Mortis [Morton Feldman] and Johns [John Cage]), der Saal dröhnte von Applaus. Welch hinreißender Ausdruck der Revolte! Welch Einverständnis mit meinen Musiken (komponiert … 1936). David nahm in der Passacaglia schnellere Tempi (etwas Schnellere als die für die Neu-Ausgabe bestimmten Tempi) so dass Introduction and First Variation wie eine Situation wirkten und die Variation vor dem Adagio-Teil wie eine gesammeltere und schwungvollere 2. Hälfte des ersten Teils; der Mittelteil war beinahe beschleunigt. And it pleased me enormously. Die Explosionen waren rasch und wendig und im Tempo schneller Stöße. Der darauffolgende Teil war Con Brio. Und die Attacken waren ganz ohne jede Schwere (oder Übertriebenheit), das Ende war der lucideste Abgesang, immer noch leicht strömend und das leichteste heiterste bereiteste Vergehen, Sterben, Vermählen, Verschwinden, Zurücktreten, als das ich es auch Komponierte. Das ›[Presto] Furioso‹ was played in a tempo of Dionysos. David hat eine ganz besonders ihm eigene Art, Tempi zusammenzunehmen, wie einer, der Fäden in fließende Bewegungen umlegt (if this image
587
Ibid., Brief 154.
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1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan makes sense) oder der Bewegungen (wie die in meinen früheren Werken) umschmilzt. Die größte Heftigkeit ist auch immer fließend.«588
Es werden Pläne geschmiedet für die Winterferien, die Stefan und Hilda in New York verbringen wollen. Irma bietet ihnen für die Monate Dezember und Januar ihre Wohnung an und schlägt Stefan vor, seine wichtigsten Studentinnen und Studenten in New York nicht zu vernachlässigen und dafür einmal im Monat hinzufahren und dort in ihrer Wohnung zu unterrichten.589 Kurz vor seinem 50. Geburtstag fasst Stefan die gemeinsam gelebten Jahre zusammen: »Am Montag werde ich 50 Jahre. Das heißt ich habe so und so viele Jahre gelebt (und so und so viele Jahre sind noch lebbar). Ich habe viel gedacht an Vergangenes, an meine Irrtümer, meine Irrgänge, an Leiden, die ich dir zufügte und an Leiden, durch die ich ging. Ich habe viel gedacht an meine Verhextheit und den Flügelwahn und die Sprünge durchs Feuer, in, hinweg, durch Abgründe, durch Spiegelheimaten, durch die ganze Eislandschaften und Wolken und Bahnen und Ziele erreichten, gefehlten, missdachten Lebens. Ich habe daran gedacht. Gewiss auch an das Gute, an die Fülle der Visionen, tiefer Aufmerksamkeiten, tiefsten Eifers, außerordentlichen Erlebnisses, an Getanes und Erfülltes, Wirklichgeleistetes. An die Ergrimmtheit und die hundertfältige Forderung, mit der ich genauso oft mein Leben erzielend-erhärtete (oder erhärtend-erzielte) als es hundertfältig verbog, verschwendete, irreführte. So war es […] An diesem Tage grüße ich mit wachem Herzen dich, meinen alten kostbarsten Freund, Irma, und danke dir für deine Liebe und deine zarteste Menschlichkeit und deine Sorge, Umsicht und Weisheit, die mir in vielem weit voraus war.«590
Für die Sonntage am Black Mountain College plant Stefan eine Musikstunde für alle, die kommen und zuhören wollen, und verlangt dafür Schallplatten aus Irmas Sammlung.591 Mit der ersten Gelegenheit schickt sie ihm eine Auswahl, und diese Gepflogenheit werden sie auch in der Zukunft beibehalten. Über das Leben in Black Mountain schreibt Stefan ausführlicher in einem Brief an Kathi: »We are both entrenched in this little Paradise of rest and retreat. I f one is longer here one misses a greater diversity of people of greater quality and range. But I get much done without stress and working myself to death. This is the 588 589 590 591
184
Ibid., Brief 157. Ibid., Brief 155. Ibid., Brief 160. Ibid., Brief 162.
1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan only thing which is on my mind now. It is beautiful to be in the country and live here not only through a summer (with the dust, the anger, the pressure of 8 months’ costy life still tightly fused with nerves and memories). It is a poor college. With a beautiful heart for the right things and worth a few beautiful people who are in search of these beautiful (and centered) things. But all is terribly poor. And I buy this ›vacation-extense‹ with little money in return. But I am in peace with my physicality and my heart is less strained and my nerves less attacked and I feel body-space in me.«592
Die erste Hälfte des Jahres 1953 verbringen die Rademachers in Princeton, New Jersey, wo Hans eingeladen ist, am Institute for Advanced Study zu lehren. »Der Aufenthalt hier war zauberhaft schön und wohltuend für uns beide«, schreibt Irma an ihre Schwester und gibt gleichzeitig Bescheid über die Lage in der Familie: »Von uns wird sich in diesem Jahr Niemand nach Europa verirren. Wir haben uns eben erst ein Haus gekauft, Iso hat ein einjähriges Kind, eine Tochter [Elizabeth] heiratet, Harrys Geschäfte schweben noch immer in der Luft.«593 Stefan fragt bereits im Januar 1953 bei Irma und Hans an, ob sie bereit wären, an den Sommerkursen am Black Mountain College teilzunehmen. Er möchte, dass Irma in einem Zeitraum von sechs Wochen im kleinen Rahmen seine Klassen unterrichtet, mindestens vier Klavierkonzerte gibt und in kammermusikalischen Besetzungen mitwirkt. Hans solle einige mathematische Vorlesungen geben. Nachdem sich die anderen eingeladenen Musiker, der Pianist Rudolph Benetzky und der Violinist Robert Koff, Gründungsmitglied des Juilliard Quartetts, nicht zurückmelden, bittet er Irma, sie zu drängen. Auch muss er wegen den Voranzeigen wissen, unter welchem Namen Irma nun auftreten möchte.594 Sie entscheidet, bei Irma Wolpe zu bleiben. Sobald sie aus Princeton zurück sind, nimmt Irma den Unterricht in New York wieder auf. Zu ihren Studierenden aus dieser Zeit zählen unter anderem auch Sylvia Goldberg (ein Jahr später Gattin von Stefans Student Ralph Shapey) und Zaidee Parkinson. Stefan, der immer öfter mit gesundheitlichen Problemen konfrontiert ist, mahnt zur Vorsicht: 592 593 594
Brief von Stefan (Black Mountain) an Kathi (London), 28. November 1952, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Brief von Irma (Princeton) an Elsa (Jerusalem), 4. Juni 1953, CZA, Jerusalem, A 623. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Briefe 171–174, 177–179 und 184–190.
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1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan »Gib doch schon endlich NY auf, wenn es dir so viel Zeit wegnimmt. Und es reibt deine Konzentration des Spielens auf! […] Vor allem spiele, spiele. This must become a matter of public domain. Everything must become a matter of a social enterprise, of a social communication. Otherwise we all rot. Wir haben nichts zu verkaufen, aber alles zu geben. Und wir alle müssen klüger werden im Geben. Klugheit heißt hier: je mehr von uns profitieren, desto besser haben wir gearbeitet. (Klugheit ist auch jene Andere von der du zu mir in allen Jahren, 5 Jahre zurück, sprachst (und was ich biologisch nicht verstand): mit sich selber weise verfahren auf weise Art. Dazu musste ich erst einmal physisch kaputt gehen. Man kann ja einem voll funktionierenden Körper nicht die nahenden Schatten seiner Schwächen vorauszeigen.)«595
Die ersten massiven finanziellen Probleme des Black Mountain College zeigen sich bereits 1953, und Stefan versucht überall Hilfe zu suchen: »I f [we] don’t get an immediate loan of $40.000, we will collapse and O God! Goodbye again, chased, ›filtered‹ back to N. Y. What then? What next? Do you think Hans knows some influential university people whom he might call upon? I am about to be distressed about the sort of odyssey one has to live. I started again writing letters. Maybe I’ll get the Guggenheim. O, if I only could finish my work intended to be finished here in this heavenly place.«596
Die Sommerkurse finden trotz allem statt, und die Rademachers nehmen wie geplant teil. Irma eröffnet das Konzertprogramm am 25. Juli 1953 mit einem Klavierabend, in dem sie Beethovens Bagatellen op. 126 und die Sonate op. 31, Nr. 3, Schönbergs 5 Klavierstücke op. 23, Debussys Gaspard de la Nuit und Wolpes Toccata spielt. In der nächsten Woche wechseln sich Hans und Stefan mit ihren Vorträgen ab (Hans: What is Mathematics? und On Lines and Surfaces und Stefan: A Lesson on Elements of Composition). Irma spielt am 8. August das zweite Rezital mit Werken von Frescobaldi, Mozart, Stravinsky, acht der Präludien und Fugen von Bach sowie Wolpes Study on a Basic Set of Thirds und Chaconne. Hans folgt mit dem Vortrag On Prime Numbers, und Stefan liefert ein Report On My Composing. An den Abenden dazwischen liest Charles Olson597 aus seinen Maximus Poems vor. Im letzten Augenblick hat der Pianist Rudolph Benetzky doch noch
595 Ibid., Brief 190. 596 Ibid., Brief 170. 597 Vgl. https://www.charlesolson.org/Files/chronology1.htm [abgerufen am 15.3.2023].
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Abb. 33: Irma am Black Mountain College, 1953 598
seine Teilnahme zugesagt, sodass am 15. August das gemeinsame Konzert mit Irma mit Werken für zwei Klaviere (Bach, Mozart / Busoni, Debussy) zustande kommt, zu dessen Abschluss Irma noch Wolpes Passacaglia spielt. Merce Cunningham599 und seine Dance Company gestalten zwei weitere Abende. Stefans letzter Vortrag ist über Distances, Proportions and Space in Music und wird mit der Wiedergabe der bis dahin fertigen Teile aus dem Stück für drei Klaviere unter dem Titel 7 Pieces for 3 Pianos von Irma, David und Benetzky ergänzt. Nachdem Josef Marx einen Vortrag On Old Instruments hält, spielt er mit Irma ein Konzert mit ausschließlich barocken Werken. Auch das letzte Konzert der Sommerkurse bestreitet er am 29. August 1953 mit Irma (Bach, Händel, Vivaldi, Wolpes Sonata for Oboe and Piano).600
598 599 600
Sammlung N. B. Merce Cunningham und der moderne Tanz: Körperkonzepte, Choreographie und Tanzästhetik, Sabine Huschka, Königshausen & Neumann, Würzburg 2000. Programm der Sommerkurse 1953. Black Mountain College Museum and Arts Center, D. H. Ramsey Library, Special Collections und Sammlung N. B.
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Abb. 34: Programm der Sommerkurse am Black Mountain College, 1953 601
601
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Sammlung N. B.
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Die finanzielle Situation am Black Mountain College kann nicht gelöst werden, so bleibt es nur noch bis Dezember geöffnet und muss über den Winter schließen: »Ihr Beiden Lieben (und du Liebe) Hier ist Ruhe und das Gnadenreich sich bewährender Zurückgezogenheit. Hier ist Beides: Kloster und Brennpunkt des Lebens. Manchesmal beiße ich mir die Finger vor verlorener Einsamkeit. Ich arbeite ununterbrochen. Charles [Olson] ist der Einzige hier, mit dem mich echter Zusammenhang verbindet. Als ich von New York zurückkam (ich litt schrecklich unter New York) zerriss ich einige 12 Seiten des Endes der Enactments und bin seitdem beschäftigt mit den ›letzten Zügen‹ dieses Werks. Ich glaube ich werde am Ende dieser Woche damit fertig sein und werde sofort herangehen die Copy zu machen (in einer schönsten Handschrift). [...] Wir schlossen die alten Dormitories (Licht, Feuer, Wasser sparend) und das Study Building is usable only during the day [...] Andererseits alle Gebäude werden mit Holz geheizt. Und alle starken gesunden Leute müssen wenigstens einen ganzen Tag mit Holzhacken, elektrischer Holzsäge und Sammeln widmen. So primitiv das auch ist, es schafft eine große kollektive Wärme und kristallisiert die Community. Ach, es ist ein Jammer, ein Jammer, ein Jammer! Wie einzigartig dieser Platz sein könnte, königlich weit, räumlich, ein Paradies schöpferischen Handelns und vermenschlichten Lernens. Gibt es keine Rettung?«602
Irma überlässt Stefan und Hilda für die Zeit, die sie im Winter 1953/54 in New York verbringen müssen, ihre Wohnung. Sie und Hans leben in Philadelphia ein halbes Jahr lang zusammen mit Karin und Ariel und ihren beiden Kindern, bevor die junge Familie ins eigene Haus umziehen kann. Ab Juni 1954 sind die Rademachers in Eugene, Oregon, wo Hans im Zuge der Sommerkurse der Universität unterrichtet. Irma kann an der dortigen Musikschule auf einem Steinway-Grandpiano üben und spielt oft in Gesellschaften und auch an der Schule. Beide sind begeistert von der Ruhe der Gegend und der kultivierten Atmosphäre im Kreise der Universität und schmieden Pläne, sich für längere Zeit dort niederzulassen. Mitte August kehren sie jedoch nach Philadelphia zurück, da sie sich für eine anstehende Reise nach Indien vorbereiten und das Haus vermieten müssen. Hans hat einen auf sechs Monate begrenzten Ruf an das Tata Institute for Fundamental Research in Bombay erhalten, und sie möchten vorher noch den Rest des Sommers in Europa verbringen. 602
Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 192.
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Vor ihrer Abreise mit einem Schiff der Holland-America-Line halten sie sich zwei Tage lang bei Benjamin und Fenja Oren in New York auf, da Irmas Wohnung ebenfalls vermietet ist603. Sofort nach ihrer Ankunft in Holland nimmt Hans am International Congress of Mathematicians in Amsterdam teil. Irma besucht in dieser Zeit Kathi und Ola in London. Kathi beklagt sich, dass sie immer noch keine Noten von Stefans Werken erhalten habe, obwohl sie diese gerne in ihr Repertoire aufnehmen möchte. Anschließend besuchen sie Rademachers Schwester in Hamburg und nehmen sie mit nach Venedig. Bevor sie Italien am 1. Oktober 1954 von Genua aus verlassen, muss Hans wegen Kreislaufproblemen einen Arzt aufsuchen. Sie erreichen Bombay (Mumbai) am 14. Oktober 1954 und beziehen ein Zimmer im Hotel Taj Mahal Palace, wo sie für die nächsten sechs Monate als Gäste des Tata Institute bleiben werden. Hans arbeitet im Forschungsteam und hält Vorträge. Irma kann auf dem Klavier von Hannah Peters üben, einer Krebsforscherin, deren Ehemann Bernard Peters604 als Physiker am selben Institut arbeitet. Über Familie Peters lernen die Rademachers den Dirigenten und Violinisten Mehli Mehta605, Vater des Dirigenten Zubin Mehta, kennen. Zurückgekehrt nach seinem Studium in New York, dirigiert Mehli seit einigen Jahren das von ihm gegründete Bombay Symphony Orchestra in Erwartung seines Visums, um wieder in die USA zu kommen. Er lädt Irma ein, Radioaufnahmen zu machen, was den Vorteil hätte, dass sie ein Studio mit einem guten Klavier bekäme. Eine außergewöhnliche Bekanntschaft auf musikalischer Ebene ist die mit dem berühmten Sitar-Virtuosen Vilayat Khan606. Hans beschreibt bis ins kleinste Detail, was sie von Vilayat über die Sitar gelernt haben: »Heute Nachmittag waren wir [bei] Vilayat Khan, dem großen Sitar-Spieler eingeladen. Ein sehr liebenswürdiger und freundlicher junger Mann. Er ließ sich ausfragen über seine Kunst und die indische Musik im Allgemeinen. Es ist schwer festzustellen, wie viel Freiheit der Musiker in seinem schöpferischen Tun hier besitzt, und noch schwerer, was ›Komposition‹ eines Stückes hier heißt, das man nachher in ganz verschiedenen Stilen und Affekten (›moods‹), von denen es 64 gibt, spielen kann. Er war auch so liebenswürdig, uns viele 603
Sämtliche Informationen zum Aufenthalt in Europa, Indien und anschließend in Göttingen (1955) entstammen dem Tagebuch von Hans Rademacher. 604 Vgl. https://ahf.nuclearmuseum.org/ahf/profile/bernard-peters [abgerufen am 1.8.2023]. 605 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Mehli_Mehta [abgerufen am 1.8.2023]. 606 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Vilayat_Khan [abgerufen am 1.8.2023].
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1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan Handgriffe seiner Technik auf der Sitar zu demonstrieren. Er selbst hat zwei neue Tonklänge auf dem Instrument erfunden. Er ist ein Mitglied einer alten Familie von Musikern, schon sein Urgroßvater war Sitar-Spieler, und dieser, oder sein Großvater hat die Resonanzsaiten dem Instrument, das ursprünglich nur 3 Saiten hatte, hinzugefügt. Jetzt hat es 6 Spielsaiten, die mit dem rechten Zeigefinger (mit einem Drahthaken verbunden) gezupft werden. Die linke Hand hilft sehr in der Tonbildung, da die Finger die Saiten verschieden straff spannen (bis zu einer Quint Differenz). Die Bünde auf dem Griffbrett sind übrigens verschiebbar. Diese indische Musik, die eigentlich keine Harmonie kennt, sondern nur linear ist, macht auf uns einen tiefen Eindruck. Irma will ihm demnächst vorspielen.«607
Einige Tage später verzeichnet Hans in seinem Tagebuch: »Irma hat Vilayat Khan vorgespielt, sie war in großartiger Form und Vilayat war höchst aufmerksam und offenbar ergriffen. Dafür gab er uns am Tage darauf ein Privatkonzert, alles bei Peters, wobei Irma einen Flügel von Mrs. Tata hat bringen lassen.«
Abb. 35: Irma und Vilayat Khan in Bombai, 1954 608
607 608
Hans Rademacher, Tagebucheintrag vom 7. Dezember 1954. Sammlung N. B.
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Nach einem kurzen Aufenthalt in Hyderabad, wo Hans seinen Vortrag an der Conference of Indian Matematical Society ausgerechnet zu Weihnachten gibt, nimmt Irma das Angebot an, Aufnahmen für das Radio in Bombay zu spielen: »Musically I am getting truly involved. I played the Brahmsquintet [with Bombay String Quartet] and I am going to play the C. Frank quintet too, end of February. Three pianists started taking lessons. I shall give a recital soon and I was asked to give a few lecture recitals too. I am playing a great deal for people 2–3 times a week, everything I ever played during my whole life.«609
Aus dem Tagebuch von Hans erfahren wir auch das Programm ihres ersten Vorlesungskonzertes: »Irma spielte am 11. Februar im Bhulabhai Desai Memorial Haus. Sie gab einen Vortrag über moderne Musik mit Beispielen […] Drei Musiker und ihre Schulen: Stravinsky, Bartók und Schönberg. Beispiele: ein Stück von Alban Berg für Schönberg, Sonate von Bartok, Serenade in La (A-Dur) von Stravinsky. Irma war in guter Form, strahlend und ihrer selbstsicher. Großer Erfolg, zwei Tage später eine Spalte im Times of India.«
Der Impuls, den Irma vor ihrer Abreise nach Indien von Stefan erhielt, ist sicherlich nicht unbedeutend gewesen für ihre Entscheidung, in diesem Land Konzerte zu spielen: »I wonder about your positions? And what you do with yourself, you born to be all our champion, our battling mistress, our communicative, potent, invincible, and of our heartbeat […] I may not know much about you (as you said the other day) (and which is probably right) but I have certainly experienced the range and rank of your artistry and how you are born to be the carrier of our thoughts, radical as you are meant to be (because this is what you do when you played Beethoven revealing the radical nature of all substance and of all existence and it’s verges) […] I have an irrevocable faith in you and in the power of your artistic range. And I am overwhelmed with satisfaction that you have to break up the circle of your Jüngers and Adepten which will send you to the high seas of your deep waters and to the execution of your tasks to play to play to play to play music.«610 609 610
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Brief von Irma (Bombay) an Susan Kagan (New York), Januar 1955. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Susan Kagan. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 200.
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Die Anzahl ihrer Studentinnen wächst, sodass Irma, die bis dahin unentgeltlich unterrichtet, entscheidet, es solle eine freiwillige Gage an eine Wohltätigkeitseinrichtung gezahlt werden, zumal ihre Studentinnen ausgebildete Pianistinnen sind, die ihrerseits unterrichten. Das Quintett von Brahms mit Mehli Mehtas Bombay String Quartet und Irma kommt am 12. Januar 1955 und erneut am 27. Februar 1955, und diesmal auch das Quintett von C. Franck, in Radio-Konzerten in Bombay zur Aufführung. Bereits am 2. März spielt sie für das All India Radio Beethovens Sonate op. 111 und Bartóks Sonate BB88.611 Das nächste Konzert von Irma steht im Zeichen der Wohltätigkeit für die lokale jüdische Gemeinschaft und findet am 20. März im Cutch Castle statt. Sie spielt einen Querschnitt ihres klassischen Repertoires, angefangen mit der Chaconne von Bach / Busoni über Beethoven, Schubert, Chopin bis hin zu Ravel und Debussy.612 »A pianoforte recital of unusual sensibility and intrinsic artistry was given by Irma Rademacher, the noted American pianist […] Seldom has Bombay heard such truly intimate piano playing which literally conveyed a personal message to each enraptured listener.«613
Da die Zeit der Rademachers in Indien bald endet, ist Irma eingeladen, ein letztes öffentliches Farewell-Konzert mitzugestalten, in dem die Quintette von Brahms und Franck mit Mehli Mehtas Quartett wiederholt werden. Hans gibt seine letzte Vorlesung am 25. März 1955 und »… am Dienstag, d. 29. [März] abends spielte Vilayat Khan für Irma bei Peters vor einer Gesellschaft von Freunden und Bekannten. Bhabha614 war auch da. Vorher hatten die Studenten uns noch einen Abschiedstee gegeben im Garten des Instituts mit dem Ausblick über den schönen Hafen.«615
Hans und Irma beabsichtigen, von Indien aus direkt nach Israel zu fliegen. Wegen der Blockade des Luftraums der arabischen Länder bekommen sie jedoch nicht sofort Flugtickets und finden sich auf Wartelisten wieder. Erst am 611 Vertrag zwischen Irma Rademacher und All India Radio, Sammlung N. B. 612 Konzertprogramm, Sammlung N. B. 613 Artikel in Times of India, 22. März 1955, CZA, Jerusalem, A 623. 614 Vgl. https://ahf.nuclearmuseum.org/ahf/profile/homi-j-bhabha [abgerufen am 1.8.2023]. 615 Hans Rademacher, Tagebucheintrag vom 3. April 1955.
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Abb. 36: Irma und Miriam, Mordechai Ardons Gattin in ihrem Haus, Jerusalem, 1955 616
20. April 1955 können sie mit Air India nach Karachi, dann mit BOAC 617 weiter nach Nicosia. Um ohne Probleme durch Karachi zu kommen, haben die Peters ihren Nachbarn, den israelischen Konsul, gebeten, den Rademachers die Visa nicht in den Reisepässen einzutragen, sondern als getrenntes Dokument auszuhändigen, um Schwierigkeiten mit den Behörden zu vermeiden. Bei der Zwischenlandung in Basra, Irak, müssen sie bei den Grenzformalitäten ihre Religion angeben. Hans, der Mitglied der Religious Society of Friends (Quaker) ist, und Irma geben trotz ihres Jüdischen Glaubens für beide an, dass sie Christen seien. Somit kommen sie ohne Probleme weiter. In Nicosia erhalten sie nicht die versprochenen Flugtickets und müssen weitere vier Tage in einem Hotel warten, ehe sie nach Lydda (Lod) bei Tel Aviv fliegen können. Sie verbringen drei Wochen in Israel, in denen Irma Hans das Land und all ihre Bekannten und Freunde vorstellen will. Sie Reisen von Jerusalem, wo sie bei Elsa und Sama Ussishkin wohnen, nach Tel Aviv, Jaffa, Herzlia, Tiberias, 616 617
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Sammlung N. B. British Overseas Airways Corporation.
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Capernaum und Safed, zum Kineret See und in die Hula-Ebene. In Haifa besuchen sie Irmas Freundin und gewesene Studentin, Marie Zweig, Arnold Zweigs Schwägerin und Cousine, sowie Fritz Schiff618, den Irma aus den Berliner Jahren kennt und mit dem sie in Jerusalem gut befreundet war. Mittlerweile leitet er das Haifa Museum of Art. »Israel is most exciting to me. I came here ›à la recherche du temps perdu‹. Now after being here for a week, I lost all notion of time. I meet all the time people I saw last over 16 years ago, and these years are like erased, if I look into their eyes. Past and present superpose like two images projected on the same screen. I sometimes feel like a ghost.«619
Am 17. Mai 1955 fliegen die Rademachers nach Düsseldorf und fahren am nächsten Tag nach Göttingen, wo Hans bis zum Sommer als Gastprofessor an der Universität eingeladen ist. Sie wohnen auf dem Campus, und Irma lässt sich ein Mietklavier ins Zimmer stellen, um üben zu können. Durch die befreundete Familie von Kurt Reidemeister620 finden sie schnell Anschluss an die Göttinger Kreise, in denen sie regelmäßig an Musikabenden spielt: »Uns geht es hier gut. Wir leben sehr intensiv, arbeiten viel, haben auch hier schon viele gute Beziehungen. Ich spiele viel. Das Leben hier hat wieder den alten Reiz, die Mischung von alter Kultur und einer sehr fortschrittlichen Entwicklung dazu.«621 Irma fährt für einige Tage allein zu den Internationalen Ferienkursen nach Darmstadt und ist bei Adornos Vortrag Der junge Schönberg sowie bei einigen Konzerten dabei. Hans und Irma entscheiden auch, nach Semesterende für einen weiteren Monat in Europa zu bleiben. Am 1. August fahren sie zu den Salzburger Festspielen, wo sie zusammen mit den befreundeten Familien von Claus Adam und Robert Mann622, Gründer des Juilliard String Quartet, eine gute Zeit verbringen. Auch Eduard Steuermann ist dort und gibt Meisterklassen. Jackie hat zwar ein Stipendium dafür erhalten, ist aber nicht in Salzburg erschienen.
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Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, Ulrike Wendland, Saur Verlag, München 1999. 619 Brief von Irma (Jerusalem) an Susan Kagan (New York), 3. Mai 1955. 620 Vgl. http://www.math.uni-goettingen.de/historisches/reidemeister.html [abgerufen am 1.8.2023]. 621 Brief von Irma (Göttingen) an Elsa (Jerusalem), Mitte Juli 1955, CZA, Jerusalem, A 623. 622 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Mann_(Musiker) [abgerufen am 1.8.2023].
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1953–1955 Black Mountain College – Bombay · Vilayat Khan
Über Straßburg und Colmar fahren sie nach Paris und residieren erneut in der Wohnung der Freunde in Vanves. Sie besuchen auch Wolpes Bruder Willi (alias Woop) in seinem Atelier. Bevor sie am 28. August in Le Havre einschiffen, verbringen sie noch einige Tage in Rotterdam und Dordrecht. Dort erreicht sie die Einladung zur Hochzeit einer ihrer am nächsten stehenden Studentinnen, Susan Kagan, der Irma auf besondere Weise gratuliert: »I wish you all the happiness there is in marriage, and I certainly am qualified to do so because my 2 marriages let me explore the two opposite possibilities of being married. Let us talk only about the second one which brought me more happiness than I ever expected to find in a marriage. Susan, it is so good to be married to the right man, so much fun and never-ending joy. Men, if they are at all decent, think they need us so very much. But how much more do we need them, their strength and their weaknesses and their being so very different and so far removed from what we call life. Hans keeps saying that women are the complete creatures, men are incomplete. Of course, I like to hear that.«623
Während des gesamten Aufenthaltes in Europa schickt Irma Fachzeitschriften, Noten und sämtliche Informationen, die sie über das aktuelle Musikleben bekommen kann, an Stefan, obwohl er sich im vergangenen Jahr, vor ihrer Abreise nach Indien, sehr skeptisch dazu geäußert hat: »The Germans have their double faces. Don’t kid yourself! Don’t you remember the smiles of the gangsters? And the revolting silence in which a whole nation obediently succumbed to the thrills of the 1000jährige Reich? I don’t forget that and the shadows of a people (whose hands killed 600000 of my people whose son I am) are pale from death and bleak from shame. Only the innocence of children and militant resurgence with a totally difficult philosophy, aim of doing, of living, proof of resistance will cut the deadly roots. No, my trust is not great. I hear the noise of the murderous minds even from here, I read German journals, I know of young writers – no, it’s turbid and murky. I will be grateful for the Webern scores.«624
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Brief von Irma (Rotterdam) an Susan Kagan (New York), 26. August 1955. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 209.
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Mittlerweile lenkt Stefan jedoch ein und bittet Irma um noch mehr Auskunft: »Liebe Irma, Vielen, vielen Dank für deinen Brief der Dich mir endlich mehr fassbar und anschaulich macht. Du machst mich nachdenklich was du mir über das (nie getraute) Deutsche Land sagst in Bezug auf sein Kunstleben und it whets my appetite enormously. Nur ein Stück Vernunft und Berechnung hält mich hier im Augenblick (obwohl ich nach langer Zeit zum ersten Mal (und durch Beschäftigung!) mit Geschichte angeregt und gefördert) Europahungrig bin oder müde bin meines Mangels an Wurzelheimaten […] Doch die Möglichkeit (und wie doch meine Ketten und meine Scharniere einfach wegschmelzen) größerer Kommissionen, Aufführungen meines ›Midians‹ an deutschen oder europäischen Theatern, ›Zeus‹, ›Die schönen Geschichten‹ – all meine Werke, die mit Orchestern zu tun zu haben, Opern, neuen jungen Instrumentalisten, Verlegern – das ist natürlich sehr wunderbar, und kann mir nur menschlich gut tun und wird meine Rolle, die ich mir auferlegt finde (und die ich dieser Zeit mehr und mehr klarlegen will) menschlich verfestigen. Ich fahre morgen nach New York für einige Tage. Am 23. ist die Columbia Plattenaufnahme. Am 21. spielt W. Q. X. R.625 meine Platte und gibt mir ein Interview (am 22., W. N. Y. C. macht dasselbe). The sale of the record is very fine. Ich werde sehen ob Boris Blacher, der Director der Academy in Berlin ist, schon da ist (so höre ich). Ich werde mit ihm einen möglichen Lehrauftrag diskutieren. Du weißt, er wird für 6 Wochen in Berkshire unterrichten. Ich werde eine ganze Reihe von Platten kaufen und sie nach Deutschland schicken. Wer ist der Man in Darmstadt und wer in Donaueschingen. Ich werde natürlich Stuckenschmidt schreiben. Mit Vogel bin ich in Verbindung. Es ist wirklich nur eine Frage der Zeit (und meiner unablässigen Selbstverwendung) bis ich meine Lücken eingeholt haben werde. Schreibe mir, wen du im Sinne hast. Ich soll möglicherweise Verbindungen aufnehmen.« »Was hörst du, was denkst du, spielst du, wen siehst du, was gibt es, was ereignet sich (wie geht es dem Hans?). Wenn du die Kathi siehst, erzähle mir von ihr. Das ist das hartnäckigste an Schweigen, das sich den Bittenden entgegenhält (dem um Nachsicht Bittenden) […] Gibt es dort neue Dichter und Maler? Was denken sie alle? Ich fühle mich hier mehr und mehr fenced in and need a more active & illustrious life.«626
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Classical Music Radio Station in New York. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Briefe 221, 222.
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Nachdem sich die Situation am Black Mountain nicht erholt, sondern das College vielmehr kurz vor der Schließung steht, sucht Wolpe nach neuen Arbeitsgelegenheiten. Für das Jahr 1957 kann er einen Vertrag am C. W. Post College der Long Island University in New York unterzeichnen und plant für die nächsten Monate nun doch, nach Europa zu reisen: »Hast du die Adressen des Brün, Rosenberg, Friedman, Michelson, Dostrowsky? Bitte schicke sie mir. Wir planen die Reise nach Europa und Israel für dieses Jahr (mit kaum Geld). Ich könnte Kurse geben (in welcher Sprache?), Lieder schreiben, Chöre arrangieren, hoffe auf irgendwelche Kommissionen, auch Einzelstunden; sicher hat sich alles verändert. Ich hoffe, dass es mir bald wieder besser gehen wird. Das ist kein Vergnügen. (Die Natur rächt sich an mir mit meinen ›oblique space, oblique time‹ und in den Ohren rasen die 5. und 6. Octaven (above middle c), I could make better use of these frequencies in my Symphony.«627
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Ibid., Brief 234.
1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska Zurück in Philadelphia ruft Irma die Konzertreihe New Music Concerts ins Leben, in der sich junge Kompositionsstudierende vorstellen und Ausführende die Gelegenheit bekommen, zeitgenössische Musik zu spielen. Das erste Konzert findet am 14. April 1956 im Hause der Rademachers statt. George Rochbergs628 Twelve Bagatelles werden von Irmas Student William Kothe vorgetragen. Die Mezzosopranistin Shirley Kaplan singt Schönbergs Tovelied sowie Lieder aus dem Buch der Hängenden Gärten und wird von Mildred Pearl begleitet. Irma spielt Schönbergs Fünf Klavierstücke op. 23 und Klavierstück op. 33a sowie Wolpes Complaint und Passacaglia.629 Mittlerweile erhält Stefan ein Fulbright-Stipendium als Research Scholar in Musicology an der Hochschule für Musik in Berlin, beginnend im Oktober 1956. Er und Hilda beabsichtigen aber, bereits Mitte Juni nach Europa zu fahren. Da sie ihre Bleibe am Black Mountain College aufgeben, bittet er Irma, sämtliche Habseligkeiten bei ihr in der New Yorker Wohnung unterstellen zu dürfen. Die erste Station der Wolpes ist London, wo er endlich Kathi begegnet und sie spielen hört. Nach intensivem Austausch mit Wolfgang Steinecke630 ist Stefan am 19. Juli 1956 bei den Kranichsteiner Ferienkursen in Darmstadt eingeladen, einen Vortrag unter Mitwirkung von David Tudor zu halten. Er spricht Über neue (und nicht so neue) Musik in Amerika: »Das Kalte, das Schäbige, das Harte, das Plötzliche, das Unbewegte, das Starke, das Konfuse, den Witz, das Übermaß, die Wichtigkeit, das Fallenlassen, Allgemeinstes, Unschichtiges, Flaches, Außerordentliches, Verschichtetes, Potenziertes, Loses, Zerfetztes, Unordentliches, Unaufhörliches, dauernd Unterbrochenes, der Schock und die immer größeren Gegensätze, das Simultane und das Geräusch, alles ist möglich, das ist die geschichtliche Situation.«631
628 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/George_Rochberg [abgerufen am 1.8.2023]. 629 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 630 Traditionen Koalitionen Visionen. Wolfgang Steinecke und die Internationalen Ferienkurse in Darm631
stadt, Michael Custodis, IMD, Saarbrücken 2010. Vortrag von Stefan Wolpe: Über neue (und nicht so neue) Musik in Amerika, Schallarchiv des IMD, B006385244/VD 11a.
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Abb. 37: Irma und Hans Rademacher in Hanover, NH, 1956 632
Stefan besucht seinen Bruder Willy in Paris, Wladimir Vogel in Ascona und Hermann Scherchen in Gravesano und reist anschließend nach Italien. Im September sind Stefan und Hilda in Israel, wo sie auch Elsa und Sama, Mordechai Ardon, Erwin und Anne Hirsch nebst vielen alten Bekannten besuchen. Erst Mitte Oktober kommen sie nach Berlin, und Stefan teilt Irma regelmäßig seine Eindrücke, Erlebnisse und Pläne mit.633 Hans unterrichtet im Sommer 1956 am Dartmouth College. So verbringen die Rademachers zwei Monate mit ihren Freunden in Hanover, New Hampshire (siehe Abb. 37). 1957 nimmt Hans eine Verpflichtung an der Cornell University an, und sie bleiben den Sommer über in Itacha. Hier besuchen sie auch die
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Sammlung N. B. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Briefe 245–260.
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rumänische Tänzerin Iris Barbura634, ehemalige Lebenspartnerin von Sergiu Celibidache635, mit der sich Irma über Tanz und Rhythmus austauscht.636 Am 1. September 1957 fahren sie nach Princeton. Hans hält Vorträge an der Universität, Irma pendelt in den nächsten Wochen zwischen Princeton und New York, um den Unterricht aufrechtzuerhalten. Es sind nicht nur Studierende, die zu Privatstunden kommen. Immer öfter suchen auch arrivierte Pianistinnen und Pianisten ihren Rat und ihre Hilfe. So auch der ehemalige Artur-Schnabel-Schüler Konrad Wolff637, der sie nach einer Notlage in seiner Karriere regelmäßig besucht und an ihrer außergewöhnlichen Technik äußerst interessiert ist: »Nearly ten years ago, when after a pianistically bad recital I was discouraged and depressed, a young friend sent me to the pianist Irma Wole of Philadelphia and New York, who not only helped me with great gentleness and patience out of my troubles, but who acquainted me with an entirely original complete approach to finger, hand, and arm technique, that has sustained me ever since.«
Nach einiger Zeit wird ihm klar, dass, obwohl Irmas Leistungen noch weitgehend unbekannt sind, auch andere bekannte Pianist*innen und einige ihrer besten Studierenden sich Irmas Technik bereits zu Nutzen gemacht haben. Deswegen verfasst Wolff den Artikel Irma Wolpe, Teacher of Chopin, den er veröffentlichen möchte und in dem er schlussfolgert: »Mrs Wolpe’s approach involves a whole new way of thinking which transcends the musical and the pianistic field and is connected with a philosophy of living in general. Therefore, one should not expect changes overnight. They come as soon as the person has caught up with the approach.«638
634 Vgl. https://www.rri.ro/de_de/choreographin_iris_barbura_die_wahre_und_pure_kunst_
des_ausdruckstanzes-2565043 [abgerufen am 1.8.2023]. Celibidache: Musiker und Philosoph. Eine Annäherung (Celibidachiana II; Dokumente und Zeugnisse I), Klaus Weiler, Wißner Verlag, Augsburg 2008. 636 Fotos und Diapositive, die Hans während der Besuche bei Iris Barbura anfertigte, Sammlung N. B. 637 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Wolff [abgerufen am 1.8.2023]. 638 Typoskript, Sammlung N. B. im Anhang, S. 259–262. Es ist nicht belegt, ob der Artikel in dieser Form publiziert wurde. Konrad Wolff erwähnt Irma und ihre Klaviertechnik auch in: Masters oft he Keyboard; Individual Style Elementes in the Piano Music of Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin, and Brahms, Indiana University Press 1990, S. 212. 635
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Das Jewish Music Forum veranstaltet am 24. Februar 1958 ein Gesprächskonzert im Jewish Museum in New York, bei dem Werke dreier Komponist*innen vorgestellt werden: Solomon Pimsleur, Hilda Pinson und Stefan Wolpe. Stefans Duo in Hexachord wird von Josef Marx und Art Blum, Klarinette, und die Six Songs from the Hebrew von Arline Carmen und Irma vorgetragen.639 Es ist einer der letzten Auftritte von Irma mit Stefans Werken für mehr als ein Jahrzehnt. Die junge Pianistin Lalan Parrott, Studentin an der Juilliard Music School, übernimmt ab sofort anstelle von Irma nun immer öfter die kammermusikalischen Einsätze. Sowohl die Ussishkins als auch die Rademachers planen, die Sommermonate 1958 in Europa zu verbringen. Ein erstes Treffen findet am 20. Juni in London statt. Irma und Hans fahren weiter nach Rotterdam und nach Rom, wo sie zwei Wochen verbringen, nachdem sie bereits in Philadelphia eifrig Italienisch gelernt haben. Auf dem Rückweg durch die Toskana treffen sie die Margulies in Diavolezza und Elsa und Sama in Tarasp in der Schweiz. Die nächste Station ist Edinburgh, wo Hans an einem Kongress teilnimmt. Auf dem Weg besuchen sie in London auch Ola Okuniewska. Irma ist ergriffen von der Armut und Not, in der Ola mittlerweile lebt, sodass sie keine Motivation findet zu malen. Nach ihrer Übersiedlung nach London 1938 arbeitete sie zunächst an der Malschule von Arthur Segal640, Gründungsmitglied der Neuen Sezession und Vorstandsmitglied der Novembergruppe in den 1920er Jahren in Berlin. Irma kauft eines ihrer Bilder und schickt ihr anschließend das Geld: »Liebe Irma, vielen Dank für Deinen lieben Brief u. die Geldsendung für das Bild. Die Situation, die sehr arg war, ist damit gerettet u. auf so freundliche Weise. Das Bild ist schon so lange gepackt […] Die Post nahm es nicht u. der Transport sollte erst 3–5 Pfund kosten u. nun schließlich gar L. 12 – aber nun nimmt es Max mit. Max [Mordechai Ardon] war hier u. es war so schön sich nach 21 Jahren wieder zu sehen. Er kommt in genau 2 ½ Monaten auf der Fahrt nach U. S. A. hierher u. nimmt das Bild mit.«641
Es ist der Anfang einer langjährigen Freundschaft zwischen Irma und Ola, die sich hier anbahnt. Irma wird Ola nicht nur finanziell unterstützen, sondern sie auch durch den stetigen Ankauf ihrer Werke dazu ermutigen, wieder tätig zu werden. 639 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 640 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Arthur_Segal [abgerufen am 1.8.2023]. 641 Brief von Ola (London) an Irma (Philadelphia), 31. Oktober 1958, Sammlung N. B.
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Währenddessen unterrichtet Stefan an der Dartington International Summer School in England und berichtet Kathi voller Ironie: »The class is filled with professionals not yet professionals, never will be, though intending. AmateurLadies: keen and refreshing. Marc’s piece was moving, noble, concentrated und sehr heutig. Robert Collet, the Pianist, a dreadly love with feeble hands.«642 Anschließend reist er nach Spanien, wo Hilda bereits in die Ferien vorgefahren ist. Irma hingegen entscheidet sich erneut für die Ferienkurse in Darmstadt. In einem Brief an Elsa schildert sie die Fortsetzung ihrer Reise: »Ich konnte darum in Hamburg nur eine Nacht bleiben und fuhr am nächsten Morgen allein nach Darmstadt weiter. Weil ich so müde war und reisesatt, tat es mir schon beinah leid, dass ich auch noch dieses Abenteuer übernommen hatte. Ich dachte auch, dass ich unter lauter Fremden, Unbekannten sein würde. Kaum aber trat ich aus dem Bahnhof, sah ich bekannte Gesichter, und zwar aus Israel! Das war Rudi Bergmann der erste Geiger des Israel Orchesters, ein alter Freund, Gradenwitz aus Tel Aviv, alte Schüler von mir. In dem Ort, in dem die Musiktagung stattfand, hatte ich noch freundlichere Überraschungen. Steuermann kam mir mit offenen Armen entgegen. Mein alter Schüler David Tudor war da, kurzum ich fühlte mich ganz zuhause. Am nächsten Tag war auch Hans da. Die Tagung war außerordentlich interessant und anregend. Ich lebte 16 Stunden am Tag in Musik und Diskussionen über die Probleme dieser neuen Werke. Leider mussten wir nach 6 Tagen schon weg. Diesmal tat es mir leid weg zu gehen, unser Schiff fuhr aber ab und so fuhren wir auf den Rhein herauf an einem herrlichen sonnigen Nachmittag durch eine herrliche Hügellandschaft vom Fluss bis tief hinein nach Holland. Noch ein Tag in Rotterdam und dann begaben wir uns in den Bauch des Leviathans, diesmal war es die neue Statendam, die uns in acht Tagen herüber brachte. Jetzt ist die ganze Reise nur noch ein Traum.«643
Obwohl Stefan im vorausgegangenen Jahr mit seinem Vortrag über die aktuelle Musik in Amerika für John Cage den Weg zu den Ferienkursen in Darmstadt geebnet hat und auch David Tudor erneut zugegen ist, steht kein einziges Werk von Wolpe auf dem Programm der diesjährigen Sommerkurse. David spielt
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Brief von Stefan (Dartington) an Kathi (London), 11. August 1958, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Brief von Irma (Philadelphia) an Elsa (Jerusalem), 12. Dezember 1958, CZA, Jerusalem, A 623.
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Cages Music of Changes und weitere Werke von Karlheinz Stockhausen, Christian Wolff, Bo Nilsson und Earle Brown.644 Aus dieser Zeit stammt ein verzweifelter Brief von Mouche, in dem sie Irma um Hilfe bittet wegen Harry, der die Lebenslust aufgegeben und panische Zustände hat, keine einzige Entscheidung mehr treffen kann und überzeugt ist, das Leben ergebe keinen Sinn mehr.645 Zehn Monate später, am 7. Juni 1959 nimmt sich Harry im Alter von 63 Jahren das Leben. »Das Ganze ist eine Tragödie, die ein schreckliches Ende nehmen musste. Er war vollkommen besessen von seinen Erfindungen und von der Vorstellung durch sie ökonomisch unabhängig zu werden. Dass in diesem Lande der Einzelne überhaupt nicht aufkommen kann und alles daran setzen muss irgendwo unterzukommen in einer Organisation oder Corporation oder Firma wollte er nicht wahrhaben. He wanted to conquer singlehanded the American market […] Er gab in einem Gespräch zu, dass das Erfinden wie ein Laster ihn sein ganzes Leben verfolgt hat und ihn ruiniert hat.«646
Irma und Hans sowie Lisa Shapiro übernehmen die hinterlassenen Schulden und helfen Mouche in der schwierigen Lage. Auch überlässt Irma Mouche ihre New Yorker Wohnung. Die Rademachers verbringen einen Monat in Boulder, Colorado, wo Hans Vorträge hält, und fliegen anschließend in die Schweiz und nach Italien. Ola kann Dank Irmas Hilfe zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder in den Urlaub fahren: »Liebe Irma, vielen Dank für Deinen lieben, herzlichen Brief mit dem Du mir soviel Freude gemacht hast. Deine Wünsche sind auch in Erfüllung gegangen, denn es geht mir ganz besonders gut. Ich bin für 4 Tage in Piesting auf dem Lande u. […] da ich mich nicht erinnere seit ’38 je auf Ferien gewesen zu sein, ist es eine ganz besondere Sache. Sonst bin ich bei Mutter, welcher es so halbwegs gut geht, die aber nicht mehr ihre Wohnung verlässt. Montag kehre ich nach Wien zu ihr zurück und werde sogleich mit meiner Arbeit (malen) beginnen, was nicht wenig wichtig ist. Es ist ein seltsames Experiment in einem
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Konzertprogramme IMD, vgl. https://internationales-musikinstitut.de/content/uploads/ imd-1946-66chronikdarmstaedterferienkurse.pdf [abgerufen am 1.8.2023]. Brief von Mouche (New York) an Irma und Hans (Schweiz), 5. August 1958, Sammlung N. B. Brief von Irma (Philadelphia) an Elsa (Jerusalem), 14. Juni 1959, CZA, Jerusalem, A 623.
1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska Milieu, in welchem ich halt oben nie arbeiten konnte, es doch zu tun u. das in einem Speisezimmer aus deutscher Eiche! Eine peinliche Zusammenstellung.«647
Die Wolpes vermieten ihre Wohnung in New York und kommen im Sommer 1959 auch nach Europa, Hilda direkt nach Spanien, wo sie bei Valencia auf Stefan und Kathi wartet, und alle drei setzen anschließend nach Ibiza über. Stefan fährt nach einer Weile zurück nach England, um erneut an der Dartington Summer School zu unterrichten, und reist weiter nach Berlin, Darmstadt und München, bevor er wieder nach Ibiza zurückkehrt: »I taught a good deal and refused to give a lecture (which I prepared for 3 weeks) because they (slobs as they are) forgot it to schedule. I was furious. I flew to Berlin where I gave my lecture (put it on tape for the Rundfunk) arranged for the performance of my Symphony for next year’s Festspiele, flew to Munich, will have performances at Musica Viva (Enactments, Quintet with Voice). Stayed at Darmstadt celebrating there my 57th BIRTHDAY / 5-7 / (+) / Which I felt well about. Well with no feeling of shrinking. But full of tides of tides-time. Sagte ich doch immer ich bin ein Spätmensch! David played beautifully. He is Europe’s young prince. And you? And Hans? How is / was your Summer? I f you have $ 50 or $ 65 free to lend me till say (I am almost broke) October, send them Immediately! (I will be leaving the 10 for Madrid). (I hate) / (hate) / (hate) / (to return) / (to the States) in 3 letters eingeschrieben to airmail Ibiza (Baleares), Spain.«648
Vor ihrer Heimreise kehren Irma und Hans Anfang September 1959 zurück nach London. Ola ist bestürzt, dass sie nicht zuhause sein kann, um Irma ihre Arbeiten zu zeigen. Sie bittet jedoch eine Freundin, die Rademachers in ihre Wohnung zu führen, und hofft: »… vielleicht gefällt Dir die große Landschaft, die Bäume vor meinem Fenster, ehe man sie umgeschnitten hatte und vielleicht als zweites ›das Bild auf der Wand‹ – Ilse weiß u. kennt alles. Sie kann Dir viel ergänzend erklären, was vielleicht fehlt, wenn ich nicht da bin [...] Für alles vielen Dank, vor allem für die Ermutigung, denn hier geht es mir oft schlecht.«649
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Brief von Ola (Wien) an Irma (Philadelphia), Sommer 1959, Sammlung N. B. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 265. Brief von Ola (Wien) an Irma (Schweiz), August 1959, Sammlung N. B.
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Irma nimmt eines der Bilder mit, versucht Ola wieder aufzubauen und bestellt auch gleich weitere Arbeiten von ihr. »… möchte Dir für Deinen besonders Lieben Brief, den Du mir geschrieben hast, danken. Er war mir die ganze Zeit, die für mich nicht einfach war, eine Freude u. eine Stütze. Ich bin sehr glücklich, dass Du u. Deine Freunde an meinem Bild Gefallen findet! […] Vielen Dank! Ich bin aber mit dem Danken noch lange nicht zu Ende, denn Du hast Deinem Brief eine Voranzahlung (die 2te) auf ein zweites u. ev. sogar drittes Bild beigelegt u. dieser Cheque, den ich jetzt einlösen werde, wird mir hier für den Anfang sehr helfen […] Ich habe auch Stefan schon das zweite Jahr versäumt, aber diesmal hat er, so höre ich, doch wenigstens ein paar Zeichnungen, die er haben wollte, mitgenommen.«650
Anfang 1960 können die Rademachers eine Gage von der L. Vogelstein-Stiftung651 für weitere Arbeiten von Ola sichern, und sie widmet Irma das Werk Der letzte Frühsommer in Oesterreich. Diese Unterstützung kommt ihr sehr gelegen, da die zur Tavistock Clinic gehörige Schule für Kinder mit Behinderung, an der sie seit elf Jahren unterrichtet, gerade schließen muss und sie in der Folge ohne Anstellung bleibt. Mit Jackie steht Irma nach wie vor in enger Verbindung. Er lebt mittlerweile zusammen mit der Sängerin Martha Schlamme652, malt, zeichnet und spielt oft in kammermusikalischen Besetzungen. In einem Brief gesteht er Irma: »My dearest Irma: Your beautiful letters to me touched and moved me and make me again so grateful to be in contact with you, to be nurtured in the depths of honesty and the delicacy of your thoughts. I always go back further than my thirteens birthday (although I can remember that well too); to that time when I first stepped into the room at the Settlement School and met you. When I left that room something in me knew that my life had changed. Indeed, you not only changed it, in an important sense you formed it. And all those years you devoted to me will have their answer and result in my entire life. Certain things will remain forever. It is not necessary for me to enumerate them, for you must know well enough how your life and feeling and thinking all went into the depths of my being – overwhelmingly so, perhaps abnormally so (though what normalcy might have been I am certainly not con650 Brief von Ola (Wien) an Irma (Philadelphia), 7. September, Sammlung N. B. 651 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Vogelstein [abgerufen am 1.8.2023]. 652 Vgl. https://www.allmusic.com/artist/martha-schlamme-mn0000309721 [abgerufen am
1.8.2023].
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1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska cerned to ponder). Since my development such as it is (and will be), is so obviously a slow, tentative and tenuous thing, I had become so full, so contained in your world and influence that in order to find myself anew I had to break it and embrace another potent and all-powerful force: that of Steuermann! Now the third great stage begins; I have had direction, orientation, outlook, inspiration, I have been taught craft --- now the true beginning will be made, indeed must be.«653
Abb. 38 + 39: Irma und Hans (links) und Irma und Eugen Rosenstock-Huessy (rechts) in Vermont, 1960 654
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Brief von Jackie (New York) an Irma (Princeton), 23. Juni 1960, Sammlung N. B. Sammlung N. B.
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Den Sommer 1960 verbringen die Rademachers erneut auf dem Four Wells-Gut in Vermont, zeitweise mit Karin, Ariel und ihren mittlerweile vier Kindern. Hans bekommt anschließend einen Lehrauftrag am Institute for Advanced Studies, sodass sie für einige Monate nach Princeton übersiedeln. 1960 sind die Wolpes wieder in Spanien, Stefan fährt von dort zu den Tagen für Neue Musik nach Darmstadt. Am 7. Juli 1960 spielen die Kontarsky Brüder (Alfons, Alois und Bernhard) sein Enactments for Three Pianos (1950–1953) in der deutschen Erstaufführung. Wolpe ist nicht als Dozent eingeladen, am 15. Juli stellt er jedoch seinen Vortrag über Proportionen vor.655 Er hofft, dass die Universal Edition (UE) danach einige seiner Werke herausbringen wird. Seine Enttäuschung nach der Absage des Verlags ist jedoch groß, und an Kathi schreibt er: »I just can’t find enough time to work on my compositions and I am getting desperate considering the terrible shrinkage of available (life) time. It is absolute sin to be messed up with (miserably) paying institutions and senseless endeavors to be of help to many departments, giving lectures in a Fine Arts Society, making music (as I continually do) for the Theater Department, being engulfed in meetings, was weiß ich, was noch mehr, noch mehr and then this extra bunch of private teaching which leads to nowhere but making a few dollars more, of which I don’t make enough at the University though being full (zum Kozen full) Professor, having tenure and being chairman of the Place, that is of my department (depart! Depart!)656. I am working slowly on a Piece for Solo Piano and 16 Instruments. And my fires of inspiration calculation observation, computation, enervation […] get always smallered by the disruptions and by a sadly revealed tiredness which I try to break out after 7 hrs lecturing (for a day it’s much for a man of 58 and his young, battered years) [...] The UE’s refuse to take a few of my works was a bitter bitter blow! At least my Enactments should have been taken.«657
Im Januar 1961 gibt Jackie sein New Yorker Debüt im Town Hall mit Werken von Mozart, Beethoven, Mussorgsky, Liszt und Wolpes Passacaglia. Die Presse lobt ihn: »exceptionally notable NY debut«, »has considerable experience
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Konzertprogramme IMD, vgl. https://internationales-musikinstitut.de/content/uploads/ imd-1946-66chronikdarmstaedterferienkurse.pdf [abgerufen am 1.8.2023]. Stefan Wolpe war am C. W. Post College der Long Island University in New York angestellt. Brief von Stefan (New York) an Kathi (London), 12. Dezember 1960, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska
behind him, for the playing was unusually polished«, »pianist of enormous gifts. His career can and should go far«.658 Ola hat wieder begonnen, regelmäßig zu arbeiten, und Irma schickt ihr wiederholt Geld. Die beiden sind im ständigen Austausch: »Das war ein richtiger Weihnachtstag, als Dein Brief mit dem Geschenk mich überraschte. Ich nehme es mit grossem Dank u. Freude an […] Ja ich habe (auch weil mich schon der andere Brief bezüglich der Arbeit so ermuntert hat) doch wieder etwas gemacht, es hat auch die richtige Grösse [...] Ich habe es gerne gearbeitet, obwohl es ungemein schwierig war.«659
Am 16. Februar 1961 hat Irma einen Solo-Abend in Princeton. Einen Tag später spielen John Wummer660 und David Tudor in der Carnegie Hall in New York die Premiere von Stefans Piece in Two Parts for Flute and Piano.661 Dieses Werk wird im Sommer 1961 an den Darmstädter Ferienkursen als Uraufführung im Programm vorgestellt und von Severino Gazzelloni662 und Alois Kontarsky aufgeführt. Neben Stockhausen, Messiaen, Ligeti und anderen ist Stefan erneut Dozent in den Hauptkursen, und das Thema seiner Vorträge ist Proportionsgesetze in der Komposition. Auch David ist wieder in Darmstadt, dieses Mal als Dozent des Klavier-Interpretationskurses. Er leitet zehn Seminare und stellt zudem neue Kompositionen unter anderem von Cage, Bruno Maderna, Toshi Ichiyanagi, La Monte Young und Terry Riley vor.663 Aus Wien, wo sie ihre Mutter im Sommer pflegt, meldet sich Ola gelegentlich bei Irma und wird ihr gegenüber immer offener: »[...] denn wirklich stellt Deine Sendung für mich die praktische Tragfläche dar, von welcher ich mich versuche im Gelichgewicht zu halten. Für diese stille Teilnahme an meinem peinvollen Leben vielen Dank. Aber um erst von meinem Leiden Abstand zu nehmen will ich Dir gleich mitteilen, dass ich doch fast täglich an einem Bild arbeite, aber wie schwer das erkauft ist, kann ich Dir gar nicht beschreiben. Das Bild ist in der Anlage oder im Anlass sehr schön u. unge658 The New York Times, 19. Januar 1961. 659 Brief von Ola (London) an Irma (Princeton), 15. Dezember 1960, Sammlung N. B. 660 Vgl. https://www.nyfluteclub.org/about/history-and-archives/past-presidents/1947/12/
John-Wummer [abgerufen am 1.8.2023].
661 Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 662 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Severino_Gazzelloni [abgerufen am 1.8.2023]. 663 Konzertprogramme IMD, vgl. https://internationales-musikinstitut.de/content/uploads/
imd-1946-66chronikdarmstaedterferienkurse.pdf [abgerufen am 1.8.2023].
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1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska mein schwer, es ist auch schon fast fertig, aber doch nicht fertig, es fehlt noch die letzte von Anfang an gesuchte Richtung u. Farbe (Richtung u. Farbe u. Farbkörper sind dabei immer eine wahre Einheit oder sie sind nicht) u. die Farbe ist immer die neu gewonnene Erkenntnis oder sie ist [es] nicht! Ich bin hier sehr unglücklich […] Du verstehst, hier lebe ich unter einem Zwang (aus Rücksicht des Alters meiner Mutter), hier wo man nie begriffen hat, dass ich alles aus einem wahren, tiefen, ernsten Grund verloren habe.«664
Im Herbst, während seiner Europatournee, besucht Jackie auch Kathi und Ola in London und schaut sich ihre Bilder an, was sie sehr ehrt. Anfang 1962 wird Kathi krank und kann längere Zeit nicht mehr Klavier spielen. Ola verliert zudem ihre Studio-Wohnung und dadurch auch ihren Privatunterricht und muss zu Kathi ziehen, die mittlerweile von William Turnbull geschieden ist. Ola scheint auch sonst keinen Ansprechpartner zu haben und wendet sich an Irma: »Ich kann Dir garnicht oft genug sagen, wie froh ich bin, dass Du Dein Interesse für meine Arbeiten lebendig erhalten kannst […] Ich hab viel mit Dir zu sprechen über die Arbeit.«665 Irma und Hans planen erneut einen Sommer in Europa, zudem möchte Irma auch in Israel unterrichten und schreibt diesbezüglich an ihre Bekannte, Yocheved Dostrovsky-Kopernik, die mittlerweile die Rubin Academy of Music in Jerusalem leitet: »It was really delightful to meet you again [1955]. I must admit that I was much impressed by your spiritual connection to Israel and amazed by your knowledge of Hebrew although you most certainly could not have used it too often over these years.«666 Ende Juni 1962 verbringen die Rademachers eine Woche in London, wobei Irma und Ola Gelegenheit haben sich auszusprechen. Zusammen mit Elsas Sohn David Ussishkin667, der in London studiert, fahren sie anschließend nach Paris und Chartres (siehe Abb. 40, S. 211). In der Zwischenzeit sind Stefan, Hilda und Kathi auf Ibiza. Nach Kathis Abreise ziehen die Wolpes nach San Augustin auf Mallorca, wo er seinen Vortrag für die Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt vorbereitet:
664 665 666
Brief von Ola (Wien) an Irma (Princeton), 29. Juli 1961, Sammlung N. B. Brief von Ola (London) an Irma (Princeton), 30. April 1962, Sammlung N. B. Brief von Yocheved Dostrovsky-Kopernik (Jerusalem) an Irma (Philadelphia), 9. Mai 1962, Sammlung N. B. 667 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/David_Ussishkin [abgerufen am 1.8.2023].
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1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska Abb. 40: Irma und David Ussishkin in Chartres, Juni 1962 668
»Hilda didn’t want to go back to Ibiza she found the human entourage too petty and oppressive. But is this what she wants? What does she want? (I don’t […] I did not want to go altogether […] I am working in a chapel in Teranno, writing my Seminar for Darmstadt and compose. I am well. I will come over from Darmstadt to see you. I have a few engagements (besides Darmstadt) in Germany (to speak over the Radio and to talk about Enactments & Flute Piece).«669
668 669
Kopie mit freundlicher Genehmigung von David Ussishkin. Brief von Stefan (San Augustin) an Kathi (London), 27. Juni 1962, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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Stefan ist in Darmstadt erneut Dozent für Komposition, sein diesjähriges Thema ist Asymmetrie und Simultaneität, allerdings wird keines seiner Werke aufgeführt. David Tudor ist in den USA geblieben, wo er in der Künstlerkolonie Gate Hill Cooperative670 bei Stony Point zusammen mit John Cage, Jasper Jones, Robert Rauschenberg und anderen experimentellen Künstler den Sommer verbringt. Irma und Hans kommen erneut zu den Ferienkursen für Neue Musik und bleiben über die gesamte Zeit in Darmstadt. Stefan, Irma, G. Ligeti, A. Clementi, H. Brün und L. de Pablo schreiben zusammen eine Postkarte an David Tudor, die Stefan während seiner Rückreise nach Mallorca von Spanien aus aufgibt.671 Über Andrea Wolffenstein672, ihre ehemalige Kollegin aus Berlin, erfährt Irma vom Tod ihrer gemeinsamen Klavierlehrerin Elsa Rompe. Sie schreibt auch über das Befinden von Eli (Fritz) Friedman, Irmas ehemaligen Studenten, der 1938 ihre Klavierklasse in Jerusalem übernommen hatte und vor einigen Jahren nach München zurückgekehrt ist: »Meine Schwester (mit der ich zusammen sehr behaglich hier in München lebe) und ich werden in ein paar Stunden nach Berlin fliegen – erst zum 2. Mal seit Kriegsende. Wir haben noch viele gute Freunde dort, die uns auch in der Zeit schwerster Verfolgung, ungeachtet der Gefahr, die es für sie bedeutete, zur Seite gestanden u. uns versteckt haben673 […] Ich hörte von Ihnen durch Fritz Friedmann, der mit seiner Frau von Israel hierher zurückkam. Er spricht mit großer Dankbarkeit von dem Unterricht bei Ihnen, aber Ihre Adresse wusste er auch nicht. Durch eine Bandscheibenerkrankung musste er leider seine ganze pianistische Karriere an den Nagel hängen u. sattelt um auf Psychotherapie.«674
Daraufhin fahren die Rademachers von Darmstadt nach München, um sowohl Andrea Wolffenstein als auch Eli Friedman zu besuchen. Anschließend geht es über Bamberg und Hamburg nach Schweden, wo Hans an einem Kongress in Stockholm teilnimmt.675 670 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Gate_Hill_Cooperative [abgerufen am 1.8.2023]. 671 Postkarte an David Tudor (Stony Point), Ende Juli 1962. David Tudor papers, Getty Research
Institute, Los Angeles.
672 Vgl. https://archiveshub.jisc.ac.uk/search/archives/6ad97a84-208e-36ca-8040-8a2cba4fa0fa 673 674 675
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[abgerufen am 1.8.2023]. Andrea Wolffenstein wurde 1943 im Hause von Fritz Straßmann, Chemiker, einer der Entdecker der Kernspaltung, in Berlin versteckt. Erinnerungen von Valerie Wolffenstein aus den Jahren 1891–1945, Robert A. Kann (Ed.), Geyer, Wien – Salzburg 1981. Brief von Andrea Wolffenstein (München) an Irma (New York), 7. August 1957, Sammlung N. B. Reisedetails im Adressbuch von Hans Rademacher, Sammlung N. B.
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Eine weitere Studentin von Irma, Zaidee Parkinson, kommt im Oktober 1962 ebenfalls nach London. Irma vermittelt ihr einen Aufenthalt bei Ola und Kathi und hofft, dass auch sie eine Arbeit von Ola kaufen wird: »Es ist immer rührend wie sehr sich alle Menschen, die Du sendest, sich für meine Bilder interessieren.«676 Tatsächlich richtet Irma eine Monatsgage für Ola ein, die sie ihr regelmäßig schickt, obwohl die Rademachers eher sehr sparsam leben. Am 18. Dezember 1962 beteiligt sich Irma an A Musical Offering, dem Konzert zu Ehren von Wolpes 60. Geburtstag, das von Earl Brown, Morton Feldman, Ralph Shapey, Netty Simons, Henry Sollberger, Beatrice Witkin, Charles Wuorinen, Edgar Varèse, Paul Jacobs, Jean Kraft, Joel Krosnick, Howard Lebow, Judith Martin, Josef Marx, David Oppenheim, Matthew Raimondi, Marten Sammeth und Seymour Barab in der Carnegie Hall veranstaltet wird. Irma spielt in Wolpes A Coulter Offering – Street Music for Baritone, Speaker, Flute, Oboe, Clarinet, Cello, and Piano (1962), das von Ralph Shapey dirigiert wird.677 Ende des Jahres werden Pläne geschmiedet, damit Irma 1963 in Israel unterrichtet. Ihre ehemalige Studentin Bruria Kaufmann und ihr Gatte Zellig Harris haben sie eingeladen, am Oranim College in Kiryat Tiv’on Sommerkurse zu geben. Da Hans in Washington einen Forschungsauftrag hat und sich für eine Konferenz in Boulder vorbereiten muss, reist Irma allein nach Israel. Sie pendelt zwischen Jerusalem, wo sie an der Academy of Music unterrichtet, dem Oranim College und dem Kibbuz Mishmar Ha’emek, wo sie die Sommerkurse und Vorträge hält und abends Konzerte spielt. Auch Stefan und Hilda sind im Juli in Israel, von Griechenland kommend. Sie treffen sich mit Irma und wohnen sogar zweimal für einige Tage zusammen in Elsas Haus in Jerusalem. Die Wolpes fahren zurück nach Griechenland und sind ab September in Rom, wo Stefan bis zum Ende des Jahres ein Stipendium an der American Academy innehat. Mittlerweile kämpft er mit den Anfängen der Parkinson’schen Krankheit: »I am not well all the time. I have a mild case of PARKInson disease: stiffness, spasm, jittery, lack of motoric impulses, I am in treatment, under observation. I am composing. I just finished the first part of two for a Trio of Fl. Vcl. and Pia. A naked quintessential Music meiner wunden Verfassung.«678 676 677 678
Brief von Ola (London) an Irma (Philadelphia), 31. Oktober 1962, Sammlung N. B. Konzertprogramm, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 274.
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Auch Kathi hat gesundheitliche Probleme mit ihren Handgelenken, sie ist von Arthritis geplagt und in intensiver ärztlicher Behandlung. Irma schickt Medikamente, Literatur über die Krankheit und verdoppelt ihre Zahlungen an Ola. Die Rademachers fahren im August 1963 nach Boulder, Colorado. Während der Konferenz erkrankt Hans und kann seinen Vortrag Dedekind sums #1 nicht halten. An seiner Stelle wird der Mathematiker Emil Grosswald679 eingeladen, und sie kehren zurück nach New York. Hans hat noch bis zum Jahresende eine Verpflichtung an der dortigen Universität und für das kommende Jahr eine wissenschaftliche Stelle am Rockefeller Institute, so pendeln sie erneut zwischen Philadelphia und New York. Anstelle Silvester- und Abschiedsfeier von der Universität in Philadelphia organisieren die Rademachers zum Jahresende ein open house für alle Bekannten. Es kann nicht genau nachvollzogen werden, wann Kathi ihre Meinung betreffend Irma geändert hat. In einem Brief vom 15. April 1964 von Stefan an Kathi ist die neue, einseitige Situation jedoch angesprochen: »Irma thinks she can help you. Maybe she can. She knows a good deal about wrists. She invites you to come to New York to work with her. She wants to pay for that inclusive my help (she said she would pay $500 and asks me to do the same thing (which I can’t under my present conditions. Though I can perhaps borrow $250) She will give you her NY apartment. That’s what she is offering to you. I know what you think about and that you don’t like anything like that (neither her nor her artistry), I myself don’t know what to say and how to judge her abilities. She asks me to tell you of her idea and her helpful willingness. I wish she herself would write you. I won’t be in Europe this summer, working hard on physical therapy to improve my lot. I am very nervous; though somewhat improved – in tiny fractions. All my love!!! write to her your reactions to her proposal very soon. She means well, of course. O how I wish to be my old self.«680
Irma jedenfalls setzt ihre regelmäßigen Zahlungen fort, sodass Ola im Frühling sogar eine Erholungsreise machen kann. Irma ist sich immer mehr bewusst, dass sie, trotz Reisen und Unterricht, ein isoliertes Dasein führen. Sie vergleicht ihr Leben mit dem von Elsa und Sama: 679 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Grosswald [abgerufen am 1.8.2023]. 680 Brief von Stefan (New York) an Kathi (London), 15. April 1964, Sammlung Stefan Wolpe,
PSS, Basel.
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1956–1964 USA – Europa · Darmstädter Ferienkurse · Ola Okuniewska »You in Israel are surrounded by many friends you have known for a lifetime. There is a sense of intimacy and continuity there, which is completely missing here […] We have no ties whatsoever with this city, except our home and the children who live in Haverford outside of Philadelphia [...] We know of course charming people in town, but the contacts are reduced to a few musicales and dinner parties every season. Thant’s all. Oldstyled friendships cannot flourish in our hurried and mobile society. Our best friends here and in New York have moved away, changed positions. One has to start every few years anew to build up some friendly relationships. We see even Iso and Dolly very rarely, 4–5 times a year [...] Hans is finishing his work at the New York University now and I am greatly relieved to see him give up lecturing. Lately it has become too strenuous for him to stand before a class for 2 hours, cover the blackboards with his huge formulas and be a great teacher … Next year at the Rockefeller Institute he is not going to have any teaching obligations. Maybe an occasional seminar. He’ll devote all his time finishing an important book which has been on his desk unfinished for years […] After next years at Rockefeller, I don’t want Hans to accept any kind of work anymore. I f we only live to see this happy time. Well, if we do live to see this happy time I have only one desire: to move away from here and to buy a house in Haverford near the children. They happen to be the best and our most constant friends [...] They have a houseful of children. We are most interested in these children, and we would like very much to do all we can to help educate them.«681
Die Rademachers organisieren ein Treffen mit allen Enkelkindern der Familie: Iso hat zwei von Elizabeth und vier von Beatrice, und Hans hat vier von Karin. Um ihre Pläne, in die Nähe der Kinder umzuziehen, besser verwirklichen zu können, bittet Irma Sama, ihr Grundstück auf dem Carmel in Israel zu verkaufen. Mittlerweile sind auch die Wiedergutmachungen aus Deutschland für Hans und Stefan Wolpe fällig. Ein ehemaliger Bekannter der Familie Schoenberg aus Bukarest, der Rechtsanwalt David Avram, mittlerweile mit Mouche verheiratet, kümmert sich um beide Angelegenheiten.
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Brief von Irma (Philadelphia) an Sama (Jerusalem), 11. Mai 1964, CZA, Jerusalem, A 623.
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1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher Da gesundheitsbedingt weder die Rademachers noch die Wolpes im Sommer 1964 verreisen können, laden Irma und Hans während eines Aufenthaltes in New York Stefan, Hilda und Jackie ein, um in ihrer Wohnung Olas Arbeiten zu besichtigen (siehe Abb. 41, S. 218). In Philadelphia unterrichtet Irma nur noch an einem Tag, unter anderem auch einige Enkelkinder. Ansonsten konzentrieren sich die Rademachers auf das Leben in New York. Sie unterstützen Ola großzügig, aber auch eine weitere jüdische Künstlerin, Else Saft Theilheimer, die in São Paulo, Brasilien, lebt und regelmäßig nach New York kommt. Von ihr erwerben sie Holzschnitte und führen Else im Kreise ihrer Bekannten ein, als potenzielle Kunden für ihre Arbeiten. Ola geht es wieder gut: »Von Deinem großen Geld habe ich noch immer sehr viel.«682 Und im Frühsommer kann sie für längere Zeit nach Österreich in die Berge fahren. Stefan hingegen kämpft mit seiner Krankheit: »There is a bunch of capricious devils in my way and nothing is anymore easy and the spontaneous verve is gone, and with that absent – life is hourly a battle, is hour by hour a battle. My Parkinson is a horrible thing: nasty, provocative, provocative, unreliable & damaging and generating insecurities, Verlassenheit, tiefe Verlassenheit, fears, Stefan der Langsame, Scheue, Versteckte, often helpless, help-seeking […] Hilda is ailing, a grave anemia […] and a strange tightness and Feindseligkeit.«683
Hans wird eingeladen, für ein weiteres Jahr am Rockefeller Institute in New York zu arbeiten, was für Irma, die immer noch beide Haushalte bewältigen muss, nicht einfach ist. Da Iso und Familie endgültig nach Madison, Wisconsin ziehen, wo das berufliche Umfeld sehr stimulierend ist und er eine Arbeit nach der anderen veröffentlichen kann, verlieren die Rademachers somit auch die Nähe zur Familie.
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Brief von Ola (London) an Irma (Philadelphia), Januar 1965, Sammlung N. B. Brief von Stefan (New York) an Kathi (London), 24. Mai 1965, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher
Abb. 41: Jackie Maxin, Irma, Stefan, Hilda, unbekannte Person, Hans Rademacher, New York, 1964 684
Nach einem kurzen Urlaub im August 1965 auf den Virgin Islands kehren sie zurück in ihr Haus in Philadelphia, welches Irma inzwischen renoviert und neu eingerichtet hat. In Vorbereitung auf die geplante Reise nach Russland, wo 1966 in Moskau der Mathematische Kongress stattfinden wird, belegen Irma und Hans einen Kurs in Russisch. Hans bricht diesen jedoch bald ab, auch muss er seine Teilnahme absagen, weil er gesundheitlich nicht stabil genug ist. Im Januar 1967 entscheiden sie, das Haus in Philadelphia endgültig aufzugeben und gänzlich nach New York in Irmas Wohnung zu ziehen. 684
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Sammlung N. B.
1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher
Ola fährt in dieser Zeit nach Wien und beabsichtigt, für längere Zeit dort zu bleiben. Auch wollen ihre Freundinnen eines ihrer Werke in einer Gruppenausstellung der Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs zeigen. Vor der Abfahrt schickt sie eines ihrer Bilder für Stefan, jedoch nicht an seine Adresse, sondern zu Irma: »Nun verpacke ich eben ein Bild für Stefan, ein älteres, das ihm sehr lieb ist, will es durchaus schicken, ehe ich von hier wegfahre, liebe Irma ich sende es aber an Deine Adresse, denn ich glaube für die Beiden ist es zu beschwerlich allenfalls zur Post gehen zu müssen.«685
Stefan fliegt am 12. Juni 1967 nach Wien, um sich im Evangelischen Krankenhaus von Dr. Birkmayer mit einer neuen Methode behandeln zu lassen. Irma unterstützt die Behandlung finanziell, und Ola, die immer noch in Wien ist, berichtet darüber: »Ich war 5 Wochen während Stefans Aufenthalt da u. kann nur meinen persönlichen Eindruck sagen, der aber ganz von den anderen Ansichten abweicht – leider. Ja, ich glaube die Kur hat geholfen. Erst, als Stefan ankam, war ich ja ganz von dem Eindruck d. Krankheit vernichtet – dann, […] als ich wiederkam, war ich ganz überrascht: Stefan stand allein von seinem Sessel auf u. ging! allein 3-mal im Zimmer auf u. ab, ging auch allein durch einen freien Raum (der gar keine Geländer od. Stütze bot) auf die Toilette u. kam allein zurück u. so hätte es auch weiter bleiben sollen. Prof. B. war zufrieden u. sagte St. spreche auf die Kur gut an. Was dann geschehen ist weiß ich nicht, ich vermute es muss große seelische Aufregungen, Ängste, Sorgen od. dergleichen gegeben haben, was, wie eine mir bekannte Ärztin sagte, Gift für diese Krankheit ist. Jedenfalls fand ich nach 2–3 Tagen Stefan völlig deprimiert u. von der Kur völlig enttäuscht u. sehr bald konnte man nichts mehr von einer Besserung sehen. Sie sind dann nach Spanien u. Kathi u. Loring waren noch 10 Tage dort. Nun erwarten wir St. hier, er will bis Sept. bei uns bleiben. Wir hoffen er kommt wirklich u. dann kann ich Dir genauer alles schreiben.«686
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Brief von Ola (London) an Irma (New York), 2. Januar 1967, Sammlung N. B. Ibid., 12. August 1967.
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Und nur eine Woche später schlägt sie, Stefans erste Ehefrau, seiner zweiten Gattin Irma vor, der dritten Ehefrau Stefans Hilda unter die Arme zu greifen: »Liebe Irma, ich will Dir gleichzeitig u. Dir allein zur Überlegung einen Gedanken vorlegen. Wir machen uns alle Sorgen wie es denn in New York gehen soll. Wäre es nicht das Beste ich käme nach New York um so gut ich kann mich um Stefan zu kümmern? Hilda hat überhaupt keine Reserven mehr nach den schrecklichen, langen 4 Jahren, gewiss ich bin keine starke Person, aber aus diesem Kreis die Einzige, die nicht an Jemand gebunden ist, ich meine Kathi braucht mich nicht, so gerne ich auch mit ihr bin. Gewiss es wäre vielleicht eine zu schwere Aufgabe, aber bitte denke darüber nach, es wird es sonst niemand wissen. Weißt Du, damals vor vielen Monaten, als Du schriebst Du sehnst Dich nach Europa u. möchtest mich gerne wiedersehen, schon damals dachte ich mir, ob es nicht besser wäre ich käme hinüber für eine Weile. Gewiss habe ich auch Angst vor diesem Gedanken, will ihn aber vor Dich bringen. Vernünftig?«687
Stefan kommt schließlich nach London ohne Hilda, die noch auf Mallorca verweilt. Seinen letzten erhaltenen Brief an Irma diktiert er Ola: »Liebe Irma, Ich diktiere der Ola einen Brief, weil es schwer ist zu schreiben. Ich bin seit einer Woche in London, welches als Nachkur geplant war. Es geht mir abwechselnd gut u. schlecht u. alle hier bemühen sich mir zu helfen. Wunder in der Wiener Behandlung haben sich nicht ereignet u. Besserung u. Wunder sind anscheinend dünn gesät. Nachdem kein Tag gleich ist wie der andere ist es schwer besondere Tage besonders hervorzuheben. Ich darf u. will nicht den Mut verlieren. Nachdem die Wiener Behandlung zu Ende war sind wir noch nach Majorka [sic.] gefahren in der Hoffnung, dass der Strand mir besonders gut tun wird. Sand u. Gras sind noch immer wohltuend und tun meiner Moral gut. Zu allem kommt dann noch, wie sich jetzt herausstellt ein entzündeter Nerv im Oberarm, was den Gebrauch des Handgelenks für längere Zeit lahm legt […] Ich hätte dich das alles eher wissen lassen [sollen] aber ich hoffte auf Wunder […] Ich bin sicher es wird ein gutes Ende nehmen u. kann dir nicht genug danken für diene Hilfe.«688
Inzwischen hat sich Irma entschieden, die geplante Reise nach Russland allein zu unternehmen, da sie für Hans’ Gesundheit zu gefährlich wäre. Mit einer 687 688
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Ibid., 18. August 1967. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Brief 278.
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organisierten Reisegruppe des Citizen Exchange Corps besucht sie im Laufe von drei Wochen die Don-Gegend, Rostow, Jalta, Leningrad, Kiew und Moskau. Sie ist positiv überrascht vom hohen Niveau der Konzert-, Opern- und Ballettaufführungen und seilt sich oft von der Gruppe ab, um auf eigene Faust Näheres zu entdecken. In dieser Zeit ist Hans in Stratton Mountain in Vermont, wo er in der Nähe des Ferienhauses wohnt, in dem seine Tochter Karin mit Familie die Sommerferien verbringt. Nach Irmas Rückkehr verweilen sie noch einige Zeit auf einer der beiden Fox Islands in Knox County, Maine, wohin sie auch Karins Kinder und einen von Irmas japanischen Studenten, Sato689, einladen.690 Am 27. September 1967 erleidet Hans einen Schlaganfall und bleibt halbseitig paralysiert. Irma will es nicht akzeptieren, dass er länger im Krankenhaus bleibt als notwendig und baut die Wohnung in New York um, damit er zuhause mit professioneller Hilfe betreut werden kann. Mouche, deren Gatte in zweiter Ehe, David Avram, im Sommer verstorben ist, sowie andere Freunde und Bekannte helfen Irma in dieser Zeit. Auf Dauer muss sie jedoch zugeben, dass es keine gute Lösung ist und mit Hilfe von Karin und Ariel finden sie das Bryn Mawr Terrace Nursing Home in der Nähe vom Haverford College in Philadelphia, wohin Hans verlegt wird. Anfang 1968 zeigen sich bei Hans kleine Erfolge im Genesungsprozess, und die Familie ist erfreut. Aus Israel kommt die Nachricht, dass der Mathematiker Benjamin Amira691, ehemaliger Kollege von Iso und Hans, der 1951 das Journal d’analyse mathématique gründete und seither 20 Ausgaben herausgebracht hat, nach einem Schlaganfall gestorben ist. Stefan freut sich über einige Aufführungen seiner Werke in London, als er jedoch nach einer Weile die Aufnahmen hört, ist er regelrecht aufgebracht: »That finally my Enactments have been played in London is reason enough to make me very happy and that finally the press is happy with the piece pleases me very much. You were so ominously silent and not talkative at all about the performance that I wonder how the playing of my Piece in Two Parts for Six Players came off692 […] David Jones was so kind to send me the recording. I know you warned me not to expect perfection, but I couldn’t believe that it is that bad. The second part is especially, with its collapsing tempi, the unshape689 Der Nachnahme konnte nicht ermittelt werden. 690 Hans Rademacher, Tagebuch Sommer 1967. 691 Vgl. https://www.geni.com/people/Binyamin-Benjamin-Amira/6000000027557332256 [abge692
rufen am 1.8.2023]. Brief von Stefan (New York) an Kati (London), 7. März 1968, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher fulness, and the sluggish performance of most of the players led to what is a failure. Wasn’t there anyone sitting at the recording session with the score and sufficiently enough prepared about the piece? You should have protested. Now it’s too late. That’s always true with recordings. I got ill when I heard the monstrous, dispirited performance.«693
Jackie meldet sich aus Wien bei Irma und ist enthusiastisch betreffend seiner Europa-Tournee. Er schlägt Irma vor, eine kurze Auszeit von ihrem anstrengenden Leben zwischen Unterricht in New York und Pflege von Hans in Philadelphia zu nehmen und ihn und Netania Davrath694, eine Sängerin, ehemalige Studentin von Edith Boroschek in Jerusalem, auf ihrer nächsten Station nach Mexiko zu begleiten. Die Reise findet im September statt, und Irma genießt die Abwechslung. Ende des Jahres wird eine größere Wohnung in demselben Haus in New York frei, sodass Irma umzieht, während Jackie in ihre vorherige Wohnung einzieht. Irma verbringt vier Tage pro Woche im Pflegeheim in Haverford, in der verbleibenden Zeit ist eine zusätzliche Fachkraft angestellt, die Tag und Nacht bei Hans ist. Stefan berichtet Kathi über Irmas und seine Situation: »My devilish illness is improving. Though I can’t depend yet on anything and often it is downsight nasty. But I walk better and steadier as long as dogs or children don’t step into my way and I am not touched by panics of even a least kind. I hear that the full effect of the wonder drug comes about a year later. So, I hope and sometimes pray. We moved in the meantime to a larger plan (and cheaper too). Irma lives in the same home and Jack Maxin too. Irma is in a bad shape with Hans slowly dying and being completely paralyzed. I am living now in semi-retirement, but I still give a course in composition with a few students coming to my home and with a limited number of private students. I make much, much less money which is a bit tough and will be tougher and disconcerting. How did you like my Chamberpiece No. 1? I am writing a Quartet for the Juilliard people and after this a Concerto for Vl, Trp, BsCl, Piano. My music is changing, more lucid and more excitingly simple.«695
Nach 17-monatiger Krankheit stirbt Hans Rademacher im Alter von 77 Jahren am 7. Februar 1969 in Haverford, Philadelphia. Seine Asche wird im German693 Ibid., 18. September 1968. 694 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Netania_Davrath [abgerufen am 1.8.2023]. 695 Brief von Stefan (New York) an Kathi (London), 3. Dezember 1968, Sammlung Stefan
Wolpe, PSS, Basel.
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town Friends School Cemetery beigesetzt. Zur Erinnerung an ihn hat das Department of Mathematics der University of Pennsylvania im Jahr 1978 eine bis heute stattfindende Rademacher Lecture Series eingerichtet.696 An derselben Universität wird 1988 eine Stiftung zum Unterhalt der Hans A. Rademacher Instructorship gegründet.697 Irma zieht sich zurück und arbeitet an ihrem eigenen Klavierspiel: »Jedenfalls ist es das Einzige, was wirklich mein ist, solange meine Hände und mein Verstand funktionieren.«698 Kathi kommt endlich nach New York auf Besuch und wohnt bei Irma. Während dieser Zeit gewährt Ola im Gegenzug einem von Irmas Studenten aus den Jahren am Swarthmore College, Jerome ( Jerry) Loewenthal699, Unterkunft in London.700 Genau wie Irma wird er sein Studium in Paris mit Alfred Cortot und dann in New York mit Eduard Steuermann weiterführen. Und wie im Falle der meisten ihrer Studierenden, die international bekannt wurden, wird Jerry in Zukunft Irmas Namen in seinem Curriculum nicht erwähnen. Irma erinnert sich an ihre Mutter, die nach dem Tod von Jacob nach einem Kuraufenthalt in Österreich von Wien aus auf einem Schiff auf der Donau nach Rumänien zurückgefahren ist und immer wieder davon erzählte, wie notwendig diese Reise auf engem Raum gewesen sei, um ihre Trauer zu verarbeiten. Irma entscheidet, auf ihrem Weg nach Israel die gleiche Reise zu unternehmen. Und weil sie kein Vertrauen hat, dass sie es allein schafft, bittet sie eine Bekannte, die Schriftstellerin Jeannette Mirsky Ginsburg701, sie mindestens für einen Teil der Reise zu begleiten. Irma fliegt am 11. Juli 1969 von New York nach Wien und trifft dort Jeannette, die aus Amsterdam kommt. Nach der Ankunft schreibt sie zusammenfassend an Jackie: »It’s lovely, full of memories, historical and personal. I met with Stefan here several times at particularly dramatic junctures of our lives; the last Beeth[oven] and Schubert Sonatas were conceived here. The trip was most pleasant, I had 3 696 Vgl. https://www.math.upenn.edu/events/seminars/rademacher-lectures?field_date_value
%5Bvalue%5D%5Byear%5D= [abgerufen am 1.8.2023].
697 Vgl. https://www.math.upenn.edu/news/postdoctoral-positions-mathematics-1 [abgerufen
am 1.8.2023]. Notiz von Irma in ihrem Tagebuch, eine Woche nach dem Tod von Hans, 14. Februar 1969, Sammlung N. B. 699 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Jerome_Lowenthal [abgerufen am 1.8.2023]. 700 Brief von Ola (London) an Irma (New York), 3. April 1969, Sammlung N. B. 701 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Jeannette_Mirsky [abgerufen am 1.8.2023]. 698
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1964–1969 Rumänien – Israel · Hans Rademacher seats for myself and could curl up for the short night. Only I feel sort of cheated. It went too fast. Distances aren’t real anymore.«702
Auch Ola, die in den Bergen Österreichs den Sommer verbringt, kommt in die Hauptstadt, um Irma zu treffen, und sie haben erneut Gelegenheit, sich lange auszutauschen: »Ola wird mich nicht zum Katholizismus bekehren. Zu dem Kirchlichen auf keinen Fall […] Ich bin ja ein christlicher Mensch aber ohne Christus als Heilsgestalt. Ich bin ja selber ein Christ, trage ihn als Jude in mir. Ich kann ihn nicht als Messias sehn. Nur als Kämpfenden, Leidenden, wie ihn das Matheus Evangelium darstellt. Wir sind alle Gottes Kinder auf die Erde geschickt, um das Leben zu erfahren, die Fleischwerdung, den Sündenfall, das letzte gar nicht im theologischen Sinne. Die Erfahrung. Und dann die Passion. Jedes Leben erfährt die Passion und man erlöst die Welt nicht durch das Leiden.«703
Irma lässt ihre Erinnerungen der frühen Jahre, die sie aus dieser Stadt hat, in ihrem Tagebuch Revue passieren: »Wien, Wien, ein großes Gefäß. Receptacle for childhood dreams. Sehnsucht meiner Mutter. Heinz O. wann war das, 1929? Verirrungen, Krämpfe […] Stefan in Laxenburg. Die Briefe, die ich in Bukarest vorfand. Aus welchen Spinnweb, Zufällen sich ein Leben zusammenbraut. Eine rein zufällige Begegnung, wo es auf den Bruchteil einer Sekunde ankam, dass man sich nicht verpasste. Stefan im Museum in Wien, Hans in der Bahn nach Swarthmore als ich 1942 nach S. fuhr, im Mai mit Jackie zu der armen Gwen Mandelbaum.«704
Auf der Reise hat sie Mühe, sich dem sozialen Umfeld anzupassen, am meisten stört sie jedoch ihre Begleitung Jeanette: »Genau wie Stefan. Ganz auf sich bezogen, dabei ein Menschenfänger von großem Charm bei kurzen Begegnungen, den man erst bei längerem Zusammensein durchschaut. Genug von ihr. Fortan reise ich allein. Ich kann es mir zutrauen glaube ich […] Ich bin müde, müde, tiefmüde. Sie strengt mich sehr an, durchkreuzt meinen Lebensrhythmus.«
702 703 704
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Ansichtskarte von Irma (Wien) an Jackie (Brunswick), 12. Juli 1969, Sammlung N. B. Dieses und die nächsten Zitate stammen von Irmas Tagebuch, Juli-August 1969, Sammlung N. B. Freundin von Irma, Ehegattin von Maurice Mandelbaum: Maurice Mandelbaum and American Critical Realism, I. Verstegen, Routledge 2014.
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Zehn Tage später erreichen sie per Schiff Galaţi, Irmas Geburtsstadt. Jeanette reist nach Bukarest und wartet dort auf Irma, die per Zug nach Iaşi, ihre Kindheits- und Jugendheimat weiterfährt. Sie wandert zum Grab ihres Vaters, sucht die Häuser auf, in denen sie wohnten, und die Schulen, die sie besuchte. In Bukarest, bevor sie weiter nach Istanbul fliegt, trifft sie sich mit einer Nichte von Mouche, der jungen Komponistin Cornelia Tăutu, später bekannt für ihre Filmmusik705. Irma wird Cornelia 1971–72 nach New York einladen, um ihre Studien an der Long Island University zu vervollständigen und während dieser Zeit mit ihr zu wohnen. In Istanbul besucht Irma den Historiker Norman Itzkowitz706, den sie aus Princeton kennt, und er bringt sie in Kontakt mit den Künstler- und Musikerkreisen der Stadt. Per Bus unternimmt sie Reisen nach Bergama (Pergamon), Bursa und Troja und fliegt schließlich von Istanbul nach Tel Aviv, um erneut in Israel Sommerkurse zu unterrichten. Auf der Rückreise besucht sie ihre Freundin Rose Choron-Josefowitz in der Schweiz und Ola in London. Während des Fluges nach New York fasst sie zusammen: »Ich bin so gefühllos als ob schon verstorben. Eben die schöne Stadt verlassen. Kommen wie Gehen rühren mich nicht mehr an. Obgleich ich mir Einiges heiß wünsche, beglückt mich Erfüllung nicht mehr. Was soll aus mir werden. Diese lange Reise war ein langes Leiden wegen der unzuvereinbarenden Rhythmen mit anderen Menschen. Jeanette, Rose, Elsa, die Rumänen. Ola, wer nicht? 2–3 Stunden geht es. Eine Stunde länger und ich werde verrückt. Ich halte es nicht aus. Nur Hans, Hans war für mich das Wesen des Lebens, an dem ich nie genug hatte […] Meine Ausruhe, mein Partner und mein Licht. Mein Heller immer bei mir, in mir, Teil von mir. Hier und dort […] Nur Hans war mein täglich Brot und mein Segen. Er hat mir Gleichgewicht gegeben und Schutz, ohne zu bedrücken […] Jetzt muss ich von Krümeln leben.«
Zurück in New York nimmt sie sich vor, ihr Leben neu zu gestalten, angefangen mit ihrer Wohnung bis hin zu neuen Plänen, die sie schmiedet: »Du musst dein Leben ändern – werde ich im Herbst. Selbst die drei Vorträge über moderne Musik mit den damit verbundenen Studien haben mich aufgerüttelt und neu belebt. Wenn nicht jetzt dann wann?« Am 15. Oktober 1969 macht sich Irma zusammen mit Ariel und seinen älteren Söhnen Michael und Andreas von Philadelphia aus auf nach Washington, 705 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Cornelia_T%C4%83utu [abgerufen am 1.8.2023]. 706 Vgl. https://orlandsmemorialchapel.com/norman-itzkowitz [abgerufen am 1.8.2023].
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um am Moratorium zur Beendigung des Krieges in Vietnam zusammen mit 15 Millionen Menschen in den USA teilzunehmen: »It was bitingly cold there, for which we were not prepared. We could not get a cup of coffee either, so thick were the crowds, but it was worth it. An immense crowd, human wave after wave followed all to Wash. and all so gentle, peaceful, smiling, nice to each other. On the train everyone was so considerate, helpful, sharing food, seats. A wonderful quality of politeness, which seemed to me to have disappeared from American life, was there again. It was a great experience.«707
Im selben Brief an Dolly, die für längere Zeit zusammen mit Iso in Israel ist, erwähnt Irma unter anderem, dass sie Unterricht nimmt:708 »to renew ones sensibility toward inner workings of polyphony, and I am enjoying it tremendously.« Musikalisch und sozial ist Irma wieder sehr aktiv, pflegt erneut den Umgang mit Menschen, mit denen sie vieles unternimmt. In ihrer Wohnung finden wieder die wöchentlichen Musicales statt, einer der Dauergäste ist der Pianist Russell Sherman709, genannt Buddy, ehemaliger Student von Eduard Steuermann. Nachdem er sich an einem dieser Abende während Irmas Spiel auf eine Diskussion mit jemanden einlässt, wird er von ihrem Studenten Benjamin Oren scharf kritisiert, woraufhin er sich schriftlich entschuldigt: »[...] if there was an occasion when I was discourteous and disrespectful, please regard it as a mark of bad breeding and not representative of my true feelings, for by the same measure, I can remember many more occasions when I overtly displayed my gratitude and respect to you. And if for some reason I did not display it clearly enough then, permit me, please, to affirm now an opinion of your qualities as musician and human being which would be spared by any serious-minded person who, of necessity, must be inspired by your love for art and your understanding of the individual, who wants to make it.«710
707
Brief von Irma (New York) an Dolly Schoenberg (Jerusalem), 21. November 1969, CZA, Jerusalem, A 623. 708 Nicht ermittelt wo oder mit wem. 709 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Russell_Sherman [abgerufen am 1.8.2023]. 710 Brief von Russell Sherman (Boston) an Irma (New York), Ende 1969. Wolpe / Baron archive, Music Division, NYPL.
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Auch wenn Russell nicht zugeben will, dass er mit Irma »studiert«, verbringt er mit ihr viele Stunden, um an seinem Repertoire und vor allem an Klavierwerken von Wolpe zu arbeiten. Stefans neues Stück Form IV (Broken Sequences) studiert er mit Irma ein, und sie schreibt auch den Text für das Programm seines Konzertes, das aber erst einige Jahre später, 1976 in Boston stattfindet: »The second piece [Form IV 1969] was written during the advanced stages of his last illness. Its title ›Broken Sequences‹ tells its somber story, and I added: traps, blocked doors, a maze but no exits! Music being what it is, it cannot help having a radiance and playfulness all of its own. And the ending asserts for me his powerful utopian credo in a better world, which was with him all his life.« (Fragment)711
Stefan erwähnt dieses neue Stück auch in einem Brief an Kathi und beabsichtigt, es ihr zu schicken: »I wrote a new Piano piece which Robert Miller712 commissioned me to write for him. The Piano piece is called ›BROKEN Sequences‹. Someone is going to copy it, so you will have a new piece. My Juilliard Quartet will be premiered on October 14. They think it is a great piece […] I am working on a Trumpet concerto, and I worked myself dead on it. I am in no good shape. My legs feel weak, and my head is in a state of stupor (and I am despondent). Hilda can’t (no wonder) stand this grey life and (I feel) she moves away from me. And I can’t reach her. But understand right, I have still again and again bright phases […] I need Strengths and Hopes.«713
711 712 713
Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, S. 442–443. Robert Miller (1930–1981), Milton Babbitt, in: The Collected Essays of Milton Babbitt, Princeton University Press 2003. Brief von Stefan (New York) an Kathi (London), 16. September 1969, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel.
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1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory Am 15. Februar 1970 bricht im Apartment der Wolpes (463 West Street) ein Feuer aus und beschädigt substanziell Stefans Manuskripte, Dokumente und seine Bildersammlung (Miro, Ardon, Kline, de Kooning u. a.). Die Rockefeller Foundation und das National Endowment for the Arts unterstützen die Rettungsaktion und Restaurierungsarbeiten an den Manuskripten. Studierende und Freunde von Stefan beteiligen sich praktisch an der Rettung seiner Dokumente, die in der ersten Zeit auf dem Dachboden des Hauses durchgeführt wird. Sie sammeln auch Geld, um eine Ganztagspflegerin für Wolpe zu bezahlen. Im Frühjahr 1970 verhandelt der Leiter des New England Conservatory (NEC) in Boston, Gunther Schuller714 mit Irma hinsichtlich ihrer Anstellung als Klavierlehrerin. Russell Sherman, der ebenfalls dort unterrichtet, befürwortet diese Entscheidung, und Irma bestätigt: »I think I have reached a point where I can produce and impart the penetrating precise sound of Steuermann’s idea of how the piano should sound with a modern technique: not only facility and conquest of the keyboard as a whole, but depth of tone and color and spacing as well.«715
Für den Sommer planen sowohl Irma als auch die Wolpes Besuche in Europa. Irma fliegt Anfang Juli direkt nach Genf, wo sie einige Tage bei ihrer Freundin, Rose Choron-Josefowitz verbringt, und fährt weiter in die Türkei. Dort reist sie mit einem befreundeten Ehepaar aus New York, Maria und Martin Bergmann716 (beide Analytiker nach Freud), nach Ephesos und Izmir, und anschließend fliegen sie alle nach Jerusalem, wo Irma erneut an den Sommerkursen der Rubin Academy of Music unterrichtet. Stefan und Hilda verbringen die Sommermonate auf Mallorca und fahren dann nach Rom, wo Stefan bis zum Ende des Jahres ein zweites Aufenthaltsstipendium an der dortigen American Academy innehat. Aufgrund seiner labilen
714 Vgl. https://www.theguardian.com/music/2015/jun/22/gunther-schuller-pulitzer-winning-
jazz-and-classical-musician-dies-aged-89 [abgerufen am 1.8.2023]. Kopie des Briefes von Irma (New York) an Russell Sherman (Boston), 28. März 1970, Sammlung N. B. 716 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Martin_S._Bergmann [abgerufen am 1.8.2023]. 715
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Gesundheitslage traut er sich jedoch nicht öffentlich aufzutreten und bittet Kathi, eventuelle Abmachungen für Interviews in London abzusagen.717 Ab Herbst 1970 fliegt Irma wöchentlich von New York nach Boston und unterrichtet bis 1976 zwei Tage pro Woche am NEC. Unter ihren neuen Studierenden am Konservatorium sind viele, die später eine pianistische Karriere einschlagen werden: Eytan Agmon, Louise Costigan718, Laura Gigante Sharpe, Fred Hersch719, Luba Lyshinsky, Krista Seddon720, Donald Pirone721, Thomas Stumpf722, Maxine Warschauer723 und andere. Auch Jackie unterrichtet seit 1968 am NEC und pendelt zwischen New York und Boston. Seine Beziehung zu Irma kommt jedoch plötzlich zum Stillstand, sodass sie sich über Jahre hinweg nicht mehr sprechen werden. Es sind Missverständnisse, Eifersucht und Gerüchte, die zu dieser Situation geführt haben, die sich trotz wiederholter Versuche nicht deeskalieren lässt: »Since we teach in the same school and live in the same building we might agree to some terms of a ›cold peace‹ between us: to be polite and exchange the necessary information, when the need arrives. I never felt hostility toward you and now I am completely detached. My age is a time of serenity, and in which one learns to transfer affections if one is so forcibly made to do it […] I don’t insist any more on explanations!«724
In den Sommermonaten 1971 und 1972 folgt Irma demselben Muster der letzten Jahre: Besuch bei Rose Choron-Josefowitz in der Schweiz und anschließend Unterricht in Israel, unter anderem auch an der Summerschool der Rubin Academy of Music im Rahmen einer Kooperation mit der New York University. Im Sommer 1971 wird Stefan im neurologischen Institut des Columbia Presbyterian Medical Center mit Levodopa behandelt. Hilda schreibt aus Ibiza an Jackie
717
Brief von Stefan (New York) and Kathi (London), 4. Juni 1970, Sammlung Stefan Wolpe, PSS, Basel. 718 Vgl. https://rossmckeefoundation.org/event/louise-costigan-kerns-2020-08-21 [abgerufen am 1.8.2023]. 719 Good Things Happen Slowly: A Life In and Out of Jazz, Fred Hersch, Autobiografie, Crown Archetype 2017. 720 Vgl. https://www.kristaseddon.com [abgerufen am 1.8.2023]. 721 Vgl. https://qcpages.qc.cuny.edu/music/faculty/donald-pirone [abgerufen am 1.8.2023]. 722 Vgl. https://as.tufts.edu/music/people/staff/thomas-stumpf [abgerufen am 1.8.2023]. 723 Vgl. https://www.jewishchoralmusic.com/composers-bios/meira-warschauer [abgerufen am 1.8.2023]. 724 Brief von Irma (Jerusalem) an Jackie (New York), 14. Juli 1971, Sammlung N. B.
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und ermuntert ihn, Stefan zu besuchen: »… go & see him […] I have real hopes this time – they have been successful with it & he will improve, I know.«725 Stefan Wolpe stirbt am 4. April 1972. Seine Asche wird im Spring Cemetery, Amagansett, Long Island beigesetzt. Im jüdischen Monatsmagazin Aufbau726 erscheint am 13. April ein Nachruf, unterzeichnet »R. B.«: »Ein von viel innerem Glück durchstrahltes, aber auch von großer Tragik umschattetes Leben hat sein Ende gefunden: der Komponist Stefan Wolpe, zu dessen bevorstehenden 70. Geburtstag Ehrungen und Aufführungen seiner Kompositionen geplant waren, ist dem schweren Leiden der Parkinsonschen Lähmung nach neunjährigem heroischem Kampf erlegen. Er war ein Einzelgänger seit seiner Berliner Jugendjahren, durch Busoni und Franz Schreker – später in Wien durch Anton Webern – zu einem musikalischen Ausdruck jenseits des Überlieferten inspiriert. Einer, der nicht blind neue Welten erstürmen, sondern die Schatten der Vergangenheit dem Licht des Zukünftigen einverleiben wollte, einer, dem seherische Phantasie das Fundament schöpferischer Arbeit bedeutete. Und einer auch der vielen, die an der Ruhlosigkeit der ruchlosen Zeit, in die sie geboren worden waren, zum Straucheln verurteilt blieben.«
In einem Interview von Austin Clarkson aus dem Jahr 1979 gesteht Irma: »You don’t know what it was like to live with [him], what a fortifying presence, in spite of everything around. I knew I’d be despairing if he were alive, as ill as he would be now. I would be in misery. But in another way even at the edge of that misery there was something, some marvellous thing that’s so irreplaceable. The basic optimism of the man is what I miss in everybody around me. Nobody has it. The shining view of man, of his possibility. It’s so tremendous, and so lacking everywhere. It was so unbroken in him actually. And to live with it, it really helped you live in spite of everything. I miss the loving quality of his nature, that constant kind of warmth.«727
Jackie versucht seinerseits, die ausweglose Beziehung zu Irma wieder in Ordnung zu bringen, und entschuldigt sich in einem Brief: »For the fact that I have not answered your letters and did not write to explain myself, I do very much
725 726 727
Postkarte von Hilda (Ibiza) an Jackie (New York), 8. September 1971, Sammlung N. B. Artikel in der Ausgabe 4/13/72, Sammlung N. B. Sammlung A. C.
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apologize […] At my rate, you have certainly waited a long time and I very much regret asking you to wait still just a little longer.«728 Zwei Monate später korrigiert er jedoch erneut den Kurs und entscheidet endgültig, nicht wieder mit Irma zu sprechen: »Please do not expect any further verbal communication from me whatsoever, not about keys, or my health, or anything. The letter I have promised you has to come in stages. I have too much to say, to write it all at once. I am sorry.«729 Ende des Jahres 1972 schreibt Jackie lange Briefe an Irma, in denen er seine psychischen und physischen Probleme, die er seit seiner Jugend hatte, erwähnt. Auch beschuldigt er Irma, als seine Lehrerin nicht genügend medizinisches und psychologisches Wissen gehabt zu haben, um ihm hinsichtlich seiner Koordinationsschwierigkeiten besser helfen zu können. Einige Monate später, im März 1973 entscheidet Irma spontan nach London zu fahren, um der Eröffnung der Soloausstellung von Mordechai Ardon im Marlborough Fine Arts Center beizuwohnen. Sein Sohn wohnt mit seiner Familie in London, und eine seiner Enkeltöchter, Nili, ist seit einigen Jahren Irmas Klavierschülerin in Jerusalem. Auch will Irma mit Max über ihre Pläne, sich eventuell in Israel niederzulassen, sprechen. Yocheved Dostrovsky hat ihr ein gutes Angebot an der Ruben Academy of Music unterbreitet. Irma fährt von dort nach Jerusalem und wohnt im August bei der Pianistin Ora Rotem-Nelken. Gunther Schuller verlängert jedoch ihren Vertrag am NEC, sodass sie entscheidet, nach Boston zurückzukehren. Die Hochschule übernimmt die Gage für zehn Wochenstunden, die Ausgaben für ihre Reisen von und nach New York, Taxi und Hotel in Boston sowie ihre Rentenversicherungsbeiträge. Ein Faculty-Recital von Irma am 19. November 1973 in der Brown-Hall des NEC in Boston umfasst Werke ausschließlich von Arnold Schönberg: Drei Stücke op. 11, Sechs kleine Klavierstücke op. 19, 5 Klavierstücke op. 23, Suite für Klavier op. 25, Zwei Klavierstücke op. 33.730 Sie stellt in einer Ansprache dem Publikum das Programm vor731 und zeichnet auch für den Text des Abendprogrammes verantwortlich (siehe Abb. 42, S. 234 f.). Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit Schönbergs Musik ist sie nun bestrebt, ihren Studierenden ihr Wissen
728 729 730 731
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Brief von Jackie (New York) an Irma (New York), 12. September 1972, Sammlung N. B. Ibid., 13. November 1972. Konzertprogramm, Sammlung N. B. Aufnahme des Konzertes im Klangarchiv des NEC, Boston.
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weiterzugeben. Einige ihrer Äußerungen sind im Poster des Concert in Celebration of Irma Wolpe Rademacher, 1985 nach ihrem Tod, zitiert:732 »Schönberg came of age in the same Vienna and exactly at the same time in which psychoanalysis was being formulated. This new method of investigation and the x-ray picture in another field were being developed in order to probe into deeper layers of soul and matter. The palpable visible surface did not suffice anymore to the contemporary mind. There is a correspondence between Schönberg’s music and this search for a deeper truth. It gives us a picture in depth of our emotional states and introduces us to a new and profound expression of our contemporary anxieties and ecstasies. Schönberg’s solution was the most radical. Educated in Vienna, nourished by the great heritage of Bach, Beethoven, Brahms, and Wagner, he continued their line, not by imitating their compositions, but by thinking consistently the way their works had taught him to do. He arrived at a polyphonic style, free of the shackles of the classical language. There is no polarity between consonance and dissonance anymore. His lines as well as his sonorities grow in reach and expansion as well as power of expression beyond anything music has shown before. He has created a language capable of expressing a sensitivity and emotional depth unheard of before, but only by giving up the limitations their aesthetic values had imposed on his predecessors.«
Während des Jom-Kippur-Krieges (1973) sind Iso und Dolly in Israel, doch muss das geplante Treffen der Geschwister zu Weihnachten abgesagt werden, da Irma unter diesen Umständen nicht reisen kann. Iso nutzt die Zeit vor Ort, um mit Hilfe eines Cousins, Efraim Spazierer, ehemaliger Pionier der zionistischen Be wegung in Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Gedichte-Sammlung ihrer Mutter Rahel Schoenberg in rumänischer Sprache zu veröffentlichen. Die meisten Exemplare des Gedichtbandes nimmt er auf die anschließende Reise mit nach Rumänien, während der er eingeladen ist, an den wichtigsten Universitäten Vorträge zu halten. Der Band wird einige Monate später in der israelischen Presse gewürdigt.733 Erst im Sommer 1974 gelingt es Irma erneut, nach Israel zu reisen. Sie wohnt dieses Mal im Hause von Elsa und Sama, die sich zur selben Zeit in Bad Ragaz aufhalten. Bruria Kaufmann holt Irma gelegentlich ab, damit sie auch in diversen Kibbuzim im Emek unterrichten kann. In Jerusalem sind Nili Ardon und 732 733
Sammlung N. B. Abbildung auf S. 248. Korrespondenz der Familie Schoenberg und Zeitungsausschnitte, CZA, Jerusalem, A 623.
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Abb. 42: Programm des Konzertes vom 19. November 1973 am NEC, Boston mit handschriftlicher Nachricht von Irma an Iso 734
Daniela Oren abgesehen von den Sommerkursen erneut ihre festen Studentinnen. Auch führt Irma dort ihre Therapie mit Paula Garburg735 weiter. Diese basiert auf Schließmuskelübungen, die die Fähigkeit des Körpers, sich selbst zu heilen, unterstützen. Irma ist seit Jahren eine Eingeweihte dieser Methode. Zudem ist sie überzeugt, dass sie die diversen Eingriffe, die in den letzten Jahren nach Knochenbrüchen bei ihr notwendig waren, nur darum so schnell und gut überstehen konnte, weil sie die Garburg-Methode praktiziert. 734 Sammlung N. B. 735 Vgl. http://www.nopain.co.il/paula-Deutsch.html [abgerufen am 1.8.2023].
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Abb. 42: Fortsetzung
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Zurück in den USA spielt Irma am 23. Oktober 1974, kurz nach der Gipsabnahme nach einem Beinbruch, das bereits in Boston vorgetragene, komplette Schönberg-Programm an der Brandeis University, Massachusetts.736 Zuvor lernt sie jedoch bei einer Meisterklasse in Boston den jungen Pianisten Garrick Ohlsson737, Preisträger der Montreal-, Busoni- und Chopin-Klavierwettbewerbe, kennen: »[...] Finally, I raised my hand modestly asking why didn’t Garrick resort the phrasing and pedalling of Chopin himself in those first pages of the Ballad. This is what I always do especially in this piece which is so carefully annotated by the Master of Masters. Garrick looked sharply at me as if to say: Who are you? and said: Come and show me. So, I went to the piano and played the first two pages. He remained silent for quite a while, and I didn’t know what this meant. Now it was on me to stare at him. Finally, he said: I felt something I never felt before. Who taught you that? I said ›no one‹. It is in the text. I played much contemporary music and I taught myself to read contemporary music very carefully. He continued being silent and then said again: I felt something I never felt before, and I must talk to you afterwards. Well afterwards we talked for a couple of hours, and he found out that he was living in N. Y. at 10 minutes walking distance from my place and so we started seeing each other for sessions of 3–4 hours length and this was almost 6 years ago. And we still do, whenever he is in town. In the beginning he thought he would have to learn something about pedal[ling], which was true, but then he added posture, and phrasing, varieties of touch, how to play a diminuendo, and style above all. There is not a simple piece he has played since which we haven’t analysed and improved repeatedly.«738
Garrick Ohlsson erinnert sich an diese Zeit: »When I met this lady, Irma Wolpe, in the 70s, not only did I find her an inspiring teacher, and incredibly high-level and very sophisticated musically [...]«739 »It was marvellous, we worked all kind of music in a rather not so terribly organized way, she was not very pedantic that way. She could be incredibly inspired and demanding […] The basic principles that she used in her teaching were to be found in all music. In other words, the technical difficulties in a 736 Konzertprogramm, Sammlung N. B. 737 Vgl. https://garrickohlsson.com [abgerufen am 1.8.2023]. 738 Handschriftliche Notiz von Irma, 1980, Sammlung N. B. 739 Paragraph über Irma in Garrick Ohlssons Biografie: The Pianist: Conversations with Ohlsson,
The Fryderyk Chopin Institute, 2022 (E-Book).
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1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory Mozart sonata, or a Chopin piece, or in Schoenberg, were all part of the same issues for her […] I went over, we had coffee and we spent an hour on some idea, which I thought maybe was extreme or crazy, but I appreciated it so much, not the idea, but what was behind the idea, you know the impulse and the idea to always […] to improve on things, to extend one improvement and then make a new one based on that […] She was never finished. No great teacher is ever finished, no great artist is ever finished, but she was absolutely almost obsessive with not being finished […] she was not shy at all, she was absolutely confident, she was even quite pushy. She, for example, felt that there was a whole network, and many musicians have written about this, but she was the first musician whom I know, who insisted on it […] there was a sophistication in the network that links phrasing, harmony, metrical rhythm, non metrical rhythm, counterpoint a. s. o. I know she was not alone in this kind of thinking, but she had a really compositional thinking […] She used to say: ›you cannot really play the piano, you can only create the conditions under which piano playing can happen‹ and then everybody would nod, and she say: ›no, this is not some kind of Zen-saying, this is not some kind of magic-saying. I f you play Chopin the first Etude in a proper tempo, you play more or less 600 notes in a minute. You cannot control and articulate 600 thoughts a minute, you use multiple intelligences in the body‹ […] She was quite sure of herself; she was unbelievably sure of her point of view and convinced. She was not rigid about her ideas, but she was convinced that the search was the most important thing. And that for anybody, who is a real musician, that had to be the most important thing for him. So, in this point she was a great inspiration also.«740
Irma sucht immer nach der Ursache und findet immer eine Lösung. Ihr Ziel ist es, mit einem Minimum an Energie ein Maximum an Resultaten zu erzielen. Ohlsson scherzt oft, wenn sie so weitermachten, würden sie sich bald telepathisch im Klavierspiel austauschen. Garrick ist beinahe ununterbrochen in den USA und quer durch Europa auf Konzerttouren mit unterschiedlichsten Programmen, von Bach, Haydn, Schubert, Prokofiev bis hin zu neuen Konzerten für Klavier wie das von Lois Weingarten. Trotzdem möchte er in den wenigen Tagen, in denen er in New York ist, Irma unbedingt sehen: »I have been so motivated by your thoughts, and have learned a great deal, and with your approve I should like to continue, even if only sporadically. Your advice, both in microcosm + in macrocosm have been invaluable. Please forgive 740
Interview der Autorin mit Garrick Ohlsson (Cleveland), 20. Oktober 2010.
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1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory me that my present career does not allow me enough time to be more complete in my studies. However, even one per cent improvement is better than a standstill, and as you said, everyone must find his own salvation. I believe I can!«741
Während dieser Zeit ist Irma auch von anderen jungen Studierenden umworben, die vorhaben, über Stefan Wolpe zu schreiben. Auf einer Seite ist es Carol Baron, eine junge Musikwissenschaftlerin aus New York, und auf der anderen Austin Clarkson, ehemaliger Student Stefans. Zudem hat Austin die Initiative zur Restaurierung von Wolpes Dokumenten nach dem Brand in dessen Wohnung ergriffen und er arbeitet daran zusammen mit dem gesamten Wolpe-Kreis. Auch nimmt die Idee einer Wolpe-Gesellschaft Gestalt an. Austin ist daran interessiert, so viel Originalmaterial von Wolpe als nur möglich zusammenzutragen, zu veröffentlichen und es in einem Archiv unterzubringen. Dabei ist er in engem Kontakt und Austausch mit Irma. Er zeichnet auch wichtige Interviews über Wolpes Schaffen und ihr gemeinsames Leben auf, obwohl er gerade seine erste Anstellung an der York University in Toronto antritt. »Is there anything more precious than such an old friendship with its long echoes reverberating from a past so rich in memories? And there is a vital present now which would be lived beautifully if you were only nearer, or I would live nearer to Toronto.«742 1975 gibt Irma einen Teil ihrer und anderer Korrespondenz mit und von Wolpe an Carol Baron, die seine Biografie schreiben will, dieses Projekt aber nicht verwirklicht. Doch die Dokumente bleiben auch nach Irmas Tod bei Carol. Mehr als drei Jahrzehnte später, 2009, wird sie die Dokumentation der New York Public Library zur Aufbewahrung im Archiv übergeben, sodass sich erst dann viele Teile des Puzzles über das Leben beider Wolpes erschließen lassen.743 Es ist Irma ein Bedürfnis, sich mit einem Wolpe-Programm von der Konzertbühne zu verabschieden. Im Alter von 73 Jahren spielt sie am 10. Mai 1975 am NEC in Boston das erste und wohl einzige Klavierkonzert überhaupt ausschließlich mit Werken von Stefan Wolpe, als eine Hommage an ihren ersten Ehemann und lebenslangen kongenialen Musikerfreund. Sie zeichnet für den Text des Saalprogramms verantwortlich und führt die einzelnen Stücke im Konzert ein: Piano Piece (1924), Four Marches, op. 10 (1927), Three Studies on Basic Rows 741 742 743
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Brief von Garrick Ohlsson (München) an Irma (New York), 4. März 1975, Sammlung N. B. Brief von Irma (New York) an Austin Clarkson (Toronto), 24. Februar 1975, Sammlung A. C. Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, Einleitung, S. 13.
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(1935–36), Toccata (1941), Three Movements from the Battlepiece (1943–47), Form I (1959) 744 (siehe Abb. 43, S. 240). In ihrer Ansprache erwähnt Irma die Schwierigkeiten verbunden mit der Interpretation von Wolpes Musik und lobt das außergewöhnliche Engagement eines Ensembles für Neue Musik an der Columbia University in New York unter der Leitung von Joel Sachs und Cheryl Seltzer,745 welches kurz zuvor zwei Abende mit Musik ausschließlich von Stefan Wolpe präsentiert hat. Als Gunther Schuller, Präsident des NEC Boston, einige Monate später entscheidet, die Institution zu verlassen, ist die neue Leitung nicht geneigt, Irma weiterhin als Klavierlehrerin zu engagieren. Grund sind die hohen Transportkosten, die für sie anfallen. Russell Sherman weigert sich, diese Entscheidung zu verstehen und zu akzeptieren: »For they cannot estimate the importance of a spirit so free, so daring, so exploring as yours and the constant transfusion which you provide to the thin gruel of our souls.«746 Sowohl Russell Sherman als auch Garrick Ohlsson setzen sich jedoch intensiv und mit Erfolg für ihren Verbleib im Lehrerkolleg ein, und ihr Vertrag wird für ein weiteres Jahr verlängert. Privat kommen die beiden versierten Pianisten zu Irma, um vor ihren Auftritten ihre Programme mit ihr zu vollenden. Sie besitzt ein Set professioneller Aufnahmegeräte, nimmt Garrick und Russell auf und bespricht mit ihnen mögliche Verbesserungen. Auch macht sie sich Gedanken und verfasst komplette Analysen einiger Stücke, die von ihnen in Konzerten aufgeführt werden, und stellt sie ihnen zur Verfügung, so zum Beispiel die Analyse A Study of certain aspects of the Händel Variations for Piano op. 24 by Johannes Brahms747 oder diejenige über die beiden Form-Stücke von Wolpe.748 In seinem Brief vom 27. Juli 1976 an Irma gesteht Russell:
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Aufnahme des Konzertes im Klangarchiv des NEC, Boston und Konzertprogramm, Sammlung N. B. 745 Ensemble Continuum, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Continuum_(Ensemble) [abgerufen am 1.8.2023]. 746 Brief von Russell Sherman (Boston) an Irma (New York), 7. Juni 1976, Sammlung N. B. 747 Anhang, S. 266–272. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Garrick Ohlsson. 748 Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, Nora Born (Ed.), edition text+kritik, München 2016, S. 442–443.
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Abb. 43: Entwurf der Ansage für das Konzert am NEC, 10. Mai 1975 749
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Sammlung N. B.
1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory »Dear Irma, your analysis of the Brahms is cogent and fascinating. The special duties which Nos. 9, 18, and 13 perform must be identified to understand the form, or the game-plan as they say in sports and war […] But I am most grateful because, in truth, I never estimated this work very highly – no doubt because I did not understand it. Now I am beginning to see its refinements, and even to take pleasure in the stubborn and patriotic fugue – and that is because you have pointed out some humour and play which helps to de-sacralise it and give the emperor some new clothes. Love, Buddy«750
Auch mit Austin Clarkson, der seine Frühjahrsferien bei Irma in New York verbringt, schreiten die Vorbereitungen für ein Wolpe-Archiv voran, sie bereitet Dokumente und Partituren vor, erklärt, spielt vor, weitere Interviews werden aufgenommen: »Thank you for sharing your radiant holiday in New York with me. Your wonderful openness toward everything that is creative and lifegiving in the mists of those torrents of sham around us was a great experience for me. So, I am not alone, and this gives me renewed strengths to go on. A couple of days ago I heard a whole evening of Milton Babbitt’s music. Chamber-, piano music, songs, sung by Bethany Beardslee. An oversized combinational intelligence coupled with a very weak power which in theory could, ought to trans mutate an emotion into the gold of the musical gesture, but the alchemy isn’t there. He is no Stefan. It was not even second hand, just pale, sweet, weak. It is almost funny, that a man who writes such formidable abstract prose and is the owner of a jaw which reminds me of a crocodile, that he should write this weak music. I know that even a superficial analysis of it would reveal most complex combinational processes one cannot hear, and doesn’t care about, unless --- Tomorrow there’ll be a premiere of an opera by an old friend of mine from Israel, Josef Tal at N. Y. State Theater. ›Ashmedy‹751. I’ll hear it only on Tuesday. Thursday is one of my Boston days. I’ll follow your suggestion and try to see the Ibsen. Yes, the Metropolitan is disappointing, especially the stars. The musical hostel is open to you any time.«752
Der Sommer 1976 ist einer der wenigen, den Irma nicht in Israel und Europa verbringt. Sie verlegt ihre Meisterklassen kurzerhand nach New York, wohin unter anderem auch ihre Studierenden aus Israel und Boston eingeladen sind. 750 751 752
Sammlung N. B. Artikel in der New York Times, April 1976. Brief von Irma (New York) an Austin Clarkson (Toronto), 29. März 1976, Sammlung A. C.
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Die Eröffnung macht Garrick Ohlsson mit dem Programm seines Konzertes vom 28. November 1976 in Paris: »He is perfection itself and yet we are working on every new piece time and again […] I can’t tell you how much I miss this time the yearly visits to Israel. It has become a necessity by now […] Now I am starting masterclasses here, and at the first session Garrick is going to play.«753
Auch vor Garricks Chopin-Soloabend an den Wiener Festwochen 1977 gibt Irma einen großen Empfang für ihn, und er spielt das gesamte Programm. Dieses umfasst die Mazurkas op. 17, die Polonaisen op. 26 (1+ 2), op. 61 und op. 44, die Fantasie op. 49, Walzer op. 34 und Scherzo op. 54. Es ist einer der Klavierabende des Festivals, die von Arturo Benedetti Michelangeli, Nikita Magaloff, Herman Prey, Emmanuel Ax, Maurizio Pollini, Heinrich Schiff, Elisabeth Leonskaja und anderen bestritten werden. Garrick fühlt sich immer mehr in Irmas Schuld und schreibt ihr im Herbst, um wenigstens auf diesem Weg seine Dankbarkeit zu betonen: »I do think that I have not been emphatic enough in showing my gratitude to you for your truly limitless generosity with me. I hope (I know) you have had a great deal of satisfaction in watching me come to life musically in the last three years. There is no way that I can properly repay you for this, or even for our present and future work […] Standing now on the threshold of my future piano-playing, my need for our work together is urgent.«754
Mittlerweile wurde die Ehe ihrer Stieftochter von Ariel Loewy geschieden. Karin orientiert sich neu und erlernt das Geigenbau-Metier in Lübeck bei Günther Hellwig. Irma unterstützt sie und übernimmt für zwei Jahre die Kurs-Kosten, genauso wie sie auch ihren vier Kindern finanziell aushilft. Karin ist die erste Person, der sich Irma mitteilt und bei der sie sich über ihre beginnende Arthritis-Leiden beklagt: »Von der Tragödie des Altwerdens habt ihr jüngeren Menschen keine Ahnung«755
753 754 755
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Brief von Irma (New York) an Nili Ardon (Jerusalem), Ende des Sommers 1976. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Nili Ardon. Brief von Garrick Ohlsson (New York) an Irma (New York), 30. Oktober 1977, Sammlung N. B. Brief von Irma (New York) an Karin Loewy (Lübeck), 27. August 1977, Sammlung N. B.
1970–1978 New York – Boston · New England Conservatory
Michael Bergmann756, Sohn des befreundeten New Yorker Ehepaares Maria und Martin Bergmann, der an der New York University seinen Abschluss an der Graduate School of Film and TV macht, kommt mit der Idee auf, einen Film mit Irma und Garrick Ohlsson zu drehen, in dem Irma ihre Klaviertechnik erklärt, kommentiert von Garrick und von beiden exemplifiziert. Die Aufnahmen werden 1977–78 in Irmas Wohnung gedreht, den fertigen Film erhält sie aber vorerst nicht. Erst zwei Jahre später, 1979 schickt Michael Bergmann ihr das Ergebnis, und sie macht den Film zunächst nur in den engsten Kreisen bekannt.757 Eine ihrer ehemaligen Studentinnen, Mary Alfano, die mittlerweile sehr eng mit Irma befreundet ist, überzeugt sie, ihr Credo niederzuschreiben und eventuell zu veröffentlichen. Auch begleitet Mary sie im Sommer 1978 auf ihrer letzten Reise nach Israel. Benjamin Oren und seine Gattin Fenja sowie Sonia Rubinsky758, eine Studentin aus New York aus den letzten Jahren, erwarten sie am Flughafen, und sie wohnen abwechselnd bei ihnen. Während ihres Aufenthalts bei Elsa, beim ersten gemeinsamen Abendessen, erleidet ihr Schwager Sama Ussishkin einen Infarkt, infolgedessen er stirbt. Nach ihren Meisterklassen im Kibbuz Mishmar Ha’emek sollte Irma ein Abschlusskonzert spielen, das sie jedoch aus unerklärten Gründen kurzfristig absagt und stattdessen mit Mary Alfano zurück nach Jerusalem reist sowie anschließend frühzeitig zurück nach New York.
756 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Michael_Bergmann [abgerufen am 1.8.2023]. 757 Kopie der Aufnahme mit freundlicher Genehmigung von Lili Friedman, Irmas Studentin in
New York, Sammlung N. B.
758 Vgl. https://www.soniarubinsky.com [abgerufen am 1.8.2023].
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1979–1984 London – New York · European Piano Teachers’ Association UK Sowohl Irmas Beziehung zu Mary Alfano als auch die zu Michael Bergmann kommen für eine Weile zum Stillstand. Irma wird immer kritischer in ihren Äußerungen, sie verschont dabei niemanden, nicht einmal Wladimir Horowitz, den sie in New York Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert spielen hört: »Horowitz, ein alter Jude, der heute kunstlos, kann man beinah sagen, hart, mit elementarem Krach, den nur er wagt zu machen […] gespielt hat.«759 Mit einem Konzert von Russell Sherman 1979 ist sie nur teilweise zufrieden, auch nicht mit dem Debüt ihrer Studentin Caroline Stoessinger in New York. Zu ihrem Studenten Eytan Agmon, zurzeit Professor an der Bar Ilan Universität, bricht sie den Kontakt endgültig ab, und die Liste ließe sich fortführen … Im November 1979 entscheidet Irma spontan, nach Berlin zu reisen um Garricks Konzert am 24. November und der Neueröffnung des Bauhausarchivs beizuwohnen. Anschließend reist sie nach Bensheim an der Weinstraße, um einer längst fälligen Einladung760 ihres Jugendfreundes Hans Weitz, Philologe und Dramaturg, zu folgen. Dieser ermuntert sie nun, nach Beendigung ihrer Lehrtätigkeit in Boston ihre Erfahrungen in einem Buch niederzuschreiben. Auf der Rückreise über London trifft Irma eine weitere Bekannte aus den Studienjahren in Berlin, Carola Grindea, geb. Rabinovici. Die ebenfalls in Rumänien geborene Pianistin ist eine Pionierin der Klavierpädagogik, die nicht nur die technischen Probleme, sondern auch die psychologischen und physischen Implikationen des Unterrichts unter die Lupe nimmt. Grindea gründet 1978 die EPTA (European Piano Teachers’ Association), deren offizielle Publikation, das EPTA Piano Journal und kurz darauf die International Society for the Study of Tension in Performance: »Long concerned not only by the pain and frustration caused to pianists by undue muscular tension but by its musical cost, she began by convening an international conference in 1981, attracting no fewer than 73 delegates. The
759 760
Irmas Tagebuch, 1978–1980, Sammlung N. B. Korrespondenz mit Hans Weitz, Sammlung N. B.
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1979–1984 London – New York · European Piano Teachers’ Association UK principal aim was to foster the investigation and treatment of pains and dysfunctions caused not only by tension but by incorrect techniques.«761
Da sie sich beide mit denselben Themen befassen, lädt Carola Irma ein, für die erste Ausgabe des Piano Journal (1980) einen Artikel zu schreiben und an der Internationalen EPTA-Konferenz 1981 teilzunehmen. Angeregt durch Mary Alfano, mit der sie sich mittlerweile wieder ausgesöhnt hat und die ihr bei der Redaktion hilft, schickt Irma ihren Artikel Comments on ›The Art of Playing the Piano‹762 und auch eine Kopie des Films von Michael Bergmann, der während der Konferenz gezeigt werden soll. Es ist nicht belegt, ob dies zustande gekommen ist. Jedenfalls beabsichtigt Carola Grindea, den Film kopieren zu lassen. Irma, be gleitet von ihrer Nichte Elizabeth Brody, nimmt am Kongress teil: »Got your two letters and everything will be all right for the 23rd July763. You will stay in the hotel for two nights and afterwards you will be in the College, as from the 25th, with other visitors from overseas […] the Middlessex Polythechnic, where our new PIANO TEACHERS INFORMATION CENTRE is, was going to transcribe it on UMATIC cassette […] I am trying to get the BBC interested, and, in that case, the money will be recuperated, amply! Congratulations on your students winning the ›Artists International‹764 contest and it is such good news to hear that Garrick will play Stefan Wolpe’s Passacaglia. You should make a recording of this work as it is dedicated to you [...]«765
Im September 1980 lädt Irma zu zwei großen Konzertabenden in ihrer Wohnung ein. Russell Sherman spielt am 14. September das Programm, welches er drei Tage später in einem öffentlichen Konzert vortragen wird. Garrick spielt bei Irma am 16. September das Programm seines Carnegie Hall-Konzertes vom 21. September. Ihre aktuellen Studierenden Anezia Garcia, Fred Cavaretta, Brian Zeger, Roland Starr, Sonia Rubinsky, Caroline Stoessinger, David Lyman, Lennie Battipaglia, Laura Sharpe, Mitsuko Ichimura und andere sowie Freunde und Bekannte sind eingeladen.
761 762 763 764 765
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Nachruf für Carola Grindea in The Guardian, 1. September 2009. EPTA Piano Journal, Vol. I, no. 2, 1980, London, S. 17–20. Archiv der EPTA, London und Sammlung N. B. Wahrscheinlich die Feierlichkeiten zur Eröffnung des neuen EPTA-Information Centers. Nicht ermittelt. Brief von Carola Grindea (London) an Irma (New York), 30. April 1980, Sammlung N. B.
1979–1984 London – New York · European Piano Teachers’ Association UK
Abb. 44: Elsa, Irma und Iso in Madison, WIS, 1979 766
Auch außerhalb dieser Musikabende pflegt Irma immer noch ein open house. Aktuelle und ehemalige Studierende kommen und gehen, sie verschenkt großzügig oder leiht Noten, Aufnahmen und Bücher ihrer riesigen Sammlung aus. 1981, zur Osterzeit, schreibt ihr Hans Weitz: »So beängstigend lange hast Du nichts von Dir hören lassen – in diesen Zeiten und in unserem Alter wird man leicht unruhig. Wir hoffen, es sei nur ein Übermaß von Pflichten und Tätigkeiten – und die Verlangsamung der Tempi, welche ja auch zu diesem unserem Alter gehört – was Dich am Schreiben hinderte.«767
Er ist zurecht besorgt, denn bei Irma machen sich erste Anzeichen einer Alzheimer-Erkrankung bemerkbar. Karin Loewy und ihre Nichten, vor allem Elizabeth Brody, stellen eine Ganztagshilfe für Irma ein. In ihrer Freizeit wechseln sie sich mit der Aufsicht ab. Auch Irmas Studenten und Studentinnen kommen regelmäßig und spielen Irma vor, auch wenn sie kein Feedback mehr von ihr 766 767
Sammlung N. B. Brief von Hans Weitz (Bensheim) an Irma (New York), Ostern 1981, Sammlung N. B.
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erhalten, sich aber noch mit ihr unterhalten können. Twig Cornogg, Präsidentin der Contemporary Concerts in Chicago und langjährige Studentin Irmas, besucht sie und ist zutiefst betroffen, Irma nach fast 40 Jahren nun geistig nicht mehr erreichen zu können: »I can’t begin to tell you what a powerful impact Irma has had on my life. I met her in 1943 when my husband became President of Central High School of Philadelphia and one of his pupils was studying with Irma. I immediately started studying with her and have been greatly enriched in every possible way since then. I f I were to write of those nearly forty years it would be a book, not a letter.«768
Der ehemalige Kreis um Stefan Wolpe gründet 1981 unter der Präsidentschaft von Austin Clarkson die Non-Profit-Organisation Stefan Wolpe Society, die sich als Ziel setzt seine Musik zu fördern, seine Kompositionen in kritischen Ausgaben zu veröffentlichen und Aufnahmen und Auftritte mit seiner Musik finanziell zu unterstützen.769 Peter Sellers770 von der Rockefeller University lässt Irma 1983 wissen, dass er endlich die Stratford Lectures 1947 von Hans Rademacher publiziert hat und die Einnahmen aus den Autorenrechten in den Hans Rademacher Fund fließen werden.771 Obwohl Irma in den letzten Jahren eng mit Iso in Verbindung gewesen ist, kann sie nicht mehr zu seiner Geburtstagsfeier nach Madison fahren. Er bittet sie, stattdessen an die guten alten Zeiten ihrer Kindheit und Jugend zu denken. Irma stirbt am 6. Januar 1984 im Lennox Hill Hospital in New York, eine Trauerfeier findet zwei Tage später statt. Ihre Asche wird erst 1991 neben der von Hans Rademacher im Germantown Friends (Quaker) School Cemetery in Philadelphia beigesetzt.
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Brief von Ruth (Twig) Cornog (Santa Fe) an Elizabeth Brody (New York), 23. November 1982, Sammlung N. B. 769 Vgl. https://stefanwolpe.org/about-the-wolpe-society [abgerufen am 1.8.2023]. 770 »Peter Sellers: A Pioneering Mathematician, A Renaissance Man. Peter Sellers Memoriam, 1930– 2014. Markus Library, New York 2017, vgl. https://digitalcommons.rockefeller.edu/petersellers-memoriam/1 [abgerufen am 1.8.2023]. 771 Brief von Peter Sellers (New York) an Irma (New York), 15. Februar 1983, Sammlung N. B.
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Erinnerungen an Irma Schoenberg Wolpe Rademacher Ein Jahr später, am 17. Februar 1985 findet im Konzertsaal der Elisabeth Irwin High School in New York, wo Mary Alfano mittlerweile Direktorin ist, A Concert in Celebration of Irma Wolpe Rademacher 1902–1984 statt. Elizabeth Brody hilft bei der Organisation, und ihr Vater Iso, sein Sohn Michael aus zweiter Ehe sowie viele Freunde und Bekannte wohnen dem Konzert bei. Es spielen ihre ehemaligen Studierende: Donald Pirone, Elizabeth Rich, Susan Kagan, Anne Chamberlain, Russell Sherman, Steven Masi, Laura Gigante Sharpe, Anezia Garcia, Kanei Mizumura und Garrick Ohlsson. Leonard (Lennie) Battipaglia, ein weiterer ihrer Studenten, der ihr gerade in den letzten Jahren nahestand, zeichnet für die Grafik des kunstvollen Posters für das Konzert verantwortlich, welches eine repräsentative Sammlung aus Irmas Ansichten, Statements und Zitaten im Laufe der Jahre darstellt. Mary Alfano schreibt anschließend an Iso: »Dear Iso, I was so pleased to have your note. And so happy that you felt it worthwhile to come all the way to New York for the memorial. For me the event was so sweet, so filled with generosity and vitality that Irma generated wherever she was. I guess that I felt also that words could never communicate the complex and often difficult relations between Irma and the scores of artist / performers whose lives she affected so profoundly. Words would have given half-truths, or ill-remembered fictions – some important people would have restored to silence. But music – the music was able to speak volumes about what Irma was able to inspire in people, so many different people. She was able to help them each find the best that was in them and helped them possess that talent completely.«772
772
Brief von Mary Alfano (New York) an Iso Schoenberg (Madison), 27. Januar 1985, Sammlung N. B.
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Erinnerungen an Irma Schoenberg Wolpe Rademacher
Abb. 45: Poster zu ›A Concert in Celebration of Irma Wolpe Rademacher 1902–1984‹ 773 773
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Sammlung N. B.
Erinnerungen an Irma Schoenberg Wolpe Rademacher
1987 präsentiert Krista Seddon774, ehemalige Klavierstudentin von Irma am NEC Boston, ihre Master-Thesis an der North Texas State University mit dem Thema: Piano Playing as an Art of Movement: The Technique of Irma Wolpe. Darin hat Krista Seddon das eigentliche Ziel von Irmas Lehre, Philosophie und Konzept, welches die eigenen Ressourcen des einzelnen Musikers unterstützt und potenziert, dargelegt: »Ihre Klaviertechnik war viel mehr als mechanische Analyse der Bewegungskomponenten, sie war und ist ein Mittel um die organische Einheit innerhalb der Bewegung und der Musik freizulegen, nicht nur als Idee, sondern in der konkreten Beziehung des Einzelnen und des Ganzen.«775
Im ersten Newsletter der Stefan Wolpe Society776 erscheint 1991 ein Nachruf aus der Feder von Austin Clarkson, ergänzt mit Zitaten aus Erinnerungen von Irmas Studierenden: »To know Irma was to know Stefan Wolpe’s music, for she believed fiercely in his genius and in his place as a prophetic voice of 20th century music. She saw herself as the protector of his life in their early days in Europe, later as his collaborator and champion through her performances of his work, and as the guardian and teacher of his musical achievement after his death. Her fidelity to Stefan Wolpe’s music was unqualified. Her involvement with him had directed her own intellectual and artistic strivings and motivated her own inquiry into the phenomenology of musical performance. But Irma was more than simply the handmaiden of the Wolpe genius. She was an inspired teacher, a brilliant interpreter of classical and contemporary music, a passionate enthusiast for the advances of art and science; Irma was an unforgettable woman! She left her own mark on music; through students who have become performers of international stature, students who have become outstanding teachers themselves and have passed on her unique insights about the piano, and students who have found through Irma the musical passions within themselves that enrich their lives. Irma was a special presence in the lives of many people. This is discernible in the following recollections:
774 775 776
Vgl. Anm. 719. Krista Seddon, Mater-Thesis, August 1987. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Krista Seddon. Sammlung N. B.
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Erinnerungen an Irma Schoenberg Wolpe Rademacher ›Irma permitted herself to reexperience music, the same pieces, over and over again – always in the service of discovering the truth of the music. She allowed herself the luxury of bewilderment – she could even abandon her most deeply felt convictions about the music – in the expectations of an ever deepening musical experience. Irma could sense the knowledge which was buried in the unconscious of the student and bring it to consciousness. She could struggle with that material, with its structural implications, with the technical, and above all, with the emotional implications of that knowledge.‹ Garrick Ohlsson ›The importance of music was reiterated for Irma in each performance. To hear music with Irma was always a special event, her enthusiasm for each experience was contagious. She never felt that she had wasted her time at a concert; she would attend every concert as if for the first time. Performers seldom received her complete approval. One sensed that for her the performer was simply a medium for the genius of the composer. Irma made a ceaseless study of musical scores and the writings of composers about performance. She studied every notation with a palpable sense of renewed discovery. In her teaching she developed a method whereby the body was prepared to ›let the music happen‹ through its receptivity.‹ Arthur Lyman ›Irma was able by her special techniques to convey exquisite levels of aesthetic experience. Her nonverbal communication transcended even her verbal explication of music. She was able to demonstrate her interpretations in a physical way; she could demonstrate ›sound‹, in a way that was both practical and specific. Hers was a special ›zen‹ of piano playing.‹ Leonard Battipaglia ›Irma could share her love of music – and her reverence for its special powers – with people of every imaginable level of sophistication and simplicity. Her capacity to be an agent of musical intelligibility for the most naïve listener and her patience with the humblest musical novice was matched by her ability to motivate the highest and most subtle levels of musical appreciation. One summer evening in Jerusalem Irma invited me into a room with a beautiful piano, closed the windows and locked the door. She intended to play for me until she was satisfied that I would never forget was music was. Irma exhausted herself for hours playing her most beloved pieces of music. It was an incomparable gift, offered with Irma’s characteristic generosity and affection – her special mastery of an elemental beauty of sound and sensibility.‹ Mary Alfano
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Anhang
1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität 777 Palästina, eine Realität
von Irma Schoenberg Vor acht Monaten, an einem schönen Frühlingstag, eine Woche vor Ostern, machte ich mich auf den Weg nach Palästina. Meine Reise hatte ein zweckgebundenes Ziel. Ich wollte eine Reihe von Konzerten geben und gleichzeitig das Land und das Leben dort kennen lernen. Endlich ging mein lang gehegter Traum in Erfüllung, als Tochter einer Familie, in der drei Generationen von Zionisten leben. Ich kannte die Unruhe und den Lärm der Großstädte, die weißen Berge der Schweiz und den blauen italienischen Himmel. Und ich dachte mir: Wird Palästina nicht eine Enttäuschung für mich sein? Zum ersten Mal hatte ich Angst enttäuscht zu werden, denn ich liebte dieses Land, Mittelpunkt meiner Kindheitsträume. Ich wollte, dass es schön ist und alles Schöne übertrifft. Stell dir einen Streifen Land vor, der auf der einen Seite von einem warmen, rauen, dunklen Meer und auf der anderen Seite von einsamen Bergen begrenzt ist. So würde Palästina aus der Luft aussehen. Es ist sehr klein, und deshalb liegt es dir umso mehr am Herzen. Es hat den Charme einer kleinen Wohnung, durch die man schreiten kann. Aber welche Vielfalt und welcher Reichtum auf diesem engen Raum! Alle Klimazonen und alle Gebiete, alle Früchte und alle Blumen der Erde sind hier unter einem Himmel versammelt. Die hohen Gipfel des Hermon stehen neben den glänzenden Wüsten der Berge Judäas; nachdem man die salzige Luft des Meeres eingeatmet hat, taucht man eine Stunde später in die frische Luft der überragenden Berge Jerusalems oder Galiläas ein. Ebenfalls hier kann man den einzigartigen Platz der Erde sehen, das Tote Meer, das anscheinend durch ein Absinken der Erdkruste entstanden ist. Es ist ein Ort, der dem Herzen der Erde näher ist als jeder andere Ort auf unserem Planeten, und man kann sich ihm nicht ohne ein gewisses Gefühl des Schauderns nähern. Und die zahllosen Orangengärten der judäischen Siedlungen, die vom berauschenden Duft der Orangenblüten erfüllt sind; dann die 777
Erschienen in: Femeia Evree (Die jüdische Frau), eine Publikation des Kulturbundes Jüdischer Frauen in Rumänien Bukarest, Februar 1932. Übersetzung aus dem Rumänischen. Sammlung N. B.
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1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität
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1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität
sanften Hügel des Emek, die weite Jesreel-Ebene, die, soweit das Auge reicht mit der goldenen Ernte bedeckt ist, und die außergewöhnliche Schönheit der Bucht von Haifa, vor der man vor Bewunderung sprachlos ist. Ich möchte den Leser mit dieser langen Aufzählung nicht ermüden, und doch habe ich noch kein Wort über die geheimnisvolle Höhle im Herzen des Galiläischen-Gebirges erwähnt, aus deren Tiefen – der Legende nach – Dionysos, der Gott des Weines und der Trunkenheit, in die Welt trat. Auch den Kinneret- oder Tiebrias-See habe ich noch nicht erwähnt, einen riesigen See von so intensivem Blau, dass ich ein Kind, das ihn zum ersten Mal sah, ausrufen hörte: »Schau, Mutter, der Himmel ist auf die Erde herabgestiegen«. Es gibt keinen größeren Kontrast als zwischen den beiden größten Städten des Landes, Jerusalem und Tel Aviv. Für Tel Aviv kann ich nur die Musik als Vergleich heranziehen: Sie ist etwas von Strawinsky, oder eher Prokofiev, genauso bunt, fröhlich und lebendig, in einem ebenso starken Rhythmus wie der ihre. Alles – die Menschen, die Häuser, die üppige Vegetation – strahlt Jugendlichkeit aus in diesem Schmuckkästchen an einer sandigen Küste unter einem strahlenden Himmel. Überall sieht man schöne und fröhliche Kinder, die schon in jungen Jahren einen ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit zeigen. Sie haben wenig Ähnlichkeit mit ihren Eltern und noch weniger mit ihren Großeltern. Es ist die erste jüdische Generation seit Tausenden von Jahren, die sich ungehemmt und unter freiem Himmel entwickelt. In den breiten, windgepeitschten Straßen am Meer herrscht ein lautes und fröhliches Miteinander. Es ist nur eine Stunde und ein paar Minuten Fahrt von Tel Aviv nach Jerusalem. Aber was für ein gewaltiger Unterschied! Zu Beginn der Fahrt führt eine glatte Straße durch die Orangenhaine rund um Tel Aviv und dann durch Felder voller Früchte. Doch nach und nach werden die blauen Schatten am Horizont größer, kommen näher und näher und plötzlich taucht die Straße in die Berge ein. Nur wenigen Malern ist es gelungen die überwältigende Schönheit des Judäischen Gebirges einzufangen. Vielleicht haben Sie Rubins778 Gemälde gesehen: Sie spiegeln die Materie dieser Berge besser wider als alle anderen. Wir Europäer kannten den mächtigen Zauber der Wildnis nicht. Die Erde zeigt sich bei uns nie in ihrer ganzen Nacktheit. In der warmen Jahreszeit ist sie mit einem sattgrünen und im Winter mit einem weißen Mantel bedeckt. Ihre Rauheit ist immer ein wenig glatt und versteckt. In 778
Reuven Rubin (1893–1974), israelischer Maler rumänischer Abstammung. http://jafi. jewish-life.de/zionismus/people/Reuven_Rubin.html. Abgerufen am 10. Juni 2023.
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1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität
Palästina und insbesondere in Judäa, in der Nähe von Jerusalem, ist das Land völlig kahl. Soweit das Auge reicht, nur Erde und Himmel. Arabische Steindörfer krönen hier und da die vom Winterregen zerklüfteten Hügel. Und die Juden haben begonnen, hie und da einen grünen Fleck auf die Leere der Felsen zu streuen. Es ist eine Sisyphusarbeit, hier einen grünen Trieb zum Sprießen zu bringen, eine Arbeit, die sich erst nach langer Zeit auszahlt. Aber niemand verliert den Mut, und jedes Jahr gibt es ein neues grünes Fleckchen auf Hügeln, die seit Tausenden von Jahren tot sind. Die Straße durch diese Berge ist landschaftlich sehr reizvoll. Sie steigt den Berghang hinauf und schlängelt sich dann das Tal hinunter, wobei sich die überraschendsten Ausblicke auftun. An manchen Stellen scheint der Weg in eine Schlucht zu stürzen, und man hat das Gefühl, zwischen Himmel und Abgrund zu schweben. Aber jetzt sind wir endlich in Jerusalem. Tel Aviv hat ein Gesicht mit charakteristischen Zügen, Jerusalem hat hundert, eines davon sehr jung, ein anderes so alt wie das Leben. Hier kann man riesige Hotels mit allem modernen Komfort sehen, ganz in der Nähe der Höhle, in der die Propheten gegen die Römer predigten. Die Felsen, die jetzt gesprengt werden, um Platz für Straßen zu schaffen, könnten die Fußabdrücke von König David und von Jesus Christus getragen haben als er kam, um zum jüdischen Volk zu sprechen. Die Vergangenheit dieser Festung, die Jahrhunderte lang zahllosen Angriffen standgehalten hat, bleibt in den Mauern eingekerbt. Die Steine sprechen eine Sprache, die so penetrant ist wie ein zu starkes Parfüm. Noch vor wenigen Jahren waren europäische Juden in Jerusalem kaum zu sehen. Doch schon bald änderte die Stadt ihr Aussehen. Die umliegenden Hügel wurden mit Festungen und Gärten bedeckt, die von neuen Einwanderern bewohnt werden. Ich habe einige Monate in einem dieser neuen Stadtteile verbracht. Auch wenn man in einem Haus mit modernstem Komfort wohnt, kann man sich dem Einfluss einer Stadt nicht entziehen, die dem Himmel näher zu sein scheint als jede andere. Die Luft ist so sauber, der Himmel mit dem Glanz der Sterne scheint so nah, dass man sich wie ein Kind fragt, ob man mit der Hand nicht ein paar der Funken von oben auffangen könnte. Ich habe das Leben in den Kwuzot779, also in den kollektiven Gruppen des Landes, kennen gelernt. Ich habe für sie gespielt. Sie wissen vielleicht, dass alle Musiker, die nach Palästina kommen, nachdem sie in den Städten gespielt haben, es als ihre Pflicht ansehen für die Landarbeiter zu spielen. Das taten auch Heifetz und Huber779
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Kwuzot ist das Plural von Kwuza, oder Kibbuz.
1. Irma Schoenberg: Palästina, eine Realität
mann. Die Musik spielt in diesem Land eine größere Rolle als irgendwo sonst. Das jüdische Volk, dieses nüchterne Volk, das keinen Alkohol anrührt (es gibt keine einzige Weinstube im ganzen Land), ist jedoch dem Rausch der Töne und des Rhythmus zugetan. Es hat einen unstillbaren Durst nach Musik. Überall wird etwas Musik gemacht. Ich hörte ein Quartett von Beethoven, vorgetragen von Arbeitern, die den ganzen Tag mit der Trockenlegung von Sümpfen beschäftigt waren. Aber was für eine Freude für sie, sich abends, um einen Künstler zu versammeln, der all das, was ihre Seele bewegt und beunruhigt, so gut auszudrücken vermag. Ich werde in wenigen Worten von einem Tag erzählen, den ich in einem dieser Kwuzot verbrachte. Am Tag nach meinem Konzert in Jerusalem traf ich im Haus eines Freundes eine sehr nette Frau. Sie kam auf mich zu, hielt meine Hände und sagte: »Kommst du zu uns? Du musst kommen. Wir haben ein sehr gutes Klavier und einen solchen Durst nach Musik! Du musst kommen.« Ein paar Tage später machte ich mich auf den Weg, um ihren Wunsch zu erfüllen. Ich kam am Freitagnachmittag an. Das Konzert war für Samstagabend angesetzt. Es war in den benachbarten Kolonien und Gruppen angekündigt worden. Am Samstagnachmittag begannen die jungen Leute aus diesen Kolonien zu Fuß oder in Wagen singend anzukommen. Mehrere hundert Menschen, die den pathetischen Klängen der Werke von Bach und Beethoven lauschten und sich an den Wundern der modernen Musik ergötzten. Kein überschwängliches Publikum. Sie klatschen nicht, aus Prinzip. Man muss sich mit einem dankbaren Blick, einem warmen Händedruck und den Worten begnügen: »Kommen Sie wieder.« Kurz darauf verließ ich Palästina. Es fiel mir schwer, mich wieder an den Westen zu gewöhnen. Lange Zeit fühlte ich mich wie ein Fremder im weitläufigen und gleichgültigen Paris, nachdem ich die Freude erlebt hatte, in einem Land zu leben das von Menschen umgeben war, die vom gleichen Ideal beseelt waren. Aber dieses Land ist nicht mehr unzugänglich. Jede Woche fahren viele Schiffe aus Triest, Constanța und Marseille dorthin. Und ich hoffe es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich wieder an Bord eines dieser Schiffe gehe, um in das Land zurückzukehren, das nun nicht mehr das Land meiner Träume ist, sondern eine schöne und geliebte Realität. Irma Schoenberg
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2. Konrad Wolff: Irma Wolpe, Teacher of Chopin780
780
Fragment. Typoskript. Nicht belegt ob publiziert. Sammlung N. B.
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2. Konrad Wolff: Irma Wolpe, Teacher of Chopin
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2. Konrad Wolff: Irma Wolpe, Teacher of Chopin
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2. Konrad Wolff: Irma Wolpe, Teacher of Chopin
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3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects of the Händel Variations for Piano op. 24 by Johannes Brahms781
781
Analyse von Irma für Garrick Ohlsson und Russell Sherman. Handschrift. Kopie mit freundlicher Genehmigung von Garrick Ohlsson.
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3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects …
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3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects …
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3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects …
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3. Irma Wolpe Rademacher: A Study of certain aspects …
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4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹782
782
Erschienen in: Piano Journal, Vol. I, nr. 2, S. 17–21, EPTA, London, 1980. Archiv der EPTA, London und Sammlung N. B.
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4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹
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4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹
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4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹
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4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹
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4. Irma Wolpe: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹
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Abkürzungsverzeichnis AAM – The Archives of American Mathematics, D. Briscoe Center for American History, Austin, Texas AdK – Akademie der Künste, Berlin CZA – Central Zionist Archives, Jerusalem FHL – Friends Historical Library at Swarthmore College IMD – Internationales Musikinstitut Darmstadt JNUL – Jewish National and University Library, Jerusalem LoC – Library of Congress, Washington NEC – New England Conservatory, Boston NYPL – New York Public Library PSS – Paul Sacher Stiftung, Basel Sammlung A. C. – Privatsammlung von Austin Clarkson Sammlung N. B. – Privatsammlung von Nora Born
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Chronik 1902
15. März (nach Gregorianischem Kalender) oder 3. März (nach Julianischem Kalender), geboren in Galaţi (Galatz), Rumänien.
1910
Umzug der Familie Schoenberg nach Iaşi ( Jassy).
1918–20
Klavierstudium am Konservatorium (heute National University of Arts George Enescu) in Iaşi bei Enrico Mezzetti (1870–1930).
1920–21
Klavierstudium am Königlichen Konservatorium für Musik und Theater (heute Heinrich Schütz Konservatorium) in Dresden bei Hermann Vetter (1859–1928). Besuch der Kurse der Neuen Schule für angewandten Rhythmus (die Folgeinstitution der Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus) in der Siedlung Hellerau, Dresden.
1921–25
Klavierstudium bei Leonid Kreutzer an der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik in Berlin und privat bei Elsa Rompe (Schülerin von Heinrich Barth). Besuch der Kurse von Marie Adama van Scheltema in ihrer privaten Rhythmischen Gymnastik-Schule in Berlin, Waghäuseler Straße.
1924
Erste Konzertreise nach Palästina.
1925–26
Klavierstudium bei Alfred Cortot (1877–1962) und RhythmikStudium bei Émile Jaques-Dalcroze (1865–1950) in Paris. 1926, 9. Dezember: Heirat ihrer Schwester Elsa mit Samuel Ussishkin in Jerusalem.
1926–27
Rhythmik-Studium mit Diplomabschluss am Jaques-Dalcroze Institut in Genf.
1927
Herbst: Vortrag über die Jaques-Dalcroze-Rhythmik auf einem Theosophischen Kongress, präsidiert von Jiddu Krishnamurti (1895–1986) in Eerde in den Niederlanden. Rückkehr nach Berlin.
281
Chronik
2. Dezember: Konzert in Iaşi (Iassy) mit der Sängerin Sara Goldstein (geborene Gorby).
1928–29
Irma lehrt Rhythmik am Eurythmischen Seminar der Jaques- Dalcroze-Schule in Berlin und Klavier an der privaten Schule von Elsa Rompe. Verlobung mit Hans (Hillel) Oppenheimer (1899–1971).
1929
15. November: Konzert in Iaşi mit der Sängerin Sara Goldstein (Gorby). Anschließend Umzug nach Bukarest.
1930
Eröffnung des privaten Rhythmik-Studios in Bukarest. 24. März: Tod des Vaters in Iaşi. Auftritte und Radio-Aufnahmen in Bukarest. Rhythmik-Sommerkurse in Laxenburg bei Wien.
1930
8. September: Heirat ihres Bruders Iso mit Dolli Landau und anschließende Ausreise in die USA. 7. Dezember: Konzert in Iaşi.
1931 1932
1933
282
8. Januar: F. Liszt-Klavierkonzert mit Orchester in Iaşi, Dirigent: Antonin Ciolan. 11. Februar: Ausstrahlung des Konzerts bei Radio Bukarest. März–April: Konzertreise nach Palästina ( Jerusalem, Tel Aviv, Haifa, diverse Kibbuzim). 22. Januar: Solo-Recital in der Salle Pleyel, Paris mit Urauf führung von Trois marches (1928) aus den Cinq marches caractéristiques von Stefan Wolpe. Weitere Konzerte in Paris: Cercle de l’Union Interallieée und Pavillon des Etats-Unis der Cité Internationale Universitaire. Rückkehr nach Berlin. Nach Verbot der Aufführungen der Truppe 1931, dessen Künstlerischer Leiter Stefan Wolpe gewesen ist, und seiner Verfolgung durch die Nationalsozialisten organisiert Irma seine Flucht am 11. März in die Tschechoslowakei.
Chronik
1934
1935 1936
5. April: Irma verlässt Berlin, trifft Stefan Wolpe in Zürich und verweilt dort bis Ende Mai. Juni–Juli: Aufenthalt in Wien im Hause Hans Moller & Anni Wotitz und Arbeit mit Eduard Steuermann. Ab 25. Juli: Ferien mit Stefan Wolpe in Grundlsee, Österreich. Rückkehr nach Bukarest. 8. November: Konzert im Dalles-Saal, Bukarest. In rumänischer Erstaufführung spielt sie vier von Wolpes Cinq marches caractéristiques und in Uraufführung drei Tänze von Marcel Mihalovici. Dezember: Stefan Wolpe wird aus Österreich ausgewiesen, und Irma holt ihn ab. Sie treffen am 26. Dezember in Bukarest ein, wo sie sich für kurze Zeit niederlassen. Januar: Mutter Rachel wandert nach Palästina aus. 2. Februar: In einer Radiosendung in Bukarest spielt Irma u. a. auch weitere Stücke von Wolpe (Tango; Andante). 18.–23. März: Emigration von Irma und Stefan nach Palästina. Irma unterrichtet am von Emil Hauser neu gegründeten Konservatorium in Jerusalem und gibt Seminare für Klavier lehrer in Tel-Aviv. 27. Oktober: Irma spielt das Eröffnungskonzert 1934/35 der Jerusalem Musical Society. 18. Januar: Vortrag am Konservatorium in Jerusalem: Die Bewegung beim Klavierspiel. 26. Januar: Konzert in Haifa. 4. März: Irmas Bruder Harry heiratet Emma (Mouche) Eross in London, GB. 25. März: Konzert in Jerusalem. 17. und 29. Dezember: Konzerte in Jerusalem. April–Mai: zwei Konzerte mit Aufnahmen bei Radio Jerusalem. Sommer: Umzug innerhalb Jerusalems in eine Wohnung in der Ben Maimon Straße. 22. September: J. S. Bach-Klavierkonzert d-Moll mit Orchester bei Radio Jerusalem, Dirigent: Stefan Wolpe.
283
Chronik
1937
1938 1939 1940
284
18. und 25. März: Konzerte in Jerusalem. 20. März: Radioaufnahmen in Jerusalem. 11. Mai: F. Chopin-Klavierkonzert f-Moll op. 21 mit dem neuen Palestine Symphony Orchestra in Jerusalem, Dirigent: Hans Schlesinger. Sommer: Urlaub mit Stefan Wolpe im Libanon. Herbst: Irma und Stefan entscheiden, baldmöglichst in die USA auszuwandern. 16. Oktober: Konzert in Tel Aviv. 12. Februar: Konzert in Jerusalem – Uraufführung von Wolpes Marsch und Variationen op. 21 für zwei Klaviere (mit Josef Tal). 20. Februar: Konzert in Jerusalem. 8. März: Konzert in Haifa. 25. März: Konzert in Jerusalem. 9. April: Konzert in Tel Aviv. 1. Mai, 21. Mai, 13. Juni: Konzerte in Jerusalem. 5. Juli: Aufnahmen für Radio Jerusalem. 6. September: Konzert als Solistin mit dem Palestine Orchestra in Jerusalem und Radioaufnahmen. 23. Oktober: Abschiedskonzert der Studierenden von Irma und Stefan Wolpe in Jerusalem. 27. Oktober: Aufgabe der rumänischen Staatbürgerschaft. November: Auswanderung der Wolpes über Rumänien (7. November), Schweiz, Frankreich, Niederlande. 15. Dezember: Ankunft in den USA, Ellis Island bei New York. Februar: Umzug nach 138 West, 91st Street, New York. Herbst: Unterricht an der Settlement Music School in Philadelphia (bis 1946), wohin sie aus New York pendelt. Jacob Maxin ( Jackie) u. a. als Schüler. Konzerte und Vorträge an der Schule. 11. Februar: US-amerikanische Erstaufführung von Wolpes March and Variations zusammen mit Eduard Steuermann.
Chronik
Irmas Mutter, Rachel, sowie Schlo (Else Schloman, Stefan Wolpes Gönnerin) emigrieren nach New York und wohnen in Irmas Wohnung. Februar: Konzerte und Vortrag in Waterville, ME. 4. April: Konzert in Philadelphia. Sommer: Umzug nach 410 W, 110th Street in New York.
1941
12. Januar: Konzert in Philadelphia. 19. Mai: Konzert in New York.
1942
15. Februar: Konzert in New York.
1943
8. Februar: Konzert in Philadelphia. 30. Juni: Tod von Irmas Mutter, Rachel, in New York. Anfang des Unterrichts am Swarthmore College in Philadelphia (bis 1952), parallel zum Unterricht an der Settlement Music School.
1944
9. Januar: Konzert in Philadelphia. David Tudor kommt als Student in Irmas Klavierklasse. 6. Februar: Konzert in New York. 7. Dezember: Konzert in Philadelphia.
1945
4. Februar: Konzert in Philadelphia. 11. Februar: Irma spielt die Uraufführung von Wolpes Dance in Form of a Chaconne in einem Konzert in New York. 19. Februar: US-amerikanische Einbürgerung von Irma und Stefan Wolpe. 8. April: Uraufführung von Wolpes Toccata in Three Parts (1941), Irma gewidmet.
1946 1947
11. Februar: Konzert in Philadelphia. Sommer: die ersten gemeinsamen Ferien mit Harry und Iso und Familien in East Blue Hill (ME). 12. Dezember: Konzert in Philadelphia. 24. Mai: Konzert in New York. Sommerferien mit Iso und Familie, David Tudor und Jacob Maxin in Pottersville, Schroon Lake, NY.
285
Chronik
1948
September: erster Besuch von Elsa und Sama in New York nach dem Krieg. Irma stellt ihr Wohnzimmer als Ausstellungsraum für die Arbeiten von Mordechai Ardon zur Verfügung. 11. Januar, 15. Februar, 23. und 29. Februar, 9. April: Konzerte und Vorträge in Philadelphia. 25. Mai: erstes Konzert zusammen mit David Tudor und Jacob Maxin in New York. Sommer: Teilnahme an den pädagogischen Sommerkursen der Universität in Stanford, CA. Herbst: Zusätzlicher Unterricht an der NY Contemporary Music School (Enddatum unbekannt).
1949
23. Januar, 14. Mai: Konzerte in New York. 28. Februar: Konzert in Philadelphia. August: Scheidung von Stefan Wolpe. 10. September: Heirat mit dem Mathematiker Hans Rademacher.
1950
11. und 27. März: Konzerte in New York.
1951
15. April: Konzert in Philadelphia. Sommer: erste Rückreise nach Deutschland und Europa nach dem Krieg. Begegnung mit Ola Okuniewska und Kathi Wolpe in London.
1952
28. Februar: Lecture-Concert in Philadelphia. 4. Juni: Konzert in Philadelphia.
1953
Aufenthalt an der Princeton University, NJ, infolge Hans Rademachers Lehrauftrag. Lehrauftrag an den Sommerkursen am Black Mountain College. Irma bestreitet darüber hinaus fünf Konzerte, Hans Rademacher hält drei und Stefan Wolpe vier Vorträge.
1954
286
Sommer: Aufenthalt in Eugene, OR, infolge Hans Rademachers Lehrauftrag.
Chronik
1955
1956
Aufenthalt in Europa und anschließend in Bombay, Indien, aufgrund von Hans Rademachers Forschungsauftrag. Bekanntschaft mit indischen Musikern wie z. B. Vilajat Khan und Mehli Mehta. 12. Januar, 27. Februar, 24. März: Konzerte und Radio- Aufnahmen mit Mehli Mehtas Bombay String Quartet in Bombay. 11. Februar: Lecture-Concert in Bombay. 2. März: Aufnahmen bei All India Radio. 20. März: Solo-Konzert in Bombay. April-Mai: Reise nach Israel. Mai-Juli: Aufenthalt in Göttingen infolge Hans Rademachers Lehrauftrag am Mathematischen Institut der Universität. Besuch der Darmstädter Internationalen Ferienkurse für Musik und der Salzburger Festspiele. Irma organisiert die Konzertreihe New Music Concerts in Philadelphia. Das erste Konzert findet am 14. April statt. Sommer: Aufenthalt in Hanover, NH, aufgrund Hans Rademachers Lehrauftrag.
1957
Aufenthalt an der Princeton University, NJ, infolge Hans Rademachers Lehrauftrag.
1958
24. Februar: Konzert in New York. Sommer: Europareise.
1959
7. Juni: Tod von Irmas Bruder Harry in New York. Sommer: Europareise.
1961
16. Februar: Konzert an der Princeton University. Sommer: Aufenthalt in Vermont.
1962
Europa-Reise und Besuch der Darmstädter Internationalen Ferienkurse für Musik. 18. Dezember: Irma spielt im Konzert A Musical Offering zu Ehren von Wolpes 60. Geburtstag.
287
Chronik
1963
Unterricht in Israel an der Academy of Music, am Oranim College und im Kibbuz Mishmar Ha’emek, wo sie die Sommerkurse lehrt, Vorträge hält und abends Konzerte spielt.
1967
Russland-Tour mit dem Citizen Exchange Corps. Umzug von Philadelphia nach New York. September: Hans Rademacher erleidet einen Schlaganfall, der ihn teilweise paralysiert.
1968
Reise nach Mexico zusammen mit Jacob Maxin und Netania Davrath.
1969
7. Februar: Hans Rademacher stirbt in Haverford, PA. Sommer: Vor der jährlichen Israel-Reise kehrt Irma zum ersten Mal zurück nach Rumänien.
1970
Lehrauftrag am New England Conservatory of Music in Boston (bis 1976).
1971, 1972
Sommer: Reisen in der Schweiz und Unterricht in Israel, u. a. auch an der Summerschool der Rubin Academy of Music, im Rahmen einer Kooperation mit der New York University.
1972
4. April: Stefan Wolpe stirbt in New York.
1973
Reise nach London und Israel. 19. November: Konzert in Boston mit einem kompletten Arnold Schönberg-Programm.
1974
Bekanntschaft mit Garrick Ohlsson, der sich fortan bei Irma weiterbilden wird. 23. Oktober: Konzert an der Brandeis University, MA.
1975
10. Mai: Konzert in Boston mit einem kompletten Stefan Wolpe-Programm.
1976
Meisterklassen in New York.
1977, 1978
Michael Bergmann dreht einen Film über Irmas Klaviertechnik.
1978
Letzte Reise nach Israel.
288
Chronik
1981
In der Zeitschrift der European Piano Teachers Association erscheint Irmas Artikel: Comments on ›The Art of Playing the Piano‹. Sommer: Teilnahme an der Konferenz der EPTA in Eaton, GB.
1984
6. Januar: Irma Wolpe Rademacher stirbt im Lenox Hill Hospital in New York. Ihre Asche wird im Germantown Friends School Cemetery in Philadelphia neben der Asche Hans Rademachers beigesetzt.
1985
17. Februar: Studenten und Freunde nehmen Abschied mit einem Concert in Celebration of Irma Wolpe Rademacher im Elizabeth Irvin Theater, New York.
289
Auswahlbibliografie Aimot, Jean-Marie: L’art et la vie: Mane-Katz, Ed. M. Seheur, Paris 1933 Amar-Dahl, Tamar: Moshe Sharett. Diplomatie statt Gewalt. Der ›andere‹ Gründungsvater Israels und die arabische Welt, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 2003 Babbitt, Milton: Robert Miller (1930–1981), in: The Collected Essays of Milton Babbitt, Princeton University Press 2003 Bäumler, Ernst: Paul Ehrlich. Forscher für das Leben, Wötzel Verlag, Frankfurt/M. 1997 Bargauanu, Grigore und Tanasescu, Dragos: Lipatti, Kahn & Averill, London 1988 Beaumont, Antony: Zemlinsky, Faber & Faber, London 2000 Beimel, Thomas: Vom Ritual zur Abstraktion – über die rumänische Komponistin Miriam Marbe, Tokkata-Verlag, Wuppertal 1994 Boas, Ralph P.: George Pólya, 1887–1985. A Biographical Memoir, National Academy of Sciences, Washington 1990 Böckelmann, Frank et al. (Hrsg.): Eugen Moritz Friedrich Rosenstock-Huessy (1888– 1973), Turia & Kant, Wien 1995 Bohlman, Philip Vilas: The World Centre for Jewish Music in Palestine 1936–1940: Jewish Musical Life on the Eve of World War II, Clarendon Press, Oxford 1992 Borio, Gianmario und Danuser, Hermann (Hrsg.): Im Zenit der Moderne. Die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt 1946–1966. Geschichte und Dokumentation in vier Bänden, Rombach, Freiburg 1997 Born, Nora (Hrsg.): Das Gesetz harmonischer oder dis-harmonischer Entsprechungen. Irma und Stefan Wolpe – Briefwechsel 1933–1972, edition text+kritik, München 2016 Bosworth, Clifford Edmund (Hrsg.): Iran and Islam: in Memory of the Late Vladimir Minorsky, University Press, Edinburgh 1971 Braham, R. L. (Hrsg.): The Tragedy of Romanian Jewry, The Rosenthal Institute for Holocaust Studies, Columbia University Press, New York 1994 Bredow, Moritz Alexander, von: Rebellische Pianistin. Das Leben der Grete Sultan zwischen Berlin und New York, Schott Verlag, Mainz 2012 Carter, Elliott: Stranvinsky and Other Moderns in 1940, in: The Writings of Elliott Carter, Stone, E. und K. (Hrsg.), Indiana University Press 1988 Caspari, V. und Lichtblau, F.: Franz Oppenheimer. Ökonom und Soziologe der ersten Stunde, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 2014 Clarkson, Austin: On the Music of Stefan Wolpe. Essays and Recollections, Pendragon Press, Hillsdale NY, 2003 Clarkson, Austin (Hrsg.): Stefan Wolpe, Contemporary Music Review, Vol. 27, 2+ 3, New York & London, Routledge 2008
291
Auswahlbibliografie Cohen, Aaron I.: International encyclopedia of women composers: classical and serious music, R. R. Bowker, New York 1981 Cohen, Brigid: Stefan Wolpe and the Avant-Garde Diaspora, Cambridge University Press 2012 Corbea-Hoisie, Andrei: Valeriu Marcu. Ein Rumäne im literarischen Berlin, vgl. https:// journals.openedition.org/germanica/380 [abgerufen am 1.8.2023] Custodis, Michael: Traditionen Koalitionen Visionen. Wolfgang Steinecke und die Internationalen Ferienkurse in Darmstadt, IMD, Saarbrücken 2010 Elftmann, Heike: Georg Schünemann (1884–1945); Musiker, Pädagoge, Wissenschaftler und Organisator; eine Situationsbeschreibung des Berliner Musiklebens, Studio-Verlag, Sinzig 2001 Ertan, Deniz: Dane Rudhyar. His Music, Thought, and Art, University of Rochester Press 2009 Eshel, Ruth: Dance in the Yishuv and Israel, in: The Shalvi / Hyman Encyclopedia of Jewish Women, Jewish Women’s Archive, vgl. https://jwa.org/encyclopedia/article/dancein-yishuv-and-israel [abgerufen am 1.8.2023] Föhl, Peter et al. (Hrsg.), Peter Behrens. Vom Jugendstil zum Industriedesign, Weimarer Verlagsgesellschaft 2013 Gerson-Kiwi, Edith: Migrations and Mutations of the Music in East and West: Selected Writings, University of Tel Aviv 1980 Gerson-Kiwi, Edith: Robert Lachmann, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Duncker & Humblot, Berlin 1982 Glass, Hildrun: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918–1938), R. Oldenbourg Verlag, München 1996 Gozlan, Martine: Quand Israël rêvait. La vie de Rachel Bluwstein, Le Cerf, Paris 2018 Grosch, Nils et al. (Hrsg.): Novembergruppe 1918. Studien zu einer interdisziplinären Kunst für die Weimarer Republik, Waxmann, Münster 2018 Grünzweig, W. und Niklew, C. (Hrsg.): Hans Heinz Stuckenschmidt: der Deutsche im Konzertsaal, Wolke Verlag, Hofheim 2010 Gunturu, Vanamali: Krishnamurti. Leben und Werk, Diederichs, DG 133, München 1997 Haarmann, Hermann: Erwin Piscator und die Schicksale der Berliner Dramaturgie. Nachträge zu einem Kapitel deutscher Theatergeschichte, Wilhelm Fink Verlag, München 1991 Hammond, Frederik: Girolamo Frescobaldi, Harvard University Press, Cambridge 1983 Harley, John: Orlando Gibbons and the Gibbons Family of Musicians, Routledge 2020 Hausleitner, Mariana: Deutsche und Juden in Bessarabien 1814–1941. Zur Minderheitspolitik Russlands und Großrumäniens, IKGS, München 2005 Hausleitner, Mariana: Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen. Juden und Deutsche in Rumänien seit 1930, Frank & Timme, Berlin 2021
292
Auswahlbibliografie Heid, Ludger: Das nenne ich ein haltbares Bündnins! Arnold Zweig / Beatrice Zweig und Ruth Klinger – Briefwechsel (1935–1962), Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. u. a. 2005 Hennenberg, Fritz: Paul Dessau. Eine Biographie, VEB DVfM, Leipzig 1965 Hersch, Fred: Good Things Happen Slowly: A Life In and Out of Jazz, Crown Archetype 2017 Heuss, Theodor: Hans Poelzig. Bauten und Entwürfe. Das Lebensbild eines Deutschen Baumeisters. Unveränderte Wiedergabe der 1939 im Verlag Ernst Wasmuth, Berlin, erschienenen Ausgabe, DVA, Stuttgart 1985 Hirmke-Toth, Herta: Rhythmik in Hellerau-Laxenburg: Die pädagogische Arbeit der Schule Hellerau-Laxenburg 1925–1938, Südwestdeutscher-Verlag für Hochschulschriften 2009 Hirshberg, Jehoash: Music in the Jewish Community of Palestine 1880–1948: A Social History, Oxford University Press 1995 Hirshberg, Jehoash: Paul Ben-Haim: His Life and Works, Israeli Music Institute, Jerusalem 2008 Höxtermann, E. und Sucker, U.: Otto Warburg, Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden 1989 Holmes, Maren: Düsseldorf – Berlin – Ankara – Washington: Der Lebenslauf von Edith Weigert, geb. Vowinckel (1894–1982), in: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, Bd. 20, Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2007 Hürtgen-Busch, Songrid: Die Wegbereiterinnen der rhythmisch-musikalischen Erziehung in Deutschland, dipa-Verlag, Frankfurt/M. 1995 Huschka, Sabine: Merce Cunningham und der moderne Tanz: Körperkonzepte, Choreographie und Tanzästhetik, Königshausen & Neumann, Würzburg 2000 International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945, Verlag Saur, München 1983 Johnson, Steven (Hrsg.): The New York Schools of Music and Visual Arts, Routledge, New York – London 2002 Johnson Snyder, Kerala: Dietrich Buxtehude – Leben, Werk, Aufführungspraxis, Bärenreiter, Kassel 2007 Kann, Robert A.: Erinnerungen von Valerie Wolffenstein aus den Jahren 1891–1945, GeyerEdition, Wien – Salzburg 1981 Kitzberger, Stefanie et al. (Hrsg.): Friedl Dicker-Brandeis, De Gruyter, Berlin 2022 Klausner, Joseph: Menahem Ussishkin: His Life and Work, Joint Zionistic Publication Committee, London 1944 Kreysing, Helmuth (Hrsg.): Wolf Rosenberg: Beiträge, Meinungen und Analysen zur neuen Musik, Pfau Verlag, Saarbrücken 2000
293
Auswahlbibliografie Kushnig, Claire und Pellois, Anne (Hrsg.): Le rythme, une révolution! Émile JaquesDalcroze à Hellerau, Slatkine, Genève 2015 Lanz, Doris: Neue Musik in alten Mauern, Peter Lang Verlag, Bern 2006 Livezeanu, Irina: A Jew from the Danube: Cuvântul, The Rise of the Right, and Mihail Sebastian, Diaspora Research Institute, Tel Aviv 1993 Lühe, Barbara, von der: Die Emigration deutschsprachiger Musikschaffender in das britische Mandatsgebiet Palästina: ihr Beitrag zur Entwicklung des israelischen Rundfunks, der Oper und der Musikpädagogik seit 1933, Verlag P. Lang, Frankfurt/M. 1999 Lühe, Barbara, von der: Die Musik war unsere Rettung! Die deutschsprachigen Gründungsmitglieder des Palestine Orchestra, Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 1998 MacDonald, Malcolm: Varèse: Astronomer in Sound, Kahn & Averill, London 2003 Makarova, Elena: Friedl. Ein biografischer Roman, Mitteldeutscher Verlag, Halle / Saale 2022 Martin, Frank et al. (Hrsg.): Émile Jaques-Dalcroze: L’homme, le compositeur, le créateur de la rythmique, La Baconnière, Neuchâtel 1965 Meyer, W. et al. (Hrsg.): Chaim Weizmann: A Biography by Several Hands, Atheneum, New York 1963 Mierau, Fritz: Sergej Tretjakow. Biographie des Dings, in: Arbeitsblätter für die Sachbuchforschung #12, Berlin – Hildesheim 2007 Molkhou, Jean-Michel: Bronislaw Huberman, in: Les grands violonistes du XXe siècle. De Kreisler à Kremer, 1875–1947, Vol. 1, Buchet Chastel, Paris 2011 Mühlemann, Marianne: Dieser Mann macht das Nichts zu stiller Musik, vgl. https://web. archive.org/web/20171201035321/https://www.derbund.ch/kultur/klassik/DieserMann-macht-das-Nichts-zu-stiller-Musik/story/20972202 [abgerufen am 1.8.2023] Müller, Ulrike: Die klugen Frauen von Weimar. Regentinnen, Salondamen, Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, Elisabeth Sandmann Verlag, München 2007 Muşat, Gheorghe: Antonin Ciolan: inegalabilul maestru al baghetei, Ecou Transilvan, Cluj-Napoca 2012 Nemtsov, Jascha: Enzyklopädisches Findbuch zum Archiv der ›Neuen Jüdischen Schule‹, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2008 Nemtsov, Jascha: Jüdische Kunstmusik im 20. Jahrhundert. Quellenlage, Entstehungsgeschichte, Stylanalysen, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2006 Nemtsov, Jascha: Deutsch-jüdische Identität und Überlebenskampf. Jüdische Komponisten im Berlin der NS-Zeit, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2010 Niemann, Walter: Meister des Klaviers: die Pianisten der Gegenwart und der letzten Vergangenheit, Schuster & Loeffler, Berlin 1919, 1921 Noica, Nicolae St.: Emil Prager: un model, Ed. Masina de Scris, Bukarest 2004
294
Auswahlbibliografie Peter Sellers: A Pioneering Mathematician, A Renaissance Man. Peter Sellers Memoriam, 1930–2014, Markus Library, New York 2017, vgl. https://digitalcommons.rockefel ler.edu/peter-sellers-memoriam/1 [abgerufen am 1.8.2023] Phleps, Thomas (Hrsg): Stefan Wolpe. Das Ganze überdenken. Vorträge über Musik 1935– 1962, Pfau Verlag, Saarbrücken 2002 Phleps, Thomas (Hrsg): Stefan Wolpe. Das Ganze ist überall. Vorträge über Musik 1940– 1962, Pfau Verlag, Saarbrücken 2011 Popa, Florinela: Mihail Jora, der prominenteste rumänische Schüler Max Regers, in: Musikgeschichte in Mittel- und Ostmitteleuropa, Heft 18, Universität Leipzig 2017 Prausnitz, Frederik: Roger Sessions. How A »Difficult« Composer Got That Way, Oxford University Press 2002 Rathert, Wolfgang und Schenk, Dietmar (Hrsg): Pianisten in Berlin. Klavierspiel und Klavierausbildung seit dem 19. Jahrhundert, Hochschule der Künste Berlin 1999 Reschika, Richard: Mircea Eliade interkulturell gelesen, T. Bautz, Nordhausen 2006 Sachs, Harvey: Rubinstein: A Life in Music, Grove Press, New York 1995 Schebera, Jürgen: Hanns Eisler, Schott Music, Mainz 1998 Schenk, Dietmar: Die Hochschule für Musik zu Berlin. Preußens Konservatorium zwischen romantischem Klassizismus und Neuer Musik, 1869–1932, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004 Schüssler-Ruggli, Martin: Karol Rathaus, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 2000 Schwarzer, Annette: Stefan Wolpes Frühwerk und die Avantgarde der 1920er Jahre, Institut für Historische Musikwissenschaft der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Königshausen & Neumann, Würzburg 2023 Shepard, Martin: Fritz. An Intimate Portrait of Fritz Perls and Gestalt Therapy, Saturday Review Press 1975 Sherman, Russell: Piano Pieces, North Point Press, New York 1997 Schinköth, Thomas: Jüdische Musiker in Leipzig 1855–1945, Kamprad Verlag, Altenburg 1994 Schulz-Dornburg, Stefan: Das Ohr der Väter, Allitera Verlag, München 2019 Sebastian, Mihail: Jurnal 1935–1944, Humanitas, Bukarest 2021 Siedentopf, Henning: Johann Jakob Froberger. Leben und Werk, Stuttgarter Verlagskontor 1977 Siegmund-Schultze, Reinhard: Landau und Schur – Dokumente einer Freundschaft bis in den Tod in unmenschlicher Zeit, in: Mitteilungen, 19, Deutsche Mathematiker-Vereinigung, Wiesbaden 2011 Spira-Ruschin, Steffie: Trab der Schaukelpferde, Aufbau Verlag, Berlin 1984 Tal, Josef: Der Sohn des Rabbiners. Ein Weg von Berlin nach Jerusalem, Quadriga Verlag, Berlin 1985
295
Auswahlbibliografie Tal, Josef: In Memoriam. Für Heinz Tiessen 1887–1971, in: Schriftenreihe der AdK, Nr. 13, S. 57–62, Berlin, vgl. https://joseftal.org/wp-content/uploads/2012/12/Tal-Tiessen. pdf [abgerufen am 1.8.2023] The Architectural Work of Le Corbusier, an Outstanding Contribution to the Modern Movement, in: UNESCO World Heritage Convention, vgl. https://whc.unesco.org/en/list/1321 [abgerufen am 1.8.2023] Vancea, Zeno: Creația muzicală româneasă. Secolele XIX -XX, Editura muzicală, Bukarest 1968 Viertel, Salka: The Kindness of Strangers, New York Review Books Classics 2019 Viks, Anat: The Earliest Hebrew Speaking Institutions of Music Education: Tel Aviv 1910s, in: Israel Studies on Musicology Online, Vol. 20, 2022, vgl. https://www2.biu.ac.il/hu/mu/ minad/Vol_20_2022/8%20Viks%20MINAD%202022.pdf [abgerufen am 1.8.2023] Walk, Joseph (Hrsg.): Smoira, Moshe, Dr., in: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945, Leo-Baeck-Institut, Jerusalem, Verlag Saur, München 1988 Walker, Alan: Franz Liszt: A Biographer’s Journey in: The Hungarian Quarterly, Vol. LII, 2011 Walker, Alan: Fryderyk Chopin. A Life and Times, Picador, New York 2019 Wangenheim, Gustav, von: Da liegt der Hund begraben, Rowohlt, Hamburg 1974 Wedel, Gudrun: Julie Braun-Vogelstein, in: Biographien von Frauen: ein Lexikon, Böhlau, Köln 2010 Weiler, Klaus: Celibidache: Musiker und Philosoph. Eine Annäherung (Celibidachiana II; Dokumente und Zeugnisse I), Wißner Verlag, Augsburg 2008 Weitz, Hans-Joachim, in: Hessische Biografie, vgl. https://www.lagis-hessen.de/pnd/11909 7966 [abgerufen am 1.8.2023] Wendland, Ulrike: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, Verlag Saur, München 1999 Wind, Hans E. (Blaukopf, Kurt): Die Endkrise der bürgerlichen Musik und die Rolle Arnold Schönbergs, Krystall-Verlag, Wien 1935 Wittfogel, Karl August: Wer ist der Dümmste? Eine Frage an das Schicksal. In einem Vorspiel und vier Akten, in: Sammlung revolutionärer Bühnenwerke. VII, Malik, Berlin 1922 Wolff, Konrad: Masters oft he Keyboard; Individual Style Elementes in the Piano Music of Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin, and Brahms, Indiana University Press 1990 Wolgensinger, Jacques: André Citroën, Motorbuch-Verlag, Stuttgart 1996 Yagil, Limore: Alfred Cortot, entre mémoire et oubli: le destin d’un grand pianiste, in: Guerres mondiales et conflits contemporains (no. 246), 2012/2, vgl. https://doi.org/10.3917/ gmcc.246.0117 [abgerufen am 1.8.2023]
296
Personenregister Ackermann, Otto 69 Adam, Claus 134, 161, 195 Adorno, Theodor 195 Agmon, Eytan 230, 245 Ajemian, Marco 171 Alessandrescu, Alfred 83 Alexan, Georg Friedrich 139, 148 Alexander, Frederick Matthias 14 Alexander, Heim 105, 109 Alfano, Mary 11, 243, 245, 246, 249, 252 Algazi, Léon 65, 66 Alvarez, Fermin Maria 46 Amirà, Benjamin 52, 221 Amiran-Pougatchov, Emanuel 106 Ardeleanu, Stefan 11 Ardon, Dalia 11, 176 Ardon, Miriam (Marie) 176, 194 Ardon, Mordechai (Max Bronstein) 18, 80, 92, 101, 154, 155, 158, 176, 194, 200, 202, 229, 232, 286 Ardon, Nili (Goldzweig) 11, 233, 242 Arghezi, Tudor 59 Avram, David 215, 221 Avram, Meir 21 Ax, Emmanuel 242 Bach, Johann Sebastian 51, 61, 63, 66, 95, 105, 107, 108, 109, 116, 125, 126, 129, 142, 145, 156, 176, 180, 186, 187, 193, 201, 233, 237, 259, 283, 296 Balan, Benno 109 Balfour, Arthur 39 Barab, Seymour 213 Barbura, Iris 201 Barczynski, Henryk 44, 85 Baron, Carol 9, 72, 238
Bârsescu, Agatha 39 Barth, Heinrich 18, 36, 281 Bartók, Béla 83, 117, 131, 141, 147, 157, 158, 159, 192, 193 Battipaglia, Leonard (Lennie) 11, 84, 246, 249, 252 Bauder, John 180 Beauvau-Craon 66 Beethoven, Ludwig, van 46, 58, 61, 62, 63, 121, 125, 126, 127, 129, 133, 137, 138, 141, 145, 147, 148, 171, 176, 186, 192, 193, 201, 208, 233, 259, 296 Behrens, Peter 40, 292 Ben-Gurion, David 109 Ben-Haim, Paul 106, 293 Benedetti-Michelangeli, Arturo 242 Benetzky, Rudolph 180, 185, 186, 187 Bentwich, Marjorie (Maggie) 37, 99 Berg, Alban 192, 157 Berg, Cherney 161, 173 Bergmann, Maria 229, 243 Bergmann, Martin 229, 243 Bergmann, Michael 243, 245, 246, 288 Bergmann, Rudolf (Rudi) 203 Bernstein, Elmer 133 Bernstein, Leonard 141 Bizet, Georges 46 Blacher, Boris 197 Blank, Mauriciu 22, 28, 60 Block, Hans 109 Blum, Art 202 Born, Robert 11 Boroshek, Edith 103, 120 Boulez, Pierre 183
297
Personenregister Brahms, Johannes 8, 51, 108, 113, 117, 125, 127, 138, 141, 156, 162, 192, 193, 201, 233, 239, 241, 265, 296 Brailoiu, Constantin 68 Braun-Vogelstein, Julie 150, 155, 296 Brenner-Rademacher, Susanna (geb. Gaspari) 150 Brody, Elizabeth (geb. Schoenberg) 10, 130, 156, 164, 175, 246, 247, 248, 249 Brown, Earle 179, 204, 213 Brün, Herbert 105, 120, 198, 212 Brüning, Heinrich 71 Busoni, Ferruccio 58, 61, 63, 66, 77, 83, 113, 128, 129, 147, 176, 187, 193, 231, 236 Buxtehude, Dietrich 180, 293
Clarkson, Austin 5, 9, 11, 17, 19, 51, 72, 77, 86, 109, 118, 123, 132, 134, 137, 138, 143, 167, 231, 238, 241, 248, 251, 279, 291 Collet, Robert 203 Cooper, Don 180 Copland, Aaron 128, 131, 132 Corbusier (Charles-Édouard JeanneretGris), Le 41, 296 Cornogg, Ruth (Twig) 248 Cortot, Alfred 13, 16, 40, 126, 223, 281, 296 Costigan Kerns, Louise 11, 230 Costin, Victor 38 Cowell, Henry 179, 183 Cunningham, Merce 187, 293
Cage, John 137, 171, 179, 183, 203, 204, 209, 212 Calder, Alexander 177 Carisi, John 145 Carmen, Arline 170, 172, 202 Carter, Elliott 128, 291 Castelnuovo-Tedesco, Mario 141 Cavaretta, Alfred (Fred) 246 Celibidache, Sergiu 201, 296 Chagall, Marc 62, 63, 66 Chamberlain, Anne 249 Chernoff, Shula 147 Chopin, Frederik 8, 13, 14, 15, 46, 58, 61, 62, 63, 66, 83, 99, 104, 110, 113, 117, 127, 129, 137, 141, 145, 147, 156, 160, 176, 193, 201, 236, 237, 242, 261, 262, 263, 264, 284, 296 Choron, Rose (geb. Josefowitz) 180, 225, 229, 230 Ciolan, Antonin 61, 282, 294 Citroën, André 70, 71, 296
Davies, Chemda 106, 117 Davrath, Netania 222, 288 Debussy, Claude 46, 58, 61, 66, 83, 108, 112, 117, 130, 141, 145, 186, 187, 193 Dehn, Max 181 Demetrescu, Traian (Tradim) 23 Dessau, Paul 129, 132, 293 Dicker, Friedl 78, 293, 294 Dobrowen, Issay Alexandrovich 114 Doniach, Schulamit (Schula) 78 Dostrovsky-Kopernik, Yocheved 210, 232 Duca, Ion 64, 84
298
Ehrlich, Paul 154, 291 Einstein, Albert 149 Eisenstadt, Pnina 117 Eisler, Hanns 50, 66, 295 Eliade, Mircea 68, 295 Enescu, George 16, 31, 39, 60, 281 Epping, Anna 18, 54
Personenregister Epstein, Judith 125 Erle, Broadus 173 Ermolnikoff, Rachel 116 Esther, Nora 74, 76, 101 Falla, Manuel, de 66, 86 Fauré, Gabriel 46 Fekdman, Ludovic 60 Feldman, Morton 145, 179, 183, 213 Fenner, Johannes 11 Finegan, Lee 145 Franck, César 119, 193 Fränkel, Benno 124 Fränkel, Rudolf 103 Frescobaldi, Girolamo 66, 128, 131, 138, 159, 180, 186, 292 Frey, Olga 101, 150 Frey, Walter 76 Friedman, Fritz (Eli) 101, 102, 120, 198, 212 Friedman, Lily 11, 180, 243 Fries, Werner 120 Froberger, Johann Jacob 180, 295 Garburg, Paula 234 Garcia, Anezia 246, 249 Gazzelloni, Severino 209 Gerson-Kiwi, Edith 102, 292 Gibbons, Orlano 180, 292 Gilbert, Charles 170 Gigante Sharpe, Laura 230, 246, 249 Goldberg, Sylvia 185 Goldfaden, Abraham 39 Goldstein (Gorby), Sara 31, 46, 57, 60, 65, 67, 85, 91, 282 Gradenwitz, Peter 102, 203 Grindea, Carola 245, 246 Grippe, Peter 177
Grolle, Johann 14, 125, 126, 127 Grosswald, Emil 214 Guttmann, Alfred 116 Händel, Georg Friedrich 8, 101, 108, 187, 239, 265 Hahn, Otto 69, 74, 75, 97 Halevy (Osnath), Sara (Sarah) 123 Harris, Donald 13 Harris, Roy 169 Harris, Zellig 149, 158, 213 Harrison, Lou 179 Hauer, Josef Matthias 179 Hausberger, Brigitte 131, 133, 135, 136, 139, 140, 153, 169 Hauser, Emil 18, 91, 94, 101, 102, 105, 107, 118, 120, 283 Haydn, Joseph 113, 201, 237, 296 Hellwig, Günther 242 Hersch, Fred 230, 293 Herzl, Theodor 28, 40 Hirsch, Ernst 120 Hirsch, Erwin 92, 101 Hirsch, Eugene 160 Hirsch-Fellheimer, Anne 92, 99, 101, 102, 108, 112, 114, 116, 117, 120, 200 Hofmekler, Daniel 120 Hohenzollern-Sigmaringen, Ferdinand I., von 29 Hohenzollern-Sigmaringen, Karl I., von 29 Hoop (Schoenberg) Dolly, van der 176, 215, 226, 233 Hoop, Molly, van der 176 Horowitz, Wladimir 245 Hubacher, Carl 75, 76 Huberman, Bronislaw 85, 109, 294 Hunt, Everett Lee 160
299
Personenregister Ichiyanagi, Toshi 209 Ichimura, Mitsuko 246 Iorga, Nicolae 29 Itzkowitz, Norman 225 Jacob, Käthe 50, 74 Jacob-Loewenson, Alice 74, 102, 103, 107, 110, 113, 116, 131 Jacobs, Paul 213 Jacoby, Hanoch 101, 117 Jaques-Dalcroze, Émile 7, 14, 16, 34, 39, 40, 41, 42, 43, 64, 281, 294 Jones, David 221 Jones, Jasper 212 Jora, Mihail 60, 295 Kagan, Helena 101 Kagan, Susan 180, 192, 195, 196, 249, 298 Kamp, Peter, van de 150, 170 Kaplan, Herbert 105 Kaplan, Shirley 199 Kaplan, Zwi 120 Katz, Aron 21 Katzenelson, Itzak 85 Kaufman, Bruria 149, 158, 213, 233 Kay, Ulysses 135 Kesten, Hermann 136 Kestenberg, Leo 71, 73, 75, 106 Khan, Vilayat 8, 190, 191, 193, 287 Kisch, Frederick 62 Klausner, Käthe 101, 293 Kleiber, Erich 50 Kodály, Zoltán 132 Koechlin, Charles 66 Koff, Robert 185 Kontarsky, Alfons 208 Kontarsky, Alois 208, 209
Kontarsky, Bernhard 208 Kooning, Willem, de 177, 229 Korn, Peter Jona 105, 106, 117, 120 Kothe, William 199 Kozenn (Chajes), Marguerite 104 Kraft, Jean 213 Kreisler, Fritz 37, 85, 294 Kreutzer, Leonid 16, 35, 36, 281 Krishnamurti, Jiddu 44, 281, 192 Krosnick, Joel 213 Kurth, Ernst 14 Lachmann, Robert 102, 292 Lacour, Marcelle, de (geb Schaeffer) 66 Landau, Charlotte (Dolli) 52, 54, 56, 57, 58, 59, 61, 71, 76, 88, 101, 119, 124, 129, 131, 145, 146, 147, 151, 153, 154, 155, 163, 164, 165, 167, 171, 282 Landau, Edmund 36, 39, 49, 51, 52, 59, 71, 76, 87, 119, 295 Landau, Marianne 54, 119, 154 Landau (von Schüching), Suzanne 87 Lannutti, Arthur 131 Lebow, Howard 213 Leichter, Sinai 108 Lefschetz, Solomon 163 Leonskaja, Elisabeth 242 Lev, Ray 161 Levy, Saly 120 Liba, Debora 22 Ligeti, György 209, 212 Lippati, Dinu 58, 291 Lippold, Richard 177 Lishner, Leon 170 Liszt, Franz 9, 46, 61, 119, 138, 147, 156, 157, 162, 208, 282, 296 Lourie, Arthur 163, 167 Lourie, Barbara 163, 167
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Personenregister Loewy, Andreas 225 Loewy, Ariel 52, 172, 173, 174, 242, 181, 189, 208, 221, 242 Loewy, Karin (geb. Rademacher) 10, 150, 152, 158, 172, 173, 174, 242, 247, 181, 189, 208, 215, 221, 242, 247 Loewy, Michael 181, 225, 249 Loos, Adolf 78 Lopatnikoff, Nikolai 129 Lupu, Radu 58 Lyman, Arthur 252 Lyman, David 246 Lyshinsky, Luba 230 Maderna, Bruno 209 Magaloff, Nikita 242 Mandelbrot, Benoît 177 Mandler, Isak 21 Mandler, Perl (Perla) 21 Mandler Sally 21 Mané-Katz, Emmanuel 66, 67, 291 Mann, Claire 157 Mann, Heinrich 15, 139 Mann, Robert 195 Marbe, Miriam 58, 291 Marcu, Valeriu 137, 292 Margulies, Selma Marguerite 52, 85, 172, 174, 176, 177, 202 Martin, Judith 213 Martinu, Bohuslav 132 Marx, Josef 7, 9, 14, 15, 99, 101, 103, 104, 107, 111, 114, 115, 117, 118, 119, 123, 129, 131, 132, 180, 187, 202, 213 Masi, Steven 249 Maxin, Jacob (Jack, Jackie) 7, 9, 11, 18, 123, 127, 132, 138, 139, 140, 141, 142, 144, 145, 151, 153, 154, 156, 157, 159, 160, 161, 162, 165, 166, 167, 169, 170,
171, 172, 177, 179, 180, 181, 195, 206, 207, 208, 210, 217, 218, 222, 223, 224, 230, 231, 232, 284, 285, 286, 288 McNair, Crawford 120 Medini, Yael (geb. Shertok / Sharett) 149 Mehta, Mehli 190, 193, 287 Mehta, Zubin 190 Messiaen, Olivier 209 Meyer, Leonard 133, 143, 147, 148, 160 Michelson, Henriette 133, 142, 148, 170, 198 Mihalovici, Marcel 83, 86, 103, 283 Milhaud, Darius 116, 141 Miller, Robert 227, 291 Milner, Miriam 180 Minor, Joseph 39, 66 Minorsky, Wladimir 163, 291 Mirsky Ginsburg, Jeannette 223 Mitropoulos, Dimitri 147, 148 Mizumura, Kanei 249 Modigliani, Amedeo 66 Moller, Hans 78, 80, 283 Moller-Wottitz, Anny 78, 80, 283 Molnar, Anneliese, von 132 Monte Young, Thornton, La 209 Morgenstern, Milan 80 Morgenstern, Soma 136 Morley, Hilda 163, 167, 169, 170, 174, 178, 181, 184, 189, 199, 200, 203, 205, 210, 211, 213, 217, 218, 220, 227, 229, 230, 231 Moszkowski, Alexander 37 Motherwell, Robert 177 Motzkin, Leo 37 Mozart, Wolfgang Amadeus 85, 99, 113, 116, 141, 171, 186, 187, 201, 208, 237, 296
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Personenregister Mussorgsky, Modest 46, 208 Muzicescu, Flora 58 Nadel, Arno 116 Nelligan, Emily 18 Nemiroff, Isaac 133, 143, 147, 149, 160, 173 Noe, Marcel 104 Ohlsson, Garrick 11, 13, 15, 19, 236, 237, 238, 239, 242, 243, 245, 246, 249, 252, 265, 288 Olson, Charles 186, 189 Okuniewska (Wolpe), Olga (Ola) 8, 9, 10, 18, 56, 61, 69, 152, 177, 178, 190, 199, 202, 204, 205, 206, 209, 210, 213, 214, 217, 219, 220, 223, 224, 225, 286 Oppenheim, David 213 Oppenheimer, Heinz 7, 16, 49, 52, 53, 54, 55, 56, 282 Oppenheimer, Franz 16, 52, 53, 54, 56, 291 Oren, Benjamin 149, 180, 190, 226, 243 Oren, Daniela 234 Oren, Fenja (geb. Josefowitz) 180, 190, 243 Ornstein, Leo 169 Ornstein, Margalit 42 Paradisi, Pietro Domenico 66, 83 Parkinson, Zaidee 185, 213 Parnes, Sascha 110, 112, 120 Parrott, Lalan 202 Pearl, Mildred 199 Pelleg, Frank 105 Perls, Frederic Salomon 161 Peters, Bernard 190, 191, 193, 194 Peters, Hannah 190, 191, 193, 194
Pimsleur, Solomon 202 Pinson, Hilda 202 Pirone, Donald 230 Piscator, Erwin 139, 292 Poelzig, Hans 71, 293 Pollini, Maurizio 242 Pollock, Jackson 177 Pólya, George 163, 291 Prager, Emil 81, 294 Prey, Herman 242 Prokofjew, Sergei 141 Purcell, Henry 107, 108 Putterman, David 141 Rabl, Bobbi (geb. Wolpe) 72, 115, 178 Rachel (Bluwstein, Rachel) 108, 292 Rachmaninoff, Sergej 245 Rademacher, Erna 174 Rademacher, Hans 8, 10, 17, 18, 101, 137, 150, 151, 152, 153, 154, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 165, 166, 167, 169, 170, 171, 172, 174, 176, 177, 179, 181, 183, 185, 186, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 210, 212, 213, 214, 215, 217, 218, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 248, 286, 287, 288, 289 Rademacher, Peter 150 Rago, Beatrice (geb. Schoenberg) 112, 130, 153, 155, 163, 164, 215 Raimondi, Matthew 213 Raphael, Emma 161, 174 Raphael, Max 156, 158, 160, 161, 167, 174, 181 Raschèr, Sigurd 159 Rathaus, Karol 129, 132, 295 Rauschenbereg, Robert 212
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Personenregister Ravel, Maurice 46, 61, 85, 137, 141, 145, 156, 160, 193 Ray, Miriam (geb. Eröss, Emma) (Mouche) 99, 119, 121, 124, 132, 142, 147, 155, 160, 171, 174, 204, 215, 221, 225, 283 Reger, Max 60, 117, 142, 295 Reinhardt, Max 110 Reise, Harold 150 Reise, Jay 150 Reti, Rudolf 131 Rich, Elizabeth 149, 249 Richter, Horace 174 Riley, Terry 209 Rilke, Rainer Maria 117 Rimski-Korsakow, Nikolai Andrejevitsch 46 Rochberg, George 199 Rompe, Elsa 7, 16, 18, 33, 36, 39, 49, 212, 282 Rosenberg, Wolf 105, 120, 198, 293 Rosenfeld, Paul 133, 169 Rosenstock-Huessy, Eugen 174, 207, 291 Rotem-Nelken, Ora 232 Rubinsky, Sonia 243, 246 Rubinstein, Artur (Arthur) 85, 90, 126, 295 Rudhyar, Dane 172, 292 Sachs, Joel 239 Sacks, Bernice 148 Sacks, Ray 148 Saft Theilheimer, Else 217 Salomon, Karel 108 Sammeth, Marten 213 Samsonov Cooper, Ruth 105, 111
Scarlatti, Domenico 46, 58, 63, 66, 83, 129, 156 Scheidt, Gottfried 180 Scheltema, Marie Adama, van 18, 35, 36, 39, 42, 54, 281 Schenker, Heinrich 14 Scherchen, Auguste-Maria (Gustl) 100 Scherchen, Hermann 74, 83, 90, 99, 100, 200 Schiff, Fritz 195 Schiff, Heinrich 242 Schlamme, Martha 206 Schlesinger, Hans 110, 284 Schomann, Benno 70 Schlomann, Else (Schlo) 9, 70, 74, 75, 77, 79, 80, 81, 82, 86, 90, 91, 92, 95, 100, 102, 113, 114, 115, 116, 119, 121, 122, 133, 136, 139, 140, 165, 171, 176, 285 Schnabel, Artur 85, 127, 132, 201 Schocken, Wolfgang 120 Schoenberg, Avram 22 Schoenberg, Harry Heinrich (Henry Ray) 7, 10, 18, 27, 28, 29, 30, 33, 34, 36, 37, 40, 41, 45, 46, 47, 51, 52, 57, 60, 61, 64, 68, 70, 71, 73, 74, 75, 76, 78, 80, 81, 83, 84, 85, 86, 87, 89, 90, 91, 92, 95, 96, 99, 103, 119, 121, 124, 132, 145, 146, 147, 155, 156, 160, 161, 163, 167, 169, 171, 174, 175, 185, 204, 281, 283, 285, 287 Schoenberg, Isaac Jacob (Iso) 7, 10, 27, 28, 29, 30, 36, 37, 38, 39, 41, 45, 46, 47, 49, 51, 52, 53, 54, 57, 58, 59, 60, 61, 64, 87, 88, 71, 92, 95, 101, 103, 112, 121, 124, 128, 129, 130, 131, 135, 137, 145, 147, 149, 151, 152, 153, 154, 156, 158, 161, 163, 164, 165, 167, 171, 173, 174,
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Personenregister 175, 176, 185, 215, 217, 221, 226, 233, 234, 247, 248, 249, 281, 282, 285 Schoenberg, Jacob 7, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 33, 35, 37, 41, 46, 47, 49, 51, 54, 55, 56, 58, 59, 60, 73, 223, 281 Schoenberg, Rachel 7, 10, 21, 22, 23, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 31, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 45, 46, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 95, 96, 97, 99, 101, 103, 107, 110, 111, 119, 121, 124, 125, 132, 135, 137, 172, 215, 233, 281, 283, 285 Schönberg, Arnold 65, 66, 108, 157, 158, 232, 234, 235, 237, 250, 288, 296 Schubert, Franz 137, 148, 160, 193, 201, 223, 237 Schüching, Heinz, von 87 Schünemann, Georg 79, 292 Schuller, Gunther 229, 232, 239 Schulz-Dornburg, Rudolf 50, 295 Schuman, Richard W. 157 Schumann, Robert 46, 117 Schur, Issai 36, 38, 295 Sebastian, Mihail (Hechter, Josif) 56, 68, 294, 295 Seddon, Krista 11, 230, 251 Segal, Arthur 202 Segall, Isaac 21, 22, 23, 25, 27 Segall, Perl (geb. Mandler) 25, 27, 30 Sellers, Peter 248, 295 Seltzer, Cheryl 239 Sessions, Roger 132, 169, 295 Shapey, Ralph 172, 173, 185, 213, 131 Shapira, Ruth 117 Shapiro (-Papernow), Lisa 153, 157, 163, 167, 169, 204
Sharet (Shertok), Moshe 149, 291 Sharet (Shertok), Yehuda 149 Sherman, Russell 14, 19, 226, 229, 239, 245, 246, 249, 265, 295 Simons, Netty 213 Skrjabin, Alexander Nikolajewitsch 66, 131 Skrjabin, Ariadna (geb. Schletzer) 66 Smith, David 177 Smoira, Moshe 62, 65, 81, 296 Sollberger, Henry 213 Sokolow, Nahum 29, 64 Sommerfeld, Adolf 36 Sorber, James 148 Soutine, Chaim 66 Spazierer, Efraim 233 Spencer, Mary Jo 165 Steinberg, William 111 Starr, Roland 246 Steinecke, Wolfgang 199, 292 Steiner-Thoma, Siegfried 79 Stern, Noah 116 Steuermann, Eduard 14, 19, 77, 78, 80, 127, 128, 143, 158, 159, 161, 165, 195, 203, 207, 223, 226, 229, 283, 284 Stockhausen, Karlheinz 204, 209 Stoessinger, Caroline 245, 246 Stravinsky, Igor 102, 112, 117, 127, 141, 159, 171, 186, 192 Stuckenschmidt, Hans Heinz 50, 197, 292 Stumpf, Thomas 230 Stutschewsky, Joachim 103, 104, 117 Sussman (Süssman), Werner 105, 120 Sussmann, Jocheved 117 Swan, Alfred Julius 140, 148, 158, 159 Szántó, Jani 132
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Personenregister Tal (Grünthal), Josef 14, 50, 112, 113, 128, 241, 284, 295, 296 Tata, Thelma 191 Tăutu, Cornelia 225 Teichmüller, Oswald 77 Tiessen, Heinz 50, 296 Timmens, James (Jim) 158, 159, 160, 173 Thomas, Adrienne (Strauch, Hertha) 137 Töplitz, Erich 114 Toscanini, Arturo 114 Tretjakow, Sergei 78, 294 Trump, Christopher 180 Tudor, David 7, 18, 19, 123, 138, 139, 141, 142, 144, 145, 147, 148, 149, 151, 152, 153, 154, 159, 160, 162, 165, 170, 172, 173, 179, 180, 181, 183, 187, 199, 203, 205, 209, 209, 212, 285, 286 Tudor, Joy 142, 149 Turnbull, William 177, 210 Ussishkin, David 10, 103, 210, 211 Ussishkin, Elsa (geb. Schoenberg) 10, 18, 27, 28, 30, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 51, 52, 53, 54, 57, 61, 62, 63, 64, 66, 71, 73, 74, 75, 76, 81, 85, 91, 92, 93, 96, 99, 103, 107, 109, 110, 124, 125, 128, 135, 145, 147, 154, 163, 170, 185, 194, 195, 200, 202, 203, 204, 210, 213, 214, 225, 233, 243, 247, 281, 286 Ussishkin, Menahem 38, 39, 62, 109, 135, 293 Ussishkin, Samuel (Sama) 39, 40, 41, 45, 52, 62, 81, 103, 109, 110, 124, 154, 155, 194, 200, 202, 214, 233, 243, 281, 286
Valéry, Paul 170 Varèse, Edgar 170 Vetter, Hermann 16, 34, 281 Vivaldi, Antonio 187 Vogel, Wladimir Rudolfowitsch 197, 200 Wagner, Richard 233, 159 Walker, Alan 9, 13, 196 Wangenheim, Gustav, von 69, 70, 77, 296 Warburg, Otto 53, 55, 293 Warschauer, Maxine 230 Webern, Anton 77, 80, 81, 82, 132, 179, 196, 231 Wedgwood, Josiah Clement 55 Weigert, Edith 166, 293 Weingarten, Lois 237 Weitz, Hans-Joachim 10, 44, 245, 247, 296 Weizman, Chaim 33, 46, 47, 49, 64, 294 Wied, Elizabeth, zu (Carmen Sylva) 27, 28 Wilenski, Michael 37 Winawer, Maxim 66 Witkin, Beatrice 213 Wittfogel, Karl August 70, 296 Wolf, Friedrich 77 Wolff, Christian 179, 204 Wolff, Konrad 8, 14, 201, 261, 262, 263, 264, 296 Wolffenstein, Andrea 212 Wolffenstein, Valerie 212, 293 Wolpe, David 97 Wolpe, Katharina (Kathi) 9, 69, 74, 97, 100, 110, 114, 122, 133, 171, 177, 178, 184, 185, 190, 197, 199, 203, 205, 208,
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Personenregister 210, 211, 213, 214, 217, 219, 220, 222, 22, 227, 230, 286 Wolpe, Stefan 7, 9, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 49, 50, 56, 61, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 147, 148, 149, 150, 151, 153, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 166, 167, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 192, 196, 197, 198, 199, 200, 202, 203, 205, 206,
208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 227, 229, 230, 231, 238, 239, 240, 241, 246, 248, 251, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 291, 292, 295 Wolpe, Willi (Woop) 72, 73, 75, 80, 82, 196 Wummer, John 209 Wuorinen, Charles 213 Zissu, Abraham Leib 56 Yellin, Thelma; S. 85, 99 Zeger, Brian 246 Zemlinsky, Alexander 129, 291 Zweig, Arnold 94, 101, 136, 195, 293 Zweig, Beatrice 136, 293 Zweig, Marie 94, 195 Zweig, Stefan 136
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