Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung: Methoden, Instrumente und Anwendungsfälle [1 ed.] 9783896442895, 9783896732897

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Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung: Methoden, Instrumente und Anwendungsfälle [1 ed.]
 9783896442895, 9783896732897

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Schriftenreihe Interkulturelle Wirtschaftskommunikation

Christoph I. Barmeyer Jürgen Bolten (Hrsg.)

Interkulturelle Personalund Organisationsentwicklung Methoden, Instrumente und Anwendungsfälle

Verlag Wissenschaft & Praxis

Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung Methoden, Instrumente und Anwendungsfälle

Schriftenreihe Interkulturelle Wirtschaftskommunikation herausgegeben von: Prof. Dr. Jürgen Bolten, Universität Jena Prof. Dr. Peter Oberender, Universität Bayreuth

Band 14

Christoph I. Barmeyer Jürgen Bolten (Hrsg.)

Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung Methoden, Instrumente und Anwendungsfälle

Verlag Wissenschaft & Praxis

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89673-289-7

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2010 Tel. +49 7045 930093 Fax +49 7045 930094 [email protected] www.verlagwp.de

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany

Einleitung Integrierte interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung Zur Konzeption und zum Aufbau des Bandes Gut zehn Jahre nach Veröffentlichung unseres Sammelbandes „Interkulturelle Personalorganisation“ (Barmeyer/Bolten 1998) standen wir vor der Alternative, die Autoren im Sinne eines ‚facelifts’ um Aktualisierungen und Überarbeitungen zu bitten, oder aber ein komplett neues Buch entstehen zu lassen. Dass wir uns nach eingehender Diskussion für die zweite Alternative entschieden haben, ist Ausdruck unserer Reaktion auf teilweise recht einschneidende inhaltliche und strukturelle Veränderungen, die sich in Szenarien der interkulturellen Personalorganisation in den vergangenen Jahren ereignet haben: Die Gegenstandsbereiche interkultureller Forschung und Praxis haben sich erweitert und sind erheblich differenzierter geworden. Diese Veränderungen und Dynamiken lassen sich durch das Label „Interkulturelle Personalorganisation“ nicht mehr angemessen abbilden. Dass wir für das Buch jetzt den Titel „Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung“ gewählt haben, verweist auf einen Aspekt, der für den Erfolg von Maßnahmen zur interkulturellen Kompetenzentwicklung zunehmend wichtiger wird, nämlich die wechselseitige Einbindung von interkultureller Personalentwicklung und interkultureller Organisationsentwicklung: Personalentwicklung lässt sich als operative Organisationsentwicklung, und Organisationsentwicklung als strategische Personalentwicklung begreifen. In einem internationalen Umfeld wird Personal- und Organisationsentwicklung zunehmend mit interkulturellen Herausforderungen konfrontiert: damit, wie sich Strategien, Strukturen, Prozesse und Gruppen in anderskulturellen Kontexten verändern bzw. entwickeln lassen, ohne deren eigenkulturelle – und bewährte und meist erfolgreiche – Spezifizität zu stören und damit die Effektivität der Organisation zu beeinträchtigen. Sowohl Entwicklungs- und Veränderungsansätze, Konzepte und Methoden, als auch das organisationale Umfeld sind in spezifische kulturelle Kontexte eingebunden, die es zu beachten gilt. Dies führt zu einer Kombination interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung. Zwei weitere Aspekte sprechen für eine Integration von interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung. Zum einen ist es die gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krise und knapper Unternehmensbudgets immer wieder zu beobachtende Unverbindlichkeit, mit der interkulturelle Personalentwicklung in Unternehmen praktiziert wird. Sie ist wohlgelitten, aber notfalls auch entbehrlich. Eine Befreiung aus diesem „Mauerblümchen-Dasein“ gelänge nur auf der Grundlage einer festen Verankerung in organisationalen Strukturen und Prozessen wie etwa durch die Einbeziehung in Wissensmanagement-Konzeptualisierungen. Und dies berührt bereits den zweiten Aspekt: In den vergangenen Jahren sind Fragestellungen der interkulturellen Kompetenzentwicklung vielfach im Schatten der deutlich populäreren Diskussionen zum Diversity-Manage5

ment erörtert und damit aus dem Interessenfocus gedrängt worden. Faktisch ist interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung jedoch ein wichtiger Teilbereich, wenn es um die Realisierung unternehmenskultureller Vielfalt geht. Dies sollte intensiver diskutiert und kommuniziert werden. Denn ‚Diversity’ ist in den meisten Unternehmen inzwischen Chefsache und über Leitbilder und Unternehmensgrundsätze organisational verankert – eine Chance für die interkulturelle Personalentwicklung, um als interkulturelle Organisationsentwicklung wirksam zu werden und ihre Verbindlichkeit zu unterstreichen. In den Beiträgen dieses Bandes werden entsprechende konzeptuelle Vorschläge skizziert, es wird aber auch auf die Instrumente eingegangen, mit denen interkulturelle Kompetenzentwicklung vor diesem Hintergrund realisiert werden kann. Standen interkulturelle und länderspezifische Trainings (denen wir auch im Vorgängerband noch relativ großen Raum zugebilligt hatten) früher unangefochten im Zentrum des Interesses, so zeigen die nachfolgenden Beiträge ein gewandeltes Bild, das sehr stark durch das Bemühen um situations- und individuenbezogene Lösungen geprägt ist. Interkulturelle Einzel- und Gruppencoachings, Mediationsangebote und interkulturelle Organisationsberatung dürften ‚kulturalisierenden’ Trainingsmaßnahmen inzwischen den Rang abgelaufen haben. Die Beiträge des Sammelbandes sind in drei Themenbereiche gegliedert: Der erste Teil ist konzeptuellen Aspekten gewidmet und diskutiert dabei unter verschiedenen Gesichtspunkten vor allem Möglichkeiten der Integration von interkultureller Personal- und interkultureller Organisationsentwicklung. Der zweite Teil fokussiert Anwendungsfelder und Instrumente der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung; im dritten Teil geht es um die Frage, auf welche Weise in Theorie und Praxis der Tatsache Rechnung getragen werden kann (und muss), dass Methoden der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung per se ebenfalls kulturspezifisch sind. 1. Die Rahmenbedingungen für eine integrative Neuorientierung von Personal- und Organisationsentwicklung markiert Stefanie Rathje mit ihrem Hinweis auf einen Paradigmenwechsel, der in den vergangenen Jahren in der Organisationskulturforschung stattgefunden hat, und der als Wandel von kohärenz- zu kohäsionsorientiertem Denken beschrieben werden kann: Anstelle der Homogenität des Ganzen i.S. einer unternehmenskulturell ‚einheitlichen’ corporate identity rückt jetzt die kohäsionsorientierte Interaktion der Einzelnen, die Vernetzung kleinerer Kollektive unter Wahrung ihrer ‚diversity’, in den Vordergrund des Interesses. Damit wird Organisationskulturentwicklung nicht mehr vorrangig aus der organisationalen Makro-, sondern aus der individuellen Mikroperspektive gedacht: interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung stehen in einem wechselseitigen Verweisungszusammenhang. Die beiden folgenden Beiträge nähern sich diesem Zusammenhang aus organisationaler Perspektive: Christoph Barmeyer verweist auf die praktischen Hürden, die den Paradigmenwechsel gegenwärtig begleiten. Sein Beitrag illustriert die kulturspezifischen Grenzen internationaler Organisationsentwicklung am Beispiel der Darstellung von 6

immer noch ethnozentristisch untermauerten Transferstrategien in internationalen Mutter-Tochterbeziehungen. Ein Drei Ebenen-Modell gibt Orientierung für eine kontextangepasste interkulturelle Organisationsentwicklung. Jochen Strähle skizziert in einem kurzen Forschungsbericht wichtige Entwicklungen im Verständnis von Unternehmenskultur. Er plädiert dafür, dass bei Unternehmenskulturanalysen die Mitarbeiterperspektive im Vergleich zu makroanalytischen Vorgehensweisen stärker in den Vordergrund rücken solle. Volker Stein beleuchtet das Thema aus Sicht der interkulturellen Personalentwicklung: Sein Beitrag befasst sich mit Aspekten der interkulturellen Kreativität, die international Agierenden hilft, sich in widersprüchlichen und mehrdeutigen Kontexten und Prozessen zu bewähren und Einfallsreichtum und Kompetenzen so zu mobilisieren, dass produktives interkulturelles Handeln möglich ist und Ziele effektiv erreicht werden können. Auch hier gilt das Prinzip der Wechselwirkung: Interkulturelle Kreativität braucht einen organisationalen Kontext, der ihre Entfaltung ermöglicht. Wie wichtig interkulturelles Wissensmanagement für die Praxis einer integrierten interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung ist, verdeutlichen die weiteren Beiträge des ersten Themenbereiches: Am Beispiel der Reintegration von Expatriates zeigt Sylke Piéch, dass eine Systematisierung individuellen Wissens auf organisationaler Ebene möglich ist, sofern interkulturelles Wissensmanagement als Scharnier zwischen Personal- und Organisationsentwicklung verstanden wird. In welcher Weise interkulturelles Wissensmanagement realisiert werden muss, um interkulturelle Kompetenz aus ihrer üblicherweise personal gedachten Hülse zu lösen und als organisationale zu entwickeln, diskutiert der Beitrag von Jürgen Bolten. Organisationale interkulturelle Kompetenz wird dabei wesentlich als emergente Netzwerkkompetenz interpretiert. Dies gilt auch für Irina Bäuerle, die innerhalb ihres integrierten Konzepts eines Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagements Methoden der Analyse von Netzwerkinteraktionen skizziert. Ihr abschließender Hinweis auf die Kulturspezifik von Netzwerkorientierungen schlägt bereits eine Brücke zum Kernthema des dritten Themenbereichs. 2. Die Aufsätze des zweiten Themenbereichs dokumentieren auf vielfältige Weise, welche Verfahren und Instrumente gegenwärtig in der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung Anwendung finden und inwieweit sich der Gedanke einer integrativen Sichtweise realisieren lässt. Die beiden ersten Beiträge orientieren sich hierbei an Fragen der interkulturellen Teamentwicklung: Stefan Strohschneider knüpft Anschlussstellen an die Tradition der Human-Factors-Forschung in der Psychologie, verweist auf die Wechselseitigkeit von individuellem Handeln und organisationaler Kontextgestaltung, und fragt nach der Übertragbarkeit von Human-Factors-Designempfehlungen auf die Bedingungen interkultureller Teamarbeit.

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Petra Köppel widmet sich in ihrem Beitrag der Praxis virtueller interkultureller Teamzusammenarbeit und diskutiert, unter welchen Bedingungen solche Teams der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen nutzen können. Karsten Müller und Matthias Metzger zeigen, wie eine international eingesetzte Mitarbeiterbefragung bei großen Unternehmen wie der Continental AG nicht nur eine wichtige Informations- und Evaluationsfunktion hat, sondern als unternehmenskulturelles Integrationsinstrument des Gesamtunternehmens wirken kann. Eine ähnliche Funktion – wenn auch unter ganz anderem Blickwinkel – kann die Methode des ‚World Cafés’ einnehmen, der Nathalie Hecker im Rahmen ihres Prozessmodells zur Kultur- und Werteentwicklung einen wichtigen Beitrag bei der Nutzung kollektiver Intelligenz zuweist. Dass sich interkulturelle Personalentwicklung und Unternehmenskulturentwicklung international verknüpfen lassen – und zwar horizontal durch Funktionen und vertikal über Hierarchie-Ebenen – thematisieren Christoph Barmeyer, Klaus Boll und Eric Davoine anhand der Entwicklung des Unternehmensleitbildes von Bosch. Auf der Basis eines systemischen Ansatzes stellt Annette Hammerschmidt zum Abschluss des zweiten Themenbereichs kulturspezfische und kulturübergreifende Orientierungsinstrumente vor. Diese sollen dazu beitragen, die komplexe Wirklichkeit von Organisationen besser zu verstehen, zu ordnen und zu steuern, sowie den oft überbetonten Einfluss-Faktor Kultur durch andere Faktoren wie Kontext, Situation, Rolle zu relativieren. 3. Die Beiträge des dritten Themenbereichs befassen sich mit Aspekten der Kulturspezifik und Interkulturalität von Methoden der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung: Ulrike Haupt beschäftigt sich mit systemischer Organisationsentwicklung aus der Beraterperspektive und zeigt auf, warum Organisationsentwicklung in bestimmten Ländern wie Deutschland verbreitet ist, in anderen Ländern, wie Frankreich, jedoch nicht. Dies deutet auf spezifische kulturelle Bedingungen hin, deren sich viele internationale Organisationsberater kaum bewusst sind. Als Hilfestellung nimmt sie eine Differenzierung kultureller Organisationsentwicklung vor, um die Umsetzung von Konzepten in bi- und multikulturellen Kontexten erfolgreicher zu gestalten. Überlegungen zu Konsequenzen der bislang kaum diskutierten Kulturspezifik interkultureller Personalentwicklungsmaßnahmen stehen im Mittelpunkt der weiteren Beiträge: Nadja Riedlberger geht ‚back to the roots’ und analysiert unter methodologischen Gesichtspunkten die Anfänge der interkulturellen Trainingsforschung und -praxis in den USA. Dabei wird deutlich, wie stark die interkulturelle Personalentwicklung auch außerhalb der USA heute noch durch Lerntheorien US-amerikanischer Provenienz geprägt ist.

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Mit Blick auf die aktuelle Situation interkultureller Trainings in China bestätigt der Beitrag von Yaling Pan diesen Befund und verweist dabei gleichzeitig auf die Problematik der mangelnden Passfähigkeit ‚westlicher’ Denk- und Trainingsmodelle im asiatischen Kontext. In ähnlich kritischer Weise setzt sich Petra Vogler aus indischer Sicht mit der Thematik der methodologisch unzureichenden Interkulturalität interkultureller Personalentwicklungsmaßnahmen auseinander. Unter Bezugnahme auf entsprechend kritische Stellungnahmen indischer Kulturwissenschaftler plädiert sie für einen interkulturellen Dialog, der sowohl bisher gültige kulturelle Systeme aufbricht, als auch zu einer Vernetzung von Ideen der interkulturellen Philosophie und des interkulturellen Managements beiträgt. Ein solcher in methodologischer Absicht geführter interkultureller Dialog ist, wie der Beitrag von Katharina Kriegel zeigt, gegenwärtig auch für die interkulturelle Mediationsforschung essentiell. Als relativ junge Disziplin an der Schnittstelle zwischen interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung angesiedelt, ist interkulturelle Mediation geradezu darauf angewiesen, kulturell bedingte Unterschiede im Konfliktverständnis zu berücksichtigen und in der interkulturellen Konfliktvermittlung methodisch interkulturell (und nicht ethnozentrisch) zu agieren. Sehr herzlich möchten wir uns bei den Autoren für ihre innovativen und interessanten Beiträge bedanken. Wir hoffen, dass von diesem Band Anstöße zu einer methodologischen Neubestimmung der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung ausgehen, in deren Ergebnis sich der Verweisungszusammenhang beider Bereiche stärker profiliert, Interkulturelles nicht mehr nur als ‚soft factor’ verstanden – und vor allem: in Bezug auf seine eigene Kulturspezifik reflektiert wird. Besonderer Dank gilt dem Verlag für die uns entgegengebrachte Geduld sowie Anita Weißflog für die kritische Durchsicht und die redaktionelle Endbearbeitung der Beiträge.

Passau/Jena, im September 2009

Christoph I. Barmeyer & Jürgen Bolten

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Inhalt Einleitung........................................................................................................................ 5 I.

Konzeptionen und Modelle interkultureller Personalund Organisationsentwicklung

Gestaltung von Organisationskultur – Ein Paradigmenwechsel................................... 15 Stefanie Rathje Das Passauer 3-Ebenen-Modell. Von Ethnozentrismus zu Ethnorelativismus durch kontextualisierte interkulturelle Organisationsentwicklung............................... 31 Christoph I. Barmeyer Was ist Unternehmenskultur? ....................................................................................... 57 Jochen Strähle Interkulturelle Kreativität ............................................................................................. 65 Volker Stein Interkulturelles Wissensmanagementmodell zur Optimierung des internationalen Personaltransfers............................................................................ 79 Sylke Piéch Können Organisationen interkulturelle Kompetenz ausbilden? Zum Zusammenspiel von interkultureller Organisations- und Personalentwicklung und interkulturellem Wissensmanagement ................................ 91 Jürgen Bolten Integriertes Konzept des Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagement (I-K-W-Management) als neue Perspektive für die (interkulturelle) Organisationsentwicklung .................................................... 115 Irina I. Baeuerle II.

Anwendungsfelder und Instrumente interkultureller Personalund Organisationsentwicklung

Human Factors und interkulturelle Teamentwicklung ............................................... 129 Stefan Strohschneider Virtuelle Teams: Die Rolle der Führung .................................................................... 145 Petra Köppel 11

Internationale Mitarbeiterbefragung als unternehmenskulturelles Evaluationsund Integrationsinstrument am Beispiel der Continental AG..................................... 167 Karsten Müller & Matthias Metzger Unternehmenskulturentwicklung und Werteentfaltung – Überlegungen und Empfehlungen aus der Theorie und Praxis .................................. 185 Nathalie Hecker Die Integration von interkultureller Personalentwicklung und Unternehmenskulturentwicklung am Beispiel des multinationalen Unternehmens Bosch .................................................................................................. 201 Christoph I. Barmeyer, Klaus Boll, Eric Davoine Sic! Ein Diagnoseinstrument zur Orientierung in der transkulturellen Unübersichtlichkeit........................................................................... 217 Anette Hammerschmidt III. Interkulturelle Sichtweisen auf Methoden interkultureller Organisations- und Personalentwicklung Systemische Organisationsentwicklung aus der Beraterperspektive: Internationale, interkulturelle und kulturangepasste Organisationsentwicklung ....... 235 Ulrike Haupt Der Einfluss der US-amerikanischen Forschungskultur auf die interkulturelle Personalentwicklung ........................................................................... 255 Nadja Riedlberger Methoden interkultureller Kompetenzvermittlung – Einsichten und Ansätze aus einer chinesischen Betrachtung ..................................... 267 Yaling Pan Indische Perspektiven des Interkulturellen Change Managements ............................ 281 Petra Vogler Interkulturelle Mediation als Konfliktlösung in Organisationen................................ 301 Katharina Kriegel Autoren ....................................................................................................................... 319

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I. Konzeptionen und Modelle interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung

Gestaltung von Organisationskultur – Ein Paradigmenwechsel Stefanie Rathje

1 Unternehmenskultur als zentrales Konstrukt der Personalund Organisationsentwicklung 1.1

Definition

Unternehmenskultur stellt seit den 1980er Jahren ein zentrales Konstrukt zur Erklärung von Unternehmenserfolg im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung dar. Das Konzept der Unternehmenskultur, oder allgemeiner: der Organisationskultur1, verdankt seine Entstehung einem Rätsel. Mit herkömmlichen Kennzahlen gelang es den amerikanischen Managern in den 1970er und 1980er Jahren nicht, den sensationellen internationalen Erfolg der japanischen Industrie zu erklären. Unternehmensberater entdeckten damals erstmals den Charme sogenannter „weicher“ Faktoren im Bereich Personalführung und Organisationsgestaltung als Erfolgsparameter, der Begriff der „Unternehmenskultur“ (corporate culture) war geboren (Deal/Kennedy 1982; Peters/Waterman 1982). Ungeklärt bleibt dabei, ob dieses erste begriffliche Erscheinen von „Kultur“ in der Welt der Wirtschaft dem von Beginn an dominanten Vergleich größerer kultureller Zusammenhänge wie z.B. USA versus Japan geschuldet war (Ouchi 1981), oder ob es darum ging, positive Begriffskonnotationen von Kultur (wie „Hochkultur“ oder „kultiviert“) auszunutzen. In der Folge trat das Konzept Unternehmenskultur einen Siegeszug durch die Chefetagen und Management-Handbücher an, vermutlich weil es aufgrund seiner begrifflichen Weite besonders gut in der Lage war, das „Mehr“ an Einzigartigkeit einer Organisation zu umschreiben, das sich nicht direkt mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen messen lässt. So betont das Konzept vor allem den „sozial konstruierten Charakter organisatorischer Phänomene“ (Schreyögg 2000: 435). Handlungen der Mitarbeiter sind demnach wesentlich beeinflusst durch Sinn- und Orientierungsmuster, die ein Unternehmen über längere Zeit entwickelt. Die Definitionsversuche zu Unternehmenskultur sind vielfältig und häufig widersprüchlich (vgl. Rathje 2004: 60ff). Um den hierzu vorliegenden Diskurs nicht zu wiederholen, soll den folgenden Ausführungen ein möglichst umfassendes Verständnis 1

Die Begriffe der Unternehmenskultur und Organisationskultur sollen im Folgenden der Einfachheit halber synomym verwendet werden, obwohl der Begriff der Organisationskultur eigentlich weiter definiert ist und und auch öffentliche oder Non-Profit-Organisationen mit einschließt.

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von Unternehmenskultur zugrundeliegen. Unternehmenskultur lässt sich in diesem Sinne in Anlehnung an eine der frühesten anthropologischen Kulturdefinitionen von Tylor (1871) als komplexe Gesamtheit („complex whole“) menschlicher Gewohnheiten („habits“) innerhalb eines Unternehmens verstehen. Diese möglichst einfach formulierte Definition geht einerseits davon aus, dass beschreibbare, überindividuelle Gewohnheiten innerhalb von Unternehmen existieren, andererseits trifft die Definition bewusst keine Aussage über das Maß ihrer Homogenität. Der allgemeine Begriff der Gewohnheiten öffnet den Gegenstandsbereich von Unternehmenskultur in Übereinstimmung mit etablierten Unternehmenskulturdefinitionen (z.B. Schein 1995) für den gleichwertigen Einbezug sowohl manifester als auch kognitiver Elemente. 1.2

Funktion

Die Beliebtheit des Konzepts Unternehmenskultur für die Unternehmensführung erklärt sich vor allem aus ihrem Kontrollpotential, das mit Hilfe symbolischer Führung realisiert werden kann. Von Beginn an besaß der Begriff Unternehmenskultur eine Doppelbedeutung. So identifiziert Smircich bereits 1983 zwei Sichtweisen von Unternehmenskultur: Die deskriptive Vorstellung von Unternehmenskultur als „root metaphor“ zielt in Anlehnung an ethnologische Forschung auf das individuell Gewachsene einer Kultur ab, das als „Wurzel“ allen Gewohnheiten des Unternehmens zurunde liegt. Aus dieser Perspektive betrachtet sind Organisationen Kulturen, deren Gewohnheiten man genau wie Stämme, Nationen oder andere Gruppen beschreiben kann (Smircich 1983: 347). Unternehmenskultur als „critical variable“ entspricht hingegen eher einer funktionalen, explikativen Sichtweise von Kultur als einer wichtigen Variablen unter vielen anderen, die im Hinblick auf das Unternehmensziel optimiert werden kann. Aus dieser Perspektive haben Organisationen eine bestimmte Kultur, die veränderbar, bzw. gestalbar erscheint (Smircich 1983: 339). Es liegt auf der Hand, dass gerade der Aspekt einer möglichen Gestaltbarkeit von Organisationskultur das Konzept für die Unternehmensführung besonders interessant macht: Angesichts wachsender Komplexität des Wirtschaftens scheitern traditionelle, ausschließlich auf prozessuale Planung und Administration ausgerichtete Ansätze von Unternehmensführung, weil sie sich als zu unflexibel erweisen (Macharzina/Wolf 2005: 49). Zunehmende Internationalisierung, Marktverflechtungen, verkürzte Produktlebenszyklen o.ä. fordern von den Organisationsmitgliedern laufend selbstständige Entscheidungen unter Unsicherheit und Zeitdruck. Hier verspricht das Konzept Unternehmenskultur der Unternehmensführung die Möglichkeit einer indirekten Verhaltenskontrolle. Dabei greift die Unternehmensführung in einer Art Kreisprozess beeinflussend in die kommunikative Vermittlung von Unternehmenskultur ein (Neuberger 2002: 668). Zum einen werden Fakten durch Sinnzuschreibung symbolisch aufgeladen (z.B. Deu16

tung des Ergebnisses einer Kundenbefragung als Beweis für die besondere Kundenorientierung des Unternehmens), zum anderen werden „sinnvolle“ neue Fakten geschaffen, die den zugeschriebenen Sinn weiter vertiefen (z.B. Anbringen einer Spruchtafel im Eingangsbereich als Manifestation der besonderen Kundenorientierung). Dieser symbolische Ansatz der Unternehmensführung unterliegt zwar als emergenter Prozess bestimmten Grenzen der Steuerbarkeit (Rathje 2004: 205). So lässt sich letztlich nicht vorhersehen, wie das eigensinnige System Organisation auf die Einflussnahme reagiert. Innerhalb dieser Grenzen verspricht die Gestaltung von Unternehmenskultur jedoch, durch gezielte Sinnstiftung die Identifikation der Mitarbeiter mit der Organisation zu steigern sowie erwünschtes Verhalten auch in unsicheren Situationen anzuregen. 1.3

Struktur

Unternehmenskultur ist immer auch interkulturelle Unternehmenskultur. Im Rahmen internationaler oder interethnischer Zusammenhänge, in denen eine der Organisation übergeordnete „pankollektive Klammer“ (Hansen 2009:128) der Mitarbeiter, z.B. im Rahmen einer gemeinsamen Sprache, Religionszugehörigkeit oder Staatsangehörigkeit fehlt, hat sich der Sprachgebrauch von interkultureller Personalund Organisationsentwicklung oder auch interkultureller Unternehmenskultur etabliert. Bei der Entwicklung zeitgemäßer Gestaltungskonzepte zur Unternehmenskultur erweist sich diese Abgrenzung jedoch als wissenschaftlich problematisch, da der Begriff suggeriert, es gäbe auch eine nicht-interkulturelle Unternehmenskultur. Legt man einen lebensweltlichen und keinen nationalspezifischen Kulturbegriff zugrunde, sorgt der einfache Umstand, dass alle Organisationsmitglieder neben ihrer Unternehmenszugehörigkeit auch gleichzeitig Teil weiterer Gruppen oder Kollektive sind, aus denen sich ihrerseits Kulturen speisen (z.B. Akademiker, Kölner, Frauen, Bayern, Fussball-Fans, Franzosen, Hobby-Musiker), immer dafür, dass unterschiedliche Kulturen in die Unternehmenswirklichkeit hineingetragen werden. Diese „Multikollektivität“ (Hansen 2000: 196f) der Individuen macht aus Unternehmenskulturen dann immer auch gleichzeitig Interkulturen, weil „präkollektive“ (Hansen 2009: 43), also dem Organisationszusammenhang vorgelagerte, kulturelle Erfahrungen, die Zusammenarbeit beeinflussen. Um nicht unnötig auf ein überholtes Kulturverständnis zu verweisen, das Kultur allein an Staatsgrenzen, Hautfarben oder Herkunftsorte knüpft und organisationale Differenzen innerhalb nationalstaatlicher Zusammenhänge ausblendet, verzichten die folgenden Ausführungen daher auf den Zusatz „interkulturell“. Ihr Anwendungsbereich ist entsprechend nicht auf internationale Zusammenhänge beschränkt, sondern erscheint für jede Art von Unternehmenskultur gültig.

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2

Krise des Kohärenzparadigmas der Unternehmenskulturgestaltung

2.1

Grundlagen des Kohärenzparadigmas

Der bisherige Diskurs zu Gestaltungskonzepten von Unternehmenskultur ist geprägt von einem Desiderat der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit (Kohärenz). Im Bereich der Unternehmensführung vorherrschende Definitionen von Unternehmenskultur betonen vor allem die kognitive Verankerung bestimmter Denk- oder Verhaltensprinzipien in den Köpfen der Organisationsmitglieder. So verweist die in diesem Zusammenhang wohl am häufigsten zitierte Definition von Schein auf Muster grundlegender Annahmen, die alle Mitarbeiter teilen (Schein 1995: 30). Hofstede bezeichnet Unternehmenskultur sogar, in Anlehnung an seine allgemeine Kulturdefinition, als „collective programming of the mind“ (Hofstede 1984: 13). Diesen Definitionen liegt implizit die Annahme einer grundsätzlichen Einheitlichkeit von Unternehmenskultur zugrunde. Sie beziehen sich damit auf traditionelle Kulturkonzepte, die von Ethnologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertreten wurden und bis heute nachwirken. Kultur wird dabei z.B. als „consistent patterns“ (Benedict 1934: 44) oder „internal coherence“ (Kluckhohn 1949: 35) verstanden und steht damit vor allem für das Homogene und Widerspruchsfreie innerhalb menschlicher Gruppen. Dieses Paradigma kultureller Kohärenz, das für die Ethnologie eher diagnostischen Charakter besaß, wird im Bereich der Unternehmensführung zum Desiderat. So gilt eine Unternehmenskultur als desto stärker, je einheitlicher sie sich hinsichtlich „Prägnanz, Verbreitungsgrad und Verankerungstiefe“ (Schreyögg 2000: 451) erweist. Die Gestaltung einer möglichst starken, bzw. kohärenten Unternehmenskultur wird dementsprechend als Erfolgsrezept propagiert (vgl. Peters/Waterman 2000). Klassische Ansätze zur Gestaltung von Unternehmenskultur vor allem in internationalen Kontexten zielen entsprechend auf die Herstellung kultureller Einheitlichkeit ab. So schlägt z.B. Schreyögg in Anlehnung an Heenan/Perlmutters bekannten Ansatz ethno- und polyzentrischer Unternehmensführung (1979) eine Unterscheidung in pluralistische vs. universelle Unternehmenskultur vor, wobei im ersten Fall einzelne Unternehmensteile jeweils eine eigene, in sich jedoch kohärente Unternehmenskultur ausbilden sollen, im zweiten Fall eine „kohärente Gestamtkultur“ abgestrebt wird (Schreyögg 1993: 154). Das verbreitete Konzept des Cultural-Fit basiert ebenfalls auf der Idee einer Notwendigkeit kultureller Einheitlichkeit (vgl. Juch et al. 2007). Handlungsempfehlungen der Unternehmensführung z.B. in Bezug auf Mitarbeiterrecruiting, Kooperationspartner oder zu erschließende Märkte werden dabei aufgrund einer Einschätzung des Grades an kultureller Übereinstimmung zumeist aufgrund von KulturTypologien (z.B. Hofstede et al. 1990; Ashkanasy/Wilderom/Peterson 2000; Dorow/Blazejewski 2005) getroffen. Auch das bekannte Konzept der Cultural Due Diligence, bei dem Unternehmenskultur im Rahmen des herkömmlichen Due-DiligenceProzesses bei M&A ausführlich erfasst werden soll (vgl. u.a. Bouchard/Pellet 2000; 18

Ferrari/Rothgängl 2003a, 2003b; Strähle 2004), beruht letztlich auf der Prämisse, dass kulturelle Einheitlichkeit die Prognose einer erfolgreichen Unternehmenszusammenarbeit verbessert, kulturelle Unterschiede sie dagegen verschlechtern. 2.2

Probleme des Kohärenzparadigmas

Das Kohärenzparadigma scheitert an der Unmöglichkeit seiner Durchsetzbarkeit sowie begründeten Zweifeln an seinem Erfolgspotential. Die Idee, dass nur eine möglichst starke, also kohärente, Kultur erfolgreich sein kann, erweist sich bei näherer Betrachtung als problematisch. Zum einen zeigt sich, dass kulturelle Einheitlichkeit als Ziel von Unternehmenskulturgestaltung kaum umsetzbar ist. So lässt sich die proklamierte Kohärenz von Unternehmenskultur in Organisationen kaum nachweisen. Die soziologische Forschung zeigt beispielsweise fundamentale Widersprüche innerhalb von einzelnen, als „stark“ geltenden Unternehmenskulturen auf (vgl. Martin 1992) und legt den Schluss nahe, dass sich Unternehmenskulturen nicht auf kohärente Inhalte festlegen lassen. Bereits die frühe Sub-Kultur-Forschung in Organisationen (vgl. Martin/Siehl 1983; Riley 1983; Aktouf 1985) identifiziert unterschiedliche „Erlebniswelten“ innerhalb von Unternehmen, die eine Vorstellung von Unternehmen als „harmonische und konvergierende soziale Einheit [...], in der [...] man sich das ‚Teilen’ einer gemeinsamen Kultur wirklich vorstellen kann“ (Aktouf 1985: 42) kaum zulässt. Sie kommt zu dem Schluss: „Culture in organizational settings is much more complex, pluralistic, diverse, contradictory, or inherently paradoxical than previously assumed“ (Sackmann 1997: 2). Als Steigerung intranationaler Kontexten, in denen das Übersehen vorliegender Unterschiede zwischen Unternehmensmitgliedern aufgrund zahlreicher „pankollektiver Klammern“ (s.o.) leichter fällt, führt die allgegenwärtige Internationalisierung von Organisationen die Illusion durchsetzbarer kultureller Einheitlichkeit vollends ad absurdum. So zeigt beispielsweise eine Studie der Unternehmenskulturgestaltung deutscher Unternehmen in Thailand (vgl. Rathje 2004), dass trotz des Vorliegens einzelner pankollektiver Klammern (z.B. betriebswirtschaftliches Studium der deutschen und thailändischen Manager, gemeinsame Kenntnis internationaler Management-Standards), die tägliche Zusammenarbeit vor allem durch Gegensätze zwischen der deutschen und der thailändischen Managergruppe bestimmt wird. Die Mitglieder dieser Gruppen besitzen unterschiedliche Vorstellungen u.a. davon, was Arbeiten in einem Unternehmen überhaupt heißt, wie lange und wie intensiv man arbeiten sollte, was ein Konflikt ist und wie man ihn lösen könnte, oder ob es sinnvoll ist, während der Arbeitszeit betriebsansässigen Geistern zu opfern. Die Forderung einschlägiger Konzepte nach einer einheitlichen Wertebasis, die es gelte, mit Hilfe von Unternehmenskulturgestaltung in den Köpfen der Mitarbeiter zu verankern, erscheint vor diesem Hintergrund realitätsfern. Neben seiner mangelnden Umsetzbarkeit besitzt das Kohärenz-Paradigma der Gestaltung von Unternehmenskultur zum anderen den Nachteil, dass der Nachweis seines Erfolgs bisher nicht erbracht werden konnte. 19

Schon eine frühe Untersuchung der Unternehmenskulturen von mehr als 200 USUnternehmen konnte z.B. nur eine sehr schwache Korrelation zwischen der Stärke der Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg – gemessen als Umsatzwachstum, ROI und Marktkapitalisierung – empirisch nachweisen. Im auffälligen Gegensatz dazu standen eine Reihe ausgeprägt gegenläufiger Fälle, bei denen einerseits Unternehmen mit schwacher Unternehmenskultur große Erfolge erzielt, und andererseits Unternehmen mit starker Kultur unterdurchschnittlich abgeschnitten hatten (vgl. Kotter/Heskett 1992: 15 ff). Es existieren entsprechend zahlreiche Untersuchungen zu positiven und negativen Auswirkungen starker Unternehmenskulturen (vgl. exemplarisch die Aufstellung von Schreyögg 2000: 463ff), die v.a. aufgrund der möglichen Starrheit und mangelnden Anpassungsfähigkeit starker Unternehmenskulturen die Ambivalenz kultureller Homogenität verdeutlichen und Kohärenz als uneingeschränktes Ziel von Unternehmenskulturentwicklung relativieren. Darüber hinaus entdeckt der in jüngerer Zeit Verbreitung gefundene Diversity-Ansatz den Wert kultureller Differenzen innerhalb von Organisationen und propagiert gerade die Wahrnehmung und Erhaltung von Heterogenität als Erfolgsgrundlage moderner Unternehmen (vgl. Leitl 2003). Der Anwendungsnutzen der Vielfalt soll sich dabei u.a. in erhöhter Flexibilität der Organisation, Steigerung von Kreativität, verbesserter Problemlösungskompetenz, Konfliktvermeidung und allgemeiner Motivationserhöhung manifestieren (Köhler-Braun 1999: 189). Die Forschung ist in diesem Bereich jedoch noch jung, so dass konkrete empirische Erfolgsnachweise bzw. Konzepte zur optimalen Balance der propagierten Vielfalt bislang fehlen (Macharzina/Wolf 2005: 796).

3 Kohäsion und Inklusion als erfolgversprechende Schlüsselkonzepte zur Gestaltung von Unternehmenskultur Die bisherigen Überlegungen haben einerseits deutlich gemacht, dass die Frage der Kohärenz von Unternehmenskultur den Diskurs um ihre Gestaltung nachhaltig geprägt hat, andererseits konnte bisher weder eine besondere Einheitlichkeit noch eine besondere Uneinheitlichkeit von Unternehmenskultur als zwingend notwendig für den Unternehmenserfolg nachgewiesen werden. Es scheint daher fragwürdig, ob das Desiderat der Einheitlichkeit von Unternehmenskultur bei ihrer Gestaltung überhaupt relevant ist. Im Folgenden wird daher ein neuer Ansatz zur Gestaltung von Unternehmenskultur vorgestellt, der auf die Zielvorstellung von Einheitlichkeit verzichtet. Der vorgestellte Ansatz basiert auf Erkenntnissen aus mehreren wissenschaftlichen Forschungsprojekten im Bereich Unternehmenskultur und Unternehmensführung, die mit Hilfe qualitativer Methodik in zahlreichen internationalen Unternehmen durchgeführt wurden (vgl. Rathje 2004; Rathje 2006; Rathje 2008; Juch/Rathje 2009).

20

3.1

Entstehung von Unternehmenskultur

Zugehörigkeit zu einer Unternehmenskultur kann als kommunikativ vermittelte Vertrautheit mit den differenten Gewohnheiten einer Organisation verstanden werden. Als Voraussetzung für ein sinnvolles Konzept zur Gestaltung von Unternehmenskultur ist zunächst zu klären, was denn genau den Unterschied zwischen einer eigendynamisch wachsenden Unternehmenskultur und einer im Hinblick auf Unternehmenserfolg gezielt gestalteten Unternehmenskultur ausmacht. Hier kann ein Blick in die neuere Kulturtheorie helfen: Kernstück vieler zeitgenössischer Ansätze ist eine grundsätzliche Diagnose von Differenz innerhalb von Kulturen (Rathje 2006: 15f). Betrachtet man Kultur ganz allgemein als Gewohnheiten von Kollektiven (s.o.), so sind diese in komplexeren menschlichen Gruppen nach diesem Verständnis nicht nur durch Vielfalt, sondern „Diversität, Heterogenität, Divergenzen und Widersprüche“ (Hansen 2000: 182) gekennzeichnet. Zugehörigkeit zu einer Kultur kann aufgrund dieser Differenzen nicht über das Teilen gemeinsamer Werte definiert werden, sondern allein über Bekanntheit oder Normalität der vorhandenen Unterschiede: „Wir kennen [...] [die divergenten] Standpunkte, und wenn wir sie hören, wissen wir, dass wir zu Hause sind. [...]“ (Hansen 2000: 232). Da Vertrautheit mit den Gewohnheiten eines Kollektivs nur kommunikativ vermittelt werden kann, müssen Kulturen letztlich als Kommunikationsräume verstanden werden, die mittels der Interaktion ihrer Mitglieder „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“ (Geertz 1999: 9) tradieren. Dieses Verständnis von Kultur lässt sich leicht auf den gewachsenen Aspekt von Unternehmenskultur übertagen. Zugehörigkeit zur einer Organisationskultur erwerben Mitarbeiter dadurch, dass sie typischerweise ab ihrem Eintritt in das Unternehmen kommunikativ vermittelt die (divergierenden) Gewohnheiten der Organisation kennenlernen und nach einer bestimmten Zeit als normal empfinden. Das existierende Ausmaß an kultureller Homogenität oder Heterogenität der Gewohnheiten ist für diesen kommunikativen Prozess unerheblich. 3.2

Kohäsion als Ziel von Unternehmenskulturgestaltung

Eine erfolgreiche Unternehmenskultur zeichnet sich durch Kohäsion aus, deren Stärke unabhängig von der Einheitlichkeit der Unternehmenskultur ist. Offen bleibt bis jetzt, warum bestimmte Unternehmenskulturen scheinbar „besser funktionieren“ als andere, bzw. erfolgreicher sind. Welche Steuerungsbemühungen der Unternehmensführung sind sinnvoller als andere? Worauf sollten Gestaltungsbemühungen abzielen, wenn Einheitlichkeit, wie gezeigt wurde, keine Bedeutung besitzt? Bei der Beantwortung dieser Frage spielt der Begriff der Kohäsion (Zusammenhalt), der sich in den vergangenen Jahren auch im Bereich der interkulturellen Kommunikation etablieren konnte (Bolten 2008: 80), eine zentrale Rolle. Psychologen verstehen darunter das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Gruppenmitglieder miteinander verbindet (z.B. Festinger/Schachter/Back 1950: 164). Schon früh erkannte die Sozial21

psychologie, dass sich hochkohäsive Gruppen erfolgreicher beim Umsetzen bestimmter Ziele erweisen (Mullen/Copper 1994; Arnscheid 1999: 121). So bilden die einzelnen Mitglieder eine hohe Identifikation mit der Gruppe aus, was sich bei entsprechender Lenkung in erhöhter Motivation und Leistungsbereitschaft für die Gruppenziele ausdrückt. Kohäsion als Ziel von Unternehmenskultur entspricht damit exakt den erwarteten Leistungen einer erfolgreichen Unternehmenskultur. Gruppenkohäsion wird jedoch häufig begrifflich gleichgesetzt mit Gruppenkohärenz (Fischer/Wiswede 2002: 595), da zahlreiche Forschungsergebnisse darauf hindeuteten, dass hochkohäsive Gruppen dazu neigen, einen stärkeren Uniformitätsdruck auf Mitglieder auszuüben (Fischer/Wiswede 2002: 596). Eine Voraussetzung für Gruppenkohäsion ist Gruppenkohärenz jedoch nicht, da, wie klassische Studien zeigen, die Herausbildung einer Gruppenidentität nicht von existierenden Übereinstimmungen zwischen ihren Mitglieder abhängt (vgl. Tajfel 1982; Festinger/Schachter/Back 1950). Untersuchungsergebnisse in einem internationalen Unternehmensumfeld, bei dem eine Uniformität von Denk- oder Verhaltensweisen der Organisationsmitglieder nicht zu erwarten war, zeigen, dass die Ausbildung von Kohäsion auch bei ausgeprägten Differenzen möglich ist. Mehr noch: das Ausmaß an Differenz scheint gar keinen Einfluss auf den Zusammenhalt der Unternehmenskultur zu besitzen (Rathje 2004: 301). Der größte Fehler der bisherigen Forschung zur Gestaltung von Unternehmenskultur besteht in dem Missverständnis, Kohärenz einer Unternehmenskultur als Voraussetzung für ihre Kohäsionskraft anzusehen. Die zentrale Frage, die eine Unternehmensführung beantworten muss, wenn sie eine erfolgreiche Unternehmenskultur schaffen möchte, lautet daher nicht, wie größtmögliche Einheitlichkeit erreicht, sondern wie Kohäsion gefördert werden kann, ohne Einheitlichkeit vorauszusetzen (vgl. Rathje 2004b). 3.3

Rahmenbedingungen der Gestaltung von Unternehmenskultur

Bei der Entstehung von Kohäsion spielen vier Kommunikationsdynamiken eine entscheidende Rolle. Hinweise zur Beantwortung dieser Frage liefern die Forschungsergebnisse zur Entwicklung von Organisationskultur in deutsch-thailändischen Unternehmen (vgl. Rathje 2004). Es wurde untersucht, wie verschiedene präkollektive Einflüsse auf die Herausbildung einer Unternehmenskultur wirken und welche kommunikativen Prozesse (Dynamiken) dabei zu beobachten sind. Das Kohärenz-Paradigma von Unternehmenskultur ließe erwarten, dass dabei vor allem Dynamiken auftreten, die zu einer Vereinheitlichung oder Homogenisierung im Denken oder Handeln der Organisationsmitglieder führen. Tatsächlich lassen sich solche Dynamiken identifizieren, sie beschreiben jedoch nur einen Teil des Beobachtbaren. Daneben entfalten sich in gleichwertiger Art und Weise kommunikative Prozesse, die zu einer Erhaltung von Differenzen, bzw. sogar zu ihrer Verstärkung führen (Rathje 2004b: 117ff). So lassen sich in der Praxis insgesamt vier Dynamiken bei der Entwicklung von Unternehmenskultur unterscheiden, die im Folgenden genauer erläutert werden sollen. 22

Die beiden Dynamiken, die zu einer Homogenisierung der Unternehmenskultur beitragen, werden in Anlehnung an den üblichen Sprachgebrauch als Anpassung und Integration bezeichnet. Unter Anpassung wird ein kommunikativer Prozess verstanden, bei dem bestimmte Denk- oder Verhaltensweisen von einem Teil der Mitarbeiter (z.B. der Unternehmensführung) vorgegeben und von einem anderen Teil der Mitarbeitern übernommen werden (Rathje 2004: 223ff). In erfolgreichen Unternehmenskulturen erfüllt die Dynamik der Anpassung vor allem die Funktion der Sicherung von Kontinuität. Sie lässt sich beobachten, wenn es um die Erhaltung Grundvoraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens geht – um Bereiche, die von der Unternehmensführung als so zentral eingeschätzt werden, dass keine Kompromisse gestattet werden. In der deutsch-thailändischen Studie lassen sich solche Anpassungsdynamiken z.B. bei der Durchsetzung von Arbeitssicherheitsvorschriften beobachten. Thailändischen Arbeiter, die das Tragen von Helmen oder Sicherheitsschuhen ablehnen, werden durch Entlassungsdrohungen zur Anpassung gezwungen, weil die deutsche Unternehmensführung Arbeitsunfälle aufgrund nicht eingehaltener Sicherheitsvorschriften nicht hinnehmen kann. Die Anpassungsdynamik nimmt häufig die Form einer Befolgung von expliziten Vorschriften an. Sie kann jedoch auch als Einhaltung von ungeschriebenen Verhaltenscodes (z.B. das Tragen dunkler Anzüge im Finanzwesen oder in Unternehmensberatungen) oder sogar als Übernahme bestimmter Ansichten und Wertvorstellungen auftreten (z.B. der Glaube an die Sinnhaftigkeit ökologischer Landwirtschaft als Einstiegsvoraussetzung bei einem Bio-Nahrungsmittelproduzenten). Anpassung sichert in diesem Sinne primär wirtschaftliche Kontinuität, indem von der Unternehmensführung als unabdingbar erkannte Wahrheiten eingefordert werden. Bei der Dynamik der Integration handelt es sich um einen kommunikativen Aushandlungsprozess, bei dem sich Organisationsmitglieder, die in bestimmten Denk- oder Verhaltensweisen voneinander abweichen, sich annähern und durch Kompromisse einen gemeinsamen Übereinstimmungsgrad erreichen (Rathje 2004: 233ff). Es entwickeln sich so neue, spezifische Formen der Zusammenarbeit, die für die Mitarbeiter einen eigenen Sinnzusammenhang besitzen. Im Rahmen der Studie lassen sich solche Integrationsdynamiken beispielsweise bei der Ausbildung einer deutsch-thailändischen „Meeting-Kultur“ unter leitenden Angestellten aus beiden Ländern beobachten, die eine Mischung aus dem deutschen Format der „Besprechung“ und thailändischer Ansprache darstellen und damit beiden Gruppen gerecht werden. Integrationsdynamiken finden sich zumeist dort, wo einzelne oder Gruppen von Mitarbeitern innerhalb einer Organisation aufgrund unterschiedlicher Ansichten oder Verfahrenweisen mit anderen in Aushandlungsprozesse treten müssen. Die IntegrationsDynamik erfüllt hier die Funktion, reibungslose Zusammenarbeit durch die Ausbildung funktionsfähiger Prozesse zu ermöglichen. 23

Während Anpassung und Integration zu einer Erhöhung des Grades an Übereinstimmung innerhalb einer Organisationskultur führen, lassen sich daneben zwei Dynamiken identifizieren, die das Gegenteil bewirken. Die Dynamik der Abwehr, bzw. der Abwehrtoleranz, bezeichnet die Möglichkeit, bestimmte Denk- oder Verhaltensweisen (z.B. der Unternehmensführung, der Abteilungsleitung, der Gruppenmehrheit) in einer Art Schutzreaktion nicht zu übernehmen, ohne dafür Konsequenzen befürchten zu müssen (Rathje 2004: 230ff). In der deutsch-thailändischen Studie lassen sich hierzu besonders plastische Beispiele finden. So klagen thailändische Manager oft über starke Isolationsgefühle in den von der deutschen Unternehmensführung eingerichteten Einzelbüros. Wenn möglich, suchen sie einen Ausweg aus der deutschen Raumverteilung und „diffundieren“ immer wieder in Besprechungsräume, um dort auf wenigen Quadratmetern in größeren Gruppen zusammenzuarbeiten. Eine deutsche Unternehmensführung legt hier Abwehrtoleranz an den Tag, wenn sie auf die sonst übliche Einhaltung fester Bürozuteilungen verzichtet. Die Dynamik der Abwehr-Toleranz kommt jedoch auch in intranationalen Zusammenhängen vor, und zwar immer dann, wenn Mitarbeitern erlaubt wird, sich einem bestimmten Gruppendruck zu entziehen, z.B. wenn Vertriebsmitarbeiterinnen ausschweifenden Akquisitionsfeiern fernbleiben können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, oder wenn Eltern Abendtermine absagen können, ohne als nicht-engagiert zu gelten. Abwehrtoleranz besitzt daher vor allem die Funktion, die Integrität des einzelnen Mitarbeiters zu schützen. Sie tritt entsprechend verstärkt in Bereichen auf, in denen individuelles Wohl- und Sicherheitsempfinden berührt wird. Die vierte Dynamik wird als Hybridisierung bezeichnet. Gemeint ist ein kommunikativer Prozess, bei dem abweichende Denk- oder Verhaltensweisen eines Individuums oder einer Gruppe von einer anderen Gruppe (z.B. der Unternehmensführung) unterstüzt werden, ohne notwendigerweise selbst übernommen oder auch nur verstanden zu werden (Rathje 2004: 237ff). Es handelt sich hierbei um ein nicht-instrumentiertes Fördern von Andersartigkeit. Hybridisierung kommuniziert Mitarbeitern Anerkennung ihrer Identität unabhängig von bestimmten Inhalten. Auch hierfür lassen sich aus dem deutsch-thailändischen Umfeld besonders eindrückliche Beispiele anführen. So finanziert beispielsweise die deutsche Leitung eines Chemiewerkes die Errichtung von animistischen Kultstätten auf dem Werksgelände, um den ortsansässigen Geistern eine angemessene Heimstatt zu bieten. Deutsche Manager nehmen interessiert an den regelmäßigen Opferzeremonien teil, ohne ihren Sinn zu verstehen oder an ihren religiösen Inhalt zu glauben. Hybridisierung lässt sich jedoch auch in weniger exotischen Zusammenhängen ausmachen, z.B. wenn eine Werkskantine Diabetiker-Mahlzeiten einführt, wenn ein heterosexueller Vorstand an einem Treffen des schwul-lesbischen Mitarbeiterclubs teilnimmt oder in einer deutschen Montagehalle ein Gebetsraum für moslemische Arbeiter eingerichtet wird. 24

Die Botschaft der Hybridisierungsdynamik ist immer die gleiche: Die aktive Unterstützung von Unverständlichem oder Fremdem drückt Anerkennung der Identität einer bestimmten Mitarbeitergruppe aus. Bei Hybridisierung handelt es sich also immer um Angebote, die nicht gemacht werden müssten und gerade aus diesem Grund eine starke kommunikative Wirkung entfalten. 3.4

Entwicklung von Kohäsion

Kohäsion lässt sich durch gezielten Einsatz der Wechselwirkungen zwischen einheitsförderndern und differenzerhaltenden Dynamiken (Inklusion) fördern. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass für die Herausbildung von Kohäsion eine Balance aller vier Dynamiken ausschlaggebend ist. So weisen Unternehmen, deren Mitarbeiter einen starken Unternehmenszusammenhalt beschreiben, neben notwendiger Anpassung und Integration besonders das Vorliegen differenzerhaltender Dynamiken auf, während Organisationen mit geringem Mitarbeiter-Zusammenhalt vor allem auf vereinheitlichende Dynamiken setzen. Gerade die Aktivierung differenzerhaltender Dynamiken scheint also die Kohäsionskraft einer Unternehmenskultur zu fördern. Eine Erklärung für dieses Phänomen liefern die prozessualen Wechselwirkungen zwischen den Dynamiken. So erscheint es einleuchtend, dass bei Mitarbeitern dadurch, dass sie sich durch Abwehrtoleranz oder Hybridisierung als Individuen oder Mitglieder einer bestimmten Gruppe mit ihren Bedürfnissen ernst genommen und anerkannt fühlen, ihre Bereitschaft steigt, sich in anderen Bereichen anzupassen, bzw. konstruktiv nach Kompromissen zu suchen. Die Erhaltung und Unterstützung von Differenz bewirkt damit paradoxerweise eine Erleichterung integrativer Dynamiken. Bei besonders verhärteten Gegensätzen und Konflikten bringt eine Aktivierung differenzerhaltender Dynamiken die Möglichkeit integrativer Dynamiken erst hervor. Auf dieser Basis wird die oben diskutierte Beobachtung der Gruppentheoretiker, dass Kohäsion mit Integration einhergehen kann, besser verständlich. Sie erweist sich jedoch als verkürzt, da sie die prozessuale Abhängigkeit der Dynamiken, ihr kommunikatives Wechselspiel, nicht ausreichend berücksichtigt. So führt die Erhaltung und Förderung von Differenzen zu Kohäsion und erleichtert dadurch auch Anpassungsverhalten und Kompromisse. Der Umkehrschluss, Integrations- und Anpassungsdruck fördere Kohäsion, ist jedoch falsch: Er ruft nur Widerstände hervor. Der Gestaltungsansatz erfolgreicher Unternehmenskultur als Ergebnis der Aktivierung unterschiedlicher kommunikativer Dynamiken, die einerseits Einheitlichkeit fördern, andererseits Differenzen vertraut machen und erhalten, ist auch sprachlich abzugrenzen von bisherigen Konzepten, die primär auf Homogenisierungsdruck und Integration setzen. Als Gegenbegriff eignet sich hier das moderne Konzept der Inklusion, das integrative und differenzierende Aspekte gleichermaßen enthält. Die angloamerikanische Organisationsforschung beschreibt Inklusion (inclusion) als einen Prozess der Entwicklung eines „sense of belonging“ (vgl. Miller/Katz 2002). In 25

Deutschland bisher vor allem aus dem Bereich der Pädagogik bekannt (vgl. Hinz 2002), bezeichnet Inklusion im Gegensatz zu Konzepten der Separation, Exklusion oder Integration die Ermöglichung sozialer Teilhabe an einer Gruppe durch Wahrnehmung und Wertschätzung von Abweichungen und Differenzen. Für den Bereich der Gestaltung von Unternehmenskultur eignet sich der Begriff der Inklusion in diesem Sinne besonders gut, um den Prozess der gleichzeitigen Aktivierung differenzerhaltender und einheitsfördernder Dynamiken zur Erreichung von Unternehmenszusammenhalt (Kohäsion) zu beschreiben. So setzt die Möglichkeit zur Identifikation mit einer Organisation einerseits voraus, dass wirtschaftliche Grundlagen gesichert sind und funktionsfähige Arbeitsprozesse bestehen (Dynamiken der Anpassung und Integration), auf der anderen Seite wird diese Identifikation durch Toleranz abweichender Denk- oder Verhaltensformen, bzw. ihre besondere Unterstützung (Dynamiken der Abwehrtoleranz, Hybridisierung) erst ermöglicht. Dies gilt für internationale Zusammenhänge, in denen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten miteinander interagieren, ebenso wie für jeden anderen Unternehmenszusammenhang, in dem immer Mitarbeiter zusammenarbeiten, die neben ihrer Unternehmenszugehörigkeit gleichzeitig zu unterschiedlichen Kollektiven (z.B. hinsichtlich Geschlecht, sexueller Orientierung, sozialer Herkunft, Alter, Branche, Funktion, Behinderung, Migrationshintergrund) gehören.

4 Praktische Schlussfolgerungen für die Personal- und Organisationsentwicklung Für die zielgerichtete Entwicklung von Unternehmenskultur durch die Unternehmensführung mit dem Ziel eines starken Mitarbeiterzusammenhalts (Kohäsion) lassen sich mehrere praktische Schlussfolgerungen ziehen. Hinsichtlich der Organisationsentwicklung wird deutlich, dass die erfolgreiche Gestaltung von Unternehmenskultur durch Inklusion prozessual viel komplexer ist, als es herkömmliche Kohärenz-Ansätze suggerieren. So muss ein praktisches Handlungskonzept zur Erhöhung der Kohäsionskraft alle vier Dynamiken adäquat berücksichtigen (ein detailliertes Management-Konzept findet sich bei Rathje 2004: 279ff). Eine Unternehmensführung muss sich daher bei ihren Gestaltungsbemühungen in Bezug auf jede organisatorische Gewohnheit, also alle möglichen gewünschten aber auch nicht gewünschten Elemente einer Unternehmenskultur, systematisch fragen: • Ist dieses Element wirklich für den Unternehmenserfolg unabdingbar? In die-

sem Fall, aber nur in diesem Fall, ist Anpassung zu fordern. In der Umsetzung bedeutet dies v.a. die redundante Kommunikation klarer Regeln (z.B. in Form von Richtlinien) sowie ihre konsequente Durchsetzung. • Steht das Element in ausdrücklichem Widerspruch zu bestimmten anderen

Elementen, bzw. bergen diese Widersprüche Konfliktpotential? Falls nicht,

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kann es seiner kulturellen Eigendynamik überlassen werden. Falls doch, ist weiter zu fragen: • Besteht eine gewisse Aushandelbarkeit zur Veränderung dieses Elements? In

diesem Fall können Integrationsprozesse angestoßen werden. Hier steht bei der Umsetzung die Beteiligung der Mitarbeiter bei der Entwicklung gemeinsamer Lösungen und Kompromisse im Vordergrund, die durch Win-WinKommunikation von Erfolgen begleitet werden kann. • Besteht die individuelle Notwendigkeit zur Abgrenzung für Einzelne oder

Mitarbeitergruppen? In diesem Fall bietet sich die Dynamik der Abwehrtoleranz an. Der passende Kommunikationsansatz ist hier defensiv, lernend und verständnisvoll. Im Vordergrund stehen eher Taten statt Worte, die das Zulassen der abweichenden Verhaltensweisen demonstrieren. • Bietet das Element die Möglichkeit einer Unterstützung durch die Unterneh-

mensführung? In diesem Fall sollte über Ansätze der Hybridisierung nachgedacht werden. Einladende Events flankiert von aktivierender Kommunikation bieten sich an, um der proaktiven Unterstützung von Differenzen Ausdruck zu verleihen. Ein solches Vorgehen setzt jedoch hinsichtlich der Personalentwicklung die Ausbildung von bisher wenig beachteten Führungsfähigkeiten des Managements im Umgang mit Homogenität und Heterogenität voraus. So benötigen erfolgreiche Unternehmenskulturgestalter u.a. die Fähigkeiten: • zur Wahrnehmung eigener und fremder Gruppenzugehörigkeiten und ihren

präkollektiven Einflüssen auf eine Organisation • zu einem kontrollierten Umgang mit Abwehr- und Angstgefühlen in der Kon-

frontation mit fremden Denk- und Verhaltensweisen, für die nicht unmittelbar Verständnis entwickelt werden kann • zum selbstbewussten Aushalten von Differenzen • der Abgrenzung der für das Unternehmen konstitutiven Denk- und Verhal-

tensweisen von bloß persönlichen Präferenzen • zum Erkennen von Differenzen, die authentisch zur Entwicklung von Kohäsi-

on gefördert werden können. Obwohl zu erwarten ist, dass die Wichtigkeit kohäsionsorientierter Konzepte aufgrund steigender Komplexität in Zukunft zunehmen wird, steht ihre umfassende Implementierung in der praktischen Personalentwicklung und Unternehmenssteuerung noch aus. Während mittelständische Unternehmen aufgrund ihrer langfristigen Ausrichtung noch eher in Lage sind, philanthrope Führungspersönlichkeiten hervorzubringen, die sich, oft intuitiv, das notwendige Handwerkszeug für eine auf Kohäsion angelegte Gestaltung von Unternehmenskultur aneignen, ist gerade in börsennotierten Konzernen in Bezug auf den sinnvollen Umgang mit Heterogenität Konzeptionslosigkeit zu verzeichnen. 27

Erste Beispiele deuten jedoch darauf hin, dass der hier beschriebene Paradigmenwechsel von einem kohärenzorientierten hin zu einem kohäsionorientierten Verständnis von Unternehmenskultur von der Wissenschaft bereits vollzogen wird, indem Kohäsionskonzepte z.B. auf verwandte Bereiche der Organisationsentwicklung übertragen werden (vgl. Bolten 2008 für den Bereich der virtuellen Teamentwicklung, bzw. Heizmann 2008 für den Bereich Wissensmanagement) oder in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung für neuartige Formen der Global Graduate Education fruchtbar gemacht werden (Rathje 2008b). Im Dienst einer nachhaltigen Weiterentwicklung sollten die hier skizzierten Grundzüge eines Modells zur erfolgreichen Gestaltung von Unternehmenskultur zukünftig zu praxisorientierten Aus- und Weiterbildungsprogrammen der Personalentwicklung ausgebaut und für eine Verankerung in bestehende Modelle der Unternehmensführung anschlussfähig gemacht werden.

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Das Passauer 3-Ebenen-Modell. Von Ethnozentrismus zu Ethnorelativismus durch kontextualisierte interkulturelle Organisationsentwicklung Christoph I. Barmeyer

„Once upon a time there was a great flood, and involved in the flood were two creatures, a monkey and a fish. Now the monkey, being agile and experienced, was lucky enough to scramble up a tree and escape the raging water. As he looked down from the safe perch, he saw the poor fish struggling against the swift current. With the very best of intentions, he reached down and lifted the fish from the water. The result was inevitable.“ Don Adams (1960: 22)

1 Einleitung Unternehmen, die sich internationalisieren, versuchen zum einen wertschöpfend zu arbeiten, um am Markt konkurrenzfähig zu bleiben, zum anderen versuchen sie eine relativ einheitliche und leistungsfähige Organisationskultur zu entwickeln. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die intraorganisationalen, internationalen Prozesse und Beziehungen zwischen den weltweit agierenden Auslandsgesellschaften und der Muttergesellschaft aus. Um dies zu bewerkstelligen, bietet sich internationale Organisationsentwicklung an. In monokulturellen Kontexten – insbesondere in „westlich-nordischen“ Gesellschaften – sind Maßnahmen der Organisationsentwicklung fest etabliert, in multikulturellen Kontexten dagegen nicht. Dies mag zum einen an der nach wie vor schwierigen Koordination internationaler Mutter-Tochterbeziehungen liegen, sicherlich jedoch auch an den klassischen Herausforderungen interkultureller Zusammenarbeit: Es herrscht bei den Akteuren nur ein geringes Bewusstsein über Interkulturalität und Wissen über das Funktionieren anderskultureller Orientierungssysteme, was grundsätzlich zu einer Unterschätzung von Unterschiedlichkeit sowie einer „Ähnlichkeitsunterstellung“, insbesondere hinsichtlich Werten, Erwartungen und Interpretationen, führt. Dies zeigt sich deutlich bei den Versuchen eine internationale Organisationsentwicklung durch den präskriptiven Transfer von Management-Methoden und Instrumenten der Muttergesellschaft zu den Auslandsgesellschaften zu implementieren. Dieser Ethnozentrismus 31

verlangsamt die erfolgreiche organisationsinterne Internationalisierung von Unternehmen und erschwert wertschöpfende Prozesse. In diesem Beitrag wird einleitend die Ausgangslage sich internationalisierender Unternehmen und die Bedeutung von Organisationsentwicklung für die Koordinierung der Mutter- und Tochtergesellschaften dargestellt. Anschließend wird die Problematik internationaler Organisationsentwicklung anhand des Transfers von Konzepten, Methoden und Instrumenten illustriert und die ethnozentrische Haltung seitens der Muttergesellschaft thematisiert. Abschließend wird das Passauer Drei-Ebenen-Modell als Orientierungsrahmen für eine interkulturelle Organisationsentwicklung präsentiert.1

2 Unternehmensinternationalisierung und Transfer zwischen Mutter-Tochtergesellschaften Seit Jahrhunderten entwickeln sich Unternehmen durch Zunahme ihrer Geschäftstätigkeit nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland durch die Gründung oder den Erwerb von Tochtergesellschaften (Kutschker/Schmid 2005). Wie diese Internationalisierung von Unternehmen gestaltet wird, hängt von der strategischen Ausrichtung, aber auch von der Landes-, Branchen- und Organisationskultur ab (Bartlett/Ghoshal 1989; Evans et al. 2002; Wächter/Peters 2004). Organisationsentwicklung kann helfen, diese Internationalisierung zu gestalten, indem Konzepte, Methoden und Instrumente weltweit angewandt und integriert werden. In der Praxis werden diese in der Regel in der Muttergesellschaft konzipiert und dann in den Auslandsgesellschaften implementiert; dies geschieht durch internationalen Transfer, wie dieser Abschnitt zeigt. 2.1

Organisationsentwicklung – international? interkulturell?

Kieser und Walgenbach definieren Organisationen als „soziale Gebilde, die dauerhaft ein Ziel verfolgen und eine formale Struktur aufweisen mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel ausgerichtet werden kann.“ (2007: 6). Dabei sind Organisationen als soziale Systeme nicht statisch, sondern erfahren Dynamik, Veränderung und Entwicklung aufgrund externen Drucks oder interner Organisationsänderungen, um leistungs- und wettbewerbsfähig zu bleiben. Insbesondere die angelsächsisch geprägte Managementforschung und Organisationsberatung, die in Deutschland seit Jahrzehnten einen großen Einfluss hat, geht davon aus, dass sich Organisationen und Menschen aktiv „entwickeln“ lassen, d.h. dass soziale Systeme durch Lernen und Wissenszuwachs in bestimmte Richtungen gestaltbar sind (Glasl et al. 2005). In den 1950er Jahren hat die Human Relations-Bewegung, die sich gegen eine mechanistische Vorstellung von Organisationen wandte, dazu beige-

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Aus Gründen der Lesbarkeit wird die männliche Schreibweise verwendet, auch wenn sowohl weibliche als auch männliche Individuen gemeint sind.

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tragen, dass Feedback-Prozesse und partizipatives Management zumindest in westlichen Unternehmen Einzug hielten. Diese Entwicklungsperspektive ist in den europäischen Ländern jedoch unterschiedlich ausgeprägt (Fagenson-Eland et al. 2004; Haupt in diesem Band). In deutschen Unternehmen sind Führungskräfte und Mitarbeiter fortlaufend in Organisationsentwicklungs- und Personalentwicklungsprozesse involviert, etwa im Rahmen von Change-Management-Prozessen, Trainings und Coachings. Auf dieser Grundannahme setzt Organisationsentwicklung an: Organisationen lernen und entwickeln sich durch ihre Mitglieder, die kommunikative und strukturelle Regel- und Orientierungssysteme etablieren und nutzen (Schreyögg 1999). Die Veränderung von Systemen geht weit über den engen Bereich der „Organisation“ hinaus und kann Strategie- und Organisationskultur-Entwicklung, Struktur-Implementierung, Prozessoptimierung und auch Managemententwicklung betreffen (Fagenson-Eland et al. 2004). Sie findet mithilfe unterschiedlichster Konzepte, Methoden und Instrumente statt, wie Balanced Score Card, Matrix-Organisation, Total Quality Management, Feedback etc. Aus diesem Grund wird verschiedentlich festgestellt, dass weder einheitliche Methoden noch Definitionen zur Bestimmung des Gegenstandsbereichs Organisationsentwicklung existieren (Althauser 2006; Wimmer 2004). Festgehalten werden kann, dass Organisationsentwicklung allgemein die intendierte, gesteuerte und ergebnisorientierte Veränderung von Strukturen und Prozessen der Organisation betrifft mit dem Ziel, ihre Leistungsfähigkeit zu sichern. Organisationsentwicklung trägt dazu bei, Veränderungen unter Anwendung sozialwissenschaftlicher Theorien zu planen und diese sowohl zielgerichtet als auch ganzheitlich umzusetzen. Dabei wird darauf geachtet, dass die Organisationsmitglieder miteinbezogen werden und die Unternehmensidentität erhalten bleibt. Durch Unternehmensinternationalisierung wird auch die Organisationsentwicklung international; Methoden und Instrumente finden nicht nur im heimischen Kontext Anwendung, sondern kommen auch in den Auslandsgesellschaften zur Anwendung. Weltumspannende Controllingsysteme, Organisationskulturen oder Führungskräfteentwicklungen sollen für Transparenz und Einheitlichkeit sorgen (Althauser 2006). Aufgabe bestimmter Akteure, etwa die der Personalabteilung, ist es, diese zu implementieren. Dabei wird Organisationsentwicklung zunehmend mit interkulturellen Herausforderungen konfrontiert, nämlich wie sich Strategien, Strukturen, Prozesse und Gruppen in anderskulturellen Kontexten verändern bzw. entwickeln lassen, ohne deren eigenkulturelle und bewährte – und meist erfolgreiche – Spezifizität zu stören und damit die Effektivität der Organisation zu beeinträchtigen. Sowohl Entwicklungs- und Veränderungsansätze als auch das organisationale Umfeld sind in spezifische kulturelle Kontexte eingebunden, die es zu beachten gilt (Deller/Kusch 2007). Was macht nun die Organisationsentwicklung interkulturell? Interkulturell orientierte Organisationsentwicklung wird hier definiert als kontinuierlicher und nachhaltiger Veränderungsprozess, der die Gesamtheit der Organisation, also ihre Strategien, Strukturen, Prozesse und Ressourcen, optimiert mit dem Ziel des effektiven interkulturellen Verhaltens der Organisation. Sie soll gleichzeitig zur wertschöpfenden Entwicklung der Organisation und zur wertschätzenden Zusammenarbeit von Mitarbeitern unter33

schiedlicher Kulturen beitragen. Dabei ist es von Bedeutung, dass eine kultursensible, behutsame Anpassung oder Integration der Werte und Praktiken der Muttergesellschaft unter Beachtung der Eigenarten und Bedürfnisse der Auslandsgesellschaften stattfindet. Die Organisationskultur ist dabei so zu gestalten, dass sie in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Zugehörigkeiten (wie Landes-, Regional-, Berufs-, Abteilungskulturen) realisierbar ist. Erst dann kann sie von Organisationsmitgliedern, die diesen unterschiedlichen kulturellen Kontexten angehören, akzeptiert werden. Schließlich soll sie eine wirksame, konfliktfreie und produktive interkulturelle Zusammenarbeit ermöglichen. Interessanterweise scheint Organisationsentwicklung im Rahmen der Internationalisierung und „Interkulturalisierung“ dieselben Entwicklungsschritte zu durchschreiten, wie Management, Marketing (Usunier/Walliser 1994; Müller/Gelbrich 2004) oder Personalentwicklungsmaßnahmen wie Coaching, Beratung oder Mediation (Barmeyer/Bolten 1998). Der monokulturellen, eigentlich ethnozentrisch geprägten Ausrichtung, folgt eine internationale Ausrichtung, die aber eher Konzepte und Methoden grenzüberscheitend verbreitet und Unterschiede zwar feststellt, ohne sie jedoch zu berücksichtigen und zu integrieren. Erst langsam setzt in der Organisationsentwicklung ein Bewusstsein für Interkulturalität als reziproke Austauschbeziehungen ein, wie es im Management oder Coaching schon besteht (Barmeyer 2000; Bolten 2004; Barmeyer/Haupt 2007). 2.2

Internationaler Transfer in Mutter-Tochterbeziehungen

Organisationsentwicklung in internationalen Unternehmen findet meist durch den weltweiten Transfer von Konzepten, Methoden und Instrumenten statt. In der Regel werden diese von der Muttergesellschaft zu den Auslandsgesellschaften transferiert. Bei Transferprozessen handelt es sich grundsätzlich um die Übertragung, Vermittlung und Anpassung von Artefakten, Praktiken oder Werten eines sozialen Systems auf ein anderes. Transferprozesse im Management finden ständig statt, etwa bei der Übertragung von Managementmethoden oder Organisationskulturen (Barmeyer/Davoine 2007). Unterschieden werden drei Prozesse des Transfers: (1.) Selektionsprozesse, (2.) Vermittlungsprozesse und (3.) Rezeptionsprozesse (Lüsebrink 2001). Für die Fragestellung der Organisationsentwicklung sind alle drei Prozesse von Bedeutung, am „interkulturell sichtbarsten“ jedoch ist der Rezeptionsprozess: Inwieweit werden die von der Muttergesellschaft stammenden Konzepte, Methoden und Instrumente von den Tochtergesellschaften angenommen, bzw. übernommen? Zwar wurden internationale Transferprozesse in Organisations- und Personalentwicklung bereits in zahlreichen Studien untersucht (Bhagat et al. 2002; Kostova 1999; Üsdiken 1997; Wächter/Peters 2004), jedoch wurde dem interkulturellen Rezeptionsprozess in den Tochtergesellschaften kaum Aufmerksamkeit gewidmet. In internationalen Unternehmen findet Transfer intraorganisationell zwischen Mutterund Tochtergesellschaften statt. Insofern bietet es sich an, kurz die unterschiedlichen 34

Konstellationen und Haltungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften zu betrachten. Das sicherlich prägnanteste und für interkulturelle Forschung am geeignetsten erscheinende Modell der Unternehmensinternationalisierung stammt von Howard Perlmutter, weil die beschriebenen Strategien sich auch eignen, um verschiedene Haltungen zur kulturellen Vielfalt und Interkulturalität darzustellen. Perlmutter unterscheidet drei Orientierungen, die als Grundstrategien der Unternehmensinternationalisierung gelten und die für die internationale Organisationsentwicklung interessant sind (Perlmutter 1969: 11-14): • Die ethnozentrische Orientierung geht von einer Superiorität der Mutterge-

sellschaft gegenüber den Tochtergesellschaften hinsichtlich der Strategien und Maßnahmen aus. Managementmethoden werden als universell geeignet angesehen und deshalb von der Muttergesellschaft auf die Tochtergesellschaften übertragen.2 Organisationsentwicklung wird demzufolge als ein Top-downProzess verstanden, der den Tochtergesellschaften auferlegt wird. • Die polyzentrische Orientierung berücksichtigt zahlreiche – auch kulturelle –

Unterschiede zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften. Die Existenz verschiedener Denk- und Arbeitsstile, von denen keiner innerhalb des Unternehmensverbundes Priorität genießt, wird akzeptiert; die Tochtergesellschaften treffen selbst Entscheidungen, um landesspezifische Strategien umzusetzen. Organisationsentwicklung findet demzufolge dezentral und unabhängig in den jeweiligen Tochtergesellschaften statt. • Die geozentrische Orientierung schließlich versucht von lokalen und nationa-

len Besonderheiten zu abstrahieren und strebt eine weltweite Integration der Unternehmensaktivitäten an. Die kompetentesten Manager werden „regardless of their nationality“ (Perlmutter 1969: 14) als entscheidungstragende Akteure im ganzen Konzern, also auch in Tochtergesellschaften eingesetzt: Wissensmanagement, Kernkompetenzen werden somit weltweit besser genutzt. Organisationsentwicklung findet koordiniert im gegenseitigen Austausch zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften statt. Diese drei Grundstrategien EPG (Ethnocentric, Polycentric, Geocentric) existieren nicht in Reinformen, sondern sind meist Kombinationen und stellen ein Entwicklungsmodell vom Ethnozentrismus zum Geozentrismus dar. Jedoch weisen Unternehmen häufig deutliche Ausprägungen auf. Betrachtet man die Realität internationaler MutterTochterbeziehungen, so lässt sich feststellen, dass viele Unternehmen weltweit zwar als Organisation agieren, die Bandbreite der Interaktionen jedoch recht begrenzt bzw. nur auf bestimmte „einfache“ Unternehmensfunktionen reduziert ist. Strategisch wichtige Funktionen wie Strategie, Forschung & Entwicklung oder internationales Personalmanagement, also solche mit hoher intellektueller Wertschöpfung, die von kultureller 2

Die inhaltliche Nähe der Haltung „Ethnozentrismus“ zur Interkulturellen Kommunikationsforschung ist evident, dient dieser Begriff in zahlreichen Studien und Modellen der interkulturellen Kompetenzentwicklung zur Beschreibung der inneren Einstellungen eines Individuums gegenüber anderen Kulturen (Bennett 1993).

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Vielfalt im Sinne der Kombination von Perspektiven- und Ideenreichtum profitieren, sind nach wie vor monokulturell geprägt und greifen selten auf das große organisationsinterne Reservoir der eigenen Mitarbeiter der Auslandsgesellschaften zurück. Überspitzt könnte behauptet werden: Viele Unternehmen haben sich gar nicht international entwickelt, sondern befinden sich in einer post-industriellen Internationalisierung. Insofern bestätigt die kritische Betrachtung, dass in den meisten Unternehmen, ganz gleich ob die Muttergesellschaft von den USA, Deutschland, Russland oder China aus agiert, Ethnozentrismus vorherrscht: Ausgehend von der Zentrale in einem bestimmten Land mit einer Mehrheit von Mitarbeitern, die aus diesem Land stammen und somit die kulturellen und institutionellen gesetzlichen Regeln „anwenden“, bis hin zum schwach internationalisierten Top-Management: tatsächliche kulturelle Vielfalt von Denk- und Handlungsrichtungen ist kaum vorhanden.3 Dies stellte Perlmutter, Ingenieur und Psychologe, der in Europa und den USA zum Internationalen Management forschte und lehrte und somit in gewisser Weise selbst einen geozentrischen Standpunkt verkörpert, bereits fest: „There is no international firm whose executives will say that ethnocentrism is absent in their company“ (Perlmutter 1969: 12). Folglich wird selten das an vielen Standorten des internationalen Unternehmens vorhandene enorme Potential an Wissen, Erfahrung und Kompetenzen erkannt und genutzt, um es in die internationale Organisationsentwicklung einzubringen. Anstatt geozentrisch mithilfe eines strukturiert-digitalisierten und informell-persönlichen Wissensmanagements auf das große Reservoir von Wissen zurückzugreifen, wird ethnozentrisch dieses Wissen entweder ignoriert, weil es als minderwertig eingeschätzt wird oder polyzentrisch nicht in die Gesamt-Organisation integriert.

3 Grenzen internationaler Organisationsentwicklung In diesem Abschnitt werden in einem ersten Schritt beispielhaft weit verbreitete („softe“) Instrumente der Organisationsentwicklung beschrieben und anhand von Illustrationen die Problematik des internationalen Transfers, insbesondere der interkulturellen Rezeption, gezeigt. Daraus folgend wird in einem zweiten Schritt die Thematik des Ethnozentrismus in internationalen Mutter-Tochterbeziehungen diskutiert.

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In der Vergangenheit haben die vielen Fehlschläge internationaler Fusionen und Kooperationen gezeigt – Milliarden-Verluste bspw. der deutschen Automobilbauer BMW (Rover) und Mercedes Benz (Chrysler) -, dass die Akteure der Muttergesellschaft zum einen über viel zu wenig Wissen der institutionellen und kulturellen Besonderheiten anderskultureller Kontexte verfügen, zum anderen kaum fähig sind, diese Besonderheiten in die Organisation zu integrieren und wertschöpfend zu nutzen.

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3.1

Illustration: internationaler Transfer organisationskultureller Instrumente

Im Rahmen von Organisationsentwicklung versuchen internationale Unternehmen Strategien, Werte, Strukturen, Prozesse etc. weltweit zu implementieren mit Hilfe von Methoden und Instrumenten. Seit den 1990er Jahren wird zunehmend Organisationskultur als verbindendes Element der Mutter-Tochterbeziehungen, ob national oder international, transferiert. Organisationskultur soll als Steuerungs- und Koordinationsinstrument dienen (Kieser/Walgenbach 2007; Rathje 2003) und Einheitlichkeit erzeugen, damit effizienter kommuniziert und kooperiert werden kann. Sie soll auch ein Gefühl der Zugehörigkeit und Identität schaffen (Schein 1986). Um diese vielen anspruchsvollen Aufgaben und Funktionen von Organisationskultur zu erfüllen, hat sich insbesondere in angelsächsischen Kontexten durchgesetzt, Organisationen durch spezifische Visionen, Ziele, Werte und Praktiken zu formen, zu verändern, zu entwickeln (Schreyögg 1990). Dieser Entwicklungs-Ansatz basiert auf einer konstruktivistischen, die Wirklichkeit gestaltenden Grundannahme. Insofern ist Organisationskultur ein zentrales Element der Organisationsentwicklung. Instrumente einer normativen präskriptiven Organisationskultur sind Unternehmenswerte und Verhaltenskodizes, die nun als Illustration dienen. 3.1.1 Internationale Unternehmenswerte? Unternehmenswerte, Corporate Values, bilden die Basis der normativen Organisationskultur. Die Managementforschung geht davon aus, dass eine hohe intraorganisationale Kohärenz der Unternehmenskultur, also die Strategie-, Planungs-, Entscheidungs-, Arbeits-, Führungs- und Kontrollprozesse betreffend, insbesondere durch klar kommunizierte und bewusst gelebte Werte erreicht werden kann (Scholz/Hofbauer 1990). Ebenso wie landeskulturelle Werte allgemein als handlungsleitend für individuelle Verhaltensweisen angesehen werden, sollen unternehmenskulturelle Werte den Akteuren Entscheidungshilfen und Verhaltensorientierung für Situationen des Unternehmensalltags, insbesondere ethische Fragestellungen betreffend, geben. Unternehmenswerte bilden somit ein Referenz- und Orientierungssystem der Mitarbeiter im täglichen Umgang mit Kollegen und Stakeholdern. Es fällt auf, dass häufig verwendete Unternehmenswerte wie „Respekt“, „Integrität“, „Offenheit“ relativ allgemein sind; selten verweisen diese auf spezifische Arbeitskontexte oder Leistungsbeziehungen eines Unternehmens. Mercier (2001) kam in einer Studie zu Unternehmenswerten von 40 Großunternehmen ebenso zu dem Ergebnis, dass die meisten Unternehmenswerte soziale und nur wenige eine ökonomische Beziehung aufweisen. Für internationalen Transfer und Organisationsentwicklung ist interessant, dass die Akteure eines Landes den Unternehmenswerten aufgrund einer anderen Sozialisation und Sprache unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben. Die unterschiedliche Interpretation eines Wertes hat Auswirkungen auf das daraus resultierende konkrete Verhalten, die es den Akteuren der Tochtergesellschaften ermöglicht, eine ihnen einleuchtende 37

Sinngebung zu erreichen. Der Transfer von Unternehmenswerten kann also als relativ unproblematisch eingestuft werden, weil ein großer individueller Interpretationsspielraum dieser „Vorgabe“ möglich ist. Es stellt sich die Frage, ob sich Unternehmenswerte überhaupt dazu eignen, Orientierung zu geben und ein adäquates Steuerungsinstrument zur internationalen Organisationsentwicklung darstellen. 3.1.2 Internationaler Verhaltenskodex? Unternehmenswerte werden durch Verhaltenskodizes, Codes of Conduct konkretisiert und umgesetzt. Der Verhaltenskodex bildet somit ein weiteres Instrument der normativen Organisationskultur (Barmeyer/Davoine 2007). Er basiert auf den Unternehmenswerten und/oder ethischen Grundsätzen, die in der Regel von der Muttergesellschaft erarbeitet werden (Kaptein 2004). Funktion des Verhaltenskodex ist es, Mitarbeitern Orientierung anhand von Verhaltensrichtlinien und Entscheidungshilfen zu geben, die den Unternehmenswerten entsprechen, was meistens mit „ethischem“ Verhalten gleichgesetzt wird (Seidel 2001). Auf diese Weise sollen jene Verhaltensweisen der Mitarbeiter, die den Unternehmenswerten entsprechen, gefördert, und solche, die den Unternehmenswerten nicht entsprechen und/oder „unethisch“ sind, unterbunden werden. Der Verhaltenskodex stellt also neben dem arbeitsrechtlichen Vertrag einen zusätzlichen „moralischen Vertrag“ zwischen Unternehmen und Mitarbeiter dar; er kann auch als spezifisches „Unternehmensrecht“ betrachtet werden, das Verbindlichkeit besitzt. Der Mitarbeiter bestätigt dies durch die Unterschrift eines Letter of Compliance (= Einwilligung, Erfüllung, Befolgung), d.h. er verpflichtet sich zur Einhaltung der niedergeschriebenen Regeln. Mögliche Verstöße gegen den Verhaltenskodex durch Kollegen müssen von den Mitarbeitern an Vorgesetzte, Personalvertreter oder Rechtsabteilung, in jüngster Zeit an einen Compliance-Officer, der eng mit den Bereichen Interne Revision und Controlling zusammenarbeitet, gemeldet werden. Diese Meldung eines im Unternehmen begangenen Verstoßes an Stellen in- oder außerhalb des Unternehmens wird auch als Whistleblowing bezeichnet. Die Internationale Handelskammer hat Richtlinien zum Whistleblowing erlassen (ICC 2005): „Enterprises are encouraged to establish, within their organization and as an integral part of their integrity programme, a whistleblowing system, commensurate with their size and resources.“ Für internationalen Transfer und Organisationsentwicklung ist interessant, dass in von Barmeyer und Davoine (2007) durchgeführten Befragungen europäische Mitarbeiter nordamerikanischer Unternehmen bekundeten, dass sie Kollegen nicht „verpfeifen“ würden , weil Whistleblowing als 'Denunzierung' verstanden wurde und inakzeptabel sei. Hieraus ergibt sich, dass Aussagen und Vorschriften des Verhaltenskodex nicht immer sinnvoll sind und sich kaum für eine internationale Organisationsentwicklung eignen.

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3.2

Ethnozentrismus und Interkulturalität

Die vorangegangene Illustrationen im Rahmen internationaler Organisationsentwicklung weist darauf hin, dass dem internationalen Transfer dieser Methoden und Instrumente eine ethnozentrische Haltung der Muttergesellschaft zugrunde liegt, die sich außerdem in einem asymmetrischen Transfer und einer fehlenden Konsultation der Tochtergesellschaften ausdrückt. Ethnozentrismus ist in interkultureller Forschung und Praxis ein oft gebrauchter Begriff: „The term ethnocentric is here defined in the simplest possible way as assuming that the world view of one’s own culture is central to all reality.“ (Bennett 1993: 30). Ethnozentrismus beschreibt eine Haltung, die unbewusst Normen und Auffassungen der eigenen Gruppe oder Gesellschaft auf andere Gruppen oder Gesellschaften überträgt. Die Metapher aus der Tierwelt von Adams am Anfang dieses Beitrags, die eine interkulturelle Begegnung darstellt, verweist auf die Gefahr des Ethnozentrismus. Zwar befinden sich die beiden Akteure, der Affe und der Fisch, im selben System, weisen jedoch aufgrund ihrer Konstitution andere Bedürfnisse auf, ohne sich dessen bewusst zu sein. Diese Unbewusstheit betrifft sowohl sie selbst als auch den anderen und die jeweiligen Kontexte, in denen es sich „gut“ leben lässt. In bestimmten emotional geprägten (hier: Krisen-) Situationen verhalten sich Akteure spontan und „natürlich“. Der Affe handelt in bester Absicht, sozusagen „gutgläubig“ und will helfen und bewirkt – aus Unkenntnis des anderen – das Gegenteil. Diese gute oder beste Absicht ist typisch für interkulturelle Prozesse, bei denen es aufgrund nicht zutreffender Interpretationen und Fehleinschätzungen zu Missverständnissen und Blockaden kommt. Auch der Transfer internationaler Organisationsentwicklung ist solch ein interkultureller Prozess. Das eigenkulturelle, durch Sozialisation entwickelte Referenzsystem von Werten und Praktiken dient als Maßstab und „Prisma“, um andere kulturelle Gruppen zu beurteilen und zu bewerten. Dabei ist Ethnozentrismus häufig die erste spontane und natürliche Reaktion gegenüber unverstandener Fremdheit und Differenz im interkulturellen Kontakt. „Ethnozentrismus, verstanden als notwendiger Ausgangspunkt bei jeder Begegnung mit fremden Kulturen, ist an sich nicht falsch; falsch und gefährlich ist die Überzeugung von der alleinigen Richtigkeit der eigenen Weltanschauung.“ (Mall 1997: 76). Gerade diese Haltung kann dazu führen, dass der eigene unreflektierte Standpunkt als „normal“ angesehen wird, Abweichungen jedoch selten nur als „anders“, häufig aber als „schlechter“ angesehen werden. Dies führt zur Überhöhung der eigenen und Herabsetzung der anderen Kultur. Auch Wissenschaftler und Praktiker der Interkulturellen Kommunikation, Interkulturalisten genannt, sind nicht vor Ethnozentrismus gefeit, wie es Dahlén (1997) unterstreicht. Zum einen arbeiten sie mit veralteten, statischen Kulturkonzepten der Kulturanthropologie (Moosmüller 2004), zum anderen nutzen sie Kulturdimensionen, deren Basis fast ausschließlich aus der US-amerikanischen Forschung stammt. Hall (1959) ist Amerikaner, Hofstedes Dimensionen (1980) basieren ebenfalls auf den Werken US-amerikanischer Wissenschaftler – wie es Hofstede (2001, 29ff) selbst bekundet –, 39

Hampden-Turner/Trompenaars (1993) Dimensionen fußen auf den Publikationen der Amerikaner Kluckhohn/Strodtbecks (1961) und Parsons/Shils (1951). Dasselbe gilt für interkulturelle Trainings, die ein Instrument internationaler Organisationsentwicklung darstellen können: Zieldefinitionen, Konzeption Methoden und Umsetzung stammen aus den USA der 1950er Jahre (Pusch 2004). Interkulturalisten wissen zwar um die Problematik des Ethnozentrismus und dass es ein wesentliches Ziel interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung ist, Individuen von einer ethnozentrischen Einstellung gegenüber anderen Kulturen zu einer ethnorelativistischen zu bringen, trotzdem scheinen auch sie immer wieder einer „interkulturellen Kurzsichtigkeit“ zu unterliegen. In Mutter-Tochterbeziehungen führt diese unbewusste Haltung zu Unfähigkeit, sich vorzustellen, dass andere Systeme anders funktionieren und vor allem ebenso erfolgreich oder gar erfolgreicher als das eigene sind. Es herrscht die Annahme, dass eigene Konzepte und bekannte Methoden nicht nur zielführend, sondern auch allgemeingültig sind. Insofern, so die Annahme, lassen sie sich auf andere Systeme übertragen. Die meist ausbleibenden Rückmeldungen der Tochtergesellschaften helfen nicht, den Ethnozentrismus der Muttergesellschaft zu verringern. Wenn Kritik von den Tochtergesellschaften kommt, wird sie nicht ernst genommen und als Ungehorsam interpretiert (Barmeyer/Davoine 2007). Der internationale Transfer verweist nicht nur auf eine große Naivität der Akteure der Muttergesellschaft, er zeigt auch, dass die eingesetzten Konzepte, Methoden und Instrumente US-amerikanischen Ursprungs sind, so etwa Matrix Organisation, Corporate Social Responsibility, Corporate Values, Mission Statements, Code of Conducts, MBO, Feedback, Project Management, Diversity, Compliance... Die so genannte Internationalisierung entpuppt sich häufig als eine Amerikanisierung, denn Konzepte, Methoden und Instrumente spiegeln deutlich US-amerikanische Grundannahmen und Werte. Die ganze Bandbreite – in Praxis und Forschung so häufig eingesetzten – kultureller Dimensionen (Hall 1981; Hampden-Turner/Trompenaars 2000; Hofstede 2001) könnte dazu bemüht werden, die Kulturbezogenheit von Modellen, Konzepten und Methoden darzustellen. Sie zeichnen sich allesamt durch explizite, low context Kommunikation, niedrige Machtdistanz, Individualismus, Universalismus etc aus. Die normativen, präskriptiven Vorgaben wirken bei den nicht-nordamerikanischen „Empfängern“ durch ihren Vertragscharakter einengend und sinnlos, weshalb sie oft wirkungslos bleiben. In der Vergangenheit haben Adler (1983; 2008) und Hofstede (1993) die Kulturgebundenheit von Managementmethoden diskutiert. Reisach thematisiert in ihrem Buch Die Amerikanisierungfalle die Instrumentalisierung von Mitarbeitern: „Auch das mehr oder weniger explizit formulierte Ansinnen, durch einen von oben verordneten Kulturwandel ein neues Denken im Unternehmen zu verankern, stößt auf wenig Begeisterung. [...] Die Betroffenen fragen sich zu Recht, ob sie als Personen von der Unternehmensleitung tatsächlich erwünscht und angenommen oder nur als ‚Vollstrecker’ eines vorgegeben Kurses instrumentalisiert werden.“ (Reisach 2007: 129). Sie verweist ebenfalls auf die Risiken, die durch den Transfer von nicht an

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den deutschen Kontext angepassten Managementmethoden entstehen, insbesondere, dass ein funktionsfähiges System destabilisiert, ja geschwächt wird. Gerade in romanischen Gesellschaften wie Frankreich wird Skepsis an der Übernahme von Konzepten geäußert und deren Nutzen im eigenkulturellen Kontext infrage gestellt (D’Iribarne 2002; Godelier 2006). Auch Hofstede kritisierte Anfang der 1990er Jahre den ausbleibenden Erfolg westlicher Management-Methoden durch den Transfer in Entwicklungsländer: “If one thing has become clear, it is that the export of Western – mostly American – management practices and theories to poor countries has contributed little to nothing to their development. There has been no lack of effort and money spent for this purpose: students from poor countries have been trained in this country, and teachers and Peace Corps workers have been sent to the poor countries; If nothing else, the general lack of success in economic development of other countries should be sufficient argument to doubt the validity of Western management theories in non-Western environments.” (Hofstede 1993: 86-87). Zehn Jahre später gelingt der Forschergruppe um D’Iribarne anhand von Unternehmensfallstudien Le tiers monde qui réussit (2003) zur selben Thematik ein besonderer Perspektivenwechsel. Diese zeigen, dass Akteure in Ländern wie Argentinien, Brasilien, Indien, Kamerun, Marokko, Mexiko, die nicht mit US-amerikanischen Methoden zurecht kommen, ihre eigenen kontextangepassten Methoden der Unternehmens- und Mitarbeiterführung nutzen – mit Erfolg. Leider werden diese erfolgreichen Alternativmodelle bisher kaum in Forschung und Praxis rezipiert. Eine Rezeption würde voraussetzen, dass solche Publikationen entweder in Englisch verfasst sind oder Leser sich auch mit nicht angelsächsischen wissenschaftlichen Publikationen auseinandersetzen. Selbst das Konzept der Organisationsentwicklung, das seinen Ursprung in den 1950er Jahren in den USA hat (Fagenson-Eland et al. 2004; Huczynski et al. 2007: 561), ist ebenso wenig universell und läuft Gefahr, Opfer des Ethnozentrismus zu werden. Es nimmt implizit die Entwicklungsfähigkeit von Organisationen und Personen an, ebenso die Lernwilligkeit und -fähigkeit des Einzelnen. Unterstellt wird auch die hohe Eigenverantwortlichkeit und Selbstregulation der Akteure, die dieselben Interessen aufweisen wie die Organisation. Die Selbstregulation, so die Annahme, basiert auf wechselseitigem Vertrauen; durch offene Kommunikation wird Verständnis geschaffen und durch Kooperationsbereitschaft Problemlösung gefunden. Akteure anderer Gesellschaften können über ganz andere Auffassungen verfügen, wie es die kulturkontrastive Gegenüberstellung am Beispiel der USA und Frankreich in Tabelle 1 zeigt. Sie verdeutlicht zugleich, zu welchen Schwierigkeiten unterschiedliche Vorstellungen der Organisationsentwicklung in der Praxis führen können.

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Tabelle 1: Organisationsentwicklung und kulturelle Realitäten (Amado/Faucheux/Laurent 1990: 650, Auszug. In Anlehnung an Hampden-Turner/Trompenaars 1993, Übersetzung des Verfassers)

Organisationsentwicklung kann in der US-amerikanischen Kultur „funktionieren“ weil ... Die Entwicklung der Individuen und die Organisations-Instrumente sind kompatibel. Durch die Thematisierung von Kommunikationsproblemen und Missverständnissen zwischen Einzelpersonen kann ein besseres Verständnis geschaffen werden. Wenn der Einzelne authentisch, offen und verstrauenswürdig ist, werden gemeinsame Bedürfnisse erkannt. „Wahrheit, Liebe und Vertrauen“ sind Ideale, die es ermöglichen, dass sich alle Mitglieder einer Organisation auf die optimale Verwendung von Instrumenten einigen. Eine Organisation besteht aus den freiwilligen Anstrengungen ihrer sich frei zusammenschließenden Mitgliedern. Die französische Sichtweise ist unnötig zynisch, feindlich und theoretisch und trägt das Gewicht ihrer politischen Vergangenheit.

Organisationsentwicklung kann in der französischen Kultur „nicht funktionieren“ weil ... Die Entwicklung der Individuen ist unvereinbar mit den Zielen der Organisation. Durch die Analyse von Kommunikationsproblemen und Missverständnissen werden grundsätzliche Widersprüche zwischen sozio-politischen Zielen aufgedeckt. Wenn der Einzelne aufrichtig und offen ist, werden sie die sozialen Gründe für ihre Konflikte erkennen. „Wahrheit, Liebe und Vertrauen“ sind Täuschungen, die eine Autokratie zur Tarnung nutzen, um naive Untergebene zu manipulieren Eine Organisation ist eine lose Ansammlung ungleicher und miteinander ringender Gruppeninteressen. Die amerikanische Sichtweise ist unnötig naiv, idealistisch und psychologisch. Sie ist unhistorisch, oberflächlich und führt zu einer irreführenden Denkweise.

Ethnozentrismus kann auf individueller Ebene durch Kenntnis anderer Kontexte und durch reflektierte interkulturelle Lernerfahrungen verringert und in Ethnorelativismus4 entwickelt werden (Bennett 1993). Ethnorelativismus bezeichnet die Haltung, eigene Normen und Auffassungen zu hinterfragen und zu relativieren sowie die Normen und Auffassungen anderer Gruppen oder Gesellschaften zu akzeptieren, zu verstehen und als ebenbürtig zu achten. Perspektivenwechsel führt zu einer Relativierung der eigenen Sichtweise; auf dieser Annahme basiert auch die Forschung und Praxis zur Interkulturellen Kompetenzentwicklung (Barmeyer 2000; Bolten 2004; Otten et al. 2007; Straub 2007). Auf kollektiver, organisationaler Ebene kann die ethnozentrische Haltung der Akteure der Muttergesellschaften gegenüber den Tochtergesellschaften durch interkulturelle Lernprozesse in eine ethnorelativistische entwickelt werden, wie es die interkulturelle Organisationsentwicklung anstrebt. Dies wird im folgenden Abschnitt dieses Beitrags vorgestellt.

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Ethnorelativimus steht in begrifflicher Nähe zum Kulturrelativismus. Kulturrelativismus bezeichnet die Berücksichtigung und Akzeptanz grundsätzlicher Unterschiedlichkeit und Gleichwertigkeit von Kulturformen und steht somit dem Universalitätsanspruch entgegen.

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4 Kontextualisierte interkulturelle Organisationsentwicklung: Das Passauer 3-Ebenen-Modell Nach der Darstellung von Ausgangslage, Konzepten und Instrumenten sowie deren komplexen Transfers in bestimmte kulturelle Kontexte wird nachfolgend das Konzept einer kontextualisierten interkulturell orientierten Organisationsentwicklung vorgestellt. Sie basiert auf dem systemischen Passauer Drei-Ebenen-Modell interkultureller Kompetenz des Lehrstuhls für Interkulturelle Kommunikation der Universität Passau, das in Forschung und Lehre drei Ebenen des Vergleichs und der Interaktion betrachtet und sich auch zur Verminderung von Ethnozentrismus und zur Kontextualisierung interkulturell ausgerichteter Organisationsentwicklung eignet. 4.1

Drei systemische Kontext-Ebenen

Integriert in das Passauer Modell ist zum einen, dass interkulturelle Organisationsentwicklung in und zwischen sozialen Systemen stattfindet, die sich modellhaft als drei zusammenhängende und sich gegenseitig beeinflussende Kontext-Ebenen darstellen lassen (Abb.1), die den Kontext bilden, nämlich in Mikro-, Meso- und Makro-Ebene (Barmeyer/Mayrhofer 2002; Roth 2004).5 Interkulturelle Organisationsentwicklung ist kontextbezogen, das heißt, neben kulturellen Elementen sind auch kontextuelle Elemente zu beachten wie Ressourcen, Vorstellungen, Interessen und Strategien beteiligter Akteure (Mikro-Ebene), Organisationsziele, -strukturen und -prozesse (MesoEbene) sowie spezifische kulturelle und gesellschaftliche Institutionen (Makro-Ebene).

Mikro-Ebene: Akteure Führung und Management Werte, Vorstellungen, Sachzwänge, Interessen und Machtkonstellationen

Meso-Ebene: Organisation Organisationsstrukturen und -kulturen Ziele, Strukturen, Prozesse, Routinen

Makro-Ebene: Gesellschaften Soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Institutionen Werte, Normen, Regeln

Abbildung 1: Das Passauer 3-Ebenen-Modell: Systemische kontextualisierte interkulturelle Organisationsentwicklung

5

Roth (2004: 127) verweist darauf, dass die Mikro-Ebene der Akteure zu spezifisch, die Makro-Ebene der Rahmenbedingungen zu grob ist, und es deshalb noch einer Meso-Ebene bedarf.

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• Die Mikro-Ebene betrifft Akteure und deren Interaktionen, die spezifische kul-

turelle Referenz- und Interpretationssysteme verinnerlicht haben, und deshalb Verhaltensmuster aufweisen, die sich in Arbeits-, Führungs- und Managementstilen manifestieren (Mintzberg 1973). Die Interaktionspartner handeln in spezifischen Kontexten, die häufig sowohl durch Sachzwänge, Interessen-, und Machtkonstellationen der Über- und Unterordnung als auch durch die individuellen Vorstellungen, Stimmungen, Ziele und Strategien geprägt sind (Crozier/Friedberg 1977; Roth 2004). Interaktionsqualität und -erfolg der Individuen hängen von der zutreffenden Interpretation anderskulturellen Verhaltens ab (Müller-Jacquier 2004; Helmolt 1997). Für die interkulturelle Organisationsentwicklung sind die divergierenden Vorstellungen von Organisationen, aber auch Rollen und Verhaltensweisen der Akteure bei Führung und Teamwork von besonderem Interesse. • Die Meso-Ebene betrifft die Kommunikation und Kooperation in oder zwi-

schen Teams und Organisationen und stellt Kontexte dar, in denen interkulturelle Interaktion stattfindet. Teams und Organisationen unterliegen organisationsspezifischen und finanziellen Zielen und Sachzwängen, weisen bestimmte Historien auf und nutzen bestimmte Strukturen und Prozesse, um zu funktionieren (Heidenreich/Schmidt 1991; Kieser/Walgenbach 2007). Außerdem entwickeln Organisationen partikulare Organisationskulturen mit Normen, Ritualen, Routinen und Regeln (Brown 1998; Schein 1986), die identitätsstiftende Merkmale aufweisen und sich positiv oder negativ auf die interkulturelle Organisationsentwicklung auswirken. Organisationen stellen einen bedeutenden, in der interkulturellen Kommunikationsforschung bisher unterschätzten Kontext dar, in dem interkulturelle Interaktion stattfindet (Moosmüller 2004; Roth 2004). Wie vorher gezeigt, sind sie durch internationalen Kulturtransfer Veränderungs- und Entwicklungsprozessen ausgesetzt, die zur Integration verschiedener Systeme und zur Bildung einer neuen dritten Kultur beitragen können, was für die interkulturelle Organisationsentwicklung von Bedeutung ist (Ludwig 2006). • Die Makro-Ebene schließlich macht deutlich, dass Interkulturelle Kommuni-

kation und Interaktion in sozialen Systemen stattfindet, die diese strukturieren und beeinflussen. Das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem stellt eine historisch prägende Basis für Kulturbildung und -entwicklung dar. Sozialisationsinstanzen und -prozesse führen zum unbewussten Erlernen kultureller Werte und Praktiken (Elias 1979; Luhmann 1999). Innerhalb dieses Systems existieren spezifische soziale, politische und ökonomische Institutionen (Barmeyer/Schlierer/Seidel 2007; Maurice et al. 1982; Whitley 1999) sowie kulturelle Institutionen, wie Werte, die als Orientierungs- und Referenzsystem zur Sinngebung und Interpretation der Individuen beitragen (Bolten 2001; Geertz 1973; Hofstede 1980). Kulturräume sind jedoch mit kulturellen Transfer- und Transformationsprozessen konfrontiert, die zu kultureller Vielfalt innerhalb des Systems beitragen und sich verändern (Bolten 2004). Interkulturelle Orga44

nisationsentwicklung – will sie erfolgreich verlaufen – hat die institutionellen (Bildungssysteme, Gesetze etc.) und kulturellen Faktoren der Makro-Ebene zu berücksichtigen. 4.2

Konkretisierung des Passauer 3-Ebenen-Modells

Organisationsentwicklung betrachtet vor allem die Mikro- und Meso-Ebene auf der Basis einer geglaubt universellen – tatsächlich jedoch ethnozentrischen – Grundhaltung. Sowohl Organisationen als auch Organisationsforschung und -entwicklung sind in spezifischen Gesellschaften und Kulturräumen entstanden, also von diesen geprägt (Hofstede/Hofstede 2005). Interkulturelle Organisationsentwicklung hat deshalb alle drei Ebenen zu berücksichtigen. Im Folgenden werden in umgekehrter Reihenfolge zum obigen Modell die Makro-, Meso- und Mikro-Ebene in Bezug auf interkulturelle Organisationsentwicklung beleuchtet. 4.2.1 Makro-Ebene: Vordergrund- und Hintergrund-Institutionen Zur Beschreibung und Analyse der Makro-Ebene – also Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme – existieren verschiedene Ansätze, wie etwa der des Business System von Whitley (1999; 2002), der schon zur Untersuchung verschiedener Länder herangezogen wurde. Whitley definiert ein Business System als ein spezifisches, für ein Land oder eine Region typisches Strukturmuster von Beziehungen von Unternehmen und gesellschaftlichen und politischen Organisationen. Diese Beziehungen werden nicht allein über den Markt koordiniert. Sie sind häufig hierarchischer Natur, manchmal aber auch über andere soziale Institutionen strukturiert. Erweisen sich diese Strukturmuster dauerhaft als effizient, so werden sie institutionalisiert. Whitley unterscheidet zwischen sichtbaren Proximate Institutions (Vordergrund-Institutionen) wie Staat, Bildungssystem, Rechtssystem, Verbände etc., die direkten Einfluss auf das Zusammenleben und -arbeiten in einer Gemeinschaft haben, und eher unsichtbaren Background Institutions (Hintergrund-Institution) wie Werte und Familie mit indirektem Einfluss. Diese Background Institutions werden gemeinhin als Kultur bezeichnet und beeinflussen die Proximate Institutions. Organisationen, ihre Strukturen und Prozesse sind durch diese nationalen Vordergrund-Institutionen und Hintergrund-Institution geprägt. Sie sind vor allem in einen historischen und institutionellen Kontext eingebettet, der von Interkulturalisten immer wieder außer Acht gelassen wird, wahrscheinlich durch eine starke Fokussierung auf die Mikro-Ebene zwischenmenschlicher interkultureller Interaktionen. Exemplarisch wird nachfolgend als wesentlicher Wert (Hintergrund-Institutionen) Autorität herausgegriffen und auf die Beziehungen zum Bildungssystem (Vordergrund-Institutionen) eingegangen. Autorität als Hintergrund-Institution: In der kulturellen Forschung wird davon ausgegangen, dass die Handlungen von Akteuren wie Managern und Mitarbeitern, um Her45

ausforderungen zu meistern, durch spezifische Werte beeinflusst sind. Zur Betrachtung von Organisationsentwicklung auf der Makro-Ebene dienen die beiden von Whitley (2002: 51) als zentral eingestuften Werte Autorität und Vertrauen: „Finally the norms governing trust and authority relations are crucial because they structure exchange relations between business partners and between employers and employees. They also affect the development of collective identities and prevalent modes of eliciting compliance and commitment with authority systems.“ Es wird sich hier beispielhaft auf den Wert Autorität beschränkt. Autorität betrifft die vertikalen Akteursbeziehungen und manifestiert sich in Strukturen oder Prozessen. Nach Hall (1982) lassen sich zwei strukturierende Systeme feststellen: Zum einen das System des "strahlenförmigen Sterns", das in romanischen Gesellschaften wie Italien, Spanien oder Frankreich existiert. In diesem System laufen alle Funktionen in einem Zentrum zusammen. Es erinnert an die funktionale Organisationsstruktur. Zum anderen existiert das "Gittersystem", das in Gesellschaften wie Großbritannien, Deutschland oder in Nordamerika verbreitet ist. Dieses System trennt zwar die verschiedenen Aktivitäten und Funktionen und lässt sie stellenweise autonom nebeneinander bestehen, führt sie jedoch in vielen verschiedenen kleinen Zentren wieder zusammen. Es erinnert an die Matrix-Organisationsstruktur. Die Auswirkungen des Verhältnisses zur Autorität auf Organisationen und ihre Entwicklung sind ableitbar: Im föderalistischen System ist die Autorität den Akteuren der Gemeinschaft nahe. Entscheidungen werden im Konsens getroffen; die Verbindung zur Gemeinschaft wird durch funktional verteilte Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen gesichert. In Systemen mit konzentrierter Machtausübung und schwacher Delegation ist die Autorität weit entfernt von den meisten Akteuren. Diese wiederum nutzen diesen Spielraum, um individualistische Verhaltensweisen und Gegenkräfte zu entfalten. Die Autorität versucht reaktiv durch zentralistische Maßnahmen wie Kontrolle, der individuellen Unabhängigkeit Einhalt zu bieten. Bildungssystem als Vordergrund-Institution: Zur Beantwortung der Frage, welche Ursprünge spezifische Werte und Verhaltensweisen haben, bietet sich eine diachronstrukturelle Betrachtung an (Münch 1986). Vorstellungen über Freiheit, Gleich- oder Unterordnung, Autorität oder 'richtigem' Verhalten in Arbeits- und Führungssituationen sind Ergebnisse der Sozialisation. Sozialisation findet in familiären Institutionen, wie Eltern, Großeltern, Freunde, sowie in öffentlichen Institutionen, wie Kindergarten Schule, Hochschule statt. Diese Institutionen weisen gegenüber kurzfristigen Veränderungen eine relative Kontinuität und Stabilität sowie bestimmte Merkmale auf (Barmeyer 2000; Elias 1979). In besonderem Maße interessiert hier der Einfluss des Bildungssystems: Schule und Hochschule sind bedeutende Orte der Sozialisation, an denen in der Gemeinschaft Wissen erworben, aber auch Werte und soziales Verhalten erlernt werden. Eine Stufe im Bildungssystem stellt die Hochschule dar, als letzte Etappe der Ausbildung vor dem Eintritt in die berufliche Tätigkeit. In Deutschland, das hier als Beispiel dient, findet die Selektion der Studierenden während des Studiums statt. Nicht nur 46

durch die fehlende Elite-Ausbildung, sondern auch durch die eher partnerschaftlich geprägte Lehrer-Lernenden-Interaktion findet eigenverantwortliches Lernen statt. Praktische Elemente werden im Studium mit theoretischen verknüpft, in der Regel auch durch Praxissemester. Die Zugehörigkeit zu einer Elite findet durch Leistung und Erfahrung im Berufsleben statt. Diese wird im technischen Bereich häufig durch Aneignung eines klar definierten Wissensbereichs und der Beherrschung eines Fachgebiets erreicht (Barmeyer 2000). Der deutsche Ingenieur legitimiert sich – ungeachtet seines beruflichen Werdegangs – durch seine Funktion als Fachmann. Im deutschen Karriereweg-Modell wird die Potentialidentifikationsphase (etwa durch duale Berufsausbildung oder Traineeprogramme) genutzt, um Unternehmensfunktionen und Kompetenzbereiche genauer kennen zu lernen. Die weitere Karriere in der Potentialentwicklungsphase findet meist in derselben spezialisierten Funktion und im selben Unternehmen statt. Diese „Bergsteiger“-Karriere erfolgt durch ständigen Zuwachs von Fachwissen (Evans/Pucik/Barsoux 2002). Autorität in Deutschland wird folglich legitimiert durch technisches Wissen und Expertentum. Der interne berufsfachliche spezialisierte deutsche Aufstieg kann zu einer Durchlässigkeit zwischen Abteilungen und Hierarchie-Ebenen sowie zu einer konstruktiven Zusammenarbeit von Akademikern und Nicht-Akademikern führen. Die kulturelle und institutionalistische Perspektive der Makro-Ebene hat am Beispiel des Wertes Autorität und des Bildungssystem gezeigt, wie sich Systemmerkmale entwickeln, als Muster verfestigen und im jeweiligen nationalen Kontext bewährt und funktionsfähig sind. Für die interkulturelle Organisationsentwicklung bedeutet dies, dass eine Kenntnis des impliziten gesellschaftlichen Verständnisses von Organisationen und ihrer Entscheidungsträger (Selbstverständnis, fachliches Wissen Beziehungsnetzwerke etc.) bei der Einführung oder Veränderung bestimmter Strategien, Strukturen und Prozesse oder Kulturen vorhanden sein sollte. 4.2.2 Meso-Ebene: Organisationsmetaphern und Mental Maps Für Vertreter einer konstruktivistischen Sicht von Organisationen findet Organisation „vor allem in den Köpfen der Organisationsmitglieder statt“ (Kieser/Walgenbach 2007: 59). Organisationsstrukturen und Prozesse können erst existieren und funktionieren durch die subjektiven geteilten Vorstellungen der Akteure, der Organisationsmitglieder. Die Akteure schaffen eine soziale Wirklichkeit (Berger/Luckmann 1966; Luhmann 1999), indem sie kommunizieren, interagieren und gegenseitiges Verhalten interpretieren (Hammerschmidt 1997). „Organisationen sind somit keine objektiven Gegebenheiten, sondern beruhen im Wesentlichen auf den Kognitionen von Organisationsmitgliedern.“ (Kieser/Walgenbach 2007: 60). In diesem Sinne hat Owen James Stevens Metapher gefunden, um Organisationsformen modellhaft zu beschreiben (Hofstede/Hofstede 2005: 244ff). Als Metapher für implizite Organisationsmodelle wählt er:

47

• „Gut geölte Maschine“ in Deutschland: Funktionen in Organisationen werden

formal durch Aufgaben und Verantwortungen, Prozesse durch Abläufe klar geregelt. Wichtigste Steuerungsprinzip sind formale Regeln. Dies setzt jedoch eine ausgeprägte fachliche Kompetenz auf allen Ebenen voraus, die es ermöglicht, Mitarbeitern Eigenverantwortung und Autonomie zu übertragen (Barmeyer 2000). Ziele werden erarbeitet und Aufgaben sowie Verantwortlichkeiten von der Führungskraft an die Mitarbeiter delegiert; ein Eingreifen der Führungskraft ist nur in außergewöhnlichen Fällen notwendig. • „Pyramide von Menschen“ in Frankreich: Die Organisation wird verstanden

als eine hierarchische Form, in der sich zwischenmenschliche Beziehungen entwickeln und Machtfragen durch personalisierte Autorität reguliert werden müssen (Bernoux 2009). Wichtigstes Steuerungsprinzip ist die hierarchische Autorität. In der französischen Organisationspraxis bedeutet dies eine relativ schwach ausgeprägte Delegation; Verantwortung bleibt bei der Führungskraft. Allerdings müssen sich die Akteure der unteren Ebene zur Wehr setzen und Regeln interpretieren, um nicht von der Macht an der Spitze der Pyramide erdrückt zu werden (Crozier/Friedberg 1977). • „Wochenmarkt“ in angelsächsischen Gesellschaften: Die Organisation ist ge-

prägt von unbürokratischen Strukturen mit flachen Hierarchien und wenigen Regeln zur Strukturierung der Aktivitäten. Es wird situativ und problem-, bzw. lösungsorientiert entschieden. Es findet ein Aushandeln von Interessen und Zielen statt, die möglicherweise finanziell gemessen werden können. Wichtigstes Steuerungsprinzip zwischen Akteuren ist der Wettbewerb (HampdenTurner/Trompenaars 1993). Selbst Fach- und Kernkompetenzen lassen sich „outsourcen“, wenn dies finanziell sinnvoll erscheint. Für die interkulturelle Organisationsentwicklung bedeutet dies, dass eine Kenntnis des impliziten gesellschaftlichen Verständnisses von Organisationen bei der Einführung oder Veränderung bestimmter Strategien, Strukturen und Prozesse oder Kulturen vorhanden sein muss. Eine „gut geölte Maschine“ benötigt ein anderes Vorgehen und andere Instrumente als „eine Pyramide von Menschen“ oder ein „Wochenmarkt“. Ergänzend beschäftigen sich Vertreter der vergleichenden Organisationsforschung (Chanlat 1990; Gmür 2007; Hofstede/Hofstede 2005) mit unterschiedlichen Vorstellungen und Erwartungen an eine Organisation. Auch wenn die soziale Realität komplexer und differenzierter ist, unterscheiden Amado et al. (1990) zwei gegensätzliche Vorstellungen und Sichtweisen: zum einen die funktionale und instrumentale Organisation, welche unter anderem im anglophonen, germanophonen und skandinavischen Kontext verbreitet ist, zum anderen die personenorientierte Organisation, welche in ost-asiatischen und romanischen Ländern anzutreffen ist. Die funktionale Organisation versteht sich als ein Aufgabensystem, das unabhängig von Personen dazu dient, Ziele zu erreichen durch die Delegation von Aufgaben und Verantwortungen. Sie setzt Instrumente ein, die ein hohes Maß an Partizipation und Eigenverantwortung voraussetzen und fördern. Im Kontrast hierzu versteht sich die 48

personenorientierte Organisation als soziales System, das horizontal gekennzeichnet ist durch intensive gemeinschaftliche Beziehungen und vertikal durch ausgeprägte hierarchische Autoritäten der Akteure. Die personenorientierte Organisation zielt darauf ab, Ordnung und Leistungsfähigkeit durch eindeutige hierarchische Strukturen der Autoritätsbeziehungen herbeizuführen, die funktionale Organisation dagegen strebt nach Ordnung und Leistungsfähigkeit durch eine heterarchische Verteilung der funktionalen Verantwortung der Akteure (Tabelle 2). Tabelle 2: Implizite Modelle von Organisationen (Amado et al. 1990: 650, Auszug, Übersetzung des Verfassers)

Die funktionale Sichtweise

Die personenorientierte Sichtweise

Die Organisation wird als ein System wahrgenommen, in dem Aufgaben zu erfüllen, Funktionen zu akzeptieren und Ziele zu erreichen sind.

Die Organisation wird als ein soziales System verstanden, welches eine Gemeinschaft von Personen, die an einem Projekt arbeitet, vereint.

Strukturen werden nach ihren Aktivitäten Strukturen werden nach dem Grad der und Aufgaben definiert. Autorität und des Status definiert. Funktionale Positionierung der Akteure innerhalb der Struktur.

Soziale Positionierung der Akteure innerhalb der Struktur.

Management koordiniert Aufgaben und definiert Verantwortlichkeiten.

Management koordiniert Beziehungen zwischen den Akteuren, definiert Spielräume von Autorität.

Wer ist für was verantwortlich?

Wer hat über wen eine Autoritätsbefugnis?

Autorität liegt in der Funktion. Sie wird begrenzt und unpersönlich ausgeübt.

Autorität ist das Attribut einer Person. Sie wird diffus, allgemein und personalisiert ausgeübt.

Für die interkulturelle Organisationsentwicklung bedeutet dies, dass die Akteure einer funktional-fachlichen Organisation die Klärung von Zielen, Zuständigkeiten und Regeln erwarten. Anders dagegen bei der hierarchisch-personenorientierten Organisation. Sie bedarf der Präsenz einer personalisierten Autorität, die die Organisationsentwicklung ständig begleitet, kommuniziert und – wenn nötig – anpasst. 4.2.3 Mikro-Ebene: Interkulturbildung und interkulturelles Lernen Die Mikro-Ebene betrifft Einstellungen, Wissen und Handlungen der Organisationsmitglieder. Die Divergenzen der Makro- und Meso-Ebene werden durch eine interkulturelle Betrachtung, die gegensätzliche kulturelle Annahmen und Interpretationen kultursensibel mit einschließt, perspektivisch bearbeitet. Für interkulturelle Lernprozesse ist es von Bedeutung, die Akteure aus einer Haltung des Ethnozentrismus in eine Hal49

tung des Ethnorelativismus zu führen (Bennett 1993). Ethnorelativismus bildet die Basis für interkulturelle Lernprozesse und produktive interkulturelle Zusammenarbeit in Organisationen. Bei interkulturellem Lernen handelt es sich um einen Prozess, in dem das Individuum einen Perspektivenwechsel durch die Einnahme neuer anderskultureller Standpunkte erfährt, und dadurch eine neue Sicht auf Situationen und Objekte erlangt. Diese Haltungsänderung bewirkt, dass neue Elemente in das bestehende Verhaltensrepertoire integriert werden, die helfen, neue Lösungen zur Zielerreichung (wie Erfolg oder Zufriedenheit) zu finden und die Beziehungsqualität mit dem anderskulturellen Interaktionspartner zu verbessern. Von Interesse ist hier das Konzept der Interkultur (Barmeyer 2000; Bolten 1995; Casnir 1999), einer dynamischen Kultur, die aus den Handlungen verschiedenkultureller Interaktionspartner entsteht, also durch Kulturkontakt konstruiert wird. Die Interaktionspartner handeln neue Regeln aus und entwickeln Verhaltensweisen, die von den Beteiligten akzeptiert und gelebt werden. Dabei verhalten sich die Interaktionspartner im Rahmen dieser Interkultur anders, als sie es im nationalen Kontext tun würden, und gestalten aus der Kombination und Dynamik verschiedenkultureller Elemente einen neuen gemeinsamen Kommunikations- und Kooperationsraum, einen „Dritten Raum“. Idealerweise kann aufgrund sich ergänzender Sichtweisen und Kompetenzen ein Mehrwert entstehen. Für die interkulturell ausgerichtete Organisationsentwicklung bedeutet dies, dass unterschiedliche Sichtweisen, aber auch Kompetenzen thematisiert, geklärt und akzeptiert werden sollten. Dies betrifft insbesondere die Berücksichtigung der kulturellen Vielfalt der Auslandstochtergesellschaften bei der Konzeption von Methoden und Instrumenten und deren internationalen Transfer. Anstatt diese im Land der Muttergesellschaft ohne Mitarbeit oder Konsultation der ausländischen Tochtergesellschaften zu erarbeiten, die nur die kulturellen Grundannahmen und Werte ihres Entstehungskontexts widerspiegeln, sollten schon in der Konzeptionsphase die verschiedenen kulturellen Perspektiven der Akteure der Auslandsgesellschaften integriert werden. Erst wenn Mitarbeiter weltweit partizipativ bei der Entwicklung der Organisationskultur beteiligt werden und ihre Bedürfnisse, Überzeugungen, Meinungen und Kompetenzen in die Ausarbeitung globaler Methoden und Instrumente einfließen, kann ein gemeinsamer kultureller Nenner und ein Commitment der Landesgesellschaften erreicht werden. Dies könnte in Interkulturellen Projektteams, etwa zu Themen der Organisationskultur, Feedbackprozessen oder Mitarbeiterbefragungen erfolgen.

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5 Conclusio Der Beitrag macht deutlich, dass der internationale Transfer von Konzepten, Methoden und Instrumenten zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften mit dem Ziel einer interkulturell orientierten Organisationsentwicklung zu zahlreichen Herausforderungen führt. Es kann ein Ethnozentrismus in internationalen Mutter-Tochterbeziehungen festgestellt werden: Als „universell“ angenommene Konzepte und Instrumente internationaler Unternehmen im Sinne einer weltweiten Organisationsentwicklung lassen sich nicht problemlos auf die Auslandstochtergesellschaften übertragen, weil zum einen die Konzepte und Instrumente kulturspezifisch sind, zum anderen auch Organisationen in bestimmte gesellschaftliche Kontexte eingebettet sind. Deren Mitarbeiter finden sich in den verordneten Methoden und Instrumenten nicht wieder oder noch schlimmer: sie empfinden sie als sinnlos und deshalb schlicht und einfach als nicht implementierbar. Es ist aber keineswegs so, dass interkulturell orientierte Organisationsentwicklung nicht möglich wäre, sie benötigt jedoch, um erfolgreich zu sein, einen interkulturellen – anderskulturelle Elemente integrierenden – wertschöpfenden, ethnorelativistischen Ansatz. Er muss vielfältige Grundannahmen, Werte und Perspektiven respektieren und integrieren, ohne jedoch die Grundidee einer gewissen Gemeinsamkeit schaffenden Kohärenz, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht notwendig ist, aufzugeben. Zum Verständnis von Kontexten und zur Strukturierung interkulturell orientierter Organisationsentwicklung müssen folglich viele Ebenen und deren Zusammenspiel beachtet werden, wie es durch das systemische Passauer Drei-Ebenen-Modell mit Mikro-, Meso- und Makro-Ebene möglich ist. Hierzu bedarf es Akteure, die aufgrund ihrer internationalen Erfahrung eine hohe interkulturelle Kompetenz entwickeln konnten, und möglicherweise aus unterschiedlichen Kulturen stammen. Vor Praxis und Theorie interkultureller Organisationsentwicklung liegt noch ein interessanter Weg.

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Was ist Unternehmenskultur? Jochen Strähle

1 Über Unternehmenskultur und Mißverständnisse In der Mitte der siebziger Jahre wurde die Unternehmenskultur als wichtige Einflussgröße für den Unternehmenserfolg erkannt. Der Begriff der Kultur wird jedoch auf vielfache Weise definiert und interpretiert, so dass in der Literatur auch kein Mangel an verschiedenen Auslegungen des Begriffes herrscht. Darüber hinaus werden in Theorie und Praxis häufig weitere Bezeichnungen verwandt, die inhaltlich mit dem Begriff Unternehmenskultur übereinstimmen, wie z.B. „Firmenkultur“, „Organisationskultur“ oder „Corporate Culture“. Dadurch ist die Diskussion über Unternehmenskultur geprägt von Missverständnissen. Im Folgenden soll daher ein Überblick gegeben werden, wie Unternehmenskultur definiert werden kann, wie sie entsteht und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können.

2 Was ist eigentlich Unternehmenskultur? In der Literatur lassen sich zwei konträre Forschungsströme unterscheiden, die für diese Arbeit mit (1) funktionalistisch und (2) deterministisch bezeichnet werden sollen. Ein drittes Kulturverständnis kann als integrativ charakterisiert werden und stellt eine Synthese der beiden ersten Forschungsrichtungen dar. 2.1

Funktionalistisches Kulturverständnis – Ein Unternehmen hat eine Kultur

Dem funktionalistischen Kulturverständnis liegt die Annahme zugrunde, dass ein Unternehmen eine Kultur hat, ähnlich wie es über Planungs- und Kontrollsysteme oder über bestimmte Technologien verfügt. Unternehmenskultur wird als eine organisatorische Variable verstanden, die gezielt veränderbar und steuerbar ist (Sackmann 1990: 155). Sie wird vom Leader geschaffen, entwickelt und gemanagt. Wesentlich hierbei ist, dass die Steuerung und Adaption der Unternehmenskultur durch das Management bewusst vorgenommen werden kann. Unternehmenskultur ist demnach eine instrumentelle Funktion der Unternehmensführung zur Umsetzung der Unternehmensstrategie. Gemäß der funktionalistischen Perspektive ist Unternehmenskultur auch objektiv erfass- und damit messbar, da ansonsten eine gezielte Steuerung nicht möglich wäre. Die Ausprägungen der Unternehmenskultur, die sogenannten Artefakte, lassen aus funktionalistischer Sicht einen direkten Rückschluss auf die entsprechenden Normen und Werte zu. 57

2.2

Deterministisches Kulturverständnis – Ein Unternehmen ist eine Kultur

Das deterministische Kulturverständnis basiert auf der These, dass ein Unternehmen eine Kultur ist (Berkel/Herzog 1997: 13). Kultur ist demnach eine Metapher für ein System geteilter Symbole und Bedeutungen innerhalb einer Organisation. Unternehmenskultur wird als eine soziale Konstruktion der organisatorischen Wirklichkeit verstanden und ist eine Sichtweise, die dem Verständnis einer Organisation dient. Kultur vollzieht sich danach primär in den Köpfen der Organisationsmitglieder. Die Mitglieder eines Unternehmens sind direkt an der Entwicklung der Unternehmenskultur beteiligt, ebenso, wie sie direkt Teil der Kultur sind. Kultur stellt sich aus Sicht der „Kulturalisten“ als eine organisch gewachsene Lebenswelt dar, die, beispielsweise durch Lenkungseinflüsse des Managements, nicht gezielt verändert werden kann. Im Zentrum des Interesses liegen folglich weniger die Funktionen einer Kultur, als vielmehr das Verständnis der ablaufenden Prozesse, die zur Etablierung einer gemeinsamen Realität, d.h. eines geteilten Weltbildes der Mitglieder der Gruppe führen. Erkennbare Artefakte lassen danach konsequenterweise keinen direkten Rückschluss auf die geteilten Norm- und Wertvorstellungen zu: „Cultures then are not material phenomena; they are cognitive organizations of material phenomena.“(Tyler 1969: 3). Eine Analyse von Unternehmenskultur gestaltet sich nach dem deterministischen Kulturverständnis als kaum möglich, da die Handlungen der Beteiligten nicht prognostizierbar sind. 2.3

Integratives Kulturverständnis – Synthese der Perspektiven

Die dritte Forschungsperspektive, das integrative Kulturverständnis, kann als Synthese der beiden obrigen Ansätze betrachtet werden. Danach sind Unternehmen Kulturen und haben zugleich kulturelle Aspekte (Kobi/Wütherich 1986: 31). Kultur entsteht also durch dynamische Interaktionen der Gruppenmitglieder und manifestiert sich in unterschiedlichen ideellen und materiellen Aspekten. Eine Unternehmenskultur ist demzufolge sowohl Resultat als auch Mittel sozialer Interaktion, die sich in Organisationsformen, Strategien, realen Produkten oder Dienstleistungen niederschlägt. Die Kultur ist somit für jedes Unternehmen charakteristisch und einzigartig. Artefakte sind demnach zum einen Ausdruck der Kultur, die jedoch auf ihren Sinnzusammenhang hin interpretiert werden müssen und gleichzeitig kulturbildend sind. Die Position der Vertreter dieser Forschungsrichtung bezeichnet Schreyögg (1992) auch mit dem Stichwort „Kurskorrektor“ (Schreyögg 1992: 1535), d.h. der Möglichkeit eines Wandels der Unternehmenskultur durch externe Eingriffe im Rahmen eines prinzipiell offenen Entwicklungsprozesses wird zugestimmt. Beeinflussbar ist die Kultur jedoch nur über einen längeren Zeitraum. Das integrative Kulturverständnis erfüllt zum einen eine erklärende, zum anderen aber auch eine gestalterische Funktion. Die Abkehr von den Extrempositionen der Forschungsrichtung ermöglicht ein umfassenderes Verständnis für Unternehmenskultur und zugleich eine pragmatische Herangehensweise aus praktischer Sicht. 58

3 Wie entsteht eine Unternehmenskultur? 3.1

Phasenmodell von Sackmann (1983) zur Entstehung von Kultur

Nach Sackmann (1983) entsteht die Kultur eines Unternehmens zunächst während der Errichtung der Organisation durch die Glaubens- und Wertvorstellungen der Gründungsmitglieder (Sackmann 1983: 398ff). Sie entwickelt sich in verschiedenen Phasen (Gründungs-, Entwicklungs-, Reife- und (potentielle) Krisenphasen). Die Organisationsgründer prägen in der Gründungsphase aufgrund ihrer Persönlichkeit und Wertevorstellungen die Organisation, indem sie erste grundlegende Strategien vorgeben, Management-Systeme implementieren, Organisationsstrukturen herausbilden und Symbolsysteme entwickeln. Beeinflusst wird dieser Prozess natürlich auch durch externe – wie z.B. soziale, politische, ökonomische oder legale – Faktoren. In der Entwicklungsphase ist das Verhalten der Organisationsmitglieder noch unterdeterminiert, d.h. einige Formen und Regeln haben sich bereits durch Interaktionen herausgebildet, sind aber noch nicht fest und verbindlich etabliert. Entscheidungen und Handlungen, die sich als erfolgreich erweisen, finden ihren Platz im Verhaltensrepertoire der Organisationsmitglieder, erfolgloses Verhalten wird nicht wiederholt. In der Reifephase haben sich Normen und Werte, Riten, Regeln und Symbolsysteme manifestiert und bestimmen fortan den Verhaltensspielraum der Organisationsmitglieder. Mit fortwährender Existenzdauer entwickelt sich ein ideelles und materielles Kulturgut, welches sich um den Kulturkern herum aufbaut, ihn gleichzeitig bewahrt und weiter ausbaut. Die Krisenphase ist dadurch gekennzeichnet, dass die bisher angewandten Verfahren oder Verhaltensweisen nicht mehr erfolgreich sind oder nicht mehr zur Verfügung stehen, evtl. durch Veränderungen der Umwelteinflüsse oder anderer Rahmenbedingungen. In diesem Falle ist das Verhalten in der Organisation überdeterminiert, d.h. angemessene Handlungen sind aufgrund der bestehenden Denk- und Verhaltensmuster nicht möglich. In diesem Fall sind einzelne Aspekte des Kulturnetzwerkes zu verändern und den Anforderungen anzupassen. 3.2

Das Ebenenmodell von Schein (1995)

Nach Schein (1995) ist Kultur als ein mehrdimensionales Konstrukt zu interpretieren, das sich auf drei Ebenen manifestiert: (1) Ebene der Artefakte, (2) Ebene der bekundeten Werte und (3) Ebene der Grundprämissen. Zur Ebene der Artefakte zählen „alle Phänomene (...), die man sieht, hört und fühlt, wenn man einer neuen Gruppe mit einer noch unbekannten Kultur begegnet“ (Schein 1995: 49). Dazu zählen Sprache, Kleidung, Architektur, Rituale (z.B. MorgenMeeting) oder andere Prozesse, die zwar leicht zu beobachten, aber schwer zu interpretieren sind. 59

Unter der wahrnehmbaren Oberfläche befindet sich die Ebene der bekundeten Werte. Führen bestimmte Vorgehensweisen zum Erfolg, so werden diese von der Gruppe als „richtig“ eingestuft und von den Mitgliedern verinnerlicht. Kann ein Problem durch eine bestimmte Vorgehensweise immer gelöst werden, wird diese als selbstverständlich betrachtet und damit zu einer Grundprämisse des Handelns. Damit stellt diese Ebene die Basis der Kultur dar. Die hier verankerten Eigenheiten sind langfristig manifestiert und bilden ein „kulturell-kollektives Gedächtnis“, welches eine Gruppe im Inneren formt, organisiert und ihr die Grundlage für ihre Identität verleiht. Auf ihr wiederum bauen sich Normen und Werte auf, die dann wieder durch wahrnehmbare Phänomene sichtbar werden. 3.3

Das Schichtenmodell von Dülfer (2001)

Das Schichtenmodell von Dülfer (2001) wurde ursprünglich zur Umweltberücksichtigung im Rahmen von Internationalisierungsstrategien entwickelt, bietet aber zum einen einen guten Erklärungsansatz zum Aufbau einer Kultur und ihrer Entstehung und, zum anderen, eine gute Ausgangsposition zur eigentlichen Kulturanalyse, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer prozessorientierten Betrachtung und der Multikausalität des Phänomens Kultur (vergleiche für die folgenden Ausführungen Dülfer 2001: 248ff). Nach Dülfer wird die Kultur eines Unternehmens durch Interaktionen und Einflüsse geprägt, die sich sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Ebene vollziehen. Auf horizontaler Ebene wird die Kultur durch die Interaktionen zwischen dem Unternehmen und seiner Aufgaben-Umwelt geprägt, d.h. die Institutionen und Behörden, mit denen ein Unternehmen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenarbeitet. Darunter fallen Lieferanten, Kunden, Banken, Gewerkschaften, Wettbewerber, Netzwerkpartner, Öffentlichkeit, religiöse Autoritäten, ethnische Nobilitäten und Behörden. Dabei wird das Unternehmen selbst als eigenständiges Subjekt aufgefasst, innerhalb dessen unterschiedliche Interessensgruppen, wie z.B. Manager, Kapitalgeber, Kooperationspartner und Mitarbeiter agieren. Die Identifikation der internen Interaktionspartner kann von Kultur zu Kultur variieren und beeinflusst damit die Entscheidung über das Zielsystem eines Unternehmens, da der Einfluss der verschiedenen Interaktionspartner, je nach Kultur, unterschiedlich stark sein kann. Auf vertikaler Ebene wird die Kultur durch die globale Umwelt beeinflusst. Ausgehend von „natürlichen Gegebenheiten“ sind zunächst Fähigkeiten nötig, um -im ökologischen Sinne- natürliche Gegebenheiten zu verändern, d.h. Zusammenhänge zu erkennen, Wissen zu kommunizieren und Veränderungen technologisch umzusetzen. Diese unterste Schicht wird daher mit „Stand der Realitätserkenntnis und Technologie“ bezeichnet. Erst mittels Sprach- und Erkenntnissystemen können sich „kulturell bedingte Wertvorstellungen“, wie z.B. Glaube, Einstellungen und Prinzipien, herausbilden. Basierend auf diesen Wertvorstellungen ist es dann erst möglich, „soziale Beziehungen und Bindungen“ aufzubauen, da diese als maßgeblich für die Organisation von Gruppen betrachtet werden können. Durch „rechtlich-politische Normen“ werden 60

die anerkannten und geteilten Kommunikations- und Verhaltensweisen verfestigt und manifestiert. Innerhalb dieses Rahmens befindet sich nun die „Aufgaben-Umwelt“, in der das Unternehmen auf vertikaler Ebene mit seinen Partnern in Interaktion tritt. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass sich ein Einfluss zunächst von „unten nach oben“ vollzieht, wobei selbstverständlich Interdependenzen zwischen den einzelnen Schichten bestehen und sich diese auch gegenseitig beeinflussen. Nicht nur das gesamte Unternehmen, sondern auch die einzelnen Mitarbeiter sind von der globalen Umwelt beeinflusst. Als wesentliches Element des Schichtenmodells gilt, dass sich die Einwirkungen sowohl der „globalen Umwelt“, als auch der „Aufgaben-Umwelt“ nicht sukzessive, sondern simultan vollziehen und dadurch deutlich wird, warum Kultur auch nur als multikausales Konstrukt verstanden werden kann. Daraus folgt auch zwangsläufig, dass die Kultur eines Unternehmens aufgrund der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten zwischen globaler und Aufgaben-Umwelt, sowie innerhalb der Umwelteinflüsse, einzigartig sein und dies darüber hinaus auch für einzelne Subkulturen innerhalb einer Organisation gelten muss.

4 Zusammenfassung und Konsequenzen für den täglichen Umgang mit Kultur Für den Umgang mit Unternehmenskultur lassen sich aus den Ausführungen folgende Schlüsse ziehen: 1.

Grundsätzlich sollte dem integrativen Kulturansatz gefolgt werden, d.h. Unternehmen sind als Kulturen mit gleichzeitigen kulturellen Aspekten zu betrachten. Die Begründung hierfür liegt zum einen in der Tatsache, dass sich Kultur durch die Interaktion zwischen Individuen begründet und dadurch auch veränderbar ist. Insbesondere wird dies bei der Gründung eines Unternehmens und der dabei entstehenden Prägung seitens des Unternehmensgründers deutlich. Es kann zum anderen darüber hinaus aber auch als realistisch angesehen werden, dass sich langfristig etablierte kulturelle Denkschemata und Verhaltensweisen beeinflussend auf einzelne Individuen auswirken und somit richtungsweisend für deren Verhalten sind. In diesem Moment prägt die Kultur das Handeln der Organisationsmitglieder und damit ebenso Aspekte eines Unternehmens, wie z.B. die Strategie oder die Organisation. Es besteht somit eine Wechselwirkung zwischen den Ausprägungsformen eines Unternehmens und seiner Kultur. Insofern bietet sich die integrative Sichtweise an, weil sie sowohl funktionale als auch deterministische Aspekte berücksichtigt. Damit ermöglicht sie nicht nur ein Verständnis für Kultur als Objekt, sondern auch eine pragmatische Herangehensweise zur Kulturanalyse.

2.

Es wird auch deutlich, dass die Kultur eines Unternehmens erst durch eine individuelle und situationsbezogene Betrachtung verstanden werden kann. Neben 61

den internen kulturbeeinflussenden Faktoren sind es vor allem externe Einflussfaktoren, welche die Entwicklung mitbestimmen. Wie das Schichtenmodell von Dülfer (2001) zeigt, zählen hierzu neben den unmittelbaren Interaktionsbeziehungen des Unternehmens aufgrund seiner geschäftlichen Tätigkeit eben auch geographische, ökonomische sowie historisch oder politisch gewachsene Rahmenbedingungen. Die jeweilige Abhängigkeit der Ausprägungen der Kultur vom eigenen Aufgabengebiet macht ebenso deutlich, dass die Ausprägungen von Kulturen und Subkulturen in einem Unternehmen systematisch untersucht werden können. 3.

Es wird auch deutlich, dass von Artefakten nicht direkt auf die Kultur eines Unternehmens geschlossen werden kann. Aufgrund der Multikausalität und Interdependenzen von Kultur kann bei einer Kulturbetrachtung oder -analyse nur interpretativ vorgegangen werden, um der Komplexität des Phänomens Kultur gerecht zu werden. Damit sind mechanistische Kulturmodelle, die stereotypenhaft verschiedene Kulturen in ein starres Typenmodell (Kulturtyp A, Kulturtyp B etc.) einreihen und miteinander vergleichen, als realitätsfern zu bewerten. Vielmehr gilt es, Kultur als vielschichtiges Konzept zu begreifen, zu dem allein durch eine holistische Analyse der Interaktionen der beteiligten Individuen und den zugrundeliegenden Rahmenbedingungen ein Zugang gefunden werden kann.

Die Kulturanalyse könnte sich demnach wie folgt vollziehen: Die Durchführung übernimmt ein Kulturgutachter. Idealerweise ist dies ein Externer, der über eine hohe Rollendistanz verfügt und Erfahrungen im Umgang mit verschiedensten Kulturen aufweist. Er läuft damit nicht Gefahr, Situationen und Gegebenheiten auf Basis eines kulturellen Gedächtnisses zu sehen und zu bewerten. Dieser Kulturgutachter rekrutiert ein Team aus Mitarbeitern, die einen Querschnitt der Belegschaft darstellen sollten. Kriterien hierfür sind beispielsweise Hierarchiestufen, Dauer der Betriebszugehörigkeit oder Organisationsteil. In diesem Team werden die Ergebnisse diskutiert und bewertet. Für die Analyse selbst stehen dem Kulturgutachter verschiedene Instrumente zur Verfügung: Zu den wesentlichen zählen Einzel- und Gruppeninterviews, Dokumentenanalysen, klinische Beobachtungen von Sitzungen, Entscheidungen, Befragungen von Stakeholdern oder ehemaligen Mitarbeitern. Auf der Ebene der Artefakte wird auf diese Art der kulturelle Ist-Stand des Unternehmens analysiert. Die Fragestellungen bzw. Themenkomplexe umfassen dabei im Wesentlichen die Bereiche Strategie & Geschäftstätigkeit, Organisation, Personal, Recht, Financial sowie den Rahmen, in den das Unternehmen eingebettet ist, also die ‚Aufgabenumwelt’ und die ‚Globale Umwelt’ und die Marktentwicklung. Die eigentliche Kulturanalyse ist nun weniger ein inhaltlicher Schritt als eine prozessuale Grundeinstellung: Eine stichhaltige Analyse muss sich als ein offener, reflektiver und hermeneutischer Prozess vollziehen. Grundsätzlich stehen bei dem vorliegenden Kulturanalyseverfahren nach der Datensammlung folgende Schwerpunkte im Vordergrund, welche in Fragenkatalogen detailliert werden können: 62

• Welche Strategien, Ziele und Philosophien begründen die Artefakte bzw. lie-

gen diesen zugrunde? (Ebene der bekundeten Werte) • Was sind die Ausgangspunkte der ermittelten strategischen Überlegungen?

Welche Grundannahmen des Handelns führen zu diesen strategischen Überlegungen? (Ebene der Grundprämissen) • Welche horizontalen und vertikalen Interaktionsmuster beeinflussen auf wel-

che Art und Weise die ermittelten Ebenen? (Schichtenmodell der Umweltberücksichtigung) Auf der Ebene der Artefakte sind die gewonnenen Aspekte der Wettbewerbs- und Umfeldanalyse zu systematisieren. Das Ziel ist eine Clusterung kultureller Ausprägungen. Dabei kann es sich durchaus um Elemente verschiedener Untersuchungsbereiche handeln, wie z.B. eine Verbindung aus Rechtsform, Entlohnungssystem, Organisationsform und Kapitalmarkt. Wesentlich ist, dass die zusammengefassten Elemente einen hohen Erklärungsgehalt für die anstehenden Interpretationen besitzen. In der Kulturanalyse sind nun diese einzelnen Gruppen zusammenzuführen, d.h. bestimmte kulturelle Ausprägungen des Unternehmens sind in Verbindung mit geeigneten Clustern aus der Wettbewerbs- und Umfeldanalyse zu setzen. Daraus ergeben sich unternehmensspezifische artefaktische Kulturmuster. Nach diesem Prozessschritt wandelt sich die Perspektive von einer horizontalen zu einer vertikalen Analyse: Der Gutachter hat nun zu einem interpretativen Vorgehen zu greifen, um die artefaktischen Ausprägungen zu erklären. Die gefundenen Kulturcluster sind also auf die zugrunde liegenden Normen und Werte zu verdichten. Diese Bereiche sind die Begründungen für das Handeln der Mitarbeiter. Sie beinhalten die grundlegenden Strategien und Ziele ihres Schaffens. Die Notwendigkeit dieses Schrittes zeigt sich vor allem daran, dass unterschiedliche Ausprägungen auf der Ebene der Artefakte auf gleiche Normen und Werte zurückgeführt werden können und vice versa, d.h. identische Ausprägungen auf der Ebene der Artefakte bei zwei Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Rahmenbedingungen, zufälliger Interaktionen und verschiedener Strategien entstanden sein können. Im letzten Analyseschritt sind diese Kulturbereiche in einem weiteren Interpretationsprozess auf die den bekundeten Normen und Werten zugrundeliegenden Grundprämissen zurückzuführen und zu verdichten. Diese dienen als Erklärungsmuster dafür, warum bestimmte Ziele von einem Unternehmen und seinen Mitarbeitern für erstrebenswert gehalten werden und andere nicht. Es wird deutlich, dass es sich bei einer Kulturanalyse aufgrund der Unzahl möglicher Einflussfaktoren nicht um eine exakte Beschreibung im Sinne einer mathematisch berechenbaren Kulturstruktur o.ä. handeln kann, sondern diese als explorativer Prozess anzusehen ist, welcher ein erhöhtes Verständnis für die Handlungen der Mitarbeiter entwickelt und damit auch für das „Warum?“ der Ist-Kultur ermöglicht.

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Literatur Berkel, Karl/Herzog, Rainer (1997): Unternehmenskultur und Ethik, Heidelberg. Dülfer, Eberhard (2001): Internationales Management in unterschiedlichen Kulturbereichen, 6. Auflage, München. Kobi, Jean-Marcel/Wütherich, Hans A. (1986): Unternehmenskultur verstehen, erfassen und gestalten, Landsberg am Lech. Sackmann, Sonja A. (1983): „Organisationskultur: Die unsichtbare Einflußgröße“. In: Gruppendynamik: Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie, Nr. 4, S. 393-406. Sackmann, Sonja A. (1990): „Möglichkeiten der Gestaltung von Unternehmenskultur“. In: Lattmann, Charles (Hg.): Die Unternehmenskultur: Ihre Grundlagen und ihre Bedeutung für die Führung der Unternehmung, Heidelberg, S. 151-188. Schein, Edgar H. (1995): Unternehmenskultur – Ein Handbuch für Führungskräfte, Frankfurt. Schreyögg, Georg (1992): „Organisationskultur“. In: Frese, Erich (Hg.), Handwörterbuch der Organisation, 3. Auflage, Stuttgart, S. 1526-1538. Strähle, Jochen (2004): Cultural Due Diligence, Marburg. Tyler, Stephen (1969): Cognitive Anthroplogy, New York.

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Interkulturelle Kreativität Volker Stein

1 Herausforderung „sich interkulturell bewähren“ Die Arbeitswelt der Gegenwart – und noch mehr die der Zukunft – hat ihre Eigenheiten, die mit denen der Vergangenheit nur noch wenig zu tun haben. Sie verändert sich laufend und wird für die Akteure immer undurchsichtiger, und dies nicht nur in den vergangenen zehn Jahren mit dem New Economy-Boom der Informationstechnologie und der Globalisierung. Vor allem aber gibt sie immer weniger Sicherheit. Scholz (2003) charakterisiert die Situation als eine „Arbeitswelt ohne Stammplatzgarantie“, in der es mittlerweile weder eine Stammplatzgarantie für Unternehmen in ihren Märkten noch eine Stammplatzgarantie für Mitarbeiter in ihren Unternehmen gibt. In den Vordergrund drängt die Forderung, dass sich alle wirtschaftlichen Akteure permanent bewähren müssen, um überhaupt noch an der betrieblichen Wertschöpfung teilnehmen zu dürfen. Damit besteht ein darwinistischer Bewährungsdruck: Wer ihm nicht gerecht wird, unterliegt der Gefahr des Ausscheidens aus dem Markt oder aus dem Unternehmen. Die geforderte Bewährung bleibt im Übrigen nicht bei folgenlosen Ankündigungen: Der Trend geht eindeutig vom Bewährungsdruck zum Bewertungsdruck. Die Bewährung wird konsequent abgeprüft, indem allerorts hinterfragt und gemessen wird: Für ganze Unternehmen hinterfragen unter anderem Analysten und Wirtschaftsprüfer, Banken und Medien die Leistung, und gemessen wird annähernd alles von der Liquidität (vgl. Bartetzky/Gruber/Wehn 2008) bis hin zum immateriellen Vermögen (vgl. Matzler et al. 2005; Scholz/Stein/Bechtel 2006). Für Arbeitsteams bis hin zum einzelnen Mitarbeiter hinterfragen die Führungskräfte das Einhalten von Zielvereinbarungen (vgl. Bungard/Kohnke 2002; Kunz 2003) und messen daher deren Performance (vgl. Fersch 2002). Interessanterweise erstreckt sich der Bewährungsdruck inzwischen auch auf Handlungsfelder, mit denen die Betriebswirtschaftslehre „weiche“, also nicht-monetäre Faktoren verbindet. So muss nicht nur die Finanzabteilung, sondern zum Beispiel auch die betriebliche Personalarbeit nachweisbaren Wert schöpfen und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens erhöhen und dies darüber hinaus darlegen – und zwar nicht in Form wachsweicher Aussagen, sondern gemessen in Euro und in immer kürzeren zeitlichen Taktungen (vgl. Stein 2007). In der Konsequenz ist es nicht abwegig, dass in der näheren Zukunft gerade auch hinsichtlich des Gestaltens der Internationalisierungs- und Globalisierungsstrategien ein immer stärkerer Bewährungsdruck aufgebaut werden wird: Unternehmen sollen sich in der Globalisierung bewähren, und auch jede einzelne Person – ein Mitglied eines internationalen Teams, ein Expatriate – muss sich interkulturell bewähren. Es gilt, sich darauf vorzubereiten und zu identifizieren, worin dieses Bewähren genau besteht. 65

Dieser Beitrag konzentriert sich inhaltlich auf die Bewährungsherausforderung im interkulturellen Arbeiten. Zielsetzung des Beitrages ist es, die Frage zu beantworten: Was macht das „sich interkulturell bewähren“ aus? Die Antwort fokussiert sich hier auf einen noch detaillierteren Aspekt, der weit am Anfang interkulturellen Handelns steht und somit der Startpunkt der Betrachtung ist: die „Interkulturelle Kreativität“. Sie wird in diesem Beitrag konzeptionell entwickelt.

2 Warum „Interkulturelle Kreativität“? Sich bewähren bedeutet, einer explizit formulierten oder implizit bestehenden Erwartung Dritter gerecht zu werden. Verfolgt man die Prozesskette erfolgreichen Handelns auf der Basis allgemeiner Handlungstheorien (vgl. Simon 1957; Cyert/March 1963; Marek 1979; Searle 1991), Lerntheorien (vgl. Dewey 1930; Miller/Galanter/Pribram 1960; Senge 1990) und Motivationstheorien (vgl. Heider 1958; Atkinson/Birch 1978; Heckhausen 1989; Weiner 1992), so ergibt sich eine Reihe von miteinander verbundenen Handlungsaspekten: Informationsaspekt = kennen: Der Handelnde muss mit den notwendigen Informationen über das Handlungsumfeld und die Handlungsziele ausgestattet sein. Kompetenzaspekt = wissen: Es muss ein Set an Handlungsalternativen und ein Metawissen zum Handlungsfeld erlernt worden sein. Kreativitätsaspekt = Ideen haben: Das Wissen muss im Sinne der Problemlösung einfallsreich auf die Handlungsnotwendigkeit bezogen werden. Befähigungsaspekt = können: Die Umsetzungsfähigkeit muss erworben und die Umsetzung muss eingeübt worden sein. Befugnisaspekt = dürfen: Die Erlaubnis zum Handeln muss bestehen. Motivationsaspekt = wollen: Der Handelnde muss sich zur Handlung bekennen. Intentionsaspekt = werden: Der Handelnde muss die Handlung auch tatsächlich zielgerichtet beginnen. Ausführungsaspekt = tun: Die Handlung muss abschließend realisiert werden. Beurteilungsaspekt = für effektiv befinden: Das Handlungsergebnis muss mit den Erwartungen abgeglichen werden. In allen diesen Aspekten kann der Grund dafür liegen, dass eine Handlung nicht funktioniert oder als nicht erfolgreich wahrgenommen wird. Im Hinblick auf interkulturelles Handeln wurden die meisten dieser Handlungsaspekte im theoretischen Diskurs bereits intensiv erarbeitet. Der Informationsaspekt wird im Zusammenhang mit reichhaltig vorhandenem Globalisierungswissen (vgl. Porter 1990; Steger 1999; Scherer 2003), der Interkulturforschung (vgl. Hall 1976; Hofstede 1991; Hampden-Turner/Trompenaars 1993; House et al. 2004) und der Bekanntmachung be66

trieblicher Internationalisierungsstrategien (vgl. Perlmutter 1965) thematisiert. Der Kompetenzaspekt kommt insbesondere im Hinblick auf interkulturelle Kommunikation (vgl. Lüsebrink 2005), interkulturelles Lernen (vgl. Thomas 1993; Barmeyer 2000) und die interkulturelle Personalentwicklung (vgl. Landis/Brislin 1983) zum Zuge. Der Befähigungsaspekt wird als interkulturelle Kompetenz (vgl. Thomas/Kammhuber/ Schroll-Machl 2003; Adler/Gundersen 2008) adressiert. Der Befugnisaspekt betrifft die internationale Organisation von Unternehmen (vgl. Heenan/Perlmutter 1979; Bartlett/Ghoshal 1989; Welge/Holtbrügge 1998; Kreitz 2008) genauso wie die interkulturelle Führung (vgl. Mendenhall et al. 2008). Der Motivationsaspekt wird zum Beispiel im Zusammenhang mit der Auswahl geeigneter Mitarbeiter für interkulturelle Umfelder aufgegriffen (vgl. Hardes/Wächter 1993). Der Intentionsaspekt findet sich in der konkreten Gestaltung der Auslandsentsendung von Expatriates (vgl. Kühlmann 2004) wieder. Der Ausführungsaspekt wird hinsichtlich konkreter Einsatzfelder wie internationalen Teams (vgl. Montoya-Weiss/Massey/Song 2001; Scholz/Stein 2003; Brett/ Behfar/Kern 2006) und internationalem Verhandeln (vgl. Salacuse 2003) beschrieben. Schließlich wird der Beurteilungsaspekt unter anderem als Teil des interkulturellen Assessments angesehen (vgl. Sparrow 2006). Allein der Kreativitätsaspekt stellt einen weißen Fleck auf der interkulturellen Handlungslandkarte dar: Es fehlt der systematische Zugang zu dem Phänomen „Interkulturelle Kreativität“. Nur eher beiläufig wird sie bislang als Entwicklung neuer Kommunikationsformen in interkulturellen Überschneidungssituationen in engen Zusammenhang mit interkultureller Synergie gebracht (vgl. Krewer 1994). Dennoch: Von einzelnen Mitarbeitern, von Arbeitsteams und auch von den Unternehmen als Ganzes wird erwartet, dass sie in den unterschiedlichsten interkulturellen Situationen, die sie im Vorfeld hinsichtlich der Komplexität gar nicht vollständig übersehen können, ihr interkulturelles Wissen anwenden und interkulturell angemessen reagieren. Dies erfordert insbesondere unter Zeitdruck spontanen Einfallsreichtum. Bis zu einem gewissen Grad kann sicherlich gelernt werden, hier immer wieder auf gute Ideen zu kommen, aber Interkulturelle Kreativität erfordert auch ein Umfeld, in dem sie sich entfalten kann.

3 Annäherung an „Interkulturelle Kreativität“ In den Anfängen des wissenschaftlich verfolgten Managens hat Taylor (1911) mit Hilfe von Experimenten Arbeitsleistung optimiert, beispielsweise über die kraftsparendste Form von Schaufeln für Bauarbeiter oder die ablaufförderlichste Anordnung von Arbeitsgeräten am Arbeitsplatz. Eines seiner zentralen, berühmten und international erfolgreichen Prinzipien war die „Trennung von Hand- und Kopfarbeit“. Handarbeit war das, was mit Kraftanstrengung auszuführen war, und Kopfarbeit das, was die Ablauforganisation, Unternehmensführung und Kontrolle der Arbeit und der Handarbeiter betraf.

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In einer wissensorientierten Wirtschaft ist die Beschäftigung mit der Kopfarbeit zunehmend wichtig: Sie gilt in der heutigen Zeit als Hoffnung dafür, dass sich Zukunftsprobleme unter dem bestehenden wandlungsbedingten Zeitdruck dennoch lösen lassen. Kopfarbeit ist innovativ, weil sie Wissen schafft, und kreativ, weil sie dieses Wissen zur gestalterischen Anwendung bringt. Die Kopfarbeit wird daher nicht mehr als natürlicher Antagonist der Handarbeit angesehen, sondern es kam seit Taylors Grundideen zu ihrer Demokratisierung. Ein wichtiger Meilenstein war die von Guilford (1950) vertretene These, dass jeder Mensch – und nicht nur eine kleine Gruppe von Genies – grundsätzlich kreativ sei. Kreativität ist damit kein elitäres Phänomen, betrifft also jede Ebene und jedes Tätigkeitsfeld im Unternehmen. Anders ausgedrückt: Der Kopf muss eingeschaltet werden – spätestens dann, wenn es zu lösende Herausforderungen gibt! Ein aktuelleres Beispiel findet sich in der Dankesrede von Barack Obama nach der Präsidentschaftswahl 2008, in der er wörtlich sagt: „Selbst wenn wir heute Abend feiern, wissen wir, dass die Herausforderungen von morgen die größten unseres Lebens sind – zwei Kriege, ein Planet in höchster Gefahr, die schwerste Finanzkrise in einem Jahrhundert“. Und er ergänzte, dass er alle Amerikaner zum Lösen dieser Aufgaben brauche. Also: Nichts von „Arbeitsteilung“ zwischen Hand und Kopf, sondern alle Menschen müssten gemäß Obama mit allen ihren Mitteln hart mithelfen bei der Lösung der Probleme. Ergänzend lässt sich anmerken, dass er die Hilfe Aller beim Lösen von Problemen einforderte – nicht die Hilfe beim Beschreiben und Beklagen der Probleme. Zur Lösung von Problemen wird Kreativität benötigt: Sie ermöglicht es den Handelnden, das vorhandene Fach- und Erfahrungswissen, die Wahrnehmungen, die Informationen und Emotionen zu etwas Neuem zu kombinieren. Kreativität ist damit menschlicher Einfallsreichtum, der vor allem auf dem Vorhandensein von Wissen basiert (vgl. Amabile 1988; Oldham/Cummings 1996). Kreativität ist nicht nur als initialer Impuls einer Handlungskette zu sehen, sondern wird permanent im gesamten Problemlösungsprozess benötigt. Jeder Prozessschritt von der ursprünglichen Idee bis hin zur Realisation und sogar zur Verstetigung des Erfolges benötigt weitere kreative Ideen. Interkulturelles Handeln ist ein solcher Problemlösungsprozess. Interkulturelles Handeln verfolgt im wirtschaftlichen Kontext vor allem drei Ziele: Interkulturelles Kommunizieren: Handelnde streben an, dass mit Vertretern anderer Landeskulturen eine gemeinsam verstandene Kommunikation zustande kommt, die nicht durch landeskulturell bedingte Konflikte verunmöglicht wird. Interkulturelles Verhandeln: Handelnde streben an, dass sie in Verhandlungen mit Vertretern anderer Landeskulturen ihre Verhandlungsposition effektiv durchsetzen. Interkulturelles Zusammenarbeiten: Handelnde streben an, dass sie in interkulturell gemischten Arbeitskontexten gemeinsam effektiv ihr erwartetes Handlungsergebnis erzielen. 68

Jedes dieser Ziele erfordert wiederum das Durchlaufen vieler teilweise unvorhersehbarer, widersprüchlicher und mehrdeutiger Prozessschritte. Sie sind gerade nicht mittels Standardlösungen und durch Anwendung starrer Regeln zu lösen. Vielmehr unterliegt der gesamte Interaktionsprozess, der zwischen Akteuren aus unterschiedlichen Landeskulturen stattfindet, der Notwendigkeit, dass die Akteure ständig Einfälle zu den Wegen haben, auf denen ihre Ziele erreicht werden können. Ist hiermit also „Interkulturelle Kreativität“ gefordert, so lässt sich dennoch gleichzeitig konstatieren, dass im Hinblick auf alle drei Ziele Umsetzungsbarrieren bestehen, welche die Kreativität hemmen. Sie liegen in der Existenz unterschiedlicher landeskultureller Grundmuster der Handelnden. Der Aufbau Interkultureller Kreativität richtet sich daher darauf, mit diesen Barrieren effektiv umzugehen.

4 Definition „Interkulturelle Kreativität“ „Interkulturelle Kreativität“ ist der Einfallsreichtum interkulturell handelnder Menschen, mit dessen Hilfe sie ihr Fach- und Erfahrungswissen, ihre Wahrnehmungen, ihre Informationen und Emotionen in interkulturellen Interaktionen so kombinieren, dass sie ihre Ziele des interkulturellen Kommunizierens, des interkulturellen Verhandelns und des interkulturellen Zusammenarbeitens erreichen.

5 Konsequenzen Interkultureller Kreativität für die individuelle Personalentwicklung Menschen, die Herausforderungen kreativ lösen, unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit deutlich von weniger kreativen Menschen (vgl. Csikszentmihalyi 1997). Ein durch Peterson und Carson (2000) durchgeführtes Experiment belegt dies: Sie wählten zwei Studierendengruppen aus, die eine eher gleichmütig, kritiklos und uninspiriert („die Uneigenständigen“), die andere wach, hinterfragend und kritisch („die Kreativen“). Im Experiment wurde den Probanden über Kopfhörer ein Text vorgelesen, in dem gelegentlich Fantasiewörter vorkamen, die zu zählen waren. Zur Ablenkung wurden neben der Stimme des Sprechers auch störende Hintergrundgeräusche gesendet. Im Ergebnis registrierten die Uneigenständigen die Störungen praktisch nicht und zählten folgsam die Wörter. Die Kreativen dagegen wurden schon bei der geringsten Störung aus dem Konzept gebracht, machten massive Zählfehler oder brachen das Experiment sogar ab. Dieses Ergebnis des Experiments wird so erklärt, dass bei Uneigenständigen äußere Reize durch eine „latente Hemmung“ mehr oder weniger abgeblockt werden, wodurch sie Routinearbeit präferieren und für Unbekanntes und Neues zunächst kaum empfänglich sind, wohingegen bei Kreativen das Gehirn auf diverse Sinnesreize extrem offen reagiert. Es ist damit zu vermuten, dass auch Interkulturell Kreative störanfällig sind. Ausgerechnet Interkulturelle Kreativität findet allerdings in einem Umfeld statt, das sich 69

durch permanente Störungen auszeichnet, in dem also die Umfeldvarietät extrem hoch ist. Diese extern gegebene Umfeldvarietät lässt sich auch nicht verringern. Das Problem besteht darin, dass die Interkulturell Kreativen damit eigentlich gar nicht zur interkulturellen Arbeit passen. Somit besteht die erste Konsequenz für die individuelle Personalentwicklung Interkulturell Kreativer darin, Stressbewältigung als Metakompetenz für interkulturelles Handeln noch stärker als bisher zu in den Vordergrund zu rücken. Dabei darf es nicht um die reaktive Stressbewältigung gehen, die erst dann einsetzt, wenn interkulturell Handelnde sich überfordert oder ausgebrannt fühlen. Vielmehr muss es um die proaktive Stresskompensationskompetenz gehen, die gerade Interkulturell Kreative benötigen, um nachhaltig an ihrer interkulturellen Aufgabe arbeiten zu können. Erfahrungen des Scheiterns von Expatriates (vgl. Yeaton/Hall 2008) belegen zumindest indirekt, dass es häufig gerade an dieser Nachhaltigkeit fehlt, wenn auch deren Gründe häufig nicht durchschaut werden. Menschen, die Herausforderungen kreativ lösen sollen, unterliegen aber auch persönlichen Stimmungen. Isen und Baron (1991) zeigen, dass positiv gestimmte Personen kognitiv flexibler sind, in breiteren Kategorien denken und dadurch mehr Assoziationen zwischen unterscheidbaren Stimuli herstellen können als negativ gestimmte Personen. Somit besteht die zweite Konsequenz für die individuelle Personalentwicklung Interkulturell Kreativer darin, sie in die Lage zu versetzen, sich selbst mit positiven Stimmungen belegen zu können, die sich nachhaltig auf das Handeln im interkulturellen Umfeld auswirken. Ein Ansatzpunkt ist hier die Stärkung der Empathiefähigkeit. Empathie ist das generelle Einfühlungsvermögen als Grundlage sozialer Bindung. Luhmann (1993) sieht Empathie als individuelle Reaktion auf die Überforderung durch die moderne Gesellschaft. Das hiermit bezeichnete Mitgefühl gegenüber anderen Wesen und Objekten führt er zurück auf „die Neigung, sich selbst als Beobachter zu beobachten und sich mit dem eigenen, individuellen Beobachtungsstil zu identifizieren“ (Luhmann 1993: N5). Hierdurch erfolgt bereits eine persönliche Selbstvergewisserung in der komplexen Umwelt, die von einer zunächst individuellen sogar zu einer kollektiven Selbstvergewisserung – und damit Stabilisierung und Stärkung – werden kann, und dies insbesondere dann, wenn sie sich auf positive Sinninhalte des Handelns bezieht. Das Lernen dieser Empathiefähigkeit erfolgt über verbale und nonverbale Kommunikation, in der Verhalten anderer Personen gespiegelt wird. Die wechselseitige Bezogenheit führt dazu, dass man sowohl die Handlungssituation als auch den Interaktionsprozess tendenziell positiver bewertet. Die kreativ Handelnden benötigen zudem eine Anleitung, wie komplexes Fach- und Erfahrungswissen, ihre Wahrnehmungen, ihre Informationen und Emotionen in interkulturellen Interaktionen so kombiniert werden kann, dass nicht nur mutige Versuchsund Irrtumsprozesse durchlaufen werden, sondern dass die Erfolgswahrscheinlichkeit im Vorfeld steigt. So ist es nicht damit getan, für interkulturelles Handeln Werbung mit den Attributen „abwechselungsreich“, „spannend“ und „herausfordernd“ zu ma-

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chen. Hilfreich ist eher die sehr situationsspezifische Vorbereitung der Perzeptionsbasis, auf der sich Interkulturelle Kreativität entfalten kann. Somit besteht die dritte Konsequenz für die individuelle Personalentwicklung Interkulturell Kreativer darin, explizit auf unmittelbar handlungsrelevantes interkulturelles Wissen einzugehen – denn Wissen ist die Basis für Kreativität. Je differenzierter dieses Wissen die interkulturelle Schnittstelle betrifft und den interkulturellen Akteur in die Lage versetzt, die gerade durchlebte Situation zu beurteilen oder – noch besser – zu antizipieren, desto intensiver wird das erfolgreiche „Coping“ im Sinne einer bewährten Situationsbewältigungskompetenz positive Stimmungen hervorrufen. Das handlungsrelevante interkulturelle Wissen, das hier gemeint ist, ist daher nicht das bloße Wissen darüber, dass andere Länder sich vom eigenen Land institutionell und kulturell unterscheiden. Vielmehr ist hier das Wissen gefordert, wie erfolgreich sowohl bewusstes Anpassen an fremde landeskulturelle Gegebenheiten sein wird als auch, wie erfolgreich bewusstes Abgrenzen von fremden landeskulturellen Gegebenheiten sein wird – und dies landesspezifisch für das Land, mit dem es der interkulturell Handelnde gerade zu tun hat. Dieser Lernansatz wird in der interkulturellen Literatur als „Competitive Acceptance“ (Scholz/Stein 2000) beschrieben und für verschiedene Länder beispielhaft ausgearbeitet. Durch ihn lassen sich tatsächlich Strategien, Strukturen, Prozesse und Gruppen in anderskulturellen Kontexten entwickeln, ohne die bewährte und meist erfolgreiche eigenkulturelle wie auch die bewährte und meist erfolgreiche fremdkulturelle Spezifizität zu stören und damit die Effektivität interkulturellen Handelns zu beeinträchtigen. Die individuelle Personalentwicklung in Richtung auf Interkulturelle Kreativität muss daher differenzierte, viel stärker persönlichkeitsorientierte Wege jenseits der traditionellen interkulturellen Personalentwicklung beschreiten.

6 Konsequenzen Interkultureller Kreativität für die interkulturelle Teamentwicklung In der „Wissensgesellschaft“ des 21. Jahrhunderts ist Kopfarbeit das wichtigste Wirtschaftsgut und Ideen sowie Kreativität spielen hier eine dominierende Rolle. Ohne Kreativität gibt es keinen wirtschaftlichen Erfolg und keinen Wohlstand zu verteilen: Denn wie anders als durch Kreativität kann beispielsweise Deutschland seinen Knowhow-Vorsprung sichern, der die deutschen Produkte auf dem Weltmarkt attraktiv macht? Nur dauerhafte Kreativität schafft es, in der inzwischen relativ kurzen Zeit, in der deutsche Innovationen durch Nachahmer kopiert werden, wieder etwas ganz Neues zu kreieren und anbieten zu können, was wettbewerbsfähig ist und Wohlstand schafft. Die Konsequenz für jegliche Kreativität, auch für Interkulturelle Kreativität, ist: Kreativität braucht Konzentration. Diejenigen, die ihr Wissen kreativ einsetzen, müssen und dürfen nicht mit jedem Unsinn belästigt werden, sonst kann sich – wie aus Petersons/Carsons (2000) Experiment gelernt werden kann – ihre Kreativität nicht entfalten. 71

Auch Studien von Taggar (2002) und Hirst/van Knippenberg/Zhou (2009) zeigen, dass gerade der Teamkontext die individuelle Kreativität beeinflusst. Nun ist die Ausgangslage in der interkulturellen Arbeit häufig die, dass nicht nur Einzelkämpfer, sondern ganze Teams zusammen arbeiten. In ihnen treffen sich nicht nur Interkulturell Kreative, sondern eben auch Uneigenständige, von denen die Gefahr des „Bremsens“ der anderen ausgeht. Für die Entwicklung interkultureller Teams bedeutet dies, dass zunächst die Uneigenständigen sehr schnell lernen müssen, dass ohne die Kreativen das Überleben der Unternehmen im globalen Wettbewerb nicht funktionieren wird. Fatalerweise wird dieses Umdenken schwierig, da es eine traditionelle Rollenteilung gibt, die recht festgefügt ist: Das Spannungsfeld erstreckt sich zwischen den Interkulturell Kreativen samt ihrer fachbezogenen Autorität und dem daraus entstehenden Handlungsdrang auf der einen Seite, und den Mitarbeitern im Unternehmen, die aufgrund ihrer formalen Autorität viel stärker auf die Beachtung organisatorischer Regeln beharren (Schimank 2004: 548-549) und so zur Inflexibilität des Systems beitragen. Strategische Entscheider verfahren häufig analog nach dem Motto: „Die Kreativen sind doch sowieso nur die (un)nützlichen Idioten. Im Allgemeinen unbequem und nervig, aber wenn man sie mal braucht, nun ja, dann muss man halt in diesen sauren Apfel beißen“. Als „die Guten“ und als Nicht-Außenseiter gelten aber immer noch die, die die traditionell bewährte, wertschöpfende Arbeit machen und brav ihre Routinen abarbeiten. Nichts illustriert dies besser als der Bundestagswahlkampf 2005: Gerhard Schröder brauchte sich nicht einmal auf die Details von Professor Kirchhoffs Steuerreformidee einzulassen – der Hinweis auf „den Professor aus Heidelberg“ genügte bereits, den kreativen Impulsgeber als Intellektuellen und damit Merkwürdigen, sogar Vertrauensunwürdigen abzuqualifizieren (vgl. Lotter 2007). Und wer wählt schon solche Leute? Für die interkulturelle Teamentwicklung muss allerdings gelernt werden: Die in Teams häufig noch unterstellte Arbeitsteilung „standardisierte Umsetzungsarbeit ist ehrlich, kreative Kopfarbeit ist suspekt“ funktioniert zukünftig nicht mehr! Das reine Abarbeiten gibt es heute immer seltener: Das meiste davon erledigen heute und in Zukunft Roboter. Der Wertschöpfungsanteil der Industrie in Deutschland stagniert, die industrielle Basis Deutschlands schrumpft, die acht Millionen Menschen in Deutschlands Industrie, im produzierenden Gewerbe und im Handwerk machen bei 39 Millionen Erwerbstätigen nur noch 20 Prozent aus. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Der Anteil kreativer Arbeit nimmt zu. Sie ist nur zunächst nicht gut greifbar: eine Idee, ein Gedanke, pures Nachdenken teilweise ohne vorherdefiniertes Ziel, Überraschungen inklusive, und es kann sogar herauskommen, dass nichts dabei herauskommt. Also: Kreativität ist risikobehaftet. Daher leuchtet unmittelbar ein, dass man Kreativität bislang einfach diskreditieren kann. In der globalen Arbeitswelt ist nicht mehr nur die Nachfrage bestimmend, sondern das Angebot, das permanente Neue und Innovative. Daher müssen die Protagonisten in dieser Arbeitswelt fähig sein, selbstständig und durch eigenes Nachdenken zu ent72

scheiden, welche Problemlösungen richtig sind. Täglich muss neu darum gekämpft werden, dass die Basis für zukünftigen Erfolg nicht erodiert. Interkulturelle Kreativität meint „selbstständig entscheiden, was richtig ist“ – und genau dies wird zum neuen Normalzustand. Das ist nicht die Welt ferner Spinner, sondern genau das Arbeiten, das in allen Branchen und in allen Berufen zunehmend verlangt werden wird. Wer sich darauf einlässt, wer zu den Interkulturell Kreativen gehören will und dies – egal, wo – für selbstverständlich hält, wird feststellen: Das Bewusstsein bestimmt letztlich das Sein. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die mit sich bringen wird, dass man offen miteinander arbeitet, sich in Netzwerken austauscht, dass man das Ausgrenzen von „Quer- und Andersdenkenden“ reduziert. Letztlich breitet sich durch ein entsprechendes Vorbereiten interkultureller Teams in dieser Richtung weitere Interkulturelle Kreativität aus.

7 Konsequenzen Interkultureller Kreativität für die Organisationsentwicklung Im Sinne einer interkulturellen Organisationsentwicklung, die sich mit der interkulturellen Personalentwicklung und der interkulturellen Teamentwicklung verzahnt, gilt es zunächst, Interkulturelle Kreativität auf allen Ebenen des Unternehmens wachsen zu lassen. Das Unternehmen muss hierzu den Interkulturell Kreativen grundsätzlich zutrauen, dass diese Lösungen für ihre Herausforderungen finden werden. Misstrauen würde blockieren, Vertrauen aber unterstützt interkulturelles Handeln. Interkulturelle Kreativität können Unternehmen aber nicht „von oben“ einfordern: Das Postulat „Sei kreativ!“ ist genauso paradox wie das bekannte Kommunikationsparadoxon „Sei spontan!“ (Watzlawick 1983: 88). Wenn Unternehmen dafür sorgen wollen, dass ihre Mitarbeiter im interkulturellen Handeln Interkulturelle Kreativität zeigen, dann sollten sie, anstatt mit detaillierten Anweisungen Freiräume zu beschränken, für Freiheiten sorgen und Raum für Selbstorganisation geben. Zu entwickeln ist damit die Fähigkeit, als Unternehmen akzeptieren zu können, wenn ihre Interkulturell Kreativen auch abweichende und unkonventionelle Lösungswege verfolgen. Können Unternehmen ein solches Vertrauen im interkulturellen Kontext trainieren? Wege dazu sind sicherlich, Gründe für Nichtvertrauen zu identifizieren, vorhandenen Kontrollzwang abzubauen sowie Inhalte einer interkulturellen Vertrauenskultur zu präzisieren und zu entwickeln. Ein weiterer Aspekt interkultureller Organisationsentwicklung ist es, einen Kontext zu schaffen, in dem alle Führungskräfte und Mitarbeiter Geduld mit den Interkulturell Kreativen haben. Kreativität braucht Ruhe, um wachsen zu können: Es müsste eigentlich ein Recht darauf geben, Neues ohne Stress denken zu dürfen und neue Veränderungen erstmal versuchsweise wirken zu lassen, bevor man sie vorschnell beurteilt und abblockt (vgl. Lotter 2007). Voraussetzung für diese Geduld – und damit organisationsweit zu entwickeln – ist eine interkulturelle Offenheit des Unternehmens. Sie resultiert wiederum daraus, dass sich Mitarbeiter mit verschiedenen landeskulturellen, ethnischen und sozialen Hintergründen in ihren Sichtweisen und Kompetenzen ergänzen, 73

was – sobald sich diese Diversität in Wertschöpfung transformieren lässt – unmittelbar die Erfahrung stärkt, dass Interkulturelle Kreativität sich bewährt. Organisationsweit werden diese Aspekte im Kontext des Managens offener Innovationsprozesse thematisiert, bei dem Akteure innerhalb und außerhalb des Unternehmens am Innovationsgeschehen mitwirken (vgl. Robinson/Stern 1997; von Hippel 2005). Gerade im interkulturellen Management besteht diese – für die Zukunft immer intensiver zu lernende – Notwendigkeit, Akteure unterschiedlicher organisationaler Herkunft als kreative Ideengeber und -umsetzer in die Lösung interkultureller Herausforderungen einzubinden.

8 Fazit Interkulturelle Kreativität ist damit insgesamt eine multiple Lernherausforderung. Führungskräfte als die zentralen Träger der interkulturellen Personal-, Team- und Organisationsentwicklung sollten ̶ lernen, in interkulturellen Teams gerade diejenigen zu unterstützen, die nicht bremsen, sondern die sozial verantwortlich Risiken eingehen, ̶ lernen, dass kritisches Denken gut ist und sowohl noch nicht endgültig getroffene wie auch standardisiert vorgegebene Entscheidungen durch Interkulturell Kreative noch hinterfragt werden können, ̶ lernen, dass pures Auswendiglernen interkultureller Situationen samt vermeintlicher Standardlösungen nicht wirklich bei der Bewältigung interkultureller Probleme hilft, sondern dass nur helfen wird, Interkulturell Kreative zur Selbstständigkeit im Denken und Finden nachhaltiger Lösungen zu ermutigen und anzuleiten, ̶ lernen, dass abweichendes Verhalten interkultureller Teammitglieder nicht reflexartig zu bekämpfen ist, sondern zumindest die Chance bekommen kann, sich als goldrichtige Entscheidung herauszustellen, ̶ lernen, dass jeder interkulturell Handelnde für die Interkulturelle Kreativität und damit für den Weg der inspirierten Problemlösung eigene Verantwortung übernehmen muss, ̶ lernen, dass man für das Dasein als Interkulturell Kreativer auch Mut braucht, Ungeduld und Unverständnis bis hin zur Diskreditierung durch Andere auszuhalten – zumindest noch auf dem langen Weg bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Interkulturelle Kreativität der Kopfarbeiter normal sein wird, ̶ lernen, dass man sich offen für interkulturelle Vernetzungen zeigen und interkulturelles Denken fördern muss. Interkulturelle Kreativität thematisiert damit letztlich die Bereitschaft, als Person neue Wege einzuschlagen, und die Bereitschaft, diese als Organisation mitzugehen.

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Interkulturelles Wissensmanagementmodell zur Optimierung des internationalen Personaltransfers Sylke Piéch

1 Auslandspotenzial adé Ein Auslandseinsatz stellt in der Regel den wichtigsten Schritt in der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung eines Mitarbeiters dar (Adler 1997: 244). Die Bedeutung dieser Lebensphase findet jedoch nur selten im persönlichen Leben der Expatriates1 sowie in der unternehmerischen Praxis eine angemessene Würdigung. Diese Diskrepanz liegt vor allem darin begründet, dass den Expatriates oft nicht bewusst ist, worin ihr im Ausland erworbenes Kompetenzwachstum im Grunde genommen besteht. Die meisten Expatriates können zum Beispiel schwer differenzieren, ob sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse durch ihren Auslandsaufenthalt oder durch ihre langjährige Berufserfahrung erworben haben. Selbstverständlich werden die Erfahrungen aus einer jahrelangen Berufspraxis stets eine entscheidende Einflussgröße für das Knowhow des Mitarbeiters darstellen. Unvertretbar ist hingegen, wenn das Kompetenzspektrum darauf reduziert bleibt und die Auslandserfahrungen in ihrem Mehrwert nicht erkannt und somit nicht genutzt werden können. Diese ineffiziente Situation steht konträr zur aktuellen Entwicklung, dass Auslandsentsendungen in wachsendem Maße für die internationalen Führungskräfte- und Personalentwicklung eingesetzt werden. Inwieweit die Leistungsziele durch die Entwicklung der eigenen Person während des Auslandseinsatzes jedoch erreicht werden, bleibt weitestgehend dem Zufall überlassen und ist vom Personalmanagement schwer erfassbar. Dies „stellt einen weißen Fleck in der internationalen Personalabteilung dar“, kommentiert Bergmann (2005). Zur Kaschierung dieses Problems wird weitverbreitet an der Hypothese festgehalten, dass mit einem Auslandsaufenthalt auch ein Erwerb von interkulturellem Know-how einhergehen müsste. Dementsprechend pauschalisierend wird oftmals von „dem“ Rückkehrer gesprochen, welchem zum Beispiel Potenziale und Eigenschaften wie flexibles Managementverhalten, Kompromissbereitschaft, Autonomie, Risikobereitschaft, Anpassungsfähigkeit sowie eine offene Einstellung gegenüber Neuem und anderen Denkansätzen zugeschrieben werden (MeierDörzenbach 2008). Die Erwartung, dass mit einer Auslandsentsendung ein Kompetenzerwerb einhergehen müsste, wird zum Beispiel daran deutlich, dass viele Unternehmen eine Entsendung als Fördermaßnahme deklarieren und zum unverzichtbaren Karrierebaustein erklären. In der Regel wird eine Auslandstätigkeit für die Übernahme 1

Als Expatriates werden Mitarbeiter bezeichnet, die befristet für ein inländisches Unternehmen bzw. für eine Fremdfirma im Ausland tätig sind. Nach der Entsendung können die Expatriates auch als Rückkehrer oder Repatriates bezeichnet werden.

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höherer Führungsaufgaben vorausgesetzt. „Wir erwarten, dass der Mitarbeiter diese interkulturelle Erfahrung gemacht hat“, erklärt Fröhlecke, Personalreferent für Führungskräfte (in Baumann 2006). Es ist erstaunlich, dass bei soviel Kompetenzannahme die Bemühungen um die betriebliche Nutzung des Auslandswissens der Expatriates eher im Hintergrund rangieren bzw. kaum existieren. Unternehmen begründen diese Situation zumeist dahingehend, dass die aktuellen Schwerpunkte in der Verbesserung der Entsendungsprozesse liegen. Mit dieser Aussage wird implizit zum Ausdruck gebracht, dass die Konzentration auf die ersten Phasen des Entsendungsprozesses, speziell auf die operative Umsetzung des Auslandseinsatzes, gerichtet ist und dass die Erfahrungssicherung als Teil des Reintegrationsprozesses weitestgehend unberücksichtigt bleibt.

2 Interkulturelles Wissensmanagementmodell Die Autorin hat im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten diese Problematik detailliert untersucht und aufgrund ihrer Untersuchungsergebnisse ein interkulturelles Wissensmanagementmodell entwickelt (Piéch 2009). Das Charakteristische dieses Wissensmanagementmodells besteht in seiner Zwei-Phasen-Strukturierung. Die erste Phase beinhaltet die direkte Arbeit mit den Expatriates. Deshalb wird in dieser Phase auch vom Wissensmanagement auf individueller Ebene gesprochen. Auf dieser Grundlage baut die zweite Phase, das Wissensmanagement auf organisationaler Ebene, auf. Der Modellstrukturierung liegt die Überlegung zugrunde, dass bevor das interkulturelle Wissen der Expatriates für unternehmerische Zwecke aufbereitet und genutzt werden kann, es dringend erforderlich ist, den Fokus auf die Person des Expatriates, als den eigentlichen Wissens- und Erfahrungsträger, zu richten. Bis dato wird den Prozessen der zweiten Phase in Theorie und Praxis die höchste Priorität beigemessen. „Wenn von Wissensmanagement die Rede ist, sind meist Aktivitäten auf organisationaler Ebene gemeint“ (Gutounig 2005), denn der Fokus liegt vorrangig auf der Erfahrungssicherung und -nutzung für das Unternehmen. In den Untersuchungen der Autorin wird jedoch nachgewiesen, dass diesen institutionellen Zielbestrebungen die individuelle Erfahrungssicherung und -nutzung vorausgeht. Die Feststellung, dass nicht nur der Besitz von Wissen, sondern die Anwendung des Wissens über eine erfolgreiche Zielverwirklichung entscheidet, ist sowohl auf individueller als auch auf institutioneller Ebene relevant. In der folgenden Grafik wird das Wissensmanagementmodell in seinem gesamten Umfang dargestellt. Im Rahmen dieses Beitrags erfolgen die anschließenden Erklärungen der einzelnen Stufen in komprimierter Form.

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1. Phase Individuelles Wissensmanagement Reflexion Kompetenzanalyse Umgang mit Wissen Wissens- und Erfahrungsübermittlung

2. Phase: Organisationales Wissensmanagement Humanorientiertes WM Wissensnutzung Web 2.0 Technologien

Content Management System

Abbildung 1: Interkulturelles Wissensmanagementmodell

2.1

Wissensmanagement auf individueller Ebene

2.1.1 Reflexion Der Reflexion von Auslandserfahrungen kommt eine zentrale Bedeutung für den gesamten Wissens- und Erfahrungstransfer zu. Es wurde bereits auf das Problem hingewiesen, dass sich die meisten Expatriates ihres interkulturell erworbenen Know-hows oft nicht bewusst sind. Eine zentrale Ursache liegt darin begründet, dass sich dieses Wissen größtenteils auf der impliziten Wissensebene befindet. Die Fähigkeit zur Explizierung des impliziten Wissens, d.h. die Bewusstwerdung des verinnerlichten Wissens, stellt jedoch eine Grundvoraussetzung dar, um über das Wissenspotenzial als eigenständige Größe zu verfügen. Diese Form der Wissenstransformation setzt einen zielgerichteten Reflexionsprozess sowohl während als auch nach dem Auslandseinsatz voraus, welches z.B. durch Coaching oder Mentoring realisierbar ist.

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Im unternehmerischen Alltag wird hingegen der reflektorischen Arbeit kaum Bedeutung beigemessen. Diese Ignoranz ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Reflexionsprozesse in den meisten Unternehmen nach wie vor als suspekt gelten. Der Trend vieler Unternehmenskulturen tendiert stark zur Lösungs- und Zielorientiertheit. In diesem Zusammenhang wird das Thema Reflexion oft fälschlicherweise als defizitlastig deklariert. Mangel an Zeit und dem daraus resultierenden Zeitdruck sind selbstverständlich nicht nur eine Schwierigkeit der Expatriates, sondern stellen ein generelles Problem dar. Aus diesem Grund wird in der Praxis „nur selten das Handeln im Voraus geplant und noch seltener im Nachhinein reflektiert, welche Erfahrungen dabei gemacht wurden“ (Kade 2007: 215). Die Folge ist, dass es den Mitarbeitern an Zeit fehlt, über Sinn und Bedeutung ihres Handelns nachzudenken. Überkommene Denkgewohnheiten werden weder diskutiert noch in Frage gestellt. In der interkulturellen Praxis führt diese Dynamik dazu, dass die erfolgreichsten Strategien zu den am wenigsten eingesetzten Problembewältigungsformen zählen (Bolten 2007: 84). Dieser Unproduktivität kann nur begegnet werden, wenn „Denkpausen“ in den unternehmerischen Alltag integriert werden und Arbeit wieder zu einer reflexiven Tätigkeit wird (Witt/Witt 2006). 2.1.2 Kompetenzanalyse Nachdem persönliche Erfahrungen und organisatorische Erlebnisse unter reflektorischen Gesichtspunkten bearbeitet wurden, ist es entscheidend, dieses erworbene Erfahrungswissen strukturell aufzubereiten und einen verantwortungsvollen Umgang damit zu entwickeln. Die Frage „Auf welchen Gebieten hat der Expatriate welche Kompetenzen erworben und wozu befähigen ihn diese Kompetenzen?“ steht im Fokus des nächsten Auswertungsschrittes. Die Erstellung einer konkreten Analyse über das erworbene Kompetenzspektrum der Expatriates stellt in der Praxis eher eine Ausnahme dar. Umso entscheidender ist es, die Dokumentation und Verbalisierung des Kompetenzwachstums auf professionelle Weise umzusetzen. 2.1.3 Umgang mit Wissen Nachdem in den ersten beiden Stufen das interkulturelle Erfahrungswissen der Expatriates auf persönlicher Ebene externalisiert und strukturiert sowie der WissensMehrwert und seine konkreten Anwendungsmöglichkeiten herausgearbeitet wurden, ist auf der dritten Stufe die Frage zu erörtern, welchen persönlichen Umgang der Rückkehrer mit seiner „neu“ erschlossenen Wissensressource findet. Selbstverständlich beinhaltet diese Fragestellung eine inhaltliche Überschneidung mit der zweiten Stufe, da die operative und strategische Ausrichtung der Wissensnutzung zentrale Komponenten beider Stufen sind. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass der Fokus von Stufe 2 hauptsächlich auf der individuellen Betrachtung des Expatriates liegt. Demgegenüber wird in Stufe 3 eine Erweiterung der Perspektive vorgenommen, so dass der Umgang mit Wissen im persönlichen wie auch im organisationalen Kontext analysiert wird. 82

2.1.4 Wissens- und Erfahrungsübermittlung Über das Kapital „Wissen“ zu verfügen, ist zwar eine Grundvoraussetzung für die Erzeugung von Wissenstransparenz, jedoch wird erst die Fähigkeit zur Kommunikation und Nutzung des Wissens den entscheidenden Mehrwert generieren. Ein Hauptproblem in der Wissensvermittlung besteht jedoch darin, dass Kommunikationsbarrieren zum Teil von den Rückkehrern mitverantwortet werden. Viele von ihnen haben Schwierigkeiten, ihre Erfahrungen so aufzubereiten und darzustellen, dass sie für die Daheimgebliebenen interessant und nachvollziehbar sind. Dieses Unvermögen kann zum Gebrauch von allgemeinen Floskeln seitens des Rückkehrers führen. Wenn zum Beispiel lapidar vom Zugewinn an Toleranz gesprochen wird, fühlen sich nicht selten Freunde, Bekannte und Kollegen herabgesetzt, denn Toleranz „hat schließlich jeder“ (Burghaus 2006: 23). Damit die Expatriates ihr interkulturelles Potenzial voll zur Entfaltung bringen können, sind spezielle Kenntnisse in der Wissens- und Erfahrungsvermittlung erforderlich. „Wer etwas vermitteln will, muss über das nötige Fachwissen verfügen, über Methoden der sachgemäßen Darstellung und einer den Adressaten angemessene Präsentation. Darstellungskompetenz ist mehr als Methodenkompetenz. Sie verlangt die Berücksichtigung des Adressaten bei der Darstellung“ (Kade 2007: 214). Im Rahmen optionaler Weiterbildungsmodule sollte jedem Expatriate die Möglichkeit offeriert werden, seine Befähigungen in der situations- und bedarfsgerechten Kommunikation des persönlichen Wissens weiterzuentwickeln. 2.1.5 Kompetenzerwerb Durch die Modellphase des individuellen Wissensmanagements wird dem Expatriate ermöglicht, ein umfangreiches Kompetenzspektrum zu erwerben. Dieses umfasst sowohl die Fähigkeit zur Reflexion, Strukturierung und Anwendung von interkulturellem Know-how, als auch die Fähigkeit zum kontextübergreifenden Wissenstransfer. Da die direkte Anwendbarkeit der interkulturell erworbenen Fähigkeiten der Expatriates nach der Rückkehr ins Stammunternehmen größtenteils nicht gegeben ist, kommt diesem Kontexttransfer eine elementare Bedeutung zu. Bei zielgerichteter Nutzung stellen die erworbenen Kompetenzen im neuen Berufskontext einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil dar. Durch das Stufenmodell können überdies umfangreiche narrative, empathisch-hermeneutische und erwachsenenpädagogische Kompetenzen erworben werden, die weit über den entsendungsspezifischen Kontext hinaus einsetzbar sind. Dieser Gewinn an Kompetenzen sollte sowohl für die Expatriates als auch für die Arbeitgeber von höchstem Interesse sein.

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- Fähigkeit zur Reflexion

von Erfahrung - Fähigkeit zur Explikation des impliziten Wissen

- Entwicklung von

narrativen Kompetenzen

Expatriates - Fähigkeit zum kontext-

- Entwicklung von

übergreifenden Wissenstransfer

hermeneutischen Kompetenzen - Entwicklung von

erwachsenenpädagogischen Kompetenzen

Abbildung 2: Kompetenzerwerb durch individuelles Wissensmanagement

2.2

Wissensmanagement auf organisationaler Ebene

2.2.1 Erstellung eines Anforderungsprofils Mit der Schaffung dieser Wissens- und Kommunikationsgrundlage in der ersten Modellphase ist es möglich, zur zweiten Phase des entwickelten Wissensmanagementansatzes überzugehen und die Erfassung, Verarbeitung und Nutzung des interkulturellen Know-hows der Expatriates auf Organisationsebene zu realisieren. Für die Umsetzung dieser Prozesse ist es im ersten Schritt erforderlich, ein entsprechendes Anforderungsprofil für Wissensmanagement zu erstellen, welches folgende Komponenten beinhalten sollte: • Wissensziele definieren

Wissensmanagement ist eine strategische Funktion des Unternehmens (Büttner 2002: 3). Daher sind ein Unternehmensleitbild und eine Zielsetzung erforderlich, welche genau definieren, was durch die Nutzung von Wissensmanagement erreicht werden soll. Ein Beispiel könnte die Nutzung des Rückkehrerwissens für Produkt- und Prozessinnovationen sein. • Wissen speichern, aufbereiten und verteilen

Wichtige Kenntnisse und Erfahrungen, die auf individueller Ebene erlangt wurden, müssen systematisch erfasst, aufbereitet und anderen Mitarbeitern zielgerichtet zur Verfügung gestellt werden. Dieses Arbeitsspektrum umfasst auch eine kontinuierliche Aktualisierung der Wissensstände. Zur Speicherung und Weitergabe des Wissens bietet sich der Einsatz von zentralen oder dezentralen Wissensmanagementmethoden an. Entscheidend ist, dass die Methodenauswahl stets 84

im Kontext der Unternehmenskultur sowie den vorab definierten Wissenszielen zu betrachten ist und optimalerweise eingebunden sein sollte in eine unternehmerische Gesamtstrategie (Riempp 2004: 120). • Direkte Wissenskommunikation ermöglichen

Expatriates stellen sowohl im Ausland als auch im Stammunternehmen eine Minderheit dar. Dementsprechend gering sind die Möglichkeiten des direkten Erfahrungsaustauschs. Durch das Unternehmen sollte daher gewährleistet werden, dass Expatriates bei Interesse in einen kommunikativen Austausch treten können. Dies setzt eine Transparenz voraus, welche Mitarbeiter einen ähnlichen Erfahrungshintergrund teilen und wie diese zu kontaktieren sind. • Evaluierung der Maßnahmen

Für eine erfolgreiche Umsetzung von Wissensmanagement muss sichergestellt werden, dass die definierten Wissensziele durch die Etablierung der entsprechenden Wissensmanagementmethoden auch erreicht werden. Daher werden Evaluationsinstrumente benötigt, die der Überprüfung und ggf. Anpassung der Wissensziele bzw. der Methodenauswahl dienen. • Aufgeschlossene Unternehmenskultur

Rückkehrer bringen neue Einsichten und Sichtweisen in das Stammunternehmen. Inwieweit diese Informationen nützliche Erkenntnisse für die Organisationspraxis beinhalten, sollte vom Unternehmen offen und unvoreingenommen geprüft werden. Für diesen Prozess bedarf es einer Unternehmenskultur, die sich nicht dem Wandel widersetzt, sondern das Entwicklungspotenzial durch den Wandel erkennt. 2.2.2 Umsetzungsempfehlungen Eine Übersicht, welche technischen Wissensmanagementsysteme und human orientierten Wissensmanagementmethoden zur effizienten Wissensgestaltung im internationalen Personalmanagement genutzt werden können, wird in der Arbeit von Piéch (2009) vorgestellt. Die Evaluierung von Methoden und Techniken hinsichtlich ihrer Eignung sollte unter folgenden Kriterien realisiert werden: • Lassen sich die zentralen Erfolgsfaktoren, die aus der Wissensmanagementstra-

tegie abgeleitet wurden, mit der Wissensmanagement-Methode/-Technologie umsetzen? • Werden aus Sicht der Unternehmenskultur eher zentrale oder dezentrale Wis-

sensmanagement-Ansätze favorisiert? • Welche Technologien sind im Unternehmen bereits erfolgreich im Einsatz?

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• Bedürfen sie nur einer geringen Anpassung und sind schnell verfügbar? • Wie sieht das Nutzerprofil aus? Ist dieses eher homogen oder heterogen? Bei-

spielsweise nutzen junge Mitarbeiter Social Networking und andere Web-2.0Technologien wesentlich aktiver als ältere Mitarbeiter (PricewaterhouseCoopers 2008: 23). Um kostenintensive Umstellungsprozesse zu verhindern, sollte versucht werden, möglichst viele Funktionalitäten mit bereits bekannter Software umzusetzen. Vorteilhaft ist, die Einführung der neuen Software in „kleinen Schritten“ durchzuführen, so dass schnell Erfolge erzielt werden können (Böhn 2008: 15). Die Prozessrealisierung wird maßgeblich unterstützt, wenn vorab Erfolgsindikatoren (Key Performance Indicators) mit Ist- und Zielwerten festgelegt werden. Beispiele hierfür können sein: • Erhöhung Mitarbeiterzufriedenheit mit Entsendungsprozess • Erhöhung Innovationskraft/Vorschlagswesen • Reduktion der Entsendungskosten • Reduktion der Mitarbeiterfluktuation nach Entsendungsprozess

Entsprechend einer Analyse der Bitkom (2008: 15) verfügen international agierende Großunternehmen grundsätzlich über eine ausreichende technische Infrastruktur für Wissensmanagement. Für die praktische Umsetzung von Wissensmanagement im Bereich des internationalen Personaltransfers sind somit nicht zwangsläufig technologische Investitionen notwendig. Im Prinzip geht es größtenteils darum, bestehende Technologien auf ihre Eignung zu überprüfen und gegebenenfalls modifiziert anzuwenden. Ein zentrales Problem besteht jedoch darin, dass eine Transparenz über die prinzipiell verfügbaren Wissensmanagement-Technologien in den meisten Unternehmen nicht vorhanden ist, da diese nur segmentär eingesetzt werden. Gezielte Recherchen im eigenen Unternehmen sind also unerlässlich, um eine erfolgreiche Etablierung von Wissensmanagement auf dem internationalen Arbeitssektor vornehmen zu können. 2.2.3 Qualitätssicherung durch Verbindlichkeit Das Arbeitsgebiet des internationalen Personaltransfers müsste prädestiniert dafür sein, dass der Einsatz von Wissensmanagement erfolgreich praktiziert werden kann. Ein grundlegendes Problem des Wissensmanagements besteht nämlich darin, dass die Mitarbeiter oftmals Ängste vor Macht- und Kompetenzverlust, Austauschbarkeit und Konkurrenz entwickeln, die sie hemmen, ihr Wissen zu teilen (Reinmann-Rothmeier et al. 2001). Es ist davon auszugehen, dass diese Problematik bei den meisten Expatriates in dieser Ausprägung nicht auftreten wird, weil es ihnen wichtig ist, ihr Auslandswissen weiterzugeben. Ihre Bereitschaft zur Wissensweitergabe begründet sich insbesondere dadurch, dass sie durch die Verbalisierung ihres Wissens und ihrer Er86

fahrungen die Möglichkeit erhalten, diese zu strukturieren und zu verarbeiten. Da es sich zudem um eine Wissensressource handelt, die der Expatriate im fremdkulturellen Kontext erworben hat, stellt sie im Stammunternehmen sozusagen ein „zusätzliches Wissen“ dar, wodurch Konkurrenzbefürchtungen bei der Wissensteilung weitestgehend ausgeschlossen werden können. Doch obwohl das Interesse zur Wissensweitergabe bei vielen Expatriates vorhanden ist, besteht Zurückhaltung bei der Nutzung von technischen Wissensmanagementsystemen. Das persönliche Wissen auf elektronische Kommunikations- und Interaktionsplattformen zu geben, ist für viele Expatriates mit gewissen Vorbehalten verbunden, da sie in letzter Konsequenz nicht abschätzen können, wie ihre Angaben interpretiert und verwendet werden. Besondere Vorsicht werden viele Expatriates bei der Thematisierung persönlicher Probleme walten lassen, da die Angst vor negativen Konsequenzen existent ist. Es stellt sich somit auch für die Implementierung von Wissensmanagement im Bereich des internationalen Personaltransfers die grundlegende Frage: Wie kann eine Verbindlichkeit der Mitarbeiter bei der Benutzung elektronischer Arbeitsplattformen hergestellt werden? Nach Probst et al. (2006) ist Wissen ein Gut, das oft nur im persönlichen Austausch zwischen Individuen übertragen werden kann. Dementsprechend erhalten kommunikative und kooperative Aspekte beim Einsatz von Wissensmanagement eine zentrale Bedeutung. Viele der virtuellen Arbeitsplattformen beziehen ihre Wirkung und Effektivität vorrangig aus dem Prinzip der Vernetzung, welches gleichzusetzen ist mit dem Wort Verbindung. Dieses Prinzip kann jedoch nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn es mit Verantwortlichkeit, Nähe und Gefühl verbunden ist (Diers et al. 2002). Interaktionen der Verbindlichkeit laufen hauptsächlich auf der Beziehungsebene ab. Das Einhalten von Vereinbarungen steht in einem reziproken Verhältnis zum Bekanntheitsgrad und zur sozialen Korrelation der Interaktionspartner, denn über diese Faktoren werden maßgeblich die Konsequenzen der eigenen Handlung definiert. Der Vorteil elektronischer Kommunikationsformen beinhaltet gleichzeitig das grundlegende Problem der Unverbindlichkeit. Indem ein Austausch zwischen Personen mit unterschiedlichen professionellen und persönlichen Hintergründen ermöglicht wird, kann eine soziale Verbindlichkeit aufgrund persönlicher Beziehung kaum mehr zum Tragen kommen. Die Lösung für dieses Problem sehen Fachexperten zum Beispiel in der Etablierung von Anreizsystemen. Anreizsysteme sollen die Mitarbeiter motivieren, ihr persönliches Engagement in der Systemnutzung zu vergrößern. Aus diesem Grund stellen sowohl materielle als auch immaterielle Anreizsysteme einen wichtigen Erfolgsfaktor zur Unterstützung des Wissensmanagements dar. Eine umfassende Übersicht über die Arten der Anreizsysteme, welche auf der Basis extrinsischer und intrinsischer Motivationsformen unterschieden werden, hat Semar (2004) aufgestellt. In seinen Ausführungen betont Semar, dass es nicht „das“ Anreizsystem gibt, sondern dass aus der Vielzahl unterschiedlicher Anreizsysteme ein Instrumentarium entwickelt werden muss, welches den individuellen Eigenheiten und Bedürfnissen der einzelnen Unternehmen Rechnung trägt. 87

3 Zusammenfassung In diesem Beitrag wurde ein interkulturelles Wissensmanagementmodell zur Prozessoptimierung von Auslandsentsendungen vorgestellt. Indem dieses Modell eine klare Strukturierung auf individueller und organisationaler Ebene aufweist, ist es einerseits möglich, die Expatriates während ihrer Entsendung und Rückkehr optimal zu unterstützen. Andererseits werden Möglichkeiten einer institutionellen Potenzialnutzung aufgezeigt, indem das interkulturell erworbene Wissen der Expatriates systematisch erfasst und als Innovationspotenzial für das Unternehmen genutzt wird. Die Grundlage für den gesamten Wissens- und Erfahrungstransfer bildet die Erkenntnis, dass das Wissens- und Erfahrungspotenzial der Expatriates nicht unmittelbar als verwendbare Ressource zur Verfügung steht, sondern in einem aktiven Prozess erworben werden muss. Metaphorisch ausgedrückt: „Wie ein Diamant, der noch geschliffen werden muss“, trägt der Expatriate diesen Wissensschatz in sich. Um ihn nach außen zu tragen, bedarf es neben der Bewusstwerdung ebenso verschiedene Kompetenzen auf den Gebieten der Kommunikations- und Wissensvermittlung, die durch die erste Phase des Wissensmanagementmodells erworben bzw. vertieft werden können. Für eine erfolgreiche Implementierung von Wissensmanagement im Bereich des internationalen Personaltransfers ist zudem entscheidend, dass Wissensmanagement nicht allein als Personalinstrument begriffen wird, sondern seinen Einsatz als relevantes Strategie- und Steuerungsinstrument findet. Diese Gewichtung sollte insbesondere von der Führungsebene eines Unternehmens erkannt und öffentlichkeitswirksam kommuniziert werden.

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Können Organisationen interkulturelle Kompetenz ausbilden? Zum Zusammenspiel von interkultureller Organisations- und Personalentwicklung und interkulturellem Wissensmanagement Jürgen Bolten

1 Einleitung Sind Thematisierungen von „Interkulturalität“ und „interkultureller Kompetenz“ heute überhaupt noch zeitgemäß und legitimierbar? Diese Frage ist keineswegs rhetorisch und erst recht nicht ketzerisch gemeint. Sie reflektiert vielmehr Entwicklungen in den Personalabteilungen international aufgestellter Unternehmen, welche den Eindruck vermitteln, interkulturelle Fragestellungen seien gegenwärtig zwar weitgehend akzeptiert, gleichzeitig aber auch ‚de’-thematisiert und damit out-of-focus. Für diesen „Stillstand im Fortschritt“ wirtschaftliche Krisenszenarien verantwortlich zu machen, liegt am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts auf der Hand, greift aber für eine zufrieden stellende Erklärung zu kurz. Es gibt weitere – quasi ‚hausgemachte’ – Gründe, die bereits seit einigen Jahren mit dem Thema ‚Interkulturalität’ eine gewisse Impulslosigkeit verbinden lassen. An vorderster Stelle ist hier die stetig gewachsene Popularität der Diversity-Diskussion zu nennen, wodurch interkulturelle Fragestellungen in den Hintergrund des Interesses gerückt sind – paradoxerweise, wie man ergänzen muss, da „diversity“ interkulturelle Aspekte zwar explizit einschließt, sie aber gleichzeitig dadurch entprofiliert, dass ‚Vielfalt’ eben nicht nur als ethnische oder nationalkulturell charakterisierte verstanden wird. ‚Diversity’ schließt weit mehr ein, als „kulturelle Vielfalt“ im Sinne der klassischen interkulturellen Personalentwicklung. Dementsprechend focussieren DiversityTrainings durchaus auch Handlungsfelder, die man vor einigen Jahren noch als ‚intrakulturell’ klassifiziert hätte. Interkulturelle Trainer und Coaches sind gut beraten, sich durch diese Subsumierung ihres Gegenstandsbereichs unter das Dach ‚Diversity’ nicht bluffen und in eine unpassende Rolle drängen zu lassen: Jedes interkulturelle Training (in klassischem Verständnis) ist ein Diversity-Training, aber nicht jedes DiversityTraining ist zwangsläufig auch ein interkulturelles Training. Interkulturellen Trainings selbst lastet andererseits zum Teil immer noch der Ruf an, gerade aufgrund ihrer vielfach noch nationalkulturell geprägten Ausrichtung Stereotypisierungen zu verstärken, die sie eigentlich abbauen sollten. Verteidigungsstrategien nationalkulturellen Kohärenzdenkens, die sich auf die Notwendigkeit berufen, Trainees bzw. Coachees „Orientierungen vermitteln“ zu müssen, verlieren innerhalb der interkulturellen community immer mehr an Glaubwürdigkeit – vor allem dort, wo es 91

um die Betreuung multikultureller Teams geht. Hinzu kommt, dass semantische Kontroversen (z.B. zwischen ‚Inter’- ‚Trans’- ‚Hyper’-kulturalität) ebenso wie das Bröckeln der Grundfeste essentialistischer Kulturbegriffe seit einigen Jahren zu einer nicht zu unterschätzenden methodologischen Verunsicherung beitragen. Ernsthaft in Frage gestellt wird das Selbstverständnis „klassischer“ interkultureller Personal- und Organisationsentwickler allerdings durch gegenwärtig allseits aufflammende Diskussionen über die Kulturspezifik interkultureller Methoden. Dass es sich bei Maßnahmen zur interkulturellen Kompetenzentwicklung primär um euro-amerikanische Exportartikel handelt, die ihre eigene Kulturgebundenheit in der Regel nicht reflektieren und dementsprechend auch ihrem eigenen Interkulturalitätsanspruch zumindest aus methodologischer Perspektive in der Regel nicht gerecht zu werden vermögen, ist bislang weitgehend undiskutiert geblieben. Dieser methodologische Ethnozentrismus hat in den letzten Jahren vor allem in Teilen der asiatischen interkulturellen Kommunikations- und Handlungsforschung zu der sehr berechtigten Kritik geführt, inwiefern interkulturelle Lehr-und Lernkonzeptionen, die überwiegend ‚west’kulturellen Denkmustern folgen, überhaupt als ‚interkulturell’ bezeichnet werden können (vgl. Sinha et al. 2002; Chen/Miike 2006; Haas 2009: 169ff, v. Queis 2009). Dennoch: „Interkulturelle Kompetenzentwicklung“ als vorübergehenden ‚Hype’ zu verbuchen, wäre angesichts der immerhin über mehrere Jahrzehnte gewachsenen Grundlagen sicherlich ungerechtfertigt. Eher handelt es sich um ein vorübergehendes Tief im Produktlebenszyklus, dem es mit nachhaltig innovativ wirkenden Ansätzen entgegenzusteuern gilt. Zum einen geht es dabei um Selbstklärungsprozesse u.a. in Bezug auf die genannten methodologischen ‚Baustellen’ und um eine angemessene Positionierung im Diversity-Spektrum. Es geht aber auch und vor allem darum, dem gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten bestandsgefährdeten „nice-to-have“ interkultureller Kompetenzvermittlung Verbindlichkeit und Stetigkeit zu verleihen; es in ein ‚must-have’ oder besser noch: ‚we are’ zu transformieren. Dafür ist eine stärkere organisationale Verankerung notwendig, die nur unter der Voraussetzung funktioniert, dass interkulturelles Lernen als eine Aufgabe nicht nur der Personal-, sondern auch der Organisationsentwicklung wahrgenommen wird – oder wie die in London lebende Unternehmensberaterin Andrea Bugari kürzlich formuliert hat: „das Grundproblem ist der weitverbreitete individualistische Ansatz in der interkulturellen Leadership-Entwicklung. Firmenchefs denken bei interkultureller Kompetenz oft nur daran, wie ihre Führungskräfte in konkreten Interaktionen wirkungsvoller werden. Wenn sie aber interkulturelle Leadership nachhaltig aufbauen wollen, dann muss Entwicklung auch auf der Teamebene (Wie helfen Führungskräfte ihren Teams, eine wirkungsvolle interkulturelle Teamkultur zu entwickeln?) und auf der organisatorischen Ebene (Wie schaffen unsere Führungskräfte eine Unternehmensstruktur und -kultur, in der positive Interkulturalität und Leadership überhaupt möglich sind?) erfolgen.“ (Bugari 2009: 218)

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Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden aktuelle Rahmenbedingungen (2), Potentiale (3) und Realisierungsformen (4) einer organisationalen Verankerung von interkultureller Kompetenzentwicklung skizziert werden. Da es sich um ein in Forschung und Praxis bislang noch eher marginal bearbeitetes Feld handelt, geht es weniger um die Präsentation ‚serienreifer‘ Lösungen als vielmehr um ein Sammeln und Abwägen von Ideen und Argumenten, auf deren Grundlage sich dann im Einzelfall konkrete Maßnahmen einer interkulturellen Organisationsentwicklung gezielter konzipieren lassen. Die Argumentation orientiert sich dabei vor allem am Bedarf größerer mittelständischer Unternehmen.

2 Rahmenbedingungen für eine organisationale Verankerung interkulturellen Lernens Um die Chancen einer solchen Profilierung besser abschätzen zu können, erscheint es sinnvoll, aus verschiedenen Frageperspektiven zunächst die Kontextbedingungen bzw. den Status Quo näher zu beleuchten, unter denen sich interkulturelle Kompetenzentwicklung in Unternehmen gegenwärtig vollzieht1: Inwieweit werden Konzeptualisierungen von ‚Interkulturalität’ und ‚interkultureller Kompetenz’ gegenwärtig über den Bereich der Personalentwicklung hinaus auch in organisationaler Hinsicht diskutiert? Lassen sich z.B. Verankerungen in Unternehmensgrundsätzen, Leitbildern, Verhaltenscodices etc. nachweisen? (2.1) – Wie wirken sich aktuelle „Megatrends“ und gesellschaftliche Entwicklungstendenzen auf Konzeptualisierungen von Personal- und Organisationsentwicklung aus? Welche strukturellen Veränderungen sind für die internationale Personalarbeit zu erwarten? Welche Auswirkungen könnte dies auf die interkulturelle Kompetenzentwicklung in Unternehmen nach sich ziehen? (2.2). 2.1

‚Interkulturalität’ und ‚interkulturelle Kompetenz’ aus Sicht der Personal- und der Organisationsentwicklung

Aus der Perspektive von Personalentwicklern dürfte es unstrittig sein, dass sich das Spektrum an Angeboten zur interkulturellen Kompetenzentwicklung in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren insgesamt deutlich professionalisiert und verbessert hat. Im Vergleich zu den mit Blick auf die neunziger Jahre noch vielfach durch Skepsis geprägten Bestandsaufnahmen (u.a. Niedermeyer 2001) stellt sich die Qualität entsprechender Maßnahmen heute insgesamt in einem positiven Licht dar ( vgl. Rebensburg 2007; Schroer 2007: 51ff). Offenkundig hat auch ein Einstellungswandel in Bezug auf den Stellenwert entsprechender Maßnahmen stattgefunden: Interkulturelle Kompetenz wird nicht mehr „nur ‚nebenbei’ behandelt“(Blom/Meier 2002), sondern „als Schlüs-

1

Die Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die Situation im deutschen Sprachraum.

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selqualifikation für das Berufsleben“ angesehen (Bünde 2008), womit folgerichtig „interkulturelle Personalentwicklungsmaßnahmen einen bedeutsamen und notwendigen Teil der beruflichen Realität ausmachen“ (Rebensburg 2007: 34). Auf diese Weise ist auf Anbieterseite ein Qualifizierungsdruck entstanden, der nicht nur die Entstehung von Train-the-Trainer-Weiterbildungsstudien und -Zertifizierungen begünstigt hat (Dathe 2007), sondern der auch der Diskussion um Möglichkeiten der Formulierung und Überprüfung von Qualitätskriterien z.B. für interkulturelle Teamtrainings neue Impulse zu verleihen vermochte (Weppler 2004; Rebensburg 2007). Ebenfalls positiv beginnt sich auszuwirken, dass die Zuständigkeiten für interkulturelle Kompetenzentwicklung seit den neunziger Jahren mehr und mehr auf vorberufliche Ausbildungsbereiche ‚heruntergebrochen’ worden sind. An den meisten Hochschulen ist interkulturelle Kompetenzentwicklung inzwischen als Zusatzstudienangebot, als Schlüsselqualifikation, Querschnittsfach und teilweise sogar als eigenständiger und international vernetzter Studiengang etabliert (Bergemann/Bergemann 2005; Bolten 2007a; 2009a, v. Queis 2009). Personalentwicklung in Unternehmen kann dementsprechend zumindest bei dem jüngeren Klientel auf Grundlagen interkultureller Sensibilisierung zurückgreifen und darüber hinaus ihren eigenen Nachwuchs aus einem Kreis von Absolventen rekrutieren, der bereits über fundierte Kenntnisse und Erfahrungen im interkulturellen Training, Coaching oder Consulting verfügt. Gerade aufgrund der Individualität der Erfahrungen ist die Glaubwürdigkeit standardisierter Ausbildungsinhalte i.S. von ‚Dos & Taboos’ oder „Kulturdimensionen“ in den vergangenen Jahren immer geringer geworden. Gefragt sind situations- und kontextspezifische Lösungen, so dass sich das Schwergewicht interkultureller Personalentwicklungsszenarien mehr und mehr weg von standardisierten Trainings hin zu zielgruppenspezifischen Coachings verschoben hat (vgl. Barmeyer 2007: 217ff; Bugari 2009: 225). Trotz dieser aus Sicht der Personalentwicklung durchaus positiven Tendenzen hat sich nichts daran geändert, dass interkulturelle Kompetenzentwicklung gerade in Zeiten knapper Unternehmensbudgets nachrangig behandelt wird. Das dürfte sich auch nicht ändern, solange es nicht gelingt, sie als feste Größe an unterschiedlichen Stellen von Organisationsstrukturen zu implementieren und zu einer Angelegenheit sowohl der Personal- als auch der Organisationsentwicklung zu erklären. Dies ist bislang fast nirgendwo der Fall, und zu Recht konstatiert Otten (2007: 75), „dass eine konzeptionelle Einbettung interkultureller Lernprozesse nur partiell existiert“. Warum jedoch sind Versuche einer solchen organisationalen Einbindung interkulturellen Lernens bislang nur wenig erfolgreich verlaufen? Weshalb werden interkulturelle Personalentwicklungsmaßnahmen zwar weitgehend gutgeheißen, bleiben dabei aber ohne „wirklich entscheidenden Einfluss im Unternehmen“ (Falk 2007: 40)? Wie steht es aus Unternehmenssicht überhaupt um die Bereitschaft, Organisationsentwicklung auch als interkulturelle Organisationsentwicklung zu praktizieren? Eine kompakte Antwort wird man auf diese Fragen nicht finden; offenkundig ist aber, dass die unternehmenspolitischen Bedingungen für eine „interkulturell lernende Orga94

nisation“ nicht besonders günstig zu sein scheinen. Recherchiert man beispielsweise auf den Websiten der dreißig DAX-Unternehmen, inwieweit in Unternehmensgrundsätzen, Leitbildern und Verhaltenscodices ‚Interkulturalität’ und ‚interkulturelle 2 Kompetenz’ thematisiert werden , fällt die Bilanz ernüchternd aus. Die BASF AG ist das einzige der DAX-Unternehmen, in deren Wertedarstellung die Begriffe überhaupt noch explizit Erwähnung finden. Und zwar dort, wo ‚interkulturelle Kompetenz’ in den Leitsätzen als Grundwert deklariert wird, der dem Unternehmen einen „Vorteil im globalen Wettbewerb“3 sichern soll. In den Selbstäußerungen der anderen DAX-Unternehmen bleiben die Begriffe unberücksichtigt. Die Rede ist hier allenfalls von „kultureller Vielfalt“ im Rahmen eines umfassenden Diversity-Managements, dem es wesentlich um die Selbstverpflichtung auf die Achtung von Menschenrechten geht. Auffällig ist hierbei die erhebliche semantische Bandbreite, innerhalb derer der Kulturbegriff Verwendung findet: Konsens scheint lediglich darin zu bestehen, was man unter ‚Kultur’ nicht verstanden wissen will, und das sind nationalkulturelle Aspekte.4 Positivdefinitionen oder semantische Konkretisierungen des Kulturbegriffs findet man hingegen in keinem der Dokumente. Ein Beispiel hierfür bietet Absatz 4.3 des ‚Code of Conduct’ der MAN AG. Wenn es dort heißt, „Unsere Wertschätzung ist für alle Mitarbeiter gleich – unabhängig von Nationalität, Kultur, Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Alter“5, dann bleibt im Grunde genommen vollkommen offen, was mit dem Kulturbegriff gemeint sein könnte – außer, dass er mit Nationalität, Religion, ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Alter anscheinend nichts zu tun hat. Womit dann, ist man versucht zu fragen. Hier, wie in zahlreichen anderen ‚policy’Papieren, entpuppt sich „Kultur“ als Worthülse, und so ist es naheliegend, dass semantisch abhängige Konstrukte wie „Interkulturalität“ und „interkulturelle Kompetenz“ mangels Konkretion undiskutiert bleiben. Eine ganz wichtige Ursache für diese Entwicklung dürfte in der sukzessiven Fragmentierung des Kulturbegriffs in den vergangenen Jahren liegen. Mit dem zunehmenden Bewusstsein, dass bis dato gebräuchliche national-, landes- oder ethnokulturelle Kategorisierungen (‚der Österreicher’) nicht nur übergeneralisierend und stereotypenfördernd sind, sondern darüber hinaus auch den (US-importierten) Maximen des Diversity-Denkens zuwiderlaufen, wurde der Kulturbegiff auf immer kleinere und speziellere „Kollektive“ und Reziprozitätbeziehungen eingeengt (Bolten 2008; 2009; Hansen 2009a) – mit dem Resultat, dass der Einzelne heute – auch aus Gründen der ‚political correctness’ – nicht mehr deduktiv als „Sozialisationsprodukt“ national- oder länderbezogener Makrokollektive verstanden wird, sondern – quasi induktiv – aus dem 2

Nachfolgende Angaben beziehen sich auf das Recherchedatum 4.3.2009. http://www.basf.com/group/corporate/de/about-basf/vision-values-principles/values-and-principles/competence 4 Stilistisch wird dies durch Abgrenzungstechniken bei der Verwendung der Begriffe „Kultur“ und Nation“ realisiert; z.B.: „Mitarbeiter aus allen Kulturen und Nationalitäten“ (BASF), „das Denken über nationale und kulturelle Grenzen hinaus“ (BMW)“; „unabhängig von Nationalität, Kultur oder Geschlecht“ (MAN), „die kulturellen Besonderheiten und nationalen Interessen“ (Merck). 5 http://www.man.de/MAN-Downloadgalleries/DE/Unternehmen/Leitbild_2007/Leit_DS_dt_020707.pdf 3

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Blickwinkel seiner „Multikollektivität“ (Hansen 2009: 6), also seiner Zugehörigkeit zu einer Vielzahl von Kollektiven (vgl. auch Conti/Montiel 2009). Dass ‚Kultur’ auf diese Weise nicht mehr übergreifend-essentialistisch, sondern nurmehr relational und prozesshaft aus dem Blickwinkel des Individuums verstanden werden kann, scheint sich auf die ‚usability’ des Begriffs negativ auszuwirken. ‚Kulturelle Vielfalt’ wie sie u.a. von der Telekom als Wert deklariert wird, meint dann im Sinne der „Polykollektivität“ z.B. einer Organisation (vgl. Hansen 2009) nichts anderes als ‚Diversity’, und es scheint folgerichtig, wenn in einem guten Drittel der Leitsätze der DAX-Unternehmen nur noch von „Vielfalt“ gesprochen wird, ohne zusätzlich das Attribut „kulturell“ zu verwenden (u.a. EON, Metro, MAN, SAP). Aus dieser Perspektive ist dann natürlich auch der Begriff ‚interkulturell’ semantisch ausgehöhlt und entbehrlich: Wenn im Sinne des Diversity-Denkens – überspitzt – ‚alles Kultur ist’, erweist sich jedwede Beziehung als ‚inter-kulturell’. Folgt man dieser Prämisse, macht es in der Tat wenig Sinn, überhaupt noch von „interkulturell“ oder „Interkulturalität“ zu sprechen – genauso, wie von ‚interkultureller Kompetenz’, die dann auf eine Form allgemeiner sozialer Kompetenz reduziert wäre; also darauf, mit „Diversity“ angemessen umgehen zu können. In diesem Sinn ist es wohl auch zu verstehen, wenn Blom/Meier feststellen, dass „heute die Begriffe ‚Interkulturelles Personalmanagement’ und ‚Diversity Management’ synonym verwendet werden.“ (Blom/Meier 2002: 238). Auch wenn diese Aussage gerade in Hinblick auf den Bereich der Personalentwicklung verallgemeinert sein dürfte: aus der Sicht der Organisationsentwicklung erweist sich „interkulturelles Management“ mit zunehmender globaler Vernetzung und Verflechtung der Unternehmen in der Tat als eine primär dezentrale, auf die „Vielfalt“ kollaborierender Arbeitsgruppen bezogene Form der Steuerungspraxis. Unter ‚Vielfalt’ verstanden wird in jedem Fall „die gesamte kulturelle Vielfalt des Unternehmens, z.B. das Potenzial, das sich aus der Zusammenarbeit unterschiedlichen Altersgruppen, Geschlechter, Nationalitäten, Religionen, Hautfarben, Bildungsgruppen etc. ergibt“ (Blom/Meier 2002: 238; Hervorh. J.B.). In Hinblick auf das Management von ‚Diversity’ unterscheiden sich die DAXUnternehmen dabei hauptsächlich in der Frage, wie initiativ sie es betreiben: ob sie 6 „Vielfalt“ „aktiv für die Erfüllung Aufgaben“ nutzen (z.B. EON AG , MAN 7 8 AG ) oder sie eher passiv „respektieren und schätzen“ (z.B. Bayer AG ; Deutsche Post AG9 ). Die Praxis der Personal- und Organisationsentwicklung der kommenden Jahre wird zeigen, ob die Anforderungen an ein solches ‚Beziehungsmanagement’ selbst bei einem optimal ausgebauten Coaching- und Mentoring-System nicht zu komplex sind, um im Unternehmensalltag tatsächlich umfassend realisiert werden zu können. Wo „Diversity“ als Ziel und nicht als Ausgangspunkt und Sprungbrett für überraschende, 6

http://www.eon.com/de/unternehmen/19033.jsp http://www.man.de/MAN 8 http://www.bayer.de/de/Bayer-Leitbild.pdfx 9 http://www.dpwn.de/dpwn?tab=1&skin=hi&check=yes&lang=de_DE&xmlFile=2006623 7

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kreative Synergiebildungsprozesse verstanden wird, dürfte sie über einen ComplianceStatus, wie er beispielsweise im Metro-Geschäftsgrundsatz 6.1 formuliert wird, nicht hinauskommen: „Unterlassen Sie unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen, insbesondere in Bezug auf die folgenden Punkte: Rasse, ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität, Geschlecht. Daneben sind Belästigungen, insbesondere Mobbing und sexuelle Belästigungen unzulässig.“10 In dieser Weise restriktiv und defensiv formulierte „codes of conduct“ scheinen derzeit Konjunktur zu erhalten. Es ist allerdings anzunehmen, dass sie in der Personalarbeit allenfalls im Sinne einer ‚gelben Karte’ Verwendung finden, um Regelverletzungen zu ahnden bzw. aufflammende Beziehungskonflikte zu löschen – oder wie Kaduk et al. formulieren: „Wie viel kulturelle Vielfalt wird üblicherweise mit Normierung ‚glattgebügelt’ und ‚zurechtgestutzt’? Wie viel Diversität und Eigeninitiative werden unterdrückt, indem immer wieder die Vorschrift, die Stellenbeschreibung oder die Anweisung zur Quotenvielfalt hervorgeholt werden und man belehrend darauf hinweist, dass dieses oder jenes exotische Profil noch zwingend in das Unternehmen gehöre?“ (Kaduk/Osmetz/ Förster 2009: 69). Faktisch geht es in solchen Szenarien nurmehr um die Sicherung eines (reibungslos funktionierenden) multikulturellen ‚Nebeneinander’ und nicht um die Initiierung eines interkulturellen ‚Miteinander’, also um Personal- und Organisationsentwicklung. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Bedingungen für eine organisationale Verankerung interkultureller Personalentwicklungsmaßnahmen in der Tat nicht unbedingt optimistisch dar. Dies betrifft weniger die Tatsache, dass ‚weiche’ Faktoren in Zeiten mangelnder wirtschaftlicher Prosperität aus Sicht der Organisationsentwicklung gerne unter Aspekten des ‚nice to have’ behandelt und dementsprechend umstandslos finanziellen Kürzungen unterworfen werden. Viel folgenschwerer ist die Tendenz, dass die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren sukzessiv erfolgte Öffnung des internationalen Personalmanagements für interkulturelle Fragestellungen vielfach dadurch konterkariert wird, dass Interkulturelles – zum Teil sicherlich auch aus Gründen der ‚political correctness’ – aus seinem ‚klassischen’ national-, länder- oder ethnokulturellen Rahmen heraugelöst und als Teil einer unbestimmten „Vielfalt“ dem Aufgabenbereich des DiversityManagements untergeordnet wird. Ein Motiv hierfür besteht anscheinend in einem Missverständnis, das die Diskussionen um den Kulturbegriff in der jüngeren Vergangenheit erzeugt haben. Denn so plausibel gerade aus konstruktivistischer Sicht ein Relativieren und Herunterbrechen des Kulturbegriffs auf ‚Mikrokollektive’ auch sein mag; der aktuell vor allem im westlichen Denken vollzogene Wechsel der Blickrichtung von einer Top-Down-Perspektive (die ‚umgreifende‘ Kultur prägt das Indivi-

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http://www.metrogroup.de/servlet/PB/menu/1004232_l1/index.html

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duum) zu einer Bottom-Up-Sichtweise (Individuen konstruieren ihre Kultur) sollte nicht dazu verleiten, ein Extrem gegen das andere einzutauschen und die Bedeutung von Makrokollektiven zu unterschätzen. Länder- und Nationalkulturen existieren auch aus der Perspektive eines vom Subjekt aus gedachten Kulturbegriffs weiter und es wäre realitätsfremd, ihren Sozialisationseinfluss zu leugnen oder die Rede davon als ‚political incorrect’ zu bezeichnen. Entscheidend ist, Kulturen – unabhängig von ihrer Spezifikation – nicht essentialistisch als ‚Container’ zu verstehen, sondern als Netzwerke einer offenen und kohäsiv-polykollektiven Vielfalt (vgl. Rathje in diesem Band). Unter dieser Voraussetzung behält der Ausdruck ‚interkulturell“11 seine Berechtigung; genauso, wie es unverzichtbar erscheint, interkulturelle Personal- und Kompetenzentwicklung weiterhin auch unter national-, länder- oder ethnokulturellen Gesichtspunkten zu betreiben – ohne freilich den übergreifenden ‚Diversity’-Aspekt aus den Augen zu verlieren. Mehr noch: Wie die Formulierungen von Unternehmensleitbildern und -grundsätzen dokumentieren, wird „diversity“ – im Gegensatz zur interkulturellen Kompetenzentwicklung – in der Regel als Aufgabe der Organisationsentwicklung verstanden. Aus der Sicht der interkulturellen Personalentwicklung macht es daher nicht nur strategisch Sinn, Interkulturalität bewusst als essentielles Thema von ‚diversity’ zu kommunizieren, es bietet auch die Chance, gleichsam unter dem Dach der ‚diversity’ eigene Wege in die organisationale Verankerung zu ebnen. 2.2

Organisations- und personalpolitisch relevante (Mega-)Trends

Der Bedingungsrahmen, in dem sich Personal- und Organisationsentwicklung zu einer bestimmten Zeit bewegen, wird nicht zuletzt auch durch die Beschreibung von Zukunftsszenarien abgesteckt. Eine wichtige Rolle spielen hierbei Szenario-Konferenzen, Personalkongresse, -messen und Future-Workshops, die durchweg mit dem Versuch verknüpft sind, gesellschaftliche und globale „Megatrends“ zu identifizieren um daraus dann spezifischere Trends für die Personal- und Organisationsarbeit erschließen zu können. In diesem Zusammenhang aktuell besonders häufig erwähnte Megatrends wie „Globalisierung“, „Märktedynamik“, „technologischer Wandel“, „demografischer Wandel“, „Wertewandel“ (Schiersmann/Thiel 2009; Bertelsmann Stiftung 2008; Daniel/Leicht/ Strack 2007) zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie nur in ihrer wechselseitigen Vernetzung beschreibbar und erfassbar sind. ‚Harte’ und ‚weiche’ Faktoren fließen in einer Weise zusammen, die eine eindeutige Zuweisung von ökonomischen und sozia11 Dennoch erscheint eine neu geführte Debatte um den Begriff ‚interkulturell’ dringend erforderlich: Unter der Prämisse des ‚vom Kopf auf die Füße’ gestellten (subjektperspektivierten und relationalen) Kulturbegriffs sind immer noch geläufige Entgegensetzungen wie „interkulturell“ vs. „intrakulturell“ kaum mehr haltbar – es sei denn, ebenfalls aus der Perspektive des einzelnen Subjekts. Zu überlegen (und zu definieren?) wäre, welche Qualitäts- und Quantitätsgrade an ‚Fremdheit’ oder ‚Andersheit’ in einer Beziehung darüber entscheiden, ob eine Interaktion schon als ‚interkulturell’ oder noch als ‚eigenkulturell’ bezeichnet wird/werden kann.

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len Zuständigkeitsbereichen innerhalb eines Unternehmens immer problematischer werden lässt. Das gilt in gleicher Form für die aus den „Megatrends“ abgeleiteten und als personalpolitisch relevant erachteten Trends. Als Herausforderungen genannt werden in diesem Zusammenhang u.a.: die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit von Mitarbeitern und Teams, der Umgang mit anwachsenden Migrationsströmen und kultureller Vielfalt (Bertelsmann Stiftung 2008: 13f) , Reaktionen auf die zunehmende Wissensintensität von Arbeitsprozessen und auf die wachsende Bedeutung von „Kompetenz“ (vgl. Schiersmann/Thiel 2009: 49ff), die Entwicklung eines „Talentmanagement“ in Bezug auf globale Rekrutierungsstrategien oder auch die Umsetzung von Change Management-Prozessen in Unternehmens-netzwerken (Daniel/ Leicht/Strack 2007: 6). Sie alle dokumentieren einerseits die Notwendigkeit, auch weiterhin internationale Fragestellungen als interkulturelle Fragestellungen unvermindert im Blick zu behalten, andererseits führen sie aber auch sehr deutlich vor Augen, dass die Komplexität eines Szenarios „Personalpolitik 2020“ (Bertelsmann Stiftung 2008) nicht durch personalpolitische „Insellösungen“ (Schroer 2007: 57), sondern nur durch ein gelungenes Zusammenspiel von Personal- und Organisationsentwicklung bewältigt werden kann (vgl. Becker 2002: 4; Falk 2007: 50f; Schroer 2007). Im Speziellen gilt dies auch für den Bereich der interkulturellen Kompetenzentwicklung – oder wie Otten (2007: 68) resümiert: „viele Praxisinterventionen sind sich der Beschränkungen rein subjektbezogener Kompetenzmodelle mittlerweile bewusst und daher bestrebt, die Förderung individueller Kompetenzen mit der interkulturellen Veränderung institutioneller Strukturen und Organisationsprozesse zu verknüpfen.“

3 Möglichkeiten der Entwicklung einer interkulturellen organisationalen Kompetenz Um „Ermöglichungsstrukturen“ (Otten 2007: 72) einer solchen Verknüpfung in nachhaltiger Weise leisten zu können, stellt sich zunächst die Frage, ob und in welcher Weise es überhaupt denkbar ist, „nicht nur individuellen Personen, sondern auch kollektiven Subjekten, Gruppen und insbesondere Organisationen oder Institutionen, interkulturelle Kompetenz zuzuschreiben oder abzusprechen“ (Straub 2007: 39f). Auch wenn die Formulierung einer entsprechenden „Handlungstheorie“ bislang noch aussteht (ebd.), lässt sich der Argumentationsrahmen zumindest auf Hypothesenbasis abstecken: (a) Versteht man unter interkultureller Kompetenz das geglückte ganzheitliche Zusammenspiel von individuellem, sozialem, sachbezogenem und strategischem Handeln in interkulturellen Kontexten12, so ist nahe liegend, dass es – und das gilt unter der 12 ‚Interkulturelle Kompetenz’ ist damit keine eigenständige Kompetenz neben der allgemeinen Handlungskompetenz. Sie wird verstanden als Fähigkeit, das in ‚eigen’kulturellen weitgehend unreflektiert realisierte Zusammenspiel individueller, sozialer, sachbezogener und strategischer Teil-Handlungskompetenzen auch in Kontexten realisieren zu können, die nicht durch Plausibilität, Normalität und Routinehandeln als den Bedingungen ‚eigen’kulturellen Handelns charakterisiert sind (Schütz/Luck-

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Prämisse eines subjektorientierten Kulturbegriffs erst recht – eine organisationale interkulturelle Handlungskompetenz unabhängig von handelnden Subjekten nicht geben kann. 13 Umgekehrt gilt, dass sich Organisationen dann als ‚interkulturell kompetent‘ bezeichnen lassen, wenn über die individuelle interkulturelle Kompetenz von Mitarbeitern hinaus die Organisations- und Verwaltungsabläufe selbst so strukturiert sind, dass sie organisations- bzw. unternehmensintern eine Eigendynamik international offenen und interkulturell bewussten Denkens und Verhaltens anstoßen und nachhaltig bewirken. Interkulturelle Kompetenzentwicklung ist unter dieser Voraussetzung nicht mehr alleinige Aufgabe der Personalentwicklung, sondern vollzieht sich auch kontinuierlich aus dem Organisationsystem selbst heraus. (b) Eine in dieser Weise organisational gedachte interkulturelle Kompetenz repräsentiert – organisationalem Wissen vergleichbar – mehr als nur die Summe individueller Einzelkompetenzen, Dies lässt sich etwa am Beispiel der interkulturellen Synergieentfaltung bei Teambuildingprozessen (Köppel/Sandner 2008) zeigen: Ähnlich wie ein Wald im Zusammenspiel seiner Teile ganz andere ökologische Qualitäten hervorzubringen in der Lage ist, als bloß die addierte ökologische Qualität der einzelnen Bäume, so besitzt auch organisationale interkulturelle Kompetenz im Vergleich zur personalen interkulturellen Kompetenz eine eigene Qualität. (c) Aus dem Blickwinkel einer Theorie komplexer (biologischer wie sozialer) Systeme, wie sie auch Überlegungen zum Wissensmanagement vorgelagert sind, werden derartige Ordnungen, die nicht allein auf die Eigenschaften ihrer Konstituenten zurückzuführen sind, sondern ein ‚Darüber hinaus’ zu erkennen geben, als „emergent“ bezeichnet. Beispiele hierfür sind sämtliche Formen der Synergiebildung – von der Entstehung einer gleichmäßigen Rollbewegung des Wassers beim Kochen bis hin zu sozialen Selbstorganisationsprozessen (vgl. Haken/Schiepek 2006) – oder eben auch die Herausbildung einer organisationalen (interkulturellen) Kompetenz. In welcher Weise für emergente Prozesse signifikante Merkmale wie Unvorhersehbarkeit, Eigendynamik/Selbstorganisation und Rückkopplung bei der Herausbildung organisationaler Kompetenz zum Tragen kommen und wie sie gegebenenfalls operationalisiert werden können, werden wir weiter unten diskutieren, wenn es um Fragen der praktischen Realisierbarkeit einer organisationalen Verankerung von interkultureller Kompetenz geht. Festzuhalten bleibt zunächst, dass alle genannten Merkmale von Emergenz darauf hinauszulaufen scheinen, dass entsprechende Prozesse nicht oder nur schwer steuerbar sind. (d) Mangelnde Steuerbarkeit schließt freilich nicht aus, dass es möglich ist Impulse zu geben, um emergente Prozesse zu generieren. So kann man zwar, um das Beispiel des mann 1991; Bolten 2007). Interkulturelle Kompetenz ist diesem Sinne eine „Transferfähigkeit“ (Peña 2008: 48f). 13 So repräsentieren in Organisationen z.B. anonymisierte Regelsysteme, codes of conduct, Unternehmensleitlinien etc. Wissen, das nicht mehr auf einzelne Perrsonen zurückgeführt werden kann und dementsprechend unabhängig von ihnen (weiter)existiert (vgl. Schiersmann/Thiel 2009: 358).

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Wasserkochens aufzugreifen, die Richtung oder die Intensität der Rollbewegung des Wassers weder prognostizieren noch beeinflussen, aber man kann durch die Erzeugung von Hitze dafür sorgen, dass dies überhaupt zustande kommt. Ähnlich verhält es sich in Bezug auf organisationale (interkulturelle) Kompetenzentwicklung: Wie sich individuelle Kompetenzen zu einem organisationalen „Darüber hinaus“ vernetzen und im Idealfall synergetisch verstärken, entzieht sich der Steuerbarkeit. Dass sich eine solche Vernetzung ereignen kann, lässt sich durch Einbeziehung geeigneter Impulsgeber allerdings durchaus begünstigen. In der Terminologie der sozialen Netzwerkanalyse werden solche Impulsgeber als „Promotoren“ bezeichnet (u.a. Bäuerle 2009: 103ff). Sie initiieren Emergenz beispielsweise dadurch, dass sie Schnittstellenfunktionen ausüben, über die Reziprozitätsbeziehungen zwischen den Netzwerkbeteiligten allererst geschaffen, reaktiviert oder aber intensiviert werden können. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, als Scharnier zwischen individueller Mikro- und organisationaler Makroebene zu fungieren (Bäuerle 2009: 99), Lernprozesse anzustoßen, Wissensaustausch zu fördern (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997; Piéch 2009), Kommunikations-, Interaktions- und Kollaborationswege zu öffnen und Vertrauen aufzubauen. In gewisser Hinsicht vergleichbar mit „Ordnern“ in physikalischen Selbstorganisationsprozessen14, übernehmen sie die Funktion, potentielle ‚fits’ zwischen Handlungskontexten, in die sie eingebunden sind und solchen, in die sie (noch) nicht eingebunden sind, zu identifizieren. Sie begünstigen auf diese Weise die Entfaltung des Kohäsionspotentials der „Mikrokulturen“ untereinander und stärken gleichzeitig den Zusammenhalt des organisationalen Netzwerks als „Makrokultur“ (Rathje 2004; Bolten 2008). In diesem sehr offenen „Moderations“-Sinn nehmen Promotoren innerhalb von Emergenzprozessen Gestaltungsoder Ordnungsfunktionen wahr.15 Sie sind dementsprechend Schlüsselfiguren in Hinblick darauf, ob und in welcher Weise Unternehmen „emergente Systemkompetenz“ (Haken/Schiepek 2006: 636)16 und damit auch organisationale interkulturelle Kompetenz auszubilden vermögen.

14 „Im Laserbeispiel ist eine Lichtwelle einer ganz bestimmten Wellenlänge als Ordner zu sehen. Diese versteht es, die anderen Lichtwellen dazu zu bringen, in ihrer Frequenz zu schwingen. Sie stellt damit gleichzeitig einen Ordnungszustand dar“(Götz/Häfner 1999: 95). 15 Der Physiker Haken bemerkt hierzu, dass „sich die einzelnen Teile wie von einer unsichtbaren Hand geführt anordnen, dass andererseits aber die Einzelsysteme durch ihr Zusammenwirken diese unsichtbare Hand erst wieder schaffen. Diese unsichtbare Hand, die alles ordnet, wollen wir den ‚Ordner’ nennen“ (Haken 1994: 24). 16 Individuelle Kompetenzen kontextualisieren sich nach Haken/Schiepek „gegenseitig, so dass aus ihrem wechselseitigen Zusammenwirken neue Qualitäten entstehen können. Solche systemischen Qualitäten kommen besonders dann zum Tragen, wenn mehrere Personen in Gruppen, Teams oder Abteilungen zusammenwirken. Wenn es um Qualitäten geht, die sich in der Interaktion von Mehrpersonenkonstellationen entwickeln, so sprechen wir von emergenter Systemkompetenz“ (Haken/Schiepek 2006: 636).

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4 Realisationsformen organisationaler interkultureller Kompetenz Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, organisationale interkulturelle Kompetenzentwicklung auf der Basis der Analyse von Wissens- und Kommunikationsnetzwerken zu beginnen, um auf diese Weise interkulturelle Promotoren identifizieren und einbinden zu können. Dabei geht es nicht nur um die Entscheidung, wer (aufgrund seiner individuellen Kompetenzen) als interkultureller Promotor eingesetzt wird, sondern auch darum, an welchen Stellen einer Organisation dies sinnvollerweise geschehen soll. Es handelt sich um Aufgaben, die interkulturelle Personal- und interkulturelle Organisationsentwicklung nur gemeinsam lösen können. Die Lösungen selbst fordern entsprechend dem Emergenzgrad des organisationalen Gesamtsystems eine relativ hohe Anpassungsdynamik und sollten daher kontinuierlich reflektiert und ggf. modifiziert werden17. Auf diese Weise entstehen Steuerungseffekte, die via Rückkopplung durchaus navigierend auf den Selbstorganisationsprozess einwirken können, wobei aus Akzeptanzgründen auch hier gilt: soviel Emergenz wie möglich, so viel Steuerung wie nötig. Anders gesagt, geht es bei der Entwicklung organisationaler interkultureller Kompetenz insbesondere darum, emergente interkulturelle System- bzw. Netzwerkkompetenz zu initiieren (4.1), Möglichkeiten ihrer Selbstorganisation zu fördern (4.2), Rückkopplungsmechanismen zu integrieren und deren Akzeptanz bzw. soziale Einbettung zu sichern, um auf diese Weise Eigendynamik und Nachhaltigkeit zu gewährleisten (4.3). 4.1

Initiierung emergenter interkultureller System- bzw. Netzwerkkompetenz

Um auf das Beispiel der Walzenbildung beim Wasserkochen zurückzukommen: So wie man Energien benötigt, um Synergiebildungsprozesse überhaupt initiieren zu können, gilt analog auch für soziale Emergenzvorgänge, dass sie auf Impulsgeber angewiesen sind. Versteht man organisationale Emergenz als einen „Prozess der selbstorganisierten Vernetzung strategisch handelnder Akteure, der zu strukturellen Effekten bzw. ‚Ordnungszuständen’ führt“ (Bäuerle 2009: 98), dann ist offenkundig, dass die Impulse nur von den Akteuren selbst ausgehen können. In welcher Weise die Impulse wirken, ob sie sich verketten und potenzieren, ob sie durch Barrieren fehlgeleitet werden oder ob sie innerhalb des Systems verebben, hängt indes nicht nur von den Akteuren ab, sondern auch von der „Leitfähigkeit“ der organisationalen Struktur. Personale und organisationale Ebenen sind in diesem Sinne interdependent: Organisationale interkulturelle Kompetenz setzt interkulturell kompetente Akteure zumindest auf Promo17 Interventionen i.S. der klassischen Organisationsentwicklung sind angesichts der hohen Veränderungsgeschwindigkeit nicht mehr denkbar. Kurt Lewins Plädoyer, eine Organisation zu Veränderungszwecken ‚aufzutauen’ um sie nach Abschluss der Veränderung wieder ‚einzufrieren’ (unfreeze – move – freeze) würde man heute nicht mehr praktizieren: Es geht um die Sicherstellung kontinuierlicher Wandlungsprozesse (vgl. Schiersmann/Thiel 2009: 51; Bugari 2009: 224).

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torenebene voraus, so wie sie umgekehrt durch das interkulturell kompetente (Zusammen)Wirken dieser zentralen Promotoren-Schaltstellen bzw. Netzwerkknoten ein entsprechend kompetentes Handeln der anderen Akteure und im Idealfall des Gesamtsystems ermöglicht. Unter dem Aspekt der Impulserzeugung interessiert uns zunächst vor allem die Akteursebene: Welche Kompetenzen müssen Akteure besitzen, um als interkulturelle Impulsgeber fungieren zu können und inwieweit ist ihr Wirkungspotenzial davon abhängig, an welcher Stelle des Organisationssystems sie positioniert sind? Als Prämisse kann sicherlich gelten, dass interkulturelle Impulsgeber auch über ein besonders ausgeprägtes Maß an interkultureller Kompetenz verfügen müssen. Aufgabe der Personalentwicklung ist es, Mitarbeiter mit entsprechenden Potenzialen zu identifizieren (vgl. Peña 2008) und im Rahmen interkultureller Trainings- und Coachingmaßnahmen zu fördern. Vieles spricht in diesem Zusammenhang dafür, interkulturelle Kompetenz nicht als eigenständigen Kompetenzbereich neben der allgemeinen Handlungskompetenz zu verstehen, sondern als das Vermögen, allgemeine Handlungskompetenz in interkulturellen Kontexten angemessen realisieren zu können. Wenn sich allgemeine Handlungskompetenz neueren lerntheoretischen Diskussionen zufolge als ‚multiples Konstrukt’ (Rauner 2004: 8) im Zusammenwirken (lat. ‚competere’) von (a) Personalkompetenz, (b) Sozialkompetenz, (c) Fachkompetenz und (d) Methodenkompetenz konstituiert (Erpenbeck 2001), dann gilt dies auch in Bezug auf interkulturelle Kompetenz – allerdings mit dem Zusatz, dass das Zusammenspiel der vier Teilkompetenzen hier in Handlungskontexten unter Beweis gestellt werden muss, in denen sich die Akteure z.B. bei Plausibilitätsdefiziten nicht mehr auf einen common ground ihres lebensweltlichen Verstehens berufen können, weil die Kompatibilität ihrer Sozialisationserfahrungen zu gering ist (Bolten 2007). Um interkulturell impulsgebend wirken zu können, ist es wichtig, dass ein Akteur das Zusammenspiel von interkultureller Selbstkompetenz, interkultureller Fachkompetenz, interkultureller Methodenkompetenz und interkultureller Sozialkompetenz auf einem möglichst hohen und – kontextadäquat – so weit wie möglich ausgewogenem Niveau zu realisieren vermag. Der Grad der Ausgewogenheit richtet sich freilich immer nach dem Aufgabenbereich des Akteurs: So sollte ein entsandter Ingenieur bei einem Montageauftrag nicht nur in der Lage sein, eine Maschine den Einsatzbedingungen entsprechend auszuwählen und ihre Funktionsweise so zu erklären, dass sie von den Ortskräften (korrekt) nutzbar ist. Über seine interkulturelle fachliche Kompetenz hinaus sollte er die Ortskräfte auch von dem Nutzen der Maschine zu überzeugen können, sie zu einem selbstständigen und kontextadäquaten Einsatz motivieren, sowie bewirken, dass sie ihr erworbenes Wissen und ihre Erfahrungen in ihre eigenen Netzwerke weiterleiten und Anpassungs- oder Optimierungsvorschläge an ihn oder an das Unternehmen zurückfließen lassen. Gelingt ihm dies, erfüllt er wichtige Voraussetzungen, um impulsgebende Transferfunktionen zwischen personaler und organisationaler interkultureller Kompetenzebene wahrzunehmen: Er verknüpft seine interkulturelle Fachkompetenz bestmöglich mit den drei anderen Teilkompetenzen. Im Sinne klassischer Promotorenmodelle (u.a. Witte 1973; Walter 1998) ließe er sich dementspre103

chend nicht nur als interkulturell kompetenter Fachspezialist, sondern als ‚interkultureller Fachpromotor’ bezeichnen, der auf andere Netzwerkteilnehmer impulsgebend zu wirken vermag. Zielführend ist in diesem Zusammenhang die kürzlich von Bäuerle vorgeschlagene Einbeziehung von Promotorenmodellen in soziale Netzwerktheorien. Bäuerle (2009: 102ff) greift die oben beschriebene vierfache Differenzierung von Handlungskompetenz in (a) Fach-, (b) Methoden-, (c) Sozial-/Kooperations- und (d) Selbstkompetenz auf und ordnet die in der Literatur erwähnten Promotorentypen entsprechend zu: „Fachpromotoren“ (a) überzeugen primär in Sachfragen als Impulsgeber, „Prozesspromotoren“ (b) wirken innovativ durch ihre überdurchschnittliche Methodenkompetenz (z.B. Koordinationsfähigkeit, Kenntnis interner Organisationsabläufe), „Beziehungspromotoren“ (c) durch ausgeprägte soziale Kompetenzen (u.a. Kommunikationsund Kooperationsfähigkeit) und „Machtpromotoren“ (d) durch ihre Selbstkompetenz (z.B. Überzeugungskraft, Begeisterungsfähigkeit). Die nahe liegende Frage, ob „einzelne Kompetenzfacetten der einzelnen Mitarbeiter kombiniert und in einer Person ‚konzentrierter’ auftreten“ können (Bäuerle 2009: 105), beantwortet Bäuerle mit dem Hinweis auf die Interdependenz der vier Bereiche der Handlungskompetenz positiv. Gelingt ein solches Zusammenspiel in kontextangemessener Weise, kann dies als Zeichen für „Netzwerkkompetenz“ gewertet werden (Bäuerle 2009: 108f), und jemand, der über Netzwerkkompetenz verfügt, repräsentiert potentiell immer auch eine wichtige Schaltstelle für Informations-, Wissens- und Kommunikationsprozesse eines organisationalen Netzwerks. Ihm gelingt es, aus Kontakten Beziehungen entstehen zu lassen, womit er gleichzeitig eine der zentralen Anforderungen erfüllt, die Schreier im Anschluss an Maddox (1993) dem Profil eines „Inter-Cultural Officer“ (Schreier 2001: 121) zuweist. Als „Metabegriffe“ (Bäuerle 2009: 107) weisen ‚Netzwerkkompetenz’ und ‚interkulturelle Kompetenz’ strukturelle Äquivalenz auf, so dass sich interkulturelle Kompetenz letztlich als eine spezifische Realisationsform von Netzwerkkompetenz verstehen lässt. Genau hier ist auch der Übergang von personaler zu organisationaler interkultureller Kompetenz zu verorten: Wenn informations-, wissens- und kommunikationsbezogene Netzwerkknoten einer Organisation gezielt mit interkulturell kompetenten Promotoren besetzt werden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass entsprechende Emergenzprozesse ausgelöst werden, die auf umfangreichere Netzwerkareale wirken und damit eine wichtige Ausgangsbasis für die Schaffung organisationaler interkultureller Kompetenz darstellen. Aufgrund ihrer Spontaneität und Arbitrarität sind Emergenzprozesse freilich nicht ‚trainierbar’. Sehr wohl gilt dies aber für ihre Impulsgeber auf der konkreten Personalebene. Von daher sind Maßnahmen der interkulturellen Personalentwicklung auch künftig unverzichtbar und als eine wichtige Voraussetzung und Ergänzung zu Maßnahmen der interkulturellen Organisationsentwicklung zu sehen, wobei Mayrhofers Plädoyer, dass man bei ihrer Konzeptualisierung stärker „in organisationalen Zusammenhängen denken“ solle, (Mayrhofer et al. 2007: 192), vollkommen zu Recht besteht. Interkulturelle Trainingsangebote fungieren dann nicht nur als Werkzeuge zur Strategieumsetzung, 104

sondern als Prozesselemente innerhalb einer Strategieentwicklung (vgl. Schwuchow 2008: 164). Punktuelle interkulturelle Trainings scheinen hierfür weniger geeignet zu sein als längerfristig-integrative Maßnahmen wie interkulturelle Coachings, in denen Reziprozität und Vertrauen als Basis sozialer Kohäsion/Netzwerkbildung nicht nur thematisiert, sondern bewusst aufgebaut werden können (Bolten 2008; Bäuerle 2009: 121). Entsprechende Formen des Erfahrungslernens on-the-job stellen wiederum eine wichtige Bedingung für jenen „Brückenschlag zwischen Lern- und Arbeitsumfeld“ (Schwuchow 2008: 165) dar, der notwendig ist, um individuelle Lernprozesse in ein Lernen der Organisation münden lassen. Auch in dieser Hinsicht in ein Umdenken vonnöten: „In Zukunft gilt es für die Personalentwicklung weniger Seminarmanagement zu betreiben und die Mitarbeiter durch Aneignung von externem Wissen zu qualifizieren, sondern ihr kommt eine zentrale Rolle als Gestalter von neuen Formen des Lernens und deren kulturellen Rahmenbedingungen, als Berater und Coach der Führungskräfte, als Entwickler von Personalentwicklungs-instrumenten, als Prozessbegleiter und als Motivator beispielsweise durch Anreizsysteme und Veränderung der Unternehmenskultur zu.“ (Falk 2007: 53). 4.2

Interkulturelle Selbstorganisation fördern

Im Unterschied zu den meisten natürlichen Emergenzprozessen ist soziale Emergenz – vor allem im organisationalen Kontext – häufig mit dem Versuch gekoppelt, sie durch den Einbau von Regelungs- bzw. Steuerungsmechanismen kalkulierbar und kontrollierbar zu machen. Die Konsequenz ist offensichtlich: Je regelorientierter eine Unternehmenskultur ausgerichtet ist, desto weniger wird sie Emergenzprozessen Raum lassen. Das lässt nicht zwangläufig auf die Existenz autoritärer Führungspersönlichkeiten schließen, sondern kann auch Zeichen von Sicherheitsstreben, Bürokratie oder schlicht von überzogener ‚political correctness’ sein. In jedem Fall geht zu intensive Steuerung zu Lasten von Selbstorganisation und Kreativität, so wie umgekehrt fehlende oder mangelnde Gestaltung zu einer ‚chaotischen’ oder in anderer Weise unerwünschten Kanalisierung von Emergenz führt. Unzureichende oder zu späte Steuerung z.B. in Krisensituationen bewirkt, dass Unternehmensprozesse für alle Beteiligten unberechenbar werden. Vor diesem Hintergrund bestätigt sich die bereits erwähnte Aussage „soviel Emergenz wie möglich, so viel Steuerung wie nötig“ – es stellt sich allerdings die Frage, was im Einzelfall nötig und was möglich ist. Dies hängt einerseits von der jeweiligen Unternehmenskultur ab (genauso, wie es sie umgekehrt prägt), andererseits bestehen aber häufig auch unbemerkte Hürden organisationaler Art, die die Realisierung der oben angesprochenen ‚Leitfähigkeit’ emergenter Prozesse in die jeweils gewünschten Form blockieren können. Nur wenn diese Hürden bekannt sind und es gelingt, sie zu steuern oder auch abzubauen, besteht eine Chance, dass interkulturell förderliche Impulse der personalen Ebene auf organisationaler Ebene ihre Wirkung entfalten und in diesem Sinne auch organisationale interkulturelle Kompetenz generieren. Sind die Hürden 105

nicht bekannt und bleiben wichtige Schaltstellen innerhalb des Netzwerkes versperrt, weil beispielsweise Informations-, Wissens- und Kommunikationsflüsse nicht in der vorgesehenen Weise funktionieren, wird die interkulturelle Kompetenz der einzelnen Mitarbeiter für das Unternehmen nur punktuellen, aber nicht systemischen Nutzen erlangen. Um interkulturelle Selbstorganisationsprozesse auf organisationaler Ebene zu ermöglichen und zu sichern, erscheint es daher sinnvoll, auf Instrumente des Informations-, Wissens- und Kommunikationsmanagements zurückzugreifen und sie für interkulturelle Belange zu modifizieren. Konzeptualisierungen für ein integriertes interkulturelles Informations-, Wissens- und Kommunikationsmanagement existieren bislang noch nicht18, so dass es sich anbietet zunächst mit vorliegenden Definitionen des Zusammenhangs von Information, Wissen und Kommunikation zu arbeiten. Klaus Norths vielzitierter „Wissenstreppe“ zufolge (North 1998: 41) resultieren Informationen aus dem Tatbestand, dass Daten Bedeutungen erhaltern: So erhalten beispielsweise die Zahlendaten 1, 4, 9, 16 erst über die Bedeutungszuschreibung „Quadratzahlen“ oder „das Alter meiner Kinder“ einen Informationswert. Werden Informationen vernetzt, spricht man von „Wissen“, wobei unser Beispiel gleichzeitig vor Augen führt, dass Wissen als subjektive Konstruktion verstanden werden muss, die immer von dem lebensweltlichen (kulturellen) Kontext abhängt, aus dem heraus entsprechende Verknüpfungen vorgenommen werden: Wenn für mich eine bestimmte Vernetzung von Informationen nicht relevant ist, werde ich sie auch nicht vornehmen und das entsprechende Wissen nicht generieren. Umgekehrt gilt, dass die Konstruktion von Wissen aus Informationen immer kulturspezifisch ist. Interkulturelles Informations- und Wissensmanagement müsste demzufolge dafür Sorge tragen, dass Informations- und Wissensbestände aus unterschiedlichen Kontexten in ein potentiell emergentes Zusammenspiel versetzt werden. Dies gelingt nur durch Kommunikation, denn „das kollektive Wissen in einem organisationalen Kontext ist vor allem auf die Vernetzung des individuellen Wissens angewiesen und bedarf eines konstituierenden Kommunikationssystems“ (Bäuerle 2009: 22). In diesem Sinn „ist Kommunikation emergente Realität“ (Luhmann 1995: 115; Hervorh. J.B.). Sie muss aus Sicht der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung sehr reflektiert behandelt und „so weit wie nötig“ gesteuert werden – und zwar durchaus unter dem Aspekt einer interkulturellen ‚Wertschöpfung’. Ein solches interkulturelles Kommunikationsmanagement hat die Aufgabe, zum einen unter informationstechnologischen Gesichtspunkten, vor allem aber in Hinblick auf die Akteurs- bzw. Beziehungsebene zu gewährleisten, dass ein weitgehend vorbehaltloser Austausch von Informations- und Wissensbeständen stattfindet. Erst durch die kommunikative Vermittlung individuellen Wissens, durch ein „Gemeinschaftlich Machen“ (= lat. ‚communicare’) kann sich (interkulturelle) organisationale Kompetenz entwi-

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Für einen Transfer auf interkulturelle Fragestellungen geeignet sein könnte Bäuerles Studie (2009).

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ckeln (vgl. North 1998: 41), und erst durch die Integration von (interkulturellem) Informations-, Wissens- und Kommunikationsmanagement wird es möglich, Wissen nicht nur zu speichern und zu verwalten, sondern es zu ‚verflüssigen’, es in organisationale Lernprozesse einzubeziehen um auf diese Weise interkulturelle „Wissenspiralen“ zu initiieren (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997; Piéch 2009; Schiersmann/Thiel 2009: 345), über die sich die Wissensträger nicht nur austauschen, sondern sich auch motivieren, untereinander Vernetzungen zu begründen und zu festigen. Auch hier sind interkulturelle Promotoren als Impulsgeber gefordert. So beispielsweise im Rahmen des Issues Managements, einem der Kernbereiche der Unternehmenskommunikation, wo sie als „Scanner“ (Ingenhoff/Röttger 2008: 339) fungieren können, indem sie für die Handlungsfelder des Netzwerks (interkulturell) relevante Informationen und Wissensbausteine identifizieren und an potentielle Multiplikatoren des Netzwerks weiterleiten. Barrierefreiheit bei den kommunikationstechnologischen Voraussetzungen, ein hoher Vernetzungsgrad und eine hohe Relevanz der kommunizierten Informationen für die Netzwerkteilnehmer sind zweifellos wichtige Bedingungen, um eine Eigendynamik (interkulturellen) kommunikativen Handelns zu erreichen. Wie sich am Beispiel vieler mit durchaus interessanten Anliegen und Themen gestarteten, letztlich aber mangels Teilnehmer erfolglos eingestellter Portale, Foren und anderen Web 2.0-Szenarien zeigen lässt, reichen funktionierende Technologien und ansprechende Contents alleine nicht aus, um Selbstorganisationsprozesse in Gang zu setzen und ihre ‚Pulsfrequenz’ stabil zu halten. Gerade bei Formen des ‚social networking’, wie es etwa über Xing oder diverse auf Spezialinteressen bezogene CoP’s (communities of practice) realisiert wird, geht es vor allem darum, die Beziehungsseite der Kommunikation im Auge zu behalten: Interkulturelles Wissensmanagement – wie z.B. die Verknüpfung von länder- oder regionenspezifischen Mitarbeitererfahrungen im Rahmen des Aufbaus von ContentManagement-Systemen wie ‚Knowledge Cities’20 oder auch die Einrichtung eines Sprachwissensmanagements in Unternehmen mit Mitarbeitern unterschiedlicher Erstsprachen21 – wird nur dann funktionieren, wenn ein Interaktionsklima besteht, das 19 Integration wird verstanden als Handlungsgefüge, in dem die einzelnen Teile interdependent sind und die Einzelprobleme im Sinne des Gesamtoptimums lösbar werden. Die Teile müssen integraler und damit unverzichtbarer Bestandteil des Ganzen sein. 20 Unter „International Knowledge Cities“ werden Web 2.0-gestützte Wissensmanagementsysteme verstanden: Nach Herkunfts- und Zielländern sowie nach Themenbereichen strukturiert, können hier Länderexperten (Im-, Re- und ‚Expats’, internationale Mitarbeiter an In- und Auslandsstandorten von Unternehmen etc.) Erfahrungsberichte einstellen, selbst für Forumsdiskussionen zur Verfügung stehen und länder- bzw. hochschulspezifische Anfragen beantworten. Für ausländische Studierende bietet sich zudem die Gelegenheit, „ihren“ Länderraum innerhalb der ‚Knowledge City‘ als ‚heimatlichen’ Community-Ort zu nutzen. In jedem Fall wird implizites interkulturelles Wissen auf diese Weise explizit und steht damit allen Mitarbeitern zur Verfügung. 21 Naheliegend und vor allem für größere Unternehmen rentabel wäre z.B. die Etablierung von Sprachwissensmanagementssystemen. Derzeit bleiben die muttersprachlichen, zweitsprachlichen und (inter-) kulturellen Kompetenzen von Mitarbeitern – einschließlich Ex- Im- und Repatriates – in der Regel unerfasst und können folglich für die betriebliche Praxis auch nicht nutzbar gemacht werden. Übersetzungs- und Dolmetscherhilfen, interkulturelles Tutoring und Coaching, Tandem-Lernen oder

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durch Vertrauen untereinander und durch den Willen zu Reziprozität charakterisiert ist: Reziprozität setzt niedrige Barrieren in der Kommunikation voraus, ist geleitet von win-/win-Absichten22 und stellt gleichzeitig ein grundlegendes Prinzip von Vertrauen dar, so wie bereits erworbenes Vertrauen umgekehrt Reziprozitäts- und damit Netzwerkstrukturen stärkt (vgl. Bolten 2008). In diesem Sinn erweisen sich Reziprozität und Vertrauen als zentrale Kohäsionsfaktoren einer netzwerkorientierten Kultur (Bäuerle 2009: 107). Da Kohäsion auf den Zusammenhalt von eigenständigen und ihrer Differenz bewussten Mikrokulturen innerhalb einer Organisation zielt und nicht auf deren Kohärenz im Rahmen einer makrokulturellen organisationalen Einheit (was zahlreiche „Corporate-Identity“-Modelle immer noch als Ideal deklarieren), kommen als weitere Faktoren für die Herausbildung einer „Corporate Cohesion“ (Rathje 2004) hinzu: die Akzeptanz von (kultureller) Differenz und der Wille, auf der Grundlage dieser Akzeptanz gemeinsam etwas „Drittes“, qualitativ Neues, auszuhandeln, das für alle Beteiligten so weit wie möglich einen Mehrwert darstellt.23 4.3

Rückkopplungsmechanismen durch soziale Einbettung integrieren

Aber auch, wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind, wenn also interkulturelle Promotoren als Impulsgeber fungieren, wenn die technologischen Grundlagen für ein integriertes interkulturelles Informations-, Wissens- und Kommunikationsmanagement geschaffen sind, und wenn die Akteure interkulturelle Reziprozitätsbereitschaft zeigen, ist damit eine eigendynamische Erzeugung interkultureller organisationaler Kompetenz noch nicht gewährleistet.

zielkulturelle Beratungsleistungen sind Potentiale, die innerhalb von Unternehmen prinzipiell vorhanden sind, aber viel systematischer und zielgerichteter entwickelt werden müssten. Hilfreich wäre in diesem Zusammenhang die Schaffung von unternehmensinternen und –externen Anreizsystemen zur Mehrsprachigkeitspraxis und zur interkulturellen Kompetenzentwicklung. Intern könnte ein entsprechend ausgerichtetes Weiterbildungs-Punktesystem Mitarbeiter dazu motivieren, eigenes Wissen explizit zu machen und dem Unternehmen in Form von Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, Wissensquellen aufzuspüren oder sich aktiv an Maßnahmen zur Entwicklung von Mehrsprachigkeit und interkultureller Kompetenz zu beteiligen. Extern ließen sich die (über Punkte nachgewiesenen) Leistungen der einzelnen Mitarbeiter in Zertifikate ummünzen, die den Unternehmen dann beispielsweise einen leichteren Zugang zu Fördermitteln für internationale Vorhaben ermöglichen könnten. Ähnlich wie bei der Vergabe von Umweltzertifikaten sind hier zweifellos auch politische Institutionen – z.B. auf EU-Ebene – gefordert. 22 Im Sinne von Willke (2004: 69): „Der einzige realistische Grund dafür, dass ich mein Wissen teile, besteht darin, dass ich in einem Austauschprozess mehr Wissen erhalte, als ich abgebe. Die erfolgreiche Einführung von Wissensmanagement hängt daran, dass es gelingt, eine Austauschlogik verlässlich zu etablieren, die dafür sorgt, dass diejenigen, die Wissen abgeben, dafür zumindest gleich viel (besser: mehr) zurückbekommen.“ 23 Die Akteur-Netzwerk-Theorie , die nicht zwischen Individuum und Organisation, sondern zwischen kleinen und großen Netzwerken unterschiedet (Krieger/Belliger 2006: 303) versteht solche Aushandlungsprozesse zutreffend auch als eine Form reziproker Translation als dauernden „Versuch, Akteure in ein Netzwerk einzubinden“ (Krieger/Belliger 2006: 306).

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Ähnlich wie bei internetbasierten Formen des ‚social networking’ setzt das eigendynamische Funktionieren eines solchen Systems vor allem voraus, dass die Akteure Anreize erhalten bzw. selbst Anreize schaffen, um interkulturelle Reziprozitätsbeziehungen aufzubauen, zu pflegen und zu erweitern. 24

Dies gelingt am besten auf dem Weg der strategischen Integration von Rückkopplungsmechanismen, die im Fall eines als Mehrwert empfundenen Feedbacks (‚Mitkopplung’) zu Selbstverstärkungseffekten und damit potentiell zu Emergenz führen. Beispiele für solche Rückkopplungsmechanismen, die in interkultureller Hinsicht Mehrwertpotentiale bergen, sind überall dort zu finden, wo kulturspezifisches Wissen oder interkulturelle Erfahrungen von den Akteuren vorbehaltlos, verantwortungsvoll und interkulturell kompetent zur Verfügung gestellt werden: Die Akteure werden dann als Experten anerkannt, verbuchen dies für sich als Reputationsgewinn und erwerben das implizite Recht, in der Reziprozitätsspirale des Gebens und Nehmens irgendwann selbst als ‚Kredit’nehmer aktiv zu werden. Reputation ist in diesem Zusammenhang sowohl Motivationsfaktor (Hasler Rumois 2007: 197ff) als auch zentrales Merkmal sozialer Einbettung (Kollock 1999) in Reziprozitäts- und Vertrauensnetzwerke. Je mehr Experten es gibt und je stärker über Rückkopplungsdynamiken ein Bewusstsein gegenseitiger Verpflichtung generiert wird, desto intensiver finden Prozesse interkulturellen organisationalen Lernens statt (Willke 2004: 59), als deren Ergebnis dann auf organisationaler Ebene eine Qualität interkultureller Kompetenz verbucht werden kann, die mehr ist als die Summe der interkulturellen Akteurskompetenzen.

5 Fazit Offenkundig ist, dass eine solche organisationale interkulturelle Kompetenz ohne die interkulturelle Kompetenz der einzelnen Experten nicht genierbar wäre. Interkulturelle Personalentwicklung und interkulturelle Organisationsentwicklung erweisen sich damit als interdependent und sollten auch entsprechend umgesetzt werden. Zu den grundlegenden Aufgaben einer in diesem Sinn integrierten interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung zählt es, innerhalb des Organisationsnetzwerks interkulturelle Experten nicht nur zu identifizieren (oder auszubilden), sondern sie darüber hinaus auch als interkulturelle Experten zu positionieren und bekannt zu machen, da erst unter dieser Voraussetzung eine gezielte Kommunikation – ganz im Sinne des communicare als „Gemeinschaftlich-Machens“ möglich wird. Visitenkartenfunktionen auf Intranetplattformen, Semantisierungen von Icons, die als Personalisierungsmerkmale eingesetzt werden, wenn jemand online ist, „wer-weiß-

24 „Strategische Integration heißt, dass alles, was in einer Firma geschieht, auf die Geschäftsstrategie bezogen werden kann: jedes einzelne Projekt, jede Zieldefinition der Mitarbeitenden, jedes Ausbildungsprogramm. Die wichtigste Frage, die es zu beantworten gilt, wenn Firmen interkulturelle Leadership erfolgreich lancieren wollen, ist denn auch: Was ist der strategische Antreiber?“ (Bugari 2009: 218).

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was“-Datenbanken, oder auch die Dokumentation von CoPs innerhalb einer Organisation – etwa über Wikis oder MicroArtikel (Willke 2004: 85ff) – indizieren in aktiver Weise, wer in welcher Experteneigenschaft ansprechbar ist.25 Eine produktive Eigendynamik des Kommunikationsflusses wird allerdings selbst unter der Voraussetzung einer optimalen technologischen Barrierefreiheit nur resultieren können, wenn die Maxime, dass nicht Wissen, sondern Wissensteilung ‚Macht’ ist, auch von allen Beteiligten als Einstellung gelebt und als Entwicklungschance der Einzelnen im Unternehmen und des Unternehmens durch die Einzelnen verstanden wird. Über den interkulturellen Kontext hinaus sind dies freilich Bedingungen, die der Diversity-Entwicklung eines Unternehmens insgesamt zugute kommen. Dementsprechend sind Maßnahmen der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung auch aus diesem Grund gut beraten, sich explizit als Aufgabenbereich des – wie wir gesehen haben, organisational in der Regel fester verankerten – Diversity-Managements zu verstehen, anstatt sich davon abzugrenzen. Voraussetzung sollte allerdings sein, dass ‚diversity’ nicht als politisch korrekte Vielfalt fragmentierter Einzelner missverstanden wird (vgl. Putnam 2000), sondern dass sie aktiv unter dem Aspekt eines synergie- oder zumindest kohäsionsorientierten ‚Gemeinschaftlich-Machens’ praktiziert wird.

25 Hierin besteht der Unterschied zu passiven Datensammlungen auf Personalbögen. Auch hier sind z.B. Erst- und Fremdsprachenkenntnisse der Mitarbeiter vermerkt; das Wissen wird jedoch in der Regel nicht produktiv bei der Gestaltung von Ablaufprozessen verwendet.

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Integriertes Konzept des Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagement (I-K-W-Management) als neue Perspektive für die (interkulturelle) Organisationsentwicklung Irina I. Baeuerle

1 Einleitung Wissenstransfer von einer Abteilung eines Unternehmens in die andere ist insbesondere dann kritisch, wenn er auf einer Absprache (zum Beispiel zwecks Vereinheitlichung oder Standardisierung der Informationen) beruht. So kann es dazu kommen, dass trotz eines formal existierenden Arbeitskreises die Abteilungen A, B und C aus den Bereichen Vertrieb, Marketing und Entwicklung seit Jahren auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Die Hauptthese des vorliegenden Beitrags besteht darin, dass der Kern dieser Problematik nicht alleine in einer nicht ausreichenden technischen Unterstützung der Kommunikation, in einer schlechten Führung oder in der Motivationslage der Mitarbeiter zu suchen ist. Die Problematik des Wissenstransfers ist nicht alleine im Informationsmanagement, im Wissensmanagement oder im Kommunikationsmanagement angesiedelt, sondern ist in einem komplexen Zusammenhang zu sehen. In diesem Beitrag soll ein integriertes Konzept des Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagements (I-K-W-Management) vorgestellt werden. Dieses wird aus einer für den jetzigen Forschungsstand neuen Netzwerkperspektive betrachtet, und dessen praktische Umsetzbarkeit aufgezeigt. Omnipräsente Vernetzung als ein ultimatives rahmengebendes Phänomen der modernen Ära und das Paradigma der zweiten Moderne entspricht dem neuen lerntheoretischen Ansatz des Konnektivismus (vgl. Beck 1993; Bolten 2004; North 2002; SmithDoerer/Powell 2005; Siemens 2006). Dies spiegelt sich unter anderem darin wider, dass in allen Wissenschaftsfeldern nach Möglichkeiten gesucht wird, die Verbindungen zwischen Feldern, Ideen und Konzepten aus unterschiedlichen Disziplinen zu schaffen (vgl. Siemens 2006). Im Einklang mit dieser Entwicklung wird der Integrationsversuch von Information, Wissen und Kommunikation in einem institutionellen Kontext primär durch das Konzept eines Netzwerkes realisiert.

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2 Netzwerkorientierung als Grundidee des I-K-W-Managements Gerade vor diesem Hintergrund wird die These relevant, dass Wissen im Unternehmen erst durch die Vernetzung vieler Informationen entsteht (vgl. Reinhardt/Eppler 2004; North 2002; Probst et al. 2003: 16). Aus der konstruktivistischen Perspektive findet Lernen als Prozess der Wissenskonstruktion durch Erfahrung bzw. Wissenstransfer (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997; Probst et al. 2003) immer im sozialen Kontext statt. (vgl. Chen/Huang 2006; Reinhardt/Eppler 2004; Vygotsky 1997). Das Wissen wird in einer permanenten Interaktion mitkonstruiert: Der Prozess der Schaffung kollektiven Wissens in einem organisationalen Kontext ist vor allem auf die Vernetzung des individuellen Wissens angewiesen und bedarf eines konstituierenden Kommunikationssystems (vgl. Baecker 2005; Lembke et al. 2006: 16). Kommunikation ermöglicht zugleich die Integration von individuellen Wissenskomponenten in die kollektive Wissensstruktur und die Schaffung einer individuellen Wissensbasis (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997; Probst et al. 2003). Das Wissen wird als Ergebnis eines Menschennetzwerkes (der Interaktion der Menschen in einem Netzwerk) betrachtet (vgl. Krogh/Roos 1996; Euler/Patzeld 2006). Die jüngsten Ansätze des Wissensmanagements greifen immer mehr auf diese Zusammenhänge zurück: Netzwerkorientierung und Prozessorientierung rücken in den Mittelpunkt. Es wird dabei immer mehr auf die Einbettung des sozialen Handelns in unternehmensspezifische Gruppenprozesse gesetzt: „[…] the primary goal of knowledge management is no longer a mere transmission of knowledge, but the facilitation of reconstruction of knowledge within the affected workforce.“ (Wyssusek et al. 2001: 224). Die Ressource Wissen ist in das komplexe Geflecht der Unternehmensorganisation eingebunden und stellt das große strategische Wettbewerbspotenzial dar (vgl. Bendt 2000; Niehaus 2003; Helm et al. 2007). Aus diesem Blickwinkel wird das Unternehmen als eine Institution zur Kombination und Nutzung der Fähigkeiten einzelner Mitarbeiter manifestiert (vgl. Schütt 2000; North 2002; Reinhardt/Eppler 2004). Diese Betrachtungsweise richtet ihr Augenmerk unmittelbar auf die Vernetzung des Wissens einzelner Mitarbeiter im organisationalen Wissensfeld (vgl. Chen/Huang 2006). In diesem Zusammenhang kommt das Konzept des sozialen Kapitals zum Tragen (vgl. Coleman 1988; Burt 1992). Diesem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass soziale Beziehungen einzelner Akteure in einer Organisation auch als Ressource betrachtet werden können, die unter anderem durch Zeitinvestitionen erweitert und kontrolliert werden kann (vgl. Mitchell 1974: 286; Jansen 2000). Der Schwerpunkt des I-K-W-Managements ist in diesem Kontext in erster Linie darauf gerichtet, ein solides soziales Kapital bei der Suche nach strategisch relevantem Wissen effektiv zu aktivieren und sich damit einen langfristigen Wettbewerbsvorteil zu sichern (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997). Wenn „Wissen managen“ in der modernen Wissensmanagementlehre als „Verantwortungsübernahme für einen geschäftsrelevanten Wissensfluss“ interpretiert wird (Schütt 116

2000: 118), dann liegt es nahe, dass Wissensmanagement gleichzeitig die Verantwortungsübernahme für die Kommunikationsprozesse impliziert, die den Informationsund Wissensaustausch zu ihrem Gegenstand haben. Diese Betrachtungsweise kommt in modernen Definitionen wie der von Howaldt et al. (2006: 214) deutlich zum Tragen: „Wissensmanagement in Netzwerken erfordert die Organisation, Motivation und Befähigung zu schneller, direkter Kommunikation zwischen den personalen Wissensträgern über Organisationsgrenzen hinweg.“ Festgehalten wird vor diesem Hintergrund zuerst die Folgerung, dass Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagement in einem integrierten Zusammenhang betrachtet werden sollen.

3 Der strategische Erfolgsfaktor des I-K-W Managements: Netzwerkorientierte Unternehmenskultur Bei der Vorstellung des I-K-W-Managements als einem ideal-typischen Konstrukt stellt sich in erster Linie die Frage, welche Rahmenbedingungen oder Erfolgsfaktoren zu dessen effektiver Umsetzung beitragen sollen. Oder – um auf das einleitend vorgestellte Beispiel zurück zu kommen – was ist für die gelungene Kooperation zwischen Abteilungen A, B und C erfolgsentscheidend? Ausgegangen wird von der Annahme, dass eine netzwerkorientierte Unternehmenskultur als strategischer Erfolgsfaktor des I-K-W-Managements definiert werden soll. Das Konzept der Unternehmenskultur wurde zwar in der Wissensmanagementliteratur – je nach Fragestellung und eigenem Vorverständnis – immer wieder zum Erfolgsfaktor des Wissensmanagements erklärt (vgl. Ritter/Gemünden 1998). Oft geriet jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit den Einflussfaktoren und Grundvoraussetzungen der Unternehmenskultur aus dem Fokus der Untersuchung (vgl. Lembke et al. 2006). Abgeleitet von dem interaktiven Kommunikationsverständnis wird in diesem Zusammenhang der Begriff der Unternehmenskultur als komplexer Kommunikationsprozess konzipiert, der sich durch Emergenz (Eigendynamik) und Gestaltbarkeit konstituiert (vgl. Rathje 2004; Wilms 2008). Diese Prozesse kann man sich als gleichzeitige zentripetale und zentrifugale Dynamiken vorstellen, die der Kohäsion der Unternehmenskultur zu Grunde liegen. Der emergente Charakter der netzwerkorientierten wissensfreundlichen Unternehmenskultur lässt sich in Anlehnung an Esser 2000 durch den Übergang von der Mikroebene des individuellen Handelns zur Makroebene der kollektiven Effekte des Handelns der Individuen konstituieren. An diese Theorie knüpft das Konzept von Weyer (2000) an, das die Vernetzung als einen prominenten Mechanismus der Entstehung emergenter Strukturen postuliert und das Netzwerk als konzeptuelles Scharnier zwischen Mikro- und Makroebenen begreift (vgl. Weyer 2000: 240ff). Er begründet Emergenz als Prozess der selbstorganisierten Vernetzung strategisch handelnder Akteure, der zu strukturellen Effekten bzw. „Ordnungszuständen“ führt und darüber hinaus den Mikro-Makro-Übergang leistet. Der Makro-Mikro-Übergang in einem Netz117

werk vollzieht sich dabei durch soziale Einbettung, die der Dynamik der Gestaltbarkeit gleich gesetzt werden kann. Die Netzwerkorientierung manifestiert sich darüber hinaus als modernes Verständnis der Ausprägung der Unternehmenskultur, das die neue Komplexität des Überganges zwischen der Mikro- und Makroebene einer Organisation verdeutlicht.

Dynamik der sozialen Einbettung

Makroebene Strukturebene der Institutionen

Netzwerk

Mikroebene Handlungsrelevante Ebene der Akteure

Dynamik der Emergenz

Abbildung 1: Dynamiken der netzwerkorientierten Unternehmenskultur (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Weyer 2000: 241).

Die in der Literatur firmierten Bezeichnungen der „Wissenstransfer-freundlichkeit“, „Wissensfreundlichkeit der Organisationskultur“ (vgl. Häussling 2006), „Lernkultur“ (vgl. Sonntag et al. 2005), „Transaktionsatmosphäre“ (vgl. Williamson 1975) oder „Kultur des Wissenteilens“ (vgl. Adelsberger et al. 2002: 529ff) lassen sich als Synonyme der netzwerkorientierten Unternehmenskultur charakterisieren. Das kollektive Phänomen einer wissenstransferfreundlichen, netzwerk-orientierten Unternehmenskultur, an der alle Akteure (Mitarbeiter) aktiv partizipieren, kann erst dann entstehen, wenn die Teilnehmer ihre Netzwerkkompetenz teilen und ihre Handlungen durch Netzwerkkommunikation koordinieren. Netzwerkkompetenz wird als Metakompetenz (abgeleitet aus den Konzepten des Fach, Macht-, Prozess- und Beziehungspromotors) in einer engen Verbindung mit dem Promotorenmodell von Witte (1973: 20) und Gemünden/Walter (1996) definiert. Kompetenzentwicklung, aufgefasst als Erweiterung, Umstrukturierung und Aktualisierung aller Kompetenzfacetten, soll in einer netzwerkorientierten Unternehmenskultur in fortlaufenden Prozessen der Sozialisierung bzw. im Prozess der Einbettung der Akteure in ein soziales Netzwerk des Unternehmens stattfinden (vgl. Sonntag et al. 2005; Weyer 2000: 239; Esser 2000: 271). Fehlende Netzwerkkompetenz ist als Risikofaktor der netzwerkorientierten Unternehmenskultur zu benennen. Diese drückt sich aus in der 118

Angst vor einer Verschlechterung der Machtposition durch den Austausch von Expertenwissen (vgl. Niehaus 2003), durch den Mangel an Vertrauen und motivatorischen Anreizen zur Wissensteilung sowie ein stark ausgeprägtes und tradiertes Risikoverständnis (vgl. Probst et al. 2003; Niehaus 2003; Kluge et al. 2003; Helm et al. 2007). Die Festlegung der Definition von netzwerkübergreifender Kommunikation als Kohäsionsfaktor netzwerkorientierter Unternehmenskultur leitet sich aus der Erkenntnis ab, dass das soziale Netzwerk und die informale Organisationsstruktur gleichgestellt werden können (vgl. Krackhardt/Hanson 1994), sowie dass formale und informale Organisationsstrukturen eng miteinander verflochten sind (vgl. White 1992: 94; SmithDoerer/Powell 2005: 380). Das Netzwerk wird als hybride bzw. intermediäre Organisationsform ökonomischer Aktivitäten erkannt, die zwischen den beiden Extremen Markt und Hierarchie positioniert wird. (vgl. Sydow 2002; Williamson 1975). Netzwerkübergreifende Kommunikation wird somit als Hybridform zwischen formaler und informaler Kommunikation definiert, die Interaktion sowohl über vertikale (Hierarchie) als auch über horizontale Grenzen der Organisationseinheiten (wie Produktion, Marketing usw.) hinweg beinhaltet (vgl. Cross/Parker 2004). Das Ziel der netzwerkübergreifenden Kommunikation besteht darin, die Diskrepanz der im Organigramm vorgegebenen formalen Struktur und der in Wirklichkeit existierenden informalen Struktur des Informationsaustausches zu überwinden.

4 Soziale Netzwerkanalyse als Ist-Analyse: Methodische Ebene der Optimierung des I-K-W-Managements Eine pauschale strategische Auseinandersetzung mit Kohäsionsfaktoren der netzwerkorientierten Unternehmenskultur reicht allerdings immer noch nicht aus, wenn es auf die Lösung des in der Einleitung geschilderten Problems der Kooperation ankommt bzw. wenn nach operativen Handlungsmöglichkeiten gesucht wird. In dieser Hinsicht kommt der Erfassung des Ist-Zustandes eine besonders kritische Rolle zu. Die Soziale Netzwerkanalyse als Forschungsmethode lässt sich als Instrument diagnostischer Aufbereitung der Ist-Situation bzw. als „organizational X-Ray“ (vgl. Anklam 2005) im Rahmen des I-K-W-Managements positionieren: Es erlaubt, die Ausprägung der Kohäsionsfaktoren zu überprüfen. Betrachtet als Middle-up-downAnsatz (vgl. Nonaka/Takeuchi 1997) bzw. Strategiemixkonzept (vgl. Bick et al. 2003) bietet Soziale Netzwerkanalyse in Hinblick auf die Optimierung des I-K-WManagements zwei Vorteile. Einerseits ermöglicht es, die Unternehmensmitglieder zu finden, die für ein bestimmtes Projekt besondere (netzwerkkompetenzbedingte) Voraussetzungen zu bieten haben. Andererseits lassen sich durch die Netzwerkanalyse der Verlauf und die Intensität der Kommunikationsflüsse sowie die Barrieren des Wissenstransfers identifizieren (vgl. Klocke 2007). Somit können die Potenziale der Vernetzung und die Gefahren der Unverbundenheit erkannt und diese mit einer bestehenden Basis der existierenden Lösungen abgeglichen werden. Die Visualisierung des Ge119

samtnetzwerks erlaubt darüber hinaus die Ausprägung der Netzwerkorientierung der Unternehmenskultur zu beurteilen und fundierte Handlungsempfehlungen abzuleiten. Der strukturell geprägte Ansatz der Netzwerkforschung geht von der Annahme aus, dass die Handlung eines Akteurs stärker von seiner Position innerhalb einer Struktur bestimmt wird als von seinen Einstellungen, Eigenschaften und Interessen (vgl. Weyer 2000: 18). Die Forderung nach der Kombination der Oberflächenstrukturanalyse mit der Tiefenstrukturanalyse (Lembke et al. 2006: 264; Kang 2007) findet ihre Entsprechung in dem Versuch, die Substanz der Mikro-Makro-Beziehungen und MakroMikro-Beziehungen in einem Netzwerk zu erfassen (vgl. Weyer 2000). Diesem Ansatz liegt die Vorstellung eines Netzwerks zu Grunde, das als eine intermediäre Kategorie zwischen den Kategorien „Akteur“ und „Struktur“ agiert. Die Netzwerkmetapher beschreibt somit den Übergang zwischen Handlungs- und Strukturebenen. Bei der Typologisierung verschiedener netzwerkanalytischer Ebenen gewinnt die Unterscheidung zwischen relationaler und struktureller Analyse an Bedeutung (vgl. Granovetter 1992). Während die Erste den Fokus der Analyse auf die Verbundenheit der Akteure innerhalb eines Netzwerks lenkt, untersucht die Analyse aus der strukturellen Perspektive ein Muster sozialer Ordnung. Die Soziale Netzwerkanalyse zergliedert das Beziehungsgeflecht auf diesen Analyseebenen nach Inhalt und Form. So werden akteurbezogen oder auf das Gesamtnetz hin ausgerichtet die Größe, Dichte, Verbundenheit, Multiplexität, das Ausmaß der Zentralisiertheit und die typischen Muster der sozialen Beziehung unterschieden (vgl. Wasserman/Faust 1995). Alle diese Begriffe bekommen in der modernen Forschung eine präzisierbare Bedeutung, die anhand mathematischer Grafentheorie, Algebra und Mengenlehre errechnet werden (vgl. Wasserman/Faust 1995). Die Netzwerkanalyse interner Organisationsstruktur setzt sich die folgenden Ziele (vgl. Cross/Parker 2004: 8ff): Durchführung eines integrativen Vergleichs zwischen den Oberflächen- und Tiefenstrukturebenen der konkreten Organisation, der sich als Abgleich zwischen formalen Strukturen und informalen Netzwerken versteht. Analyse der Makro- und Mikrostruktur des informalen Netzwerks, die sich als Abgleich der gesamten netzwerkanalytischen Daten und akteurbezogenen Daten versteht. Analyse der Mikro- und Makrostruktur des informellen Netzwerks in Kombination mit der Oberflächenstrukturanalyse in Hinblick auf die Ausprägung der Unternehmenskultur (der Kohäsionsfaktoren der netzwerkorientierten Unternehmenskultur).

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Ausprägung der Unternehmenskultur

Oberflächenstruktur der Organisation (Formale Organisationsstruktur)

Tiefenstruktur der Organisation (Informale Organisationsstruktur/ Netzwerk) Makroebene Makroebeneder derNetzwerkstruktur Netzwerkstruktur Mikroebene der Netzwerkstruktur

Abbildung 2: Ziele der sozialen Netzwerkanalyse als Forschungsmethode (Quelle: eigene Darstellung).

Die Soziale Netzwerkanalyse lässt sich als eine Methode kennzeichnen, die sowohl die Dynamik sozialer Einbettung als auch die der Emergenz berücksichtigt. Sie offenbart dabei tiefgreifende Einflussmöglichkeiten der Unternehmenskultur und ermöglicht, die relevanten greifbaren Größen für zielgerichtete Handlungen herauszukristallisieren. Eine abstrakte Forderung der Optimierung des I-K-W-Managements konnte vor diesem Hintergrund in konkrete Handlungsschritte überführt werden.

5 Praktische Anwendung der Netzwerkanalyse Eine netzwerkanalytische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Netzwerkkompetenz ist grundlegend für die Ableitung weiterer Handlungsschritte. Untersucht wurde dabei ein Netzwerk von Experten (N=201), die sich aktiv an der Entstehung neuer Begriffe der Konzernsprache beteiligen (Terminologieexperten). In erster Linie wurde die theoretische Konstruktion des Konzepts der Netzwerkkompetenz überprüft. Diese ließ sich mit einer Signifikanz von p** < 0,01 verifizieren, indem empirisch nachgewiesen wurde, dass Einfluss-, Prozess- und Beziehungskompetenz (unter der Voraussetzung der gleichen Fachkompetenz) in einem Zusammenhang stehen. Zu den wichtigsten Erkenntnissen der quantitativen Analyse gehört die Feststellung, dass die Netzwerkkompetenz der Akteure, die an der Wissenskommunikation beteiligt sind, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit deren relationaler Position im Kommunikationsnetzwerk steht. So befinden sich die Akteure, die sich gleichzeitig durch ein hohes Maß an Fach-, Beziehungs-, Prozess- und Einflusskompetenz kenn121

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zeichnen, im Zentrum des Netzwerks (signifikanter Zusammenhang, r = .78**) . Netzwerkkompetente Akteure können als „Cutpoints“ (vgl. Burt 1992; Jyrämä/Äyväri 2007) in einer Netzwerkstruktur bezeichnet werden: Diese sind für den Zusammenhalt des Netzwerks so wichtig, dass deren Eliminierung zum Zerfall des Netzwerks in verschiedene Teile führen würde. Herausgestellt hat sich außerdem die Tatsache, dass gerade die netzwerkkompetenten Akteure viele informale und hierarchieübergreifende Kontakte unterhalten bzw. dass es ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Netzwerkkompetenz und der Intensität der Netzwerkkommunikation besteht (r = .45 **). Die etwas vereinfachte Abstimmungsproblematik zwischen den Abteilungen A, B und C wurde im Rahmen dieses Beitrags aus dem komplexeren Untersuchungskontext herauskristallisiert, um ein konkretes praktisches Beispiel der Optimierung des I-K-WManagements aufzeigen zu können. In dem untersuchten Netzwerk lässt sich eine Diskrepanz zwischen relational (netzwerkanalytisch oder informal) und formal (in einem Organigramm festgelegten) definierten Rollen beobachten. Diese Feststellung ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass die formale Rolle eines Repräsentanten eines Arbeitskreises mit der durch informale Beziehungen manifestierten Rolle eines netzwerkkompetenten Terminologieexperten nicht immer übereinstimmt.

Die Position in einem Netzwerk richtet sich nach der Ausprägung der Netzwerkkompetenz Arbeitskreisteilnehmer

Nicht reziproke Beziehung Reziproke Beziehung

Die Intensität der Beziehung variiert von 1 = unregelmäßig bis 4 = täglich

Abbildung 3: Schwache Übereinstimmung zwischen relational (informal) und formal definierten Rollen (Quelle: eigene Darstellung mit UCINET).

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Korrelationskoeffizient von Bravais-Pearson (r): ist r =0, existiert kein Zusammenhang zwischen X und Y; je näher r an den Wert +1 heranrückt, desto größer ist die Wahrscheinlich-keit, dass die Werte der Variablen Y zunehmen, wenn auch die X-Werte zunehmen.

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Die netzwerkkompetenten Terminologieexperten sind in die formale Gruppe schwach integriert und verfügen darüber hinaus über einen geringen Autonomiegrad. Die Arbeitskreisteilnehmer können dabei von dem operativen Expertenwissen nicht profitieren. Eine ineffiziente Ausführung des Arbeitskreises ist dabei auf die fehlende netzwerkübergreifende Kommunikation und fehlende Netzwerkkompetenz zurückzuführen. Die schwache Übereinstimmung zwischen formal und informal (relational) definierten Rollen spiegelt einen geringen Grad von Entscheidungsdelegation wider und ist darüber hinaus kennzeichnend für Organisationen mit einem hohen Konfliktpotenzial. Bei der Optimierung des I-K-W-Managements soll die Spezifik von Tiefenstrukturen berücksichtigt werden. So kann in diesem Fall eine neue Besetzung des Arbeitkreises in Betracht gezogen werden, die sich an die netzwerkkompetenten Terminologieexperten richten würde.

6 Ausprägung der Netzwerkorientierung der Unternehmenskultur als Aufgabe der interkulturellen Organisationsentwicklung Der Begriff der netzwerkorientierten Unternehmenskultur wird je nach kulturellem Kontext eine unterschiedliche Prägung haben. So wird in europäischen Kulturen das Lernverhalten individualistisch geprägt, während im asiatischen Lern- und Lehrkontext die Wissensteilung traditionell verankert ist (vgl. Ribiere/Sitar 2003: 41). Genauso große Unterschiede lassen sich in der Wahrnehmung der Hierarchisierung des Unternehmens erkennen (vgl. Fliaster 2003). Das implizite Wissen ist die Wissensart, die durch den kulturellen Hintergrund am meisten beeinflusst werden kann (vgl. Bendt 2000). Die kulturelle Färbung des impliziten Wissens hat somit Auswirkung auf die Effektivität des Wissenstransformationsprozesses (vgl. Bhagat et al. 2002: 204ff). Das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen hat einen nachweisbaren Einfluss auf die Effektivität des Wissenstransfers: Es wird betont, dass Wissensnetzwerke oftmals ihr Ziel verfehlen, weil unterschiedliche kulturelle Hintergründe nicht berücksichtigt werden (vgl. Weissenberger-Eibl/Spieth 2006: 61ff). Netzwerkanalytischen Begriffe wie zum Beispiel Netzwerkredundanz und Zentralisierungsgrad zum Beispiel würden in einem solchen kulturvergleichenden Kontext einen neuen Stellenwert bekommen. Die analytische Auseinandersetzung mit diesen Fragen im Rahmen des I-K-W-Managements bietet vor diesem Hintergrund eine neue fruchtbare Forschungsperspektive für die interkulturelle Organisationsentwicklung.

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II. Anwendungsfelder und Instrumente interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung

Human Factors und interkulturelle Teamentwicklung Stefan Strohschneider

1 Einleitung Unter der Bezeichnung „Human Factors“ – der menschliche Faktor – hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten in der internationalen Diskussion eine Forschungsrichtung etabliert, die im Schnittfeld verschiedener Teildisziplinen angesiedelt ist. Dazu zählen vor allem die klassische Arbeitswissenschaft und die Ergonomie, verschiedene psychologische Teildisziplinen wie Allgemeine, Kognitive und Sozialpsychologie sowie technisches Design. Ganz allgemein gesprochen geht es den „Human Factors“ um das Verständnis und die Verbesserung der menschlichen Zusammenarbeit in und mit komplexen technischen Systemen1. Nun mag sich der kritische Leser gleich fragen, was denn das mit interkultureller Kommunikation zu tun habe. Zum einen stehe der Mensch selbstverständlich im Mittelpunkt aller Bemühungen um das Verständnis und die Verbesserung interkultureller Kommunikation – wenn auch oft weniger als Individuum, denn in Gestalt kultureller Kollektive oder kulturell geprägter Ausdrucksformen. Zum anderen aber sei interkulturelle Kommunikation vor allem menschliche Kommunikation (wie medial vermittelt auch immer) und könne wohl eher wenig von der Bedienung großtechnischer Anlagen lernen. Dieser Beitrag setzt bei der zweiten Annahme an. Sein Ziel ist, einige interessant erscheinende Erkenntnisse der Human Factors-Forschung vorzustellen und diese kritisch auf ihre Anwendbarkeit auf die Gestaltung interkultureller Kommunikationssituationen hin zu prüfen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf solchen Aspekten, die Fragen der menschlichen Zusammenarbeit thematisieren und weniger auf solchen, die sich mit technischen Gestaltungsproblemen beschäftigen. Unberücksichtigt bleiben auch Probleme der interkulturellen Kommunikation, die kollektive, medial vermittelte Kommunikationsprozesse betreffen. Zu diesem Zweck wird einleitend ein knapper und kursorischer Überblick über die Entwicklung der „Human Factors“ gegeben. Anschließend werden zentrale theoretische Konzepte und einige „Designansätze“ für Teamarbeit vorgestellt. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Human Factors-Perspektive auf interkulturelle Teamarbeit.

1

Hawkins (1987: 18) umreisst „Human Factors“ in seinem Standardwerk wie folgt: „Die angemessenste Definition der angewandten Technologie der Human Factors ist, dass sie sich damit beschäftigt, das Verhältnis zwischen Menschen und ihren Aktivitäten zu optimieren. Dies geschieht durch die systematische Anwendung der Humanwissenschaften innerhalb des Kontexts des “systems engineering”. Das Doppelziel von Human Factors ist damit die Effektivität des Systems (was sowohl Sicherheit als auch Effizienz umfasst) und das Wohlergehen des Individuums“ (Übers. d. Verf.).

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Ein Begriff wie „Design“ in Zusammenhang mit „Teamarbeit“ deutet bereits an, dass der Human Factors-Forschung eine eigene Philosophie zugrunde liegt, die am besten gleich einleitend explizit erläutert wird: Es ist dies die Annahme, dass die Interaktion von Menschen untereinander (und mit technischen Systemen) gestaltet werden muss. Was für den Umgang mit komplizierter Technik unmittelbar einleuchtend erscheint (wir alle rechnen beim Fliegen mit sehr gut geschulten Piloten), wird auf die Zusammenarbeit von Menschen miteinander übertragen. Es reicht demnach nicht, auf sich autonom entfaltende Aushandlungs- und Verständnisgewinnprozesse zu vertrauen. Ziel muss es vielmehr sein, Werkzeuge zu entwickeln, mit deren Hilfe Prozesse der Zusammenarbeit so strukturiert werden können, dass diese möglichst reibungslos, effizient und für alle Beteiligten befriedigend funktionieren. Diese Grundannahme steht möglicherweise in Widerspruch zu Vorstellungen von interkultureller Kommunikation, wie sie vor einem kulturwissenschaftlichen oder auch emanzipatorisch-pädagogischen Hintergrund entwickelt werden mögen. Vielleicht wird die Logik, die dieser Perspektive zugrunde liegt, durch eine Betrachtung der Entwicklung des Forschungsgebietes verständlich.

2 Human Factors-Forschung: Themen und Trends Die Ursprünge der „Human Factors“ werden gerne in Untersuchungen der britischen Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges gesehen (z.B. Hawkins 1987), was damit zusammen hängen mag, dass der erste große Aufschwung der Human FactorsForschung während der Expansion der internationalen Luftfahrt in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stattfand. Dieser Ursprungsmythos führt aber dann in die Irre, wenn man daraus eine militärische Anbindung der gesamten Richtung ableitet. Vielmehr stellen die Human Factors ein dezidiert zivil geprägtes Forschungsprogramm dar, welches zumindest anfänglich in der Tat vom Bemühen um die Verbesserung der Sicherheit (im Sinne von „safety“, also Sicherheit vor unintentionalen Gefährdungen) des Luftverkehrs getragen war. Während sich der Sicherheitsgedanke bis heute als wesentliches Merkmal durch viele Human Factors-Arbeiten zieht, hat sich der Ansatz selbst von der Luftfahrt ausgehend auf viele andere Branchen ausgeweitet. Waren dies zunächst ebenfalls sogenannte „high-risk-Bereiche“ (wie z.B. Kernkraft, chemische Industrie, Rohölindustrie), diskutiert man heute human factors auch in vielen (vermeintlichen) „low-risk environments“ wie etwa der Seefahrt, der Medizin, im Business Continuity Management und selbstverständlich auch in der öffentlichen Notfallvorsorge. Die Schwerpunkte der internationalen Debatte liegen in den angelsächsischen Ländern, in Skandinavien und in den Niederlanden, während man in Deutschland erst langsam den Anschluss herstellt (der erste deutschsprachige Übersichtsband erschien 2008 in der Herausgeberschaft von Badke-Schaub, Hofinger und Lauche). Die Entwicklung der Human Factors-Forschung lässt sich grob in zwei Phasen einteilen. Die erste Phase war geprägt vom Ziel der Fehlervermeidung: Im Zuge der zuneh130

menden Komplexität technischer Systeme wurden menschliche Fehler bei der Bedienung dieser Technik (scheinbar) immer häufiger und vor allem ihre Konsequenzen immer gravierender. Einfach gesagt: Der Mensch wurde scheinbar zu dumm für die Technik. Viel zitierte Statistiken besagten, dass menschliche Fehlhandlungen an rund 80% aller Unfälle kausal beteiligt seien (Giesa/Timpe 2000; Green 1990), woraus sich für viele Forscher und Anwender die Konsequenz ergab, den Menschen aus der Systemsteuerung so weit wie möglich herauszunehmen, durch Technisierung und Automatisierung zu ersetzen und damit eine Erhöhung der Sicherheit zu erreichen. Diese seinerzeit weithin akzeptierte Sichtweise wurde vom englischen Fehlerforscher Reason (1994) als „Schweizer-Käsescheiben-Modell“ zusammengefasst (s. Abbildung 1).

SICHER !!

Technische Sicherheitssysteme („defences“)

Abbildung 1:Das Schweizer-Käsescheiben-Modell der Fehlervermeidung. Der Startpunkt des Handelns liegt auf der linken Seite, fehlerträchtige Handlungstrajektorien werden durch Sicherungssysteme verhindert.

Diesem Modell zufolge ist die menschliche Fähigkeit, Irrtümern zu erliegen und Fehler zu begehen praktisch unbegrenzt. Um Handlungsprozesse mit unerwünschten Konsequenzen auszuschließen, muss man technische Sicherungen (Käsescheiben) einbauen. Da keines dieser Sicherungssysteme für sich genommen perfekt ist (Schweizer Käse hat Löcher), braucht man immer neue und redundante Sicherungen, bis schließlich wirklich nichts Gefährliches mehr passieren kann. Diese auf Fehler fokussierte Sicht vom Menschen wurde durch zwei Großkatastrophen erschüttert, deren Aufarbeitung die zweite Phase der Human Factors-Forschung einleitete. Die eine war der Untergang der „Herald of Free Enterprise“ im Hafen von Calais am 6. März 1987. Die Fähre hatte mit einer offenen Bugklappe abgelegt und rasch beschleunigt, anschließend war Wasser ins Schiff gelaufen und hatte das Schiff zum Kentern gebracht. Zum Zeitpunkt des Unglücks lag der für das Schließen der Bug131

klappe verantwortliche Seemann in seiner Kammer und schlief. Bei der Ursachenforschung allerdings ergab sich, dass dieses „Versagen“ eines Individuums durch eine Vielzahl vorgelagerter sozialer und organisationaler Ursachen bedingt war, dass „eigentlich“ vorhandene technische und menschliche Sicherungen in ganz unvorhersehbarer Interaktion ebenfalls versagt hatten und dass die gesamte Organisation des Fährverkehrs durch Hafen und Reederei unsicheres, „fehlerhaftes“ Handeln geradezu erforderte (s. dazu Grech/Horberry/Koester 2008). In der Folge dieses Ereignisses erweiterte sich der Blickwinkel der Human FactorsForschung: Fehler am „scharfen Ende“, beim individuellen Bediener, haben in der Regel Ursachen im sozialen, arbeitsstrukturellen und organisationskulturellen Umfeld – dem „stumpfen Ende“ der Fehlerkette. Fehlervermeidungsstrategien, die allein am „scharfen Ende“ ansetzen, entsprechen einem Herumkurieren an Symptomen, das die „eigentlichen“ Ursachen nicht erfasst. Das zweite Unglück war der Absturz einer DC 10 der United Airlines in Sioux City in den USA am 19. Juli 1989. Die Maschine war mitten im Reiseflug von einem technisch an sich unmöglichen Ereignis betroffen worden, dem gleichzeitigen Ausfall aller drei Hydrauliksysteme. Damit hatten die Piloten keine Möglichkeit mehr das Flugzeug zu steuern, der Absturz war im Grunde unvermeidbar. Dennoch gelang es der Besatzung gegen alle Wahrscheinlichkeit, mit Hilfe eines zufällig an Bord befindlichen Fluglehrers, die Maschine durch Regulierung des Schubs der beiden Tragflächentriebwerke notdürftig zu kontrollieren und schließlich auf dem Flughafen von Sioux City zu landen. Zwar ging die Maschine bei der Bruchlandung in Flammen auf, dennoch überlebten 185 der 296 Menschen an Bord. Die Aufarbeitung dieses Ereignisses zeigte, dass es zu kurz gedacht ist, den Menschen nur als Fehlerquelle und Risikofaktor zu betrachten. Vielmehr kann menschliches Denken und Handeln u.U. dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit („resilience“) eines komplexen soziotechnischen Systems gegenüber Ausfällen und Fehlfunktionen zu steigern. Dies impliziert einen fundamentalen Wandel des Menschenbildes und der Designideologie: Reintegration des Menschen in das System und Analyse der Voraussetzungen, unter denen dieser Beitrag zur Widerstandsfähigkeit wirksam werden kann. Damit sind Fragen nach Ausbildung und Training angesprochen, die unten diskutiert werden (vgl. dazu auch Strohschneider 2008; zusammenfassend zum hier beschriebenen Paradigmenwechsel s. Dekker 2005), damit rücken aber auch teambezogene und kulturrelative Aspekte der Handlungsregulation in das Blickfeld der Analyse. Die Denkweise der Human Factors-Forschung der zweiten Phase lässt sich dementsprechend in Anlehnung an Furnham (1997) als Septagon beschreiben (s. Abbildung 2).

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Individuum

Technologie

Team

Physikalische Umwelt Organisatorische Umwelt

„Praxis“

Gesellschaft und Kultur

Abbildung 2:Das soziotechnische Systemmodell (Abbildung nach Grech et al. 2008).

Diese Darstellung ist als analytischer Heurismus zu verstehen: Die erfolgreiche (d.h. sichere, effiziente und persönlich befriedigende) Gestaltung der Zusammenarbeit von Menschen in technisch geprägten Kontexten setzt die Beachtung der potentiellen Interaktionen aller sieben „Ecken“ dieses Modells voraus. Dazu gehört zunächst das Individuum mit seinen Stärken und Schwächen, seinem aktuellen Zustand, seinem Wissen und seinen (kulturellen) Gewohnheiten. Die nächste Ebene wäre das Team mit seinen spezifischen Aufgaben und seiner internen Dynamik, welches wiederum eingebettet ist in einen bestimmten organisatorischen Kontext mit Aufgaben, Zwängen, einer Geschichte und Kultur. Die Organisation wiederum wird gerahmt von einem (evtl. multiplen) gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld, das nicht nur rechtliche Grenzen setzt, sondern auch Sprache, Gewohnheiten, Werte und Einstellungen und vieles mehr formt. „Praxis“ meint die Verfahrensvorschriften, die expliziten und impliziten Handlungsregeln, die mit diesen Aspekten zusammenhängen. Alle diese Interaktionen spielen sich natürlich in einer bestimmten physikalischen Umwelt ab und in Auseinandersetzung mit von Menschen gestalteten technischen Systemen. Es ist zu betonen, dass mit diesem heuristischen Modell die früher dominierende technozentrische Perspektive zugunsten einer systemischen Betrachtungsweise aufgegeben wird.

133

3 Human Factors für die interkulturelle Teamentwicklung Was haben nun kenternde Schiffe und notlandende Flugzeuge mit den Problemen interkultureller Zusammenarbeit zu tun? Wenn man sich selbst eine gewisse gedankliche Kühnheit zumutet, kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass mit diesem soziotechnischen Systemmodell wesentliche Aspekte der Lebenswelt arbeitender Menschen beschrieben werden – oder mit anderen Worten: ihre Kultur (zum lebensweltlichen Kulturbegriff s. Bolten 2008). So betrachtet wäre der Human Factors-Ansatz nichts weiter (und nichts weniger) als der Versuch einer rationalen Gestaltung arbeitsweltlicher Kulturentwicklung. Diese Gestaltungsversuche beziehen sich auf verschiedene Schnittstellen, wobei ich mich in diesem Beitrag auf jene konzentrieren werde, die die Zusammenarbeit von Menschen in einer sich dynamisch verändernden Umgebung betreffen. Nicht betrachtet werden damit solche Aspekte, die die Interaktion von Menschen und Technik behandeln (Ergonomie, technisches Design, Gestaltung von Anzeigen und Bedienelementen, usw.). Das Gleiche gilt für die Schnittstellen zwischen Menschen und ihren Organisationen (Organisationsentwicklung, Sicherheitskultur) und die zwischen Menschen und den Regeln und Routinen, nach denen sie ihre Arbeit verrichten sollen (z.B. Diskussion um die Funktionalität von Checklisten oder um die Einführung von Standardterminologien in international agierenden Industrien). Was nun die erfolgreiche Zusammenarbeit in Teams, Projektgruppen, usw. anbelangt, so werden in der Human Factors-Literatur vor allem zwei wesentliche Voraussetzungen diskutiert, nämlich die Erarbeitung gemeinsamer mentaler Modelle und der Schutz des subjektiven Kompetenzempfindens. 3.1

Gemeinsame mentale Modelle

Als „mentales Modell“ (Johnson-Laird 1980) bezeichnet man die kognitive Repräsentation eines außerweltlichen Funktionszusammenhanges. Mentale Modelle können bewusst konstruiert werden, sie können aber auch implizit sein und auf unreflektierten Annahmen beruhen. Mentale Modelle können natürlich unterschiedlich differenziert sein und damit auch unterschiedlich brauchbar. Im Zusammenhang mit interkultureller Teamarbeit gehören zu einem „brauchbaren“ mentalen Modell eine ganze Reihe verschiedener Aspekte. Zur Illustration stelle man sich am besten ein großes, international besetztes OP-Team (5 Chirurgen unterschiedlicher Hierarchiestufen, 6 Chirurgieschwestern, 3 Anästhesisten, 2 Anästhesieschwestern, 1 technischer Assistent, 1 Patient) bei einer schwierigen, vielstündigen Operation vor: 1.

Eine Vorstellung vom Problemraum: Welche Aspekte gehören zum vorliegenden Problem, Auftrag oder Projekt und welche nicht? Was will ich erreichen und was muss verhindert werden?

2.

Welche allgemeinen Wirkbeziehungen oder Gesetze gelten in diesem Realitätsbereich?

134

3.

Welche Vorgeschichte hat das Projekt, der Auftrag, das Problem? Wie ist es entstanden? Wie genau kenne ich seinen aktuellen Zustand?

4.

Womit muss ich rechnen? Welche Szenarien für die nähere oder fernere Zukunft sind denkbar? Welche Entwicklungen kann ich beobachten?

5.

Wer gehört außer mir noch zum Team?

6.

Was ist meine Rolle, meine Aufgabe? Was sind die Rollen und Aufgaben der anderen? Welche Ziele haben sie?

7.

Wer weiß was? Wer kann mir helfen, wen kann ich unterstützen?

8.

Wie organisieren wir unsere Arbeit? Welchen expliziten und impliziten Regeln folgen wir? Welche Ethik leitet unser Handeln?

9.

Was sind die größeren organisatorischen Rahmenbedingungen unseres Handelns? Welche Grenzen gibt es? Was wären Sanktionen für Grenzüberschreitungen?

Die Punkte 1 bis 4 umfassen die aufgabenbezogenen Aspekte des mentalen Modells („task model“), die Punkte 5 bis 7 die teambezogenen („team model“) und die Punkte 8 und 9 die prozessbezogenen („process model“, vgl. dazu Klimoski/Mohammed 1994). Es leuchtet unmittelbar ein, dass es zwischen den mentalen Modellen der Teammitglieder Differenzen geben wird und es leuchtet ebenfalls ein, dass solche Differenzen die Zusammenarbeit beschädigen können, wenn sie unentdeckt bleiben. Um einige Beispiele anzudeuten: Es mag sein, dass der eine Oberarzt bei der ganzen Operation seine leider etwas angeschlagene Reputation im Blick hat, während der junge Assistenzarzt vor allem endlich einmal selber aktiv werden will. Es mag sein, dass Anästhesist und Chirurg ganz unterschiedliche Vorstellungen von den physiologischen Auswirkungen der Verletzung eines bestimmten Gefäßsystems haben. Es mag sein, dass die eine OP-Schwester davon ausgeht, die Operation genau verfolgen zu müssen, um die jeweils benötigten Instrumente ungefragt zureichen zu können, während eine andere darauf wartet, Anweisungen zu bekommen. Und es mag schließlich sein, dass ein Teil des Teams vor allem darauf hinarbeitet, die OP termingerecht zu beenden (damit der OP-Saal für die nächste Operation frei wird und der Klinik keine vermeidbaren zusätzlichen Kosten entstehen), während ein anderer Teil des Teams vor allem versucht, das Risiko von postoperativen Komplikationen für den Patienten so gering wie möglich zu halten. Die Human Factors-Forschung hat herausgearbeitet, dass auf der einen Seite unentdeckt gebliebene mentale Modell-Differenzen zu den größten Risikofaktoren für den Erfolg von Teamarbeit gehören (Badke-Schaub 2008) und sich auf der anderen Seite sog. „high-reliability Teams“ vor allem dadurch auszeichnen, dass ihre Mitglieder über sehr homogene Aufgaben-, Team- und Prozessmodelle verfügen, die eine reibungslose, implizite Interaktion ermöglichen (Dietrich & Childress 2004). Diese Homogenisierung von Modellen entwickelt sich selbständig, wenn Menschen über längere Zeiträume hinweg miteinander zusammenarbeiten. Ansätze zur gezielten Homogenisierung mentaler Modelle werden in Abschnitt 4 diskutiert. 135

3.2

Schutz des subjektiven Kompetenzempfindens

Das „subjektive Kompetenzempfinden“ hat zunächst einmal nichts mit interkultureller Kompetenz zu tun, sondern beschreibt ganz allgemein das Ausmaß, in welchem ein Mensch das Gefühl hat, seine Bedürfnisse befriedigen zu können, seine Ziele zu erreichen und generell die Welt um ihn herum zu verstehen (Dörner 1999; Strohschneider 2002). Der Ausdruck „allgemeines Selbstvertrauen“ geht in eine ähnliche Richtung. Im Zusammenhang mit interkultureller Teamarbeit ist das subjektive Kompetenzempfinden wichtig, weil eine ganze Reihe von problematischen Denk- und Verhaltensmustern darauf zurückgeführt werden kann, dass das subjektive Kompetenzempfinden bedroht ist. Dazu zählen u.a.: • Aggression und Flucht (sowohl in die „innere Emigration“ als auch in Details

oder in Wolkenkuckucksheime), • Tunneldenken und operative Hektik, • Gedankliche und argumentative „Verkrustung“, Einkapselung und Ideologi-

sierung, • Schwarz-Weiß-Malerei, verschärfte Stereotypisierungen, Suche nach Sünden-

böcken und Ausgrenzung von Warnern und Mahnern, • Massive Erhöhung der Teamkohäsion, Gruppendruck, intensive Beziehungs-

pflege (s. dazu insgesamt Dörner 1989; Dörner/Schaub 1992; Janis 1982). Zu den Bedingungen, die im Allgemeinen zum Absinken des subjektiven Kompetenzempfindens beitragen können, gehören Zeitdruck, das Versagen gewohnter Handlungsmuster oder unerwartete Entwicklungen, deren Ursachen nicht verstanden werden – alles Bedingungen, die für interkulturelle Kommunikationssituationen nicht gerade untypisch sind. Das Denken und Handeln von Menschen mit bedrohtem Kompetenzempfinden richtet sich zunehmend darauf, die verloren gegangene Sicherheit wiederzugewinnen, es folgt einer selbstschutzbezogenen Rationalität, die letzten Endes für die eben beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten verantwortlich gemacht werden kann. Die Mechanismen des Wiedergewinns von Kompetenzempfinden können verschiedene Strategien nutzen. Wenn man der allgemeinen Motivationstheorie von Dörner (1999) folgt, spielen dabei die Grundbedürfnisse nach Affiliation (Zugehörigkeit), Kontrolle und Bestimmtheit eine wichtige Rolle. So neigen Menschen, deren Bedürfnis nach Affiliation frustriert ist, zu verstärkten Bemühungen um Kontrolle und den Gewinn von Bestimmtheit (im Extremfall eben durch aggressives Handeln und fundamentalistisches Denken). Ganz ähnlich kann der Verlust an Kontrolle und Bestimmtheit durch ein verstärktes Bemühen um affiliative Signale kompensiert werden (im Extremfall eben durch hypertrophierten Korpsgeist bzw. die intensive Suche nach sozialen Kontakten). Auch wenn diese theoretischen Zusammenhänge hier nur angedeutet werden können, sollte doch verständlich werden, warum in „guten Teams“ sehr starker Wert darauf ge136

legt wird, dass kein Mitglied in seinem Kompetenzempfinden in gefährlichem Maße bedroht wird. Man kann einen affiliativ oft erstaunlich „warmen“ Ton beobachten, ein bewusstes Bemühen um Unbestimmtheitsreduktion durch Informationsweitergabe und die klare Aufteilung von Kontrolle bzw. von Verantwortlichkeitsbereichen. Im folgenden Abschnitt soll nun geschildert werden, mittels welcher Methoden versucht wird, in diesem Sinne human factors-gerechte Teamarbeit zu ermöglichen.

4 Design von Teamarbeit Die folgenden Überlegungen stellen eine durchaus subjektiv gefärbte Auswahl aus einer Fülle von Möglichkeiten dar. Es gibt keine kanonische Lehre von guter Zusammenarbeit (auch im Bereich der ansonsten durchaus präskriptiven Human Factors nicht) – und es kann sie auch gar nicht geben, weil die äußeren Bedingungen der Zusammenarbeit, die konkreten Inhalte der Tätigkeiten, die Lebensdauer und Lebensdauerphase des Teams und nicht zuletzt das Ausmaß an kultureller und demographischer Heterogenität eines Teams jeweils andere Formen erfordern (vgl. dazu u.a. Ilgen/LePine/Hollenbeck 1997; Jackson/May/Whitney 1995; Smith/Noakes 1996). Genauso wenig gibt es natürlich eine systematische Forschung, die etwa den relativen Beitrag regelmäßiger Lagebesprechungen zum Teamerfolg und zur Teamzufriedenheit beschreiben könnte. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von systematisch beschriebenen Einzelfallbeobachtungen (vgl. dazu die Sammelbände von Buerschaper/Starke 2008; Hofinger 2005; Strohschneider 2007; Strohschneider/von der Weth 2002) und es gibt Untersuchungen zu sog. „Hochleistungsteams“ (Dietrich/Childress 2004; Mistele 2008; Pawlowsky/Mistele 2008) deren Anwendung auch auf nicht unbedingt auf Hochleistung getrimmte interkulturelle Interaktionen denkbar erscheint. Diese Designempfehlungen lassen sich drei Kategorien zuordnen, nämlich der Teamstrukturierung, den Teamprozessen und der Teamkommunikation im engeren Sinne. Im Folgenden werden einige dieser Empfehlungen vorgestellt und diskutiert, wobei ihr Bezug zu den oben erwähnten theoretischen Konzepten hier nicht mehr im Einzelnen nachvollzogen wird. 4.1

Teamstrukturierung • Herausarbeiten klarer Verantwortlichkeitsbereiche und Informationszuständig-

keiten: Gerade bei gewöhnlichen Aufgaben entwickeln sich in Teams sehr schnell implizite Sachrollenbeschreibungen, implizite Vorstellungen darüber, wer was tut und wer wofür verantwortlich ist. In interkulturellen Situationen sind die Rollenmodelle der einzelnen Teammitglieder häufig different; was dazu führt, dass einzelne Dinge gar nicht erledigt werden, andere doppelt. Auch wenn es nicht unbedingt besonders höflich erscheint: Sachrollen sollten explizit geklärt werden. 137

• Eindeutige Führung, aber flache Machtgradienten: Interkulturelle Teamarbeit

ist per se eine Situation erhöhter Unbestimmtheit. In solchen Situationen sollte es in der Regel eine klar definierte Führungsperson geben. Gleichzeitig aber müssen die Machtgradienten so flach sein, dass das Potential aller Mitglieder in die Arbeit eingebracht werden kann. Es ist oft zu beobachten, dass es die Mitglieder kulturell heterogener Teams aus Höflichkeit oder Rücksichtnahme vermeiden, die Führungsfrage in diesem Sinne zu klären. Gerät das Team – aus welchen Gründen auch immer – unter Druck, pflegt sich dieses Versäumnis zu rächen. Nur erwähnt werden soll, dass Menschen aus nichtwestlichen Ländern sowieso häufig sehr ausgeprägte Führungserwartungen an eine Teamarbeit herantragen (House et al. 2004). • Teammoderation: Neben dem verantwortlichen Entscheider benötigen hetero-

gene Teams eine weitere Sonderrolle, nämlich die des Moderators. Der Moderator hält sich aus allen Sachdiskussionen heraus, er hat die ausschließliche Aufgabe, sich um das Funktionieren des Teams zu kümmern, indem er die Prozesssteuerung und das Kommunikationsverhalten überwacht. Häufig kümmern sich Moderatoren daneben auch um das individuelle psychosoziale Wohlergehen der Teammitglieder. 4.2

Teamprozesse • Die wichtigste Prozessdesignempfehlung betrifft wohl das Abhalten von Vor-

besprechungen. Der eigentlich aus der Luftfahrt kommende Ausdruck vom „pre-flight briefing“ scheint mittlerweile auch in anderen Kontexten verwendet zu werden: „Wir machen jetzt mal zuerst ein Preflightbriefing.“. Zweck einer Vorbesprechung sollte es nicht sein, lediglich Handlungsoptionen vorab auszuhandeln, sondern vielmehr die mentalen Modelle aller Teammitglieder zu veröffentlichen, abzustimmen und potentielle Konflikte zu bearbeiten – bevor man „fliegt“. Dazu kann durchaus die oben stehende Aufzählung als Checkliste verwendet werden. Selbstverständlich ist die Durchführung derartiger Vorbesprechungen keine einfache Aufgabe, da sie selbst mit vielfältigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Zunächst einmal fällt es vielen Menschen schwer, ihre mentalen Modelle überhaupt zu verbalisieren, eben weil sie impliziter Natur sind („wir machen das so wie immer“). Außerdem erfordern derartige Vorbesprechungen die Bereitschaft, sich selbst zu öffnen (was wiederum Vertrauen voraussetzt), sie stehen in Kontrast zu manchen kulturellen Konventionen und Vorstellungen über Höflichkeit. Und schließlich erfordern sie Zeit, die manche doch am liebsten schon für die „eigentliche Arbeit“ nutzen würden. Auf der anderen Seite zeigt die Tatsache, dass derartige Vorbesprechungen besonders in vielen gefährlichen Industrien mittlerweile zum Standardverhaltensrepertoire gehören, dass sie in der Tat geeignet sind, Teamarbeit reibungsloser werden zu las138

sen. Im Einzelfall wird hierfür der eben erwähnte Moderator (oder ggf. auch ein Coach) unerlässlich sein. • Neben den Vorbesprechungen sollen in Teams regelmäßige „Lagebesprechun-

gen“ durchgeführt werden, die dazu dienen, alle Mitglieder auf den gleichen Sachstand zu bringen. Gleichzeitig sollen aber auch die Teamprozesse, Entscheidungsstrategien, usw. reflektiert und u.U. modifiziert werden. Auch diese „Lagen“ müssen moderiert werden. Dabei wird besonders darauf geachtet, auch die eher zurückhaltenden Mitglieder zu integrieren und gleichzeitig die notorischen Vielredner etwa durch rigorose Redezeitbeschränkungen „einzubremsen“. Es ist faszinierend zu beobachten, wie sehr gute, erfahrene Teams umso mehr Zeit auf Lagebesprechungen verwenden, je komplexer und dynamischer sich das zu bearbeitende Problem darstellt. • Visualisierung: Selbst wenn man nur eine vage Vorstellung davon hat, wie be-

grenzt die menschliche Informationsaufnahme und -verarbeitungskapazität ist, ist es immer wieder verblüffend zu sehen, wie häufig (heterogene) Teams glauben, komplexe Sachverhalte in stundenlangen (gerne auch pausenlosen) Diskussionen ohne jede externe Gedächtnisunterstützung bewältigen zu können. Das ist nachgerade absurd. Ständig mitgeführte Visualisierung der Gesprächsinhalte ist eine der wichtigsten und gleichzeitig am leichtesten durchzuführende Designempfehlungen aus der Human Factors-Forschung. Ob dabei wirklich gemalt wird, ob man Karten und Pläne nutzt, Mindmaps oder Wirkdiagramme anfertigt, ist dabei eher nebensächlich. Wichtig ist das gemeinsam sichtbare und damit erinnerbare Festhalten wichtiger Ideen und ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten. In Teams, die Entscheidungen zu treffen haben, ist darüber hinaus das Führen eines teamöffentlichen Logbuches unerlässlich. • Schließlich tragen gegenseitige Hilfe und Unterstützung nicht nur zur Effi-

zienzsteigerung von Teamarbeit bei, sie verbessern auch die psychosoziale Befindlichkeit der einzelnen Teammitglieder. Dazu gehört nicht nur die Berücksichtigung von individuellen physiologischen Zuständen (wie Müdigkeit), sondern auch die Beachtung von Tagesform und besonderen Belastungen unter denen Einzelne stehen mögen. Gute Teams zeichnen sich durch ein beachtliches Maß an gegenseitiger Fürsorge aus. 4.3

Kommunikationsempfehlungen • Das Verhältnis von Muttersprache zu Verkehrsprache wird im Kontext inter-

nationaler Arbeitsprozesse intensiv diskutiert. Stand der gegenwärtigen Diskussion ist die Empfehlung, komplexe und kritische Sachverhalte am besten in der Muttersprache zu verhandeln (soweit mehrere Sprecher der gleichen Muttersprache anwesend sind) und dann zu übersetzen. Bei der Benutzung einer gemeinsamen Verkehrsprache sind in jedem Fall die am wenigsten kompetenten Sprecher als gemeinsamer Maßstab zu beachten. Standardterminologien 139

haben sich in einigen Bereichen (z.B. der Luftfahrt) durchgesetzt, in anderen (z.B. der Seefahrt) sind entsprechende Versuche gescheitert, was sowohl mit Aussprachemängeln und damit der Verständlichkeit zu tun hat, als auch mit der geringen Flexibilität dieses Ansatzes (Wiedemann/Badke-Schaub, 2008). • Es ist immer wieder beobachtet worden, dass sich erfolgreiche Teams sorgfäl-

tig um die Einhaltung sehr schlichter und allgemein bekannter Kommunikationsregeln bemühen. Dazu zählen z.B. das bewusste, nicht unterbrechende Zuhören, das Ausreden lassen und vor allem auch das „Zurücklesen“, d.h. das Verständnis signalisierende Wiederholen einer Information oder Anweisung. Ein guter Moderator wird diesem Punkt besondere Beachtung schenken. • Schließlich konnte nachgewiesen werden, dass besonders in dynamischen und

„offenen“ Situationen explizites Sprechen (als Gegensatz zum Sprechen in Andeutungen) wesentlich zu Teamerfolg beiträgt. Dies mündet z.B. in der Empfehlung, besonders jüngere Teammitglieder zu ermutigen, Fragen und Unverständnis offen zu verbalisieren (weil dadurch häufig implizite, unzutreffende Vorannahmen aufgedeckt werden können) und generell Nachfragen als konstruktive (nicht als destruktive) Form der Teamdiskussion zu etablieren.

5 Human Factors, kulturelle Fragen und Teamdesign Die Human Factors-Forschung geht zunächst einmal davon aus, dass derartige Designempfehlungen grundsätzlich anwendbar sind, wobei, wie erwähnt, die Werkzeuge durchaus an die konkrete Situation angepasst werden müssen. Auf der anderen Seite stammt der größte Teil des diesen Empfehlungen zugrunde liegenden empirischen Materials aus der englisch sprechenden Welt und ein unreflektierter Universalismus erscheint doch ein wenig naiv: Jeder Leser, der über Erfahrungen mit interkultureller Teamarbeit verfügt, wird bei der ein oder anderen Empfehlung gedacht haben: „Das klappt mit Teilnehmern aus XY nie!“ Nun sind kulturelle Unterschiede – besonders in der Teamarbeit – in der letzten Dekade in der Human Factors-Forschung durchaus zu einem wichtigen Thema geworden (s. dazu z.B. Davis/Briant/Liu/Tedrow/Say 2003; Kirkman/Shapiro 2001; von Glinow/ Shapiro/Brett 2004) und keiner der neueren Texte verzichtet mehr darauf, die Bedeutung von „Kultur“ für das Handeln zu betonen. Theoretisch allerdings dominieren makroanalytische Kulturbeschreibungsmodelle, die Auswirkungen von Individualismus und Kollektivismus auf Machtdistanz und Gruppenbildung sowie die kritische Diskussion der Funktion von nationalen Stereotypen. Einen (aus kulturwissenschaftlicher Sicht: traurigen) Höhepunkt stellt hier zweifellos der Band „National Cultures at work“ von Helmreich und Merritt (1998) dar, die sich auf der Basis der Hofstede’schen Dimensionen mit Kulturunterschieden im Flugverkehr beschäftigt. Daneben spielen Überlegungen zu Organisationskultur und Sicherheitskultur eine zunehmend wichtige Rolle, auch wenn in diesen Gebieten z.B. die Rede von „guten“ und „schlechten“ Sicherheitskulturen (Hudson 2001) durchaus noch Raum für theoretische 140

Verfeinerungen lässt. Auch im Bereich der Human Factors gewinnen systemisch orientierte und mit anthropologischen Methoden arbeitende Ansätze nur langsam an Boden (Beispiele dafür sind Dekker 2005; Hutchins 1995; Lützhöft 2004). Auf der anderen Seite sind die Probleme interkultureller Zusammenarbeit offensichtlich und drängend und neue Werkzeuge sollten nicht ungeprüft verworfen werden. Die arabische Fluglinie „Emirates“ z.B. beschäftigt Mitarbeiter aus 145 Ländern und die Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einem Emirates-Flug zwei Menschen im Cockpit sitzen, die den gleichen Reisepass haben, ist nahe Null. Bei Emirates geht man den Weg, kulturelle Besonderheiten einfach zu ignorieren und alles (wirklich: alles) per Prozessvorschrift zu regeln (Dahlström, pers. Mitteilung November 2008). Auch dieses Modell hat wohl nur einen begrenzten Anwendungsbereich. Der Autor dieses Textes ist der Ansicht, dass die Notwendigkeit, interkulturelle Kommunikation in irgendeiner Form zu strukturieren, allgemein einsichtig gemacht werden kann. Die spezifische Form von Strukturen und Prozessen hängt, wie mehrfach betont, von den jeweiligen Besonderheiten der Situation ab. Hier die jeweils praktikablen Lösungen gemeinsam zu finden erfordert allgemeine Problemlösefähigkeiten. In der Human Factors-Trainingsliteratur bürgert sich dafür gerade der Ausdruck „generic competences“ ein (van Winsen/Dahlström/Dekker/Nyce, in Druck). Generic competences umfassen – in Abgrenzung sowohl zu den tätigkeitsbezogenen „hard skills“ als auch zu den kommunikativen „soft skills“, vor allem: • Wissen über bzw. die Fähigkeit zur flexiblen Strukturierung von Vorgehens-

weisen, • Wissen über die Vor- und Nachteile verschiedener Formen der Prozesssteue-

rung (Führung, „Lagen“, Moderation, usw.), • Wissen über und Erfahrung mit den Grundlagen und Formen menschlichen

Handelns in unbestimmten Situationen, • Wissen über und Erfahrung mit Methoden des teambuilding und der team-

maintenance • sowie die Fähigkeit zur strategischen Flexibilität

mit dem Ziel, die wie auch immer begründete Heterogenität eines Teams für die anstehenden Aufgaben zu nutzen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sich gemeinsame mentale Modelle entwickeln und das subjektive Kompetenzempfinden der Mitglieder wie des Teams insgesamt intakt bleibt. Dass derartige Kompetenzen trainiert werden müssen, ist klar (Puck 2007). Im Bereich der Human Factors hat man dafür eigene Trainingsformen entwickelt, die unter dem Namen „CRM-Training“ (ursprünglich Cockpit Resource Management, heute allgemeiner Crew oder sogar Company Resource Management) bekannt geworden sind (Helmreich/Merritt/Wilhelm, 1999). Diese Trainings arbeiten natürlich mit theoretischen Inputs, basieren aber ganz wesentlich auf gründlich ausgewerteten Übungen. Dazu werden, wo verfügbar, Simulatoren genutzt, häufig aber auch andere komplexe 141

Teamaufgaben (Strohschneider/Gerdes 2004; Strohschneider 2008, in Druck). Evaluationsstudien bestätigen das enorme Potential dieser Methodik (Edkins 2002; Salas/Wilson/Burke/Wightman 2006). Interkulturelle Lernziele nehmen in diesen Trainings einen zunehmend bedeutsamen Raum ein (z.B. ISS Mission Operations Directorate, 2008), was als abschließendes Argument dafür gewertet werden mag, dem Human Factors-Ansatz auch von Seiten der Interkulturellen Kommunikation verstärkte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

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144

Virtuelle Teams: Die Rolle der Führung Petra Köppel

1 Internationale Zusammenarbeit über kulturelle und geographische Grenzen hinweg Die Wertschöpfungsketten der Firmen sind international aufgestellt, vom Einkauf über Entwicklung und Produktion bis zum Vertrieb. Über outsourcing und offshoring werden eigene Standorte in anderen Ländern aufgebaut und Kooperationen mit externen Firmen aufgenommen (Rathje 2008; Bleicher 2002; Herczeg et al. 2000). Führungskräfte haben diese internationale Zusammenarbeit zu steuern. Für funktionale Aufgaben in der Forschung Produktentwicklung, Vertrieb etc. werden aus Kostengründen und zur Zusammenführung globaler Expertise Mitarbeiter aus dem globalen Pool ausgewählt (Konradt/Köppel 2008/Kirkman et al. 2004). Zunehmend wird dabei auf kostspielige und aufwändige Auslandsentsendungen verzichtet und den Beteiligten eine virtuelle Zusammenarbeit an ihren jeweiligen Standorten ermöglicht (Picot et al.2003; Block 2000). Damit finden Kommunikation und Zusammenarbeit über Telekommunikationsmedien und computergestützte Instrumente statt. Diese neue Technologie ersetzt zwar meist nicht komplett, aber im hohen Grade den physischen Austausch (Hertel et al.2005; Griffith/Neale 2001). Es entstehen virtuelle Teams, d.h. Gruppen mit einer unterschiedlichen, aber überschaubaren Anzahl an Mitgliedern, die gemeinsam eine Aufgabe im Unternehmen bearbeiten, ohne jedoch an einem gemeinsamen Standort lokalisiert zu sein (Köppel 2007). Dass die Technik das problemlos ermöglicht, ist ein fester Glaube von Managern und Technikern. Hingegen zeigt die Erfahrung, dass für eine erfolgreiche Kooperation und Aufgabenbewältigung das menschliche Miteinander eine zentrale Rolle spielt (Köppel 2007). Die Reduktion der Mitarbeiterkommunikation auf einen rein sachbezogenen Austausch übersieht, dass die Sachkommunikation untrennbar mit der personenbezogenen Kommunikation verbunden ist und eine stabile persönliche Beziehung als Vertrauensgrundlage benötigt (Kandola 2006). Die neuen Anforderungen betreffen am stärksten die Teamleiter der virtuellen Projekte: Vertraut und erfolgreich mit den gängigen Methoden der Führung, werden ihnen virtuelle Arbeitsgruppen übertragen, in denen sie jedoch bald realisieren, dass Anweisung, Kontrolle und disziplinarische Macht nicht mehr funktionieren. Führung wird hier verstanden als „die Beeinflussung der Einstellungen und des Verhaltens von Einzelpersonen sowie der Interaktionen in und zwischen Gruppen, mit dem Zweck, bestimmte Ziele zu erreichen“ (Staehle 1994: 308). Führungskräfte in virtuellen Teams müssen einen neuen Führungsstil erlernen – entweder durch schmerzvolle Erfahrung oder, sinnvoller und effektiver, durch explizite Vorbereitung in der Führungskräfte145

entwicklung. Im neuen Führungsverständnis ist ein breites Repertoire an Verhaltensweisen, insbesondere kultureller Art, anzulegen, das der hohen Flexibilität und Internationalität des Umfelds Rechnung trägt. Der Notwendigkeit dieser Transformation sind sich die meisten Entscheidungsträger noch nicht bewusst. Sie führen relativ naiv virtuelle Teams ein, ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Dann leiden virtuelle Teams unter hoher Ineffektivität und müssen entweder aufgelöst, an einen Standort zusammengezogen oder doch im Nachhinein mit grundsätzlich neuen Möglichkeiten ausgestattet werden. Um diese kostspieligen Verluste zu vermeiden, werden hier Vorschläge unterbreitet, wie die Rolle der Führung und ihre Instrumente verändert werden können.

2 Die Methodik Die vorliegenden Daten entstammen einer qualitativen Studie, welche die Effektivität von Gruppen und die hierfür notwendigen Bedingungen erfasst (ausführlicher Köppel 2007). Sie fand in realen Arbeitsgruppen und Unternehmen statt und liefert damit einen entscheidenden Erkenntnisfortschritt gegenüber bisherigen Untersuchungen, die größtenteils als Laborexperimente oder mit Hilfe von temporären Studentengruppen durchgeführt wurden. Methodologische Basis sind die grounded theory (vgl. Glaser/Strauss 1967; Strauss/Corbin 1998) und die qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 1997). Leitfadeninterviews ermöglichten die Verknüpfung von Theorie geleitetem Vorwissen und empirischer Exploration. Dabei wurden 31 Gruppenleiter und Mitarbeiter aus 34 multikulturellen Arbeitsgruppen in ABB, Infineon Technologies, Siemens, Bosch, SAP und einem anonymen Unternehmen befragt. Es wurden 13 face-toface Teams und 21 virtuelle Teams abgedeckt.

3 Das Modell multikultureller Teams: MIPO-Modell Drei Elemente beschreiben Gruppen in ihrer Wirkungsweise: Extern vorgegebene Strukturen (Inputfaktoren), die in der Gruppe ablaufenden Interaktionen (Prozessfaktoren) und das Resultat in Form von Gruppeneffektivität (Outputfaktor). Zur Erfassung des komplexen Zusammenspiels dieser Faktoren bieten sich Systemansätze an, die eine Arbeitsgruppe als soziales System begreifen (vgl. Simon 2002). Dabei gelten die Faktoren aus der Umwelt als unabhängige Faktoren, welche die Interaktion maßgeblich beeinflussen. Die Interaktion umfasst die Prozesse der Kommunikation, Führung und Teamentwicklung. Umso erfolgreicher die Führungskraft und die Mitglieder interagieren, desto effektiver ist die Gruppe. Die Effektivität bezeichnet dabei sowohl die objektive Leistung als auch die subjektive Mitarbeiterzufriedenheit. In der Kleingruppenforschung wurden bereits Input-Prozess-Output-Modelle erstellt, die als Grundlage dienen (McGrath 1964; Hackman 1987; Gladstein 1984; Salas et al. 1992), um den Einfluss der multikulturellen und virtuellen Konstellation zu integrieren. 146

Um die Wirkungen von Kultur und virtueller Kooperation auf die Effektivität zu erfassen, wird die Formel von Steiner hinzugenommen (1972), die bereits Adler (2002) auf multikulturelle Gruppen anwandte. Sie besagt, dass sich die tatsächliche Effektivität einer Gruppe aus ihrem Potenzial abzüglich der Konflikte zuzüglich der Synergien ergibt: Gruppeneffektivität = Potenzial – Konflikte + Synergien Die dynamische Interaktion wird unter dem Begriff Teamentwicklung gefasst. Tuckman (1965) spricht hier von vier Phasen: 1.

der forming-Phase, in der die Individuen zu einem Team zusammengeführt werden.

2.

der storming-Phase, die von Konflikten geprägt ist, die auf Grund ungeklärter Prozesse, Rollen-, Macht- und Statusfragen aufbrechen.

3.

der norming-Phase, in der Ziel-, Rollen-, Macht- und Statusfragen geklärt und gemeinsame Regeln ausgehandelt werden.

4.

der performing-Phase, in der nach der erfolgreichen Schaffung einer gemeinsamen Basis und eines Wirgefühls die Aufgabenerledigung im Vordergrund steht.

Dabei verlaufen die Phasen nicht unbedingt vollständig und linear. Manche Gruppen scheitern im storming, manche Phasen wiederholen sich. Die Bausteine Input-Prozess-Output-Schema, Konflikte und Synergien als Effektivitätskriterien und Teamdynamik bilden den Rahmen für das multikulturelle InputProzess-Output Modell (MIPO-Modell). Abbildung 1 veranschaulicht die Logik des MIPO-Modells in seiner statischen Form.

Abbildung 1: Die Logik des MIPO-Modells

147

4 Typische Konflikte und Synergien in virtuellen Teams 4.1

Synergien als unterschätztes Potenzial

Eine Synergie ist das Zusammenwirken verschiedener interdependenter Komponenten, bei dem die daraus entstehende Gesamtwirkung entweder quantitativ höher oder qualitativ anders ist, die bloße Addition der Teilwirkungen (Rodermann 1999). Eine interkulturelle Synergie entsteht durch das Zusammenspiel von kulturspezifischen Einstellungen, Werten, Denk- und Verhaltensstilen, die sich gegenseitig anregen und zu einem besseren Ergebnis führen als in homogenen Gruppen (Zeutschel 1999). Interkulturelle Synergien zeigen sich in fünf Feldern (vgl. Köppel 2007): 1.

Ein erhöhter Pool an Ressourcen (Arbeitsweisen, Kenntnisse, Erfahrungen, etc.) kann für eine kulturspezifische Arbeitsteilung eingesetzt werden.

2.

Der Austausch verschiedener Perspektiven und Kenntnisse bewirkt Kreativität in Problemlöseprozessen wie z.B. der Forschung und Entwicklung.

3.

Unterschiedliche Partner lernen voneinander. Das ist insbesondere bei unternehmens-, funktions- und kulturübergreifenden Teams der Fall.

4.

Die Mitglieder erwerben über das gemeinsame Arbeiten interkulturelle Kompetenzen, die sie auch über ihre konkreten Aufgaben hinaus einsetzen können.

5.

International besetzte Teams sind glaubhafter im internationalen Geschäft und können durch Mitglieder aus den Zielländern Geschäftspartnern und Kunden besser bedienen.

Virtuelle Synergien werden durch die Zusammenarbeit an verschiedenen Standorten und durch die Nutzung von Medien hervorgebracht. Virtuelle Teams zeigen ihre besonderen Synergien darin, dass durch den Einbezug von Mitarbeitern aus Niedriglohnländern Kosten gespart und Experten weltweit ohne kostspielige Transfers oder Dienstreisen für eine Aufgabe temporär und flexibel zusammengeführt werden können. Die lokal angesiedelten Mitglieder können zudem durch ihre Präsenz die dortigen Prozesse begleiten und beschleunigen (vgl. Köppel 2007). Synergien erhöhen die Effektivität. Sie treten jedoch nicht automatisch ein, sondern bedürfen einer gezielten Förderung – insbesondere durch die Führung, wie in späteren Abschnitten erläutert werden soll. Darüber hinaus müssen zunächst bestimmte Voraussetzungen auch außerhalb der Teams geschaffen werden. Dazu gehören auf organisationaler Ebene der konstruktive Umgang mit Vielfalt und Wertschätzung sowie die Einführung einer angemessenen technologischen Infrastruktur und Geschäftsprozessen. Auf individueller Ebene müssen sowohl Lernbereitschaft und Anerkennung von kulturellen Unterschieden als auch ausreichende Medienkompetenz und Bereitschaft zur Selbstführung vorhanden sein. Weil diese Voraussetzungen jedoch häufig fehlen, entstehen Konflikte.

148

4.2

Konflikte als unvermeidliche Hürden

Ein Konflikt ist „eine Interaktion zwischen Akteuren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Akteur Unvereinbarkeiten im Denken /Vorstellen /Wahrnehmen und /oder Fühlen und /oder Wollen mit dem andern Akteur (anderen Akteuren) in der Art erlebt, dass im Realisieren eine Beeinträchtigung durch einen anderen Akteur (die anderen Akteuren) erfolge“ (Glasl 2002: 14). Interkulturelle Konflikte haben ihre Ursache in der wahrgenommenen Unvereinbarkeit von kulturellen Unterschieden. Virtuelle Konflikte treten auf, wenn die physische Co-Präsenz fehlt. Auch traditionelle Teams müssen sich bestimmten Konflikten stellen, wie Interessens-, Rollen-, Macht- und Statuskonflikten, Kommunikationsfehlern oder unklaren Prozessen. Diese werden in multikulturellen virtuellen Teams aber noch potenziert. Die gängigen interkulturellen Konflikte in Arbeitsgruppen sind dieselben wie in allen interkulturellen Situationen: 1. Missverständnisse, 2. Ethnozentrismus und 3. Stereotype. Eine detaillierte Analyse gibt Köppel (2007), hier nur eine kurze Zusammenfassung: Die unzähligen, aus Praxis und Literatur bekannten interkulturellen Missverständnisse lassen sich in folgende Komponenten untergliedern: An erster Stelle treten En- bzw. Kodierungsfehler auf: Ein Kollege intendiert mit seiner Handlung ein Ziel, das der Partner jedoch aufgrund der Entschlüsselung mit seinem eigenen kulturellen Code nicht richtig interpretiert und zwangsläufig falsch oder gar nicht versteht (Porter/Samovar 1991). Zusätzlich haben die Kollegen aus den verschiedenen kulturellen Räumen unterschiedliche Erwartungen an Führung, Teamarbeit und Arbeitsweisen und verhalten sich entsprechend anders. Das Verhalten wird insbesondere dann als Verletzung wahrgenommen und negativ bewertet, wenn die Abweichung von Mitgliedern gezeigt wird, die nicht der ingroup, also der eigenen kulturellen Gruppe angehören (Burgoon 1995). Zusätzlich ist sich der Akteur des kulturellen Einflusses nicht bewusst: Kulturelle Andersartigkeit wird stattdessen als persönliche Inkompetenz, Nachlässigkeit oder gar Böswilligkeit wahrgenommen – Pettigrew (1979) nennt das den ultimativen Attributionsfehler. Grundsätzlich neigt jeder Mensch dazu, eine andersartige Verhaltens- und Arbeitsweise als weniger angemessen als die eigene zu beurteilen (Holzmüller/Berg 2002). Aufgrund eines natürlichen Ethnozentrismus gehen Menschen davon aus, dass ihre eigene Weise die richtige ist. In Arbeitsgruppen ist daher häufig zu beobachten, dass der Teamleiter oder bestimmte Mitglieder versuchen, ihre Ansichten mit Macht durchzudrücken. Darüber hinaus folgen Menschen im Allgemeinen vorgefertigten Bildern von den Angehörigen anderer Kulturen (Stereotype, siehe Gudykunst/Kim 1992), die durch besagten Ethnozentrismus meist eher negativ geprägt sind. Werden diese Stereotype in die Zusammenarbeit getragen, können sie schwerlich zugunsten eines neutralen oder positiven Bilds aufgelöst werden, was für eine konstruktive Kooperation nötig wäre. 149

Abbildung 2: Virtuelle Konflikte

Wie Abbildung 2 zeigt, besteht der zentrale Konfliktherd in virtuellen Teams darin, dass zwar technisch die Möglichkeit zum Austausch gegeben, die Kommunikation aber unzureichend und fehlerhaft ist (DeSanctis/Monge 1998, Hightower/Sayeed 1996). Dies hat einfache strukturelle Ursachen wie unterschiedliche Zeitzonen oder technische Defekte, die zu Verzögerung oder Unerreichbarkeit führen (Klein/Kleinhanns 2003). Nicht zu vergessen sind der relative Mehraufwand bei der Nutzung von E-mail oder Groupware im Vergleich zu einem unmittelbaren Gespräch und Sprachdefizite in der gemeinsamen Sprache, meist Englisch. Beides lässt manch einen Mitarbeiter davor zurückschrecken, überhaupt in Kontakt mit seinem ausländischen Partner zu treten. Außerdem gibt die elektronische oder fremdsprachliche Kommunikation oft Anlass für Missverständnisse (Köppel 2007). Eine noch wichtigere, aber selten von den Systemarchitekten erkannte Quelle von Missverständnissen ist der Mangel an Informationen zur Person oder zum Arbeitsumfeld des Kollegen. Mitarbeiter geben Kontextwissen in Telefonkonferenzen, E-mails oder Software absichtlich (weil zu persönlich oder heikel) oder unabsichtlich (weil unbewusst verankert oder nur visuell erfahrbar) nicht weiter (vgl. auch lack of social context cues hypotheses von Sproull/Kiesler 1986). Wenn sie sich noch nie gesehen 150

haben, fehlen ihnen die Grundlagen, um sich voneinander ein Bild zu machen. Dieses Bild bezieht sich nicht nur auf das Aussehen, sondern auch auf Kenntnisse zu Arbeitsweise, Fachkenntnissen und kulturellem Hintergrund – Informationen, die absolut entscheidend sind für die Arbeitsorganisation und den Aufbau von Vertrauen (Köppel 2007). Das hat Missverständnisse, Fehlarbeiten, Redundanzen zur Folge und verlangt einen besonderen Klärungsaufwand – alles Aspekte, die die Aufgabenerledigung erschweren, verzögern und häufig qualitativ beeinträchtigen. Ganz abgesehen davon, dass Mitarbeiter ab einem gewissen Konfliktgrad frustrieren und ihr Commitment zu Aufgabe und Team verringern. Teameffektivität sinkt also. Unter diesen Umständen ist zudem der Aufbau von Vertrauen vehement gestört (vgl. Blackburn et al.2003; Kirkman et al. 2002; Lipnack/Stamps 1998) und Mitarbeitern in einem virtuellen Teams fällt es schwer, ein Wirgefühl zu entwickeln: Sie kennen sich nicht, sie haben keinen persönlichen Bezug zueinander, und es fehlen ihnen die üblichen Aktivitäten der Teamentwicklung, wie konstituierende Treffen (die Kosten für ein gemeinsames kick-off werden selten getragen), klärende Gespräche mit allen Beteiligten über Ziele, Prozesse und Rollen (Telefonkonferenzen eignen sich für diesen langen und intensiven Austausch kaum) und gemeinsames Arbeiten, in denen sich manches implizit regelt, da man sich beobachtet oder unmittelbar nachfragt (in diesem unsicheren Stadium greifen Mitarbeiter nicht zum Telefonhörer). Virtuelle Kollegen bauen in Folge keinen gemeinsamen Bezug und kein geteiltes Verständnis auf. Das wäre aber umso notwendiger, da die Mitglieder in virtuellen Teams paradoxerweise weit mehr Unterschiede aufweisen als face-to-face: Sie arbeiten an verschiedenen Standorten, in unterschiedlichen Unternehmenseinheiten, -abteilungen und -funktionen und nicht zuletzt in unterschiedlichen kulturellen Umfeldern. Außerdem verfolgen Unternehmenseinheiten eigene Interessen, und Mitarbeiter aus Deutschland hegen Arbeitsplatzängste und daher Ablehnung beim Einbezug von Kollegen aus Niedriglohnländern. Zusammengenommen führen diese Faktoren eher zu einer Aufspaltung in Subgruppen und einem Gegeneinander als zu einem Miteinander (Polzer et al. 2006). Die Führung muss mit schwierigsten Umständen zurechtkommen: Ihr obliegt die äußerst intensive und aufwändige Koordination, gemeinsame Prozesse aufzusetzen, sämtliche Beteiligten ausreichend zu informieren und selbst alle relevanten Informationen über das Geschehen an den Standorten einzuholen. Zu leicht entgehen dem Gruppenleiter entscheidende Aspekte. Ständig ist er mit der Klärung von Konflikten beschäftigt, die sehr schnell eskalieren können. Kleinteilige Aufgabenzuweisung und Kontrolle ist ihm gar nicht möglich. Eigentlich müsste er sich in dieser Lage auf seine Mitarbeiter ganz besonders verlassen können. Doch gerade das dafür notwendige Vertrauen fehlt. Das ist ein Dilemma, aus dem er sich nur befreien kann, wenn er seine Mitarbeiter zum Aufbau von Eigenständigkeit und Verantwortung anleitet, sich selbst von der Rolle des Anweisers verabschiedet und diese Form des empowerments auch trotz der unterschiedlichen Erwartungen an Führung seiner kulturell diversen Mitarbeiter aufbaut. Leider scheitern viele Führungskräfte an dieser Herausforderung.

151

5 Die aktuelle Ineffektivität virtueller Teams Die negativen Folgen für die Gruppeneffektivität liegen auf der Hand: Mangelnde Kommunikation, mangelnde Teamentwicklung und mangelnde Führung stören die Aufgabenerledigung einerseits und belasten alle Beteiligten andererseits. Sieht man die virtuellen Schwierigkeiten nun in Zusammenhang mit den interkulturellen Aspekten, wird deutlich, dass die virtuellen Konflikte die interkulturellen verstärken (ausführlicher Köppel 2007): In multikulturellen Teams besteht ein hoher verbaler und nonverbaler Kommunikationsbedarf. Die Mitarbeiter wollen gemeinsam arbeiten und sich gegenseitig wahrnehmen, um sich kennenzulernen, Gemeinsamkeiten zu entdecken, Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen und ein Teamgefühl zu entwickeln. Diese Möglichkeiten fehlen zumindest teilweise, wenn die Arbeitsgruppe zur Kommunikation über Medien gezwungen ist. Der Entdeckung kultureller Unterschiede kommt kein Raum zu, so dass sie zwar vorhanden sind und latent auf die Arbeits- und Kommunikationsweisen wirken, aber nicht bewusst und offen angepackt werden können. So erhöhen sich Missverständnisse und falsche Beschuldigungen; die ohnehin erschwerte Kommunikation wird noch ineffektiver und die Mitgliedern sind der Möglichkeit der Klärung beraubt: Kein unmittelbares Nachhaken bei asynchronen und erhöhter Aufwand bei textbasierten Medien, keine informellen Gespräche zur Bereinigung von Unklarheiten, keine Besprechung von kritischen Themen, bevor sie zu Konflikten eskalieren. Erschwerend kommt hinzu, dass eine wichtige Komponente von Vertrauen die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe ist. Die eigene Gruppe (ingroup) definiert sich durch das saliente Merkmal Kultur. Sind die Gruppen an verschiedenen internationalen Standorten verteilt, wird die Nationalkultur als Differenzkriterium konstruiert – auch ohne dass die Teammitglieder genauere Informationen zu tatsächlichen Unterschieden haben. Teamkohäsion, die Einigung auf ein gemeinsames Ziel und die gemeinsame Bearbeitung der Aufgabe werden damit hochgradig erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Interkulturelle Synergien, die auf engem Kontakt basieren (also insbesondere interkulturelles Lernen und Kreativität), können unter diesen Umständen kaum entstehen, weil keine Möglichkeiten für einen informellen Austausch und den Aufbau von Vertrauen gegeben sind. Kulturspezifische Arbeitsteilung kann nur realisiert werden, wenn die kulturellen Unterschiede von den Beteiligten identifiziert worden sind – was eben im virtuellen Umfeld häufig nicht der Fall ist. Die einzige verbleibende Synergie ist die Kundenorientierung durch die Mitarbeiter aus der Zielkultur und die Außenwirkung hinsichtlich der Internationalität. Letztere werden als einzige Synergieformen verstärkt, da die Teammitglieder vor Ort sind und dem Kunden unmittelbar dienen (Kundenorientierung) bzw. den externen Partnern zeigen können, dass lokale Mitarbeiter in dieser Firma wertgeschätzt werden (Internationalität). Beim Einbezug der zeitlichen Komponente ist festzustellen (vgl. Abbildung 3), dass Synergien den Konflikten zeitlich nachgelagert sind:

152

In der Tuckmanschen storming und norming-Phase lernen sich die Teammitglieder kennen, d.h. sie nehmen die Persönlichkeit und die Arbeitsweise ihrer Kollegen wahr, entdecken Gemeinsamkeiten wie Unterschiede und handeln Teamregeln und -verfahrensweisen aus, implizit oder explizit. In einem multikulturellen Team ist die Bandbreite unbekannter Denk- und Verhaltensweisen persönlicher und beruflicher Art noch größer. Dieser Prozess ist kulturspezifisch geprägt: Mitarbeiter unterschiedlicher Kulturen gehen anders aufeinander zu, brauchen andere Informationen, um sich einschätzen zu können, streben nach mehr oder weniger persönlicher Beziehung und haben grundsätzlich andere Vorstellungen von Team und Teamarbeit. Gerade dann, wenn kulturelle Unterschiede noch nicht als Phänomen bewusst oder auch nur die jeweiligen Kulturen in ihren Erscheinungsformen unbekannt sind, besteht erhöhte Gefahr von interkulturellen Konflikten. Das (latente oder offene) Konfliktniveau ist in der storming-Phase bei multikulturellen Arbeitsgruppen also höher; sie benötigen noch mehr kognitive und zeitliche Ressourcen zur Lösung als ein traditionelles Team. Der Aushandlungsprozess kann positiv verlaufen, so dass sich eine gemeinsame Basis etabliert, in der die grundlegenden Gruppenprozesse so angelegt sind, dass sie eine effektive Kooperation in Zukunft ermöglichen. Der zeitliche Anteil, in dem es zur Entstehung von gemeinsamen Regeln kommt, die den Ausbruch von Konflikten eindämmen, entspricht der norming-Phase. Wenn sich die Gruppe nicht mit ihren kulturellen Unterschieden arrangieren kann, fehlt norming und die Gruppe bleibt ineffektiv. Wenn dann die Konflikte eskalieren, scheitert das Team. Interkulturelle Synergien entstehen dann, wenn kulturelle Unterschiede verstanden, akzeptiert und Wert geschätzt werden – was erst nach der Phase des Erkennens und Kennenlernens passieren kann. Der interkulturelle Lernprozess setzt in Momenten der Auseinandersetzung mit den anderen und sich selbst ein. Im zeitlichen Verlauf treten interkulturelle Synergien also im fortgeschrittenen Stadium des stormings auf und kommen richtig zur Geltung, wenn Verständnisschwierigkeiten weitgehend beseitigt worden und vor allem keine bedeutsamen ethnozentrischen Tendenzen mehr vorhanden sind, also im norming. In der letzten Stufe des Teamentwicklungsprozesses (performing) widmen die Mitglieder ihre Ressourcen hauptsächlich der Aufgabenerfüllung. Hier sind die Teamprozesse insoweit verstanden, dass kein größerer bzw. ständiger Klärungsbedarf mehr besteht. Das Konfliktniveau sinkt auf ein irrelevantes Maß. Das heißt, nur wenn die Teammitglieder sowohl interkulturelle als auch virtuelle Konflikte in den Griff bekommen, können Synergien entstehen – und dann sind multikulturelle Teams effektiver als homogene. Das ist jedoch der Idealfall, den die Teamführung nur durch die Schaffung der notwendigen Bedingungen erreichen kann (siehe Kapitel 7). Der Graphik in der Abbildung 3 liegt ein Vergleich eines multikulturellen Teams mit einer homogenen Arbeitsgruppe zugrunde. Auch das homogene Team durchläuft eine storming-Phase, aber nicht so ausgeprägt wie das multikulturelle Team, und ist mit der x-Achse gleichzusetzen. Es gilt Steiners Definition der Gruppeneffektivität als Diffe153

renz zwischen Konflikten und Synergien, und man erkennt, dass in der performingPhase multikulturelle Teams homogene übertreffen.

Abbildung 3: Die Dynamik im MIPO-Modell – face-to-face Teams

Die bisherigen Ausführungen zur Teamentwicklung betreffen face-to-face Teams. Virtuelle Teams weisen einen anderen Verlauf und ein anderes Konflikt- bzw. Synergieniveau auf: Virtuelle Konflikte sind enorm und fallen mehr ins Gewicht als interkulturelle Konflikte, die durch die mangelnde Sichtbarkeit nur mehr latent wirken. Das Team lernt zwar mit der Zeit, mit Medien umzugehen und verbessert seine Kommunikation, so dass in bescheidenem Maß der Teamentwicklungsprozess aufgenommen werden kann. Doch die mediale Kommunikation ermöglicht nur einen geringen Aufbau einer gemeinsamen Kooperationsbasis. Daher stellen Kommunikationsprobleme, Vertrauens- und Identifikationsmangel sowie Führung auf Distanz anhaltende Schwierigkeiten dar – der Graph in Abbildung 4 bleibt auf hohem Niveau.

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Abbildung 4: Die Dynamik im MIPO-Modell – virtuelle Teams

Abgesehen von der Marktnähe gibt es keine nennenswerten virtuellen Synergien. Interkulturelle Synergie wie die kulturspezifische Arbeitseilung ist möglich. Die Graphik veranschaulicht jedoch, dass durch den gestörten Teamentwicklungsprozess die storming- und norming-Phasen sehr lang anhalten (empirisch auch belegt bei JoyMatthews/Gladstone 2000; Herczeg et al. 2000) und vielleicht zu gar keinem Ende kommen, wenn kein funktionsfähiges soziales System aufgebaut wird. Ob eine performing-Phase eintritt, in der virtuelle Arbeitsgruppen eine ähnlich hohe Effektivität wie face-to-face Teams aufweisen, ist fraglich. Vielmehr ist von einer Eskalation auszugehen, welche die Effektivität noch stärker reduziert. In der Studie von Köppel (2007) beurteilten die Gruppenleiter von 21 virtuellen Teams nur 9 Teams als sehr gut oder gut, 11 Teams aber als durchschnittlich oder schlecht. Hingegen sind von 13 faceto-face Teams 10 von ihren Vorgesetzten als sehr gut oder gut eingeschätzt worden und nur 3 als durchschnittlich oder schlecht.

6 Die neue Rolle der Führung „How do you manage people whom you do not see! The simple answer is, by trusting them.“ (Handy 1995 : 40) Drei grundlegende Führungsfunktionen sind für den Teamleiter zu unterscheiden (Bell/Kozlowski 2002; Köppel 2007): 155

1.

Koordination: Als die wichtigste Aufgabe der Führungskraft in einer Problemlösungsaufgabe umfasst sie sowohl die Zielsetzung als auch die Planung und Aufgabenverteilung. Dem Teamleiter obliegen im weiteren Verlauf die zeitliche und inhaltliche Steuerung sowie die Abstimmung zwischen den Mitgliedern.

2.

Kontrolle: Zur Überprüfung des Leistungsstandes muss der Gruppenleiter die Aktionen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter begleiten und kontrollieren, damit er den Fortschritt in der Aufgabenerfüllung gewährleisten kann. Er muss Probleme identifizieren und für deren Lösung sorgen.

3.

Teamentwicklung: Aus unabhängigen Individuen hat die Führungskraft eine gut integrierte Arbeitseinheit zu formen und dafür zu sorgen, dass sich die Mitglieder dem Team verbunden fühlen (ein „Wir-Gefühl“ aufbauen) und sich der gemeinsamen Aufgabe verpflichten (commitment).

Meist sind virtuelle Teams als Projekt aufgesetzt und Ausdruck matrixartiger Organisation, in welcher der Teamleiter keine disziplinarische Macht besitzt. Zudem funktionieren die Instrumente der direkten Anweisung und Kontrolle über die geographische Distanz nicht. Dieses Dilemma muss in einem neuen Führungsverständnis gelöst werden, das die Gewichtung der Führungsfunktionen verschiebt, sie z. T. an das Team überträgt und neue Instrumente vorsieht. Folgende Empfehlungen ergeben sich aus der Studie von Köppel (2007): Die Rolle von Koordination wächst. Das bedingen zunächst die geographische Distanz und der Einsatz der Medien. Zudem erfordert das Management von (kultureller) Diversität zusätzliche Kapazitäten, damit Konflikte vermieden oder zumindest zielführend gehandhabt werden und Synergien entstehen können. Andererseits erhöht sich die Relevanz von Koordination, weil sie die Kontrolle ersetzt. Das bedeutet primär vermehrte Führung durch Ziele (Picot et al.2003): Verhaltensorientierte Führung muss durch ergebnisorientierte Führung ersetzt werden. Deshalb ist die anfängliche Definition und Abstimmung von Teamzielen noch wichtiger als bei einem traditionellen Team, denn deren Klärung wird während der Arbeit durch den medialen Kommunikationsaufwand zusätzlich erschwert (Scherm/Süß 1999). Die Erfüllung von Zielen sollte dadurch gestützt werden, dass von Anfang an klare Prozesse eingeführt werden, die als Handlungsrichtlinie für die verstreuten Mitglieder dienen. Nach Picot et al. ist die Führungskraft ein „Architekt“ für Prozesse (2003: 469). Mit diesem Substitut werden Teile der ehemals einzelnen Direktiven an die Mitarbeiter ersetzt. Gruppenregeln für die Wahl der Medien, Umgang mit Deadlines und Problemen sind aufzustellen. Aufgabe des Teamleiters ist, auf die Einhaltung der Prozesse zu achten, regelmäßig Feedback zu geben und für eine zeitliche Synchronisation der Aktivitäten zu sorgen (Kayworth/Leidner 2000; Montoya-Weiss et al.2001). Durch diese Regeln soll Selbststeuerung durch das Team zugelassen und ermöglicht werden. Das aber bedeutet eine neue Herausforderung an Kompetenzen und Führungsverständnis. Die Führungskraft muss einen Teil ihrer Verantwortung ihren Mitarbeitern überlassen: Ihr obliegt zwar die Initiative zur Koordination, doch kann sie nicht mehr selbst vollständig steuern, sondern ist hierbei auf den Einsatz ihrer Mitar156

beiter angewiesen. Der Teamleiter muss sich in der Rolle des Coachs finden, der berät, unterstützt und alle Mitglieder regelmäßig und ausreichend informiert (Kayworth/Leidner 2000). Die Führungskräfte aus der Studie von Köppel (2007) nennen dies „partnerschaftliche“ oder „lose“ Führung. Grundlage dieses Führungskonzepts ist Vertrauen, wie es Handy im Eingangszitat dieses Kapitels empfiehlt: Die Führungskraft muss darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter die Aufgaben in ihrem Sinne behandeln und ihre Teilaufgaben erwartungsgemäß erfüllen. Dass dies kulturgeprägten Annahmen über gute Führung entspringt, wird in Kapitel 8 kritisch diskutiert. Wenngleich die zweite Führungsfunktion, die Kontrolle, in virtuellen Arbeitsgruppen teilweise durch Koordination ersetzt wird, bleibt doch Input-basierte Kontrolle bestehen und wird ergänzt durch die Selbststeuerung der Mitarbeiter (Depickere 1999). Das heißt, dass die Führungskraft einerseits durch die Aufstellung von Prozessen die eigenständige Aufgabenbewältigung ermöglicht und anderseits über positive Arbeitserfahrung ein hohes affektives commitment bei den Teammitgliedern entwickelt (Meyer et al. 2002). Die Übertragung von Verantwortung an das Team wird auch als team empowerment bezeichnet, indem der Gruppenleiter den Mitarbeitern sowohl Vertrauen als auch Verantwortung überträgt. Die Mitglieder werden dadurch motiviert und in ihren Fähigkeiten bestärkt (Kirkman et al. 2004). Sie zeigen Eigeninitiative bei Planung, Ausführung, Leistungsüberwachung und Verbesserung. Eine besondere Herausforderung ist der Vertrauensvorschuss, den der Teamleiter gewähren muss – trotz mangelnder Bekanntschaft, geographischer Distanz und Zugehörigkeit zu verschiedenen Unternehmenseinheiten und Kulturen. Weil der aktiven Teamentwicklung in virtuellen Gruppen eine höhere Gewichtung zukommt als in face-to-face Konstellationen (Hinds/Weisband 2003; Nardi/Whittaker 2002; Griffith/Neale 2001; Kayworth/Leidner 2000), sollte der Teamleiter Raum für persönlichen Austausch bieten – sei es über Dienstreisen, gemeinsame Projekte oder Einbezug von small talk und privaten Themen in das Gespräch bei Video- und Telefonkonferenzen oder E-mails. Darüber hinaus ist ständige Motivation nötig, damit insbesondere isoliert arbeitende Mitglieder sich nicht abwenden. Die Führungskraft sollte sich also auch immer wieder explizit an den einzelnen Mitarbeiter wenden, um ihn zu informieren und einzubinden (Kirkman et al. 2004). Die drei Führungsfunktionen in virtuellen Teams sind somit: 1.

Prozessgestaltung

2.

Selbstführung

3.

Teamentwicklung

157

Abbildung 5: Die drei Führungsfunktionen in virtuellen Teams

7 Führungsinstrumente zur Steigerung der Effektivität virtueller Teams Bevor an die Gestaltung der Zusammenarbeit gedacht werden kann, sind zunächst die Voraussetzungen zu schaffen, die zu einer effektiven Zusammenarbeit im Team verhelfen. Daher sollten die Entscheidungsträger im Vorfeld der Teambildung folgende Punkte abwägen: 1.

Ist der Aufgabeninhalt für ein virtuelles multikulturelles Team geeignet? Dies trifft bei kreativen, internationalen und marktorientierten Aufgaben zu; hoch standardisierte Routineaufgaben eignen sich nicht.

2.

Erfordert die Aufgabe hohe Interdependenz? Wenn die Einzelaufgaben eng verzahnt sind und eine intensive Abstimmung zwischen den Beteiligten erfordern, ist von einem virtuellen Team aufgrund der Kommunikationsschwierigkeiten abzuraten.

3.

Welche Synergiepotenziale sind besonders relevant? Mit welchem Konfliktpotenzial ist zu rechnen? Anhand des MIPO-Modells können diese antizipiert und im Vorfeld unterstützt bzw. abgefangen werden. Vor allem sollten die Entscheidungsträger einen realistischen Zeitplan aufstellen, der die weniger effektive storming-Phase in der Meilensteinplanung berücksichtigt.

4.

Mit welchen Ressourcen sind die Teams zu versorgen? In das Budget sind neben der Ausstattung mit einer Bandbreite von Medien auf jeden Fall Dienstreisen und persönliche Treffen einzukalkulieren, um Teamentwicklung zu ermöglichen. Außerdem sind externe Unterstützung von Seiten der Personalabteilung oder Trainings auf Teamebene und für einzelne Mitarbeiter anzubieten – speziell zu Beginn, aber auch in den kritischen Teamphasen.

158

5.

Welcher Teamleiter und welche Teammitglieder eignen sich? Auf Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz (die nicht gleichzusetzen ist mit internationaler Erfahrung, die sich auch negativ manifestieren kann) ist generell zu achten. Die Führungskraft tut sich umso leichter, desto moderner ihr Führungsverständnis im obigen Sinne ist.

6.

Wie sollten die Teammitglieder kulturell zusammengesetzt sein? Sicherlich sollten bei einer marktorientierten Aufgabe Personen aus dem Zielmarkt vertreten sein. Darüber hinaus ist weniger darauf zu achten, dass aus speziellen Kulturen Mitglieder vertreten sind, sondern dass eine gleichmäßige Verteilung vorliegt: Weder sollten eine Mehrheit oder die Stammhausmitglieder dominieren noch sollte ein bipolares Team (mit zwei gleichgroßen kulturellen Subgruppen) geschaffen werden.

Unter diesen förderlichen Rahmenbedingungen kann nun der Gruppenleiter einiges tun, um die Effektivität seines Teams zu steigern.1 Als erstes hat er dafür zu sorgen, dass die Teamprozesse klar definiert und aufgesetzt werden. Dies betrifft die Führungsfunktion Prozessgestaltung. Folgende Instrumente unterstützen ihn dabei:

1

1.

Zielvorgabe: Mit den Auftraggebern ist zu klären, welche Erwartungen an das Gruppenergebnis gestellt werden. Dabei sind die Outputs und Termine möglichst genau zu spezifizieren.

2.

Planungsinitiative: Zwar obliegt der Führungskraft die Prozessgestaltung, doch bedeutet dies eher, initiativ zu wirken als tatsächlich alle Entscheidungen vorzugeben. Schließlich liegt die Sachkompetenz für die Aufgaben bei den Experten, d.h. den Teammitgliedern, und nur eine gemeinsame Abstimmung bewirkt das notwendige commitment bei den Mitgliedern. Deshalb sollte die externe Zielvorgabe auch mit den Mitgliedern geteilt und unter Einbezug der verschiedenen Interessen und Kenntnisse operationalisiert werden, welche die Entsandten der verschiedenen Unternehmensbereiche mitbringen.

3.

Kick-off: Die Notwendigkeit, zu Beginn Ziele, Aufgaben, Rollen und Meilensteine zu klären, besteht für virtuelle Teams in erhöhtem Maße. Zu häufig wird auf ein erstes gemeinsames Treffen aller Teammitglieder verzichtet, weil die aufwändige Logistik und die hohen Kosten gescheut werden. Praxis und Forschung sind sich jedoch einig, dass dies auf keinen Fall geschehen sollte (Köppel 2007; Hertel et al. 2005; Crowston et al. 2005). Neben den prozessualen Aspekten bietet es den Kollegen eine der wenigen Möglichkeiten, sich persönlich kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen und zu beginnen, sich als Team zu fühlen. Ein kick-off Treffen hat eine nicht zu unterschätzende Symbolkraft und wirkt weit in die zukünftige Zusammenarbeit hinein.

4.

Regeln: Regeln zur Zusammenarbeit und zum Austausch sollten im kick-off vereinbart werden. Die Beteiligten sollten definieren, welche (kulturellen) Unter-

Weitere Empfehlungen zur erfolgreichen Gestaltung von virtuellen Teams geben Konradt/Köppel (2008).

159

schiede sie konstruktiv für die Aufgabenerledigung nutzen können (z.B. spezielle Arbeitsweisen, Netzwerke, Kompetenzen) und welche Gemeinsamkeiten sie insbesondere zur Regelung der Kooperation benötigen. So sollten sie u.a. abstimmen, welche Medien für welche Information genutzt werden, in welchen Intervallen über welches Thema kommuniziert wird und welche Schritte bei Unklarheiten zu unternehmen sind. 5.

Prozessüberwachung: Die Planungsergebnisse und Regeln sind zu dokumentieren. Der Führungskraft obliegt es im weiteren Verlauf, darauf zu achten, dass sie selbst und die Teammitglieder die Regeln einhalten. Manche Schritte brauchen eine weitere Spezifikation oder Anpassung an veränderte Umstände. Auch hier sollte der Teamleiter von zentralen Vorgaben absehen und die jeweiligen Verantwortlichen im Team dazu auffordern, Vorschläge zu unterbreiten und umzusetzen. Wenn Teammitglieder vom Plan oder der Regel abweichen, muss die Führungskraft im jeweiligen Einzelfall die Hintergründe eruieren und den Betreffenden wieder integrieren. Der Teamleiter kann nur über Motivation das Teammitglied zur Erledigung seiner Aufgaben bringen; Machtausübung ohne disziplinarische Befugnis würde zu Rückzug des Mitarbeiters führen.

6.

Regelmäßiger Austausch: Weil die Kommunikation die entscheidende Schwachstelle virtueller Teams ist, sollte der Gruppenleiter Austauschmöglichkeiten zeitlich und medial genau benennen und eröffnen, sowohl zur weiteren Prozessgestaltung und zum inhaltlichen Austausch als auch zur informellen Beziehungspflege. Bilaterale Telefongespräche mit den einzelnen Teammitgliedern so häufig wie möglich, wöchentliche Telefon- oder Videokonferenzen für das Gesamtteam und face-to-face Treffen zu bestimmten Meilensteinen sind die wesentlichen Elemente.

Die Selbstführung der Mitarbeiter ist hier bereits angelegt. Die Prozesse geben ihnen die Grundlage für ein eigenständiges und doch kooperatives Arbeiten. Zur Vermittlung der dafür notwendigen Kompetenzen kann der Teamleiter folgendermaßen aktiv werden: 1.

Verantwortung: Durch die Zuweisung von Aufgaben und Rollen im Team sind möglichst klare Zuständigkeiten und Verantwortungen zu definieren. Der Teamleiter sollte nachhalten, ob die Mitglieder sie ausreichend verstanden haben und im jeweiligen lokalen Umfeld einhalten können. Hierzu muss er sich mit den lokalen Verantwortlichen, d.h. mit dem zuständigen disziplinarischen Vorgesetzten oder den übergeordneten Instanzen abstimmen, damit diese dem Teammitglied ausreichend Zeit für die Projektarbeit und der uneingeschränkte Zugang zu den notwendigen Medien gewähren.

2.

Anreizsystem: Soweit wie möglich sind Anreize, insbesondere monetärer Art, für die erfolgreiche Bewältigung der virtuellen Aufgabe vorzusehen. So kann dieser Beitrag in der individuellen Zielvereinbarung aufgenommen, mit der Festentlohnung oder einem Bonus verknüpft oder als eine Maßgabe für die berufliche Ent-

160

wicklung definiert werden. Auch ein Teambonus aus dem Projektbudget ist denkbar. 3.

Lokaler Gruppenleiter: Bei großen Subgruppen an einem Ort bietet sich die Benennung eines Stellvertreters vor Ort an, der für die täglichen Abstimmungen und als Ansprechpartner für personelle Angelegenheiten zur Verfügung steht.

4.

Maßnahmen zur Verantwortungsübernahme: Nicht jeder Mitarbeiter weist das für virtuelles Arbeiten notwendige Maß an Selbständigkeit oder die Fähigkeit auf, die eigenen Aufgaben selbst zu strukturieren. Die Führungskraft sollte Aufgabenpakete und Verantwortungsgebiete auf die Fähigkeiten des Mitarbeiters zuschneiden und langsam steigern, den Mitarbeiter entsprechend coachen und ggfs. mit Trainings unterstützen.

5.

Maßnahmen zur Medien-, Sprach- und interkulturellen Kompetenz: Um seine Aufgabe erledigen und im Team angemessen aufzutreten zu können, hat der einzelne Mitarbeiter entweder die entsprechenden Fähigkeiten mitzubringen oder über Entwicklungsmaßnahmen herauszubilden. Gruppentrainings (auch online) tragen als Gruppenerlebnis zum Teambuilding bei.

Kick-off, regelmäßiger Austausch, Teambonus und gemeinsame Schulungsmaßnahmen sind bereits Bestandteile der nächsten Führungsfunktion, der Teamentwicklung. Sie fördert Teamkohäsion und Vertrauensaufbau und basiert hauptsächlich auf der Integration informeller und personenbezogener Aspekte. Weitere Stützen sind: 1.

Soziale Events: Bei jedem persönlichen Treffen sollte der Teamleiter Zeit für persönlichen Austausch vorsehen – seien es gemeinsame Abendessen, Kulturund Outdoorveranstaltungen oder Feiern von Projekterfolgen, privaten Anlässen wie Geburts- oder Feiertagen. Deutsche sehen dies eher als lästige Pflichtveranstaltung an, entgegen dem, was andere Kulturen als angemessen für eine Kooperation empfinden oder auch die virtuelle Konstellation erfordert.

2.

Small talk: Gerne in seiner Relevanz unterschätzt, ist bei virtuellen Teams umso mehr darauf zu achten: Ob bei Videokonferenzen, Telefonaten oder E-mails – immer ist Raum und Zeit vorzusehen, um aktuelle lokale Gegebenheiten (Wetter, Auftragslage, Zeitknappheit, Führungswechsel etc.) und personenbezogene Informationen (Familie, Freizeit, Urlaub etc.) auszutauschen. Ein „Wie geht’s?“ zu Beginn jedes Kontakts sollte Standard sein.

3.

Dienstreisen des Teamleiters: Es geht nicht ohne den persönlichen Kontakt. Vor allem der Gruppenleiter sollte regelmäßige Reisen an alle Standorte vorsehen, einerseits für die Teammeetings und Gespräche mit den einzelnen Mitarbeitern, aber auch, um die lokalen Bedingungen und Prozesse kennenzulernen – dafür sollte er einen längeren Aufenthalt einplanen.

4.

Dienstreisen der Teammitglieder: Insbesondere für Mitarbeiter, die neu im Unternehmen sind oder sich weiterentwickeln, bietet sich ein fachbezogenes oder Onboarding-Training im Stammhaus an, zu dem sie für einen angemessen langen Zeitraum anreisen und die dort ansässigen Teamkollegen soweit wie möglich in 161

ihrer täglichen Arbeit begleiten. Ein Austausch, bei dem ein Mitarbeiter einen anderen Bereich oder Standort kennenlernt oder eine zeitlich befristete Aufgabe übernimmt, sorgt ebenfalls für ein persönliches Kennenlernen der Kollegen. 5.

Gemeinsame Teilprojekte: Um die Interdependenz zwischen zwei Kollegen an zwei unterschiedlichen Standorten zu erhöhen und deren Zusammenarbeit zu intensivieren, kann der Teamleiter ein Teilprojekt für beide definieren, das anfänglich nicht bedeutend sein muss. Im Normalfall tendieren Mitarbeiter dazu, bei Problemen oder Ideen ihren physischen Nachbarn anzusprechen, nicht den virtuellen Kollegen. Diese neue Konstellation aber führt dazu, dass sie durch die Aufgabe gezwungen werden, den abwesenden Kollegen zu kontaktieren, gemeinsame Wege der Aufgabenbewältigung zu definieren und sich besser kennenzulernen. Eine so erprobte Kooperation kann sich später auch in größeren Aufgaben bewähren.

8 Die Grenzen eines universalen Führungskonzepts Spätestens an den Instrumenten, die das neue Führungsverständnis stützen, wird deutlich: Die hier aufgeführten Aspekte entspringen westlicher, mitteleuropäischer und nicht zuletzt deutscher Kultur. Prozessgestaltung und Selbststeuerung sind Ausdruck von Werten wie Unabhängigkeit, Leistungsorientierung und Sachbezug. Sie gründen auf einer Arbeitsweise, die durch Planung, Strukturierung und Verantwortung charakterisiert ist. Andere Kulturen haben andere Werte und ein anderes Verständnis von Arbeit, Führung und Teams. Deshalb kann hier nur eine Orientierungshilfe vorgelegt werden, die Führungskräften einen Überblick gibt, wie sie virtuelle Teams angehen und auf welche kritischen Punkte sie achtgeben sollten. Der interkulturelle Ansatz macht die Aufnahme flexibler Gestaltungselemente wie gemeinsame Abstimmung, Schulung und Teamentwicklung notwendig – Maßnahmen, die Mitarbeitern verschiedener Kulturen ausreichend Spielraum geben, ihre Perspektiven und Vorstellungen einzubringen. Der Teamleiter sollte mit dessen Hilfe für jedes Team einen eigenen Weg finden. Interkulturelle Führung heißt Analyse, Selbstreflexion und gemeinsame Entwicklung. Dafür gibt das MIPOModell Verantwortlichen ein Analyseinstrument an die Hand, das ihnen eine situationsbezogene Planung und Gestaltung multikultureller virtueller Teams ermöglicht. Die stetig zunehmende Internationalisierung des Arbeitslebens, für die Führungskräften und Mitarbeitern noch zu wenige Handlungsleitlinien vorliegen, macht die vorliegenden Instrumente dringend notwendig. Um interkulturelle und virtuelle Zusammenarbeit nachhaltig effektiv zu gestalten, ist ein bewusster und konstruktiver Umgang mit Konflikten und Synergien notwendig. Wenn er gelingt, können multikulturelle virtuelle Teams zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen beitragen.

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Internationale Mitarbeiterbefragung als unternehmenskulturelles Evaluations- und Integrationsinstrument am Beispiel der Continental AG Karsten Müller & Matthias Metzger

1 Einleitung Mit diesem Beitrag möchten die Autoren die Internationale Mitarbeiterbefragung (MAB) als unternehmenskulturelles Evaluations- und Integrationsinstrument aus akademischer Sicht und aus der Perspektive des betrieblichen Alltags beleuchten. Der Beitrag macht deutlich, dass die MAB im interkulturellen Kontext ein wirksames Instrument zur Schaffung einer gemeinsamen Kultur darstellt. Es wird jedoch auch deutlich, dass der interkulturelle Kontext besondere Anforderung an die Durchführung der MAB stellt und die Art der Implementierung ein entscheidender Faktor für das Erreichen dieser Zielsetzung darstellt.

2 Funktionen und Besonderheiten multinationaler MAB In der aktuellen Situation kann man den Begriff der MAB pragmatisch auf das reduzieren, was in den Betrieben unter diesem Stichwort konkret zurzeit gemacht wird. In der Regel sind dies schriftliche, anonym durchgeführte Vollerhebungen mit einem standardisierten Erhebungsinstrument, das hauptsächlich geschlossene Items enthält (vgl. auch Domsch/Ladwig 2000). Unabhängig von den konkreten Zielen umfasst der Einsatz von Befragungsinstrumenten in der Praxis zwei zentrale Funktionen: Diagnostik und Intervention. Verschiedene Zielsetzungen der MAB beziehen sich in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung auf diese beiden Grundfunktionen der MAB. Im Mittelpunkt der MAB als Erhebungs-, Analyse- oder Diagnoseinstrument steht die Gewinnung von Informationen über die Zufriedenheit, das Engagement, das Commitment, die Einstellungen sowie Meinungen zu bestimmten Themen etc. der Mitarbeiter. Neben dieser Informationssammlung kann die MAB jedoch einen erheblichen Beitrag über die rein diagnostische Funktion hinaus leisten. Eine MAB moderner Prägung stellt ein Interventionsinstrument dar, das im Sinne eines Auftau- und Einbindungsmanagement-Programms (Borg 1997, 2000) bzw. als systemische MAB (Bungard 2005a, 2005b) charakterisiert ist. Die MAB stellt hierbei in zweierlei Hinsicht eine Intervention dar (Burke et al. 1996). Die eigentliche Befragung der Mitarbeiter ist in dem Sinne bereits eine soziale Intervention, als die Mitarbeiter auf sie reagieren, wodurch sich die Organisation als soziale Einheit verändert oder zumindest in Bewegung gerät. Unab167

hängig von der konkreten Durchführung der MAB und der spezifischen Ausgestaltung reagieren Mitarbeiter auf die Befragungsaktion. So können durch die Befragung zum Beispiel Reflexions-, Kommunikations-, und Feedbackprozesse ausgelöst werden. Die Inhalte der Befragung signalisieren darüber hinaus thematische Schwerpunktsetzungen seitens der Unternehmensleitung. Ebenso führt die Durchführung der Befragung zu einer gewissen Erwartungshaltung über Konsequenzen bei den Befragten. Die Durchführung einer Befragung bleibt – zumindest vorübergehend – nicht folgenlos. Bereits Viteles (1953) vergleicht eine MAB mit einer entsicherten Handgranate; beides könne man nicht unbeschadet einfach beiseite legen, sondern man müsse damit „etwas anfangen“. Abgesehen von den messtheoretischen Problemen, die mit dieser Reaktion verbunden sind, folgt hieraus, dass die Befragung „per se ein gestalterischer Eingriff in die Organisation mit verschiedenen Folgewirkungen“ (Domsch/Reinecke 1982) ist. So ist z.B. nach Borg (1995), die Klassifikation von MAB unter der Rubrik Organisationsentwicklung oder Change Management bzw. als Intervention „selbst dann sinnvoll, wenn eine MAB vordergründig nur der Diagnose dient“. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, wenn von automatischen spezifischen Wirkungen ausgegangen wird, d.h. wenn z.B. unterstellt wird, dass MAB zur Verbesserung der Partizipation (weil „Mitarbeiter an den Belangen des Unternehmens beteiligt [werden] und das Gefühl [haben], „zu Wort zu kommen“, „gehört zu werden“...“), oder zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit bzw. zur Verbesserung des Betriebsklimas beitragen (Domsch/Reinecke 1982). Dies mag beabsichtigt und wünschenswert sein, ist aber keine automatische Konsequenz einer MAB. Der eigentliche Interventionsaspekt der MAB liegt vielmehr in der gezielten Initiierung und Steuerung von Feedback- und Veränderungsprozessen in der Follow-up Phase der Befragung. MAB moderner Prägung beinhalten somit grundsätzlich einen Interventionscharakter (Borg 2000; Bungard et al. 2007; Jöns 1997). Die Erhebung ist folglich in zahlreiche Vorlauf-, Begleit- und Follow-up Prozesse eingebunden. Das volle Potential der MAB wird ausgeschöpft und positive Wirkungen sind insbesondere dann zu erwarten, wenn die durch die Befragung ausgelösten und intendierten Konsequenzen bewusst gesteuert und konkret gestaltet werden. In diesem Sinne sollten MAB als Interventionsinstrument Veränderungen anstoßen, in die richtige Richtung lenken und in der Lage sein, die Veränderungen anschließend bezüglich ihrer Wirksamkeit, z.B. anhand einer weiteren Erhebung, zu evaluieren (Bungard et al. 2007; Trost/Bungard 2004). In diesem Sinne kann die MAB auch einen wichtigen Beitrag zur Integration verschiedener Kulturen und Förderung einer gemeinsamen Unternehmenskultur leisten. Das Ziel des Verfahrens besteht darin, dass die Beteiligten in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit erhalten, mittels sozialwissenschaftlich fundierter Methoden Sachverhalte im Unternehmen zu bewerten. Aus den Befunden dieser Bewertung werden, unter Einbezug aller Beteiligten, Veränderungsmaßnahmen abgeleitet und umgesetzt. Nach einer gewissen Zeit werden die Maßnahmen und deren Ergebnisse wiederum evaluiert. Dieser Zyklus trägt mittelfristig zur Förderung einer offenen, gemeinsamen Feedback-, 168

Lern- und Innovationskultur bei und ist somit hilfreich im Sinne eines Kulturwandels und einer Kulturintegration. In diesem Sinne umfasst der Begriff MAB nicht nur die eigentliche Erhebungsaktion, sondern den kompletten Kreislauf von Planung über Administration der Befragung bis hin zu Ableitung und Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen und deren Controlling. Die MAB ist somit ein wichtiges Instrument moderner Unternehmensführung. Dies gilt in besonderem Maße für multinationale Unternehmen. Multinationale Unternehmen stehen vor besonderen Herausforderungen und übernehmen beim Einsatz von Feedbackinstrumenten häufig eine Vorreiterrolle (Müller et al. 2007). Das internationale Personalmanagement ist im Zuge der rasant fortschreitenden Globalisierung eine der bedeutsamsten, aber auch anspruchsvollsten Aufgaben eines multinationalen Unternehmens. Zentrale Erfolgsfaktoren multinationaler Unternehmen sind die Fähigkeit zur Führung einer multinationalen Belegschaft und die Koordination einer geografisch verteilten Organisation. Feedbackinstrumenten und insbesondere der MAB kommt hierbei die Rolle eines wichtigen strategischen Instruments zu, da sie für multinationale Unternehmen eines der wenigen verbleibenden Instrumente darstellt, um mit einer global verteilten Belegschaft in Kontakt zu bleiben (Schneider et al. 1996). Die MAB ermöglicht die Kommunikation mit den Mitarbeitern über Ländergrenzen hinweg und dient der zentralen Steuerung und Kontrolle der dezentralen Umsetzung unternehmensweiter Initiativen und Programmen trotz großer geografischer Ausbreitung der Organisation. Bei gelungener Implementierung und richtiger strategischer Ausrichtung des Instruments ist es möglich, ein positives Mitarbeiter-Management-Verhältnis zu etablieren, flächendeckende zentrale und dezentrale Veränderungsprozesse anzustoßen und somit die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern (Bungard et al. 2007). Auf der psychologischen Ebene leistet das Instrument hierbei einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Integration verschiedener Kulturen und der Stärkung einer gemeinsamen Organisationskultur. Diese Zielsetzung wird erreicht, wenn das Instrument einen globalen Prozess auslöst, der auf die Erreichung gemeinsamer Zielsetzungen gerichtet ist, zur selben Zeit auf der lokalen Ebene umsetzbar bleibt und Akzeptanz findet (Scott/Mastrangelo 2006). Der multinationale Kontext und die Existenz verschiedener kultureller Einflüsse stellt jedoch besondere Anforderungen an die Durchführung einer MAB. Die vielfach gesteigerte Komplexität der Erhebung, Interpretation und Gestaltung der Folgeprozesse multinationaler MAB unterscheiden diese deutlich von nationalen MAB (Johnson 1996). Dabei ist es notwendig, die Auswirkungen kultureller Unterschiede zu kennen, zu verstehen und effektiv damit umzugehen (Palich/Gomez-Mejia 1999). Gelingt die Integration des Pluralismus der Kulturen, lassen sich daraus Synergieeffekte gewinnen: Kreativität, Innovation, Flexibilität, erhöhte Sensitivität für ausländische Kunden, ein größerer Pool an vielfältigem Arbeitstalent sowie die Erweiterung von Perspektiven und Meinungen (Deresky 1994; Palich/Gomez-Mejia 1999). Der Mangel an kulturellem Verständnis und Feinfühligkeit für nationale Unterschiede kann dagegen Geld und Kooperationsoptionen kosten. Vor Beginn einer multinationalen Mitarbeiterbefra169

gung muss neben der Definition der strategischen Zielsetzung zunächst die Wahl einer grundsätzlichen Durchführungsstrategie erfolgen.

3 Grundsätzliche Implementierungsstrategien In der Praxis lassen sich viele verschiedene Vorgehensweisen bei der Durchführung multinationaler MAB beobachten. Die verschiedenen Durchführungsstrategien lassen sich grob anhand zweier grundsätzlicher Dimensionen einordnen. Die erste Dimension bezieht sich auf die Projektorganisation. Dabei kann die MAB entweder von einem zentralen Projektteam gesteuert werden oder die Durchführung der MAB liegt in der Hand zahlreicher dezentraler Projektteams. Bei einer zentralen Projektorganisation erfolgt die Durchführung der MAB in den verschiedenen Ländern meist zeitgleich. Das zentrale Projektteam setzt sich hierbei häufig aus mehreren Mitgliedern zusammen, welche häufig, einem kaskadischen Prinzip folgend, durch regionale und/oder lokale Koordinatoren unterstützt wird. Bei der dezentralen Projektorganisation wird die Befragung in den verschiedenen Teilbereichen durch verschiedene regionale oder funktionale Projektteams gesteuert. Zentrale Stellen übernehmen hierbei lediglich Unterstützungs- und Koordinationsfunktionen. Bei dezentraler Organisation erfolgt die Erhebung häufig zeitversetzt in den verschiedenen Niederlassungen. Zwischen diesen Extremtypen der Projektorganisation multinationaler MAB finden sich in der betrieblichen Praxis zahlreiche Zwischen- und Mischformen. Die zweite Dimension grundsätzlicher Durchführungsstrategien multinationaler MAB bezieht sich auf die Inhalte der Befragung. Die Inhalte der Befragung, d.h. die Fragen, können entweder für alle Mitarbeiter unabhängig ihrer Herkunft und organisationalen Zuordnung einheitlich sein, oder im anderen Extrem spezifisch für verschiedene Länderniederlassungen ausgewählt oder konstruiert werden. So unterscheiden Scott und Mastrangelo (2006) zwischen strategischen, taktischen und operativen Fragen entsprechend ihrer Relevanz auf der globalen, regionalen/divisionalen oder lokalen Ebene. Auch hier sind verschiedene Misch- und Zwischenformen denkbar. So finden sich in MAB einiger multinationaler Organisationen eine Kombination globaler und spezifischer Fragen. Das Befragungsinstrument enthält in diesen Fällen ein Set global einheitlicher Fragen, welche für alle Organisationseinheiten gleich formuliert sind. Diese Fragen sind durch spezifische Fragen, welche für verschiedene Länder, Standorte oder Funktionsbereiche unterschiedlich sind, ergänzt. Auf Basis der beschriebenen Unterschiede in der Projektorganisation und der inhaltlichen Gestaltung lassen sich vier Grundtypen multinationaler MAB unterscheiden (siehe Abbildung 1).

170

global

Zentralisierung unter hoher Globalisierung

Dezentralisierung unter hoher Globalisierung

lokal

Zentralisierung unter hoher Lokalisierung

Dezentralisierung unter niedriger Globalisierung

Inhalte

zentral dezentral Projektorganisation Abbildung 1: Strategische Grundtypen multinationaler MAB

Es ist nicht möglich die verschiedenen Durchführungstypen allgemeingültig im Sinne eines „besser“ – „schlechter“ gegeneinander abzuwägen. Die Wahl der prinzipiellen Durchführungsstrategie ist abhängig von den Begebenheiten der jeweiligen Organisation und hier insbesondere von der Zielsetzung der MAB und der jeweiligen Unternehmensstruktur und Unternehmenskultur. Im konkreten Einzelfall können sich unternehmensspezifische Mischformen der dargestellten Grundtypen herausbilden, welche den jeweiligen Zielsetzungen und organisationalen Spezifika am besten gerecht werden. Die Vor- und Nachteile der verschiedenen Vorgehensweisen sind vor diesem Hintergrund sorgfältig abzuwägen. So ist zum Beispiel bei der Zielsetzung einer zentralen Unternehmenssteuerung, des Vergleichs verschiedener Funktionsbereiche und des Controllings der dezentralen Umsetzung zentraler Programme, Initiativen und Praktiken eine gewisse globale Einheitlichkeit der Befragungsinhalte anzustreben.

171

Beispiel Continental AG: Das Instrument der MAB war bei Continental bereits seit vielen Jahren in vielen Ländern in verschiedenen Organisationsbereichen im Einsatz. Aufgrund des dezentralen Organisationsprinzips, das heißt, dass jede Einheit den für sich idealen Ansatz wählen kann, kamen jedoch unterschiedlichste Befragungskonzepte und Projektmanagementmethoden zum Einsatz. Im Jahr 2006 implementierte der damalige Personalvorstand Thomas Sattelberger erstmals eine konzernweit einheitliche MAB für die damals 80.000 Mitarbeiter. Die MAB war dabei als eins von zwei wesentlichen Feedbackinstrumenten in Kombination mit dem 360-Grad-Feedback (abwechselnd alle zwei Jahre) konzipiert. Ziel der Befragung war es, ein klares Meinungsbild der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur gelebten Unternehmenskultur mit besonderem Fokus auf Führung, Commitment und Zufriedenheit zu bekommen. Gleichzeitig wollte das Management richtungweisende Signale und Anregungen für kontinuierliche Verbesserungen im Rahmen des täglichen Geschäfts und der täglichen Arbeit erhalten. Um die dezentralen Standorte für die globale MAB zu gewinnen, bestand für diese die Möglichkeit neben den vorgegebenen 36 Konzernfragen und fünf Divisionsfragen, auch noch bis zu zehn lokale Fragen in den Fragebogen aufzunehmen. Die Projektorganisation der MAB war zentralisiert, d.h. ein Mitarbeiter der Konzernpersonalentwicklung steuerte ein kleines Kernprojektteam mit jeweils zwei Vertretern aus den vier Geschäftsbereichen. Diese wiederum koordinierten direkt die lokalen Verantwortlichen. Der Vorteil war eine schnelle und direkte Kommunikation. Jedoch war bei über 300 Standorten die Arbeitsbelastung für das Kernprojektteam beachtlich (bis zu 50% der Arbeitszeit im Befragungsjahr). In Ländern mit vielen Standorten, z.B. USA, wurden darüber hinaus noch Länderkoordinatoren benannt.

4 Praktische Herausforderung multinationaler MAB Die MAB kann als komplexer Teilprozess eines umfassenderen Organisationsentwicklungsprozesses konzeptualisiert werden (Comelli 1997). Wichtige Schritte dieses Prozesses sind die Festlegung der strategischen Ziele der MAB, die Organisation und Zusammenstellung des Projektteams, die Entwicklung des Fragebogens, die Information der Mitarbeiter, die organisatorische sowie logistische Abwicklung der Befragung, die Rückspiegelung und Interpretation der Ergebnisse, die Durchführung von Workshops, die Ableitung von Maßnahmen und das Maßnahmencontrolling (Bungard et al. 2007; Trost et al. 1999). Spezifische Besonderheiten bei der Durchführung multinationaler MAB können folglich für jeden einzelnen dieser Prozessabschnitte diskutiert werden (Abbildung 2).

172

Abbildung 2: Prozess der MAB und spezifische Probleme multinationaler Befragungen

4.1

Vorbereitung

Schon bei der strategischen Zieldefinition einer multinationalen MAB muss eine Abstimmung mit den verschiedenen Länderniederlassungen erfolgen, um eine globale Akzeptanz der Befragung sicherzustellen. Bei der Projektplanung stellen die Zusammenstellung des Projektteams und die Auswahl der Länderkoordinatoren besonders wichtige Prozessabschnitte dar (Johnson 1996). Die Länderkoordinatoren stellen die wichtigste Verbindung zu den Länderniederlassungen dar. Sie leisten darüber hinaus wichtigen Input in Bezug auf lokale und kulturelle Besonderheiten. Bei der Entwicklung des Befragungsinstruments stellt sich zum einen die Frage nach länderspezifischen Fragen im Fragebogen und dem Grad der Angemessenheit globaler Inhalte. Auch die logistische Abwicklung der Befragung im multinationalen Kontext ist eine besondere Herausforderung. Insbesondere bei papierbasierten Befragungen ergeben sich viele oft unvorhergesehene Schwierigkeiten, die von Zollproblemen über erhebliche zeitliche Verzögerungen bis hin zum Verlust von Sendungen reichen. Viele dieser Herausforderungen entsprechen denen normaler nationaler Befragungen, sind jedoch durch die Internationalität und die geographische Ausbreitung der Befragung potenziert. Andere Herausforderungen und Schwierigkeiten entstehen ganz spezifisch durch die Multinationalität der Befragung. Hierzu zählt insbesondere das Problemfeld der Übersetzung. Informationsmaterialen, das Befragungsinstrument, die Ergebnisberichte, aber auch Trainingsmaterialen und Controllinginstrumente müssen übersetzt werden. In manchen Unternehmen ist es möglich, entsprechend der Unternehmenssprache diese Materialen nur in Englisch zu halten. Dies ist jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Insbesondere für das Befragungsinstrument ist die Verwendung der Muttersprache in den meisten Fällen dringend zu empfehlen. Der Übersetzungsaufwand sollte großzügig in die Zeit- und Kostenplanung einkalkuliert und nicht unterschätzt werden. 173

4.2

Instrument

Generell stellt sich häufig die Frage der globalen Anwendbarkeit des Befragungsinstruments. Die Angemessenheit und Sinnhaftigkeit eines Fragebogens, der in einer Kultur entwickelt wurde, anschließend übersetzt und in anderen Kulturen eingesetzt wird, ist nicht ohne Weiteres einfach anzunehmen. Dies liegt an den vielen verschiedenen Arten der Verzerrung, die bei einem solchen Transfer entstehen können (van de Vijver/Poortinga 1997). So können bestimmte Frageinhalte in manchen Kulturen keinen Sinn ergeben bzw. mit einem anderen Sachverhalt assoziiert werden als dem, der erfasst werden soll. Ferner können z.B. systematisch unterschiedliche Bedingungen in der Befragungssituation oder eine unterschiedliche Vertrautheit der Person mit dem Fragenformat in verschieden Kulturen auftreten, so gibt es in der praktischen Erfahrung zum Beispiel häufig höhere Vorbehalte gegen Online-Erhebungen in osteuropäischen Ländern. All diese Faktoren können zu Unterschieden in den Antworten zwischen den Mitarbeitern verschiedener Länder führen. Sie stehen jedoch nicht in Verbindung zu tatsächlichen Unterschieden bezüglich der interessierenden Einstellung oder Meinung, sondern spiegeln kulturelle Einflüsse oder Verzerrungen wider. Ferner können Verfälschungen aufgrund schlechter Übersetzungen und zu komplexer oder unangebrachter Formulierungen der Fragen entstehen. Alles in allem unterstreicht die lange Liste an potenziellen Störeinflüssen die Notwendigkeit der Sicherung der kulturellen Transferierbarkeit des Befragungsinstrumentes (Müller 2006). Aspekte der globalen Anwendbarkeit sollten also bereits bei der Entwicklung von MAB-Skalen sorgfältig berücksichtigt werden. Brislin (1986) macht eine Reihe von Vorschlägen, wie bereits in der Entwicklungsphase eines Fragebogens dessen Übersetzbarkeit gesteigert werden kann. • Verwendung von nicht mehr als 16 Wörter in einer Frage (ungefähre Richt-

größe) • Verwendung von aktiven statt passiven Formulierungen (in Abhängigkeit der

Zielsprache ist die passive Form zu komplex in ihrer Konstruktion und anfälliger für Missverständnisse) • Bevorzugung der Wiederholung des Nomens eines Satzes gegenüber dem

Pronomen (Formulierung „Führt Ihr Vorgesetzter...?“ ist vorteilhafter als die Verwendung von „Führt er...?“) • Konkrete Formulierung von Quantifizierungsangaben (Ausdrücke wie häufig,

manchmal, oft etc. besitzen sowohl interindividuell als auch interkulturell stark unterschiedliche Bedeutungsassoziationen. Wie oft muss sich zum Beispiel der Vorgesetzte mit dem Mitarbeiter unterhalten, damit dies häufig ist? Einmal am Tag, einmal in der Woche oder einmal im Monat?) • Strikte Vermeidung von Redewendungen oder Metaphern (z.B. „Ziehen Sie

und Ihre Kollegen alle an einem Strang?“ Diese Formulierungen sind häufig in starkem Maße kulturell geprägt und verursachen daher Probleme bei der Suche nach einer bedeutungsäquivalenten Übersetzung) 174

Eine wirkungsvolle Methode zur Überprüfung der Angemessenheit der Übersetzungen ist die Übersetzungs-Rückübersetzungs-Prozedur nach Werner und Campbell (1970) . Über diese Technik hinausgehend ist auch die Methode des „Cultural Decentering“ anwendbar (van de Vijver/Leung 1997). Bei dieser Technik wird neben der Optimierung der Übersetzung das Ursprungsinstrument kulturell dezentriert, d.h. Ausdrücke oder Items, welche häufig Schwierigkeiten bei der Übersetzung verursachen, werden in der Ursprungssprache modifiziert bzw. im Extremfall aus dem Instrument entfernt. Insgesamt sollte bei der Übersetzung von Fragen nicht nur die inhaltliche Übereinstimmung geprüft werden, vielmehr müssen auch die Natürlichkeit des Sprachflusses und die Einfachheit des Verständnisses der übersetzten Skalen Beachtung finden. Eine weitere Optimierung der globalen Angemessenheit von MAB-Skalen kann durch abschließende Modifizierungen aufgrund der Ergebnisse von Vortests der neu entwickelten Sprachversionen in den entsprechenden Ländern erfolgen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Befunde von Ryan, Chan, Plyhart und Slade (1999) hinzuweisen, welche Unterschiede im Verständnis einer spanischen Fragebogenversion in einer spanischen und mexikanischen Stichprobe zeigen konnten. Die gleiche Sprache zweier Länder garantiert nicht die Bedeutungsgleichheit der Iteminhalte und deren äquivalente Konnotation. Darüber hinaus ist es generell anzuraten, per Hotline oder EMail-Support den Teilnehmern die Möglichkeit des Feedbacks zum Erhebungsinstrument zu geben. Auf diese Weise können Schwierigkeiten bestimmter Sprachversionen ebenfalls potenziell identifiziert werden. Entsprechende Informationen sollten dokumentiert und nach dem Befragungsprojekt sorgfältig ausgewertet werden. Beispiel Continental AG: Das Unternehmen nutzte professionelle Übersetzungsdienste, um eine erste Übersetzungsversion des englischen und deutschen Standardfragebogens in die jeweilige Landessprache (insgesamt 26 Sprachen) zu erstellen. Diese wurden dann an die HRLänderkoordinatoren bzw. lokalen Personalleiter versandt mit der Bitte um Korrektur und Abstimmung mit den anderen Personaler im selben Land. Insbesondere diese Abstimmungsrunden verbesserten die Qualität und die Akzeptanz der Übersetzungen deutlich. Auch konnte in diesen Abstimmungsrunden die Bedeutung und Zielsetzung der MAB nochmals erläutert werden. Um regionalen sprachlichen Besonderheiten Rechnung zu tragen und damit die lokale Akzeptanz zu erhöhen, wurden unterschiedliche spanische, englische und chinesische Fragebogen-Versionen erstellt. Die finalen Fragebögen wurden vor dem Druck nochmals an die lokalen Personalleiter versandt, um eventuelle Fehler zu korrigieren (insbesondere bei asiatischen Sprachen). Die Qualität der Übersetzungen wurde nach der ersten weltweiten Befragung durch das begleitende Institut mit statistischen Methoden auf Verständlichkeit analysiert. Das Ergebnis unterstützt die oben beschriebenen Vorgehensweise. Zielkulturelle Kompetenz ist auch beim Versand der Fragebögen gefragt, z.B. Wie schützt man Fragebögen gegen Monsunregen in Asien? Wie können Fragebögen aus dem Zoll ausgelöst werden? Wie lange benötigt ein Paket innerhalb Mexikos? Wie sieht eine japanische Postadresse aus? 175

4.3

Analyse und Interpretation

Die Sicherung der globalen Anwendbarkeit garantiert jedoch noch nicht, dass die erhaltenen Ergebnisse international verglichen werden können. Die Interpretation von Ergebnissen über Länder hinweg ist durch kulturelle Einflüsse auf das Antwortverhalten kompliziert. Deshalb ist bei der Interpretation von Länderunterschieden besondere Vorsicht geboten. In der Forschung finden sich zahlreiche Hinweise auf systematische kulturelle Unterschiede in Befragungsergebnissen (Diener et al. 2000; Smith 2004). Diese Unterschiede spiegeln zum Teil tatsächliche, objektive Unterschiede in den zu beurteilenden Verhältnissen wieder. Kritisch wird ein Vergleich der Ergebnisse der Daten dann, wenn Unterschiede zwischen Länderergebnissen jedoch nicht nur auf tatsächliche Variation der Bedingungen zurückzuführen sind, sondern auch durch bestimmte kulturelle Antworttendenzen beeinflusst werden. Im Bereich der Lebenszufriedenheit konnten E. Diener, M. Diener und C. Diener (1995) zeigen, dass trotz der hohen Korrelationen der nationalen Lebenszufriedenheit mit den Variablen Einkommen, Gleichheit und Menschenrechtsverwirklichung ostasiatische Länder überproportional schlechtere Zufriedenheitswerte aufweisen als viele südamerikanische Staaten. Obwohl der Zusammenhang zwischen Wohlstand eines Landes und durchschnittlicher Lebenszufriedenheit hoch ist, erweisen sich manche Länder mit schlechten allgemeinen Lebensbedingungen als weit positiver in ihrer Einschätzung der Lebenszufriedenheit, verglichen mit Ländern höheren Wohlstands. So nimmt zum Beispiel das wirtschaftlich gut gestellte Japan in einer Rangreihe der Zufriedenheit von insgesamt 55 Ländern nur Platz 42 ein. Kolumbien dagegen gehört zu den ärmsten Nationen mit einem hohen Gewaltniveau und objektiv schlechten Lebensbedingungen, rangiert im Zufriedenheitsranking aber dennoch auf einem der vorderen Plätze (Platz 8 von 55, nach Diener et al. 2000). Das sogenannte Japan-Kolumbien-Paradox zeigt damit, dass nationale Unterschiede in der Lebenszufriedenheit nicht allein Unterschiede in objektiven Bedingungen widerspiegeln, sondern auch in gewisser Weise durch kulturellpsychologische Einflüsse bestimmt sind. In einer neuer Studie demonstrierte Müller (2006) ähnliche Befunde für die Ergebnisse aus multinationalen MAB. Diese zeigen über verschiedene Befragungen unterschiedlicher Organisationen hinweg eine systematische Tendenz beobachteter Länderunterschiede. So neigen süd-, mittel- und nordamerikanische Länder zu einer eher positiven Bewertung der jeweiligen Arbeitsverhältnisse. Europäische Länder befinden sich im Mittelfeld der Zufriedenheitsrangfolge, während ostasiatische und insbesondere japanische Mitarbeiter zu einer kritischeren Bewertung ihrer Arbeit neigen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass selbst bei einer guten globalen Eignung des Instruments und einem einheitlichen Verständnis der Inhalte einzelner Fragen, die Ergebnisse aus verschiedenen Ländern nicht einfach verglichen werden können. Zur Erklärung dieser nationalen Unterschiede kommt der Variable „kulturelle Positivität“ eine besondere Erklärungskraft zu (Diener et al. 2000; Müller 2006). Kulturelle Positivität beschreibt die Tendenz von Menschen einer bestimmten Kultur “to view life experiences in a rosy light because they value positive affect and a positive view of life” (Diener et al. 2000: 160f). Positivität ist somit eine kulturell vermittelte Grundeinstellung, gewisse Aspekte des Lebens im All176

gemeinen als positiv zu bewerten. Bei gering ausgeprägter Positivität werden Aspekte des Lebens kritischer und somit meist negativer bewertet (Abbildung 3).

Arbeitszufriedenheit Sample 1

Müller und Kollegen (2009) zeigen, dass nationale Unterschiede in der kulturellen Positivität in systematischer Weise mit Ergebnissen aus MAB zusammenhängen. So zeigt ein aus verschiedenen Studien berechnetes nationales Positivitätsmaß auf nationaler Ebene Korrelationen zwischen .35 und .60 mit internationalen Arbeitszufriedenheitsdaten aus verschiedenen Studien. Der Zusammenhang bleibt auch nach der Kontrolle von Unterschieden in Antwortstilen, Wohlstand und Arbeitsbedingungen substantiell.

Kulturelle Positivität Abbildung 3: Zusammenhang kulturelle Positivität und Arbeitszufriedenheit

Fraglich ist somit, wie MAB-Daten aus verschiedenen Ländern zum Zwecke der Organisationsentwicklung miteinander verglichen werden können, bzw. ob ein solcher Vergleich überhaupt sinnvoll ist. Es scheint, dass ein direkter Vergleich der Mitarbeiterzufriedenheit verschiedener Länder wenig sinnvoll ist, da sich in Ergebnissen neben Unterschieden in den tatsächlichen objektiven Bedingungen auch länderspezifische, sozialisationsbedingte, kulturell vermittelte Eigenschaften der Mitarbeiter ausdrücken. Gegenüber multinationalen Vergleichen von Mitarbeiterbefragungsergebnissen und von Zufriedenheitsurteilen im Allgemeinen sollte eine gesunde Skepsis vorherrschen. Es lässt sich somit auf die einfache Formel bringen, dass eine 2,5 auf einer 5-stufigen Likert-Skala zum Beispiel in Kolumbien eine andere Bedeutung besitzt als in Japan. Der derzeitige Forschungsstand und die Unterschiede der Frageinhalte und Fragefor177

mulierungen macht die Berechnung eines generellen Korrekturfaktors kaum möglich. Als weitere Optionen bleiben die Verwendung spezifischer nationaler BenchmarkWerte (Müller 2007) oder nationaler Vergleichsnormen zur Interpretation der Ergebnisse. Allerdings ist die Verwendung solcher Benchmark- oder Normwerte selbst wiederum mit zahlreichen Problemen belastet (Macey/Eldridge 2006; Müller 2007). Hierbei ist insbesondere zu betonen, dass die Zielsetzung einer MAB im Verständnis eines Instruments der globalen Organisationsentwicklung nicht der Vergleich von Ergebnissen auf zentraler Ebene sein kann. Wie oben bereits erwähnt, ist in der Praxis eine zunehmende Tendenz zu beobachten, die MAB in zunehmendem Maße als Lieferant von Kennzahlen zu reduzieren. Im Sinne eines Instruments der globalen Organisationsentwicklung muss allerdings nicht die Vergleichbarkeit der Werte über Kulturen hin im Mittelpunkt stehen, sondern Fragen der Sicherung und Optimierung eines globalen Folgeprozesses. Auch hier entstehen besondere Herausforderungen, die aus der kulturellen Unterschiedlichkeit der beteiligten Personen resultieren. 4.4

Follow-up

Church und Oliver (2006) drücken die Bedeutung der Follow-up-Phase von SurveyFeedback-Verfahren durch drei einfach Sätze aus: 1.

Feedback ist ein Geschenk.

2.

Positive Veränderungen auf Basis des Feedbacks ist das, was den Unterschied macht.

3.

Die Transparenz gegenüber den Mitarbeitern, welche Maßnahmen umgesetzt wurden und der Grund weshalb, schließen den Kreis.

Der Anspruch weitreichender, positiver Veränderung auf zentraler und dezentraler Ebene unterscheidet die MAB moderner Prägung von anderen Befragungen wie Pulsoder Special-Topic-Surveys. Die MAB ist ein leistungsstarkes Instrument zur Initiierung und Messung von positiven Veränderungen und Organisationsentwicklungsprozessen (Bungard et al. 2007). Dies geschieht jedoch nur, wenn die Befragungsergebnisse auf allen Ebenen der Organisation ernst genommen und als Grundlagen von Maßnahmenableitungen dienen. Eine Befragung von Mitarbeitern weckt die Erwartung, dass die Ergebnisse zu Veränderungen führen. Sie ist ein Eingriff in den psychologischen Vertrag zwischen Mitarbeitern und Unternehmensleitung und impliziert, dass das Management an der Meinung der Mitarbeiter interessiert ist und bereit ist, diese ernst zu nehmen. Erwartungen werden geweckt und Maßnahmen sollten folgen. Erfahrungsberichte zahlreicher MAB in den letzten Jahren zeigen, dass die Umsetzung dieser Idee eine der schwierigsten im Prozess der Mitarbeiterbefragung ist. Zahlreiche Faktoren stehen der konstruktiven Verwendung der Ergebnisse und Nutzung der Daten zur positiven gestalterischen Veränderung entgegen und verhindern den erfolgreichen Schritt von Informationen zu Aktionen: 178

Ein Haupthindernis besteht häufig bereits im grundsätzlichen Verständnis der MAB. Zahlen sind sicherlich ein wichtiger Aspekt der MAB. Befragungsdaten sind jedoch von anderer Art als finanzielle Kennzahlen und gewinnen vor allem durch die Interpretation der Beteiligten an Bedeutung. Viele externe Beratungsfirmen betonen und demonstrieren in der Akquisephase die Bedeutung von Mitarbeitereinstellungen in Bezug auf wichtige harte organisationale Kennzahlen, wie z.B. Umsatzzahlen, Fluktuation oder ROI. Dieses ist im Prinzip nützlich, hat jedoch wenig mit der Effektivität der MAB zur Veränderung dieser Variablen zu tun. Die häufige rigide Zahlengläubigkeit bzw. ausgesprochene Zahlenfixierung ist der Idee einer Initiierung von globalen positiven Veränderungsprozessen eher abträglich. Insbesondere dann, wenn die Befragungsergebnisse im Sinne von „Performance“-Indikatoren interpretiert werden. Werden dann verschiedene Regionen, Länder, Geschäftsbereiche, Abteilungen und Teams in Form von Quervergleichen zueinander in Beziehung gesetzt, gibt dies der Befragung den ersten kompetitiven Anstrich. Symptomatisch für ein solches Grundverständnis ist die Tendenz der Verwendung weniger leistungsbezogener Fragen, die den organisationalen Rahmenbedingungen wenig Rechnung tragen, die Tendenz einer starken Zahlenverdichtung in Form weniger Indizes, der Einsatz von Rankingtools etc. sowie die Verankerung der Verantwortlichkeiten der MAB in einem Parallelsystem außerhalb der Linienhierarchie. Finden diese Vergleiche und Handlungen auf höheren Hierarchieebenen vor dem Hintergrund einer dominierenden Angst- und Kontrollkultur statt, in der im extremsten Fall die MAB-Ergebnisse Einfluss auf Personalentscheidungen haben, ist die Idee eines konstruktiven Umgangs mit den Ergebnissen auf dezentraler Ebene und einer positiven, integrativen Veränderung der Organisationskultur auf Grund des Survey-Feebackprozesses schnell ad absurdum geführt. Ein weitere Schwierigkeit der erfolgreichen Umsetzung organisationaler Verbesserungen sehen z.B. Scott und Mastrangelo (2006) in der „Analyse-Paralyse“, in dessen Zustand HR Personal, Projektmitarbeiter und OD-Verantwortliche viel Zeit in der Folge der Erhebung auf die Auswertung, Darstellung und Interpretation von Ergebnissen verwenden, wobei die eigentliche Kernherausforderung der erfolgreichen Begleitung, Kommunikation und Strukturierung des Folgeprozesses hierbei jedoch ins Hintertreffen gerät. Auch das reine Bereitstellen der Ergebnisse auf dezentraler Ebene und die Bereitstellung von Tool-Kits und Templates für Maßnahmenplanung stellt die tatsächliche Veränderung auf dezentraler Ebene letztlich nicht sicher. Oftmals geht soviel Aufwand in die Vorbereitung, Durchführung und Analyse der Befragung seitens des zentralen Projektteams, dass nur noch wenig Energie und Euphorie für die Planung und Begleitung des Folgeprozesses bleibt. Ferner endet für viele Projektleiter der eigentliche „Job“ und die Freistellung für das Projekt mit der Ergebnispräsentation vor dem Vorstand und dem Versand von Berichten. Ein weiteres Problem der Umsetzung stellt das Feedback-Paradoxon der Führung dar. Die Führungskräfte der mittleren und unteren Führungsebene sind die eigentlichen Promotoren der Veränderungen infolge der Befragung. Sie sollen, häufig in einem selbst-moderierten Prozess, die Ergebnisse vor den Mitarbeitern präsentieren und entsprechend Maßnahmen mit den Mitarbeitern gemeinsam ableiten. Aber auch für die 179

Umsetzung der Maßnahmen im eigenen Verantwortungsbereich kommt ihnen neben dem Engagement der Mitarbeiter entscheidende Bedeutung zu. Eigene Studien zeigen jedoch, dass gerade solche Führungskräfte, die von ihren Mitarbeitern kritisch bewertet werden, der Befragung außerordentlich skeptisch gegenüberstehen und die Mitarbeiter dieser Abteilung von den geringsten Veränderungsaktivitäten in der Folge der MAB berichten. In Klartext heißt dies, dass gerade die Führungskräfte, die die Arbeit mit dem erhaltenen Feedback am nötigsten hätten, dieses am wenigsten für positive Veränderungen nutzen. Die Liste möglicher Hindernisse und Herausforderungen des Folgeprozesses der Mitabeiterbefragung erweitert sich im interkulturellen Kontext deutlich. Basierend auf dem tatsächlichen lokalen Verständnis der Mitarbeiterbefragung und damit des Follow-up Prozesses erfolgt die Ableitung von Maßnahmen in verschiedenen Formen – von einem hierarchischen bis zu einem ausgeprägt partizipativen Ansatz. Auch bei der Nachverfolgung der Maßnahmen kommt dem aktiven Follow-up des Managements, z.B. durch persönliches Nachhalten vor Ort, eine gewichtige Rolle zu. Beispiel Continental AG: Basierend auf den Erkenntnissen der Pilotbefragungen, die im Jahr 2004 in einem Teilbereich des Konzerns durchgeführt wurden, wurde für den Folgeprozess eine Bottom-Up-Strategie festgelegt, die dem dezentralen Organisationsprinzip folgt. Jede Berichtseinheit sollte auf der Basis des eigenen Ergebnisberichts drei Verbesserungsmaßnahmen definieren und im Zeitraum von maximal zwei Jahren bis zur nächsten Befragung umsetzen. Damit wurden Probleme auf der Ebene angegangen, wo sie entstanden. Die Konzernpersonalentwicklung stellte für die Dokumentation und Fortschrittskontrolle der Verbesserungsmaßnahmen einen web-basierten Aktionsplaner zur Verfügung. Die Verantwortung für den gesamten Folgeprozess – Feedback, Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen – lag beim jeweiligen Management. Es wurde bewusst auf einen Vergleich der Befragungsergebnisse zwischen Standorten und Geschäftseinheiten verschiedener Länder verzichtet, um die Gefahr politischgewünschter Ergebnisse zukünftiger Befragungen zu reduzieren. Als besonders hilfreich erwies sich das aktive Einfordern der beschlossenen Maßnahmen durch das TopManagement bis hin zum Vorstand, der sich z.B. im Rahmen von Standortbesuchen die geplanten und tatsächlich realisierten Verbesserungen konkret zeigen ließ. Bei der Basis einer hohen Beteiligungsquote von 79% wurden 2006 ca. 9.700 Maßnahmen weltweit abgeleitet und davon bis zur nächsten Befragung 2008 ca. 80% abgeschlossen bzw. umgesetzt. Viele der benannten Schwierigkeiten sind nicht nur speziell für den multinationalen Kontext zutreffend, sondern haben bereits ihre Gültigkeit bei der Befragung eines Standorts. Die geographische Verteilung der Organisation und die kulturelle Vielfältigkeit der Belegschaft machen diesen Prozess bei multinationalen Befragungen jedoch ungleich schwieriger. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen zu besonderen Herausforderungen multinationaler Mitarbeiterbefragungen als unternehmenskulturelles Interventions- und Evaluationsinstrument soll im Folgenden speziell auf den Aspekt der kulturellen Integration im interkulturellen Kontext eingegangen werden. 180

5 MAB als Instrument der Integration von Kulturen Man kann sich bereits die Frage stellen, ob die Idee der Befragung von Mitarbeitern zu verschiedenen Themen ihres Arbeitsplatzes nicht bereits schon in gewisser Weise von einem westlichen Ethnozentrismus zeugt. Noch deutlicher wird dieser potentielle Ethnozentrismus, wenn man die Vorstellung formuliert, dass Vorgesetzte vor Ort selbstmoderierend mit ihren Mitarbeitern über die Ergebnisse der Befragung diskutieren und hierbei gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern Maßnahmen ableiten. Ein solches, stark partizipatives Vorgehen wird in dieser Deutlichkeit in vielen Ländern nur schwer umsetzbar sein. Länder mit hoher Machtdistanz (Asien, Lateinamerika, Naher Osten) sind durch starke hierarchische organisationale und gesellschaftliche Strukturen gekennzeichnet (Hofstede 2001). Offene Interaktion, Kommunikation und kritische Auseinandersetzungen mit Personen höheren Status sind in diesen Kulturen wenig verbreitet und unüblich. Konsequenterweise hat ein partizipatives Instrument wie die MAB in Ländern hoher Machtdistanz einen schweren Stand, insbesondere in Bezug auf die Gestaltung eines Folgeprozesses. Frankreich besitzt in Europa den höchsten Wert der Machtdistanz nach Hofstede (2001). Nicht verwunderlich, sind MAB in Frankreich weit seltener verbreitet. In Ländern mit niedriger Machtdistanz, wie z.B. Skandinavien und Nordeuropa hingegen besteht die Möglichkeit hoher Erwartungen an die MAB, da man hier in hohem Grad eine Einbindung und Reaktion auf Grund der geäußerten Meinungen erwartet. Kulturen mit hoher Unsicherheitsvermeidung (Hofstede 2001) zeigen hingegen eine starke Präferenz für strikte Regeln, klare Strukturen und standardisierte Prozesse. Mitglieder von Kulturen mit hoher Unsicherheitsvermeidung sind weniger schnell veränderungsbereit, weniger aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen und zeigen eine Skepsis gegenüber uneindeutigen Situationen. In der Slowakei z.B. erwarten die Mitarbeiter eine klare Interpretation der Ergebnisse sowie die konkrete Anweisung, welche Maßnahmen aus den Ergebnissen umgesetzt werden sollen. Im Gegensatz dazu stehen Mitarbeiter west-europäischer Kulturen, z.B. die Niederlande, die ohne partizipative Elemente keine oder nur eine geringe Identifizierung mit der MAB entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser hier nur exemplarisch aufgezeigten Unterschiede in der Wahrnehmung der MAB ist es an bestimmte Bedingungen geknüpft, dieses Instrument zur erfolgreichen kulturellen Integration zu nutzen. Diese Bedingungen lassen sich in einigen Schlagwörtern kurz zusammenfassen: Globale Zielklarheit, klare Prozessstruktur und Kommunikation, persönliche Interaktion, Definition und Kontrolle der Verantwortlichkeit von Führungskräften sowie lokale Freiheit in der spezifischen Umsetzung. Zur kulturellen Integration und Initiierung globaler positiver Veränderungsprozesse ist die klare Definition der strategischen Zielsetzung der MAB von essentieller Bedeutung. Auf allen Ebenen, bis hin zur untersten Ebene der Organisationsstruktur muss 181

die Zielsetzung der MAB deutlich sein. Die Absicht und Zielsetzung, die MAB als Grundlage und Initialzündung von Veränderungsprozessen zu nutzen, muss für alle Beteiligten klar sein. Auch der damit verbundene Gedanke des Dialogs, Austauschs und partiellen Partizipation auf Basis der Ergebnisse muss „als gesetzt“ verstanden werden. Hierzu bedarf es einer klaren Kommunikation des Prozesses und insbesondere der Struktur des Folgeprozesses und der Erwartungen an die Führungskräfte, aber auch an die Beteiligung der Mitarbeiter. Die Führungskräfte müssen durch entsprechende Veranstaltungen, Materialen und personelle Unterstützung entsprechend trainiert, vorbereitet und ggf. direkt unterstützt werden, so dass in jeder Kultur ein Arbeiten mit den Ergebnissen möglich wird. Dabei sollte die Freiheit für spezifische lokale Lösungen und angepasste Umsetzungsstrategien eingeräumt werden. Ein wichtiges Erfolgskriterium ist eine klare Verantwortungskaskade innerhalb der normalen Linienorganisation, d.h. das Commitment zu dem Prozess muss über das Executive Board, dem regionalen und lokalen Management zu den einzelnen Führungskräften und Mitarbeitern transportiert werden. In der Praxis erweist sich insbesondere die Nachhaltigkeit des Folgeprozesses als das größte Problem. Die Befragung sowie die Rückmeldung der Ergebnisse und die Ableitung von Maßnahmen ist in der Regel ein klar strukturierter Prozess, der sich in unterschiedlichen Kulturen mit spezifischen Variationen gut abbilden lässt. Dagegen stellt die Sicherstellung der kontinuierlichen Beschäftigung mit der MAB im Folgeprozess eine weitere große Herausforderung dar. Zum einen wandeln sich die betrieblichen Prioritäten sehr schnell, so dass alle Maßnahmen, die allgemeinerer Natur sind, an Priorität verlieren. Zum anderen fällt es in der Praxis schwer, länderübergreifende Maßnahmen zu definieren und diese dann auch umzusetzen. Hintergrund: unterschiedliche Problemverständnisse und Lösungsvorgehen, wechselnde Mitarbeiter, kulturelle Unterschiedlichkeiten in der Führungserwartungen bei der Abarbeitung (eigene Ideen umsetzen vs. Anweisungen ausführen). Als Fazit lässt sich sagen, dass die MAB immer nur Mittel zum Zweck ist. Es kann in seltenen Fällen als trojanisches Pferd dienen, in der Regel ist jedoch die Einstellung des lokalen Managements maßgeblich für den Erfolg des Instruments und die Einführung einer Veränderungskultur verantwortlich.

182

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Unternehmenskulturentwicklung und Werteentfaltung – Überlegungen und Empfehlungen aus der Theorie und Praxis Nathalie Hecker

1 Einleitung Dieser Artikel umreißt Ideen und Erkenntnisse zum Thema Kultur- und Werteentwicklung in Organisationen. Einige dieser Ideen und Erkenntnisse gewann die Autorin während einer empirischen Doktorarbeit zum Thema Kultur- und Werteentwicklung am Fallbeispiel eines internationalen Unternehmens (Hecker 2009). Ergänzt hat sie diese danach durch Praxiserfahrung als Unternehmensberaterin bei der Strategieberatung Booz & Company, für die sie Organisationen im In- und Ausland als Expertin für Change Management berät. Dieser Text besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil bietet einleitend Metaphern für das abstrakte Thema des Artikels an (Kapitel 2), bevor Werteentfaltung und Kulturentwicklung theoretisch definiert werden (Kapitel 3). Zudem wird erörtert, warum Unternehmenskultur praktiziert aber selten reflektiert wird, um abschließend zu begründen, warum Unternehmenskultur sich zwar schwer fassen und gestalten lässt, aber dennoch ein gefragtes und erfolgsentscheidendes Thema für Unternehmen darstellt (Kapitel 4 und 5). Der zweite Teil gibt darauf hin konkrete Empfehlungen zur Gestaltung eines Kultur- und Werteentwicklungsprozesses in der Unternehmenspraxis (Kapitel 6-8).

2 Unternehmenskultur- und Werteentwicklung als Metapher Welche Metapher kann Unternehmenskultur- und Werteentwicklung treffend beschreiben? Als erstes mag vielen Personen die populäre Eisbergmetapher in Anlehnung an Scheins Modell (1985) der drei Ebenen einer Unternehmenskultur einfallen (s. Abbildung 1). Manche halten diese Metapher jedoch für „abgedroschen“ oder „alt und kalt“. Zwar verdeutlicht diese Metapher, dass das Wesentliche einer Unternehmenskultur auf den ersten Blick nicht erkennbar ist.

185

2 Werte Werte

3 Grundannahmen Grundannahmen

sichtbar

Artefakte Artefakte

Nicht sichtbar

1

Trotzdem fehlt dieser Metapher ein wichtiges Element, nämlich eine Aussage zur Gestaltbarkeit der Kultur in Organisationen. Aktuelle Fragen in Unternehmen lauten nicht: „Wie können wir Unternehmenskultur auffassen?“, sondern meistens: „Wie können wir unsere Unternehmenskultur in Richtung Hochleistungskultur entwickeln?“

Das Bild eines kräftigen Baumes, der durch ein Haus in seine bestimmte Form gezwungen wird (s. Abbildung 2), kann dazu als eine Metapher dienen, weil es Abbildung 1: „Alt und kalt?“ – Unternehmenseinerseits verdeutlicht, dass sich eine Unkultur als Eisberg (vgl. Schein 1985) ternehmenskultur – symbolisiert durch den Baum – kraftvoll und eigenmächtig entwickelt. Zur selben Zeit kann sie jedoch durch organisationale Eingriffe – symbolisiert durch das Haus – in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Diese Annahme, dass die vollkommene Kontrolle einer Unternehmenskultur nicht möglich ist, ein gezielter Eingriff jedoch durchaus – ist eine in der Wissenschaft aktuell vorherrschende Grundannahme zu Unternehmenskultur1 und Ausgangspunkt für diesen Text2. Abbildung 2: Kräftig aber lenkbar: Unternehmenskultur als teilweise gestaltbar (Foto: Frank Bahr)

3 Werteentfaltung will festschreiben und Kulturentwicklung will die Veränderung Was ist unter einem Prozess der Werteentfaltung und Kulturentwicklung in Unternehmen überhaupt zu verstehen? Dieser Prozess umfasst zwei Aspekte: Der erste Aspekt, die Werteentfaltung, entspricht dem, was Wieland (2004) Wertemanagement nennt und die Einführung von Unternehmenswerten im Sinne einer Bewusstmachung bereits mit Leben erfüllter Werte beschreibt. Ziel der Werteentfaltung ist es, die Unternehmensidentität und die vorhandenen Ist-Werte zu manifestieren, um sie bspw. an neu akquirierte Auslandsstandorte transportieren zu können. 1

Einen guten Überblick über Diskurse zum Thema Unternehmenskultur leistet Rathje (2004) Dieser Standpunkt entspricht dem so genannten gemäßigten Ansatz zwischen den zwei Extremen des ideationalen oder strukturalistischen Ansatzes und dem soziokulturellen oder funktionalistischen Ansatz (vgl. Rathje, 2004).

2

186

Die wesentliche Frage, die Firmen und v. a. Vertreter der Geschäftsführung jedoch umtreibt, ist weniger die nach der bestmöglichen Kodifizierung von Werten, sondern die nach Wegen der Kulturentwicklung, also die Frage danach, wie sie die Kultur ihres Unternehmens in eine bestimmte Richtung entwickeln können. Beispielsweise wollen sie wissen, wie sie die Gruppe ihrer Führungskräfte und deren Mitarbeiter dazu bringen und in die Lage versetzen können, die wünschenswerten Werte und die angestrebte Kultur dauerhaft mit Leben zu erfüllen. Eine Wirkung, die Unternehmen sich somit von Werteentfaltungs- und Kulturentwicklungsprozessen versprechen, ist – neben der Beschreibung der Identität über die Werteentfaltung nach innen und außen – eine Kulturveränderung. Dabei wird Unternehmenskultur in Anlehnung an Hansen (2000) als Gesamtheit der Gewohnheiten verstanden, die sich in Standardisierungen der Wahrnehmung, in der Kommunikation sowie im Denken, Empfinden und Verhalten ausdrücken. Ziel der Kulturentwicklung ist es somit, spezifische Denk-, Wahrnehmungs- und Verhaltensgewohnheiten einer größtmöglichen Menge an Mitarbeitern in eine gewünschte Richtung zu verändern, bevor sie möglicherweise in ein Misserfolgsmuster kippen. In der Praxis ist Kulturentwicklung gefragt: Immer häufiger wollen Unternehmen ihre Kultur in eine bestimmte Richtung bewegen, um zum Beispiel Kundenorientierung, Hochleistung oder Innovation zu ermöglichen, wissen aber häufig nicht, wie sie vorgehen können.

4 Unternehmenskultur wird typischerweise praktiziert, aber nicht reflektiert Doch warum ist Unternehmenskultur in der Praxis eigentlich so schwer fass- und gestaltbar? Ein Grund liegt wohl darin, dass Unternehmenskultur ein letztlich nie umfassend objektivierbares Ergebnis eines komplexen und langjährigen sozialen Geschehens ist. Sie drückt sich somit nicht in harten Fakten und Zahlen, sondern v. a. in emotionaler Qualität und Interaktion aus. Daher kann ihr Wesen letztlich hauptsächlich erlebt und nicht gemessen oder berechnet werden. Dem Außenstehenden teilt sie sich in der spezifischen Kommunikation, dem Verhalten, in Strukturen und sozialen Ereignissen mit unverwechselbaren Gesetzten und Spielregeln mit. Doch dem Internen ist die Kultur oder „Unkultur“ seiner Gruppe oftmals gar nicht bewusst, weil er direkt betroffen ist, er selbst möglicherweise nichts anderes kennt und diese „Lebensart“ für selbstverständlich hält (vgl. Doppler/Lauterburg 2002; Schein 2003). In Unternehmen besteht selten eine klar artikulierte Vorstellung über die eigene Kultur und Kompetenz, denn Unternehmenskultur wird typischerweise praktiziert, aber nicht reflektiert (vgl. Schreyögg und Kliesch 2006: 47). Unternehmenskultur könne somit als „komplexe Kompetenz“ (ebenda) aufgefasst werden. Sie ist einerseits aufgrund ihrer Komplexität schwer zu durchdringen, stellt aber andererseits genau dadurch einen strategischen Vorteil für Unternehmen dar, weil ihr Muster durch diese spezifische Kombination von Ressourcen und Kompetenzen zu einer schwer imitierbaren Größe wird. In diesem komplexen Charakter der Kompetenz 187

vermuten u.a. Schreyögg und Kliesch (2006) eine wesentliche Ursache für die Entstehung von nachhaltigen – weil kaum imitierbaren – Wettbewerbsvorteilen. Wie viele Unternehmen wollten nicht schon den Toyota-Erfolgs-Code knacken, jedoch ohne Erfolg. Einen überzeugenden Nachweis über eine Unternehmenskultur, die Erfolg garantiert, gibt es bisher zwar immer noch nicht, unbestritten ist in der Praxis aber die prinzipielle Erfolgswirksamkeit jenes Phänomens. Ihr Vorteil gegenüber Strukturen und Strategien liegt somit darin begründet, dass sie für andere nicht einfach zu kopieren ist. Doch starke Unternehmens- und Wertekulturen haben zwar einerseits eine deutlich positive Seite, sie bergen jedoch auch Gefahren wie die, durch ihre rigiden Tendenzen in ein Misserfolgsmuster zu kippen. Vor diesem Hintergrund sind Werteentfaltungsund Kulturentwicklungsprozesse motiviert, die somit neben der Festschreibung der Identität einen kontinuierlichen Veränderungsprozess anstreben. Dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, zeigt sich beispielsweise in den nur wenigen veröffentlichten Erfahrungsberichten zu Kulturentwicklungsprozessen in Unternehmen.

5 Unternehmen widmen verstärkt den weichen Aspekten Beachtung Wieso ist Werteentfaltung und Kulturentwicklung trotz der Schwierigkeiten ein aktuelles Thema, das die Unternehmenspraxis als erfolgsentscheidend betrachtet? Zum Beispiel zeigt sich deutlich, dass deutsche Unternehmen in den vergangenen Jahren dazu übergegangen sind, ihre Unternehmenskultur bzw. ihre Unternehmenswerte auch schriftlich zu fixieren, um so ihre Identität zu schärfen. Mit der Ausnahme von zwei Unternehmen – Thyssen-Krupp und TUI – verfügten Ende 2006 alle Dax-30-Unternehmen über ein schriftliches Leitbild zur Unternehmenskultur und ihren Werten (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung 4.12.2006: 20). Weil ein Verweis auf Gesetzestreue alleine nicht mehr ausreicht, sollen Wertemanagementsysteme eingeführt werden, die darauf abzielen, die Mitarbeiter über ein Kommunikations-, Anreiz- und Kontrollsystem auf Fairness, Offenheit und Ehrlichkeit oder ähnliche Werte zu verpflichten. „Weiche Faktoren“ rücken somit in den Vordergrund, also die menschliche Seite der Organisationen. In der Vergangenheit sollten besonders Organisationsentwicklungskonzepte wie bspw. Business Reengineering oder Lean Production eine Anpassung der Unternehmensstrukturen an veränderte Umweltkonstellationen und somit eine Neuausrichtung innerhalb des Unternehmens bewirken. Doch die Implementierung solcher Programme zeigte, dass eine Veränderung harter Faktoren nicht ausreicht, um eine Neuausrichtung zu erreichen. Daher gewann die Unternehmenskultur mit Werten als weiche Faktoren zunehmend an Bedeutung für den Erfolg von Unternehmen, selbst wenn ein Nachweis für den Zusammenhang von Werten, Unternehmenskultur und Erfolg weiterhin aussteht. Eine Gefahr liegt darin, dass Manager Werte und Kultur in Organisationen als eine Art „Weichspüler“ betrachten und behandeln, ohne den „die Wäsche auch sauber“ wird. In der Praxis ist jedoch erfolgsentscheidend, ob vermeintlich „weiche“ Themen wie Werte und Kultur als strategische Elemente langfristig

188

ernst genommen und „hart“ gemanagt werden, also so wie andere Vorhaben durch ein mittel- bis langfristig angelegtes Projektmanagement umgesetzt werden. Doppler/Lauterburg (2002) zum Beispiel schreibt Unternehmenskultur die Bedeutung eines zentralen Erfolgsfaktors zu. Er ist der Auffassung, dass es keine effizientere Steuerung als eine ausgeprägte, in sich stimmige Unternehmenskultur gibt. Wenn die allgemeine Marschrichtung stimme, könne der Rest vertrauensvoll der dezentralen Selbstorganisation überlassen werden, so dass aufwändige Koordinations- und Kontrollsysteme entfallen (vgl. Doppler/Lauterburg 2002: 391). Mit diesem Ziel treffen Unternehmenskultur und damit Werteentfaltungs- und Kulturentwicklungsprozesse den Puls der Zeit, erfordern jedoch einen hohen Arbeitseinsatz und Durchhaltevermögen. Den Netzwerkgedanken, die Selbstorganisation von Systemen, die Dynamisierung und Flexibilisierung bspw. von organisationaler Kompetenz und die Eigeninitiative von Mitarbeitern zu fördern, fordern viele aktuelle Autoren (bspw. Kruse 2006; Simon 2004; Rüegg-Stürm 2003; Teece/Pisano/Shuen 1997 in Schreyögg/Kliesch 2006). Diese Forderungen entstehen angesichts der steigenden Komplexität innerhalb und außerhalb von Unternehmen, die sich beispielsweise äußert in der Unüberschaubarkeit betrieblicher Abläufe und der Anonymität zwischenmenschlicher Beziehungen. Insgesamt zeigt sich, dass sich bisher kein erfolgversprechendes Vorgehen zum geplanten kulturellen Wandel durchgesetzt hat bzw. vorliegt. Klar ist jedoch, dass Unternehmen zur Sicherung ihres Erfolgs die Unternehmenskultur entsprechend der externen und internen veränderungsinitiierenden Einflussfaktoren an die geänderten Anforderungen adaptieren müssen, ohne dabei den traditionellen sinngebenden Kern aufgeben zu dürfen.

6 Empfehlungen für die Praxis Welche Empfehlungen sind – trotz aller Widrigkeiten – hilfreich, um eine Kultur- und Werteentwicklung in der Praxis zu planen und zu gestalten? Drei handlungsleitende Empfehlungen werden im Folgenden konkret beschrieben: • Empfehlung 1: Planung der Kultur- und Werteentwicklung anhand eines Pro-

zessmodells, zum Beispiel in Anlehnung an das unten dargestellte (s. Abbildung 3). • Empfehlung 2: Nutzung eines bewährten Unternehmenskulturmodells für die

Analyse, zum Beispiel das bereits oben erwähnte Drei-Ebenen-Modell von Schein (1985) (z.B. s. Abbildung 4). • Empfehlung 3: Einsatz innovativer Methoden, um die Intelligenz im Unter-

nehmen optimal zu nutzen, sowohl für die Datensammlung, Analyse und vor allem für die Gestaltung der Kultur- und Werteentwicklung. Als Beispiel dient die World Café Methode.

189

Da Unternehmenskultur und Werte in Organisationen ein vergleichsweise abstraktes Thema darstellen, ist es lohnenswert, für die Planung und Gestaltung so konkrete Ansatzpunkte wie möglich zu finden und aufzuzeigen. Dafür empfiehlt es sich, eine Kultur- und Werteentwicklung anhand eines Prozessablaufs anschaulich und nachvollziehbar zu planen, wozu das folgende Prozessmodell als Beispiel dient:

1

ZIEL DEFINIEREN

Schritt

Erfolgskriterien und Ist-Kultur verstehen

Ziel-Kultur entwerfen  Ziel-Kultur und -Werte bestimmen auf der Basis der Vision, Mission, Strategie und dem Ergebnisse der Analyse (Schritt 1)

Ergebnis

Aktivität

 Commitment der Führung sicherstellen  Arbeitsgruppe mit Vertretern der Schlüsselbereiche des Unternehmens bilden  Ist-Kultur und die wahren geteilten Werte im Unternehmen ermitteln und verstehen anhand eines mehrstufigen Analyseansatzes

 Ideale Ziel-Kultur beschreiben

 Profile der Ist-Kultur und -Werte  Beschreibung der Ziel-Kultur und -Werte

2

ANALYSIEREN

Notwendige Veränderungen benennen  Lücke zwischen Ist- und Ziel-Kultur bestimmen  Lücken priorisieren, wichtigste Veränderungen festlegen  Organisationsweite/s Verhalten und Kompetenz definieren, Hürden analysieren und Wege zur Überwindung der Hürden entwickeln, um Ziel-Kultur und Werte zu erreichen  Veränderungsvorhaben und -grund im Unternehmen kommunizieren  Analyse der Lücken und der notwendigen Aktionen  Kommunikationsplan

3

HANDELN Aktivitäten umsetzen und bisherigen Erfolg beurteilen

Aktivitäten zur Förderung des neuen Verhaltens entwickeln  Aktivitäten und Programme zur Erreichung der ZielKultur entwickeln

 Initiativen und Programme starten, z. B. Orientierungsprogramm, Werte Workshops, Anerkennungsprogramm Führungskräfteschulung, etc.

 Weitere Schlüsselaktivitäten identifizieren und  Trainings zu speziellen priorisieren: Themen durchführen, z. B. Personalauswahl und Kundenorientierung entwicklung / Training, (entsprechend der Orientierungsprogramm gewünschten Zielkultur für neue Mitarbeiter, und -Werte; s. Schritt 3) Talentmanagement,  Führungskräfte schulen Entlohnungssystem / und coachen, um sie bei Bonus, Motivationsder Umsetzung zu programme, unterstützen Führungskultur, Unternehmenskommuni  Erfolg überprüfen und ggf. -kation usw. Aktivitäten anpassen  Beginn der Aktivitäten, Initiativen und Programme zur Erreichung der Ziel-Kultur und -Werte  Zielerreichung operationalisieren und beobachten, ob Teilziele erreicht werden

Abbildung 3: Prozessmodell zur Kultur- und Werteentwicklung (in Anlehnung an Booz & Company 2008)

Selbst wenn solch ein Prozessablauf zunächst starr und technisch erscheinen mag, hat es sich in der Praxis als nützlich erwiesen, einen nachvollziehbaren Plan als Orientierung zur Vorgehensweise der Kultur- und Werteentwicklung in den Händen zu haben. Die Umsetzung in allen Phasen darf und sollte hingegen durchaus kreativ sein. In der Anfangsphase macht ein konkreter Plan die wenig griffigen Themen Unternehmenskultur und Werte überhaupt erst „besprechbar“. Er verdeutlicht außerdem, dass vermeintlich „weiche Themen“ wie Kultur und Werte – so wie jedes andere Vorhaben in Unternehmen – systematisch geplant und gemanagt werden müssen, um im Arbeitsalltag verankert zu werden und so langfristig Erfolg zu zeigen.

190

6.1

Ziel definieren

Wie fängt man an? Nach dem oben abgebildeten Modell beginnt eine Kultur- und Werteentwicklung bei einer Auseinandersetzung mit der derzeitigen Ist-Kultur, um daraufhin idealerweise mit den Betroffenen die Ziel-Kultur zu definieren. Zur Definition der Zielkultur sollten zusammen mit Vertretern des Unternehmens relevante Kernfragen beantwortet werden, z.B.: • Gibt es bereits einen impliziten /expliziten Wertekanon im Unternehmen? • Gibt es eine ausformulierte Unternehmensvision/-mission? • Was ist die aktuelle strategische Ausrichtung des Unternehmens für die nächs-

ten 5 bzw. 15 Jahre? • Welche kulturellen Elemente benötigt das Unternehmen, um nachhaltig er-

folgreich zu sein? • Wie müssen Werte, Einstellungen und Verhalten von Mitarbeitern und Füh-

rungskräften in Zukunft aussehen, um die Unternehmensziele zu erreichen? Weitere Fragen zur Analyse der Ist- und Sollkultur bzw. -werte zeigt Abbildung 4:

Ist

Soll

Schlüsselfragen 1 • Wie interagieren die Mitarbeiter miteinander? (Z. B. Führungskräfte mit Mitarbeitern, Mitarbeiter untereinander und/oder mit Kunden) • Wie sehen die Büros aus? • Wie erhalten Mitarbeiter wichtige Informationen? • Welche Rituale gib es in der Organisation?

2 • Wie lauten die dokumentierten Werte der

Organisation? • Gibt es neben den dokumentierten weitere „wahre“ Werte, die nicht manifestiert sind? • Was bringt die Mitarbeiter dazu, diese Werte mit Leben zu erfüllen? Was hält sie ab?

3

Artefakte

Werte

Grundannahmen

• Wie lauten die ungeschriebenen Regeln? • Wenn die Mitarbeiter einem Freund einen Rat geben könnten, wie sie in der Organisation erfolgreich sein könnten, wie lautete er? • Was bemerken neue Mitarbeiter häufig als erstes in dem Unternehmen? • Was wird als selbstverständlich angesehen?

Lücke

Abbildung 4: Analyse der Ist- und Ziel-Kultur und -Werte in Anlehnung an Schein’s Kulturmodell (1985)

191

Typischerweise ist es für außenstehende Personen leichter als für interne, die IstKultur in Worte zu fassen und Besonderheiten hervorzuheben, da interne normalerweise einen blinden Fleck aufweisen, wenn sie beschreiben sollen, was sich für sie normal anfühlt (s. o. „Unternehmenskultur wird typischerweise praktiziert aber nicht reflektiert“). Außenstehende Personen wie beispielsweise externe Berater sind jedoch naturgemäß auf die Meinungen, Erfahrungen und Beschreibungen der Führungskräfte und Mitarbeiter angewiesen. Zur Analyse der Ist-Kultur ist daher eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden zu empfehlen, wobei der Schwerpunkt auf qualitativen Methoden liegen sollte. • Interviews und Fokusgruppen: Auf Ebene der oberen Führungskräfte einer

Organisation sollten Experten-Interviews oder Fokusgruppen genutzt werden, um die Meinungen der wichtigsten Entscheidungsträger zu eruieren. Möglich ist es, die Interviews als eine „wertschätzende Erkundung“ in Anlehnung an die Appreciative Inquiry Methode nach David Cooperrider et al. (1987) zu führen. 3

• Großgruppenmoderation, zum Beispiel mit World Cafés

oder Open Space : Um die Meinung des mittleren Managements und ausgesuchter Schlüsselpersonen abzubilden sowie von größeren Mitarbeitergruppen, bieten sich in Ergänzung zu den bereits genannten Methoden Großgruppenmoderationstechniken an, wie bspw. eine der innovativen Methoden „World Café“ nach Juanita Brown und David Isaacs (2001) oder „Open Space“ nach Harrison Owen (1993). Die World Café Methode wird weiter unten beispielhaft beschrieben (s. „6.3 Handeln“). 4

• Fragebögen: Die Meinung möglichst vieler Mitarbeiter erheben Fragebögen,

die speziell auf das Anliegen zugeschnitten sind, oder überprüfte quantitative Instrumenten wie etwa das Organizational Culture Assessment Instrument (OCAI)5 von Cameron/Quinn (1999) oder das Organizational Culture Inventory® (OCI)6 von Cooke/Lafferty (1989). Insgesamt besteht jedoch Einigkeit darüber, dass eine qualitative Arbeitsweise das Vorgehen der Wahl bei der Analyse der Unternehmenskultur sein sollte. • Ergänzende Dokumentenanalyse: Zusätzlich sollte eine systematische Aus-

wertung von vorhandenen Untersuchungen, Mitschriften und Befragungen (z.B. Mitarbeiterbefragung) erfolgen.

3

Siehe: http://www.theworldcafe.com/ (letzter Zugriff: 18.05.2009) Siehe: http://www.openspaceworld.org/ (letzter Zugriff: 18.05.2009) 5 Mit dem OCAI Instrument wird festgestellt, ob eine Organisation eher einen „internal vs. external“ Fokus hat und ob sie sich eher durch „flexibility and individuality vs. stability and control“ auszeichnet. Sechs Kulturdimensionen werden berücksichtigt. Es erfolgt eine Kategorisierung in vier Unternehmenskultur-Typen: Clan, adhocracy, market und hierarchy. 6 Das Instrument unterscheidet zwölf Faktoren und drei Unternehmenskulturtypen: Constructive, passive/defensive und aggressive/defensive. 4

192

Nicht empfehlenswert ist eine Datensammlung mit ausschließlich einer dieser Methoden, weil sie entweder die emotionale Natur einer Unternehmenskultur nicht abbilden (mit Fragebögen) oder nur eine kleine Gruppe an Personen betrachten (mit Interviews). Ideal ist daher eine Methodenmix7, der den Schwerpunkt auf zukunftsorientierte Themen legt und eine „Nabelschau“ vermeidet. In Hinblick auf die Entwicklung der Zielkultur ist es jedoch nicht ausreichend, die derzeitige Ausprägung der Unternehmenskultur in dem entsprechenden Unternehmen beschreiben und verstehen zu können. Wichtig ist ein zusätzlicher Vergleich mit anderen relevanten erfolgreichen Unternehmen (Benchmarking), sowie die Benennung von bereits bestehenden Best Practices und Vorbildern im Unternehmen, um aufzuzeigen: „Dieses Verhalten wollen wir. Das macht uns erfolgreich.“ 6.2

Analysieren

Was passiert mit den gesammelten Daten aus den Leitlinien und Strategien, den Interviews, Großgruppenmoderationen und Fragebögen sowie den definierten Best Practices und Vorbildern? Vision Zielkultur An dieser Stelle sind die Top-Führungskräfte gefordert, eine Vision für die Zielkultur zu definieren und dafür einzustehen. Dazu wird die oberste Führungsebene bspw. zu einem interaktiven Workshop eingeladen, um die Zielkultur – im Hinblick auf die erhobenen Daten – zu bestimmen und die wichtigsten Maßnahmen – zur Schließung der kulturellen Hürde – zu beschließen. Diese Aufgabe ist oftmals mühsam umzusetzen, weil Werte und Unternehmenskultur nicht selten von anderen Themen auf der Prioritätenliste der Führungskräfte verdrängt werden. Wollen sie die Werte und Unternehmenskultur jedoch ernsthaft behandeln, so ist ein Dialog auf oberster Ebene erfolgskritisch. Übersetzung der Zielkultur Die definierte Zielkultur muss in einem nächsten Schritt übersetzt werden in konkrete Handlungen, Initiativen, Aktivitäten und Programme. Idealerweise sollten diese Handlungen, Initiativen, Aktivitäten und Programme an unterschiedlichen Hebeln bzw. Systemen im Unternehmen ansetzen, um die gewünschte Kultur zu erreichen. Folgende Hebel und Kernfragen können die Formulierung von Aktivitäten leiten:

7

Es gibt noch zahlreiche weitere Vorschläge und Instrumente zur Kulturanalyse, zum Beispiel mit „dichten Beschreibungen“ nach Geertz (1983) zu arbeiten. Dazu bittet man neue Mitarbeiter in ihren ersten zwei bis drei Monaten, jeden Abend in einem Tagebuch zu notieren, was sie am jeweiligen Tag am meisten überrascht habe, um einen Zugang zu „gewachsenen Selbstverständlichkeiten“ zu erhalten (vgl. Rüegg-Stürm 2003).

193

ƒ Definiert Kultur der Disziplin ƒ Verbindet einen Namen mit jeder Aufgabe und überprüft Fortschritt ƒ Gibt Individuen Anerkennung für Ergebnisse ƒ Definiert & gestaltet Anerkennungsprogramme zu extrinsischer / intrinsischer Motivation ƒ Entwickelt Kriterien zur Leistungsmessung und verbindet diese mit Kompensationsprogrammen, die neues Verhalten / Kultur belohnen ƒ Definiert Führungsleitlinien ƒ Fördert und bildet Führungskräfte zu Change-Agenten / Katalysatoren aus ƒ Stellt Vorbildverhalten sicher und fördert Eigenverantwortung

ƒ Stellt klare, transparente und zielgruppengerechte Kommunikation sicher Verantwortlichkeit

Kommunikation

Anerkennung & Anreize

Personalauswahl

Leistungsbeurteilung

Personalentwicklung

Führung

Talent Management

ƒ Übersetzt geforderte Kompetenzen in Recruitingprozess ƒ Rekrutiert und beurteilt Kandidaten anhand dieser Kompetenzen und der erwünschten Kultur ƒ Gestaltet interne Schulungen entsprechend neuer Kompetenzen zur Erlernung neuen Verhaltens und geforderter Fähigkeiten ƒ Definiert Auswahlkriterien von Talenten ƒ Definiert Karrierewege und Rotationsmodelle ƒ Definiert NachfolgePlanungsmodelle

Quelle: Booz & Company Framework

Abbildung 5: Hebel zur Kultur- und Werteentwicklung (in Anlehnung an Booz & Company 2008)

• Kommunikation: Wie erfahren alle Führungskräfte und Mitarbeiter, welche

Kultur und Werte angestrebt werden? Wie werden neue Mitarbeiter informiert? • Personalauswahl: Wie schlagen sich die angestrebte Kultur und die Werte in

Kompetenzen nieder? Wie sollen Kandidaten entsprechend dieser Kompetenzen in Zukunft rekrutiert, eingestellt und bewertet werden? • Personalentwicklung: Inwiefern müssen Schulungsangebote überarbeitet

oder neu entwickelt werden, um das angestrebte Verhalten der Führungskräfte und Mitarbeiter in der Organisation zu unterstützen? • Talent Management: Inwiefern ist die Chance auf eine interne Karriere für

Mitarbeiter abhängig davon, ob sie die Firmenwerte mit Leben erfüllen? • Führung: Wie lassen sich die angestrebte Kultur und Werte in Führungsprin-

zipien verankern? An welcher Stelle besteht Trainingsbedarf für Führungskräfte? Welche Erfolgsgeschichten gibt es schon jetzt? • Leistungsbeurteilung: Welche Rolle spielen die Werte der Firma und Cha-

rakteristika der Untertnehmenskultur für die individuelle Leistungsbeurteilung? Werden Mitarbeiter nach den Firmenwerten beurteilt? • Anerkennung und Anreize: Inwiefern ist es attraktiv und lohnt es sich für

Führungskräfte und Mitarbeiter, sich nach der angestrebten Kultur und den Werten zu verhalten? • Verantwortlichkeit: Sind die Verantwortlichen für Kultur- und Werteent-

wicklung klar? Weiß jeder Mitarbeiter was von ihm verlangt wird?

194

Im nächsten Schritt sollte die Zielkultur übersetzt werden für die wichtigsten internen und externen Ziel- und Bezugsgruppen. Es muss klar sein für das Management, betriebliche und tarifliche Führungskräfte, Mitarbeiter, aber auch Kunden und eventuell Investoren sowie die Öffentlichkeit, was die neuen Werte und die neue Kultur auszeichnet und was von ihnen als Bezugsgruppe verlangt wird. 6.3

Handeln

Wo setzen Aktivitäten zur Kultur- und Werteentwicklung an? Nachdem die Führung der Organisation die Zielkultur definiert und die wichtigsten Maßnahmen bestimmt hat, geht es im nächsten Schritt darum, die Maßnahmen auszuarbeiten und umzusetzen, um das Unternehmen bei der Entwicklung in Richtung der Zielkultur zu unterstützen. Für die Entwicklung der konkreten Aktivitäten, Programme und Initiativen, sollte sich niemand alleine den Kopf zerbrechen, sondern möglichst die Ideen und die Intelligenz von Gruppen in der Organisation nutzen. Partizipation erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass die Programme von einer größeren Anzahl an Mitarbeitern getragen werden. Wie das funktionieren kann, zeigt bspw. die innovative World Café Methode.

7 Nutzung der kollektiven Intelligenz zur Entwicklung von Maßnahmen So wie für alle Veränderungsprozesse gelten auch für Kultur- und Werteentwicklungsprozesse einige wichtige Prinzipien, wie zum Beispiel folgende: Den Mitarbeitern muss klar sein, warum die Veränderung notwendig ist und sie sich anders verhalten sollen. Transparente Kommunikation und Dialog sind somit wichtige Erfolgskriterien. Außerdem wollen Menschen gerne mit ihren Ideen einbezogen werden und nicht eine fertige Lösung übergestülpt bekommen. Frühzeitige Beteiligung ermöglicht dies. Veränderungsprozesse sollten möglichst positiv besetzt werden; kreative Methoden und eine positive Wortwahl können das unterstützen. Im Hinblick auf diese Prinzipien hat sich die World Café Methode für Veränderungsprozesse bewährt.

195

Abbildung 6: World Café als Methode; Foto links zeigt das „World Café Europe“ in Bilbao (2008)

Das so genannte World Café ist eine kreative und zugleich einfache, aber sehr wirkungsvolle Methode, um eine mittlere oder große Gruppe von Menschen (20 bis 2000+) in ein sinnvolles Gespräch miteinander zu bringen. World Cafés können das kollektive Wissen und die kollektive Intelligenz zu einem gemeinsamen Thema wie Unternehmenskultur zutage fördern und dabei die Energie einer Gruppe beleben. Den meisten Personen macht es zudem einfach Spaß, an einem World Café teilzunehmen. Der Aufbau eines World Cafés ist informell und das Format einfach. Leitidee ist die entspannte Atmosphäre eines Straßencafés, in dem sich Menschen zwanglos und lustvoll über Themen unterhalten, die sie wirklich interessieren und angehen. Dazu sitzen die Teilnehmer in Gruppen von vier bis fünf Personen an kleinen idealerweise runden Tischen und diskutieren ein bis drei gut durchdachte Fragen zum relevanten Thema. Die zwanglose Atmosphäre und die kleinen Gruppen unterstützen die angenehme Atmosphäre, so dass die Teilnehmer beginnen, sich für einander zu interessieren, zu öffnen und untereinander wirklich zuzuhören. Besonders kommt diese Format ruhigeren Personen zu Gute, die nicht gerne vor großen Gruppen sprechen. Die Dauer von World Cafés liegt zwischen mindestens zwei Stunden und zwei Tagen. Ein World Café dient dazu, Gespräche zu initiieren, das ein bedeutsames Thema ist, zum Beispiel wie sich die angestrebte Unternehmenskultur in einem Unternehmen äußern soll. Eine Frage oder eine aufeinander abgestimmte Sequenz von Fragen lenkt die Gespräche in die gewünschte Richtung. Denkbar ist bspw. folgende Fragesequenz: 1.

Welche der dokumentierten Werte sind für Sie die Kernwerte des Unternehmens?

2.

Wer oder was zeigt die angestrebten Werte heute schon und auf welche Art und Weise?

3.

Wovon sollte mehr Gebrauch gemacht werden? Wovon weniger?

196

Das World Café macht die gemeinsame Antwort der Teilnehmer aus diesen Fragen sichtbar, indem Ideen schriftlich oder als Bild festgehalten werden. Möglich ist auch der Einsatz eines „graphic recording“, wobei die Diskussionen von einem Graphiker in Bildern festgehalten werden.

Abbildung 7: Ein grafisches Protokoll einer Diskussion

Besonders sinnvoll ist diese Methode dann, wenn Sie • das Wissen, die Erfahrung und die Intelligenz vieler Personen für ein komple-

xes Thema nutzen wollen • wollen, dass alle miteinander reden und zusammen denken • die gemeinsame Sicht zu einem Thema oder zu einer Frage deutlich machen

wollen.

8 Konkrete Maßnahmen zur Implementierung Mit dem Ziel, eine Unternehmenskultur in eine bestimmte Richtung zu bewegen, sind verschiedene Initiativen möglich, die die oben genannten Hebel gezielt in Bewegung setzen. Eine Initiative könnte sich dem Hebel „Kommunikation“ widmen. Denkbar sind dazu Maßnahmen wie ein systematischer Kommunikationsplan zur Bekanntmachung der neuen Werten. Aber auch neue Richtlinien zu Besprechungen sowie zu Berichterstattungen, um Transparenz zu fördern oder Schnelligkeit durch weniger Bürokratie zu erreichen, können Bestandteil einer Kommunikationskampagne sein. Eine weitere Initiative könnte sich dem Thema „Anerkennung & Anreize“ widmen und ein Programm entwickeln, welches darauf abzielt, werteorientiertes Verhalten zu belohnen. Denkbar ist dazu bspw. ein firmeninterner gut dotierter Preis namens „VIP“ (Va197

lues in Practice). Letztendlich ist der Kreativität keine Grenze gesetzt, solange die Maßnahme für das Unternehmen und die definierte Zielkultur zielführend ist. Ohne einen bestimmten Hebel funktioniert eine Kultur- und Werteentfaltung jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht: Ohne das Commitment, ohne das Vorbildverhalten und ohne die Kommunikation der Unternehmensleitung und Führungskräfte – sie sind absolut erfolgsentscheidend.

9 Fazit Welches Fazit lässt sich zum Thema Unternehmenskulturentwicklung und Werteentfaltung ziehen? Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Unternehmenskultur und Werten in Unternehmen ist nützlich für die Praxis. Sie hilft, die grundlegend unterschiedlichen Diskurse zu kennen, um die unüberschaubare Anzahl an Unternehmenskulturmodellen, -dimensionen und -fragebögen (gelassener) einzuschätzen. Diese Kenntnis macht es außerdem leichter, grundsätzlich zu hinterfragen, ob ein Unternehmen tatsächlich eine Unternehmenskulturgestaltung anstrebt oder ein ganz anderes Ziel in das Gewand dieser Bezeichnung steckt. Wenn ein Unternehmen in der Praxis davon spricht, eine Kultur aufbauen zu wollen, die zu Schnelligkeit oder Innovation motiviert, so zielt dies meistens hauptsächlich darauf ab, das Verhalten bestimmter Mitarbeiter zu beeinflussen. Je nachdem, welches spezifische Verhalten ein Unternehmen bei welchen seiner Mitarbeitern anstrebt, kann es zielführender sein, gezielt entsprechende Hebel zu bewegen. Eine umfassende Unternehmenskulturentwicklung ernsthaft anzugehen ist kostspielig, in seinen Nebeneffekten schwer zu kontrollieren und langwierig. Aus diesem Grund haben einige Unternehmen – wie Bosch – eine Abteilung gegründet, die sich ausschließlich mit dem Thema Kulturentwicklung befasst. Sie haben erkannt, dass sie eine Kultur- und Werteentwicklung als zeitlich befristetes Projekt nicht zufrieden stellend gestalten können und ein Projekt zur Kulturund Werteentwicklung immer nur ein Anfang sein kann.

198

Literatur Booz & Company (2008): Unveröffentlichte Präsentation zum Thema Unternehmenskultur. Brown, Juanita/Isaacs, David (2001): The World Café: Living Knowledge Through Conversations that Matter, .Mill Valley CA: Whole Systems Associates. Cameron, Kim/Quinn, Robert E. (1999): Diagnosing and Changing Organizational Culture: Based on the Competing Values Framework, Prentice Hall: Wiley & Sons. Cooke, Robert A./Lafferty, J. Clayton (1989): Level V: Organizational culture inventory, Plymouth MI: Human Synergistics. Copperrider, David/Srivastva, Suresh (1987): „Appreciative Inquiry in Organizational Life“. In: Research in Organizational Change and Development, Vol.1, S. 129-169. Doppler, Klaus//Christoph Lauterburg (2002): „14. Kapitel: Veränderung der Unternehmenskultur“. In: Doppler, Klaus/Christoph Lauterburg (Hg.): Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten, Frankfurt/M: Campus, S. 451-468. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ausgabe vom 4.12.2006, S. 20. Geertz, Clifford (1983): Dichte Beschreibung, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Hansen, Klaus (2000): Kultur und Kulturwissenschaft, 2. Auflage, Paderborn: UTB. Hecker, Nathalie (2009): Werte entfalten und Unternehmenskultur prozessual entwickeln – Eine Fallstudie in einem internationalen Unternehmen in Deutschland, Indien und den USA, Hamburg: Verlag Dr. Kovač. Kruse, Peter (2006): „Management von Instabilität – Erfolgreich in intelligenten Netztwerken“. In: Beitner, Ralf P. (Hg.): Personalmanagement in der Vertriebssparkasse, Stuttgart: Deutscher Sparkassenverlag, S. 107-123. Online: http://www.nextpractice.de/topic/peterkruse/Wissenschaft.aspx, letzter Zugriff: 19.05.2009. Owen, Harrison (1993): Open Space Technology, San Francisco: Berrett-Koehler Publishers. Rathje, Stefanie (2004): Unternehmenskultur als Interkultur – Entwicklung und Gestaltung interkultureller Unternehmenskultur am Beispiel deutscher Unternehmen in Thailand, Sternfels: Verlag Wissenschaft und Praxis. Rüegg-Stürm, Johannes (2003): „Kulturen und Kulturwandel in komplexen Organisationen“. In: Wollert, Artur/Knauth, Peter (Hg.): Human Resource Management – neue Formen betrieblicher Arbeitsorganisation und Mitarbeiterführung, Köln: Wolters Kluwer, S. 1-28. Schein, Edgar H. (1985): Organizational Culture and Leadership, San Francisco: Jossy-Bass. Schein, Edgar H. (2003): „Angst und Sicherheit. Die Rolle der Führung im Management des kulturellen Wandels und Lernens“. OrganisationsEntwicklung 2003, Vol. 3, S. 1-13. Schreyögg, Georg/Kliesch, Martina (2006): „Zur Dynamisierung Organisationaler Kompetenzen – "Dynamic Capabilities" als Lösungsansatz?“. zfbf 2006, S. 31-49. Simon, B. Fritz (2004): Gemeinsam sind wir blöd?, Heidelberg: Carl-Auer. Wieland, Josef (2004): Handbuch Wertemanagement, Hamburg: Murmann Verlag GmbH.

199

Die Integration von interkultureller Personalentwicklung und Unternehmenskulturentwicklung am Beispiel des multinationalen Unternehmens Bosch Christoph I. Barmeyer, Klaus Boll, Eric Davoine

1 Einleitung Für global agierende Unternehmen stellt die Internationalisierung von Strategien, Unternehmenskulturen, Arbeitsplätzen und Aktivitäten auf allen Ebenen der Organisation eine große Herausforderung dar: Immer mehr Mitarbeiter sind in interkulturellen Kontexten tätig und deshalb mit kultureller Unterschiedlichkeit konfrontiert, die Prozesse verlangsamen oder beschleunigen kann (Adler 2008; Bartlett/Ghoshal 1989; Brewster et al. 2004; Evans et al. 2002; Mayrhofer et al. 2005).1 Damit Mitarbeiter diesen Herausforderungen begegnen können, richten viele Unternehmen ihre Personalentwicklung international aus; sie wird zunehmend zur interkulturellen Personalentwicklung. Gleichzeitig stehen global agierende Unternehmen vor der Aufgabe, ihre Entwicklung als globale Organisation zu bestreiten und den weltweiten Transfer von Wissen und Kompetenzen zu ermöglichen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten (Bhagat et al. 2002; Edwards/Rees 2006; Holden 2002; Mayrhofer et al. 2005). Nicht nur Strukturen und Prozesse müssen harmonisiert, sondern auch eine – möglichst weitgehend von den Mitarbeitern akzeptierte und geteilte – Unternehmenskultur geschaffen werden, die professionelle Identität und Orientierung gibt und die Art und Weise beeinflusst, wie Mitarbeiter im Unternehmen und in ihrem Umfeld interagieren (Brown 1998; Schein 1986; Trompenaars/Hampden-Turner 2004). Es gilt hier, eine behutsame Balance zu finden zwischen weltweiter Vereinheitlichung, die meist auf den Vorgaben der Zentrale beruht, und lokaler Anpassung, die die Bedürfnisse der Auslandsgesellschaften berücksichtigt (Barmeyer/Davoine 2007). Diese Aufgabe fällt der interkulturell ausgerichteten Unternehmenskulturentwicklung zu. Aus diesem Grund gewinnt neben der – schon seit den 1990er Jahren praktizierten – interkulturellen Entwicklung von Mitarbeitern in jüngster Zeit auch die von Organisationen an Bedeutung (Ludwig 2006). Dabei sollten interkulturelle Personalentwicklung und Unternehmenskulturentwicklung nicht nebeneinander existieren, sondern integrativ miteinander wirken, um zu einer höheren Qualität der internen wie externen internationalen Arbeitsprozesse und Kooperationen beitragen. Unternehmenskultur kann dazu als gemeinsamer Referenzpunkt dienen.

1

Aus Gründen der Lesbarkeit wird die männliche Schreibweise verwendet, auch wenn sowohl weibliche als auch männliche Individuen gemeint sind.

201

Dieser Beitrag befasst sich einleitend mit Elementen interkulturell ausgerichteter Personal- und Unternehmenskulturentwicklung, um anschließend am Fallbeispiel von Bosch auf spezifische Realisierungen integrativer Personal- und Unternehmenskulturentwicklung einzugehen. Dafür werden erst Maßnahmen interkultureller Personalentwicklung vorgestellt und abschließend der Prozess der weltweiten Einführung von Unternehmenskultur beschrieben.

2 Interkulturell ausgerichtete Personal- und Unternehmenskulturentwicklung Über die einleitend vorgestellten Definitionen wird im Laufe des Beitrags implizit referiert: Interkulturell ausgerichtete Personalentwicklung kann definiert werden als Aufbau und Erhalt leistungsfähiger Mitarbeiter und Führungskräfte durch interkulturell ausgerichtete Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Ziel ist die Deckung des Personalbedarfs durch Qualifikation und Angleichung der Anforderungs- und Kompetenzprofile sowie das Schaffen von Synergien in Arbeitsprozessen durch kulturelle Vielfalt (Adler 2008; Waxin/Barmeyer 2008). Im Vordergrund interkultureller Personalentwicklung und -qualifikation steht die Entwicklung interkultureller Kompetenz durch Maßnahmen wie Training, Coaching oder Beratung (Barmeyer 2000; Barmeyer/Haupt 2007; Bolten 2005). Interkulturell ausgerichtete Unternehmenskulturentwicklung kann als kontinuierlicher und nachhaltiger Veränderungs- und Implementierungsprozess von Werten und Praktiken verstanden werden, der zur Wertschöpfung des Unternehmens und zur wertschätzenden Zusammenarbeit von Mitarbeitern unterschiedlicher Kulturen beitragen soll. Dabei ist es von Bedeutung, dass zum einen unter Beachtung der Unternehmensidentität zugleich Neues gestaltet und Altes bewahrt wird. Zum anderen ist – um eine produktive interkulturelle Zusammenarbeit der Organisationsmitglieder zu ermöglichen – die Organisationskultur so zu gestalten, dass sie in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und Zugehörigkeiten (wie Landes-, Regional-, Berufs-, Abteilungskulturen) realisierbar ist und von Mitgliedern unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeit akzeptiert wird. Es geht also um eine kultursensible, behutsame Integration der Werte und Praktiken der Mutter- und Auslandsgesellschaften unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse der Auslandsgesellschaften. In der Praxis lässt sich feststellen, dass • interkulturelle Personalentwicklung meist auf interkulturelle Trainings und

Seminare reduziert wird. Dabei kann interkulturelle Personalentwicklung auf die Vielzahl von bestehenden und potentiellen Konzepten, Methoden und Maßnahmen zurückgreifen und diese integrativ aufeinander abstimmen (Bolten 2005; Ehnert 2004). • interkultureller Personalentwicklung zu wenig strategische Bedeutung zu-

kommt, die schließlich den Erfolg des international agierenden Unternehmens 202

sichern kann (Earley/Soon 2003; Jackson 2002). Dies würde jedoch eine stärkere Verknüpfung mit Organisationsentwicklung fordern. • sich interkulturelle Personalentwicklung bisher vor allem auf die Förderung

interkultureller Kompetenz einzelner Mitarbeiter beschränkte, anstatt jedoch Kollektive, wie Teams, Abteilungen, Geschäftsbereiche oder ganze Organisationen (Stichwort: kollektive Intelligenz) zu berücksichtigen. Diese Kollektive stehen in gegenseitigen dynamischen Informations-, Wissens- und Lernprozessen zueinander und sind Basis für Fortbestehen, Entwicklung und Erfolg der gesamten Organisation (Holden 2002; Lervik 2008). Es zeigt sich, dass interkulturelle Personalentwicklung und Unternehmens(kultur)entwicklung eng verknüpft sind und einander bedingen sollten. Um individualisierte Kompetenzen und Wissen der Mitarbeiter in der Organisation zu verbreiten, kommt der Entwicklung der Unternehmenskultur, die identitätsstiftende Elemente wie gemeinsame Visionen, Strategien, Werte, Haltungen und Arbeitsweisen berücksichtigt, eine besondere Bedeutung zu. Dabei kann interkulturelle Unternehmenskulturentwicklung dazu beitragen, das Internationalisierungs-Dilemma – zwischen zu ethnozentrischen Vorgaben der Muttergesellschaft und Berücksichtigung der lokalen Bedürfnisse der Auslandsgesellschaften – zu überwinden (Heenan/Perlmutter 1979). Aufbauend auf diesen Feststellungen wird nachfolgend auf die interkulturelle Personal- und Unternehmenskulturentwicklung von Bosch eingegangen. Das Unternehmen Bosch dient hier als Fallbeispiel und kann in Deutschland hinsichtlich der interkulturellen Aus- und Weiterbildung als Pionier angesehen werden. In den letzten Jahren wurden integrative Maßnahmen zur interkulturellen Personalentwicklung für die Gesamtheit seiner Mitarbeiter sowie wertebasierte Prozesse zur weltweiten Unternehmenskulturentwicklung konzipiert und umgesetzt.

3 Interkulturelle Personalentwicklung von Bosch Bosch ist ein internationales Unternehmen mit Sitz in Stuttgart; schon 1913 tätigte es 82 % seiner Geschäfte im Ausland. 2008 erwirtschafteten mehr als 280.000 Mitarbeiter einen Umsatz von 45,1 Milliarden Euro, wovon ungefähr 40 % in Deutschland arbeiten. Die Bosch-Gruppe umfasst die Robert Bosch GmbH und ihre mehr als 300 Tochter- und Regionalgesellschaften in über 60 Ländern der Welt; inklusive Vertriebspartner ist Bosch in rund 150 Ländern vertreten. Insofern ist Bosch – wie viele andere Unternehmen auch – starken Veränderungskräften ausgesetzt. Dynamische Märkte und Kundenbeziehungen zusammen mit starkem internationalem Wachstum stellen hohe Anforderungen an die Flexibilität und Innovationsfähigkeit des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Die zunehmende internationale Mobilität der Mitarbeiter erfordert eine integrative Personalentwicklung.

203

3.1 Internationale Mobilität: Zwischen deutscher Identität und kultureller Vielfalt Die gleichermaßen deutsche wie internationale Unternehmensidentität wird als eine von sieben Bosch-Werten, “kulturelle Vielfalt”, aufgeführt: „Wir bekennen uns zu unserer regionalen und kulturellen Herkunft und betrachten zugleich Vielfalt als Zugewinn und als Voraussetzung für unseren weltweiten Erfolg“. In diesem Sinne hat Bosch Leitlinien für eine umfassende internationale Personalstrategie entwickelt (Bosch C/HMP 2005): • Entwicklung von Managern mittels Erfahrungen internationaler Mobilität, • Intensivierung des Mitarbeiter-Austauschs verschiedener nationaler Niederlas-

sungen auf allen Hierarchieebenen, • Mobilitätspolitik, die eine Begleitung der Expatriates während ihres Aufent-

halts im Ausland und bei ihrer Rückkehr als Repatriates einschließt, • Sprachpolitik, die nicht nur Trainings in Englisch und den Sprachen der Län-

der der Zielkulturen der Expatriates umfasst, sondern auch deutsche Sprachkurse für alle Mitarbeiter, die eine andere Muttersprache haben, • Managemententwicklung über alle nationalen Auslandsgesellschaften hinweg,

was die Bildung von gemischtkulturellen Leitungsteams erlaubt, in denen zukünftig lokale Manager mehrheitlich vertreten sind. Die Entwicklung der internationalen Mobilität illustriert die zunehmende Bedeutung dieser internationalen Personalstrategie: Zu Beginn der 1990er-Jahre betrafen Auslandsentsendungen von mehr als 18 Monaten Dauer ungefähr 300 Beschäftigte, vor allem höhere Führungskräfte und ausschließlich Entsendungen von der Muttergesell2 schaft in die Auslandsgesellschaften. Diese Entsendepraxis spiegelt ein Koordinationsmodell zwischen Muttergesellschaft und Auslandsgesellschaften wider, das dem ethnozentrischen Modell von Heenan und Perlmutter (1979) ähnelt. Dieses ist gekennzeichnet von einer starken, im Stammsitz zentralisierten Entscheidungsstruktur sowie vom Transfer im Stammsitz entwickelter Standards und Instrumente in die Auslandsgesellschaften. In diesem Modell werden die Auslandsgesellschaften im Allgemeinen von Führungskräften, die von der Muttergesellschaft kommen und die Nationalität des Landes der Muttergesellschaft besitzen, geführt. Dies hat zur Folge, dass die „gemeinsame Unternehmenskultur“, die in den Auslandsgesellschaften eingeführt wird, mehr diejenige der Muttergesellschaft ist. Seit 1990 haben sich die Koordinationspraktiken zwischen Muttergesellschaft und Auslandsgesellschaften sowie die Praktiken der internationalen Mobilität innerhalb des Unternehmens Bosch schrittweise verändert. Inzwischen betrifft die Mobilität bei Auslandsaufenthalten von mehr als 18 Monaten Dauer über 2.500 Beschäftigte: Nahezu 60 % sind hierbei noch Entsendungen von der Muttergesellschaft zu den Auslandsgesellschaften, wobei es sich in den anderen Fällen um „Impatriierungen“ von den Auslandsgesellschaften zur Muttergesellschaft sowie um Transfers zwischen Auslandsgesellschaften aus verschiedenen geographischen Regionen handelt (siehe Abbildung 1). 2

„Muttergesellschaft“, „Zentrale“ und „Stammsitz“ werden in diesem Beitrag synonym verwendet.

204

EUROPA

765

130

580 238

374 51 54

74 27

AMERIKA

ASIEN, PAZIFIK, AFRIKA

Abbildung 1: Struktur und Zahlen internationaler Mobilität im Jahre 2008 (die Zahlen geben die Anzahl von Personen an) bei Bosch (Stand 01. 01. 2009).

Damit kommt die derzeitige Mobilitätspraxis einem geozentrischen Koordinationsmodell (Heenan/Perlmutter 1979) näher, das sich dadurch auszeichnet, die Vielfalt der lokalen Kulturen in einer globalen Einheit von Auslandsgesellschaft und Muttergesellschaft zu integrieren, deren gegenseitige Abhängigkeit groß ist. Im geozentrischen Modell, wie etwa bei den derzeitigen Praktiken von Bosch, beschränkt sich die Mobilität nicht mehr ausschließlich auf höhere Führungskräfte und langfristige Aufenthalte: Die über 2.500 längerfristigen Aufenthalte stellen lediglich die Spitze des Eisbergs dar, hinter der sich eine große Zahl an kurzfristigen Aufenthalten, Koordinationssitzungen internationaler Projektteams und vor allen Dingen eine Unzahl an täglichen internationalen Kontakten auf allen Ebenen der Organisation verbergen. Der geozentrische Ansatz von Bosch manifestiert sich u.a. im Konzept der „verteilten Zentrale“: Zentralabteilungen sind im Sinne einer verteilten Zentrale triadisch aufgestellt mit Büros in den USA, in Europa und in Asien/Pazifik. Diese Regionen bilden die Hauptmärkte des Unternehmens und gleichzeitig die Schwerpunkte der über 300 Firmenstandorte. Auch die Geschäftsbereiche sind „regionalisiert“: Ein hochrangiger Vertreter jedes Geschäftsbereichs repräsentiert diesen in den jeweiligen Regionen bzw. Ländern. Er stellt die Verbindung zwischen beiden Unternehmensteilen sicher und trägt dazu bei, das lokale (auch kulturspezifische) Wissen der Regionen in der Zentrale zu platzieren und zu nutzen. Mit anderen Worten: Er verschafft den Regionen zusätzliches Gehör am Stammsitz. Allerdings bleibt die Unternehmenskultur noch ge205

prägt von der nationalen Kultur der Muttergesellschaft, was teilweise durch den großen strategischen Vorteil erklärt werden kann, den das Image des „Made in Germany“ international darstellt. 3.2

Integrative Maßnahmen interkultureller Personalentwicklung

Im Rahmen der internationalen Personalentwicklung fördert Bosch explizit die interkulturellen Kompetenzen seiner Mitarbeiter, um die Zusammenarbeit zwischen Auslandsgesellschaften und Joint-Ventures sowie mit externen Partnern zu verbessern. Dabei geht es um ein Bewusstwerden der Bedeutung interkultureller Kompetenz, intensiver Kommunikation und effizienter Unterstützung der Abteilungsleiter zum Nutzen der Personalentwicklungsabteilung. Hierzu dienen zwei Maßnahmen-Teile: 1. Der erste Maßnahmen-Teil interkultureller Personalentwicklung ist die Weiterbildung: Drei Arten von Weiterbildung werden entsprechend dreier Zielgruppen angeboten: Mitarbeiter, die regelmäßig mit fremden gruppeninternen oder -externen Partnern in Kontakt stehen, Mitglieder internationaler (virtueller) Projektteams und zukünftige Expatriates (Bosch C/HDL2, 2005). ̶ Die Trainingsziele der ersten Gruppe sind hauptsächlich die Entwicklung allgemeiner interkultureller Kompetenz (z.B. Sprachkompetenz, kulturelle Sensibilität und Ambiguitätstoleranz) sowie kulturraumspezifischer Kompetenz. Die Trainings richten sich an Mitarbeiter, nicht ausschließlich an Führungskräfte. Hierzu gehören vertiefende länderspezifische Schulungen, die nach Bedarf in verschiedenen Phasen der beruflichen Laufbahn besucht werden können. ̶ Trainings zur Arbeit in (virtuellen) multikulturellen Teams werden ebenfalls einem breiteren Publikum, nicht nur den Teamleitern angeboten. Diese Maßnahmen richten sich insbesondere an Mitarbeiter in abteilungsübergreifenden internationalen Projekten, die nicht unbedingt im Verlauf des Projektes den Standort verlassen. Diese Trainings umfassen Inhalte und Übungen, die mit allgemeinen interkulturellen Kompetenzen zusammenhängen, jedoch auf den spezifischen Kontext der Arbeit in multikulturellen Teams angewandt werden. ̶ Schließlich besteht das Training der zukünftigen Expatriates aus einem Schulungszyklus, der mit einer interkulturellen Vorbereitung des Expatriates und seiner Familie beginnt. Diese Vorbereitung behandelt allgemeine Elemente von Interkulturalität, Informationen über das Gastland sowie verschiedene Aspekte persönlichen interkulturellen Lernens wie Anpassung und Integration. In der zweiten Phase folgt ein Integrationsworkshop für Expatriates und ihre Familien am Einsatzort. Bei der Rückkehr, also in der dritten Phase, nehmen der Expatriate und seine Familie an einem Reintegrationsworkshop teil. Die letzte Phase des Zyklus ist der Einsatz eines ehemaligen Expatriates als „country advisor“, Kulturreferent, der dazu eingeladen wird, seine Erfahrungen mitzuteilen und als Ansprechpartner und Know-How-Träger im Unternehmen zur Verfügung steht. 206

2. Der zweite Maßnahmen-Teil der interkulturellen Personalentwicklung besteht aus einer Gesamtheit von Maßnahmen im Sinne von Austausch und Vernetzung, die eine Vertiefung von interkulturellem Wissen innerhalb des Unternehmens betreffen: ̶ Es existieren über 20 „Kulturprofile“ in deutscher und englischer Sprache, die kulturelle wie praktische Informationen über die Zielländer internationaler Mobilität beinhalten. Diese von Wissenschaftlern und erfahrenen Kulturexperten (wie z.B. interkulturellen Trainern und Beratern) erstellten Profile werden regelmäßig aktualisiert, sind für alle Mitarbeiter (u.a. die zukünftigen Expatriates) verfügbar und im Intranet der Weiterbildungsabteilung zugänglich. ̶ Hunderte ehemaliger Expatriates werden für den Einsatz im Rahmen von Trainings ausgebildet. Einige dieser „Kulturreferenten“ („culture experts“) kommen in Workshops, aber auch bei internationalen Projekten oder zur Beratung bei spezifischen internationalen Fällen zum Einsatz. ̶ Intranet-Foren („News Nets“ und „interkulturelle Portalräume“) mit Informationen zur Arbeits-, Geschäfts- und Alltagskultur verschiedener Länder wurden eingerichtet. In den News Nets tauschen mehrere Tausend Mitarbeiter auf eigene Initiative mehrmals monatlich – vorwiegend informell – Neuigkeiten zu den jeweiligen Kulturen aus. ̶ Treffen von Repatriates finden am Stammsitz zum Erfahrungsaustausch über bestimmte Länder (z.B. Japan und China) statt. ̶ Berichte über den Auslandsaufenthalt werden nach Rückkehr an organisationsinterne Mentoren gegeben, die die Expatriates während ihrer Integrationsphase begleitet haben. Diese verschiedenen Maßnahmen erlauben es, innerhalb des Unternehmens auf kollektive und stark kontextualisierte Art und Weise kulturbezogenes und interkulturelles Wissen aufzubauen, wobei regelmäßig über kulturelle Besonderheiten und Unterschiede kommuniziert wird. Diese Maßnahmen ermöglichen ebenfalls Austausch und Dialog zwischen verschiedenen nationalen Gruppen, Standorten, Geschäftsbereichen und Hierarchieebenen. Hiermit wird das angestrebte Ziel des Austauschs erworbener Kenntnisse und Kompetenzen erreicht. Dennoch herrscht bei Bosch das Bewusstsein, dass die interkulturelle Personalentwicklung nur dann eine nachhaltige Wirkung entfalten kann, wenn sie in die internationale Unternehmensentwicklung integriert wird.

4 Internationale Unternehmenskulturentwicklung von Bosch Bosch hat seine Unternehmenskultur anhand des „House of Orientation“ definiert, eines Instruments, das in aufeinander folgenden Ebenen Vision, Leitbild, Werte und Kernkompetenzen sowie Management-Methoden vor dem Hintergrund lokaler, regionaler und kulturspezifischer Besonderheiten verbindet. Das „House of Orientation“ 207

beschreibt, was Mitarbeiter motiviert, über welche Kernkompetenzen das Unternehmen verfügt und wofür es steht. Es dient als kulturell übergreifender Rahmen für die Personal- und Unternehmensentwicklung deutschen Ursprungs mit internationaler Ausrichtung: „Als Mitarbeiter verbindet uns in aller Welt ein einzigartiger Zusammenhalt durch tägliches Leben unserer Werte. Wir schöpfen aus der Vielfalt der Kulturen zusätzliche Kraft.“ (Bosch Unternehmenskultur). 4.1

Werte-Entstehungsprozess

Bosch hat seit 1999 sein Leitbild BeQIK3 entwickelt, das den Weg hin zu höherer Wettbewerbsfähigkeit weisen soll. Dem zentralen Leitbild BeQIK, in dem das Erfordernis größerer Schnelligkeit anklingt, sind dabei zwei weitere Aspekte zugeordnet: „Be Better“ und „Be Bosch.“ Um dieses Leitbild wirksam werden zu lassen, fand zunächst eine Beschäftigung mit den „harten Faktoren“ statt, bei denen Ansatzpunkte für Verbesserungspotential vermutet wurden. Technische und ablaufbezogene Antworten, etwa auf die Forderung nach höherer Prozessgeschwindigkeit, waren so in der Tat schnell gefunden. Im gleichen Zuge stellte sich jedoch heraus, dass auch „weiche Faktoren“, insbesondere Kulturfaktoren, für die Verwirklichung des Leitbildes bearbeitet werden müssten. Konkret ging es darum, das Element „Be Bosch“ mit Inhalt und Leben zu füllen. In der Folge initiierte die Geschäftsführung einen unternehmensweiten Prozess, im Zuge dessen sie einen Bosch-Wertekanon erstellte. Werte, so die Überlegung, geben in Zeiten des Wandels Orientierung, gleichzeitig weisen sie eine Richtung vor, in die der Wandel gestaltet werden soll. In vielen parallelen und dezentralen Maßnahmen wird dieser Wertekanon in den verschiedenen Geschäftsbereichen und Standorten mit Leben gefüllt und im Geschäftsalltag umgesetzt. Die Initialphase dieses Prozesses in Gestalt eines Anschubprojektes wurde im Juni 2003 abgeschlossen und in ein standardmäßiges – wenngleich weiterhin dezentrales und vielfältiges – Vorgehen überführt. Die Formulierung und Umsetzung der Werte verfolgt drei grundlegende Ziele: 1.

eine gemeinsame Identität in dem weitverzweigten internationalen Unternehmen zu stärken

2.

die Motivation und Orientierung der Mitarbeiter zu steigern

3.

mögliche Überregulierungen von Abläufen im Unternehmen durch Eigeninitiative und eine Vertrauenskultur zu ersetzen

Am Anfang stand eine weltweite qualitative Befragung (Interviews) von 300 Mitarbeitern verschiedener Hierarchieebenen nach den für sie geltenden wichtigsten Werten im Unternehmen. Diese von externen Beratern durchgeführte Erhebung brachte ein für alle überraschendes Ergebnis. Die Befragten stimmten – unabhängig von Standort, kul-

3

BeQIK steht für „Sei Qualität, Innovation, Kundenorientierung“.

208

turellem Hintergrund und Hierarchiestufe – weitgehend in ihrer Sichtweise überein, welche grundlegende Werte das Unternehmen Bosch bestimmen oder bestimmen sollen. Die Geschäftsführung stellte die Ergebnisse dieser Erhebung Ende 2001 auf einer Versammlung der leitenden Direktoren vor. Die Erhebung machte deutlich, dass es nicht darum gehen würde, einen grundlegend neuen Wertekanon zu schaffen, sondern vielmehr herauszufiltern, welche Werte das Unternehmen bisher erfolgreich gemacht haben, welche Werte neu akzentuiert, welche Werte sich verändern oder hinzukommen sollten, damit Bosch auch in Zukunft erfolgreich sein kann. Und schließlich – diese Werte im realen Alltag zu leben. Die Konkretisierung dieses Wertekanons nahm die Geschäftsführung eigenhändig vor, nachdem die Ergebnisse der Untersuchung nochmals den Befragten vorgelegt und Entwürfe in verschiedenen Runden von Führungskräften diskutiert worden waren. Diese Vorgehensweise berücksichtigte einerseits Stimmen und Meinungen aus dem Unternehmen, stellte anderseits jedoch bewusst und explizit eine Vorgabe der Geschäftsführung dar. In der schriftlich vorgelegten Fassung von Juni 2002 sind folgende Elemente als Teil des Bosch-Wertekanons definiert: 1.

Zukunfts- und Ertragsorientierung

2.

Verantwortlichkeit

3.

Initiative und Konsequenz

4.

Offenheit und Vertrauen

5.

Fairness

6.

Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Legalität

7.

Kulturelle Vielfalt

Im nächsten Schritt wählte Bosch folgendes Vorgehen für die Verbreitung des Wertekanons innerhalb des weit verzweigten Unternehmens: Zunächst wurde er im Kreis der 50 obersten Führungskräfte diskutiert, sodann in Seminaren der leitenden Direktoren (meist Leiter von Geschäftsbereichen, Zentralabteilungen und Regionalgesellschaften) mit ihren Führungskräften. Im weiteren Vorgehen erhielt jeder Standort oder Geschäftsbereich den Auftrag, diese Werte in Abhängigkeit von den lokalen Erfordernissen und Rahmenbedingungen in den Alltag zu transportieren. Diese Vorgabe beinhaltete von Anfang an die Freiheit, bestimmte Werte ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und die Vermittlungskanäle wie den Zeitrahmen selbst festzulegen. Parallel formierte sich in der Zentrale in Deutschland eine Projektgruppe des Bereiches „Führungskräfteentwicklung und kontinuierliche Verbesserungsprozesse“ zur Unterstützung der Werteentfaltung durch Beratung, Workshops- und Kommunikationsdesigns sowie Ausbildung lokaler Moderatoren. Aufgabe dieser Projektgruppe war weiterhin die Anpassung und Verzahnung sämtlicher Führungs- und Qualifizierungsinstrumente mit dem neuen Wertekanon. Das auf ein Jahr angelegte Projekt gliederte sich konkret in die Subprojekte: 209

• Werteentfaltung und -kommunikation in den Geschäftsbereichen und Regio-

nalgesellschaften • Modernisierung der Führungsleitlinien • Abgleich mit den Führungsinstrumenten weltweit • Abstimmung von internen Weiterbildungen (z.B. Führungskräftetraining,

Workshops für neue Mitarbeiter/innen) mit dem Wertekanon Maßnahmen der Werteentfaltung, wie sie mit dem Projekt erstmals initiiert wurden, legen einen besonderen Fokus auf Führungskräfte, da diesen eine zentrale Rolle als Vorbilder für die gelebten Unternehmenswerte zukommt. Die Mitarbeiter begegnen diesen Werten immer wieder, denn sie sind eingebettet in sämtliche Routinemaßnahmen der Führung und Weiterbildung des Unternehmens. Auch nach Abschluss des unterstützenden Projektes bietet die zentrale Führungskräfteentwicklung weiterhin Beratung und weiterführende Instrumente im Prozess der Werteentfaltung an. Sie spielt auch eine Rolle bei der Organisation des Erfahrungsaustausches zwischen den Geschäftsbereichen und Regionalgesellschaften. Doch gibt es keine zentrale Steuerungs- und Monitoringfunktion. Die Verantwortung liegt gänzlich bei den Leitungen vor Ort. 4.2

Kulturelle Vielfalt und gewollte Ambivalenzen

Wie im Prozess der Werteentfaltung, so wird auch in der inhaltlichen Ausgestaltung der Werte vor Ort auf weitere Vorgaben der Zentrale verzichtet. Den Urhebern des Wertekanons ist bewusst, dass die Auslegung und Interpretation der Werte und ihre Übertragung in Verhaltensweisen von vielen kontextuellen Faktoren, wie der jeweiligen Landeskultur abhängt. Variationen und Bandbreiten sind akzeptiert oder sogar erwünscht. Die Werte sollen ein gemeinsames verbindliches Fundament minimaler Standards legen. Nur wenige Werte – etwa „Legalität“ – lassen keinen Interpretationsspielraum zu. Dagegen wird unter dem Wert „Offenheit“ im deutschen Kontext gewöhnlich mehr explizites Äußern verstanden als in einem asiatischen, in dem das Bestreben, das Gesicht zu wahren, eine wichtigere Rolle spielt. Gleichwohl werden Mitarbeiter durch die Wertsetzung „Offenheit“ unabhängig von Kultur und Standort aufgefordert, für die (Zusammen-) Arbeit und ihre Ergebnisse relevante Informationen und Einschätzungen weiterzugeben. In der Zusammenarbeit zwischen Kulturen kann solch ein Wert als Vehikel für Diskussionen über verschiedene Interpretationen und Annährungsmöglichkeiten dienen. Es kann zudem Mut machen, neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Das Beispiel des Wertes „Fairness“ zeigt, dass manche Begriffe keine Äquivalenz in anderen Sprachen haben und auch vergleichbare Konzepte je nach Umfeld unterschiedlich ausfallen können. Eine portugiesische Arbeitsgruppe kam z.B. zu dem Schluss, dass für den kulturellen Kontext Portugals am ehesten „Transparenz“ (transparencia) richtig wäre, während brasilianische Kollegen für sich „Ehrlichkeit“ 210

(honestidade) und „Aufrichtigkeit“ (sinceridade) übersetzen. Deutsche Mitarbeiter/innen verbinden mit „Fairness“ – vielleicht mit Blick auf die hiesige Unternehmenstradition – auch Schutz und Rücksicht; im angelsächsischen Kontext wiederum kann er leicht das Gegenteil bedeuten, nämlich schonungslose Offenheit zum Nutzen aller Beteiligten. Unternehmenskultur und lokaler kultureller Kontext befinden sich so in einer dynamischen Interaktion. Unternehmenswerte werden durch die „lokale kulturelle Brille“ interpretiert; mal steht der eine, mal der andere Aspekt im Vordergrund. Die passende Mischung ist situativ immer wieder auszubalancieren. Festzuhalten ist, dass bei Bosch beiden Teilen – einer gemeinsamen und damit verbindenden Wertebasis und kultureller Vielfalt – eine große Bedeutung zugemessen wird. Das Gemeinsame erhält Vorschub schon durch die Selektion bei der Einstellung von Mitarbeiter/innen. In den Bosch-Regionalgesellschaften kann man beobachten, dass der einheimische Mitarbeiterpool sich tendenziell aus Menschen zusammensetzt, die mit den klassischen Bosch-Werten sympathisieren und sich manchmal damit in einem Widerspruch zu der mehrheitlichen Landeskultur befinden. Werte wie Verantwortung und Zuverlässigkeit – die auch eine Beziehung zu den Bosch-Produkten haben – entwickeln so eine Filterfunktion, die im Unternehmen positiv gesehen wird, da dadurch innerhalb aller Vielfalt ein grundlegendes Maß an Gemeinsamkeit gewährleistet ist. Kulturelle Vielfalt ist auf der anderen Seite schließlich eines der ausdrücklich formulierten sieben Konzepte des Wertekanons. Dies beinhaltet nicht nur landes- und regionalkulturelle Verschiedenheit als eine anzustrebende Größe, sondern auch Unterschiede in Bezug auf Gender, Alter usw. Denn über den formulierten, begrenzten Wertekanon hinaus existiert natürlich noch eine Vielzahl von Bereichen, in denen sich unterschiedliche kulturelle Einstellungen, Stile, Präferenzen und Praktiken manifestieren können. Diese Vielfalt bezeichnet der Wertekanon als „Zugewinn und Voraussetzung für [...] den weltweiten Erfolg“ (Bosch-Broschüre 2009) des Unternehmens. Ob im internationalen oder nationalen Kontext – eine zentrale Bedeutung hat der Wertekodex in allen Dilemma- und Entscheidungssituationen, die der Wandel mit sich bringt. Die Werte dienen hier als Richtschnur, nicht um Eindeutigkeit zu geben, sondern um die Auseinandersetzung über gemeinsame Ziele, über Altbewährtes und erforderliches Neues anzuregen. Dabei vereinen sie selbst Altes und Neues und lassen auch Ambivalenzen und Spannungsverhältnisse zu. So steht der Wertekanon als Ganzes bewusst in der Tradition des Unternehmens und seines Gründers Robert Bosch, gleichzeitig setzt er auch neue Akzente. „Ertragsorientierung“ und „Initiative“ sind aktuelle Werte, die in einer Spannung mit der Tradition von technischer Perfektion und Zuverlässigkeit stehen. „Initiative“ und „Konsequenz“ sind die zwei Seiten einer Haltung, die für ein zielgerichtetes Handeln ausbalanciert werden müssen. Abschließend lässt sich festhalten, dass die beschriebene intensive Entfaltung der Unternehmenswerte und die immer wiederkehrende Beschäftigung mit Fragen zur Unternehmenskultur dazu geführt hat, dass die gemeinsamen Werte sowohl in der Breite – und damit nicht nur im Top-Management – als auch in der Tiefe – im täglichen Ver211

halten, und damit nicht als Lippenbekenntnisse – verankert sind. Die stetige Weiterverfolgung der Fragestellung durch Geschäftsführer und leitende Direktoren in Dialogveranstaltungen, wie auch in den Briefen des Vorsitzenden der Geschäftsführung an alle Mitarbeiter, tragen ebenfalls dazu bei. Auch die partizipative Art und Weise dieses Prozesses, die trotz Federführung der Geschäftsführung den Führungskräften und Mitarbeiter/innen vor Ort die Möglichkeit der Ausgestaltung von Inhalten und Verfahren gibt, trägt viel zur positiven Annahme bei. Als wichtiger Effekt der Wertediskussion lässt sich bisher schon ihre positive Bedeutung in der Unternehmenskulturentwicklung nennen, etwa beim Wandel einer „Ingenieurskultur“ hin zu einem stärkeren betriebswirtschaftlichen Denken. Auch in der augenblicklichen schwierigen Wirtschaftskonjunktur sind formulierte Werte wie „Fairness“ oder „Glaubwürdigkeit“ Maßstäbe, an denen sich das Unternehmen in den Augen der Mitarbeiter messen lässt.

5 Fazit: Distinktive, innovative Merkmale der Personal- und Unternehmenskulturentwicklung Maßnahmen zur Entwicklung interkultureller Kompetenz wie Trainingsprogramme gehören in multinationalen Unternehmen seit Mitte der 1990er Jahre immer mehr zum Standard interkultureller Personalentwicklung und sind in der Literatur ausreichend diskutiert worden (Bolten 2005; Ehnert 2004; Kainzbauer 2002; Otten et al 2007; Waxin/Barmeyer 2008; Helmolt/Müller 1993; Thomas/Inkson 2003). Viele der international agierenden deutschen Unternehmen verfügen über eigene Konzepte zur Personalund Unternehmenskulturentwicklung oder greifen auf vielfältige Angebote externer Trainings- und Beratungsgesellschaften zurück. Im Gegensatz dazu zeigen die Ausführungen in diesem Beitrag, dass die interkulturell ausgerichtete Personal- und Unternehmenskulturentwicklung innerhalb von Bosch einige distinktive, innovative Merkmale aufweist, wie abschließend festgehalten werden kann: 1.

212

Hybride Unternehmens-Identität: Bosch ist sich seiner kulturellen Identität sehr wohl bewusst, wobei es – als deutsches Unternehmen mit Sitz in Stuttgart – dennoch nicht auf dem Attribut „deutsch“ beharrt, sondern eine ausgeprägte Sensibilität für seine „hybride Identität“ besitzt, die gleichzeitig global und deutsch ist. Dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer: Diese Identität ergibt sich nämlich unter anderem aus der praktizierten internationalen Personalstrategie von Bosch, etwa bei der Entsendetätigkeit. Wie Abbildung 1 gezeigt hat, geht es nicht ausschließlich darum, wie viele deutsche Mitarbeiter ins Ausland expatriiert und dann wieder repatriiert werden. Anstatt diesem asymmetrischen „Einbahnstraßen-Verkehr“ herrscht ein immer mehr symmetrisch werdender „Gegenverkehr“, bei dem aus Amerika und aus Asien/Pazifik/Afrika mit einer gewissen Eigenständigkeit nach Europa expatriiert wird und zudem ebenfalls zwischen diesen Regionen. Während die „Kultur der Produkte und Dienstleistungen“ eher

deutsch ist, weil sich hieraus der internationale Wettbewerbsvorteil von Bosch ergibt, ist die „Kultur der Zusammenarbeit“ international. Auch die wertebasierte identitätsstiftende Unternehmenskultur und ihre behutsame und kultursensible Einführung in den Auslandsgesellschaften ermöglicht – wie gezeigt – semantisch sinnvolle Interpretationen und somit kontextualisierte Anpassungen. Die Integration von Kulturbestandteilen spiegelt sich demnach in der interkulturellen Personal- und Unternehmenskulturentwicklung wider und zeigt sich insbesondere in den Angeboten zur Vernetzungskompetenz, bei der Mitarbeiter aus verschiedenen Kulturräumen miteinander für die internationale Zusammenarbeit qualifiziert werden. 2.

Vertikal-horizontale Kompetenzentwicklung: Bosch hat erkannt, dass es international nur dann erfolgreich agieren kann, wenn alle Mitarbeiter verschiedener Hierarchie-Stufen (vertikal) und verschiedener Kompetenz- und Geschäftsbereiche (horizontal) interkulturelle Kompetenzen erwerben. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass auch Produktionsmitarbeiter an deutschen Standorten in einem internationalen Unternehmen wie Bosch früher oder später mit Kollegen und Führungskräften aus anderen Kulturen gemeinsam arbeiten werden. Daher findet eine Ausweitung interkultureller Personalentwicklung auf alle Hierarchieebenen statt, sodass nicht mehr nur High Potentials und Führungskräfte, sondern zunehmend auch die Arbeitsebenen einbezogen werden. Dementsprechend hat Bosch schrittweise eine Gesamtheit kohärenter Personalentwicklungsmaßnahmen erarbeitet, die die nachhaltige Sicherung interkultureller Kompetenz im Gesamtunternehmen quer durch Abteilungen und Geschäftsbereiche ermöglicht. Ein erwünschter und leicht gesteuerter Nebeneffekt ist, dass sich hierdurch auch ein integratives Wissensmanagement speziell für interkulturelle Belange für das Unternehmen ergibt.

3.

Integrativ-kombinierte Personal- und Unternehmenskulturentwicklung: Die besonderen Eigentumsverhältnisse des Unternehmens Bosch, das größtenteils einer Stiftung gehört und somit nicht von Rendite fordernden Kapitalgebern abhängig ist, ermöglicht nicht nur eine langfristige, nachhaltige und strategische Ausrichtung der Personalentwicklung. Sie kann dadurch – wie in 3.2. dargestellt – auch der Forderung gerecht werden, diese mit der Unternehmenskulturentwicklung zu kombinieren. Dabei hilft als gemeinsame Basis und Referenzpunkt die Unternehmenskultur, die im „House of Orientation“ angelegt ist. Die intensive Beschäftigung mit den verhaltensleitenden Unternehmenswerten ist in alltägliche Prozesse fest integriert – sie ist vor allem Teil zentraler PersonalentwicklungsInstrumente: Die Identifikation mit den Bosch-Werten wird in Einstellungs- und Versetzungsgesprächen, in „Job Interviews“, thematisiert, in jährlich stattfindenden individuellen Mitarbeitergesprächen zur Zielvereinbarung und -evaluierung reflektiert. Sie bildet die Grundlage für die unternehmensweiten Führungsleitlinien und für die im Führungsdialog „Management Feedback“ gestellten Fragen, 213

sie spielen in jedem Schritt innerhalb der Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung, v. a. in den Management „Development Programs“, eine zentrale Rolle. Und auch in den im Zwei-Jahresrhythmus weltweit durchgeführten Mitarbeiterbefragungen („associate surveys“) wird das tägliche Leben der Werte reflektiert. Das beschriebene Fallbeispiel interkultureller Personal- und Unternehmenskulturentwicklung zeigt zum einen eine Abwendung von einem ethnozentrischen Umgang mit Kultur und fördert eine geozentrisch gedachte, auf Vielfalt ausgerichtete interkulturelle Kompetenzentwicklung. Zum anderen erlaubt die Personal- und Unternehmenskulturentwicklung von Bosch eine ständige Reflexion ihres interkulturellen Handelns. Dies stellt einen wichtigen Beitrag zum ökonomischen und nachhaltigen Erfolg dar: Denn häufig wird von Unternehmen unterschätzt, dass sich der Dialog über die Schlüsselwerte „kulturelle Vielfalt“ und „kulturelle Identität“ bedeutend auswirkt: Er führt dazu, dass Mitarbeiter im interkulturellen Kontakt bewusst – und nicht nur zufällig und ungerichtet – die Interessen des Unternehmens nach außen hin vertreten können und in der teambezogenen Projektarbeit nach innen Referenzpunkte für eine gemeinsame Zielerreichung und Wertschöpfung über Kulturgrenzen hinweg kennen. Dabei gilt es, die Balance zwischen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten wie Direktivität vs. Partizipation, Top-Down vs. Bottom-Up, zentral vs. dezentral sowie global vs. lokal zu beachten. Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten sind in Zeiten des Wandels also nicht nur unvermeidlich, sondern auch erwünscht. Aus der kontinuierlichen Auseinandersetzung und Gewichtung von Gemeinsamkeit und Vielfalt, Bewährtem und Neuem kann ein Weg entstehen, der modernen Unternehmen entspricht und in die Zukunft führt.

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Sic! Ein Diagnoseinstrument zur Orientierung in der transkulturellen Unübersichtlichkeit Anette Hammerschmidt

1 Einführung 1.1

Kultur als Sündenbock

Als bei einem spektakulären Merger vor einigen Jahren zwei Unternehmens- sowie zwei Landeskulturen exemplarisch aufeinander trafen, legte das oberste Management den Fokus zunächst nur auf strategische, juristische und pragmatisch-organisatorische Fragen. Kulturelle Unterschiede, sowohl zwischen den Organisationen als auch zwischen den involvierten Landeskulturen wurden in der Due-Diligence nicht in Betracht gezogen. Weil es sich inzwischen herumgesprochen hatte, dass kulturelle Unterschiede im Umgang miteinander einen handfesten Einfluss auf das Gelingen oder Scheitern von Unternehmensprozessen haben, waren zumindest die rechtlichen Implikationen jener kulturell unverträglichen Verhaltensweisen, die in der US-amerikanischen Kultur als politically incorrect gelten und gravierende, kostspielige Konsequenzen haben können, Grund genug, solch ein Programm zu implementieren. Rechtliche Folgen und horrend hohe Strafen – das überzeugte! Daran anknüpfend gelang es der Personalabteilung ein interkulturelles Programm durch- und umzusetzen, das von den Mitarbeitern auch wahrgenommen, sowie vom oberen Management für ein Jahr lang gut geheißen, von letzteren aber so gut wie nicht besucht wurde. Als es zu eskalierenden Konflikten, Machtkämpfen und schließlich dem unternehmerischen Scheitern dieser Fusion kam, wurde Kultur plötzlich zum Thema: als der Faktor, der nun für die Malaise verantwortlich sein und alles Weitere erklären sollte, einschließlich unternehmerischer Fehlentscheidungen, strategischer Fauxpas und individuellem Versagen. Der konkrete Fall, auf den hier – extrem verkürzt – angespielt wird, ist eigentlich nebensächlich. Als Variationen eines Themas lässt sich diese ‚Storyline’ auf verschiedene Unternehmen und unterschiedliche Kulturkontexte übertragen. Was dem Faktor Kultur als Einflussgröße im Vorhinein abgesprochen wird, dass er nämlich zu soft, diffus und subtil sei, um in der hard facts getriebenen Wirklichkeit wirtschaftlicher und unternehmerischer Prozesse ins Gewicht zu fallen, wird ihm im Nachhinein angelastet und zur willkommenen Erklärungsstrategie eines nun offenbar deterministisch unvermeidlichen Scheiterns. Kultur rangiert hier als Joker, den man zunächst im Ärmel behält, um ihn bei passender Gelegenheit als Sündenbock auszuspielen.

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Dahinter steht vermutlich ein teils essentialistisch verdinglichter, teils deterministisch naturalisierter Kulturbegriff, der sich hartnäckig im Alltagsdenken hält. Um eine Diskussion des Kulturbegriffs soll es an dieser Stelle aber nicht gehen. Wesentlich ist hier, dass sich das oben beschriebene Phänomen einem doppelten Paradox verdankt. Obwohl „Kultur“ dem Fassbaren doch subtil entgleitet, ist sie permanent mit im Spiel. Obwohl sie menschliches Denken und Handeln, soziale Interaktionen und Erwartungen prägt, ist ihr Einfluss weder eindeutig noch deterministisch zwingend. Versucht man ihrer habhaft zu werden oder sie gar in Verhaltensregeln und Do’s and Dont’s „auf den Punkt“ zu bringen, wird sie schnell zum Stereotyp entstellt, das mehr in die Irre führen, als Handeln leiten kann. Wird Kultur dagegen übersehen oder geleugnet, macht sie sich doch irgendwann, nicht selten aufs Unangenehmste bemerkbar. 1.2

Interkulturelle Kompetenz als Orientierungskompetenz

Diese Debatte hat theoretische Relevanz, aber auch ganz handfeste praktische Auswirkungen. Führungskräfte, Projektmanager und Fachkräfte in Unternehmen haben selten kulturwissenschaftliche Ambitionen. Meist geht es ihnen um Handlungsfähigkeit; darum, eine Situation pragmatisch „richtig“ einzuschätzen, Hintergründe und Zusammenhänge zu verstehen, um entsprechend entscheiden und handeln zu können. Sie müssen sich mit Hand und Verstand zurecht finden. Da kann es sich als fataler Irrtum erweisen, kulturellen Projektionen zu erliegen und für den Kern eines Problems zu halten, während die Gründe anders, beispielsweise in den Strukturen, mangelnden Fähigkeiten der Beteiligten, an Einstellung und Interessen einzelner Personen oder einer Kombination aus mehreren Faktoren liegen. An theorieinteressierte Praktiker, Berater sowie Fach- und Führungskräfte in Unternehmen, richtet sich auch dieser Aufsatz. Kaum jemand käme wohl auf die Idee zu meinen, die situative Komplexität der eigenen Lebenswelt mit einer Liste Verhaltensregeln und Allgemeinheiten bewältigen zu können. Obschon menschliches Verhalten sich auf Konventionen, Werte und Normen, geteilte Symbole und Überzeugungen, soziale Regeln und typische Handlungssequenzen, sowie situationsspezifische Frames und Skripte stützt (vgl. Esser 2001: 262ff; Hammerschmidt 2006: 130ff; Lenk 2005), die als Bezugspunkte der Orientierung dienen, bleibt vieles zu spezifisch, jede konkrete Situation zu besonders und in diesem Sinne immer auch neu, als dass sie sich mit Regelwissen meistern ließe. Immer erfordert sie eine subjektive Einschätzung, Deutung und Entscheidung. Menschen kommen nicht umhin, sich am Geschehen zu beteiligen, indem sie beobachten, interpretieren, abwägen, um auf der Grundlage ihrer persönlichen Einschätzung zu reagieren und zu handeln. Folgt man dem Sprachgebrauch, ist „Orientierung als die Leistung zu verstehen, sich in wechselnden Situationen zurechtzufinden und in ihnen Handlungsmöglichkeiten zu erschließen“ (Stegmaier 2005: 16). Diese Orientierungsleistung wird von jedem Einzelnen aktiv erbracht – teils unbewusst teils bewusst – darauf bedacht, je nach eigenem Verständnis der Sachlage und Situation, das subjektiv und situativ „Richtige“ zu tun. Immer bleibt ein Ermessensspielraum, bleiben Ungewissheiten und

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eine grundsätzliche Kontingenz bestehen, die es ja gerade und erst ermöglicht, dass das Individuum sich ins Geschehen einbringt und damit als Person zu erkennen gibt. Warum sollte es also in „interkulturellen“ Zusammenhängen anders zugehen? Schließlich sind es nicht Kulturen, sondern menschliche Wesen mit ihren individuellen Fähigkeiten, Interessen und Eigenschaften, die jeweils in bestimmten Kontexten und konkreten Situationen strategisch oder spontan, bewusst oder unwillkürlich, ihrer Persönlichkeit, ihren Fähigkeiten, Erwartungen und Interessen gemäß miteinander interagieren. Die an Abläufe und Organisationsregeln gebunden sind, sich in Strukturen und Prozessen bewegen, diese aber gleichfalls erschaffen, erhärten oder verändern. Das Geschehen ist ein Prozess, der sich dynamisch entwickelt. Das gilt zu Hause und in der Fremde gleichermaßen. Kultur ist ein Element der Situationslogik. Das Kulturelle ist eingewoben in das Geschehen, selten eindeutig, nie isoliert, sondern ein Faden, der mit individuellen und strukturellen Aspekten konvergiert und das komplexe Gewebe der Situationslogik ausmacht. Wechselt die Situation, muss die Orientierung sich neu einstellen. Diese Orientierungsleistung kann nicht abgelegt und niemandem abgenommen werden, weil sie eine grundlegende Notwendigkeit des Lebens, Denkens und Handelns ist, die in routinierten Abläufen und alltäglichen Gewohnheiten zweifellos weniger, dafür in unbekannten, fremden und komplexen Situationen – zu denen eben auch globale, inter- und transkulturelle zählen – mehr hervorsticht und gefordert wird. Interkulturelle Kompetenz ist daher wesentlich Orientierungskompetenz.

2 Orientierungsinstrumente 2.1

Navigieren als Metapher und Erfahrung

Der Begriff „Orientierung“ entstammt selbst einer Metapher, die im späten Mittelalter aus der Notwendigkeit geboren wurde, kartographische Darstellungen in ein übergeordnetes Ganzes einzuordnen und mit einer Ausrichtung zu versehen, damit das einzelne Bild interpretierbar und für den Gebrauch als Landkarte erst tauglich werde. Orientieren hieß für die Kartographie ‚einen Anhaltspunkt einführen’, zu dem ursprünglich der Orient gewählt wurde. Der Osten, die Richtung der aufgehenden Sonne, wurde mit der Einführung des Magnetkompasses später durch den Norden ersetzt, die Ausrichtung also auf ein „Einnorden“ umgestellt, der alte Begriff aber beibehalten (vgl. Stegmaier 2005: 25). Die Orientierung auf hoher See macht – wieder metaphorisch – unmittelbar deutlich, worum es bei der Orientierung im Leben, Denken und Handeln ebenfalls geht: Die Fähigkeit, das offene, weite und oft auch turbulente Meer der uns begegnenden Wirklichkeit in heimischen sowie in fremden Gewässern bei klarer Sicht sowie bei Nebel, Wellengang oder Windstille „zu navigieren“. Schiffen wir uns im Geiste ein, lassen sich die phänomenologisch charakteristischen Merkmale der Orientierung daran gut verdeutlichen: Der Blick schweift in die Weite, kommt zurück zum „Naheliegenden“, 219

oszilliert zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Gesamtheit und Einzelheiten. Man ‚sichtet’ die Lage, sortiert, unterscheidet, vergleicht, schließt aus, verschafft sich einen ersten Überblick. Sich-orientieren ist zunächst eine Suchbewegung, die zwischen dem Horizont als Orientierungshintergrund und dem eigenen Gesichtspunkt als Erwartungshaltung wahr-nimmt und einordnet, was in und von der Situation sichtbar wird. Dabei stechen einige Dinge, Ereignisse oder Phänomene hervor. Sie werden als Anhalts- und Bezugspunkte der Orientierung zu Markierungen, die das noch unbekannte Terrain vorläufig abstecken. Ob es sich hierbei um die tatsächlich entscheidenden Markierungspunkte handelt, oder die Sichtweise revidiert werden muss, erweist sich oft erst im Zuge der Situationsanalyse, in der eine Vielfalt von Möglichkeiten, Ansichten, Hinsichten und Absichten abgewägt und auf Plausibilität und Kohärenz getestet werden. Ich orientiere mich, indem ich zwischen Anhaltspunkten und Markierungen Verbindungen schaffe, Teile vernetze, im Hinblick auf andere beurteile und wieder in Beziehung zum Ganzen stelle. „Anhaltspunkte, die sich in der Übersicht herausstellen, werden laufend daraufhin abgeglichen, ob und wie sie zusammenpassen, ob sie, wie man sagt, ‚Sinn ergeben’ oder nicht. Sie fügen sich dann zu Mustern (patterns) zusammen, [...] oder gruppieren sich zu Orientierungsclustern“ (Stegmaier 2005: 31). Manche Anhaltspunkte geben nur provisorisch Halt, denn nicht alles, was ins Auge sticht, ist für die Situationsdeutung letztendlich entscheidend, so wie umgekehrt Entscheidendes unter Umständen verborgen oder rätselhaft bleibt und sich überraschende Veränderungen – wohlgemerkt auch der eigenen Sichtweise – jederzeit einstellen können. Weil aus dem Suchen meist unter Zeitdruck ein Finden wird, übersieht man eine Situation oft im doppelten Sinne des Wortes, als Übersicht und als begrenzte Einsicht mit blinden Flecken. Bleiben wir vorläufig an Bord und vertrauen dem Orientierungsvermögen unseres weltmeerläufigen Seemanns, dann gehen wir zunächst davon aus, dass er von dem Metier, seinem Orientierungsbereich etwas versteht. Mag er auch zeitweilig desorientiert sein, im Vertrauen auf seine Expertise bauen wir darauf, dass er über die Orientierungsmittel – wie Kompass oder Fernrohr – und Orientierungsfähigkeiten verfügt – also mit Kompass und Fernrohr auch umgehen kann –, um die wesentlichen Bezugspunkte, die ihm als Orientierungsinstanzen dienen – Sterne, Bojen und Eisberge – in seinem Orientierungsprozess richtig zu deuten und angemessen zu handeln, um uns samt Crew und Fracht sicher in den Zielhafen und wieder an Land zu bringen. Sich orientieren hat, zu Land und zu Meer, sechs verschiedene Stellen: „Jemand (1) orientiert sich (2) an etwas oder jemandem (3) in Bezug auf etwas (4) mit Hilfe von jemandem oder etwas (5) vermöge von etwas (6)“ (Luckner 2005: 226). Trägt dieser Jemand, wie unser Seemann aber auch Eltern, Führungskräfte oder Politiker, Verantwortung für andere Menschen mit, so fällt die Unterscheidung zwischen den Stellen (1) und (2) deutlich ins Gewicht. Was die Orientierungsinstanzen (3) anbelangt, sind das auf kontinentale Lebensverhältnisse übertragen nicht nur Institutionen, sondern auch Personen (beispielsweise Vorbilder) oder Werte und Ideale, die wie Leitsterne und Leuchttürme auf unsere Lebens- und Handlungsausrichtung Einfluss haben.

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Der Orientierungsbereich (4), in Bezug auf den wir uns jeweils orientieren, wechselt mit den Kontexten, in denen wir uns bewegen. Tagtäglich „navigieren“ wir durch recht viele verschiedene, überlappende und zuweilen diffuse Orientierungsbereiche, die auf unterschiedliche Instanzen, Mittel und Fähigkeiten verweisen, so dass es kaum verwundert, wenn wir mal mehr, mal weniger desorientiert sind.1 Desorientierung ist ja, anders als völlige Orientierungslosigkeit, eine graduelle Angelegenheit, eine Irritation erstens „aufgrund von Unerfahrenheit bezüglich entweder der Orientierungsmittel (5) oder der Orientierungsfähigkeit (6); zweitens aufgrund von Unsicherheit bezüglich der Orientierungsinstanzen (3)“ (Luckner 2005: 227). Während es sich im Fall der Unerfahrenheit um Desorientierung aus mangelnder Kenntnis der Mittel und Wege oder/und mangelndem Vermögen diese zu gebrauchen handelt, also der Einführung und Einübung bedarf, rührt die Verunsicherung im zweiten Fall daher, dass unklar ist, woran man sich überhaupt orientieren kann bzw. soll und welche Entscheidungskriterien auf diesem Gebiet gelten. 2.2

Landkarte und Kompass

Schauen wir noch einmal zu unserem navigationserfahrenen Vorbild auf, um diese spezifische Differenz zu verdeutlichen: Zu seiner Orientierung auf See nutzt der Seemann klassische nautische Instrumente wie Kompass und Fernrohr oder moderne ‚Upgrades’ wie Radar und GPS. Um sie zur Orientierung einsetzen zu können, muss er wissen, wofür sie gedacht sind, was sich also damit herausfinden lässt, und wie diese Instrumente jeweils zu handhaben sind. Mit dem Fernrohr wird er das Terrain auf Hindernisse und Vorkommnisse absuchen oder über den Stand der Sterne die eigene Position bestimmen. Der Kompass sagt über auftretende Hindernisse nichts aus, dient aber zur Bestimmung von Position und Richtung. Wozu und wie sind schon im Wort „gebrauchen“ wechselseitig aufeinander bezogen. Desorientierung heißt in Bezug auf das Orientierungsmittel, nicht zu wissen, wozu und wie es gebraucht wird – ein klassischer Fall von Unerfahrenheit, dem leicht Abhilfe zu schaffen ist. Lernen heißt hier, zunächst Einsatzbereich und Funktionsweise zu verstehen, um es dann als Orientierungsmittel in der Praxis einsetzen und anwenden zu können. Ohne die zugehörige Orientierungsfähigkeit einzuüben und zu entwickeln, bleibt das Wissen um die Brauchbarkeit des Instruments allerdings reine Theorie ohne praktischen Orientierungsnutzen. Ist er in ihrem Gebrauch erst einmal sicher, gehören diese Instrumente

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Orientierung hilft, mit Ungewissheit umzugehen, kann sie aber nicht aufheben. Mit Ambiguitätstoleranz und Unsicherheitsbewältigung – die in der Fachliteratur zu den charakteristisch interkulturellen Kompetenzen zählen – werden wir, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, bereits im heimischen Umfeld konfrontiert. D.h. wir besitzen Fähigkeiten und Strategien, mit Kontingenz und Unsicherheit umzugehen, die für neue, herausfordernde Situationen nutzbar gemacht werden können. Um sie als Ressourcen zur Verfügung zu haben, müssen wir ihre Mikrostruktur kennen und die zunächst (meist) unbewussten, also impliziten sozialen und pragmatischen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten bewusst machen, um sie dann der neuartigen Herausforderung anzupassen und eventuell zu erweitern. Das gilt ebenso für unsere Orientierungsfähigkeiten.

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zur Standardausrüstung unseres Seemanns, die ihm – unabhängig davon, auf welcher Route und in welchen Gewässern er navigiert – überall zur Orientierung dienen. Sterne und andere Bezugspunkte allein helfen selbst dem erfahrensten Seemann nicht weiter, wenn es darum geht seine Position zwischen Landmassen zu bestimmen, um sein nächstes Etappenziel zu erreichen. Ohne See- und Landkarten ginge es ihm wie einstmals Columbus, der, Indien recht voraus, in Amerika landete. Landkarten sind an sich zwar auch Orientierungsmittel und ihr Gebrauch erfordert eine Kulturtechnik, die gelernt sein will. Aber sie unterscheiden sich doch grundlegend von den oben erwähnten Orientierungsinstrumenten: Im Unterschied zu seiner Standardausrüstung braucht der Reisende für jede Tour je andere Karten, die mit ihren spezifischen Informationen nur für diese Region gelten und an einem anderen Ort keinen Sinn und keine Orientierung geben. Die Landkarte ist zwar nicht das Gebiet, sie stellt es aber stark vereinfacht und in groben Zügen, mit ihren charakteristischen Merkmalen dar. Desorientierung rührt also aus der Unsicherheit „ich kenne mich hier nicht aus“. Lernen heißt in diesem Fall ‚Informationen sammeln’, woran ich mich orientieren soll, welche Bezugspunkte der Orientierung an diesem Ort gelten und welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus ergeben. In diesem Sinne dienen Karten wie Informanten als Orientierungsinstanz.2 Auf unser Anwendungsgebiet – die Orientierung in internationalen Arbeitszusammenhängen – übertragen, lässt sich die Unterscheidung zwischen Orientierungsinstanzen und Orientierungsinstrumenten einschließlich der dazugehörenden Fähigkeiten und ihren respektiven Formen der Desorientierung nutzen, um zwischen zwei wesentlichen Aspekten der interkulturellen Orientierung zu unterscheiden, die auch den transkulturellen Herausforderungen einer globalisierten Welt Rechnung tragen (vgl. Bolten 2004). Landkarten stehen metaphorisch für kulturspezifische Informationen, Regeln, Werte, Handlungsorientierungen und dergleichen mehr. Sie geben, verallgemeinert und in groben Zügen, Bezugspunkte der Orientierung über und für bestimmte Regionen an, die hier als Orientierungsinstanz dienen. Orientierungsinstrumente dagegen, sind kulturübergreifend und dienen der Orientierung in spezifischen wechselnden sowie in unbekannten Situationen. Sie setzen bei der Orientierungsfähigkeit des einzelnen an. Im Extremfall multikulturell durchmischter, globaler Kontexte, in denen die jeweilige Organisationskultur, Strukturen, Prozesse, Produktanforderungen die konkrete Situation gleichermaßen bedingen, wie auch der weitere Kontext und die partizipierenden Personen, wird deutlich: „Kultur“ ist gar nicht vordefiniert oder „vorhanden“, sondern das, was im gemeinsamen Zusammenspiel entsteht. An der persönlichen Orientierungskompetenz liegt hier alles. Im Überblick lassen sich die Merkmale von kulturspezifischem Know-how und kulturübergreifenden „ethnographischen“ Orientierungsinstrumenten – in Anlehnung an Luckners Differenzierung (2005) – folgendermaßen schematisch gegenüberstellen:

2

Meine Interpretation und Einordnung von ‚Landkarten’ als Orientierungsinstanzen unterscheidet sich damit ganz bewusst von der Luckners (2005: 227) , weil ich sie als Metapher einsetze.

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Tabelle 1: Gegenüberstellung der Merkmale von kulturspezifischem Know-how und kulturübergreifenden „ethnographischen“ Orientierungsinstrumenten.

Landkarte

Kompass

Orientierung

Orientierungsinstanz

Orientierungsmittel

Zweck

vereinfachen, um einen ersten Über- und Einblick zu geben

dienen er Analyse in wechselnden Kontexten und Situationen

Orientierungsform anweisen, normativ

eruieren, entdeckend

Desorientierung

„Ich kenne mich hier nicht aus“ Unsicherheit

„Ich weiß nicht wie das geht“ Unerfahrenheit

Anwendung

kulturspezifisch

kulturübergreifend

Wissensform

Wissen über ... Wissen wie und wozu ... Informationen, Verfügungswissen Praxiswissen, Können typisierend und verallgemeinernd kognitions- und situationsspezifisch

Lernen

nachvollziehen, einordnen, über- verstehen, üben, einsetzen setzen über Kompetenzen verfügen über Information/Wissen verfügen

Als Orientierungsinstrumente dienen in dem hier beschriebenen Sinne Modelle, mit denen sich konkrete Situationen und Verhältnisse, aber auch menschliches Verhalten und Denkmuster (auch eigene!) analysieren und adaptieren lassen. Charakteristisch für Orientierungen, folgt auf die logische Analyse die pragmatische Synthese. Freilich kostet das Zeit. Jede Diagnose setzt ein Innehalten zu Reflexion und eingehender Betrachtung der Sachlage voraus. Insofern wird man sie vor allem anwenden, wenn Hindernisse im reibungslosen Ablauf auftauchen, aber gerade dann ist die Zeit meist knapp. Man sollte sich also einüben, solange die Gewässer ruhig sind, um im Ernstfall vorbereitet zu sein. Schließlich bedarf es immer der vorausschauenden Achtsamkeit, weil zu spät erkannt die Diagnose schließlich wenig hilft, um eine verfahrene Lage noch konstruktiv steuern zu können. Diagnoseinstrumente lassen sich sehr wohl vorbeugend, beispielsweise in der Vorbereitungsphase eines Projekts anwenden, um von vornherein Komplikationen und Konflikten entgegen zu wirken. Es gibt verschiedene Modelle und Instrumente, die, wie unser nautisches Beispiel, nicht alle den gleichen Zweck erfüllen. Nicht jedes Instrument passt zur gegebenen Situation oder Fragestellung und mit einem Instrument allein wäre man auf hoher See verloren. Wir brauchen einen Werkzeugkasten, gefüllt mit verschiedenen Instrumenten, die sich wechselseitig ergänzen und mit einiger Übung zum persönlichen Kompetenzrepertoire werden. 223

3 sic! – ein Diagnoseinstrument – Definition im deutschen Universalwörterbuch des Dudenverlags (1983): „sic! [auch sık] [lat.]: (…) so; ebenso; (wirklich) so!“ – Nachdem ich in der Beratungspraxis des Öfteren explizit für eine interkulturelle Maßnahme angefragt worden war und sich in der Auftrags- und Situationsklärung dann herausstellte, dass sich das Problem damit nicht allein oder gar grundsätzlich nicht beheben ließ, entstand die hier dargestellte Systematik. In einem Fall ging es um gravierende Kommunikationsprobleme zwischen den deutschen Projektverantwortlichen und einem Tochterunternehmen in Indien. Die Deutschen warfen den Indern Inkompetenz, die Inder den Deutschen Imperialismus vor. Anhaltspunkte für solche Deutungen gab es freilich: Kommunikations- und Führungsstile sind denkbar anders und die virtuelle Zusammenarbeit über die Distanz machte die Sache nicht einfacher. Aber die eigentliche Ursache lag auf der Organisationsebene und ging auf eine Umstrukturierung zurück, die in der Umsetzung verschiedene Gräben aufgerissen hatte (siehe 3.3). Sicher ließ sich hier etwas tun, aber mit interkulturellen Trainings wäre das eigentliche Problem nicht behoben. In einem anderen Fall ging es um Qualitätsstandards in der Produktion in China, die über ein umfangreiches Schulungsprogramm und On-the-JobTraining behoben werden konnten, zu dessen Gelingen auch interkulturelle Trainings ein wichtiger Baustein waren. Aber es war – in diesem und vielen anderen Fällen – eben ein Baustein unter anderen. Manchmal zentral, manchmal zusätzlich und hin und wieder völlig fehl am Platze. Um die Lösungsansätze zu definieren, die das Problem beheben und zum gewünschten Ziel führen konnten, brauchte ich eine Methode, die auch die Kunden überzeugen würde. Ein solches Diagnoseinstrument ist sic!. Es dient dazu, die Einflussfaktoren in einer gegebenen konkreten Situation zu sortieren und genauer zu bestimmen, um entsprechende Maßnahmen, die zur Behebung des Problems dienen können, zu definieren. Der Name ist Akronym (s.u.) und Programm, denn der angestrebte Erkenntnisgewinn ließe sich umschreiben mit dem Ausruf: „Ach, so verhalten sich also die Dinge!“ Zunächst soll das Modell vorgestellt werden. Es handelt sich um zwei Begriffsdreiecke, ein primäres (3.1.) und ein komplementäres (3.2.), die zusammen einen Analysekreislauf ergeben. Abschließend zeige ich an einem Fallbeispiel Möglichkeiten zum Einsatz in Beratung oder Training (3.3.). 3.1

Der primäre Analysekreislauf: Situation – Individuum – Culture

Zur Orientierung hilfreich sind vor allem solche Modelle und Begriffe, die leicht verständlich und einleuchtend sind, weil sie an die Lebenserfahrung anknüpfen, anstatt dieser erfahrungsfremde Fachbegriffe aufzuzwingen. Die Unterscheidung zwischen (Landes)Kultur, Individuen und einer wie auch immer gelagerten Situation leuchtet jedem Praktiker ein. Sie knüpft an soziologische Unterscheidungen an und wurde in der

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interkulturellen Literatur auch verschiedentlich aufgegriffen. Die Unterscheidung selbst ist also nicht neu. Im Gegensatz zum deutschen Wort ‚Kultur’, das bei vielen Leuten Assoziationen mit Hochkultur und Kulturgütern, Konzertreihen und Kunstausstellung weckt, ist das englische Wort ‚Culture’ unverfänglicher, weil es sich im angelsächsischen Stil pragmatisch auf gelebte Alltagskultur und Lebensformen bezieht. Zu ‚Culture’ gehören – in arbiträrer und unvollständiger Aufzählung – beispielsweise Werte, Grundüberzeugungen, Erwartungen, Sprachgebrauch, Kommunikationsmuster, Lernverhalten, soziale Regeln und Normen, Höflichkeitsformen, Hierarchieverständnis, aber auch regionale Besonderheiten und Unterschiede zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Wenn man Menschen mit verallgemeinernden Aussagen über ihre eigene Kultur konfrontiert, kommen unweigerlich und zu Recht Gegenbeispiele, Ausnahmen und Protest. Schließlich haben wir es immer mit Individuen mit ihren Eigenarten und Fähigkeiten zu tun und nicht mit Klonen einer Kultur. Diese haben Macken und Stärken, verfolgen Interessen und Ziele, haben Erfahrungen, Emotionen und Überzeugungen, vertreten bestimmte Werte und verwehren sich gegen andere. Aber auch die Person, den ‚Menschen an sich’ treffen wir nicht unvermittelt, sondern immer eingelassen in eine bestimmte Situation. Handeln und Verhalten sind nicht losgelöst, sondern immer auch situativ bedingt. Wie die direkt oder indirekt Beteiligten über die Situation denken, wie sie Rahmenbedingungen und Umstände interpretieren und sich in ihr „orientieren“, bedingt ihre handelnde Anpassung im doppelten Sinne des Wortes: als sich einordnende Anpassung an die vorgefundenen Gegebenheiten und als aktive Anpassung der situativen Umstände je nach subjektiver Deutung und Bedürfnissen. In die Situation fließen verschiedene Strukturmomente ein. Eine Situation kann zunächst privat, beruflich, öffentlich (Supermarkt oder Fernsehauftritt) oder eine Kombination sein. Die Situation ist durch Ziele und Rahmenbedingungen vorgeprägt, für die in groben Zügen prototypische Handlungsmuster und Abläufe (Restaurantbesuch, Vorstellungsgespräch) gelten (vgl. Esser 2001: 261ff; Lenk 2005: 78ff). Es mag sich bei der spezifischen Situation um einen Untertypus beispielsweise des Prototyps Verhandlung handeln: eine Gehaltsverhandlung mit der Personalabteilung, oder eine Preisverhandlung mit einem Lieferanten. Die Einzelsituation kann Teil eines umfassenderen Situationsrahmens sein, beispielsweise eines Projekts. Strukturen, Machtverhältnisse, Prozesse, Regeln und Interaktionsmuster, Anzahl der Beteiligten, Zeitfaktoren, räumliche Bedingungen und die Vorgeschichte sind alle Teil der Situationslogik. Komplexe Situationen sind ein Mosaik aus vielen Einzelsituationen, die sich wechselseitig bedingen und Verlaufsmuster ergeben. Weil „das Kulturelle“ an einer Situation einerseits sofort ins Auge sticht, andererseits aber der unbekannte und am wenigsten eindeutige Einflussfaktor ist, verführt es geradezu zu Projektionen. Es sei daher vorweg genommen, dass unabdingbar die Situationsbeschreibung der Einstieg in den Analysekreislauf sein muss. Ich werde später noch darauf eingehen. Der primäre Analysekreislauf gibt, in der Reihenfolge der zu

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betrachtenden Einflussfaktoren – von der Situation über die beteiligten Individuen zu „Culture“ – dem Diagnoseinstrument seinen Namen: sic! 3.2

Der komplementäre Analysekreislauf: Rollen – Sozialisation – Kontext

Der komplementäre Analysekreis dient der Differenzierung des primären Sachverhalts, um ein schärferes Bild der Situation zu bekommen. Das zweite Begriffsdreieck wird durch Begriffe gebildet, die zwischen den Begriffen des primären Analysekreises gewissermaßen vermitteln. So nehmen Individuen in Situationen Rollen ein, die einerseits schematisch und situationsabhängig vorgegeben sind, die aber individuell nach eigenem (Rollen)Verständnis, Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen „ausgefüllt“ und gestaltet werden. Es ist ratsam, zwischen Rollentypen (Führungskraft, Bodenpersonal), offiziellen (Abteilungsleiter) und inoffiziellen oder sozialen Rollen (Vermittler, Bedenkenträger) zu unterscheiden und beide Ebenen in die Analyse einzubeziehen. In ihrem Rollenverständnis „äußern“ sich die Beteiligten implizit darüber, wie sie die Situation „rahmen“. Rollen vermitteln zwischen Situation und Individuum, sie grenzen den subjektiven Handlungsspielraum ein und verknüpfen die Akteure mit der Situation. Die Sozialisation dagegen ist das Bindeglied zwischen Individuum und Kultur. Keiner wächst in einer Kultur als Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Möglichkeiten auf, sondern in einem bestimmten Ausschnitt, der uns auf seine besondere Weise prägt. Ob man auf dem Land aufgewachsen ist oder in der Stadt und in welcher Region, wo man zur Schule gegangen ist und bis zu welchem Abschluss, das soziale Milieu, die familiären Verhältnisse, die gesellschaftliche Position – sie sind das Bindeglied zwischen Person und kulturellem Umfeld. Aus dem Fundus der verfügbaren kulturellen Werte, Überzeugungen, Verhaltensregeln, Traditionen usw. wählt der Einzelne aus, welche er in wie weit vertreten kann oder auch darf. Über die Sozialisation sind die individuellen Situations- und Beziehungsdeutungen, Rollen- und Verhaltenserwartungen der einzelnen Beteiligten mit ihrem kulturellen Hintergrund verknüpft. Für die Situationsanalyse im unternehmerischen Orientierungsbereich spielen vor allem Bildungsniveau, fachspezifische Lehrpläne und Ausbildungsgänge sowie der berufliche Werdegang der Mitarbeiter eine besondere Rolle, denn diese sind im Kulturvergleich trotz gleicher Aufgabenbeschreibung nicht unbedingt kompatibel. Die berufliche Sozialisation erfolgt in Etappen und wird unmittelbar von dem spezifischen Unternehmen, der Branche und der Organisationskultur der Institution geprägt.3 Wer

3

Die Organisationskultur wird, selbst in Auslandsgesellschaften, auch entscheidend von der Heimatkultur des Unternehmens geprägt. Ich hatte in einer Beratungssituation mit einer japanischen Führungskraft zu tun, der zwar in Japan aufgewachsen war, dort die Schulzeit absolviert und studiert hatte, dann seine berufliche Sozialisation in einem US-amerikanischen Unternehmen in Japan begann, in einem zweiten fortsetzte und schließlich in ein deutsches Unternehmen vor Ort wechselte. Er verwies mehrmals darauf, welch gravierende Schwierigkeiten er hatte, das Verhalten und die Erwartungen seiner japanischen Mitarbeiter richtig zu deuten und diese wiederum mit seiner Erwartungshaltung nicht klar kamen.

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im eigenen Kulturkreis zwischen Unternehmen, Branchen oder gar Institutionsformen gewechselt hat, kann das intuitiv nachvollziehen. Das leitet auch schon den letzten Begriff ein. Der Kontext ist das, was die konkrete Situation umgibt und beeinflusst. Der Übergang zwischen Situation und Kontext ist in der Anwendung des Instruments fließend. Wie weit oder eng die Situation gefasst wird, was den internen und was den äußeren Bedingungen zugerechnet wird, hängt von Sachlage und Fragestellung ab. Vergleichbar mit dem Lichtkegel eines Strahlers, steht die Situation im Rampenlicht der Situationsanalyse, deren Kontext die Bühne im Schatten ist. Die Organisationskultur, in der sich eine analysewürdige Situation abspielt, ist Teil der Rahmenbedingungen, die ebenso wie andere Einflussfaktoren (das können Gesetze sein, Behörden als Überwachungsinstanzen, aber auch Nachbarabteilungen, Konkurrenten usw.) die Situationslogik beeinflussen, ohne direkt an ihr zu partizipieren. Der Kontext ist das Bindeglied zwischen Situation und Kultur, im Sinne der Einbettung der strukturellen Verhältnisse in den sozio-kulturellen Rahmen. Auch die Kultur selbst ist in einen weiteren Kontext eingelassen. Die Epoche, das sozio-politische Umfeld, der technische und wirtschaftliche Entwicklungsstand, geographische Ausdehnung und Verkehrswege eines Landes sind nicht unbedingt gleichzusetzen mit seiner Kultur, obschon sie sich wechselseitig bedingen. So genannte „Schwellenländer“ mögen sich kulturell grundlegend voneinander unterscheiden; strukturell haben sie mit vergleichbaren Herausforderungen zu kämpfen, die sich im Kontext (sic!) unternehmerischen Handelns auf Projekt, Situation und Zielsetzung auswirken werden. Die zwei Begriffsdreiecke sind miteinander verzahnt, zu einem Analysekreislauf verbunden. Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen: Charakter Interessen

Fähigkeiten

Individuum Überzeugungen

offizielle inoffizielle

Soziale Zugehörigkeit

Rolle

Sozialisation Kulturelle Zugehörigkeit

Situation

Culture

Einfluss auf Situation

Einfluss auf

Kontext

Kultur

Abbildung 1: Zusammenspiel des primären und des komplementären Analysekreislaufs

227

3.3

Fallbeispiel und Anwendung des Diagnoseinstruments

Gerade in komplexen Situationen, in denen man nur schwer das Zusammenspiel der Einflussfaktoren nachvollziehen kann, läuft man Gefahr, die Phänomene und Dinge zum Bezugspunkt unserer Orientierung zu machen, die ins Auge springen und sie im gleichen Atemzug für die Ursache des Problems zu halten. Ohne eine strukturierte Situationsanalyse erliegt man leicht der Projektion vermuteter und unterstellter Wirkursachen. Wie eingangs dargestellt, eignen sich insbesondere fremdkulturelle Verhaltensmuster gut als Projektionsfläche, weil erstens Irritation und Frustration groß sind, zweitens das fremde Verhalten be-fremdet weil es nicht nachvollziehbar ist und drittens der Blick auf den eigenen Anteil und eigenkulturelle Besonderheiten, die aus der Sicht der anderen Partei unverständlich sein mögen, durch ihre Selbstverständlichkeit verstellt ist. An dieser Stelle sollte man also auf keinen Fall in den Analysekreislauf einsteigen! Die vorliegende Situation dagegen ist, trotz Kontingenz und Komplexität, der Betrachtung am leichtesten zugänglich, der gemeinsame aktuelle Nenner und mit sachlich überprüfbaren „Fakten“ gespickt. Hier muss die Analyse ansetzen! Der Einsatz des hier vorgestellten Orientierungsinstruments beginnt mit der Klärungsphase (vgl. König/Volmer 2008: 69ff). Die Analyse beginnt also mit einer möglichst umfassenden, aber doch fokussierten Beschreibung der aktuellen Situation – Sachlage, Entwicklung, Ziele und Umstände, Strukturen, Interaktionsmuster usw. – einschließlich der beteiligten Personen (mit ihren Rollen, Funktionen, Verhaltensweisen, Eigenschaften etc.), sowie dem Umfeld und Kontext, in dem sich das alles abspielt. Die Versuchung zu interpretieren ist enorm. Schon das: nur beschreiben, jede Beobachtung zu belegen, die eigene Wahrnehmung zu überprüfen und die Situationsdeutungen anderer zu hinterfragen, ist für viele eine schwierige Übung. Damit aber steht und fällt die Situationsanalyse! In der Beratungssituation gilt es in dieser Phase offene Fragen zu stellen, Informationen zu sammeln, Unklarheiten aufzudecken und Nachfragebedarf festzuhalten. Der Berater oder andere Teammitglieder, sofern das Instrument in kollegialer Beratung eingesetzt wird, haben in dieser Phase die Aufgabe, Interpretationen zu hinterfragen und zu gewährleisten, dass sich ein klares Bild der Sachlage ergibt. Lösungsansätze sind hier verfrüht. Zur Illustration soll ein oben bereits erwähnter Fall dienen, der damit seinen Anfang nahm, dass ein Manager sich aus der persönlichen Not heraus und der Überzeugung, dass es sich um kulturelle Missverständnisse handle, mit der Bitte um interkulturelle Trainings an einen Berater wandte. Inhalt sollte die Zusammenarbeit mit Indern sein, Zielgruppe waren die deutschen Mitarbeiter der Abteilung dieses Unternehmens. Er selbst war Inder, lebte und arbeitete seit einigen Jahren in Deutschland und genoss das Vertrauen beider Parteien. So kam es, dass er in der gesamten e-Mailkorrespondenz zwischen indischen und deutschen Mitarbeitern auf cc gesetzt wurde und für seine eigentlichen Aufgaben kaum noch Zeit fand. Die inoffizielle Rolle als Vermittler fiel ihm wegen seiner Kulturkenntnisse und seines Ansehens im Unternehmen zu. Mit dem Projekt hatte er ansonsten nur am Rande als leitende Führungskraft zu tun. Die Kommunikation war völlig verfahren. Er zeigte dem Berater e-Mails. Tonfall und Kommu228

nikationsstil ähnelten inzwischen mehr einer Kriegsführung als einem fachlichen Informationsaustausch. Die Inder warfen ihren deutschen Kollegen vor, sie würden sie imperialistisch herumkommandieren und ihnen missverständliche Anweisungen geben. Die Deutschen warfen den Indern vor, den ihnen übermittelten Kundenanforderungen zunächst widerspruchslos zuzustimmen, sie in den von ihnen erstellten Plänen dann aber doch nicht zu beachten. Inzwischen waren viele der hiesigen Mitarbeiter zu der Überzeugung gelangt, die Inder seien schlichtweg unfähig. Die Vorwürfe klangen „interkulturell vertraut“. Doch nach weiterem Nachfragen über Historie und Zusammenhänge wurde deutlich, dass die Ursache des Problems nicht in interkulturellen Missverständnissen begründet lag, sondern diese eine Folge waren, die sich vor allem im Stil der Konfliktaustragung zeigte. Die Ursachen waren vielfältig und lagen tiefer. Nachdem die Auftragslage seit Jahren nicht besonders gut ausgesehen hatte, hatte das oberste Management eine radikale Umstrukturierung beschlossen. Eine bestimmte Aufgabe und Tätigkeit, die der Planer, wurde in einem ersten Schritt aus der Projektorganisation herausgenommen und zu einer eigenen Planungsabteilung zusammengefasst. Diese Aufgabe wurde von den deutschen Mitarbeitern des Unternehmens vor Ort zu jedermanns Zufriedenheit ausgeführt. Sie standen im unmittelbaren Kontakt mit den anderen Projektmitarbeitern und waren auf ihre Tätigkeit und Fähigkeiten stolz. Ingenieure und Fachkräfte, die nach eigenen Aussagen wussten, was sie taten, weil sie dafür ausgebildet und darin erfahren waren. Parallel zu dieser Umstrukturierung wurde in Indien ein Tochterunternehmen gegründet. Die gewünschte Kostenoptimierung war durch die Zusammenlegung allein noch nicht erreicht und konnte nur durch zusätzliche Kosteneinsparungen erzielt werden. Vom mittleren Management, das mit dem Veränderungsprozess betraut worden war, wurden ihres Ermessens geeignete und erfahrene Fachkräfte ausgewählt, um die neuen indischen Quasi-Kollegen fachlich einzuarbeiten. Für den Know-how-Transfer reisten diese (ohne interkulturelle Vorbereitung) für einige Wochen oder auch Monate nach Indien. Drei Mitarbeiter wurden für die gesamte Transferphase, die auf insgesamt zwei Jahre angesetzt worden war, nach Indien versetzt, um Aufbau und Transfer zu begleiten. In Deutschland wurden die Planerstellen sukzessive abgebaut. Soweit möglich und von den Fachkräften mitgetragen, wurden die Mitarbeiter für andere Aufgaben geschult, einige übernahmen Managementpositionen. Allerdings konnten aus unterschiedlichen Gründen etwa fünfundzwanzig Prozent nicht untergebracht werden, verloren ihre Stelle oder gingen in Frührente. Da sich nun die Auftragslage besserte, musste das indische Unternehmen Personal aufbauen und überstieg dabei bei weitem die gesunde Wachstumsrate von zwanzig Prozent. Die Entsendungszeit der deutschen Fach- und Führungskräfte vor Ort war abgelaufen. Der Letzte sollte in einem Monat zurückkehren, ohne dass man sich sicher war, dass die Organisationsentwicklung in Indien und die laufende Projektarbeit gelingen würde. Nachdem die Informationen auf dem Tisch waren, wurde einem kleinen Führungskreis der Fall, der auch für sie emotional und mit Meinungen besetzt war, zurückgespiegelt. Mit ihnen wurden die unterschiedlichen Aspekte stichwortartig auf verschiedenfarbigen Karten festhalten und den Begriffen der zwei Analysedreiecke zugeordnet. Die 229

Vorgehensweise ist immer die gleiche. Aussagen über Strukturen, Prozesse, Ablauf, Ziele usw. gehören zur ‚Situation’. Aussagen über Fähigkeiten und Eigenschaften, Überzeugungen und Vorurteile werden den ‚Individuen’ zugeordnet. Befindlichkeit, Ängste und Neid sind hier wichtige Aspekte, denen nicht ausreichend Rechnung getragen worden war. Und wie füllten diese ihre Rollen? Welche Rollen gab es überhaupt und in diesem Übergangsprozess im Besonderen? Wie hatten zum Beispiel die Know-how-Vermittler ihre Aufgabe gemacht, die dafür ebenso wenig vorbereitet worden waren wie das Management auf den Change-Prozess? Zum ,Kontext’ gehört einerseits das Umfeld im Unternehmen, die Organisationskultur, das oberste Management, das hier den Prozess angestoßen und die Ziele gesetzt hatte, ohne in die Umsetzung eingebunden zu sein. Andererseits zählt hierzu aber auch die wirtschaftliche Lage, die sich offenbar gewendet hatte. Die kulturellen Aspekte konnten nun genauer bestimmt und zugeordnet werden: Know-how-Transfer hat mit Lehren und Lernen zu tun und ist über Schule und Sozialisation stark von kulturellen Mustern geprägt. Auch das Rollenverständnis der Inder, der Umgang mit Hierarchie, Anweisungen und Entscheidungen unterscheidet sich vom Verständnis der Deutschen. Aber daran allein lagen Missverständnisse und Konflikte nicht, denn die virtuelle Zusammenarbeit hat ihre besonderen Tücken. Zusätzlich überstieg der strukturelle Aufbau in Indien die gesunde Wachstumsrate bei weitem und behinderte womöglich Integration und Einarbeitung, ohne dass die indischen Kollegen dies angesichts der Angriffe zugeben wollten. Im Zweifelsfall kommen die Karten an die Stelle, wo sie der Klärung dienen. So entsteht ein mobiles Gesamtbild strukturierter aber auch reduzierter Komplexität, die sich nun überblicken lässt. Im zweiten Schritt kann das Gesamtbild mit seinen Wechselbezügen, Gewichtungen, zeitlichen Aspekten, Einflussfaktoren und offenen Fragen diskutiert werden. Blinde Flecken werden deutlich. Oft sind es gerade die „kulturellen“ Aspekte, die sich, über die gehörten Vorwürfe, Irritationen und Stereotypen (der Art „Die Amerikaner/Chinesen/Deutsche etc. sind soundso“) hinaus als terra incognita erweisen. Eventuell ergeben sich Ergänzungen oder auch schon Einsichten in die Wirkursachen. Sobald sich das Steuerungsteam von seiner unmittelbaren Betroffenheit distanzierte, konnte es auch erkennen, dass mit der Befindlichkeit der deutschen Mitarbeiter nicht angemessen umgegangen worden war. Einige der Globalisierungsverlierer hatten es darauf abgesehen zu beweisen, dass die Inder ihren Job nicht machen konnten, jedenfalls nicht gut genug. Sicher, das Management hatte sich alle Mühe gegeben, Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln, aber de facto waren sie selbst nicht ausreichend auf den Veränderungsprozess vorbereitet. Fallgeber, Teilnehmer und Berater können unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen des Geschehens haben und austauschen. Für den Erkenntnisgewinn ist das wertvoll. Eventuell kommen noch Verständnisfragen auf, die Übersehenes ans Licht bringen. Erst wenn die Unterscheidung der Wirkfaktoren eine differenzierte Gesamtschau ergibt, folgt die Suche nach Lösungsansätzen und Handlungsoptionen, der Schritt von der logischen Analyse zur pragmatischen Synthese, die allerdings offen angelegt sein sollte, um zunächst verschiedenste Möglichkeiten zu sammeln und in Betracht zu zie230

hen. Meist wird deutlich, dass man mit verschiedenen Maßnahmen an unterschiedlichen Stellen ansetzen muss. In diesem Fall wurde offensichtlich, dass interkulturelle Trainings allein nicht die gewünschte Lösung bringen würden. Es bedurfte unterschiedlicher Maßnahmen, um die Ursachen zu beheben und nicht Symptome zu behandeln. Strukturelle Probleme müssen anders angegangen und gelöst werden als die Befindlichkeit enttäuschter Mitarbeiter. Die Prozesse müssen im Hinblick auf die virtuelle Zusammenarbeit überprüft werden. Rollen müssen geklärt, definiert und mit geeigneten Personen besetzt werden. Das Top-Management muss über Vorgehensweise und Konsequenzen informiert und ins Boot geholt werden. Und dann brauchen einige Mitarbeiter tatsächlich auch interkulturelles Training, um auf spezifische Aufgaben und Situationen vorbereitet zu sein. Die Kultur, das lässt sich nicht leugnen, ist hier ein Teil des Problems; aber eben auch nur ein Aspekt unter anderen. Sie lässt sich nicht isoliert betrachten, weil sie mit dem Geschehen über Denken und Handeln der Betroffenen in Strukturen und Prozesse verwoben ist. Und entsprechend verzahnt fallen auch die Lösungsansätze aus. In diesem Fall wurde die Aufbauphase des indischen Unternehmens zunächst um ein Jahr verlängert. Die Strukturen und Maßnahmen in Indien wurden überprüft und neu definiert. Zwei Führungskräfte aus Deutschland wurden dazu abermals entsandt und auf ihre Aufgabe und den Indienaufenthalt vorbereitet. Weiter drei Fachkräfte wurden für den Know-how-Transfer vorgesehen und vorbereitet. Die fachlichen Voraussetzungen der indischen Mitarbeiter wurden untersucht und die Fortbildungsmaßnahmen entsprechend konzipiert. Da im Mutterunternehmen weitere Umstrukturierungen anstanden, wurden die nächsten Schritte nun professionell begleitet, der vorangegangene Prozess darin eingebunden. Einige überzeugte Fachkräfte, die in der Veränderung Chancen sahen, bekamen in dem Prozess besondere Rollen: Sie wurden zu ChangeAgents ernannt und dafür, sowie als interkulturelle Vermittler fit gemacht. Und dem Top-Management wurde ein anderes Bild der Lage und der Lösungen präsentiert, sodass diese, ohne unmittelbaren Einblick ins operative Geschehen, für geeignete Rahmenbedingungen und Mittel sorgen konnten. Schließlich dauerte es doch länger als ein Jahr, bis Hindernisse und immer neue Probleme behoben waren. Aber nach gut zwei Jahren war nicht nur die Umstrukturierung überstanden, sondern auch die Zusammenarbeit gelungen. Aber, ohne interkulturelle Begleitung wäre es wohl auch nicht gut gegangen. Ich setze das Instrument nun schon seit Jahren in Beratung und Trainings ein. Je komplexer und transkultureller die Arbeitswelt wird, desto mehr leuchtet vor allem erfahrenen Führungskräften die Idee der Orientierungsinstrumente ein, desto besser kennen sie die Kosten der Irrwege, desto bereiter sind sie, die Mühe auf sich zu nehmen, mit Kompass und Fernrohr die Meere der globalisierten Geschäftswelt zu navigieren.

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Literatur Bolten, Jürgen (2004): „Interkulturelle Personalentwicklung im Zeichen der Globalisierung: Paradigmenwechsel oder Paradigmenkorrektur?“. Interculture-Online 8/2004, Online: http://www.interculture-online.info/info_dlz/Bolten_08_04.pdf. Esser, Hartmut (1999): Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band 1: Situationslogik und Handeln, Frankfurt/Main: Campus. Esser, Hartmut (2001): Soziologie. Spezielle Grundlagen, Band 6: Sinn und Kultur, Frankfurt/Main: Campus. Geller, Helmut (1994): Position, Rolle, Situation. Zur Aktualisierung soziologischer Analyseinstrumente, Opladen: Leske+ Budrich. Hammerschmidt, Anette (2001): „Herausforderung ‚Lernende Organisation’ im Kontext der Internationalisierung“. In: Reineke, Rolf-Dieter/Fussinger, Christine (Hg.), Interkulturelles Management. Konzeption-Beratung-Training, Wiesbaden: Gabler, S. 23-31. Hammerschmidt, Anette (2006): „Interkulturelles Wissen als Orientierungsleistung“. In: König, Eckard/Meinsen, Stefan (Hg.), Wissensmanagement in sozialen Systemen, Weinheim und Basel: Beltz, S. 125-148. König, Eckard/Volmer, Gerda (2008): Handbuch Systemische Organisationsberatung, Weinheim und Basel: Beltz. Lenk, Hans (2005): Einführung in die Erkenntnistheorie: Interpretation – Interaktion – Intervention, München: UTB. Luckner, Andreas (2005): „Drei Arten nicht weiter zu wissen. Orientierungsphasen, Orientierungskrisen, Neuorientierungen“. In: Stegmaier, Werner (Hg.), Orientierung. Philosophische Perspektiven, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 225-241. Stegmaier, Werner (2005): „Einleitung“. In: Stegmaier, Werner (Hg.), Orientierung. Philosophische Perspektiven, Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 14-50. Stegmaier, Werner (2008): Philosophie der Orientierung, Berlin: Walter de Gruyter.

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III. Interkulturelle Sichtweisen auf Methoden interkultureller Organisations- und Personalentwicklung

Systemische Organisationsentwicklung aus der Beraterperspektive: Internationale, interkulturelle und kulturangepasste Organisationsentwicklung Ulrike Haupt

1 Einleitung Systemische Organisationsentwicklung ist seit vielen Jahren in Deutschland ein weit verbreiteter Beratungsansatz. Wie aber sieht die Anwendung und Verbreitung dieses Ansatzes in anderen europäischen Ländern aus? Bestimmte Beratungsansätze und Methoden sind in einem kulturellen Kontext besonders wirkungsvoll, in anderen wiederum weniger. Welche Rolle spielen dabei Kulturspezifika eines Landes? Welche Kompetenzen benötigen Berater mit systemischem Hintergrund, die in anderskulturellen Kontexten ihre Methoden anwenden? Wie viel kulturspezifisches Wissen benötigt ein Berater, um in internationalen Kontexten den systemischen Ansatz erfolgreich anzuwenden? Wann kann die interkulturelle Perspektive aber auch hinderlich für die Umsetzung eines systemischen Ansatzes sein? Ebenso wie der Verbreitungsgrad der systemischen Organisationsentwicklung, variieren auch der Bekanntheitsgrad und die Anwendungsmöglichkeiten der hiermit verbundenen Methoden. Managementlehren und -methoden gründen auf eine bestimmte Weltanschauung und Werte, die direkt mit der jeweiligen gegenwärtigen Landeskultur in Verbindung stehen. Ähnlich wie Managementlehren, die häufig ihren Ursprung in den USA haben, sollte die systemische Beratung, die ihre Ursprünge nach einer Weiterentwicklung in Deutschland bzw. den germanophonen Ländern hat, ihre kulturellen Wurzeln kennen und sich ihrer bewusst sein. Dieser Artikel möchte einen Beitrag zur erfolgreichen Anwendung systemischer Organisationsentwicklung in anderen Ländern liefern, hinterfragen, warum dieser in Deutschland verbreitete Ansatz in anderen europäischen Ländern (z.B. Frankreich) wenig bekannt und nur selten eingesetzt wird. Die zugrunde liegende deutsche Werteorientierung der systemischen Organisationsentwicklung sollte bei einer Anwendung in Tochtergesellschaften oder Unternehmensteilen deutscher Unternehmen im In- und Ausland im Bewusstsein der Berater verankert sein und bei der Umsetzung in bi- und multikulturellen Kontexten berücksichtigt werden. Dieser Artikel versteht sich nicht als Kritik an vielen international erfolgreich operierenden Beratern, sondern möchte über die Anwendung wertbasierter Ansätze und Methoden reflektieren, Anregungen für Interkulturalisten und Organisationsentwickler mit systemischem Hintergrund geben und auf die Wichtigkeit der interkulturellen Thematik hinweisen.1 1

Die Autorin dankt Ingrid Brunstein-Belitz für ihre Anregungen und Ideen.

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2 Systemische Organisationsentwicklung aus einer interkulturellen Perspektive: Definition, Herkunft, Verbreitung Forschung und Praxis liegen im Bereich der Anwendung und Umsetzung systemischer Organisationsentwicklung weit auseinander. Wenige Berater sind in der Forschung aktiv, wenige Wissenschaftler als ‚Vollblut-Berater’ für Organisationsentwicklung in der Praxis der Unternehmen bzw. Organisationen tätig. Ähnlich sieht es bei dem gewählten Untersuchungsgegenstand aus – wenige Interkulturalisten arbeiten im Bereich der systemischen Organisationsentwicklung; viele systemische Berater haben zwar internationale Erfahrungen, verfügen jedoch häufig nicht über ein fundiertes Wissen im Bereich der Interkulturellen Managementberatung. Wenig Arbeiten existieren demnach im Bereich der generellen Anwendung der durch deutsche Werte geprägten systemischen Organisationsentwicklung, die in Unternehmen und Organisationen heute international eingesetzt wird (z.B. Clement/Nemeczek 2000). Außerhalb des europäischen Raumes erschienen Publikationen zu verwandten Themen wie beispielsweise des Einsatzes klassischer Organisationsentwicklungsmodelle in den asiatischen Ländern (z.B. Allen 2002). Schon in der Auffassung, was Organisationsentwicklung ist und welche Definition diesen Ansatz erläutert, gehen die Meinungen auseinander und zeigen zugleich die Problematik des Untersuchungsgegenstands. „Wie soll eine Aussage über Themen und Trends ‚Organisationsentwicklung international’ getroffen werden, wenn sowohl Definition wie auch Inhalte nicht trennscharf abgrenzbar scheinen? [...] Praktiker und Beobachter der OE-Szene halten hierzu fest: Der Zustand der Organisationsentwicklung 2005 ist nach wie vor, was Theoriefundierung, Methodenklarheit, Gegenstandsbereich und Gewicht in den Unternehmen angeht, fließend und ambivalent.“ (Althauser 2006: 117). Die Herkunft der systemischen Theorie liegt in der ‚Familientherapie’, die ihren Ursprung vor allem in den USA hat (z.B. Satir 1992). Diese wurde in den 1990er Jahren durch die Einbeziehung systemwissenschaftlicher und konstruktivistischer Konzepte weiterentwickelt (z.B. Maturana 1982; von Foerster 1985). Die Weiterentwicklung dieser Basis im Sinne der systemischen Wissenschaften fand hauptsächlich in Deutschland und den germanophonen Ländern statt und beinhaltet daher viele deutsche Wertorientierungen, die in der Haltung und den Prämissen deutlich werden. Nach Ludewig (2005) sind systemische Ansätze seit den 1980er Jahren wahrzunehmen und haben sich aus der systemischen Therapie in Bereichen wie Beratung, Supervision, Pädagogik und Organisationsentwicklung weiterentwickelt, in Wissenschaft und Praxis ihren Platz erobert sowie ständig neue Anwendungsformen erarbeitet. Interessant ist daher die Erkenntnis, dass Kenner der Branche aktuell in den USA eine Stagnation der Organisationsentwicklung feststellen, die mit der Weiterentwicklung der Organisationsentwicklung und des Change Managements in Europa nicht mehr Schritt halten kann (Trebesch 2009). Festzustellen ist weiterhin, dass in deutschsprachigen Standardwerken der systemischen Therapie und Beratung (z.B. Ludewig 2005; Kö236

nig/Volmer 2009) keine bis sehr wenige Literaturverweise aus dem romanischen Raum zu finden sind. Dies ist umso verwunderlicher, da französische, spanische, italienische und portugiesische Unternehmen in Europa eine beachtliche Zahl an Unternehmen aufweisen und damit Bedarf an Modellen zur Weiterentwicklung ihrer Organisationen haben müssten. Wie sieht es grundsätzlich beim Ansatz der systemischen Organisationsentwicklung mit einer Offenheit für die interkulturelle Thematik aus? Wie viel Platz lässt das systemische Denken für den interkulturellen Aspekt? In Deutschland publizierte Werke, die Synergien zwischen interkulturellem Arbeiten und dem systemischen Ansatz beschreiben, haben als Zielgruppe deutsche, in multikulturellen Kontexten im Inland arbeitende Therapeuten und Berater (z.B. Hegemann/Oestereich 2009; Schlippe/El Hachimi/Jürgens 2003). Haltung und Menschenbild des systemischen Ansatzes ergeben einen hohen Übereinstimmungsgrad mit denen der interkulturellen Beratung. Bestimmte Ausrichtungen der systemischen Beratung können hierbei als davon abweichend angesehen werden: „Eine extreme Position im Spektrum möglicher Referenztheorien nimmt die systemtheoretische Ausrichtung Luhmannscher Prägung ein. [...] In dieser ‚menschenleeren’ Theorie gehen alle zwischenmenschlichen Begegnungen in funktionaler Differenzierung auf. Dieser Ansatz ist blind für interkulturelle Konflikte auf der Ebene personaler und interpersonaler Problemlagen.“ (Heimannsberg/SchmidtLellek 2000: 19). Im Sinne der Interkulturalität sind die systemischen Ansätze der Tradition Batesons, speziell die systemische Kommunikationstherapie, die Familientheorie und die systemische Organisationsberatung um einiges offener. Das Menschenbild der systemischen Organisationsberatung greift Konzepte aus humanistischen Traditionen auf, z.B. die Autonomie der Person, Verantwortung und intersubjektive Konsensverfahren. Solche humanistischen Konzepte sind vielen Ansätzen zum Umgang mit kulturellen Unterschieden unterlegt. Stellt man einen Vergleich mit der Entwicklung des Ansatzes in anderen Ländern an, können Unterschiede beispielsweise hinsichtlich der Zielsetzung festgestellt werden: „Das Ziel der Organisationsentwicklung kann wie folgt beschrieben werden: Helfen, eine qualitative Veränderung einer Organisation zustande zu bringen, und zwar dergestalt, dass die Betreffenden lernen, den Entwicklungsprozess in ihrer eigenen Organisation zu leiten und zu beherrschen. Der Entwicklungshelfer hat in erster Linie eine agogische Aufgabe: über den Menschen richtet er sich an die Organisation als soziales System.“ (Glasl/Kalcher/Piber 2005: 44). In Bezug auf die Zielsetzungen der Organisationsentwicklung in anderen Kulturen wird konstatiert, dass Organisationsentwicklung in Deutschland sich mit der amerikanischen schwer vergleichen lässt, da die Unternehmen in Deutschland in einem anderen sozioökonomischen und kulturellen Umfeld verankert sind. Der Unterschied von amerikanischer und deutscher Auffassung liegt weitestgehend in der Formulierung der Ziele. Erstgenannte verstehen Organisationsentwicklung als Mittel zur Verbesserung von Wirksamkeit und ‚Gesundheit’ der Unternehmung. In Deutschland werden als Ziele vor allem die Humanisierung der Arbeit und die Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Organisationen genannt.

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Mohe/Birkner gehen nach Prüfung der Literatur davon aus, dass der Verbreitungsgrad auch in der Literatur in anderen westlichen Ländern geringe Beachtung findet: „Folgt man Armbrüster und Kieser (2001: 609), gilt dies auch für die systemische Beratung: Im englischsprachigen Raum existiert weder systemische Beratung noch Literatur darüber.“ (Mohe/Birkner 2008: 68) Die Verbreitung der systemischen Organisationsentwicklung in romanischen Ländern in Europa wird nicht erwähnt. „Dabei entfacht eine Diskussion um Internationalisierungsperspektiven der systemischen Beratung einen besonderen Reiz, da sie im Gegensatz zur Fachberatung oder Organisationsentwicklung nicht US-amerikanischen Ursprungs ist, sondern ihre Wurzeln im deutschsprachigen Raum hat und zusätzlich mit einer anderen Logik operiert.“ (Mohe/Birkner 2008: 67). Welche wissenschaftliche Disziplin in Deutschland die Einsetzbarkeit von Ansätzen und Methoden der systemischen Organisationsentwicklung in einem internationalen Kontext erforscht und verbreitet, ist nicht klar ersichtlich. Einige Disziplinen wie Internationale Betriebswirtschaftlehre, Bereiche der Soziologie, Arbeits- und Organisationspsychologie, Kulturwissenschaften und Anthropologie arbeiten an bestimmten Aspekten, die für den Untersuchungsgegenstand wichtig und richtungsweisend sind. Weiterhin gibt es Lehrstühle für Consulting (Management Consulting/Cologne Business School, Business Consulting/FH Furtwangen), die international, aber nicht interkulturell arbeiten. Interkulturell ausgerichtete Lehrstühle (z.B. Interkulturelle Wirtschaftskommunikation/Universität Jena, FH Ludwigshafen) versuchen diese Lücke zu schließen, allerdings fehlt Studiengängen, die interdisziplinäre Lehre anbieten, häufig die praktische Anwendung bzw. die Beraterpraxis. Untersuchungen, die in den letzten Jahren zu der beschriebenen Thematik durchgeführt wurden, scheitern häufig an einer fehlenden Interdisziplinarität. So nimmt beispielsweise eine aussagekräftige Studie über die Verbreitung der systemischen Organisationsberatung in anderen europäischen Ländern (Mohe/Birkner 2008) den Aspekt der Interkulturalität in ihrer Betrachtung und Auswertung nicht auf. Die Studie geht ein auf die Frage, warum der Verbreitungs- und Bekanntheitsgrad der systemischen Organisationsberatung in anderen europäischen Ländern so gering ist. Konstruktiv stellen Mohe/Birkner die Frage, wie deutsche Beratungsunternehmen ihren Auslandsauftritt vorbereiten können. Aufgeführt als Barrieren für die Nicht-Verbreitung von organisationsentwickelnden Beratungsgesellschaften werden Bekanntheitsbarrieren des systemischen Ansatzes in anderen Ländern, Verständnisbarrieren bezüglich der komplexen Konzepte der systemischen Beratung sowie Standardisierungsbarrieren genannt, da der Ansatz einen hohen Individualisierungsgrad besitzt. Als favorisierende Faktoren für eine stärkere Internationalisierung werden die Ansätze des ClientFollowing sowie Möglichkeiten der Anwendung der systemischen Beratung bei einer Neuorientierung des Klienten genannt (Mohe/Birkner 2008). Mit Einbeziehung von Kulturspezifika könnten die Barrieren und favorisierenden Faktoren für eine mögliche Internationalisierungsstrategie je nach Land um interessante Erklärungsmuster ergänzt werden, aus denen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten lassen.

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Interessant ist weiterhin die Feststellung, dass auch in Standardwerken der Organisationsentwicklung im deutschsprachigen Raum wie beispielsweise ‚Changemanagement’ von Doppler und Lauterburg (2005) die interkulturelle Kompetenz in einem ersten Abschnitt über Zukunftsperspektiven im Rahmen einer zunehmenden Globalisierung Erwähnung findet, in Ausblick und Perspektiven bezüglich des Typus und der Kompetenzen des Changemanagers der Zukunft aber fehlt. Zusammenfassend kann man festhalten, dass hinsichtlich der Forschung eine Situation besteht, die viel Platz für zukünftige empirische Studien lässt. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der tangierten Wissenschaftsbereiche wäre für diese Feldforschung ein wichtiges Desiderat.

3 Wertorientierung und Kulturabhängigkeit Der systemische Berateransatz, der in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz weit verbreitet ist, wird beispielsweise in romanischen Ländern, wie im Vorfeld erwähnt, in Organisationen kaum angewandt. Dies heißt allerdings nicht, dass dieser Ansatz nicht in einer interkulturellen und/oder kulturangepassten Version erfolgreich sein kann. Managementlehren und Beratungsansätze stammen aus einem Kulturkreis, der die Haltung und das Denken der ‚Entwickler’ beeinflusst (Barmeyer 2000). In zahlreichen Publikationen (Adler 1991; Hofstede 2001) wurde im letzten Jahrzehnt nachgewiesen, dass die Umsetzung von Managementansätzen amerikanischen und japanischen Ursprungs in Europa je nach Landes- und Unternehmenskultur in ihrer Auswirkung unterschiedliche Ergebnisse erbrachte (Haupt 2004). So kann man bei der Anwendung von Methoden und Instrumenten in Projekten und Prozessen im Alltag der international operierenden Unternehmen feststellen, dass bestimmte Methoden in einigen Gesellschaften funktionieren, in anderen nicht. Als ein Beispiel von vielen eignet sich das Instrument des 360°-Feedbacks. Wird dieses Instrument weltweit eingesetzt, ist die Beobachtung des gesamten Prozesses wichtig. Auf den ersten Blick lässt sich nach einer ersten Phase der Anwendung festhalten, wie viel Prozent der Belegschaft weltweit dieses Instrument genutzt haben. Wenn die Anwendung vom Headquarter ausgegangen ist, sind die Zahlen der Anwendung gemeinhin hoch. Wirft man einen zweiten (interkulturellen) Blick auf die Ergebnisse, lesen sie sich anders. In welchen Gesellschaften erlauben die gegenwärtigen Werte und Normen dem Mitarbeiter ein ehrliches und konstruktives Feedback gegenüber seiner Führungskraft? Der Druck des Headquarters führt dazu, dass die Tochtergesellschaften über ihre Ergebnisse ‚Bericht erstatten’ müssen, aber wie sind diese tatsächlich erhoben worden? Wie viel und welche Art von Widerstand gegenüber dem Instrument und deren Anwendung kann man beobachten und zu welchen Konsequenzen hat dieses Verhalten im Hinblick auf die qualitativen und quantitativen Auswertungen der Anwendung des Instruments geführt? Diese interkulturelle Perspektive ist auch bei der Anwendung anderer international bekannter Methoden und Ansätze wichtig und hilfreich für eine neutrale Wertung: „Ver239

fahren wie Management by Objectives, Total Quality Management, Job Enrichment und Enlargement, die im Rahmen von Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen durch- bzw. eingeführt werden, basieren auf Werten, die zunächst typisch für den Kulturraum sind, in dem diese Verfahren entwickelt wurden. [...] Dabei hängt nach Aycan (2005) der Erfolg der Maßnahmen maßgeblich von der Passung der Werte der Anwendungsregion ab, in der das Verfahren eingeführt wird.“ (Deller/Kusch 2007: 568) Deutsche Wertorientierungen, die zur Weiterentwicklung des systemischen Organisationsentwicklungsansatzes geführt haben, werden im folgenden Abschnitt kurz aufgezeigt. Inwiefern anderskulturelle Wertorientierungen und Kulturstandards der Anwendung dieses Ansatzes entgegenstehen oder es unterstützen können, zeigt im Anschluss das Beispiel Frankreich. 3.1

Prämissen der systemischen Organisationsentwicklung: was daran entspringt den deutschen Werten?

Trebesch (2000) hatte 1982 in seiner Literaturrecherche 50 Definitionen der Organisationsentwicklung verglichen und dabei konstatiert, dass es dazu keine allgemeine Definition gibt, die von vielen getragen wird. Auch heute ist noch keine übereinstimmende Meinung in Sicht. Zu sehr hängt die Definition von persönlich geprägten Auffassungen zur Organisation, zur Entwicklung und zum Menschenbild ab. Immerhin findet sich bei verschiedenen Autoren ein relativ breites Einverständnis darüber, dass Organisationsentwicklung als Entwicklungsansatz die folgenden Merkmale aufweist (Trebesch 2000): • die individuellen Entwicklungsbedürfnisse werden mit den Zielen und Struk-

turen der Organisation vereinbart, • die Betroffenen gestalten die Veränderungen aktiv mit, • es geht um bewusstes, methodisches und planmäßiges Gestalten und Steuern

des Vorgehens, • Sozialwissenschaften kommen zur Anwendung, • die Effektivität der Organisation wird gesteigert, • es werden gemeinsame Lernprozesse gestaltet, • die Organisation wird ihrer Umwelt angepasst, • die Problemlösungsfähigkeit der Organisation wird gesteigert, • das Arbeitsleben wird humanisiert, • die Interaktions- und Kommunikationsfähigkeit wird verbessert, • die Selbstregulierung der Organisation wird gefördert.

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Aus der Vielzahl der existierenden Definitionen für systemische Organisationsentwicklung sei eine von Glasl/Kalcher/Piber herausgegriffen: „Unter Organisationsentwicklung verstehen wir einen Veränderungsprozess der Organisation und der in ihr und für sie tätigen Menschen (stakeholder), welcher von diesen selbst aktiv getragen und bewusst gelenkt wird und somit zu Erhöhung des Problemlösungspotenzials und der Selbsterneuerungsfähigkeit der Organisation führt, wobei die Menschen gemäß ihren eigenen Werten die Organisation und den Veränderungsprozess authentisch so gestalten, dass diese nach innen und außen den wirtschaftlichen, sozialen, humanen, kulturellen und technischen Anforderungen entsprechen können.“ (Glasl/Kalcher/Piber 2005: 45). Vom Grundsatz bietet diese Definition viel Platz zu einer spezifischen Kulturanpassung bzw. interkulturellen Anpassung; sie lädt gewissermaßen dazu ein. Jedoch ist die hohe Bedeutung des Prinzips der Selbstverantwortung und der daraus entstehenden Selbstaktivierung als eine Form der intrinsischen Motivation eine Einstellung bzw. Verhaltensweise, die schon früh im Sinne einer Partizipation in bestimmten Gesellschaften ‚erlernt’ wird. Das deutsche Bildungssystem fördert diese Einstellung in Form einer eigenen Meinungsbildung und Mitbestimmung schon im Kindergarten z.B. in Form von Kinderparlamenten, in denen diese Werte eine konkrete Anwendung finden (Barmeyer 2004). Die hieraus resultierende Diskussionsbereitschaft, die auch auf den weiterführenden Schulen weiterentwickelt wird, ist ein typisches Beispiel für eine im deutschen System erlernte Einstellung, die sich in Form der Diskussion auch mit einer ‚Autoritätsperson’ wie beispielsweise mit einem Professor im universitären Bereich oder der vorgesetzten Führungskraft in Unternehmen in einem klaren Regelkontext äußert. Um die deutsche bzw. germanophone Werthaltung der Definition herauszuheben, sei als zweites auf das ‚Problemlösungspotenzial’ und die ‚Selbsterneuerungsfähigkeit’ der Organisation hingewiesen. Damit dieses Ziel für eine Unternehmensführung erstrebenswert wird, wird ein hohes Vertrauensniveau in die Belegschaft vorausgesetzt. Es kann auf den ersten Blick hierdurch zu einem Machtverlust kommen, der in anderen Gesellschaften einem ‚Gesichtsverlust’ gleichkommt und irreversibel ist. Wie entsteht Vertrauen in die Führungsmannschaft? Durch welche Kompetenzen und Verhaltensweisen wird Vertrauen erzeugt? Hier zeigen internationale Untersuchungen, dass in verschiedenen Kulturkreisen andere Aspekte wichtig sind: In den romanischen Ländern ist das Abschlusszeugnis einer anerkannten Hochschule und die Zugehörigkeit zu einem elitären Netzwerk sowie rhetorische und diplomatische Fähigkeiten wichtiger als die Fachkompetenz und Erfahrung in einem bestimmten Bereich (Barmeyer/Schlierer/Seidel 2007). In Hofstedes Kulturdimensionen (2001) gedacht, ist in Gesellschaften mit hoher Machtdistanz die Anwendung von Methoden der systemischen Organisationsentwicklung nicht nur schwerer durchzusetzen, sondern auch der gesamte Prozess im Sinne einer Ganzheitlichkeit fraglich, da die Energie der Belegschaft die Autorität der Unternehmensführung untergraben kann.

241

3.2

Der französische Gesellschaftskontext als mögliche Eintrittsbarriere für systemische Organisationsentwicklung

Folgt man den Ausführungen Ludewigs, wie im Abschnitt 2 erwähnt, wird die systemische Organisationsberatung in den ‚meisten westeuropäischen Ländern’ eingesetzt (Ludewig 2005). Wirft man einen Blick auf den existierenden Beratermarkt, so lässt sich feststellen, dass dem nicht so ist. Größere Beratungsunternehmen, die diese Art von Beratung anbieten, sind in den romanischen Ländern zumeist nicht vertreten. Es gibt kleine ‚Ein-Mann/Frau-Beratungsunternehmen’, die häufig einen binationalen Lebenslauf aufweisen und in Frankreich, Spanien, Italien und Portugal aktiv sind. Konzentriert man sich auf eines dieser Länder, z.B. Frankreich, ist ein breites Wissen der Kultur und Gesellschaft des Landes wichtig, um die Hindernisse, die der Anwendung des systemischen Ansatzes entgegenstehen, zu verstehen. Ein Blick auf das Bildungssystem und dessen sich fortsetzende Denkhaltung zeigt uns, dass im Top-Management der großen französischen Unternehmen vor allem Absolventen der Grandes écoles bzw. Ingenieursschulen vertreten sind. Der Ansatz, der in diesen Hochschulen vermittelt und seit Jahrhunderten perpetuiert wird, entstammt dem Denken Descartes. „L’approche systémique favorise les solutions propres aux acteurs concernés à l’opposé du système éducatif classique basé sur la démonstration scienti2 fique, universelle et sur l’irréfutabilité des arguments.“ (Yatchinovsky 1999: 26). Wenn man demnach davon ausgeht, dass ein Großteil der in den Chefetagen der großen Unternehmen arbeitenden Manager diesen Schulen entstammt, wird klar, dass das systemische Vorgehen auf Widerstand treffen wird. „À l’inverse de la logique cartésienne qui dissocie, partage, décompose, la logique systémique associe, rassemble, considère les éléments dans leur ensemble les uns vis-àvis des autres et dans leur rapport à l’ensemble.“ [...] L’approche systémique permet d’avoir prise sur quelque chose qui apparaît à la fois complexe et familier. Chacun s’appuie sur elle et pourtant le faire de façon intentionnelle implique un renversement de mode de pensée.“3 (Yatchinovsky 1999:13). Wie sich die beiden Ansätze unterscheiden, fasst die folgende Tabelle zusammen:

2

„Der systemische Ansatz favorisiert Lösungen, die den betroffenen Akteuren eigen sind im Gegensatz zum klassischen Bildungssystem, das auf wissenschaftliche Beweisführung und die Unwiderlegbarkeit von universellen Argumenten basiert.“ (Übersetzung durch die Verfasserin) 3 „Im Gegensatz zur cartesianischen Logik die zerteilt, aufteilt und zersetzt, verknüpft; verbindet und sieht die systemische Logik die Elemente in ihrer Gesamtheit, die einen neben den anderen und ihrer Verbindung zum Gesamten. Der systemische Ansatz erlaubt einen Zugriff auf etwas zu haben, das auf der einen Seite komplex, auf der anderen bekannt ist. Jeder stützt sich auf sie und gerade deswegen impliziert dieses Tun eine Umkehrung der Denkweise.“ (Übersetzung durch die Verfasserin)

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Tabelle 1 : Gegenüberstellung der analytischen und systemischen Vorgehensweise nach Kourilsky-Belliard (1996).

Analytisches Vorgehen

Systemisches Vorgehen

Duales System, trennend

Aus drei Einheiten bestehende Logik, verbindend

Lineare Kausalität

Kreisförmige Kausalität

Ausrichtung Vergangenheit – Gegenwart

Ausrichtung Gegenwart – Zukunft

Zur Problemlösung werden zuerst die Gründe benötigt.

Zur Problemlösung wird zuerst das zu erreichende Ziel geklärt.

Ausgerichtet auf die Erklärung von Fehlfunktionen und Behinderungen des Systems.

Ausgerichtet auf die nützlichen Funktionen der Fehlfunktionen und die zur Verfügung stehenden Mittel des Systems.

Der Ansatz nährt sich aus der Vergangen- Der Ansatz nährt sich aus der Gegenwart heit, um sich zu entwickeln. und der Tatsache sich gemäß des vereinbarten Ziels zu entwickeln. Die Vergangenheit bestimmt die Gegenwart und die Zukunft.

Die Projektion der gewünschten Zukunft beeinflusst die Gegenwart.

Dieser Aspekt der Denkhaltung des französischen Top Managements spielt insofern eine große Rolle, da die Entscheidungsvollmacht über die Anwendung von Beratern und den einzusetzenden Veränderungsprozessen bei diesen liegt. Die Abgabe von Macht an das mittlere Management ist auf Grund z.B. der hohen Machtdistanz (Hofstede 2001) und der Bedeutung von Status und Rang (D’Iribarne 2006) schwierig. Veränderung würde zu einem Verlust von Autorität und Macht führen; so werden ergebnisoffene, auf die Mitarbeit und Motivation der Mitarbeiter und des mittleren Managements basierende Veränderungsprozesse von Anfang an unterbunden. Greift man beispielsweise den Aspekt der Beteiligung am Prozess auf, der aus einer systemischen Sicht Voraussetzung ist, zeigt sich folgendes: die Belegschaft besitzt die Energie, das Wissen und die Erfahrung, um für das Unternehmen eine erfolgreiche Zukunftsperspektive bzw. die Weggestaltung zu erarbeiten. ‚Betroffene’ werden zu ‚Beteiligten’. Dies steht der typischen französischen Art der Führung, die über Autorität und Entscheidungshoheit funktioniert, diametral gegenüber (D’Iribarne, 2006). Auf der anderen Seite sind die französischen Mitarbeiter in Veränderungsprozessen, einmal davon überzeugt, dass sie ihre Energie und ihr Wissen wirklich einbringen können und dieses Verhalten auch von ihren Vorgesetzten geschätzt wird, hoch motivierte Teilnehmer. Dieses Verhalten kann man z.B. bei multikulturellen Großveranstaltungen wie Open Space beobachten (Haupt 2004). 243

Legt man den Fokus auf einen anderen Aspekt der französischen Gesellschaft, das Generalistentum der französischen Manager, so ist dies ein Blickwinkel, der der systemischen Denkweise nahe steht bzw. von ihr ‚gefordert’ wird und dies im Gegensatz zum deutschen Expertentum: „Unsere hoch spezialisierte Leistungsgesellschaft, so effizient sie auch ist, bildet erhebliche Barrieren gegen vernetzte, ganzheitliche Lösungsstrategien. [...] Ganzheitliche Lösungen müssen mit erheblichem Vernetzungs- und Kooperationsaufwand ‚erkauft’ werden, da es gilt eine Vielzahl von Spezialisten für eine Aufgabe zusammenzubringen“ (Baumfeld et.al 2009: 4). Vergegenwärtigt man sich die Vita vieler französischer Führungskräfte, so fällt auf, dass ein mehrmaliger Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft, aber auch zwischen den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens, häufig ist. Nach ca. 3 Jahren wird die Position gewechselt, z.B. vom Bereichsleiter Vertrieb zum Geschäftsführer in der Produktion (Barmeyer/ Schlierer/Seidel 2007). Auch eine geographische Veränderung ist eine wichtige Komponente, die mit dem Positionswechsel einhergeht und zumindest in nationalen Unternehmen den Managern einen häufigen Perspektivenwechsel erlaubt und der die Weiterentwicklung des durch das Bildungssystem vorgegebenen Generalisten weiter vorantreibt. Spezialisten, die sich nicht über das mittlere Management hinaus hierarchisch gesehen ‚nach oben’ entwickeln, sind selten in französischen Unternehmen vorzufinden. Zusammenfassend kann man festhalten, dass es in Frankreich grundsätzlich auf bestimmten, aber entscheidenden Hierarchieebenen Widerstände bezüglich des systemischen Ansatzes gibt. In der Anwendung wiederum sind auf einer Verhaltensebene favorisierende Aspekte festzustellen. Eine profunde Analyse der positiven bzw. negativen Einflussfaktoren könnte für eine Verbreitung der systemischen Organisationsentwicklung in Frankreich und den anderen romanischen Ländern richtungsweisend sein. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, wie der aktuelle Stand der Forschung im Bereich der internationalen systemische Organisationsentwicklung in Deutschland ist bzw. wie der Untersuchungsgegenstand definiert wird. Der Ansatz als solcher ist wie viele Managementlehren und Managementinstrumente in anderen Gesellschaften nicht ohne Problematik einsetzbar; es braucht vielfach eine Art ‚Übersetzung’, die ein ‚interkulturelles Bewusstsein’ voraussetzt. Im nächsten Abschnitt wird darauf eingegangen, welche möglichen Arten der ‚Übersetzung’ der systemischen Organisationsentwicklung es gibt und in welchen Kontexten welche Vorgehensweise in einem internationalen Kontext zu empfehlen ist. Dieser Teil des Artikels stellt gewissermaßen die Konkretisierung der Ausführungen in der beraterischen Praxis dar und basiert schwerpunktmäßig auf den Beratungserfahrungen der Verfasserin.

244

4 Internationale, interkulturelle und kulturangepasste Organisationsentwicklung Drei Ansätze der systemischen Organisationsentwicklung lassen sich für die Anwendung in einem internationalen Kontext unterscheiden. Abhängig von Kultur der Organisation bzw. der Zusammensetzung der Gruppe sowie der Zielsetzung der Maßnahme kann der interkulturelle Berater eine der drei Varianten wählen und in seinem Handeln umsetzen. Je nach Größe des Projektes ist auch eine Kombination der Varianten möglich und hilfreich. Die internationale Organisationsentwicklung sieht die Kultur der Gesellschaft, in der der Einsatz erfolgt, als System und kann mit dem Ansatz der systemischen Organisationsentwicklung arbeiten, indem sie den interkulturellen Aspekt und der zugrunde liegenden Werteorientierung nicht im Besonderen berücksichtigt. Sie geht davon aus, dass dieser Ansatz universell einsetzbar ist. Die interkulturelle Organisationsentwicklung nimmt den (inter)kulturellen Aspekt auf und nutzt ihn; mit einer hohen interkulturellen Sensitivität wird die z.B. nicht unbedingt ‚kulturstimmige’ Methodik als eine Art ‚Störfeuer’ genutzt, um als neues, unbekanntes und ‚fremdes’ Element Aufmerksamkeit und Offenheit für Neues zu erreichen. Sie spielt mit der Distanz und Fremdheit von Ansätzen und Methoden. Die kulturangepasste Organisationsentwicklung sieht Kultur und kulturell geprägte Verhaltensweisen als einen wichtigen Aspekt in der Auswahl des Ansatzes und der Methodik. Ansatz und Instrumente werden den kulturellen Werten und Artefakten der Gesellschaft und der Organisation angepasst. Das gewählte Vorgehen setzt einen unterschiedlich hohen Bewusstseins- und Kompetenzgrad für Interkulturalität und die involvierte(n) Kultur(en) sowie deren typische Reaktionen ihrer Mitglieder beim Berater voraus. Wie aber lassen sich diese drei verschiedenen Arten der Organisationsentwicklung in internationalen Kontexten unterscheiden? Als erste Orientierung dient folgendes Modell:

245

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Systemische Organisationsentwicklung

Werteorientierte Anpassung an die ‚Landes‘ Kultur

Kulturangepasste Organisationsentwicklung

Abbildung 1: Systemische Organisationsentwicklung in der internationalen Anwendung

4.1

Internationale Organisationsentwicklung

Die anstehenden Aufgaben und sich verschiebenden Zielsetzungen der internationalen Organisationsentwicklung sind vielfältiger Art: „Internationale Organisationsentwicklung muss Antworten liefern auf die aus vielfältigen, unterschiedlichen Kultur- und Marktzusammenhängen erwachsenden Anforderungen, auf die Konsequenzen für die Gestaltung von Strukturen und Prozessen. [...] Für die Organisationsentwicklung erwachsen aus diesen Kontextveränderungen neue Aufgaben bzw. ‚alte’ erhalten ein neues Gewicht. Diese beziehen sich auf den Gegenstand der Organisationsentwicklung, auf das Selbstverständnis und die Notwendigkeit neue Instrumente und Verfahren zu entwickeln, um diese Trends im Kontext konstruktiv aufgreifen zu können.“ (Althauser 2006: 119). Organisationsentwicklung, die sich in einem internationalen Kontext bewegt, aber nicht aus einem interkulturellen Blickwinkel heraus erfolgt, wählt häufig erprobte Vorgehensweisen aus und adaptiert sie in sprachlicher Hinsicht. Berater, die über ein gutes Gespür für die herrschende Gruppendynamik verfügen, passen die Methodik und ihr Instrumentarium an die Verhaltens- und Reaktionsweisen der Teilnehmergruppe an. Für Berater, die in und für internationale Organisationen und Unternehmen arbeiten, ergibt sich eine neue Herausforderung bzw. Erkenntnismöglichkeit. Welche Betrachtungen, Interpretationen und Methodeneinsätze lassen sich in welchem kulturellen Kontext erfolgreich ein- und umsetzen? Eine breit angelegte Untersuchung dieser Sachlage wäre für alle international agierenden systemischen Organisationsentwickler ein wichtiger Wissenszuwachs. 246

4.2

Interkulturelle Organisationsentwicklung

Im Gegensatz zur Internationalen Organisationsentwicklung berücksichtigt die Interkulturelle Organisationsentwicklung Kultur, kulturelle Werte und kulturspezifische Verhaltensweisen. Unterschiede der Reaktionen auf eingesetzte Methoden werden als willkommene Bereicherung für den Prozess gesehen (Barmeyer/Haupt 2005). Sie können als Diskussionsmittel bewusst gemacht, als Perspektivenwechsel in offenen Ergebnisworkshops eingesetzt oder auch als ‚Brückenfunktion’ in konfliktträchtigen Prozessen genutzt werden. Setzt man beispielsweise Open Space-ähnliche Formen in Teilnehmergruppen ein, die hauptsächlich aus romanischen Ländern stammen, so fehlt diesen die steuernde ‚Autoritätsperson’ (der systemisch agierende Moderator ist für den Prozess, aber nicht für die Inhalte verantwortlich) und in demokratischen Entscheidungssituationen sind die Teilnehmer unsicher über das zu wählende Vorgehen (Haupt 2004). Das Zitat von Hammerschmidt verdeutlicht das Potenzial, das in der Zusammenführung des interkulturellen und des systemischen Ansatzes gerade in Veränderungsprozessen liegt: „Der Ansatz, den ich hier beschreibe, versucht die Praxis interkultureller Interaktion und Kommunikation aus der Perspektive des systemischen Denkens zu beleuchten und zu verstehen. Kultur wird weder als Entität noch als ‚programming of the mind’ (Hofstede 1991) gesehen, sondern als System, das sich in Handlungen und Interaktionen sowohl konstituiert als auch stabilisiert und verändert. Während Kulturstandards und Regelwissen von der Prozesshaftigkeit und den systemischen Wechselwirkungen der Wirklichkeit absehen, bietet die systemische Beraterpraxis Ansatzpunkte, die Unvorhersehbares und Unberechenbares, Unbestimmbarkeit und Ungewissheit mit einbeziehen, um sie handhabbar zu machen.“ (Hammerschmidt 2006: 128). In dieser Hinsicht führt die Interkulturelle Organisationsentwicklung durch die kulturelle Durchmischung zu einer ‚neuen’ Kultur, einer ‚Interkultur’ (Dirscherl 2004; Bolten 2000; Barmeyer/Haupt 2005). Diese entspricht keiner der Ausgangskulturen und stellt auch nicht deren Synthese dar. Die Ausbildung der Interkultur erfordert von allen Interaktionspartnern eine gegenseitige Anpassung und Synchronisation unterschiedlicher Arbeitsstile und Verhaltensweisen. Als Voraussetzung gilt ein ausgeglichener bikultureller oder multikultureller Kontext, der eine Kulturdominanz vermeidet. Auf der Ebene der Artefakte (von außen sichtbar) ist ganz grundsätzlich die Beachtung der Sprache und der Kommunikation als Verständigungsmittel wichtig. Viele interkulturelle Missverständnisse haben hier ihren Ursprung. Gerade in der systemischen Organisationsentwicklung, in der die Beobachtung der Interaktionen einen wichtigen Fokus darstellt, kann durch vorliegende Fehlinterpretation eine Reaktion entstehen, die die Interaktion erschwert bzw. ‚verfälscht’. Besitzt der Berater keinen ‚interkulturell’ geschulten Blick, wird er diese Interaktion wiederum ‚falsch’ einschätzen. Auf der Ebene der Werte und Normen bzw. der Grundannahmen sind eine oberflächliche Kenntnis der involvierten Kulturen von Vorteil und eine ausgeprägte interkulturelle Kompetenz Vorraussetzung. 247

Eine systemische Organisationsentwicklung, die den interkulturellen Aspekt in all seinen Facetten berücksichtigt, kann so auf vielen Ebenen (Planung, Steuerung, Situationsanalyse, Inszenierung, usw.) zu überraschenden und für alle Beteiligten bereichernden Ergebnissen führen. 4.3

Kulturangepasste Organisationsentwicklung

Diese Form der internationalen systemischen Organisationsentwicklung findet man in erster Linie in bi-kulturellen Prozessen oder als Weiterentwicklung von konzernumfassenden Prozessen in den einzelnen Zielländern bzw. Auslandsniederlassungen. Auch die systemische Organisationsentwicklung als solche ist in ihrer Hinsicht als weiterentwickelte Form der amerikanischen Organisationsentwicklung ein Beispiel der kulturangepassten Form. Die kulturangepasste Organisationsentwicklung nimmt die in dieser Kultur bekannten und angewandten Managementlehren, Beratungsansätze, Methoden und Instrumente zur Kenntnis und nimmt sie gegebenenfalls in die Anwendung auf bzw. passt sie dem Gesamtprozess an. Als Beispiel lässt sich ein Leitbild- und Wertefindungsprozess in einem großen deutschen, international aufgestellten Unternehmen kurz beschreiben. Die gesamte erste Phase fand in gemischt-kulturellen Teams statt, in denen Leitbilder und Leitbildelemente bzw. Werte diskutiert wurden. Die zweite Phase mit dem Ziel der Verankerung des Leitbildes fand in den einzelnen Ländern statt, in denen das Unternehmen vertreten ist. Das Vorgehen der zweiten Phase war auf die betreffende Gesellschaft ausgerichtet und passte die vereinbarte Vorgehensweise in ihrer Methodik an die Kulturspezifika der Länder an. Diese Form systemischer Organisationsentwicklung ist beispielsweise auch in M&AProjekten zu empfehlen, in denen Synergien auf unternehmenskultureller Ebene angestrebt werden. Ebenso in Bereichen, in denen der Markt bzw. das Umfeld besondere Wichtigkeit haben, ähnlich wie Mitarbeiter eines Unternehmens, haben auch Kunden ein bestimmtes kulturell geprägtes Kaufverhalten. Bei der Erarbeitung der Vertriebsstrategie sollte dieses einen wichtigen Stellenwert einnehmen und die Strategie mit ihren Instrumenten und deren Ausprägung (Werbung, Platzierung, usw.) kulturell an den Markt und die Zielgruppe angepasst werden. Gerade in einem systemisch geprägten Denken und Handeln, in dem die interagierenden Akteure eine tragende Rolle spielen, wird der kulturspezifische Aspekt immer wichtiger, je mehr eine kulturell homogene Gruppe angesprochen ist. So sollte man bei Veränderungsprozessen die grundsätzliche Vorgehens-weise und Methodik kulturell reflektieren, z.B. in Hinblick auf die dort herrschenden Kulturdimensionen, und dementsprechend das Vorgehen anpassen.

248

5 Konsequenzen für Beraterkompetenzen Wenn man Kultur als System betrachtet, wird die Art der Wahrnehmung des anderskulturellen Kontextes wichtig. In einem monokulturellen Umfeld, z.B. als deutscher Berater in einem deutschen Unternehmen, ist die Werteabweichung zwischen dem Berater und dem zu beratenden System vermeintlich gering. Der ‚neutrale’ Blick des Beraters erkennt Mechanismen und Muster, die für die Systemangehörigen einen Erkenntnisfaktor haben können und eine Weiterentwicklung möglich machen. Die Distanz zu einem nicht bekannten Kontext (Kultur) wird gerade im interkulturellen Arbeiten vergrößert; allerdings steigt auch das Risiko, dass Wahrnehmungen durch einen eigenkulturellen Filter zu Hypothesen führen, die auf der eigenen, und damit auf einer anderen Wertebasis verankert sind. Ein Berater mit einer hohen kulturspezifischen Kenntnis und Kompetenz wird hierzu abweichende Hypothesen stellen. Um beide Perspektiven zu nutzen, empfiehlt es sich daher, in einem Tandem zu arbeiten, um die Distanz des einen wie auch die Kulturkompetenz des anderen zu nutzen und mögliche ‚blinde Flecken’ der Wahrnehmung und Interpretation zu minimieren. Wie in Abschnitt 3.1. beschrieben, erfolgt die Entwicklung der Organisation gemäß den eigenen Werten, um den Veränderungsprozess dabei authentisch zu gestalten. Was bedeutet das in der Konsequenz für einen Prozess, der in einem anderskulturellen Kontext stattfindet bzw. von einem Berater einer anderen Kultur durchgeführt wird? Ist ein ‚wertneutrales’ Vorgehen hierfür notwendig und überhaupt möglich? Jeder Berater sollte ein gefestigtes Wertegefüge besitzen, das sich auch in seiner Haltung zeigt und eine hohe Authentizität aufweist; wie aber geht er mit Situationen um, die seinem Wertesystem entgegenstehen bzw. die er auf Grund seiner fehlenden kulturspezifischen Kompetenz falsch interpretiert? Inwiefern hat er den Auftrag, auch die tief verankerten landeskulturellen Werte und Normen im Veränderungsprozess zu bearbeiten? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, sind Supervisionen, die die interkulturelle Perspektive beinhalten, sinnvoll und hilfreich. Neben dem Wissen steht vor allem die Persönlichkeit im Vordergrund. „Unsere Menschlichkeit, unsere sozialen und (inter)kulturellen Kompetenzen sind gefragt“ (Röckelein 2008). In einer sich weiter globalisierenden und komplex gestalteten Welt werden Methoden und Lehren zu Wegweisern, um notwendige Veränderungen herbeizuführen und umzusetzen. Dieses Vorgehen verlangt von Unternehmenslenkern ein gutes Gespür nicht nur für die Kernkompetenzen des Unternehmens, sondern auch für die Trends der Zukunft. Ähnliches gilt für den Berater. Die Systeme, in denen er sich bewegt, werden vielfältiger und komplexer. Kultur als das ‚große System’, das sich durch die erlebte Geschichte entwickelt hat und weiter fortgeschrieben wird, bildet das kollektive Gedächtnis und führt zu Werten und Normen, die in diesem System gelten. Um auch in anderskulturellen Kontexten erfolgreich zu sein, benötigt der nicht interkulturell kompetente Berater viel Gespür für die Situation und die Reaktionen der Teilnehmer. Und er braucht die Flexibilität eines ‚Chaos-Piloten’: „Noch seltener ist es, dass ein Manager oder Berater sich in chaotischen Situationen wohl fühlt, weil er darin eine neue wichtige Funktion gefunden hat. Die in der heutigen turbulenten Zeit so wichtige Rolle 249

des ‚Chaos-Piloten’, der sich in offenen Prozessen mehr erspürend als wissend den Weg sucht, ist noch wenig salonfähig.“ (Doppler/Lauterburg 2005: 101). Für eine wirkungsvolle Anwendung von Methoden ist die Einschätzung eines kulturspezifisch vertrauten Beraters hilfreich. Er kann die Chancen und Risiken für die Umsetzung und Wirkungsgrad in bestimmten Kulturkontexten beurteilen sowie Reaktionen und Interaktionen auf Grund seines Kulturwissens einschätzen und für den Gesamtprozess nutzen. Wichtig ist eine ausgeprägte interkulturelle Kompetenz. Viele Berater verfügen über einen Anteil dieser Kompetenz (z.B. starke soziale und kommunikative Kompetenzen). Weitere interkulturelle Kompetenzen, die für ein erfolgreiches Arbeiten auch in einem monokulturellen Kontext wichtig sind, spiegeln eher die Haltung wider, deren kontinuierliche Reflektion zu den Grundbausteinen eines jeden systemisch arbeitenden OE-Beraters gehört. Hervorzuheben ist hier eine ausgeprägte Empathiefähigkeit und Ambiguitätstoleranz. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ausgeprägte interkulturelle Kompetenzen und auch eine kulturspezifische Kenntnis für international agierende Berater an Wichtigkeit zunehmen wird. Die Fähigkeit, in einer anderen Sprache zu arbeiten, ist Voraussetzung, aber keine ausreichende Basis für eine erfolgreiche Anwendung von Methoden und Instrumenten, die einem anderen Wertekontext entstammen. Eine mögliche ‚Übersetzung’ für die Anwendung in einem anderen kulturellen Kontext benötigt eine Ausweitung der vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen. Um eine zu starke selektive Wahrnehmung auf interkulturelle und kulturspezifische Aspekte und Interpretationen zu vermeiden, ist die Zusammenarbeit in einem Tandem (hohe interkulturelle/kulturspezifische Kompetenz – wenig ausgeprägte interkulturelle/kulturspezifische Kompetenz) sinnvoll und erhöht den Komplementaritäts- und damit auch den Wirkungsgrad bei der Anwendung der Instrumente der (systemischen) Organisationsentwicklung.

6 Ausblick Wie im Vorwort dieses Buches besprochen, verschwinden die Grenzen zwischen Interkulturellem Management, Organisationsentwicklung und Personalentwicklung immer stärker. In vielen Organisationen ist allerdings das Thema des ‚Interkulturellen’ vor allem auf die Vorbereitung von zukünftigen Expatriates oder einem zweitägigen Training interkultureller Sensibilisierung für einen bestimmten Kulturraum begrenzt. Die Verknüpfung der drei Bereiche steht daher noch aus bzw. steckt in vielen Organisationen in den Kinderschuhen. Dies wird verstärkt durch den Ansatz der ‚alten Schule’; Verallgemeinerungen in Form von Kulturdimensionen bzw. Kulturstandards, die in bestimmten Kontexten zur Orientierung dienen, rufen bei einem nicht reflektierten Umgang Vorurteile und Stereotypisierung hervor. Der Ruf der Unternehmen nach schnellen und pragmatischen 250

Lösungen, die sich im Interkulturellen in einer Vermittlung von Do’s and Don’ts zeigen, mögen für einen Kurzbesuch in einer Kultur dienlich sein. Sie greifen aber nicht tief genug, womit die Gefahr von Missverständnissen und Missinterpretationen steigt. Um in der komplexen globalen Welt Bestand zu haben, ist die Verknüpfung der Strategie der Unternehmen und des Interkulturellen Managements eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche weltweite Umsetzung der Unternehmens-strategie. Dies beginnt mit einer Beachtung interkultureller Kompetenzen als ein Auswahlkriterium bei der Einstellung neuer Mitarbeiter über die Vermittlung von kulturübergreifenden ‚Brückentools’ in Projekten und endet bei der interkulturellen oder kulturangepassten Ausgestaltung von organisations-umfassenden Veränderungs- oder Integrationsprozessen. Der Ansatz der systemischen Organisationsentwicklung gepaart mit einem hohen Bewusstseinsgrad der Auftraggeber und Berater für interkulturelle Prozesse, hat große Aussichten auf Erfolg. Die systemische Organisationsentwicklung wird um den kulturellen Aspekt bereichert und öffnet sich für weitere Perspektiven; das interkulturelle Management gewinnt eine umfassende Zielorientierung, eine hierarchisch höher angesiedelte Positionierung und durch die Prozessorientierung eine höhere und breitere Schlagkraft im Unternehmen. Im Sinne der Forschung ist eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis sowie Feldforschung wünschenswert. In der Praxis sollten für die Zukunft Überlegungen angestellt werden, wie, wem und wo diese beiden Ansätze vermittelt werden können. Die Definition der Zielgruppe (Studierende, Berater, Interkulturalisten) und der vorauszusetzenden Kenntnisse und Erfahrungen (Erfahrungen aus der Beraterpraxis, Möglichkeit der Umsetzung des Erlernten) wirft die Frage nach der Verankerung einer solchen Institution auf. Haben die Hochschulen und ihr Lehrkörper den hierfür notwendigen Bezug zur Beraterpraxis? Wie könnte eine Beraterausbildung aussehen, die eine interkulturelle systemische Organisationsentwicklung vermittelt? Wie viel Kulturspezifik ist hierbei notwendig? Denkenswert wäre beispielsweise die Gründung praxisnaher MBA-Studiengänge, die einen Austausch zwischen systemischem Beraterwissen und Anwendungsmöglichkeiten mit interkulturellem und kulturspezifischem Fokus ermöglicht.

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Der Einfluss der US-amerikanischen Forschungskultur auf die interkulturelle Personalentwicklung Nadja Riedlberger

1 Problemstellung Im Rahmen der fortschreitenden Globalisierung sind sich Menschen unterschiedlicher Kulturen näher gekommen. Die zunehmende grenzüberschreitende Vernetzung durch erhöhte globale Mobilität und Zugänglichkeit von Informationen hat für eine rapide Zunahme an interkulturellen Interaktionen gesorgt. Im gleichen Maße hat somit auch die kulturbezogene Forschung an Bedeutung gewonnen und Begriffe wie Kultur oder Interkulturalität haben trotz oder gerade wegen ihrer fehlenden allgemein gültigen Definition Konjunktur. Da Kultur als Determinante von Verhalten in Organisationen mehr und mehr akzeptiert wird, befasst sich auch die interkulturelle Personalentwicklung – zumindest in der Theorie – „in sehr expliziter Weise mit der Gestaltung von Globalisierungskontexten“ (Bolten 2004: 42). Per definitionem geht es hierbei darum, „den Mangel an interkultureller Handlungskompetenz von Fach- und Führungskräften langfristig zu beheben“ (Kinast/Thomas 2003: 243), oder positiv formuliert, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Fähigkeiten der Mitarbeiter in Hinblick auf bestehende und künftige Anforderungen der Globalisierung erhöht werden können. Und dass Globalisierung dabei für Unternehmungen naturgemäß neben Chancen vor allem auch Risiken mit sich bringt, pointieren Scholz et al. (1999: 74), wenn sie von „Barrieren der Globalisierung“ sprechen und davon, dass vor allem die Personalentwicklung dafür Sorge tragen muss, „dass die einzelnen Barrieren von den Mitarbeitern des Unternehmens zunächst identifiziert und akzeptiert werden“ und entsprechende Maßnahmen zur Überwindung dieser Barrieren entwickelt werden müssen. Angesichts dieses komplexen Aufgabenfeldes, dem sich die interkulturelle Personalentwicklung gegenüber sieht, lohnt eine genauere Betrachtung der Konzeptionen und Instrumente, die sich hinter dem Schlagwort verbergen. Befasst man sich näher mit einschlägiger Literatur, gelangt man schnell zu der ernüchternden Einsicht, dass „die Instrumente, mit denen interkulturelle Personalentwicklung operiert, den realen Gegebenheiten globaler Handlungskontexte entweder nicht mehr oder noch nicht gerecht werden können“ (Bolten 2004: 42). Das Verharren in kulturallgemeinen Maßnahmen aus der Anfangszeit der interkulturellen Forschung (Bolten 2006: 57) und die fehlende Integrität dieser Maßnahmen zu ganzheitlichen praxisorientierten Konzepten (Süß 2007: 301), zeigen, zu welchem geringen Maße Interkulturalität in der praktischen Personal- und Organisationsentwicklung bisher tatsächlich eine Rolle spielt.

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Um besser verstehen zu können, warum die Entwicklungen im Feld der interkulturellen Personalarbeit nicht mit der sich rasch verändernden Wirklichkeit Schritt halten konnten, lohnt es sich einmal zurück zu den Wurzeln zu gehen und sich die Frage nach Determinanten zu stellen, die sowohl die Forschung auf diesem Gebiet als auch die daraus resultierenden Konzeptionen und Entwicklungsmethoden beeinflussen. Gemäß Lüsebrink (2004: 7) ist es die Forschungskultur, die hier mit eine entscheidende Rolle spielt, denn als Reaktion auf Internationalisierung und Globalisierung und deren Anforderungen haben sich kulturell spezifische, unterschiedliche Forschungsweisen entwickelt. Forschung im Zeitalter der Globalisierung ist somit ihrerseits grundlegend von einer sogenannten „cultural bias“ (Tenbruck 1989: 278) geprägt, sprich einer kulturellen Voreingenommenheit, die besagt, dass Ansätze der interkulturellen Forschung versuchen den Einfluss von Kultur zu untersuchen, dabei aber ihrerseits auch von der jeweiligen Kultur des Forschers beeinflusst werden und somit nicht losgelöst von dieser Kultur betrachtet werden können. So soll im Folgenden erörtert werden, inwiefern die Forschungskultur der USA – die aufgrund ihrer herausragenden Rolle in der Weltwirtschaft die Regeln der Globalisierung entscheidend mitbestimmen – Methoden der interkulturellen Personalentwicklung beeinflusst und welche Konsequenzen sich daraus für die Praktikabilität von Personalentwicklungsmethoden in einer globalisierten Welt ergeben. Um Antworten auf diese Fragen finden zu können, soll zunächst einmal genauer untersucht werden, durch welche Merkmale sich die US-amerikanische Forschung im Allgemeinen auszeichnet und inwiefern sich das Thema Interkulturalität in der US-Forschung bereits etablieren konnte (Kap. 2). Aufbauend auf den Erkenntnissen über die theoretischen Grundlagen der interkulturellen Forschung soll dann in einem zweiten Schritt untersucht werden, inwiefern diese Faktoren die Methoden und Modelle der interkulturellen Personalentwicklung determinieren (Kap. 3), um folglich in einem letzten Schritt eine abschließende Beurteilung darüber abgeben zu können, was dies für die interkulturelle Personalentwicklung in der Praxis bedeutet (Kap. 4).

2 Determinanten der US-amerikanischen Forschungskultur 2.1

Allgemeine Determinanten US-amerikanischer Forschung

Aufbauend auf günstigen Ausgangsvoraussetzungen, wie Reichtum an Bodenschätzen und Humankapital, ergab sich in der US-Wissenschaft schon sehr bald eine Dominanz der Naturwissenschaften (Denzin/Lincoln 2003: 12), die die Forschung in den USA in Grundannahmen und Methodik entscheidend prägten. Angelehnt an die naturwissenschaftlichen Forschungsweise des „fitting (..) theories into some existing, more simplistic logic systems or to relate them to some final, absolute truth“ (Casmir 1994: 4) wird auch bei sozialwissenschaftlichen Sachverhalten versucht, komplexe Probleme in einfachen rationalen Systemen zu erfassen. Die Social Sciences sind demzufolge dadurch charakterisierbar, dass durch Theoriebildung Strukturen selbst geschaffen 256

werden und so ein „stable universe“ (Anderson 1987: 77) konstruiert wird, innerhalb dessen man sich an universellen Dimensionen orientiert. Um Objektivität und Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen jederzeit gewährleisten zu können wird hierbei methodisch auf quantitativ-empirische Ansätze zurückgegriffen (Maletzke 1980: 37), sprich auf eine systematische Messung und Auswertung von sozialen Fakten mit Hilfe unterschiedlicher Erhebungsinstrumente. Die zugrunde gelegte behavioristische Annahme (Maletzke 1980: 37), dass das Verhalten von Menschen mit Methoden der Naturwissenschaft untersucht werden kann, und die daraus folgende Konzeptualisierung der Realität mit Hilfe der entsprechenden Forschungsmethoden und -perspektiven, korrelieren mit Determinanten, die sich aus einem historisch gewachsenen US-amerikanischen Sozial- und Bildungssystem ergeben. Eine inhaltliche Determinierung resultiert hierbei zum einen aus dem sich seit der Zeit der Kolonialisierung und der Pioniere in den USA fortwährend weiterentwickelnden Freiheitsdenken, das freiheitliche Selbstbestimmung und somit den Individualismus ins Zentrum der Betrachtungen stellt. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass der Individualismus „jeden Staatsbürger geneigt macht, sich von der Masse zu isolieren“ (Haas et al. 2007: 6) und so „jeder (..) die Möglichkeit besitzt seine eigenen Interessen zu verfolgen, hauptsächlich bezüglich seiner ökonomischen Tätigkeit“ (Ganßauge 2007: 2). Eine weitere Bestimmungsgröße ergibt sich aus der im „Land of Opportunity“ (Vorländer 2004: 307) vorherrschenden meritokratischen Grundannahme, dass, gemäß dem Grundgedanken des American Dream „vom Tellerwäscher zum Millionär“, jeder innerhalb der Gesellschaft aufbauend auf der eigenen Leistung die verdiente Position einnimmt (McNamee/Miller 2004: 1). Eine zusätzliche Komponente resultiert aus der in der US-Arbeitswelt im historischen Kontext als vorherrschend zu erachtenden Theorie des Taylorismus, die besagt, dass durch die strikte Trennung von Kopf- und Handarbeit in Unternehmungen sowohl das Management als auch die Arbeit an sich optimiert werden können. Aufbauend auf der „Anwendung der menschlichen Arbeitskraft zum Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung und Analyse“ (Hebeisen 1999: 7) soll Produktivität durch Spezialisierung gesteigert, somit der Wohlstand der Bevölkerung vermehrt und demzufolge auch soziale Probleme gelöst werden können. In der US-Forschung haben sich diese tayloristische Grundannahmen und die als fundamental zu erachtende meritokratische Denkweise in punktuellen Betrachtungen von spezifischen Sachverhalten und einem zum großen Teil privatisierten USHochschulsystem fortgesetzt, welches vorwiegend auf Spezialisierung fokussiert ist. Auch wenn das dem Taylorismus ursprünglich zugrunde gelegte, viel kritisierte mechanistische Menschenbild von anderen Theorien, wie z.B. der Bedürfnispyramide nach Maslow abgelöst wurde (Kolb 2008: 11) und demnach heutzutage zumindest ansatzweise als überwunden betrachtet werden kann, lassen die in den Forschungsgrundlagen manifestierte vorrangige Betrachtung des Individuums und die Dominanz nichthumanistischer Wissenschaftsdisziplinen mit ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten und -methoden die Erforschung sozialer Zusammenhänge in der US-Wissenschaft – im Gegensatz zu der von sozialstaatlichem Denken geprägten europäischen Forschung – eher in den Hintergrund treten. 257

2.2

Spezifische Determinanten interkultureller US-amerikanischer Forschung

Neben allgemeinen Faktoren, die die US-amerikanische Forschungskultur grundlegend beeinflussen, gibt es weitere Determinanten, die die interkulturelle US-amerikanische Forschung im Speziellen bestimmen. Die Grundlagen für die Beschäftigung mit dem Einfluss von Kultur auf die Gesellschaft ergaben sich im melting pot USA notgedrungen sehr früh, denn seit über zweihundert Jahren kommen Einwanderer unterschiedlicher sozialer und ethnischer Wurzeln ins Land (vgl. Grabbe 2001; Hall 2008). Einerseits entwickelten sich die USA so selbst zu einer multikulturellen Gesellschaft und auf der anderen Seite begab sie sich zudem als eine der wenigen Nationen, die aus dem Zweiten Weltkrieg mit einer nahezu intakten Ökonomie herausgingen, lange vor anderen Ländern politisch wie auch ökonomisch betrachtet in die „international arena“ (Pusch 2004: 13). Da gemäß Luger (1994: 30) die Notwendigkeit einer interkulturellen Forschungsperspektive in echten multikulturellen Gesellschaften wie den USA zunächst stärker ist, gehörte „die Beschäftigung mit dem Migrations- bzw. Emigrationsphänomen“ traditionell zu „den zentralen ‘issues’“ (Czock 1993: 7). Betrachtet man interkulturelle Forschungsaktivitäten der USA näher, gelangt man schnell zu der Schlussfolgerung, dass der Kulturbegriff, der hier zugrunde gelegt wird vorwiegend als normativ einzuordnen ist. Frühe US-Forscher, wie William Graham Sumner oder Benjamin Lee Whorf (Rogers et al. 2002: 8), die mit anderen Kulturen in Berührung kamen und versuchten, das Miteinander aus eigener Perspektive wissenschaftlich zu erklären und in Theorien darzustellen, gingen von einem unwiderruflichen Unterschied zwischen der US- Kultur und den sogenannten primitiven Kulturen aus. Das Gleichsetzen von Kultur und Gesellschaft, die Einschränkung der Gültigkeit kultureller Standards innerhalb von Nationengrenzen und die Konzentration auf die ausschließlich von außen beobachtbaren Erscheinungen und Phänomene (Schugk 2004: 28), dienten ihnen dazu, die eigene Nation mit anderen zu vergleichen und demzufolge auch zu bewerten. Die daraus resultierende Implementierung eines normativ geprägten Kulturbegriffes als Grundlage für interkulturelle Forschung in den USA ist evident. Als problematisch erweisen sich bei dieser statischen Sichtweise dessen, was Kultur ausmacht, dass Sinninhalte einzelner Kulturen kaum übersetzbar und auf andersartige Kulturen übertragbar sind. Verschiedene Kulturen stehen sich mit ihrem ganz eigenen spezifischen Wertesystem gegenüber. Für die im globalisierten Kontext essentielle „stabile Interaktionskomponente“ (Scholz et al. 1999: 68) wird somit von vornherein wenig Platz gelassen. Obgleich dies konsequenterweise in Einklang zu sehen ist mit dem zuvor erwähnten Vorrang des Individuums vor sozialstaatlichen Belangen in der US-Wissenschaft, ist dieser sehr eng gefasste Kulturbegriff als Grundlage für interkulturelle Forschung jedoch als kritisch da unangemessen zu erachten. Erst im Rahmen eines sich ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts global vollziehenden Cultural Turn rückte man von dieser engstirnigen Sichtweise zumindest ansatzweise ab. In vereinzelten wissenschaftlichen Disziplinen fand ein Umdenken dahingehend statt, dass Grundlagen, Methoden und Forschungsperspektiven überdacht wurden und man sich zudem auf die Synergie unterschiedlicher wissenschaftlicher Einflüsse 258

einließ (Fiske/Shweder 1986: 5). Aufbauend auf den Annahmen von Ward Goodenough (1964: 36) ging man teilweise dazu über, einen entterritorialisierten kognitiven Kulturbegriff zu verwenden, der Kultur als „System von Wertorientierungen, Einstellungen, Überzeugungen etc.“ beschreibt, „was sowohl im Verhalten und Handeln seiner Vertreter als auch in deren geistigen und materiellen Produkten sichtbar wird“ (Schugk 2004: 29). Kultur wurde damit in der US-Wissenschaft begrifflich pluralisiert und demzufolge nicht mehr notwendigerweise am Konzept der sich von einander abgrenzbaren Nationen festgemacht. Neben dem Kulturbegriff ist es aber auch die Forschungsmethode, die sich im Rahmen des Cultural Turn Veränderungen unterzog. Hingegen ursprünglicher Überzeugungen, die Forschungsdeterminanten der Natural Sciences eins zu eins auf andere Wissenschaften übertragen zu können (vgl. Kap. 2.1), erkannte man „that the social world cannot be easily carved into neat academic areas“ (Denzin 1970: 1) und dass es vor allem in einem interkulturellen Kontext gesehen nicht ausreichte, Daten über Sachbestände, wie in diesem speziellen Fall über Kulturen zu sammeln, sie auszuwerten und daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen, sondern Forschungsobjekte „in their natural settings“ zu untersuchen, „attempting to make sense of, or to interpret, phenomena in terms of the meanings people bring to them“ (Denzin/Lincoln 2003: 4). Neben quantitativ-empirischen Forschungsmethoden greift man in der interkulturellen Forschung deshalb nun auch verstärkt auf qualitative Ansätze zurück (Otten et al. 2009: 4), sprich sinnverstehende, interpretative wissenschaftliche Verfahrensweisen, wie etwa Interviews oder Beobachtungstechniken (Bortz/Döring 2006: 307). Hinzu kam in den USA ein teilweiser Perspektivenwechsel, weg von der formalistischen, statischen Betrachtung von außen, die sich z.B. in der Sprachwissenschaft in den Lehren zum Formalismus von Noam Chomsky etabliert hat (Sarangi 2001: 31), hin zur funktionalistischen Aufdeckung von Strukturen gemäß der Einsicht „that the researcher can develop a deeper understanding of the culture under study by adopting a functional role and becoming a participant“ (Saville-Troike 1989: 108). Da jedoch, aufbauend auf den traditionellen Annahmen der freiheitlichen Selbstbestimmung des Individuums, dasselbige weiterhin in das Zentrum der Betrachtungen interkultureller Forschung gestellt wurde, vollzog sich der kulturelle Wandel in den USA grundsätzlich anders als etwa in Europa, wo man in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen erkannte, dass Integration von Angehörigen unterschiedlicher kultureller Hintergründe in den multikulturellen Gesellschaften Europas des 20. Jahrhunderts nur durch Interaktion erreicht werden kann und demzufolge neue inhaltliche Aspekte mit in die Forschungsaktivitäten einbezogen wurden (Riedlberger 2007: 90). Im Rahmen des Cultural Turn in den USA kam es weniger zu konkreten inhaltlichen Änderungen der Forschung, als vielmehr zu der bereits erörterten Veränderung der zugrunde gelegten Basisannahmen, Methoden und Perspektiven. Und während in Europa somit seit Aufkommen des Interkulturellen Paradigmas starre Strukturen Schritt für Schritt aufgelöst wurden, um problemorientierte Forschungsergebnisse für die Schwierigkeiten der Zeit zu erzielen (Riedlberger 2007: 121), ist man in den USA allem Anschein nach, den rasanten Änderungen der letzten beiden Jahrzehnte zu Trotz, vor allem inhaltlich auf dem Stand des nicht komplett vollzogenen Cultural Turn ste259

hengeblieben. Zusammenfassend ist die interkulturelle Forschung in den USA bezüglich sozialer Belange demnach grundsätzlich als weniger problemorientiert zu charakterisieren und die Angemessenheit in Hinblick auf die Anforderungen einer globalisierten Welt ist bereits zu diesem Zeitpunkt als fraglich zu erachten.

3 Determinanten US-amerikanischer Personalentwicklungsansätze Allgemeine Determinanten US-amerikanischer Personalentwicklungsansätze Die zuvor erörterte Dominanz der freiheitlichen Selbstbestimmung in der USForschung und die daraus resultierende Fokussierung auf das Individuum, sowie die bereits erwähnte meritokratische Grundannahme, dass das Individuum entsprechend der eigenen Leistung die verdiente Position in der Gesellschaft im Allgemeinen oder im Unternehmen im Speziellen einnimmt, finden sich auch in der Forschung zur Personalentwicklung und den daraus resultierenden Konzeptionen und Methoden wieder. Denn hier spielen vorwiegend „individual and organizational level contributions“ (Garavan et al. 2004: 418) eine Rolle, während Maßnahmen, die die „community and societal levels“ (Garavan et al. 2004: 418) ansprechen, zu diesem Zeitpunkt der Forschung noch eher weniger in Betracht gezogen werden, auch wenn man sich deren Tragweite zumindest ansatzweise bereits bewusst ist. Folglich basiert die USPersonalentwicklung auf dem Grundgedanken, dass die Ziele einer Organisation nur durch individuelle Performance erreicht werden können und nicht etwa durch das soziale Zusammenspiel. Und gemäß der tayloristischen Theorie kann eine optimale Arbeitsleistung einzelner Mitarbeiter nur den jeweiligen individuellen Fähigkeiten entsprechend erzielt werden. Demzufolge werden bei US-amerikanischen Methoden zur Personalentwicklung vornehmlich „self-efficacy, self-esteem, motivation to learn, motivation through expectation, personal development and the need and expectations of learning” (Garavan et al. 2004: 419) fokussiert. Zudem wird – vor allem im Hinblick auf die Entwicklung von Führungskräften – eine Erhöhung der fach- und funktionsbezogenen Qualifikation des Einzelnen angestrebt, was gänzlich in Einklang mit dem auf Spezialisierung ausgerichteten Fokus US-amerikanischer Universitäten steht. Hinsichtlich der Entwicklungsaspekte auf Organisationsebene, konzentriert man sich auf „issues surrounding resource maximisation, productivity enhancement and realising the full potential of employees” (Garavan et al. 2004: 421) und fährt auch hier die gleiche Linie, Unternehmenseffizienz auf individueller Leistung zu basieren. Die Durchführung von Personalentwicklungsmaßnahmen in der US-amerikanischen Unternehmenspraxis findet vorwiegend im Rahmen sogenannter off-the-job Maßnahmen statt, sprich externen Bildungsveranstaltungen, Inhouse-Schulungen, Aufstiegsausbildung oder -fortbildungen etc. (Falcoianu 2004: 13). Diese verschiedenartigsten Trainings, die stark bedarfs- und problemorientiert konzipiert sind, orientieren sich – basierend auf quantitativen Bedarfserhebungen – am jeweiligen Qualifikationsstand des Einzelnen.

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Der Fokussierung auf das Individuum und der Maximalisierung individueller Arbeitsleistungen zur Steigerung des Unternehmensergebnisses zum Trotz, wird die Personalentwicklung in US-amerikanischen Unternehmungen als Risikokapital bewertet und auch dementsprechend gehandhabt (Falcoianu 2004: 13), da in der traditionell gewachsenen Hire-and-Fire Gesellschaft USA, die in der Zeit ihre Wurzeln findet, in der noch das mechanistische Menschenbild Taylors komplett das Unternehmensgeschehen bestimmte, auch auf Seiten der Arbeitnehmer die Bereitschaft durchaus groß sein kann, öfter einmal den Arbeitgeber zu wechseln. Zusammenfassend lassen sich die US-amerikanischen Entwicklungskonzeptionen demzufolge als „Flexibilisierung der Kräfte zur situativen Problemlösung, bei gleichzeitiger Fixierung normativer Spielregeln und Grundkonzepte“ (Klimecki/Habelt 1993: 41) definieren. Somit haben sich auch für den Bereich der US-amerikanischen Personalentwicklung die vorwiegende Konzentration auf das selbstbestimmte Individuum und der Spezialisierungsgedanke einerseits sowie die zuvor erörterte dominante quantitative Forschungsmethodik andererseits grundlegend bestätigt. Der Einfluss kulturspezifischer Determinanten USamerikanischer Forschung auf den Bereich der Personalentwicklung ist somit nicht von der Hand zu weisen. Spezifische Determinanten interkultureller US-amerikanischer Personalentwicklungsansätze Wie soeben gesehen, konnte man sich in den USA auch in der Konzipierung von Ansätzen der Personalentwicklung grundsätzlich nicht über die doch eher restriktiven methodischen sowie inhaltlichen Charakteristika der US-Forschung hinwegsetzen. Somit ist der Versuch, vorhandene Ansätze auf den spezifischen interkulturellen Kontext umzumünzen bereits von Anfang an als eher eingeschränkt zu erachten, was sich darin bestätigt sieht, dass gemäß Bolten (2004: 42) allgemein Skepsis und Pessimismus bezüglich der Effektivität der interkulturellen Trainingsforschung vorherrschen. Selbst wenn Forschungsfelder wie etwa das Internationale Management seit Einsetzten der zunehmenden Internationalisierung der Unternehmenspraxis zunehmend an Bedeutung gewinnen und somit wichtige Fortschritte für das Beschreiben, Vorhersehen und auch Determinieren von Markteintritts und -entwicklungsstrategien für ausländische Märkte erzielt werden, bleiben Aspekte der Personalarbeit in den Theorien des Internationalen Managements bisher weitestgehend unberücksichtigt (Süß 2007: 49). Status quo der US-amerikanischen interkulturellen Personalentwicklung heutzutage ist somit eine Reihe von Trainingsmethoden, die ursprünglich in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts speziell für US-amerikanische Multikulturalitäts-Kontexte entwickelt wurden, und die auch noch bis ins 21. Jahrhundert hinein die Forschungslandschaft bestimmen (Bolten 2006: 57). Landis et al. (2004: 3) pointieren den scheinbaren Stillstand der Entwicklungen auf dem Gebiet, indem sie bestätigen, dass es in der interkulturellen Forschung zur Personalentwicklung nie ein Forschungsparadigma gegeben hat, das gemäß des Wissenschaftstheoretikers Kuhn als wesentlicher Ausgangpunkt eines Prozesses gilt, der die normale Wissenschaft revolutioniert und das Forschungs261

gebiet auf veränderten Grundlagen neu aufbaut und somit entscheidend voranbringt (Kuhn 1974: 460). Ein Fortschritt ist demzufolge nicht zu verzeichnen, sondern vielmehr eine Art „Reproduktionsdynamik“ (Bolten 2006: 57), die an den eigentlichen Bedürfnissen der Unternehmungen einer globalisierten Welt vorbeizielt. Bei den mit Aufkommen der interkulturellen Forschung entwickelten Forschungsmethoden, die, wie soeben erörtert, auch noch heute den Status quo interkultureller Personalentwicklungsforschung abbilden, ist ein dominantes Zurückgreifen auf sogenannte Kulturdimensionen zu erkennen (Bolten 2006: 57), die versuchen, kulturell bedingte Eigenschaften und Verhaltensweisen zu kategorisieren, um so einen Vergleich einzelner Kulturen zu ermöglichen (vgl. Hall/Hall 1990). Somit finden sich auch hier zum einen die dominante methodische Herangehensweise des Schaffens eines „stable universe“ (Anderson 1987: 77) und andererseits das zugrunde gelegte Konzept eines normativen Kulturbegriffs wieder, das, wie gesehen, der Vergleichbarkeit und der Bewertung einzelner Kulturen dienen soll, dabei aber Synergien, die bei Interaktionen zwischen Angehörigen unterschiedlicher kultureller Hintergründe entstehen können, per se ausschließt. Das Nicht-Vorhandensein eines grundlegenden adäquaten Verständnisses von Kultur wird von Bolten (2004: 43) bestätigt, indem er hervorhebt, dass die „Akzeptanz eines 'offenen', individuenorientierten und weitgehend raumunabhängig gedachten Kulturbegriffs“ noch fehle. Neben Methodik und inhaltlichem Schwerpunkt ist es die uns nun bereits bekannte Fokussierung der US-Forschung auf das Individuum und seine Performance, die die Evidenz der Erkenntnis nur noch verstärkt, dass es auch hier kein auf Interaktion zwischen der Beteiligten abzielendes Grundkonzept geben kann, welches im interkulturellen Kontext aber als unausweichlich zu erachten ist. Ein Blick auf die Praxis bestätigt diese Absenz des Integrationsgedankens in der US-amerikanischen Personalentwicklung: „Die meisten amerikanischen leitenden Angestellten in multinationalen Unternehmen sind monolingual“ (Hofstede 2006: 469); nur etwa 2% der US-Topführungskräfte haben im Ausland studiert; nur 7% besitzen überhaupt Auslandserfahrung (Simon 2001: 83), wobei hier relativ kurze Aufenthalte US-amerikanischen Personals im Ausland die Regel sind (Hofstede 2006: 469). Dem zugrundeliegend die Tatsache, dass überhaupt erst eine Minderheit der Unternehmen „internationale Erfahrung als conditio sine qua non für die Beförderung in obere Ränge“ (Simon 2001: 83) fordert. Das heißt, obwohl Interkulturalität vielfach propagiert wird, erweist sie sich weder in Theorie noch Praxis der interkulturellen Personalentwicklung in den USA als ausreichend umgesetzt.

262

4 Fazit Trotz der beschriebenen Veränderungen und Entwicklungen der interkulturellen Forschung in den USA über die letzten Jahrzehnte hinweg und einer scheinbaren Annäherung an die Bedürfnisse einer globalisierten Welt, scheint man bei der Betrachtung der Determinanten der Erforschung interkultureller Zusammenhänge im Allgemeinen und der Erforschung interkultureller Personalentwicklung im Speziellen auf einen grundlegenden Widerspruch gestoßen zu sein: Die gesellschaftliche Notwendigkeit sich mit interkulturellen Themen zu beschäftigen sieht sich offenbar mit einer von Anfang an nicht ganz adäquaten Umsetzung interkultureller issues in der US-Wissenschaft und darauf aufbauend auch in der Unternehmenspraxis konfrontiert. Einerseits sind es die historisch gewachsenen gesellschaftsimmanenten Faktoren, die ein Vorankommen dieses Forschungsgebiets und die Umsetzung in der Praxis limitieren. Hier ist vor allem nochmals die Konzentration auf den Menschen als selbstbestimmtes Individuum und nicht als soziales Wesen, die den Interaktionsgedanken in den Hintergrund rücken lässt, zu erwähnen. Des Weiteren ist es das aufgrund der methodischen Grundlagen determinierte, teilweise immer noch zu theoretische Herangehen an wichtige interkulturelle Themen, das eine adäquate Umsetzung interkultureller Notwendigkeiten in der US-Forschung behindert. Ferner ist es die Wahrnehmung von Investitionen in das Humankapital als Risikokapital, die den Bereich der Personalentwicklung in den USA per se abwertet. Das heißt, dass im Falle der US-Forschung die kulturelle Determiniertheit der Forschung, die zuvor erwähnte sogenannte „cultural bias“ (Tenbruck 1989: 278) das Voranschreiten der Implementierung von Interkulturalität in der Personalentwicklung somit zunächst noch gravierend behindert. Und übertragen auf die Unternehmenspraxis bedeutet dies, dass man mit den bestehenden Konzepten und Methoden der interkulturellen Personalentwicklung den Anforderungen der Globalisierung nicht gerecht werden kann. Denn solange die Wissenschaft für gesellschaftliche oder unternehmensinterne Fragen in den USA Antworten in Form von Modellen, die Integrationsprozesse typischerweise als lineare Prozesse darstellen (Roth 2002: 29), findet, wird die Diskrepanz zwischen realer Notwendigkeit und der nicht zielführenden Antwort der Wissenschaft hierauf verhindern, dass die tatsächlichen Probleme des multikulturellen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens gelöst werden können. Anstatt der benötigten Beihilfe zur Beseitigung der Barrieren der Globalisierung und Ausnutzung der Synergiechancen der Internationalisierung werden so, ganz im Gegenteil, aufgrund von kulturell determinierter fehlender Integrationsbereitschaft und fehlender interkultureller Kompetenz zusätzliche Barrieren geschaffen. Gerade aber für den Kontext der Globalisierung mit seinen zuvor erwähnten Barrieren, ist es in internationalen Unternehmungen unerlässlich, dass Menschen unterschiedlichen kulturellen Hintergrunds direkt miteinander interagieren und sich so eine globale Unternehmenskultur herauskristallisieren kann. Bleibt zu erwähnen, dass neben den theoretisch geschaffenen Grundlagen, die wie hier gesehen nicht oder nicht mehr adäquat sind, zusätzliche Faktoren in Betracht zu ziehen sind, die der praktischen Durchführung der Personalentwicklung oftmals im Weg ste263

hen können. So ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Umsetzung von idealwissenschaftlichen Theorien oder Modellen in der Praxis häufig durch Faktoren des wirtschaftlich Machbaren oder betrieblich Durchsetzbaren (Beck 2005: 1) beschränkt ist und somit selbst durch die nahezu perfekte Vorlage in der Realität keine oder kaum eine Verbesserung erzielt werden kann. Generell gilt, dass sich im Vollzug der Globalisierung ein grundlegendes Umdenken im Bereich der interkulturellen Personalentwicklung als erforderlich erweist, damit sich international operierende Unternehmen die durch die Globalisierung entstandenen erweiterten Bestätigungsfelder zu Nutze machen und die „Barrieren der Globalisierung“ (Kap. 1.) nachhaltig überwinden können.

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Methoden interkultureller Kompetenzvermittlung – Einsichten und Ansätze aus einer chinesischen Betrachtung Yaling Pan

1 Problematik: Westliche Dominanz in den Ansätzen des interkulturellen Trainings Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit sind heute in der chinesischen Gesellschaft zu einer immer mehr erlebten Praxis geworden. Eine wachsende Zahl von Unternehmen sieht Interkulturelle Kompetenz als notwendige Voraussetzung für internationale Zusammenarbeit, jedoch ist dieser Begriff in China noch nicht allgemein geläufig. Mit Bolten stimme ich überein, dass interkulturelle Kompetenz in hohem Maße kulturspezifisch ist (Bolten 2007: 21). Es kann allein aus diesem Grund kein allgemein gültiges Modell zur interkulturellen Kompetenzvermittlung geben, da jeder diese auf seiner eigenen kulturellen Grundlage aufbaut. Allerdings ist das Thema interkulturelles Training bisher sehr wenig in Hinblick auf die chinesische Situation diskutiert worden. Offenkundig ist, dass die Trainingsmethoden nicht einfach von Europa oder Amerika übernommen werden sollten. Bei der Durchsicht der euro-amerikanischen Literatur über interkulturelles Training bin ich auf folgende Probleme aufmerksam geworden: 1.1

Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit werden mehr als „Schock“ und weniger als „Chancen“ betrachtet

Es erweckt leicht den Eindruck, dass die interkulturelle Forschung und interkulturelles Training sich immer wieder für ihre Notwendigkeit rechtfertigen müssen. Es werden beispielsweise negative interkulturelle Erfahrungen hervorgehoben, wie „critical incidents“ (vgl. Thomas/Schenk 2001), die „erschreckend hohen Zahlen von gescheiterten internationalen Projekten und Auslands- einsätzen“ (Kinast/Thomas 2003: 260), die abgebrochenen Auslandsentsendungen und fehlgeschlagenen Joint Ventures (vgl. O′Reilly/Arnold 2005: 4) und sogar „die ganze Welt steckt voller Konfrontationen zwischen Menschen, Gruppen und Völkern, die unterschiedlich denken, fühlen und handeln“ (Hofstede 2001: 1). Suggeriert werden häufig schon von Anfang an die Schwierigkeiten der interkulturellen Begegnungen und Kommunikation, was eher eine abschreckende als eine ermutigende Wirkung hat. Kaum thematisiert sind die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen wie auch die positiven interkulturellen Erfahrungen 267

und die großen Potentiale der interkulturellen Synergien. Interkulturelle Begegnungen werden insgesamt mehr als Gefahr und weniger als Chancen betrachtet. In diesem Zusammenhang wird oft der „Kulturschock“ in der interkulturellen Erfahrung reklamiert. So überschwemmen uns Bestseller wie „Lokales Denken, globales Handeln“ (Hofstede 2001) und „Riding the Waves of Culture“ (Trompenaars/Hampden-Turner 1998) mit kulturellen Unterschieden und Differenzen, die zu überwinden und zu meistern seien. Dabei ist man sich der Gefahr nicht bewusst, dass die Überbetonung der grundsätzlichen Andersartigkeit des Fremden wie auch der Konflikte aufgrund kultureller Differenzen und die einseitige Vermittlung der daraus resultierten „Hiobsbotschaften“ die Menschen entweder entmutigen könnte, sich dem Wagnis die interkulturelle Kommunikation überhaupt zu stellen oder zu „sich selbst erfüllenden Prophezeiungen“ führen könnte (vgl. Pan 2008: 32). 1.2

Vernachlässigung der „gesellschaftlichen Subkultur“ und der „Persönlichkeit“ der Kommunikationsteilnehmer

Interkulturelle Trainings werden allzu oft mit den gleichen Methoden und einer standardisierten Vorgehendsweise konzipiert, obwohl Tainingsteilnehmer ganz unterschiedliche Bedürfnisse, Lernpräferenzen und Erfahrungshintergründe haben (O′Reilly/Arnold 2005: 16). Nach dem Modell „Interkulturelle Kommunikation als Spiel der Lebenswelten“ (Bolten 1997: 489) besteht die Lebenswelt eines Menschen aus drei Schichten: kulturelles Gedächtnis, gesellschaftliche Subkultur und Persönlichkeit. Viele westliche Konzepte des interkulturellen Trainings konzentrieren sich hauptsächlich auf die Schicht „kulturelles Gedächtnis“, die anderen beiden Schichten „gesellschaftliche Subkultur“ und „Persönlichkeit“ werden jedoch nur am Rande erforscht. Als Beispiele für solche Konzepte sind zu nennen: Die Konzepte interkulturellen Trainings, die auf den Kulturdimensionen von Hofstede (2001) aufgebaut sind, Rollenspiele, bei denen kritische Ereignisse in der interkulturellen Kommunikation simuliert werden, „Culture Assimilators“, Verfremdungsübungen etc.. Auch in Deutschland hat sich die Typologisierung der Trainingskonzepte von Gudykunst und Hammer durchgesetzt (vgl. O′Reilly/Arnold 2005: 23). Nach dieser können Angebote für interkulturelles Training in „didactic culture-general“ oder „didactic culture-specific“ und in „experiential culture-general“ und „experiential-specific“ unterschieden werden. In allen vier Tpyen der Trainingsangebote werden die oben genannten „gesellschaftliche Subkultur“ und „Persönlichkeit“ nicht thematisiert. 1.3

Vernachlässigung der Interaktion zwischen den Kommunikationspartnern

Die Diskussion über interkulturelle Kompetenz leidet unter dem Denkfehler, sich vorwiegend aus der Perspektive eines Teilnehmers der interkulturellen Kommunikationssituation zu konzentrieren. Es wird beispielsweise unterstellt, dass interkulturelles Handeln und interkulturelle Zusammenarbeit erfolgreich sein könnten, wenn nur das 268

handelnde Individuum interkulturell kompetent ist. Das interkulturelle Gegenüber wird meistens ignoriert und als etwas Statisches und ohne weiteres Diagnostizierbares betrachtet. Deshalb wird auch der Tatsache wenig Beachtung geschenkt, dass der Kommunikationspartner aus einer fremden Kultur auch die Art des Denkens und Handelns einer anderen Kultur lernen und dabei versuchen kann, diese beim interkulturellen Handeln anzuwenden, um Spannungen, Konfliktpotentiale etc. zu minimieren. Denn interkulturelles Lernen ist keine Einbahnstraße. Allerdings ist dieses vage „Dazwischen“ bislang nicht ausreichend erforscht (vgl. Pan 2008: 42). 1.4

Fehlendes ganzheitliches Denken

Wie Bolten (2005: 13) zutreffend anmerkt, ist die Trainingsstrukturierung durchweg immer noch der isolierten Förderung von ziel- oder interkulturellen Einzelkompetenzen verpflichtet, auch wenn in der interkulturellen Trainingsforschung und -praxis zunehmend ein kognitiv-/verhaltensorientierter Methodenmix propagiert wird. Die Kulturen werden häufig analytisch betrachtet. Vor diesem Hintergrund sieht man oft den schönen „Wald“ der interkulturellen Kommunikation vor lauter Bäumen der monumentalen Begriffe „Dimensionen“ und „Kulturstandards“ nicht. Es wird meistens außer Acht gelassen, dass die Teilnehmer der interkulturellen Kommunikation ganzheitliche Persönlichkeiten sind. Weniger erforscht ist auch, wie die Einzelqualifikationen und -kompetenz der interkulturellen Kompetenz in der interkulturellen Realität wechselwirkend eine Einheit bilden.

2 Die Bedeutung der interkulturellen Kompetenz für interkulturell tätige Unternehmen in China Um Klarheit über die Bedeutung der interkulturellen Kompetenz im Berufsalltag zu gewinnen und um sich mit ihrem Inhalt aus einer ganzheitlichen Betrachtung zu beschäftigen, habe ich eine qualitative empirische Untersuchung in Form von Experteninterviews bei chinesischen und deutschen Führungskräften in chinesisch-deutschen Unternehmen und Organisationen durchgeführt (vgl. Pan 2008: 67ff). Es wurden von Mai 2005 bis Juni 2006 jeweils 10 chinesische und 10 deutsche Experten interviewt, die über langjährige interkulturelle Erfahrungen verfügen und eine Querschnittsfunktion in der interkulturellen Berufspraxis haben. Sie decken auch eine große Bandbreite der Branchen ab: Automobilindustrie, Luftfahrtindustrie, Elektrotechnik, IT, Handel, Bankwesen, Tourismus, Entwicklungszusammenarbeit, Unternehmensservice und -beratung und Bildung. Mittels der Tonaufnahmen wurden die Interviews vollständig transkribiert und Anhand der Interviewtranskription wurden die Daten – u.a. mit Hilfe einer in der Sozialforschung bewährten Textanalysesoftware – analysiert. Als ich mit den Interviews begann, war ich davon ausgegangen, dass sich interkulturelle Kompetenz in verschiedene Teilkompetenzen und Eigenschaften aufgliedern lie269

ße. Im Verlauf der Interviews hat sich jedoch immer deutlicher gezeigt, dass interkulturelle Kompetenz nicht in klar voneinander abgrenzbare Teile zu zerlegen ist. Ein Experte drückte sich so aus:

„Deswegen würde ich sagen, dass die interkulturelle Kompetenz kein fertiges Produkt ist. Somit kann man auch schwer definieren, was alles dazu gehört. Es ist vielmehr ein Lernprozess.“ (Herr Z., chinesischer Geschäftsführer eines deutschen Elektrokonzerns). Des Weiteren wurde von den Experten unterstrichen, dass die interkulturelle Kompetenz kein abstrakter Begriff sei, der irgendwo frei schwebend existiert, sondern ein Teil des gesamten Lebens sei, der sowohl das Arbeits- als auch das Privatleben betreffe. Ein Experte interpretierte beispielsweise diesen Begriff so: „Interkulturelle Kompetenz muss man leben. Sie ist eine Art Lebenseinstellung, mit zwei Kulturen leben zu wollen und nicht zwischen zwei Kulturen.“ (Herr S., deutscher Geschäftsführer eines deutschen Dienstleisters in China). Es überwiegt die Einsicht, dass interkulturelle Kompetenz nicht als eine „unabhängige“ Kompetenz zu sehen sei, sondern dass sie immer verschiedene Bereiche umfasse und nur im Bezug auf konkrete Anwendungsbereiche zu sehen und zu verstehen sei. So sieht z.B. ein chinesischer Institutsleiter, der sich u.a. auf interkulturelle Trainings spezialisiert hat:

„Wenn es darum geht, einen Mitarbeiter aus einer anderen Kultur zu führen, ist interkulturelle Kompetenz ein Teil der Führungskompetenz. Wenn es sich um die Kooperation zweier Kollegen auf gleicher Führungsebene aus zwei verschiedenen Kulturen handelt, ist die interkulturelle Kompetenz ein Teil der Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit. Deswegen finde ich, dass die interkulturelle Kompetenz verschiedene Bereiche umfasst.“ (Herr Q., chinesischer Leiter des Management Instituts eines weltweit tätigen deutschen Industrieunternehmens). Viele Interviewpartner unterstreichen, dass interkulturelle Kompetenz nur als ein Prozess des permanenten Lernens verstanden werden könne, der zudem immer entwicklungsoffen und nie abgeschlossen sei.

270

„Es ist ein Prozess des permanenten Lernens. Denn die fremde Kultur wie auch die eigene Kultur bleiben nicht stehen, sondern entwickeln sich ständig. Wenn man eine Kultur richtig kennen lernen möchte, muss man, ich nehme nun einen populären Slogan, ,mit der Zeit gehen‘.“ (Herr E., chinesischer Bereichsleiter einer deutschen Organisation).

Die Interviews machen die Prozesshaftigkeit deutlich. Des Weiteren weisen einige Experten darauf hin, dass die Entwicklung interkultureller Kompetenz ein offener Prozess sei, der auch immer wieder von Rückschlägen begleitet sein werde. Diesen Prozess sehen sie auch als Prozess des Lernens. Im Prozess der empirischen Untersuchung ist mir immer stärker bewusst geworden, dass nur eine ganzheitliche Sichtweise hilft, der beruflichen Wirklichkeit mit ihrem komplexen Anforderungsprofil gerecht zu werden. Aufgrund dieser empirischen Untersuchung habe ich ein Modell zur Beschreibung der interkulturellen Kompetenz ausgearbeitet, das die Prozesshaftigkeit, die Dynamik und die Mehrdimensionalität in der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz hervorhebt. Dieses Modell sieht wie folgt aus:

Y tief handlungssicher

oberflächlich

Z

handlungsunsicher ethnozentrisch

X polyzentrisch/ ethnorelativiert

Abbildung 1: Das Multidimensionale Modell der interkulturellen Kompetenz (Pan 2008: 101ff)

Dieses dreidimensionale Diagramm geht dabei von folgenden Annahmen aus: Es gibt einen Ansatz des interkulturellen Lernens, der von ethnozentrischem Denken und Verhalten zu einer polyzentrischen oder zumindest ethnorelativen Einstellung gegenüber fremden Kulturen führt (X-Achse). Und es gibt einen Pfad der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz, der vom unbewussten zum bewussten und gleichzeitig vom oberflächlichen zum tieferen Verständnis der fremden Kulturen und zugleich auch der eigenen Kultur führt (Y-Achse). Während der Entwicklung der interkulturel271

len Kompetenz verläuft im Idealfall ein Prozess vom unproduktiven, unsicheren und unadäquaten Verhalten zum sicheren, adäquaten, und produktiven interkulturellen Verhalten (Z-Achse). Wenn wir nun eine Momentaufnahme der interkulturellen Kompetenz eines Einzelnen in dem obigen Modell festhalten wollen, dann müssen wir auf den drei beschriebenen Achsen unsere jetzige Entwicklung auf einer bewusst offenen Skala festhalten. Dabei entsteht ein Quader der interkulturellen Kompetenz, der je nach Entwicklungsstand kleiner oder größer sein kann, wie Abbildung 2 zeigt.

Z Y Handlungssicher Tief

Oberflächlich

Handlungsunsicher Ethnozentrisch

X Ethnorelativiert

Abbildung 2: Momentaufnahme der interkulturellen Kompetenz (Pan 2008: 102)

Dieser Quader der interkulturellen Kompetenz verändert ständig sein Volumen. Er kann wachsen oder er kann in diesem offenen Prozess auch schrumpfen, weil man interkulturelle Kompetenz nicht auf einen Schlag erwerben und dann für immer über sie verfügen kann. Im Einzelnen kommt es mir dabei auf folgende Feststellungen und Schlussfolgerungen an (vgl. Pan: 143ff): • Auf dem Weg zur interkulturellen Kompetenz kommt es weniger auf die Er-

reichung kurzfristig gesetzter Ziele an, als vielmehr auf eine längerfristig angelegte Partnerschaft mit dem interkulturellen Gegenüber. • Es gibt demnach keinen Königsweg, der für alle gilt. Vielmehr sollte jeder

seinen individuellen Zugang zur interkulturellen Kompetenz finden. Diese Einsicht steht im deutlichen Widerspruch zu Definitionen von interkultureller Kompetenz, die den Eindruck erwecken, dass es sich mehr um interkulturelle „Programme“ als um eine Persönlichkeitsentwicklung handle. • Es gibt Kompetenzen, die die Entwicklung interkultureller Kompetenz auf al-

len drei Ebenen fördern können. Lernbereitschaft und Lernfähigkeit werden z.B. in allen Interviews als Kernkompetenzen bezeichnet. Positive Grundeinstellung, Kommunikations- und Metakommunikationsfähigkeit, Suche nach 272

Gemeinsamkeiten und Synergiefähigkeiten etc. wurden ebenfalls als wichtige Voraussetzungen zur Förderung interkultureller Kompetenz unterstrichen. Aus diesen Feststellungen lassen sich für ein Konzept für interkulturelles Training in China, das auf die Förderung interkultureller Kompetenz der Trainingsteilnehmer abzielt, folgende notwendige Konsequenzen ziehen: • Wer lernen will, muss lernen, richtig zu lernen. Selbstverständlich sollte man

auch das Kulturwissen vermitteln. Noch wichtiger sind die Metakompetenzen, die in dem Training vermittelt werden sollten, wie beispielsweise Lernbereitschaft und Lernkompetenz, positive Grundeinstellung, (Meta)kommunikationsfähigkeit. • „Interkulturelle Kompetenz muss man leben“. Diese Kernaussage, die sich in

allen Interviews wieder findet, fordert eine starke Anwendungs- und Praxisorientierung im interkulturellen Training. • Die Einsicht, dass der Weg zur interkulturellen Kompetenz ein offener Lern-

prozess ist, hat zur Folge, dass das Training die Teilnehmer auf das weitere interkulturelle Lernen vorbereiten sollte.

3 Interkulturelles Training in China Interkulturelles Training befindet sich in China noch in einer Anfangsphase und ist stark geprägt von euroamerikanischen Trainingskonzepten. In www.google.com finden sich insgesamt 105.0001 Einträge für „interkulturelles Training“, während es nur “ gibt. Die Durchsicht 8330 für den entsprechenden chinesischen Begriff „ der auf den jeweiligen Internetseiten dargestellten Konzepte des interkulturellen Trainings lässt den Schluss zu, dass diese Konzepte sich vorwiegend an den westlichen Trainingsmethoden orientieren und kaum die chinesische Lerntradition berücksichtigen. Beim Verfassen der vorliegenden Arbeit habe ich in der „Datenbank der chinesischen 2 Zeitschriften“ (zhongguo qikan quanwen shujuku) recherchiert. Diese Datenbank verfügt zurzeit über 8200 verschiedene (Fach)zeitschriften in China mit insgesamt über 22 Millionen Artikeln und Aufsätzen. Allerdings habe ich dabei nur 20 Aufsätze über interkulturelles Training gefunden, die zwischen Januar 2000 und Oktober 2008 veröffentlicht wurden. Nach Durchsicht dieser Aufsätze muss man feststellen, dass viele von ihnen bloß die westlichen Trainingskonzepte zusammenfassend darstellen, nicht aber kritisch verarbeiten. In den wenigen Aufsätzen werden zudem Trainingsinhalte geschildert, die sehr westlich geprägt sind (vgl. Fan/Zhang 2002:10).

1 2

Stand 23.10.2008. https://vpn.uibe.edu.cn/kns50/,DanaInfo=dlib.edu.cnki.net+Navigator.aspx?ID=1, Stand 23.10.2008.

273

4 Ansätze für interkulturelles Training in China Wenn man die Förderung interkultureller Kompetenz als Prozess betrachtet und Konsequenzen aus den Ergebnissen der zuvor dargestellten empirischen Untersuchung ziehen möchte, sollten Trainingsangebote für interkulturelle Kompetenzvermittlung die Trainingsteilnehmer auf dem Weg zu mehr Ethnorelativität, zur Erweiterung und Vertiefung des Wissens und Verstehens der eigenen und fremden Kultur und zu mehr interkultureller Handlungskompetenz auffordern. Es ist offenkundig, dass wir in China sehr viel von den Konzepten der interkulturellen Kompetenzvermittlung westlicher Länder lernen können. Allerdings muss man zugleich darauf achten, dass nicht alle Lernmethoden, die z.B. im Westen fruchtbar sind, in China ohne kritische Überprüfung adaptiert und übernommen werden. Vielmehr sollte man bei der Konzipierung des Trainingsangebotes die Lerntradition und die kulturgeprägten Lernpräferenzen in China respektieren und darauf das interkulturelle Lernen aufbauen. Für interkulturelles Training müssen auch die Methoden interkulturell sein! Aufgrund des in der vorliegenden Arbeit geschilderten Modells der interkulturellen Kompetenz und unter Berücksichtigung der chinaspezifischen Lerntradition und des kulturelles Umfelds sind folgende Ansätze für interkulturelles Training in China zu empfehlen: 4.1

Lernen von Musterpersönlichkeiten und Förderung der ganzheitlichen Betrachtung

Weil in der chinesischen Lerntradition Muster und Vorbilder von großer Bedeutung sind, ist es auch wichtig, den Teilnehmern nicht nur im Ausland gescheiterte Manager als Beispiele vorzuführen, sondern sie auch auf interkulturell erfolgreiche Biographien aufmerksam zu machen. Hierbei ist z.B. die Bücherserie „Fallstudien für interkulturelle Kommunikation“, die von der chinesischen Kulturforscherin Yue Daiyun im Jahr 2005 herausgegeben wurde, zu empfehlen. In dieser Reihe werden Biographien interkulturell kompetenter chinesischer Persönlichkeiten in den letzten 100 Jahren dargestellt. Wenn man die einzelnen Biographien dieser Personen liest, kann man feststellen, dass das ganze Leben für sie ein Entwicklungsprozess dafür ist, eine interkulturell kompetente Persönlichkeit zu werden. Ebenso aufschlussreich können auch Autobiographien sein, die die Entwicklung der Autoren in der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Kulturen schildern. In solchen Biographien werden oft positive interkulturelle Erfahrungen geschildert, wonach die jeweiligen Persönlichkeiten in einem langen und offenen Prozess ihre interkulturelle Kompetenz immer weiter ausbauen. Auch wenn die positiven Erfahrungen von Unsicherheit, Rückschlägen und Frust begleitet sind, ermutigen sie eher, auf eine fremde Kultur zuzugehen. Im Gegensatz zu den Personen, die in standardisierten Fallstudien (vgl. u.a. Thomas/Schenk 2001) oft als abstrakte Figuren ohne jegliche Persönlichkeit und Entwick274

lungszusammenhänge vorkommen, ermöglichen die Biographien interkultureller Persönlichkeiten eine ganzheitliche Betrachtung der persönlichen Entwicklung inmitten facettenreicher interkultureller Kontexte. Mit Hilfe solcher „Musterpersönlichkeiten“ kann man auch lernen, ganz im Sinne dieses Aufsatzes, seinen ganz eigenen Weg vom Ethnozentrismus zur Ethnorelativität, vom oberflächlichen zum tieferen Wissen und Verstehen der eigenen und der fremden Kultur(en) und zur interkulturellen Handlungskompetenz, bewusster zu gestalten und zu begehen. 4.2

Suche nach Gemeinsamkeiten als Ausgangsansatz

Während in vielen euro-amerikanischen Publikationen die interkulturell kompetenten Personen eher als diejenigen dargestellt werden, welche die kulturellen Unterschiede überwinden können, wird in der chinesischen Vorstellung zur interkulturellen Kommunikation eher betont, dass solche Personen das Eigene und das Fremde in eine neue Harmonie bringen können. Nach der chinesischen Philosophie für menschliches Zusammensein sollte man erst nach dem Gemeinsamen suchen und die interpersönlichen Beziehungen auf das Gemeinsame aufbauen. Genauer gesagt, „qiu da tong cun xiao yi“, d.h. „in grundsätzlichen Dingen Gemeinsamkeiten haben und im Nebensächlichen Unterschiede belassen“ sind Lebensmaximen vieler Chinesen. Nach dieser Erkenntnis stehen die Kulturen nicht ohne jegliche Verbindungen einander gegenüber, sondern es gilt, die zahllosen Überschneidungen aufzuspüren. So weisen die chinesische und deutsche Kultur viele Übereinstimmungen in ihren Wertvorstellungen auf. Unterschiede bestehen überwiegend hinsichtlich der Priorität der Werte und der Art und Weise, die Werte zu realisieren (vgl. Pan 2007). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass beim interkulturellen Training die kulturellen Unterschiede nicht überbetont werden sollten. Somit muss man sich bei der interkulturellen Kompetenzvermittlung auch mit kulturellen Gemeinsamkeiten beschäftigen. Diese Strategie ist auch aus dem Grund sinnvoll, weil die Reflexion über kulturelle Gemeinsamkeiten zum einen die Angst vor dem Fremden und Unbekannten mildert und zum anderen das Neue mit dem Alten und Vertrauten verbindet. Die Beschäftigung mit den Gemeinsamkeiten in der chinesischen und deutschen Kultur kann den Schritt von der Selbstreflexion zur Fremdreflexion erleichtern (Pan 2008: 202). Zudem ist anzumerken, dass es fraglos notwendig ist, die Trainingsteilnehmer auf kulturelle Unterschiede vorzubereiten, die ja durchaus existieren. Dafür reicht es aber nicht, diese Unterschiede nur zu thematisieren, sondern es sollten – am besten gemeinsam mit dem interkulturellen Gegenüber – auch Ansätze erörtert werden, aus den Unterschieden Synergien zu bilden. Gerade diese Suche nach Gemeinsamkeiten, die ein wesentlicher Bestandteil der interpersonalen und interkulturellen Kommunikation in China ist, schafft die Voraussetzung für das Entstehen von Synergien, die in den jeweiligen interkulturellen Situationen von den Beteiligten erarbeitet werden und so zu innovativen Ansätzen führen können.

275

4.3

Verbindung des direktiven Lernens mit autonomem Lernen

Nach traditionellem Verständnis stellt die Figur des Lehrenden/Trainers3 eine Autoritätsperson dar. In der chinesischen Sprache gelten „Lehrer“ und „Vorbild“ als Synonym. Der Respekt der Lernenden vor dem Lehrer gehört zu den wichtigsten Grundsätzen zur Regelung der sozialen Ordnung und ist im Konfuzianismus4 verwurzelt. Dieser Vorstellung Rechnung tragend wird von dem Trainer erwartet, dass er fachlich eine Autorität ist. Abweichungen von dieser Rollenerwartung können mit erheblichem Respektverlust einhergehen (Hanisch 2003: 59). Da die Trainingsteilnehmer den Trainer als Vorbild sehen, muss diese Person selbst auch interkulturell kompetent sein. Sie soll nicht nur über Theoriewissen verfügen, sondern muss auch ausreichend interkulturelle Erfahrungen mitbringen. Hier folgt der Trainingsteilnehmer den Direktiven der Autoritätsperson. Dieses direktive Lernen ist durch die Neigung und Bereitschaft gekennzeichnet, sich im Prozess der Aneignung und Nutzung von Wissen dem Trainer unterzuordnen, der als Wissensträger und als „Vorbild“ autorisiert ist (vgl. Hanisch 2003: 59.). Eine fragende und prüfende Einstellung gegenüber Autorität, die in der westlichen Bildungskultur oft zu begrüßen ist, ist in der chinesischen Lerntradition eher unbeliebt. Kritische Diskussionsbeiträge beispielsweise finden in Seminaren5 selten statt. Da es in der chinesischen Lerntradition kaum eingeübt wurde, dem Lehrer/Trainer in Anwesenheit der anderen direkt ein Feedback zu geben, sollten auch Möglichkeiten geschaffen werden, dass die Trainingsteilnehmer einzeln mit dem Trainer kommunizieren können, wie beispielsweise durch Sprechstunde nach dem Training, durch E-Mails oder sogar durch anonyme schriftliche Kommentare, die vom Trainer eingesammelt werden. Zugleich ist hervorzuheben, dass die Entwicklung interkultureller Kompetenz ein offener Prozess ist und das interkulturelle Lernen folgerichtig auch nach dem Training fortgesetzt werden sollte. Somit muss den Trainingsteilnehmern auch das autonome Lernen vermittelt werden. 4.4

Förderung der ‘Sowohl-als auch-Denkweise’

Viele Trainingsteilnehmer sind sogenannte chinesische „Young Urban Professionals“ (Hanisch 2003: 57). Die Entwicklung dieser Zielgruppe ist von dreierlei Einflüssen geprägt: die traditionelle chinesische Kultur, die sozialistische Erziehung und der Ein3

Hier und in dem nachfolgenden Text wird zum Zweck des Leseflusses von mir bei der Berufsbezeichnung für interkulturelles Trainings die männliche Bezeichnung verwendet, mit der auch immer die weibliche Person gemeint ist. 4 Nach Konfuzius gehört die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler zu den fünf Grundbeziehungen des Menschen. Der Schüler hat den Lehrer zu respektieren und ihm zu gehorchen, so wie der Untertan dem König, der Sohn dem Vater, die Ehefrau dem Ehemann und der jüngere Bruder dem älteren Bruder zu gehorchen hat. 5 Das Wort „Seminar“ war ein Fremdwort und wurde als „ximinar“ phonetisch übersetzt, bis es erst in der neuen Zeit ins Chinesische übertragen wurde und als „yantao“, „forschen und diskutieren“ übersetzt wurde.

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fluss aus dem Westen. Dies sollte bei der Konzeption der Trainingsmethoden berücksichtigt werden (vgl. Hanisch 2003: 49ff). Diese „Young Urban Professionals“ sind einerseits von der traditionellen chinesischen Kultur geprägt, andererseits sind sie auch gegenüber neuen Methoden durchaus offen. Aufgrund dieser Erkenntnis ist es ratsam, Trainingskonzepte auszuarbeiten, die der Einzigartigkeit der chinesischen Kulturtradition Rechnung tragen und gleichzeitig dem internationalen Kenntnisstand gerecht werden. In dem klassischen Werk des Konfuzianismus „Zhongyong“ heißt es: „Alle Lebewesen wachsen und gedeihen in der Natur, sie schaden einander nicht. Alle Wahrheiten 6 existieren gleichzeitig, sie widersprechen einander nicht Die „westlichen“ Trainingskonzepte und die chinesischen Lernpräferenzen schließen einander nicht aus, sondern sie sind durchaus synergiefähig. Es gibt kein entweder-oder, sondern nur ein sowohlals auch. 4.5

Das Fischen beibringen – Förderung der Metakompetenzen zur Entwicklung interkulturellen Kompetenz

Wie ich in der empirischen Untersuchung festgestellt habe, ist interkulturelle Kompetenz nicht als ein „Endprodukt“ aufzufassen, sondern vielmehr als ein offener Prozess. Da das interkulturelle Gegenüber diesen Prozess zugleich auch mit gestaltet, ist dieser Prozess schwer kalkulierbar und diagnostizierbar. Umso mehr sind Metakompetenzen wie beispielsweise Lernbereitschaft und Lernkompetenz, positive Grundeinstellung, Kommunikation- und Metakommunikationsfähigkeit, die in der zuvor dargestellten Untersuchung von allen Interviewpartnern unterstrichen wurden, zu fördern. Diese Metakompetenzen gleichen „Werkzeugen“, die einem in den jeweiligen interkulturellen Kontexten, die jeder für sich einmalig sind, zum interkulturell kompetenten Handeln verhelfen. In diesem Sinne liegt die Aufgabe des interkulturellen Trainings nicht darin, den Trainingsteilnehmern Lösungsrezepte zu vermitteln, sondern ihnen „Tools“ für die interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit vorzuführen, die sie in die Lage versetzen, sich in den jeweils neu auszuhandelnden interkulturellen Überschneidungssituationen zurecht zu finden. Zu diesen „Tools“ gehören insbesondere die in einer Eigendynamik selbstregulierende und zu aktualisierende Lernbereitschaft und Lernkompetenz. Viele Chinesen kennen die Philosophie des Lehrens von Laotse: „Wenn du einem Menschen einen Fisch gibst, dann gibst du ihm für einen Tag zu essen. Wenn du einem Menschen das Fischen beibringst, dann gibst du ihm zu essen fürs Leben“. Es ist also eine wichtige Aufgabe des interkulturellen Trainings, den Teilnehmern ‘das Fischen’ beizubringen, damit sie ‚im Meer’ der interkulturellen Kommunikation Erfolg haben können. Die Trainingsteilnehmer sollten lernen, den für sich geeigneten Weg zur Förderung ihrer interkulturellen Kompetenz aufzuspüren, das interkulturelle Lernen selbst zu planen und zu organi6

Eigene Übersetzung aus dem Chinesischen.

277

sieren, den Prozess des interkulturellen Lernens zu reflektieren, um besser und effektiver zu lernen. 4.6

Förderung der interaktiven und langfristig konzipierten interkulturellen Trainings

Eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der interkulturellen Kompetenz spielt, wie zuvor bereits erwähnt, die Prozesshaftigkeit, also das interkulturelle Lernen sowie der Gedanke der Gegenseitigkeit. Es ist nicht zutreffend, dass das interkulturelle Handeln und die interkulturelle Zusammenarbeit erfolgreich sein können, wenn der Einzelne interkulturell kompetent ist. Auch das Gegenüber ist Teil des Entwicklungsprozesses und muss seinen Beitrag leisten. Somit muss interkulturelles Training auch Interaktionen zulassen und diese verarbeiten. Nach Bolten (1999: 39) bedürfen „internationale Projekte einer kontinuierlichen Analyse ihrer Prozessualität, die stets einen konkreten Einzelfall darstellt, der auch als solcher reflektiert werden will“. Dieser Erkenntnis Rechnung tragend muss das interkulturelle Training sich von standardisierten Fallstudien zum Lernen an realen Einzelfällen, vom geschlossenem Training zu offenem lebenslangem Lernen und vom Lernen im realen zum Lernen in virtuellen Lernumgebungen entwickeln (vgl. Hanisch 2003: 58). In diesem offenen, von interkulturellen Interaktionen begleitenden, langfristig angelegten Prozess des Lernens, in dem Interkulturalität ständig neu erzeugt und gehandhabt wird, kann der „Consultant für interkulturelles Management“ (Bolten 1999: 39) die Rolle des Betreuers spielen, der in diesem Prozess selbst interkulturell lernt.

5 Schlussbetrachtung Die Disziplin der Interkulturellen Kommunikation in China kann sich den Erfahrungsschatz ihres westlichen Pendants zunutze machen. Allerdings ist dabei Vorsicht geboten, da, wie dargestellt, westliche Trainingsinhalte und -methoden nicht ohne kritisches Hinterfragen auf chinesische Verhältnisse übertragen werden sollten. Es ist festzuhalten, dass es für die Entwicklung einer interkulturellen Kompetenz keinen Königsweg gibt, der in allen Kulturen Gültigkeit besitzt. Umso mehr ist das interkulturelle Lernen von Bedeutung. Man lernt von anderen, reflektiert und versucht, innovative Lösungen zu finden, die den Gegebenheiten der jeweiligen Kulturen entsprechen. So wie Konfuzius lehrt: „xue er bu si ze wang, si er bu xue ze dai ).“ – Zu lernen und dabei nicht zu denken ist nichtig; Zu den( 7 ken und dabei nicht zu lernen ist gefährlich .

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Eigene Übersetzung aus dem Chinesischen.

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Indische Perspektiven des Interkulturellen Change Managements Petra Vogler “We have already asserted that interculturality is the philosophical imperative of our times. But we have mentioned a twofold temptation: monoculturalism and multiculturalism.“ (vgl. Panikkar 2000: Abschnitt 78).

1 Einleitung Das Faktum, dass interkultureller Austausch weltweit existiert, ist sicherlich nicht anzuzweifeln. Die Art und Weise der Tiefe und Intensität der Form, in welcher dieser Austausch jedoch stattfindet, variiert deutlich je nach historischer Epoche und den jeweiligen kulturellen Kontexten. Wie weitreichend zum Beispiel der indisch-europäische Dialog über die vergangenenen Jahrtausende zu sein vermochte, sei hier nur angedeutet. Es interessiert heute doch vielmehr, wie denn nun beispielsweise die indische Wahrnehmung des "neuen Europa" in einer multipolaren Welt aussieht, wie sich die Rolle der alt bekannten Dualität von rationalem Selbst und irrationalem Anderen in dieser euopäisch/deutsch-indischen Wahrnehmung verändert hat bzw. im Prozess der Veränderung begriffen ist und welche Konsequenzen diese für aktuelle Perspektiven des interkulturellen Change Managements haben. Die Frage nach der Gestaltung einer kulturkontextuell angemessenen Form Interkulturellen Managements, also die Umsetzung von interkulturellen Denk- und Handlungsweisen in den Arbeitsalltag von Unternehmen, als eine Massnahme des Change Managements, d.h. aller Prozesse der globalen Veränderung, sei es durch Revolution oder durch geplante Evolution (Reiss/Rosenstiel/ Lanz 1997: 9), steht in enger Verbindung mit der Frage nach der Einstellung zum Wandel und zu Wandelprozessen in den jeweiligen Kulturräumen. Die Einstellung zum Wandel hat innerhalb der Wirtschaftswelt entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit und Erfolgsaussicht von Massnahmen des Change Managements. Nur ein Change Management, das sein Verständnis eines Mittelwegs zwischen einer nach globaler Standardisierung drängenden Corporate Culture und einer lokale Kulturwerte berücksichtigenden Arbeitskultur zu hinterfragen bereit ist und sich der „Dekonstruktion“ im Derridaschen Sinne von Einstellungen und Begriffen ebenso öffnet wie einer Sphäre des Fragens, wird nachhaltig eine erfolgreiche Zusammenarbeit auf internationaler Ebene ermöglichen können. Mittelweg meint nicht das enge Verständnis eines Grades, positioniert zwischen zwei möglichen Alternativen, z.B. jene der lokalen und globalen Arbeitskultur, sondern sieht sich vielmehr als eine Fläche,

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die im Heideggerschen Sinne „west“ (vgl. Heidegger 1960) und sich sowohl durch Parallelität als auch durch Oszillieren diverser Posititionen definiert. Der Versuch einer Vernetzung der Ideen Interkultureller Philosophie2, die Anfang der 90er Jahre entstand und sich selbst als eine neue Form der Philosophie sieht, welche die Interkulturalität als zentrales Thema hat, mit den Grundannahmen Interkulturellen Managements (unter Bezugnahme auf die Situation im indischen Kulturraum) und damit jenem Bereich der heutigen globalen Wirtschaftswelt, welcher für die Corporate World mit ihren grenzüberschreitenden und transkulturellen Eigenschaften in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen wird, soll Grundanliegen des folgenden Aufsatzes sein. Das Konzept des Interkulturellen Managements umfasst alle Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens mit Kollegen, Kunden oder Partnern aus anderen Kulturkreisen verständnisvoll und zielgerichtet zusammenarbeiten, doch stellt sich heute immer mehr die Frage nach der adequaten Umsetzbarkeit des Ansatzes. Es ist mir ein Bedürfnis dem Inhalt und dem Anspruch des Bereiches des Interkulturellen Managements im Allgemeinen sowie unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung in der indischen Corporate Kultur, insbesondere dem Teilbereich des Interkulturellen Trainings, ein umfassenderes Fundament zu geben, um der Gefahr einer Instrumentalisierung von Training zum reinen „Fitmachen für ein erfolgreiches Geschäftemachen auf internationaler Ebene“ Einhalt zu gebieten. Besonders kritisch steht der indische Philosoph Vincent G. Furtado dieser Entwicklung aus indischer Perspektive gegenüber. Seiner Meinung nach ginge es in Indien nur noch darum „taugliche Studenten für den Arbeitsmarkt zu produzieren, und dort zähle einzig der Profit“ (Fornet-Betancourt 2004: 227). Diese Produktion effektiver Arbeitnehmer setzt sich dann in der Berufswelt fort. „Angesichts der Vorherrschaft instrumenteller Vernunft, die rein strategisch vorangeht und sich an der Effizienz ökonomischer Modelle orientiert, ist interkulturelles Philosophieren herausgefordert, die konkreten historischen Erfahrungen, die symbolischen Netze der Lebenswelt(en), die Dimension des Ökologischen sowie ethische und politische Überzeugungen als innere Momente einer philosophischen Denkform (und nicht bloß als auch noch zu berücksichtigende Aspekte) zu begreifen“ (Gmainer-Pranzl Buchrezension 2005: 148).

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Heidegger bezieht sich in seinem Vortrag „Der Ursprung des Kunstwerkes“ auf die Form, in welcher sich Wahrheit zeigt. Für ihn „geschieht Wahrheit“; um dies sprachlich zu fassen, ergab sich für ihn die Notwendigkeit zu sagen: Wahrheit „west“; denn da sich im Geschehen der Wahrheit als „Entbergung“ erst zeigt, was ist, kann man nicht sagen, „Wahrheit ist“. Das Wesen der Wahrheit ist also ihr Wesen als Prozess. 2 Interkulturelle Philosophie geht zurück auf: 1. Das wachsende Bewusstsein der Hegemonie des “Okzidents” und einer damit einhergehenden Form des Eurozentrismus. 2. Die Entwicklung einer postmodernen Suprakultur einerseits, die Zunahme kulturell begründbarer Konflikte und Kriege im Kontext der Globalisierung andererseits. Interkulturelle Philosophie kritisiert den absolutistischen Ansatz der okzidentalen Philosophie und favorisiert einen auf dem Gleichheitsprinzip aufbauenden Austausch der Kulturen im Sinne eines interkulturelles Dialogs. Die Hauptvertreter des Ansatzes Interkultureller Philosophie sind u.a.: Ram Adhar Mall, Heinz Hülsmann, Franz Wimmer, Heinz Kimmerle, Raul FornetBetancourt etc.

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In einer Zeit, in der Trainingsanbieter interkultureller Dienstleistungen wie Pilze aus dem Boden schiessen, stellt sich verstärkt die Frage nach dem Sinn und nach dem Qualitätsanspruch der Branche.

2 Verbindungen zwischen Management und Wandel Der Frage nach Verbindungspunkten von Management und Wandel, liegt eine grundsätzliche Betrachtung des Change Managements zugrunde. Anknüpfend an Michael Reiss Fragestellung: „Was ist Wandel?“ „Was ist Management?“ und „Welche Verbindungen zwischen Wandel und Management sind relevant?“ (Reiss/Rosenstiel/Lanz 1997: 9), sehe ich den stärkeren Dialog von Philosophie und Wirtschaft vor allem als eine Option, mögliche Lösungsvorschläge auf die Frage nach diesen Verbindungsbereichen zwischen Wandel und Interkulturellem Management zu geben. Unter den Begriff des Wesens des Wandels werden folgende Teilbereiche subsummiert: 1. Strategiewandel, 2. Ressourcenwandel, 3. Strukturwandel, 4. Unternehmungswandel (Reiss/ Rosenstiel/Lanz 1997: 7ff). Bekanntlich versteht man unter Change Management „alle Prozesse der globalen Veränderung, sei es durch Revolution (d.h. Corporate und Business Transformation) oder Evolution (Organisationsentwicklung)“ (Reiss/Rosenstiel/ Lanz 1997: 15). Die Frage nach einem Managementverständnis, welches mit dem Wesen des Wandels kompatibel ist, ruft also nach der Entwicklung eines Hybridmodells zwischen Transformation und Evolution (Reiss/Rosenstiel/Lanz 1997: 10).3 Reiss gibt hier drei Antworten: 1. Wandel als Bedingung (gesellschaftliche und marktliche Rahmenbedingungen), 2. Wandel als Ziel (optimale Unternehmensentwicklung durch Wachstum, Schrumpfung, Sanierung, Revitalisierung etc.), 3. Wandel als Instrument (Instrumente des strategischen und operativen Managements – hier geht man laut Reiss bislang von zwei möglichen Antworten aus: 1. Jedes Management ist Change Management, d.h. ein Manager ist immer auch ein Change-Manager. 2. Wandel entzieht sich jeder Art von Management (Reiss/Rosenstiel/Lanz 1997: 13f). So gehe ich am Beispiel des Interkulturellen Managements in erster Linie den Fragen nach: „Was ist globales Management des Wandels im Bereich des Interkulturellen Managements“ und „welchen Herausforderungen begegnen wir in Prozessen des Interkulturellen Managments heute“? Hier scheinen sich die Geister zu scheiden. Mit der Geschwindigkeit des Wandels auf organisationsstrategischer Ebene mitzuhalten ist kein leichtes Unterfangen und aufgrund von Konflikten zwischen verschiedenen Betroffenengruppen auch meist ein umfangreiches Prozedere. Als Hauptherausforderungen bzw. Widerstände, die heutzutage die Bereiche des Change Managements bestimmen, nennt Reiss Unkenntnis (Nicht-Kennen), Überforderung (Nicht-Können), Schlechterstellung (Nicht-Wollen) und Ohnmacht (Nicht-Dürfen) (Reiss/Rosenstiel/ Lanz 1997: 17). Ich möchte im Anschluss ergänzende Überlegungen zur bestehenden 3

Zum Spektrum der Veränderungsmodelle gehören: Change Management, Organisationsentwicklung, Organisationales Lernen, Krisenmanagement, Implementierung, Kontinuierliche Verbesserung, Modifikationsmanagement, Innovationsmanagement.

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Change Management Strategie des Interkulturellen Managements im indischen Kulturraum geben.

3 Ein Grundlagenmodell Interkulturellen Managements auf dem Fundament Interkultureller Philosophie “Monoculturalism is lethal and multiculturalism is impossible. Interculturality recognizes both assertions and seeks a middle way“ (Panikkar 2000: Abschnitt 93). Häufig gewinnt man den Eindruck, es werde keine hinreichende Beschreibung dessen gegeben, was denn nun an einem interkulturellen Managementansatz interkulturell sei und inwiefern sich diese Annahme beispielsweise von Ansätzen des Kulturellen Pluralismus, des Integrationalismus oder des Assimilationismus denn nun effektiv unterscheide. Die Strömung des Interkulturalismus versteht Kultur als ein dynamisches System, das sich auf die Pfeiler des Austauschs und des Dialogs verschiedener kultureller Gruppen stützt und von der Möglichkeit einer gegenseitigen Bereicherung ausgeht. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Diversitätsansätze (u.a. Triandis/Berry (1980); Hofstede (1980); Trompenaars (1993); Hall (1983); Inglehart (1997); Schwartz/Bilsky (1987); Triandis/Bhawuk (1997); etc.) sowie die Similaritätsansätze (geprägt durch Begriffe wie third culture, synergistische Kultur, mentale Modelle, hybride und transkulturelle Kultur – zu nennen seien hier Graen/Hui (1996); Graen/Wakabayashi (1994); Adler (1991); Earley/Ang (2003); etc.), welche die heutige Diskussion im Bereich des Interkulturellen Managements bestimmen, ist für das Verständnis dieses Beitrags zu erwähnen, dass „im vorliegenden Zusammenhang die kulturellen Orientierungen von Individuen und nicht die (vermeintlichen) Eigenschaften von Kollektiven (Volkscharakter, Nationalcharakter) den Ausgangspunkt der Überlegungen bilden“ (Flechsig 2000: 1). Grundlegend wird hier von Flechsig zum einen der Gedanke vertreten, dass sich der Ansatz des interkulturellen Dialogs auf die Veränderung und Entwicklung der kulturellen Orientierungen von Individuen bezieht, welche sich natürlich auch auf Kollektive auswirken können, was aber nicht der Fall sein muss, zum anderen: „...wird damit die immer noch weit verbreitete Auffassung, daß die kulturellen Orientierungen von Menschen aus ihrer Zugehörigkeit zu nur einem kulturell homogenen Kollektiv abgeleitet werden können (...) Sie können sich gleichzeitig auch einer Generationskultur, einer Organisationskultur, einer Weltanschauung, einer Religionsgemeinschaft oder einer Profession zugehörig fühlen (... ) Dies aber bedeutet, daß in konkreten Situationen internationaler Zusammenarbeit nicht nur Interessen und Aufträge von Organisationen aufeinandertreffen, sondern immer auch – oder gar in erster Linie – Personen als komplexe kulturelle Persönlichkeiten“ (Flechsig 2000: 1). Sinha/Kumar (2004) weisen im Rahmen der Bemühung um das Kulturverstehen auf die Gefahr der Generalisierung von Bewertungsmasstäben und der fremdkulturellen Interpretation bzw. „Verurteilung“ hin. Ihnen zufolge übernahmen etliche indische 284

ForscherInnen Beispiele westlicher Konstruktionen indischer Kultur und Personalität (vgl. Taylor 1948; Narain 1957) und brachten sie auf die Ebene nationaler Phänomene. Letzterer untersuchte die Begebenheiten indischer Geschichte, politischer Sklaverei und Kinderaufzucht und schlussfolgerte daraus für „die Inder“ die Existenz bestimmter nationaler Charakteristika: „...absence of commitment, which at an individual level expresses itself in freely made but unfulfilled promises, and an absence of sustained efforts for realizing collective objectives; inability to handle emotions that are either suppressed or burst into uncontrolled temper tantrums; contradictory behaviours that manifest themselves in a ‚tremendous gap between ideals and performance. Truth is extolled, but all kinds of falsehood are practiced; honesty is valued, but dishonesty is rampant; kindness is virtue, but Indians laugh at others’ physical deformity…; Indians are spiritual, but their greed for material things is insatiable’ (Narain 1957: 130)“ (Sinha/Kumar 2004: 91). Das Interkulturelle und an dieser Stelle auch der Begriff der Interkulturalität beinhalten die Einstellung, dass ethnische und kulturelle Faktoren mit anderen, die zwischenmenschlichen Beziehungen bestimmenden Einflüsse (politischer, wirtschaftlicher, sozialer, geschlechts- und altersspezifischer Art), insofern in Austausch stünden, als sie in den Verschiedenheiten nach Elementen gegenseitiger Bereicherung suchten. Das „Voneinanderlernen“ nimmt hier einen wesentlichen Aspekt ein; zentraler Gedanke ist das Suchen nach und das Hervorheben von Dingen, die uns einen, nicht nach jenen, die uns trennen. Angestrebt wird eine grundlegend offene Haltung von Gesellschaft und Individuen sowie ein interkulturelles Verhalten in der eigenen wie in der fremden Kultur. Ein möglicher Orientierungsrahmen für das Interkulturelle Management und dessen Aktivitäten in der globalen Wirtschaftswelt kann hier die Interkulturelle Philosophie sein. Hier setzen wir einen weiteren Grundstein für ein „vernünftiges“ Koexistieren ethnischer, kultureller und religiöser Majoritäten und Minoritäten. Handlungs- und Denkformen, die u.a. Trainingsangebote Interkulturellen Managements bestimmen, müssen sich der Verantwortung stellen, die MitarbeiterInnen der Corporate World mit den neuen Anforderungen und Erwartungen einer interkulturellen Weltwirtschaftsgemeinschaft vertraut zu machen. Wichtig ist nicht nur der Ansatz, durch eine Verbesserung der gegenseitigen Kommunikation und Interaktion einen tieferen Zugang und ein umfassenderes Verständnis zu und von Menschen aus anderen Lebensumfeldern zu bekommen, sondern eben auch jener, durch die Beschäftigung mit diversen kulturspezifischen und -generellen philosophischen Fragestellungen den Faktor Interkulturalität auf allen Ebenen einer Organisationsstruktur, lokal wie global, zu berücksichtigen. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei dem Implementieren von Interkultureller Kompetenz mittels interkultureller Trainings und Coachings geschenkt werden. So erscheinen mir gerade Ansätze der Interkulturellen Philosophie4 besonders bedeutsam bei der Frage nach einer aussagekräftigen Grundlage Interkulturellen Manage4

Hierbei beziehe ich mich v.a. auf die Konzepte der Philosophen Raul Fornet-Betancourt und Raimon Panikkar.

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ments und darausfolgend auch der entsprechenden Entwicklung von Trainingsansätzen und -methoden. Das Wissen um kulturspezifisch angemessene Lehr- und Lernformen sowie -methoden stellt gerade im Rahmen der interkulturellen Trainingsarbeit eine Herausforderung dar. Der Beitrag, den interkulturelles Philosophieren leistet, besteht – wie Raúl Fornet-Betancourt (1998) aufzeigt – zuerst in der Freilegung dessen, was in einem System verschwiegen und unsichtbar gemacht wird. Die Dimension des Interkulturellen erschöpfe sich nicht in „Information“ oder „Bereicherung“, sondern dränge zu einer umfassenden Veränderung, einer „Transformation“, so Raimon Panikkar (Fornet-Betancourt 2004: 29). Im interkulturellen Dialog treten Kulturen in einen dynamischen Prozess des Austauschs ein und suchen gemeinsam nach neuen Formen des Zusammenlebens in einer multikulturellen Weltgesellschaft. Transformatorische und kulturelle Wandlungsprozesse können nur gelingen, wenn eine Interaktion zwischen und eine Vermischung von verschiedenen kulturellen Orientierungen stattfindet. Als Hauptmodell Interkultureller Philosophie, welches hier als Basis des Interkulturellen Managements vorgeschlagen werden soll, verweise ich auf Fornet-Betancourts Modell. Sein Vorschlag, weg von einem monokulturellen Philosophiemodell hin zu einer radikal innovativen interkulturellen Transformation der Philosophie, stellt sich heute der Aufgabe, angesichts der neuen Wissens- und Kulturkonstellationen eine neue Gestalt in Form einer Interkulturellen Philosophie zu erschaffen. Seiner Meinung nach bildet der interkulturelle Dialog im heutigen Globalisierungszeitalter ein Programm zur Erarbeitung einer „alternativen Antwort“, die eine „Transformation und Neuorganisation der Universalität der Welt auf der Basis von solidarischer Kooperation und Kommunikation zwischen den verschiedenen Kulturräumen der Menschheit vorschlagen will“ (Fornet-Betancourt 1998: 158). Er versteht sie als Alternative der Hoffnungen all jener, die sich heute noch „andere mögliche Welten vorstellen“. Somit läge der tiefere Sinn des interkulturellen Dialogs in dem Wunsch nach einem Öffnen bzw. Aufbrechen der bisher gültigen kulturellen Systeme (begriffliche, symbolische und moralische), um die geltende Universalität neu zu strukturieren, Traditionen zu relativieren und zur Reflexion spezifischer kultureller Orientierungen beizutragen. Daher wird auch klar, dass der interkulturelle Dialog für ihn heute eine „Option für die Hoffnung“ darstellt. Fornet-Betancourt führt 7 Charakteristika (Fornet-Betancourt 1997: 59 ff)5, massgebend für die neue Gestalt einer Interkulturellen Philosophie, auf, deren Bedeutung für das Interkulturelle Management, insbesondere im indischen Kulturkontext, jeweils direkt im Anschluss an die einzelnen Punkte diskutiert werden sollen.

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Die einzelnen von Fornet-Betancourt benannten Punkte kennzeichne ich im Anschluss mit Kursivschrift.

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1. Eine interkulturelle Neugestaltung der Philosophie bedeute eine kreative Neufindung philosophischer Möglichkeiten, welche in einem kulturell von keiner Kulturtradition beherrschten oder kolonisierten Bereich gestaltet würden. Interkulturelles Management in Indien sucht nach einer kulturkontextuell angemessenen Form. Dabei spielt eine „Reformulierung der Erkenntnismittel durch eine Auseinandersetzung der Stimmen der Vernunft oder der Kulturen im Rahmen einer offenen Kommunikation“ (Fornet-Betancourt 1997: 114ff) eine entscheidende Rolle. Die gelebte Erfahrung in der modernen Corporate Welt zeigt, dass das Denken einer ontologischen und epistemologischen Differenzierung von „Orient“ und „Okzident“ nach wie vor die Sphäre des Zusammenarbeitens der meisten Menschen, trotz räumlichen Zusammenrückens, bestimmt und prägt. Der persönliche Umgang mit von aussen zugeschriebenen, angeblich „kulturspezifischen“ Verhaltens- und Kommunikationsformen, wird ebenso zur Herausforderung wie das permanente Austarieren innerer Empfindungen und Interpretationen von Einstellungen und Erwartungen anderer. Sarukkais Behauptung, „lived experience is not about freedom of experience but about the lack of freedom in an experience“ (Sarukkai 2007: 4045), erfährt gerade in der zwischenmenschlichen interkulturellen Erfahrung hervorhebenswerte Bedeutung. Dieser Mangel an Freiheit in der gelebten Erfahrung selbst bedingt sozusagen die Notwendigkeit des Menschen, sich in einem fortlaufenden Drahtseilakt oszillierender Visionen, nämlich jener des Eurozentrismus und jener des Asienzentrismus, des Ostens und des Westens, des Okzidents und des Orients etc., zurechtzufinden und an der „Dekonstruktion“ dieser Form kultureller Dichotomie im eigenen Denken zu arbeiten. „Those who have written on the importance of cultural divisions have been right to point to them, and yet the attempt to see these divisions in the over-aggregated form of East-West contrasts hides more than it reveals“ (Sen 2005: 137). Die reine Ermöglichung des Erfahrungmachens sagt letztlich noch nichts aus über die Tiefe und Qualität derselben und macht daher die eigene Thematisierung und Auseinandersetzung der langtradierten und vielschichtigen „Vision Orient“, deren Deutung zahlreiche verschiedene Formen annehmen kann, erforderlich. Die Fragmentierung starrer und fixierter Bilder, welche man über Generationen hinweg tradiert und welche sich nun in den Alltag unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit transportieren, stellt eine der wichtigsten Aufgaben dar, der sich Interkulturelles Management annehmen sollte. Je nachdem, wie sich uns die Welt und das Leben der anderen zeigen, gestalten wir unsere Vorstellungen und demzufolge unser Zusammenleben und -arbeiten. Hsu (1963) nennt beispielsweise die Chinesen situationszentriert, die Amerikaner individualzentriert und die Inder supernaturalzentriert (Sinha/Kumar 2004: 92). Mit dieser vorgenommenen Kategorisierung und der Nationalisierung von Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen werden Wahrnehmungen gelenkt und bestimmt. Gerade im Bereich des indischen Interkulturellen Managements finden wir überwiegend eine starke Orientierung an westlichen Modellen. Daher ist im Kontext ehemaliger kolonialisierter Kulturräume eine ständige Beschäftigung mit der historischen Vergangenheit, d.h. vor allem auch mit der jeweiligen Kolonialgeschichte, unverzicht287

bar. Es soll hier nur auszugsweise an die persönlichen Einschätzungen des „orientalischen Geistes und Wesens“ aus Sicht Lord Cromers erinnert werden. „Sir Alfred Lyall once said to me: ‚Accuracy is abhorrent to the Oriental mind. Every Anglo-Indian should always remember that maxim.‘ Want of accuracy, which easily degenerates into untruthfulness, is in fact the main characteristic of the Oriental mind“ (Said 1978: 38). Cromer machte nie einen Hehl aus dem Fakt, dass Orientalen für ihn lediglich “Humanmaterial” waren, welches es zu regieren galt. So meinte er zum Beispiel: „...I content myself with nothing the fact that somehow or other the Oriental generally acts, speaks, and thinks in a manner exactly opposite to the European“ (Said 1978: 39). Auf die nachhaltig machtvolle Wirkung derart tradierter Einschätzungen, Interpretationen und Urteile möchte ich an dieser Stelle nur hinweisen. Das weite Forschungsfeld des Orientalismus versuchte akademische, imaginative und historisch-materielle Bedeutungserklärungen gleichermassen zu analysieren und zu erörtern. Die asienzentrierte Forschungsrichtung, hier zu nennen die Methodologie der Kommunikationsforschung von Miike, kann als eine Gegenposition verstanden werden. Seine Theorie menschlicher Kommunikation sei hier erwähnt. Henze zitiert u.a. Miikes fünf „Asiacentric research objectives“: „(1) to critique misleading Eurocentric studies of Asian communication behaviors; (2) to preserve Asian cultural values and modes of communication; (3) to explore spiritual liberation through communication; (4) to depict multiple visions of harmony among complex relationships; and (5) to examine (inter)cultural communication needs and problems seen through Asian eyes. These interrelated research goals are designed to systematically advance the Asiacentric knowledge of human orientation (vgl. Miike 2003: 40)“ (Henze 2007: 304). Des weiteren betont Henze drei zentrale Annahmen, auf denen Miike das asienzentrische Paradigma seiner Kommunikationstheorie begründet: „1. The ontological assumption for an Asiacentric paradigm is that everyone and everything are interrelated across space and time (...). 2. The epistemological assumption for an Asiacentric paradigm is that everyone and everything become meaningful in relation to others (…). 3. The axiological assumption for an Asiacentric paradigm is that harmony is vital to the survival of everyone and everything (vgl. Miike 2002: 6)“ (Henze 2007: 306). Vergleichbarerweise entstanden in der Vergangenheit vermehrt indozentrische Annahmen bezüglich allgemeiner kulturtypischer Existenzformen. Was die Konstruktion eines solchen Portraits der indischen Kultur angeht, so sei das Ergebnis einer Forschungsstudie erwähnt, die ihre Herleitungen aus antiken Texten und Skripten gewann. Drei Hauptthemen, welche das „indische Wesen“ konstituierten, kristallisierten sich dabei heraus: kosmischer Kollektivismus (eine Weltsicht, nach welcher das Universum aus diversen Formen animierter und unanimierter Elemente bestehe, die miteinander verbunden seien durch einen zugrundeliegenden Einheitssinn, genannt brahman bzw. letztendliche Realität), hierarchische Ordnung (die Annahme, dass der Kosmos und alles in ihm Seiende hierarchisch organisiert sei) und spirituelle Orientierung (das Stre288

ben nach Perfektion durch spirituelle Übung werde als individuelle Aufgabe angesehen und könne daher als wesentlich individualistische Pflicht bezeichnet werden (Paranjpe 1988)) (Sinha/Kumar 2004: 92). Interkulturelles Management kommt nicht umhin, sich mit der Fragestellung nach der Gestaltung einer interkulturellen philosophischen Basis, welche den jeweiligen kulturellen Gruppen ihre eigene Sprache gibt und ihnen eine „Artikulation ihrer eigenen Logoi“ zugesteht, zu befassen. Es geht hier zum einen um die Ablegung ethnozentrischer Einstellungen, zum anderen aber auch um die kritische Hinterfragung einer blinden Übernahme von Konzepten, die in anderen Kulturräumen entwickelt worden sind. Dieser Gedanke gewinnt für den Bereich des Interkulturellen Managements im indischen Kulturraum an besonderer Bedeutung, da er zu einer radikalen Hinterfragung praktizierter Grundlagen auffordert. 2. Philosophie solle als offener Prozess verstanden werden, welcher philosophische Erfahrungen weltweit miteinbeziehe und sich somit von der komparativen Philosophie distanziere. Distanzierung von Komparation bedeutet immer auch die Möglichkeit der Anerkennung der eigenen Sichtweise bereits erfahren zu haben. Solange der Kampf um Anerkennung die Beziehung bestimmt, wird die Tendenz vorherrschen, ontologische Prinzipien zu etablieren, um die eigene Existenz zu sichern. In Bezug auf Miikes Ontologie asiatischer menschlicher Kommunikation, beschreibt Henze dieses Phänomen folgendermaßen: „Mit dieser Triade der kulturräumlichen Andersartigkeit (Relationalität, Zirkularität und Harmonie) gestaltet sich für Miike ein Asienzentrismus, der Differenzen zur westlichen Welt betont, um über die Konstruktion der asiatischen Andersartigkeit die Existenz einer theoretischen Alternative zur vorherrschend amerikanisch-europäischen Sicht zu begründen. Dabei erscheint Asien als ein eher homogener Kommunikationsraum, in dem – etwas unbeschadet jeweils vorherrschender religiöser Orientierungen – die Kommunikation in sozialen Gemeinschaften durch die Gleichzeitigkeit von Relationalität, Zirkularität und Harmonie geprägt ist“ (Henze 2007: 306f). Der Versuch der Überwindung eines polarisierenden und komparativen Ansatzes in der indischen Geschichte soll am Beispiel der „Design Pedagogy“ erläutert werden. Singanapalli Balaram betont die Errungenschaft des National Institutes of Design, hervorragende Aspekte der Designpädagogik aus aller Welt anzuerkennen, um so die positiven Aspekte der Sicht „unity in diversity“ zu betonen. Dem Vorwurf, Indiens Traditionen der mündlichen Überlieferung und des religiösen Mystizismus gingen einher mit einer geringeren Wertschätzung rationalen und wissenschaftlichen Denkens, widerlegt Balaram energisch mit dem Verweis auf die traditionelle kanonische Organisation von Lehre und Wissensfeldern – z.B. gab es spezielle Systeme für die Lehre des Skulptur Shilpa Shastra, des Tanzes Natya Shastra, der Musik Sangeetha Ratnakara oder der Architektur Vaastu Shastra (Balaram 2005: 11ff). Eine ähnliche Möglichkeit für das Feld der Diskussion im Interkulturellen Management könnte hier eine stärkere Rückbindung an eigenkulturelle Traditionen sein (z.B. wie bereits praktiziert die He289

ranziehung der Bhagavadgita für die Ausbildung von indischen ManagerInnen, etc.), jedoch ohne in die Falle einer kulturzentrischen Sicht zu treten. 3. Des Weiteren sei die interkulturelle Philosophie neu, da sie sich gegen eine mögliche Verabsolutierung des Eigenen in einer Kultur wende und im Gegenzug für Kooperation und Austausch stehe. Hierbei sei nochmals auf die Gefahr ethnozentrischer Einstellungen in konzeptuellen wie praktischen Bereichen Interkulturellen Managements verwiesen. In der heutigen Zeit der rapiden Transformation der soziokulturellen Realität des indischen Subkontinents ist wohl die Frage angebracht, welche Vorstellungen und Vorurteile gegenüber Menschen aus bestimmten Ländern und Kulturräumen (bezogen auf In- und Ausland) im eigenen Land sowie über das eigene Land in anderen Ländern vorherrschen und in wieweit diese die Zusammenarbeit in einem multikulturellen Corporate Kontext beeinflussen und verändern. Tendiert die „abendländische Welt“ noch immer dazu, den „Orient“ als statisches und falsch repräsentiertes Konstrukt zu konzipieren und viceversa? Kann man heute noch von dem Wunsch des „aufgeklärten Westens“ nach wirtschaftlicher Beherrschung des „mysteriösen Orients“ sprechen? Führt die Tatsache, dass sich bestimmte Berufsgruppen nun auf verschiedenen „Globalizational Scapes“ (Appadurai (1991) geht aus von der Existenz verschiedener globaler "Scapes"; diese nennt er „ethnoscapes, mediascapes, technoscapes, financescapes und ideoscapes), bewegen, wirklich zu einer veränderten Wahrnehmung der Dichotomie von Abendland und Morgenland? Verharren Repräsentationen Indiens im europäischen Raum bzw. Darstellungen Europas im indischen Raum noch immer grösstenteils in starren Schemata? D. Sinha betont in diesem Zusammenhang: „The values and behaviour are frequently attributed to Indians, according to a review by D. Sinha (1988), include fatalism, passivity, dependency, paranoid reaction, narcissism, insecurity, anxiety, authoritarianism, submission, indifference to contradictions (i.e., lack of rationality) and so on. The trend of relating personality and culture has continued in India (Nandy/Kakar 1980) and elsewhere (D’Andrade 1990; Lee/ McCaulay/Draguns 1999)“ (Sinha 2004: 91). Gelingt es dem Bereich des Interkulturellen Managements, eine sichere Lehr- und Lernkultur zu gestalten, um so überhaupt das Wagnis einer Revision bequemer und bekannter Schemata des Denkens einzugehen sowie eine Öffnung für ambiguose Interpretationen zuzulassen? Wie „dekonstruieren“ wir im Kontext der internationalen Zusammenarbeit auf sensible Art und Weise Autorität und damit Zuschreibungen und (Vor)urteile? Wie gehen wir um mit Darstellungen kultureller Muster und der Identifizierung mit bzw. der Einbettung unserer eigenen Person in dieselben? Die Absolutismen in den Köpfen der Menschen zu brechen, jene für eine kreative Form des Dialogs füreinander zu öffnen sowie einer Eins-zu-eins-Projizierung eigener Erwartungshaltungen zu begegnen, stellen große Anforderungen an den Bereich. 290

4. Neu sei sie außerdem, weil sie „jegliche einschränkende hermeneutische Haltung verweigere“ und sich nicht an einem allgemeingültigen Modell orientieren möchte, sondern vielmehr unter Berücksichtigung vieler unterschiedlicher Stimmen eine neue Auslegung des Eigenen und des Fremden in ihren Entstehungsprozess miteinbeziehe. Gerade der Bereich des Interkulturellen Managements selbst, dessen Pflicht es ist, eine differenzierte und fundierte Beschreibung des Begriffs der Interkulturalität zu erarbeiten, limitiert sich selbst erstaunlich häufig durch die Auswahl weniger, aus einem Kulturkreis stammenden, Konzepte und riskiert damit ein Fehlschlagen ihrer Wirksamkeit und Verstehbarkeit. So kritisieren Sinha/Kumar (2004) beispielsweise, der im Westen angewandte reduktionistische Ansatz verträte eine derart enge mikroskopische Sicht, dass nur Fragmente der indischen Realität in den Fokus gerückt werden könnten, welche daher oftmals trivial und bedeutungslos seien. Der Anspruch westlicher Theorien und Konzepte auf universale Gültigkeit, sei daher im indischen Kontext nicht haltbar. „The roots of the inconsistent findings was partly located in the use of alien concepts (e.g., caste was equated with race, communalism with anti-Semitism, and untouchables with American Blacks (see Nandy 1974) and was partly methodological (J.B.P. Sinha 1973)“ (Sinha/Kumar 2004: 96). Die Wahl der angemessenen Vorgehensweise bei der Erforschung eines bestimmten Kulturraums spielt eine fundamentale Rolle. Sinha/Kumar unterstreichen in ihrer Methodologie indischen Kulturverstehens die Notwendigkeit kritischer Revision und Reflektion folgender Ansätze: 1. The Culture-Personality Approach, 2. Inferences from Texts and Scriptures, 3. The Reductionist-Positivist Approach, 4. The Human Relations-Oriented Approach, 5. The Etic Approach (Sinha/Kumar 2004: 90ff). Einen „Mittelweg“ gilt es auch bei der Analyse der Resultate dieser fünf Ansätze zu finden. Die Schwierigkeit hierbei wird deutlich an folgendem Auszug: „The etic approach suffers from a number of limitations. The approach that is started from one culture and „imposed“ on other cultures is likely to turn ethnocentric (Nisbet 1971) and may be guided more by the desire to prove the universality of theories and concepts than by their relevance (D. Sinha 1998). Further, the etics do not always have construct and metric equivalence (Hulin 1987). Construct equivalence means that the concept carries the same meaning and its measurement holds the same relationship in all the sampled cultures. Metric equivalence implies that the individuals having the same score on a dimension, irrespective of the level of their cultures on that dimension, have the same probability of endorsing that dimensions. There was plenty of evidence that neither of the two criteria was always met“ (Sinha/Kumar 2004: 96f). Wie gelingt es uns also im Bereich des Interkulturellen Managements einerseits die Bereitschaft zur Verunsicherung der eigenen Standpunkte zu kultivieren und andererseits an eigenen Überzeugungen festzuhalten? Welche Theorien werden angewandt und in welcher Form werden in diesem Kontext Kulturstandards oder -dimensionen in die Diskussion mit einbezogen? Wie bekannt ist, wurden die meisten Kulturdimensionsstudien von westlichen ForscherInnen durchgeführt, welche Kulturen entweder auf polaren Dimensionen ansiedelten oder in Gruppen einteilten. Bei Revisionen einiger 291

Studienergebnisse über die Beschaffenheit der indischen Kultur stellte sich heraus, dass manche Kulturdimensionen weder mit jenen von Organisationen übereinstimmten, noch diese Auskunft über Organisationspraktiken oder das Verhalten der Menschen gaben. Die indische Kultur wurde als eine kollektivistische Kultur bewertet, während „die InderInnen“ als zugleich kollektivistisch und individualistisch befunden wurden, da sie beide Seiten je nach Situation in ihrem Verhalten und ihrem Handeln zeigten (Sinha et al. 2001; Sinha et al. 2002). Die Berücksichtigung von Lehr- und Lerntraditionen, welche in einem bestimmten Kulturraum gängig sind, bestimmen in hohem Masse Erfolg und Misserfolg eines Prozesses. Z.B. kann die Wahl der kulturspezifisch anerkannten Methode in hohem Masse die Lernmotivation der Teilnehmenden bestimmen. An dieser Stelle möchte ich nur auf die reiche Vergangenheit indischer Lerntraditionen hinweisen, die Berücksichtigung finden müssen, um die Lern- und Lehrsituation innerhalb einer Corporate überhaupt einschätzen und gestalten zu können. Das „Hören“ – Śruti bzw. Shruti (Sanskrit, "gehört"), das auf die hinduistische Schrift des Veda zurückgeht, von Weisen „gehörtes“ Wissen, welches ursprünglich mündlich über Jahrhunderte in Form von Liedern und Rezitationen überliefert und erst ab dem 5. Jahrhundert n.Chr. schriftlich erfasst wurde – , sowie das „Erinnern“ – Smriti (Sanskrit, "was erinnert wird"), das einen Kanon der hinduistischen Literatur bezeichnet, hat höheren Stellenwert, da die Weisen die Inhalte direkt "gehört" haben sollen und daher als Offenbarungen galten – , geniessen in der indischen Lerntradition besonders hohen Stellenwert. Noch heute sind diese Lernformen, wenn auch vielleicht nicht mehr explizit, noch existent und beeinflussen die Art und Weise des Lehrens und Lernens. Der Rolle der Trainer- bzw. der Lehrperson kommt hier eine Schlüsselfunktion zu. Es stellt sich die Frage, inwiefern der Lehrende selbst durchdrungen ist von einer multirationalen Dynamik und Offenheit und inwiefern gewillt, sich dem Prozess einer perpetuosen Selbsthinterfragung und Erschütterung der eigenen Kenntnisse bzw. der eigenen Wahrheit hinzugeben? 5. Charakteristisch für die interkulturelle Philosophie sei zudem ihre Dezentralisierung, ihr Anti(euro)zentrismus und ihre Loslösung von einer einseitigen und ausschließenden Interpretation6, jedoch ohne eine Abwertung des eigenen kulturellen Bereichs. Wichtig sei der Gedanke der Entwicklung einer interdiskursiven Vernunft. Eines der bekanntesten Beispiele der Entwicklung einer interdiskursiven Vernunft in der indischen Mythologie ist wohl der Dialog zwischen Krishna und Arjuna um das moralisch Richtige. So wird in der Bhagavadgita (Radhakrishnan 2006), einem Teil der Mahabharata, folgende Geschichte erzählt: Am Abend vor der grossen Schlacht7, welche das zentrale Ereignis der Mahabharata darstellt, liefern sich die beiden ein 6

Damit ist jegliche das Andere ausschließende philosophische Tendenz gemeint; weder dem Eurozentrismus noch dem US-Amerikazentrismus, dem Sinozentrismus, dem Afro- oder Lateinamerikazentrismus soll Raum gegeben werden. 7 Hier ist die Rede vom Krieg zwischen der royalen Familie der Pandavas und jener der Kauravas, den unrechtmässigen Machthabern.

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Streitgespräch, in welchem Krishna die moralische Pflicht des Menschen betont und Arjuna an die negativen Konsequenzen einer Handlung erinnert und daher an die Vermeidung derselben appelliert. Arjuna fragt, ob ein Handeln als moralisch gelte, wenn man nur um der Gerechtigkeit willen der eigenen Pflicht gehorche und dem durch einen Krieg entstehende menschliche Leid gleichgültig gegenüber stünde. Krishna widerspricht Arjuna und unterstreicht die unablässliche und unbedingte Pflicht des Menschen und die Priorität deren Ausübung, ohne Blick auf die Konsequenzen. Er drängt Arjuna zum Kampf, unabhängig von dessen Abwiegen der Konsequenzen. Doch die für die Hindu-Philosophie so bedeutsame Zerstreuung der Zweifel Arjunas, die ja v.a. besagt, man solle nicht an das Ergebnis einer Handlung, sondern an die reine Pflicherfüllung denken, wird in der Nachkriegsszene wiederaufgenommen und kritisch reflektiert. Hier erfährt Arjunas profunder Zweifel Rechtfertigung, so dass am Ende beide Seiten ihre Gültigkeit und ihre Art der vernünftigen Argumentation bewahren. Das Besondere an dieser Debatte ist, dass es zwei vernünftige Standpunkte gibt, welche beide mit Sorgfalt und Sympathie vertreten werden (Sen 2005: 3ff). An dieser Stelle sei zu bemerken, dass Lannoy (1971) die Behauptung aufstellte, „Inder“ folgten einer nicht-sequentiellen Logik. Diese zeige sich daran, dass Handlungen nicht aufgrund der von ihnen produzierten Ergebnisse (z.B. nishakam karm) beurteilt würden, sondern eher um ihrer selbst willen; auch würden das Tatsächliche und das Ideale nicht getrennt (Sinha/Kumar 2004: 92). „Es handelt sich um einen im höchsten Maße polyphonen Prozess, in dem die Abstimmung und Harmonie der verschiedenen Stimmen durch den kontinuierlichen Kontrast zum anderen und dem kontinuierlichen Lernen aus seinen Einsichten und Erfahrungen stattfinden (Panikkar 1990: 71 ff).“ Daher ist anzunehmen, dass die Idee einer kulturkontextuellen Philosophie Interkulturellen Managements, welche sich der „Polyphonie“ der vielfältigen Stimmen öffnet und einem Ansatz folgt, der sich nicht in erster Linie mit anderen Modellen der Branche vergleichen möchte, sondern vielmehr versucht sich organisch, firmen- wie standortspezifisch heranzubilden, im indischen Kulturraum fruchtbaren Boden findet. Die Vorstellung der indischen „Einheit in Vielheit“ sowie das Thema der Kommunikation sind Felder, welchen sich Raimon Panikkar zeit seines Lebens gewidmet hat. „…We can use language to communicate with one another or to wound each other. Many people use language mainly to convince the other person – to win. Others are only prepared to think in their own language and through lack of communication with outsiders impoverish themselves. However, you can also use language to have a real conversation, a dialogue, when you use words to get through to the common spirit.“ (Panikkar 2004: 3). Die Beziehung von Sprache und Kommunikation, die Panikkar hier hervorhebt, kann auf den Bereich der Kommunikation im Allgemeinen ausgeweitet werden. Jegliche Art von Kommunikation, verbal, non- oder paraverbal, birgt das Potential des Missverständnisses und Konflikts. Henze zitiert zu demselben Thema die Aussage von Chen und Starosta: „In other words, the key to an effective human communication (...) 293

is to understand that differences exist in the similarity, and to pursue the unity from the differences (vgl. Chen und Starosta 2003: 5)“ (Henze 2007: 307). 6. Eine weitere Neuheit liege in der Möglichkeit einer permanenten dynamischen Transkulturation und gegenseitigen Bereicherung, indem wir zum einen unsere Traditionen transportieren und zugleich zulassen, dass andere Traditionen in unserem Bereich transportiert werden. Die Herausforderung der „permanenten dynamischen Transkulturation“ des Feldes Interkulturelles Management erfordert eine ausführliche Analyse unserer Wahrnehmungen. Die „Dissimilarität der Wahrnehmungen“ (Sen 2005: 140) war stets eine der wichtigen Besonderheiten westlicher Interpretationen des indischen Kulturraums. Wir stehen bei der Charakterisierung Indiens vielmehr nicht, wie Said (1978) meint, einer einheitlichen und uniformen westlichen Sichtweise gegenüber, sondern vielen unter8 schiedlichen westlichen Interpretationsformen. Sind wir folglich in der Lage, unsere Wahrnehmungen oder Erfahrungen ausreichend zu reflektieren und zu analysieren, um die Tatsache wissend, dass diese nicht unbeirrbar sind? An dieser Stelle möchte ich auf die Frage eingehen, was es für den interkulturellen Kontext bedeutet, sich dem unerschöpflichen Wesen der Wahrnehmung mutig zu öffnen, sich zu fragen und ob die Welt so existiere, wie sie in den Sinneswahrnehmungen vorkommt. Können wir mit der Beirrbarkeit der Quellen der Wahrheit(en) in unseren Wahrnehmungen leben, auch wenn all dies bedeutet, den Glauben und das Vertrauen zu den Sinneswahrnehmungen in Frage zu stellen? Den Glauben daran, dass die Vielfalt der Welt existiere und zwar so existiere, wie sie dem Menschen vorkomme, so wie es ihm seine alltäglichen Wahrnehmungen über die Sinnesorgane zu bestätigen scheinen, stellt Sankaracarya in Frage. Eine seiner Erfahrungen diesbezüglich wird folgendermassen beschrieben: „In der Mittagssonne am Strand glänzt etwas wie ein Silbergegenstand; bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Silbergegenstand als eine Muschel. Die zweite Wahrnehmung widerspricht der ersten Wahrnehmung. Philosophie muss diesem Fehler in der Wahrnehmung Rechnung tragen. Für Sankaracarya, einen idealistischen Philosophen, liegt der Grund des Fehlers in der subjektiven Wahrnehmung des Individuums und in der Beschaffenheit seiner Sinnesorgane. Sie sind so beschaffen, dass sie auf die Muschel einen Silbergegenstand projizieren, wodurch eine falsche Wahrnehmung zustande kommt. Nur eine nähere Betrachtung hebt die falsche Wahrnehmung oder Illusion auf und macht Platz für die richtige Erkenntnis. Auf ähnliche Weise projiziert der Mensch vieles – und das heisst eben auch viel Falsches – auf das Eine, welches das brahman heisst, und er sieht in dem einen unterschiedslosen Brahman oder, wenn wir eine ungefähre Entsprechung in westlichen Denkströmungen verwenden, in dem unterschiedslosen universellen Bewusstsein die Vielfalt der Welt.“ (Gunturu 2000: 148f).

8

Diese Versuche, Indien zu verstehen unterteilt Sen beispielsweise in drei Kategorien: exoticist, magisterial, curatorial (vgl. Sen 2005: 141).

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7. Das Erreichen von Universalität, die nach einer solidarischen Anerkennung unterschiedlicher Universi unserer Welt strebe, stelle ebenso einen neuen Aspekt einer interkulturellen Philosophie dar. Diese notwendigen wirklichen Begegnungen verschiedener Rationalitäten, der Zugang zu anderen Formen von Intelligibilitäten, müssen eine stärkere Berücksichtigung und Ausdruck im Alltag des Interkulturellen Managements finden. Das Denken in seiner Gesamtheit ist, so kann man es vielleicht beschreiben, durch einen anderen Zugang zur Immanenz gekennzeichnet. Fornet-Betancourt ist der Meinung, die Philosophie solle auf methodologischer Ebene sowohl von der Interdisziplinarität, d.h. der Methode des Beratens, als auch von der Interkulturalität, als neue Form des solidarischen Austauschs zwischen den Kulturen, bestimmt sein (Fornet-Betancourt 1997: 128). Benötigt das Interkulturelle Management nicht eine Vertiefung der Auseinandersetzung mit Themen wie „Kontextualität“, „Kulturalität“ und „Historizität“, um einer reinen unreflektierten Übernahme von Gedankengut bzw. einseitigen Überstülpung desselben zu begegnen? Die enge Verbindung von Selbstbild sowie Eigenidentität und Kolonialgeschichte in Indien soll am folgenden Beispiel betont werden: „...the self-identity of post-colonial societies is deeply affected by the power of the colonial cultures and their forms of thought and classification. Those who prefer to pursue a more “indigenous” approach often opt for a characterization of Indian culture and society that is rather self-consciously “distant” from Western traditions. There is much interest in “recovering” a distinctly Indian focus in Indian culture.“ (Sen 2005: 139). Daher erfährt Fornet-Betancourts Aufruf: „Wir müssen nicht mit dem Dialog selbst beginnen, sondern mit der Frage nach den Bedingungen des Dialogs“ (Fornet-Betancourt, 2001: 177)9 besondere Aktualität. Diese Idee erscheint gerade für die Entwicklung interkultureller Managementansätze in Indien relevant. Fornet-Betancourt plädiert ferner für einen Entwurf einer über die Grenzen unserer Verstehenstheorie überschreitenden Rationalitätsform, die einen Perspektivenwechsel insofern zulasse, als sie uns die Chance gäbe, die Welt aus Sicht der Anderen zu sehen. Anhand von zwei Beispielen sollen Perspektiven des indischen Arbeits- und Lebenswelt beschrieben werden. Spricht man im indischen Kulturraum von erstrebenswerten Zielen, so bezieht man sich v.a. auf die Erfüllung sozialer Angelegenheiten wie z.B. eine gute Person zu sein, das Wohlergehen anderer zu berücksichtigen, die eigene Pflicht zu erfüllen, anderen zu helfen, sowie in der Lage zu sein, Zuneigung von älteren Menschen zu gewinnen (Sinha/Kumar 2004: 97). Für den indischen Raum wurde empirisch nachgewiesen, dass Menschen, die sich stark an der Haltung nishakam karm, was soviel heisst wie ernsthaftes Arbeiten ohne Erwartungshaltung, orientieren, vergleichsweise weniger arbeitsbedingten Stress erfahren. Das traditionelle Konstrukt der drei gunas (Temperamentformen) wurde in einer Studie bestätigt, welche zeigte, dass sattva (Reinheit in Gedanken und Handlungen) einen förderlichen Effekt, tamas (Dunkelheit 9

Im Original: „No hay que empezar por el diálogo, sino con la pregunta por las condiciones del diálogo.” (Zitat übersetzt von der Autorin).

295

oder Traegheit) und negative rajas (Stress) auf Manager eine die Arbeitsethik sowie eine die persönliche und organisatorische Effektivität schwächende Wirkung hatte (Sinha/Kumar 2004: 99). Nicht allein die Fähigkeiten verschiedene Lebenseinstellungen zu vereinen und Diversität wie auch Widersprüche zu harmonisieren, bilden u.a. die Stärke der traditionellen indischen Philosophie.

4 Schlussfolgerung „Die wechselseitige Beziehung ist kosmische Pflicht.“ (Estermann 1999: 151). Grundlegende Überzeugungen interkultureller Philosophieströmungen können Konzepte Interkulturellen Managements untermauern und bereichern. Grundlagen der traditionellen indischen Philosophie können hierbei von besonderer Bedeutung sein. Zum Beispiel ist die Figur Lord Shivas als Sinnbild des Weltursprungs, als Essenz der Veden und als eine der mächtigsten Gottheiten der hinduistischen Mythologie, sowohl Schöpfer des Tanzes (Nataraja) der Zerstörung und Befreiung – Roudra Tandava – , als auch des Tanzes der Freude – Ananda Tandava . Unter seinem linken Fuss liegt begraben die Ignoranz und aus seinem Kopf entspringt das lebensspendende Wasser. Lord Shiva ist die reproduktive Macht, welche schafft, zerstört und erneutert. Die Befreiung von Unwissenheit gilt als oberste Errungenschaft des Menschen. Als Nataraja, Schöpfer des Tanzes, steht er für die Verbindung der Dinge, für das konstante Formen, Auflösen und Wiederzusammenfügen der Welt. Dieses Thema wäre allerdings in einem anderen Rahmen ausführlicher zu erörtern. Das hier vorgestellte Konzept einer „kontextualisierten und philosophisch fundierten Form Interkulturellen Managements“ kann im Kontext der indischen Wirtschaftswelt diskutiert werden. Ziele einer philosophischen Reflektion des Interkulturbegriffs im Rahmen des Interkulturellen Managements sind zum einen sicherlich die Hervorhebung der autochthonen und lokalen kulturellen Muster, zum anderen die Gestaltung und Erhaltung einer Corporate Culture, welche lokalen wie globalen Anforderungen gleichermassen entspricht. Wir können sagen, dass MitarbeiterInnen jeder Firma in dem System der Corporate World heute in der Fähigkeit geschult werden, die Stimmen der Kultur(en) wahrzunehmen. Internationale Wirtschaftskooperation soll und muss mehr sein als reines Geschäft; sie ist ebenso Ausdruck einer „kosmischen Gerechtigkeit“, und dieses „kosmische Gleichgewicht bedarf der Reziprozität der Handlungen und der Komplementarität der Handlungsträger“ (Estermann 1999: 151). Einseitige Beziehungen, d.h. ein Ungleichgewicht in der Komplementarität, wobei zum Beispiel ein Teil zu aktiv, der andere zu passiv bliebe, kann sich langfristig nur nachteilig auswirken. Wie die Corporate Welt künftig mit Differenz in multikulturellen virtuellen Teams umgeht und wie sie diese als Stärke zu nutzen weiss, sind und bleiben die zentralen Themen in der internationalen Organisationswentwicklung. Der Zelebrierung der Differenz widmet Satyajit Ray folgende Zeilen:

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„What should you put in your films? What can you leave out? Would you leave the city behind and got o the village where the cows graze in the endless fields and the shepherd plays the flute? You can make a film here that would be pure and fresh and have the delicate rhythm of a boatman’s song. Or would you rather go back in time – way back to the Epics, where the gods and the demons took sides in the great battle where brother killed brother and Lord Krishna revivified a desolate prince with the words of the Gita? One could do exciting things here, using the great mimetic tradition of the Kathakali, as the Japanese use their Noh and Kabuki. Or would you rather stay where you are, right in the present, in the heart of this monstrous, teeming, bewildering city, and try to orchestrate its dizzying contrasts of sight and sound and milieu?” (Sen 2005: 138).

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Interkulturelle Mediation als Konfliktlösung in Organisationen Katharina Kriegel Mediation, „the sleeping giant of business dispute resolution“ Henry und Liebermann (1985); zit. in: Kessen (2000).

Können wir Mediation als angemessene und effektive Methode der Konfliktbearbeitung für Unternehmen beschreiben? Die Frage lässt sich anhand theoretischer Reflexionen sowie mit Hilfe empirischen Materials klar mit ja beantworten (vgl. Duve/Eidenmüller/Hacke 2003; Pühl 2006). Welche Relevanz hat die Mediation darüber hinaus für die Bearbeitung von Konflikten in interkulturellen Unternehmenskontexten? Aus der stetig fortschreitenden internationalen Liberalisierung der Märkte resultieren weltweite Unternehmensfusionen und interkulturelle Teamzusammensetzungen. Diese Prozesse verlaufen selten reibungsarm. Interne und externe Kooperationen mit fremdkulturellen Partnern können zu Konflikten führen, die Unternehmenserfolge mindern oder gar gefährden. Untersuchungen dokumentieren eindrucksvoll, wie die Komplexität von Konflikten (ihre Entstehung und Austragung) sich deutlich erhöht, wenn Menschen verschiedener Kulturen interagieren (vgl. Bergemann/Sourisseaux 2003). Für uns ist die Frage entscheidend: Was passiert, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen miteinander agieren – überdies wenn sie sich in einem Konflikt miteinander befinden? Wie Erfahrungen zeigen, werden solche kulturellen Spezifika, wie sie in kontrastiven (und damit letztlich absichtlich im wahrsten Sinne des Wortes einseitigen) Darstellungen von Kulturdimensionen- und Standards abgebildet werden, in interkulturellen Handlungen von Individuen nicht reproduziert (vgl. Bolten 2003: 369). Die oft zitierten Ergebnisse kulturvergleichender Studien in Bezug bspw. auf die kulturelle Prägung von Management und Führungsstilen, Organisation oder Hierarchieverständnis geben einen Eindruck von Differenz durch eine auf Kontrast orientierte Darstellung, sind aber in ihrer Aussagekraft beschränkt, denn sie vermögen keine Auskunft über die Prozessverläufe interkultureller Interaktionen zu geben. Fragen wir uns jedoch: Unter welchen Umständen und wie (stark) wirken sich kulturelle Faktoren auf das Verhalten der Akteure und den Konfliktverlauf aus? Welchen Einfluss übt Stress auf Individuen in interkulturellen Prozessen aus? - dann sind die Antworten so formulierter interkultureller Fragestellungen auch für die Mediation relevant. Und dies gerade dort, wo es um die Bearbeitung von Konflikten in interkulturellen Unternehmenskontexten geht.

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Der erste Teil des vorliegenden Aufsatzes widmet sich den Vorteilen der Mediation für die Bearbeitung von Konflikten (1). Anschließend werden die Herausforderungen diskutiert, die sich an eine Interkulturelle Mediation stellen (2). Drittens schließlich soll kurz skizziert werden, wo Mediation im Kontext interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung angesiedelt werden sollte (3).

1 Welche Vorteile bietet die Mediation für die Bearbeitung von Konflikten? Ein Indikator dafür, dass dezidierte Kenntnisse über Mediation im Unternehmenskontext fehlen, ist die häufig anzutreffende schwammige Begriffsdefinition: In Unternehmen werden derzeit einige Verfahren unter dem Begriff Mediation subsumiert, die sich in Struktur und Zielsetzung von Mediation deutlich unterscheiden und in denen vor allem der dritten Person eine gänzlich andere Funktion zukommt; so bspw. bei Schlichtung, Schiedsverfahren oder beratenden Interventionen (vgl. Kessen 2000: 98). In einer Mediation hat die dritte Person weder ein Entscheidungsrecht noch unterbreitet sie inhaltliche Vorschläge. Handlungsleitendes Konzept dabei ist die Vorstellung, dass die Expertise über inhaltliche Streitpunkte bei den Konfliktbeteiligten liegt. Die Verantwortung über die zu verhandelnden Inhalte obliegt allein ihnen. Dieses Wesensmerkmal der Mediation und ihr wichtigstes Abgrenzungskriterium zu anderen Methoden lässt sich weiter wie folgt beschreiben: Die Konfliktbeteiligten geben die Entscheidung über die Inhalte ihrer Lösung zu keinem Zeitpunkt aus der Hand (vgl. Tiefenbacher 2005: 120). Die Aufgabe der dritten Person ist es, die Konfliktparteien durch einen strukturierten Prozess der Konfliktbearbeitung zu führen. Diese Prozesskompetenz des Mediators ist besonders wichtig, da man in eskalierten Konflikten kaum noch von autonomen Handeln der Konfliktbeteiligten sprechen kann: Konflikte entwickeln sich oft zu symmetrischen Selbstläufern, denen die Beteiligten nicht mehr selbst bestimmt gegenüberstehen, sondern in deren Dynamik sie verwickelt werden und die sie in ihrem Verhalten dominiert (vgl. Ballreich/Glasl 2007: 21ff). Die Autonomie1 der Konfliktbeteiligten wieder herzustellen und es zu ermöglichen, Interessen und Optionen in einem geschützten Rahmen zu verhandeln, ist Aufgabe des Mediators. Weder als Objekt noch als Akteur in den Konflikt involviert, trägt der Mediator die Verantwortung für das Kommunikations- und Interaktionsgeschehen vom ersten Kontakt bis zur Mediationsvereinbarung. Das destruktive Streitmuster wird durch zielgerichtete Kommunikation und neue Interaktionsregeln durchbrochen. Die Haltung der Konfliktparteien verändert sich in der Weise, dass nicht mehr der Andere als das eigentliche Problem angesehen wird, sondern dass die gemeinsame Aufgabe, einen von beiden Seiten produzierten Konflikt in der gemeinsamen Verantwortung zu lösen, im Vordergrund steht (vgl. Besemer 1998: 24f). Dabei kennzeichnet die Mediation ei1 Im Gegensatz zu Willkürfreiheit verstanden als vernunftgeleitete Handlungsfreiheit, zielt dieser Begriff auf die Qualität der inter-individuellen Interaktion (vgl. Brumlik 1992).

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2

ne hohe Ergebnisorientierung . Ihr Ziel ist eine auf den spezifischen Streitfall ausgerichtete Lösung, die auf dem Konsens der Konfliktparteien beruht. Dieses Ziel erreicht die Mediation, indem sie den Konflikt so bearbeitet, dass alle für den Konflikt relevanten Themen identifiziert, die damit verbundenen Interessen und Bedürfnisse erarbeitet und vielfältige Optionen gebildet werden sowie auf der Interessensgrundlage über Lösungen verhandelt wird. In die Konfliktbearbeitung der Parteien wird also vor allem strukturell eingegriffen: Im Durchlaufen von Phasen mit jeweils eigenen Schwerpunkten und Zielen hilft der Mediator, die Komplexität des Konfliktes zu strukturieren und ihr somit gerecht zu werden. Das für eine tragfähige Lösung notwendige genaue und umfassende Gesamtbild der Situation wird gemeinsam erarbeitet. Entscheidendes Kriterium für eine hohe Wirksamkeit dieses Konfliktbearbeitungsverfahrens ist die neue Qualität der Verständigung3. Die Haltung des Mediators ist dabei eine oft als neutral, häufiger als eine allparteilich bezeichnete, da er sowohl den Anliegen der einen als auch der anderen Konfliktpartei verpflichtet ist und diesen gleichermaßen Raum gibt. Die subjektiven Wirklichkeiten und jeweils damit verbundenen Geltungsansprüche besitzen für den Mediator gleiche Gültigkeit. Das Neutralitätspostulat in der Mediation darf jedoch nicht missdeutet werden: Es bezieht sich ausschließlich auf inhaltliche Fragen des Konfliktes, nicht jedoch auf die Verfahrensführung. Wer Kommunikation steuern will, muss in diese eingreifen. Eine definitorische Annäherung an diese Methode könnte lauten:

Mediation ist eine ̶ außergerichtliche Form der Konfliktbearbeitung, ̶ bei der alle am Konflikt Beteiligten ̶ mit Unterstützung eines externen, allparteilichen Dritten (des Mediators) ̶ eigenverantwortlich und gemeinsam ̶ zukunfts- und lösungsorientiert ̶ im Durchlaufen mehrerer Phasen ̶ regelgeleitet ̶ sich einer Verständigung annähern und ̶ eine tragfähige Konfliktregelung erarbeiten, ̶ die sie in einer verbindlichen Vereinbarung festhalten.

2 Als zukunftsorientierte Methode geht es der Mediation nicht um die Aufarbeitung von Konfliktursachen sondern um die Erarbeitung von tragfähigen Lösungen. 3 Für eine kommunikationswissenschaftliche Argumentation der Wirkungszusammenhänge vgl. Kriegel 2006: 46-52.

303

Wie verbindlich ist aber nun diese Vereinbarung, die auf freiwilliger Mitwirkung basiert? Hat sie Folgen? Studien zufolge besteht nach wie vor ein großes Informationsdefizit, was die Absicherung von Ergebnissen betrifft, die in der Mediation erarbeitet wurden (vgl. Wellmann et al. 2008: 152). Der Glaube scheint zu existieren, dass es den Konfliktparteien überlassen bleibt, die in außergerichtlichen Konfliktbearbeitungsverfahren erzielten Vereinbarungen auch tatsächlich umzusetzen. Sich auf Prozesse einzulassen, deren Resultate als unverbindlich angesehen werden, mag Widerstand dem Verfahren gegenüber erzeugen. Erfolgreiche Einigungsversuche bleiben jedoch nicht folgenlos: Die schriftlich fixierte Vereinbarung kann zu einem rechtskräftigen Vertrag ausgebaut werden. In juristischer Hinsicht sind Mediationsverträge vollstreckbare Titel – ihre Durchsetzung kann erwirkt werden. Diese Tatsache „[…] mag dazu beitragen, die Akzeptanz von Mediation als Instrument der Konfliktbewältigung gerade bei Wirtschaftsstreitigkeiten zu erhöhen“ (Eidenmüller 2001: 44 f)4. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive kann ergänzt werden: Mediationsverträge zeugen – neben ihrer Rechtswirksamkeit – von einer hohen Bindungskraft. Dadurch, dass die Entscheidungsgewalt während des gesamten Verfahrens bei den Konfliktparteien verbleibt, Lösungen nicht von Dritten vorgegeben, sondern selbst erarbeitet werden und auf einem Konsens aller Beteiligten basieren, fühlen sich diese an die Umsetzung gebunden. Die in Mediationen erzielten Ergebnisse werden als nachhaltig charakterisiert. Die Leistungsfähigkeit der Mediation liegt also vor allem dort, wo Menschen auch nach Beendigung eines Konflikts noch miteinander umgehen müssen5. Im Unternehmenskontext wird durch diese Form der Konfliktbearbeitung „das Band der gemeinsamen Arbeitsaufgabe“ (Pühl 2006: 10) nicht zerstört. Nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten der Effizienz und Effektivität weist Mediation fünf entscheidende Vorteile gegenüber den herkömmlichen Konfliktbearbeitungsformen auf: a) Die Konfliktparteien behalten die Kontrolle über den Verhandlungsprozess, b) anders als bei Prozessen vor Gericht, wirkt sich die Mediation nicht negativ auf den Ruf des Unternehmens aus, c) die Mediation kann zeitnah begonnen werden und ermöglicht eine zügige Bearbeitung des Konfliktes bei in der Regel bis zu 6 Sitzungen, d) sie produziert wesentlich weniger Kosten6 und e) erzielt eine hohe Einigungsquote, was wiederum die Leistungsfähigkeit der Organisation steigert.

4 Eidenmüller (ebd.) informiert in seinem Buch über wesentliche rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, die die praktische Durchführung von Mediation, Mediationsvereinbarungen- und Verträge, Mediationsvergleiche und die rechtliche Ausgestaltung internationaler Mediationsfälle betreffen (bspw. Mitwirkungspflicht, Sicherung der Vertraulichkeit, Vollstreckbarkeit, Schutz vor Verjährungseintritt). 5 Nach den Erfahrungen von Duve et al. (2003: 61) kommt die Mediation auch bei Wirtschaftskonflikten in Frage, in denen zuvor keine Beziehung zwischen den Konfliktparteien bestand bzw. in denen die Konfliktparteien nach langjähriger Beziehung sich so trennen wollen, dass kein weiterer Schaden entsteht.

6

„Im Vergleich mit Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren lässt sich […] zeigen, dass die direkten Verfahrenskosten einer Mediation diejenigen von Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren deutlich unterschreiten. Dieser Kostenvorteil ist so hoch, dass er auch dann noch besteht, wenn die Mediation nur in 2/3 der Fälle zu einer Einigung führt […]“ (Eidenmüller 2001: 5). Mediatoren werden in der Regel nach Stundensatz, nicht nach Streitwert bezahlt.

304

2 Welche Herausforderungen stellen sich an Interkulturelle Mediation? Bislang stellt die Interkulturelle Mediation in der Wirtschaft keinen eigenständigen Anwendungsbereich dar (vgl. Tiefenbacher 2005: 309). In Deutschland existieren derzeit noch wenig dokumentierte Erfahrungen mit der Mediation in interkulturellen Kontexten. Auch die Konzeptualisierung interkultureller Mediation in Wissenschaft und Forschung hat erst begonnen.

2.1

Warum es lohnt, Mediation von Interkultureller Mediation zu unterscheiden

In der Literatur spiegeln die zum Teil sehr stark voneinander abweichenden Definitionen die Unsicherheit der Handlungsanforderungen an eine Mediation im interkulturellen Kontext wieder. Mit jeder Neufassung der Definition ändert sich das Verfahren. Dies macht sich im Umfang der Handlungsoptionen, wie in den Ansprüchen an die Mediatoren, deutlich. Nicht selten wird bspw. die These aufgestellt, jede Mediation sei an sich interkulturell, da man nicht von homogenen, kohärenten (National-) Kulturen ausgehen könne: „In allen komplexeren Kollektiven herrschen nicht nur Vielfalt, sondern Diversität, Heterogenität, Divergenzen und Widersprüche“ (Hansen 2000: 182). Eine Mediation, in der Männer und Frauen sich gegenüberstehen, würde demnach ebenso Interkulturalität aufweisen, wie eine Mediation zwischen verschiedenen Bereichen eines Unternehmens. Für denjenigen jedoch, der Anderes in den Blick nimmt, z.B. dass jeder Mensch durch seine Sozialisation kulturelle Orientierungen verinnerlicht, die von Geburt an sein Bewusstsein prägen und auf deren Grundlage allein er seine Individualität entwickelt werden kann, für denjenigen könnte die sehr weite Fassung von Kultur sich als schwer handhabbar erweisen. Eine Perspektive, die beide Vorstellungen integriert, kann berücksichtigen, dass es jenseits aller Heterogenität innerhalb einer Kultur verbindende Elemente gibt: Eine Kultur, „das ist ihr wesentlichstes Kriterium und ihre wirkungsvollste und tiefste Leistung, definiert Normalität“ (Hansen 2000: 233). Diese „Normalität“, von der hier Hansen spricht, muss nicht als kohärent gedacht werden. Kultur repräsentiert ein Spektrum an tolerablen und legitimierten Verhaltensmustern, auch und insbesondere auf der schwer zu greifenden unbewussten Ebene7. Nach Ansicht der Autorin sollte in Hinblick auf die Mediation die Reflexion über nationalkulturelle Prägungen8 nicht vorschnell gebremst werden. Und dies aus einem wesentlichen Grund: Wie Beobachtungen zeigen, sind Individuen zwar durchaus in der Lage, sich in ihren Haltungen und Gruppenzugehörigkeiten flexibel zu bewegen, jedoch kann sich diese Flexibilität in Konfliktsituationen deutlich einengen. Es gibt empirische Evidenz für die Tatsache, dass „Kultur in angespannten Situatio-

7

Auf einer unbewussten Ebene tief verankert ist bspw. die Distanzregulation. Auch wenn dieses Modell in den Kulturwissenschaften zu Recht großer Kritik ausgesetzt ist, da die wesentliche dynamische Komponente fehlt (vgl. Bolten 2007).

8

305

nen, im Stress besonders zur Wirkung kommt. Unsere ursprünglichen Prägungen spielen im Stress eine größere Rolle als im entspannten Zustand“ (Deym-Soden 2004: 135). Verfolgen wir diesen Gedanken weiter, da in der Mediation Menschen in Stresssituationen agieren. Gehen wir davon aus, dass eine interkulturelle Mediationssituation bereits dann gegeben sei, wenn die Konfliktparteien unterschiedliche Sprachen sprechen, hat dies andere Konsequenzen als wenn wir annehmen, sie beziehe sich ausschließlich auf eine Mediation zwischen Angehörigen verschiedener Kulturkreise, unabhängig davon, ob die kulturelle Zugehörigkeit das Konfliktgeschehen beeinflusst. Ein dritter, ganz anderer Schwerpunkt wird gesetzt, wenn Mediation erst dann als interkulturelle Mediation definiert wird, wenn kulturelle Zugehörigkeit wesentlich den Konfliktverlauf beeinflusst, so dass etwa selbst das Verfahren zum Gegenstand der Aushandlung zwischen Akteuren gemacht werden muss. Bei Aneignung der erstgenannten Auffassung würde man eine Mediation bspw. zwischen einer britischen und US-amerikanischen Führungskraft nicht als interkulturell bezeichnen, da man von einer gemeinsamen Basis sprachlicher Verständigung ausgehen kann. Beim zweiten und beim dritten Definitionsversuch wiederum müsste man sich fragen, inwiefern und wann kulturelle Unterschiede der direkten Beobachtung zugänglich sind. Betrachten wir noch ein letztes Szenario: Eine vierte, extreme Position wird eingenommen, wenn verlangt wird, man könne ausschließlich dann von einer interkulturellen Mediation sprechen, wenn die kulturellen Unterschiede Auslöser des Konfliktes seien. Dies ist der Fall etwa bei explizit kulturell geprägten Konfliktthemen auf der Ebene von Werten. In diesem Beitrag soll für eine Definition geworben werden, die von einer interkulturellen Mediation spricht, sobald die Medianten aus unterschiedlichen Kulturen kommen und miteinander interagieren: Unabhängig davon, ob kulturelle Einflüsse oder interkulturelle Dynamiken vom Mediator erkannt werden, werden diese als stets implizit wirkend vorgestellt. „Kulturelle Zugehörigkeiten sind Teil des Menschen, also gibt es keine Konflikte ohne Einfluss der Kulturen“ (Deym-Soden 2004: 142). Somit würden sie selbst dann, wenn sie nicht thematisiert werden, in der Lage sein, den Verlauf einer Mediation entscheidend zu beeinflussen. Der Begriff Interkulturelle Mediation soll hier also nicht so verstanden werden, dass es sich notwendigerweise um die Bearbeitung eines interkulturellen Konfliktes handeln muss. Die Bezeichnung Interkulturelle Mediation verweist auf die Dimension der Interaktion, die von Menschen kulturell verschiedener Herkunft gestaltet wird. 2.2

Drei besondere Eigenschaften der Mediation

Wenden wir uns in diesem kurzen Umriss der Thematik einer anderen Frage zu, die weit schwieriger zu beantworten ist, als es scheint: Ist Mediation überhaupt geeignet, Konflikte bearbeiten zu helfen, an denen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft beteiligt sind? Dort, wo Mediation als interkulturelle Methode eingesetzt wird, erhebt sie den Anspruch, kulturübergreifend einsatzfähig und damit eine universelle Methode zu sein. Auf den ersten Blick scheint einiges dafür zu sprechen, dass sie diesem Anspruch gerecht wird: Viele Verfahrenseigenschaften bzw. Wesensmerkmale 306

der Mediation weisen in der Tat auf die strukturelle Möglichkeit, interkulturelle Verständigung zu fördern. Wir lernten im vorigen Abschnitt die Mediation als eine Methode kennen, die auf dem Grundsatz der Vermittlung verschiedener Wirklichkeiten beruht. Dabei geht es ihr nicht um ein Urteil über die Berechtigung oder Plausibilität der einen oder anderen Perspektive. In der Mediation können verschiedene Realitäten nebeneinander existieren, ohne sich ausschließen zu müssen. Durch die neue Qualität der Kommunikation entsteht in der Interaktion aus zwei zunächst als konträr wahrgenommenen Positionen eine neue, dritte Sicht auf den einen Sachverhalt des Konfliktes. Auf dem Weg dorthin konstruieren die Konfliktbeteiligten gemeinsam einen Lösungsweg, der am Ende beide Wirklichkeiten umfasst und den Interessen und Bedürfnissen aller Beteiligten gerecht wird. Dabei gelingt es ihnen mit Unterstützung einer dritten Person Perspektivwechsel zu vollziehen und unter Wahrung der eigenen Interessen auch die Interessen der anderen Person anzuerkennen. Heimannsberg formuliert es so, dass sie in der Mediation „ein geeignetes mentales Modell für die Gestaltung wertschätzender Beziehungen“ sieht, die eine „dialektische Logik oder das Zusammendenken von Disparatem“, möglich macht. „Widersprüchliches muss ja nicht in die Kategorien von ‚richtig’ und ‚falsch’ gezwungen werden, Mehrdeutiges muss nicht auf eine einzige Bedeutung verengt werden“ (Heimannsberg 2000: 74). Dieser Ansatz weist starke Ähnlichkeiten auf zu dem Modell erfolgreicher interkultureller Interaktionen (vgl. Bolten 2007). Für den internationalen Unternehmenskontext kommt dieser Funktion von Mediation eine kaum zu unterschätzende Bedeutung zu: Kulturelle Ressourcen, z.B. in Form von interkulturellem Wissensmanagment, in einem Unternehmen ausschöpfen zu können, stellt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil dar und ist deshalb von wachsender Bedeutung (vgl. Kumbruck/Derboven 2005: 5). Auch ein zweites Merkmal scheint die Eignung der Mediation in interkulturellen Kontexten zu unterstreichen: Sie ermöglicht eine ganzheitliche Konfliktbearbeitung. Im Gegensatz zum juristischen Verfahren kann sie also auch die kulturelle Dimension in den Prozess der Konfliktbearbeitung integrieren. Schließlich ist es die Rolle der dritten Person, die eine erfolgreiche interkulturelle Konfliktbearbeitung zu versprechen scheint: Da der Mediator weder befugt noch willens ist, inhaltlich zu intervenieren (wie bspw. in einer Beratung oder in einem Training der Fall), besitzt er keine Deutungshoheit und wird weder der einen noch der anderen Sicht auf die Dinge beipflichten. Der dritten Person steht es nicht zu, Normalität zu definieren und sie agiert in diesem Sinn Kulturneutral. So argumentiert auch Weiß (2001: 22), wenn sie sagt: „Das Konfliktpotential ‚Kultureller Unterschied’ stellt für dritte Parteien, die Konfliktverläufe konstruktiv beeinflussen wollen, keine wirkliche neuartige Herausforderung dar.“ In der Mediation soll es nicht um Sieg (Macht, Recht) sondern um Verständigung gehen. Um ihr Ziel der Verständigung zu erreichen, macht sich die Mediation allerdings ein spezifisches Handlungskonzept, eine spezifische Struktur zu eigen.

307

2.3

Das kulturelle Fundament

Es gibt wichtige Anhaltspunkte dafür, dass nicht in allererster Linie die Frage, was die Mediation beabsichtigt, die Methode in ihre kulturellen Schranken weist, sondern insbesondere wie und unter welchen Prämissen sie es tut. Diese „wie“ offenbart eine Prägung, die wir einem bestimmten Kulturkreis zuordnen können. Der Aufbau der Mediation lässt sich als linear charakterisieren: Durch die Abfolge einzelner Stufen soll eine komplexe Konfliktsituation handhabbar gemacht werden; die Themen sollen von den Positionen, die Positionen von den Interessen und diese von den Lösungen getrennt und nacheinander betrachtet werden. Das dieser Strukturierung zugrunde liegende Modell eines „monochronen Interventionsablaufes“ (Liebe 1996: 2) entspricht der Vorstellung, dass es einer Konfliktlösung zuträglich ist, wenn einzelne Elemente getrennt voneinander der Betrachtung zugänglich gemacht werden. Nun gibt es jedoch wichtige empirische Hinweise aus der kulturvergleichenden Psychologie darauf, dass Problemlösestrategien und kognitive Modelle kulturell divergieren und damit „die allgemeingültige Plausibilität bzw. Wirksamkeit von Problemlösungsmethoden […] in Frage [stellen]“ (Rathje 2007: 805). Einige nicht-westliche Modelle beinhalten demgegenüber eine gänzlich andere Kommunikations-orientierung im Konflikt: „Statt einzelne Problempunkte herauszukristallisieren, werden alle Aspekte im Zusammenhang gesehen. Und ‚statt eins nach dem anderen’ und ‚alles zu seiner Zeit’ wird vieles gleichzeitig besprochen“ (Besemer 1998: 108f). Kann die Mediation, als ein an Rationalität, Formalisierung und Linearität ausgerichtetes Verfahren, in einem interkulturellen Kontext den Anspruch einer prozeduralen Gerechtigkeit einlösen? Daran knüpft sich die weitere Frage, welche Prämissen der mediativen Konfliktbearbeitung zugrunde liegen und ob diese kulturell verankert sind. Es lässt sich eine eindeutige Orientierung am Subjekt ausmachen. Dieses steht mit seiner individuellen Wahrnehmung und seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt der Konfliktbearbeitung. Eine Methode, die sich am Subjekt ausrichtet, auch in ihren Techniken9, ist jedoch weit davon entfernt, kultur-neutral zu agieren. Verstehen wir jedes Subjekt als „Dispositionsbündel“, das sich durch sozial-kulturelle Praktiken konstituiert (vgl. Reckwitz 2006), ist das Subjekt niemals außerhalb einer Kultur denkbar. Das mit der Subjektorientierung einhergehende Leitbild der Mediation ist das so genannte Empowerment10 der am Konflikt Beteiligten. Sie sollen dazu befähigt werden, ihre eigenen Interessen, Wünsche und Bedürfnisse zu artikulieren und diese zu vertreten (vgl. Tiefenbacher 2005: 135f). Charakterisieren wir an dieser Stelle jenen soziokulturellen Zusammenhang, in dem die Methode, wie sie hierzulande praktiziert wird, entwickelt wurde: die USA in den 1960er Jahren. Zum damaligen Zeitpunkt vollzogen sich dort gesellschaftliche Entwicklungen (damit in Zusammenhang: Vietnam Proteste, Bürgerrechtsbewe9

Eine Technik, die diesen Zusammenhang illustrieren mag, ist die Ich-Botschaft: „Mediatoren weisen vielleicht im Gespräch darauf hin, alle sollten doch bitte nur von sich selbst sprechen und nicht ‚wir‘ sagen. Mediatoren bitten vielleicht um ‚Selbstvertretung‘ - ohne zu berücksichtigen wie unterschiedlich dies aufgefasst wird. Dass dies zu grundlegenden Problemen führt, werden die Mediatoren vielleicht nicht einmal bemerken!“ (Deym- Soden 2004: 110). 10 in der deutschen Übersetzung: Ermächtigung.

308

gung, Studentenunruhen, Neubestimmung der Geschlechterrolle, ein als unzulänglich empfundenes Rechtssystem), die eine öffentliche Artikulation des Wunsches nach mehr Autonomie zur Folge hatten, die u.a. ihren Ausdruck in neuen Methoden wie der Alternative-Dispute-Resolution fand. Das Anliegen der Mediation, dem Einzelnen Mitsprachrecht zu geben und seine Eigenverantwortlichkeit zu stärken, entspricht den Gegebenheiten und Bedürfnissen der US-amerikanischen Gesellschaft einer historisch abgrenzbaren Epoche. Mediation ist nicht frei von Werten. Autonomie und Subjektorientierung, die zu den wichtigsten Werten gehören, auf denen Mediation beruht, müssen in ihrer Kulturspezifik reflektiert werden. Nicht zu Unrecht und entgegen vielen anderen Darstellungen bezeichnen einige Forscher die Mediation selbst als „kulturelles Produkt“ (u.a. Besemer 1998: 108; Tiefenbacher 2005: 15; Davidheiser 2005: 733) oder etwas abgeschwächt als Methode mit „Lokal-Kolorit“11. Das US-amerikanische Mediationsmodell wurde in Deutschland ohne Überprüfung auf seine kulturellen „Muster“ übernommen und eingeführt (vgl. Tiefenbacher 2005: 15). Sollte es mit der Mediation zugrunde liegenden impliziten Wert- und Handlungsstrukturen zu tun haben, wenn diese Methode sich nur sehr zögerlich in Deutschland etabliert? – Nun postulieren zwar einige Autoren, dass die Übertragung des nordamerikanischen Modells auf europäische Länder (denen sie ähnliche Werte bescheinigen12) unproblematisch sein sollte (vgl. Besemer 1998: 108). Aus kulturwissenschaftlicher Sicht müssen wir hier allerdings Probleme sehen: Wenn man Kulturen als komplexe Handlungszusammenhänge begreift, in denen sich alle gesellschaftliche Bereiche in enger Interdependenz auf der Basis spezifischer historischer Gegebenheiten entwickelt haben und ein sinnhaftes Ganzes bilden, dann fügt sich jedes ihrer Elemente sinnvoll in diesen Zusammenhang ein13. Dies würde auch für die Mediation in den USA gelten. Ein Beispiel: In den USA als freiwilliges Verfahren konzipiert, wurde eben diese Freiwilligkeit zu einem der wichtigsten Grundprinzipien in Deutschland erhoben. Während nun in den USA aufgrund empirischer Erfahrungen der mangelnden Nachfrage im Bereich der Familienmediation relativ schnell ein Modell verordneter Mediation entwickelt und mit Erfolg im Gesetzeskatalog vieler Bundesstaaten verankert wurde, schien es bis vor kurzem in Deutschland schier unmöglich, die Freiwilligkeit kritisch zu hinterfragen (vgl. Kriegel 2006). Jegliche Form von Zwang verstoße gegen die Autonomie und sei für das Individuum gefährdend. Auf die Kulturspezifik der Entwicklung hier und dort kann in diesem Aufsatz nicht näher eingegangen werden. Nur soviel: Historische Erfahrungen in Deutschland spielen für die Hemmnisse, die der Verbreitung entgegenstehen, ebenso eine Rolle wie die tiefe Verankerung des Pragmatismus als USamerikanischer Wert für die schnelle Verbreitung der Mediation einerseits und diversifizierte Entwicklung einer Mediationslandschaft in den USA andererseits. Da sich Mediation nicht in einem kulturfreien Vakuum bewegt, sondern sich in Abhängigkeit

11

Die Autorin Gerda Mehta beim Regionalgruppentreffen des Bundesverbandes Mediation am 16.10.2008. Angeführt werden u.a. Individualität und Autonomie, Sachlichkeit, Rationalität, formalisierte Verfahren, Technik, Spezialisierung und Erfolg. 13 So entspricht bspw. der Wert des Aushandelns (in Abgrenzung zur Reglementierung) der juristischen Tradition des Common Law im angelsächsischen Raum. 12

309

gesellschaftlicher Regeln und Instanzen, insbesondere der Justiz entwickelt, gibt auch die Haltung gegenüber der Justiz Aufschluss über den Grad der Akzeptanz alternativer Streitbeilegungsverfahren: In den USA zur Zeit der Entstehung der Mediation stark in Kritik geraten, genießt die Justiz in Deutschland, der von einer Öffentlichkeit kaum Misstrauen in quantitativ nennenswertem Umfang entgegengebracht wurde, nach wie vor ein hohes Ansehen. Insbesondere in der Wirtschaft gelten juristische Verfahren als effektiv (vgl. Eidenmüller 2001). Von einem euro-amerikanischen Mediationsmodell zu sprechen, scheint also nur insofern gerechtfertigt, als dass es auf die geographische Verbreitung dieses Verfahrens in den USA und Europa verweist und europäische Mediationskulturen in vielen Punkten mehr Gemeinsamkeiten mit der US-amerikanischen Mediationskultur aufweisen, als mit Mediationsmodellen etwa westafrikanischer oder chinesischer Herkunft. Aber auch innerhalb Europas gibt es zum Teil stark voneinan14 der abweichende Diskurse, Mediation zu denken und durchzuführen . Was bewerten Konfliktparteien in verschiedenen Kulturen als fair und effektiv an einer Konfliktbearbeitung (vgl. Kraus 2008)? Die Ausgestaltung von Mediation als einer Methode, Konflikte zu lösen, kann auch als Spiegel von Gesellschaft zu Gesellschaft variierender Vorstellungen von Gerechtigkeit und Fairness verstanden werden. – So wird eine „faire“ Konfliktbearbeitung, wie sie die Mediation anbietet, hierzulande assoziiert mit Transparenz, Offenheit, Partizipation und Machtgleichgewicht. Diese Kriterien prägen die Erwartungen an Methode und Kommunikation. Sie sind nicht universell15. So werden in China bspw. Hierarchien in der Mediation nicht überwunden, der Grad an Partizipation der Konfliktparteien ist gering (vgl. ebd.). Eng verbunden mit der Vorstellung von Fairness ist im deutschen Mediationsdiskurs die Betonung einer externen, strikt neutralen Vermittlertätigkeit. Die professionelle Haltung des Mediators ist durch seine Neutralität gekennzeichnet. Er sollte nicht Teil bilden des Beziehungsgeflechtes, in dem sich die Konfliktparteien bewegen. Wie oben beschrieben ist es seine Aufgabe, den Prozess zu moderieren aber die inhaltliche Verantwortung vollständig bei den Parteien zu belassen. Auch diese Erwartungen an einen Konfliktvermittler sind kultureller Natur. Eine uns fremde Mediationslogik besagt: Um Vermittlungsangebote ernst zu nehmen, bedarf es einer bereits bestehenden persönlichen Beziehung zum Mediator 16 und dessen Einbindung in das persönliche Netzwerk . Zudem sollte die dritte Person die Konfliktparteien in der Mediation zumindest beraten, oft auch Lösungen vorschlagen (Schüler 2006: 54). Auch hier liegt der kulturelle Unterschied nicht in dem Ziel der Mediation, eine gemeinsame Lösung zu finden, sondern im Weg der Lösungsfindung, also ihrem „wie“. Diese wenigen Beispiele sollen an dieser Stelle genügen, das 14

Insbesondere lässt sich das am Beispiel ihrer unterschiedlichen Verbreitung in verschiedenen Ländern und der zum Teil stark divergierenden ihr zugrunde liegenden Konzepte und Handlungsorientierungen zeigen (vgl. Alexander 2003). 15 Suter (2008: 98) postuliert die Bedeutung der formativen Epoche der Aufklärung für die Werte-Entwicklung der europäischen Gesellschaft. 16 Zum Beispiel in verschiedenen Konfliktkulturen Afrikas (vgl. Davidheiser 2005) oder China (vgl. Kraus 2008: 133). Und um den Blick auf Divergenz in Europa zu lenken: Inwiefern ein unterschiedliches Konzept von Beziehung und Vertrauen dazu führt, dass Einzelgespräche vor der Mediation in Frankreich eher die Regel, in Deutschland hingegen eher die Ausnahme zu bilden scheinen, wäre eine Betrachtung wert (eigene Erfahrungen der Autorin in deutsch-französischen Modellprojekten 2003-2008).

310

hier vorgetragene Plädoyer für den reflektierten Einsatz der Mediation im interkulturellen Zusammenhang zu unterstreichen.

2.4

Überlegungen zu Interkultureller Mediation als interkultureller Methode

Um auch in der interkulturellen Konfliktbearbeitung im Unternehmen erfolgreich zu sein, sollte die Mediation zunächst und vor allem auf ihre impliziten Wert- und Handlungsorientierungen hin hinterfragt werden (vgl. Haumersen/Liebe 2002: 26f). Im Zusammenhang mit dieser Argumentation scheinen Ansätze interessant, die das Potential der Mediation in der Flexibilisierung der ihr eigenen Prozessstruktur sehen (vgl. u.a. Ropers 1997: 140). Bereits bei einer normalen Mediation gilt für manche Autoren das Phasenmodell lediglich als Rahmen der Mediation, so dass viele Möglichkeiten einer am Fall orientierten Ausgestaltung des Ablaufes gegeben seien (vgl. Besemer 1998: 56; Haumersen/ Liebe 2002: 33). In interkulturellen Kontexten würde nun die Struktur, der Ablauf, umso mehr zum Gegenstand des Aushandlungsprozesses mit den Konfliktparteien werden. „Eine gemeinsame Kommunikationsstruktur für eine interkulturelle Konstellation zu schaffen beinhaltet nicht zuletzt eine Infragestellung des eigenen gewohnten Verhaltens. Dies ist leichter gesagt als getan. Nicht selten führt ja gerade die Konfrontation mit einer interkulturellen Situation dazu, die eigene Verhaltenssicherheit – wie oben beschrieben – zu verlieren. Angewandt auf Mediatoren würde dies bedeuten, dass sie genau das reproduzieren, was sie am besten können, worin sie sich am sichersten fühlen und natürlich auch das, was sie in ihrer nationalen Ausbildung gelernt haben. [...] Im Gegenteil müssten sie hierzu bereit sein, einiges von dem zu vergessen, wie sie normalerweise agieren würden, zumindest aber dazu, es zur Disposition zu stellen“ (Haumersen/Liebe 2002: 33). Sollte die Prozessverantwortung des Mediators in interkulturellen Kontexten zugunsten eines gemeinsam mit den Konfliktparteien bestimmten Vorgehens relativiert werden? – Droht hier jedoch nicht die Gefahr, dass das Rückgrat der Mediation bricht? Ist es nicht genau eine dem Mediator vertraute Struktur, die ihn dazu befähigt, die Eskalationsdynamik im Konflikt aufzuweichen? Letztendlich muss man auch überlegen, ob nicht eine Überlastung der Konfliktparteien die Folge wäre, wenn zu den Konfliktinhalten zusätzlich auch der Ablauf der Konfliktbearbeitung in ihre Verantwortung gestellt würde. Mayer und Boness (2004) plädieren dafür, in interkulturellen Mediationen ein besonderes Gewicht auf die Eingangsphase der Mediation zu legen. In Vorgesprächen im Wirtschaftskontext (sogenannter Pre-Mediation) würde auch die Problematisierung der Interkulturalität verankert werden können: „Die kulturspezifischen Vorstellungen der Konfliktparteien sollten bereits in das Design des Mediationsverfahrens einbezogen werden, bevor die eigentliche Konfliktbearbeitung beginnt. [Es muss also darum gehen] eine Phase der Verfahrensklärung vorzusehen, in der zunächst getrennt mit den streitenden Parteien die für sie kulturell adäquaten Formen bearbeitet werden“ (Ropers 1997: 114). Allerdings sollte bedacht werden, dass dieses Modell den Konfliktparteien den Status von Experten ihrer eigenen Kommunikationsgewohnheiten zuschreibet. Man setzt gleich311

sam voraus, dass a) die kulturelle Prägung dem Bewusstsein als Objekt der Erkenntnis zugänglich ist, b) verbalisiert werden kann, c) diese kulturelle Prägung im Konflikt auch tatsächlich eine Rolle spielt und d) die Konfliktparteien kognitiv und affektiv in der Lage sind, über ihre kulturelle Gewohnheiten zu reflektieren – während sie sich in einem Konflikt befinden. Dabei gilt es vor allem zu bedenken, dass es nicht die kulturellen Unterschiede an sich sind, die in einer Mediation zum Tragen kommen, sondern es viel mehr um die Bedeutung geht, die ihnen die Individuen zumessen und zum anderen um den Umgang mit Unterschieden in der Mediation. Zu welchen Anteilen und inwiefern ihre kulturelle Identität die Austragung des Konflikts, den sie in der Mediation bearbeiten, beeinflusst, das ist die wesentliche Frage. Angesichts dieser Diskrepanzen ist die Ausgestaltung interkultureller Mediation noch nicht hinreichend diskutiert worden17. Fest steht: Die Mediation muss sich auf kulturell bedingte Unterschiede in der Gestaltung von Konfliktvermittlung neu ausrichten. „Vermittelt werden müssten dementsprechend z.B. Methoden des interkulturellen Aushandelns von Handlungsregeln“ (Bolten 2004: 18). Wenn das Verfahren Interkulturalität so integrieren kann, dass alle Konfliktparteien eine Unterstützung in der kommunikativen Artikulierung ihrer Interessen erfahren, dann scheint die „zwangsläufige Gebundenheit […] an eine bestimmte Struktur eher unerheblich“ (Liebe 1996: 2). Aus dem Postulat kultureller Relativität der Mediation ergibt sich gleichzeitig die Notwendigkeit, die Ausgestaltung des Verfahrens und die Rolle des Mediators in Hinblick u.a. auf folgende Zusammenhänge zu reflektieren: 1.

Kulturelle Unterschiede entziehen sich einer direkten Beobachtung (vgl. Haumersen/Liebe 2002: 66). Mediatoren müssen zusätzlich zu ihrer Methodenkompetenz über ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz verfügen (vgl. Bolten/Herzog/Kriegel 2008), die vor allem die Befähigung, interkulturelle Prozesse zu moderieren, mit einschließt.

2.

Um interkulturelle Interaktionssituationen in der Mediation erfolgreich zu gestalten, empfiehlt sich die Zusammenarbeit in bi- (bzw. multi-)nationalen Mediatorenteams18. Allerdings ist es nicht das Faktum der Multinationalität des Teams selbst, das eine erfolgreiche Kommunikation garantiert. Entscheidend ist die Qualität der interkulturellen Interaktion zwischen den Mediatoren selbst.

3.

Die gleichzeitig augenfälligste und bedeutendste Dimension interkultureller Mediation ist die Sprache. Da Sprache unmittelbar mit der Lebenswelt als Stabilität verbürgender Handlungsgrundlage des Alltags zusammenhängt und sie in der Mediation das einzige Medium ist, dass eine Konflikterhellung ermöglicht, sollte allen Beteiligten das Optimum der persönlichen Mitteilbarkeit gesichert werden.

17

Mancher Autor hält den Versuch, ein Modell interkultureller Mediation zu entwickeln für nicht sinnvoll: „Dennoch wird immer wieder gefragt, wie geht denn interkulturelle Mediation - welche Methoden oder welche Methodik wird da angewandt? Die Frage ist natürlich nicht zu beantworten, denn es gibt eben nicht eine einzige Methode. Wie sollte auch eine Methode auf alle interkulturellen Situationen passen?“ (Deym Soden 2004: 155). 18 vgl. Richtlinien der Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation (BAFM) und des Bundesverbandes Mediation (BM).

312

Eine gemeinsame Geschäftssprache im Unternehmen darf nicht ausschlaggebend sein für die Sprachwahl in der Mediation, da Sprache erfahrungsgemäß einer der ausschlaggebenden Faktoren für Machtungleichgewichte ist. Nur „über den sprachlichen Zugang können Denk- und Reaktionsweisen im Konflikt besser verstanden werden“ (vgl. Mayer/Boness 2004: 73). 4.

Machtungleichgewichte spielen in Unternehmenskonflikten grundsätzlich eine bedeutende Rolle (vgl. Berning 2006). Im interkulturellen Kontext kann die Zugehörigkeit der Konfliktparteien zu gesellschaftlichen Minderheits- oder Mehrheitskulturen die Mediation vor eine noch weit größere – gesellschaftspolitische – Herausforderung stellen. Die Forscherin Anja Weiß (2001) hat untersucht, inwiefern das Austragen zwischenmenschlicher Konflikte immer auch die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Mehrheit oder Minderheit widerspiegelt. Gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse auf der Basis kultureller Zugehörigkeit sind für die Konfliktpartner in der Regel unsichtbar, verändern jedoch grundlegend die Voraussetzungen, unter denen ihre Interaktionen stattfinden. Will die Mediation nicht dazu beitragen, strukturelle Ungleichgewichte zu stabilisieren, muss sie um diese Dynamiken wissen.

5.

Der Erfolg der Mediation beruht zu einem großen Teil auf der Möglichkeit, Kommunikation durchsichtig und zielgerichtet zu gestalten und ihr damit eine Qualität zu verleihen, die sie im Alltag nicht besitzt. In der interkulturellen Mediation können verbales und nonverbales Verhalten des Mediators, die Instrumente seiner Tätigkeit, sich schnell als schwer handhabbar erweisen: Typische interkulturelle Interaktionsprobleme basieren auf unterschiedlichen Kommunikationsregeln (vgl. Müller-Jacquier 2000), die dem fremdkulturellen Gegenüber nicht entschlüsselbar sind und auch von demjenigen, der sie anwendet, nicht reflektiert werden. Die Kulturspezifik kommunikativer Stile muss Mediatoren geläufig sein, damit sie ihr eigenes Kommunikationsverhalten bewusst wahrnehmen lernen und bei Irritationen Hypothesen darüber bilden können, worin Missverständnisse (z.B. der eigenen) kommunikativen Akte begründet sein könnten. Dieser Vorgang schließt die Reflexion über die Kulturgebundenheit von mediativen Techniken mit ein.

3 Wo sollte Mediation im Kontext interkultureller Personal- und Organisationsentwicklung angesiedelt werden? Neben der Bearbeitung des eigentlichen Konfliktes, z.B. in einer multinational besetzten Team-Mediation über die Neubesetzung des Teams oder die Ausrichtung der Zielvorgaben, kann sich auch die interkulturelle Kompetenz aller Beteiligten im Verlauf einer Mediation erhöhen. Interkulturelle Mediation kann im weitesten Sinne auch als Trainingsmaßnahme zur interkulturellen Sensibilisierung eingestuft werden, zumindest da, wo die Parteien durch den Prozess der Mediation kulturelle Faktoren im Entstehen 313

und Bearbeiten des aktuellen Konfliktes erkennen und sich ggf. sogar eine Haltungsänderung vollzieht, die sich wiederum positiv auf zukünftige Konflikte auswirken kann. Mediation befindet sich an einer Schnittstelle zwischen Maßnahmen der interkulturellen Personal- (PE) und Organisationsentwicklung (OE): Als wenig zeitaufwendige Form konstruktiver Konfliktbearbeitung in multinationalen Unternehmen kann sie auf interpersonaler Ebene dazu beitragen, die Arbeitszufriedenheit erheblich zu steigern. Gleichzeitig entsprechen Ziele auf der organisationalen Ebene durchaus den Zielen der Mediation: eine aktive Mitwirkung der Betroffenen, das Initiieren gemeinsamer Lernprozesse, die Steigerung der Problemlösefähigkeit des Systems, die damit verbundene Effektivitätssteigerung und nicht zuletzt seine erfolgreiche Anpassung an die Umwelt (vgl. Kals 2006: 48f). Während einige Autoren deutliche Parallelen bei der Vorgehensweise in der Mediation zu Maßnahmen der OE sehen (vgl. Regnet 2001: 112), weisen andere ausdrücklich auf die Grenzen der Mediation als OE-Maßnahme hin: Mediation ist eine Methode der Konfliktbearbeitung bzw. der Konfliktklärung. Aber ist sie für die Veränderung von Strukturfragen geeignet? Wo dies verneint wird (vgl. dazu Pühl 2006: 8, 15), wird auf eine wesentliche Bedingung für Mediation verwiesen, wenn sie zu einem integrativen Bestandteil des Konfliktmanagementsystems in Unternehmen werden soll: Langfristige Veränderungen auf organisationaler Ebene müssen von der Organisation auch gewollt und unterstützt werden. In der Mediation eigenverantwortlich ausgehandelte Lösungen haben keine Chance, realisiert zu werden, wenn die Organisation Strukturen aufweist, die solchen Lösungen entgegenstehen. Stellt sich in der Mediation heraus, dass Konfliktursachen auch strukturell begründet sind, müssten diese Strukturen zur Disposition gestellt werden können, wenn die Konfliktlösung nachhaltig sein soll. Weiter müsste die Organisation strukturell die Möglichkeit bieten, Mediation in Anspruch zu nehmen: „Das bedeutet u.a., wie oben ausführlicher dargestellt, vom delegierenden „Beschwerdeweg“ Abschied zu nehmen und zu einer fairen Konfliktbearbeitung zu kommen, auch zwischen den Hierarchien“ (Waas/Ertl 2008: 219). Unter systemischem Blickwinkel bedarf es also der Entwicklung einer konstruk19 tiven Konfliktkultur in Unternehmen (vgl. Regnet 2001: 115), innerhalb derer Medi20 ation ihren Platz einnimmt . Wie wichtig diese im Zuge der Globalisierung und Internationalisierung von Unternehmen ist, mag folgender Zusammenhang verdeutlichen: Eine Entwicklung von Delegation und Hierarchie hin zu Selbstbestimmung und Kommunikationssymmetrie (vgl. Heintel/Falk: 2006: 59) entspricht einer Organisationsentwicklung, die solchen postmodernen Veränderungsprozessen Rechnung trägt, in denen die Subjekte zunehmend einen größeren Stellenwert erlangen und die an Stelle

19

Wesentliche Richtlinien liefern hierfür der Bundesverband Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt (BMWA), die Gesellschaft für Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement (gwmk) sowie die Deutsche Gesellschaft für Mediation in der Wirtschaft e.V. (DGMW). 20 Auf die wichtige Frage, ob Unternehmen auf interne oder externe Mediatoren zurückgreifen sollten oder ob gar Führungskräfte selbst die Rolle von Mediatoren ausüben können, kann im Rahmen dieses Aufsatzes leider nicht eingegangen werden. Für ein Modell interner Mediatoren in einem integrierten Konfliktmanagementsystem und der Qualifizierung betrieblicher Konfliktlotsen (QUAK) vgl. Budde 2006.

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von starren und von außen steuerbaren Abläufen, Prozessorientierung und Dynamik tritt. Steuerungsobjekte werden zu Steuerungssubjekten (vgl. Bolten 2004: 17).

Ausblick Die umsichtige Handhabung von interkulturellen Konflikten ist ein grundlegender Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg von global agierenden Unternehmen (vgl. Tiefenbacher 2005: 83). Mediation kann zu einer konstruktiven Bearbeitung von (interkulturellen) Konflikten in und zwischen Unternehmen beitragen: Sie initiiert Konfliktbearbeitungsprozesse, in denen die Akteure in den Vordergrund gestellt werden. „ExpertInnen rechnen damit, dass die von Unternehmen durchaus bereits erkannten Vorteile außergerichtlicher Verfahren zur Konfliktbearbeitung in Zukunft auch tatsächlich stärker genutzt werden“ (Berning 2006: 24). Sollte diese Voraussage zutreffen, bestünde ein dringender Bedarf, Mediation als interkulturelle Methode entwickeln zu helfen, um sie in Unternehmensstrukturen zu implementieren.

Literatur Alexander, Nadja (2003): „Preface”. In: Alexander, Nadja (Hg.), Global Trends in Mediation, Köln: Centrale für Mediation, VII-VIII. Ballreich, Rudi/Glasl, Friedrich (2007): Mediation in Bewegung. Ein Lehr- und Übungsbuch mit Filmbeispielen auf DVD, Stuttgart: Concorda Verlag. Bergemann, Niels/Sourisseaux, Andreas (2003) (Hg.): Interkulturelles Management, Berlin/Heidelberg: Springer. Berning, Detlev (2006): „Besonderheiten von Mediation in Profit-Organisationen (PO)“. Spektrum der Mediation, 24. Ausgabe/ IV. Quartal, S. 21-24. Besemer, Christoph (1998): Mediation. Vermittlung in Konflikten, Königsfeld: Stiftung Gewaltfreies Leben. Bolten, Jürgen (2003): „Interkulturelles Coaching, Mediation, Training und Consulting als Aufgaben des Personalmanagements internationaler Unternehmen“. In: Bolten Jürgen/Claus Erhard (Hg.), Interkulturelle Kommunikation. Texte und Übungen zum interkulturellen Handeln, Sternenfels: Verlag Wissenschaft & Praxis, S. 369-391. Bolten, Jürgen (2004): „Interkulturelle Personalentwicklung im Zeichen der Globalisierung: Paradigmenwechsel oder Paradigmenkorrektur“. Interculture-Online, 8, S. 1-27. Bolten, Jürgen (2007): Interkulturelle Kompetenz, Erfurt: Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen. Bolten, Jürgen/Herzog, Julia/Kriegel, Katharina (2008): Modul 4. Herausforderungen für Mediatoren. Interkulturelle Kommunikation und Mediation. Skript der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Fernuniversität in Hagen. Brumlik, Micha (1992): Advokatorische Ethik. Zur Legitimation pädagogischer Eingriffe, Bielefeld: KT-Verlag.

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Autoren Irina I. Baeuerle studierte interkulturelle Kommunikation und „English Studies“ an der staatlichen Lenin Universität Moskau. Gefördert durch Stipendien des DAAD vertiefte sie ihre Kenntnisse in interkultureller Wirtschaftskommunikation an der FSU Jena. Anschließend promovierte sie zu dem Thema „Optimierung des Informations-, Kommunikations- und Wissensmanagements im Bereich Vertrieb After Sales bei der VW AG“. Irina Baeuerle ist Beraterin für interkulturelle Wirtschaftkommunikation mit dem Schwerpunkt Russland. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Christoph Barmeyer ist Inhaber des Lehrstuhls für Interkulturelle Kommunikation an der Universität Passau und assoziierter Professor am Forschungszentrum für angewandte Betriebswirtschaftslehre CESAG an der Ecole de Management/Université Strasbourg (Frankreich). Nach seiner Promotion an der Universität des Saarlandes war er von 2000-2008 Hochschullehrer (Maître de Conférences) für Personalmanagement an der Ecole de Management in Strasbourg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung und deutschfranzösisches Management. Kontakt: [email protected] Dr. Klaus Boll hat als Empirischer Kulturwissenschaftler und Ethnologe nach seiner Dissertation über Akkulturationsprozesse zunächst 10 Jahre Projekte in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in Asien, Afrika und Lateinamerika geleitet und begleitet, bevor er vor 12 Jahren zu Bosch wechselte. Dort verantwortet die Themen interkulturelle Zusammenarbeit und Unternehmenskulturentwicklung in der zentralen Mitarbeiter- und Organisationsentwicklung. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Jürgen Bolten arbeitet seit 1992 am Fachgebiet Interkulturelle Wirtschaftskommunikation der Universität Jena. Er ist Vorsitzender der Akademie für Interkulturelle Studien und hat in den vergangenen Jahren u.a. das „Interkulturelle Portal“ und den internetbasierten „Intercultural Campus“ aufgebaut. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen des internetbasierten interkulturellen Lernens, der interkulturellen Handlungstheorie sowie in der interkulturellen Personal- und Organisationsentwicklung. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Eric Davoine ist seit 2003 Inhaber des Lehrstuhls für HRM und Organisation an der Universität Fribourg (Schweiz). Er war 1993-1999 Assistent und Doktorand am Frankreich-Zentrum der Universität Freiburg i. Breisgau und 1998-2003 Maître de Conférences an der Université de HauteAlsace. Er hat mehrere Werke und Artikel über interkulturelles Management und internationales Personalmanagement veröffentlicht. Er ist Vizepräsident des französischsprachigen Verbandes von Personalforschern (AGRH). Kontakt: [email protected] Dr. Anette Hammerschmidt ist nach mehreren Jahren als Führungskraft in der Weiterbildung bei Siemens seit 2002 selbständig als Beraterin, Coach und Trainerin für Organisationsentwicklungsprozesse sowie transkulturelle Zusammenarbeit und Führung. Sie wuchs in Argentinien und Brasilien auf und verbrachte längere Zeit in Japan und USA, wo sie, nach dem Studium der Philosophie und Sprachwissenschaften (Universität Hamburg), fünf Jahre an zwei Universitäten in New Orleans lehrte. Weitere Lehrtätigkeit in Hamburg, Lüneburg und München. Ihre Arbeit „Fremdverstehen. Interkulturelle Hermeneutik zwischen Eigenem und Fremdem“ wurde mit dem Akademie-Preis für interkulturelle Studien (1999) der Universität Bayreuth und DaimlerChrysler AG ausgezeichnet. Kontakt: [email protected]

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Ulrike Haupt, Diplom-Wirtschaftsromanistin (Mannheim/Paris/Barcelona). Von 2003 bis 2008 interne Beraterin bei der Energie Baden-Württemberg AG. Seit 2005 begleitet und berät sie v.a. für Culturebridge internationale Projekte und Programme und trainiert, moderiert und coacht in englischer, französischer und deutscher Sprache. Ihre Arbeit erfolgt aus einer kulturell bzw. systemisch geprägten Herangehensweise. Ihre Kernkompetenz liegt interkulturell in der deutsch-französischen Kooperationsarbeit. Sie ist ausgebildete Prozess- und Organisationsberaterin und Coach. Kontakt: [email protected] Dr. Nathalie Hecker (MBA) absolvierte ihr Studium der Psychologie an der Freien Universität Berlin und verbrachte Auslandssemester in Barcelona, Madrid und New York. Dort hat sie u.a. im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Deutsch Amerikanischen Handelskammer in New York ein interkulturelles Training für Deutsche in den USA entwickelt und erprobt. Nach dem Studium forschte Nathalie Hecker in Deutschland und Spanien über Erfolgsfaktoren deutsch-spanischer Zusammenarbeit. 2007 promovierte sie an der Freien Universität Berlin und der FSU Jena und war dazu bei der Robert Bosch GmbH als Doktorandin angestellt. Thema ihrer Arbeit war die Kultur- und Werteentfaltung, wofür sie in Indien, den USA und Deutschland Daten erhob. Seit Juni 2007 ist Nathalie Hecker als Unternehmensberaterin bei der Strategieberatung Booz & Company als Expertin für Change Management sowie Organisations- und Personalentwicklung international tätig. Zeitweise arbeitet sie als Lehrbeauftragte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena am Fachbereich für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation. Kontakt: [email protected] Dr. Petra Köppel, Inhaberin von Synergy Consult, ist Volkswirtin und promoviert in Personal und Organisation. Neben Diversity Management stehen bei ihr im Rahmen von Change Management und Personalentwicklung der Aufbau von Kooperationskompetenz, die kulturelle Integration nach M&As und die Optimierung von virtueller Führung im Mittelpunkt. Parallel lehrt sie als Gastdozentin an der Chulalongkorn University in Bangkok. Zuvor war Petra Köppel als Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung tätig, als auch im Human Resources Management von deutschen Großunternehmen und in der Wissenschaft. Kontakt: [email protected] Katharina Kriegel, Erziehungswissenschaftlerin M.A., langjährige Aufenthalte in England und Frankreich, ist seit 2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Jena am Lehrstuhl für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, Interkulturelle Trainerin bei Interculture und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, Mediatorin. Forschungsgebiete: Mediation und Interkulturelle Mediation, Mediationspflicht bei Trennung und Scheidung, Didaktik interkultureller Trainings. Kontakt: [email protected] Matthias Metzger (Diplom-Betriebswirt, MBA) begann seine berufliche Laufbahn 2002 bei DaimlerChrysler zunächst in der Internationalen Nachwuchsgruppe und arbeitete anschließend als Personalreferent im Werk Sindelfingen. 2005 wechselte er zur Continental AG als Manager Konzernpersonalentwicklung u.a. mit den Schwerpunkten Lernende Fabrik, Einführung der weltweiten Mitarbeiterbefragung und kulturelle Integration SiemensVDO. Seit Januar 2008 ist er im Bereich Reifen als Personalleiter für die weltweite Forschung und Entwicklung sowie das Erstausrüstungsgeschäft zuständig. Kontakt: [email protected]

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Prof. Dr. Karsten Müller war nach Studium der Psychologie an der Universität Mannheim und San Diego State University als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Diagnostik, Evaluation und Forschungsmethoden und am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie tätig. Daneben erhielt er Lehraufträge an der Technischen Universität Kaiserslautern, der FernUniversität in Hagen, der Marmara Üniversitesi Istanbul, der Hochschule Pforzheim und der Technischen Universität Kaiserslautern. Seit 2007 ist er Inhaber der Juniorprofessur für Wirtschaftspsychologie an der Universität Mannheim mit Forschungsschwerpunkten im Bereich der interkulturellen Wirtschaftspsychologie, SurveyFeedback-Verfahren und organisationsbezogenen Einstellungen. Neben der Lehrtätigkeit arbeitete Karsten Müller als Berater in zahlreichen internationalen Organisationsdiagnose und -entwicklungsprojekten. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Yaling Pan absolvierte nach dem BA- und Magisterstudium in Germanistik an der Tongji Universität Shanghai ein Fortbildungsprogramm für hoch qualifizierte Dolmetscher und Übersetzer der VR China am Fachbereich Angewandte Sprachwissenschaft der Johannes Gutenberg Universität Mainz in Germersheim (1991-1993). Seit 1993 lehrt sie in School of Foreign Studies an der University of International Business and Economics (UIBE) in Beijing China. 2008 promovierte sie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Forschungsschwerpunkte sind interkulturelle (Wirtschafts)-kommunikation, interkulturelle Sprachlehrforschung, Sprachlerntheorie und Dolmetschen Chinesisch/ Deutsch. Kontakt: [email protected] Dr. Sylke Piéch studierte Psychologie, Soziologie und Pädagogik an der Freien Universität Berlin. Anschließend absolvierte sie einen internationalen Ergänzungsstudiengang an der Technischen Universität Berlin und University of Glasgow/Scotland, UK. Nach einem weiteren Auslandsaufenthalt in London promovierte sie an der Freien Universität Berlin und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena bei Prof. Dr. Jürgen Bolten. Sie verfügt über langjährige Erfahrungen auf dem Beratungs- und Weiterbildungssektor. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit ist sie Leiterin des Instituts für interkulturelle Forschung und Praxis (www.iifp.de). Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Stefanie Rathje ist seit 2008 Professorin für Unternehmensführung und Kommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Nach ihrem Studium der Kommunikationswissenschaften in Berlin und der Betriebswirtschaftslehre (MBA) in Chicago war sie zunächst in einer internationalen Strategieberatung tätig, bevor sie im Anschluss an Ihre Promotion auf eine Juniorprofessur für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an die Friedrich-Schiller-Universität Jena berufen wurde. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Unternehmenskultur, Interkulturelle Kompetenz, zeitgemäße Kultur- und Kollektivkonzeptionen sowie Kooperationsfähigkeit als Unternehmenskompetenz. Kontakt: [email protected] Dipl. Kauffr. Int. Nadja Riedlberger, geboren 1979, hat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Internationale Betriebswirtschaftslehre mit den Studienschwerpunkten Internationales Management und Auslandswissenschaften studiert und sich während des Studiums, vor allem mit der abschließenden Diplomarbeit, auf den Bereich der Interkulturellen Kommunkation spezialisiert. Auslandsaufenthalte in Spanien, Chile und Brasilien und eine momentane Anstellung im internationalen Controlling eines multinationalen Unternehmes in Südamerika komplettieren den theoretischen interkulturellen Hintergrund. Kontakt: [email protected]

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Prof. Dr. Volker Stein ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation an der Universität Siegen. Darüber hinaus lehrt er in Saarbrücken und Straßburg. Er ist Gründungsdirektor der Siegener Mittelstandsakademie und Geschäftsführer des Instituts für Managementkompetenz (imk) an der Universität des Saarlandes. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen das Strategische Personalmanagement im Mittelstand, Internationale empirische Organisationsforschung, Marktbasierte Führung in Organisationen sowie das von ihm mit entwickelte Konzept des Human Capital Managements („Saarbrücker Formel“). Prof. Stein ist Department Editor der Zeitschrift für Management, Autor von „Emergentes Organisationswachstum“ (2000), Co-Autor von „Human Capital Management“ (2004, 2. Aufl. 2006) und „Der Talente-Krieg“ (2007) sowie Mitherausgeber des „Bologna-Schwarzbuchs“ (2009). Kontakt: [email protected] Dr. Jochen Strähle ist Leiter Sonderprojekte der Primondo GmbH und Fachbuchautor zum Thema Unternehmenskultur und internationale Fusionen und Übernahmen. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit verschiedenen Aspekten der Unternehmenskultur und ihren Ausprägungen. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Stefan Strohschneider, Diplom in Psychologie an der Otto-Friedrich Universität Bamberg, Promotion und Habilitation für das Fach Psychologie. 1985-1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter im DFG-Projekt „Systemdenken“ an der Universität Bamberg, 1990-1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Max-Planck-Projektgruppe „Kognitive Anthropologie“ in Berlin, 1992-2005 wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Theoretische Psychologie der Universität Bamberg. Seit Oktober 2005 Vertretung der Professur für Interkulturelle Kommunikation an der Friedrich Schiller-Universität Jena; Ernennung im März 2007. Forschungsschwerpunkte in den Bereichen Kommunikation und Entscheiden in kritischen Situationen, Entwicklung von Trainingskonzepten für heterogene Teams unter Nutzung handlungsbasierter Lernformen, kulturvergleichende Problemlöseforschung, Sicherheitskultur; Forschungsprojekte in Indien, Schweden, Brasilien, Mexiko u.a. internationale Kooperationen. Kontakt: [email protected] Dr. Petra-Stefanie Vogler, geboren in Stuttgart, arbeitet seit vielen Jahren in den Bereichen der interkulturellen Bildung, Forschung und Weiterbildung. Ihre Dissertation „Interkulturelle Pädagogik als Globalisierungsalternative – Interkulturalität und Pädagogik in Mexiko und Kuba und die Relevanz kreativ-künstlerischer Bildung“ absolvierte sie im Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Philosophischen Fakultät IV, Humboldt-Universität zu Berlin. Vorangegangene Studienschwerpunkte waren Sozial- und Verhaltenwissenschaften, Romanistik, Ethnologie und Kunstgeschichte an den Universitäten Tübingen, Rom und Barcelona. Die vergangene Dekade führten sie ihre Arbeits- und Forschungsaufenthalte v.a. nach Lateinamerika, Südeuropa und Asien und leitete den Bereich für Interkulturelles Management bei einer großen deutschen Firma in Bangalore, Indien. Seit dem 1. April 2009 ist sie als freiberufliche interkulturelle Beraterin und Dozentin tätig. Kontakt: [email protected]

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Schriftenreihe Interkulturelle Wirtschaftskommunikation Band

1 Jürgen Bolten (Hrsg.): Cross Culture − Interkulturelles Handeln in der Wirtschaft, 2., überarb. Aufl. 1999

Band

2 Jürgen Bolten, Marion Dathe (Hrsg.): Transformation und Integration. Aktuelle Probleme und Perspektiven west-/osteuropäischer Wirtschaftsbeziehungen, 1995

Band

3 Jürgen Bolten, Marion Dathe, Susanne Kirchmeyer, Klaus Klott, Peter Witchalls, Sabine Ziebell-Drabo: Lehrwerke und Lehrmaterialien für die Wirtschaftsfremdsprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch, 1995

Band

4 Christoph I. Barmeyer, Jürgen Bolten (Hrsg.): Interkulturelle Personalorganisation, 1998

Band

5 Michael Hasenstab: Interkulturelles Management. Bestandsaufnahme und Perspektiven, 1999

Band

6 Jürgen Bolten, Daniela Schröter (Hrsg.): Im Netzwerk interkulturellen Handelns: Theoretische und praktische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung, 2002

Band

7 Jochen Strähle (Hrsg.): Interkulturelle Mergers & Acquisitions. Eine interdisziplinäre Perspektive, 2003

Band

8 Stefanie Rathje: Unternehmenskultur als Interkultur. Entwicklung und Gestaltung interkultureller Unternehmenskultur am Beispiel deutscher Unternehmen in Thailand, 2004

Band

9 Jürgen Bolten (Hrsg.): Interkulturelles Handeln in der Wirtschaft. Positionen, Modelle, Perspektiven, Projekte, 2004

Band 10 Tanja Emmerling (Hrsg.): Projekte und Kooperationen im interkulturellen Kontext. Interdisziplinäre Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis, 2005 Band 11 Daniel Tsann-ching Lo: Die Bedeutung kultureller Selbst- und Fremdbilder in der Wirtschaft. Zum Wandel des Deutschlandbildes in Taiwan 1960-2000, 2005 Band 12 Yaling Pan: Interkulturelle Kompetenz als Prozess. Modell und Konzept für das Germanistikstudium in China aufgrund einer empirischen Untersuchung, 2008 Band 13 Sylke Piéch: Das Wissenspotenzial der Expatriates. Zur Prozessoptimierung von Auslandsentsendungen, 2009 Band 14 Christoph I. Barmeyer, Jürgen Bolten (Hrsg.): Interkulturelle Personal- und Organisationsentwicklung, 2010