Intellektuelle unter Franco: Eine Geschichte des spanischen Denkens von 1939 bis 1975 9783964564382

La difícil situación de los intelectuales bajo un régimen totalitario, cerrado contra las corrientes europeas, es el tem

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Intellektuelle unter Franco: Eine Geschichte des spanischen Denkens von 1939 bis 1975
 9783964564382

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. 1939-1945: Ende des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs. Vom Zusammenbruch des spanischen Geisteslebens zum Niedergang der totalitär-imperialen Kultur
2. 1945-1951: Internationale Isolation. Beginn der Rekonstruktion der Vernunft. Erste Phase der Wiederentdeckung des liberalen Denkens der Vorkriegszeit
3. 1951-1956: Geistige Liberalisierung und politische Öffnung nach außen. Dialog mit dem Exil, erste Verbindungen zum europäischen Denken und Universitätskrise von 1956
4. 1956-1962: Reste des traditionellen Fundamentalismus. Aufkommen der technokratischen Ideologie der wirtschaftlichen Entwicklung und wissenschaftliche Kritik am ideologischen Absolutismus
5. 1962-1969: Versuche der Institutionalisierung des Systems und zweite Phase der Liberalisierung. Entwicklung im Bereich des christlichen Denkens und der dialektischen Philosophie
6. 1969-1975: Wirtschaftliche Stagnation und politische Umkehr. Letzte Krise des franquistischen Systems und Rehabilitierung des demokratischen Denkens in Spanien
Nachwort: Kultur und Politik im demokratischen Spanien
Auswahlbibliographie
Personenregister

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Díaz Intellektuelle unter Franco

Elias Diaz

Intellektuelle unter Franco Eine Geschichte des spanischen Denkens von 1939-1975 Aus dem Spanischen von Ruth Zimmerling

Vervuert Verlag • Frankfurt am Main

1991

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Diaz, Elias Intellektuelle unter Franco. Eine Geschichte des spanischen Denkens von 1939-1975 / Elias Diaz. Frankfurt am Main: Vervuert, 1991 ISBN 3-89354-050-4 NE: Diaz, Elias

© Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 1991 Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Michael Ackermann Printed in Germany

Inhalt

Einleitung

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1. 1939-1945: Ende des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs. Vom Zusammenbruch des spanischen Geisteslebens zum Niedergang der totalitärimperialen Kultur

13

2. 1945-1951: Internationale Isolation. Beginnende Rückgewinnung der Vernunft. Erste Phase der Wiederentdeckung des liberalen Denkens der Vorkriegszeit

37

3. 1951-1956: Geistige Liberalisierung und politische Öffnung nach außen. Dialog mit dem Exil, erste Verbindungen zum europäischen Denken und Universitätskrise von 1956

59

4. 1956-1962: Reste des traditionellen Fundamentalismus. Aufkommen der technokratischen Ideologie der wirtschaftlichen Entwicklung und wissenschaftliche Kritik am ideologischen Absolutismus

85

5. 1962-1969: Versuche der Institutionalisierung des Systems und zweite Phase einer gewissen Liberalisierung. Entwicklung im Bereich des christlichen Denkens und der aktuellen dialektischen Philosophie

107

6. 1969-1975: Wirtschaftliche Stagnation und politische Umkehr. Totale Krise des franquistischen Systems und Rehabilitierung des demokratischen Denkens in Spanien

159

Nachwort: Kultur und Politik im demokratischen Spanien

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Auswahlbibliographie

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Personenregister

231

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Einleitung

Das vorliegende Buch - eine kurze Geschichte der sozialen und politischen Ideen im Spanien der Franco-Zeit, allerdings weniger der offiziellen Lehren als des abweichenden, oppositionellen Denkens - wurde erstmals 1974 in Madrid vom Verlag Cuadernos para el Diálogo veröffentlicht. Es handelt sich also um ein (geographisch, nicht ideologisch) innerhalb des Systems entstandenes Werk, das parallel zu den Ereignissen jener Jahre geschrieben wurde, diese aber auch - soweit das damals möglich war von einem kritisch-demokratischen Standpunkt aus beeinflussen wollte. General Franco starb am 20. November 1975. Danach wurde das Buch - nun schon im Spanien des Übergangs bzw. der inzwischen gefestigten Demokratie - noch zweimal aufgelegt - 1978 und 1983. Die letzte Auflage (die auch der deutschen Übersetzung zugrundeliegt) wurde um ein Kapitel über das Ende der Franco-Ära erweitert, so daß jetzt die gesamte Zeit dieses Regimes - von 1939-1975 - abgedeckt ist. Abgesehen von dieser kurzen Ergänzung entspricht der Text jedoch noch immer dem der ersten Auflage von 1974. Diese Erläuterungen scheinen mir nötig, um dem deutschen Leser die Einordnung des folgenden zu erleichtern. Ich will aber noch einige zusätzliche Erklärungen anschließen. Als erstes möchte ich betonen, daß es Hauptzweck des Buches - der Grund, warum ich mich entschloß, es zu schreiben und zu veröffentlichen - ist, Zeugnis davon abzulegen, wie unter dem Franco-Regime fast von Anfang an trotz der starken Unterdrükkung durch die Diktatur ein kritisches, oppositionelles Denken zugunsten von Freiheit, Pluralismus und Demokratie entstand und sich unter großen Mühen ausbreitete. Aus diesem Grund enthält das vorliegende Buch eine ausführliche, detaillierte Dokumentation von Werken, Autoren, Auseinandersetzungen, Strömungen und theoretischen Ansätzen, die für den an solchen Fragen interessierten deutschen Leser ebenso nützlich sein mag, wie sie es - hoffentlich - für den spanischen war. Dabei werden selbstverständlich auch die verschiedenen Entwicklungs- und »Mäßigungs«-Phasen berücksichtigt, die das (trotz allem stets antidemokratische) Franco-Regime im Laufe jener vierzig Jahre - sozusagen vom ideologischen Totalitarismus bis zum technokratischen Autoritarismus - durchgemacht hat. Die zweite Erklärung, die mit der ersten eng zusammenhängt, bezieht sich auf die Tatsache, daß dieses Buch im damaligen Spanien - wie gesagt: 1974 - veröffentlicht wurde. Sofort drängt sich die Frage auf: Was konnte denn damals, gegen Ende der Franco-Zeit, in Spanien gesagt, was durfte publiziert werden? Was sagt folglich die-

8 ses Buch? Ich kann den Leser nur auf den Inhalt verweisen, wobei ich ohne weiteres zugebe und schon hier darauf hinweisen möchte, daß die (vor allem sprachlichen) Grenzen des Ausdrucks immer in direktem Zusammenhang mit den besonderen, sehr negativen politisch-historischen Rahmenbedingungen zu sehen sind. Trotzdem möchte ich vor der allzu einfachen Interpretation warnen, die - entgegen den Tatsachen und sogar im Widerspruch zum späteren Übergang zur Demokratie - bestreitet, daß es in der Franco-Ära vor allem in den letzten Jahren trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse, die das Regime um jeden Preis - und mit Erfolg - zu errichten suchte, kritisch-demokratische Positionen gab. In deren Denklinie möchte sich mein Buch - in aller Bescheidenheit - einreihen. Aus den beiden vorstehenden Erklärungen ergibt sich unmittelbar folgendes: Das Franco-Regime bedeutete trotz gewisser (im Laufe der Zeit unterschiedlich großer) kultureller und sozialer Freiräume im Grunde immer die eindeutige Negation von Freiheit und Demokratie. Doch konnte es viele soziale und kulturelle Errungenschaften und Fortschritte derer, die - im kulturellen Bereich mit den Waffen der Kritik - für Demokratie und Freiheit kämpften und die in der damaligen politischen Terminologie als »Arbeits- und Kulturkräfte« bezeichnet wurden, weder verhindern noch zunichte machen. Speziell für den Bereich des Geisteslebens kann man keineswegs einfach behaupten, alles, was erschien und erscheinen »durfte«, habe allein schon deswegen dem Regime des Generals gedient. Bei genauem Hinsehen war klar, oder doch einigermaßen klar (es waren schwere Zeiten), daß die Legitimationsfunktion hinter der Anprangerung von Irrationalität und Unterdrückung zurücktrat. Andererseits ist - will man die komplizierte, verwirrende und unsichere damalige Lage besser verstehen - nicht zu vergessen, daß die Tatsache, daß man etwas veröffentlichen konnte, nicht unbedingt bedeutete, daß man keiner politischen oder gerichtlichen Repression ausgesetzt war oder daß der Autor keine negativen sozialen oder beruflichen Folgen zu erwarten hatte. All diese und viele andere Umstände beeinträchtigten und behinderten ohne Zweifel sehr stark die Möglichkeiten für echte intellektuelle oder wissenschaftliche Arbeit in der Franco-Zeit. Aber wenn man den Mut aufbrachte, wenn man so tat, »als ob« Freiheit herrschte, wenn man gewisse Risiken auf sich nahm (die gerade für die letzten Phasen nicht überdramatisiert werden sollten), konnte man doch einiges tun, und es wurde auch eine Menge getan. Von einem Teil davon, speziell im Bereich der Kultur, der Philosophie und der Sozialwissenschaften, von Büchern, Ideen, Autoren, Zeitschriften und intellektuellen Gruppierungen, die kämpften - d. h. die schrieben und sich für die Freiheit in ihren verschiedenen Aspekten und für die Demokratie und deren Grundwerte einsetzten -, handelt dieses Buch. Im folgenden findet man also - wie ich hoffe - die beiden genannten Dimensionen wieder, die bei der hier gewählten Behandlung des spanischen Denkens jener Jahre untrennbar miteinander verbunden sind: die deskriptive, in erster Linie bloß informative (die auch für diejenigen nützlich sein mag, die meinen Standpunkt nicht teilen)

9 und die immer dahintergeschaltete explikative, direkt und unmittelbar kritische Dimension. Obwohl dies methodologisch nicht ausdrücklich erwähnt wird - das Buch wurde nicht geschrieben, um die Vorzüge der einen oder anderen erkenntnistheoretischen Richtung oder Schule zu beweisen -, sind die auf beiden Ebenen am meisten berücksichtigten Kategorien - allerdings ohne hermeneutischen Dogmatismus - die miteinander zusammenhängenden Kategorien Gesellschaft und Ideologie. Sie werden sowohl für die soziologische Erklärung mancher Bewußtseinsformen als auch für die Analyse der ideologischen Deformationen bei anderen gebraucht. Dies bedeutet zugegebenermaßen die Einnahme einer ganz bestimmten Wertungsperspektive, die so deutlich zum Ausdruck kommt, wie es die Zeiten erlaubten, eine Perspektive nämlich, die auf die Rückgewinnung und Stärkung eines Denkens und einer Kultur pluralistischer Prägung vor dem gemeinsamen Hintergrund der Verteidigung von Freiheit und Demokratie ausgerichtet ist, wobei aufgrund meiner auch damals schon vorhandenen persönlichen Überzeugung eine besondere Orientierung an den Prinzipien und Werten des demokratischen Sozialismus zum Tragen kommt. Dies also ist der Ausgangspunkt für die folgende Kritik an den politischen und nicht-politischen Lehren, die - mit Hilfe verschiedener, mehr oder weniger gewaltsamer, willkürlicher und skrupelloser Verfahren - von den höchsten offiziellen und offiziösen Instanzen des Franco-Regimes durchgesetzt wurden. Der Kampf, die Kritik aus dem Bereich der Kultur und der Universitäten - artikuliert vor allem von der 56erund der 68er-Generation - trug ganz entscheidend zu dem unaufhaltsamen Auflösungsprozeß und dem endgültigen Scheitern der offiziellen Ideologie bei, die im Laufe all jener Jahre unter dem Franco-Regime herrschte. Wie schon gesagt, lassen sich die doktrinären Vorstellungen unterscheiden und auffassen als (mehr direkt und naiv ideologischer) »katholischer Totalitarismus« in der ersten Zeit und als (mehr ökonomistischer) »technokratischer Autoritarismus« in der späteren Ausformung; aber die verschiedenen Versionen behielten natürlich alle stets ihren zutiefst antiliberalen und antidemokratischen, im wesentlichen unzweifelhaft diktatorischen und reaktionären Charakter. In Verbindung mit diesem langen Prozeß werden im vorliegenden Buch - das nach den sechs Hauptphasen zwischen 1939 und 1975 unterteilt ist - verschiedene Widersprüche analysiert, die von Anfang an in dem von uns damals sogenannten eigentlichen Inneren des herrschenden Blocks auftraten, sowie die Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft und die politische Kontrolle, wie sie sich schon in den vierziger Jahren zwischen verschiedenen Gruppierungen in diesem Inneren abzeichneten und dann auch ergaben, die selbstverständlich immer mit dem höchsten Einverständnis des siegreichen Caudillo rechnen konnten. Aus dieser Sicht, die schon die eine oder andere winzige Möglichkeit für Meinungsverschiedenheiten einschloß und sogar ein bevorstehendes Verlassen des Machtblocks ankündigte, werden hier z. B. die Auseinandersetzungen der ersten Jahre auf kulturpolitischer Ebene zwischen Falangisten verschiedener Richtungen einerseits und traditionellen katholischen Fundamentali-

10 sten andererseits oder - dies dann schon in den fünfziger Jahren - zwischen letzteren, die mehr dem Opus Dei nahestanden, und den »Christdemokraten« der Asociación Católica Nacional de Propagandistas oder den monarchistischen »Liberalen« betrachtet. Die Verfechter der »Öffnung« (deren Namen auf den folgenden Seiten immer wieder vorkommen werden) waren einerseits modernisierte Legitimationsbeschaffer für das System, die ihre Wünsche mit der Wirklichkeit verwechselten und ein - falsches - zu liberales Bild des Regimes malten; andererseits ermöglichten und förderten sie aber dadurch, daß sie das Legitimationskriterium - zumindest teilweise ändern wollten, auch die eine oder andere frühe, nicht zu unterschätzende Kritik daran. Trotzdem traten erst nach 1951 und eigentlich sogar erst nach 1956 politische und kulturelle Kräfte und Gruppierungen sowie Einzelpersonen auf, die völlig außerhalb des Systems agierten und/oder sich hinreichend deutlich vom herrschenden Machtblock und dem ganzen ideologischen und institutionellen Geflecht des Franco-Regimes absetzten. Ein weiterer Faktor, der in diesem Buch eine entscheidende Rolle als Hintergrund, als unterschwelliges Strukturelement (der Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Ideologie) spielt, sind - obwohl das eigentlich schon nicht mehr zum Thema gehört - die bedeutenden, ambivalenten sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die das Land im Laufe der sechziger Jahre durchmachte und die zu einer Neudefinition der Grundzüge des Franco-Regimes in seiner letzten Phase führten. Es handelte sich selbstverständlich um Veränderungen im Rahmen einer kapitalistischen Produktionsweise, die sich damals aufgrund der Besonderheiten des damaligen Spanien - undemokratisches Regime mit u. a. dem Verbot freier Gewerkschaften und der Verweigerung des Streikrechts - folgendermaßen darstellten: starke, unkontrollierte private Kapitalakkumulation, Niedrigstlöhne, zahllose Sonderschichten, schlimmste Arbeitsbedingungen, ungeordnete Abwanderung vom Land in die großen städtischen Industriezentren in Spanien und im Ausland, manipulierter Massenkonsum, völliges Fehlen einer Infrastruktur, instabiles Wirtschaftswachstum, das oft wie man sehr bald feststellen mußte - keinerlei solide Grundlage besaß, mit all dem verbunden die Entstehung einer neuen Mittelschicht und sogar einer neuen, bewußteren und besser organisierten Arbeiterklasse. Letztere ließ sich unter diesen Bedingungen durch den beginnenden Kapitalismus der wundergläubigen Technokraten des Opus Dei, die von Francos Diktatur und seinem Komplizen Carrero Blanco immer unterstützt wurden, schwerlich integrieren und demobilisieren. Jedenfalls brachten diese Veränderungen als offenkundig ungewollte Nebenwirkung im Laufe der sechziger Jahre - der Zeit der Entwicklungsideologie - die große Phasenverschiebung zwischen jener unausgeglichenen, dualen neuen Gesellschaft und den überlebten juristischen und politischen Institutionen des Franco-Regimes - denen aus der allerersten Phase (des katholischen Totalitarismus) und denen der späteren Etappen der »organischen Demokratie« und des technokratischen Autoritarismus - mit sich. Für all dies

11 finden sich auf den Seiten des vorliegenden Buches Beispiele und Hinweise, natürlich überwiegend aus dem kulturellen Bereich. Die sozio-ökonomische Komplexität und Unausgewogenheit im Spanien der sechziger Jahre - das Überleben eines Teils der alten, von jeher reaktionären traditionellen Oligarchie neben den neuen Sektoren des Industrie- und Finanzkapitals und, beiden entgegengesetzt, die zunehmende demokratische und sozialistische Bewußtseinsentwicklung der Arbeiterklasse sowie einer großen Zahl von Akademikern und Intellektuellen, von weiten Teilen der Freiberufler, Techniker, Beamten usw. - läßt das Regime mit seinen fundamentalistisch-ideologischen Grundlagen und seinem rechtlichpolitischen Apparat völlig unzeitgemäß und funktionsunfähig werden; trotzdem bleibt es - mehr schlecht als recht - bestehen, da sein Einsatz als Disziplinierungsinstrument zur Erzielung leichter Gewinne, aber auch als direktes diktatorisches Repressionsinstrument - vor allem in den schlimmsten Augenblicken der sozialen Kämpfe - dem spanischen Kapital damals trotz allem noch immer gelegen kam. In den sechziger Jahren findet man also die folgenden beiden Einstellungen in der politischen Klasse sowie in den Führungscliquen des spanischen Kapitalismus - wobei von Fall zu Fall und je nach Sektor die eine oder die andere vorherrscht: einerseits die Ansicht, die starre politische und gewerkschaftliche Organisation des FrancoStaates sei obsolet und untauglich, womit aus dem Regime selbst heraus ein laues, langsames pluralistisches Reformdenken aufkam, das in einigen Fällen später ausdrücklich in liberal-demokratische Richtung tendierte; andererseits aber auch (vor allem in den Zeiten der größten sozialen Spannungen) die Ansicht, man solle sich weiterhin, besonders gegen die Arbeiterklasse, des repressiven Apparates des Regimes bedienen. Je nach den Umständen tritt die eine oder die andere Seite der Medaille hervor, der auf Verständnis und Öffnung gerichtete Standpunkt oder der unnachgiebig repressive, während gleichzeitig - in Verbindung mit ersterem - auch schon (eindeutig auf demokratische Reformen orientierte) Haltungen vorkommen, die sich diesem Dualismus entziehen und die bekanntlich später sehr aktiv am Übergangsprozeß zur Demokratie mitgearbeitet haben. Die große politische und kulturelle Krise, die sich schon - um ein symbolisches Datum zu nennen - 1968 ankündigt und die auf der Ebene der Weltwirtschaft ab 1973 spürbar wird, zeigt in aller Deutlichkeit die Unausgewogenheit und den Anachronismus des Franco-Regimes, aber auch das Weiterbestehen und sogar die Verhärtung der Repression, die am Ende manchmal fast so intensiv und grausam betrieben wird wie in alten Zeiten. Diese Faktoren kennzeichneten die Endphase des Regimes von 1969-1975, die von großen Spannungen und Entscheidungsschwächen geprägte Phase der totalen, allgemeinen Krise des Systems. Die sozialen und ökonomischen Bedingungen, die ich hier - auch auf die Gefahr allzu großer Vereinfachung hin - zusammenfassend darzustellen versucht habe, bilden den unerläßlichen Bezugsrahmen, in den die politischen und philosophischen Ideen und die kritische Kultur des Widerstandes und der Opposition gegen das Franco-Re-

12 gime, die trotz allem in jenen langen Jahren der spanischen Zeitgeschichte entstanden sind und sich kraftvoll entwickelt haben, einzuordnen und in dem allein sie zu verstehen sind. Ich denke, daß ohne die Kenntnis dieser komplexen, vieldeutigen Umstände nicht möglich ist zu verstehen, was nach dem Ende der Diktatur und während des Übergangs zur Demokratie geschehen ist. Ich möchte diese Einleitung beenden mit einem herzlichen Dank an meinen Kollegen und lieben Freund Ernesto Garzón Valdés für den großen Einsatz, mit dem er die Veröffentlichung dieser Übersetzung meines Buches unterstützt und so seine Verbreitung im Bereich der deutschsprachigen Kultur und Philosophie - wie früher schon die anderer spanischer Autoren - ermöglicht hat. Ohne ihn hätte es diese wichtige Gelegenheit zu innereuropäischer Kommunikation nicht gegeben. Mein Dank gilt auch der Vervuert-Verlagsgesellschaft dafür, daß sie das Buch unter ihre verlegerischen Fittiche genommen hat, sowie ganz besonders meiner Übersetzerin Ruth Zimmerling für die Mühe und Sorgfalt, die sie darauf verwandt hat, dem deutschsprachigen Leser all die intellektuellen Fortschritte und Rückschritte Nachkriegsspaniens zugänglich zu machen.

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1. 1939-1945: Ende des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs. Vom Zusammenbruch des spanischen Geisteslebens zum Niedergang der totalitär-imperialen Kultur.

Ende des Bürgerkriegs

und Exil der

Intellektuellen

Eine Geschichte des spanischen Denkens nach 1939 muß notwendigerweise immer mit der - wegen des schmerzlichen Verlustes, der für die Betroffenen und für Spanien damit verbunden ist, bitteren - Erinnerung an das Exil vieler unserer bedeutendsten Intellektuellen (Philosophen, Wissenschaftler, Literaten, Dichter, Künstler) in jenen Jahren, in mehr oder weniger direkter und unmittelbarer Folge des Bürgerkrieges, beginnen. Es ist dies eine ganz entscheidende Tatsache, die sich bis in die heutige Zeit auswirkt. Keiner der Exilanten darf vergessen werden. Ihre vollständige Auflistung unter Einschluß auch der damals noch jüngeren, die ihre Ausbildung teilweise schon außerhalb Spaniens erhielten, sowie derer, die vor dem Krieg fortgegangen waren und nachher nicht zurückkehrten, und der Exilanten der Nachkriegszeit - wäre leider zu umfangreich, um sie hier, zu Beginn dieses kurzen Bandes, vollständig wiederzugeben.1 Es sei daher nur an einige der hervorragendsten unter ihnen erinnert; viele von ihnen leider schon verstorben: Von denen, die über philosophische Themen gearbeitet haben, seien genannt José Gaos, Joaquín Xirau, Eduardo Nicol, Juan David Garcia Bacca, José Ferrater Mora, Juan Roura-Parella, Eugenio Imaz, Wenceslao Roces, María Zambrano, Adolfo Sánchez Vázquez u. a. 2 Eher sozialwissenschaftlich orientiert waren u. a. Fernando de los Ríos, Luis Jiménez de Asüa, Francisco Ayala, Luis Recasens Siches, Angel Ossorio y Gallardo, José Medina Echavarría, Felipe Gonzá-

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Vgl. dazu insbesondere für die ersten Jahre die umfassende Bibliographie (145 Seiten), zusammengestellt von Julián Amo und Charmion Shelby unter dem Titel: La obra impresa de los intelectuales españoles en América, 1936-1945, mit einem Vorwort von Alfonso Reyes, Hispanic Foundation of the Library of Congress: Stanford University Press, California 1950. Außerdem die mit anderen Informationen vermischten bibliographischen Angaben in Mauricio Fresco: La emigración republicana española: una victoria de México, Mexiko: Editores Asociados 1950, S. 96-119. Für eine mehr allgemeine Bewertung vgl. u. a. von Aldo Garosci: Gli intellettuali e la guerra di Spagna, Turin: Einaudi 1959, das auch Informationen Uber die in Spanien Gebliebenen und das intellektuelle und politische Leben dort in den ersten Jahren der hier interessierenden Epoche enthält (Kap. IX, S. 220-249).

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Vgl. zu den exilierten Philosophen das wichtige Buch von José Luis Abellán: Filosofía española en América (19361966), Madrid: Ed. Guadarrama und Seminarios y Ediciones 1966, und die dort angegebene Literatur.

14 lez Vicen und Manuel Garcia Pelayo. 3 Im Bereich vornehmlich der Literaturkritik und im Anschluß daran auch dem der Ideengeschichte ragen vor allem Joaquín Casalduero, José F. Montesinos, Angel del Río, Federico de Onís, Alfonso Castelao, Amado Alonso, Enrique Díez-Canedo, Francisco García Lorca, Guillermo de Torre, Antonio Sánchez Barbudo, Juan López Morillas, Segundo Serrano Poncela, Juan Marichai, Ramón Xirau, Manuel Durán, Ricardo Gullón und Carlos Blanco Aguinaga hervor. Zu nennen sind auch die Lehrer und Pädagogen von der Institución Libre de Enseñanza, darunter vor allem José Castillejo, Alberto Jiménez Fraud, Lorenzo Luzurriaga, Luis de Zulueta und Antonio Jiménez-Landi; dann die Historiker wie Américo Castro, Claudio Sánchez Albornoz, Rafael Altamira, Pedro Bosch Gimpera, Salvador de Madariaga, Vicente Llorens, Manuel Tuñón de Lara, Nicolás Sánchez Albornoz; von den Dichtern ganz besonders Juan Ramón Jiménez, Pedro Salinas, Jorge Guillén, Rafael Alberti, Luis Cemuda, León Felipe, Pere Quart, Caries Riba, Josep Camer, Juan José Domenchina, Emilio Prados, José Moreno Villa, Manuel Altolaguirre etc.; 4 die Romanschriftsteller Max Aub, Arturo Barea, César de Arconada, Ramón Sender, Manuel Andújar, Benjamín Jarnés, Mercé Rodoreda;5 Dramatiker wie Alejandro Casona oder Jacinto Grau;6 Essayisten und politische Schriftsteller (von denen die meisten auch selbst politisch aktiv waren) wie Manuel Azaña, Indalecio Prieto, José María Gil Robles, Luis Araquistain, Rodolfo Llopis, Andrés Saborit, José Bergamín, Pablo de Azcárate, Mariano Granados, Mariano Ruiz Funes usw7 Auch die Naturwis3

Über die Mitglieder dieser Gruppe gibt es zwar einige Aufsätze und Arbeiten zu Einzelaspekten, es fehlt aber meines Wissens Uber sie (einschließlich der Historiker, einiger vor allem an Themen des spanischen Denkens interessierter Literaturkritiker, Essayisten etc.) ein Buch, das dem Werk Abelláns über die Philosophen gleichkäme.

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Zu einem großen Teil der spanischen Dichtung (über Krieg, Exil und die in Spanien Zurückgebliebenen) aus den Jahren 1936-1939 vgl. Dario Puccini: Romancero della resistenza spagnola, Mailand: Ed. Feltrinelli 1960; es handelt sich um eine umfassende Anthologie mit einer interessanten Einführung des Herausgebers. Vgl. auch neben anderen, später noch zitierten Sammelbänden zur Lyrik des Exils und des Inlands José Maria Castellet (Hrsg.): Un cuarto de siglo de poesía española (1939-1964) (mit ausführlichen Einführungen des Herausgebers), Barcelona: Ed. Seix-BarTal 1966, sowie José Corrales Egea und P. Darmangeat (Hrsg.): Poesía española del siglo XX, Paris: Libreria Española 1966.

5 José Ramón Marra López: Narrativa española fuera de España (1939-1961), Madrid: Ed. Guadarrama 1963. Vgl. außerdem Rafael Conte: La novela española del exilio, in Sonderheft XIV (Mai 1969) der Zeitschrift Cuadernos para el Diálogo (Madrid) zum Thema »30 años de literatura. Narrativa y poesía española, 1939-1969«. 6

Für die besondere Erwähnung exilierter Dramatiker vgl. z. B. Ignacio Soldevilla: Sobre el teatro español de los últimos veinticinco años, in Cuadernos Americanos (Mexiko) Nr. CXXVI (Jan.-Feb. 1963); außerdem in Sonderheft III (Juni 1966) der Cuadernos para el Diálogo (Madrid) über das spanische Theater den Aufsatz von Ricardo Doménech: Los trastejados, S. 34-36.

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Weitere Namen republikanischer Politiker, die allerdings in weniger enger Verbindung zur intellektuellen Welt standen - das heißt, die nicht so viel schrieben - wären etwa Juan Negrín, Francisco Largo Caballero u. a. Soweit mir bekannt ist, gibt es bis heute kein umfassendes Buch Uber die republikanische Emigration oder eine vollständige Geschichte der spanischen politischen Exilanten, obwohl selbstverständlich Literatur zu Einzelaspekten vorliegt. Bezüglich der ersten Jahre vgl. etwa Isabel de Palencia: Smouldering Freedom. The Story of the Spanish Republicans in Exile, London: Victor Gollancz 1946; Carlos Martínez: Crónica de una emigración: la de los republicanos españoles en 1939, Mexiko: Libro Mex-Editores 1969; David Wingeate Pike: Vae vietisi Los republicanos españoles refugiados en Francia (1939-1944), Paris: Ruedo Ibérico 1969; Alberto Fernández: Emigración republicana española (1939-1945), Madrid: Ed. Zero 1972, und Españoles en la Resistencia, Madrid: Ed. Zero 1973; Antonio Vilanova: Los olvidados: los exiliados españoles en la segunda guerra mundial, Paris: Ruedo Ibérico 1969; über einen etwas größeren Zeitraum Guy Hermet: Les Espagnols en France, Paris: Les Editions Ouvrières 1967. Spezieller zu politischen Institutionen und Kräften im Zeitraum 1939-1950 vgl. F. G. Bruguera: Histoire contemporaine d'Espa-

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senschaftler und Mediziner sind nicht zu vergessen: Arturo Duperier, Augusto Pi y Sunyer, Severo Ochoa, Julio Rey Pastor, Pittaluga, Juan Gallego Díaz u. a. Sie alle und sehr viele andere (ich habe mich hier auf die Nennung der Intellektuellen beschränkt), deren Ausbildung soviel Mühe gekostet hatte, die das Land so dringend brauchte und deren Miß- und Verachtung es sich gar nicht leisten konnte, verließen damals Spanien - viele von ihnen für immer.» Ganze Generationen, jahrzehntelange Mühen, die intellektuelle Integration unseres Landes in die Welt der Wissenschaft und der Kultur: all dies entschwand - wie Manuel Durán schrieb? - mit jenen »Nyassa«, »Ipanema«, »De la Salle«, den »Mayflower« unserer Exilanten von 1936. Zurück blieben einige berühmte Tote: Unamuno, Valle Inclán, Maeztu, Andreu Nin, Garcia Lorca, Antonio Machado, wenig später auch Miguel Hernández und Julián Besteiro.

Zusammenbruch des spanischen Geisteslebens in der Nachkriegszeit Zurück blieb auch eine ungeheure Leere, ein trauriges, trostloses Vakuum. Wie José Luis Abellán schrieb, entsprach »die kulturelle Situation in Spanien in der Zeit unmittelbar nach dem Bürgerkrieg und als Folge dieses Krieges ... einer wahren intellektuellen Wüste«. 10 Damit aber noch nicht genug. Zu Beginn einer Arbeit von Félix gne, 1789-1950, Paris: Editions Ophiys 1953, Kap. V., erster und zweiter Teil. Aus etwas späterer Zeit ist mir außerdem bekannt Fidel Miro: ¿España, cuándo? El fracaso político de una emigración, Mexiko: Libro Mex-Editores 1959, das von einem »libertären« Standpunkt aus geschrieben ist und für die Einheit aller politischen Exilgruppen eintrat. In Spanien veröffentlicht ist Eduardo Comín Colomer: La República en el exilio, Barcelona: AHR 1957. 8

Gonzalo Tonente Ballester bemerkte damals in der Zeitschrift Tajo (Madrid, 3. August 1940), daß die exilierten Intellektuellen etwa neunzig Prozent der spanischen inielligenzia ausmachten. Es gibt Berechnungen, wonach 118 Universitätsprofessoren, 200 Gymnasiallehrer und 2 000 Grundschullehrer ins Exil gingen; diese Zahlen entnehme ich dem Buch von Dario Puccini (zit. Anm. 4), S. 38 und 70. Eine emotionale, sehr knappe Zusammenfassung der verschiedenen Sparten exilierter spanischer Intellektueller bietet Aurora de Albornoz: La Espafia peregrina, in der wichtigen Sondernummer 507 der Zeitschrift Triunfo (Madrid) vom 17. Juni 1972, die dem Thema »La cultura en la Espafla del siglo XX« gewidmet ist. Vgl. außerdem Juan Marichal: De algunas consecuencias intelectuales de la guerra civil española, erste Fassung 1961, später überarbeitet und aufgenommen in sein Buch El nuevo pensamiento político español, Mexiko: Finisterre 1966, S. 65-77. Aus der umfangreichen Literatur zu diesem Thema vgl. auch von Juan Bautista Climent: Espafla en el exilio, in Cuadernos Americanos (Mexiko) Nr. CXXVI (Jan.-Feb. 1963), sowie von Lorenzo Luzurriaga: Sobre el exilio, 1939-1964, in Revista de Occidente (Madrid) Nr. 12 (März 1964), S. 345-348, mit Überlegungen zur allgemeinen und zur psychologischen Situation der spanischen Exilanten.

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Manuel Durán: La generación del 36 vista desde el exilio, in Cuadernos Americanos (Mexiko) Nr. CXLVIII (Sepl.Okt. 1966), S. 222. Wahrscheinlich war es Homero Sens, der 1945 als erster - bezogen auf die Literatur - in Analogie zu der ebenfalls im Umfeld eines Krieges aufgekommenen »Generation von 98« für diese neue Generation das Etikett »Generation von 1936« vorschlug: Er nennt dabei explizit (ich übernehme hier seine Reihenfolge) Dichter wie Federico García Lorca, Miguel Hernández, Rafael Alberti, Juan José Domenchina, León Felipe, José Moreno Villa, Antonio Espina, Emilio Prados, Vicente Aleixandre, Manuel Altolaguirre, Luis Cemuda, José Maria Quiroga Plá, Pedro Salinas, Jorge Guillén, Dámaso Alonso, Ernestina de Champourcin und Concha Méndez Cuesta; Romanciers wie Benjamín Jarnés und Ramón Sender; Dramatiker wie Jacinto Grau und Alejandro Casona; und schließlich Essayisten wie José Bergamín, Guillermo de Torre und Maria Zambrano (vgl. Homero Sens: The spanish Generation of 1936, in: Books abroad (Autumn 1945), University of Oklahoma Press, S. 336-340). Siehe zu dieser »Generation von 36« auch die Zeitschrift Insula (Juli-Aug. 1965) sowie den Aufsatz von Ricardo Gullón: La generación de 1936, in ders.: La invención del 98 y otros ensayos, Madrid: Ed. Gredos 1969, S. 162-177.

10 José Luis Abellán: La cultura en España (Ensayo para un diagnóstico), Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1971, S. 9. Die Armseligkeit des spanischen intellektuellen Lebens dieser Jahre zeigt sich auch (und sogar noch

16 Grande über die Entwicklung der spanischen Lyrik seit dieser Zeit findet sich eine Bemerkung, die man - in erweiterter Fassung - sich immer vor Augen halten sollte: »Nimmt man Gefallene, Opfer der Bomben, Verschwundene usw. zusammen, dann kostete der Bürgerkrieg Spanien nicht nur ein tiefes nationales Trauma, sondern vor allem mehr als eine Million Menschenleben. Sich angesichts dieser Tatsachen darüber zu beklagen, daß derselbe Bürgerkrieg die Dynamik unserer Lyrik beeinträchtigt hat, ist zumindest unpassend und fast schon elitär«. 11 Dem ist zuzustimmen, und das gleiche ließe sich auch bezüglich der Kultur insgesamt sagen: Das Leben ist das wichtigste Gut und steht an erster Stelle; die Erinnerung an die (exilierten oder getöteten) Intellektuellen darf die Erinnerung an hunderttausende namenloser bzw. unbekannter Exilanten und Toten nicht verstellen oder verdrängen. Ich glaube allerdings, daß in gewisser Weise alles zusammenhängt: die Toten, das Elend, die Angst, die Zerstörung des bürgerlichen Lebens, die Zerstörung des geistigen Lebens... Es war nicht einfach, es war lange Zeit gar nicht möglich, dieses intellektuelle Vakuum im Spanien der Nachkriegszeit wieder zu füllen. So sprach denn auch Lain von seiner Generation als einer »Generation ohne Lehrer«. Bis heute, so kann man sagen, verfolgen uns die unglückseligen Folgen dieses Zusammenbruchs in unserem geistigen Leben, dieses schrecklichen Risses in unserer Kultur, wie Chueca Goitia vor kurzem noch im Zusammenhang mit der Erklärung mancher Ursachen der heutigen »Universitätskrise« festgestellt hat. 12 Sicher, es gab Intellektuelle, die in Spanien blieben, und andere, die schon früh wieder zurückkamen: Azorín, Benavente, Baroja, Menéndez Pidal, Gregorio Marañón, Eugenio D'Ors, Xavier Zubiri, Manuel García Morente, Giménez Caballero, Manuel Machado, Vicente Aleixandre, Dámaso Alonso und andere; später - 1945 kehrte Ortega zurück; danach Ramón Pérez de Ayala und bis 1950/51 noch einige wenige mehr. Vieles wurde durch einige dieser Männer gerettet, aber die meisten von ihnen lebten, wie die jüngeren auch, eigentlich in einer Situation der »inneren Emigration«. Nur wenige aus dieser Generation fügten sich freiwillig den neuen Richtdeutlicher) an denjenigen Darstellungen, die sie in besonders günstigem Licht zu präsentieren bemüht sind; dies ist etwa der Fall - um einen nicht-spanischen Autor zu nennen - bei Gordon Brown: Las actividades culturales en la Espafla de la postguerra, abgedruckt in der Zeitschrift Hispania XXV (1942), S. 61-65. 11 Félix Grande: Poesía en castellano, 1939-1969, in der in Anm. 5 zitierten Nummer der Cuadernos para el Diálogo über das Thema »Treinta aflos de literatura«, S. 44. 12 Antwort auf die Befragung zur aktuellen Lage der Universitäten in Cuadernos para el Diálogo (Madrid) Nr. 109 (Okt. 1972), S. 14. Chueca Goitia schreibt dort: »Die spanische Universität erlebt eine Krise, deren Ursprünge weit zurück liegen. Man könnte sagen, daß sie fast bis zur Zeil unmittelbar nach dem Krieg zurückgehen. Viele der renommiertesten Professoren, die wahren Stützen der spanischen Universität, die im ersten Drittel dieses Jahrhunderts so mühsam wieder zum Leben erweckt worden war, eiTeglen das Mißtrauen der neuen Ordnung, die 1939 in Spanien errichtet worden war. Das aufkommende Mißtrauen gegen sie erweiterte sich dann zu einem Mißtrauen gegen die Universität als Institution insgesamt. Von dieser Zeil an fühlte sich die Universität schutzlos und wie unter einem Bann. Man versuchte, sich ihrer von innen her durch eine Erneuerung des Lehrkörpers zu bemächtigen, wobei der Austausch nach Kriterien der Partei- bzw. Gruppenzugehörigkeit erfolgte. Intellektuelle und wissenschaftliche Weite, deren Unabhängigkeit die einzige Grundlage eines gesunden Universitätslebens ist, erhielten einen untergeordneten Rang.« Wenn man heute von der Krise der spanischen Universität spricht, dann sollte man, wie ich meine, gründlich über diese deutlichen Worte Chueca Goitias nachdenken, aus denen sich wichtige Schlußfolgerungen für unsere Zukunft insbesondere im universitären Bereich ziehen lassen.

17 linien der offiziellen Kulturpolitik, und unter solchen Bedingungen war die geistige Arbeit und Produktion keineswegs einfach. Die offizielle Kultur ihrerseits unterband jede Verbindung zur europäischen Kultur liberaler Ausrichtung wie auch zu weiten Teilen der damals in Europa betriebenen Philosophie und Wissenschaft. Man war besessen von dem Gedanken, die (religiöse und politische) Orthodoxie zu verteidigen, die fast immer sehr eng und dogmatisch ausgelegt wurde, und gleichzeitig eine absolute ideologische Einheit und Gleichschaltung zu erreichen, wobei die stark beschnittene intellektuelle Freiheit nur sehr geringen Handlungsspielraum besaß. Dionisio Ridruejo, der dies am eigenen Leib erfahren hat, hat einige der besonderen Merkmale der spanischen Kultur in diesen ersten Jahren beschrieben: »Forschung und Lehre werden zu offiziellen Tätigkeiten eines dogmatischen Staates, der sie häufig an eine Kirche delegiert, die sich auf dem Kreuzzug wähnt. Zweifellos werden erhebliche materielle Mittel zur Wiederherstellung von Forschung und Lehre aufgewendet, aber innerlich siechen sie dahin, werden in engen Grenzen gehalten, zensiert und in ihren Zielsetzungen mitnichten von jenem freien Impuls geleitet, ohne den jede geistige Tätigkeit auf provinzielles Niveau absinkt bzw. zur reinen Routine wird. Die theoretische Spekulation - über metaphysische ebenso wie über soziologische Themen - wird aufgrund ihrer doktrinären Konditionierung und durch den Druck einer vorwiegend kirchlich inspirierten Zensur äußerst mühsam.«13 Parallel zu dieser strengen Kontrolle und dem sturen (staatlichen und kirchlichen) offiziellen Dirigismus gab es in jenen Jahren außerdem eine scharfe Kampagne nicht nur der Kritik, sondern auch der direkten Vorwürfe gegen die liberalen Denker der unmittelbaren Vergangenheit, sogenannte schändliche, teuflische antispanische Köpfe. 14 Kritik und Vorwürfe richten sich hauptsächlich gegen die Männer der Institución Libre de Enseñanza (in etwa: »Freie Lehranstalt«) und bemühen sich häufig kaum darum, ihren uneingeschränkt anti-intellektuellen Hintergrund zu verbergen.'5

13 Dionisio Ridruejo: La vida intelectual española en el primer decenio de la postguerra, in der in Anm. 8 zitierten Nummer der Zeitschrift Triunfo zum Thema »La cultura en la Espafla del siglo XX«, S. 71 f. Bemerkenswert ist hier, wie Dionisio Ridruejo - mit Recht - die Mitverantwortung der spanischen Kirche für die Erstan-ung und den Dogmatismus unseres damaligen geistigen Lebens betont. 14 Vgl. zu einigen der beharrlichsten »Theoretiker« und »Historiker« des Anti-Spanien den wichtigen Aufsatz von José-Carlos Mainer: Historia literaria de una vocación política (1930-1950), in dem Buch Falange y Literatura (Hrsg., Auswahl, Vorwort und Anmerkungen ebenfalls von Mainer), Barcelona: Ed. Labor 1971, S. 47. Er geht dort zuerst auf die »schamlosen Graphomanen« ein, die immer »besessen [waren] von dem Gedanken an den heimlichen Einfluß des Freimaurertums und des Judentums«, und stellt im Gegensatz dazu dann fest, daß »die Falange mit diesen schmutzigen Interessen des bürgerlichen Revanchismus nichts zu tun hatte«; dies gilt, wie wir noch sehen werden, zumindest für einige Denker der Falange. 15 Vgl. z. B. die Bücher - ich nenne hier nur einige der niveauvolleren bzw. von einigermaßen wichtigen Autoren - von Enrique Suñer: Los intelectuales y la tragedia española, Burgos 1937 (2. Aufl. San Sebastián: Editorial Española 1938) oder - unter wesentlicher Mitarbeit von Fernando Martín-Sánchez Julia: Una poderosa fuerza secreta: la Institución Libre de Enseñanza, San Sebastián: Editorial Española 1940. Femando Martín-Sánchez Julia war bis /u seinem Tode ein sehr reger Führer zahlreicher katholischer Organisationen - darunter vor allem der Asociación Católica Nacional de Propagandistas - und ein Mann mit großem Einfluß auf das politische Leben Spaniens in all diesen Jahren. Der früh verstorbene Enrique Suñer war - zusammen mit José María Pcmán - in Burgos Kullurbcauí

18

Erste kulturpolitische

Meinungsverschiedenheiten

und

Spaltungen

Abgesehen von dieser offiziellen dogmatischen, zuweilen sogar inquisitorischen Haltung mit ihrer erzwungenen Gleichschaltung war jedoch selbstverständlich im Lande nicht alles in völligem Gleichklang, nicht einmal im Inneren des 1939 etablierten geistig-politischen Systems selbst. Es gab - soviel kann man sagen - auch dort immer unterschiedliche Strömungen und Einstellungen, wenngleich natürlich in bestimmten Dingen Übereinstimmung herrschte. So glaube ich beispielsweise, daß nicht alle Männer auf Seiten des »nationalen Spanien« (und das gleiche gilt sicher auch für die auf Seiten des »republikanischen Spanien«) aus den gleichen Gründen in den Krieg gezogen waren oder die gleiche Vorstellung vom Krieg gehabt hatten. Wer wie ich von klein auf in Familien und Städten des »nationalen Spanien« aufwuchs, konnte ständig (mehr oder weniger offen und bewußt vertretene) unterschiedliche Meinungen und Rechtfertigungen hören, die sich vielleicht auf die folgenden zwei Grundauffassungen reduzieren lassen: Vielen schien der Bürgerkrieg unvermeidlich, als das einzige - wenn auch zweifellos schreckliche - Mittel, um mit »Chaos« und Verbrechen fertig zu werden oder den später sogenannten »Stalinismus« zu vermeiden (wobei ich glaube, daß diese Haltungen auch bei einem großen Teil der Republikaner vorhanden waren: die Religion bildete wohl damals einen - wenn auch nicht den einzigen - unheilvollen Graben); aber es gab selbstverständlich auch solche, die jenes »Chaos« bzw. jenen »Stalinismus« all dem zur Last legten, was mit ihren beschränkten Vorstellungen oder mit ihren sehr viel weniger beschränkten wirtschaftlichen Interessen nicht völlig übereinstimmte, und die deshalb den Bürgerkrieg offenbar als ein Instrument betrachteten, um die Zeit anzuhalten bzw. zurückzudrehen; dazu sollte die Durchsetzung inquisitorischer Ideologien oder absolutistischer Theokratien dienen und, damit verbunden, die Wiedereinführung ökonomischer und sozialer Privilegien deutlich kapitalistischen, wenn nicht noch älteren Ursprungs. Schwerlich konnten demnach die Anhänger der beiden Richtungen die gleiche Vorstellung davon haben, wie Spanien nach 1939 denn nun aussehen sollte. Trotz des Krieges und seiner schrecklichen Folgen (Gefängnisse, Haß, Hinrichtungen, Hunger ...) waren diese Jahre für die Idealisten vielleicht auch Zeiten großer Hoffnung, großer Illusionen (Berichtigung der Fehler der Vergangenheit - von allen, von beiden Seiten -, Wiedererrichtung einer echten Gemeinschaft, Wiederaufnahme der gemeinsamen Arbeit, es gab so viel zu tun ...). Es waren aber selbstverständlich auch Jahre voller furchtbarer Enttäuschungen, voller Frustrationen, die wohl nie endgültig akzeptiert wurden, sondern die in einer zweifellos schwierigen emotionalen Spannung zu nie ganz verlorenen, neuen Hoffnungen standen. In jedem Fall waren es harte und schwierige Jahre, die uns seitdem und bis heute beeinflußt haben.^ tragter des »Technischen Rats« (Junta Técnica), der der ersten Regierung des Generals Franco vorausging; später war er Präsident des »Rats für Politische Angelegenheiten« (Junta de Responsabilidades Políticas). 16 Ich stimme völlig überein mit Dionisio Ridruejo, wenn er - in dem in Anm. 13 genannten Aufsatz - seinen Unwillen äußert gegenüber dem »dummen Geschwätz von der 'Lagerfeuer-Zeit' der 40er Jahre, sofern davon in nostalgischen

19 Dionisio Ridruejo hat über diese tiefe Kluft innerhalb des »nationalen Spanien« selbst geschrieben, dessen beide Pole (bezieht man das Problem jetzt mehr auf die hier bevorzugt betrachtete intellektuelle und nicht allein auf die politische Ebene), wie er richtig feststellt, keineswegs völlig und automatisch mit den beiden Sektoren der (reaktionären) »Katholiken« und der (modernen) »Falangisten« zusammenfielen. Es gab (wie man bald sehr deutlich sehen sollte) sowohl moderne Katholiken als auch reaktionäre Falangisten. Dies sollte man nicht vergessen. Richtig ist aber auch, wie Mainer bemerkt - und wie sich im folgenden noch zeigen wird -, daß »der Falange die Wiedererweckung des Madrider Geisteslebens nach 1939 zuzuschreiben ist«.17 Dionisio Ridruejo schreibt dazu: »Es zeigte sich sehr bald, daß die Elemente Gruppen, Personen -, die das resultierende System ausmachten, von unterschiedlicher Art waren, und zwar nicht allein aus ideologischen Gründen, sondern auch hinsichtlich ihrer psychischen Einstellung bzw. Verfassung. Die eine Art kann man als fundamentalistisch im doppelten - religiösen und nationalen - Sinne bezeichnen. Es handelte sich dabei um die Konterrevolutionäre, die Restauratoren des berühmten 'ewigen Spanien', das selbstverständlich niemand je erlebt hat, denn die Ewigkeit ist nicht die Geschichte ... Die Mitglieder der anderen Art sahen die Dinge nicht auf diese Weise. Für sie - der Lektor mag dies, wenn er will, bei der Fahnenkorrektur berichtigen und 'für uns' schreiben - hatte das geistige Leben einen Eigenwert. Wollte man sich nicht auch das zu Diensten machen? Zweifellos. Dies heute zu verneinen, wäre Heuchelei. Aber um es instrumentalisieren zu können, mußte es authentisch sein, und das schloß sowohl vorbeugende Tabus als auch allzu deutliche einengende Vorgaben aus.« Niemand könnte besser als Pedro Lain Entralgo und Dionisio Ridruejo den »Geist« beschreiben, der diesen politisch-intellektuellen Sektor im Spanien der unmittelbaren Nachkriegszeit antrieb. So schrieb Ridruejo: »Mir scheint offenkundig, daß diese intellektuelle Schicht 'innerhalb des Systems' von Anfang an von der korrekten - und erschreckenden - Einschätzung der großen Verluste bewegt wurde, die der Krieg quantitativ und qualitativ unter den Intellektuellen des Landes verursacht hatte. Es mußte also gerettet werden, was zu retten war. Dies erforderte jedoch Vertrauen in die Loyalität der Intellektuellen, weniger im Hinblick auf die politische Lage als auf ihre eigene Funktion. Den goldenen Käfig einer Forschungsinstitution oder die Hörsäle mit unqualifizierten Leuten zu füllen, war nicht hilfreich. Sich von Dummköpfen definieren und verteidigen zu lassen, war wertlos. Um also dieser Gefahr zu entgehen, mußte man auch Andersdenkende akzeptieren und allem, was noch irgendeinen intellektuellen Wert besaß, Vertrauen entgegenbringen und folglich ein Tönen geredet wird und nicht im Sinne von Satire oder ehrlicher Geschichtskritik. Die 40er Jahre waren für den größten Teil der Bevölkerung Jahre des Schmerzes, des Hungers, der Qual und der Angst in einem System von Passierscheinen für jede Reise und von Bezugsscheinen für den Erwerb armseliger Lebensmittelrationen. Es waren aber auch Jahre offen zur Schau getragener frivoler Euphorie in jener kleinen, zutiefst vulgarisierten Klasse rücksichtsloser Mandarine und spekulierender Reicher«. 17 José-Carlos Mainer, zit. Anm. 14, S. 47. Mainer liefert in dieser Arbeit wichtige Informationen und wertvolle Einsichten über die ersten Jahre (bis 1950), vor allem - aber nicht nur - im Hinblick auf die Literatur.

20 bißchen Freiheit zugestehen. Der Sektor, der so dachte, lehnte daher die Dichotomie von Gläubigen und Ungläubigen ab und setzte ihr das Kriterium der Kompetenz entgegen. Wer Recht hat, hat Recht - egal, wo er steht. Oder wie Machado sagte: 'Die Wahrheit ist die Wahrheit, ob nun Agamemnon oder sein Schweinehirt sie ausspricht'. Andererseits glaubte man nicht an kulturellen 'Adamismus' (wie Ortega y Gasset es nannte). In diesem Land von geistig beschränktem Format mußte man mit dem Vorhandenen vorliebnehmen, und das war zwar beträchtlich, aber nicht so üppig, daß man auf etwas hätte verzichten können. Der unwiderrufliche Tod oder das freiwillige Exil hatten schon genug verzehrt. Es ging also in der Tat darum zu retten, was zu retten war. Niemand - nicht einmal diejenigen, die diesem Unternehmen völlig fem standen - hat bestritten, daß die sogenannte 'Escorial-Gruppe' sich durch den Willen auszeichnete, jeden echten früheren Wert zu retten und wieder zur Geltung zu bringen, also auch solche Werte, die man nicht für vereinnehmbar hielt. Hunderte von Wissenschaftlern, Denkern, Ärzten, Technikern, Architekten, Künstlern und Schriftstellern, die mit Berufsverbot bedroht waren, wissen sehr wohl, wer ihnen die Wiedereingliederung ins Arbeits- und oft auch ins Universitätsleben ermöglichte. Und wer es möglich machte, daß Namen und Werk vieler Lehrer der vorigen Generationen, auch der Toten und Abwesenden, denen nicht vorenthalten wurden, die ihr geistiges Leben gerade begannen. So gelang es also nicht ganz, der liberalen spanischen Kultur den Garaus zu machen, wenn auch das Leben ihrer geretteten Schiffbrüchigen unsicher und jahrelang eingeschränkt war. Dem ist es zu verdanken - abgesehen vom Überlebenswillen bzw. der Kraft der Dinge selbst -, daß noch vor Ende der 40er Jahre in Spanien der Neubeginn eines geistigen Lebens verzeichnet werden konnte, das diesen Namen verdiente.«is

Anfänge einer Erneuerung: Die Zeitschrift »Escorial« und der liberale Falangismus Wie wir gesehen haben, hebt Dionisio Ridruejo aus dem umfassenderen geistigen Kontext ausdrücklich die Gruppe der Intellektuellen der Falange hervor (Lain, Tovar, Ridruejo selbst), die ab 1940 im Umfeld der Zeitschrift Escorial arbeiten. Tatsächlich kann man - mit den Einschränkungen, die sich aus den Umständen im allgemeinen und der politischen Ideologie ihrer Betreiber im besonderen ergaben - sagen, daß die Zeitschrift und die danach benannte »Gruppe Escorial« trotz allem einen wichtigen und anerkennenswerten Versuch zur »Wiederherstellung« (dies ist der von ihnen selbst benutzte Ausdruck) einer echten geistigen Gemeinschaft in Spanien unternahm, ohne dabei - so hieß es dort - »eine einseitige, parteiliche Haltung« einzunehmen. Das in der ersten Nummer der Zeitschrift (im November 1940) abgedruckte »Mani18 Soweit Dionisio Ridruejo in seinem in Anm. 13 zitierten Aufsatz in der Zeitschrift Triunfo, hier S. 73 f. Vgl. auch von Pedro Lain Entralgo - neben vielem anderen, was er geschrieben hat - in seinem Buch: El problema de la Universidad, Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1968, S. 86 ff., die Passagen, wo er jenen »geistigen Liberalismus« behandelt, der einige Sektoren der damaligen Falange auszeichnete.

21 fest der Herausgeber« begann mit den Worten: »Die Falange hat schon seit langem den Wunsch, eine Zeitschrift zu gründen, die den spanischen Intellektuellen Heimstätte und Arena sein soll und in der Musterexemplare der Produktion des spanischen Geistes gesammelt und vorgestellt werden können - eines spanischen Geistes, der sich den Aufgaben von Kunst und Kultur trotz der vielfältigen Schwierigkeiten und Brüche nicht entzogen hat, die ihn seit vielen Jahren daran hinderten, als Gewissen zu leben und als Unternehmen zu handeln.« Früher, in den Kriegsjahren, hatte es Jerarquía (»die schwarze Zeitschrift der Falange«) gegeben, die Mainer richtig mit Escorial verbindet; es waren jedoch nur vier Nummern (zwischen 1936 und 1938) erschienen, und ihre Verbreitung und Bedeutung war nie so groß gewesen wie die von Escorial. »Im Gegensatz zu ihrer Vorläuferin« - so Mainerà - »wurde Escorial bald zur wiedergefundenen literarischen Heimat und zum Treffpunkt für ein zwar kleines, aber bedeutendes Publikum, das darin endlich das Erbe der großen Kulturzeitschriften der Vorkriegszeit wiedererkannte.« Das erwähnte »Manifest der Herausgeber« in der ersten Nummer von Escorial enthielt im Anschluß an die Warnung vor der Gefahr einer Verkümmerung und einseitigen Parteilichkeit der Kultur einen globalen Aufruf an die spanischen Intellektuellen: »Wir dagegen wollen hier unter der sicheren, großzügigen Norm der neuen Generation alle spanischen Werte versammeln, die als solche noch nicht völlig resigniert haben, ohne Ansehen der Gruppe, der sie gedient haben - womit selbstverständlich nicht die gemeint sind, die auf der einen oder der anderen Seite das Verbrechen gefördert haben - und der im Kern erhalten gebliebenen Ausrichtung. So richtet sich unser Aufruf an alle, denn die Wiederherstellung einer Gemeinschaft ist, so scheint es uns, nicht möglich auf der Grundlage von Mißverständnissen und Ungereimtheiten; und wenn wir zur Wiederherstellung einer geistigen Gemeinschaft beitragen wollen, dann müssen wir alle Intellektuellen und Schriftsteller dazu aufrufen, als solche ihren Beruf so gut wie möglich auszuüben, nicht etwa dazu, die Führung des Landes zu übernehmen oder diesem bezüglich der Ordnung des täglichen Lebens oder konkreter Unternehmungen einen Weg vorzuzeichnen. Insofern ist dies keine Propagandazeitschrift, sondern ganz ehrlich und aufrichtig eine professionelle Zeitschrift der Kultur und der Künste. Wir haben nicht die Absicht, von irgend jemandem hier eine lyrische Apologie oder Rechtfertigung des Regimes zu verlangen.«20 19 José-Carlos Mainer, zit. Anm. 14, S. 53; vgl. auch S. 40 zur Zeitschrift Jerarquía, zu deren Redakteuren u. a. Fermín Yzurdiaga, Angel María Pascual, Luis Rosales, Pedro Laín Entralgo, Dionisio Ridruejo, Gonzalo Torrente Ballester und Pascual Galindo gehörten; Uber eine andere damalige Zeitschrift der Falange, Vértice (die von 1937 bis 1946 erschien), vgl. S. 42, wo deren Hauptmitarbeiter genannt werden: Giménez Caballero, Foxá, Mourlane Michelena, Victor de la Sema (ihr erster Direktor), Manuel Halcón (ihr zweiter Direktor), José Maria Alfaro (Direktor in der Endphase), Dionisio Ridruejo, Edgar Neville, Jacinto Miquelarena, Eugenio Montes, Alvaro Cunqueiro und José Maria Castroviejo. Vgl. auch - diese Angabe übernehme ich von Mainer - den Aufsatz von M. Dupuich da Silva und J. M. Sánchez Diana: Historia de una revista: consideraciones sobre Escorial, im Boletín de ¡a Institución Fernán González Nr. XVI (1965), S. 714-741. 20 Die Zeitschrift Escorial hatte im Laufe ihrer Geschichte (1940-1950) folgende Chefredakteure: von Nr. 1 (November 1940) bis Nr. 24 einschließlich (Oktober 1942) Dionisio Ridruejo, mit dem Stellvertreter Pedro Laín Entralgo (ihre Namen eischeinen allerdings nur in der ersten Nummer); von Nr. 25 (November 1942) bis Nr. 55 (1947, ohne

22 Wie Mainer dazu kritisch anmerkt, war Escorial zwar keine politische Propagandazeitschrift, »konnte sich aber doch der sakramentalen und nationalistischen Vorstellung von Kultur nicht entziehen: angefangen vom Titel und der strengen Aufmachung der Zeitschrift bis zu den dogmatischen Leitartikeln ging alles auf diese Vorstellung zurück. Unsere Absicht ist - so der anonyme Autor (Pedro Lain Entralgo) der Einführung in die erste Nummer - 'hochrangige Propaganda, denn es gibt keine bessere Propaganda als durch die Werke selbst; und die Werke des Geistes und der Intelligenz, denen wir unsere Seiten öffnen, werden - Escorial entsprechend - spanische Werke sein'. Der an ein weites Adressatenfeld gerichtete Aufruf von Escorial schloß also eine ständische, platonische Auffassung der Kultur nicht aus, die von ihrem Olymp auf ein hypothetisches Volk herabstrahlte, das geistige Führung verlangte«. Abgesehen vom unüberwindbaren Elitismus des damaligen spanischen Geisteslebens zieht José-Carlos Mainer die Schlußfolgerung: »Der beträchtliche Widerspruch zwischen den anfänglichen dogmatischen Absichten - 'hochrangige Propaganda' und dem späteren Ergebnis - eine fast prototypisch liberale Zeitschrift - zeigt deutlich die Grenzen, Ängste und Entscheidungsprobleme der literarischen Gruppe, die die Zeitschrift ins Leben rief und die in der Klemme saß zwischen einer liberal geprägten Geisteshaltung, dem verführerischen Lockruf der nationalen Revolution und einer Art geistigem Totalitarismus. Der Sieg im Bürgerkrieg - mit der schwarzen Schlucht einer finsteren Nachkriegszeit - war für sie ein Pyrrhussieg, der sie in ihrem Weg weniger bestärkte, als daß er ihnen die heikle Rechnung ziviler Verantwortung präsentierte.«21

Die »Revista de Estudios Políticos« und die Korrekturen totalitären Staatstheorie

an der

Zwei Monate nach der ersten Nummer von Escorial, im Januar 1941, erschien eine andere, mehr auf politische und gesellschaftliche Themen ausgerichtete Zeitschrift, deren bis heute andauernde schwierige Existenz eines Tages sicher eine detaillierte, Monat, wobei es - besonders 1946 - beträchtliche »Lücken« gab, in denen die Zeitschrift nicht erschien) José María Alfaro; 1948 erschien sie ebenfalls nicht; schließlich von Nr. 56 (schon mit Datum von 1949 und ausdrücklich als »Neue Folge« bezeichnet) bis Nr. 65 (Januar-Februar 1950, danach erfolgt die endgültige Einstellung) Pedro Mourlane Michelena. Für eine Untersuchung des Inhalts, wobei die Hauptaufmerksamkeit historischen und literarischen Themen gilt, vgl. die wichtigen Aufsätze von José-Carlos Mainer: La revista 'Escorial' en la vida literaria de su tiempo, in: Insula, Nr. 271 (Juni 1969) und Nr. 275-276 (Okt.-Nov. 1969); Mainer unterstreicht dort u. a. »die deutliche Aufmerksamkeit, die Escorial auf ihren Seiten dem Essay widmete, womit eine alte Tradition des liberalen spanischen Denkens aufgegriffen wurde«. Diese Aufsätze über Escorial wurden zusammen mit einem anderen über die schon erwähnte Zeitschrift Vértice (1937-1940) von J. C. Mainer in seinem Buch: Literatura y pequeña burguesía en España (Ñolas 1890-1950), Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1972, gesammelt. 21 José-Carlos Mainer: Historia literaria de una vocación política (1930-1950), zit. Anm. 14, S. 54 f, Mainer behandelt außer den schon erwähnten auch noch andere falangistische Zeitschriften dieser Jahre, die sich aber - wie er sagt »von Escorial radikal unterscheiden«; es handelt sich dabei um die von Juan Aparicio im Rahmen der Delegación Nacional de Prensa y Propaganda geförderten Erzeugnisse: die Wochenzeitung El Español (1942-1947, die 1953 und 1963 - dann schon unter dem Ministerium für Information und Tourismus - noch einmal erschien) und die alle zwei Wochen erscheinende Estafeta Literaria, die in die Fußstapfen der alten Gaceta Literaria von Giménez Caballero trat.

23 genaue Untersuchung verdiente. Ich spreche von der Revista de Estudios Políticos, die vom Madrider »Instituto de Estudios Políticos« herausgegeben wurde. Erster Direktor dieses am 9. September 1939 gegründeten Instituts sowie auch der Zeitschrift war Alfonso García Valdecasas, ehemaliger Schüler von Ortega y Gasset.22 Im Leitartikel der ersten Nummer wurde als eines der Ziele der Zeitschrift die »Schaffung einer dem Studium und der Reflexion förderlichen Atmosphäre in den wissenschaftlichen und kulturellen Kreisen Spaniens« im Hinblick auf Themen der sozialen und politischen Geschichte, auf Verfassungs-, Verwaltungs- und internationale Fragen usw. genannt, wobei zugleich gefordert wurde, daß der Glaube »an das Schicksal Spaniens« ein aufgeklärter Glaube, ein Glaube gepaart mit Wissen sein sollte. »Es wäre nicht Glaube, sondern Aberglaube, wollte man ein Wissen, dessen wir uns heute dringlicher denn je versichern müssen, mit den Nebeln der Illusion und des Wahns verschleiern«, hieß es in besagtem Leitartikel. Mainer greift die Charakterisierung des »Instituto de Estudios Políticos« als brain trust der FET (Falange Española Tradicionalista) auf, wie sie von Payne geprägt worden war, und fährt fort: »Sein erster Direktor war Alfonso García Valdecasas, ein Intellektueller, dessen Entwicklung ein gutes Beispiel für den Prozeß ist, den viele spätere Mitglieder des Instituts durchlaufen sollten: als ganz junger Mann war er Abgeordneter der an Ortega orientierten »Vereinigung im Dienst der Republik« (Asociación al servicio de la República); später hatte er zusammen mit José Antonio [Primo de Rivera] an der Gründungsversammlung der Falange teilgenommen und war, nach einem kurzen Ausflug ins monarchistische Lager, vom Team der Zeitschrift Jerarquía zurückgewonnen worden. Mit ihm stoßen wir auf eine wichtige Strömung falangistischer Akademiker, von denen viele 1942 für die Einrichtung der Fakultät für Politik- und Wirtschaftswissenschaften eintraten; zu ihnen gehören Francisco Javier Conde, Fernando María Castiella, Joaquín Garrigues, Luis Diez del Corrai, José Antonio Maravall und Luis Jordana de Pozas, denen sich Personen unterschiedlichster Herkunft - Liberale wie José Antonio Muñoz Rojas, Valentín Andrés Alvarez und Ramón Carande; Monarchisten wie Eugenio Vegas Latapie und Severino Aznar, und andere - anschlössen. Seit 1941 verfügte das Institut über die Revista de Estudios Políticos, ... die sich von Anfang an durch ihre ungewöhnliche Offenheit in Bezug auf Themen und Ansätze auszeichnete.«^ 22 Die Revista de Estudios Políticos hat seit ihrer Gründung die folgenden Direktoren gehabt, von denen jeder für die entsprechende Phase ziemlich repräsentativ ist: Alfonso García Valdecasas (1941-1943), Fernando Maria Casüella (1944-1948), Francisco Javier Conde (1948-1956), Emilio Lamo de Espinosa (1956-1961), Manuel Fraga Iribarne (1961-1962), Carlos Ollero (1962-1966), Jesús Fueyo Alvarez (1966-1969) und Luis Legaz y Lacambra (seit 1969). Ich selbst habe in den Jahren 1962-1966 im Gabinete de estudios aktiv an der Zeitschrift mitgearbeitet, die vom Direktor des Instituts, Carlos Ollero, selbst geleitet wurde und der außerdem angehörten: Raúl Morado, Luis García San Miguel, Miguel Martínez Cuadrado, Manuel Medina, Alfonso Orti und einige andere, die später dazukamen; Alejandro Muñoz Alonso war damals Sekretär der Zeitschrift. 23 José-Carlos Mainer, zit. Anm. 21, S. 58 f. Neben der Revista de Estudios Políticos und verschiedenen Buchreihen war das Institut auch Herausgeber der Revista de Administración Publica, der Revista de Política Internacional, der Revista de Economía Política und der Revista de Política Social.

24 Es wäre sicher interessant, die Entwicklung des Regimes in Spanien (in Verbindung mit dem Verlauf des Zweiten Weltkriegs) sowie die Evolution des damit zusammenhängenden politischen Denkens in den Jahren 1939-1945 anhand der Darstellung in der Revista de Estudios Politicos zu verfolgen. Ein Einschnitt wäre wohl zwischen 1942 und 1943 zu verzeichnen (wobei die Ley de Cortes [Gesetz der Cortes] vom 17. Juli 1942 vielleicht als Markstein zu betrachten wäre), als die Zukunft der totalitären Staaten in Europa zweifelhafter und düsterer zu werden begann. (Das besagte »Gesetz der Cortes« war das zweite Grundgesetz des neuen Regimes; das erste war der Fuero del Trabajo [Charta der Arbeit] vom 9. März 1938.24) Auch nach dieser Richtungsänderung wird selbstverständlich in der Zeitschrift (genauso wie in den offiziellen Stellungnahmen) die Kritik an der liberalen Demokratie fortgesetzt, aber man wendet sich gleichzeitig - was vorher viel seltener der Fall war gegen die bedingungslose Anerkennung der Staatsvorstellungen des Totalitarismus. Die politische Philosophie des neuen spanischen Staates - die sich in Einklang mit der katholischen Machtlehre und mit den klassischen Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts sieht - versucht, sich allmählich von den totalitären Staaten der Zeit abzusetzen und zu distanzieren, und korrigiert folglich die enthusiastischen Annäherungen, die man wenige Jahre zuvor eindeutig betrieben hatte.25 So stellt Mainer fest: »Die ideologischen Ingredienzen der Zeitschrift ließen ein offenkundiges Interesse an der kriti-

24 Durch Art. 10 des »Gesetzes über die Nachfolge in der Staatsführung« (Ley de Sucesión en la Jefatura del Estado) wurden beide nachträglich in die Kategorie von Grundgesetzen der Nation erhoben, zusammen mit der »Charta der Spanier« (Fuero de los Españoles), dem »Gesetz über das Nationale Referendum« (Ley del Referendum Nacional) und dem Nachfolgegesetz selbst (»sowie jedes andere Gesetz, das in der Folge unter Zuschreibung dieses Ranges erlassen wird«, wie es in An. 10 weiter heißt). Hinsichtlich der Bedeutung des Gesetzes der Cortes, das man als Anzeichen für einen gewissen Wandel hin zu einer Öffnung ansehen kann, ist jedoch daran zu erinnern, daß in der Eröffnungsrede zur Ersten Legislaturperiode Anfang 1943 der Präsident der Cortes, Esteban Bilbao, nicht auf eine entschiedene Verurteilung liberaler Regierungssysteme, »idiotischer Parlamente« und »pharisäischer Demokraten« verzichten zu können glaubte. 25 Bei solchen totalitären Auslegungen hatte man sich allerdings fast immer darum bemüht, die rassistischen und heidnisch-mythischen Exzesse des deutschen Nazismus zu vermeiden, und vielmehr die ethisch-religiöse Grundlage des Staates - und des »Reiches hin zu Gott« - sowie seine Verbindung zur spanischen Tradition betont. Vgl. z. B„ statt vieler anderer, die folgenden Bücher aus jenen Jahren, die sich mit dieser Staatstheorie und diesem (nicht nur, aber auch geistigen) spanischen Reich befassen: José Pemartín: Qué es lo 'nuevo'... Consideraciones sobre el momento español presente, 1. Aufl. 1938, 3. Aufl. Madrid: Espasa-Calpe 1940; Alfonso de Ascanio: España Imperio. El nuevo Humanismo y la Hispanidad, Avila: Librería religiosa Sigirano Díaz 1939; Eleuterio Elorduy: La idea de Imperio en el pensamiento español y de otros pueblos, von der Königlichen Akademie für Moralische und Politische Wissenschaften im Wettbewerb 1939/40 ausgezeichnete Denkschrift, Madrid 1944; Juan Beneyto: El nuevo Estado español. El Régimen Nacional-Sindicalista ante la tradición y los demás sistemas totalitarios, Madrid und Cádiz: Biblioteca Nueva 1939; Luis del Valle Pascual: El Estado nacionalista totalitario autoritario, Saragossa 1940; J. M. de Areitza und F. M. Casüella: Reivindicaciones españolas, Madrid 1941; Ignacio María de Lojendio: Régimen político del Estado español, Barcelona: Ed. Bosch 1942; Francisco Javier Conde: Contribución a la doctrina del caudillaje, Madrid: Vizeministerium für Volksbildung 1942; vom selben Autor - dem wohl bedeutendsten spanischen politischen Rechtstheoretiker jener Jahre - vgl. auch: Introducción al Derecho político actual (1942) und später Teoría y sistema de las formas políticas (1944). Über F. Javier Conde fehlt noch immer eine detailliertere Untersuchung, die seine früheren (politisch-intellektuellen) Ursprünge aufzeigen und seine spätere Wandlung sowie seine heutige Haltung erklären könnte. Vgl. außerdem von Pascual Marín Pérez: El Caudillaje Español. Ensayo de construcción histérico-jurídico, Madrid: Ediciones Europa 1960.

25 sehen Begründung ihrer doppelten Opposition gegen den Liberalismus und die totalitäre Schwärmerei erkennen.«26 Bei nicht wenigen Autoren der damaligen Zeit führte die relative Mäßigung des politischen Totalitarismus durch die spanische Tradition häufig zur Formulierung bzw. Anerkennung von Prinzipien, die dem sehr nahe standen, was man ohne weiteres als »katholischen Faschismus« bezeichnen kann. So schrieb beispielsweise Eloy Montero im Jahr 1939: »Meine These war immer die folgende: Spanien erlebte eine autoritäre Bewegung als mannhaften Protest gegen eine absurde Demokratie und einen leeren Liberalismus. Es war sinnlos, sich der Flut entgegenstellen zu wollen, denn wir wären überrollt worden.« Dieser »ethische« Utilitarismus des Nicht-gegen-denStrom-Schwimmens ist bemerkenswert; noch bemerkenswerter jedoch ist das Beispiel, das er gleich darauf anführt: »Auch Ferdinand VII. widersetzte sich den Lehren und Institutionen, die die Französische Revolution mit sich brachte, und auch er scheiterte und wurde besiegt; wir als Katholiken durften uns der sogenannten faschistischen Bewegung, die vor allem national war, nicht widersetzen; wir mußten sie liebevoll annehmen und auf angemessene Weise in traditionelle christliche Bahnen lenken; man mußte die moderne autoritäre Strömung mit unserer glorreichen Tradition in Einklang bringen, so daß ein neuer Staat entstehen konnte, frei von den überlebten Spuren der Demokratie und des Liberalismus, durchdrungen von unseren historischen Institutionen«2?. Nach dem erwähnten Einschnitt von 1942 wird in der Revista de Estudios Políticos, noch immer auf einer mit jener autoritär-katholischen Haltung gemeinsamen doktrinären Grundlage, generell der Gebrauch des Ausdrucks »Faschismus« in Bezug auf den neuen spanischen Staat abgelehnt. Es gibt diesbezüglich einen bezeichnenden Aufsatz des Chefredakteurs der Zeitschrift selbst, unter dem bedeutsamen Titel »Totalitäre Staaten und der spanische Staat« (Los Estados totalitarios y el Estado español): García Valdecasas bemerkt dort zunächst, daß »die faschistische Auffassung totalitär ist, weil sie - über das schon Gesagte hinaus - den Staat als den höchsten Wert der Gesellschaft auffaßt«, und betont dann, daß »das genuin spanische Denken sich weigert, im Staat den höchsten Wert zu erkennen«. Sodann schließt er: »Über dem Staat gibt es eine moralische Ordnung von Wahrheiten und Vorschriften, an die jener sich zu halten hat.« 28 Es gibt folglich ethisch-religiöse Kriterien, die - wenn auch nur in gewisser Weise und in einer bestimmten Richtung - die Macht des Staates beschränken; dieser stellt also nicht mehr den höchsten Wert dar, so daß - nach dieser These - diese Auffassung mit der faschistischen politischen Lehre nicht ganz übereinstimmt, wenngleich sie ihr nahesteht. Allerdings ist nicht zu vergessen, daß auch die

26 José-Carlos Mainer, zit. Anm. 21, S. 59. 27 Eloy Montero: Los Estados modernos y la nueva España, Vitoria: Montepío Diocesano 1939, S. 248. 28 Alfonso García Valdecasas: Los Estados totalitarios y el Estado español, in: Revista de Estudios Políticos Nr. 5 (1942), hier S. 17 und S. 30.

26 totalitären Staaten den Staat als Instrument zur Verwirklichung bestimmter Ziele Glorifizierung der Nation, der Rasse, usw. - auffaßten.29 Sicher habe ich hier keine ausreichend detaillierte Schilderung der Entwicklung hin zu den Prinzipien eines nicht-totalitären autoritären Staates und zur sogenannten »organischen Demokratie« im Rahmen der Revista de Estudios Políticos geben können; als Belege will ich aber doch noch einige wenige der dort erschienenen Artikel anführen: 1943 von Javier M. de Bedoya »Die Bedeutung der Freiheit in der falangistischen Lehre« (El sentido de la libertad en la doctrina falangista);30 später, schon 1946, die Arbeiten von José Corts Grau über die »Spanische Bedeutung der Demokratie« (Sentido español de la democracia) und von Torcuato Fernández Miranda über den »Begriff der Demokratie und die päpstliche Lehre« (El concepto de democracia y la doctrina pontificia);3i und 1947 den Artikel von Carlos Ruiz del Castillo der sich auf Croce bezog, was doch immerhin ein Zeichen setzte - über »Lebendiges und Totes in der liberalen Idee« (Lo vivo y lo muerto en la idea liberal)!2 Mit diesen zuletzt genannten Artikeln befinden wir uns allerdings schon jenseits der Zeitspanne, um die es hier geht und die man mit dem Jahr 1945 für beendet betrachten kann.33 Hinsichtlich dieser politischen und geistigen Entwicklung beendet J.-C. Mainer den der Revista de Estudios Políticos gewidmeten Abschnitt seiner Studie folgender-

29 Es ist viel darüber diskutiert worden, ob das politische Gedankengut der Falange in den doktrinären Rahmen faschistischer Auffassungen gehört; auch heute, wo man größeren Abstand gewonnen hat, geht der Streit darum weiter. So äußert Manuel Cantarero del Castillo in seinem interessanten Buch - dem eindeutig auf die heutige Situation bezogene politische Absichten zugrundeliegen - unter dem Titel: Falange y socialismo (Barcelona: Ed. Dopesa 1973) schwere Bedenken gegen eine solche Gleichsetzung (vgl. bes. Kap. VI: Falange y fascismo, und dort genauer S. 153 ff.); er erinnert diesbezüglich an das, was José Antonio Primo de Rivera ausdrücklich gesagt hatte (S. 157 f.): »Die Falange Española de las JONS ist keine faschistische Bewegung; sie stimmt in einigen wesentlichen Punkten universaler Geltung mit dem Faschismus überein; aber sie gewinnt täglich mehr eigenes Profil, und ohne Zweifel werden sich genau auf diesem Weg ihre fruchtbarsten Möglichkeiten auftun.« Dagegen hat Dionisio Ridruejo auf die Frage einer Journalistin »War der Falangismi» faschistisch?« ohne Zögern (und meines Erachtens korrekt) geantwortet: »Ungeachtet aller Abgrenzungsversuche: er war faschistisch. Wir - seine Anhänger - waren es« (Interview mit Rosa Maria Echevarría, erschienen in: Actualidad Económica vom 10. Juli 1971, wiederabgedruckt in Dionisio Ridruejo: Entre literatura y política, Madrid: Seminarios y Ediciones 1973, S. 211). Ähnlich antwortete auch Antonio Tovar: »Ich habe die Falange immer als eine Form des Faschismus verstanden, als einen sehr beschränkten theoretischen Apparat, der sich als Notlösung für solche Zeiten, wie Spanien sie damals durchlebte, benutzen ließ. Dies hat mir schon 1937 Streit mit alten Falangisten wie Garcia Valdecasas eingebracht, die mir gegenüber darauf bestanden, daß anscheinend José Antonio [Primo de Rivera] Faschisten und Falangisten voneinander unterschieden sehen wollte.« Trotzdem betont Tovar, daß »ich mir darüber im klaren war, daß neben der JAP (Juventudes de Acción Popular der CEDA) von Luciano de la Calzada, den Requetés, den Mitgliedern von Renovación Española und den zahllosen lokalen Milizen der Dorfbonzen paradoxerweise die Falange von allen am meisten europäisch, am modernsten und, wenn man so will, sogar am meisten 'liberal' war« (Confesiones de Antonio Tovar, Interview mit Juan Luis Cebrián, erschienen in der Zeitschrift Gentleman [Madrid] Nr. 1 [April 1973] S. 38 f.) Nebenbei bemerkt sind es genau die von Tovar benutzten Adjektive (europäisch, modern, liberal), die auch Cantarero del Castillo als Grundlage für die Unterscheidung zwischen Faschismus und Falangismus dienen. 30 1943, Nr. 10, S. 313-334. 31 1946, Nr. 25-26, S. 1-42, bzw. Nr. 29-30, S. 43-86. 32 1947, Nr. 31-32, S. 1-70. 33 Es gibt ein für die ideologische »Wasserscheide« dieser Jahre wichtiges Buch, nämlich von Luis Diez del Corral: El liberalismo doctrinario, das 1945 eben vom Instituto de Estudios Políticos veröffentlicht wurde. Vgl. diesbezüglich auch Luis Sánchez Agesta: Derecho Político (1. Aufl. 1943,2. Aufl. 1945, 3. Aufl. 1947), José Antonio Maravall: Teoría española del Estado del siglo XVII (1944) oder Carlos Ollero: Introducción a la teoría de la política (1945).

27 maßen: »Obwohl die Mehrheit der Redakteure der Falange verbunden waren, konnte die Arbeit des Instituts und der Zeitschrift nicht umhin, auf eine doppelte Herausforderung zu reagieren: einerseits das persönliche Unbehagen über die faschistische Hypothek der Falange, andererseits die zunehmende Loslösung der Partei von dem aus dem Bürgerkrieg hervorgegangenen Regime. Die ersten Schritte zu einer - liberaleren, weniger ausgrenzenden - geistigen Erneuerung wurden in Escorial und in der Revista de Estudios Políticos unternommen; so blieb nur noch die Überwindung jenes historischen Mißtrauens gegenüber der Realität, das sich als Nationalismus, geistiges Geschick und Ablehnung des Klassenkampfes maskiert hatte.«34

Die traditionelle Reaktion: »Acción Española«, die Zeitschrift »Arbor« und der Consejo Superior de Investigaciones Científicas Die beiden (im übrigen nicht leicht miteinander zu vereinbarenden) Elemente der »liberal-falangistischen« Vorstellung, wie sie für jene politisch-intellektuellen Gruppen kennzeichnend war, sollten bald ihrerseits (wenn auch nicht mit der gleichen Deutlichkeit, Entschlossenheit und Schärfe) vom Standpunkt eines Konservatismus sehr viel traditionellerer Prägung zurückgewiesen werden. Man fürchtete und rügte daran vor allem die immer deutlicher liberale Ausrichtung der besagten falangistischen Intellektuellen; gleichzeitig aber (und dabei machte man sich die für die Alliierten günstige Entwicklung des Weltkriegs zunutze) forderte man - in weiser Voraussicht - ihren offiziellen Ausschluß mit dem Hinweis auf ihre unbestreitbaren früheren Berührungspunkte mit faschistisch geprägten totalitären Ideologien. Bemerkenswert ist dabei - und dies liefert nützliche Hinweise für eine objektive Analyse der wahren Absichten -, daß dieselben traditionellen Konservativen die gleichfalls traditionellen Falangisten (die zweifellos politisch die Mehrheit bildeten) ohne weiteres duldeten, während sie ihre Angriffe und Vorwürfe ausschließlich gegen die hier als liberal bezeichneten intellektuellen Falangisten richteten. José-Carlos Mainer, der über diese Periode intensiv geforscht hat, stellt fest, daß die Entwicklung hin zur Liberalität bei einigen Teilen der falangistischen Intellektuellen »den konservativen kapitalisierenden Cliquen im Laufe des Sieges von 1939 nicht verborgen blieb«. Er fährt fort: »Eine Reihe politischer Ereignisse führte 1942 zum 34 José-Carlos Mainer, zit. Anm. 14, S. 60. Über die Falange nach dem Krieg vgl. u. a. die vorwiegend auf die früheren Perioden bezogenen Bücher von Stanley G. Payne: Falange. Historia del fascismo español, und von Herbert R. Soulhworth: Antifalange. Estudio crítico de «Falange en la guerra de España: la Unificación y Hedilla» (beide in Übersetzung bei Ed. Ruedo Ibérico, Paris 1965 bzw. 1967). Dann auch Christian Rudel: La Phalange. Hisloire du fascisme en Espagne, Paris: Editions Speciale 1972. Vgl. auch die in Spanien erschienene Zusammenfassung von Eduardo Alvarez Puga: Historia de la Falange, Barcelona: Dopesa 1969. Für die erste Zeit sind vor allem zu nennen Sancho Dávila und Julián Pemartín: Hacia la historia de la Falange (1938); Francisco Bravo: José Antonio. El hombre. El jefe. El cantarada (1939); ders.: Historia de Falange Española de las JONS (1940); Felipe Ximénez de Sandoval: José Antonio. Biografía apasionada (1941). Für die spätere Entwicklung sind vor allem die Sammlungen von Reden und Schriften von Männern wie Raimundo Fernández Cuesta, José Antonio Girón, José Luis de Arrese, Jesús Fueyo u. a. zu konsultieren, sowie für deren zeitgenössische Interpretation beispielsweise die Aufsätze von Rodolfo Martín Villa, José Miguel Orti Bordás, Gabriel Cisneros u. a.

28 Ausschluß von Ramón Serrano Suñer aus der Regierung. Sein Nachfolger im Außenministerium wurde Jordana. Die Absetzung Serranos bedeutete das Ende für den Einfluß der Escorial-Gruppe und für die politischen Hoffnungen, die sie hegte. Den konservativen Gruppen kam es zu, ihr Erbe anzutreten und davon zu profitieren, besonders nachdem die Presse- und Propagandaabteilung dem Erziehungsministerium unterstellt wurde, dem erst der Monarchist Pedro Sainz Rodríguez und dann der alte 'Propagandist' José Ibáñez Martín vorstand. Im Gegensatz zur Orientierung an Ortega - die vielleicht, wie Marichal bemerkt hat, ihr Hauptkennzeichen war - und zu den integrativen Vorstellungen der Gruppe um Ridruejo und Lain forderten die neuen konservativen Reaktionäre, die sich selbst die geistige Führung des Aufstands von 1936 zuschrieben, die Rückbesinnung auf das patriotisch-religiöse Wesen einer politischen und kulturellen Linie, die von Menéndez Pelayo über Vázquez de Mella bis zu Ramiro de Maeztu und zur Gruppe von Acción Española reichte. Zu Sprachrohren dieser Ideologie wurden schon bald eine staatliche Stiftung - der 'Oberste Rat für Wissenschaftliche Forschung' (Consejo Superior de Investigaciones Científicas CSIC) - und eine Zeitschrift - Arbor -, die 1945 zum offiziellen Organ des Consejo wurde.«35 Im Gegensatz zur politisch und geistig offeneren Linie von Escorial und zum größeren liberal-falangistischen Einfluß in den Universitäten sammelten also Arbor und der CSIC Teile der alten katholischen Aktivisten um sich, die ausdrücklich die Lehrmeinungen und politischen Positionen der Philosophie der Konterrevolution für sich in Anspruch nahmen. Dies war eindeutig die Hauptlinie, wenn es auch in diesen Kreisen gelegentlich bemerkenswerte Haltungen und Entwicklungen von liberalerem oder einfach weniger totalitärem Charakter gab - die manchmal, und vor allem im Umkreis des CSIS, aus dem Bedürfnis nach größerem Respekt gegenüber der Wissenschaft und den Wissenschaftlern herrührten -, wobei aber immer der unveränderliche Hintergrund eines konservativen Katholizismus beherrschend war. Der Consejo Superior de Investigaciones Científicas war am 24. November 1939 de facto als Nachfolger, zugleich aber auch als ideologisches Gegenstück zur berühmten »Kommission für Forschungsförderung« (Junta para Ampliación de Estudios), deren Ausrichtung flexibel, aber eindeutig liberal-institutionalistisch gewesen war, gegründet worden. Der »Gründungsgedanke« scheint von José María Albareda (später bis an sein Lebensende Generalsekretär und wahres »Faktotum« des Consejo) ausgegangen zu sein. Er hatte 1938 in Burgos Gelegenheit, José Ibáñez Martín (da35 José-Carlos Mainer, zit. Anm. 14, S. 60 f. Es heißt dort weiter: »Die Fakten über die Entstehung der Zeitschrift (Arbor) sind hinlänglich bekannt: Sie wurde im März 1943 in Barcelona auf Initiative von Rafael Calvo Serer, Raimundo Pániker und Ramón Roquer gegründet; ihr erster Chefredakteur war der Auguslinerpater José López Ortiz, auf den 1946 José Maria Sánchez Muniain folgte. Mit Arbor wurde eine regelrechte ideologische Gegenreformation in Gang gesetzt: neue Namen - Rafael de Baibin, Santiago Galindo Herrero, Manuel Calvo Hernando, Vicente Marrero, Gonzalo Fernández de la Mora, Leopoldo Eulogio Palacios - stiegen in den Ring und schlugen voller Leidenschaft die ersten Schlachten in einem Kampf, in dem die Falangisten von Escorial die natürlichen Feinde waren.« Vgl. Florentino Pérez-Embid: Breve historia de la revista «Arbor», Vorwort zum Index der ersten 75 Nummern, Madrid 1952.

29 mals eine Schlüsselperson, kurz darauf Erziehungsminister und selbst lange Zeit und bis zu seinem Tod Direktor des Consejo) für seine Idee zu gewinnen, mit dem er zu Beginn des Krieges als politischer Flüchtling in der chilenischen Botschaft in Madrid zusammengetroffen war. Gutiérrez Ríos schreibt darüber: »Albareda besuchte ihn oft; ... Sie sprachen über vieles, vor allem aber über Albaredas Hauptsorge, die Ibáñez teilte: über die Zukunft der wissenschaftlichen Forschung in Spanien. Die Auflösung der Kommission für Forschungsförderung war abzusehen; das Vakuum mußte mit einer umfassenderen Institution gefüllt werden, die allen Wissensgebieten und ganz Spanien offenstehen und die enggefaßten, nur einer Minderheit entsprechenden und zentralistischen Kriterien der Kommission überwinden sollte.«36 Man kann kaum behaupten, daß der Consejo nicht an einer ganz bestimmten, konkreten politisch-ideologischen Vorstellung (vorwiegend konservativ-katholischer Prägung) ausgerichtet gewesen wäre. Im Gegenteil, er hat die Fehler noch bei weitem übertroffen, die Albareda bei der Junta para Ampliación de Estudios gesehen hatte, wo - wie Gutiérrez Ríos bemerkt - »äußerst wertvolle wissenschaftliche Projekte und Unternehmen mit wissenschaftsfremden Elementen durchsetzt waren, d. h. mit doktrinären, ideologischen Prinzipien, die, wenn sie auch nicht selbst politisch waren, doch Einfluß in politischen Kreisen hatten«37. Meines Erachtens würde eine gründliche Analyse der vom Consejo Superior de Investigaciones Científicas geförderten Forschungsprojekte und Publikationen im Bereich der Geschichts- und Sozialwissenschaften zweifelsfrei den vorwiegend konservativen Charakter belegen, den der Rat generell innerhalb des Spektrums der damaligen spanischen Kultur aufwies, obwohl sich unter seinen Führungskräften und Mitarbeitern auch einige Wissenschaftler und Denker von eindeutig offener und sogar liberaler Gesinnung befanden.38

36 Enrique Gutiérrez Ríos: José María Albareda. Una época de la cultura española, Madrid: Ed. Magisterio Español 1970, S. 135. Über die Junta para Ampliación de Estudios gibt es eine umfassende Untersuchung von Francisco Laporta, Alfonso Ruiz Miguel, Virgilio Zapatero und Javier Solana: Los orígenes culturales de la Junta para Ampliación de Estudios, in: Arbor, 26:493 (1987), 17-87 und 27:499-500 (1987), 9-137. Sicher wäre auch eine objektive und - selbstverständlich - wissenschaftliche Untersuchung Uber die (auch naturwissenschaftlichen) Arbeiten und Ergebnisse des Consejo Superior de Investigaciones Científicas in den ersten 35 Jahren seines Bestehens interessant, die das 1952 (S. 274) von Gregorio Marafión abgegebene Urteil überprüfen könnte, das da lautet: »Das Werk des Obersten Rates für Wissenschaftliche Forschung ist eines der grundlegenden Ereignisse im kulturellen Leben unseres Landes.« 37 Enrique Gutiérrez Ríos, ebd., S. 53. Auch Tovar kritisiert diese von Ibáñez Martín geförderte politisch-intellektuelle Gruppe, der er »mangelnden Respekt vor der Intelligenz« vorwirft: »Ich denke, es steht aufier Zweifel, daß es sich um Leute mit sehr konservativen, rechtsgerichteten Ideen handelte« (Interview mit Tovar, ziL Anm. 29, S. 39). 38 Gutiérrez Ríos (z. B. S. 151 f.) stellt Albareda selbst in diesem Licht der Toleranz dar: »In dieser gegen Ende des Krieges noch immer gespannten Atmosphäre mußte Albareda manchmal all seine Überzeugungskraft aufbieten, um Ressentiments und sogar feindselige Haltungen gegenüber manchen Personen abzubauen.« Hier die Liste - zitiert nach Gutiérrez Ríos (S. 150 f.) - der Namen derer, die damals dem Rat angehörten: »Die leitenden Positionen der Institute wurden in Madrid von Anfang an mit renommierten Personen besetzt: Menéndez Pidal, Miguel Asín, Cantera Burgos, Eugenio D'Ors, Pío Zabala, Ballesteros, Gómez Moreno, Buyón, Barbado, Zaragüeta, Ruiz del Castillo, Zumalacárregui, Eijo Garay, Rey Pastor, Casares Gil, Julio Palacios, Otero Navascués, Rius Miró, Lora Tamayo, Jimeno, Bermejo, MarciUa, Fernández-Galiano, Arturo Caballero, Rérez de Barradas, Gonzalo Ceballos, Torroja, Peña Boeuf, García Siflériz, Artigas, Entrambasaguas. Auch in Barcelona leiteten sehr bedeutende Persönlichkeiten der katalanischen Kultur und Wissenschaft Forschungseinheiten des Rates: Vives, Anglés, Vicens, Milläs Vallicrosa, Pericot, Martínez Ferrando, Carreras Artau, Mateu Llopis, Font y Puig, Griera, Durán y Santpere, Bas-

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Die konterrevolutionäre ideologische Ausrichtung wird vollends deutlich, wenn man von der Betrachtung des letztlich doch mehr mit den Naturwissenschaften befaßten Consejo^ wieder zu der der Zeitschrift Arbor zurückgeht, die historisch-kulturellen, sozialen und politischen Themen schon sehr viel größere Aufmerksamkeit schenkt. In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre wird der schon erwähnte alte katholische Aktivismus in Arbor direkt personifiziert durch Personen, die mit dem Weltlichen Institut des Opus Dei verbunden waren (dem der Consejo schon von Anfang an verbunden war, und zwar über Albareda); es sind dies vor allem Rafael Calvo Serer, Rafael Baibin Lucas und Florentino Perez-Embid, die nun zu den Hauptbetreibern der Zeitschrift wurden.40 Weiter unten werde ich die Hauptzüge dieser konterrevolutionären Philosophie etwas genauer darstellen, wie sie sich grundlegend im Streit mit der politisch-intellektuellen Linie der Anhänger von Escorial herauskristallisierten, wobei sich dieser Streit vor allem um das Werk Espana como problema (»Spanien als Problem«) von Lain Entralgo drehte. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß sich zu diesem Anlaß dem einseitig kämpferischen »Menendez-Pelayismus« von Ar-

sols de Climent, Pascual Vila, Rubio, San Miguel, Martín Almagro, Orts Aracil, Font Quer, Jimeno - der bald darauf nach Madrid ging -, Solé Sabarís, Jiménez Vargas, García del Cid, Alcobé, Botella. In Saragossa befand sich Rocasolano, Lehrer von Albareda; in Sevilla Lora Tamayo, der dann nach Madrid ging, und Manzano; in Granada López-Neyra, Gallego Burin und Marin Ocete; in Valencia Barcia Goyanes; in Oviedo Fernández Ladreda; in Galizien Gallástegui; in Tortosa Romaflá.« Angesichts dieses Verzeichnisses schließt auch Gutiérrez Ríos triumphierend (S. 173): »Von jenem behelfsmäßigen Büro im oberen Teil der Straße Serrano aus zeichnete Albareda die Entwicklungslinien des Rates vor. Hier wurde vorweggenommen, was Jahre später (sie) die meisten europäischen Länder tun würden.« 39 Vgl. Anm. 40 zu dieser Präferenz für die Naturwissenschaften. Was die Geschichts- und Kulturwissenschaften betrifft, so konzentrierte der Rat - der immer bemüht war, unsere christliche Tradition der Reconquista und vor allem unsere imperiale Vergangenheit zu verherrlichen - einen großen Teil seiner Aktivitäten der damaligen Jahre auf das Gedenken - im orthodoxen Sinne - an zahllose Heldentaten und Ereignisse vermittels des pünktlichen und erschöpfenden Begehens jeder Art von Jahrestagen. So war er beispielsweise 1940 an der Organisation der Feierlichkeiten zum vierhundertsten Todestag von Luis Vives beteiligt - wobei die nicht der »reinen Lehre« entsprechenden Aspekte dieses Mannes verdrängt wurden; 1941 an der Vierhundertjahrfeier für den Heiligen Johannes vom Kreuze; 1942 an der zum elfliundertsten Todestag von König Alfons dem Keuschen und - auf dem Umweg über den Pater Justo Pérez de Urbel - am 450. Jahrestag der ersten Fahrt von Kolumbus nach Amerika; 1943 an der Hundertjahrfeier des Erscheinens von El Criterio von Balmes in Vieh und vor allem an den großen, mystischen Feierlichkeiten zur Tausendjahrfeier von Kastilien in Burgos, am Grabe des Grafen Fernán González (sogar mit einer Rede von Ramón Menéndez Pidal über »Das Kastilien von Fernán González«), usw. Immerhin führte all dies doch zu einigen - wenigen - wissenschaftlichen Beiträgen. 40 Vgl. Daniel Artigues: El Opus Dei en España, 1928-1962, 2. Aufl. Paris: Ruedo Ibérico 1971 (1. Aufl. 1968), S. 43 ff. und S. 51 ff. Artigues geht dort (S. 50) auf die Kritik ein, die liberalere, aber dem Opus verbundene Männer wie Antonio Fontán (in seinem Buch: Los católicos en la Universidad de la España actual, 1961) am Consejo geübt haben, weil er »den größten Teil seiner Bemühungen den wissenschaftlichen Fächern (reine und Naturwissenschaften) auf Kosten der Wissenschaften vom Menschen« gewidmet habe. Ohne die Ergebnisse dieser wissenschaftlich-technischen Forschungen des CSIC abschließend bewerten zu wollen und selbstverständlich auch ohne die Bedeutung der reinen und der Naturwissenschaften zu schmälern, fragt sich Artigues, ob man in dieser Kritik nicht den Beweis dafür sehen könne, »daß der CSIC im Bereich der Ideologie nicht alle Erwartungen erfüllt hat, die manche Mitglieder des Opus in ihn setzten. Die auch von Fontán beklagte 'technische Verwässerung' legt dies nahe.« Und er fährt fort: »Der Stellenwert, der der Technik - auf Kosten der ideologischen Ausrichtung, die zumindest bis 1957 für eine besonders einflußreiche Gruppe von Mitgliedern des Opus vorrangig war - eingeräumt wurde, erklärt die Enttäuschung von Fontán«. In Arbor jedoch wurde dieser ideologischen Orientierung sowie historischen, kulturellen und politischen Fragen eindeutig der Vorzug gegeben.

31 bor offen die integrative, umfassende Sichtweise von Lain und etwas später von Tovar entgegenstellte."! An dieser Stelle ist wohl auch darauf hinzuweisen, daß diese gegenreformatorische, traditionell-katholische Ideologie von Arbor meines Erachtens unverkennbar mit den Positionen zusammenhing, die Jahre zuvor von der Zeitschrift und der Gruppe um Acción Española vertreten worden waren. 42 In beiden wurde eine völlig abgeschlossene, endgültige Weltsicht vertreten, die in der Nachkriegszeit offiziell vorherrschte; sie ließ sogar die Illusion »technischer Neutralität« zu, wie man sie häufig beim Consejo beobachten konnte und wie sie wohl auch als Grundlage späterer technokratischer Entwicklungen diente, die ebenfalls angeblich entideologisierend wirkten. Daniel Artigues hat ausdrücklich auf diese doktrinäre Beeinflussung von Opus Dei und auf die Unterstützung hingewiesen, die diesem durch die Männer von Acción Española »in den zwanzig Jahren nach Ende des Bürgerkrieges« zuteil wurde. Diese Lehre, so Artigues, »war gekennzeichnet durch eine Rückkehr zu antirevolutionären Werten sowie zu katholischen und nationalen Traditionen«. Er erinnert auch daran, daß »die Mitglieder von Acción Española bald einigermaßen schwierige Beziehungen zur orthodoxen Falange hatten«;43 im Grunde ging es, so kann man wohl sagen, um eine Auseinandersetzung zwischen der (präkapitalistischen, traditionellen, quasi dem ancien régime verhafteten) alten extremen Rechten und der (mehr dem faschistischen Totalitarismus zuneigenden) neuen extremen Rechten. Die Mitglieder der ersten waren vielleicht konservativer im sozialen und ökonomischen und mög41 Vgl. Pedro Lain Entralgo: Menéndez Pelayo, Madrid 1944; Antonio Tovar: La conciencia española (Sammlung von Texten von Menéndez Pelayo, mit ausführlichem Vorwort des Herausgebers), Madrid: Epesa 1948. Diese Haltung von Lain, die sich mit der in Escorial vertretenen verband, hatte sich schon ein Jahr früher (1943) in seiner Arbeit Sobre la cultura española gezeigt und wurde ein Jahr später (1945) in seiner Untersuchung über La generación del noventa y ocho ganz deutlich. Ich werde darauf bei der Behandlung von España como problema (Madrid 1949) zurückkommen. Vgl. diese Interpretationen von Menéndez Pelayo mit der um die gleiche Zeit im Exil angefertigten und 1943 veröffentlichten Arbeit von Guillermo de Torre: Menéndez Pelayo y las dos Españas. 42 Vgl. dazu die wichtige Arbeit von Raúl Morodo: Acción Española: Una introducción al pensamiento político de extrema derecha, in dem Sammelband: Teoría y sociedad: Homenaje al profesor Aranguren, Barcelona: Ed. Ariel 1970, S. 361-396 (dort auch weitere Literatur zum Thema, vor allem das Buch von Luis Maria Ansón: Acción Española, Zaragoza: Ed. Círculo 1960). Zu den von Raúl Morodo in diesem Kontext behandelten Namen gehören u. a.: Ramiro de Maeztu, Víctor Pradera, Jorge Vigón, Eugenio Vegas Latapie, José Pemartín, Pedro Sainz Rodríguez, Eugenio Montes, José María Pemán, Wenceslao González Oliveros, Eduardo Aunós. 43 Daniel Artigues, ziL Anm. 40, S. 44. Er schreibt zu diesem kontrovers diskutierten Thema (S. 44 f.): »Die syndikalistische Ideologie mancher Falangisten, wie Ridruejo und Tovar, vertrug sich in der Tat schlecht mit dem traditionellen Konservatismus der Männer von Acción Española. Während seiner Zeit im Ministerium stieß Sainz Rodríguez mit manchen Mitgliedern der Falange wegen seiner Politik einer systematischen Begünstigung der Kirche in Bildungsangelegenheiten zusammen; manche Falangisten wiederum versuchten, die Rechte des Staates gegen eine Klerikalisierung zu verteidigen, die ihnen exzessiv erschien. Im übrigen wurde den Männern von Acción Espafiola oder doch zumindest einigen von ihnen schon früh vorgeworfen, mehr oder weniger offen für die Wiederherstellung der Monarchie zu arbeiten. Im August 1939 wurde Sainz Rodríguez nicht Mitglied der neuen Regierung, und bald darauf ging er nach Portugal ins Exil. Die Kluft zwischen dem Regime und Acción Espaflola vertiefte sich danach noch mehr. Um 1943 wurden auch die rein intellektuellen Aktivitäten von Acción Española praktisch verboten. Trotzdem fiel das Erziehungsministerium 1939 deswegen noch nicht in die Hände eines Falangisten. Es wurde von José Ibáñez Martín geführt, der diesen Posten fast zwölf Jahre lang innehaben sollte.« Und es war, wie wir gesehen haben, gerade Ibáflez Martín, der Albareda die entscheidende Unterstützung für die Schaffung des CSIC gab und ihm von seinem Posten als ständiger Generalsekretär praktisch dessen Leitung Ubertrug. Trotz des Rückzugs von Acción Española setzten sich also ihre direkten Erben und Fortführer durch - und dies nicht nur im Consejo.

32 licherweise weniger totalitär (wenn auch selbstverständlich immer antiliberal) im politischen Bereich; die der zweiten waren umgekehrt mehr Verfechter eines starken, allmächtigen Staates, der die soziale und ökonomische Politik der »national-syndikalistischen Revolution« umsetzen sollte. In jedem Fall ist aber zu bedenken, daß sich die Auseinandersetzung damals - und bis heute - im Grunde um die liberalen Haltungen und Vorstellungen der Intellektuellen drehte, die natürlich zu der Zeit in jener »orthodoxen Falange« aktiv waren, wenn auch später ein großer Teil von ihnen sich hin zu eindeutig demokratischen Standpunkten entwickeln sollte.

Kommunikationssperre zwischen Exil und Inland: Aktivitäten und Veröffentlichungen der spanischen Intellektuellen im Exil Jenseits dieser »inneren Dialektik« des damaligen Regimes, weit weg und frei von ihr, lebten die Exilanten. Die exilierten Intellektuellen - von den Politikern soll hier nicht die Rede sein hatten in den ersten Jahren ihres Daseins als »Verbannte« mit großer Entschlossenheit und Begeisterung gearbeitet, ohne daß das (bald enttäuschte) Bewußtsein, sich in einer Übergangslage zu befinden, ihre Arbeit beeinträchtigt hätte. So wurde sehr bald die Casa de España en México gegründet, aus der dann das Colegio Español de México wurde, und etwas später (1949) schuf man das Ateneo Español de México. Außerdem waren spanische Exilanten damals unter anderem entscheidend beteiligt an der Gründung bzw. Erweiterung der Verlage Séneca und Fondo de Cultura Econòmica (beide in Mexiko) sowie Losada (in Argentinien). Aus dem Zeitschriftenspektrum ragte vor allem España Peregrina heraus, die 1940 entstand und in erster Linie das Werk von José Bergamín - dem sie auch ihren Titel verdankte, der dann als Symbol so weite Verbreitung finden sollte 44 - in Zusammenarbeit mit Juan Larrea, Josep Carner und anderen war. Die Katalanen gaben Nostra Revista heraus. Neben einigen späteren Zeitschriften, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, verdienen wohl die Cuadernos Americanos (auf die ich mich im folgenden häufig beziehen werde) größte Aufmerksamkeit - eine wirklich bedeutende Zeitschrift und ein hervorragendes Beispiel spanisch-mexikanischer Zusammenarbeit -, die inzwischen auf mehr als dreißig Jahre des Bestehens zurückblicken kann: die erste Nummer erschien im Januar 1942, und die Zeitschrift existiert auch heute noch 45 44 De una España peregrina (Madrid: Al-Borak 1972) ist denn auch der wehmütig-sentimentale Titel, den José Bergamín vor kurzem einem seiner letzten Bücher gegeben hat; über die interessante Person und das Werk von José Bergamín gibt es noch keine umfassende Untersuchung, obwohl eine solche wünschenswert und notwendig wäre. 45 Unzählige exilierte spanische Intellektuelle wirkten daran mit. Ihr Direktorium bestand aus Pedro Bosch Gimpera (Exrektor der Universidad de Barcelona), Daniel Cosío Villegas (Generaldirektor von Fondo de Cultura Económica), Mario de la Cueva (Rektor der Universidad Nacional de México), Eugenio Imaz, Juan Larrea (Sekretär der Zeitschrift), Manuel Márquez, Manuel Martínez Báez, Agustín Miliares Carlo, Eduardo Ortiz de Montellano, Alfonso Reyes und Jesús Silva Herzog (der während der ganzen Zeit des Bestehens der Zeitschrift den Posten des Herausgebers innehatte). In der Vorstellung der ersten Nummer hieß es: »In der heutigen kritischen Zeit fühlt sich eine Grap-

33 Viele wichtige Bücher von Exilanten erschienen ebenfalls in diesen Jahren. Der »gemeinsame Nenner« bei ihnen allen war die Erinnerung, die Sehnsucht nach Spanien, die Erwartung der Rückkehr, die Unsicherheit der internationalen politischen Lage. Es sind Bücher, die größtenteils noch auf der Lektüre, den Einflüssen und Studien aus der Zeit vor dem spanischen Bürgerkrieg beruhen. Unter vielen anderen sind hier vor allem die folgenden zu nennen: aus dem Jahr 1939 Filosofía y poesía von María Zambrano; 1940 von José Gaos Dos ideas de la filosofía, von Joaquín Xirau La filosofía de Husserl, von Luis Recasens Siches Vida humana, sociedad y derecho; 1941 die erste Fassung des Diccionario de filosofía von Ferrater Mora, El problema del liberalismo von Francisco Ayala, Psicología de las situaciones vitales von Eduardo Nicol, Sociología, teoría y técnica von José Medina Echavarría; 1942 die Filosofía de las ciencias von García Bacca, Españoles de tres mundos von Juan Ramón Jiménez, außerdem Erzählungen, Gedichte, Gesänge von Sender, Guillén, Salinas, Alberti, León Felipe, Domenchina und vielen anderen; 1943 die schon zitierte Untersuchung von Guillermo de Torre über Menéndez Pelayo, auf dem Gebiet des literarischen Schaffens Campo cerrado von Max Aub; 1944 Razón del mundo von F. Ayala, die Studie von Ferrater über Unamuno: bosquejo de una filosofia, die von Joaquín Xirau über Manuel B. Cossio y la educación en España-, 1945 die Antología del pensamiento español von José Gaos, außerdem von Antonio Sánchez Barbudo Una pregunta sobre España, ein Buch, das immerhin viele Berührungspunkte mit den Fragestellungen hat, die sich in Spanien selbst im kritischen Bewußtsein jener Jahre ihren Weg zu bahnen begannen und die später in España como problema von Laín Entralgo ihren symbolischen Ausdruck finden sollten. Trotz der offiziellen und auch intellektuellen Kommunikationssperre zwischen den Exilanten und den im Land gebliebenen, trotz der damaligen gegenseitigen Unkenntnis, wäre es keineswegs müßig, einige Grundzüge der Kontinuität und engen Kommunikation aufzuzeigen, die es schon zu dieser sehr frühen Zeit gab. Jenseits der konkreten, unmittelbaren politischen »Konsequenzen« (gelegentlich auch Inkonsequenzen) - die man im übrigen weder außer acht lassen darf noch kann - entdeckt man unschwer auf beiden Seiten, drinnen wie draußen, tiefe gemeinsame Gefühle, manchmal auch übereinstimmende Hoffnungen und Visionen für Spanien. Keinesfalls will ich die jeweiligen Eigentümlichkeiten und Unterschiede der beiden Situationen - der Exilanten und der Zurückgebliebenen - übertünchen und verfälschen; ich will aber auch nicht dazu beitragen, diese schmerzhafte, kriegerische Spaltung zu etwas ganz Radikalem, Endgültigem und Unüberwindbarem zu machen.

pe mexikanischer und spanischer Denker - entschlossen, sich der Aufgabe der Bewahrung und Fortführung der Kultur zu stellen - verpflichtet, Cuadernos Americanos herauszubringen.« In einer von Totalitarismen bedrohten Welt verstand man hier die »Bewahrung und Fortführung der Kultur« in einem eindeutig liberalen und demokratischen Sinn; seit damals wird auf den Seiten dieser Zeitschrift bedeutende kulturelle Arbeit geleistet.

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Abriß über Geistesleben, Philosophie und literarisches Schaffen im Spanien der unmittelbaren Nachkriegszeit Ich bin mir nicht sicher, ob sich nicht im Hinblick auf die spanische Kultur im Lande selbst in Julián Marías ein gültiges Beispiel für die behauptete signifikante Kommunikation finden läßt. Marias, ein Liberaler, Schüler von Ortega, blieb in Spanien, wo er vom offiziellen akademischen Leben ausgeschlossen war. Seine Doktorarbeit über La filosofia del P. Gratry wird 1941 von der Philosophischen Fakultät abgelehnt, erscheint aber noch im gleichen Jahr als Buch. Ebenfalls 1941 erscheint auch seine verdienstvolle Historia de la filosofía, ein Werk, das seither von mehreren Studentengenerationen mit Gewinn benutzt wurde. 46 Das Vorwort zu diesem Buch stammt von Xavier Zubiri, der im folgenden Jahr (1942) selbst seine wichtigsten Aufsätze, manche davon noch aus der Zeit vor dem Krieg, in dem inzwischen schon klassischen Band Naturaleza, Historia, Dios herausbrachte. Marías verkörperte damals die kritische Alternative zur engstirnigen offiziellen scholastischen Philosophie. Später (im Jahr 1943) veröffentlicht er sein Werk Miguel de Unamuno, in dem er die umstrittene These von der »unnötigen Heterodoxie« des Rektors von Salamanca formuliert. Trotz dieser liberalen Vergangenheit zögert Julián Marías aber nicht, Verbindung zu allen Richtungen der schon erwähnten falangistischen Intellektuellen von Escorial zu halten, darunter auch zum Autor eines Buches, das dem Studium der Philosophie von Eugenio D'Ors gewidmet war und das damals (1945) erschien; sein Name war, was heute kaum noch jemand weiß, José Luis L. Aranguren.4'? Es gäbe noch viel zu sagen, bevor man diese erste Periode der spanischen Geistesgeschichte der Nachkriegszeit »schließen« könnte; sicher fehlen noch viele wichtige Namen, Bücher, Fakten, Institutionen, Verlage, Zeitschriften, die bisher nicht erwähnt wurden. Zumindest sei daran erinnert, daß am 18. September 1939 die Wieder46 Ich bin auf dieses Werk schon an anderer Stelle näher eingegangen und muß dies hier nicht mehr tun; trotzdem mochte ich anmerken, daß mir die Kritik von Alfonso Sastre an diesem Buch von Julián Marias übertrieben erscheint, wenn sie auch in dem konkreten, von ihm als Beispiel zitierten Fall zutrifft. Ich erwähne dies hier nicht nur, um das genannte Einzelwerk zu »rehabilitieren«, sondern vor allem im Hinblick auf die Bedeutung dieser Kritik als methodologischer Maßstab zur Verurteilung der gesamten spanischen Kultur jener Jahre - ein Maßstab, den Sastre, der die Schwierigkeiten der intellektuellen Arbeit sehr wohl kennt, glücklicherweise nicht immer mit dieser Härte und Strenge benutzt (Alfonso Sastre: La revolución y la crítica de la cultura, Barcelona: Grijalbo 1970, S. 19 f., im Übrigen ein wirklich wichtiges Werk). Eine historisch flexiblere Haltung zeigt José Luis Abellán: La cultura en España, a. a. O. S. 26-29. In einer Rezension allgemeiner Werke spanischer Autoren zur Geschichte der Philosophie wäre außer dem von Julián Marias auch noch das des Dominikanerpaters Guillermo Fraile: Historia de la filosofía, 3 Bde., Madrid: Biblioteca de Autores Cristianos 1956, 1960 und 1966 zu erwähnen (außerdem ders.: Historia de la filosofía española, 2 Bde., nach dem Tode des Autors fertiggestellt von Pater Teófilo Urdanoz, ebenfalls erschienen bei BAC 1971). Weiter wären zu nennen Juan David Garcia Bacca: Lecciones de Historia de la Filosofia, 2 Bde., Caracas: Universidad Central de Venezuela 1972, und F. Martínez Marzoa: Historia de la filosofía, 2 Bde., Madrid: Ed. Istmo 1973; letzteres erhielt eine äußerst positive Besprechung durch Fernando Savater in der Zeitschrift Triunfo (Madrid, Nr. 580 vom 10. Nov. 1973, S. 71). 47 Für mehr Informationen über die spanische Philosophie dieser Jahre vgl. den Aufsatz Filosofía española contemporánea (1940-1946) von Ramón Cefial SJ (eine umfassende und geistig offene Arbeit), erschienen in der Zeitschrift Sophia Nr. 15 (1947), S. 182-191; außerdem bzgl. eines größeren Zeitraums Luis Martínez Gómez SJ: Bibliografía filosófica española e hispanoamericana (1940-1958), Barcelona 1961. Zu einigen der Themen dieses Kapitels vgl. auch den Artikel von Carlos Paris: La filosofía en los últimos cincuenta aflos, in Cuadernos para el Diálogo Nr. 9 (Juni 1964), S. 6 f.

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eröffnung der Nationalbibliothek nach dem Bürgerkrieg stattfand; man konnte also trotz aller Widrigkeiten wieder studieren und forschen. Es sei nicht vergessen, daß aus verschiedenen »Gründen« - aus reiner Barbarei oder aus Inquisitorengeist, manchmal aber auch aus Gründen elementarer Vorsicht und Absicherung gegen die argwöhnischen Vertreter der politischen Machthaber - zahlreiche Privatbibliotheken und wohl hunderttausende von Büchern in den Jahren des Bürgerkrieges und unmittelbar danach verbrannt und zerstört worden sind. Im Rahmen einer allgemeinen Politik der »Normalisierung« nahmen auch die Real Academia Española und im Anschluß daran die anderen Akademien ihre Arbeit und ihre Sitzungen in Madrid wieder auf, wobei erstere noch im April 1939 - mit einer fast abgeschlossenen 16. Auflage des Diccionario - aus San Sebastián nach Madrid zurückkehrte.48 Zum Thema des vorliegenden Buches gehört zwar nicht ausdrücklich die schöne Literatur. Ich möchte aber hier doch nicht darauf verzichten, im Zusammenhang mit der Frage, was alles noch zu behandeln wäre, einige Werke zu nennen, deren Bedeutung darauf beruht, daß sie in der damaligen Zeit ästhetisch und ideologisch einen gewissen Bruch mit der öffentlich anerkannten Richtung bewirken konnten. Im Bereich des Romans gilt dies vor allem natürlich für La familia de Pascal Duarte von Camilo José Cela (1942) und später in geringerem Maße für Nada von Carmen Laforet; außerdem sind hier die Namen Juan A. de Zunzunegui, Gonzalo Torrente Ballester, José M. Gironella, Francisco García Pavón, Ignacio Agustí und einige wenige mehr zu nennen.49 Was die Dichtung im Land selbst betrifft, so sollte sie nach einigen Arbeiten von Vicente Aleixandre und Gerardo Diego einerseits und von Luis Felipe Vivanco und Dionisio Ridruejo andererseits^ ihre - gezwungenermaßen verbitterte - Stim48 Der erste Präsident der Spanischen Akademie in der Nachkriegszeit war Pemán; auf ihn folgten F. Rodríguez Marín, Asín Palacios (der im August 1944 starb) und - nach einer weiteren Übergangspiäsidentschaft von Pemán - dann schon dauerhafter Ramón Menéndez Pidal; derzeit ist es Dámaso Alonso. 49 Für die Zeit während des Bürgerkrieges wären im »nationalen Sektor« außer den letzten Werken von Concha Espina oder der »Generation von 98« auch die Romane Eugenio o la proclamación de la primavera (1938) von Rafael García Serrano (der 1943 auch La fiel infantería veröffentlichte) und Madrid, de corle a checa von Agustín de Foxá (ebenfalls 1938) zum »Neuen« zu zählen. 50 Es war dies doch ein ziemlicher Fortschritt, verglichen mit dem Poema de la Bestia y el Angel (1938) von José María Pemán und den ästhetischen Verinnerlichungen der Gruppe Garcilaso (1943). Um das »Klima« der damaligen Zeit zu verdeutlichen, kann man hier durchaus einige der Beweggründe für das genannte »Heldengedicht« von Pemán anführen, der ganz im Sinne von D'Ors sagt: »Ich habe mich bemüht, meine Aufgabe nach der strengen Moral des Wohlgestalteten Werkes zu erfüllen« (S. 5, Ed. Jerarquía). Später (S. 7 f.) kommt er zur Sache, indem er hinzufügt: »Dieses Poem habe ich zuerst im November 1936 erdacht, angesichts der verbotenen Frucht Madrid, in der blutigen Dämmerung von Leganés und Getafe ... Uns gegenüber standen, gerade erst angekommen, die internationalen Brigaden. In den Reihen des Feindes wurde während der Schlachten in tausend verschiedenen Zungen geheult. Eines Morgens war das Feldlager übersät mit weitläufigen Leichen: man fand Russen, Franzosen, Belgier, Senegalesen, Algerier. Durch die königlichen Gärten im Stil des 18. Jahrhunderts floß der moralische Abschaum ganz Europas und seiner Kolonien. Auf dem Boden sah ich den immensen, rasierten Schädel eines Russen, das goldberingte Ohr eines Negers ... Dies vor Augen, erreichte unsere Truppen in jenen Tagen an diesem Ort die Nachricht von der Anerkennung des neuen Spanien von seilen Italiens und Deutschlands. Rom und Germanien, die beiden wesentlichen Teile Europas sollten im Schmelztiegel Spanien wieder verschmelzen. Alfons der Weise und Kaiser Karl, die das 'Heilige Römische Reich deutscher Nation' erträumt hatten, konnten wieder lächeln. Wo immer man hinsah, alles war voll von ungeheuren Perspektiven, von gesteigerter Bedeutung. Alles war bereit für ungeheure Dinge. Uns fiel es zu, noch einmal glorreich zu leiden. Noch einmal hatten wir die halbe Welt hinter und die halbe Welt vor uns. Noch einmal standen sich, wie Apoll und Vulkan in der Schmiede von Velázquez, die beiden einzigen Kräfte der

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me mit Dámaso Alonso wiederfinden, vor allem wohl in dessen Gedicht Hijos de la ira (1944); Madrid, die Reichshauptstadt, war - wie inzwischen jeder weiß - »eine Stadt von mehr als einer Million Leichen«. Aber auch Europa und die Welt waren - zwischen 1939 und 1945 - voll von Millionen von Leichen, Leichen anderer Art zwar, aber darum nicht weniger real: die Städte dem Erdboden gleichgemacht, alles in Schutt und Asche, dazu Millionen Opfer von Schmerz, Hunger, Haß, Angst. Das »tausendjährige Reich« des »Führers« brach unaufhaltsam zusammen, der zweite Weltkrieg ging seinem Ende zu, und die Menschen glaubten im Grunde, daß es - trotz allem - doch schon ziemlich viel war, noch am Leben zu sein, am Ende doch zu den Überlebenden zu gehören.5i

Welt von Angesicht zu Angesicht gegenüber: Bestie und Engel. Die vom Feuer bebenden Lüfte waren erfüllt von einer schrecklichen Vorankündigung. Zum fünften Mal in der Geschichte ergab sich Spanien in sein Schicksal und senkte das Haupt, um zu bedeuten: Siehe, ich bin die Magd des Herrn ... Und ich glaubte zu verstehen, was mein Anteil an Knechtschaft und Verantwortung sei. Die Zeit der oberflächlichen Berichterstattung und der kurzen Romanzen war vorbei. Ich glaubte zu verstehen, daß die Zeit reif war, ein Heldengedicht in Angriff zu nehmen ...« 51 Man sollte keineswegs versäumen, Uber diese und die folgenden Jahre die wunderbare Crónica seniimerual de España von Manuel Vázquez Montalbán, Barcelona: Ed. Lumen 1971, zu lesen: »Rekonstruktion der Vernunft« ist darin der treffende Titel des ersten Kapitels über die 40er Jahre.

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2. 1945-1951: Internationale Isolation. Beginn der Rekonstruktion der Vernunft. Erste Phase der Wiederentdeckung des liberalen Denkens der Vorkriegszeit.

Entwicklung und politische Kräfte des spanischen Regimes 1945 und in den folgenden Jahren Die Jahre 1945-1947 waren für das politische Regime Spaniens schwierige Jahre: Abberufung von Botschaftern, internationale Isolation, Guerrilla-Aktivitäten in einigen abgelegenen Gegenden des Landes. Die Exilanten, so schien es, bereiteten sich schon auf die unmittelbar bevorstehende Rückkehr vor. Die Reaktion des Regimes (das ohne Unterstützung, aber auch befreit von den Zwängen der deutsch-italienischen Achse war) war jedoch - vielleicht gerade deswegen - eine relative Öffnung und Mäßigung des inneren Drucks, allerdings doch noch allzu sehr geprägt von den noch frischen Erfahrungen des Bürgerkrieges. Jedenfalls ging man von der Betonung der antiliberalen Aspekte der offiziellen Kultur und Ideologie zu einer stärkeren Hervorhebung der antikommunistischen Einstellung des Regimes und der Verteidigung der »Werte der christlichen Zivilisation« über, um so eine gewisse Übereinstimmung mit dem Westen zu finden. Auf der politischen Ebene kam in dieser Zeit die Formel von der »organischen Demokratie« auf, die bei uns immerhin einige Verbindungen zu einer prestigeträchtigen Vergangenheit aufwies 1 und die sich in den folgenden Etappen des Regimes konsolidierte. Nacheinander werden das »Grundgesetz der Spanier« (Fuero de los Españoles) - die sehr eingeschränkte Erklärung der vom neuen Staat anerkannten Menschenrechte - vom 17. Juli 1945 und das »Gesetz über das nationale Referendum« (Ley de Referéndum Nacional) vom 22. Oktober 1945 erlassen, das - wiederum im Zuge der Annäherung an die Länder des Westens - einige wenige Möglichkeiten eines »allgemeinen Wahlrechts« einführt; wenig später folgt das »Gesetz über die Nachfolge in der Staatsführung« (Ley de Sucesión en la Jefatura del Estado) vom 27. Juli 1947, 1

Diese wurden jedoch im allgemeinen nicht oder kaum von der offiziellen politischen Philosophie aufgegriffen, die sich - erstaunlicherweise, wenn man die damalige ideologische Annäherung an die Länder Westeuropas bedenkt fast nie auf diese Verbindung zu einigen Sektoren des spanischen liberalen Denkens von vor 1936 bezog, in denen doch ziemlich häufig von der Notwendigkeit eines organischen Liberalismus bzw. einer organischen Demokratie die Rede war. Ich habe diesen Punkt ausdrücklich in meinem Buch La filosofía social del krausismo español, Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1973, S. 240 ff., behandelt, wo ich die Verbindungen aufgezeigt, ungerechtfertigte Verwechslungen jedoch zu vermeiden versucht habe.

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das den beiden zuvor genannten Gesetzen - zusammen mit der »Charta der Arbeit« (Fuero del Trabajo)

und dem »Grundgesetz der Cortes« (Ley Constitutiva

de las

Cortes) - Verfassungsrang verleiht. Später sollten dann auch das »Gesetz über die Prinzipien der nationalen Bewegung« (Ley de Principios

del Movimiento

Nacional;

1958), das ohne vorheriges Referendum erlassen wurde, und das »Grundgesetz des Staates« (Ley Orgánica del Estado; 1967), das nach dem Referendum vom Dezember 1966 erlassen wurde, Verfassungsrang erhalten.2 Es ist daran zu erinnern, daß sich die vier politisch-geistigen Hauptströmungen, aus denen sich bekanntlich die »Nationale Bewegung« anfänglich zusammensetzte (Falange Española, Tradicionalismo, ción Católica Nacional

Monárquicos

de Propagandistas)3,

de Renovación Española und Asociain einem ungleichen Kräfteverhältnis

befanden - wobei die Armee immer weit über dieser politischen Aufspaltung in einzelne Sektoren stand4 und das Oberkommando Francos^ alle diese Teile zusammensowie das Gleichgewicht aufrecht hielt. Dabei sollten die beiden zuletztgenannten Gruppen (die Monarchisten von Renovación Española und die ACN de

Propagandis-

tas) angesichts der spanischen Situation nach 1945 im Zuge des logischen Rückzugs der traditionalistischen Faktion und derjenigen Sektoren der Falange, die den totalitären Rezepten treu blieben, größeres spezifisches Gewicht erlangen. Dies läßt sich sagen, obwohl einerseits einige Monarchisten von Acción Española, die mit ziemlicher Beharrlichkeit auf die Karte der Restauration gesetzt hatten, politischen Einfluß verloren, und andererseits nicht zu vergessen ist, daß logischerweise der Einfluß der Intellektuellen (und in viel geringerem Maße auch der Politiker), die von der liberal-falangistischen Linie kamen und von denen sich der größte Teil sehr bald deutlich zur Demokratie hin entwickeln sollte, weiter bestand und sogar zunahm.

2

Vgl. für diesen ganzen Verfassungsprozeß u. a. die Bücher von Rodrigo Fernández-Carvajal: La Constitución Española, Madrid: Ed. Nacional 1969, und von Jorge Solé Tura: Introducción al régimen político español, Barcelona: Ariel 1971. Außerdem - besonders Uber die ersten Jahre, aber mit einer Analyse früherer Entwicklungen, die über die Behandlung rein rechtlich-institutioneller Fragen hinausgeht - von Carlos M. Rama: La crisis española del siglo XX, Mexiko-Stadt: Fondo de Cultura Económica 1960, vor allem Kap. VII und VIII.

3

Alle Autoren haben die ursprüngliche Zusammensetzung der »Nationalen Bewegung« auf diese Weise aufgeteilt; man vgl. z. B. die vier letzten Kapitel des damals entstandenen Buches von Gustavo del Barco: Los forjadores de la nueva España, 2. Aufl. SerTadilla: Sánchez Rodrigo 1973, die entsprechend der »Falange Espaflola, Boinas Rojas, Renovación Espaflola und Acción Popular« gewidmet sind; das Buch endet mit einer Anmerkung (S. 171) über die Vereinigung all dieser Gruppen innerhalb von FET und JONS am 19. April 1937.

4

Vgl. zu diesem äußerst wichtigen Thema und im allgemeinen zu den spanischen Streitkräften u. a. die folgenden Bücher (ich nenne nur einige in jüngerer Zeit erschienene Werke): Julio Busquets Bragulat: El militar de carrera en España. Estudio de Sociología militar, Barcelona: Ariel 1967; Stanley G. Payne: Politics and militarles in modern Spain, Stanford: Stanford University Press 1967; Alonso Baquer: El ejército en ¡a sociedad española, 1971; Manuel Diez Alegría: Ejército y sociedad. Un enfoque actual del problema externo de los ejércitos, Madrid: Alianza Editorial 1972. Vgl. zu diesen Themen außerdem die Zeilschrift Ejército.

5

Aus der umfassenden Literatur, die sich direkt oder indirekt auf ihn bezieht, vgl. z. B. (genannt sind, soweit vorhanden, die spanischen Fassungen): Luis Ramírez: Francisco Franco, Paris: Ruedo Ibérico 1964; Claude Martin: Franco, soldado y estadista, Madrid: Fermín Uriarte 1965; George Hills: Franco. El hombre y su nación, Madrid: Librería Editorial San Martín 1969; Brian Crozier: Franco. Historia y biografía, Madrid: Ed. Magisterio Español 1969; J. w . D. Trythall: El Caudillo. A Political Biography of Franco, New York: McGraw-Hill 1970; Ricardo de la Cierva (Hrsg.) u. a.: Francisco Franco. Un siglo de España, Madrid: Ed. Nacional 1973.

39 Gerade aus intellektueller Perspektive stellte die Polemik zwischen den Katholiken, die für eine Öffnung eintraten (und die außer aus der liberal-falangistischen Gruppierung von Escorial zum Teil auch aus der ACN de P. kamen), und den fundamentalistischen Katholiken (aus dem Umfeld des CSIS, der Zeitschrift Arbor usw.) damals zweifellos die bedeutendste Auseinandersetzung innerhalb des Systems dar. Es ist hier also die Rede von der Auseinandersetzung zwischen denen, die Dionisio Ridruejo später als »Integrierer« einerseits und als »Ausgrenzer« andererseits bezeichnete. Alberto Martin Artajo (im Außenministerium), Femando María Castiella (in verschiedenen Botschaften, vor allem aber beim Vatikan), Joaquín Ruiz-Giménez und später dann Alfredo Sánchez-Bella (im Spanischen Kulturinstitut) übernahmen von offizieller Seite einen großen Teil der Aufgabe einer relativen politischen und kulturellen Öffnung (im Inneren, vor allem aber auch im Bereich der internationalen Beziehungen), derer das Regime damals auch dringend bedurfte. Eine schon viel deutlichere Öffnung fand dann im darauffolgenden Jahrfünft (1951-1956) mit RuizGiménez an der Spitze des Ministeriums für Nationale Erziehung statt.

Ansätze zur Rückbesinnung auf das liberale Denken der Zeit vor 1936 in der Nachkriegszeit Die Teilnahme der falangistischen Intellektuellen von Escorial (Laín, Ridruejo, Tovar, Rosales, Panero, Vivanco usw.) an diesem Programm und vielleicht auch die »Eigendynamik der Sache« verlangte und ermöglichte ein immer entschiedeneres Anknüpfen an das spanische Denken aus der Zeit vor 1936: aus der »Generation von 98« waren Benavente, Azorin und Baroja (Baroja allerdings praktisch nur physisch) in Spanien anwesend; ebenfalls Marañón^ und bald darauf Ortega; später auch Ramón Pérez de Ayala, der zunächst von Buenos Aires aus und dann in Spanien selbst bei ABC mitarbeitete; außerdem kehrte, zwar nur sporadisch, aber dafür mit umso größerer Überzeugung, Ramón Gómez de la Serna zurück, der damals ziemlich regelmäßig in Arriba schrieb. Aber nicht nur mit ihnen - die noch am Leben sind - will man die Verbindung wiederherstellen, sondern auch mit den schon Verstorbenen: Unamuno, Machado, Valle Inclán, García Lorca u. a„ und sehr bald auch mit denen, die im Exil sind, was allerdings auf beiden Seiten auf größere Schwierigkeiten und verständliche Vorbehalte stieß. Sicher wäre es interessant, im Detail und anhand von Belegen die verschiedenen Etappen dieser »Wiederentdeckung« und »Rehabilitierung« der geistigen Strömun6

Wenn ich an die ersten Publikationen denke, die in jenen dunklen Jahren einen gewissen geistigen Horizont öffneten, erinnere ich mich ganz besonders an den offenen, großzügigen und liberalen Geist all der Arbeiten von Gregorio Maraflón, die in den unvergeßlichen Taschenbüchern der vierziger und beginnenden fünfziger Jahre der berühmten »Colección Austral« beim Verlag Espasa-Calpe erschienen (meine Generation konnte dort auch zum crsien Mal Unamuno, Ortega und viele andere lesen). Von Maraflón waren damals - außer dem ausgezeichneten Amiel - seine Ensayos liberales, sein Vocación y ética und Españoles fuera de España (alle drei erstmals 1946 veröffentlicht) ständig im Umlauf. Die Widmung des letztgenannten Werkes lautete: »Für Ramón Pérez de Ayala, der trotz seiner Abwesenheit in Spanien anwesend ist.«

40 gen und Persönlichkeiten aus der Zeit vor 1936 zu untersuchen, die im politisch-kulturellen Zusammenhang Spaniens nach 1939 ablaufen. Die Reihenfolge der »Rehabilitierung« - betrachtet man die verschiedenen Strömungen ganz allgemein und sieht von einzelnen Ausnahmen bestimmter Werke der genannten Autoren ab - läßt sich vielleicht folgendermaßen angeben: erstens Costa und seine Anhänger, die von Anfang an »integriert« waren; zweitens die »Generation von 98« (von Azorin bis Machado); drittens Ortega und seine Adepten (sowie einige andere Teile der »Generation von 14«); viertens die Krausisten und Institutionalisten (die unter den Exilanten zahlreich vertreten waren); fünftens republikanische (z. B. Azaña) und sozialdemokratische Politiker wie Julián Besteiro oder Fernando de los Ríos. Im folgenden werde ich mich neben anderen Themen auch mit diesen aufeinanderfolgenden Etappen der Wiederaufnahme des liberalen spanischen Denkens befassen.

Kontinuität der spanischen Kultur in den Zeitschriften und »Insula«

»Indice«

In den Jahren 1945-46 bot die innere Entwicklung die Möglichkeit, in gewissen Grenzen auch die dritte der eben aufgezählten »heterodoxen« Strömungen wieder aufzunehmen. Die Möglichkeiten vergrößerten sich bis 1951 und vor allem im Zeitraum 1951-1956 (Krausisten und Institutionalisten erhielten sie allerdings erst nach 1962). Zwei damals gegründete Zeitschriften unternahmen die verdienstvolle Anstrengung, an dieser wichtigen Aufgabe der Fortführung des spanischen Denkens (aber auch der Aufnahme neuer Strömungen) zu arbeiten, und waren damit auch im Rahmen der damaligen großen Schwierigkeiten weitgehend erfolgreich: Indice (gegründet 1945), eine Zeitschrift, die im Laufe ihrer langen Geschichte Phasen unterschiedlicher Qualität aufweist und die vor allem in der Zeit des Übergangs von den fünfziger zu den sechziger Jahren große Bedeutung hatte; Juan Fernández Figueroa war ihr allgegenwärtiger Chefredakteur und wahres »Faktotum«; manchmal vermißte man in Indice ein größeres Maß an ideologischer Kohärenz, aber sie fand - vielleicht gerade deswegen - auch mehr Möglichkeiten zur Behandlung politischer (und kulturpolitischer) Themen und gleichzeitig zur Erweiterung des geistigen Spektrums in deren Behandlung. An zweiter Stelle ist Insula (gegründet 1946) zu nennen, die sich mehr auf literarische Themen und Untersuchungen konzentriert, die kohärenter ist, aber vielleicht auch zaghafter; geleitet von Enrique Canito und José Luis Cano, erreicht sie auch heute noch ein hohes intellektuelles Niveau; dies ist die Zeitschrift, die wohl am meisten dafür getan hat, die Spanier über die Exilliteratur zu informieren und sie ihnen nahezubringen. Für eine gründliche Kenntnis der spanischen Kultur dieser Jahre wäre eine detaillierte Untersuchung über die Beiträge und Errungenschaften der beiden genannten Zeitschriften von größter Bedeutung, wobei verschiedene Zeiträume, thematische

41 Schwerpunkte und die jeweils in ihnen vorherrschende ideologische Ausrichtung näher zu beleuchten wären.

Politische und intellektuelle Kritik aus dem Exil: »Las Espanas« und andere Zeitschriften mit spanischer Thematik Exilanten und in Spanien Verbliebene begannen damals, sich zögernd füreinander zu interessieren. Allerdings herrschte dabei verständlicherweise noch ein hoher Grad an gegenseitigem Mißtrauen vor, das von Seiten der exilierten Intellektuellen am größten war, während die in Spanien Gebliebenen (selbstverständlich nicht alle) wohl das größere Bedürfnis und Verlangen danach hatten, die durch den Krieg zerstörte geistige Gemeinschaft mit den Exilanten wiederherzustellen. Trotz dieser Hindernisse begann man doch wenigstens auf der einen Seite deutlich zu machen, daß die Exilanten nicht einfach Anti-Spanien darstellten, daß sie nicht »schlechte Spanier« waren. (Im Gegenteil: ihre Bücher mythifizierten sogar oft - bedingt durch die Entfernung und die Sehnsucht - auf übertriebene Weise die Größe unserer Geschichte, unserer Kultur und unseres Charakters. Immerhin wurde ihnen von den Mexikanern gelegentlich Nationalismus und spanischer »Chauvinismus« vorgeworfen.) Auf der anderen Seite begann man zu erkennen, daß die in Spanien verbliebenen Intellektuellen (und Nicht-Intellektuellen) nicht alle »Nazi-Faschisten«, bezahlte Schreiberlinge oder Feinde von Kultur und Freiheit waren, wie dies manche aus der Ferne behauptet hatten. Die 1946 in Mexiko gegründete Zeitschrift Las Españas kämpfte in all diesen Jahren mit jenem schwierigen Widerspruch zwischen notwendiger Selbstbehauptung und ebenso logischem Mißtrauend Die anscheinend härteste Kritik richtete sich dabei gerade gegen die den Autoren geistig und ideologisch am nächsten Stehenden unter denen, die das Exil aufgegeben hatten, bzw. unter den Nicht-Exilierten, also gegen die, die damals nach Spanien zurückgekehrt waren - wie Ortega, Marañón, Pérez de Ayala, Alvarez Buylla usw. -, und gegen die, die quasi von Anfang an dort geblieben waren, wie Azorín, Menéndez Pidal, Dámaso Alonso, Gerardo Diego usw.8 Was Spanien selbst betrifft, so fällt außerdem die Kritik an der »pseudo-christlichen und pseudo-liberalen Demokratie« von Ruiz-Giménez und den Intellektuellen des Spanischen Kulturinstituts ins Auge, wobei vor der »Gefahr« gewarnt wird, die - geblendet durch 7

Ich habe diese Zeitschrift (ihr vollständiger Titel wai Las Españas. Revista LUeraria) bis Nr. 13 (29 Oktober 1949) durchgesehen. Ihrem Redaktionsrat gehörten Manuel Andújar, José Ramón Arana und José Puche Planas an; später kamen Anselmo Carretero, Mariano Granados und Eduardo Robles dazu. In der Unterstützungsvereinigung waren Joaquín Almendros, Félix Candela, Luis Cano Vázquez, Joaquín D'Harcouit, José M. Feduchi, León Felipe, José Sacristán, José Andrés de Oteyza und einige andere. Unter den Mitarbeitern ßndet man neben den meisten der gerade genannten und neben vielen anderen Rafael Allamira, Manuel Altolaguirre, Pedro Bosch Gimpera, José Bergantín, Ernestina de Champourcin, Juan José Domenchina, José M. Gallegos Rocafull, Juan D. García Bacca, Ramón Gaya, Rodolfo Halffter, José Herrera Petere, Benjamín Jarnés, José Moreno Villa, Margarita Nelken, Alvaro Pascual Leone, Isabel de Palencia, Juan Rejano, Mariano Ruiz Funes, Pedro Salinas, Adolfo Sánchez Vázquez, Luis Santullano, Ramón J. Sender und Ramón Xirau.

8

Vgl. z. B. die folgenden Artikel: Los cínicos in Nr. 3 (Jan. 1947), El enor de siempre in Nr. 9 (Juli 1948), Dámaso y la realidad in Nr. 11 (Jan. 1949), ¡Muérete y verás! in Nr. 13 (Okt. 1949).

42 seine »guten Manieren« - nur wenige gesehen haben, als Ruiz-Giménez 1948 mehrere lateinamerikanische (der Leitartikler von Las Españas sagt selbstverständlich »hispanoamerikanische«) Länder besuchte.9 Neben solchen mehr zeitbedingten, polemischen (aber auch nützlichen) Artikeln gab es in dieser Zeitschrift viele andere Arbeiten, die - ohne je den Kontakt mit der historischen Situation zu verlieren - sich eingehender damit beschäftigten und so dauerhaftere, ja sogar noch immer aktuelle Ergebnisse erzielten. Ich denke etwa an den Abdruck der Reden, die anläßlich der vom Séneca-Verlag ausgerichteten Veranstaltung zum Gedenken an den achten Todestag von Antonio Machado am 19. Februar 1947 oder anläßlich der Veranstaltung zur Verteidigung der spanischen Kultur am 12. Juli 1948 im Palacio de Bellas Artes von Mexiko-Stadt gehalten wurden;1*) oder auch, unter vielen anderen, an die Artikel »Proyección de España« von Ramón Xirau, »La última victoria de Don Quijote« von Pedro Salinas, »El intelectual y su misión« von Manuel Andújar, »La lección del pasado« von Pedro Bosch Gimpera, usw. 1 ' Eine andere wichtige Zeitschrift des Exils, die sich mehr mit Philosophie und Sozialwissenschaften und weniger als Las Españas mit konkreter Politik befaßte, war die zwischen 1947 und 1949 in Buenos Aires herausgegebene Realidad. Revista de ideas A2 Besonders interessant für das vorliegende Thema - die Entwicklung des Denkens in Spanien selbst - sind die »Briefe aus Spanien«, die in mehreren Nummern veröffentlicht wurden, darunter vor allem einer mit dem Titel »Vida y muerte de unas revistas (1939-1948)«, gezeichnet mit »Ein Korrespondent«, sowie ein anderer, der unter dem Titel »Literatura a la deriva« in der darauffolgenden Nummer in der gleichen Sparte erschien und von Ricardo Gullón gezeichnet war.'3 Um das geistige Leben Spaniens in dieser Epoche zu rekonstruieren, sind unter den ausländischen Zeitschriften, die sich damals mit spanischen Themen befaßten, auch die minutiösen Informationen äußerst nützlich, die das Bulletin ofSpanish Studies in 9

Vgl. z. B. Un Instituto Hispánico A. M. D. G. in Nr. 10 (Sept. 1948) sowie einen Leitartikel mit dem gleichen Titel und einige Bemerkungen unter dem Titel En la España franquista in Nr. 11 (Jan. 1949). Mehr Verständnis und Einsicht wird gegenüber der jungen Generation - auch gegenüber denen, die für falangistische Zeitschriften schrieben aufgebracht. So kann man in Nr. 13 (Okt. 1949, S. 2) einen positiven Kommentar zu einem Artikel lesen, der unter dem Titel Examen de conciencia damals in der Zeitschrift der SEU La Hora erschienen war. Allerdings muß man dazu sagen, daß diese Einstellung nicht sehr weit verbreitet war. Ich habe den konkreten Einzelfall hier erwähnt, weil ich mich daran erinnere, daß Alfonso Sastre sich mit Recht über die Anschuldigungen beklagt hat, die manche Liberalen gegen diejenigen vorbrachten, die in jenen Jahren (wie Manuel Sacristán, José Maria Castellet oder er selbst) für falangistische oder offizielle Publikationen schrieben; vgl. Alfonso Sastre: La revolución y la critica de la cultura, a. a. O. S. 145 ff., sowie zuletzt seinen Artikel Poco más que anécdotas 'culturales' alrededor de quince aflos (1950-1965) in der schon genannten Sondernummer der Zeitschrift Triunfo zum Thema »La cultura en la España del siglo XX«.

10 Nr. 4 (März 1947) bzw. Nr. 10 (Sept. 1948). 11 In Nr. 3 (Jan. 1947; die beiden ersten), Nr. 6 (Sept. 1947) und Nr. 8 (April 1948). 12 Ich konnte von dieser Zeitschrift die ersten zwölf Nummern einsehen (bis zum Heft vom Nov./Dez. 1948). Sie wurde von Francisco Romero geleitet; dem Redaktionsrat gehörten u. a. Francisco Ayala, Lorenzo Luzumaga (beide waren auch Sekretäre der Zeitschrift), Eduardo Mallea, Julio Rey Pastor und Sebastián Soler an. Besondere Aufmerksamkeit wurde auch der italienischen Kultur und dem geistigen Erbe der Exilanten dieses Landes geschenkt, die vom Regime Mussolinis verfolgt waren. 13 Nr. 11 (SepL/Okt. 1948) und Nr. 12 (Nov./Dez. 1948).

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jeder Nummer veröffentlichte und die in den Jahren 1939-1952 von dessen Direktor E. Allison Peers zusammengestellt wurden, und hierunter wiederum ganz besonders zwischen 1947 und 1951 die mit M. M. C. gezeichnete Rubrik »Ein Brief aus Madrid«.14 Von Bedeutung sind ebenfalls zahlreiche Artikel - von denen einige hier noch Erwähnung finden werden - des berühmten Bulletin Hispanique, das von dem großen französischen Hispanisten Marcel Bataillon geleitet und geprägt wurde. Nicht ganz so bedeutend waren die nordamerikanischen Publikationen Hispanic Review und Hispania, die aber auch die eine oder andere interessante Arbeit enthalten.^

Anmerkungen zu Roman, Dichtung und Drama zwischen 1945 und 1951 Die meisten der - spanischen und ausländischen - Mitarbeiter all dieser Zeitschriften sind von großer Bedeutung für die vollständige Geschichte des hispanischen Denkens, insbesondere für die Geschichte der Literaturkritik. Diese Zeitschriften widmeten der spanischen Exilliteratur besondere Aufmerksamkeit, aber gleichzeitig auch der Literatur, deren Anfänge sich in Spanien selbst schon deutlich abzeichneten (Roman, Drama, Dichtung). Es seien hier einige der Titel aus der damaligen Zeit genannt, und zwar aus beiden Gruppen: 1946 Un hombre von José María Gironella; 1947 El rey y la reina von Ramón J. Sender, Tranquilamente hablando von Gabriel Celaya und La quiebra von Juan A. de Zunzunegui; 1948 La sombre del ciprés es alargada von Miguel Delibes, Los Abel von Ana María Matute; 1949 La forja de un rebelde von Arturo Barea, Todo más claro von Pedro Salinas, La espera von José María Valverde und Historia de una escalera von Antonio Buero Vallejo; 1950 La sombra desterrada von J. J. Domenchina, Las últimas horas von José Suárez Carreño und Angel fieramente humano von Blas de Otero.16 14 Das Bulletin of Spanish Studies, das seit 1923 von der Universität Liverpool herausgegeben wurde, änderte seinen Titel ab 1949 (Vol. XXVI) in Bulletin of Hispanic Studies. E. Allison Peers war von 1939 bis Juni 1952 für diese äußerst detaillierte Chronik zuständig; anschließend wurde sie bis März 1953 von Audrey Lumsden bearbeitet und danach bis zu ihrer Einstellung im Juni 1955 von Richard Ken. Was die andere Rubrik mit dem Titel »Ein Brief aus Madrid« betrifft, die von 1947 bis 1951 erschien, so verdanke ich José-Carlos Mainer den Hinweis, daß die Initialen M. M. C. vielleicht für Manuel Muñoz Cortés stehen. 15 Das Bulletin Hispanique, das als Annalen der Philosophischen Fakultät der Universität Bordeaux erscheint, besitzt inzwischen schon historische Bedeutung: seine erste Nummer erschien 1898; ich konnte nur die Nummern ab 1948 (Bd. L) und später einsehen. Die von der Universität von Pennsylvania in Philadelphia herausgegebene Hispanic Review erscheint seit 1933. Hispania, herausgegeben von der American Association ofTeachers of Spanish and Portuguese wurde 1918 gegründet. Von den beiden nordamerikanischen Hispanistenzeitschriften habe ich die Ausgaben ab 1939 bis 1969 eingesehen. 16 Neben den Namen dieser Autoren und ihrer repräsentativsten Werke wären auch noch verschiedene spezifisch literarische Zeitschriften sowie Verlage und Buchreihen dieser Art zu nennen, die in Spanien erschienen. Ich will hier nur für den Bereich der Dichtung an die wichtige Reihe Adonais erinnern, die 1943 von dem Dichter, Literaturkritiker und Essayisten José Luis Cano gegründet wurde; außerdem an die Gründung der bis 1951 erschienenen Zeitschrift Espadaña im Jahre 1944 durch Victoriano Crémer und Eugenio de Nora. Im Bereich des Romans ist der 1944 gegründete Verlag Destino zu nennen, der vom gleichen Jahr an den Premio Nadal vergab und bei dem ein großer Teil der nationalen und ausländischen Produktion jener Jahre erschien. Daneben hat José-Carlos Mainer (Historia literaria de una vocación política: 1930-1950, a. a. O., S. 45 f.) auf die Zeitschrift des gleichen Titels verwiesen, die 1937

44 Viele dieser Werke enthalten wichtige Elemente für das Verständnis unseres kulturellen und sozialen Lebens in den vierziger Jahren, aber selbstverständlich auch Elemente, die über diese konkrete räumlich-zeitliche Einbindung hinausweisen. 17

Rückkehr Ortega y Gassets nach Spanien und Gründung des »Instituto de Humanidades«. Philosophische Werke Es gibt ein Kapitel in der spanischen Geistesgeschichte der damaligen Zeit, das Auswirkungen auf vielfältige Fragen von beträchtlichem Interesse hat, das aber trotzdem noch nicht mit hinreichender Ausführlichkeit behandelt worden ist. Ich meine die Jahre, die Ortega y Gasset zwischen 1945 - dem Jahr seiner Rückkehr nach Madrid, »zumindest um hier für längere Zeitspannen zu leben«, wie Marias schreibt1» - und 1951, dem Jahr seines Todes, in Spanien verbrachte. Zu behandeln sind hier u. a. die Probleme und die Bedeutung seiner Rückkehr, seine Aktivitäten, sein Einfluß und die Auswirkung seiner Anwesenheit im Land. Meines Erachtens ist seine Anwesenheit wie auch sein Einfluß auf das damalige Spanien - als äußerst positiv zu bewerten, wenn man von der allgemeinen Kritik und den Einwänden, die man gegen sein Werk vorbringen kann, sowie von den Mängeln, die man seiner Philosophie im einzelnen zuschreiben mag, einmal absieht. Ortega lebt von 1938 bis 1942 in Argentinien; 1942 kehrt er nach Europa zurück und lebt von 1942 bis 1945, bis zu seiner endgültigen Rückkehr nach Spanien, in Lissabon.' 9 1948 gründet und leitet er in Madrid, zusammen mit Julián Marías als Kodiin Burgos von Ignacio Agustí und Juan Ramón Masoliver gegründet wurde; die Zeitschrift erreichte ein hohes Qualitätsniveau; zu ihren Mitarbeitern gehörten u. a. Alvaro Cunqueiro, Santiago Nadal, Jaime Ruiz Manent, Sebastián Juan Arbó, Josep Pia, Juan Teixidor und Eugenio Nadal. In der letzten Phase ragten besonders die klaren, kohärenten und demokratisch ausgerichteten politischen Artikel von Manuel Jiménez de Parga hervor. 17 Wenngleich ich mich in dieser Arbeit nie auf das Gebiet der Kunst im engeren Sinne (Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur usw.) beziehe, möchte ich hier doch einige Bücher nennen, in denen ich interessante Hinweise auf diese anderen Aspekte der spanischen Wirklichkeit und Kultur jener Jahre gefunden habe: vgl. Vicente Aguilera Cemi: Iniciación al arte español de la postguerra, Barcelona: Ed. Península 1970, sowie Antonio Fernández Alba: La crisis de ¡a arquitectura española: 1939-1972, Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1972. 18 Julián Marías: Ortega. I: Circunstancia y vocación, Madrid: Revista de Occidente 1960, S. 27. Dieser erste Band geht nur bis 1914 und enthält nur im Vorwort einige kurze Hinweise auf Ortega in der Zeit nach dem Bürgerkrieg; Marías wäre zeifellos einer von denen, die am besten Uber jene Jahre Ortegas in Spanien Auskunft geben könnten. 19 Als Ortega 1942 Amerika verläßt, um nach Europa zurückzukehren (»nach Lissabon als erstes Etappenziel, aber mit geplantem und halbeingestandenem Endziel Berlin oder Madrid«, wie damals Guillermo de Torre verbittert schreibt - wobei mir die Nennung Berlins in der damaligen Zeit verwunderlich erscheint), ruft dies unter den spanischen Exilanten tiefe Erschütterung und generell eine Reaktion der Bitterkeit hervor: Sobre una deserción. Carta a Alfonso Reyes z. B. spiegelt diese verletzte und sogar beleidigte Kritik von Guillermo de Torre wider (erschienen in Cuadernos Americanos Nr. 4 [Juli-August 1942]), die sich nicht so sehr gegen die bloße Rückkehr nach Spanien richtet, sondern vielmehr dagegen, daß Ortega so - wie der Autor sagt - »zwischen dem freien Amerika und dem tyrannisierten Europa« entschieden habe. Trotz allem weigert sich Guillermo de Torre, die Erklärung derer zu akzeptieren, die »die Sache einfach von ihrer politischen Seite sehen, und noch viel weniger die Platitüden derer, die meinen, sie hätten das letzte Wort gehabt, indem sie den Autor von El tema de nuestro tiempo - und von so vielen bewundernswerten Büchern, die wir nicht beschädigt sehen wollten - einen 'Grand-Hotel-Philosophen' nannten«. Er weist aber doch darauf hin, daß seiner Meinung nach »Ortega - im Grunde, im Inneren seines Denkens - kaum ein Liberaler war« und daß er »aus seinen antidemokratischen Gefühlen, seiner 'Schwäche' für die Gewalt, seinem verhüllten Cäsarismus nie ein Geheimnis gemacht hat.« Über alle diese Themen wurde später, anläßlich der Überlegungen, die man in Spanien zum Werk Ortega y Gassets anstellte, heftig debattiert.

45 rektor, das »Instituto de Humanidades«. Im ersten Studienjahr (1948/49) liest Ortega dort zwölf Vorlesungen über Una interpretación de la Historia Universal. En torno a Toynbee, im folgenden Jahr (1949/50) seine berühmte Vorlesung über El hombre y la gente.20 Zu den Mitarbeitern des zweiten Jahres gehören u. a. Dámaso Alonso (mit Überlegungen zur Dichtung), Julio Caro Baroja (über den Begriff der Region), Enrique Lafuente Ferrari (die Malerei Goyas) und Julián Marias selbst (die Methode der Generationen). Ortega und Zubiri - ich denke, es wäre interessant, die persönlichen und geistigen Beziehungen zwischen den beiden einmal näher zu beleuchten - sind ohne jeden Zweifel die beiden Hauptbezugspunkte der Philosophie im Spanien jener Jahre: Ortega über seine früheren Schüler und das Instituto de Humanidades; Zubiri vor allem in den außeruniversitären Kursen, die er ab 1945 sehr regelmäßig in Madrid abhielt.21 Beide - vor allem aber Ortega - sind in der Introducción a la Filosofía vertreten, die Julián Marías 1947 veröffentlicht, im gleichen Jahr, in dem in Spanien bzw. im Exil auch El sentido de la muerte von Ferrater Mora, die Filosofia de la filosofia e Historia de la filosofia von José Gaos und Vida de Sócrates von Antonio Tovar erscheinen; weitere wichtige Arbeiten jener Jahre sind Historicismo y existencialismo von Eduardo Nicol (1950), Hacia un saber sobre el alma von María Zambrano (ebenfalls 1950) sowie die berühmte Einführung von Gaos in seine Übersetzung von Heideggers Sein und Zeit (1951). Ganz allmählich gleichen sich Exil und Inland geistig einander an, wenn auch ersteres größere Produktivität und freiere Kreativität aufweist.

Das »Instituto de Estudios Políticos« und die Anfänge von Politikund Gesellschaftswissenschaft. Was die Sozialwissenschaften betrifft, so muß man zugeben, daß es im Spanien der damaligen Zeit noch keine gleichwertige Entsprechung für im Ausland erschienene Werke wie Tratado de Sociología von Francisco Ayala (1947), Lecciones de Sociología von Recasens Siches (1948) oder Derecho Constitucional comparado von Ma-

20 Beide Vorlesungen wurden unter den genannten Titeln vom Verlag Revista de Occidente veröffentlicht. Zu den Aufgaben des Instituts vgl. den Artikel von Edith F. Helman: On humanizing education. Ortega's Institute of Humanities, in der Zeitschrift Hispania XXXIV (1951) S. 47-50; man findet dort Lobeshymnen auf das Institut, das die Autorin als wahre »freie Universität« bezeichnet. Der Korrespondent M. M. C. seinerseits schreibt aus Madrid im Bulletin of Hispanic Studies Bd. XXVI (1949) S. 111 mit Bezug auf den ersten Kurs von 1948/49: es habe »eine große Hörerschaft [gegeben], wenngleich ein gewisses Fehlen der universitären Jugend zu bemerken war«. Im folgenden Jahr mußte allerdings wegen des großen Andrangs die Vorlesung im Kino Barceló abgehalten werden, das total überfüllt war. Luis Martín Santos: Tiempo de silencio [1962], Seix-Barral, 2. Aufl. 1965, damals schon Doktor der Medizin, war wohl einer der kritischsten Hörer jenes Kurses von 1949/50. Das Instituto de Humanidades konnte seine Aktivität nicht weiterfuhren; schon ein dritter Kuis wurde nicht mehr genehmigt, so daß das Institut sozusagen in eine Phase des »Winterschlafs« eintrat. 21 Eine Aufzählung dieser Seminare Zubiris findet sich in Alfonso López Quintás: Filosofía española contemporánea, Madrid: Biblioteca de Autores Cristianos 1970, S. 268. Dieses Buch (mit dem ich in zahlreichen Punkten nicht einverstanden bin) kann zu verschiedenen der hier behandelten Themen und Autoren nützlich sein, vor allem aber zu denen, die hier nicht behandelt sind. Vgl. auch José Luis Abellán: La cultura en España, a. a. O., S. 26 ff., mit Bezug auf Zubiri.

46 nuel García Pelayo (1950) gab. Man kann aber sagen, daß ab 1948 im Umkreis des Instituts und der Revista de Estudios Políticos (vor allem in der wichtigen Phase von 1948-1956 unter Javier Conde) 22 der Grundstein für eine echte wissenschaftliche Soziologie in Spanien gelegt wurde. Direkt mit Javier Conde arbeitet Juan J. Linz (heute Professor für Soziologie an der Universität Yale), und für die Zeitschrift schreiben u. a. Enrique Gómez Arboleya und Enrique Tierno Galván, beide Lehrer vieler späterer spanischer Soziologen. 2 ^ Eine vergleichbare Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, die zwar weit mehr konditioniert war, aber dafür auch wichtigere Vorläufer hatte, läßt sich für die Politikwissenschaft konstatieren. Carlos Ollero hat in einer sehr ausführlichen, wohlbelegten Arbeit über die Spuren der Politikwissenschaft in Spanien vor 1960 zunächst auf einige dieser Vorläufer hingewiesen und im Anschluß daran systematisch die wichtigsten Autoren und Werke analysiert, die man - in ihrer unzweifelhaften Vielfalt an Ausrichtungen und ihrem unterschiedlichen wissenschaftlichen Niveau - jedenfalls in ein Panorama der spanischen Politikwissenschaft der vierziger und fünfziger Jahre aufnehmen muß. Es gehören dazu u. a.: Carlos Ruiz del Castillo, Javier Conde, Luis Sánchez Agesta, García Pelayo, Lojendio, Hernández Rubio, Ramiro Rico, Tierno Galván, Murillo Ferrol, Fernández Miranda, Fueyo Alvarez, Fraga Iribarne, Lucas Verdú, Jiménez de Parga und andere, jüngere Autoren, wobei selbstverständlich auch der Autor der genannten Arbeit nicht zu vergessen ist. 24 Von gleicher Bedeutung für dieses Thema ist auch eine spätere Arbeit von Pablo Lucas Verdu,25 die sich spezieller auf die Analyse der Werke von Sánchez Agesta, Murillo Ferrol, Tierno Galván, Jimé-

22 Im Zusammenhang mit der Gründung des Instituto de Estudios Políticos im Jahre 1939 schrieb später S. G. Payne: Falange. Historia del fascismo español, a. a. O., S. 179: »Zehn Jahre später, unter seinem dritten Direktor - einem bekehrten Sozialisten namens Francisco Javier Conde - wurde das Institut zu einem Zentrum, in dem ein gewisser 'Liberalismus' unter dem Deckmantel einer faschistischen Oberfläche gepflegt, der reaktionäre Klerikalismus bekämpft und sogar einige ausländische Sozialisten eingeladen wurden. Conde war ein kluger, findiger Mann.« Er hatte die erste ideologische Rechtfertigung des Caudillo-Regimes erarbeitet, aber - so Payne über die Folgen der Krise von 1956 - »trotzdem wurde die Position von Conde unhaltbar und er mußte zurücktreten; danach verfiel das Institut wieder in eine Art politischen Dornröschenschlaf«. 23 Vgl. für eine Geschichte der Soziologie im heutigen Spanien die Bibliographie und die Anmerkungen in meinem Buch Sociología y Filosofía del Derecho, Madrid: Taurus 1971, S. 170-179. Außerdem - neben anderen Werken, die im folgenden noch zitiert werden - das Buch von Amando de Miguel: Sociología o subversión, Barcelona: Plaza & Janés 1972. 24 Carlos Ollero: Die politische Wissenschaft in Spanien, in: Politische Forschung, Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag 1960, S. 81-102. Man findet dort auch umfassende Informationen Uber das Institut für Politische Forschung und die Politikwissenschaftliche Fakultät von Madrid. Ollero nennt außer den erwähnten Politikwissenschaftlem im engeren Sinne auch Wissenschaftler verwandter Disziplinen, Historiker, Soziologen, Juristen, Wirtschaftswissenschaftler usw., wie Diez del Corral, Maravall, Fernández Almagro, García de Valdeavellano, Lissarrague, Truyol Sena, Martínez de Bedoya, Royo Villanova, Gómez Arboleya, Valentín Andrés Alvarez, Fuentes Quintana, Gloria Begué, Cotorruelo Sendagorta, Velarde Fuertes, Jordana de Pozas, García de Enterría, Garrido Falla, Villar Palasí, García Trevijano, Entrena Cuesta, Martín Retortillo, Alonso García u. a. 25 Pablo Lucas Verdú: Situation de la Science Politique en Espagne depuis 1945, in: Information sur les Sciences Sociales, Paris: Conseil International des Sciences Sociales, Bd. IV, Dezember 1965, S. 79-96. Für eine frühere Phase, die mit den vierziger Jahren endet, vgl. den Artikel von Luis Recasens Siches: La Science politique en Espagne depuis trente ans, abgedruckt in: La Science politique contemporaine. Contribution à la recherche, la méthode et l'enseignement, Paris: UNESCO 1950.

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nez de Parga, Carlos Ollero, Hernández Rubio, Aranguren, Fraga Iribarne und Fueyo Alvarez konzentriert.2^

»España en su historia«. Die Polemik zwischen »España como problema« (Laín Entralgo) und. »España, sin problema« (Calvo Serer): ideologische Konnotationen Mit diesen Bemerkungen zu den Sozialwissenschaften sind wir allerdings schon bis weit in das Jahr 1951 hineingeraten, das die hier betrachtete Periode beschließt; das ergab sich jedoch daraus, daß die Entwicklung der Sozialwissenschaften eigentlich erst in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre ihren Aufschwung erlebte. Bleibt man nun also strikt in jener Phase vor 1951 und betrachtet die Geschichtswissenschaft, dann ist auf das bedeutendste kulturelle Ereignis jener Jahre (genauer: 1947) hinzuweisen, nämlich die Publikation des ersten Bandes der monumentalen Historia de España, herausgegeben von Ramón Menéndez Pidal, mit dessen berühmtem Vorwort über »Die Spanier in der Geschichte«, das in der Reihe »Austral« von Espasa-Calpe (wo u. a. auch seine Bücher Idea imperial de Carlos V [1940] und El Cid Campeador [1950] erschienen) so weite Verbreitung fand. Das Vorwort behandelte neben anderen Themen die Wesenszüge des spanischen Charakters, die Definitionselemente unserer Geschichte und den Sinn der Vergangenheit. Im darauffolgenden Jahr (1948) stellt Américo Castro sein España en su historia. Cristianos, moros y judíos vor, eine erste Fassung seines umstrittenen Werkes Realidad histórica de España (1954), auf das ich noch zurückkommen werde. Marafión veröffentlicht seinen Antonio Pérez, Alfonso García Valdecasas El hidalgo y el honor (beide eben-

26 Mit diesem Überblick über die politische Wissenschaft und Philosophie würde selbstverständlich auch ein Panorama der Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie jener Jahre eng zusammenhängen. Recasens Siches und Legaz Lacambra - die nicht weit voneinander entfernte Positionen vertraten - wären wohl die beiden Persönlichkeiten mit dem damals größten Profil auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie. (Felipe González Vicen, der nach seiner Entlassung im Jahre 1939 erst 1946 seinen Lehrstuhl zunickerhielt, ist damals weniger bekannt.) Luis Legaz Lacambra hatte 1942 (zwei Jahre nach dem schon zitierten Buch Vida humana, sociedad y Derecho von Recasens) seine Introducción a la Ciencia del Derecho veröffentlicht, das 1951 zu seiner Filosofía del Derecho wird. 1947 erschienen dann seine Horizontes del pensamento jurídico. Was die Rechtswissenschaft betrifft, so würde zweifellos die Untersuchung der Einflüsse von Jiménez de Asúa auf viele spanische Strafrechtler besonderes Interesse verdienen; zwischen vielen anderen rechtswissenschaftlichen Arbeiten, die in jenen Jahren in Spanien erschienen, sind vielleicht folgende hervorzuheben: Instituciones de Derecho mercantil von Joaquín Garrigues (1943), Metodología del Derecho von Antonio Hernández Gil (1945) oder Derecho Penal. Parte General von José Antón Oneca (1949). Hier ist nicht der Ort oder der Augenblick, um die aktuelle spanische Rechtsphilosophie (mein eigentliches »Spezialgebiet«) kritisch zu betrachten. Trotzdem soll nicht unerwähnt bleiben, daß es neben einer »unvergänglichen traditionellen Linie« (zwischen deren charakteristischsten Vertretern es selbstverständlich erhebliche Unterschiede gibt und der u. a. González Oliveros, Sancho Izquierdo, Puigdollers Oliver, Luflo Pefia, Galán Gutiérrez, Corts Grau, Elias de Tejada usw. sowie weitere jüngere Vertreter angehören) eine - aus den verschiedensten Gründen, die eines Tages zu untersuchen wären - ziemlich frustrierte »liberale Linie« (diese Etiketten sind, wie man sieht, nur eine erste, vorläufige Annäherung) von Autoren wie Recasens Siches, Legaz Lacambra, González Vicen, Gómez Arboleya, Lissarrague Novoa, Truyol Serra, Ruiz-Giménez u. a. gibt, die gleichfalls interne Unterschiede aufweist (Naturrechtler Positivisten), wobei die beiden Linien nicht ohne Querverbindungen sind. Eine Untersuchung über die damalige spanische Rechtsphilosophie wäre sicher interessant, wenn auch wohl nicht sehr erbaulich, und es wäre wünschenswert, daß bald jemand diese Arbeit auf sich nimmt.

48 falls 1948). Das »Sein« Spaniens und der Hispanität war sowohl im Inland als auch im Exil das vorherrschende, beinahe zwanghafte Thema.27 In diesem Zusammenhang sollten dann die Überlegungen von Lain Entralgo über die spanische Kultur seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts - vor allem Cajal, Menéndez Pelayo, die Generation von 98 - im Jahre 1949 ihren Abschluß in den zugleich ernsthaft besorgten und zutiefst hoffnungsvollen Worten von España como problema finden. Darin faßt Lain im letzten Teil seine persönlichen Erfahrungen und die seiner Generation, der »Enkel von 98« zusammen, sein wachsendes Bewußtsein für die Geschichte, für ein Spanien, das sich seit dem Ende der zwanziger Jahre unrettbar zum Tragischen wendete. So beschreibt er seinen eigenen Prozeß: »Wenn aus der nationalen Perspektive gesehen in Spanien von 1932 bis 1936 alles möglich war, was konnte, was mußte dann mit der Generation der 'Enkel von 98' geschehen? Betrachten wir einfach, was geschah. Meine Generation, Freunde, ist eine blutbefleckte, geistig zersplitterte. Die Älteren dieser Generation, deren Geist in der Zeit der Ruhe von 1923 bis 1929 geprägt wurde, konnten sich in das Haus flüchten - und viele taten es auch -, das sie alle gerade erst auf dem blühenden Boden der Intelligenz und der Kunst errichtet hatten. Wir anderen, die wir mit einer halbgeformten Seele ohne Zuflucht dastanden, sahen unsere persönliche Unfertigkeit durch den Imperativ einer dramatischen Alternative noch verschlimmert: auf der einen Seite die katholisch-nationale Auffassung, auf der anderen die pure Negation dieser beiden Prinzipien bzw. die Verteidigung anderer, die jene unmittelbar ausschlössen.« Ausgehend von seiner Option für »die katholisch-nationale Fraktion« sollte Lain allerdings unermüdlich auf der Notwendigkeit von »Verständnis« und »Integration« und letztlich auf dem Vollzug der »Synthese« bestehen, die in der unmittelbaren Vergangenheit nicht möglich gewesen war: »als Spanier sind wir der Meinung, daß alles geistig Wertvolle der spanischen Geschichte - ob es nun von Katholiken oder Freidenkern hervorgebracht wurde - Teil unseres kulturellen Erbes [ist]«. Dabei ging es selbstverständlich nicht um einen vulgären Eklektizismus. Lain Entralgo verfocht diese Synthese im Gegenteil aus einer sehr klaren persönlichen Haltung heraus, die in der Lage war, sich selbst und andere einzubringen in eine weitgespannte, umfassende Gesamtsicht Spaniens. Explizit zählt er »die Elemente [auf], aus denen die dynamische, operative Konstante besteht, welche wir das 'Wesen Spaniens' oder das 'wesentliche Spanien' zu nennen pflegen«. Ohne vor der Schwierigkeit derartiger Formulierungen zurückzuschrecken, konkretisiert Lain: »1) Der katholische Existenzsinn ... Aber weder José 27 Man blättere nur die Sammlungen der Zeitschriften durch, die weiter oben schon genannt wurden, also u. a. Las Españas, Cuadernos Americanos, Escorial, Arbor oder die 1948 im Rahmen des (damals von Ruiz-Giménez geleiteten) Instituto de Cultura Hispánica mit dem deutlich polemischen Titel Cuadernos Hispanoamericanos gegründete Zeitschrift, deren erster Redaktionschef Lain Entralgo war (später war es dann der mit jener Gruppe so eng verbundene José A. Maravall, der damals gerade seine ersten historischen Studien veröffentlichte). Man vergleiche ebenfalls von den zu diesem Thema im Exil geschriebenen Werken das Buch von Mariano Granados: España y tas Españas (1950).

49 Antonio [Primo de Rivera] noch die katholischen 'Enkel von 98' haben ihren Katholizismus als 'Hexenhammer' betrachtet. Wir wollen den Katholizismus als Erleuchtung und Vervollkommnung, nicht als Zwang ... 2) Zum Wesen eines vorbildlichen Spanien gehören auch als Voraussetzungen seine politische und ökonomische Einheit und Freiheit; sowie als Definitionsmerkmale seiner Realität der wahre Respekt vor der Würde und Freiheit der menschlichen Person und die immer wachsame, peinliche Beachtung der sozialen Gerechtigkeit. 3) Schließlich tragen zur Definition dieses innersten Wesens Spaniens - aufgefaßt, ich wiederhole es, als dynamische, in Bewegung befindliche, prekäre Einheit, nicht puristisch als wirkliche Entität - noch einige wenige Konventionen bei, die ich als wesentliche bezeichnen will: die Sprache und einiges wenige andere. Das 'Wesen' Spaniens ist demnach aufzufassen als die Menge der dauerhaften Merkmale unseres nationalen 'Projekts'; was darüber hinausgeht, ist zufällig und unbeständig.«2» Man vergesse nicht, daß wir uns im Jahr 1949 befinden: Das Wesentliche, Dauerhafte für Lain war jener grundlegende Minimalbereich von Prinzipien, die ich liberal und christlich zu nennen wage, Prinzipien, die zudem flexibel aufgefaßt wurden; alles, was darüber hinausging, war für ihn zufälliges Beiwerk. Darin anderer Meinung zu sein, war daher nicht gleichbedeutend mit einer anti-spanischen Einstellung; im Gegenteil, andere Meinungen waren notwendig. Die Vorstellung Lains enthielt eindeutig dialektische Elemente - Notwendigkeit des Widerspruchs, folglich Anerkennung des positiven Wertes kultureller Konfrontation, Auffassung Spaniens als Konflikt, aber auch als Synthese die in den (trotz der ständigen Plädoyers für einen »dritten Weg«) linearen, einseitigen Vorstellungen der Philosophie der Konterrevolution fehlten. Als Beispiel sei hier angeführt, wie sich damals auf dieser Linie Rafael Calvo Serer ausdrückte (der, dies sei gleich zu Anfang gesagt, später eine deutlich liberale Entwicklung durchmachte): »Wir müssen jetzt um jeden Preis die 1939 erreichte Homogenität bewahren. In Parodie und Umkehrung eines Satzes von Fernando de los Ríos könnte man sagen, daß wir die 'Konjugation der Heterodoxien' durch 'Auslöschung von Diskrepanzen' beenden müssen.« 2 ' Im gleichen Sinne heißt es bei Calvo Serer 28 Pedro Laín Entralgo: España como problema (1949), 2. Bde., Madrid: Aguilar 1956, Bd. 2, S. 434 f. und 443 ff. Dionisio Ridiuejo, der Lain immer nahestand, hat dessen Denken (und damit eigentlich auch sein eigenes) mit Hille der »Kategorien« des integrativen Bewußtseins und - was noch aufschlußreicher und entscheidender ist - des konfliktiven Bewußtseins treffend charakterisiert. Vgl. Dionisio Ridiuejo: Un pensamiento generacional. (A propósito de la obra de Laín Entralgo), in: Cuadernos del Congreso por la Libertad de ¡a Cultura (Paris) Nr. 37 (Juli-August 1959) S. 29. Vgl. auch die Arbeit von José Luis Abellán: Laín en el panorama de la postguerra española, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 76 (Jan. 1970), wiederabgedruckt in seinem schon genannten Buch La cultura en España, a. a. O., S. 75-87. 29 Rafael Calvo Serer: Espafla, sin problema, in: Arbor Nr. 45-46 (Sept.-Okt. 1949) S. 167; dieser Artikel wurde zusammen mit anderen später in dem Buch gleichen Titels, Madrid: Ed. Rialp 1949, 3. Aufl. 1957, wieder abgedruckt (hier S. 129). Obwohl der gewählte Titel an eine ausdrückliche, direkte Replik auf das (damals gerade erschienene) Buch von Lain denken läßt, erschien der Artikel von Calvo Serer als Kommentar zu dem weiter oben schon erwähnten (vgl. Kap. I, Anm. 41) Buch von Tovar über Menéndez Pelayo. Ich zitiere im folgenden Calvo Scrcr nach der genannten dritten Auflage.

50 weiter: »Dialog ja, aber um zu überzeugen, um anzupassen ... Deswegen darf man nicht zögern, jene Elemente zurückzuweisen, die sich selbst für die nationale, orthodoxe Tradition der Einheit unanpassungsfähig machen. Die einzig mögliche Synthese ist die auf der Grundlage allertreuester Orthodoxie. «30 Die pro/oma-Schattierungen, die er in diesen Text allenthalben einführt, ändern die Unnachgiebigkeit der zitierten Grundhaltung nicht wesentlich. Der von ihm damals begeistert und leidenschaftlich gepredigte »Menendez-Pelayismus« war weitgehend gleichbedeutend mit echtem, entschiedenem Antiliberalismus, der allerdings nicht mit der politischen Philosophie der modernen Totalitarismen verwechselt werden wollte. Er war vielmehr - wie schon gesagt - Ausdruck der sogenannten Philosophie der Konterrevolution. Hinter dieser Haltung stand im Grunde eine umfassende Interpretation der spanischen Zeitgeschichte, die eben auf der Grundlage ungeschminkt konterrevolutionärer und grundlegend antiliberaler Prämissen e r f o l g t e t Der Katholizismus, der hier als Modell für die Orthodoxie dient, entspricht ohne Zweifel einer sehr viel rigideren, engeren Auffassung als jener offene, flexible »katholische Existenzsinn«, den auch Lain als Teil des »wesentlichen Spanien« ansah. Diese »Schattierungen« und Unterschiede (die manchmal selbst von den eigenen Verfechtern nur unvollkommen und mißverständlich ausgedrückt wurden) zu erkennen, scheint auf jeden Fall erforderlich, um die Lage in Spanien gegen Ende der vierziger Jahre verstehen zu können. Die Unterschiede konnten sich schwerlich auf andere Weise ausdrücken. Für Lain blieb Spanien auch weiter ein Problem: seine Synthese, Überwindung, Lösung erforderte die Präsenz aller, sowohl der Einverstandenen als auch deijenigen mit anderer Meinung. Für Calvo Serer war dieses Problem von Menendez Pelayo gelöst worden: »Er gab uns ein Spanien ohne Problem, damit wir in der Lage wären, uns den Problemen Spaniens zu stellen.«32

30 Rafael Calvo Seier, ebd. S. 157 f. Die Textstelle entstammt seinem Aufsatz Una nueva generación espafiola, zuerst erschienen in Arbor (Nov.-Dez. 1947). Er schrieb dort (S. 156): »Die Aufwertung des anderen Spanien, das heute vom vagabundierenden Spanien und seinen fellow-traveilers vertreten wird, ist der Versuch, unsere traurigen Erfahrungen aus dem 19. Jahrhundert zu wiederholen.« Auch die geringsten integrativen Zugeständnisse, die Calvo Serer im Abstrakten beibehält, verschwinden, sobald er auf die Ebene der konkreten historischen Wirklichkeit Ubergeht. 31 Federico Suárez Verdaguer und Vicente Palacio Atard sollten die vielleicht herausragendsten Vertreter dieser Interpretation werden; unter den in jenen Jahren in Arbor veröffentlichten Artikeln vgl. von ersterem z. B. Planteamiento ideológico del siglo XIX español (Nr. 29 vom Mai 1948) und von letzterem Westfalia ante los espafloles de 1648. Y de 1948 (Nr. 25 vom Januar 1948). Von Vicente Palacio Atard vgl. auch das Buch Derrota, agotamiento, decadencia en la España del siglo XVII. Un punió de enfoque para su interpretación, und von Federico Suárez Verdaguer: La crisis política del Antiguo Régimen en España (1800-1840), beide erschienen in Madrid: Ed. Rialp 1949. 32 Rafael Calvo Serer, a. a. O. S. 120. Man beachte, worin für den Calvo Serer der damaligen Zeit die Hauptprobleme bestanden: »Die nationale Erziehung im Geiste Don Marcelinos; die Instilutionalisierung Spaniens auf der Linie jener von ihm geretteten Tradition: Staat, Regionen, soziale Ordnung; technische und wirtschaftliche Probleme, die eine Erhöhung des Lebensstandards mit Hilfe entscheidender Fortschritte einer Technik erlauben, die im Einklang mit der geistigen Einstellung entwickelt wird; Schwierigkeiten mit unserer internationalen Stellung.« Das Problem Spanien war kaum zu lösen, indem man auf diese Weise diese Probleme löste; mehr noch, ausgehend von jenen ideologischen Ausrichtungen waren diese Probleme so kaum zu lösen: »im Geiste Don Marcelinos«, »auf der Linie jener Tradition«, »mit der geistigen Einstellung« usw. Ganz abgesehen davon, daß natürlich in dieser Aufzählung viele andere Probleme fehlten, die in »Spanien ohne Problem« nicht sichtbar wurden.

51 In kritischer Anspielung auf Lain Entralgo kommentierte - ausgehend von der These eines »Spanien ohne Problem« - Florentino Pérez-Embid: »Gleichzeitig wurde die streunende Idee von zwei historisch gleichermaßen legitimen Spanien wieder in Umlauf gebracht. Ich bitte den Leser, jetzt nicht einen wissenschaftlichen Beweis dafür zu verlangen, daß nur eins dieser Spanien das wahre ist, das Spanien, das in Wahrheit den beständigen Sinn der Geschichte fortführt; der Zeitpunkt und die Gelegenheit für eine erschöpfende Darlegung eines solchen Beweises wird kommen.« Bis dahin, bis der (politisch?) richtige Augenblick für den »wissenschaftlichen Beweis« gekommen sei, postuliert Pérez-Embid ausdrücklich und - nach seinen eigenen Maßstäben - unwissenschaftlich die Notwendigkeit, nur »ein einziges Spanien« z u z u l a s s e n . 3 3 Gewiß erkennt er an, daß dieses Spanien »zweifellos komplex und gehaltvoll [ist] und zusammengesetzt aus Merkmalen, die von Menschen gegensätzlicher Ausrichtungen beigetragen werden, aber in seinem Inneren verschmolzen und letzten Endes ein einziges«. Ohne Zweifel reicht diese - quasi formale - minimale Verschiedenheit bei weitem nicht an die gemäßigte, nuancierte Diversität heran, wie sie damals von Lain gefordert wurde, der hier ja Zielscheibe der Kritik von Pérez-Embid ist. Unamuno und Ortega beispielsweise passen wohl kaum in dieses »einzige Spanien«, von Fernando de los Ríos oder den Intellektuellen im Exil ganz zu schweigen (um hier nur die von Calvo Serer ausdrücklich Genannten anzuführen)! Würde man diese Verschiedenheit der Standpunkte und philosophischen Auffassungen dulden, so würde dies - so schließt Pérez-Embid (der mit dieser Schlußfolgerung faktisch die Theorie von Lain verurteilt) - zum Untergang Spaniens führen: »Wir werden nicht zulassen, daß dieses Schicksal Spanien ereilt. Mit anderen Worten: wir behaupten, daß Spanien kein Problem ist, auch wenn sein Leben Probleme aufwirft, von denen einige noch ungelöst sind.« Auch Pérez-Embid zählt die Erfordernisse, den ideologischen Rahmen des neuen »Spanien ohne Problem« auf: »Überwindung des spanischen Minderwertigkeitskomplexes«, 34 »Peripheriepolitik«,35 »Solidaritätsbewußtsein innerhalb der spanischamerikanischen Welt« und - als Grundlage, wie er betont - »Bewußtsein von der Hinfälligkeit der liberalen Vorstellungen von Kultur und Leben in Gemeinschaft«: »die neue Haltung der Spanier, die jetzt ihre historische Reife erreicht haben, läßt sich meines Erachtens anhand dieser vier Koordinaten verstehen.«

33 Florentino Pérez-Embid: Ante la nueva actualidad del 'problema de España', in: Arbor Nr. 45-46 (Sept.-Okt. 1949) S. 149 und 159. Die Kritik an Lain bewegt sich immer auf der ehrenhaften Ebene persönlicher Korrektheit; so sagt Pérez-Embid (S. 150) über dessen España como problema: »Ein nobles, notwendiges, sehr nützliches Buch ..„aber bestürzend und schmerzhaft wegen etwas, das ich traurig nennen möchte.« 34 Dem sollte wenig später auch das Buch von Juan José López Ibor: El español y su complejo de inferioridad, Madrid: Ed. Rialp 1951, zustimmen. 35 Vgl. für einige ihrer Aspekte den Artikel Sobre lo castellano y Espaiìa, in: Arbor 35 (Nov. 1948), einen ausführlichen, lobrednerischen Kommentar von Pérez-Embid zu dem traditionalistischen Buch von Francisco Elias de Tejada: Las Españas. Formación histórica, tradiciones regionales, Madrid: Ed. Marsal 1948.

52 Um seinen schon erwähnten »dritten Weg« politisch einordnen zu können, muß Perez-Embid auch ungefähr angeben, wie er sich von anderen, mehr oder weniger offiziellen politischen Sektoren des damaligen Spanien unterscheidet. So schreibt er, ohne konkreter zu werden: »Auf jeden Fall ist zu betonen, daß wir keineswegs direkte Abkömmlinge irgendeiner Position sind oder sein wollen, die eine partielle Haltung darstellte. Und so fühlen wir uns angesichts des Krieges, der der flüchtigen Möglichkeit mehrerer, alle für gleichberechtigt gehaltener Spanien ein Ende gesetzt hat, und weil wir uns auf der richtigen Linie des einzigen möglichen Spanien befinden, gleichermaßen als Kritiker der ideologischen Ungeheuerlichkeiten der Besiegten wie auch der Schwächen und des Pharisäertums der vielen, die allein aus Gründen des Zufalls zu den Siegern gehören.«36 Bezüglich des hier zusammenfassend dargestellten Streits über das Problem Spanien ist zu sagen, daß selbstverständlich diejenigen, die »Spanien als Problem« betrachteten, keineswegs »die Probleme« Spaniens übersahen oder vergaßen; sie waren sich ihrer im Gegenteil vielleicht noch mehr bewußt als ihre Gegner. Man kann sagen, daß das Problem Spanien das Erkennen der Probleme Spaniens implizierte, ja mehr noch, daß es die Synthese, das Konglomerat jener Probleme war. Diejenigen, die so dachten, wußten oder ahnten, daß diese Probleme auf unterschiedliche Weise gelöst (oder nicht gelöst) würden, je nachdem, welche Auffassung bezüglich des »Problems«, das Spanien selbst weiter darstellte, vorherrschen würde. Man denke daran, daß - in anderer Formulierung und mit einigen wichtigen Unterschieden - die Frage in gewisser Weise auch heute noch latent ist, und zwar hinter dem - jetzt vielleicht allmählich überwundenen - Streit zwischen Technokratie und Ideologie. Geht es ausschließlich um technische Probleme oder um die politisch-ideologischen Bedingungsfaktoren? Nur um wirtschaftliche und technische oder gleichzeitig auch um politische Entwicklung? Die Neigung zur Entideologisierung zeigte sich schon bei dem Calvo Serer der ersten (integristischen) Phase, wenn auch noch weniger deutlich und schroff ausgedrückt, als dies später andere, direktere Verfechter tun sollten. Es gibt allerdings im Zusammenhang mit alledem einen Punkt von besonderer Bedeutung, der zweifellos größere Aufmerksamkeit verdiente, als ihm hier gewidmet wird. Ich meine das Thema der »liberalen Technokratie« als Instrument zur Überwin36 Artikel zit. Anm. 33. In seiner etwas früheren Arbeit Discusión sobre la vida española, in: Arbor 27 (März 1948) S. 413-418, in dem Pérez-Embid manch interessante Information über Bücher und Zeitschriften der vorangegangenen Jahre gibt, trägt er auch zu einer Einordnung der Einflüsse und Auseinandersetzungen seiner eigenen geistig-politischen Linie bei. Er geht darin auf die beiden Auffassungen von Calvo Serer und Lain Entralgo ein, sowie u. a. auf die - für das Spanien der Zeit bezeichnenden - Bücher Embajadores sobre España von José María de Areilza, Entre Hendaya y Gibraltar von Ramón Serrano Suñer, Comunismo, capitalismo y cristianismo von José Luis Arrese, Idea de la hispanidad von Manuel García Morente, Milicia y Política von Jorge Vigón und La prudencia política von Leopoldo Eulogio Palacios. Von den Zeitschriften erwähnt Pérez-Embid in seinem Überblick über jene Jahre Jerarquía, Escorial, Cuadernos de Adán, Leonardo, Arbor, Finisterre, Cuadernos Hispanoamericanos, Mundo Hispánico, Criterio und Alférez. Zum kulturellen Panorama jener Jahre gibt es auch einen - der neuen spanischen Situation, wie ich glaube, gewogenen - Artikel (den ich noch nicht habe lesen können, den ich aber - wie manches andere auch - zur Vervollständigung der Information für den Leser anführe) von Richard Pattée: Choses d'Espagne. Le renouveau intellectuel en Espagne, in: La Revue de l' Université Laval 1948-1949 (Jan. 1949) S. 407-416.

53 dung totalitärer Überideologisierung. Technokratie impliziert und propagiert in gewissem Maße ideologische Neutralität. Tatsächlich gibt es eine solche Neutralität nicht, aber mit Hilfe der Technokratie läßt sich zumindest die besagte »Überideologisierung« vermeiden, die sich nicht auf »ideologischem« Wege überwinden läßt, d. h. durch eine entgegengesetzte Ideologiekritik. Das ist wichtig. Wir werden bei der Behandlung des Zeitraums 1956-1962 auf dieses umstrittene Thema noch einmal zurückkommen. Mir ist all dies in den Sinn gekommen, während ich Passagen der konterrevolutionären Literatur jener Jahre noch einmal las, in denen den »Ideologen« des »Problems Spanien« häufig totalitäre Neigungen nachgesagt werden. Dieser Vorwurf war nicht mehr berechtigt (bestenfalls konnte er sich auf die Vergangenheit beziehen, für die sich im übrigen nur die wenigsten nicht verantwortlich fühlen mußten); aber es bleibt doch die Möglichkeit, daß vielleicht bei einigen von denen, die ganz allgemein jene ideologische Ausrichtung teilten, die - wie schon gesagt - der Zeitschrift Arbor zugrundelag, der antitotalitäre Geist stärker war als der antiliberale.37 Unter dem (wie ich glaube, von Florentino Perez-Embid geprägten) Motto »Hispanisierung der Ziele, Europäisierung der Mittel«3^ strebte man offenbar gewisse ökonomisch-technische Verbesserungen (heute heißt das: »Entwicklung«) an, die jedoch ohne substantielle Veränderung der politisch-religiösen Philosophie des Landes erreicht werden sollten. War und ist dies möglich? Läßt sich das »Materielle« (die Basis) derart mechanisch vom »Geistigen« (Überbau) trennen? Würde dies nicht zu ungleicher Entwicklung führen? Haben die Menschen nicht überdies auch andere, ethische, politische und geistige Bedürfnisse? Der reine Technokrat würde darauf zweifellos antworten: Da sich die »politisch-religiöse Philosophie« nicht ändern ließ, mußten wir uns wenigstens auf technischem und wirtschaftlichem Gebiet verbessern; das war in jedem Fall besser als gar nichts. Mit noch größerer Begeisterung aber soll37 Einen der diesbezüglich deutlichsten Texte findet man wohl in der scharfen Kritik, die damals Gonzalo Fernández de la Mora im Zusammenhang mit dem entscheidenden Thema der politischen Verbrechen gegen die totalitären Staaten richtete (Esquema y ética de la colaboración, in: Arbor 33-34 [SepL-Okt. 1948] S. 95-110). Fernández de la Mora schreibt dort (S. 105): »Nach Auffassung eines totalitären Staates, der sich für die Verkörperung der Nation und das Instrument der Einheitspartei hält, sind politische Verbrechen Akte, die gegen den Staat, die Nation und die Partei gerichtet sind, da die drei identisch sind. Es wäre demnach ein politisches Verbrechen, anderer Meinung zu sein als die Regierung oder ihren Sturz zu betreiben. Dies bedeutet aber, daß sich die Regierung eines totalitären Staates immer im Besitz der politischen Wahrheit glaubt, zu deren Verkündung sie sich unfehlbar ermächtigt sieht. Nur so läßt sich erklären, daß es ein Verbrechen ist, anderer Meinung zu sein als die Regierung. Politische Prozesse gleichen in diesen Fällen solchen gegen Ketzer. Auch diese gehen von einer religiösen Wahrheit - dem Dogma - und einer unfehlbaren Autorität - dem Papst - aus. Die Existenz solcher politischen Delikte entspricht also der Staatsverherrlichung, einer wahren Religion des Staates. Leider gibt es aber in der Politik keine unfehlbaren Autoritäten, die immer mit Erfolg die richtige Entscheidung treffen. Mehr noch: die Existenz einer politischen Wahrheit läßt sich kaum nachweisen, denn meistens gibt es für eine Situation mehrere gleichermaßen gute politische Lösungen. Die für totalitäre Staaten charakteristischen politischen Verbrechen sind außerdem willkürlich definiert, da manchmal in einem Staat als Verbrechen gilt, was in einem anderen als Tugend betrachtet wird, wie z. B. der Liberalismus, der in Rußland ein Verbrechen und in Großbritannien eine Tugend ist. Die Einführung solcher politischen Verbrechen bedeutet die Verneinung der Demokratie und jedes liberalen politischen Rechts; es bedeutet Verherrlichung der Tyrannei und Abschaffung der unveräußerlichen Freiheiten des Menschen.« 38 Pérez-Embid schreibt nämlich (Ante la nueva actualidad del 'problema de España', a. a. O. S. 159): »Der von Laín als ungelöst bezeichnete Konflikt zwischen anti-traditionellem Fortschrittsglauben und anti-aktuellem Traditionalismus löst sich bei uns in einer glücklichen Synthese auf: Hispanisierung der Ziele, Europäisierung der Mittel.«

54

ten sich an diesem ökonomistischen Programm diejenigen beteiligen, die außerdem glaubten - und dieser Glaube war unter ihnen weit verbreitet daß es gar keinen Grund gab, die genannte Philosophie, also jene politische, religiöse und soziale Auffassung zu ändern. In einer abgeschwächten Version dieser Theorie schrieb damals Calvo Serer: »Die spanischen Ideale und die moderne Technik sollten in angemessenem Maße miteinander verschmelzen. Weder übermäßiger Idealismus noch übermäßiges Beharren auf dem, was wir sind. Was wir brauchen, ist die nötige technische Unterstützung, um bestehen zu können. Die Welt erwartet von den Spaniern eine Lebensauffassung, die der Technik einen Sinn gibt; zum Beispiel nicht, daß wir die besten Verbrennungsmotoren bauen, sondern daß wir ihnen die richtige Staatstheorie geben.«39 Aber im Gegensatz zu dem, was manche damals glauben mochten, war es keineswegs einfacher, »die richtige Staatstheorie zu geben«, als bessere Verbrennungsmotoren zu produzieren. Vielleicht hängt beides im Grunde auch ziemlich eng zusammen. Es war absolut vermessen und sogar absurd zu glauben, die Welt - die in jenen Jahren aus dem Weltkrieg hervorging und die ihre Wirtschaft und Technik, aber zugleich auch ihre demokratische politische Philosophie wiederaufbaute - erwarte »von den Spaniern eine Lebensauffassung, die der Technik einen Sinn gibt« oder die »richtige Staatstheorie«.

Annäherungen

an die westliche

Politikwissenschaft

Im Instituto de Estudios Políticos begann man damals (in der schon erwähnten Conde-Epoche), mit viel größerer Ernsthaftigkeit - wenn auch unter den allgemeinen Bedingungen der Zeit - Aufsätze, Studien, Untersuchungen im Bereich der Politikwissenschaft, der Staatstheorie, der Soziologie usw. zu erstellen. Die besten spanischen Beiträge jener Jahre - von denen einige schon genannt wurden - bemühten sich vor allem darum, die Verbindung zum europäischen und amerikanischen Denken der Zeit 39 Rafael Calvo Serer: España, sin problema, a. a. O., S. 173 f. Einer Auffassung dieser Art, wenn auch vielleicht mit etwas skeptischerem und gleichzeitig szientistischem Unterton, scheint Roberto Saumells (España y sus problemas, in: Arbor 48 [Dez. 1949], Rezension der schon genannten Bücher von Lain Entralgo und Calvo Serer) anzuhängen. Er schreibt (S. 482): »Das Problem Spanien wird endgültig von der Generation gelöst werden, die es nicht mehr versteht, weil sie sich seiner Gegenwart, den spanischen Unternehmen widmet. Und sie wird es auf diese Weise lösen, weil das die einzig mögliche Lösung ist.« So wenig man auch besessen sein mag vom »Problem Spanien« und so sehr man seinen »metaphysischen Ästhelizismus« kritisieren mag, so schwierig ist es doch, die simplistische, scheinbar wissenschaftliche und sogar fortschrittliche Bedeutung dieser Lösung zu akzeptieren oder Uberhaupt zu verstehen. Man könnte nämlich fragen: Was soll denn in den »spanischen Unternehmen« getan werden (das eine oder das andere)? Zwar ist die Technik gegen sterilisierende Überideologisierung recht hilfreich, das sollte ganz klar gesehen werden; aber unsere Zeit ist dabei zu zeigen, daß es ökonomische Verbesserung gibt, die den politischen Autoritarismus überleben läßt und zur umfassenden Entwicklung des Menschen wenig beiträgt. Auf der anderen Seite gibt es keinen Zweifel an der politischen Bedingtheit ökonomischer Probleme (heutzutage etwa unser Beitritt zum europäischen gemeinsamen Markt). Der Ausweg liegt nicht in diesem »apolitischen Desarrollismo« der ökonomistischen und überdies kapitalistischen Technokratie. Ich bin der Meinung, daß sich das Problem - ganz allmählich und niemals vollkommen und vollständig - in dem Maße lösen wird, in dem wir es schaffen, in jedem von uns Spaniern und in unserem Land (auf dieser wissenschaftlich-technischen Grundlage) eine umfassend und wahrhaft tolerante, pluralistische, liberale, demokratische, wirklich partizipatorische Weltanschauung - und folglich auch politische Einstellung - zu wecken.

55 wiederherzustellen, ohne dabei auf Originalität und die Beschäftigung mit spezifisch spanischen Problemen zu verzichten, aber auch ohne jedes eitle und kindische Streben nach erzwungener Andersartigkeit und Unterscheidung. Zu dieser Zeit wußte schon jeder (oder doch fast jeder), daß es nicht leicht war, auf dem Gebiet der Staatsund Gesellschaftswissenschaften etwas Neues zu erfinden. Diese Orientierung und Annäherung an das Denken anderer Länder bedeutete andererseits nicht, daß man die Eigenarten jeder Gesellschaft und jedes Systems auch nur im geringsten verkannt hätte. Schließlich besitzt die englische Demokratie etwa im Vergleich zur französischen ihre eigenen Traditionen und Eigenarten, obwohl beide als das zu betrachten sind, was man heutzutage allgemein als demokratisches Regierungssystem bezeichnet. Dieses Problem der gezwungenen Originalität, des unbedingt Andersseinwollens belastet bis heute das spanische Regime, manchmal auf wirklich beängstigende Weise, zumal ja schon festgestellt wurde, wie schwer es ist, in der Politik etwas ex ovo zu erfinden. Dies und die sich daraus ergebende Annäherung an die Soziologie und Politologie der geistig und ökonomisch weiter entwickelten demokratischen Länder förderte damals Haltungen von größerer Rationalität und deutlicherer politischer Offenheit, wie sie sogar in manchen Sektoren der in das System integrierten gemäßigten Bourgeoisie zu beobachten waren, ebenso wie in häufigen Äußerungen einer von den offiziellen Positionen nicht allzu weit entfernten politischen Philosophie. So konnte man etwa 1949 in der Revista de Estudios Políticos im Zusammenhang mit äußerst umstrittenen Vorgängen unserer jüngsten Geschichte lesen: »1936 hatte das Sektierertum - von links und von rechts - einen solchen Punkt der Lähmung erreicht, daß sich die Verbissenheit und Härte des Kampfes der vergangenen Jahre in dem blutigen Zusammenprall vom 18. Juli Luft machen mußte. Man könnte sagen, daß die ganze Entwicklung der letzten Jahre der Vorbereitung dieses großen Schlußfeuerwerks gedient hatte, das im übrigen von der einen wie von der anderen Seite schon in den gescheiterten Versuchen vom 10. August 1932 bzw. der Revolution von Asturias von 1934 geprobt worden war.« Dieses Plädoyer für die Überwindung sektiererischer Engstirnigkeit schloß mit einem Verweis auf den folgenden Text von José Antonio [Primo de Rivera], der 1949 eine besondere, ganz konkrete Bedeutung erhielt: »Der Ausweg liegt weder bei der Rechten noch bei der Linken. Wenn eine der beiden siegt, bedeutet das Niederlage und Demütigung für die andere. Es kann keinen nationalen Sieg in einem in zwei unversöhnliche Hälften - nämlich Besiegte, die auf Rache für die Niederlage sinnen, und Sieger, die von ihrem Triumph berauscht sind gespaltenen Vaterland geben. Fruchtbares Zusammenleben kann es nur geben unter dem Schirm einer Politik, die von keiner Partei und von keiner Klasse abhängt, die einzig und allein dem einigenden, höchsten Schicksal Spaniens dient, die die Pro-

56 bleme zwischen den Spaniern allein im Hinblick auf Gerechtigkeit und vaterländisches Zusammenleben löst.« 40 Die europäische Politikwissenschaft überarbeitete in jenen Jahren selbstkritisch die geistigen und gesellschaftlichen Voraussetzungen des Liberalismus und der Demokratie; dies selbstverständlich nicht, um deren Errungenschaften aufzugeben und zurückzufallen in den - um den Preis von Millionen von Toten - gerade erst 1945 gestürzten Totalitarismus, sondern um (soweit dies damals möglich war) eine vollkommenere Demokratie zu errichten. Im spezifisch spanischen Kontext schrieb einer der hellsichtigsten Politologen aus der neuen Generation der unmittelbaren Nachkriegszeit, Carlos Ollero, schon 1951 gleichfalls in der Revista de Estudios Políticos - in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel »La relativización actual de los principios políticos«: »Niemand glaubt mehr ernsthaft an die Grundprinzipien, auf denen die politischen Organisationen von vor vierzig Jahren beruhten; trotzdem enthalten diese Prinzipien einen Kern, der der westlich-christlichen Welt wohl erhalten bleiben sollte, der sich aber in dem schwindelerregenden Prozeß ihrer Relativierung zu verflüchtigen droht. Die Aufgabe, diese Prinzipien im Hinblick auf das, was sie an Unverzichtbarem enthalten mögen, zu aktualisieren, ist zweifellos die große politische Aufgabe unserer Zeit.« Ollero beendete seinen Artikel mit einem Hinweis darauf, wohin die Aktualisierung jener politischen Prinzipien führen würde, die den neuen Organisationen zugrundeliegen sollten, welche in der Lage wären, die Unzulänglichkeiten des alten liberalen Laissez-faire zu überwinden: »Der Kern der heutzutage bekräftigten Prinzipien (nationale Gemeinschaften, Respektierung der Freiheit und Würde des Menschen, Beteiligung der Bevölkerung am Schicksal ihrer Gemeinschaft und Gemeinwohl) besitzt noch immer genügend effektive Geltung, um die politischen Organisationen leiten zu können. Diese Organisationen müssen den Prozeß der Veränderung, Anpassung und Relativierung der ihnen zugrundeliegenden Prinzipien koordinieren, wenn sie nicht wollen, daß diese untergehen und zerstört werden.« 4 !

40 ZiL nach Gaspar Gómez de la Sema: Síntesis y sectarismo en el 18 de julio, in: Revista de Estudios Políticos 46 (1949) S. 171-180, hier 173 und 180. Gómez de la Serna war einer der Gründer der hispanistischen Zeitschrift Claviieño, die auch von Javier Conde geleitet wurde. In einem anderen, im folgenden Jahr ebenfalls in der Revista de Estudios Políticos (49 [1950] S. 186-202) veröffentlichten Artikel, in dem Gaspár Gómez de la Sema ein Thema von vielfältiger und umstrittener Bedeutung behandelte (El criticismo noventaiochista y José Antonio), äußerte er den Wunsch (S. 202), daß »unsere Verbindung zur Generation von 98 weniger widerspenstig, weniger verschlossen und widerwillig wäre, als es die hohe geistige Mauer vielleicht erzwang, die die unnachgiebige spanische Rechte in den Köpfen unserer stammelnden Nachkriegsreihen errichtete. Das Problem Spanien ist noch immer ein lebendiges, hochaktuelles und schmerzhaftes Thema.« Auf dieser allgemeinen Linie ist auch das Buch von Agustín del Río Cisneros: La evolución política española (Invitación a la sociedad e instancia al Estado), Madrid: Afrodisio Aguado 1946, interessant, wo ebenfalls von der Notwendigkeit gesprochen wird, den Bürgerkrieg zu überwinden und die Intellektuellen einzubeziehen in eine Politik der Öffnung, die auf eine gewisse Nationalisierung (Hispanisierung) der Linken abzielte. Man erinnere sich auch an die Schrift desselben Autors: Viraje político español durante la segunda guerra mundial (1942-1945), die damals beim »Verlag der Bewegung« (Editorial del Movimiento) erschien. 41 Revista de Estudios Políticos 55 (1951) S. 47-62, hier 61 f. Vgl. auch seine Introducción al Derecho político von 1948.

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Ende der internationalen Isolation Spaniens und innere Entwicklung des Regimes Auch die interne Situation Spaniens machte es - wenn auch unter ganz anderem Vorzeichen und unter viel mehr Schwierigkeiten, Zweideutigkeiten und Befürchtungen erforderlich, diesen Wandlungsprozeß einzuläuten, der die genannten Prinzipien von Freiheit und Menschenwürde, allgemeiner Partizipation und Gemeinwohl umfassen sollte. Immerhin beeinflußte auch die internationale Lage, indem sie eine eventuell schnellere Entwicklung bremste, diesbezüglich das politische System Spaniens; allerdings lief dies alles nur äußerst langsam (der Kalte Krieg verlangte es so) und mit bis heute in vieler Hinsicht unbefriedigenden Ergebnissen ab. Ende 1950 hoben die Vereinten Nationen - mit Zustimmung Nordamerikas - die Resolution von 1946, die empfohlen hatte, mit Spanien keine diplomatischen Beziehungen zu pflegen, sowie das Verbot der Mitgliedschaft in Organisationen und Unterorganisationen der UNO auf. Es war dies unzweifelhaft ein politischer Sieg des spanischen Regimes: seine Salonfähigkeit auf internationaler Ebene, seine formelle Anerkennung, der Beginn seiner Integration in die westliche Welt. Der »Kalte Krieg« der mit dem Prager Staatsstreich von 1948 eindeutig eröffnet war - hatte entscheidenden Einfluß auf diese veränderte Haltung gegenüber Spanien. Im Dezember 1950 ernannten die Vereinigten Staaten einen Botschafter in Madrid, woraufhin in den folgenden Monaten eine allgemeine Rückkehr von Botschaftern stattfand (noch im Rahmen der in diesem Kapitel betrachteten Zeitspanne von 1945-1951). Der Prozeß der Anerkennung und Aufnahme konsolidierte sich bekanntlich in den folgenden Jahren; 1952 wird Spanien in die UNESCO aufgenommen; 1953 werden das Konkordat mit dem Vatikan und die Abkommen mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet. 1955 erfolgt schließlich die Aufnahme als Vollmitglied in die Organisation der Vereinten Nationen. Die Jahre 1950-51 bilden den Abschluß einer wichtigen Phase für die politische Lage unseres Landes: nämlich das Ende der internationalen Isolation und der Schritt von einer - wie es damals von einer hochrangigen, inzwischen verstorbenen Persönlichkeit des Regimes genannt wurde 42 - anfänglichen »Diktatur« zur späteren »repräsentativen Monarchie«, die immerhin schon eine gewisse Legitimität demokratischer Art sucht. Auf jeden Fall muß man in diesen Jahren den Beginn einer bedeutenden geistigen Liberalisierung (natürlich immer im Rahmen der allgemeinen Bedingungen der Zeit) sehen, die von einigen der dynamischsten und einsichtigsten Sektoren aus 42 Der damalige Vizeminister im Präsidialamt (Subsecretario de la Presidencia del Gobierno) Luis Canero Blanco schrieb unter dem Pseudonym Juan de la Cosa (España ante el mundo. Proceso de un aislamiento, Madrid: Ediciones Idea 1950, S. 395) zur Erklärung der Bedeutung der Entwicklung des spanischen Regimes zwischen 1939 und 1949: »In der politischen Ordnung wurde während dieser zehn Jahre der Obergang von einer absoluten Diktatur (1939 liegen alle Autorität und alle Rechte, die bei ihm wie bei den Caudillo-Königen in ihrem Ursprung zusammenliefen, bei der Person des Siegers des Bürgerkriegs) zu dem heutigen stabilen und endgültigen Regime einer repräsentativen Monarchie verwiridicht.« Und er schließt mit dem Hinweis auf dessen Legitimität: »Das so errichtete Regime ist, trotz aller Einwände unserer Gegner, vollkommen demokratisch.«

58 dem System selbst unternommen wurde. Angesichts all dieser Vorgänge kann man daher sagen, daß - trotz aller späteren Rückschläge und Gegenreaktionen - mit den Erfahrungen jener Jahre, die bis 1956 reichen, neue Hoffnungen unwiderruflich geweckt und Forderungen nach Öffnung, Liberalisierung und Dialog entschlossen gestellt wurden.

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3. 1951-1956: Geistige Liberalisierung und politische Öffnung nach außen. Dialog mit dem Exil, erste Verbindungen zum europäischen Denken und Universitätskrise von 1956.

Ruiz-Gimenez als Minister: Universitätsreform

von 1951-1956

Das offizielle Antriebszentrum für die Politik der geistigen und universitären Liberalisierung, die aus dem Inneren des Systems im Jahr 1951 effektiv eingeleitet wurde, war zweifellos das Ministerium von Ruiz-Gimenez . Ein so kritischer und selbstkritischer Mann wie Professor Aranguren, dessen Äußerungen stets einen wachen Sinn für ethische und politische Geschichtlichkeit ausdrükken, ein Mann, der gerade deshalb keineswegs zu unbeweglicher »Treue« gegenüber der Vergangenheit neigte, 1 schrieb im Hinblick auf jene inzwischen weit zurückliegende Etappe Spaniens zwischen 1951 und 1956: »Im Jahre 1951 wurde Joaquin Ruiz-Gimenez zum Minister für Nationale Erziehung ernannt... Während der Amtszeit von Ruiz-Gimenez schien es sicherer denn je, daß die so notwendige wirkliche Evolution des Regimes würde gelingen können. Und bald darauf wurden auch zwei außergewöhnliche Rektoren ernannt: Pedro Lain für die Universität von Madrid, Antonio Tovar für die von Salamanca.« Dann fügt er hinzu: »Wir sehen heute, daß die Amtszeit von Ruiz-Gimenez - die von den einen mit erheblichen Vorbehalten von außen beobachtet wurde, während andere, wie Lain und Tovar, begeisterten Willen zur Zusammenarbeit zeigten - die einzige echte Hoffnung auf Öffnung war, die das System bot.« 2

1 Der »treulose« Aranguren ist die - von Jesús Aguine vorgeschlagene - zutreffende Bezeichnung, mit der die Zeitschrift Triunfo (Nr. 398 vom 17. Januar 1970) ein Gespräch mit ihm betitelte, das anläßlich des Erscheinens seines Buches Memorias y esperamos españoles, Madrid: Taurus 1969, geführt wurde. 2

José Luis Aranguren: Memorias y esperanzas españolas, a. a. O. S. 91 und 95 f. Neben Ruiz-Giménez waren damals Mitglieder dieser Erneuerungsmannschaft: Pedro Lain Entralgo, Antonio Tovar, Joaquín Pérez Villanueva, Manuel Fraga Iribarne, Carlos Rodríguez de Valcárcel, Francisco Sintes y Obrador, Federico Sopefia, Angel Alvarez de Miranda, Segismundo Royo Villanueva, Torcuato Fernández Miranda, José Corts Grau, Antonio Gallego Burín, Blas Cabrera, Francisco Buscarons, Antonio Lago Carballo, Guillermo Díaz-Plaja u. a. Es ist daran zu erinnern, daß es eine der Leistungen des Ministeriums unter Ruiz-Giménez war, daß - nach Überwindung von gelegentlich ernsten Hindernissen - eine beträchtliche Zahl von Professoren wieder in den Lehrkörper aufgenommen wurde, die im Zuge des Bürgerkrieges von ihren Lehrstühlen entfernt worden waren oder die wegen fehlender Forschungsförderung das Land verlassen hatten: neben zahlreichen Lehrern von Grund- und weiterführenden Schulen (u. a. Carmen Castro, Sekundarschullehrerin, Frau von Xavier Zubiri und Tochter von Américo Castro) nahmen so auch an den Universitäten Forscher und Dozenten wie Duperier, Casas, Miaja de la Muela, Boix Raspali u. a. ihre Lehrtätigkeit wieder auf.

60 Vor diesem Hintergrund betonte Aranguren, daß die von diesen Männern eingeleitete Politik der geistigen Öffnung ernstgemeint war, daß sie wahrhaft fortschrittliche Bedeutung und echte Liberalisierungschancen besaß. Gleichzeitig zeigte er aber auch (wie wir noch sehen werden) manche ihrer Widersprüche und objektiven Grenzen auf, die sie unausweichlich zum »Scheitern« bringen sollten. Man erinnere sich - um sich des sozialen Umfelds bewußt zu werden, in dem die besagte Liberalisierung begonnen wurde - daran, daß 1951 für die Arbeiterklasse auch das Jahr war, in dem die ersten bedeutenden Streiks der Nachkriegszeit stattfanden. Trotz allem war diese Zeitspanne (1951-1956) die Epoche einer beginnenden universitären Reifung und Entwicklung sowie einer allgemeinen, wenn auch begrenzten, geistigen Liberalisierung, aus der sich vielleicht schon frühzeitig eine bedeutende politische Liberalisierung herleiten ließ. »Es ging darum, vom Ministerium für Nationale Erziehung aus die Aufgabe der Liberalisierung, der Toleranz, des Dialogs mit Europa in Angriff zu nehmen, den Spanien und in erster Linie die Universitäten brauchten«: So schrieb Federico Sopeña in seinem Buch Defensa de una generación,3 in dem er einige der Einflußfaktoren auf diese Generation (zu denen auch Sopeña selbst gehört) bis in unsere Tage nachvollzieht.

Fundamentalistische

Kritik: Calvo Serer und seine spätere Entwicklung

Hier ist daran zu erinnern, daß die fundamentalistische Kritik damals gegen derartige positive Interpretationen des »Liberal-Falangismus« von Lain, Tovar und Ridruejo als dessen vielleicht bedeutendste Vertreter4 mit Angriffen aus zwei miteinander ziemlich unvereinbaren Richtungen recht verwirrt reagierte. Zum einen wurde diesen Intellektuellen vorgeworfen, sie seien Linke, Republikaner, Sozialisten, mit Verbindungen zur Generation von 98, zum Krausismus, zum Exil usw. Zum anderen wurden die überwundenen rechts-totalitären Vorlieben dieser falangistischen Gruppe (die es in manchen Fällen tatsächlich gegeben hatte, die aber selbstverständlich nicht auf sie beschränkt waren) bis zum äußersten ausgeschlachtet. Calvo Serer - der damals die Doktrin der »dritten Kraft« predigte - war der Hauptbetreiber dieser ambivalenten

3

Madrid: Taurus 1970; u. a. enthält auch das Buch von Pedro Laín Entralgo: Vestigios. Ensayos de crítica y amistad, Madrid: Epesa 1948, Meinungsäußerungen und Berichte, die für ein korrektes Verständnis und eine Bewertung dieser Generation von großem Wert sind.

4

Vgl. zu diesem Punkt u. a. zwei wichtige Artikel von Dionisio Ridruejo, beide erschienen in der Zeitschrift Revista in Barcelona: Excluyentes y comprensivos (17. April 1952, in der ersten Nummer der Zeitschrift) und Conciencia integradora de una generación (26. März 1953). Der zweite Artikel ist - zusammen mit weiteren, ebenfalls für dieses Thema interessanten Arbeiten - wiederabgedruckt in dem Buch En algunas ocasiones. Crónicas y comentarios: 1943-1956, Madrid: Aguilar 1960. Zu der Zeitschrift Revista (deren Hauptbetreiber Ridruejo war) vgl. José Carlos Mainer: Historia literaria de una vocación política (1930-1950), a. a. O. S. 62, wo er einige der »Unterschriften bedeutender katalanischer und anderer spanischer Intellektuellen« aufzählt, die an ihr mitwirkten, so u. a. Gregorio Maraflón, Eugenio D'Ors, Ramón Serrano Súfter, Jaime Vicens Vives, Martín de Riquer, Antonio Tovar, Pedro Laín Entialgo, José Luis L. Aranguren, Camilo José Cela, Cesáreo Rodríguez Aguilera, Luis Felipe Vivanco, Luis Rosales, José María Valverde und Rafael Tasis.

61

Kritik, die benutzt wurde, um jene Männer im Inland (als Linke) und im Ausland (als totalitäre Faschisten) zu diskreditieren. Nach dieser Theorie stand Ruiz-Giménez für den »Verrat der nachgiebigen Christdemokraten«, die solchen »revolutionären Opportunisten« innerhalb des Systems Raum gaben.5 Was Calvo Serer betrifft, so klärten sich die Dinge im Laufe der Zeit weitgehend. Seine spätere Entwicklung (bzw. wohl genauer: sein radikaler Wandel) in eine liberal-demokratische Richtung ist, so könnte man sagen, ein Indiz für die Wahrhaftigkeit seiner früheren Kritik am Totalitarismus (wenn er sich auch in jenen Jahren bedauerlicherweise in der Wahl seiner Hauptadressaten geirrt hatte); sie zeigt aber gleichzeitig auch zahllose Ungereimtheiten seiner früheren fundamentalistischen Haltung.6 All dies würde zweifellos eine ausführliche Untersuchung einschließlich einer Analyse der Hauptwerke von Calvo Serer erfordern, in denen sich dieser Wandel seines Denkens niedergeschlagen hat; dazu gehören u. a. folgende Werke: Teoría de la restauración (1952), La configuración del futuro (1953) und Política de integración (1955), dann aber auch die (schon außerhalb der hier betrachteten Zeitspanne liegenden) späteren Werke La fuerza creadora de la libertad (1958), La literatura universal sobre la guerra de España (1962), Las nuevas democracias (1964) und España ante la libertad, la democracia y el progreso (1968). 7 In diesen Büchern markiert er die verschiedenen Phasen seiner für Spanien ungewöhnlichen Entwicklung, die - nicht ohne die eine oder andere Inkonsistenz - vom unzweifelhaft antiliberalen Fundamentalismus seiner frühen Jahre zu der klaren liberal-demokratischen Haltung führt, die er später (vor allem gegen Ende der Franco-Zeit in der Tageszeitung Madrid) vertrat. 8

5

Ich fasse diese Einstellung hier nach dem berühmten Artikel von Rafael Calvo Serer: La politique inieneure de l'Espagne de Franco zusammen, der in der Zeitschrift Ecrits 107 (Paris, Sept. 1953) erschien; obwohl seine Veröffentlichung und Verteilung in Spanien verboten war, fand er doch im ganzen Land weite Verbreitung, was ein eindeutiger Beleg für die schon damals von der entsprechenden Gruppierung gehaltene Macht ist; ich besitze noch immer eine maschinengeschriebene Kopie (wir befanden uns damals noch nicht auf dem Höhepunkt des Kopierwesens), die ich mir als Jurastudent an der Universität von Salamanca problemlos beschaffen konnte. Obwohl ich mit einigen seiner grundlegenden Annahmen übereinstimme, teile ich doch nicht die Interpretation, die Manuel Fernández Areal diesbezüglich in seinem interessanten, wenn auch m. E. keineswegs objektiven Buch über La política católica en España, Barcelona: Dopesa 1970, bes. S. 174 ff., vorlegt.

6

In diesem Punkt hat M. Fernández Areal (zit. Anm. 5, S. 178) Recht, wenn er bemerkt, daß das schwere »Vergehen« von Calvo Serer darin bestand, ein Namensverzeichnis der »dritten Kraft« vorgelegt zu haben (diese Namensliste ist auf S. 178 abgedruckt); dazu ist aber zu sagen, daß dieses »Vergehen« eben Ausdruck all der zugrundeliegenden Verwirrung, vielleicht sogar in ihm selbst (wenn man seine spätere Entwicklung bedenkt), ist, die auch die damalige Kritik an jenen »christdemokratischen« und »liberal-falangistischen« Kreisen konfus und unzutreffend machte.

7

Die fünf ersten Titel sind erschienen bei Ed. Rialp, in der Reihe »Biblioteca del pensamiento actual«, das letzte bei Ed. Guadiana. In derselben Sammlung bei Rialp erschienen damals auch - neben anderen Büchern, die ziemlich weite Verbreitung fanden (einige wurden schon zitiert) - von José María García Escudero: De Cánovas a la República, von Angel López-Amo: El poder político y la libertad. La Monarquía de la reforma social, von Rafael Gambra: La Monarquía social y representativa en el pensamiento tradicional, von Francisco Elias de Tejada: La Monarquía tradicional, usw.; die drei letzten werden von Calvo Serer in der besagten Namensliste der »dritten Kraft« ausdrücklich genannt.

8

Vgl. in diesem Sinne den Artikel Uber Calvo Serer von Jean Becarud in France-Forum (Paris) 127-128 (Okt.-Nov. 1973), S. 71-73, mit einem Kommentar zu dessen letzten politischen Büchern (1972-1973).

62

Der frühe Aranguren: Dialog mit Existentialismus und Protestantismus Auf einer der damaligen Einstellung von Calvo Serer diametral entgegengesetzten Ebene war es der offene, auf Integration gerichtete Katholizismus, wie er u. a. von Laín Entralgo, Ruiz-Giménez usw. vertreten wurde, der sich in jenen Jahren konsolidierte und deutliche Fortschritte machte, vor allem durch die Artikel, die José Luis Aranguren aus dieser Sicht zwischen 1949 und 1953 veröffentlichte; diese Aufsätze, die später in seinem Buch Catolicismo, día tras día gesammelt wurden 9 und die - wie man heute sagen würde - eine eindeutig vorkonziliare Haltung ausdrückten, hatten damals großen Einfluß, ganz besonders auf die universitäre Jugend. Aranguren wurde wenig später - im Jahre 1955 - auf den Lehrstuhl für Soziologie und Ethik der Unversität von Madrid berufen, wo er zehn Jahre lang fruchtbare Arbeit leistete, bis er 1965 abgesetzt wurde. Kurze Zeit nach seinem Ausschluß begann er, an der Universität von Santa Barbara in Kalifornien zu lehren. Seine Rückkehr und Wiedereingliederung in das spanische Universitätswesen ist, ebenso wie die anderer abgesetzter Dozenten (Tierno Galván, García Calvo) oder solcher, die in mehr oder weniger direktem Zusammenhang mit diesen Vorgängen emigrierten (Tovar, Valverde usw.), meines Erachtens eine unumgängliche Grundlage für die jetzt erforderliche Wiederherstellung der Würde unserer Universitäten. 10 1952 veröffentlichte Aranguren Catolicismo y protestantismo como formas de existencia, 1954 El protestantismo y la moral, es war das erste Mal seit vielen Jahren, daß in Spanien mit (im doppelten Sinne) verständnisvollem und auf Dialog gerichtetem Geist über den Protestantismus gesprochen wurde, selbstverständlich ohne daß Aranguren kritische Aspekte ausgelassen hätte, die er jedoch nie dogmatisch behandelte. Dialog mit dem Protestantismus und auch Dialog mit dem Existentialismus: der frühe Sartre, Camus, Merleau-Ponty usw. waren in jenen Jahren in Europa weitgehend die dominierenden Philosophen; sie und auch Heidegger, Jaspers, Gabriel Marcel u. a. wurden so zu ständigen Bezugspunkten im spanischen Denken der Epoche. 11 9

Barcelona: Ed. Noguer 1955; schon im darauffolgenden Jahr gab es eine zweite Auflage. Ich erinnere mich nicht, ob es dann noch einmal aufgelegt wurde; vielleicht nicht, denn Aranguren entwickelte sich damals ziemlich schnell fort. Von 1950 an arbeitete auch die Zeitschrift El Ciervo, die in Barcelona erschien und von Lorenzo Gomis geleitet wurde, auf dieser Linie eines offenen, fortschrittlichen Katholizismus.

10 Diese Wiedereingliederung erfolgte denn auch nach dem Ende des Franco-Regimes (Anm. zur Ausgabe von 1983). 11 In diesen Kontext gehört auch der - gleichfalls die jüngste geistige Vergangenheit unseres Landes behandelnde Band von Julián Marias; Filosofía actual y existencialismo en España, Madrid: Ed. Revista de Occidente 1955, in dem zwei ursprünglich in Argentinien und Kolumbien veröffentlichte frühere Bücher zusammengefaßt sind; die Hauptkapitel sind: Unamuno aus der Perspektive des Existentialismus - Verbindung zu Kierkegaard -, Ortegas Lebensgrund - Verbindung zu Heidegger -, Morente, Zubiri. Ein herausragender philosophischer Ausdruck des Denkens jener Jahre ist zweifellos der Band Homenaje a Xavier Zubiri, der 1953 von der Zeitschrift Alcalá vorbereitet und herausgegeben wurde; er enthält Beiträge von Aranguren, Alberto del Campo, Manuel Cardenal, F. Javier Conde, L. Diez del Corral, Francisco Grande Covián, A. García Valdecasas, J. Garrigues, E. Gómez Arboleya, P. Laín Entralgo, S. Lissarrague, J. J. López Ibor, Julián Marias, Augusto A. Ortega, Julio Palacios, Dionisio Ridruejo, J. Rof Carballo, Luis Rosales, Antonio Tovar, Luis Felipe Vivanco und Juan Zaragüeta. (Der letztere, einziger Kleriker unter den Autoren dieser Festschrift und damals einer der relativ offenen Geister innerhalb der spanischen universitären Philosophie, veröffentlichte zu derZeit sein vielleicht wichtigstes Werk: Filosofía y vida, 3 Bde., Madrid

63 Man kann sagen, daß diese beiden (Protestantismus und Existentialismus) damals die bevorzugten Dialogpartner Arangurens waren, so wie es später - wie wir noch sehen werden - der Neopositivismus und der Marxismus werden sollten.

Geistiger Austausch zwischen Exil und Inland: Hindernisse und Möglichkeiten. Polemik Mead - Marías, mit Beiträgen von Guillermo de Torre, J. L. Aranguren und Ramón Sender Die internationale Aufwertung des spanischen politischen Regimes ab 1950-51 markierte auch den Beginn einer neuen Phase in den geistigen Beziehungen zwischen Exil und Inland; man überwand endgültig die fast vollkommene gegenseitige Ignoranz früherer Jahre. Sicherlich gab es noch immer bittere Auseinandersetzungen und beträchtliche Widerstände, aber schon bald kam man zu einem echten, aufrichtig gemeinten geistigen Austausch, bei dem keine der beiden Seiten gedemütigt wurde oder unterlegen war: »Zwischen den Intellektuellen ist der Bürgerkrieg überwunden«, konnte Julián Marías einige Jahre später schreiben;12 diese Überwindung begann in jenen Jahren (1950-51). Aurora de Albornoz, die sich in der Welt des Exils gut auskennt - schließlich hat sie es nicht nur erforscht, sondern auch am eigenen Leib erfahren -, hat über diese Jahre aus der (sehr wichtigen, sogar entscheidenden) Perspektive nicht nur der geistigen, sondern auch der geographischen und physischen Annäherung der Exilanten an Spanien berichtet. So schreibt sie: »Die Jahre von 1939 bis Ende der vierziger Jahre markieren sozusagen den Höhepunkt des Exils. In dieser Zeit leben viele Menschen, in verschiedene Länder der Welt zerstreut, ein Leben 'auf Abruf; sie glauben, eine Parenthese ihres spanischen Lebens zu leben; ihre Kinder erziehen sie im Hinblick auf eine baldige Rückkehr nach Spanien ... Nach 1950 machen sich viele auf den meist nur vorübergehenden, manchmal endgültigen - Rückweg in ihr Land. In den sechziger Jahren nimmt der Strom der Rückkehrer zu.« 13 Allerdings ist daran zu erinnern, daß - wenn auch in weit weniger drastischem und beunruhigendem Ausmaß - ein neues »Exil« jüngerer Leute genau in dem Augen1950-1954; viele Jahre zuvor halte Paler Zaragüeta schon La intuición en la filosofia de Henri Bergson [1941] und El lenguaje y la filosofía [1945] herausgegeben.) Eine weitere Homenaje a Xavier Zubiri, 2 Bde., Madrid: Ed. Moneda y Crédito, wurde ihm 196S anläßlich seines sechzigsten Geburtstages von der Sociedad de Estudios y Publicaciones offeriert. 12 Julian Marias: La situación actual de la inteligencia en Espafia, in: Cuadernos del Congreso por la Libertad de la Cultura (Paris) 45 (Nov.-Dez. 1960) S. 69. 13 Aurora de Albornoz: La 'Espafia peregrina', in: Triunfo 507 (schon zitierte Sondernummer zum Thema La cultura en la España del siglo XX vom 17. Juni 1972) S. 45. Weiter heißt es dort: »Für viele kam der Tod vor dem Wiedersehen mit Spanien. Die Liste von Dichtern, auf die dies zutrifft, ist beeindruckend: Antonio Machado, Juan Ramón Jiménez, León Felipe, José Moreno Villa, Pedro Salinas, Luis Cernuda, Emilio Prados fallen mir sofort dazu ein; und es waren noch viel mehr.« Ich selbst möchte hier von denen, die in der Fremde starben, ohne Spanien wiedergesehen zu haben, an Joaquín Xirau, Eugenio Imaz, José Gaos, Luis Jiménez de Asúa, Alberto Jiménez Fraud und viele andere erinnern. Später - im Sommer 1972 - starben Max Aub, der mehrmals für kurze Zeit nach Spanien gekommen war, und Américo Castro, der inzwischen schon in Spanien lebte; und im Oktober 1973 Pablo Casals sowie etwas früher, im April, Pablo Picasso, der hier auch zu nennen ist, obwohl er kein Exilant des Bürgelkriegs war.

64 blick begann, als das alte, das des Bürgerkrieges, intellektuell und physisch wieder näherrückte. 14 Bleiben wir aber zunächst noch beim eigentlichen Exil, also dem aus den Jahren 1936-1939, das 1951 den Höhepunkt erreichte, von dem an eine neue Haltung hinsichtlich der Beziehungen zu den offeneren und einsichtigeren Intellektuellen des Inlands tatsächlich möglich zu werden schien. Die Frage war aber: Wie weit konnte der Austausch gehen? Wie sehr würde die Politik auch weiterhin ein unüberwindliches Hindernis darstellen? Was konnte jede der beiden Seiten von einer Annäherung erwarten? Ein Artikel des nordamerikanischen Hispanisten Robert G. Mead, der im Sommer 1951 erschien, wurde zum Auslöser einer bedeutenden Polemik über einige dieser Fragen, die die Standortbestimmung der spanischen Kultur jener Jahre betrafen. 15 Mead betonte zunächst ganz richtig die verschlechterten Bedingungen für das geistige Leben in Spanien nach dem Krieg und in den vierziger Jahren, vor allem wegen der strengen politischen Zensur, und schloß daraus: »Ein unvoreingenommener Vergleich zwischen den emigrierten Intellektuellen und denen, die in Spanien geblieben sind, würde bei weitem zu Gunsten der ersten ausfallen.« Er bestritt nicht, daß auch im Inland einiges existierte; richtig ist aber auch, daß Mead fast gar nichts von dem Neuen berücksichtigte, das sich schon in jenen Jahren zum Werk der »Alten« wie Ortega, Menéndez Pidal usw. gesellt hatte, die auch im Inland arbeiteten. Solange also nicht erkannt wurde, daß in Spanien ein interessantes geistiges Leben im Entstehen begriffen war, konnte es auch für das Exil schwerlich interessant sein, sich mit dem Inland in Verbindung zu setzen und auszutauschen. Julián Marías, der den Wert der emigrierten Intellektuellen keineswegs bestritt (sondern ihn im Gegenteil explizit anerkannte), antwortete auf den Artikel Meads in der gleichen Zeitschrift, in der dieser das Wort ergriffen hatte. 16 Mit vollem Recht führt er zahlreiche Namen von Intellektuellen des Inlands an, die Mead nicht genannt 14 Obwohl es auch mehrdeutige Fälle darunter gibt, kann man doch sagen, daß es sich jetzt mehr um einen kulturellen und wissenschaftlich-professionellen Exodus handelt als um einen im eigentlichen Sinne politischen. Immerhin haben aber die engen und häufig diskriminierenden Bedingungen unseres akademischen und geistigen Lebens eine große Zahl von Professoren, Wissenschaftlern und Schriftstellern dazu bewogen, ein Land zu verlassen, das gelegentlich in trauriger Ironie eingesteht, daß es sie in der Forschung und Lehre, in der Universität und den vielfältigen Äußerungsformen unseres kulturellen Lebens dringend benötigt (heißt es doch überall, »Professoren lassen sich nicht aus dem Ärmel schütteln«). Dieser geistige Exodus der Nachkriegszeit - der wohl erst nach 1956 begann oder doch allmählich, aber deutlich zunahm - ist trotz aller Ähnlichkeiten keine Emigration (in der Regel in die Vereinigten Staaten), wie sie andere Länder Westeuropas durchgemacht haben. Es wäre sicher wichtig, ein Buch zu haben, in dem die Namen, Berufe, Lebensumstände und Arbeitsplätze dieses neuen, auf Dauer angelegten Exils spanischer Intellektueller aufgeführt wären, wobei ich betonen möchte, daß dieses Exil selbstverständlich nicht nur Intellektuelle betraf (ich weide später noch auf die Emigration spanischer Arbeiter in das Europa des Gemeinsamen Marktes eingehen). 15 Robert G. Mead, Jr.: Dictatorship and Literature in the Spanish World, in: Books Abroad. An International Literary Quarterly (Norman: University of Oklahoma Press) 25:3 (Sommer 1951) S. 223-226. 16 Julián Marias: Spain is in Europe, in: Books Abroad, a. a. O., 26:3 (Sommer 1952) S. 233-236. Eine erweiterte Fassung dieser Arbeit erschien in spanischer Sprache in der Zeitschrift Mar del Sur (Lima, Sept.-Okt. 1952), wiederabgedruckt in seinem Buch El intelectual y su mundo, Buenos Aires: Atlántida 1956; da mir dieser Band nicht vorliegt, zitiere ich hier in eigener Übersetzung aus der englischen Fassung.

65 hatte, so u. a. aus unterschiedlichen Disziplinen die von Zubiri, Emilio García Gómez, Lapesa, Blecua, García Blanco, Antonio Tovar, Fernández Galiano, Enrique Lafuente, Caro Baroja, Valdeavellano, Joaquín Garrigues, F. Javier Conde, Arboleya, Diez del Corral, J. A. Maravall, García Pelayo, Marañón, Laín, Rof Carballo, Aleixandre, Dámaso Alonso, Gerardo Diego, Rosales, Panero, Cela, Carmen Laforet, Gironella, Buero Vallejo u. a. Dieser Liste wäre noch der Autor selbst, Julián Marías, hinzuzufügen. Zweifellos war trotz der äußerst ungünstigen Umstände (zu denen selbstverständlich auch die politischen gehörten, deren Gewicht Marias wohl etwas unterschätzt, vielleicht, um sie so leichter erträglich zu machen) im Spanien jener Jahre ein geistiges Leben von beträchtlicher Bedeutung und von erheblichem wissenschaftlichem Niveau am entstehen. »Es ist nicht zu bestreiten«, so schreibt Marias in seiner Antwort auf Robert G. Mead, »daß die Emigration eine ungeheure Verstümmelung des geistigen Lebens in Spanien bedeutete.« Aber er hebt hervor - wobei er ein anderes Problem anschneidet, das mir äußerst interessant scheint daß es »nicht gerecht [ist] zu sagen, daß die Intellektuellen des Exils für Spanien völlig verloren sind, denn ihre Beziehungen zu Spanien sind beträchtlich. Auch ist es nicht richtig, daß jede Erwähnung dieser Personen tabu ist. (Was vor zehn oder zwölf Jahren richtig gewesen sein mag, ist 1951 keine korrekte Information mehr.)« Und er beschließt seinen Artikel mit den Sätzen: »Es gibt extra muros ein blühendes, fruchtbares Spanien. (Extra muros, das schon; aber man sollte auch nicht übertreiben, denn wer kann schon geistige Mauern errichten?) Und trotzdem: Spanien ist in Europa.« 17 Das Denken der Exilanten war keineswegs ein für Spanien und die Spanier im Inland »verlorenes Denken«. Einige ihrer Werke wurden bekannt, zwar mit Einschränkungen, aber auch durch Verbot aufgewertet. Trotzdem ist unbestreitbar, daß ihr Weggang für die spanische Kultur und unser geistiges Leben einen ungeheuren Verlust bedeutete. 18 17 »Spanien ist ein Teil Europas, aber ein ganz besonderer Teil«, schrieb Dwight L. Bolinger:... And should thereby bc judged, in: Books Abroad, a. a. O., 27:2 (Frühjahr 1953) S. 129, in seiner Erwiderung auf Marias in Unterstützung der Thesen von Robert G. Mead. 18 Meine einzige Unterhaltung mit Max Aub (in Madrid, im Frühjahr 1972, kurze Zeit vor seinem Tod) drehte sich denn auch genau um diese Bezeichnung als »verlorenes Denken«, die er mit dem Einverständnis des Verlagsdirektors, Pedro Altares, als Motto für eine Reihe von Büchem des Exils im Verlag Cuadernos para el Diálogo benutzen wollte. Aus verschiedenen Gründen schien mir der - sicherlich aufsehenerregende - Ausdruck gar nicht zutreffend, was ich ihm auch sagte; aber nach verschiedenen Präzisierungen und Klarstellungen seinerseits wurde mir klar, daß es keine grundlegenden Hindemisse dafür gab, die Bedeutung und das Ausmaß des Verlustes auf diese Weise auszudrücken. Es sei daran erinnert, daß sich eine tiefergehende Reflexion über das, was wir alle in jenen Jahren tatsächlich verloren haben, gerade in einer bedeutenden Arbeit von Max Aub selbst findet, in der - in einem Überblick über die Entwicklung der spanischen Kultur bis 1956 - Realität und Fiktion meisterhaft miteinander verbunden sind, wobei letztere eine deutlich kritische Funktion erfüllt, da hier nicht das behandelt wird, was die spanische Kultur wiiklich war, sondern was sie hätte sein können. Ich beziehe mich auf den Text (einen der Texte, die mich in letzter Zeit am meisten beeindruckt haben), der der Antrittsvortrag von Max Aub in der Academia Española »hätte sein können«; er ist datiert auf das Jahr 1956 und beschreibt und analysiert einige Aspekte unserer kulturellen Wirklichkeit jener Jahre, wie sein Autor sagt, »so, als hätte unser letzter Bürgerkrieg nicht stattgefunden« (vgl. den Text von Max Aub in der schon mehrmals zitierten Sondernummer von Triunfo zum Thema La cultura en la España del siglo XX).

66 Hinsichtlich der Polemik Mead - Marías würde ich selbst mich der Meinung des ersteren anschließen, daß die Politik (entgegen der Behauptung von Marias) keineswegs ein ziemlich oberflächliches Phänomen mit nur geringer Auswirkung auf das geistige Leben ist, am allerwenigsten unter den besonderen Umständen eines streng politisierten autoritären Regimes. Mit Recht sagte später Guillermo de Torre über diesen Punkt der Auseinandersetzung: »Ich verabscheue das Politische und den Politizismus vielleicht in noch stärkerem Maße als Julián Marías. Aber ich kann seinen Glauben nicht teilen, daß der Artikel von Mead und andere, die in jenen Jahren zum gleichen Thema geschrieben wurden, im Grunde vom Politizismus diktiert wurden, sondern vielmehr von dessen Auswirkungen auf das Kulturelle, was etwas ganz anderes ist. Für Julián Marías hat das Politische nur sehr geringe Bedeutung. Ich stimme prinzipiell mit ihm darin überein, daß 'das erste, entscheidende und wichtigste' nicht die Politik ist, und ich würde mich freuen, wenn nichts dem widerspräche. Aber ist es - gegen unseren Willen - nicht so, daß mein Leben - wie das Leben von Julián Marías und vielen anderen, die ihre Hauptfähigkeiten ganz anderen Dingen als der Politik widmeten - seit mehr als fünfzehn Jahren von dieser schändlichen Politik und der unausweichlichen Ausbreitung ihrer Wirkung beeinflußt, entstellt und erschüttert wird?«20 Trotzdem stimme ich in jener Auseinandersetzung Marias insofern zu, als es trotz (und nicht selten entgegen) der politischen Umstände im Spanien jener Jahre schon ein interessantes geistiges Leben gab, das diesen Namen wirklich verdiente. Auch Guillermo de Torre, selbst Exilant (self-emigrated, wie er sagt), erkennt im Hinblick auf die intellektuelle Arbeit des Exils und des Inlands an, daß »sich die beiden Seiten im Augenblick zumindest die Waage halten. Aber es ist nicht die Frage numerischer Überlegenheit oder qualitativer Vergleiche, über die eine Einigung so schwer fällt.« Das Wichtige sei, so betont er - mit Blick auf den schon zitierten Artikel von Marias und einige Artikel von Aranguren, die ich gleich nennen werde -, daß »beide positive Beiträge von größter Bedeutung darstellen und wahrscheinlich den Beginn einer für alle sehr vorteilhaften Entwicklung ankündigen. Dies so objektiv anzuerkennen, bedeutet mehr als bloßen Austausch von Höflichkeiten; es impliziert eine geänderte Optik, und es eröffnet den Weg zu einer Intelligenz, deren erste Station Eintracht heißt und deren Endziel die Freiheit ist.« Das Exil (Guillermo de Torre) erkannte demnach ausdrücklich den guten Willen zum Dialog an, der bei manchen der Intellektuellen des Inlands vorhanden war. Im gleichen Sinne fügte der genannte Autor hinzu: »Beim gegenwärtigen Stand der Din19 In Books Abroad 27 (Winter 1953) S. 97 wurde auch ein Antwortschreiben von Robert G. Mead an Julián Marias abgedruckt; darin wird erneut der Einfluß der Politik auf das intellektuelle Leben betont. 20 Guillermo de Toire: Hacia una reconquista de la libertad intelectual, in: La Torre (Revista General de la Universidad de Puerto Rico) 1:3 (Juli-Sept. 1953) S. 117. Guillermo de Torre fügt hinzu (S. 118): »Julián Marías nimmt es als unbestreitbare Tatsache an, daß, wenn geistige Freiheit in Spanien nicht existiert bzw. dort auf ein Minimum reduziert ist, sie auch in den anderen europäischen Ländern inexistent oder doch sehr labil ist. Seine Haltung erinnert allzu sehr an den Kranken in einem Heim für unheilbare Fälle, der bestreitet, daß es Gesundheit gibt.«

67 ge wäre es für jede der beiden Seiten dumm, auf Vorwürfen, Überlegenheitsbehauptungen oder anderen fruchtlosen Gesten zu beharren. Die Wirklichkeit hat es im Laufe der Jahre für alle mehr als deutlich gemacht, wie nutzlos solche Taktiken sind. Wenn auch die grundlegende politische Tatsache (die ich selbst allerdings vor allem für eine moralische halte), die die Spaltung zwischen den beiden geistigen Gruppierungen bedingt, weiterbesteht, so ist doch nicht weniger offenkundig, daß auch schon manche Änderungen, neue, nicht zu verachtende Nuancen existieren, die alle Pluralitäten in einen gewissen Einklang bringen können. Der Zeitpunkt ist gekommen, diese Art unsichtbaren Graben zuzuschütten, der bis jetzt die veränderten Worte fern und dumpf klingen ließ, und die normale Tonlage des Dialogs wiederherzustellen. Auf jeder Seite gibt es manche, sogar viele (ich bin sicher, daß es mehr sind, als man glaubt), die bald nach dem Sturm des Krieges ihren Gleichmut wiederfanden und geistige Brücken zur Verständigung und zum Zusammenleben errichteten, uneigennützig und in bester Absicht, ängstlich und bewegt, voller Hofftiung. Es sollten also alle so weit wie möglich die Vergangenheit auslöschen und gemeinsam, unter Überwindung überholter Vorstellungen auf beiden Seiten, den Zukunftswillen nähren.« Der Austausch war jedoch damals noch keineswegs einfach. So betont Guillermo de Torre selbst: »'Spanien ist in Europa', so betitelt und beendet Julián Marías seinen Artikel mit hoffnungsvollem, ansteckendem Optimismus. Aus unserem Blickwinkel würden wir diese Behauptung gerne voll und ganz, ohne jeden Vorbehalt, unterschreiben. Aber während der Satz für die Vergangenheit und die Zukunft unbestreitbar richtig ist, spricht für die Gegenwart so viel dagegen!« Er schließt folgerichtig mit der Aufforderung zu einem Dialog in Freiheit: »Spanien wird wieder in Spanien sein, wenn es den Austausch, den normalen Dialog mit dem Rest der Welt wieder aufnimmt, und dies nicht nur in den Ministerien, sondern vor allem im Bewußtsein der Menschen; wenn es zuvor den freien Dialog im Lande selbst wieder anstößt und jene Vielheit in der Einheit wiederherstellt, die es immer charakterisiert hat; wenn keines der beiden historischen Spanien das andere gewaltsam zum Schweigen bringt - denn der erwartete Wandel, die angestrebte Entwicklung käme nicht zustande, wenn eine der beiden Seiten ihre Opferrolle gegen die des Täters austauschte.«21 21 Guillermo de Torre, a. a. O., S. 109-111 und 122-124. Der Autor bemerkt außerdem zu den Artikeln von Marias und Aranguren zu dieser Frage, die damals konkret durch den Artikel von R. G. Mead aufgeworfen worden war: »Zum ersten Mal wird hier - von Spanien aus und auf eine vorher ganz unübliche Art und Weise, in erhabenem Ton und mit sauberen Absichten - versucht, eine Frage zu erhellen, die gewöhnlich totgeschwiegen oder im Dunkeln gehalten wurde: die Frage nach der geistigen Emigration von Spaniern, die Julián Marías als 'intellektuelles, politisches, moralisches und historisches - der Leser sollte keines der Adjektive überspringen - Problem ersten Ranges [bezeichnet], dem größte Aufmerksamkeit oder, wo das nicht möglich ist, respektvolles Schweigen gebührt.' Glücklicherweise scheint die Zeit für letzteres, für das Schweigen oder die erzwungene Unterdrückung vorbei zu sein, wenn man an die beiden genannten, in spanischen Zeitschriften erschienenen Artikel denkt, in denen man zweifellos mehr Details und eine aktuellere Sicht des Problems findet, als in den Artikeln der nordamerikanischen Zeitschrift.« (S. 107 f.) Er geht dann speziell auf Marias ein, zu dem es heißt: »Er ist der erste spanische Autor, der von hier aus eine klare, umfassende Vorstellung vom Problem der spanischen Intellektuellen außerhalb Spaniens hat, der dessen Bedeutung nicht nur für das private, sondern auch für das öffentliche Leben erkennt, der sich nicht in unnütze Verwirrung verrennt, sondern versucht, die Dinge auf den Begriff zu bringen und die Punkte auf die 'i's zu setzen - zumindest auf einige, während er andere fatalerweise übersieht.« (S. 110) Eine ähnliche Meinung hat - trotz seiner Pole-

68 Diese neue Haltung der Eintracht, des Verständnisses und des Dialogs fand sich in einzigartiger Weise in zwei 1953 veröffentlichten Artikeln von José Luis Aranguren: der eine, über die Intellektuellen des Exils, erschien in Spanien, der andere, über die Intellektuellen des Inlands, in Amerika. 22 Über den ersten der beiden Artikel schrieb Aranguren selbst: »Dieser Artikel will, wie schon gesagt, ein Dialog sein. Nun sind für den Dialog zwei verschiedene Dimensionen von Bedeutung: das 'Sprechen um des Sprechens willen', also einfach der Akt der Kommunikation, und das, 'wovon gesprochen wird'. Wir halten uns sowohl an das eine als auch an das andere. Wir wollen mit unseren Landsleuten, den emigrierten Intellektuellen sprechen; aber wir wollen gleichzeitig auch von eben diesen Emigranten sprechen.« Was die zweite Absicht betrifft, so spricht Aranguren (als einer der ersten) in seinem Aufsatz objektiv und voller Lob u. a. von Francisco Ayala, Américo Castro, Claudio Sánchez Albornoz, Ferrater Mora, García Bacca, José Gaos, Guillermo de Torre, Juan Ramón Jiménez, Cemuda, Salinas, Domenchina, Emilio Prados usw. und informiert die spanischen Leser über das Werk unserer in Amerika exilierten Landsleute. Er betont ganz besonders die tiefe und ehrliche Liebe dieser Männer zu Spanien, ein Faktum, dessen Erwähnung damals für die Spanier im Inland leider keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. Aranguren begnügt sich aber nicht damit, auf diese Weise (d. h. objektiv) von den Exilierten zu sprechen; er möchte vor allem mit ihnen sprechen. »Ist es nicht absurd, daß zwischen ihnen und uns praktisch jede öffentliche Kommunikation unterbrochen ist? Was uns betrifft, ist unser geistiges Leben denn heute so reich, daß wir ohne größeren Verlust auf den Beitrag der Emigranten verzichten könnten? Und was sie betrifft, würde ihre Liebe zu Spanien, aber auch ihre Kritik am heutigen Spanien nicht durch eine bessere Kenntnis seines gegenwärtigen geistigen Zustandes an Präzision und Genauigkeit gewinnen?« Und an späterer Stelle heißt es: »Muß man diese Kommunikationssperre, die wir gegenüber unseren emigrierten Landsleuten errichtet haben, nicht zumindest für anormal halten? Sicher, ein wenig wissen wir von ihnen schon. Ganz allmählich und mit Mühe erreichen uns ihre Werke. Etwas lebhafter und direkter hören wir manchmal ihre Stimmen, vor allem durch die verdienstvolle Insula. Aber ist nicht der Zeitpunkt gekommen, an dem wir in einen gegenseitigen Dialog eintreten sollten, jenseits aller politischen Meinungsverschiedenheiten, die wir einmik - auch Mead über den Artikel von Manas. So stellt er fest, wie Marias »den Wert des Werks der Emigranten in höchsten Tönen lobend anerkennt. Er bietet außerdem eine gute Darstellung und Verteidigung der Intellektuellen auf der Halbinsel, wobei er Aspekte ihres Schaffens unterstreicht, die auf dieser Seite des Atlantik nicht sehr bzw. gar nicht bekannt waren. Marias nimmt also eine bei den Spaniern des Inlands, die sich bislang zu dem Thema geäußert haben, wenig übliche Haltung ein: anstatt mehrdeutige Sätze zu schreiben, sich zu winden, zu verwirren oder zu beleidigen, bestätigt er die Bedeutung der Emigration für Spanien, und indem er beide Gruppen infragestellt, wagt er sich ernsthaft an eine freie Diskussion des Problems.« (Robert G. Mead: Meditación sobre la libertad intelectual en el mundo hispánico, in: Cuadernos Americanos (Mexiko-Stadt) LXXIV (März-April 1954) S. 50) 22 José Luis L. Aranguren: La evolución espiritual de los intelectuales españoles en la emigración, in: Cuadernos Hispanoamericanos (Madrid) 38 (1953), wiederabgedruckt in seinem Buch Crítica y meditación, Madrid: Taurus 1957, nach dem hier zitiert wird; ders.: La condición de la vida intelectual en la España de hoy, in: La Torre (Puerto Rico) 1:4 (Okt.-Dez. 1953).

69 fach als das akzeptieren sollten, was sie sind, nämlich politische Meinungsverschiedenheiten, niemals aber Schranken für die Intelligenz?« Dieser Haltung Arangurens lag eine unparteiische, unvoreingenommene Auffassung vom Bürgerkrieg zugrunde (ich bin auf diesen Punkt schon im Zusammenhang mit den ersten Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit eingegangen). Sein Denken stand wohl dem sehr nahe, was er Francisco Ayala zuschreibt: »Für den heutigen Ayala war der Grund für den Bürgerkrieg die Spaltung - die auch im Inneren jedes Spaniers bestände habe - in Wir und Sie. Mehr noch: Der Krieg war nichts anderes als die gigantische Hypostase dieser inneren Zerrissenheit. Jeder Spanier mußte sich für die eine oder die andere Seite entscheiden; aber die Hälfte seines Denkens, die Hälfte seines Fühlens, die Hälfte seiner Seele blieb - unwiderruflich - bei der Gegenseite.« Seine Grundhaltung faßt Aranguren plastisch zusammen: »Der Dialog über Spanien [in den dreißiger Jahren; E. D.) wurde bald zum Krieg um Spanien. Aber unsere Aufgabe als Intellektuelle ist es, immer und immer wieder vom Krieg zum Dialog zurückzufinden.« Marias und Aranguren waren es, die vom Inland aus, wie wir gesehen haben, diesen Dialog mit den Intellektuellen des Exils in Gang setzten. Am Ende der soeben schon zitierten Arbeit schreibt Aranguren: »Es ist Zeit, Schluß zu machen. Zu Beginn dieser Untersuchung hatten wir uns zwei Ziele gesetzt: über die emigrierten Intellektuellen und mit ihnen zu sprechen. Über sie haben wir gesprochen und dabei gezeigt, in welchem Maße und auf welche Weise die bittere Erfahrung des Exils auf ihrem geistigen Leben gelastet hat. Haben wir auch mit ihnen gesprochen? Ich würde sagen, wir haben noch kaum damit begonnen. Wir haben - wie ich hoffe, getreulich und einigermaßen geordnet - weitergegeben, was wir von ihnen gehört haben. Ich denke, es ist nun an anderen Landsleuten, hier wie dort, den Dialog weiterzuführen. "23 Arangurens Initiative wurde von den Intellektuellen des Exils begeistert aufgenommen: der Austausch, der Dialog hatte begonnen und wurde nun ununterbrochen weitergeführt. Daß dies keine leichte Aufgabe war, zeigt die Tatsache, daß in den Antworten aus dem Exil neben gutem Willen und einem deutlichen Geist der Eintracht immer auch - als logisches Hindernis - ein letzter politischer Vorbehalt zum Vorschein kam, ein Vorbehalt, der ziemlich häufig übertrieben wurde und der generell gegenüber allen galt, die vom Inland aus schrieben. So kann man in einer Schrift, in der eine Gruppe von Exilanten auf den Arangurens Artikel antwortete, lesen, daß dieser zwar »Lob und Dank verdient«: »Solange sich aber die politische Situation in Spanien nicht ändert, wird der Dialog zwischen den Intellektuellen hier und denen dort so wünschenswert wie unmöglich bleiben. Unter den gegebenen Umständen wird er weiter aus Streit und Polemik bestehen.« 24 23 J. L. Aranguren: La evolución espiritual de los intelectuales españoles en la emigración, a. a. O. S. 166, 167, 173, 186,198 und 216. 24 Respuesta de intelectuales españoles en la emigración a José Luis L. Aranguren, in: Cuadernos Americanos (Mexiko-Stadt) LXXVI (Juli-Aug. 1954) S. 81; der Artikel war unterzeichnet von demente Cimona, Alejandro Casona,

70 Als noch viel radikaler erweist sich der Romanautor Ramón Sender in einem Artikel mit dem anschaulichen und zugleich symbolischen Titel »Die unmögliche Brücke« (El puente imposible). Mit spitzer Feder schreibt er: »Bezüglich der Autoren, die in den vergangenen fünfzehn Jahren die francotreue Presse beliefert haben, ist das Panorama trostlos, und sie selbst geben es sogar nolens volens zu. Da ist einfach niemand.« Dies war nicht der Eindruck, den man gewinnen mußte, wenn man den Artikel von Marias in Antwort auf Mead las. Sender - der ebenfalls voller guter Wünsche für die Zukunft war - läßt jedoch nur Carmen Laforet und Camilo José Cela gelten. Folglich sagt er bezüglich der Intellektuellen des Inlands im allgemeinen: »Sie wissen ganz genau, daß es die Brücke nicht gibt und auch unter den herrschenden Umständen nicht geben wird, auch wenn einige von ihnen versuchen, sie zu errichten, und sich dafür vor allem an jene Schriftsteller wenden, die unter der Emigration am meisten leiden, nämlich besonders an jene, die von der moskautreuen Gruppe verleumdet und beleidigt werden.« Richtig ist aber, daß die Brücke - wenn auch vielleicht umstritten und nur verbal zu existieren begann. Was Sender zu Recht nicht will, sind Mißverständnisse und Brücken, die beschämende Zugeständnisse verlangen; so fährt er fort: »Wenn innerhalb Spaniens jemand an uns denkt, dann ist es besser, er sieht uns so, geradeheraus und ohne Mißverständnisse.«^ Natürlich beschäftigte die Spanier im Inland das Problem der geistigen Freiheit (und anderer Freiheiten) ebenso sehr oder vielleicht sogar mehr als die Exilierten; für diese war das Problem eng mit der Rückkehr nach Spanien verbunden; für jene (die auf jeden Fall mehr daran »gewöhnt« waren) hatte es Auswirkungen auf ihr tägliches Leben und Arbeiten. So arbeitete man im Inland angestrengt daran, Freiheit zu erlangen, indem man versuchte, seinen Handlungsspielraum allmählich zu vergrößern; dabei steckte in diesem Bemühen - was entscheidend ist - selbst schon eine intellektuelle Arbeit von erheblicher Bedeutung. Objektiv betrachtet ist sie selbstverständlich weniger bedeutend als das, was in jenen Jahren in anderen Ländern geleistet wird (und meines Erachtens auch weniger bedeutend als das, was damals die spanischen Exilanten schafften), aber sie ist deswegen doch als Ausdruck und Beispiel einer ungeheuer schwierigen konkreten sozialen Situation nicht zu verachten. Von außen mag Eduardo Zamacois, Claudio Sánchez Albornoz, Francisco Vera, Valentin de Pedro, Gumersindo Sánchez Guisande, José Rovira Armengol, Gori Muñoz, Gerardo Ribas, Eduardo Blanco Amor und Juan Cuatrecasas. Abgesehen von diesem allgemeinen Vorbehalt stellen sie fest, daß »der Spanier auf der Wanderschaft nicht darauf hofft, ein Gestern anstelle eines anderen Gestern durchzusetzen, sondern sie alle in historischer Kontinuität zu überwinden.« 25 Ramón J. Sender: El puente imposible, in: Cuadernos del Congreso por la Libertad de la Cultura (Paris) 4 (Jan.Feb. 1954) S. 68 und 72. Auch Guillermo de Torre betonte, wenn auch sehr viel gemäßigter und verständnisvoller, die Bedeutung der Freiheit für das geistige Leben (Hacia una reconquista de la libertad intelectual, a. a. O. S. 112 ff.) Daher schrieb Robert G. Mead: Meditación sobre la libertad intelectual en el mundo hispánico, a. a. O. S. 47, in einem Kommentar zu den beiden genannten Arbeiten: »Sender bestreitet die Möglichkeit, die De Torre sieht; für ihn ist eine solche Annäherung, solange das derzeitige spanische Regime besteht, eine 'unmögliche Brücke'. Und doch, trotz der scheinbaren Diskrepanz zwischen diesen beiden Artikeln, gibt es paradoxerweise eine beiden gemeinsame Grundhaltung, denn während De Torre unterstreicht, daß sich eine solche Brücke nur mit der Freiheit errichten läßt, betont Sender, daß ihre Errichtung ohne Freiheit unmöglich ist.«

71 es manchmal so scheinen, als ob man im Inneren keine andere Möglichkeit sieht als die, darauf zu »hoffen« (ohne allzuviel Hoffnung natürlich), daß die Freiheit ganz von allein erblüht, um dann später mit dem Denken zu beginnen oder doch wenigstens damit, zu schreiben, zu veröffentlichen, öffentlich zu sprechen, »geistig zu leben«. Natürlich gibt es tausende von Hindernissen und Beschränkungen; aber im Inland sieht man das Problem zum Teil anders; allerdings zielt Aranguren in seiner Arbeit La condición de la vida intelectual en la España de hoy (1953) - wobei er vielleicht den Einfluß der Zensur allzu sehr unterschätzt - auf diesen (wie ich glaube, wertvollen) Gedanken von der Freiheit als etwas, das man, wenn man es nicht besitzt, jeden Tag ein Stückchen mehr erringen kann, und zwar auch (wenngleich selbstverständlich nicht allein) durch geistige Arbeit. In diesem Sinne schreibt Aranguren: »Eine wichtigere Meinungsverschiedenheit besteht darin, daß Guillermo de Torre meines Erachtens das Problem der Freiheit zu eng mit dem Problem der Zensur in Verbindung bringt. Die kann uns aber gewiß nicht die Freiheit des Denkens rauben. Sie stört zwar die Kommunikation, kann sie aber nicht verhindern. Sie macht sie im Gegenteil innerhalb beschränkter Kreise sogar schneller und effektiver, weil es dank des Mißkredits der offiziellen Propaganda genügt, ein Wort hinter vorgehaltener Hand auszusprechen, um ihm automatisch einen Anschein von Wahrheit zu verleihen. Vor allem glaube ich aber, daß die Existenz oder Nichtexistenz von Freiheit nicht davon abhängen kann, ob die Zensur aufgehoben wird oder bestehen bleibt. Die Freiheit ist kein Freigut, kein Geschenk, keine Situation, in der wir uns befinden, weil man sie uns gestattet oder gewährt, sondern Anstrengung, Spannung. Mir scheint, die französischen Vorrevolutionäre hatten ganz recht, als sie die Freiheit - im übrigen ziemlich hochtönend - mit der Tugend verbanden. Ich habe einmal geschrieben, daß sich jeder 'die Freiheit nimmt', die er verdient. Nietzsche hat gesagt, die Größe jedes Menschen bemesse sich danach, wieviel Wahrheit er ertragen kann. Analog dazu muß man sagen, daß sie sich auch danach bemißt, wieviel Freiheit er - ohne die Notwendigkeit glanzvoller Heldentaten, und zwar für alle Seiten - erkämpfen kann. Die Freiheit ist die unerledigte Aufgabe eines jeden Tages. Und sie hat wenig zu tun mit der Zensur, denn sie besteht in einer ethischen Haltung.« Im übrigen vergißt Aranguren nicht, daß in jenen Jahren (1951-1956) auch einige Anstrengungen von Seiten des Staates selbst zugunsten einer echten Erneuerung unseres Geisteslebens unternommen wurden. Er sagt dazu: »'Das spanische Geistesleben hat nicht aufgehört', schreibt Guillermo de Torre. Natürlich nicht! Und nicht nur haben Zensur und Machtapparat ihre Absicht, es auszulöschen, nicht erreicht, wie vielleicht mancher außerhalb Spaniens glauben mag. Ich habe ausführlich über die mehr oder weniger staatlichen Zwangsmaßnahmen geschrieben. Aber fairerweise muß man auch die positiven Bemühungen hervorheben, die ebenfalls vom Staat ausgehen und die darauf abzielen, die Behinderungen des geistigen Lebens abzubauen. Weder kann

72 der Staat es erzeugen, noch sollte er es lenken, aber er kann es stimulieren und fördern. Guillermo de Torre verweist vorsichtig auf den Minister für Nationale Erziehung und den Rektor der Universität von Madrid.2® Bezüglich des ersteren versage ich mir hier jede Bemerkung, damit niemand in Versuchung gerät, diesen Artikel als ein Stück versteckte Propaganda aufzufassen. Und was Pedro Lain betrifft, will ich einfach sagen, daß er nicht nur, wie jeder weiß, eine unserer besten intellektuellen Stützen ist, sondern daß er auch als Rektor der Universität seine unvergleichliche Großzügigkeit, Intelligenz, Noblesse und moralische Standfestigkeit zur Förderung der spanischen Kultur einsetzt. Weitere Namen müßte man zusammen mit ihm nennen, aber auf diesem Gebiet fühle ich mich unwohl und ziehe vor, es zu verlassen.«2? Wie wir sehen, wurden die Dinge im Inland immer komplexer: von Seiten des Machtapparates (Ministerium Ruiz-Giménez) strebte man, wie schon gesagt, eine ernstgemeinte geistige Liberalisierung an.2« Die ersten Jahrgänge, die den Bürgerkrieg nicht miterlebt hatten, kamen in die Universitäten - was zur Krise von 1956 führte -, während gleichzeitig die Zahl der Intellektuellen stieg, die eindeutig nichts mehr mit der offiziellen politischen Ideologie zu tun und daher gegenüber den Exilanten keinerlei »Komplexe« hatten. Dazu gehörten, aus ganz unterschiedlichen Richtungen, u. a. Enrique Tierno Galván, Jaime Vicens Vives und Aranguren selbst, um hier nur einige von denen zu nennen, die für die Zeit vor 1956 auch von Juan Manchal untersucht wurden.2?

Hauptphasen im Denken von E. Tierno Galván. Das »Boletín« von Salamanca. Bei Tierno Galván, dem ersten der genannten Personen (bei dem der Zusammenhang seiner geistig-politischen Entwicklung mit den verbesserten Umständen am deutlich26 Aranguren bezieht sich hier auf die Stelle bei Guillermo de Tone, die in Anm. 27 zitiert wird. 27 José Luis L. Aranguren: La condición de la vida intelectual en la España de hoy, a. a. O., bes. S. 92, 93, 93. Vgl. auch Julián Marias: El problema de la libertad intelectual, in: Insula (Madrid; 15. Feb. 1953). Man vergleiche diese Meinungen mit der verständlicherweise negativen Haltung zahlreicher Exilanten, die über Spanien sprechen, etwa in dem Artikel von Jerónimo Mallo: Sobre la 'libertad intelectual' en la Espafla de hoy, in: Cuadernos del Congreso por la Libertad de la Cultura (Paris) 13 (Juli-Aug. 1955), in dem allerdings auch ausdrücklich die Arbeit von Intellektuellen wie Marias, Aranguren, Lain, Ridruejo u. a. anerkannt und bedeutende Ergebnisse aus dem Austausch zwischen Exil und Inland vorhergesagt werden (S. 88). 28 Guillermo de Torre, ein Exilant, der sich kritisch Uber Ortega geäußert hatte, ohne dabei jedoch seine Verdienste zu vergessen (vgl. weiter oben Kap. 2, Anm. 19), nennt jetzt als Anzeichen für dieses neue Geistesklima im Spanien der Jahre 1951-1956: »Es ist festzustellen, daß bezüglich eben dieses Denkers nicht mehr nur ein einfacher Schriftsteller, sondern die offiziellen Autoritäten selbst durch den Mund des Erziehungsministers und des Rektors der Universität von Madrid indirekt neue Angriffe gegen ihn zurückwiesen und sich den jüngsten Ehrungen anschlössen, die ihm anläßlich seines 70. Geburtstages zuteil wurden«; vgl. Guillermo de Tone (zit. in diesem Kapitel, Anm. 20) S. 113, Anm. 29 Juan Manchal: El nuevo pensamiento político español, Mexiko-Stadt: Ed. Finisteire 1966, S. 17-64. Manchal hat mit begrifflicher Schärfe und feinem politischem Gespür - eine der wenigen nützlichen Arbeiten geschrieben, die Uber dieses Thema vom Exil aus oder im Inland entstanden sind. Neben den genannten Autoren behandelt er auch die menschlich große Persönlichkeit von Manuel Giménez Fernández sowie die ersten Schriften und Aktivitäten von Ignacio Fernández de Castro.

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sten ist), kann man bei der Analyse seines philosophischen und politischen Denkens drei ineinandergreifende Phasen unterscheiden, die den drei »Momenten« entsprechen, die sich in seiner geistigen Entwicklung feststellen lassen: eine erste Phase von 1946 (dem Jahr, in dem er als Assistenzprofessor an der Universität von Madrid zu arbeiten beginnt) bzw. 1948 (dem Jahr der Veröffentlichung seines ersten Buches über La influencia de Tácito en los escritores políticos españoles del Siglo de Oro und gleichzeitig dem Jahr, in dem er den Lehrstuhl für Politisches Recht an der Universität von Murcia erhält) bis 1953 (Zeitpunkt seiner Versetzung an die Universität von Salamanca) bzw. 1954 (Beginn des Erscheinens des Boletín informativo de la cátedra de Derecho político de la Universidad de Salamanca); diese Phase nennt Juan Manchal die »neotacitistische«. Etwa von dieser Zeit bis ungefähr 1962-63 verläuft eine zweite Phase, die vor allem durch die Rezeption und - wohl zum ersten Mal in Spanien - den Gebrauch der neopositivistischen Philosophie und allgemeiner des angelsächsischen analytischen Denkens charakterisiert ist; dies ist Tiernos »funktionalistische« oder neopositivistische Etappe. Damals schon begann er, vom Sozialismus zu sprechen oder genauer vom funktionalistischen, technischen Sozialismus;30 vor allem in den sechziger Jahren setzt dann ziemlich deutlich (d. h. so deutlich, wie es die Umstände gestatteten) seine dritte Phase ein, die eben gerade durch eine stärkere Behauptung und Vertiefung der philosophischen und wissenschaftlichen Annahmen des Sozialismus mit Hilfe einer flexiblen und kritischen Beziehung zum marxistischen Denken geprägt ist.3i In diesem Kapitel will ich nur auf die erste, »neo-tacitistische« Phase eingehen. Die erwähnte Untersuchung über den Einfluß Tacitus' ist, zusammen mit Los supuestos escotistas en la teoría política de Jean Bodin (1951), das Schlüsselwerk für diese erste Etappe Tierno Galváns.32 Den Wendepunkt zur zweiten Etappe sollten dann sei-

30 Die Dissertation eines seiner amerikanischen Schüler, Rafael Garzaro (heute Professor an der Universität von Rio Piedras in Puerto Rico), die in jenen Jahren von Tierno Galván betreut wurde, gab diese geistig-politische Einstellung sehr gut wieder; es fehlte darin auch nicht an den unvermeidlichen versteckten Anspielungen. Die Dissertation (die sehr viel später bei Ed. Tecnos erschien) trug den aussagekräftigen Titel Del socialismo ideológico al socialismo técnico. Zwei andere amerikanische Schüler und enge Mitarbeiter Tiernos an der Universität von Salamanca waren damals Federico Chiriboga und Jacinto Garaicoa. 31 Diese beiden Phasen der Entwicklung von Tierno Galván haben ihre Spuren auch in dem schon erwähnten Boletín von Salamanca hinterlassen, das seit 1954 erschien und - mit einigen verständlichen Unregelmäßigkeiten - bis 1964 herausgegeben wurde (die letzte erschienene Nummer war Nr. 32); die Nummern 26 und 27 (März bzw. August 1962) wurden in Princeton (USA) herausgebracht, während sich Tierno Galván an der dortigen Universität aufhielt. In jenen zehn Lebensjahren (die mit der »funktionalistischen« und der »sozialistischen« Phase Tiernos übereinstimmen) waren die analytische und neopositivistische Philosophie als die vielleicht vorherrschende Linie und die marxistische Philosophie - vor allem durch Übersetzungen einiger interessanter Arbeiten - zum ersten Mal im geistigen Panorama Spaniens nach 1939 vertreten. In all dieser Zeit war Enrique Tierno Galván Leiter und Impulsgeber des Boletín; stellvertretender Leiter war Pablo Lucas Verdú (der damals eine wichtige Arbeit unter dem Titel Estado liberal de Derecho y Estado social de Derecho, Universität von Salamanca 1955, veröffentlichte), Redaktionssekretär war Raúl Morado; von den engsten Mitarbeitern und Förderern sind für die erste Zeit vor allem Fernando Morán, José Luis Fernández de Castillejo und Vicente Cervera, für die spätere Zeit Jorge Enjuto, Emilio Cassinello, Manuel Medina und Angel de Juan zu nennen. 32 Diese beiden Werke der ersten Phase waren gar nicht leicht zu finden; sie wurden zusammen mit anderen, späteren Arbeiten wiederabgedruckt in dem Band Escritos (1950-1960), Madrid: Ed. Tecnos 1971.

74 ne Notas sobre el barroco aus dem Jahr 1955 bilden, dem Jahr, in dem auch sein Buch Sociología y situación erschien, ein schon »funktionalistisches« Werk; auf die zweite Phase werde ich im nächsten Kapitel eingehen, auf die sozialistische Phase Tiernos dann in den Kap. 5 und 6, die eine Analyse des spanischen Denkens in den sechziger Jahren enthalten. Obwohl erst viel später (1964) veröffentlicht, stammen auch die Acotaciones a la historia de la cultura occidental en la Edad Moderna eigentlich aus der »neo-tacitistischen« Epoche. Um die Bedeutung des Etiketts zu erklären, das er zur Bezeichnung dieser ersten Phase des Denkens bei Tiemo gebraucht, schreibt Manchal: »Man denke daran, daß der sogenannte 'Tacitismus' des 16. und 17. Jahrhunderts der europäischen Geschichte zugleich Einsatz und Abschwächung der machiavellistisehen politischen Prinzipien in den katholischen Ländern ist.« Man beachte, daß er von machiavellistischen politischen Prinzipien spricht und nicht von »machiavellischen« in der komplexeren ethisch-poli tischen Bedeutung dieses Ausdrucks; was er damit ausdrücken will, ist vor allem das Vorherrschen empirisch-deskriptiver Elemente. Tierno Galván selbst schreibt dazu grundlegend: »... die westlichen Autoren einschließlich Machiavelli akzeptierten den Machiavellismus nicht als Weltanschauung ... Es ist erstaunlich, daß von dem ganzen Werk Machiavellis nur ein deutlich ironisches Buch, der Principe, machiavellisch ist ... Der Machiavellismus ist von seinem Wesen her revolutionär, der Anti-Machiavellismus anti-revolutionär ... Barock und Aufklärung gehen von der Annahme des auf dem 'göttlichen Recht der Könige' begründeten Beharrens aus, die Lehre Machiavellis dagegen vom Kampf um die Macht und vom Erfolg des Stärkeren bzw. des Geschickteren.«33 Machiavelli behauptet im Principe mit schrecklicher Ironie, daß man tun solle, was tatsächlich ja schon immer getan wurde: Terror, Furcht, Korruption, Gewalt einsetzen. Nur diejenigen wunderten und entsetzten sich, die die Realität nicht kannten oder sie vor den anderen verbergen wollten. Die Ratschläge des Florentiners waren der Wirklichkeit zu ähnlich. So gesehen ermöglichen die Vorschläge Machiavellis nicht nur die Entstehung einer realistischen, wissenschaftlichen, empirisch-deskriptiven Politikwissenschaft, sondern erhalten auch praktisch einen eindeutig kritischen und moralisierenden Charakter. Marichal, der auf diesen Punkt eingeht, betont besonders den aphoristischen Stil, der die tacitistische Literatur auszeichnet. So sagt er: »Die Tacitisten veröffentlichten Aphorismensammlungen: dem Dogmatismus und der Rigidität der 'Summa' setzten sie den Aphorismus entgegen, ein induktives Produkt der historischen Erfahrung und ein Instrument, das Geschmeidigkeit und Beweglichkeit bevorzugt. Man kann sagen, daß die spanischen Tacitisten - und nach einem notorischen Antitacitisten, dem Pater Rapin, war 'Spanier' und 'Tacitist' im Europa jenseits der Pyrenäen fast synonym -

33 Enrique Tierno Galván: Acotaciones a la historia de la cultura occidental en la Edad Moderna, Madrid: Ed. Tecnos 1964, S. 66 f.

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darauf abzielten, das rigide und verwundbare Gerüst der Monarchie Philipps erträglicher zu machen. Die Tacitisten waren überwiegend 'modern' eingestellte Spanier, die (nicht zu Unrecht) fürchteten, daß Spanien durch die empiristische Flexibilität seiner Feinde zu Fall kommen würde.« Im Hinblick auf den aktuellen Bezug dieser historischen Vergangenheit stellt Manchal fest, wie »bei Tierno Galván die Pflege des Neoaphorismus hervorsticht«: angesichts der spanischen Realität jener Jahre und mangels besserer Möglichkeiten mußte man gegenüber den großen (theologischen und politischen) dogmatischen Summas der Zeit »aphoristisch«, »tacitistisch« handeln. Und er schließt in diesem Sinne: »Tierno Galván hat sich wie Vicens Vives und Giménez Fernández 'die Sporen verdient', indem er sich in die Vergangenheit flüchtete: seine Untersuchung des Tacitismus zeigt, wie Tierno Galván im Barock ein in hohem Maße taktisches Instrument fand, das es ihm erlaubte, sein politisches Handeln zu beginnen.«34 Die von Tierno Galván 1955 veröffentlichten XII tesis sobre funcionalismo europeott drückten wohl am deutlichsten den Übergang zur sogenannten »funktionalistischen« Phase aus, in der die gedanklichen Vorstellungen des Neopositivismus vorherrschen und mit der ich mich hauptsächlich im nächsten Kapitel beschäftigen werde. Wie wir sehen werden, leistet Tierno damit eine direkte Kritik an der absolutistischen Überideologisierung und verteidigt gleichzeitig ausdrücklich Technik, Wissenschaft und Effizienz. Es wird also die Grundbedeutung seiner Thesen in Verbindung mit dem Charakter und der allgemeinen Ausrichtung seiner Philosophie zu analysieren sein.

34 Juan Manchal: a. a. O. (Anm. 29) S. 35-37. Man beachte mit Manchal, wie diese »Flucht in die Vergangenheit« anders als andere Interpreten glaubten - nicht immer eine bequeme, einfache Umgehung der aktuellen spanischen Wirklichkeit war. Raúl Morodo hat diesen »kryptischen« Tacitismus Tiemos und anderer Autoren mit den damals herrschenden Umständen erklärt und gerechtfertigt. Er schreibt dazu: »Viele Jahre lang wurde in unserem Land wie in allen Ländern, die sich auf eine nicht-liberale Ideologie gründen - die politische Wirklichkeit 'kryptisch' behandelt Der politische Schriftsteller suchte vor allem den Ausweg in die Geschichte oder barocke Ausfluchten und Formeln in einer Sprache für 'Eingeweihte', um die Gegenwart zu kritisieren. Es entstand eine Kultur, die man treffend 'Winterschlaf-Kultur' genannt hat. Die barocke Mentalität war allgegenwärtig, denn der barocke Stil war aufgrund seiner Mehrdeutigkeit weniger kompromittierend als klare Aussagen, die man unmöglich ausdrucken konnte. Jede Mehrdeutigkeit enthält im Grunde eine defensive Haltung gegenüber der Macht und den Organen, die den Machtapparat verteidigen.« Und weiter heißt es bei Morodo: »Juan Marichal hat in seiner Untersuchung des zeitgenössischen politischen Denkens in Spanien und speziell des politischen Denkens von Tiemo Galván scharfsinnig auf den 'neo-tacitistischen' Charakter des früheren Professors von Salamanca hingewiesen. Tatsächlich muß man, um das demokratische politische Denken jener Jahre zu verstehen, für das Tiemo Galván zweifellos als eine der Hauptfiguren steht, auf die Haltung der Intellektuellen und Politiker eingehen, die vom Barock des 17. Jahrhunderts 'davongetragen' waren. Demokratisches politisches Denken mußte in jener Zeit gleichzeitig auch 'davongetragenes' politisches Denken, und der literarische Ausdruck der 'Entführung' mußte gezwungenermaßen ein kryptischer und barocker Stil sein.« (Raúl Morodo: La politización de la opinión publica. El fin de la criptopoh'tica en España y la polémica sobre la monarquía y la república, in: Ibérica [New York, 15. Okt. 1966] S. 3). 35 Im Boletín (Salamanca, Nov.-Dez. 1955); die Thesen erschienen mit der folgenden Anmerkung: »Wir veröffentlichen hier, aus Anlaß der kürzlich in Salamanca erfolgten Gründung der Vereinigung für die Funktionale Einheit Europas, die folgenden Thesen, die der Präsident der Vereinigung und Direktor des Boletín verfaßt hat«. Die Vereinigung gab auch ein Periodikum mit dem Titel Europa a la vista heraus, dem - wie ich mich zu erinnern meine - die erforderliche Druckerlaubnis entzogen wurde, nachdem nur zwei Nummern erschienen waren.

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Geschichte als Wissenschaft und Kritik am Ideologismus im Werk von J. Vicens Vives Die methodologische Haltung Tierno Galváns auf dem Gebiet der Soziologie wird von Manchal ausdrücklich mit der von Jaime Vicens Vives auf dem Gebiet der Geschichte in Verbindung gebracht. Marichal schreibt dazu: »Vicens Vives stimmte mit Tierno Galván - wobei anzumerken ist, daß es höchstwahrscheinlich keine direkte geistige oder persönliche Verbindung zwischen den beiden Professoren gab - in seiner Ablehnung des Ideologismus überein.« Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, wie schon 1951 anläßlich des Erscheinens des ersten Bandes der von Vicens Vives herausgegebenen Estudios de historia moderna dieser die Notwendigkeit betonte, für historische Untersuchungen auf »die dreiste Flatterhaftigkeit essayistischer Akrobatenstückchen« zu verzichten. Dem hatte Vicens hinzugefügt: »Der Ideologismus [ist] ein Irrtum, dem wir nicht verfallen werden.« 36 Vicens Vives erklärte dazu, wobei er jede aprioristische Einseitigkeit in der historischen Methodologie zu vermeiden suchte: »Wir glauben im Grunde, daß die Geschichte das Leben in all seiner komplexen Diversität ist. Wir fühlen uns daher an kein aprioristisches Vorurteil gebunden, weder hinsichtlich der Methode, noch hinsichtlich der Betrachtungsweise oder der Zielsetzung. Wir verwerfen den Materialismus, weil er einseitig, den Positivismus, weil er schematisch, und den Ideologismus, weil er nichtssagend ist. Wir wollen die lebendige Wirklichkeit der Vergangenheit erfassen, d. h. in erster Linie die Interessen und Leidenschaften des gemeinen Mannes.« Was Vicens schaffen will, ist eine wirkliche Wissenschaft der Geschichte, und er ist in Spanien einer der ersten, der der Statistik die verdiente Bedeutung gibt: »Ohne sie ist der Historiker seines besten Handwerkszeugs beraubt, er kann - wie die Regierung - nicht auf die Zahlen verzichten, die von den statistischen Ämtern zur Verfügung gestellt werden. Wenn es schon für den, der die lebendige Wirklichkeit eines Landes kennt, unerläßlich ist, sich in das Datenmeer der Jahrbücher zu versenken, um zu erfahren, was die Feder der Intellektuellen niemals liefert, d. h. die Möglichkeit, anhand der Zahlen über Bevölkerung, Produktion, Reichtum, Kultur, Gesundheit, Arbeit usw. den Puls der Gesellschaft zu fühlen, wieviel nützlicher muß es dann erst sein, sich diese Zahlen vor Augen zu führen, wenn es um vergangene Gesellschaften geht. Die Geschichtswissenschaft, und ganz besonders die spanische, würde große Fortschritte machen, wenn sie die Statistik der Vergangenheit wieder aufbereiten würde. Wir sind auch schon auf dem besten Wege dahin, aber es gibt viel zu ernten und nur wenige, die diese Arbeit tun können. Der spanische Historiker kann, indem er 36 Juan Marichal: a. a. O. (Anm. 29) S. 44 f. Jaime Vicens Vives, der 1910 geboren wurde, starb schon 1960. Marichal schrieb dazu: »Sein sehr früher Tod war ein schrecklicher Verlust für Katalonien und für die ganze hispanische Gemeinschaft.« Er hatte jedoch die Zeit gehabt, in Barcelona eine wichtige Schule von Historikern zu begründen: Jordi Nadal, Termes Ardevol, Casimiro Martí, Josep Fontana, Albert Balcells u. a. Vgl. dazu den Artikel von Manuel Tuflón de Lara: Problemas actuales de la historiografía española, in: Sistema (Madrid) 1 (Jan. 1973) S. 31-50; sowie u. a. auch Laureano Bonet: Vicens Vives a los diez afios de su muerte, in: Cuadernos para el Diálogo Sondernummer XXII (Okt. 1970) S. 63 f.

77 die eigene Geschichte mit Hilfe dieser neuen Methoden rekonstruiert, seinen Beitrag zur Verfeinerung der Methodologie der Zukunft leisten, über die in den fortschrittlichsten Kreisen des Auslands schon beständig diskutiert wird. Das Problem, das es zu lösen gilt, ist das der Integration - statistikgestützter - demographischer, sozialer, ökonomischer und psychologischer Verfahren in ein Ganzes, das es verdiente, Methode der Humanwissenschaften genannt zu w e r d e n . « 3 7 Kohärenter Ausdruck dieser methodologischen Einstellung von Vicens Vives waren seine präzisen Anmerkungen in bezug auf die damals heftig debattierte, weitreichende Auseinandersetzung zwischen Américo Castro (Realidad histórica de España) und Claudio Sánchez Albornoz (España, un enigma histórico).^ Vicens Vives schreibt dazu: »Das Ausmaß der zwischen den beiden Historikern entbrannten Auseinandersetzung, an der alle teilnehmen, die auf der Halbinsel diese Disziplin betreiben, läßt hoffen, daß sie fruchtbar sein wird. Dies vor allem, wenn man, um zu einem Ergebnis zu kommen, auf vorgefertigte Topoi und Phrasen verzichtet und sich den Grundgegebenheiten der spanischen Geschichte stellt: Menschen, Not und Hunger, Seuchen und Tod, Grundbesitz, Beziehungen von Feudalherr zu Vasall, Verwalter zu Verwaltetem, Arbeitgeber zu Arbeiter, Herrscher zu Untertan, Priester zu Gläubigem, Gemeinde zu Gemeinde, Dorf zu Dorf, Hauptstadt zu Provinz, individueller Produktion zu Nationaleinkommen, Seele zu Gott. Dies sind Faktoren, die sich nicht sehr von denen unterscheiden, die auch die benachbarten Mittelmeerländer erfahren haben, weswegen es äußerst zweifelhaft scheint, ob Spanien wirklich ein historisches Rätsel aufgibt, wie Sánchez Albornoz meint, oder ein sich verzehrendes Leben ist, wie sein Gegenspieler behauptet. Das scheint mir allzuviel unamunianische Angst für eine mediterrane Gemeinschaft mit einem sehr konkreten, beschränkten und 'epochalen' Problem, nämlich dem, seinen dreißig Millionen Einwohnern ein bescheidenes, aber menschenwürdiges Auskommen zu e r m ö g l i c h e n . « 3 9

37 Jaime Vicens Vives: Aproximación a la historia de España, Vorwort zur zweiten Auflage, Barcelona: Ed. VicensVives 1960, S. 16 und 18; die erste Auflage des Buches war 1952 erschienen. Weitere wichtige Werke jener Jahre von Vivens Vives waren eine Reihe über das 15. Jahrhundert in Katalonien sowie u. a. Noticia de Cataluña (1954) und die Apuntes del Curso de Historia Económica de España (1955), die später erweitert wurden zu seinem berühmten, vielbenutzten Manual de historia económica de España (1959). 38 Die erste Auflage des Werkes von Castro erschien 1948, die zweite, erweiterte 1954. Das davon angeregte Buch von Sánchez Albornoz wurde 1953 veröffentlicht; vgl. auch von letzterem: Mi testamento histérico-político, Barcelona: Planeta 1975. Es sei in diesem Abschnitt über geschichtliche Studien auch an einige weitere Werke erinnert, die damals innerhalb oder außerhalb Spaniens erschienen: im Exil etwa Historia de España von A. Ramos Oliveira (1952) und Histoire contemporaine d'Espagne, 1789-1950 von F. G. Bruguera (1953), sowie das wichtige Buch von Vicente Lloréns: Liberales y románticos. Una emigración española en Inglaterra, 1823-1834 (erschienen 1954); außerdem der Aufsatz von Rafael Altamira: Los elementos de la civilización y del carácter espafloles (1956). Im Inland sind u. a. zu nennen: von José Maria Jover: Conciencia obrera y conciencia burguesa en la España contemporánea (1952), von José A. Maravall: El concepto de España en la Edad Media (1954), und von Luis Sánchez Agesta: El pensamiento político del despotismo ilustrado (1953) und Historia del constitucionalismo español (1954). 39 Jaime Vicens Vives: Vorwort, a. a. O. (Anm. 37) S. 22. Vgl. zu dieser Methodologie auch den Artikel von Jordi Gil Alava und Raimon Martínez Fraile: EI peligro del neopositivismo en nuestra historiografía, in: Cuadernos para el Diálogo 120 (Sept. 1973) S. 40 f.

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Vom Existentialismus

zum Neopositivismus fünfziger Jahre

im Spanien der

Man kann sagen, daß sich im Einklang mit diesen Haltungen - die ihrerseits nicht ohne ideologische Differenzen waren -, wie sie hier am Beispiel von Vicens Vives und Tierno Galván dargestellt wurden, im Zeitraum 1951-1956 ein bedeutender Wandel in der allgemeinen Ausrichtung der spanischen und sogar der europäischen Kultur vollzieht. Es ist letztlich der Schritt von einer eher dramatischen und beklemmenden »existentialistischen« Phase, in der humanistisch-philosophische Vorstellungen und ein auf »Zeiten des Mangels« (Nachkriegszeit in Spanien und in Europa) zugeschnittenes ethisches »Pathos« vorherrschen, zu einer mehr opulenten und selbstsicheren »neopositivistischen« Phase eines auf »Zeiten des Wachstums und des Überflusses« zugeschnittenen ethischen »Pathos«, in der es mehr um Effizienz und streng wissenschaftliche Arbeit geht. Durch Vermittlung des schon erwähnten Boletín von Salamanca (Tierno Galván) sowie der von Carlos Paris und Miguel Sánchez Mazas gegründeten Zeitschrift Theoria, die allerdings nur kurzlebig ist, wird in jenen Jahren in Spanien die Wissenschaftsphilosophie eingeführt. Carlos Paris veröffentlichte damals seine Bücher Física y Filosofía (1952), Ciencia, Conocimiento, Ser (1957) und Mundo técnico y existencia auténtica (1959); Miguel Sánchez Mazas, Politiker und Wissenschaftler (der hier bislang mehr in seiner ersten Funktion Erwähnung gefunden hat), ist heute zweifellos einer unserer besten Spezialisten für mathematische Logik und Wissenschaftstheorie (er ist u. a. Autor eines bedeutenden Werkes über den »Normenkalkül«). 40 Der Tod Ortegas im Jahr 1955 läßt sich im Nachhinein vielleicht ebenfalls als Symbol oder Einschnitt dieser Jahre des Wandels betrachten; die Werke mancher seiner Schüler schwanken, wie sich eindeutig zeigen läßt, zwischen zwei Philosophien hin und her, wohl in dem Bemühen, Elemente aus beiden zu vereinigen: zwischen einer »kulturalistischen« (was keineswegs abwertend gemeint ist), ethischen Philosophie mit einem existentialistischen, humanistischen und trotz allem liberalen Hintergrund auf der einen und einer mehr wissenschaftlich-analytischen Philosophie auf der anderen Seite, die aber nicht zuläßt, daß ideologische Postulate ausgeklammert werden (wie dies manchmal beim Neopositivismus der Fall war). Man untersuche in die40 Miguel Sánchez Mazas: El cálculo de las normas, Barcelona: Ariel 1973. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre (worüber noch ausführlicher zu sprechen sein wird) haben sich Untersuchungen zur Wissenschaftsphilosophie, zur Logik und Methodologie in Spanien etabliert und verbreitet. Dies ist vor allem das Verdienst von Übersetzungen, die seit 1960 hauptsächlich in der Reihe »Estructura y Función« beim Verlag Tecnos (unter Leitung von Tiemo Galván) und in der Reihe »Zetein« beim Verlag Ariel (mit Manuel Sacristán als Hauptimpulsgeber) erschienen. An dieser Stelle möchte ich auf den einzigen lapsus hinweisen, den ich bei dem ansonsten stets verläßlichen und peniblen Forscher José-Carlos Mainer habe feststellen müssen, der mir in seinem interessanten und äußerst nützlichen Aufsatz Nota a unas notas in der Zeitschrift Andalón (Zaragoza, 1. Nov. 1973) »vorwirft«, ich hätte im Zusammenhang mit diesen Anfängen der Wissenschaftstheorie in Spanien nicht auf die Arbeit von Manuel Sacristán beim Verlag Ariel in Barcelona hingewiesen; obwohl die Angelegenheit nicht besonders wichtig ist, verweise ich doch - aus Gründen der Objektivität - auf S. 131, Anm. 37 meiner Notas para una historia del pensamiento espafiol actual. Segunda parte: los años cincuenta, in : Sistema (Madrid) 2 (Mai 1973), wo ich ausdrücklich den »Verlag Ariel (mit Manuel Sacristán als Hauptimpulsgeber)« erwähne.

79 ser Hinsicht beispielsweise von Ferrater Mora El hombre en la encrucijada (1952), Cuestiones disputadas (1955) und Lógica matemática (1956), von Julián Marías Ensayos de Teoría (1954), Ensayos de convivencia (1955) und La estructura social. Teoría y método (1955) oder von Eduardo Nicol La vocación humana (1953) und Los principios de la ciencia (1965).41 Dieser ganze geistige und politische Prozeß, der hier nur sehr summarisch beschrieben werden konnte (sowohl die internationale Anerkennung des Regimes als auch seine größere geistige und akademische Offenheit, die Ausweitung der Kontakte zu Europa und den Vereinigten Staaten, die Rezeption eher kritischer, rationaler, wissenschaftlicher Philosophien, der Dialog mit den Exilanten, die zeitliche Entfernung von den Jahren des Bürgerkrieges usw.), all dies begünstigte seit 1950-51 (trotz starker interner Widerstände, die selbstverständlich weiter existierten) eine Annäherung und relative ideologische Homogenisierung der spanischen Gesellschaft - insbesondere ihrer jüngeren Schichten - in Richtung auf die liberal-demokratischen Vorstellungen der westlichen Gesellschaften. Die junge Generation von Intellektuellen und Akademikern, die den Bürgerkrieg nicht mehr erlebt hatten, befand sich 1955-56 in der Tat in einer deutlichen AufbruchStimmung bezüglich der internen Situation Spaniens: Rationalere, wissenschaftlichere Ansätze setzten sich mit der Kritik an der offiziellen Ideologie durch, Forderungen nach mehr Freiheit wurden erhoben, so daß - immerhin - in beschränktem Maße die Möglichkeiten für abweichende politische Meinungen ausgedehnt wurden, die sich vor allem auf die größere Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes konzentrierten - also der Faktoren, die für die verminderte, fast noch inexistente Freiheit mitverantwortlich waren.

Schöne Literatur zwischen 1951 und 1956 Die Fragen der freien Meinungsäußerung und der Beschäftigung mit den sozialen Problemen des Landes sind wohl auch die Hauptmotive, die im Bereich des literarischen Schaffens im Laufe der fünfziger Jahre auf vielfältige Weise und sogar im Ausdruck verschiedener Tendenzen zunehmend zum Tragen kommen. Gerade aus dieser Entwicklung sollte später der sogenannte »soziale Realismus« entspringen (der vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts von Bedeutung war), also eine Literatur, die Armut, Ungleichheit, Diskriminierung aufzeigt, eine im weitesten und ehrbarsten Sinne »engagierte Literatur«, deren Verdienst nicht dadurch geschmälert wird, daß sie auch einige unvermeidbare simplifizierende Darstellungen hervorbringt. Es sei hier an einige Titel (vor allem aus Roman und Dichtung) jener Jahre erinnert, die den Weg für die nachfolgende volle Durchsetzung dieser »sozialen Litera41 Vgl. zu einigen dieser Themen das Buch von Alain Guy: Philosophes espagnoles dhier et d' aujourdhui, Paris: Alcán 1957). Über Ortega, wie man ihn im Inland sah, vgl. für jene Jahre etwa das Buch von José María Hernández Rubio: Sociología y Política en José Ortega y Gasset, Barcelona: Ed. Bosch 1956.

80 tur« bereiten, welche später so leicht und übertrieben geringgeschätzt wurde. Es sind zu nennen: 1951 La Colmena von Camilo José Cela, Industrias y andanzas de Alfanhui von Rafael Sánchez Ferlosio, Redoble de conciencia von Blas de Otero, Nuevos cantos de vida y esperanza von Victoriano Crémer; etwas später, 1953, España, pasión de vida von Eugenio de Nora, Don de la ebriedad von Claudio Rodríguez, Según sentencia del tiempo von Jaime Gil de Biedma und die Antología poética von José Hierro. 1953 war auch das Jahr der Uraufführung von Escuadra hacia la muerte von Alfonso Sastre und des großen Kinoerfolgs von Bardem-Berlanga mit Bienvenido Mr. Marshall. 1954 erscheinen Juegos de manos von Juan Goytisolo, Los bravos von Jesús Fernández Santos, El fitlgor y la sangre von Ignacio Aldecoa, Con la muerte al hombro von José Luis Castillo Puche, Cantos iberos von Gabriel Celaya und A modo de esperanza von José Angel Valente; 1955 Duelo en el paraíso von Juan Goytisolo und eines der Hauptwerke der spanischen Nachkriegsliteratur, El Jarama von Rafael Sánchez Ferlosio.42

Die Universitätskrise

vom Februar 1956

Eine ganze Reihe dieser jungen Schriftsteller, die damals an den einzigen existierenden Kulturzeitschriften mitarbeiteten (von denen viele von offizieller Seite herausgegeben wurden und die häufig falangistisch ausgerichtet waren) und die - zusammen mit anderen jungen Intellektuellen - zu den Jahrgängen gehörten, die entweder vor kurzem erst ihren Abschluß gemacht hatten oder ihn in Kürze machen würden, sollten zu Protagonisten der schon erwähnten Universitätskrise vom Februar 1956 werden. Trotz der ursprünglichen Einstellungen mancher von ihnen und trotz ihrer Mitarbeit an offiziellen Publikationen - die im übrigen Äußerungen und Ansätze im Rahmen eines gewissen, nicht geringzuschätzenden Pluralismus zuließen 43 und zu deren 42 Speziell zu der bedeutenden Dichtung, die in jenen Jahren zu entstehen beginnt, vgl. u. a. die Bücher von Dámaso Alonso: Poetas españoles contemporáneos (1952) und von Vicente Aleixandre: Algunos caracteres de la nueva poesía española (1955) sowie von Vicente Gaos: Antología consultada de la poesía española (1952), für die - nach der angekündigten Konsultierung von Kritikern und Schriftstellern - die Dichter Carlos Bousofto, Gabriel Celaya, Victoriano Crémer, Vicente Gaos, José Hierro, Rafael Morales, Eugenio de Nora, Blas de Otero und José María Valverde ausgewählt werden. Was die Prosa betrifft, erscheinen von der älteren Generation im Exil und im Inland in den Jahren zwischen dem Tod Pedro Salinas' (1951) und dem Pío Barajas (1956) u. a. von Max Aub: Campo abierto (1951), von Ramón J. Senden El verdugo amable (1952), von José María Gironella: Los cipreses creen en Dios (1953), von Vicente Aleixandre: Historia del corazón, usw. 43 Als Beleg für diesen relativen ideologischen Pluralismus vgl. etwa die Sammlung von Aufsätzen, die in jenen Jahren in Zeitschriften wie Haz, 24, Alcalá oder La Hora (mehr oder weniger offizielle Zeitschriften des SEU) erschienen und die später in dem interessanten, von José Miguel Orti Bordás eingeleiteten Buch Con la misma esperanza, Madrid: Sindicato Español Universitario 1963, wiederabgedruckt wurden. In der Einleitung wird hervorgehoben (S. 6), daß »die Publikationen des SEU es niemals schafften, für irgend jemanden oder irgend etwas 'off limits' zu sein. Sie gestalteten sich vielmehr zu wahrhaft öffentlichen Plätzen«, wo »es kein Sektierertum gibt« und wo »ehrliche Verständigung« möglich ist, was echte »Meinungsvielfalt« erlaubt. Es sei hier eine verkürzte Liste der Mitarbeiter abgedruckt: Francisco Alemán Sainz, Manuel Alonso García, Carlos Alonso del Real, Carlos Luis Alvarez, Marcelo Arroita Jáuregui, Carlos Blanco Soler, Miguel Angel Castiella, José Luis Castillo Puche, Francisco Javier Conde, Eugenio D'Ors, Gabriel Elorriaga, Raimundo Fernández Cuesta, Torcuato Fernández Miranda, Manuel Fraga Iribarne, Javier Herrero, Fermín Yzurdiaga, Jorge Jordana, Pedro Laín Entralgo, José M. de Llanos, Gregorio Maraflón, Rodolfo Martín Villa, Ramón Menéndez Pidal, Raúl Morodo, Adolfo Mufioz Alonso, José Miguel Orti Bordás, Ma-

81 Veränderung andererseits jene jungen Autoren beitrugen -, trotz alledem ist es unbestreitbar, daß die politische Einstellung, die bei diesen neuen Universitätsjahrgängen und insbesondere bei jenen jungen Schriftstellern und Intellektuellen vorherrschte, sich mit immer größerer Kohärenz in eine eindeutig liberal-demokratische, ja sogar sozialistische Richtung entwickelte. José-Carlos Mainer hat diese ersten literarischen und geistigen Schritte der »Generation von 56« behandelt und ein treffendes Bild von der Situation gezeichnet. Er schreibt: »Es wäre natürlich übertrieben und nur teilweise richtig, wollte man einer Vereinigung, zu der der Beitritt obligatorisch war, die Wurzeln derer zuschreiben, die nach den fünfziger Jahren eine hervorragende Rolle spielen sollten; trotzdem muß man darauf hinweisen, daß viele von ihnen ihren ersten ideologischen Weg in der Idee eines fortschrittlichen, sogar linksgerichteten Sozialfalangismus fanden und daß ihr erstes Ausdrucksmedium Zeitschriften waren, die in den Jahren 1945 bis 1955 energisch Gedanken und Meinungen verbreiteten, die oft bis an die Grenzen des offiziell Erlaubten gingen: Haz, Alférez (geleitet von Rodrigo Fernández Carvajal), La Hora - mit Jaime Suárez, Miguel Angel Castiella und Marcelo Arroita Jáuregui - und Alcalá waren Zeitschriften des SEU (Sindicato Español Universitario) von Madrid; in Barcelona erschien Laye, an der u. a. José María Castellet, Manuel Sacristán, E. Pinilla de las Heras, Jesús Ruiz und Juan Ferraté mitarbeiteten. Innerhalb dieser Gruppen machten Autoren wie José María Valverde, Alfonso Sastre, Rafael Sánchez Ferlosio, Jesús Fernández Santos, Cineasten wie Juan Antonio Bardem, Maler, Theaterleute und Ökonomen wie Carlos Muñoz Linares, Juan Velarde Fuertes, Enrique Fuentes Quintana u. a. ihre ersten Gehversuche. Wie schon ein erster Blick auf diese Namensliste zeigt, behielten sehr wenige dieser Männer ihre Einstellungen der ersten Stunde bei; die Erinnerung an ihr früher oft naives und vollständiges Engagement beleuchtet jedoch eine Faszination, zu deren Analyse diese Seiten beitragen wollen.« 44

nuel Ortuflo, Carlos Paris, Dionisio Ridruejo, José Luis Rubio, Enrique Ruiz-Garcia, Joaquín Ruiz-Giménez, Luis Sánchez Agesta, Alfredo Sánchez Bella, Miguel Sánchez Mazas, Daniel Sueiro, Juan Velarde Fuertes u. a. 44 José-Carlos Mainer: Historia literaria de una vocación política (1930-1950), a. a. O. S. 64. In einem Kommentar zu diesem Text Mainers bemerkt seinerseits Manuel Cantarero del Castillo in einem interessanten Kapitel über »Influencias y determinaciones culturales en la Falange« in seinem schon zitierten Buch Falange y socialismo, S. 115: »Mainer bezieht sich offenbar auf die Faszination, die die Falange im kulturell engstirnigen und schwierigen Spanien der vierziger und fünfziger Jahre auf die spanische Jugend ausübte, die fortschrittlich sein wollte bzw. linksgerichtet war. Der Aufzählung Mainers wären die Namen von Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern hinzuzufügen, die ihren Weg in den falangistischen Jugendkreisen und -Zeitschriften begannen .... wie Jaime Suárez, Jaime Ferrán, Basilio Martín Patino, Julio Manegat, Manuel Sacristán, Daniel Sueiro, Chuchi, Manuel Alcántara, Ramón Nieto, Máximo San Juan ('Máximo'), Julio Cebrián, Chumy Chumez, Summers, von denen einige beim Falangismus blieben, andere aber nicht, weil sie, obwohl sie in falangistischen Zeitschriften und Kreisen tätig waren, niemals Falangisten waren oder zu sein behaupteten, und wieder andere zu politisch linken und sogar extrem linken Kreisen übergingen.« Mit alledem hat Cantarero del Castillo sicher Recht. Nicht weniger richtig ist aber andernfalls wäre die direkte, unmittelbare Auseinandersetzung vieler dieser Schriftsteller und Studenten mit dem SEU nicht zu verstehen -, daß die Führer dieser falangistischen Jugendkulturkreise »zu gegebener Zeit« eindeutig von den sehr viel weniger auf Öffnung und Pluralismus ausgerichteten Weisungen der »orthodoxen« offiziellen Falange jener Zeit abhingen und sich ihnen unterordneten. Dies sollte ganz klar ersichtlich werden hei der Universitätskrise vom Februar 1956. Diese Klarheit verlangte dann von den jungen Akademikern und Intellektuellen den Bruch und die Auseinandersetzung mit dem untertänigen, instrumentalisierten SEU.

82 Die Universitätskrise von 1956 (der erste offene Zusammenstoß eines Teils der Bourgeoisie und der jungen Intellektuellen mit dem Regime) wurde also gerade in diesem notwendigerweise widersprüchlichen Kontext der falangistischen Studentenvereinigung angezettelt. Viele dieser jungen Studenten und Schriftsteller gingen aus der Krise mit einem schweren Verlust des Glaubens an die Veränderungsmöglichkeiten des Systems hervor. Federico Sopeña, der sie aus der Nähe miterlebte, hat die Krise und ihre Auswirkungen auf den Machtapparat knapp, aber drastisch geschildert: »Im Februar 1956 mündet der gutgemeinte Versuch der Liberalisierung und Öffnung, der von Ruiz-Giménez und seiner Gruppe betrieben worden war, in einen Ausbruch von Gewalt, eine Krise mit Straßenkämpfen, Studentenaufstand, schrecklicher verbaler Gewalt in bestimmten Presseorganen.«^ Um das damalige Spanien zu verstehen, ist es wichtig, über diese Vorgänge nachzudenken und die Ziele, Vorhaben, Erfolge und auch Mißerfolge jenes beispielhaften Versuchs der Öffnung und Liberalisierung der Universitäten kritisch zu analysieren. Es sei hier der Bericht von Ramón Tamames, einem der Protagonisten (zusammen mit Dionisio Ridruejo, Miguel Sánchez Mazas, Javier Pradera u. a.) der Ereignisse vom Februar 1956, in Erinnerung gerufen. Er geht zunächst auf »die Unruhe in Arbeiterkreisen« ein, die sich in jenen Jahren ebenfalls zu äußern begann, und schreibt dann: »Auf der anderen Seite wurde in den Bildungsstätten, den Universitäten, in die inzwischen Jahrgänge eingetreten waren, die bestenfalls eine sehr vage direkte Erinnerung an den Bürgerkrieg hatten, der Kontrast zwischen der geistigen Wirklichkeit Spaniens und ausländischen Denkströmungen immer stärker. Dank der Reiseerleichterungen wurde das Fremde immer besser bekannt. Andererseits war der Beitritt Spaniens zur UNO am 15. Dezember 1955 in gewisser Weise ein echter Schlag. Eine in jenen Monaten durchgeführte Befragung machte den tiefen Wandel hin zum Liberalismus und zum Sozialismus deutlich, der sich bei denen unter 23 Jahren am vollziehen war. Die Auswirkung dieser 'Entdeckung' war sogar in der üblichen Weihnachtsansprache spürbar, in der sich Franco ausführlich über den gefährlichen Zustand beklagte, in dem sich die spanische Jugend befand. Der neue 'Virus' hatte sich ausgebreitet; die Universität nach 1956 war keine vom SEU kontrollierte Institution mehr. Der Geist der nationalen Versöhnung, der ihr so ängstlich eingeblasen worden war, begann Früchte zu tragen. Die Studenten von Madrid und Barcelona waren entschlossen, die alte Struktur der nationalen Führer und der Delegierten des SEU zu erschüttern.« »Angesichts dieser Lage«, so Tamames weiter, »entstand im Januar 1956 in Madrid eine Bewegung zugunsten eines freien Studentenkongresses. Der Gedanke wurde bei einer Reihe von Intellektuellen begeistert aufgenommen, die sich in dem wenige 45 Federico Sopefla: Defensa de una generación, a. a. O. S. 119 f. Neben anderer Literatur zum spanischen Universitälswesen, die zum Teil schon zitiert wurde und zum Teil noch zitiert werden wird, vgl. zu diesem Thema das Buch von David Jato: La rebelión de ¡os estudiantes (Apuntes para una historia del alegre SEU), 1. Aufl. 1953, Neuauflage 1967.

83 Monate zuvor vom Erziehungsministerium zu Experimentierzwecken eingerichteten Kreis 'Tiempo Nuevo' zusammengeschlossen hatten. Dionisio Ridruejo fungierte in diesem Verein als so etwas wie ein Verbindungsmann zwischen den besten Teilen der älteren falangistischen Generationen und den neuen Universitätsjahrgängen. Wegen der Petition gab es eine heftige Reaktion von Seiten der beiden Gruppen, die sich damals auf weniger riskante Weise die Kontrolle der Universitäten streitig machten, nämlich einerseits die Falangisten und andererseits die Mitglieder des Opus Dei. Zwischen dem 1. und dem 10. Februar 1956 erlebten die Madrider Universitätsfakultäten Studentendemonstrationen und -Versammlungen, gewalttätige Auseinandersetzungen, Übergriffe usw.; dies erreichte seinen Höhepunkt am 10. Februar anläßlich der Festivitäten zur Begehung des Tages des 'gefallenen Studenten'. Eine Demonstration, die drohte, die von den Veranstaltern gesetzten Grenzen zu sprengen, mußte von der öffentlichen Gewalt eingedämmt werden, und im Laufe der Auseinandersetzungen wurde Miguel Alvarez, ein junger Falangist, durch einen Kopfschuß schwer verletzt. Der Täter wurde niemals offiziell bekannt. Der zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengekommene Ministerrat beschloß an diesem Tag extreme Maßnahmen. Er setzte für drei Monate die Artikel 14 (Freizügigkeit), 15 (Notwendigkeit eines richterlichen Befehls für Haussuchungen) und 18 (maximal 72 Stunden Haft ohne Anklage) des Fuero de los Españoles außer Kraft (Boletín Oficial del Estado vom 11. Februar) und veranlaßte, daß noch in der gleichen Nacht sieben Personen in Regierungshaft genommen wurden.« (Wie Tamames in einer Fußnote mitteilt, waren diese sieben Personen: Dionisio Ridruejo, Miguel Sánchez Mazas, José M. Ruiz Gallardón, Gabriel Elorriaga, Enrique Múgica, Javier Pradera und Ramón Tamames selbst.) Weiter heißt es: »Es war das erste Mal seit seiner Verkündung - 1945 -, daß der Fuero de los Españoles außer Kraft gesetzt wurde. Diese Vorgehensweise entsprach dem kurz zuvor erfolgten Beitritt Spaniens zur UNO sowie der Tatsache, daß die Verhafteten allesamt Personen bürgerlicher Herkunft waren, aus wohlhabenden Kreisen, die in einigen Fällen sogar einflußreichen Männern des Regimes persönlich oder aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit bekannt waren.« »Die Krise wurde«, so abschließend Tamames, »nicht nur mit der Erklärung des Ausnahmezustands, sondern zusätzlich mit einer kleinen Regierungsumbildung vorläufig beigelegt. Unverzüglich, noch im Februar 1956, wurden die beiden für die Studenten 'verantwortlichen' Minister abgesetzt: Raimundo Fernández Cuesta, der für den SEU, und Joaquín Ruiz-Giménez, der für das Universitätswesen verantwortlich war. Der erste wurde durch José Luis Arrese, der zweite durch Jesús Rubio, einen Professor, ersetzt.«4^ Tatsächlich ging 1956 eine Epoche zu Ende: Die Universitäten hatten inzwischen eine gewisse Reife und kritische Unabhängigkeit erlangt, und das System erwies sich als unfähig, jene Entwicklung zur Öffnung und Liberalisierung zu kontrollieren und 46 Ramón Tamames: La República. La Era de Franco, Madrid: Alianza Editorial und Alfaguara 1973, S. 508 und 509.

84 zu steuern, die sich dann enttäuscht zu einer klaren und deutlichen Opposition demokratisch-sozialistischer Ausrichtung wandeln sollte, die gelegentlich sogar bis zu radikaleren Ansätzen reichte. Man kann sagen, daß sich von nun an wirklich eine geistige und politische Oppositonshaltung - die später auch zu einer tieferen Spaltung führte herauszubilden begann, sowohl bei Männern aus dem System selbst als auch vor allem bei den in ihm erzogenen jungen Leuten. José Luis Aranguren, der in jenen Jahren gerade einen Lehrstuhl an der Universität von Madrid erhalten hatte, hat im Anschluß an die lobende Darstellung des von RuizGiménez unternommenen Weges der Liberalisierung4'? eine der (damals vielleicht unvermeidbaren) Ursachen für die Krise von 1956 erläutert. Er schreibt: »Man war damals mehr denn je an die Grenzen dessen gestoßen, was auf diesem Wege zu erreichen war. Für einen glücklichen Ausgang der gutgemeinten, aber eklektischen, unentschlossenen und letztlich schwachen (liberalen) Kulturpolitik, deren Schwäche sich aus der politischen Situation und aus ihren eigenen Möglichkeiten, unabhängig von der Energie oder dem Energiemangel der Befürworter der Liberalisierung, ergab, hätte diese in den festen Rahmen einer völlig anderen allgemeinen Politik eingebettet sein müssen, anstatt schwankend und isoliert dazustehen. Der Tod Ortega y Gassets und das Ende des Jahres 1955 markierten den ehrenvollen Abschluß einer kurzen Etappe. Auf die ministerielle Begeisterung für unseren großen Denker Ortega folgte der allmähliche Verlust seines Ansehens bei der jungen Generation. Die Ereignisse an den Universitäten vom Februar 1956 zeigten den inneren Widerspruch, die Ausweglosigkeit des 'liberalen Falangismus' und die Notwendigkeit einer radikal neuen Option. Wohin konnte die 'liberale' Anerkennung kultureller Differenzen - 'kultureller Probleme' -, wie sie ohne jeden Widerhall auf der politisch-praktischen Ebene festgestellt wurden, führen, wenn nicht zu intellektualistischem Byzantinismus?«, fragt sich Aranguren, der damit den Widerspruch bis zu den Anfängen der Zeitschrift Escoriai zurückverfolgt. »Wozu sollte die Freiheit des Denkens gut sein, wenn es keine Möglichkeit gab, sie in die Tat umzusetzen? Die Begriffe 'Falangismus' und 'Liberalismus', in der reinen Ausübung kultureller Verständigung scheinbar miteinander vereinbar, waren tatsächlich unvereinbar, und ein echter Liberalisierungsprozeß mußte sich mit dieser Unvereinbarkeit auseinandersetzen. Das Regime zog es vor, sich der Herausforderung nicht zu stellen, die notwendige Entscheidung zu umgehen und sich dann die kombinierte Formel von Pseudoliberalisierung und Technokratie zu eigen zu machen.«4«

47 Man erinnere sich an die Textstellen von Aranguren, mit denen in diesem Kapitel die Darstellung der Periode 19511956 eingeleitet wurde; vgl. weiter oben Anm. 2. 48 José Luis L. Aranguren: Pedro Laín, español, in: Asclepio. Archivo iberoamericano de historia de la medicina y antropología médica (Madrid: CSIC 1966-67), Sondernummer zu Ehren von Laín Entralgo »anläßlich seiner Silberhochzeit mit der Lehre« (1942-1967), S. 17. Dieser Text Arangurens ist praktisch unverändert wiederabgedruckt in seinen Memorias y esperanzas españolas, a. a. O. S. 96.

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4. 1956-1962: Reste des traditionellen Fundamentalismus. Aufkommen der technokratischen Ideologie der wirtschaftlichen Entwicklung und wissenschaftliche Kritik am ideologischen Absolutismus.

Das Ende der Autarkie: Ökonomisch-technokratische politisch-demokratische Antworten

und

In den Jahren nach 1956 wurde - infolge der im Februar jenes Jahres ausgebrochenen Krise - von Seiten der Macht die unbequeme geistige Liberalisierung entschlossen abgebrochen und quasi durch die wirtschaftliche Liberalisierung ersetzt. Im Hintergrund blieb dabei nach wie vor als Tabuthema das Problem der »entsprechenden« politischen Liberalisierung, die von den genannten parapolitischen Liberalisierungen auf geistigem und ökonomischem Gebiet zwar nicht bestimmt, aber doch mitbedingt wird.1 Es könnte demnach jemand ironisch sagen, daß auf den »Idealismus« der Männer von 1951-56 (Veränderung der Realität durch Ideen, durch die Ethik, durch geistige Einstellungen) der »Materialismus« von 1956-62 folgte (mit einer stärkeren Betonung des - immer relativen und partiellen - Wandels vornehmlich der wirtschaftlichen Bedingungen). Diese ökonomische Liberalisierung bedeutete das Ende der Autarkie und, nach einer ersten Phase der Stabilisierung, ein »Take-off« der ökonomisch-technokratischen Entwicklung (oder nur des Wachstums?) und damit auch eine gewisse Tendenz zur Entideologisierung - von ambivalenter Bedeutung -, die weitgehend bis heute zu konstatieren ist.2

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Für Spanien vor diesen Jahren vgl. neben anderen, schon zitierten Büchern von Clyde L. Clark: The Evolution of the Franco Regime, 3 Bde., 1956, von mehr dokumentarischem Charakter, oder die mehr essayistischen von Herbert Matthews: The Yoke and the Arrows: A Repon on Spain, sowie von Richard Wright Pagan Spain, beide 1957.

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In dieser Periode von 1956-1962, in der kaum eine politische Entwicklung stattfand, wurde das sechste der spanischen Grundgesetze erlassen, das »Gesetz über die Prinzipien der Nationalen Bewegung« (Ley de Principios del Movimiento Nacional) von 1958. In der gleichen Periode, im Jahr 1959, wird in der Wirtschaft mit der Umsetzung des Stabilisierungsplans (Plan de Estabilización) begonnen, der den Weg bereitet für den I. Entwicklungsplan (1964-1967); der II. Entwicklungsplan bezieht sich auf die Jahre 1968-1971, und 1972 tritt dann der III. Entwicklungsplan in Kraft. Zu Spanien vor dieser wirtschaftlichen Liberalisierung (vierziger und fünfziger Jahre) vgl. die hervorragende Untersuchung von Joan Clavera, Joan M. Esteban, M. Antonia Mones, Antoni Montserrat und J. Ros Hombravella: Capitalismo español: de la autarquía a ¡a estabilización (1939-1959), 2 Bde., Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1973. Für die darauffolgende Phase vgl. beim gleichen Verlag (1978) von Juan Mufloz, Santiago Roldán und Angel Serrano: La internacionalización del capital en España, 1959-1977.

86 Neben diesen Auswirkungen und offiziellen Reaktionen auf die Krise von 1956 entstand außerdem (begleitet auch von den entideologisierenden Tendenzen der technokratischen Entwicklungskonzeption) eine deutliche Oppositionshaltung und geistig-politische Kritik, die schon ausdrücklich demokratisch ausgerichtet war. Man kann und muß sagen, daß diese Haltung nicht utopisch auf einen vollständigen Bruch mit der gegebenen Situation abzielte; man wollte um keinen Preis eine gewaltsame Revolution mit einem neuen Bürgerkrieg. Die Geschichte, vor allem die jüngste Geschichte, wirft unausweichlich ihren Schatten auf die Gegenwart; was man beabsichtigte und vorantrieb, war die Annahme der historischen Tatsachen, um sie zu überwinden, sie unwiederholbar zu machen. Wie Miguel Sánchez Mazas bemerkte, ging es um »die Entschlossenheit der neuen Generationen, den Bürgerkrieg zu überwinden, die Wahrheit der sozialen Funktionen wiederherzustellen, alle sozialen Klassen an der Führung des Landes zu beteiligen, Spanien zu einer industriellen Demokratie zu machen, unser Land in ein fortschrittliches Europa zu integrieren ...« Und es ging darum, so schreibt Sánchez Mazas an anderer Stelle, »die wachsenden Forderungen des Volkes nach Freiheit, nach Bürgerrechten, nach dem unverzüglichen Übergang zu einem Rechtsstaat [aufzunehmen], der auf dem Volkswillen beruht und daher zu der großen wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und moralischen Transformation in der Lage ist, die das Land braucht.«3 Dies waren offenbar Wünsche, die im wesentlichen noch immer Geltung haben: Ziele, die zweifellos heute viel breitere Zustimmung und Unterstützung finden als damals, und die unbestreitbar in all diesen Jahren nie aus den Augen verloren wurden.

Die neue spanische Lyrik und der soziale Realismus im Roman der fünfziger Jahre In diesem Sinne war für viele Spanier, die während all jener Jahre allmählich die Notwendigkeit der Überwindung des sozialen und geistigen Kontextes des Krieges und der Nachkriegszeit verstehen gelernt hatten, der Titel eines Werkes von Blas de Otero (1955), in dem dieser auf seine ganz persönliche, poetische Weise viele der genannten Wünsche einklagte, nämlich »Ich verlange Frieden und das Wort« (Pido la paz y la palabra), ein symbolischer Ausdruck, mit dem die sogenannte »Zeit des Schweigens« endgültig vorbei sein sollte. Es ist dies eine Haltung, die - neben anderen Äußerungen - in der jungen spanischen Lyrik großen Nachhall fand. 3

Miguel Sánchez Mazas: La actual crisis española y las nuevas generaciones, in: Cuadernos del Congreso por la Libertad de la Cultura (Paris) 26 (Sept.-Okt. 1957) S. 21, b z w . ders.: Las fuerzas de la libertad, ebd. 31 (Juli-August 1958) S. 31. Es handelte sich, wie man sieht, um eine (keineswegs maximalistisch-katastrophistische) europäische, demokratische und sozialistische Vorstellung, die viele Mitglieder der jungen Generation teilten, darunter neben Miguel Sánchez Mazas etwa Luis Martín Santos, Vicente Girbau, Joan Raventós u. a. Ich betone diesen Zug ihrer politischen Ideologie als Gegengewicht zu der voreingenommenen, radikal-extremistischen Darstellung, die in der (in englischer Sprache veröffentlichten) offiziellen spanischen Schrift What is happening in Spain? The problem of spanish socialism, Madrid 1959 - einer Verteidigungsschrift gegen den Protest der britischen Regierung anläßlich der damaligen Verhaftung der genannten und anderer spanischer Sozialisten - davon gegeben wurde.

87 Aurora de Albornoz hat im Zusammenhang damit auf den erheblichen Wandel hingewiesen, der sich damals bei vielen Kritikern im Exil (hinsichtlich ihrer Beurteilung der Dichtung des Inlands) abzeichnete, und dabei u. a. Blas de Otero, Gabriel Celaya, José Hierro, Eugenio de Nora und Angela Figuera Aymerich genannt. 4 Es heißt bei ihr: »Die von den jungen Dichtern der Nachkriegszeit geschriebene Lyrik, die in den fünfziger Jahren in Spanien entstand, ließ manche Kritiker und Dichter ihre Meinung ändern, die geglaubt hatten, die Exilanten hätten 'das Wort' mit ins Exil genommen.« Wie Aurora de Albornoz bemerkt, stellte sogar León Felipe (der Mann, der bei seinem Fortgang aus Spanien zu Beginn seines nie endenwollenden Exodus festgestellt hatte: »Mein ist die alte Stimme der Erde. Du behältst alles für dich und läßt mich nackt durch die Welt irren ...; ich aber lasse dich stumm zurück ..., stumm! ... Wie aber willst du den Weizen ernten, wie das Feuer anfachen, wenn ich den Gesang mit mir fortnehme?«) im Jahre 1958 tief bewegt richtig: »Wir haben den Gesang nicht mit uns fortgenommen ...«5 Auch das Exil hatte seinen Gesang und sein Wort; beispielsweise das von Luis Cemuda mit La realidad y el deseo (1956) oder von Jorge Guillén mit Clamor, Maremágnum (1957). Es gab sogar internationale Anerkennung: Juan Ramón Jiménez, der 1958 starb, erhielt 1956 den Nobelpreis für Literatur. Damals betrachteten immer größere Teile des spanischen Inlands Juan Ramón - und weitgehend auch die anderen Intellektuellen und Nicht-Intellektuellen des Exils - nicht mehr als Anti-Spanien, sondern als etwas Eigenes, als Spanier mit der gleichen Legitimität und dem gleichen »Recht« wie die, die in Spanien lebten und schrieben. Zweifellos trug der Nobelpreis zur Stärkung der Idee einer friedlichen Annäherung von Exil und Inland bei. Die junge spanische Literatur wiederum wurde in jenen Jahren zunehmend engagierter, ebenso oder gar stärker engagiert (wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten) als die des Exils. Wie wir gesehen haben, begann zu dieser Zeit in Spanien die große Blüte des sogenannten »sozialen« oder realistischen Romans, der noch immer einer objektiven, historisch ausgewogenen Bewertung harrt.6 Für diese im übri4

Als Ausdruck dieser neuen spanischen Lyrik kann man hier neben den schon zitierten Werken an Cuanto sé de mí von José Hierro oder Belleza cruel von Angela Figuera Aymerich (beide 1958) denken. Außerdem etwa an Metropolitano (1957) von Carlos Barrai (einem Mann, der außer wegen seines eigenen literarischen Schaffens für die spanische Kultur all dieser Jahre vor allem auch wegen seiner Arbeit als Förderer und Herausgeber wichtig ist) »der auch an Compañeros de viaje von Jaime Gil de Biedma (1959). Vgl. dazu von José Luis Cano: Antología de la nueva poesía española, Madrid: Ed. Gredos 1958.

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León Felipe fügt sogar, aus dem Exil sprechend, hinzu: »Niemand auf dieser Seite hat das richtige, aufrüttelnde Wort ausgesprochen. Man muß es gestehen: Aus so viel vergossenem Blut, aus so viel Umhcrwandcm, aus so viel Tränen und aus so viel Ungerechtigkeit... ist kein Dichter hervorgegangen ... Und jetzt sind wir hier, auf der anderen Seite des Ozeans, wir, die Spanier des Exodus und des Windes, erstaunt und verblüfft, und hören euch singen: voller Hoffnung, voller Wut, ohne Ängste«, z i t nach Aurora de Albornoz, a. a. O. S. 44.

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Vgl. aus der sehr umfangreichen Literatur zu diesem Thema Pablo Gil Casado: La novela social española (19421968), Barcelona: Seix-Barral 1968, und José Corrales Egea: La novela española actual, Madrid: Edicusa 1971. Die Auseinandersetzung um den spanischen Sozialrealismus der fünfziger Jahre scheint mir gut dargestellt u. a. in den Büchern von Femando Morán: Novela y semidesarrollo sowie vor allem Explicación de una limitación: la novela realista de los años cincuenta en España, beide Madrid: Ed. Taurus 1971. Vgl. außerdem zu der Auseinandersetzung zwischen den mit den »Spitznamen« »Krautgeneraüon« und »Sandelholzgencralion« belegten Gruppen von

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gen keineswegs uniforme oder gleichmäßig politisierte Richtung lassen sich nennen: 1957 Carmen Martin Gaite mit Entre visillos, 1958 Jesús López Pacheco mit Central eléctrica und Ana María Matute mit Los hijos muertos, 1959 Antonio Ferres mit La piqueta, Juan García Hortelano mit Nuevas amistades oder - von ganz anderer Struktur - Gonzalo Torrente Ballester mit El Señor llega, 1960 Armando López Salinas mit La mina, 1961 Alfonso Grosso mit La zanja (im gleichen Jahr erscheint auch - allerdings in einem anderen Kontext - Gironellas Un millón de muertos). 1962 ist schon das Jahr des Übergangs zur Krise des sozialen Realismus: Es erscheint La camisa von Lauro Olmo, aber auch Tiempo de silencio von Luis Martín Santos.7

Die Auseinandersetzung

um Ortega: Philosophie und Religion

Zusammen mit diesen neuen politischen und literarischen Positionen der jungen Generation gab es auch in der Philosophie (und in den Sozialwissenschaften) eine Ablösung von dem, was in der offiziellen akademischen Philosophie festgeschrieben war, die sich noch immer - mit nur ganz leichten Veränderungen - auf die allertraditionellste Scholastik stützte und die (besonders bei der Besetzungspolitik der Lehrstühle) die streng theologisch-philosophische Orthodoxie bis zum äußersten verteidigte gegenüber jeglichem für heterodox gehaltenen Denken, einschließlich seiner renommierteren und gemäßigteren Formen. Dies ist beispielsweise die Bedeutung, die einer intellektuellen Auseinandersetzung zugrundelag, welche im Spanien jener Jahre große Aufmerksamkeit erregte und größtes philosophisches Engagement bewirkte: Ich meine die Polemik, die durch das Buch des Dominikaners Santiago Ramírez La filosofía de Ortega y Gasset ausgelöst wurde, das 1958 - drei Jahre nach Ortegas Tod - erschien. Im damaligen spanischen Umfeld implizierte die »politische« Absicht des Buches - nämlich der gnadenlose Nachweis der religiösen Heterodoxie oder gar der Nichtreligiosität bzw. des Agnostizismus Ortegas - auch und vor allem die (in der Form abgeschwächte) Stigmatisierung seiner katholischen Schüler, was gleichzeitig eine Warnung vor den Gefahren bedeutete, die die Lektüre seiner Werke für die spanischen Studenten mit sich bringen könnte, und dies gerade in dem Augenblick, in dem sich diese Studenten aus ganz anderen Gründen sowieso von Ortega abzuwenden begannen. An dieser Stelle ist anzumerken, daß der Autor des Buches sich nicht darauf beschränkte, sein Urteil über die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von Ortegas Denken mit den Lehren der katholischen Kirche darzulegen (ein völlig legitimes und vertretbares Vorgehen, sofern es im Bemühen um Objektivität und intellektuelle Klarheit Alfonso Sastre: La revolución y la crítica de la cultura, Barcelona: Grijalbo 1970, S. 148 f., mit einer Kritik am »Dreigespann J. M. Castellet - C. Barrai - J. Goytisolo«. Vgl. auch das Buch von J. M. Martínez Cachero: La novela española entre 1939 y 1969. Historia de una aventura, Madrid: Ed. Castalia 1973. 7

Für einen Überblick über die Literatur jener Jahre ist die 1956 von Camilo José Cela gegründete Zeitschrift Papeles de Son Armadans (neben anderen schon zitierten Zeitschriften, vor allem Insula) unverzichtbar. Zu Themen der Literatur und des Denkens ist für jene Zeit auch die kurzlebige Zeitschrift Aldebarán zu konsultieren, für die u. a. (wie ich von José Luis Abellán erfuhr) J. R. Marra López und J. Muguerza schrieben.

89 unter Einnahme einer Haltung erfolgt, die echter Toleranz zuträglich ist), sondern daß er Ortega bewußt verurteilte, ohne sich zu bemühen, die negativen sozialen und politischen Folgen zu verhindern, die eine solche Erklärung religiöser Heterodoxie nach sich ziehen mußte. Einmal mehr wurden Religion und Theologie also als Waffen und Instrumente der sozialen, geistigen und politischen Diskriminierung eingesetzt; denn das ist es, was eine solche Qualifizierung »religiöser Heterodoxie oder Gleichgültigkeit« in unserem Lande seit jeher nach sich zog, und auch in diesem speziellen Fall lief es genau darauf hinaus.8 Das Buch von Pater Ramírez erhielt allerdings eine angemessene Antwort von Seiten der erwähnten katholischen Schüler Ortegas: Vor allem Pedro Laín, Julián Marías und José Luis Aranguren übernahmen es, sowohl die genannte soziale und politische Bedeutung, die hic et nunc mit dem theologischen Plädoyer des Pater Ramírez untrennbar verbunden war, als auch in erster Linie die Vereinfachung, Entstellung und Fehlinterpretation deutlich zu machen, die dieser bei der Darstellung und Verurteilung des Denkens Ortegas beging. Aranguren stellte als Schlußfolgerung seiner Kritik an Pater Ramírez ausdrücklich fest: »Was wir Spanier unter anderem am meisten nötig haben, ist die Gewöhnung daran, erst zu verstehen, bevor wir urteilen.«?

Liberale Entwicklung der spanischen Intellektuellen und Reaktion des traditionellen Fundamentalismus In der Tat war es eine der Hauptaufgaben, die in jenen Jahren von dieser »Gruppe« von Intellektuellen (die damals in Universitätskreisen weitgestreuten, anerkannten

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Die Philosophie Ortegas wurde, wie schon erwähnt, in jenen Jahren bei großen Teilen der spanischen Gesellschaft schon akzeptiert. Ich erinnere mich zum Beispiel (und ich sage dies natürlich zu seinen Gunsten) an die ihm von einem großen Teil der Tagespresse des Landes - voller Respekt und Anerkennung - gewidmeten Sondernummern in den Tagen nach seinem Tode im Oktober 1955. Man tolerierte die »Heterodoxie« Ortegas und auch Unamunos, trotz der mehr oder weniger spontanen Verurteilungen, die von Zeit zu Zeit noch immer geäußert wurden. Man denke diesbezüglich nur an den berühmten Hirtenbrief des Bischofs Pildain: Don Miguel de Unamuno, hereje máximo y maestro de herejías, der 1953 geschrieben und als Gegendarstellung gleichzeitig mit der offiziellen Festschrift publiziert wurde, die die Universität von Salamanca im Rahmen ihrer Siebenhundertjahrfeier dem ehemaligen Rektor widmen wollte. Ortega und Unamuno wurden damals schon geduldet; nicht dagegen (und zwar bis weit in die siebziger Jahre hinein) die Autoren und Denker, die dem Krausismus und der Institución Libre de Enseñanza nahestanden und über die damals gerade zwei wichtige Bücher von Exilanten erschienen, nämlich von Juan López Morillas: El krausismo español, und von Lorenzo Luzurriaga: La Institución Libre de Enseñanza, beide 1956.

9

José Luis L. Aranguren: La ética de Ortega, Madrid: Taurus 1958, S. 10; Pedro Laín Entralgo: Los católicos y Ortega, in: Cuadernos Hispanoamericanos 101 (Mai 1958). Auf diese beiden Publikationen (und auf die in Religión y Cultura 10 [April 1958] erschienene Besprechung) antwortete Ramírez noch im gleichen Jahr mit einem zweiten Buch: ¿Un orteguismo católico? Diálogo amistoso con tres epígonos de Ortega: españoles, intelectuales y católicos. Julián Marías' Antwort trug den Titel: El lugar del peligro. Una cuestión disputada en torno a Ortega, Madrid: Taurus 1958, worauf der hartnäckige Dominikaner mit einem dritten Buch antwortete: La zona de seguridad. 'Rencontre' con el último epígono de Ortega, Salamanca: Convento de San Esteban 1959. Vgl. dazu den interessanten Aufsatz des französischen Priesters Pierre Jobit: La filosofía de Ortega y Gasset, kritische Rezension des Buches von Pater Ramírez und - wie es dort heißt - seiner »inquisitorischen Schlüsse«, erschienen im Bulletin Hispanique LXI (1959) S. 290-293, wo Jobit auf die philosophische Haltung Ortegas eingeht und schreibt: »Ich sehe hier nichts Häretisches und noch viel weniger etwas, das in den Ruch des Atheismus kommen könnte. Diesen fruchtbaren Dialog zwischen dem Theologen und dem Philosophen kann nur der Fundamentalismus ablehnen. Findet man aber nicht gerade dort Häresie? Wir weigern uns zu glauben, daß Pater Ramírez ihr Vorschub leisten möchte« (S. 293).

90 Einfluß besaß) übernommen wurden, der jungen Generation das Verständnis für und die kritische Auseinandersetzung mit den wichtigsten Denkströmungen der Gegenwart beizubringen. Zwei grundlegende Werke ragen in dieser Hinsicht hervor: La espera y la esperanza von Laín Entralgo (1957) und die Etica von Aranguren (1958), beide erschienen im Verlag der Revista de Occidente. Das erste, eine »Geschichte und Theorie des menschlichen Hoffens«, ist vor allem eine Reflexion - auf diesem für das Menschliche so aktuellen und entscheidenden Gebiet der Hoffnung (man denke an Das Prinzip Hoffnung von Bloch, das um die gleiche Zeit erschien) 10 - und ein Dialog mit dem reformierten Christentum und mit der zeitgenössischen existentialistischen Philosophie. 11 Das zweite Werk ist nicht nur eine systematische und kritische Untersuchung eines Gegenstandes, der in Spanien dringend der »Rehabilitierung« und sogar der »Revitalisierung« - im Sinne Ortegas - bedurfte, nämlich der Moralphilosophie (im allgemeinen ein langweiliges Fach in der universitären Lehre jener Jahre; die gebräuchlichen neoscholastischen Lehrbücher waren völlig uninteressant und bar jeden Realitätssinns), sondern es zeigt auch schon eine wachsende Neigung zu analytischer Strenge, eine Folge des damals beginnenden bzw. sichtbar werdenden Einflusses des angelsächsischen logischen Neopositivismus auf Aranguren.12 Zweifellos sind die Spuren Ortegas am deutlichsten gegenwärtig bei Julián Marías und später auch bei Paulino Garagorri, beides treue Schüler Ortegas. Marias, der 1954 seine Biografía de la filosofía veröffentlicht hatte, stellt nun - in den Jahren 1956 und 1958 - die Aufsätze zusammen, die seine Bücher El intelectual y su mundo und El oficio del pensamiento bilden; 1960 erscheint der erste (und bislang einzige) Band seiner Untersuchung über Ortega y Gasset. 13 Paulino Garagorri veröffentlicht 1958 sein Buch Ortega. Una reforma de la filosofía und arbeitet seitdem an der end-

10 Laín zitiert in seinem Buch (S. 327, Anm. 13) eine Ausgabe von Das Prinzip Hoffnung von 1954; die endgültige, zweibändige Ausgabe erschien bei Suhrkamp 1959; Bloch sagt dort, daß das Werk zwischen 1938 und 1947 in den Vereinigten Staaten geschrieben und später, zwischen 1953 und 1959, überarbeitet wurde. Obwohl sie von unterschiedlichen Ansätzen und Inhalten ausgehen, ist doch die Bedeutung bemerkenswert, die beide der Analyse der Chancen zur Hoffnung und deren Vorhandensein in der heutigen Welt geben. 11 Vgl. besonders den zweiten und dritten Teil, mit Untersuchungen über die Hoffnung bei Luther, Calvin, im aktuellen Protestantismus, bei Descartes, Hegel, Marx und später bei Martin Heidegger, Gabriel Marcel, Jean-Paul Sartre u. a. Es geschah nicht häufig, daß im geistigen Umfeld des damaligen Spanien jemand - wie Laín - objektiv und mit dem Ausdruck von Wertschätzung über diese Autoren sprach. Neben den beiden hier zitierten wichtigen Büchern müßte man im Grunde auch ausführlich auf sein Werk Teoría y realidad del otro (1961) eingehen, in dem er die Grandlagen des menschlichen Zusammenlebens und der menschlichen Geselligkeit noch einmal thematisiert. 12 Ich erinnere mich daran, daß Aranguren im Studienjahr 1957/58 an der Fakultät für Philosophie und Geisteswissenschaften von Madrid eine umfassende Vorlesungsreihe genau über die zentralen Punkte der angelsächsischen Ethik hielt. Ich hatte als Teilnehmer jenes Kurses - die Vorlesungsmitschrift besitze ich noch heute - Gelegenheit, die ersten Einblicke in die Philosophie des logischen Neopositivismus zu vertiefen, die ich in meinen Studienjahren in Salamanca (1951-1956) vor allem durch die Vorlesungen des damals dort lehrenden E. Tierno Galván erhalten hatte. 13 Vgl. zum Denken von Laín, Marias, Aranguren innerhalb sowie von Ayala und Ferrater außerhalb Spaniens das Buch von Helio Carpintero: Cinco aventuras españolas, Madrid: Revista de Occidente 1967; außerdem erschienen Arbeiten, die sich speziell mit der Analyse der Anthropologie und Philosophie bei Laín (1966) bzw. Marias (1973) befassen. Vgl. ebenfalls den Aufsatz von Julián Izquierdo Ortega: La filosofía española en los últimos años, in: Cuadernos Americanos CXXVI (Jan.-Feb. 1963) S. 140-161.

91 gültigen Ausgabe der Gesammelten Werke Ortegas. Bei all diesen Männern zeigt sich die liberale Wurzel des ortegianischen Erbes, was sich nicht nur in einer entsprechenden Geisteshaltung niederschlägt, sondern - mehr oder weniger stark ausgeprägt auch in einem schon direkt politischen Zeugnis und Engagement. 14 Die liberal-demokratische Einstellung der Ex-Falangisten von Escorial und der Schüler und Anhänger Ortegas ruft von Seiten fundamentalistischer Teile des spanischen Katholizismus heftige Gegenreaktionen hervor, die an die ähnlich gelagerten Positionen erinnern, auf die schon bei der Behandlung der vierziger Jahre eingegangen wurde. Jetzt, 1961, ist es Vicente Marrero,15 der sich mit größter Schärfe gegen die Generation von 1936 (vor allem Lain, Javier Conde, Ridruejo, Tovar, Aranguren, Marias) wendet und einerseits die totalitären Aspekte bei einigen von ihnen kritisiert, andererseits aber auch ihre spätere liberale Entwicklung (die er für unaufrichtig, konfus und opportunistisch hält). Was Marrero am meisten zu stören scheint, ist nicht der gelegentliche frühere Totalitarismus, sondern gerade die Entwicklung hin zum Liberalismus, die er bei den genannten Intellektuellen beobachtet. Marrero hält diesen Wandel für unmoralisch. Er verurteilt ihr Eintreten für »einen alten, überlebten Liberalismus, den es praktisch in keinem Land der Welt mehr gibt und dem Lain und seine Teamgefährten aus unerklärlichen Gründen oder Gewissensbissen erneut Tür und Tor öffnen wollen.« Zuvor hatte er beharrlich an ihre totalitären Ursprünge erinnert; auch Ruiz-Gimenez verurteilt er - darin Calvo Serer folgend - für die 1951 diesen Intellektuellen gewährte Unterstützung. Er stellt allerdings fest, daß sie sich damals »schon nicht mehr als Totalitäre oder Pseudototalitäre verstehen, sondern als Liberale, was nur ein weiteres der zahlreichen in unserem Jahrhundert zu verzeichnenden Beispiele dafür ist, wie der so aufschneiderisch zur Schau gestellte rebellische oder unabhängige Geist der Schriftsteller im Grunde oftmals nichts anderes ist als Unterwerfung unter die neueste Mode, wenn man auch sagen muß, daß die auf Harmonie und Synthese gerichtete Haltung dieser Generation von Anfang an auf politisches Handeln abzielte.« 16 Zumindest mit letzterem hat Marrero völlig Recht. Tatsächlich kann man sagen, daß diese Männer seit jeher einseitigen geistigen und politischen Einstellungen zu entkommen suchten. Lain und Ridruejo haben wiederholt betont, daß ihre Position vielmehr einem komplexen, konfliktiven Bewußtsein 14 So können wir beispielsweise beobachten, wie diese Intellektuellen sich Ende der fünfziger Jahre für die Mitarbeit an einer Zeitschrift wie Cuadernos del Congreso por la Libertad de la Cultura entscheiden, die seit ihrer Gründung im Jahre 1953 in Paris erscheint und die ohne jeden Zweifel - trotz all der Beschränkungen, denen sie unterworfen ist • eine politische, oppositionelle Zeitschrift ist. Vgl. darin u. a. die Artikel von Dionisio Ridruejo: Un pensamiento generacional (Nr. 37, Juli-Aug. 1959), von Pedro Lain Entralgo: El intelectual y la sociedad en que vive (Nr. 40, Jan.-Feb. 1960); von Julián Marías und José Luis Cano: Evocación de un liberal: Gregorio Marañón (Nr. 43, JuliAug. 1960, wenige Wochen nach dem Tod Maraflóns zu seinen Ehren veröffentlicht), sowie ebenfalls von Julián Marias die schon zitierte Arbeit: La situación actual de la inteligencia en España (Nr. 45, Nov. De/. 1960), und schließlich von José Luis L. Aranguren: Los coloquios de Madrid (Nr. 52, Sept. 1961). 15 Vicente Marrero: La guerra española y el trust de cerebros, Madrid: Ed. Punta Europa 1961. 16 Ebd. S. 358, 360 und 458.

92 entsprach, Ausdruck einer Generation, die die kriegerische Auseinandersetzung, den Bürgerkrieg mit tiefer, ehrlicher und besorgter Anteilnahme miterlebt hatte. Marrero spricht vorwurfsvoll von einer »auf Harmonie und Synthese gerichteten Haltung«; aber auf Harmonie war auch die liberale Philosophie des Krausismus und der Institución Libre de Enseñanza aus, und auf Synthese - nach dem dialektischen Moment von Negation und Antithese - unter anderem die Hegeische Philosophie, um hier nur ein herausragendes Beispiel zu nennen. Die antiliberale sogenannte »goldene Linie«, der sich Marrero zurechnet und die im übrigen auch nicht frei von totalitären Sünden war, ist nichts weiter als die kaum veränderte Fortführung des alten Fundamentalismus des 19. Jahrhunderts. Marrero legt sich einen einseitigen und zugleich kriegerischen Ortega zurecht und sagt dann: »Immerhin verstehen wir Ortega. Nicht dagegen Laín. Ortega will den Sieg von etwas, das dem, was wir wünschen, entgegensteht. Deswegen bekämpfen wir ihn. Laín dagegen scheint sich dem Kampf zu entziehen, er will die utopische Versöhnung unversöhnlicher Gegensätze«. Ohne es zu merken spricht Marrero damit Laín Entralgo ein großes Lob aus. Marrero gibt sich aber nicht damit zufrieden, sie (mit Blick auf das Ausland) als totalitär und (mit Blick auf das Inland) als liberal zu verurteilen; er fällt zudem ausdrücklich speziell über »Laín, Ridruejo, Tovar, Aranguren, Marías, Conde« ein vernichtendes Urteil, das in jenen Jahren noch im Inland und im (westlichen) Ausland im negativen Sinn - benutzt werden konnte. Er sagt: »Wer in seiner Jugend nicht Marxist war, für die eine oder andere Publikation des roten Spektrums schrieb und von den Nationalen inhaftiert wurde, gehörte entweder der FUE an, oder sprang akrobatisch von einem Extrem zum anderen, hat die beiden Seelen, die unversöhnlich in seiner Brust miteinander kämpfen, noch nicht in Einklang gebracht, oder betätigt sich jetzt als Gegner der Massenagitation ... Was die anerkannte Führerschaft Lains, von dem in den letzten Aufsätzen so häufig die Rede war, am meisten ehrt, ist, daß er gelegentlich die geistige Gespaltenheit der Generation von Intellektuellen, zu der er bezeichnenderweise selbst gehört, feierlich zugegeben hat. Es handelt sich um eine Minderheit von Intellektuellen, die das Herz nicht auf dem rechten Fleck hatten. Sie schwankten von einem Extrem zum anderen; ihr Fehler war einmal exzessives, ein andermal mangelndes Engagement. Und all dies nur, weil sie weder früher, zu Zeiten der Partei, noch später, in ihrem überlebten Liberalismus, über eine gefestigte intellektuelle oder politische Doktrin verfügten. Ähnliches läßt sich von ihrem Pathos sagen, das in seiner frühen Ausprägung der Gewalt nahesteht, um sich dann zur widerwärtigsten Herzlichkeit zu wandeln, all dies Ausdruck des Fehlens der elementaren Aggressivität, die für jedes geistige Werk unverzichtbar ist. Dieses Fehlen von Aggressivität bedroht nicht nur den christlichen Geist, sondern auch die spanische Seinsweise, die in den besten Zeiten ihrer Geschichte immer Kampf gewesen ist.«17

17 Ebd. S. 395 und 473. Vgl. auch das spätere Buch von Vicente Marrero: La consolidación política. Teoría de una posibilidad española, Madrid: Ed. Punta Europa 1964.

93 Wie wir sehen, wird die Generation von 1936 zuerst vereinfachend dafür kritisiert, daß sie »die beiden Seelen, die unversöhnlich in [ihrer] Brust miteinander kämpfen, noch nicht in Einklang gebracht« hat, und anschließend wirft man ihr unverständlicherweise vor, nicht mit der Interpretation des christlichen Geistes und »der spanischen Seinsweise« übereinzustimmen, die - wie Marrero definiert - »in den besten Zeiten ihrer Geschichte immer Kampf gewesen ist«. Die fortschrittlichen Strömungen der zeitgenössischen spanischen Philosophie1», die sich ihrerseits aus verschiedenen Weltanschauungen ableiten, gehören wohl alle nicht zu dem, was Marrero als »gefestigte intellektuelle und politische Doktrin« bezeichnet; das gleiche gilt anscheinend für die Denklinien, die zwar nicht in Spanien, aber in anderen Kulturkreisen der heutigen Welt Geltung besitzen. Aber auch das sehr bald schon präkonziliare - katholische Denken folgte den Leitlinien nicht, die von der fundamentalistischen Philosophie vorgegeben wurden; es ging vielmehr genau den entgegengesetzten Weg. Während die besagte fundamentalistische Philosophie ohne größere Verbreitung und Anhängerschaft blieb, begann in unserem Kulturkreis - neben dem in ständigem Wandel und Fortschritt befindlichen katholischen Denken - vor allem (wie schon gesagt) der Einfluß der methodologisch-wissenschaftlichen Vorstellungen spürbar zu werden, wie er vom angelsächsischen logischen Neopositivismus und der analytischen Philosophie ausging, später sogar von den Ansätzen der marxistischen Philosophie, die im allgemeinen auf vielfältige Weise kritisch rezipiert wurde, das heißt in freier Interpretation und Überarbeitung von Dogmen und Orthodoxien.

Funktionalistische Phase bei Tierno Galván: Wissenschaftliche Kritik am ideologischen Absolutismus versus ideologische Vorstellung vom »Ende der Ideologien« Daß die soeben genannten - analytischen und dialektischen - Geisteshaltungen im Boletín informativo des Seminars für Politisches Recht der Universität von Salamanca seit dessen Gründung im Jahre 1954 ein Sprachrohr fanden, ist hier schon erwähnt worden.'9 Es ist nun von besonderem Interesse aufzuzeigen, inwieweit das Boletín 18 Genau so lautete der Titel eines Übersichtsaufsatzes, den Alain Guy im Bulletin Hispanique LXIX (1967) S. 454464, veröffentlichte (»Les tendances progressistes dans la philosophie espagnole contemporaine«) und in dem auch für unser Thema interessante Fragen behandelt werden. Der Autor geht dort auf der Suche nach den Ursprüngen dieser Strömungen sogar bis ins Mittelalter und in unser »Siglo de Oro« zurück und rekonstruiert so eine wertvolle spanische Tradition liberalen und fortschrittlichen Charakters. Seine Ausgangsthese ist es gerade, daß »liberale und fortschrittliche Ideen in Spanien immer vorhanden waren, selbst in den dunkelsten Zeiten seiner Geschichte.« Im heutigen spanischen Denken hebt Alain Guy auf dieser Linie - wobei Exil und Inland zusammen betrachtet werden u. a. die Namen José Bergamín, María Zambrano, José Gaos, José Gallegos Rocafull, Juan David García Bacca, Manuel Granell, Eduardo Nicol, José Ferrater Mora, Luis Recaséns Siches, Julián Marías, José Luis L. Aranguren, Enrique Tierno Galván, Joaquín Ruiz-Giménez, Pedro Laín Entralgo, Paulino Garagorri, Femando Vela, Luis Diez del Corral, José A. Maravall, J. M. Diez-Alegría, Manuel Sacristán, Carlos Paris und Miguel Sánchez Mazas hervor. 19 Neben den repräsentativsten Arbeiten dieser Strömungen, von denen einige noch auf den folgenden Seiten zu nennen sein werden, sollte aus jenen ersten Jahren des Boletín auch der bissige »utopische Essay« von Miguel Espinosa mit dem Titel »La filosofía política mandarinesca« (erschienen in der Nummer Mai-Okt. 1956, S. 123-143) nicht

94 geprägt war von wissenschaftlicher Methodologie, psychologischen Gewohnheiten und Denkweisen, die im Grunde diesen Abkömmlingen des logischen Positivismus zu verdanken waren. Der Leiter des Boletín, Tierno Galván, veröffentlichte damals 1957 - gerade seine spanische Übersetzung von Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus und schrieb im gleichen Jahr seinen eigenen aphoristisch-funktionalistischen Tractatus unter dem Titel La realidad como resultado, in dem der Einfluß Wittgensteins deutlich spürbar ist. Über die Auswirkungen und Folgen der analytischen und neopositivistischen Philosophie im Bereich der politischen und sozialen Werthaltungen und Ideologien ist natürlich schon viel gesagt und geschrieben worden, wobei manchmal ganz unterschiedliche Situationen und Momente übermäßig vereinfacht und ahistorisch verallgemeinert wurden. Was das damalige Spanien betrifft, so kann man wohl sagen, daß die Anwendung der neopositivistischen Ansätze auf dem Gebiet der politischen Philosophie zunächst heftige Kritik an einem übertriebenen, maßlosen Ideologismus absolutistischer Natur hervorrief und ein notwendiges Korrektiv gegenüber der Unwissenschaftlichkeit zahlloser irrationaler Spekulationen über die Politik einführte. Dies ist unbestreitbar; etwas anderes ist es, daß dieser Szientismus - wie es auch in entwickelteren Gesellschaften der Fall gewesen war - illegitimerweise für die bedingungslose Verteidigung des technokratischen politischen Systems und der neokapitalistischen Wirtschaftsordnung mißbraucht wurde; letzteres wurde (übrigens ohne allzu großen Erfolg) vor allem im Laufe der sechziger Jahre versucht. Unter den vorher in Spanien herrschenden Umständen, in den fünfziger Jahren, äußerte sich die Kritik am absolutistischen Ideologismus innerhalb dieses neopositivistischen Kontextes ganz grundlegend in den XII tesis sobre funcionalismo europeo, die Tierno Galván 1955 veröffentlichte. Darin zeigte sich - wie gesagt - der Übergang zur zweiten - funktionalistischen, neopositivistischen - Phase, die man im Denken Tiernos unterscheiden kann. In der vierten These schlägt Tierno ausdrücklich vor, angesichts der »Vergiftung durch absolute Ideale, insbesondere durch den nationalistischen Absolutismus, ... eine ökonomische und soziale Organisationsweise [zu übernehmen], die die notwendige technische Neutralität für die Integration in höheren Strukturen mit sich bringt, die effizienter als die alten hinderlichen Ideale sind.«

vergessen werden, der in aphoristisch-neotacitistischem Stil einer politisch kritischen Einstellung Ausdruck gibt. Das Ergebnis ist ein wunderbares Beispiel einer »kryptischen« und »utopischen« Philosophie im Spanien jener Jahre. Es seien hier einige kurze Passagen dieser »mandarinesken politischen Philosophie« (Kapitel über die Korruption) wiedergegeben, in denen die kritisch-machiavellistischen Anklänge unübersehbar sind. So sagen demnach die Mandarine: »Ohne Korruption läßt sich nichts bewahren. Alles, was korrompiert wird, bleibt bestehen« (aus der Rede des Schielenden Mandarin: Über die Korruption). »Lernt korrumpieren, und die Erde wird Euch gehören. Der Mensch ist von Natur aus korrupt, der Weise aus Berechnung« (ebd. S. 13). »Der Tor sagt: Das ist korrupt, es wird bald zugrunde gehen. Der Weise aber antwortet: Das läßt sich korrumpieren, es wird tausend Jahre Bestand haben. Denn nur das überdauert, was sich korrumpieren läßt, und nur die Korruption hält die Gedanken zusammen« (ebd. S. 16). »Sobald ein Gedanke siegt, beginnt er, sich korrumpieren zu lassen, denn die Gedanken sind wie die Frauen: sanft suchen sie einen Verführer« (ebd. S. 17). Man sollte diesen Essay aus den fünfziger Jahren über die politische Philosophie der Mandarine einmal neu auflegen.

95 Tatsächlich enthalten diese funktionalistischen Thesen eine Kritik an den »durch absolute Ideale vergifteten« Einstellungen, Systemen und Ländern, eine Kritik an der Überideologisierung und eine Verteidigung der Technik, der Wissenschaft und der Effizienz. Dieser Versuch einer Überwindung ausschließlich ideologischer Ansätze wurde, so kann man sagen, zu einem ziemlich geläufigen Element in Kultur und Denken jener Jahre (ein Element, das, wie wir gesehen haben, auch in der strengen Auffassung erscheint, die Vicens Vives von der Geschichte hat). Die Bedeutung dieses Elementes ist jedoch in diesen Positionen (trotz einiger bemerkenswerter gemeinsamer Konnotationen) eine ganz andere, als die der vorgeblichen Ablehnung der Ideologien in manchen späteren, extremeren technokratischen Entideologisierungslehren. Dieser Punkt ist wichtig, denn es ist daran zu erinnern, daß nicht jedes notwendige, nützliche Eintreten für Wissenschaft und Technik an sich schon Technokratie und Entideologisierung bedeutet. Die historische und soziologische Bedeutung verschiedener Arten der Verteidigung von Technik und Wissenschaft, verschiedener Ideologiekritik, kann ganz unterschiedliche Formen und Konnotationen annehmen, je nach den weiteren Elementen und Variablen, die zusammen das System ausmachen. Ich glaube die Dinge nicht zu verfälschen, wenn ich sage, daß die Kritik Tierno Galväns am »ideologischen Absolutismus« im Grunde genommen zu einer eindeutigen Bekräftigung des ideologischen Pluralismus führte; er stellte sich nicht eigentlich gegen Ideologien (und ihre Funktion in einem bestimmten sozialen Kontext), sondern gegen die Verabsolutierung einer ganz bestimmten Ideologie. Die Technokratie dagegen war Ideologien gegenüber mißtrauischer, und zwar sowohl gegenüber dem ideologischen Pluralismus (Dialog auf dieser Ebene wurde für fruchtlos und steril gehalten) als auch gegenüber der bedingungslosen Verabsolutierung einer einzigen Ideologie, unbeschadet ihrer Irrationalität und Dysfunktionalität (was ein Beitrag zur gemäßigten Begrenzung der Exzesse sogenannter Überideologisierung war), obwohl es selbstverständlich auch Techniker und Experten im Dienste der unterschiedlichsten absolutistischen Ideologien gibt. Die von der Technokratie noch am ehesten geduldete Verabsolutierung ist zweifellos die der »Ideologie vom Ende der Ideologien«. Allerdings bemerkt Juan Marichal zu diesem Thema: »Man könnte natürlich auch sagen, daß Tierno Galvän einfach nur eine bekannte Interpretation nordamerikanischer Soziologen übernahm, nach der unsere Zeit die Epoche des Endes der Ideologien darstellt.« Bei näherer Betrachtung etwa der neunten und der zwölften der Thesen von Tierno sieht man jedoch, daß darin tatsächlich der ideologische Pluralismus (und nicht Entideologisierung) verteidigt und der Totalitarismus (vor allem der ideologische, aber auch der funktionalistisch-technokratische) abgelehnt wird.2o 20 Enrique Tiemo Galvän: XII tesis sobre funcionalismo europeo, a. a. 0 . In der neunten These heißt es: »Jedes kollektive Mitglied einer übergeordneten Gemeinschaft - wie sie Europa darstellt -, das eine stabile Integration erreichen will, muß volles Bewußtsein von drei Grundrechten besitzen, denen drei Grundpflichten entsprechen. Mit Hilfe dieser Rechte und Pflichten wird die europäische Integration möglich werden. Die Rechte sind: das Recht auf eine an-

96 Dies wird auch von Marichal anerkannt, wenn er den »empiristischen Aphorismen« die »dogmatisierenden Summas« gegenüberstellt und auf diese Weise die beiden ersten Phasen des Denkens von Tierno Galvän, die neotacitistische und die funktionalistische, ganz augenfällig miteinander in Verbindung bringen kann. Marichal schreibt: »Im Grunde war - sieht man einmal von der ungeheuren chronologischen und historischen Entfernung ab - der Gegensatz, den Tierno Galvän 1955 zwischen 'Funktionalismus' und ideologischem 'Absolutismus' (und innerhalb des letzten natürlich zwischen 'Rhetorik' und 'Ästhetizismus') aufstellte, nicht sehr weit entfernt von dem Gegensatzpaar 'Aphorismen' und 'Summas' nach Quevedo. Der 'Funktionalismus' wurde so zum Höhepunkt der 'neotacitistischen' Phase im politischen Denken Enrique Tierno Galväns.« 21 Das Bedürfnis nach einer wissenschaftlichen Kritik am Ideologismus und insbesondere am (gewöhnlich rhetorischen und rein ästhetischen) ideologischen Absolutismus, aber auch an den Ideologien als solchen macht sich im Spanien der fünfziger Jahre zunehmend deutlich bemerkbar. Dabei ist der fortgeschrittene Charakter dieser Kritik zu betonen, gerade um die »technokratische« Reduktion und Nutzbarmachung der Wissenschaft zu vermeiden, eine vereinfachende und zweckgerichtete Haltung, die häufig darauf abzielt, mit Hilfe des »Ideologismus«-Vorwurfs jeden kritischen Denkansatz zu unterdrücken und zu unterbinden. Die Verteidigung von Wissenschaft und Technik wird, so kann man sagen, immer fortschrittlich sein, da man sich dadurch schließlich direkter und sicherer der Wahrheit nähert; Wissenschaft schließt aber Philosophie (die Analyse der philosophischen Voraussetzungen und Implikationen aller Wissenschaft) nicht aus, sondern allein die anti-wissenschaftlichen Meinungen der einen oder anderen konkreten Philosophie. 22 Die Rezeption des neopositivistischen »Ansatzes« in Spanien - die mit der Überwindung der Indikatoren der Unterentwicklung in der spanischen Wirtschaft in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre einherging - hatte jedenfalls für uns äußerst vorteilhafte Auswirkungen: strengere Maßstäbe und größere Objektivität in der Forschung, größere logische Kohärenz und rationale Sparsamkeit in der wissenschaftlichen (auch in der sozialwissenschaftlichen) Arbeit, höheres Niveau im kulturellen Bereich im allgemeinen sowie in den - auch literarischen und künstlerischen - Zeugnissen unseres geistigen Lebens. Tierno Galvän betonte in diesem Sinne in den Vorbemerkundere Meinung, das Recht auf Entscheidung, das Recht auf Partizipation. Die entsprechenden Pflichten sind: die Pflicht zum Gehorsam, die Pflicht zur Zusammenarbeit, die Pflicht zur Toleranz.« Und in der zwölften These: »Der vorwiegend technische Charakter des Funktionalismus schließt aus den konkreten Situationen nicht die unbestrittene Tatsache aus, daß das westliche Denken im christlichen Erbe gründet. Aus diesem Grund lehnt es jeden Totalitarismus ab, weil dieser die Freiheit und Würde des Menschen als Grundelement jedes gegebenen Situationskomplexes ausschließt.« 21 Juan Marichal: El nuevo pensamiento polüico espahol, a. a. O. S. 40 f.; auch Vicente Girbau (Esparia 1950-1962, in: Cuadernos Americanos XCCCI1 [1964] S. 101) bemerkt, daß Tierno in jenen Jahren »den Tod der Ideologien proklamierte«. 22 Mir ist bewußt, daß dieses Thema eine sehr viel detailliertere und tiefergehende Behandlung verlangt; um das, was ich hier gesagt habe, etwas zu erhellen, muß ich mich an dieser Stelle damit begnügen, auf die Ausführungen in meinem Buch Sociologia y Filosofia del Derecho, Madrid: Taurus 1971, bes. Kap. 41, zu verweisen.

97 gen, die als Einführung in seine Introducción a la sociología von 1960 dienten, wie vorteilhaft es sei, daß »die angelsächsische Mentalität die nationale Neigung zur Verallgemeinerung und Abstraktion korrigiert«. Tatsächlich wird von Interpreten und Historikern der zeitgenössischen spanischen Kultur der Augenblick des Beginns (bzw. Neubeginns nach dem Krieg) einer auf empirische Daten gestützten sozialwissenschaftlichen Forschung und die damit verbundene Schaffung einer hinreichend stringenten und autonomen, als echte Wissenschaft verstandenen Soziologie, deren Aktionsradius sich u. a. auf die Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaft erstreckt, in der Regel in diesen Zeitraum - genauer: um das Jahr 1960 - gelegt.23

Analytisches und dialektisches Denken in der geistigen Entwicklung E. Tierno Galváns und José L. L. Arangurens Wie im übrigen Europa ermöglichte und förderte die neopositivistische Philosophie auch bei uns (wenn auch selbstverständlich immer mit den Besonderheiten der ganz eigenen Situation, in der sich unser Land befand) recht bald die Polemik und den Dialog mit der Philosophie des historischen und dialektischen Materialismus. Man kann sagen, daß diese Polemik in mancher Hinsicht auf einer anderen Ebene den Disput weiterführte, der um die verschiedenen politischen Alternativen (autoritär-totalitärer und liberal-demokratischer Ausrichtung) sowohl des Neokapitalismus als auch des Sozialismus ausgetragen wurde. Dabei ist nicht zu vergessen, daß damals, ab 1956 und vor allem mit dem XX. Parteitag der KPdSU des gleichen Jahres und dem Chruschtschow-Bericht (nach dem Tode Stalins 1953), allmählich die Phase der späteren internationalen Koexistenz (das Ende des »Kalten Krieges«) und der - bald gebremste - Beginn einer gewissen Möglichkeit der Selbstkritik und einer nicht immer beibehaltenen relativen Flexibilisierung in den kommunistischen Systemen einsetzte. Im Einklang mit allen diesen Vorgängen - im Anschluß an die Rezeption des Neopositivismus in unserem Land und häufig in Verbindung damit - machten sich, vor allem gegen Ende der fünfziger Jahre, die ersten Einflüsse des marxistischen Denkens bemerkbar. Dies war beispielsweise auf flexible Weise - unter der Anleitung von

23 So heißt es meist, wie wir gesehen haben, wenn von der spanischen Soziologie der Nachkriegszeit die Rede ist (vgl. z. B. das schon genannte Buch von Amando de Miguel: Sociología o subversión). Bezüglich der zeitgenössischen spanischen Geschichtsschreibung hält auch Tuñón de Lara das Jahr 1960 für entscheidend (vgl. seinen Auf sat/. Problemas actuales de la historiografía espaflola, in: Sistema [Madrid] 1 [Januar 19731); dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß damit alle früheren Arbeiten bedeutender Historiker - einer ihrer hervorragenden Vertreter, Vicens Vives, stirbt gerade im Jahr 1960 - vergessen wären, auf die weiter oben schon verwiesen wurde. Aus diesen Jahren ist auch besonders zu denken an die methodologisch-kritische Arbeit von José A. Maravall: Teoría del saber histórico, Madrid: Ed. Revista de Occidente 1958. Bezüglich der Politikwissenschaft in der hier betrachteten Periode vgl. aus dieser Perspektive u. a. die Bücher von Carlos Ollero: Estudios de Ciencia política von 1955; Pablo Lucas Verdú: Introducción al Derecho político von 1958 (mit einem Vorwort von Tierno Galván, in dem dieser betont, daß "die Ersetzung der juristischen durch die soziologische Methode den durchschlagenden Erfolg der angelsächsischen Technik erklärt«) und Manuel Jiménez de Parga: Los regímenes políticos contemporáneos, Madrid: Tccnos i960.

98 Tierno Galván - in dem schon erwähnten Boletín von Salamanca praktisch seit seinem Erscheinen im Jahre 1954 der Fall. Im Boletín (dem ersten ernsthaften im Inland unternommenen Versuch zu einem sozialistisch ausgerichteten kulturpolitischen Aufbruch) wurde häufig eine aus jenen Einflüssen abgeleitete Methodologie benutzt. Außerdem wurden darin neben verschiedenen Untersuchungen über die Krise des Begriffs vom Privateigentum und über den Sinn der Diktatur des Proletariats Hegels Vorrede zur 'Philosophie des Rechts' in der sorgfältigen Übersetzung von Antonio Truyol Serra (der etwa zur gleichen Zeit seine bedeutende Historia de la Filosofía del Derecho y del Estado [1. Aufl. 1954] verfaßte) Fragmente aus Lukács Geschichte und Klassenbewußtsein sowie eine umfangreiche Arbeit von H. Joachim und P. Lunz mit dem Titel Estado actual de la investigación marxista (beides übersetzt von Angel de Juan) veröffentlicht. In einer seiner letzten Nummern erschien dann auch die berühmte und wichtige Schrift Brechts über Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. Die Arbeiten, die Tierno nach 1960 - genauer nach 1962 - veröffentlicht, sind Ausdruck dieses doppelten Einflusses, der die dritte Phase charakterisiert, die man in der Entwicklung seines Denkens unterscheiden kann. Insofern sind die Aufsätze, die unter dem Titel »Vom Schauspiel zur Trivialisierung« (Desde el espectáculo a la trivialización, Madrid: Taurus 1961) gesammelt wurden - Aufsätze aus der Zeit zwischen 1950 (Ensayos sobre el valor social de las cosas) und 1958 (Erotismo y trivialización) -, noch der Phase der neotacitistischen Kritik an der Kultur des Barock (der ersten Periode) und der Phase der funktionalistischen Kritik an der absolutistischen Dramatisierung der ideologischen und wirtschaftlichen Unterentwicklung Spaniens (der zweiten Periode) verhaftet. Dagegen sind seine historischen Arbeiten über Costa y el regeneracionismo (1961) und Tradición y modernismo (1962) kritische Beiträge, von denen man sagen kann, daß sie schon auf der Verbindung einer analytischen Vorgehensweise (die vielleicht in dem zweiten der genannten Aufsätze vorherrscht) mit einer beginnenden dialektischen Sichtweise (wie sie in seiner Interpretation von Costa und seiner Lehre dominiert) entstanden. Die Verfestigung dieser allgemeinen Entwicklung zeigt sich im übrigen deutlich in den Aufsätzen, die er später, im Jahre 1964, unter dem Titel Humanismo y sociedad als Sammelband veröffentlichte. Eine Entwicklung, die gleichfalls durch die Beschäftigung mit diesen beiden Einflußlinien motiviert wurde, die aber einen ganz anderen (katholisch-ortegianischen) Ausgangspunkt hatte, läßt sich für jene Jahre auch bei Aranguren feststellen, der neben Tierno der bei der spanischen Studentenschaft bis 1965 renommierteste und einflußreichste Intellektuelle war. Man kann sagen, daß sein weit verbreitetes Buch von 1961 La juventud europea y otros ensayos und im folgenden Jahr sein Aufsatz über Etica social y función moral del Estadou den Wendepunkt zugunsten einer stärkeren

24 Ersleres erschien 1961 bei Seix-Barral in Barcelona, letzterer in einem 1962 vom Ateneo von La Laguna herausgegebenen Sammelband von Vorträgen. Für eine Zusammenfassung sowie eine ausführliche Besprechung beider Pub-

99 Beschäftigung mit politischen und sozialen Problemen darstellen, im Gegensatz zu den geistig-religiösen Problemen, die für ihn bis dahin vorrangig gewesen waren. Die Wende wurde eingeleitet mit seinem Buch Etica von 1958 und erreichte ihren Höhepunkt mit seinem Etica y política von 1963. Von einer ersten Phase des verständnisvollen, offenen Dialogs mit Protestantismus und Existentialismus erfolgt dabei ein Übergang zu einer zweiten Phase im Denken Arangurens, in der sich die zentrale Thematik aus der Begegnung mit den Problemen des Neopositivismus und des Marxismus ergibt.25

Erste spanische Veröffentlichungen zur marxistischen

Philosophie

Abgesehen von dieser philosophischen Rezeption des Marxismus, auf die ich noch einmal zurückkommen werde, ist doch - wenn es um die Einschätzung seiner effektiven Präsenz im damaligen Spanien geht - festzustellen, daß der Einfluß des Marxschen Werkes sich bei uns vor allem als wissenschaftliche Methode und weniger als Philosophie im eigentlichen, strengen Sinne niederschlägt, d. h. vor allem im Gebrauch gewisser Schemata zur Interpretation der Wirklichkeit und gewisser wissenschaftlicher Kriterien und weniger als Konstruktion einer allgemeinen theoretischen Auffassung allumfassenden Charakters. So gibt es also im geistigen Panorama Spaniens vor und gleichzeitig mit marxistischen philosophischen Untersuchungen Arbeiten von Wissenschaftlern und Forschern (von Historikern, Soziologen, Ökonomen, Politik- und Rechtswissenschaftlern, Schriftstellern, Literatur- und Kunstkritikern und natürlich auch von naturwissenschaftlichen Experten), die in unterschiedlichem Grad eine Methodologie anwenden und vervollkommnen, die sich als mehr oder weniger direkt vom Marxschen Denken und Werk abgeleitet auffassen läßt. Trotz dieser philosophischen und methodologischen Einflußlinien und obwohl auf der Gegenseite die offizielle Philosophie scholastischer Prägung damals ständig den Materialismus - insbesondere den sogenannten dialektischen Materialismus - zum Hauptgegenstand ihrer Kritik machte, wurde meines Wissens viele Jahre lang in Spanien kein einziges Buch über marxistische Philosophie veröffentlicht (es ist anzumerken, daß das erste zugängliche Werk die 1958 bei Taurus erschienene Übersetzung des Buches von Ivés Calvez war), noch nicht einmal aus einer ganz und gar antimarxistischen Perspektive. 26 Häufig ersetzten so Vorurteile und eine Verachtung, die likationen vgl. meinen Beitrag Etica social en el pensamiento de Aranguren, in: Revista de Estudios Políticos (Jan.-März 1963) S. 200-221. 25 Aranguren hat dies im Vorwort zur italienischen Übersetzung von La juventud Morcelliana 1962, S. 4 f., ausdrücklich bestätigt.

europea y otros ensayos,

127

Brescia:

26 Gelegentlich wird für eine solche Linie ein unmittelbar nach Kriegsende veröffentlichtes Buch von Rafael Gambra Ciudad genannt, das ich allerdings nicht habe einsehen können; dann auch von Horacio M. Prieto: Marxismo y socialismo libertario, Madrid 1947, das ich ebenfalls nicht auffinden konnte. Was damals über das Thema geschrieben wurde, diente im allgemeinen vor allem propagandistischen Zwecken und war mehr von dem Wunsch nach (religiöser bzw. politischer) Widerlegung als von dem nach wissenschaftlich-philosophischem Verstehen geleitet. Vgl. dazu das interessante Vorwort von Miguel Cruz Hernández zu dem Buch von Cirilo Flórez: Dialéctica, historia y progreso, Salamanca: Sigúeme 1968; dort heißt es: »Die wissenschaftliche Erforschung des Denkens von Karl Marx an un-

100 dem Marxschen Denken den Wert und das Niveau echter Philosophie absprach, bequem die objektive Analyse und wohlbegründete Kritik. Selbstverständlich wird in akademischen Seminaren und in Handbüchern zur Ideengeschichte auf diese Philosophie verwiesen, aber eigenständige Arbeiten zum Marxschen Denken gibt es nicht. Erst 1961 wird, wie ich glaube, das erste spanische Buch zu diesem Thema veröffentlicht; es handelt sich dabei um den Sammelband Introducción al pensamiento marxista, Ergebnis einer Reihe von Vorträgen, die im Herbst 1958 an der Universität von Santiago de Compostela gehalten worden waren. Die Beiträge, die einem wissenschaftlich-philosophischen Anspruch unterschiedlich gut gerecht werden, behandeln - überwiegend von einem nicht-marxistischen (aber nicht von vornherein anti-marxistischen) Standpunkt aus - die Hauptthemen des historischen und dialektischen Materialismus. Die Kritik daran konzentriert sich auf die Kritik am Materialismus und am politischen Totalitarismus, wobei der eingenommene Standpunkt als spiritualistisch und mehr oder weniger liberal aufgefaßt sein will was bei manchen Autoren zu konfusen, bei anderen zu einigermaßen klaren und kohärenten Schlußfolgerungen führt. Dem Band kommt trotz aller Mängel das große Verdienst zu, das erste nach dem Bürgerkrieg zu diesem Thema in Spanien veröffentlichte Werk zu sein.27

Nichtakademische

Zugangswege zum Marxismus: Die »Praxis«

Zeitschrift

Ein anderer Zugangsweg zum Marxismus nach 1956 - dem Jahr, das das Ende des »Kalten Krieges« markiert - sollte durch das revolutionäre Erwachen der Dritten Welt und die daraus resultierende Kritik sowohl an der neokapitalistischen westlichen Ordnung als auch an dem in der Sowjetunion errichteten System beeinflußt werden: der Kampf der Algerischen Befreiungsfront, später Castros Cuba und im Laufe der Zeit sogar China wurden nacheinander zu theoretischen Modellen für diesen prinzipiell auf Widerspruch angelegten Marxismus, der sich große Gedanken um Angemessenheit und Wirksamkeit des praktisch-politischen Handelns machte. In Spanien begannen schon damals erste diffuse Einflüsse wirksam zu werden. Daneben öffnete sich auf einmal - wie schon angedeutet - ein ganz eigener, weniger akademischer und nicht rein theoretischer, sondern grundlegend auf gesellschaftliches und politisches Handeln ausgerichteter Weg, der von Männern überwiegend christlicher Provenienz gebahnt wurde, die zum Teil aber auch einfach nur den Dogmatismus ablehnten, der mancher Interpretation des Marxismus und Sozialismus zugrundeseren Universitäten hat nicht, wie scheinbar richtig behauptet wurde, eine schlechte Presse gehabt; sie hat ganz einfach nicht stattgefunden, sieht man von den zu erwartenden Ausnahmen ab.« 27 Die Beiträge zu der Vortragsreihe stammten von Carlos Paris, C. Alonso del Real, Pablo Lucas Verdú, José Lois Estévez, C. E. Bastos de Soveral, Luis Legaz y Lacambra und José Guerra Campos. Der Sammelband erschien unter dem genannten Titel bei Guadarrama (Madrid 1961). In Übereinstimmung mit einigen dieser Beiträge befand sich später (1962) der Aufsatz von José Corts Grau: El marxismo y la moral social, erschienen in Anales de Moral Social y Económica.

101 lag; jedenfalls wollten sie ein für allemal die - im damaligen Spanien verbreitet für gültig gehaltene - Gleichung »Religion und Katholizismus = bürgerliche Ordnung und Kapitalismus« durchbrechen und überwinden.28 Wenn auch diese Bewegung vielleicht im Bereich der praktischen Politik größeren (allerdings noch immer geringen) Einfluß besaß als in dem der marxistischen Theorie im engeren Sinne, so brachte sie doch auch Werke hervor, die man im geistigen Umfeld jener Jahre keineswegs geringschätzen sollte: vor allem die (leider nur kurzlebige) Zeitschrift Praxis, die in Cordoba erschien, mit José Aumente als dem wohl typischsten Vertreter dieser Richtung, sowie das Buch Teoría sobre la revolución von Ignacio Fernández de Castro, einem anderen Hauptprotagonisten (neben Julio Cerón, Juan Gerona, Alfonso Carlos Comín u. a.) dieser geistig-politischen B e w e g u n g . 2 9 Ein großer Teil der späteren Theorien zum christlich-marxistischen Dialog mag ihren Vorläufer in Spanien in dieser Bewegung besessen haben, die wohl nicht im strengen Sinne marxistisch war, die sich aber eingehend für Theorie und Praxis dieses politisch-sozialen Denk- und Handlungssystems interessierte. Die Zeitschrift Praxis (mit dem Untertitel »Zeitschrift für geistige Gesellschaftshygiene«), die erstmals 1960 in Córdoba erschien, faßte in einem Leitartikel ihrer ersten Nummer die »Ziele« (so der Titel des Beitrags) der Herausgeber zusammen. Wir lesen dort, daß man nicht beabsichtigte, eine bloß theoretische Zeitschrift zu machen, da dies schließlich von geringer Relevanz wäre: »Deshalb beabsichtigen wir, auf einer anderen Dimension, etwas lebendigeres, greifbareres zu schaffen, etwas, das trifft, das stimuliert, das zur Reaktion reizt und das auf jeden Fall in der Gesellschaft, in der wir leben, auf Widerhall stößt. Dies wollen wir, weil wir uns bewußt sind, daß unser Wissen Praxis, also im Rahmen einer Dialektik zu erarbeiten ist, die es mit der - in ständigem Fortschritt befindlichen - Wirklichkeit aufrechtzuerhalten hat.« 28 Eine vielseitige Kritik an dieser Gleichsetzung von Christentum und bürgerlicher Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, zusammen mit einer ausdrücklichen Bekräftigung grundlegend demokratischer politischer Prinzipien, war denn auch der Grundgedanke einer wichtigen Ringvorlesung, die vom SUT (Servicio Universitario del Trabajo) organisiert wurde und unter großer studentischer Teilnahme von Januar bis März 1958 in der - völlig überfüllten - riesigen Aula Magna der Juristischen Fakultät von Madrid stattfand. Beiträge dazu lieferten: P. José Maria de Llanos, Ignacio Fernández de Castro, P. Tomás Malagón, Julián Marías, Antonio Luna, P. Jiménez Maraflón, Manuel Jiménez de Parga, P. Ricardo Alberdi, Pedro Laín Entralgo, José Luis L. Aranguren und P. José María Diez-Alegría. Arbeitswelt und Universität sowie soziale, wirtschaftliche und politische Probleme des damaligen Spanien waren die Themen der Vorträge, denen jeweils, wie man sich unschwer wird vorstellen können, eine äußerst lebhafte Diskussion folgte, bei der allerdings im allgemeinen eine bewußte Ausgewogenheit und - notwendige - Selbstkontrolle vorherrschten, wie sie selbst heute noch bemerkenswert wären. 29 Diese Linie des Sozialkatholizismus, die sich zum Marxismus hin vertiefte, hatte begonnen mit Ignacio Fernández de Castro und seinem Buch Del paternalismo a la justicia social (1956); 1959 erschien dann seine Arbeit über Unidad política de los cristianos, 1962 seine Teoría de la revolución. Vgl. die Vertiefung und Erweiterung dieser Einstellung (neben anderen Werken einer mittleren Phase, von denen einige hier schon zitiert wurden) in zwei weiteren, sehr viel späteren Büchern desselben Autors, nämlich Reforma educativa y desarrollo capitalista und La fuerza de trabajo en España (beide 1973 erschienen bei Ed. Cuadernos para el Diálogo); Fernández de Castro hat danach (1974) noch bei Ed. Siglo XXI ein (zusammen mit A. Goytre verfaßtes) Buch über Clases sociales en España en el umbral de los años 70 veröffentlicht. Was José Aumente betrifft, so hat er in den Jahren vor 1960 zahlreiche aus der genannten Perspektive geschriebene Aufsätze und Artikel zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen publiziert, vor allem in der Zeitschrift Indice; erst Jahre später (1967) erschien sein Buch Confrontación, diálogo y compromiso.

102 Diese Generallinie der Zeitschrift wird anschließend in drei Hauptpunkten konkretisiert: an erster Stelle steht die Feststellung, daß es »nicht genügt, bezüglich des einzelnen Individuums zu handeln, sondern bezüglich der Gesellschaft, die es aufnimmt und in der es sich entwickelt«; »zweitens«, so heißt es ausdrücklich, »ist diese Bewegung für Geistige Hygiene auf die Verwirklichung einer wahrhaft christlichen Gesellschaft auszurichten. In diesem Sinne hoffen wir auf eine Annäherung der Christen an die Praxis«.-, und drittens und letztens wird betont, daß - seit Weber und Lukács, wie es heißt - Praxis »objektive Möglichkeit« ist: »es geht folglich nicht um ein theoretisches, kontemplatives, müßiges Bewußtsein, sondern um ein dialektisches. Dies bewegt sich nicht auf der Ebene der reinen Erkenntnis, sondern auf der Ebene von aktiver Kommunikation, von Austausch, auch von Kampf.«30 Im Leitartikel der zweiten Nummer wurde - unter dem Titel »Nuestros intelectuales y la 'praxis'« - in bester Absicht, aber stellenweise doch etwas naiv die »theoretische Keimfreiheit« kritisiert, zu der Intellektuelle häufig Zuflucht nehmen, so daß sie unausweichlich den Kontakt zur Realität und insbesondere zur konkreten sozialen Wirklichkeit verlieren, in der sie leben, denken und schreiben. »Wir glauben dagegen, daß der Intellektuelle die Aufgabe hat, dafür Sorge zu tragen, daß die Entwicklung seines Volkes in allen Aspekten homogener, gleichmäßiger und effizienter verläuft. Das heißt, er soll sich mit seinem Volk und für sein Volk 'bilden', indem er es anleitet und mit seinen möglichen Verwirklichungen eng verbunden ist. Das setzt die Schaffung einer Dialektik Intellektueller - Volk voraus, in der die - historisch und politisch - wahre Elite der Intellektuellen entstehen muß. Denn deren Aufgabe wird es sein, das Volk von seiner 'Philosophie' abzubringen und zu einer überlegenen Weltauffassung zu führen. Sie müssen also für die Veränderung der Volksmentalität kämpfen und ihr jene Realitäten nahebringen, die historisch wahr sind.« Entsprechend endete auch der Leitartikel in Praxis". »Auf der anderen Seite gibt es eine bei unseren Intellektuellen weit verbreitete Vorstellung: daß es nämlich eine rein individuelle ethische Verbesserung geben könne. Was nicht nur eine Illusion, sondern - viel schlimmer - einen schweren Irrtum darstellt. Denn niemand verwirklicht sich oder macht Fortschritte ohne nach außen gerichtete Aktivität, d. h. ohne daß dies wegen und inmitten des Nächsten geschieht, dem man sich zu seiner Verbesserung anbietet. Und schließlich eine wichtige Bemerkung: Eine Sache ist es, die Ereignisse zu 30 Praxis Nr. 1 (Mai 1960); in einem weiteren Leitartikel der gleichen Nummer kann man unter dem Titel »Gründe für unsere Haltung« ausdrücklich (S. 4) lesen: »Die Aufgabe der Kultur beschränkt sich nicht darauf, die Welt zu deuten; sie weiß auch, daß die Welt mehr ist, viel mehr als ein nur im Denken der Menschen existierendes, erdachtes Produkt. Die Welt verändern: das ist heute ihre wahre Bedeutung, und das soll für uns die Aufgabe jeder kulturellen Betätigung sein. Nur so wird es möglich sein, das große Abenteuer zu bestehen, das unserer Zeit bevorsteht: die Integration des Menschen ins Universum.« An dieser ersten Nummer von Praxis arbeiteten u. a. mit: José Aumente (El tema de la juventud 'inadaptada'), José Manuel Arija (Identificación cristiana) und Martín M. Arrizubieta (La dialéctica de 'praxis' y la declaración colectiva del episcopado español); sie enthielt außerdem eine ausführliche Zusammenfassung des von José Aumente im Rahmen der vom SUT im April 1960 an der Juristischen Fakultät von Madrid veranstalteten Ringvorlesung gehaltenen Vortrags über Libertad y justicia burguesa; breve crítica de un mito (weitere Vorträge dieser Reihe waren von Ignacio Fernández de Castro: Clases sociales: su estructura y dinámica, und von J. M. Diez-Alegría: El actual problema social y el redescubrimiento del Evangelio).

103 untersuchen, eine andere, sie vorzubereiten und zu ermöglichen. Bei uns«, so stellt der Leitartikler ziemlich optimistisch und leichtfertig fest, »gibt es Intellektuelle im Überfluß, die sich der ersten, im übrigen einfachen und harmlosen Aufgabe widmen. Wir haben zu viele«, so heißt es dann genauer, »konformistische Intellektuelle, die in bequemer Sicherheit etabliert sind, und es fehlen uns solche Intellektuellen, die sich in der großen Aufgabe engagieren, für eine bessere Gesellschaft zu arbeitend 1

Die Intellektuellen und die Politik. Evolution des Systems: Von der geduldeten Verschwörung zur illegalen Opposition Nun waren aber nicht wenige der Männer, von denen hier die Rede war - und auf die sich Praxis zum Teil bezieht - ohne jeden Zweifel Intellektuelle, die sich für die genannte gemeinsame Aufgabe engagierten (sie waren, wie es damals hieß, engagés), wobei das Engagement natürlich in einem weiten, je verschiedenen, vieldeutigen Sinn aufzufassen ist. Man konnte damals eigentlich nicht viel tun; andererseits bestand aber keineswegs ein Mangel an Intellektuellen, die sich ihrer Kritikerrolle innerhalb der Gesellschaft bewußt waren, einer Rolle, die selbstverständlich als Grundlage objektive Analyse und wissenschaftliche Forschung, also ein gründliches, sachgerechtes Verständnis eben dieser sozialen Wirklichkeit einschließt. Diese und andere Intellektuelle nahmen in jenen Jahren häufig in der Öffentlichkeit eine ethische Haltung des Protests und Widerspruchs angesichts bestimmter konkreter Vorkommnisse bzw. symbolischer Momente ein (zwar ohne große politische Wirkung, aber dafür konnten sie nichts). Außerdem beteiligten sie sich an zahlreichen Aktionen zur Rehabilitierung liberaler und demokratischer Elemente der geistigen und kulturellen Vergangenheit Spaniens, was immerhin auf unser damaliges politisches Leben direkte Auswirkungen hatte.32 Unterschiedliche intellektuelle Generationen beteiligen sich gemeinsam an diesem ethisch-politischen Engagement. So kann man sagen, daß die um 1956 entstandene 31 Praxis Nr. 2 (Juli-August 1960); in der zweiten Nummer - insgesamt wurden nur noch zwei oder drei weitere Nummern herausgebracht - sticht eine Arbeit über Etica equívoca. Ensayo para una sociología de la ética von Carlos Castilla del Pino, einem damals kaum oder gar nicht bekannten Autor, hervor; sie enthält außerdem einen weitsichtigen Artikel von Juan Añiló über ein Hauptthema der internationalen Politik späterer Jahre und bis heute, nämlich: Los países del sudeste asiático: sus problemas económicos y sociales, sowie eine Beilage Uber Nuestro esquema dialéctico von José Aumente. 32 Man denke hier - um nicht die zahllosen von den Intellektuellen in all jenen Jahren unterzeichneten Dokumente, Petitionen, Protestschreiben usw. anzuführen - an die Gedenkfeiern für Antonio Machado, die 1959 anläßlich seines zwanzigsten Todestages in Colliure (Frankreich), wo er gestorben war und noch immer begraben ist, abgehalten wurden, aber auch in Segovia (und Jahre später in Baeza), und zwar unter bemerkenswert starker Beteiligung von Professoren, Schriftstellern, Künstlern, bekannten Freiberuflern usw. Lain Entralgo und Arangurcn sprachen bei der Veranstaltung in Segovia; an der in Colliure hatten u. a. - wie Dario Puccini: Romancero della resistenza spagnola, a. a. O. S. 72, Anm. 75 angibt - »Menéndez Pidal; die Arzte Maraflón, Lafora und Hernando; die Dichter Alexandre, Alonso (Dámaso), Celaya, de Otero, Nora, Ridruejo; die Universitätsprofessoren Lain Entralgo, Garrigucs (Joaquín), Andrés (Valentín Andrés Alvarez), Gallego Díaz, Montero (Santiago Montero Díaz), Lapesa, Marías; die Romanciers Cela, Goytisolo (Juan), Fernández Santos (Jesús), Sánchez Fcrlosio, Aldccoa; die Filmemacher Bardcm und Berlanga; die Dramatiker Sastre und Buero Vallejo sowie die aus dem Exil zurückgekommenen Herrera Pclcrc, Alberti, Aub, León Felipe und andere« einen Anteil.

104 pluralistisch-demokratische Opposition in all diesen Jahren, bis in die sechziger Jahre hinein, ihre kritischen Standpunkte verfestigt und vertieft, wobei sie immer mehr mit der in die gleiche Richtung zielenden Entwicklung übereinstimmt, die man an den hervorragendsten Vertretern der Generation von 1936 beobachten kann, von der auf den vorangegangenen Seiten schon so oft die Rede war. Aufrichtiges persönliches Zeugnis dieser Entwicklung und dieses Engagements war das damals vielleicht wichtigste Buch Escrito en España von Dionisio Ridruejo, das zwar auf »Madrid 1961« datiert ist, aber 1962 in Argentinien (bei Losada) erschien und in dem mit großer Ausdrucks- und Überzeugungskraft die politischen und intellektuellen Erfahrungen des Autors (und in gewisser Weise seiner Generation und seines Landes) nach dem Bürgerkrieg und während der 50er Jahre zusammengefaßt sind.33 Zweifellos gab es in jenen Jahren aus eigenem innerem Bedürfnis, aber auch angeregt und gedrängt durch die genannten und andere kritische Einstellungen, auch eine gewisse Entwicklung beim establishment. Man kann folglich sagen, daß sich seit Beginn der 60er Jahre (etwa ab 1962-63) gewissermaßen eine relativ neue Situation abzeichnet. Diese neue Situation ist unter anderem wesentlich gekennzeichnet durch den Beginn der Wirtschaftsentwicklung, durch das Erreichen politischer Mündigkeit sogar mit Beteiligung an der Macht - bei einer Generation, die am Bürgerkrieg weder teilgenommen noch ihn auch nur direkt erlebt hat, durch die notwendige größere Rationalisierung der Bürokratie und der staatlichen Verwaltung usw.34 All dies sind Ereignisse und Faktoren, die die Wiederaufnahme einer gewissen kulturellen und politischen Liberalisierung und Öffnung ermöglichen, wie sie (unter gelegentlichen Rückfällen und behaftet mit wesentlichen Dysfunktionalitäten) seit etwa 1962-63 vom System selbst betrieben wird, wobei der Höhepunkt mit dem Pressegesetz von 1966 und dem Grundgesetz des Staates von 1967 erreicht ist. Ein scharfsinniger Essay von Tierno Galván, der 1962 veröffentlicht wurde, gab eine gute Darstellung dieses Schrittes zu einer »relativ neuen Situation«, indem er sie auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Auswirkungen auf die kritischen Einstellungen untersuchte, die man als oppositionell bezeichnen kann. Der Essay trug den Titel 33 Für einen Uberblick über die kulturelle, intellektuelle, aber auch politische Lage Spaniens in jenen Jahren vgl. z. B. die Sondernummer des Texas Quarierly (Austin) Vol. IV Nr. 1 (Spring 1961) zum Thema »Image of Spain«, besonders den Artikel von Pedro Lain Entralgo: Spain as a Problem. Yet again, S. 15-20; daneben sind auch die Artikel von Mariano Picón Salas: The Dispersion of Free Spain, S. 21-24, und von Juan Marichal: Some Intellectual Consequences of the Spanish Civil War, S. 39-47, hervorzuheben. Von den Büchern, die unsere exilierten Intellektuellen in jenen Jahren veröffentlichten und die einen äußerst positiven Beitrag zum besseren Verständnis des geschichtlichen und zeitgenössischen Hintergrundes unseres Landes leisteten, sei hier erinnert an Eduardo Nicol: El problema de la filosofía hispánica, sowie Juan López Morillas: Intelectuales y espirituales, beide 1961 erschienen. Spricht man von »Spaniern außerhalb Spaniens«, dann darf beim Rückblick auf jene Jahre und speziell auf das Jahr 1959 (in dem in Spanien Arturo Duperier stirbt, der sich am Ende über die mangelnde Unterstützung für seine Forschungsarbeit enttäuscht zeigte) die Verleihung des Nobelpreises für Medizin an Severo Ochoa, einen der nach Nordamerika emigrierten Spanier, nicht unerwähnt bleiben. 34 Vgl. zum letzten Aspekt das Buch von Carlos Moya: Burocracia y sociedad industrial, Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1972, bes. den zweiten Teil (S. 67-207) über den Rationalisieningsprozeß der spanischen Bürokratie. Vgl. auch die Aufsätze aus diesen Jahren von Laureano López Rodó, einem der Hauptprotagonisten der Politik der Wirtschaftsentwicklung, die in seinem Buch Desarrollo y política, Madrid: Aguilar 1970 gesammelt sind.

105 »Anatomie der Verschwörung« (Anatomía de la conspiraciónJ.35 Tierno Galván beginnt mit einer Unterscheidung der Begriffe »Beschwörung« (charakterisiert durch Geheimnis, Mysterium, magischen Kontext) und »Verschwörung« (gekennzeichnet durch Heimlichkeit, Handlung, Wirksamkeit), und betont den historischen Fortschritt, den der Übergang von der einen zur anderen Oppositionsform bedeutet. So heißt es: »In der Moderne, ab dem Spätmittelalter, gab es zunächst Be-, dann Verschwörungen. Die Aufgabe der Beschwörung und der Übergang zur Heimlichkeit war der Weg, den die Verschwörung in der Moderne ging.« Andererseits verlieren jedoch Heimlichkeit und Verschwörung mit politischer Liberalisierung und Wirtschaftsentwicklung allmählich ihren Sinn. Protest und Wandel werden unter diesen Umständen durch entsprechende institutionelle Ausformungen kanalisiert, in denen die Opposition legitimiert und legalisiert ist. So heißt es bei Tierno: »Man kann sagen, daß die Freiheit zur Verschwörung der Verschwörung ein Ende bereitet«. Daher gilt auch: »In einer wirtschaftlich entwickelten Gesellschaft gibt es keine Verschwörungen.« Tatsächlich verliert die Verschwörung ihren Sinn, wenn Protest und Verschwörung institutionalisiert sind. Trotzdem - so Tierno weiter - sind Verschwörungen in unter- und halbentwickelten Gesellschaften, in denen es keine angemessenen Institutionen für freies politisches Handeln gibt, weitgehend unvermeidbar und notwendig, ja sie haben dort sogar therapeutische Funktion. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor in diesem (im Spanien des Jahres 1962 kaum noch verschlüsselten) Essay der Betrachtung einer ganz bestimmten Art von Verschwörung: der sogenannten »konventionellen, trivialisierten oder schwerelosen Verschwörung«, die vom Typ des »geduldeten Verschwörers« ausgeht. Es geht dabei nach Tiemo um eine besondere politische Situation, die in politischen Regimen, die sich durch die Vorherrschaft einer starken personalen Macht auszeichnen, in dem Moment einzutreten pflegt, in dem sich klare Anzeichen für das nahende Ende dieser Herrschaft erahnen bzw. nachweisen lassen. Es handelt sich hier gewissermaßen um unrettbar verfahrene Situationen; niemand kann die anstehende Veränderung verhindern, sie wird von der Systemstruktur selbst impliziert. Da man sich also eines baldigen Wandels ziemlich sicher sein kann, wird der größte Teil der Untertanen eines solchen Staates zu Verschwörern, und gleichzeitig auch wieder nicht. Es verschwören sich sogar - oder vor allem - die Schichten, die der Macht selbst nahestehen. Sie sehen den bevorstehenden, unausweichlichen Wandel vorher, ja sie wünschen ihn sogar. Das Wissen um sein Bevorstehen und seine Unausweichlichkeit vermindert aber zugleich Dringlichkeit und Einsatzwillen; auf diese Weise wird - nach Tiemo - der Verschwörer trivialisiert, und es entsteht der Typ des geduldeten oder

35 Erstmals im Boletin Informalivo del Seminario de Derecho Politico de la Universidad de Salamanca Nr. 27 (August 1962), S. 27-57; es handelte sich bei dieser Ausgabe des Boletin um eine der in Princeton herausgebrachten Nummern, wo Tiemo Galvän damals als Gastprofessor tätig war. Im folgenden Jahr erschien der Essay unter dem gleichen Titel in der Sammlung »Cuademos« bei Taurus (Madrid 1963).

106 besser gesagt des schwerelosen Verschwörers, dem eine Bühne für seinen Auftritt fehlt. Tierno Galvän achtet sorgfältig darauf, die schwerelose Verschwörung nicht ironisch-bukolisch oder trivialisiert darzustellen: Man erinnere sich daran, daß 1962 auch ein Jahr schwerer Streiks der Arbeiterklasse w a r . 3 6 Er weist im Gegenteil darauf hin, daß solche Situationen »äußerst gefährliche Augenblicke [sind], die ständigen Unruhen vorhergehen und diese ankündigen. Außerdem haben solche schwerelosen Verschwörungen immer auch ihre Opfer.« An dieser Stelle muß man sich fragen, ob nicht gerade die 60er und die beginnenden 70er Jahre diese Unruhen und die in der schwerelosen Verschwörung symbolisch zum Ausdruck kommende Instabilität deutlich zum Vorschein brachten - eine Instabilität und Unruhe, die sich selbstverständlich auf die ganze Gesellschaft auswirken. Vielleicht vermehrten sich in all diesen Jahren nur die Belege, die Gründe und Argumente für die Notwendigkeit eines (im übrigen mit der wirtschaftlichen Entwicklung einhergehenden) Schrittes von der schwerelosen oder tolerierten Verschwörung, wie sie für Fehlentwicklung und personale Macht typisch ist, zur legitimierten und legalisierten Verschwörung, d. h. zur Nicht-Verschwörung: letztlich also die Notwendigkeit des Schrittes hin zur Institutionalisierung und Legalisierung der Opposition und des Widerspruchs in einem wirklichen und wahrhaftigen Rechtsstaat.

36 Für eine Geschichte der Arbeitskonflikte all dieser Jahre, die zweifellos - neben der eingehenderen Untersuchung anderer sozialer und wirtschaftlicher Probleme - zu einem profunderen Verständnis vieler der auf diesen Seiten behandelten Fragen über das spanische Denken in der Franco-Zeit beitragen wird, vgl. etwa den ausführlichen Überblick, der von Maria Fava I Compta und J. M. Huertas Claveria in der Nummer zum Thema »Problemas de la clase obrera« von Cmdernos para el Diälogo (Madrid) Sondernummer XXXin (Feb. 1973) S. 34-49 veröffentlicht wurde. In diesem Heft und der Fortsetzung in Sondernummer XXXVI (Juli 1973) der gleichen Zeitschrift findet man eine korrekte Behandlung einer ganzen Reihe von Hauptproblemen (Gewerkschaftswesen, Emigration, Arbeitsrecht, politische und ökonomische Partizipation usw.), mit denen die spanische Arbeiterklasse so viele Jahre konfrontiert war. Vgl. auch einen großen Teil der Titel von ZYX, einem Verlag, dessen Bücher sich überwiegend mit diesen und anderen Problemen der Arbeiterklasse in der heutigen Gesellschaft befassen.

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5. 1962-1969: Versuche der Institutionalisierung des Systems und zweite Phase der Liberalisierung. Entwicklung im Bereich des christlichen Denkens und der dialektischen Philosophie.

Die politischen Veränderungen von 1962: Geistige Liberalisierung und institutionelle Entwicklung Trotz vielfältiger Schwierigkeiten und unüberwindlicher Grenzen hatte, wie wir gesehen haben, der erste ernsthafte Versuch zu einer relativen geistigen und zum Teil auch politischen Liberalisierung zwischen 1951 und 1956 stattgefunden. Danach (zwischen 1957 und 1959) erfolgte - zusammen mit der partiellen Umkehr bzw. Stagnation in jenen Bereichen - der Beginn der Wirtschaftsliberalisierung, der das Ende der Autarkie sowie den »Take-off« der planerischen Linie markiert, der das »Wachstum« - wie manche lieber sagen als »Entwicklung« - mit sich brachte, das im Laufe der 60er Jahre in der spanischen Wirtschaft verzeichnet wurde. Parallel zu dieser Liberalisierung der Wirtschaft beginnt nun auch das, was man die zweite Phase der kulturellen und politischen Liberalisierung nennen kann. Sie ist von ihrem Anspruch her vielleicht oberflächlicher und beschränkter als die erste, hat aber zweifellos eine größere »infrastrukturelle« Basis. Diese Periode dauert immerhin bis 1969. Unmittelbare Ursache für die Veränderungen von 1962 war wohl, daß es im Frühjahr schwere Streiks in den Bergwerken von Asturien und in anderen Landesteilen gegeben hatte - angeheizt gerade durch das Wirtschaftswachstum, das soziale Konflikte verschärft oder jedenfalls noch deutlicher hervortreten läßt. Dazu kam die Notwendigkeit, von seiten des Systems darauf zu reagieren, daß sich renommierte Führer der Opposition im Juni 1962 in München trafen, um dort ganz klar eine europäisierende Alternative zu erarbeiten. Außerdem spielte zweifellos auch die Eigendynamik des Systems eine Rolle, das Bedürfnis, der in den vorangegangenen Jahren begonnenen Politik der Wirtschaftsreform größere geistig-politische Kohärenz zu geben, i 1

Die Unterzeichnung der Römischen Verträge von 1957 und die Errichtung der EWG kurz vor dem Beginn der Stabilisierung und Entwicklung der spanischen Wirtschaft gab dem Problem der Arbeitskämpfe in unserem Land eine neue Dimension, nämlich die einer dynamischeren, kapitalistischen Gesellschaft. Die starke Abwanderung von Arbeitern nach Europa sollte eine der Folgen der neuen Wirtschaftspolitik sein. Sie und der große »Boom« im Bereich des Tourismus wurden damals zu den beiden Haupldevisenquellen des Landes. Außer einigen schon zitierten Arbeiten vgl. zu diesen Problemen u. a. Jesús Garcia Fernández: La emigración exterior de España, Barcelona: Ariel 1965; Francisco Sánchez López: Emigración española a Europa, Madrid 1970; die Zeitschrift Les Temps modernes

108 José-Carlos Mainer liefert in seiner Darstellung dieser Phase, die 1962 beginnt, eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse dieses Jahres der Veränderungen. Er schreibt:2 »Für die politische Geschichte war 1962 tatsächlich ein bewegtes Jahr. Im Februar beginnen die Gespräche mit der EWG, im Frühjahr - und noch einmal im Herbst - gibt es einige der wichtigsten Arbeitskämpfe der ganzen Nachkriegszeit, im Mai erfolgt die Wiedervereinigung verschiedener oppositioneller Strömungen anläßlich der Treffen von München, mit der berühmten Umarmung des Christdemokraten Gil Robles und des Sozialisten Rodolfo Llopis, im Juli findet die Kabinettsumbildung statt, die General Muñoz Grandes das Amt des Vizepräsidenten und Manuel Fraga Iribarne das des Informationsministers bringt, im November schließlich wird Julián Grimau verhaftet. Ohne daß hier besondere Daten zu verzeichnen wären, setzt die Bewegung der Unzufriedenheit an den Universitäten intensiv ihre Arbeit fort - es ist die Zeit der 'Felipes'; so werden die Mitglieder der F. L. P. (Frente de Liberación Popular) genannt; es beginnt die Diskussion zwischen dem direkt revolutionären Modell (die Erfahrungen der Dritten Welt - Algerien, Kuba - waren verlockend) und dem reformistischen Modell, mit einem ganzen Rattenschwanz von Mißverständnissen und schlechtem Gewissen.«3 Ramón Tamames schreibt im Zusammenhang mit seiner Darstellung der Hauptgründe für die Kabinettsumbildung von 1962 über das erwähnte Treffen der Oppositionsgruppen in München: »Der zweite Grund für die Regierungsumbildung von 1962 lag - natürlich abgesehen von dem biologischen Zyklus von 5-7 Jahren, den Regierungen so haben - in dem von der Regierung am 9. Februar 1962 gestellten Antrag auf Assoziierung Spaniens an die EWG. Der Antrag wurde auf dem Kongreß, den die 'Europa-Bewegung' am 7. und 8. Juni 1962 in München abhielt, zur Abstimmung gestellt. An dem Kongreß nahmen 118 spanische Delegierte und damit Vertreter aller Oppositionsparteien und -gruppierungen außer der PCE teil, die von den spanischen Kongreßteilnehmern sowohl des Inlands (unter Vorsitz von Gil Robles) als auch des Exils (geführt von Salvador de Madariaga) ausdrücklich abgelehnt worden war. Auf Antrag der spanischen Delegation wurde auf dem Kongreß eine Resolution verabschiedet, die hauptsächlich in der Forderung bestand, Spanien solange nicht als Partner der EWG zu akzeptieren, wie sein politisches Regime nicht dem der Mitgliedstaaten der EWG entsprach.« Weiter heißt es bei Tamames: »Die Reaktion der spanischen Regierung war sehr heftig. Nach ihrer Rückkehr ins Land sahen sich die HauptNr. 310 (Mai 1972), Sondernummer zum Thema »La lutte de classes en Espagne entre 1939 ec 1970«; Jon Amsden: Colleclive Bargaining and Class Conflict in Spain, London: Weidenfeld & Nicholson 1972. 2

In seiner schon zitierten Arbeit (vgl. Kap. 3, Anm. 40) mit dem Titel Nota a unas notas, erschienen in der Zeitschrift Andalón.

3

Für den universitären Bereich ist - neben der von Mainer erwähnten Richtung - auch an den Versuch von 1962 zu erinnern, eine »Bewegung für Universitätsreform« (Movimiento de Reforma Universitaria) zu gründen, deren Vorsitzender Aranguren sein sollte, unterstützt von einer Kommission, zu deren Mitgliedern u. a. Tiemo Galván, Aguilar Navarro, José Luis Sureda und Angel Latorre gehören sollten; außerdem sollte es ein Koordinationskomitee geben, dem Raúl Morodo, Ramón Tamames und Elias Díaz angehören sollten (vgl. für weitere Einzelheiten zur Gründung des M. R. U. Le Monde vom 6. Dezember 1962).

109 teilnehmer des Kongresses in der bayerischen Hauptstadt - der von der spanischen Presse auf den Namen 'Münchner Komplott' (contubernio de Munich) umgetauft wurde - vor die Wahl gestellt, zwei Jahre lang in Spanien in die innere Verbannung oder im Ausland ins Exil zu gehen, da so lange der Art. 14 des Fuero de los Españoles suspendiert war. Gil Robles, Dionisio Ridruejo, Prados Arrarte u. a. blieben im Exil; Satrústegui, Alvarez de Miranda u. a. wurden nach Lanzarote verbannt.« 4 Als Resultat all der genannten Faktoren sollte dann schließlich die Kabinettsumbildung vom 10. Juli 1962 folgen, die den Ausgangspunkt der Politik zunehmender rechtlicher Institutionalisierung des Regimes und einer relativen Öffnung im Bereich der Kultur, insbesondere der Presse, bedeutete. Solé Tura hat die Hauptzüge dieser Zeit unter Nennung der wichtigsten gesetzgeberischen Aktivitäten folgendermaßen zusammengefaßt: »Es wurden einige politische Maßnahmen ergriffen, die darauf ausgerichtet waren, die Kommunikationskanäle zwischen den gesellschaftlich führenden Gruppen und der politischen Szene zu beleben und die Unterstützung der städtischen Mittelschichten zu sichern. Man kann hier die Verkündung des neuen Pressegesetzes vom 18. März 1966 nennen, in dem die Vorzensur abgeschafft und das Spektrum der 'Darstellung gegensätzlicher Meinungen' ausgeweitet wurde, wobei allerdings gegnerische Meinungen ausgeschlossen blieben. Nach einer Reihe von Ministerwechseln die« - und hier unterstreicht Solé Tura die Existenz einer gewissen Kontinuität - »alle darauf abzielten, die 1957 eingeleitete politische Linie zu verstärken (Ministerwechsel von 1962 und 1965), wurde eine weitergehende politische Maßnahme ergriffen; ich meine das Grundgesetz (Ley Orgánica del Estado) vom 10. Januar 1967.«5 Ohne Zweifel, wenn auch mit den von Solé Tura angedeuteten Einschränkungen, öffnete sich nach dem Machtbeweis der Verurteilung und Hinrichtung Julián Grünaus im Frühjahr 1963 ein langsamer Weg der Entwicklung des Systems, der wohl 196667 seinen Höhepunkt erreichte.6

4

Ramón Tamames: La República. La Era de Franco, a. a. O., S. 514. Neben diesem zweiten Grand erwähnt Tamames noch zwei weitere als Auslöser der Regierungsumbildung von 1962: die Umstrukturierung einiger Ministerien im Zusammenhang mit dem kurz vorher neu geschaffenen Posten eines Kommissars für den Entwicklungsplan (L. López Rodó, dessen Stern schon im Aufgehen begriffen war) sowie die Auswirkungen der Kohlestreiks, vor allem in Asturien, im Frühjahr desselben Jahres.

5

Jorge Solé Tura: Introducción al régimen político español, Barcelona: Ariel 1971, S. 41.

6

Über die Lage des politischen Systems in Spanien in jenen Jahren aus offizieller Sicht vgl. u. a. den Sammelband El Nuevo Estado Español. Veinticinco años de Movimiento Nacional: 1936-1961, Madrid: Instituto de Estudios Políticos 1961; außerdem die Veröffentlichungen des Servicio Informativo Español, darunter im Jahre 1964 diverse Pamphlete zur Begehung des 25-jährigen Friedens, oder auch das Buch España. Estado de Derecho (ebenfalls 1964; als Antwort auf einen Bericht der Internationalen Juristenkommission von 1962 mit dem Titel El imperio de la Ley en España, in dem festgestellt wurde, daß das spanische Regime kein Rechtsstaat sei) sowie das Dokument Nueva Constitución. Referéndum 1966. Geistiger Urheber des größten Teils dieser Publikationen (und womöglich auch anderer, in denen heftige Kritik an der Opposition geübt wurde) war Manuel Fraga Iribame, 1961 Direktor des Instituto de Estudios Políticos und seit 1962 neuer Informationsminister. Neben anderen, mehr juristisch-technisch gearteten Werken sind von ihm für das vorhergegangene Jahrzehnt La crisis del Estado (1955) und für die Jahre als Minister sein Horizonte español (1965) zu nennen; nach seinem Ausscheiden aus der Regierung 1969 hat Fraga Iribarne Sammlungen seiner Reden und anderer kurzer Arbeiten in den Büchern El desarrollo político (1971), Legitimidad y representación (1973) und La República (1973) veröffentlicht.

110 Damals schrieb Raúl Morodo in bezug auf solche Liberalisierungsansätze:? »Man muß feststellen, daß wir uns in einer neuen Phase befinden: einer Phase des 'Takeoff oder, wie man auch sagen könnte, der Enttotalisierung des Regimes.« Und er fügte hinzu: »Vor fast zwei Jahren veröffentlichte ich in dieser Zeitschrift einen Artikel, der bestimmten Sektoren des Exils nicht gefiel, mit denen ich deswegen eine herzliche Auseinandersetzung hatte. Es fiel ihnen schwer zu verstehen, daß ein politisches Regime, das als totalitäres Regime, mit totalitären Ideologien und Institutionen, begonnen hat, sich zu 'etwas anderem' wandeln kann. Meine Gesprächspartner gingen von einer historischen Perspektive aus - wobei sie den spanischen mit dem deutschen oder italienischen Faschismus gleichsetzten -, und sie hatten vor allem keine hinreichende Vorstellung von der Auswirkung der sozio-ökonomischen Entwicklung auf die Mentalität des Landes. Konkret zogen sie nicht genügend in Betracht, daß eine konservative neokapitalistische Entwicklung, wie sie in unserem Land seit 1956 stattfindet, unweigerlich dazu führt, daß sich der Faschismus gerade dadurch gezwungenermaßen in Richtung auf eine Öffnung bzw. auf semiliberale, wenn auch nicht demokratische Strukturen entwickeln muß.« Ebenso bemerkte Raúl Morodo: »Das neue Pressegesetz, das seit April dieses Jahres in Kraft ist, hat dazu beigetragen, daß diese posttotalitäre Mentalität öffentlich an Boden gewinnt.« Tatsächlich waren das Presse- und Druckereigesetz, trotz all seiner unübersehbaren Unzulänglichkeiten und schweren Beschränkungen (besonders in der konkreten Anwendung bei zahlreichen Tatbeständen), sowie die vorausgegangene Politik, die sein Inkrafttreten inspiriert und ermöglicht hatte, ohne Zweifel wichtige Faktoren für die Entwicklung des kulturellen und auch des politischen Lebens im Zeitraum 19621968. So gab es eine beträchtliche Erhöhung der Zahl ausländischer Werke, die importiert und im Buchhandel erworben werden konnten (und zwar nicht nur, wie früher, in Luxusausgaben, sondern auch in Taschenbuchreihen); die Veröffentlichung spanischer Autoren wurde gestattet, die noch kurz zuvor für abweichlerisch und hochgefährlich gehalten wurden; die zwingende Vorschrift, alles der Zensur vorzulegen, wurde förmlich abgeschafft; die Zensur selbst wurde flexibler, und die Verlage erhöhten ihr Produktionsniveau deutlich, so daß auch in diesem Sektor durch die ersten spanischen Taschenbuchreihen ein Minimum an Massenkonsum begann.8

7

Raúl Morodo: La politización de la opinion publica: el fin de la criptopolítica en España y la polémica sobre la Monarquía y la República, erschienen in Ibérica (New York) vom 15. Okt. 1966, S. 3. Sicherlich wurde ein gewisses Maß an Kritik und abweichender Meinung anläßlich des Referendums über die Ley Orgánica del Estado im Dezember 1966 geduldet, wenn auch die Öffentlichkeit weitgehend nichts davon erfuhr; die Regierung weigerte sich, die Protestschreiben entgegenzunehmen, die die Opposition formell an sie richtete, aber wenigstens wurde - auch durch die Presse - bekannt, daß eine Opposition existierte.

8

Vgl. die Stellen, die José Luis Abellán diesem Aspekt in seinem Werk La cultura en España (Ensayo para un diagnóstico), Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1971, bes. S. 33 ff. widmet. Nicht auf Bücher, sondern auf Zeitungen bezogen ist, mit einer logischerweise kritischen Haltung, M. Fernández Areal: La libertad de prensa en España (1938-1971), Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1971; vgl. für die historischen Vorläufer seit dem 18. Jahrhundert auch ders. : El control de la prensa en España, Madrid: Guadiana 1973.

Ili

Alles zusammengenommen gab es in jenen Jahren in der Welt der spanischen Kultur einen echten Wandel, den man nicht übersehen oder unterschätzen sollte, wenngleich uns selbstverständlich auch weiterhin ein ungeheurer Graben von der Meinungsfreiheit trennte, wie sie in den demokratischen Ländern des Westens herrschte. Schließlich gab es noch immer viele Bücher und Zeitschriften (besonders mit Bezug auf spanische Probleme), die in unserem Land weder verlegt noch verkauft werden durften. Die traumatisierende Selbstzensur sowie die Gewohnheit der Geheimsprache, des Zwischen-den-Zeilen-Lesens und -Schreibens, hatten weiter schädliche Auswirkungen auf Kultur und Geisteshaltung der Spanier. All dies gilt, ich wiederhole es, ohne daß der unbestreitbare Fortschritt übersehen werden könnte, den es vor allem im Presse- und Buchwesen seit 1962 und insbesondere seit dem Gesetz von 1966 gegeben hatte.

Kulturelle und politische

Zeitschriften

im Jahre

1963

Im Kontext dieses neuen Klimas, erscheinen 1963 plötzlich drei bedeutende und repräsentative Zeitschriften: Zunächst - ich gehe in der Reihenfolge des Erscheinungsdatums vor - beim Verlag Rialp unter der Leitung von Florentino Pérez Embid Atlántida. Revista del Pensamiento Actual, als Ergänzung zur damals so beliebten »Biblioteca del Pensamiento Actual«.9 Dann erscheint die alte, renommierte, von Ortega y Gasset 1923 gegründete und 1936 eingestellte Revista de Occidente wieder, jetzt unter der Leitung von José Ortega Spottorno.10

9

Die erste Nummer von Atlántida trägt das Datum Jan.-Feb. 1963. Die gedankliche Linie, die dieser Zeitschrift (und anderen, wie z. B. Nuestro Tiempo) zugrundeliegt, ist u. a. von Daniel Artigues in seinem Buch El Opus Dei en España. Su evolución ideològica y política, Bd. I: 1928-1957, Paris: Ruedo Ibérico 1968, untersucht worden; die zweite Auflage dieses Buches (1971) behandelt schon die Zeit bis 1962, also bis zu dem Jahr vor dem ersten Erscheinen der genannten Zeitschrift; vgl. auch von Jesús Ynfante: La prodigiosa aventura del Opus Dei. Génesis y desarrollo de la Santa Mafia, Paris: Ruedo Ibérico 1970, sowie von Luis Carandell: Vida y milagros de monseñor Escrivá de Balaguer, fundador del Opus Dei, Barcelona: Laia 1975. In diesen Büchern findet man ausführliche Informationen und Literaturangaben zu dieser gewiß im Prinzip geistigen Institution (vgl. dazu vor allem das so berühmte und bekannte Werk von J. M. Escrivá de Balaguer: Camino, Madrid 1939), die aber inoffiziell auch unbestreitbar politische und wirtschaftliche Bedeutung im Spanien all jener Jahre besaß (vgl. dazu das interessante Vorwort von Florentino Pérez Embid zu dem Buch von Vicente Cacho Viu: La Institución Libre de Enseñanza, Madrid: Rialp 1962; die besagte Denkrichtung, die als »universalistischer Katholizismus« bezeichnet wird, will sich dort als Überwindung der »traditionellen Haltung« und des »christlichen Fortschrittsglaubens« einerseits sowie der »Ideologie der bürgerlichen Linken« und der »Theorien der sozialen Revolution« andererseits präsentieren.)

10 Die erste Nummer der zweiten Folge der Revista de Occidente ist auf 1963 datiert; neben José Ortega Spottorno als Chefredakteur und Paulino Garragorri als Redaktionssekretär (nach dessen Rücktritt haben ab Nr. 121 vom April 1973 Jaime Salinas und José Varela Ortega gemeinsam diesen Posten inne) besteht der Redaktionsrat der Zeitschrift aus Fernando Chueca Goitia, Luis Diez del Corral, Enrique Lafuente Ferrari, Pedro Laín Entralgo, Rafael Lapesa, José Luis L. Aranguren, José Antonio Maravall, Julián Marías, José Luis Sampedro und Fernando Vela; später kamen noch Manuel García Pelayo, Antonio Rodríguez Huesear und - nach seinem Abtreten als Redaktionssekretär Paulino Garragorri dazu.

112 Und drittens schließlich die Cuadernos para el Diálogo, anfangs geleitet von Joaquín Ruiz-Giménez, mit Pedro Altares als Redaktionssekretär; es handelt sich um eine auch kulturelle, vor allem aber direkt politisch ausgerichtete Zeitschrift. 11 Es sei angemerkt, daß Spanier in Mexiko 1964 die Zeitschrift Diálogo gründeten, die in Spanien kaum bekannt wurde, die aber immerhin einen ähnlichen Titel wie jene bedeutende Zeitschrift im Lande selbst trug - wobei ich nicht weiß, ob hier irgendein Zusammenhang oder eine bewußte Reaktion vorlag. Ich werde weiter unten noch darauf eingehen, daß ebenfalls 1963 in Rom erstmals die spanische Zeitschrift Realidad erschien; außerdem 1965 in Paris die Cuadernos de Ruedo Ibérico sowie Mañana. Tribuna democrática española. Über die erste der oben genannten Zeitschriften (Atlántida) schrieb J. Alfonso Ortí, einer der klügsten Kritiker, der damals ihr Erscheinen kommentierte: »Nach der Interpretation von Pérez Embid führt uns der Mythos von Atlantis die Gefahr vor Augen, daß die Säkularisierungstendenzen, die im derzeitigen Geschichtsprozeß der euro-amerikanischen Gesellschaft zur Wirkung kommen, das Erbe der westlichen Kulturtradition auflösen könnten. Folglich erscheint Atlántida als ein weiteres Bemühen um die Wiederbelebung der christlichen Grundlagen der westlichen Kultur auf der Höhe der Zeit.« J. A. Ortí interpretiert zutreffend die Bedeutung, die die westliche Kultur auf dieser »Höhe der Zeit« für gewisse Sektoren (konservative, aber nicht unbewegliche Christen) besaß, und bemerkt folgerichtig in bezug auf die Zeitschrift: »Aus all diesen Gründen war anzunehmen, daß Atlántida ein engagiertes und korrektes Zeugnis von der Konfrontation der konservativen Geisteshaltung gewisser Zweige der spanischen katholischen Intellektuellen mit der heutigen technokratischen Mentalität geben würde, die das Leben des Westens zu formen beginnt. Es ist dies ein Experiment, das in anderen Bereichen des nationalen Lebens schon in Gang ist. Und Atlántida kann einen angemessenen Rahmen abgeben, um dies auch auf der Ebene des Denkens auszuprobieren.« 12 Die Revista de Occidente ihrerseits war deutlich auf Kontinuität und zugleich Aktualisierung ihrer Vergangenheit aus; Kontinuität natürlich mit den von Ortega y Gasset 1923 genannten Zielen: vor allem die Notwendigkeit, »zu erkennen, wohin die Welt geht, denn überall zeigen sich Symptome eines tiefgreifenden Wandels in Ideen, 11 Ruiz-Giménez war der erste Präsident von Cuadernos para el Diálogo; nach Pedro Allares leitete Félix Santos die Zeitschrift. Die erste Nummer war auf Oktober 1963 datiert; unter ihren Mitarbeitern waren Pedro Lain Entralgo, José María Llanos, S. J., Joan Maragall, Juan Rof Carballo, Joaguín Ruiz-Giménez, José Luis Sampedro, Marcelino Zapico OP, José Luis Sánchez, José Blasco, Juan Luis Cebrián, Salvador Lissarrague, Ignacio Sotelo, Francisco Sintes, Elias Díaz, Miguel Bilbatúa, Javier Rupérez und Pedro Altares (der später Direktor des Verlags Cuadernos para el Diálogo wurde). 12 J. Alfonso Orti Benlloch: Crítica al número primero de la revista 'Atlántida', erschienen in: Revista de Estudios Políticos (Madrid) Nr. 129-130 (Mai-Aug. 1963) S. 452 f. Der vielleicht vollkommenste Ausdruck dieser Denkweise katholisch, technokratisch, konservativ -, die J. A. Orti hier anspricht, wenngleich in anderen Aspekten darüber hinausgehend, ist das umstrittene Buch von Gonzalo Fernández de la Mora: El crepúsculo de las ideologías, Madrid: Rialp 1965, das selbstverständlich im Rahmen des Gesamtweikes seines Autors zu sehen und zu beurteilen ist, wobei ich glaube, das dieses Gesamtwerk paradoxerweise unter einem Übermaß an Politisierung, Ideologisierung und apologetischer Haltung in diese Richtung leidet.

113 Gefühlen, Verhaltensweisen, Institutionen. Viele Menschen beginnen den schmerzlichen Eindruck zu verspüren, daß das Chaos in ihre Existenz eindringt«. All dies verlangt seinerseits Klarheit in dieser Erkenntnis: »Klarheit, Klarheit verlangen vor allem die kommenden Zeiten!«, ruft Ortega 1923 aus. »Die Beibehaltung dieser Ziele ist meines Erachtens völlig gerechtfertigt«, schreibt jetzt, 1963, José Ortega Spottorno: »Die neue Zeit erfordert nach wie vor dringend Klarheit und Scharfsicht, um zu erkennen, wohin die Welt geht.« Neben der Beibehaltung bestimmter Grundwerte ist dabei auch deren Aktualisierung notwendig: »Geistige Kontinuität aber verlangt die von den heutigen Umständen eingeforderte Erneuerung. Das geistige Leben ist zur Zeit von Leidenschaft und Parteilichkeit infiziert. Der lebendigen Neugierde, der Freude am Denken, der Klarheit müssen ganz entschieden die Erfordernisse der Wahrhaftigkeit und vor allem der Freiheit zur Seite gestellt werden, die so schwer bedroht ist und ohne die all diese Imperative unmöglich bleiben.«i3

Die »Cuadernos para el Diálogo« Im Oktober 1963 erschienen die Cuadernos para el Diálogo, die eine viel kritischere Haltung zu den konkreten Problemen Spaniens in der damaligen Zeit hatten. Im Leitartikel der ersten Nummer (unter dem Titel »Razón de ser«; der Text ist für die Geschichte der Zeitschrift als Grundlage und Definition anzusehen) wurden die grundlegenden Ziele folgendermaßen eingegrenzt: »Diese bescheidenen Cuadernos para el Diálogo entspringen der ehrenwerten Absicht, den Austausch von Ideen und Gefühlen hinsichtlich der konkreten Wirklichkeit und der aufregenden religiösen, kulturellen, ökonomischen, sozialen [und] politischen Probleme ... unserer im Wandel begriffenen historischen Situation zwischen Menschen verschiedener Generationen, Glaubensrichtungen und Lebenshaltungen zu erleichtem.« Schon in der ersten Nummer der Cuadernos para el Diálogo wird also ausdrücklich eine Erklärung zugunsten des Pluralismus abgegeben; und tatsächlich nahm dieser Pluralismus seither ständig zu, was allerdings auch bedeutete, daß damit die gleichzeitig nötige innere Kohärenz der Zeitschrift schwieriger wurde. In dem besagten ersten Leitartikel heißt es in diesem Zusammenhang auch: »Sie (diese Cuadernos) wollen keineswegs zum privaten Tummelplatz irgendeiner Gruppe oder gar zum Schützengraben eines ideologischen Vereins oder einer Partei zum Zwecke der Druckausübung werden«, sondern sie stehen »allen Menschen guten Willens offen, wo immer sie sich befinden und wo immer sie herkommen, wenn sie nur dem Ziel des gemeinsamen Marschierens mehr verpflichtet sind als dem Ausgangspunkt.« Ich denke, daß die Cuadernos para el Diálogo in ihren langen Lebensjahren diese umfassend und großzügig pluralistischen Absichten ihrer Gründerzeit voll und ganz 13 José Ortega Spottorno: Propósitos preliminares al numero primero de ta segunda época de 'Revista de Occidcntc', Madrid, April 1963, S. 1-4. Die Veränderungen, denen die Revista de Occidente in jenen Jahren in verschiedener Hinsicht unterworfen wurde, beeinträchtigen weder die Bedeutung und Richtigkeit der Ziclvorslellungen - Klarheit, Wahrhaftigkeit, Freiheit - noch können sie die in der Zeitschrift objektiv geleistete Arbeil vergessen machen.

114 erfüllt haben. Trotz des damals vor allem von ihrem Gründer gepflegten öffentlichen Images waren die Cuadernos para el Diálogo doch nie eine im strengen Sinne christdemokratische Zeitschrift, genauso wenig wie sie später eine rein sozialistische Zeitschrift waren; es wäre falsch, sie ausschließlich als eine solche zu definieren, will man nicht diesem Ausdruck eine völlig unangemessene und folglich ungenaue, wenig klare Extension verleihen. Ich stimme also in diesem Punkt weder denen zu, die sie für jene angeblich zuletzt eingeschränkte Positionszuweisung loben, noch denen, die sie dafür tadeln. Etwas ganz anderes ist es, daß es innerhalb der Zeitschrift auch eine ziemlich konsequent sozialistische Linie gab. Vorherrschend in den Cuadernos - wie in all diesen Jahren auch in breiten Schichten christlicher Ausrichtung - war aber wohl in erster Linie eine deutlich demokratische geistige Entwicklung sowie später auch ein gewisser ethischer Prozeß der Radikalisierung des Denkens und der zugrundeliegenden Einstellungen der Menschen. Im Rahmen dieses ebenfalls chronologischen Prozesses - der wahrscheinlich um 1968/69 in diese Richtung umschlug - ist, wie ich meine, auch der so umfassende, großzügige und instabile Pluralismus zu verstehen, der in der Geschichte der Cuadernos para el Diálogo ein entscheidendes Element war. In der einleitenden Vorstellung der Zeitschrift wurde auch etwas gesagt, das auf den ersten Blick wie reine Rhetorik wirkte, das aber zu einer schon in den »Zeichen der Zeit« angedeuteten Spannung zurückführen sollte. Wir lesen dort: »Es sollte klar sein, daß diese Cuadernos mitnichten utopisch oder uchronisch, zeit- und heimatlos sind. Sie sind verwurzelt in einer bestimmten Zeit - der unseren, die hell und dunkel ist und attraktive Zukunftsperspektiven bietet - und in einem bestimmten Ort der Erde: Spanien, ein lebendiges Stück Europas und der großen Familie der hispanischen Völker.« Ob nun die Implikationen dieses - bei uns durchaus üblichen - doppelten Verweises dabei bewußt waren oder nicht, man kann jedenfalls hinsichtlich dieser (nicht allein geographisch bzw. sprachlich gemeinten) Zuordnung Spaniens zu Europa bzw. Lateinamerika feststellen, daß auf den Seiten der Zeitschrift häufig eine gewisse Grundspannung zwischen einer »europäistischen« einerseits und - in Zusammenhang mit dem schon erwähnten, manchmal eher verbalen, Radikalisierungsprozeß - einer »drittweltlichen Auffassung« von Spanien andererseits zu spüren war und ist; dabei handelt es sich um unterschiedliche Mentalitäten, mit allgemeinen und konkreten Implikationen für die Einstellung zu den kulturellen, politischen und sozialen Problemen des Landes, die nicht immer übereinstimmen und die manchmal sogar einander entgegengesetzt sind. Abgesehen von all diesen Fragen und davon, wie in der Zukunft ein endgültiges Urteil über die schwierige, achtbare, mutige und bewegte Geschichte der Cuadernos para el Diálogo ausfallen mag, wird man doch objektiv sagen können, daß man sich immer bemüht hat, jene drei Qualitäten aufzuweisen und umzusetzen, die der Autor von »Razón de ser« von den Mitarbeitern der Zeitschrift forderte: »Gegenseitigen Respekt vor der Person des anderen, ein waches Gespür für alle Werte, die dem

115 menschlichen Leben Sinn und Würde verleihen, und ein gemeinsames Streben danach, eine freiere, solidarischere und gerechtere Welt zu schaffen.« Mit Hilfe der Cuadernos wollte man »beleidigtes Schweigen, nazistischen Monolog und verletzende Polemik umwandeln in ein weitgehendes, sauberes Verständnis der konkreten Tatsachen und der Gründe des Anderen sowie in die fruchtbare Erfindung und Erprobung neuer Formen des Zusammenlebens.« Dies sollte, so glaubte man, für jeden möglich sein, der »durch das Feuer seines religiösen Glaubens« oder »einfach im Lichte seiner naturgegebenen Vernunft« an »die radikale Fähigkeit des Menschen zu Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden, jenseits von Lüge, Unterdrückung und Krieg« glaubt. Dies also sind die Grundwerte - Menschenrechte und Demokratie sowie, auf anderer Ebene, Respekt vor aufrichtiger Religiosität -, die jenseits aller Meinungsverschiedenheiten und begrifflichen und taktischen Irrtümer unbestreitbar Theorie und Praxis der Cuadernos para el Diálogo leiten sollten und tatsächlich auch geleitet haben. 14

Erneuerung im Bereich des katholischen Denkens: Besondere Berücksichtigung der Enzyklika »Pacem in Terris« und ihrer Auswirkungen in Spanien All dies, das Erscheinen der Cuadernos para el Diálogo ebenso wie die allgemeine theoretisch-praktische Ausrichtung, die ihr zugrundeliegt und die sie verbreitet, sind Fakten, die im Zusammenhang mit der tiefgreifenden Erneuerungsbewegung zu sehen sind, wie sie im Laufe jener Jahre von der katholischen Kirche (aber auch von anderen Kirchen) ausgeht, besonders seit dem Pontifikat von Johannes XXIII. und der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils. In der Folge dieses päpstlichen

14 Im Laufe all dieser Jahre seit 1963 kann man mit Hilfe der Leitartikel und Artikel der Cuadernos para el Diálogo nicht nur die Geschichte der Zeitschrift selbst, sondern mit entsprechendem Eifer und Verständniswillen auch das Auf und Ab der spanischen (und in zweiter Linie der internationalen) Lage in ihren politischen, wirtschaftlichen, sozialen, geistigen und universitären Aspekten nachvollziehen. Aus der (für jeden künftigen Historiker inzwischen unverzichtbaren) Sammlung möchte ich hier auf einige - selbstkritische - Schlüsselarbeiten aus dem vergangenen Jahrzehnt zur Geschichte der Zeitschrift und des Landes verweisen: Joaquín Ruiz-Gímenez: Fin de vacación: Los problemas políticos españoles a examen (ein ausführlicher programmatischer Bericht, den Manuel Jiménez de Parga treffend als »Manifest von Palamós« - des Entstehungsortes - bezeichnet hat), veröffentlicht in Nr. 47-48 (Aug.Sept. 1967), S. 3-11. Außerdem die Sondernummern VII (Feb. 1968) und XVIII (Feb. 1970), die erste anläßlich des Erscheinens von Nr. 50 herausgegeben unter dem Titel »Comienzo de un camino: octubre 1963-diciembre 1967. Cuatro años: cincuenta números«, die zweite - deren Verbreitung erst 1971 gestattet wurde - war dem Thema »España 1970: Ante una década difícil« gewidmet. Ebenso Sondernr. 100 (Jan. 1972) und darin vor allem der Artikel von Pedro Altares: Biografía sin ánimo de hacer historia, S. 33-41, ein hervorragender Rückblick auf die Jahre der Zeitschrift, sowie die unter dem Titel »Juicio critico a 'Cuadernos para el Diálogo'« erschienene Diskussionsrunde, S. 19-32, unter Beteiligung von M. Aguilar Navarro, Pedro Altares, Pablo Castellano, J. M. Gil Robles y Gil Delgado, Pedro Laín Entralgo, J. L. L. Aranguren, Gregorio Peces-Barba, Dionisio Ridruejo, Joaquín Ruiz-Giménez, Félix Santos, Isabel Serrano und José Maria Vilaseca. Später dann auch die Sondernummer XXXVIII (Dez. 1973) anläßlich des zehnten Jahrestages der Gründung unter dem Titel »1963-73. Cambios sociales e inmovilismo«. Auf weitere Arbeiten werde ich im folgenden noch eingehen.

116 aggiornamento ergeben sich auch in weiten Teilen der spanischen Kirche zumindest andeutungsweise wichtige Veränderungen.^ In diesem Zusammenhang sollte die Enzyklika Pacem in terris vom 11. April 1963 erheblichen Einfluß gewinnen (noch größeren sogar als die frühere Mater et magistra), und zwar auch - obgleich nicht nur - im Bereich des politischen Denkens, das durch sie und ihre Forderung nach Respektierung und Schutz der Grundrechte des Menschen und der entsprechenden öffentlichen Freiheiten durch deren Institutionalisierung in einem echten, wahrhaftigen Rechtsstaat in eine deutlich fortschrittliche und demokratische Richtung orientiert wurde. Ruiz-Giménez, der im Laufe jener Jahre die umwälzende Entwicklung seines vor 1956 auf Öffnung gerichteten Denkens zu einer demokratischen Orientierung hin vertieft (sein Vortrag von 1957 über »La política, deber y derecho del hombre« war ein Glied in dieser Kette), war einer der ersten in Spanien, der dieser Interpretation der Enzyklika Ausdruck gab. 16 Unmittelbar danach erschien der Sammelband Comentarios civiles a la encíclica 'Pacem in terris' 17 und etwas später u. a. die Comentarios universitarios a la 'Pacem in terris'beides Werke, die zu einer großen Verbreitung des neuen päpstlichen Denkens im damaligen Spanien beitrugen. Vielleicht zum ersten Mal wurde eine Enzyklika in den Medien und Gruppierungen besprochen und gelobt, die solchen religiösen Dokumenten normalerweise distanziert gegenüberstehen; und dies sicher nicht aus politischem Opportunismus (wie es der »Minderwertigkeitskomplex« bzw. die vereinfachenden Vorurteile einiger Katholiken befürchteten), sondern aus objektiven Gründen von wahrhaft historischer Bedeutung. Angesichts dieses großen Einflusses von Pacem in terris auf die katholischen und nicht-katholischen spanischen Medien ist es vielleicht nicht unangebracht, hier knapp die kommentierte Zusammenfassung wiederzugeben, die Ruiz-Giménez in der schon genannten Arbeit davon gab. Sie enthält Gedanken, die im christlich-demokratischen 15 Vgl. zu diesem Thema neben anderen, schon genannten Büchern und Zeitschriften etwa von William Ebenstein: Church and State in Franco's Spain, Princeton University, Center of International Studies 1960, oder die beim Verlag Cuadernos para el Diálogo in Buchform erschienene Umfrage über La iglesia en España, ayer y mañana, Madrid 1968, worin der Autor, Víctor Manuel Arbeloa, die Antworten von mehr als einhundert Personen unterschiedlicher Konfession und Ideologie zu dieser wichtigen Frage dokumentiert. 16 Johannes XXIII.: Enzyklika Pacem in terris, herausgegeben, zusammengefaßt und mit Anmerkungen versehen von Joaquín Ruiz-Giménez, Madrid: Epesa 1963; vgl. meine ausführliche Besprechung im Boletín Informativo del Seminario de Derecho Político de la Universidad de Salamanca Nr. 29-30 (Nov. 1963) S. 153-161. Vgl. auch später von Ruiz-Giménez als Weiterführung und Konkretisierung der gleichen Linie sein Buch El Concilio y los derechos del hombre, Madrid: Edicusa 1968. Als Beweis für die große Bedeutung der Enzyklika für das Spanien jener Jahre und für die persönliche Haltung von Ruiz-Giménez vgl. dessen Erklärungen in den Cuadernos para el Diálogo Nr. 117 (Juni 1973) zur Begehung des 10. Jahrestages von Pacem in terris. 17 M. Aguilar Navarro, J. L. L. Aranguren, J. A. Canillo, J. M. Diez-Alegría, E. Garcia de Enterria, M. Giménez Fernández, J. D. González Campos, P. Laín Entralgo, S. Martin Retortillo, F. Sopefla: Comentarios civiles a la encíclica 'Pacem in terris', Madrid: Taurus 1963; vgl. meine Besprechung dieses Buches in Nr. 1 der Cuadernos para el Diálogo (Okt. 1963) und noch ausführlicher in der Revista de Estudios Políticos Nr. 113 (Jan.-Feb. 1964). 18 M. Aguilar Navarro, M. Alonso García, A. Bernáldez Cantón, J. A. Carrillo, M. Diez de Velasco, J. Echeverría Gangoiti, M. Giménez Fernández, M. Jiménez de Parga, S. Lissarrague, P. Lucas Verdú, J. A. Maravall, A. Truyol Serra: Comentarios universitarios a la 'Pacem in terris', Madrid: Tecnos 1964; vgl. meine Rezension dieses Buches in der Revista de Estudios Políticos Nr. 139 (Jan.-Feb. 1965).

117 Denken unseres Landes damals oft wiederholt wurden und die hier zugleich als gültige Darstellung der politischen Philosophie des Gründers der Cuadernos para el Diálogo dienen können. Die folgenden Punkte sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben: a) Die Tatsache, daß die Enzyklika Pacem in terris nicht nur an die Katholiken und auch nicht nur an die Christen, sondern »an alle Menschen guten Willens« gerichtet ist. Bei der Zeremonie anläßlich der Unterzeichnung der Enzyklika sagte der Papst: »Der Weltfrieden ist ein Gut, das unterschiedslos im Interesse aller Menschen ist.« »Deswegen« - bemerkt Ruiz-Giménez in seinem Kommentar - »kann niemand von der ungeheuren Aufgabe ausgenommen werden, Trennmauern niederzureißen und das gegenseitige Verständnis zu fördern, das die Keime des Krieges zerstört und die Errichtung der Eintracht zwischen allen Völkern erlaubt.« b) Wie die Enzyklika Mater et magistra, wie Ruiz-Giménez sagt, die Enzyklika der Gerechtigkeit, so war Pacem in terris die Enzyklika der Freiheit. »Man findet darin weder eine Verurteilung irgendeines irregegangenen Systems noch den geringsten Beigeschmack einer streitbaren Haltung.« Das einzige, was in der zweiten ausdrücklich verurteilt wird, ist die Rassendiskriminierung. c) Jede Enzyklika ist, wie Ruiz-Giménez betont, ein Dokument von in erster Linie nicht politischem, sondern geistigem Charakter. Dies zu verstehen ist wesentlich, um die Funktion der Kirche nicht allzusehr auszuweiten und zu politisieren. Nun ist es andererseits aber gewiß auch menschlich unmöglich, das Geistige und das Zeitliche völlig getrennt zu halten; das heißt, daß auch die Enzyklika zweifellos eine geschichtliche, menschlich-zeitliche Dimension besitzt. d) Grundlage der Enzyklika ist die Berücksichtigung jedes Menschen als Person und folglich die effektive Anerkennung menschlicher Würde in allen Menschen, ohne Ausnahme oder Diskriminierung. Mit dem Geschichtssinn, der ihn auszeichnet - so Ruiz-Giménez -, beschränkt sich der Papst aber nicht darauf, dies abstrakt anzusprechen, sondern er nennt die Rechte und die strukturellen Bedingungen, die erforderlich sind, um heute jenen Respekt vor jedem Menschen Wirklichkeit werden zu lassen. Ohne diese Rechte und - was sehr wichtig ist - ohne diese objektiven Strukturen kann es keinen wirklichen Respekt vor der Würde der menschlichen Person geben. e) Von diesem Standpunkt aus entwickelt Johannes XXIII. ein weites Spektrum von Rechten, die heute jedem Menschen zustehen und die als von der positiven Rechtsordnung nicht zu beschneidende Grundrechte qualifiziert werden. Bei Ruiz-Giménez heißt es dazu: »Innerhalb dieses Spektrums verdient das Recht auf freie Wahrheitssuche und auf Äußerung und Darlegung der eigenen Gedanken besondere Beachtung.« Wichtig ist auch das Recht auf objektive Information über politische Ereignisse. Abschließend sagt Ruiz-Giménez: »Es geht also darum sicherzustellen, daß sich jeder Mensch unter Anleitung seines eigenen Gewissens ohne äußeren Zwang dem Guten und der Wahrheit annähern kann.«

118 Eng verbunden mit diesem Recht auf freie Wahrheitssuche ist das Recht jedes Menschen darauf, »Gott zu ehren, wie es ihm sein Gewissen aufträgt, und seine Religion privat und öffentlich auszuüben«, wie Johannes XXIII. sagt. Ruiz-Gimenez bemerkt dazu, daß der »Stellvertreter Christi den Respekt vor dem 'Gewissen' eines jeden Menschen verteidigt, auch wenn er aufgrund eines festverwurzelten Irrtums einer anderen als der wahren Religion anhängt.« Demnach ist es nicht mehr möglich, sich auf die Lehren der Kirche zu berufen, um Verfolgung oder Diskriminierung mit religiösen Gründen zu rechtfertigen, was in Spanien von höchster Bedeutung ist.19 Im gleichen Kontext ist aber auch die Bedeutung der politischen Bürgerrechte hervorzuheben. So heißt es in der Enzyklika: »Aus der gleichen Würde des Menschen entspringt das Recht auf aktive Teilnahme am öffentlichen Leben und auf Beteiligung an der Verfolgung des Gemeinwohls.« Es geht also darum, nicht Objekt, sondern Subjekt des gesellschaftlichen Lebens zu sein. Aus dieser Feststellung bzw. allgemeiner aus der Gesamtheit der Grundrechte des Menschen leitet sich ab, wie das nationale politische Zusammenleben zu organisieren ist, damit es diesem Anspruch des Respekts vor der Person, wie er heutzutage verstanden wird, genügt. f ) Über den Staat und die Autorität heißt es in Pacem in terris: »Aus der Tatsache, daß die Autorität von Gott kommt, folgt nicht, daß die Menschen nicht die Freiheit besäßen, die Personen zu wählen, denen sie die Ausübung von Autorität übertragen, oder die Regierungsformen sowie die Gebiete und Methoden zu bestimmen, in bzw. mit denen Autorität ausgeübt werden soll. Die soeben dargestellte Lehre ist daher völlig vereinbar mit jeder Art wahrhaft demokratischer Staatsform.« Ruiz-Gimenez betont die Bedeutung dieser Freiheit der Regierungswahl sowie das Recht auf Bestimmung der Regierungsform: »Diesbezüglich ist die christliche Vorstellung von der politischen Ordnung im wesentlichen demokratisch«. Und er fügt hinzu: »Jede wahrhaft demokratische Staatsform ist mit dieser christlichen Politikvorstellung vereinbar.« Es scheint also unzweifelhaft, daß es eine vorrangig christliche und wahrhaft demokratische Staatsform geben wird, wenn erst einmal die Möglichkeit zur Wahl der Regierenden, zur Bestimmung der Regierungsform und zur Beschränkung der Macht der Autorität besteht. g) »Die Verfolgung des Gemeinwohls [ist der] Grund für die Existenz der öffentlichen Gewalten«, sagt die Enzyklika. Und innerhalb dieses Gemeinwohls, so setzt Johannes XXIII. hinzu, »können Gründe der Gerechtigkeit und Fairneß es vielleicht erforderlich machen, daß die öffentlichen Gewalten den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit widmen, weil diese geringere Möglichkeiten besitzen, ihre Rechte durchzusetzen und ihre legitimen Interessen zu verfolgen.«

19 Zu verschiedenen Aspekten dieses Problems der Religionsfreiheit vgl. neben anderen - beim Verlag Cuadernos para el Diálogo erschienenen - Werken u. a. von A. F. Carrillo de Albornoz: La libertad religiosa y el Concilio Vaticano II (1966), von Javier Rupérez: Estado confesional y libertad religiosa (1970) sowie von Jesús Jiménez: La objeción de conciencia en España (1973).

119 Der Schutz der Rechte der menschlichen Person ist - wie die Enzyklika bestimmt Pflicht des Staates: »Aus diesem Grund erfüllen Regierende, die die Menschenrechte nicht anerkennen oder sie mißachten, nicht nur nicht ihre Pflicht, sondern es ist auch nicht bindend, was sie vorschreiben.« Wenn der Schutz der Menschenrechte nicht gegeben ist, wenn also der soziale Fortschritt mit dem ökonomischen nicht Schritt hält, sagt Johannes XXIII., »führt das dazu, daß Rechte und Pflichten der Menschen nur wirkungslose Phrasen sind.« h) »Was die konkrete Struktur und die Funktionsnormen der öffentlichen Gewalten angeht«, stellt Ruiz-Gimenez fest, »so erkennt die Enzyklika angesichts des unterschiedlichen Entwicklungsgrades der verschiedenen Nationen die Unmöglichkeit einer Festlegung a priori, die für alle Nationen allgemeingültig wäre.« Er fährt aber fort - und nimmt damit die Kritik an denen vorweg, die sich des Argumentes bedienen könnten, um die bürgerlichen Grundrechte unerlaubt einzuschränken: »Johannes XXin. hebt jedoch sehr deutlich hervor, daß in jedem Fall die mit der Natur des Menschen auf das engste verbundenen Bedürfhisse die Einrichtung einer politisch-rechtlichen Organisation verlangen, die sich gerade auf den Gedanken der Gewaltenteilung [Legislative, Exekutive und Judikative] stützt.« Diese Ablehnung staatlicher Machtkonzentration geht also gegen jede Art von Autoritarismus und Totalitarismus und ist ein wesentliches Postulat einer christlichen, wahrhaft demokratischen Staatsform. i) In bezug auf die schon genannten Merkmale der Wahl von Regierenden, des wirksamen Schutzes der Grundrechte und der Gewaltenteilung, wie sie von der Enzyklika gefordert werden, schreibt Ruiz-Gimenez: »Als Bedingung für die Legitimität eines politischen Regimes zeichnet sich also im Lichte des christlichen Denkens eine rechts staatliche Struktur ab, und zwar nicht in einem überholten individualistischen, sondern in einem zutiefst sozialen Sinn. In diesem Staat - den wir kommunitären Rechtsstaat nennen wollen, um den Mißkredit der sogenannten 'organischen Demokratie' zu vermeiden - arbeiten die drei Gewalten, Legislative, Exekutive und Judikative, bei der wirksamen Umsetzung der persönlichen Freiheiten unter dem Zeichen von Gleichheit und Solidarität zusammen.« j) Hinsichtlich des umstrittenen Themas der politischen Parteien in diesem kommunitären Rechtsstaat bezieht Ruiz-Gimenez noch 1963 eine »possibilistische« bzw. Übergangs-Haltung. So stellt er fest: »Diese Beteiligung [der Bürger an den Regierungsaufgaben, wie es die Enzyklika fordert] könnte in Form mehrerer 'politischer Parteien' erfolgen, die einem 'Verfassungsstatut' zu unterwerfen wären, das desintegrative Kämpfe zügelt, oder durch die natürlichen Gruppen des Zusammenlebens (Familie, Berufsvereinigungen, Gewerkschaften, Universitäten, Gemeinden usw.), aber mit den notwendigen Garantien dafür, daß eine authentische Repräsentation von unten nach oben durch die direkte Teilnahme aller Bürger auf dem Wege regelmäßiger, echter und freier Wahlen zustandekommt.«

120 Das Parteienthema wird in der Enzyklika nicht ausdrücklich behandelt, aber - wie Ruiz-Gimenez bemerkt - »obwohl Pacem in terris die Frage der Existenz 'politischer Parteien' nicht ausdrücklich anspricht, ist doch unbestreitbar, daß ihre Vorstellung von den Grundrechten auf Versammlung und Vereinigung ohne Einmischung der öffentlichen Gewalten und auf aktive Beteiligung an der Regierungsarbeit die Neigung zu einer pluralistischen Organisation des öffentlichen Lebens implizieren.« Neben diesen grundlegenden Vorzügen der demokratischen Staatsform, die in der Enzyklika aufgezählt sind, vergißt Johannes XXIII. auch die Erwähnung eines weiteren Vorzugs nicht, daß nämlich »die Ablösung der Amtsinhaber der öffentlichen Gewalten die Überalterung der Autoritäten verhindert.« Demnach ist eine der Entwicklung der Gesellschaft entsprechende Erneuerung erforderlich. k) Im dritten Teil der Enzyklika, der sich auf die »Beziehungen zwischen den politischen Gemeinschaften«, d. h. auf die internationale politische Ordnung bezieht, wird die Notwendigkeit eines internationalen Friedens unterstrichen, der - wie schon gesagt - nicht auf Waffengewalt, sondern auf Solidarität, gegenseitigem Vertrauen zwischen den Völkern und weltweiter Entwicklung beruht. Hieraus ergibt sich, daß jede Spur von Rassismus (»einziger Ismus, der vom Papst ausdrücklich getadelt wird«, wie Ruiz-Gimenez bemerkt) aus den internationalen Beziehungen getilgt werden muß. Alle Völker sollen gleich sein: »Alle sind gleich in ihrer natürlichen Würde«, sagt Johannes XXffl. Die am meisten entwickelten und zivilisierten sollen nicht etwa beanspruchen, die zurückgebliebeneren zu beherrschen, sondern müssen ihren Beitrag zur Anhebung des Gesamtniveaus als Verpflichtung betrachten. Außerdem verlangt die Gerechtigkeit die Respektierung der ethnischen Minderheiten eines Landes. Hierzu sagt der Papst: »Was dies betrifft, so ist entschieden festzustellen, daß alles, was zur Unterdrückung der Vitalität und Entwicklung solcher ethnischen Minderheiten getan wird, eine schwere Verletzung der Gerechtigkeit darstellt, und dies umso mehr, wenn die Übergriffe auf die Auslöschung des Stammes abzielen.« Die Solidarität zwischen den Menschen erfordert es auch, das Problem der politischen Flüchtlinge zu berücksichtigen, »deren - in unseren Tagen unzählbare - Menge viele grausame Leiden mit sich bringt.« Ruiz-Gimenez erinnert bei der Behandlung der Ursachen dieser Situation daran, daß der Papst - dessen Ermahnung, wie er sagt, von allen Staatsmännern, ganz besonders aber von denen, die sich Christen nennen, ernsthafte Überlegungen fordert - feststellt, daß die »Regierenden mancher Staaten die Grenzen einer gerechten Freiheit, innerhalb derer es den Bürgern möglich ist, ein menschenwürdiges Leben zu führen, allzu sehr einschränken. Mehr noch: in solchen Ländern wird manchmal sogar das Recht auf Freiheit selbst in Zweifel gezogen oder gar bestritten.« I) Im Schlußteil der Enzyklika geht Johannes XXIII. in Form »pastoraler Empfehlungen« an alle Christen entschlossen auf das wichtige Thema der »Beziehungen zwischen Katholiken und Nichtkatholiken im ökonomischen, sozialen und politischen Bereich« ein und verteidigt die Notwendigkeit eines »breiten Raumes der Begegnung

121 und des Verständnisses sowohl gegenüber den Christen, die von diesem Heiligen Stuhl getrennt sind, als auch gegenüber jenen, die nicht vom christlichen Glauben erleuchtet sind.« Wie Ruiz-Gimenez sagt, war dies »eine Ermahnung von außerordentlicher Bedeutung, die einen weiteren Fortschritt in der Öffnung des christlichen Geistes mit sich brachte.« Dabei betont Johannes XXIII. die Notwendigkeit, »zwischen dem Irrenden und dem Irrtum zu unterscheiden ... da der Irrende doch deswegen weder seines Menschseins entäußert ist, noch seine Menschenwürde verloren hat, und noch immer die daraus abgeleitete Rücksicht verdient.« Die Zusammenarbeit mit Nichtchristen - sowohl mit Angehörigen einer anderen als auch mit Menschen ohne Religion - auf politischem, sozialem, ökonomischem und - was zu betonen ist - kulturellem Gebiet wird in der Enzyklika ausdrücklich gefordert, und diejenigen, die dagegen überholte Vorstellungen ins Feld führen sollten, erinnert der Papst emeut und mit großem Sinn für Geschichtlichkeit daran, daß »es manchmal geschehen kann, daß bestimmte Kontakte praktischer Art, die bisher für völlig unnütz gehalten wurden, heute ganz im Gegenteil vorteilhaft sind oder werden könnten.« Hier wird offenbar die Grundlage sowohl für die Möglichkeit eines theoretischen Dialogs zwischen Christentum und Marxismus als auch für die praktische Zusammenarbeit von Menschen gelegt, die - unter anderen - in diesen beiden (unvergleichbaren: die eine religiös, die andere philosophisch) Weltauffassungen leben. Ich werde auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen, wenn es um die marxistische Philosophie und ihren Einfluß in Spanien gehen wird. m) Schließlich müssen wir uns fragen: Wie und mit welchen Mitteln sollen all diese Veränderungen bewerkstelligt werden, die die Enzyklika Pacem in terris fordert? Durch friedliche Evolution oder gewaltsame Revolution? Johannes XXIII. spricht sich logischerweise in aller Deutlichkeit für die erste Methode aus, also für den friedlichen Weg der Evolution. Aber eine wirkliche, echte, fortschrittliche Evolution und nicht bloße Entschuldigung oder Ausweichen vor jenen Revolutionären, von denen Johannes XXffl. schreibt: »Es gibt wohlmeinende Menschen, die sich angesichts von Situationen, in denen die Erfordernisse der Gerechtigkeit entweder gar nicht oder unzureichend erfüllt werden, und getrieben von dem Wunsch, alles zu ändern, von einem so stürmischen Impuls hinreißen lassen, daß sie so etwas wie eine Revolution im Sinne zu haben scheinen. Sie möchten wir daran erinnern, daß alles in mehreren Phasen wächst, und aufgrund dieses Gesetzes führt auch bei den menschlichen Institutionen nichts zum Besseren ohne schrittweise Bemühung von innen her.« Pacem in terris ist die Enzyklika des Friedens; was sie auf jeden Fall zu vermeiden sucht, ist das Verfallen bzw. Zurückfallen auf tragische - und fruchtlose - Gewalttätigkeiten (seien es institutionalisierte oder nichtinstitutionalisierte) irgendeiner Provenienz. Soweit also - in Anlehnung an die Arbeit von Ruiz-Gimenez - die ausführliche Zusammenfassung von Pacem in terris, der Enzyklika, die in den sechziger Jahren in

122 unserem Land so weit verbreitet und so engagiert diskutiert wurde (und die außerdem großen Einfluß auf die Gesamtentwicklung des späteren spanischen Denkens hatte), Paradigma vieler damaliger Positionen (z. B. in Cuadernos para el Diálogo),

was

wohl den recht breiten Raum rechtfertigt, der ihr hier eingeräumt wurde. Andere Kommentatoren haben im Rahmen der gleichen allgemeinen Interpretationslinie ebenfalls einzelne Punkte der Enzyklika aufgenommen und nuanciert, wie zum Beispiel Eduardo García de Entema und José Luis Aranguren, deren Erläuterungen die Zusammenfassung von Ruiz-Giménez komplettieren. Der erste von beiden hat in seiner Arbeit »La institucionalización del poder, una nueva perspectiva de la Pacem in Terris«20 zunächst festgestellt, daß der konkrete Gehalt des politisch-institutionellen Modells in Pacem in terris »eine endgültige, eindeutige Versöhnung der Kirche mit der heutigen Demokratie im westlichen Sinne des Wortes bedeutet«, und dann zur Bedeutung dieses Begriffs hinzugefügt: »Diese mutige Stellungnahme der Enzyklika bezüglich der Probleme der Institutionalisierung der Macht ist nicht willkürlich und überflüssigerweise auf rein weltliche Themen bezogen, sondern wird im unmittelbaren Dienste an der Erlösung der Menschen eingenommen. Diejenigen Christen, die immer mehr oder weniger guten Glaubens gemeint hatten, daß der politische und soziale Paternalismus und der Dienst an dem, was sie personenübergreifend als Gemeinwohl zu bezeichnen pflegten, die beste Form der menschlichen Regierung oder doch zumindest die angemessenste Form sei, damit die Kirche ihre Mission erfüllen kann, sofern nur diese väterliche Macht eine 'christliche' Macht ist, finden hier eine radikale, definitive Richtigstellung. Dies ist das weitgehendste Urteil der Enzyklika, daß nämlich die bürgerliche Freiheit, die zweifellos ein unmittelbares Risiko darstellt, trotzdem 'der Weg [ist, der die Menschen dazu führt], den wahren Gott besser kennenzulernen', ein Urteil, in dem sich der Papst mit der Verantwortung seines religiösen, pastoralen Amtes am unmittelbarsten engagiert.« Im gleichen Sinne äußert sich José Luis L. Aranguren in seiner Arbeit »Meditación para España sobre la Encíclica Pacem in terris«.21 So schreibt er: »Bisher haben manche - ich weiß nicht, ob viele oder wenige - von uns Katholiken den Eindruck gehabt, daß die Enzykliken, abgesehen von ihren schon erwähnten formalen Einschränkungen, zwar gut waren, aber immer ein bißchen spät kamen. Jetzt glaube ich, daß wir es zum ersten Mal mit einer Enzyklika der vollen Versöhnung mit der modernen Welt zu tun haben, die diese so akzeptiert, wie sie ist, wie sie sich tatsächlich derzeit zeigt. Bisher behandelten Enzykliken weltliche Probleme dann, wenn diese - wenn nicht als gelöste, so doch zumindest als erkannte Probleme - schon mehr oder weniger unumstritten waren, und sie nahmen eine gemäßigte Position ein. Jetzt sehen wir, wie sie, ebenfalls zum ersten Mal, unerschrocken die umstrittensten Fragen aufwirft 20 Die Arbeit von Garcia de Enterria ist abgedruckt in dem in Anm. 17 genannten Sammelband, S. 125-149; vgl. für die hier zitierten Passagen bes. S. 138-141. 21 Ebenfalls abgedruckt in dem in Anm. 17 genannten Sammelband, S. 51-64; vgl. für die hier zitierten Passagen S. 54 f. und 62 f.

123 und sich ihnen gegenüber auf die Seite der Fortschrittlichkeit schlägt. Spanien weigert sich, den wirklichen Fragen unserer Zeit offen ins Auge zu sehen, also den Fragen nach Freiheit und Sozialisierung, Rechtsstaat und Staat der sozialen Gerechtigkeit, nach Menschenrechten, Versammlungsrecht und Vermittlerorganisationen, aktiver Teilhabe aller Bürger am öffentlichen Leben sowie der Arbeiter an der Fabrik und aller Menschen an den Bildungsgütern, den Fragen nach Evolution oder Revolution, regionalen Minderheiten und politischem Exil, Neutralität und Abrüstung. Die Enzyklika Pacem in terris ist - im ehrbarsten Sinne des Wortes - eine politische Enzyklika, eine Enzyklika über das Zusammenleben der Menschen in jeder Nation und zwischen allen Nationen. Pacem in terris ist keine Enzyklika über den Glauben - obwohl sie in all ihrer Tiefe nur vom Glauben und der Nächstenliebe aus zu verstehen ist -, sondern über die 'Sitten', über die politischen Sitten und Gebräuche, über die politische Ordnung.« An späterer Stelle fügt Aranguren hinzu: »Ich habe diese Überlegungen 'Meditation für Spanien' genannt, und man wird jetzt verstehen, warum. Wir hielten uns trotz aller schnell erstickten Selbstkritik - für die besten Katholiken der Welt. Diese Enzyklika sagt uns nun unverblümt, daß wir, zumindest was die politische Ordnung betrifft - wobei aber die politische Ordnung das Persönliche umfaßt und darauf abfärbt -, weit davon entfernt sind. Das ganze Gebäude eines rückschrittlichen Katholizismus, der der modernen Welt den Rücken zukehrt, wird für nicht mehr bewohnbar angesehen.« Aranguren schließt: »Eine politische Enzyklika, wie ich schon mehrmals sagte. Ich muß dazu zwei Erklärungen geben. Zunächst möchte ich klarstellen, daß ich religiöse Enzykliken vorziehe, da ich wenig Sympathien für politischen Katholizismus irgendeiner - rechter oder linker - Ausrichtung hege, weil mir die Vermischung der Ebene des zeitlichen Handelns mit der Ebene der christlichen Religiosität nicht gefällt. Aber ich verstehe - wie man dem Vorangegangenen entnehmen kann -, daß in der jetzigen Übergangszeit politische Enzykliken, wie im übrigen auch christdemokratische Parteien, notwendig sind. Die zweite Erklärung, mit der ich enden möchte, bezieht sich auf eine tiefergehende Lesart der Enzyklika, die sich nicht an ihrer politischen Oberfläche aufhalten darf, sondern die bis auf ihre religiös-theologische Inspirationsquelle zurückgehen muß. Nur wenn man fest in tiefem Glauben und Nächstenliebe verwurzelt ist, wovon diese Enzyklika ein lebendiges Zeugnis ablegt, kann man jene Freiheit erlangen, die sich in ihr äußert und die den Kindern Gottes eigen ist.«22

22 Für eine tiefergehende Darstellung dieser Emeuerungshaltung des zeitgenössischen Christentums ist vor allem auf die Arbeiten von Enrique Miret Magdalena zu verweisen, insbesondere auf die während vieler Jahre allwöchentlich in der Madrider Zeitschrift Triunfo veröffentlichten. Vgl. auch sein Buch Catolicismo para mañana, Bilbao: Desclée de Brouwer 1974, das einerseits ein ehrliches und tiefgehendes persönliches Zeugnis darstellt, andererseits aber im Grunde eine detaillierte Geschichte der spanischen Formen von Religiosität in all den Jahren, die hier behandelt wurden, ist. (Vgl. auch das Buch von V. M. Arbeloa: Aquella España católica, Salamanca: Ed. Sigúeme 1975.)

124

Christliche Einstellungen gegenüber den sozialen unserer Zeit

Problemen

In diesem Zusammenhang und als Zeichen für die tiefgehende Erneuerung auch (wenngleich nicht nur) in den politischen und sozialen Einstellungen der Kirche läßt sich außerdem das wichtige Buch Actitudes cristianas ante los problemas sociales des Jesuiten José María Diez-Alegría nennen. Im Grunde hat er sich darin mit zwei Themen beschäftigt: mit dem der Gerechtigkeit (in Verbindung mit dem Eigentum), dem Hauptthema von Mater et magistra, und mit dem der Freiheit (und ihrer politischen Auswirkungen), dem Hauptthema von Pacem in terris, also mit den Themen der beiden Enzykliken, die den genannten geistig-intellektuellen und politisch-sozialen Kontext abstecken.23 Bei beiden Themen ist das Hauptziel Diez-Alegrías die wahre und wahrhaftige Anerkennung des Wertes und der Würde des Menschen und die wirksame Respektierung seiner Rechte und Freiheiten gegenüber jedem politischen Totalitarismus. Bezüglich des ersten Punktes (zum Thema Gerechtigkeit und Eigentum) definiert Diez-Alegría: »Die Grundbeziehung der Herrschaft stellt sich konstitutiv als kommunitäre, solidarische Arbeitsbeziehung dar. Dies ist die unverrückbare Grundlage jeder rechten ethischen oder juristischen Lehre über das Eigentum und den angemessenen Umgang mit Gütern.« Was bedeutet diese Definition? Diez-Alegría erläutert: »Das bedeutet etwas ganz Konkretes: Die Güter sind für alle Menschen da. Die Menschen ihrerseits sind untereinander verbunden durch grundlegende Solidarbeziehungen, welche die Grundbeziehung der Herrschaft beeinflussen. Die Güter sind für alle Menschen da, aber nicht für die Menschen als einzelne (solitarios), sondern als solidarische (solidarios) Wesen. Adressat der Güter sind die solidarisch verfaßten Menschen einer historischen, konkreten Menschheit, der gesamten menschlichen Familie ... Dies bedeutet nun, daß die Welt, in der wir leben, zutiefst ungerecht ist, weil die Bedingungen der Grundbeziehung der Herrschaft - der Plan Gottes und der Wille Gottes hinsichtlich der materiellen Güter in bezug auf den Menschen - nicht einmal annähernd erfüllt sind. Sie sind noch immer weitgehend unerfüllt.« Wie der Autor unter ausdrücklicher Berufung auf weite Teile der westlichen Welt feststellt, ist dies so, weil »die soziale Wirklichkeit so aussieht, daß ungefähr 80 Prozent der Menschen - allerdings mit erheblichen Schwankungen von Land zu Land auf einem unmenschlichen Lebensstandard leben, d. h. auf einem Lebensstandard, der unter dem von Ökonomen und Soziologen errechneten Minimum für ein 'menschen23 Das Buch von J. M. Diez-Alegría, SJ: Actitudes cristianas ante los problemas sociales, Barcelona: Ed. Estela 1963 (ursprünglich drei im April 1962 in Barcelona gehaltene Vorträge) ist zwischen Maler et magistra (vom 15. Mai 1961) und Pacem in terris (vom 11. April 1963) angesiedelt. Vgl. meine ausführliche Rezension im Anuario de Filosofía de Derecho (Madrid) Vol. XI (1964/65) S. 372-377. Eine Untersuchung über das gesamte Denken von Pater Diez-Alegría müßte neben dem hier schon genannten noch weitere wichtige Werke von ihm berücksichtigen, wie z. B. Etica, Derecho e Historia. El tema iusnaturalista en la problemática contemporánea, Madrid: Sapientia 1953; La libertad religiosa, Barcelona: Instituto Católico 1965; später Teología frente a la sociedad histórica, Barcelona: Laia 1972; oder das persönliche Bekenntnis von ¡Yo creo en la esperanza ....', Bilbao: Desclée de Brouwer 1972.

125 würdiges Leben' liegt. Das ist ein Problem, das die ganze nichtkommunistische Welt und selbstverständlich ganz besonders uns hier in Spanien betrifft.« Er vergißt nicht hinzuzufügen, daß die kommunistische Welt von anderen »wesentlichen, tragischen Entfremdungen der menschlichen Person« befallen ist. Die Gerechtigkeit des Eigentums hängt demnach davon ab, daß mit seiner Hilfe jene Postulate (Solidaritäts-, Gemeinschafts- und Arbeitspflichten) verwirklicht werden, die die Grundbeziehung der Herrschaft legitimieren. Zusammenfassend schreibt Diez-Alegria: »Gott hat die materiellen Güter für den Menschen geschaffen, aber für alle Menschen ohne Unterschied und Privilegien.« Hinsichtlich des Themas der Freiheit wurzelt die Grundlage der christlichen Einstellung im Primat der Würde des Menschen, aller Menschen, und in der Verteidigung und dem Schutz ihrer Grundrechte und -freiheiten. So schreibt Diez-Alegria: »Man kann sagen, daß im Grunde die Verteidigung der Grundfreiheiten des Menschen gegenüber dem Totalitarismus zum primären Naturrecht gehört.« Es ist daher von größtem Interesse, sich die Bedingungen bewußt zu machen, die die Soziallehre der Kirche vorgibt, damit ein politisches Regime nicht als totalitär eingeschätzt wird. Diez-Alegria faßt sie folgendermaßen zusammen: »Nach der kirchlichen Soziallehre ist ein politisches System totalitär, wenn es (abgesehen von zeitlich sehr begrenzten, vorübergehenden Ausnahmezuständen) die folgende Minimalsphäre persönlicher Freiheiten nicht wahrhaftig und wirksam zugesteht«: a) »Recht auf freie Kritik an der Regierung und ihrer Arbeit (unter Ausschluß von übler Nachrede, Verleumdung, Beleidigung und Geheimnisbruch).« b) »Rechtsschutz für einige Grundrechte, sogenannte Freiheitsrechte, durch eine von den anderen Staatsgewalten völlig unabhängige richterliche Gewalt.« Diez-Alegria beschäftigt sich aus diesen Grundrechten vorrangig mit dem Vereinigungsrecht und darunter vor allem mit dem Recht auf Gewerkschaften. c) »Effektive Aufteilung der Gewalten in verschiedene Verfassungsorgane entsprechend der verschiedenen Funktionen der Souveränität... Am wichtigsten ist die Unabhängigkeit der Judikative sowie die Tatsache, daß die anderen Staatsgewalten nicht derart konzentriert werden, daß man anstelle einer institutionellen Organisation der Macht, die mit den entsprechenden Rechtssicherheiten ausgestattet ist, theoretisch und praktisch in die formlose Willkür rein personaler Macht verfällt.« d) »Öffentliche Kontrolle der Amtsßhrung der Regierung durch hinreichend repräsentative institutionelle Kanäle (die selbstverständlich von den Gewalten, die kontrolliert werden sollen, unabhängig sein müssen), abgesehen von der Kontrolle der öffentlichen Meinung, deren natürliche Organe insgesamt weder direkt noch indirekt vom Staat monopolisiert werden dürfen.« e) »Möglichkeit zum Wechsel von Regierung und Legislative ohne Notwendigkeit des Einsatzes von Gewalt, sei es durch allgemeine und direkte Wahlen, sei es auf irgendeine andere wirksame Weise, beispielsweise durch Kontrolltribunale bzw. -Senate, die von den zu kontrollierenden Gewalten völlig unabhängig sein müssen und de-

126 ren institutionelle Form hinreichende Repräsentativität für alle Bürger über jedes Parteienmonopol hinaus gewährleisten muß.« Außerdem sagt Diez-Alegria: »Die Machtbefugnisse und Verantwortlichkeiten eines modernen Staates sind notwendigerweise so umfassend, daß das Naturrecht repräsentative Formen der politischen Macht, die sich auf ein freies allgemeines Wahlrecht stützen, verlangt.« Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, dann geht die kirchliche Soziallehre - nach J. M. Diez-Alegria - davon aus, daß Wert und Würde der menschlichen Person nicht hinreichend anerkannt werden. Ein System, das diese Bedingungen ablehnt, könne also als totalitär (oder bestenfalls als autoritär) angesehen werden und entspreche jedenfalls nicht jenem letzten, humanen Sinn der christlichen Botschaft. 24

Humanismus und Rechtsstaat. Tierno Galvdns Kritik am traditionellen Humanismus Die beiden in dem Buch von Diez-Alegria behandelten Probleme und die dort vorgetragenen Ziele waren in der Gesellschafts-, Politik- und Rechtsphilosophie Spaniens in jenen Jahren von zentraler Bedeutung; das soeben zusammenfassend dargestellte Werk des genannten Autors kann daher als Beispiel dienen. Die beiden Probleme wurden durch die zunehmend vertretene Forderung vervollständigt, theoretisch und praktisch für eine umfassendere und wirksamere Verwirklichung der (in der üblichen Terminologie »formalen« und »materialen«) Rechte und Freiheiten des Menschen zu arbeiten, sowie durch die Kritik an absolutistischen, totalitären und autoritären Systemen und die entsprechende rechtliche Institutionalisierung der politischen Macht. Ein großer Teil der Vorschläge stimmten in der Analyse und der Forderung nach Stärkung der Möglichkeiten für die Schaffung eines echten Rechtsstaates überein, eine Staatsform, die heutzutage wohl als demokratischer Rechtsstaat anzulegen ist.25 Die letzte Motivation für all dies entsprang zweifellos Standpunkten, Impulsen und Werthaltungen von wahrhaft humanistischer und demokratischer Orientierung. Hinsichtlich dieses humanistischen Plädoyers seitens der Philosophie im politischgeistigen Panorama Spaniens trug Tierno Galvän nach Kräften zur Vermeidung der damals häufigen Rückfälle in eine heuchlerische, elitäre Verherrlichung des Humanismus bei, der oft als rein rethorisch-ästhetisches Element oder als vager, abstrakter Vorwand mißbraucht wurde, mit mystischer Inbrunst verkündet von den überaus seichten Philosophien, aus denen oft alles andere als eine humane Praxis entsprang. 24 Zu diesen zwei zentralen Themen im Werk von Diez-Alegría: Actiludes cristianos ante los problemas sociales finden sich die Hauptpassagen über das Eigentum auf den Seiten 10,21,40 und 60, die über die Freiheit auf den Seiten 83 und 92-109. 25 Statt vieler anderer Arbeiten, die man zu diesem Punkt nennen könnte, verweise ich hier auf meine Arbeiten aus den damaligen Jahren: Sustanciación de lo colectivo y Estados totalitarios, in: Anuario de Filosofía del Derecho Bd. VIII (Madrid 1961), und Teoría general del Estado de Derecho, in: Revista de Estudios Políticos Nr. 131 (Madrid 1963). Die beiden Aufsätze wurden später, zusammen mit einigen anderen, überarbeitet für mein Buch: Estado de Derecho y sociedad democrática, Madrid: Edicusa 1966 (mehrere spätere Auflagen), wo man eine umfassendere Literaturliste zu diesen Themen findet.

127 Stattdessen wurde nun allmählich - von den verschiedensten Ausgangspositionen eine Bresche geschlagen für einen echten Humanismus, einen Humanismus für alle, einen demokratischen Humanismus. »Humanismus und Gesellschaft« ist denn auch der Titel eines Aufsatzes, in dem Tierno Galvän (1963) die kritische Revision des traditionellen Humanismus vorschlägt.26 Nach Tierno war der Humanismus, der bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschte, ein Humanismus der Kompatibilität-. Sein Grundgedanke war, daß Moral und Institutionen der Reichen auch für die Armen Geltung haben. Dieser Humanismus lehnt sich, wie Tierno bemerkt, an eine bestimmte christliche Ethik an und entspricht offenbar der Welt des Frühkapitalismus: »Die Ethik des Humanismus ist die als christliche Ethik dargestellte Ethik des Interesses und in diesem Sinne rückgratloses Christentum«; und hinsichtlich des beginnenden Kapitalismus bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fügt er hinzu: »die Interessen innerhalb des kapitalistischen Systems brauchen eine auf Kompatibilität errichtete Ordnung.« Dieser traditionelle Humanismus der Kompatibilität stützt sich nach Tierno Galvän hauptsächlich auf die folgenden Überzeugungen: a) Intelligenz (aufgefaßt als Überwindung des Konkreten, als metaphysische Erklärung des Weltsinns) ist etwas der (auf konkretes Können bezogenen) Fähigkeit Übergeordnetes; in diesem Sinne hebt sich der Intellektuelle vom Experten und vom Wissenschaftler ab und wird ihnen gegenüber für überlegen gehalten, b) Intelligenz ist bedingungslos; sie kann bedingt werden, ist es aber ursprünglich nicht; diese Möglichkeit erlaubt es dem Intellektuellen, die Existenz auszuklammern und unverrückbare Realitäten außerhalb der Praxis zu betrachten; die Idee der Abstraktion ist so eine typisch humanistische Idee, c) Für das ästhetische Verständnis der Welt paart sich Intelligenz mit Sensibilität; es handelt sich also um eine ausschließlich einer Minderheit vorbehaltene ästhetische Erfahrung, um echten ästhetischen Aristokratismus, d) In Verbindung damit zeigt sich in diesen Auffassungen unverkennbar die Präsenz und Anmaßung eines geistigen Aristokratismus. e) Intimistischer Subjektivismus: Die Masse bzw. das Massenhafte stoßen den humanistischen Subjektivismus ab, da sie die Möglichkeit zur Intimität verringern bzw. aufheben, f) Der traditionelle Humanismus drückt sich in einer Theorie der Kontinuität bzw. des nützlichen Erbes aus; von hier aus versucht man, den Gesamtsinn der Welt zu verstehen: »der Reiche ist unbedingt darauf angewiesen, daß der Intellektuelle ihm die vom Reichtum entzweite Welt wiederherstellt«, g) Kultur ruft Enthusiasmus hervor; Enthusiasmus ist ein unerschöpflicher kreativer Impuls, der die Existenz bestätigt und ihr einen gleichmacherischen Sinn verleiht: »Die bedürftigen 26 Enrique Tiemo Galván: Humanismo y sociedad, veröffentlich in: Boletín informativo del Seminario de Derecho Político (Salamanca) Nr. 29-30 (Nov. 1963). linter der gleichen Überschrift sammelte Tierno Galván später diesen und andere Aufsätze (Radicalismos estéticos o falsos radicalismos, Los sustitutivos del entusiasmo, Ambigüedad y semidesarrollo), die meines Erachtens zu den wichtigsten und bedeutendsten seines gesamten Schaffens gehören. Der Sammelband erschien 1964 bei Seix-Barral in Barcelona. Zu einigen dieser Essays vgl. meine Besprechungen in der Revista de Estudios Políticos Nr. 128 (März-April 1963) und Nr. 132 (Nov.-Dez. 1963). Vgl. als Ergängzung zu diesen Aufsätzen auch die Untersuchung von Tierno Galván: Diderot como pretexto, Madrid: Taurus 1965.

128 Klassen brauchten keinen Enthusiasmus, weil sie sich der Existenz nicht zu versichern brauchten«; die Humanisten und die Reichen dagegen brauchten diesen Enthusiasmus sehr wohl, um einer in Wirklichkeit durch Reichtum und Ungleichheit entzweiten Welt den Anschein der Einheit zu geben. Wie Tiemo feststellt, waren diese Überzeugungen, auf die sich der Humanismus der Kompatibilität stützt, bis zur zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vorherrschend. Seitdem hat es jedoch einen Prozeß in Richtung auf eine starke Zuspitzung der Krise dieses Typs von Humanismus gegeben, der - wie Tierno sagt - heutzutage völlig unhaltbar geworden ist, weil der Humanismus der Kompatibilität offenbar den Humanismus der Reichen, der Mächtigen und ihrer Humanisten ausdrückt. Tierno Galvän betont daher: »Betrachtet man die Überzeugungen, die hier dem Humanismus zugeschrieben wurden, und erkennt sie als charakteristisch an, dann scheinen sie mit den Zügen übereinzustimmen, die am ehesten die Mentalität der Reichen von der der Armen unterscheiden.« Der wesentliche Gedanke dieses Humanismus war ja die Kompatibilität: »Hieraus ergibt sich das deutlichste Merkmal des Humanismus - das insofern, als es die ihm innewohnende Bedingung der Knechtschaft am besten darstellt: die moralische Kompatibilität von reich und arm.« Aus dem Bankrott des Humanismus der Kompatibilität ergibt sich in zwingender Nachfolge der Humanismus der Inkompatibilität oder besser die Kultur der Zersplitterung. Dazu heißt es bei Tierno Galvän: »Aber - und dies ist die These des vorliegenden Aufsatzes - wir haben uns einem Punkt genähert, an dem die Moral der Kompatibilität quasi weltweit nicht mehr akzeptiert wird. Die Armen haben ihre Moral und die Reichen die ihre, und damit es die gleiche sein kann, muß der Unterschied zwischen reich und arm verschwinden.« Gefragt ist also ein neuer Humanismus, der diesen Unterschied zwischen reich und arm zerstört: Nach Tiemo muß »der neue Humanismus ... denken wie ein Armer.« Allerdings wird dieser Humanismus als zeitlich noch weit entfernt angesehen; der Humanismus der Kompatibilität wird vorläufig ersetzt durch den Humanismus bzw. die Kultur der Zersplitterung, der Inkompatibilität: »Die Moral der Kompatibilität ist unhaltbar. Die Freizeitverwalter, die Humanisten, können, falls sie nicht nur für sich selbst sprechen wollen, nicht länger sagen, daß der Arme die gleichen Rechte hat wie der Reiche und daß sie im Geiste gleich sind; der Augenblick wird kommen«, sagt Tiemo, nicht ohne polemische Doppeldeutigkeit, »in dem es nur eine Moral geben wird, nämlich die, die von der Regierung zugunsten des Gemeinwohls durchgesetzt wird, aber bis es soweit ist, muß man die Moral der Inkompatibilität verteidigen.« Diese besagt im Grunde, daß »die Moral des Armen mit der des Reichen unvereinbar ist«. Der Humanismus der Inkompatibilität stellt sich also insofern als Kultur der Zersplitterung dar, als er nicht beansprucht, der Welt einen allumfassenden (metaphysischen) Sinn zu geben. Man beachte, daß diese Kultur der Zersplitterung selbst im Kontext der kapitalistischen Welt weiterbesteht, auch wenn sie einen schon weiter

129 entwickelten Kapitalismus voraussetzt, der sich von dem unterscheidet, welcher der Idee der Kompatibilität als Grundlage diente. Die Kultur der Zersplitterung folgt also zeitlich auf den totalisierenden Humanismus der Kompatibilität. Aber die Zukunft wird auch diese Kultur überwinden, wie Tierno Galván erläuternd hinzufügt: »Wenn der Mensch die volle oder teilweise Beherrschung der Natur - das letzte von Marx vorhergesehene Stadium - erreicht hat, dann werden Zersplitterung und Totalität keine entgegengesetzten Kategorien mehr sein.« Die Aufhebung des Abstands zwischen reich und arm ist also voranzutreiben: »Die Menschen werden erst dann gleich sein, wenn sie die wissenschaftliche Beherrschung der Natur erreicht haben.« Nur so nähern wir uns der wahren Freiheit. »Das Erreichen dieses Ideals liegt allerdings in weiter Ferne«, meint Tierno Galván, und er schließt: »Aus dem Humanismus der Zersplitterung im Rahmen der kapitalistischen Welt wird die neue Einheit der nichtkapitalistischen Welt entspringen, die - ich wiederhole es - die Einheit von Geist und Dingen sein wird.« Der Schritt zur dritten Phase, die sich in der Entwicklung des Denkens von Tierno Galván unterscheiden läßt, ist also schon in dieser Arbeit über »Humanismus und Gesellschaft« deutlich sichtbar. Der traditionelle Humanismus - größtenteils ein »romantischer Elendshumanismus« - sollte im Spanien der sechziger Jahre, dem Spanien des kapitalistischen Wirtschaftswachstums, weitgehend überwunden werden und seinen Sinn verlieren.27 Selbstverständlich gab es auch weiterhin menschliche und gesellschaftliche Probleme schwerer Ungerechtigkeit und Ungleichheit, äußerst bedrückende, sogar entsetzliche Lebensumstände, vor allem natürlich für die Arbeiterklasse, aber auch für manche Teile der Mittelschichten (endlose Arbeitstage, Überstunden, ermüdende Mehrfachbeschäftigung, massive Emigration im Inland und ins Ausland, Mangel an menschenwürdigen und erschwinglichen Wohnungen, unzureichende Gesundheitsversorgung, viel zu wenig Schulen usw.), aber der erreichte Lebensstandard erlaubte - anders als in früheren Zeiten und als manche »Nostalgiker des Elends« (fremden Elends natürlich) glauben machen wollen - die humanistisch-folkloristische Verherrlichung und Ausbeutung der Armen nicht mehr. Der Humanismus unserer Zeit muß, wenn er Aussicht auf Anerkennung und Geltung besitzen will, jedenfalls realistischer und auch effizienter, rationaler und kritischer sein als der früherer Zeiten.

Die Ungleichzeitigkeit

von Gesellschaft und Politik im Spanien der sechziger Jahre

Es ist unbestreitbar, daß parallel zu dieser Überwindung des traditionellen Humanismus die spanische Gesellschaft in den 60er Jahren allmählich dynamischer und plura27 Über die traditionellen Elemente in dem, was sich selbst als »ewiges Spanien« bezeichnet, vgl. / . B. drei in jenen Jahren erschienene Bücher ausländischer Autoren: von Elena de la Souchcre: Explication de l'Espa^ne, Paris 1962; von Benjamin Welles: Spain. The Gentie Anarchy, New York: Praeger 1965; und von L. Carruccio: Spa%na sema mili, Bologna: II Mulino 1968. Vgl. außerdem den kulturgeschichtlichen Essay von Carlos Rojas: Diálogos para otra España, Barcelona: Ariel 1966 (2. Aufl. 1968).

130 listischer wird. Damit wird die Ungleichzeitigkeit des zurückgebliebenen politischen und juristischen »Überbaus« (eine dysfunktionale Ungleichzeitigkeit, die sich im Laufe der Zeit noch verstärken sollte) bezüglich der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen »Basis« unmißverständlich deutlich; noch größer ist diese Phasenverschiebung, das Hinterherhinken des »Überbaus« im Vergleich mit den bedeutendsten kulturellen Einstellungen, also mit dem philosophischen, politischen und religiösen Denken großer Teile der Gesellschaft, die fortschrittlich und offen sind. Vielleicht ist dies auch das entscheidende Faktum und Problem all jener Jahre, einschließlich der 70er Jahre: die Suche nach einer gültigen, realistischen Kommunikation zwischen diesen beiden Bereichen, Basis und Überbau der spanischen Verhältnisse, und nach ihrem synchronen Funktionierend Aranguren, der Bedeutung und Auswirkungen dieser Ungleichzeitigkeit voll erkannte, hat sich in einer Arbeit von 1963, die als Einführung in den ersten Band einer von ihm herausgegebenen Reihe diente - eine Reihe, die bezeichnenderweise den symbolischen Titel »Spanische Zeit« (Tiempo de España) trug -, ausdrücklich mit dieser Frage beschäftigt. Er sagte dort: »Wir wollen möglichst genau wissen, in welcher Zeit Spanien lebt und in welchem Tempo ... man sie durchleben muß. Die spanische Uhr muß, ob man will oder nicht, der Uhr Europas, der Uhr der Welt angepaßt werden. Dies erfordert, um bei dem Bild zu bleiben, zweierlei: Erstens muß man sie richtig stellen, denn zumindest in manchen Bereichen zeigt sie die falsche Zeit... Und zweitens reicht es offenbar nicht, sie zu stellen, sondern man muß sie auch aufziehen und sie dann in einem Rhythmus am Laufen halten, der nicht der immer gleiche Rhythmus der Uhren sein kann, sondern der sich beschleunigende Rhythmus einer immer schneller sich wandelnden Welt sein muß.« Und bezüglich der besonderen Umstände dieses Wandels in unserem Land, d. h. im Hinblick auf die damalige »Zeit« und das »Tempo« in Spanien fährt er fort: »Ein wichtiges, für den aufmerksamen Beobachter leicht wahrnehmbares Merkmal für das, was in unserem Land derzeit geschieht, ist, daß die soziale Wirklichkeit unter der politischen Oberfläche rasche, tiefgehende Veränderungen erfährt, die zu gegebener Zeit zu weiteren, aufsehenerregenderen führen werden. Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind Zeugen der inneren Zersetzung überkommener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen, die sich nur noch durch Zwang oder aus Trägheit halten, und sogar die zwischenmenschlichen Verhaltensregeln machen eine Krise durch.«

28 Vgl. dazu einige, alleidings aus dem System selbst heraus geschriebene Bücher aus jenen Jahren, z. B. von Javier Martínez de Bedoya: Los problemas de una Constitución (Futuro de una política democrática española), Madrid: Paraninfo 1963; Emilio Romero: Cartas a un príncipe, Madrid: Afrodisio Aguado 1964; ders.: Cartas al pueblo soberano, Madrid: Afrodisio Aguado 1965; ders.: Cartas al Rey, 1973; José Larraz: El poder político de la sociedad jerárquica, Madrid: Prensa Espadóla 1967; Carlos Iglesias Selgas: La vía española a la democracia, Madrid: Ed. del Movimiento 1968; ders.: Un régimen social moderno. Reflexiones sobre la España actual, Bilbao: Mensajero 1970; Juan Beneyto: Los cauces de la convivencia, 1969; Alejandro Rodríguez de Valcárcel: Una etapa política, 1969; Cruz Martínez Esteruelas: La enemistad política, 1971, usw. (wobei die genannten Bücher keineswegs alle gleichzusetzen sind).

131 Schließlich stellt er treffend fest: »Ich glaube, wer nicht die Fluidität unter der Rigidität bemerkt, der begreift so gut wie nichts von dem, was bei uns vorgeht.« Es ging also darum, an der Überwindung des Widerspruchs Rigidität-Fluidität zu arbeiten, um letztlich zu erreichen, daß sich (gesellschaftliche und kulturelle) Fluidität mit (rechtlicher und politischer) Fluidität paare. Das Modell für diese spanische Umformung war im Grunde Europa, selbst (dies darf nicht übersehen werden) kein festgelegtes, statisches, monolithisches, sondern ein veränderliches, in Entwicklung begriffenes, kritisches und pluralistisches Modell - wie Aranguren in der oben zitierten Passage sagte: »Die spanische Uhr muß, ob man will oder nicht, der Uhr Europas, der Uhr der Welt angepaßt werden«.29 Es zeigt sich hier, in die Eigenarten der Zeit gekleidet, wieder einmal das uralte Problem der notwendigen kulturellen, aber auch politischen Europäisierung Spaniens.

Spanien, Europa und die Dritte Welt: Debatte J. Goytisolo - F. Fernández Santos Herausragendes Merkmal der damaligen Diskussion um die Europäisierung war vielleicht die Tatsache, daß - wohl zum ersten Mal in unserer Geschichte (Unamuno war der am häufigsten genannte Vorreiter, aber er ging im Grunde in eine ganz andere Richtung) - Teile des fortschrittlichen Sektors in Spanien Europa als Vorbild ausdrücklich ablehnten. Stattdessen wurde nun bevorzugt das neue Modell der »Dritten Welt« propagiert. Dies war eine in den genannten Kreisen damals ziemlich weit verbreitete Haltung, wobei trotz der einen oder anderen Übereinstimmung in der Vorliebe für »kulturelle Reinheit« mit dem traditionell antieuropäischen reaktionären spanischen Denken zwischen den beiden Richtungen selbstverständlich ganz klare Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten bestanden. Außer einer gewissen Dosis an Irrationalität und sogar nationalistischem Mystizismus fand man allerdings bei manchen Verfechtern »drittweltlicher« Einstellungen (wie sie in geringerem Maße noch immer existieren) auch eine ganze Menge Ungereimtheiten.

29 José Luis L. Aranguren: Einführung in den Sammelband Libertad y organización (Colección »Tiempo de España«), Madrid: Insula 1963, S. 5 und 6. Beiträge dazu kamen von Pedro Lain Entralgo, José Ferrater Mora, Fernando Lázaro Caneter, Francisco Ayala, Lorenzo Gomis, Esteban Pinilla de las Heras, Julián Marias, José Luis Cano, Juan Manchal, José Luis Pinillos, Guillermo de Torre, Juan Gomis, Carlos María Bru, Carlos Castilla del Pino und Luis Angel Rojo. Vgl. meine Besprechung der Aufsätze in der Zeitschrift Cuadernos para el Diálogo Nr.3 (Dez. 1963). Ähnlich wie Aranguren wies damals auch Raúl Morodo (in dem in Anm. 7 dieses Kapitels angeführten Artikels) darauf hin, daß man feststellen könne, daß »im ganzen Land eine allgemeine demokratische Mentalität und der Wunsch besteht, dieser neuen Mentalität die inzwischen für überlebt und veraltet angesehenen politischen Institutionen anzupassen.« Weiter schrieb Morodo: »Das Grundproblem ist meines Erachtens genau dieses: daß nämlich die bestehenden politischen Institutionen weder mit der heutigen Mentalität noch mit dem sozio-ökonomischen Prozeß im Lande übereinstimmen.« Vgl. zu diesem Aspekt der Synchronisierung auch das interessante Buch von Modesto Espinar: Una democracia para España, Madrid: Edicusa 1967, oder die Arbeiten, die durch die Briefe Emilio Romeros (zit. Anm. 28) angeregt wurden, darunter von Mariano Granados: Cartas a un escritor. El pasado, el presente y el futuro de España, Mexiko-Stadt: B. Costa Amie Ed. 1965, und der von José María Gil Robles herausgegebene Sammelband Cartas del pueblo español. Salamanca: Plaza Mayor 1966.

132 Ich erinnere diesbezüglich, um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen, an die Debatte der Jahre 1962/63 zwischen Juan Goytisolo, der damals mit Geschick eine attraktive - von vielen Trivialisierungen ähnlicher Vorstellungen freie - »Drittweltthese« verteidigte, und Francisco Fernández Santos, der die kritische Geltung des europäischen Modells vertrat.3« Goytisolo erklärte seine persönliche Einstellung als Folge des in diesem Jahrhundert erfolgten historischen Wandels von einem fortschrittlich ausgerichteten zu einem - wie er sagt - eindeutig konservativen Europa: »Während des 18. und 19. Jahrhunderts symbolisiert Europa den Fortschritt im Gegensatz zur Rigidität unserer Regierenden. Sowohl für Espronceda und Larra als auch für Donoso und Vázquez de Mella bedeutete Europa die Revolution von 1789 und die Erklärung der Menschenrechte, Industrialisierung und Reform unserer Institutionen und Gesetze. Weder der europäisierende Eifer der beiden ersten noch die isolationistische Haltung der beiden letzten läßt sich ohne diese ihnen gemeinsame Vorstellung erklären.« Weiter heißt es bei Goytisolo: »Ist man sich dessen bewußt, so wird man verstehen, daß die liberalen Geister des 19. Jahrhunderts nur pro-europäisch sein konnten. Die protektionistische Position war damals gleichbedeutend mit kultureller Barbarei und einem ultramontanen Geist, also mit dem Versuch, Spanien von moderner Zivilisation und Fortschritt fernzuhalten.« Europa habe sich aber, so Goytisolo, in unserem Jahrhundert stark verändert, und zwar zum schlechteren (wobei er unbegreiflicherweise europäische Sünden der Vergangenheit vergißt, z. B. den Absolutismus des »Ancien Régime«, die Heilige Allianz, die Cien Mil Hijos de San Luis, die Unterdrückung von 1848 und 1869 sowie den europäischen Kolonialismus durch alle diese Epochen hindurch): »Amerika, Asien, Afrika haben sich in den vergangenen Jahrzehnten rasch entwickelt, und der Alte Kontinent verkörpert nicht mehr wie früher den Geist der Freiheit und des Fortschritts ... Das heutige Bild der westlichen Mächte stimmt immer weniger mit dem überein, das unsere Liberalen im vorigen Jahrhundert bewunderten.« So sei zu verstehen, daß viele früher verbissen antieuropäischen Spanier inzwischen zu begeisterten Europäern geworden seien. Seine Schlußfolgerung ist: »Nicht sie haben sich verändert, sondern Europa.« Der Forderung nach einer Integration Spaniens in Europa hält Goytisolo entgegen: »Unsere Blicke sollten sich heute auf Kuba und die Völker Amerikas, Asiens und Afrikas richten, die um ihre Unabhängigkeit und Freiheit kämpfen. Europa symboli30 Die Debatte begann mit dem Aufsatz von Juan Goytisolo: L'Espagne et l'Europe, zuerst erschienen in Jean-Paul Sartres Zeitschrift Les Temps modernes Nr. 194 (Juli 1962) S. 128-146. Er wurde später, gefolgt von einer Entgegnung von Francisco Fernández Santos unter dem Titel Espana, Europa y el 'Tercer Mundo' sowie einer Respuesta a F. Fernández Santos (Erwiderung von Juan Goytisolo) und weiteren Puntualizaciones von Fernández Santos, wiederabgedruckt in: Tribuna socialista (Paris) Nr. 6-7 (Feb.-Mai 1963) S. 35-92; die hier zitierten Passagen Goytisolos finden sich auf den Seiten 40, 45,46-51, die von Francisco Fernández Santos auf S. 72 der letztgenannten Quelle. Anzumerken ist, daß Goytisolo in dem Aufsatz, der die Debatte eröffnete, eigentlich auf die europäisierende These von Enrique Ruiz García antwortete - ein Autor, der selbst auf Probleme der Unterentwicklung und der Dritten Welt spezialisiert war, über die er zahlreiche interessante Bücher geschrieben hat.

133 siert historisch inzwischen Vergangenheit und Beharren. Vielleicht ist die Zeit gekommen, uns zu afrikanisieren, wie Unamuno sagte, und den uralten spöttischen Spruch 'Afrika beginnt an den Pyrenäen' auf unsere Fahnen zu schreiben.« Goytisolo verficht eine tiefgreifende wirtschaftliche und sozio-politische Umwandlung Spaniens (in diesem Punkt unterscheidet sich sein »Afrikanismus« von den reaktionär antieuropäischen Interpretationen der Vergangenheit) und stellt sich - völlig zu Recht - mit aller Härte gegen jene Spanier und Europäer, die die materielle Armut Spaniens und die »geistigen Werte« des Volkes als Teil kultureller Authentizität verkaufen. Er schreibt dazu: »Der Europäer bewundert die Rückständigkeit Spaniens als ästhetisches Motiv und verlangt von uns, wie unsere Konservativen des 19. Jahrhunderts, daß wir so bleiben, wie wir sind. Hier trifft sich das Interesse unserer Oberschichten mit den kulturellen Reinheitswünschen Europas. Der Egoismus der ersteren findet im Genuß unserer Besucher einen unerwarteten Verbündeten. Spanien, Dienstmagd Europas jenseits der Pyrenäen, wird zu Spanien, Refugium und Ort der geistigen Erholung diesseits der Pyrenäen.« Mit berechtigtem Zorn schließt Goytisolo: »Die Europäer haben uns eine Rolle aufgezwungen und verlangen jetzt, daß wir sie getreulich spielen. Wir Spanier sind tapfer, stolz, ritterlich und noch vieles andere mehr, aber niemals dürfen wir aus den Grenzen einer asketischen Armut ausbrechen. Der Europäer sucht in Spanien seine verlorene Seele. Unser Auftrag, so sagen sie, sei ein geistiger...« Aber auch wenn man den Unmut Juan Goytisolos angesichts einer solchen Vorstellung von Spanien voll und ganz teilt, wird doch nicht ganz klar, warum es notwendig oder auch nur angebracht sein sollte, daß er seine eigene Vorstellung auf die sogenannte »Afrikanisierung« gründet (wie sie in seiner phantastischen Reivindicación del Conde don Julián noch immer zu überdauern scheint). Ich bin vielmehr der Ansicht, daß sie sich eher mit dem in Einklang bringen ließe, was die zweifellos in Europa noch immer vorhandenen fortschrittlichen Kräfte auch für unser Land wünschen, und zwar in umfassender Solidarität auch mit den Befreiungszielen der Dritten Welt, da es offenbar nicht darum geht, mit dieser zu brechen. Diese fortschrittlichen Kräfte und Strömungen, die die Freiheit verteidigen, sind »auch« in unserer Zeit Europa, mehr noch, sind das echte Europa. Verweigert man also die Integration, dann bricht man damit auch, ob man will oder nicht, den Kontakt zu diesem echten, fortschrittlichen Europa ab. Manche Textstelle bei Goytisolo (ganz besonders der unverantwortliche ganivetianische Schluß über die Notwendigkeit, »eine Million Spanier den Wölfen vorzuwerfen«) bekräftigt paradoxerweise ein anderes topisches Spanienbild, das dem reaktionären Europäer, den er mit Recht kritisiert, ebenfalls ans Herz gewachsen ist, nämlich das Bild des tragischen, verzweifelten, gewalttätigen, aggressiven Spaniers, der den Tod sucht. Ich stimme daher weitgehend den Bemerkungen zu, die damals im Rahmen der erwähnten Debatte von Francisco Fernández Santos gemacht wurden. Goytisolo schlug am Ende seiner Arbeit vor: »Ziel der spanischen Intellektuellen müßte heute die rigo-

134 rose Erarbeitung einer nationalen Volkskultur unter der offiziellen europäischen Kultur entgegengesetzem Vorzeichen sein.« Fernández Santos faßt in Erwiderung darauf seine Haltung wie folgt zusammen: »Was ist unter offizieller europäischer Kultur zu verstehen? Neokapitalistische Theorien, verrohende Gadget-Zivilisation, offener oder verdeckter Faschismus bzw. Rassismus, die kleineuropäische Mentalität, die Pseudophilosophie der 'moralischen Werte des Westens' als Gegenmittel gegen die marxistische Kultur...? Oder gehören zu diesem Begriff auch die echten demokratischen Werte, die dialektische Freiheit auf ideologischer Ebene, der Marxismus von Gramsci und Lukács, der Existentialismus Heideggers und die dialektische Philosophie Sartres, Sorbonne und Heidelberg, Soziologie und Psychoanalyse, Surrealismus, nouveau roman und italienischer Realismus, abstrakte Malerei und Zwölftonmusik ...? Wenn unter 'offizieller europäischer Kultur' das erste zu verstehen ist, dann gibt es keinen Zweifel: dann müssen wir Spanier dagegen ankämpfen. Aber warum in diesem Fall das Gegenmittel in einer problematischen, vagen 'nationalen Volkskultur' suchen, wenn es sich doch so leicht in der inoffiziellen europäischen Kultur finden läßt, die ich an zweiter Stelle aufgezählt habe? Und was den Begriff einer spanischen 'nationalen Volkskultur' betrifft, so ist er nicht nur, wie ich sagte, problematisch und vage, sondern obendrein auch gefährlich.« Abschließend heißt es bei Fernández Santos: »Will man von einer europäischen Kultur sprechen - die heute zum großen Teil moderne Weltkultur ist -, so muß man darunter jenen geistigen Raum verstehen, der von Dostojewskij, Scholochow und Lenin über Marx, Freud, Pirandello, Sartre, Proust und tausende Geister mehr, die die Welt der Ideen und Formen bereichert haben, bis zu Bertrand Russell, William Faulkner, Miguel de Unamuno und Pablo Neruda reicht.« Seit dieser Debatte sind einige Jahre vergangen, und Spanien hat sich - trotz des Wirtschaftswachstums, das es vom Niveau unterentwickelter Länder unterscheidet nur teilweise in Europa integrieren können. Trotzdem scheint mir, daß heutzutage die Frage nach dem Vorbild für die Umgestaltung unseres Landes auch von solch fortschrittlichen Standpunkten aus viel weniger umstritten ist: die Eingliederung nach Europa wird von einer großen Mehrheit als positiv angesehen, »auch« - wie schon gesagt - innerhalb der deutlich progressiven Strömungen und Einstellungen, selbst bei denen, die eine mehr oder weniger tiefgehende, radikale Umwandlung der europäischen kapitalistischen Systeme wollen. Nur die ganz fundamentalistischen Kreise sind heutzutage also wieder konsequent antieuropäisch eingestellt.

Entwicklung der Sozialwissenschaften und Hindemisse für die Universitätsreform Trotz der damals bestehenden Hindernisse für die politische und wirtschaftliche Integration kann man sagen, daß einem großen Teil der spanischen Kultur in all jenen Jahren zunehmend die Kommunikation mit der europäischen (und amerikanischen)

135 Kultur und die Annäherung an sie gelang (selbstverständlich, ohne daß deswegen auf andere ausländische Kontakte und Einflüsse verzichtet wurde und ohne daß die spanische Kultur aufgehört hätte, sich selbst in ihrer ganz eigenen Persönlichkeit und Authentizität auszudrücken), wobei dies in besonderem Maße wohl für den Bereich der Sozialwissenschaften, aber auch für den der Philosophie und der Literatur gilt. Folge dieses Einflusses und dieser Verbindungen war, daß die sechziger Jahre in unserem Land einen beträchtlichen Aufschwung der Politikwissenschaft, der Soziologie, der Wirtschaftswissenschaften, der Geschichtswissenschaft usw. mit sich brachten. Man kann sogar sagen, daß sich die genannten »Disziplinen« erst in dieser Zeit als Wissenschaften im eigentlichen Sinne in Spanien etablierten. Neben verschiedenen schon erwähnten Büchern sind hier beispielsweise - sieht man einmal von Lehrbüchern und Forschungsberichten mehr akademischen Charakters ab (wenngleich sie gelegentlich von hervorragenden Universitätslehrern und Forschem verfaßt waren) an politikwissenschaftlichen Arbeiten u. a. zu nennen: von Manuel Jiménez de Parga Los regímenes políticos contemporáneos (1960; 2. Aufl. 1962, 5. Aufl. 1971); außerdem viele der Arbeiten von Eduardo García de Enterria, darunter etwa La Administración Española. Estudios de Ciencia Administrativa (1961; 2. Aufl. 1964; Madrid: Alianza 1972); dann auch Mitos y símbolos políticos (Taurus 1964) von Manuel García Pelayo, der damals Professor in Venezuela war und der einige Jahre später sein Burocracia y tecnocracia (y otris escritos) (Madrid: Alianza 1974) veröffentlichte; die Antrittsrede in der Real Academia de Ciencias Morales y Políticas von Carlos Ollero unter dem Titel »Dinámica social, desarrollo económico y forma política (La Monarquía siglo XX)« (1966); die Principios de Ciencia política von Pablo Lucas Verdú (1967); Comunicación humana y comunidad política von José A. González Casanova (1968); von Antonio Truyol y Serra ¿OÍ derechos humanos (1968) u. a., alies Bücher, die aus einer demokratischen Perspektive geschrieben waren und sich strikt am Kriterium der wissenschaftlichen Wahrheit ausrichteten. Man müßte eigentlich bei der Behandlung dieser für die Sozialwissenschaften in Spanien konstitutiven Phase noch viele andere Namen nennen; wegen der großen Zahl und des fehlenden zeitlichen Abstands ist es jedoch hier (und im folgenden Kapitel, das schon bis ins Jahr 1975 reichen wird) nicht möglich, alle zu erwähnen, die es verdienten; ich werde also das Risiko ungerechtfertigter Auslassungen auf mich nehmen und hier nur einige ausdrücklich anführen. Auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften sind u. a. die Arbeiten von José Luis Sampedro, Jesús Prados Arrarte, Enrique Fuentes Quintana, José Luis Sureda, Emilio de Figueroa, Luis Angel Rojo, Juan Velarde, Ramón Tamames (Autor der vielgelesenen Werke Estructura económica de España [1960] und Los monopolios de España [1967]) sowie der Gruppe der »guten Epoche« von España Económica zu nennen. Bei den Untersuchungen zur Geschichte nehmen - neben weiter oben schon genannten Werken - die Studien zur Arbeiterbewegung von Oriol Vergés Mundo, José Termes Ardevol und Casimiro Martí, die allgemeineren Arbeiten von Ramón

136 Carande (hauptsächlich Neuauflagen), José Antonio Maravall, Luis G. de Valdeavellano, José María Jover, Carlos Seco, José María Fontana, Miguel Artola, Antonio Domínguez Ortiz, José M. López Piñero, die Untersuchung von Jordi Nadal über La población española (1966) sowie im Ausland die beiden bedeutenden Bände von Manuel Tuñón de Lara La España del siglo XIX (1965) und La España del siglo XX (1966) einen herausragenden Platz ein. Außerdem ist Roberto Mesa zu nennen, der eine Arbeit zu dem in Spanien selten behandelten Thema El colonialismo en la crisis del XIX español (Madrid: Ciencia Nueva 1967) vorgelegt hat, in der er Probleme des Kolonialismus und der »Dritten Welt« im allgemeinen behandelt, über die er später beim Verlag Cuadernos para el Diálogo mehrere wichtige Bücher veröffentlicht hat: 1971 Las revoluciones del tercer mundo, 1973 Vietnam: la lucha por la liberación (1943-1973) und 1974 La rebelión colonial (zur gleichen Thematik und im gleichen Jahr erschien auch im Verlag El Espejo von Emilio Menéndez del Valle Africa negra, dominio bianco). Zu den ersten Büchern, die im Bereich der Soziologie - einer im hier behandelten Jahrzehnt besonders wichtigen Disziplin - damals erschienen, gehören u. a. La sociología científica moderna (1962) von Salustiano del Campo - 1966 Direktor der eine Zeitlang in Barcelona erscheinenden Anales de Sociología - oder auch die Estudios de Sociología política (1963) von Francisco Murillo Ferrol. Nachdem 1959 Enrique Gómez Arboleya gerstorben war, gewannen für einige Jahre am Rande des offiziellen Universitätswesens angesiedelte Zentren auf Kosten der kaum institutionalisierten universitären Soziologie an Einfluß.3i Dies war etwa zwischen 1963 und 1965 der Fall mit den formal vom Rektorat der Universität von Madrid abhängigen »Soziologischen Seminaren«, zu deren Dozenten u. a. die Professoren Enrique Tierno Galván, José Luis L. Aranguren, José Luis Sampedro, Carlos Ollero, Antonio Truyol y Serra, Luis Angel Rojo und Ramón Tamames gehörten. Im Zusammenhang mit diesen »Seminaren« begann man mit der Publikation der Revista Española de Sociología, von der jedoch nur eine Nullnummer im April 1964 und die Nr. 1 (Jan-März 1965) erscheinen konnten. Die »Soziologischen Seminare« mußten mangels Unterstützung durch das Rektorat 1965 eingestellt werden (also im gleichen Jahr, in dem die Professoren Tierno Galván, Aranguren und Garcia Calvo aus der Universität ausgeschlossen und die Professoren Aguilar Navarro und Montero Díaz für zwei Jahre suspendiert wurden). Dank des Geschicks und des Einsatzes von José Vidal Beneyto konnte sich jedoch der größte Teil der Dozenten und Studenten - in Fortführung der Hauptziele der eingestellten »Seminare« - im »Zentrum für Forschung und Lehre« (Centro de Enseñanza e Investigación CEISA) zusammenfinden, das eine von den Professoren José Antonio 31 Für eine Darstellung der Entwicklungen, Strömungen, Namen und Publikationen in der spanischen Soziologie dieser Jahre vgl. das schon erwähnte Buch von Amando de Miguel: Sociología o subversión, a. a. O.; außerdem sein zu Recht umstrittenes Werk Homo sociologicus hispánicos. Para entender a los sociólogos españoles, Barcelona: Barral 1973 (mit einem nicht weniger anfechtbaren und umstrittenen Nachwort von José Vidal Beneyto).

137 Maravall, José Luis Sampedro und Antonio Truyol y Serra geführte »Schule für Sozialwissenschaften« (Escuela de Ciencias Sociales) einrichtete, die bis 1968 bestand. Nachdem die Schule des CEISA auf Anordnung der Regierung geschlossen worden war, wurde in einem erneuten Versuch zur Wahrung der Kontinuität 1968 die »Kritische Schule für Sozialwissenschaften« (Escuela Critica de Ciencias Sociales) gegründet, die trotz widriger Umstände und verständlicher innerer Spannungen bis Februar 1970 existieren konnte, dann aber - offiziell nur vorübergehend - zur Einstellung ihrer Aktivitäten gezwungen wurde.32 Die Etablierung und relativ schnelle Entwicklung der Sozialwissenschaften in Spanien im Laufe der sechziger Jahre ging einher mit einer tiefen Krise der Universitäten, die man durchaus als Dauerkrise bezeichnen kann. Das schwächliche Universitätswesen der Nachkriegszeit war erstmals 1956 aufgerüttelt worden, nachdem die ersten Jahrgänge, die den Bürgerkrieg nicht mitgemacht hatten, die Universitäten erreichten. Die Erschütterungen gingen also zum Teil - wie auch die späterer Jahre - auf eine Krise zurück, die aus einem unübersehbaren Wachstums- und Reifeprozeß resultierte, aber sie war zugleich auch Folge eines unzulänglichen Umgangs mit den Problemen der Universitäten. Von nun an sollte das dringende Bedürfnis nach tiefgreifendem technischem und ideologischem Wandel in den Universitäten immer deutlicher werden. Die wichtige, damals einsetzende Unversitätsreformbewegung steht so - angesichts der allgemein im Land herrschenden Bedingungen, die die Komplexität und Ernsthaftigkeit der zum großen Teil bis heute nicht überwundenen Krise noch erhöhten, in enger Beziehung zu den Strömungen, die damals auch eine durchgreifende Reform des politischen Systems forderten. Die Universitäten wurden sich zunehmend ihrer schwierigen Lage bewußt, in der sie schwere Verluste hinnehmen mußten (die Entlassung von Professoren im Jahr 1965 war einer der schwersten, aber nicht der einzige). Dies löste einen heilsamen Prozeß selbstkritischer Reflexion über die eigene Rolle in der Gesellschaft aus, aber es führte (neben schmerzhaften Brüchen und Rückschlägen unterschiedlicher Art) häufig auch zur wenig ermutigenden Feststellung von Verwirrung, Orientierungslosigkeit und Ohnmacht angesichts der wenig intelligenten und noch weniger unabhängigen offiziellen Verwaltung und angesichts des Zusammenwirkens verschiedener Kräfte, die mit unterschiedlichen »Argumenten« die nötige Universitätsreform und die - trotz allem mögliche - allmähliche Lösung der internen und externen Probleme der Universitäten behinderten und erschwerten^ 32 Der Lehrkörper dieser verschiedenen Zentren ist in meiner Arbeit La situación de la Sociología del Derecho en el mundo actual, in: Estudios de Ciencia política y Sociología. Homenaje al profesor Carlos Ollero, Madrid 1972, S. 53-68, sowie in meinem Buch Sociología y Filosofía del Derecho, a. a. O., S. 176 f. aufgeführt. 33 Über die Universitäten ist damals viel, vielleicht sogar zu viel, geschrieben worden, wobei nicht immer eine vernünftige Absicht und ausreichende Kenntnis des Sachverhalts gegeben war; oft fehlten notwendige Informationen und ein Mindestmaß an Objektivität; manchmal wurde nur die spektakuläre, schrille Nachricht gesucht und dadurch - gelegentlich ungewollt - den «unterschwelligen anti-intellektuellen Gefühlen der Nation « zugearbeitet; die Uni-

138 Hinsichtlich der Lage der Universitäten hat José María Maravall einen Teil der Parameter, die den während jener Jahre in unserem Land verzeichneten Fortschritt (aber auch gelegentlichen Rückschritt) erklären, folgendermaßen zusammengefaßt: »Seit Beginn der 60er Jahre (insbesondere ab 1962) führte eine Reihe von Ereignissen zur Veränderung des im Sterben liegenden autarken Antlitzes der spanischen Gesellschaft. Eine Phase wirtschaftlichen Wachstums, massiver Landflucht und hoher Abwanderung ins Ausland war auch gekennzeichnet durch das Anwachsen und die zunehmende Reife der Konfliktfähigkeit der Arbeiterschaft sowie durch eine gewisse Stärkung und Radikalisierung der Studentenbewegung. Gleichzeitig intensivierte sich - wenn auch mit Mühe - die Kommunikation von Intellektuellen und Wissenschaftlern mit anderen Ländern. An diesen Vorgängen waren in unterschiedlichem Maße und auf unterschiedliche Weise manche dieser jungen Sozialwissenschaftler - Soziologen, Ökonomen, Politologen - beteiligt. Der Beginn der zweiten Hälfte der 60er Jahre war in diesen Kreisen die Zeit eines ziemlichen Optimismus, und zwar zugleich 'interpretativ' und 'praktisch', d. h. man glaubte, die Realität zu 'verstehen', und man glaubte, sie zu 'verändern'. Dies führte wohl gelegentlich zu ziemlich naiven Formen von Voluntarismus.« Weiter heißt es bei J. M. Maravall, jetzt schon im Hinblick auf das Ende der hier betrachteten Periode: »Einerseits brachten die letzten Jahre - ab 1968 - eine schwere Krise. Auf die Abwertung vom November 1968 folgte der Ausnahmezustand von Januar bis März 1969, dann der Ausnahmezustand von Dezember 1970 bis Juni 1971. Die Krise hatte schwere Auswirkungen auf gewisse Gruppen und Kreise in den Universitäten. Von nun an glaubte man weder zu 'verstehen' noch zu 'verändern'. Das vorher grenzenlose Vertrauen in den berühmten Satz von Marx aus dem Vorwort zu seiner 'Kritik der politischen Ökonomie' über die Beziehungen zwischen Produktionsmitteln, Produktionsverhältnissen und politischem Überbau verlor seine Orientierungskraft. Was, wenn das einzige geistige Rüstzeug eine elementare Interpretation dieses Satzes war, durchaus Anlaß zur Sorge geben mußte. Der politische Überbau

versität wurde zur einzigen Institution, die man bequem und ungestraft schelten durfte. Ich will hier nur einige wenige Werke spanischer Autoren nennen, die mir im Gegensatz dazu ausgewogen und für die Behandlung dieses Themas bedenkenswert erscheinen (wobei ich selbstverständlich weder behaupten will, sie seien allesamt gleichwertig, noch, daß damit die Liste erschöpft wäre): José Luis L. Aranguren: El futuro de la Universidad, Madrid: Taurus 1962 (Neuauflage, zusammen mit anderen seiner Arbeiten, 1973); Angel Latorre: Universidad y Sociedad, Barcelona: Ariel 1964; Víctor Sánchez de Zavala: Enseñar y aprender, Barcelona: Península 1965 (ein Werte, das über das »Universitätsthema« hinausgeht, für dessen Verständnis jedoch unverzichtbar ist); Cuadernos para el Diálogo (Madrid) Sondern. V (Mai 1967) zum Thema »La Universidad«; Pedro Laín Entralgo: El problema de la Universidad (Reflexiones de urgencia), Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1968; Antonio Tovar: Universidad y educación de masas (Ensayo sobre el porvenir de España), Barcelona: Ariel 1968; der Sammelband La Universidad, Madrid: Ed. Ciencia Nueva 1969 (mit Aufsätzen von Carlos Blanco Aguinaga, Faustino Cordón, Femando Chueca Goitia, Carlos Fernández Casado, Paulino Garagorri, Eduardo García de Enterria, Manuel Jiménez de Parga, Enrique Lafuente Ferrari, Pedro I_aín Entralgo - von dem auch das Vorwort stammt -, Rafael Lapesa, José Luis L. Aranguren, José A. Maravall, Julián Marias, Jesús Prados Anarte, José Luis Sampedro, Manuel Terán und Angel Vián Ortufto). Ich denke, die tiefgreifende Reform, die unsere Universität so sehr braucht, wäre auf der breiten und facettenreichen Linie dieser Werke anzusiedeln.

139 genießt, so scheint es, eine gewisse Autonomie und verfügt offenbar über große Mittel zur Selbstverewigung.«34

Kulturelle Liberalisierung und Rehabilitierung der krausistischen und institutionistischen Philosophie Die Jahre vor dieser neuen Krisenperiode, die Stagnation und Rückschritte brachte, deren äußeres Signal die Erklärung des »Ausnahmezustandes« im Januar 1969 war und die bis November 1975 andauern sollte, waren Jahre, die von gedämpftem Optimismus und Öffnungsgeist charakterisiert waren, letzterer allerdings mehr auf kulturellem als auf politischem Gebiet, wo die Liberalisierung nicht einmal ein Mindestmaß an Möglichkeiten für eine angemessene Institutionalisierung vorfand. 35 Trotz alledem sprach man in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in Spanien nicht ohne (mehr informelle als institutionelle) Grundlage - auch von einer »Liberalisierung« auf politischem Gebiet. Obwohl es keine politischen Vereinigungen gab (die dann allerdings 1974 immerhin formell angekündigt wurden), wurden damals allmählich unterschiedliche Einzelmeinungen und vielfältige Meinungsbilder gesammelt und veröffentlicht. 36 Ein damals äußerst umstrittenes, gegenüber dem Franco-Regime ungeheuer kritisches Buch begann allerdings folgendermaßen: »Ganz langsam, unentschlossen und oberflächlich ist man dabei, die politischen Bedingungen zu 'liberalisieren'. Diese 34 José Maria Maravall: La sociología de lo posible, Madrid: Siglo X X I 1972, S. 11 der Einführung; vgl. auch ders.: Dictadura y disentimiento político: obreros y estudiantes bajo el franquismo, Madrid: Alfaguara 1978. Vgl. zu diesem Thema u. a. auch, von unterschiedlichen Standpunkten, Rafael Gómez Pérez: La generación de la protesta. Sentido y evolución de la crisis universitaria (1969); Manuel Juan Farga: Universidad y democracia en España (30 años de lucha estudianál), Mexiko-Stadt: Ed. Era 1969; Alejandro Nieto: La ideología revolucionaria de los estudiantes europeos, Barcelona: Ariel 1971; Enrique Tierno Galván: La rebelión juvenil y el problema de la Universidad, Madrid: Seminarios y Ediciones 1972; außerdem, obwohl dort auch andere Themen behandelt weiden und durchgängig eine starke Anlehnung an die Meinungen der studentischen »Ständebewegung« auffällt, Amando de Miguel: Diagnóstico de la Universidad, Madrid: Guadarrama 1973; danach noch Carlos Paris: La Universidad española actual, Madrid: Edicusa 1974. 35 Diesbezüglich ist an das Motto auf dem Titelblatt einer so ausgewogenen Zeitschrift wir Mañana, einer damals in Paris erscheinenden spanischen Monatszeitschrift, zu erinnern: »Mañana erscheint in Paris, weil sie in Madrid noch nicht erscheinen kann. Sie will objektiv informieren sowie als Sprachrohr für das Denken und Wollen all derer dienen, die sich fiir eine demokratische Lösung im Hinblick auf das Zusammenleben der Bürger und die Integration Spaniens in die moderne Welt einsetzen.« Neben anderen Publikationen, die zum Teil hier schon genannt wurden, ist diese Zeitschrift (der vollständige Titel war Mañana. Tribuna democrática española) für manche der grundlegenden Probleme der politischen Lage Spaniens in diesen Jahren von großer Bedeutung. Sie erschien, wie schon gesagt, in Paris und stand unter der Leitung von Julián Gorkin, dem F. Farreras als Redaktionssekretär zur Seite stand. Von der Zeitschrift erschienen nur zwölf Nummern (Januar 1965 bis Februar 1966). Namentliche Beiträge stammten u. a. von Dionisio Ridruejo (regelmäßigster Mitarbeiter und wohl wichtigster Impulsgeber), José Luis L. Aranguren, Juan Manchal, Salvador de Madariaga, Antonio Menchaca, Antonio Espina, Mariano Robles und Enrique Gironella. 36 In diesem Zusammenhang fanden zwei wichtige Bücher großen Widerhall, nämlich von Salvador Paniker: Conversaciones en Cataluña (1967) und Conversaciones en Madrid (1969), beide erschienen bei Kairos in Barcelona. Zu den Büchern, die später darum bemüht waren, die Meinungsverschiedenheiten mit Hilfe politischer Interviews aufzuzeigen, gehören von Manuel Pizán: El poder y la oposición. Once políticos y tres conflictos (1970) und von José Carlos Clemente: Conversaciones con las corrientes políticas de España (1971), beide bei Dopesa in Barcelona veröffentlicht Vgl. auch unter diesem Gesichtspunkt weitere in jenen Jahren erschienene Bücher, z. B. von José María de Areilza: Escritos políticos, Madrid: Guadiana 1968.

140 'Liberalisierung' läßt sich nur im Vergleich mit der sehr viel härteren Situation der vierziger und fünfziger Jahre als eine solche bezeichnen. Vorläufig muß die 'Liberalisierung' jedoch in Anführungszeichen gesetzt werden, da sich im Grunde nur sehr wenig geändert hat.« Etwas später heißt es dann: »Wir haben einen Zeitpunkt erreicht, an dem die notwendige politische Entwicklung Spaniens zu einem demokratischen Regime von Tag zu Tag offenkundiger wird. Die Entwicklung ist aus mehreren Gründen, auf die ich im folgenden eingehen werde, u n e r l ä ß l i c h . « 3 7 Man beachte hier vor allem die zweimal benutzte - von mir hervorgehobene - Vokabel »Entwicklung«. In jedem Fall ist die Frage der Öffnung sehr viel weniger umstritten und sehr viel deutlicher auf geistigem Gebiet, wo zunächst ein bemerkenswerter Fortschritt bei der Rehabilitierung des spanischen Denkens aus der Zeit vor 1936-1939 (und aus dem Exil) zu verzeichnen ist. Man kann diesbezüglich sagen, daß die sechziger Jahre im Grunde die Wiedereingliederung der bis dahin zum Schweigen verdammten - oder gar mit wütenden und ungerechten Schmähungen überhäuften - krausistischen und institutionistischen Philosophie in unser kulturelles Leben erlaubten. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß schon in der ersten Hälfte der siebziger Jahre das gleiche für bedeutende, wenn auch selbstverständlich nicht alle Teile des spanischen sozialistischen Denkens geschah. Was die Wiederaufnahme des Krausismus und Institutionismus betrifft (vom Sozialismus wird im folgenden Kapitel die Rede sein, wenn es um den Zeitraum 19691975 geht), so muß man sagen, daß - trotz aller Unzulänglichkeiten, die zweifellos in bezug auf zahlreiche Werturteile oder auch auf den ganzen Betrachtungsansatz festzustellen sind - Werke wie das von Vicente Cacho Viu über La Institución Libre de Enseñanza (1962) oder von María Dolores Gómez Molleda über Los reformadores de la España contemporánea (1966) uns zu einem besser belegten und ungewöhnlich objektiven Wissen über diesen wichtigen Bereich des zeitgenössischen spanischen Denkens verhalfen. Noch vor den genannten Werken entstand - mit einer mehr zustimmenden und modernen Bewertung - die Dissertation von Eloy Terrón über La filosofía krausista en España, die 1958 vorgelegt, aber erst Jahre später in überarbeiteter Form veröffentlicht wurde. Auf dieser eher zu einer positiven Einschätzung tendierenden Linie, wobei allerdings auch kritische Elemente nicht fehlten, sind zunächst u. a. die Arbeiten von Pablo de Azcárate, Eloy Terrón und dem Autor des vorliegenden Buches selbst zu er-

37 Sergio Vilar: Protagonistas de la España democrática, Paris: Ediciones Sociales 1969. Dieses Werk - das in fast einhundert vom Autor persönlich durchgeführten Interviews eine Fülle wichtiger Daten über das damalige Spanien liefert und das zusätzlich noch systematische Kapitel über verschiedenen Fragen der politischen Theorie enthält wäre allerdings ein sehr viel nützlicheres, treffenderes und vor allem objektiveres Buch geworden, wenn es seinem Autor - der zweifellos mit enormem Einsatz und Engagement gearbeitet hat - gelungen wäre, verschiedene Einflüsse auszuschalten, die seinem Text gelegentlich einen allzu parteiischen und unnötig aggressiven Ton verleihen, der bisweilen sogar persönlich verletzend ist; leider fehlte eine unaufgeregte kritische Schlußredaktion, die diesem auch so schon wichtigen Buch zu einem sehr viel höheren Gewicht hätte verhelfen können.

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wähnen.38 Eloy Terrón veröffentlichte 1969 die überarbeitete Fassung seiner Dissertation unter dem Titel Sociedad e ideología en los orígenes de la España contemporánea; im gleichen Jahr erschien auch das Buch von Juan José Gil Cremades El reformismo español. Krausismo, escuela histórica, neotomismo sowie die Sammelbände mit Texten und Dokumenten von Sanz del Río und G. de Azcárate, die von Pablo de Azcárate für den Verlag Tecnos besorgt wurden; und schließlich auch die zweite Auflage des Werkes von Joaquín Xirau Manuel Bartolomé Cossío y la educación en España (1. Aufl. Mexiko-Stadt 1945). Zu Beginn der siebziger Jahre (also schon jenseits des hier behandelten Zeitraums) erschienen in Spanien zu diesem Thema ein Sonderband der Anales de la cátedra Francisco Suárez in Granada (1971), das hervorragende Buch von Alberto Jiménez Fraud La Residencia de Estudiantes, die Untersuchung von Antonio Jiménez-Landi La Institución Libre de Enseñanza und eine beträchtliche Anzahl von Aufsätzen von Juan López Morillas, die in seinem Buch Hacia el 98: literatura, sociedad, ideología gesammelt sind.39

Kritische Revision des spanischen Denkens des 19. und 20. Jahrhunderts Ein Großteil der Kritik jener Jahre hat sich, wie wir sahen, nicht damit begnügt, eine offizielle Rehabilitierung des spanischen Vorbürgerkriegsdenkens zu erreichen. Man könnte sagen, die Zeit der bedingungslosen Heiligsprechungen (und als Kontrapunkt: auch der Verurteilungen) war endgültig vorbei; was nun anstand und woran man gründlich zu arbeiten begann, war die kritische Revision des liberalen und demokratischen spanischen Denkens des 19. und 20. Jahrhunderts, um sich dessen gültiger Ele-

38 Pablo de Azcárate: El ideario político de Gumersindo de Azcárate, in: Revista de Occidente Nr. 6 (Neue Serie) (Sept. 1963); über G. de Azcárate haben auch Legaz (1960) und Torregrosa Peris (1964) geschrieben. Außerhalb Spaniens erschien von Manuel de Rivacoba: Krausismo y Derecho, Córdoba (Argentinien) 1963. Vgl. auch meine Einführung in Gumersindo de Azcárate: Minuta de un testamento, Neuauflage, Barcelona: Ediciones de Cultura Popular 1967; im gleichen Jahr erschien bei Tecnos unter dem Titel La cuestión universitaria der Briefwechsel von F. Giner de los Ríos, G. de Azcárate und Nicolás Salmerón Uber die Säuberung der Universitäten von 1875 (mit einer Einführung, Anmerkungen und Index von Pablo de Azcárate); vgl. auch die Einführung von Eloy Terrón in die Textos escogidos von Julián Sanz del Río, Barcelona: Ediciones de Cultura Popular 1968. Außerdem die Vorworte von Juan López Morillas zu den Ensayos von Francisco Giner de los Ríos (von ihm ausgewählt für Alianza Editorial, Madrid 1969) und zu dem Sammelband Krausismo: estética y literatura (Madrid: Labor 1973); es sei daran erinnert, daß López Morillas der Autor des weiter oben schon genannten Buches El Krausismo español von 1956 ist Vgl. schließlich die Ausgabe der Memoria testamentaria von Fernando de Castro mit dem Untertitel »El problema del catolicismo liberal« (Madrid: Castalia 1975), mit einer Einleitung und Anmerkungen von José Luis Abellán. 39 Der erwähnte Band der Anales von Granada behandelt vor allem die Rechtsphilosophie der spanischen Krausisten; das Buch von A. Jiménez Fraud (das auch eine weitere seiner Arbeiten - Visita a Maquiavelo - und eine bedeutende Einführung von Luis G. de Valdeavellano über »Un educador humanista: Alberto Jiménez Fraud y la Residencia de Estudiantes« enthält) erschien bei Ariel in Barcelona 1972; das von A. Jiménez-Landi (Bd. 1: Los orígenes) bei Taurus Ediciones in Madrid 1973; das von J. López Morillas bei Ariel in Barcelona 1973. Es sei mir gestattet, hier auch auf mein Werk La filosofía social del Krausismo español (Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1973) hinzuweisen, das mehr Details und eine ausführliche Bibliographie zu diesen Fragen enthält. Vgl. ebenfalls beim gleichen Verlag das Buch von Francisco J. Laporta: Adolfo Posada: política y sociología en la crisis del liberalismo español (1974).

142 mente erneut zu versichern und andererseits dessen eventuelle Schwachstellen mit größtmöglicher Objektivität aufzuzeigen, sie in ihrer Geschichtlichkeit zu verstehen und auch zu beurteilen. Als einfaches Beispiel für diese Haltung (ich werde im nächsten Kapitel noch einmal darauf eingehen) will ich hier auf die Arbeiten hinweisen, die u. a. Carlos Blanco Aguinaga, José Luis Abellán, Emilio Salcedo, Rafael Pérez de la Dehesa, Aurora de Albornoz, Antonio Regalado und Carlos Paris (nach den früheren Beiträgen von Marias, Ferrater, Gullón, García Blanco, Serrano Poncela, Aranguren, Clavería, Garagorri, Guillermo de Torre, Marichal, Sánchez Barbudo u. a.) über Unamuno vorlegt e n . 4 0 Außerdem sind zu nennen: die Arbeiten von Antoni Jutglar, Isidre Molas oder Juan Trias über Pi i Margall; später dann (sieht man einmal von den Klassikern des spanischen Sozialismus ab, die ebenfalls im nächsten Kapitel behandelt werden) die von Tierno Galván, A. Gil Novales, Pérez de la Dehesa, E. Fernández Clemente oder Andrés Saborit über Joaquín Costa; das Buch von Javier Herrero über Ganivet; die Schriften Julio Caro Barajas über Pío Baroja; die Werke von Ramón J. Sender, Guillermo Díaz-Plaja, José A. Gómez Marín oder Juan A. Hormigón über Valle-Inclán; von Tuñón de Lara oder Aurora de Albornoz über A. Machado; die Studie von Gonzalo Sobejano über den Einfluß Nietzsches in Spanien; die Arbeiten von Juan Marichal oder Manuel Aragón über Azaña; von J. L. Abellán, José Hierro Sánchez-Pescador oder Julio Bayón - natürlich neben vielen anderen - über Ortega y Gasset, sowie einige spätere Werke, die im nächsten Kapitel noch Erwähnung finden werden, wenn es um die spanische Geschichtsschreibung jener Jahre gehen wird.41 Man kann sagen, daß die gleiche kritische Arbeit damals auch - wenngleich natürlich aufgrund des fehlenden zeitlichen Abstands und angesichts anderer offenkundiger Hindernisse noch in viel geringerem Maße - für das spanische Denken nach dem Bürgerkrieg in Angriff genommen wurde. 42 40 In meinem damals erschienen Buch Revision de Unamuno. Análisis crítico de su pensamento politico, Madrid: Tecnos 1968 (das als Teilhaber an jener Haltung verstanden sein will) finden sich die Literaturangaben zu den Werken aller genannten Autoren. 41 Wie man sieht, habe ich hier weder alle spanischen Intellektuellen des 19. und 20. Jahrhunderts - der Leser wird die Liste unschwer vervollständigen können - noch alle wichtigen Werke über sie genannt, sondern nur einige wenige der damals von spanischen Autoren veröffentlichten Arbeiten; nicht genannt sind daher etwa Arbeiten ausländischer Experten, die in spanischer Sprache und in spanischen Verlagen erschienen (es handelt sich dabei um eine große Anzahl wichtiger Arbeiten - es sind so viele, daß ihre Analyse ein eigenes Buch verdienen würde - mit gelegentlich entscheidenden Beiträgen zu dieser Phase der kulturellen Vergangenheit Spaniens); ausländische Autoren werden nur dann ausdrücklich genannt, wenn es sich um Arbeiten handelt, die sich auf Teilaspekte des spanischen Geisteslebens nach 1939 beziehen. 42 Im Laufe dieses Buches wurden zahlreiche Arbeiten über verschiedene Momente, Autoren und Hauptwerke der Geistesgeschichte Spaniens nach dem Bürgerkrieg angeführt; was noch fehlt, ist eine Arbeit (vergleichbar den vorliegenden Arbeiten über die politische, die Wirtschafts-, die Literaturgeschichte usw.), die die Gesamtheit oder doch wenigstens umfassende Teile der Geschichte behandeln würde, zu der die vorliegenden Seiten eine erste Einführung sein wollen. Verwiesen sei hier immerhin noch einmal auf die weiter oben schon zitierten Bücher von Juan Marichal, José Luis Abellán, Alfonso Sastre, José Carlos Mainer u. a. Eine immer nützliche Referenz sind auch die bei Rialp erschienenen Jahrbücher über Pensamento español, in denen die Buchrezensionen gesammelt sind, die Gonzalo Fernández de la Mora eine Zeitlang in der Madrider Tageszeitung ABC veröffentlichte. Vgl. auch, von einem radikal entgegengesetzen Standpunkt, einige der von Manuel Pizán in seinem Buch Los hegelianos en España y

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Anmerkung zum »Seminario de Estudios de Humanidades« Die über einen langen Zeitraum hinweg geleistete Arbeit der Madrider »Sociedad de Estudios y Publicaciones« und darunter besonders ihres »Seminario de Estudios de Humanidades« verdiente (neben anderen erwähnenswerten Institutionen) aufgrund der Beziehung zu dem früheren, von Ortega in den vierziger Jahren gegründeten »Instituto de Humanidades« und vor allem wegen ihrer Bedeutung für das geistige Leben Spaniens in jenen Jahren eine viel ausführlichere Betrachtung, als sie hier vorgenommen werden kann. 1962 gibt diese Gesellschaft das Buch Sobre la esencia von Xavier Zubiri heraus, der sich nach genau zwanzig Jahren nicht des Schweigens - seine Vorlesungen waren zahlreich und hatten großen Einfluß -, wohl aber einer fast vollständigen »Agraphie«, der sein Denken für ein über den Kreis seiner Hörer hinausgehendes Publikum unzugänglich gemacht hatte, entschloß, wieder zu veröffentlichen; 1963 erschienen dann am gleichen Ort auch seine Cinco lecciones de filosofía (Aristoteles, Kant, Comte, Bergson, Husserl, mit Anmerkungen zu Dilthey und Heidegger). Aus dem schon genannten »Seminario de Estudios de Humanidades« gingen u. a. die Arbeiten hervor, die Julián Marías 1962 in einem Band mit dem Titel Los españoles (aktuelle Überlegungen über einige Momente und Autoren der spanischen Geistesgeschichte des 18.20. Jahrhunderts, angefangen mit Jovellanos) zusammenstellte, sowie das Buch von José Luis L. Aranguren Moral y sociedad. Introducción a la moral social española del siglo XIX, das erste Werk, das beim kurz zuvor gegründeten Verlag Cuadernos para el Diálogo erschien (1965). Laín, Marías, Aranguren, Lapesa, Lafuente Ferrari, Melchor Fernández Almagro u. a. arbeiteten zusammen mit jüngeren Denkern wie Jesús Aguirre, Raúl Morodo, Miguel Martínez Cuadrado, Luis García San Miguel, José Hierro Sánchez-Pescador und dem Autor dieser Zeilen für kürzere oder längere Zeit in verschiedenen Abteilungen des »Seminario de Humanidades«.

Probleme, Strömungen und spanische Werke zur marxistischen Philosophie Es ist unmöglich, hier auf wenigen Seiten eine vollständige Geschichte der spanischen Philosophie jener Jahre zu liefern, abgesehen davon, daß sie - zumindest in Teilen - in einer Reihe anderer Schriften behandelt ist. 43 otras notas críticas, Madrid: Edicusa 1973, gesammelten Artikel. Daneben wäre natürlich eine detaillierte, sorgfältige Pressearchivarbeit von größtem Nutzen, wobei die Sparten Philosophie und soziales Denken nicht nur von Spezialzeitschriften durchzusehen wären, sondern auch von Zeitungen und Zeitschriften allgemeiner Art. Vgl. auch für einen Überblick - die Auswahlbibliographie am Ende dieses Buches. (In der für die Neuauflage von 1983 aktualisierten Bibliographie sind jetzt auch schon einige Sammelbände über Kultur und politisches Denken zwischen 1939 und 1975 aufgeführt, die nach dem Tode Francos erschienen sind.) 43 Vgl. neben anderen schon zitierten Bücher das von A. López Quintás: Filosofía española contemporánea und die Kritiken daran, u. a. die von Manuel Pizán, die - zusammen mit anderen seiner Arbeiten - in dem in Anm. 42 genannten Sammelband (S. 35-47) abgedruckt sind. Außerdem wird in dem Band Filosofía y ciencia en el pensarmen-

144 Mir geht es hier nur um eine Erwähnung der allerwichtigsten Äußerungen, wobei ich mich - neben anderen Themen - auf das, wie mir scheint, in diesem Zusammenhang neueste und für die sechziger Jahre charakteristische Ereignis beziehen will, nämlich darauf, daß zum ersten Mal nach dem Bürgerkrieg philosophische Strömungen, die sich aus dem Werk von Karl Marx herleiten, in Spanien Einfluß und geistige Geltung gewannen. Man begann auch, sich mit diesen Ansichten - ob man sie nun teilte oder nicht - mit einer gewissen Gründlichkeit und Objektivität zu befassen, und ließ so endgültig die Periode hinter sich, in der man sie von vornherein unterschiedslos verdammt hatte. Es wurde also nun über sie debattiert, während gleichzeitig aus ihrer Sicht andere - existentialistische, neopositivistische usw. - Positionen beurteilt wurden.44 Diese Arbeit wird zunächst - neben anderen Büchern und Periodika - vor allem in zwei wichtigen Zeitschriften geleistet: die eine, Realidad, erschien seit 1963 in Rom, die andere, Cuadernos de Ruedo Ibérico, seit 1965 in Paris. Beide waren in spanischen Intellektuellenkreisen ziemlich weit verbreitet und sind zwei wichtige Exponenten unterschiedlicher Ausprägungen der genannten Denkrichtung. Will man einen kurzen Abriß der Anfänge der (halb im Inland, halb im Exil geschriebenen) spanischen marxistischen Philosophie geben, in dem die bisher wichtigsten Beiträge ganz knapp dargestellt werden sollen, dann muß man - etwa anhand der Zeitschrift Realidad als Analyseeinheit - drei koordinierbare Alternativprogramme deutlich auseinanderhalten, auf die der Dialog und die Kritik der dialektischen Philosophie hier ausgerichtet ist: erstens den Existentialismus und besonders Sartre (diese Linie wird vielleicht in den Arbeiten von Manuel Ballestero am ehesten deutlich); zweitens den Neopositivismus und allgemeiner die aktuelle Wissenschaftsphilosophie (wobei hier die Beiträge von Manuel Sacristán einen hervorragenden Rang einnehmen); und drittens, auf einer anderen Ebene, das Christentum und die Möglichkeiten eines Dialogs zwischen Marxismus und Religion (diesbezüglich ist wohl Manuel Azcárate als größte Autorität zu betrachten).45 to español contemporáneo (1960-1970), III Simposio de Lógica y Filosofía de la Ciencia, Valencia, Nov. 1971 (erschienen bei Tecnos in Madrid 1973) auf S. 325 das Erscheinen eines zweiten Bandes angekündigt, der mehr der Darstellung des geschichtlichen Hintergrundes der zeitgenössischen spanischen Philosophie und Wissenschaft gewidmet sein soll. Vgl. auch den interessanten Band Estudio cuantitativo de la producción filosófica española (19601970), der im Philosophischen Institut der Universität von Salamanca 1973 von einem Team unter Leitung Miguel A. Quintanillas erstellt wurde; die Arbeit beruht auf einer Analyse der entsprechenden Jahrgänge der folgenden spanischen Zeitschriften: Convivium, Crisis, Estudios Filosóficos, Pensamiento, Revista de Filosofia und Teorema. Eine weitere interessante Publikation dieser Jahre ist Aporia. Revista de la actualidad filosófica, die zwischen 1964 und 1967 erschien (die letzte herausgebrachte Nummer war Nr. 9). Der Redaktionsrat wurde zunächst gebildet von Carlos Amable Baliflas, Raimundo Drudis - der später auch Direktor der Zeitschrift war -, Luis Jiménez Moreno und Ricardo Sánchez Ortiz de Urbina; später kamen José María Benavente und Joaquín Campillo dazu. Von den regelmäßigsten und herausragendsten Autoren von Aporia sind außerdem u. a. Carlos Paris, Pedro Rivas, José Hierro, José Luis Abellán und Antonio Arostegui zu nennen. 44 Auf den folgenden Seiten beziehe ich mich weitgehend auf die Informationen, die in meinem Aufsatz La filosofía marxista en el pensamiento español actual, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 63 (Dez. 1968), zusammengetragen sind. Vgl. zu diesem Thema auch den Aufsatz La dialéctica en España 1960-1970 - gezeichnet mit Faeg - in: Teorema 111:2-3 (1973), S. 367-384. 45 Neben diesen drei wichtigsten »Themenfeldem« und dem, was sich aus ihnen ableiten läßt, hat sich die spanische dialektische Philosophie auch besonders mit aktuellen Problemen einer Kunstphilosophie beschäftigt; so erschien u.

145 1963, in der ersten Nummer der genannten Zeitschrift, analysierte Manuel Ballestero in seinem Aufsatz »Un debate sobre la dialéctica« 46 die Beziehung der Philosophie Sartres zum Marxismus und legte damit den Grundstein für eine Kritik an Sartres Critique de la raison dialectique. Ballestero arbeitete dort die idealistischen, unwissenschaftlichen Überbleibsel heraus, die sich, wie er meinte, noch im existentialistischen Denken Sartres fanden, und betonte gleichzeitig den wissenschaftlichen Charakter der Marxschen Synthese, die überhaupt nur erreichbar sei, wenn man die vorgefundenen Ergebnisse einer empirischen Analyse unterziehe. Die Betonung der engen Beziehung zwischen Wissenschaft und Philosophie, die sowohl den abstrakten philosophischen Idealismus als auch den praktizistischen Empirismus oder den unphilosophischen Positivismus hinter sich läßt, ist wohl eines der Hauptmerkmale der jungen spanischen dialektischen Philosophie - wie auch einiger anderer Denkrichtungen, die sich von der marxistischen Philosophie im engeren Sinne unterscheiden. So war auch das Thema der wichtigen Arbeit von Manuel Sacristán über »La tarea de Engels en el Anti-Dühring«4?, die im darauffolgenden Jahr (1964) erschien, vor allem die Beziehung zwischen Wissenschaft und Philosophie im Marxismus, wenn auch nicht mehr als Gegensatz zum Existentialismus, sondern zum Empirismus und zum Neopositivismus. Manuel Sacristán, der ohne jeden Zweifel die Voraussetzungen für wissenschaftliche Erkenntnis anerkennt, sieht in unauflöslicher Verbindung damit die Legitimität des Marxismus als Philosophie vor allem im dialektischen Verständnis der »konkreten Totalitäten«: Mit den allgemeinen Begriffen der Wissenschaft gehe ein Teil des Konkreten verloren, »und zwar gerade der für die Individualisierung der Dinge entscheidende Teil«. Die materialistische Dialektik sei, wie Lenin sagte, die »konkrete Analyse der konkreten Situation«, das heißt der Versuch, die a. in den Cuadernos de Ruedo Ibérico Nr. 3 (Okt.-Nov. 1965) der Aufsalz von Adolfo Sánchez Vázquez: El marxismo contemporáneo y el arte, ein Auszug aus seinem wichtigen Buch Las ideas estéticas de Marx, MexikoStadt: Ed. Era 1965, und vorher schon in der Zeitschrift Realidad Nr. 2 (1963) sein Aufsatz über Ideas estéticas en los 'Manuscritos económico-filosóficos' de Marx (Erstveröffentlichung 1961 in Dianoia). Vgl. zu diesem Thema mit dessen Auswirkungen im spanischen Kontext ich mich hier nicht befassen will - auch die Bücher von Vicente Aguilera: El arte impugnado, Madrid: Edicusa 1969, und Posibilidad e imposibilidad del arte, Valencia: Fernando Torres Editor 1973, sowie u. a. von José María Moreno Galván: Autocrítica del arte\ von Valeriano Bozal: El lenguaje artístico (beide erschienen bei Península) und später Historia del arte en España (1972 bei Istmo erschienen); und von Simón Marchán: Del arle objetual al arte del concepto: 1960-1972 (Alberto Corazón Editor, Comunicación, 1972). 46 Realidad Nr. 1 (Sept.-Okt. 1963); der Aufsatz erschien unter dem Pseudonym J. Valdés. Als Vorläufer von Realidad ist die Zeitschrift Nuestras ideas anzusehen, die schon Jahre früher erschien, aber in Spanien viel weniger Verbreitung fand. 47 Vorwort der von Manuel Sacristán selbst besorgten Übersetzung von Engels' »Anti-Diihring« (Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft): Anti-Dühring. La subversión de ¡a ciencia por el señor Diihring, MexikoStadt: Grijalbo 1964. Schon 1960 hatte M. Sacristán das Vorwort zu dem Buch Revolución en España (Barcelona: Ariel) verfaßt, das die ersten nach dem Bürgerkrieg in Spanien veröffentlichten Arbeiten von Marx und Engels enthält. Im Zusammenhang mit dem Thema Marxismus-Neopositivismus ist zu erwähnen, daß ebenfalls 1964 im Boletín Informativo del Seminario de Derecho político de la Universidad de Salamanca Nr. 31 der Aufsatz von Javier Muguerza: Semántica y marxismo en la encrucijada filosófica de Polonia (eine kritische Besprechung von Adam Schaffs Einführung in die Semantik) veröffentlicht wurde. Vgl. außerdem den Aufsalz von Carlos Moya: Razón dialéctica y razón analítica (en torno al 'sentido' del lenguaje marxista), in: Anuario de Filosofía del Derecho (Madrid) Bd. XI (1964).

146 konkreten Realitäten, mit denen es der Mensch zu tun hat, zu begreifen, ohne aber mehr als die durch wissenschaftliche Analyse gefundenen Komponenten zu postulieren. Die Dialektik sei mehr als bloß empirische Wissenschaft, aber der dialektische Materialismus habe auf diese Weise seine Grundlage in den wissenschaftlichen Ergebnissen: damit solle unter anderem jeglicher ideologische Dogmatismus verhindert werden.48 Der Gedanke, daß verhindert werden müsse, daß die dialektische Philosophie sich in die Reihe der Dogmatismen einreiht (ein Ziel, das zu verschiedenen Vorgehensweisen und zu vielfaltigen Instanzen kritischer Überprüfung Anlaß geben kann), war wohl der Hauptgrund für die Aufsätze, die Francisco Fernández Santos damals (1964 und 1965) in den Zeitschriften Indice und Cuadernos de Ruedo Ibérico veröffentlichte. Diese Aufsätze wurden später - zusammen mit einigen anderen - in dem Band Historia y Filosofía: Ensayos de dialéctica g e s a m m e l t , d e m ersten in Spanien veröffentlichten Buch, das sozio-politische Fragen vom Standpunkt einer dialektischen Philosophie der Praxis aus behandelt. Man findet in diesem Buch die ständige Bekräftigung der Notwendigkeit der Kritik an jedem Dogmatismus, eine grundlegende Präferenz für eine dialektische Philosophie gegenüber jeder positivistischen Reduktion, insbesondere gegenüber der weit verbreiteten, einseitigen Reduktion, die den Marxismus als bloßen deterministischen Ökonomismus interpretiert, sowie als Grundlage für dies alles die Auffassung der Rationalität der Praxis als konkrete menschliche Totalität. Neben diesen Hauptpunkten des Werkes von Fernández Santos und direkt aus ihnen abgeleitet haben wir hier die richtige Auffassung vom Marxismus als - wie Marx selbst sagte - »realen Humanismus«, von dem aus die Kritik an den traditionellen elitären Humanismen möglich ist, wobei dieser reale Humanismus als Grundlage für die Analyse und Bewertung der Bedingungen und Voraussetzungen für einen demokratischen Sozialismus (und eine echte sozialistische Demokratie) in unserer Zeit dient.so 48 Vgl. auch später von Manuel Sacristán den wichtigen Aufsatz Lenin y el filosofar, in: Realidad Nr. 19 (Dez. 1970) S. 1-14. Vgl. dazu Valeriano Bozal: La dialéctica de Lenin, in: Teorema Nr. 7 (Sept. 1972) S. 59-69. 49 Madrid: Península 1966. Vgl. auch manche der Aufsätze, die um 1958-1960 vor allem in Indice erschienen und die später in seinem Buch El hombre y su historia, Madrid: Arión 1961, mit einem Vorwort von Dionisio Ridniejo, gesammelt wurden. Dieses Buch war eines der eisten in Spanien, das sich mit Themen aus dem Umfeld der marxistischen Philosophie auseinandersetzt,; vgl. darin besonders die Kapitel »Individuo e Historia« (S. 35-78), »Dialéctica y libertad« (S. 79-102) und »Burguesía y libertad« (S. 103-122). 50 Aus der spanischen Literatur jener Jahre über Probleme des Sozialismus (des demokratischen Sozialismus und der sozialistischen Demokratie) vgl. neben anderen hier zitierten Arbeiten vor allem die Kritiken am Neokapitalismus in der wichtigen Zeitschrift Promos (Barcelona); von Antoni Jutglar: Mitología del neocapitalismo, Madrid: Península 1966; den Sammelband Reflexiones ante el neocapitalismo, mit einer Einleitung von Manuel Vázquez Montalbán, Barcelona: Ediciones de Cultura Popular 1968; von José Maria Maravall: Trabajo y conflicto social, Madrid: Edicusa 1968; und von José Ramón Recalde: Integración y lucha de clases en el neocapitalismo, Madrid: Ed. Ciencia Nueva 1968. Außerdem - mit stärkerer Betonung der theoretischen und philosophischen Voraussetzungen - die Arbeiten von Luis Garcia San Miguel: ¿Evolución en la moral marxista?, in: Anuario de Filosofía del Derecho (Madrid) Bd. XI (1964); Participación en el poder y control de las 'élites' como problema de la democracia moderna, in: Revista de Estudios Políticos Nr. 143 (SepL-Okt. 1965); La nueva utopía democrática, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. XII, Sondernummer zum Thema »Democracia y derechos humanos« (Dez. 1968); vgl. in der gleichen Nummer der Cuadernos para el Diálogo weitere wichtige Aufsätze zu einigen zentralen Fragen der sozialistischen

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Das Thema des marxistischen Humanismus - das schon in Tierno Galváns Humanismo y sociedad implizit angesprochen worden war - wurde ausdrücklich behandelt von Juan David Garcia Bacca in seinem Buch Humanismo teórico, práctico y positivo según Marx. Unter besonderer Berücksichtigung des jungen Marx (Manuskripte von 1844) analysiert er drei Aspekte des marxistischen Humanismus (theoretischen, praktischen und positiven Humanismus) in ihrem dialektischen Aufhebungsprozeß. Aus dieser Perspektive entspreche - so Garcia Bacca - der theoretische Humanismus dem Atheismus als »Transsubstantiation« der Religion, der praktische Humanismus dem Kommunismus als »Transsubstantiation« des Privateigentums, und jenseits dieser beiden Transsubstantiationen erscheine der Marxsche positive Humanismus. Nach dieser Interpretation ist die Geschichte weder unbeweglich noch abgeschlossen, sondern bleibt offen; dies, das Beharren auf der Notwendigkeit der Kritik als dynamisierendes Element der Geschichte und der Realität, ist wohl das Entscheidende an seiner Haltung; dazu kommt der tiefverwurzelte Humanismus: »Marx ist nach - von niemandem erpreßtem - eigenem Eingeständnis der Wegbereiter des positiven Humanismus, der Messias des humanen Menschen«, heißt es abschließend bei García Baccani Besonders die Kritik von der Warte des sogenannten »theoretischen Humanismus«, also der »Transsubstantiation« der Religion, wurde damals zu einem der Hauptprobleme der Zeit (das später vielleicht in reiferer Form und mit größerer Ausgewogenheit angegangen wurde als in jener Anfangsphase).52 Das Problem drückte sich sofort durch die Analyse der Möglichkeiten für einen Dialog zwischen Marxismus und Religion (in Spanien vor allem Marxismus-Katholizismus) innerhalb des größeren Rahmens eines Dialogs zwischen »Gläubigen« und »Ungläubigen« aus.53 Demokratie. In diesem Zusammenhang ist hier auch auf das kurzlebige Engagement der Zeitschrift Nuevos Horizontes {Cuadernos de estudios socialistas) hinzuweisen, die von Spaniern in Mexiko herausgegeben wurde, die aber überwiegend direkt auf Spanien bezogene Probleme behandelte. Von der Zeitschrift erschienen nur vier Hefte: Nr. 1 (Sept.-Okt. 1967), Nr. 2 (Nov.-Dez. 1967), Nr. 3 ^ (Jan.-April 1968) und Nr. 5-6 (Mai-Aug. 1968). Die Hefte enthalten vor allem überaus nützliche, umfangreiche Sektionen mit Dokumenten zur Geschichte und Gegenwart des spanischen Sozialismus, Berichten, Bibliographien usw., aber auch wirklich interessante theoretische und politische Aufsätze, so etwa in Nr 1. von Pedro de Vega: Positivismo y política sowie in Nr. 3-4 von Enrique Tierno Galván: La posición del movimiento socialista en España. Die Zeitschrift, die von Manuel Ortuflo geleitet und inspiriert wurde, veröffentlichte Beiträge u. a. von Luis Jiménez de Asúa, Rodolfo Llopis, Enrique Tiemo Galván, Mariano Granados, Raúl Morodo, Ramón Tamames, José Luis Abellán, Pedro de Vega, José A. Nováis, Isaac Montero, Heleno Saña, J. Rodríguez Puértolas sowie auch von dem Autor des vorliegenden Bandes. 51 Mexiko-Stadt und Buenos Aires: Ed. Fondo de Cultura Económica 1965. García Bacca ist einer der wenigen spanischen Intellektuellen in Amerika, die sich mit dem Marxismus auseinandergesetzt haben; vgl. über ihn z. B. den Aufsatz García Bacca analiza el marxismo, in: Indice Nr. 214-215 (1966) von Carlos Gurméndez, der einige Jahre zuvor Ser para no ser (Ensayo de una dialéctica subjetiva), Madrid: Tecnos 1962, verfaßt hatte. Von den Veröffentlichungen unserer Exilierten aus jener Zeit ist das beim gleichen Verlag und im gleichen Jahr wie das Buch von García Bacca erschienene Werk von Eduardo Nicol: Los principios de la Ciencia zu nennen sowie ein späteres mit dem Titel El porvenir de la filosofía (1972). Über die Bedeutung des marxistischen Humanismus vgl. auch die wertvolle Einführung von Francisco Rubio Llórente in seine Übersetzung der »Ökonomisch-philosophischen Manuskripte« von Karl Marx: Manuscritos: economía y filosofía, Madrid: Alianza 1968. 52 Neben anderen schon genannten Arbeiten verweise ich dazu ausdrücklich auf zwei wichtige Bücher von José María González Ruiz: Marxismo y cristianismo frente al hombre nuevo, Madrid: Marova 1969, und von Gonzalo Puente Ojea: Ideología e historia. La formación del cristianismo como fenómeno ideológico, Madrid: Siglo XXI 1974. 53 Vgl. vom marxistischen Standpunkt aus den Aufsatz von Manuel Azcárate: Práctica y teoría en el diálogo católicomarxista, in: Realidad Nr. 14 (Juli 1967). Vgl. auch in Nr. 5 (Mai 1965) der gleichen Zeitschrift seine gutgemeinten

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Die Enzyklika Populorum progressio von Paul VI. (26. März 1967), die in manchen Punkten Pacem in terris von Johannes XXffl. folgte, nahm in diesem Sinne innerhalb eines größeren Kontextes die Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit, nach Übereinstimmungen und vor allem nach einem Dialog mit den Ungläubigen und noch konkreter mit den Anhängern und dem Gedankengut marxistischer Inspiration wieder auf. Tomás Malagón, der dieses Thema ausdrücklich behandelt hat, bemerkte zutreffend: »Aufgrund des humanen, realistischen und fortschrittlichen Geistes, der das ganze Dokument durchzieht, eröffnet die Enzyklika Populorum Progressio große Möglichkeiten für einen konkreten positiven Dialog insbesondere mit dem Marxismus. «54 Vielleicht das wichtigste der in Spanien zu diesem Thema veröffentlichten Bücher ist ein von Jesús Aguirre unter dem allgemeinen Titel Cristianos y Marxistas: Los problemas de un diálogo herausgegebener Sammelband.55 Einer etwas naiven und trivialisierenden Vorstellung von einem Dialog, wie sie in jenen Jahren ziemlich weit verbreitet war (zu Recht spricht Jean Lacroix von einer echten tarte à la crème), stellt Jesús Aguirre hier die nötigen kritischen und entmythologisierenden Elemente entgegen, die letztlich einen aufrichtigen Kontakt erst ermöglichen sollten, denn - wie Aguirre sagt - »unsere kritische Auseinandersetzung ist aus dem Dialogkontext herAnotaciones de un marxista español (Besprechung der Rede von J. Guerra Campos beim II. Vatikanischen Konzil). Aus katholischer Sicht vgl. neben verschiedenen Arbeiten von José Maria González Ruiz, Enrique Miret Magdalena usw. u. a. auch das Buch von José M. Garrido: El materialismo histórico (en torno a dos textos de Marx-Engels), Madrid: ZYX 1966, sowie den Sammelband Dios-Ateísmo, III Semana de Teología, Universidad de Deusto, Bilbao: Ed. Mensajero 1967, darin besonders die Beiträge von Jesús Aguirre, Manuel Jiménez de Parga, Luis Ellacuria und Melecio Agúndez. Vgl. außerdem von José Dalmau: Distensiones cristiano-marxistas, Madrid: Edicusa 1968, sowie in Verbindung mit diesem Thema auch einige der Veröffentlichungen von Carlos Díaz, etwa Personalismo obrero oder Hombre y dialéctica en el marxismo-leninismo, beide bei ZYX erschienen; später von einem teilweise ähnlichen Standpunkt auch Alfredo Fieiro und Reyes Mate: Cristianos para el socialismo, Madrid: Verbo Divino 1975. 54 Tomás Malagón: El marxismo y la 'Populorum Progressio', Madrid: ZYX 1967, S. 9. Trotz der allgemein guten theoretischen Absichten war in Spanien (aus naheliegenden Gründen) in der konkreten Praxis der offene Dialog zwischen »Gläubigen und Ungläubigen« nicht sehr häufig. Es gab allerdings einige rühmliche Ausnahmen; so z. B. den Aufsatz von José Rodríguez: Posibles interrogaciones de un no-creyente sobre la 'Populorum progressio', in: Iglesia viva. Revista de pensamiento cristiano (Salamanca) Nr. 10 und 11 (Juli-Okt. 1967) S. 373-383; gleichfalls von Ricardo Aguilera: Edificación de la Convivencia, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 69 (Juni 1969), der sich auf den in der gleichen Zeitschrift (Nr. 66 vom März 1969) erschienenen Aufsatz von José Gómez Caffarena: En torno al ateismo marxista bezieht Einem solchen Dialog diente auch ein großer Teil der Aktivitäten des wichtigen Institutes Fe y secularidad, das 1967 auf Initiative einiger reformfreudiger Jesuitenkreise mit Sitz in Madrid gegründet wurde; geleitet wird es von dem eben schon genannten José Gómez Caffarena, regelmäßige Beiträge kommen u. a. von Alfonso Alvarez Bolado, José Antonio Gimbernat, Justo Pérez Corral, Juan Luis Pintos und Maria Teresa Rodríguez de Lecea. Man beachte beispielsweise (im Programm für 1973-74) die bedeutende Liste von Seminaren und Vorträgen (die der Publikationen ist allerdings viel kürzer), die in den ersten sechs Jahren des Institutes (1968-1973) stattgefunden haben; die Aktivitäten wurden seither fortgeführt, wobei man u. a. die Veröffentlichung einer bedeutenden Sociología de la religión voibereitet. Im Zusammenhang mit jenen fortschrittlicheren Kreisen der Gesellschaft Jesu ist hier auch an die von Carlos Giner geleitete und direkter auf soziale und politische Fragen ausgerichtete Zeitschrift Mundo Social zu erinnern. 55 Madrid: Alianza 1969; enthalten sind Aufsätze von Jesús Aguirre, Karl Rahner, Lucio Lombardo-Radice, Jules Girardi, Milan Machovec, Gilbert Mury, Johann Baptist Metz, Louis Althusser, Manuel Sacristán und José Luis L. Aranguren. Vgl. S. 8 und 33 für die hier zitierten Passagen von Jesús Aguirre. Bezüglich eines großen Teils der in diesem Band vertretenen Positionen vgl. auch meinen Beitrag Para un diálogo catolicismo-marxismo, in: Revista de Occidente (Madrid) Nr. 37 (Aprii 1966) S. 109-118.

149 aus gedacht. Da wir glauben, daß der Dialog Zukunft hat, sind wir gegenwärtig über gewisse Voreiligkeiten und eine Menge Überhöhungen besorgt.« Wie Metz denkt Jesús Aguiire an »den Primat der Orthopraxis der Hoffnung über die Orthodoxie des Glaubens. Die Hoffnung ist die methodische Tugend - Ernst Bloch ist hier insgeheim präsent - des christlichen Dialogs mit dem Marxismus.« Man glaube jedoch nicht, daß das geforderte hohe Argumentationsniveau eine Aufgabe des Konkreten und Realen bedeute. Jesús Aguirre sagt dazu in aller Deutlichkeit: »Der Nutzen des Dialogs in seinen verschiedenen Phasen bis heute ist unbestreitbar. Marxisten und Christen haben einen Teil ihrer Vergangenheit anerkannt, haben gegen ihren jeweiligen Fundamentalismus gekämpft, haben letztlich gegenseitige Vorurteile ausgeräumt. Wenn im Bereich der konkreten Zusammenarbeit ein Gläubiger nicht an der Seite eines Marxisten tätig wird, dann nicht, weil der nicht an Gott glaubt, sondern weil der Gläubige als Bürger dieser Welt die Dynamik seines Wirkens anders orientiert. Gott ist inzwischen kein Vorwand mehr, auf den man sich beruft, um eine bestimmte Politik nicht zu machen, also eine andere zu machen. Das heißt nicht, daß all dies in unseren Gesellschaften verwirklicht wäre; aber daß es verwirklicht werden 'könnte', ist das Ergebnis der Klärung gewisser Begriffe im Dialog. Dem müßte nun aber dringend auch eine Klärung der anderen Fragen folgen, die ein Kompromiß zwischen Marxisten und Christen einem humaneren Ansatz näherbringen würde.« In ihren Beiträgen zu diesem Sammelband 56 stimmen J. L. L. Aranguren und Manuel Sacristán - trotz deutlicher Meinungsunterschiede in anderen Punkten - darin überein, daß es, wie Aranguren schreibt, »im Bereich der Moral [ist], wo der -schwierige - Dialog zwischen Christen und Marxisten, der, wie wir sahen, von so vielen Risiken begleitet wird, wirklich fruchtbar sein kann«. Und Sacristán stellt fest: »Es mag von ganz allgemeinem Interesse sein, auf einen Kontext, eine Thematik hinzuweisen, die zwei besonders günstige Eigenschaften besitzt: sie ist nicht unausweichlich mit den Risiken einer voreiligen Synthese behaftet, bildet aber doch eine Brücke zwischen den alltäglich drängenden Problemen und der distanzierteren Reflexion, die auf lange Sicht grundlegender und praktischer ist. Es handelt sich um die Ethik, insbesondere die öffentliche Ethik.« Beide betonen allerdings, daß die chronologische Präferenz für den Dialog im Bereich der Ethik keine Ablehnung des theoretisch-intellektuellen Dialogs bedeutet. So schreibt Sacristán: »Die Unterscheidung zwischen den beiden Ebenen ist, obwohl sie offenkundig eng zusammenhängen, von größter Bedeutung. Wenn man nämlich zuläßt, daß die wahrscheinliche Dringlichkeit praktischer Probleme zu voreiligen intellektuellen Synthesen führt - die unausweichlich in Stümperei enden, so ehrlich und wohlwollend auch die Überschwenglichkeit gemeint ist, mit der sich jeder in den anderen hineinzuversetzen versucht -, dann ist man dazu verdammt, auf Klarheit zu ver56 Ebd. S. 195,200 und 201 für die Ziiate von Sacristán, S. 208 fiir die von Aranguren.

150 ziehten. Und wenn man zuläßt, daß die mutmaßliche Strenge des Diskurses nach Art der Wissenschaft den praktischen Verhandlungsdiskurs behindert, dann verdammt man sich dazu, keinen Schutz und Schirm vor den heutzutage so heiklen ethisch-politischen Gefahren errichten zu können.« Gleich darauf stellt er allerdings fest: »Sich einstweilen an die Ethik zu halten, ist im übrigen keineswegs ein Verzicht auf Intellektualität, sondern ein mit einer kritischen Haltung völlig zu vereinbarendes Verhalten. Die intellektuell defizitäre Natur des systematischen spekulativen Denkens bewirkt, daß man sehr viel richtiger denkt, wenn man abwägt, was man zu tun bereit ist, als wenn man spekulative Dogmen oder systematische Philosopheme proklamiert.« Sacristán spricht hier ein Problem an, das zwar immer wichtig ist, das damals aber vielleicht - angesichts der Schwierigkeiten, etwas zu tun - gerade für uns ganz besonders wichtig war und das u. a. die Frage nach der Bedeutung der Korrespondenz und Kohärenz zwischen Theorie und Praxis, auch auf der individuellen Ebene, aufwirft. Auch Aranguren weist, nachdem er die Fruchtbarkeit des Dialogs auf der moralischen Ebene (»Selbstverständlich auch auf der geistigen Ebene, von der die moralische nicht zu trennen ist«) betont hat, seinerseits scharfsinnig auf neue Mängel und Schwächen eines ausschließlich auf die beiden Pole Christentum und Marxismus beschränkten Dialogs hin: »Tatsächlich haben sich Christen und Marxisten im Laufe der Zeit so dogmatisch verhalten, daß man befürchten muß, daß ein ausschließlich zwischen ihnen stattfindender, geschlossener Dialog wohl wenig hilfreich sein wird. Den einen wie den anderen täte die Auseinandersetzung mit Wissenschaftlern, mit Personen positivistischer Ausbildung und mit kritisch eingestellten Intellektuellen gut. Die Beschränkung des Dialogs auf Katholiken und Marxisten erweckt für mich den Anschein, als wolle man, bewußt oder unbewußt, nur mit Vertretern realer, kompakter, beweglicher Kräfte zu tun haben, als wolle man 'keine Zeit damit verlieren', 'Freischärlern' sein Ohr zu leihen, die sich in der Regel als Spielverderber betätigen.« Die Ansiedlung des Dialogs zwischen Marxismus und Christentum im Bereich der Moral ergibt sich für Aranguren in gewisser Weise aus der Auffassung des Marxismus selbst als Moral. In seinem Buch eben dieses Titels 57 von 1968 befaßte er sich 57 José Luis L. Aranguren: El marxismo como moral, Madrid: Alianza 1968. Das Buch enthält die Vorlesungen, die Aranguren zu diesem Thema in einem Seminar des »Centro de Enseñanza e Investigación« (CEISA) in Madrid gehalten hat. Der Autor unterstreicht hier, daß beide Ansätze - Marxismus und Christentum - zu einer Ethik führen, die dem kapitalistischen Produktionssystem und insbesondere seinen unvermeidlich entfremdenden Auswirkungen auf die menschliche Existenz radikal kritisch gegenübersteht. Um diesen Aspekt seines Denkens besser verstehen und einordnen zu können, ist daran zu erinnern, daß Aranguren in einer kleinen Schrift aus dem Jahre 1962 (Implicaciones de la Filosofía en ¡a vida contemporánea, Madrid: Taurus) seine eigene geistige Haltung mit dem Etikett »analytischer Intellektualismus« versehen hatte; von dieser Haltung aus beurteilt er die anderen Geistesströmungen unserer Zeit, darunter auch die marxistische Philosophie. Bei seiner Behandlung der Hauptrichtungen kritisiert er den Existentialismus für seine Neigung zur Hoffnungslosigkeit und seinen Nihilismus; den Ontologismus (den er als »ontologische Mode« bezeichnet) für seine Suche nach einem unverrückbaren Fundament, das häufig in der Poesie, der Mystik, der Mythologie oder der Meta-Metaphysik angesiedelt wird; den Neopositivismus für seine skeptischen Haltung, dafür, daß er die Menschen daran gewöhnt, mit dem Zufall zu leben, sowie dafür, daß er »über das eigentlich Wichtige schweigt, weil die Vernunft darüber nichts sagen kann«; und schließlich kritisiert er den Marxismus für seine apokalyptisch-utopische Haltung und dafür, daß er einerseits »Rationalismus, maßloser Gebrauch der Ver-

151 mit dem Grundproblem, das Althusser - mit seinen spezifischen Eigenarten - innerhalb der marxistischen Kritik und Methodologie wieder in den Vordergrund gestellt hatte. Marxismus-Moral und Marxismus-Wissenschaft (hier war der marxistische Strukturalismus einzuordnen), dies waren die beiden von Aranguren behandelten Pole, d. h. mit anderen Worten Voluntarismus und Determinismus als Definitionskategorien des Marxismus. Ohne den Marxismus als Wissenschaft zu bestreiten, legt Aranguren doch den Akzent auf den Marxismus als Moral. So schließt er: »Die Realität selbst wird sich schließlich wandeln (deterministischer Aspekt); aber das Proletariat ... kann diesen Wandel unterstützen, beschleunigen (voluntaristischer Aspekt, Intervention der Freiheit).« Neben der Behandlung dieser Grundfragen ging das Buch Arangurens - in dem das Thema des Marxismus in die besonderen Umstände der spanischen Gesellschaft jener Jahre gestellt wurde - auch auf drei unmittelbare Imperative ein, deren Übernahme durch das hier betrachtete spanische Denken der Zeit nach dem Bürgerkrieg von großer Bedeutung war: erstens gehe es darum, einen bloß emotionalen oder modischen Marxismus vermeiden zu helfen; zweitens darum, den Schritt von einem dogmatischen zu einem kritischen Marxismus zu vollziehen; und drittens darum zu erreichen, daß aus »Anti-Marxisten« einfache »Nicht-Marxisten« würden, daß also Meinungsverschiedenheiten nicht sektiererisch-irrational ausgefochten, sondern begründet und überzeugend vertreten würden. Die Klärung der Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen dem Marxismus als Moral und dem Marxismus als Wissenschaft (formuliert, wie wir gesehen haben, in unterschiedlicher, aber im Prinzip gleichbedeutender Terminologie) war wohl in den entsprechenden intellektuellen Kreisen das Hauptproblem jener Jahre. So lassen sich beispielsweise zwei 1966 in der Zeitschrift Realidad erschienene wichtige Aufsätze unter diesen Gesichtspunkt einordnen. Bei dem einen handelt es sich um die »Fundamentos de la antropología dialéctica« von Carlos Castilla del Pino, der darauf abzielt, die dialektische Theorie zu verallgemeinern und sie konkret auf das Verständnis der menschlichen Verhältnisse anzuwenden, um so die Basis für einen dialektischen Aufbau der Anthropologie zu l e g e n . 5 8 Der andere ist eine ausführliche, Besprenunft, letztlich also Metaphysik« sei und andererseits »hinler diesem rationalistischen und metaphysischen Anschein Mythologie, d. h. Irrationalismus« entdecke. Zu verschiedenen der hier angesprochenen Fragen vgl. neben anderen hier zitierten Arbeiten auch zwei interessante Bücher, die das Problem des Marxismus ganz objektiv behandeln: das schon genannte Buch von Cirilo Flórez Miguel: Dialéctica, historia y progreso. Introducción al estudio de Marx (mit einem Vorwort von Miguel Cruz Hernández), Salamanca: Sigúeme 1968, und von José María Rodríguez Paniagua: Marz y el problema de la ideología, Madrid: Tecnos 1972. 58 Die dialektische Theorie der Anthropologie wurde von Carlos Castilla auf den Bereich der Psychiatric und der Psychopathologie angewandt in seinem Buch Estudios sobre la depresión. Fundamentos de Antropología dialéctica, Madrid: Península 1967, dem der Aufsatz in Realidad entnommen ist. Vgl. beim gleichen Verlag ders.: Dialéctica de la persona, dialéctica de la situación (1968) sowie beim Verlag Ciencia Nueva (1968) seine Arbeiten El humanismo 'imposible', Estructura social y frustración und La alienación de la mujer; zu seinen späteren Veröffentlichungen gehören u. a. La culpa, in: Revista de Occidente 1968; Psicoanálisis y marxismo, Madrid: Alianza 1969; La incomunicación, Madrid: Península 1970; Naturaleza del saber, Madrid: Taurus 1970; Patografías. Neurosis de angustia. Impotencia sexual, Madrid: Siglo XXI 1972.

152 chung der marxistisch-strukturalistischen Thesen Louis Althussers von Manuel Ballestero (»Hegel, el joven Marx y el marxismo«).59 Zu diesen Thesen sollte man auch die unter dem bezeichnenden Titel »El marxismo como ciencia« in den Cuadernos de Ruedo Ibérico erschienene Kritik von F. Gil konsultieren (ich will hier von der Erwähnung weiterer Zeitschriften absehen).®) Zu den Werken mit der größten langfristigen Bedeutung im Bereich des spanischen marxistischen Denkens gehört zweifellos das von Adolfo Sánchez Vázquez, der neben seinen (schon erwähnten) Untersuchungen über Marxismus und Ästhetik 1967 in Mexiko seine grundlegende Arbeit über die Filosofía de la praxis vorlegte. In diesem Buch, das eine recht vollständige Darstellung des dialektischen Materialismus aus der Sicht der zentralen Kategorie der Praxis - in ihren zwei Ausformungen, der Arbeit und der politischen Praxis - bietet,6i unternimmt Sánchez Vázquez eine eingehende und genaue Analyse der möglichen Ausdrucksweisen dieser menschlichen Praxis. Das philosophische Bewußtsein von der Praxis bildet so nach seiner Auffassung die Grundlage des marxistischen Denkens; damit wird gleichzeitig aufgezeigt, wie falsch die weit verbreiteten Interpretationen sind, die aus dem Marxismus einen aphilosophischen Praktizismus, einen Vulgärutilitarismus machen wollen, bei dem das philosophische Bewußtsein von der Praxis auf das Niveau des einfachen, gewöhnlichen Bewußtseins davon beschränkt ist. Äußerst wichtig und angebracht sind Sánchez Vázquez' Warnungen vor den so häufig vorzufindenden entstellten Versionen des Marxismus, die - in seinem Namen, aber tatsächlich wieder in verschiedenen Formen des positivistischen Empirismus - alle im strengen Sinne philosophischen Ansätze als absurde Abstraktion und nutzlose Metaphysik ablehnen.

59 Realidad Nr. 10 (Juni 1966). Dies ist auch das Hauptthema einer Reihe der Studien, die Gustavo Bueno in seinem wichtigen Werk Ensayos materialistas, Madrid: Taurus 1972 zusammengestellt hat; das Problem wird ebenfalls behandelt in seinen in der Zeitschrift Sistema erschienenen Aufsätzen Sobre el significado de los 'Grundrisse' en la interpretación del marxismo (Nr. 2, Mai 1973) und Los 'Grundrisse' de Marx y la 'Filosofia del Espíritu objetivo' de Hegel (Nr. 4, Jan. 1974). Vgl. zu diesem Thema auch den Aufsatz von José Ramón Recalde: Notas a los 'Grundrisse'. Una teoría que se sostiene de pie, in: Cuadernos para el Diálogo (Sonder-) Nr. XXX (Mai 1972). 60 Cuadernos de Ruedo Ibérico Nr. 12 (April-Mai 1967) (ich beschränke mich hier auf die Erwähnung der beiden genannten Zeitschriften). Nützlich ist dazu auch das Buch von Albert Roies: Lectura de Marx por Althusser, Barcelona: Estela 1971, eines der wenigen zu diesem Thema damals in Spanien veröffentlichten Bücher. 61 Ich werde hier selbstverständlich nicht auf konkrete Probleme der politischen Praxis eingehen; ich will jedoch auf einige Werke verweisen, in denen - aus dieser allgemeinen Blickrichtung, aber von unterschiedlichen Positionen aus - u. a. von ihr die Rede ist. Um hier einige bisher unter diesem Gesichtspunkt noch nicht erwähnte (kommunistische und anarchistische) Positionen zu nennen (vgl. auch weiter oben Anm. 50): Santiago Canillo: Nuevos enfoques a problemas de hoy (1967) und Un futuro para España: La democracia económica y política (Colección Ebro), Paris: Editions de la Librarne du Globe 1967; César M. Lorenzo: Les anarchistes espagnols el le pouvoir (1868-1969), Paris: Seuil 1969; Femando Claudín: La crisis del movimiento comunista, Paris: Ruedo Ibérico 1970; Guy Heimet: Les comunistes en Espagne, Paris: A. Colin 1971; verschiedene Schriften von Heleno Safla, darunter sein Historia, marxismo y filosofía von 1972 und El marxismo, su teoría y su praxis von 1973. Da es so wenige Arbeiten zu diesen Fragen gibt, vgl. auch von Luis Santiago de Pablo: El marxismo en los exiliados comunistas espafloles, in dem Sammelband mit Berichten auch aus anderen Ländern über Situación y revisión contemporánea del marxismo, Madrid: Centro de Estudios Sociales del Valle de los Caídos, Anales de Moral Social y Económica 1966. Zu dem Thema, auf das sich diese Anmerkung zunächst bezog, vgl. aus späteren Jahren auch das Buch von José Manuel Bermudo: El concepto de praxis en el joven Marx, Madrid: Península 1975.

153 In voller Übereinstimmung mit dieser Absicht befindet sich, wie ich glaube, auch das Buch von Manuel Ballestero Marx o la crítica como fundamento fi2 das für ein gründliches Verständnis des Marxismus bedeutende Aspekte enthält. Von seinem Grundgedanken - der »Kritik als Grundlage« - ausgehend erscheint die Negativität, die Nicht-Akzeptanz des Gegebenen, als die eigentliche Grundlage der Dialektik; die Negativität wäre demnach der Motor der Zukunft, des Wandels, des dialektischen Prozesses. Die dialektische Philosophie - eine kritische Philosophie - stellt sich so als Überwindung jedes Positivismus dar, der auf dem Niveau des Gegebenen stehenbleibt, ohne kritisch darüber hinauszugehen. Ballestero zeigt in seinem Buch zunächst die im Existentialismus (Kierkegaard, Sartre) vorhandenen kritischen Elemente auf und analysiert im Anschluß daran die vom jungen Marx (einschließlich des Marx der Manuskripte von 1844) geleistete Fundamentalkritik an der idealistischen Philosophie Hegels und an der klassischen englischen Ökonomie. Im Kontext der spanischen Philosophie ist hier auch die sorgfältige Arbeit von Ignacio Sotelo Sartre y la razón dialéctica63 zu nennen, die zwar auf die Untersuchung des Sartreschen Existentialismus konzentriert ist, aber für unser Thema interessante Implikationen enthält; es wird dort sehr genau Gültigkeit und Reichweite der dialektischen Vernunft als begründende Vernunft eines historischen Wissens untersucht, das eine echte rationale Praxis ermöglicht. Die von Sotelo aufgenommene Kritik Sartres enthielt den Versuch, das Individuelle und Konkrete vor jedem Dogmatismus (einschließlich des Dogmatismus mancher marxistischen Strömungen) zu retten. Sotelo stellt aber auch die individualistischen Schranken heraus, die dem Denken Sartres noch zugrundeliegen und die es weitgehend unmöglich machen, in diesem Denken eine dialektische Vernunft und eine wirklich rationale Praxis zu begründen. Im Auffinden und Bestimmen von Kriterien für eine (ethische und politische) rationale Praxis, aber auch in der Errichtung einer streng wissenschaftlichen Vernunft liegt wohl das zentrale Problem, das schwierige Dilemma der heutigen Auseinandersetzung von Marxismus und Neopositivismus: Wissenschaft und Ethik, Wissenschaft und Politik, Analyse ihrer Vereinbarkeiten, ihrer Brüche, ihrer Vermittlungspotentiale. Oder wie es Tierno Galván ausdrückte: »Mechanische Vernunft und dialektische

62 Madrid: Ed. Ciencia Nueva 1967; später hat Manuel Ballestero noch das Buch La Revolución del Espíritu (tres pensamientos de libertad), Madrid: Siglo XXI 1970 veröffentlicht, das der Analyse der Freiheitsbegriffe bei Nikolaus von Kues, Luther und - noch einmal - Marx gewidmet ist 63 Madrid: Ed. Tecnos 1967; Ignacio Sotelo hat später, in Nr. XXX (Sonderheft) der Cuadernos para el Diálogo (Mai 1972) die wichtige Arbeit El futuro en el pensamiento marxista: Estado y comunismo publiziert; in Fortführung und Erweiterung dieser Arbeit kündigt sich 1975 die bevorstehende Veröffenüichung seines Buches Del leninismo al estalinismo an. Über Probleme des Staates und des Rechts bei Marx ist in Spanien auf die - aus sehr unterschiedlichen Perspektiven geschriebenenen - Arbeiten von Remigio Conde Salgado, Vladimiro Lambsdorff Galagane und vor allem Juan Ramón Capeila zu verweisen.

154 Vernunft«. 64 Wie lassen sich die Widersprüche der mechanischen Vernunft (Wissenschaft) und der dialektischen Vernunft (ethische und politische Praxis) aufheben? Tierno Galván selbst gibt folgende Antwort: »Die bislang einzige gültige Antwort war meines Erachtens die marxistische, da sie die Folgen der mechanischen Vernunft als Instrument in den dialektischen Prozeß eingeführt hat, um diesem die nötige wissenschaftliche Grundlage zu geben, wobei die mechanische Vernunft den Anforderungen jenes Prozesses unterworfen wird, ohne dabei zu vergessen, daß sie als solche ihre eigene Logik hat und ein festes Element ist.« Tierno ist sich aber der Tatsache völlig bewußt, daß diese größere Wissenschaftlichkeit des Marxismus noch immer nicht hinreichend jene Rationalität der ethischen und politischen Praxis, die Rationalität der dialektischen Vernunft, erklärt, ein - wie er sagt - »bis heute ungelöster Widerspruch«. Er verspricht daher ein weiteres Buch zu diesem Thema, in dem dann »der theoretische Prozeß dessen, was ich ein festes Element nenne und seine Beziehung zur Dialektik« behandelt werden solle. Pedro de Vega hat festgestellt, daß sich dieser wichtige Ansatz Tierno Galváns »auf der Linie [bewegt], die A. Gramsci in gewissem Sinne als erster eingeschlagen hat und auf der jetzt ausdrücklich oder stillschweigend die marxistische Spekulation diskutiert wird«.65 Nicht von ungefähr leistet Manuel Sacristán in seiner Untersuchung »La interpretación de Marx por Gramsci«, 66 während er - wie in früheren Arbeiten - auch die unverzichtbaren wissenschaftlichen Anforderungen des Marxismus hervorhebt, gleichzeitig auch eine kohärente Kritik am positivistischen Empirismus, der sich das Problem der Rationalität der Praxis oder, wie man auch sagen kann, das Problem der Objektivität und Rationalität der Werte nicht stellt.6? Für die unterschiedlichsten Denkrichtungen - sogar, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag, für die Philosophien des »Absurden« oder für die radikalsten Strömungen der »Gegenkultur« - wird dies, wie immer schon, wieder zur umstrittenen Frage, zu dem Problem, um dessen Lösung oder doch zumindest um dessen 64 So der Titel seines wichtigen Buches Razón mecánica y razón dialéctica, Madrid: Ed. Tecnos 1969; vgl. S. 260 und passim. In enger Beziehung zu diesem Werk stehen drei weitere Arbeiten von Tierno Galván: Baboeuf y ¡os iguales. Un episodio del socialismo premarxista (Tecnos 1968), La humanidad reducida (Taurus 1970), mit einem ausführlichen Aufsatz über Cualidad y cantidad, sowie die von ihm herausgegebene Antología de Marx, die 1972 bei Cuadernos para el Diálogo erschien. 65 Pedro de Vega: Dialéctica y política, eine Arbeit über das genannte Buch von Tierno Galván, erschienen im Boletín Informativo de Ciencia Política Nr. 3 (März 1970) S. 101-107. Vgl. auch von José María Laso Prieto: Introducción al pensamiento de Gramsci, Madrid: Ayuso 1973 (mit einem Vorwort von Gustavo Bueno zum »historischen Materialismus« Gramscis als Theorie des »objektiven Geistes«), 66 Erschienen in Realidad Nr. 14 (Juli 1967). Da er sich auch mit »analytischen Disziplinen« beschäftigt (vgl. seine Introducción a la lògica y el análisis formal, Barcelona: Ariel 1964), ist Sacristán, einer der Professoren, die damals willkürlich aus dem spanischen Universitätsleben ausgeschlossen wurden, in Spanien eine der Personen mit der besten Sachkenntnis für die Behandlung solcher - und selbstverständlich auch vieler anderer aktueller - Probleme. 67 Vgl. dazu grundlegend das Buch von José M. Vidal Villa: Iniciación a la economía marxista, Barcelona: Ed. Laia 1973 - eines der wenigen Bücher spanischer Autoren über dieses Thema -, in dem klar und präzise die kapitalistische und die sozialistische Produktionsweise verglichen werden. Zum gleichen Thema, aber mit äußerst polemischer Ausrichtung, vgl. auch E. Fioravanti: El concepto de modo de producción, Barcelona: Península 1972, sowie beim gleichen Verlag ders. zusammen mit J. G. Beramendi: Miseria de la economía. Sobre algunas falsificaciones de la teoría económica marxista (1974).

155 kohärente Darstellung es eigentlich geht. Ist eine rationale Begründung der Praxis, insbesondere der ethischen und politischen Praxis möglich? Wo findet man diese Rationalität? Was kann man über die Ethik der Politik wissen und sagen? Was soll man tun, was darf man tun (und zwar selbstverständlich hic et nunc und nicht etwa in einem zeitlosen Abstraktum)?

Die Reaktion in der Literatur: Krise und Überwindung des sozialen Realismus In vielen Fällen nimmt die Literatur die - noch verstreuten und vagen - Intuitionen vorweg, die später zu Philosophie, d. h. (wobei ich dies keineswegs als präzise Definition verstanden wissen möchte) strenger rationalisiert und konzeptualisiert werden. Ab 1962 hatte die spanische Literatur in diesem Sinne die Krise und Überwindung des naiven Realismus vorweggenommen, was in der Philosophie mit aller Deutlichkeit erst um 1969 zum Ausdruck kommen sollte. Die Krise des naiven Realismus zwang unter anderem dazu, sich mit den Unzulänglichkeiten und Schwächen der Vereinfachung, einer linearen und eindimensionalen Vorstellung von der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Sie führte letztlich - wie Tiemo sagte - zur Entdeckung der Komplexität, zur Entdeckung der Ungültigkeit der recht einfachen und oberflächlichen scholastischen bzw. unkritischen Orthodoxien. Im Hinblick auf jene vorwarnende Literatur - die sich im übrigen keineswegs gradlinig entwickelte - ist anzumerken, daß sie im Grunde wohl von Luis Martin Santos' 1962 erschienenem Roman Tiempo de silencio eingeläutet wurde. Fernando Morän hat scharfsinnig bemerkt, daß dies »der letzte große Roman über die Unterentwicklung ist, geschrieben schon aus der Perspektive der Halbentwicklung«. In einer intelligenten, zutreffenden Diagnose der damals beginnenden Situation fährt er fort: »Von den sechziger Jahren an werden wir uns bewußt, a) daß die spanischen realistischen Romane zum Teil anachronistisch sind; b) daß sie die Totalität nicht erfassen, da der Kontext nicht homogen genug ist (eine halbentwickelte Gesellschaft ist eine ungleichmäßig entwickelte Gesellschaft); c) daß die Beschreibung des Elends den Mechanismus, der es herbeiführt, nicht abstellt; d) daß der Pauperismus eine immer weniger zutreffende Strömung ist, da eine beträchtliche Anhebung des Lebensstandards zu verzeichnen ist und da große Teile der Bevölkerung Wohlstand und Trivialisierung anstreben; e) daß sich der Roman nicht auf Beschreibung beschränken soll, sondern auch erklären muß.« Abschließend sagt Morän: »Wir haben damit den Roman, der zur Halbentwicklung paßt.« 68 68 Femando Morón: Explicación de una limitación. La novela realista de los años cincuenta en España, a. a. O. (Kap. IV, Aran. 6), S. 86 f. Einigen Aspekten und Elementen dieser Definition entspricht in der Filmproduktion jener Jahre auch der wichtige Film von Basilio Martín Patino Nueve cartas a Berta (1965), ein »intimes Tagebuch eines spanischen Provinzprofessors der fünfziger Jahre« (José Monleón), während Tiempo de silencio ebenfalls ein solches Tagebuch, aber eines Madrider Professors und für den Zeitraum der vierziger und fünfziger Jahre, war. Luis Martin Santos, Jahrgang 1924, kam 1964 bei einem Autounfall ums Leben. Er arbeitete damals gerade an einem Roman mit

156 Es seien hier einige der Titel (aus Dichtung, Roman und Drama) genannt, die damals Ausdruck jener Situation des Wandels, der Auseinandersetzung und der Krise des Realismus waren:® 1962 das schon genannte Tiempo de silencio von Luis Martin Santos, Dos días de septiembre von Manuel Caballero Bonald, Los enanos von Concha Alós, Año tras año von Armando López Salinas, Invasión de la realidad von Carlos Bousofio, Episodios nacionales von Gabriel Celaya, Tiempo de soledad von Victoriano Crémer, Grado elemental von Angel González, El concierto de San Ovidio von Antonio Buero Vallejo; 1963 Testa de Copo von Alfonso Grosso, Paralelo 40 von José Luis Castillo Puche, Los verdes campos del Edén von Antonio Gala; 1964 Tierra de olivos von Antonio Ferres, Libro de las alucinaciones von José Hierro, Que trata de España von Blas de Otero; 1965 Los vencidos von Antonio Ferres, Alianza y condena von Claudio Rodríguez, Amor peninsular von José Miguel Ullán; 1966 Señas de identidad von Juan Goytisolo, Cinco horas con Mario von Miguel Delibes, Ultimas tardes con Teresa von Juan Marsé; Moralidades von Jaime Gil de Biedma, La memoria y los signos von Angel Valente, Un humano poder von José Miguel Ullán; 1967 Volverás a región von Juan Benet, Una educación sentimental von Manuel Vázquez Montalbán, Blanco spirituals von Félix Grande; 1968 El mercurio von José María Guelbenzu, Algo sucede von José Agustín Goytisolo, La muerte en Beverly Hills von Pedro Gimferrer; 1969 Recordando a Dardé von Manuel Vázquez Montalbán, Las Tapias von Antonio Martínez Menchén, Baladas del dulce Jim von Ana María Moix, La torre de los vicios capitales von Terenci Moix, Si hubiéramos sabido que el amor era eso von Francisco Umbral, Poemas postumos von Jaime Gil de Biedma; dann 1970 (schon etwas außerhalb der hier betrachteten Periode) vor allem Una meditación von Juan Benet, Manifiesto subnormal von Manuel Vázquez Montalbán, El hombre y la mosca von José Ruibal, El sadismo de nuestra infancia von Terenci Moix, Reivindicación del Conde Don Julián von Juan Goytisolo; 1972 Sermón de ser y no ser von Agustín García Calvo, Un viaje de invierno von Juan Benet und 1973 vom selben Autor La otra casa de Mazón y Sub Rosa sowie La Saga fu-

dem Titel Tiempo de destrucción, der Jahre später - 1975 - bei Seix Barrai erschien, herausgegeben und mit einem Vorwort von José-Carlos Mainer. 69 Vgl. neben anderen, schon genannten Büchern, von Eutimio Martin und René Pellén: La littérature espagnole d'aujourd'hui, Paris: Fernand Nathan 1972 - mit einer ausführlichen Anthologie -, vor allem das Kapitel »Dépassement du réalisme«, S. 29 ff. Zu dieser Auseinandersetzung vgl. auch die wichtige Sondernummer XXIII der Cuadernos para el Diálogo (Dez. 1970) zum Thema »Literatura española. A treinta aflos del siglo XXI«, hier besonders S. 6576. Vgl. ebenfalls das Buch von Santos Sanz Villanueva: Tendencias de la novela española actual (1950-1970), Madrid: Edicusa 1972. Neben Roman und Dichtung ist hier - zum Drama - die wichtige Arbeit von F. Arrabal im Exil zu erwähnen sowie für die Analyse die Sondernummer III der Cuadernos para el Diálogo (Juni 1966) zum Thema »Teatro espaflol«, mit Beiträgen von Miguel Bilbatúa, David Ladra, Manuel Pérez Estremerà, Pedro Altares, Maria Aurelia Capmany, José Sanchís Sinisterra, Carlos Rodríguez Sanz, José Maria de Quinto, José Monleón, Francisco García Pavón, José Martín Recuerda, Ricard Salvai, Ricardo Doménech, Alfonso Sastre, Moisés Hidalgo, Mario Silvestre Pons, Angel Cannona Ristol, José María Rodríguez Méndez und Gonzalo Torrente Ballester, alles wichtige Namen für eine Studie zum zeitgenössischen spanischen Theater. Für eine Analyse der gesellschaftlichen Konnotationen des Theaters vgl. auch das schon zitierte Werk von Alfonso Sastre: La revolución y la crítica de la cultura, Barcelona: Grijalbo 1970.

157 ga de J. B. von Gonzalo Torrente Ballester, El gran momento de Mary Tribüne von Juan García Hortelano und Ruinas von Juan Pedro Quiñonero. 70 Diese jüngste Literatur - Vázquez Montalbán, Terenci Moix, Juan Benet, Juan Goytisolo u. a. - befaßt sich schon voll mit den Problemen der Kultur und auch der Realität Spaniens der siebziger Jahre. Eine unbequeme und aufrüttelnde Einführung in diese Realität ist auch - in einem ganz anderen Zusammenhang und ohne daß man hier allzu strenge Parallelen oder Übereinstimmungen aufzeigen könnte - die polemische, anfechtbare und angefochtene, aber wichtige Philosophie eines Eugenio Trías in Barcelona oder eines Fernando Savater in Madrid, um nur zwei radikal und unbeugsam kritische Vertreter einer Philosophie zu nennen, die weit über den engen, reduzierten Kreis der beruflich mit dieser »Disziplin« Verbundenen Resonanz und Verbreitung gefunden hat. Die Darstellung und Begründung dieser Situation, die Auseinandersetzung mit ihr und ihre kritische Erklärung, selbstverständlich aus verschiedenen Perspektiven, die Konfrontation dieser Perspektiven miteinander und mit der Wissenschaft und der Realität, all dies gehörte - natürlich im Rahmen des damals Möglichen - zum Ziel und zum Arbeits- und Forschungsbereich des fortschrittlichen spanischen Denkens. Auf den letzten Seiten ist aber mit der Erwähnung dieser Absichten die Schranke des Jahres 1969 schon überschritten, die dieses Kapitel begrenzen sollte, und wir sind in die letzte hier zu betrachtende Etappe eingetreten, die im Januar 1969 (mit dem politisch symbolischen Datum der Erklärung des »Ausnahmezustandes« am 24. Januar 1969) beginnt und über den Dezember 1973 (mit dem politisch symbolischen Datum des tödlichen Attentats auf den Ministerpräsidenten Luis Carrero Blanco am 20. Dezember 1973) bis zum 20. November 1975 geht, an dem General Franco stirbt, Staatschef seit 1939 und (trotz aller Veränderungen und Entwicklungen seines Regimes) Garant der Einheit, d. h. der totalitär-autoritären politischen Uniformität während dieser ganzen langen Ära der jüngsten Geschichte Spaniens. 70 Mit dieser Aufzählung wollte ich nur an einige der Werke erinnern, die auf Seiten der Literatur in jenen Jahren den Weg bahnen für die besagte - nennen wir sie so - »Entdeckung der Komplexität«. Möglicherweise handelte es sich in anderen Fällen - Nachahmung des nouveau roman oder Nachahmung infolge des boom des lateinamerikanischen Romans u. ä. - nur um ein mehr oder weniger ästhetisches Ausnützen der »Komplexität um der Komplexität willen«; in den oben angeführten Fällen kann man aber wohl sagen, daß hier echte Forschung und Kreation vorliegt. Was die allerjüngste Generation betrifft, verweise ich u. a. (abgesehen, selbstverständlich, von den entsprechenden Sparten der literarischen Zeitschriften) auf die bekannte Anthologie von José Maria Castellet: Nueve novísimos poetas españoles, Barcelona: Barrai Editores 1970, mit einem interessanten Vorwort des Herausgebers. Vgl. auch die Sammlung von El Urogallo. Revista Literaria Bimestral (unter der Leitung von Elena Soriano), die seit Dezember 1969 ununterbrochen erscheint und deren Nr. 19 (Jan.-Feb. 1973) den Themen »Literatura experimental« und »Nueva critica« gewidmet ist Ich verweise hier außerdem auf das schon mehr in den Bereich der Kunst hineinreichende Buch von José Luis Fernández de Castillejo: Actualidad y participación, Madrid: Tecnos 1968, sowie auf verschiedene Nummern von Tropos (Creación, Arte y Cultura), eine Zeitschrift, die erstmals 1971 erschien. Für die »Verfolgung« der literarischen und intellektuellen Aktualität in Spanien waren in jenen Jahren u. a. - ich beschränke mich hier wieder auf die Nennung Madrider Periodika und Zeitschriften - die Wochenzeitung Triunfo (mit Antonio Elorza, José Antonio Gómez Marin, César Alonso de los Ríos, Fernando Savater, Eduardo Chamorro, Luis Carandell, Juan Antonio Hormigón, Joaquín Rabago, Jaime Millás u. a. als beständigsten Mitarbeitern des literarisch-intellektuellen Teils) sowie die Tageszeitung Informaciones (Donnerstagsbeilage zu Kunst und Literatur, mit häufigen Beiträgen von Rafael Conte, Juan Pedro Quiñonero, Pablo Corbalán, Gustavo Fabra Barreiro u. a.) von Bedeutung.

159

6. 1969-1975: Wirtschaftliche Stagnation und politische Umkehr. Letzte Krise des franquistischen Systems und Rehabilitierung des demokratischen Denkens in Spanien.

Das letzte Kapitel des Buches wird kaum mehr als ein bibliographischer Abriß sein können. Was hier zu behandeln wäre und auch - ganz knapp - behandelt werden soll, bezieht sich zwar auf die unmittelbare Vergangenheit, ist aber noch nicht eigentlich Geschichte (und damit angemessener Gegenstand der Geschichtswissenschaft) geworden. Es ist noch immer quasi Gegenwart, jedenfalls noch allzu gegenwärtig. Gewiß ließe sich diese Feststellung auf die ganze im vorliegenden Band betrachtete Zeitspanne (1929-1975) ausdehnen; die abschließenden Seiten werden aber auf jeden Fall den (fast ausschließlich bibliographischen) deskriptiv-informativen Charakter des Buches noch prägnanter hervorheben. Ich werde deshalb jedoch nicht auf notwendige wenngleich selbstverständlich fehlbare und zu überprüfende - Werturteile verzichten, wie ich sie auch - so gut ich konnte und, wie ich glaube, ohne die Tatsachen zu verdrehen - in den vorangegangenen fünf Kapiteln formuliert habe.

Die Krise vom Januar 1969 und die Stagnation der politischrechtlichen Institutionalisierung Die Umstände, die die Erklärung des »Ausnahmezustandes« im Januar 1969 ermöglichen sollten, wie auch andere Ereignisse davor und danach (der Prozeß von Burgos im Dezember 1970 und der erneute »Ausnahmezustand« bis Mitte 1971) wirkten sich eindeutig auf den - trotz allem - vorherrschenden Zustand des gemäßigten Optimismus und der politischen Öffnung aus, wie sie in Spanien bis 1967-1968 recht deutlich zu beobachten war.i Man denke zum Beispiel im Hinblick auf diese Periode daran, daß Ruiz-Gimenez in seinem Jahresrückblick 1967 zwar feststellt, es sei dies »ein Jahr der Frustrationen und Enttäuschungen, das Ende vieler Träume« gewesen, dann jedoch sagt: »Tatsache

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Für 1967-1968 und die folgenden Jahre vgl. die interessanten Sammelbände, die beginnend mit Espana, perspectiva 1968 jährlich bei Guadiana de Ediciones in Madrid herauskamen und die von dessen Direktor Ignacio Camuflas SoIis zusammengestellt wurden; es arbeiteten daran bedeutende, weitgehend liberal eingestellte Persönlichkeiten unserer geistigen und politischen Welt mit. Für das Jahrzehnt 1963-1973 ist außerdem die schon zitierte Sondernummer XXXVIII der Cuadernos para el Diälogo sehr nützlich, mit der der zehnte Jahrestag des Erscheinens der Zeitschrift gefeiert wurde; sie trägt den bezeichnenden Titel »1963-1973: cambios sociales e inmovilismo«; vgl. darin vor allem die von Fglix Santos zusammengestellte ausführliche Chronologie für den genannten Zeitraum (S. 129146). Vgl. zu dieser Epoche außerdem die drei Bände von Horizonle espahol, ¡972, Paris: Ruedo Ibirico 1972.

160 ist aber doch, daß es Männer gab - nicht so viele, wie die amtlichen und halbamtlichen Panegyriker glauben machen wollten, aber auch nicht so wenige, wie von manchen Teilen der Gegenseite gezählt wurden -, die gegen Ende des Jahres 1966, nach dem Referendum über das Grundgesetz an die sprunghafte wirtschaftliche Entwicklung der Nation glaubten und die Hoffnung hegten, in den darauffolgenden Monaten Zeugen einer beschleunigten Entwicklung auf kulturellem, sozialem und politischem Gebiet, wenn auch im Rahmen der zugrundeliegenden Rechtsnormen und durch die Kanäle des - in Erneuerung begriffenen - 'etablierten Systems', zu werden.« Ruiz-Gimenez kommt dann auf die Enttäuschung dieser Hoffnung zu sprechen: »Nur daß die Baumpfleger von 1967 (namentlich die Rauheiten des - physischen, sozialen und menschlichen - iberischen Klimas, Engstirnigkeit und Kleinmut der Minderheiten, die das kollektive Leben lenkten, Mißtrauen und Ressentiments zwischen Regierenden und Regierten, reaktionäre und rückschrittliche monopolistische Kräfte, die sich der Tendenz zur Öffnung und zum Fortschritt hin zu größeren Spielräumen entgegenstellten, wachsende Intoleranz und schwere Diskriminierungen oder auch mehr oder weniger direkte, unmittelbare, im lebendigen Fleische Spaniens jedenfalls fühlbare Auswirkungen der allgemeinen Krise der Welt bzw. genauer gesagt der westlichen kapitalistischen Welt und weitere ähnliche Faktoren) während zwölf langer Monate zu viele Äste beschnitten und die Hiebe so weit trieben, daß sie den Stamm verletzten und seine Säfte ausbluteten.« Die Hoffnungslosigkeit, von der Ruiz-Gimenez sprach, war jedoch keine endgültige, unabänderliche; es war im Gegenteil, seinem Naturell entsprechend, sozusagen eine »hoffnungsvolle Hoffnungslosigkeit«. So hieß es bei Ruiz-Gimenez abschließend: »Das Wichtigste ist jedoch eigentlich nicht so sehr, ob einem die Prognosen und Auswege gefallen, die manche von uns vorschlagen, sondern ob man sich - individuell oder kollektiv - dazu entscheidet, kraftvoll zu handeln, mit einem gewissen Wagemut, mit dem Willen, die Niedergeschlagenheit zu überwinden und den Prozeß des sozialen Wandels, den Spanien braucht, und die tiefgreifende, radikale Veränderung des Geflechts der sozio-ökonomischen, kulturellen und politischen Strukturen herbeizuführen, zugunsten von Freiheit, Gerechtigkeit und gleicher Teilhabe aller Spanier an der Verwaltung und Regierung des nationalen Lebens. Diese Ziele sind vielleicht näher, als die 'Pessimisten' glauben, wenn auch wohl weniger nahe, als die 'Optimisten' denken ...; jedenfalls aber zeichnen sie sich mit ziemlicher Sicherheit an einem nicht allzu fernen Horizont ab.« 2 Seitdem sind einige Jahre vergangen. Was das Land aber - mit Widersprüchen und Zweideutigkeiten - seit 1968 und besonders seit 1969 erlebt, ist eine deutliche Stag-

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Joaquín Ruiz-Giménez: Panorama de un afio (1967), in dem schon genannten Sammelband España, perspectiva 1968 (Anm. 1) S. 1 f. Als Positivum brachte das Jahr 1967 trotz aller Enttäuschungen das Gesetz Uber Religionsfreiheit. Für die gesamte hier behandelte Zeitspanne wäre auch das Buch von José Maria Gil Robles: Pensamiento político 1962-1969 von Interesse gewesen, das - nachdem es gedruckt war - beschlagnahmt wurde und die erforderliche Verbreitungsgenehmigung nicht erhielt.

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nation und sogar Umkehr der politischen Entwicklung, mit einer Verhärtung des vorherrschenden Klimas bis 1975. Es gab vorsichtige Versuche zu Fortschritt und Öffnung, die unweigerlich zunichte gemacht wurden, sowie starke Rückschläge und am Ende eine erhebliche Verstärkung der Repression.3 Die trivialisierende Nachahmung des »französischen Mai« von 1968 und später, im August, der infame, unselige Einmarsch der Truppen der Sowjetunion und des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei wurden - mit entsprechenden Begründungen - in unserem Land dazu benutzt, radikalistische Haltungen unterschiedlicher Vorzeichen zu propagieren, die am leichtesten in der Welt der Universität Ausdruck fanden. Auf diese Weise wurde unter anderem der Prozeß kritischer Reifung behindert und unterbrochen, der sich trotz aller Schwierigkeiten in den vorangegangenen Jahren allmählich in den Universitäten - zugunsten ihrer dringend erforderlichen Reformierung - abzuzeichnen begonnen hatte.4 Die darauffolgende offizielle Universitätspolitik, die keinerlei Autonomie oder Unabhängigkeit und noch nicht einmal solide Richtlinien besaß - und die als letzte Bemühung nach einer Zeit nervöser Hektik das Bildungsgesetz von 1970 erließ - trug wesentlich dazu bei, auch in der Professorenschaft allgemeine Verwirrung und Hilflosigkeit sowie auf einer anderen Ebene eine Haltung »nihilistischer Rebellion« hervorzurufen, wie sie damals bei manchen Gruppierungen des studentischen »Widerstandes« vorhanden war. Der vielleicht wichtigste Vorgang all jener Jahre - Jahre der »Affaire Matesa« und der farblosen Technokratenregierung - sollte die endgültige Verschärfung der Phasenverschiebung zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Entwicklung sein, da erstere - entgegen der Annahmen gewisser, 1957 an die Macht gekommener »Materialisten« - nicht automatisch und ohne weiteres die entsprechende, erforderliche politische Entwicklung nach sich zieht. Vor allem, wenn es sich um eine im eigentlichen Sinne demokratisch ausgerichtete politische Entwicklung handelt, ist die wirt3

Für die Jahre 1969 und 1970 liegen zwei wichtige Bände des Anuario político español vor, beide besorgt von Miguel Martínez Cuadrado und herausgegeben vom Instituto de Técnicas Sociales bei Cuadernos para el Diálogo, Madrid 1970 bzw. 1971; im ersten der beiden Bände vgl. für eine eingehende Analyse der politischen und sozialen Entwicklung des spanischen Systems die vor allem von Alfonso Orti Benlloch erarbeitete Studie Política y sociedad en el umbral de los aflos setenta: las bases sociales de la modernización política, S. 3-90. Außerdem wurden unter der gleichen Herausgeberschaft und unter der Leitung von Juan Muñoz, Santiago Roldán und José Luis García Delgado ab 1968 informative kritische Jahrbücher über die wichtigsten Ereignisse und Gegebenheiten unserer ökonomischen Situation veröffentlicht. Sowohl für die politischen als auch für die wirtschaftlichen Jahrbücher konnten die genannten Direktoren eine Reihe hervorragender Mitarbeiter gewinnen. Vgl. auch die Reihe, die die Madrider Fundación Foessa ab 1966 jährlich unter dem Titel Informe sociológico sobre la situación social de España herausbrachte.

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Ein Beweis dafür war, daß - nach dem Tod von Enrique Ruano, einem Studenten der Juristischen Fakultät von Madrid, der am 20. Januar 1969 (in Polizeigewahrsam) gestorben war - die am 24. in Kraft gesetzten Ausnahmebestimmungen ganz besondere Auswirkungen auf das universitäre Leben hatten (selbstverständlich aber auch, wie früher schon, auf die Arbeiterschaft und, unter diesen besonderen Umständen, ebenfalls auf andere freie Berufe, vor allem die Rechtsanwälte). Es war, wie ich glaube, zum ersten Mal in der Geschichte der spanischen Universitäten während der Franco-Zeit, daß eine ziemlich große Zahl von Universitätsprofessoren verhaftet und anschließend in verschiedene entlegene Gegenden Spaniens verbannt wurde; ich erinnere mich daran, daß dies in Madrid (und in einigen anderen Universitäten) in der Nacht des 30. Januar 1969 unter anderem mit den (keineswegs extremistischen) Professoren Oscar Alzaga, Mariano Baena del Alcázar, Pablo Cantó, Elias Díaz, Paulino Garagom, Rafael Jiménez de Parga, Manuel López Cachero, Raúl Morodo, Javier Muguerza, Gregorio Peces-Barba und Pedro Schwanz geschah.

162 schaftliche Entwicklung zwar eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung; daneben muß immer auch beständig die Partizipation der Bevölkerung an der Entstehung und Kontrolle politischer Entscheidungen, insbesondere an der Erzeugung und Überwachung des Rechts, erhöht werden. Im Grunde muß die »Angst vor der Freiheit« abgelegt und deren fortschreitende Etablierung und Institutionalisierung als unverzichtbare Voraussetzung der Demokratie erreicht werden.

Die zweite demokratische Generation der

Nachkriegszeit

Viele ausdrücklich demokratisch ausgerichtete Ideen zeigen sich im Laufe der sechziger Jahre eindeutig in den Schriften derer, die man die zweite Generation von Intellektuellen - nach der von Laín, Marías, Aranguren, Tierno, Ridruejo, Ruiz-Giménez u. a. - nennen kann; sie beginnen damals (60er Jahre) zu publizieren, und ihre Kritik richtet sich sowohl gegen die Überbleibsel totalitärer Überideologisierung (der das Bedürfnis nach Wissenschaft und Freiheit entgegengestellt wird) als auch später gegen die konservativ-autoritäre Technokratie (wogegen die Legitimität der philosophischen Kritik und des ideologischen Pluralismus eingefordert wird). Immerhin dienen diese Motive weitgehend zur Definition dessen, was Luis Garcia San Miguel (mit einer aufgrund des Bezugsdatums vielleicht mißverständlichen Bezeichnung) »Die demokratische Generation von 1936« genannt hat.5 Damit sind nicht, wie man vielleicht glauben könnte, diejenigen gemeint, die allgemein unter dem Namen »Männer von 1936« bekannt sind, also die, welche die Kriegszeit zumindest als Jugendliche erlebten und daher an den damaligen Ereignissen mit einem gewissen Verständnis für das, was da vor sich ging, Anteil nahmen,6 sondern diejenigen, die »am Rande des Bürgerkrieges« geboren wurden und die heute eine weitgehend demokratisch ausgerichtete Auffassung teilen. Garcia San Miguel stellt ausdrücklich fest: »Es handelt sich also, kurz gesagt, um die zweite demokratische Generation der Nachkriegszeit: um die Schüler von Laín, Tierno, Vicens Vives usw.« Weiter grenzt er ein, daß es um die Männer geht, die Ende der 60er Jahre 30 bis 40 Jahre alt sind, die »ganz allgemein einer demokratischen Ideologie anhängen und die ein den Konformisten in nichts nachstehendes, solides intellektuelles Werk vorweisen können, die Universitätsstellungen innehaben, die aber zugleich dem etablierten System kritisch gegenüberstehen.« Von einigen ihrer Arbeiten und Veröffentlichungen ist hier schon gesprochen worden; auf andere wird in die5

So der Titel eines Vortrags, den er anläßlich einer Tagung über die Entwicklung der Ideologien im zeitgenössischen Spanien gehalten hat, die im Dezember 1969 im Soziologischen Institut der Autonomen Universität von Madrid stattfand. Die Vorträge sowie die Kritiken und Diskussionsbeiträge der Tagung wurden 1972 bei Seminarios y Ediciones unter dem Titel Las ideologías en la España de hoy veröffentlicht; der Vortrag von Luis Garcia San Miguel findet sich dort auf den Seiten 37-48, Kritik und Diskussionsbeiträge dazu auf den Seiten 49-60. Die anderen Vorträge waren von Amando de Miguel, Esteban Pinilla de las Heras, Carlos Moya, Jesús Aguirre, Antoni Jutglar, Domingo García Sabell, Jordi Solé Tura und Jesús Prados Arrarte. Das Buch enthält ein Vorwort von José Jiménez Blanco und wurde von Amando de la Cruz Tomé vorbereitet und redigiert.

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Vgl. weiter oben Kap. 1, Anm. 9, wo verschiedene Aufsätze von Homero Sens, Manuel Durán und Ricardo Guitón Uber diese meist sogenannte »Generation von 1936« (die Generation der Männer des Bürgerkrieges) zitiert sind.

163 sem letzten Kapitel noch kurz einzugehen sein, ohne aber die früheren und späteren Generationen hier zu vergessen. Luis Garcia San Miguel hat bezüglich der geistigen Merkmale dieser besagten »zweiten demokratischen Generation der Nachkriegszeit« hervorgehoben, daß sie die Einführung und vor allem die wissenschaftliche Entwicklung der Soziologie und der Ökonomie in unserem Land ermöglicht hat (was selbstverständlich nicht bedeutet, daß man ausnahmslos allen spanischen Wissenschaftlern dieser beiden Disziplinen damals die Eigenschaft demokratisch hätte zuschreiben können). Zu den typischen Merkmalen zählte er auch, daß diese Generation an der Rezeption des logischen Positivismus entscheidend beteiligt war und daß sie das Studium der dialektischen Philosophie in Spanien eingeführt hat: »In dieser Generation erschienen die ersten jungen Leute, die Marx lasen, die sich mit ihm beschäftigten, die ihm ganz allmählich zu größerer Verbreitung verhalfen und die zumindest einige Elemente seines Denkens übernahmen.« Auf die Strömungen der analytischen und der dialektischen Philosophie im Spanien der sechziger Jahre bin ich weiter oben schon wiederholt eingegangen. Beide sind sich - wie zuvor in geringerem Maße der Existentialismus - in ihrer Kritik an dem einig, was man ohne jeden Sprachmißbrauch als traditionelle Philosophie bezeichnen kann, also an der vorherrschend neoscholastischen Richtung, die man damals noch immer (wenn auch nicht mehr für lange) als die offizielle spanische Philosophie vor allem auf der universitär-akademischen Ebene ansehen konnte.7 Das ganze erdrückende tote Gewicht und die ganze dogmatische, inquisitorische Macht dieser fundamentalistischen, reaktionären Philosophie übermannte häufig die Mitglieder der besagten zweiten demokratischen Generation der Nachkriegszeit und behinderte auf vielfaltige Weise insbesondere ihren Weg in die universitäre Lehre.

Die neonietzscheanische

Philosophie und ihr Schatten

Neben der Ausbreitung der zwei genannten Denkströmungen, der analytischen und der dialektischen, war jedoch ein weiteres Charakteristikum der spanischen kulturel7

Für diese neoscholastische traditionelle Philosophie, die ich hier nur als Hintergrund für die offizielle spanische Philosophie der damaligen Zeit anführe (die man im übrigen auch nicht allzu einseitig trivialisieren sollte) vgl. u. a. das Kapitel »La escolástica en el siglo XX« in Guillermo Fraile O. P.: Historia de la Filosofía española desde ¡a Ilustración,, Madrid: Biblioteca de Autores Cristianos 1972, wo die Hauptzeitschriften (Razón y Fe, Pensamiento, La Ciencia Tomista, La Ciudad de Dios, Augustinus, Verdad y Vida u. a.) sowie die wichtigsten Autoren (Luis Alonso Getino, Albino Menéndez Reigada, Santiago Ramírez, Antonio Garcia Figar u. a.) dieser Denkrichtung genannt werden, die - neben tiefergehenden, mehr philosophischen Gründen - auch für ihre Ausschließlichkeitsanspriiche kritisiert worden ist. Außerdem findet man in dem schon zitierten Werk von Alfonso López Quintas: Filosofía española contemporánea (Kap. 2, Anm. 21) eine nützliche Erörterung der scholastischen Philosophie in ihren verschiedenen Ausprägungen, mit Namen wie Juan Zaragüeta, Antonio Millán Puelles, Angel González Alvarez, Sergio Rabade, Jesús García López, Jesús Arellano, Adolfo Muiloz Alonso, Leopoldo Eulogio Palacios, José Todolí, José María Sánchez de Muniaín usw. López Quintás behandelt auch andere Autoren unterschiedlicher Ausrichtung und Spezialisierung, die ich schon genannt habe, so z. B. Luis Cencillo, Pedro Caba, Raimundo Paniker, Roberto Saumells u. a. Vgl. zu diesem Thema auch den Aufsatz von L. Martínez Gómez S. J.: Filosofía espaflola actual, in: Pensamiento (Madrid) Nr. 114-115 (April-Sept. 1973) S. 347-365.

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len Welt jener Jahre die Kritik an diesen beiden Strömungen (und gleichzeitig natürlich ganz radikal an der erwähnten neoscholastischen traditionellen Philosophie) von Positionen aus, die sich frei und flexibel - manchmal sogar ziemlich willkürlich - aus einer gemeinsamen, subtilen Inspirationsquelle herzuleiten behaupten, die im allgemeinen als »neonietzscheanisch« bezeichnet wird. Hier sind beispielsweise Einstellungen anzusiedeln, wie sie ständig in den - mit wahrem Konvertiteneifer geschriebenen - Büchern eines Eugenio Trias oder eines Fernando Savater gegenwärtig sind, Einstellungen, die sie im wesentlichen beibehalten, aber meines Erachtens später mit sehr viel weniger Begeisterung vertreten haben. Ihre Absicht war es, über den analytisch-dialektischen Kontext hinauszugehen, und gelegentlich (vor allem in ihrer Kritik am Dogmatismus) erreichen sie ihr Ziel auch; häufig aber sind ihre Auslassungen nicht auf der Höhe der dort wirklich aufgeworfenen (ich sage nicht: gelösten) Probleme, sondern sie weichen den Problemen aus und verharren vielmehr - was immerhin auch schon etwas ist - in alten Klagen, in im Grunde verzweifelten und gequälten Schreien unter einem anscheinend bedingungslosen Hedonismus, in verbaler Willkür als verständlicher, aber nutzloser Verteidigung gegen die Erschöpfung der realen Willkür, in Maskierung, Spielerei und Mummenschanz angesichts so vieler und so schwerer Lügen und Ungerechtigkeiten, in Scherz, Ironie und logischem Eskapismus angesichts der tausendfachen Feststellung unserer tatsächlichen Machtlosigkeit. Wenn sich die luzide karnevaleske Philosophie oder die konsequente Philosophie des Absurden selbst (wie es schließlich unvermeidbar war) als »Programm« (auch wenn es nicht so genannt oder sogar ausdrücklich das Gegenteil behauptet wird), als »System« oder Weltanschauung (auch wenn man radikal asystematisch zu sein vorgibt) darstellen, dann werden diese Wörter beliebig, eine Willkür mehr (nur schwer unterscheidbar von den anderen, den immer vorhandenen realen Willkürakten), werden sogar zu traditioneller Beliebigkeit (man denke an unsere »alten« Lektüren der vierziger Jahre), zur - vom Genius der spanischen Rasse inspirierten - Verherrlichung der Improvisation, der Irrationalität, zum mystischen (vormals mystisch-imperialen) Weg für privilegierte jugendliche Schwärmer: Wörter über Wörter, in diesem Fall vielleicht sogar voller guter Absichten, aber »hier und heute« nutzlos für die Ziele, die die Autoren selbst - im allgemeinen ohne sich ausdrücklich dazu zu bekennen noch immer für erstrebenswert erachten (da sie ohne jeden Zweifel einer ethischen Philosophie anhängen). Ich möchte es nicht als patemalistische Haltung verstanden wissen - schließlich sehe ich bei den Nietzscheanern viele »Tugenden« -, wenn ich feststelle, daß diese Philosophien doch wohl trotz allem eine unbestreitbare Funktion der Bereicherung unseres kulturellen Lebens und vor allem der Provokation und Kritik im Kontext des spanischen Denkens der Zeit erfüllt haben und weiter erfüllen (nachdem ihre massive Übernahme durch die Bourgeoisie, nicht aber ihre Benutzung und Manipulation, ausgeschlossen war): eine kritische Funktion insbesondere gegenüber aller Scholastik

165 - ganz besonders gegenüber unserer die Tradition schlechthin verkörpernden Neoscholastik -, gegenüber jedem abstrakten Rationalismus und szientistischen Formalismus sowie gegenüber dem Dogmatismus verschiedener Orthodoxien. Vielleicht wollte man auch mehr; jedenfalls ist das Erreichte nicht gerade wenig. Aber auch ihre Grenzen und Unzulänglichkeiten vom Standpunkt der Wissenschaft und der Vernunft und damit von dem des individuellen und sozialen »Lebens« der Realität scheinen mir unbestreitbar und dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Diese der Überarbeitung bedürftigen Ansichten, die ich hier ganz knapp und notwendigerweise vereinfachend dargestellt habe, findet man beispielsweise in den folgenden Büchern: von Eugenio Trías La filosofía y su sombra (Seix-Barral 1969), Filosofía y carnaval (Anagrama 1970), Teoría de las ideologías (Península 1970) und La dispersión (Taurus 1971) sowie von Femando Savater (alle bei Taurus) Nihilismo y acción (1970), La filosofía tachada (1972) und Apología del sofista (1973). Beim gleichen Verlag erschien im gleichen Jahr auch die - von Savater selbst herausgegebene - umstrittene Nietzsche-Anthologie Inventario. Zu verweisen ist außerdem auf den Sammelband En favor de Nietzsche (Taurus 1972) - Nietzsche in neuer Lesart scheint, wie gesagt, einer der Hauptinspiratoren jener »Gruppe« zu sein, die man deswegen als »neonietzscheanisch« bezeichnen kann an dem (mit nicht immer ganz übereinstimmender Ausrichtung) Eugenio Trías, Fernando Savater, Santiago García Noriega, Pablo Fernández-Flórez, Angel González, Ramón Barce, Javier Echeverría und Andrés Sánchez Pascual mitarbeiteten. Bezüglich der Generationsfragen, auf die weiter oben schon Bezug genommen wurde, ist anzumerken, daß in der Einführung in den zuletzt genannten Sammelband zu lesen ist: »Es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung, daß fast alle Mitarbeiter an diesem Band jünger als dreißig Jahre sind.« Sie bilden daher die jüngste Gruppe von Intellektuellen, die im Panorama der spanischen Kultur derzeit anzutreffen ist;9 einer der Gründe für ihre weite Verbreitung ist, daß sie eine gewisse individuell-hedonistische, ein wenig skeptische und gelegentlich sogar »nihilistische« Protesthaltung repräsentiert, die in manchen jüngeren Kreisen den früheren Glauben an die Veränderungsmöglichkeiten von Vernunft und Wissenschaft ersetzt hat.

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Im Zusammenhang mit dieser Nietzsche-Renaissance vgl. neben zahlreichen Neuauflagen verschiedener seiner Werke, die in letzter Zeil in Spanien veröffentlicht werden, auch die Übersetzung der Arbeit von Georges Bataille: Sobre Nietzsche, Madrid: Taunis 1972, sowie unter den spanischen Autoren von Francisco Puy: El derecho y el Estado en Nietzsche, Madrid: Editora Nacional 1966, und von Luis Jiménez Moreno: Nietzsche, Madrid: Labor 1972, die sich nicht in die besagte «neonietzscheanische« Linie einordnen lassen. Man beachte auf jeden Fall auch von Gonzalo Sobejano: Nietzsche en España, Madrid: Gredos 1967.

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Sie gehören wohl aufgrund ihres Alters (sie sind jünger) und ihrer Geisteshaltung (sie sind weniger »analytisch« und »dialektisch«) nicht mehr in jene »demokratische Generation von 1936«, von der Luis Garcia San Miguel sprach, obwohl selbstverständlich nicht alle Angehörigen dieser Altersgruppe ihrerseits die »neonietzscheanischen« Ansätze teilen. Ich benutze diese Bezeichnung, ebenso wie die der »Analytiker« oder »Dialektiker« (die natürlich auch in dieser jüngeren Generation ihre Vertreter haben) ohne den Anspruch einer strengen Einordnung unter feststehende, stereotype Etikette, sondern ich verstehe sie vielmehr als offene Gruppierungen, zwischen denen Kommunikation und Kritik zum Nutzen aller Beteiligten, wie ich glaube, möglich ist.

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Vernunft und Wissenschaft in der Veränderung der Wirklichkeit: Analytische Philosophie und Wissenschaftstheorie All dies hat gewisse Bedeutung, da im Grunde das Problem oder doch zumindest eines der Probleme auch weiterhin das der Analyse von Verfahren für diese Veränderung ist, das heißt zur Kontrolle und Ausrichtung der geschichtlichen Dynamik und zuvor - oder zugleich - zur Bestimmung, ob und wie diese Veränderung möglich ist. Alles ist problematisch und komplex, aber es findet sich für die gültige Begründung der ethischen und politischen Praxis selbst auf rein individueller Ebene schwerlich ein anderer Weg als der der Vernunft und der Wissenschaft.! 0 Zunächst die Wissenschaft: Mit ihr zu beginnen bedeutet nicht, daß man ihr geringere Bedeutung oder größere Vorläufigkeit beimißt, sondern vielmehr, daß man ihr in gewissem Maße den Charakter eines »festen und sicheren« Fundamentes, einer notwendigen Grundlage für die Philosophie zuschreibt. Ich werde aus dieser Perspektive weiter unten noch auf einige Beiträge aus dem Bereich der Sozialwissenschaften eingehen. Hier aber - in dieser Schlußbetrachtung, in der allein auf in Spanien zugängliches »Material« verwiesen wird - sei an einige interessante Arbeiten erinnert, die mit vordringlichen Themen der analytischen Philosophie zu tun haben. Eigentlich schon über diesen Bereich hinausgehend, aber auf der Suche nach einer physischen und logistischen Grundlage der Metaphysik, haben wir 1967 die Interpretation von Jorge Enjuto über La filosofía de A.N. Whitehead (Tecnos); dann die Ensayos de Filosofía de la Ciencia, von einem Symposium über das Werk Poppers, das im Dezember 1968 in Burgos stattfand, ebenfalls bei Tecnos (1970), mit spanischen Beiträgen von Manuel Albendea, Miguel Boyer, Francisco Hernán, Luis Martín Santos, Javier Muguerza, José Rodríguez, Luis Angel Rojo, Víctor Sánchez de Zavala und Pedro Schwartz. Außerdem von Carlos Paris Hombre y naturaleza (Tecnos 1970) und Filosofía, ciencia, sociedad (Siglo XXI 1972), das Buch von Eloy Terrón Ciencia, técnica y humanismo (Madrid: Las ediciones de El Espejo 1973), die Arbeiten zur Sprachphilosophie u. a. von Ferrater Mora, Emilio Lledó, Sánchez de Zavala, Castilla del Pino, Rafael H. Ninyoles, Agustín García Calvo, Josep Ll. Blasco usw.11 Zu dieser Thematik ist in erster Linie auf die Zeitschrift Teorema zu verweisen, die vom Fachbereich Logik und Wissenschaftsphilosophie der Universität von Valencia

10 Gerade zu diesem Punkt sind sowohl die deskriptiven als auch vor allem die normativen Aspekte des wichtigen Buches von Xavier Rubert de Ventos: Moral y nueva cultura, Madrid: Alianza 1971, nützlich. Vgl. außerdem vom gleichen Autor: Utopías de la sensualidad y métodos del sentido, Barcelona: Anagrama 1973, sowie La estética y sus herejías, ebd. 1974. 11 José Ferrater Mora: Indagaciones sobre el lenguaje, Alianza 1970; Emilio Lledó: Filosofía y lenguaje, Ariel 1970; Víctor Sánchez de Zavala: Hacia una epistemología del lenguaje, Alianza 1972 und Indagaciones praxiológicas (sobre la actividad lingüística). Siglo XXI 1973; Carlos Castilla del Pino: Introducción a la hermenéutica del lenguaje, Península 1972; Rafael H. Ninyoles: Idioma y poder social, Tecnos 1972; Agustín García Calvo: Lalia. Ensayos de estudio lingüístico de la sociedad, Siglo XXI 1973; Josep Ll. Blasco: Lenguaje, filosofía y conocimiento, Ariel 1973.

167 herausgegeben wird, 12 sowie auf den schon genannten Sammelband Filosofía y ciencia en el pensamiento español contemporáneo.13 Außerdem sind hier die Werke von Miguel A. Quintanilla Idealismo y filosofía de la ciencia. Introducción a la Epistemología de Karl Popper, von Manuel Garrido Lógica simbólica (beide bei Tecnos) oder das schon zitierte wichtige Buch Cálculo de las normas von Miguel Sánchez Mazas (bei Ariel) - alle 1973 - zu nennen. Und schließlich ist auch die Introducción a la lógica formal von Alfredo Deaño (Alianza 1974) nicht zu vergessen. Für die ausdrückliche Behandlung ethischer Fragen aus einer eng mit dieser Wissenschaftstheorie verwandten Perspektive ist - neben manchen der gerade genannten an das Buch von José Hierro S. P. Problemas del lenguaje moral (Tecnos 1970) zu erinnern sowie an verschiedene (teilweise analytisch, teilweise dialektisch ausgerichtete) Beiträge des Sammelbandes Teoría y sociedad,™ darunter vor allem von José Hierro S. P. »Normas y valoraciones« und von Javier Muguerza »'Es' y 'debe'. En tomo a la lógica de la falacia naturalista«, Carlos Solís Santos' »Explicación y justificación racional«, Manuel Sacristáns »De la idealidad en el Derecho«, José Ramón Recaldes »Conocimiento del cambio y práctica social« und Lucio García Ortegas »El moralista en la sociedad«. Die gleiche analytisch-dialektische Kombination^ findet sich unter anderem auch in zwei wichtigen Aufsätzen, die dieses Thema direkt behandeln, nämlich von Javier Muguerza »Etica y ciencias sociales« und von Valeriano Bozal »Dialéctica y ciencias sociales« (beide in dem oben genannten Sammelband Filosofía y ciencia en el pensamiento español contemporáneo). Grundlage des größten Teils all dieser Untersuchungen sind Selbstreflexionen über Möglichkeiten, Grenzen und Bedeutung der wissenschaftlichen Vernunft; ausgehend davon wird dann - aus der Perspektive einer rationalen Begründung menschlicher Praxis - das zentrale Thema wieder aufgegriffen, nämlich die Analyse der Notwendigkeit, Möglichkeit und Legitimität der philosophischen Vernunft: jenseits sowohl

12 Teorema, eine der bedeutendsten philosophischen Zeitschriften in Spanien, erschien erstmals im März 1971. Die darin hauptsächlich abgedeckten Themenbereiche sind »mathematische Logik, Wissenschaflsphilosophie, Kybernetik, Analysis, Sprachphilosophie und Dialektik«. Geleitet wird sie von M. Garrido, Sekretär ist J. LI. Blasco; dem Redaktionsbeirat gehören u. a. an: V. Bozal, G. Bueno, P. Cerezo, J. Ferrater Mora, J. D. Garcia Bacca, J. Jiménez Blanco, J. M. López Piñero, E. Lledó, J. de Lorenzo, A. de Miguel, F. Montero, J. M. Morales, C. Moya, J. Muguerza, V. Muñoz, C. Paris, P. Pascual, J. L. Pinillos, J. Rodríguez Marin, M. Sánchez Mazas und E. Trias. 13 Es sind dort die Vorträge des Symposiums über Logik und Wissenschaftsphilosophie abgedruckt, das im November 1971 in der Universität von Valencia stattfand (erschienen bei Tecnos 1973). Der Band enthält Beiträge von M. Garrido, J. Ferrater Mora, J. Mosterin, A. Dou, J. LI. Blasco, V. Muñoz Delgado, M. Medina, P. Pascual, C. Paris, J. M. Rodríguez Delgado, P. Schwartz, A. de Miguel, J. Muguerza und V. Bozal. 14 Dieser Band (Ariel 1970) enthält »Professor Aranguren anläßlich seines sechzigsten Geburtstages gewidmete Aufsätze, hrsg. von Francisco Gracia, Javier Muguerza und Víctor Sánchez de Zavala«; die Beiträge stammen von den Genannten sowie Emilio Lledó, J. C. García Bermejo, Alfredo Deaño, José Hierro S. P., C. Solís, Manuel Sacristán, Elias Díaz, José María Maravall, José Ramón Recalde, J. A. del Val, Carlos Moya, Diego Núflcz, Antonio Elor/.a, Gabriel Tortella, Raúl Morado, Lucio García Ortega, José María Valverde, Jesús AguirTe und Xavier Rubcrt de Ventós. 15 Zu den Wechselbeziehungen und Spannungen zwischen diesen beiden Elementen vgl. den einigen aktuellen dialektischen Positionen gegenüber ungeheuer kritischen Aufsatz von Rafael Bosch: Análisis, dialéctica idealista y dialéctica materialista, in: Teorema Nr. 4 (Dez. 1971)S. 113-130.

168 des abstrakten (und aus einer gewissen Sicht formalistischen) Rationalismus als auch jeder Art von Irrationalismus. 16

Vernunft und Utopie. Heutige Bedeutung der Philosophie als kritische Philosophie Ohne hier noch einmal auf das einzugehen, was ich schon im vorigen Kapitel zu den Wechselbeziehungen zwischen Philosophie und Wissenschaft sowohl im Bereich der analytischen und neopositivistischen als auch in dem der dialektischen Philosophie gesagt habe, möchte ich darauf hinweisen, daß vielleicht eines der hervorstechendsten Merkmale des Denkens in den hier behandelten Jahren (mit direkten Auswirkungen auch auf den Bereich des politischen Handelns) die in kritischer Absicht erfolgte Wiedereinführung und Aufnahme gewisser utopischer Gedanken war, von denen man annahm, daß sie sowohl die konformistischen Unzulänglichkeiten der mechanischen Vernunft (wie sie hauptsächlich in den sozialen Systemen der wirtschaftlich und technisch nach kapitalistischem Modell entwickelten Welt wirkt) als auch des monolithischen Dogmatismus und des staatshörigen Bürokratismus, der in vielen selbsternannten sozialistischen Systemen vorzufinden ist, überwinden würden. Die Bedeutung der Vernunft und die Bedeutung der Utopie - eine Fragestellung, mit der zumindest Hegel, 17 Marx, 18 Mannheim und Bloch direkt angesprochen sind werden in jenen Jahren in Spanien u. a. in dem Buch Marcase: utopía y razón von Antonio Escohotado,19 mit anderer Zielrichtung auch in der Untersuchung von Gusta16 Vgl. zu diesem Punkt den Aufsatz von Jesús Mosterin: El concepto de racionalidad, in: Teorema Vol. III Nr. 4 (1973) S. 455-479. 17 Ich will hier nicht die gesamte (allerdings nicht sehr umfangreiche) spanische Bibliographie zu Hegel anführen, sondern nur auf einige neuere Arbeiten hinweisen; so z. B. von Antonio Truyol Serra: El nuevo semblante de Hegel, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 73 (Okt. 1969) oder seine Einführung in die spanische Übersetzung der Arbeit Hegels zur Vernunft in der Geschichte, Madrid: Seminarios y Ediciones 1972; außerdem u. a. Ramón Valls Plana: Del Yo al Nosotros. Lectura de la Fenomenología del Espíritu de Hegel, Estela 1971, Antonio Escohotado: La conciencia infeliz. Ensayo sobre la filosofía de la religión de Hegel, Revista de Occidente 1972, Nicolás María López Calera: El riesgo de Hegel sobre la libertad, Universidad de Granada 1973, sowie zuvor ders.: Hegel y los derechos humanos (1971). 18 Für eine nicht-dialektische Interpretation der Utopie bei Marx, aufgefaßt als Bruch mit der Vernunft und der Wissenschaft, vgl. z. B. in Spanien den antimarxistisch ausgerichteten Ansatz von Francisco Elias de Tejeda: El mito del marxismo, in dem Sammelband Los mitos actuales, Madrid: Speiro 1969, wo es heißt (S. 193 f.): »Von Marx' wissenschaftlichem Werk hat bei seinen Anhängern nichts Bestand; sie reagieren auf zwei verschiedene Weisen darauf: die Doktrinäre verfälschen es, die Laien nehmen es gar nicht zur Kenntnis. Was aber Bestand hat und sich Gegnern und feindlichen Angriffen stellt, ist die Utopie seines idealen künftigen Reiches, der Mythos der kommunistischen Gemeinschaft von Morgen. Marx, der das Adjektiv utopisch zur Beleidigung degradierte, steht gerade deswegen im Rampenlicht unserer Zeit, weil er selbst der größte Utopist der Moderne war, der Prophet des Mythos, der sich in unseren Tagen als fähig erwiesen hat, die Massen zu bewegen ...« Eine ähnliche Bewunderung für einen ausschließlich als mythischen Propheten und Massenführer aufgefaßten Marx läßt sich, wie ich glaube, auch in zahlreichen Arbeiten von Jesús Fueyo Alvarez finden (vgl. sein Buch La vuelta de los budas, Madrid: Organización Sala Editorial 1973). 19 Zu Marcuse - der glücklicherweise schnell die Phase überwinden konnte, in der, nach der politischen Konjunktur des Augenblicks, ein gewisser Konsumbedarf der Linken aus ihm für einige Jahre einen Modephilosophen machte, was immerhin, wie man anmerken muß, dazu diente, die Verbreitung seines Denkens zu fördern - vgl. u. a. die ernsthaften und nützlichen Arbeiten von Manuel Sacristán (Einführung in die Respuestas a Marcuse von J. Habermas, erschienen bei Anagrama), von Carlos Castilla del Pino (Vorwort zu den Arbeiten von Marcuse Psicoanálisis y políti-

169 vo Bueno über Etnología y Utopía (Ed. Papeles de Son Armadans), in einigen der Aufsätze von José Luis Abellán in seinem Buch Mito y cultura (Seminarios y Ediciones 1971) sowie in El tiempo y la dialéctica von Carlos Gurméndez (Siglo XXI1971) behandelt. An ganz herausgehobener Stelle (die abgedeckte Thematik ist von besonderem Interesse für die Debatte über den besagten Komplex Vernunft-Utopie) ist außerdem der Band zu nennen, in dem die brillanten »Sermones en España« abgedruckt sind, die Jesús Aguirre in jenen Jahren vor allem in der Kirche der Ciudad Universitaria von Madrid hielt.20 Diese Auffassung der Vernunft, zwischen wissenschaftlicher und utopischer Vernunft (die weder Irrationalität noch Unvernunft ist), führt unmittelbar und unausweichlich zur Frage nach der Bedeutung der Philosophie in der heutigen Welt. Das ist das Thema von Manuel Sacristáns Sobre el lugar de la filosofía en los estudios superiores (Nova Terra 1968) und als Antwort darauf Gustavo Buenos El papel de la filosofía en el conjunto del saber (Ciencia Nueva 1970). Ich will hier keine Analyse der Fragen liefern, die im Rahmen dieser Polemik aufgeworfen wurden, wobei im übrigen nach meiner Einschätzung die beiden Auffassungen - Philosophie als adjektives Wissen bei Manuel Sacristán und Philosophie als substantives Wissen bei Gustavo Bueno - durchaus eine bedeutende gemeinsame Basis besitzen. 2 ! Ich will vielmehr einige für dieses Thema der Vernunft relevante Aspekte aufzeigen, die für die eine oder die andere Haltung charakteristisch sind und die, wie ich glaube, eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzen. Da ist zum einen das Beharren Gustavo Buenos auf der Charakterisierung der Philosophie als rationale Erkenntnis, wenn sie auch - zu Recht - nicht mit der Wissenschaft, mit der wissenschaftlichen Erkenntnis verwechselt wird. Wörtlich heißt es bei Bueno: »Die Frage 'Ist die Philosophie eine Wissenschaft oder nicht?' ist daher irreführend - sofern damit angedeutet wird, daß alles, was nicht wissenschaftlich ist, quasi mystisch oder irrational ist. Wegen dieser Frage sieht sich manch einer, der die Philosophie aus dem Bereich 'irrationaler' Aktivitäten ausnehmen will, gezwungen, die Wissenschaftlichkeit der Philosophie zu verfechten; und wer auf die Unterschiede zwischen Philosophie und Wissenschaft sowohl in der Methode als auch im Ergebnis sieht und die Unterscheidung von Wissenschaft und Philosophie folglich für eine Frage minimaler sprachlicher Klarheit hält, gerät oft in Gefahr, so verstanden zu werden, ca, erschienen bei Península), von José María Castellet: Lectura de Marcuse (bei Seix-Barral), Luis Bianco: Marcuse (bei Editorial Zero) und von Miguel Siguan (Vorwort zu den Ensayos sobre Política y Cultura von Marcuse, erschienen bei Ariel), Bücher, die fast alle zwischen 1969 und 1971 veröffentlicht wurden. 20 Madrid: Ed. Cuadernos para el Diálogo 1971 (mit einem Vorwort von José Luis L. Aranguren). In Zusammenhang mit den Themen des Buches von Aguirre vgl. auch von Aranguren: La crisis del catolicismo (Alianza 1969). Später veröffentlichte Aranguren noch seine Memorias y esperanzas españolas, die hier schon zitiert wurden (Kap. 3, Anm. 1), sowie 1973 Erotismo y liberación de la mujer (Ariel) und Moralidades de hoy y de mañana (Taurus). 21 Vgl. die Untersuchung von J. C. Morales: Sobre una polémica reciente en tomo a la filosofía, in: Teorema Nr. 1 (März 1971) S. 134 f. Ich selbst habe das Thema in meinem Buch Sociología y Filosofía del Derecho, Madrid: Taurus 1971, S. 343-348, behandelt Vgl. auch die abweichenden Meinungen in Luis Crespo und José Ramoneda: Sobre la filosofía y su no lugar en el marxismo, Barcelona: Laia 1974.

170 als betrachte er die Philosophie als 'unwissenschaftlich' im Sinne von kaum nachvollziehbar und fast irrational.« Weiter heißt es bei G. Bueno: »Schließt man sich den soeben dargelegten Hypothesen an, dann folgt daraus, daß die Philosophie nicht wissenschaftlich ist - in dem Sinne, daß sie nicht nach der wissenschaftlich-abstrakten Rationalität vorgeht -, daß dies aber nicht bedeutet, daß die Philosophie nicht rational ist. (Wobei aus unserem Philosophiebegriff all jene Ansätze ausgeschlossen sind, die sich zwar als solche bezeichnen, die sich aber auf nicht-rationale Erkenntnisquellen stützen.) Erklärt man die Philosophie für nicht-wissenschaftlich, so geht es nicht darum, dem Irrationalismus in der Philosophie eine Hintertüre aufzuhalten. Der Standpunkt, auf den ich mich beziehe, ist im Gegenteil gerade der des philosophischen Rationalismus. Ich möchte nur verhindern helfen, daß der philosophische Rationalismus zur reinen (leeren) Imitation des wissenschaftlichen Rationalismus wird.« Und er sagt abschließend: »Philosophie ist Vernunft, und zwar kritische Vernunft; sie ist also letztlich wissenschaftliche Vernunft. Aber die Vernunft bahnt sich hier ihren Weg durch ein anderes Terrain.« 22 Trotz mancher Übereinstimmung damit verbindet die Auffassung von Manuel Sacristán Wissenschaft und Philosophie derart unauflöslich, daß er sogar behauptet, »daß es kein substantives philosophisches Wissen gibt, das dem positiven Wissen übergeordnet wäre; daß philosophische Systeme Pseudotheorien sind, Konstrukte im Dienste nicht-theoretischer Motive, die der wissenschaftlichen Überprüfung nicht zugänglich (also weder beweisbar noch widerlegbar) sind und die mit Hilfe eines falschen Gebrauchs der Modelle logischer Schlußformen aufgestellt werden.« In diesem allgemeinen Kontext ist die einzig mögliche, nicht als substantives, sondern als adjektives Wissen verstandene Philosophie nach Sacristán »vielmehr eine von jedem beliebigen Themenbereich, selbst dem seinen, ausgehende Ebene von Denkvorgängen«. In diesem Sinne kann jeder Philosophie treiben, »der sie wirklich auf etwas gründen kann, wie der theoretische Wissenschaftler, der Grundlagenforschung betreiben, der Historiker, der seine Operationen überdenken, der 'Meta-Philosoph', der nützliche Sondierungen der philosophischen Tradition vornehmen, der Künstler, der sein eigenes und das Werk seiner Kollegen diskursiv problematisieren, und der Praktiker, der die Bedingtheiten und Grundlagen seines Tun hinterfragen kann, sowie eine Reihe anderer Personen, zu denen vor allem fortgeschrittene interdisziplinäre Forscher - nicht nur im Zusammenspiel der klassischen Fächer, sondern auch dessen, was traditionell zur Theorie und Kunst oder zur Praxis zählt - gehören.« Man denke angesichts dieser Haltung von Sacristán jedoch nicht an einen Rückfall in den Positivismus; das philosophische Treiben ist, wenn auch adjektiv, so doch hinreichend gerechtfertigt. Mehr noch, dieses Treiben, das auf der Wissenschaft beruht und sich von ihr herleitet, hat in ihr eine feste Grundlage und beträchtliche Möglich22 Gustavo Bueno: El papel de la filosofía en el conjunto del saber, a. a. O., S. 240 f. Vgl. zu seiner Auffassung von Wissenschaft und Philosophie auch seinen späteren Ensayo sobre las categorías de la economía política, La Gaya Ciencia 1973.

171 keiten für die praktische Anwendung: »Die Kritik, die zur Ablehnung eines Universitätsabschlusses in Philosophie führt,« - Sacristán schlägt stattdessen ein »Allgemeines Institut für Philosophie« vor - »ist eine philosophische Kritik.« (Ein solches Institut sollte, wie er sagt, »als Sprachrohr für das Philosophieren der verschiedenen Wissenschaftler« dienen.) Auf dieser Grundlage bestimmt Sacristán die kritischen Standpunkte, die der positiven Wissenschaft eine philosophische Dimension verleihen: »Kritik bzw. Analyse der Grundlagen, im Bewußtsein der gnoseologischen Probleme an der Wurzel jeglicher positiven Erkenntnis, und historisch-soziale Kritik, im Bewußtsein der Entstehung und der Perspektiven dieser Erkenntnis.« Philosophie wäre so »(methodologisch und historisch) selbstkritisches Nachdenken über das eigene positive Wissen« oder, was das gleiche ist, »reflexives Bemühen um die Erforschung methodologischer und genetischer Grundlagen und die gnoseologischen und sozialen Perspektiven ihrer positiven Erkenntnis.« Sacristán betont, daß »der Typ des Magisters der Philosophie abgelehnt wird. Dieser Typ ist institutionell ein Spezialist für Nichts (wobei die Großschreibung für manchen ein Trost sein mag). Sein Titel weist ihn als Experten für Sein und Nichts im allgemeinen aus, und angesichts der universitären Studienorganisation wird damit implizit ausgesagt, daß man Experte für das Sein im allgemeinen sein kann, ohne etwas Nennenswertes über irgendein spezielles Sein zu w i s s e n . « 2 3 Die Philosophie bestimmt und rechtfertigt sich nach beiden Auffassungen als kritische Erkenntnis und selbstkritisches Denken. In diesem Sinne kann man sagen, daß das Beharren - von unterschiedlichen Standpunkten aus - auf der notwendigen Verbindung von Wissenschaft und Philosophie in Spanien (trotz aller Einschränkungen und ohne das bescheidene Niveau unserer intellektuellen Welt bestreiten zu wollen) dazu beigetragen hat, jener kritischen Philosophie eine neue, tiefere Dimension zu geb e n d Dies hat die verbreitete Etablierung einerseits (wie wir soeben gesehen haben) einer wissenschaftlicheren, d. h. mehr als früher an Fakten, an empirischen Daten, an der Wissenschaft orientierten und damit auch realistischeren Philosophie und andererseits einer zugleich kritischeren und strengeren, genaueren Wissenschaft (ich meine die Sozialwissenschaft) gefördert. Diese Situation führt, wie mir scheint, hic et nunc dazu, daß ein großer Teil des alten, manchmal aggressiven Mißtrauens zwischen Wissenschaftlern und Philosophen 23 Manuel Sacristán: Sobre el lugar de la filosofía en tos estudios superiores, a. a. O., vgl. vor allem S. 8, 18 und 3036. 24 Vgl. zu dieser kritischen Philosophie z. B. - mit unterschiedlichen Ausrichtungen - die damals zu den bedeutendsten Arbeiten des spanischen Denkens gehörenden Publikationen von Javier Muguerza oder Jacobo Mufloz; von ersterem - neben anderen, schon genannten Werken - Nuevas perspectivas en la filosofía contemporánea de la ciencia, in: Teorema Nr. 3 (Sept. 1971) S. 25-60, sowie Teoría crítica y razón práctica. A propósito de la obra de Jürgen Habermas, in: Sistema Nr. 3 (Okt. 1973) S. 33-58; von letzterem Después de Wittgenstein, Vorwort zu seiner Übersetzung des Buches von Justus Hartnack Wittgenstein und die moderne Philosophie, Ariel 1972, S. 5-25, Reconsiderando a Lukács, Vorwort zu seiner Übeisetzung des Buches von George Lichtheim Lukács, Grijalbo 1972, S. 9-21, und Adam Schaff en la filosofía polaca contemporánea, Nachwort zu seiner Übersetzung des Buches von Adam Schaff Ensayos sobre filosofía del lenguaje, Ariel 1973, S. 205-247.

172 verringert, wenn nicht sogar ganz abgebaut wird, was aber selbstverständlich nicht bedeutet, daß zwischen »empiristischen« und »kritischen« Wissenschaftlern (um hier einmal diese übliche Unterscheidung zu gebrauchen) oder gar zwischen Philosophen analytischer, dialektischer, scholastischer und neonietzscheanischer Ausrichtung (um nur die in Spanien am weitesten verbreiteten zu nennen, die deshalb hier auch recht ausführlich behandelt wurden) vollständige Harmonie herrschte.

Soziologie und Politikwissenschaft in Spanien: Hauptwerke und -Vertreter Was die Sozialwissenschaften und die u. a. zu analysierende Frage betrifft, was sie zum Abbau jenes alten Spannungsverhältnisses zur Philosophie beigetragen haben, so müßte man hier eine gesonderte deskriptiv-kritische Behandlung jeder ihrer Teilbereiche vornehmen, was offenbar den Rahmen dieser Anmerkungen bei weitem sprengen würde. Ich möchte daher nur einige Informationen über spanische Arbeiten aus jenen Jahren vor allem zur Soziologie, Politik- und Geschichtswissenschaft, und bezüglich letzterer insbesondere zur Geschichte des sozialen und politischen Denkens, liefern, da diese Wissenschaften nach meinem Dafürhalten mit den in diesem Buch behandelten Hauptlinien und -gedankengängen in enger Beziehung stehen; ich werde für jede von ihnen nur die herausragendsten Autoren, Themen und Arbeiten nennen. So sind im Bereich der soziologischen Forschung, bei bewußter Zusammenfassung »empirischer« und »kritischer« Soziologen, 25 u. a. die Arbeiten von Julio Busquets, Salustiano del Campo, José Castillo, José Cazorla, Juan Diez Nicolás, José Jiménez Blanco, Luis González Seara, José María Maravall, Juan F. Marsal, Amando de Miguel, Carlos Moya, Francisco Murillo, Víctor Pérez Díaz, José Ramón Torregrosa und José Vidal Beneyto zu n e n n e n . 2 6 Unter denen, die an Universitäten im Ausland 23 Daruber hat sich ausführlich Amando de Miguel in seinen schon genannten Büchern Sociología o subversión und später Homo sociologicus hispanicus (vgl. Kap. 5, Anm. 31) ausgelassen; vgl. dort die interessanten, aber auch fragwürdigen und umstrittenen Klassifizierungen, die A. de Miguel diesbezüglich vornimmt. 26 Ausführliche bibliographische Angaben zu den spanischen Soziologen findet man in dem Band Sociología española de los años sesenta, herausgegeben von der Confederación Española de Cajas de Ahorro, Madrid 1971, bes. in den Sparten »Quién es quién« (mit Daten über 103 zeitgenössischen Soziologen) und in der kritisch-theoretischen Untersuchung »Para una sociología de la sociología española«. Die in jenen Jahren veröffentlichten Hauptwerke sind u. a.: Julio Busquets: El militar de carrera en España. Estudio de sociología militar (Ariel 1976) und Introducción a la sociología de las nacionalidades (Cuadernos para el Diálogo 1971); Salustiano del Campo: Cambios sociales y formas de vida (Ariel 1968) und Análisis de la población de España (Ariel 1972) u. a.; José Castillo: La sociedad de consumo (1968) und Introducción a la Sociología (Guadarrama 1968); José Cazorla: Problemas de estratificación social en España (Edicusa 1973); Juan Diez Nicolás: Sociología: entre el funcionalismo y la dialéctica (Guadiana 1969) und Especialización funcional y dominación en la España Urbana (Guadarrama 1973); José Jiménez Blanco: Personalización y socialización en las ciencias sociales modernas, in dem Band La persona humana en la sociedad contemporánea, Anales de Moral Social y Económica, Madrid 1968, u. a.; Luis González Seara: Opinión pública y comunicación de masas (Ariel 1968) und La sociología, aventura dialéctica (Tecnos 1971); José Maria Maravall: Trabajo y conflicto social (Ed. Cuadernos para el Diálogo 1967), El desarrollo económico y la clase obrera (Ariel 1970) und La sociología de lo posible (Siglo XXI 1972); Juan F. Marsal: Cambio social en América Latina (Buenos Aires 1967); Amando de Miguel: Introducción a la Sociología de la vida cotidiana (Ed. Cuadernos para el Diálogo 1969), Un fuíwiblepara España (Dopesa 1969), España, marca registrada (Kairos 1972), Sociología y subversión (Plaza & Janés 1972), Homo sociologicus hispanicus (Barral 1973) und Sociología del franquismo (Euros 1975) so-

173 lehren (ohne jedoch den engen persönlichen und beruflichen Kontakt mit dem Inland verloren zu haben), nimmt vor allem Juan J. Linz eine hervorragende Stellung ein, der neben anderen, allgemeineren auch zahlreiche Arbeiten zur spanischen politischen Soziologie geschrieben hat;27 dazu gehören aber auch Esteban Pinilla de las Heras (Frankreich), Salvador Giner (England), Ignacio Sotelo (Berlin), Juan Martínez Alier (Frankreich), Manuel Castells (Frankreich und USA) u. a.2« Bei diesen Namen handelt es sich ausschließlich um Soziologen, die Probleme aus dem engeren Umfeld der »Allgemeinen Soziologie« bzw. der »Soziologischen Theorie« behandeln. Daneben sind andere zu nennen, die auf bestimmte Gebiete spezialisiert sind, wie z. B. Carmelo Lisón Tolosana, Mario Gaviria, José M. Gonzalez Páramo, Juan Maestre, José Bugeda, Jesús Ibáñez, Alfonso Orti, Jesús Oya, Francisco Andrés Orizo, Miguel Beltrán, María de los Angeles Durán u. a. Außerdem sind auch die Soziologen der jüngeren Generation nicht zu vergessen (die trotzdem schon einige bedeutende Publikationen vorweisen können), wie etwa Julio Rodríguez Aramberri, Luis Rodríguez Zúñiga, Jesús de Miguel, José Juan Toharia, Angel Zaragoza, Ubaldo Martínez Lázaro, José Félix Tezanos, Emilio Lamo de Espinosa usw.29 wie auch seine Beiträge zu den »FOESSA-Berichten« und einige weitere empirische Arbeiten zusammen mit anderen Soziologen; Carlos Moya: Sociólogos y Sociología (Siglo XXI 1970), Teoría sociológica: una introducción critica (Taurus 1971) und Burocracia y sociedad industrial (Cuadernos para el Diálogo 1972); Francisco Murillo: Estudios de Sociología política (Tecnos 1963); Víctor Pérez Díaz; Emigración y cambio social (Ariel 1971) und Cambio tecnológico y procesos educativos en España (Seminario y Ediciones 1972); José Ramón Torregrosa: La juventud española. Conciencia generacional y política (Ariel 1972); José Vidal Beneyto; Las ciencias de la comunicación en la Universidad española (ZYX 1972); Rafael López Pintor und Ricardo Buceta: Los españoles de los años setenta (Tecnos 1975). 27 Juan J. Linz, Professor an der Yale University, hat zahlreiche wichtige Arbeiten publiziert, in der Regel in Sammelbänden, die in den USA erschienen sind; vor allem sind davon zu nennen: The Social Bases of Political Diversity in Westem Democracies (1956), An Authoritarian Regime (Spain) (1964), The Party System of Spain: Past and Future (1967), From Falange to Movimiento Organization: The Spanish Single Party and the Franco Regime, 1936-1968 (1970), Oppositon in and under an Authoritarian Regime: The Case of Spain (1970), Intellectual Roles in Sixteenth and Seventeenth Century Spain (1972) usw. 28 Es sei an die folgenden Werke erinnert: Esteban Pinilla de las Heras: Los empresarios y el desarrollo capitalista (Península 1968); Salvador Giner: Historia del pensamiento social (Ariel 1967), Sociología (Península 1968), mit anderen Autoren: Contemporary Europe: Class, Status and Power (1971), La sociedad masa: ideología y conflicto social (Seminarios y Ediciones 1971), El progreso de la conciencia sociológica (Península 1974); Ignacio Sotelo: Sociología de América Latina: Estructuras y problemas (Tecnos 1972); Juan Martínez Alier: La estabilidad del latifundismo español (Ruedo Ibérico 1967); Manuel Castells: La cuestión urbana und Movimientos sociales urbanos (beide Siglo XXI 1974). 29 Für die erforderlichen weiteren Angaben zu jüngeren Soziologen sowie zu den verschiedenen Spezialisten innerhalb der Soziologie vgl. die von Luis González Seara geleitete Revista de Estudios Sociales (die erste Nummer eischien im Jan.-April 1971). Luis González Seara selbst leitete auch das Redakteursteam der Wochenzeitung Cambio 16, die ebenfalls für die Soziologie, vor allem für Kennmisse über die spanische Wirklichkeit, interessant ist. In diesem bibliographischen Überblick ist auch auf die Revista española de opinión pública sowie die Estudios de Información hinzuweisen, beide herausgegeben vom Instituto de Opinión Pública. Ein vielversprechendes Ereignis war 1973 das Erscheinen der ersten Nummer der Papers. Trabajos de Sociología, herausgegeben von Ed. Barrai und der Universidad Autónoma de Barcelona; Beiträge zur ersten Nummer kamen u. a. von Amando de Miguel, Juan Estruch, Joan Marsal, Benjamin Oltra, Juan Salcedo und Esteban Pinilla de las Heras. Gleichfalls 1973 erschien erstmals auch die Zeitschrift Comentario Sociológico, herausgegeben von der Confederación Española de Cajas de Ahorro und geleitet von José Manuel González Páramo, außerdem die Cuadernos de realidades sociales, herausgegeben vom Institut für angewandte Soziologie in Madrid, unter der Leitung von Jesús María Vázquez, O. P. Bei der Durchsicht der aktuellen soziologischen Periodika vergesse man auch nicht die alte Revista Internacional de Sociología des Consejo Superior de Investigaciones Científicas, die weiter vom »Instituto Balmes« herausgegeben wird. Von den Arbeiten

174 In diesem kurzen Abriß der spanischen Soziologie jener Jahre (nützlich dazu sind auch die historischen und bibliographischen Kurzberichte von - neben anderen, schon genannten Autoren - José Cazorla, Guy Hermet, Juan Diez Nicolás oder Federico Munné Matamala und José Castillo) haben auch einige Sammelbände Erwähnung verdient, die mir besonders wichtig scheinen, darunter: España ¿una sociedad de consumo? (Guadiana 1969), mit Beiträgen von José Castillo, Amando de Miguel, José Jiménez Blanco, Carlos Castilla del Pino, Manuel Vázquez Montalbán, Jesús Aguirre, Eduardo Chamorro und Antonio Fernández Alba und mit einer Einführung von Alberto Míguez; Estructura social de Andalucía (1969), mit Beiträgen von Francisco Murillo Ferrol, José Jiménez Blanco, José Cazorla u. a.; das schon erwähnte Kolloquium über Las ideologías en la España de hoy (vgl. Anm. 5); der von Salustiano del Campo herausgegebene Band Los indicadores sociales a debate (Euramérica 1972), an dem zahlreiche Mitarbeiter beteiligt waren; außerdem die Bände I (La sociedad), herausgegeben von Salustiano del Campo, II (La Economía), herausgegeben von Juan Velarde Fuertes, und III (El Estado y la Política), herausgegeben von den beiden Genannten und M. Fraga Iribarne, des Sammelwerkes über das Spanien der siebziger Jahre.30 In diesem allgemeinen Rahmen sind für die Politikwissenschaft (und die Rechtstheorie) aus der Gruppe der jüngsten Generation (die älteren sind schon genannt worden) u. a. José A. González Casanova, Juan Ferrando, Raúl Morado, Lorenzo Martín Retortillo, Gumersindo Trujillo, Manuel Ramírez Jiménez, Jorge de Esteban, Manuel Medina, Roberto Mesa, Pedro de Vega, Jordi Solé-Tura, Miguel Martínez Cuadrado, Francisco Rubio Llórente, Antonio López Pina, Julián Santamaría und Manuel B. García Alvarez zu erwähnend Eine herausragende Stellung unter den in jenen Jahren veröffentlichten Sammelwerken nehmen zweifellos in dieser Disziplin die Estudios de Ciencia Política y Sociología (Homenaje al profesor Carlos Ollero) (1972) ein. In enger Nachbarschaft zu diesem Bereich der Politikwissenschaft stehen auch eine ganze Reihe neuerer Arbeiten über allgemeine Rechtstheorie von verschiedenen Rechtswissenschaftlern und -philosophen, wie z. B. - neben anderen, für deren Erwähnung hier der Platz nicht ausreicht oder die schon genannt wurden - die von Luis Diez Pider jüngeren Soziologen aus jenen Jahren sind u. a. zu beachten: Luis Rodríguez Zúfiiga: Raymond Aron y la sociedad industrial (Instituto de la Opinión Pública 1973); Emilio Lamo de Espinosa: Juicios de valor y ciencia social (F. Torres Editor 1975); José Félix Tezanos: Estructura de clases en la España actual (Cuadernos para el Diálogo 1975); José Juan Toharia: Cambio social y vida jurídica en Espafla: 1900-1970 (Cuadernos para el Diálogo 1974) und El Juez español. Vn análisis sociológico (Tecnos 1975); Angel Zaragoza: Abogacía y política (Cuadernos para el Diálogo 1975). 30 Madrid: Editorial Moneda y Crédito 1972,1973 und 1974. 31 Von ihren neueren Arbeiten, sofern sie nicht an anderen Stellen des vorliegenden Bandes Erwähnung finden, sei z. B. an die folgenden erinnert: Juan Ferrando Badía: La democracia en transformación (Tecnos 1973); Lorenzo Martín Retortillo: Las sanciones de orden público en Derecho español (Tecnos 1973); Manuel Ramírez Jiménez: Supuestos actuales de la ciencia política (Tecnos 1972); Manuel Medina: La teoría de las relaciones internacionales (Seminarios y Ediciones 1973); Antonio López Pina: Estructuras electorales contemporáneas: Alemania y Estados Unidos (Tecnos 1972); Manuel B. García Alvarez: Los clubs políticos en Europa (Confederación española de Cajas de Ahorro 1973). Von den Professoren der vorhergegangenen Generation veröffentlichte damals auch Pablo Lucas Verdú den Curso de Derecho Político, Bd.I (Tecnos 1972).

175 cazo oder Angel Latorre aus der Rechtswissenschaft oder von den Rechtsphilosophen Nicolás María López Calera, José Delgado Pinto, José M. Rodríguez Paniagua, Antonio Fernández Galiano, Luis García San Miguel, Juan Ramón Capella, Gregorio Peces-Barba oder auch vom Autor des vorliegenden Bandes.32 In der Politikwissenschaft im engeren Sinne - die aber auch umfassendere Fragen allgemein soziologischer und politikphilosophischer Art behandelt - ragt als wichtigste Zeitschrift im derzeitigen spanischen Panorama das Boletín informativo de Ciencia Política hervor, das von Carlos Ollero geleitet und vom ersten Lehrstuhl der Abteilung für Staatstheorie und Verfassungsrecht an der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie der Universidad Complutense von Madrid herausgegeben wurde, den Ollero damals innehatte. Dem Redaktionsbeirat gehörten neben Carlos Ollero als Direktor noch Raúl Morodo als stellvertretender Direktor, Pedro de Vega als Sekretär, José J. González Encinar als Vizesekretär und Fernando Finat, Alvaro Gil Robles, Antonio López Pina, Miguel Martínez Cuadrado, Fernando Morán, Alfonso Orti, José P. Pérez Rodrigo, Enrique Ruiz-García, Julián Santamaría und José Vidal als Berater an. Viele der besten spanischen Politikwissenschaftler haben in dieser Zeitschrift Beiträge veröffentlicht. Im Leitartikel der ersten Nummer des Boletín (Juni 1969; die letzte Nummer, die erschien, war Nr. 11-12 im April 1973) bezieht sich Carlos Ollero - wobei vielleicht ein Leitgedanke seines politischen Denkens zum Vorschein kommt - ausdrücklich auf die zwei spanischen Publikationen, denen die neue Zeitschrift in mehrerer Hinsicht am engsten verbunden scheint. Nachdem er zunächst feststellt, »das Boletín [wolle] Ausdruck einer positiven, spezialisierten Auffassung dessen sein, was man heute unter Politikwissenschaft versteht«, schreibt er: »Für ehrgeizigere Projekte und umfassendere formale Bereiche existiert schon die von J. Fueyo geleitete Revista de Estudios Políticos - einer der bedeutendsten und fruchtbarsten kulturellen Faktoren der letzten Jahrzehnte -, an der viele der Professoren des hier als Herausgeber fungierenden Seminars mitgewirkt haben, das die Gelegenheit nutzen möchte, ihr seine Anerkennung auszusprechen. Außerdem wollen wir unsere Erinnerung auf das Boletín de la Cátedra de Derecho Político der Universität von Salamanca lenken, das jahrelang mit beispielhaftem Einsatz von Tierno Galván geleitet wurde.« Diese schon zu vollen Seiten sind nicht der richtige Ort, um weitere Aspekte, Themen und Untersuchungen der Sozialwissenschaften im damaligen geistigen Spektrum Spaniens systematisch zu behandeln, z. B„ wie schon angedeutet, den Methodenstreit 32 Mit den gleichen Einschränkungen wie in den vorhergehenden Anmeldungen sei hier z. B. erinnert an Luis Diez Picazo: Experiencias jurídicas y Teoría del Derecho (Ariel 1973) und Angel Latoire: Introducción al Derecho (Ariel 1968); von den Beiträgen der jüngeren Rechtsphilosophen nenne ich hier nur Werke allgemeinen Charakters, die mit den behandelten Fragestellungen der Politikwissenschaft und der Soziologie in enger Beziehung stehen, wie etwa: Luis Garcia San Miguel: Notas para una crítica de la razón jurídica (Tecnos 1969); Juan Ramón Capella: Sobre la extinción de! derecho y la supresión de los juristas (Ed. Fontaneila 1970); Gregorio Peces-Barba: Derechos fundamentales, I: Teoría general (Guadiana 1973). In der Neuauflage meines Buches Sociología y filosofía del Derecho (Taurus 1974) findet man eine ausführliche Bibliographie der spanischen Rechtsphilosophie, die die knappen Angaben in dieser Anmerkung vervollständigt.

176 in den verschiedenen Disziplinen, die Frage nach der Vorherrschaft der einzelnen Ansätze - analytisch oder dialektisch, kritisch oder empirisch -, nach den sozio-politischen Auswirkungen der verschiedenen Methoden usw., alles Probleme, über die sich in den Sammlungen der erwähnten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften interessante Aufsätze finden lassen.

Anmerkungen zur spanischen

Geschichtsschreibung

Im Rahmen der genannten Einschränkungen möchte ich mich doch etwas ausführlicher mit der geschichtswissenschaftlichen Forschung in Spanien Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre befassen, ohne jedoch den synthetischen, fragmentarischen Charakter dieser Anmerkungen zu vergessen. Dies deswegen, weil ich hervorheben möchte, daß damit im allgemeinen eine bedeutende kritische Revision der spanischen Vergangenheit verbunden war, die selbstverständlich von verschiedenen Historikern mit unterschiedlichen Methoden vorgenommen wurde, wobei aber der Anspruch gültiger wissenschaftlicher Objektivität eine immer wesentlichere Rolle spielte. Es handelt sich also um eine Methodologie, die die unbestreitbare Tatsache der vielfaltigen ideologischen Einflüsse stark berücksichtigt, also den Sinn der Geschichte zu verstehen und zu hinterfragen bemüht ist, die aber stets die Verformungen der Wirklichkeit zurückweisen will, die sich aus ideologischen Ansätzen oder aus Werturteilen bewußt oder unbewußt ergeben k ö n n e n . 3 3 Beginnt man in diesem vielfältigen Kontext mit der politischen Geschichtsschreibung, so kann man von den damals - neben den im Laufe des vorliegenden Bandes schon genannten - veröffentlichten Arbeiten z. B. an die von Manuel Tuñón de Lara, Miguel Martínez Cuadrado, Antoni Jutglar, José A. González Casanova, Javier Tussell, Juan Ferrando, Juan A. Lacomba, Manuel Ramírez Jiménez, Isidre Molas usw. erinnern. 34 Für die Wirtschaftsgeschichte lauten die Namen vor allem Gonzalo Anes,

33 Vgl. in diesem Zusammenhang das - ohne die theoretische Reflexion auszuschließen, für den Forscher enoim pragmatische - wichtige Buch von Manuel Tufión de Lara: Metodología de la historia social de España (Ed. Siglo XXI 1973), wo Arbeitstechniken und -instrumente erläutert und analysiert werden, die für jeden Historiker bzw. für dessen Hauptziel, nämlich die historische Wahrheit zu finden, grundlegend sind, wie immer sein Weltbild (das selbstverständlich jeder Historiker besitzt) beschaffen sein mag. 34 Darunter etwa: Manuel Tufión de Lara: Historia y realidad del poder. El poder y las élites en el primer tercio de la España del siglo XX (Cuadernos para el Diálogo 1967) und seine Estudios sobre el siglo XIX espaflol (Siglo XXI 1971); Miguel Martínez Cuadrado: Elecciones y partidos políticos en España: 1868-1931 (2 Bde., Taurus 1969); Antoni Jutglar: Ideologías y clases en la España contemporánea: 1808-1931 (2 Bde.; Cuadernos para el Diálogo 1968-69), La Espafia que no pudo ser (1971), neben anderen seiner Werke; Juan A. Lacomba: Ensayos sobre el siglo XX español (Edicusa 1972); Manuel Ramírez: Los grupos de presión en la Segunda República española (Tecnos 1969) sowie zusammen mit anderen Autoren die Estudios sobre la II República española (Tecnos 1974); Isidre Molas: Lliga Catalana (Ediciones 62 1972) und später El sistema de partidos políticos en Cataluña: 1931-1936 (Península 1973); vgl. auch zur Geschichte und Soziologie der Wahlen die konkreteren Arbeiten von José A. González Casanova (Tecnos) oder Javier Tussell (Edicusa), zur Ersten Republik - deren Hundertjahrfeier 1973 begangen wurde - die Arbeiten von Juan Ferrando (Edicusa), Juan A. Lacomba (Guadiana) oder José Luis Catalinas und Javier Echenagusia (Alberto Corazón, Ed. Comunicación).

177 Nicolás Sánchez Albornoz, Juan Velarde, Santiago Roldan, José Luis García Delgado und Gabriel Tortella Casares. 35 Von besonderem Interesse für die im vorliegenden Band vorherrschende Perspektive sind einige in den hier behandelten Jahren (1969-1975) erschienene allgemeine Werke zur spanischen Geschichte bzw. zu entscheidenden Epochen sowie vor allem einige Arbeiten, die sich direkt auf wesentliche Kapitel und Fakten der älteren spanischen Geistes- und Kulturgeschichte beziehen. Grundlegend unter den mehr allgemeinen Werken ist beispielsweise die siebenbändige Historia de España, die in den Jahren 1972 und 1973 bei Alianza Editorial und Alfaguara erschien und die von Miguel Artola herausgegeben wurde, der auch Autor von Band V über La burguesía revolucionaria ist; die Autoren der anderen Bände waren Angel Cabo und Marcelo Vigil (Edad antigua), J. A. García de Cortazar (La época medieval), Antonio Domínguez Ortiz (Los Reyes Católicos y los Austrias), Gonzalo Anes (Los Borbones), Miguel Martínez Cuadrado (La burguesía conservadora) und Ramón Tamames (La República. La era de Franco). Gleichfalls ist hier an die drei 1972 von J. A. Maravall veröffentlichten Bücher La oposición política bajo los Austrias (Ariel), Teatro y literatura en la sociedad barroca (Seminario y Ediciones) und vor allem sein großes Werk Estado moderno y mentalidad social: siglos XVXVII (2 Bde., Revista de Occidente) zu erinnern. Außerdem u. a. an die Bücher von Francisco Tomás y Valiente El Derecho penal de la monarquía absoluta (Tecnos 1969) und El marco político de la desamortización en España (Ariel 1971) oder von Josep Fontana La quiebra de la monarquía absoluta: 1814-1820 (Ariel 1971); später dann auch von Bartolomé Clavero El mayorazgo. Propiedad feudal en Castilla: 1369-1836 (Siglo XXI 1974); von Abilio Barbero und Marcelo Vigil Sobre los orígenes sociales de la reconquista (Ariel 1974); von Julio Valdeón Los conflictos sociales en el reino de Castilla en los siglos XIV y XV (Siglo XXI 1975); von Miguel Artola Partidos políticos: 1808-1836 (Aguilar 1975) und von Alberto Gil Novales Las sociedades Patrióticas (1820-1823). Las libertades de expresión y de reunión en el origen de los partidos políticos (2 Bde., Tecnos 1975). Für eine Ideengeschichte des zeitgenössischen Spanien, ein Thema, das - wie gesagt - hier von ganz besonderem Interesse ist, sind - neben den vielen Arbeiten, die 35 Gonzalo Anes: Economía e 'Ilustración en la España del siglo XVIII (Ariel 1969) und Las crisis agrarias en la España moderna (Taums 1970); Nicolás Sánchez Albornoz: España hace un siglo: una economía dual (Península 1968); Juan Velarde Fuertes: Política económica de la Dictadura (Neuauflage) sowie die Aufsätze in El nacional sindicalismo cuarenta años después (Editora Nacional 1972); Leandro Benavides: La política económica de la II República (Guadiana 1972); Santiago Roldán und José Luis García Delgado (unter Mitarbeit von Juan Muñoz und mit einem Vorwort von Juan Velarde Fuertes): die beiden dicken Bände ihres Werkes über La formación de la sociedad capitalista en España: 1914-1920 (Confederación española de Cajas de Ahorro 1973); José Luis García Delgado: Orígenes y desarrollo del capitalismo en España (Cuadernos para el Diálogo 1975) und zuvor die wichtige Vorstudie zu der von ihm besorgten Ausgabe von Constancio Bernaldo de Quirós: El espartaquismo agrario y otros ensayos sobre la estructura económica y social de Andalucía (Ediciones de la Revisla de Trabajo 1973); er hal außerdem 1974 beim gleichen Verlag die Estudios sobre ta agricultura española von Pascual Carrion herausgegeben; dessen Werk Los latifundios en España ist, mit einem Vorwort von Gonzalo Anes, 1973 bei Ed. Ariel neu aulgelegt worden; schließlich Gabriel Tortella Casares: Los orígenes del capitalismo en España (Tecnos 1973).

178 schon im Zusammenhang mit den verschiedenen Sparten des Denkens bzw. mit den verschiedenen historischen Momenten (Krausismus, Costa, 1898, besonders Unamuno, Ortega usw.) erwähnt wurden - hier folgende Werke zu nennen: von Antonio Elorza La ideología liberal en la Ilustración española (Tecnos 1970) und später die Aufsätze zum 18.-20. Jahrhundert, die in seinem Buch La utopía anarquista en la II República (Ayuso 1973) gesammelt sind; von Javier Herrero Los orígenes del pensamiento reaccionario español (Cuadernos para el Diálogo, ITS 1971); von Antonio Heredia Soriano La filosofía 'oficial' en la España del siglo XIX: 1800-1833 (El Escorial 1972); von Jorge Campos Teatro y sociedad en España: 1780-1820 (Ed. Moneda y Crédito 1970); von José Luis Cano Españoles de dos mundos (Seminarios y Ediciones 1974) und Heterodoxos y prerrománticos (Ed. Júcar 1975); von Manuel Tufión de Lara Medio siglo de cultura española: 1885-1936 (Tecnos 1970); von Carlos Blanco Aguinaga Juventud del 98 (Siglo XXI 1970); von Rafael Pérez de la Dehesa El grupo 'Germinal': una clave del 98 (Taurus 1970); von José Luis Abellán Sociología del 98 (Península 1973); von Julio Caro Baroja Semblanzas ideales (über Autoren von 1898, baskische Intellektuelle, die Männer der »Institución Libre de Enseñanza«) (Taurus 1972); von José-Carlos Mainer Literatura y pequeña burguesía en España (Cuadernos para el Diálogo 1972), die schon mehrfach zitierte Historia literaria de una vocación política (1930-1950) sowie La edad de plata. Ensayo de interpretación de un proceso cultural (1902-1931) (Ed. Los libros de la frontera 1975); von Manuel Pastor Los orígenes del fascismo en España (Tucar 1975); von Evelyne López Campillo La 'Revista de Occidente' y la formación de minorías (Taurus 1973); von Mariano Pérez Galán La enseñanza en la II República Española (Cuadernos para el Diálogo 1975); außerdem für das heutige Spanien u. a. von Alfonso Sastre La revolución y la crítica de la cultura (Grijalbo 1970) und von José Luis Abellán La cultura en España. Ensayo para un diagnóstico (Cuadernos para el Diálogo 1971) und La industria cultural en España (beim gleichen Verlag 1975).36

Zu einer Neubewertung der Geschichte des spanischen Sozialismus Innerhalb der kritischen Revision der Geschichte des zeitgenössischen spanischen Denkens, die in einem großen Teil der genannten Werke von verschiedenen, fort36 In enger Beziehung zu diesen Arbeiten über verschiedene Aspekte der spanischen Geistesgeschichte stehen auch solche über Geschichte und Theorie der Literatur (wobei in beiden Fächern soziologisch orientierte Ansätze immer mehr in den Vordergrund rücken). Ich kann hier auf diese literarischen Untersuchungen nicht einmal kurz eingehen; ersatzweise verweise ich auf die Mitarbeiterlisten u. a. der folgenden Reihen klassischer und moderner Bücher und Texte: der bei Ed. Gredos von Dámaso Alonso herausgegebenen »Biblioteca Románica Hispánica«; der Reihe »Clásicos Castalia«, die von Antonio Rodríguez Mollino gegründet und dann von Fernando Lázaro Carreter geleitet und bei Ed. Castalia verlegt wird (vgl. außerdem auch die anderen Reihen dieses Verlages); dann die von Francisco Rico herausgegebene Reihe »Textos Hispánicos Modernos« bei Ed. Labor, usw. Neben den hier genannten Namen und anderen, die sich quasi von selbst verstehen - wie Pedro Sainz Rodríguez, Guillermo Diaz-Plaja, José M. Blecua, Manuel Alvar, Alonso Zamora Vicente usw. - sind auf diesem Gebiet u. a. noch José María Castellet, Andrés Amorós, Sergio Beser, Juan I. Ferreras, C. Pérez Gallego, J.-C. Mainer und Rafael Conte hervorzuheben.

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schrittlich orientierten Standpunkten aus vorgenommen wird, ist das vielleicht charakteristischste und wichtigste Ereignis dieser Jahre 1969-1975 wohl das damals zu verzeichnende ernsthafte Bemühen um ein besseres Verständnis und die Legitimierung des spanischen sozialistischen Denkens. Nach der Wiederaufnahme des Krausismus und des Institutionismus (die schon in früheren Kapiteln behandelt wurden) erreicht man so zweifellos von der »offiziellen Kultur« eine - allerdings der »realen Kultur« zu verdankende - relative, fragmentarische, aber nicht unbedeutende »Rehabilitierung« und Anerkennung einiger Sektoren des spanischen sozialistischen Denkens des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Arbeit der Annäherung an die Geschichte des spanischen Sozialismus (d. h. an eine genauere, objektive Kenntnis davon, unter Vermeidung unkritischer Mythenbildung und jeglichen Personenkults) und das Bemühen um seine historische Legitimierung (ausgehend von Weltanschauungen, die auf der Anerkennung der Freiheit und des Pluralismus gründen) ist das - wie jede Erkenntnis von der Wirklichkeit getränkte - Ergebnis interdisziplinärer Studien sowie der von verschiedenen Spezialisten, genauer: von vielen der schon genannten Politik-, Wirtschafts- und Literaturhistoriker sowie Ideengeschichtler durchgeführten Forschungen; dieses Ergebnis kam aber auch und in ganz besonderer Weise durch Beiträge von Historikern auf dem Spezialgebiet der Arbeiterbewegung zustande.37 Dies - die Erforschung der Kämpfe und Organisationen der Arbeiterklasse in Spanien im 19. und 20. Jahrhundert - ist ein Gebiet, das (in Verbindung mit der allgemeinen Geschichte unseres Landes) in den letzten Jahren der Franco-Zeit einen großen Aufschwung genommen hat und in dem - aus unterschiedlichen ideologischen Blickwinkeln - unbestreitbare Fortschritte gemacht wurden, was die genauere und präzisere Kenntnis dieses Teils der Wirklichkeit betrifft.38 37 Als gules Beispiel für die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Historikern aus dem Bereich der Wirtschaft, der Politik, der Arbeiterbewegung, der gesellschaftlichen Ideen, der Literatur usw. kann man die unter Leitung von Manuel Tuflón de Lara an der Abteilung für Iberische und Ibero-Amerikanische Studien der Universität Pau geleistete Arbeit anfahren, die zwar dem Ziel der besseren Kenntnis und der Legitimierung der Geschichte des spanischen Sozialismus keineswegs gleichgültig gegenüberstand, die aber hauptsächlich dadurch motiviert war, eine objektive, koirekte Kenntnis unserer Geschichte zu erlangen. In diesem Zusammenhang sind die »Kolloquien zur Erforschung der Probleme des zeitgenössischen Spanien« von Bedeutung, die seit 1970 jährlich an der genannten französischen Universität abgehalten wurden; die Unterlagen Uber diese Kolloquien wurden mehrere Jahre lang beim Verlag Cuadernos para el Diálogo publiziert. Die Hervorhebung der Arbeit von Tuflón de Lara bedeutet selbstverständlich weder eine Mißachtung noch eine Geringschätzung dessen, was an anderen Universitätsinstituten für Spanische Geschichte (im Inland und im Ausland) seit geraumer Zeit geleistet wird; auf viele der entsprechenden Veröffentlichungen habe ich schon an anderen Stellen hingewiesen. 38 Vgl. als nützlichen Überblick und Kommentar zu einigen der Bücher über die spanische Arbeiterbewegung, die hier (im folgenden Abschnitt) noch erwähnt werden sollen, den Aufsatz von Juan Pablo Fusi Aizpurúa: Algunas publicaciones recientes sobre la historia del movimiento obrero espaflol, in: Revista de Occidente Nr. 123 (Juni 1973) S. 358-368, in dem der Autor allerdings - neben akzeptabler Kritik und einem lobenswerten Bemühen um wissenschaftliche Objektivität, etwa durch den Hinweis auf zweifelhafte Quellen usw. - gelegentlich einer gewissen Trivialisierung verfällt, wenn er bei manchen der von ihm rezensierten Werke »Moralismus« und »ideologische Entstellungen« feststellt. Ebenfalls zu diesen Büchern und wenig empfehlenswert ist die Arbeit (in der gleichen Zeitschrift, S. 369-278) von Franco Meregalli: Una interpretación marxista de la cultura espaflola de 1885 a 1936, in der es der Autor - der das Werk von Tuflón de Lara zu diesem Thema und das von Carlos Blanco Aguinaga über die Generation von 1898 kommentiert - wagt, über diese Interpretationen der Geschichte des spanischen Geisteslebens im 19.

180 Wir haben hier neben den - teilweise schon in früheren Kapiteln genannten - Werken von Vergés Mundo, Termes Ardevol (dessen Werk für die Neuauflage, Ariel 1972, gründlich überarbeitet wurde), Casimiro Martí, Carlos Seco usw. die Arbeiten von Albert Balcells, darunter vor allem El sindicalismo en Barcelona: 1916-1923 (Nova Terra 1968), El problema agrari a Catalunya, 1890-1936. La qüestid rabassaire (Nova Terra 1968), Crisis económica y agitación social en Cataluña, 19301936 (Ariel 1971) und später Trabajo industrial y organización obrera en la Cataluña contemporánea, 1930-1936 (Laia 1974). Schon Jahre zuvor erschien die Neuauflage der wichtigen und schon klassischen Historia de las agitaciones campesinas andaluzas von Juan Díaz del Moral (Alianza 1967) sowie von Diego Abad de Santillán Historia del movimiento obrero español. I: Desde sus orígenes a la Restauración borbónica (ZYX 1967), von Juan Gómez Casas Historia del anarcosindicalismo español (ZYX 1968), von David Ruiz El movimiento obrero de Asturias: de la industrialización a la Segunda República (Ed. Amigos de Asturias 1968), von Juan Antonio Lacomba La crisis española de 1917 (Ed. Ciencia Nueva 1970), von Fernanda Rumeu Las clases trabajadoras en España: 1898-1930 (Taurus 1970), von J. Alvarez Junco La comuna en España (Siglo XXI1971), von Luis Gómez Llórente Aproximación a la historia del socialismo español hasta 1921 (Cuadernos para el Diálogo 1972) und Rosa Luxemburgo y la social-democracia alemana (Cuadernos para el Diálogo und Enlace 1975), von Manuel Tuñón de Lara El movimiento obrero en la historia de España (Taurus 1972), eine Überarbeitung und Erweiterung früherer Studien und Veröffentlichungen des Autors zu diesem Thema, von Jaime Castiñeiras Muñoz und Javier Domínguez Martín-Sánchez Un siglo de lucha obrera en España (Ed. Mensajero 1971), von Antonio Elorza, María del Carmen Iglesias und Tomás Giménez Araya Burgueses y proletarios. Clase obrera y reforma social en la Restauración: 1884-1889 (Laia 1973), von Antonio María Calero Historia del movimiento obrero en Granada: 1909-1923 (Tecnos 1973), von Miguel Izard Industrialización y obrerismo. Las tres clases de vapor: 1869-1913 (Ariel 1973), von B. Díaz Nosty La comuna asturiana. Revolución de Octubre de 1934 (ZYX 1974), von J. Aisa und V. M. Arbeloa Historia de la Unión General de Trabajadores (ZYX 1975) und von J. P. Fusi Política obrera en el País Vasco (1880-1923

und 20. Jahrhundert zu schreiben und sie zu kritisieren, obwohl er u. a. zugibt (S. 370), daß Jaime Vera »für mich ein Unbekannter war, als ich jene Seite 19 las« (nämlich des Buches von Tufión, das gerade dem Werk Veras große Bedeutung beimißt). Vgl. für eine ganz andere Einstellung und zugleich echten wissenschaftlichen Anspruch den Aufsatz von Manuel Tufión de Lara: Expansión de los libros de historia, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 120 (Sept. 1973) S. 37-39. 39 In diesem Abschnitt zur Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung, die selbstverständlich in enger Beziehung mit allen Problemen der sozialen und ökonomischen Zeitgeschichte unserer Landes steht, muß auf jeden Fall die Arbeit erwähnt werden, die von verschiedenen Spezialisten dieses Themas seil einigen Jahren im Umfeld der vom Technischen Generalsekretariat des Arbeitsministeriums herausgegebenen Revista de Trabajo geleistet wird; in der Zeitschrift sind neben wertvollen neuen Forschungsarbeiten auch äußerst wichtige historische Texte und Dokumente erschienen, von denen viele aus den zum Ministerium gehörenden Archiven des alten »Instituts für soziale Reformen« stammen.

181 In enger Beziehung zur Geschichte der Arbeiterbewegung steht selbstverständlich die Geschichte der sozialistischen Ideen in Spanien im 19. und 20. Jahrhundert.^ Diesbezüglich und ganz allgemein hinsichtlich der Wiederaufnahme liberaler und fortschrittlicher Denktraditionen ist daran zu erinnern, daß es erst seit Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre, und auch dann nur mit großer Vorsicht, im Spanien der Franco-Zeit möglich war, einige Fragen und Werke des spanischen sozialistischen Denkens zu behandeln. So wurden 1968 zwei schon klassische Werke neu aufgelegt: von Juan José Morato Pablo Iglesias Posse, educador de muchedumbres (Ariel), über den Gründer und geistigen Vater der PSOE (dessen Todestag sich 1975 zum fünfzigsten Mal jährte, aus welchem Anlaß die Zeitschrift Sistema ihm eine ganze Ausgabe widmete [Nr. 11 vom Okt. 1975]), und von dem anarchistischen Theoretiker Federico Urales (Pseudonym von Juan Montseny) La evolución de la filosofía en España (Ediciones de Cultura Popular). 41 1969 erschien ebenfalls ein Büchlein über Pablo Iglesias: de su vida y de su obra von Julián Zugazagoitia (Ed. Zero). Später gab Antonio Elorza eine nützliche kommentierte Anthologie Socialismo utopico español heraus (Alianza 1970), mit Texten u. a. von José Andrés de Fontcuberta, Joaquín Abreu, Manuel Sagrario de Veloy, Ramón de la Sagra, Abdón Tenadas, Alfonso García Tejero, Narciso Monturiol, Francisco José Moya, Fernando Garrido und Sixto Cámara. Víctor Manuel Arbeloa veröffentlichte eine Auswahl der von Juan José Morato verfaßten Biographien herausragender Arbeiterführer (Líderes del movimiento obrero español, 1868-1921, Cuadernos para el Diálogo 1972), darunter Francisco Mora, Anselmo Lorenzo, Rafael Farga Pellicer, Tomás González Morago, José Mesa, Pablo Iglesias, Antonio García Quejido, Jaime Vera usw. Zu erwähnen sind auch - neben anderen historischen Texten und Dokumenten - die Neuauflagen verschiedener Arbeiten von Fernando Garrido (z. B. La Federación y el socialismo, Ed. Mateu 1970, kommentiert und ausgewählt von Jorge Maluquer de Motes) sowie, unter dem Titel La clase obrera española a finales del siglo XIX (Ed. Zero 1970), die Publikation der berühmten mündlichen und schriftlichen Arbeiterbefragung, die in den Jahren 1884-1885 von der offiziellen 40 Dabei sind naturlich auch die Hinflasse anderer Ideologien auf die spanische Arbeiterklasse nicht zu vergessen, insbesondere der katholischen Soziallehre. Zu diesem wichtigen Thema - das sich inzwischen in Spanien ganz anders darstellte als im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - und ganz allgemein zu der entsprechenden Haltung der spanischen Kirche in der damaligen Zeit sei hier auf einige äußerst nützliche Bücher verwiesen: von Gregorio Peces-Barba: Persona, Sociedad y Estado (Pensamiento social y político de Maritain), Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1972, in dem diese Fragen im wieder erwähnt werden; dann von Andrés Ollero Tassara: Universidad y política. Tradición y secularización en el siglo XIX, Madrid: Instituto de Estudios Políticos 1972; von José Manuel Cuenca: Estudios sobre la Iglesia española del XIX, Madrid: Rialp 1973 (vom gleichen Autor ist auch Aperturismo e integrismo en la Iglesia española decimonónica, Sevilla 1970); von José M. Castells: Las asociaciones religiosas en la España contemporánea. Un estudio jurídico-administraüvo: ¡867-1965, Taurus 1973; außerdem von Víctor Manuel Aibeloa: Socialismo y anticlericalismo, Taurus 1973; für einen direkteren Bezug zu dem hier angesprochenen Thema (über das u.a. auch Guy Heimet, Oscar Alzaga, Javier Tussell usw. gearbeitet haben) vgl. von Domingo Benavides: El fracaso social del catolicismo español. Arboleya Martínez: 1870-1957, Nova Terra 1973. 41 Diese Neuauflage von Evolución de la filosofía en España, die auch ein bedeutendes Vorwort von Rafael Pérez de la Dehesa enthält, umfaßt nur den letzten Teil des gesamten Werkes von Urales, ab dem Kapitel über den philosophischen Ursprung des spanischen Sozialismus.

182 »Kommission für Soziale Reformen« in Madrid durchgeführt wurde; 42 und schließlich das berühmte Werk von Anselmo Lorenzo El proletariado militante (Alianza Editorial 1974). In einer Rekonstruktion der Geschichte der spanischen sozialistischen Intellektuellen (bzw. einer umfassenderen Geschichte der spanischen Intellektuellen und des Sozialismus) könnte und müßte wohl Jaime Vera chronologisch einer der ersten Plätze zugewiesen werden. Wir besitzen über ihn das unverzichtbare, von Juan José Castillo herausgegebene Buch Ciencia y proletariado. Escritos seleccionados de Jaime Vera (Ed. Cuadernos para el Diálogo 1973), in dem - neben einer interessanten Einführung des Herausgebers mit dem Titel »Jaime Vera en los primeros años del PSOE« (S. 758) und einer Reihe nützlicher Dokumente im Anhang - ein großer Teil der Texte (Artikel, Berichte usw.) abgedruckt ist (S. 79-332), die dieser sozialistische Intellektuelle veröffentlicht hat, sowie eine ziemlich vollständige Bibliographie seines philosophischen, politischen und medizinisch-wissenschaftlichen Schaffens. Eine weitere wertvolle Einführung in sein Denken ist »Jaime Vera y el primer socialismo español« von Marcos Sanz Agüero, erschienen im Boletín Informativo de Ciencia Política Nr. 8 (Madrid, Dez. 1971), und schließlich die Arbeit von Tomás Giménez Araya über Jaime Vera und seinen Bericht an die Kommission für Soziale Reformen (abgedruckt in dem Band Burgueses y proletarios, Laia 1973). Von besonderem Interesse ist auch das von M. Pérez Ledesma herausgegebene Werk El pensamiento socialista español a principios de siglo (Madrid: Ediciones del Centro 1974). Für die einzelnen Etappen dieser Geschichte wäre erneut die ganze moderne Literatur über den Krausismus, Costa, die Generation von 1898, Ortega usw. durchzusehen (wo man immer Hinweise auf Verbindungen und Unterschiede zum spanischen Sozialismus findet), bis hin zu Araquistáin und vor allem - wenn man von Intellektuellen spricht - Femando de los Ríos und Julián Besteiro. Über ersteren (von dem 1962 bei Losada in Buenos Aires El pensamiento español contemporánea, mit einem Vorwort von Luis Jiménez de Asúa, veröffentlicht wurde) kann man auf die Arbeit von Raúl Morado »Introducción al pensamiento político de Araquistáin« (erschienen im Boletín Informativo de Ciencia Política Nr. 7 vom Aug. 1971) und das Buch von Marta Bizcarrondo Araquistáin y la crisis socialista en la II República (1934-1936) (Siglo XXI 1975) verweisen. Über Femando de los Ríos - dessen Mi viaje a la Rusia sovietista 1970 von Alianza neu aufgelegt wurde - verfügen wir über die Dissertation von Virgilio Zapatero Fernando de los Ríos: los problemas del socialismo democrático (veröffentlicht 1974 beim Verlag Cuadernos para el Diálogo in der Reihe ITS). Über Julián Besteiro - dessen Marxismo y antimarxismo 1967 von ZYX neu aufgelegt wurde - gibt es schon mehrere Publikationen: das Buch von Andrés Saborit Julián 42 Dahn sind - neben dem Text der mündlichen Berichte von Antonio García Quejido, Pablo Iglesias u. a. - schriftliche Stellungnahmen zur Situation der spanischen Arbeiterklasse gesammelt, die von der »Institución Libre de Enseñanza«, dem Ateneo usw. abgegeben oder von Sozialisten wie Pablo Iglesias selbst (im Namen der Vereinigung des Druckerhandwerks) und Jaime Vera (im Namen der Agrupación Socialista Madrileña) verfaßt wurden.

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Besteiro (mit einem Vorwort von Luis Jiménez de Asúa; Buenos Aires: Losada 1967); das von Alberto Míguez El pensamiento filosófico de Julián Besteiro (Taurus, Colección Cuadernos, 1971); den Aufsatz von Marta Bizcarrondo - die vor kurzem auch eine Dissertation über Largo Caballero vorgelegt hat - »Julián Besteiro, socialismo y democracia« (Revista de Occidente Nr. 95 vom Jan. 1971); und vor allem die wichtige Untersuchung (Dissertation) Filosofía y Política en Julián Besteiro (Cuadernos para el Diálogo, Colección ITS, 1973) von Emilio Lamo de Espinoza, der schon 1970 - zu Besteiros hundertstem Geburtstag - beim gleichen Verlag in der Reihe »Los Suplementos« seine Arbeit Julián Besteiro: El problema de Marruecos y la guerra europea veröffentlicht hatte. Sowohl von Fernando de los Ríos als auch von Julián Besteiro werden in jenen Jahren (bei Taurus, Castalia und anderen Verlagen) einige Hauptwerke wieder veröffentlicht.^ Zu erwähnen ist auch das Buch von Pelai Pagés Andreu Nin: su evolución política (ZYX 1975). Trotz ihrer Begrenztheit ist die »Wiederentdeckung« des spanischen sozialistischen Denkens, die dessen objektive und kritische Überprüfung neben der Anerkennung seiner positiven Leistungen und zukünftigen Möglichkeiten nicht ausschließt (sondern im Gegenteil erfordert), von großer Bedeutung; das gleiche gilt für die »Rehabilitierung« einer Reihe wichtiger Persönlichkeiten der republikanischen Politik (Azaña steht in der aktuellen Literatur wohl an erster Stelle). Das Ziel ist derzeit noch weit entfernt; aber man kann immerhin sagen, daß in der spanischen Geschichtsschreibung doch allmählich eine genauere Information und zugleich trotz aller Hindernisse (auch infolge des größeren zeitlich-emotionalen Abstands) wissenschaftliche Forschung möglich wurde, selbst im Hinblick auf so umstrittene Zeiten wie die Zweite Republik oder sogar den Bürgerkrieg - wenn auch vielleicht nicht über alle, so doch zumindest über bestimmte Aspekte davon. 44 43 Neben den genannten Arbeiten über die sozialistischen Intellektuellen in Spanien vgl. auch die kurze Biographie, die José Gutiérrez-Rave vor Jahren (Madrid 1965) über Julián Besteiro unter der Rubrik »Celebridades« für die populäre Reihe »Biografías« verfaßt hatte. In der gleichen Reihe erschien im darauffolgenden Jahr (1966) die über den Doctor Juan Negrin, deren medizinisch-wissenschaftlicher Teil von J. Alvarez Sierra und deren politisches Profil von José Gutiérrez-Rave verfaßt wurde. Seit geraumer Zeit arbeitet Juan Manchal an einer umfassenden Arbeit Uber die Persönlichkeit und das politische Handeln Juan Negrins. Vgl. auch den Aufsatz von Andrés de Blas: Prensa del sector caballerista del PSOE en la II República española (bezogen vor allem auf die Zeitschriften Leviatán und Claridad; der Aufsatz erschien in der wichtigen monographischen Nummer der Estudios de Información - s. o. Anm. 29 - zum Thema »Contribución a la historia de la prensa española contemporánea« (Nr. 21-22, Jan.-Juni 1972); vgl. ebenfalls den von Enrique López Sevilla besorgten Sammelband El Partido Socialista Obrero Español en las Cortes Constituyentes de la II República, Mexiko-Stadt: Ed. Pablo Iglesias 1969. Angesichts der wenigen Veröffentlichungen zu diesem Thema und im Dienste einer Gesamtübersicht ist mit seinen politischen Ansätzen und Standpunkten jener Zeit auch das (selbst von streng sozialistischen Sektoren Beachtung verdienende) Buch Tragedia del socialismo español (un estudio de los procesos socialistas en España) von Manuel Cantarero del Castillo (Madrid: Dopesa 1971) interessant; größere Einwände lassen sich gegen das trotzdem noch nutzliche Buch von Ricardo de la Cierva: La historia perdida del socialismo español, Madrid: Editora Nacional 1972, vorbringen. 44 Die Literatur zum spanischen Bürgerkrieg beeindruckt schon durch ihre Fülle. An ihrem Anfang steht u. a. das Buch von Manuel Aznar: Historia militar de la guerra de España (erschienen 1940). Aus neuerer Zeit gibt es - nach den schon klassischen Arbeiten von H. Thomas (1961), Broué-Témine (1961), H. R. Southworth (1963), G. Jackson (1965) usw. und neben vielen anderen Arbeiten spanischer Autoren - als bibliographische Informationsquelle von Javier Malagón: Historiografía de la guerra civil española, in: Panoramas Nr. 16 (Mexiko-Stadt, hrsg. von Victor Alba, Juli-Aug. 1965) S. 203-221; dann vor allem die von Vicente Palacio Atard herausgegebenen und vom Lehr-

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Notwendigkeit und Möglichkeit demokratischen Wandels in Spanien Die Geschichte und die Interpretation dieser Geschichte beeinflussen zweifellos die Gegenwart. Und die ganze soeben aufgeführte Geschichtsschreibung steht - je nach Autor und Ausrichtung mehr oder weniger - im Gegensatz zur spanischen politischen Realität jener Jahre, die - wie schon gesagt - geprägt ist durch unübersehbare institutionelle Stagnation, durch immer stärkere Akzentuierung des Bruchs nicht nur zwischen ökonomischer Basis und politischem Überbau, sondern zwischen den - politischen und intellektuellen - Sektoren des gesamten Überbaus selbst, was zu deutlich wahrnehmbaren individuellen und gesellschaftlichen Spannungen und Konflikten auf den verschiedensten Ebenen des spanischen Lebens jener Jahre führt.45 Angesichts dieser Situation politisch-institutioneller Unbeweglichkeit, die bis zur reinen und simplen inneren Dysfunktionalität ging, 46 war es logischerweise in jenen Jahren eine Hauptsorge, aus dieser Situation (je nach den verschiedenen Standpunkten) einen »Ausweg« zu finden, und zwar - wie sich in den Einstellungen von immer mehr Personen immer klarer und entschiedener abzeichnete - durch die zunehmende Einrichtung von freien politischen Partizipationskanälen, die - ohne Gewalt oder katastrophale Brüche - den allmählichen Übergang zur Errichtung einer echten Demokratie in Spanien ermöglichen sollten. Dies war wohl die Grundbedeutung zahlreicher Bücher über die Möglichkeiten einer solchen Entwicklung, die in den letzten Jahren in Spanien erschienen und von denen ich vor allem zwei - ganz unterschiedlich ausgerichtete - Werke hervorheben möchte: vorwiegend zum Bereich des politischen Denkens gehört das Buch von Diostuhl für Zeitgeschichte der Universität Madrid publizierten Cuadernos bibliográficos de la guerra de España, von denen die erste Nummer 1966 erscheint. Auf mehr allgemeiner historischer Ebene (hier ist nicht der Ort, um Monographien über speziellere Themen und Ereignisse zu nennen) sind zu erwähnen: von Ricardo de la Cierva: Historia de la guerra civil española. I: Perspectivas y antecedentes, Madrid: San Martín 1969; vom selben Autor auch zwei frühere Arbeiten zu diesem Thema: Cien libros básicos sobre ¡a guerra de España und Bibliografía sobre ¡a guerra de España; vgl. auch seinen Beitrag (über die spanische Armee in der Nationalzone während des Bürgerkrieges) und den von R. Salas Larrazábal (über die republikanische Armee) in dem von R. CaiT herausgegebenen Sammelband Estudios sobre la República y la Guerra civil, engl. Ausg. 1971, span. Übersetzung: Ariel 1973 (der Band enthält außerdem Arbeiten von E. Malefakis, R. Robinson, S. Payne, B. Bolloten, R. H. Whealey und H. Thomas). Außerdem wurden verschiedene Dokumentationen und Interviewbände von Carlos Rojas bei Ed. Nauta verlegt (auch Erinnerungen und Berichte anderer Autoren) sowie nach 1967 bei Ariel von Luis Romero: Tres días de julio (18,19 y 20 de 1936), von José Maria Gil Robles: No fue posible la paz, in Zusammenhang damit von Joaquín Chapaprieta: La pai fue posible. Memorias de un político (1971), das schon erwähnte Buch von Ramón Tamames: La República. La era de Franco (1973), später dann das wichtige Werk von Angel Viñas: La Alemania nazi y el 18 de julio (Alianza 1974) und das emotionale Plädoyer des Generals Vicente Rojo: España heroica (Ariel 1975). 45 Ein bewegendes, kritisches und nostalgisches, gelegentlich auch zweifelhaftes Bild unseres Landes in jenen Jahren findet sich in dem Buch über die Rückkehr nach und das Wiedersehen mit Spanien von Max Aub: La gallina ciega. Diario español, Mexiko-Stadt: Joaquín Mortiz 1971. 46 Vgl. zu dieser Situation die Arbeit von Kenneth N. Medhurst: Government in Spain. The Executive at Work, Oxford: Pergamon Press 1973; neben anderen mehr journalistischen Büchern, die für die Geschichte der letzten Jahre des Franco-Regimes nützlich sind, vgl. z. B. von Joaquín Bardavío: La estructura del Poder en España, Madrid: Ibérica Europea de Ediciones 1969, sowie von der »Mundo«-Gruppe: Los 90 ministros de Franco, Barcelona: Dopesa 1970; nach diesem Buch hat es bisher schon zwei neue Regierungen gegeben: die vom Juni 1973 und, nach dem Tod von Carrero Blanco, die - vorläufig mit einigen kleineren Blessuren davongekommene - vom Januar 1974 unter Vorsitz von Arias Navarro.

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nisio Ridruejo Entre literatura y política (Seminarios y Ediciones 1973), das neuere Aufsätze enthält (alle, auch die systematischsten und objektivsten, mehr oder weniger autobiographisch), die eindeutig an einer wahrhaftig liberalen und demokratischen oder, wie Ridruejo selbst mit Recht sagt, sozialdemokratischen - Philosophie orientiert sind; 47 mehr in einen technischen, rechtlich-institutionellen Bereich (jedoch aus Vorstellungen abgeleitet, die mit der besagten demokratischen politischen Philosophie übereinstimmen) das wichtige Werk Desarrollo político y Constitución española (Ariel 1973), das von Jorge de Esteban so hervorragend zusammengestellt wurde und an dem außerdem Santiago Varela Díaz, Luis López Guerra, José Luis García Ruiz und Francisco Javier García Fernández mitgearbeitet haben (die Ausgabe enthält überdies ein interessantes, programmatisches Vorwort von Manuel Jiménez de Parga, in dem es zu einem der damals drängendsten und das zentrale Anliegen des Buches betreffenden Probleme ausdrücklich heißt: »Ohne politische Bürgervereinigungen ist eine politische Entwicklung unmöglich«). 4 « Für diesen problematischen Übergang unseres Landes zur Demokratie kann, so glaube ich, der Beitrag entscheidend sein, den ein zutiefst humanistisches und liberales, allen radikalen Unzulänglichkeiten und Grundmängeln der aktuellen kapitalistischen Gesellschaft kritisch gegenüberstehendes Denken leistet, das deswegen zugleich auch eine wirkliche kritische Beleuchtung der internen realen Widersprüche und der totalitären Auswüchse mancher vergangenen und gegenwärtigen Systemformen darstellt, die sich selbst als sozialistisch bezeichnen. 4 ?

47 Damit verschreibt sich Dionisio Ridruejo einer politischen Definition, der, wie ich glaube, viele Spanier zustimmen würden. So sagt er (S. 21g): »Ich verstehe mich auf kulturellem Gebiet als liberal. Das heißt, liberal in dem Sinne, daß ich Kritik auf jeder Ebene für einen Pflichtdienst der menschlichen Freiheit an der Gesellschaft halte, in der man lebt Dies bedeutet Beschränkung und Kontrolle der Macht. Ich erkläre mich zugleich als Demokrat, was die Organisation und Legitimation der Macht betrifft. Und ich verstehe mich als gemäßigter Sozialist bzw. als Sozialdemokrat im Hinblick auf den Wunsch nach einem allmählichen gesellschaftlichen Wandel, der die Ökonomie den Bedürfnissen der Menschen unterordnet, anstatt sie zu einem Instrument klassistischer Herrschaft zu machen.« 48 Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten lassen sich u. a. auch die Untersuchungen (über Macht und Recht, Menschenrechte und politische Vereinigungen) erwähnen, die José Maria Gil Robles in seinem Buch Por un Estado de Derecho, Barcelona: Ariel 1969, zusammengestellt hat, oder auch das Buch von Miguel Herrero de Mifión: El principio monárquico (un estudio sobre la soberanía del rey en las Leyes fundamentales), Madrid: Edicusa 1972; außerdem die monographische Nummer der Revista de la Universidad de Madrid zum Thema »Sobre el concepto de desarrollo político« (Vo. XXI Nr. 81 von 1972), an der neben ausländischen Spezialisten José Luis Bermejo Cabrero, Manuel Fraga Iribame, Luis Garcia San Miguel, Alvaro Gil-Robles Gil-Delgado, Manuel Medina, Carlos Moya, Gregorio Peces-Barba und Javier Tussell mitgearbeitet haben. Für eine kritische Analyse des genannten Werkes von Jorge de Esteban vgl. den Aufsatz von Julián Santamaría: Realismo y utopía del desarrollo político espaflol, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 122 (Nov. 1972) S. 19-22. Die 1972 von der Regierung verbotene Tageszeitung Madrid (R. Calvo Serer) zeichnete sich damals als liberalste und dem Regime am kritischsten gesonnene spanische Zeitung aus; vgl. auch später die Wochenzeitungen Cambio 16 (Luis González Seara) und, weiter links stehend, Triunfo (E. Haro Tecglen). 49 Viele wichtige Gedanken zu einer solchen kritischen, pluralistischen und demokratischen Revision der gegenwärtigen Deformationen sowohl in manchen Formen des Sozialismus als auch der heutigen kapitalistischen Gesellschaft lassen sich finden in dem Buch von Luis Garcia San Miguel: La sociedad autogestionada: una utopía democrática, Madrid: Seminarios y Ediciones 1972; auf einer mehr rechtlich-institutionellen, den verschiedenen Formen von politischem Autoritarismus und Totalitarismus kritisch gegenüberstehenden Ebene läßt sich - neben vielen anderen ähnlich ausgerichteten Arbeiten - mein Buch Estado de Derecho y sociedad democrática, Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1966, mit mehreren Neuauflagen, anführen.

186 Auf dieser allgemeinen Linie, jedoch intern mit einer Vielfalt von Ansätzen und Tendenzen, ist - neben verschiedenen anderen spanischen Publikationen und keineswegs als »Höhepunkt der Zeit«, nicht einmal der hier betrachteten Zeitspanne - die Zeitschrift Sistema anzusiedeln, die seit Januar 1973 in Madrid erscheint. Im Leitartikel der ersten Nummer wird, nachdem von den Mitgliedern des Redaktionsteams50 gesagt wird, daß sie der Generation der »kurz vor Beginn des inzwischen schon weit zurückliegenden Bürgerkrieges Geborenen« angehören, besonders ein gemeinsamer Wunsch betont, der bei ihnen in der Zeit seit dem Bürgerkrieg entstanden war: »daß sich ein solcher Kampf nicht wiederholen und daß der Bürgerkrieg als historische Tatsache akzeptiert werden möge. Später lernten wir, daß ein solcher Entschluß neben vielem anderen Großmut, Toleranz, Freiheit und die gerechte Überwindung sozialer und ökonomischer Ungleichheiten erfordert, also im Grunde die Errichtung eines Landes, in dem die notwendigen Grundlagen für eine echtes Geistesleben und das freie Zusammenleben der Bürger gelegt sind; und genau dies sind weitgehend unsere Ziele (d. h. die politische, kulturelle und soziale Philosophie, die demnach dieser Zeitschrift - auf flexible Weise - zugrundeliegen wird), wobei wir uns selbstverständlich keineswegs als ihre einzigen oder auch nur qualifiziertesten Interpreten betrachten, sondern bestenfalls als einen zahlenmäßig und qualitativ begrenzten Teil der Vertreter dieser Philosophie.«

Spanien und das Problem der

Regionalkulturen

Im Rahmen eines möglichen zukünftigen friedlich-demokratischen Zusammenlebens aller Spanier wird sicher ganz besonders ein Problem zu berücksichtigen - und eine Lösung dafür zu finden - sein, das zwar in Spanien in all diesen Jahren immer existierte, das aber, wie ich glaube, zum zentralen Problem oder doch zumindest zu einem der Hauptprobleme unserer nahen und fernen Zukunft werden wird. Ich beziehe mich auf das - in ganz unterschiedlichen Ausprägungen und auf verschiedenen Ebenen vorhandene - Problem der spanischen Länder: Baskenland, Katalonien, Kastilien, Galizien usw., das an der Wurzel einer nun dringend notwendigen (wirtschaftlichen, administrativen und kulturellen) Dezentralisierung und einer gewissen Autonomie des lokalen Lebens liegt. Es geht also im Grunde um das Problem der Regionen, und zwar nicht nur der traditionell gegenüber dem Madrider Zentralismus am meisten sensibilisierten Regionen, sondern auch aller großen und kleinen Gemein-

so Der erste Redaktionsrat von Sistema. Revista de Ciencias Sociales setzte sich zusammen aus: José Luis Abellán, Rafael Arias Salgado, Miguel Boyer, Antonio Elorza, Jorge de Esteban, Francisco Fernández Santos, Luis G. San Miguel, Enrique Gimbemat, Amaro González Mesa, Javier Herrero, José María Maravall, Miguel Martínez Cuadrado, Diego Mateo del Peral, Roberto Mesa, Enrique Miret Magdalena, Femando Moián, Raúl Morodo, Carlos Moya, Javier Muguerza, Gregorio Peces-Barba, Víctor Pérez Díaz, Gonzalo Puente, Ignacio Sotelo, Gabriel Tortella Casares, Leopoldo Torres Boursault und Pedro de Vega; geleitet wird die Zeitschrift von Elias Díaz, Sekretär ist José Félix Tezanos; Sistema wurde damals vom Instituto de Técnicas Sociales der Stiftung »Fondo Social Universitario« herausgegeben, deren Präsident Joaquín Ruiz-Giménez war.

187 Schäften der verschiedenen Volksgruppen, aus denen Spanien besteht.51 Die dezentralistischen Tendenzen scheinen mir - solange sie frei sind von überholten , dysfunktionalen Isolierungsgelüsten und »kantonistischen« Brüchen - keineswegs staatsauflösenden bzw. spaltenden Charakter zu besitzen, sondern ganz im Gegenteil für ein gemeinsames Spanien äußerst positive, vorteilhafte Einstellungen zu verkörpern. Lain Entralgo, der zur Zeit des Hurrapatriotismus der vierziger Jahre in einem angeblich problemfreien Spanien das »Problem Spanien« aufgeworfen und dabei besonders die kulturellen Unterschiede und die Vielfalt der Denktraditionen in der spanischen Vergangenheit und - latent - auch in der Gegenwart hervorgehoben hatte, hat jetzt in seinem Buch mit dem bezeichnenden Titel A qué llamamos España (1971) diese regionalen Eigenarten noch eingehender behandelt und erneut auf die Notwendigkeit hingewiesen, »nicht nur die verschiedenen 'Differentialfakten', sondern auch die unterschiedlichen Ideologien und Lebens weiten [zu vereinen], die innerhalb des Staatsgebiets bestehen«. So fragt sich Lain zutiefst besorgt, aber noch nicht resigniert: »Ist dieses Projekt bei uns wirklich möglich? Lassen sich alle diese Arten und Weisen des Fühlens, Sprechens, Denkens und Lebens, die innerhalb der spanischen Gesellschaft existieren, harmonisch miteinander vereinen - selbst wenn diese Harmonie nicht idyllisch sein könnte?« Es handelt sich bei diesem Problem selbstverständlich auch um einen Klassenkonflikt (heutzutage kann es nicht mehr um kleinmütigen Provinzialismus oder neue nationalistische - jetzt: klein-nationalistische - Mythen gehen, die natürlich auch von bestimmten ökonomischen Interessen instrumentalisiert werden können); aber es geht in Spanien doch zugleich um ein Problem von Regionen, Volksgruppen, Ländern: Katalonien, Baskenland, Galizien, Valencia, Aragonien, Kastilien, Andalusien ... Lain (Aragonier) wiederholt es immer wieder: Solange es zwischen den spanischen Volksgruppen keinen echten gegenseitigen Respekt im Rahmen allgemein demokratischer Leitlinien gibt, »wird das historische und soziale Leben der Spanier nicht aufhören, von innen heraus Konflikte zu erzeugen.«52 51 Vgl. zu diesem Thema u. a. das von Sebastián Martín Retortillo herausgegebene Werk Descentralización trativa y organización política, 2 Bde., Madrid: Alfaguara 1973.

adminis-

52 Im Hinblick auf verschiedene ungerechtfertigte Zustände im französischen und im spanischen Baskenland bemerkt Lain in einer Fußnote: »Zu den Veränderungen in der politischen und administrativen Struktur des Landes, die seine tatsächliche Vielfalt erforderlich macht, vgl. die - unterschiedlichen und doch übereinstimmenden - neueren Überlegungen von Dionisio Ridruejo in Escrito en España, von Salvador de Madariaga in Memorias de un federalista und von Joaquín Ruiz-Giménez in den 'Cuadernos para el Diálogo' (August-September 1967). Ich bin davon überzeugt, auch wenn ich es nicht dokumentarisch belegen kann, daß sich bei einem großen Teil der heutigen spanischen Jugend eine 'föderalistische' Geisteshaltung herausgebildet hat, um es mit dem Wort zu sagen, das Madariaga im Titel seines Buches benutzt hat« (S. 151). Für eine politikwissenschaftliche Untersuchung dieser wichtigen regionalistischen bzw. föderalistischen Haltung vgl. aus der spanischen Literatur jener Jahre die Arbeiten von Juan Ferrando Badía, besonders Las autonomías regionales en la Constitución italiana de 1947 (erschienen 1962) sowie die Formas de estado desde la perspectiva del Estado regional (1965) und von Gumersindo Trajillo: Introducción al federalismo español. Ideologías y fórmulas constitucionales, Madrid: Cuadernos para el Diálogo 1971. Diese Vorstellung vom regionalen, föderativen Staat und seiner rechtlich-politischen Institutionalisierung wäre selbstverständlich auch gut mit dem meines Erachtens für Spanien äußerst wünschenswerten Ziel der europäischen Einbindung vereinbar. Ruiz-Giménez hat mehr als einmal von der Bedeutung des Projekts eines »Europa der Regionen« gesprochen. Vgl. zu diesen Punkten u. a. auch die Bücher von Luis Sánchez Agesta: España al encuentro de Europa, Madrid:

188 Ich bin sicher, daß meine hier vorliegenden Anmerkungen zum spanischen Denken in der Franco-Zeit - trotz der Überarbeitung, der sie in den letzten Jahren mehrmals unterzogen wurden - noch immer »unvermeidbar« an einem »Kastilianismus« (ja sogar »Madrilenismus«, obwohl der Autor selbst kein Madrider ist) kranken, der sich noch nicht einmal mit dem »Argument« rechtfertigen ließe, daß dies ja ganz logisch ist, da der politisch-administrative Zentralismus in all den Jahren auch einen starken kulturellen Zentralismus und in der Folge eine Verarmung der anderen Kulturregionen bewirkt hat. Richtig ist, daß diese (einer solchen Verarmung zweifellos Vorschub leistende) Situation in vielen dieser Kulturregionen trotz aller Schwierigkeiten überwunden werden konnte, so daß man sagen kann, daß das Hauptproblem (sofern es nicht bloß auf mangelnder Objektivität oder Information beruht) noch immer in der größeren Aufmerksamkeit und scheinbaren Bedeutung liegt, die - wie Unamuno kritisch bemerkte - alles gewinnt, was aus Madrid kommt. Ich will nicht versuchen, diesen zentralistischen Defekt auf den letzten Seiten dieses Buches überstürzt zu korrigieren. Weder wäre dies möglich, noch wäre es ehrlich, den Anschein erwecken zu wollen. Besser scheint es mir, diese Tatsache ausdrücklich zu benennen, die besonders uns Nicht-Kastilier auf unterschiedliche Weise geprägt hat. Ich möchte also hier nur (vor allem zur Information der kastilischen und nichtkastilischen Leser über andere Regionen als ihre jeweils eigene) auf einführende Literatur zu verschiedenen allgemeinen Elementen und Faktoren verweisen, die diesen vielen Kulturen zugrundeliegen, und damit zu einer besseren Kenntnis ihrer Probleme, Schwierigkeiten, Leistungen und Frustrationen aller Art beitragen.53 Ich denke, daß nur mit Hilfe einer gründlichen Kenntnis dieser zahlreichen Kulturen eines Tages eine vollständige und wahre Geschichte des zeitgenössischen spanischen Denkens (d. h. aller Volksgruppen Spaniens) möglich sein wird. Der Geist, der bei diesem Unternehmen herrschen müßte, sollte sich aus Vorstellungen nähren, wie sie jene unvergeßlichen Worte von Salvador Espriu in La Pell de brau zum Ausdruck bringen: »... merke dir das für immer, Sepharad. / Sorge, daß fest gebaut sind die Brücken des Gesprächs, / und trachte zu begreifen und zu lieben / die verschiedenen Denkweisen und Sprachen deiner Kinder«. Nur so wird es möglich sein, daß »Sepharad ewig lebe / in der Ordnung, im Frieden, in der Arbeit, / in der schwierigen und verdienten / Freiheit«.54 Biblioteca de Autores Cristianos 1971, und von Antonio Truyol y Sena: La integración europea. Idea y realidad, Madrid: Tecnos 1972. An dieser Stelle ist auch an einen großen Teil der politisch-kulturellen Aktivitäten der »Spanischen Vereinigung für Europäische Zusammenarbeit« (Asociación Española de Cooperación Europea) zu erinnern, vor allem an das kürzlich von ihr veranstaltete, wichtige Informationsseminar zu Europa, das im Laufe der Jahre 1972-1973 fast vierzig Sitzungen umfaßte. 53 Ich wäre schon zufrieden, wenn ich außerdem dazu provozieren oder beitragen könnte, daß als Antwort auf meinen »zentralistischen Defekt« neben den schon vorliegenden Werken (die ich größtenteils hier noch nennen werde) weitere Arbeiten über Kultur und Denken der verschiedenen Regionen Spaniens entstünden; ich weiß, daß sich zumindest mein Freund José Manteiga seit einiger Zeit - selbstverständlich schon bevor meine Bemerkungen erschienen in diesem Sinne mit Galizien beschäftigt. 54 Poema XLVI [hier zitiert nach der zweisprachigen Ausgabe von Die Stierhaut (La pell de brau), aus dem Katalanischen übertragen von Fritz Vogelgsang, Frankfurt a. M.: Vervuert 1985, S. 121],

189 Diese Sehnsüchte Salvador Esprius werden von vielen der Bücher und Arbeiten geteilt, auf die ich zur Einführung in die Erforschung und das Verstehen der Völker, Kulturen und Länder Sepharads verweisen möchte. Für die Jahre 1966 und 1967 - wie man sieht, werde ich mich auf die letzten Jahre beschränken 55 - sind zu nennen: von Julián Marías Consideración de Cataluña und von Maurici Serrahima Realitat de Catalunya, eine katalanische Antwort auf Marias (beide bei Aymá in Barcelona); dann, mit einem Thema voller anregender historischer Überlegungen, von Félix Cucurrull Dos pobles iberics: Portugal i Catalunya (Barcelona: Ed. Selecta 1967); ebenfalls 1967 von Jordi Solé-Tura das wichtige und umstrittene Catalanisme i revolució burguesa (in spanischer Sprache erschienen bei Ed. Cuadernos para el Diálogo 1970); vom selben Autor erschienen 1969 die Notas sobre el nacionalismo catalán de la postguerra;56 1968 von Francesc Vallverdu L'escriptor catalá i el problema de la llengua (1971 bei Ed. Cuadernos para el Diálogo in spanischer Sprache mit dem Titel Sociología y lengua en la literatura catalana); allgemeiner ausgerichtet von Sergio Vilar Cataluña en España. Aproximación desde Cataluña al espíritu y los problemas de las regiones españolas (Barcelona: Aymá 1968); vgl. ebenfalls die Aufsätze in Cultura catalana: perspectiva 70, Nr. 13-14 (1970) der Reihe »Los Suplementos« bei Cuadernos para el Diálogo; 57 wichtig ist auch das Buch von Baltasar Porcel Los catalanes de hoy (Seix-Barral 1971 ) 58 oder die spezialisiertere Untersuchung El primer modernismo catalán y sus fundamentos ideológicos von Eduard Valenti (Ed. Ariel 1973); dann die kurze Historia de Cataluña von Juan Reglá (Alianza 1974) oder das Werk von Albert Balcells Cataluña contemporánea 1900-1936 (Siglo XXI 1975). Für eine genauere Kenntnis der katalanischen Kultur und Wirklichkeit der damaligen Zeit sind u. a. die Zeitschriften Serra d'Or, Oriflama, Presencia, Destino, Promos usw. nützliche Quellen. Ein in diesem Abriß der spanischen Regionalkulturen zweifellos zu erwähnendes Faktum ist das weitgehende Fehlen von Arbeiten über das Baskenland auf dem allgemeinen (d. h. nicht spezialisierten) spanischen Büchermarkt der damaligen Jahre. In 55 Vorher, 1964, war Eis altres catalans von Francisco Candel erschienen (spanische Übersetzung bei Ed. Península 1965), ein Thema, das dann zahlreiche weitere Titel, darunter sogar mehrere ernsthafte soziologische Untersuchungen Uber die Probleme der Integration von Zuwanderern aus anderen Regionen - vor allem aus Andalusien - nach Katalonien, hervorbrachte. Am wichtigsten davon ist wohl von E. Pinilla de las Heras: Immigrarió i mobilitai social a Catalunya, Barcelona: Institut catolic d'Estudis Socials 1973. 56 Die »Notas...« erschienen in dem schon zitierten Sammelband über Las ideologías en la España de hoy, im Kapitel mit eben diesem Titel (vgl. Anm. 5). Solé-Tura nennt dort u. a. auch zwei Bücher über Katalonien, die hier auch in Erinnerung gerufen werden sollten: von José Fenater Mora: Les formes de la vida catalana (1955), und von Jaime Vicens Vives: Noticia de Catalunya (1954). Ich möchte außerdem noch auf das Werk von J. Ruiz i Calonje: Panorama del pensament catalá contemporani, Barcelona: Ed. Vicens Vives 1963, hinweisen. 57 An dieser Studie zur katalanischen Kultur wirkten mit: M. Sanchís Guarner, Joaquín Marco, Maurici Serrahima, J. Carrera Planas, Rafael Pradas, Joan Oliver, María Aurelia Capmany, Tere nei Moix, Caries Miralles, Joan Antoni Benach, Frederic Roda, Albert Manent, Josep Verdura, Antoni Romero, Baltasar Porcel und Jaume Fabra. 58 Interviews mit Joan Miró, Josep Ferrater Mora, Antoni Tàpies, Raimon, Ramón Abadal, Josep Trueta, Joaquín Molas, Salvador Espriu, Pau Casals, Josep Carner, Josep Pia, Mercé Rodoreda, Víctor Catalá, Joan Oliver, Lloren? Villalonga, Josep Maria Castellet, Joan Fuster und Jordi Rubió, die zuerst auf katalanisch in der Zeitschrift Serra d'Or erschienen waren.

190 den Katalogen der auflagenstärkeren Verlage tauchten - da es sie kaum gab, obwohl dies sogar unter rein kommerziellen Gesichtspunkten erstaunlich erscheinen mag kaum Bücher der Art auf, wie sie gerade zu Katalonien genannt wurden, leicht erhältliche Bücher, die in diesem Fall eine solide Einführung in Geschichte, Kultur und Volksgruppen des Baskenlandes vermittelt hätten. Als Ausnahme sind vielleicht einige der ethnographischen Arbeiten von Julio Caro Baroja zu nennen, so z. B. Los vascos (1949), die Estudios sobre la vida tradicional española (von Ed. Península 1968 neu zusammengestellt) oder die Semblanzas ideales (Taurus 1972);59 außerdem wurde 1973 sein Band Estudios vascos herausgegeben. Natürlich gibt es noch andere Bücher, aber es handelt sich dabei entweder um Werke für Spezialisten oder um solche geringer Verbreitung. Zu den ersten gehören u. a. die sieben Bände der Gran enciclopedia vasca oder die (bisher) mehr als zwanzig Bände der Revista Internacional de Estudios vascos; zu den Büchern mit geringer Auflage gehören etwa von José Domingo de Arana Presente y futuro del pueblo vasco (Bilbao 1968) und von J. M. de Azaola Vasconia y su destino. La regionalización de España (Madrid 1972). Etwas größere Verbreitung erlangten 1974 die Bücher von Martin de Ugalde Síntesis de la Historia del País Vasco (Madrid: Seminarios y Ediciones) und Hablando con los vascos (Barcelona: Ariel) sowie von Enrique Bustamante La cultura vasca, hoy (Apuntes para un estudio) (Ed. Cuadernos para el Diálogo, Reihe »Los Suplementos«), die ausschließlich die baskische Kultur in baskischer Sprache behandelt. Zu Galizien (wohl das Land mit den meisten Eigenarten in Spanien) vgl. u. a. die Bücher von Domingo Garcia-Sabell Notas para una antropología del hombre gallego (Península 1965); von Armando López Salinas und Javier Alfaya Viaje al país gallego (Península 1967); von Alberto Míguez Galicia: éxodo y desarrollo (Cuadernos para el Diálogo 1967); von José Manuel Beiras El problema del desarrollo en la Galicia rural (Galaxia 1967) und später El atraso económico de Galicia (1973); von Jesús Alonso Montero Realismo y conciencia crítica en la literatura gallega (Ciencia Nueva 1968) sowie Encuesta mundial sobre la lengua y la cultura gallegas (Akal 1974); von Valentín Paz Andrade La marginación de Galicia (1970); von Carmelo Lisón Tolosana Antropología cultural de Galicia (Siglo XXI 1971); von J. A. Durán Historia de caciques, bandos e ideologías en la Galicia urbana (Siglo XXI 1972) und Crónicas 1: Agitadores, poetas, caciques, bandoleros y reformadores en Galicia (Akal 1974); und als Hintergrundinformation selbstverständlich die Arbeiten von Ramón Otero Pedrayo, darunter Guía de Galicia und später Economía e sociedade en

59 In der zweiten dieser Arbeiten ist - neben anderen, allgemeineren Fragen - der gesamte dritte Teil dem baskischen Thema gewidmet; den ersten Teil bilden die »Notas andaluzas«, den zweiten die »Notas castellanas«. Im dritten der genannten Bücher werden - neben anderen spanischen Schriftsteilem und Intellektuellen wie Giner, Cossío, Jiménez Fraud usw. - unter der Überschrift »Maestros vascos« Persönlichkeiten wie Telesforo de Aranzadi, José Miguel de Barandiarán und Resun-ección Mana de Azcue behandelt. Neben anderen Werken von Caro Baroja - die sorgfältige Aufmerksamkeit verdienten - ist hier vor allem an Los pueblos de España (1946), Razas, pueblos y linajes (1957) und - schon außerhalb des speziell baskischen Themas - Las brujas y su mundo (1961), Los judíos en la España moderna y contemporánea (1961), Vidas mágicas e inquisición (1967) usw. zu erinnern.

191 Galicia: 1958-1967, beide bei Ed. Galaxia, ein Verlag, der zusammen mit der Zeitschrift Grial (unter der Leitung von Ramón Piñeiro) zu den wichtigsten Verbreitungsmedien der galizischen Kultur im Spanien jener Jahre gehörte. Die Kultur Valencias ist in engem Zusammenhang mit der Kataloniens zu betrachten. Hier ist unbedingt auf die Zeitschrift Gorg zu verweisen, die ab 1969 erschien und im April 1972 auf Anordnung der Regierung eingestellt werden mußte.60 Ebenfalls wichtig sind die Werke von Joan Fuster, ganz besonders sein Buch Nosaltres eis valencians (in spanischer Sprache 1967 bei Península); vgl. ebenfalls von ihm Poetas, curas y moriscos (spanische Fassung bei Ciencia Nueva 1969) - zu Themen der valencianischen politischen, kulturellen und sprachlichen Geschichte und zugleich ein Beitrag zu einem besseren Verständnis des Begriffs des »Spanischen« - sowie Rebeldes y heterodoxos (Ariel 1973); außerdem sein Aufsatz »Valencia: una singularidad amarga« in den Cuadernos para el Diálogo (Sonderheft Nr. XXXVII vom November 1973); von Alfonso Cucó El valencianisme politic: 1874-1936 (Valencia 1973) und von Jaime Millás Estudios sobre el País Valenciano (Ed. Cuadernos para el Diálogo, Reihe »Los Suplementos«, 1974). In diesen kulturellen Bereich gehört auch das Buch von Josep Meliä Eis mallorquins (1967), das in spanischer Übersetzung von Gabriel Cisneros und mit einem Vorwort von dem gerade genannten Joan Fuster 1967 bei Ed. Cuadernos para el Diálogo erschien. Zwischen Katalonien und Kastilien gelegen - ohne sich aber ausschließlich oder vorwiegend über diese geographische Mittellage zu definieren -, beginnt damals auch Aragonien, sich seiner eigenen historischen und sozialen Einheit, seiner autonomen kulturellen Persönlichkeit wieder bewußt zu werden: Andalón. Periódico quincenal aragonés (geleitet von Eloy Fernández Clemente und mit einer beeindruckenden Mitarbeiterschar) beginnt die aktive und positive Mitarbeit an einer profunden Erneuerung der spanischen Kultur und Wirklichkeit unserer Zeit, ohne dabei je in kleingeistigen Lokalpatriotismus zu verfallen, sondern im Gegenteil immer bemüht, ein universalistisches und sogar »totalisierendes« Bild von dieser Regionalkultur zu geben. Ich kann hier weder das Thema erschöpfend behandeln noch auch diese vielfältige Betrachtung Spaniens Region für Region, Volk für Volk durchführen. Abschließend seien jedoch noch einige andere Bücher genannt: von Luis García San Miguel De la sociedad aristocrática a la sociedad industrial en la España del siglo XIX. Un estudio sobre la sociedad asturiana de la época (Cuadernos para el Diálogo 1973); von David Ruiz Asturias contemporánea: 1808-1936 (Siglo XXI 1975); von Julián Marías Nuestra Andalucía (1966); von Alfonso Carlos Comín España del Sur (1965) und Noticia de Andalucía (1970) - neben anderen, schon genannten Arbeiten über diese geduldige Region, die viele voreilig aus der Liste von Regionen »mit einem Regionalproblem« ausnehmen. And last but (selbstverständlich) not least sind die Kana-

60 Zur Einstellung von Gorg und anderen katalanischen Zeitschriften in dieser Zeit vgl. den Artikel von J. M. Huertas Clavería: ¿Por qué mueren las revistas en catalán?, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 105 (Juni 1972) S. 37 f.

192 rischen Inseln zu nennen, deren Probleme aufgrund der großen Entfernung noch viel größer sind als die von »Gotenland«; hier ist für diese Jahre u. a. das Buch von Antonio Carballo Cotanda Canarias, región polémica zu nennen (mit einem Vorwort von Jerónimo Saavedra, Cuadernos para el Diálogo, Reihe ITS, 1972) sowie die Zeitschrift Sansofé, deren Druckerlaubnis im Juni 1972 zurückgenommen wurde. Was aber läßt sich in diesem Zusammenhang zu Kastilien sagen - das schließlich auch eine Region ist -, wenn man bedenkt, was die Generation von 1898 - Azorin, Unamuno, Machado und andere - und später auch Ortega darüber geschrieben haben? Vielleicht doch einiges, wenn man der kulturgeschichtlichen Betrachtung eine mehr geschichtlich-soziologische (die sich auch von der sogenannten der »Erneuerer« unterscheidet) und strenger wissenschaftliche zur Seite stellt (man denke in diesem Sinne z. B. an die Arbeiten von Víctor Pérez Díaz über die Tierra de Campos). Tatsache ist aber, daß es - ähnlich wie für das Baskenland, wenn auch vermutlich aus anderen Gründen - nicht leicht ist, in diesen Jahren unter den nicht hochspezialisierten (und daher kaum verbreiteten) spanischen Publikationen ein Werk auszumachen, das sich aus dieser Perspektive der Gesamtheit der hispanischen Völker speziell mit Kastilien befaßt. 62 Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß man bei der vorherrschenden zentralistischen Ausrichtung auf Kastilien (von der sicher auch der Inhalt des vorliegenden Buches beeinflußt ist) dann, wenn man von ganz Spanien zu sprechen vorgibt, oft eigentlich nur von Kastilien bzw. von in kastilischer Sprache vorliegenden Äußerungen spricht. In allen auf den letzten Seiten genannten Arbeiten lassen sich Beziehungen zu diesem »Regionalproblem« finden, das eng verbunden ist mit dem grundlegenden sozialen und politischen Problem sowie mit den rein kulturellen Problemen, denen in diesen Anmerkungen zum spanischen Denken in der Franco-Zeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.63

61 Vgl. dazu José A. Alemán: Sansofé y Canarias, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 107 (August 1972) S. 13-16. 62 So lautet der Titel des Buches von Anselmo Carretero y Jiménez: La personalidad de Castilla en el conjunto de los pueblos hispánicos, 3., erweiterte Aufl. Valencia: Fomento de Cultura Ediciones 1968; die erste Aufl., die 1960 in Mexiko-Stadt erschien, trug den Titel Las Españas. Abgesehen von wissenschaftlichen Studien und gründlicheren historischen Untersuchungen ist dieses anregende Buch eines der wenigen, die in den letzten Jahren über Kastilien (nicht Kastilien und León) erschienen sind (d. h. im Bereich der mehr populären, aber doch nützlichen und wissenschaftlich haltbaren Bücher); es handelt sich aber auch um ein vorwiegend historisches Buch, wenn auch mit möglicherweise wichtigen Auswirkungen auf das gegenwärtige und künftige Spanien. 63 Vgl. daneben auch die zahlreichen Arbeiten zur kulturellen, politischen und sozio-ökonomischen Wirklichkeit der spanischen Regionen in den Cuadernos para el Diálogo. Um ein paar Beispiele zu nennen, verweise ich hier auf die folgenden: José Ramón Recalde: El nacionalismo burgués centralista und Ambrosio de Zatarain: Notas sobre el problema vasco, in Nr. IV (Sonderheft) vom Okt. 1966 (Sparte Regionalismus-Zentralismus); die Artikel über »Culturas autónomas« in Nr. VI (Sonderheft) vom Juli 1967; die Untersuchung von Jordi Borja und Manuel Castells: El regionalismo contemporáneo in Nr. X (Sonderheft) vom Okt. 1968; die Artikel über Galizien, Navarra und die Kanarischen Inseln in Nr. XXX (Sonderheft) vom Mai 1972. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die Nr. 532 (Sonderheft) der Zeitschrift Triunfo vom 9. Dez. 1972 zum Thema »Los españoles«, darin besonders die Arbeiten von X. L. Méndez Ferrín (Galizien), von Luis Michelena (die Basken) und von J. Solé Tura (»Das Katalanische und das Spanische«),

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Das Ende des

Franco-Regimes

Frühere Fassungen des vorliegenden Buches endeten mit dem Dezember 1973. Wie ich in der Einleitung betont habe, war (und ist) dies ein Buch, das in der Franco-Zeit geschrieben und veröffentlicht wurde, mit allen Einschränkungen und Sprachregelungen der damaligen Zeit, die ich in dieser Neuauflage bis auf wenige unwesentliche Änderungen respektieren und beibehalten wollte, obwohl der ganze Band vollständig überarbeitet wurde, um Fehler und andere Mängel zu korrigieren. Wenn ich nun - nach Vorliegen des dafür notwendigen Materials - mit den Jahren 1974 und 1975 die politische und kulturelle Geschichte der Franco-Ära vervollständige, will ich diesen Schlußbemerkungen die Form einer bloßen chronologischen Darstellung von Fakten, Werken und Problemen geben, wie dies ja auch schon im ersten Teil dieses Kapitels bezüglich der unmittelbar vorangegangenen Jahre der Fall ist. Obwohl sich die Sprache in diesem abschließenden Teil von der im Rest des Buches unterscheiden wird (es wäre schließlich grotesk, in der Freiheit des Jahres 1983 die Sprache und Selbstzensur von vor zehn Jahren imitieren zu wollen), habe ich mich wie gesagt - darauf beschränkt, ganz schematisch die - immer komplex, aber unübersehbar zusammenhängenden - wichtigsten politischen und kulturellen Ereignisse der spannungsreichen und hoffnungsvollen Jahre 1974 und 1975 zusammenzufassen, in denen das Ende einer ganzen Epoche schon zu ahnen war.64 Ein Abriß der wichtigsten Ereignisse der Zeit muß mit der im Auftrag Francos erfolgten Bildung der Regierung Arias Navarro (2. Januar 1974) beginnen; dies geschah nach dem schon erwähnten Attentat, bei dem Carrero Blanco ums Leben kam und das von einem Kommando der ETA verübt worden war.65 Einige Wochen später hält der neue Regierungschef vor den Cortes die angeblich auf Öffnung abzielende Rede, die zum damals berühmten »Geist des 12. Februar« führt, der jedoch in den Augen der demokratischen Kräfte völlig unzureichend und wirkungslos ist und der außerdem durch den Druck rechtsextremer Gruppen innerhalb des Regimes (des sogenannten »Bunkers«), die vom Staatschef selbst und seinen engsten Anhängern immer wieder ermutigt und angestachelt werden, sehr bald aufgegeben wird. Trotzdem gibt es damals einen spürbar größeren Spielraum für freie Meinungsäußerung in der Presse (unter Pio Cabanillas als Informationsminister) und auch für einige gemäßigte politische »Vereinigungen«. Am 24. Februar kommt es jedoch schon zum ersten gro64 Zur Rekonstruktion und Zusammenfassung der Geschichte dieser beiden Jahre habe ich - außer meinen eigenen Aufzeichnungen - von den zahlreichen Werken über das Franco-Regime, die in der Bibliographie am Ende dieses Bandes aufgeführt sind, sowie weiteren, die in diesem Schlußkapitel genannt werden, vor allem die entsprechenden Nummern (einschließlich der Sondernummern) der Zeitschrift Cuadernos para el Diálogo konsultiert. Außerdem habe ich die Bücher von Raymond Carr und Juan Pablo Fusi: España, de la dictadura a la democracia, Barcelona: Planeta 1979, und von José Antonio Biescas und Manuel Tuflón de Lara: España bajo la dictadura franquista: 1939-1975, Barcelona: Labor 1980, benutzt sowie - für die kulturellen Aspekte - die Beiträge von José Luis AbcUán über den Essay in den bei Castalia erschienenen Bänden El año literario español 1974, Madrid 1974, und El año literario español 1975, Madrid 1976, S. 71-77 bzw. 69-89. 65 Julen Aguirre: Operación Ogro. Cómo y por qué ejecutamos a Carrero Blanco, 2. Aufl., Bilbao: Hordago Publicaciones 1978.

194 ßen Konflikt, und zwar zwischen der Regierung und dem Bischof von Bilbao, der wegen einer sehr gemäßigten Predigt zugunsten des Gebrauchs der baskischen Sprache unter Hausarrest gestellt wird. Carr und Fusi bemerken dazu, daß »der Fall Anoveros die schon gespannten Beziehungen zwischen Kirche und Staat noch erheblich verschlechterte. Die spanischen Bischöfe und der Vatikan unterstützten den Bischof von Bilbao. Es hieß, der Papst sei zur Exkommunizierung Francos und der Regierung entschlossen, falls Monsignore Anoveros aus Spanien ausgewiesen werden sollte. Arias mußte alle Sanktionen gegen den Bischof von Bilbao zurücknehmen; aber der Ansehensverlust, den seine Regierung erlitten hatte, war enorm.«66 Einen noch größeren Ansehensverlust bewirkte die Hinrichtung (am 2. März) des katalanischen Anarchisten Salvador Puig Antich.67 Staatliche Maßnahmen derart repressiven Charakters waren Anlaß für einen beträchtlichen Anstieg terroristischer Aktivitäten (denen selbstverständlich neue Maßnahmen diktatorialer Repression und »Ausnahme«-Zustände folgten), deren Höhepunkt in jenem Jahr die tragische und verbrecherische Bombenexplosion vom 13. September in der Nähe des Madrider Postamts war, bei der elf Menschen getötet wurden und die wahrscheinlich ebenfalls auf das Konto eines Kommandos der ETA g i n g . 6 8 Die »Revolution der Nelken« in Portugal (25. April 1974) war ein Ereignis, das bei den spanischen Demokraten neue Hoffnung hervorrief, und zugleich eine hervorragende Gelegenheit für die weitere Mobilisierung und Bewußtseinsbildung der ganzen Bevölkerung: politische Parteien, Symbole und Freiheiten, die dort nun legal waren, blieben bei uns weiterhin verboten. Bei den spanischen »Ultras« rief dies eine ängstliche Reaktion der Verteidigung und Abkapselung hervor. Die portugiesische Situation war uns damals sehr gegenwärtig und hatte vielfältige, bedeutende Auswirkungen auf unser politisches und kulturelles Panorama. Selbstverständlich glaubte in Spanien niemand an eine ähnliche Revolution durch die Armee, aber man vertrat, wie schon seit langem, die gleichen Demokratisierungsziele. Sogar der iberische »Nationalstolz« war verletzt: jetzt waren es nicht mehr nur die Engländer oder die Franzosen, »sogar« Portugal war Spanien auf dem Weg zur Demokratie zuvorgekommen;

66 Carr und Fusi a. a. O. (zit. Anm. 64) S. 258. 67 Diese und andere repressive Vorfälle, mit denen sich die Regierung Arias einführte, ließen sehr schnell jede Hoffnung nicht nur auf eine echte Liberalisierung und Demokratisierung des Franco-Regimes (die aufgrund der gegebenen Voraussetzung und schon gar zu diesem Zeitpunkt unmöglich war), sondern auch auf die im »Geist des 12. Februar« angekündigte relative Öffnung verschwinden. So sagte z. B. Ruiz-Giménez am 9. April im Bayerischen Rundfunk (in einem Interview mit José Moll) zu dieser Verhärtung der Lage: »Die Vollstreckung der von Kriegsgerichten verhängten Todesstrafen, die Heraufbeschwörung eines Konflikts mit dem Bischof von Vizcaya, Monsignore Afloveros, und ähnliche Vorfälle erwecken bei uns grofie Zweifel an der Realisierbarkeit dieses Programms einer relativen Liberalisierung, einer relativen Entwicklung des Regimes« (nach dem Abdruck des Interviews in Cuadernos para el Diálogo Nr. 128 vom Mai 1974, S. 21). Vgl. diesbezüglich in der gleichen Zeitschrift (Nr. 130 vom Juli 1974, S. 40) die treffende Kritik von Gregorio Peces-Barba an der reaktionären Rede von Präsident Arias am 15. Juni in Barcelona in seinem Artikel Las asociaciones del 12 y el derecho de asociación, in dem er eines der Hauptthemen der damaligen Zeit (mit den verbotenen politischen Parteien im Hintergrund) behandelt. 68 Dazu und zu verschiedenen Folgen dieses Vorfalls vgl. den Bericht von Lidia Falcón: Viernes y 13 en la calle del Correo, Barcelona: Planeta 1981.

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später (am 23. Juli) setzte dann Griechenland einer siebenjährigen Militärdiktatur ein Ende. Plötzlich entdeckte man Sympathien für den Nachbarn und Bruder Portugal, dem wir bis dahin (wie auch jetzt wieder) - niemand könnte dies bestreiten - fast völlig die kalte Schulter gezeigt hatten. Daraus entstand auch eine wichtige, nicht zu unterschätzende Literatur; es erschien damals u. a. von Luis Carandell und Eduardo Barrenechea Portugal, sí (Cuadernos para el Diálogo 1974); derselbe Barrenechea hatte zusammen mit Antonio Pintado 1972 beim gleichen Verlag La raya de Portugal. La frontera del subdesarrollo veröffentlicht; weitere Publikationen - alle 1974 waren von Juan Maestre Portugal, medio siglo de dictadura (Cuadernos para el Diálogo, Reihe »Los Suplementos«), von Eduardo G. Rico La caída del fascismo portugués (ZYX) oder von Xabier Roig Portugal: la muerte de un fascismo (Laia),69 Die ausgedehnte Debatte der Linken über Portugal führte also sofort zu ständigen, sehr wichtigen Auseinandersetzungen über den Weg zu einer fortschrittlichen Demokratie in Europa. Als Beispiel verweise ich hier nur auf die Diskussion, die damals auf den Seiten der Cuadernos para el Diálogo (eine Zeitschrift, auf die ich mich für diesen Abriß der Jahre 1974-1975 sehr stark stütze, da ich die Vorgänge dort von innen miterleben konnte) veröffentlicht wurde: Die Polemik begann mit dem Artikel von Jordi Borja und Josep Ramoneda »Socialistas y comunistas en Europa occidental« (Nr. 140 vom Mai 1975), der sich zugunsten der Einheit der Linken aussprach, dies aber von einem Standpunkt, der dem der Kommunisten und auch dem der portugiesischen KP sehr nahe stand; darauf antwortete hart und treffend eine Gruppe von Mitgliedern der PSOE mit dem Artikel »Respuesta socialista a un artículo dogmático« (Nr. 141 vom Juni 1975), in dem die Haltung jenes »dogmatischen Artikels« als »neostalinistisch« bezeichnet wurde. 70 Im Rahmen dieser Polemik erschienen auch 69 Die portugiesische Revolution fand großen Widerhall in der spanischen Presse und in den politischen Zeitschriften, da sich hiermit nicht nur Gelegenheit zu einem mehr oder weniger abstrakten theoretischen Lob auf die Demokratie bot, sondern auch und vor allem zu einer - teilweise auch für uns geltenden - Debatte Uber die möglichen Wege (»cunhalistisch-kommunistisch«, eurokommunistisch, tercermundistisch, sozialistisch usw.) für Entwicklung und Ausbau eines demokratischen Systems unter den konkreten Umständen Westeuropas gerade zu Beginn der letzten kapitalistischen Krise. In diesem Zusammenhang sei beispielsweise an die Sondernummer XLI (Juni 1974) der Cuadernos para el Diálogo zum Thema »Portugal, el fin de una dictadura« erinnert; die Furcht des Staates vor den zweifellos demokratischen Konnotationen der »spanischen Lesart« der portugiesischen Ereignisse zeigt sich an der Beschlagnahme dieser Nummer auf Anordnung des Gerichts für Öffentliche Ordnung und am anschließenden Verbot von neunzehn ihrer Seiten, die eine umfassende Meinungsumfrage zur Revolution vom 25. April beinhalteten. Im folgenden Jahr wurde in der gleichen Zeitschrift (Nr. 139 vom April 1975) erneut eine Umfrage unter spanischen Politikern über »La vía portuguesa« veröffentlicht; u. a. nahm daran der damals gerade gewählte Generalsekretär der PSOE, Felipe González, teil, und zwar schon unter seinem richtigen Namen und sogar mit Bild - es war dies wohl einer seiner allerersten öffentlichen Auftritte. Vgl. auch zum internen Streit über das Thema in den Cuadernos para el Diálogo den Leitartikel von Nr. 141-142 (Juni-Juli 1975) mit dem Titel El laberinto portugués und die Kritik von Julián Guimón: Pluralismo democrático, in Nr. 145 (Okt. 1975). 70 Diese sozialistische Replik war in alphabetischer Reihenfolge unterzeichnet von Pablo Castellano, Víctor Martínez Conde, Emilio Menéndez del Valle, Gregorio Peces-Barba, Manuel de la Rocha, José Félix Tezanos, Leopoldo Torres Boursault und Virgilio Zapatero. Die schon gedruckte Nr. 141 der Cuadernos para el Diálogo (Juni 1975) wurde vom Ministerium für Information und Tourismus beschlagnahmt und ihre Auslieferung verboten, so daß sie die Leser nicht erreichte. Wir Mitarbeiter der Zeitschrift konnten, wie es damals in solchen Fällen üblich war, einige Exemplare reuen; ich habe mein Exemplar immer noch; die Nummer taucht jedoch in den offiziellen Sammlungen der Cuadernos para el Diálogo nicht auf; vgl. zu der Beschlagnahme die »Anmerkung der Redaktion« in Nr. 144 (Sept. 1975) S. 19.

196 (in Nr. 144 vom Sept. 1975) die interessanten sozialistischen Anmerkungen von Reyes Mate und Enrique Barón - die damals noch nicht der PSOE angehörten - über »Comunistas y Socialistas en Europa«. Im hoffnungsvollen Sommer 1974 taucht erneut und mit größerer Dringlichkeit in der spanischen Politik einerseits das Thema der Nachfolge in der Staatsführung (Don Juan hatte auf seine Thronrechte nie verzichtet) und andererseits, in anderen Sektoren, das der Notwendigkeit einer endgültigen Machtübergabe an den Kronprinzen Don Juan Carlos auf, als General Franco am 9. Juli mit einer schweren Thrombose ins Krankenhaus eingeliefert wird. Dies waren Vorboten des endgültigen Endes, die in allen Sektoren der spanischen Politik aktive und gespannte Erschütterung hervorriefen. Noch im selben Monat bildet sich in Paris aus verschiedenen Gruppen der anti-franquistischen Opposition, angeführt von der kommunistischen Partei, unter Teilnahme von Vertretern Don Juan de Borbóns (z. B. Calvo Serer) und anderer kleinerer politischer Gruppierungen (wie die Sozialisten von Tierno Galván) die »Demokratische Junta«, die damals dem politischen Leben des Landes beträchtliche Impulse gab. Die Einheit der gesamten Opposition gegen das Regime wurde später mit einem entsprechenden Abkommen zwischen der »Junta« und der »Plattform für Demokratische Konvergenz« erreicht, die ebenfalls im Juli 1975 unter Führung der PSOE gebildet worden war?1 und zu der u. a. die Baskische Nationalpartei (PNV), ein großer Teil der katalanischen Sozialisten und verschiedene andere Gruppen, Ruiz-Giménez, Dionisio Ridruejo usw. gehörten. Von diesen Organisationen, und selbstverständlich von ihrer Basis im Volk und in den Gewerkschaften, kam der Hauptanstoß für den Wandel des Systems nach dem Tode Francos (wobei ich dabei die Krone nicht vergessen will), ein Anstoß, der auch andere, reformistische Teile des Regimes dazu brachte, sich anzuschließen und daran mitzuwirken. Was aber zunächst in den letzten Augusttagen des Jahres 1974 geschah, war die Rückkehr des Generals an die Spitze des Staates, die erneute Übernahme all seiner üblichen Befugnisse und damit u. a. auch das Ende der ziemlich naiven und ziemlich egoistischen Hoffnungen derer, die nur eine offene, aber kontrollierte Reform der franquistischen Institutionen wollten.72 Es wurde jetzt noch deutlicher, daß die Hauptkraft und die Grundrichtung des politischen Wandels von der demokratischen, seit jeher gegen Franco gerichteten Opposition kommen müßte, daß es also eine vollständige politische und gewerkschaftliche Amnestie geben müßte und daß eine bloße Reform der franquistischen »Grundgeset71 Die PSOE hatte schon vom 11. bis 13. Oktober 1974 ihren entscheidenden XIII. Parteitag, den leuten im Exil, in Suresnes (Frankreich) abgehalten, auf dem die endgültige Erneuerung der Partei in die Wege geleitet und Felipe González zum Generalsekretär gewählt worden war. Im November des gleichen Jahres bildete sich Tierno Galváns »Sozialistische Partei im Inland« (PSI) zur »Sozialistischen Volkspartei« (PSP) um (bis sie 1978 mit der PSOE zusammenging). Weitere Daten sowie Literatur zu diesen Themen findet man in meinem Buch Socialismo en España: el partido y el Estado, Madrid: Ed. Mezquita 1982, sowie in meinem Aufsatz Socialistas bajo el franquismo, in: Sístema Nr. 52 (Januar 1983) S. 119-127. 72 Die Absetzung des öffnungswilligen Informationsministers Pío Cabanillas durch Franco am 29. Oktober, die von weiteren Rücktritten gefolgt wurde, bedeutete für viele Reformer des Regimes - so Carr und Fusi a. a. O (Anm. 64) S. 261 - »das Ende der politischen Linie des 12. Februar«.

197 ze« nicht akzeptiert, sondern die freie Wahl von Volksvertretern zur Ausarbeitung und Verabschiedung einer echten demokratischen Verfassung gefordert würde. All dies sowie einiges andere mehr, was den Einsatz von Gewalt weder voraussetzte noch nach sich zog, wurde damals - auf dem Weg zum Wandel - als »demokratischer Durchbruch« bezeichnet. Die gemeinsame Forderung, die immer lautere Klage des Volkes in all den Monaten bis zum endgültigen Ende war jenes unvergeßliche »Amnestie und Freiheit!« In der Zwischenzeit hatten sich als wichtige, wenn auch nicht einzige Folge der Energiekrise von 1973 aufgrund des starken Anstiegs der internationalen Ölpreise die wirtschaftliche Lage und die Konfliktlinien in der Gesellschaft und in den Betrieben in Spanien schon 1974 enorm verschärft; dies sollte 1975 noch schlimmer werden. Gewiß war die allgemeine, ideologische und kulturelle Krise in manchen Sektoren schon seit 1968 spürbar gewesen (sie war wohl in diesem Umfeld als Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise immer gegenwärtig), aber in ihren ökonomischen und sozialen Auswirkungen spitzt sie sich erst etwas später, eben seit 1973, dramatisch zu. Konkret heißt dies, wie Carr und Fusi feststellen, daß »die spanische Wirtschaft zwischen 1971 und 1973 eine der spektakulärsten Wachstumsphasen ihrer Geschichte erlebte, die nur von der Inflation beeinträchtigt wurde« .73 Aber schon 1974 ist die Wirtschaftskrise auch in Spanien das dominierende Thema. So veröffentlichen beispielsweise im Januar jenes Jahres die Cuadernos para el Diálogo unter dem Titel »Economía: ¿el fin de una época?« (in einem ausführlichen und detaillierten Interview mit Ramón Tamames) eine wichtige und warnende Analyse dieser schlechten Lage, die das Franco-Regime um jeden Preis verheimlichen wollte. 74 Ende 1974 erschien in der gleichen Zeitschrift in Zusammenhang mit dem Internationalen Jahr der Bevölkerung eine Sondernummer mit dem Titel »Población-recursos: ¿Hacia el fin del crecimiento?« sowie eine weitere wichtige Nummer über »La noche capitalista«, mit Beiträgen u. a. von einer äußerst illustren Runde, an der Ernest Lluch, Julio Segura, Narciso Serra, Jacint Ros Hombravella, Santiago Roldán, José Luis Garcia Delgado, Luis Angel Rojo, Emilio Figueroa und Enrique Barón beteiligt waren.75 im Oktober 1975 sah Ramón Tamames in der spanischen Wirtschaft schon die gefürchteten Anzeichen einer »Stagflation«, also von Stagnation gepaart mit Inflation. So endete also die Franco-Zeit - dies sei nie vergessen -, mit Hinrichtungen und Stagflation.^ 73 R. Carr und J. P. Fusi a. a. O. (Anm. 64) S.249. 74 Vgl. in Nr. 124, S. 17-29 das bedeutende Gespräch über die wirtschaftliche Lage zwischen Vicente Verdú und Ramón Tamames, der allerdings auch unterstreicht, daß schon vor 1973, bevor die Energiekrise begann, «die spanische Wirtschaft in eine Phase des Abschwungs eintrat«. Vgl. auch Ramón Tamames: La polémica sobre los límites de! crecimiento, Madrid: Alianza 1974. 75 Cuadernos para el Diálogo, Sondernummern XLIII (Nov. 1974) und XLIV (Dez. 1974). 76 Ramón Tamames: El otoño de la economía española, in: Cuadernos para el Diálogo Nr. 145 (Okt. 1975), S. 13-21. In dieser Nummer vom Oktober 1975, die zur Nummer des endgültigen »Herbstes des Patriarchen« werden sollte, konnte man selbstverständlich nicht von der kritischen Lage sprechen, die infolge der von allen demokratischen Staaten scharf verurteilten fünf Hinrichtungen von Mitgliedern der FRAP und der ETA am 27. September im Land entstanden war; in dieser schwierigen Zeit konnte nur folgende Bemerkung veröffentlicht werden: »Aus administra-

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Was konnte man tun, was tat man tatsächlich mit der Kultur, mit den sogenannten »Waffen der Kritik« in jener schwierigen, ungewissen Situation? Es wurde damals ziemlich viel gelesen (vielleicht mehr als heute), viele Zeitschriften (Triunfo, Cuadernos para el Diálogo, Cambio 16 u. a.) und Tageszeitungen, aber auch Bücher; es wurde großzügig publiziert und vielleicht sogar allzu viel und ein bißchen willkürlich übersetzt. Das Ergebnis scheint mir insgesamt ziemlich positiv gewesen zu sein. Eine der Folgen - und zugleich auch eine Ursache davon - war ein Universitätsleben, das kritischer und lebendiger war als etwa unmittelbar nach der Franco-Zeit. Kultur und Universität trugen ganz entscheidend zum Kampf gegen die Diktatur und zur Erringung der Demokratie in unserem Land bei. Für einen »Lagebericht« zu diesen Dingen ist u. a. auf das Themenheft (XLII) zu verweisen, das Cuadernos para el Diálogo im August 1974 veröffentlichte und das den Titel trug »¿Existe una cultura española?«; dort findet sich Material, das man - mit seinen Pros und Contras - mit kritischem Auge als Ausdruck der damals in Spanien gegenwärtigen und vorherrschenden Ideen, Autoren, Strömungen und sogar Moden ansehen kann. Ich selbst will hier als Quintessenz - zusätzlich zu allem, was weiter oben schon angeführt wurde, obwohl es erst in diesen Jahren erschienen ist - die Veröffentlichung der folgenden Werke in Erinnerung rufen, wobei ich mit den philosophischen beginne: von Javier Muguerza (Hrsg.) La concepción analítica de la filosofía (2 Bde., Alianza 1974, mit einer ausführlichen Einführung des Herausgebers); von Vidal Peña El materialismo de Spinoza (Revista de Occidente 1974); von Francisco Fernández Buey »Ch. Fourier y los elementos positivos de la utopía« (Vorwort zu dessen Werk El extravío de la razón, Grijalbo 1974); ebenfalls in Verteidigung der kritischen und positiven Bedeutung der Utopie die Bücher von Eduardo Subirats Utopía y subversión (Anagrama 1975) und von Adolfo Sánchez Vázquez Del socialismo científico al socialismo utópico (Mexiko-Stadt: Era 1975); außerdem von Emilio Lledó La filosofía, hoy (Salvat 1975) sowie von Enrique Tierno Galván ¿Qué es ser agnóstico? (Tecnos 1975) und viele andere mehr.77 Weitere, vielleicht eher zwischen Philosophie und Kritik bzw. politischem Essay (oder auch Sozialwissenschaften) angesiedelte Bücher sind z. B. die folgenden: die Neuauflage von La velada en Benicarló. Diálogo de la guerra de España von Manuel Azaña (herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Manuel Aragón, Ed. Castalia 1974), das auch als Inszenierung von José Luis Gómez und Juan A. Gabriel y Galán großen Erfolg hatte; dann die Kritiken von José Luis Abellán in seinem Werk La industria cultural en España (Cuadernos para el Diálogo) und die von José Luis tiven Gründen haben wir uns genötigt gesehen, den Leitartikel, der diese Nummer eröffnen sollte, durch den zu ersetzen, den der Leser jetzt vor sich hat. Die Leser werden verstehen, daß unser Schweigen zu gewissen Themen, die uns alle beschäftigen, Umständen zu verdanken ist, auf die wir keinen Einfluß haben.« Noch einmal, wenn auch nur für kurze Zeit, senkte sich am Ende ein drückendes, gespanntes Schweigen auf das unsichere, ängstliche Spanien. 77 Vgl. in diesem Zusammenhang neben anderen Werken, wie z. B. die von Abellän, Paris usw., die in der Bibliographie am Ende aufgeführt sind, die diskutable und interessante Nr. 3 der im Oktober 1974 gegründeten Zeitschrift Zona Abierta über »La filosofia actual en Espafia« (Frühjahr 1975).

199 L. Aranguren in La cultura española y la cultura establecida (Taurus); die erinnerungsträchtigen, bissigen Años de penitencia: Memorias von Carlos Barral (Alianza); das Interview-Buch von Antonio Beneyto Censura y política de los escritores españoles (Euros); die erhellende Studie von Fernando Claudín Marx, Engels y la revolución de 1848 (Siglo XXI); die Arbeiten von J. A. González Casanova in La lucha por la democracia en España (1939-1970) von Carlos Moya (Tucar); die Plädoyers in El resurgir del movimiento obrero von Nicolás Sartorius, mit einem Vorwort von Simón Sánchez Montero (Laia); oder das vielgelesene Proyecto de democracia para España von Ramón Tamames (Cuadernos para el Diálogo), alle - bis auf das erste - erschienen 1975, in dem Jahr, in dem auch die Zeitschrift Tiempo de Historia zu erscheinen beginnt. Im gleichen Jahr wurde auch - wie weiter oben schon erwähnt - der hundertste Geburtstag von Antonio Machado mit bedeutenden Veranstaltungen und Publikationen begangen. Diese Renaissance des Dichters gerade in dem Moment, in dem der alte Diktator unweigerlich am Sterben war, war wahrhaftig ein Symbol ¡78 Damals gab es in Spanien auch, mit erheblicher Verspätung, das große kulturelle und ideologische Take-off beim »Frauenthema«, vor allem in den Diskussionen über die wichtigsten Veröffentlichungen dazu: von Lidia Falcón Mujer y sociedad (Enlace 1974); von Alejandra Ferrandiz und Vicente Verdú Noviazgo y matrimonio en la burguesía española (Cuadernos para el Diálogo 1974); von María Angeles Durán El trabajo de la mujer en España (Tecnos 1975); von José M. Rodríguez Méndez Ensayo sobre el machismo español (Península 1975); und in ganz besonderer Weise die Sondernummer XLVIII (August 1975) der Cuadernos para el Diálogo über »Las mujeres« mit Beiträgen ausschließlich weiblicher Autoren, die alle wichtigen Frauenthemen behandelten.79 Wenn man von den Frauen spricht, dann könnte man hier auch von anderen Randgruppen, anderen Gewaltverhältnissen und anderen sozialen Bewegungen sprechen, die sich damals innerhalb unserer zivilen Gesellschaft gegenüber völlig zurückgebliebenen und zudem stark repressiven politischen Institutionen wie denen jener Epoche kraftvoll Gehör zu verschaffen begannen. In diesem Zusammenhang wären etwa Schriften zu nennen wie von Carlos García Valdés Hombres y cárceles und No a la pena de muerte, beide bei Cuadernos para el Diálogo, die erste 1974 (Reihe »Los 78 Die wunderbare Sondernummer »Antonio Machado (1875-1939)« der Cuadernos para el Diálogo (Nr. XLIX), die genau im November 1975 erschien, erreichte eine sehr hohe Auflage. José Luis Abellán erwähnt außerdem (in seinen schon zitierten Essays über den «Essay«, s. o. Anm. 64) weitere Geburts- und Gedenktage jener Jahre und nennt die wichtigsten Publikationen dazu, so etwa 1974 der 500. Geburtstag von Bartolomé de las Casas und 1975 die Begehung des Internationalen Jahres der Frau, das - abgesehen von dem üblichen dekorativen Brimborium - auch sehr positive, wenn auch noch immer unzureichende Fortschritte hin zu größerem Wissen und wirklicher Gleichheit brachte. Ich möchte auch noch einmal auf die Sondernummer über Pablo Iglesias anläßlich seines fünfzigsten Todestages verweisen, die wie in der Zeitschrift Sistema (Nr. 11) just im Oktober 1975 herausbrachten, cinc Gedenknummer, die das Madrider Amt für öffentliche Ordnung keineswegs Ubersah. 79 Für einige frühere Publikationen möchte ich auf die folgenden Beilagen zu den Cuadernos para el Diálogo verweisen: Nr. 21 von María Jiménez Bermejo: Sociología del trabajo de la mujer (1971); Nr. 27-28 von mehreren Autorinnen: Mujer y aceleración histórica (1972) und Nr. 46 von María del Pilar de la Peña: La condición jurídica y social de la mujer (1974).

200 Suplementos«), die zweite 1975; beim gleichen Verlag wurde 1973 das schon erwähnte Buch von Jesús Jiménez über La objeción de conciencia en España veröffentlicht, das einen weiteren Schritt zugunsten der Freiheit darstellte; über eben dieses äußerst wichtige Thema erschienen in jenen Jahren im übrigen in der Zeitschrift Cuadernos para el Diálogo (und selbstverständlich auch in anderen Zeitschriften) zahlreiche Arbeiten ganz ähnlicher Orientierung. Das gleiche gilt für das Thema der Gewalt, die damals auf der Straße herrschte (und leider noch immer herrscht) und die daher auch in der Presse Erwähnung fand, die aber erst nach dem Tode Francos gründlich und in all ihren verschiedenen Dimensionen - nämlich institutionelle und nicht-institutionelle, nationale und internationale Gewalt, Terrorismus, Umsturzversuche, Rüstungswettbewerb, Atomkriegsgefahr usw - behandelt werden konnte.so Eine andere Art der Zerstörung, nämlich die der Umwelt, führte in Spanien schon Anfang der sechziger Jahre zu ersten Protesten und kritischen Schriften gegen ein Produktions- und Industriesystem, das fast zwangsläufig die völlige Entwertung der Natur und der Umwelt bedeutete, in der sich menschliches Leben bewegen muß.si Ich möchte diese Aufzählung von Publikationen »abrunden«82 mit einigen knappen Hinweisen auf ein paar literarische Werke - Roman, Dichtung, Drama -, die in den beiden Jahren 1974-1975 in Spanien erschienen: zunächst unter den Romanen das so lange verbotene Requiem por un campesino español von Ramón Sender (Destino 1974); und ganz neu von Juan Goytisolo Juan sin Tierra und - nicht in den Bereich des Romans gehörend - sein Buch J. M. Blanco White: Obra inglesa (beide bei Seix-Barral 1974); von Camilo José Cela San Camilo, 36 (Alianza 1974); von José Manuel Caballero Bonald Agata ojo de gato (Barrai 1974); von Juan Marsé Si te dicen que caí (erschienen 1974 im Ausland); von Eduardo Mendoza La verdad sobre el caso Savolta (Seix-Barral 1975); im Bereich der Dichtung das damals letzte Werk von Juan Gil-Albert Crónica general (Barrai 1974); von Gabriel Celaya Cantos iberos (Turner 1975) und von Jaime Gil de Biedma Las personas del verbo (1975); im Bereich der Theaterstücke wurde La Fundación von Buero Vallejo aufgeführt (1974) und Noche de guerra en el Museo del Prado von Rafael Alberti neu aufgelegt (Cua80 Ich hatte, während ich dies schrieb, das damals geschriebene Buch von E. Baselga und S. Urquijo: Sociología de la violencia, Bilbao: Ed. Mensajero 1975, leider nicht zur Hand. Inzwischen wurden seit dem Tod Francos bis heute (wo die Gewalt weiter am Werk ist) schon einige, wenn auch nicht viele Arbeiten Uber diese - in ihrer Dimension des Terrorismus und der Putschgelüste - für das heutige Zusammenleben in Spanien und - in ihrer Dimension der Atomrilstung - sogar für das bloße wirtschaftliche und physische Überleben der Menschheit auf unserem Planeten zentrale Frage veröffentlicht 81 Als Beispiele möchte ich aus der schier unerschöpflichen Quelle an Dokumentationen und Informationen, die die Beilagen zu den Cuadernos para el Diálogo darstellten, die Nr. 22 von J. Catalán Lafuente, M. Martínez Merino undC. García Arcones über La era de la destrucción. La degradación de la naturaleza (1971) oder Nr. 31 von Eduardo Martínez de Pisón über La destrucción del paisaje natural en España (1972) nennen. 82 Mit den zahlreichen Auflistungen von Namen und Titeln (die sowieso schon einem gewissen Auswahlprozeß unterzogen wurden) gehe ich in diesem Buch - zugegebenermamßen - das Risiko ein, daß man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht Manche Kritiker haben mir das vorgeworfen, vor allem bezüglich des Zeitraums 1969-1975. Ich gebe ihnen darin Recht - und ich weiß sehr wohl, wie man diese Schwäche hätte korrigieren können -, aber ich denke, daß ich mir genauso wenig einen Wald ohne Bäume, eine Kultur ohne Männer und Frauen, ohne Namen, ohne Bücher oder andere Schriften erfinden sollte.

201 demos para el Diálogo 1975), der damals auch - in einem anderen Literaturbereich einen Teil seiner äußerst interessanten, erinnerungsreichen Autobiographie in La arboleda perdida (Seix-Barral 1975) veröffentlicht. Der Sommer 1975 war ein Sommer des Todes und der Toten, und dies sollte bis zum Ende des Herbstes andauern. Es begann mit dem Tod von Dionisio Ridruejo am 29. Juni, einem natürlichen Tod (der doch ganz unnatürlich war, wo nur noch so wenig bis zum Ende f e h l t e ) , g i n g weiter mit dem Wahnsinn der reihenweisen Morde durch Kommandos von ETA, FRAP, GRAPO und verschiedenen anderen, weitgehend unkontrollierten Gruppen und endete - inzwischen war es Herbst - nach einem langen, grausamen Todeskampf mit dem Ableben des ewigen Staatschefs, General Francisco Franco. Inmitten all dieses Sterbens erfolgte die Festnahme, Verurteilung und unehrenhafte Entlassung aus der Armee der Mitglieder der »Demokratischen Militärunion« (Unión Democrática Militar), im August der Erlaß eines untragbaren angeblichen Antiterror-Gesetzes, das aber in Wirklichkeit antidemokratisch war, und schließlich der Ausbruch des Konflikts mit Marroko um die Sahara, mit »Grünem Marsch« und so weiter, genau in den Tagen, in denen der schon todgeweihte Franco unbarmherzig einer Operation nach der anderen unterzogen wurde, weil sich seine Anhänger weigerten zu akzeptieren, was uns allen tatsächlich nach so vielen Jahren unmöglich schien: sein Tod und sein Verschwinden aus dem politischen Leben Spaniens sowie aus unser aller Privatleben. Ich will nicht behaupten, daß es für alle so war, aber meiner Generation sowie den ihr altersmäßig Nahestehenden, und in ganz besonderer Weise den Demokraten, wird jener Morgen des 20. November 1975 ganz sicher für immer unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt sein als etwas, das den Spaniern neue, noch ungewisse Hoffnungen eröffnete. Man konnte zuerst gar nicht glauben, daß jene drei Worte - »Franco ist tot« - endlich wahr waren, die minutenlang unbeweglich und stumm auf dem kalten Femsehschiim erschienen, jene Worte, die man sich mit gedämpfter Stimme - es war eher ein Augenblick heiterer Gelassenheit als lärmenden Überschwangs - am Telefon oder bei eiligen Zusammentreffen auf der Straße gegenseitig wiederholte, jene Worte, die in riesigen Lettern auf der ersten Seite aller Zeitungen standen und die an diesem Tag eintönig und pausenlos aus den Tickem in aller Welt kamen: »Franco ist tot«. Die Zukunft, jene Zukunft hatte endlich begonnen.84 83 Später wurde - wie er es verdient hat - viel und gut über Dionisio Ridruejo geschrieben; für den Augenblick seines Todes sind hier der Leitartikel und mehrere weitere ihm gewidmete Artikel aus Nr. 141-142 (Juni-Juli 1975) der Cuadernos para el Diálogo zu nennen. 84 Da ich hier die Cuadernos para el Diálogo (eigentlich vor allem als Beispiel für das, was auch in anderen demokratischen Publikationen erschien) so ausführlich zitiert habe, möchte ich abschließend anmerken, daß man dort den Tod Francos immer als hoffnungsvollen Beginn dieser Zukunft ins Auge gefaßt hatte. Der ausführliche Leitartikel, der in Nr. 146 (November 1975) erschien, trug schon den Titel Espafia después de Franco: el reto und der Hintergmndartikel von Ruiz-Giménez hatte die Überschrift Los deberes del tránsito. Das Titelblatt von Nr. 147 (Dezember 1975) zeigte einen dicken, bis zum Zerreißen gespannten Strick - an dem viele zogen - (das »festgezurrte« Regime sollte dem demokratischen Durchbrach nicht standhalten können) und trug als einzigen Titel (wie heute sicher viele bemerken würden: in großen roten Buchstaben!) wieder nur drei Worte: »Spanien will Demokratie«.

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Nachwort: Kultur und Politik im demokratischen Spanien

Was in Spanien seit 1975, seit dem Tod General Francos, geschehen ist, läßt sich nicht ohne Kenntnis dessen verstehen, was in Politik und Kultur sowie an sozialen Kämpfen und ökonomischen Veränderungen während des Prozesses der Erringung von Freiheit und Demokratie im Laufe der fast vierzigjährigen Diktatur, die sich infolge des fürchterlichen Bürgerkrieges von 1936-1939 etabliert hatte, vorgefallen ist. In diesem Band habe ich deshalb versucht, die wichtigsten Beiträge darzustellen, die zugunsten der genannten grundlegenden Ziele allmählich und unter großen Mühen zwischen 1939 und 1975 - auch durch geistige Arbeit, durch den beschränkten, aber wirkungsvollen Einfluß des Denkens, der Philosophie und der Sozialwissenschaften oder auch der Studentenbewegungen, im Zuge der ständigen, unvermeidbaren Wechselwirkungen zwischen Kultur und Politik - geleistet wurden. Diese Beiträge und vor allem die sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfe sowie die zunehmenden Modernisierungsforderungen weiter Teile der neuen Mittelschichten, der Freiberufler und Techniker, waren - selbstverständlich neben der entschlossenen Mitwirkung des Königs - die Grundfaktoren, die den Wandel, den »verhandelten Umbruch«, den Weg des Konsenses und der Reformen hin zur Demokratie ermöglichten, der 1977 zu den ersten freien Wahlen und bald darauf - 1978 - zu einer Verfassung führte. Ich will damit andeuten, daß es eine starke Linie der Kontinuität und eine Kausalbeziehung zwischen der Opposition gegen die Diktatur bis 1975 und dem Wandel zur Demokratie gab, der nach diesem Datum einsetzte. Ohne Kenntnis des ersten ist daher ein Verständnis des zweiten nicht möglich. Es gab also kein überraschendes »Wunder«, aber genauso wenig eine determinierte historische Notwendigkeit. Und schließlich trugen selbstverständlich zu jenem Prozeß des Übergangs - der sogenannten transición - außer den genannten entscheidenden Faktoren auch viele andere Kräfte und Instanzen nationalen und internationalen Charakters bei, angefangen z. B. mit den Veränderungen in der katholischen Kirche bis zur wohlwollenden Haltung der Westmächte, ohne deren Zustimmung zwar nicht alles unmöglich, jedoch sehr viel schwieriger, traumatischer und komplizierter gewesen wäre.

/ Der Thematik des vorliegenden Buches entsprechend will ich mich hier auf den kulturellen Bereich beschränken, wenn ich - unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität im Kampf um die Freiheit - der Frage nachgehe, wie die Hauptbeiträge dazu aussahen, die zunächst unter der Diktatur und gegen diese begonnen und dann während der

204 Transition und unter den derzeitigen, gefestigten demokratischen Umständen fortgeführt und vertieft wurden, wobei ich den sozialen und politischen Konnotationen besondere Aufmerksamkeit schenken will. Welchen Beitrag hat also nach 1939 die inoffizielle, oppositionelle Kultur, das kritische, liberale, demokratische und sozialistische Denken geleistet? Wie wurde das Errungene gesichert, und welche neuen Probleme ergaben sich unter den schon sehr viel günstigeren Umständen nach 1975? Ich kann auf diese Frage hier selbstverständlich nur sehr kurz und knapp eingehen. Eine ausführliche Darstellung und Analyse all dessen, was sich in den Beziehungen zwischen Kultur und Politik in den inzwischen fast fünfzehn Jahren eines demokratischen Regimes ereignet hat, selbst eine knappe Besprechung dessen, was im Bereich der Philosophie und der Sozialwissenschaften produziert wurde - um von der Literatur und all den anderen Ausdrucksformen des geistigen und künstlerischen Lebens gar nicht erst zu sprechen -, würde ein mindestens so umfangreiches Buch erfordern, wie es der Leser in Händen hält. Um die gestellten Fragen zu beantworten, werde ich mich also darauf beschränken, einige der bedeutendsten Leistungen hervorzuheben, die wohl fairerweise als zugleich kulturelle und politische Errungenschaften jenes kritisch-demokratischen Denkens anzusehen sind, das als Widerstand gegen das Franco-Regime begann und sich in der Transition und im aktuellen freiheitlich-verfassungsmäßigen System - trotz all der Unzulänglichkeiten, die man aufzeigen könnte - fortgesetzt hat. 1. An erster Stelle ist der Kampf um die Wiedererlangung der Freiheit - der von der Diktatur verweigerten Freiheiten - zu nennen. Zu dieser Aufgabe leistete die intellektuelle Arbeit fast von Anfang an einen positiven Beitrag. Dazu mußte sie sich »die Freiheit nehmen«, die von oben weder gewährt noch geduldet wurde. Zweifellos ist die Gedankenfreiheit das Grundelement und das angemessenste und zuträglichste Mittel für eine solche Arbeit, für wissenschaftliches, kulturelles oder künstlerisches Schaffen, für eine nicht bloß akademisch-gelehrte Philosophie, sondern eine, die sich als kritisches Gewissen der Gesellschaft versteht. Ohne einen »Mindestbereich« von Freiheit ist in der Welt der Kultur (wie auch in anderen Welten) gar nichts möglich. Das geistige Schaffen ist jedoch nicht nur und nicht immer mechanisches Ergebnis bestehender politischer Freiheit im Sinne der Freiheit der Meinungsäußerung. Obwohl dies selbstverständlich nicht wünschenswert ist, läßt sich beides doch voneinander trennen. Freiheit mußte in der Geschichte immer erst errungen werden, und man kann sie auch durch geistige Anstrengung erringen, indem man - mit Intelligenz, Vernunft, Überzeugungskraft, Reflexion, Kritik und, wenn möglich, Dialog - den Weg bereitet und Freiräume gewinnt. So gesehen erscheint Freiheit also mehr als Ergebnis und weniger als unbedingte Voraussetzung geistiger Arbeit. Im vorliegenden Buch gibt es bedeutende - wenn auch immer nur ausgewählte Beispiele von Dichtern, Philosophen, Romanautoren und Wissenschaftlern, die unter den schwierigen Bedingungen der Diktatur für die Freiheit kämpften, insbesondere

205 gegen ihre damals am drückendsten empfundenen Beschränkungen: für Gedankenfreiheit und freie Meinungsäußerung, für die Freiheit der Kritik und gegen Zensur und Selbstzensur, für ideologischen und politischen Pluralismus und letztlich für die demokratischen Freiheiten. Daneben gab es in den fortschrittlichsten kulturellen und gesellschaftlichen Sektoren auch Bemühungen, die an dem sich unmittelbar daraus ergebenden, aber immer unerreichten Ziel orientiert waren, die wirkliche, echte Befreiung aller Menschen von allen Formen politischer und wirtschaftlicher Unterdrückung und Ausbeutung zu erreichen. Im vergangenen Jahrzehnt, das wir schon in Demokratie und unter der transnationalen Vorherrschaft des konservativen Neoliberalismus erlebten, ist die theoretische und praktische, ethische und politische Diskussion in diesem Bereich zwischen den beiden klassischen Dimensionen der positiven und der negativen Freiheit wieder aufgeflammt, wobei in der Regel letzterer übermäßige, ausschließliche Bedeutung beigemessen wird. Dem und dem heute so schamlos vertretenen unsolidarischen Neoindividualismus versuchen sich noch immer und erneut die - meines Erachtens gültigen Ansätze zur notwendigen Koordination des einen mit dem anderen zu widersetzen, die so auch die tatsächlichen Möglichkeiten für eine Freiheit fördern, die zugleich mehr legitime Gleichheit schafft. Letztlich lassen sich auch die fortschrittlichen Forderungen nach einem wirksamen Zusammenschluß libertärer Bewegungen einerseits und sozialdemokratischer andererseits auf dieser Linie ansiedeln. 2. Parallel dazu hat es in all dieser Zeit ein - hier vor allem auf die Philosophie und einige Sozialwissenschaften bezogenes - Bemühen um eine wirkliche Rekonstruktion der Vernunft gegeben. Diese Vernunft wird zunächst eingesetzt, um angesichts der offiziellen Inthronisierung des traditionellen anti-intellektuellen Mißtrauens des hispanischen Katholizismus eine Bresche zu schlagen gegen den Irrationalismus faschistischer Prägung, gegen alle religiösen und politischen Dogmen der Zeit, gegen den einfachen Haß auf die Intelligenz. Später äußert sie sich aber auch - schon differenzierter - als Kritik an den angeblich entideologisierten technokratischen »Rationalisierungen« der sechziger Jahre, deren Einfluß - infolge der weltweiten Vorherrschaft der funktionalen, »rein« instrumenteilen Vernunft - bis in unsere Tage anhält. In diesen langen Prozeß der Rekonstruktion der Vernunft gehört auch die - trotz allem - fruchtbare Auseinandersetzung jener Jahre zwischen analytischer und dialektischer Vernunft bzw. später zwischen diesen sowie der aufgeklärten, teleologischen Vernunft auf der einen und dem neuen, in letzter Zeit wieder so stark aufgekommenen Irrationalismus auf der anderen Seite. Ein bedeutendes Kapitel dieses Abschnitts wäre selbstverständlich die Behandlung der internen Voraussetzungen und Grenzen wissenschaftlicher Vernunft und in Verbindung damit - zugleich bestätigend und widerlegend - die Frage ihrer Vereinbarkeit mit den Postulaten der praktischen Vernunft sowie die der Überwindung sowohl der szientistischen als auch der voluntaristischen Reduktion auf dem immer gangbaren Weg der kritischen Vernunft. Trotz erheblicher

206 methodologischer und anderer Unzulänglichkeiten und Grenzen gibt es doch in der spanischen Philosophie der letzten Zeit zu all diesen Auseinandersetzungen und Spannungen repräsentative Beispiele. 3. In den Jahren des Übergangs zur Demokratie wird auch endlich der Bruch aufgehoben, den Bürgerkrieg und Franco-Regime mit der kulturellen und politischen Vergangenheit Spaniens - besonders mit der weniger orthodoxen, kritischen - vollzogen hatten. Die Rückgewinnung der alten fortschrittlich-liberalen Kultur von vor 1936 und damit auch der demokratisch und sozialistisch ausgerichteten Kultur, die endgültige Wiedergewinnung der »historischen Erinnerung«, wurde erst in letzter Zeit vollständig erreicht. Aber auch hier gehen die Anfange bis in die vierziger Jahre zurück, wobei die Fortschritte jeweils umgekehrt proportional zur »Gefährlichkeit« der Lehren und direkt proportional dazu waren, wie hoch das Regime die Möglichkeit einschätzte, sie für die eigene Legitimierung zu instrumentalisieren. Die Reihenfolge dieser - zuweilen doppelten - Rückgewinnung war folgende: zuerst Costa und seine Anhänger, die das Regime von Anfang an ohne weiteres instrumentalisierte; dann die Generation von 1898, die vom gegnerischen Denken in ihrer Gesamtheit, d. h. in all ihren Ausdrucksformen, Werken und Autoren - nicht nur in den am ehesten einseitig integrierbaren und integrierten, sondern vor allem in den kritischsten und am wenigsten orthodoxen - vereinnahmt wurde; anschließend Ortega und seine Schüler, die ebenfalls warten mußten, bis ihre Zeit der Zulassung gekommen war; größere Schwierigkeiten hatten die Intellektuellen, Schriftsteller und Künstler der sogenannten Generationen von 1914 und von 1927 und noch allgemeiner das gesamte Denken, das auf die eine oder andere Weise mit der Institución Libre de Enseñanza verbunden war, das in der Nachbürgerkriegszeit so hart angegriffen wurde und dessen Rückgewinnung (nicht von Seiten des Regimes, sondern von Seiten der spanischen Kultur) erst spät in den sechziger Jahren begann. Eine freie, gründliche Diskussion der politischen Leitvorstellungen und Bestimmungsfaktoren der Zweiten Republik und des Bürgerkriegs (1931-1936/39) konnte in aller Öffentlichkeit erst nach Francos Tod im Laufe des Übergangs zur Demokratie stattfinden; dies gilt auch für die besten Vertreter des Liberalismus wie Azaña, für Katholiken und Progressive wie Bergamin und vor allem für die Sozialisten, von Besteiro oder De los Ríos bis Prieto, Araquistain, Negrin oder Largo Caballero, sowie für die Vertreter anderer linker Richtungen, für Libertäre und orthodoxe oder heterodoxe Kommunisten (wie z. B. Andreu Nin). All dies, das mit der Niederlage von 1939 abrupt unterbrochen und unter so vielen Mühen im Laufe jener Jahre für die spanische Kultur (auf der Suche nach ihren berühmten »besonderen Kennzeichen«) zurückgewonnen und überarbeitet wurde, scheint jedoch weder bei manchen offiziellen staatlichen Stellen noch bei den jüngeren Universitätsjahrgängen hinreichend Interesse, Beharrlichkeit und Forschergeist zu wecken für die noch immer notwendige ausführlichere Reflexion über das, was in je-

207 nen für unsere Zeitgeschichte so entscheidenden Zeiten in der Realität und im Denken geschehen ist. Es mag sein, daß die frühere Überfütterung zu Ermüdungserscheinungen geführt hat, oder auch, daß Gründe der politischen Opportunität eine Rolle spielen, daß man die Vergangenheit des Krieges nicht wieder heraufbeschwören möchte; aber historische Vergeßlichkeit, Unwissenheit über das, was geschehen ist und was getan werden mußte, die damit verbundenen Risiken eines Rückfalls in die Ignoranz und die große Verwirrung, die dies für die Gegenwart und für die Zukunft bedeuten würde - bedeutet? -, können nichts rechtfertigen, nichts Gutes hervorbringen und nichts nützen. Jedenfalls ist festzustellen, daß es in Spanien auch nicht an starkem Widerstand gegen ein solches ahistorisches und unwissenschaftliches Vergessen oder Verzerren der Vergangenheit fehlt. Eine - wenn auch nicht die einzige - Widerstandslinie ist die der Arbeiten und Forschungen im Umfeld der Madrider »Gesellschaft zur Erforschung des Bürgerkriegs und des Franquismus« (Sociedad de estudios de la guerra civil y elfranquismo). 4. Die Rückgewinnung dieser wertvollen Vergangenheit verlangte zwangsläufig auch die Wiederaufnahme der Kommunikation mit ihren legitimen Nachfolgern außerhalb Spaniens, d. h. die Wiederherstellung einer echten geistigen Gemeinschaft mit dem Exil und die Überwindung des durch den Dogmatismus, das Unrecht und die Verfolgungen des Bürgerkrieges hervorgerufenen Bruchs. Auf die zeitliche folgte die räumliche Überbrückung, bzw. beide erfolgten gleichzeitig. Dieses Ziel setzte voraus, daß man all das, was spanische Emigranten - vor allen Dingen in der Philosophie, den Wissenschaften, der Prosaliteratur und auch der Lyrik - in jenen schwierigen Jahren fern von ihrer sehnsüchtig vermißten, fast zum Mythos erhobenen Heimat produzierten, kennenlernen und bekannt machen, daß man zwischen beiden Seiten die Mauer des Schweigens oder der Beleidigung niederreißen, daß man ein für allemal den erbärmlichen, engstirnigen reaktionären Mythos vom Anti-Spanien zerstören mußte, ein manichäistisches Dogma, in dem man unnützerweise die spanische Jugend in den ersten triumphalen und imperialen Zeiten der Franco-Ära »erziehen« wollte. Seit den fünfziger Jahren zeigte sich, wenn auch unter großen Schwierigkeiten und Mißverständnissen auf beiden Seiten, der Beginn eines neuen Geistes des Dialogs und der Auseinandersetzung. Das »verlorene Denken« des Exils - wie Max Aub es genannt hat - wurde im Laufe der Zeit allmählich wieder aufgenommen und gewann Einfluß auf die Intellektuellen im Inland. Aber erst im demokratischen Spanien konnte diese Kultur voll und ganz zurückgewonnen werden, und auch dann erst war im übrigen die physische Rückkehr aller Emigranten möglich, von denen die politisch und geistig bedeutendsten (man denke nur an Alberti) noch im Ausland waren. Nicht das Denken des Exils ging also verloren, sondern viel Zeit durch vielfach nicht wiedergutzumachende Mißgeschicke und Verzögerungen. Auf jeden Fall aber brachten die Exilanten neuen Wind aus anderen - vorwiegend lateinamerikanischen und europäischen - Kulturen mit, die im Inland erhebliche positive Auswirkungen hatten.

208 5. Gerade die Überwindung der geistigen Isolation - im übrigen nicht die einzige Isolation die Franco-Spanien (vor allem in der ersten Zeit) so negativ kennzeichnete und definierte, war - aus einem normalen Bedürfnis nach Kommunikation - immer ein Hauptanliegen aller Strömungen des kritischen, pluralistischen, liberalen und demokratischen Denkens gewesen. In den sechziger Jahren änderte sich die Situation (durch den Tourismus, die Abwanderung von Arbeitern in die Schweiz und in die Bundesrepublik Deutschland, vermehrte Studienreisen und -aufenthalte an europäischen und amerikanischen Universitäten) erheblich, aber irgendwie blieb die Zensur und das absolute Verbot bestimmter Themen, Autoren oder Bücher (auch Kinofilme und Presseprodukte) aus anderen Ländern mit »gefährlichen und schändlichen, unserem Wesen fremden« Kulturen und Philosophien bestehen, wenngleich - Gerechtigkeit muß sein - in dieser Hinsicht auch »infizierte« Inländer mit ihren Kreationen und Publikationen kaum besser behandelt wurden. Heute, in der Demokratie, liegt die Gefahr wohl eher im Gegenteil: in allzu großer kultureller Abhängigkeit, Überdruß am Eigenen, Mißbrauch der Auslegung, nachgeplapperten Erklärungen von allem, was aus dem Ausland, insbesondere aus Nordamerika oder von den großen transnationalen Konzemen kommt, die die beherrschende Kultur produzieren und vertreiben. In jedem Fall ist es aber besser, diese Auswüchse mit all ihren Problemen und Nachteilen zu kontrollieren, als in provinzielle Isolation oder nationalistischen Purismus zu versinken. 6. Dies steht in direktem, wenn auch nicht einfachem oder einseitigem Zusammenhang mit einer der zweifellos wichtigsten Tatsachen in Kultur und Politik des heutigen demokratischen - aber auch des früheren - Spanien: Ich beziehe mich auf die historische Tatsache - nach zahlreichen Teilungen in der Vergangenheit und einer ebenso großen Zahl von unfreiwilligen, erzwungenen Zusammenschlüssen - der Behauptung und Anerkennung der spachlichen, kulturellen und politischen Vielfalt der hispanischen Regionen und Nationalitäten, also auf den fortschreitenden, immer offenen Übergang zu einer Situation, die durch einen wahrhaftigeren, realistischeren und gerechteren kulturellen Ausdruck pluralistischer Art (u. a. mit einer Normalisierung des Katalanischen, des Baskischen und des Galizischen als gleichfalls offizielle Sprachen) charakterisiert ist, im Gegensatz zu der früheren gleichmacherischen und erbärmlichen Fiktion von einer einzigen nationalen (einstmals angeblich »imperialen«) Kultur, die sich nur in spanischer Sprache ausdrückt, wie sie oft sogar von NichtSpaniern durchgesetzt wurde; und gleichzeitig geht es um den Schritt vom entsprechend zentralistischen Staat, wie er durch das Franco-Regime diktatorisch behauptet wurde, zu einem Staat autonomer Gemeinschaften, wie ihn die heutige demokratische Verfassung vorsieht. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es jedoch auch auf dieser Ebene Risiken und Anzeichen für unkritischen, isolationistischen Lokalpatriotismus, für »neue« mystische Verkörperungen des regional-nationalistischen Kollektivs, für hurrapatriotische

209 und ultranationalistische Vorstellungen, die mit sozialen Bewegungen fortschrittlichen Anstrichs vermischt werden. Vielleicht können Europa und die Welt in Zukunft Ausweg und Lösung für solche und ähnliche unsolidarische Spaltungen, für diese irrige Flucht - durch Verherrlichung des Stammes und sogar der Rasse - vor dem auch in unserer Zeit stattfindenden Verlust der persönlichen Individualität, der kollektiven Solidarität und sogar der gemeinsamen Menschlichkeit bieten. 7. In diesem kurzen Abriß über Kultur und Politik im demokratischen Spanien ist schließlich - in enger Verbindung mit allem bisher Gesagten - ein ganzes, allerdings nur vorläufig abgeschlossenes Kapitel von Themen, Büchern und Autoren hervorzuheben, die in direkter Beziehung zu dem stehen, was man die aktuellen Probleme der Demokratie nennen kann. Schon während Francos Herrschaft, unter ihm und gegen ihn, waren viele der sozusagen allgemeinen - ideologischen und institutionellen - Probleme demokratischer Regime, ihre Voraussetzungen und Anforderungen, ihre Diskrepanzen und grundlegenden Unterschiede etwa zu der falschen »organischen Demokratie« oder zu den entsprechenden Fälschungsversuchen eines Rechtsstaats aufgeworfen und diskutiert worden. Aber vor allem während der Transition und in der heutigen Demokratie geht man endgültig von dieser unumgänglichen allgemeinen Theorie, die alle Franco-Gegner einte, zu mehr spezifischen, detaillierten und konkreten Untersuchungen über jede einzelne politische Partei, jede einzelne der vielen Strömungen, Ideologien und Programme, die bei Wahlen in den Ring gehen, jede einzelne der Gewerkschaftsbewegungen, sowie sogar jede ihrer verschiedenen Führungspersönlichkeiten, ihrer Lebensläufe, ihrer verschiedenen Standpunkte usw. über. In den ersten Jahren des Übergangs zur Demokratie war ein deutliches Anwachsen einer politischen Massenkultur zu verzeichnen, der Wille und das Bedürfnis der Menschen nach vermehrter politischer Information über alte Themen oder »neue« Fragen wie Wahlsysteme, regionalistische und föderalistische Systeme, Verfassungsprobleme usw. Mit der Zeit schwächte sich logischerweise diese erste (praktische und theoretische) Begeisterung ab, vielleicht sogar - im Zuge der berüchtigten »Entzauberung« - allzusehr; politische Themen wurden zu einem engeren Forschungs- und Diskussionsbereich, außer bei besonderen Anlässen wie etwa dem versuchten Staatsstreich vom 23. Februar 1981, dem Referendum über die NATO vom 12. März 1986 oder zuletzt dem friedlichen Generalstreik vom 14. Dezember 1988, wo das hohe Ausmaß aktiver Beteiligung - wie auch bei den regulären Wahlen von 1977, 1979, 1982 und 1986 - an das Grundinteresse an diesen und anderen großen Themen bester demokratischer politischer Kultur anknüpfte. An erster Stelle in den Analysen und kritischen Beurteilungen in Politik-, Rechtsund Wirtschaftswissenschaften, in der Soziologie, der Ethik oder der Philosophie stehen dabei im instabilen kulturellen Kontext des heutigen Spanien - ohne hier Vollständigkeit beanspruchen zu wollen - die folgenden: Probleme unterschiedlichster Art im Zusammenhang mit der Verfassung und ihrer richtigen Interpretation, Fortschrei-

210 bung und Anwendung; die Nationalismen und das tatsächliche Funktionieren eines Staates autonomer Gemeinschaften, und zwar leider immer vor dem Hintergrund von Gewalt und Terrorismus; Rechtfertigung der Demokratie, Bürgerrechte und legitime Aufgaben des Staates; wirtschaftliche Probleme, Arbeitslosigkeit, Marginalisierung und soziale Konzertierung; das transnationale Kapital; die individualistischen Privatisierungsideologien der »neuen« Rechten; die Korporatisierung der Gesellschaft; das Aufkommen neuer Technologien; Neubesinnung der Linken und Zukunft des Sozialismus; Europa als politischer, gesellschaftlicher und kultureller Raum; die aktive Präsenz der Ziele und Werte neuer sozialer Bewegungen (Umweltschutz, Pazifismus, Feminismus usw.) in der zivilen Gesellschaft und ihre wirkungsvolle Einbindung in die Institutionen der repräsentativen und verfassungsmäßigen Demokratie ...

II Etwas von alledem scheint mir - mit Erfolgen und Rückschlägen - die Kultur und Politik Spaniens in der letzten Zeit, vom Kampf gegen die Diktatur bis zur heutigen demokratischen Situation, zu charakterisieren. Dies soll mir als Grundlage für den zweiten Teil dieses Epilogs dienen, in dem ich eine knappe kritische Einschätzung verschiedener Ideologien vornehmen möchte, die ich - wegen ihrer verzerrenden, deformierenden Orientierung - durchaus abwertend (ja sogar, wenn es erlaubt ist, im Marxschen Sinne) als Ideologien des Übergangs bezeichnen möchte. Es handelt sich dabei um Erklärungen des Übergangsprozesses, die in jedem Fall - unbeschadet ihrer positiven Aspekte - einer notwendigen Beurteilung und kritischen Betrachtung unterzogen werden sollten. Ich beabsichtige selbstverständlich nicht, hier die Geschichte des Übergangsprozesses neu zu schreiben, gewiß nicht die objektive Geschichte der Fakten und Ereignisse, aber auch noch nicht einmal die interne, persönliche Geschichte aus der Sicht bzw. der Erfahrung meiner Generation, die sich - von der Opposition aus gesehen - in vorweggenommener Synthese der Generationen von 1956 (die mehr auf Politik und Institutionen, auf Demokratie und Sozialismus setzte) und von 1968 (mehr Libertarismus und Aktivismus in der zivilen Gesellschaft) »in den Sattel« (oder vielmehr in den SEAT 600) schwang. Es geht nur darum, an einige Dinge zu erinnern, von denen ich glaube, daß sie heute zu einem besseren (gegenseitigen) Verständnis beitragen können. Das waren wir: junge Studenten 1956, junge Dozenten 1968. Hieraus entsprang - zusammen mit vielen anderen wichtigen Beiträgen - nach 1975, nach jenem unvergeßlichen Morgen des 20. November, das, was - nach einer unbestimmten Zeit, die wir »Transition« nannten - ohne festes Datum (vielleicht 1978, vielleicht 1982) zur heutigen Demokratie führte. Inzwischen waren wir allerdings schon nicht mehr so jung ... Nicht von dieser Geschichte, von diesen Erinnerungen möchte ich jedoch hier, im Anschluß an einige methodologische, die Grenzen dieser Anmerkungen klarstellende Erläuterungen, sprechen.

211 Im übrigen gibt es schon Bücher mit Analysen aus unterschiedlichen Ansätzen, die eine geordnete, genaue Chronologie der Ereignisse jener Jahre mit einer Zusammenfassung der aufgeworfenen Hauptprobleme - manche alt, einige sogar sehr alt, andere damals neu aufgetreten - sowie der von verschiedenen Seiten vorgeschlagenen Auswege und/oder Lösungen bieten. In diesen Büchern (von denen in der anschließenden Auswahlbibliographie eine ganze Reihe verzeichnet sind) kann man genügend Informationen über das finden, was sowohl im Bereich der Politik als auch in dem der Kultur in dieser Zeit geschehen ist. Die erwähnten Lösungsvorschläge bedingen, sofern sie effektiv angewandt wurden bzw. werden konnten, ihrerseits die Ergebnisse, den Charakter und die internen und externen Bedingungsfaktoren der allgemeinen Lage am jetzigen Ende der achtziger Jahre, während ich diese Seiten schreibe. In all den Jahren seit 1975 und sogar schon viel früher - in Anknüpfung, wie gesagt, an die illegale politische und kulturelle Opposition gegen das Franco-Regime orientiert sich die allgemeine theoretische und praktische Linie, die die Transition erzeugt, selbstverständlich an unterschiedlichen Auffassungen, denen ein demokratischer Charakter gemein ist. Aus ihr entstehen und von ihr grenzen sich letztlich die verschiedenen Projekte für politischen und sozialen Wandel ab, die in jener Zeit entworfen werden. Daher müßte eine Geschichte des Übergangsprozesses auch weitgehend eine Geschichte dieser unterschiedlichen politischen Auffassungen und Vorstellungen (Ideologien im deskriptiven Sinne) sein, die die Theorie und Praxis jener Demokratie ausmachten: also konservative, liberale, christdemokratische, nationalistische, sozialdemokratische, libertäre, sozialistische, kommunistische Ideologien usw. Aber es ist - wie schon gesagt - nicht diese Geschichte, womit ich mich hier befassen will, zumindest nicht direkt und frontal, wenn sie auch als ständiger Bezugspunkt im Hintergrund bleibt. Auch zu diesen verschiedenen politischen Ideologien, Bewegungen und Parteien, die den demokratisch-verfassungsmäßigen Regenbogen bilden, gibt es inzwischen zahlreiche Publikationen. Ebenso wenig will ich auf diesen Seiten die antikonstitutionellen, antidemokratischen Ideologien direkt behandeln, die das Spanien des Übergangs (vor allem in der ersten Zeit) ziemlich belastet und die selbstverständlich alles in ihrer (bewaffneten) Hand liegende getan haben, um die Demokratie zu zerstören; aber auch sie werden unvermeidlich Kontrapunkte, negative Bezugspunkte sein. Wenn ich also hier von den »Ideologien des (bzw. vom) Übergang« spreche, dann ist meine - bescheidene - Absicht eine kurze, kritische Übersicht über einige Denkformen, Mentalitäten, Einstellungen (ich weiß nicht genau, wie ich es nennen soll), die sich - in der Regel innerhalb der gemeinsamen demokratischen Koordinaten, sehr häufig sogar mit links-radikalen Hoffnungen - im Laufe jener Jahre in unserem Land, mit mehr oder weniger großer Lautstärke und Durchsetzungskraft, als zeitgenössische Ideologien von der Transition als solche präsentierten. Gleichfalls in unterschiedlichem Grad und verflochten mit den schon erwähnten »großen Ideologien«, haben diese »Mikro-Ideologien«, wie mir scheint, einen gewissen Einfluß auf die Ge-

212 bräuche, die theoretischen und kulturellen - zumindest die semantischen - Konstruktionen und die politischen und sozialen Verhaltensmaßstäbe des heutigen Spaniens gehabt (und haben ihn zum Teil noch immer), wobei all dies häufig und vorwiegend, wenn auch nicht immer konsistent, »vermittelt« wurde durch die Wiedergabe in den großen öffentlichen und privaten Informations- und Kommunikationsmedien. Es geht um Einstellungen und Mentalitäten, die als Interpretationen des Franquismus und der Transition formuliert wurden und die fast immer im Zuge der Ereignisse entstanden, so daß sie selbst ein Teil der Wandlungsprozesse sind und diese gewissermaßen bedingen. Eine vollständige Darstellung würde die ausdrückliche Nennung der vorliegenden umfangreichen Dokumentation (Autoren und Titel) und deren Diskussion verlangen. Das Ergebnis wäre eine weit umfassendere und bedeutendere Arbeit, als es diese wenigen Seiten sein können. Es handelt sich fast durchgängig um Ideologien kritischer Ausrichtung (was positiv ist), die aber in gewisser Hinsicht ihrerseits Kritik verdienen; im allgemeinen geht es um linke Ideologien, die jedoch wegen ihres extremen Radikalismus - wie ich meine - einen falschen, unangemessenen Standpunkt einnehmen. Ich hebe diese Aspekte hier als »Kritik an der Kritik« hervor, ohne dabei - auch wenn ich dies nicht immer ausdrücklich sage, um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden - ihre gültigen und sogar für manche Verbesserung und Stärkung der Demokratie nützlichen Seiten zu vergessen. Ich bewege mich also zugegebenermaßen in dem Rahmen, der mir der geläufigste ist, nämlich dem der Kritik und Auseinandersetzung, also auch des Dialogs, innerhalb der Positionen der Linken. Wenn ich hier von »Ideologien« spreche, dann auch, um auf ihre Deformationen und die von ihnen möglicherweise bewirkten Verzerrungen hinzuweisen, die letztlich für die Demokratie sogar Behinderungen und Unsicherheiten hervorgerufen haben. Obwohl diese Ideologien, wie sie hier (in einer ganz knappen Zusammenfassung) dargestellt werden, offenkundig nicht immer eine lineare, geordnete zeitliche Abfolge aufweisen, sondern sich häufig gegenseitig auf unregelmäßige Weise überlagern, finden sie doch in gewisser Weise eine allgemeine Entsprechung in der Chronologie des Übergangs von 1975/76 bis heute. Nach dem Ende des Übergangsprozesses zeigen sie sich dann trotz Beibehaltung ihres dualen Charakters schon mehr als »Ideologien über die Demokratie«. 1. Wohl die ersten in dieser Abfolge (1976/77) - nach dieser meiner eigenen Einteilung - waren die Ideologien, die ich essentialistisch nennen will und die angesichts der Unvollkommenheit und Hartnäckigkeit der Tatsachen bald radikal skeptische Untertöne bekommen sollten; dies ging sogar bis zur wiederholten ausdrücklichen Verneinung der Möglichkeiten des politischen Wandels, wie er in jenen Jahren in Spanien vorbereitet und versucht wurde. Damals habe ich sie kritisch als »regressive Überbleibsel in der Ideologie der Linken«, in ihrer Geisteshaltung und ihren taktischstrategischen Vorstellungen bezeichnet: sie praktizierten vor allem den essentialistischen Diskurs von Sein und Nichtsein.

213 Die Welt, die Wirklichkeit - einschließlich der sozialen und politischen Wirklichkeit - wird demnach nicht als Prozeß, nicht als konkrete Dialektik von Quantität und Qualität, sondern vielmehr als Entität aufgefaßt, die aus monolithischen Blöcken reiner, geschlossener, absolut guter oder schlechter, voneinander vollkommen und manichäistisch getrennter Wesenheiten gebildet ist. Da es sich um eine Denkweise handelt, die damals von manchen Teilen der radikalen Linken vertreten wurde, ist es möglich, daß man auf diesen Gedanken bzw. diese Ideologie - außer durch sehr unterschwellige Einflüsse sogar theologischer und scholastischer Herkunft - auch über eine trivialisierte, mechanistische Lesart der Lehre vom Klassenkampf verfallen war. Folglich denkt man nach dieser essentialistischen, im allgemeinen unbewußt übernommenen, vielleicht nie ausdrücklich ausgesprochenen Auffassung, daß es keinen allmählichen Fortschritt von einer Qualität (Wesenheit) zu einer anderen geben kann, sondern nur ihre radikale und absolute Verdrängung durch die entgegengesetzte, d. h. daß letztlich aus dem so verstandenen Nichtsein niemals Sein entstehen kann. Für den Bereich der spanischen Politik der damaligen Zeit, in dem dieser Diskurs explizit stattfindet, ist dies gleichbedeutend mit der absoluten - eintönig und dogmatisch ein ums andere Mal wiederholten - Gewißheit, daß aus Nichtsein (aus Nicht-demokratisch-sein), also aus dem alten Regime, niemals Sein (Demokratisch-sein) entstehen könne, daß also das, was angeblich damals gerade geschah, nicht geschehen könne, außer auf dem Wege der vollständigen, revolutionären Zerstörung jenes Nichtseins, jener alten Wesenheit. Parallel dazu wurde behauptet, man könne auf gar keinen Fall mit Hilfe von Abkommen, Übereinkünften und langsamen Teilreformen (wie sie in jenen Jahren schon mit hinlänglichem Erfolg praktiziert wurden) vom Schlechten - dem Franquismus - zum Guten - zur Demokratie - übergehen, sondern nur durch eine echte Wesensänderung, eine kollektive Katharsis, einen revolutionären voluntaristischen Sprung, für den es nicht die geringste Vorbereitung oder Vorsorge gab und für den auch keinerlei menschliche oder materielle Ressourcen zur Verfügung standen. Der essentialistische Fundamentalismus wurde folglich, wie jeder Perfektionismus, zwischen maximalistischem Verbalradikalismus und einer Praxis hinund hergerissen, die wenig Initiativen aufwies, ja fast bewegungslos war, dafür aber voll von Vorwürfen gegen die anderen und - bei denen, die wirklich guten Glaubens waren (solche gab es) - von »Gewissensbissen« über das eigene Verhalten. Die Kritik an dieser essentialistischen Ideologie führt keineswegs - weder theoretisch noch praktisch - zur Annahme einer bloßen »natürlichen«, mechanisch-organischen, internen Evolution des Systems (oder wie immer man es nennen will) - und darf auch nicht dorthin führen. Dies gilt sowohl im Hinblick speziell auf das politische System des Franco-Regimes als auch allgemeiner auf die Totalität des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Kritik stellt im Gegenteil die Notwendigkeit der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Arbeit der demokratischen Opposition in den Vordergrund und betont stets deren Potential zur Veränderung der Wirklichkeit. Aus diesem Grund schließt sie auch - damals wie heute - die determini-

214 stische Variante jener Ideologie ein, die ebenfalls die Möglichkeit zum Wandel durch Reform und Konsens bestreitet, wobei sie sich auf die geschichtliche Bestimmung beruft, wonach »die Vergangenheit lehrt, daß man nie oder fast nie auf diesem Wege der allmählichen Evolution eine Diktatur hat überwinden können.« Es war keineswegs klar, was erwartet oder verlangt wurde (in den meisten Fällen jedenfalls sehr viel mehr, als jeder einzelne persönlich zu tun bereit gewesen wäre), aber trotzdem beharrte man wie besessen darauf, daß in anderen Ländern eine Volkserhebung, ein Militärputsch, ein Weltkrieg und ähnliches mehr erforderlich gewesen sei und daß wir - ausgerechnet wir! - gewiß nicht die Ausnahme sein würden, die für den Übergang von der Diktatur zur Demokratie darauf würde verzichten können. Hier vermischten sich offenbar zwei verschiedene Demokratiebegriffe zu einem wirren Amalgam: die Demokratie jener anderen Länder, wie sie auch Spanien anstrebte, und die »vollkommene« Demokratie ihrer ehrgeizigen Träume. Obwohl es in diesen Kreisen ständig hieß »Die Phantasie an die Macht!«, herrschten in Wirklichkeit Trägheit und das tote Gewicht der Vergangenheit, d. h. die Berufung more determinista auf andere historische Erfahrungen oder gar die faktische Akzeptanz der Ohnmacht, so daß jede konkrete Möglichkeit für eine Erneuerung durch Wandel negiert wurde, wobei man übersah oder vergaß, daß es letztlich der Mensch ist, der - im Rahmen der Umstände die Geschichte macht. 2. Später, wenig später (Ende 1977, 1978 und danach) kamen - zusammen mit der beginnenden »Entzauberung« - die hartnäckigen konservativen Verfassungsinterpretationen, und zwar sowohl eilige Interpretationen des ursprünglichen Erstentwurfs und der daraufhin erarbeiteten Folgeversionen als auch gleich darauf solche des endgültigen Textes, wie er am 31. Oktober 1978 von den Cortes verabschiedet, am 6. Dezember durch Volksentscheid bestätigt und schließlich, nach dem gebotenen Erlaß durch den König, am 29. Dezember veröffentlicht und in Kraft gesetzt wurde. Innerhalb dieser Interpretationen scheint es mir - für die Zwecke dieser Arbeit und unter dem speziellen Gesichtspunkt der Verfassungsideologien - erforderlich, zwischen konservativen Interpretationen der Verfassung, die - völlig konsequent - von Konservativen (und sozusagen allgemein von der ganzen Rechten) vorgelegt wurden, und solchen konservativen Interpretationen der Verfassung zu unterscheiden, die in kritischer Form von einigen Teilen der radikalen Linken kamen. Wenn auch die beiden Seiten sich in Zustimmung und Lob bzw. Ablehnung und Kritik unterscheiden, sind sie doch - wie gesagt - einer Meinung in ihrer Interpretation der Verfassung als ziemlich konservativ und völlig am Privatunternehmertum und Privateigentum, am Markt und allgemein an den Interessen und Werten des Kapitals orientiert. Diese Verfassungsideologie der radikalen Linken spricht also unserem Grundgesetz jede oder fast jede Möglichkeit einer fortschrittlichen Interpretation und folglich auch jedes Potential zu einer Veränderung der Wirklichkeit und der Gesellschaft ab. Obwohl die Verfassung inzwischen bei linken Interpreten an Prestige und Legitimation ge-

215 wonnen hat, fand man vor allem in der ersten Zeit bei radikaleren Strömungen ohne weiteres Kommentare und Auslegungen sehr negativen Charakters: perfektionistische Kritik an der Verfassung insgesamt und an den meisten einzelnen Normen und Institutionen, wegen ihres angeblich unverbesserlichen Konservativismus. Zwar möchte ich die Aufnahme solcher liberal-konservativen Tendenzen in die Verfassung und folglich auch die Möglichkeit einer normativen Stützung ihrer Vorschläge nicht bestreiten; aber ich sehe keineswegs die ausschließliche Möglichkeit einer Interpretation, die sozusagen einseitig die Interessen und Werte des Privatkapitals schützt. Das gilt genauso, wenn diese eindimensionale Lesart von konservativen Interpreten kommt, wie wenn Interpreten der radikalen Linken sie als Kritik an der Verfassung vortragen. Es gibt keinen Zweifel daran, daß liberaler Konservativismus legal ist: selbstverständlich können solche politischen Gruppierungen (nicht aber antidemokratische) unter Berufung auf die Verfassung regieren und Gesetze beschließen, wenn sie bei Wahlen und im Parlament die entsprechende Mehrheit erlangen. Aber und dies ist es, was ich hier unterstreichen möchte - ebenso gut, und meiner Meinung nach mit noch größerer Stützung durch die Verfassung, können dies auch - im Einklang mit ihren nicht unveränderlichen Prinzipien - sozialistische, kommunistische und andere Strömungen und Parteien der Linken. Die Verfassung enthält schließlich u. a. Klauseln über den Willen, »eine fortschrittliche demokratische Gesellschaft aufzubauen«, den mitnichten rhetorischen Hinweis auf Gleichheit und Gemeinwohl, Staatsuntemehmen, »den Zugang der Arbeiter zum Eigentum an Produktionsmitteln«, Wirtschaftsplanung oder, als allgemeineres Symbol, das Selbstverständnis als demokratischer Rechtsstaat. Wäre dies nicht so, gäbe es dieses Verfassungspotential nicht, dann wäre die loyale Teilnahme der Linken am demokratischen Leben und an den entsprechenden Wahlen völlig sinnlos. Das einzige, was also ausgeschlossen ist, sind elitäre, ausschließende Interpretationen, und hier insbesondere (soweit mir bekannt ist, hat bisher niemand eine einseitige sozial-kommunistische Version vorgeschlagen) jene ausschließlich konservative Interpretation der Verfassung, wie sie sowohl kritisch von der radikalen Linken als auch im eigenen Interesse von der liberalkonservativen Rechten geliefert wird. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß alles und jedes, einschließlich völlig entgegengesetzter Vorstellungen, mit unserer Verfassung vereinbar wäre; wahrscheinlich muß doch wohl jeder seine extremsten, radikalsten ideologischen Positionen abschleifen, um in ihrem Rahmen, im pluralistisch-demokratischen Zusammenleben zu bleiben. Aber innerhalb dieser Grenzen, die auch einige zwielichtige Bereiche umfassen, muß man doch sagen, daß die Verfassung einen weiten politischen und sozialen Rahmen für eine flexible staatliche und private Mischwirtschaft absteckt, in der daher die beiden folgenden theoretischen und praktischen Schlußfolgerungen gültige Anwendung finden: erstens, daß im Rahmen der Verfassung tatsächlich verschiedene wirtschaftliche und soziale Optionen offenstehen, d. h. mehr am Neokapitalismus und mehr am Sozialismus orientierte, allerdings in beiden Fällen nur ohne doktrinäre oder

216 reale Extreme; und zweitens, daß es der souveräne Volkswille ist, der in jedem Zeitpunkt und unter allen Umständen - wenn auch nicht bedingungslos - zu bestimmen hat, welche Richtung mit welcher Intensität jeweils eingeschlagen werden soll. Ich bin mir darüber im klaren, daß bei diesen wichtigen Problemen hier viele Fragen offenbleiben. Für eine ausführlichere Darstellung dieser Position verweise ich daher auf meine Aufsätze »El Estado democrático de Derecho en la Constitución Española de 1978« (in Sistema Nr. 41 [1981]), der gerade im Augenblick der größten Popularität jener konservativen Interpretationen entstanden ist, sowie zuvor »El Estado democrático de Derecho y sus críticas izquierdistas« (in der gleichen Zeitschrift, Nr. 17-18 [1977], in einer just dem Thema »Sozialismus und Verfassung« gewidmeten Nummer). Beide Aufsätze wurden später in meine Bücher Legalidad-legitimidad en el socialismo democrático (1978) und Socialismo en España: el partido y el Estado (1982) aufgenommen. 3. Da nun aber, was man nicht vergessen sollte, die Wirklichkeit immer oder doch fast immer weniger schön und strahlend ist als Phantasie und Vorstellung und da auch dies muß man zugeben - der Übergangsprozeß zwar ganz gut verlief, aber auch nicht vollkommen war (Widerstand faktischer Mächte, Terrorismus, Mitte-RechtsRegierung mit Wirtschaftskrise usw.), kam recht bald mit diesen und anderen, weniger gerechtfertigten Argumenten und Motiven die Ideologie der Entzauberung auf. Muß man noch einmal daran erinnern, daß die notwendige Kritik und Opposition gegen die Erblasten der Vergangenheit und die ernstliche Besorgnis wegen neuer und alter Probleme etwas anderes war als diese mehr »ästhetische« Enttäuschung - wie der junge Tierno Galván gesagt hätte -, die verantwortungslos oder aber im eigenen Interesse damit drohte, den Prozeß zum Stillstand zu bringen? Jedenfalls ist in diesem knappen Abriß über einige ideologische Gegner, wie er hier beabsichtigt ist, festzustellen, daß auf die Jahre des metaphysischen und essentialistischen Skeptizismus (1976-1978) im unmittelbaren Anschluß und in gegenseitiger Überschneidung - auch, was die betroffenen Gruppen betrifft - die jammervollen Jahre der unaufhörlichen, akritischen Entzauberung (1979-1981) folgten, wobei es vielen nur um bequemes, gelangweiltes Lamentieren sowie um den passiven, aber »süßen Zauber der Entzauberung« ging. Und so hat uns dann Tejero an jenem 23. Februar erwischt! Er wollte die tristen Entzauberten aufrütteln. Immerhin gab es - Gott sei Dank! - Philosophen, Schriftsteller und Bürger, die wenigstens in dem Moment zur Vernunft kamen, als sie den Schlachtruf von Milans del Bosch hörten. Entzauberung ist in jenen Übergangszeiten und in der schon einigermaßen gefestigten Demokratie in unterschiedlicher Form immer wieder einmal eingetreten - sie ist fast zu einer Konstante geworden. Einerseits ist sie eine Gefahr - die Demokratie sei langweilig, heißt es - in Zeiten geringer Spannung, wenn es weder ernste Vorfälle noch begeisternde Projekte gibt; aber sie droht auch, und ist dann vielleicht sogar schlimmer und dramatischer, wenn Konflikte oder Probleme auftreten, gegen die man

217 machtlos zu sein oder zu deren Lösung man den Willen nicht aufzubringen scheint. Mir scheint allerdings, daß die simplen Ideologien der Entzauberung im Laufe der Zeit reiferen nonkonformistischen Haltungen gewichen sind - so sollte es zumindest sein -, die aus objektiveren, nüchternen Analysen und aus gezielter, begründeter Kritik hervorgehen und die trotz aller Schwierigkeiten für einen fortschreitenden Wandel der sozialen Wirklichkeit jedenfalls viel wirkungsvoller sind. 4. Manche träumen allerdings noch immer von dem, was hätte sein können und nicht eingetreten ist, d. h. von einem radikaleren, tiefergehenden Wandel etwa auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene. Manchmal sind solche Forderungen völlig gerechtfertigt und echt (und außerdem hinreichend rational) und können daher als Ansporn und Triebfeder für die Kritik und die wirkliche Verbesserung der Bedingungen der aktuellen Demokratie dienen. Schlimm ist jedoch das ignorante, sture Herbeisehnen dessen, was gar nicht sein konnte und deshalb auch nicht eingetreten ist. Damit will ich das Bestehende nicht verherrlichen; nur sollte man auch nicht vergessen, daß - wie, wenn ich mich nicht irre, »El Gallo« 1 einmal sagte - das, was nicht sein kann, nicht sein kann und außerdem unmöglich ist. Das ständige Jammern darüber, daß es in Spanien damals keinen Umbruch gegeben habe, könnte man Umbruchssehnsucht als Ideologie nennen. Der Übergang war - wie hier schon mehrmals gesagt wurde - ein schwieriger Reformprozeß (mit Abmachungen und Übereinkünften), der zu einem wirklichen politischen Umbruch, nämlich zum Schritt von der Diktatur zur Demokratie führte. Es handelte sich also um den komplexen Vorgang einer »Reform zum Umbruch« oder eines »verhandelten Umbruchs«: mit Hilfe von Reformverfahren kam man in vieler Hinsicht zu einem echten Umbruch, vor allen Dingen auf politisch-institutionellem Gebiet, mit erheblichen Auswirkungen auf verschiedene andere Bereiche des kollektiven Lebens. Was letztlich stattfand, und zwar mit allem, was dazugehört, war - kurz gesagt - der Übergang von der Nicht-Demokratie zur Demokratie. Allerdings gab es keine Revolution und eigentlich noch nicht einmal eine (unvermeidlich ziemlich gewaltsame) Revolte, wenn auch sehr wohl Demonstrationen und Kundgebungen auf der Straße. Das bedeutete natürlich auch, daß man sich in sehr viel größerem Maße, als es vielleicht richtig oder gar konsequent und für die neue Demokratie zuträglich war, gezwungen sah, Personal, Apparate, polizeiliche und militärische Organisationen und ökonomische Kräfte zu übernehmen, die eng mit der Vergangenheit verbunden waren. Hätte man anders vorgehen können? Hätte man es besser machen können? Hätte man viel mehr fordern und erreichen können? Tatsächlich glaube ich das nicht (obwohl natürlich immer Teil- und Einzelverbesserungen möglich sind). Diejenigen, die damals als Vertreter von Oppositionsparteien, Bürger-

1

Legendärer Toiero aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, dessen Aussprüche nach wie vor zum allgemeinen Zitatenschatz gehören. [Anm. d. Ü.]

218 rechtsbewegungen und Untergrundgewerkschalten die Verhandlungen führten und die Abkommen schlössen, akzeptierten mit großer Mehrheit den »verhandelten Umbruch«, der später auch von der überwältigenden Mehrheit des spanischen Volkes bei mehreren aufeinanderfolgenden Befragungen bestätigt wurde. Ohne also dem, was erreicht wurde, Vollkommenheit attestieren zu wollen, werde ich mir hier keine leichtfertigen Vorwürfe wegen Unkenntnis der objektiven Bedingungen demokratischer Milde oder reformistischer Schwäche gegen die erlauben, die sich damals - wie schon vorher - von den verschiedensten Standpunkten aus am meisten exponierten. Trotzdem kommt und kam es häufig vor, daß bei jedem großen oder mittelgroßen Mißerfolg oder Fehler der demokratischen Politik als einzige und absolute Ursache, als letzte, wundersame Erklärung aller vergangenen und zukünftigen Übel, just das Fehlen eines Umbruchs angeführt wird. Leute, die in der schwierigen ersten Zeit oft noch nicht einmal aktiv die Reformen unterstützten (und dies keineswegs aus Altersgründen), sondern vielmehr vorsichtig und abwartend reagierten - nach dem Motto »Erst einmal sehen, was kommt« -, um gegebenenfalls immer noch einen Rückzieher machen zu können, beklagen sich jetzt fortwährend, es habe keinen »Umbruch« gegeben, obwohl eigentlich (nach dem, was sie fordern) nur eine echte, aber unmögliche »Revolution« konsequent gewesen wäre. Davon aber sprechen sie nicht, wohl aus einem Minimum an Schamgefühl und vielleicht auch, weil sie sich nicht schon wieder mit einer noch »ausstehenden« Revolution belasten wollen. Jedenfalls verlegt man sich, anstatt die konkreten, objektiven Ursachen der Probleme zu suchen und zu analysieren (wobei selbstverständlich Ursachen in den Ursprüngen und Grundlagen nicht zu vergessen wären), allzu häufig mit vorgespielter Heldenmiene auf das abgedroschene Schlagwort »Natürlich, es gab ja keinen Umbruch!«, das angeblich alles, tatsächlich aber nichts erklärt. All dies wäre genauer zu untersuchen, aber einen Teil davon könnte man jedenfalls Umbruch als Ideologie nennen. 5. Wenn es also keinen Umbruch gab - so schließen diese und andere -, dann gab es schließlich und eigentlich strikte Kontinuität bzw., wenn man noch einen Schritt weiter geht, reines Kontinuitätsdenken, mit einer weitgehenden Gleichsetzung des neuen mit dem alten Regime. In meinem methodologischen Rahmen wäre dies die Ideologie der Identität: Sicher gab es im Laufe des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie nebensächliche, zufällige, formale Veränderungen, aber das Entscheidende, das Grundlegende, das Wesentliche blieb doch bestehen, und zwar völlig oder doch fast völlig gleich. So verläuft die Argumentation der keineswegs von mir erfundenen Ideologie der Identität. Was ist das Wesentliche? Angenommen - nach der bei dieser Auffassung vorherrschenden Meinung - es ist das Kapital. Daneben gibt es aber - so lautet der Vorwurf weitere Dinge, die überdauern: z. B. die Ausrichtung auf das atlantische Bündnis, die Monarchie. Hieraus ergebe sich eine noch größere Kontinuität. Bleiben wir aber einen Moment beim Kapital. Manche Versionen sowohl der funktionalistisch-konser-

219 vativen als auch der leninistisch-revolutionären Interpretation erklären - in unterschiedlicher Sprache - übereinstimmend (allerdings mit unterschiedlicher Bewertung), alles sei nach den unwiderruflichen Plänen des Großkapitals gelaufen. Sollte es heute noch jemanden geben, der so naiv oder so pervers wäre, den starken Einfluß des »Ökonomischen« auf das »Gesellschaftliche« und entsprechend die Bedingtheit der Politik durch das nationale und transnationale Kapital zu bestreiten? Ich denke nicht, und dies erspart mir weitere Ausführungen dazu. Aber genauso wenig scheint es mir noch möglich, um jeden Preis das Gegenteil, das absolute Fehlen politischer Autonomie, zu behaupten. Schon seit geraumer Zeit betonen die besten Analytiker, daß man, um irgend etwas verstehen zu können, die Politik (nicht passiv, sondern aktiv) im Inneren des Produktionssystems selbst ansiedeln und den Staat als Schöpfer oder Mitgestalter des Kapitals ansehen müsse und nicht - nach traditioneller Art - umgekehrt; sie unterstreichen also die enge Beziehung zwischen dem politischen und dem ökonomischen Faktor innerhalb jedes Gesellschaftsgefüges. Und doch hört und liest man noch immer Interpretationen wie die von der Transition als politischem Projekt, das gänzlich nach den alleinigen Interessen des Kapitals entworfen und umgesetzt worden sei. Ich kann mich der Meinung anschließen, daß das Kapital zuvor die Diktatur gebraucht hatte, daß ihm aber ab einem bestimmten Zeitpunkt (Ende der sechziger Jahre) Demokratie und Freiheit sehr viel gelegener und profitabler erschienen. Ich bin aber nicht der Meinung, der Wandel und die politische Transition seien so und nur so zu erklären, d. h. ohne jede Berücksichtigung der Opposition. Ich kritisiere an dieser Ideologie also nur (aber immerhin) ihren trivialisierenden, einseitigen ökonomistischen Reduktionismus und die Tatsache, daß sie einem einzigen Faktor - dem Willen bzw. Interesse des Kapitals - etwas für ein Volk so entscheidendes und komplexes wie die Erringung der Demokratie zuschreibt. Die Schlußfolgerung aus einer solchen Reduktion ist im Grunde (was die einen die Konservativen - verschweigen, die anderen - die Leninisten - aber anprangern möchten), daß sich nichts Nennenswertes geändert hat, da das Kapital als Zentraleinheit bestehen bleibt, und zwar sogar unter im wesentlichen gleichen Bedingungen. In dieser Hinsicht sind die Unterschiede zwischen funktionalistischen Konservativen und revolutionären Leninisten nicht besonders groß: Die Demokratie ist für erstere wenn sie erst einmal existiert - nur eine weitere der großartigen Leistungen des Kapitals bzw., wie sie zu sagen vorziehen, der wirtschaftlichen Freiheit, des aggressiven Unternehmertums und der Marktkonkurrenz; für letztere ist die Demokratie - diese Demokratie - im wesentlichen nur eine weitere der Herrschaftsformen des Kapitals, eine »eigentlich« diktatorische Herrschaft, die sich aber hinter »demokratischen« Formen verbirgt, welche allerdings nicht von allen gleichermaßen unterschätzt werden. Abgesehen von dieser Übereinstimmung hinsichtlich der Vormachtstellung des Kapitals (und der entsprechenden Mißachtung für alle nichtkapitalistischen Kräfte wie Parteien und Gewerkschaften) wird bezüglich der spanischen Demokratisierung die Ideologie vertreten, daß sie im wesentlichen in Kontinuität mit dem früheren Zu-

220 stand zu sehen sei, daß also zwischen dem Franco-Regime und der heutigen parlamentarischen und verfassungsmäßigen Monarchie Wesensgleichheit bestehe, wenn auch Unterschiede zweitrangiger Art nicht bestritten werden. 6. Wenn man behauptet, daß es Kontinuität und Identität gab und gibt, dann ist man aber nur noch einen Schritt davon entfernt, bewußt oder unbewußt Franco als Vorkämpfer der Demokratie, als eigentlichen Betreiber der Transition zu betrachten. Der General sei - so hörte und las man auch von einigermaßen ernsthaften Leuten - der Schöpfer (sie!) des spanischen Staates gewesen, und zwar nicht nur eines fälschlicherweise so bezeichneten und verherrlichten Nationalstaates, sondern auch eines quasi modernen, sozialen und liberalen Staates, weil er in den sechziger Jahren die sogenannte »technokratische Operation« autorisiert hatte, die - um es in der alten Sprache der Linken auszudrücken - an der Basis und am Überbau ansetzte. Auf diese Auffassung beziehe ich mich, wenn ich hier zur Warnung, Erläuterung und Kritik jene franquistische und/oder technokratische Ideologie des Übergangs darstelle, die heute noch vereinzelt in manchen Sektoren der intelligenten Rechten sowie, indirekt, der unreflektierten Linken vorkommt. Die erwähnte technokratische Operation (bei der die großen religiösen und politischen Prinzipien des Regimes selbstverständlich unangetastet blieben) erfolgte - wie gesagt - an zwei Hauptfronten: der ökonomischen und der institutionellen. Der erste Teil wurde seit 1959 mit einem Stabilisierungsplan umgesetzt, dem später die Liberalisierung der Wirtschaft (und nur der Wirtschaft; im Bereich der Politik und der Kultur gab es nur die äußerst kontrollierte und rudimentäre »Öffnung« der Diktatur) folgen sollte, die zu umfassender Entwicklung (bzw., wie manche korrigieren, zu umfassendem Wachstum) und starker Kapitalakkumulation führte; der zweite Teil sollte das vom Diktator geschaffene Regime über seinen Tod hinaus am Leben erhalten, das sich seit 1947 als Königreich definierte, weswegen 1969 die Thronfolge geregelt wurde, so daß alles »verschnürt und festgezurrt« war. Eine ganze Reihe voreiliger und/ oder voreingenommener Interpreten ziehen daraus den Schluß, daß eigentlich Franco die ökonomischen Grundstrukturen und zudem den institutionellen Überbau geliefert habe, aus dem dann, bestenfalls mit kleinen Verbesserungen und Zusätzen, im wesentlichen die Demokratie hervorgegangen sei, von der er (der alte, unverstandene General) im Grunde wußte - und vielleicht sogar wollte? -, daß sie nach seinem Tod kommen würde. Es wäre ungerecht und falsch, die bedeutenden Veränderungen zu negieren, die die liberalisierende, auf Entwicklung gerichtete Wirtschaftspolitik in der spanischen Gesellschaft der sechziger Jahre bewirkt hat. Ich jedenfalls habe keinerlei Absicht in diese Richtung: Geben wir den Technokraten, was ihnen - natürlich dank der tapferen Arbeit aller Spanier der Zeit - gebührt, auch wenn es sehr negative Aspekte einschließt, die nicht vergessen werden sollten, unter anderem, weil wir an einigen von ihnen - an strukturellen Fehlem und allzu schlichten Vorstellungen - noch immer zu

221 tragen haben. Außerdem gab es hohe soziale Kosten und die Verweigerung politischer Freiheiten. Aber alles zusammengenommen förderte tatsächlich, objektiv gesehen und trotz des ausdrücklichen Unwillens der Mentoren und Drahtzieher der »Operation«, die Wirtschaftsentwicklung die Möglichkeit der späteren Demokratisierung selbstverständlich unter starker kapitalistischer Präsenz - in unserem Land. Mehr zu sagen oder anzudeuten (wie man es heute in dieser franquistischen bzw. technokratischen Ideologie des Übergangs allmählich zu tun wagt) würde meines Erachtens bedeuten, die Dinge zu zerreden und erheblich zu verfälschen. Nur ein sehr vulgärer Materialist würde sagen, daß die Wirtschaftsentwicklung allein - oder fast allein - die politische Demokratie quasi automatisch und wie eine reife Frucht hervorgebracht hat. Trotzdem gibt es Leute, die das behaupten, und dabei werden alle Kämpfe der Opposition vergessen oder mißachtet; und es sagen dies nicht nur jene Ideologen oder ökonomistischen Historiker, die ihre gerechtfertigte Kritik am »idealistischen Historizismus« nicht genügend unter Kontrolle haben, oder auch voreilige, irregeleitete Kommentatoren, sondern sogar demokratische Politiker und Exilanten, die Verständnis zeigen und irgend etwas Gutes in jener Vergangenheit erkennen wollen und die doch, ohne es zu merken, am Ende den verhaßten Diktator oder jedenfalls die von ihm protegierten, frommen Technokraten ungewollt mit Lob überhäufen. Man denke jedoch daran, daß die Wirtschaftsentwicklung Anfang der siebziger Jahre zu Ende war und die große Depression einsetzte, ohne daß man der Demokratie - die im übrigen weder Carrero noch Franco noch auch die Technokraten jemals einzuführen beabsichtigten - auch nur einen Schritt näher gekommen wäre. Im Gegenteil nahm in den letzten Jahren des Regimes die Repression sogar zu, und die Situation verhärtete sich: es gab einen Ausnahmezustand nach dem anderen, Verfolgung von Universitätsangehörigen, Verhaftungen, Gefängnisstrafen, Deportationen (all dies auch wegen Meinungs-»Vergehen«), »anti-terroristische« Erlasse (wobei ich die Anführungszeichen mit Dokumenten, die mir vorliegen, rechtfertigen kann), Todesurteile und summarische Hinrichtungen, die uns in einen echten Endzeitstrudel zogen. Ganz Europa protestierte empört, und die »internationalen Außenämter« haßten uns wieder wie in den schlimmsten Zeiten der vierziger Jahre. Und unter diesen Umständen sollten Franco oder auch nur - auf niedrigerer Ebene - die Entwicklungstechnokraten Betreiber der Transition gewesen sein? Es muß darum gehen, die Geschichte nicht zu verfälschen, die Vergangenheit jetzt nicht auf Orwellsche Art neu zu schreiben. Zwar haben mit dem Konsens der Transition, mit dem Verfassungsabkommen, alle (nicht nur die Politiker) darauf verzichtet, die Geschichte als Wurfgeschoß zu verwenden, um zwischen einander unversöhnlich und sogar gewalttätig gegenüberstehenden Guten und Bösen, Blauen und Roten, Siegern und Besiegten zu diskriminieren. Aber dies kann und darf nicht bedeuten, daß man unkritisch und unwissenschaftlich das Verschweigen, das Vergessen oder die Verfälschung dessen zulassen sollte, was tatsächlich geschehen ist. Was meines Erachtens konkret und in bezug auf das heutige Spanien gesagt werden muß, ist, daß die

222 Kämpfe der Arbeiterklasse in jenen vierzig langen Jahren, die standhafte Opposition der Studenten, der Intellektuellen und einiger Sektoren der Mittelklasse, der fortschrittlichen politischen Kräfte, sehr unterschiedlicher, aber ehrenwerter Leute, die sich der Diktatur entgegenstellten - jeder nach seinen Kräften und Möglichkeiten heute nicht vergessen, geschmälert oder geringgeschätzt werden dürfen, wenn es darum geht zu erklären, wie es möglich war, die historische Erinnerung zurückzugewinnen und die Demokratie in diesem Land wiederherzustellen. Viel mehr als das, was auf den vorstehenden Seiten behandelt wurde, müßte in einer vollständigen Rekonstruktion der Theorien und Ideologien der demokratischen Transition gesagt werden. Ich möchte trotzdem hier abbrechen und hoffe, im Leser zumindest das Interesse und den Wunsch geweckt zu haben, die politische und kulturelle Geschichte des heutigen und damit zugleich des zukünftigen Spanien - auch in seiner »neuen« europäischen Dimension - näher kennenzulernen.

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Diese Bibliographie enthält nur Monographien Uber Spanien in der Francozeit sowie über größere Epochen der politischen (I) und geistigen (II) Geschichte Spaniens, wobei die Zuordnung zu einem der beiden Teile nicht immer einfach ist. Nicht aufgenommen wurden also Monographien über einzelne Autoren oder - bis auf wenige Ausnahmen über speziellere Aspekte, auch wenn sie im Text behandelt wurden (die entsprechende Literatur ist den jeweiligen Anmerkungen zu entnehmen). Besonders sei darauf hingewiesen, daß hier nicht noch einmal die Titel zur Literaturgeschichte (Roman, Lyrik usw.) Spaniens jener Jahre aufgeführt sind, obwohl diese zweifellos mit der Geschichte des spanischen Denkens zwischen 1939 und 1975 aufs engste verbunden ist.

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Personenregister

Abad de Santillán, D. 180 Abadal, R. 189 A be lia, R. 223 Abellán, J. L. 13 f„ 16,34,45,49,88,110, 141 ff„ 147,169,178,186,193,198,227 Abellán, M. L. 227 Abreu, J. 181 Aguilar Navano, M. 108,115 f., 136 Aguilera, R. 148 Aguilera Ccmi, V. 44,145 Aguiire, Jesús 59,144,148 f„ 162,167,169,174 Aguirre, Julen 193 Agúndez, M. 148 Agustí, I. 35,43 Aisa, J. 180 Alba, V. 183 Albareda, J. M. 28 ff. Albendea, M. 166 Alberdi, R. 101 Alberti, R. 14 f„ 33,104,201,207 Albornoz, A. de 15,63,87,142 Alcántara, M. 81 Alcobé Noguer, S. 30 Alcover, N. 228 Aldecoa, I. 80,104 Aleixandre, V. 15 f., 35,65,80,104 A l e m á n , ! A. 192 Alemán Sáinz, F. 80 Alfaro, J. M. 21 f. Alfaya, J. 190 Alfons der Keusche 30 Alfons der Weise 36 Allison Peeis, E. 43 Almendros, J. 41 Alonso, A. 14 Alonso, D, 15 f., 35 f., 41,45,65,80,104,178 Alonso García, M. 46,80,116 Alonso Getino, L. 163 Alonso Montero, J. 190 Alonso del Real, C. 80,100 Alonso de los Ríos, C. 157 Alós, C. 156 Allamira, R. 14,41,77 Altares, P. 65,112,115,156 Althusser, L. 148,151 f. Altolaguirre, M. 14 f., 41 Alvar, M. 178 Alvarez, C. L. 80 Alvarez, M. 83 Alvarez Bolado, A. 148,223 Alvarez Buylla, A. 41 Alvarez Junco, J. 180

Alvarez de Miranda, A. 59,109 Alvarez Palacios, F. 227 Alvarez Puga, E. 27,223 Alvarez Siena, J. 183 Alzaga, 0 . 1 6 1 , 1 8 1 Amable Baliñas, C. 144 Amo, J. 13 Amorós, A. 178 Amsden, J. 108 Anderson, Ch. W. 223 Andrés Alvarez, V. 23,46,104 Andújar, M. 14,41 f. Anes, G. 176 f. Anglés Pamiés, H. 30 Añiló, J. 103 Ansón.L. M. 31 Afloveros, A. 194 Antón Oneca, J. 47 Aparicio, J. 22 Aragón, M. 142,198 Arana, J. D. de 190 Arana, J. R.41 Aranguren, E. L. 229 Aranguren, J. L. L. 34,47,59 f„ 62 f„ 66 ff., 71 f„ 84, 89 ff., 97,99,101,104,108,111,115 f., 122 f., 131, 136 ff., 142 ff., 148 ff., 162,164,169, 199, 227 Aranzadi, T. de 190 Araquistáin, L. 14,182,206 Arbeloa, V. M. 116,123,180 f. Arbó, S. J. 43 Arconada, C. 14 Areilza, J. M . d e 2 4 , 5 2 , 1 4 0 Arellano, J. 163 Arias Navano, C. 184,193 f. Arias Salgado, R. 186 Arija, J. M. 102 Aristóteles 143 Arostegui, A. 144 Arrabal, F. 155 Aírese, J.L. de 27,52,83 Arrizubieta, M. M. 102 Arroitia Jáuregui, M. 80 f. Artigas, J. 30 Artigues, D. (Pseudonym von J. Becarud) 30 f., 111, 223 Artola, M. 136,177 Ascanio, A. de 24 Asín, M. de 30,35 Aub, M. 14,33,63,65,80,104,184,207 Aumente, J. 101 ff. Aunós, E. 31 Ayala, F. 13, 33,42,45,68 f., 90,131

232

Azafla, M. 14,40,142,198,206 Azaola, J. M. de 190 Azcárate, G. de 141 Azcirate, M. 144,147 Azcárate, P. de 14,140 f. Azcue.R. M. de 190 Aznar, M. 183 Aznar, S. 24 Azorin (J. Martínez Ruiz) 16,39 ff., 192 Baena del Alcázar, M. 161 Balbfn Lucas, R. de 28,30 Balcells, A. 76,180,189 Ballestero, M. (vgl. J. Valdés) 144 f., 152 f. Ballesteros Gaibrois, M. 30 Balmes, J. 30 Baquer, A. 38 Bar, A. 228 Barandiarán, J. M. de 190 Baibado Viejo, F. 30 Barbero, A. 177 Barce, R. 165 Baicia Goyanes, J. J. 30 Barco, G. del 38 Bardavío, J. 184,223 Baidem, J. A. 80 f., 104 Barea, A. 14,43 Baraja, P. 16,39,80,142 Barón, E. 196,197 Barral, C. 87,199,228 Barrenechea, E. 195 Baselga, E. 200 Bassols de Climent, M. 30 Bastos de Soveral, C. E. 100 Bataille, G. 165 Bataillon, M. 43 Bayón, J. 142 Becarud, J. (vgl. D. Artigues) 61 Begué,G. 46 Beiras, J. M. 190 Belda, R. 223 Beltrán, M. 173 Benach, J. A. 189 Benavente, J. 16,39 Benavente, J. M. 144 Benavides, D. 181 Benavides, L. 177 Benet, Josep 228 Benet, Juan 156 f. Beneyto, A. 199 Beneyto, J. 24,130 Beramendi, J. G. 154 Bergamín, J. 14 f., 32,41,93,206 Beigson, H. 143 Berlanga, L. 80,104 Beimejo Cabrero, J. L. 185 Beimejo Martínez, F. 30 Beimudo, J. M. 152 Bemáldez Cantón, A. 116 Bemaldo de Quirós, C. 177 Beser, S. 178

Besteiro, J. 15,40,182 f„ 206 Biescas, J. A. 193,223 Bilbao, E. 24 Bilbatúa, M. 112,156 Bizcairondo, M. 182 f. Blanco, L. 169 Blanco Aguinaga, C. 14,138,142,178 f. Blanco Amor, E. 69 Blanco Soler, C. 80 Blas, A. de 183 Blasco, J. Ll. 166 Blasco Martín, J. 112 Blecua, J. M. 65,178 Bloch, E. 90,149, 168 Boix Raspail 59 Bolinger, D. L. 65 Bolloten, L. Bumett 184 Bonet, L. 76 Borbón, J. de 196 Borja, J. 193,195 Bonás Betriu, R. 225 Bosch, R. 167 Bosch Gimpera, P. 14,32,41 f. Botella Llusia, J. 30 Bousoflo, C. 80,156 Boyer, M. 166,186 Bozal, V. 144,146,167,228 Bravo, F. 27 Brecht, B. 98 Broué, P.183 Brown, G. 16 Bru, C. M. 131 Bruguera, F. G. 14,77,223 Buceta, R. 173 Bueno, G. 152,154,167,169 f. Buero Vallejo, A. 43,65,104,156,201 Bugeda, J. 173 Buscarons, F. 59 Busquéis Bragulat, J. 38,172 Bustamante, E. 190 Buyón 30 Caba, P. 163 Caballero, A. 30 Caballero Bonald, J. M. 156,200 Cabanillas, P. 193,196 Cabo, A. 177 Cabrera, B. 59 Cacho Viu, V. 111,140 Calamai, M. 223 Calero, A. M. 180 Calvez, 1.99 Calvin 90 Calvo Hernando, M. 28 Calvo Serer, R. 28,30,47 ff., 60 ff„ 91,185,196 Calzada, L. de la 26 Cámara, Sixto 181 Campillo, J. 144 Campo, A. del 62 Campo, S. del 136,172,174,223 f. Campos, J. 178

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Camuñas Solís, 1.159 Camus, A. 62 Candel, F. 189 Candela, F. 41 Carato, E. 40 Cano, J. L. 40,43,87,91,131,178 Cano Vázquez, L. 41 Cantarero del Castillo, M. 26,81,178 Cantera Burgos, F. 30 Cantó, P. 161 Capella, J.R. 153,175 Capmany, M. A. 156,189 Carande, R. 24,136 Carandell,L. 111,157,195 Carballo Cotanda, A. 192 Cardenal, M. 62 Carmona Ristol, A. 156 Camer.J. 14,32,189 Caro Baraja, J. 45,65,142,178,190 Carpintero, H. 90,228 Can, R. 184,193 f., 196 f., 223 Carrera Planas, J. 189 Carreras Artau, J. 30 Cañeras Artau, T. 30 Carrero Blanco, L. (vgl. J. de la Cosa) 10,57, 157,184,193 Carretero y Jiménez, A. 41,192 Carrillo, S. 153 Canillo de Albornoz, A. F. 118 Canillo Salcedo, J. A. 116 Camón, P. 177 Carruccio, L. 129 Casalduero, J. 14 Casals, P. 63,189 Casares Gil, J. 30 Casas, B. de las 199 Casas Sánchez, J. 59 Casona, A. 14 f„ 69 Cassinello, E. 73 Castelao, A. 14 Castellano, P. 115,195 CasteUet, J. M. 14,42,81,87,157,169,178, 189,228 CasteUs, J. M. 181 CasteUs, M. 173,193 Castiella, F. M. 23 f„ 39 Castiella, M. A. 80 f. Castilla del Pino, C. 103,131,151,166,169,174 Castillejo, J. 14 Castillo, J. 172,174 Castillo, J. J. 182 Castillo Puche, J. L. 80,156 Castifleiras Muñoz, J. 180 Castro, A. 14,47,59,63,68,77 Castro, C. 59 Castro, F. de 141 Castro, F. 100 Castroviejo, J. M. 21 Catalá, V. 189 Catalán Lafuente, J. 200 Catalinas, J. L. 176

Cazorla,!. 172,174 Ceballos, G. 30 Cebrián, J. L. 26,112 Cebrián, J. 81 Cela, C. J. 35,60,65,70,79,88,104,200 Celaya, G. 43,80,87,104,156,200 Ceñal, R. 34 Cencillo, L. 163 Cerezo, P. 167 Cemuda, L. 14 f„ 63,68,87 Cerón, J. 101 Cervera, V. 73 Chamono, E. 157,174 Champourcin, E. de 15,41 Chao, J. 224 Chapaprieta, J. 184 Chiriboga, F. 73 Chruschtschow, N. 97 Chuchi 81 Chueca Goitia, F. 16,111,138 Chumy Chumez 81 Cierva, R. de la 38,183 f., 223 Cimorra, C. 69 Cisneros, G. 27,191 Cisquiella, G. 228 Clark, C. L. 85,223 Claudín, F. 152,199 Clavera, J. 85,223 Claverfa, C. 142 Clavero, B. 177 Clemente, J. C. 140,223 Climent, J. B. 15 Comín, A. C. 101,191 Comín Colomer, E. 15 Comte, A. 143 Conde, F. J. 23 ff., 4 6 , 5 6 , 6 2 , 6 5 , 8 0 , 9 1 f. Conde Salgado, R. 153 Conté, R. 14,157,178 Cora, J. de 228 Corbalán, P. 157 Cordón, F. 138 Corrales Egea, J. 14,87 Corts Grau, J. 26,47,59,100 Cosa, J. de la (Pseudonym von L. Carrero Blanco) 57 Cosío Villegas, D. 32 Cossío, M. B. 190 Costa, J. 40,98,142,178, 182,206 Cotorruelo Sendagorta, A. 46 Crérner, V.43,80,156 Crespo, L. 169 Croce, B. 26 Crozier, B.38,224 Cruz Hernández, M. 99,150 Cruz Tomé, A. de la 162 Cuatrecasas, J. 69 Cucó, A. 191 Cucunull, F. 189 Cuenca, J. M. 181 Cueva, M. de la 32 Cunqueiro, A. 21,43

234 Dalmau, J. 148 Darmangeat, P. 14 Dávila, S. 27 Deaflo, A. 167 Delgado Pinto, J. 175 Delibes, M. 4 3 , 1 5 6 Descartes, R. 90 D'Harcourt, J. 41 Díaz, C. 148 Díaz, E. 9 8 , 1 0 8 , 1 1 2 , 1 6 1 , 1 8 6 , 2 2 4 , 2 2 8 Díaz del Moral, J. 180 Díaz Nosty, B. 180 Diaz-Plaja, F. 224 Díaz-Plaja, G. 5 9 , 1 4 2 , 1 7 8 Diego, G. 3 5 , 4 1 , 6 5 Diez-Alegría, J. M. 9 3 , 1 0 1 f., 116,124 ff. Díez-Alegría, M. 38 Diez Cañedo, E. 14 Diez del Corral, L. 2 3 , 2 7 , 4 6 , 6 2 , 6 5 , 9 3 , 1 1 1 Diez Nicolás, J . 172,174 Diez-Picazo, L. 174 f. Diez de Velasco, M. 116 Dilthey, W. 143 Domenchina, J. J. 14 f., 3 3 , 4 1 , 4 3 , 6 8 Doménech, R. 14,156 Domínguez Martín-Sánchez, J. 180 Domínguez Ortiz, A. 136,177 Donezar, J. M. 224 Donoso Cortés, J. 132 D'Ors, E. 1 6 , 3 0 , 3 4 , 3 6 , 6 0 , 8 0 Dostojewski, F. 134 Dou, A. 167 Drudis, R. 144 Duperier, A. 15,104 Dupuich da Silva, M. 21 Durán, J. A. 190 Durán, M. 14 f., 162 Durán, M. A. 173,199 Durán y Santpere 30 Ebenstein, W. 116,224 Echenagusia, J. 176 Echevarría, J. 165 Echevarría, R. M. 26 Echevarría Gangoiti, J. 116 Eijo Garay, L. 30 Elias de Tejada, F. 4 7 , 5 1 , 6 1 , 1 6 8 Ellacuria, L. 148 Elorduy, E. 24 Elorriaga, G. 8 0 , 8 3 Eloiza, A. 157, 1 6 7 , 1 7 8 , 1 8 0 f., 186 Engels, F. 145 Enjuto, J. 7 3 , 1 6 6 Entrambasaguas, J. de 30 Entrena Cuesta, R. 46 Erviti, J. L. 228 Escohotado, A. 168 Escrívá de Balaguer, J. M. 111 Espina, A. 1 5 , 1 3 9 Espina, C. 35 Espinar, M. 131

Espinosa, M. 93 Espriu, S. 188 f. Espronceda,J. de 132 Esteban, J. de 174,185 f., 224 Esteban, J. M. 8 5 , 2 2 3 Estebánez Calderón, D. 228 Estruch, J . 173,224 Fabra, J . 189 Fabra Barreiro, G. 157 Falcón, L. 194,199 Farga, M. J. 139,228 Farga Pellicer, R. 181 Fan-eras, F. 139 Faulkner, W. 134 Fava i Compia, M. 106 Feduchi, J . M. 41 Felipe, L. 14 f„ 3 3 , 4 1 , 6 3 , 8 7 , 1 0 4 Ferdinand VII. 29 Fernán González, C. 30 Fernández, A. 14 Fernández Alba, A. 4 4 , 1 7 4 Fernández Almagro, M. 4 6 , 1 4 4 Fernández Areal, M. 6 1 , 1 1 0 , 2 2 4 Fernández Buey, F. 198 Fernández Carvajal, R. 3 8 , 8 1 Fernández Casado, C. 138 Fernández de Castillejo, J. L. 7 3 , 1 5 7 Fernández de Castro, I. 7 2 , 1 0 1 f., 224 Fernández Clemente, E. 142,191 Fernández Cuesta, R. 2 7 , 8 0 , 8 3 Fernández Figueroa, J. 40 Femández-Flórez, P. 165 Fernández Galiano, A. 175 Fernández Galiano, E. 30 Fernández Galiano, M. 65 Fernández Ladreda, J. M. 30 Fernández Miranda, T. 2 6 , 4 6 , 5 9 , 8 0 Fernández de la Mora, G. 2 8 , 5 3 , 1 1 2 , 1 4 2 , 2 2 8 Fernández Santos, F. 131 f., 1 3 4 , 1 4 6 , 1 8 6 Fernández Santos, J . 80 f., 104 Fernández Vargas, V. 224 FeiTán, J. 81 Ferrándiz, A. 199 Ferrando Badia, J. 1 7 4 , 1 7 6 , 1 8 7 FeiTaté.J. 81 Ferrater Mora, J. 1 3 , 3 3 , 4 5 , 6 8 , 7 8 , 9 0 , 9 3 , 1 3 1 , 1 4 2 , 166 f„ 189 Feireras, J. 1.178 Ferres, A. 8 8 , 1 5 6 Ferri, LI. 224 Fierro, A. 148 Figuera Aymerich, A. 87 Figueroa, E. de 135,197 Finat, F. 175 Fioravanti, E. 154 Flórez Miguel, C. 99, 150 Font y Puig 30 Font Quert 30 Fontín, A. 30 Fontana, J. 7 6 , 1 3 6 , 1 7 7

235 Fonlcuberta, J. A. de 181 Foxá,A. de 21,35 Fraga Iribame, M. 23,46 f„ 59,80,108 ff., 174,185,224 Fraile, G. 34,163 Franco, F. passim Fresco, M. 13 Freud, S. 134 Fuentes Quintana, E. 46,81,135 Fueyo Alvarez, J. F. 23,27,46 f„ 168,175 Fusi Aizpurúa, J. P. 180,193 f., 196 f„ 223 f. Fuster, J. 189,191 Gabriel y Galán, J. A. 199 Gala, A. 156 Galán Gutiérrez, E. 47 Galindo, P. 21 Galindo Herrero, S. 28 Gallástegui 30 Gallego Burín, A. 30,59 Gallego Díaz, J. 15,104 Gallegos RocafulI, J. M. 41,93 Gallo, M. 224 Gambra Ciudad, R. 61,99 Ganivet, A. 142 Gaos, J. 13,33,45,63,68,93 Gaos, V. 80 Garagorri, P. 90,93,111,138,142,161 Garaicoa, i . 73 García Alvarez, M. B. 174,224 García Arcones, C. 200 García Bacca, J. D. 13,33 f„ 41,68,93,147, 167 García Bermejo, J. C. 167 García Blanco, M. 65,142 García Calvo, A. 62,136,156,166 García del Cid, F. 30 García de Cortázar, J. A. 177 García Delgado, J. L. 161,177,197,226 García de Entem'a, E. 46,116,122,135,138 García Escudero, J. M. 61 García Fernández, F. J. 185,224 García Fernández, J. 108 García Figar, A. 163 García Gómez, F-. 65 García Hortelano, J. 88,157 García López, J. 163 García Lorca, Federico 15,39 García Lorca, Francisco 14 García Mótente, M, 16,52,62 García Nieto, M. C. 224 García Noriega, S. 165 García Ortega, L. 167 García Pavón, F. 35,156 García Pelayo, M. 14,46,65,111,135 García Quejido, A. 181 f. García Ruiz, J. L. 185 García Sabell, D. 162,190 García San Miguel, L. 23,144,146,162 f„ 165, 175,185, 191,224,228 García Serrano, R. 35

García Siflériz 30 García Tejero, A. 181 García Trevijano Fos, J. A. 46 García de Valdeavellano, L. 46,65,136,141 García Valdecasas, A. 23,25 f„ 47,62 García-Valdés, C. 200 Garosci, A. 13,228 Garrido, F. 181 Garrido, J. M. 148 Garrido, M. 167,228 Garrido Falla, F. 46 Garrigues, J. 23,47,62,65,104 Garzaro, R. 73 Gaviria, M. 173 Gaya, R. 41 Georgel, J. 224 Gerona, J. 101 Gil, F. 152 Gil Alava, J. 77 Gil Albert, J. 200 GU de Biedma, J. 80,87,156,201 Gil Casado, P. 87 Gil Cremades, J. J. 141 GU Novales, A. 142,177 GU Robles y GU Delgado, A. 175,185 GU Robles y GU Delgado, J. M. 115 GU Robles y Quiñones, J. M. 14,108 f., 131,160,184 f. Gimbemat, E. 186 Gimbemat, J. A. 148 Giménez Araya, T. 180,182 Giménez Caballero, E. 16,21,23 Giménez Fernández, M. 72,75,116 Gimferrer, P. 156 Giner, C. 148 Giner, S. 173,190,225,227 Giner de los Ríos, F. 141,149 Girardi, J. 148 Girbau, V. 86,96 Girón de Velasco, J. A. 27 GironeUa, E. 139 Gironella, J. M. 35,43,65,80,88,225 Gironés, J. M. 223 Gómez, J.L. 199 Gómez Arboleya, E. 46 f., 62,65,136 Gómez Caffarena, J. 148 Gómez Casas, J. 180 Gómez Llórente, L. 180 Gómez Marín, J. A. 142,157 Gómez MoUeda, M. D. 140 Gómez Moreno, M. 30 Gómez Pérez, R. 139,225 Gómez de la Sema, G. 56 Gómez de la Sema, R. 39 Gomis, J. 131 Gomis.L. 62,131 González, A. 156 González Alvarez, A. 163 González Campos, J. D. 116 González Casanova, J. A. 135,174,176,199,225 González Encinar, J. J. 175 González García, A. 165

236

González Márquez, F. 195 f. González Mesa, A. 186 González Morago, T. 181 González Oliveros, W. 31,47 González Páramo, J. M. 173 González Ruiz, J. M. 147 González Seara, L. 172,185 González Solas, J. 230 González Temprano, A. 225 González Vicen, F. 13,47 Gorkin.J. 139 Goytisolo, J.80,87,104,131 ff., 156 f„ 200 Goytisolo, J. A. 156 Goytre, A. 101,224 Gracia, F. 167 Gramsci, A. 134,154 Granados, M. 14,41,48,131,147 Grande, F. 16,156 Grande Covián, F. 62 Granell, M. 93 Grau.1.14 f. Griera Caja, A. 30 Grimau, J. 108 f. Grosso, A. 88,156 Gubem, R. 228 Guelbenzu, J. M. 156 Guena Campos, J. 100,147 Guillén, J. 14 f„ 33,87 Guimón, J. 195 Guitón, R. 14 f., 42,142,162 Gurméndez, C. 147,169 Gutiérrez-Ravé, J. 183 Gutiérrez Ríos, E. 29 f., 228 Guy, A. 79,93,228 Habermas, J. 169 Halcón, M. 21 Halffter, R. 41 Haro Tecglen, E. 185 Hartnack, J. 171 Haubrich, W. 225 Hegel, G. W. F. 90,92,98,153,168 Heidegger, M. 45,62,90,134,143 Helman, E. F. 45 Heredia Soriano, A. 178,228 Hermet,G. 14,152,174,181,225 Hernán, F. 166 Hernández, M. 15 Hernández Gil, A. 47 Hernández Rubio, J. M. 46 f., 79 Hernando, T. 104 Herrera Petere.J. 41,104 Herrero de Millón, M. 185 Herrero Sarna, J. 80,142,178,186 Hidalgo, M. 156 Hierro, J. 80,87.156 Hierro Sánchez-Pescador, J. 142,144,167 Hills, G. 38 Hitler, A. 36 HOllhuber, 1.229 Hormigón, J. A. 142,156

Huertas Clavería, J. M. 106,191 Husserl, E. 143 Ibáflez, J. 173 Ibáflez Martín, J. 28 ff. Iglesias, M. del Carmen 180 Iglesias Posse, P. 181, f., 199 Iglesias Selgas, C. 130 Imaz.E. 13,32,63 Iribarren, J. 225 Izard, M. 180 Izquierdo Ortega, J. 90 Jackson, G. 183 Jamés, B. 14,41 Jaspers, K. 62 Jato, D. 82 Jáuregui Bereciartu, G. 225 Jerez, M. 225 Jiménez, J. 118,200 Jiménez, J. R. 14,33,63,68,87 Jiménez de Asúa, L. 13,47,63,147,182 f. Jiménez Bermejo, M. 199 Jiménez Blanco, J. 162,167,172,174 Jiménez Fraud, A. 14,63,141,190 Jiménez-Landi, A. 14,141 Jiménez Maraflón, P. 101 Jiménez Moreno, L. 144,165 Jiménez de Parga, M. 43,46 f., 97,101,115 f., 135, 138,148,185 Jiménez de Parga, R. 161 Jiménez Vargas, J. 30 Jimeno 30 Joachim, H. 98 Jobit, P. 89 Johannes vom Kreuze, Hl. 30 Johannes XXIII. 115 f., 118 ff., 148 Jordana, F. G. 28 Jordana, J. 80 Jordana de Pozas, L. 23,46 Jovellanos, G. M. de 143 Jover Zamora, J. M. 77,136 Juan, A. de 73,98 Juan Carlos 1.196 Jutglar, A. 142,146,162,176 Kant, 1.143 Karl V. 36 Kerr, R. 43 Kierkegaard, S. 62,153 Kolumbus, Ch. 30 Lacomba, J. A. 176,180 Lacroix, J. 148 Ladra, D. 156 Lafora, Dr. 104 Laforet, C. 35,65,70 Lafuente Ferrari, E. 45,65,111,138,144 Lago Carballo, A. 59 Lain Entralgo, P. 19 ff., 28,30 ff., 39,47 ff., 59 f., 65,72,80,84,89 ff., 101,104,111 f., 115 f., 131,

237

138,144,162,187,229 Lamo de Espinosa, E. 23,173 f., 183 Lamsdorff Galagane, V. 153 Lapesa, R. 65,104,111,138,144 Laporta, F. 29,141 Largo Caballero, F. 14,183,206 Larra, M. J. de 132 Larraz, J. 130 Larrea, J. 32 Laso Prieto, J. M. 155 Latone, A. 108,138,175 Lázaro Caireter.F. 131,178 Legaz y Lacambra, L. 23,47,100,141 Lenin, W. 1,134,146 Letamendía, F. (Ortzi) 225 Lichtheim, G. 171 Linz,J.J.46, 173,225 Lisón Tolosana, C. 173,190,225 Lissarrague Novoa, S. 46 f., 62,112,116 Lizano, P. 229 Llanos, J . M . de 80,101,112 Lledó, E. 166 f., 199 Llopis, R. 14,108,147 Llorens, V. 14,77 Lluch, E. 197 Lois Estévez, J. 100 Lojendio, I. M. de 24,46 Lombardo-Radice, L. 148 López Amo, A. 61 López Cachero, M. 161 López Calera, N. M. 168,175 López Campillo, E. 178 López Guerra, L. 185,224 López Ibor.J. J. 51,62 López Morillas, J. 14,89,104,141 López-Neyra, C. 30 López Ortiz, J. 28 López Pacheco, J. 88 López Pina, A. 174 f., 225,229 López Pinero, J. M. 136,167 López Pintor, R. 173 López Quintás, A. 45,143,163,229 López Rodó, L. 105,109 López Salinas, A. 88,156,190 López Sevilla, E. 183 Lora Tamayo, M. 30 Lorenzo, A. 181 f. Lorenzo, C. M. 152,225 Lorenzo, J. de 167 Lucas Verdú, P. 46,73,97,100,116, 135,174 Lukács.G. 98,102,134 Luna, A. 101 Luflo Pefia, E. 47 Lunsden, A. 43 Lunz, P. 98 Luther, M. 90,153 Luzurriaga, L. 14,42,89 Machado, A. 15,20,39 f., 42,63,103,142, 192,199 Machado, M. 16

Machiavelli, N. 74 Machovec, M. 148 Madariaga, S. de 14,108,139,187 Maestre, J. 173,195 Maestre Rosa, J. 225 Maeztu, R. de 15,28,31 Mainer, J.-C. 17,19, 21 ff., 26 ff., 43,60, 78,81, 108, 142,156, 178, 229 Malagón, J. 183 Malagón, T. 101,148 Malefakis, E. 184 Malerbe, P. C. 225 Mallea, E. 42 Mallo, J. 72 Maluquer de Motes, I. 181 Manegat, J. 81 Manent, A. 189 Mannheim, K. 168 Manteiga, J. 188 Manzano, J. 30 Maragall, J. 112 Maraflón, G. 16,29,39,41,47,65,80,91,104 Maravall, J. A. 2 3 , 2 6 , 4 6 , 4 8 , 6 5 , 7 7 , 9 3 , 9 7 , 1 1 1 , 116,136 ff., 177 Maravall,). M. 138 f., 147,167,172,186,225 Marcel, G„ 62,90 Marchán, S. 144 Martilla 30 Marco, J. 189 Marcuse, H. 168 f. Marías, J. 34,44 f., 62 ff., 72,78,89 ff., 101,104,111, 131,138,142 ff., 162,189, 191, 229 Manchal, J. 14 f„ 72 ff., 95 f., 104,131,139,142,183, 229 Marín Ocete, A. 30 Marín Pérez, P. 25 Márquez, M. 32 Marra López, J.R. 14,88 Matrero, V.28,91 ff.,229 Marsal, J. F. 172 f„ 229 Marsé.J. 156,200 Martí, C. 76,135,180 Martin, C. 38 Martín, E. 155 Martín Almagro 30 Martín Artajo, A. 39 Martín Gaite, C. 88 Martín Patino, B. 81,155 Martín Recuerda, J. 156 Martín Retortillo, L. 174 Martín Retortillo, S. 46,116,187 Martín-Sánchez Juliá, F. 17 f. Martín Santos, L. 45,86,155,166 Martín Villa, R. 27,80 Martínez, C. 14 Martínez Alier, J. 173,225 Martínez Báez, M. 32 Martínez de Bedoya, J. 26,46,130 Martínez Cachero, J. M. 87 Martínez-Conde, V. 195 Martínez Cuadrado, M. 23,144,161,174 ff., 186,225

238

Martínez Esteruelas, C. 130 Martínez Ferrando 30 Martínez Fraile, R. 77 Martínez Gómez, L. 35,163,227,229 Martínez Lázaro, U. 178 Martínez Marzoa, F. 34 Martínez Menchén, A. 156 Martínez Merino, M. 200 Martínez de Pisón, E. 200 Marx, K. 90,99 f., 134,138,144 ff., 147 f„ 153 ff„ 163,168,210 Masolíver, J. R. 43 Male, R. 148,196 Mateo del Peral, D. 186 Mateu Llopis, F. 30 Matthews, H. 85 Matute, A. M. 43 Máximo (M. San Juan) 81 Mead, Jr„ R. G . 6 3 f f . , 70 Medhurst, K. N. 184 Medina, M. 167 Medina Echevarría, J. 13, 33 Medina Ortega, M. 23,73, 174,185 Meliá, J. 191 Menchaca, A. 139 Méndez Cuesta, C. 15 Méndez Fem'n, X. L. 192 Mendoza, E. 200 Menéndez Pelayo, M. 28,31,33,48 ff. Menéndez Pidal, R. 16,30,35,41,47,64,80,104 Menéndez Reigada, A. 163 Menéndez del Valle, E. 136,195 Meregalli, F. 179 Merleau-Ponty, M. 62 Mermall, Th. 229 Mesa, J. 181 Mesa, R. 136,174,186,226 Metz, J. B. 148 f. Miaja de la Muela, A. 59 Michelena, L. 192 Miguel, A. de 46,97,136,139,162,167,172 ff., 226,229 Miguel, J. de 173 Míguez, A. 174,183,190 Milans del Bosch, J. 216 Millán Puelles, A. 163 Millares Cario, A. 32 MiUás, J. 157,191 Millás Vallicrosa, J. M. 30 Miquelarena, J. 21 Mira Rico, L. 230 Miralles, C. 189 Miret Magdalena, E. 123,148,186,229 Miró, F. 15 Miró, J. 189 Moix, A. M. 156 Moix.T. 156 f., 189 Molas, 1.142,176 Molas, J. 189 Molí, J. 194 Mones, M, A. 85,223

Monleón, J. 155 Montero, E. 25 Montero, F. 167 Montero, 1.147 Montero Díaz, S. 104,136 Montes, E. 21,31 Montesinos, J. F. 14 Montoro Romero, R. 229 Montseny, J. (vgl. Urales, F.) 181 Montserrat, A. 85,223 Monturiol, N. 181 Mora, F. 181 Morales, J. C. 169 Morales, J. M. 167 Morales, R. 80 Morán, F. 73,87,156,175, 186 Morato.J.J. 181 Moreno Galván, J. M. 144 Moreno Villa, J. 14 f„ 41,63 Morodo, R. 23,31,73,75,80,108,110,131,144,147, 161,167,174 f„ 182,186,226 Mosterín, J. 167 f. Mourlane Michelena, P. 21 f. Moya, C. 104,145,162,167,172,185 f., 199,226 Moya, F. J. 181 Múgica, E. 83 Muguerza, J. 88,145, 161,166 f„ 171, 186, 198 Munné Matamala, F. 174 Mufloz, G. 69 Mufloz, Jacobo 171 Mufloz, Juan 85,161,177,226 Mufloz Alonso, Adolfo 80,163 Mufloz Alonso, Alejandro 23 Mufloz Cortés, M. 43 Mufloz Delgado, V. 167 Mufloz Grandes, A. 108 Mufloz Linares, C. 81 Mufloz Rojas, J. A. 23 Murillo Fenol, F. 46,136,172,174 Mury, G. 148 Mussolini, B. 42 Nadal, E. 43 Nadal, J. 76,136 Nadal, S. 43 Navarro, M. 223 Negrín, J. 14,183,206 Nelken, M.41 Neruda, P. 134 Neville, Edgar 21 Nicol, E. 13, 33,45, 79,93, 104, 147 Nieto, A. 139 Nieto, R. 81 Nietzsche.F. 71,142,165 Nikolaus von Kues 153 Nin.A. 15,206 Ninyoles, R. H. 166 Nora, E. de 43,80,87,104 Nourry, Ph. 226 Nováis, J. A. 147 Núflez, D. 167

239

Ochoa, S. 15,104 Oliver, J. 189,229 Olmo, L. 88 Ollero, C. 23,27,46 f., 97,135,137,175 Ollero Tassara, A. 181 Oltra, B. 173,229 Onís, F. de 14 Orizo.F. A. 173 Ortega, A. A. 62 Ortega y Gasset, J. 16,20,23,34,39 ff., 44 f„ 51,64,72,78, 84, 88 ff., 111 ff., 142 f., 178,182,192,206 Ortega Spotlomo, J. 111,113 Ortí BenUoch, J. A. 23,112,161,173,175 Ortí Bordás, J. M . 2 7 , 8 0 Ortiz de Montellano, E. 32 Orts Aracil 30 Ortuflo, M. 80,147 Ossorio y Gallardo, A. 13 Otero, B. de 43,79,86 f., 104,156 Otero Navascués, J. M. 30 Otero Pedrayo, R. 190 f. Oteyza, J. A. de 41 Oya, J. 173 Pagés,J. 229 Pagés, P. 183,229 Palacio Atard, V. 50,183 Palacios, J. 30,62 Palacios, L. E. 28,52,163 Patencia, I. de 14,41 Panero, L. 39,65 Pániker, R. 28,163 Pániker, S. 140 Paramio, L. 229 Paris, C. 35,78,80,93,100,139,142,144, 166 f., 198,229 París Eguilaz, H. 226 Pascual, A. M. 21 Pascual, P. 167 Pascual Leone, A. 41 Pascual Villa, J. 30 Pastor, M. 178 Pattée, R. 52 Paul VI. 148 Payne, S. G. 27,38,46,184,226 Paz Andrade, V. 190 Peces-Barba, G. 115,161,181,185 f., 194 f. Pedro, V. de 69 Pellén, R. 155 Pemán,J.M. 18,31,35 Pemam'n, José 24,31 Pemartln, Julián 27 Pefla, M. del P. de la 199 Peña, V. 198 Pella Boeuf, A. 30 Pérez de Ayala, R. 16,39,41 Pérez de Barradas, J. 30 Pérez Corral, J. 148 Pérez de la Dehesa, R. 142,178,181 Pérez Díaz, V. 172,186,192

Pérez-Embid, F. 28,30,51 ff., 111 f. Pérez Estremerà, M. 156 Pérez Galán, M. 178 Pérez Gallego, C. 178 Pérez Ledesma, M. 182 Pérez Mateos, J. A. 226 Pérez Rodrigo, J. P. 175 Pérez de Uibel.J. 30 Pérez Villanueva, J. 59 Pericot García, L. 30 Petschen, S. 226 Pi y Margall, F. 142 Pi y Sunyer, A. 15 Picasso, P. R. 63 Picón Salas, M. 104 Pildaín y Zapiaín, A. 89 Pifieiro, R. 191 Pinilla de las Heras, E. 81,131,162,173,189 PiniUos, J. L. 131,167 Pintado, A. 195 Pintos, J.L. 148 Pirandello, L. 134 Pittaluga, G. 15 Pizán, M. 143,229 Pia, J. 43,189 Popper, K. R. 166 Porcel, B. 189 Poulantzas, N. 226 Pradas, R. 189 Pradera, J. 82 f. Pradera, V. 31 Prados, E. 14 f., 63,68 Prados AiTarte.J. 109,135,138,162 Preston, P. 224,226 Prieto, H. M. 99 Prieto, 1.14,206 Primo de Rivera, J. A. 23,26,49, 55 Proust, M. 134 Puccini, D. 14 f., 104 Puche Planas, J. 41 Puente Ojea, G. 147,186 Puig Antich, S. 194 Puigdollers Oliver, M. 47 Puy Muñoz, F. 165 Quart, P. 14 Quevedo, F. de 96 Quiñonero, J. P. 157 Quintanilla, M. A. 143,167 Quinto, J. M. de 156 Quiroga Pia, J. M. 15 Rabade, S. 163 Rabago, J. 157 Rahner, K. 148 Raimon 189 Rama, C. M. 38,230 Ramírez, L. 38,226 Ramírez, S. 88 f., 168 Ramírez Jiménez, M. 174,176,226 Ramiro Rico, N. 46

240 Ramón y Cajal, S. 48 Ramoneda, J. 169,195 Ramos Oliveira, A. 77 Rapin, P. 74 Raventós, J. 86 Rebollo Torio, M. A. 230 Recalde, J. R. 146,152,167,192 Recasens Siches, L. 13,33,45 ff., 93 Regalado, A. 142 Reglá, J. 189 Rejano, J. 41 Rey Pastor, J. 15,30,42 Reyes, A. 13,32 Riba, C. 14 Ribas, G. 69 Rico, E. G. 195 Rico, F. 178 Ridruejo, D. 17 ff., 2 6 , 2 8 , 3 1 , 3 5 , 3 9 , 4 9 , 6 0 , 62,72,80, 82 f„ 91 f., 104,109,115,139, 146,162,185,187,196,201,226,230 Río, A. del 14 Río Cisneros, A. del 56 Ríos Unutí, F. de los 13,40,49,51,182 f„ 206 Riquer, M. de 60 Rius Miró 30 Rivacoba, M. de 141 Rivas, P. 144 Robinson, R. 184 Robles, E. 41 Robles, M. 139 Rocasolano 30 Roces, W. 13 Rocha, M. de la 195 Roda, F. 189 Rodoreda, M. 14,189 Rodríguez, C. 80,156 Rodríguez, J. 148,166 Rodríguez Aguilera, C. 60 Rodríguez Arambeiri, J. 173 Rodríguez Delgado, J. M. 167 Rodríguez Huéscar, A. 111 Rodríguez de Lecea, M. T. 148 Rodríguez Marín, F. 35 Rodríguez Marín, J. 167 Rodríguez Méndez, J. M. 156,199 Rodríguez Moñino, A. 178 Rodríguez Paniagua, J. M. 150,175 Rodríguez Puértolas, J. 147 Rodríguez Sanz, C. 156 Rodríguez de Valcárcel, A. 130 Rodríguez de Valcárcel, C. 59 Rodríguez Zúfliga, L. 173 f. Rof Carballo, J. 62,65,112 Roies, A. 152 Roig, X. 195 Rojas, C. 129,184 Rojo, L. A. 131,135 f., 166,197 Rojo, V. 184 Roldán, S. 85,161,177,197,226 Romafia Pujol, A. 30 Romero, A. 189

Romero, E. 130 f. Romero, F. 42 Romero, L. 184 Roquer, R. 28 Ros HombraveUa, J. 85,197,223 Rosales, L . 2 1 , 3 9 , 6 0 , 6 2 , 6 5 Roura-Parella, J. 13 Rovira Armengol, J. 69 Royo Villanova, S. 46, 59 Ruano, E. 161 Rubert de Ventós, X. 166 f. Rubió, J. L. 80 Rubió y Balaguer, J. 30,189 Rubio García Mina, J. 83 Rubio Llórenle, F. 147,174 Rudel, Ch. 27 Ruibal, J. 156 Ruiz, D. 180,191 Ruiz, J. 81 Ruiz i Calonje, i. 189 Ruiz del Castillo, C. 26,30,46 Ruiz Funes, M. 14,41 Ruiz Gallardón, J. M. 83 Ruiz-García, E. 80,132,175 Ruiz-Giménez, J. 39,41 f„ 47 f„ 59,61 f„ 72,80, 82 ff., 93,112,115 ff., 159 f„ 162,186 f., 194, 196,201 Ruiz Manent, J. 43 Ruiz Miguel, A. 29 Ruiz Rico, J. J. 226 Rumeu, F. 180 Rupérez, J. 112,118 Russell, B. 134 Saavedra, J. 192 Saborit, A. 14,142,182 Sacristán, J. 41 Sacristán, M. 42,78,81,93,144 f„ 148 f., 154,167, 169 ff. Sáez Alba, A. 226 Sagra, R. de la 181 Sagrario de Veloy, M. 181 Sáinz Rodríguez, P. 28,31,178 Salas Lairazábal, R. 184 Salcedo, E. 142 Salcedo, J. 173 Salinas, J. 111 Salinas, P. 14 f„ 33,41 ff., 63,68,80 Salmerón, N. 141 Salvat, R. 156 Sampedro, J. L. 111 f., 135 ff. Sánchez,;. L. 112 Sánchez Agesta, L. 26,46,77, 80,188 Sánchez Albornoz, C. 14,68 f„ 77 Sánchez Albornoz, N. 14,177 Sánchez Barbudo, A. 14,33,142 Sánchez Bella, A. 39,80 Sánchez Diana, J. M. 21 Sánchez Ferlosio, R. 79 ff., 104 Sánchez Guisande, G. 69 Sánchez López, F. 108

241

Sánchez Mazas, M. 78,80,82 f„ 86,93,167 Sánchez Montero, S. 199 Sánchez de Muniaín, J. M. 28,163 Sánchez Oitiz de Urbina, R. 144 Sánchez Pascual, A. 165 Sánchez Vázquez, A. 13,41,144,152 f„ 198 Sánchez de Zavala, V. 138,166 f. Sanchís Guarner, M. 189 Sanchís Sinisterra, J. 156 Sancho Izquierdo, M. 47 San Miguel Arribas, A. 30 Santamaría Ossorio, J. 174 f„ 185 Santiago de Pablo, L. 152 Santos, F. 112,115,159 Santullano, L. 41 Sanz Agüero, M. 182 Sanz del Río, J. 141 Sanz Villanueva, S. 155 Safla, H. 147,152 Sartorius, N. 199 Sartre, J.-P. 62,90,132,134,145,153 f. Sastre, A, 34,42,80 f„ 87,104,142, 156,178, 230 Sastre García, V.J. 230 Satrústegui, J. 109 Saumells, R. 54,163 Savater, F. 34,157 f., 164 f. Schaff, A. 145,171 Scholochow, M. A. 134 Schwartz, P. 161,166 f. Seco, C. 136,180 Segura, J. 197 Sender, R. J. 14 f„ 33,41,43,63,69 f„ 80, 142, 200 Serís, H. 15,162 Sema, V, de la 21 Serra, N. 197 Seirahima, M. 189 Serrano, A. 85 Serrano, 1.115 Serrano Poncela, S. 14,142 Serrano Súfter, R. 28,52,60,226 Serien, J. 226 Sevilla Guzmán, E. 227 Shelby, Ch. 13 Siguán, M. 169 Silva Herzog, J. 32 Silvestre Pons, M. 156 Sintes y Obrador, F. 59,112 Sobejano, G. 142,165 Solana, J. 29 SoldeviUa, 1.14 Solé Sabarís, L. 30 Solé Tura, J. 38,109,162,174,189,192,227 Soler, S. 42 Solís Santos, C. 167 Sopeña, F. 59 f„ 82,116,230 Soriano, E. 156 Sotelo, 1.112,153 f„ 173,186 Souchére, E. de la 129 Southworth, H, R. 27,183

Stalin, J.97 Suárez, J. 81 Suárez Carrefio, J. 43 Suárez Verdaguer, F. 50 Subirats, E. 198 Sueiro, D. 80 f. Summers, M. 81 Suñer, E. 17 f. Sureda, J. L. 108,135 Tacitas 73 Tamames, R. 83,108 f„ 135 f., 147,177,184,197,199, 227 Tápies, A. 189 Tasis, R. 60 Teixidor, J. 43 Tejero Molina, A. 216 Témine, E. 183 Terán, M. 138 Termes Ardevol, J. 76,135,180 Tenadas, A. 181 Tenón, E. 140 f., 166 Terrón Montero, J. 230 Tezanos, J. F. 173 f., 186,195,223,227 Thomas, H. 183 Tierno Galván, E. 46,62,72 ff., 78,90,93 ff., 104 f„ 108,126 f., 136,139,142,147,153 ff., 162,175, 196,198,216,227 Todolí, J. 163 Toharia, J. J. 173 f. Tomás y Valiente, F. 177 Torre, G. de 14 f„ 3 1 , 3 3 , 4 4 , 6 3 , 6 6 ff., 70 ff., 131,142 Torregrosa Peris, J. R. 141,172 Torrente Ballester, G. 15,21,35,88,156 f. Torres Boursault, L. 186,195 Torroja Menéndez, J. M. 30 TorteUa Casares, G. 167,177,186 Tovar, A. 2 0 , 2 6 , 2 9 , 3 1 , 3 9 , 4 5 , 4 9 , 5 9 f„ 62,65,91 f., 138 Trias, E. 157,164 f., 167 Trías, J. 142 Trueta, J. 189 Trujillo, G. 174,188 Truyol SerTa, A. 46 f., 98,116,135 ff., 168,188 Trythall, J. W. D. 38 Tuñón de Lara, M. 14,76,97,136,142,176,178 ff., 193, 223, 227 Tussell, J. 176,181,185,227 Ugalde, M. de 190 Ullán, J. M. 156 Umbral, F. 156 Unamuno, M. de 15,34,39,51,63,89,131,133 f., 142,178,188,192 Urales, F. (Pseudonym von J. Montseny) 181 Uidanoz, T. 34 Urquijo, S. 200 Val, J. A. del 167 Valdeón, J. 177 Valdés, J. (Pseudonym von M. Ballestero) 145

242 Valente, J. A. 80,156 Valenti, E. 189 Valle Inclán, R. del 15,39,142 Valle Pascual, L. del 24 Vails Plana, R. 168 Vallverdu, F. 189 Valverde, J. M. 43,60,62,80 f., 167 VarelaDiaz, S. 185 Vaiela Ortega, J. 111 Vázquez, J. M. 173 Vázquez de Mella, J. 28,132 Vázquez Montalbán, M. 36,147,156 f., 174,227 Vega, P. de 147,154,174 f„ 186 Vegas Latapie, E. 24,31 Vela,F.93, 111 Velarde Fuertes, J. 46,80 f., 135,174,177,224 Ventallò, J. 230 Vera, F. 69 Vera, J. 180 ff. Verdi, V. 197,199 Verdura, J. 189 Vergés Mundó, 0 . 1 3 5 , 1 8 0 Vián Ortuflo, A. 138 Vicens Vives, J. 30,60,72, 75 ff., 95, 97,162,189 Vidal Beneyto, J. 136,172,175 Vidal Villa, J. M. 154 Vigil, M. 177 Vigón, J. 31, 52 Vilanova, A. 14 Vilar, S. 140,189,227,230 Vilaseca, J. M. 115 Villalonga, LI. 189 Villar Palasi, J. L.46

Vifias, A. 184 Vivanco, L. F. 35,39,60,62 Vives, L. 30 Weber, M. 102 Welles, B. 129 Whealey, R. H. 184 Wingeate Pike, D. 14 Wittgenstein, L. 94 Wright, R. 85 Ximénez de Sandoval, F. 27 Xirau.J. 13,33,63,141 Xirau, R. 14,41 f. Ynfante, J. 111,227 Yzurdiaga, F. 21,80 Zabala, P. 30 Zamacois, E. 69 Zambrano, M. 13,15,33,45,93 Zamora Vicente, A. 178 Zapatero, V. 29,182,195 Zapico, M. 112 Zaragoza, A. 173 f. Zaragileta, J. 30,62,163 Zatarain, A. de 192 Zubiri, X. 16, 34,45, 59,65,143 Zugazagoitia, J. 181 Zulueta, L. de 14 Zumalacànegui 30 Zunzunegui, J. A. de 35,43

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