Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung?: Über den Zusammenhang von Demokratie, Verfassung und Integration [1 ed.] 9783428500796, 9783428100798

Moderne westliche Demokratien sehen sich durch Prozesse der Pluralisierung, Säkularisierung und Globalisierung zunehmend

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Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung?: Über den Zusammenhang von Demokratie, Verfassung und Integration [1 ed.]
 9783428500796, 9783428100798

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GARY S. SCHAAL

Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung?

Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 116

Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung? Über den Zusammenhang von Demokratie, Verfassung und Integration

Von

Gary s. Schaal

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schaal, Gary S.:

Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung? : über den Zusammenhang von Demokratie, Verfassung und Integration / von Gary S. Schaa\. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Beiträge zur Politischen Wissenschaft; Bd. 116) Zug\.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1997/98 ISBN 3-428-10079-4

D 188 Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 3-428-10079-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Vorwort Das Thema "Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung" ist aktuell, dies zumal im 50. Jahr der Verkündung des Grundgesetzes. Doch worin genau besteht die integrative Kraft von Verfassungen? Die Antworten, die auf diese Frage innerhalb der zeitgenössischen politischen Theorie gegeben werden, divergieren gravierend. Die Arbeit möchte einen Überblick über den Stand der Diskussion liefern. Im Zentrum stehen dabei die politische Gerechtigkeitstheorie John Rawls' sowie die deliberative Demokratietheorie von Jürgen Habermas. Über die Bestandsaufnahme hinaus wird in einer Synthese versucht, die erste Skizze einer Theorie vorzulegen, die vom politischen Liberalismus die Vorstellung einer ethisch neutralen Verfassung übernimmt und sie mit dem demokratisch-partizipatorischen Anliegen der deliberativen Demokratietheorie verbindet. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1997/1998 vom Fachbereich Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Sie entstand einerseits im Rahmen des am John-F.-KennedyInstitut der Freien Universität Berlin angesiedelten DFG Graduiertenkollegs "Demokratie in den USA", andererseits an der TU Dresden, am Sonderforschungsbereich 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" im Teilprojekt "Verfassung als institutionelle Ordnung des Politischen", das von Prof. Dr. Hans Vorländer geleitet wird. Einer Reihe von Personen und Institutionen schulde ich großen Dank, da ohne sie die vorliegende Arbeit so nicht hätte geschrieben werden können: Der größte Dank gilt Prof. Dr. Dieter Fuchs für seine außerordentlich intensive Betreuung dieser Dissertation und die Bereitschaft, die Thematik in ihren vielfältigen Facetten immer wieder mit mir zu diskutieren. Gleichwohl liegt natürlich die gesamte inhaltliche Verantwortung bei mir. Prof. Dr. Hans-Dieter Klingemann möchte ich für die Bereitschaft danken, mit großer Geduld immer wieder auf empirische Bezüge der eher theoretischen Fragestellung hingewiesen zu haben. Leider konnten seine wertvollen Anregungen nur partiell integriert werden - sie haben aber die Richtung für die weitere, empirie-nähere Beschäftigung mit diesem Thema gelegt. Prof. Dr. Hans Vorländer hat es mir ermöglicht, die Arbeit "on time" abschließen zu können.

6

Vorwort

Die Studienstiftung des deutschen Volkes sowie die DFG haben mir mit Stipendien die Konzentration auf die wissenschaftliche Arbeit ermöglicht. Last but not least schulde ich Rusanna Gaber einen sehr großen Dank. Ohne ihre emotionale und intellektuelle Unterstützung hätte ich diese Arbeit nicht abschließen können. Dresden, im Oktober 1999

Gary S. Schaal

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung..........................................................

11

2. Demokratietheoretische Vorüberlegungen ............................

19

2.1 Diskursive Prozesse der Rechtsgenese ............................. 2.2 Das Paradox konstitutioneller Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 28

3. Soziologische Zeitdiagnosen ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.1 Modernisierung, Individualisierung und Pluralisierung ............... 3.2 Konsequenzen der Individualisierung und Pluralisierung .............

35 41

4. Integration.........................................................

47

4.1 4.2 4.3 4.4

Vorüberlegungen zum Konzept der Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Integration und Homogenität ..................................... Integration und Differenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale, politische und funktionale Integration: Versuch einer Reformulierung . .. . . . ... ..... ... .. . .. . .. .. . . . .. . . ... . . .. . . . .. . .. . . . ... .. 4.4.1 Politische Integration ..................................... 4.4.2 Soziale Integration ....................................... 4.4.3 Funktionale Integration ...................................

48 50 52

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften ..................

72

5.1 Integration qua Neutralität ....................................... 5.1.1 Objektebenen von Neutralität.. . ... . . ... . . . ... . ....... . .. .. 5.1.2 Neutralität der Verfassung: Rawls und der overlapping consensus .................................................. 5.1.2.1 Der US Supreme Court zur Frage der positiven und negativen Religionsfreiheit ......................................... 5.1.2.2 Der Supreme Court und Comprehensive Doctrine ............ 5.1.3 Neutralität des (politischen) Diskurses... ..... . .. . .. .. . ..... 5.1.4 Neutralität des einfachen Rechts ........................... 5.2 Integration qua Werte: Das Bundesverfassungsgericht ............... 5.2.1 Das Bundesverfassungsgericht: Aufgaben und Funktionen .... 5.2.2 Exkurs: Gesellschaftliche Integration nach dem Nationalsozialismus .................................................. 5.2.3 Der Kruzifix-Beschluß .................................... 5.2.4 Integration durch Konsens? Integration durch Konflikt? Wertvermittelte Einheit und einheitsgefährdende Grundrechte? Einige empirische Betrachtungen ..........................

73 76

61 66 69 71

79 90 96 99 104 108 113 115 119

124

8

Inhaltsverzeichnis 5.3 Integration qua Social Capital .................................... Diskussion ..................................................... 5.4 Integration qua Diskurs .......................................... 5.4.1 Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats: Habermas ......................................... 5.4.1.1 Theorielinien und Rezeption ............................... 5.4.1.2 Diskurstheoretische Grundlagen ............................ 5.4.1.3 Kommunikatives Handeln. Rechtsstaat und Integration bei Habermas ............................................... 5.4.1.4 Die Verfassungsgerichtsbarkeit im deliberativen Demokratiemodell ................................................. 5.4.1.5 Der deliberativ verfaßte demokratische Prozeß ............... 5.4.2 Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

135 143 149 150 150 152 156 159 162 166

6. Versuch einer Synthese ............................................. 174 6.1 Integration als moralisches Konzept ............................... 6.2 Institutionen und Integration .. .. . .. . .. . .. . .. . . .. .. . . . .. .. . . . . . . . .. 6.2.1 Das Konzept einer prozeduralen. moralischen und minimalen Verfassung .............................................. 6.2.2 Verfassungs gerichtsbarkeit im Konzept einer prozeduralen. moralischen und minimalen Verfassung ..................... 6.2.3 Öffentlichkeit und Verfassung: Ein alternatives Modell der Deliberation ............................................. 6.2.3.1 Deliberation als ..onging process": James Bohman ........... 6.2.3.2 Deliberative PoIl: Fishkin ................................. 6.2.3.3 Exkurs: Das Internet und die deliberative Demokratietheorie ..

174 179 180 184 189 191 193 194

7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen .................................. 203 8. Literaturverzeichnis ................................................ 212 8.1 Aufsätze. Monographien und Sammelbände ........................ 212 8.2 Berichte und Kommentare zum Kruzifixurteil in der deutschen Presse . 239

9. Personenverzeichnis ................................................ 246 10. Sachverzeichnis .................................................... 250

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tab. 1:

Deliberation und Qualität von Präferenzen

27

Tab. 2:

Anforderungsstreß des politischen Systems

44

Tab. 3:

Integrationsformen ......................................... .

53

Tab. 4:

Integrationsmodi und -prozesse .............................. .

58

Tab. 5:

Evaluationskriterien personaler Identität ....................... .

59

Tab. 6:

Evaluationskriterien kollektiver Identität ...................... .

65

Tab. 7:

Drei Arten von Rechten nach Marshall ........................ .

65

Tab. 8:

Ebenen der politischen Integration ............................ .

67

Tab. 9:

Konsensebene 1 ............................................ .

68

Tab. 10:

Konsensebene 2 ............................................ .

69

Tab. 11:

Objektebenen von Neutralität und deren Wächter .............. .

78

Tab. 12:

Verfassungskonformität von religiösen Symbolen ............... .

94

Tab. 13:

Matrix von Neutralitätsebenen und -instrumenten .............. .

107

Tab. 14:

Drei Objektebenen von Akzeptanz und Vertrauen: Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht .... . . . . . . . . . . . . . . . . .

110

Tab. 15:

Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts ...................

114

Tab. 16:

Kompetenzen von Verfassungsgerichten im internationalen Vergleich 116

Tab. 17:

Wertordnung der Verfassungsrichter und der Bevölkerung ........

132

Tab. 18:

Einstellung zum Kruzifix-Beschluß ............................

133

Tab. 19:

Diskurstypen bei Habermas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

Tab. 20:

Praktische Vernunft und Assoziationsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . .

172

Tab. 21:

Rolle der Verfassungsgerichtbarkeit (Übersicht) .................

177

Abb.l:

Objektebenen von Demokratie ................................

20

Abb.2:

Gute Meinung über das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . .

130

Abb.3:

Gemischte Meinung über das Bundesverfassungsgericht. . . ..... ..

131

Abb.4:

Schlechte Meinung über das Bundesverfassungsgericht ..........

131

Abb.5:

Integration als moralisches Konzept im institutionellen Kontext ...

210

1. Einleitung Modeme westliche Demokratien sehen sich zunehmenden Integrationsherausforderungen ausgesetzt, die sich aus unterschiedlichen Quellen speisen. Geht man zunächst rein intuitiv davon aus, daß Homogenität die Integration einer Gesellschaft l befördert, dann mehren sich die Zeichen der Desintegration: Die Zahl der konfessionell Gebundenen sinkt ebenso wie die Wahlbeteiligung auf Bund- und Länderebene in der Bundesrepublik und expressiver Individualismus manifestiert sich in den Straßen. Die zunehmende Pluralisierung von Lebensstilen, durch die Bänder traditioneller Gemeinschaftlichkeit gesprengt (vgl. Bellah, Madsen et al. 1987) und neue nicht unbedingt geknüpft werden, ist eine Grundtendenz von Demokratie an und für sich. Das "Faktum des Pluralismus" (Rawls 1992: 294) ist dabei irreversibel und die Wahrscheinlichkeit der Beschleunigung dieser Entwicklung hoch. Aus der Binnenpluralisierung von Konzeptionen des Guten Lebens in westlichen Demokratien resultiert eine erste Gruppe von Integrationsherausforderungen, und zwar sowohl für das politische System als auch für das soziale System, muß doch der expressive Individualismus auf die Toleranz aller anderen stoßen. Eine zweite Gruppe von Integrationsherausforderungen resultiert aus Prozessen der Migration und Globalisietung (vgl. Fuchs 1999). Aus ihnen ergeben sich Integrationsherausforderungen einer spezifischen Qualität, da der eingespielte kulturelle Hintergrundkonsens, der noch als Abfederungssystem des expressiven Individualismus fungieren konnte, hier nicht mehr greift und funktionale Substitute gefunden werden müssen. Der Hintergrund dieser Überlegungen ist die aktuelle Frage, welches das ethische Minimum ist, das von den Mitgliedern einer Gesellschaft geteilt werden muß, damit Integration erfolgreich sein kann. Dies impliziert zugleich auch die Frage, welches integrative Potential Recht I Der Begriff der Gesellschaft besitzt viele definitorische Facetten. Im folgenden möchte ich mich auf folgende Minimaldefinition beschränken: ,,Mit Gesellschaft (... ) wird die allgemeine Form der durch den gemeinsamen Raum vermittelten Zuordnung, Gesellung und Vergesellschaftung bezeichnet. Gesellschaft ist der umfassende Rahmen sozialer Interaktion und sozialer Beziehungen. (... ) Der räumliche Ursprung (... ) verweist auf Territorialität und die Aufrechterhaltung territorialer Grenzen einer Gesellschaft durch politische Macht. Eine Gesellschaft ist nicht als identische abgrenzbar ohne ein politisches Entscheidungszentrum, im allgemeinen einen Staat, der letztverbindliche Entscheidungen fällen und die räumlichen Grenzen (... ) aufrechterhalten kann" (Koslowski/Bühl 1995: 959).

12

1. Einleitung

besitzt und ob es die Ausfallbürgschaft für die nachlassenden Bindungskräfte kollektiv geteilter ethischer Überzeugen übernehmen kann. Deutlich wird, daß Integrationsvorstellungen, die auf einer substantiellen Gleichheit der Gesellschaftsmitglieder beruhen, entweder ad acta gelegt werden müssen oder nur um den Preis der Repressivität verteidigt werden können. Doch wie kann mit diesen Integrationsherausforderungen konstruktiv umgegangen werden? Aus moralphilosophischer Sicht können die normativen Kriterien gewonnen werden, wie ein gerechter Umgang mit den pluralisierten Konzeptionen des guten Lebens aussehen kann, und zwar sowohl im Verhältnis der Bürger untereinander als auch zwischen den Bürgern und dem politischem System. Die philosophische Antwort wird jedoch solange unbefriedigend bleiben, wie die politischen Fragen, ob den philosophischen Anleitungen gefolgt werden soll, und wenn ja, in welcher institutionellen Spezifikation, nicht beantwortet werden können. Innerhalb der aktuellen Demokratietheorie besteht weitreichender Konsens darüber, daß die Verfassuni und die Institution der Verfassungsrechtsprechung erfolgversprechende Instrumente für die normative Integration moderner Gesellschaften sind (vgl. kritisch dazu Haltern 1998).3 Der Konsens hinsichtlich des Instruments der Integration verstellt jedoch den Blick 2 Verfassungen sind politische Institutionen, die eine politische Ordnung relativ auf Dauer stellen. Verfassungen müssen nicht zwangsläufig demokratische Verfassungen sein; dies waren sie weder in historischer Perpektive (vgl. Böckenförde 1991: 30) noch in aktuell komparativer Perspektive (siehe die ehemals staatssozialistischen Länder). Frühe Verfassungsverträge sind u.a.: 1215 Magna Charta; 1311 Bayrische Handfeste; 1514 Tübinger Vertrag und 1653 Brandenburgischer Rezeß. Im Rahmen der vorliegenden Analyse wird jedoch - sofern nicht anderweitig benannt - immer von westlichen Demokratien und damit von demokratischen Verfassungen ausgegangen. 3 Bereits Smend (1928: 84) betont die Integrationsleistung der Verfassung: "Die Verfassung tritt in den Dienst des Lebens, in dem der Staat seine Lebenswirklichkeit hat, nämlich seines Integrationsprozesses. Der Sinn dieses Prozesses ist die immer neue Herstellung der Lebenstotalität des Staates, und die Verfassung ist die gesetzliche Normierung einzelner Seiten dieses Prozesses". Smend (1928: 80) betont die faktische Wirkungsmächtigkeit von Verfassungen: ,,Als positives Recht ist die Verfassung nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit; als Verfassung ist sie integrierende Wirklichkeit". Auch Vorländer (1997: 115) betont: "Verfassungen und die Diskurse um die Inkraftsetzung, die Veränderung, die Anpassung und die Geltung von Verfassungen repräsentieren gesellschaftliche Selbstverständigungsdiskurse, und darüber hinaus entwickeln Verfassungen eine Eigengeschichte, sie bilden Meta-Narrative gesellschaftlicher Integration aus'" Ähnlich auch Göhler (1'994a: 3s.:-39): ,,(S)o kann in der Gegenwart, trotz mancher Renationalisierungen, eher die Verfassung als politische Institution zur entscheidenden Integrationsinstanz werden - sofern der> Verfassungspatriotismus( (Sternberger) eine auch in ökonomischen und politischen Schlechtwetterlagen integrierende Kraft entfaltet". Ähnliche Positionen werden in der deutschen Diskussion auch von Gerstenberg (1997), Preuß (1994), Habermas (1992) und Böckenförde (1991) vertreten.

1. Einleitung

13

auf die sehr divergierenden Vorstellungen davon, wie Verfassungen zur Integration beitragen. So kann u. a. zwischen Integration qua Neutralität, qua Werten, qua Konflikt, qua Diskurs und qua Symbolen differenziert werden; wohlgemerkt ausschließlich hinsichtlich der Verfassung und der Verfassungsrechtsprechung. Doch auch die Konzeptionalisierung des Integrationsbegriffes ist in der Literatur heterogen. 4 Erschwerend tritt hinzu, daß aufgrund der theoretischen Affinität zur Idee der Homogenität das Konzept der Integration an sich gemieden und durch alternative Konzeptionen - wie jene der Inklusion/Exklusion (vgl. Dryzek 1996) - funktional ersetzt wird. Peters (1993) hat das Konzept der Integration rehabilitiert, indem er es aus der Umklammerung der Homogenität löste und die gleichfalls vorhandenen Verbindungen zwischen Integration, Differenz und demokratischen Diskursen betonte. So wird der Integrationsbegriff bei Peters jedoch Teil einer Gesellschaftstheorie - ein Faktum, das in der Rezeption selten wahrgenommen wird - so daß das Integrationskonzept nicht losgelöst von der Gesellschaftstheorie benutzt werden kann. Beides ohne Verlust wieder voreinander zu lösen wird eine Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist ein doppeltes: Einerseits soll eine kritische Bestandsaufnahme des zeitgenössischen demokratietheoretischen Diskurses zur Frage der Integration moderner Gesellschaften qua Verfassung erfolgen. Besondere Berücksichtigung erfährt dabei die Institution der Verfassungs gerichtsbarkeit. Beide Analyseobjekte existieren auf distinkten, gleichwohl miteinander verbundenen Ebenen: Die Verfassung spezifiziert die Grundstruktur der Gesellschaft, ein Verfassungsgericht spezifiziert im Konfliktfall die verfassungsrechtlichen Vorgaben. Andererseits soll auf Basis dieser Bestandsaufnahme eine erste eigene Skizze einer Theorie der Integration qua Verfassung, die sensibel ist für das Faktum des Pluralismus und moralphilosophische Begründungen mit Vorschlägen für institutionelle Arrangements konzeptionell engführt, vorgelegt werden. Die vorliegende Arbeit möchte primär einen theoretischen Beitrag zu dieser Diskussion leisten. Der ebenfalls vorhandene Rekurs auf soziologische Argumente dient der Entfaltung der demokratietheoretischen Argumentationslinien und ist nicht ..freistehend". Der Argumentationsgang der Arbeit wird von vier zentralen Thesen strukturiert. Zunächst wird davon ausgegangen, daß der Idee von Demokratie selbst eine spezifische Konzeption von Integration eingeschrieben ist. Diese Vorstellung wird als Integration als moralisches Prinzip bezeichnet. Die zweite These lautet, daß die Integrationsperj'ormanz von der demokrati4 VgJ. Dieter Fuchs (1997a, 1999), Hellmann (1997), Dryzek (1996), Brock/Junge (1995), Münch (1995, 1992), Gebhardt/Schmalz-Bruns (1994), Peters (1993), Peter Fuchs (1992), Parsons (1971) und Lockwood (1964).

14

1. Einleitung

sehen Performanz abhängig ist: 5 Aus einem spezifischen Mehr an demokratischen Diskursen resultiert eine höhere Integrationsperformanz. Integration als moralisches Konzept benötigt für seine Realisierung Unterstützung in Form eines entgegenkommenden politischen Institutionengefüges. Besonders wichtig sind hierbei die Verfassung sowie die Verfassungsrechtsprechung. Die dritte These lautet, daß Demokratie und Verfassung über eine spezifische Vorstellung von Integration miteinander verbunden sind. Die abschließende These lautet, daß sich soziale und politische Integration wechselseitig bedingen - keine Integrationsform kann ohne die andere erfolgreich sein. Aus dieser Verknüpfung von Demokratie, Integration und Verfassung resultieren eine Reihe von demokratietheoretischen Problemen, die systematisch Berücksichtigung finden müssen, um das Konzept der Integration nicht zu schwächen. Eine Verfassung verkörpert die elementaren rules 0/ the game, sie strukturiert den politischen Prozeß und ist im Vergleich zum einfachen Recht normimmobil bzw. nur über anspruchsvolle Mehrheitsquoren veränderbar. Damit sind der öffentlichen Autonomie - d. h. der Volkssouveränität - der Bürger Grenzen gesetzt, die jedoch gut begründet sein müssen. Daher wird die substantielle Verfaßtheit der Verfassung relevant. Jede reale Verfassung inkorporiert moralische Grundsätze in Form von Normen, ethische Partikularismen in Form von Werten sowie - für meine Betrachtung von sekundärer Bedeutung - funktionale Regelungen. Das Verhältnis zwischen Werten und Normen sowie die spezifischen werthaften Vorentscheidungen, die innerhalb einer Verfassung getroffen werden, besitzen einen nachhaltigen Einfluß auf die Integrationsperformanz. Somit wird die Betrachtung der moralisch-ethischen Dimension von Verfassungen sowie das Verhältnis zwischen Volkssouveränität und verfassungsförmigen Vorentscheidungen von zentraler Bedeutung innerhalb der weiteren Analyse sein. Darüber hinaus kommt die Institution der Verfassungs gerichtsbarkeit S Beides sind zentrale analytische Begriffe, die im Laufe der Analyse noch spezifiziert werden. Um die Grundstruktur des Arguments zu verdeutlichen, soll es zunächst ausreichend sein, die beiden Begriffe tentativ zu bestimmen: Unter Integrationsperformanz wird die - faktische oder theoretische - Integrationsleistung, die aufgrund einer spezifischen (faktischen oder theoretischen) Konfiguration oder Konzeptionalisierung eines demokratischen politischen Systems (unter besonderer Berücksichtigung von Verfassungen sowie der Verfassungsrechtsprechung) erzielt wird verstanden. Unter demokratischer Performanz wird zunächst - in Anlehnung an Ar~iten von Dabl (1979, 1989) und Fuchs (1995) - die faktische Realisierung fundamentaler demokratischer Standards (also die conditio sine qua non-Elemente von Demokratietheorie) auf den drei Objektebenen von Demokratie verstanden: der Wertebene, der Strukturebene sowie der Performanzebene. Damit ist die demokratische Performanz im Rahmen dieser Arbeit nicht auf die unterste Objektebene von Demokratie beschränkt, sondern stellt quasi eine Integrationskategorie über alle drei Ebenen dar.

1. Einleitung

15

in den Fokus des Interesses, weil sie die autoritative Letztinstanz der Verfassungsinterpretation ist. Verfassungsgerichte werden dann angerufen, wenn eine verfassungsrechtliche Norm strittig geworden ist. Verfassungsrechtsprechung überführt in diesem Fall eine strittige in eine zumindest aus juristischer Sicht unstrittige Norm. Wie jedes positive Recht sind auch die Urteile eines Verfassungsgerichtes sanktionsbewehrt; es steht den Bürgern somit nicht frei, ob sie sich urteilskonform verhalten oder nicht. Die Folgebereitschaft sollte jedoch normativ gesehen nicht allein und nicht immer aus der Sanktionsdrohung resultieren. Vorzuziehen ist die Vorstellung einer rationalen Einsicht in die - noch näher zu bestimmende - Richtigkeit des Urteils. Hierbei wird die Urteilsbegründung eine zentrale motivationale Ressource rationaler Einsicht. Die sozio-moralischen Dispositionen der Bürger stellen damit gleichsam einen Resonanzboden für die Urteilsbegründung dar, der unterschiedlich empfänglich für die Urteilsbegründung sein kann. Verfassungsgerichte sind jedoch aus demokratietheoretischer Sicht durchaus problematische Institutionen, da sie nicht direkt an den demokratischen Prozeß der Rechtsgenese rückgebunden sind. So schreibt Dworkin (1987: 28-29), ,,( ... ) judicial review is generally regarded as undemocratic, even by its sometime friends and even by its passionate admirers" und Pennok (1989: 30) konstatiert: ,,[Tbe Supreme Court, G.S.] is an institution that is often said to be undemocratic". Aus Perspektive der Integrationsperformanz ist somit die Quelle der Verfassungsinterpretation relevant. 6 Daraus ergibt sich die Frage, ob auf moralischer Grundlage argumentiert wird oder vielmehr ethische Bänder der Gemeinschaftlichkeit reaktiviert werden, die jedoch einen janusköpfigen Charakter besitzen, da sie zugleich inkludierend und exkludierend wirken. Trotz der aufgezeigten Probleme ist die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit notwendig, da Verfassungen aus sich selbst heraus nicht erschöpfend sind: "Tbis role of the judiciary is especially important because constitutional provisions are not self-clarifying and constitutional rights are not self-specifying" (Holmes 1995: 301).7 6 Hierzu Müller (1993: 183): ,,Dem Gesetzeswortlaut kann während seiner Geltungsdauer ein neuer Sinn zuwachsen: Im Zeitpunkt der Gesetzesanwendung kann es gute Gründe für ein neues Verständnis des Getzestextes geben, die nicht den Motiven des historischen Gesetzgebers entsprechen; dies kann vor allem dann zutreffen, wenn sich die tatsächlichen (gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder technologischen) Verhältnisse, welche die Norm erfassen will, geändert haben (sog. >Wandel der Normsituationinterpret< some provision of the Constitution is, in the main, to ascertain their aspirational meaning and then to bring that meaning to bear that is to answer the question (... ) what that aspiration means for the conflict at hand, what that aspiration, if accepted, requires the court to do (... )" (Perry 1988: 135-136). Von diesem Interpretationsideal ausgehend, verwundert es nicht, daß Perry (1988: 148-151) Verfassungsrechtsprechung außerhalb des demokratischen Prozesses verortet und als eine anti-majoritäre Institution beschreibt. 29 Ein solches Verständnis von Verfassungsgerichtsbarkeit hilft uns jedoch nicht, die demokratische Legitimationslücke zu überbrücken, die aus der Faktizität dieser Institution resultiert. Instruktiver als die Position von Perry, der die demokratische Frage quasi verneint, ist jene von Michelman (1986: 65), der eher republikanisch argumentiert und die Fiktion des "als ob" etabliert30 : "The Court at last appears not as the representative of the People's declared will but as representation and trace of the People's absent self-government". Diese Konzeptionalisierung basiert auf dem republikanischen Ideal der Volkssouveränität bzw. auf der Notwendigkeit kompensatorischer Demokratiesurrogate, die aus der Nichtidentität von Herrschern und Beherrschten (bzw. Autoren und Adressaten von Rechten) resultiert. 31 Doch auch die Konstruktion des "als ob" hinterläßt uns 29 Dies ist bei Perry auch abhängig von der "Vernunft" des demokratischen Prozesses. Im Rahmen eines liberalen Demokratiemodells, das sich in der Aggregation von individuellen Präferenzen erschöpft, sieht er keinen Ort für ein an der InputSeite des demokratischen Prozesses situiertes Verfassungsgericht. Auch Habermas (1992: 312) betont diese Schieflage zuungunsten der Volkssouveränität: ,,Eine neoaristotelische Variante der Wertordnungslehre vertritt in den USA beispielsweise Michael J. Perry. Er begreift den Verfassungstext als Gründungsurkunde und Ausdruck des ethischen Selbstverständnisses einer historischen Gemeinschaft und streift damit dem moralischen Konventionalismus, der die Grundwerte der Verfassung im jeweils dominierenden Wertekonsens der Bevölkerungsmehrheit verwurzelt sieht, die empiristischen Züge ab". 30 Zentraler Topos republikanischen Gedankenguts ist die personale Identität von Adressaten und Autoren von Recht. Dies resultiert daraus, daß ,,( ... ) in der Erzeugung von Recht die institutionelle Struktur und die zivilgesellschaftlichen Assoziationsverhältnisse im Sinne einer demokratischen Selbstbestimmung verbunden werden. Der republikanische Konstitutionalismus meint daher nicht eine Revitalisierung klassischer Tugendkonzepte, sondern zielt auf die Verbindung von Recht und dem Ethos demokratischer Selbstbestimmung" (Speth 1994: 199). 31 Hierzu Habermas (1992a: 337): ,,( ... ) der Republikanismus [ist: G.S.] Fürsprecher eines verfassungs-rechtlichen Aktivismus, weil die Verfassungsrechtsprechung 3 Schaal

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2. Demokratietheoretische Vorüberlegungen

demokratietheoretisch-Iegitimatorisch unbefriedigt, da sie sich zu stark von der Faktizität der Volkssouveränität des Demos löst. Eine demokratietheoretisch sinnvolle Konzeptionalisierung des Verfassungs gerichts kann weder vollständig vom Demos und der aktuellen politischen Kultur abstrahieren, noch kann sie sich der demokratischen Fiktion des "als ob" bedienen. Sie kann nur prozedural erfolgen.

das Gefälle kompensieren soll, das zwischen dem republikanischen Ideal und der Verfassungswirklichkeit besteht".

3. Soziologische Zeitdiagnosen Die bisherige Argumentation setzte voraus, daß westliche Demokratien ein normatives Integrationsproblem besitzen. Im folgenden soll die empirisch-soziologische Problemdiagnose in den Fokus der Betrachtung genommen werden. Hierzu erfolgt zunächst eine Darstellung gängiger Modemisierungstheorien, die erfolgversprechend für die Erklärung von Prozessen der Individualisierung erscheinen. 3.1 Modernisierung, Individualisierung und Pluralisierung

Der Begriff der Individualisierung besitzt innerhalb der Sozialwissenschaften eine lange und einflußreiche Traditionslinie. 32 Immer ist damit gesellschafts theoretisch ein Prozeß beschrieben worden, der auf einem Strukturwandel basiert. Die erste Welle der Individualisierung ist durch den Übergang von traditionalen zu modemen Gesellschaften gekennzeichnet. Bereits die romantischen Linken - Benjamin, Lukacs - sahen in der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften die Gefahr des Verlustes spezifischer Erfahrungsformen, die konstitutiv sind für die Konstitution sittlicher Gemeinschaften. Diese zeichnen sich durch vorpolitisch gemeinsam geteilte Werte aus, deren spezifischer Charakter nicht auf der rechtlichen Anerkennung jedes Gemeinschaftsmitgliedes basiert. Hiermit schließen die romantischen Linken an Ferdinand Tönnies (1887) an, der mit Gemeinschaft auf der einen und Gesellschaft auf der anderen Seite zwei Formen der sozialen Integration differenziert, an die auch heute noch sozialwissenschaftlich angeschlossen wird. 33 32 Zurück geht dieser Begriff auf Alexis de Tocqueville, der in seinem 1835/40 erschienen Werk "Über die Demokratie in Amerika" den Begriff Individualisme einführt. Hier charakterisiert er - ganz in der Tradition der Verwendung innerhalb der aktuellen kommunitaristischen Theorie - die Entfremdung des Individuums von der Gemeinschaft. De Tocqueville befindet sich damit in Übereinstimmung mit dem in der romantischen Literatur Amerikas des 19. Jahrhunderts artikulierten Verständnis vom Individuum und Gemeinschaft. 33 Zum Verhältnis von Tönnies zu Durkheim bemerkt Münch (1995: 16): "Tönnies und Durkheim verwenden die Begriffe des Mechanischen und Organischen jedoch im entgegengesetzten Sinne. Für Tönnies ist die Gemeinschaft, die ansonsten Durkheims Typus der mechanischen Solidarität entspricht, ein organisches Ganzes mit Eigenleben. (... ) In dieser unterschiedlichen Verwendung der Begriffe ist zu er-



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3. Soziologische Zeitdiagnosen

Der Übergang von traditionalen zu modernen Gesellschaften kann als ein Prozeß der Individualisierung dergestalt verstanden werden, daß solidaritätsstiftende Momente der Gemeinschaft in immer stärkerem Maße zugunsten fonnal-rechtlich-prozeduraler Momente der Gesellschaftskonstitution zurückgedrängt wurden. In dieser wissenschaftlichen Traditionslinie steht die Untersuchung von Beck (1986) zur Individualisierung in der Risikogesellschaft. Becks Kernthese lautet, daß die Prozesse, die als erste Welle der Individualisierung bezeichnet wurden, sich erst unter den Bedingungen einer hochentwickelten, ausdifferenzierten Gesellschaft der Moderne entfalten können. Ein solches Argument gerät jedoch in Tautologieverdacht, da Prozeß und Folge logisch in eins fallen. Individualisierung ruht nach Beck (1986: 115) dem ambivalenten Prozeß der Modernisierung auf: Im analytischen Zentrum steht die Diagnose, daß ,,( ... ) wir Augenzeugen eines Gesellschaftswandels innerhalb der Moderne sind, in dessen Verlauf die Menschen aus den Sozialfonnen der industriellen Gesellschaft - Klasse, Schicht, Familie, Geschlechtslagen von Männern und Frauen - freigesetzt werden (... )". Die Auflösung traditionaler Fonnen von Vergesellschaftung ist der zentrale Topos der Beckschen Argumentation. Worin bestanden die sozial herausragenden Funktionen der Sozialfonnen der industriellen Gesellschaft? Im Kontext dieser Arbeit von besonderer Bedeutung ist die biographische Orientierungsfunktion dieser Sozialfonnen. Sie liefern - im kollektiven Bewußtsein ihrer Mitglieder - die wert- und nonnmäßige Orientierung, die individuelles Handeln strukturiert. In diesem Sinne kann von kollektiven Relevanceframes mit Handlungsorientierungsfunktion gesprochen werden (vgl. Esser 1990, 1991 c). Die aus der Orientierung an diesen Relevanceframes resultierenden Biographien bezeichnet Beck als Normalbiographien. Im Zuge der Auflösung traditioneller Sozialfonnen verringert sich der handlungsorientierende Einfluß der Relevanceframes; Biographien in der Moderne sind nicht länger Nonnalbiographien, sondern Wahl- oder Risikobiographien (Beck 1995: 11). Habennas (1992: 125) betont innerhalb dieses Prozesses die zunehmenden kognitiven Anforderungen, die an eine gelungene Biographie in der Moderne gestellt werden: "Kurz gesagt, tritt an die Stelle der exemplarischen Anleitung zum tugendhaften Leben, der zur Nachahmung empfohlenen Modelle gelungener Lebensführung, immer kennen, daß Durkheim viel mehr als Tönnies der modemen arbeitsteiligen Gesellschaft ein Potential zur sozialen Integration zuschreibt". Gleichwohl - und hiermit schließe ich wieder an die amerikanische Diskussion an . .,. haftet dem Begriff der Gemeinschaft im deutschen Sprachraum noch der Mißbrauch als ideologisches Leitmotiv im Dritten Reich an. Darüber hinaus ist es generell befremdlich, daß innerhalb der bundesdeutschen Diskussion einer zeitgenössischen Gemeinschaftsidee nachgehangen wird, die so eindeutig auf amerikanischen Geschichtsspezifika basiert. Gerade die ersten bundesdeutschen Beiträge zu dieser Debatte zeichnen sich durch diese irritierende Tatsache aus, vgl. den Sammelband von Zahlmann (1992).

3.1 Modernisierung, Individualisierung und Pluralisierung

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stärker die abstrakte Forderung nach bewußter und selbstkritischer Aneignung, die Forderung nach verantwortlicher Übernahme der je eigenen individuellen, unvertretbaren und kontingenten Lebensgeschichte". Darüber hinaus resultieren aus der Herauslösung aus traditionellen Sinnkontexten (Milieus) Verschiebungen auf der Solidaritätsebene. Die solidarischen Bindungskräfte, die innerhalb einer spezifischen nicht voluntaristischen sozialen Gemeinschaft - sei es eine Klasse, eine Schicht oder ein Milieu - existierten, sinken. Die Aussichten, sie revitalisieren zu können, sind jedoch schlecht, selbst wenn Teile eines ehemals sinnstiftenden Milieus - formal-strukturell - noch intakt zu sein scheinen: "Das reflexiv gewordene Sozialstaatsprojekt nimmt Abschied von der arbeitsgesellschaftlichen Utopie. Diese hatte sich am Kontrast der lebendigen und der toten Arbeit, an der Idee der Selbsttätigkeit orientiert. Dabei mußte sie freilich die subkulturellen Lebensformen der Industriearbeiter als eine Quelle von Solidarität voraussetzen. Sie mußte voraussetzen, daß Kooperationsbeziehungen in der Fabrik die naturwüchsig eingespielte Solidarität der Arbeitersubkultur sogar verstärken würden. Diese sind aber inzwischen weitgehend zerfallen. Und ob deren solidaritätsstiftende Kraft am Arbeitsplatz regeneriert werden kann, ist einigermaßen zweifelhaft" (Habermas 1985 a: 160). Habermas läßt sich damit dem Mainstream der soziologischen Zeitdiagnose zuordnen; der Rückgang an Solidarität korreliert hier mit gesellschaftlicher Modernisierung. Hondrich/Koch-Arzberg (1992) jedoch folgen dieser traditionellen Problemexposition nicht, sondern sehen in der Solidarität, als "Verbundenheit durch latente Reziprozität" (Hondrich/Koch-Arzberger 1992: 14) ein Phänomen, das sich erst im Zuge der Modernisierung von Gesellschaft entwickelt (vgl. die Diskussion von Putnam): "Begreift man Individualisierung als Gewinn von Handlungsoptionen, die dem Einzelnen zuwachsen, weil sich seine traditionell zwangvollen Sozialverbindungen lockern, dann steht sie nicht im Widerspruch zur Solidarität, sondern ist geradezu deren Voraussetzung" (Hondrich/Koch-Arzberg 1992: 25). Sie argumentieren weiter: ,,zum einen entsteht Solidarität erst im Zuge der Ausdifferenzierung verschiedener Arten von sozialen Beziehungen, ist also ein Produkt der Modeme; zum anderen ist dieser Prozeß schwerlich als Zuoder Abnahme von Solidarität oder sozialen Bindekräften schlechthin zu begreifen, sondern als eine interne Verwandlung" (Hondrich/Koch-Arzberg 1992: 20). Ein posttraditionelles Verständnis von Solidarität scheint nur vordergründig eine überzeugende Lösung zu sein, da sie zum einen auf einem "definitorischem Taschenspielertrick" beruht und zum anderen - selbst unterstellt, daß diese Form von Solidarität existiert - aus der Pluralisierung von Konzeptionen des guten Lebens trotzdem Integrations- und Koordinationsherausforderungen erwachsen. Der Zusammenhang von Modernisierung,

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3. Soziologische Zeitdiagnosen

Individualisierung und systemischer Differenzierung läßt sich nach Rucht (1994: 54) folgendermaßen charakterisieren: "Auf der Ebene von Gesellschaftsstruktur heißt Modernisierung funktionale Differenzierung, verbunden mit der Rationalisierung und Autonomisierung von Teilsystemen; auf der Ebene des Individuums heißt Modernisierung Ich-Zentrierung, verbunden mit Statuserwerb und Rollenflexibilisierung". Individualisierung besitzt sehr unterschiedliche Qualitäten. Sie konstituiert sich über die von Beck emphatisch gefeierte Freisetzung des Individuums aus den Handlungszwängen kollektiver Relevanceframes, erhöht jedoch zugleich die individuelle Orientierungslosigkeit. Damit wachsen die kognitiven Zumutungen an den einzelnen um, angesichts der permanenten Möglichkeit, biographisch zu scheitern, trotzdem zu handeln. In dieses trotzdem eingelassen ist nach Beck eine zunehmende Ichzentrierung der Gesellschaftsmitglieder: "Gefordert ist ein aktives Handlungsmodell des Alltages, das das Ich zum Zentrum hat, ihm Handlungschancen zuweist und eröffnet und es auf diese Weise erlaubt, die aufbrechenden Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten in bezug auf den eigenen Lebenslauf sinnvoll kleinzuarbeiten. Dies bedeutet, daß hier hinter der Oberfläche intellektueller Spiegelfachtereien für die Zwecke des eigenen Überlebens ein ichzentriertes Weltbild entwickelt werden muß, das das Verhältnis von Ich und Gesellschaft sozusagen auf den Kopf stellt und für die Zwecke der individuellen Lebenslaufgestaltung handhabbar denkt und macht" (Beck 1986: 217218).34 Interessant an dieser Argumentationfigur ist, daß Beck, ohne auf ontologische Grundannahmen zu rekurrieren, wie sie in der Traditionslinie des Liberalismus nach Hobbes stehen, eine gesellschaftliche Mentalitätsentwicklung plausibilisiert, die man als zunehmende ökonomische Rationalisierung der Lebenswelt bezeichnen kann. Während klassische Theorien im Bereich des Rational-Choice auf den ontologischen Status dieser Form der Handlungsorientierung argumentativ rekurrierten, erlaubt die Becksche Figur, die zunehmende Benutzung von ökonomischer Rationalität in der Lebenswelt als dem Prozeß der Modernisierung - und damit auch der Individualisierung - selbst eingeschrieben zu verstehen. Die Frage, ob die Diagnose einer zunehmenden ökonomischen Rationalisierung zutreffend ist, ist 34 Einen anderen Argumentationspfad beschreitet Habermas (1992: 215), der auf die funktionalen Erfordernisse der Zivilgesellschaft abhebt: ,,Das Prinzip der Trennq von Staat und Gesellschaft fordert in seiner abstrakten Fassung eine ZivilgeseIlschaft, also Assoziationsverhältnisse und eine politische Kultur, die von Klassenstrukturen hinreichend entkoppelt sind". Habermas betont hier - und dies wird leider nicht hinreichend deutlich - einen normativen Standard der Zivilgesellschaft: Die ethischen Identitäten ihrer Bürger - die z.T. auch über Klassenlagen definiert sind - sollen zurücktreten gegenüber einer moralischen Perspektive, die gegenüber spezifischen ethischen Momenten gereinigt ist.

3.1 Modemisierung, Individualisierung und P1ura1isierung

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alles andere als trivial. Von ihr hängt - wenn auch nicht maßgeblich, so doch prominent - ab, welche argumentative Überzeugungskraft Demokratietheorien besitzen, die - um nur ein Beispiel zu nennen - die moralischen und ethisch-sittlichen Zumutungen an den Bürger hoch ansetzen. Auch die Frage, in wieweit moralisch-ethisch verlorengegangenes Terrain durch spezifische institutionelle Arrangements zurückgewonnen werden kann, ist nicht unabhängig VOn der Frage der Ökonomisierung der Lebenswelt zu beantworten. 35 Individualisierung ist - dies dürfte hinreichend deutlich geworden sein eine Synthesekategorie, und nur die rigorose Subsumierung äußerst divergierender und ambivalent zu bewertender Prozesse erlaubt Beck die verkürzte Zuspitzung auf eine Erklärungsvariable. Diese Kritik ist pointiert von Honneth (1994) vertreten worden. Er schlägt vor, den Prozeß der Individualisierung in zwei basale Strömungen zu differenzieren, eine positive die Autonomisierung - und eine eher latent pathologische - die Privatisierung?6 Die Differenzierung der Individualisierung in Autonomisierung und Privatisierung kann jedoch nur ein erster Schritt in den Bemühen darstellen, zu einer soziologisch gehaltvolleren Übersetzung des Faktums des Pluralismus zu kommen. Wir müssen den Objektbereich noch näher spezifizieren. Hierfür bietet es sich an, an eine Differenzierung anzuknüpfen, die Walzer (1990a) eingeführt an. Walzer differenziert vier Mobilitäten, die aus Prozessen der Individualisierung resultieren. Er sieht in den USA eine bis dahin in dieser Intensität unbekannte geographische Mobilität, die aus den arbeitstechnischen Mobilitätsanforderungen moderner Industriegesellschaften resultiert und in dem individuellen Gefühl der Heimatlosigkeit kulminiert. Ähnlich verhält es sich mit der sozialen Mobilität; immer weniger 3S Innerhalb der aktuellen demokratietheoretischen Diskussion ruhen die Hoffnungen auf den Chiffren Tugend und Bürger (citizenship) (vgl. Münkler 1992a, Buchstein 1996). Buchstein konstatiert ein Revival des akademischen Tugenddiskurses: ,,Der Terminus Bürger ist die Chiffre für die Sehnsucht der Demokratietheorie, angesichts eines weit gesteckten und zum Teil disparaten Herausforderungskatalogs die demokratische Frage positiv zu beantworten" (Buchstein 1996: 297-298). 36 Die emphatische Form der Selbstermächtigung charakterisiert Honneth (1994: 25) folgendermaßen: ..Unter Autonomisierung nämlich sind alle die Vorgänge zu verstehen, durch die Individuen dazu befähigt werden, mit vorgegebenen Handlungsaltemativen auf eine reflektierte, selbstbewußte Weise umzugehen (... )". Der bewußten Freisetzung aus standardisierten sozialen Kontexten steht die pathologische Variante in Form der Privatisierung gegenüber. Honneth (1994: 25) charakterisiert sie als jenen sozialen Vorgäng, ..der auf dem Weg einer Zerstörung von intersubjektiverlebbaren Gemeinschaftsbezügen die Individuen ihrer gesicherten Handlungsgrundlage beraubt und somit zunehmend voneinander isoliert (... )". Zu einer ähnlichen Differenzierung des Individualisierungsphänomens kommt auch Peters (1993: 14), der dem Freiheitsgewinn den anomischen Aspekt der Individualisierung gegenüberstellt. Individualisierung wiederum differenziert Peters in die Trias Pluralisierung, Heterogenisierung und Segmentierung.

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3. Soziologische Zeitdiagnosen

amerikanische Staatsbürger folgen dem Lebensstil ihrer Eltern oder befinden sich in derselben gesellschaftlichen Statussphäre. 37 Die Beziehungsmobiliät äußert sich nach Walzer im Zuwachs der Scheidungsraten. Die politische Mobilität ist für Walzer paradigmatisch verdichtet in der Erscheinung des Wechselwählers. All diese Phänome faßt Walzer in dem Begriff des "unsettlement" zusammen. Individualisierung und die Pluralisierung von Konzeptionen des guten Lebens sind bisher als die Folgen einer gesellschaftlichen Modernisierung diskutiert worden, wobei sowohl individuelle Freiheitsgewinne als auch pathologische Effekte betont wurden. Rawls verändert die Frageperspektive dahingehend, daß er Pluralisierung und Individualisierung nicht primär als Konsequenzen von Modernisierungsprozessen ansieht, sondern als modernen Demokratien selbst eingeschrieben. Drei Argumente führt er zur Unterstützung dieser These an: Zunächst stützt er seine These auf empirischhistorisches Wissen; ähnlich der Argumentation von Dahl (1989), der von modern, dynamic, pluralist societies spricht und die Pluralisierung als historisches Faktum begreift, geht er davon aus, das unter Bedingungen garantierter Grundrechte und -freiheiten die Pluralisierung weiter zunehmen wird. Das theoretisch-normative Argument schließt an die Idee der Demokratie selbst an: Die normative Leitidee besteht in der wechselseitigen Anerkennung der Bürger als Freie und Gleiche. Kollektiv bindenden Konzetionen des Guten (Lebens) kann ein demokratischer Staat daher nur über repressive Zwangsmaßnahmen durchsetzen. Dies würde jedoch den normativen Leitideen von Demokratie widersprechen. Das letzte Argument bezeichnet Hinsch (1992: 24) als eines "epistemologischer Art". Es basiert auf dem komplexen Zusammenspiel der Bürden der Vernunft mit der prinzipiellen Komplexität von Entscheidungen. Um das letzte Argument zu verdeutlichen, muß zunächst die Konzeption der Person im politischen Liberalismus bei Rawls eingeführt werden. Individuen streben nach der Ausbildung zweier moralischer Vermögen, dem Gerechtigkeitssinn38 sowie der Befähigung zu einer Konzeption des Guten (Rawls 1992: 87, 119,267). In dem Maße, wie diese beiden Vermögen faktisch ausgebildet sind, genießen die Bürger, die mit "dem Status des Bürgers verbundenen Vorteile sozialer Kooperation" (Hinsch 1992: 18). Vor dem Hintergrund meiner Analyse ist jedoch nur wichtig, daß die Verteidigung der je eigenen Konzeption des Guten dem Anspruch der Öffentlich31 Hier llißt sich einftigen, daß Beck (1986) für die Bundesrepublik ebenfalls eine erhöhte soziale Mobilität konstatiert. Im Gegensatz zum amerikanischen Phänomen niviliert diese jedoch nicht die sozialen Unterschiede; eher ließe sich von einem ,,Fahrstuhleffekt" sprechen, der sämtliche Klassen und Schichten nach oben befördert hat, die Unterschiede zwischen den Schichten jedoch nicht verringerte. 38 Vgl. zum Gerechtigkeitssinn Fußnote 78, S. 55.

3.2 Konsequenzen der Individualisierung und Pluralisierung

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keit gerecht werden muß. Bürger besitzen erst dann vernünftige Meinungsverschiedenheiten, wenn unter unparteiischer und ernsthafter Berücksichtigung aller ins diskursive Feld geführten Argumente Meinungsverschiedenheiten über Konzeptionen des Guten weiterhin bestehen. Rawls argumentiert nun, daß diese Meinungsverschiedenheiten notwendigerweise bestehen müssen und führt hierzu sechs Gründe an: ,,(1) die Widersprüchlichkeit und Vieldeutigkeit empirischer Befunde; (2) die Möglichkeit, Befunde hinsichtlich ihrer Konsequenzen unterschiedlich zu gewichten; (3) die offenen Grenzen des korrekten Gebrauchs von Begriffen; (4) die Abhängigkeit der Beurteilung und Gewichtung von Sachverhalten vom jeweils besonderen individuellen Erfahrungshintergrund; (5) die Schwierigkeit, zu einer vernünftigen Entscheidung zu gelangen, wenn für jede Alternative gewichtige, aber miteinander inkommensurable moralische Gründe angeführt werden; (6) die Tatsache, daß aufgrund des gewissermaßen begrenzten gesellschaftlichen Raumes kein System von Institutionen alle moralischen und politischen Werte uneingeschränkt verwirklichen kann".39 In der Terminologie der Rational-Choice-Theorie (im Anschluß an Simon (1993» kann in diesem Sinne von zwei /imitations gesprochen werden; den computational limitations auf Seiten der Individuen und den institutional limitations auf Seiten des demokratischen politischen Systems. Es scheint, als ob zumindest das epistemologische Argument soweit stichhaltig ist, daß die Pluralisierung von vernünftigen Konzeptionen des guten Lebens modernen westlichen Demokratien eingeschrieben ist. Die Integrationsherausforderungen dieser Pluralisierung müssen daher auch von jenen Theoriepositionen anerkannt werden, die der Rekonstruktion des Individualismusarguments skeptisch gegenüberstehen. 3.2 Konsequenzen der Individualisierung und Pluralisierung Ein prototypischer Vertreter einer zeitdiagnostischen Skepsis, die die Stabilität des politischen Systems im Fokus der Diagnose hat, ist Buchstein (1996: 297): "Der mit der Globalisierung verbundene Verlust der Handlungsmacht des demokratischen Nationalstaates, die Folgen der Migration von Kapital und Menschen, ökologische und andere ,risikogesellschaftliche' Problemstellungen - vor dem Hintergrund dieser Folgeprobleme entfesselter industriegesellschaftlicher Dynamik hinterläßt die nationalstaatlieh organisierte Demokratie einen merkwürdig invaliden Eindruck". Woraus resul39 Hier in der Rekonstruktion von Hinsch (1992: 24). Ähnlich auch Forst (1994: 73): "Alle diese Ursachen führen zu normativen Konflikten, die weder auf der Basis theoretischer noch praktischer Vernunft eindeutig zu entscheiden sind; innerhalb der Grenzen der Gerechtigkeit ist somit mit unauflöslichen und doch nicht unvernünftigen Meinungsverschiedenheiten zu rechnen".

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3. Soziologische Zeitdiagnosen

tiert dieser "merkwürdig invalide Eindruck?". Aus der Auflösung von Klassen und Schichten sowie traditionalen sozialen Lebensformen resultieren für die politische Sphäre zumindest zwei Herausforderungen: Es werden andere politische Präferenzen sowie andere Bündel von politischen Präferenzen artikuliert. Ersteres kann als Pluralisierung und Diversifizierung, letzteres als zunehmende Kontingenz politischer Präferenzen verstanden werden. Beides resultiert aus der sinkenden Orientierungsleistung klassenmäßig verfaßter Relevanceframes. Eine repräsentative Demokratie basiert - so der Mainstream der Politikwissenschaft - auf der Responsivität der politischen Parteien hinsichtlich der Präferenzen der Bürger (vgl. Fuchs 1995b, Sartori 1992). Wie bereits gezeigt worden ist, erfolgt auf Seiten der Bürger jedoch eine Pluralisierung und zunehmende Kontingenz politischer Präferenzen, die - angesichts der Option des multiple self (Elster 1986 a) - nicht zwangsläufig den Kriterien der internen Konsistenz und Transitivität genügen müssen (vgl. Downs 1968). Auf der individuellen Seite führen inkonsistente politische Präferenzen maximal in das Phänomen der kognitiven Dissonanzen (vgl. Festinger 1957), deren Intensität von dem Grad der kognitiven Mobilisierung und der Selbstreflexivität abhängig ist. Auf Seiten des politischen Systems ist mit beiden Phänomenen weitaus schwieriger umzugehen. So konfligiert die Kurifristigkeit politischer Präferenzen auf der Nachfrageseite mit systemischen Eigenlogiken des politischen Prozesses: zum einen - aus normativer Perspektive - mit dem Anspruch der Zukunftsorientierung ("future regarding" Offe/Preuß 1992: 156), zum anderen - funktional betrachtet - mit der Trägheit bürokratischer Verwaltungen, darüber hinaus auf der Implementationsebene mit den systemischen Eigenlogiken der anderen Gesellschaftssysteme: "Der demokratische Prozeß wird, wie die Entscheidungstheorie zeigt, >von innen< durch die Knappheit funktional notwendiger Ressourcen ausgezehrt; und >nach außen< prallt er, wie die Systemtheorie behauptet, an der Komplexität undurchsichtiger und schwer beeinflußbarer Funktionssysteme ab. In beiden Richtungen scheinen sich die Trägheitsmomente der Gesellschaft (... ) gegenüber dem deliberativen Modus einer bewußt und autonom vollzogenen Vergesellschaftung zu >verselbständigenwirklich< (... ) sind, bleibt dabei dahingestellt". Im Gegensatz zu Gerstenberg gehe ich davon aus, daß die politische Konzeption der Person bei Rawls nicht kontrafaktisch sein darf, denn ansonsten existierte für Bürger keine hinreichende Motivation, den overlapping consensus zu tragen. 80 Vgl. Rawls (1992: 344) sowie Hinsch (1992: 30).

5.1 Integration qua Neutralität

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Begründungen nur im Medium der Moral als gültig ansieht. Daher ist auch

einstimmige Unterstützung für eine solche Verfassung zu erwarten. Die Ein-

stimmigkeit resultiert nach Schmalz-Bruns dabei aus der Entkernung der basalen Gerechtigkeitsgrundsätze: "Deshalb sieht sich Rawls dann zweitens mit Blick auf die Bedingungen der Stabilität des liberalen Verfassungskonsens genötigt, den übergreifenden Konsens auf prozedurale Verfassungsinhalte zu beschränken, die das Differenzprinzip des zweiten Grundsatzes der >Theorie der Gerechtigkeit< nun nicht mehr einschließen (... )" (SchmalzBruns 1995: 49).

Eine solche Rekonstruktion zeigt, daß das Zielkriterium der Gerechtigkeit mit jenem der Stabilität respektive Akzeptanz in der Wirklichkeit bei Rawls nicht konsistent verbunden wurde. 81 Durch die Zurückdrängung des Differenzprinzips kann zwar die Integrationsperformanz erhöht werden; dies geschieht jedoch auf Kosten der Realisierung von Gerechtigkeitsidealen, die so nicht mehr positiv-rechtlich in einer Verfassung verankert sind. 82 Neutralität und Gerechtigkeit müssen sich offensichtlich nicht wechselseitig positiv befördern. Doch gerade durch die Operation der verfassungsrechtlichen Suspendierung des Differenzprinzips wird die Verfassung von einem overlapping consensus getragen. Die Frage der motivationalen Ressourcen der Unterstützung des overlapping consensus wird innerhalb des Werks von Rawls nicht eindeutig beantwortet: Zwar konstatiert er, "when all reasonable members of political society carry out a justification of the shared political conception by embedding it in their reasonable comprehensive views" (Rawls 1993: 143), gleichzeitig tendiert er dazu, ,,( ... ) to shift citizens comprehensive doctrlnes so that they at least accept the principles of a liberal constitution [Hervorhebung: G.S.]" (Rawls 1993: 163). Die beiden zitierten motivationalen Ressourcen der Ausbildung des overlapping consensus korrespondieren mit zwei unterschiedlichen Konzepten von Neutralität: "b. that the state is not to do anything intended to favor or promote any particular comprehensive doctrlne rather than another, or to give greater assistence to those who persue it; c. that the state is not to do anything that makes it more likely that individuals accept any particular conception rather than 8\ Die Plausibilität dieser Rekonstruktion wird neben Schmalz-Bruns auch von Hinsch (1992: 32) gedeckt: .. [D]er erste Grundsatz bezieht sich auf Verfassungsbestimmungen, der zweite auf einfache Gesetze, wodurch zugleich der Vorrang des ersten Grundsatzes gegenüber dem zweiten institutionell garantiert ist". 82 Habermas (1996: 67) rekurriert auf dasselbe theoretische Phänomen, konstatiert jedoch andere Konsequenzen hinsichtlich der Geltung der Theorie: .. [E]r [Rawls, G.S.] scheint die weltanschauliche Neutralität seiner Gerechtigkeitskonzeption mit der Preisgabe ihres kognitiven Geltungsanspruches erkaufen zu wollen

( ... )".

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

another unless steps are taken to cancel or to cornpensate for, the effects of policies that do this" (Rawls 1993: 193).83 Rawls wirkt hinsichtlich der Favorisierung von (b) oder (c) unentschieden, da der overlapping consensus die Einstellungen der Bürger verändern (shift) soll. Neutral ist er jedoch in einem sekundären Sinne dergestalt, als daß "der Inhalt, worin alle Bürger übereinstimmen können, getrennt wird von den jeweiligen Gründen, aus denen der einzelne ihn als wahr akzeptiert" (Habermas 1996: 105). Im Gegensatz zu Habermas denke ich nicht, daß der overlapping consensus akzeptiert wird, weil er wahr ist. Dies ist rein argumentationslogisch nur dann möglich, wenn wahr als Reformulierung von universalistisch eingeführt wird. 84 Dann jedoch können die Gründe für die Akzeptanz des overlapping consensus nicht variieren. Offensichtlich ist der Status des overlapping consensus bereits in der Konzeptionalisierung von Rawls mehrdeutig. Welche Position nimmt der Supreme Court im Theoriedesign von Rawls ein? Welche Aufgabe soll er erfüllen? Steht er ausschließlich im Dienst der Durchsetzung der Neutralität der Verfassung?85 Der Supreme Court ist der höchste, aber weder der finale noch der neutrale 86 Interpret der Verfassung: "The court's role is not merely defensive, but to give due and continuing effect to public reason by serving as its institutional exemplar. (... ) Finally, the court's role as exemplar of public reason has a third aspect: to give public reason vividness and vitality in the public forum; this it does by its authoritative judgments on fundamental political questions" (Rawls 1993: 235-236). Im Anschluß an die Diskussion von Supreme Court-Urteilen werde ich noch einmal auf die Stellung des Verfassungs gerichts bei Rawls zurückkommen. Rawls politischer Liberalismus ist Objekt massiver Kritik geworden; diese soll - sofern sie systematisch relevant ist - im folgenden präsentiert werden und zwar differenziert nach der eher allgemeinen Kritik am theoretischen Design sowie der Kritik speziell an seiner Integrationskonzeption. Sowohl Habermas (1996) als auch Forst (1994) konstatieren, daß Rawls Die erste Konzeption von Neutralität ist im Kontext dieser Arbeit irrelevant. Vgl. hierfür Habennas (1996: 11-64 sowie 1996: 95-127). 85 Cook (1989: 411) hierzu: "Given the decline of positivism, the relevant question for those seeking to justify the institution of judical review and, by inference, the liberal system as weIl, was what vaIues could infonn the decisionmaking process and legitimate the antimajoritarian role ofthe court in an admittedly pluralist world. While some sought refuge in the hope that courts could applay neutral principles that guarded against the abuses of pluralist and majoritarian politics, others realized that the emphasis on process assumed substantive value choices as weIl". 86 Dies verwundert, da aufgrund der Theoriekonstruktion der Supreme Court die Neutralität der Verfassung in die politische Realität tragen müßte. 83

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5.1 Integration qua Neutralität

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einen kategorialen Fehler in der Konstruktion der primary goods beging. Hierbei könnte es sich entweder um ein Problem der Terminologie - was einfach zu lösen wäre - oder um einen wirklichen kategorialen Fehler in der Konstruktion der Theorie handeln, was weitaus gravierender wäre. Die Kritik beruht auf der Beobachtung, daß Rawls Rechte als goods (Güter) oder genauer: primary goods - deklariert. Gegen eine solche Gleichsetzung sprechen zwei Argumente. Zunächst können Rechte nicht "verteilt" werden wie Güter. Rechte werden entweder askriptiv "verliehen" oder sind - in naturrechtlichen Konzeptionen - dem Menschen als Menschen eigen. 87 Zum anderen sind Rechte - im Vergleich zu Gütern - quasi binär codiert. Der Bürger ist entweder Träger oder Nicht-Träger von subjektiven Rechten. Rawls sieht zwar, daß Bürger sich als Träger subjektiver Rechte wechselseitig als Freie und Gleiche wahrnehmen, diese horizontale Dimension (Bürger-Bürger) dominiert jedoch im Vergleich zur ebenfalls wichtigen vertikalen Dimension (Bürger-Staat), die kausal auf eine verkürzte Wahrnehmung der politischen Partizipation in einer bestehenden Demokratie hinausläuft. Dieses Argument werde ich an späterer Stelle wieder aufgreifen. Rawls modelliert seinen politischen Liberalismus auf zwei Ebenen, der theoretisch-philosophischen Begründung und der empirischen Akzeptanz. Obwohl ein solcher Ansatz hinsichtlich der Verknüpfung von Faktizität und Geltung wünschenswert ist, bleibt jedoch das Verhältnis zwischen ihnen uneindeutig. Joshua Cohen hat diesen Punkt mit bemerkenswerter Deutlichkeit vorgetragen: ,,(1) Is it necessary that the correct account of justice satisfy the pluralistic consensus test; (2) satisfying the test is not necessary though it does provide some support for a conception of justice; or (3) satisfying the test is a desideratum that has no bearing on the correctness of an account of justice" ( Joshua Cohen 1993: 273). Diese Kritik von Joshua Cohen muß sogar noch erweitert werden. Das Verhältnis zwischen den vorgefundenen Gerechtigkeitsintuitionen, den theoretischen GerechtigkeitsgrundSätzen sowie den motivationalen Ressourcen der Bürger, letztere zu akzeptieren und sich in ihrer lebensweltlichen Praxis an ihnen zu orientieren, bleibt trotz des zweistufigen Theoriedesigns problematisch. Eine besondere Problemdimension erwächst für Rawls dabei aus seinem Intuitionismus: Rawls rekurriert auf Gerechtigkeitsstandards, die - quasi als kulturellpolitisch eingespielter Hintergrundkonsens - vorhanden sind und systematisch expliziert werden. Diese intuitiven Gerechtigkeitsstandards sind jedoch nicht unabhängig von der amerikanischen Verfassung zu denken. Hierzu konstatiert Kahn (1989: 514) eine für das Theoriedesign problematische Situation: ,,[C]onstitutional law may be both true - historically accurate - and wrong - inconsistent with abstract moral principles". In einer 87 Oder in den modemen Adaptionen klassischer naturrechtlicher Argumentation, vgl. hierfür die Arbeiten von Dworkin (1978, 1984).

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

solchen Situtation wäre weder die Grundstruktur der amerikanischen Gesellschaft kompatibel mit den theoretischen Gerechtigkeitsgrundsätzen, noch hätten Bürger eine hinreichende Motivation, den overlapping consensus zu tragen, weil intuitive und theoretische Gerechtigkeitsgrundsätze sich nicht mehr kausal aufeinander beziehen würden: ,,[M]oderne Institutionen benötigen die Verbindung beider Quellen: rationale Rechtfertigung durch kritischen Diskurs und konsensuelle Verankerung in der lebensweltlichen Tradition" (Münch 1992: 330).88 Einer anspruchsvollen Konzeptionalisierung von Integration wird Rawls damit nicht vollständig gerecht, obwohl er mit der ,,real-soziologischen" Diagnose des Faktums des Pluralismus den Grundstein für eine entsprechende Konzeption gelegt hat. Die essentiellen Verfassungsinhalte entsprechen dem Ideal der ,,Neutrality of aim",89 womit die notwendige Voraussetzung für ihre Akzeptanz und Unterstützung seitens vernünftiger Konzeptionen des guten Lebens erfüllt ist. Die Neutralität der Ziele wird jedoch sobald die Verfassungsebene verlassen wird - einem demokratischen Prozeß ausgeliefert, der in seiner substantiellen Breite und Tiefe dann doch nicht die partizipatorische Ausfallbürgschaft für die sinkende Integrationsperformanz des einfachen Rechtes übernehmen kann. 90 So ergibt sich "aus der zweistufigen Anlage seiner [Rawls, G.S.] Theorie ein Vorrang der liberalen Grundrechte, der den demokratischen Prozeß gewissermaßen in den Schatten treten läßt. (... ) Die Art von politischer Autonomie, der im Urzustand, also auf der ersten Stufe der Theoriebildung ein virtuelles Lebens beschieden ist, kann sich im Herzen der rechtlich konstituierten Gesellschaft nicht 88 Für Schmalz-Bruns, der dem Projekt von Rawls in seiner Grundstruktur distanziert gegenübersteht, stellt sich die Frage nach diesen Konsequenzen nicht, da er vorgängig das faktische integrative Potential des overlapping consensus in Frage stellt: ,,Das läßt, unter motivationalen Gesichtspunkten, jedoch offen, wie es auf Dauer möglich sein soll, eine Gesellschaft freier und gleicher Bürger in einem formalen Verfassungskonsens zu integrieren und zu stabilisieren (... )" (Schmalz-Bruns 1995: 48). 89 Hier verstanden als "tbe state is not to do anything intended to favor or promote any particular comprehensive doctrine rather tban anotber, or to give greater assistance to tbose who pursue ist" Rawls (1993: 193). 90 Hinsch (1992: 32): ,,Insofern die vom ersten Grundsatz erfaßten wesentlichen Verfassungsinhalte betroffen sind, erfordert das liberale Legitimitätsprinzip einen übergreifenden Konsens über diese Inhalte. (... ) Einzelne gesetzgeberische Entscheidungen innerhalb des von der Verfassung vorgegebenen Rahmens dagegen werden nicht durch eine argumentativ enielte· Einmütigkeit legitimiert, sondern dadurch, daß sie das Resultat eines auf Abstimmung beruhenden fairen Entscheidungsverfahrens sind, das alle Bürger aus vernünftigen Gründen anerkennen". Ackerman (1991) differenziert zwei Politik- und Demokratieverständnisse: ein monistisches Demokratiemodell sowie die rights Jouru:lntionalists. Letztere ordnen die Demokratie der Gültigkeit der liberalen Grundrechte unter. Zu den rights Jouru:lntionalists zählt Ackerman (1991) auch Rawls mit seinem politischen Liberalismus.

5.1 Integration qua Neutralität

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verstetigen. ( ... ) Sie [die Bürger, G.S.] können den radikaldemokratischen Glutkern des Urzustandes im realen Leben ihrer Gesellschaft nicht entfachen, denn aus ihrer Sicht sind alle wesentlichen Legitimationsdiskurse schon innerhalb der Theorie geführt worden" (Habermas 1996: 89-90). Damit unterläuft die Konzeption von Rawls sowohl auf der Verfassungsebene91 als auch auf der Ebene der politischen Partizipation der Bürger die Anforderungen, die intern aus der Idee von Neutralität resultieren und von Forst (1994: 125) folgendermaßen bestimmt wird: ,,>Rechtsperson< ist als dynamisches Konzept zu verstehen, das sich innerhalb einer politischen Gemeinschaft realisiert und entwickelt, das heißt dessen Gehalt in Diskursen über Ansprüche auf rechtliche Anerkennung, die von den Bürgern erhoben werden, bestimmt werden muß. Der liberale Grundsatz der Neutralität drängt somit über das Selbstverständnis liberaler Theorien hinaus zu der Konsequenz einer internen Verbindung des Schutzes von Rechten und demokratischer Selbstbestimmung". Die Neutralität auf der Ebene des einfachen Rechts bezieht sich auf die Prozeduren; die normativen Anforderungen, die sowohl an die Diskursivität des politischen Prozesses als auch an die Akteure gestellt werden, sind die Garanten einer solchen prozeduralen Neutralität. Auf dieser Ebene jedoch muß sich der Rawlssche Ansatz einer Kritik stellen, die jener an Habermas nicht unähnlich ist, daß von kontrafaktischen Kommunikationsbedingungen ausgegangen wird, die emprisch nicht einholbar sind. Dieser Vorwurf läßt sich sowohl auf der Ebene der kognitiven Kapazitäten der Bürger situieren als auch auf der Ebene der motivationalen Ressourcen für diese Form fairen Verhaltens. Rawls umging dieses Problem mit einer Doppelstrategie, indem er auf theoretischer Ebene den Gerechtigkeitssinn der Bürger als unhintergehbares Postulat setzte92 und auf der empirischen Ebene den Intuitionismus und den demokratischen Hintergrundkonsens betonte. Ob eine solche axiomatische Setzung überzeugen kann, möchte ich dahingestellt bleiben lasssen. Das Faktum des Pluralismus wird bei Rawls vor allem zu einer moralphilosophischen Frage, die die real auftretenden sozialen Konflikte ausklammern kann, da die Bürger sich von vornherein als Freie und Gleiche begreifen. Die Stabilität der Gesellschaft, d. h. die friedliche Koexistenz von pluralisierten Formen des guten Lebens, wird also durch die politisch-insti91 Schmalz-Bruns (1995: 50): "Vielmehr verleitet sie ihn [Rawls, O.S.] am Ende zu einer Art justiziellen Republikanismus, der die Idee der Volkssouveränität unterläuft und die S'!prematie des Parlaments in Verfassungsfragen zuruckweist (... ) und die allgemeine Offentlichkeit von der Führung des Verfassungsdiskurses suspendiert, der jedenfalls im Routinemodus normaler Politik (... ) juristischer Experten sein soll". 92 Oder, allgemeiner gefaSt: Indem er die eine politische Personenkonzeption zum Kern des politischen Liberalismus werden ließ.

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

tutionellen Rahmenbedingungen nur unterstützt. Damit ruht auf den Bürgern, die sich wechselseitig als Freie und Gleiche respektieren, eine hohe Rationalitätszumutung, welche die Voraussetzung für die Entfaltung der motivationalen Ressourcen ist, den overlapping consensus zu tragen. Daß dies nicht einheitlich und generell geschehen wird, sieht auch Rawls, der in der für Liberale diffizilen Frage, wie mit denjenigen umzugehen ist, die sich nicht im Geiste der liberalen Tugenden verhalten, eine klare Position bezieht: Das Repressionspotential, das einer liberalen Demokratie zur Verfügung steht, muß in solchen Fällen eingesetzt werden. Abgesehen von anti-liberalen Positionen, die zur Abkehr von der Unterstützung des overlapping consensus führen, existieren weitere, berechtigtere Gründe, aus der Perspektive des (philosophischen) Beobachters eine kritische Stellung zu einer so formulierten Idee von Verfassungsneutralität zu beziehen. Wie im Rekurs auf Habermas bereits konstatiert wurde, argumentiert Rawls zum einen intuitionistisch, zum anderen vertragstheoretisch-philosophisch. Der aus demokratietheoretischer Sicht neuralgische Punkt besteht bei Rawls in der theoretischen Einlassung auf das empirisch (fraglos) Gegebene in Form des bestehenden politischen Institutionengefüges. Sowohl das Institutionengefüge als auch die politische Kultur der Bürger, die sich in Unterstützung (oder Abgrenzung) zu eben jenen Institutionen herausgebildet hat, fungieren als nicht neutraler Resonanzboden für die Realisierung spezifischer Formen des guten Lebens. Konkret impliziert dies, daß auch bei Gewährleistung der Neutralität der Verfassung bestimmte Konzeptionen des guten Lebens keine hinreichende Realisierungschance haben, weil sie einer entgegenkommenden (politischen) Kultur bedürfen, die jedoch nicht zwangsläufig aus der Neutralität der Verfassung entspringen muß. So ist anzunehmen, daß vor allem anspruchsvolle Konzeptionen systematisch benachteiligt werden. Ein Beispiel soll dieses eher intuitive Argument plausibler machen. Für ein Paar mit einem Kind sind Bildung und Gemeinwohlorientierung die zentralen anzustrebenden Ideale innerhalb ihrer Konzeption des guten Lebens. 93 Doch gerade für das Kind ist zur 93 An dieser Stelle wäre ein Exkurs über das Recht auf Selbstbestimmung bei Kindern angebracht. Könnte es nicht sein, daß die Präferenzen des Kindes in eine gänzlich andere Richtung gehen als jene der Eltern, und gerade ein anspruchsvolles Umfeld die Ausbildung einer authentischen Identität des Kindes verhindert? Ein ähnliches Argument läßt sich aus der Diskussion um die Absenkung des Wahlalters entwickeln, insbesondere dann, wenn keine Untergrenze des Wahlalters propagiert wird. Diese Diskussion erscheint zwar interessant, und aus monlIphilosophischer Sicht könnte es sogar sein, daß anband dieses Beispiels die Integrationsproblematik im Medium der Selbstbestimmung sehr scharf fokussiert werden könnte. Gleichzeitig jedoch würde ein solches Argument so viele Folgediskussionen berühren (Wann ist ein Mensch eine selbständig handelnde Person? Welches ist die Basis politischer Partizipation?), daß der Rahmen dieser Betrachtungen gesprengt werden würde.

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Realisierung dieser Ideale ein Umfeld nötig, das in einem spezifischen Sinne anspruchsvoll ist: ein Kindergarten, eine Schule mit engagierten Lehrern und ebensolchen Elternvertretern, ein nicht-gewalttätiges Umfeld etc. Dies alles ist für die individuelle persönliche Entwicklung des Kindes notwendig. Doch gerade Konzeptionen, die für ihre Realisierung solche Ansprüche hinsichtlich ihres Interaktionsumfeldes stellen, laufen Gefahr, "auszusterben". So konstatiert auch Buchstein: "In den letzten zwei bis drei Jahren häufen sich politische Zeitdiagnosen, die von der Sorge um die Stabilität demokratischer Systeme getrieben werden. Ihr Ausgangspunkt ist mittlerweile das meistzitierte Diktum der Demokratietheorie. Es lautet, daß die liberale Demokratie von Voraussetzungen lebt, die. sie selbst nicht garantieren kann, oder, um es anders zu formulieren, daß das demokratische System die Sorte von Akteuren, die es zur Realisierung seiner Regeln benötigt, nicht selbst produzieren kann" (Buchstein 1996: 295). Dies sieht auch Rawls so; doch das daraus resultierende Problempotential wird von ihm eher gering eingestuft, da seine Theorie der "Gerechtigkeit als Fairness" im politischen Liberalismus nicht davon ausgeht, daß alle Konzeptionen faktisch gleichermaßen realisierbar sind, da sie ja, dem Neutralitätsprinzip folgend, auch nicht entsprechend gefördert werden dürfen. In der Diskussion des für die Realisierung anspruchsvoller Konzeptionen des guten Lebens notwendigen Umfeldes zeigt sich, daß eine Grundsatzentscheidung getroffen werden muß. Sie betrifft die Förderungswürdigkeit spezifischer, liberaler Ideale, auf denen ein entsprechendes politisches Gemeinwesen moralisch aufruht. 94 Ein entsprechender Vorschlag wird von Galston (1982, 1991) prominent vertreten. Er bezeichnet diese Ideale als "liberal virtues" und spezifiziert einen Katalog von virtues,95 die als notwendige Bedingung für die Realisierung einer anspruchsvollen liberalen Demokratie angesehen werden. Der konkrete Katalog interessiert an dieser Stelle nicht, da er sich einer vielfältigen Kritik ausgesetzt sah, die in dem Vorwurf kulminiert, daß er kontingent und dezisionistisch sei, weil er keine hinreichende Anbindung' an die Theorie besitzt, aus der heraus er entwickelt wurde. Das systematische Argument von Galston ist an dieser Stelle von größerem Interesse. Er argumentiert, daß eine Theorie des politischen Liberalismus, die sich dem Ideal der Neutralität - in welcher spezifischen theoretischen Konfiguration auch immer - verschrieben hat, verkennt, daß der Liberalismus sehr wohl ganz konkreten Werten aufruht. 96 Zwei dieser basalen Werte seien an dieser Stelle genannt. Zunächst besitzt das Leben an und Vgl. hierfür Hirsch (1992: 241-269). Vgl. Galston (1991: 220-228). 96 Interessanterweise stimmt dem Ackerman (1990: 29) zu: "Perhaps I made a mistake. some time ago. in helping popularize the notion that something called Neutrality was at the heart of contemporary liberalism. (... ) Neutrality is not a way of 94

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für sich Wert, da der Zustand des Lebens jenem des Todes in der Regel vorgezogen wird. Dieses intuitiv sehr einleuchtende Argument wird auf einer zweiten Stufe an die Vorstellung gekoppelt, daß die Ausbildung einer Konzeption des guten Lebens immer der Abstinenz einer solchen Konzeption vorzuziehen sei. Die Verschleierung dieser Werte ist für Galston paradigmatisch für die generelle Verschleierung von Werten, die auch in liberale Theorien der Neutralität einfließen. wobei Galston insbesondere Kritik an Rawls, Larmore und Ackerman übt. Vielleicht, so lautet die These im Anschluß an Galston, ist die Neutralität des politischen Liberalismus noch nicht einmal auf der Verfassungsebene möglich. Unabhängig von diesem Argument ist es unter Umständen noch nicht einmal wünschenswert, wenn auf diesem Weg anspruchsvolle Konzeptionen des guten Lebens systematisch benachteiligt werden. Der politische Liberalismus von Rawls ist systematisch an die politische Realität der Vereinigten Staaten von Amerika rückgekoppelt. Die amerikanische Verfassung stellt - vor allem im Vergleich zum bundesdeutschen Grundgesetz - eine Minimalverfassung dar, die in bestimmten Bereichen dem Ideal der staatlichen Neutralität wie kaum eine andere Verfassung verschrieben ist. Als paradigmatisch für die Idee von Neutralität kann der staatliche Umgang mit Religion in den USA angesehen werden. Im folgenden soll anband eines empirischen Beispieles die Durchführbarkeit von Neutralität diskutiert werden, und zwar nicht hinsichtlich einer gesamten Verfassung, sondern nur bezüglich eines Ausschnittes von ihr, eben der Frage der Neutralität des Staates hinsichtlich der Religionsausübung und der Trennung zwischen Staat und Kirche. Diese Auswahl erfolgt vor dem Hintergrund des im Urteil West Virginia Board of Education v. Bamette (624 V.S. 642 (1943), S. 319) schriftlich fixierten Selbstverständnisses hinsichtlich der religiösen Neutralität des amerikanischen Staates: "If there is any fixed star in our constitutional constellation, it is that no official, high or petty, can prescribe what shall be orthodox in politics, nationalism, religion or other matters of opinion or force citizens to confess by word or act the faith within [Hervorhebung G.S.]" (624 U.S. 642 (1943), S. 319). 5.1.2.1 Der US Supreme Court zur Frage der positiven und negativen Religionsfreiheit

Am 15. Dezember 1791 wurden die ersten zehn Amendments zur amerikanischen Verfassung ratifiziert. 97 Im Kern der folgenden Betrachtungen transcending value; it is a value, which can only be defended by locating ist relationship to other values". 97 Ich danke Astrid Fischer für klärende Gespräche über den Problemkomplex Neutralität, Religion und Verfassung.

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steht das First Amendment, in dem das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sowie die individuelle Ausübung von Religion geregelt ist: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech (... )".98 Damit folgt die Verfassung der Idee einer strikten Trennung von Staat und Kirche auf der einen bei gleichzeitiger Ermöglichung der individuell freien Religionsausübung auf der anderen Seite, wie sie von Thomas Jefferson in der Formel der wall 0/ separation geprägt wurde. Damit wurde auf dem /ederal state level eine Abgrenzung implementiert, die auf der bundesstaatlichen Ebene zu diesem Zeitpunkt noch nicht üblich war. 99 So hatten z. B. neun der dreizehn Gründungsbundesstaaten eine offizielle Staatsreligion, die heute natürlich nicht mehr existiert. IOO Justice Joseph Story schrieb bereits 1879 in seiner Kommentierung der Verfassung: "It was under a solemn consciousness of the dangers from ecclesiastical ambition, the bigotry of spiritual pride, and the intolerance of sects, thus exemplified in our domestic as weIl in foreign annals, that it was deemed advisable to exclude from the national govemment all power to act upon this subject" (Story 1879: 161). Regelungsbedürftig ist die Frage nach der Trennung von Staat und Kirche trotz - oder vielleicht sogar: aufgrund - der strikten verfassungsrechtlichen Vorgaben einerseits und der Religiösität der amerikanischen Bevölkerung andererseits. 101 Das philosophische Neutralitätsproblem resultiert - folgt man Rawls - aus der Tatsache, daß Religion an und für sich Teil einer comprehensive doctrine ist und somit außerhalb des Bestandes des politischen Liberalismus als freestanding theory steht; damit sind comprehensive doctrines nicht Teil des politisch-autoritativ Regelbaren. Aus dem spezifischen Sein von Religionen resultiert Handlungsbedarf dergestalt, daß der Supreme Court als Wächter der Neutralität im Sinne der Einhaltung der Verfassungsideale zu strittigen Fragen der Verschränkung von Staat und Religion gegebenenfalls Stellung nehmen muß. Das spezifische Sein von Religionen existiert auf zumindest drei Ebenen: 102 Auf der 98 Generell wird auf die Teilsätze als establishment clause und free exercise clause referiert. 99 Vgl. hierfür Schmidt/Shelley (1985: 95). 100 Dies kann besonders eindrucksvoll für Massachusetts und den Einfluß der Pilgrim Fathers nachgewiesen werden. 101 So existieren nach Tribe (1988: 1179) in den USA zum erhobenen Zeitpunkt zumindest 250 anerkannte Kirchen und über 100 weitere, kleinere religiöse Gruppen. 102 Die folgenden Ausführungen sind nicht aus religionswissenschaftIicher Sicht artikuliert und können es auch nicht sein. Vielmehr soll aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive versucht werden, an ein common-sense Verständnis von Re-

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individuellen Ebene gibt sie Anleitung in metaphysischen/transzendentalen Fragen des Sinnes der eigenen Existenz sowie daraus resultierend Handlungsanleitungen für "gottgefälliges" Verhalten. Religion erschöpft sich jedoch nicht hierin; das expressive Element von Religion findet in der Gemeinde, im kollektiven Gebet sowie dem religiösen Diskurs seinen Raum. Schließlich entfaltet sich Religion - je spezifisch - nach außen, ist expansiv in ihrem Bemühen, missionarisch tätig zu sein, d. h. andere vom eigenen Glauben zu überzeugen. Hierzu ist jedoch Öffentlichkeitsarbeit nötig. Daher ist die in unserem Fall interessierende Dimension die dritte, da das Handeln in der Öffentlichkeit, die Koordination zwischen den unterschiedlichen Religionen, die politische Sphäre betrifft. Gerade aus der expressiv-missionarischen Dimension von religiösen Heilslehren resultieren für in Religionsfragen neutrale Demokratien Probleme, womit - so die vorangestellte These - die prinzipielle Möglichkeit von Neutralität massiv in Frage stellt wird. 103 Anband des juristischen Diskurses über den angemessenen Umgang mit religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit soll diese These plausibilisiert werden. Religiöse Neutralität kann im Spannungsfeld konfligierender Grundrechte aufgerieben werden. So befindet sich der free exercise clause in einem Spannungsverhältnis zum establishment clause immer dann, wenn innerhalb öffentlicher Einrichtungen religiöse Handlungen ausgeführt werden. Sowohl in Deutschland als auch in den USA sind staatliche Universitäten und Schulen ,,klassische" Orte, an denen sich diese Spannung manifestiert, wobei primär das Handeln von religiösen Gruppen, nicht Individuen, der Kristallisationspunkt ist. Religiöses Handeln in öffentlichen Institutionen ist aus der Perspektive der amerikanischen Verfassung deshalb problematisch, weil die Grenzziehung zwischen dem Gewährenlassen, welches durch den establishment clause gedeckt ist, und der staatlichen Förderung, welche konträr zum establishment clause verläuft, schwierig ist. Die konkrete - und doch schwer zu beantwortende - Frage lautet, ob ein Gewährenlassen auf unbeteiligte Beobachter bereits den Anschein der verfassungsrechtlich verbotenen Förderung einer religiösen Gruppe erweckt. 104 Das Recht auf freie Religionsausübung kann auch mit einfachem Recht konfligieren, so z. B. in ligion produktiv anzuschließen, ohne dabei allzu unsensibel mit Religion umzugehen. 103 Damit wende ich mich u. a. gegen die These von Bork, daß Neutralität prinzipiell möglich ist, nur bisher nicht hinreichend realisiert wurde: "We have not carried the idea of neutrality far enough (... ). (I)f judges are to avoid imposing their own values upon the rest of us (... ) they must be neutral as weIl in the definition and the derivation of principles". Bork, Robert H. 1991: Neutral Principles and Some First Amendment Problems, in: Indiana Law Journal 47, (Fall 1971), S. 7. 104 Vgl. exemplarisch hierfür das Urteil Rosenberger v. Rector and Visitors 0/ the University 0/ Virginia (115 U.S. 2510 (1995).

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der Frage, ob einem amerikanischen Soldaten jüdisch-orthodoxen Glaubens erlaubt werden muß, während seiner Arbeitszeit die traditionelle jüdische Kopfbedeckung zu tragen, obwohl dies durch die Kleiderordnung der amerikanischen Armee verboten ist. 105 Religiöse Symbole sind weitaus schwerer zu definieren als intentionales und als solches deklariertes religiöses Handeln, so daß an die Seite des oben beschriebenen Spannungsfeldes (Recht auf freie Religionsausübung versus establishment clause) eine Deutungsproblematik tritt: Was ist Religion und welches sind ihre je spezifischen konstitutiven Merkmale? Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei der Methode des Auffindens dieser Merkmale. In Anlehnung an eine These von Justice Bork muß die Neutralität und Intersubjektivität hinsichtlich des Verfahrens gewährleistet sein, nach dem religiöse Symbole als eben solche bestimmt werden. Hierbei ist es wichtig darauf hinzuweisen, daß in der Rechtsprechungspraxis des Supreme Court eine eindeutige Trennung zwischen Glauben und Handeln konstatierbar ist, die sich mit dem Selbstverständnis der Richter zu decken scheint. Die individuelle Freiheit des Glaubens ist absolut, die Freiheit der Ausübung des Glaubens jedoch kann an - wenn auch weit gefaßte - Grenzen stoßen: "The course of constitutional neutrality in this area cannot be an absolutely straight line; rigidity could weIl defeat the basic purpose of these provisions, which is to ensure that no religion be sponsored or favored, none commanded and none inhibited. The general principle deducible from the First Amendment and all that has been said by the Court is this: that we will not tolerate either governmentally established religion or governmental interference with religion. Short of those expressly proscribed governmental acts there is room for play in the joints productive of a benevolent neutrality which will permit religious exercise to exist without censorship and without interference" (Burger 1970: Walz v. Tax Commission, 397 V.S. 664, 1970, S. 669~70). Vor dem Hintergrund der ausgeführten wohlwollenden Neutralität erscheint die Rechtsprechungspraxis des Supreme Court hinsichtlich der Verfassungskonformität von religiösen Symbolen in den letzten 30 Jahren in ihrer Ausrichtung ansatzweise nachvollziehbar. Die konsequente Prozeduralisierung der Entscheidungspraxis des U.S. Supreme Court soll im folgenden anhand eines exemplarisch gewählten Urteils verdeutlicht werden. Es handelt sich hierbei um das Urteil Lynch v. Donnelly, 465 V.S. 668 (1984). Jährlich zur Weihnachtszeit wird in Pawtucket, Rhode Island, ein Krippenspiel aufgebaut, und zwar im Kernbereich des Einkaufsviertels. Zum Krippenspiel gehören neben der direkten Darstellung von Jesus, Maria, lOS

Siehe das Urteil Goldman v. Weinberger 475 V.S. 503 (1986).

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften Tabelle 12 Verfassungskonformität von religiösen Symbolen lO6

Kein Verstoß gegen establishment clause Verstoß gegen establishment clause 1967 Paul v. Dade County107

1969 Lowe v. Eugene 108

1970 Allen v. Hickel 109 1972 Meyer v. Oklahoma CityllO 1976 EUfiene Sand Gravel v. City of Eugene l

1978 Fox v. City of Los Angeles 1l2

1984 Lynch v. Donnelly

1989 County of Allegheny v. ACLU 1l3 1994 Creatorev. Town of Trumbull 1l4

Josef, den Engeln und den Heiligen Drei Königen auch typisch amerikanische Ingredienzen: ein Santa Claus, Renntiere, Candy Canes etc. Gegen die Aufstellung des Krippenspiels wurde ein Gerichtsverfahren angestrebt, da a) die öffentliche Aufstellung und b) die Finanzierung der Krippe durch öffentliche Gelder die Verletzung des establishment clause nahelegte. Der Supreme Court hat in letzter Instanz mit einern 5:4 Urteil die Aufstellung der Krippe für verfassungskonform erklärt. Die Begründung erfolgte auf Basis des im Zuge des Verfahrens Lemon v. Kurtzman 1971 entwickelten dreistufigen Lemon Tests. Nach ihm ist staatliches Handeln dann verfassungskonform, ,,( ... ) if it is intended to achieve a secular legislative purEine exemplarische Übersicht der U.S. Supreme Court-Rechtsprechung. Im Keine Verletzung, da das von der Handelskammer gestiftete Kreuz aus säkularen - hier: dekorativen - Gründen angebracht wurde. 108 Die Begründung des Beklagten, daß das Kreuz aus kommerziellen Motiven heraus aufgerichtet wurde, fand beim Gericht keine Akzeptanz. 109 Keine Verletzung, da die Krippe inmitten säkularer Symbole wie Santa Claus und Renntieren steht und somit säkular verstanden werden muß. 110 Ein Kreuz auf einem Jahrmarkt stellt keinen Versuch dar, eine Religion (staatlich) zu etablieren. 111 Keine Verletzung, da das Kreuz ein "memorial or monument to US war veterans" repräsentiert. 112 Die Anbringung eines Kreuzes an der City Hall steht in einer direkten Verbindung zu christlichen Feiertagen. 113 Das öffentliche Aufstellen einer Krippe mit der Inschrift "Glory to God for the birth of Jesus" verstößt gegen den establishment clause. 114 Das öffentliche Aufstellen einer Krippe -würde ein ,,reasonable observer" in direkten Zusammenhang mit der religiösen Orientierung der entsprechenden Stadt setzen, daher Verletzung dem establishment clause. 106

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pose, if its primary effect neither advances nor inhabits religion, and if it does not foster excessive govemment entanglement with religion" (Witt 1990: 916). Entlang dieser Prozeduralisierung soll die Urteilsbegriindung in den für meine Argumentation wichtigen Grundzügen skizziert werden. Das Kriterium des secular legislative purpose dient primär der Kontextualisierung des religiösen Symbols. Die Krippe muß daher - so das Mehrheitsurteil im Kontext der gesamten Weihnachtsdekoration bewertet werden: "The display is sponsored by the city to celebrate the Holiday and to depict the origins of the Holiday. These are legitimate secular purposes" (zitiert nach: Alley 1988: 327). Justice Brennan sah in seinem Minderheitenvotum einen klaren Verstoß gegen den establishment clause: ,,( ... ) the creche is far from a mere representation of a "particular historic event" (... ) To suggest, as the Court does, that such a symbol is merely "traditional" (... ) is not only offensive to those for whom the creche has profound significance, but insulting to those who insist for religious or personal reasons that the story of christ is in no sense a part of "history" nor an unavoidable element of our "national heritage" (zitiert nach: Alley 1988: 337). Hinsichtlich des Kriteriums der spezifischen Unterstützung einer Religion existiert wiederum ein unversöhnlicher Bruch zwischen der Mehrheitsmeinung und dem Minderheitenvotum. Der Vorsitzende Richter Burger kommt für die Mehrheit zu folgender Begründung: "Here, whatever benefit to one faith or religion or to all religions is indirect, remote, and incidental; display of the creche is no more an advancement (... ) of the religion than the Congressional and Executive recognition of the origins of the Holiday itself as "Christ's Mass" or the exhibition of literally hundreds of religious paintings in govemmentally supported museums" (zitiert nach: Alley 1988: 325-326). Richter Brennan sieht die Tendenz der Profanisierung religiöser Symbole als unterliegende Tendenz der Mehrheitsmeinung und wendet sich vehement gegen diese: "Under our constitutional scheme the role of safeguarding our ,,religious heritage" and of promoting religious beliefs is reserved as the exclusive prerogative of our Nation's churches, religious institutions, and spiritual leaders. Because the Framers of the establishment clause understood that ,,religion is too personal, too sacred, too holy to permit its unhallowed perversion by civil [authorities]", the Clause demands that govemment plays no role in this effort. The Court today brushes aside these concems by insisting that Pawtucket has done nothing more than include a "traditional" symbol of Christmas in its celebration of this national holiday (... ). But the city's action should be recognized for what it is: a coercive, though perhaps small, step toward establishing the sectarian preferences of the majority at the expense of the minority, accomplished by placing public facilities and funds in support of the religious symbolism

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and theological tidings that the creche conveyes" (zitiert nach: Alley 1988: 345). Die Mehrheitsmeinung sah das Kriterium des excessive govemment entanglement als nicht erfüllt, da es zwischen kirchlichen Institutionen und der Stadtverwaltung keine expliziten Absprachen gegeben hatte. Dem widersprachen vier Richter in ihrem Minderheitenvotum dahingehend, daß allein aufgrund der Strittigkeit der ersten zwei Kriterien der Staat sehr wohl involviert war. Bevor zur Diskussion der Argumentation und damit auch der ihr unterliegenden Kriterien vorangeschritten werden kann, soll noch auf zwei weitere Tests hingewiesen werden, die in der Rechtsprechungspraxis hinsichtlich des First Amendment ebenfalls einschlägig sind und in den zitierten Urteilsbegründungen sogar implizit berücksichtigt werden. Nach dem von lustice O'Connor entwickelten Endorsement Test ist eine staatliche Maßnahme dann ungültig, wenn in den Augen eines "vernünftigen Beobachters" (reasonable observer) der Eindruck entsteht, daß eine staatliche Maßnahme eine spezifische Religion unterstütze oder benachteilige. Dabei wird von der Position der Nichtanhänger aus gefragt, ob sie sich subjektiv benachteiligt und aus der politischen Gemeinschaft ausgeschlossen fühlen, während aus der Perspektive der Anhänger gefragt wird, ob sie sich als bevorzugte Mitglieder der politischen Gemeinschaft fühlen können. Der von lustice Kennedy entwickelte Coercion Test sieht staatliche Maßnahmen dann als verfassungskonform an, wenn sie entweder Religion nicht direkt unterstützen, und somit der Etablierung einer Staatskirche den Weg ebnen oder Bürger nicht gegen ihren Willen überzeugt bzw. gezwungen werden, eine Religion zu unterstützen oder zu praktizieren. 5.1.2.2 Der Supreme Court und Comprehensive Doctrine Der U.S. Supreme Court ist die Vermittlungsinstanz zwischen der Geltung der in der amerikanischen Verfassung angelegten Werte, Normen und Ideale und ihrer gesellschaftlichen Gültigkeit. Doch angesichts des kurzen Abrisses des Problemhaushaltes, der aus dem verfassungsrechtlichen Zielkriterium der religiösen Neutralität resultiert, scheint der Supreme Court überfordert, da er zwischen unterschiedlichen Zielvorgaben und der faktischen historischen, politischen und sozialen Situation zerrieben wird. Der Supreme Court wird - vielleicht sogar in seinem eigenen Verständnis - zu einer Superinstanz gesellschaftlicher Sinngebung, die an der Komplexität der zu regelnden Materie scheitern muß. So können in dem dargestellten Religionskomplex nicht nur intern konfligierende Grundrechte - hier: freedom of speech, free exercise clause und establishment clause - gegeneinander ausgespielt werden; es muß auch auf eingespielte gesellschaftliche Hintergrundnormen Rücksicht genommen werden. Die Träger dieser Normen

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können zwar in dem demokratischen Gewand der Mehrheit auftreten, jedoch ist diese mehrheitsdemokratische "Karte" keine, die vor dem Supreme Court sticht; dort gelten nur - wie Dworkin es nennt - Rechte als Trümpfe, die jedoch intern konfligieren können. 115 Am Beispiel der Religion kann sehr eindrucksvoll gezeigt werden, daß die Prozeduralisierung verfassungsrechtlicher Fragen - und nichts anderes stellen die präsentierten Tests dar - nicht zwangsläufig zu intersubjektiv teilbaren Urteilen führt. Dies liegt zum einen konkret in der Komplexität der zu regelnden Materie. zum anderen in der Ausweitung des Kompetenzbereiches des Supreme Court. Rawls plädiert für eine strikte Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen entlang des Objektbereichs der comprehensive doctrines. Die Neutralität des Staates hinsichtlich dieser comprehensive doctrines ist die motivationale Ressource der Bürger, im Rahmen eines overlapping consensus die Verfassung zu tragen, welche wiederum gesellschaftliche Stabilität und - in meinem Sinne - Integration gewährleistet. Der free exercise clause erfüllt die im Rahmen einer freestanding theory entwickelten inhaltlichen Neutralitätsanforderungen an eine Verfassung. Doch ironischerweise unterläuft der establishment clause gerade wieder die staatliche Neutralität, die er vordergründig schützen soll, indem er die Sphäre der Politik um comprehensive doctrines anreichert, denn nichts anderes ist die Beschäftigung mit Religion. Der im Rahmen einer liberalen Theorie der Neutralität neuralgische Punkt betrifft hierbei die Neutralitätsebene, die verletzt wird. Zwar erfolgt der Eingriff in die staatliche Neutralität auf der Ebene des einfachen Rechts, doch werden dann comprehensive doctrines auf der Wert- und Normebene thematisiert, was einen groben Verstoß gegen das Neutralitätsideal zur Folge hat. Am konkreten Beispiel heißt dies: Der Supreme Court mußte zunächst definieren, was ein religiöses Symbol ist, um darauf aufbauend urteilen zu können. Da comprehensive doctrines radikal subjektiv sind, kann ein Verfassungsgericht keine konsensuelle Aussage über das Wesen religiöser Symbole tref115 Dies ist natürlich nur eine normative Aussage. Wie empfindlich Richter des Supreme Court auf die Stimmungen in der amerikanischen Bevölkerung reagieren, haben Flemming/Wood (1997: 492-493) gezeigt: "We show that the individual justices follow shifts in public mood; the liberalism of justices' voting decision varies with movements in the policy mood of Americans. We can say with confidence that such responses occur generally , that these responses happen across multiple issues, and that despite differences between them, particular to the area of civil rights, no justice is entrirely or completely unresponsive to the public's mood". Der "public mood" kann bei Gullup (1995: 14-16) gefunden werden. Nach Gullup waren 1995 46 % der Befragten dafür, die Verfassung zur Erweitern, um ein laut gesprochenes Schulgebet zu ermöglichen. Im direkten Vergleich haben sich jedoch nur 24 % für ein lautes und 70 % für ein stilles Gebet ausgesprochen. 7 Schaal

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fen, weil das Dissenspotential in dieser Frage zu hoch ist. Diesen Sachverhalt habe ich bereits in ähnlicher Form diskutiert und argumentiert, daß das Dissenspotential auf der Präferenzebene der Bürger abgefedert wird durch einen Konsens auf der Ebene der Prozeduren der Entscheidungsfindung. Die Strategie des Supreme Court geht in eine ähnliche Richtung, jedoch sperrt sich gegen diese Lösung zum einen die Wertebene, zum anderen die notwendigerweise subjektive Regelungsmaterie. So kann der Supreme Court religiöse Symbole nur profanisieren oder religiös aufladen, wird sie aber nie einer intersubjektiv teilbaren Deutung zuführen können. Diese Argumentation kann analog auch für andere Fragen durchgespielt werden, was ich nicht detailliert ausführen möchte, da das hintergründige Argument klar sein dürfte. 1l6 Die motivationalen Ressourcen eines jeden Bürgers, den overlapping consensus mitzutragen, sinken paradoxerweise in dem Maße, in dem ein Verfassungsgericht probiert, eben jene Neutralität gegen eine nichtneutrale politische Wirklichkeit zu reimplementieren. Wird in dieser Weise systematisch argumentiert, verliert die Konzeptionalisierung und Würdigung des Supreme Court durch Rawls an Überzeugungskraft. Für ihn herrschen - um in der Terminologie von Habermas zu sprechen - im Supreme Court ideale Diskursbedingungen, da die Vernunftszumutungen, die er von Bürgern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwarten kann, bei den Verfassungsrichtern vorauszusetzen sind Doch selbst ein solch idealer Diskurs besitzt aufgrund der Objektebene der Regelung, nämlich comprehensive doctrines, keinen intersubjektiven Geltungsanspruch. Die Verteidigung neutraler verfassungsrechtlicher Prinzipien durch ein Verfassungsgericht sieht sich so einem strukturellen Dilemma ausgesetzt, das den folgenden Schluß nahelegt: Eine solche Konzeption von Verfassungsgerichtsbarkeit muß scheitern. Dies läßt auch Rückschlüsse auf die Möglichkeit neutraler Verfassungen im Sinne von Rawls zu. Eine Verfassung ohne eine Institution ihrer autoritativen Durchsetzung wirkt kraftlos und ist anfällig gegen die Unregelmäßigkeiten im politischen Prozeß. Eine neutrale Verfassung, die die Institution einer Verfassungs gerichtsbarkeit aus116 So könnte zunächst argumentiert werden, daß die Bevorzugung keiner Religion eindeutig eine Religion, nämlich nicht zu glauben, favorisiert. Teilt man, wie es das Bundesverfassungsgericht im KruzifIX-Beschluß getan hat, Religion in eine transzendente und eine kulturelle Dimension, definiert man wiederum - unzulässigerweise - das Wesen von Religion. Gleichzeitig sah sich der Supreme Court einer Hintergrundkultur gegenübergestellt, die gerade nicht mit dem Verfassungsideal der Neutralität konform geht. Es existieren staatliche Feiertage auf christlicher Basis, und ft1r diese ist es egal, ob sie von einer Mehrheitskultur getragen werden oder nicht, sie verlieren damit nicht ihren in der Religion verwurzelten Charakter. Darüber hinaus befindet sich auf amerikanischem Geld die Aufschrift: in god we trust, und der amerikanische Präsident beendet seine inaugural address mit den Worten God bless America. Vgl. hierfür auch die umfangreiche Literatur zur civil religion in den USA.

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spezifiziert, riskiert jedoch ein hohes Dissenspotential auf der Wertebene, was wiederum die Tragfähigkeit des overlapping consensus schmälert. Hieraus lassen sich zwei Thesen ableiten: Entweder scheitert die Idee einer neutralen Verfassung an den theorieinternen Wiedersprüchen und den damit verbundenen Implementationsproblemen, oder die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit ist an sich bei Rawls unzureichend konzeptionalisiert. Hierzu Forst: "So kann Rawls die Praxis des Verfassungsgerichts als für dieses Modell liberaler Legitimation beispielhaft begreifen. Sie bezieht sich allein auf fundamentale Fragen der Gerechtigkeit, und die Vernunft der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist insofern >öffentlichpolitische Werte< beruft und auf öffentlich nachvollziehbare Weise argumentiert" (Forst 1994: 156). Mit anderen Worten, wenn sich das Verfassungsgericht nur auf politische Werte berufen darf, kann es zu vielen Fragen nichts sagen. Aber vielleicht sollte sich das Verfassungsgericht in der Tat selbst ,,knebeln" und in Fragen, die comprehensive doctrines betreffen, schweigen. Ein solcher Vorschlag wird auf der Ebene der politischen Öffentlichkeit im Rekurs auf Larmore, Holmes und vor allem Ackerman im Anschluß diskutiert. Allzuviel Hoffnung sollte man jedoch - so scheint mir zumindest - auch auf eine solche Schweigestrategie nicht setzen, da zumindest - sollte kein Hintergrundkonsens existieren - Klärungsbedarf über das Nichtzuthematisierende besteht und somit, wenn auch nur im engeren Kreis der Verfassungsrichter, wieder eine Diskussion über comprehensive doctrines geführt werden müßte. Ob dieses argumentations logisch zirkuläre Argument empirischpragmatisch durchbrochen werden kann, wird sich im Laufe der Diskussion herausstellen. 5.1.3 Neutralität des (politischen) Diskurses

Zentral für die folgenden Überlegungen ist die Frage, wie das Dissenspotential auf der Ebene der politischen Präferenzen der Bürger abgefedert werden kann. Entlang der drei Objektebenen von Neutralität wurde bisher die Möglichkeit der Verfassungsneutralität analysiert. Im nächsten Schritt soll nun die Neutralität des politischen Diskurses in der Öffentlichkeit sowie die Neutralität des einfachen Rechts thematisiert werden. Die Neutralität der Verfassung ist eine formale Neutralität des Verfassungsrechts. Dagegen ist das Neutralitätmedium des Diskurses und des kommunikativen Handeins die (politische) Öffentlichkeit. Hier wird - quasi kontrainstitutionell - die Dimension des (politischen) HandeIns problematisiert, das innerhalb (und mitunter trotz) der institutionell verfaßten Politik realisiert werden kann. Die Tugend, die der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Diskussion dieser Form der Neutralität ist, besitzt eine zweidimensionale 7"

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Ausprägung: Horizontal orientiert sie sich an den Strukturen der Zivilgesellschaft und nimmt die Bürger als Mitbürger wahr; sie zielt jedoch nicht auf die politische Sphäre. Anders die vertikale Ausrichtung, die im Medium der Öffentlichkeit ihren Sitz hat und die Mitbürger als Rechtsgenossen wahrnimmt. Diese zielt letztlich auf die politische Sphäre ab, welche durch kollektives Schweigen über dissensuelle Issues stabil gehalten wird. Bruce Ackerman und Charles Larmore sind die bei den prominentesten Vertreter einer diskursiven Neutralität innerhalb der «vertikalen) politischen) Öffentlichkeit. Das Argument pro Neutralität wird von Ackerman zweigleisig präsentiert. Die Argumentation in Social lustice and the Liberal State (1980) kreist primär um Fragen der distributiven Gerechtigkeit innerhalb liberal verfaßter Demokratien. Diese erste Argumentationslinie soll nur in Ansätzen rekonstruiert werden, da sie systematisch nur geringen Stellenwert für mein eigenes Argument besitzt. Neutralität wird dort als eine spezifische Qualität von Begründungen verstanden, die im Rahmen der Artikulation von Geltungsansprüchen vorgebracht werden. Die spezifische Qualität solcher Begründungen erinnert entfernt sowohl an die Kriterien der Objektbeschreibung des Politischen bei Rawls als auch an die Kriterien eines moralischen Diskurses bei Habermas. Einschlägig hierfür ist die folgende Definition: "No reason is a good reason if it requires the power holder to assert: (a) that his conception of the good is better than that asserted by any of his fellow citizens, or (b) that, regardless of his conception of the good, he is intrinsically superior to one or more of his fellow citizens" (Ackerman 1980: 11). Paraphrasiert besteht also die Neutralität in der moralischen Qualität von Argumenten, d. h. ethische Argumente werden von vornherein ausgeschlossen. Innerhalb seiner neueren Arbeiten hat eine Veränderung der Problemfokussierung stattgefunden. Zentral scheinen für Ackerman dort Fragen der theoretischen Begründung von Liberalismus und der faktischen Stabilität im Angesicht von Pluralisierungsprozessen zu sein. Ausgangspunkt für Ackerman ist das auf der ersten Blick paradox erscheinende Argument, daß die Politik ,,( ... ) wohl ziemlich ungeeignet (... )" (Ackerman 1995: 389) dafür sei, moralische Wahrheiten zu finden. Moralische Wahrheiten können wenn überhaupt - nur im privaten Diskurs, z. B. mit "Sokrates" oder ,.Freud", gefunden werden. Doch gerade weil im Politischen die Aussicht auf moralische Wahrheitsfindung gering ist, besteht die Anforderung an den BOrger, sich "gebieterischen dialogischen Verpflichtungen" (Ackerman 1995: 391) zu unterwerfen: "Wir wollen das den obersten pragmatischen Imperativ nennen: Wenn wir, du und ich, uns über die moralische Wahrheit nicht einig sind, dann besteht unsere einzige Chance, die Probleme unserer Koexistenz auf eine uns beiden vernünftig erscheinende Weise zu lösen, darin, miteinander über dieses Problem zu reden" (Ackerman 1995: 391).

5.1 Integration qua Neutralität

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Der Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum politischen Liberalismus besteht nun darin, daß sich sowohl der Modus als auch das Ziel des Dialoges verändern. In einer moralisch nicht-neutralen Konzeptionalisierung konnte der Liberalismus die dialoginterne Erwartung des Perfektionismus hegen, und zwar dergestalt, daß ein spezifischer Wert gefunden wird, der die beiden untergeordnet-konfligierenden Werte übergeordnet-integratorisch auflöst. In diesem Sinne könnte Neutralität als eine Superwertinstanz verstanden werden. Einer solchen Idee - so hat die Diskussion von Rawls gezeigt - kann man mit guten Gründen skeptisch gegenüberstehen. 117 Die Auflösung von Wertkonflikten in einen integrativen Superwert versteht Ackerman jedoch nicht als Ziel des politischen Dialogs, vielmehr steht auch er dieser Vorstellung skeptisch gegenüber. Wenn in der Diskussion klar wird, daß unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten existieren, dann kann nur die Ausklammerung der strittigen Themen eine sinnvolle Lösung darstellen. "Wenn wir beide, du und ich, feststellen, daß wir hinsichtlich der einen oder anderen Dimension der moralischen Wahrheit verschiedener Meinung sind, dann sollten wir weder nach einem von uns beiden akzeptierten Wert suchen, der diese Uneinigkeit übertrumpft, noch sollten wir versuchen, diese Uneinigkeit in eine mutmaßlich neutrale Größenordnung umzurechnen, noch sollten wir sie zu transzendieren trachten, indem wir uns darüber unterhalten, wie irgendwelche Kreaturen, die nicht von dieser Welt sind, diese Meinungsverschiedenheit bereinigen. Wir sollten einfach überhaupt nichts über diese Meinungsverschiedenheit sagen und die moralischen Ideale, die uns trennen, aus den Gesprächsthemen des liberalen Staates ausklammern" (Ackerman 1995: 399-4(0). Eine solche Konzeption des neutralen Dialogs besitzt zumindest drei Problemdimensionen, deren Überwindung essentiell für die Überzeugungskraft dieses Ansatzes ist. Zunächst existieren individuelle motivationale Probleme, da vieles von dem, was uns bewegt, nicht mehr in den politischen Diskurs eingespeist werden kann. Dies hat Ackerman ebenfalls so gesehen: ,,Zweifellos wird sich eine solche Gesprächsbeschränkung als außerordentlich frustrierend erweisen - denn sie wird jeden von uns davon abhalten, unsere politischen Handlungen zu rechtfertigen, indem wir uns auf Dinge berufen, die wir für die tiefsten und aufschlußreichsten Wahrheiten halten, die der Menschheit bekannt sind" (Ackerman 1995: 4(0). Wichtiger als die individuellen Frustrationserlebnisse ist aus politikwissenschaftlicher Sicht die problematische Trennung zwischen privat und öffentlich/politisch. Claus Offe (1985) hat hinsichtlich der Entwicklung der Neuen Sozialen Bewegungen seit den 60er Jahren angemerkt, daß sich der ll7 Vgl. für eine Kritik Benhabib 1995, Baynes (1995: 436-442), Galston (1982: 621-627).

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Bereich des Politischen substantiell erweitert, und zwar derart, daß das traditionell Private zunehmend öffentlich und damit sukzessive auch politisch wird. Dieses historische Phänomen bezeichnet Offe als Entgrenzung von Politik. Eine solche Entgrenzung steht nun dem neutralen Ideal des Schweigens diametral entgegen. Analog zur Frage, ob das Faktum des Pluralismus ein dem demokratischen Prozeß eingeschriebenes oder eher ein "pathologisches" Phänomen ist, müßte an Offe die Frage gestellt werden, ob die Entgrenzung von Politik ein positives und unhintergehbares empirisches Datum ist. Verstanden als pathologisches Phänomen, das eingedämmt werden muß, hätte die Theorie Ackermans einen weitaus höheren Überzeugungswert als bisher. Da diese empirische Frage für mich nur schwer zu beantworten ist, möchte ich ein zwei stufiges Ersatzargument präsentieren, das pointiert von Benhabib (1995: 411-431) artikuliert wurde. Zunächst argumentiert Benhabib, daß die inhaltlichen Diskursbeschränkungen willkürlich sind, da sie nicht auf einer moralischen Begründung beruhen. Nachdem die Qualität des aus den Beschränkungen resultierenden Diskurses bereits unter prinzipiellen Vorbehalt gestellt wurde, wird in einem zweiten Schritt die Einschränkung demokratietheoretisch zugespitzt: "Meine Antwort lautet, daß die Idee der Gesprächsbeschränkung eine fragwürdige moralische Erkenntnistheorie voraussetzt und daß sie implizit eine Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem rechtfertigt, welche die Belange bestimmter Gruppen unterdrückt [Hervorhebung: G.S.]" (Benhabib 1995: 417-418). Benhabib artikuliert damit ein gewichtiges Argument, und zwar sowohl aus der Perspektive einer Gerechtigkeitstheorie als auch aus Sicht meiner Kriterien für erfolgreiche Integration. Im Bezugsrahmen der Theorie des politischen Liberalismus bei Rawls würde die Behinderung spezifischer Konzeptionen des guten Lebens aufgrund des ungleichmäßigen - da nicht moralisch begründeten - Schweigens über Dissense fundamentale Gerechtigkeitsgrundsätze verletzten. Aus der Perspektive der Integrationsperformanz ist der engen Verbindung zwischen sozialer und politischer Integration nicht hinreichend Aufmerksamkeit geschenkt worden. Im Zentrum der sozialen Integration steht die ethische Selbstfindung, d. h. die Möglichkeit, die aus der je spezifischen Konzeption des guten Lebens resultierenden politischen Präferenzen im politischen Prozeß (oder in der politischen Öffentlichkeit) zumindest artikulieren zu können. Dies verkennt Ackerman. Die Anforderungen, die Ackerman an die Teilnehmer der "Knebeldiskurse" stellt,118 sind primär Tugendanforderungen. ll9 Auch diese sind Angelehnt an den Terminus "gag-rules" von Holmes (1988: 19-58). Polemisch kann als zweite Anforderung die Frustrationsresistenz eingeführt werden, obwohl man damit der Ernsthaftigkeit der Theorie nicht gerecht wird. 118 119

5.1 Integration qua Neutralität

103

anspruchsvoll. Daher verwundert es, daß Ackennan nicht auf ein kommunikationstheoretisches Diskursmodell im Anschluß an Habennas oder K.O. Apel umschwenkt, um sich zum einen nicht dem Vorwurf stellen zu müssen, systematisch spezifische Interessen oder Gruppen zu benachteiligen und zum anderen nicht so viel diskursiv regelbares Terrain vorschnell aufgeben zu müssen. Der letzte Punkt ist aus pragmatischer Sicht der relevantere Einwand gegen Ackennan. Wie können eigentlich zu beschweigende Regelungsmaterien einer autoritativen Entscheidung zugeführt werden? Welche Legitimität besitzt eine solche, wenn der inhaltliche Diskurs zuvor nicht geführt werden darf? Wie ist eine solche Konzeption mit dem Ideal der Responsivität vereinbar, das - wie die Diskussion von Sunstein und Manin gezeigt hat - eng mit der deliberativen Präferenzfonnation verbunden ist? Das Paradebeispiel einer regelungsbedürftigen Materie ist die Festlegung der Amtssprache in multilingualen Staaten. Diese besitzt - wie u. a. der Fall Quebec/Canada zeigt - ein erhebliches gesellschaftliches Dissoziationspotential und fällt daher für Ackennan unter die Schweigeregel. Diese zementiert jedoch nur den Status quo. Notwendige Veränderungen auf der rechtlichen Ebene könnten innerhalb dieser Theorie diskursiv nicht legitimiert werden. So kommt Paris - obwohl selbst eher liberal orientiert - zu dem desaströsen Urteil: " ( ... ) Ackennan's neutrality principle seems to be poorly suited for justifying anything at all, let alone liberalism" (Paris 1987: 922). Eine anspruchsvollere Begründung für eine neutrale Theorie des Beschweigens findet sich in den Arbeiten von Charles Larmore (1993, 1994). Sie überzeugen eher als jene von Ackennan, da Larmore von dem Postulat ausgeht, "daß sich eine vollständige Neutralität in einer modemen Gesellschaft zur Entwicklung substantieller politischer Prinzipien als zu leer erweisen dürfte" (Larmore 1994: 71-72), womit er seine Theorie von dieser unhaltbaren Beweislast befreit. Der Grundgedanke ähnelt jenem Ackermans: "Wenn zwei Parteien nicht einer Meinung sind, können sie eine neutrale Haltung einnehmen, indem sie vorübergehend ihre strittigen Auffassungen außer Acht lassen und auf der Grundlage ihrer sonstigen Überzeugungen miteinander umgehen. Neutralität läßt sich strategisch sinnvoll nicht durch die Annahme erreichen, daß die miteinander in Konflikt liegenden Auffassungen über einen gemeinsamen Nenner verfügen. ( ... ) Strategisch sinnvoll ist es vielmehr, von dem zu abstrahieren, was strittig ist" (Larmore 1994: 53). Das Strittige wird bei Larmore zwar auch ausgeklammert, damit wird jedoch nicht - und das stellt die zentrale Veränderung zu Ackennan dar der Diskurs an sich suspendiert. Daher steht Larmore unter der Beweislast, zeigen zu müssen, welches innerhalb der Norm des rationalen Dialoges die motivationalen Ressourcen sind, trotz eines Meinungsdissenses weiterzudis-

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

kutieren. Diese findet er in der Idee des gegenseitigen Respekts: "Die Verpflichtung zu gegenseitigem Respekt besteht darin, daß wir gehalten sind, einen anderen so zu behandeln, wie er uns behandelt - also den Umstand, daß er über eine Perspektive auf die Welt verfügt, als Grundlage dafür zu nehmen, den Wert unseres HandeIns rational mit ihm zu erörtern (... ). Auf diese Weise impliziert, wie Hegel erkannt hat, gegenseitiger Respekt wechselseitige Anerkennung" (Lamore 1994: 68). Vor dem Hintergrund der beiden konstitutiven Elemente der Theorie der Norm rationaler Diskurse und der Idee gegenseitigen Respekts - liefert Larmore eine Theorie der Neutralität, deren Begründung selber neutral sein soll. Auf diese sehr philosophisch inspirierte Debatte möchte ich mich an dieser Stelle nicht einlassen. Jedoch ist bereits deutlich geworden, daß Larmore einen entscheidenden Baustein zu einer tragfähigen Theorie der Integration qua Neutralität beitragen kann. Daß dies jedoch nur ein erster Schritt sein kann, dürfte ebenfalls deutlich geworden sein. Konzipiert man Neutralität in der politischen Öffentlichkeit bzw. im politischen Diskurs als eine Strategie des Beschweigens, so eröffnen sich gravierende Probleme hinsichtlich der Tugendanforderungen an die Bürger, des "Frustrationspotentials" einer solchen Lösung sowie hinsichtlich der vakanten Stelle der konkreten Handlungsanleitungen für den Fall, daß Beschweigen nicht möglich ist. Da Larmore von der unhaltbaren theoretischen Annahme der vollständigen Neutralität zurücktritt und seine dialogische Praxis in einem gesellschaftlich eingespielten Hintergrundkonsens einbettet, überzeugt er eher als die Konzeption Ackermans. Er schließt hier - wenn auch kritisch an Habermas an, so daß ein weiterer Analysedurchgang in diese Richtung erfolgversprechend erscheint. Damit würde die Suspendierung des Kriteriums der Neutralität nahe liegen, da sie keine prominente Position in der Theorie Habermas besitzt. Doch bevor ich diese Position vorschnell aufgebe, möchte ich versuchen, die Neutralität des einfachen Rechts in Anlehnung an Offe (1984, 1986) als Reversibilität zu konzipieren. 5.104 Neutralität des einfachen Rechts An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Bürger in der Theorie von Ackerman zurückkommen. Was motiviert Bürger, Gesetze zu akzeptieren, denen, aufgrund der Schweigeregeln, kein politischer Diskurs vorangegangen war? Zunächst können kollektiv bindende Entscheidungen über staatliche Zwangsmaßnahmen realisiert werden. Dies ist aber aus demokratietheoretischer Sicht kein überzeugendes Argument. Überzeugender erscheint mir, daß von der Regelkonformität der Entscheidungsfindung und damit ihrer höheren Legitimität - als Fiktion ausgegangen werden kann (oder muß).120 Sucht man nach Kriterien für eine solche Regelkonformität,

5.1 Integration qua Neutralität

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welche eine spezifische Nähe zur Idee der Neutralität besitzen, so erscheint die Vorstellung von Neutralität als Reversibilität, die konsequent der Idee der prozeduralen Neutralität entspringt, naheliegend. Offe hat sie bereits 1984 im Rahmen der Diskussion über die "Grenzen der Mehrheitsdemokratie" ausgeführt, wenn auch nicht systematisch an die Konzeption von Neutralität rückgebunden. Ausgangspunkt der Überlegungen von Offe war die Frage nach den motivationalen Ressourcen regelkonformen Verhaltens innerhalb von modernen Demokratien. Neben bestimmten rechtsstaatlichen Garantien sieht Offe sie vor allem in der empirischen Realität der normativen Anforderung, daß Mehrheiten keine permanenten und Minderheiten keine strukturellen sein dürfen. Der interne Zusammenhang zwischen Neutralität und Reversibilität ist hiermit jedoch noch nicht hergestellt. Er gelingt im Rekurs auf Larmore und letztlich den bisherigen Ergebnissen der Diskussion über Neutralität als Integrationsmedium. Die theoretisch gut begründete Forderung der Neutralität der Verfassung und der politischen Öffentlichkeit scheint empirisch und theoretisch zu scheitern. Dieses Scheitern impliziert die permanente - und gerechtigkeitstheoretisch zutiefst unbefriedigende - Verletzung der Chancengleichheit hinsichtlich der Realisierung der vernünftigen Konzeptionen des guten Lebens. Die Verletzung der Chancengleichheit ist nur dann akzeptabel, wenn an sie die gleichen normativen Kriterien gestellt werden, die Offe an den demokratischen Prozeß generell stellt: Bevorzugte Konzeptionen dürfen dies nicht permanent sein, benachteiligte dürfen dies nicht aus strukturellen Gründen sein. Die Qualität des demokratischen Prozesses ist der primäre Garant für die Einhaltung dieses Kriteriums. Doch hier steht nicht die Qualität des Prozesses, sondern die spezifische Qualität des Ergebnisses des politischen Prozesses im Vordergrund. Reversibilität stellt eine Form der Neutralität dahingehend dar, daß sie die Bevorzugung oder Benachteiligung spezifischer Konzeptionen, wie sie notwendigerweise im Zuge des politischen Prozesses stattfindet, abfedert; und dies nicht nur hinsichtlich eines Zeitpunkts und einer existierenden Gesellschaft, sondern über die Zeit hinweg intergenerativ. Das Argument hierfür ist im Kern sehr simpel: Politische Entscheidungen, die im Zuge eines demokratischen Prozesses nicht zu revidieren sind, bedürfen entweder spezifischer - moralisch anspruchsvoller 121 - Begründungen oder dürfen nicht getroffen werden. Wann sind 120 Oder, in den Worten von Habennas (1992: 23): "Solche Rechtsnonnen ennöglichen nämlich hoch artifizielle Gemeinschaften, und zwar Assoziationen von gleichen und freien Rechtsgenossen, deren Zusammenhalt gleichzeitig auf der Androhung äußerer Sanktionen wie auf der Unterstellung eines rational motivierten Einverständnisses beruht". 121 Moralisch anspruchvoll sind Begründungen, die im gleichmäßigen Interesse aller liegen und die keinen Rekurs auf ethische Werte benötigen. Vgl. auch Ackerman (1980: 11).

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

nun politische Entscheidungen reversibel? Dies ist zunächst von der Definition abhängig; in einem strikten Sinne müßte von der Illusion der NullOption gesprochen werden, da keine Entscheidung vollständig reversibel ist. Ein Grund hierfür kann in der Zeit gesehen werden, die zwischen einer Entscheidung x und einer EntscheidungxI vergangen ist. Damit ist der status quo ante nicht mehr länger Realität. Darüber hinaus produziert jede politische Entscheidung externe Veränderungen; und sei es auch nur in der psychischen Befindlichkeit der Bürger. Damit existiert jede reversibilisierte Entscheidung in einem gesellschaftlichen Medium, das dem vorherigen fremd (oder zumindest anders) gegenübersteht. Wird an das Kriterium der Reversibilität diese hohe Meßlatte angelegt, so führt es sich selbst in die theoretische Bedeutungslosigkeit. Daher müssen weichere Anforderungen gestellt werden. Existieren, so lautet die reformulierte Variante, politische Entscheidungen, aus denen, nachdem sie aufgehoben und! oder spezifische, quasi inverse Gesetze verabschiedet wurden, keine weitere politische Regelungsnotwendigkeit resultiert? Damit kommt der Zeithorizont politischer Entscheidungen in den Fokus der Betrachtung. Diese Zeitbezogenheit läßt sich gepaart mit dem Kriterium der intergenerativen Gerechtigkeit am eindrucksvollsten anhand der Nutzung der Kern-

energie diskutieren. 122 Eine von einem Kollektiv der Bürger XI getroffene Entscheidung tangiert aufgrund der extrem langen Halbwertzeiten von radioaktiven Spaltprodukten auch die Kollektive X I+n , ohne daß letztere am demokratischen Willensbildungsprozeß beteiligt sein konnten. Selbst nachholende demokratische Diskurse können das Faktum der Spaltprodukte nicht ungeschehen machen. In diesem Sinne verletzt der Objektbereich dieser demokratischen Entscheidung das Kriterium der Reversibilität als Neutralität. Zunächst erscheint es durchaus plausibel, das Kriterium der Reversibilität als prozedurales Surrogat von Neutralität anzusehen. Doch unproblematisch ist auch dies nicht. Ich möchte zwei Argumente gegen die Reversibilität anführen: zum einen die drohende strukturelle Handlungsunfähigkeit des politischen Systems, zum anderen die Unterminierung der Praxis der Volkssouveränität. 123 Die Handlungsunfähigkeit resultiert zum einen aus der Falibilität menschlicher Erkenntnis, die dazu führt, daß wir nie mit Sicherheit Auskunft über die Konsequenzen politischer Entscheidungen geben können. Doch selbst wenn dieser erkenntnistheoretische Pessimismus angezweifelt werden kann, führt doch das hohe Kontingenzpotential politischer Prozesse zum gleichen Ergebnis: Die KausalitlitsrUckftlhrungskapazitlit (Offe) nimmt mit zunehmender Komplexität des politischen Prozesses ab und relativ dazu 122

123

Vgl. für die Idee intergenerativer Gerechtigkeit Barry (1991 b). Vgl. hierfür auch Preuß (1984: 272-294).

5.1 Integration qua Neutralität

107

auch die Angemessenheit des Kriteriums der Reversibilität. Die Unterminierung der Volkssouveränität resultiert aus der einzigen Strategie, die Kontingenz zu verringern: Sie besteht in der intensiveren Konsultation von Experten. Die in der linken Demokratiekritik häufig artikulierte Angst vor der Expertokratie würde mit der theoretischen Prominenz der Reversibilität zunehmen. 124 Tabelle 13

Matrix von Neutralitätsebenen und -instrumenten Politische Integration

Soziale Integration

Funktionale Integration

Wertebene

Neutralität der Verfassung

Wechselseitige Anerkennung als Freie und Gleiche

Politische Gewaltenteilung

Strukturebene

Neutralität der Verfassungsrechtsprechung, Zielund prozedurale Neutralität von einfachem Recht

Aktive politische Partizipationsmöglichkeiten

Perfol7TUlnzebene

Reversibilität als Neutralität

Neutralität des Dialogs

~olitische

lffentlichkeit)

Orientierung an der Gewaltenteilung

Faßt man die Diskussion zusammen, so scheint der Neutralitätsansatz von Ackerman gescheitert zu sein. Die ursprünglich aussichtsreichere Alternative - die Neutralitätskonzeption von Larmore - hat sich jedoch auch als unzweckmäßig erwiesen, da sie uns in praktischen Fragen des Umgangs mit regelungsbedürftiger Materie ohne Handlungsanleitung läßt. Es wurde versucht die Neutralität auf der Ebene des einfachen Rechts einzuführen. Hierzu nahm ich eine Paraphrasierung der Neutralität in das Kriterium der Reversibilität vor. Doch auch dieser Versuch erwies sich als unfruchtbar, da er entweder das politische System aufgrund unvermeidbarer interner Kontingenzen handlungsunfähig werden läßt oder die Volkssouveränität durch eine Expertokratie unterminiert. Nachdem sich also die Vorstellung einer Integration moderner Gesellschaften durch Neutralität als nicht tragfähig erwiesen hat, bleiben zwei Strategien offen: zunächst die sekundäre normative Integration über spezifische partikularistische Werte. Als zweite - aus124

Vgl. hierfür - wenn auch in einer optimistischeren Sicht - Denninger (1989:

627-657).

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

sichtsreichere Strategie - bietet sich eine konsequentere Prozeduralisierung des politischen Diskurses an, der jedoch spezifischen moralischen Anforderungen gerecht werden muß. 5.2 Integration qua Werte: Das Bundesverfassungsgericht In der gesuchten Integrationstheorie nimmt die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit einen zentralen Ort ein, weil sie zwischen Geltung und Gültigkeit der Verfassung vermittelt. Während letztere für das Moment der Kontinuität steht, repräsentiert das Verfassungsgericht das Moment des Wandels, der Adaption abstrakter Verfassungsnormen und -werte an konkrete "gesellschaftliche Realitäten". Aus der Perspektive der Integrationsperformanz ist die Frage zentral, welcher Teil der Verfassung im Akt der Verfassungsrechtsprechung betont wird. Wie bereits herausgearbeitet wurde, besteht eine Verfassung aus Wertpools und dem Normset, die in unterschiedlichem Maße universalistische und partikularistische Elemente in sich vereinigen. Charakterisiert man diese als moralische und ethische Komponenten von Verfassungen und geht man von der These des politischen Liberalismus aus, daß nur moralische, d. h. ethisch neutrale, Verfassungen und eine an ihnen orientierte Verfassungsrechtsprechung integrative Performanz besitzen, dann müßte die Verfassungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eigentlich vom Modus der ethischen Integration (im Sinne von expressiver Gemeinschaft bei Peters) in den Modus der moralischen Integration (im Sinne der moralischen Integrität bei Peters) umschwenken. Ansonsten kann das Bundesverfassungsgericht in seinem ethischen Partikularismus den ethischen Pluralismus innerhalb der Bundesrepublik nicht mehr komplett umfassen. Gleichwohl können die beiden Modi in einem rivalisierenden Verhältnis stehen; moralischer Universalismus kann die ethischen Bänder zerreißen, die zuvor Gemeinschaft zusammengehalten haben. Anband der Analyse des Kruzifix-Beschlusses, d.h. sowohl anband der Urteilsbegrundung als auch der politischen Reaktionen auf das Urteil, sollen die zwei Thesen empirisch plausibilisiert werden. Im Modell der werthaften Integration qua Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit wird davon ausgegangen, daß die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit wertgenerierend oder wertaktualisierend in die Gesellschaft hinein wirkt und sich Gesellschaften über Werte integrieren. 125 Das Grund125 Dieser Vorstellung stehe ich, wie bereits deutlich wurde, skeptisch gegenüber. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß modeme, ausdifferenzierte Gesellschaften im Zeichen des ,,Faktums des Pluralismus" nur noch über Normen integrierbar sind, ohne dabei elementare Gerechtigkeitsgrundsätze zu verletzen. Um das Argument in einer starken Variante präsentieren zu können, akzeptiere ich jedoch vorerst die oben genannten Prämissen.

5.2 Integration qua Werte

109

gesetz stellt die werthafte Struktur des Politischen dar, die in ihm inkorporierten Werte finden zum einen Realisierung über das formale politischinstitutionelle Arrangement und das Handeln der Bürger darin; zum anderen in der autoritativen Deutung der Verfassung durch die Institution eines Verfassungsgerichts. Die Idee, daß Verfassungsrechtsprechung integratives Potential besitzt, wird auch vom Bundesverfassungsgericht geteilt. Wie in "Der Status des Bundesverfassungsgerichts" festgehalten, sieht es seine Aufgabe darin, ,,( ... ) über seine richterliche Funktion hinaus zugleich politisch integrierende Funktionen auszuüben" (Jahrbuch für öffentliches Recht 1957: l34). In diesem Sinne repräsentiert das Grundgesetz die Kontinuität und das Bundesverfassungsgericht den Wandel. Aus der Perspektive der Integrationsperformanz sind mit der Aktualisierung und der Neuschaffung von Werten und Normen die beiden zentralen Modi der Verfassungsrechtsprechung genannt. Verfassungsgerichtsurteile befinden sich jedoch - wenn es um Grundrechtsentscheidungen geht - im Medium rivalisierender Werte. Die Vorstellung, vorgängigen Konsens zu stabilisieren oder neuen zu kreieren, ist dabei abhängig von der Geltung und Gültigkeit des Verfassungsgerichts. Welche Deutungsmacht - im Sinne empirischer Akzeptanz auf verschiedenen Objektebenen von Demokratie - besitzt das Bundesverfassungsgericht jedoch hinsichtlich der autoritativen Deutung der Verfassung im Medium rivalisierender Werte und Deutungsangebote? Das Bundesverfassungsgericht kann sich nur auf vier Ressourcen stützen: seine eigene moralische Dignität, das ihm entgegengebrachte Vertrauen l26 , bestehende gesellschaftliche Wertkonsense 127 sowie die Legitimität der Verfassungsrechtsprechung . In Anlehnung an die Differenzierung von drei Objektebenen von Demokratie und Neutralität können drei Objektebenen von Akzeptanz und Vertrauen hinsichtlich des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichts differenziert werden. Diese sind auf der Wert- und Normebene das Grundgesetz, auf der Strukturebene das Bundesverfassungsgericht sowie auf der Performanzebene die faktische Verfassungsrechtsprechung. Um die analytische Trennschärfe zu erhöhen, schlage ich eine weitere Differenzierung zwischen generalisierter und urteilsspezifischer Akzeptanz respektive Vertrauen vor. Sinnvolle Kombinationen sind mit einem (x) versehen. Das bundesrepublikanische Modell der Verfassungsrechtsprechung hat sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt, das - wie Bundesverfassungsrichter Grimm (v gl. 1997: 44) betont - zu einem role model der Verfassungsgerichtsbarkeit in den neuen Demokratien Osteuropas geworden ist. Doch 126 Vertrauen verstehe ich in diesem Sinne als Resultat einer generalisierten Kompetenzallokation beim Bundesverfassungsgericht. Dieses Vertrauen ist jedoch eine Ressource, die Bürger anhand der Urteilspraxis validieren. 127 Verstanden im Sinne einer entgegenkommenden politischen Kultur.

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften Tabelle 14

Drei Objektebenen von Akzeptanz und Vertrauen: Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht Generalisiert Grundgesetz

X

Bundesverfassungsgericht

X

Urteile

Urteilsspezifisch

X X

scheint das Sprichwort, daß der Prophet im eigenen Lande nichts zählt, sich zunehmend zu bewahrheiten. So spricht Wesel (1995: 13) von der "zweiten Krise" des Bundesverfassungsgerichts und argumentiert dabei wie später auch Höffe (1996), daß das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts sinkt. Die Ursachen hierfür sehen die beiden Autoren - und mit ihnen auch viele andere - in der Art der Verfassungsrechtsprechung der 90er Jahre; zu kontrovers waren die Urteile: Soldaten sind Mörder I, 11, Sitzblockaden (BVerfGE 69, 315) sowie der Kruzifix-Beschluß (BVerfGE 93,1). Es existieren durchaus Konjunkturzyklen kontrovers diskutierter Urteile. Wie Wesel (1995) betont, kam es zur ersten große Krise des Bundesverfassungsgerichts kurz nach seiner Gründung im Jahr 1952, als die von Adenauer geplante Wiederaufrüstung mittels einer vorläufigen Entscheidung temporär - d.h. bis zu den Wahlen 1953, die Adenauer gewann, was ihm ermöglichte, mit einer 2/3-Mehrheit die Verfassung zu ergänzen - gestoppt wurde. Daraufhin warf die Bundesregierung dem Bundesverfassungsgericht vor, ,,( ... ) über die Bestimmungen des Grundgesetzes hinausgegangen ( ... )" zu sein und ,,(... ) aus eigener Machtvollkommenheit Recht setzen ( ... )" (Bulletin der Bundesregierung 1952, Nr. 198, S. 1729) zu wollen. Auch drohte die Bundesregierung mit dem ,,( ... ) Ende der deutschen Verfassungsjustiz ( ... )" (Bulletin der Bundesregierung 1952, Nr. 185), was im Vergleich zur Drohung, wie sie Waigel 1995 im Rahmen der Kruzifixdebatte ausgesprochen hat, eine größere Bedrohung darstellte, da noch keine positiv besetzte Tradition der Verfassungsrechtsprechung existierte. Den Geist liberaler Grundrechte atmen auch das Lüth-Urteil aus dem Jahr 1958 (BVerfGE 7, 198; Lüth) und die eindeutig gegen die CDU-Regierung gerichtete Entscheidung, die "Deutschland-Fernsehen GmbH" als verfassungswidrig erklären (BVerfGE 12,205; 1. Fernseh-Urteil). Trotzdem kann daraus nicht vorschnell der Schluß gezogen werden, daß das Bundesverfassungsgericht ein Instrument linker Oppositionspolitik war,128 da das Bundesverfassungsgericht - zumeist auf Antrag der opposi128

Vgl. hierfür Frankenberg (1996: 2).

5.2 Integration qua Werte

111

tionellen CDU - auch viele Reformprojekte der sozial-liberalen Regierung in den siebziger Jahren gestoppt hat, so z. B. die Fristenlösung für den Schwangerschaftsabbruch (BVerfGE 39, I; für die 90er Jahre: BVerfGE 88, 203), die Wehrdienstnovelle (BVerfGE 48, 127) oder die Reform über die Mitbestimmung an Universitäten (BVerfGE 35, 79). Doch auch in den achtziger Jahren vollführte das Bundesverfassungsgericht einen Slalom-Kurs; wozu die kontroversen Urteile zur Volkszählung (BVerfGE 65, 1) und Brokdorf (BVerfGE 69, 315) zu rechnen sind. Kontroverse und in der (politischen) Öffentlichkeit umstrittene Bundesverfassungsgerichtsurteile sind kein Spezifikum der neunziger Jahre. Auch betont Limbach (1997), daß die Krise des BVerfG im öffentlichen Ansehen inzwischen wie.der einer Normalität gewichen ist. Während die skizzierte Problemdiagnose unstrittig zu sein scheint, variieren die Erklärungsmodelle für das Sinken des Vertrauens zur Mitte der 90er Jahre. So sieht der eher gemäßigte Staatsrechtslehrer Uwe Wesel die Gründe für die fragwürdige Publizität der oben genannten Urteile gerade nicht in der Kompetenzüberschreitung durch das Bundesverfassungsgericht, sondern in einer - aus demokratietheoretischer Sicht problematischen Kompetenzüberschreitung der an dieser Kontroverse beteiligten politischen Eliten. Es handelte sich somit um eine politikinduzierte Krise, die die Rechtmäßigkeit des Routinemodus der Verfassungsrechtsprechung nicht anerkennt und die Zeichen auf innenpolitischen Sturm setzt. Anders argumentiert Höffe (1996: 257-265), der die Urteile weniger im Spannungsfeld zwischen parteipolitischen Machtansprüchen, massenmedial vermittelter Öffentlichkeit und Angemessenheit des jeweils einzelnen Urteils sieht, als vielmehr die grundSätzliche Frage der Legitimität bundesverfassungsrichterlicher Rechtsprechung stellt. Die Kompetenzanmaßung des Bundesverfassungsgerichts sei anband der berühmt gewordenen Urteile virulent geworden. Der demokratische Souverän stellt nicht die Frage: "Wer hütet die Verfassung" 129, sondern: "Wer schützt die Verfassung vor ihren Hütern?". Ausgerechnet jene Institution, die Integration befördern soll, sieht sich in der Diskussion einer doppelten Kritik ausgesetzt. Zunächst ist es eine demokratietheoretische, die zum einen dem Bundesverfassungsgericht seine generelle Legitimität abspricht, da es nicht direkt vom Volk gewählt wird und doch die Kompetenz besitzt, Gesetze, die sowohl den Bundestag als auch den Bundesrat passiert haben, für nichtig zu erklären. So Maus: "Im Zeichen der justizstaatlichen Entwicklung der Bundesrepublik, die die Mutation liberaldemokratischer Verfassungen im 20. Jahrhundert markant repräsentiert, kommt es zunehmend zu einer Verselbständigung des Rechts gegenüber dem demokratischen Prozeß der Rechtserzeugung. (... ) Vielmehr 129 Diese Frage ist nicht von earl Schmitt inspiriert, sondern rekurriert auf das Selbstverständnis der Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

avanciert die Verfassung selbst zu einem Katalog vorentschiedener richtiger Inhalte, aus dem im Wege verfassungsrichterlicher Interpretation die verfassungskonformen einfachen Gesetze ohne Rest >abgeleitet< werden können" (Maus 1992: 35). Damit wird die Gefahr gesehen, daß das Bundesverfassungsgericht im Prozeß der Grenzüberschreitung seiner Kompetenzen zu einem juristischen Gesetzgeber wird. So argumentieren neben anderen auch Römer (1989), Elster (1996) und Höffe: "Verschiebt sich nicht innerhalb der Gewaltenteilung die Machtbalance einmal mehr vom demokratischen Gesetzgeber weg in Richtung der Judikative, zugespitzt: vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat? Ferner: Liegt in der Verschiebung nicht eine kaum merkliche und doch nicht harmlose Verfassungsänderung? Schließlich: Vollzieht sich diese Änderung nicht in Form einer Selbstaneignung, also ohne eine Änderungsbefugnis, zudem von jener Instanz, die auf die Einhaltung der verfassungsgebotenen Befugnisse achten soll?" (Höffe 1996: 279). Die Kritik aus integrationstheoretischer Sicht lautet, daß werthafte Verfassungsrechtsprechung zwar in der Tradition und im Geiste des Grundgesetzes steht, jedoch gerade aufgrund dieser partikularistischen Werthaftigkeit sukzessive weniger zur Integration pluralistischer politischer Gemeinschaften beitragen kann (vgl. Haltern 1998). Angesichts dieser vielschichtigen Kritik, die aus sowohl politisch als auch theoretisch sehr unterschiedlichen "Lagern" artikuliert wird, stellt sich die generelle Frage, ob die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit überhaupt notwendig bzw. wünschenswert ist. Hier erscheint mir die Hypothek der deutschen Geschichte einen so erheblichen Druck auszuüben, daß ein genereller Verzicht kaum denkbar erscheint. Wenn also folglich die Frage nach der Wünschbarkeit bejaht werden kann, so können sich im Anschluß nur noch Fragen der institutionell-rechtlichen Feinjustierung stellen. Doch erscheint hier der Spielraum für ein institutionelles "redesign" eingeschränkt, da es in der Logik der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit liegt, bestimmte Kompetenzen zu besitzen, die aus demokratietheoretischer Sicht durchaus zwiespältig sind. Aus historischer Perspektive besonders bedeutungsvoll war die Ausweitung der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts zur Kompetenz-Kompetenz. 130 da sie von vielen Kritikern als zentrale Ursache 130 Hierzu Römer (1989: 132): ,,Das Gericht entscheidet aufgrund der Vorschriften des BundesverfassungsgerichtsgesetZes in einem gerichtsförmigen Verfahren. Diese Verfahrensvorschriften sind, verglichen mit denen in den anderen Gerichtsbarkeiten, jedoch sehr weit gefaßt und lückenhaft. Das Bundesverfassungsgericht hat sich oft zum Herren seines eigenen Verfahrens gemacht. >Da das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften über seine Zuständigkeiten selbst interpretiert - es besitzt ,Kompetenz-Kompetenz' - konnte es seine ohnehin schon nicht unerhebliche

5.2 Integration qua Werte

113

der undemokratischen Machtverschiebung vom parlamentarischen zum juristischen Gesetzgeber angesehen wird. Diese zweifache Kritik verlangt auch nach einem doppelten Analyse- und Erklärungsansatz. Es gilt nicht nur theoretische Fragen der Legitimität von Verfassungsgerichtsbarkeit im Allgemeinen und der bundesdeutschen Spielart im Speziellen zu diskutieren. Vielmehr muß auch die empirische Basis der Kritik einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. 131 Zunächst erfolgt eine kurze Übersicht über die rechtlichen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie ein Vergleich zu anderen Verfassungsgerichten hinsichtlich der jeweiligen Kompetenz. Nach diesen theoretisch-rechtlichen Vorüberlegungen erfolgt eine historische Kontextualisierung des Bundesverfassungsgerichts, um schließlich den Kruzifix-Beschluß 132 und die dadurch evozierten Reaktionen genauer zu untersuchen. 5.2.1 Das Bundesverfassungsgericht: Aufgaben und Funktionen

Das Bundesverfassungsgericht besitzt nach dem Grundgesetz'33 folgende Kompetenzen, die in der folgenden Tabelle zusamrnengefaßt sind:

Machtftille durch neue Sanktionsformen, Vermischung von Prozeßarten und Überschreiten der konkreten Streitfrage ausdehnen(". 131 So wäre es empirisch interessant zu fragen, ob wir es 1995 wirklich mit der zweiten Krise des Bundesverfassungsgerichts zu tun haben, oder ob eine alternative Zählung - die sicherlich anderen Kriterien der Krisenbestimmung folgt - adäquater wäre. Zu hinterfragen ist auch der Ort, wo die Krise diagnostiziert wird. Eine.politische Institution ist nicht einfach in einer Krise, sie benötigt dafür auch eine Offentlichkeit, die dies vermittelt, Beobachter, die dies konstantieren und ein Publikum, das dies rezipiert. Welches also ist die Instanz, die die Krise konstatiert? Sind es Politiker, Verfassungsrechtler, Zeitungskommentatoren oder "die Bürger auf der Straße", die die Urteile reflektierend wahrnehmen und Krisen diagnostizieren? 132 BVerfGE 93, 1 (Kruzifix). 133 Art. 93 GG; Art. 100 GG; Art. 18 GG; Art. 21 11 GG; Art. 41 11 GG; Art. 51 GG; Art. 84 IV GG; Art. 115g, h GG; Art. 126 GG. 8 Schaal

114

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Tabelle 15 Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts Kompetenz

Gründe

Antragsteller

Einschlägige Urteile

Parteien verbote

Parteien verstoß gegen freiheitlichdemokratische Grundordnung

Bundesrat, Bundesregierung

Verbot der SRP und der KPD

Normenkontrollverfahren

Abstrakter Verstoß eines Gesetzes gegen das Grundgesetz

Bundesregierung, Länderregierungen, mindestens 1/3 der Mitglieder des Bundestages

§ 218

Organstreitigkeiten Umstrittene Kompetenzen von Verfassungsorganen

Bundespräsident, Bundesrat, Bundesregierung, Bundestag

Awacs-Urteil

Bund-LänderStreitigkeiten

Kompetenzunklarheiten zwischen Bund und Ländem

Bundesregierung, Länderregierungen

Fernseh-Urteil

Verfassungsbeschwerden

Konkreter gesetzlicher Verstoß gegen das Grundgesetz

Jeder deutsche Bundesbürger

Kruzifix-Beschluß

Das Bundesverfassungsgericht ist international das mit der größten Kompetenz ausgestattete Verfassungsgericht. Verfassungsgerichte anderer Länder fallen im Vergleich zum Bundesverfassungsgericht massiv in ihrer Kompetenz ab. 134 In den konsolidierten westlichen Demokratien bietet sich eine vergleichende Kompetenzübersicht mit dem französischen Conseil Constitutionel, dem italienischen Corte Costituzionale, dem österreichischen Verfassungsgerichtshof, dem spanischen Tribunal Constitucional sowie dem amerikanischen Supreme Court an. 135 Von einer Betrachtung der Verfassungsgerichtsbarkeiten in den neuen Demokratien Mittelosteuropas möchte ich 134 Dies gilt im Vergleich der Kompetenzen der Verfassungsgerichte in westlichen, liberalen Demokratien. Klingsberg (1992) vertritt im Gegensatz zur gängigen Argumentation die These, daß der ungarische Verfassungsgerichtshof der mächtigste sei. 13S Vgl. für einen Überblick der europäischen Verfassungsgerichte: Starck/Weber (Hrsg. 1986).

5.2 Integration qua Werte

115

zunächst Abstand nehmen, da sich die Verfassungsrechtspraxis noch schlecht beurteilen läßt. 136 Festzuhalten ist jedoch, daß alle Länder entweder eine vorgängige oder nachgängige Überprüfung der Verfassungskonformität von Gesetzen durch ein Verfassungsgericht vorsehen (vgl. Schwartz 1992, Elster 1996: 240).

5.2.2 Exkurs: Gesellschaftliche Integration nach dem Nationalsozialismus Das bundesdeutsche Grundgesetz sowie die Verfassungsrechtsprechung verstehen sich im Vergleich zur amerikanischen Verfassung als eine objektive Wertordnung, 137 die einen konsensuellen Charakter besitzt. So betont Böckenförde (1991: 50-51): "Die Verfassung bezieht das soziale Ganze in sich ein und erhebt - als Wertordnung und Wertsystem - einen unbedingten Geltungsanspruch, der sich auf alle Bereiche des Rechts erstreckt" und dabei über das Recht hinaus in das Soziale strukturierend eingreift; denn hinter der Idee einer werthaften Verfassung liegt die normative Zielvorstellung, daß die Verfassung die konsentierte Basis des sozialen Zusammenlebens bildet und somit eine integrative Performanz besitzt. Darin erwies sich das Grundgesetz auch als erstaunlich erfolgreich, doch zu schnell verkennt man über der Betrachtung der 70er, 80er und 90er Jahre die historische Einmaligkeit der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland und die extremen Integrationsherausforderungen, denen sie sich in ihrer Konstitutionsphase stellen mußte. So gesehen ist aus zumindest zwei Gründen die pure Existenz des "Integrationserfolgsmodells" Bundesrepublik geradezu paradox: 138 zunächst aufgrund der traumatischen Kriegserfahrungen und des damit verbundenen Grades an Zerstörung. Hier könnte noch argumentiert werden, daß gerade die Erfahrung des gemeinsamen Wiederaufbaus das soziale Band zwischen den (späteren) Bundesbürgern stärkte, doch erhöht sich der paradoxe Charakter der gesellschaftlichen Köhäsion, wenn man sich vor Augen führt, welche Rollen die späteren Bundesbürger im Dritten Reich innehatten. Auf einem Territorium vereint waren Täter und Opfer, waren Mitläufer und Oppositionelle. In bestimmten 136 Für einen Überblick Schwartz (1992) sowie die Publikationen von OMRI, der Nachfolgeorganisation von Radio Free Europe, im Internet unter: http: 11 www.omri.cz. \31 Seinen Ursprung hat die Vorstellung der Verfassung als Wertordnung in dem Lüth-Urteil aus dem Jahr 1958. Dort wurde die Position vertreten, daß Grundrechte eine objektive Wertdimension besitzen (vgl. BVerfGE 7, 198ff.). 138 Vgl. für eine ausführlichere Betrachtung der historischen Situation und der daraus resultierenden Integrationsherausforderungen die Beiträge in dem Sammelband von Schaal/Wöll (Hrsg. 1997).

nein

9

Nein

Nein

9

Nominierungsrecht beim Präsidenten, öffentliche Anhörung vor dem und Wahl durch den Senat

Bund-LänderStreitigkeiten

Individuelle Verfassungsbeschwerden

Anzahl der Richter

Wahlverfahren

jeweils drei ernannt vom Präsidenten, Nationalversammlung und Senat

nein

gewählt vom Bundestag und Bundesrat

8

ja

ja

nein

Nein

Organstreitigkeiten

ja

ja, konkret und abstrakt

ja, abstrakt auf Antrag des Präsidenten, des Premiers oder mindestens 60 Abgeordneter oder Senatoren

Konkret

Nonnenkontrollverfahren

jeweils flinf ernannt vom Präsidenten, Parlament und den obersten Gerichten

15

---

König ernennt auf Vorschlag je vier Parlamentsund Senatsvorschläge sowie je zwei Vorschläglcr Regierung und der ober! sten Gerichte acht ernannt von Regierung, je drei von Parlament und Bundesrat

--

12

ja

14

eingeschränkt

nein

nein

ja

ja nein

ja, abstrakt und konkret

Veifassungsgerichtshof

ja, abstrakt auf Antrag der Bundesregierung, Landesregierung, 1/3 der Mitglieder von Parlament oder Bundesrat sowie auf Vorlage eines Gerichts zweiter Instanz

Spanien

Tribunal Constitucional

ÖSterreich

nein

ja

ja, abstrakt, auf Antrag der Regierung, einer Region oder Vorlage eines Gerichts

Italien

Corte Costitu'l.ionale

Bundesrepublik

Bundesveifassungsgericht ja

Frankreich

Conseil Constitutionel

USA

Supreme Court

Parteienverbote

Kompetenz

Tabelle 16: Kompetenz von Verfassungsgerichten im internationalen Vergleich

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5.2 Integration qua Werte

117

gesellschaftlich-funktionalen Bereichen - z. B. in der Justiz 139 - hat sich über das Ende des NS-Regimes hinaus eine erstaunlich hohe personelle Kontinuität auf der Ebene der mittleren Führungseliten ergeben. Ist gesellschaftliche Integration in einer solchen Situation denkbar? Sie war nicht nur denkbar, sondern sogar noch erstaunlich erfolgreich, jedoch mit Einschränkungen: Legt man die normativ sehr anspruchsvollen Kriterien der politischen und sozialen Integration, wie sie bisher erarbeitet wurden, an den Prozeß der gesellschaftlichen Integration der jungen Bundesrepublik an, so erscheint das "Integrationserfolgsmodell" ambivalent. Wie Wöll (1997) und König (1996) herausgearbeitet haben, beruhte der Integrationserfolg der jungen Bundesrepublik gerade auf dem selektiven Schweigen über kritische Elemente der ethischen Selbstfindung. l40 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage, wie die NS-Vergangenheit diskursiv aufgearbeitet wurde (und wird), eine zentrale Bedeutung. Auf eine Phaseneinteilung der Modi der diskursiven Vergangenheitsverarbeitung, wie sie u. a. Wöll (1997) vorgeschlagen hat, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen, da sie uns von den zentralen Fragen abbringen würde. Festzuhalten bleibt nur, daß mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zum Nationalsozialismus und der abnehmenden Zahl derjenigen, die ihn direkt erlebt haben, zu erwarten ist, daß das integrative Potential des Diskurses über den angemessenen Umgang mit dieser Zeitperiode nachläßt. Ist diese These richtig - und der Wissenschaftsdiskurs innerhalb der politischen Psychologie deutet in diese Richtung -, dann stünde die Bundesrepublik relativ unvermittelt vor dem doppelten Integrationsproblem der forcierten Modernisierung bei gleichzeitig sinkender Bedeutung der NS-Vergangenheit. 141 Ob die vakante Stelle der NS-Vergangenheitsverarbeitung durch den Diskurs über die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit besetzt werden kann - wie König (1996) postuliert - erscheint eher fraglich. Das Grundgesetz ist nachhaltig durch die traumatischen Erfahrungen des Nationalsozialismus beeinflußt und stellt in seinem institutionellen Arrangement einen demokratischen Gegenentwurf zum Dritten Reich und der Wei\39 Vgl. für die sehr umfangreiche Diskussion dieser Thematik als Einführung Müller, Ingo 1987: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. München: Kindler Verlag. 140 Hiermit zeigt sich empirisch der Erfolg der Gag-Rules von Holmes (1994), wenn sie auch aus moralischer Sicht zweifelhaft sind. 141 Die Frage, wie stark das Grundgesetz durch psychologische Befindlichkeiten geprägt wurde, ist im Rahmen der Aslyrechtsdebatte virulent geworden. Artikuliert wurde der polemische Vorwurf eines "postfaschistischen Traumas", das sich im Zuge des Prozesses der Normalisierung der Bundesrepublik als zunehmend dysfunktional herausgestellt hat. Eine solche Kritik trifft dabei den Kern der - notwendigen, aber gleichzeitig fiktiven - Vorstellung, daß eine Verfassung das Wahre, Gute und Gerechte verkörpert und dabei nur in geringem Maße historisch kontingent ist.

118

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

marer Republik dar. Dies wird in dem grundsätzlichen Skeptizismus hinsichtlich der demokratischen Tugendbefähigung der Bundesbürger deutlich, die sich in der bewußten Suspendierung direktdemokratischer Partizipationsmöglichkeiten manifestiert. 142 Das Grundgesetz als werthafte basale Ordnung des Politischen und Sozialen unterstützte in seiner Oppositionsintention des ,,Nie wieder" die ethische Selbstfindung der Bundesbürger, die quasi ex negativo erfolgte. Mit dem Begriff des Verfassungspatriotismus (Sternberger) - und seinen Adaptionen, z. B. durch Habennas - erfolgt eine substantielle Veränderung der Bindung zum Grundgesetz und damit gleichzeitig auch der Konzeptionalisierung der Integrationsperfonnanz. Nicht mehr die negative ethische Definition dominiert, sondern eine Synthese aus fiktivem republikanischem Gründungsmythos und dem Ideal der demokratischen Souveränität, in dem sich Bürger sowohl als Adressaten wie auch als Autoren von Rechten begreifen. 143 Das Grundgesetz ist also ohne Frage nicht nur in seiner Opposition zum Nationalsozialismus werthaft; es ist auch stark christlich geprägt - als Beispiel hierfür ist die Präambel und die Verantwortung vor Gott zu verstehen. Stärker als das Grundgesetz sind jedoch die Landesverfassungen werthafte 142 Ein Verständnis des Grundgesetzes, das es ausschließlich in der Opposition zum Nationalsozialismus versteht, greift ohne Frage zu kurz und verkennt faktische Traditionslinien, die ebenfalls einflußreich waren. Theoretisch wurde an die Weimarer Staatsrechtslehrerdiskussion angeknüpft, rechtspositivistisch an Hermann Heller, weniger an Smend. Wie Maus (1980) herausgearbeitet hat, bestand ein großer informeller Einfluß earl Schmitts auf die Verfassungsrechtsprechung der ersten beiden Jahrzehnte der Bundesrepublik. Rechtlich wurde natürlich auch auf die Weimarer Verfassung zurückgegriffen. 143 Die Veränderung in der autoritativen Selbstwahrnehmung der Rolle des Grundgesetzes für die Bundesrepublik sowie seiner konstitutiven Elemente in der juristischen Betrachtung wird exemplarisch besonders gut an dem von Hermann Avenarius (1995) verfaßten Buch ,,Die Rechtsordnung des Bundesrepublik Deutschland" deutlich. Dieses Buch wird von der BundeszentraIe für politische Bildung vertrieben, insofern spiegelt sich auch die autoritative Selbstwahrnehmung der "Bundesrepublik Deutschland" darin wider. Das Kapitel Verfassungsrecht wird mit den Formalia der Implementation des Grundgesetzes eingeleitet, um dann umgehend auf die "Westorientierung der Bundesrepublik" einzugehen. Der Nationalsozialismus findet keine Erwähnung und das "Dritte Reich" nur in einem Vergleich mit der DDR: Beide Systeme haben ,,( ... ) eines gemeinsam: die Instrumentalisierung des Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie und der Welteroberungspläne hier, als Ausprägung des Willens der sog Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-Ieninisti",tten.PaJtei cjQrt" (Avenarius 1995: 3). Weder möchte ich einer (normativ gemeinten) dauerhaften Traumatisierung der Bundesrepublik das Wort reden, noch sehe ich in der ,.Normalisierungsthese" ein generell zu kritisierendes Argument. Gleichwohl erscheint es mir zumindest instruktiv, an diesem Punkt darauf hinzuweisen, daß offensichtlich historisch problematische Spezifika des Grundgesetzes mit zunehmender zeitlicher Entfernung zu seiner Implementation sukzessive ausgeblendet werden.

5.2 Integration qua Werte

119

Verfassungen, zumindest trifft dies auf jene der alten Bundesländer zu. 144 Aus der asymmetrischen Konstruktion des Grundgesetzes auf der einen und der Länderverfassungen auf der anderen Seite resultieren spezifische Probleme. Diese sind zunächst Folge des prekären Status von Werten. Werte sind, wie Böckenförde betont .. (... ) nichts anderes als eine Bezeichnung für vorhandenen oder postulierten Konsens" (Böckenförde 1991: 52). Da es jedoch .. (... ) eine rational kontrollierbare Erkenntnis von >Werten< und einer >Wertordnung< nicht gibt und ebensowenig ein rational begründetes Vorzugs- und Abwägungssystem für die konkurrierenden Geltungsansprüche verschiedener, oftmals miteinander kollidierender >Werte< (... )" (Bökkenförde 1991: 51), sind entweder Diskongruenzen zwischen den empirisch in der Bevölkerung vorhandenen Werten zu erwarten oder Wertrivalitäten und -diskrepanzen zwischen dem Grundgesetz und den Länderverfassungen. Ein solcher Fall soll abschließend - in Form des Kruzifix-Beschlusses analysiert werden. Diese Überlegungen führen zu einer Kritik, die zum einen auf demokratietheoretische, zum anderen auf integrationstheoretische Fragen fokussiert ist und anband der Diskussion des Kruzifix-Beschlusses empirisch anschaulich gemacht werden soll. 5.2.3 Der Kruzifix-Beschluß

Wie kaum ein zweites Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat der Kruzifix-Beschluß vom 16. Mai 1995 145 öffentliche Aufmerksamkeit - Zustimmung und vornehmlich Dissens - provoziert. Die Frage, ob die staatlich verordnete Anbringung von Kreuzen und Kruzifixen in Unterrichtsräumen - wie es die bayrische Volksschulordnung l46 vorschreibt - verfassungswidrig ist, schien einen Nervpunkt unseres Gemeinwesens berührt zu haben. In der öffentlichen, zumeist massenmedial vermittelten, Diskussion über das Urteil können in einem ersten Zugriff als Kristalisationspunkte der Debatte zwei konkurrierende politische Ordnungsprinzipien identifiziert werden. Dies ist einerseits jene in der Urteilsbegründung des BVerfG zu findende Vorstellung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. In der kritischen Diskussion des Urteils wird andererseits betont, daß das Ordnungsideal der Neutralität die im Grundgesetz vorhandenen, durchaus starken Bezüge zur Christlichen Religion (z. B. in der Präambel) nicht hinreichend rezipiert. 144 Die Landesverfassungen der neuen Bundesländer sind ohne Frage auch werthaft, sie sind es vielleicht sogar noch stärker als jene der alten, es handelt sich jedoch um eine andere Qualität von Werthaftigkeit. Diese spiegelt sich v. a. in der Form von verfassungsrechtlich niedergelegten Staatszielen wider, die jedoch keinen rechtlich einklagbaren Charakter besitzen. 14S Veröffentlicht wurde das Urteil am zehnten August 1995. 146 So § 13 Abs. I Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern vom 21. Juni 1983.

120

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Jene Kritiker betonen die starke Eingebundenheit des politischen Gemeinwesens der Bundesrepublik Deutschland in ein christliches geprägtes Bezugssystem (das nicht ausschließlich religiös, sondern auch kulturell verstanden werden kann), das eine strikte staatliche Neutralität geradezu verbietet. Zu beobachten war in den Massenmedien ein Deutungskampj zwischen diesen beiden - hier pointiert dargestellten - politischen Ordnungsidealen. Dieser Deutungskampf ist voraussetzungsreich und weist weit über das konkrete Urteil und die flankierende Diskussion hinaus. Vielmehr reflektieren sowohl die Urteilsbegründung als auch die kritische Diskussion jene Spannung, die bereits im Grundgesetz hinsichtlich der divergierenden Ordnungsideale selbst angelegt ist. Die Verfassungsbeschwerde betraf in jenen Teilen, die hier von Interesse sind, das staatlich verordnete Anbringen von Kreuzen und/oder Kruzifixen in Schulräumen, wie es die bayrische Volksschulordnung nach § 13 Abs. 1 Satz 3 vorsieht: "Die Schule unterstützt die Erziehungsberechtigten bei der religiösen Erziehung der Kinder. Schulgebet, Schulgottesdierist und Schulandacht sind Möglichkeiten dieser Unterstützung. In jedem Klassenzimmer ist ein Kreuz anzubringen. Lehrer und Schüler sind verpflichtet, die religiösen Empfindungen aller zu achten" (§ 13, Abs. 1 VSO). Das Bundesverfassungsgericht urteilte, daß die staatlich verordnete Anbringung von Kreuzen in einer staatlichen Pflichtschule gegen Art. 4. Abs. 1 GG verstößt und § 13 Abs. 1 Satz 3 der VSO somit nichtig ist. Es begründete seine Entscheidung (unter C 11) mit der in Art. 4 Abs. 1 GG garantierten Glaubensfreiheit, die sowohl die positive d. h. die Ausübung von Religion, als auch die negative d. h. die Möglichkeit, gerade nicht an ,,kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens" teilnehmen zu müssen, umschließt. Für den einzelnen besteht kein Recht auf staatliche Unterstützung des eigenen Glaubens. Im Angesicht einer Pluralität religiöser Weltanschauungen innerhalb der Bevölkerung kann der Staat "die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewährt" (16). Damit avanciert jedoch die Frage, welche symbolische Bedeutung das Kreuz in einem Klassenraum besitzt, zur zentralen Frage. Unter Rekurs auf einschlägige Kirchenlexika argumentiert das Gericht, daß das Kreuz nicht Symbol einer christlich geprägten Abendländischen Kultur ist, sondern spezifischer christlich-religiöser Überzeugungen. Die staatlich verordnete Anbringung von Kreuzen verletzt daher die staatliche Neutralität in weltanschaulichen Fragen. beke~t sich der Staat doch damit affirmativ zu einer Religion. Gleichwohl reflektiert das Gericht auch auf die kulturelle Dimension der christlichen Religion und konstatiert was Kritiker später kaum wahrnehmen, daß "die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abzustreifen [sind], auf denen der gesellschaftliche Zusammenhang beruht und von

5.2 Integration qua Werte

121

denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei (... ) von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein" (22). Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Rechtsprechung zu christlichen Gemeinschaftsschulen 1975 vertreten; jedoch darf - und diese Einschränkung ist von zentraler Bedeutung - der christliche Glaube nicht missionarisch vertreten werden und Verbindlichkeit für sich beanspruchen. Das Kreuz überschreitet aus Sicht des Gerichts diese Grenze und wirbt für den christlichen Glauben. Betrachtet man die Debatte, so stellt sich der Eindruck ein, als ob der Kruzifixbeschluß aus heiterem Himmel kam. Die meisten Kritiker sehen wie später noch im Detail darzustellen ist - im Kruzifixbeschluß maßgeblich einen Bruch mit der bis dato herrschenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Doch ist diese Rechtsprechung wirklich neu, steht sie nicht viel mehr in einer Traditionslinie - oder besser: Konfliktlinie die ihre Wurzeln in den Debatten im Parlamentarischen Rat selbst hat? Wie Sörgel (1985) gezeigt hat, haben die beiden Kirchen nachhaltig Einfluß auf die Beratungen im Parlamentarischen Rat genommen. Als eine der wenigen Kräfte, die sowohl in ihrer moralischen Integrität als auch in ihrer internen Organisationsstruktur relativ unbeschadet des Dritte Reich überstanden hatten, waren sie für die Alliierten ein primärer Ansprechpartner, wenn es um die zukünftige Gestaltung des politischen Gemeinwesens in den westlichen Besatzungszonen ging. Innerhalb des parlamentarischen Rates waren es vor allem die Vertreter der CDU, die die Interessen der Kirchen aufgriffen und in die Diskussion brachten. Was wollten nun die Kirchen? Sie wollten einerseits keine Staatskirche, andererseits aber auch keine strikte Trennung von Kirche und Staat. Im Zentrum ihrer Forderungen stand vielmehr auf rechtlicher Seite die grundgesetzliche Garantie ihrer bisher erworbenen Rechte. "Schließlich bezeugten die Kirchen in Eingaben an den Parlamentarischen Rat auch ihr Interesse an einer grundgesetzlichen Garantie von in die christlich-abendländischen Kulturordnung eingegangen Werten und Lebensordnungen: Ehe und Familie, daß Erziehungsrecht der Eltern gegenüber ihren Kindern, die Sicherung der Menschenwürde, die Unversehrtheit des Leibes und des Lebens - auch des keimenden Lebens -, Anerkennung des Sonntags und bestimmter kirchlicher Feiertage als Tage der Arbeitsruhe u.a.ffi. ( ... )" (Sörgel 1985: 176). Am 14. Dezember 1948 trafen sich Delegationen der bei den großen christlichen Kirchen mit prominenten Abgeordneten des parlamentarischen Rates in Bonn. Geführt wurde die evangelische Delegation von Karl Koch, die katholische von Michael Keller. "Auf das Hauptanliegen von Keller und Koch, ausreichend christliche Traditionen bei der Grundgesetzarbeit zu berücksichtigen, sah sich

122

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Schmid (SPD) veraniaßt, deutlich zu machen, daß der Parlamentarischen Rat einen christlichen Staat nicht schaffen könne [Hervorhebung G.S.]" (Feldkamp 1998: 115). So reduzierte sich die Forderung der Kirchen darauf, daß Konfessionsschulen in allen Teilen Deutschlands existieren sollen. Die Eltern, nicht der Staat, sollten den konfessionellen Charakter der Schulen bestimmen können. Im Parlamentarischen Rat spitzte sich die Diskussion des Elternrechts über weite Strecken auf die Frage zu, wie und in welcher Art Religionsunterricht an öffentlichen Schulen durchgeführt werden soll. Dabei waren die beiden großen Kirchen weit davon entfernt, eine einheitliche Position zu vertreten. So argumentiert Pastor Niemöller: "Heute wirkt die elternrechtliehe Forderung nach christlichen und konfessionellen Schule machtpolitisch (... ). Die Schuld der Kirche ist viel zu groß, als daß wir vom Staat, er auch ein Staat der Ungläubigen ist, eine uns bequeme weltanschaulichen Sicherung der Schule fordern können" (Niemöller in Sörgel 1985: 190). In gewisser Art und Weise ist in dieser Argumentation das Neutralitätsargument, wie es in der Urteilsbegründung des Kruzifixbeschlusses zu finden ist, bereits angelegt. Zumindest die katholische Kirche wollte sich jedoch von der Forderung der grundgesetzlichen Verankerung des Elternrechts nicht zurückziehen und fand bei den CDU Abgeordneten Unterstützung. So argumentiert Dr. Adolf Süsterhenn, daß die CDU am Elternrecht festhält, das heißt ",an dem natürlichen Recht der Eltern, über die religiös-sittliche und sonstige Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen' - dieses Naturrecht wollte man sich ,durch keine Parlamentsmehrheit und keine Besatzungsmacht nehmen lassen'" (Otto 1971: 76). An anderer Stelle betonte Süsterhenn, daß "das Grundgesetz ,an der geschichtlichen Tatsache der Existenz der Kirchen' nicht schweigend vorübergehen könne, denen das Gemeinschaftsleben im Staat lasse sich, ,rein geschichtlich und kulturell betrachtet, von der Tatsache des Christentums nicht loslösen'" (Otto 1971: 79). Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlamentarischen Rat - das Elternrechts in seiner weitreichenden Form wurde von der SPD, KPD und der FDP abgelehnt - fand ein zähes Ringen seitens der CDU/CSU, des Zentrums und der DP um die Rechte der Kirchen statt. Schließlich schlugen die Vertreter der FDP vor, die entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung für weiterhin gültig zu erklären. Dieser Vorschlag fand die Unterstützung von CDU/CSU, Zentrum, DP und FDP sowie in dritter Lesung auch jene der SPD. Für die einschlägige Fragestellung ist es jedoch interessant zu bemerken, daß im Parlamentarischen Rat der Artikel 4 des späteren Grundgesetzes unstrittig war, das heißt, daß die sich aus der Religionsfreiheit logisch ergebende Neutralität des Staates in religiös-weltanschaulichen Fragen in dieser

5.2 Integration qua Werte

123

Form von den Mitgliedern des parlamentarischen Rates so nicht antizipiert wurde (vgl. Sörgel 1985: 177). Gleichwohl ergibt sich eine interessante Parallele zum Kruzifixbeschluß dahingehend, daß die katholischen Bischöfe "am Tage der Verkündung des Grundgesetzes feststellten, daß die christliche Bevölkerung seine Änderungsbestreben müßte" (Feldkamp 1998: 117). Neu ist der Konflikt über das Verhältnis von Kirche und Staat für die Bundesrepublik also bei weitem nicht; vielmehr finden sich bereits in der Diskussion des Elternrechts, der konfessionellen Gebundenheit der Schulen sowie dem Wunsch, die Bundesrepublik in die christliche Tradition zu stellen, fast alle Argumente, die auch der Kruzifix-Debatte artikuliert wurden. Mit diesem kurzen Abriß der kontroversen Diskussionen im Parlamentarischen Rat ist die eingangs artikulierte Frage, ob das Urteil quasi aus heiterem Himmel kam oder sich in eine entsprechende Traditionslinie der Rechtsprechung stellt, jedoch bestenfalls erst zur Hälfte beantwortet. Es fehlt ein knapper Blick auf die Tradition der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in diesen Fragen. Zur Debatte steht, ob die Kritiker des Urteils recht haben mit ihrer Behauptung, daß der Kruzifixbeschluß einen Bruch mit der bisher üblichen Rechtsprechungspraxis darstellt (vgl. u. a. Lerche 1995). An dieser Stelle kann kein juristischer Diskurs über diese These geführt werden, gleichwohl soll der Versuch unternommen werden, Traditionslinien aufzuzeigen. Einschlägig für den Kruzifixbeschluß ist der Beschluß des ersten Senates vom 17. Juli 1973 über Kruzifixe in Gerichtssälen. Bereits hier urteilte das BVerfG, daß sich ein jüdisch-israelischer Anwalt in seinem Grundrecht aus Artikel 4 Abs. I GG verletzt fühlen kann, wenn er in einem Gerichtssaal mit einem Kreuz als Schwurgegenstand konfrontiert wird. Auch ist hier bereits die später im Kruzifixbeschluß heftig kritisierte Formel "unter dem Kreuz" (einen Rechtsstreit führenllernen) zu finden. Begründet wurde in diesem Urteil auch bereits die sehr strikte Interpretation, bzw. das sehr dogmatische Verständnis des Kreuzes als zentrales christliches Symbol: "Denn das Kreuz als Sinnbild des Leidens und der Herrschaft Christi gilt von alters her als symbolischer Inbegriff des christlichen Glaubens" (BVerfGE 35, 374). Daher kann die Anbringung von Kreuzen in Gerichtssälen zur Annahme verleiten, daß der Staat sich besonders mit der christlichen Religion identifiziert, was dem staatlichen Neutralitätsgebot widerspricht. Einschlägig ist darüber hinaus auch die Verfassungsrechtsprechung über die zulässigen Schulformen in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Bereits am 17. Dezember 1975 entschied das BVerfG (BVerfGE 41, 65-88) über die Verfassungskonformität der Schulartikel der bayerischen Verfassung und zwar positiv. Hierin sehen viele Kritiker des Kruzifixbeschlusses den größten Bruch innerhalb der Tradition der Verfassungsrechtsprechung. Sie vergessen hierbei jedoch den vom Verfassungsge-

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

richt gemachten Vorbehalt, daß die Schulartikel nur bei "verfassungskonformer Auslegung" den Test der Verfassungskonformität passieren. Diese kurze Skizzierung mag ausreichen, um den Neuigkeitswert des Kruzifixbeschlusses in Frage zu stellen. Die in dem Urteil artikulierten Argumente besitzen vielmehr eine lange Traditionslinie; die Problematik des Verhältnisses zwischen der politischen Ordnungsidee Neutralität und einer stärker religiös christlich inspirierten Ordnungsvorstellung geht bis auf die Beratungen im Parlamentarischen Rat zurück.

5.2.4 Integration durch Konsens? Integration durch Konflikt? Wertvermittelte Einheit und einheitsgefährdende Grundrechte? Einige empirische Betrachtungen Der Kruzifix-Beschluß hat in den Medien wie in der Politik hohe Wellen geschlagen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. 147 Die Hauptstränge der Kritik lassen sich grob in zwei Richtungen zusammenfassen: Zum einen wird dem Bundesverfassungsgericht Kompetenzüberschreitung attestiert, da die juristisch nicht klärbare Frage des religiösen Symbolgehaltes des Kreuzes rechtlich geklärt wurde. So hat Jürgen Busche in der Süddeutschen Zeitung vom 11.8.95 die Kompetenz der Richter massiv angezweifelt: "Das Unfaßbare an diesem Urteil ist der Mangel an formaler Bildung, der bei diesen Juristen erkennbar wird. (... ) Doch auch wenn man die Richter für überfordert hält, Operationen schon der einfachen Denkschule zu bewältigen, und geneigt ist, eher die Juristenausbildung zu beklagen als die Juristen, so wäre doch hier schon durch bloßes Starren auf das Grundgesetz der Fall anders zu entscheiden gewesen" (Busche, in: SZ vom 11.8.1995). Dem steht exemplarisch für einige andere die kritische Würdigung durch Czermak gegenüber: "Der (... ) Beschluß (... ) enthält gewisse ( ... ) Ungeschicklichkeiten und läßt natürlich zwangsläufig auch bei grundsätzlicher Zustimmung Wünsche offen. (... ) Die Entscheidungsbegründung ist ein klares und (... ) widerspruchsfreies Dokument. Darüber hinaus ist sie in ihrem - freilich etwas knapp geratenen - religionsrechtlichen Kemteil (C II 1-3) in einer vorbildlich allgemeinverständlichen, schnörkellos-schlichten Sprache abgefaßt, was in der öffentlichen Diskussion leider nicht honoriert wurde" (Czermak 1995: 3349). Obwohl keine juristische Bewertung der Urteilsbegründung geliefert werden soll, erscheint es doch notwendig darauf hinzuweisen, daß die Kon147 Vgl. für einen Überblick Frankenberg (1996) sowie Reissenberger (1997). Diese Diskussion wurde probiert zu dokumentieren. Einen Überblick über die intensive Berichterstattung liefert die Literaturliste im Anhang. Im folgenden werde ich mich auf diese Diskussion exemplarisch beziehen.

5.2 Integration qua Werte

125

struktion des verfassungsrechtlichen Problems - die Bewertung der religiösen Symbolik des Kreuzes - selbst schwierig ist. So erscheinen diejenigen Argumente, nach denen ein Kreuz einen appellativen Charakter besitzt und damit mit Art. 4 I GG nicht vereinbar ist, zumindest ambivalent. Hätten nicht alternative Argumentationsstrategien existiert, die die Akzeptanz des Urteils aufgrund höherer interner Plausibilität verbessert hätten? Diese existieren, doch besitzen sie hinsichtlich der unbedingten Gültigkeit der Grundrechte einen problematischen Charakter. Hierauf soll jedoch erst im Anschluß an die Diskussion des Toleranzarguments eingegangen werden. Die zweite Hauptrichtung der öffentlichen Kritik betont, daß der Glaube konstitutiv für die ethische Selbstfindung ist, und zwar individuell wie auch kollektiv. Diese Werte anzugreifen würde bedeuten, zugleich auch die ethische Gemeinschaft zu korrodieren. Die Reaktionen auf das Urteil haben zum einen gezeigt, daß die Religion immer noch ein primäres Medium ethischer Selbstbeschreibung und kollektiver Identität ist. Zum anderen gibt es ein Gefalle zwischen dem eher säkularen Norden und dem kirchlich noch stärker geprägten Süden. Ohne gängige Stereotypen kolportieren zu wollen, scheint Religion in Bayern die gesellschaftliche Kohäsion nachhaltig positiv zu beeinflussen. 148 Religion ist ein Medium ethischer Selbstfindung und -beschreibung. Eine Gemeinschaft, die sich primär ethisch-sozial integriert, ist eine exkludierende Gemeinschaft für die nicht-religiös empfindenden Gesellschaftsmitglieder. Das Gebot der staatlichen Neutralität in religiösen Fragen ist ein moralisches Grundrecht, das in seinem universalistischen Charakter eigentlich integrativen und inklusorischen Charakter besitzen müßte. Der Kruzifix-Beschluß verdeutlicht jedoch, daß Grundrechte und ethische Selbstfindung in einem rivalisierenden Verhältnis stehen können, wenn das Grundrecht die Konstitutionsbedingungen der ethischen Gemeinschaft in Frage stellt. Daher erscheint aus der Sicht der ethischen Gemeinschaft die unbedingte Geltung der Grundrechte eher zweifelhaft. Wie kann - so ist häufig gefragt worden - das Bundesverfassungsgericht aufgrund der Klage eines einzelnen die religiöse Symbolik der ethischen Gemeinschaft als verfassungswidrig brandmarken? Das Kronargument der Urteilsgegner beruft sich dabei auf den - wie Bobbio es bezeichnet hat - prozeduralen Kern der Idee von Demokratie, nämlich das Mehrheitsprinzip.149 Wie kann 148 Dies wird u. a. in einer Bildunterschrift zu einem Artikel von Theo Waigel im Bayern-Kurier vom 19.8.1995 deutlich: Dort wird dem Urteil attestiert, daß es ,,( ... ) die Menschen nicht nur [aber vor allem, O.S.] mehr empört als irgendein Ereignis der letzten Jahre sonst". Ähnlich auch die Presseerklärung des Katholischen Büros, die in dem Urteil einen "Angriff auf die christliche Prägung Bayerns" sieht (zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 11.8.95). 149 So Theo Waigel im Bayern-Kurier vom 19.8.1995: "Hans Meier hat zu Recht betont, durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts würden wegen der Beschwerde eines einzigen Ehepaares Hunderttausende Eltern entmündigt, obgleich

126

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

der Wille der demokratisch verfaßten Mehrheit, der seinen Ausdruck in der bayerischen Landesverfassung findet, durch eine Minderheit durchbrochen werden? Muß angesichts einer solchen Situation nicht das Toleranzprinzip dergestalt gelten, daß die Minderheit, die sich in ihrem Grundrecht auf negative Glaubensfreiheit eingeschränkt sieht, sich in ihrem Pochen auf das Grundrecht zurücknimmt?150 Sonst würde ja die faktische Mehrheit, die sich zum christlichen Glauben affirmativ bekennen will, zu einer Minderheit qua Verfassungsrechtsprechung, da sie ihre ethischen Präferenzen nicht mehr politisch realisieren kann. Es sind also zwei problematische Spannungsverhältnisse zu konstatieren: jenes zwischen demokratischer Mehrheit und individuellem Grundrecht und jenes zwischen unterschiedlichen Toleranzverständnissen. Das Argument, daß Grundrechte gegen demokratische Mehrheiten ausgespielt werden können, verkennt den konstitutiven Charakter von Grundrechten: "Die Einsicht, daß das demokratische Mehrheitsprinzip für individuelle Grundrechte nicht gilt, sondern daß Grundrechte, abgesehen von echten Kollisionen, niemals majorisiert werden dürfen - ein Kernbestandteil unseres Grundrechtesystems - scheint weithin unbekannt" (Czermak 1995: 3351). Grundrechte sind unteilbar und beanspruchen unbedingte Gültigkeit. Es kann daher kein trade-off zwischen Grundrechten und demokratischen Mehrheitspräferenzen bestehen. Es wurde bereits angedeutet, daß alternative Argumentationsstrategien bestehen, die nicht zentral auf einer Interpretation des religiös-symbolischen Gehaltes des Kreuzes basieren. Ein solcher Vorschlag ist von Link vorgebracht worden. Er plädiert für eine Suspendierung der abstrakten Normkontrolle auf der Ebene der Glaubensfreiheit: "Hier kann die bei derartigen Normkollisionen gebotene Abwägung im Einzelfall einen Vorrang des Grundrechtschutzes begründen, dann nämlich, wenn ein >Lernen unter dem Kreuz< wegen dessen >appellativen Funktion als unzumutbar empfunden wird" (Link 1995: 3356).151 Was zunächst den Anschein eines mit den Geboten von Toleranz und Gerechtigkeit im Einklang stehenden Vorschlages hat, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine Büchse der Pandora, die das Bundesverfassungsgericht zum Glück und Schutze der Idee von die christliche Schule in Bayern seit den sechziger Jahren (... ) gesetzlich verankert sei". ISO SO der CSU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Alois Gluck, der nicht sieht, daß "die für öffentliche Gebäude notwendige· Toleranz verletzt wird" (zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 11.8.95). ISI Ähnlich argumentiert auch Lerche (1995: 34), der probiert, die vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigte Traditionslinie in der Rechtsprechung als kontrafaktisches Konstrukt bloßzustellen: ,,Dort, aber auch nur dort, bei plausibel gemachter wirklicher Unzumutbarkeit - also ganz ausnahmsweise -, greife die Berufung auf das Grundrecht der Glaubensfreiheit des Andersdenkenden durch".

5.2 Integration qua Werte

127

Rechtsstaatlichkeit nicht geöffnet hat. Der Vorschlag schränkt die unbedingte Gültigkeit des Grundrechtes nämlich auf eine konditionale Gültigkeit dergestalt ein, daß ein subjektives Maß an Betroffenheit überschritten sein muß, damit der entsprechende Bürger den Schutz des Grundrechtes genießen kann. Dies wiederum öffnet jedoch Tür und Tor für eine willkürliche Rechtsprechung, die die Idee von Rechtsstaatlichkeit selbst in Frage stellt. 152 Ähnlich verhält es sich mit dem Anspruch der Toleranz. Es existieren unterschiedliche Konzepte von Toleranz, die der Idee von Gerechtigkeit sehr unterschiedlich gegenüberstehen. Die Vorstellung von Toleranz, wie sie in der Diskussion um den Kruzifix-Beschluß von der Mehrheitsposition aus vertreten wurde, repräsentiert ein aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht äußerst problematisches asymmetrisches Toleranzverhältnis. Gefordert wird nämlich von der (demokratischen) Mehrheit die Toleranz der Mehrheitswerte durch die Minderheit, und zwar in Form eines Imperatives, der keine moralische Qualität besitzt, da die Minderheit als Minderheit Toleranz zu zeigen hat. Im Gegenzug umfaßt die Toleranz der Mehrheit nur die Akzeptanz des Toleranzverhaltens der Minderheit. 153 Einem solchen asymmetrischen Toleranzverhältnis ist immer die bedingungslose und uneingeschränkte Gültigkeit der Grundrechte vorzuziehen, oder, in den Worten von Höffe (1996: 273): "Grundrechte schützen jedermann, auch Minderheiten, sogar jedes Individuum, Punkt". 154 Diese Einsicht wurde gerade von den Spitzen der CSU in Bayern nicht geteilt. 155 Daher wurde angestrebt, die Durchsetzung des Urteils einzugrenzen. Einerseits erfolgte der öffentliche Aufruf, dem Urteil nicht Folge zu IS2 Ähnlich auch Heide Pfarr. Sie vertritt die These, daß für solche Kritiker die Rechte des Einzelnen weniger zählen als die Rechte der Mehrheit. Vgl. SZ vom 11. März 1996, S. 13. m So Kurt Reumann (FAZ vom 16. August 1995): "Toleranz wird von der Mehrheit verlangt, die auf das Kreuz im Klassenzimmer verzichten soll, aber nicht von der Minderheit, die sich am Kreuz stößt". 1S4 Diese Meinung hat jedoch keine Zustimmung bei dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gefunden. Nachdem der Landtag eine veränderte Verordnung beschlossen hatte, die dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nur insofern entgegen kam, als daß bei "ernsthaften und einsehbaren Gründen" (FAZ vom 2. August 1997, S. 1) das Kreuz abgenommen werden kann, wies es eine Popularklage als unberechtigt zurück. Das Bayerische Verfassungs gerichtshof berief sich dabei vor allem auf die nicht mehr vorhandene "Unausweichlichkeit" des Kruzifixes. Roswin Finkenzeller hebt in seinem Kommentar (FAZ vom 2. August 1997, S. 1) auf das Toleranzgebot ab: "In erregten Diskussionen der Laien hat die Zumutbarkeit insofern eine Rolle gespielt, als bekennende, aber auch laue und zweifelnde Christen den Wunsch einer winzigen Minderheit, den herkömmlichen Umgang mit einem altvertrauten Gegenstand zu beeinflussen, als Zumutung empfanden. Das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs lehrt Toleranz. Auch Minderheiten müssen sie üben". Aber - so lautet mein Gegenargument - auch (oder vielleicht gerade) Minderheiten genießen den Schutz der Grundrechte.

128

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

leisten, was einen einmaligen Vorfall in der Geschichte der Verfassungsrechtsprechung der Bundesrepublik bedeutet. 156 Zum anderen wurden Diskurse über die präventive Begrenzung der Macht der Karlsruher Richter geführt. So Theo Waigel: "Eine Verfassungsdiskussion ist deshalb nötiger denn je. Dabei darf diesmal die Rolle und Funktion des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgespart bleiben. Kann weiterhin eine knappe 5:3 Mehrheit so weitreichende Entscheidungen treffen? Kann eine Richterstimme mehr oder weniger auch in Zukunft eine in Jahrzehnten gewachsene Rechtsprechung völlig aus den Angeln heben?" Theo Waigel (1995: Unsere christlichen Wurzeln bewahren. In: BK vom 19. August 1995). Ähnlich besitzt auch die rhetorische Frage Theo Waigels (1995: Unsere christlichen Wurzeln bewahren. In: BK vom 19. August 1995), ob die Richter ,,( ... ) mit dieser Entscheidung nicht auch Hand an die Wurzel ihres eigenen Gerichts gelegt haben", zwei Dimensionen: zum einen die Akzeptanz durch die Bürger, zum anderen die Motivation, die Kompetenz-Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts politisch-rechtlich einzuschränken. Aus beiden resultiert ein Bedrohungspotential für die Demokratie, wie auch Massing betont: "Kaum zu bestreiten, daß prima vista einer politischen Institution, die sich bisher höchster gesellschaftlicher Akzeptanz erfreuen durfte, dem Bundesverfassungsgericht, ebenso unerwartet wie spontan ein Loyalitäts-Gau drohte - eine Gefahrdungslage, die möglicherweise noch immer nicht ganz abgewendet ist -, der die legitimatorischen Grundlagen des bundesrepublikanischen Demokratie-Systems längerfristig durchaus in Frage stellen könnte" (Massing 1995: 721). Das Argument von Rödel/Frankenberg/Dubiel (1989), daß sich Gesellschaften über Konflikt integrieren, könnte an dieser Stelle die Bayerische Reaktion plausibilisieren. Könnte nicht die These vertreten werden, daß erst der Konflikt um die Kruzifixe eine latente ethische Gemeinschaft wieder ISS Auch Massing (1995: 727) betont: "Nicht die bayerischen Reaktionen sind daher als primäre Äußerungen fundamentalistischer Wirrköpfe zu qualifizieren, fundamentalistisch argumentiert vielmehr das Bundesverfassungsgericht selbst (... )". 156 Am Tag der Urteilsverkündung bekräftigte Edmund Stoiber, daß es auch in Zukunft die Möglichkeit geben werde, Kreuze in Klassenzimmern aufzuhängen (Ursula Knapp in der FR vom 11. August 1995). Die Welt (11. August 1997) berichtet: "Die bayerische Staatsregierung wird nach den Schulferien im September beraten, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob Schulkreuze generell entfernt und nur auf einstimmigen Wunsch der Eltern wieder anzubringen sind oder sie nur auf Antrag von Eltern entfernt werden". Zum Zeitpunkt dieser Überlegungen hatte das Bundesverfassungsgericht die Anbringung von Kruzifixen generell als verfassungswidrig verworfen. Erst später kam es zu der Konkretisierung der Entscheidungsformel durch Henschel, aus der hervorging, daß nicht alle Kreuze sofort abzunehmen sind. "Der frühere Münchener Kultusminister Hans Maier rief die Schulen des Freistaates dazu auf, den Spruch zu ignorieren" (Tagespiegel vom 14. August. 1997).

5.2 Integration qua Werte

129

reaktivierte? Daß das Urteil zugleich inklusiven - nämlich für die christlichgläubigen bayrischen Bürger - und exklusiven für die nicht-religiösen Bürger, sowohl in Bayern als auch in den restlichen Bundesländern - Charakter besaß? Anband der Analyse des Kruzifix-Beschlusses wird folgende Frage aufgeworfen: Stehen universalistische Grundrechte und gemeinschaftsstiftende ethische Werte in der Verfassungsrechtsprechung in einem rivalisierenden Verhältnis zueinander? Die bisherigen empirischen Betrachtungen legen den Schluß nahe, daß das vom politischen Liberalismus inspirierte Ideal der Neutralität, wie es in der Suprematie der Grundrechte zum Ausdruck kommt, die Bänder der ethischen Gemeinschaft zerreißen kann, ohne ein adäquates funktionales Surrogat für diese zur Verfügung zu stellen. Es ist eindeutig, daß, wie Höffe (1996: 273) betont, im KruzifixBeschluß ,,( ... ) das Mehrheitsvotum (... ) einem liberalen Demokratieverständnis zuzuordnen (... )" ist. Ob bereits anband des Kruzifix-Beschlusses sowie der beiden "Soldaten sind Mörder"-Urteile ein Paradigmenwechsel von kommunitaristisch-ethisch zu liberal-neutral konstatiert werden kann, erscheint eher fraglich. Die Reaktionen auf das Urteil haben die Intaktheit einer ethischen Gemeinschaft verdeutlicht, die sich gerade nicht in einem areligiösen, neutralen Staat aufgehoben sieht. Diese Reaktionen stellen noch kein Argument gegen das Ideal einer möglichst neutralen Verfassungsrechtsprechung dar, vielmehr kann anband der empirischen Diskurse gefragt werden, wie der Dissens, der sich in partikularistischen, exkludierenden ethischen Selbstfindungsdiskursen widerspiegelt, transformiert werden kann in einen inklusiven ethischen Selbstfindungsdiskurs, dessen Initialzündung ein moralisches (Bundesverfassungsgerichts-) Urteil sein kann. Dies gleicht dem Wunsch nach der Quadratur des Kreises, da sich - zum Schutz der Grundrechte und ihrer unbedingten Geltung - das Bundesverfassungsgericht nicht dem Druck der demokratischen Mehrheit beugen darf und zum anderen auch nicht an den ethischen Dispositionen der Bürger "vorbeientscheiden" sollte. Daraus resultiert, daß es Angebote für Ausfallbürgschaften des ethisch nicht mehr Möglichen liefern sollte. Diese Überlegungen werden in zwei Etappen präsentiert; zum einen in diesem Kapitel, zum anderen im Anschluß an die Diskussion von Habermas im nächsten Kapitel. Der öffentliche Alarmismus im Angesicht des "Kruzifix-Beschlusses" und der "Soldaten sind Mörder"-Urteile könnte als historisch einmaliger Fall des Vertrauensentzuges gewertet werden. Die aus empirischer Sicht interessante Frage lautet, ob sich die Konjunkturzyklen der kontroversen öffentlichen Thematisierung der Bundesverfassungsgerichtsurteile kausal mit den Meinungswerten, wie sie z. B. vom Institiut für Demoskopie Allensbach abgefragt werden, in Beziehung setzen lassen. Hierfür liegen Daten für den Zeitraum von 1974 bis 1995 vor. Dabei wurden, um die größeren Trends besser sichtbar werden zu lassen, aus den fünf Vertrauenska9 Schaal

130

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

tegorien vom Institiut für Demoskopie Allensbach drei gebildet. 157 Über die Jahreswerte wurde eine einfache Regression durchgeführt, die als Trendlinie in die Abbildungen integriert ist. 60 50 40

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Abbildung 2: Gute Meinung über das Bundesverfassungsgericht lS8

Es wird deutlich, daß die Einstellungen zum Bundesverfassungsgericht zwar einem zeitlichen Wandel unterliegen, der sogar kausal mit einzelnen Entscheidungen zusammenhängen könnte. Doch die generelle Linie ist eindeutig und korrespondiert gerade nicht mit der gängigen Erwartung. Generell hat sich die gute Meinung zum Verfassungsgericht seit 1974 nicht nur auf hohem Niveau gehalten, sondern ist im Trend sogar angestiegen. Damit durchbricht das Bundesverfassungsgericht einen Trend des sinkenden Vertrauens in politische Institutionen. Aus Sicht der Integrationsperformanz stimmen diese Daten positiv, da trotz eines Dissens auf der Wertebene, trotz attestiertem Vertrauens- und Ansehensverlust - und abgesehen von geringen Schwankungen nach unten, die eher kontingenten Charakter besitzen können - die Vertrauenswerte sich auf hohem Niveau befinden.

1S7 Gut setzt sich dabei zusammen aus (sehr hohe und gute Meinung), Gemischt ist teils-teils, und Schlecht besteht aus (sehr schlecht und eher schlechte Meinung). IS8 Die bei allen drei Abbildungen gestellte Frage lautete: ,,Es gibt verschiedene Ämter und Einrichtungen, die für die politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik von Bedeutung sind. Einige davon stehen auf diesen Karten. Können Sie die Karten bitte auf dieses Blatt verteilen, und zwar je nachdem, ob Sie darüber eine eher gute oder eher schlechte Meinung haben? Ämter oder Einrichtungen, die Sie nicht kennen, legen Sie bitte einfach beiseite." Die Grafik bildet nur die Antworten hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts ab. Alle Angaben in Prozent. Quelle: Allensbacher Archiv, lID-Umfragen 3010, 3022, 3036, 3051, 3063, 3090, 4031, 4061, 5010, 5095.

5.2 Integration qua Werte

131

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8i Abbildung 3: Gemischte Meinung über das Bundesverfassungsgericht .".

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Zeigen nicht gerade diese Daten die Richtigkeit der folgenden These von Vorländer (1997: 116): "Verfassungen entstehen aus dem Schoße einer Gesellschaft und versuchen auch wieder auf diese einzuwirken; sie beziehen ihre Geltung aus der gesellschaftlichen Akzeptanz, versuchen die von ihr konstituierte politische Ordnung aber auch gegen die gesellschaftliche Dynamik zu behaupten [Hervorhebung: G.S]". Daß die Implementation durchaus nicht "hinter dem Rücken der Bürger" und von ihnen weitgehend unbemerkt und unkritisch erfolgt, zeigen die Tabellen 17 und 18: 14 12 10

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Bundesverfassungsgericht l60

Da man anband einer Umfrage noch keine generalisierbaren Aussagen treffen sollte, ist nur ein Trend zu konstatieren, der im Kern intuitiv plausi159 Alle Angaben in Prozent. Quelle: Allensbacher Archiv, lID-Umfragen 3010, 3022,3036,3051,3063,3090,4031,4061,5010. 160 Alle Angaben in Prozent. Quelle: Allensbacher Archiv, lID-Umfragen 3010, 3022,3036,3051,3063,3090,4031,4061,5010,5095.

132

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

bel ist, jedoch meine moralisch anspruchsvolle Theorie der Integration erodiert. Offensichtlich haben gerade jene Bürger eine gute Meinung vom Verfassungsgericht, bei denen sich seine Rechtsprechung mit ihren Einstellungen deckt. Dies läßt sich empirisch belegen: Eine "gute Meinung" haben im Oktober 1995 nur 38 % der Befragten, 69 % davon sahen eine "Übereinstimmung der Verfassungsrichter mit der Werteordnung und Meinung der Bevölkerung". "Keine gute Meinung" hatten 1995 17 % der Befragten, von denen wiederum nur 5 % eine solche Übereinstimmung annahmen und 38 % eine "große Kluft" attestierten. 161 Die Kluft zwischen der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts und den Einstellungen der Bürger kann anhand des Kruzifix-Beschlusses noch besser verdeutlicht werden: Tabelle 17 Wertordnung der Verfassungsrichter und der Bevölkerung 162 Stimmen weitgehend überein

Ex existiert eine große Kluft

Unentschieden

33 %

33 %

33 %

Doch bevor der im Feuilleton deutscher Qualitätszeitungen erwartete Vertrauens- und Ansehensverlust des Bundesverfassungsgerichts endgültig als essayistischer Fehlschluß desavouiert wird, müssen drei Einschränkungen erwähnt werden, die einerseits aus der Datenlage und andererseits aus den interpretatorischen Grenzen empirischer Daten resultieren.

161 Die hier gestellte Frage lautete: "Haben sie von dem sogenannten KruzifixUrteil des Bundesverfassungsgerichts gehört, oder haben Sie davon noch nichts gehört?" Falls "Habe davon gehört": "Hier unterhalten sich zwei über Kruzifixe. Weiche von beiden sagt eher das, was auch sie denken?" Zustimmung: "Das Kreuz hat als Symbol keine Bedeutung mehr. Man sollte in Klassenzimmern keine Kruzifixe mehr aufhängen." Ablehnung: "Egal, wie man zum Glauben steht, das Kreuz ist ein Symbol unserer Kultur und Wertvorstellungen. Es ist nicht richtig, es aus den Schulen zu entfernen." "Unentschieden." Das Urteil war 95 % der Bevölkerung zum Befragungszeitpunkt (September 1995) bekannt. Quelle der Daten: Allensbacher Archiv, lID-Umfrage 6021. 162 Die hierzu gestellte Frage lautete: "Haben Sie den Eindruck, daß die Richter des Verfassungsgerichts mit der Wertordnung und Meinung der Bevölkerung übereinstimmen, oder gibt es da eine große Kluft?". Angaben in Prozent. Quelle: Allensbacher Archiv, lID-Umfrage 6021, Oktober 1995. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Institut für Demoskopie Allensbach, insbesondere bei Frau Petra KIoske, für die Bereitstellung der Daten bedanken.

5.2 Integration qua Werte

133

Tabelle 18 Einstellung zum Kruzifix-Beschluß l63 Richtig

Falsch

Unentschieden

22 %

54 %

24 %

(1) Zunächst enden die vorliegenden Daten zu einem Zeitpunkt, an dem die vorliegende Analyse eigentlich erst beginnt. Da der Kruzifix-Beschluß erst 1995 getroffen wurde, wären für eine Entwarnungsthese zumindest die entsprechenden Daten aus dem Jahr 1996 notwendig. (2) Eine Entwarnungsthese stützt sich maßgeblich auf die Trendlinien über den Zeitraum 1974-1995. Ein verändertes Bild ergibt sich, wenn der Beobachtungszeitraum anders eingegrenzt wird. Durchaus plausibel erscheint hierbei der Zeitraum 1983-1995, da er mit einer relevanten politischen Zäsur einsetzt. In diesem Fall sinkt die Trendlinie. Zeitgleich steigt über den gesamten Zeitraum die Zahl der "teils-teils"-Nennungen bei gleichzeitig sinkenden guten Meinungswerten. Dies könnte als Indikator für einen generellen Fahrstuhleffekt der beiden Kategorien "Gut" und "TeilsTeils" angesehen werden. Dies alles berücksichtigend, verliert die Entwarnungsthese an Überzeugungskraft, und das Integrationsproblem wird wiederum virulent. Welches sind die Gründe für das sinkende Vertrauen in eine Institution, die aus normativer Sicht Hoffnungsträger für die Integration moderner Gesellschaften sein soll? Eine Erklärung für das sinkende Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht könnte die zunehmende parteipolitische Instrumentalisierung des Gerichtes sein (vgl. Wesel 1995: 13-15). Während in den 70er Jahren die CDU als Oppositionspartei das Verfassungsgericht anrief, um Reformprojekte der SPD-FDP-Regierung zu stoppen, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß in den 90er Jahren die Regierungsparteien selber das Verfassungsgericht anrufen, um Issues, die im Routinemodus repräsentativer Politik nicht mehr lösbar sind, einer juristischen Lösung zuzuführen. Das hohe Ansehen, das das Gericht allgemein genießt, soll dabei die Implementation jener politischen Entscheidungen erleichtern, die ansonsten nur schwer implementierbar wären. Eine weitere Erklärung liefert jedoch auch das folgende - mehrstufige - Argument: Nach Inglehart (1989) und Bürklin (1992) erfolgte von 1970 bis heute eine zunehmende kognitive Mobilisierung der bundesdeutschen Bevölkerung. Damit einher ging ein Mehr an tolerierten und/oder praktizierten politischen Partizipationsformen (vgl. Barnes/Kaase 1979, Jennings/Deth et al. (eds.) 1989) Versteht man diese Ausweitung des politischen Handlungsrepertoires als eine Dimension des Demokratisierungsprozesses, so läßt sich 163

Quelle: Allensbacher Archiv, lID-Umfrage 6019.

134

5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

das sinkende Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht seit 1988 besser nachvollziehen, da das Bundesverfassungsgericht als autoritative Letztinstanz des politischen Prozesses nur indirekt durch den demokratischen Prozeß legitimiert ist. Im Verlauf einer zunehmenden kognitiven Mobilisierung der Bevölkerung einerseits und der Werthaftigkeit (oder: Konfliktträchtigkeit) der Urteile andererseits mußten die demokratischen Legitimationsdefizite sukzessive stärker ins öffentliche Bewußtsein treten. (3) Es stellt sich abschließend die methodische Frage, auf welcher Höhe sich die abgefragten Meinungen befinden. Eingangs wurde zwischen drei Vertrauensebenen differenziert: Grundgesetz-, Bundesverfassungsgerichtssowie Urteilsebene. Die Meinungsdaten sind auf den letztgenannten beiden Ebenen, vor allem auf der Urteilsebene, lokalisiert. Daher kann mit ihnen keine Aussage über das komplexe Interdependenzverhältnis zwischen den Ebenen getroffen werden. Angesichts der erklärungsbedürftigen Diskrepanz zwischen Erwartung und beobachteten Werten hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts erscheint es angebracht, die theoretischen Grundannahmen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Wir gingen davon aus, daß das Grundgesetz eine werthafte Ordnung des Politischen und Sozialen darstellt, die über die Institution des Bundesverfassungsgerichts aktualisiert wird und damit integratives Potential besitzt. Dissens auf der Wertebene, zwischen den Urteilen und deren Begründungen auf der einen und den empirisch vorfindbaren Werten innerhalb der Bevölkerung auf der anderen Seite, kann zwar abgefedert werden. Doch steht zu erwarten, daß die Abfederung um so schlechter erfolgt, je näher der kontroverse Wert am Kern des ethischen Selbstverständnisses eines Bürgers oder eines kollektiven Akteurs liegt. Betrachtet man parallel dazu die Meinungsentwicklung und die öffentlichen Kontroversen über konkrete Urteile, so erstaunt das Vertrauen nachhaltig: Dies könnte als empirischer Indikator für die Plausibilität der liberalen Präsupposition gedeutet werden, daß sich die Bürger wechselseitig als Freie und Gleiche verstehen. Diese sowohl aus demokratie- als auch aus integrationstheoretischer Sicht erfreuliche Deutung muß sich jedoch mit einer Reihe von alternativen Interpretationen auseinandersetzen, die in der zeitlichen Koinzidenz der oben ausgeführten Trends eher das Merkmal einer demokratischen Regression sehen: So konstatiert Maus (1994: 8), daß die "Resubstantialisierung" der Verfassungsnormen einhergeht mit den "Regressionen [des, G.S.] gegenwärtigen Demokratieverständnisses", welches sich darin äußert, daß- Verfassungsauslegung und Verfassungsgestaltung immer mehr eine Angelegenheit der Expertokratie werden (vgl. Maus 1994: 9; vgl. RödellFrakenberglDubiel 1989: 12-13). Römer (1989) dagegen argumentiert, daß nicht die wechselseitige Anerkennung das Dissenspotential abfedert, sondern daß die Rechtsprechungs-

5.3 Integration qua Social Capital

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praxis von vornherein so angelegt ist, daß es zu diesem Konflikt nicht kommt. Damit würde der Wunsch nach konsensueller Politik, die dem Ideal der "richtigen Politik" nahekommt, in Erfüllung gehen. Die Verfassungsrichter nehmen in dem skeptischen Szenario Römers somit die Rolle der Philosophen in Platons idealem Staat ein; nicht hinreichend demokratisch legitimiert, aber erfolgreich im Erfüllen dieses Ideals: "Es [das Bundesverfassungsgericht, G.S.] ist nicht Hüter des Grundgesetzes, sondern Hüter der rechten, der angemessenen Politik" (Römer 1989: 136). Wie anhand meiner Aufstellung kontroverser Urteile leicht gezeigt werden kann, geht die Vorstellung eines Bundesverfassungsgerichts als Superintegrationsinstanz qua richtiger Politik, die unabhängig ist von aller Parteilogik, an der Realität vorbei, und zwar in einem doppelten Sinne. Zum einen ist das Bundesverfassungsgericht weniger der Tagespolitik als den Grundrechten verpflichtet,l64 zum anderen entscheiden die Richter wie zuletzt anhand des Abstimmungsverhaltens im Urteil zu den Überhangmandaten 165 deutlich wurde - mitunter doch entlang ihrer Partei logik. Die empirischen Betrachtungen lassen immer noch relevante Fragen unbeantwortet; so bleibt das Verhältnis zwischen Volkssouveränität und Verfassungsgerichtsbarkeit generell noch klärungsbedürftig. Auch ist die Frage der institutionellen Überführung von ethis~h exklusiven in ethisch inklusive Diskurse noch weiter zu thematisieren. 5.3 Integration qua Sodal Capital Ein Theorieansatz, der Integration und Demokratie im Medium sozialer und gesellschaftlicher Modemisierung konzeptionell eng führt, ist Putnams social capital. 166 Die Beschäftigung mit Putnam erscheint instruktiv, da sein Rezeptionserfolg zeigt, daß ein - nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch lebensweltlicher - Resonanzboden für die These existiert, daß Prozesse der Desintegration zur Erodierung der Fundamente von Demokratie beitragen. Meine These lautet, daß Putnam Diskurse führt, die im Kern zentrale Bestandteile von Demokratietheorie sind, er diese jedoch nicht hinreichend in dem entsprechenden Diskurskontext verortet. In der folgenden Rekonstruktion möchte ich daher zunächst den kausalen Zusammenhang zwischen social capital und Integration herausarbeiten. In einem zweiten

164 Dies betont die Verfassungsrichterin Jutta Limbach: ..Es kommt nicht von ungefahr, daß sich das Bundesverfassungsgericht noch nie Rat bei der Demoskopie geholt hat" (in: SZ vom 5. Juli 1996, S. 5). 165 BVerfGE, 2 BvF 1/95 (Überhangmandate 11). 166 Dieses Konzept wurde von Putnam (1993) maßgeblich in seinem Buch ..Making Democracy Work" ausgeführt.

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Schritt möchte ich mit Putnam die Verbindung zwischen Qualität der Integration und Qualität der demokratischen Performanz verdeutlichen. Spätestens seit Hobbes stellt die Frage, wie individuell zweckrationales Handeln zugunsten kollektivem Handeins überwunden werden kann, einen Gravitationspunkt der politischen Theorie dar. Die Antwort, die Hobbes auf diese Frage gegeben hat, ist hinreichend bekannt: Der Krieg aller gegen alle im Naturzustand - und damit die Unmöglichkeit kollektiven Handeins mit der Intention der Produktion kollektiver Güter - wird aufgehoben durch die Übertragung des Gewaltmonopols auf den Staat in der Erscheinungsform des absoluten Souveräns. Hinsichtlich der Individuen im Naturzustand wurde von Hobbes implizit zweierlei vorausgesetzt: zum einen der faktische Wunsch nach Produktion der Kollektivgüter "Sicherheit" und "Frieden", zum anderen die faktische Unfähigkeit, ihn ohne die Übertragung von (sanktionsfähiger) Autorität auf einen (unparteiischen) Dritten zu realisieren. Noch ohne die komplexen mathematischen Modelle späterer RationalChoice-Theorien basieren die Hobbesschen Überlegungen auf einer Theorie des methodologischen Individualismus, des Homo Ökonomicus, der zwar lokal (d. h. individuell), nicht jedoch global (d. h. kollektiv) nutzenmaximierend ist (vgl. Elster 1987, 1989). Mit diesem ontologischen Pessimismus korrespondiert ein Mangel an Venrauen und reziproken Normen seitens der Akteure im heuristisch fiktiven Naturzustand. Es mangelt den hypothetischen Individuen an - um in der aktuellen Diktion der Sozialwissenschaften zu bleiben - social capital, um eine freerider Situation zu überwinden. Das Konzept des social capital gewinnt innerhalb der Politikwissenschaft/Soziologie als Analyse- und Erklärungsinstrument sozialer Interaktionen zunehmend an Bedeutung, wobei sich eine einheitliche Konzeptionalisierung bisher noch nicht herauskristallisiert hat. Daher möchte ich zunächst das Konzept des social capital konzeptionell einführen, wobei zwei große theoretische Konzeptionalisierungslinien zu differenzieren sind: a) der kontinentaleuropäisch-soziologische von P. Bourdieu (1991, 1992) sowie b) der von Rational-Choice inspirierte und in der Tradition der politischen Ökonomie stehende Ansatz von Coleman (1990). Dominant in der aktuellen Diskussion ist letztere Theorievariante, um die ich daher die folgenden Ausführen zentrieren werde. 167 167 Zu dieser Differenzierung sind einige Anmerkungen notwendig. Zunächst gilt die konstatierte Dominanz des social capital Ansatzes von Coleman vor allem für die anglo-amerikanische Diskussion. In der kontinentaIeuropäischen scheint der Ansatz von Bourdieu weite Beachtung gefunden zu haben. Wenn in der Differenzierung das Konzept von Putnam nicht explizit genannt wird, so geschah dies nicht aus Nachlässigkeit. Putnam lehnt sich zwar terminologisch eng an Coleman an, beide besitzen jedoch inkompatible Fragestellungen. Während sich Coleman primär mit der Frage beschäftigt, wie die "tragedy of the commons", das logic of collective action Problem im Bezugsfeld eines Rational-Choice Paradigmas zu lösen ist, stellt

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Social capital besitzt den Doppelcharakter eines Analyse- und Erklärungsinstruments, jedoch mit eklektischer theoretischer Grundausrichtung: "Social capital is defined by its function. It is not a single entity, but a variety of different entities having two characteristics in common: They all consist of some aspect of a special structure, and facilitate certain actions of individuals who are within the structure. Like other forms of capital, social capital is productive, making possible the achievement of certain ends that would not be attainable in its absense. (... ) Social capital inheres in the structure of relations between persons and among persons. It is lodged neither in individuals nor in physical implements of production" (Coleman 1990: 302). Social capital erhöht die Möglic~eit der Realisierung individueller Interessen individueller Akteure und stellt somit eine Überwindungsstrategie des berühmten logic 01 collective action Dilemma (Olson 1968) bei der Produktion von öffentlichen Gütern dar. 168 Dabei bindet Coleman das Konzept noch nicht an eine bestimmte - normativ ausgezeichnete - Vorstellung einer politischen Ordnung; genau genommen kann Coleman sogar den politischen Bereich ausblenden. Im Zuge der Diskussion Putnams wird der Bereich des Politischen wieder integriert. Zwei Fragen werden im Anschluß an diese generellen Überlegung aufgeworfen: Welche substantiellen Formen von social capital existieren und wie werden sie produziert? Die Frage nach den substantiellen Formen ist direkt mit jener verbunden, warum soziale Kooperation ohne social capital nicht realisiert wird. Greift man den ontologischen Pessimismus des methodologisehen Individualismus auf, so ist die Orientierung auf kollektive Ziele hin a priori unwahrscheinlich. Schwächt man den Pessimismus zugunsten einer Idee des Nicht-Ausgebeutet-Werden-Wollens ab, so resultieren kollektive Handlungsprobleme aus lnlormationsproblemen sowie aus fehlenden Sanktionspotentialen. Ein Beispiel soll dies illustrieren: Auf drei Farmen wird in zeitlich knappen Abstand Weizen reif, so daß er geerntet werden muß. Angesichts der Größe der Farmen ist jeder einzelne Bauer nicht in der Lage, seine Felder komplett zu mähen, bevor nicht ein Teil der Ernte verrottet. Aufgrund des zeitlichen Abstandes der Reifung wäre es den anderen Farmern terminlieh durchaus möglich, dem ersten beizustehen, so daß dieser die gesamte Ernte einfahren könnte. Wenn man davon ausgeht, daß zwischen den Farmern kein freundschaftliches Band besteht, wie wahrscheinlich ist es, daß die wechselseitige Hilfe geleistet wird? Welches sind sich Putnam die Frage, "how to make democracy work". In die Überlegungen Putnams gehen durch diese Weichen stellung eine Reihe von normativen Vorentscheidungen ein, die er in ihrem normativen Gehalt nicht explizit diskutiert. Gerade diese Leistung soll in der folgenden Diskussion erbracht werden. 168 Vgl. hierfür Coleman/Fararo (1992), Mueller (1989), Keller (1988), Elster (1986 a) sowie Olson (1968).

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die Faktoren, die dafür bzw. dagegen sprechen? Dagegen spricht das Argument, daß der erste Farmer, nachdem ihm geholfen wurde, kein Interesse daran hat, den anderen bei den bei ihrer Feldarbeit zu helfen. Diese benefits without cost Mentalität könnten die anderen beiden antizipieren und ihr Hilfsangebot im Vorfeld zurückziehen. Die Situation scheint verfahren; sie ist es auch so lange, wie entweder keine verläßliche Infonnation über die Hilfsbereitschaft des ersten Farmers vorliegt oder kein Sanktionspotential für die verbliebenen Farmer besteht, Kooperationsverweigerung des ersten Farmers zu bestrafen. Die Fonn der Sanktion ist in unserem Kontext argumentationslogisch relevant: Stellen wir uns vor, daß die Farmer Einsicht in ihre eigene egoistische Schwäche besitzen und sich selbst gegen diese binden wollen, indem sie einem Gesetz auf dem Weg helfen, daß diese Fonn gegenseitigen Unterstüzung bei der Ernte rechtlich einklagbar macht. 169 Mit diesem Schritt wird zwar die Realisierung individueller Präferenzen ennöglicht, gleichzeitig verändert sich jedoch der Charakter der sozialen Entität: Sie wird von einer Gemeinschaft zu einer rechtlich verfaßten Gesellschaft (im Sinne Tönnies 1887). Die Kooperationsprobleme sind damit nur punktuell - nicht aber generalisiert - gelöst. Die zunehmende Verrechtlichung sozialer Interaktionen bringt jedoch eine Reihe von Problernern mit sich. Zunächst sind der Verrechtlichung Grenzen sowohl in der Verarbeitungskapazität des politischen als auch des juristischen Systems gesetzt. Darüber hinaus schränkt die zunehmende Verrechtlichung sozialer Interaktionen die private Autonomie der Bürger ein und muß aus liberaler Sicht als problematischer Lösungsansatz angesehen werden. Nachdem sich die Verrechtlichung sozialer Kooperation als ambivalent erwiesen hat, ruhen die Hoffnungen auf dem Infonnationsargument. Im Rekurs auf dieses Argument wird deutlich, wie artifiziell das gewählte Beispiel ist, da der soziale Interaktionszeitraum extrem begrenzt ist: Natürlich ließe sich eine Situation vorstellen, in der die drei Farmer nur einmal aufeinander eingewiesen sind; in der Regel jedoch stellt sich die beschriebene Situation jedes Jahr zur Erntezeit erneut ein, so daß - über die Jahre quasi beiläufig Infonnationen über das Kooperationsverhalten der anderen gesammelt werden kann. Iterative Spielsituationen - so hat Axelrod (1984) gezeigt - ennöglichen Kooperationen zwischen ansonsten nutzenmaximierenden Akteuren, da sie a) nicht-kooperatives Verhalten sanktionsfähig machen und b) Infonnationen über die kooperative Verläßlichkeit der Mitspieler quasi en passent bereitstellen. Social capital bezeichnet die spezifische Qualität eines sozialen Interaktionszusammenhanges. Gleichzeitig ist es innerhalb des Interaktionszusam169 Dieses Argument schließt sich an die Studien über die Grenzen der Rationalität von Elster (1987) sowie an die Studien von Elster (1994) und Buchstein (1994) an, die Verfassungen als rationale Selbstbindung verstehen.

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menhanges angesiedelt und anders als die anderen bei den Arten von Kapitel (Physisches und Humankapital) nicht im Besitz von einzelnen Akteuren; vielmehr ist social capital selbst ein public good - woraus wiederum Produktionsschwierigkeiten resultieren, auf die ich an späterer Stelle noch eingehen werde. Als Synthesekategorie verbindet social capital zwei Beschreibungsdimensionen: zum einen enthält es Informationen über die kooperative Verläßlichkeit von Akteuren - d. h. es leistet Orientierungsfunktion in Vertrauensfragen -, zum anderen beschreibt es die Dichte von Kommunikationsnetzwerken, über die Sanktionsdrohungen gegen unkooperatives Verhalten realisiert werden können. Putnam verschiebt den Fokus diese Analyse- und Erklärungsinstruments definitorisch ins Normative - " ... [F]eatures of social organization such as networks, norms, and social trust that facilitate coordination and cooperation for mutual benefit" (1995: 67) - und koppelt es explizit an eine spezifische Vorstellung einer guten Gesellschaft: ,.social capital here refers to features of social organizations, such as trust, norms, and networks, that can improve the efficiency of society by facilitating coordinated actions" (Putnam 1993: 167).170 Mit seiner definitorischen Prioritätsverlagerung ruft Putnam in Erinnerung, daß kooperatives Verhalten im Bezugssystem eines politischen Systems erfolgt, das spezifische kooperative Leistungen aus normativer Sicht prämiert und andere wiederum zurückstellt. Es geht, mit anderen Worten, nicht um das schiere Handeln von Individuen, sondern um spezifische Qualitäten ihres Handeins. Demokratie - und dies ist eine normative Setzung - stellt spezifische Zumutungen an den Akteur, der erst durch ihre Erfüllung zum Bürger im normativ aufgeladenen Sinne wird. Nicht allein das askriptive Verleihen von Rechten, sondern die Handlungsausrichtung an den normativen Funktionszumutungen von Demokratie läßt einen Akteur zu einem Bürger werden. Ohne diese Verschiebung hin zu einer Konzeption des Bürgers, die über eine Nutzenmaximierung hinausgeht, ist die Frage nach den motivationalen Ressourcen kollektiven Handelns auch nicht zu beantworten. l7l Putnam argumentiert in einem Dreischritt: Er geht zunächst von der Existenz von social capital aus und postuliert im nächsten Schritt, daß die spezifische Qualität des social capital die "norms and networks of civic engagement" beeinflußt. Im Rekurs auf Alexis de Tocqueville sieht Putnam im civic engagement eine Determinante 170 Ähnlich auch Putnam (1995 b: 665): "Social capital, in short, refers to social connections and the attendant norms and trust". 171 So Baker 1989: 515: "The widespread notion that communities should justify obligation, that they need to establish the legitimacy of law, also implies that people are something more than interest maximizers. If mere interest maximiziers, only being obliged, not obligation, is relevant. The most the state can do is show that it is in the actor's interest to follow the legal requierement. But this Hobbesian premise does not work".

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der Performanz sowohl der Regierung, der sozialen Institutionen sowie des gesamten öffentlichen Lebens. Letztlich wird jedoch nicht nur die Performanz des Regierungshandelns durch das social capital beeinflußt; wie der Titel "Making Democracy Work" schon andeutet, geht Putnam den entscheidenden Schritt weiter und vertritt die These, daß auch die demokratische Performanz eines politischen Systems vom social capital abhängig ist, woraus wiederum maßgeblich die Qualität einer civil society bestimmt wird. Diese These versuchte Putnam anhand einer Regionalstudie Italiens zu erhärten; inzwischen dehnt er sie systematisch auf andere westliche Demokratien aus; berühmt geworden sind die einsamen amerikanischen Bowler (Putnam 1995). Im folgenden soll keine allgemeine oder forschungstheoretische Kritik des Buches "Making Democracy Work" geleisten werden, diese Aufgabe ist seit dem Erscheinen 1993 von etlichen Autoren bereits realisiert worden (vgl. Newton 1997, Cusac 1996, Tarrow 1996, Sabetti 1996, Foley/ Edwards 1996). Mein Ziel ist es vielmehr, die analytischen Kategorien Putnams in ihren demokratietheoretischen Kontext zurückzuführen, um so die analytische Präzision zu erhöhen. Daher beschränkt sich die Rekonstruktion des Putnam'schen Arguments auf jene Bereiche, die für die systematische Transferleistung relevant sind. Putnam adressiert das Problem der Interdependenz der Traditionskultur von civic engagement auf der einen und dem individuellen politischen Handeln auf der anderen Seite. Beobachtungsgegenstand war Italien; dort wurde 1970 eine Umstrukturierung der föderalen politischen Institutionen implementiert. Daher ist die politisch-institutionelle Infrastruktur innerhalb Italiens heute formal-rechtlich identisch; trotzdem ergeben sich gravierende Unterschiede hinsichtlich der policy performance zwischen Nord- und Süditalien, wobei der Norden eine bessere policy performance besitzt als der Süden. l72 Als erklärende Variable für die Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der ansonsten institutionell identischen regionalen politischen Systeme führt Putnam unterschiedliche Intensitäten des Engagements in Assoziationen und assoziativen Netzwerken (civic involvement) ein. Die Intensität des civic involvements ist dabei abhängig von der spezifischen Qualität und Quantität des social capital. Die historische Erklärung führt Putnam zurück in das Italien des 11. Jahrhunderts; diese Erklärungsstrategie 172 An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, daß die Prägnanz der Aussagen von Putnam vor allem auf einer rigorosen Komplexitätsreduktion und der konzeptionellen Zusammenfassung dessen beruht, was im Kern disparat ist. Die "Mega"-Kategorie socia! capita! erklärt die ,,Mega"-Kategorie policy performance. Diese Mega-Kategorien sind intern fragil und empirisch aufgrund von Aggregationsproblemen durchaus kritisch zu betrachten; obwohl dies natürlich auch für das in dieser Arbeit benutzte Konzept der demokratischen Performanz gelten könnte.

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auf ihre historische Validität hin zu überprüfen ist Aufgabe der Geschichtswissenschaft - hier interessieren die aktuell existierenden sozialen Interaktionsnetzwerke. Putnam vertritt die These, daß die spezifische Qualität sozialer Netzwerke in dem Modus ihrer hierarchischen Strukturierung liegt. Im Süden entwickelten sich patronage-Systeme, d. h. soziale Interaktionssysteme, die primär vertikal hierarchisch, vermittelt über die Person des Patres, konstituiert sind. Vertrauen und das Prinzip der mutual reciprocity konnten sich daher nicht innerhalb der Bürgerschaft entfalten, sondern - wenn überhaupt - im direkten Verhältnis zum Patres. Die normative Idee einer zivilen Gesellschaft (civil society), die hohe Zumutungen an die moralischen Qualitäten der Bürger stellen muß, kann in diesen hierarchisch strukturierten sozialen Netzwerken keinen adäquaten Resonanzboden finden: "Collaboration, mutual assistance, civic obligation, and even trust ( ... ) were the distinguishing features of the North. The chief virtue in the South, by contrast, was the imposition of hierarchy and order on latent anarchy" (Putnam 1993: 130). Im Gegensatz zum Süden haben sich im Norden durch ursprünglich kontingente historische Faktoren primäre horizontale Interaktionsnetzwerke ausbilden können: "Collective life in the civic regions is eased by the expectation that others will probably follow the rules. Knowing that others will, you are more likely to go along, too, thus fulfilling their expectations" (Putnam 1993: 11). Die explizite These Putnams lautet, daß policy performance auf eine entgegenkommende politische Kultur angewiesen ist; diese Idee fundiert er in einer normativen Konzeption von civil society. In seinen neueren Arbeiten erfolgt eine Modifikation der Qualitätskriterien sozialer Netzwerke; war es in der Italienstudie noch die spezifische, horizontale Ausrichtung sozialer Netzwerke, die Putnam als Garanten erfolgreicher policy performance ansah, so bringt er in späteren Arbeiten die Dichte des assoziativen Lebens in argumentativen Anschlag, ohne dabei jedoch ihre strukturelle Ausrichtung aus den Augen zu verlieren. Doch selbst Putnam kommt ohne die Annahme einer moralischen Imprägnierung der Bürger nicht aus; er muß dort, wo civil engagement erfolgreich ist, unhinterfragt davon ausgehen, daß die Bürger die Metapräferenz besitzen, gut sein zu wollen. 173 Im nächsten Schritt wende ich mich der für unsere Fragestellung relevanteren Problemdiagnose der zeitgenössischen amerikanischen Demokratie zu. Diese erfolgt zweistufig; im ersten Argumenationsschritt konstatiert Putnam, daß "by almost every measure, Americans' direct engagement in politics and government has fallen steadily and sharply over the last genera173 Hierzu Baker (1989: 516): "As a common, why not poach? In part, the answer is that poaching denies the poacher's identity, at least to the extent that the public good quality of the legal order partially constitutes her identity".

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tion" (Putnam 1995: 68). Diese isolierte Problemdiagnose besitzt jedoch noch kein demokratietheoretisches Sprengpotential, könnte doch die These vertreten werden, daß partizipatorischer Aktionismus nur vordergründig positiv mit demokratischen Tugenden und Idealen korrespondiert. 174 Aus demokratietheoretischer Sicht problematisch wird dieses empirische Datum erst, wenn der zweite normative Argumentationsschritt ausgeführt wird: ,,social trust and civic engagement are strongly correlated; the greater the density of associational membership in a society, the more trusting its citizens" (Putnam 1995: 73). Je dichter die Netzwerke des associational membership sind, desto besser realisiert wird die Idee der civic community, desto besser ist die policy performance, desto besser ist die demokratische Performanz und schließlich das Leben als Bürger generell. Nach dieser argumentativen Tour de force sollten wir uns die Zeit nehmen, zunächst die Problemdiagnose näher zu betrachten. Danach erscheint es notwendig, die impliziten normativen Kriterien der positiven Korrelation zwischen civic community, civic engagment, Demokratie und Performanz näher zu betrachten. Putnam hängt seine These empirisch an den sinkenden Mitgliederzahlen der "klassischen" assoziativen Vereinigungen auf; für die USA sind dies u. a. - die Pfadfinder, die PT A (Parent-Teacher-Association), Bowling-Vereine etc. Gerade die Bowler haben eine fragwürdige theoretische Prominenz erfahren: Nicht, daß Amerikaner weniger bowlen, als sie dies früher taten, sie tun dies in verstärktem Maße alleine und nicht mehr in Vereinen. Die einsamen Bowler "illustrate yet another vanishing form of social capital" (Putnam 1995: 70). Die für Putnam relevanten Assoziationen sind sekundäre Assoziation. Ihre definitorischen Spezifika sind von Putnarn jedoch sehr vage gefaßt; implizit scheinen es spezifische Wertvorstellungen zu sein, die sie auszeichnen: es sind Assoziationen, die dem Gemeinsamen, dem Gemeinschaftlichen einen prominenten Ort geben. Die Interaktion innerhalb der sekundären Assoziation erfolgt direkt, kommunikativ und horizontal. Dieser Konzeptionalisierung werden tertiäre Assoziationen gegenübergestellt; sie stellen quasi das konzeptionelle Sammelbecken gegen 174 Diese Argumentationslinie besitzt einen prominenten Ort innerhalb einer eher gemäßigt elitistischen Demokratietheorie. Sie rekurriert dabei auf zwei aus emphatisch normativer demokratietheoretischer Sicht kontraintuitive historische Ereignisse: Die Beteiligung d(;r amerikanischen Bevölkerung bei Präsidentschaftswahlen liegt seit etlichen Jahrzehnten weit unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung in europäischen Demokfatien, ohne daß die Vereinigten Staaten durch diesen empirischen Fakt die Aura des Demokratischen verlieren würden. Daß erhöhte Wahlbeteiligung durchaus auch ein Krisensymptom sein kann, wird mit Blick auf die Wahlbeteiligung innerhalb der Weimarer Republik deutlich. Obwohl - wie Falter (1991) gezeigt hat - die wieder eingestiegenen Nichtwähler nicht den Erfolg der NSDAP begründeten, so unterstützten sie ihn doch.

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jenen Vorwurf dar, daß Putnam die assoziative Dichte der amerikanischen Gesellschaft unterschätzt. Die Chiffren dieses Gegenarguments sind wohlbekannt: Im Zuge der Bildungsexpansion, der kognitiven Mobilisierung erweiterte sich auch das politische Handlungsrepertoire der amerikanischen Bürger. Paradigmatische Verdichtung dieser Veränderungen sind Bürgerinitiativen oder Umweltschutzgruppen und -vereine wie Greenpeace oder der Sierra Club. Gegen das Argument, das Problem durch den definitorischen Ausschluß historisch neuerer Assoziationsformen überhaupt erst mit seiner demokratietheoretischen Schärfe generiert zu haben, zieht sich Putnam auf die Qualität des assoziativen Lebens zurück: tertiäre Assoziationen zeichnen sich gerade nicht durch direktes, horizontales und kommunikatives assoziatives Handeln aus, sondern durch "writing acheck for dues or perhaps occasionally reading a newsletter" (Putnam 1995: 71). Ähnlich wie jene assoziativen Strukturen im Süden Italiens zeichnen sich tertiäre Assoziation durch vertikale Kommunikationsflüsse, durch Fehlen direkter Gemeinschaftlichkeit und durch eine Vermittlung gemeinsamer, sinnstiftender Werte und Ideale über Symbole aus. Daher können - vor dem Hintergrund der normativen Leitidee von civic community - tertiäre Assoziation kein Substitut für sekundäre darstellen. Die Erodierung des social capital in den USA speist sich aus unterschiedlichen Quellen; Putnam (1995a: 74-75) nennt vier - die zunehmende Zahl arbeitender Frauen, wachsende geographische Mobilität, demographische Veränderungens, der Einfluß von Technologie auf das Freizeitverhalten - und reduziert (Putnam 1995 b: 677) diese vier Quellen auf eine: "The culprit is television".

Diskussion Bei der Kritik am Konzept des social capital wie auch seiner Anwendung durch Putnam müssen zwei Ebenen auseinandergehalten werden, die bei Putnam zusammengedacht wurden. Es besteht die Gefahr, das demokratietheoretische Argumente mit "real-soziologischen" (Offe) oder ,,realpolitischen" konfundiert werden. Beide Ebenen sind jedoch strikt voneinander zu trennen. Meine Kritik lautet, daß Putnam in der Sache einen demokratietheoretischen Diskurs führt, ohne jedoch hinreichend auf ihn zu rekurrieren. Um dies zu verdeutlichen, werde ich mich hier auf einen wichtigen Aspekt moderner Demokratietheorie - die Frage der Integration moderner, westlicher Demokratien - beschränken. Die Arbeiten von Putnam zu Italien und den USA sind in gewisser Weise nicht kompatibel; während für Italien die Frage diskutiert wird, warum die policy performance innerhalb Italiens bei gleichem institutionellen Setting gravierende Unterschiede zwischen Nord und Süd aufweist, letztlich also eine begründungslogische Frage gestellt wird, ist die Motivation hinter der

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Betrachtung der Vereinigten Staaten die Sorge um die sinkende Qualität der policy performance und des öffentlichen Lebens, die aus dem Rückgang der Intensität assoziativen Lebens resultiert. Beide Studien sind daher in ihrer Erklärungsrichtung nur bedingt vergleichbar. Unabhängig von diesem Argument stehen Monokausalitäten immer im Verdacht, unterkomplex zu sein. Aus der zeitlichen Koinzidenz der Einführung des Fernsehens in den USA und dem Rückgang der Partizipationsintensität auf den klassischen Kanälen sollte daher nicht unmittelbar die Schlußfolgerung gezogen werden, daß das Fernsehen der "Mörder des social capital" in den USA ist. Diese Erklärung würde erst dann theoretisch überzeugend sein, wenn das theoretische Argument durch empirische Arbeiten hinreichend gedeckt wäre. Dies trifft noch nicht zu. Darüber hinaus erscheint auch die Konzeptionalisierung der civil society aus demokratietheoretischer Sicht hinterfragbar. Das gesellschaftliche Komplementärstück zur civic community ist die civil society, deren definitorische Konstitutiva nach Putnam a) die aktive Partizipation in öffentlichen Angelegenheiten, b) die politische Gleichheit sowie c) Solidarität, Vertrauen und Toleranz sind. Diese Charakteristika sind aufgehoben in spezifischen sozialen Strukturen und Handlungen, die wiederum in der Synthesekategorie des social capital zusammengefaßt sind. Die zentralen Agenturen der civil society sind bei Putnam die Assoziationen bzw. assoziative Netzwerke. Sie sind gleichzeitig Indikator für die civicness einer politischen Gemeinschaft wie auch Katalysator eben jener. Das Verhältnis wurde von Putnam in seiner Italien-Studie auf eine je mehr-desto Beziehung komplexitätsreduziert; je mehr Assoziation existieren, desto höher ist das social capital, desto engagierter sind die Bürger in der politischen Öffentlichkeit, und desto eher entsprechen sie dem demokratischen Ideal eines zoon politicon. Eine so konzeptionalisierte civil society erscheint theoretisch aus zumindest drei Gründen unterkomplex. Es existieren erstens mindestens zwei prominente Konzeptionen der civil society. Die erste wird vorrangig im anglo-amerikanischen Diskurs vertreten. Ihre Vertreter verstehen (im Anschluß an de Tocqueville) die assoziativen Netzwerke als integrativen und gleichzeitig kritischen Resonanzboden der Demokratie. Die zweite prominente Konzeption ist in den Staaten des ehemaligen Ostblocks entwickelt worden; in ihr ist die civil society der Ort, in dem gegen den autoritären Repressionsstaat Demokratie - quasi von unten - sukzessive implementiert wird (oder der zumindest dieses normative Ziel besitzt).17S Die Liste der relevanten Distinktionen zwischen den bei den Modellen ist umfangreich und umfaßt u. a. die Rationalitätszumutungen, die demokratischen Zielvorstellungen sowie die dafür relevanten insti175

Vgl. Foley/Edwards (1996).

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tutionellen Arrangements. Daher hätte auch das relevante Alternativmodell Betrachtung finden müssen; dies um so mehr, als im Süden Italiens das Patronagesystem die Entwicklung eines osteuropäisch inspirierten civil society Konzepts hätte befördern müssen. Die Civil Society ist zweitens normativ bestimmt; spezifische institutionelle oder assoziative Konfigurationen befördern dieses normative Ziele besser als alternative Konfigurationen. Vor diesem Hintergrund scheint es eine konzeptionelle Blindstelle zu sein, nicht zwischen unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen der sekundären Assoziationen zu differenzieren. Putnam postuliert, daß das politische Handeln nicht die politischen Einstellungen selber verändert, sondern die Prädisposition zu politischem Handeln überhaupt anhebt, da Reziprozitäts- und Vertrauenserfahrungen zentraler Bestandteil assoziativen Lebens sind. Der positive Einfluß des assoziativen Lebens auf die civicness einer politischen Gemeinschaft ist somit unabhängig von der Art der Assoziation, und daher muß, folgt man Putnam, nicht zwischen den Vogelbeobachtern -und der PTA differenziert werden. Je stärker jedoch die normative Ausrichtung hin auf die civil society Beachtung findet, desto eher scheint die spezielle inhaltliche Orientierung einer Assoziation einen relevanten Unterschied zu machen. Es ist daher drittens unwahrscheinlich, daß eine civil society sich ausschließlich über Assoziationsnetzwerke von Vogelbeobachtern ausbilden kann. Die gegenläufige These lautet, daß sie sogar essentiell auf politisch orientierte Assoziationen angewiesen ist. Die Diversifizierungs- und Pluralisierungstendenzen politischer Assoziationen sind dabei aus demokratietheoretischer Sicht durchaus nicht unproblematisch: Während Putnam klassische pluralistische Positionen vertritt, die in der amerikanischen Tradition der Federalist Papers stehen und dem Ideal der machtbegrenzenden checks and balances folgen, kann eine pluralismusskeptischere Position eine Gegenthese konstruieren: Das Assoziationswesen kann - auch strukturell - in Opposition zum demokratisch verfaßten politischen System stehen; die primäre Modifikation von politischen Handlungsdispositionen kann zu einem Input complexity overload auf Seiten des politischen Systems führen. Aus "real-soziologischer" Sicht ist der von Putnam attestierte assoziative Niedergang in den USA ein Weggefahrte der sukzessiv steigenden direkten Einflußnahme von Bürgern auf politische Eliten (z. B. in Form von Kongreßabgeordneten). Diese Fragen sind aus einem demokratietheoretischenBlickwinkel überaus wichtig und können hier nur angerissen werden; gleichwohl verdeutlichen sie die Richtung der Kritik. Exemplarisch will ich mich im folgenden zentral der Frage zuwenden, welcher interne Zusammenhang zwischen Integration und social capital besteht. Sidney Tarrow (1996: 396) bemerkt: "Putnam's book is good social science across space; its evidence about the 10 Schaal

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historical and political-cultural sources of policy performance, although it can be challenged, is intriguing; but the book has little to say about democracy". In anglo-amerikanischer Pointierung mag Tarrow in seiner Kritik ein wenig zu weit gegangen sein; Putnam hat sehr wohl etwas über Demokratie zu berichten; einen theoretischen Kernbereich aktueller Demokratietheorie jedoch läßt er unterbelichtet: die Frage nach der Integration moderner Gesellschaften. So erfolgt keine Differenzierung von Dimensionen der Integration, sei es in politische und soziale Integration, systemische und soziale Integration etc. Dies steht auch nicht auf der erkenntnistheoretischen Agenda von Putnam, da er die politisch-institutionellen Arrangements, die eine Integration befördern, zugunsten einer starken inhaltlichen Fokussierung auf nicht-politischen Assoziationen der civil society ausblendet. Das inhärente normative Ziel der social capital Diskussion ist die Ausbildung einer civil society mit einem dichten assoziativen Netzwerk. Dieses Netzwerk erhöht zum einen die soziale Interaktionswahrscheinlichkeit und löst somit das klassische logic of collective action Problem - zum anderen befördert sie die Ausbildung von Werten, Normen und Tugenden, die wiederum essentiell für den Bestand einer Gesellschaft sind. Das aus normativ-demokratietheoretischer Sicht Herausragende solcher Assoziationen ist ihre gesellschaftliche Integrationskapazität: "Dense but segregated horizontal networks sustain cooperation within each group, but networks of civic engagement that cut agross social cleavages nourish wider cooperation. This is another reason why networks of civic engagement are such an important part of a community's stock of social capital" (Putnam 1993: 175). Es ist zum einen die antizipierende Sicht auf die anderen, wie auch die ausgleichende Kraft von cross-pressures, die Integration - und nichts anderes ist in diesem Zitat gemeint -, gespeist durch social capital, auszeichnet. Doch erinnert die Lösung des Integrationsproblems moderner westlicher Demokratien bei Putnam an einen theoretischen "Taschenspielertrick": Assoziationen "cut across cleavages"; daher erhöhen sie das Antizipationspotential für die Sicht des anderen und integrieren politische Gemeinschaften. Die Lösung des Integrationsproblems ist in diesem Zuschnitt Teil der Definition der Assoziationen. "Real-soziologisch" stellen sich zwei Fragen: zunächst, ob - und wenn ja welche und wie viele - Assoziationen die definitorischen Zumutungen Putnams überspringen und zur Integration moderner Gesellschaften beitragen. Dies ist jedoch nur eine Frage von sekundärer Bedeutung. Interessanter ist jene, ob assoziative Netzwerke in der Tat eine demokratisch anspruchvolle civil society hervorbringen können. Ein instruktives empirisches Datum für die Beantwortung dieser Frage ist die gegenwärtige politische Entwicklung im Norden Italiens. Von Putnam wurde dem Norden attestiert, dem Ideal der civil society eher zu entsprechen als der Süden Italiens. Überraschenderweise verhalten sich jedoch weder die politischen Eliten noch die

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Bürger im Konkordanz zu dieser theoretischen Aussage. Innerhalb der letzten Jahre werden im wirtschaftlich prosperierenden Norden regelmäßig Sezessionswünsche auf die politische Agenda gesetzt (vgl. Gobetti 1996: 5782). Das Argument pro Sezession ist dabei primär wirtschaftlich motiviert. Doch erst die sich am Horizont abzeichnende europäische Einheit scheint die moralischen Grundlagen für eine ernsthafte politische Beschäftigung mit Sezessionsgedanken gelegt zu haben, da die europäische Gemeinschaft quasi die Ausfallbürgschaft für den armen Süden übernehmen kann; eine Aufgabe, die zuvor der Norden inne hatte. In welchem argumentativen Verhältnis stehen die Sezessionsbestrebungen zum civil society Argument auf der einen und zum Integrationspotential von assoziative Netzwerken (und damit social capital) auf der anderen Seite? Welches, so lautet die Frage im Anschluß an die "real-soziologische" Diagnose, ist die relevante Integrationszurechnungseinheit des social capital? Offensichtlich ist es - für das Beispiel Italien - nicht der Nationalstaat. Vielmehr sind es regional verfaßte politische Einheiten, die leider eben jenen seggregated networks entsprechen. denen Putnam seine civic associations gegenüberstellt. Offensichtlich ist es doch notwendig, zwischen unterschiedlichen Formen von Assoziationen zu differenzieren, wobei politische Assoziationen, die sich primär über gemeinsam geteilte Werte konstituieren, offensichtlich aufgrund ihres exklusiven Charakters wenig zur gesamtgesellschaftlichen Integration beitragen, obwohl sie dies sehr wohl hinsichtlich subgesellschaftlicher Assoziationen tun. Die sekundären Assoziation erzeugen zwar demokratisch-republikanisch orientierte Bürger, deren Einstellungen "greifen" jedoch nur innerhalb des betreffenden Assoziationsraums. Daher verwundern die sezessionistischen Tendenzen des Nordens eigentlich nicht: Innerhalb des Operationsraums der Assoziationen handeln die Bürger auf Basis eines republikanischen Tugendethos, außerhalb dieser Grenzen jedoch scheinen klassische Rational-Choice-Kalküle handlungsorientierend zu sein. In dem forcierten distributiven Kampf um knappe finanzielle Ressourcen ist die Trennung aus Rational-Choice-Sicht eine durchaus sinnvolle Option. Nachgeholte Nationalstaatlichkeit - wie im Fall Italiens - kann anscheinend von dieser Form der Assoziationskultur nicht im republikanischen Ethos integriert werden. 176 176 Überaus problematisch erscheint, daß in Putnams Theoriekonzeption die Geschichte nicht nur strukturierend in die politischen Handlungsoptionen in der Gegenward eingreift, sondern sie geradezu determiniert. Gegen den Einfluß der historischen Weichenstellung im Italien des 11. Jahrhunderts scheinen demokratische Reformen im 20. Jahrhundert strukturell machtlos zu sein. Sollte dies in der Tat der Fall sein, würden sich sämtliche emanzipatorischen Hoffnungen, die mit der Einführung des Projekts Demokratie verbunden sind, als kontrafaktisch und damit aussichtlos erweisen.

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Die räumliche Seggregation der operativen Mächtigkeit des republikanischen Tugendethos wirft ein kritisches Licht auf Prozesse der Integration im Zuge von Globalisierungsprozessen. Offe hat die These vertreten, daß Demokratie und Sozialstaatlichkeit nur in Grenzen möglich sind, da den individuellen Antizipations- und Emphasekapizitäten enge Grenzen gesetzt sind. Es kann nur schwerlich erwartet werden - so Offe -, daß die sozialen Bänder zwischen Arbeitern in Portugal und der Bundesrepublik genauso intensiv sind wie jene zwischen Arbeitern in einem eng begrenzten geographischen Gebiet, z. B. innerhalb Berlins. 177 Die Idee einer europäischen Staatsbürgerschaft, die sich nicht in einem rechtlichen Status im Sinne von Marshall (1965) erschöpft, sondern eine ethisch-kulturelle Dimension besitzt, und so als Basis eines europäischen Integrationsprozesses fungiert, wäre damit vermutlich gescheitert. Ähnliches gälte - wenn auch in geringerer Intensität - für den Prozeß der Vereinigung der Bundesrepublik. Diesen Pessimismus, der sich zum einen aus einer transgenerativen Wirkungsmächtigkeit von Geschichte und zum anderen aus der Annahme der überaus begrenzten Antizipationsfähigkeit von Individuen speist, teile ich nicht. Daß Solidarität auch in geographisch großen Einheiten entstehen kann, beweisen die USA. Gleichwohl kann dieses Beispiel keinen Anspruch auf Generalisierbarkeit erheben; vielmehr verweist es auf die Notwendigkeit eines spezifischen Gründungskontextes der Nationwerdung. Auf der theoretischen Ebene kann gegen Putnam eingeführt werden, daß seine Integrationskonzeption adäquat für eine primordiale Gemeinschaft ist, in der sich die Bürger wechselseitig persönlich kennen, dies ist jedoch in modemen Flächendemokratien unmöglich. Zwei Schlußfolgerungen können aus dieser Überlegung gezogen werden: a) es muß ein Integrationskonzept entwickelt werden, daß für (post-) modeme Gesellschaften adäquat ist und b) Tendenzen der territorialen Vergrößerung von Demokratien sind inhärent fragwürdig. Da die Rückkehr zu primordialen Gemeinschaften eine unrealistische Option darstellt, erscheint nur eine problemadäquate Konzeptionalisierung von Integration erfolgversprechend. Gerade hier wird jedoch deutlich, daß bereits die Problemdiagnose Putnams in eine falsche Richtung weist. In modemen westlichen Demokratien sinkt das Vertrauen, das sich Bürger wechselseitig zugestehen, weil das social capital sinkt; bereits diese Problemexposition ist kontrafaktisch. Wie Newton (1997) überzeugend gezeigt hat, ist Vertrauen eine gesellschaftliche Ressource, die zwar ihren Sitz und ihre spezifische Qualität im Zuge von Modernisierungsprozessen verändert, die aber gerade deshalb zugen.ommen. hat. Aufgrund zunehmender funktionaler Differenzierung und Spezialisierung sind wir im Alltagshandeln in immer stärkerem Maße auf generalisiertes Vertrauen in andere angewiesen. Wenn ich fliege, vertraue ich darauf, daß die Piloten hinrei177

So Offe in einem Gespräch mit dem Verfasser.

5.4 Integration qua Diskurs

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chend geschult sind, das Flugzeug gewartet ist etc. Dieses Vertrauen wird jedoch nicht mehr durch persönliche Kontakte gespeist - wer kennt schon seine Piloten? -, sondern durch die kollektive Handlungsorientierung an gültigem Recht. Wenn Vertrauen tatsächlich eine Ressource von erfolgreicher Integration ist, so spricht die Orientierung an abstrakten Rechtsnormen eher für ein Mehr als für ein Weniger an Vertrauen. Damit wird eine Brücke geschlagen zwischen erfolgreicher Integration und dem Recht. An dieser Stelle kann bereits die These aufgestellt werden, daß das Integrationspotential des Rechts nicht nur vom abstrakten Vertrauen abhängt, sondern auch vom Modus der Rechtsgenese. Welche Anforderungen können somit an legitimes Recht gestellt werden? Legitimes Recht besitzt eine interne Verbindung zur Moral, weil Rechte auch das regeln, was im gleichmäßigen Interesse aller liegt. Damit wird die These, daß Integration ein moralisches Konzept ist, plausibler.

5.4 Integration qua Diskurs Die bisherigen Analysedurchgänge kreisten um die Frage, wie moderne Demokratien sich über Verfassungen und Verfassungsrechtsprechung integrieren können. Eine Antwort auf diese Frage zerrint jedoch zwischen den Fingern. So wurde zwischen universalistischen Normen und partikularistischen Werten differenziert und im Rekurs auf den politischen Liberalismus angenommen, daß ausdifferenzierte Gesellschaften sich nicht mehr über Werte, sondern nur noch über Normen integrieren können. Diese Normen sind jedoch nur im Politischen anzusiedeln. Hier schließt der politische Liberalismus an die aktuelle Frage an, welches das ethische Minimum ist, das zwischen Bürgern bestehen muß. damit sich eine Gesellschaft integrieren kann. In der Analyse der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court zur positiven und negativen Religionsfreiheit wurden bereits Zweifel geweckt, ob diese Form der moralischen Neutralität lebensweltlich realisierbar ist. Die Betrachtung des Bundesverfassungsgerichts hat darüber hinaus gezeigt, daß Werte nicht einfach durch Normen abgelöst werden können; vielmehr stehen beide in einem rivalisierenden Verhältnis zueinander. Der Vorrang der moralischen Grundrechte in der Verfassungsrechtsprechung vor ethischen Partikularismen kann die Bänder der ethischen Gemeinschaft, die eine Dimension von erfolgreicher Integration darstellt, schwächen, wenn nicht gar vollständig erodieren lassen. Im Zentrum des Übergangs von Werten zu Normen muß daher die Frage stehen, welches die motivationalen Ressourcen der Normakzeptanz und -befolgung sind und wie diese generiert bzw. stabil gehalten werden können. Skepsis hat jedoch auch das Instrument der Integration, die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit, wachgerufen. Hier erweist sich die Spannung zwischen der privaten Autonomie der Bürger, d. h. den liberal verstandenen Grundrechten, sowie ihrer politischen

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Autonomie, verstanden als politische Partizipationsrechte, gespeist aus dem Ideal der Volkssouveränität, als problematisch. Ein Dezisionismus - pro Volkssouveränität oder pro Verfassungsgericht - scheint auf den ersten Blick unumgänglich. 5.4.1 Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats: Habermas

"Faktizität und Geltung" wurde bei seinem Erscheinen 1992 als herausragende Arbeit zur Theorie des Rechtsstaates bezeichnet; Rasmussen (1996) geht sogar soweit, das Buch als dritten großen deutschen Beitrag zur Rechtstheorie neben Weber und Hegel zu stellen. Gleichwohl enttäuschte "Faktizität und Geltung" auch jene, die einen radikaldemokratischen GegenentwurJ zur repräsentativen Demokratie erwartet hatten und "nur" eine modifizierte soziologisch-philosophische Begründung für ein relativ konventionelles politisches Institutionen-Setting erhielten. Entsprechend der Fragestellung werde ich mit der Rekonstruktion von Habermas erst bei "Faktizität und Geltung" beginnen. Um diese Entscheidung zu plausibilisieren, wird zunächst in groben Zügen seine Theorieentwicklung dargestellt, um in einem zweiten Schritt das integrationstheoretische Argument von Habermas zu rekonstruieren. 5.4.1.1 Theorielinien und Rezeption Wie ist "Faktizität und Geltung" in das Theorieprojekt von Habermas einzuordnen, welche Kontinuitäten und Brüche sind zu bemerken? Bohmann (1994) sieht "Faktizität und Geltung" als systematische Zusammenführung der bisher parallel geführten Arbeiten. Die Konzeption von Öffentlichkeit findet ihren Vorläufer im "Strukturwandel der Öffentlichkeit" (1962, Neuauflage mit neuem Vorwort 1990 178), während die diskurstheoretischen Grundlagen in der "Theorie des kommunikativen Handeins [TdkH, G.S.]" (1981) gelegt wurden. Eine solche Rekonstruktion erscheint zu stromlinienförmig, fast teleologisch, und berücksichtigt nicht hinreichend die internen Brüche im Werk von Habermas. So steht zwischen dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit" und der "Theorie des kommunikativen Handeins" der linguistic turn, die sprachphilosophische Wende, die zur "Umstellung der Grundbegriffe von >praktischer Vernunft< auf >kommunikative Rationalität< " (Habermas 1992: 24) geführt hat, und von der Haber178 Das neue Vorwort markiert den Übergang von einer pessimistischeren Sicht auf die· vennachtete Öffentfickeit hin zu einer theoretisch konzeptionelt optimistischeren Sicht. Verwunderlich erscheint mir dabei jedoch, daß das Vorwort die Aussagen des 1962 geschriebenen Textes zu großen Teilen konterkariert.

5.4 Integration qua Diskurs

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mas überzeugt ist, daß nur sie für ein "nachmetaphysisches Begründungsniveau" adäquat sein kann. Habermas Beiträge zur Modernitätsdiskussion verdeutlichen, daß es innerhalb seiner Theorieentwicklung von der TdkH zu "Faktizität und Geltung" Brüche gab, obwohl das kommunikationstheorietische Paradigma beibehalten wurde. 179 Dies wird besonders anhand seiner Einschätzung des Entwicklungspotentials bestehender liberal inspirierter Demokratien sowie dem Verhältnis von System- und Lebenswelt einschließlich der in ihr operierenden Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) deutlich. Die These von der "Kolonialisierung der Lebenswelt" ist inzwischen zum Allgemeinplatz geworden. Die Lebenswelt kann nur noch einen Abwehrkampf gegen die Aufnahme funktionaler Imperative aus den Subsystemen Wirtschaft und Politik führen. Daher sind NSB in der TdkH noch strukturkonservativ; emanzipatorisches Potential gesteht Habermas allenfalls den Frauenrechtsbewegungen zu. ISO Diese eher pessimistische Sicht wird in seinen Schriften bis 1989 noch verstärkt. Jedoch gerade angesichts der in dieser Phase konstatierten Demokratiedefizite wurde eine radikaldemokratische, direktpartizipatorische Demokratietheorie erwartet. Doch mit "Faktizität und Geltung" bricht Habermas die "Verkrustungen" (Buchstein) 181 seines Theoriedesigns auf und sieht ein Entwicklungspotential innerhalb des gegebenen institutionellen Settings liberaler westlicher Demokratien, wenn auch eher im Zuge eines Paradigmenwechsels ihrer Begründung. Paradigmatisch verdichtet sich diese Veränderung im Gebrauch einer bisherigen "Kernvokabel", des "herrschaftsfreien Diskurses". Dieser Begriff findet in "Faktizität und Geltung" keine Erwähnung mehr. Sein Wegfallen könnte einerseits auf ein differenzierteres diskurstheoretisches Konzept zurückgeführt werden, das in der Differenzierung von drei Diskurstypen eine objektadäquatere Terminologie an die Hand gibt. Zum anderen betont Habermas hier zum ersten Mal konsequent, daß die Kommunikationsbedingungen und -präsuppositionen kontrafaktischer Natur sind und nur den Status einer "methodischen Fiktion" (Habermas 1992: 392) besitzen. Die Brüche und Diskontinuitäten innerhalb der Arbeiten von Habermas sind so gravierend, daß eine Rekonstruktion der Diskurstheorie des Rechtsstaates in der Tat erst mit "Faktizität und Geltung" beginnen sollte. Dennoch werde ich innerhalb dieser Rekonstruktion auf spezifische Grundlagen der Theorie des kommunikativen Handeins zurückgreifen. Daher werden

179 "Die neue Unübersichtlichkeit" (1985), "Eine Art Schadensabwicklung" (1987) sowie "Nach-metaphysisches Denken" (1988). ISO Vgl. hierfür aus soziologischer Sicht Rucht (1994: 185-234). 181 Manuskript für eine Rezension zu "Faktizität und Geltung", FB Politische Wissenschaft, Freie Universität Berlin, WE I, 1993.

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

letztere zunächst in jenen für das systematische Argument relevanten Teilen rekonstruiert. 5.4.1.2 Diskurstheoretische Grundlagen Ausgangspunkt der Arbeiten von Habermas nach der sprachphilosophischen Wende (dem linguistic turn) ist die These, daß die Philosophie "in ihren nachmetaphysischen, posthegeischen Strömungen auf den Konvergenzpunkt einer Theorie der Rationalität zustrebt" (Habermas 1981 a: 16), und die Soziologie ist jene Wissenschaft, die "in ihren Grundbegriffen an die Rationalitätsproblematik am ehesten anschließt" (Habermas 1981 a: 18).182

Bei Habermas besteht ein genuiner Zusammenhang zwischen der gesuchten Theorie der Rationalität einerseits und Letztbegründungsversuchen andererseits. Gegen seinen Kollegen K.O. Apel vertritt Habermas die These, daß Letztbegründungsversuche gescheitert sind und "die Moralphilosophie ( ... ) nicht über einen privilegierten Zugang zu moralischen Wahrheiten" (Moralität und Sittlichkeit: 32) verfügt. Notwendig ist daher ein Theoriedesign, das sich weder auf normative Aussagen beschränkt, noch sich der empirischen Realität kritiklos ausliefert, sondern diese Spannung, die Habermas 1992 als jene zwischen Faktizität und Geltung bezeichnen wird, in ihre Grundbegriff aufnimmt. Ein solcher Zugang muß rekonstruktiv sein, d. h. er kann nur über eine doppelte Einbindung in die Wissenschaftsgeschichte einerseits und empirische Analysen andererseits gestützt werden. Welche Gestalt nimmt diese Theorie nun an? Die sprachphilosophische Fundierung seiner Theorie legte Habermas in der 1981 erschienenen Theorie des kommunikativen Handeins. Zentral ist hierbei der Paradigmenwechsel von der praktischen Vernunft zur kommunikativen Vernunft. 183 Habermas vertritt die These, daß sich die Welt als Inbegriff möglicher Tatsachen nur für eine Interpretationsgemeinschaft kon182 Vgl. hierfür folgende Arbeiten von Habermas: - 1981 a, b: Eine Theorie des kommunikativen Handeins; - 1983: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln; - 1984: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handeins; 1991: Erläuterungen zur Diskursethik; sowie die Einführungen von Thomas McCarthy 1989: Kritik der Verständigungsverhältnisse. Zur Theorie von Jürgen Habermas, S. 309-406, S. 501-579 und Jörg Paul Müller 1993: Demokratische Gerechtigkeit: Eine Studie zur Legitimitlit rechtlicher und politischer Ordnung, S. 56-93. 183 "Einen anderen Sitz in der Theoriebildung erhält aber ein Vernunftkonzept. das in das sprachliche Medium verlegt und von der ausschließlichen Bindung ans Moralische entlastet wird; es kann den deskriptiven Zwecken der Rekonstruktion vorgefundener Kompetenz- und Bewußtseinsstrukturen dienen und Anschluß finden an funktionale Betrachtungsweisen und empirische Erklärungen" (Habermas 1992: 17).

5.4 Integration qua Diskurs

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stltUlert, die sich innerhalb einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt über etwas in dieser Welt verständigt. Wirklich ist dabei, was sich in einer wahren Aussage darstellen läßt und anderen gegenüber als wahre Tatsache behauptet wird. Innerhalb einer solchen Aussage wird ein Geltungsanspruch erhoben, der mit einer Ja/Nein-Aussage beantwortet werden kann. Habermas differenziert drei Geltungsansprüche: Innerhalb der objektiven Welt die Wahrheit: Der Ball ist rot. Innerhalb der sozialen Welt die normative Richtigkeit: Wir feiern Weihnachten weil dieses Fest in unserem Kulturkreis eine hohe religiöse Bedeutung besitzt. Innerhalb der subjektiven Welt ist es die Wahrhaftigkeit: Ich fühle mich durch die Pause gestärkt. Jede Aussage, die mit Ja/Nein beantwortet werden kann, erhebt einen Geltungsanspruch innerhalb einer der drei Welten. Meistens jedoch sind Geltungsansprüche in mehreren Welten angesiedelt. Bedingung für die Anerkennung der Geltung einer Aussage, d. h. ihrer faktischen Gültigkeit, ist die Möglichkeit ihrer Verteidigung gegen Einwände anderer Diskursteilnehmer. Erst wenn die rational motivierte Akzeptanz seitens der Interpretationsgemeinschaft vorliegt, besitzt eine Aussage Gültigkeit. Diese Gültigkeit ist jedoch räumlich und zeitlich begrenzt; eine Aussage kann nur solange Gültigkeit besitzen, wie sie mit dem faktischen Wissen der Diskursgemeinschaft im Einklang steht. Erweitert sich die Diskursgemeinschaft oder verändert sich das vorhandene Wissen, so muß der Diskurs über den Geltungsanspruch einer Aussage von neuem geführt werden. Wahrheit eine final opinion - könnte nur in einem räumlich-zeitlich entgrenzten und damit hypothetischen Diskurs gefunden werden. 184 Das Wahrheitskonzept bei Habermas ist somit kommunikativ zweistufig angelegt. Der rekonstruitive Sozialwissenschaftler und Philosoph kann die Rahmenbedingungen spezifizieren, unter den die Gültigkeit von Geltungsansprüchen überprüft werden kann. Er kann jedoch innerhalb der Diskurses keine prominente Position für sich beanspruchen: "Die moralischen Alltagsintuitionen bedürfen der Aufklärung des Philosophen nicht" (Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln: 108). Dieser zunächst resignativ wirkende Satz impliziert eigentlich ein hohes Maß an normativen Idealismus. Die Methode der wissenschaftlichen Wahrheitsgewinnung von Pierce, wie Habermas sie "Erkenntnis und Interesse" rekonstruiert, wird in das kommunikative Handeln als Ganzes überführt. Somit handelt es sich bei dem Zitat nicht um ein philosphisches Rückzugsgefecht, sondern um den Kernbestand kommunikationstheoretischer Hoffnungen.

184 Die Voraussetzung der Präsupposition lautet: "Wer immer sich einer natürlichen Sprache bedient, um sich mit einem Adressaten über etwas in der Welt zu verständigen, sieht sich genötigt, eine performative Einstellung einzunehmen und sich auf bestimmte Präsuppositionen einzulassen" (1992a: 18).

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Nicht jedes Gespräch ist jedoch ein Diskurs, da letztere spezifischen Bedingungen unterliegt. Habennas nennt drei fundamentale Präsuppositionen eines Diskurses: 185 - Illokutionäre Ziele werden ohne Vorbehalte verfolgt. - Kritisierbare Geltungsansprüche erfahren intersubjektive Anerkennung. - Interaktionsrelevante Verbindlichkeiten resultieren aus einem kommunikativen Konsens. Der Diskurs besitzt eine interne Logik, die in großem Maß dekontextualisiert ist: ..Deshalb dürfen wir davon ausgehen, daß die Argumentationspraxis einen Fokus bildet, in dem sich die Verständigungsbemühungen von Argumentationsteilnehmern noch so verschiedener Herkunft jedenfalls intuitiv treffen. Denn Konzepte wie Wahrheit, Rationalität, Begründung oder Konsens spielen in allen Sprachen und in jeder Sprachgemeinschaft, obwohl sie verschieden interpretiert und nach verschiedenen Kriterien angewendet werden mögen, dieselbe grammatische Rolle (Habennas 1992: 379). H

Die Diskursbedingungen erscheinen eher idealistisch, und Habennas würde sich dem Vorwurf aussetzen müssen, seine Theorie auf unrealistische Annahmen aufzubauen, wenn er von der pennanenten Gültigkeit dieser Bedingungen ausgehen würde. Diesem möglichen Einwand begegnet Habennas auf zwei Ebenen: zum einen durch eine Differenzierung in unterschiedliche Diskursmodi - auf die ich anschließend eingehen werde -, zum anderen mit dem Hinweis, daß in unserer kommunikativen Alltagspraxis die Spannung zwischen Faktizität und Geltung durch die faktische Kommunikationsorientierung an kontrafaktischen Diskursbedingungen aufgehoben wird. Dies stellt eine zentrale theoretische Weichenstellung dar. Die Spannung zwischen Faktizität und Geltung ist den Grundbegriffen der Theorie von Habennas bereits eingeschrieben und wird sich somit als grundsätzliche Dichotomie durch das gesamte theoretische Projekt ziehen. Diese Spannung entspringt, um es noch einmal deutlicher zu konstatieren, folgenden Annahmen: ..Wer immer sich einer natürlichen Sprache bedient (... ), sieht sich genötigt, eine perfonnative Einstellung einzunehmen und sich auf bestimmte Präsuppositionen einzulassen [Diese wurden bereits aufgeführt, G.S.]. (... ) Die kommunikative Vernunft ist nicht wie die klassische Gestalt der praktischen Vernunft eine Quelle für Nonnen des Handeins. Sie hat einen nonnativen Gehalt nur insofern, als sich der kommunikativ HanISS Müller (1990: 66-(j7), der im Anschluß an die Diskurstheorie von Habermas eine eigene Demokratietheorie formuliert, konkretisiert diese drei Präsuppositionen in sechs Diskursbedingungen: I. Chancengleichheit im Einbringen und Problematisieren von Einstellungen, Wünschen und Bedürfnissen in den gemeinsamen Diskurs; 2. Anerkennung als gleichwertige Subjekte (Reziprozität); 3. Wahrhaftigkeit; 4. Verständlichkeit; 5. Empathie (Einfühlungsvermögen); 6. Antizipation.

5.4 Integration qua Diskurs

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delnde auf pragmatische Voraussetzungen kontrafaktischer Art einlassen muß. (... ) Ein Kranz unvermeidlicher Idealisierungen bildet die kontrafaktische Grundlage einer faktischen Verständigungspraxis, die sich kritisch gegen ihre eigenen Resultate richten, sich selbst transzendieren kann. Damit bricht die Spannung zwischen Idee und Wirklichkeit in die Faktizität sprachlich strukturierter Lebensformen selber ein. Die kommunikative Alltagspraxis überfordert sich mit ihren idealisierenden Voraussetzungen; aber nur im Lichte dieser innerweltlichen Transzendenz können sich Lernprozesse vollziehen" (Habermas 1992: 18-19). Die zweite Strategie von Habermas, diese Spannung aufzulösen, besteht in der Differenzierung der drei Diskursmodi pragmatische, ethische und moralische Diskurse: Tabelle 19 Diskurstypen bei Habermas Diskurstyp

Orientierung auf

Reichweite

Pragmatische Diskurse

das Zweckmäßige

die Kooperierenden

Ethische Diskurse

das Gute

partikulare ethische Gemeinschaft

Moralische Diskurse

das Gerechte

potentiell jeder

Pragmatische Diskurse: In diesem Diskurstyp erfolgt die zweckorientierte Abwägung von Kompromissen und von Ziel-Mittel-Relationen: "Begründet werden [Kompromisse, G.S.] in pragmatischen Diskursen. Darin geben Argumente den Ausschlag, die empirisches Wissen auf gegebene Präferenzen und gesetzte Zwecke beziehen und die Folgen alternativer Entscheidungen (die in der Regel unter Ungewißheit zustande kommen) nach zugrundegelegten Maximen beurteilen (... ) In pragmatischen Diskursen prüfen wir die Zweckmäßigkeit von Handlungsstrategien unter der Voraussetzung, daß wir wissen, was wir wollen" Habermas (1992: 198-199). Ethische Diskurse: Ethische Diskurse sind das Medium der gesellschaftlichen Selbstverständigung über nicht-universalistische Ziele, z. B. über unterschiedliche Ideale des guten Lebens. Sie beantworten Fragen nach dem auf lange Sicht angelegten) Was ist gut für uns?< In ethischen Diskursen: ,,( ... ) geben Argumente den Ausschlag, die sich auf eine Explikation des Selbstverständnisses unserer historisch überlieferten Lebensform stützen und in diesem Kontext Wertentscheidungen an dem für uns absoluten Ziel einer authentischen Lebensführung bemessen. (... ) In ethisch-politischen Diskursen vergewissern wir uns einer Konfiguration von Werten unter der

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5. Vier Modi der Integration moderner Gesellschaften

Voraussetzung, daß wir noch nicht wissen, was wir eigentlich wollen" Habermas (1992: 199). Moralische Diskurse: Moralische Diskurse sind die anspruchsvollsten Diskurse; sie sind das Medium universalistischer Entscheidungen über das Gerechte. In moralischen Diskursen ,,(. .. ) geben Argumente den Ausschlag, die dafür sprechen, daß die in strittigen Normen verkörperten Interessen schlechthin verallgemeinerungsfahig sind. Im moralischen Diskurs erweitert sich die ethnozentrische Perspektive eines bestimmten Kollektivs zur umfassenden Perspektive einer entschränkten Kommunikationsgemeinschaft, deren Mitglieder sich alle in die Situation und in das Welt- und Selbstverständnis eines jeden hineinversetzen und gemeinsam eine ideale Rollenübernahme [im Sinne von G.H. Mead, G.S.] praktizieren" (Habermas 1992: 200).

Nachdem die kommunikationstheoretischen Grundlagen expliziert wurden, soll im nächsten Schritt der Zusammenhang von kommunikativen Handeln, Rechtsstaat und Integration analysiert werden.

5.4.1.3 Kommunikatives Handeln, Rechtsstaat und Integration bei Habermas Habermas führt das Argument, warum Recht, Verfassung und - unter besonderen institutionellen Umständen - auch das Verfassungsgericht integratives Potential besitzen, über viele Argumentationsschritte hinweg aus. Im folgenden möchte ich zunächst die große argumentative Linie nachvollziehen, um in einem zweiten Schritt die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit in den analytischen Fokus zu nehmen. Habermas entwickelt seine Argumentation entlang jener grundbegrifflichen Spannung zwischen Faktizität und Geltung, die seiner Theorie so eigen ist. Nach Habermas besitzt das kommunikative Handeln an und für sich sozial integratives Potential. Auf Basis der illokutionären Bindungskräfte allein kann jedoch weder eine Gesellschaft sozial integriert, noch darauf eine Demokratietheorie aufgebaut werden: Ersteres, weil soziale Handlungskoordination aufgrund der kommunikationsinternen Spannung zwischen Faktizität und Geltung sowie der modemen Gesellschaften immanenten doppelten Kontingenz des Handeins nur schwer - wenn überhaupt - zu realisieren wäre. Um die Kontingenz zu verringern und die Orientierungssicherheit . zu erhöhen, sind daher die illokutionären Bindungskräfte auf die Unterstützung des positiven Rechts angewiesen: ,,zur kognitiven Unbestimmtheit des prinzipiengeleiteten Urteils kommt die motivationale Ungewißheit über das von erkannten Prinzipien geleitete Handeln hinzu. Diese wird durch die Faktizität des Rechts absorbiert" (Habermas 1992: 148, auch 145-151,566ff.).

5.4 Integration qua Diskurs

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Zweitens kann aus dem moralphilosophischen Ansatz der Diskurstheorie auf direktem Wege keine Demokratietheorie deduziert werden. Der notwendige Zwischenschritt erfolgt zunächst über eine diskurstheoretische Spezifizierung der Rechte, die sich Bürger als Rechtsgenossen vorstaatlich wechselseitig einräumen müssen, wenn sie sich an den kontrafaktischen Diskurspräsuppositionen orientieren. Im Rahmen eines theoretischen Experiments expliziert Habermas die Rechte, die sich Bürger wechselseitig vorstaatlich durch Anerkennung der Diskursbedingungen zugestehen. Aus der Verbindung von Rechtsstaat und Demokratie resultieren spezifische politische Partizipationsrechte (politische Autonomie). Diesen Präsuppositionen ist die Idee der Selbstgesetzgebung eingeschrieben, die ein System von Rechten begründen soll, die sowohl private als auch die öffentliche Autonomie der Bürger gleichzeitig ermöglicht. Die ungesättigten Grundrechte, die der Idee der Selbstbestimmung eingeschrieben sind, können mit Hilfe der Anwendung des Diskursprinzips expliziert werden: "Gleiche politische Grundrechte für jedermann ergeben sich also aus einer symmetrischen Verrechtlichung der kommunikativen Freiheiten aller Rechtsgenossen (... )" (1992: 161), d. h. die erste Anforderung lautet, daß die Diskursteilnehmer sich überhaupt als Rechtspersonen konstituieren. Diese Grundrechte regeln die private Autonomie der Bürger: (1) Grundrechte auf Basis des Rechts auf das größtmögliche Maß gleicher subjektiver Handlungsfreiheiten; (2) Grundrechte auf Basis des Status eines Mitgliedes in einer freiwilligen Assoziation von Rechtsgenossen; (3) Grundrechte auf Basis der Einklagbarkeit von Rechten und der Einklagbarkeit von Rechtsschutz. Hinzu treten zwei Grundrechte der öffentlichen Autonomie; (4) Grundrechte auf chancengleiche Teilnahme an Prozessen der Meinungs- und Willensbildung; (5) Grundrechte auf Lebensbedingungen, die die Nutzung der obigen Grundrechte ermöglichen. Im zweiten Schritt erfolgt eine Engführung von Demokratie, den Diskursbedingungen, dem System der Rechte bzw. der Strukturen des Rechts. Hierbei wendet sich Habermas explizit gegen die in liberalen Theorien vertretene Position, wonach politische Partizipationsrechte aus den liberalen Grundrechten abzuleiten sind. Auf diskurstheoretischer Basis resultiert aus der Gleichzeitigkeit und wechselseitigen Bedingtheit von privater und öffentlicher Autonomie vielmehr ein gleichberechtigtes, nicht-hierarchisches Verhältnis VOn privater und öffentlicher Autonomie. Beides ist wechselseitig für einander konstitutiv. Dies ist eine Annäherung an die zentrale These von Habermas, wonach öffentliche und private Autonomie gleichursprünglich sind. Die in die Diskurstheorie grundbegrifflich eingelassene Spannung zwischen Faktizität und Geltung reproduziert sich folglich auch auf der Ebene des Rechts: "Der Blick richtet sich vielmehr nach wie vor auf eine dem Recht innewohnende Spannung von Faktizität und Geltung. Diese hatte sich zunächst in der Dimension der Rechtsgeltung - als die

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Spannung zwischen der Positivität und der Legitimität des Rechts - innerhalb des Systems des Rechts - als die zwischen privater und öffentlicher Autonomie - dargestellt. Mit der Idee des Rechtsstaates erweitert sich die Perspektive. Von den Rechten gehen wir zu einer rechtsförmig organisierten Herrschaft über, deren Ausübung an legitimes Recht gebunden sein soll" (Habermas 1992: 171). Legitim ist das Recht dann, wenn der Prozeß der Rechtsgenese diskursiv offen ist und spezifischen Rationalitätsanforderungen standhält. Damit aus positiv gesatztem Recht legitimes Recht werden kann, müssen sich Bürger sowohl als Adressaten wie auch als Autoren derselben Rechte begreifen können. Letztlich gilt es, die Frage zu beantworten, warum Recht sozial integratives Potential entfalten kann. Habermas bringt hierzu ein dreistufiges Argument: Zunächst geht er davon aus, daß im Recht bzw. in rechtlichen Strukturen Solidarität konserviert wird (vgl. Habermas 1992: 12). Zugleich geht er jedoch davon aus, daß ,,( ... ) die Gesellschaft letztlich über kommunikatives Handeln integriert (... )" (Habermas 1992: 43) wird. Diese Spannung löst er wiederum mit einem zwei stufigen zweiten Argument auf, in dem Recht und kommunikatives Handeln argumentativenggeführt werden, und zwar in der Praxis der politischen Partizipation: "Der Prozeß der Gesetzgebung bildet also im Rechtssystem den eigentlichen Ort der sozialen Integration" (Habermas 1992: 50). Das Demokratieprinzip bleibt hier noch außen vor; Habermas führt es erst mit Hilfe des Kriteriums der Legitimität von Recht wieder ein: "Das gesatzte Recht kann sich der Grundlagen seiner Legitimität nicht allein durch eine Legalität versichern, die den Adressaten Einstellungen und Motive freistellt. ( ... ) Denn ohne religiöse oder metaphysische Rückendeckung kann das auf legales Verhalten zugeschnittene Zwangsrecht seine sozial integrative Kraft nur noch dadurch bewahren, daß sich die einzelnen Adressaten der Rechtsnormen zugleich auch in ihrer Gesamtheit als vernünftige Urheber dieser Normen verstehen dürfen. Insofern zehrt das moderne Recht von einer Solidarität, die sich in der Staatsbürgerrolle konzentriert und letztlich aus kommunikativem Handeln hervorgeht" (Habermas 1992: 51-52). Diese Solidarität betrachtet Habermas (1992: 12) aber als eine gefährdete Ressource, da die Quelle dieser Ressource, die Identität von Adressaten und Autoren von Rechten, zu versiegen droht. Aufgrund dieses Theoriedesigns kann somit das empirische Datum der sinkenden Solidarität kausal an eine dezifizitäre demokratische Pr!lXis rUckgebunden werden. Eine solche Diagnose gibt aber auch Strategien der Revitalisierung der gesellschaftlichen Solidarität an die Hand, und zwar in Form eines offeneren demokratischen Prozesses, der sich nicht im Standard der aggregativen Responsivität erschöpft. Das auf der Hand liegende Gegenargument wird auch von Habermas (vgl. 1992: 43-45) antizipiert; es hebt auf das steigende Dissensrisiko

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bei intensivierter politischer Partizipation ab. Dieses Dissensrisiko wird wiederum durch die Spannung von Faktizität und Geltung ausbalanciert. Natürlich nimmt - so Habermas - die strategische Interaktion zu. Dies ist auch notwendig, da das kommunikative Handeln hoffnungslos überfordert wäre, wenn es das strategische Handeln vollständig abfedern und aus der Praxis des anspruchsvollen kommunikativen HandeIns fernhalten sollte. Mit zunehmender strategischer Interaktion steigt zugleicht jedoch das Dissensrisiko. Es scheint auf den ersten Blick, als sei hier der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben worden. Gerade um das kommunikative Handeln zu entlasten, ist es daher auf die Unterstützung des moralisch verstandenen Rechts angewiesen, das handlungsstabilisierend wirkt und die negativen Folgen des strategischen HandeIns abfedert. Das positiv gesatze Recht erhält seine Geltung, die normkonformes Handeln über das an Recht gekoppelte Drohpotential hinaus motiviert, erst durch die Orientierung der Praxis der Rechtsgenese an den anspruchsvollen Standards des deliberativ verfaßten demokratischen Prozesses. Kritisch läßt sich die Frage stellen, welche Bereiche der Gesellschaft eine so konzipierte soziale Integration umfaßt, wenn die ausdifferenzierten Subsysteme Politik und Wirtschaft eigengesetzlich und funktional geschlossen sind (vgl. Habermas 1992: 105). Auf diese Frage antwortet das dritte Argument von Habermas. Theoriearchitektonisch wird in "Faktiztät und Geltung" die strikte Opposition von System und Lebenswelt durchbrochen, indem das Recht als Transmissionsmedium zwischen der Lebenswelt einerseits und den ausdifferenzierten Subsystemen Wirtschaft und Politik anderseits fungiert. Dies liegt in der rechtlichen Verfaßtheit der Steuerungsmedien Geld und Macht begründet: "Unter diesen Prämissen behält das Recht eine Scharnierfunktion zwischen System und Lebenswelt, die mit der Vorstellung einer autopoietischen Ab- und Einkapselung des Rechtssystems unvereinbar ist. (... ) Für die Übersetzung in die Spezialkodes bleibt sie auf das mit den Steuerungsmedien Geld und administrative Macht kommunizierende Recht angewiesen" (Habermas 1992: 77-78). Da die Sprache des Rechts gleichzeitig lebensweltlich verständlich und anschlußfabig an die jeweiligen systemischen Spezialkodes ist, können ,,( ... ) gehaltvolle Botschaften gesellschaftsweit zirkulieren" (Habermas 1992: 78). 5.4.1.4 Die Verfassungsgerichtsbarkeit im deliberativen Demokratiemodell Habermas entwickelt die Stellung der Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit in seinem Theoriedesign in einem argumentativen Dreischritt. In einem ersten Schritt bildet er zwei Modelle von Demokratie, ein liberales und ein republikanisches, deren Vor- und Nachteile jeweils diskutiert

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werden. 186 Das liberale Dernokratiemodell wird von Habermas verworfen, weil es die private Autonomie in Form liberaler Abwehrrechte zentral setzt. Das republikanische Modell wird - obwohl insgesamt recht positiv bewertet - verworfen, weil es hier zu einer ethischen Engführung politischer Diskurse kommt (vgl. Habermas 1992: 324-350). Die daraus resultierende Problematik exemplifiziert Habermas in einem zweiten argumentativen Schritt anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Auf Basis dieser Kritik ist Habermas dann in einem dritten Schritt in der Lage, die Konzeptionalisierung der Verfassungsgerichtsbarkeit im deliberativen Demokratiemodell zu präsentieren. Der zentrale theoretische Konstruktionsfehler der Verfassungsgerichtsbarkeit besteht laut Habermas in der liberalen Vorstellung, daß Rechte Ableitungen der privaten Autonomie darstellen und insofern auch die öffentliche Autonomie der privaten Autonomie unterzuordnen sei. Mit einer solchen Konzeptionalisierung ist die Verfassungsgerichtsbarkeit jedoch dem demokratischen Prozeß extern. Hinzu kommt, daß mit der Ausweitung der Staatstätigkeit, und somit der Komplettierung der Trias von Rechten nach Marshall (1965), der Primat der liberalen Abwehrrechte, die gegen den Staat zielen, sukzessive fraglicher wird. An dieser Stelle führt Habermas die zentrale Idee von "Faktizität und Geltung" ein, daß private und öffentliche Autonomie gleichursprünglich sind. Damit verändert sich jedoch die Rolle des Verfassungsgerichts im politischen Prozeß. Diese konzipiert Habermas zunächst in Abgrenzung zur Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts. Bei letzterem sieht Habermas vor allem das Problem, daß das Grundgesetz als eine konkrete Wertordnung verstanden und interpretiert wird. Dem unterliegt eine "Angleichung von Rechtsprinzipien an Werte" (Habermas 1992: 310), d. h. es erfolgt ein Austausch von Normen durch Werte. Dies ist aber sowohl aus integrations- als auch aus demokratietheoretischer Sicht bedenklich. Normen produzieren generalisierte Verhaltenserwartungen, weil sie einen deontologischen Sinn besitzen. Werte dagegen haben eine teleologischen Ausrichtung, sie stellen nur Präferenzen hinsichtlich des Guten, nicht des Gerechten dar: "Im Lichte von Normen läßt sich entscheiden, was zu tun geboten ist, im Horizont von Werten, welches Verhalten sich empfiehlt. Das Anwendungsproblem erfordert natürlich in beiden Fällen die Selektion der richtigen Handlung; aber >richtig< ist, wenn wir von einem System gültiger Normen ausgehen, die Handlung, die gleichermaßen gut ist für alle ( ... )" (Habermas 1992: 312). Die Spannung zwischen Faktizität und Geltung, wie sie dem Recht und den Strukturen des Rechts inhärent ist, wird maßgeblich durch die Ausrich186 Der erste Argumentationsschritt dient nur der theoretischen Abgrenzung gegen rivalisierende Theorieentwürfe und soll daher in meiner Rekonstruktion nur partiell berücksichtigt werden.

5.4 Integration qua Diskurs

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tung an Normen stabilisiert. Eine Rechtsprechungspraxis, die Normen durch Werte ersetzt, verletzt somit die Vorstellung von der Gleichursprunglichkeit von privater und öffentlicher Autonomie. Daher kann bei Habermas Verfassungsgerichtsbarkeit nur prozeduralen Charakter besitzen. Hierbei schließt er sich Kelsen an: "Der Tatbestand, der bei den Entscheidungen über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes unter die Verfassungsnorm zu subsumieren ist, ist nicht die Norm (... ), sondern die Erzeugung der Norm" (Kelsen (1931: 590), zitiert nach Habermas (1992: 297». Diskurstheoretisch gewendet sieht Habermas folgende legitime Aufgabenspezifizierung der Verfassungsgerichtsbarkeit: "Jedenfalls ist die vom Einzelfall ausgehende Verfassungsrechtsprechung auf die Anwendung als gültig vorausgesetzter (Verfassungs-)Normen beschränkt; deshalb bietet die Unterscheidung zwischen Normanwendungs- und Normenbegrundungsdiskursen immerhin ein argumentationslogisches Abgrenzungskriterium von Aufgaben, die Justiz und Gesetzgeber jeweils legitimerweise leisten können" (Habermas 1992: 318). Aus einem deliberativen Verständnis der Verfassungsgerichtsbarkeit resultiert jedoch auch ein prozedurales Verständnis von Verfassungen selber. Deren Aufgabe besteht, folgt man Ely (1980), maßgeblich in der Lösung von organisatorischen und prozeduralen Fragen. 187 Damit bestünde die zentrale Aufgabe eines Verfassungsgerichts im deliberativen Modus von Demokratie darin, die Prozeduren und Organisationsformen, auf denen die Legitimität des demokratischen Prozesses aufruht, zu überprufen. So ,,( ... ) gewinnen die Kommunikations- und Teilhaberechte, die für die demokratische Willensbildung konstitutiv sind, eine privilegierte Stellung. (... ) Damit soll sich die abstrakte Normenkontrolle in erster Linie auf die Bedingungen der demokratischen Genese der Gesetze beziehen, angefangen von den Kommunikationsstrukturen einer massenmedial vermachteten Öffentlichkeit, über die tatsächlichen Chancen, abweichende Stimmen zu Gehör zu bringen und formal gleiche Teilnahmerechte effektiv in Anspruch zu nehmen, bis hin zu der gleichmäßigen Repräsentation aller jeweils relevanten Gruppen, Interessenlagen und Wertorientierungen auf der Ebene der parlamentarischen Körperschaften und der Bandbreite der Themen, Grunde und Probleme, der Werte und Interessen, die in die parlamentarischen Beratungen 187 So Gerstenberg (1997: 85) über Elys Theorie: "Die Kontrollfunktion des Verfassungs gerichts erstreckt sich auf die Fairnessbedingungen des Gesetzgebungsprozesses, nicht aber auf dessen substanzielle Ergebnisse. (... ) Aufgabe der Gerichte ist es, diejenigen zu schützen, die sich aufgrund herrschender Vorurteile, Stereotype und sozialstruktureller Asymmetrien nicht selbst politisch schützen können: (... ) Das Verfassungsgericht soll den politischen Prozeß daraufhin einer Rationalitätskontrolle unterwerfen, ob die Voraussetzungen einer gleichmäßigen und fairen Repräsentation betroffener (... ) Gruppen gegeben sind (... )". 11 Schaal

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Eingang finden und in der Begründung der beschlossenen Normen berücksichtigt werden" (Habermas 1992: 321-322). Die Integrationsperformanz der Verfassungsgerichtsbarkeit steht somit in einem direkten kausalen Verhältnis zur Konzeptionalisierung des deliberativ verfaßten demokratischen Prozesses. Jedoch ist die erfolgreiche Ausfüllung dieser Rolle abhängig von der soziologischen Frage, wie vermachtet die politische Öffentlichkeit ist bzw. welche Verzerrungen sie aufweist. 188 5.4.1.5 Der deliberativ verfaßte demokratische Prozeß Habermas entwickelt seine Theorie des deliberativ verfaßten demokratischen Prozesses einerseits gegen einen Liberalismus, der von ihm verkürzt als eine Rational-Choice-Theorie verstanden wird, und andererseits gegen einen "ethisch imprägnierten Republikanismus", dem Habermas in seiner Rekonstruktion jedoch die direktdemokratischen Wurzeln kappt. Gegen beide Theorien entwickelt Habermas sein prozeduralistisches Verständnis von Souveränität: "Im diskurstheoretisch begriffenen Rechtsstaat verkörpert sich die Volkssouveränität nicht mehr in einer anschaulich identifizierbaren Versammlung autonomer Bürger. Sie zieht sich in die gleichsam subjektlosen Kommunikationskreisläufe von Foren und Körperschaften zurück. Nur in dieser anonymen Form kann ihre kommunikativ verflüssigte Macht die administrative Macht des Staatsapparates an den Willen der Staatsbürger binden" Habennas (1992: 170). Die Volkssouveränität ist also kommunikativ verflüssigt. Daher müssen als nächstes die Kommunikationskreisläufe näher betrachtet werden. Es stellen sich dabei mindestens drei Fragen: Wie konstituieren sie sich, welcher Diskursmodus ist in ihnen erwünscht und welche Annahmen werden über die rationale Qualität des Diskurses gemacht? Die Kommunikationskreisläufe sind in und zwischen drei Sphären angesiedelt: dem politischen System, den privaten Sektoren der Lebenswelt und den funktional ausdifferenzierten Handlungssystemen. Dabei bildet die Öffentlichkeit die intermediäre Vermittlungsstruktur zwischen diesen Sphären. Die Öffentlichkeit ist somit ein zentrales Konzept innerhalb der deliberativen Demokratietheorie. 189 Der öffentliche Raum besitzt jedoch keine Existenz an und für sich, vielmehr wird er durch kommunikatives Handeln überhaupt erst konstitu188 Für eine Kritik am Konzept der Verfassungsgerichtsbarkeit bei Habermas vgJ. das Kapitel "Verfassungsgerichtsbarkeit im Konzept einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung", S. 126ff. 189 Habermas greift in Faktizität und Geltung damit wieder an zentraler Stelle auf die Idee von Öffentlichkeit zurück, das er - wenn auch in normativ anderer Stellung - bereits in sein Habilschrift "Strukturwandel der Öffentlichkeit" eingeführt hat.

5.4 Integration qua Diskurs

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iert. So auch Gerhards (1997: 4): "Öffentlichkeit ist weder Institution noch Organisation, auch kein System, da sie keine klare Grenze besitzt". Die Öffentlichkeit ist dabei in dem Sinne unspezifisch, in dem sie lebensweltlich verankert ist und ihr keine Spezialcodes der Kommunikation eingeschrieben sind. Gleichwohl ist auch sie ausdifferenziert. Habermas unterschiedet drei Typen von Öffentlichkeit: die episodische Öffentlichkeit, wie Straßen- oder Kneipenöffentlichkeit, die veranstaltete Öffentlichkeit, wie Parteiversammlungen oder Kirchentage, sowie die abstrakte Öffentlichkeit, die massenmedial vermittelt hergestellt wird. Innerhalb jeder dieser Arenen erfolgt eine Binnendifferenzierung verschiedener Akteursrollen wie Teilnehmer, Publikum etc. Dort deliberieren die Bürger über lebensweltliche, ökonomische aber auch über politische Fragen. Damit übernehmen zivi/gesellschaftliche Akteure die zentrale Rolle innerhalb der Demokratietheorie. Habermas differenziert dabei autochtone und vermachtete Öffentlichkeit: "Das Resultat einer autochtonen Öffentlichkeit ist die Entstehung einer kommunikativ erzeugten legitimen Macht, das Resultat einer vermachteten Öffentlichkeit die einer administrativ erzeugten Macht, die keine oder geringe Legitimität für sich beanspruchen darf' (Gerhards 1997: 6)}9O Die zentrale Rolle zivil gesellschaftlicher Akteure läßt sich aus zwei Perspektiven begründen: zum einen aus der Theoriearchitektur, 191 zum anderen vor dem Hintergrund seiner Gesellschaftsdiagnose. Die folgenden Überlegungen schließen an den zweiten Argumentationsstrang an. Habermas geht von ausdifferenzierten, pluralistischen Gesellschaften aus, in denen das politische System die ihm zugetragenen Steuerungsaufgaben aus zwei Gründen nicht mehr hinreichend wahrnehmen kann. Auf der Output-Seite stößt das politische System auf die systemischen Eigenlogiken der anderen Systeme; auf der Input-Seite ist das politische System nicht sensibel genug, gesellschaftliche Veränderungen und damit politischen Handlungsbedarf frühzeitig zu registrieren. 192 Vor dem Hintergrund dieser Problemdiagnose, aber auch aus diskurstheoretisch immanenten Gründen führt Habermas an prominenter Stelle die Zivilgesellschaft und deren spontane und organisatorisch gering verankerten Akteure - z.B. Bürgerinitiativen - ein: 193 "Die politische 190 Die aus demokratietheoretischer Sicht relevante Öffentlichkeit ist somit die autochtone. 191 Dies resultiert aus der bereits eingeführten Gleichurspünglichkeit von privater und öffentlicher Autonomie. 192 Diese Diagnose bindet Habermas leider nicht systematisch an emprische Analysen zurück, so daß die spezifischen Probleme aus soziologischer Perspektive nicht hinreichend informiert wirken. 193 Habermas spricht von zivilgesellschaftlichen Akteuren, Bürgerinitiativen, freien Assoziationen, so daß konzeptionelle Abgrenzungen. obwohl sie wichtig sind. nicht immer eindeutig vorgenommen werden können. So bilden nach Habermas (1989: 473) freie Assoziationen ,,( ... ) die Knotenpunkte eines aus der Verflechtung 11·

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Willensbildung, die in Fonnen einer legislativen Staatsgewalt organlSlert ist, würde die zivilgesellschaftliche Basis ihres eigenen vernünftigen Funktionierens zerstören, wenn sie die spontanen Quellen der autonomen Öffentlichkeiten verstopfte oder sich gegen den Zufluß von Themen, Beiträgen, Infonnationen und Gründen abkapselte, die in einer egalitär strukturierten vorstaatlichen Sphäre frei flottieren" (Habennas 1992: 225-226). "Gerade die deliberativ gefilterten politischen Kommunikationen sind auf Ressourcen der Lebenswelt - auf eine freiheitliche politische Kultur und eine aufgeklärte politische Sozialisation, vor allem auf die Initiativen meinungsbildender Assoziationen - angewiesen, die sich weitgehend spontan bilden und regulieren, jedenfalls direkten Zugriffen des politischen Apparats nur schwer zugänglich sind" (Habennas 1992: 366). Dies verdeutlicht, welch hohen Stellenwert zivilgesellschaftliche Akteure im deliberativen Demokratiekonzept besitzen. Damit sie die ihnen zugewiesene Aufgabe quasi seismographischer Sensoren für das politische System übernehmen können, dürfen sie jedoch nicht unrealistischen Erwartungen ausgeliefert sein. Habennas wendet sich gleichennaßen gegen die liberale Vernunftskepsis, die ausschließlich von nutzenmaximierenden Individuen ausgeht wie gegen die emphatische Tugendunterstellungen im republikanischen Demokratiemodell. Dies ist ihm möglich, da er den politischen Bereich anders charakterisiert als diese beiden Demokratiemodelle es tun. Während im liberalen Verständnis Politik ausschließlich im BargainingModus verläuft und im republikanischen Verständnis nur solche Diskurse politische sind, die mit dem Ziel kollektiver Selbstverständigung geführt werden (ethische Diskurse), umfaßt die politische Sphäre im Modell von Habennas alle drei Diskursmodi, jedoch unter zwei Bedingungen: Kompromisse müssen spezifischen Minimalanforderungen entsprechen l94 und es muß die berechtigte Annahme bestehen, daß politische Fragen zumeist im adäquaten Diskursmodus diskutiert werden. So sollten z. B. Fragen des politischen Asylrechts nicht im Bargaining-Modus erörtert werden.

autonomer Öffentlichkeiten entstehenden Kommunikationsnetzes. Solche Assoziationen sind auf die Erzeugung und Verbreitung praktischer Überzeugungen, also darauf spezialisiert, Themen von gesamtgesellschaftlicher Relevanz zu entdecken, Beiträge zu möglichen Problemlösungen beizusteuern, Werte zu interpretieren, gute Gründe zu produzieren, andere zu entwerten". Vgl. für das Konzept von Sozialen Bewegungen Neidhardt (1994) und Diani (1992). 194 Verhandlungen zielen auf Kompromisse, die unter drei Bedingungen akzeptabel sind: "Solche Kompromisse sehen ein Arrangement vor, das (a) für alle vorteilhafter ist als gar _kein Arrangement, das (b) Trittbrettfahrer, die sich der Kooperation entziehen, und (c) Ausgebeutete, die in die Kooperation mehr hereinstecken als sie aus ihr gewinnen, ausschließt". "Faire Verhandlungen zerstören also das Diskursprinzip nicht, sie setzen es vielmehr voraus" Habermas (l992a: 204-205).

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Die Spannung zwischen Faktizität und Geltung, die die gesamte Theorie deliberativer Demokratie auszeichnet, findet sich auch in der empirischen Relevanz zivilgesellschaftlicher Akteure wieder. Habermas konstruiert im Anschluß an Peters (1993) ein Schleusenmodell des politischen Prozesses. Im Kernbereich des Schleusenmodells stehen die Regierung, die Gerichte, das Parlament, die Parteien etc. In konzentrischen Kreisen konstituiert sich darum die Peripherie, die aus den Medien, Neuen Sozialen Bewegungen, spontanen Kommunikationsnetzwerken von Bürgern, u. a. besteht. 19s Die Kreise sind über ein "Schleusensystem" verbunden, das quasi als institutioneller Filter dient, denn der Einfluß der zivilgesellschaftlichen Akteure ist nur dann segensreich, wenn er ,,( ... ) die Filter der institutionalisierten Verfahren demokratischer Meinungs- und Willensbildung passiert" (Habermas 1992: 449). Damit gesteht Habermas zumindest implizit ein, daß die institutionellen Filtereffekte keinen asymmetrischen Charakter besitzen, was eine radikale Wende im Vergleich zur strukturellen Verschlossenheit der politischen Öffentlichkeit für spezifische Interessen darstellt, wie Habermas sie in früheren Arbeiten konstatiert hat. Im Anschluß an Peters (1993: 304-352) differenziert Habermas (1992: 415-434) drei Modi des politischen Agendasetting. Ihr Zuschnitt ist ein interessantes theoretisches Datum zur Beantwortung der Frage, wie inklusorisch der diskursive Prozeß faktisch sein muß. - Modell 1: Zentrum - Zentrum: Das politische System (hier: Zentrum) bringt selbst Issues auf die politische Agenda, die es wiederum selbst einer rechtlich verfaßten Lösung zuführt (selbstreferentieller Politikmodus). - Modell 2: Zentrum - Peripherie - Zentrum: Dieses Modell scheint am ehesten empirisch haltbar zu sein: Das politische System setzt die politische Agenda, führt das Problem jedoch den öffentlichen Arenen und Foren als politischem Resonanzboden zu, um es so - quasi deliberativ gereinigt - wieder in das politische Zentrum zurückzuholen. - Modell 3: Peripherie - Zentrum: Dieses Modell ist das Paradigma deliberativer Demokratietheorie. Zivilgesellschaftliche Akteure fungieren als Seismographen der gesellschaftlichen Veränderung, schaffen eine Öffent195 Hierzu Gerhards (1997: 3): "Er [Habermas, G.S: ] unterscheidet zwischen dem Zentrum und der Peripherie des politischen Systems und differenziert die Peripherie nochmals in eine Input- und eine Outputperipherie. (... ) Das Zentrum des politischen Systems besteht aus der politischen Verwaltung, der Regierung, dem Gerichtswesen, dem parlamentarischen Komplex und den Parteien. (. .. ) Auf der Outputseite der Peripherie befinden sich die organisierten Spitzenverbände (... ). Auf der Inputseite der Peripherie, von der aus Interessen und Themen definiert werden, befinden sich zum einen Interessengruppen (... ), kulturelle Einrichtungen (... ), >public interest groups< ( ... ), die Kirchen und Verbände".

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lichkeit qua politischem Diskurs und setzen das politische System so unter korrespondierenden Handlungszwang. Obwohl das dritte Modell aus deliberativer Sicht das normativ Wünschenswerteste darstellt, macht Habermas deutlich, daß es sich dabei um eine empirische Rarität handelt. Innerhalb der zwei Politikmodi - dem Routinemodus und dem Ausnahmemodus - nehmen zivilgesellschaftlichen Akteure nur im Ausnahmemodus die von Habermas normativ ausgezeichnete Rolle wahr; im Routinemodus dominieren die Modelle 1 und 2, mit leichten Einsprengseln des dritten Modells. 196 5.4.2 Diskussion

Die zentrale These von Habermas lautet, daß private und öffentliche Autonomie gleichursprünglich sind und damit nicht in einem hierarchischen Verhältnis stehen. 197 Diese auf kommunikationstheoretischen Prämissen beruhende Argumentationslinie ermöglicht es Habermas, das integrative Potential des Rechts bzw. der Strukturen des Rechts an die normative Qualität des deliberativen Prozesses zu koppeln. Je inklusiver dieser ist, desto höher ist die Solidarität, die im Recht konserviert ist und desto erfolgreicher ist damit die soziale Integration. Die Stellung des Verfassungsgerichts beschränkt sich in einer solchen prozeduralen Lesart auf die Einhaltung der Unverzerrtheit der Prozeduren des deliberativen Prozesses. Somit besitzt das Verfassungs gericht nur eine sekundäre Integrationsperformanz als Instanz, die über die größtmögliche Inklusivität des deliberativen Prozesses wacht. Dieses Verständnis von Verfassungsgerichtsbarkeit setzt jedoch auch ein prozedurales Verständnis von Verfassungen voraus, welches letztlich nichts anderes als eine Spezifikation der "ungesättigten" kommunikativen Rechte darstellt. Ohne daß Habermas dies explizit erwähnt, befindet sich ein solches Verständnis von elementaren Verfassungsinhalten in konzeptioneller Nähe zu Rawls' Vorstellung von constitutional essentials (vgl. Habermas 1996: 65-127). Inwieweit damit eine Verbindung zwischen der Idee einer neutralen Verfassung und der Diskursivität a la Habermas tragfahig ist, werden die weiteren Überlegungen zeigen. Warum eine solche Kombination wünschenswert ist, möchte ich im Folgenden ausführen. Das zweistufige Argument setzt auf der ersten Ebene mit einem kurzen Rekurs auf meine Theoriekonzeption ein, um im zweiten Schritt eine Kritik an der grundbegrifflichen Spannung von.Faktizität und Geltung zu artikulieren. 196 Hiermit schließt Habermas an eine konzeptionelle Unterschiedung an, die Akkerman (1991) zwischen constitutional moments und normal politics eingeführt hat. 197 Ich verzichte an dieser Stelle darauf, die wichtige philosophische Kritik an der These der Gleichursprünglichkeit zu präsentieren, da sie für die vorliegende Fragestellung nicht einschlägig ist. Vgl. hierfür SchaallStrecker 1999.

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Mein Argument lautete, daß die Verfassung und Verfassungsrechtsprechung dann integratives Potential besitzen können, wenn sie mit einem weiten Institutionenbegriff gefaßt werden. Ich habe dann weiter argumentiert, daß die Explikation der radikalen Gehalte von Demokratie die Integrationsperformanz erhöht. Habermas führt Recht und Demokratie über die Diskurstheorie zusammen. Ich habe probiert, beide über einen Integrationsbegriff zu koppeln, der als moralisches Konzept verstanden wurde. Dabei stieß ich auf drei Problemkomplexe: die Spannung zwischen ethischen und moralischen Komponenten einer Verfassung, die Spannung zwischen privater und öffentlicher Autonomie sowie die Frage der motivationalen Ressourcen für norrnkonformes Verhalten. Habermas liefert auf alle drei Fragen Antworten; doch sind diese durch die grundbegriffliche Spannung zwischen Faktizität und Geltung belastet - dies möchte ich im Anschluß zeigen (2). Da die bisherigen Analysedurchgänge eher pessimistisch gestimmt haben, stellt sieh die Frage, ob nicht Teile einzelner Theorien Bausteine für eine Theorie der Integration qua Verfassung und Verfassungsrechtsprechung sein können. Es gilt daher im Anschluß an meine Kritik der grundbegrifflichen Spannung zu fragen, ob nicht der demokratietheoretische Partizipationskomplex von seinem kommunikationstheoretischen Begründungskern getrennt werden kann, ohne dabei an Plausibilität zu verlieren. Zuvor möchte ich jedoch noch eine kurze Kritik an der Integrationskonzeption bei Habermas selbst artikulieren (1). (1) Aus Perspektive der Integrationstheorie erscheint zunächst das Konzept sozialer Integration zu weit gespannt. Habermas besitzt zwar noch den theoretischen Komplementärbegriff der Systemintegration, dieser verliert jedoch im Zuge der Engführung von Rechtsstaat, Demokratie und Diskurs sukzessive an theoretischer Bedeutung, bis er schließlich funktional durch jenen der sozialen Integration fast verdrängt wird. 198 Am deutlichsten wird dieses hypertrophe Konzept der sozialen Integration dann, wenn Habermas die Scharnierfunktion des Rechts zu den subsystemischen Eigenlogiken als eine Erscheinungsform der sozialen Integration begreift. Hier erscheint mir eine alternative Konzeptionalisierung, die trenn schärfer zwischen sozialer, politischer und systemischer Integration differenziert, angemessener zu sein, oder, m.a. W: Angesichts der Differenzierung von drei 199 Diskurstypen erscheinen zwei Integrationsmodi unterkomplex für das theoretische Design. Ob man in dieser Situation für eine Trias a la Peters optiert, oder jene im Rahmen dieser Arbeit entwickelte akzeptiert, ist dabei eher von

198 Vgl. für eine Kritik am Konzept der Sozial- und Systemintegration bei Habermas Mourelis (1992) sowie Brodocz (1996). 199 Oder vier, wie Habermas im Nachwort zur vierten Auflage von "Faktizität und Geltung" diagnostiziert.

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sekundärer Bedeutung, solange eine interne Verbindung zwischen Diskurstheorie und Integrationstheorie besteht. Ein weiterer Einwand gegen das Argument, daß sich Gesellschaften über Recht integrieren, lautet, daß es empirisch unwahrscheinlich ist, daß das Recht universalistische Anerkennung erfahrt, um damit Integrationsfunktion übernehmen zu können. Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum Bürger - unter einer "empiristischen Selbstbeschreibung" - sich rechtskonfonn verhalten, wenn sie aus der Überschreitung der Rechtsnonnen Gewinn ziehen könnten? Habennas selbst diagnostiziert eine stetige Zunahme notwendiger strategischer Interaktion. Macht man diese empirische Diagnose stark, so verschiebt sich der Modus der Anerkennung von Rechten vom Diskursparadigma zur liberalen Figur der Verfassung als rationale Selbstbindung. Diese Figur scheitert jedoch an internen Inkonsistenzen, wie Buchstein (1994) gezeigt hat. Habennas müßte, um die rational motivierte Akzeptanz der Rechtsnonnen annehmen zu können, von einer werthaften Stützung des Rechts ausgehen und befande sich damit in gefahrlicher Nähe zu einem republikanischen Konzept des Rechts, das - aus der dogmatischen Enge der modellhaften Darstellung bei Habennas befreit - den demokratisch-prozeduralen Charakter des Rechts anerkennt. Das Modell deliberativer Demokratie zeigt somit mehr Nähe zum republikanischen Modell, als zunächst erwartet. Gleichzeitig kann aber auch eine größere Nähe zum politischen Liberalismus, insbesondere zu den neueren Arbeiten von Rawls, nachgewiesen werden. Daß beide Ansätze auf theoretischer Ebene kombinierbar sind, hat Forst (1994) gezeigt. (2) Aus der Perspektive der Theoriearchitektonik problematisch erscheint die grundbegriffliche Dichotomie von Faktizität und Geltung, die konstitutiv für die gesamte Argumentationsstruktur ist. Diese grundbegriffliche Spannung resultiert zum einen aus den notwendigerweise kontrafaktischen Präsuppositionen des kommunikativen HandeIns, fallen damit aber zugleich segensreich in eins mit einer Theorieanforderung, die Habennas selbst aufstellt. 2OO Rechtstheorien in der Moderne müssen nicht nur auf nachmetaphysischem Begründungsniveau angesiedelt sein, sie sollen darüber hinaus auch soziologischen Realismus mit philosophischem Idealismus konzeptionell engführen und auf grundbegrifflicher Ebene kompatibel gestalten. 200 Kritisch Offe (1989: 741) hierzu: "Unter gesellschaftlichen Bedingungen, die (...) besonders anspruchsvolle Anforderungen an die autonome und rationale Selbstbindungsfähigkeit und die moralische Urteilskraft der Individuen stellen, würden im Falle eines "Entgegenkommens" auch gleichzeitig die förderlichen Kontexte dafür ausgebildet, daß die Individuen diesen Anforderungen moralischer Rationalität individuell wie kollektiv gerecht zu werden imstande sind. Dieser wohltätige Zirkel wäre nicht nur für jedermann sonst, sondern vor allem für die Moralphilosophen selbst insofern von evidentem Vorteil, als sie nun aufhören könnten, sich allein auf die Überzeugungskraft ihrer Konstruktionen und Kriterien C... ) zu verlassen C... )".

5.4 Integration qua Diskurs

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Obwohl sich Habermas explizit gegen eine solche Lesart wehrt, erscheint die Dichotomie von Realismus und Idealismus analog zu der von Faktizität und Geltung zu sein. Aus theoriestrategischer Sicht wird diese Spannung von Habermas immer dann produktiv eingesetzt, wenn sich die Tragfahigkeit des soziologischen Realismus als fragwürdig erweist. Die Konfundierung von "real-soziologischen" mit philosophischen Begründungen schmälert leider sowohl die konzeptionelle Klarheit als auch die zwingende Notwendigkeit der Argumentationslinie. Die letztlich entscheidende Frage, ob diese grundbegriffliche Spannung der Diskurstheorie immanent ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Die Spannung zwischen Faktizität und Geltung wird für die Fragestellung aus der Perspektive der motivationalen Ressourcen des normkonformen Handeins relevant. Habermas liefert auch hier eine doppelte Argumentation. Faktisch ist das Recht sanktionsbeladen, d. h. rechtskonformes Verhalten resultiert aus den damit verknüpften Sanktionsdrohungen. Aus der Perspektive der Geltung erfolgt rechtskonformes Handeln auf Basis der Legitimität und Legalität des Rechts, der Inklusivität der Rechtsgenese sowie den illokutionären Bindungskräften, die im Recht konserviert sind. Wenn die gesellschaftliche Solidarität eine bedrohte Ressource ist, die maßgeblich von der Inklusivität der Rechtsgenese - oder abstrakter: von der Erfüllung spezifischer Anforderungskriterien des deliberativ verfaßten demokratischen Prozesses - gespeist wird, dann wird die Frage, warum rechtskonformes Verhalten faktisch existiert, zu einer zentralen Frage. Oder, paraphrasiert: In welchem internen Mischungsverhältnis stehen Faktizität und Geltung? Diese Frage kann Habermas empirisch nicht beantworten. Er kann es jedoch auch theoretisch nicht, weil die Faktizität normativ anspruchsvoller Diskurse unklar bleibt. Handelt es sich nur um methodische Fiktionen, dem Schleier des Nichtwissens bei Rawls nicht unähnlich, oder um reale Diskurse? Die politische Öffentlichkeit ist Kernbereich der Demokratietheorie von Habermas. Die Vitalität von Öffentlichkeit ist die zentrale Determinante der Qualität des deliberativ verfaßten demokratischen Prozesses. Damit verschiebt sich die Beweislast bei Habermas: jetzt geht es um die Träger eben jener Öffentlichkeit und um die motivationalen Ressourcen, diese Öffentlichkeit zu erzeugen. Die Ausfallbürgschaft oder die Sicherheitsgarantien hierfür übernimmt die "entgegenkommende politische Kultur" (Habermas 1992: 385, 395,434,446, 642), die wiederum von einer "an politische Freiheit gewöhnten Bevölkerung" (Habermas 1992: 627) gespeist wird. Die Spannung zwischen Faktizität und Geltung wird von Habermas durch viele Ebenen und Träger dekliniert. Mir scheint, daß sie letztlich in der Präsupposition einer "entgegenkommenden politischen Kultur" verankert ist, die jedoch bei Habermas theoretisch-konzeptionell kaum weitere Beachtung findet. Die "entgegenkommende politische Kultur" wird damit zu einer Residualkategorie der Fortschrittshoffnungen,

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die die Spannung zwischen Faktizität und Geltung tragen muß, obwohl sie dies offensichtlich überfordert. Damit scheint auch die Frage der motivationalen Ressourcen der Normakzeptanz eine - wenn auch sowohl theoretisch als auch empirisch unbefriedigende - Antwort gefunden zu haben. Die Frage nach den sozio-moralischen Voraussetzungen, sich an demokratischen Diskursen zu beteiligen, öffnet den Blick für das empirische Problem, welche Rationalitätserwartungen Diskurse in der Öffentlichkeit201 faktisch erfüllen können. Diese Frage ist ein empirisches Forschungsdesiderat. Eine bemerkenswerte Ausnahme hierzu stellt ein Aufsatz von Jürgen Gerhards (1997) dar, der anhand einer empirischen Analyse des massenmedialen Diskurses in der Bundesrepublik (1970-1994) über die Abtreibung empirisch gesättigte Aussagen über das Rationalitätsniveau dieser Debatte, und zwar differenziert nach Akteursgruppen, treffen kann. Die Ergebnisse sind aus Sicht der normativ anspruchsvollen deliberativen Demokratietheorie desillusionierend, da ,,( ... ) die Akteure in der Medienarena weder im hohem Maße ihre Kommunikationen mit Begründungen versehen noch ihr KommunikationsverhaIten die Form eines Diskurses aufweist (... ). [D]ieses Defizit [darf] nicht der Struktur medialer Öffentlichkeit, sondern dem Kommunikationsverhalten der Akteure selbst angelastet [werden]" (Gerhards 1997: 20-21). Dieses Argument verzichtet jedoch darauf, theoretisch nach der Prägekraft der Struktur medialer Öffentlichkeit auf das KommunikationsverhaIten der Akteure zu fragen. Es stellt sich die Frage, wie radikal die radikalen Gehalte des demokratischen Rechtsstaates von Habermas wirklich expliziert wurden. Bohman (1996) vertritt hierzu die These, daß Habermas den radikaldemokratischen Glutkern, der in der Idee von politischer Autonomie beherbergt wird, in den deliberativen Prozeß überträgt, und kritisiert vor diesem Hintergrund die empirisch nicht einholbaren normativen Standards der Konzeptionalisierung von Deliberation. Bohman hebt dabei vor allem auf das der Deliberation angeblich eingeschriebene Kriterium der Einstimmigkeit ab, die zum einen empirisch nicht einholbar ist und damit über die Mehrheitsregel nur einer "second best"-Lösung zugeführt wird, was wiederum zu theorieinternen Dissonanzen führt. Ob die Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates nur den Status eines normativ-heuristischen Korrektives für die reale demokratische Praxis einnimmt oder Bauplan für ein verändertes institutionelles Setting sein will, läßt sich nicht endgültig beantworten, weil. Habermas die Stellung seiner Theorie als Ganzes wiederum in die' Spannung zwischen Faktiiität und Geltung bringt. An einigen Stellen wird jedoch deutlich, daß es sich hierbei um ein normatives Korrek201 Die Frage, ob das normativ gehaltvolle Konzept von Öffentlichkeit bei Habermas hinreichend soziologisch informiert ist, kann an dieser Stelle nur eine Fußnote sein. Instruktiv sind hierfür die Beiträge in Neidhardt (1994).

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tivum handelt, das dem Routinemodus von Politik zur Seite gestellt werden soll, damit die gefährdete Ressource "Solidarität" nicht endgültig versiegt. Dies wird u. a. anhand des folgenden Zitates deutlich: "Hingegen bemißt sich die Legitimität von Regeln an der diskursiven Einlösbarkeit ihres normativen Geltungsanspruches letztlich daran, ob sie in einem rationalen Oesetzgebungsverfahren zustandegekommen sind - oder wenigstens unter pragmatischen, ethischen und moralischen Gesichtspunkten hätten gerechtfertigt werden können [Hervorhebung: G.S.]" (Habermas 1992: 47-48).

Nachdenklich stimmt an diesem Zitat der doppelte Konjunktiv. Er bezeichnet keine Praxis, sondern höchstens ein theoretisch-normatives Korrektiv. Ähnlich argumentiert auch Luhmann (1993), der die Habermas-Leitformel "Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten [Hervorhebung: O.S.]" (Habermas 1992: 138) kritisiert: "Alle Begriffe dieser Maxime werden sorgfältig erläutert - mit Ausnahme des >könntenverantwortliches< Handeln sowohl nahelegen wie zumutbar machen" (Offe 1989: 756). Dabei wird verantwortliches Handeln darüber definiert, daß "der Handelnde seinen eigenen Hand202 Dies bezeichnet Habermas (1992: 385) als eine "entgegenkommende politische Kultur".

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lungen gegenüber methodisch die Prüf-Perspektive zugleich des Experten, des generalisierten anderen und des eigenen Selbst im futurum exactum einnimmt und auf diese Weise die Kriterien des Handels sachlich, sozial und zeitlich validiert" (Offe 1989: 758). An anderer Stelle substantialisieren Offe/Preuß die Idee des Gebrauchs der praktischen Vernunft in drei Anforderungen an politische Präferenzen: "Such a will would ideally have to be at the same time ,fact-regarding' ( ... ), ,future-regarding' (... ) and ,other regarding' (... )" (OffelPreuß 1991: 156-157). Letztlich zielen die Arbeiten von Offe darauf ab, die diskursive Kompetenz der Bürger zu erhöhen, indem auf den institutionellen Kontext der Präferenzgenese reflektiert wird. Unstrittig scheint dabei die Aussage, daß Kontexte die Qualität der politischen Präferenzen verändern, merkwürdig unklar bleibt jedoch weiterhin auch angesichts des Vorschlages der assoziativen Verhältnisse die konkrete institutionelle Gestalt dieser entgegenkommenden Kontexte der Präferenzgenese (vgl. Offe 1997: 100-104).

6. Versuch einer Synthese Bisher wurden die Diskussionen zur Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, zur Demokratie und zur Integration eher getrennt geführt. Im folgenden möchte ich diese drei Diskussionslinien zusammenführen, um Ansätze einer Integrationstheorie präsentieren zu können, die auf der Verfassung und der Verfassungsrechtsprechung als zentrale Integrationsinstrumente basiert. Hierzu führe ich die bereits eingeführte Idee von Integration als moralischem Konzept systematisch weiter aus. Auf Basis dieser Integrationskonzeption wird die Vorstellung einer prozeduralen. moralischen und minimalen Verfassung entwickelt. Diese Verfassung besitzt die Stellung einer heuristischen Fiktion; mit ihrer Hilfe kann aber ein institutionelles Arrangement beschrieben werden, das die normativen Anforderungen von Integration als moralischem Konzept in modernen Demokratien erfüllen kann (vgl. Haltern 1998).

6.1 Integration als moralisches Konzept Es wurde versucht, eine Konzeption von Integration zu erarbeiten, die für westliche, ausdifferenzierte, intern pluralisierte Demokratien adäquat ist. Dabei wurde Abstand von substantiellen Konzeptionen von Gesellschaft genommen, deren Existenz entweder fraglich oder empirisch schwer aufzufinden ist, m. a. W.: Es wurde probiert, Integration vom Bürger aus zu konzeptionalisieren. Eine solche Konzeption, deren Bezugseinheit nicht mehr die Gesellschaft, sondern das Individuum ist, bestreitet dabei nicht, daß gesellschaftliche Einheit existiert. Sie bestreitet auch nicht, daß zwischen ihren Mitgliedern Solidarität existieren kann. Sie konzipiert Integration jedoch vom Bürger aus, um so den internen Zusammenhang zwischen Integration, Demokratie, Gerechtigkeit sowie Verfassung bzw. Verfassungsrechtsprechung zu verdeutlichen. Dies ist notwendig, da sich im Laufe der Analyse gezeigt hat, daß ein Integrationsverständnis, das einseitig - also entweder demokratietheoretisch oder verfassungsrechtlich - ansetzt, nicht problemadäquat ist. Meine These lautet, daß der Idee von Demokratie selbst eine spezifische Konzeption von Integration eingeschrieben ist, die in ihrem moralischen Kemgehalt universalistisch, in ihrer spezifischen Erscheinungsform jedoch kontextgebunden ist. Diese genuin demokratische Konzeption von Integra-

6.1 Integration als moralisches Konzept

175

ti on bezeichne ich als Integration als moralisches Konzept. Sie wird aus zwei Quellen gespeist: Zunächst müssen sich Bürger wechselseitig als Freie und Gleiche wahrnehmen. Damit hat jede vernünftige Konzeption des guten Lebens (die also die Klippe der Universalisierbarkeit nimmt) das gleiche Recht, realisiert zu werden. Dies ist eine zentrale Anforderung aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive. Darüber hinaus kann aus erkenntnistheoretischer Sicht in der politischen Öffentlichkeit kein Anspruch auf eine "höhere Wahrheit" vorgebracht werden, da jede Erkenntnis unter Fallibilismusvorbehalt steht. Somit hat aber auch jeder Diskursbeitrag in der politischen Öffentlichkeit prinzipiell dasselbe Recht auf Artikulation. Der zentrale Gerechtigkeitsstandard lautet, daß sich Bürger wechselseitig als Freie und Gleiche wahrnehmen müssen.2°3 Dies ist die notwendige, aber kontrafaktische Präsupposition westlicher Demokratien. Aus der spezifischen Verfaßtheit der politischen Öffentlichkeit einerseits und der prinzipiell unter dem Fallibilismusvorbehalt stehenden menschlichen Erkenntnisfähigkeie04 andererseits resultiert ein zweiter Gerechtigkeitsstandard: Sowohl die Rechtsgenese 205 als auch die Präferenzgenese 206 müssen deliberativ verfaßt sein und sich durch ein Höchstmaß an Inklusivität und Unverzerrtheit auszeichnen. Das erste Gerechtigkeitskriterium - die wechselseitige Anerkennung als Freie und Gleiche - darf jedoch aufgrund seines empirisch kontrafaktischen aber zugleich faktisch notwendigen Charakters nicht ohne institutionelle Unterstützung bleiben. Diese Unterstützung erfährt es durch die Verankerung der Grundrechte in der Verfassung. Hiermit wird ihre unbedingte Geltung und Gültigkeit staatlich garantiert. Damit rückt die institutionell-prozedurale Gestaltung der deliberativ verfaßten Rechtsgenese in den Vordergrund. Letztere soll jedoch nicht über die Demokratietheorie eingeführt werden, sondern über die Explikation der Gehalte von Integration als moralischem Konzept. Bernhard Peters (1993) hat drei Formen der Integration differenziert: funktionale Koordination, expressive Gemeinschaft sowie moralische Integrität. 207 Diese Integrationsformen sind implizit kommunikationstheoretisch beeinflußt. Während die funktionale Koordination der systemischen Integration entspricht, korrespondiert die expressive Gemeinschaft mit ethischen, die moralische Integrität mit moralischen Diskursen. Innerhalb der Diskussion von Peters wurde gezeigt, daß die expressive Gemeinschaft als Erfolgskategorie jedoch problematisch wird, wenn sie sich das Ziel der 203 Der Versuch einer Begründung hierfür ist in der Diskussion von Saward, Rawls, Larmore und Habermas unternommen worden. 204 Vgl. hierfür die Diskussion von Saward und Lakatos. 205 Vgl. hierfür die Diskussion von Habermas, S. 107-110 sowie S. 111-114. 206 Vgl. hierfür die Diskussion von Sunstein und Manin. 207 Vgl. hierfür S. 35.

176

6. Versuch einer Synthese

..authentischen" Identität setzt. Eine Überwindung dieser subjektivistischen Erfolgskategorie besteht in der Spezifizierung von Kontexten, die die Ausbildung erfolgreicher personaler Identitäten (Erikson) unterstützen. Im Rekurs auf Peters wurden drei Formen der Integration differenziert: funktionale Koordination, soziale Integration und politische Integration. Eine derartige Rekonzeptionalisierung verdeutlichte die enge Verbindung zwischen sozialer und politischer Integration. In intern pluralisierten Demokratien besteht erfolgreiche soziale Integration in der gewaltlosen Realisierung von vernünftigen Konzeptionen des guten Lebens (vgl. hierfür auch Fuchs 1999). Hierzu müssen sich die Bürger wechselseitig als Freie und Gleiche wahrnehmen und eine hohe Toleranz aufweisen. Die Realisierung der je eigenen vernünftigen Konzeption des guten Lebens erschöpft sich jedoch nicht im Sozialen; vielmehr resultieren aus spezifischen Lebenskonzeptionen auch spezifische politische Dispositionen. Doch erst die Möglichkeit, die damit korrespondierenden politischen Präferenzen in die politische Sphäre einzuspeisen, erlaubt die Realisierung der Konzeptionen des guten Lebens. Erfolgreiche politische Integration ist daher zum einen zwangsläufig mit der Inklusivität des demokratischen Prozesses, zum anderen mit der sozialen Integration verknüpft. Die politische, soziale und funktionale Integration stellen somit kontextualisierte Formen von Integration als moralischem Konzept dar. Eingangs wurde die These aufgestellt, daß Integration als moralisches Konzept die Verbindungslinie von Demokratie zu Verfassung und Verfassungsrechtsprechung bildet. Diese These kann jetzt im Rekurs auf die politische und soziale Integrationskonzeption näher erläutert werden. Erfolgreiche soziale Integration ist maßgeblich von der faktischen Gültigkeit der Annahme abhängig, daß sich Bürger als Freie und Gleiche betrachten, was wiederum eine kontrafaktische Annahme ist. Daher benötigt soziale Integration die Unterstützung durch die Verankerung der liberalen Grundrechte in einer Verfassung. Die argumentative Pointe besteht nun darin, daß die liberalen Grundrechte nicht nur liberal-vertikal - also gegen staatliche Eingriffe gerichtet - verstanden werden, sondern auch republikanisch-horizontal. Der Staat muß also auch die Ausfallbürgschaft für die kontrafaktische Annahme der wechselseitigen Anerkennung der Bürger leisten. Es resultiert aus dieser Perspektive quasi ein Beziehungsdreieck, dessen obere Spitze ein (Verfassungs-)Gericht bildet, das so Anerkennungskonflikte auf horizontaler Ebene zwischen den Bürgern schlichtet. Jedoch würde Integration als moralisches Konzept verkürzt verstanden. werden, wenn die Betonung auf der staatlichen Garantie liberaler Grundrechte läge. Konstitutiv für die politische Integration ist der prozedurale Charakter des demokratischen Prozesses. Die Inklusivität dieses Prozesses stellt quasi das republikanisch-deliberative Gegenstück zu den liberal-individualistischen Grundrechten dar.

6.1 Integration als moralisches Konzept

177

Tabelle 21

Rolle der Verfassungsgerichtbarkeit (Übersicht) 1ntegrationsmodus

Neutralität

Diskurs

Konflikt

Wertekonsens

Theorien

Politischer Liberalismus

Diskurstheorie

Konflikttheorie

Wertetheorie

Aufgaben

Neutralitätswahrung

Wahrung fairer Diskursbedingungen

Therapeutische Funktion

Wertaktuali sierung

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß der Erfolg von Integration als moralischem Konzept auf dem verfassungsrechtlichen Schutz der privaten sowie der öffentlichen Autonomie basiert. Beides - die private wie auch die öffentliche Autonomie - ist einer philosophisch-soziologischen Betrachtung von Demokratie quasi ,,eingeschrieben'',208 denn Integration als moralisches Konzept zieht seine Begründungslogik aus der Idee einer gerechten Demokratie 209 und verankert den integrativen Erfolg im Verfassungsrecht 208 Gemeint ist mit diesem Terminus nichts anderes, als daß aus philosophischer Perspektive argumentationslogisch von der wechselseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche ausgegangen werden muß, während dies "real-soziologisch" (Offe) nicht zutreffend zu sein scheint. 209 Um es noch einmal zu verdeutlichen: Die Anforderung, die je eigene, vernünftige Konzeption des guten Lebens im Rahmen der Kompatibilität mit anderen vernünftigen Konzeptionen realisieren zu dürfen, beschreibt einen Gerechtigkeitsstandard, der aus der Idee von Demokratie selbst hervorgeht. Demokratie bedeutet zwar .. Volks"herrschaft, doch existiert - in modemen Demokratietheorien - keine metaphysische Vorstellung eines .. Volksganzen" mehr (vgl. Sartori 1992: 29-45). Daher kann nur eine Auflösung von Volk in die Bürger(präferenzen) erfolgen. Wird Demokratie als Absenz von Fremdherrschaft begriffen, kann die Selbstherrschaft nur die Möglichkeit zur Realisierung der je eigenen vernünftigen Konzeptionen des guten Lebens bedeuten. Nicht alle denkbaren Konzeptionen sind jedoch zeitgleich realisierbar. Daher müssen spezifische, normative Anforderungskriterien an den politischen Prozeß gestellt werden. Der Einfluß der Selektivität des Mehrheitskriteriums ist von Sartori (1992: 212-242) ausführlich beschrieben worden. An dieser Stelle ist es ausreichend, die Einstimmigkeit als größte Annäherung an eine metaphysische Einheit zu sehen. Demokratie muß jedoch - wie Manin (1987) betont nicht nur Gerechtigkeitserwägungen, sondern auch funktionalen Gesichtspunkten gerecht werden. Unter diesen Voraussetzungen erscheint die Mehrheitsregel als adäquat (vgl. Offe 1984). Der Mehrheitsbeschluß beendet einen politischen Prozeß, der damit die Selbstbestimmung der in Abstimmungen Unterlegenen einschränkt. Daher muß der vorangegangene politische Prozeß spezifischen Anforderungen gerecht werden: er muß deliberativ verfaßt sowie möglichst inklusiv sein. Hinzu kommt, daß dem Prozeß die Vermutung der inhärenten Rationalität eigen ist (vgl. Peters 1991: 227-273).

12 Seh.a1

178

6. Versuch einer Synthese

und der sie aktualisierenden Institution, dem Verfassungsgericht. Somit wird die Spannung zwischen privater und öffentlicher Autonomie argumentationslogisch aufgelöst. Private und öffentliche Autonomie bedingen sich wechselseitig; sie stehen in keinem hierarchischen, sondern in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis zueinander. Hiermit dürfte deutlich geworden sein, warum Integration als ein demokratischer Standard begriffen werden kann: Integration als moralisches Konzept geht direkt aus der Idee von Demokratie und den ihr eigenen Gerechtigkeitsstandards hervor. Damit besitzt Integration in Demokratien genuin normative Anforderungen, die weit über jene hinaus gehen, die an Integration in nicht-demokratischen politischen Systemen gestellt werden. Die Integrationsperj'ormanz aus der Perspektive der politischen Integration ist von der Ausgestaltung des politischen Prozesses, vom Schutz der liberalen Grundrechte und vom Modus der Verfassungsrechtsprechung abhängig. Aus der Perspektive der sozialen Integration sind die wechselseitige Anerkennung der Bürger als Freie und Gleiche sowie ihre Toleranz die zentralen Anforderungskriterien. Dies betont auch Rödel: "Die tatsächliche Grundlage der Geltung [im kommunikationstheoretischen Sinne von Gültigkeit gemeint, G.S.] der persönlichen und politischen Freiheitsrechte ist also deren wechselseitige Anerkennung durch die Bürger einer Zivilgesellschaft, die in der Verfassung nur zum Ausdruck gebracht wird. Ohne diese wechselseitige Anerkennung würden auch die in der Verfassung vorgesehenen institutionellen Garantien dieser Rechte auf die Dauer wirkungslos" (Rödel 1996: 671). Über appellative Hinweise hinaus, daß sich Bürger tolerant zu zeigen haben und sich als Freie und Gleiche begreifen sollten, kann politische Theorie und Philosophie wenig zur sozialen Integration beitragen. Hier kommen vermutlich wieder primäre und sekundäre Instanzen der politischen Sozialisation ins Spiel, auf die aber an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Dem Theorieprojekt könnte der Vorwurf einer eingeschränkten Originalität gemacht werden, da Habermas in "Faktizität und Geltung" bereits die These vertreten hat, daß Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip gleichursprünglich sind. "Faktizität und Geltung" ist ohne Frage ein richtungsweisendes Werk in der Demokratie- und Rechtstheorie. Es gibt jedoch zwei relevante Kritikpunkte, die zu artikulieren wären. 210 Begründungslogisch basiert die These der Gleichursprünglichkeit von privater und öffentlicher Autonomie auf der Theorie des kommunikativen Handeins. Wie bereits gezeigt wurde, ist dem kommunikationstheoretischen Paradigma grundbegrifflich die Spannung von Faktizität und Geltung eigen. Auch wenn 210

Siehe hierfür die ausführlichere Kritik S. 114.

6.2 Institutionen und Integration

179

Habermas diese Spannung theoriestrategisch günstig einsetzt, resultiert aus ihr eine uneindeutige Stellung von empirischen zu normativen Argumenten. Hinzu tritt aus empirischer Sicht die geringe institutionelle Spezifikation der diskurstheoretischen Argumente. Das von mir vorgeschlagene Argument übernimmt die Denkfigur der Gleichwertigkeit von privater und öffentlicher Autonomie, begründet sie jedoch nicht kommunikationstheoretisch, sondern im Rekurs auf den Fallibilismus zum einen und grundsätzliche liberale Gerechtigkeitsannahmen zum anderen. Damit stellt Integration als moralische Konzeption die Verbindung zwischen Demokratie und Recht - im Sinne von Verfassungsrecht - dar. Es existiert zwar auch hier eine Spannung zwischen Faktizität und Geltung - und zwar hinsichtlich der wechselseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche -, diese wird jedoch im Verfassungsrecht institutionell stabilisiert. Im folgenden möchte ich versuchen, institutionelle Konsequenzen zu spezifizieren, die sich hinsichtlich der Integrationsperformanz aus der bisherigen Diskussion ergeben haben. 6.2 Institutionen und Integration Im folgenden soll ein institutionelles Setting entworfen werden, das Integration als moralisches Konzept befördert. Da dies jedoch den Status einer heuristischen Fiktion besitzt, sollen in einem zweiten Schritt mögliche Modifizierungen des bestehenden liberalen Institutionengefüges diskutiert werden, die eine Annäherung an das Ideal ermöglichen. Das zu präsentierende institutionelle Design muß eine Reihe von Anforderungen erfüllen, die ich kurz in Erinnerung rufen möchte. Zunächst müssen die im vorigen Kapitel spezifizierten Anforderungskriterien von Integration erfüllt werden. Darüber hinaus müssen die Spannungen systematisch Berücksichtigung finden, die Einfluß auf die Integrationsperformanz besitzen. Hierbei geht es um das Spannungsverhältnis zwischen ethischer und moralischer Verfassung, privater und öffentlicher Autonomie, symmetrischem und asymmetrischem Toleranzverhältnis sowie den unterschiedlichen Ausgestaltungen deliberativer Prozesse der Rechtsgenese. Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß zwischen der Verfassung, dem Verfassungsgericht und dem demokratischen Prozeß enge Bänder und Interdependenzen bestehen, so daß eine isolierte Betrachtung nicht sinnvoll erscheint. Daraus folgt, daß die Elemente einer Theorie der Integration qua Verfassung und Verfassungsrechtsprechung sinnvoll aufeinander abgestimmt sein müssen. Dennoch erscheint mir eine analytische Trennung der institutionellen Vorschläge entlang der ihnen entsprechenden drei Objektebenen von Demokratie sinnvoll. Notwendig ist jedoch die systematische Verknüpfung der Analyseergebnisse. Daher werde ich zunächst die Verfassung betrachten, 12'

180

6. Versuch einer Synthese

anschließend das Verfassungsgericht, um abschließend die institutionelle Ausgestaltung der Deliberation zu analysieren. 6.2.1 Das Konzept einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung Zunächst soll von einem Gedankenexperiment ausgegangen werden: Es soll eine neue Verfassung entwickelt werden. Welche Gestalt müßte sie annehmen, um Integration als moralisches Konzept zu befördern? In der Regel erfolgt die Ausarbeitung von Verfassungen unter spezifischen hisotischen Rahmenbedingungen. Elster (1991, 1995) hat im Anschluß an eine Untersuchung von zwei verfassunggebenden Versammlungen zwei Modi der Beratungen differenziert: arguing, das moralisch anspruchsvolle Argumentieren, und bargaining, ein Diskussionsprozeß, der durch Machtrelationen der Diskursteilnehmer beeinflußt wird. In dem Gedankenexperiment gehe ich davon aus, daß die hypothetische verfassunggebende Versammlung keinen externen Zwängen unterliegt. Vielmehr existiert nur der zwanglose Zwang des besseren Argumentes (Arguing-Modus). Gleichwohl kennen die Teilnehmer die konkreten Problemlagen einer ausdifferenzierten, intern pluralisierten westlichen Demokratie. Insofern unterscheidet sich dieses Gedankenmodell von einem hypothetischen Urzustand oder einem veil of ignorance im Sinne von Rawls. Angenommen, daß sie sich überhaupt für eine nationalstaatliche Verfassung entscheiden, welche Gestalt würde letztere annehmen? Eine substantielle Antwort auf diese Frage ist zweifelsohne abhängig von der jeweiligen Problemdiagnose. Verfassungen stellen zwar die politische Ordnung auf Dauer, sie sind - wie gezeigt wurde - jedoch nicht nur moralisch, sondern - zumindest empirisch - auch ethisch und funktional in dem Sinne, daß sie problem-solving sein müssen. Die folgenden Überlegungen sind von der Idee inspiriert, daß Verfassungen vor allem die Integration moderner Demokratien, und zwar als moralisches Konzept, unterstützen müssen?11 Im Angesicht des Faktums des Pluralismus kann eine Verfassung kein Katalog guter und richtiger Werte mehr sein, weil jeder Wert einen janusköpfigen Charakter besitzt. Einerseits sind Werte aufgrund ihrer Partikularität die Bindemittel innerhalb ethischer Gemeinschaften,212 d. h. sie haben 211 Eine Problemdiagnose, die den wirtschaftlichen Globalisierungsprozeß ins Zentrum stellt, würde innerhalb der Verfassung sicherlich eine andere Akzentuierung hinsichtlich ihrer konstitutiven Elemente vornehmen. Gleichwohl sind die Instrumente, mit denen die Verfassungsinhalte gefunden werden, unabhängig vom Problembefund - zumindest wenn die Lösung moralischer Natur sein soll. 212 Vgl. hierfür die Reaktionen auf den Kruzifix-Beschluß, S. 85.

6.2 Institutionen und Integration

181

inklusorischen Charakter. Doch schließt jede Inklusion gleichzeitig auch aus, weil automatisch ein Innen und ein Außen konstituiert wird. Damit haben Werte auch exkludierenden Charakter. Dies ist jedoch nicht mit Integration als moralischem Konzept vereinbar, da einseitig und ohne moralische Begründung spezifische Konzeptionen des guten Lebens über die verfassungsrechtliche Festlegung von Werten favorisiert und andere wiederum benachteiligt werden.

Aus funktionaler Sicht resultieren Probleme aus der Wert- und Norrnimmobilität von Verfassungen; denn sie stellen die politische Ordnung auf Dauer und sind somit strukturell konservativ. Daraus folgt jedoch auch, daß eine werthafte Vorentscheidung auf Verfassungsebene sehr schnell an den funktionalen Imperativen der .. sozialen Realität" vorbeizielen kann. Aus demokratietheoretischer Sicht erscheint die Interpretationsdominanz der Verfassungsgerichtsbarkeit problematisch. Gerade aufgrund der Wert- und Nonnimmobilität von Verfassungen erscheint auch das von Häberle geprägte und von Habennas (1992) wieder aufgegriffene Konzept der Gemeinschaft der Verfassungsinterpreten durch die Idee von Verfassung hindurchzugreifen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, Verfassungen als moralische und prozedurale Verfassungen zu konzeptionalisieren: moralisch im Sinne von Rawls (1993) und prozedural in Anlehnung an Ely (1980). Die Antwort des politischen Liberalismus bei Rawls auf die oben skizzierte Problemlage besteht zum einen in der politischen Konzeption der Person, zum anderen in der Neutralität der Verfassung, die aus einer zweifachen Objektbeschränkung resultiert: (1) Der Regelungsbereich ist das Politische. (2) Die Begründungen des politischen HandeIns müssen moralischer Natur sein. Die Verfassung enthält die sechs constitutional essentials und wird - da sie keine vernünftige Konzeption des guten Lebens befördert oder einschränkt - von einem overlapping consensus getragen. Die wesentlichen Verfassungsinhalte sind: (1) Gewaltenteilung; (2) Das Recht zu wählen und in der Politik zu partizipieren; (3) Die Ausgestaltung (scope) des Mehrheitsprinzips; (4) Der Schutz des fairen Wertes der politischen Freiheitsrechte; (5) Gewissens-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit; (6) Der Schutz der Rechtsstaatlichkeit. Anhand der Analyse von Rawls haben sich vier große Kritikkomplexe gezeigt. 213 - Die Trennung zwischen privat und öffentlich bzw. zwischen politisch und sozial ist selbst nicht moralisch begründet. - Rawls erkauft sich die empirische Stabilität durch eine eingeschränkte Gültigkeit des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes. Bei ihm stehen 213

Siehe hierfür ausführlicher S. 54-62.

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6. Versuch einer Synthese

Gerechtigkeit und Integration (im Sinne von Stabilität) in einem Konkurrenzverhäl tnis. - Rawls bindet die Geltung und Gültigkeit von Recht (und damit auch: Verfassungsrecht) nicht an seine Genese zurück, m. a. W.: Die politische Partizipation findet bei Rawls keine hinreichende Berücksichtigung. - Die motivationalen Ressourcen der Unterstützung des overlapping consensus sind empirisch wie theoretisch fragwürdig, da - so das gängige Diktum innerhalb der liberalismus-kritischen Demokratietheorie anspruchsvolle Konzeptionen des guten Lebens systematisch benachteiligt werden. Zwei Kritikpunkte sind aus der Perspektive des hier vorliegenden Theorievorschlages besonders relevant; zum einen die motivationalen Ressourcen normorientierten Handeins, zum anderen die theoretische Vernachlässigung der politischen Partizipation. Mein Argument lautete, daß ein overlapping consensus gerade deshalb nicht ausgebildet wird, weil die Vorstellung einer absolut neutralen Verfassung empirisch spätestens auf der Ebene der Verfassungsrechtsprechung unhaltbar wird. 214 Es muß eine Veränderung in der Argumentationsstrategie dahingehend erfolgen, daß Verfassungen so minimal und moralisch wie möglich sein müssen. Zentral für die Ausbildung eines Konsens auf der Verfassungsebene ist jedoch die moralische Qualität der in ihr spezifizierten politischen Partizipationsstrukturen und -prozeduren. Wenn die Neutralität der Verfassung nicht die Gleichbehandlung vernünftiger Konzeptionen des guten Lebens garantieren kann, die Tragfahigkeit des overlapping consensus jedoch von dieser Fiktion abhängig ist, erscheint eine Verschiebung der Akzeptanz- und Unterstützungsressourcen in den Prozeß der politischen Deliberation notwendig. Die Rechtsgenese muß daher deliberativen und inklusiven Charakter besitzen, wobei beides als moralisches Konzept in der Verfassung verankert ist und den prozeduralen Aspekt einer moralischen und minimalen Veifassung verkörpert. Damit ist das Konzept der prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung anschlußfahig an das bereits eingeführte Konzept der kollektiven politischen Identität. Die Vorstellung der kollektiven politischen identität ergibt sich als normative Präsupposition von Integration als moralischer Konzeption. Die politische Identität ist das kollektiv geteilte Verständnis, sich wechselseitig als Freie und Gleiche zu akzeptieren. Diese Akzeptanz umfa,ßt auch die Verfassung als die Institution, die diese Werte schützt, sowie das Verfassungsgericht. Die kollektive politische Identität ist dabei in der diskursiven Praxis der Gemeinschaft der Bürger verankert, so werden die normativen Präsuppositionen faktisch einholt. 214 Vgl. hierfür das Kapitel "Der Supreme Court und Comprehensive Doctrine", S. 66ff.

6.2 Institutionen und Integration

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Die Strategie des Arguments dürfte hier bereits deutlich geworden sein: Angesichts der Tatsache, daß moderne Gesellschaften ,,( ... ) unausweichlich dem Dilemma unterworfen [sind, G.S.], daß Konsens nur über relativ allgemeine Wertpostulate möglich ist und Dissens um so wahrscheinlicher ist, je mehr Postulate mit Inhalt gefüllt werden" (Münch 1992: 327), kann der Konsens nur Prozeduren und moralische Konzepte umfassen. Damit versuche ich den Verfahrenskonsens, wie er auf der mittleren Objektebene von Demokratie verortet ist, auf die Verfassungsebene zu heben?15 Implizit wird damit natürlich von der universellen Gültigkeit moralischer Konzepte ausgegangen; diese Diskussion soll ich an dieser Stelle jedoch nicht geführt werden. 216 Welches sind die wesentlichen Verfassungsinhalte einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung? Eine solche Verfassung beschränkt sich zunächst auf die Spezifizierung der Gewaltenteilung und der Änderungsklauseln. Hinzu tritt die Garantie der Rechtsstaatlichkeit, der privaten Autonomie als Paraphrasierung der liberalen Grundrechte, der öffentlichen Autonomie als Paraphrasierung der Kriterien des deliberativ verfaßten demokratischen Prozesses, seiner Voraussetzungen und der Spezifikation des Mehrheitsprinzips sowie der Periodizität der Wahlen?17 Die zentrale Beweislast meines Konzeptes liegt auf der Spezifizierung eines moralischen Konzeptes der öffentlichen Autonomie. Unter welchen Bedingungen kann die hypothetische verfassunggebende Versammlung diese unverzerrten, inklusiven Partizipations formen finden? Formal können die Argumente, die für spezifische Konfigurierungen des deliberativen Prozesses vorgebracht werden dürfen, auf moralische Argumente im kommunikations theoretischen Sinne beschränkt werden. Ein ähnlicher Ansatz kann mit Offe (1989: 758) verfolgt werden. Hier lautet die Anforderung: ,,[D]er Handelnde [nimmt, G.S.] seinen eigenen Handlungen gegenüber methodisch die Prüf-Perspektive zugleich des Experten, des generalisierten anderen und des eigenen Selbst im futurum exactum (... ) [ein, G.S.] und [validiert, G.S.] auf diese Weise die Kriterien des Handeins sachlich, sozial und zeitlich" (Offe 1989: 758). Diese Prüfperspektive müßte auf die Inklusivität und Unverzerrtheit des deliberativ verfaßten politischen Prozesses gerichtet werden. Vorschläge für Vgl. hierfür die Diskussion der Konsensebenen, S. 46ff. Vgl. hierzu Höffe (1996), McCarthy (1993, 1989) sowie allgemein die Arbeiten von K.O. Apel. 217 Innerhalb einer solchen Verfassung sollte auch keine Staatszie1bestimmung erfolgen. Sämtliche substantiellen Spezifikationen - mit Ausnahme der öffentlichen Autonomie - sollten im deliberativ verfaßten demokratischen Prozeß erfolgen. Die zweite Ausnahme besteht in der Aufgabe eines Verfassungsgerichts in einer so verstandenen Verfassung. 215

216

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6. Versuch einer Synthese

eine moralische Konzeption des prozeduralen Settings sollen an dieser Stelle nicht präsentiert werden. Dies möchte ich in Ansätzen im Rahmen der Diskussion der Deliberation nachholen. Zuvor wird die Aufgabe eines Verfassungsgerichts im Rahmen einer prozeduralen, minimalen und moralischen Verfassung näher betrachtet werden. 6.2.2 Verfassungsgerichtsbarkeit im Konzept einer prozeduralen. moralischen und minimalen Verfassung

Die hypothetische verfassunggebende Versammlung muß die Aufgaben der Institution der Verfassungs gerichtsbarkeit spezifizieren. Dabei ist die Institution selbst paradox, da sie vor einem Ausnahmefall schützen soll, der nicht eintreten wird, wenn die Bürger sich in der Tat als Freie und Gleiche begreifen und der politische Prozeß deliberativ, inklusiv und verzerrungsfrei ist. Gleichsam als Ausfallbürgschaft von ansonst normativ überforderten lebens weltlichen Strukturen und Akteuren ist die Konzipierung von Verfassungs gerichtsbarkeit sinnvoll. Hinzu tritt die Überlegung, daß eine Verfassung ohne ein Organ, das einfaches Recht auf seine Verfassungskonformität überprüfen kann, eine Verfassung auf dem Papier bleiben wird, die keine wahre normative Korrektivfunktion ausüben kann (vgl. Elster 1996). Da die verfassunggebende Versammlung historisch informiert ist, möchte ich gängige Problemdiagnosen in Erinnerung rufen. Aus demokratietheoretischer Sicht wird das Verfassungs gericht häufig in Opposition zum demokratischen Mehrheitsprinzip gesehen. Hinzu kommt je nach Wahlmodus - die Kritik, daß die Richter keine hinreichende demokratische Legitimation besitzen, weil sie nicht direkt vom Volk gewählt werden. Im scheinbaren Spannungsfeld zwischen Recht und Demokratie steht auch die Frage, ob die Verfassungsinterpretationen durch faktische Einstellungen innerhalb der Bevölkerung gedeckt sein sollten. Man gewinnt den Eindruck, daß es schlecht steht um die Institution "Verfassungsgerichtsbarkeit", insbesondere in der Bundesrepublik. Für Horst Häuser, den Bundesvorsitzenden der Neuen Richtervereinigung, besteht daher ein starker Reformdruck, der eindeutige institutionelle Konsequenzen erfordert: "Die dritte Gewalt muß sich, wie die anderen Staatsgewalten auch, der öffentlichen Diskussion stellen. Der Diskurs mit dem Souverän - mit dem Bürger - mag für viele Richter ungewohnt sein, aber er wird in Zukunft immer wichtiger. werden,. wenn gerichtliche Entscheidungen öffentliche Akzeptanz finden sollen" (Häuser 1996: 10).218 218 Häuser überrascht mit der Forderung, daß Richter selbst mehr Mitspracherecht haben sollten. Auf diesen Argumentationsstrang möchte ich mich an dieser Stelle jedoch nicht einlassen.

6.2 Institutionen und Integration

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Der Vorschlag von Häuser weist dann in die richtige Richtung, wenn er die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit aus der Prüfperspektive an den Prozeß der Rechtsgenese rückkoppelt, er wird aber dann problematisch, wenn das Gericht selbst Teil des demokratischen Prozesses sein soll. So auch Gerstenberg: "Das Verfassungsgericht muß, so paradox das zunächst klingt, den politischen Standpunkt der Bürger gegenüber dem formellen politischen Entscheidungsprozeß - dem politischen System - der Gesellschaft repräsentieren, darf aber als Gericht nicht selbst zu einem Organ der Politik werden und sich an die Stelle der politisch autonomen Bürger setzen" (Gerstenberg 1997: 80-81). Ergibt sich folglich aus dem prozeduralen, moralischen und minimalen Konzept von Verfassung selbst eine spezifische Vorstellung von Verfassungsgerichtsbarkeit? Oder existieren alternative Institutionen, die funktionale Äquivalente zum Verfassungsgericht darstellen, ohne jedoch die problematischen Konnotationen des Verfassungsgerichts zu besitzen?219 Streng genommen kann keine Verfaßtheit von Verfassungs gerichtsbarkeit aus der Konzeption von Verfassung deduziert werden; dies scheitert maßgeblich daran, daß man um einen - wenn auch wohlbegründeten - Dezisionismus entweder pro Deliberation oder pro Verfassungsgerichtsbarkeit nicht herumkommt. Dieser Dezisionismus basiert dabei auf der Einschätzung des Rationalitätspotentials des deliberativen Prozesses. In dem Maße, in dem die notwendigen Präsuppositionen faktischer Natur sind, kann auch das Verfassungsgericht eine minimale und defensive Rolle spielen. 22o Treten systematische Verzerrungen des deliberativen Prozesses auf, die innerhalb der Strukturen von Deliberation nicht aufzulösen sind, muß das Verfassungsgericht eine offensivere Rolle spielen, um der Idee von Integration als moralischem Konzept zur Realität zu verhelfen. Im folgenden möchte ich nur vorläufige Überlegungen zu einer Verfassungsrechtsprechung präsentieren, die kompatibel zum prozeduralen, moralischen und minimalen Konzept

219 Eine Alternative müßte nicht notwendigerweise in einer anderen Institution bestehen. Denkbar wäre auch eine andere Form der Wabl der Richter: "Bei den Beratungen über das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz gab es Bestrebungen, die Richterbank des BVerfG auch mit Laienbeisitzern zu besetzen. Das Laienelement sollte - mehr als die Richter der traditionsbelasteten Justiz - einen besonderen Sinn für das Politische, für den Geist der neuen politischen Ordnung des Grundgesetzes in die Rechtsprechung des Gerechts einbringen. Die Staatsbzw. Verfassungsgerichte der Länder sind zum Teil mit solchen Richtern, die nicht die Befähigung zum Richteramt haben, besetzt" (Schlaich 1994: 29-30). Eine ähnliche Idee findet sich auch in Abramson (1994) und den neueren Arbeiten von Fishkino Das Argument für ein Jury-System liegt bei Fishkin und Abramson jedoch in der Anbindung der Justiz an die Idee von Demokratie und Deliberation in Form des Repräsentationsprinzips. 220 Defensiv ist hier im Sinne von politisch zurückhaltend gemeint.

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6. Versuch einer Synthese

von Verfassung sind.22I Ich halte es hierbei für erfolgversprechend, an die Arbeiten von Ely (1980) anzuschließen, sie jedoch leicht zu modifizieren. Die Garantie der privaten und öffentlichen Autonomie stellt den Kernbestand einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung dar. Die zentrale Aufgabe der Verfassungs gerichtsbarkeit muß daher in einer Überprüfung dieser Garantien liegen. Die basale Legitimitätsvermutung liegt beim inklusiven, unverzerrten und deliberativ verfaßten demokratischen Prozeß der Rechtsgenese. Dieser sollte normativ gesehen den Vorrang vor der Autorität des Verfassungsgerichts haben. Das Verfassungsgericht überprüft die Verfassungskonformität des Prozesses der Rechtsgenese sowie des Rechts. Wenden wir uns zunächst dem Recht selbst zu. Nach Ely (1980: 117) sind Gesetze dann nicht verfassungskonform, wenn Mehrheiten per Gesetz Minderheiten aus dem politischen Prozeß ausschließen oder wenn Gesetze nicht-allgemein sind und nur oder gerade nicht - Minderheiten umfassen. In solchen Fällen kann das Verfassungsgericht Gesetze als nicht verfassungskonform deklarieren. Bisher erweist sich die Konzeption von Ely als kompatibel mit der Idee einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung. Problematisch wird die Überprüfung des deliberativen Prozesses. Besonders herausfordernd ist hierbei der theoretische Umgang mit den strukturellen Asymmetrien im Zugang zur politischen Öffentlichkeit und daraus resultierend mit den systematischen Verzerrungen des deliberativen Prozesses. " [C]ourts should protect those who can't protect themselves politically" (Ely 1980: 152). "The court should therefore look not simply to the legislative product here, but to the process that generated it, to see whether it can identify some factors or actors that suggest the likelyhood of such legislative misapprehension" (Ely 1980: 157). Aus Sicht einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassungskonzeption ergeben sich aus dem Verständnis von Ely etliche Problempunkte. Dies gilt jedoch nicht nur für die Theorie von Ely, sondern für jede andere Theorie, die die Unverzerrtheit des deliberativen Prozesses zum Prüfstein der Verfassungskonformität wählt. Die zentralen Probleme liegen dabei zum einen im strukturellen Expansionismus der Verfassungs gerichtsbarkeit, zum anderen in der Wiedereinführung substantieller Werte durch das Verfassungsgericht, das damit zu einem "Supergesetzgeber" werden 221 Gerstenberg (1997: 80-109) verfolgt ein ähnliches Projekt. Er möchte ein deliberatives Verständnis von Justiz und Verfassungsrechtsprechung entwickeln und differenziert im Zuge dieses Projekts pluralistische Demokratietheorien (insbesondere Ely) und Theorien des civic republicanism. Hierzu rechnet er Autoren wie Dworkin, Miche1man, Sunstein und Ackerman. Das de1iberative Verständnis von Verfassungs gerichtsbarkeit entwickelt Gerstenberg maßgeblich im Anschluß an Miche1man und Sunstein. Dies ist der zentrale Unterschied zu dem von mir vorgelegten Entwurf: Ich denke, daß das Konzept von Ely (1980) anschlußfähiger ist.

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würde. Der Expansionismus resultiert aus den rechtlichen Konsequenzen, die aus einer strukturellen Asymmetrie hervorgehen müssen; die Frage lautet: Wie können die nicht im politischen Prozeß artikulierten Präferenzen, Meinungen, Diskussionsbeiträge über die Instanz der Verfassungsgerichtsbarkeit wieder eingeführt werden? Das Verfassungsgericht kann nicht funktionales Äquivalent für die nicht ausgeübte öffentlichen Autonomie der benachteiligten Minderheiten sein, dies zum einen nicht, weil die schiere Definition von Minderheiten problematisch ist. Zum anderen spricht dagegen, daß jeder Schritt in diese Richtung eine Büchse der Pandora öffnen würde, die gefüllt ist mit advokatorisch-patemalistischen Diskursen, die dann im und durch das Verfassungs gericht in Vertretung der strukturellen Minderheiten geführt werden würden. Paternalismus und Demokratie sind jedoch schwer miteinander vereinbar. Daher kann ein Schritt in diese Richtung sehr schnell zum falschen Schritt werden. Jedoch verhält es sich auch mit der zweiten Strategie, die strukturell Unterrepräsentierten zu repräsentieren, nicht anders. Eine solche Strategie bestünde in der Veränderung der sozial-wirtschaftlichen Ursachen von strukturellen Minderheiten. Unter der Annahme, daß mittels einer redistributiven Sozialpolitik strukturelle Asymmetrien hinsichtlich der Partizipationsmöglichkeiten nivelliert werden können, resultiert aus dem moralisch inspirierten Prozeduralismus sofort eine expansive Sozialstaatlichkeit. 222 Dies soll jedoch kein Plädoyer gegen den Sozialstaat sein; die Frage ist nur, welche Rolle das Verfassungsgericht innerhalb der präsentierten Konzeption von Verfassung spielen muß, wenn die Diskursbedingungen selbst auf ihre Verfassungskonformität hin betrachtet werden. Aus einer solchen Idee heraus liegt die ungewohnte Vorstellung eines justiziellen Gesetzgebers in institutioneller Form des Verfassungsgerichts nahe - oder zumindest die moralische Notwendigkeit für eine entsprechende Gesetzgebungspraxis des parlamentarischen Gesetzgebers. Doch nicht nur die Vorstellung eines Verfassungsgerichts als institutionellem Vorkämpfer des Sozialstaates erscheint gewagt, auch die Kontrolle der Verzerrungen, die aus der Vermachtung von Öffentlichkeit resultieren, wird bei näherer Betrachtung schwierig. Wie im Rahmen der Diskussion von 222 Aus strukturellen Asymmetrien in der Verteilung von partizipationsnotwendigen Ressourcen resultieren strukturelle Partizipationsdefizite (vgl. Held 1987: 257 und Macpherson 1977). Vor dem Hintergrund dieser Überlegung zeichnen sich viele partizipatorischen Demokratietheorien durch eine machtkritischeKomponente aus. Vgl. auch die Ergebnisse von Verba/Schlozman et al. (1993: 313-314) zum Partizipationsverhalten in Abhängigkeit vom Einkommen in den USA: "We have investigated the consequences for the representativeness of particapatory input of the substantial differences among Americans in their propensity to take part. (... ) If those who take part and those do not were similar on all politically relevant dimensions, then substantial inequalities in participationwould pose no threat to the democratic principle of equal protection of interests. As our analysis has demonstrated, this is hardly the case".

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Habennas gezeigt wurde, existiert die Öffentlichkeit weder an und für sich, noch ist sie ein einheitlicher Ort. So differenziert Habennas drei Typen von Öffentlichkeit; relevant für die folgenden Überlegungen ist nur die medial vennittelte Öffentlichkeit. Aus der Idee, daß die Intaktheit und Unverzerrtheit der Prozeduren deliberativer Politik auf ihre Verfassungskonformität hin überprüft werden sollen, folgt nicht nur die Notwendigkeit einer verfassungsrichterlichen Analyse hinsichtlich der individuellen Asymmetrien im Zugangspotential zur Öffentlichkeit; aus ihr folgt auch die Überprüfung des Einflusses der medialen Konstruktion von Öffentlichkeit sowie die daraus resultierenden Verzerrungen. Voltmer (1996: 64-66) betont, daß Printmedien eine doppelte Funktion erfüllen; sie erbringen sowohl eine Infonnations- als auch eine Orientierungsleistung. Es ist eine empirische Frage, ob die Binnenpluralität eines Mediums - z. B. einer spezifischen Tageszeitung - erreicht wird; die Antwort auf diese Frage würde verfassungsrechtlich dann relevant werden, wenn strukturelle Verzerrungen in der Produktion massenmedial vennittelter Öffentlichkeit vorlägen. Die Relevanz solcher Fragen zeigt ein historisch infonnierter Blick in die deutsche Geschichte. Obwohl der Einfluß nicht empirisch genau bezifferbar ist, steht doch außer Frage, daß die politische Berichterstattung der von Alfred Hugenberg in der Weimarer Republik herausgegebenen Zeitungen einen nicht unbedeutenden Anteil zum Zusammenbruch der Republik besaßen?23 Welche Kompetenzen würde die hypothetische verfassunggebende Versammlung angesichts der Diskussionsergebnisse einem Verfassungsgericht zubilligen? Aus der Idee des Schutzes moralisch begründeter Partizipationsstrukturen resultieren dann geringe Herausforderungen, wenn nur die Produkte des Prozesses - d. h. die Gesetze - auf ihre Verfassungskonfonnität hin kontrolliert werden dürfen. Der defensive und minimale Charakter von Verfassungsgerichtsbarkeit verändert sich jedoch sofort in einen expansiven und advokatorischen, wenn der Prozeß der Deliberation selbst auf Verzerrungen hin überprüft werden soll; unabhängig davon, ob ein solcher Test nur das Partizipationspotential marginalisierter Minoritäten oder die Unverzerrtheit der vennachteten und massenmedial vennittelten Öffentlichkeit einschließen soll. In beiden Fällen besteht eine immanente Tendenz zur Aufwertung des Verfassungsgerichts zu einem mit dem parlamentarischen Gesetzgeber konkurrierenden justiziellen Gesetzgeber. Wie eingangs erwähnt, besteht damit die Notwendigkeit für einen wohlbegründeten Dezisionismus. Ich entscheide mich zugunsten der Legitimitätsunterstellung des demokratischen Prozesses, und damit auch gegen eine expansive Rolle des 223 Vgl. hierzu Guratzseh, Dankwart 1974: Macht durch Organisation. Die Grundlegung des Hugenbergschen Presseimperiums. Düsseldorf: Bertelsmann; sowie Wemecke, Klaus/Heller, Peter 1982: Der vergessene Führer: Alfred Hugenberg. Pressemacht u. Nationalsozialismus. Hamburg: VSA-Verlag.

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Verfassungsgerichts, weil diese im negativen Falle - d. h. im Modus der advokatorisch-paternalistischen Diskurse - die Basis der Integration moderner Demokratien, d. h. die Rückbindung des Rechts an seine Genese, aus dem Empfindungsgleichgewicht der Bürger bringen könnte. Hinzu tritt die bisher nicht diskutierte Möglichkeit, die kontextualisierten Bedingungen für einen unverzerrten und inklusorischen Diskurs in Form einfacher Gesetze zu regeln und damit wieder die private an die öffentliche Autonomie rückzubinden. 6.2.3 Öffentlichkeit und Verfassung: Ein alternatives Modell der Deliberation Innerhalb einer prozeduralen, moralischen und minimalen Konzeption von Verfassung besitzt die politische Öffentlichkeit eine herausragende Bedeutung, jedoch nicht an und für sich, sondern als ein Medium, in dem Deliberation stattfinden kann. Die Diskussion des demokratischen Rechtsstaates bei Habermas hat gezeigt, daß die Vorstellung einer permanent deliberierenden politischen Öffentlichkeit realitätsfremd ist, selbst wenn unterschiedliche Foren und Formen von Öffentlichkeit differenziert werden. Dieses empirische Datum hat Habermas dazu gebracht, den Neuen Sozialen Bewegungen eine exponierte Stellung innerhalb seines Theoriedesigns zu geben. Sie sind quasi die gesellschaftlichen Sensoren für neue Probleme, die im Routinemodus von Politik zu spät bemerkt werden würden, um problemadäquat behandelt werden zu können (vgl. Habermas 1992: 435). Die soziologische Umsetzung eines solchen Konzepts von Öffentlichkeit erweist sich jedoch als problematisch. In einer vergleichenden empirischen Untersuchung kommt Gerhards zu dem Schluß, ,,( ... ) daß die öffentlichen Debatten über Abtreibungen in der Bundesrepublik im Zeitraum von 1970 bis 1994 bezüglich der meisten Kriterien nicht den Modellvorstellungen einer diskursiven Öffentlichkeit entsprechen, wie sie von Habermas und Theorien deliberativer Demokratie entworfen wurden" (Gerhards 1997: 27). Hinzu tritt eine merkwürdige Einseitigkeit in den beobachteten NSB;224 es existieren nicht nur public-good-Gruppen (Rettet die Robbenbabies oder 224 Eine konventionelle Definition von Sozialen Bewegungen liefert Rucht (1994: 76-77): "Eine soziale Bewegung ist ein auf gewisse Dauer gestelltes und durch kollektive Identiät abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen, welche sozialen Wandel mit Mitteln des Protests - notfalls bis hin zur Gewaltanwendung - herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen". Wenden wir unsere Aufmerksamkeit von den sozialen hin zu den neuen sozialen Bewegungen, dann besteht das neue zunächst in einer Abgrenzung gegenüber der "klassischen" sozialen Bewegung, der Arbeiterbewegung. Das neue besteht nach Rucht jedoch auf darin, daß neue soziale Bewegungen die Ambivalenz der Moderne und des Prozesses der Modernisierung anders als frühere Bewegungen antizipieren:

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Rettet den Regenwald!),225 sondern zunehmend auch NSB mit single-issueCharakter, die private-goods nachfragen. 226 Während letztere aus emphatischer demokratietheoretischer Sicht ambivalent bewertet werden können, wird die Ausblendung der "Brandneuen Sozialen Bewegungen" (Buchstein) gefährlich. "Ausländer-raus"-Bewegungen und Brandsatz schmeißende Gruppen in Hoyerswerda227 besitzen auch einen eminent politischen Charakter, doch bleibt Habermas eine Antwort auf die Frage schuldig, wie das Schleusensystem zwischen Peripherie und politischem Zentrum mit solchen Akteuren und ihren politischen Präferenzen umzugehen hat. Wenn die "entgegenkommende politische Kultur" das Substrat autonomer zivilgesellschaftlicher Akteure ist, dann stellen die "Brandneuen Sozialen Bewegungen" (Buchstein) entweder die Realität ersterer in Frage oder verweisen auf alternative Ressourcen anderer Gemeinschaftlichkeit. Damit erscheint es notwendig, die Rolle von NSB sowie die Konzeptionalisierung von Öffentlichkeit zu überdenken. Dies ist auch das Fazit von Gerhards: "Eine Theorie der Öffentlichkeit, die an einer Funktionsbestimmung von Akteuren der Zivilgesellschaft festhalten will, muß sich allerdings eine andere als eine diskurstheoretische Begründung suchen" (Gerhards 1997: 32). Die präsentierte prozedurale, moralische und minimale Konzeption von Verfassung besitzt eine alternative Begründung für die normative Auszeichnung von deliberativer Partizipation. Aufgrund der Herausforderungen, die aus einer exponierten Stellung der NSB im Habermasschen Demokratiemodell resultieren, schätze ich das "emphatische Entwicklungspotential" der NSB für die Demokratie eher verhalten positiv ein. Daher soll im folgenden auch nicht auf die Rolle von NSB eingegangen werden, sondern vielmehr zunächst die alternative Konzeption der Deliberation von Bohman "Die neuen sozialen Bewegungen kämpfen nicht gegen die gesellschaftliche Ordnung, die sie hervorgebracht hat (... ). Sie treiben diese Ordnung vielmehr auf eine höhere Entwicklungsstufe und beziehen sich zugleich kompensierend auf ihre negativen Auswüchse; sie sind damit (... ) Erfüllungsgehilfe fortlaufender Modemisierungsprozesse" (Rucht 1994: 511). Diese Ambivalenz gegenüber den Prozessen der Modemisierung wird von Habermas jedoch konzeptionell unterschlagen; ebenso das empirische Datum, daß die Teilnehmer von NSB strukturell biased sind, da sie sich maßgeblich aus der neuen Mittelklasse rekrutieren (vg1. Rucht 1994: 24). 225 Vg1. hierfür Chong, Dennis 1991: Collecti ve Action and the Ci vii Rights Movement. Chicago: Univ. of Chicago Press. Chong rekonstruiert die Partizipation in NSB und Bürgerrechtsbewegungen über einen Collective Action-Ansatz, der die Logik des kQllektiven Handeins (Olsoo 1968) zu umg~hen versucht. Rucht (1994: 185-290) liefert u.a. eine Analyse der Frauen- und Okologiebewegungen, die den erwähnten public-good Charakter besitzen. Vg1. für die Stellung von Neuen Sozialen Bewegungen in Demokratien darüber hinaus Dalton/Kuechler (1990) und Offe (1985). 226 Vg1. hierfür die Arbeiten von Olson (1968, 1980). 227 Und anderen Orten, Hoyerswerda steht hier pars pro toto.

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(1996) präsentiert werden. Anschließend erfolgt ein Exkurs zum Potential des Internets innerhalb einer deliberativen Demokratietheorie. 6.2.3.1 Deliberation als "onging process": James Bohman In seinem Buch Public Deliberation widmet sich Bohman den aus demokratietheoretischer Perspektive relevanten Fragen, wann demokratische Entscheidungen unter Bedingungen gesellschaftlicher Modernität und Komplexität sowohl normativ legitim sind, als auch von den Bürgern akzeptiert werden. Da Bohman dem deliberativen Demokratieparadigma nahe steht, lautet seine Antwort - ähnlich den bereits präsentierten Theorieentwürfen dieser Richtung -, daß die Akzeptanz von politischen Entscheidungen an den diskursiven Modus ihrer Genese gekoppelt ist. Doch das theoretisch sehr elegant formulierte Ideal der Identität von Bürgern als Rechtsadressaten und Rechtsautoren verliert an Überzeugungskraft, sobald die Frage nach der empirischen Konkretisierung, d. h. nach der Institutionalisierung moralisch anspruchsvoller Diskurse gestellt wird. Diese Problemdiagnose nimmt auch Bohman zum Ausgangspunkt: "Everyone was talking about deliberation, but no one was saying what it is or how it could work under real social conditions" (IX). Sein Lösungsangebot entwickelt er in Auseinandersetzung mit der Diskurstheorie von Jürgen Habermas - v. a. Faktizität und Geltung - einerseits und dem politischen Liberalismus von John Rawls andererseits. 228 Als Teilnehmer der von Habermas geleiteten Forschungsgruppe zur Rechtstheorie besitzt er einen privilegierten Zugang zur Diskurstheorie und leistet zugleich einen Brückenschlag zur amerikanischen Gerechtigkeitstheorie. Ein Verdienst Bohmans besteht dabei - unabhängig von seinem eigenen Theorieentwurf - in der Re-Etablierung von Rawls als Diskurstheoretiker; eine Perspektive, die neuere Arbeiten von SchmalzBruns, Gerstenberg und Habermas eher vernachlässigt haben. Ziel der Analyse ist die Entwicklung einer ,realitätskompatiblen' Theorie der Deliberation; ein solcher Ansatz muß nach Bohman zugleich "descriptive", "critical" und "practical" (Bohman 1996: 8) sein. Aus diesen Ansprüchen folgt, daß Bohmans Theorie gute Antworten auf drei gängige Kritiken am Konzept der Deliberation liefern muß. Der erste Einwand lautet, daß aus einem ,Mehr an Diskurs' notwendigerweise auch ein ,Mehr an Dissenz' resultiert und somit die Akzeptanz politischer Entscheidungen genauso sinken würde wie die gesellschaftliche Integrationsressource Solidarität. Der zweite Einwand konzentriert sich auf die kulturellen Hintergrundbedingungen, die den Erfolg von Deliberation beeinflussen: Wie soll mit jenen 228 Im deutschen Sprachraum hat Gerstenberg (1997) eine ähnlich angelegte Arbeit vorgelegt.

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umgegangen werden, die dieses Konzept nicht akzeptieren? Ist der Diskurs per se "biased" und unsensibel gegenüber politischen Konzeptionen aus den nicht-westlichen Kulturen? Der dritte Einwand wird von Erkenntnissen der empirischen Wahl forschung gespeist, wonach die politische Partizipationsbereitschaft massiv durch demographische und sozio-strukturelle Faktoren beeinflußt wird: Je höher der sozio-ökonomische Status und der formale Bildungsgrad, desto wahrscheinlicher ist, daß die Bürger sich politisch beteiligen. Eine Verlagerung politischer Entscheidungskompetenz in Diskurse würde die Asymmetrien, die aus deliberativen Ungleichheiten resultieren, nur perpetuieren. Das realistische Moment der Theorie Bohmans besteht in der Auseinandersetzung mit diesen drei Kritiken; enttäuscht werden jedoch jene, die konkrete Institutionalisierungsvorschläge erhofft haben. In dieser Hinsicht liefert Bohman (noch) keine Vorschläge. Da unter realistischen Bedingungen diese Kritiken zur Suspendierung des Diskursprinzips führen müßten, lautet die Frage, welche Gestalt ein gegen diese Einwände gestärktes Diskursprinzip annimmt. Bohman entwickelt es in der kritischen Auseinandersetzung mit Habermas, in dessen Diskurskonzeption er drei zentrale Probleme ausmacht. Zunächst sind die motivationalen Ressourcen des normkonformen HandeIns und damit die prinzipielle Bereitschaft zum Diskurs fraglich. Dann resultiert aus der Beschränkung auf moralische Argumente im politischen Diskurs eine unnötige Beschränkung und Eingrenzung von Themen und gültigen Argumenten. Schließlich sei das normativ Ziel von Diskursen, die Einstimmigkeit, unrealistisch. Dies sind in der aktuellen Diskussion gängige Kritikpunkte an Habermas; allein die Kritik an dem normativen Ideal der Einstimmigkeit basiert auf einer ungewöhnlichen Habermasinterpretation. Public Deliberation definiert Bohman als "a dialogical process of exchanging reasons for the purpose of resolving problematic situations that cannot be settled without interpersonal coordination and cooperation" (Bohman 1996: 27). Diese findet in der Öffentlichkeit statt, die - wie bei Habermas - den Prozeß der Deliberation substantiell verbessern soll, indem nur solche Gründe allgemein akzeptiert werden, die den drei - selbstevidenten - Kriterien "non-tyranny, equality and publicity" (Bohman 1996: 35) gerecht werden. Damit entlastet Bohman das Konzept von den moralischen Anforderungen und ist somit in der Lage, zwischen Deliberation und Diskurs zu differenzieren: Die Deliberation basiert auf einfachem Dialog, verstanden als "mere give and take of reasons" (Bohman 1996: 57). Der Diskurs stellt im Vergleich dazu spezifische - nach Bohman: zu hohe - Ansprüche an Form und Inhalt des Dialoges. Die normativen Ziele der Deliberation sind einerseits ein "securing uptake" (Bohman 1996: 59), andererseits "restoring ongoing joint activity" (Bohman 1996: 59). Im Dialog mit anderen erfolgt eine argumentative Perspektivverschränkung, die das Verständnis für die

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Argumente des Diskussionspartners fördert, ohne jedoch dem Telos der Einstimmigkeit zu folgen. Dieses "uptaking" ermöglicht nach Bohman den kontinuierlichen Dialog unter den Bürgern und fördert somit auch die Akzeptanz von politischen Entscheidungen, die entgegen der eigenen Präferenzen getroffen wurden, da Aussicht auf eine Fortführung des Dialoges besteht. Das Telos des Dialoges ist seine Fortführung, das Konzept der öffentlichen Vernunft ist im Rawlschen Sinne plural: Der Dialog führt nicht notwendigerweise zum Konsens und ist damit dennoch - im normativen Sinne der Theorie - erfolgreich. Kann Bohmans Theorievorschlag gegen die eingangs ausgeführten drei Kritikpunkte überzeugen? Das daraus entwickelte Konzept einer dialogischen Deliberation ist empirisch anschlußfähig, da es eher geringe normative Anforderungen stellt. Gleichwohl erscheint es fraglich, ob dieses Konzept die eingangs genannten negativen Konsequenzen realer Kommunikationsasymmetrien glätten kann, da Bohman maßgeblich auf die Einsicht der Bürger in bessere Argumente und kontinuierliche Dialogbereitschaft setzt und Asymmetrien abfedernde Institutionensettings nicht diskutiert. Damit ist auch bei Bohman die Faktizität der Dialogbereitschaft ein entscheidender, aber eher kontrafaktischer, Theoriebaustein. Die in Aussicht gestellten Implementationsstrategien diskursiver Demokratie liefert Bohman leider nicht. 6.2.3.2 Deliberative Poll: Fishkin Dies Projekt unternimmt jedoch Fishkin (1995) mit seinem deliberative poil. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Manin und Sunstein nicht

unähnliche These, wonach Deliberation die Qualität politischer Präferenzen verbessert. Der politische Prozeß kann in Flächendemokratien jedoch nicht dem deliberativen Ideal gemaß gestaltet werden; schlimmer noch: die Komplexitätsreduktion von Argumenten im Fernsehen verbunden mit der strukturell konservativen Macht der empirischen Umfrageforschung in der Öffentlichkeit unterminiert die für politische Entscheidungen notwendige informationelle Basis. Im Angesicht dieser Problemdiagnose ist sein alternatives Konzept die deliberative Meinungsumfrage (deliberative poll). Kernidee ist hier, ein repräsentatives SampIe der Bevölkerung an einem Ort mit Experten zusammenzubringen, deliberieren zu lassen und die Ergebnisse dieses Prozesses im Fernsehen zu übertragen: "A deliberative poll attempts to model what the public would think, had it a better opportunity to conside the questions at issue" (Fishkin 1995: 162). Das Konzept ruht einer doppelten Hoffnung auf: Einerseits, daß die Bürger im deliberative poIl ihre politischen Präferenzen verbessern und andererseits, daß das Fernsehpublikum sich in seinen Präferenzen an jenen des deliberativ poll orientiert. Problematisch an diesem empirisch praktikablen Ansatzes ist zunächst 13 Schaal

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die positive Bewertung paternalistisch-advokatorischer Diskurse, schließlich gehört es zum Kernbestand des Theoriestranges, daß Betroffene ihre Bedürfnisse in demokratischen Diskursen selbst artikulieren (bzw. überhaupt erst diskursiv finden). Davon abgesehen sind die motivationalen Effekte paternalistischer Diskurse eher zweifelhaft. 6.2.3.3 Exkurs: Das Internet und die deliberative Demokratietheorie Welchen Beitrag könnte das Internet für eine realistische Gestaltung deliberativer Demokratietheorie leisten? Könnte es nicht zum Forum einer anspruchsvollen, herrschaftsfreien Öffentlichkeit werden, wie sie von deliberativen Demokratietheoretikern gefordert wird? Diese Forderung darf jedoch nicht blauäugig in dem Sinne sein, daß soziologisch-technologisch uninformiert einfach nur ein abstraktes "Mehr an Diskurs" gefordert wird. Sie muß das "Mehr" institutionell spezifizieren und dabei gleichzeitig die Anforderungen, die an die Rationalität im deliberativen Prozeß gestellt werden, analytisch differenzieren. Prinzipiell können dabei zwei Dimensionen unterschieden werden. Zum einen die Veifahrensbedingungen der Deliberation und zum anderen die Rationalitäts- und Tugendbefähigung der Bürger im Diskurs. Hinzu tritt die wichtige Differenzierung zwischen dem Prozeß der Deliberation und der eigentlichen Entscheidung. Schließlich sollte noch danach unterschieden werden, wie zugänglich eine zu regelnde Materie einem deliberativen Verfahren ist; hier können unterschiedliche Klassen von Entscheidungen eingeführt werden. Dem Postulat der Theorie des kommunikativen HandeIns, daß die Rationalität der Verfahren die Qualität der Ergebnisse, vermittelt über die Qualität der Diskurse, beeinflußt, ist zunächst erst einmal zu folgen. Welche Chancen bietet - vor dem Hintergrund der eingeführten analytischen Differenzierungen - das Internet als Medium der politischen Deliberation?229 Differenziert man analytisch zwischen den institutionellen Rahmenbedingungen der Deliberation und dem kommunikativen Handeln der Bürger innerhalb dieser Strukturen, sollte der erste Blick den Rahmenbedingungen gelten. Das Internet ist ein dezentrales Netz, das durch Standardisierung von Übertragungsprotokollen Datenaustausch zwischen ansonsten inkompatiblen Computern ermöglicht. Was noch in den 80er Jahren vor allem ein Netz der (naturwissenschaftlichen) Forschungsgemeinschaft war und dort zumeist der Übertragung von E-Mails diente, weitete sich in den 90er Jahren durch Erweiterung der Netzdienste und Protokolle zu einem wissenschaftsüberschreitenden Phänomen aus. Vor allem die Implementation von 229 Vgl. für den Zusammenhang von Internet und Demokratie allgemeiner: SchaallBrodocz (1998 a, b).

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HTML, einer Seitenbeschreibungssprache, mit der per Hyperlink von einer Page zur nächsten "gesurft" werden kann, hatte maßgeblich Einfluß auf den außerwissenschaftlichen Erfolg des Internet. 230 Daher sollte auch zwischen den unterschiedlichen Diensten, die das Internet technisch ermöglicht, differenziert werden. So bestehen große Unterschiede zwischen dem Verschikken von E-Mails, dem Zugriff auf Datenbanken, dem zeitversetzten Gedankenaustausch in News-Groups, dem on-fine chat oder dem - mehr oder weniger wahllosen - Abrufen von Homepages. Mit verbesserter Verschlüsselungstechnik wird das Netz in zunehmendem Maße auch für kommerzielle Dienste interessant; das Electronic-Banking ist bei T-Online bereits Realität, und auch der Einkauf per Computer und Kreditkarte geschieht zunehmend häufiger. Die Zahl der weltweiten Nutzer des Internet ist schwer zu bestimmen. Sie lag 1996 nach Buchstein (1996) bei ca. 50 Mio. Allein in der Bundesrepublik wächst die Teilnehmerzahl pro Jahr um mehrere tausend Prozent. Damit haben dennoch 1999 nur ca. 9 % der Bundesbürger einen Netzzugang. Die Entwicklung von Set-Top-Boxen für den Fernseher, verbunden mit der Nutzung des Kabelnetzes als Internetzugang, wird die Zahl der potentiellen Benutzer in absehbarer Zeit exponentiell erhöhen. Der Vorwurf, 230 Hierzu Holloway (1997): "Nur wenige Menschen wissen, daß die Erfindung des World Wide Web das Werk eines einzelnen war. Noch weniger wissen, daß eben dieser Mann die Evolution des weltumspannenden Netzes weiterhin lenkt von einer Ansammlung stiller, grauer aüros aus, gelegen in einem unscheinbaren Bau des Massachusetts Institute of Technology (MIT). (... ) Dort sitzt Tim BernersLee dem World Wide Web Consortium, kurz W3C, vor, einer Organisation, die typisch ist für die Netzwelt. Das W3C versucht zu sichern, daß das Web sich nach einheitlichen technischen Standards weiterentwickelt. (... ) Er hatte einst einen Browser entwickelt, mit dem man die Web-Dokumente nicht nur betrachten konnte, wie es heute üblich ist, sondern auch bearbeiten - und zwar gleich dort, wo sie liegen, die nötigen Zugriffsrechte vorausgesetzt. In dem Web, das ihm vorschwebte, konnte man beispielsweise auch Dokumente auf fernen Rechnern einfach mit einem Link versehen, der die Leser zu einem Kommentar führt oder zu anderen Seiten mit weiterführendem Material. Man konnte Anmerkungen einfügen, so wie man an den Rand eines Buches schreibt, und der Erfinder dachte sogar an Arbeitsgruppen, die auf einer Homepage gemeinsam Texte oder Zeichnungen entwerfen. "Es hätte ein sehr interaktives Medium werden sollen; das war die Idee. Aber das ist nicht das, was Sie bekommen haben", sagt Berners-Lee. ( ... ) Um so wichtiger, daß BernersLee da ist, die Vision zu hüten. Oft genug drohte sie schon zermahlen zu werden unter dem beständigen Strom von Gesprächen mit Ingenieuren oder Managern, die nur an ihren Programmcode oder ihre Märkte denken. "An manchen Tagen ist es wichtig, sich zu erinnern: Sollte ich tun, was die Unternehmen wollen oder was gut ist fürs Web?" sagt Dan Connolly - und fügt hinzu, manche Mitarbeiter wünschten sich einen stählernen, einen unnachgiebigen Berners-Lee, damit das Konsortium seiner Mission noch zielstrebiger nachgehen könne, anstatt die meiste Zeit um die nächsten Versionen von HTML zu ringen." (Quelle: http://www2.zeit.de/bda/int/ zeit/aktuell/ artikel/TITEL.TXT.19970815.html). )3'

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das Internet sei das Spielzeug einer Info-Elite, wäre damit empirisch nicht mehr haltbar. Zumindest gälte dies nicht für westliche Demokratien; für Entwicklungsländer wird der Quantensprung ins Internetzeitalter vennutlich mit einer größeren Verzögerung beginnen. 231 Aufgrund seiner dezentralen Struktur ist es enthierarchisiert, eine Zensur der kommunizierten und auf Pages publizierten Inhalte ist technisch unmöglich - unabhängig davon, ob dies nun optimistisch stimmt oder nicht. Jede Stimme besitzt im digitalen Chor das gleiche Gewicht; auch Statusunterschiede, die in realen Kommunikationssitutationen Asymmetrien erzeugen können, existieren nicht oder verlieren sich in der digitalen Anonymität. Diese Gleichgewichtung der einzelnen Stimmen läßt jedoch auch die strukturelle Schwierigkeit erkennen: Dort, wo potentiell 50 Mio. Bürger kommunizieren, geht der Beitrag des einzelnen rezeptiv verloren. Daher hat das Internet auch zu einem Paradigmenwechsel im Infonnationsverhalten geführt: Nicht mehr die Akkumulation von Infonnation ist die Herausforderung, sondern die Selektion der für mich relevanten Daten. Während die klassischen Infonnationsmedien immer eine Selektionsleistung erbringen und sie dafür auch gekauft werden - so haben z. B. Zeitungskommentare eine wichtige Orientierungsfunktion - liegt die Selektionsleistung im Internet zumeist beim Benutzer. Zwar existieren Suchdienste wie Yahoo (http:/ / www.yahoo.com). die einen redaktionellen Stab besitzen, doch kann angesichts der Infonnationsakzelleration dieser nur einen Bruchteil der existierenden Daten sichten und nur wenig davon inhaltlich bewerten. Diese Rahmenbedingungen führen Buchstein (1996 a) zu einem demokratietheoretischen Skeptizismus hinsichtlich des deliberativen Potentials des Internets. Buchsteins zentrales Argument lautet, daß das Internet "die deliberative Demokratietheorie weiter in die Defensive manövriert" (1996 a: 604), weil es strukturell "die Kommerzialisierung, Desintegration und Fragmentierung der politischen Öffentlichkeit [fördert, G.S.]: Wollen wir demgegenüber trotz allen Lobes auf die Differenz nonnativ das republikanische Ideal eines Begriffs von >Gemeinwohl< (... ) weiter in Anschlag bringen? Mit der Zurücknahme dieser nonnativen Ansprüche würde die Demokratietheorie der politischen Philosophie des Libertarianismus einen großen Gefallen tun" (Buchstein 1996 a: 605). 231 Hierzu Andreas Grote (1997: 128): .. Die Idee der ITU, arme Entwicklungsländer mit einem Aktionsplan am Fortschritt der internationalen Kommunikation miteinzubeziehen, betrachten Kritiker als Faß ohne Boden. So schätzt die Union, daß trotz aller Bemühungen weltweit 30 Miliarden Dollar pro Iahr investiert werden müßten, wenn die armen Länder ihren Rückstand in Sachen Telekommunikation aufholen sollen. (... ) Allerdings wird immer fraglicher, ob der Aufwand lohnt. >Der Anschluß an die Datenautobahn wird die Zweiklassengesellschaft im globalen Dorf freilich nicht beseitigenrepressiv< sein als die Vorstellung demokratischer Kommunikationsknoten. aber nur deshalb, weil es die Idee vom demokratischen Bürger aufhebt" (Buchstein 1996 a: 596).233 Die Wende innerhalb der Argumentationsstruktur ist bemerkenswert; dem libertären Internetinfonnationsmarkt, der aufgrund seiner internen Struktur nicht filtern kann, wird der demokratische Kommunikationsknoten vorgezogen, der Selektionsleistungen erbringen kann. Nach welchen Kriterien diese erbracht werden können, hat Buchstein leider nicht ausgeführt. Bemerkenswert ist dieser Vorzug insofern, als daß die "institutionellen Filtereffekte" innerhalb der kritischen Theorie - nicht zu unrecht - kritisiert wurden. Die Wende von Habennas (1992), der in dem Schleusen system zwischen Peripherie und Zentrum einen Garanten der Arbeitsfähigkeit von Zivilgesellschaft sieht, scheint auch andere Theoretiker inspiriert zu haben. Doch darf bei einer gerechten Betrachtung nicht die empirische Verzerrtheit des libertären Infonnationsflusses im Internet gegen jie nonnative Vorstellung 232 "Die normative Debatte um die Frage der demokratischen Zensur dauert an (... ). Das Internet schneidet diese normative Debatte ab, indem es die libertäre Position durch technischen K.O. zum Sieger macht" (Buchstein 1996a: 593). VgJ. für die Position einer deliberativen Demokratietheorie innerhalb der Pornographie-Zensurdebatte Sunstein (1993: 257-290). 233 Weil das Internet "unendlich" ist, sieht Buchstein die Gefahr der sinkenden Vernetzung inhaltlich zusammengehöriger Diskurse. "Demokratien bedürfen überlappender Diskurse" (Buchstein 1996 a: 596) lautet sein These; seine Krisendiagnose konstatiert eine tendenziell sinkende Schnittmenge.

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demokratischer Kommunikationsknoten ausgespielt werden: Gegen das "Zuviel" an Information im Internet stünden dann die Asymmetrien einer vermachteten Öffentlichkeit. Die Kritikpunkte von Buchstein sind trotzdem ernst zu nehmen. Es muß eine adäquate Replik auf sie gefunden werden, um das Internet als Medium anspruchsvoller Deliberation zu rehabilitieren. Um dies realisieren zu können, muß die Frage geklärt werden, ob die Struktur des Netzes a) deterministisch zum Libertären neigt, b) diese Tendenz irreversibel ist und ob c) die Tugendbefahigung der Bürger im Netz empirisch sinkt. Gleichzeitig müssen die normativen Kriterien von Öffentlichkeit benannt werden, denn könnte es nicht sein, daß das Internet anspruchsvolle normative Kriterien der Öffentlichkeit erfüllt und trotzdem keine anspruchsvolle Deliberation erfolgt? Peters (1994) entwickelt ein normatives Modell von Öffentlichkeit, das im folgenden als normatives Korrektivum dienen soll. Seine konstitutiven Merkmale sind: "Gleichheit und Reziprozität der kommunikativen Beziehungen - eine prinzipielle Offenheit für Themen und Beiträge und eine adäquate Kapazität zu ihrer Verarbeitung -, schließlich die diskursive Struktur von Kommunikationen [Hervorhebung G.S.]". (Peters 1994: 46).234 Es kann gezeigt werden, daß das Internet sämtliche normativen Kriterien von Öffentlichkeit erfüllt, jedoch nur, wenn es als Ergänzung zum bestehenden institutionellen Setting und nicht als deren Ersatz verstanden wird. Im Gegensatz zu Buchstein bin ich davon überzeugt, daß moderne Gesellschaften ein Informationsproblem haben, jedoch kein absolutes, sondern ein "relationales". Daß das Fernsehen oder die Tageszeitung in unmittelbarer Zukunft durch entsprechende digitale Äquivalente verdrängt werden, erscheint unwahrscheinlich. Damit bleiben die klassischen Instrumente informationeller Grundversorgung und Orientierung bestehen. Die punktuelle, themenzentrierte Informiertheit jedoch wird durch diese Grund234 Peters (1994) spezifiziert die Kriterien folgendermaßen: "Gleichheit und Reziprozität: Die Beteiligung an öffentlicher Kommunikation steht im Prinzip jedermann offen, der bereit und fähig ist, sich in der Öffentlichkeit verständig zu äußern" (Peters 1994: 46). "Die einfachste Fassung der Forderung nach gleicher Teilhabe an einem Kommunikationszusammenhang würde verlangen, daß alle Beteiligten die gleiche Redezeit vor dem gesamten Publikum hätten" (Peters 1994: 51). "Eine generelle Offenheit für Themen und Beiträge ist eine zweite Grundforderung der normativen Konzeption von Öffentlichkeit. Das bedeutet: Die Relevanz von Themen und Beiträgen ist im öffentlichen Diskurs selbst zu prüfen. (... ) Die Öffentlichkeit muß sensibel genug sein, um die wichtigen Probleme zu identifizieren, und sie 'muß die Kapazität haben, die relevanten Themen dann auch verständig zu behandeln [Hervorhebung: G.S.]" (Peters 1994: 61). "Öffentlichkeit im emphatischen Verständnis beruht auf diskursiver Verständigung (... ). In diskursiver Kommunikation werden Behauptungen, Forderungen, Urteile oder Empfehlungen als problematisch behandelt. Ihre Akzeptabilität wird mit Hilfe von Begründungen verteidigt oder bestritten" (Peters 1994: 65).

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versorgung nicht hinreichend gewährleistet und setzt individuelle Anstrengung und den Einsatz knapper Ressourcen - Zeit und Geld - voraus. Als Infonnationsquelle für spezielle Infonnationsbedürfnisse erscheint das Internet durch die einfache Verfügbarkeit qua Suchmaschinen geradezu prädestiniert. Nicht unerwähnt dürfen dabei aber die negativen Seiten des Internet bleiben, die Buchstein zu seiner pessimistischen Einschätzung bewegt haben. Diese Probleme resultieren aus der technisch bedingten Unfahigkeit zur inhaltlichen Kontrolle durch eine externe Instanz zum einen und der Anonymität innerhalb von Teilen des Netzes zum anderen. Das Internet zwingt seine Benutzer nicht dazu, ihre Identität offenzulegen. Hieraus resultiert nicht nur die Möglichkeit. verschiedene Identitäten anzunehmen, sondern auch die Gefahr, extremistischere Positionen einzunehmen, als man dies im "wirklichen" Leben tun würde. Systematische und repräsentative empirische Untersuchungen liegen hierzu noch nicht vor, so daß man auf einen wohlbegründeten Intuitionismus angewiesen ist, der sich jedoch bereits im Bereich der Spekulation bewegt. "In dubio pro reo" sollte daher - bis zu einer empirisch anspruchsvollen Untersuchung - auch für das Internet gelten. Doch unabhängig von der Frage des empirischen Kommunikationsverhaltens der Netz-User steht die theoretische Frage, wie mit dem potentiellen Wahrheitsgehalt der Netzinfonnationen sowie deren Verfassungskonformität umzugehen ist. Letztere kann entweder - aufgrund von Verschlüsselungstechniken - überhaupt nicht überprüft werden, oder - das zweite Hauptproblern im Internet - die Urheberschaft kann dafür nur schwer festgestellt werden. Erschwerend kommt hinzu, daß die Inhalte einzelner Pages auf andere Server "gespiegelt" werden können; im digitalen Zeitalter existieren keine Originale und keine Kopien, sondern ausschließlich Originale. Aus der Perspektive des Rechts besteht ein Wettlauf zwischen dem Igel Internet und dem Hasen Recht: Die technische Innovation läßt das Internet immer einen Schritt vor dem Recht sein - zumindest wenn man einem Rechtsparadigma folgt, das der Leitidee von Steuerung verpflichtet und nationalstaatlieh verfaßt ist. Um nur einige Bereiche des rechtsneutralen Raumes zu illustrieren: Haftet ein Intemetprovider - als der Unternehmer, der nur die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt - für die Inhalte, die die User auf seinem Rechner speichern? Kann eine pennanente Kontrolle gefordert werden, und ist sie arbeitstechnisch überhaupt möglich? Wie steht es mit der Haftbarkeit von Usern, die auf Seiten verweisen, die verfassungsfeindliche Inhalte besitzen? Letzteres stand im Prozeß gegen die ehemalige PDS-Vizevorsitzende Angela Marquardt zur Debatte, die auf ihrer Homepage einen Link auf die Internetzeitschrift "Radikal" hatte. In einer Ausgabe dieser Zeitschrift wurde eine "kleiner Leitfaden zur Behinderung von Bahntransporten" publiziert, jedoch erst, nachdem der Link auf diese Seite gelegt wurde. Die Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft lau-

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6. Versuch einer Synthese

tete auf Beihilfe zur Anleitung von Straftaten. Das Amtsgericht Tiergarten sprach Marquardt jedoch frei, weil dies nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. 235 Anhand dieser Diskussion wird zweierlei deutlich: Zum einen benötigt das Internet eine transnationale Vorstellung von Recht, die sich von der Idee einer vollständigen Regelungsmächtigkeit losgelöst hat. Dies bedeutet nicht, daß das Internet ein rechtsfreier Raum bleibt. Es muß jedoch rechtlich anders strukturiert sein als die nicht-elektronisch verfaßte "Realität". Zum anderen muß innerhalb des Internets zwischen dem Informations- und dem Deliberationselement differenziert werden. Im folgenden möchte ich zeigen, daß die von Buchstein geforderten Informationsknoten im Netz bereits existieren, und zwar in Form von kollektiven politischen Akteuren, die der Öffentlichkeit bekannt sind und Vertrauen genießen. Das Deliberationselement unterliegt aufgrund seiner spezifischen inhaltlichen und technischen Rahmenbedingungen nicht den obigen Kritiken. Da inzwischen viele kollektive (politische) Akteure ihre Informationsangebote auch im Netz zugänglich gemacht haben, wird eine gezielte Suche möglich und damit das Informationsentropieargument hinnmig. Die Strukturierungs- und Orientierungsleistungen werden z.T. immer noch von den bekannten kollektiven Akteuren wahrgenommen, nur ändert sich das Trägermedium der Information. Eine weitere Strukturierungsleistung kann durch die Aufnahme von Hyperlinks auf qualitativ hochwertige, themen verwandte Seiten erfolgen. Wohlbegründete Entscheidungen werden durch die Nutzung des Internet nicht konterkariert; es verhält sich entweder neutral oder positiv. Die Kriterien der Gleichheit und Offenheit werden vom Internet ohne Frage erfüllt, dies werden selbst seine Kritiker bestätigen und zum Ausgangspunkt ihrer Kritik nehmen. Diskussionswürdig sind diese bei den Kriterien jedoch erst im Verbund mit dem Anspruch der Diskursivität. Hierbei gilt es, unterschiedliche Foren des Internets zu differenzieren. Buchstein ist ohne Zweifel zuzustimmen, wenn er die Qualität des on-line-chats mit jener von Talkshows im Nachmittagsfernsehen vergleicht. Spontane Kommunikation kann sich nicht ausschließlich des geschriebenen Wortes bedie23S Hierzu Heidrun Wimmersberg (1997): ,,( ... ) Marquardt sei nicht nachzuweisen gewesen, daß sie die strafbaren Inhalte der ljnken Zeitschrift Radikal kannte (... ) Außerdem habe der Querverweis schon bestanden, bevor die betreffende Ausgabe von Radikal erschien. (... ). Angela Marquardt habe eine Garantenpflicht [argumentierte die Staatsanwaltschaft] und hätte öfter kontrollieren müssen, was in der Radikal stehe (... ). Das schaffe nur Rechtsunsicherheit, das zu fordern, weil nicht klar sei, in welchem Abständen und wie exakt die Untersuchung sein müsse [argumentierte die Richterin.]". Wimmersberg 1997: Hörfunkbeitrag auf Bayern 5 Aktuell. In: Welt am Abend, 18.00-18.30, vom 30.6.1997 (B5, WaW 30.6.1997).

6.2 Institutionen und Integration

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nen; dies liegt allein schon in der Schreibgeschwindigkeit begründet. Die Verkürzung von Fragen und Antworten auf elementare "Drei-Wort-Sätze" entspricht ohne Zweifel nicht dem Ideal deliberativer Politik. Entkoppelt man jedoch die Idee von Deliberation vom Akt der mündlichen Kommunikation und betont die Überprüfung von Geltungsansprüchen anhand intersubjektiv geteilter Kriterien, kann das Internet als Deliberationsmedium wieder hinzu gewinnen. Dies gilt jedoch nicht für on-line-chats, sondern nur für News-Groups, d. h. für themenzentrierte Gruppen, die institutionalisiert und strukturiert sind. Die Kommunikation erfolgt hier nicht on-line, sondern in Form von E-Mails, die auf vielfältige Weise auf vorherige Beiträge Bezug nehmen können. Das Herausragende an dieser. Diskussionsform besteht in ihrer Nachvollziehbarkeit. Ein nachträglich in einer Gruppe Partizipierender kann den Diskussionsstand anhand der Lektüre der bisherigen Beiträge vollständig nachvollziehen. Jeder Teilnehmer hat die Möglichkeit, sich in diese Diskussion zu integrieren - und gelesen oder von den anderen ignoriert zu werden. Die Institutionalisierung dieser News-Groups könnte entlang spezifischer politischer Entscheidungen oder Themengebiete erfolgen. So könnten über dieses Medium politische Diskurse wie z. B. über den Abriß des "Palastes der Republik" oder Urteile des Bundesverfassungsgerichts dezentral geführt werden. Es muß aber betont werden, daß der Prozeß der Deliberation auf jeden Fall von der Entscheidungsfindung getrennt werden muß. Die Diskussion in einer Gruppe darf nicht zu einer Entscheidung per Netz werden. Hier greift das Argument von Sartori (1992), daß die Interdependenzen politischer Entscheidungen dezentralisiert kaum antizipierbar sind. Dies schränkt jedoch die Tragfähigkeit eines Internet-Modells nicht ein. Schließlich soll es die Institutionen repräsentativer Demokratie nicht ersetzen, sondern ergänzen. Auch Leggewie (1996)236 betont: "Erstens hängt die Sicherung seines partizipatorischen und deliberativen Potentials vom gegebenen Niveau demokratischer Beteiligung in den jeweiligen Demokratien ab, d. h. nur funktionierende politische Gemeinschaften werden auch ein demokratisch fungibles Internet zustandebringen. Das Netz ist kein deus ex machina, der apathischen und beteiligungsschwachen Demokratien schlagartig auf die Sprünge hilft. Nur dort, wo eine demokratische Kultur, basierend auf freiwilliger Mitgliedschaft und horizontalen Vereinsstrukturen, halbwegs lebendig ist, kann politische Kommunikation gedeihen, gleich welchen Mediums sie sich bedient". Leggewie (1996) kommt zu dem Schluß: "Das Internet ist weder per se "gut" noch an sich "schlecht" für die Demokratie, also für die Qualifizierung demokratischer Prozesse. Computervermittelte Kommunikation mag 236 Wiederum gilt: Die Angabe von verbindlichen Seitenzahlen ist bei einem Hypertext aus dem Internet nicht möglich.

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6. Versuch einer Synthese

bestimmte inhärente Detenninanten aufweisen, die mehr oder weniger demokratiefreundlich wirken können - und auf die Risiken wurde hingewiesen. Aber als solches verhält sich das Internet dem demokratischen Prozeß (und dem gut infonnierten Bürger) gegenüber neutral". Deutlich wird, daß sich die Qualität der Deliberation durch das Medium Internet allein nicht erhöht. Angesichts der diskutierten Einwände hinsichtlich der Wahrhaftigkeit von Infonnationen, sowie der Wahrscheinlichkeit von extremistischen Positionen ist die Tugendbefahigung der Bürger weiterhin die zentrale Voraussetzung von Deliberation. Trotzdem sollte eine auf Deliberation orientierte Politik das Internet als Medium hierfür ernst nehmen.

7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war ein doppeltes. Einerseits sollte ein Überblick über die zeitgenössischen Vorstellungen geliefert werden, warum Verfassungen und Verfassungsrechtsprechung intergratives Potential besitzen. Auf Basis dieser Bestandsaufnahme sollte andererseits eine erste Skizze einer Theorie präsentiert werden, die von der soziologischen Zeitdiagnose des wachsenden gesellschaftlichen Pluralismus ausgehend, Integration als eine der Demokratie eingeschriebene Aufgabe identifiziert. Die zentrale Argument lautet, daß der Demokratie selbst ein universalistisches, ahistorisches Konzept von Integration inhärent ist, das jedoch jeweils historisch spezifiziert wird. Diese Vorstellung wurde als Integration als moralisches Konzept bezeichnet. Sie speist sich aus der Vorstellung, daß aus erkenntnistheoretischer Sicht jede Aussage in der politischen Sphäre prinzipiell unter Vorbehalt steht und kein gesichertes Expertenwissen existiert, das im Vergleich zu anderen Meinungen "superior knowledge" für sich reklamieren kann. Wenn jedoch jede inhaltliche Position gleich falsch oder gleich richtig sein kann, existiert kein moralisches Kriterium, anhand dessen bestimmte Diskussionsbeiträge negativ selektiert und so der politischen Öffentlichkeit vorenthalten werden können. Jeder Diskussionsbeitrag kann daher immer nur innerhalb eines Diskurses und unter Vorbehalt bewertet werden. Dieses Argument zielt direkt auf eine inklusiv und diskursiv verfaßte politische Öffentlichkeit, die die informationelle Vorstufe für eine geregelte Entscheidungsfindung darstellt. Die Präsupposition, daß sich Bürger wechselseitig als Freie und Gleiche akzeptieren und dabei ein Höchstmaß an Toleranz zeigen, ist dabei eine notwendige, aber kontrafaktische Annahme hinsichtlich der Deliberation und ihrer engen Verbindung zur Demokratie. Denn wenn sich Bürger als Freie und Gleiche wahrnehmen - und zumindest aus einer philosophischen Perspektive kann nur diese Position vertreten werden - dann muß die Demokratie die zu wählende Staatsund Regierungsform sein. Die zweite zentrale These der Untersuchung lautet, daß Verfassungsrecht und Demokratie über Integration als moralischem Konzept miteinander verbunden sind. Das Verfassungsrecht leistet quasi die Ausfallbürgschaft der kontrafaktischen Annahme, daß sich Bürger als Freie und Gleiche wahrnehmen und unterstützt somit sowohl Integration als auch Demokratie. Bisher sind Integration (als moralisches Konzept), Demokratie und Verfassung als

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7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

"ungesättigte Konzepte" eingeführt worden. Es wurde daher notwendig, sie zu spezifizieren und historisch zu kontextualisieren. Dies geschah in der Untersuchung in drei Arbeitsschritten, deren Ergebnisse im folgenden kurz zusammengefaßt werden. Verfassungen sind "dreidimensional", sie besitzen einen moralischen Kern in Form von Normen und eine ethische Kontextualisierung in Form von Werten. Hinzu tritt - quasi quer zu den ersten beiden Ebenen liegend die Anforderung, effektives problem-solving zu ermöglichen. Die Unterstützung, die Verfassungen erfahren, kann auf jeder der drei Ebenen angesiedelt sein; sie besteht in der affirmativen Hinwendung zu ethischen Werten oder der moralisch aufgeklärten Befolgung von Normen. Hinsichtlich der Verfassungsrechtsprechung wird damit die Tatsache relevant, daß unterschiedliche Ressourcen der Begründung von Verfassungsgerichtsurteilen bestehen, die unterschiedliche Formen der Integration befördern oder behindern. Letztere konnten - in Anlehnung an Peters (1993) - als soziale, politische und funktionale Integration spezifiziert werden. Zwei davon stellen quasi Spezifikationen der abstrakten Vorstellung von Integration als moralischem Konzept dar. Die soziale Integration ist in der ethischen Dimension angesiedelt, die die Fragen des "Wer will ich sein, wer wollen wir sein?" beantwortet. Da die Integration als moralisches Konzept vom Bürger und nicht von der Gesellschaft aus konzipiert wird, reduziert sich die obige Frage auf das "Wer will ich sein?". Daraus folgt, daß soziale Integration dann erfolgreich ist, wenn die je eigene vernünftige Konzeption des guten Lebens realisiert werden kann?37 Jede substantielle Vorgabe einer spezifischen Konzeption des guten Lebens muß demzufolge an basalen Gerechtigkeitsstandards scheitern. Daher kann die Evaluation des Erfolgs sozialer Integration - ausgehend von der wechselseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche - nur in der Benennung von spezifischen Kontexten bestehen, die die Realisierung der kontrafaktischen Präsuppositionen unterstützt. Aus der Perspektive der sozialen Integration ergibt sich daher die Forderung nach einer Verankerung der Grundrechte in der Verfassung sowie eines möglichst inklusiven und responsiven demokratischen Prozesses; letzteres wird von der politischen Integration wieder aufgegriffen. Politische und soziale Integration stehen in einem engen, sich wechselseitig bedingenden Verhältnis, da aus den sozialen Konzeptionen des guten Lebens politische Präferenzen resultieren, deren Einspeisung in den politischen Prozeß die Bedingung der Möglichkeit erfolgreicher sozialer Integration darstellt. Aus der spezifischen Konzeptionalisierung von politischer Integration resultieren spezifische Anforderungen an den demokratischen Prozeß; von 237 Vernünftige Konzeptionen des guten Lebens hier im Sinne von Rawls (1993) verstanden, d. h. sie müssen den Test der Universalisierbarkeit passieren können.

7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

205

herausragender Bedeutung ist hierbei seine Responsivität. Wie im Rekurs auf Sunstein und Manin gezeigt werden konnte, erschöpft sich die Vorstellung demokratischer Responsivität jedoch nicht in der schieren Aggregation politischer Präferenzen, da die politische Sphäre - wie Sunstein argumentiert - nicht marktanalog aufgebaut ist und damit auch die Präferenzgenese als Teil des demokratischen Prozesses verstanden werden muß. Diese These wurde auch durch das Fallibilismus-Argument gestützt. Der politische Prozeß muß - dies resultiert aus der Idee von Demokratie und der politischen Integration - demnach deliberativ und inklusiv gestaltet sein. Integration als moralisches Konzept ist auf die Unterstützung durch eine Verfassung angewiesen, um die Spannung zwischen der notwendigen normativen Präsupposition der wechselseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche und ihrer faktischen Nicht-Realisierung zu stabilisieren. Gleichzeitig resultiert sowohl aus der sozialen als auch der politischen Integration die Anforderung eines möglichst inklusiven und deliberativen politischen Prozesses. Hinter diesem Ideal steht die Vorstellung, daß die Bürger sich sowohl als Adressaten von Rechten als auch als deren Autoren verstehen können. Damit ist die öffentliche Autonomie ein Konstitutivum für politische Integration. Jede reale Verfassung beschränkt jedoch diese normativen Anforderungen: - Sie entzieht bestimmte Bereiche dem politisch beschränkt somit die öffentliche Autonomie.

Regelbaren

und

- Jede reale Verfassung besitzt ethischen Charakter. - In liberalen Verfassungsverständnissen genießt die private Autonomie den Vorrang gegenüber der öffentlichen Autonomie, obwohl der gleichmäßige Schutz von bei dem notwendige Bedingung erfolgreicher sozialer und politischer Integration ist. - Die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit besitzt im liberalen Verständnis gegenüber dem demokratischen Prozeß eine privilegierte Position, d. h. auch hier wird potentiell die öffentliche Autonomie der Bürger eingeschränkt. Die Spannungen zwischen ethischer und moralischer Dimension von Verfassungen, zwischen privater und öffentlicher Autonomie werden in der aktuellen Diskussion auf sehr unterschiedliche Arten aufgelöst; zumeist erfolgt eine dezisionistische Favorisierung. Daher wurden aktuelle Demokratietheorien daraufhin untersucht, wie sie die Integration qua Verfassung und Verfassungsrechtsprechung konzeptionalisieren. Drei große Formen der Integration konnten dabei differenziert werden: Integration qua Neutralität, qua Wertkonsens und qua Diskurs. Der politische Liberalismus postuliert, daß das Kemkonzept der Integration moderner Gesellschaften die Neutralität ist; und zwar jene des Verfas-

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7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

sungsrechts, des einfachen Rechts sowie der (politischen) Öffentlichkeit. Die Neutralität der Verfassung wurde im Rekurs auf die Arbeiten von Rawls (1992, 1993) eingeführt. Der politische Liberalismus wird auf zwei separaten, wenn auch systematisch aufeinander bezogenen Ebenen modelliert: auf der normativ-philosophischen und der empirischen Ebene. Die theorie strategische Frage von Rawls lautete, wie eine Theorie der Gerechtigkeit theoretisch so modelliert werden kann, daß sie von den Bürgern faktisch akzeptiert wird, und zwar unabhängig von deren jeweils verfolgten Konzeptionen des guten Lebens. Der politische Liberalismus antwortet auf die notwendige Pluralität von Konzeptionen auf der Ebene der Begründung mit einer doppelten Einschränkung des Objektbereichs: Zunächst ist der politische Liberalismus eine politische Konzeption von Gerechtigkeit, keine umfassende oder - wie Rawls es auch bezeichnet - metaphysische. Zum anderen ist er auf der Ebene der Begründung der Gerechtigkeitsstandards eine moralische Gerechtigkeitskonzeption. Die zentralen Verfassungsinhalte verhalten sich hinsichtlich der verschiedenen comprehensive doctrines neutral und erfahren daher die Unterstützung durch einen overlapping consensus. Dessen Ausbildung stellt eine Grundanforderung der sozialen und politischen Integration dar. Vier Kritikpunkte an diesem Konzept haben jedoch seine Tragfahigkeit in Zweifel gestellt: - Die Trennung zwischen privat und öffentlich bzw. zwischen politisch und sozial ist selbst nicht moralisch begründet. - Rawls erkauft sich die empirische Stabilität durch eine eingeschränkte Gültigkeit des zweiten Gerechtigkeitsgrundsatzes. Bei ihm stehen Gerechtigkeit und Integration (im Sinne von Stabilität) somit in einem Konkurrenzverhältnis. - Rawls bindet die Geltung und Gültigkeit von Recht (und damit auch: Verfassungsrecht) nicht an seine Genese zurück, m. a. W.: Die politische Partizipation findet bei Rawls keine hinreichende Berücksichtigung. - Die motivationalen Ressourcen für die Unterstützung des overlapping consensus sind empirisch wie theoretisch fragwürdig, da - so das gängige Diktum innerhalb der liberalismus-kritischen Demokratietheorie anspruchsvolle Konzeptionen des guten Lebens systematisch benachteiligt werden. Hinzu tritt, daß das Kriterium der strikten Neutralität faktisch nicht zu realisieren ist und somit die motivationalen Ressourcen der Unterstützung der Verfassung versiegen werden. Eine Neutralität des einfachen Rechts, die in einer Indifferenz gegenUber comprehensive doctrines besteht, ist selbst theoretisch undenkbar. Daher wurde sie über die Hilfskonstruktion der Reversibilität politischer Entscheidungen eingeführt und so an das Ideal deliberativer Entscheidungen zum einen und intergenerativer Gerechtigkeit zum anderen rückgekoppelt. Zwei

7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

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Argumente lassen sich gegen das Kriterium der Reversibilität anführen: zum einen die drohende strukturelle Handlungsunfahigkeit des politischen Systems, zum anderen die Unterminierung der Praxis der Volkssouveränität. Die Handlungsunfähigkeit resultiert zum einen aus der Fallibilität menschlicher Erkenntnis, die dazu führt, daß wir nie mit Sicherheit Auskunft über die Konsequenzen politischer Entscheidungen geben können. Doch selbst wenn dieser erkenntnistheoretische Pessimismus angezweifelt werden kann, führt doch das hohe Kontingenzpotential politischer Prozesse zum gleichen Ergebnis: Die Kausalitätsrückjührungskapazität (Offe) nimmt mit zunehmender Komplexität des politischen Prozesses ab und relativ dazu auch die Angemessenheit des Kriteriums der Reversibilität. Die Unterminierung der Volkssouveränität resultiert aus der einzigen Strategie, die Kontingenz zu verringern: Sie besteht in der intensiveren Konsultation von Experten. Die in der linken Demokratiekritik häufig artikulierte Angst vor der Expertokratie würde mit der theoretischen Prominenz der Reversibilität zunehmen. Die Neutralität des Diskurses in der (politischen) Öffentlichkeit wurde im Rekurs auf Arbeiten von Ackerman, Holmes und Larmore doppelt konzeptionalisiert. Zum einen ist sie das Resultat einer Einengung der im öffentlichen Diskurs gültigen Argumente auf moralische Argumente; zum anderen besteht sie in der Vermeidung (to gag, Holmes 1988) strittiger Themen und dem argumentativen Rückzug auf Terrain, das von allen Diskussionsteilnehmern geteilt wird. Die Fortführung der Diskussion trotz essentieller Meinungsverschiedenheiten bezeichnet Larmore als die Norm des rationalen Dialoges dessen motivationalen Ressource die Idee des gegenseitigen Respekts ist. Ackerman gesteht ein, daß solche Knebelungsregeln ein hohes Frustrationspotential besitzen. Problematisch an dieser Konzeption ist, daß nicht über alle Issues, die gesellschaftliches Sprengpotential besitzen, geschwiegen werden kann. Besonders deutlich wird dies in multi-lingualen Ländern in der Frage der offiziellen Amtsprache. Da die Einhaltung der informellen gag-rules hohe Tugendanforderungen an die Bürger stellt, dieses Lösungsangebot jedoch gleichzeitig individuelle Frustrationserfahrungen generiert und teilweise dysfunktionalen Charakter besitzt, erschien ein Wechsel hin zu einem anderen Konzept von Integration angemessen. Daher wurde im nächsten Analysedurchgang die Integration qua Werten betrachtet. Hierzu erfolgte eine Analyse der Praxis der Verfassungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie eine exemplarische Untersuchung des "Kruzifix-Beschlusses". Deutlich wurde anhand dieser Betrachtungen, daß das Grundgesetz nicht als eine reine Wertordnung verstanden werden darf, da jede Wertordnung partikularistischen Charakter besitzt und somit ein inkludiertes Innen und ein exkludiertes Außen konstituiert. Die Analyse der Reaktionen auf den Kruzifix-Beschluß hat jedoch auch gezeigt, daß die ethischen Bänder innerhalb der bundesrepublikanischen Gesell-

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7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

schaft zumindest partiell noch intakt sind und durch eine Betonung der Grundrechte erodiert werden. Moralische Diskurse stellen ad hoc keinen adäquaten Ersatz für ethische Diskurse dar. Erfolgversprechender schien eine Vorstellung der Integration qua Diskurs und seinen illokutionären Bindungskräften, wie sie Habermas in "Faktizität und Geltung" ausgeführt hat. Seine Kernthese lautet, daß die Ressource "gesellschaftliche Solidarität" im Recht gleichsam konserviert ist, wenn der Prozeß der Rechtsgenese spezifischen Anforderungen gerecht wird. Dieser muß deliberativ verfaßt, inklusiv und unverzerrt sein. Die zivilgesellschaftlichen Aktivposten dieses inklusiven Prozesses sind - neben anderen - die Neuen Sozialen Bewegungen. Sie fungieren innerhalb seines Zentrum-Peripherie-Modells als Seismographen neuer Problemlagen, die im Routinemodus der Politik nicht oder erst zu spät bemerkt würden. Dieses Modell besitzt ein Schleusensystem, das den Informationsfluß zwischen Peripherie und Zentrum reguliert und selektierend eingreift. Habermas liefert somit keine radikaldemokratische Alternative zum bestehenden Setting liberaler westlicher Demokratie, er liefert "nur" eine Ergänzung in Form einer Aufwertung der NSB einerseits und einer alternativen Begründung des institutionellen Settings andererseits. Diese erfolgt bei ihm im Rekurs auf die Theorie des kommunikativen Handeins. Habermas ist aufgrund der kommunikationstheoretischen Fundierung seiner Demokratietheorie in der komfortablen Situation, die Spannung zwischen privater und öffentlicher Autonomie auflösen zu können, da beide gleichursprünglich sind und somit in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen, das aber nicht hierarchisch ist. Doch selbst wenn in "Faktizität und Geltung" die theoretischen Weichen "in die richtige Richtung" gestellt wurden, blieben doch drei Kritikpunkte, die eine Modifikation notwendig erschienen ließen: - Die grundbegriffliche Spannung zwischen Faktizität und Geltung wird von Habermas zwar theoriestrategisch günstig eingesetzt, sie führt jedoch zu Unentschiedenheiten innerhalb der Theorie, die vermieden werden sollten. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Frage, ob das Diskursmodell davon ausgeht, daß die Diskurse wirklich stattfinden. Argumentiert wurde, daß es sich in weiten Teilen eher um einen hypothetischen Diskurs handelt. - Die institutionelle Spezifizierung der deliberativen Prozesse ist zu gering. - Das Integrationskonzept korrespondiert in seiner Komplexität nicht mit dem restlichen Theoriedesign. Habermas differenziert zwar soziale und systemische Integration, letztere wird jedoch theoretisch vernachlässigt und die soziale Integration trägt die gesamte konzeptionell-theoretische Last.

7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

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Das Ziel der Synthese war die Explikation einer ersten Skizze einer Theorie der Integration durch Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, die die Vorstellung der Gleichberechtigung von privater und öffentlicher Autonomie übernimmt, hierfür aber eine alternative Begründung findet. Gleichzeitig sollte eine Spezifizierung des institutionellen Settings erfolgen, die die Bausteine aus der Neutralitätsdiskussion aufgreift. Im Zuge dieser Synthese konnte die eingangs aufgestellte These, wonach eine höhere demokratische Performanz eine höhere Integrationsperformanz nach sich zieht, argumentativ plausibilisiert werden; zumindest dann, wenn die demokratische Performanz an die Vorstellung deliberativer Demokratie konzeptionell rückgebunden wird. Die Frage innerhalb der Synthese lautete, welche Konzeptionalisierung von Verfassung, Verfassungs gerichtsbarkeit und politischer Öffentlichkeit diesem Konzept entspringen oder welches institutionelle Setting die Integrationsperformanz erhöhen könnte. Zunächst wurde hierzu die Vorstellung von Verfassung als prozedurales, moralisches und minimales Konzept eingeführt. Eine solche Verfassung ist der Vorstellung von Neutralität im Sinne von Rawls verpflichtet. Sie erweitert aber den Katalog der essentiellen Verfassungsinhalte um die Gleichstellung von privater und öffentlicher Autonomie. Bereits in der Verfassung sind die moralischen Prozeduren der Rechtsgenese zu spezifizieren. Die Idee hinter dieser Konzeption lautet, daß der prozedurale Konsens, auf dem die Akzeptanz von Entscheidungen aufbaut, die nicht den eigenen Präferenzen entsprechen, auf die Ebene der Verfassung selbst hochgehoben und moralisch gefiltert wird. Die Verfassung legt somit primär die moralischen Bedingungen des deliberativen, inklusiven und unverzerrten Prozesses der Rechtsgenese fest. Mit dieser Vorstellung von Verfassung veränderte sich auch die Aufgabenstellung des Verfassungsgerichts. Seine Aufgabe besteht nun primär in der Kontrolle der Verfassungskonformität der Ergebnisse der Rechtsgenese. Gesetze, die nur Minderheiten betreffen oder für spezifische Minderheiten nicht gelten, hätten vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand. Während die Kontrolle der Verfassungskonformität der Ergebnisse der Rechtsgenese relativ unproblematisch ist, kann die Kontrolle der Unverzerrtheit der Deliberation in der Regel nicht vorgenommen werden. Dies scheitert zum einen an der Komplexität dieses Prozesses, zum anderen an den Konsequenzen einer solchen Forderung, wie einer expansiven sozialstaatlichen Gesetzgebung durch das Verfassungsgericht und advokatorisch-paternalistischen Diskursen im Namen ausgeschlossener Minderheiten. Aus der Perspektive der Integrationsperformanz muß sich die Rolle eines Verfassungsgerichts in einem prozeduralen, moralischen und minimalen Verständnis von Demokratie auf eine defensive Rolle beschränken; der demokratische Prozeß genießt die Unterstellung der Vorzugswürdigkeit. 14 Schaal

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7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

Während die Konzeptionalisierung einer prozeduralen, moralischen und minimalen Verfassung eher den Status eines normativen Korrektivs oder einer heuristisch-methodischen Fiktion hatte, waren die sich anschließenden Überlegungen zur Funktion des Internets als Medium der Deliberation mit Blick auf politische Realität angelegt. Es konnte gezeigt werden, daß das Internet durchaus das Potential hat, als Medium anspruchsvoller Deliberation zu fungieren. Dies ist nicht als Ersatz z.\lm gängigen institutionellen Setting liberaler Demokratien gemeint, sondern als Ergänzung. Die Diskussion des deliberativen Potentials des Internets darf keinen unverhältnismäßigen Erwartungsdruck generieren. Zwar können Institutionen - und als solche verstehe ich hier das Internet - moralisches Verhalten fördern, doch sind sie nicht in der Lage, dieses zu generieren. So zeigt sich, daß das Internet zwar eine enabling-structure für Deliberation ist, aber keine enforcement-structure in einem empathischen Sinne sein kann; es gilt immer noch das "garbage-in/garbage-out"-Prinzip: Die Qualität der Deliberation ist von der Tugendbefähigung der Bürger abhängig. Die Überlegungen zu einem entgegenkommenden institutionellen Setting der Integration als moralischem Konzept lassen sich zusammenfassend in folgender Grafik darstellen.

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\

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"

......

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""" durch Grundrechte

.....

.....

Absicheru~ ..... durch pohtische ............... _ Panizipaaionsm:hte -

Abbildung 5: Integration als moralisches Konzept im institutionellen Kontext

7. Ergebnisse und Schlußfolgerungen

211

Die entgegenkommende politische Kultur bildet quasi die Basis gesellschaftlicher Integration, weil sie die wechselseitige Anerkennung als Freie und Gleiche unterstützt. Die Tugendbefähigung der Bürger wird damit zur kontrafaktischen, aber notwendigen Bedingung deliberativer Demokratie. Die Hoffnungen und normativen Erwartungen, die somit auf jedem Bürger ruhen und die für die Idee einer moralisch anspruchsvollen Praxis von Integration und das Projekt deliberativer Demokratie zentral sind, sind erheblich. Dabei ist es letztlich irrevelant, ob die Tugendbefähigung der Bürger oder die "entgegenkommende politische Kultur" (Habermas) diese Hoffnungen benennt.

14'

8. Literaturverzeichnis 8.1 Aufsätze, Monographien und Sammelbände Abkürzungen AER

American Economic Revue

Aes

Archives europeennes de sociologie

AlPS

American Journal of Political Science

APSR

American Political Science Review

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament"

BJfS

Berliner Journal für Soziologie

BJoPS

British Journal of Political Science

BYULR

Brigham Young University Law Review

CPS

Comparative Political Studies

c't

c't magazin für computer technik

ElPR

European Journal of Political Research

ES

Electoral Studies

FLR

Florida Law Review

GK

Gegenwartskunde

GPM

Tbe Gullup Poil Monthly

JNPÖ

Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie

JoCR

Journal of Conflict Resolution

JoD

Journal of Democracy

JoP

Journal of Politics

JoPaMS

Journal of Political and Military Sociology

JoPh

Tbe Journal of Philosophy

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JoTP

Journal of Tbeoretical Politics

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

LSR

Law & Society Review

MJolL

Michigan Journal of International Law

8.1 Aufsätze, Monographien und Sammelbände

NF

neue Folge

NJWZ

Neue Juristische Wochenzeitschrift

PC

Public Choice

PO

Public Opinion

POQ

Public Opinion Quarterly

PoStu

Politische Studien

PPA

Philosophy and Public Affairs

PS

Political Studies

P&S

Politics & Society

PSP

Political Science and Politics

PT

Political Theory

PVS

Politische Vierteljahresschrift

RhJ

Rechtshistorisches Journal

SFLR

University of San Francisco Law Review

SI

Sociologia Internationalis

SoR

Social Research

SR

The Sociological Review

SSQ

Socia! Science Quarterly

ST

Sociological Theory

TaS

Theory and Society

WPQ

Western Political Quarterly

WZB

Wissenschaftszentrum Berlin

YU

The Yale Law Journal

ZfP

Zeitschrift für Politik

ZfS

Zeitschrift für Soziologie

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsfragen

Zpol

Zeitschrift für Politikwissenschaft

213

214

8. Literaturverzeichnis

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8.1 Aufsätze, Monographien und Sammelbände

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