Institutionen: Geschichte und System des römischen Privatrechts. Bearb. von Ludwig Mitteis. Hrsg. von Leopold Wenger [1 ed.] 9783428414161, 9783428014163

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Institutionen: Geschichte und System des römischen Privatrechts. Bearb. von Ludwig Mitteis. Hrsg. von Leopold Wenger [1 ed.]
 9783428414161, 9783428014163

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Institutionen Geschichte und System des römischen Privatrechts Von

Rudolph Sohm Herausgegeben von Leopold Wenger Bearbeitet von Ludwig Mitteis

Duncker & Humblot  ·  Berlin

INSTITUTIONEN GESCHICHTE UND SYSTEM DES R Ö M I S C H E N PRIVATRECHTS VON

RUDOLPH SOHM WEILAND

PROFESSOR IN

LEIPZIG

16, U N D 17. T A U S E N D DER 17. A U F L A G E

BEARBEITET VON

LUDWIG MITTEIS

WEILAND PROFESSOR IN

LEIPZIG

HERAUSGEGEBEN VON

LEOPOLD WENGER PROFESSOR IN W I E N

1949

DUNCKER

& HUMBLOT

/

BERLIN

Alle

Rechte

vorbehalten

Vorrede zur vierzehnten Auflage Ein Institutionenlehrbuch hat heute ein anderes Wesen als dereinst. Es handelt sich nicht mehr, wie früher, um eine bloße Vorbereitung auf das Studium des römischen Rechts (des Pandektenrechts), sondern um eine Darstellung, die durch sich selber die Herrschaft zwar nicht über alle Einzelheiten, aber doch über das Ganze des römischen Rechts vermittelt. Die Zeit des leichtgcflügeltcn, knappgefaßten Institutionenlehrbuchs ist vorüber. Der Umfang des Werkes wächst, denn die Aufgabe ist gewachsen. Es gilt einerseits, die Tätigkeit unserer Wissenschaft auf dem Gebiet der Geschichte des römischen Rechts zusammenfassend zu begleiten. Unsere gerade jetzt zu neuer Blüte sich entfaltende römisch-rcchtsgeschichtliche Forschung muß in dem Institutionenlehrbuch eine Stätte finden, wo ihre reichen Ergebnisse zu einein Bilde gestaltet auftreten, um den großen Stil des Baus der Rechtsentwicklung zu offenbaren und durch die Macht des Fernblicks in die Vergangenheit die Jugend lehrend zu begeistern. Es gilt andererseits, in den systematischen Ausführungen die Grundlehren des Privatrechts an der Hand des römischen Rechts als Einführung in das heute geltende Recht darzulegen. Deshalb muß eine gewisse Vollständigkeit erstrebt und alles gebracht werden, was für das wissenschaftliche Verständnis des römischen Rechts erheblich ist. Schon die 13. Auflage dieses Buches hat sich auf diesen Standpunkt gestellt. In der Neuauflage ist daran festgehalten. Es ist darum auch unternommen worden, schwierigeren Rechtsbegriffcn näher zu treten, die wie im römischen so im heutigen Recht eine beherrschende Stellung einnehmen. Die Unentbchrlichkeit scharfer Begriffe, durch welche unsere Wissenschaft die Welt der Rechtssätze sich unterwirft, muß schon in einem Institutionenlehrbuch offenbar werden.

VI

Vorbemerkung.

Juristisches Denken, d. h. Denken in den Kategorien, welche die Formen der rechtlichen Vorgänge und Verhältnisse in Klarheit widerspiegeln, ist nicht das Einzige, aber das Erste, was für den Juristen notwendig ist. Zunächst soll diese Fähigkeit an den verhältnismäßig einfachen Bildungen des römischen Rechts geübt werden. Immer aber erscheint hinter dem römischen Recht der Fortschritt der Entwicklung zu unserem bürgerlichen Recht. Immer gilt es, das Verhältnis der Grundgedanken des römischen Rechts zu den praktischen Ideen des geltenden Rechts herauszustellen. Denn im Rechtsunterricht soll das römische Recht ein Mittel für das Studium unseres Rechts bedeuten. Trotz der Steigerung der Aufgabe ist die Art der Darstellung eine institutionenmäßige, an erster Stelle auf die Gestaltung des Stoffes gerichtete geblieben. Es soll dem Anfänger ermöglicht werden, ein Bild von der Geschichte des römischen Rechts, von seinem geistigen Inhalt und von seiner Bedeutung in der Gegenwart zu gewinnen. Auch die vorliegende erweiterte Gestalt des Buches soll in der Formgebung die Art eines Institutioncnlehrbuches bewahren. Leipzig, am 2. Juli 1911,

Rüdolpli Sohm.

Vorwort zur siebzehnten Auflage. Die fünfzehnte Auflage dieses Buches ist noch von Rudolph Sohm selbst durchgearbeitet und entsprechend den Fortschritten der Forschung ergänzt worden. Die sechzehnte Auflage war ein unveränderter Abdruck der fünfzehnten. Von der siebzehnten Auflage an sollten die weiteren Schicksale dieses Buches Ludwig Mitteis anvertraut werden. Er hat die nicht leichte Aufgabe auf sich genommen, die „Institutionen", in der Weise, wie dies, Sohm selber in der vorne stehenden Vorrede zum Ausdruck bringt, fortzuführen. Dabei ist unter Mitteis' Hand freilich aus manchen Partien des Buches — ich nenne, ohne aufzählen zu wollen, die Lehre vom Besitz; besonders zahlreiche Gegenstände des Obligationenrechts (so strenge und freie Kontrakte

Vorbemerkung.

Teile des Kauf rechts, Kondiktionen, Novation); dann Testamentsrecht; Bau der Formeln — etwas ganz Neues geworden, so daß man diese Auflage kaum mehr als bloße Bearbeitung bezeichnen darf, fehlt doch auf wenig Seiten die ändernde Hand. Man muß' das Neue in diesem Buche liber nicht bloß für die Lehre, sondern auch für die Forschung um so höher einschätzen, als Mitteis große Gebiete des römischen Privatrechts in handbuchmäßiger Verarbeitung teils druckfertig, teils im Stadium weit geförderter Vorarbeit für die ferneren Bände seines großen Werkes bereitgestellt hatte: Arbeiten, die nicht herausgegeben werden dürfen, aus denen wir nun aber wohl manche Frucht unter den Blättern dieses Lehrbuches suchen dürfen. Mitteis war es nicht gegönnt, die neu gearbeiteten Institutionen, deren Manuskript er kurz vor seinem Tode abgeschlossen hatte, a ich einmal nur der Öffentlichkeit zu übergeben. Dem Herausgeber war die Aufgabe gestellt, einerseits Sohms altehrwürdige Institutionen, mit welchen sich für Tausende und Tausende deutscher Juristen die Erinnerung an das römische Recht überhaupt verbindet, in ihrer überkommenen klassischen Form, aber mit den Änderungen und Ergänzungen des Bearbeiters weiterzugeben, anderseits aber der gewiß berechtigten Forderung des Verlages an ein Lehrbuch gerecht zu werden, dieses nicht zu sehr zum Handbuch anschwellen zu lassen. Ich konnte bei diesem Stand der Dinge von vornherein mit Streichungen nur dort einsetzen, wo Mitteis' Hand nicht beteiligt war und wo jeder Leser Sohms eigene, vielfach gerade in ihrer Breite der Darstellung und Schönheit der Sprache gleichermaßen für den Anfänger und den gereifteren Leser unübertrefflichen Institutionen in der früheren Auflage nachzulesen vermag. Die von Mitteis herrührenden Partien und natürlich all das vom alten Stamm, an das sie sich ansetzten, vertrugen schon darum keine Kürzung, weil hier noch nirgends Veröffentlichtes mitzuteilen war. Ich habe es dabei als meine Pflicht betrachtet, Mitteis' Änderungen und Ergänzungen wörtlich wiederzugeben. Wo ich — ausnahmsweise — selbst einen Zusatz oder eine Änderung für notwendig hielt, ist das, abgesehen von redaktionellen und sonstigen Kleinigkeiten, ausdrücklich mit eckigen Klammern vermerkt. Das Buch von zwei Großen der deutschen Rechtswissenschaft wird neuerdings in die Hände der deutschen Jugend gelegt. Es ist

VIII

Vorbemerkung.

vom einen in langen, glücklichen Jahren geschaffen, vom anderen in schwerer Not der Zeiten umgestaltet. Die Pflege des römischen Rechts ist in der für uns in Betracht kommenden Welt der Höhenmesser der Kultur eines Volkes auf dem Gebiete der Jurisprudenz. Die Pflicht der Jugend, für die dieses Werk Sohm und Mitteis geschrieben haben, ist es, sich in trübsten Tagen zu behaupten, bis auch bei uns wieder die Sonne leuchtet und die Bahn für Friedenswerke von äußeren Hemmnissen frei ist. Daß den Jungen, die dieses Buch in die Hand nehmen, diese Sonnentage beschieden sein werden, ist unsere sichere Zuversicht, daß auch die Älteren noch die Morgenröte sehen mögen, ist unsere Hoffnung. München, am 8. Mai 1923.

Leopold Wenger.

I n h a l t .

Einleitung· Brstes Kapitel. Die Aufgabe. § Die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland . . . . § 2. Pandektenrecht und deutsches Privatrecht . § 3. Pandektenrecht ujid kodifiziertes Recht . § 4. Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch . . § 6. Die Aufgabe der folgenden Darstellung Zweites Kapitel. Quellen und Grundbegriffe. § 6. Die Quellen Anhang. Die Handschriften des Corpus juris § 7. Grundbegriffe § 8. Die Rechtswissenschaft

Seite

. · .

1 2 4 6 7 11 15 19 25

E r s t e r Teil. Geschichte des römischen Rechts. Einleitung. § 9. Das quiritische Recht. . . . § 10. Stufen der Entwicklung des römischen Zivilrechts . . . . .

35 42

Erstes § 11. § 12. § 13.

47 54 64

Kapitel. Die Zeit des Stadtrechts« Die zwölf Tafeln Die interpretatio Die Anfänge des jus gentium

Zweites K a p i t e l . Die Zeit des Weltrechts. (Die Kaiserzeit.) § 14. Jus civile und jus gentium § 15. Das prätorische Edikt § 16. Das doppelte Recht § 17. Das Hadrianische Edikt ; §» 18. Die römische Rechtswissenschaft § 19. Das republikanische Kaisertum Und die kaiserliche Rechtsprechung § 20. Das monarchische Kaisertum und die kaiserliche Gesetzgebung § 21. Die Kodifikation § 22. Das Ergebnis

69 72 82 85 89 108 116 120 129

Drittes Kapitel. Spätere Schicksale des römischen Rechts. § 23. Byzanz 135 § 24 Italien 137

Inhalt.

χ

Seite

§ § § §

26. 26. 27. 28.

Die Das Die Das

Glossatoren Corpus juris canonici Kommentatoren . . . . Pandektenrecht in Deutschland

140 143 144 160

Zweiter Teil. System des römischen Privatrechts. § 29. Die Grundgedanken cfes Systems. .

161

Erstes Buch· Allgemeiner Teil. Erstes Kapitel. P e r s o n e n r e c h t . § 30. Begriff und Arten der Person

164

1. N a t ü r l i c h e Personen. § 31. Einleitung § 32. Status libertatis. Freie und Sklaven § 33. Status civitatis. Cives und peregrini § 34. Status faniiliac. Paterfamilias und filiusfamilias § 36. Capitis deminutio . . .· § 36. Ehrenminderung .

166 167 177 183 186 190

I I . Juristische Personen. § 37. Wesen der juristischen Person § 38. Vereine und Stiftungen Zweites Kapitel. Die Rechtsgeschäfte. § 39. Einleitung § 40. Begriff und Arten des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . § 41. Der Tatbestand des Rechtsgeschäfts § 42. Beweggrund und Rechtsgrund § 43. Die Klauseln des Rechtsgeschäfts § 44. Die Geschäftsfähigkeit § 46. Die Stellvertretung Zweites Buclu Die Vermögensrechte. Erstes Kapitel. Sachenrecht. § 46. Begriff der Sache § 47. Arten der Sachen § 48. Die Rechte an Sachen. — Arten des Rechtserwerbs . . . I. D e r B e s i t z (Possessio). § 49.- Begriff und Wirkungen des Besitzes I I . Das Eigentum« § 60. Der Begriff des Eigentums (Dominium, Proprietas) § 61. Der Erwerb des Eigentums. Geschichtliche Einleitung . . § 62. Der Erwerb des Eigentums. Abgeleiteter Erwerb . . . . § 63. Der Erwerb des Eigentums. Ursprünglicher Erwerb . . . Anmerkung« Die Sachverbindung

\

194 . 202

.

.

209 209 212 220 229 237 243

260 263 264 2C8

. . .

282 282 285 292 306

Inhalt.

XI Seite

§ 54. Der Schutz des Eigentums § 55. Der Schutz des .Ersitzungebesitzes

. 308 319

·.

I I I . Die Rechte an fremder Sache. § § § § §

56. 57, 58. 59. 60.

Im allgemeinen i/ie Servituten Die Emphyteuse Die superficies Das Pfandrecht

322 323 335 339 340

Zweites KapiteL Obligationenrecht. I. Begriff und I n h a l t des Forderungsrecnts« § 61. Begriff des Forderungsrechts § 62. Korrealobligationen § 63. Inhalt der Obligation § 64. Strenge und freie Kontrakte § 65. Civilis und naturalis obligatio

353 358 370 374 384

I I . Entstehung der Forderungsrechte. § 66. Kontrakte und Delikte A. Kontraktsobligationen. § 67. Einleitung § 68. Realkontrakte §69. Der Verbalkontrakt § 70. Der Literalkontrakt § 71. Die Konsensualkontrakte §72. Die Quasikontrakte § 73. Die pacta

387

y

387 391 402 415 419 440 449



Β« Deliktsobligationen. § 74. Die Privatdelikte des römischen Rechts § 75. Quasidelikte . III. § § §

453 .461

Übertragung und Aufhebung der Ford^rungsrecht.e. 76. Übertragung der Forderungsrechte (Zession). 463 77. Haftung aus fremder Schuld 469 78. Aufhebung der Forderungsrechte 474

Drittes Buch. Familien- und Erbrecht» Erstes Kapitel. Das Familienrecht« § 79. Einleitung § 80. Die Familie < I. § § § § § §

Das Eherecht. 81. Ehe und Eheschließung 82. Die eheherrliche Gewalt 83. Das eheliche Güterrecht 84. Die dos 85. Die donatio propter nuptias 86. Die Auflösung der Ehe

49(J 500

' . . . .

604 610 612 .616 622 .524

Inhalt.

XII

Seite

§ 87. Die zweite Ehe . ι 88. Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit

626 526

II. § § §

Die 89: 90. 91.

patria potestas. Die Begründung der patria potestas Die Wirkung der patria potestas Die Aufhebung der patria potestas

527 531 634

III. § § § § §

Die 92. 93. 94. 95. 96.

Vormundschaft. Die Arten der Vormundschaft Berufung zur Vormundschaft Die Wirkung der Vormundschaft Die Aufhebung der Vormundschaft Die Obervormundschaft

535 642 545 549 560

Kapitel. Das Erbrecht. Grund und Begriff der Erbfolge Delation und Akquisition des Erbrechts Hereditas und bonorum possessio Die Intestaterbfolge Die testamentarische Erbfolge Die Noterbfolge . Rechtliche Stellung der Erben Das Vermächtnis Beschränkung der Vermächtnisse Das7 Universalfideikommiß Mortis causa capio.

561 555 564 674 583 605 612 624 632 634 637

Zweites § 97. § 98. § 99. § 100. § 101. § 102. § 103. § 104. § 105. § 106. § 107.

D r i t t e r Teil. Der Rechtsschutz. § § § § § § § § § § § § §

108. 109. 110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119, 120.

Einleitung Der römischc Zivilprozeß Die legis actio Der Formularprozeß : Die formula Der Bau. der Formeln bei den Zivilklagen Der Bau der prätorischen Klagformeln Das Aktionensystem Insbesondere von der condemnatio. Die actiones arbitrariae Die exceptio Klagenbefristung und Verjährung. — Tempus utile. . . . Die Wirkung des Prozesses Verfahren extra ordinem. — Interdicta. — In integrum restitutio § 121. Der spätkaiserliche Prozeß . Register

641 643 649 661 672 677 680 686 691 700 709 716 722 729 736

Einleitung· Erstes Kapitel.

Die

Aufgabe. § l.

Die Aufnahme des römischen Rechts in Deutsehland· Im 16. Jahrhundert vollzog sich in Deutschland jeno große Erneuerung des Bildungslebens, welche die mittelalterlichen Anschauungsformen und Gedanken durch den wiedergeborenen Geist des Altertums verdrängte. Von Italien war die Bewegung ausgegangen» Im 16. Jahrhundert eroberte sie die abendländische Welt. An die Stelle der Gotik trat der Stil der Renaissance, an die Stelle der Scholastik der Humanismus. Auch das deutsche Rechtsleben ward in die mächtige Strömung bmeingerissen. Das vaterländische Reefit, in Land- und Ortsrechtc zersplittert, nicht verteidigt noch fortgebildet durch eine starke Reichsgewalt, vermochte dem Andrang der neuen Ideen nur unvollkommenen Widerstand entgegenzusetzen. Was am Ende des Mittelalters sich bereits vorbereitet hatte, vollendete sich im 16. Jahrhundert: die Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland. Seitdem ist das römische Recht ein Bestandfeil unseres Rechts geworden. Die ganze mit dem 16. Jahrhundert anhebende Rechtsentwicklung Deutschlands bewegt sich in der Wechselwirkung zwischen dem aufgenommenen römischen und dem einheimischen deutschen Recht. Fast noch bedeutender aber als der sachliche Erfolg des römischen Rechts war der Einfluß, welchen es auf unsere wissen-

2

Einleitung.

scbaftlichen Vörstellungen geübt hat. Das mittelalterliche Recht, nicht in Büchern, sondern in dem Gedächtnis der Männer sein Leben führend, hatte eine Rechtswissenschaft in Deutschland nicht hervorgebracht. So geschah es, daß die römische Jurisprudenz, welche mit dem Corpus juris civilis herüberkam, bei uns ein leeres, unbesetztes Gebiet fand, welches sie ohne Schwertstreich in Besitz zu nehmen vermöchte. Erst seit dem 16. Jahrhundert, d. h. erst seit und infolge der Aufnahme des römischen Rechts, gab es bei uns eine deutsche Rechtswissenschaft, und dieec deutsche Rechtswissenschaft hat von vornherein die Züge der Mutter an sich getragen, welcher sie entstammte: der römischen Jurisprudenz. Derselbe geniale Formensinn, welcher die antike Kunst auszeichnet, hatte auch der antiken Rechtswissenschaft jenes Ebenmaß, jene Durchsichtigkeit, jene einleuchtende Kraft ihrer Begriffe gegeben, welche nun in Deutschland, sobald nur das römische Recht in den Gesichtskreis der Zeit eintrat, die Geister gefangen nahm, pie römische Jurisprudenz kam, sah und siegte. Seit dem 16. Jahrhundert bis heute ist sie die Lehrmeisterin unseres juristischen Denkens gewesen, und darum fangen wir noch heute unseren juristischen Unterricht mit dem römischen Recht an. Der Teil des Rechts, für welchen es dem Altertum gelang, die größten Erfolge davonzutragen, ist das Privatrecht gewesen, welches an erster Stelle das Recht der Vermögensverhältnisse (Eigentum, Schuldverhältnisse) bedeutet. Die Wissenschaft des römischen Privatrechts bildet daher noch heute eine Grundlage unserer Jurisprudenz. Hier setzen auch die „Institutionen" ein, um dem Anfänger die erste Anschauung von seiner Wissenschaft zu gewähren.

Pandektenrecht und deutsches Privatrecht. Das römische Privatrecht ist durch die „Rezeption" im 16. Jahrhundert gemeines deutsches Privatrecht geworden. Es galt für das ganze deutsche Reich. Von dem vornehmsten Teil des Corpus juris civilis, den „Digesta seu Pan-

§ 2. Pandektenrecht und deutsches Privatrecht.

3

dectae" (vgl. unten § 6), empfing es bei uns den Namen Pandektenrecht. Aber das „Pandektenrecht" Deutschlands fiel nicht schlechtweg mit dem Recht des Corpus juris civilis (dem „reinen" römischen Privatrecht) zusammen. Wäre es doch auch unmöglich gewesen, das römische Recht Justinians (des 6. Jahrhunderts) unverändert tausend Jahre später auf ganz neue Verhältnisse in Anwendung zu bringen! Wir empfingen das Recht des Corpus juris aus den Händen der italienischen Juristen (vgl. unten § 28) in einer bereits durch die Gesetzgebung der Kirche (das im Corpus juris canonici enthaltene kanonische Recht) und durch die italienische Rechtslehre und Rechtsübung fortgebildcten Gestalt. In Deutschland selbst ist dann eine weitere Fortbildung des aufgenommenen römischen Rechts durch die Reichsgesetzgebung sowie durch die deutsche Rechtslehre und Rechtsübung eingetreten. So wurde das gemeine deutsche Pandektenrecht ein den deutschen Verhältnissen angepaßtes römisches Privatrecht, und unsere Wissenschaft vom Pandektenrecht bedeutete also eine Wissenschaft von dem römischen Privatrecht in der veränderten Gestalt, die es als „heutiges" gemeines deutsches Privatrccht gewonnen hatte. Das Pandektenrecht hattfr jedoch nicht vermocht, das während des Mittelalters in zahlreichen Ortsrechten, Stadtrechten, Landrechten zur Ausbildung gebrachte einheimische deutsche Privatrecht vollständig zu zerstören. Eine ganze Reihe einheimisch deutscher Rechtssätze blieb auch nach der Aufnahme des römischen Rechts in partikularrechtlichcr, d. h. in ortsrechtlicher, stadtrechtlicher, landrechtlicher Geltung. Das Pandektenrecht ward nur sog. subsidiäres (ergänzendes) gemeines Recht. Abweichende Bestimmungen des Partikulairrechts gingen vor („Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecbt bricht gemeines Recht"). Ja, das gemeine Pandektenrecht selber mußte unter der Hand der deutschen Juristen nicht bloß einzelne deutsche Rechtssätze, sondern ganze ihm fremde Rechtseinrichtungen aus dem einheimischen deutschen Rechte in sich aufnehmen (so die Familienfideikommisse, die Reallasten, die Erbverträge). Es war selbstverständlich, daß auch dies dem deutschen Boden selbst entsprungene, im vollsten Sinne des Wortes

4

Einleitung.

„deutsche14 Privatrecht seine wissenschaftliche Pflege forderte. So ist denn seit dem 18. Jahrhundert neben der Wissenschaft vom Pandektenrecht, die bis dahin in Deutschland auf privatrechtlichera Gebiet allein das Zepter geführt hatte, endlich auch eine Wissenschaft des „deutschen Privatrechte" aufgekommen, d. h. eine Wissenschaft von dem deutsch-einheimischen Privatrecht. Damit hatte Deutschland freilich, gemäß dem doppelten-Ursprung seines Privatrechts, auch eine doppelte Privatrechtswissenschaft: eine Wissenschaft des Pandektenrechts (die Lehre vom gemeinen römischen Privatrecht) und eine Wissenschaft des deutschen Privatrechts (die Lehre von dem in der, Hauptsache nur partikularrechtlich geltenden einheimisch-deutschen Privatrecht). §3.

Pandektenrecht und kodifiziertes Recht. Das Pandektenrecht war als das gemeine Privatrecht des „heiligen römischen Reichs deutscher Nation" aufgekommen. Mit dem Niedergange «des alten Reiches war notwendig ein Niedergang der Geltung des Pandektenrechts verbunden. Seit dem 18. Jahrhundert ging die Führung wie des politischen Lebens so dèr Gesetzgebung auf die Landesstaatsgewalt über. Die Landesgesetzgebung begnügte sich zum Teil (insbesondere in den kleineren Ländern) mit der Regelung einzelner Gegenstände, also mit der weiteren Ausgestaltung ihres Partikularrechts: die „subsidiäre" Geltung des gemeinen Pandektenrechts blieb für diese Gebietç unberührt. In den größeren Staaten aber regte sich der Gedanke einer „Kodifikation", d. h. einer Gesetzgebung, die das Recht (das Privatrecht, das Strafrecht, das Prozeßrecht) als Ganzes neu gestaltet. Die Kodifikation bricht formell für ihr Gebiet mit dem gesamten bestehenden Recht, um an Stelle all der überkommenen Gesetze der Vergangenheit ein einziges neues Gesetzbuch (einen „code") zu setzen. Die Zwiespältigkeit des in Deutschland geltenden Privatrechts, der Gegensatz des gemeinen römischen und des vielfältig zersplitterten partikulären deutschen Rechts drängte

§ 3. Pandektenrecht und kodifiziertes Recht

'

5

zu seiner Aufhebung durch ein neues, römisches und deutsches Recht zu einem Ganzen verschmelzendes Gesetzeswerk. Solange es kein lebenskräftiges deutsches Reich gab, konnte diese Aufgabe nur von der Landesgesetzgebung der (größeren) deutschen Einzelstaaten in die Hand genommen werden. Und so ist es geschehen. Für erhebliche Teile Deutschlands ward,' wie Strafrecht und Prozeß, so auch das Privatrecht „kodifiziert 44 (erschöpfend durch ein neues Gesetzbuch geregelt) und damit die rechtliche Geltung des gemeinen Pandektenrechts für diese Länder beseitigt. So zerfiel Deutschland (bis zum 1. Januar 1900) in bezug auf die Gestaltung seines Privatrechts in zwei große Rechtsgebiete. Das eine Rechtsgebiet war das Gebiet des sogenannten Pandektenrechts (oder, wie es auch heißt, das Gebiet des gemeinen Rechte), d. h. das Gebiet, in welchem das römische Privatrecht (in seiner gemeinrechtlichen Gestalt) noch formelle Gesetzeskraft besaß, wo es also noch galt, soweit es nicht durch abweichendes Partikularrecht ausgeschlossen war. Zu diesem Gebiet gehörten Holstein, einzelne Teile von Schleswig1, die Hansestädte, Lauenburg, Mecklenburg, Neuvorpommei;n und Rügen, Hannover (größtenteils), Oldenburg (mit Ausnahme des Fürstentums Birkenfeld), Braunschweig, die thüringischen Herzogtümer, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Waldeck, der Bezirk des ehemaligen Appellationsgerichtes Ehrenbreitstein, HessenNassau, Hessen-Darmstadt (mit Ausnahme von Rheinhessen), Hohenzollern, Württemberg und Bayern (mit Ausnahme der Pfalz und der fränkischen Fürstentümer). Es war ein großes, geschlossenes, von Schleswig-Holstein im Norden bis nach Bayern im Süden hinabreichendcs Rechtsgebiet2. In all diesen Ländern 1 In dem größten Teil von Schleswig galt das Jütisch Low (von König Waldemar I I . von Dänemark 1240, in der Form einer plattdeutschen Übersetzung vom Ende des 16. Jahrhunderts). Das römische Recht war im Gebiete des Jütisch Low nicht rezipiert. Es galt dort nur für einzelne Institute und im übrigen als ratio scripta, d. h. insofern es dia Anforderungen der „Natur der Sache41 und der „Billigkeit" zum Ausdruck brachte. 1 Auch in den Kantonen der Schweiz galt das römische Recht als ratio scripta, soweit dort kein kodifiziertes Recht galt. Das schweizerische Zivilgesetzbuch vom 10. Dez. 1907, in Kraft seit 1. Jan. 1912, beseitigt auch diese seine Geltung.

S o h m , Institutionen.

2

Einleitung.

6

waren viele Gesetze erlassen, durch welche das Landesrecht in einzelnen Teilen abweichend vom römischen Recht gestaltet war. Aber überall hatte hier das römische Privatrecht gemeinrechtliche ergänzende Geltung: es galt, soweit die Landesrechte keine entgegenstehenden Bestimmungen enthielten3. Das andere Rechtsgebiet war da3 Gebiet des kodifizierten Privatrechts, d. h. das Gebiet, wo die formelle Geltung des römischen Privatrechts abgeschafft und das ganze Privatrecht ausschließlich durch ein einheimisches Gesetzbuch (Kodifikation) beherrscht ward. Inhaltlich sind jedoch auch in diese Kodifikationen viele Sätze des römischen Rechts aufgenommen worden. Die?e Rechtsgebiete waren die Gebiete des preußischen Landrechts von 1794, des französischen bürgerlichen Gesetzbuchs (des code civil) von 1804 (galt am linken Rheinufer und in Baden in der Form des badischen Landrechts, einer deutschen Übersetzung von 1809) und das Gebiet des königlich sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs von 1863. Auch für das damalige Österreich wurde im Jahre 1811 eine solche Kodifikation geschaffen, welche das bis dahin geltende Pandektenrecht beseitigte, das österreichische bürgerliche Gesetzbuch4. Fast die ganze östliche Hälfte Deutschlands (rechts der Elbe) und der äußerste Westen (links des Rheines) hatte bereits kodifiziertes Privatrecht empfangen. §4.

Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch. Am 18. August 1896 ist das deutsche bürgerliche Gesetzbuch nebst einem Einführungsgesetz für dass Deutsche Reich verkündet worden. Seit dem 1. Januar 1900 steht es in Geltung. Die Entwicklung, welche um 1500 mit der Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland ihren Anfang genommen 3

Die Aufnahme des römischen Rechts mit formaler subsidiärer Gesetzeskraft beschränkte sich auf die Gebiete, in denen die Rechtsprechung des (1495 von Kaiser Maximilian I. eingesetzten) Reichskammergerichts Einfluß übte. 4 Modernisiert durch drei kaiserliche Verordnungen aus der Kriegszeit (1914, 1915, 1916) (die sog. Teilnovcllcn), gilt das Gesetzbuch heute in Österreich und zum Teil in anderen Nachfolgestaaten.

§ 4. Pas deutsche bürgerliche Gesetzbuch.

7

hatte, ist nunmehr nach annähernd einem halben Jahrtausend zum Abschluß gebracht worden. Das deutsche bürgerliche Gesetzbuch (B.G.B.) ist eine Kodifikation. Alles bisher in deutschen Ländern gültig gewesene Privatrecht, das „gemeine" Privatrecht wie das partikuläre (nur das in der Gesetzgebung des neuen Reiches wurzelnde Reichsprivatrecht ausgenommen), ist vor dem deutschen bürgerlichen Gesetzbuch verschwunden, soweit nicht ausdrücklich (im EinführungsTgesetz Art. 56 ff.) Vorbehalte zugunsten des Landesprivatrechts gemacht sind. Inhaltlich finden sich auch im deutschen bürgerlichen Gesetzbuch Rechtssätze, die dem römischen Recht entstammen. Aber die formelle rechtliche Geltung des gemeinen Pandektenrechts ist nunmehr (von den Vorbehalten des Einführungsgesetzes abgesehen) für ganz Deutschland beseitigt worden. Das neuo Deutsche Reich mußte die Aufgabe der Kodifikation auf seine stärkeren Schultern nehmen. Der bunte Privatrechtszustand Deutschlands, die Menge kleiner lebensunfähiger Partikularrechte, die gesetzliche Geltung eines in lateinischer Sprache redenden fremden, vielfach veralteten Rechtsbuchs forderten dringend eine Änderung. Die Kodifikationen der Einzelstaaten hatten die Schwierigkeiten der partikularrechtlichen Zersplitterung nur vermehren, nicht überwinden können. Die Rechtsgebiete der Kodifikationen mußten der unmittelbaren Fühlung mit der deutschen, bei dem „gemeinen" Recht verharrenden Wissenschaft entbehren. Erst die Gesetzgebungsgewalt des endlich wieder aufgerichteten Deutschen Reiches konnte durch ein deutsches bürgerliches Gesetzbuch die formale Einheit des in Deutschland geltenden Privatrechts schaffen. §6.

Die Aufgabe der folgenden Darstellung. Werden wir nach Abschaffung des Pandektenrechts auch das Studium des römischen Privatrcchts beiseite legen? Früher sind dem römischen Privatrecht drei verschiedene Lehrzweige gewidmet gewesen: die römische Rechtsgeschichte, die Institutionen und die Pandekten.

8

Einleitung.

Die römische Rechtsgeschichte gab die Geschichte der römischen Rechtsquellen und der Einrichtungen des öffentlichen und privaten (§ 7 II) römischen Rechts von den ältesten Zeiten bis auf Justinian, den Urheber des Corpus juris (im 6. Jahrhundert n. Chr.). Die Institutionen brachten den Abschluß der Geschichte des römischen Privatrechts, sofern sie innerhalb des römischen Reiches sich vollzog. Sie handelten von dem römischen Privatrecht zur Zeit Justinian s. Sie stellten das Recht des Corpus juris civilis dar, und zwar das Recht des Corpus juris civilis in seiner damaligen Gestalt (zur Zeit Justinians), das unveränderte Recht des Corpus juris oder', wie man zu sagen pflegt, das reine römische Privatrecht. Die Lehre von den Pandekten war dem „heute" geltenden Recht unmittelbar zugewandt. · Die Pandektenwissenschaft, so wie sie früher in Deutschland getrieben wurde, hatte es gleichfalls mit dem Recht des Corpus juris civilis zu tun, aber mit dem Recht des Corpus juris civilis in seiner gegenwärtigen Gestalt, also in der veränderten Form, welche ihm das kanonische Recht, italienische und deutsche Gewohnheiten sowie deutsche Reichsgesetze gegeben hatten. Die Institutionen stellten das römische Recht des 6. Jahrhunderts, die Pandekten aber das römische Recht des 19. Jahrhunderts dar. Die Pandektenwissenschaft lehrte das Pandektenrecht in der Gestalt, wie es in den Ländern „des Pandektenrechts" (oben S. 5. 6) gegenwärtig gesetzliche Geltung hatte. Die Pandektenwissenschaft lebte also einem praktischen Zweck: sie war die Wissenschaft von dem für einen großen Teil Deutschlands immer noch in Kraft stehenden gemeinen deutschen Privatrecht römischen Ursprunges. Es versteht sich von selber, daß diese praktische Aufgabe der Pandektenwissenschaft durch das deutsche bürgerliche Gesetzbuch hinweggefallen ist. Schon lange aber hatte die deutsche Pandektenwissenschaft neben ihrer praktischen eine ganz andere, rein wissenschaftliche Bedeutung gewonnen. Die Arbeit, welche eine Reihe von Geistern ersten Ranges

§ 5. Die Aufgabe der folgenden Darstellung.

9

nicht bloß in Deutschland, sondern im ganzen Abendlande von den Tagen der Glossatoren an (vgl. unten § 25 ff.) bis zur Gegenwart dem römischen Recht gewidmet hatte, galt nicht lediglich der Herausstellung des positiven, im römischen Recht gegebenen Stoffes, sondern an erster Stelle der Entwicklung der juristischen Begriffe, mit deren Hilfe wir nicht bloß das römische Recht, sondern ebenso jedes andere Recht zu meistern imstände sind. Das Pandektenrecht war der Boden, aus dem durch das juristische Denken der Jahrhunderte tausendfältige Frucht rein wissenschaftlicher Art hervorgegangen war: Ergebnisse, deren Wert von der Gestaltung des praktisch geltenden Rechts in weitgehendem Maße unabhängig ist. Die Pandektenwissenschaft war die hohe Schule aller Jurisprudenz, und seit der Zeit, wo die Schule von Bologna blühte, bis heute ist die Vormachtstellung auf dem Gebiete der Rechtswissenschaft derjenigen Kation zugefallen, die das Feld des Pandektenrechts beherrschte. Die Jurisprudenz ist aber nicht bloß eine theoretische, sie ist auch eine praktischen Zielen dienende Wissenschaft. Die deuteche Privatrechtswissenschaft mußte deshalb seit Erlassung des deutschen bürgerlichen Gesetzbuches sich auf die Behandlung dieses neuen Gesetzes umstellen. In den Mittelpunkt unserer Privatrechtswissenschaft und unseres Privatrechtsstudiums sind an Stelle der Pandekten des römischen Rechts die Pandekten des deutschen C o r p u s j u r i s c i v i l i s , des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs getreten. Die mächtig sich regende Wissenschaft vom deutschen bürgerlichen Recht soll das Erbe der bisherigen Pandektenwissenschaft antreten: in ihren neuen Räumen soll von nun. an die Hochschule juristischen Denkens eingerichtet sein. Die Wissenschaft vom römischen Privatrecht als solchem steht derzeit nur noch im Eingang des juristischen Studiums. Aber wenn auch die „Pandekten" alter Art aufgehört haben, so werden doch die unersetzliche Schulung im juristischen Denken, welche d^s Corpus juris bietet, und die Kenntnis der komplizierten Denkprozesse, durch welche aus ihm heraus von der gemeinrechtlichen Wissenschaft die Grundlagen für das heutige Privatrecht geschaffen worden eind, auch künftig unentbehrlich sein, wenn anders unser Juristenstand auf der Höhe moderner juristischer

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Einleitung.

Bildung erhalten werden und nicht zu einem öden Handwerkertum herabsinken soll. ΊΜΘ entfallende systematische Pandektenvorlesung wird dabei durch Spezialvorlesungen über ausgewählte Gebiete, vor allem aber durch exegetische Übungen im Corpus juris, zu ersetzen sein; auf diese fällt in Zukunft ein besonderes Gewicht. Außerdem behaupten sich natürlich die römische Rechtsgeschichte und die Institutionen ungeschmälert an ihrem Platze. Sie werden in der Form einer Lehre von „Geschichte und System des römischen Privatrechts" fortgeführt. Die Pandektenwissenschaft hinterläßt auch ihnen ein Erbe, das sie anzutreten haben. Die römische Rechtsgeschichte pflegte bisher mit der großen Kodifikation Justinians, dem Corpus juris civilis, abzuschließen. Die „Geschichte" des römischen Recht3 wird fortan darüber hinauszugehen haben. Sie wird (was früher den „Pandekten" überlassen zu werden pflegte) auch die Schicksale des Corpus juris von seiner Abfassung bis zur Gegenwart in den Bereich ihrer Darstellung ziehen. Sie wird die Rolle klarzumachen haben, welche das Corpus juris für die ganze nachfolgende Entwicklung gespielt hat. Aus der „Geschichte" des römischen Rechts muß der Wert des Corpus juris auch für die Gegenwart hervorgehen. Dem „System" des römischen Privatrechts fällt die Aufgabe zu, nach Art der früheren „Institutionen" eine übersichtliche (zugleich auf die Geschichte zurückgehende) Darstellung des im Corpus juris enthaltenen Privatrechts zu geben. Aber die Behandlung des Stoffes wird eingehender sein müssen, als ehemals in den „Institutionen" üblich war. Ja, es wird angezeigt sein, über das römische Recht Justinians hinaus die Verbindungslinien-aufzuweisen, welche vom Privatrecht des Corpus juris zu unserem heutigen bürgerlichen Recht führen. So wird die Darstellung des reinen römischen Privatrechts, wie es von Justinian auf dem Boden der römischen Rechtsentwicklung zum Abschluß gebracht worden ist, helfen, den Zusammenhang unserer Wissenschaft vom gegenwärtigen Recht mit dem Inhalt des Corpus juris zu bewahren. Damit ist die Aufgabe der folgenden Darstellung bezeichnet. Es wird zunächst ein kurzes Wort über die Quellen des römischen Rechts sowie, über die juristischen Grundbegriffe vorausgeschickt

§ 6. Die Quellen.

Il·

werden. Dann folgt' die Darstellung selbst in geschichtlicher und dogmatischer Methode. [Die geschichtliche Darstellung schildert die Entstehung eines Rechtsinstituts von seinen Anfängen an; sie zeigt seine Entwicklung auf und untersucht deren Ursachen. Die dogmatische Darstellung beschreibt ein Rechtsinstitut auf einem beliebigen Punkte seiner Entwicklung. Beide Darstellungen greifen naturgemäß ineinander und sind auch im folgenden miteinander verwoben1, wenngleich der erste Teil mehr die geschichtlichen, der zweite die systematisch-dogmatischen Fragen voranstellt.] Zweites Kapitel.

Quellen und Grundbegriffe. §6.

Die Quellen. I. Das Corpus juris civilis von Justinian hat in seiner heutigen Gestalt vier Teile: 1. Die Institutionen (publiziert am 21. Nov. 533) sind ein kurzes Lehrbuch, bestimmt, den gesamten übrigen Inhalt des Corpus juris kurz zusammenfassend darzustellen und damit zugleich in das Studium des Corpus juris einzuleiten, — aber ein Lehrbuch mit Gesetzeskraft. Die Institutionen hatten gleiche Gesetzeskraft wie die Digesten und der Codex. Die Institutionen zerfallen in vjer Bücher, die Bücher in Titel, die Titel in Paragraphen. Der erste Satz des Titels (vor § 1) wird als principium (pr.) bezeichnet. Also zitiert man: pr. I. (= Institutionum) de donat. (2, 7). Soll unmittelbar darauf eine andere Stelle desselben Titels zitiert werden, so wiederholt man die Angabe des Buches und des Titels nicht, sondern schreibt: § 4 I. eod. Handelt die Darstellung, zu welcher eine Stelle des Institutionentitels de donationibus als Belegstelle zitiert werden 1 Vgl. darüber eingehend W e n g e r , Arch. f. Rechts- und Wirtschaf tsphilosöphie, Bd. 14 (1921), S. 1 ff., 106 ff.

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Einleitung.

soll, planmäßig von Schenkungen, so kann das erste Zitat auch lauten: pr. I. h. t. (== hoc titulo).

Mit dem Zitat „h. t." ist also der einschlagende Titel (der unseren gerade vorliegenden Stoff behandelnde Titel), mit dem Zitat „eod." der zuletzt vorher zitierte Titel angezogen. Die neueste Zitierweise ist die „philologische"· Von der höheren zur niedersten Einteilungsgröße herabsteigend, werden die Ziffern einfach nacheinander gesetzt. Man zitiert also: Inst. 2, 7, pr., bzw. Inst. 2, 7, 4.

2. Die D i g e s t e n oder P a n d e k t e n (publiziert am 16. Dez. 533) enthalten Auszüge (Fragmente) aus den Schriften der römischen Juristen, welche von Justinian zusammengestellt und mit Gesetzeskraft versehen sind. Die Digesten haben 50 Bücher, die Bücher zerfallen in Titel, die Titel in Fragmente (sogenannte leges), die Fragmente in Paragraphen; der erste Absatz der lex heißt prineipium. Also Zitat: L. ( = lex) 2 pr. D. ( = Digestorum) mandati (17,1). L. 10 § 1 eod. L. 18 h. t. (Mit diesem Zitat ist der Titel mandati zitiert, wenn die Ausführung, zu welcher zitiert wird, planmäßig vom Mandat, d. h. vom Auftrag, handelt.)

Die Bücher 30. 31. 32 der Digesten handeln alle drei von dem nämlichcn Gegenstand — de legatis — und haben keine Titeleinteilung. Darum zitiert man hier: L. 1 D. de légat. I (30). Manche neuere Schriftsteller bezeichnen die einzelnen Fragmente der Juristenschriften, aus welchen die Digestentitel zusammengesetzt sind, nicht als leges, sondern als fragmenta (fr.), bei Anwendung dieser Methode kann das D., also die Verweisung auf den Digestenteil des Corpui juris, fortbleiben. Also: fr. 2 pr. mandati (17, 1).

Neue Zitierweise: Dig. 17, 1, 2 pr. — Dig. 30, 1. 3. Der K o d e x (publiziert am 16. Nov. 534) enthält kaiserliche Erlasse und Gesetze von Justinian und den

§ 6. Die Qellen.

älteren Kaisern (meistens auszugsweise), welche von Justinian zusammengestellt und als einheitliches Gesetz publiziert eind. Der Kodex hat 12 Biicher. Die Bücher zerfallen in Titel, die Titel in die einzelnen kaiserlichen Erlasse (leges), die leges in Paragraphen, wie vorher. Also Zitat: L. 11 § 1 C. ( = Codicis) deposit! (4, 34).

Die einzelnen leges des Kodex können auch als c. ( = con* stitutio) bezeichnet werden; dann kann das C., d. h. die Verweisung auf den Kodexteil des Corpus juris, fortbleiben: c. 11 § 1 depositi (4, 34). Neue Zitierweise: Cod. Just. 4, 34, 11, 1.

Diese drei Teile des Corpus juris —» die Institutionen, die Digesten und der Kodex — sind von Justinian zwar an verschiedenen Daten, aber doch als zusammen ein einziges Gesetzbuch bildend publiziert worden und haben daher alle gleiche Gesetzeskraft. Sie stellen das Corpus juris in der Gestalt dar, in welcher es von Justinian erlassen wurde. Unser heutiges Corpus juris unterscheidet eich von dem Corpus juris Justinians dadurch, daß wir noch einen vierten Teil dem Corpus" juris hinzugefügt traben: 4. Die Novellen; das sind Nachtragsgesetze, von Justinian und späteren Kaisern nach Vollendung des Corpus juris gegeben (weitaus die meisten von Justinian in den Jahren 535—565). Weil sie jünger sind als das Corpus juris, so gehen sie, soweit die Novellen von uns rezipiert sind (was bei den meisten der Fall ist), dem übrigen Inhalt des Corpus juris vor. Die Novellen zitiert man nach Zahl, Kapitel und Paragraphen: Nov. 18 cap. 3 § 1. (Nov. 18, 3, 1). Ausgabe: Corpus juris civilis. Editio stereotypa tertia deeima. Institutiones recogn. P. Krüger. Digesta, recogn. Th. Mommsen, retractavit P. Krüger (1920). [Zum Interpolationenregieter am Schluß der Ausgabe sind neue Ergänzungen von P. K r ü g e r (p. 987—994) seither erschienen, die dann der nächsten Auflage beigedruckt sein werden.]

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Einleitung.

Codex Justinianus, ed. ster. Hona, retract. P. Krüger (1915). -Novellae, rec. R. Schöll, G. K r o l l , ed. ster. quarta (1912).

II. Die wichtigsten vorjustinianischen Rechtsquellen sind: 1. Die Schriften der römischen Juristen in ihrer ursprünglichen Gestalt. 2. Die Erlasse und Gesetze der römischen Kaiser in ihrer ursprünglichen Gestalt. 3. Die altrömischen Volksgesetze und andere Rechtsquellen in ihrer ursprünglichen Gestalt. Urkunden und Nachrichten nichtjuristischer Schriftsteller. Ausgaben: Corpus juris Römani antejustiniani consilio professorum Bonnensium (1835ff.). Jurisprudentiae antejustinianae quae supersunt, rec. Ph. Ed. Huschke, editione sexta ediderunt E. Seckel et B. K u e b l e r , 2 voll. (1911). Jurisprudentiae antehadrianae quae supersunt, ed. F. P. Bremer. Pars prior. Liberae reipublicae jurisconsulti (1896). Pars altera, Sectio prior (1898); sectio altera (1901). Collectio librorum juris antejustiniani. In usum scholarum ediderunt P. K r ü g e r , Th. Mommscn, Guil. Studemund. Tom. I. Gai Institutiones, ed. 5. (1905). Tom. I I . Ulprani liber singularis regularum. Pauli libri quinque sententiarum. Fragmenta minora (1878). Tom. I I I . Fragmenta Vaticana etc. (1890). 0 . Lenel, Palingenesia juris civilis. Jurisconsultorum reliquiae quae Justiniani Digestis continentur ceteraque jurisprudentiae civilis fragmenta minora, 2 voll. (1889). Corpus legum ab imperatoribus Romanis ante Justinianum latarum, quae extra constitutionum codices supersunt, ed. H ä n e l (1857). Theodosiani libri X V I cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes, ediderunt Th. Mommsen et Paulus M. M e y e r , 2 voll. (1905). Fontes juris Romani antiqui, ed. Bruns, ed. 7, 0 . Gradenwitz. Pars I : Leges et negotia. Pars I I : Scriptores. Additamenta: Index, simulaera (1909, 1912). H i l f s m i t t e l : Heumanns Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 9. Aufl. von E. Seckel (1914), ein Werk reichsten Inhalts. Vocabularium jurisprudentiae romanae jussu instituti Savigniani com-

§ 6. Die Quellen.

positum, vol. I. II, 1. 2. III, 1. IV, 1. V, 1. 2. 1894-1917 (das gewaltige Werk steht unter Kühlers Leitung). W. Kalb, Spezialgrammatik zur selbständigen Erlernung der römischen Sprache für lateinlose Jünger des Rechts (1911). W. Kalb, Wegweiser in die römische Rechtssprache für Absolventen des humanistischen Gymnasiums (1912). — B. Kübler, Lesebuch des römischen Rechts zum Gebrauch bei Vorlesungen und Übungen und zum Selbststudium, 2. Aufl. (1914). Fritz Schulz, Einführung in das Studium der Digesten (1916). Anhang. Die Handschriften des Corpus juris. Wir sind heute gewöhnt, uns das Corpus juris als ein einheitliches Buch zu denken. Das entspricht aber dem ursprünglichen Tatbestande nicht. Justinian veröffentlichte Institutionen, Digesten, Codex, wie schon bemerkt, als drei selbständige Bücher, wenngleich sie eine einheitliche Gesetzgebung darzustellen bestimmt waren. Die Novellen sind selbstverständlich nachträglich einzeln publiziert worden. Dementsprechend hat sich die handschriftliche Überlieferung gestaltet. Die Handschriften des Corpus juris enthalten nur je einen Teil des Corpus juris. Weltberühmt ist die ausgezeichnete Handschrift der Digesten, welche im Mittelalter einen Schatz der Stadt Pisa bildete, dann (1406) nach Unterwerfung der Pisaner von den Florentinern nach Florenz entführt wurde, die Florentina (früher Pisana)1. Sie ist um 600 (wahrscheinlich im byzantinischen Italien) geschrieben und von rechtsgelehrten Byzantinern einer sehr sorgfältigen Korrektur unterworfen worden, bei welcher noch ein zweites Original zur Verbesserung des Textes benutzt worden ist. Auf der Florentina (Pisana) beruht in der Hauptsache die Geschichte der Digesten im Abendlande und, da in den Digesten die Kraft des Corpus juris lag, zugleich mittelbar die Geschichte des römischen Rechts überhaupt. Zunächst geriet die Florentina infolge der JSarbarisierung Italiens durch die Langobarden für Jahrhunderte in völlige Vergessenheit. Aber in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ward sie, und mit ihr das Digestenwerk Justinians. neu entdeckt. Um 1080 war eine Abschrift der Florentina (Pisana) in Bologna, der von Mommsen sog. Kodex S(ecundus). Dieser Kodex S ist von dem Bolognesen Irnerius durchgearbeitet, zur Grundlage des Rechtsunterrichts 1

Eine, von der italienischen Regierung veranstaltete photographische Wiedergabe der Handschrift (II codice Pi$ano delle Pandette di Giustiniano riprodotto in facsimile a cura délia direzione délia r. biblioteca MedicoLaurentiana, vgl. P. K r ü g e r in der Ztschr. d. Savigny-Stiftung, Romanistische Abteilung, Bd. 31 S. 6 ff.) ist im Jahre 1910 fertiggestellt worden.

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Einleitung.

und damit zur Quelle einer neuen Wissenschaft, der glossatorischen Rechtswissenschaft (unten § 25), gemacht worden. Auf diéser Abschrift beruhte der in Bologna gebräuchliche, von dort aus im Westen sich verbreitende Digestentèxt (litera Bononiensis, litera vulgata). Sie ward die Mutter aller Vulgathandschriften, d. h. aller Digestenhandschriften nicht bloß Bolognas, sondern des Okzidents. Die Pisana (Florentina) selbst ward als Heiligtum bewahrt und von Gelehrten dann und wann für einzelne Textesstellen um ihre Lesart befragt. Aber unmittelbar neu abgeschrieben worden ist sie nicht. Die Herrschaft über das Abendland ist darum auf ihren Sprößling, den Kodex S, übergegangen. Nicht die Florentina selbst, sondern der Kodex des Irnerius (der Kodex S) hat die Aufnahme des Digestenwerks dem Mittelalter und der Folgezeit vermittelt. Für die kritische Wiederherstellung des ursprünglichen justinianischen Digestentextes hat die Vulgata nur einen beschränkten Wert. Der Kodex S beruhte auf der Florentina. Er gab, und mit ihm alle Vulgathandschriften, in allen seinen drei Teilen auch die Fehler der Florentina (so insbesondere auch die verkehrte Reihenfolge zweier Blätter gegen Ende der Digesten) getreulich wieder. Infolgedessen hat die nachmittelalterliche humanistische, dem reinen, unveränderten Altertum zustrebende Wissenschaft von der Vûlgata sich abfjewandt, um das Original zu bevorzugen. Jetzt erst feierte die Floren tina selber ihre Auferstehung. Haloander (aus Zwickau gebürtig, sein wahrer Name: Meitzer) gab bereits für seine Digestenausgabe (Nürnberg 1529) der Florentina grundsätzlich den ersten Rang, revolutionär der überlieferten Vulgata den Gehorsam kündigend. Der Italiener Torelli brachte als Erster einen Digestentext (Florenz 1553), der auf vollständiger Vergleichung der Florentina ruhte. Auf ihren Gipfel ist die Entwicklung durch Mommsens berühmte Digestenausgabe (Digesta Justiniani Augusti, 2 Bde. 1870) geführt worden, welche den üblichen Eklektizismus beseitigte und auf Grund bewunderungswürdiger methodischer Handschriftenerforschung der Florentina das Zepter der Alleinherrschaft über den Digestentext in die Hände gab. Das Ziel eeiner Ausgabe ist das Corpus Juris. Justinians (mittelbar der Text der klassischen römischen Juristen), nicht das Corpus Juris des Irnerius, des Mittelalters, dés gemeinen deutschen Pandektenrechts. Trotzdem wird die Vulgata nicht dauernd im Hintergründe verharren. Vor allem bleibt ihr überragender geschichtlicher Wert. Nicht die Florentina, sondern die Vulgata haben wir rezipiert. Die Vulgata ist geschichtlich nicht bloß eine verderbte Florentina, sondern die Form, in welcher das Pandektenrecht zu mittelalterlichem Weltrecht wurde. In unseren Digestenausgaben spiegelt sich die klassizistische Richtung

§ 6. Die Quellen.

unserer Wissenschaft, in den Vulgathandschriften aber die Rechtsgeschichte des Abendlandes. t Die grundlegenden Fohchungen über die soeben entwickelten Tatsachen, über die Entstehung der Florentina, über ihr Verhältnis zu den Vulgathandschriften, insbesondere über die mittlerische Stellung des heute verlorenen Kodex S, hat Mommsen in gewaltiger, jahrzehntelanger Arbeit geleistet. Vgl. die Praefatio zu seiner (soeben bereits angeführten) großen Digestenausgabe von 1870. Was Mommsen mit seinen Mitarbeitern (unter denen insbesondere Paul Krüger zu nennen ist) erarbeitet, ward Gemeingut der Wissenschaft. Eine selbständige Nachprüfung und zugleich Fortführung der Mommsenschen Untersuchung hat erst in jüngster Zeit Kantorowicz unternommen. In der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Rohianistische Abteilung, Bd. 30. 31 (1909. 1910) hat er eine Arbeit „Über die Entstehung der Digestenvulgata, Ergänzungen zu Mommsen", veröffentlicht*eine hervorragende Leistung, deren Ergebnisse der obigen Darstellung zugrunde gelegt worden 'sind. Weiteren bedeutsamen Fortschritt bringt die Schrift von Hans Peters, Die oströmischen Digestenkommentare und die Entstehung der Digesten, Berichte über die Verhandlungen der Kgl. sächsischen Gesellschaft d. Wiss., phil.-hist. Klasse, Bd. 65, Heft 1, 1913 (der Verfasser starb den Heldentod im Weltkrieg 1915). Peters hat den Nachweis erbracht, daß in den erläuternden Bemerkungen (Scholien) zu den Basiliken (unten § 23) eine Sammlung von Scholien zu den Digesten enthalten ist, die ein byzantinischer Gelehrter um 600 (also gleichzeitig mit der Florentina) an der Hand der Digestenkommentare des 6. Jahrhunderts (unter Hinzufügung eigner Scholien) verfaßt hat: die von Peters sog. „Katene des Anonymus14 (Katene heißt bei den Theologen eine „Kette" von erläuternden Bemerkungen verschiedener Verfasser zum Bibeltext). Mit dieser „Katene des Anonymus" ist durch Peters eine neue Quelle entdeckt worden, deren Aufschlüsse über den justinianischen Digestentext dem Inhalt der Florentina gleichwertig sind, — ein Ergebnis, dessen Ausnutzung Aufgabe der künftigen Forschung sein wird. — Die Institutionen sind sehr häufig abgeschrieben worden und haben schon im frühen Mittelalter eine bedeutend größere Verbreitung als die umfangreichen Digesten erlangt. Für uns sind heute von besonderem Wert einerseits eine -Bamberger Handschrift, andererseits eine (leider unvollständige) Turiner Handschrift, beide aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Die letztere enthält die sogenannte Turiner Institutionenglosse, welche noch unter Justinian geschrieben worden ist. .

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Einleitung.

'

Der Kodex ist verhältnismäßig unvollkommen überliefert, wohl in Zusammenhang damit, daß nach der justinianischen Studienordnung über den Kodex überhaupt keine Vorlesungen gehalten wurden, die Lektüre des Kodex vielmehr dem Privatfleiß (im 5. Studienjahre) überlassen war" Ein Veroneser Palimpsest, welcher der Florentina gleichalterig ist, enthielt den ganzen Kodex, ist aber nur lückenhaft erhalten. Die übrigen Kodexhandschriften gehen auf Auszüge zurück, welche nur die ersten neun Bücher des Kodex abgekürzt wiedergaben (die drei letzten Bücher ließ man weg, weil nur das öffentliche Recht des byzantinischen Reichs enthaltend). Diese Auszüge (welche noch, nur mit wenigen Ergänzungen, in einer Handschrift von Pistoja aus dem 10. oder 11., von Paris aus dem 11., von Darmstadt aus dem 12. Jahrhundert vorliegen) sind dann seit dem Ausgang des 11. Jahrhunderts mehr und mehr wieder vervollständigt und sodann seit dem Ende des 12. Jahrhunderts auch Handschriften der drei letzten Bücher geschrieben worden, jedoch so, daß die ersten neun Bücher fortfuhren, den „Codex" zu bilden und die drei letzten Bûcher (die „tres libri") für sich überliefert wurden. t)ie griechischen Konstitutionen, welche von den abendländischen Handschriften ausgelassen wurden („Graeca non leguntur"), sind erst von den Humanisten in den Drucken des 16. Jahrhunderts aus kirchenrechtlichen und weltlichen Quellen des byzantinischen Reichs (insbesondere aus den Basiliken, vgl. unten § 23) nachgetragen worden (sog. leges restitutae). Auch haben erst diese Drucke der humanistischen Epoche nach Möglichkeit die vön den Vulgathandschriften der Bologneser Rechtsschule sehr vernachlässigten Inskriptionen und Subskriptionen der Kaisererlasse aus besseren Handschriften bzw. aus dem Codex Thcodosianus wiederhergestellt. Die Novellen waren im Abcndlande zunächst in einem Auszug verbreitet, welchcn der Professor Julian in Konstantinopcl um 556 aus 122 Novellen Justinians hergestellt " hatte (sogenannte epitome Juliani). Dann ist den Glossatoren eine, wahrscheinlich in Italien entstandene, Sammlung bekannt geworden, welche 134 Novellen Justinians aus den Jahren 535—556 teils im lateinischen Originaltext, teils (die griechischen Novellen, welche die Mehrzahl bilden) in mangelhafter lateiniscKer Übersetzung (versio vulgata) vollständig enthielt. Diese Sammlung nannten die Glossatoren, im Gegensatz zu der epitome Juliani, die „echte Sammlung", das Authenticum (liber authenticorum), und teilten die 96 von ihnen für brauchbar erachteten Novellen in neun „Kollationen" mit 98 Titeln; Auszüge aus denselben schoben sie als „Authenticae" an den betreffenden Stellen des Kodex ein. Neben diesen abendländischen Sammlungen besitzen wir, dank den Humanisten, eine griechische Sammlung

§ 7. Grundbegriffe.

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von 168 Novellen (jedoch nicht alle von Justinian), welche sämtliche Novellen in griechischer Sprache bringt. P. Noailles, Les collections de novelles de l'empereur Justinien, Paris 1912. Die heute uns geläufige Einteilung und Ordnung des Corpus juris nach vier Teilen (Institutionen, Digesten, Kodex, Novellen) hat zuerst D(ionysius) Gothofredus, der (weniger bedeutende) Sohn des großen Jacobus Gothofredus (unten § 21 Anm. 5), in seiner unglossierten Gesamtausgabe (von 1583) befolgt, und zugleich hat er als der erste dem gesamten Werk den jet^t üblichen Gesamttitel Corpus juris civilis gegeben. Erst seit Gothofred erscheint das Corpus juris als das eine Buch, als welches wir es heute zu sehen gewohnt sind. §7.

Grundbegriffe. I. Man unterscheidet objektives und subjektives Recht. Unter dem objektiven Recht verstehen wir die Rechtsordnung selbst. Sie läßt sich definieren als der Inbegriff der Vorschriften, welche das Zusammenleben in der menschlichen Gemeinschaft regeln und mit Zwangsgewalt ausgestattet sind. Letzteres heißt: die Befolgung der Rechtsvorschriften kann erforderlichenfalls erzwungen werden. Ja, durch Erzwingbarkeit unterscheiden sich die Rechtsvorschriften von den Sittenvorschriften, deren Gesamtheit die sittliche Ordnung (Moral) darstellt. Auch diese regelt das Gemeinleben der menschlichen Gesellschaft, aber ohne äußeren Zwang auszuüben. Ihrem Inhalt nach fallen Rechts- und Sittenvorschriften großenteils zusammen, so daß den meisten (nicht allen) Rechtsvorschriften eine gleichlautende Sittenvorschrift entspricht; „du sollst nicht töten, nicht stehlen", ist z. B. ebensowohl ein Rechtsais ein sittliches Gebot. Aber die Rechtsvorschrift richtet sich an unser äußeres Verhalten und begnügt sich, wenn dieses ihr entspricht; das Sittengesetz wendet sich an unser Inneres und verlangt, daß wir kraft freier Selbstbestimmung und in innerer Überzeugung, nicht bloß dem Zjvang des Gesetzes folgend, dem sittlichen Ideal nachleben; diese freie Selbstbestimmung kann ihrem Wesen nach nicht erzwungen werden, und darum unterscheidet sich die sittliche Norm von der Rechtsnorm auch dort, wo beide scheinbar zusammenfallen, und darum kann die Sittenordnung auch Vor-

Einleitung.

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Schriften aufstellen, die als unerzwingbar der Rechtsordnung notwendig fremd bleiben müssen, wie das „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst". Subjektives Recht nennen wir die dem einzelnen durch das objektive Recht zur Wahrung seiner vernünftigen Interessen gewährleistete Machtbefugnis1. Jedes subjektive Recht verdankt also sein Vorhandensein dem objektiven und ist sein Erzeugnis2. II. Das Recht ist von zweierlei Art: öffentliches Recht und Privatrecht. Öffentlich ist das Gemeinnützige. Öffentliches Recht ist das Recht der gemeinnützigen Machtverhältnisse. Die öffentlich-rechtliche Befugnis hat der Berechtigte (z. B. der Beamte sein Regierungsrecht, der Bürger sein Wahlrecht) um aller willen. Das öffentliche Recht regelt die unmittelbar dem Volke (allen) dienenden Machtverhältnisse. Das Privatrecht ist dagegen das Recht der eigennützigen (sondernützigen) Machtverhältnisse. Das Privatrecht (z. B. sein Eigentum) hat der Berechtigte zunächst um, seiner selbst willen, damit er Macht, Können, Vermögen habe. Es scheint so, als ob das Privatrecht nicht der Gesamtheit, 1

Diese Definition ergibt sich, wie Georg J e l l i n e k in seinem System der subjektiven öffentlichen Rechte erstmals bemerkt hat, aus der Verbindung der W i n d s c h e i d sehen Lehre (Pandekten9 1, 166: %das subjektive Recht eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht) mit der von J h e r i η g (in seinen Jahrb. 32, 65 und Geist des römischen Rechts 3, §§ 60. 61: das subjektive Recht ein rechtlich geschütztes Interesse) aufgestellten Definitionen. Jede einzelne derselben ist mangelhaft, erst ihre Kombination ergibt ein befriedigendes Resultat. Insbesondere wichtig ist, daß jedes Recht zwar eine subjektive Willensmacht darstellt, aber nicht eine absolute, sondern eine nur zum Schutz der vernünftigen Interessen des Berechtigten verliehene. Daher findet jedes Recht in diesem Zwecke seine immanente Schranke. Das heißt: Wer sein „Recht" über ihn hinaus zu unverständigen oder unsittlichen Zwecken gebraucht, an deren Erreichung er kein schutzwürdiges Interesse haben kann, hat nur scheinbar sein Recht ausgeübt, in Wahrheit es überschritten und widerrechtlich gehandelt. Daher und nur daher erklärt sich die Widerrechtlichkeit der „Schikane". D. 6, 1, 38; 39, 3, 1, 12; BGB. § 226. 1 [Im obigen (I) sind die von M i t t e i s an Stelle der S oh m sehen Lehre gesetzten Ausführungen wörtlich wiedergegeben. Ich selbst glaube eine so scharfe begriffliche Abhebung des Rechts- vom Religions- x und Sittengesetz nicht machen zu können. Meine Anschauungen hoffe ich in der nächsten Auflage beibringen zu können und verweise inzwischen auf meine Andeutungen im Arch. f. Rechts- und Wirtschaftsphilos. 14 (1921) S. 1 ff. 106 ff. Vgl auch unten Anm. 3.]

§ 7. Grundbegriffe.

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sondern dem einzelnen diene. Aber gerade in diesen eigennützigen Privatrechten ruht größte gemeinnützige Kraft. Die Privatrechtsverhältnisse sind mittelbar dem Volke dienende Machtverhältnisse. Auch das Privatrecht ist, trotz seines zunächst dem Eigennutzen dienenden Inhalts, um des gemeinen Nutzens, um des Volkef willen da. Deshalb ist das Privatrecht dem öffentlichen Recht untergeordnet, ja eingeordnet. Auf der Einordnung des Privatrechts in das öffentliche Recht beruht; der öffentlich-rechtliche Schutz der Privatrechte:' um des Gemeinwesens willen müssen diese Rechte sein. Das Privatrecht wurzelt in der geschichtlich durchgedrungenen Wahrheit, daß die Macht des Volkes nicht bloß aus der Unterordnung, sondern in noch höherem Maße aus der Entfaltung seiner Angehörigen zu selbständig leistungsfähigen Persönlichkeiten ihre Nahrung zieht, daß die Rechtsordnung deshalb dazu bestimmt ist, nicht bloß Zwang, sondern Freiheit hervorzubringen. Um deli* Gesamtheit willen schafft die Rechtsordnung ihren Angehörigen einen eigennützigen, die Triebkräfte des Individuums zugleich befriedigenden und zu höchster Anspannung reizenden Machtkreis: die Leistungen des einzelnen werden allen zugute kommen. In diesem« Sinne bildet das Privatrecht ein -unentbehrliches Glied, ja die Grundlage unseres gesamten heutigen öffentlichen Rechts. Die private (eigennützige) Freiheit des einzelnen entsteht gleichzeitig mit dem privaten Eigentum: in dem Augenblick, in welchem wirtschaftliche Güter dem einzelnen zu freier Verfügung zuständig werden. Das Vermögensrecht (die Eigentumsordnung) ist der Kern des Privatrechts. Mit dem einzelnen befreit eich seine Familie. Sie ergänzt den einzelnen, und sie dient dem einzelnen (mittelbar dem Gemeinwesen) Die Familie ist die gegebene private, d. h. eigennützige, zugleich gemeinnützige Gemeinschaft. In ihr und durch sie gestaltet sich die Persönlichkeit des einzelnen. So tritt der Eigentumsordnung die Familienordnung als zweites Stück des Privatrechts hinzu: das Privatrecht ist das Recht eigennütziger Machtverhältnisse (des Vermögens, der Familie), die, weil notwendig für das Volksleben, unter Rechtsnorm und unter Rechtsschutz gestellt sind. Dem Privatrecbt (Vermögensrecht und Familienrecht) steht als Sohm,

Institutionen.

3

Einleitung.

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öffentliches Recht das Staatsrecht mit Verwaltungsrecht, Prozeßrecht, Strafrecht gegenüber: öffentliche (unmittelbar gemeinnützige) Gewalt, Herrschaftsrechte (Befehlsgewalt) der einen Person über andere ebenbürtige Personen im Interesse aller begründend. [Uber den Staat hinaus sucht das Völkerrecht verbindliche Rechtsnormen zu schaffen, während — im Gegensatz zum heidnischen Staate mit seiner Staatsreligion und staatlichen Kultusverwaltung und zu allem, wie immer organisierten Landeskirchentum — speziell das katholische Kirchenrccht grundsätzlich ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen gilt.] L. 1. § 2 D. de just, ët jure (1, 1) (ULPIAN.): Hujus studii duac sunt positiones, publicum et privatum. Publicum jus est, quod ad statum rei Romanae spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatcm: sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim.

III. Entstehung des Rechts 3 . Das Recht entsteht teils durch Rechtsanwendung, d. h. unbewußt aus den Überzeugungen und dem Leben der Nation heraus (Gewohnheitsrecht), teils durch Rechtss eft zun g, d. h. durch einen bewußten, formell willkürlichen Akt der Staatsgewalt (Gesetzesrecht). Gesetzesrecht ist das Recht von Gewalt wegen: es gilt formell kraft eines Befehls der Staatsgewalt. Gewohnheitsrecht ist das Recht von Überzeugung 8

[Wir behandeln hier die Frage der Entstehpng des Rechts lediglich für das p o s i t i v e i m S t a a t e g e l t e n d e R e c h t . Dahinter erhebt sich in der neueren Jurisprudenz irapier wieder die rcchtsphilosophische Frage nach dem Recht, wie es sein soll; es ist ein im Monschengeist durch alle Hinweise aul beschränkte historische Grenzen nicht ausrottbares Sehnen nach Ergründung eines überzeitlichen und überstaatlichen Rechts, nach einem „Naturrecht" vorhanden. Es ist das von der antiken Philosophie schon gelegentlich angebahnte, in der christlichen Philosophie dés Mittelalters ausgebildete philosophische Streben nach Erkenntnis eines ewigen, dem Menschen eingeborenen Sittengesetzes, das freilich nicht aus unkontrollierbarer, sich auf keine andere Autorität, als die des Denkers selbst stützenden Meinungen herausgefunden werden kann (wie dies die Aufklärungsphilosophie mit ihrem Naturrcchi; versucht hat), sondern — und hier scheidon sich natür^ch sofort die Geister — auf göttliches Gebot zurückgeht. Alle weiteren eich hier ergebenden rechtsphilosophischen Fragen müssen aus diesem, dem positiven römischen Rechte gewidmeten Lehrbuche ausscheiden. Vgl. zum Problem die im Sonderheft „Katholische Rechtsphilosophie" des Arch. f. Rechte- und Wirtschaftsphilosophie Bd. 16, 1 ff. zusammengestellten, auch die nichtkatholisèhe Naturreehtsphilosophie behandelnden Aufsätze. Vgl. auch oben Anm. 2.]

§ 7.

Grundbegriffe.

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wegen: es gilt, weil es, von der Uberzeugung der Nation ausgegangen, durch freiwillige Übung kraft innerer Notwendigkeit sich durchgesetzt hat. Das Gesetzesrecht kommt zustande durch Sanktion (Erzeugung des gesetzgeberischen Willens durch den Träger der Staatsgewalt) und Publikation (öffentliche Verkündung des gesetzgeberischen Willens); das Gewohnheitsrecht durch Übung mit opinio necessitatis (Rechtsüberzeugung). Juristenrecht nennt man das aus Lehre und Übung des Juristenstandes stammende Gewohnheitsrecht. Gesetz und Gewohnheitsrecht sind einander ebenbürtig: durch Gewohnheitsrecht kann das Gesetz nicht bloß ergänzt, sondern auch geändert und aufgehoben werden (sogenannte derogatorische Kraft des Gewohnheitsrechts)4. Kein Gesetzgeber ist imstande, dies Machtverhältnis der beiden Rechtsquellen zu verändern und etwa (wie es im Preußischen Landrecht von 1794, im Code civil von 1804, ja noch in dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 versucht) ist dio derogatorische Kraft des Gewohnheitsrechts zu beseitigen. L. 32 § 1 D. de leg. (1, 3) (JULIAN.): Inveterata consuetudo pro lege non immerito custoditur, et hoc est jus, quod dicitur · moribus 4 Ober die geschichtliche Entwicklung der Lehre vom Gewohnheitsrecht vgl. Brie, Die Lehre vom Gewohnheitsrecht, Bd. 1: Geschichtliche Grundlegung (bis zum Ausgang des Mittelalters), 1899. Derselbe, Die Stellung der deutschen Rechtsgclchrtcn der Rezeptionszeit zum Gewohnheitsrecht (Festgabo für Felix Dahn), 1. Teil, 1906. — Der älteren Rechtswissenschaft war das Gesetzesreoht das normale Recht: auch das Gewohnheitsrecht ward, als vom Gesetzgeber stillschweigend genehmigt, unter den ' Gesichtspunkt des Gesetzesrechts gebracht. Erst Savigny (Vom Beruf unsorer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814) hat das Recht und seine Entwicklung auf die kraft innerer Notwendigkeit sich durchsetzende Rechts Überzeugung und damit auf den unbewußt schaffenden, an erster Stelle gerade im Gewohnheitsrecht sich * offenbarenden »Volksgeist" zurückgeführt. Damit war die „historische Schule11 begründet: nicht die Willkür des Gesetzgebers, sondern die geschichtliche Entwicklung des „Volksgeistes" bestimmt den Inhalt des Rechts. Ihren klassischen Ausdruck hat die (das Gésctzesrecht leicht allzu gering schätzende) Lehre der historischen Schule vom Gewohnheitsrecht in der Schrift von Puch t a , Das Gewohnheitsrecht (2 Bde. 1828. 1837) gefunden. Über den Zusammenhang der Grundanschauung von S a v i g n y und Puchtra mit den philosophischen Anschauungen insbesondere F i cht es und Schöllings vgl. E. L o e n i n g , Die philosophischen Ausgangspunkte der rechtshistorischen Schule, in Hinneberg, Internationale Wochenschrift 1910, Nr. 3. 4.

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Einleitung.

constitutum. Nam cum ipsae leges nulla alia ex causa nos teneant, quam quod judicio populi receptae sunt, merito et ea, quae sine ullo scripto populus probavit, tenebunt omnes: nam quid interest, suffragio populus Yoluntatem suam declaret an rebus ipsis et factis? Quare rectissimum etiam illud receptum est, ut leges non solum suffragio legislatoris, sed etiam tacito consensu omnium per desuetudinem abrogentur. IV. Die Geltung des Hechts. Seiner räumlichen Geltung nach ist das in Deutschland ausgebildete Recht entweder Pärtikularrecht, d. h. nur für einen Teil Deutschlands geltendes örtliches Recht, oder gemeines deutsches Recht, d. h. kraft einer Quelle (Gesetz oder Gewohnheitsrecht) für ganz Deutschland geltendes Recht. Das gemeine Recht ist entweder ergänzendes (subsidiäres) gemeines Recht, d. h. es gilt nur in Ermangelung einer partikularrechtlichen Bestimmung, oder es ist zwingendes (absolutes) gemeines Recht (uniformes Recht), d. h. es duldet keine partikularrechtlichen Abweichungen. Das frühere gemeine deutsche Recht (das Pandektenrecht) hatte nur ergänzende Geltung. Das neue gemeine Recht, wie es durch unsere heutige Reichsgesetzgebung erzeugt wird, nimmt dagegen zwingende Geltung für sich in Anspruch 6 . Dem Rechtsgeschäft der Privatperson gegenüber hat das Recht gleichfalls entweder ergänzende oder zwingende Geltung. Ergänzendes (sogenanntes Jus dispositivum oder nachgiebiges) Recht ist solches Recht, dessen Anwendung durch den rechtsgeschäftlichen 6 Für das frühere gemeine deutsche Recht galt der Satz: Stadtrecht briclt Landrecht, Landrecht bricht gemeines Recht. Heute wird umgekehrt Stadt- und Landrecht durch das Reichsrecht gebrochen. [Die neue Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. Aug. 1919 hat Art. 13 den Satz „Reichsrecht bricht Landrecht" als allgemeine, auch fürs öffentliche Recht geltende Norm hingestellt. Gleichwohl zeigen die Verfassungskonflikte zwischen Reich und Ländern, daß die Entwicklung noch nicht in einem bestimmten Sinne abgeschlossen ist. Vgl. G a r e i s · W e n g e r , Rechts-Enzyklopädie 6. Aufl. (1921) S. 39f. 161 Anm. 19.] — Als a l l g e m e i n e s (materiell gemeines) deutsches Recht bezeichnet man übereinstimmendes Partikularrecht: es gilt in ganz Deutschland, aber in den einzelnen Rechtsgebieten kraft ihrer Sondorquellen (Landesgesetzgebung). So war das alte Handelsgesetzbuch (vo* der Reichsgründung) allgemeines deutsches Recht: es galt in den Rechtsgebieten Deutschlands kraft ihrer Sondergesetzgebung. Heute ist das Handelsrecht (des neuen Handelsgesetzbuchs) gemeines (formeU gemeines) Reoht: es gilt im ganzen Deutschen Reich kraft einer Quelle (kraft der Reichsgesetzgebung).

§. 8. Die Rechtswissenschaft.

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Privatwillen für den Einzelfall ausgeschlossen werden kann (z. B. der Rechtssatz, daß der Verkäufer für heimliche Mängel der Sach* haftet); zwingendes (sogenanntes Jus cogens oder absolutes) Recht ist solches Recht, welches durch rechtsgeschäftlichen Privatwillen nicht ausgeschlossen werden kann, z. B. die Haftung des Schuldners für Vorsatz, vgl. B.G.B. § 276, Abs. 2 e . Die Mehrzahl der Rechtssätze, insbesondere des Sachenrechts und Familienrechts, hat zwingende Geltung. V. Strenges Recht (jus strictum) heißt das Recht, in* sofern es die Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls (z. B. daß der Schuldner durch Betrug zu dem Geschäft veranlaßt war) nicht gestattet. Billiges Recht (jus aequum) heißt das Recht, insofern es die Berücksichtigung solcher Umstände gestattet. Das billige Recht erscheint häufig in der Form des Ausnahmsrechts (jus singulare), also in der Form, daß es für gewisse Fälle die Berücksichtigung der besonderen Umstände ausnahmsweise geetattet7. Sofern das Ausnahmsrecht gewissen Personenklassen zugute kommt, heißt es ein Privilegium (im objektiven Sinn). Privileg im subjektiven Sinn ist das einer bestimmten Person durch lex specialis gewährte Sonderrecht· L. 14 D. de leg. (1, 3) (PAULUS): Quod vero contra rationem juris reeeptum est, non est producendum ad consequentias. §8.

Die Rechtswissenschaft· Die Rechtswissenschaft hat eine praktische und eine ideale Aufgabe. • E h r l i c h , Das zwingende und nichtzwingende Recht im B.G.B, für das Deutsche Reich, 1899, wo zutreffend ausgeführt ist, daß der Gegensatz des zwingenden und des bloß ergänzenden, dispoeitiven Rechts lediglich für die auf Rechtsgeschäfte bezüglichen Rechtes&tze Bedeutung hat. — Der römische Begriff des jus publicum, d. h. des von Staats wegen geltenden Rechts, hat mit dem Begriff des zwingenden Rechte nichts zu tun: E h r lich, Theorie der Rechtsquellen, 1902, S. 191 ff. 7 Über den Begriff des jus singulare vgl. Eisele in Jherings Jahrbüchern für Dogmatik Bd. 23 S. 119ff. Ober jus strictum und jus aequum in der römischen Rechtsentwicklung K i p p , Gesch. der Quellen des röro. Rechts, 4. Aufl. (1919) S. 7«,

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Einleitung.

I. Die praktische Aufgabe der Rechtswissenschaft ist, das durch die Rechtsquellen (Gesetze, Gewohnheitsrecht) dargebotene Recht (den Rohstoff des Rechts) zur Anwendung geschickt zu machen. Die Rechtsquellen bieten immer nur ein unvollständiges, lückenhaftes Recht. Auch der weiseste Gesetzgeber vermag nicht alle Fälle vorherzusehen. Die Rechtswissenschaft verwandelt dies unvollständige, lückenhafte Recht der Rechtsquellen in ein vollständiges, lückenloses Recht; den Rohstoff in ein Kunstwerk. Noch mehr. Die Rechtsquellen (das Gesetz, das fertige Gewohnheitsrecht) stammen aus der Vergangenheit. Aus ihnen schöpft die Wissenschaft ein der Gegenwart entsprechendes Recht. Im Dienste solcher Zwecke ist eine doppelte Tätigkeit zu entwickeln: einmal die Gewinnung, sodann die Entfaltung der Rechtssätze: Die Rechtswissenschaft gewinnt die Rechtssätze, welche unmittelbar durch die Rechtsquellen dargeboten werden, durch das Mittel der Auslegung (Interpretation). Die Auslegung ist einerseits grammatische Auslegung, d. h. Auslegung des Wortlautes (des Buchstabens), andererseits sogenannte logische Auslegung, d. h. Auslegung des Sinnes nach Zusammenhang, Ursprung, Absicht des Rcchtssatzes. Für die logische, dem Sinn zugewandte Auslegung ist an erster Stelle das „Zweckmoment41, d. h. der praktische Wert des Rechtssatzes, von Bedeutung1. Das Recht ist um des Lebens willen da. Es muß so ausgelegt werden, daß es seinen Zweck erfüllt. Der Sinn des Rechts ist Schutz der Interessen, an denen das Volksinteresse beteiligt ist. Diesen Interessen hat die Auslegung des Rechtssatzes zu entsprechen. Stoßen in demselben Lebensverhältnis (z. B. dem ArbeitsvertragsVerhältnis) die Interessen' gegnerisch Beteiligter feindlich aufeinander, so ist der Sinn des Rechts die Interessenabwägung. 1 In seiner Schrift: Der Zwock im Recht, Bd. 1 (2. Aufl.) 1884. Bd. 2, 1883, hat v. Jhering in geistreicher Ausführung darzutun gesucht, daß der „Zweck11, d. h. die praktische Erwägung, der „Schöpfer des Rechts" sei. Die Gerechtigkeit steht aber zu dem praktisch Nützlichen nicht in Gegensatz. Vielmehr: was dem Volke nützt (was allen nützt), das ist (menschlich) gerecht, und umgekehrt : „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk". Nur das Einzelinteresse und das bloße Klasseninteresse steht zur Gerechtigkeit in Gegensatz und ist zweifellos nie auf die Dauer der Quell des Rechts·

§ 8. Die Rechtswissenschaft.

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Dae Recht gibt dio beiden Teilen gerecht werdende Entscheidung, indem es die Interessen des einen wie des anderen im Hinblick auf das Gemeininteresse wägt. Die tatsächliche Macht der miteinander ringenden Parteien läßt oft genug dato Gerechtigkeitsideal in der geltenden Rechtsordnung zunächst nur unvollkommen sich verwirklichen. Wie ein Spiegelbild des Göttlichen, so ist deshalb das Recht zugleich ein Spiegelbild der Welt. Jurisprudent est divinarum atque humanarum terum notitia, justi atque injusti scientia2. All das ist von der Wissenschaft darzulegen. - Nicht bloß die Kunde vom gegebenen Recht, sondern ebenso die Kritik, die rechtspolitische Erwägung, welche das Gerechte und das Ungerechte würdigen lehrt und der künftigen Rcchtsentwicklung die Wege zu höheren Zielen weist, ist in den Machtbereich der Rechtswissenschaft gehörig. Die praktische, den Rechtssatz durch Darlegung seiner sachlichen Bedeutung prüfende Auslegung stellt das vornehmste Stück der sogenannten logischen Auslegung dar. ^ / Solche „logische Auslegung" wird das Ergebnis einer bloßen Buchstabeninterpretation vielfach berichtigen: bald über dasselbe hinausgehen (sogenannte ausdehnende Auslegung), bald hinter demselben zurückbleiben (sogenannte einschränkende Auslegung). Ein Handeln, welches den Buchstaben des Gesetzes (grammatische Interpretation) in'Widerspruch mit dem Sinne des Gesetzes (der logischen Interpretation) absichtlich ausnutzt, stellt ein Verfahren in fraudem legis dar. Die „logische" Auslegung ist die entscheidende. Die Wissenschaft darf nicht Buchstabenjurisprudcnz sein3. L. 17 D. de leg. (1, 3) (CELSUS): Scire leges non hoc est, verba earum tenere, sed vim ac pôtestatem. * J. 1, 1, 1; D. 1, 1, 10, 2. Keine Auslegung ist die sogenannte authontische I n t e r p r e t a t i o n , d. h. die „Auslegung" eines Rechtssatzcs durch Gesetz (Legalinterpretation) oder Gewohnheitsrecht\(Usualinterpretation). Die „authentische" Interpretation bedeutet einen neuen Rechtssatz, dessen „Auslegung" verbindlich ist, mag sie saçhlich zutreffend sein oder nicht. Der neue Rechtssatz legt sich dadurch, daß er sich als „Auslegung" eines alten Rechtssatzes gibt, r ü c k w i r k e n d e Kraft bei. Er ist auch auf bereits vergangene (dem alten Rechte unterstehende) Tatbestände anzuwenden, während sonst neue Rechtssätze grundsätzlich ohne rückwirkende Kraft sind, d. h. in der Regel nur für k ü n f t i g e Tatbestände gelten. 3

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L . 2 9 . eod. (PAULUS): Contra legem facit, qui id facit, quod lex prohibet, in fraudem vero, qui salvis verbis legis sententiam ejus circumvenit. ν Auf die Gewinnung des Rcchtssatzes hat die Entfaltung seines Inhalts zu folgen. Die Entfaltung eines Rechtssatzes geschieht einmal durch Entwicklung seiner Folgesätze (der Rechtssatz schließt eine Reihe speziellerer Rechtssätzc, eine Reihe von Untersätzen in sich), andererseits durch Entwicklung seiner Ob er sätze (der gegebene Rechtssatz folgt aus allgemeineren Rechtssätzen, hat bëstimmte Obersätze *ur Voraussetzung). Solche (gefundene) Obersätze schließen dann in ihren Folgesätzen eine Reihe von anderen Rechtssätzen in sich, welche in den Rechtsquellen unmittelbar nicht enthalten waren. Also eine Bereicherung des Rechts, welche auf rpin wissenschaftlichem Wege gewonnen wird. Die Herausstellung neuer Rechtssätze mit Hilfe eines solchen auf induktivem Wege gefundenen Obersatzes nennt man analoge Anwendung des erstgegebenen Rechtssatzes, aus welchem jener Obersatz gefunden wurde. Schlußfolgernde Rechtsanwendung ist also die Anwendung einps gegebenen, analoge Rechtsanwendung aber die Anwendung eines gefundenen Obersatzes (Prinzips). Das wissenschaftliche Verfahren, durch welches man Obersätze findet, die in den Rechtsquellen nicht unmittelbar enthalten sind, ist zweifacher Art. Die eine Art (sogenannte Gesetzesanalogie, d. h. analoge Anwendung eines einzelnen Rechtssatzes) kann mit dem Verfahren der Chemie verglichen werden. Jhering hat daher von einer juristischen „Scheidekunst" gesprochen4. Die Rechtswissenschaft zerlegt einen Tatbestand, welcher durch Rechtssatz geregelt ist, in seine Elemente. Sie entdeckt, daß in der ganzen, anscheinend unübersehbaren und unzählbaren Masse von Tatbeständen, welche das tägliche Leben stets neu hervorbringt, eine verhältnismäßig kleine Zahl von Elementen enthalten ist, welche, nur in verschiedener Zusammensetzung, immer wiederkehren., Diese Elemente der Tatbestände bilden gewissermaßen ein „Rechtsalphabet" (Jhering) 5 . So ist z. B. in allen Ver4

v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedene^ Stufen seiner Entwicklung, 3. Teil 1. Abt. (2. Aufl. 1871) S. 11. ' Geist des römischen Rechte, 1, Teil (3. Auf!,) S. 42,

§ 8. Die Rechtswissenschaft.

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trägen, im Kaufvertrag, Mietvertrag, Erbvertrag, Traditionsvertrag usw., das eine Tatbestandselement: Vertrag, d. h. Konsenserklärung, enthalten. Habe ich für den Kaufvertrag eine erschöpfende Reihe von Rechtssätzen, so habe ich notwendig auch Rechtssätze, welche sich auf dies Element des Kaufvertrages — die Erklärung eines übereinstimmenden Willens — beziehen. Diese Rechtssätze über das Tatbestandselement „Vertrag" -(die also entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag zustande kommt, welche Wirkung der Irrtum, welche Wirkung eine beigefügte Bedingung oder sonstige Klausel hat, usw.) sind Obersätze, welche ich aus den Rechtssätzen über Kauf gewonnen habe, und: welche eine zahllose Menge von weiteren Rechtssätzen in sich schließen, die mir auch über das Zustandekommen des Mietvertrags, des Erbvertrags, des Pfandbestellungsvertrags usw. Aufschluß zu geben imstande sind (sofern nicht andere Obersätzc ändernd eingreifen). Die analoge Anwendung eines Rechtssatzes fällt also mit der Entdeckung der Elemente des von ihm geregelten Tatbestandes zusammen, und es bedeutet solche analogo Anwendung nicht (wie der Laie es sich vorzustellen pflegt) die Anwendung eines gegebenen Rechtssatzes auf einen ungefähr ä h n l i c h e n Tatbestand (solche Analogie wäre vielmehr das Gegenteil von Jurisprudenz), sondern die Anwendung eines gegebenen Rcchtssatzes auf genau den g l e i c h e n Tatbestand, sofern in einem anscheinen^ anderen konkreten Tatbestande das g l e i c h e Element gefunden wird, welches durch den gegebenen Rechtssatz bereits seine Ordnung gefunden hatte. Die andere Art analoger Rechtsamwendung pflegt Rechtsanalogie genannt zu werden. Sie . bedeutet Anwendung des einer G r u p p e von Rechtssätzen (bzw, der ganzen Rechtsordnung) zugrunde liegenden Rechtsgedankens. Hier handelt es sich um die Elemente der Rechtssätze (nicht der Tatbestände). Die Elemente der Rechtssätze sind Rechtsgedanken, d. h. Zweckvorstellungen, welche durch die Rechtssätze verwirklicht werden sollen. Ein Rechtsgedanke ist z. B. der Zweck der Sicherung des Verkehrs (etwa durch die Rechtssätze vom gutgläubigen Erwerb), der Zweck des Schutzes von Treu und Glauben, der Zweck der rechtlichen Beherrschung des Staatsgebietes (Terri-

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Einleitung.

torialitätsprinzip) und der Staatsangehörigen (Personalitätsprinzip). Die ßechtsgedanken bilden den „Geist" der geltenden Rechtsordnung. Diesen Geist gilt es zu erfassen. Er ist für die gesamte Handhabung der Rechtsordnung maßgebend. Er redet, wo das Gesetz schweigt. Er hilft Lücken ausfüllen. Er entscheidet überhaupt über die Anwendung des Gesetzes. Durch „lnteressenjurisprudenz" erfüllt die Rechtswissenschaft ihre praktische Aufgabe, den Inhalt des Rechts zu finden: das Recht auszulegen, das Recht zu ergänzen, neuem Recht die Bahn zu brechen, den überlieferten Buchstaben mit dem Geist der Gegenwart zu erfüllen, aus dem Gesetz von gestern das Recht von heuté zu schöpfen, — aus den gegebenen, schnell alternden Rechtsquellen ein zur Anwendung geschicktes, ewig junges Recht hervorzubringen. [Insofern aber das Recht keine Lücke aufweist, ist, solange es gilt, der Richter daran gebunden. Das hat zwar eine extreme Richtung der um die Wende àieses Jahrhunderts aufgekommenen sogenannten „Freirechtsbewegujig" bestritten, indem sie dem Richter dort gegenüber dem geltenden Recht freie Hand geben wollte, wo dieses ihm nicht mehr zeitgemäß erschien. Aber die deutsche Rechtswissenschaft hat sich der damit gegebenen Anarchie in Praxis und Theorie erwehrt. In weitem Ausmaße stellt das Gesetz selbst es dem Richter anheim, nach Treu und Glauben, guten Sitten, Verkehrssitte, billigem Ermessen u. ä. zu entscheiden·.] II. Ihre theoretische, rein wissenschaftliche und zugleich, wie man sagen darf, künstlerische Aufgabe erfüllt die Rechtswissenschaft durch die Form der Darstellung, welche sie den Rechtssätzen gibt. In, der Fülle des Stoffes wollen wir dien einheitlichen Gedanken: so wollen wir in der Fülle der Rechtssätze die alles beherrschende Idee. Dieses Bedürfnis des menschlichen Geistes nach Einheit zu befriedigen, ist die ideale Aufgabe der Jurisprudenz. Zu ffcesem Zwecke vermeidet sie bei Darstellung der Rechtssätze die imperative Form, d. h. sie vermeidet es, die Rechtssätze einfach aufzuzählen. Sie handelt vielmehr von den Tatbeständen, an welche sich juristische Wirkungen • Vgl. dazu Literatur bei G a r e i s - W e n g e r , • 31. 63. 183.

Rechte-Enzyklopädie

§ 8. Die Rechtswissenschaft.

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anknüpfen, einerseits, von den Rechts Wirkungen andererseits, um sowohl jene Tatbestände wie diese Wirkungen unter bestimmte Kategorien (d. h. Begriffe) zu bringen, welche sie genau umschreibt. An die Stelle einer Monge von Rechtssätzen tritt formell eine Menge von Begriffen: Bogriffe von Befugnissen, Begriffe von Tatbeständen. Diese Begriffe treten dann scheinbar die Herrschaft über die Rechtssätze an, während sie in Wirklichkeit aus diesen Rechtssätzen gewonnen und von denselben abhängig bind. Nicht also, als ob die Begriffe der Grund für die Geltungirgendeines Rcchtssatzes wären! Rechtssätze gelten nur um der sachlichen Gerechtigkeit, niemals um dèr Dialektik willen. Über den Inhalt des Rechts kann nur lnteressenjurisprudenz, nicht Begriffsjurisprudenz entscheiden. Führt Begriffsdialektik zu einem praktisch verkehrten Rechtssatz, so ist die Begriffsbildung zu berichtigen (D. 50, 17, ] : Non ex régula jus sumatur, sed ex jure quod est régula fiat). Selbstherrliche Begriffe gibt es nicht. Alle Begriffsbildung ist nur Versuch der Darstellung. Aber wiederum ohne solche Darstellung kann unsere Wissenschaft nicht sein. lnteressenjurisprudenz und Begriffsjurisprudenz haben jede ihre besondere Aufgabe. lnteressenjurisprudenz richtet sich an erster Stelle auf den sachlichen Zweck der Rechtsordnung, Begriffsjurisprudenz auf die Form, in welcher der Zweck verwirklicht ist: auf die Form der Tatbestände, auf die Form der rechtlichen Wirkungen. In bestimmte Form müssen die Machtverhältnisse des Volkslebens gebracht werden. Darum ist das Formale im Recht genau so wichtig wie das. Sachliche. Ja, das Formale ist das eigentümlich Rechtliche und darum der besondere Gegenstand der Rechtswissenschaft. Von den sachlichen Gerechtigkeitsgedanken handeln auch andere dem Volksleben gewidmete Wissenschaften, z. B. die Volkswirtschaftslehre. Von der Form, in welcher die Idee der Gerechtigkeit sich durchsetzt, handelt nur die Rechtswissenschaft. Darum fällt das, eigentümlich juristische Denken mit begriffsjuristischem Denken zusammen. Begriffsjurisprudenz gibt die den Juristen als solchen kennzeichnende Bildung. Sie ist darum das erste und auch das wichtigste, was der akademische juristische Unterricht gibt. Er wird sich nicht darin erschöpfen. Er wird in gewissen Grenzen

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Einleitung.

auch das Volksleben in seinen Gesichtskreis ziehen, soweit es dazu nötig ist, daß „Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit" und das Ungenügende bloßer Begriffsdialektik sichtbar werde. Er wird auch Psychologisches und Soziologisches bringen. Aber was er einigermaßen abschließend geben kann, ist allein die formaljuristische Bildung, die Kenntnis der Begriffswelt, in welcher das Rechtsleben sich bewegt. Keine „Reform des juristischen Studiums" wird aus dem jungen, die Universität verlassenden Juristen den vollendeten Künstler der Rechtsprechung machen, der wie der Begriffe so auch des Lebens und seiner praktischen Interessen mächtig ist. Erst die Arbeit am Rechteleben, welche die Praxis bringt, kann zur volleren Rechtskenntnis durch Kenntnis auch des Lebens ihn erziehen« Wissenschaftliches Denken heißt Herrschaft über das Gegebene dadurch, daß wir es Begriffen unterordnen. Genau so in der Rechtswissenschaft. Mit Hilfe verhältnismäßig weniger Begriffe beherrschen wir die Welt des Rechts. Der Blick auf die Zwecke des Rechts („Interessenjurisprudenz") führt uns zu dem sachlichen Inhalt der Rechtssätze. Die Darstellung in der Form der Begriffsentwicklung („Begriffsjurisprudenz") gibt diesem Inhalt die wissenschaftliche, ja die künstlerische Gestalt. Der Form nach verschwindet durch die Vorherrschaft des Begriffes die Positivität des Rechts. Die Wissenschaft verfährt, als ob sie die Rechtssätze aus gewissen allgemeinen Prinzipien frei hervorbrächte. Nur dadurch begreifen wir das Recht. Nur dadurch wird das künstlerische Bedürfnis des menschlichen. Geistes befriedigt, jenes Verlangen, welches die Herrschaft des Stoffes verabscheut. Von den gewonnenen Begriffen begehren wir zu immer höheren Begriffen aufzusteigen. Daher ergibt sich aus dem idealen Instinkte der Rechtswissenschaft das Suchen nach dem Rechts8 y stem, d. h. nach einer Form der Darstellung, welche die ganze Masse dee Rechte als die freie Entfaltung eines einziges Begriffes, des Begriffes des Rechts, zur Anschauung bringt. Dann wird der Stoff verschwunden sein, und der Gedanke hat als Sieger das Feld behauptet.

Erster Teil. Geschichte des römischen Rechts.

Einleitung· § 9. Das quUitische Recht. Zu dér Zeit, da die Sonne der Geschichte über der Hügelstadt am Tiber aufgeht, hat das römische Recht bereits eine lange Entwicklung hinter sich. Es muß wenigstens der Versuch gemacht werden, aus den Resten der Überlieferung ein, wenn auch nur ungefähres Bild von der Art dieser vorgeschichtlichen Zustände, zugleich damit eine Anschauung von dem Boden zu gewinnen, aus dem die beglaubigte römische Rechtsgeschichte hervorgewachsen ist 1 . 1 Um die römische Verf&ssungs- und Rechtsgeschichte haben hervorragende Verdienste sich erworben Mommsen, Römisches Staatsrecht, 3. Aufl., 3 Bdp. (1887 y Abriß, des römischen Staatsrechts (in Bindings Handbuch) (1893). Römisches Strafrecht (in Bindings Handbuch) (1899). v. Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwickelung, 6. Aufl., 3 Bde. (1891). Eine eingehende Darstellung: Kariowa, Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1, Bd. 2 Abt. 1. 2, l'886ff. M. Voigt, Römische Rechtsgeschichte, 3 Bde?, 1892—1902. Ein neues grundlegendes Werk. M i 11 e i s , Römisches Privatrecht bis auf Diokletian (in Bindings Handbuch). Bd. 1 (1908). Eine vortreffliche originelle Darstellung des klassischen römischen Privatrechts in seiner Blütezeit (um 20Q): Rabel, Grundzüge des römischen Privatrechts, in Holtzendorff-Kohlers Enzykl. der Rechtswiss., 7. Aufl. Bd. 1 S. 403ff. (1915). — Zusammenfassende neuere Darstellungen des großen Ganges der römischen Rechtsgeschichte: Bruns -Le η el, Geschichte und QueUen des römischen Rechts in Holtzendorff-Kohlers Enzykl. der Rechtswiss., 7. Aufl. Bd. 1 S. 305 ff. v. M a y r , Römische Rechtsgeschichte (Sammlung Göschen), 7 Bdchen. (1912. 1913). W e n g e r , Die Verfassung und Verwaltung des europäischen Altertums (Kultur der Gegenwart I I , I I , I S. 136ff.) (1911). W e η g e r , Das Recht der Griechen und Römer (Kultur der Gegenwart I I , V I I , I S. 164 ff.) n dem Vermögen des römischen Staates (ager publicus und Geldvermögen, aerarium), das galt auch von seinem Vermögensverkehr. Der römische Staat (populus Romanus) schloß durch seine Magistrate Rechtsgeschäfte ab (Verpachtung, Kauf u. dgl.), aber auch für die Rechtsgeschäfte des populus Romanus galt kein jus privatum, sondern jus publicum. Aus den Rechtsgeschäften des Staates konnte nicht vor den ordentlichen Zivilgerichten geklagt werden. Der Staat gab nicht Recht wie ein Privatmann. Er schützte sein Vermögen (die res publicae) grundsätzlich selber durch Verwaltungshandlungen seiner Magistrate2, und auf Grund 1

Das sagt noch G a j u s in 1. 1 pr. D. de div. rer. (1, 8): quae publicae sunt, n u l l i u s in bonis esse creduntur, ipsius enim universitatis esse creduntur: privatae au tern sunt, quae singulorum sunt. Dementsprechend werden gelegentlich noch von Ulpian die Rechte des municipium als g e m e i n s a m e Hechte der municipes gedacht. U l p i a n . tit. 22, 6: Nec municipia nec municipes heredes* institui possunt, quoniam i n c e r t u m c o r p u s est (wegen der wechselnden Mitglieder) et neque cernere universi neque pro herede gerere possunt, ut heredes fiant. Das eine ist mit dem anderen gleichbedeutend und das eine wie das andere ein Nachklang der ursprünglichen Auffassung: was allen (den Verbundenen) g e m e i n s a m gehört, das gehört ebenso n i e m a n d e m (zu Sonderrecht, Privatrecht). 1

M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 348. 349. Diebstahl au Staatsoder Göttergut sowie Beschädigung solcher Sachen ward von Amts wegen geahndet, M o m m s e n , Röm. S traf recht S. 786 ff. 811.

Sohra, Institutionen.

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Allgemeiner Teil.

Personenrecht.

der Rechtsgeschäfte des Staates konnte nur der Verwaltungsweg durch Beschwerde bei der Staatsbehörde beschritten werden. Der Staat war auch in seinen vermögensrechtlichen Beziehungen immer Staat, Träger der Hoheitsrechte, dem einzelnen Bürger lediglich übergeordnet, nicht gleichgeordnet. Der populus Romanus war zu groß, als daß er, einer Privatperson gleich, in die Formen des Privatrechts hätte eingehen können. Darum war der römische Staat keine juristische Person, nicht vermögensfähig (im Sinne des Privatrechts). Wo der römische Staat stand, da wich das Privatrecht. Das Zweckvermögen des Staates (populus) ward auch formell als gesellschaftliches, öffentliches, nicht privates Vermögen behandelt. Nur das individualistische Vermögen hatte im altrömischen Privatrecht Raum. Eine Art der res publicae bildeten die res sacrae (die den Staatsgöttern geweihten Sachen). Auch diese res sacrae waren dem Privatrecht entzogen (extra commercium) und wurden im Wege des Verwaltungsverfahrens geschützt, so daß auch in bezug auf diese res sacrae nicht die Idee des Privateigentums einer juristischen Person (etwa der Götter oder einer Kultusanstalt), sondern vielmehr der Ausschluß vom Privateigentum durchgesetzt wurde8. Erst das Recht der römischen Kaiserzeit hat den Begriff einer juristischen Person in das Privatrecht eingeführt. Das öffentliche Zweckvermögen (die res publicae) trat in das commercium des Privatrechts ein (mit Ausnahme nur der zum unmittelbaren Gemeingebrauch bestimmten res publicae im engeren Sinn, vgl. § 47 I b). Das öffentliche Zweckvermögen ward privates Vermögen gleich dem Vermögen der natürlichen Einzelperson. Für diese Entwicklung war die gegen das Ende der Republik aufgekommene Ausbildung der Munizipalverfassung entscheidend4. Das Vermögen der Stadtgemeindc 3 [Auch hier finden wir verschiedene Denkformen: W e n g e r , Zum Cippus Abellanus (Sitz.-Ber. Bayer. Akad. d. Wiss. Jg. 1915.10. Abh.), 31 ff.] M i 11 e i s t Röm. Privatr., Bd. 1, S. 341. 376 ff. Nach H. Κ r ü g e r in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd. 29, S. 519 ff. hat der Ausdruck universitas vor Justinian (anders im Corpus juris 1) überhaupt nur das munieipium, nicht auch den Verein bezeichnet.

§ 37. Wesen der juristischen Person.

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(municipium) ward dem Privatrecht unterstellt und die Stadtgemeinde damit als Person in das Privatrecht aufgenommen. Nach Vorbild der Stadtgemeinde (ad exemplum rei publicae, d. h. nach Art der öffentlichrechtlichen Gemeindeverbände) sind auch die erlaubten Vereine (collegia, sodalitates, universitates) als vermögensfähig auf dem Gebiete des Privatrechts anerkannt worden. Ja, nachdem das der kaiserlichen Verwaltung unterstehende öffentliche Vermögen (fiscus Caesaris) das gesamte Staatsvermögen in sich einbezogen batte (das aerarium populi Romani, über welches der Senat Verwaltungsrechte besaß, ist spätestens seit Diokletian verschwunden), trat endlich auch der römische Staat als fiscus in die Zahl der Privatpersonen ein, wenngleich er in einer Reihe von fiskalischen Privilegien immer noch eine Erinnerung an seine ursprüngliche Befreiung vom Privatrechte bewahrte6. 5 Über das römische Staatsgut (aerarium und fiecus Caesaris) und über das neben dem fiscus sich entwickelnde (auf den Thronfolger als solchen vererbende) Krongut (Patrimonium Caesaris) vgl. jetzt M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 349 ff.; dazu W. S t i n t z i n g in der Krit. Vierteljahrsschr., 3. Folge, Bd. 12 (1909), S. 383ff. — P r i v i 1 e g i a f i s c i nach dem Recht des Corpus juris sind: 1. D a s V e r ä u ß e r u n g s p r i v i l e g : Erwerb vom Fiskus ist ursprünglicher (von der Berechtigung des Fiskus unabhängiger) und darum das Recht eines Drittberechtigten (falls der Fiskus etwa über fremdes Eigentum verfügt hat) vernichtender Erwerb. Der Drittbereohtigte ist auf einen Entschädigungsanspruch beschränkt, der überdies in 4 Jahren erlischt (das Veräußerungsprivileg begegnet zuerst bei den Ptolemäern und ist vielleicht aus dem ägyptisch-hellenistischen Recht in das römische Fiskalrecht übernommen, M i 11 e i s , Griech. Urkunden der Papyrussammlung zu Leipzig, 1900, S. 18). 2. Das E r s i t z u n g s p r i v i l e g : Eigentum des Fiskus kann (von Dritten) nicht ersessen werden. 3, Das K o n k u r s p r i v i l e g : im Konkurs seines Schuldners hat der Fiskus ein Recht auf bevorzugte Befriedigung (Privilegium exigendi). 4. Das P f a n d r e c h t s p r i v i l e g : wegen aller seiner Forderungen, nur Strafforderungen ausgenommen, hat der Fiskus ein g e s e t z l i c h e s P f a n d r o c h t an dem ganzen Vermögen des Schuldners (fiscus semper habet jus pignoris, 1. 46 § 3 D. 49, 14), und zwar ein p r i v i l e g i e r t e s , d. h. älteren Pfandrechten vorgehendes Pfandrecht: das Pfandrecht für die Steuerforderung ist schlechtweg privilegiert, das für Kontraktsforderungen nur hinsichtlich des später erworbenen Vermögens. 5. Das Z i n s p r i v i 1 e g: der Fiskus schuldet aus seinen Kontrakten, keine V e r z u g s z i n s e n (vgl. unten § 66). 6. Aus seinen V e r k ä u f e n kann der Fiskus nicht wegen Sachmangels mit Wandelungs- oder Minderungsklage (unten § 71) in Anspruch genommen werden. 7. Der Fiskus ist e r b f ä h i g was nach römischem Recht für die juristischen Personen nicht schlcchtweg

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Personenrecht.

Damit hatte die juristische Person in das römische Recht der Kaiserzeit ihren Einzug gehalten. Es galt nunmchrf ihr Wesen zu bestimmen. Was bedeutet die private Rechtspersönlichkeit einer Körperschaft, z. B. der Gemeinde? Was heißt das: die Gemeinde (die Körperschaft) ist berechtigt, ist verpflichtet? Der Satz, den das römische Recht in den Tagen der klassischen Jurisprudenz herausgearbeitet hat, lautet: das Eigentum einer Körperschaft ist nicht das Eigentum mehrerer, sondern das Eigentum eines einzigen, nämlich des corpus (der Körperschaft als solcher). Die Körperschaft, die Gesamtheit ist privatrechtlich ein einzelner, ein neues Individuum neben den Mitgliedern, aus denen sie besteht. Der Sklave darf nicht gefoltert werden, um gegeh seinen Herrn auszusagen, aber der Sklave einer Körperschaft kann durch Folter zu Aussagen gegen die Mitglieder der Körperschaft gezwungen werden: nec enim plurium servus® videtur, sed corporis. Der Sklave, einer Körperschaft (corpus) steht nicht im Miteigentum der einzelnen Mitglieder, sondern im Alleineigentum einer anderen (unsichtbaren, „juristischen") Person, des corpus. Ebenso: si quid universitati debetur, singulis non debetur, nec quod debet universitas, singuli debent 7 , d. h. die Forderung der Körperschaft (z. B. einer Stadtgemeinde) ist nicht eine Forderung der Körperschaftsangehörigcn und die Schuld der Körperschaft keine Schuld der Körperschaftsglieder. Die Mitglieder der Körperschaft können für die Schulden der Körper-

galt). 8. A u f r e c h n u n g gegen eine fiskalische Forderung ist nur mit Gegenforderung gegen dieselbe Kasse (statio fisci) zulässig. Den letzteren (verwaltungstechnisch notwendigen) Rechtssatz hat auch das B.G.B. § 395: wie für den Fiskus, so auch zugunsten der Kommunalverbände des öffentlichen Rechts. Was sonst im B.G.B, zugunsten des Fiskus vorkommt (Anfall der erblosen Erbschaft, unter Umständen auch von Vereinsvermögen, B.G.B. § 45, Aneignungsrecht hinsichtlich preisgegebener Grundstücke, § 928), fallt nicht unter den Gesichtspunkt eines das normale Privatrecht außer Kraft setzenden Privilegium fisci. Nach dem B.G.B, steht der Fiskus unter dem gemeinen Privatrecht (nur zwei Vorbehalte für die Landeegesetzgebung in E.G. 91. 92). Dementsprechend hat die Konkurs Ordnung das Konkursprivileg nur noch für öffentliche Abgaben (K.CL § 61, Ziff. 2. 3), nicht mehr für die Forderungen des Fiskus. Die Privilégia fisci sind v e r s c h w u n d e n . •7 L. L.' 17 §§ 71 D. D. de quod quaest. cujuscumque (48, 18) univ. (Ulpian). nom. (3, 4) (Ulpian).

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schaft nicht in Anspruch genommen .werden. Forderungen und Schulden der Körperschaft bedeuten nicht gemeinsame Rechtc noch gemeinsame Schulden der Mitglieder, sondern alleinige Rechte und alleinige Schulden einer anderen (unsichtbaren, „juristischen") Person: des corpus. Die juristische Person des römischen Rechts ist der selbständig rechtsfähige Verband. Das Vermögen der juristir sehen Person (z. B. der Stadtgemeinde) ist Vermögen des Verbandes, nicht der Verbundenen. Die Schulden der juristischen Person sind Schulden des Verbandes, nicht der Verbundenen. Die Gesamtheit ist als solche vermögensfähig und darum ihr Vermögen ein ihren Mitgliedern fremdes Vermögen, ihre Schuld eine ihren Mitgliedern fremde Schuld. Die Körperschaft und ihre Glieder gehen einander für die Zuständigkeit des Körperschaftsvermögens privatrechtlich (formell) gar nichts an. Im Rechtsverkehr, d. h. im Verhältnis nach außen, sind die Glieder der Körperschaft nicht Glieder, sondern Fremde. Der rechtsfähige Verband ist eine neue, ganz andere Person, eine juristische Person, eine dritte Person neben und außer den natürlichen Personen (den Mitgliedern)8. 8

Vgl. zu dem obigen M o m m s e n , De collegiis et sodalitiie Romanorum (1843). M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 339 ff. (dem ich jedoch darin nicht beistimmen kann, daß die von ihm für die römischen privaten Vereine entwickelten Sätze als Annäherung an deutschrechtliche Denkformen gedeutet werden könnten), v. G i e r k e , Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 3 (1881), S. 34—106. v. G i e r k e , Deutsches Privatrecht, Bd. 1 (1896), S. 466. K a r 1 ο w a , Röm. Rcchtsgeschichte, Bd. 2, S. 1 ff. 69 ff. S o h m , Die deutsche Genossenschaft, Festschrift für Windscheid, 1888. Fr, H. B eh r e n d , Die Stiftungen, Bd. 1 (1904). H a i d e r , Natürlicher/und juristische Personen, 1906. B i n d e r , Das Problem der juristischen Persönlichkeit, 1907. G. S c h w a r z , Kritisches über Rechtesubjekt und Rechtszweck, im Archiv f. bürgerl. R., Bd. 36 (1911), S. 1 ff. — Aus der geschichtlichen Darstellung des Textes ergibt sich, daß die Vorstellung „Zweckvermögenu keinen juristischen (auf die Form gerichteten), sondern lediglich wirtschaftlichen (den Erfolg ausdrückenden) Inhalt hat. Die R e c h t s f o r m des gesellschaftlichen Zweckvermögens kann eine verschiedene sein und ist eine verschiedene gewesen. Ebenso erledigt sich durch die Geschichte die vielumstrittene Frage, ob die juristischen Personen „fingierte u (so die wenigstens früher herrschende romanistische Theorie) oder „reale" Personen seien. Die letzterè Ansicht ist namentlich von v. G i e r k e vertreten worden (sogenannte germanistische Theorie). G i e r k e s Lehre wiU eagen, daß die juristischen

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Teil.

Peronenrecht.

§ 38. Vereine and Stiftungen. «

Wir unterscheiden heute zwei Arten von juristischen Personen: juristische Personen des öffentlichen Rechts (B.G.B. § 89) und juristische Personen des Privatrechts. Jene sind die durch das öffentliche Recht geschaffenen, diese die durch privates Rechtsgeschäft hervorgebrachten rechtsfähigen Verbände. Die juristischen Personen des Privatrechts sind entweder rechtsfähige Vereine (B.G.B. § 21 ff.) oder rechtsfähige Stiftungen (B.G.G. § 80ff.): dort ist der Verband, dem die Rechtsfähigkeit zukommt, durch privates mehrseitiges Rechtsgeschäft unter den Vereinsmitgliedern, hier ist er durch privates einseitiges Rechtsgeschäft des Stifters (Stiftungsgeschäft) erzeugt worden; dort ist das natürliche Substrat, das der juristischen Person zugrunde liegt, eine Mehrheit natürlicher Personen, hier ist es ein vom Stifter einem bestimmten Zweck (dem Stiftungszweck) gewidmetes Vermögen. Rechtsfähiger Verein ist eine kraft Privatrechts rechtsfähige körperschaftlich verfaßte Personengesamtheit. Rechtsfähige Personen auch außerhalb der Rechtsordnung p e r s ö n l i c h e s Dasein haben. Dagegen mit Recht H o l d e r und B i n d e r a. a. 0. (die aber ihrerseits mit Unrecht die Rechtsform der juristischen Person überhaupt ablehnen). Nur die Persönlichkeit des M e n s c h e n ist der Rechtsordnung g e g e b e n (ist Voraussetzung und Quelle der Rcchtsentwicklung); die „Persönlichkeit41 der gesellschaftlichen V e r b ä n d e ist dagegen erst auf einer bestimmten Entwicklungsstufe von der Rechtsordnung e r z e u g t , d. h. sie besteht nur innerhalb und vermöge der Rechtsordnung. Sie bedeutet lediglich Rechtsfähigkeit (die aber nicht „fingiert", sondern im Rechtssinnc wirklich ist), d. h. die Tatsache, daß auf den Namen dieser Verbände Rechte und Schulden lauten können, so daß eine selbständige G e s c h ä f t s f ü h r u n g (SonderWirtschaft) in ihrem Namen möglich ist. Die Rechtsfähigkeit, Persönlichkeit des Privatrechts bedeutet nicht „reale" Persönlichkeit (die ohne Selbstbewußtsein nicht denkbar ist) noch Willens- oder Handlungsfähigkeit, sondern lediglich die V e r k e h r s f ä h i g k e i t , zu deren Dasein der Besitz eines „bürgerlichen", d. h. eines im Rechtsverkehr anerkannten N a m e n s genügend ist. Wer einen bürgerlichen Namen hat, der ist ein Bürger des Privatrechts, d. h. Privatperson. Der Sondername ermöglicht die Sondergeschäftsführung, die Sonderwirtschaft: die Gewinnung wirtschaftlicher Güter für die Zwecke des Benannten. Die juristische Persönlichkeit des Verbandes bedeutet, daß der Name des Verbandes b ü r g e r l i c h e r Name, d. h. Personenname, geworden ist.

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Stiftung ist eine kraft Privatrechts rechtsfähige körperschafti* _ verfaßte Anstalt1. Wie aber werden private Vereine und Stiftungen der Rechtsfähigkeit teilhaftig werden? Die Rechtsfähigkeit (juristische Persönlichkeit) der öffentlichrechtlichen Verbände wurzelt im öffentlichen Recht, Die öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten sind kraft allgemeinen Rechtssatzes juristische Personen (zugleich des öffentlichen und des Privatrechts). Einer besonderen Verleihung der juristischen Persönlichkeit (Rechtsfähigkeit) bedarf es hier nicht. Die Rechtsform der juristischen Person ist gerade zu dem Zweck erzeugt worden, um dem Vermögen der öffentlichen Körperschaften und Anstalten (dem für das Gemeininteresse bestimmten sozialen Vermögen) die zweckentsprechendste Gestalt zu geben. Anders stehen die privaten Vereine und Stiftungen. Vereinsbildung und Stiftung dienen dem Sonderinteresse des einzelnen. Soll die für das öffentliche Vermögen ausgebildete Rechtsform der juristischen Person auch dem privaten Willen dienstbar sein? Soll es möglich sein, im privaten Interesse Vermögen ebenso für einen bestimmten Zweck dinglich zu binden, wie das öffentliche Zweckvermögen durch die Rechtsform der juristischen Person dinglich für seine Zwecke gebunden ist? Diese Frage ist vom römischen Recht verneint worden: Das römische Recht kennt grundsätzlich nur juristische Personen des öffentlichen Rcchts. In den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit erscheinen kaiserliche Alimentenstiftungen für Italien (zur Auszahlung von Unterstützungen an arme Kinder). Sie sind staatliche Anstalten und werden als verselbständigte Teile des Staat s Vermögens (fiscus) gedacht. Privatpersonen konnten keine Stiftung mit eigenem 1 Auch die Stiftung muß einen Vorstand, d. h. körperschaftliche Verfassung, haben (B.G.B. § 86 mit § 26). Körperschafton im weiteren Sinn (d. h. körperschaftlich verfaßte Verbände) sind alle juristischen Personen: Verleihung von Körperschaftsrephten („ Korpora tionsrechten44) bedeutet Verleihung der juristischen Persönlichkeit. Vereine sind Körperschaften im engeren Sinn, d. h. Verbände, die nicht bloß körperschaftliche Verfassung, sondern auch körperschaftliches Sclbstbestimmungsrecht besitzen. Das letztere fehlt den Stiftungen,

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Vermögen (d. h. mit eigener Rechtspersönlichkeit) errichten. Der Privatmann mochte Vermögen einer schon bestehenden juristischen Person, z. B. einer Stadtgemeinde, zuwenden (durch Schenkung oder Vermächtnis) mit der Zweckbestimmung (Auflage), daß dies Vermögen in gewisser Weise, z. B. bei Feiern und Festessen, zu verwenden sei2. Dadurch kam eine unselbständige („fiduziarischeu) Stiftung, eine Stiftung im untechnischen Sinn zustande: eine Vermögenswidmung von bloß obligatorischer Wirkung, d. h. die empfangende juristische Person war zu der vorgeschriebenen Verwendung des Vermögens verpflichtet. Eine Stiftung im Rechtssinne, eine selbständige Stiftung war solche privato Stiftung nicht: es war kein neues Rechtssubjekt erzeugt worden, dem das gewidmete Vermögen als besonderes, ihm eigenes Vermögen gehört hätte 8 . Mit anderen Worten: das klassische Kaiserrecht kannte als Stiftung im Rechtssinn nur die kaiserliche (staatliche) Anstalt. In der christlichen Kaiserzeit (seit dem 5. Jahrhundert) kommt die durch private Personen geschaffene Stiftung (im Rechtssinn) auf, aber nur in der Gestalt der pia causa (pium corpus), der frommen Stiftung, d. \ der Wohltätigkeitsanstalt4. Die Vermögenswidmung durch Schenkung oder letztwillige Ver1

Vgl. zu dem obigen P e r n i c e , Labeo, Bd. 3, S. 150ff. 164ff.; M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 414 ff. • Errichtet jemand eine Stipendien-,,Stiftung 41 dadurch, daß er einer Universität Vermögen zuwendet mit der Bestimmung, daB aus den Zinsen Stipendien zu zahlen seien, so liegt eine Stiftung im untechnischen Sinne, eine u n s e l b s t ä n d i g e Stiftung, vor: dies Vermögen gehört nicht der „Stiftung 41 (solcho Stiftung ist keine juristische Person), sondern, der Universität, und die Universität ist nur zu der vorgeschriebenen Verwendung dieses Teiles i h r e s Vermögens v e r p f l i c h t e t : die Zweckbestimmung hat keine dingliche Wirkung (für die Zuständigkeit des Eigentums), sondern nur Verpflichtungswirkung für die Verwendung des Eigentums. Eine Stiftung im Rechtssinn liegt dagegen vor, wenn die Stipendien-Stiftung mit selbständiger Persönlichkeit bekleidet und dies Vermögen ihr e i g e n e s Vermögen ist. Die unselbständige Stiftung bedeutet Widmung von Vermögen durch Vermögens Z u w e n d u n g an ein b e s t e h e n d e s Rechtssubjekt, Stiftung im Rechtssinn aber Widmung von Vermögen durch Vermögens a b s ο n d c r u n g für ein n e u e s Rechtssubjektj. 4 Vgl. C u g i a , Il termine piae causae, (Neapel 1906) und die vortreffliche Abhandlung von S a 1 e i 11 e s , Les piae causae dans le droit de Justinien, in den Mélanges Gérardin. (Paris 1907.)

§ 38. Vereine und Stiftungen.

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fügung zugunsten von Armen, Kranken, Gefangenen, Waisen, Greisen erzeugt nunmehr als solche ein neues Rechtssubjekt (die Armenanstalt, Krankenanstalt usw.), der dies Vermögen als eigenes Vermögen (als das Vermögen einer neuen juristischen Person) zugehört. Der Gesichtspunkt aber ist der, daß dies Stiftungsgut eine Art des Kirchenguts bedeutet. Die pia causa untersteht dem Kirchenregiment (dem Bischof bzw. dem kirchlichen Verwalter). Die pia causa ist eine kirchliche, d. h. eine öffentliche Anstalt. Deshalb nimmt sie an der kraft allgemeinen Rechtssatzes bestehenden Vermögensfähigkeit der kirchlichen Anstalten teil. Einer besonderen Verleihung der juristischen Persönlichkeit bedarf es nicht. Das Vermögenswidmungsgeschäft (Schenkung, letztwillige Verfügung) genügt nach römischem Recht, die fromme Stiftung (pia causa) als selbständige Stiftung, als neues Rechtssubjekt hervorzubringen. Der Satz aber, daß nur die fromme Stiftung als vermögensfähige Stiftung (juristische Person) von der Privatperson geschaffen werden kann, fällt mit dem anderen zusammen, daß nach römischem Recht nur die öffentliche, also (in christlicher Zeit) neben den Veranstaltungen des Staates nur die kirchliche Anstalt der juristischen Persönlichkeit fähig ist. Wie die Stiftungen, so hat das römische Kaiserrecht auch "die Vereine behandelt. Das Recht der römischen Kaiserzeit (eine lex Julia von Augustus) verbietet grundsätzlich alle Vereine,. Es gibt keine Vereinsfreiheit 5. Nur wenige Arten von Vereinen sind von dem allgemeinen Verbot ausgenommen6. Die Regel ist, daß schon vom polizeilichen Standpunkt aus jede Vereinsgründung durch Erlaubnis der Verwaltungsbehörde (kaiserliche Verfügung in den Kaiserprovinzen, Senatsbeschluß in den Senatsprovinzen) ausnahmsweise gestattet sein muß. Sonst ist der Ver* Vgl. zu dem, obigen Ρ e r n i c e , Labeo, Bd. 1, S. 289 ff. M i t t e l s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 394 ff. • Die wichtigste Ausnahme bildeten die Ililfskassenvereinc der niederen Klassen (collegia tenuiorum, collegia funeraticia), 1.1, D. 47, 22, vgl. E. L ο e n i n g , Gesch. d. Kirchenrechts, Bd. 1, S. 203 ff. — Ob die societates publicanorum (die Verbände von Steuerpächtern bzw. von Pächtern der Einkünfte aus staatlichen Gold-, Silber-, Salzwerken) Korporationseigenschaft besessen haben, ist zweifelhaft; M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S< 403 ff.

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ein collegium illicitum und unterliegt der zwangsweisen Auflösung durch die Verwaltungsbehörde. Von der dem öffentlichen Recht angehörigen Frage nach der polizeilichen Erlaubtheit ist aber die ins Privatrecht einschlagende Frage zu unterscheiden, ob der erlaubte Verein als solcher schon ohne weiteres Vermögensrechte haben kann, also „rechtsfähig" ist. Da die Rechtsfähigkeit jedes Wesens auf dem objektiven Recht beruhen muß, fragt es sich also: Enthielt das klassische Recht einen Rechtssatz, wonach jeder polizeilich erlaubte Verein ohne weiteres als Rechtssubjekt galt, «der fehlte ein solches Prinzip? Im letzteren Falle hätten auch die erlaubten Vereine, um rechtsfähig zu werden, einer besonderen Verleihung der Rechtsfähigkeit durch Spezialgesetz bedurft (sogenanntes Konzessionssystttn). Diese Frage ist seit Jahrhunderten umstritten. Nach einer verbreiteten Ansicht war schon nach der lex Julia jeder erlaubte Verein (collegium licitum) ohne besondere Verleihung der juristischen Persönlichkeit vermögensfähig. Nach einer anderen Ansicht soll erst Mark Aurel diese Vermögensfähigkeit der erlaubten Vereine von dem Erfordernis der Verleihung unabhängig gemacht haben7. L. 1 pr. D. quod cujuscumque univ. ( 3 , 4) (GAJUS): Neque societas (ungeschickt interpoliert statt des klassischen „sodalicium", welchen demokratischen Ausdruck die Byzantiner perhorreszieren mußten [Conrat]) neque collegium neque hujusmodi corpus passim omnibus habere con·» ceditur: nam et legibus et senatusconsultis et principalibus constitutionibus ea res coercetur; paucis admodum in casibus concessa sunt hujusmodi corpora. Vgl. 1. 3 § 1 D. de colleg. (47, 22). L. 20 D. de reb. dub. (34, 6) (PAULUS): Cum senatus temporibus divi Marci permiserit collegiis legare, nulla dubitatio est, quod si cor7 M i t t c i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 399ff., bekämpft die bisher überwiegende Lehre, daß schon nach der lex Julia des Augustus mit der lex specialis, die den Verein polizeilich erlaubte, auch die Rechtsfähigkeit (das corpus) gegeben worden sei (das sei erst durch Mark Aurel Rechtens geworden). M i 11 e i s faßt die maßgebende Gajusstelle D. 3, 4, 1 pr. dahin auf, daß hier ausdrücklich das corpus habere (Rechtsfähigkeit) von dem erlaubten Dasein als societas, collegium unterschieden und folgeweise von Gajus noch für das corpus eine b e s o n d e r e Verleihung (die nur in paucis admodum causis gewährt sei) gefordert werde. A. M. R 9 b e 1 in KohlerHoltzendorffs Rechtsenzyklop. 7. A. 1, S. 428 Anm. 6. Vgl. auch Β e s e l e r , Beitr. z. Kritik d. röm. Rechtsquellen 4 (1920) S. 120.

§ 38. Vereine und Stiftungen.

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pori cui licet coire legatum sit, debeatur8: cui autcm non licet si legetur, non valebit, nisi singulis legetur: hi enim non quafci collegium, sed quasi certi homines admittentur ad legatum. Innerhalb der deutschen Rechtsentwicklung ist der privaten Stiftung und dem privaten Verein als solchen der Zugang zur juristischen Persönlichkeit eröffnet worden, aber immer unter bestimmten Vorbehalten. Stets bei den Stiftungen und in gewissem Ausmaße auch bei den Vereinen wahrt sich der Staat das Recht; die juristische Person ins Leben zu rufen. B.G.B. § 80: Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung ist außer dem Stiftungsgeschäfte die Genehmigung des Bundesstaates erforderlich, in dessen Gebiete die Stiftung ihren Sitz haben soil. B.G.B. § 21: Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts. § 22: Ein Verein, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt in Ermangelung besonderer reichsgesetzlicher Vorschriften Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung. Das Mittel der Vereinsbildung ist die Organisation: die verfassungsmäßige U n t e r o r d n u n g der Vereinsglieder unter 8

Dem collegium licitum, dem polizeilich erlaubten Verein, stand also seit Mark Aurel ohne weiteres auch die V e r m ä c h t n i s f ä h i g k e i t zu. Damit ist aber implicite auch die Rechtsfähigkeit inter vivos anerkannt (denn wie sollte sonst der Verein das Recht am Vermächtnis-Gegenstand h a b e n können?), und gerade das ist es, was Paulus hier sagen will. Die Fähigkeit, zum E r b e n eingesetzt zu werden, besaßen die collegia aber nach römischem Recht nur kraft besonderen Privilegs (1. 8 C. 6, 24: collegium si nullo speciali privilegio subnixum sit, hereditatem capere non posse, dubium non est). Ebenso standen noch nach klassischem Recht die Stadtgemeinden. Nur von ihren eigenen Freigelassenen konnten sie zu Erben eingesetzt werden. Die allgemeine Fähigkeit, im Testament bedacht zu werden, sei es mit Vermächtnis, sei es mit Erbeinsetzujig, ward den Städten erst durch Kaiser Leo verliehen (1. 12 C. 6, 24 v. J. 469), M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 378—379. Nach dem Recht des Corpus juris besitzen alle juristischen Personen des ö f f e n t l i c h e n Rechts, wie der Fiskus und die Stadtgemeinden, so auch die Kirchen und frommen Stiftungen, kraft ihrer juristischen Persönlichkeit zugleich die Erbfähigkeit. Heute gilt das gleiche auch von den juristischen Personen des Privatrechts (den Vereinen und Stiftungen), also zugunsten der juristischen Personen überhaupt. Man sieht deutlich, wie im römischen Recht die volle private Rechtsfähigkeit der juristischen Personen erst allmählich sich durchsetzte (vgl. oben S. 197 Anm. 1).

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die Vereinsgewalt, damit die Gesamtheit, die Körperschaft, frei (handlungsfähig) und, falls sie die Rechtsfähigkeit erlangt, auch vermögensfähig werde. Dadurch ist der Gegensatz zwischen dem rechtsfähigen Verein (Körperschaft) und der bloßen Gesellschaft (der societas) gegeben. Das Mittel der Sozietätsbildung ist die O b l i g a t i o n . Die societas des römischen Rechts bedeutet lediglich einen Kontrakt, gleich anderen Kontrakten, durch den die Mitglieder zu bestimmten Leistungen zwecks Erreichung eines gemeinsamen Zieles (z. B. um zusammen eine Flasche Wein zu trinken) sich gegeneinander verpflichten, vgl. unten § 71. Die Sozietät des römischen Rechts ist (nach außen, d. h. für Dritte) nichts, der socius ist alles. Die Sozietät ist nicht handlungsfähig, noch vermögensfähig: sie kann als solche weder die Flasche Wein kaufen, noch die Flasche Wein zum Eigentum erwerben, noch den Preis für die Flasche schuldig sein. Das alles können nur die socii. Die Sozietät ist lediglich ein Rechtsverhältnis unter den socii (für niemand sonst vorhanden); der rechtsfähige Verein aber ist ein neues Rechtssubjekt, eine Gesamtheit, die als rechtsfähige Einheit, als Kontrahentin, Eigentümerin, Schuldnerin im Verkehr jedem Dritten gegenübertritt. Es gibt Körperschaftsvermögen, aber kein Sozietätsvermögen im eigentlichen Sinne des Wortes. Das römische Recht hat den Rechtssatz, daß zur Schaffung einer Körperschaft mindestens drei Mitglieder notwendig sind (très faciunt collegium), während ein Sozietätsvertrag selbstverständlich schon unter zweien möglich ist. In diesem Rechtssatz spiegelt sich der Gegensatz der beiden Bildungen. Drei ist die Mindestzahl für Fassung eines Mehrheitsbeschlusses9. Mindestens drei müssen sein, damit ein Wollen und ein Handeln der Körperschaft (der universitas als solcher) ins Leben gerufen werden könne, das vom Wollen und Handeln der r P e r n i c e , Labeo, Bd. 1, S. 292 weist auf diesen Grund des römischen Rechtssatzes hin. — Für die F o r t d a u e r des einmal gegründeten corpus bedarf es der Erhaltung der Dreizahl nicht, 1. 7 § 2 D. quod cujuscuinque univ. (3, 4): auch wenn universitas ad unum redit, stat nomen universitatis. — Nach B.G.B. § 66 bedarf es für die Eintragung eines nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Vereine in das Voreinsregieter (damit erlangt ein solcher Verein die Rechtsfähigkeit) der Mindestzahl von s i e b e n Mitgliedern.

§ 39. Einleitung. § 40. Begriff und Arten des Rechtsgeschäfts.

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einzelnen sich unterscheidet. Ist mit drei Mitgliedern ein rechtsfähiger Verein zustande gebracht worden, so erhebt sich über den dreien ein Vierter, ein neues Rechtssubjekt: die universitas; das collegium, das corpus. Der unsichtbare Vierte ist die durch Organisation geschaffene, vom Wechsel der Mitglieder unabhängige soziale Person: die juristische Person, — die Überperson. L. 86 D. de V. S. (50, 16) (MARCELLUS): Neratius Priscus très facere existimat collegium, et hoc magie sequendum est.

Zweites Kapitel.

Die Rechtsgeschäfte. § 39. Einleitung. Die Rechtsfähigkeit der Person äußert sich praktisch darin, daß in ihrem Namen mit rechtlicher Wirkung (Begründung, Geltendmachung, Änderung von Rechtsverhältnissen) gehandelt werden kann. Ihre Interessen können durch eine auf ihren Namen gehende Geschäftsführung wahrgenommen werden: sie hat die Geschäftsherrschaft, d. h. die Wirkungen des Geschäfts (Rechte, Verbindlichkeiten); die Geschäftsführung, d. h. die Vornahme des Geschäfts, kann einem Vertreter (unten § 45) zuständig sein. Das vornehmste Mittel der Geschäftsführung, durch welche sich die Rechtsfähigkeit der Person verwirklicht, sind auf dem Gebiet des Privat rechts die Rechtfegeschäfte. § 40. Begriff und Arten des Rechtsgeschäfts. Wir machen die Wahrnehmung, daß für den Eintritt eines rechtlichen Erfolges der Wille des beteiligten Subjekts bald gleichgültig (so bei der Klagverjährung), bald erheblich ist, und zwar ist er entweder in dem Sinn erheblich, daß das Recht diesem Willen widersprechen will (so in den Fällen des Delikts), oder in dem Sinn, daß das Recht diesèm Willen entsprechen will

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

(so in den Fällen des Rechtsgeschäfts). Die Rechtsgeschäfte des Privatrechts (z. B. der Kaufvertrag) dienen dem Willen der Privatperson, um gewisse rechtliche Erfolge herbeizuführen. Das Rechtsgeschäft des Privatrechts1 ist die vom Recht mit willensgemäßer Wirkung anerkannte Willenserklärung derPrivatperson. In dem Rechtsgeschäft kommt entweder der Wille nur einer Person zum Ausdruck und zur Geltung (sogenannte einseitige Rechtsgeschäfte) oder der übereinstimmende Wille, consensus, mehrerer Personen (sogenannte zweiseitige Rechtsgeschäfte oder Verträge). Ein einseitiges Rechtsgeschäft ist z. B. das Testament, das Stiftungsgeschäft (oben S. 202), die Kündigung. V e r t r ä g e im Rechtssinne sind, wie aus dem Obigen sich ergibt, rechtlich erhebliche Willenseinigungserklärungen. Die Verträge des Vermögensverkehrs sind entweder auf Erzeugung eines Schuldverhältnisses (Verpflichtungsgeschäfte) oder auf gegenwärtige Änderung eines bestehenden Vermögensrechts gerichtet (Verfügungsgeschäfte). Zu den Verfügungsgeschäften gehören die Veräußerungsgeschäfte (z. B. Übertragung des Eigentums oder einer Forderung)2, die Belastungsgeschäfte (z. B. Bestellung eines Nießbrauchs, eines Pfandrechts), die Rechtsänderungsgeschäfte (über den Inhalt bzw. den Rang eines Vermögensrechts, z. B. einer Hypothek), die Rechts1 Aue der großen neueren Literatur über den Begriff des Rechtsgeschäfts und seine Abgrenzung gegen andere Rechtshandlungen seien genannt: M a n i g k , Willenserklärung und Willensgeschäft (1907). H e 11 w i g, Prozeßhandlung und Rechtsgeschäft (Festgabe für Gierke), (1910). ν ο η Τ u h r, Der Allgemeine Teil des Deutschen bürgerlichen Rechts I I , 1 (1914) S. 399 ff. M a n i g k , Irrtum und Auslegung (1918). 2 Im genauen Sprachgebrauch (der im B.G.B, durchgeführt ist) bedeutet „Veräußerungsgeschäft 14 n i c h t das Verpflichtungsgeschäft, welches, wie ζ. B. der Kauf, „auf Veräußerung gerichtet44 ist (B.G.B. §§ 446. 493), sondern das V e r f ü g u n g s g e s c h ä f t (Übereignung, Zession), welches die Veräußerung (den Übergang des Vermögensrechts) v o l l z i e h t . Der Zigarrenhändler „veräußert 41 die Zigarren nicht dadurch, daß er sie mir verkauft, sondern erst dadurch, daß er sie mir übergibt (tradiert) und dadurch übereignet. Der ungenaue (nicht bloß im Leben, sondern auch in Gesetzen, z. B. H.B.G. § 49 Abs. 2 begegnende) Sprachgebrauch, der auch das entsprechende Verpflichtungsgeschäft als Veräußerung bezeichnet, ist, wenn man juristisch sprechen will, zu vermeiden.

§ 40. Begriff und Arten des Rechtsgeschäfts.

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aufhebungsgeschäfte (z. B. Erlaß einer Forderung). Immer wird durch das Verfügungsgeschäft die Zuständigkeit, die Kraft, der Inhalt, das Dasein eines bereits vorhandenen Vermögensrechts zugunsten des anderen (des Erwerbers) unmittelbar geändert. Das Verpflichtungsgeschäft (auch obligatorischer Vertrag, Kontrakt genannt) vermag eine Rechtsänderung zuzusagen (so z. B. der Kauf); nur das Verfügungsgeschäft (auch dinglicher Vertrag genannt) vermag die Rechtsänderung zu bewirken (so z. B. die Übereignung der gekauften Sache an den Käufer). Das Verpflichtungsgeschäft bezieht sich auf eine zukünftige Leistung; das Verfügungsgeschäft stellt die gegenwärtige Leistung (Vermögensänderung) dar: die Verfügungsgeschäfte sind die Leistungsgeschäfte oder, was dasselbe ist, die Zuwendungsgeschäfte des Verkehrs. L. 1 § 2 D. de pactis (2, 14) (ULPIAN): Et est pactio duorum pluriumve in idem placitum et consensus. Eine andere Einteilung der Rechtsgeschäfte ist die in negotia mortis causa und negotia inter vivos. Negotia mortis causa sind die Verfügungen von Todes wegen, d. h. die Rechtsgeschäfte (z. B. das Testament, die Schenkung von Todes wegen), welche durch den Tod des Verfügenden inhaltlich bedingt sind (insbesondere also Verfügungen über den Nachlaß). Sie werden erst mit dem Tode des Verfügenden endgültig wirksam und sind deshalb regelmäßig letztwillige, d. h. bis zum Tode widerrufliche Rechtsgeschäfte (sie gelten in der Regel nur kraft des letzten Willens des Verfügenden). Negotia inter vivos sind alle anderen Rechtsgeschäfte8. 8 Die römischen Juristen haben eine allgemeine Lehre vom Rechtsgeschäft nicht ausgebildet. Sie haben nicht einmal Ausdrücke, welche das Rechtsgeschäft oder den Vertrag als solchen bezeichnen. Actus (auch actio) ist ein Ausdruck für jedes rechtlich erhebliche Geschäft, also auch für jedes Rechtsgeschäft, aber er geht darüber hinaus, indem er Auch die staatsrechtliche Verhandlung (agere cum populo) mit umfaßt. Pactum ist die allgemeine Bezeichnung für jede Vereinbarung, aber mit Ausschluß derjenigen Vereinbarungen, die bereits einen technischen Namen haben (nexum und stipulatio sind den Römern keine pacta). M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 144 ff. Die allgemeine Lehre von den Rechtsgeschäften ist erst durch die neuere Rechtswissenschaft entwickelt, und darum tritt für die folgende Darstellung das moderne Recht teilweise stark hervor.

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

Das Recht hat eine Reihe von Rechtsgeschäftstypen ausgebildet (z. B. Kauf, Miete, Darlehn, Testament). Jedem einzelnen Rechtsgeschäftstypus entsprechen bestimmte Rechtssätze. Essentialia negotii nennt man den für die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschäftstypus notwendigen, n a t u r a 1 i a negotii . den bei diesem Geschäftstypus regelmäßigen Geschäftsinhalt; a c c i d e n t a l i a negotii sind Änderungen der naturalia. So sind essentialia des Kaufs, daß der eine die Ware, der andere den Preis zu leisten hat; zu den naturalia gehört die Gewährleistungspflicht des Verkäufers für Rechtsmängel und für Sachmängel (unten § 71); accidentälia sind vereinbart, wenn z. B. der Verkauf bedingt oder mit Zeitbestimmung (es ist etwa der Preis gestundet) geschlossen ist. Die essentialia ergeben sich aus dem Begriff des Rechtsgeschäfts (des Geschäftstypus), die naturalia aus der den Geschäftswillen ergänzenden Verkehrssitte bzw. aus ergänzenden (der Verkehrssitte entsprungenen) Rechtssätzen, die accidentalia endlich aus den Nebenbestimmungen (Klauseln, unten § 43), welche von den Parteien vereinbart sind. §41. Der Tatbestand des Rechtsgeschäfte. Der Tatbestand eines Rechtsgeschäftes (Kauf, Miete usw.) ist Willenserklärung. Also zwei Tatbestandsstücke: 1. Wille, 2. Erklärung. I. Der W i l l e . Der bewußte und k u n d g e g e b e n e Willensmangel ist erheblich: das Rechtsgeschäft ist nichtig. Fälle dieser Art sind die Scheinerklärung (Simulation) und die Scherzerklärung. Simulation ist die zweiseitig gewollte (vom Erklärenden und Erklärungsempfänger ^vereinbarte) Abweichung des Willens von der Erklärung: es wird z. B. Scheines halber ein Kauf geschlossen, nur um den Wert der Sache Dritten höher erscheinen zu lassen. Das Scheingeschäft ist nichtig. Wird durch das Scheingeschäft ein anderes wirklich gewolltes Rechtsgeschäft verdeckt (es sollte wirklich verkauft sein, aber billiger), so ist das verdeckte (dissimulierte) Bechtsgeschäft gültig, falls eine hiefür genügende Erklärung vorliegt1. Scherzerklärung liegt vor 1 Vom Scheingeschäit ist das f i d u z i a r i s c h e Geschäft zu unterscheiden, d. h. das Verfügungsgeschäft, z. B. Veräußerung einer Sache,

§ 41. Der Tatbestand des Rechtsgeschäfts.

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bei einseitig gewollter, aber nach Meinung des Erklärenden genügend kundgegebener Abweichung des Willens von der Erklärung. Auch die Scherzerklärung ist nichtig, aber falls Erklärungsempfänger entschuldbar die Erklärung für ernstlich hielt, haftet ihm nach heutigem Recht (B.G.B. §§ 118. 122) der Erklärende auf das sogenannte negative Geschäftsinteresse, d. h. auf Ersatz des durch den vermeintlichen Abschluß des Geschäfts verursachten Schadens: ein Fall der sogenannten culpa in contrahendo, d. h. der Haftung für die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts2. Der dem Erklärenden bewußte, aber von ihm nicht kundgegebene Willensmangel ist unerheblich. Unter diesen Gesichte* punkt fällt die Mentalreservation, d. h. die einseitig gewollte und zugleich verschwiegene Abweichung des Willens von der Erklärung. Das Rechtsgeschäft ist gültig, es sei denn, daß der Erklärüngsempfänger den inneren Vorbehalt dennoch kannte (B.G.B. § 116). Schwierigkeiten machen nur die Fälle des unbewußten Willensmangels: die Fälle des sogenannten Geschäftsirrtums. Der Geschäftsirrtum (auch wesentlicher Irrtum genannt) hat drei Erscheinungsformen (vgl. B.G.B. §§ 119. 120). 1. Die mißverstandene Erklärung, d. h. der Erklärende hat seine eigene Erklärung mißverstanden: er wollte eine Erklärung dieses Inhalts Abtretung einer Forderung, mit verpflichtender Zweckbestimmung, z. B. zwecks bloßer Sicherung des Erwerbers (vgl. etwa die Pfandfiducia (unten § 60 I. 1) oder zwecks bloßer Ermächtigung*(zur Verfügung bzw. zur Klage), also die Verfügung auf Treue (oben S. 69). Das fiduziarische Verfügungsgeschäft ist ein durchaus ernstgemeintes, darum auch gültiges Geschäft : die Parteien wollen gerade die vorläufige Berechtigung des Fiduziars, weil sie nur durch diese die angestrebten Zwecke erreichen. * Positives Geschäftsinteresse nennt man den durch N i c h t e r f ü l l u n g des Geschäfts, negatives Geschäftsinteresse den durch A b B c h 1 u ß des Geschäfts bewirkten Schaden. Beispiel: die Kosten des Abschlusses (Stempelgebühren u. dg].); oder: weil er dies Geschäft vermeintlich abgeschlossen, hat er ein anderes, vorteilhafteres Angebot abgelehnt. Er ist durch die N i c h t i g k e i t des vermeintlichen Gesch&ftsjibschlusses geschädigt: er hätte den Schaden n i c h t gehabt, wenn er das Geschäft n i c h t geschlossen hätto. Das will der undeutliche Ausdruck „negatives Geschäftsinteresse4' sagen. Das B.G.B, folgt hier Gedanken, die zuerst J h e r i n g ausgesprochen hat.

Sohm. Institutionen.

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

gar nicht abgeben. Beispiel: ein Ausländer hat sich falech ausgedrückt. Ähnlich ist 2. die mißlungene Erklärung, d. h. die Erklärung ist durch Versprechen, Verschreiben, falsche Übermittelung (Bote, Telegraph) anders als beabsichtigt ausgefallen: eine Erklärung dieses Inhalts wollte der Erklärende überhaupt nicht abgeben. 3. Die infolge Irrtums über vorausgesetzte Eigenschaften einer Person (error in qualitate) oder einer Sache (error in substantia) abgegebene Erklärung. Dabei kommt aber nur ein Irrtum über wesentliche Eigenschaften in Betracht8. Wesentlich sind solche Eigenschaften der Person, welche das geschlossene Geschäft voraussetzt4, solche Eigenschaften der Sache, nach denen der regelmäßige Verkehr die Arten der Sachen unterscheidet5. Der Irrtum über eine solche Eigenschaft ist ein die Art des Geschäftswillens bestimmender Irrtum im Beweggrund (während sonst der Irrtum im Beweggrund den Geschäftswillen nicht beeigenschaftet, vgL unten § 42 I) und wird darum vom, römischen und ebenso vom heutigen Recht behandelt, wie wenn der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts (dieser Art) gar nicht hätte abgeben wollen (vgl B.G.B. § 119,2). Beispiel: der Verkäufer verkauft einen Stein als unecht, einen Schmuck als nur vergoldet; in Wahrheit ist der Stein echt, der Schmuck massnr golden (error in substantif). Wie ist in den Fällen des unbeabsichtigten Willensmangels • Der Irrtum über u n w e s e n t l i c h e Eigenschaften bewirkt keinesfalls Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Rechtsgeschäfte, sondern bleibt entweder ganz unberücksichtigt (so bei familien- und erbrechtlichen Geschäften) oder führt nur (vor allem bei gegenseitigen Verpflichtungsgeschäften, die ex fide bona zu beurteilen sind) zu einer ex fide bona zu bemessenden Abänderung der Leistungspflicht So die Eignung des Gehülfen zu den Diensten, für die er angenommen ist: der Dienstvertrag kann wegen Irrtums über eine wesentliche Eigenschaft angefochten werden, wenn der als Korrespondent Angenommene nicht orthographisch richtig schreiben kann. • L e n e l in Jherings Jahrb. Bd. 44, S. 1 ff. Über die in den römischen QueUen behandelten Fälle R. L e o n h a r d , Der Irrtum als Ursache nichtiger Verträge, 2. Aufl., Teil 2 (1907), S. 70 ff. Dazu H e n i e in den Götting. Gelehrten Anz. 1908 S. 507 ff. — Für den Käufer ist die Anfechtung des Kaufs wegen wesentlichen Sachmangels durch die Sonderrechtseitze dee Kaufrechts (fiber den Mängelanspruch, unten § 71) ausgeschlossen, vgl. Entsch. d. Reichsger. Bd. 61, S. 171 ff. Dadurch wird die praktische Bedeutung der. Rechtesätze vom Irrtum über wesentliche Sacheigenschaften erheblich eingeschränkt.

§ 41. Der Tatbestand des Rechtsgeschäfts.

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(des Gcschäftsirrtums) zu entscheiden? Es sind zwei Antworten möglich. Die eine wird von der Willenstheorie, die andere von der Erklärungstheorie gegeben. Was in den bezeichneten Fällen fehlt, ist der Geschäftswillc, d. h. der Erfolgswille: der von der Erklärung bezeichnete Rechtserfolg ist in Wahrheit nicht gewollt. Vorhanden aber ist der Erklärungswille: die Erklärung sollte abgegeben werden. Die Willenstheorie fordert für das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts nicht bloß den Erklärungswillen, sondern auch den entsprechenden Geschäftswillen: der bezeichnete Reçhtserfolg muß gewollt sein (so die früher allgemein herrschende Lehre, zuletzt insbesondere W i n d s c h e i d ) , mindestens muß der entsprechende wirtschaftliche Erfolg gewollt sein (so eine neuere Abschwächung der Willenstheorie, Lenel u. a.); widrigenfalls ist da& Rechtsgeschäft nichtig. Das ist günstig für den Erklärenden, da das Rechtsgeschäft keine anderen als die von ihm beabsichtigten Wirkungen haben kann und bei fehlgehender Erklärung der Mangel des entsprechenden Erfolgswillens von jeder Wirkung der Erklärung ihn befreit. Aber die Willenstheorie ist ungünstig für den anderen, den Erklärungsempfänger, d. h. für den Verkehr. Wer will eich noch auf rechtsgeschäftliche Verhandlungen einlassen, wenn nicht das Wahrnehmbare (die Erklärung), sondern das Unwahrnehmbare (die innere Erfolgsabsicht) für die Rechtswirkung maßgebend ist? Das macht die Erklärungstheorie geltend. Es genügt ihr für das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts der Erklärungswille: ist die Erklärung als solche gewollt, so erzeugt sie auch ohne entsprechenden Geschäftswelten das Rechtsgeschäft mit den von der Erklärung bezeichneten Rechts Wirkungen: das Rechtsgeschäft ist gültig; es wirkt erklärungsgemäß. Jedenfalls (so die insbesondere von Dernburg vertretene sogenannte Vertrauenstheorie, welche eine etwas abgeschwächte Erklä^ungstheorie darstellt), wenn durch Geltendmachung des abweichenden inneren Geschäftswillens das berechtigte Vertrauen des anderen auf die Gültigkeit der Erklärung getäuscht wurde. Keine von beiden Theorien kann praktisch ohne Einschränkungen durchgeführt werden. Das positive Recht wird in

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Allgemeiner Teil.

Rechtsgeschäfte.

der einen oder anderen Weise grundsätzlich Stellung nehmen, aber doch zugleich zu vermittelnden Vorschriften gedrängt sein. Das römische, wenigstens das klassische römische Recht stellt sich auf die Seite des Erklärenden: das Rechtsgeschäft ist nach römischem Recht wegen Willensmangel nichtig (es gilt die Willenstheorie), der andere hat den Schaden. Den neuzeitlichen verkehrsfreundlichen Rechtsanschauungen entspricht das nicht. Das B.G.B. §§ 119ff. hat darum eine abgeschwächte Erklärungstheorie: das Rechtsgeschäft ist gültig, es sei denn, daß der Erklärende unverzüglich nach Erkennen des Irrtums das Rechtsgeschäft anficht (d. h.'gegen das Rechtsgeschäft protestiert). Es- kann also nur der Irrende selbst (nicht auch der andere Geschäftsteil) und nur binnen kurzer Frist den Willensmangel geltend machen. Die Anfechtung erfolgt ferner auf eigene Kosten des Irrenden: dem entschuldbar auf das Geschäft trauenden Gegner muß das negative Geschäftsinteresse von dem Anfechtenden ersetzt werden (B.G.B. § 122). Auch die Fälle des Geschäftsirrtums sind Fälle der sogenannten culpa in contrahendo: der Erklärende Irrende) hat den Schaden·. L. 67 D. de 0 . et A. (44, 7) (POMPONIUS): In omnibus negotiis cohtrahendis sive bona fide sint sive non sint, si error aliquis intervenit, ut aliud sentiat puta qui emit aut qui conducit, aliud qui cum his contrahit, nihil valet, quod acti sit. L. 41 § 1 D. de contr. empt. (18,1) (JULIANUS): Mcnsam argento coopertam mihi ignoranti pro 6olida vendidisti imprudens: nulla est emptio pccuniaque eo nomine data condicetur. • Auf Entschuldbarkeit, oder Unentschuldbarkeit des Geschäftsirrtums kommt nichts an (es braucht also keine wirkliche culpa vorzuliegen), denn die FäUe des Geschäftsirrtums smd"„uncchte" Irrtumsfälle, d. h. es wirkt nicht der Irrtum als solcher, sondern der Mangel des nötigen Geschäftswillens. Auf Entschuldbarkeit des Irrtums kommt es nur in den seltenen „ochten" Irrtumsfällen an, d. h. in den Fällen, in denen der Irrtum als solcher ausnahmsweise rechtserheblich ist (z. B. als Voraussetzung der Ersitzung, des gutgläubigen Fruchterwerbs, der condictio indebiti) und galt für d i e s e Fälle im römischen Recht (nicht mehr nach B.G.B.) der Satz, daß Rechtsirrtum (error juris) grundsätzlich unentschuldbar und nur error facti entschuldbar sei (doch konnte Soldaten, Minderjährigen, Frauen, Ungebildeten Rechtsirrtum nachgesehen werden). — R. H e n l e , Vorstellungsund Willenstheoric in der Lehre von der juristischen Willenserklärurg, 1910.

§ 41.

Dter Tatbestand des Rechtsgeschäfts.

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II. Die Erklärung ist die Kundgebung des rechtsgeschäftlichen Willens. Der nicht kundgegebene Wille ist rechtlich bedeutungslos. Wirkliche Erklärung ist aber nur ein Verhalten, welches ein verständiger Beurteiler nach der jeweiligen Sachlage als Kundgebung eines rechtsgeschäftlichen Willens auffassen muß; von einem Dozenten, der auf dem Katheder zu Lehrzwecken die Worte einer Erbeinsetzüng rezitiert oder von zwei Schauspielern verschiedenen Geschlechts, die sich auf der Bühne vermählen, wird, niemand sagen, sie hätten ein Testament bzw. eine Eheschließung erklärt 7. Ebenso hat die Auslegung der Erklärung unter objektiver Würdigung aller Begleitumstände zu erfolgen, also z. B. bei wörtlichen Erklärungen zwar zunächst auf Grund des gemeinen Sprachgebrauchs, aber doch unter Rücksichtnahme auf den Sinn, welchen ein verständiger Mann unter den gegebenen Umständen in der Erklärung finden mußte, zu erfolgen (vgl. B.G.B. § 157): der objektive Sinn der Erklärung ist maßgebend8. Die Mehrzahl der rechtsgeschäftlichen Erklärungen ist empfangsbedürftig („einem anderen gegenüber abzugeben"), d. h.: die Kundgebung des Willens muß an einen bestimmten „anderen44, nämlich an den gegnerisch Beteiligten, gerichtet und diesem zugegangen sein (Beispiele: das Vertragsangebot, die Kündigung, die Aufrechnung). Nicht empfangsbedürftig ist dagegen z. B. die Errichtung eines Testaments. Einzelne Rechtsgeschäfte sind formbedürftig (z. B. das Testament): es ist eine bestimmte Form der Kundgebung vorgeschrieben, bei deren Nichtbeobachtung sie rechtlich nicht wirksam werden. Die meisten Rechtsgeschäfte sind heute dagegen formfrei: die Willenserklärung kann in beliebiger Form erfolgen. Es ist nicht einmal stets eine besondere auf Kundgebung gerichtete Handlung (ausdrückliche Willenserklärung) nötig; es kann 7

Es war darum ein verfehlter Gedankengang, wenn man in der gemeinrechtlichen Theorie noch vor wenigen Jahrzehnten die «obigen Vorgänge öfter als Beispiele der „wegen mangelnder Ernstlichkeit des Willens nichtigen Rechtsgeschäfte" angeführt hat. 9 D a η ζ , Die Auslegung der Rechtsgeschäfte, 3. Aufl. 1911, derselbe in Jherings Jahrb. Bd. 64, 8. I f f . Dazu S i b e r i n Krit. Vierteljahrsschr. 3. Folge, Bd. 13 (1911), S. 41 ff.

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

eine der Ausführung des Willens dienende Handlung (konkludente Handlung) genügen, die den Willen erschließen läßt (stillschweigende Willenserklärung). I I L Nichtigkeit und Anfechtbarkeit. Das nichtige Rechtsgeschäft ist ohne weiteres (ipso jure) für die gewollte Wirkung als nicht vorhanden zu beurteilen. Es liegt in ihm nur der äußere Schoin eines Rechtsgeschäfts vor 9. Die Nichtigkeit kann jedermann, den das, Geschäft angeht, geltend machen. Nichtig (absolut nichtig) ist das Rechtsgeschäft: 1. wenn es ihm an einer Voraussetzung zu seiner Rechtsgültigkeit fehlt; z. B. an der Geschäftsfähigkeit der es errichtenden Parteien, oder an einem Essentiale negotii (oben S. 212) oder an der zu seiner Gültigkeit vorgeschriebenen Form der Erklärung (oben S. 217) oder an dem Geschäftswillen der Parteien10; 2. wenn das Rechtsgeschäft unsittlich oder durch ein Gesetz verboten ist. ' Unsittlichkeit des Rechtsgeschäft* (z. B. Versprechen einer Belohnung für eine unsittliche Handlung) hat schlechtweg die Nichtigkeit zur Folge. Gesetzliches Verbot macht das Rechtsgeschäft nichtig, wenn das Gesetz (was im Zweifel anzunehmen ist) 11 die Nichtigkeit des verbotenen Rechtsgeschäfte will: lex perfecta. Doch kann das Gesetz eich darauf beschränken, anderweitige Rechtsnachteile, z. B. Strafe anzudrohen12: lex minus quam perfecta (ein Beispiel die Vorschrift des Trauerjahrs, unten § 87). • Wo nicht einmal dieser vorhanden ist, z. B. wo sich die „Erklärung" schon prima facie als eine Nichterklärung darstellt, wie bei den auf dem Theater gespielten Rechtsgeschäften, ist es falsch und heute nicht mehr üblich, von nichtigen Rechtsgeschäften zu reden. Vgl. S. 217. 10 In den Fällen des Geschäftsirrtums bewirkt jedoch der Wülensmangei nach unserem h e u t i g e n Recht (B.G.B.) keine Nichtigkeit, sondern bloUe Anfechtbarkeit, oben unter I. 11 Diese Auslegungsregel gilt übrigens noch nicht im älteren römischen Recht, sondern erst im späteren nach einem Gesetz von Theodosius I I . und ValentinianllL'v. J. 439 (Cod. 1, 14, 6, 1). Im vortheodosianischen Recht dagegen gilt das Prinzip: Ein verbotenes Rechtsgeschäft ist trotz des Verbotes gültig, wenn das Gesetz sein Verbot nicht durch eine ausdrückliche auf Nichtigkeitefolge lautende sanetio legis gesichert hat. Nur ein Verbotsgesetz mit solcher eanetio ist „lex perfecta". u Die Androhung der Rechtsnachteüe, welche ein Gesetz für den Fall

§ 41. Der Tatbestand des Rechtsgeschäfts.

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Eine Vorschrift, die für den Fall des Zuwiderhandelns weder Nichtigkeit noch Rechtsnachteile androht, ist eine lex imperfecta [ein Beispiel aus dem vorjustinianischen römischen Recht ist die lex Gincia de donis et muneribus (unten § 42 I I I ) ; eines aus dem heutigen die Vorschrift des H.G.B. §§ 61. 57 über die Art, wie der Bevollmächtigte des Kaufmanns eine von ihm im Namen des Kaufmanns ausgestellte Urkunde zu unterzeichnen hat]. Das a n f e c h t b a r e Rechtsgeschäft ist gültig, aber eine bestimmte Person (der Anfechtungsberechtigte) ist befugt, das Rechtsgeschäft zu entkräften, entweder sinit Vernichtungswirkung (das versteht man heute unter Anfechtbarkeit im engeren Sinn), so daß das angefochtene Rechtsgeschäft rückwärts, ex tunc, nichtig, „reszindiert44 wird (dazu diente im römischen Recht insbesondere die Erbittung der in integrum restitutio, unten § 120, heute die „Anfechtung44 des B.G.B.), oder mit bloßer Verpflichtungswirkung: der Gegner ist verpflichtet, die Wirkungen des angefochtenen Geschäfts durch Rückleistung für die Zukunft, cx nunc, zu beseitigen (dazu diente z. B. die römische actio doli, die actio quod metus causa, die actio Pauliana, unten §§ 42. 61) 1B . Die Anfechtung des B.G.B, erfolgt in der Regel durch bloße Anfechtungserklärung (dein Gegner wird erklärt, daß man das Geschäft nicht geltep lassen wolle) und ist eine Anfechtung mit Vernichtungswirkung, vgl. B.G.B. §§ 142 ff., während die Anfechtung unserer Konkursordnung und unseres Anfechtungsgesetzes eine Anfechtung mit bloßer Verpflichtungswirkung bedeutet, vgl. unton § 61. seiner Nichtbefolgung ausspricht, nennt man die „sanetio legis". Sie kann bei einem verbotenen Geschäfte auf Nichtigkeit desselben oder auf Bestrafung der es errichtenden Parteien oder einer derselben, endlich auch auf beides zugleich lauten (lex plus quam perfecta). 13 Die Anfechtungsmittel gehören, wie der Text ergibt, vornehmlich dem p r ä t o r i s c h e n Recht an. Die Anfechtbarkeit ist im römischen Hecht regelmäßig honorarischen, die Nichtigkeit regelmäßig zivilrechtlichen Ursprungs. Aber das gilt keineswegs durchweg. Es gab auch prätorische Nichtigkeit (vgl. M i t t e i s a. a. 0.), ebenso.gab es zivilrechtliche Anfechtbarkeit. Eine z i v i l r e c h t l i c h e Anfechtungsklage war die q u ο r ο 1 a i η ο f f i c i ο s i t e s t a m e n t ! , unten § 102.

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

§ 42. Beweggrund und Rechtegrund· I. Beweggrund ist die Vorstellung, welche den rechtsgeschäftlichen Willen hervorbringt. Er ist nur Entstehungsgrund, nicht Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Willens und ist deshalb auf die rechtliche Beschaffenheit des Willens ohne Einfluß: er beeigenschaftet den Rechtsgeschäftswillen n i c h t . Der Kaufwille ist der gleiche, mag ich das Buch kaufen, um es zu lesen oder um es einem anderen zu schenken. Der Beweggrund ist für die rechtliche Wirkung des Rechtsgeschäfts grundsätzlich gleichgültig: es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde durch das Rechtsgeschäft die Zwecke erreichte, welche er verfolgte. Falsa causa non nocet. Der Beweggrund und folgewéise auch der Irrtum im Beweggrund ist grundsätzlich unerheblich. Ausnahmsweise aber ist der Beweggrund dennoch von rechtlicher Bedeutung, und zwar einmal in den oben (§ 41) bereits besprochenen Fällen des error in qualitate und des error in substantia, sodann in den jetzt zu besprechenden Fällen des metus und des dolus. a) Der Fall des metus ist der Fall eines durch (erhebliche) Drohung erzwungenen Rechtsgeschäfts. Die Drohung (sogenannte vis compulsiva, im Gegensatz zum körperlichen Zwang1, der sogenannten vis absoluta) war auf den Abschluß dieses Rechtsgeschäfts gerichtet, z. B. "äuf die Eigentumsübertragung oder auf die Ausstellung eines Zahlungsversprechens. In 1

Dieser Fall wird praktisch überaus selten sein. Das in früheren Zeiten beliebte Schulbeispiel des gewaltsamen Führens der Hand zur Unterschrift hat einmal keine lebendige Bedeutung und paßt dann überhaupt nicht her; denn es ist, sobald ein derartiger Sachverhalt aufgedeckt ist, ersichtlich, daß der so Überwältigte eben gar keine Willenserklärung' abgegeben hat (vgl. § 41 II), also nicht einmal der Schein eines Rechtsgcschäftes vorliegt. Eher dürften Fälle der sog. posthypnotischen Suggestion hierher zu stellen sein. In diesen, in den römischen Quellen natürlich noch nicht besprochenen Fällen tritt nach B.G.B. § 106 I I zweifellos Nichtigkeit des Geschäfts ein und ebenso wäre nach dem gemeinen Recht zu entscheiden, weil das Opfer der Ilypnose doch zweifellos, solange diese nachwirkt, einem furiosus oder demens (unten § 44 I) gleichgestellt werden muß. In dem Fall dagegen, dalTjemandem die Hand zur Unterschrift geführt würde, wird man nicht einmal von Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts sprechen.

§ 42. Beweggrund und Rechtsgrund^

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solchem Falle ist das Rechtsgeschäft nach römischem Zivilrecht gültig und voll wirksam zustande gekommen (quamvis si liberum esset noluissem, tarnen coactus volui, D. 4, 2, 21, 5); der Prätor aber gibt dem Bedrohten Rechtsmittel, um die Wirkungen des erzwungenen Rechtsgeschäfts zu beseitigen: die actio quod metus causa (als Deliktsklage gegen den Drohenden auf Ersatz, unten ••*§ 74, andererseits als actio in rem scripta auf Rückleistung gegen jeden, der aus dem erzwungenen Rechtsgeschäft einen Erwerb ableitet, unten § 115) und die exceptio quod metus causa (eine Einrede, falls ich aus dem Rechtsgeschäft verklagt werde). Auch kann propter metum die in integrum restitutio (§ 120) erbeten werden. L . 1 pr. D. quod met. c. ( 4 , 2): Ait praetor: QUOD METUS CAUSA GESTUM ERIT, RATUM NON H A B E B O .

L. 1 4 § 3 D. eod. (ULPIAN): In hac actione non quaeritur, utrura is, qui convenitur an alius metum fecit: sufficit enim hoc docere, metum sibi illatum vel vim, et ex hac re eum, qui convenitur, etsi crimine caret, lucrum tarnen sensisse (Wesen der actio in rem scripta)2. b) Der Fall des dolus ist der Fall des durch absichtliche Täuschung (Betrug) seitens des Vertragsgegners hervorgebrachten Rechtsgeschäfts. Der eine Vertragsteil ist durch den anderen betrogen worden. Auch in solchem Fall war das Rechtsgeschäft nach Zivilrecht gültig und voll wirksam, aber der Prätor gab gegen den Betrüger Rechtsmittel, um die Wirkungen des Rechtsgeschäfts aufzuheben: die (jedoch nur subsidiär, 'wenn keine andere Klage zuständig ist, gestattete) actio doli (nur gegen den Betrüger selbst, nicht gegen den Dritten, welcher aus dem Geschäft einen Vorteil hat), um allen Schaden aus dem' Geschäft ersetzt zu verlangen (wozu nach Umständen auch das Rückgängigmachen des Geschäfts gehören kann) und die exceptio doli, um sich gegen die Klage 1 Das B.G.B, gibt propter metum: 1. ein die römische in integrum restitutio ersetzendes Anfechtungsrecht (§ 123. 124); 2. einen der deliktiseben actio quod metus causa entsprechenden Rückleistungs- und Ersatzanspruch gegen den Drohenden (§ 823, 2. 826); 3. eine Einrede (§ 863). Die actio in rem scripta propter metum ist dem B.G.B, unbekannt. Aber das Anfechtungsrecht geht in rem gegen das Rechtsgeschäft als solcheä, auch wenn es nicht mit dem Drohenden selber abgeschlossen ist.

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

des Betrügers (oder seines Rechtsnachfolgers) aus dem Geschäft zu verteidigen. Auch gibt es eine in integrum restitutio propter dolum (§ 120)». L. 1 § 1 D. de dolo (4, 3): Verba autem edicti talia sunt: DOLO MALO FACTA ESSE DTCENTUR,

QUAE

SI D E H I S REBUS A U A ACTIO NON

ERIT E T JUSTA CAUSA ESSE VIDEBITUR, JUDICIUM DABO.

II. Rechtsgrund (juristische causa). 1. Davon spricht man bei vermögensmindernden ( = Zuwendungs-) Geschäften, mögen dies Verfügungs- oder Verpflichtungsgeschäfte sein (z. B. Übereignung einer Sache, Forderungsabtretung, Schulderlaß, Eingehung einer abstrakten (unten § 69 IV) Stipulationsechuld. Niemand macht einem anderen eine Zuwendung, ohne damit einen bestimmten juristischen Zweck (den man „causa" nennt) zu verfolgen. Man unterscheidet herkömmlich drei Kategorien von Causae4: die causa donandi (es ist Schenkung, s. unten I I I , bezweckt), die causa sol* Auch das B.G.B, gibt propter dolum drei Rechtsmittel: 1. das Anfechtungsrecht, und zwar nur in personam (gegen den Betrüger und gegen den doli particeps) bei empfangsbedürftiger WUlenserklärung, aber in rem (gegen jeden, der den Vorteil hat) bei Anfechtung einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung (Beispiel für das letztere: durch Täuschung bin ich zu einem Erbschaftsantritt bestimmt worden) (§ 123. 124); 2. einen deliktischen Ersatzanspruch gegen -den Betrüger (§ 823, 2. 826); 3. eine Einrede gegen den Betrüger bzw. dessen Rechtsnachfolger (§ 853). — Sowohl für die Fälle des metus wie die des dolus gilt nach B.G.B.: 1. Die Anfechtung (welche das durch Drohung, durch Täuschung hervorgebrachte Rechtsgeschäft vernichtet) erfolgt auf Kosten des Gegners (keine Ersatzpflicht des Anfechtenden, auch nicht wenn die Anfechtung in rem geht). 2. Die Anfechtung braucht nicht, wie in den Fällen des Geschäftsirrtums (s. oben § 41), unverzüglich zu erfolgen; das Anfechtungsrecht besteht ein Jahr lang. 3. Der deliktische Ersatzanspruch verjährt in drei Jahren (§ 852). 4. Die Einrede ist unverjährbar (§ 853). — Auch der Geschäfteirrtum (z. B. der Irrtum über den Inhalt einer von mir unterschriebenen Urkunde, der Irrtum über wesentliche Eigenschaften) kann durch Täuschung erzeugt sein. Dann stehen dem Irrenden auch die stärkeren Rechtsbehelfe auf Grund der Täuschung zu Gebote. 4 Die daneben mitunter noch genannte „dotis causa'1 ist nur ein Unterfall der causa credendi. Selbständigere Bedeutung hat die „Causa implendae condicionis"; es ist z. B. jemand zum Erben eingesetzt unter der aufschiebenden Bedingung, daß er einem Dritten eine Zuwendung macht; diese bedeutet dann im Verhältnis zwischen dem Eingesetzten und dem Dritten weder ein donandi causa datum, weil der Geber nicht unentgeltlich gibt, noch auch ein solvendi causa datum, denn der Dritte hat auf sie keinen Rechtsauspruch.

§ 42. Beweggrund und Rechtsgrund

vendi (eine schon vorhandene Schuld soll erfüllt werden) und die causa credendi (es wird z. B. eine Geldsumme darlehensweise übereignet). Die Causa ist nicht ein bloßer rechtlich gleichgültiger Beweggrund (s. oben I) des Rechtsgeschäfts. Durch sie gewinnt vielmehr die im Geschäft enthaltene Vermögenszuwendung «rst ihre rechtliche Tragweite: ihre Rückwirkung auf daa Vermögen der Beteiligten wird erst durch sie bestimmt. Ob übereignetes Geld zurückzuzahlen ist oder ohne Gegenleistung behalten werden darf, oder ob dafür ein Schuldposten des Zahlers vom Empfänger zu streichen ist, weiß man nur, wenn man den Rechtsgrund der Übereignung (Darlehen, Schenkung, Zahlung) kennt. 2. Welche Causa dem Zuwendungsgeschäft zum einzelnen Fall zugrunde liegt, bestimmt sich nach der Absicht der Parteien. Diese Absicht setzt ihre Einigung über die Causa voraus, also einen Vertrag 6 ; er kann sich mit dem Rechtsgeschäft, durch welches die Zuwendung erfolgt, verbinden, ihm aber auch vorausgehen oder nachfolgen. Immer jedoch ist er ein neben der Zuwendung stehendes zweites Rechtsgeschäft, kein bloßer Bestandteil des Zuwendungsgeschäfte. Nur die reinen Zuwendungsgeschäfte haben diese Eigentümlichkeit, daß sie durch einen außerhalb des Geschäftsinhalte liegenden und doch über Art und Wirkung des Geschäfts entscheidenden rechtserheblichen Grund bestimmt sind. Alle anderen Rechtsgeschäfte, vor allem die sämtlichen Rechtsgeschäfte des Personenrechts (z. B. Eheschließung, Annahme an Kindes Statt, Testament) und ebenso die nicht rein zuwendenden Rechtsgeschäfte des Vermögensrechts, z. B. alle zweiseitig verpflichtenden Verträge (Kauf, Miete, Auftrag usw.) haben keinen vom Geschäftinhalt 6 Man nennt ihn oft Kausalgeschäft, übergibt der Verkäufer dem Käufer die gekaufte Sache zu Eigentum, so ist die Übereignung (das Veräußerungsgeschäft der Tradition) das Zuwendungsgeschäft; Kausalgeschäft ist die Einigung darüber, daß diese Zuwendung erfüllungshalber (solvendi causa) geschieht (der Erfüüungsvertrag, vgl. unten § 78 I 2). Der gewöhnliche Sprachgebrauch nennt in solchem FaU ungenau auch den Kauf Kausalgeschäft, d. h. er bezeichnet als Kausalgeschäft auch das V e r p f l i c h t u n g s geschäft, welches (in der Mehrzahl der Fälle) dem Erfüllungsvertrag und damit auch dem Zuwendungsgeschäft (Verfügungsgeschäft) zugrunde liegt.

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

sich unterscheidenden Rechtsgrund. Ihr Inhalt ist zugleich ihr Rechtsgrund. Rechtsgrund, d. h. rechtlich erheblicher Zweck, z. B. des Kaufes, ist immer lediglich: Austausch von Ware und Preis, d. h. der Inhalt des Kaufes. 3. Abstrakte und kausale Zuwendungsgeschäfte. Es kommt vor, daß der von den Parteien einer Zuwendung zugrunde gelegte Rechtsgrund nicht zutrifft. Sei es, daß eine gültige Einigung über ihn nicht zustande gekommen ist, z. B. wegen Mißverständnissen — ich will dir Geld leihen, du nimmst es entgegen in der Meinung, daß es geschenkt sein soll —, oder sei es, daß der richtig vereinbarte Rechtsgrund aus objektiven Gründen hinfällig ist — z. B. ich will dir eine von uns beiden vermeinte Schuld bezahlen, diese besteht aber in Wahrheit gar nicht. In beiden Fällen hat die Zuwendung keinen Rechtsgrund; es erhebt sich die Frage, ob sie wegen dieses Mangels hinfällig wird oder ihm zum Trotz gültig ist. Wo eine Rechtsordnung das erstere bestimmt, nennt man die Zuwendung ein kausales (d. h. vom Vorhandensein einer Causa abhängiges) Rechtsgeschäft; im entgegengesetzten Fall bezeichnet man sie als abstraktes Geschäft. Verfügungsgeschäfte sind im römischen Recht stets abstrakt, da dieses die Einigung über die Causa nicht als Bestandteil des Verfügungsgeschäfte ansieht. Abstrakt ist ferner (im klassischen Recht: unten § 69, IV) auch das einseitige Verpflichtungsgeschäft der Stipulation. Daß umgekehrt die gegenseitigen Verpflichtungsgeschäfte (z. B. Kauf, Miete usf.) kausalen Charakter in sich selbst tragen, wurde soeben bemerkt. Wo ein Zuwendungsgeschäft trotz Mangels dès gewollten Rechtsgrundes doch abstrakte Gültigkeit hat, tritt zunächst ein ungerechter Erfolg ein; z. B. ist bei Zahlung einer nur vermeintlichen Schuld, da das abstrakte Zuwendungsgeschäft der Eigentumsübertragung als gültig angesehen wird, der vermeintliche Gläubiger um den gezahlten Betrag grundlos bereichert. Die Rechtsordnung korrigiert diesen Übelstand, indem sie dem Zahler ein Forderungsrecht (condictio indebiti) auf Rückstellung des grundlos Gezahlten (§ 72 I, 2) gewährt® bzw. wenn die grundlose Zuwendung in Eingehung einer • Nur muß dieser hierbei nach den allgemeinen Grundsätzen der Condictio

§ 42. Beweggrund und Rechtsgrund

abstrakten Verpflichtung bestand, durch Gewährung einer Klage auf Erlaß der grundlosen Verpflichtung und, wenn aus dieser bereits Klage erhoben ist, durch Zulassung einer „exeptio doli44 gegen die Klage (§ 69 IV). Von den verschiedenen Kausalgeschäften des Privatrechts, von der causa credendi, solvendi, auch der Dosbestellung wird an verschiedeneir Stellen des besonderen Teils gehandelt: dort, wo die Interessen auftreten, aus denen diese Rechtsgründe hervorgehen. Nur von der Schenkung soll an dieser Stelle die Rede sein. Die causa donandi hat zu keinen bestimmten Sonderinteressen Beziehung. Darum erscheint sie hier im allgemeinen Teil: die Lehre von der Schenkung dient damit auch dazu, um die allgemeine Lehre von der juristischen causa wie an einem Beispiel zu erläutern. III. Schenkung (donatio) ist die Vermögenszuwendung aus Freigebigkeit, d. h. lediglich um der Bereicherung des Empfängers willen. Vermögenszuwendung liegt nur vor bei gewillkürter Vermögensminderung (pauperiorem fieri) auf der einen, Vermögensmehrung (locupletiorem fiere) auf der anderen Seite. Der bloße Verzicht auf eine Erwerbsmöglichkeit (z. B. Ausschlagung einer' Erbschaft, eines Vermächtnisses zugunsten eines anderen), ist keine Schenkung: es fehlt die Vermögensminderung. Ebenso ist Verpfändung keine Schenkung: es fehlt die Vermögensmehrung. Die Vermögenszuwendung kann geschehen durch Rechtsgeschäft (Vertrag) mit dem Beschenkten: durch Verfügungsgeschäft (z. B. dando, Veräußerungs ver trag; liberando, Erlaßvertrag) oder durch Verpflichtungsgeschäft (promittendo, Schenkungsversprechen)7. Sie indebiti (§ 72 I 2) seinen bei der Zahlung vorhanden gewesenen I r r t u m über das Bestehen der Schuld beweisen. 7 Das Schenkungs v e r s p r e c h e n bedeutet eine noch nicht r e a l i s i e r t e Schenkung (es kann darum die Erfüllung einer dem Beschenkten gemachten Auflage noch nicht gefordert werden); aber es ist juristisch bereits eine Schenkung, nämlich die eines Forderungsrechts auf künftige Leistung begründet; juristisch präziser würde man das Geschäft also umgekehrt als V e r a p r e c h e n s s c h e n k u n g bezeichnen müssen. Der Schcnkversprecher haftet nur für dolus und culpa lata, zahlt keine Verzugszinsen und hat das beneficium compotentiae, und zwar unter Berücksichtigung seiner sonstiger

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kann auch geschehen ohne Vertrag mit dem Beschenkten, etwa durch Geschäft mit einem Dritten, nämlich durch unentgeltliche negotiorem gestio für den Beschenkten: der Onkel bezahlt ζ. Β animo donandi die Schulden des Neffen, oder er übernimmt sie durch Schuldvertrag mit dem Gläubiger (Schuldübernahme, cxpromissio, unten § 69). Ja, es ist möglich, daß die Vermögenszuwendung überhaupt durch kein besonderes Rechtsgeschäft, sondern lediglich mittelbar durch günstigen Inhalt eines entgeltlichen Rechtsgeschäfts gemacht wird (negotium mixtum cum donatione: eine Sache, die zehn wert ist, wird schenkungshalber für fünf verkauft) 0. Oder auch die Zuwendung erfolgt durch tatsächliche Maßnahmen des Zuwendenden, die das Vermögen des Beschenkten ohne7 dessen Wissen und Willen vermehren, ζ. B. Aufführung eines Baues auf seinem Boden (inaedificatio, unten § 53 III). Immer aber, auch wenn die Zuwendung ohne Vertrag bzw. ohne besonderen Vertrag mit dem Beschenkten zustande kommt, bedarf doch die Schenkung (das Kausalgeschäft) der Annahme durch den Beschenkten: wie nach römischem (vgl. ζ. Β. 1. 18 D. 12,1), so auch nach heutigem Recht (B.G.B. § 616). Ich kann zwar ohne meinen Willen bereichert, aber nicht ohne meinen Willen beschenkt werden. Ist die Zuwendung (die Bereicherung) ohne meinen Willen vollzogen (es hat jemand meine Schulden bezahlt), so kann ich doch die Schenkung ablehnen. Die Zuwendung wird durch Ablehnung der Schenkung nicht notwendig vereitelt bzw. nicht rückgängig, aber sie ist bei mangelnder Einigung über den Schenkungszweck eine Zuwendung sine causa (ohne „rechtlichen Grund"), d. h. eine Zuwendung ohne gültiges Kausalgeschäft. Es fehlt das der Zuwendung bestimmte rechtliche Art und damit zugleich bestimmte rechtliche Wirkung Schulden (vgl. unten § 119 Anm. 5). Wie dos romische Recht, so im wesentlichen auch das B.G.B. § 619 ff. Während aber nach justinianischem Hecht das Schenkungsversprechen (bis zu einem gewissen Betrag, s. n. 2) formlos gültig ist, hat das B.G.B. } 518 die Form Vorschrift: das Schenkungsv e r e p r e c h e n bedarf, ohne Rücksicht auf seinen Betrag, der gerichtliehen oder notariellen Beurkundung. β Vorausgesetzt wird dabei, daß die Begünstigung einen bestimmten Vermögenswert hat und (was eich aus dem im Text sofort Folgenden ergibt) beide Parteien über sie einig sind.

§ 42. Beweggrund und Rechtsgrund

verleihende Zweckgeschäft. Ich bin zur Rückgängigmachung der Zuwendung durch Rückleistung (gegen mich geht die condictio eine causa, unten § 72 I, 5) verpflichtet und zugleich berechtigt. Inùner gehört zur Schenkung ein Vertrag. Schenkung ist ein unwirtschaftliches Geschäft Darum wird sie . von Rechts wegen nicht begünstigt. Schon die lex Cincia de donis et muneribue (204 v. Chr.) verbot übermäßige Schenkungen (das Maß ist uns unbekannt) und nahm nur gewisse Personen (exceptae personae) von dem Verbot aus: so den Ehegatten, nahe Verwandte und Verschwägerte. Aber die lex Gincia war eine lex imperfecta: es fehlte die Sanktion eines Rechtsnachteils. Die übermäßige Schenkung blieb nach Zivilrecht vollgültig. Das prätorische Recht griff jedoch ein. Solange die Zuwendung noch nicht in jeder Hinsicht rechtlich realisiert war, so daß der Beschenkte zu dieser Realisierung noch gerichtlicher Hilfe bedurfte (es lag z. B. nur erst ein Schenkungeversprechen vor, oder es war die res maneipi zwar manzipiert, aber noch nicht tradiert worden), konnte der Schenker die übermäßige Schenkung entkräften: gegen die Klage aus dem Schenkungsversprechen, gegen die rei vindicatio des Manzipationserwerbers gab der Prätor exceptio legis Cinciae. Ja, bei Mobilien konnte der Schenkgeber durch das interdictum utrubi (unten § 49 IX) sich den Besitz der schon voll veräußerten Sache zurückverschaffen, solange er nach dessen besonderen Voraussetzungen im Prozeß über Mobiliarbesitz zu schützen war. War aber die Schenkung rechtsgültig vollkommen vollzogen (donatio perfecta), lag also z. B. Eigentumserwerb und Erwerb rechtlich unangreifbaren Besitzes auf Seiten des Empfängers vor, so blieb es bei der Vollgültigkeit auch der übermäßigen Schenkung. Das gleiche galt in spätklassischer Zeit, wenn der Schenker gestorben war, ohne gegen die Schenkung vorgegangen zu sein: der Erbe konnte, wie ein Reskript von Caracalla bekräftigte, die lex Cincia nicht mehr geltend machen (seine exceptio legis Cinciae ward durch replicatio doli entkräftet, vgl. Fr. Vat. §§ 294. 312). „Morte Cincia removetur". Noch das Recht der ganzen klassischen Zeit steht auf dem Boden der lex Cincia9. Erst mit Conetantiue 9

Ober die schwierigen, an die lex Cincia sich knüpfenden geschichtlichen Fragen vgl. M i t t e i s , Rom. Privatr., Bd. 1, S. 153ff.

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Chlorus (Ende des 3. Jahrhunderts) setzt die spätere Kaisergesetzgebung über die gerichtliche Insinuation der Schenkung ein, welche die Grundlage des justinianischen Rechts bildet. Im j u s t i n i a n i s c h e n Recht gelten für die Vermögenszuwendung, welche schenkungshalber gemacht wird, um dieses Rechtsgrundes willen, folgende Rechtssätze: 1. Verboten und nichtig ist die Schenkung unter Ehegatten (vgl. § 83 a. E.). Das galt schon nach klassischem Recht (noch nicht aber nach der lex Cincia, welche vielmehr den Ehegatten zu den exceptae personae zählte)10. Im B.G.B, ist das Verbot der Schenkung unter Ehegatten verschwunden. 2. Die Schenkung bedarf, wenn sie 500 solidi (nach gemeinem Pandektenrecht = 4666 Mk. und 67 Pf.) überschreitet, zur Gültigkeit für das Mehr der gerichtlichen Insinuation, d. h. der Erklärung des Schenkungswillens vor Gericht. Auch dieser Rechtssatz ist dem B.G.B, unbekannt. Das B.G.B, unterscheidet vielmehr zwischen der vollzogenen und der nur erst versprochenen Schenkung. Nur das Schenkungsversprechen ist als solches formbedürftig (vgl. Anm. 7); die vollzogene Schenkung ist gültig ohne Rücksicht auf ihre Höhe. 3. Das Geschenkte kann wegen groben Undankes (Lebensnachstellung; grobe Injurien) zurückgefordert werden. So auch nach B.G.B. § 530. Die mortis causa donatio, d. h. die Schenkung, welche erst dadurch endgültig wird, daß der Beschenkte den Schenkgeber überlebt, steht in bezug auf die namhaft gemachten Rechtssätze und auch noch in mancher anderen Hinsicht nicht unter Schenkungsrecht, sondern unter Vermächtnisrecht (§ 107). Auch die r e m u n e r a t o r i s c h e Schenkung (z. B. an den Lebensretter) steht nicht unter Schenkungsrecht (kann nicht 10

Wahrscheinlich ist das Verbot eingeführt durch eines der augusteischen £hegesetze. Daß die Digesten 24, 1, 1 pr. es auf Gewohnheitsrecht zurückführen, wird Interpolation sein, da die augusteischen Ehegesetze in der Hauptsache schon im 4. Jahrhundert aufgehoben worden sind. Diese Herkunft des Verbots gezeigt zu haben, ist das Verdienst von A 1 i b r a n d i , Ricerche sulla origine del· devieto etc. (1892), jetzt neu abgedruckt in dessen Opere giuridiche raccolte 1, 695 ff.

§ 4.

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wegen Undanks widerrufen werden, bedarf nach römischem Recht keiner Insinuation), sondern wird der Erfüllung einer Verbindlichkeit gleich behandelt (ebenso B.G.B. § 534). Dagegen steht die Schenkung unter einer Auflage (donatio sub modo, vgl. § 43), allerdings unter Schenkungsrecht: sie ist Schenkung, wenngleich der Wert der Schenkung durch die Auflage gemindert ist. L. 1 pr. D. de donat. (39, 5) (JULIAN): Donationes complures sunt. Dat aliquis ea mente, ut statim velit accipientis fieri, nec ullo casu ad se reverti, et propter nullam aliam causam facit, quam ut liberalitatem et munificentiam exerceat: haec proprie donatio appellatur. § 43. Die Klauseln des Rechtegeschäfts· Die normalen Wirkungen des Rechtsgeschäfts können durch Nebenberedungen der Parteien eine Umgestaltung erfahren. Darin besteht das Wesen des klausulierten Rechtsgeschäfts. Drei Arten von Klauseln (accidentalia negotii, oben § 40) sind von besonderer Bedeutung: Bedingung (condicio), Termin (dies) und Auflage (modus). I. Die Bedingung ist eine zukünftige ungewisse Tatsache, von deren Eintritt durch Parteiwillkür die Wirkung des Rechtsgeschäfts abhängig gemacht ist: entweder der Beginn der Wirkung (aufschiebende Bedingung, Suspensivbedingung) oder die Beendigung der Wirkung (auflösende Bedingung, Resolutivbedingung). Mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung treten die normalen Wirkungen des Rechtsgeschäfts ipso jure (von selber) ein. Mit Eintritt der auflösenden Bedingung hören die normalen Wirkungen des Rechtsgeschäfts ipso jure auf. Das aufschiebend bedingte Rechtsgeschäft bedeutet die Vorauserklärung des Geschäftswillens für einen künftigen ungewissen Fall. Das Geschäft ist geschlossen und bindet darum sofort, schon vor Eintritt der Bedingung: vereitelt eine Partei in Widerspruch mit dem Geschäftsschluß (wider Treu und Glauben) die Bedingung, so gilt die Bedingung als eingetreten1; 1

L. 161 D. de R. J. (50, 17): I n jure civili receptum est, quotiens per euro, cujus interest condicionem non impleri, fiat quominus impleatur, perinde haberi ac ei impleta condicio fuisset. Ebenso B.G.B. § 162.

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vereitelt ßie ßchuldhaft das gegnerische Recht (z. B. durch Vernichtung der bedingt verkauften Sache), so ist sie bei Eintritt der Bedingung zu Schadensersatz verpflichtet. Aber während schwebender Bedingung (pendente condicione) hat das aufschiebend bedingte Geschäft nur diese BindungsWirkung2, nicht die seinem Inhalt zukommende Geschäftswirkung: das bedingte Verpflichtungsgeschäft erzeugt noch keine Schuld (çondern nur eine spes debitum iri), das bedingte Verfügungsgeschäft (z. B. bedingte Veräußerung) noch nicht die gewollte Rcchtsänderung (keinen Eigentumsübergang usf.). Erst mit Erfüllung der Bedingung (existente condicione) tritt die Geschäftswirkung (Schuld, Eigentumsübergang usw.) ipso jure ein: für die Zukunft (ex nunc), also ohne Rückwirkung3 (so auch nach B.G.B. §§ 158. 159), so daß Zinsen und Früchte der Schwebezeit im Zweifel dem Zwischenberechtigten bleiben. Aber die Geschäftswirkung tritt ipso jure ein, vermöge des damals (bedingt) geschlossenen Geschäfts. Wenn daher der bedingt Verfügende während, der Schwebezeit eine widersprechende unbedingte Verfügung getroffen haben sollte (etwa durch Verpfändung der bedingt veräußerten Sache oder durch nochmalige Abtretung der bereits bedingt abgetretenen Forderung an einen Dritten), so wird nach Eintritt der Bedingung die unbedingte Zwischenverfügung durch die ältere bedingte Verfügung entkräftet. Das Recht des Sondernachfolgers (zu dessen Gunsten während der Schwebezeit verfügt wurde) ist, ebenso wie das Recht seines Auktors, ein „rcvokables", von der Bedingung abhängiges, in seiner Daseinskraft bereits während schwebender Bedingung geschwächtes Recht: resoluto jure dantis 1

Vgl. B.G.B. $ 160, wo der allgemeine Grundsatz ausgesprochen ist Das römische Recht hat entsprechende Einzelentscheidüngen, z. B.: die rri vindicatio des bedingt Veräußernden kann der Erwerber, drm die Sache bereits übergeben war, während schwebender Bedingung durch exceptio doli (wegen Gefährdung eines künftigen Rechtserwerbs) entkräften, 1. 7 § 3 D. de jure dot. (23, 3). * Daß dies der Standpunkt des römischen Rechts ist, stellt außer Zweifel M i 11 e i s , Rom. Privatr., Bd. 1, S. 172 ff. — Über die theoretische Auffassung H c 11 w i g , Grenzen der Rückwirkung (Festschr. für die Univ. Gießen) 1907. S i b e r in der Krit. Vierteljahrsschr., 3. Folge, Bd. 13 (1911), S. 57 ff.

§ 4.

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resolvitur ctiam jus accipicntis. Anders natürlich, wenn die Bedingung ausfällt: bei Ausfall der Bedingung (deficiente condicione) hat das aufschiebend bedingte Geschäft endgültig keine Wirkung. Das auflösend bedingte Rechtsgeschäft bedeutet die Vorauserklärung der Entkräftung des Geschäftewillens für einen künftigen ungewissen Fall. Daß solche Klausel möglich sei, hat sich im römischen Recht erst allmählich durchgesetzt Die ältere Zeit ließ die auflösende Bedingung nur bei Verpflichtungsgeschäften zu, und zwar nur bei den formlosen, frei zu beurteilenden bonae fidei negotia, wie z. B. dem Kauf. Bei diesem waren folgende drei Arten der auflösenden Bedingung häufig: das pactum displicentiae (Kauf auf Probe, mit vorbehaltenem Rücktrittsrecht des Käufers nach gemachter Probe, D. 18, 5, 6); die in diem addictio (Vorbehalt des besseren Angebote; besseres Angebot eines Dritten macht Kauf und Veräußerung rückgängig, D. 18, 2, 1); die lex commissoria (Verfallklausel: bei nicht rechtzeitiger Leistung des anderen Teils erlischt zu seinen Lasten der Vertrag (D. 18, 6, 1, 2) 4 5 . Den zivilrechtlichen Verpflichtungegeschäften strengen Rechts (stricti juris negotia) konnte keine das Geschäft auflösende Bedingung beigefügt werden. Die Stipulation ward (soviel wir sehen können) durch auflösende Bedingung ungültig (während einer aufschiebenden Bedingung nichts im Wege stand): der formal erklärte Geschäftswille konnte zwar in seiner Wir4

Es gibt eine lex commissoria des Sachenrechts (das Eigentum des Schuldners an der Pfandsache soll bei NichterfüUung verfallen sein), die nach späterem Kaiserrecht ungültig ist (unten § 60). Hier handelt es sieh um die lex commissoria des Schuldrechts (die Rechte des Schuldners aus dem Kontrakt, auch seine etwa geleisteten Zahlungen sollen bei NichterfûUung verfallen sein, falle der Gläubiger von der lex commissoria Gebrauch macht). * Über die Entwicklungsgeschichte der auflösenden Bedingung M i 11 β i β, Rom. Privatr., Bd. 1, 8.178 ff., dessen Ergebnisse dem Text zugrunde liegen. — Das B.G.B, behandelt den Kauf auf Probe im Zweifel als aufschiebend bedingt (§§ 496. 496); die schuldrechtliche lex commissoria begründet nur ein Rücktrittsrecht, dessen Ausübung b e i d e Teile zur Rückleistung des Empfangenen verpflichtet (§ 360 mit 346); über den Vorbehalt besseren Angebots hat das B.G.B, keine Sondervorschrift: es entscheidet der Tatbestand des Einzelfalls.

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kung suspendiert, aber nicht im voraus eventuell zurückgenommen werden. Für die Verfügungsgeschäfte, insbesondere die Eigentumsveräußerung, schloß das Zivilrecht vollends die auflösende Bedingung aus: Eigentum auf Zeit war dem Zivilrecht ein Widerspruch in sich selbst. So wurden von den älteren Juristen die auflösenden Bedingungen des Verkehrs (in diem addictio, lex commissoria) für die Eigentumsveräußerung in aufschiebende Bedingungen umgedeutet (der Käufer erwarb dingliches Recht erst, wenn die auflösende Bedingung ausgefallen war). Julian hat als Erster die in diem addictio als a u f l ö s e n d e Bedingung auch für den dinglichen Rechtserwerb behandelt: er gibt dem Käufer sofort eine dingliche Rechtsstellung (Usukapionsbesitz und Fruchtrecht), die aber mit Eintritt der Resolutivbedingung ipso jure erlischt (1. 2 § 4 D. 41, 4). Seitdem hat die Möglichkeit, auch die dingliche Rechtszuwendung unter auflösende Bedingung zu stellen, im römischen Recht Anerkennung gefunden8: das resolutivbedingte dingliche Recht ist „revokabel" und fällt mit Eintritt der Bedingung ipso jure weg7, aber ohne Rückziehung (die Früchte der Zwischenzeit bleiben im Eigentum des Zwischenberechtigten; Vereinbarung der Rückziehung hat nur obligatorische Wirkung, ebenso wie heute nach B.G.B. §§ 158, 2. 159)8. Die Erinnerung aber an die der Resolutivbedingung widerstrebende ältere Zeit hat der römische Sprachgebrauch bewahrt, sofern er als condicio schlechtweg nur die aufschiebende Bedingung bezeichnet (1. 2 § 3. 4 D. 41, 4; 1. 2 pr. D. 18, 2), wie denn auflösende Bedingungen außer den erwähnten Anwendungsfällen im Corpus juris nur höchst selten erwähnt werden. Besonderes gilt für die Potestativbedingung, d. h. die Bedingung, deren Erfüllung in der Willkür des bedingt Berechtigten liegt, z. B. Titius heres esto si Capitolium ascenderit 9 Ober die dabei zu fiberwindenden technischen Schwierigkeiten M i t t e i s a. a. 0. S. 183ff. 1 Ebenso das von dem erlöschenden Recht abgeleitete Sachenrecht, 1. 4 § 3 D. 18, 2: pure vendito et in diem addicto fundo, si melior condicio allata sit, rem pignori. esse desinere, si emptor eum fundnm pignon dedisset« Auch hier gilt der Satz: resoluto jure dantis usw., oben S. 230 f. • M i 11 e i s S. 190.

§ 4.

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(Gegensatz die condicio casualis, auf deren Erfüllung er keinerlei Einfluß üben kann; Mittelding zwischen beiden die condicio mixta, zu deren Erfüllung der bedingt Berechtigte nur mitzuwirken hat). Die einer letztwilligen Verfügung beigefügte Potestativbedingung muß nach dem Tode des Testators und im Hinblick auf die Verfügung erfüllt werden. Die einer letztwilligen Verfügung beigefügte negative Potestativbedingung (si Capitolium non ascenderit) kann durch Bestellung der cautio Muciana erfüllt werden (unten

§ 101).

Keine Bedingungen im Rechtssinne sind die condiciones juris oder tacitae (diejenigen Voraussetzungen, welche schon aus dem Begriff des Rechtsgeschäfts sich ergeben, z. B. der Tod des Testators vor dem eingesetzten Erben), ferner die condiciones in praesens vel in praeteritum relatae, die unmöglichen und die notwendigen Bedingungen. Hier tritt niemals der Zustand der gewillkürten Ungewißheit ein, welche das Eigentümliche des bedingten Rechtsgeschäfts ausmacht. Die Rechtssätze von den Bedingungen finden deshalb keine Anwendung. Fällt eine condicio juris aus, so gelten die Rechtssätze von einem Mangel in den Voraussetzungen dieses Rechtsverhältnisses. Die aufschiebende unmögliche Bedingung macht das Rechtsgeschäft nichtig, ausgenommen die Rechtsgeschäfte von Todes wegen, wo sie nach römischem Recht gestrichen wird (das B.G.B, hat diese Ausnahme nicht mehr). Die auflösende unmögliche Bedingung gilt für alle Rechtsgeschäfte als nicht beigefügt, während die auflösende notwendige Bedingung das Rechtsgeschäft vernichtet. Die unsittliche Bedingung (condicio turpis) wird der unmöglichen gleich behandelt. § 4 I. de V. 0. (3,15): Sub condicione etipulatio fit, cum in aliquem casum differtur obligatio, ut, si aliquid factum fuerit vel non fuerit, stipulatio committatur, veïuti; Si T I T I U S CONSUL T U E R I T FACTUS, QUINQUE AUREOS DARE SPONDES?

§ 6 eod.: Condiciones, quae ad praeteritum vel ad praesens tempus referuntur, aut statim infirmant obligationem, aut omnino non differunt, veluti: Si T I T I U S CONSUL FUIT — vel: Si MAEVIUS V I V I T , DARE SPONDES? L . 9 § 1 D . de novat. ( 4 6 , 2 ) (ULPIAN): Qui sub condicione stipulator, quae omnimodo exstatura est, pure videtur stipulari.

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Rechtsgeschäfte.

II. T e r m i n (dies, Zeitbestimmung) ist ein zukünftiges gewisses Ereignis, mit welchem die Wirkungen des Rechtsgeschäfts entweder erst anfangen (dies a quo) oder aufhören sollen (dies ad quem). Der Termin kann in b.ezug auf den Zeitpunkt seines Eintritts ungewiß sein (dies incertus quando), z. B. der Bürge soll nur haften, bit der Schuldner stirbt. Wenn auch das Ob des Eintritts ungewiß ist (dies incertus an), z. B. du sollst tausend haben an dem Tage, an welchem du dein Examen machst, so liegt kein Termin, sondern eine Bedingung vor. Das betagte Rechtsgeschäft will eine befristete Rechtswirkung. Das gilt auch für die Bedingung, denn auch das bedingte Geschäft will Beginn bzw. Ende der Rechtswirkung erst mit dem künftigen Ereignis. Aber der Termin will nur Befristung, nicht zugleich Ungewißheit, so daß der für die Bedingung kennzeichnende Schwebezustand fehlt. Das römische Recht hat wio zwischen aufschiebender und auflösender Bedingung so zwischen aufschiebendem und auflösendem Termin unterschieden. Der aufschiebende Termin (Anfangstermin) galt im allgemeinen als zulässig. Den auflösenden Endtermin aber erklärte das römische Zivilrecht für ungültig. Nur bei den formlosen Verpflichtungsgeschäften (bonae fidei negotia) ward er zugelassen (1. 1 pr. D. 17, 2). Bei den formstrengen Verpflichtüngsgeschäften (Stipulation, Damnationslegat) und bei rechtsförmlicher Veräußerung (mancipatio, in jure cessio) ward er nach Zivilrecht ignoriert. Traditionsveräußerung mit Endtermin war sogar nach Zivilrecht gänzlich nichtig (cum ad tempus proprietas transferri nequiverit, Fragm. Vat. § 283)9. Hier hat aber das prätorische Recht ändernd eingegriffen. Für Rechtsgeschäfte des honorarischen Rechts (z. B. Verpfändung) war die Beifügung eines Endtermins frei, und, streng zivilrechtlichen Rechtsgeschäften gegenüber sorgte • M i t t e i s S. 191. 192. Eine Endzeitbestimmung ist also nach römischem Zivilrecht grundsätzlich unmöglich zwecks Beschränkung der D a u e r eines Rechts. Sie ist aber wohl möglich, sofern sie das M a ß des Rechts (nicht die Dauer als solche) begrenzt. Die Stipulation: decern aureos a η n u ο s quoad vivam dare spondes ? hatte auch nach Zivilrecht nur zeitliche Wirkung. Unter den gleichen Gesichtspunkt fällt die Tatsache, daß P e r s o n a l Servituten auch nach Zivilrecht ad tempus bestellt werden konnten. M i 11 e i s S. 193. 194.

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der Prätor durch exceptio und actio für Berücksichtigung des Endtermins. So ist nach dem Recht des Corpus Juris (vgl. 1. 2 C. 2, 54) auch die Beifügung eines dinglich wirkenden Endtermins für grundsätzlich zulässig zu erachten. § 2 J. de V. 0. (3,15): Id autem, quod in diem stipulamur, statim quidem debetur, sed peti prius quam dies veniat, non potest. Bedingung und Termin sind in ihrem Wesen nah verwandt. Darum geht ihre Geschichtc den gleichen Gang. Ihren ersten Entwicklungsraum haben sie auf dem Gebiet der Verfügungen von Todes wegen gefunden (die ja ihrer Natur nach Vorauserklärungen des Willens sind), insbesondere auf dem Gebiet des Vermächtnisrcchts10. Die feierlichen Verkehrsgeschäfte des altrömischen Zivilrechts (mancipatio, in jure cessio) waren ihnen unzugänglich. Noch im Corpus juris begegnen einige „actus legitimi", bedingungsfcindlichc Rechtsgeschäfte des strengen Zivilrechts, die um ihrer Form willen weder bedingt noch betagt sein können11. Heute steht die Welt der Rechtsgeschäfte den Klauseln grundsätzlich offen, es sei denn, daß der Inhalt des Rechtsgeschäfts Vorbehalte ausschließt12. III. A u f l a g e (modus) bedeutet eine Vorschrift (meistens eine Verwendungsbestimmung), welche einer Schenkung oder letztwilligen Zuwendung bzw. einer Freilassung hinzugefügt ist 13 . Die Auflage beschränkt die Geschäftswirkung nicht (sie „suspendiert 10 Die Erbeinsetzung läßt nach römischem Recht nur die aufschiebende Bedingung zu: Termin und auflösende Bedingung werden gestrichen: scmel heres semper heres, vgl. unten § 101 (anders B.G.B., wo alle diese Klauseln auch für die Erbeinsetzung möglich sind). 11 Als actus legitimi qui non reeipiunt diem vel condicioncm werden im Corpus Juris aufgezählt emaneipatio, acceptilatio, hcrrdilatis aditio, servi optio, datio tutoris (1. 77 D. 60, 17). Vgl. M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 66ff. Weil die Rücksicht auf die F o r m maßgebend war, vernichtete auch das Aussprechen einer condicio tacita (also einer selbstverständlichen Voraussetzung) diese Rechtsgeschäfte: expressa nocent, non expressa non nocent (1. 196 D. 60, 17). 12 So z. B. die Eheschließung, auch die Aufrechnung, die Kündigung usw. Um der F o r m des Rechtsgeschäfts willen ist heute Bedingung und Termin nur noch bei der Auflassung (B.G.B. § 926) ausgeschlossen. 13 Vgl. P e r η i c e , Labeo, Bd. 3, Abt. 1: Auflage und Zweckbestimmung (1892). F. H a y m a n n , Schenkung unter einer Auflage (1901). M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 194 ff.

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Rechtsgeschäfte.

nicht" und sie resolvicrt nicht), aber sie will den Bedachten verpflichten, die Bestimmung des Zuwendenden innezuhalten. Aber die Auflage war als solche nach Zivilrecht ohne rechtliche Wirkung14. Die im Testament angeordnete Auflage wirkt noch nach klassischem Recht direkten Erfüllungszwang nur, wenn sie zugunsten eines bestimmten Dritten angeordnet ist, so daß sie unter den Gesichtspunkt eines Vermächtnisses (Fideikommisses) gebracht werden kann. Sonst besteht nur die Möglichkeit indirekten Zwanges: dem auflagebeschwerten Vermächtnisnehmer kann der Erbe das Vermächtnis verweigern (exceptio doli), wenn Vermächtnisnehmer keine Kaution für Erfüllung der Auflage stellt; der auflagebeschwerte Miterbe kann von den Miterben durch Erbteilungsklage (actio familiae erciscundae) zur Leistung der Auflage angehalten werden. Im übrigen schreitet die Obrigkeit nur bei öffentlichem Interesse oder dringender Pietätspflicht extra ordinem zwecks Erfüllung der Auflage ein. Erst das Corpus juris hat den allgemeinen Grundsatz der rechtlichen Verpflichtungskraft für die testamentarische Auflage. Ebenso hat die einer Schenkung beigefügte Auflage nach klassischem Recht als solche keine Verpflichtungswirkung. Es besteht nicht einmal ein Rückforderungsrecht für den Schenkgeber, falls die Auflage schuldhaft nicht erfüllt wird; für den Fall des Verschuldens muß Schenkgeber sich selbst durch Stipulation oder fiduziarische Form der Zuwendung (oben S. 59) im voraus sichern. Nur bei eingetretener zufälliger Unmöglichkeit kann das Gegebene kraft gesetzlichen Anspruchs nach klassischem Recht zurückverlangt werden16. Erst das spätere Kaiserrecht, und so auch das Recht des Corpus juris gibt bei Nichterfüllung der Auflage einerseits schlechtweg ein Rückforderungsrecht (condictio causa data causa non secuta), andererseits einen Erfüllungsanspruch (actio praescriptis verbis), ähnlich wie heute das B.G.B. §§ 525—527. 330. 14 Eine Ausnahme die Bestimmung Mark Aurels: die Veräußerung eines Sklaven mit der Auflage, ihn zu bestimmter Zeit freizulassen, macht den Sklaven zu der angesetzten Zeit ipso jure frei, wie wenn er vom Erwerber freigelassen wäre, vgl. D. 40, 8. Fi H a y m a η η , Freilassungepflicht und Reurécht (1906) S. 5 ff. K ü b 1 e r in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 29 S. 477. 11 M i t t e i s a . a, 0, S. 196 ff. 200 f f.

§ 44. Die Geschäftsfähigkeit.

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L. 17 § 4 D. de cond. et dem. (36,1) (GAJUS): Quod si cui in hoc legatum sit, ut ex eo aliquid faceret, veluti monumentum testatori, vel opus, aut epulum muncipibus faceret, vel ex eo ut partem alii restitueret, sub modo legatum videtur. L. 80 eod. (SCAEVOLA): . . nec enim parem diccmus eum, cui ita datum sit: si MONUMENTUM FECERIT, et eum, cui datum est: UT MONUMENTUM FACIAT.

§ 44. Die Geschäftsfähigkeit. Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, in rechtlich erheblicher Weise zu handeln. Nur die Handlung eines Handlungsfähigen kommt für das Recht als Handlung, d. h. als Äußerung eines (sei es erlaubten, sei es unerlaubten) Willens in Betracht. Die Handlungsfähigkeit hat zwei Unterarten: die Geschäftsfähigkeit und die Deliktsfähigkeit. Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit zum selbständigen Abschluß von R e c h t s g e s c h ä f t e n , also zur selbständigen Abgabe von rechtserheblichen Willenserklärungen. Sie schließt die Fähigkeit zu selbständiger Geschäftsführung, d. h. zu selbständiger Entscheidung über die eigenen Angelegenheiten in sich. Nur der vollkommen Geschäftsfähige ist eine selbständige (mündige), über die eigenen Angelegenheiten selbst entscheidende Person. Die Geschäftsfähigkeit wird ausgeschlossen oder herabgesetzt durch jugendliches Alter sowie durch geistige oder körperliche Gebrechen. Danach gibt es drei Stufen der Geschäftsfähigkeit: I. Geschäftsunfähig, d. h. zu keinem Rechtsgeschäfte fähig, sind: 1. die infantes, d. h. die Kinder bis zum vollendeten siebenten Lebensjahre; 2. die Geisteskranken, von den römischen Juristen furiosi oder dementes, auch mente capti1 genannt. Der Geschäftsunfähige kann nicht einmal unter vormundschaftlicher Beihilfe (auetoritatis interpositio, Einwilligung des gegenwärtigen Vormundes) ein Rechtsgeschäft vollziehen, weil sein Geschäftswille 1 Die psychiatrischen Untersuchungen, welche diesen Termini zugrunde liegen — wenn es solche gab und nicht bloße Synonymien gegeben sind — hat die moderne Forschung noch nilht zu ermitteln vermocht.

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Allgemeiner Teil.

Rechtsgeschäfte.

rechtlich unerheblich ist. Besitz kann der infans? jedoch von einem ihm den Besitz Übergebenden erwerben, weil der Besitz durch rein tatsächlichen Vorgang erworben wird (vgl. 1. 3 C. 7, 32). II. Beschränkt geschäftsfähig, d. h. zu einigen Rechtsgeschäften fähig, zu anderen unfähig, sind nach römischem Recht: 1. der impubes infantia maior (der Knabe und das Mädchen vom vollendeten 7. bis zum vollendeten 14. bzw. 12. Lebensjahre)8; 2. der prodigus (der unter Verschwendervormundschaft gesetzte Verschwender). 3. Nach altrömischem Recht waren auch die Frauen nur beschränkt geschäftsfähig (§ 92 II). Der beschränkt Geschäftsfähige ist fähig, durch seine Willenserklärungen (Rechtsgeschäfte) zu erwerben, nicht aber fähig, durch seine Willenserklärungen zu veräußern oder sich zu verpflichten. Schließt er ein Geschäft ab, welches zugleich berechtigt und verpflichtet (er empfängt z. B. ein Darlehn), so erwirbt er das Eigentum an den ihm zu Darlehn gegebenen Münzen, aber ohne aus dem Geschäft (aus dem Darlehn als solchem) klagbar verpflichtet zu werden: er kann, ebenso wie der Geschäftsunfähige, nur auf Rückgabe der Bereicherung verklagt werden, welche er jetzt noch hat (vgl. § 72 I). Ist das Geschäft auf Leistung und Gegenleistung gerichtet (wie z. B. beim Kauf), so erwirbt er nach römischem Recht das Recht auf die Leistung, ohne auf die Gegenleistung verklagt werden zu können (sogenannte negotia claudicantia4) 2

Von den übrigen Geschäftsunfähigen ist dies, jedoch vielleicht nur durch Zufall, in den Quellen nicht ausgesprochen. 3 Die festen Jahreszahlen für die Altersstufen sind erst späten Ursprungs. Der feste Pubertätstermin für Mädchen (12. Jahr) stammt aus dem Beginn der Kaiserzeit. Der Termin von 14 Jahren für Knaben ward von den Prokulejanern vertreten; die Sabinianer ließen die körperliche Entr wicklung im Einzelfall entscheiden; erst Justinian hat für die 14 Jahre den Ausschlag gegeben. Ebenso gehört die Ansetzung der infantia auf 7 Jahre erst der späten Kaiserzeit an. Dem alten Recht war infans das Kind, welches noch nicht sprechen kann, und noch die klassischen Juristen lassen den pupUlus si fari possit, licet hujus aetatis sit, ut causam adquirendae hereditatis non intcllegat, mit tutoris auetoritas die Erbschaft antreten (1. 9 D. 29, 2). Vgl. P e r n i c e , Labeo, Bd. 1, S. 206 ff. Vgl. unten § 92 Anm. 3. 4 Natürlich aber kann er jenes Recht nicht geltend machen, ohne (solange die Unmündigkeit dauert, mit auetoritas tutoris) seinerseits zu erfüllen; andernfalls steht ihm die exceptio non adimpleti contractu» (§ 71)

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An Stelle des nicht in väterlicher Gewalt stehenden beschränkt Geschäftsfähigen kann sein Vormund handeln. Oder: es kann der (gewaltfreie) impubes das Veräußerungs- oder Verpflichtungsgeschäft unter gegenwärtiger Mitwirkung des Vormundes (tutoris auctoritatis interpositio) selbst vollziehen (§ 92)*. pr. I de auct. tut. (1, 21): Auetoritas autem tutoris in quibusdam causis necessaria pupillis est, in quibusdam non est necessaria: ut ecce, si quid dari sibi stipuletur, non est necessaria tutoris auetoritas; quod si aliis pupilli promettant, necessaria est. Namque placuit, meliorem quidem suam condicionem licere eis facere etiam sine tutoris auctoritate, deteriorem vero non aliter, quam tutore auetore. Unde in his causis, ex quibus mutuae obligationes nascuntur, in emptionibus venditionibus, locationibus conductionibus, mandatis, depositis, si tutoris auetoritas non interveniat, ipsi quidem, qui cum his contrahunt, obligantur, at invicem pupilli non obligantur. § 2 eod.: Tutor autem statim in ipso negotio praesens debet auetor fieri, si hoc pupillo prodesse existimaverit; post tempus vero aut per epistulam interposita auetoritas nihil agit. III. Vollkommen geschäftsfähig, d. h. zu allen Rechtsgeschäften fähig (also auch fähig, sich durch eigene Verträge entgegen. Praktisch bedeutet das, daß der Gegner an den Vertrag von vornherein gebunden ist, der Pupill dagegen (und bis zur erlangten Mündigkeit sein Autor) das Wahlrecht hat, den Kontrakt zu ratihabieren oder abzulehnen. Nach B.G.B. § 108.109 kommt in solchem Fall kein hinkender (den Gegner, aber nicht den pupillus verpflichtender), sondern ein schwebender Vertrag zustande, dessen Wirksamkeit für b e i d e Teile (auch für die Verpflichtung des Gegners) von der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (Vaters, Vormunds) abhängt. • Das römische Recht unterscheidet sich vom heutigen wesentlich durch zwei Stücke: 1. Das römische Recht geht davon,aus, daß der in väterticher Gewalt Befindliche kein eignes Vermögen hat (was er erwirbt, erwirbt er seinem Vater, oben § 34); darum gibt es für den in väterlicher Gewalt Stehenden keine Fürsorge, auch keine Ergänzung seiner mangelnden Geschäftsfähigkeit; nur der G e w a l t f r e i e hat nach römischem Recht einen „gesetzlichen Vertreter 11 (der impubes einen tutor, der minor einen curator, vgl. unter I I I ) : der Gewalthaber ist nach römischem Recht k e i n gesetzlicher Vertreter. 2. Der gesetzliche Vertreter des römischen Rechts (tutor, curator) kann grundsätzlich nicht im Namen seines Mündels handeln, weil das römische Recht die Stellvertretung grundsätzlich nicht zuläßt (unten § 46.) Sollte die Rechtswirkung unmittelbar für die Person des pupillus begründet werden, so mußte der pupillus das Rechtsgeschäft selber vornehmen. Daher die große Bedeutung des Rechtssatzes, daß der pupillus mit auetoritatis interpositio seines tutor s e l b e r handeln könne.

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zu verpflichten), sind alle übrigen Personen, also nach römischem Recht alle nicht geisteskranken und nicht entmündigten puberes. Die Altersgrenze von 25 Jahren ward zuerst durch die lex Plaetoria (um 190 v. Chr.) von Bedeutung (daher die Bezeichnung dieser Altersstufe ' als légitima aetas). Das genannte Volksgesetz schützte durch Strafdrohung den betrügerisch übervorteilten minor XXV annis (circumscripta adolescens). Der Prätor gab dann auf Grund des Gesetzes eine exceptio legis Plaetoriae gegen die Klage aus dem Geschäft. Ja, er half später auch bei bloß objektiv vorhandener (vom Gegner gar nicht beabsichtigter) Benachteiligung dem minor durch in integrum restitutio (unten § 120). Dieselbe lex Plaetoria bestimmte, daß der (gewaltfreie) Minderjährige die Bestellung eines Vermögensverwalters (curator) erbitten dürfe. Im Lauf der Kaiserzeit wurde solche Erbittung Regel. Der erbetene Kurator sollte kein Vormund sein: der Minderjährige behielt neben seinem Kurator nicht bloß volle Geschäftsfähigkeit, sondern auch unbeschränkte Verfügungsmacht über sein Vermögen. Ward doch der Kurator dem Minderjährigen nur auf seinen Antrag beigegeben. So erschien er mehr einem Beauftragten und gewillkürten Stellvertreter als einem gesetzlichen Vertreter gleich. Noch nach klassischem Recht konnte der Minderjährige ohne seinen Kurator eich vollwirksam verpflichten (1. 101 D. 46, 1). Natürlich war solche doppelte Vermögensverwaltung unzweckmäßig. Seit etwa dem 3. Jahrhundert setzte darum eine Entwicklung ein, welche dem curator minoris die Stellung eines Gewalthabers und Vormunds nach Art des curator prodigi gab, so daß dem Minderjährigen ähnlich wie dem entmündigten Verschwender die Vermögensverwaltung entzogen wurde6. Seitdem ist der römische minor curatorem habens zwar nach der Theorie vollkommen geschäftsfähig (wie jeder minor pubes), aber er ist nicht mehr zu selbständigem Abschluß von Veräußerungs- und • S ο 1 a ζ; z i , La minore età (1912). J. P a r t s c h , Studien zur negotiorum gestio, in den Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wise. 1913, 12. Abhandl., S. 71 ff. Erledigt sind die hier bestehenden Zweifelsfragen noch nicht, vgl. die kritischen Ausführungen von L e n e l , Die cura mino· rum d. klass. Zeit, in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd. 35 (1914), S. 129 ff. Mehrere weitere Arbeiten auf diesem und verwandtem Gebiete von S. S ο 1 a n i Curator Impuberis (1917) u. a.

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Verpflichtüngsgeschäften berechtigt, auch nicht zur Verwaltung seines Vermögens, weil diese auf den Kurator übertragen worden ist. Der Grundsatz seiner vollen G e s c h ä f t s f ä h i g k e i t blieb insofern unberührt, als er keiner auetoritatis interpositio bedurfte, d. h. keiner gegenwärtigen Mitwirkung zum Abschluß des Geschäfts, sondern nur des consensus curatoris, der vor, bei oder nach dem Geschäft in beliebiger Form erteilt, auch durch den Konsens des volljährig gewordenen Minderjährigen selber ersetzt werden konnte. Infolge seiner Geschäftsfähigkeit behielt er ferner die Ehefähigkeit und die Testierfähigkeit. Der bevormundete minor war nur in bezug auf seine belastenden Verkehrsgeschäfte von der Zustimmung seines Kurators abhängig, welche die W i r k u n g solcher Geschäfte auf sein Vermögen vermittelte. Die deutsche Rechtsentwicklung (schon die Reichspolizeiordnung von 1548) hat die Altersstufe der pubertas und damit die römisch-rechtliche Sonderstellung der minores puberes gestrichen. Zwischen Mitwirkung (auetoritatis interpositio) und Zustimmung (consensus curatoris) zum Geschäft wird nicht mehr unterschieden. Dementsprechend sind nach dem B.G.B. (§ 106) alle Minderjährigen, die das siebente Lebensjahr vollendet haben (infantia majores), ohne Unterschied beschränkt geschäftsfähig (ebenso nach § 114 die wegen Geistesschwäche, Verschwendung, Trunksucht Entmündigten), nur daß die Testierfähigkeit erst mit dem vollendeten 16. Lebensjahre eintritt; anderseits dürfen, selbst wenn die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegt, männliche Minderjährige überhaupt nicht, weibliche nicht vor Vollendung des 16. Lebensjahres eine Ehe schließen (B.G.B. §§ 1303. 2229, 2). Außerdem dauert die Minderjährigkeit heute nur noch bis zum vollendeten 21. Lebensjahre (B.G.B. § 2). Schon nach späterem römischen Kaiserrecht konnte die Volljährigkeit dem Minderjährigen vor der Zeit durch kaiserliches Privileg (venia actatis) verliehen werden, falls der Mann das 20., die Frau das 18. Lebensjahr vollendet hatte (C. 2, 44). Nach heutigem Recht ist Volljährigkeitserklärung durch Beschluß des Vormundschaftsgerichts ohne Unterschied des Geschlechts schon nach Vollendung des 18. Lebensjahres möglich (B.G.B. § 3).

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pr. I. de curat. (1, 23): Masculi puberes et feminae viripotentes usque ad vicesimum quintum annum completum curatores accipiunt. B.G.B. § 107: Der Minderjährige (der das siebente Lebensjahr vollendet hat) bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. Gegensätze der Geschäftsfähigkeit sind: 1. Die Rechtsfähigkeit (d. h. die privatrechtliche Persönlichkeit, vgl. § 30). Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechte und Schulden zu haben (Träger von Rechten und Verbindlichkeiten zu sein). Sie schließt die Erwerbsfähigkeit und die Verpflichtungsfähigkeit in sich. Auch der infans kann Rechte erwerben, kann Schuldner werden (durch Handlung eines anderen, z. B. seines Vormunds). Die Geschäftsfähigkeit dagegen ist die Fähigkeit, durch eigene Handlung (Willenserklärung) Rechte zu erwerben, sich zum Schuldner zu machen. Der infans ist rechtsfähig, denn er ist Person, aber nicht geschäftsfähig: er ist eine unselbständige (unter fremder Geschäftsführung stehende) Person. 2. Die Deliktsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, aus unerlaubten Handlungen haftbar zu werden, steht nicht unter den gleichen Rechtssätzen wie die Geschäftsfähigkeit. Der Geschäftsunfähige (infans, furiosus) ist auch deliktsunfähig. Aber der beschränkt Geschäftsfähige ist nach römischem Recht schon deliktsfähig, wenn er im konkreten Fall nach dessen Beschaffenheit und nach seiner individuellen geistigen Entwicklung Unerlaubtheit seines Handelns einsehen müßte, demnach als „doli capax" erscheint (so der prodigus, der pubertati proximus). Ähnlich B.G.B. §§ 827. 828: bereits mit vollendetem 18. Lebensjahre tritt (für die privatrechtliche Schadensersatzhaftung) die volle Deliktsfähigkeit ein; für die Zeit zwischen vollendetem 7. und 18. Lebensjahre ist die individuelle Entwicklung maßgebend (es kommt darauf an, ob der Betreffende doli capax war). Die Deliktsfähigkeit beginnt also früher als die volle Geschäftsfähigkeit. Erst die volle Geschäftsfähigkeit begründet die privatrechtliche Selbständigkeit der Person (den Besitz eigenen Geschäftsführungsrechts). Das Kennzeichen der

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vollkommenen Geschäftsfähigkeit ist es aber, daß die Person fähig ist, sich selbständig durch Rechtsgeschäfte (Verträge) zu verpflichten. - § 45. Die Stellvertretung. Nicht alle Rechtsgeschäfte, welche man abschließen möchte oder müßte, ist man imstande, selber abzuschließen. Der Wahnsinnige kann sich kein Brot kaufen, auch wenn er Geld genug hätte. Er ist rechtlich an dem Abschluß des Rechtsgeschäfts verhindert. Oder: der Hausherr kann nicht selber täglich auf den Markt gehen, um für den Mittagstisch einzukaufen. Er ist tatsächlich an dem Abschluß des Rechtsgeschäfts verhindert. In dem Fall bloß tatsächlicher Verhinderung kann der Verhinderte sich häufig durch Absendung eines Boten helfen, falls er, der Absendende, nämlich selber verhandeln will. Der Bote (nuntius) soll ihm nur helfen, das äußere Hindernis der Entfernung zu überwinden, gerade wie ein Brief. Der Bote nimmt ihm nur den Gang ab, nicht den Abschluß des Rechtsgeschäfts. Der Bote ist lediglich das Werkzeug, durch welches der Absendende selber erklärt, d. h. selber abschließt. Bote ist, wer eine Erklärung als fremde Erklärung (als Erklärung des Absendenden) überbringt. Es kann aber auch die Meinung sein, daß der Geschäftslustige nicht selber verhandeln will. Dann erteilt er einem anderen Vollmacht, an seiner Statt (in seinem Namen) zu handeln: der Kaufmann stellt z. B. in seinem Laden einen Kommis, der Wirt in der Wirtschaft einen Kellner an. Die Verhandlung mit dem Bevollmächtigten soli entscheiden und soll so angesehen werden, als ob sie mit dem Vollmachtgeber selbst geführt wäre. Der Bevollmächtigte soll ihn vertreten sowohl in der Abgabe wie in dem Empfang von Erklärungen. Er soll dem Machtgeber den Abschluß des Rechtsgeschäfts abnehmen, die Hervorbringung des Erkl&rungstatbes Landes, durch welchen das Rechtsgeschäft zum Dasein kommt Darin liegt das Wesen des Stellvertreters. Der Stellvertreter aber erklärt den rechtsgeschäftlichen Willen an meiner Statt (nur der Stellvertreter erklärt, ich erkläre nichts), und ebenso empfängt der Stellvertreter die gegnerische

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Rechtsgeschäfte.

Erklärung, z. B. die gegnerische Kündigung oder Aufrechnung oder die Vertragsannahme, an meiner Statt (der Empfang der Antwort durch den Stellvertreter vollendet die gegnerische Erklärung). Stellvertreter ist, wer eine rechtsgeschäftliche Erklärung als eigene Erklärung abgibt bzw. eine gegnerische Erklärung in eigener Person empfängt, aber als eine solche, die nicht für ihn selber, sondern für einen anderen wirken soll. Stellvertretung ist der Abschluß eines Rechtsgeschäfts zwecks unmittelbarer Wirkung für einen anderen, d. h. der Abschluß eines Rechtsgeschäfts in fremdem Namen. In dem Fall es Wahnsinnigen, überhaupt in den Fällen rechtlicher Verhinderung an dem eigenen Abschluß des Rechtsgeschäfts (es fehlt die nötige Geschäftsfähigkeit) kann von vornherein (sofern nicht dem beschränkt Geschäftsfähigen durch auctoritatis interpositio zum Selbsthandeln geholfen wird) nicht ein Bote, sondern nur ein Stellvertreter aushelfen. Also zwei Fälle der Stellvertretung: die rechtsnotwendige („gesetzliche") Stellvertretung des rechtlich Verhinderten (im B.G.B, heißt sie Vertretung durch einen „gesetzlichen Vertreter") einerseits, die gewillkürte Stellvertretung des bloß tatsächlich Verhinderten (im B.G.B, heißt sie Vertretung durch einen „Bevollmächtigten") andererseits. Die „gesetzliche" Vertretung bedeutet für den Vertretenen die Unterwerfung unter fremde Geschäftsführung (Bevormundung), die gewillkürte Stellvertretung ist für den Vertretenen ein Mittel eigener Geschäftsführung. Jene besteht kraft Rechtssatzes ohne Rücksicht auf den Willen des Vertretenen, diese kraft Rechtsgeschäfts (Willenserklärung), d. h. kraft und nach Maßgabe der vom Vertretenen erteilten Vollmacht. Das römische Zivilrecht hat die Stellvertretung nur sehr zögernd und nur in engen Grenzen anerkannt1. Die Rechts1

Vgl. zu dem Folgenden M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 202 ff. Von der früheren Literatur insbesondere M i 11 e i s , Die Lehre von der Stellvertretung nach römischem Recht (1885), S. 9 ff., und in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd. 21, S. 200 ff. S c h 1 ο ß m a η η , Der Besitzerwerb durch Dritte (1881). S c h l o ß m a n n , Die Lehre von der Stellvertretung insbes. bei oblig. Verträgen, Bd. 2 (1902), S. 153 ff. R a b e 1, Grundzüge des röm.

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Die Stellvertretung.

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geschäfte des altrömischen Zivilrechts wirkten durch ihre Form. Berechtigung und Verpflichtung eines an der Form nicht Beteiligten erscheint dem alten römischen ebenso wie dem alten deutschen Recht unmöglich. Dabei ist es für die negotia juris civilis (mancipatio, in jure cessio, auch für die stipulatio) geblieben: sie können nur im eigenen Namen mit Wirkung für den Handelnden selber vollzogen werden. Sklaven und Haüskinder erwerben zwar kraft Gewaltrechts mit Rechtsnotwendigkeit für ihren Herrn. Ein Erwerb kraft Vertretungsrechts (kraft des Vertretungswillens des Handelnden) ward vom Zivilrecht aber nicht anerkannt; per liberam personam nobis adquiri nihil potest (vgl. L. 126 § 2 D. 45, 1; L. 1 C. 4. 27). Das galt auch für den Vormund. Sollte der Mündel unmittelbar erwerben, so mußte der Vormund einen Sklaven des Mündels oder (soweit das möglich war) den.Mündel selber (mit auctoritatis interpositio, oben § 44) auftreten lassen. Sonst erwarb der Vormund zunächst für sich selbst. Ebenso verpflichtete er sich selbst, falls nicht der Mündel mit auctoritatis interpositio das Geschäft in eigener Person abschloß. Erst das in das römische Zivilrecht eindringende jus jgentium mit seinen formlosen Rechtsgeschäften öffnete wenigstens auf sachenrechtlichem Gebiete der Stellvertretungsfreiheit eine Gasse: in der Kaiserzeit ward für den Besitzerwerb und den durch Besitzerwerb vermittelten Rechtserwerb nach jus gentium, also insbesondere für den unfeierlichen Rechtserwerb durch Tradition (negotium juris gentium) Stellvertretung zugelassen. Die Brücke bildete der procurator, d. h. der Geschäftsführer eines vornehmen Hauses, der mit allgemeiner Vollmacht sei es für einzelne Geschäftszweige (Güterverwaltungen), sei es für alle Geschäfte (procurator omnium bonorum) dauernd als Vertrauensmann und Stellvertreter des Hausherrn bestellt war: gewöhnlich ein Freigelassener, dessen Hausangehörigkeit ihn dem * servus annäherte, dessen Freiheit ihn vom servus unterschied. An seiner Person Privatrechts in Holtzendorff·Kohlers Enzykl. d. Rechtswiss., 7. Aufl., Bd. 1, S. 507 ff. Über die Unterscheidung von procurator und institor R a b e 1, Ein Ruhmesblatt Papinians, in der Festachr. f. Zitelmann, 1913, S. 6 ff. F. S c h u 1 ζ , Scientia, dolus und error bei der SteUvertretung nach klassischem römischen Recht in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd. 33, S. 34 ff. S o h m , Institutionen.

17. Aull.

17

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Allgemeiner Teil. Rechtsgeschäfte.

konnte das Recht von der Stellvertretung auch durch einen Freien sich entwickeln. Daß durch ihn Besitz und folgeweise auch an den Besitz geknüpfter Rechtserwerb möglich sei, ward schon in früher Kaiserzeit anerkannt. Was vom procurator galt, ist auf den Vormund, später (endgültig aber erst durch Justinian) auf jeden Bevollmächtigten als „quasi procurator" übertragen worden. Sachen, die der Prokurator (der gewillkürte Stellvertreter) im Namen seines Machtgebers, die der Vormund im Namen seines Mündels durch Tradition erwarb, wurden dem Vertretenen unmittelbar zu Besitz und Eigentum erworben. Für die Kentrakte aber, also auf dem Gebiet des Schuldrechts, blieb es bei dem Grundsatz: Kontrakte verpflichten und berechtigen nur den Kontrahenten selber, Kontrakte können nicht wirksam in fremdem Namen geschlossen werden. Auch der Prätor reformierte hier nur teilweise. Er führte gegen Ende der Republik die adjektizischen Klagen (unten § 77) ein, d. h. er gab in weitem Umfang aus der Schuld des gewillkürten Stellvertreters (z. B. des institor, d. h. des für das Gewerbe mit Vollmacht Angestellten) eine Klage gegen den Vertretenen. Aus dem Kontrakt des Vertreters (z. B. des im Laden angestellten institor) haftete also nach prätorischem Rccht auch der Geschäftsherr (der Prätor jab gegen ihn die Kontraktsklage als actio institoria). Aber es blieb dabei, daß der Stellvertreter nach Zivilrecht selber und allein haftete (gegen ihn ging die Kontraktsklage als actio directa, der Herr wurde nach Zivilrecht nicht Subjekt der Verpflichtung). Es blieb aber auch vor allem dabei, daß das Forderungsrecht aus dem Kontrakt dem Vertreter zustand, nicht dem Geschäftsherrn (nur im Notfall gab der Prätor dem Geschäfteherrn utilis actio). Lediglich wenn der Vertreter ein Sklave oder Hauskind (filiusfamilias) des Geschäftsherrn war, ward das Recht aus dem Kontrakt dem Herrn von Rechts wegen unmittelbar erworben: kraft Gewaltrechts, nicht kraft des Rechte von der Vertretung. Die Enge auch des prätorischen Stellvertretungsrechts hat wirtschaftliche Gründe. Die römische Wirtschaft war Sklavenwirtschaft (Hauswirtschaft). Vertreter war gewöhnlich ein Sklave, unter Ùmstânden ein Hauskind. Den Rechtserwerb bewirkte das

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Gewaltverhältnis, der Verpflichtung des Herrn dienten die adjektizischen Klagen. So war das praktische Bedürfnis befriedigt und das Recht von der Stellvertretung (durch Freie) blieb unentwickelt8. Bei uns sind' die Verhältnisse ganz andere, und wir haben daher ein ganz anderes Stellvertretungsrecht. Nach heutigem Recht ist grundsätzlich bei allen Verkehrsgeschäften (also die Geschäfte des Familieurechts, z. B. die Eheschließung, und die Geschäfte des Erbrechts, z. B. das Testament, ausgenommen) wie die gesetzlich notwendige, so auch die gewillkürte Stellvertretung zulässig. Das Rechtsgeschäft Wird von dem Stellvertreter für den anderen abgeschlossen: es ist seinem Abschluß nach (d. h. in Hinblick auf die Willenserklärungstat, durch welche es zustande kommt) ein Geschäft des Stellvertreters 8. Aber die Wirkungen treten nicht zu Lasten noch zugunsten des Stellvertreters, sondern nur zu Lasten und zugunsten des anderen (des dominus negotii) ein: das Geschäft ist seiner Wirkung nach ein Geschäft des Vertretenen. Das B.G.B. (§ 164) steht selbstverständlich auf dem Boden dieses heutigen Rechts: der Vertretene erwirbt Recht und Pflicht unmittelbar aus dem Geschäft seines Vertreters (sogenanntes Prinzip der unmittelbaren Stellvertretung). Voraussetzung für die Wirkung des Stellvertretungeverhältnisses4 ist, daß dasselbe dem Vertragsgegner erkennbar sei. 1

Ein Gegenstück [und damit zugleich die Gegenprobe für die Richtigkeit der obigen wirtschaftegeschichtlichen Erklärung] bietet Ägypten. Dort gab es auf dem Lande wenig Sklaven. Den Verkehr vermittelten freie Stellvertreter. Darum hat dort das hellenistische Recht für das gesamte Gebiet des Verkehrsrechts, auch fflr die Kontrakte, den Grundsatz der unmittelbareil Stellvertretung durch freie Vertreter Ausgebildet, vgl. L. W e n g e r , Die SteUvertretung im Rechte der Papyri, 1906, insbes. S. 268. 269. [Ja, in Ägypten wurde sogar freies Stellvertretungsrecht von der Praxis auch auf die Römer angewendet.] 9 Die diesem Satz entsprechenden Regeln des gemeinen Reehts über den Einfluß von Willenemängeln, die beim Geschäftsabschluß des Stellvertreters unterlaufen sind, auf die Rechtsstellung des Vertretenen — Regeln, die auch ins B.G.B. $ 166 aufgenommen sind — entsprachen jedoch nicht dem klassischen römischen Recht. Sie beruhen vielmehr auf Interpolationen in die gatfiz anders lautenden klassischen Quellen, wie F. S c h u l z an dem oben Anm. 1 a. 0 . nachgewiesen hat. 4 Soweit dasselbe überhaupt zugelassen wird, also nach römischem Recht nach Maßgabe der Beschränkung, welche aus dem vorigen eich ergibt

in

*

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Rechtsgeschäfte.

Nur wenn der Stellvertreter (der Vormund oder der Bevollmächtigte) als solcher handelt, also nur, wenn er mit ausdrücklicher oder durch die Umstände hinlänglich klar gemachter Hinweisung auf den Zweckträger des Rechtsgeschäfts, den Vertretenen (den dominus negotii), handelt, tritt die Wirkung ein, daß nicht der Stellvertreter, sondern nur der dominus aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet wird· Das Rechtsgeschäft muß also erkennbar im Namen des dominus negotii geschlossen sein (Beispiel: der Vertragsschluß des Kellners in der Gastwirtschaft, des Kommis im Laden). Nur in diesem Fall, wo die Stellvertretung für den Vertragsgegner erkennbar ist (man pflegt Bolche Stellvertretung als offene oder direkte Stellvertretung zu bezeichnen), finden die Rechtssätze über Stellvertretung Anwendung. Dagegen tritt derjenige Beauftragte (oder gesetzliche Vertreter), welcher zwar im Interesse (auf Rechnung), aber nicht im Namen seines dominus, sondern im eigenen Namen handelt (sogenannter stiller oder mittelbarer Stellvertreter), überhaupt gar nicht als Stellvertreter auf, und in solchem Fall finden daher die Rechtssätze über Stellvertretung keine Anwendung. Die Wirkungen des in solcher Weise geschlossenen Rechtsgeschäfts (z. B. mein Freund kauft für mich Briefmarken auf der Post, mein Kommissionär kauft für mich Wertpapiere an der Börse) treten nur zu Lasten und zugunsten des Handelnden (des Kommissionärs) ein, nicht zu Lasten noch zugunsten des dominus negotii. Erst durch ein zweites Rechtsgeschäft müssen die Wirkungen des ersten Rechtsgeschäfts, z. B. der Eigentumserwerb, auf den dominus negotii übertragen werden. Die mittelbare Stellvertretung stellt also in Wahrheit rechtlich keine Stellvertretung dar* und die Tatsache, daß das römische Zivilrecht grundsätzlich nur mittelbare (den Handelnden zunächst selbst berechtigende und verpflichtende), nicht unmittelbare Stellvertretung Zuließ, ist mit der anderen gleichbedeutend, daß das Zivilrecht grundsätzlich keine Stellvertretung anerkannte5. 5

Einen Auftrag kann der mittelbare „Stellvertreter 11 haben; aber er hat keine Vollmacht. Auftrag und Vollmacht sind zu unterscheiden. Der Auftrag bestimmt das Innenverhältnis zwischen Geschäftsführer und Ge-

§ 45. Die Stellvertretung.

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Keine Stellvertretung ist ferner die (dem heutigen Recht unbekannte) sogenannte u n f r e i e S t e l l v e r t r e t u n g des römischen Rechts, d. h. der rechtsnotwendige Erwerb des Herrn durch seinen Sklaven, des paterfamilias durch den filiusfamilias (oben S. 169. 183). Das Rechtsgeschäft wirkt hier grundsätzlich nur zugunsten des dominus, nicht auch zu seinen Lasten (er wird grundsätzlich nicht verpflichtet aus dem Darlehen, obgleich er das Eigentum an dem empfangenen Gelde erwirbt). Es tritt also nur teilweise StellvertretungsWirkung ein. Damit der dominus nicht bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet werdo aus dem Rechtsgeschäft, müssen hier anderweitige besondere Voraussetzungen vorliegen (unten § 77). Und ferner: es ist für den rcchtsnotwendigen Erwerb des Herrn gleichgültig, ob der servus bzw. filiusfamilias im eigenen Namen oder im Namen des Herrn, ob er bevollmächtigt oder unbevollmächtigt gehandelt hat. Die Rcchtssätze über Stellvertretung finden auch auf dies Verhältnis keine Anwendung. schäftsherrn, die Vollmacht das Außenverhältnis zwischen dem Geschäftsführer und dem Dritten. Der Auftrag v e r p f l i c h t e t den Geschäftsführer zur Geschäftsführung (dazu bedarf es eines Vertrags, d. h. der Annahme des Auftrags durch den Beauftragten). Die Vollmacht e r m ä c h t i g t den Geschäftsführer, i m N a m e n des Geschäftsherrn mit dem Dritten abzuschließen bzw. Erklärungen des Dritten zu empfangen (dazu bedarf es nur der einseitigen Willenserklärung seitens des Geschäftsherrn). Der Auftrag kann o h n e Vollmacht gegeben werden (so im Fall des „mittelbaren Stellvertreters 11). Auch kann die Vollmacht ohnè Auftrag sein (es kann ein Gesellschaftsverhältnis, ein Dienstvertragsverhältnis zugrunde liegen). Für das Verhältnis zu dem D r i t t e n , d. h. für die Wirkung des mit dem Dritten geschlossenen Rechtsgeschäfts; ist immer nur die V o l l m a c h t maßgebend. Ist die Vollmacht da, so wirkt das im Namen des Vertretenen geschlossene Geschäft heute n u r für den Vertretenen. Fehlt die V o l l m a c h t , so wirkt das Geschäft, falls nicht nachträgliche Genehmigung (ratihabitio) seitens des Vertretenen (in dessen Namen abgeschlossen wurde) erfolgt, auch heute nur für den falsus procurator, den Vertreter (vgl. B.G.B. § 177—180).

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Zweites Buch.

Die Vermögensrechte. Erstes Kapitel.

Sachenrecht. § 46. Begriff der Sache. Die Römer nannten res alle Vermögenswerten Güter und unterschieden zwischen res corporales (Sachen) und res incorporates, die nur in der rechtlichen Vorstellung ein Dasein haben (z. B. Erbrecht, Rechte an fremden Sachen, Forderungsrechte). Wir gebrauchen das Wort „Sache" nur für res corporales und nennen im Rechtssinn Sachen die dem Verkehr erreichbaren und für den Verkehr durch ihre Natur bestimmten körperlichen Dinge; sie sind Rechts obj ekte, also Gegenstände unserer Berechtigung. Damit ist das Gebiet der Sachenrechte, an erster Stelle des Eigentums, umschrieben. An Nichtsachen gibt es kein Eigentum, überhaupt kein Sachenrecht. I. NichtSachen sind also: 1. die dem Verkehr nicht erreichbaren Dinge, wie Sonne, Mond und Sterne; 2. die für den Verkehr ihrer ftatur nach nicht bestimmten Dinge, wie der Körper des freien Menschen, auch der Leichnam (andere anatomische Präparate); 3. die nichtkörperlichen Dinge: es gibt kein Eigentum an Rechten, auch nicht an einem Vermögen; überhaupt nicht an Gesamtheiten, die nur in der Vorstellung, nicht körperlich eine Einheit bilden.

§ 46. Begriff der Sache.

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Nichtsache ist also auch der Sachinbegriff (sogenannte universitas rerum distantium), z. B. eine Herde1, eine Bibliothek, ein Warenlager; an der Bibliothek als solcher gibt es kein Eigentum, sondern nur an den einzelnen Büchern. Die Verpfändung einer Bibliothek ergreift nur diejenigen Bücher, welche zur Zeit der Verpfändung dazu gehören; sie werden, alle unter einem Namen, als einzelne verpfändet. Ausscheidende Stücke werden also vom Pfandrecht nicht frei, nach der Verpfändung eingestellte von ihr nicht ergriffen. Ebenso gibt es keinen Nießbrauch und kein Pfandrecht an dem Inbegriff als solchem. Wer also eine „Bibliothek" vindiziert, muß das Eigentum hinsichtlich jedes einzelnen Buches nachweisen, und es werden ihm nur diejenigen Bücher zugesprochen, deren Eigentum er nachgewiesen hat; es genügt nicht, etwa das Eigentum an der Mehrzahl der Bücher zu beweisen. Der Eigentumsprozeß über die Bibliothek ist also nur eine Kumulation von Prozessen über die einzelnen Bücher. IL Ein Gegenstück zum Sachinbegriff ist die „zusammengesetzte Sache" (universitas rerum cohaerentium). Dabei gehen die römischen Juristen (Pomponius D. 41, 3, 30 pr.) aus von dem Begriff der einfachen Sache (ήνωμένον). Darunter verstehen sie Naturdinge, die der natürlichen (nicht wissenschaftlich zerlegenden) Betrachtung als eine von der Natur gegebene Einheit erscheinen2, ζ. B. ein Stück Metall, ein Stein, ein Stück Holz; auch jedes organische Lebewesen, das Tier, die Pflanze, mit allen seinen Bestandteilen (Knochengerüst, Fleisch, Haut, Haar bzw. Stamm, Stengel, Blätter, Blüten, Früchte) ist eine solche natürliche Einheit, ein Ding, „quod uno spiritu continetur". Wird aus mehreren solchen ηνωμένα durch körperliche Verbindung ein Ganzes hergestellt, das nach den Anschauungen des Verkehrs als eine Einheit erscheint (ζ. B. ein aus mehreren Hölzern zusammengesetztes Möbelstück, ein Wagen usf.), so ist dieses Ganze 1

Nur gibt es nach römischem Recht bei Herden und anderen Naturganzen (ζ. B. Bienenschwärmen) „quae gretatim habentur" eine vindicatio gregis (D. 6, 1, 1, 3), d. h. eine Gesamtvindikation zugunsten desjenigen, welchem die Mehrheit der Stücke gehört; d i e s e Arten von Inbegriffen sind also von den Römern doch wohl als Rechtsobjekte betrachtet worden. Vgl. W i n d s c h e i d - K i p p , Pand. 9 1, S. 137. » D. 41, 3, 30 pr.

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht

eine universitas rerum cohaerentium. Von ihr gilt das fundame tale Rechtsprinzip: sie ist als* Ganzes ein einziges Rechtsobjekt, die in ihr verbundenen Sachen, die man jetzt wesentliche Bestandteile oder Akzessionen (§ 63 III) nennt, sind nicht mehr Rechtsobjekte, also im Rechtssinn nicht mehr vorhanden, nicht mehr Sachen, solange die Verbindung andauert. Darum kann an den eingebauten Baumaterialien eines Gebäudes kein besonderes Eigentum, Pfandrecht usf. entstehen oder fortbestehen; das Eigentum, das Pfandrecht, der Nießbrauch an dem Gebäude schließen notwendig die gleichen Rechte an allen darin eingebauten Ziegeln, Balken usf. in sich und erstrecken eich auch auf solche Ziegel usf., welche nachträglich, und sei es selbst von einem unbefugten Dritten, in das Haus oder die Mauer eingebaut werden. Umgekehrt: wer ein fremdes Haus (unrechtmäßig) besitzt, besitzt nur das Haus als Ganzes, nicht auch gleichzeitig die Baumaterialien, aus denen es zusammengesetzt ist; er ersitzt daher nicht die Materialien in der für bewegliche Sachen vorgeschriebenen kürzeren, sondern nur das Haus (damit aber freilich auch das Eigentum an den Materialien) in der für die Grundstücksersitzung erforderlichen längeren Frist (D. 41, 3, 23 pr.). Nach diesen Regeln müßte, scheint es, der Eigentümer einer Sache sein Eigentum verlieren, wenn sie mit einer anderen als deren integrierender Bestandteil verbunden wird. Doch nimmt das römische Recht in diesem Fall keinen vollkommenen Rechtsverlust an, sondern bloß eine Suspension des Eigentums auf die Dauer der Verbindung; das suspendierte Eigentum lebt wieder auf mit der Lostrennung. Und diese kann der alte Eigentümer sogar mit einer (obligatorischen) Klage auf Lostrennung (actio ad exhibendum § 72 VI) fordern, um auf sein vorläufig ruhendes Eigentum (dominium dormiens — der Ausdruck ist aber nicht römisch) wieder eine Reivindikation richten zu können. Nur bei den Materialien eines Gebäudes ist del· Trennungsanspruch durch positive Satzung der zwölf Tafeln, um Zerstörung ganzer Gebäude zu vermeiden, ausgeschlossen; zum Ersatz hat der alte Eigentümer eine „actio de tigno juneto" auf Bezahlung des doppelten Sachwertes (J. 2, 1, 29. D. 41, 1, 7, 10). Wann eine Sache im Sinne dieser Regeln als wesentlicher Be

§ 47. Arten der Sachen.

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standteil einer anderen zu betrachten ist, darüber siehe unten §53 III. Hier sei nur bemerkt: von Grundstücken gilt der allgemeine Grundsatz, daß alles, was auf ihnen wächst oder gebaut wird, als Bestandteil des Bodens zu betrachten ist, mithin notwendig dem Bodeneigentümer zu Eigentum gehört, dem Bodenpfandgläubiger pfandrechtlich mithaftet usf. Das gilt also wie von den Bäumen, Bodenfrüchten und sonstigen auf einem Grundstück wachsenden Pflanzen, so auch von dem Haus, der Mauer, dem Keller oder Kanal, die auf oder in den Boden hineingebaut werden. § 47.

Arten der Sachen. I. Gewisse Sachen sind durch Rechtssatz (nicht schon durch ihre Natur) von der Fähigkeit, Gegenstand von Privatrechten zu sein, ausgeschlossen: die res extra commercium, nämlich: a) Die res divini juris: die res sacrae (den Göttern geweihte Sachen, z. B. Tempel, Altar) 1, die res sanctae (von den Göttern befriedete Sachen, z. B. die Stadtmauern Roms), die res religiosae (die den diis Manibus geweihten Sachen, d. h. die Begräbnisplätze). Vgl. oben S. 198. b) Die res publicae, die öffentlichen Sachen. Ursprünglich zählte zu den res publicae alles Eigentum des populus Romanus (Staatseigentum). Was dem römischen Volke gehörte, stand außerhalb des Privatrechts (S. 197). Erst die Entwicklung der juristischen Persönlichkeit (Privatpersönlichkeit) der Gemeinden, dann des Staates, hat bewirkt, daß das der Sonder wir tschaft von Staat und Gemeinde dienende Vermögen (welches den einzelnen nur mittelbar zugute kommt, wie z. B. das zur Erhaltung von Schulen, zur Pflasterung und Beleuchtung von Straßen dienende Vermögen, vgl. oben S. 198) als Eigentum einer juristischen Privatperson (des fiscus) in die Reihe der res privatae eintrat, an denen Eigentum und Verkehr nach den Rechtssätzen des Privatrechts möglich ist. Nach Justinianischem Recht sind daher res publicae im technischen Sinne nur noch die res publicae publico usui destinatac, d. h. diejenigen Sachen, welche dem Gemein1

Vgl. dazu aber auch oben S. 198 Anm. 3.

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht

gebrauch preisgegeben sind, welche allen »einzelnen unmittelbar dienen, an welchen daher ausschließliche Rechte einzelner nach Art des Privatrechts grundsätzlich nicht vorkommen, wie z. B. öffentliche Wege, öffentliche Plätze, öffentliche Flüsse (öffentlich sind nach römischem Recht alle flumina perennia, d. h. alle größeren, Quellwasser führenden fließenden Gewässer, nach heutigem Recht nur die schiffbaren Flüsse). Solche Sachen sind auch noch nach Justinianischem Recht dem Privatrecht entzogene Sachen, res extra commercium: an ihnen gibt es kein privates Eigentum. Welche Sachen öffentliche Sachen sind, bestimmt heute das Landesrecht (diese Rechtssätze sind ein Teil des öffentlichen Landesrechts). Auch die öffentlichen Sachen stehen heute im Eigentum (regelmäßig des Staates oder der Gemeinde oder einer sonstigen öffentlichen Körperschaft), aber in sogenanntem öffentlichen Eigentum, d. h. über Inhalt und Ausübung des. Eigentumes bestimmt das öffentliche Recht1. Der Schutz des öffentlichen Gebrauchs erfolgt im Wege der Verwaltung, nach römischem Recht auch im Wege des Interdiktenverfahrens (unten § 120 JI): es gab interdicta privata zugunsteh des Geschädigten (z. B. das interdictum ne quid in loco publico fiat, D. 43, 8, 2 pr. § 2) und interdicta popularia (z. B. das interdictum de loco publico, D. 43, 7, 1; ne quid in flumine publico-fiat, D. 43, 13, 13, 9). Das interdictum populäre konnte jeder Bürger namens des geschädigten Gemeinwesens geltend «machen (vgl. unten § 115 V). c) Die res omnium communes: Die freie Luft, die Flußwelle3, das Meer mit seinem Bett und Strand. Hier handelt es * Das bloße Veräußerungeverbot macht die Sache nicht zu einer res extra commercium. So war nach römischem Rccht die Veräußerung einer im Rechtsstreit befindlichen Sache (res litigiosa) und ebenso eines im Rechtsstreit stehenden Anspruchs nichtig (1. 5 G. 8, 36). Aber die res litigiosa stand trotzdem im gewöhnlichen Privateigentum. Im heutigen Recht ist die Unver&ußerlichkeit der streitbefangenen Sache (ebenso dès streitigen Anspruchs) beseitigt, aber die Veräußerung „hat auf den Prozeß keinen Einfluß", Ζ.Ρ.Ο.

§ 266. 266.

8 Anders die bloßen Quellen. Die Quelle steht im Privateigentum des Grundbesitzers. Wo aber der Fluß anfängt, bestimmt sich im römischen Recht, sofern die Größe des Gewässers darüber Zweifel läßt, „nach der Auffassung der Anwohner" (D. 43,12, 1,1), d. h. Fluß ist nach römischem Recht ein fließendes Gewässer, das herkömmlich von allen gemeinsam benützt wird.

§ 47. Arten der Soeben.

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eich um solche „Sachen", welche (ebenso wie Sonne, Mond und Sterne) im Rechtssinn vielmehr überall keine Sachen sind: die Atmosphäre der Erde, das Weltmeer und die freifließende Wasserwelle, (aqua profluens) öffentlicher Flüsse sind dem privaten Geschäftsverkehr unerreichbar und nicht für ihn bestimmt. GAJ. Inst. II § 3: Divini juris sunt veluti res sacrae et religiosae. § 4: Sacrae sunt, quae diis superis consecratae sunt; religiosae, quae diis Manibus relictae sunt. § 5: Sed sacrum quidem hoc solum existimatur, quod ex auctoritate populi Romani consecratum est, veluti lege de ea re lata aut senatusconsulto facto. § 6: Religiosum vero nostra voluntate faeimus, mortuum inferentes in locum nostrum, si modo ejus mortui funus ad nos pertineat. § 8: Sanctae quoque res, velut muri et portae, quodammodo divini juris sunt. § 9: Quod autem divini juris est, id nullius in bonis est. § 1 I. de rer. div. (2, 1): Et quidem naturali jure communia sunt omnium haec: a6r et aqua profluens et mare et per hoc litora maris. Nemo igitur ad Ii tus maris accedere prohibetur: dum tarnen a villiß et monumentis et aedifieiis abstineat. . . .c § 2: Flumina autem omnia et portus publica sunt, ideoque jus piscandi omnibus commune est in portu muminibusque. § 3: Est autem litus maris, quatenus hibernus fluetus flaximus excurrit. § 4: Riparum quoque usus publicus est juris gentium, sicut ipeius fluminis; itaque näVem ad eas appellere, funes ex arboribus ibi natis religare, onus aliquid in his reponere cuilibet liberum est sicuti per ipsum flumen navigare; sed proprietas earum illorum est, quorum praedüs haerent: qua de causa arbores quoque in isdem natae eorundem ,sunt. II. Unter den res in commercio, welche also sämtlich gleichermaßen fähig sind, im Eigentum zu stehen, treten folgende Unterschiede als rechtlich bedeutend hervor: Ein Mittelding zwischen Fluß und Quelle kennt das römische Recht nicht; was wir den „Bach" nennen, ist dort kein Rechtsbegriff, sondern entweder ein kleiner Fluß oder eine große QueUe, je nach der konkreten Benutzung. Das Grundwasser endlich wieder ist kein Rechtsobjekt, da es, weil zwischen den Erdteüchen und Steinen sickernd, als bloßer B e s t a n d t e i l des B o d e ne (portio fundi D. 43, 24, 11 pr.) betrachtet wird; jeder Grundeigentümer hat darum das Recht, auf seinem Boden nach Quellen, d. h. natürlichen Ansammlungen des Grundwassers zu graben, selbst wenn er dadurch den Nachbarn das Wasser entzieht, nur darf er das nicht aus Schikane tun, D. 39, 3, 1, 12 f. 39, 2, 24, 12; 26. — Die Terminologie für diese Begriffe ist übrigens in den Rechtequellen nicht recht durchsichtig; insbesondere über die Bedeutung von „fons" O s s i g , Römisches Wasserrecht (1898) § 2.

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht

* a) Bewegliche und unbewegliche Sachen (erstere noch Fahrnis, Fahrhabe, letztere auch Immobilien, Liegenschaften, im B.G.B, technisch Grundstücke genannt). Unbeweglich im Rechtssinne ist der Erdboden resp., da im Rechtsverkehr nur abgegrenzte Stücke desselben in Betracht kommen, jedes Stück des Erdbodens. Zum Boden gehörig und seiner Unbeweglichkeit teilhaftig sind auch seine rechtlichen Bestandteile: Bauwerke und Bodengewächse4. Alle übrigen Sachen sind beweglich5. Der Gegensatz von Mobilien und Immobilien hat übrigens im römischen Recht keine besondere Bedeutung. Im Gegensatz zum deutschen Recht, welches schon seit dem Mittelalter über die Grundstücke besondere, auch dem privaten Rechtsverkehr dienende amtliche Verzeichnisse, die Grundbücher, eingerichtet und im Anschluß daran ein besonderes, von den Rechtssätzen über bewegliche Sachen völlig abweichendes Liegenschaftsrecht entwickelt hat, kennt s 'Außerdem erstreckt sich, was zwar in den römischen Quellen nicht ausdrücklich gesagt, aber in mehrfachen Entscheidungen vorausgesetzt ist und in der gemeinrechtlichen Theorie und Praxis außer Zweifel war, das Eigentum von einem Grundstück auch auf den über demselben befindlichen Luftraum sowie auf das Erdreich unter seiner Oberfläche, soweit der Grundeigentümer an der ausschließlichen Beherrschung beider ein vernünftiges Interesse hat; also nicht in eine solche Höhe oder Tiefe hinein, in der sie für die Benutzung seines Grundstücks nicht mehr in Betracht kommen können. 5 T e r m i n o l o g i s c h e s . Die obligate Bezeichnung für das „Grundstück" ist bei den Römern: praedium. Sie unterscheiden praedia rustica, die der Landwirtschaft dienenden und pr. urbana, die nach städtischer Wohnweise zu benutzenden Grundstücke; nur diese w i r t s c h a f t l i c h e B e s t i m m u n g ist dabei maßgebend, die r ä u m l i c h e L a g e irrelevant: es kann auch im Gebiet einer sonst geschlossenen Ortschaft ein Landgrundstück liegen (als Enklave). Ein Mittelding zwischen den rustica und den urbana sind die praedia sub urbana; Villengrundstücke mit Park, der landwirtschaftlichen Ertrag abwirft, noch im Weichbild (meist wohl an der Peripherie) der Stadt gelegen; sie spielen im römischen Recht nur an einer Stelle in der oratio Divi Severi über die Veräußerungsbeschränkung der Vormünder (unten § 941) eine Rolle. Unter fundus verstehen die Römer ein als geschlossene landwirtschaftliche Einheit erscheinendes Landgut; zu ihm gehört in der Regel die Vüla, Maierhof (daher villicus der Maier), oder auch ein Herrenhaus. Ager bedeutet bald eine einzelne, durcji bestimmte Kulturart charakterisierte Parzelle des fundus (Feld, Acker), bald auch die ganze Gemarkung einer Gemeinde (ager Campanus). Unter den praedia urbana ist area der städtische Bauplatz, aedes sind das Einwohnhaus = Familienhaus, insula ist die Bezeichnung für ein Miethaus (Zinskaserne), in dem übrigens nur Hie ärmere Bevölkerung wohnt; der wohlsituierte Römer wohnt im eigener H^use.

§ 47. Arten der S e n .

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das römische Recht nicht das Institut der Grundbücher, und gilt hier überhaupt für bewegliche und unbewegliche Sachen dasselbe Recht: Eigentum und Jura in re aliéna werden bei den Sachkategorien im allgemeinen nach denselben Grundsätzen erworben, verloren und übertragen. Nur daß gewisse dingliche Rechte (Servitutes praediorum, Superficies und Emphyteuse) schon ihrem Inhalt nach bloß an Grundstücken bestehen können, außerdem die Ersitzungsfrist bei diesen länger als bei Mobilien bemessen (§ 53 II) und der Besitzesschutz bei beiden in verschiedener Weise geregelt ist (§ 49 IX) 6 . b) Res nullius (herrenlose Sachen) sind Sachen, welche tatsächlich in niemandes Eigentum stehen, z. B. das Wild im Walde. Sie werden durch Okkupation (unten § 53) zu Eigentum erworben. c) Verbrauchbare (konsumtible) Sachen (res, quae usu minuuntur vel consumuntur) sind solche Sachen, welche bestimmungsgemäß durch Verbrauch oder Veräußerung gebraucht werden, z. B. Nahrungsmittel, Geld. An solchen Sachen ist kein Nießbrauchsrecht möglich, weil der Nießbraucher nur berechtigt ist, die Sache unter Erhaltung ihrer Substanz (salva rei substantia) zu gebrauchen; der sogenannte quasi ususfructus an Konsumtibilien bedeutet vielmehr Eigentum mit Rückleistungspflicht (unten § 57). Über das commodatum in bezug auf verbrauchbare Sachen vgl. unten § 68 I b. Geld wird konsumiert durch Ausgeben, nach römischem Recht auch durch Vermischung mit anderem Gelde, so daß die Unterscheidung der einzelnen Stücke nach ihrer Herkunft nunmehr unmöglich ist. Hat also z. B. jemand fremdes Geld gegeben, um eine Schuld zu zahlen oder ein Darlehen zu gewähren, so macht nicht die Übergabe (die Tradition), wohl aber nachfolgende Vermischung den Empfänger dennoch zum Eigentümer (si nummi mixti essent, nämlich mit anderem Gelde des Empfangenden, ita ut discerni non possent, ejus fieri qui accepit, D. 46, 3, 78). Nach • Ferner: wegen schuldhafter Beschädigung fremden Eigentums greift bei beweglichen Sachen die actio legis Aquiliae (§ 74 I I I ) Platz, bei Grundstücken nur das interdictum quod vi aut elam (§ 65 Anhang 3). Der f u n d u s dotalis ist unveräußerlich (§ 84). Vgl. auch die oratio divi Severi (§ 94 I).

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht

der Vermischung ist das fremde Geld als solches verschwunden, vom Empfänger konsumiert und ihm damit angeeignet worden. Daraus kann dann eine obligatorische Rückerstattungspflicht des Empfängers entspringen, vgl. § 72 12. Das B.G.B. § 948 behandelt die Geldvermischung (welche UnUnterscheidbarkeit des eigenen und fremden Geldes herbeiführt) gleich anderen Vermischungsfällen solcher Art nicht als Konsumtion, sondern als Sachverbindung (vgl. unten § 53 am Schluß), so daß zu unterscheiden ist, ob die fremde Geldmenge im Verhältnis zu dem Geldvorrat, in den sie aufgegangen ist, erheblich oder unerheblich ist. Im ersteren Fall liegt Sachverbindung im engeren Sinne vor (keine der beiden Geldmengen erscheint als Hauptsache): es entsteht Miteigentum an den vermischten Geldstücken nach dem Wertverhältnis der beiden Geldmengen. Im zweiten Fall liegt Akzession vor (die größere, nur unerheblich vermehrte Geldmenge erscheint als die Hauptsache), und der Eigentümer der größeren Menge ist Alleineigentümer des ganzen jetzt vorhandenen Geldvorrats. Nach dem B.G.B, muß also der Akzessionsfall vorliegen, damit der Empfänger durch die Vermischung als solche alleiniger Eigentümer des vermischten Geldes werde. Andererseits macht Übereignung (Tradition) des Geldes den gutgläubigen Empfänger nach B.G.B. § 935, 2 stets sofort zum Eigentümer. d) Vertretbare (fungible) 7 Sachen (res, quae pondéré, numéro, mensurave constant), auch Gattungs- oder generische Sachen (genus), sind solche Sachen, welche im Verkehr nicht als Stücke, sondern nur als Mengen gehandelt zu werden pflegen, z. B. Wein, Getreide, Eier, Äpfel, Zigarren (Gegensatz z. B. Kunstwerke, Grundstücke und überhaupt alle Sachen, welche im Verkehr nach individuellen Merkmalen in Betracht kommen; sie führen die technische Bezeichnung „Spezies"). Für das Gebiet des Sachenrechts ist die Vertretbarkeit gleichgültig: Eigentum habe ich nie an einer Menge als solcher, sondern immer nur an bestimmten Stücken (an diesen 100 Flaschen Wein, nicht an 100 Flaschen). Anders auf dem Gebiete des ObligationenYechts. Wo vertretbare Sachen geschuldet 7 Die Bezeichnung „fungibel·' ist für diese Sachen im 16. Jahrhundert von Ulrich Zasius (oben S. 161) zuerst aufgestellt worden; S t i n t z i n g, Gesch. d. deutschen Rechtswiss. 1, 166.

§ 47. Arten der S e n .

werden, besteht in der Regel keine Stuckschuld (Verpflichtung zur Leistung individuell bestimmter Sachen), sondern eine Gattungsschuld (Verpflichtung zur Leistung einer bestimmten Menge von bestimmter Güte, gleichgut welche Stücke gegeben werden), weil für vertretbare Sachen schuldrechtlich im Zweifel der Satz gilt: tantundem ejusdem generis est idem. Doch ist im rechtsgeschäftlichen Verkehr der Gegensatz von Vertretbarkeit und Unvertretbarkeit kein absoluter, vielmehr kommt es auf die Absicht der Parteien an. Kleidungsstücke z. B. werden im Privatverkehr regelmäßig als Spezies gehandelt (ich kaufe diesen Mantel oder dieses Paar Schuhe, welche ich passend und gefällig gefunden habe), können aber gelegentlich auch als Genus Gegenstand eines Kontraktes sein (z. B. die Heeresverwaltung bestellt 10000 Stück Mannschaftsmäntel); ebenso bei Pferden, Waffen, Büchern usf. Umgekehrt: Viktualien werden regelmäßig generisch gekauft, doch kann ich auch diesen Apfel, dieses Faß Wein kaufen usf. — Ein Darlehen, auch ein depositum irreguläre kann nur durch Hingabe von vertretbaren Sachen (Geld, Getreide, Wein usw.) abgeschlossen werden (unten § 68). G e l d gehört wie zu den verbrauchbaren so auch zu den vertretbaren Sachen (über den Rechtsbegriff des Geldes vgl. unten § 63 II). e) T e i l b a r e S a c h e n sind solche Sachen, welche ohne Wertminderung in mehrere, dem Ganzen gleichartige Sachen zerlegt werden können. So z. B. regelmäßig Grundstücke, ein Stück Tuch (nicht aber der Rock), ein Quantum Wein usw. Die teilbare Sache wird im Teilungsprozeß (wenn Miteigentümer Auseinandersetzung begehren) körperlich (reell) geteilt, d. h. in mehrere Sachen zerlegt, während bei unteilbaren Sachen zum Zweck der Aufhebung der Gemeinschaft anderweitig verfahren werden muß (unten § 52 III). Keine Sachteilung ist die sogenannte ideelle Teilung (communio pro partibus indivisis), welche vielmehr gemeinsame Berechtigung mehrerer mit Teilung des Rechtes an der Sache ist ohne Teilung der Sache. So z. B. beim Miteigentum; sie ist nach römischem Recht8 die praktisch allein mögliche Art der Rechtsgemeinschaft 8 Das deutsche Recht allerdings kennt daneben noch die besondere Rechtsform der „gesamthändigen Berechtigung". \

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht

mehrerer an unteilbaren Sachen. Bei teilbaren dagegen sprach die gemeinrechtliche Doktrin auch von einer Communio pro diviso; dies dann, wenn die Sache in körperliche Teile (Stücke) zerlegt und jedem Teilhaber ein Stück zur Alleinberechtigung zugewiesen wurde. Es ist jedoch klar, daß man dabei eine contradictio in adjecto begangen hat; die „Communio" pro diviso ist in Wahrheit überhaupt keine Gemeinschaft mehr, sondern Auseinandersetzung; nur in der Erinnerung an den vor der Zerteilung bestandenen Zustand kann man von Gemeinschaft reden9. £) Zubehör (Pertinenzen) sind körperlich selbständige, aber wirtschaftlich unselbständige Sachen/ Sie sind dienende Sachen (Nebensachen), die ihren vollen wirtschaftlichen Wert nur in der Unterordnung unter eine bestimmte andere Sache (die Hauptsache) besitzen. Beispiele: der Schrankschlüssel, der Hausschlüssel, überhaupt alle einer bestimmten anderen Sache körperlich angepaßten Sachen. Nach heutigem Recht sind Zubehör alle zum Dienst einer anderen Sache erforderlichen und dazu bestimmten Sachen (B.G.B. § 97), auch ohne körperliche Anpassung, so daß heute auch das Inventar eines Landguts, die Ausstattung eines zu gewerblichen Zwecken eingerichteten Gebäudes Zubehör ist, vgl. B.G.B. § 98 (die Anpassung liegt in den letztgenannten Fällen lediglich in der Zahl oder in der Größe oder in dem Wechselverhältnis der dienenden Sachen)10. Das Zubehörstück ist — im Gegensatz zum Bestandteil — im Bechtssinn eine selbständige Sache, ein Rechtsobjekt; das dingliche Recht an der Hauptsache ergreift darum nicht auch das Zubehör (das Eigentum am Schrank schließt nicht das Eigentum am • Was bei zerteilten Grundstücken, wo die Trennstücke physisch verbunden bleiben, ebenso naheliegt, als es bei zertrennten beweglichen Sachen paradox ist. . y 10 Die Römer behandelten das Inventar eines Landguts dagegen nicht als Pertinenz: damit aueh das Inventar vermacht sei, mußte der fundus i n s t r u c t u s vermacht sein, das Vermächtnis des fundus schloß das Vermächtnis des Inventars nicht in sich, D. 33, 7, 1 pr.; 1. 2. § 1 eod. Der Pertinenzbegriff war also bei den Römern ein engerer als heute. — Ziegel, die zwecks Hausbaues angefahren werden, sind weder Bestandteil noch Zubehör; Ziegel auf dem Dache sind Bestandteil; vorübergehend heruntergenommene Ziegel (detractae, ut reponerentur) sind Zubehör (sie sind diesem Grundstück nach Art und Zahl angepaßt), vgl. D. 19, 1, 18, 1.

§ 47. Arten der Sachen.

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Schlüssel in sich). Aber das Verpflichtungsgeschäft über die Hauptsache wirkt im Zweifel auch für die Nebensache: ist der Schrank verkauft, vermacht, so ist im Zweifel auch der Schlüssel verkauft, vermacht worden11. g) Früchte. Es sind zu unterscheiden die sogenannten fructus naturales und die fructus civiles. Nur die fructus naturales sind körperliche Sachen, sie allein gehören darum eigentlich in diesen Zusammenhang. Unter fructus civiles versteht man Werte, die sich aus der Innehabung eines Rechts oder durch die nutzbringende Verwaltung einer Sache oder den Betrieb eines Unternehmens ergeben; so die Zinsen einer verzinslichen Forderung (§ 69 I 1), Mieterträgnisse eines Miethauses, der Reinertrag eines Erwerbsgeschäfts. Sie haben zunächst keine körperliche Existenz und bestehen, da sie durch Rechtsgeschäfte erworben werden, in Rechten (meist Forderungen), lösen sich aber bei der Erfüllung dieser Forderungen in körperliche Sachen (vor allem in Geld) auf. Bei den fructus naturales unterscheidet man wieder zwei Stadien. Fructus pendens ,ist die von der Muttersache physisch noch nicht getrennte Frucht die Wolle auf dem noch nicht geschorenen Schaf, die Ernte auf dem Halm, der Apfel auf dem Baume. Diese fructus pendentes sind rechtlich noch keine selbständigen Sachen, also kpine Rechtsobjekte, sondern bloße Bestandteile (§ 46 II) der Muttersache; selbständige Rechtsobjekte werden sie erst mit ihrer wie immer erfolgten Loslösung von diesen (dazu unten § 53 V), also sobald sie in das Stadium der „fructus separati" treten. 11

Das heutige Recht hat noch einen zweiten, dem römischen Recht unbekannten Rechtssatz: die Veräußerung und Belastung eines Grundstücks erstreckt sich (im Zweifel) auf das Zubehör (B.G.B. § 926. 1081. 1096. 1120). Für das Zubehör eines G r u n d s t ü c k s (z. B. das Inventar eines Landguts, einer Fabrik) gilt also das besondere, daß nicht bloß das Verpflichtungsgeschäft, sondern auch das V e r f ü g u n g s geschält über die Hauptsache (das d i n g l i c h wirkende Rechtsgeschäft) im Zweifel zugleich für die Nebensache wirkt. In bezug auf das Zubehör beweglicher Sachen bleibt es auch nach dem B.G.B, bei dem römischen Rechtssatz, daß nur das Verpflichtungsgeschäft, n i c h t auch das Verfügungsgeschäft für die Nebensache wirkt: Verkauf des Schrankes ist im Zweifel auch Verkauf des Schlüssels, aber Veräußerung des Schrankes (Tradition) schließt niemals Veräußerung des Schlüssels in sich (das Eigentum am Schlüssel geht erst über, wenn auch der Schlüssel tradiert ist). 13 8 o h m , Institutionen.

17. Aull.

2(52

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht/

Fructus naturales sind nach römischem Recht diejenigen organischen Erzeugnisse einer Sache, in deren Hervorbringung der bestimmungsgemäße Ertrag der Sache besteht12, z. B. Milch von der Kuh, Junge von Tieren, Feldfrüchte, Steine aus dem Steinbruch, Lehm aus der Lehmgrube. Das Kind der Sklavin (partus ancillae) ist keine Frucht 18. Dabei gilt als fruchterzeugende Sache bei Tieren immer das Mutter-, nie das Vatertier (Omnis fructus iure corporis, non iure seminis percipitur); auch Bodenerzeugnisse und Frucht des Bodens, nicht des Samens. Die Früchte sind bestimmungsgemäß von der Sache zu trennen: ihre Trennung mindert wirtschaftlich die Sache nicht. III. Geschichtlich von hervorragender Bedeutung war die römische Einteilung der Sachen in res maneipi (mancipii) und res nec maneipi, d. h. (wörtlich) in „h^ndgriffsfähige" und „handgriffsunfähige" Sachen. Die Hand (manus, munt) ist in der Urzeit das Symbol der Sondergewalt des einzelnen, des Sondereigentums. Die res mancipii der Urzeit sind die des Sondereigentums fähigen Sachen (oben S. 37. 49). In geschichtlicher 11

Der Fruchtbegriff des B.GJB. § 99, 1 geht weiter als der des römischen Rechts, indem er nicht bloß die Erzeugnisse umfaßt, welche wirtschaftlich Ertrag sind, sondern schlechtweg alle E r z e u g n i s s e , d. h. alle Hervorbringungen der Sache, deren Trennung die Substanz der Muttersache nicht mindert. So fällt der Windbruch unter den Fruchtbegriff des B.G.B., nicht unter den des römischen Rechts. Für die Einzelfälle hat das B.G.B, dann zum Teil einschränkende Rcchtssätze, z. B. für die Pacht lind den Nießbrauch (§ 681. 1039). Nur für A u s b e u t e , d. h. für die Sachen, deren Gewinnung die Substanz der Muttersache mindert (z. B. Steine aus dem Steinbruch), gilt auch nach dem B.G.B, der Satz, daß nur die b e s t i m m u n g s g e m ä ß e (der wirtschaftlichen Natur der Muttersache entsprechende) Ausbeute Frucht ist, d. h. den Erzeugnissen gleich geachtet wird, denn eine solche Ausbeute ist w i r t s c h a f t l i c h Ertrag, nicht Minderung. — Früchte eines Rechts (B.G.B. § 99, 2) sind dem römischen Recht unbekannt. 18 Hier kommt die Menschénpersonlichkeit auch des Sklaven zum Ausdruck (vgl. oben S. 161). D. 7, 1, 68: Vetus fuit quaestio an partus ad fruetuarium ρ er tin ere t: sed Bruti sententia optinuit, fruetuarium in eo locum non habere: neque enim in fruetu hominis homo esse potest; — fetus tarnen pecorum Sabinus et Cassius opinati sunt ad fruetum pertinere. B r i η i , La sentenza di Bruto sui partus ancillae, Mem. della r. accad. d. Scienze dell1 istituto di Bologna, Ciasso di Scienze morali, Serie I Tom. IV, Bologna 1911.

§ 47. Arten der S e n .

263

Zeit überträgt sich der Ausdruck mancipium auf die Rechtshandlung des „Handgriffs", die Manzipation, den feierlichen Kauf (vgl. S. 48 f.). Res mancipii (maneipi) sind jetzt die manzipationsfähigen Sachen („Kaufschatz" im Sinn des jus civile) und res nec maneipi die manzipationsunfähigen- Sachen. Nur res maneipi können durch das feierliche Verkaufsgeschäft des alten Rechts (die mancipatio, vgl. § 11) mit den besonderen Wirkungen, welche ihm anhaften (Erwerb des vollen römischen, des sogenannten quiritischen Eigentums einerseits, Begründung der Gewährleistungspflicht, der actio auctoritatis gegen den mancipio dans andererseits), veräußert werden, und umgekehrt: die res maneipi kann nur feierlich, durch einen Rechtsakt juris civilis (die mancipatio oder was ihr gleichsteht, vgl. unten § 51), nicht unfeierlich (durch einen formlosen Rechtsakt juris gentium) erworben werden. Die res maneipi sind in der geschichtlichen Zeit die privilegierten Sachen des altrömischen Rechts, die Sachen, welche als der Grundstock des bäuerlichen Vermögens und zugleich des Nationalvermögens gelten, so daß für den Verkehr mit solchen Sachen (weil den Staat interessierend) Öffentlichkeit und Mitwirkung des Gemeinwesens (sei es durch, das Mittel der fünf Zeugen, sei es durch das Mittel der Obrigkeit) und, was für die alte Zeit als eine Hauptsache gedacht werden mag, Ausschluß der Ausländer vom Erwerbe vorgeschrieben ist. An „Manzipationssachen" kann daher kein Ausländer Eigentum erwerben (es sei ihm denn durch Privileg das jus commercii # verliehen worden, oben S. 66. 178). Für die beweglichen res maneipi begründet ihre Eigenschaft als solche eine Art Ausfuhrverbot. Die Tatsache, daß .der fundus Italicus (ursprünglich zweifellos nur der Grund und Boden im römischen Gebiet) res maneipi ist, bedeutet, daß grundsätzlich nur der römische Bürger in Rom (dann in Italien) Grundeigentümer sein kann. Die res maneipi sind diejenigen Sachen, deren Veräußerung infolge des öffentlichen Interesses erschwert ist. Res maneipi sind nach klassischem römischen Recht: der fundus Italicus (Provinzialgrundstücke sind, soweit nicht das jus Italicum, oben S. 181 Anm. 7, eingreift, als im Eigentum des römischen Volks befindlich, rechtlich ager publicus und deshalb 1A*

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ie Vermögensrechte.

Sachenrecht

dem echten Privateigentum entzogen, vgl. S. 197), die Rustikalservituten (Grundgcrechtigkeiten, welche den Bestand des italischen Landguts erweitern, z. B. die Wegegercchtigkeit, Wasserleitungsgerechtigkeit, vgl. unten § 57 Anm. 5), die Sklaven und die vierfüßigen Zug- und Lasttiere. In dem Katalog der res maneipi sehen wir das altitalische Bauerngut mit seinem zum „Hauswesen" (familia, vgl. unten § 80 Anm. 1) gehörigen Inventar (Sklaven und Großvieh) vor uns. Die res maneipi heißen altrömisch familia; die übrige Fahrliabc (res nec maneipi), deren Hauptstück das Kleinvieh (pccus) ist, führt den Namen pccunia14. Im justinianischen Recht ist die Sonderstellung der res maneipi beseitigt (unten §§ 51. 52), nachdem sie schon vorher durch das prätorische Recht der praktischen Bedeutung entkleidet worden war. Im Recht des Corpus juris werden alle Sachen grundsätzlich gleich behandelt. Nach dem Corpus juris gilt ein einziges Sachenrecht gleichermaßen für alle Sachen. ULP. fit. 19 § 1: Omnes res aut mancipii sunt aut nec mancipii. Mancipii res sunt praedia in Italico solo, tarn rustica, qualis est fundus, quam urbana, qualis domus; item jura praediorum rusticorum, velut via, iter, actus, aquaeduetus; item servi et quadrupedes, quae dorso collove domantur, velut boves,rouli,cqui, asini. Ceterae res nec mancipii sunt; elefanti et cameli, quamvis collo dorsove domentur, nec mancipii sunt, quoniam bestiarum numéro sunt. § 3: Mancipatio propria species alienationis est rerum mancipii. § 48. Die Rechte an Sachen. — Arten des Rechtsenverbs. Sachenrechte (oder dingliche Rechte) sind diejenigen Privatrechte, welche ein unmittelbares Herrschaftsrecht über eine Sache gewähren.^ Sic berechtigen ihren Träger, selber handelnd in bezug auf eine Sache vorzugehen. Weil die dinglichen Rechte schlechtweg dem Berechtigten die Befugnis geben, daß er (in bestimmter Weise) handle, fallen sie unter den Begriff der absoluten Rechte, d. h. sie sind Rechte gegenüber jedermann 1 . " Vgl. M i 11 c i s , Rom. Privatr., Bd. 1, S. 79 ff. Alle Rechte, s e l b s t zu handeln (z. B. auch die Familicngewaltrechtc, das Patentrecht, das Urheberrecht), sind absolute Rechte, die als solche den 1

§ 48. Die Rechte an Sachen. — Arten des Rechtserwerbs.

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Mein Eigentum oder sonstiges Recht an der Sache muß jeder achten und vor mir zurückweichen, der nicht mir gegenüber zu einer Einwirkung auf die Sache berechtigt ist (etwa als Nicßbrauchsberechtigtcr). Den Gegensatz der Sachenrechte bilden die Forderungsrechte (unten § 61). Das Forderungsrecht (z. B. aus dem Mietverträge) gibt mir nur das Recht, daß ein bestimmter anderer, nämlich der Schuldner (z. B. der Vermieter), handle. Die Forderungsrechte sind deshalb Rechte nur gegenüber einem einzigen (dem Schuldner). Habe ich das Recht (z. B. auf Grund des Nießbrauchs), ein bestimmtes Grundstück zu nutzen, also das Recht, durch eigene Handlung die Früchte des Grundstücks mir anzueignen usw., so habe ich ein dingliches Recht an dem Grundstück (das Recht unmittelbarer Herrschaft über die Sache). Habe ich dagegen nur das Recht (so auf Grund des Pacht- oder Mietvertrags), daß ein bestimmter anderer (der Verpächter, Vermieter) mich das Grundstück nutzen lasse (Recht, daß dieser bestimmte andere handle), so habe ich nur ein Forderungsrecht, kein Recht an der Sache (keine Gewalt über die Sache gegen jedermann), sondern nur ein obligatorisches Recht auf die Handlung einer bestimmten Person. Von dem Erwerb der Sachenrechte soll im folgenden die Rede sein. Zu dem Zweck sind hier zunächst im allgemeinen die auf dem Gebiet des Vermögensrechts auftretenden Arten des Rechtscrwerbs zu entwickeln. Der Rechtserwerb ist auf dem Gebiet des Vermögensrechts entweder Gesaniterwerb (acquisitio per universitatem) oder Sondererwerb. Gesamterwerb ist der Erwerb eines Vermögens als Einheit, also aller zu einem bestimmten Vermögen gehörigen Rechte durch einen einzigen, nämlich einen personenrechtlichen Erwerbsgrund. Hauptfall des Gesamterwerbs ist der Erbgang (unten § 97). Mit dem Eintritt in die personenrcchtliche Stellung, z. B. die Stellung eines Erben (Gesamterwerbsgrund), vollzieht sich zugleich der Eintritt in alle zu dem betreffenden Vermögen, Gegensatz zu den Fordcrungsrcchtcn bilden. Die Sachenrechte sind absolute Kechte über eine körperliche S a c h c.

Die Vermögensrechte.

Sachenrecht

z. B. dem Nachlaß, gehörigen Vermögensrechte (Gesamtnachfolge, Universalsukzession). Die Vermögensrechte werden hier nicht als einzelne, sondern als zu einem bestimmten Vermögen gehörig und darum (vgl. oben S. 162) durch das Mittel eines personenrechtlichen Rechts, z. B. der patria potestas, des Erbrechts erworben. Von den Fällen des Gesamterwerbs und der Gesamtnachfolge handeln insbesondere Familienrecht und Erbrecht. Sondererwerb ist der Erwerb eines einzelnen Vermögensrechts („Gegenstandes") als solchen. Der Sondererwerbsgrund ist unmittelbar für das einzelne Vermögensrecht wirksam: Sondererwerb mehrerer Vermögensrechte fordert grundsätzlich mehrere Erwerbsgründe. Von den Sondererwerbsgründen handelt das Vermögensrecht (das auf die einzelnen Vermögensrechte als solche bezügliche Recht, oben S. 161). Nur die Sondererwerbsgründe des Eigentums bzw. der übrigen Sachenrechte gehören dem hier darzustellenden „Sachenrecht" an. Eine andere Unterscheidung ist die des abgeleiteten und des ursprünglichen Rechtserwerbs. Abgeleitet (derivativ) ist der von einem Rechtsvorgänger (Auktor) abgeleitete, d. h. von der Berechtigung dieses Rechtsvorgängers abhängige Erwerb. Der Erwerber ist nur Rechtsnachfolger. Er ist berechtigt nur, wenn der Rechtsvorgänger berechtigt war. Ursprünglich (originär) ist der Erwerb, der nicht durch Rechtsnachfolge vermittelt, also von der Berechtigung eines bestimmten Rechtsvorgängers unabhängig ist. Der Gesamterwerb bedeutet immer nur abgeleiteten Erwerb. Es werden nur die zu dem Vermögen dieser bestimmten Person, z. B. des Erblassers, gehörenden Rechte erworben. Der Gesamterwerb wirkt immer Gesamtnachfolge. Der Sondererwerb aber kann abgeleiteter oder ursprünglicher Erwerb sein. Abgeleiteter Sondererwerb (er wirkt die Sondernachfolge, Singularsukzession) ist der Erwerb durch Verfügung, z. B. durch Veräußerung, Belastung (oben S. 162)2. * Die rechtsgeschäftliche Verfügung kann durch sogenannte Zwangeverfügung ersetzt werden, d. h. durch eine Verfügung, die entweder der Richter oder das Gesetz zu Lasten einer b e s t i m m t e n Person trifft, Ein Beispiel richterlicher Zwangeverfügung ist die Pfändung im Voll-

§ 48. Die Rechte an Sachen. — Arten des Rechtserwerbs.

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Er kann „translativer" Art sein: Erwerber erwirbt das gleiche Recht, wie es der Verfügende hatte (Fälle der Veräußerung). Oder er kann „konstitutive" Natur besitzen: Erwerber erwirbt ein anderes Recht, z. B. er erwirbt vom Eigentümer Pfandrecht,' Nießbrauch (Fälle der Belastung) bzw. er erwirbt Befreiung von einem Recht, z. B. von einem Pfandrecht des Gegners (dieser verzichtet) oder von einer Forderung (Erlaßvertrag). Immer ist der Verfügende3 Recht^vorgänger des Erwerbenden und der verfügungsmäßige Erwerb des Sondernachfolgers durch die Berechtigung seines Rechtsvorgängers bedingt. Es gilt der Satz: nemo plus juris transferre potest quam ipse habet. Ursprünglich ist nur der Sondererwerb nicht durch Verfügung als solche, also kraft anderweitigen Tatbestands. Der nicht verfügungsmäßige Erwerb ist selbstverständlich von der Berechtigung eines bestimmten Verfügenden unabhängig: er ist in sich selber ruhender „originärer" Erwerb. ; Für Rechte des Personenrechts (hier gibt es keine Verfügung, oben S. 162) haben diese Unterscheidungen keine Bedeutung. Aber für die Vermögensrechte spielen sie die größte Rolle. Das „Sachenrecht" handelt vom Sondererwerb der Sachenrechte und beruht auf dem Gegensatz der abgeleiteten und der ursprünglichen Erwerbsgründe. Die Rechte an Sachen sind nach römischem Recht folgende: 1. das Eigentum; 2. die sogenannten Jura in re aliéna, d. h. dingliche Teilberechtigungen an einer im Eigentum eines anderen stehenden Sache. Von beiden Rechten ist eine andere Art der Sachbeherrschung wohl zu unterscheiden, welche überhaupt kein Recht darstellt, aber rechtliche Folgen hat: der Besitz. Davon wird zunächst zu handeln sein. streckungsverfahren (vgl. B.G.B. § 135, 1); ein Beispiel gesetzlicher Zwangs Verfügung die sogenannte cessio legis (unten § 76). s

Bzw. derjenige, auf dessen Rechnung der Richter oder das Gesetz verfügt (vgl. Anm. 2).

Die Vermögensrechte. Sachenrecht

I. Der Besitz (Possessio). § 49. Begriff und Wirkungen des Besitzes. /

Eine überaus wichtige Unterscheidung ist die zwischen Besitz und Eigentum. I. Das Eigentum ist die rechtliche, der Besitz die tatsächliche Herrschaft fiber eine Sache. Im allgemeinen ist es die Idee des Rechts, daß der Eigentümer auch zugleich Besitzer sein soll) daher der gewöhnliche Sprachgebrauch Eigentum und Besitz miteinander gleichsetzt. Dennoch sind sie begrifflich voneinander zu trennen (D. 41, 2, 12, 1 [Ulpian]: Nihil commune habet proprietas cum possessione). Das Eigentum kann man haben ohne den Besitz, den Besitz kann man haben ohne das Eigentum (z. B. im Fall des Diebstahls). Der Besitz hat also begrifflich mit dem Eigentum nichts zu tun. Dennoch hat der Besitz eine große rechtliche Bedeutung. Sie äußert sich vor allem im folgenden: a) In manchen Fällen bedingt der Erwerb des Besitzes die (sofortige oder spätere) Entstehung des Eigentums; z. B. bei der Okkupation (§ 53 I), Usukapion (§ 53 II) und Tradition (§ 62 I); auch der Fruchterwerb des gutgläubigen Besitzers ist durch den Besitz der Muttersache bedingt (§ 53 V). b) Ferner erzeugt der Besitz die Passivlegitimation gegenüber der rei vindicatio (§ 54 I), damit aber auch den Rechtsvorteil, daß im Prozeß über die Sache der Besitzer eben die Beklagtenrolle hat, also sein Recht zum Besitz nicht zu beweisen braucht und darum, solange nicht sein Gegner sein Eigentum beweist, die Sache behalten darf. c) Vor allem wichtig ist aber folgendes: Der Besitz (genauer gesprochen: der juristische Besitz, vgl. unten II) steht unter einer besonderen Friedensordnung folgenden Inhalts: Ein bestehender (fehlerfreier, vgl. unten V) Besitz darf von niemandem eigenmächtig gestört oder dem Besitzer entzogen werden; auch dann nicht, wenn der Entziehende ein Recht auf den Besitz hat, der augenblickliche Besitzer aber keines. Der zum Besitz Berechtigte muß sich vielmehr an das Gericht wenden und sich im Wege der Klage mit ge-

§ 49. Begriff und Wirkungen des Besitzes.

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richtlicher Hilfe vom Unberechtigten den Besitz zu verschaffen suchen. Das Gegenteil dieses Rechtsweges wäre „Faustrecht" (im B.G.B; § 858 „verbotene Eigenmacht" genannt) und hätte zur Folge, daß der Eigenmächtige zunächst im Wege der Besitzschutzklage (des Besitzinterdikts, s. unten IX) auf Wiederherstellung des beeinträchtigten Besitzzustandes verklagt werden könnte und nach dessen Wiederherstellung sein Recht auf den Besitz doch erst wieder im Wege der „petitorischen" Klage geltend machen müßte. Ganz ausgeschlossen wäre es insbesondere, daß er wegen Besitzverletzung verklagt, sich im Besitzprozesse verteidigungsweise auf sein Becht zum Besitz beriefe: die Friedensordnung des Besitzes ist taub für die Wünsche der Rechtsordnung (separata esse debet possessio a proprietate: D. 43, 17, 1, 2). Man pflegt das auch so auszudrücken: im Possessorium (Besitzprozesse) sind petitorische Einwendungen (d. h. solche aus dem Recht auf den Besitz) schlechthin ausgeschlossen. d) Aus diesen Gründen ist der Besitz, wenn er auch kein Recht ist, so doch eine Rechtsposition, ein Rechtsgut von materiellem Wert (wenngleich von geringerem als das Eigentum). Darum kann auch der bloße tatsächliche Besitz unter Umständen vermietet, verpachtet oder verkauft werden (z. B. der Eigentümer pachtet auf ein Jahr den Besitz seiner zu Faustpfand (§ 60 I 2) hingegebenen Sache vom Pfandgläubiger 1. II. Juristischer Besitz und Detention. Die tatsächliche Herrschaft über die Sache, also der Besitz, kann sehr verschiedener Art sein. Entweder: Ich habe die Sache zwar in meinen Händen, vielleicht sogar in meinem eigenen Interesse (z. B. das Buch, welches ich entliehen habe), aber ich erkenne einen anderen als den eigentlichen Herrn der Sache an (den Verleiher des Buches) und will, indem ich die Sache aufbewahre oder sonst auf sie einwirke, nicht 1 Ebenso kann wenigstens nach justinianischem Recht (D. 12, 6, 15, 1, Satz 2, interpoliert) der Erwerb auch des bloßen Besitzes unter Umständen sich als eine ungerechtfertigte Bereicherung auf Kosten eines früheren Besitzers darstellen und zu einer „condictio possessionis'4 (D. 1. c.) führen; das klassische Recht freilich hat eine solche wie überhaupt eine „condictio incerti" noch nicht gekannt, vgl. § 69 Anm. 6, § 72 Anm. 2.

Die Vermögensrechte

Sachenrecht

bloß mir, sondern vornehmlich dem anderen die Sache erhalten. In diesem Falle habe ich das „corpus" des Besitzes, d. h. das Äußerliche des Besitzes. Aber es fehlt mir der „animus" des Besitzes, nämlich der mit dem körperlichen Verhältnis sich deckende Wille. Ich will, obgleich ich die Sache in meinen Händen habe, sie doch nicht für mich allein, sondern sie an letzter Stelle für einen anderen haben. Es fehlt hier dem Inhaber der animus rem sibi habendi. Er hat vielmehr den animus rem alteri habendi. In diesem Falle spricht man von bloßer Detention oder Inhabung. Der bloße Inhaber, Detentor (z. B. der Entleiher, Mieter, Pächter, Nießbraucher, Depositar, Mandatar), besitzt die Sache in Unterordnung unter einen anderen als (heute sogenannter) „Fremdbesitzer". Er ist nach römischem Besitzrecht der Stellvertreter (genauer: Gehilfe, Diener) dieses anderen im Besitz: dieser andere (der Verleiher, Vermieter usw.) besitzt nach römischem Rechte durch den Detentor, den Inhaber. Od.er: ich habe die Sache in meinen Händen und will sie zugleich für mich allein haben (als jetzt [nach B.G.B. § 872] sogenannter „Eigenbesitzer"), z. B. weil ich Eigentümer bin oder mich wenigstens für den Eigentümer halte, oder auch etwa obgleich ich weiß, daß ich nicht Eigentümer bin: weil ich nämlich den Willen habe, die Sache dennoch für mich allein zu haben (so der Dieb, welcher in bezug auf sein tatsächliches Verhalten zur Sache vom Eigentümer nicht zu unterscheiden ist2. In diesem Falle habe ich nicht bloß das corpus, sondern auch den animus des Besitzes, nämlich den mit dem körperlichen Verhältnis sich deckenden Willen. Ich habe die Sache nicht bloß in Händen, sondern will sie auch für mich allein haben (animus rem sibi habendi, von den 2 Ausnahmsweise sind im römischen Recht drei Arten von Fremdbesitzern dem Eigenbesitzer gleichgestellt, also nicht für bloße Detentoren, sondern für juristische Besitzer erklärt worden, nämlich 1. der creditor pigneraticius, der Faustpfandgläubiger (ob auch andere zum Besitz gelangende Pfandgläubiger, darüber s. W i n d s c h e i d - K i p p , Pand.· 1 § 164 Anm. 3); 2. der Sequester (unten § 68 I c); 3. der Prekarist (unten Anm. 3). Die anormale Behandlung dieser drei Fälle des Fremdbesitzes (sog. „abgeleiteter1( juristischer Besitz) ist, wie J h e r i n g (Der Besitzwille 1889) gezeigt hat, rein positivrechtlicher historischer Natur und nicht, wie auch in den früheren Auflagen dieses Buches geschehen ist (noch 16. Aufl. § 67 Anm. 1, 2 und 6), auf Besonderheiten im Besitzwillen dieser drei Fremdbesitzer zurückzuführen.

§ 49. Begriff und Wirkungen des Besitzes.

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Neueren animus domini genannt). Ich habe den Willen, jeden anderen von der Sache auszuschließen. Ich habe, sofern es sich um die Ausschließung anderer handelt, die Sache wie ein Eigentümer (Alleinbeherrscher) der Sache, mag ich nun wirklich Eigentum haben oder nicht, und mag ich im letzteren Fall von meinem Nichteigentum Kenntnis haben1 (Dieb, Faustpfandgläubiger) oder nicht (bonae fidei possessor, Usukapionsbesitzer). Die zuletzt geschilderte Art des Besitzes wird technisch juristischer Besitz (civiliter possidere) genannt und von dem Besitz ohne animus domini, der „Innehabung", Detention (von den Bömern als tenere, naturaliter tenere, naturaliter possidere bezeichnet) aufs schärfste unterschieden. Nur der juristische Besitz ist den Bömern Besitz im Bechtssinne (possessio), und nur der juristische Besitz ist darum durch die possessorischen Interdikte (unten IX) geschützt. Der bloße Detentor, z. B. der Mieter, kann nach römischem Recht nicht possessorisch klagen; er muß auf das Rechtsverhältnis zurückgeheil, kraft dessen er die Sache detiniert. Entsetzt also der Vermieter seinen Mieter eigenmächtig, so kann der Mieter nicht possessorisch, sondern nur aus~ dem Mietkontrakt klagen. Ist der Mieter eigenmächtig von einem Dritten hinausgeworfen worden, so ist nach römischem Recht der Vermieter (der juristische Besitzer) dejiziert und nur dieser zur possessorischen Klage berechtigt; der Mieter mag höchstens kraft des Mietkontraktes vom Vermieter * verlangen, daß dieser dem Dritten den Besitz abnehme und ihn dem Mieter zurückstelle. Auch wo in diesem Buch von Besitz oder possessio schlechthin die Rede ist, ist darunter nur der juristische Besitz mit Ausschluß der Detention zu verstehen. III. Possessio justa und injusta. Justa p. nennt man einen Besitz, der'einem bestehenden Rechte zum Besitz (Eigentum, Faustpfandrecht u. a.) entspricht, also die Übereinstimmung der tatsächlichen mit der rechtlichen Gestaltung der Dinge bedeutet. Für das Besitzrecht hat diese Unterscheidung allerdings keinerlei Bedeutung, weil hier, wie öfter gesagt, die Rechtsfrage ganz gleichgültig ist. IV. Bonae fidei und malae fidei possessio ist eine Einteilung, di© nur innerhalb der possessio injusta Platz greift; diese

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ist bonae fidei possessio, wenn der Besitzer an die Rechtmäßigkeit seines Besitzes glaubt, wobei vorausgesetzt wird, daß dieser Glaube nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht, d. h. auf ungewöhnlicher Kurzsichtigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber Umständen, welche Zweifel an dieser Rechtmäßigkeit hervorrufen mußten. Malae f. p. ist der Besitz, wenn seine Unrechtmäßigkeit dem Besitzer entweder positiv bekannt war oder nur durch grobe Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Auch diese Einteilung ist nicht für das Besitzrecht von Wichtigkeit, um so mehr dagegen für die mit dem Besitz verknüpften Nebenwirkungen (Ersitzung § 53 II, Fruchterwerb § 53 V, Haftung gegenüber der Vindikation § 54 I). V. Possessio vitiosa und non vitiosa (fehlerhafter und fehlerfreier Besitz). Vitiös nennt man einen Besitz, der erworben ist im Widerspruch zu der spezifischen Friedensordnung des Besitzes (s. oben I c). Auf sein Verhältnis zur Rechtsordnung kommt nichts an; auch eine possessio justa, z. B. die des Eigentümers kann vitiös sein, wenn dieser etwa dem injustus possessor den Besitz mit verbotener Eigenmacht weggenommen hat. Umgekehrt ist der Besitz des unredlichen Finders einer verlorenen Sache unrechtmäßig, aber fehlerfrei; denn an ihr bestand ja kein Besitz, der verletzt werden konnte. Von den vitia possessionis zählen die Römer drei Fälle auf, das „vi" — „clam" — und das „precario" possidere8. VI. Erwerb des Besitzes. Den juristische^ Besitz des römischen Rechts machen, wie das unter I I Gesagte ergibt, zwei Stücke aus: 1. das corpus (Detention), die physische Herrschaft über die Sache, die man nicht bloß in eigener Person haben kann, sondern auch durch einen Stellvertreter, z. B. Entleiher, Pächter usw. ; 2. der animus (possidendi oder domini), der Wille, die Sache für sich allein zu haben, d. h. der Wille, jeden anderen von ihrem Besitz auszuschließen. Ist die Sache zu bloßer Detention übergeben 3 „Precario" besitzt, wer den Besitz vom bisherigen Besitzer auf seine Bitte und auf beliebigen Widerruf überlassen erhalten hat, ihn aber nach erfolgtem Widerruf nicht herausgibt (vgl. unten Anm. 13); ein clam possidere (clandestina possessio) liegt vor, wenn jemand den Besitz einer Sache ohne Wissen und Willen des Besitzers, also heimlich ergreift; vi besitzt endlich derjenige, welcher dem Besitzer den Besitz unter Brechung eines von ihm geleisteten Widerstands entreißt, oder diesen Widerstand durch gefährliche Bedrohung beseitigt.

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worden (z. B. Leihe, Pacht, Mandat usw.), damit der Empfänger sie auch für mich besitze, so hat der unmittelbare Inhaber (der Entleiher usw.) bloß Detention, der mittelbare Inhaber des corpus aber (Verleiher, Verpächter, Mandant usw.) den juristischen Besitz. Erworben wird der juristische Besitz also corpore et animo. 1. Was zur Herstellung des corpus, des physischen Machtverhältnisses, gehört, ist nach den Umständen verschieden. Der einseitige Besitzerwerb (durch „Okkupation") hat schwerere Voraussetzungen als der zweiseitige (durch „Tradition"); im ersteren Falle ist immer eine reale Machtbetätigung (Apprehension)4 des Erwerbers erforderlich, die bloße, nicht verwirklichte Möglichkeit einer solchen genügt nie 6 . Beim zweiseitigen Besitzerwerb, d. h. dort, wo der bisherige Besitzer einen anderen durch beiderseitiges Einverständnis in seinen Besitz eintreten läßt, genügt zum Erwerb des corpus die bloße Einigung mit dem bisherigen Besitzer (der dem Erwerber deu Besitz freigibt: „vacuam possessionem facere"), falls der Erwerber dadurch die Möglichkeit erlangt, nach Belieben Gewalt über die Sache zu üben (heute öfter sogenannte „Besitzüberweisung")6; Apprehension ist dann nicht nötig. Soweit diese letztere das Entscheidende ist, also bei der „Okkupation" des Besitzes, ist wieder zu unterscheiden zwischen Grundstücken und beweglichen Sachen. Bei Grundstücken genügt, zum einseitigen Besitzerwerb nicht schon ein bloßes Betreten 4

Nur steht es bei beweglichen Sachen der Apprehension gleich, wenn diese Sachen, sei es auch ohne unser Zutun, in unsere „Gustodia" gelangen, d. h. in geschlossene Räume, die uns das Festhalten der Sachen ermöglichen und die von uns allein beherrscht werden, z. B. Wild fällt in unsere Wildgrube oder fängt sich in den von uns gestellten Netzen UQW. · 6 Man vgl. die in D. 41, 2, 3, 3 referierte und abgelehnte Ansicht von Proculus mit der in den Schlußworten (quidam putant) genannten und von Justinian bestätigten Gegenansicht von Sabinus. • Man verwechsle sie nicht mit der „longa manu traditio"; von dieser spricht man dann, wenn bei vorliegender Einigung der sofortigen Gewaltausübung noch ein Hindernis entgegensteht, das der Erwerber erst beseitigen soll. Z. B.: es werden ungetrennte Bestandteüe einer Sache, insbesondere Früchte, in der Weise tradiert, daß der Erwerber vom Veräußerer die Erlaubnis erhält, sie abzutrennen und sich anzueignen. Hier erwirbt er den Besitz erst mit der von ihm vollzogenen Trennung und Aneignung, vgl. D. 39, 5, 6; vorher ist ein solcher ja an den Bestandteilen nicht möglich. Bei der Besitz Überweisung dagegen wird der Besitz schon mit der Einigung, nicht erst mit der Ergreifung der Sache erworben.

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sondern erst.ein auf Dauer angelegtes wirtschaftliches Ansichziehen, z. B. Umzäunen, Umrainen, Bepflügen u. ä.; bei Mobilien dagegen genügt es schon, daß man die Sachen ergreift und ihnen einen Ort des Verbleibens zuweist. Bloß vorübergehendes Ergreifen genügt aber ebensowenig wie bloßes, nicht durch die Tat realisiertes Ergreifenkönnen. 2. Zum Corpus muß der Animus possidendi hinzutreten. Ob er vorliegt oder nicht, ergibt sich, wo der Besitz auf Grund eines Rechtsgeschäftes erworben wird, schon aus diesem (der causa possessionis), also aus einem objektiven Tatbestand. Er ist z. B. anzunehmen bei kaufmäßigem Erwerb oder Faustpfanderwerb. Die bloße innere Willensmeinung ist gleichgültig. Wer eine 'Sache als Depositar oder Mieter an sich nimmt, hat bloße Detention. Durch lediglich inneres Annehmen des animus domini wird er nicht juristischer Besitzer: nemo sibi ipse causam possessionis mutare potest (D. 41, 2, 3, 19).. Der Depositar (Mieter) wird erst zum juristischen Besitzer, wenn er eine Unterschlagungshandlung vornimmt oder die Sache vom Deponenten kauft usw. Die brevi manu traditio und das constitutum possessorium (unten § 52 I a) sind Fälle der Änderung des animus und damit des juristischen Besitzes durch Änderung der causa possessionis. Außerdem kann der juristische Besitz auch durch einen Stellvertreter, und zwar nicht bloß durch einen unfreien, sondern sogar durch einen freien (oben S. 245) erworben werden. Weitere objektive und subjektive Voraussetzungen des Besitzerwerbes werden sich im folgenden (s. uiiter VIII) ergeben. VII. Verlust des Besitzes. Verloren wird der juristische Besitz vel animo vel etiam corpore (D. 41, 2, 44, 2), d. h. wenn eine von seinen beiden Voraussetzungen entfallen ist. „Entfallen" ist aber jede von ihnen erst dann, wenn sie geradezu in ihr Gegenteil verkehrt ist (in contrarium actum est, D. 41, 2, 8; 50, 17, 153). a) Insbesondere das corpus possidendi geht also nicht schon verloren mit einem zeitweiligen Nachlassen der zum Besitzerwerb notwendig gewesenen Intensität der Sachbeherrschung, also insbesondere nicht mit bloßer zeitweiliger Entfernung des Besitzers von der Sache, sondern es besteht trotz solcher^so lange fort, als es mit Rücksicht auf die konkrete Sachlage nach der Regel des Lebens

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als wahrscheinlich anzusehen ist, daß dem Besitzer die Wiederergreifung der Sache nach Belieben möglich sein wird: bloß vorübergehende Hindernisse zählen dabei nicht. Die im eigenen Hause verlorenen oder bloß verlegten Sachen hat man also fortdauernd im Besitz7; ebenso besitzt der Bauer den Wagen, den er zeitweise auf dem Feld hat stehenlassen. Auch die bloß vorübergehende Überschwemmung eines Grundstückes bewirkt keinen Besitzverlust (vgl. B.G.B. § 856, 2). Dagegen gilt als Besitzverlust grundsätzlich jede Besitzergreifung durch einen anderen. Indes auch davon besteht eine wichtige Ausnahme für den Grundstücksbesitz (D. 41, 2, 6, 1): schleicht sich in diesen während der Abwesenheit des Besitzers ein anderer heimlich ein, so wird nach römischem Recht (nicht auch nach B.G.B.) der Besitz des ersteren als fortdauernd betrachtet, bis er von dem Eindringen erfährt. Er hat dann, da er noch als Besitzer angesehen wird, das Recht, den Eindringling mit angemessener Gewalt zu vertreiben (Besitzverteidigung). Wenn er davon absieht und sich etwa auf Anstellung der Eigentumsklage beschränkt, so hat er den Besitz jetzt, aber auch erst jetzt, und zwar animo verloren. Wenn er dagegen mit seinem Vertreibungsversuch vom Eindringling zurückgewiesen wird, so hat er den Besitz wiederum erst jetzt, und zwar corpore, d. h. im Wege gewaltsamer Dejektion, verloren. In diesem Falle steht ihm durch ein volles Jahr das interdictum unde vi zur Verfügung (unten IX). b) Ebenso geht animo der Besitz nicht schon dadurch verloren, daß der Besitzer auf die Beherrschung der Sache vergißt oder in Geisteskrankheit verfällt, sondern erst dadurch, daß er den Entschluß faßt, ihn nicht mehr haben zu wollen. Mit diesem Entschluß wird sich in der Regel die Preisgabe des corpus possessionis verbinden. Häufig begegnet dann noch der Fall, daß der Besitzer unter Beibehaltung der Detention mit einem anderen verabredet, in Zukunft die Sache nicht mehr für sich, sondern als Stellvertreter jenes anderen innehaben zu wollen; dadurch degradiert er sich zum bloßen Detentor, während der andere den Besitz erwirbt (sog. 7 Es sei denn, daß die Wiederauffindung selbst bei gründlichem Suchen zweifelhaft ist (z. B. ein kleiner Edelstein ist in das Wasserleitungsrohr oder in eine nicht genau festzustellende Ritze im Fußboden gefallen).

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constitutum possessorium, z. B. der Hauseigentümer übergibt sein Haus dem Käufer desselben, bleibt aber noch ein Jahr nunmehr als dessen Mieter sitzen). VIII. Der Besitz eine Tatsache. Der Besitz ist den Römern kein Recht, sondern eine bloße Tatsache (res faeti, non juris). Da tatsächliche Verhältnisse nicht vererbt werden können, geht auch der Besitz des Erblassers auf den Erben nicht' über; dieser muß vielmehr nach römischem Recht (anders B.G.B. § 857, das hier der deutschen Rechtsanschauung folgt) den Besitz jedes einzelnen Nachlaßstückes von neuem ergreifen. Andererseits aber ist diese Tatsache des Besitzes doch eine solche, welche von weittragenden rechtlichen Folgen begleitet ist (oben I a—d); darum nehmen die Römer juristischen Besitz dort nicht an, wo die tatsächliche Beherrschung einer Sache diese Rechtsfolgen aus objektiven, in der Natur dieser Sache liegenden Gründen oder aus subjektiven Gründen in der Person des Beherrschenden nicht nach sich ziehen kann. Deshalb ist an res extra commercium (oben S. 253) kein juristischer Besitz möglich; ebenso ist auch an wesentlichen Bestandteilen einer zusammengesetzten Sache (oben § 46 II) kein besonderer Besitz möglich (man besitzt vielmehr nur die Hauptsache); darum kann ferner der Rechtsunfähige keinen juristischen Besitz erwerben. Der Sklave erwirbt grundsätzlich den juristischen Besitz seinem Herrn, das Hauskind (noch nach justinianischem Recht an Sachen, die zu seinem peculium profecticium gehören) den Besitz dem Hausvater. Auch bei der tatsächlichen Beherrschung von Sachen durch Sklaven und Hauskinder sowie wenn man Bestandteile infolge des Besitzes an einer zusammengesetzten Sache indirekt in der Gewalt hat, sprechen die Römer von naturaliter tenere, so daß sich hier weitere „Detentions"fälle ergeben. IX. Der Schutz des Besitzes. Zu seinem Schutz hat der Besitzer zweierlei Rechte: 1. das Recht der Selbstverteidigung (unten § 108), 2. die Besitzansprüche (die possessorischen Interdikte). Die Besitzansprüche richten sich gegen denjenigen, welcher die Friedensordnung des Besitzes dadurch verletzt hat, daß er bestehender Besitz „vi" oder „clam" gestört oder entzogen oder bittweise^precario") vom Gejner erlangt und auf Widerruf nicht zu-

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rückgestellt hat, er kann auf Wiederherstellung des beeinträchtigten Besitzstandes verklagt werden. Die diesfälligen Prozesse bewegen sich allerdings nicht in den Formen des ordentlichen Gerichtsverfahrens, sondern in denen des sogenannten Interdiktenprozesses; sie werden daher auch nicht durch Erhebung einer gewöhnlichen Klage, sondern durch. Erwirkung eines sogenannten (possessorischen) Interdikts eingeleitet (vgl. unten § 120 II). Die possessorischen Interdikte werden" von den klassischen Juristen eingeteilt in Interdicta retinendae possessionis und Interdicta recuperandae possessionis, je nachdem sie'zur Erhaltung eines gegenwärtigen juristischen Besitzes gegen Störung oder zur Wiedergewinnung eines früheren, durch verbotene Eigenmacht entzogenen Besitzes dienen. 1. Das klassische Becht kennt zwei interdicta retinendae possessionis. a) Das interdictum uti possidetis8. Es tritt ein im Fall einer bloßen Störung des Besitzes,-aber nur einer solchen Störung, welche den Charakter einer auf Dauer angelegten Einschränkung der Sachbeherrschung an sich trägt (z. B. wenn der Nachbar belästigende Anlagen auf seinem Grundstücke macht, nicht schon, wenji jemand nachts an meine Fensterläden schlägt). Der juristische Besitzer verlangt mit dem Interdikt Anerkennung seines Besitzes und Unterlassung der Störung, also falls diese, wie meist, in Herstellung einer dauernden Anlage besteht, deren Beseitigung. Als juristischer Besitzer gilt aber für dies Interdikt nur, wer seinen juristischen Besitz „nec vi nec clam nec precario ab alterou (sc. ab adversario)9 erworben hat. Wer gewalttätig (vi) oder heimlich (clam, den Widerspruch des Gegners voraussehend und durch 8 Wortlaut: (Ait praetor): Uti eas aedes, quibus do agitur, nec vi nec clam ncc precario alter ab altero possidetis, quo minus ita possideatis, vim fieri veto. D. 43, 17, 1 pr. 9 Sogenannte exceptio oder clausula vitii. Man beachte aber wohl die Worte ab altero; das vitium muß inter partes bestehen, um berücksichtigt zu werden. Wer also seinen Besitzstand zwar vitiös hergestellt hat, aber nicht auf meine Kosten, sondern zum Nachteil eines Dritten, der kann mich, wenn ich ihn meinerseits störe, mit dem Interdikt verklagen, ohne die EinWendung des vitiösen Besitzes befürchten zu müssen.

S o h m , Institutionen.

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Heimlichkeit ihm entgehend) oder bittweiße (precario, auf beliebigen Widerruf, ohne bindendes Rechtsgeschäft) den juristischen Besitz fehlerhaft von dem Prozeßgegner erworben hat, wird in diesem Besitzprozeß nicht als juristischer Besitzer geachtet, vielmehr gilt sein Prozeßgegner (von welchem er vi, clam, precario erwarb) als derzeitiger ruhiger Besitzer, und ihm muß der gestörte Besitzzustand der Sache wieder hergestellt werden. Dies gilt so weit, daß unter Umständen der Interdiktsbeklagte nicht bloß freigesprochen wird, sondern sogar noch einen Zuspruch des Besitzes durch den Richter erlangt. Prozessualisch ermöglicht wird dies durch den Umstand, daß das interdictum uti possidetis ein „judicium duplex" ist, worin beide Parteien notwendig als Kläger und gleichzeitig Beklagte erscheinen (es heißt ja: uti possidetis — quominus ita possideatis vim fieri veto, Anm. 8). Man pflegt mit Rücksicht auf diese Möglichkeit zu sagen, das interdictum uti possidetis habe auch eine ,,rekuperatorischc Funktion". b) Für Fahrnis galt das interdictum utrubi 1 0 . Es begründet wieder, gleich dem uti possidetis, ein judicium duplex, in dem beide Teile Kläger und Beklagte sind. Der Besitz der streitigen Sache wird demjenigen zugesprochen, der sie im letzten Jahr (vgl. unten § 118 III), vom Erlaß des Interdikts zurückgerechnet, länger besessen hat als der Prozeßgegner. (Nur auf diese relative Länge des Besitzes, nicht auf Besitz durch mehr als ein halbes Jahr kommt es an.) Dabei findet „accessio possessionis" statt, d. h. jede Partei kann zu ihrer Besitzzeit die ihrer Besitzvorgänger hinzurechnen, von denen sie den Besitz im Wege ordnungsmäßiger Besitznachfolge (also infolge Kaufes, Schenkung usf., nicht durch Diebstahl, Raub oder sonstige Eigenmacht) erhalten hat. Da es hier .nicht auf den letzten Besitz vor der Prozeßeröffnung ankommt, sondern auf den längeren Besitz im letzten Jahre, kann auch hier unter Umständen der bei Prozeßbeginn nicht mehr Besitzende den Besitz zugesprochen erhalten: somit kann auch dieses Interdikt eine rekuperatorische Funktion haben. 10

Rekonstruktion^bei L e n e l , Edictum perpetuum (2. Aufl.) S. 469: Utrubi hie homo quo de agitur, majore parte huiusce anni nec vi nec clam nec precario ab altero fuit, quominus is cum ducat vim fieri veto. Vgl. D. 43, 31, 1 pr. • '

§ 49. Begriff und Wirkungen des Besitzes.

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Im justinianischen Recht jedoch ist das interdictum utrubi dem uti possidetis insofern angeglichen, als auch beim ersteren der letzte Besitz vor Beginn des Prozesses maßgebend ist, nicht der längere Besitz im Vorprozeßjahre. 2. Interdicta recuperandae possessionis sind: a) Das interdictum unde v i 1 1 für den Fall gewaltsamer Entziehung des Besitzes an einem Grundstücke. Es begründet kein judicium duplex, sondern einen einseitigen Prozeß. Es wird aber nur intra annum (utilem)12 von der Dejektion an gegeben; post annum gibt es nur noch eine actio in factum auf Herausgabe der Bereicherung (quod ad eum pervenit). b) Das interdictum de precario. Es ist begründet gegen den prekaristischen Besitzer, sobald er nach erfolgtem Widerruf den bittweise erlangten Besitz nicht zurückstellt. Das Interdikt ist rekuperatorisch, weil der Prekarist als juristischer Besitzer gilt (oben Anm. 3). der precario dans als Nichtbesitzer13. Einer Befristung unterliegt dieses Interdikt im klassischen Rechte nicht. 11 (Jndc in hoc anno tu ilium vi dcjccisti aut familia tua dejecit, cum ille possideret (quod nec vi nec clam nec prccario a te ßossideret), eo ülum quae que ille tunc ibi habuit restituas. Die in den eingeklammerten Worten enthaltene exceptio vitiosae possessionis wurde jedoch im klassischen Recht bloß dann in das Interdikt aufgenommen, wenn die Gewalt, mit der die Dejektion erfolgt war, keine Waffengewalt, sondern unbewaffnete war; in diesem Falle hieß das Interdikt „de vi quotidiana". Gegen den mit b e w a f f n e t e r Hand Vertreibenden dagegen wurde das Interdikt erteilt, ohne daß ihm durch die exceptio vitü die Berufung darauf gestattet wurde, der Kläger habe ihm den Besitz früher eigenmächtig entzogen (sogen, interdictum de vi armata). 12 Entsprechendes gUt vom uti possidetis. 13 Im Gegensatz zum gewöhnlichen Leihvertrag (Commodatum), bei dem der Verleiher den juristischen Besitz behält und der Entleiher nur Detentor wird. Der Unterschied zwischen Prekarium einerseits, Kommodat (vgl. unten § 68 I b) andererseits beruht darauf, daß bei ersterem zwischen dem Leiheherren und dem Prekaristen nicht wie bei letzterem ein rechtlich bindender Vertrag geschlossen wird. Auch wenn beim Prekarium Abreden. getroffen sind, so sollen sie doch nicht rechtlich verbindliche Kraft haben. Das Prekarium beruht immer nur auf einer Besitzüberlassung „bis auf weiteres41 und ist daher stets z u j e d e r z e i t widerruflich (das Kommodat erst nach Beendigung des eingeräumten Gebrauchs). Der precario dans will zu nichts verpflichtet sein. Daher der beliebige Widerruf und daher niemals Haftung des precario dans für Schadenersatz (es liege denn dolus vor) oder für Ersatz von Auslagen (auch impensae necessarian braucht der precario dans nicht zu ersetzen; der andere hat höchstens ein jus tollendi). Ebenso umgekehrt:

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Nur die bis jetzt genannten interdicta retinendae und recuperandae possessionis sind wirklich possessorische, d. h. zum Schutz bestehenden Besitzes gegebene Interdikte. Von ihnen unterscheide man scharf die sogenannten interdicta adipiscendae possessionis; diese gehen auf Erlangung eines noch nicht innegehabten Besitzes, sind also petitorischer Natur: sie machen ein Recht auf Besitz geltend, z. B. das Eigentum (interdictum Quem fundum, unten § 54, Anm. 1), ein Beschlagsrecht (intcrd. Salvianum, unten § 60) oder Erbrecht (interdictum Quorum bonorum, unten § 99 und Quod legatorum, unten § 104 Anm. 8). Außerdem werden die Besitzansprüche im justinianischen Recht nicht mehr im Interdiktenprozeß geltend gemacht, den dieses ja nicht mehr kennt, sondern sie begründen gewöhnliche Prozesse. (Im gemeinen Recht wurde daher von „Besitzklagen'4 gesprochen.) Der Name „interdicta" im Corpus juris ist also nur eine historische Reminiszenz. A n h a n g . Schon im gemeinen Pandektenrecht war der römische juristische Besitz entkräftet: durch das aus dem kanonischen Recht (vgl. oben § 26) in das gemeine deutsche Recht herübergenommene Spolienrecht. Spoliutn ist eigenmächtige Besitzentziehung. Gegen den Spoliantcn hatte der Prekarist schuldet keine diligentia, und hat er einen Zins versprochen (was in klassischer Zeit häufig war, während ursprünglich das Prekarium unentgeltliche Gebrauchsübcrlassung gewesen zu sein scheint), so kann doch auf den Zins nicht geklagt werden. Das Prekarium besteht als ein t a t s ä c h l i c h e s Verhältnis, o h n e gegenseitige Einräumung von Rechten, und auch einen Anspruch auf Rückgabe der precario überlassenen Sache hat der precario dans nicht auf Grund eines Versprechens (eines Forderungsrechtcs, wie bei Miete und Kommodat), sondern lediglich auf Grund des precario h a b e r e auf sciten der Prekariçtcn. Der Prekarist besitzt deshalb formell selbständig. Es besteht kein R e c h t s v e r h ä l t n i s zwischen ihm und seinem Leiheherrn, welches seinen Besitz dem precario dans unterordnete (wie bei der Miete). Der Prekarist hat deshalb j u r i s t i s c h e n Besitz (vgl. Anm. 2). Er besitzt formell auf eigene Faust und schließt, sobald ihm nicht bloß ein „in der Sache sein" (in possessione esse), sondern die Sache selber anheimgegeben war, a u c h d e n H e r r n (precario dans) von der Sache aus (der prccario dans hat keinen Sachbesitz). Nur daß der juristische Besitz des Prekaristen fehlerhaft wird, sobald der Herr widerruft. — Seinen Ausgang hat das römische Prekarium vielleicht von dem Bittbesitz des Klienten genommen (an den Grundstücken, welche der Patron ihm zum Zweck der Gewährung seines Lebensunterhaltes überließ). — Nach dem B.G.B. § 604, 3 fällt das Prekarium unter den Begriff der Gebrauchsleihe; es gibt also ein besonderes prekaristisches Rechtsverhältnis bei uns nicht mehr.

§ 49. Begriff und Wirkungen des Besitzes.

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der Spoliierte bis zur Rückgabe des Besitzes die e x c e p t i o s p o l i i , eine prozeßhindernde Einrede, kraft deren er jeder Klage des Spolianten gegenüber (aus irgendwelchem Rechtsgrunde, z. B. aus einem Darlehen) die Einlassung zu verweigern berechtigt war (vgl. den canon Redintegranda: c. 3 C. 3 qu. 1 im Decr. Gratiani). Die exceptio spolii ist durch das B.G.B, beseitigt. Anders die a c t i o s p o l i i , die das klassische kanonische Recht gleichfalls aus dem canon Redintegranda abgeleitet hat. Mit der actio spolii konnte wegen jeder eigenmächtigen Besitzentziehung (nach gemeinrechtlicher Praxis auch wegen Besitzstörurtg) possessorisch geklagt werden. Auch gegen den Dritten, der bösgläubig (in Kenntnis von dem spolium) den Besitz durch den Spolianten erlangt hatte (c. 18 X. 2, 13, canon Saepe). Vor allem, die actio spolii war nicht bloß dem Herrenbesitzer, dem juristischen Besitzer des römischen Rechts, sondern auch dem Detentor, der fremde Macht über die Sache anerkannte, insbesondere dem Mieter und Pächter zuständig. Sie schützte in dem Mieter und Pächter die breite Masse der Bevölkerung gegen Eigenmacht, auch gegen die Eigenmacht ihrer Herren. Das römische Besitzrecht ist von aristokratischer, das kanonische und gemeinrechtliche Spolienrecht von demokratisch - bürgerlicher Natur. Durch S a v i g n y s glänzendes Buch über den Besitz (oben'S. 166) ward das römische Recht vom juristischen Herrenbesitz neu belebt, aber nur vorübergehend. Das Spolienrecht blieb landesrechtlich in Kraft (so im Gebiet des preußischen Landrechts), kam dann auch gemeinrechtlich wieder zur Anerkennung und hielt endlich triumphatorischen Einzug in das B.G.B. [Über das heutige kirchliche Spolienrecht s. E i c h m a n n , Das Prozeßrecht des Codex Juris Canonici (1921) S. 119 u. ö.] Für das Recht des B.G.B. (§§ 854ff.) gibt es zwischen juristischem Besitz und Detention keinen Gegensatz mehr. Im B.G.B, ist zwar noch von Eigenbesitz, d. h. von Besitz mit Eigentümerwillen (gleichgut, ob berechtigt oder unberechtigt) die Rede (§ 872) ; er hat Bedeutung vor allem für die Ersitzung und den Fruchterwerb (§§' 900. 937. 955). Aber possessorisch, d. h. für den Besitzschutz, ist der Eigenbesitz als solcher vor dem „Fremdbesitz", d. h. dem Bfesitz ohne Eigentümerwillen, nicht mehr ausgezeichnet. Der animus domini spielt im B.G.B, keine Rolle mehr. Der Besitz des B.G.B, besteht lediglich in der körperlichen Gewalt (§ 864). Er wird erworben solo corpore. Er geht verloren solo corpore. Es ist kein Herrenwille nötig. Es ist nur nötig selbständige Inhabung. Wer, innerhalb fremden Haushalts oder Erwerbsgeschäfts stehend, unselbständige Innehabung übt, ist noch heute bloßer Besitzdiener, Werkzeug fremden Besitzes, ohne eignen Besitz (§ 866). Wer aber nur s c h u l d r e c h t l i c h in der Ausübung seiner Besitzmacht beschränkt ist — so der Mieter, der Pächter, der Beauftragte, der Nießbraucher usf. —, der ist nach heutigem Recht B e s i t z e r (selbständiger, wenngleich obligatorisch einem anderen verpflichteter, Inhaber), nicht mehr bloßer Detentor (Besitzwerkzeug) im Sinne des römischen Rechte. Er hat alle Besitzrechte, auch die Besitzansprüche. Der Vermieter, Verpächter, Auftraggeber usw., der nach römischem Recht juristischer Besitzer, d. h. der einzige Besitzer im Rechtssinne war (der Detentor war nur in posseesione, nicht possessor), ist im heutigen Recht zum bloß m i t t e l b a r e n Besitzer hcrabgedrückt (§ 868): er hat Besitz nur m i t t e l s des Besitzes des ihm Verpflichteten. Der schuldrechtlich Verpflichtete ist

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Besitz m i t t l e r für den Anspruchsberechtigten, aber nicht (wie der römische Detentor) Besitzdiener, Besitzwerkzeug. Der Anspruchsberechtigte (der mittelbare Besitzer) kann im Verhältnis z u D r i t t e n auf Grund des Besitzes seines Besitzmittlers die Besitzrechte geltend machen (§ 869): im Au Sen Verhältnis ist neben dem unmittelbaren Besitzer (dem Inhaber) a u c h der mittelbare Besitzer als Besitzer aufzutreten berechtigt. Aber im I η n e η Verhältnis, im Verhältnis zu . seinem Besitzmittler ist der mittelbare Besitzer k e i n Besitzer mehr. Der (selbständige) Inhaber, der unmittelbare Besitzer, der Besitzmittler ist vielmehr wie jedem Dritten so auch dem mittelbaren Besitzer gegenüber der Besitzer, der Besitz h e r r. Nach römischem Recht war der Vermieter possessorisch im Recht (gleichgut, ob er sachlich im Recht war), wenn er seinen Mieter eigenmächtig entsetzte (D. 43,16,18). Heute würde der Vermieter possessorisch i m U n r e c h t sein. Der Mieter würde heute befugt sein, sich der Eigenmacht des Vermieters zu erwehren; er würde, falls der Vermieter Eigenmacht gegen ihn übte, nicht bloß den (petitorischen) Mietanspruch, sondern den Besitzanspruch wegen Besitzentziehung bzw. wegen Besitzstörung (§ 861. 862) haben. Der Mieter (der unmittelbare Besitzer) hat die Besitzrechte wie gegenüber jedem Dritten so auch gegenüber dem Vermieter (dem mittelbaren Besitzer). Die Rollen haben sich umgekehrt. Aus dem Nichtbesitzer (Detentor) ist der Besitzer geworden, und der mittelbare Besitz des schuldrechtlich Anspruchsberechtigten ist k e i n juristischer Besitz (Herrenbesitz) im Sinne des römischen Rechts mehr.

I I . Das Eigentum. § 50. Der Begriff des Eigentums (Dominium, Propriétés). Das Eigentum ist das seinem Begriff nach unbeschränkte Recht der Herrschaft über eine Sache. Beschränkungen des Eigentums sind zwar möglich, einmal dadurch, daß es mit Rechten Dritter belastet, dann aber dadurch, daß es durch Vorschriften des öffentlichen Rechtes (etwa polizeiliche. Beschränkungen) eingeengt werden kann./Immer aber müssen diese Beschränkungen von außen kommen, im Begriff des Eigentums liegen sie nicht. Sobald daher derartige rechtliche Schranken hinwcgfallen, stellt das Eigentum sich immer von selber wieder als volle Herrschaft her (sogenannte Elastizität des Eigentums). § 51. Der Erwerb des Eigentums. Geschichtliche Einleitung. Das vor justinianische Recht über den'Erwerb des Eigcntumsunterschied acquisitiones civiles und acquisitioncs naturales. .

§ 51. Der Erwerb des Eigentums.

Geschichtliche Einleitung.

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Acquisitiones civiles waren die Erwerbsarten des jus civile im engeren Sinn, also die dem römischen Becht eigentümlichen Erwerbsarten. Sie hatten sämtlich gemeinsam: Öffentlichkeit und Feierlichkeit. Die Feierlichkeit äußerte sich in den vorgeschriebenen Worten und Handlungen, die Öffentlichkeit darin, daß das Gemeinwesen in irgendeiner Weise beteiligt war, entweder durch fünf Zeugen (welche die fünf Klassen des römischen Volks vertraten) oder durch die Obrigkeit. Die zivilen Erwerbsarten waren: 1. die mancipatio (der rechtsförmlichö Kauf vor fünf Zeugen und einem libripens, vgl. oben S. 48 ff.) und das damit zusammenhängende Vindikationslegat, d. h. das feierliche direkte Eigentumsvermächtnis im Manzipationstestamcnt (unten § 101); 2. die in jure cessio (Eigentumserwerb durch Scheinvindikation vor dem Magistrat, oben S. 55ff.); 3. die adjudicatio (Zuspruch des judex im judicium legitimum beim Teilungsprozeß, unten § 52 III); 4. obrigkeitliche Verfügung, sei es in der Gestalt der assignatio (der obrigkeitlichen Anweisung von ager publicus), sei es auf Grund öffentlicher Versteigerung (z. B. der Kriegsbeute, venditio sub hasta). Acquisitiones naturales waren die Erwerbsgründe des jus gentium. Sie sind unfeierlich, unöffentlich und bewirken den Rechtserwerb regelmäßig durch das Mittel des Bcsitzetwerbes. Die wichtigsten naturalen Erwerbsarten waren Tradition und Okkupation. Die Ergänzung dieser Erwerbsgründc war die Usukapion (Ersitzung), welche selber juris civilis ist, weil durch eigentümlich römische Rechtssätze ausgebildet (§ 53 II). Der Unterschied der Erwerbsarten hing mit dem Unterschied der Sachen zusammen. Der Grundsatz lautete, daß res maneipi (§ 47 I I I ) nur durch zivile Erwerbsart zu rechtem römischem Eigentum (dominium ex jure Quiritium) erworben werden konntenBloße Tradition oder Okkupation einer res maneipi gab nach Zivilrecht kein Eigentum. Aber der Prätor trat (etwa gegen Ende der Republik) reformatorisch dem Zivil1 Dem entsprach das allgemeine Prinzip, daß nur zivilrechtliche Rechte durch zivilrechtliches Rechtsgeschäft unmittelbar übertragen werden können. M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 60.

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recht gegenüber. Er gab auch in dem Fall, daß die res maneipi bloß formlos verkauft (oder sonst veräußert) und tradiert war, dem Erwerber und gegenwärtigen Besitzer gegen die Eigentumsklage des Veräußerers (der ja nach formellem Zivilrecht Eigentümer, dominus ex jure Quiritium, geblieben war) eine exceptio rei venditae et traditae. Das dominium ex jure Quiritium, welches im Fall formloser Veräußerung bei dem Veräußercr zurückblieb, ward also durch den Prätor dem Erwerber gegenüber entwertet. Umgekehrt, wenn solchem Erwerber der res maneipi der Besitz abhanden kam, so hatte er zwar nach Zivilrecht keine Eigentumsklage (denn er war ja nicht Eigentümer, wegen des bloß formlosen Erwerbsakts), aber der Prätor gab ihm die sogenannte actio Publiciana in rem (unten § 56) und gab ihm damit tatsächlich wesentlich dieselbe Vindikationsbefugnis, als wenn er der rechte Eigentümer wäre. Also: der Prätor setzte das Eigentum des Zivilrechts (das quiritische Eigentum) beiseite und stellte ihm tatsächlich ein anderes Eigentum, ein prätorisches Eigentum, gegenüber, welches zwar nicht formell zum Eigentümer machte, aber doch durch exceptio und actio die Sache tatsächlich dem Vermögen (den bona)2 des Erwerbers einverleibte. Daher die Bezeichnung des prätorischen Eigentums als in bonis esse (sogenanntes bonitarisches Eigentum). Dies bonitarische Eigentum kann auch an res maneipi durch naturale Erwerbsart erworben werden. Durch sein Edikt verwandelte der Prätor also das Eigentum des alten Zivilrechts in eine bloße Form (nudum jus Quiritium). Der Unterschied der Sachen (ob res maneipi oder nec maneipi) und ebenso der Unterschied der Erwerbsarten (ob civiles oder naturales) war von prätorischen Rcchts wegen beseitigt worden. Für das Zivilrecht aber blieben die alten Unterschiede bei Bestand, und das klassische Recht ruht noch auf dem Gegensatz des dominium ex jure Quiritium und des in bonis esse. Erst Justinian hat hier den Abschluß der Entwicklung herbeigeführt, indem er das quiritische Eigentum aufhob und das prätorische Eigentum (dem tatsächlichen Verhältnis entsprechend) nun auch 1

Bona ist der prätorische Ausdruck für das aktive (in Sachen bestehende) Vermögen, der sowohl die res maneipi wie die res nec maneipi begreift. Der Prätor unterschied nicht zwischen familia und pecunia.

§ 5.

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formell für die einzige Art des Eigentums erklärte, für welches natürlich jetzt allein die n a t u r a l e n Erwerbsarten in Frage kamen. Es gab jetzt nur ein einziges Eigentum und für alle Sachen gleichermaßen ein einziges System von Erwerbsgründen, nicht aber das des alten jus civile, sondern das des jus gentium. Für dies Justinianische Eigentumserwerbsrecht ist nicht mehr ein formaler Gegensatz, sondern lediglich der sachlich begründete Gegensatz von abgeleiteten und ursprünglichen Erwerbsgründen (oben § 48) von Bedeutung. § 52. Der Erwerb des Eigentums. — Abgeleiteter Erwerb. Sobald die Welt der Sachgüter vergeben ist, wird die vorwaltende Eigentumserwerbsart sein, daß ich von einem anderen, d. h. durch Verfügung (Veräußerung) eines anderen, Eigentum erwerbe. Dieser andere ist mein Rechtsvorgänger (Auktor, Gewährsmann). Ich folge ihm nach in sein Eigentum. Ich erwerbe das Eigentum nur dann, wenn mein Auktor wirklich Eigentümer war. Darin liegt das Wesen des abgeleiteten (derivativen) Eigentumserwerbes. Die abgeleiteten Eigentumserwerbsgründe des Justinianischen Rechts sind: Tradition, Vermächtnis, Adjudikation. I. Die Tradition als Eigentumserwerbsgrund ist Besitzübertragung mit Willenseinigung über Eigentumsübertragung1. Erforderlich ist also, daß zum realen Element der traditio possessionis noch der „animus dominii transferendi et accipiendi" hinzutritt. Nicht jede Besitztradition ist darum Eigentumstradition: es gibt auch eine Tradition zu Faustpfandrecht (§ 60 I 2) oder prekaristischem oder Sequestrationsbesitz (§ 49 Anm. 2; 68 Ic); ebenso ist es keine Eigentumstradition, wenn der unrechtmäßige Besitzer dem 1 Auch die mancipatio schloß ursprünglich die Besitzübertragung in sich. Aber der Handgriff konnte später als bloße Form ohne wirkliche Besitzergreifung vollzogen werden (so bei Veräußerung eines Grundstücks in der Ferne, oben § 49 V I 1). Der mancipatio des klassischen Rechts ist darum der Besitz Übergang nicht wesentlich: der Eigentums Übergang erfolgt durch bloße rechtsförmliche Einigung. Anders bei der Tradition.

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Eigentümer auf dessen Verlangen den Besitz herausgibt2. Aber nicht •durch bloße Willenseinigung, sondern erst durch Übergabe des Besitzes wird das Eigentum (auch an Grundstücken) nach dem römischen Recht des Corpus juris erworben. α) Die Besitzübergabe. Sie besteht in der Übertragung des juristischen Besitzes, der auch als bloß mittelbare Macht über die Sache bestehen kann (vgl. § 49). Es bedarf nicht der Übertragung der Detention, des unmittelbaren Innehabens, d. h. es ist nicht nötig, daß der Wechsel des Besitzes körperlich sichtbar sei. Die römische Tradition bedarf nicht der körperlichen Übergabe. Das bedeuten die römischen Rechtssätze vom constitutum possessorium und von der brevi manu traditio. Constitutum possessorium ist die Besitzübertragung durch bloße Vereinbarung eines Rechtsverhältnisses (ζ. B. der Miete, der Verwahrung), kraft dessen der Veräußerer (Tradent) in der Inhabung (Detention) der Sache bleiben, aber die Inhabung nicht mehr als Herr (Eigentümer), sondern nur noch im Rahmen eines bestimmten Verpflichtungsverhältnisses zum Erwerber (als Mieter usw.) ausüben soll. Damit geht der juristische Besitz (§ 49) auf den Erwerber, ζ. B. den Käufer, über (die Sache ist tradiert) ohne Übergabe des körperlichen Besitzes (der Detention). Nicht so, als ob der Kauf imstande wäre, Eigentum zu verschaffen! Kauf ist kein Eigentumserwerbsgrund, sondern ein bloßes Verpflichtungsgeschäft, welches den Eigentumserwerb zusagt (oben S. 211). Es genügt auch nicht, daß mit dem Kauf etwa Willenseinigung über sofortigen Eigentumsübergang (ohne Vereinbarung eines bestimmten Verpflichtungsverhältnisses) sich verbindet. Aber es genügt, daß zu dem Kauf und zu solcher Einigung hinzukommt, daß Vefkäufer zugleich die Sache vom Käufer mietet oder sie für den Käufer in Verwahrung nimmt oder sie von ihm leiht usw. Dann ist nicht bloß verkauft, sondern tradiert: durch den jetzt als Mieter, Verwahrer usw. innehabenden Verkäufer hat der Käufer zwar nicht die unmittelbare Inhabung, aber doch den juristischen Besitz (Herrenbesitz) er2 Daraus folgt: Ist der herausgebende vermeintlich unrechtmäßige Besitzer in Wahrheit doch der Eigentümer, so hat der Empfänger durch die Herausgabe das Eigentum nicht erworben.

§ 5.

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Erwerb des Eigentums.

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worben, uqd das genügt Eur römischen Tradition. Das Gegenstück zum constitutum possessorium bildet die brevi manu traditio: die Tradition durch bloße Einigung darüber, daß der als Mieter, Verwahre* usw.. bereits Besitzende (er hat schon die Detention) von nun an Eigenbesitzer (juristischer Besitzer) sei. Auch hier wird t r a d i e r t : der juristische Besitz geht über, aber ohne Detentionswechsel3. In beiden Fällen wechselt der Herrenbesitz (der bloße Mieter, Verwahrer ist kein freier Herr der Sache) ohne Wechsel des unmittelbaren Besitzes. ß) Die Einigung über den Eigentumsübergang. Sie ist ein Vertrag (dinglicher Vertrag), steht also unter den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäfte: Mängel in der Geschäftsfähigkeit oder Mängel im Willen (Irrtum usf.) der Parteien stellen ihre Gültigkeit in Frage; sie kann ferner auch unter einer Bedingung oder Befristung erfolgen. Besonders bei der Tradition verkaufter Gegenstände ist das pactum reservat! dominii häufig, vermöge dessen der noch nicht bezahlte Verkäufer den Besitz unbedingt und das Eigentum unter der aufschiebenden Bedingung überträgt, daß es übergehen soll, wenn der Kaufpreis bezahlt wird. Möglich ist ferner auch die traditio ad incertam personam, bei welcher der Tradent seinen Übergabswillen einer ihm nicht bekannten Person entgegenbringt, die erst durch einen zukünftigen Vorgang bestimmt werden soll. Beispiel bei den Römern der „iactus missilium", das Hinwerfen von Geldstücken unter die Volksmenge, wobei jedes Geld 8

Eine fingierte Tradition durch bloß symbolische Handlung ist dem römischen Recht unbekannt. Trotzdem hät das frühere gemeine deutsche Recht (der usus modernus) im Anschluß an einige Stellen des Corpus juris und an dio Lehre der Kommentatoren, dem Verlangen der Praxis nach bequemen Veräußerungsformen entgegen kommend, eine symbolische Tradition durch bloße Übergabe der Schlüssel oder der Veräußerungsurkunde ausgebildet. S a v i g n y s Buch über den Besitz (oben S. 166) hat das reine römische Recht über den Positzerwerb neu entdeckt und durch die Macht seiner Darstellung die traditio ficta des damaligen gemeinen Rechts beseitigt. Nach römischem Becht hat die Schlüsselübergabe (D. 41, 1, 9, 6; 41, 2, 1, 21) Traditions Wirkung nur, wenn anderweitige besitzgewährende Umstände hinzukommen (vgl. D. 18,1, 74); das gleiche gilt von der Urkundenübergabe. Das römische Recht hat nur die wirkliche, nicht die symbolische Tradition. Vgl. die lehrreiche Darstellung von B i e r m a η η , Traditio ficta, 1891. Dazu jetzt R i c c o b o n o , Traditio ficta, in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd. 33. 34.

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stück demjenigen zugedacht ist, der seinen Besitz erobert; heutzutage kommt die traditio ad incertain personam namentlich beim Verkauf durch den Warenautomaten vor. γ) Abstrakte Natur der Tradition. Die Tradition ist im römischen Recht ein abstraktes Zuwendungsgeschäft. Die Besitzübergabe mit animus dominii transferendi et accipiendi bewirkt also auf jeden Fall den Eigentumsübergang, auch dann, wenn der von den Parteien hierbei beabsichtigte Rechtszweck (causa traditionis, auch justa causa traditionis genannt) nicht erreicht wird. Das zeigt vor allem eine berühmte Stelle der Digesten (41, 1, 36), nach welcher bei Dissens über die causa (der eine will schenken, der andere nimmt das Geld als Darlehen, so daß weder Schenkung noch Darlehen zustande kommt) das Eigentum dennoch übergeht. Entgegengesetzt entscheidet zwar D. 12, 1, 18 pr.4. Aber daß die erstere Entscheidung der allgemeinen Auffassung des römischen Rechtes besser entspricht, ergibt sich aus der Betrachtung des (niemals bestritten gewesenen) römischen Kondiktionenrechts (unten § 72 I): Wer zwecks Zahlung einer bloß vermeintlich bestehenden Schuld eine Sache übereignet, kann sie vom Empfänger immer nur mit persönlicher Klage auf Rückübertragung des Eigentums (condictio indebiti, § 72 I 2) zurückverlangen, niemals mit dinglicher Herausgabeklage (rei vindicatio), obwohl auch hier die ins Auge gefaßte Causa solvendi nicht zugetroffen war. — Das B.G.B, behandelt vollends die Ubereignung als abstraktes Rechtsgeschäft. E r muß die Einigung über den Eigentumsübergang da sein. Ihr Rechtsgrund (causa) wird regelmäßig in dem der Übergabe zugrunde liegenden Verhältnisse, darin daß erfüllungshalber (kaufeshalber) oder schenkungshalber usw. übergeben wird, gelegen sein. Aber für den Eigentums Übergang ist es gleichgültig, ob auch eine richtige causa traditionis besteht: die Einigung über den Eigen4 Der Widerspruch der beiden genannten Stellen (die erstere angeblich von Julian, die zweite von Ulpian) ergibt eine der berühmtesten „Antinomien" im Corpus juris. Doch ist man heute wohl einig, daß die angeblich julianische Stelle im Originale gar nicht von der Tradition, sondern von der Manzipation gesprochen und die scheinbare Beziehung auf die Tradition erst durch Interpolation Tribonians erhalten hat. Auch in der Ulpianstelle ist übrigens der zweite, mit „quare si" beginnende Satz unverkennbar interpoliert. Vgl. Jetzt B e s e l e r , Krit. Studien 3, 67; 4, 126.

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tumsübergang als solche (das abstrakte ZuwendungsgescK&ft, oben S. 224) wirkt auch heute selbständig den Wechsel des Eigentums. 8) Verfügungsmacht des Tradenten. Die Tradition bedeutet einen bloß verfügungsmäßigen, d! h. einen bloß abgeleiteten Erwerbsgrund (oben S. 268). Der Tradent ist der Verfügende (Veräußernde), der Erwerber sein Rechtenachfolger (Singularsukzessor). Die Tradition überträgt Eigentum nur, wenn der Tradent (der Auktor) zur Verfügung berechtigt ist6. Tradition des Nichtberechtigten macht nicht zum Eigentümer, es sei denn, daß sie durch nachträgliche Genehmigung des Berechtigten oder durch späteren Rechtserwerb seitens des Nichtberechtigten (Tradent beerbt z. B. später den Eigentümer bzw. der Eigentümer beerbt später den Tradenten) „konvalesziert", d. h. nachträglich wirksam wird. Das römische Recht ist bei diesen Sätzen verblieben6. Erst unser neuzeitliches Recht hat, in Fortbildung mittelalterlich-deutschen Rechts, der Veräußerungsübergabe von (nicht gestohlener, noch sonst dem Eigentümer ohne Willen abhanden gekommener) Fahrnis an den gutgläubigen Erwerber (der ohne grobe Fahrlässigkeit den Veräußerer für den Eigentümer hält) ursprüngliche Kraft beigelegt, so daß heute ^auch bei Verfügung eines Nichtbercchtigten kraft guten Glaubens Eigentum erworben werden kann 7 . 6 Sei es als Eigentümer, sei es kraft dinglichen Rechts (z. B. des Pfandrechts), sei es kraft Auftrags des Eigentümers usf. * Originäre, also von der Berechtigung des Tradenten unabhängige Kraft hat das römische Recht, und zwar erst in der späteren Kaiserzeit, nur beigelegt der Tradition des Fiskus, des Kaisers und der Kaiserin; der Geschädigte hat gegen den Tradontcn einen Ersatzanspruch. D i e s e Fälle ursprünglichen Traditionserwerbs sind im B.G.B, verschwunden. 7 Die Fahrnis-Veräußerung durch Obergabe hat zugunsten des gutgläubigen Erwerbers nach B.G.B. § 932 schlechtweg ursprüngliche Wirkung (nur mit der Einschränkung des § 935 für gestohlene und abhanden gekommene Sachen); die Fahrnis Veräußerung ohne Übergabe wirkt originär nur bei Hinzutritt weiterer Umstände, § 929 Satz 2. §§ 933. 934. Das H.G.B. § 366 erleichtert das Erfordernis des guten Glaubons für den FahrnisErwerb vom Kaufmann: es genügt der nicht grobfahrlässige Glaube, daß Veräußerer zur Verfügung berechtigt sei, z. B. infolge Auftrages des Eigentümers (während das B.G.B, den Glauben verlangt, daß der Veräußerer selber Eigentümer sei). — Für den Erwerb des Eigentums an Grundstucken bedarf es heute der Auflassung und wird der gutgläubige Erwerber hier durch die Rechtssätze vom öffentlichen Glauben des Grundbuchs geschützt (B.G.B. §§ 892. 893).

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L. 20 pr. D. de A. R. D. (41, 1) (ULPIAN): Traditio nihil amplius transferre debet vel potest ad eum, qui accipit, quam est apud eum, qui tradit. Si igitur quis dominium in fundo habuit, id tradendo transfert, si non habuit, ad eum qui accipit, nihil transfert. L. 20 C. de pact. (2, 3) (DIOCLETIAN): Traditionibus et usucapionibus dominia rerum, non nudis $actis transferuntur. L. 31 pr. D. de A. R. D. (41, 1) (PAULUS): Numquam nuda traditio transfert dominium, sed ita, si venditio aut aliqua justa causa praecesserit, propter quam traditio sequeretur. Vgl. § 41 I. de rer. div. (2, 1), oben S. 49 Anm. 5. Die römische Tradition hat etwas Formloses, zumal da sie ohne körperliche Ubergabe möglich ist. Sie entspricht den Bedürfnissen des Fahrnisverkehrs (des Handelsverkehrs), der leicht zu handhabende Veräußerungsgeschäfte fordert. Sie ist denn auch dem jus gentium entsprungen (während das alte jus civile das römische Bauerngut mit seinem notwendigen Zubehör als res maneipi der Tradition entzog). Der Sieg der Tradition über die Manzipation bedeutet sachenrechtlich die Mobilisierung des Immobiliarvermögens. Die neuere (durch das B.G.B, für das ganze Deutsche Reich vollendete) Entwicklung ist im Anschluß an älteres deutsches Recht zu der Sonderbehandlung des Grundstücks zurückgekehrt: Grundeigentum soll nur feierlich (durch Auflassung mit nachfolgender Eintragung in das Grundbuch) veräußert werden können. Die Übereignung durch Übergabe ist wieder auf den Fahrnisverkehr beschränkt und das Grundstück also gewissermaßen aufs neue zum Range einer res maneipi erhoben worden. II. Das Vermächtnis ist ein derivativer Eigentumserwerbsgrund, wenn der Testator durch letztwillige Verfügung seine Sache direkt jemandem als Vermächtnis zu Eigentum zugewendet hat (legatum per vindicationem). Es bedarf einer Besitzergreifung von Seiten des Vermächtnisnehmers nicht; sobald vielmehr das Vermächtnisrecht geltend gemacht werden kann (dies legati venit), wird dem Legatar unmittelbar (ipso jure), ohne daß es einer Handlung von Seiten des Erben bedürfte, das Eigentum an der vom Testator ihm durch Vindikationslegat direkt zu Eigentum vermachten Sache erworben, vorausgesetzt aber, daß der Testator Eigentümer war oder doch über das Eigentum verfügen konnte

§ 5.

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(daher ein abgeleiteter Erwerbsgrund). Anders heute, da das römische Vindikationslegat dem B.G.B, unbekannt ist. Das heutige Vermächtnis gibt dem Vermächtnisnehmer niemals mehr unmittelbar Eigentum, sondern immer nur ein Forderungsrecht (B.G.B. § 2174). Vgl. unten § 104. III. Die adjudicatio ist der Zuspruch des Richters im Teilungsverfahren. Die gemeinsame Benutzung einer gemeinsamen Sache (mehrere Kinder haben z. B. ihren Vater beerbt) entspricht nicht immer den Interessen der Miteigentümer. Die Auseinandersetzung kann vertragsmäßig (gütlich) geschehen. Gelingt die gütliche Einigung nicht, so bedarf es des gerichtlichen Teilungsverfahrens. Durch das Teilungsverfahren soll (um die Miteigentümer auseinanderzusetzen) Miteigentum in Alleineigentum verwandelt werden: entweder dadurch, daß die Sache reell geteilt, d. h. in mehrere Sachen zerlegt und jedem der bisherigen Miteigentümer Alleineigentum an einer der neuen Sachen zugesprochen wird 8, oder dadurch, daß einem der Miteigentümer die ganze Sache zu Alleineigentum zugesprochen wird, unter der Verpflichtung, die anderen Miteigentümer durch Geld zu entschädigen9. In beiden Fällen handelt es sich um Übertragung von Eigentum, nämlich um Übertragung des Miteigentums, soweit es den anderen condomini an derselben Sache zustand. Diese Übertragung, welche denjenigen, zu dessen Gunsten sie geschieht, jetzt in einen Alleineigentümer verwandelt, geschieht bei gütlichem Verfahren durch die Miteigentümer selber; dann bedarf es der Tradition (gegenseitiger Besitzübertragung). Im Teilungsprozeß geschieht sie nach römischem Recht durch Urteil des Richters (judex), durch den Zuspruch, die a d j u d i c a t i o (vgl. unten § 113 II. 4), welche ohne Besitzübertragung die Eigentumsveränderung herbeiführt, vorausgesetzt, daß der Prozeßgegner wirklich der Miteigentümer war. Die richterliche adjudicatio überträgt das Miteigentum des einen Prozeßführenden auf den anderen. Sie bedeutet einen verfügungsmäßigen, nämlich einen die Verfügung des Gegners ersetzenden öffentlichrechtlichen Tatbestand (eine 8

Dies geschieht nur bei teilbaren Sachen, oben S. 269. Dies geschieht bei unteilbaren Sachen. Die nnteilbare Sache kann auch an einen Dritten verkauft und der Erlös geteilt werden. 9

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Zwangsverfügung, vgl. oben § 48 Anm. 2. 3). Der Prozeßgegner, »dessen Eigentumsrecht mir vom Richter zugesprochen wird, ist mein Auktor. Die adjudicatio ist ein derivativer Eigentumserwerbsgrund, abhängig von der Berechtigung dieses Auktors. Das B.G.B, hat wie das Vermächtnis, so auch die adjudicatio als Eigentumserwerbsgrund beseitigt. Heute gibt es keine adjudicatio mehr (während das frühere gemeine Recht wie das Vindikationsvermächtnis, so auch die römische adjudicatio beibehalten hatte). Nach heutigem Recht haben auch im Fall des Teilungsprozesses die Miteigentümer sich durch eigene Handlung auseinanderzusetzen (B.G.B. §§ 752. 753). Der Teilungsrichter verurteilt sie zur Vornahme dieser Handlung; er führt nicht mehr, wie im römischen Recht, die Eigentumsveränderung selber durch Richterspruch herbei. Von den abgeleiteten Eigentumserwerbsgründen des römischen Rechts ist in unserem heutigen Recht nur die Tradition geblieben, und auch diese nur, sofern sie in der heutigen Fahrnisübereignung sich widerspiegelt. § 7 I. de off. jud. (4, 17): Quod autem istis judieiis (divisoriis) alicui adjudicatum sit, id statim ejus fit, cui adjudicatum est. §53. Der Enterb des Eigentums· Ursprünglicher Erwerb. Der ursprüngliche (originäre) Erwerb beruht nicht auf einer Verfügung als- solcher (oben § 48). Er bewirkt darum keine bloße Rechtsnachfolge. Er ist unabhängig von der Berechtigung eines bestimmten anderen und in sich selbst begründet. Für den ursprünglichen Erwerb gibt es keinen Auktor. I. Die Aneignung (Okkupation) ist die älteste aller Eigentumserwerbsarten. Sie ist der Besitzerwerb an einer herrenlosen Sache mit dem Willen des Eigentumserwerbes. Res nullius occupant! cedit. Beispiele sind die Okkupation von wilden Tieren1, 1

Wilde Tiere sind alle nicht zum Haushalt gehörigen Tiere. Das an ihnen orworbene Eigentum geht unter, sobald sio ihre natürliche Freiheit

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von Muschcln oder Steinen am Meeresstrand, von derelinquierten Sachen. Im heutigen Becht kann die Okkupation durch iandesgesetzliche Verbote oder durch Aneignungsrechte (z. B. Jagdrecht) beschrankt sein, vgl. B.G.B. § 968, 2. Das römische Recht hätte den Grundsatz der Okkupationsfreiheit. Die Okkupation ab solche war frei. Wohl aber konnte der Grundeigentümer den Dritten durch Verbot des Eintritts in sein Grundstück an der Okkupation hindern. Die Dereliktion (Preisgabe) ist das Gegenstück der Okkupation.. Sie ist die Besitzentäußerung mit dem Willen der Eigen» toimsentäußerüng (so z. B. das Wegwerfen def Apfelsinenschale, nachdem die Apfelsine gegessen worden ist). Sie macht, sobald die Besitzentäußerung körperlich v o l l z o g e n ist, die Sache herrenlos. Derelinquierte Sachen können daher von jedermann okkupieirt und so zu Eigentum erworben werden8. Von derelinquierten Sachen unterscheiden sich selbstverständlich verlorene Sachen, also solche Sachen, welche wider Willen abhanden gekommen sind. Hier ist nur der tatsächliche Besitz verloren (vgl. oben § 49), nicht das Eigentum. Die Sache ist nicht res nullius, sondern res alieujus und daher nicht okkupierbar. Der Finder wird nicht Eigentümer. Er ist vielmehr verpflichtet, für die Aufbewahrung und Erhaltung der Sache, sowie (soweit es ihm möglich ist) für die Rückerstattung derselben an ihren Eigentümer (z. B. durch Anmeldung bei der Polizei) zu sorgen. Auch nach heutigem Recht wird der Finder nur unter bestimmten Voraussetzungen Eigentümer (B.G.B. § 973); aber dejr Finder kann nach heutigem (nicht nach römischem) Recht einen Finderlohn verlangen (B.G.B. § 971). wieder erlangen (D. 41, 1, 3, 2; 1. 6. pr. eod. B.G.B. § 960. 961). Gezähmte wilde Tiere werden folgeweise herrenlos, wenn sie den animus rovertendi aufgeben (D. 41, 1, 5, 5. B.G.B. § 960, 3). Das Eigentum an wilden Tieren hängt also daran, daß sie besessen werden (sei es auch von einem Diebe). Das Eigentum an Haustieren ist (gleich dem Eigentum an sonstigen Sachen) vom Besitz unabhängig. * Die Preisgabe eines G r u n d s t ü c k s ist heute besonders geregelt B.G.B. .§ 928. S o h m . Institutionen.

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Allerdings aber wird als herrenlos behandelt der Schatz, der sogenannte thesaurus 8. Schatz im Rechtssinn ist ein vor so langer Zeit verborgenes Wertobjekt, daß der Eigentümer gegenwärtig unbekannt ist (vetus quaedam depositio pecuniae, cujus non exstat memoria, ut jam dominum non habeat, D. 41,1,31, l) 4 . Der Schatz fällt zur Hälfte an den Finder, d. h. den Okkupanten (heute nach B.G.B. § 984 an den Entdecker, auch wenn er nicht der erste Besitzerwerber ist), zur anderen Hälfte an den Eigentümer der Sache, in welcher der Schatz gefunden ist. Schatzsuchen ohne Erlaubnis des Grundeigentümers bestrafte das römische Recht mit Verlust der Finderhälfte an den Eigentümer, ebenso Schatzsuchen unter Gebrauch von Zaubermitteln (Geisterbeschwörung) mit Verlust des gefundenen Schatzes an den Fiskus. Nach römischem Recht war auch Feindesgut okkupabel, sobald es auf römischen Boden gelangte; war es ins Feindesland zurückgebracht, so fiel es durch jus postliminii von selber an den früheren Eigentümer zurück. Ebenso umgekehrt (zugunsten der Römer) römisches Eigentum, welches aus den Händen der Feinde in die Macht der Römer zurückkehrte6. § 12 I. de rer. div. (2,1): Ferae igitur bestiae et volucres et pisces, id est omnia animalia, quae in terra, mari, caclo nascuntur, simulatque ab aliquo capta fuerint, jure gentium statim illius osse ineipiunt. Quod enim ante nullius est, id naturali ratione occupanti conceditur. Nec interest, feras bestias et volucres utrum in suo fundo quisque capiat, an in alieno. Plane, qui in alienum fundum ingreditur venandi aut aueupandi gratia, potest a domino, si is provident, prohiberi, ne ingrediatur. ; / s

Eino. kurze rechtsvcrgleichende Übersicht über die Entwicklung der europäischen Gesetzgebung betreffend den Schatzfund gibt, vom römischen Rechte ausgehend, G. R o t o n d i , Rivista di dir. civ. (Mailand 1910) S. 313-337. 4 Kein Schatz ist also ein Wertfund, bei dem aus beiliegenden Urkunden oder anderen Kennzeichen der Eigentümer, bzw. sein Rechtsnachfolger ersichtlich ist. So lag bei einem vor einigen Jahrzehnten in Brasilien in einer alten Mauer entdeckten Goldbestand eine Kapsel, die einen Zettel enthielt, laut dessen der Prior und der Guardian eines benachbarten Jesuitenklosters dieses Gold in unruhigen Zeiten hier vergraben hatten: kein Schatz. 6 Ober das postliminium in bezug auf Sachen M i t t e i s , Röm. Privatr. Bd. 1, S. 134. 135. Ober das persönliche postliminium oben S. 166.

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II. Die Usukapion oder Ersitzung ist der Eigentumserwerb durch fortgesetzten Besitz. Sie gehört zu den Selbstbeschränkungen, welche das Eigentum im Interesse seiner eigenen Sicherheit sich aufzuerlegen genötigt ist. Alle Sicherheit würde aufhören, wenn das Eigentum unbeschränkt und durch alle Zeiten geltend gemacht werden könnte. Es muß einen Augenblick geben, wo der frühere Eigentümer dem gegenwärtigen redlichen Erwerber gegenüber aufhört, Eigentümer zu sein, und der redliche Erwerber sich auch von Rechts wegen in den Eigentümer verwandelt. Diesen Zeitpunkt bestimmt nach römischem Recht die Usukapion. Noch ein anderer Umstand kommt hinzu. Wenn etwa der Eigentümer in den Fall kommt, sein Eigentum klageweise gegen einen Dritten geltend zu machen, so muß er sein Eigentum beweisen. Nun hat er etwa die Sache von einem Vormann durch Kauf und Tradition erworben. Das genügt aber nicht zum Nachweis des Eigentums. Denn die Tradition ist ein abgeleiteter Erwerbsgrund, und sein Vormann (sein Auktor) konnte ihn nur dann zum Eigentümer machen, wenn er (der Vormann) selber Eigentümer war. Also muß ferner auch das Eigentum des Vormannes nachgewiesen werden. Nun hat aber dieser die Sache auch seinerseits durch Kauf und Tradition, also wiederum bloß durch abgeleiteten Erwerbsgrund erworben. So wird man auf den Vormann des Vormanns kommen und so fort: eine unendlicho Reihe tut sich auf, und es ist einfach unmöglich, auf Grund des abgeleiteten Erwerbes zu einem Nachweis des Eigentums zu gelangen. Darum ist es nötig, daß der abgeleitete Titel durch einen u r s p r ü n g l i c h e n ergänzt werde. Und dieser ursprüngliche Titel ist die Usukapion. Es ist nicht nötig, daß ich auf alle Vormänner zurückgehe. Es genügt, darzutun, daß die Sache redlich erworben, eine bestimmte Zeit hindurch besessen ist, daß ich sie also jedenfalls usukapiert haben würde, falls ich durch die Tradition selbst noch nicht Eigentümer geworden wäre. Die Ersitzung ist dazu bestimmt, die Wirkung des derivativen Titels (Tradition) nach bestimmter Zeit endgültig und von dem Recht der Vormänner unabhängig zu machen. Sie ist die Ergänzung des verfügungsmäßigen Erwerbs: 20*

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sobald zu der Verfügung (dem derivativen Titel) Redlichkeit Erwerbers und eine gewisse Dauer des Besitzes hinzutritt, ist der Tatbestand eines nicht lediglich verfügungsmäßigen und* darum ursprünglichen Erwerbsgrundes gegeben, der die Frage nach dem Rccht der Rechtsvorgänger unnötig macht. Schon das altrömische Recht kannte einen Eigentumserwerb durch rechtmäßigen Besitz (usus), welcher für unbewegliche Sachen die Zeit von zwei Jahren, für alle übrigen Sachen die Zeit von einem Jahre forderte. Das sagte der Zwölftafelsatz: usus auetoritas (Ersitzung und Gewährleistungspflicht, vgl. oben § 47 111) fundi biennium, ceterarum rerum annus est ο. Aber die usucapio der zwölf Tafeln war, weil dem jus civile angehörig, nur dem zugänglich, der das römische Bürgerrecht besaß (auch das spätere Recht forderte zum mindesten den Besitz des jus commercii, oben S. 178). Sie war ferner nur an denjenigen Sachen möglich, an denen es quiritisches Eigentum geben konnte. So waren also sämtliche Provinzialgrundstücke (soweit nicht das jus Italicum, oben S. 181 Anm. 7, eine Ausnahme machte) der zivilen Usukapion entzogen. Dennoch bestanden selbstverständlich auch in den Provinzen tatsächlich privater Grundbesitz (possessio) mit Kauf und Verkauf, Vererbung und Vermächtnis, kurz Grundbeitszverhältnisse, welche tatsächlich Privateigentum an Häusern, Gärten, Äckern bedeuteten. Einen Rechtsschutz gab es hier von römischen Zivilrechts wegen nicht. Die Edikte der Statthalter in den Provinzen waren es, welche eine Form des Rechtsschutzes einführten, nämlich die praescriptio longi temporis: eine Klageverjährung zugunsten des redlichen Erwerbers (unten § 118 I I ) 6 . Hatte jemand auf Grund rechtmäßigen Erwerbes • Sie ward, wie es scheint, erst gegen Ende des 2. Jahrhunderts eingeführt, M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 120 Anm. 29. Das älteste Zeugnis ein Reskript des Scptimius Severus vom Jahre 199, M i 11 c i s, Hermes, Bd. 30, S. 612 ff. — P a r t s c h , Die longi temporis praescriptio (1906) mit den Ausführungen von M i 11 e i s bei Preisigkc, Gricch. Papyrus der Univ.-Bibliothek in Straßburg i. E., Bd. 1 (1906), S. 86 und von W e n g e r in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd. 27, S. 373 ff. — Über die Entwicklung des Grundsatzes, welcher den Provinzialbodcn als außerhalb des jus civile und damit als außerhalb dos quiritischen Eigentums stehend behandeile, vgl. K l i n g m ü l l e r , Die Idee des Staatseigentums am römischen Provinzialboden, im Philologus, Bd. 69 (1910), S. 71 ff.

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(justo titulo) und in gutem Glauben (bona fide) „lange Zeit", nämlich zehn Jahre inter praesentes (der Gegner hatte mit ihm in derselben Provinz seinen Wohnsitz) oder zwanzig Jahre inter absentes (der Gegner hatte in einer anderen Provinz seinen Wohnsitz) das Grundstück besessen, so brauchte er sich auf die Klage des etwa an dem Gute Berechtigten nicht mehr einzulassen; er ward durch eine praescriptio (einen Vorbehalt zu seinen Gunsten, der an den Beginn der Formel gesetzt wurde, vgl. unten § 117 Anhang) geschützt. Unter den gleichen Voraussetzungen ward ihm dann auch eine Klage (in rem actio) gegen jeden Dritten gegeben7, Immer wirkte die longi temporis possessio an erster Stelle als Vcrschweigung, Klagverjährung (sie ward deshalb durch Klagerhebung unterbrochen, ließ auch die dem Besitzer unbekannten Rechte an fremder Sache untergehen und lief nicht gegen Minderjährige, vgl. Anm. 12). Aber sie führte zugleich die Kraft einer Ersitzung mit sich: sie gab dem possessor nicht bloß eine Einrede, sondern eine Klage nach Art der Eigentumsklage, d. h. sie gab praktisch das Eigentum. Justinian hat dann die zivile usucapio und die amtsrechtliche longi temporis possessio zu einem einzigen Institut verschmolzen. Die longi temporis possessio ward die Ersitzung des Eigentums an Grundstücken (es ward also nun gleichgültig, ob es sich um einen fundus Italicus oder um einen fundus provincialis handelte). Daneben blieb die Usukapion von Fahrnis, für welche jedoch die alte einjährige Frist auf drei Jahre erstreckt wurde. Also: das Eigentum an Grundstücken wird nach Justinianischem Recht in zehn (inter praesentes) oder in zwanzig Jahren (inter absentes) ersessen; das Eigentum an Fahrnis in drei Jahren. Es ist nicht nötig, daß man selber die ganze Zeit hindurch den Besitz gehabt habe; man ist berechtigt, sich den Besitz seines Rechtsvorgängers anzurechnen (sogenannte a c c e s s i ο ρ ο s s e s s i ο n i s) 8 . Ja, der 7

Vgl. L e n e l , Edictum, 2. Aufl., S. 184: Si praedium stipendiarium vel tributarium petatur. * Der E r b e ist berechtigt, sich nicht bloß die Besitzzeit, sondern auch die bona fides seines Erblassers anzurechnen, so daß er (da nach römischem Recht mala fides superveniens non nocet) die Ersitzung trotz eigener mala fides vollenden kann (1. 2 § 19 D. 41, 4): sogenannte s u c c e s s i o i n u s u -

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Faustverpfänder setzt seine Ersitzung an der weggegebenen Pfandsache fort, obgleich er gar nicht mehr besitzt (der „abgeleitete" Besitz des Faustpfandgläubigers kommt ihm für die Usukapion zugute, vgl. oben § 49 Anm. 2). Weitere Voraussetzung ist, daß man einen Erwerbsgrund für sich habe, nämlich einen das Rechtsnachfolgeverhältnis begründenden (abgeleiteten) Erwerbsgrund, z.B. Tradition, einen sogenannten justus titulus, und daß man in gutem Glauben sei, also von der Rechtmäßigkeit seines Besitzes überzeugt sei, sogenannte b ο n a f i d e s 9 . Doch genügt nach c a p i o n ein. Dementsprechend kann die vom Erblasser begonnene Ersitzung schon vor dem Erbschaftsantritt zugunsten des Erben sich vollenden (1. 40 D. 41, 3). Der Erbe (bzw. die ruhende Erbschaft) vollendet die Usukapion des E r b l a s s e r s . Der Sondernachfolger dagegen hat bloße accessio possessionis: er vollendet seine e i g e n e Ersitzung und muß deshalb bei seinem Besitzerwerb selber in bona fide sein. Die accessio possessionis ergab sich aus dem Wesen der longi temporis praescriptio. Sie ist durch ein Reskript von Severus und Caracalla auch auf die zivile usucapio übertragen worden, M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 113. Das ältere Vorbild ist die accessio possessionis beim interdictum utrub (§ 49 I X lb). • Die zwölf Tafeln hatten weder von Titel noch von bona fides gesprochen, sondern nur von Ausschluß der Ersitzung gestohlener Sachen (überdies lag in dem Begriff des usus der des rechtmäßigen Besitzes). So hatte die Jurisprudenz in der Behandlung der einzelnen Fälle einen gewissen Spielraum. Es wurden Fälle der Ersitzung o h n e T i t e l und Fälle der Ersitzung o h n e b o n a f i d e s anerkannt. 1. Ohne Titel geht die Ersitzung vor sich, wenn das Vorhandensein eines Titels kraft entschuldbaren Irrtums, also mit Grund, angenommen wird (sogenannter P u t a t i v t i t e l ) , z, B. bei Erwerb von feinem impubes, den man für einen pubes, von einem furiosns, den man für gesund hielt und halten konnte (1. 2 § 16. 16 D. 41, 4); ähnlich ist der F.V1 dos Erben, der oine Sache entschuldbar für zum Nachlaß gehörig hält fl. 3 D. 41, 6) und des Nichterben, der sich entschuldbar für deft Erben hält (1. 33 § 1 D. 41, 3). 2. Ohne bona fides vollzog sich die usucapio pro herede des alten Rechts (unten § 99) und die u s u r e e e p t i o (die Rückersitzung), deren Hauptfall die usureeeptio ex fiducia war. Es genügte zur Rückersitzung der fiduziarisch (mit Auferlegung einer Treuverpflichtung) veräußerten Sache, daß Veräußerer ein Jahr lang besaß (aucb> wenn es sich um ein Grundstück handelte: die „fiducia" ward als solche zu den „ceterae res44 gezählt). Im Fall der fiducia cum amico contracta (oben S. 69), wo also die fiducia im Interesse des Veräußerers eingegangen war, genügte der Besitz schlechtweg. Im Fall der fiducia cum creditore contracta (die fiducia war hier im Interesse des Gegners eingegangen, oben S. 69) mußte die Zahlung der Schuld hinzukommen; ohne Schiüdzablung ging Rückersitzung durch bloßen Besitz nur dann vor sich, wenn der Besitz weder auf Miete noch auf Prekarium beruhte (Gaj. I I § 69. 60). Die fiduziarisch veräußerte Sache galt im Verhältnis zum fiduziarischen Erwerber

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römischem Becht, daß die bona fides im Augenblick des Besitzerwerbes (im Fall eines Stiickkaufes auch im Augenblick des Kaufgeschäfts) vorhanden sei (vgl. Anm. 8); später eintretende mala fides hindert den Fortgang der Ersitzung nicht (mala fides euperveniens non nocet)10. Die res extra commercium (obçn S. 253 ff.) sind selbstverständlich von der Ersitzung ausgenommen: weil es überhaupt kein Eigentum an ihnen gibt. Andere Sachen sind, obgleich in commercio, doch durch positives Gesetz der Ersitzung entzogen worden (sogenannte res inhabiles). So die res furtivae nach den zwölf Tafeln und der lex Atinia, die res vi possessae nach der lex Julia et Plautia11. Damit hängt die vop Justinian eingeführte sogenannte außerordentliche Ersitzung (longissimi temporis praescriptio) zusammen: ist die Sache kraft positiven Gesetzes der Ersitzung entzogen (res inhabilis) oder fehlt dem Besitzer der Titel oder kann er den Titel vielleicht nicht mehr beweisen, so kann das Eigentum dennoch durch Besitz von 30 oder 40 Jahren ersessen werden, vorausgesetzt, daß der Besitz bona fide erworben war; d. h. es genügt (falls bona fides vorhanden ist), daß die Voraussetzungen der Klagverjährung erfüllt sind (unten § 118 II). Ist der Besitz bona fide erworben und dann die Eigentumsklage gegen den Besitzer verjährt, so soll derselbe nicht bloß die Einrede der Klagverjährung, sondern positiv das Eigentum an der Sache erworben haben, also im Fall des Besitzverlustes auch seinerseits gegen jeden Dritten klagberechtigt sein. Der Dieb und Dejizient selber kann also (weil er in mala fide ist) auch durch außerordentliche Ersitzung niemals usukapieren, wohl aber ein Dritter, der von ihm gutgläubig erwarb. materiell immer noch als Eigentum des Veräußerers. Daher die Erleichterung der Rückersitzung, welche das fiduziarische Eigentum des Gegners zerstört. Dem justinianischen Rocht ist die usureeeptio (ebenso wio die fiducia) unbekannt. 10 Anders das kanonische Recht und dem entsprechend das frühere gemeine Pandektenrecht. Hier galt der Satz: mala fides superveniens nocet: die bona fides muß während der ganzen ^Ersitzungszeit vorhanden sein. Vgl. Anm. 13. 11 Aus dem Obigen ergeben sich die fünf Voraussetzungen der römischen ordentlichen Ersitzung, welche der Vers zusammenfaßt: res habilis, titulue, fides, possessio, tempus.

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Die Ersitzung, die ordentliche wie die außerordentliche, ist gehemmt, solange die Verjährung der Eigentumsklage gehemmt ist (vgl. unten § 118 II). Sie wird unterbrochen, so daß sie von neuem beginnen muß (usurpatio), durch Unterbrechung des Besitzes und durch Erhebung der Eigentumsklage seitens des Eigentümers (bleibt der Prozeß liegen, so beginnt eine neue 40jährige Ersitzung)11. Das Gebiet der Ersitzung war im klassischen römisohen Recht ein doppelte»: einmal hatte sie die Aulgabe, den bonitarischen Eigentümer in einen quiritisehen zu verwandeln, also den Rcchtserwerb zu ergänzen gerade auch in dem Fall, wenn man vom Eigentümer erworben hatte (der formlose Erwerb einer res maneipi gab erst auf Grund der usucapio nach Ablauf von ein bzw. zwei Jahren quiritisches Eigentum); zum andern diente sie dem Eigentumserwerb dessen, welcher vom Nichteigentümer gutgläubig erworben hatte (Beispiel: der Erbe hat mir die Sache 18 Die Unterbrechung durch Klagerhebung (seitens des Berechtigten, vgl. M i 11 e i s a. a. 0., oben Anm. 6, S. 86) entspricht dem Weeen der longi temporis possessio, die an erster Stelle Klagverjährung war. ' Die alte usucapio ward durch litis contes ta tio nicht unterbrochen, wenngleich der Beklagte, der erst poet aeeeptum judicium (nach der litis contcstatio) die Usukapion vollendete, sur RückÜbertragung des Eigentums (tradere, nicht bloß reetitnere) verurteilt ward (Stellen dieses Inhalts sind von den Kompilatoren, offenbar ans Versehen, noch in das Corpus juris aufgenommen worden, i. B. 1. 18 D. 6, 1). Aber durch symbolische Handlung (usurpatio civilis, z, R. durch Abbrechen eines Zweiges vom Grundstück, surculum defringere, Cicero de orat 3, 28 § 110) konnte der Eigentümer (nur er, vgl. 1. 6 D. 41, 3) gegen die usucapio protestieren und sie dadurch unterbrechen. Im justinianischen Recht steht an SteUe der alten usurpatio civilis die Klagerhebung, die im Notfall (in der Person des Gegners besteht ein Hindernis für die Klage) durch Protestation vor Gericht ersetzt werden kann, 1. 2 C. 7, 40. — Auch sonst ist im justinianischen Recht das Recht der longi temporis possessio für die Ersitzung überhaupt maßgebend geworden. Die justinianische Ersitzung beseitigt wie das frühere Eigentum so auch die dem redlichen Besitzer unbekannt gebliebenen sonstigen Sachenrechte (C. 7, 36; anders die das Recht der alten usucapio wiedergebenden Digestenstellen

1. 1 § 2 D. 20, 1. L 44 § 6 D. 41, 3; dem justinianischen Recht folgt das B.G.B. § 945). Die justinianische Ersitzung ist gehemmt, solange ein Minderjähriger Eigentümer ist (1. 5 C. 2, 40; auch hier findet sieb in den Digesten noch das abweichende Reeht der usucapio, z. B. 1. 2 D. 27, 5. 1. 4 § 24 D. 44, 4; nach B.G.B. § 939 mit 206 gilt Hemmung nur der VoUendnng der Ersitzung und nur wenn der Minderjährige ohne gesetzlichen Vertreter ist).

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verkauft und übergeben, welche er im Nachlaß des Erblassers vorgefunden und irrtümlich für Eigentum des Erblassers gehalten hat). Dort war es die mangelnde Form des Titels, hier war es die mangelnde Berechtigung des Auktors, was die Ersitzung notwendig machte. Im Justinianischen Recht ist der Gegensatz der &werbsgründe, ob formfrei (juris gentium) oder formbedüiftig (juris civilis), hinweggefallen. Jeder Erwerbsgrund gibt ν all es Eigentum, sofern nur (bei abgeleitetem Erwerbe) der Auktor wirklich Eigentümer war. Es gibt daher jetzt im Fall des Erwerbe vom Eigentümer keine Ersitzung mehr, und es ist nur. die zweite Aufgabe der Ersitzung übriggeblieben: den, welcher vom Nichteigentümer erwarb, dennoch nach gewisser Zeit zum Eigentümer ζ μ machen19. pr. I. de usuc. (2, 6): Jure civili constitutum fuerat, ut, qui bona fide ab eo, qui dominus non erat, cum crediderit eum dominum esse, 13

Durch das Recht des B.G.B, ist die Bedeutung der Ersitzung wesentlich abgeschwächt. Nach dem B.G.B, verbindet sich mit dem verfügungsgeschäftlichen (abgeleiteten) Sacherwerb regelmäßig sofort ursprünglicher Erwerb, wenn außer dein VerfügnngBgeschäft (der Veräußerung) guter Glaube des Erwerbers und Legitimation des Veräußerers (durch Eintragung 'im Grundbuch, durch Besitz der Fahrnis) vorliegt. Die Veräußerung des l e g i t i m i e r t e n (durch Grundbuch, durch Fahrnisbesitz ale berechtigt auegewiesenen) Veräußeren macht in der Regel den Gutgläubigen s o f o r t zum Eigentümer, auch wenn Veräußerer nicht wirklich Eigentümer war« Der heutig? Verkehr will die Ersitzungszeit nicht abwarten; er will sofort gesichert sein. Nur e r g ä n z e n d tritt die Ersitzung ein (ähnlich der außerordentücheB Ersitzung Justinians). Für die Fahrmsersitzung (B.G.B. § 937 II.) wird zehnjähriger Eigenbesitz und guter Glaube (während der ganzen Ersitzungszeit: mala fides superveniens nocet) gefordert, k e i n Titel: sie tritt ein, wenn der Titel fehlt (also in den Fällen des Pntativtitels, vgL Anm. 9, insbesondere bei mangelnder Geschäftsfähigkeit des Veräußerers), ferner wenn der zu sofortigem Erwerb nötige gute Glaube fehlt (der Erwerber wußte, daß Veräußorer nicht Eigentümer sei, hielt ihn jedoch für einen vom Eigentümer Beauftragten oder sonst Verfügungsberechtigten, vgl., oben § 62 Anm. 7), und wenn die Fahrnis dem Eigentümer ohne Willen abbandeh gekommen war (vgl. B.G.B. § 935: res furtivae werden also nach B.G.B, nicht sofort erworben, ausgenommen Geld usw., aber ersessen). Für Grundstücke gilt die sogenannte Tabularersitzung, die weder Titel noch bona fides, sondern nur 30 jährige Eigentümereintragimg im Grundbuch mit Eigenbesitz fordert (B.G.B. § 900); bloßer 30 jähriger Eigenbesitz mit nachfolgender Ausschließung des Eingetragenen und nachträglicher eigener Eintragung genügt nach § ,927 : sogenannte Kontratabularersitzung.

Die Vermögensrechte.

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rem emerit, vel ex donatione aliave qua justa causa acceperit, is earn rem, ei mobilis erat, anno ubique, si immobilis, biennio tantum in Italico solo usucapiat, ne rerum dominia in incerto essent Et cum hoc placitum erat, putantibus antiquioribus, dominis suificere ad inquirendas res suas praefata tempora, nobis melior sententia resedit, ne domini maturius suis rebus defraudentur, neque certo loco beneficium hoc concludatur. Et ideo constitutionem super hoc promulgavimus, qua cautum est, ut res quidem mobiles per triennium usucapiantur, immobiles vero per longi temporis possessionem, id est inter praesentes decennio, inter absentes viginti annis usucapiantur: et his modis non solum in Italia, sed in omni terra, quae nostro imperio gubernafur, dominium jrerum, justa causa possessionis praecedente, adquiratur. III. Akzession nennt man eine Sache, welche vorher selbständig war, nunmehr aber wesentlicher Bestandteil einer anderen geworden ist, z. B. eine Pflanze, die ich in mein Grundstück einpflanze. Die Sache, welche Akzession geworden ist, hat aufgehört, selbständig dazusein. Es gibt aber ein Eigentum nur an selbständigen* Sachen, nicht an Sachteilen (oben S. 252). Daher muß, wenn die Sache Akzession geworden ist, mit ihrem selbständigen Dasein auch das frühere Eigentum, welches an ihr bestand, untergehen. Ich, dem die Hauptsache14 (die Sache, in welche die andere aufgegangen ist) gehört, bin jetzt jedenfalls auch Eigentümer der Akzession (z. B. der Pflanze), sollte dieselbe auch vorher einem anderen zu Eigentum gehört haben; denn diese Akzession ist jetzt ein ununterscheidbarer Bestandteil meiner Sache geworden und wird daher mit Rechtsnotwendigkeit von meinem Eigentum an dieser Sache mitergriffen (wobei meine Pflicht, den früheren Eigentümer zu entschädigen, vorbehalten bleibt). In diesem Sinn ist der Vorgang der Akzession ein Eigentumserwerbsgründ, und zwar ein ursprünglicher (nicht verfügungsmäßiger): es ist gleichgültig, wem vor der Verbindung etwa das Eigentum an der Akzession zugestanden haben mag. Beispiele der Akzession sind: die f e r r u m i n a t i o (Anschweißen eines eisernen Arms an die eiserne Statue; keine Akzession war den Römern die adplumbatio, die Anlötung 14

Vgl. darüber unten die Anmerkung zu § 53.

§ 53. Ursprünglicher Erwerb des Eigentums.

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durch Blei, bei welcher die Teilstücke erkennbar bleiben, 1. 23 § 5 D. 6, 1), die durch implantatio oder inaedificatio (das Haus als Ganzes ist Akzession des Grund und Bodens, vgl. oben S. 256) geschaffene superficies 16 , die alluvio (die An· schwemmung, durch welche der öffentliche Fluß ein Grundstück vergrößert), die avulsio (die Anlandung: der öffentliche Fluß hat ein größeres Stück von einem höher liegenden Grundstück abgerissen und an mein Grundstück angeschwemmt; sobald es mit meinem Grundstück verwachsen ist, habe ich als an einer Akzession Eigentum daran erworben); der alveus derelictus (der öffentliche Fluß hat sein Bett verändert: das freigewordene Flußbett fällt den Anliegern auf beiden Seiten als Akzession zu, jedem bis in die Mitte des Flußbettes), die insula in flumine η at a (teilweises Freiwerden des öffentlichen Flußbettes: es gilt das gleiche wie beim alveus derelictus)16. § 20 I. de rer. div. (2, 1): Praeterea quod per alluvionem agro tuo flumen adjecit, jure gentium tibi adquiritur. Est autem alluvio incrementum latens. Per alluvionem autem id videtur adjici, quod ita paulatim adjicitur, ut intellegere non possis, quantum quoquo momento temporis adjiciatur. § 21: Quod si vis fluminis partem aliquam ex tuo praedio detraxerit et vicini praedio appulerit, palam est, earn tuam permanere. Plane si longiori tempore fundo vicini haeserit, arboresque, quas secum traxerit, in eum fundum radices egerint, ex eo tempore videntur vicini fundo adquisitae esse. § 22 eod.: Insula, quae in mari nata est (quod raro accidit) occupantis fit, nullius enim esse creditur; at in flumine nata (quod frequenter accidit) si quidem mediam partem fluminis teneat, communis u Superficies solo cedit. Das Wort superficies bezeichnet alles, was durch Bauen oder Pflanzen dem Grundstück eingefügt wird: das Einpflanzen wirkt nach B.G.B. § 94 sofort, nach römischem Recht erst mit dem Wurzelschlagen (D. 41, 1, 7, 13) die Grundstücksbestandteilseigenschaft und damit den Eintritt in das Eigentum des Grundeigentümers. In Deutschland hat der Satz superfices solo cedit immer nur mit gewissen Einschränkungen gegolten. Der praktische Zweck des Rechtssatzes ist die Erhaltung von Bauwerken und pflanzlichen Anlagen. Wo dieser Gesichtspunkt nicht zu« traf, ward der Rechtssatz nicht angewandt. Dem entsprechen die Einschränkungen seiner Geltung in B.G.B. § 95, Vgl. B i e r m a n n , Superficies solo cedit, in Jherings Jahrb., Bd. 34, S. 169 ff. 1β Der Erwerb nach Uferjecht (alluvio usw.) galt nach römischem

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est eorum, qui ab u traque parte fluminis prope r^pam praedia possident, pro modo latitudinis cujusque fundi, quae latitudo prope ripam sit Quod si alteri parti proximior sit, eorum est tantum, qui ab ea parte prope ripam praedia possident. IV. Spezifikation ist die Sachverarbeitung (z. B. in der Bäckerei, in der Tischlerei, in der Kelterei, in der Fabrik). Aus dem Rohstoff wird ein Arbeitserzeugnis, regelmäßig höheren wirtschaftlichen Wertes, hergestellt. Eine Neuschöpfung ist durch diç Arbeit vor sich gegangen. Um dieser wirtschaftlichen Produktionskraft willen soll der Arbeit dann auch das Arbeitserzeugnis zufallen: der Spezifikant (der Fabrikant), d. h. derjenige, welcher selber oder durch andere die neue Sache hergestellt hat (der Arbeitsunternehmer), erwirbt an der spezifizierten Sache Eigentum, ohne Rücksicht darauf, wer früher Eigentümer war (also originär), jedoch nach justinianischem Recht nur, falls er in bona fide war und falls die frühere Gestalt der Sache nicht wiederhergestellt werden kann. Die Beschränkungen fallen fort, wenn dem Spezifikanten ein Teil des Stoffes gehört hat. Das B.G.B. (§ 950) hat diese Beschränkungen überhaupt beseitigt; der Spezifikant wird schlechtwcg Eigentümer, es sei denn, daß der Wert der Verarbeitung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes (dann liegt eine eigentliche Spezifikation nicht vor). Über den die Spezifikation betreffenden Meinungsgegensatz der römischen Rechtsschulen vgl. oben S. 99 Anm. 16. § 25 I. de rer. div. (2, 1): Cum ex aliéna materia species aliqua facta sit ab aliquo, quaeri solet, quis eorum naturali ratione dominus sit, utrum is, qui fecerit, an ille potius, qui materiae dominus fuerit: ut ecce, si quis ex alienis uvis, aut olivis, aut spicis vinum, aut oleum, aut frumentum fecerit aut ex alieno auro vel argento vel aere vas aliquod fecerit . . . . Et post multas Sabinianorum et Proculianorum ambiguitates placuit media sententia existimantium, si ea species ad materiam reduci possit, eunl videri dominum esse, qui materiae domiRecht 1. nur bei öffentlichen Flüssen (oben S. 264); 2. nur für agri areifinii, d. h. für Grundstücke, deren natürliche Grenze der Fluß war, nicht für die obrigkeitlich begrenzten agri limitati. — Über das Uferrecht, überhaupt über das Wasserrecht hat das B.GJB. keine Vorschriften; es gilt Landesrecht (E.G. Art. 66), also in den früher gemeinrechtlichen Gebieten noch heute, soweit nicht Landesgesetze erlassen sind, das gemeine (römische) Recht.

§ 53. Ursprünglicher Erwer des Eigentums.

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nus fuerit; si non possit reduci, eum potius intellegi dominum, qui fecerit. Ut ecce vas conflatum potest ad rudern massam aeris, vel argenti, vel auri reduci, vinum autem, aut oleum, aut frumentum ad uvas et Olivas et spicas reverti non potest.... Quodsi partim ex sua materia, partim ex aliéna speciem aliquam fecerit quisque, veluti ex suo vino et alieno melle mulsum, aut ex suis et -alienis medicamentis emplastrum aut collyrium, aut ex sua et aliéna lana vestimentum fecerit, dubitandum non est, hoc casu eum esse dominum, qui fecerit, cum non solum operam suam dedit, sed et partem ejusdem materiae praestavit. V. Frucht er werb. Die natürlichen Früchte einer frucht tragenden Sache sind, solange sie von der Muttersache noch nicht losgetrennt, also noch „fructus pendentes" sind, noch keine Rechtsobjekte; in diesem Stadium stehen sie als Bestandteile der Muttersache notwendig im (indirekten) Eigentum des Sacheigentümers. Aber mit dem Moment der Trennung kann an den jetzt verselbständigten Früchten (fructus separati) kraft Fruchtrechtes ein anderer Eigentum erwerben; und zwar erwirbt sie in erster Linie, mit Ausschluß aller nachstehend angeführten Berechtigten: 1. der bonae fidei possessor der Muttersache, d. h. wer in entschuldbarem gutem Glauben die Muttersache als eigene besitzt. Dieser erwirbt die Früchte, wie Justinian I. 2,1, 35 sagt, pro cultura et cura, also zum Lohn für die Bestellung und Pflege der Muttersache; sein Erwerb tritt mit der Separation der Früchte von selbst ein. Ist kein bonae fidei possessor auf der Sache, so erwirbt die Früchte entweder: 2. der Erbpächter (Emphyteuta, unter § 58) mit der Separation; oder17 3. der Nießbraucher (Usufruktuar, unten § 57 Ia); auch er, wie die unter 1. und 2. Genannten kraft ursprünglichen dinglichen Erwerbsrechts, also mit Ausschluß der etwaigen Konkursgläubiger des Eigentümers. Dagegen erwirbt der Nießbraucher die Früchte nicht, wie die Genannten, schon mit der Separation, sondern erst mit der Perzeption (vgl. unten § 57 Ia), d. h. mit dem Besitzerwerb 17 Treffen an einer Sacho (d. h. an einem Grundstück) Erbpacht und Nießbrauch zusammen, so schließt derjenige Berechtigte, dessen Recht früher entstanden ist, den anderen aus.

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(I. 2,1, 36). Der vom Dieb gebrochene Apfel fällt also in das Eigentum des Grundeigentümers, nicht des Nießbrauchers. 4. Besteht an der Sache weder eine bonae fidei possessio eines Niuhtberechtigten, noch eine Erbpacht, noch auch ein Nießbrauch, so fallen ihre Früchte mit der Trennung sofort in das Eigentum ihres Eigentümers. Das bildet natürlich praktisch die erdrückende Mehrzahl der Fälle. Kein ursprünglicher Erwerb der Früchte tritt nach römischem Rechte beim Zeitpächter ein. Ihm fallen vielmehr die Früchte nur dadurch zu, daß der Verpächter in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem (rein obligatorischen) Pachtkontrakt durch sogenannte longa manu traditio (oben § 49 Anm. 6) ihm gestattet, sich die Früchte anzueignen. Demnach erwirbt der Zeitpächter bloß derivativ, also auch nur insoweit, als der Verpächter berechtigt ist, über die Früchte zu verfügen; im Konkurs des Verpächters z. B. müßte nach römischem und gemeinem Recht der Pächter mit seinem Fruchtbezugsanspruch dem Konkursverwalter weichen. , Nur für die Sachhervorbringungen, die sogenannten „natürlichen" Früchte, gelten die sachenrechtlichen Rechtssätze vom Frucht er werb. Der Begriff der „bürgerlichen" Früchte (sogenannte fructus civiles), d. h. der Erträgnisse, die aus der Sache vermöge eines Rechtsverhältnisses gewonnen werden, wie z. B. der Mietzins (vgl. B.G.B. § 99, 3), ist nur für die schuldrechtlichen Rechtssätze vom Frucht ersatz von Bedeutung: wer die Früchte einer Sache herauszugeben verpflichtet ist (so. auch der gutgläubige Besitzer nach Prozeßbeginn), hat auch „bürgerliche" Früchte, die er gezogen hat (pereepti) bzw. bei verkehregemäßer Sorgfalt hätte ziehen können (pereipiendi = neglecti) herauszugeben bzw. zu ersetzen (vgl. z. B. D. 6, 1, 62). A n m e r k u n g . D i e S a c h v e r b i n d u n g . Zu den Vorgängen, welche mit Rechtsnotwendigkeit eine Änderung in der Eigentumszuständigkeit herbeiführen, gehört die V e r b i n d u n g m e h r e r e r S a c h e n z u e i n e r e i n z i g e n (z. B. ich gieße zwei Flaschen Wein zusammen). Wem wird das Eigentum an der neuen Sache zustehen? Darüber gelten verschiedene Rechtssätzc, je nach den Fällen. Die Fälle sind zum Teil bereits im Vorigen besprochen worden. Hier soll versucht werden, den leitenden Gesichtspunkt klarzustellen.
Begriff dee Forderungsrechts. Die Schuldverbindlichkeit (Obligation) im Sinn des jüngeren römischen und unseres heutigen Rechts bedeutet ein doppeltes: das eine ist die Schuld, die Verpflichtung zu einem bestimmten Verhalten; das andere ist die Haftung, der Rechtsnachteil, der eintritt, falls Schuldner seine Verpflichtung nicht erfüllt (z. B. die Zwangsvollstreckung). Beides ist in der Gegenwart ebenso wie in späterer römischer Zeit von Be cht s wegen miteinander verbunden. Das war nicht von vornherein der Fall. Urrechtlich (bei allen Völkern offenbart eich hier die gleiche Bechtsentwicklung) schließt die Schuldverbindlichkeit als solche keine Haftung

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Obligationenrecht.

in sich. Zu dem Schuldgrund, z. B. dem vertragsmäßigen Versprechen, muß ein Haftungsgeschäft hinzutreten, welches für den Fall der Nichterfüllung die Haftung begründet und ihre Art bestimmt. Diesen Sinn hat das Verfallpfand (vgl. oben S. 342) des ältesten Bechts: es haftet nicht der Schuldner, sondern nur das „Pfand". Den gleichen Sinn hat die Bürgschaft der Urzeit (vgl. Schillers „Bürgschaft"). Der Leib des Bürgen ist zum Pfand gesetzt: es haftet nicht der Schuldner, sondern nur der Bürge. Der Bürge haftet ohne eigne Schuld, der Schuldner schuldet ohne eigene Haftung. Aus der Bürgenstellung (Vergeiselung) ist dann aber die Selbstbürgschaft hervorgegangen. Der Schuldner setzt den eigenen Leib zum Pfand. Jetzt hat der Schuldner beides: die Schuld und die Haftung. Die persönliche Haftung mit dem eigenen Leibe (bzw. mit der eigenen Freiheit) schwächte sich in der Folgezeit zu einer Haftung nur mit dem Vermögen ab (vgl. oben S. 62; 162) und die Vermögenshaftung ward zugleich von Bechts wegen mit der Schuldverbindlichkeit verknüpft, so daß es zur Begründung einer vollwirksamen Schuldverbindlichkeit keines besonderen Haftungsgeschäfts mehr bedurfte. Die Schuld begründete vielmehr durch sich selbst die Haftung. Die Form des Haftungsgeschäfts behauptete sich als Form des Schuldvertrags (vgl. oben S. 62 und unten § 81 Anm. 8), aber der Bechtsgedanke war nunmehr, daß der Schuldvertrag ein Becht des Gläubigers, das Forderungsrecht, hervorbringe, dessen Bechtswirkung in der „persönlichen" Haftung des Schuldners mit seinem ganzen Vermögen, sich offenbart. Aus dem Becht der Haftungsgeschäfte (des „Bindens", obligare, nectere, und „Lösens", solvere liberare) entsprang das Becht der Schuldverhältnisse, aus der unmittelbaren personenrechtlichen Gewalt des Gläubigers über den „gebundenen" Schuldner ging das von der formgebenden Kunst der römischen Juristen ausgestaltete Forderungsrecht hervor, das im 16. Jahrhundert mit dem römischen Becht von uns aufgenommen wurde, um das Verkehrsleben der Gegenwart zu beherrschen. Das Forderungsrecht des klassischen römischen Privatrechts ist das Becht auf eine fremde Handlung von Vermögensinteresse. Es richtet sich immer nur gegen eine bestimmte Person, den

§ 61. Begriff des Forderungsrechts.

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Schuldner (debitor). Dae Eigentum kann ich gegen jeden Dritten geltend machen, das Forderungsrecht aber aus dem Kaufgeschält nur gegen den Verkäufer, aus dem Mietvertrag nur gegen den Vermieter usw. Die Forderungsrechte sind bloß relativ wirksame Rechte. Sie bestehen lediglich darin, daß ein bestimmter anderer (der Schuldner) zum Handeln verpflichtet sei. Die Verpflichtung (Obligation) des Schuldners bildet den alleinigen Inhalt des Forderungsrechts. Die aus dem dinglichen Recht hervorgehende Verpflichtung des Gegners (z. B. wenn ich kraft meines Eigentums Herausgabe einer Sache fordere) bedeutet als solche keine Obligation (keine schuldrechtliche Verpflichtung), weil sie als bloße Folge, nicht als Inhalt meines dinglichen Bechts erscheint. Nur die schuldrechtliche Verpflichtung (die Obligation) bildet den Inhalt eines selbständigen (selbständig verfügbaren) gegnerischen Bechts, des Forderungsrechts (vgl. oben S 48). Die Obligation des Schuldners aber, in welcher das Recht des Gläubigers sich äußert, ist keine Subordination mehr. Dadurch unterscheiden sich die Forderungsrechte als Erzeugnisse einer jüngeren, höheren Entwicklungsstufe von den ehemaligen Gewaltrechten (Tötungsrecht, Verknechtungsrecht, Verkaufsrecht) des Gläubigers, auch von den Familienrechten und von den öffentlichen Regierungsrechten der Gegenwart, deren Wirkung Subordination, persönliche Unterordnung, Zwangsgewalt des einen Willens über den anderen Willen ist. Der Schuldner bleibt dem Gläubiger gegenüber frei. Er bleibt ihm gleichgeordnet. Er kann durch keine private Zwangshandlung des Gläubigers zur Erfüllung gezwungen werden. Die persönliche Freiheit ist unverzichtbar. Durch kein Verkehrsgeschäft kann sie der Willkür einer Privatperson preisgegeben werden. Zwingen kann den Schuldner nur der Staat (auf Klage des Gläubigers). Weil die Obligation nicht Subordination ist noch sein soll, beschränkt sie sich nach klassischem römischen Recht auf Hand lungen von Vermögensinteresse. Das gesamte Gebiet persönlichen Handelns soll von der Obligation nicht ergriffen werden können. Der Schuldner wird letztlich von jeder Obligation frei, wenn er den entsprechenden Teil seines Vermögens aufopfert, um den Gegner zu entschädigen. Die Obligation wird ein juris vin-

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culum genannt. Sie ist aber doch kein den Willen bindendes vinculum. Sie ist ein Minus nicht in der Freiheit des Schuldners, sondern nur in seinem Vermögen. pr. D . de 0 . et A . ( 4 4 , 7 ) (PAULUS): Obligationum substantia non in eo consistit, ut aliquod corpus nostrum, aut servitutem nostram faciat, sed ut alium nobis adstringat ad dandum aliquid rei faciendum vel praestandum. pr. I. 3, 13: Obligatio est juris vinculum, quo necessitate adetringimur alicujus solvendae rei secundum noetrae civitatis jura. L. 9 § 2 D. de statu hb. (40, 7) ( U L P I A N ) : Ea enim in obligatione consistere, quae pecunia lui praestarique possunt. L. 3

Die der Obligation kraft Gesetzes entspringende Haftung erschöpft sich in der Verpflichtung des Schuldners zum Schadensr ersatz bei ihm zur Last fallender (von ihm zu vertretender) Nichterfüllung (vgl. B.G.B, i 280)1. Der Schuldner behält die Freiheit, seiner Schuldverpflichtung zuwider zu handeln; er muß nur den Gegner entschädigen. Darum gibt es kein jus ad rem, d. h. keine dem Forderungsrecht entspringende Bindung des schuldneriechen Willens hinsichtlich des geschuldeten Gegenstandes (das jus ad rem der älteren gemeinrechtlichen Lehre soll ein der Sache folgendes, auch gegen den dritten Erwerber wirkendes Fordernngerecht auf Sachleistung sein). Obgleich Verkäufer zur Veräußerung an seinen Käufer verpflichtet ist, kann er dennoch einen beliebigen anderen zum Eigentümer machen, also z. B. die Sache noch einmal verkaufen und sie dem zweiten Käufer übergeben. Der Käufer hat nur ein Forderungsrecht gegen seinen Verkäufer (eventuell auf Schadensersatz), kein „Becht zur Sache", d. h. kein der Sache folgendes Recht gegen den (wenngleich bösgläubigen) dritten Erwerber*. 1

Der Schadensenatsansprueli bedeutet also nicht, wie die herrschende Lehre annimmt, eise „Umwandlung" det principales Anspruchs, noch auch (gegen'Last Aaspruehkonkurrens 3. 14. 16) einen vom Hauptansprucli verschiedenen Anspruch, sondern einen von vornherein vorhandenen Bei t ab dt eil des Hauptanipruehe, welcher die rechtliehe K r a f t dee Hauptanspruehe darstellt. In der Sehadensenatshaftung (bei im vertretender Niekterfftlluaf) erschöpft sich nae^ heutigem Recht die durch den Haα p t ansprach begrftiidete schuldnerische Haftung. 9 Asden früher das preuSische Landrecht I, 19 §{ 6. 6: der bös· gläubige Erwerber, dem „das zu derselben Sache erlangte persönliche Recht

§ 61. Begriff desxForderungsrechts.

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Der Schuldner haftet persönlich für Erfüllung der Schuld (bzw. Schadensersatz). Die persönliche Haftung bedeutete nach altem Recht die Haftung mit dem Leibe (obeii S. 62), nach klassischem römischem Recht und ebenso heute bedeutet sie die Haftung mit dem jeweiligen Vermögen. Die Vermögenshaftung wird verwirklicht durch die Zwangsvollstreckung, welche im klassisch-römischen Recht stets, auch wenn bloß von einem Gläubiger betrieben, zum Konkurse führt (vgl. unten § 119 III). Mit dem Konkurs hängt die actio Pauliana (Gläubigeranfechtungsklage) zusammen: die Klage auf Rückerstattung dessen, was der Schuldner zwecks Verkürzung der Gläubiger vor Eröffnung des Konkurses8 aus seinem Vermögen weggegeben hat (aiienatio in fraudem creditorum). Die Klage geht gegen den bösgläubigen Erwerber (der particeps fraudis war) auf Rückleistung, gegen den unentgeltlichen Erwerber, z. B. den Beschenkten, auf Herausgabe der Bereicherung, wenn er gutgläubig war. Die Klage dient zur Ergänzung, der Zwangsvollstreckung. Sie entspringt also nicht einem Delikt des Erwerbers, noch einer Verfügungsbeschränkung des zahlungsunfähigen Schuldners (die Veräußerung ist vielmehr als solche vollgültig), sondern lediglich der Haftung des Schuldners mit seinem unverminderten Vermögen. Sie macht den Gläubigeranspruch geltend, daß das in fraudem creditorum Veräußerte, soweit das Gläubigerinteresse es fordert, zur Zwangsvollstreckungsmasse (bzw. Konkursmasse) zurückgewährt werde4. des Anderen zur Zeit der Besitzergreifung schon bekannt gewesen ist, kann sich seines durch die Übergabe entstandenen dinglichen Rechts gegen denselben nicht bedienen". Vgl. ebendas. I , 10 § 26. — Das B.G.B kennt ebenso wie das römische Recht, k e i n dem Forderungsrecht entspringendes „Recht zur Sache". Über einen Ausnahmefall des jus ad rem im römischen Fideikommißrecht (Paulus sent. IV, 1 § 16; D. 30,1,109,1) vgl. M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 88. 8 Denn n a c h der Konkurseröffnung kann der Schuldner nicht mehr rechtswirksam veräußern; sie ist fur ihn mit einem (prätorischen) Veräußerungsverbot verbunden. Über das Geschichtliche der actio Pauliana, das teilweise dunkel ist, vgl. L e n e l , Anfechtung von Rechtshandlungen des Schuldners im klassischen römischen Recht (in der Festschrift für A. S. Schulze 1903). Edictum, 2. Aufl., S. 419 ff. 476 ff. Der Prätor gab, wie es scheint, dem curator bonorum (Konkursverwalter) in integrum restitutio gegen fraudulöse Veräußerung und damit gegen den Erwerber eine actio rescissoria (in rem), S o h m . Tnntitutionen.

Γ

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Niemals hat die Schuldverbindlichkeit personenrechtlich unter werfende« niemals hat sie dinglich auf einen bestimmten Gegenstand als solchen wirkende, ja niemals hat sie bindende (die Verfügungsmacht beeinträchtigende), immer hat sie nur obligatorische, d. h. durch das Mittel der Schadensersatzpflicht die vermögensrechtliche Persönlichkeit des Schuldners verpflichtende Kraft 6.

§ 62. Korrealobligationen· Es gibt Gesamtschuldnerschaft: mehrere haften miteinander („samt und sonders",, „einer für alle") für dieselbe ganze Schuld. Jeder" haftet selbständig (als Hauptschuldner), und zwar auf die ganze Leistung. Aber wenn einer geleistet hat, sind alle frei, denn alle schulden dieselbe eine Leistung. Es bestehen mehrere Schuldverhältnisse zwecks einmaliger Erfüllung. Beispiel: mehrere nehmeji gemeinsam ein Darlehen auf, indem jeder sich dem Darlehensgeber zur Bückzahlung der ganzen Summe verpflichtet. Sie sind gesamtschuldnerische Darlehnsschuldner. Das verbessert die Lage des Gläubigers. Ebenso gibt es Gesamtgläubigerschaft: mehrere haben miteinander („samt und sonders", „einer für alle") dieselbe ganze Forderung, so daß jeder selbständig (als wenn er der einzige Gläubiger wäre) die ganze Leistung vom Schuldner einzufordern berechtigt ist. Aber wenn der Schuldner einmal geleistet hat. als wenn die Veräußerung nicht geschehen wäre; der einzelne Gläubigei konnte "ein interdictum fraudatorinm gegen den Erwerber erwirken, aus dem eine actio arbitraria (in personam) auf Rückgewähr zur Masse hervorging. Diese actio arbitraria hieß actio Pauliana. Sie ist die (nunmehr auch dem Konkursverwalter zuständige) einzige Gläubigeranfechtungsklage des justinianischen und des späteren gemeinen Rechts geworden. — Heute ist die Gläubigeranfechtung reichsgesetzlich dnreh die Konkursordnung §§ 29 ff. und das Gesetz betr. die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Konkursverfahrens (in der Fassung vom 20. Mai 1898) geregelt. J ä g o r , Die Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkurses (1906) S. 16 ff. 22 ff. 6 Das erhärten zwei neuo wertvolle Untersuchungen über den Begriff des Schuldverhältnisses: H. S i b e r , Der Rechtszwang im Schuldverhältnis, 1903. P. K r e t s c h m a r , Die Erfüllung, Bd. 1 (1906). Vgl. unten § 78 Anm. (.

§ 62. Korrealobligationen.

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ist er von allen Mitgläubigern befreit, denn die Forderungsrechte aller Mitgläubiger gehen auf dieselbe eine Leistung. Es bestehen ebenso wie vorher, mehrere Forderungsrechte1 zwecks einmaliger Erfüllung. Beispiel: mehrere geben gemeinsam ein Darlehen (jeder einen Teil der Summe) mit der Bestimmung, daß jeder Darlehensgeber vom Schuldner das ganze Darlehen soll fordern dürfen. Das dient dem Schuldnerintcresse (der Schuldner braucht zwecks Zahlung nur einen Gläubiger aufzusuchen). Es dient auch dem Gläubigerinteresse (nur ein Gläubiger braucht zu klagen). Solche Schuldverhältnisse, kraft deren zu derselben einen Leistung mehrere Schuldner („in solidum") verpflichtet bzw. mehrere Gläubiger („in solidum") berechtigt sind, nennen wir mit einem römischen Ausdruck Korrealobligationen. Das B.G.B. (§ 421ff.) nennt sie Gesamtschuldverhältnisse. Die Korrealobligation ist eine passive (duo pluresve rei debendi, duo plureeve rei promittendi), wenn mehrere Personen auf der Schuldnerseite beteiligt sind (Gesamtechuldnerechaft); sie ist eine aktive (duo pluresve rei credendi, duo pluresve rei stipulandi) bei Mehrheit der Personen auf der Gläubigerseite (Gesamtgläubigerschaft). Denkbar ist, daß die Obligation zugleich eine aktive und eine passive Korrealobligation darstellt. Den Hauptfall bildet im Rechtsleben die passive Korrealobligation, die Gesamtechuldnerechaft. Korrealobligation bedeutet also eine Mehrheit von Schuldverhältnissen für eine Mehrheit von Beteiligten zwecks ein1 Es gilt also auch bei der Gesamtgläubigerschaft E i n b ä n d e prinzip, d. h. jeder einzelne Gläubiger kann die ganze Forderung geltend machen (z. B. durch Klage). Die selbständige Klagberechtigung jedes einzelnen bedeutet das Bestehen m e h r e r e r Forderungsrechte auf dieselbe eine Leistung. Das h e u t i g e Recht kennt für die Mitgläubigerfthaft (nicht für die Mitschuldnerschaft) neben dem Prinzip der Korrealit&t, der Gesamtgläubigerschaft, auch das G e s a m t h a n d s p r i n z i p : die Forderung ist in der Art gemeinsam, daß sie nor von allen Mitgläubigern g e m e i n s a m geltend gemacht werden kann, es müssen alle gemeinsam klagen (Beispiel: die Forderung gehört zum Gesellschaftsvermögen, vgl. B.G.B. § 718). Hierbei besteht nur ein e i n z i g e s Forderungsrecht, welches mehreren „zu gesamter Hand" zuständig ist. Gesamte Hand hinsichtlich eines Schuldverhältnisses ist überhaupt nicht voisteUbar, denn gesamte Hand ist begrifflich eine Art der Gemeinschaft im Rechtssinne (B.G.B. § 741 ff.), d. h. der gemeinschaftlichen Berechtigung.

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maliger Leistung. Es liegen mehrere Schuldverhältnisse bzw. Forderungsrechte vor: so viele als Personen auf der einen oder anderen Seite beteiligt sind. Aber es besteht zwischen den mehreren Obligationen eine teilweise Identität, die sie rechtlich miteinander verbindet: die Identität der Leistung 2 . I. Auszuscheidende Verhältnisse. Zum Dasein einer Korrealobligation ist nicht genügend, daß der Schuldgegenstand mehrerer Schuldverhältnisse der gleiche sei. Gleichheit des Schuldgegenstandes (der geschuldeten Handlung) begründet als solche keine Identität der Schuldleistung (des Schuldinhalte), begründet also als solche keinen rechtlichen Zusammenhang der Schuldverhältnisse miteinander. Beispiel: Ich habe dies Pferd gekauft. Da sich herausstellt, daß mein Verkäufer das Pferd gestohlen hat, kaufe ich dasselbe Pferd noch einmal vom Eigentümer. Der erste und der zweite Verkäufer schulden dieselbe Sache (dieselbe Handlung), aber es besteht keine Korrealität. Beide Verkäufer müssen leisten (die Sache bzw. Schadensersatz). Die geschuldeten Leistungen sind verschiedene Leistungen trotz Gleichheit des Schuldgegenstandes. Warum ? Weil jede Leistung einem anderen, für sich bestehenden Verpflichtungsgrund entspricht. Zusammenhang der Ansprüche durch Identität der Leistung hat rechtlichen Zusammenhang (teilweise Identität) des einen Schuldgrundes mit dem anderen zur Voraussetzung. In allen Fällen, in denen voneinander getrennte Schuldgründe zur Vollbringung der gleichen Handlung verpflichten, gilt der Satz: ein anderer Verpflichtungsgrund, eine andere Leistung (der andere Verpflichtungsgrund bedeutet einen anderen Bechtszweck und dadurch eine 1

Vgl. k* L a s t , Anspruchkonkurrenz und Gesamtschuldverhältnis, 1908 (in Leonhard, Studien zur Erläut. d. bürg. Hechts, Heft 26). „Anspruchkonkurrenz ist der durch Leistungsidentität bedingte Zusammenhang mehrerer Ansprüche" ( L a s t S. 9). Die Korrealobligation (Gesamtschuld) ist ein FaU der Anspruchkonkurrenz. Er hat die Eigentümlichkeit 1. daß die mehrereii Ansprüche unter m e h r e r e n Beteiligten besteben (Gegensatz: konkurrierende Ansprüche unter denselben Beteiligten, wie z. B. bei kumulativem Schuldversprechen: Schuldner verspricht dem Gläubiger, seine bereits bestehonde Schuld zu zahlen), 2. daß die mehreren Beteiligten s e l b s t ä n d i g berechtigt bzw. verpflichtet.sind, also grundsätzlich unabhängig davon, ob auch der andere berechtigt bzw. verpflichtet ist: Gesamtschuld ist keine Nebenschuld (vgl. unten a. E. des Paragraphen).

§ 62.

Korrealobligationen.

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andere rechtliche Art der Leistung). Bei mangelndem rechtlichen Zusammenhang der Schuldgründe sind die gleichen Handlungen dennoch rechtlich ungleich. Es muß deshalb grundsätzlich mehrmals geleistet werden. So in dem eben vorgelegten Fall. Möglich, aber keineswegs notwendig ist, daß trotzdem die wirtschaftliche Gleichheit der verschiedenen Leistungen rechtliche Wirkung übt, falls nämlich durch Erfüllung der einen Schuld die andere inhaltslos wird, 60 daß der Inhalt der anderen Schuld zwar nicht befriedigt, aber erledigt ist. Beispiel: Ich bin gegen Diebstahl versichert. Ich werde bestohlen. Ich kann Schadensersatz vom. Diebe und ebenso von der Versicherungsgesellschaft verlangen. Hat mir der Dieb Schadensersatz geleistet, so wird mein Anspruch gegen die Versicherungsgesellschaft inhaltslos (ich habe keinen Schaden mehr): er ist nicht befriedigt, aber erledigt. Nicht umgekehrt: hat mir die Versicherungsgesellschaft den Schaden ersetzt, so bleibt mein Anspruch gegen den Dieb (ich muß ihn der Versicherungsgesellschaft abtreten). Der Diebstahlsanspruch ist nicht erledigt, da das Delikt noch nicht gebüßt ist. Es besteht keinerlei Korrealität, obgleich durch Ersatzleistung des Diebes die Voraussetzungen des Anspruchs gegen die Versicherungsgesellschaft aufgehoben werden8. Ein anderes Beispiel: Ich habe einen Auftrag gegeben. Bevor der Auftrag ausgeführt ist, gebe ich denselben Auftrag auch einem anderen (also zwei getrennte Aufträge zu derselben Handlung). Es besteht keine Korrealität, aber wenn der eine Auftrag ausgeführt wird, ist zugleich der andere erledigt. Ein drittes Beispiel:' Es hat mir jemand dies Pferd zu schenken versprochen. Bevor die Schenkung erfüllt ist, wird mir dasselbe Pferd von einem anderen vermacht. Sobald ich aus der einen „lukrativen causa" das Pferd erhalten habe, ist auch die andere erledigt; das andere lukrative Schuld Verhältnis ist inhaltlos 'geworden (concursus causarum lucrativarum, vgl. unten § 78 I, 3). In all diesen Fällen wirkt die einmalige Leistung auch auf das andere Schuldverhältnis, aber nicht durch ihre rechtliche Natur als Leistung (als Erfüllung), sondern lediglich zufällig durch ihren tatsächlichen Erfolg; die Handlung ist tatsächlich nicht noch 9

Über den Versieh er ungsf all L a s t S. 31 ff.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

einmal möglich4. Man hat daher in solchen Fällen von „zufälliger" (Mitteis) oder „unechter" (Sisele) Solidarität gesprochen. Die mehreren Verpflichteten sind in Wahrheit nicht in solidum zu derselben Leistung verpflichtet. Trotz Verschiedenheit der Leistungen (wegen Unverbundenheit der Schuldgründe), d. h. trotz Mangels der Solidarität wirkt die Erfüllung des einen Schuldverhältnisses (zufällig) auf die des anderen ein. Es besteht keinerlei Korrealität. II. F ä l l e der K o r r e a l o b l i g a t i o n . Eine Korrealobligation kann nur entstehen, wenn im wesentlichen derselbe Schuldgrund mehrere verpflichtet bzw. berechtigt: der gemeinsame Verpflichtungsgrund erzeugt Gemeinsamkeit (rechtliche Verbundenheit) der Verpflichtungsverhältnisse. 1. Demgemäß wird eine Korrealobligation begründet durch gemeinsamen Schuldvertrag, vorausgesetzt, daß der gemeinsame Vertrag die Haftung bzw. die Berechtigung auf das Ganze (in solidum) für alle passiv bzw. aktiv am Vertrage Beteiligten bestimmt. Aus der Form oder doch (bei bonae fidei negotia) aus dem Inhalt des gemeinsamen Schuldvertrags muß deutlich hervorgehen, daß nicht Teilverpflichtung bzw. Teilberechtigung, sondern auf das Ganze gerichtete (solidarische) Verpflichtung bzw. Berechtigung der am Vertrage Beteiligten gewollt ist. Die Solidarb er edung macht den gemeinsamen Schuldvertrag zum korrealen, aus demselben Grunde mehrere auf das Ganze verpflichtenden Vertrag 5. Der Urfall, an dem die Börner das Becht 4

Geradeso e r l e d i g t sich (nach richtiger Ansicht) der Eigentumsansprnch durch Herausgabe der Sache auf Grund des Leihanspruchs (actio commodftti). f Nach dem B.G.B, bedarf es der besonderen Vereinbarung der SoUdarit&t nur bei mehrfacher Beteiligung auf der Aktivseite (ist nicht besondere ausgemacht, daß jeder allein das ganze fordern kann, so gilt bei teilbarer Leistung Teilgläubigerschaft, bei unteilbarer Leistung kann jeder nur Leistung an alle gemeinsam fordern, §§ 420. 432). Für den gemeinsamen Schuldvertrag mit mehrfacher Ρ a s s i v beteiligung aber wird nach B.G.B. § 427 auch bei Teilbarkeit der Leistung die Solidarberedung v e r m u t e t (vgl. $ 431). Das römische Recht hat diese Vermutung nicht, fordert also stets positive Vereinbarung der Solidarität. Nur bei einem Vertrag im Namen von argentarii socii (offenen Gesellschaftern eines Bankiergewerbes) erschien den Römern die Solidarität als selbstverständüch, vgl. z. B. D. 2. 14, 25. 27 pr.

§ 62.

Korrealobligationen.

363

vom korrealen Schuldvertrag entwickelt haben, ist der der korrealen Stipulation (daher die Bezeichnung plures rei promittendi für Korrealschuldner, plures rei stipulandi für Korrealgläubiger). Eine korreale Stipulation liegt vor, wenn mehrere als Stipulanten bzw. als Promittenten an derselben einen Stipulation beteiligt sind: erst nachdem die sämtlichen Stipulanten gefragt haben (spondesne?), antwortet der Promittent allen (spondeo); bzw. erst nachdem der Stipulant alle Promittenten nacheinander gefragt hat, antwortet jeder Promittent (spondeo), vgl. I. 3, 16 (unten S. 367 f.). Dasselbe Ganze ist mehrmals versprochen und die Identität der Stipulation macht klar die Identität der Leistung: eine Stipulation, eine Leistung. Nach Vorbild der Korrealstipulation ist dann auch die Möglichkeit eines korrealen Darlehens (eines gemeinsamen Darlehens mit Solidarberedung), eines korrealen Depositums, Kommodats, Mandats usw. von den römischen Juristen anerkannt worden. 2. Durch gemeinsames Vermächtnis entsteht eine Korrealobligation, wenn mehrere alternativ mit demselben ganzen Vermächtnis beschwert bzw. bedacht sind, z. B. heres meus aut Titio aut Maevio dato. 3. Schwierigkeiten machte den Römern dasgcmeinsameDelikt. Das Delikt verpflichtet nach römischem Recht teils zur Zahlung einer Privatstrafe (poena), teils zur Leistung von Schadensersatz (res), vgl. unten § 74. Soweit mehrere Mitdelinquenten auf Privatstrafe haften (z. B. im Fall der actio furti gegen mehrere Diebe), entsteht selbstverständlich keine Korrealobligation, sondern eine Mehrheit von unverbundenen Obligationen. Die Leistungen sind gleich groß (jeder schuldet als poena das duplum bzw. quadruplum), aber verschieden: jeder muß seine Strafe zahlen. Soweit aber die Deliktsobligation auf Schadensersatz geht, ist offenbar die Leistung dieselbe, zu der alle Teilhaber des Delikts verpflichtet sind. Alle schulden den gleichen Schadensersatz aus demselben Schuldgrunde (derselben Schadenszufügung, an der sie alle beteiligt sind). Bei den römischen Juristen überwog jedoch zunächst die Vorstellung, daß auch die Schadensersatzpflicht zur Strafe auferlegt werde, daß also auch der Schadensersatz eine poena sei, die deshalb auch von allen Mitschuldigen mehrmals gezahlt werden

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Obligationenrecht.

müsse (so z. B. bei gemeinsamer Sachbeschädigung, vgl. D. 9, 2, 11, 2). Erst allmählich drang die Erkenntnis durch, daß auch die deliktische gemeinsame Verpflichtung mehrerer zum Ersatz desselben Schadens nur auf eine Leistung gerichtet sei, d. h. korreale Natur habe: die Schadensersatzverbindlichkeit mehrerer Mitdelinquenten wird nach dem Becht der späteren Kaiserzeit durch eine Leistung aufgehoben; der Geschädigte hat jetzt keinen Schaden mehr (vgl. z. B. D. 4, 3,17; C. 4, 8,1). Dem Fall mehrerer Mitdelinquenten'steht der Fall der Noxalhaftung mehrerer Miteigentümer eines Sklaven bzw. eines schädigenden Tieres (unten § Ή>> 5) gleich; mit der Besonderheit, daß hier auch die Haftung auf Straf Zahlung nur eine bloß einmalige ist (D. 9, 4, 9): es ist nicht bloß ein Delikt, sondern auch nur ein Delinquent da, der servus. So entsteht die Korrealobligation aus gemeinsamem Schuldvertrag (mit Solidarberedung), aus gemeinsamem Vermächtnis, aus gemeinsamem Delikt: ein Verpflichtungsgrund, eine Leistung. III. · Rechtssätze. Die Art der Beteiligung an dem korrealen Schuldverhältnis kann für die Mitverpflichteten bzw. Mitberechtigten von vornherein in verschiedener Weise bestimmt sein, so daß ζ. B. der eine bedingt, der andere unbedingt, der eine betagt, der andere unbetagt das Ganze schuldet. Ebenso kann nachträglich die Mitverpflichtung bzw. Mitberechtigung des einzelnen durch Sondervorgänge verändert werden, welche das Rechtsverhältnis der übrigen nicht berühren. Fälle der letzteren Art sind die in integrum restitutio und capitis deminutio eines Korrealschuldners, die confusio·, der Ablauf der Klagenverjährung7. Auch mora des einen Korrealschuldners hatte nach römi9 Der KorrealgUubiger beerbt einen Korrealschuldner: die übrigen correi bleiben ihm verhaftet; sie sind nur befreit, soweit sie (aus dem der Mitschuld unterliegenden Rechtsverhältnis) gegen ihn regreßberechtigt sind. T Erat Justinian bestimmte (C. 8, 39, 4), daß die Unterbrechung der Klagyerjährung (unten § 118 II) zu Lasten eines correus, z. 6. durch Anerkennung des Schuldverh<msses, Gesamtwirkung zu Lasten aller Korrealschuldner habe. Die Vollendung der Klagverjihrung (die ja, wenn s. B. ein correus nur bedingt oder betagt haftet, für die einzelner zu verschiedener Zeit beginnen kann) hat wie nach vorjustinianiechem eo auch nach justinianischem Recht immer nur Sonderwirkung zugunsten des betreffenden Korrealsehuldners.

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echem wie nach heutigem Recht (vgL B.G.B. § 425, 2) nur Sonderwirkung zu Lasten dee betreffenden Schuldners (D. 22,1,32,4). Grundsatz aber ist, daß durch Befriedigung des Gläubigers eeitens eines Korrealschuldners bzw. bei Korrealgläubigerschaft durch Befriedigung eines Gläubigers das ganze Schuldverhältnis für alle Beteiligten aufgehoben wird. Das Wesen der Korrealobligation besteht darin, daß einmalige Leistung für alle Mitschuldverhältnisse die Leistung des Geschuldeten (Befriedigung, nicht bloß Erledigung) bedeutet: teilweise Leistung wirkt teilweises Erlöschen, Volleistung völliges Erlöschen des Gesamtschuldverhältnisses für bzw. gegen alle Beteiligten. Erfüllung und was der Erfüllung gleichsteht (Befriedigung des Gläubigers durch datio in solutum, unten § 78 I, 2, oder Vollziehung der Aufrechnung, § 78 II, 2), hat befreiende Gesamtwirkung. Ebenso haben aber auch alle anderen Bechtstatsachen Gesamtwirkung, welche nach Jus civile ein Forderungsrecht ipso jure zu vernichten geeignet sind, selbst wenn sie sich nur in der Person eines der plures rei ereignet haben und eine materielle Befriedigung des Gläubigers nicht bedeuten; so der rechtsförmliche Erlaßvertrag (acceptilatio)8 — der in klassischer Zeit lediglich als Erlaß einer Stipulationsschuld möglich war (unten § 78 I, 1) — sowie die (gleichgestaltete) Novation. Unter einen ganz anderen Gesichtspunkt fällt, daß nach klassischem römischem Becht auch der Prozeßbeginn, die litis contestatio (unten § 1191), gesamtbefreiende Wirkung übt. Erhob der Gläubiger Klage gegen einen correus, so wurden die anderen 8 Die korreale S t i p u l a t i o n wird also durch e i n e acceptilatio {rechtsförmlichen Erlaßvertrag mit einem correus) für alle Beteiligten aufgehoben, D. 46, 2, 31,1. Darum darf man aber nicht mit einer älteren Lehre (S. 367·) folgern, daß bei dem Korrealschuldverhältnis objektiv nur e i n e Obligation (mit mehreren Subjekten) vorliege, sondern es erklärt sich dieser Satz aus dem Formalismus des alten Rechts, welcher die acceptilatio als imaginäre B e f r i e d i g u n g des Gläubigers behandelte (unten § 78 1). Die volksgesetzliche Anerkennung dieser Auffassung durch das zweite Kapitel der lex Aquilia (acceptilatio des adstipulator vernichtet das Recht auch des Hauptgläubigers, vgl. unten § 74 Anm. 5) hat ihr Dauerkraft für die ganze spätere Zeit gegeben. Die früher herrschende Lehre von der una obligatio (vgl. bei Anm. 9) ist zu ausschließlich durch die von den Römern nur für das formalistische Recht der korrealen Stipulation entwickelten Gesichtspunkte bestimmt worden. M i 11 e i s Röm. Privatr.» Bd. 1, S. 266 Anm. 23.

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Obligationenrecht.

frei, und zwar durch die Klagerhebung als solche ohne Bücksicht darauf, ob der Gläubiger durch die Klage Befriedigung erlangte; ebenso schloß bei aktiver Korrealobligation schon die Klage des einen Gläubigers die anderen aus (D. 45, 2, 2: petitione unius tota solvitur obligatio). Das hängt mit dem Satz des römischen Prozeßrechts zusammen: ne bis de eadem re sit actio. Die korrealen Ansprüche gingen auf idem (dieselbe Leistung), sie waren eadem res. Die litis contestatio konsumierte die korrealen Ansprüche, eine zweite Klage aus einem anderen der korrealen Ansprüche wäre eine zweite actio de eadem re gewesen. Aber zweifellos ward durch diesen Bechtssatz der praktische Wert namentlich der passiven Korrealobligation beeinträchtigt: trotz Mehrheit der Schuldner konnte Zwangsvollstreckung nur gegen einen einzigen erwirkt werden. Daher wurde denn auch der Satz nicht rücksichtslos durchgeführt. Für die Ersatzobligationen aus gemeinsamem Delikt, deren korreale Natur ja überhaupt nur zögernd anerkannt wurde, tritt ein anderes Prinzip auf: nur die Leistung des Schadensersatzes, nicht schon die Klage befreit die Mitdelinquenten von der Ersatzpflicht (so zweifellos im Fall des dolus vgl. D. 4, 3, 17 pr.). Unsere heutigen Juristen bezeichnen diejenigen Fälle, wo nach klassischem römischem Becht nur die Leistung (bzw. sonstige Befriedigung), nicht schon die litis contestatio gesamtbefreiende Wirkung hatte, als „bloße Solidarität". Justinian hat dann durch C. 8, 40, 27, den Bedürfnissen der Praxis folgend, für alle Fälle der passiven Korrealobligation den Grundsatz der „bloßen" Solidarität vorgeschrieben. Dementsprechend sind im Corpus juris zahlreiche Stellen durch Interpolation geändert. Die Interpolation ist aber nicht immer durchgeführt (so ist z. B. D. 45, 2, 2 nicht genügend verändert worden). Daher die Widersprüche, die sich im Corpus juris finden. Um diese Widersprüche zu lösen, ward von Keller und Bibbentxop die Lehre von der begrifflichen Verschiedenheit zwischen den eigentlichen Korrealobligationen (mit gesamtbefreiender Wirkung schon der litis contestatio) und den „bloß solidarischen" Obligationen aufgestellt. Identität der Leistung (des Schuldinhalts) ward für beide Fälle gefordert (Ausscheidung der „unechten" Solidaritätsfälle, vgl. oben I). Mit der Einheit der Leistung aber

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Korrealobligationen.

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sollte sich in den Fällen der „Korrealobligation" auch Einheit der Obligation verbinden: „Korrealobligation", so ward gelehrt, ist eine Obligation (una obligatio, darum nur una actio) mit „mehrfacher subjektiver Beziehung"; „Solidarobligation" eine Mehrheit von Obligationen, die nur durch Iäentität der Leistung verbunden sind. Die Unterscheidung hat sich als unhaltbar erwiesen. So notwendig in den „Korreal"fällen die Mehrheit der „subjektiven Beziehungen" eine Mehrheit von Schuldverhältnissen -bedeutet, ebenso notwendig ist in den echten Solidaritätsfällen mit der Einheit der Leistung die sachliche Einheit (rechtliche Verbundenheit) der mehreren Obligationen gegeben. Es besteht kein Unterschied zwischen Korrealität und echter Solidarität Das ist denn auch die heute als herrschend zu bezeichnende Lehre9. Die echten Solidarobligationen sind Korrealobligationen und umgekehrt. Die verschieden lautenden Äußerungen der Quellen über die Wirkung der litis contestatio bringen nicht eine begriffliche Verschiedenheit der Fälle, sondern nur die mangelhafte Durchführung einer gesetzgeberischen Beform zum Ausdruck. Im B.G.B, ist die Entwicklung vollendet. Das Gesamtschuldverhältnis des B.G.B, ist die nach dem Prinzip der „bloßen Solidarität" (die Klagerhebung hat keine Gesamtwirkung) einheitlich geregelte Korrealobligation (echte Solidarobligation) des heutigen Bechts. pr. I. de duob. reis (3, 16); Et stipulandi et promittendi duo pluresve rei fteri possunt. Stipulandi ita, si post omnium interrogationem promissor respondeat s p o n d e o , ut puta cum duobus separaten stipulantibus ita promissor respondeat: u t r i q u e v e s t r u m d a r e spondeo. Nam si prius Titio spoponderit, deinde alio interrogante spondeat, alia atque alia erit obligatio nec creduntur duo rei stipulandi .esse. Duo pluresve rei promittendi ita fiunt: M a e vi, q u i n q u e • Vgl. insbesondere M i 11 e i β , Die Individualisierung der Obligation (1886) und in Grünhuts Zeitschr. Bd. 14, S. 419 ff. (1887). £ i s e 1 e im Arch. f. ziv. Praxis, Bd. 77, S. 374 ff. (1891), Bd. 84, S. 296 ff. (1896). B i n d e r , Die Korrealobligationen (1899). L a s t , Anspruchkonkurrenz, S. 100 ff. Die Ergebnisse dieser Forscher habe ich im obigen zusammenfassend darzustellen gesucht. Die ältere (noch z. B. von W i n d s c h e i d , Pandekten 9. Aufl., Bd. 2 § 292 ff., auch von den älteren Auflagen dieses Lehrbuchs vertretene) Lehre von der una obligatio beruhte auf K e l l e r , Ober Litiskontestation und Urteil (1827); R i b b e n t r o p , Zur Lehre von den Korrealobligationen (1831).

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Die Vermögensrechte.

aureos des?

dare

spondes?

sei,

Obligationenrecht.

eosdem

respondeant singuli separatim

quinque

aurütts

dare

Spon-

spondeo.

IV. Ergänzendes. Das Wesen der Korrealität ist die Solidarität, d. h. daß jeder dasselbe Ganze schuldet bzw. zu fordern berechtigt ist. Hadrian hatte mehreren Mitbürgen (Konfidejussoren) die exceptio divisionis gegeben (das Recht, daß jeder nur auf einen Kopfteil verklagt werde, unten § 69 I, 3). In Anschluß daran hat Justinian dies beneficium divisionis durch Nov. 99 auch den Schuldnern der passiven Korrealobligationen eingeräumt10. Das ist Entwertung des Korrealschuldverhältnisses. Im B.G.B, ist darum die Teilungseinrede für Gesamtschuldner (auch für Mitbürgen) verschwunden. Dem Gläubiger gegenüber verlangt die Gesamtschuld die Ganzhaftung. Ob der das Ganze bezahlende Korrealschuldner gegen seine Genossen ein Regreßrecht hat, hängt nach dem römischen Recht von dem unter ihnen bestehenden Innenverhältnis ab. Regreß besteht nicht schon auf Grund der vorhanden gewesenen Gesamtverpflichtung (des Außenverhältnisses), sondern nur auf Grund und unter Nachweis des unter den plures rei debendi bestehenden Innenverhältnisses, welches den Grund ihrer Beteiligung am Gesamtschuldverhältnis darstellt. Hat z. B. der eine Korrealschuldner das Ganze gezahlt, so kann er aus dem Innenverhältnis gegen die anderen Regreß nehmen, sei es auf Teilersatz (z. B. mit der actio pro socio, wenn'etwa das gemeinsame Darlehen zu gemeinsamen Zwecken aufgenommen war), sei es auf Ersatz der ganzen Summe (z. B. mit der actio mandati contraria, falls er auf Wunsch der anderen sich als Gesamtschuldner mitverpflichtete, obgleich das gemeinsam empfangene Darlehen nur den anderen zugute kam). Nach dem B.G.B. § 426 kann kopfteiliger Regreß ohne weitere Begründung (also ohne Beweislast in bezug auf das Innenverhältnis) genommen werden, doch können die Gegner (die Mitschuldner) das etwa zu anderer Begelung führende Innenverhältnis geltend machen, um darzutun, daß sie keinen oder geringeren Ersatz schulden11. 10

Über die Korrealoblijgationen im justinianischen Recht vgl. S a m t e r , άλληλέγγυοι, Philologue 1919, S. 414—436. 11 Ebenso wie die Frage nach dem Regreßrecht des zahlenden Correus bei der p a s s i v e n Korrealobligation, ist die Frage zu beantworten, in-

§ 62.

Korrealobligationen.

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Mit der Korrealobligation (dem Gesamtschuldverhältnis) verwandt und doch davon zu unterscheiden ist die akzessorische Verbindlichkeit (das Nebenschuldverhältnis). Die Schuld des Bürgen (unten § 69 I, 3) bestimmt sich inhaltlich durch die Schuld des Hauptschuldners: der für den Hauptschuldner wirkende Verpflichtungsgrund ist Grund auch für die Schuld des Bürgen. Es besteht darum Identität der Leistung, und die Rechtssätze von der Korrealität finden Anwendung: Befriedigung (auch acceptilatio, wenn der Hauptschuldner Stipulationsschuldner ist), und nach klassischem (nicht mehr nach justinianischem) Becht auch die litis contestatio üben gesamtbefreiende Wirkung. Aber zugleich greifen die Bechtssätze von der Unselbständigkeit der Bürgschaftsschuld ein. Der Bürge haftet nur, wenn auch der Hauptschuldner haftet, während der Korrealschuldner selbständig haftet, also verpflichtet wird, auch wenn die Verpflichtung des anderen correus, etwa wegen Ausfalls der Bedingung oder wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit, nicht zustande kommt. Die Nebenschuld ist mit der Hauptschuld nicht bloß durch Identität der Leistung, sondern durch Aufnahme aller Elemente der Hauptschuld in ihren Bestand verbunden12: ihr Dasein und ihre Wirkung hängt von Dasein und Wirkung der Hauptschuld ab. Darum wird die Bürgschaftsschuld in den römischen Quellen von dem Fall der plures rei promittendi unterschieden; sie bildet auch nach dem B.G.B, keinen Fall der Gesamtschuld19. Anders steht un römischen Becht das constitutum debiti, das formlose Erfüllungsversprechen, welches weder echte wiefern bei der a k t i v e n Korrealobligation der das Ganze einkassierende Gesamtgläubiger seinen Genossen repartitionspflichtig ist. Vgl. L a s t a. a. O. S. 102. 19 Mehrere Mitbürgen sind im Verhältnis zueinander Gesamtschuldner (nur durch Identität der Leistung verbunden): die eine Bärgschaft ist von der andren B ü r g s c h a f t s schuld nicht abhängig. B.G.B. §§ 769. 774, 2. Im Verhältnis zum Hauptschuldner aber ist der Bürge. Nebenschuldner, n i c h t Gesamtschuldner. — Das Urteil gegen den Hauptschuidner macht (sofern es sich um Dasein und Inhalt der Hauptschuld handelt) hechtskraft auch gegenüber dem Nebenschuldner, z. B. dem Bürgen. Das Urteü gegen einen Gesamtschuldner (z. B. Verurteilung eines Bürgen) macht n i c h t Rechtskraft gegenüber dem anderen Gesamtschuldner (z. B. dem anderen Bürgen). Der Hauptschuldner steht seinerseits zum Bürgen nur im Verhältnis eines Gosamtschuldners: darum macht das Urteil gegen den Bürgen keine Rechtskraft gegenüber dem Hauptschuldner.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

Nebenschuld noch echte Gesamtschuld, sondern eine durch das Konstitut selbständig geregelte Erfüllungsschuld hervorbringt, (unten § 691,3). Auch die römisch-rechtliche Haftung des Vertretenen (bzw des Gewalthabers) aus der Schuld des Vertreters (unten § 77) hat nichts mit Korrealität zu tun. Hier besteht nach römischem Recht nur eine Schuld, die des Vertreters, aus welcher nach Zivilrecht gegen den Vertreter, nach prätorischem Recht gegen den Vertretenen geklagt werden kann. Hier liegt wirklich una obligatio vor und darum keine Korrealobligation. Wohl aber steht der Fall des adstipulator (unten § 69 V) der aktiven Korrealobligation nahe. Dem adstipulator wird im Interesse des Hauptstipulanten mitversprochen. Zahlungsempfang durch den adstipulator, auch seine acceptilatio, seine litis contestatio befreit den Schuldner zugleich von dem Hauptgläubiger (es handelt sich um dieselbe eine Leistung). Aber der adstipulator ist nur akzessorischer Mitgläubiger (im Dienst des anderen) und darum kein echter Korrealgläubiger. Nur die gleiche, selbständige Mitverpflichtung bzw. Mitberechtigung mehrerer zu derselben Leistung begründet das Wesen wie der römischen Korrealobligation, so des heutigen Gesamtschuldverhältnisses. § 63. Inhalt der Obligation. Ihrem Leistungsgegenstande nach bedeutet die Schuldverpflichtung entweder eine Sachschuld oder eine Geldschuld oder eine Verpflichtung zu sonstigem Tun. Die Sachschuld kann eine Stückschuld (Speziesschuld) oder eine Gattungsschuld (Genusschuld) sein. (Über die römische Unterscheidung der Obligationen, je nachdem sie auf dare oportere oder auf facere bzw. praestare gehen, vgl. unten § 64 I.) I. Speziesschuld und Genusschuld1. Speziesschuld ist die Verpflichtung zur Leistung einer dem Stück nach (individuell, als „species") bestimmten Sache: diese Sache wird geschuldet. Geht die geschuldete Sache durch einen Umstand unter den 1 W i l h e l m K i s c h , Gattungsschuld und Wahlschuld. Eine begriffliche Abgrenzung (1912).

§ 63.

Inhalt der Obligation.

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Schuldner nicht zu vertreten hat, so wird der Schuldner frei: species perit ei cui debetur. Generische Schuld (Gattungsschuld) ist die Schuld zur Leistung einer nur der Art nach (generisçh) bestimmten Sache: eine Sache (z. B. ein Pferd) oder eine Sachmenge (z. B. 100 Sack Weizen) wird geschuldet. Gehen dem Schuldner Sachen unter, die er zur Erfüllung der Gattungsschuld bestimmt hatte, so wird er nicht befreit, denn diese Sachen waren nicht geschuldet: genus perire non censetur. Die Gattungsschuld ist nicht zu verwechseln mit der Schuld zur Leistung vertretbarer Sachen (oben S. 258). Auch in bezug auf unvertretbare Sachen kann eine Gattungsschuld bestehen (falls z. B. ein Grundstück, ein Pferd geschuldet wird), und umgekehrt kann die . Schuld zur Leistung vertretbarer Sachen eine Stückschuld sein (es kann dieser Sack Weizen geschuldet werden). II. Geldschuld ist die Verpflichtung zur Leistung einer Geldsumme, d. h. zur Leistung einer Quantität Wert (nicht einer Quantität Sachen). Zur Leistung des Wertes dient das Geld im Bechtssinne, d. h- diejenigen Sachen, welche von Rechts wegen die Bestimmung zur Leistung des abstrakten Wertes (den sogenannten Zwangskurs) haben. Während das Deutsche Beich seit 1873 Goldwährung hatte, ist durch eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen schon seit 1909, dann besonders seit 1914 an Stelle der Goldwährung die Papierwährung getreten. Vom Geld im Bechtssinn ist das Geld nur im wirtschaftlichen Sinne zu unterscheiden, das zwar tatsächlich der Leistung des abstrakten Wertes dient (wie vor allem ausländisches Geld), aber des Zwangskurses entbehrt. Bei Zahlung einer Geldsumme (Geldschuld) muß alles das, aber auch nur das in Zahlung genommen werden, was Geld im Rechtssinn ist. Die Geldschuld ist nicht die Verpflichtung zur Leistung einer bestimmten Sachmeilge. Wer mir 100 Mark schuldet, der schuldet mir nicht hundert Märkscheine (Quantität fungibler Sachen). Er schuldet mir vielmehr hundert Mark Wert. Und diese hundert Mark Wert können in jeglicher Art Reichsgeld gezahlt werden. Natürlich kann vertragsmäßig auch die Verpflichtung zur Leistung einer bestimmten Art von Geldstücken ausbedungen werden. Z. B. ich will ein Zwanzigmarkstück oder

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Oie Y ermögensrechte.

Obligationenrecht.

zwanzig Einmarkstücke oder einen Siegestaler erwerben. Solche Pflicht zur Leistung von Geldstücken stellt aber keine Geldschuld dar, sondern eine gewöhnliche Sachschuld (Schuld eines Quantums vertretbarer Sachen). Geldschuld ist nicht die Verpflichtung zur Leistung von Geldstücken (Sachschuld), sondern nur die Verpflichtung zur Leistung einer Geldsumme (Wertschuld), gleichgut in welcher Art von Geldstücken. Der Gegensatz von Geldschuld und Sachschuld wird von Bedeutung für die Unterscheidung von Kaufvertrag und Tauschvertrag, vgl. unten § 71 Anm. 1. III. Wahlschuld (Alternativobligation)2 ist die Verpflichtung zu einer oder einer anderen Leistung (mehrere Leistungen sind in obligatione, aber nur eine ist in solutione). Im Zweifel hat der Schuldner das Wahlrecht. Er übt sein Wahlrecht nach römischem Becht erst durch Leistung aus; eine bloße Wahlerklärung bindet ihn nicht (anders B.G.B. § 263). Durch vom Schuldner nicht zu vertretendes Unmöglich werden einer Leistung wird der Schuldner nicht befreit: die Wahlschuld verwandelt sich in eine einfache Schuld · auf die andere Leistung. Keine Wahlschuld liegt vor, wenn der Schuldner nur berechtigt ist, durch eine andere Leistung sich zu befreien (z. B. statt der Sache Geld zu leisten). Hier ist die andere Leistung nur in solutione (sie genügt zur Erfüllung), nicht Gegenstand der Schuldverpflichtung (es liegt bloße facultas alternativa, keine obligatio alternativa vor): hier wird darum der Schuldner durch nicht von ihm zu vertretendes Unmöglichwerden der Hauptlcistung (z. B. durch zufälligen Untergang der geschuldeten Sache) frei. IV. Teilbar ist die Schuld, wenn die geschuldete Leistung ohne Wertminderung in mehrere gleichartige Leistungen zerlegt werden kann (z. B. die Zahlung von 100 Mark, die Verschaffung des Eigentums an einer bestimmten Sache). Ist die Leistung ihrem Wesen nach unzerlegbar (z. B. die Bückgewähr eines deponierten versiegelten Geldbeutels, die Verschaffung eines unteilbaren Rechts, etwa einer Prädialservitut), so ist die Schuld unteilbar. Das teilbare Schuldverhältnis ist teilweise erfüllbar. Treten mehrere in das teilbare Schuldverhältnis ein, so gilt bei mangelndem » Vgl. Anm. 1.

§ 63. Inhalt der Obligation.

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Solidarberedung (oben S. 362) Zerlegung des Schuldverhältnisses in so viele Teilschuldverfcältnisse, als Beteiligte da sind, vgl. D. 45, 2, 11, 1. 2 (nach römischem Becht fand das auch bei der Mit„ erbfolge Anwendung: nomina, nämlich teilbare nomina, ipso jure divisa sunt, unten § 103). Die unteilbare Schuld aber erzeugt bei mehrfacher Passivbeteiligung (ich habe z. B. mehreren gemeinsam einen Begenschirm geliehen, oder der Depositar des versiegelten Geldbeutels ist von mehreren Erben beerbt) von Bechts wegen eine solidarische Verbindlichkeit (ein gesetzliches Gesamtschuldverhältnis, vgl. B.G.B. § 431), auch ohne Solidarberedung; jeder muâ das ganze leisten, weil teilweise Leistung tatsächlich unmöglich ist, vgl. D. 45, 1, 85, 2. 3. Bei mehrfacher Aktivbeteiligung an dem unteilbaren Schuldverhältnis aber (es haben mehrere gemeinsam den versiegelten Geldbeutel deponiert, oder der Deponent ist von mehreren Erben beerbt worden) entsteht bei mangelnder Solidarberedung und beim Erbgang kein Gesamtgläubigerschaftsverhältnis, so daß jeder das ganze für sich allein fordern könnte (es gibt keine Fälle gesetzlicher Gesamtgläubigerschaft). Es kann zwar jeder auf die ganze Leistung klagen (weil, teilweise Leistung tatsächlich unmöglich ist), aber nur so, daß allen Mitberechtigten gemeinsam geleistet werde (vgl. D. 16, 3, 1, 36; 1. 14 eod. B.G.B. § 432), denn nur die Leistung an alle ist die geschuldete Leistung. Die tatsächliche Beschaffenheit der geschuldeten unteilbaren Leistung erzeugt also bei mehrfacher Passivbeteiligung ein Gesamtschuldverhältnis, weil für jeden einzelnen Schuldner nur die Leistung des ganzen möglich ist (Teilleistung gibt es nicht), bei mehrfacher Aktivbeteiligung aber kein Gesamtgläubigerverhältnis, weil Leistung des Geschuldeten an den einzelnen unmöglich ist. Es bedarf im letzteren Fall der Solidarberedung, um die Leistung derart zu verändern, daß sie an den einzelnen möglich ist und doch kraft der rechtlichen (durch die Solidarberedung bewirkten) Verbundenheit der Gläubiger (Korrealität) alle befriedigt. Immer wirkt die Unteilbarkeit als solche nur kraft der tatsächlichen Art der geschuldeten Handlung (wie in den Fällen „unechter" Solidarität, oben § 62 I), nicht kraft der rechtlichen Art der Schuldverhältnisse. S o h m , Institutionell.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

§ 64. Strenge und freie Kofitrakte. Die Kontrakte sind teite darauf angelegt, eine bestimmte, genau begrenzte, teils darauf, eine unbestimmte, unbegrenzte und (im voraus wenigstens) unbegrenzbare Verpflichtung zu erzeugen. Der ersteren Art sind die stricti juris negotia (strenge Kontrakte), der zweiten Art die bonae fidei negotia (freie Kontrakte). I. Stricti juris negotia sind diejenigen Kontrakte, welche genau gemäß dem Inhalt des Versprechens verpflichten (so z. B. die römische stipulatio). Die Verpflichtung des Schuldners wird bei ihnen 1. nach dem Buchstaben des Vertrags und 2. im Hinblick auf den allgemeinen Typus gleichartiger Verträge bemessen. Zu 1. Ihr Inhaltdst darum von vornherein fest umschrieben und daran wird festgehalten, auch wenn bei der. Abwicklung des Geschäfts diese Begrenzung den Erfordernissen der Billigkeit nicht entsprechen sollte. Beispielsweise bringt bei der strengen Stipulation das Haften am Buchstaben des Versprechens mit sich, daß der Stipulationsschuldner, der den versprochenen, aber noch nicht überlieferten Sklaven zwar nicht durch positive Einwirkung getötet, aber doch in einer Krankheit ohne die erforderliche Pflege hat verkommen lassen, für seinen Tod nicht verantwortlich gemacht werden kann: quia qui dari promisit (die Stipulation hatte nämlich gelautet: Stichum dari promittis? — promitto) ad dandum (zur Eigentumsübertragung), non ad faciendum (Pflege) tenetur (D. 45, 1, 91 pr.). Zu 2. Aber auch das ausdrücklich Versprochene wird dann nicht geschuldet, wenn er nicht zum typischen Inhalt der gegebenen Kontraktsgattung gehört, sondern einen willkürlichen Zusatz zu diesem darstellt. Zum Beispiel gehört es zum typischen Inhalt des Darlehenskontraktes (§N68 T»;, welcher ein strenger Kontrakt istr daß das geliehene Kapital zurückgestellt werde (dies bildet (Jen Begriff des Darlehens); daß dagegen von diesem Kapital Zinsen zu zahlen seien oder daß im Fall des Leistungsverzugs (S. 383) eine Vertragsstrafe verfallen solle, würde eine zufällige, atypische Nebenverabredung der Parteien sein. Eine solche (die Römer nennen sie ein pactum adjectum) ist nun bei strengen Kontrakten unverbindlich, außer wenn sie in die besondere Form eines den

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Strenge und treie Kontrakte.

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Hauptkontrakt begleitenden selbständigen Verbalkontrakts (Stipulation § 69) eingekleidet wird, womit sie aber eben aufhört, ein bloßes „pactum adjectum" zu sein. Die Verpflichtung aus einer strengrechtlichen Obligation ist also genau umschrieben; darum ist in vielen Fällen auch der Inhalt dieser Obligation ein objektiv bestimmter, ein „certum". Dies dann, wenn sie auf Verschaffung des zivilen Eigentums oder einer vom Zivilrecht anerkannten Servitut an einer Speziessache oder auf Verschaffung des Eigentums an einer bestimmten Quantität eines genau bezeichneten Genus (z. B. centum modios tritici Africi optimi dari) gerichtet ist; die römische Rechtstheorie Spricht dann von einer „certa obligatio". Jedes andere Forderungsrecht wird incerta obligatio genannt. Eine solche liegt also vor, wenn eine Quantität nicht genau bestimmter generischer Sachen versprochen wird, oder eine rein tatsächliche Leistung (Tun oder Unterlassen) — obligatio faciendi1 —; der Inhalt eines Tuns gilt als ein nicht genau berechenbarer (ein incertum). Zu den obligationes faciendi und daher incertae zählt insbesondere auch die Verpflichtung zur Herausgabe des Besitzes einer Sache, die dem Gläubiger bereits gehört: „restituere" (im scharfen Gegensatz zur Eigentumsübertragung an den Nichteigentümer, die als dare bezeichnet wird)2. Auf ein incertum richtet sich ferner stets die Verpflichtung aus einem bonae fidei negotium. II. Bonae fidei negotia sind Eontrakte, welche nicht schlechtweg zur Leistung des Versprochenen, sondern vielmehr zur Leistung alles dessen verpflichten, was mit Rücksicht auf die Umstände des konkreten Falls unter billig denkenden Leuten (wie nian zu sagen pflegt „nach Treu und Glauben") erwartet wird (was mehr und auch weniger sein kann als das Versprochene). Hier entsteht eine unberechenbare, nach Umständen verschieden sich bestimmende Verpflichtung: die Obligation ist immer eine incerta, wenn auch das ausdrücklich gegebene Versprechen direkt auf darc einer certa 1 Hierher gehört auch das Versprechen der Verschaffung eines bloß vom Prätor anerkannten dinglichen Rechtes (z. B. Pfandrechts): solches liegt außerhalb der durch das Volksrecht ein für allemal gesicherten Kreises. 4 Aber nicht sie allein. Auch die Bestellung einer zivilen Servitut bildet ein dare (ζ. Β. usumfructum dare).

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ie

ermögensrechte.

Obligationenreht.

res lautete (z. 6. beim Tausch). Insbesondere wo diè Obligation auf Leistung von Sachen gerichtet ist, gebührt dem Gläubiger ex fide bona neben der Hauptsache meist auch noch deren „omnis causau, d. h. Früchte und sonstiger Zuwachs (z. B. Alluvion eines Grundstücks, gefundener Schatz u. dgL). Es wird stets, geschuldet: quidquid dare facere oportet ex bona fide (vgl. unten § 113 1 3). Es hängt obiger Gegensatz auch damit zusammen, daß die stricti juris negotia einseitig verpflichtende, die bonae fidei negotia aber stets zweiseitig verpflichtende Schuldverträge sind, bei denen schon die Wechselbeziehung der beiderseitigen Verpflichtungen eine größere Elastizität in ihrer Behandlung verlangt. Das stricti juris negotium enthält ein einziges Versprechen (z. B. des Promissor in der Stipulation, des Darlehensempfängers). Es erzeugt ein einziges Forderungsrecht (des Stipulanten, des Darlehensgebers). Wer nichts versprach, wird auch nichts schuldig: er hat eine Forderung ohne Gegenforderung (ein schneidiges Forderungsrecht). Die b. f. negotia zerfallen in zwei Klassen. Die einen 6ind für beide Teile gleichmäßig verpflichtende Verträge (sogenannte contractus bilaterales aequales, synallagmatische Verträge, im B.G.B, heißen sie gegenseitige Verträge). Sie verpflichten zu Leistung und gleichwertiger Gegenleistung (so Kauf, Tausch, Miete, Sozietät); die beiden Leistungen sind im Sinne der Parteien gegenseitige Äquivalente. Hier ist "wesentlich, daß beide Teile versprechen. Beide Teile sind Hauptverpflichtete. Beide Forderungen erzeugen eine actio directa (Hauptklage) aus dem Kontrakt. Die anderen b. f. negotia sind für die Beteiligten ungleichmäßig verpflichtende Verträge (sogenannte contractus bilaterales inaequales). Nur einer verspricht (z. B. der Kommodatar, der Depositar, der Beauftragte). Nur die eine Verpflichtung ist wesentliche Verpflichtung (Hauptverpflichtung): die Verpflichtung dessen, der verspricht. Nur die Forderung gegen diesen Hauptverpflichteten erzeugt die Hauptklage (actio directa) aus dem^Kontrakt, z. B. die actio commodati directa. Der andere Teil (z. B. der Kommodant) hat nichts versprochen; er kann nur durch zufällige Umstände kraft „actio contraria" verpflichtet werden, z. B. auf Ersatz von Auslagen. Er ist nur Nebenverpflichteter. Gegen ihn

64. Strenge und reie Kontrakte.

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geht aus dem Eontrakt nur eine actio contraria (eine Gegenklage) ·. Aus der Natur der bonae fidei-Eontrakte folgt: 1. die Berücksichtigung und Elagbarkeit der pacta adjecta in continenti facta. Darunter versteht man Nebenverabredungen bei einem Eontrakt, die nicht zu seinem wesentlichen Inhalt gehören, sondern zufällige, willkürliche Zusätze zu diesem darstellen. So z. B. die Verabredung, daß bei nicht rechtzeitiger Zahlung eines Eaufpreisee eine bestimmte Vertragsstrafe verfallen sein oder daß der Eaufpreis auf bestimmte Zeit gestundet, aber vom Tag des Eaufabschlussee an verzinst werden soll. Solche pacta adjecta sind bei den b. f. negotia, im Gegensatz zu den negotia stricti juris (S. 374), stets verbindlich und klagbar; denn Treu und Glauben verlangen, daß der Vertrag in seiner Totalität gehandhabt wird; Voraussetzung ist nur, daß diese pacta „in continenti facta" sind, d. h. ursprüngliche, integrierende Teile des Hauptvertrags darstellen. Denn nachträgliche formlose* Zusätze würden ja selbständige, neue Verträge, u. zw. bloße „pacta" sein und daher (vgl. § 73) unter das Prinzip fallen, daß nuda pacta keine Obligation zu erzeugen imstande sind. Zu bemerken ist dabei: Die Elage, mit der das pactum adjectum geltend gemacht wird, ist immer die Elage aus dem Hauptvertrag; also bei einem Eauf die a. emti oder venditi usf. Die Forderung aus dem pacjtum adjectum erscheint den Körnern nur als eine Erweiterung der Hauptforderung, als etwas, das kraft der bona fides des gegebenen Bechtsverhältnisses „officio judicis" mit zugesprochen 1 J. P a r t s c h , Studien zur negotiorum gestio (Heidelberg 1913) S. 47. 48 stellt den Nachweis in Aussicht, daß die Gewährung beiderseitiger Ansprüche erst von Justinian für a l l e bonae fidei negotia, auch für die ungleichmäßig verpflichtenden Verträge, durchgeführt sei. Nach klassischem Kernt iahe es zugunsten dos Hauptverpflichtetcn (des Kommodatare, Deposits usw.) zwar die Möglichkeit der W i d e r k l a g e (z. B. wegen gehabter Auslagen) gegeben, falls er (vom Kommodanten usw.) mit actio directa belangt wurde, aber ohne daß ihm eine s e l b s t ä n d i g e actio contraria zuständig gewesen w&re. Alle Fälle der selbständigen actio contraria gegen den Nebenverpflichtoten würden auf justinianischer Interpolation beruhen, eine Tatsache, durch welehe übrigens aufs neue die abschließende, den Aufbau des klassischen Rechts v o l l e n d e n d e Bedeutung des Corpus juris erhärtet werden würde. 4 d. h. nicht etwa in der Form der Stipulation (§ 69) verabredete.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

wird. Eine selbständige Nachklage au! die kraft (pactum 'adjectum) geschuldeten Zinsen wäre also nach Annahme des Kapitals nicht zulässig. 2..Weiter ergibt die bonae fidei-Natur den Satz: Bonae fidei judiciis doli exceptio (unten § 118) inest. Hat eine Partei die andere bei Eingehung des Kontraktes arglistig übervorteilt (dolus specialis) oder begeht sie wenigstens durch die Erhebung der Klage nach den vorliegenden Umständen eine Unbill (dolus generalis), so müßte der Geschworene im Prozeß aus dem negotium stricti juris doch zugunsten des dolosen Klägers urteilen (weil der Dolus das Bechtsgeschäft und seine Wirkungen nach Jus civile nicht ungültig macht), es wäre denn, daß der Prätor in jure in die Formel die exceptio doli inserierte und damit dem Judex die Berücksichtigung des vorliegenden Dolus ausdrücklich zur Pflicht machte. Bei b. f. negotia dagegen soll der Judex schon nach dem Wortlaut der hier zu gewährenden Formula: „quidquid Ν™ N1? A? A? dare facere oportet ex fide bona'4 dem Kläger nur zusprechen, was ehrliche Leute im gegebenen Fall verlangen und leisten würden, d. h. daß dem betrügerischen oder unbillig fordernden Kläger eben nichts zugesprochen wird, und somit der Geschworene, auch ohne besondere exceptio doli, einfach kraft der in den Formclworten ex fide bona liegenden Bichtschnur, dem Dolus Rechnung tragen muß. 3. Die bonae fidei negotia verpflichten, ohne Bücksicht darauf, ob dergleichen ausdrücklich zugesagt wurde oder nicht, beide Teile: a) zur Sorgfalt (diligentia), also zur Entwicklung aktiver Bemühung darum, daß die Erfüllung des Kontraktes gesichert bleibe, insbesondere bei Sachschulden zur Obsorge μηι die unversehrte Erhaltung der geschuldeten Sache; im Gegensatz d^zu haftet der Sachschuldner beim stricti juris negotium bloß dafür, daß er jede schädliche Einwirkung auf die Sache unterläßt; also für „culpa in faciendo 14 (kommissives Verschulden). Und zwar verpflichten die bonae fidei negotia regelmäßig zu omnis (oder summa) diligentia oder, wie es auch heißt, zur diligentia diligentis (oder, was dasselbe ist, diligentissimi) patrisfamilias, d. h. zu der Sorgfalt eines ordentlichen Mannes, welche gleichbedeutend ist mit der „im Verkehr erforderlichen 44 Sorgfalt des B.G.B. § 276. Wird diese

64. Strenge und reie Kontrakte.

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Sorgfalt versäumt (sogenannte culpa levis, Fahrlässigkeit)6, so muß' dem anderen dafür Schadenersatz geleistet werden. Nur ausnahmsweise wird lediglich für vorsätzliche Schädigung (dolus) und für dem Vorsatz nahekommendes grobes Verschulden (culpa lata) gehaftet. Grundsatz ist: wer einen Vorteil vom Kontrakte hat (z. B. der Kommodatar), haftet für summa diligentia (culpa levis) wer aber keinen Vorteil hat (z. B. der Kommodant), haftet nur für dolus und culpa lata. Wer jedoch fremde Geschäfte besorgt (der Mandatar, der negotiorum gestor), soll immer für summa diligentia einstehen, auch wenn ihm keinerlei Vorteil durch die Geschäftsführung zukommt. Eine Sonderstellung nehmen die Fälle ein, in denen der Verpflichtete (so nach römischem Bechte der socius, der Vormund, der Teilhaber einer Vermögensgemeinschaft, der Ehemann in bezug auf die Dotalsachen) nur diligentia quam suis rebus adhibere solet schuldet, so daß er nur bei Versäumung der ihm in seinen eigenen Angelegenheiten üblichen Sorgfalt (sogenannte culpa in concreto) haftbar wird. Die Haftung für V o r s a t z greift stets Platz und kann aiich durch Vereinbarung nicht ausgeschlossen werden: dolus semper praestatur e . 6 i)ie Fahrlässigkeit, wolche als Diligenzversänmnis k o n t r a k t l i c h haftbar macht, kann also auch bloße culpa levis in n o n f a c i e n d o sein, während die sogenannte a q u i 1 i s c h e culpa, à. h. das Verschulden, welches d e l i k t i s c h e Haftung begründet, eine culpa in f a c i e n d o sein muß (vgl. § 74). 6 Der Text gibt das j u s t i n i a n i s c h e Recht wieder, welches dann durch Aufnahme des römischen Rechts in Deutschland gemeinrechtliche Geltung gewann und für die entsprechenden Vorschriften des B.G.B, die Grundlage bildet. Die E n t w i c k l u n g aber, welche zu diesen Rcchtssätzen des Corpus juris geführt hat, ist erst durch die Darlegungen von M i 11 e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 315 ff. klargestellt worden. Die Diligenzhaftung (also die Haftung für jedes Verschulden, auch für culpa levis in non faciendo) ist keineswegs von vornherein für die freien Kontrakte das grundlegende Prinzip gewesen. Das ursprüngliche ist vielmehr die Haftung n u r f ü r d o l u s . Die freien Kontraktsklagen ältester Art sind aus Deliktsklagen hervorgegangen. Sie machten geltend, daß der Gegner n i c h t w i e e i n E h r e n m a n n gehandelt hat (oben S. 60 Anm. 8). Daher die infamierende Wirkung der Verurteilung. Durch die actio famosa ist diese erste Schicht der bonae fidei negotia (und quasi negotia) noch im späteren Recht gekennzeichnet: Sozietät, Tutel, Mandat, Depositum

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

b) zu vollem Schadensersatz für den Fall der verzögerteu oder der ungenügenden oder der gar nicht erbrachten Erfüllung der Vertragspflicht. (vgl. oben S. 192 Anm. 4). Bloße Vereäumung der dem anderen geschuldeten Diligenz aber kann nicht ehrlos machen. Was för die actio depositi (directa) bekannt genug ist, galt auch von den anderen infamierenden freien Kontraktsklagen. Für Tutel und Sozietät hat Diligenzhaftung sich erst im Lauf der klassischen Zeit durchgesetzt; den Mandatar unterwarf wahrscheinlich erst Justinian (durch Interpolationen) der Diligenzpflicht; für den Depositar ist es bei der Dolushaftung (jedoch unter Gleichsetzung der culpa lata mit dem dolus) geblieben. Aber schon in den letzten Jahrhunderten der Republik ist eine zweite Schicht von freien Kontrakten aufgekommen, deren Verpflichtungskraft von vornherein nicht auf einem Delikt, sondern auf übernommener S o r g f a l t p f l i c h t beruhte. Dieser Art waren das Kommidat (unentgeltliche Leihe) und die auftragslose Geschäftsführung (negotiorum gestio). Hier war die Diligenzhaftung, also Haftung bis zur culpa levis in non faciendo, das durch die Natur dee Verhältnisses gegebene, und diese jüngere Art ist für die sämtlichen übrigen bonae fidei negotia (Kauf, Miete usw.), also für alle freien Kontraktsverhältnisse o h n e actio famosa maßgebend geworden. Daß dann auch die Kontrakte mit actio famosa durch dies Vorbild beeinflußt wurden, ergibt sich schon aus dem vorigen. Die Dolushaftung ward ausdehnend ausgelegt; sie ward auf alles erstreckt, was der bona fidee, der Art des anständigen Verkehrs zuwider ist (M i 11 e i s S. 317 ff ). Insbesondere ward die Hintansetzung fremder Angelegenheiten (Versäumung der diligentia quam suis rebus adhibere solet) dem dolus gleich gesetzt. So ward die Dolushaftung des tutor und des socius zur Haftung auch für culpa in concreto. Umgekehrt ist dann (wahrscheinlich aber erst ganz spät) die Diligenzhaftung in einigen Fällen (für die Sachgemeinschaft nnd für den Ehemann in bezug auf Dotalsachen) auf die Haftung nur für diligentia quam suis e r m ä ß i g t worden ( M i t t e i s S. 331 ff.). Zuletzt ist der Begriff der culpa lata in das Kontrakterecht aufgenommen und culpa lata dem dolus gleichgesetzt worden. D e M e d i o , Bull. Ist Dir. Rom. 17, 6f.; 18, 260 ff., M i 11 e i β S. 333 ff., welche die die culpa lata erwähnenden Stellen des Corpus Juris für interpoliert erklären; im Anschluß daran nimmt L e n e l in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 38 S. 263 ff. auch den Ausdruck culpa levis als überall interpoliert an und behauptet, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit, die Klassiker hätten nur den Gegensatz von Dolus und Culpa schlechthin gekannt. Der dagegen erhobenen lebhaften Opposition von B i n d i n g in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 39 S. Iff. ist nicht zuzustimmen. Der Gedanke, daß für alle freien Kontrakte grundsätzlich das g 1 e i c h e gelten müsse, tritt schon in der hadrianischen Epoche auf: die Diligenzhaftung wird als Prinzip für alle bonae fidei contractus gefordert, in denen utriusque contrahentis commodum versatur (Africanus in 1. 108 § 12 D. 30). Aber erst im Recht des Corpus juris ist die Ausgleichung der geschichtlich gegebenen Gegensätze völlig hergestellt: die im Stil des Deliktsrechts gehaltene bloße Dolushaftung ist für a l l e freien Kontrakte (da dem dolus zum mindesten

64. Strenge und reie Kontrakte.

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Die Schadenersatzpflicht bildet den Hintergrund des gesamten Vermögensrechts: sie schützt das Privatrecht gegen Verletzung. Sie entspringt vornehmlich aus unerlaubter Handlung (Delikt, unten §§ 74. 75) einerseits, aus versäumter Kontraktserfüilung (der uns hier beschäftigende Fall) andererseits. Ihr Inhalt war nach älterem römischem Becht objektiv bestimmt: der gemeine Wert (vera rei aestimatio) war zu ersetzen, der Wert des Gegenstandes für jedermann (quanti ea res est im älteren Sinne). Das ausgebildete römische Becht läßt den objektiven Maßstab nur noch ausnahmsweise gelten. Die Begel wird der subjektive Maßstab: das Interesse ist zu ersetzen (quod interest, quanti ea res est im jüngeren Sinne), d. h. es ist der Wert des Gegenstandes für diesen Berechtigten zu erstatten. Die Verpflichtung zur Leistung des Interesses ist die Verpflichtung zu vollem Ersätze des konkreten Schadens7. In diesem Sinne die culpa lata gleichgesetzt ward) durch den der Art des Kontraktsrechts entsprechenden Grundsatz der D i l i g e n z h a f t u n g überwunden worden. Auch an dieser Stelle wird klar, daß das Corpus juris Justinians keineswegs eine bloße Kompilation, sondern ein zielbewußtes, das ganze des römischen Privatrechts in neue, abschließende Gestalt bringendes Gesetzbuch von schöpferischer Kraft bedeutet. — Zu den Ausführungen von M i 11 e i s vgl. von älteren Arbeiten insbesondere P e r n i c e , Labeo, Bd. 2, 2. Aufl., 2. Hälfte (1900), S. 67 ff. und S e c k e l in Heumanns Handlexikon (oben S. 14) s.v. culpa, custodia, diligentia; jetzt Κ ü b 1 e r , Das Utilitäts prinzip als Grund der Abstufung bei der Vertragshaftung im klass. röm. Recht in der Festgabe zu Gierkes Doktorjub. (1910); ders. in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 39, S. 172 ff. — Die Custodia-Haftung ist jedenfalls im Corpus juris einfache Culpa-Haftung; gegen die Ansicht von S e c k e l - H e u m a n n , S. 116, Κ ü b 1 e r , S. 21 ff., daß die €ustodia-Haftung in klassischer Zeit Haftung auch für einfachen (abwendbaren) casus bedeutet hätte, vgl. M i 11 e i s in VerhandL d. K. sächs. Gesellsch. d. Wiss., Bd. 62 (1910), S. 270 Anm. 1. H a y m a η η , Textkritische Studien im römischen Obligationenrecht in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 40 S. 167 ff. 7 Die Höhe des Schadens zu ermitteln, kann dem Richter der Würderungseid oder Schätzungseid (jusjurandum in litem) des Geschädigten dienen. Das jusjurandum in litem spielt im römischen Recht seine HauptroUe bei den actiones arbitrariae (unten § 116 I I ) : hier hat der Kläger dem ungehorsamen (contumax) Beklagten gegenüber das R e c h t auf das jusjurandum in litem, und zwar wenn der Beklagte arglistig die Naturalrestitution der Sache u n m ö g l i c h gemacht hat (indem er sie z. B. vernichtete), sine ulla taxatione, d. h. ohne daß der Richter, wie sonst regelmäßig, ein Höchstmaß ansetzt. Vgl 1. 68 D. 6, 1; L 6 D. 12, 3. Das eigentümliche Recht der actiones arbitrariae hat in Deutschland nie gegolten. Heute entscheidet

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

haftet der Schuldner aus dem bonae fidei negotium im Falle nicht gehöriger Leistung auf das Interesse. Er hat allen Schaden (nicht bloß damnum emergens, den positiven Schaden, sondern auch den entgangenen Gewinn, lucrum cessans) zu ersetzen, der dem Gläubiger durch das Unterbleiben oder die Mangelhaftigkeit der Leistung im gegebenen Fall erwachsen ist. Voraussetzung ist jedoch das Dasein des Kausalzusammenhanges (der Schaden muß durch das Unterbleiben gehöriger Leistung verursacht sein) und dje Haftung des Schuldners für das Ausbleiben der Leistung: die Nichtleistung (bzw. die Mangelhaftigkeit der Leistung) muß in einem Umstände beruhen, den der Schuldner zu vertreten hat. Über den Umfang des vom Schuldner zu Vertretenden entscheiden die soeben (unter a) dargelegten Rechtssätze von der Sorgfaltpflicht. In der Regel hat der Schuldner also dolus und culpa (levis) zu vertreten. Zufall, d. h. was ohne dolus und culpa levis des Schuldners sich ereignet, hat der Schuldner nicht zu vertreten: casus a nemine praestatur. Ist durch Zufall die Leistung unmöglich geworden (z. B. Untergang einer geschuldeten Speziessache), so wird der Schuldner frei (oben S. 371), bleibt aber im Zweifel zur Leistung des sogenannten stellvertretenden commodum verpflichtet, d. h. er hat die Rechtsvorteile herauszugeben, die ihm durch das befreiende Ereignis zugefallen sind (das „Surrogat"); er muß also z. B., wenn ein Dritter die Sache vernichtet oder gestohlen hatte, die ihm erwachsene Deliktsklage (actio legis Aquiliae, Diebstahlsklage) abtreten, vgl. D. 18, 1, 35, 4; D. 47, 2, 14 pr. (B.G.B. § 281)« das freie {Ermessen des Richters über Gestattung des Schätzungseides, und zwar stets cum taxatione, Z.P.O. § 287. 8 Ausnahmsweise (vgl. unten § 73 I I , 3: receptum) haftet der Schuldner auch für einfachen (abwendbaren) Zufall; nur „höherer 44 (unabwendbarer) Zufall (vis major) befreit ihn. Einfacher Zufall ist das zufällige Versagen der schuldnerischen Vorkehrungen, insbesondere zufällige Untauglichkeit der schuldnerischen Betriebsmittel (Beispiel: der Gasthausportier stirbt am Schlag, infolgedessen werden den Hotelgästen die unbewachten Sachen gestohlen). V i s m a j o r (der Ausdruck ist justinianisch) ist ein.Ereignis, das seinen Ursprung außerhalb des schuldnerischen Betriebskreises hat und mit solcher Gewalt in diesen hineinwirkt, daß auch ein normal gesicherter Betrieb sich dagegen nicht schützen kann (D. 19, 2, 69: terrae motus; 39, 2, 24, 4: violentia ventorum). Vgl. Ε χ n e r , Der Begriff der höheren Gewalt, 1883

64. S t r e und reie Kontrakte.

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Der Umkreis des vom Schuldner zu Vertretenden wird verändert durch Verzug (mora). Annahmeverzug (mora accipiendi) ist der Verzug des Gläubigers, der die ihm ordnungsmäßig angebotene geschuldete Leistung nicht entgegennimmt: der Schuldner wird nicht von der Leistung, aber von der vollen Sorgfaltpflicht befreit, er hat nur noch dolus und culpa lata zu vertreten; überdies muß Gläubiger ihm die durch seinen Annahmeverzug verursachten Auslagen, z* B, die Kosten der ferneren Aufbewahrung, nicht aber auch sonstigen Schaden erstatten. Erfüllungsverzug (mora solvendi oder debitoris) ist der Verzug des Schuldners, der in zu vertretender Erfüllungssäumnis die fällige Leistung nicht erbringt. Der in Verzug befindliche Schuldner haftet für vollen Ersatz des Verzugsschadens (z. B. Verzugszinsen) und hat während der Dauer seines Verzuges auch den casus zu vertreten (perpetuatur obligatio), es sei denn, daß der schädigende Zufall auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre (dann fehlt es am Kausalzusammenhange zwischen dem Verzuge und dem Schaden). Nach dem B.G.B, sind die Verzugsfolgen noch strengere: bei gegenseitigen Verträgen hat Gläubiger nach vergeblicher Fristsetzung das Bücktrittsrecht (B.G.B. § 326). Erfüllungsverzug tritt nach römischem wie nach heutigem Recht bei Terminsschulden (mit kalendermäßig bestimmter Fälligkeit) ipso jure ein (mora ex re). Daher später die Parömie: dies interpellât pro homine („der Termin mahnt statt des Gläubigere"). Bei Nichtterminsschulden bedarf es grundsätzlich außer der Fälligkeit der Mahnung (interpellate) von Seiten des Gläubigers, um klarzustellen, daß schuldhafte Erfüllungsversäumnis vorliegt; nur die Deliktsschuld hat ohne weiteres auch die Verzugsfolgen: sie ist sofort fällig und ihre Nichterfüllung sofort schuldhaft (D. 13, 1, 8, 1: semper enim moram fur facere videtur)·. Vgl. B.G.B. §§ 284. 848. L. 32 pr. D. de usur. (22,1) (Marcianus): Mora fieri intellegitur non ex re sed ex persona, id est, si interpellatus opportuno loco non solverit. (Sonderdruck aus Grünhuts Zeitschr. f. off. u. Privatr., Bd. 10). Unzutreffend ist es, vis major als den Zufall zu definieren, der nicht zu den normalen Betriebsgefahren gehört. Lawinensturz ist auch für den Betrieb einer Alpenbahn vis majof. • S i b e r , Interpellate und mora, in der Zeitschr. d. Sav,-Stift., Bd. 29. S. 47 ff.

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Die Vermögensrechte. ' Obligationenrecht.

Die Bechtssätze von der Sorgfalt, vom Verzuge und vom Interesse sind vom römischen Rechte für die bonae fidei negotia (nicht für die stricti juris negotia, vgl. S. 374) entwickelt worden. Bei diesen haftet vielmehr der Schuldner nur für positives Verschulden (culpa in faciendo) (oben S. 378), und wenn er durch solches den geschuldeten Gegenstand nicht leisten kann, nicht für jedes Interesse, sondern nur für die vera rei aestimatio, die diesem im Zeitpunkt des Prozeßbeginns (nicht des Urteils) (vgl. unten § 119, I 2) zugekommen wäre. Heute finden jene Bechtssätze auf alle Schuldverhältnisse Anwendung, weil nach heutigem bürgerlichem Becht grundsätzlich alle Schuldverpflichtungen nach Treu und Glauben zu beurteilen sind (B.G.B. § 242): der Gegensatz von stricti juris und bonae fidei negotia im römischen Sinn ist unserem Becht unbekannt. § 65. Civilis und naturalis obligatio· I. Begriff der Naturalobligation/ Das Forderungsrecht ist regelmäßig klagbar (civilis obligatio), ausnahmsweise ist es unklagbar (naturalis obligatio). Doch ist es sehr unpräzise gedacht, wenn die bis vor kurzem herrschende Lehre das Wesen der „Naturalobligation" in ihrer Unklagbarkeit erblickt hat. Vielmehr ist der Mangel des Klageschutzes nur ein Symptom des Wesentlichen, und dieses liegt darin, daß der Gläubiger der Naturalobligation überhaupt nicht das Recht hat, vom Schuldner etwas gegen dessen Willen zu fordern: er kann also auch nicht den Schuldner zur Leistung mahnen mit der Wirkung, daß dieser in moram débitons (S. 383) geriete, er kann mit seiner naturalen „Forderung" nicht gegen eine Forderung des Schuldners kompensieren (§ 78 I I 2) usw. Der Naturalgläubiger hat kein Forderungsrecht. Wenn man dennoch hier ein Obligationsverhältnis von abgeschwächter Kraft annimmt, so beruht das darauf, daß die Naturalobligation unter bestimmten Voraussetzungen doch gewisse Rechtswirkungen zu äußern vermag. Folgende kommen in Betracht: 1. Was der Schuldner irrtümlich, d. h. im Glauben, civiliter zu schulden, geleistet hat, kann er nicht mit der condictio indebiti (§ 72 I a) zurückfordern; denn es liegt keine Erfüllung einer Nicht-

§ 65. Civilis und naturalis obligatio.

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schuld vor, sondern das Geleistete war immerhin noch geschuldet. Der Gläubiger hat also, wie man zu sagen pflegt, das Becht der „soluti retentio". 2. Hat der Schuldner in Kenntnis des bloß naturalen Charakters seiner Verbindlichkeit diese freiwillig erfüllt, so hat er natürlich wieder keine condictio indebiti, weil diese immer, auch wenn überhaupt nichts geschuldet war, nur bei irrtümlicher Leistung begründet ist. Während aber wissentliche . Zahlung einer wirklichen Nichtschuld rechtlich als eine dem Gläubiger gemachte Schenkung angesehen wird, gilt .diese Zahlung rechtlich als einfache Leistung eines debitum, als wahre Zahlung; die besonderen Grundsätze der Schenkung finden auf sie keine Anwendung. 3. Die naturalis obligatio kann eine taugliehe Grundlage für. eine Bürgschaft und eine Pfandbestellung bilden. 4. Ebenso kann sie durch Novation (D. 46, 2, 1, 1) oder constitutum debiti (D. 13, 5,1, 7) zum Bang eines wirklichen und klagbaren Forderungsrechtes erhoben werden1. Die aufgezählten Merkmale sind aber bloß mögliche Kriterien einer, nicht begriffenotwendige Kriterien jeder Naturalobligation. Es gibt überhaupt keinen festen Begriff der naturalis obligatio; dieses Wort ist vielmehr nur ein Sammelname, der mannigfaltige Erscheinungen zusammenfaßt. Jede Art von Naturalobligation muß also für sich daraufhin betrachtet werden, welche von den obigen Kriterien bei ihr zutreffen. Jede naturalis obligatio beruht auf einem Gegensatz von rechtlicher und sittlicher oder auch gesellschaftlicher Anschauung. Die Bechtsordnung will oder kann in Konsequenz ihrer Prinzipien in 1

In nebensächlicher Weise kommt noch in Betracht: 5. Da freiwillige Zahlung der Naturalobligation möglich ist, kann der Naturalschuldner, wenn er gegen den Naturalgläubiger eine gleichartige zivile (d. h. klagbare) Gegenforderung hat, sich auch damit einverstanden erklären, daß die erstere gegen die letztere aufgerechnet werde. So wenigstens nach heutigem Recht; nicht allerdings nach dem römischen, denn dieses kennt keine Aufhebung der Forderungsrechte durch Kompensations v e r t r a g , sondern nur Kompensation im P r o z e ß . 6. Bei der Berechnung der Größe eines Pekuliums sind in der Regel auch die seinem Inhaber obliegenden Naturalschulden an den Gewalthaber als Passivposten einzustellen (vgl. unten $ 77 A. 1).

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

den hierhergehörigen Fällen keine bindende Verpflichtung anerkennen; aber die Moral oder der gesellschaftliche Anstand nehmen doch eine Art von Verbindlichkeit als gegeben an, und wünschen, daß dieser ihrer Anschauung Rechnung getragen werde. Die Rechtsordnung mag dies dann in den obengenannten Beziehungen tun. II. Fälle der Naturalobligationen. Im römischen Recht kommen vor allem folgende Fälle in Betracht: 1. Die naturalis obligatio des servus aus seinen Kontrakten. Hier ist Zahlung, Bürgschaft, Pfandbestellung möglich (oben S. 169 Anm. 5); die Kontrakte zwischen dem servus und seinem eigenen Herrn wirken auf die actio de peculio (unten § 77 A, l ) 2 . 2.. Kontrakte zwischen Personen, welche durch die gleiche hausherrliche Gewalt verbunden sind (des Bruders mit dem Bruder, des Hauskindes mit dem Vater, D. 12, 6, 38: Frater a fratre): die Schuld wirkt auf das peculium; Zahlung, Bürgschaft sind gültig. 3. Die naturalis obligatio pupilli: aus dem Kontrakt, welchen der impubes ohne tutoris auetoritas abgeschlossen hat, haftet er nicht (oben S. 238); trotzdem kann gültig gezahlt werden (von einem Dritten, auch vom pupillus selber mit tutoris auetoritas bzw. von ihm allein, wenn er voll geschäftsfähig geworden ist), Bürgschaft, Pfandbestellung, Novation sind gültig (unter denselben Voraussetzungen wie vorher). Vgl. D. 39, 5, 19r 4; 45, 1, 127; 46, 2, 1, 1. Soweit der pupillus durch den Kontrakt bereichert ist, besteht eine civilis obligatio, D. 26. 8, 5 pr. § 1. 4. Das ohne Willen des Vaters vom Haussohne aufgenommene Gelddarlehn ist unklagbar (exceptio SCi Macedonian!, unten β 68 la). Auch der Bürge hat die exceptio SCi, falls er Regreß gegen den Haussohn zu nehmen berechtigt ist, D. 14, 6, 9, 3, und auch gegen die Novationsstipulation des Haussohnes gilt die exceptio. Aber der Vater und ein Dritter kann zahlen, auch der Haussohn, sobald die väterliche Gewalt beendigt ist, 1. 7 §§ 15. 16; 1. 9 § 1. 4 eod. Die naturalis obligatio servi scheint bei den Kömern der Urfall der Naturalobligation gewesen zu sein : G r a d e n w i t z , Natur und Sklave bei der nat. obl., in der Königsbergor Festgabe für Schirmer, 1900.

§ 66. Kontrakte und Delikte.

§ 67. Einleitung.

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5. Nach vollendeter Klagverjährung bleibt eine naturalis obligatio zurück: durch Klagverjährung wird nur die Klage entkräftet, nicht die Schuld aufgehoben. Auch im B.G.B. (§§ 222, 223; 656, 762—764) begegnen sogenannte „unvollkommene" Schuldverbindlichkeiten.

Π. Entstellung der Forderungsrechte. §66. Kontrakte und Delikte. Die Obligation entsteht entweder durch Konsenserklärung (Kontrakt), d. h. kraft des Willens des Schuldners, oder durch Rechtswidrigkeit (Delikt), d. h. gegen den Willen des Schuldners. Neben den Kontraktsobligationen stehen die Fälle der obligationes quasi ex contractu, welche aus kontraktsähnlichen Tatbeständen, — neben den Deliktsobligationen stehen die Fälle der obligationes quasi ex delicto, welche aus deliktsähnlichen Tatbeständen hervorgehen. Die klassischen Juristen unterscheiden nur die Kontrakts- und die Deliktsobligationen (Gaj. I I I , § 88: omnis enim obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto). Die beiden Kategorien der Quasikontrakts- und der Quasideliktsobligationen (I. 3, 13, 2) hat die byzantinische Jurisprudenz hinzugefügt. A. K o n t r a k t s o b l i g a t i o n e n . §67.

Einleitung. Da bei uns grundsätzlich alle Schuldverträge klagbar sind, so ist für das heutige Recht nur die Unterscheidung der Schuldverträge nach ihrem Inhalt von Bedeutung. Wir setzen den einseitig verpflichtenden die zweiseitig verpflichtenden Schuldverträge gegenüber und teilen die letzteren wiederum in zwei Gruppen, je nachdem durch sie beide Vertragsteile gleichmäßig oder ungleichmäßig verpflichtet werden (vgl. oben S. 376). Anders bei den Römern. Hier steht im Vordergrunde des Kontraktssystems die Unterscheidung der Kontrakte nach dem Schuld-

388

Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht

gründe. Das Wesen des Kontrakts bestimmt sich an erster Stelle nach der Tatsache, welche den Schuldvertrag klagbar macht. Das römischo Becht hat zu allen Zeiten daran festgehalten, daß nicht jedes vertragsmäßige Schuldversprechen rechtlich gültig und klagbar sei, daß vielmehr ein bestimmter Rechtsgrund (causa civilis) hinzukommen müsse, um den obligatorisch«! Konsens für das Becht gültig und klagbar zu machen. Daher der engere Begriff des, Ausdrucks contractus im römischen Sinn. Kontrakt ist den Römern nicht jede obligatorische Konsenserklärung, sondern nur der kraft Zivilrechts klagbare obligatorisch!» Schuldvertrag. I. Die Klagbarkeit des Schuldvertrags kann nach Zivilrecht begründet werden entweder re (contractus pui re fiunt), d. h. dadurch, daß zu dem obligatorischen Konsens eine Vermögenshingabe (res) hinzutritt, auf Grund deren nun die Bückgabe bzw. Gegenleistung gefordert wird (Bealkontrakte, unten § 68), oder verbis (c. qui verbis fiunt), d. h. dadurch, daß der obligatorische Konsens in bestimmter Wortform, nämlich in Frage- und Antwortform erklärt wird (Verbalkontrakt, unten § 69), oder Uteris, d. h. dadurch, daß der obligatorische Konsens durch Eintragung in das Hausbuch verlautbart wird (Literalkontrakt [c. qui literie fit], unten § 70). Oder endlich: ausnahmsweise ist der obligatorische Konsens wegen seines im Verkehr besonders häufig vorkommenden, unbedingt schutzbedürftigen Inhalts auch ohne weitere Voraussetzung nach Zivilrecht klagbar (sogenannte Konsensualkontrakte, unten § 71). Aus dem Gesagten ergeben sich die vier Arten der Kontrakte, welche das römische Kontraktssystem ausmachen. Die älteste Zeit war nicht so reich an Kontrakteformen gewesen. Im altrömischen Recht steht im Vordergrunde das nexum, d. h. das rechtsförmliche Gelddarlehen, welches per aes et libram vor fünf Zeugen unter Zuziehung eines libripens mit feierlichen Worten gegeben wurde (oben S. 61).. Nach Einführung des gemünzten Geldes (oben S. 49) lag die wirkliche Darlehenszahlung außerhalb des nexum. Aber die Form des nexum (das „imaginäre" Darlehen durch zugewogenes Erz) mußte nach wie

§ 67.

Einleitung.

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vor zu dem Geben des Geldes hinzutreten, um dem Geschäft zivilrechtliche Geltung zu verleihen. Doch scheint es, daß das imaginäre nexum bald durch die leichter zu handhabende Form der inzwischen ausgebildeten stipulatio (oben S. 62) ersetzt ward. Dann ward endlich, noch zur Zeit der Republik, das formlose Darlehen (mutuum) zivilrechtlich anerkannt1, ein Darlehen, welches lediglich durch darlehensmäßige Hingabe zustande kommt und nicht bloß als Gelddarlehen, sondern überhaupt als Darlehen vertretbarer Sachen (z.B. Getreidedarlehen), möglich ist, — ein nunmehr klagbar gewordener Bealkontrakt im Stil des sich entwickelnden neuen Rechts (jus gentium), nur noch darin alte Erinnerungen bewahrend, daß er als stricti juris negotium behandelt wurde: der Darlehnsschuldner war aus dem Realkontrakt nur genau zur Rückzahlung der empfangenen Summe verpflichtet, nie zu mehr (also z. B. nie zur Zinszahlung, vgl. unten § 69 1,1), nie zu weniger. Neben dem nexum kam als andere Kontraktsform, mit ganz anderen Zwecken, die mancipatio (bzw. in jure cessio) fiduciae causa auf. aus welcher die actio fiduciae, eine actio boiiae fidei, hervorging (oben S. 58 ff.). Wie die mancipatio fiduciae causa den Pfandkontrakt (oben S. 341), so konnte sie auch das Depositum (dem Freund ward die Sache fiduciae causa manzipiert), das Kommodat, überhaupt alle solche Kontrakte ersetzen, wo eine Sache hingegeben werden sollte unter Vorbehalt der Pflicht zur Bückgabe (z. B. Mandat, Miete): fiducia cum amico contracta (oben S. 59). In all diesen Fällen war nur das unbequem, daß der Empfänger, welcher dem wirtschaftlichen Erfolg nach nicht Eigentümer,, sondern nur Pfandgläubiger oder Depositar oder Kommodatar usw. sein sollte, doch durch die mancipatio formell zum Eigentümer gemacht werden mußte. Infolgedessen hatte der Hingebende immer nur ein persönliches Bückforderungs1

M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 261. 262. W. S t i n t z i n g , Beitr. ζ. röm. Rechtsgesch., S. 1 H. Die Verpflichtung aus dem formlosen mutuum konnte vielleicht zunächst uur unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung des Ganors geltend gemacht werden (legis actio per condictionein); erst allmählich ward das mutuum als r e c h t s g e s c h ä f t l i c h verpflichtender Vorgang (pecunia crédita) aufgefaßt, S t i n t z i n g S. 11. S o h m « Institutionen.

ie

ermögensrechte.

Obligatiorecht.

recht gegen den ersten Empfänger oder dessen Erben (ein bloßes Forderungsrecht), denn das Eigentum hatte er ja durch Manzipation aufgegeben. Wie nun anstatt der mancipatio zu Pfandzwccken später direkt die bloße Bestellung eines Pfandrechts als gültig anerkannt ward, so ward auch die bloße Hingabe (ohne Manzipation, also ohne Eigentumsübertragung) für genügend gehalten, um ein Forderungsrecht auf Bückgabe (des Kommodats, des Depositums) zu erzeugen. An Stelle der mancipatio fiduciae causa traten die „benannten" Bealkontraktc (Kommodat, depoeitum, pignus), welche alle ihr ursprüngliches Wesen darin beibehalten haben, daß sie bonae fidei negotia sind. Nexum und mancipatio fiduciae causa waren der Urquell der Realkontrakte. Neben denselben ward die (aus der Prozeßbürgschaft hervorgegangene, oben S. 62) sponsio im Rechtsverkehr üblich. Da sie durch bloß verbale Handlung (Frageund Antworthandlung: spondesne? spondeo) zustande kam, trat sie den Realkontrakten als der Verbalkontrakt des römischen Rechts (stipulatio) gegenüber. Der Literalkontrakt ist, offensichtlich im Anschluß an das Darlehn, verhältnismäßig früh ausgebildet worden. Die Eintragung in das Hausbuch, daß dem Gegner eine Summe ausgezahlt sei (expeneilatio), ursprünglich nur dem Beweise dienend, ward zu einem selbständig wirksamen Verpflichtungsgrund. Wie mutuum und stipulatio, so erzeugt auch die expensilatio eine obligatio stricti juris: das Darlehn (nexum) und das Gelübde (sponsio) erscheinen als der Urquell der stricti juris negotia, wie die fiducia als der Ursprung der bonae fidei negotia. Das Aufkommen der sogenannten Konsensualkontrakte, d. h. der Ausnahmsfälle, wo der bloße Konsens zur Verpflichtung genügt, hängt mit dem siegreichen Vordringen des jus gentium zusammen (oben S. 64ff.). Das formlose Rechtsgeschäft fing naturgemäß zuerst auf dem Gebiet des Obligationenrechts an, die ihm einwohnende Naturkraft geltend zu machen. Schon geraume Zeit vor Ende der Republik war für die wichtigsten Geschäfte des alltäglichen Verkehrs, Kauf, Miete, Sozietät, ihre Gültigkeit ohne Rücksicht auf die Form zum Durchbruch gekommen (vgl. oben S. 78).

391

§ 68. Realkontrakte.

II. Alle übrigen, d. h. alle nicht unter eine der vier genannten Kontraktegruppen fallenden obligatorischen Verträge heißen bei den Römern Pacta, auch nuda pacta und sind nach dem Jus civile grundsätzlich unklagbar. Nur ausnahmsweise ist gewissen Pacta durch ziviles Gewohnheitsrecht oder durch prätorisches Recht oder durch kaiserliche Konstitutionen Klageschutz erteilt worden; alle solche wurden in der neuzeitlichen Theorie als „pacta vestitau bezeichnet; die vom Prätor geschützten insbesondere als pacta praetoria, die durch Kaisergesetze klagbar erklärten als pacta légitima. Die Übersicht über das römische Vertragssystem ist also folgende: Contractus (Klagbar nach zivilem Gewohnheitsrecht)

Pacta

1. Obligationes, quae re fiunt (Die Realkontrakte).

1. Pacta adjecta der bonae fideiKontrakte,klagbar nach zivilem ce Gewohnheitsrecht. S 2. Pacta praetoria, klagbar nach S dem prätorischen Edikt. ο 3. Pacta légitima, klagbar nach (1904), S. 346 ff.

§

. Der

eralkontrakt.

403

braucht werden. Es genügt und ist notwendig, daß der obligatorische Eonsens durch Frage des Gläubigers und entsprechende Bejahung des Schuldners zu rechtsförmlichem Ausdruck gebracht werde. Dann ist um dieser Wortform willen der Kontrakt gültig und klagbar: die verba sind es, welche den Schuldner obligieren Mit diesem Wesen der Stipulation hängt es zusammen, daß die Stipulation eine zweifache Aufgabe hat. Sie dient 1. der Begründung einer Schuld; 2. der Verwandlung einer Schuld. I. Der Begründung einer Schuld dient die Stipulation, insofern sie den formlosen Schuldvertrag formalisiert. Der forinlose Schuldvertrag ist nach römischem Koniraktrecht (oben S. 388) als solcher klaglos. Der obligatorische Konsens wird klagbar, sobald er in die Form der Stipulation gekleidet ist. Durch das Mittel der Stipulation kann jeder Schuldvertrag zum Bange eines Kontrakts erhoben werden. Beispiele dieser Art sind die Zinsstipulation, die Stipulation einer Konventionalstrafe, die Bürgschaft. 1. Die Zinsstipulation. Zinsen (usurae faenus) sind eine Vergütung, welche als Gegènwert für den Gebrauch eines Kapitals von Geld oder anderen vertretbaren Sachen in gleichen vertretbaren Sachen geleistet wird. Das formlose Zinsversprechen des Darlehensschuldners ist unklagbar (oben S. 389). Soll bei Empfang eines Darlehens ein gültiges Zinsversprechen gegeben werden, so bedarf es neben dem Bealkontrakt (mutuum) eines z w e i t e n Kontrakts, des Verbalkontrakts der Stipulation. Der Gläubiger fragt den Schuldner: zahlst du mir monatlich so und so viel Zins? Der S huldner bejaht die Frage. Dann ist der Schuldner zwar nicht re (denn aus dem Darlehenskontrakt kann er keine Zinsen schuldig werden), aber verbis zur Zahlung der Zinsen klagbar obligiert. Die Berechnung der Zinsen anlangend, wurde es, während noch 1

Unter dem Einfluß griechischen Rechts ist die Stipulation in der späteren Kaiserzeit tatsächlich zu einem s c h r i f t l i c h e n Vertrage geworden, der nur noch gleichzeitige G e g e n w a r t beider Parteien fordert; zur geschichtlichen Entwicklung s. bes. R i c c o b o n o in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 35, S. 214 ff. Nach dem Recht des Corpus juris genügt es in der Regel, daß eine U r k u n d e (cautio) aufgenommen ist, welche ein Versprechen in Stipulationsform (Frage- und Antwortform, also unter gegenwärtigen Parteien) b e s c h e i n i g t , vgl. unten § 70 Anm. 4.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

die 12 Tafeln die Zinsen auf das ganze Jahr berechnen (siehe unten), seit Ende der Republik (etwa seit Sulla), in Anschluß an griechischen Verkehrsbrauch, auch bei den Römern üblich, den Zins monatlich zu zahlen und zu berechnen. So sind centesimae usurae (1% monatlich) 12% jährlich; semisses usurae ( % % monatlich) 6 % jährlich; trientes usurae ( % % monatlich) 4 % jährlich; besses usurae ( 2 /a% monatlich) 8 % jährlich. Die Zinsstipulation darf ein gewisses Maß nicht überschreiten. Die römische Wuchergesetzgebung erscheint in der Form der Zinsgesetzgebung, das beißt der Bestimmung eines Höchstpreises für den Kapitalgebrauch. Die 12 Tafeln hatten als Maximum das faenus unciarium angesetzt; ein Zwölftel des Kapitals jährlich also 8 % % für das damals gültige Jahr von 10 Monaten (10% für das zwölfmonatige Jahr). Um die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. glaubte die plebejische Bauernschaft, die Macht des Kapitals im Wege der Gesetzgebung niederbrechen zu können: 347 v. Chr. ward der gesetzlich zulässige Zinsfuß auf die Hälfte herabgesetzt (faenus semunciarium); dann ward durch die lex Genucia (342 v. Chr.) Zinsnehmen überhaupt verboten (bei Strafe). Das Gesetz galt bis gegen Ende der Republik, aber nur in der Theorie. Als 89 v. Chr. ein Prätor der Wucherstrafklage bedrängter Zinsschuldner Raum gab, ward er von den Gläubigern auf offenem Markt erschlagen. Ein Senatsbeschluß von 51 v. Chr. hat dann Zinsen bis zu centesimae usurae (12%) gestattet. Dabei ist es während der Kaiserzeit geblieben, bis Justinian, dem inzwischen gesunkenen Kapitalsbedürfnis entsprechend, den Höchstbetrag für die Regel auf semisses usurae, also 6%, ermäßigte; Kaufleuten wurden 8% zugelassen3. Von Zinsen können nicht wieder Zinsen geschuldet werden (Verbot des Anatozismus). Soweit die Zinsstipulation das Zinsmaß überschreitet, ist eie nach justinianischem Recht nichtig. Rückständige Zinsen können nur bis zum Betrage der Hauptschuld (also nicht ultra alterum tantum) eingeklagt werden4. β

Über das Geschichtliche vgl. 6 i 11 e t e r , Gesch. d. Zinsfußes im Altertum (1898). K l i n g m ü l l e r hei Pauly-Wissowa s. v. fenus. 4 Die Kirche des Mittelalters erklärte jedes Zinsnehmen für Wucher; aber das gemeine Recht ließ das kanonische Zinsverbot beiseite .und gestattete 6 %. Die Gesetzgrtmng des neuen deutschen Reichs hat die

§

. Der

eralkontrakt.

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2. Die Stipulation einer Konventionalstrafe (Beredung einer Vertragsstrafe für den Fall der Nichterfüllung oder tier nicht ordnungsmäßigen Erfüllung einer von den Parteien gewollten Verbindlichkeit) war im römischen Rechtsleben von großer praktischer Bedeutung. Sie trat überall da ein, wo eine direkte Berechtigung von Zivilrechts wegen nicht begründet werden konnte und doch das Bedürfnis nach einer rechtlich sichergestellten .Befugnis vorlag (vgl. z. B. S. 331f.). B.G.B. §§ 339ff. 3. Die Bürgschaft (fidejussio) ist der Kontrakt, durch welchen man sich verpflichtet, mit der eignen Persönlichkeit (dem eignen Kredit) in eine fremde Verbindlichkeit als Nebenschuldner mit einzutreten Auch hier wäre ein formloses Versprechen dieser Höhe der Vertragszinsen freigegeben. Die Wuchergesetzgebung erscheint nicht mehr in der Form der Zinsgesetzgebung (Preisfestsetzung ist nicht Sache des Gesetzgebers). Der Tatbestand des Wuchers besteht nicht mehr in der Überschreitung einer gewissen Zinsgrenze, * sondern in der Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns, der Unerfahrenheit des anderen (relativer Wucherbegriff) sei es durch ein Geldgeschäft, sei es durch ein sonstiges, Geschäft: das wucherische Geschäft ist nichtig (B.G.B. § 138, 2). * Ursprünglich ist der Bürge der a l l e i n in Anspruch zu nehmende (so auch in dem bekannten Gedicht von Schiller). Dazu vgl. noch Perozzi in den Memorie delP Ist. di Bologna, Cl. di sc. moral. Ser. 1 Tom. 10 (1916) S. 43 ff. Der Bürge haftet a n s t a t t des Hauptverpflichteten. Die älteste Bürgschaft ist Geiselschaft (er haftet mit seinem Leibe für den anderen). Für diese Urform der Bürgschaft ist die sponsio aufgekommen und mit ihr die römieche Stipulation (oben S. 62). Indem der Haupt verpflichtete sodann sich selber als Bürgen einsetzt, wird er in eigner Person sponsor und m i t ihm verpflichtet sich jetzt der Sponsionsbürge (sponsor im engeren Sinn). Zunächst wahrscheinlich als correus, also in einer einzigen korrealen sponsio (oben S. 362), vgl. M i 11 e i β , Aus röm. u. bürg. Recht, Festg. für Bekker (1907), S. 119, 120. Darum kann noeh nach klassischem Recht ein Sponsionsbürge nur bestellt werden, wenn auch der Hauptverpflichtete sponsor (Stipulationsschuldner) ist, Gaj. I I I § 119, obgleich schon in republikanischer Zeit der Sponsionsbürge nicht mehr als correus, sondern durch besondere sponsio als bloßer Nebenschuldner sich verpflichtet (Idem tu quoque dare spondes?). Die sponsio war juris civüis. Der sponsor mußte also ein römischer Bürger sein. Darum ward für peregrinieche Bürgen die ParaUelform der fidepromissio ausgebildet, welche augenscheinlich dieselbe Entwicklung durchgemacht hat und noch im klassischen Recht als akzessorische Bürgenstipulation (idem fidepromittis ?) unter wesentlich den gleichen Rechtssätzen steht wie die sponsio. Als jüngste Form der Bürgschaft ist dann die (gleichfaUs dem jus gentium zugehörige) fidejussio aufgekommen. Das klassische Recht hat aUe drei Bürgschaftsformen nebeneinander: sponsio, fidepromissio, fidejussio (Gaj. I I I § 116 ff.). Dem Corpus juris ist nur noch S o h m , Institutionen.

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406

Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht

Art nach Zivilrecht ungültig gewesen. Män gebrauchte daher die Form der Stipulatio: centum, quae Titius mihi debet, eadem fide tua esse jubes? Fide mea esse jubeo. Durch solche fidejussio wird der Bürge als Nebenschuldner mit dem Hauptschuldner verpflichtet (vgl. oben S. 369). Während der Bürge ursprünglich der allein Verhaftete, dann ein korreal (selbständig) Mitverhafteter war (Anm. 5), ist der fidejussor unserer Quellen nur noch ein nebenschuldnerisch (akzessorisch) Verhafteter. Die Schuld des fidejussor ist von dem Dasein der Hauptschuld abhängig. Der Fidejuesionsbürge haftet für alles (idem), was vom Hauptschuldner gefordert werden kann: auch für Erweiterungen der Hauptschuld z. B. durch mora des Hauptschuldners. Auf mehr haften kann er nicht: die fidejussio in duriorem causam ist nichtig (1. 8 § 7 D. 46. 1). Aber noch nach klassischem Becht, ja noch nach dem Becht der Digesten und des Kodex haftet der Bürge in gleicher Linie mit dem Hauptschuldner: der Gläubiger kann sich nach seiner Wahl sofort an den Bürgen halten. Erst in Nov. 4 gab Justinian dem Bürgen das beneficium excussionis (auch b. ordinis genannt), d. h. das Becht, zu verlangen, daß der belangbare (prädie jüngste Form, die fidejussio (idem fide tua esse jubes?) bekannt. Die fidejussio enthält formell keine sponsio noch eine promissio, sondern allgemein den W i l l e n (jussio), daß auf den Kredit des Bürgen hin dem Hauptschuldner Kredit geschenkt werde. Fidejussio war daher für jode Schuldverbindlichkeit (auch z. B. für die Deliktsschuld) zulässig, während sponsio und fidepromissio nur für die Schuld aus dem Verbalkontrakt (Stipulation) möglich waren. Die Schuld des sponsor und fidepromissor war, da der Bürge ursprünglich mit seinem Leibe haftete, unvererblich und erlosch (nach der lex Furia de sponsu) in zwei Jahren; die Verpflichtung des fidejussor war dagegen vererblich und die Klage gegen ihn eine actio perpetua. Dieselbe lex Furia de sponsu (die jedoch nur für den sponsor und fidepromissor in Italia aeeeptus galt) bestimmte ferner, daß unter mehreren Mitsponsoren und Mitfidepromissorcn die Bürgschaftsschuld ipso jure nach Köpfen geteilt sei, ohne Rücksicht auf die Zahlungsfähigkeit der einzelnen. Mitfidejessoren hafteten dagegen immer jeder auf das Ganze. Erst Hadrian gab ihnen das bcneficium divisionis, und zwar nur ope excçptionis (vgl. S. 368) und nur mit Rücksicht auf Belangbarkcit Und Zahlungsfähigkeit (s. im Text). — Eine sorgfältige Untersuchung: L e v y , Sponsio, fidepromissio, fidejussio (1906); gegen die hier entwickelte geschichtliche Grundanschauung aber M i t t e i s in der angeführten Festschrift (insbesondere S. 126 Anm. 1), dessen Ergebnisse im vorigen wiedergegeben sind. Dazu R. L e o n h a r d in Pauly-Wissowa R. E. s. v. fidejussio, fidepromissio. — Vgl. oben S. 63 Anm. 11 und die dort zit. Literatur.

§

. Der

eralkontrakt.

sente) und zahlungsfähige (solvente) Hauptschuldner zuerst ausgeklagt werde. Mehrere Mitbürgen haben nach einer epistola divi Hadriani die exceptio divisionis, d. h. das Becht, zu verlangen, daß der Gläubiger seine Forderung auf die präsenten und solventen Bürgen verteile (vgl.- oben S. 368). Diç Teilungseinrede hat das B.G.B. § 769 beseitigt, während die Einrede der Vorausklage dem Bürgen, falls er nicht „als Selbstschuldner" sich verbürgt hat, noch heute zuständig ist (B.G.B. §§ 771—773). Hat der Bürge gezahlt, so kann er vom Hauptschuldner Ersatz verlangen (Begreßrecht des Bürgen) auf Grund des zwischen ihm und dem Hauptschuldner bestehenden Bechtsverhältnisses. Der im Auftrag (auf Bitte) des Hauptschuldners eingetretene Bürge hat die actio mandati contraria (unten § 71 IV), der ohne Auftrag eingetretene die actio negotiorum gestorum contraria (unten § 72 II). Ist aber-der Bürge unter Verzicht auf Ersatz (donandi animo) eingetreten, so hat er kein Begreßrecht. Zur Geltendmachung seines Begreßrechts kann dem Bürgen die Klage des Gläubigers dienen. Schon nach klassischem Becht hat der vom Gläubiger verklagte Bürge das beneficium cedendarum actionum (das er mittels exceptio geltend macht): er braucht nur zu zahlen, wenn der Gläubiger ihm seine Forderung gegen den Hauptschuldncr abtritt (die Zahlung des Bürgen wird dann nicht als eigentliche Zahlilng, durch welche ja das Becht des Gläubigers untergehen würde, sondern als Kauf der Forderung angesehen). Nach dem B.G.B. § 774 geht von Bechts wegen (es bedarf keiner Zession) die Forderung des Gläubigers auf den zahlenden Bürgen über (bei Vollzahlung ganz, bei Teilzahlung zum entsprechenden Teil). Die erworbene Gläubigerforderung überhebt den Bürgen des Nachweises seines Begreßrechts aus dem unterliegenden Verhältnis; aber * der auf Begreß in Anspruch genommene Hauptschuldner kann trotzdem seine Einwendungen aus diesem Verhältnis (daß z. B. der Bürge animo donandi sich verbürgt habe) geltend'machen. Der Erwerb der Gläubigerklage bedeutet für den Bürgen nur eine Erleichterung seiner Klage, nicht eine sachliche Steigerung seiner Bechte. Die fidejussio (die Bürgschaft in Stipulationsform) ist das echte Bürgschaftsgeschäft des Corpus Juris. Nur bürgschafts-

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Obligationenrecht.

Ähnlich sind das constitutum debiti alieni und das Kredit* mandat (sogenanntes mandatum qualificatum). Constitutum debiti (vgl. D. 13, δ: de pecunia constituta) ist die formlose, vom Prätor klagbar gemachte Zusage, eine* geschuldete Summe (nach justinianischem. Recht: einen geschuldeten Gegenstand) zu leisten, vgl. unten § 73 I I 1. War eine fremde Schuld konstituiert, so haftete der Konstituent akzessorisch (unter der Voraussetzung des Daseins der fremden Schuld), aber doch nicht, wie der fidejussor, nach Maßgabe des fremden Schuldgrundes (Veränderungen der Hauptschuld wirken nicht auf die Konstitutssehuld), sondern lediglich nach Maßgabe des Konstituts: es genügte darum, daß die Hauptschuld zi^Zeit des Abschlusses des Konstituts bestand; Entkräftung der Hauptschuld durch Zeitablauf bzw. Verjährung kam wohl dem fidejussor, aber nicht dem Konstituenten zugute. Die Konstitutssehuld war also nicht, wie die des Bürgen, inhaltlich identisch mit der Hauptschuld. Während die Fidejussionsschuld der. Korrcalschuld verwandt ist (oben S. 369), steht die Konstitutssehuld zur Hauptschuld nur im Verhältnis unechter Solidarität: durch Leistung und nur durch Leistung ward mit der einen Schuld auch die andere erledigt (oben S. 361), D. 13, 5, 18, 3. Ganz ähnlich wirkt das Kreditmandat, d. h. der Kreditgewährungsauftrag: auf Gefahr des Auftraggebers soll dem anderen Kredit gewährt (ζ. B. ein Darlehen gegeben) oder verlängert (das Darlehen gestundet) Werden: periculo meo crede. Der Kreditmandant heißt mandator. Nach erfolgter Kreditgewährung haftet er bürgschaftsähnlich, sofern der Kreditgeber seinen Schaden, den er durch Ausführung des Auftrags erleidet (quod a Tïtio servare non potest) vermöge actio mandati contraria vom mandator ersetzt verlangen kann: das beneficium excussionis und das beneficium cedendarum actionum ist für den mandator selbstverständlich; mehrere Mandatoren haben das beneficium divisionis. Aber der mandator haftet trotzdem nicht nach Bürgschaftsrecht, sondern nach Auftragsrecht. Bis zur Kreditgewährung (Ausführung des Auftrags) kann er den Kreditauftrag wie jeden anderen Auftrag widerrufen. Vor allem, seine Schuld hat einen ganz anderen Inhalt als die Hauptschuld: er schuldet nicht Erfüllung der Darlehnsschuld, sondern Schadensersatz. Zwischen beiden Schuld-

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. Der

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Verhältnissen ^besteht nur ein wirtschaftlicher Zusammenhang (unechte Solidarität): durch Zahlung des mandator wird der Darlehnsschuldner nicht ipso jure, sondern nur ope exceptionis frei (er bedarf der exceptio doli generalis), vgl. D. 17, 1, 28. Konstitut und Kreditmandat sind nur von bürgschaftsäbnlichcr Wirkung, wenngleich sie im justinianischen Recht (vgl. Nov. 4) als Nebenformen der Bürgschaft behandelt werden. Unserem Recht ist das Konstitut unbekannt, aber der Kreditaüftrag (B.G.B. § 778) ist noch heute zwar der Bürgschaft verwandt, aber döch von der Bürgschaft zu unterscheiden: er ist im Zweifel bis zur Kreditgewährung widerruflich und bedarf dann keiner Schriftform (während das Versprechen des Bürgen heilte schriftformbedürftig ist). Die Bürgschaft ist eine Art der Interzession. Der Begriff der Interzession ist dadurch wichtig, daß den Frauen nicht bloß die Verbürgung, sondern überhaupt die Interzession durch das senatusconsultum Vellejanum (46 n. Chr.) verboten worden ist. Interzession ist Übernahme einer Schuldhaftung in fremdem Interesse. Schuldzahlung ist keine Interzession (fremde Schulden zahlen darf die Frau). Die Interzession ist eine „kumulative", wenn sie Haftung neben dem zunächst Verpflichteten begründet (Bürgschaft mit ihren Nebenformen, Verpfändung, Mitverpflichtung als Korrealschuldner). Sie ist eine „privative", wenn sie den zunächst Verpflichteten befreit (Novationsstipulation, s. unten II). Sie ist sogenannte intercessio tacita, wenn die Verpflichtung in fremdem Interesse nach außen als Verpflichtung in eignem Interesse auftritt (das für den andern benötigte Darlehen nimmt die Frau formell als eigenes Dolchen auf). Gegen die Wirkungen des Interzessionsgeschäfts wird die Frau geschützt durch exceptio Sei Vellejani (unten § 117); es entsteht für sie, anders als im Fall des Sc. Macedonianum (S. 393), nicht einmal eine naturalis obligatio (D. 12, 6, 40). Dem Gläubiger wird im Fall privativer Interzession die Klage gegen den ursprünglich Verpflichteten restituiert (actio restitutoria), im Fall der intercessio tacita wird ihm eine Klage gegen den eigentlich Verpflichteten verliehen, „instituiert", vgl. D. 16, 1, 8, 14 (sogenannte actio institutoria). Das Sc. findet keine Anwendung, wenn die Frau für die Interzession etwas empfangen hat. wenn sie die Interzession nach Ablauf von zwei Jahren

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wiederholt hat, wenn der Gläubiger minderjährig oder (z. B. bei intercessio tacita) in entschuldbarer Unkenntnis davon war, daß die Frau interzediere. Justinian hat eine Form Vorschrift hinzugefügt (er verlangt eine öffentliche von drei Zeugen unterschriebene Urkunde, sonst ist die Interzession ipso jure nichtig). Er hat überdies durch Nov, 134 c. 8 (daraus die Auth. Si qua mulicr zu C. 4, 29, 22, vgl. oben S. 18) die Interzession der Ehefrau für ihren Mann schlechtweg für nichtig erklärt. — Im B.G.B, ist das Becht des Sc. sowie der Auth. Si qua mulier verschwunden: die Frau ist heute wie geschäftsfähig so auch interzessionsfähig gleich dem Mann. II. Über die Verwendung der Stipulation zur Verwandlung (Novation) einer Schuld vgl. unten § 78 I 3 A. III. Die stipulatio ist ein stricti juris negotium, ein einseitig obligatorischer Kontrakt strengen Rechts. Es wird genau das Versprochene geschuldet, nicht mehr, nicht weniger. Es wird (wenn es nicht ausdrücklich zugesagt war) keine diligentia, keine Zahlung von Verzugszinsen, überhaupt kein Schadensersatz für irgend ein Interesse* sondern lediglich und genau das Versprochene geschuldet. Die Klage aus der stipulatio war nach klassischem Recht in dar Form der condictio oder aber in der Form der actio ex stipulatu zu erheben, je nachdem die versprochene Leistung ein „ccrtum" war (oben S. 375) (Übertragung des Eigentums oder Bestellung einer zivilen Servitut an einer Spezies oder Leistung einer Quantität genau bestimmter Gattungssachen) oder ein inccrtum. Die condictio war eine abstrakte Schuldklage. Sic nannte in der formula nur das Klagbegehren, nicht den Klaggrund (vgl. unten § 110 I I I ; 115 III). Die intentio lautete lediglich: Si paret N» m N'! in A? Av centum dare oportere. Ob'aus Darlehen, Stipulation oder sonst einem strengrechtlich verpflichtenden Schuldgrunde geklagt wurde, war aus der formula nicht ersichtlich. Die actio ex stipulatu war eine individualisierte (substantiierte) Schuldklagc: in der demonstratio (unten § 113 I I 3) der formula erschien als Klaggrund die Stipulation; die intentio lautete auf „quidquid N™ N\ n A? A? dare facere oportet". Die Wahlmöglichkeit zwischen beiden Klagen entsprach nicht der systematisierenden Begrenzung und Unterscheidung der Kondiktionsfälle, welche die byzantinische

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eralkontrakt.

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Jurisprudenz entwickelte (vgl. unten § 72 I). Deshalb haben hier die Kompilatoren eingegriffen. Im Corpus juris heißt es, daß aus der stipulatio certi nur eine condictio (die condictio certi), nicht auch eine actio ex stipulatu, also eine actio ex stipulatu nur aus der stipulatio incerti hervorgehe. Abçr durchgeführt ist das nicht. Eine Reihe von Stellen der klassischen Juristen ist unverändert geblieben, in denen auch aus stipulatio certi die actio ex stipulatu gegeben wird®. IV. Abstrakte Natur der Stipulation. In ihrer einfachsten Gestalt erzeugt die Stipulation ein streng einseitiges Versprechen; nur der eine Teil, der Promittent, wird Schuldner. Und /er wird es zumeist, ohne daß der Rechtsgrund seines Versprechens in der Stipulation genannt würde. Einen solchen Rechtsgrund muß zwar die Stipulation als „Zuwendungsgeschäft" stets haben (oben § 42 II); er kann auch im Wortlaut der Stipulation • L. 24 D. de reb. cred. (12, 1): Si quis certum stipulàtus fuerit, ex stipulatu actionem non habet, sed illa condicticia id pcrsequi debet, per quam certum petitur. Daß hier die Hand der Kompilatoren gewaltet hat, zeigt S e c k e l in Heumanns Handlexikon zu den Quellen des iöm. R., 9. Aufl., 1907, S. 556. 557. Dort sind dio Stellen gesammelt, die das klassische Recht (actio ex stipulatu auch bei stipulatio certi) unverändert wiedergeben. Ein Beispiel dio (immer au! ein ccrtum lautende) Pönalstipulation, 1. 10 § 1 D. 2, 14. Da im justinianischen Recht die formula verschwunden war, so hatte die Unterscheidung der Klage n a m e n nur noch theoretische Bedeutung, so daß die Byzantiner in dem Ausbau ihres lediglich wissenschaftlich gedachten Kondiktionensystoms freie Hand hatten. Augenscheinlich sind auch die Namen „condictio certi 11, „condictio triticaria" (es wird Getreide oder sonst eine certa res, aber nicht Geld gefordert) und „condictio incerti4* erst byzantinischcn Ursprungs. Vgl. M i t t e i s in Jherings Jahrb. Bd. 39 S. 153. S e c k e l a. a. O. S, 88. Pernice, Labeo, Bd. 3, S. 203ff.; T r a m p e d a c h in der Zeitàchr. d. Sav.-Stift., Bd. 17, S. 97 ff.; P f 1 ü g e r ebendas. Bd. 18, S. 75 ff.; v. M a y r , die condictio (1900) S. 180 ff. und in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Bd, 24, S. 268 ff. Bd. 25, S. 188 ff. Für. die Ansicht, daß die condictio incerti bereits dem klassischen Recht angehört, H. K r ü g e r in der Zeitschr. d. Sav."Stift., Bd. 21, S. 423 ff.; W. S t i n t ζ i n g, Beitr. zur röm. Rechtsgeschichtc (1901), S. 20 ff. — Die in D. 12, 1, 9 auftretende condictio certi ex omni causa (sogenannte condictio generalis), die also auf Grund auch eines bonae fidei negotium möglich wäre, falls nur der Kläger sein Petitum auf ein certum richtet, ist justinianischen Ursprungs und bedeutet lediglich eine von den Kompilatören aufgestellte allgemein zulässige P r o z e ß form ohne bestimmte materiellrechtliche Voraussetzungen, M i 11 e i s in Jherings Jahrb. Bd. 39, S. 153 ff.

412

Die Vermögensrechte.

Obligationnrecht.

hervortreten (z. B. centum dotis nomine mihi dare spondes ?), aber rechtsnotwendig ist letzteres nicht, und der Stipulator kann das stipulatorische Versprechen einklagen, auch wenn es keinerlei Causa angibt, sondern bloß die versprochene Leistung nennt; er braucht dann die Causa nicht namhaft zu machen, auf der es beruht 7. In diesem Fall lautet die Stipulation, wie man zu sagen pflegt, „abstrakt 418 und stellt ein abstraktes Rechtsgeschäft im Sinne des in § 42 I I Gesagten dar. Natürlich aber kann, entsprechend dem dort Gesagten, der Beklagte der Stipulationsklagc eine Exceptio doli entgegenstellen, auch seinerseits auf Befreiung von der Stipulationsschuld Klage erheben (condictio liberationis), wenn er zu beweisen vermag9, daß der bei Abgabe seines Versprechens vorausgesetzte Rechtsgrund nicht zugetroffen war. Infolge eines hier nicht näher darzustellenden Entwicklungsprozesses, der gegen Ende der klassischen Zeit eingesetzt hat, iet jedoch dieser abstrakte Charakter der römischen Stipulation allmählich geschwunden. Justinian hat ihn völlig beseitigt, indem er durch starke Interpolationen in D. 22, 3, 25, 4 (vgl. auch C. 4, 30,13) den Satz aufstellte, daß, wenn eine Stipulationsurkunde den Rechtsgjund der Stipulation nicht präzise namhaft machte (später sogenannte „cautio indiscreta") den Kläger die Beweislast treffen sollte, daß und welche Rechtsgründe ihr zugrunde liegen. Damit war die Stipulation zu einem rein kausalen Versprechen herabgesetzt 10 ). 7

Quintilian, iqpt. orat. 4, 2, 6: Satis est dixisse: Certam creditam pecuniam peto ex stipulatione;.. . 8 Welche Wirkung es im klassischen Recht hat, wenn die Stipulation ihre Causa nennt, d. h. ob dadurch das Versprechen die k a u s a l e Natur annimmt (also z. B. wer sich Centum dotis nomine versprechen ließ, das Vorliegen einer Ehe im Prozeß beweisen muß), das vermögen wir nach den Quellen nicht allseits mit Sicherheit festzustellen. 9 Die Beweislast trifft hierbei ihn: „Diversae partis1' fährt Quintilian an der obigen Stelle (Anm. 7) fort, „expositio est, cur ea non debeantur". 10 Demgemäß wurde auch im gemeinen Recht, das die römische Stipti lations f o r m nicht kannte, vielmehr den Standpunkt einnahm, daß die obligatorischen Verträge, um klagbar zu sein, keinerlei Form bedürfen, gelehrt, daß aus dem (formlosen) obligatorischen Vertrag nur geklagt werden könne, wenn die „Causa debendiu durch eine sie nennende Vertragsurkunde (cautio d is er e ta) oder in sonstiger Weise vom Kläger bewiesen werde. Diese Lehre und Praxis widersprach dem praktischen Bedürfnis, welches des abstrakten,

§

. Der

eralkontrak.

413

V. Adstipulator ist, wer sich im Interesse des Gläubigers durch Stipulation mit versprechen läßt. Er hat das gleiche Forderungsrecht wie der eigentliche Gläubiger (es gelten darum die Bechtssätze von der Korrealität, vgl. oben S. 370), unterscheidet sich aber doch vom echten Korrealgläubiger dadurch, daß er bloßer Nebengläubiger zugunsten des andern ist. Er hat formell alle Rechte eines Gläubigers, ist aber verpflichtet, diese Rechte nicht zu mißbrauchen (vgl. unten § 74 Anm. 5) und das etwa Empfangene dem eigentlichen Gläubiger (oder dessen Erben) herauszugeben. Sachlich ist der adstipulator bloßer Beauftragter des Gläubigers. Das Recht des adstipulator geht darum durch seinen Tod unter und wird dem Gewalthaber desselben nicht erworben (die adstipulatio des servus ist vielmehr ungültig, die adstipulatio des filiusfamilias ist nur für den Fall wirksam, daß derselbe ohne capitis deminutio von der väterlichen Gewalt frei wird). Die adstipulatio wird z. B. gebraucht, um (der Sache nach) eiren Stellvertreter zu haben, welcher selbständig gegen den Schuldner vorgehen kann, weil er formell nicht bloßer Stellvertreter, sondern selber Gläubiger ist 11 . Oder sie wird gebraucht, um das im vorjustinianischen Recht bestehende Verbot der stipulatio post mortem (erst nach dem Tode des Stipulator, also erst an seine Erben soll geleistet werden) zu umgehen: der adstipulator ließ sich versprechen, daß ihm nach dem Tode des anderen geleistet werden solle. Solche Stipulation war vollgültig. Lebte dann der adstipulator noch im Augenblick, wo der eigentliche Empfänger Geld ersetzenden Versprechens nun einmal nicht entraten kann. In der Gestalt zweier im deutschen Gewohnheitsrecht anerkannter Rechtsinstitute, dos Wechsels und der Inhaberpapiere, spielte dieses abstrakte Versprechen freilich schon damals praktisch die größte RoUe; aber davon abgesehen blieb der energische Versuch von Otto Bähr, „Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund" (1865, 2. Aufl. 1867), die Verbindlichkeit j e d e s abstrakten Versprechens, also jeder cautio indiscreta für das gemeine Recht zu beweisen, zunächst ohne durchschlagenden Erfolg, und erst das B.G.B. §g 780—782 hat sie festgestellt, vorausgesetzt, daß das Versprechen s c h r i f t l i c h erteilt und die Absicht ersichtlich ist, daß es die Verpflichtung „selbständig begründen soll'4. 11 Namentlich im Handelsverkehr scheint diese Art von Stellvertretung bei den Römern häufig gewesen zu sein. Es gab solche, welche gewerbsmäßig als Adstipulatoren dienten; M. R ü m e l i n , Zur Geschichte der Stellvertretung (1886), S. 73; K a r 1 o w a , Röm. Rechtsgesch., Bd. 2, S. 738,

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

der Leistung starb, so klagte der adstipulator die Summe ein und überantwortete sie den Erben des Verstorbenen. In allen Fällen war der adstipulator formell (dem Schuldner gegenüber) Gläubiger, sachlich aber (dem eigentlichen Gläubiger gegenüber) Woßer Mandatar. Vom adstipulator unterscheide man sehr wohl den Solutionis causa ad jectus. Ein solcher ist dann gegeben, wenn die Stipulation lautet: Mihi aut Titio decern dare spondesne? spondeo. Der Promissor ist hier nur entweder dem Stipulanten oder, nach seiner freien Wahl, dem Titius zu geben verpflichtet; es liegt für ihn eine Wahlschuld (oben S. 372) mit ihm zustehenden Wahlrecht vor. Ein Forderungsrecht auf Erfüllung, gleich dem Adstipulator, hat dagegen der sol. C. adjectus nicht. Er ist nur eine Zahlstelle für den Schuldner, freilich eine solche, auf die dieser ein vertragsmäßiges Recht hat, im Gegensatz wieder zu einem bloßen Empfangsbevollmächtigten des Gläubigers, dem dieser die Vollmacht beliebig entziehen kann. Adpromissor ist, wer im Interesse des Schuldners durch Stipulation mit verspricht. Der Hauptfall der adpromissio ist die vorhin besprochene fidejussio. pr. I de verb. obl. (3, 15): Verbis obligatio contrahitur ex interrogatione et responsu, cum quid dari fierive nobis stipulamur. Ex qu^ duae proficiscuntur actiones, tarn condictio, si certa sit stipulatio, quam ex stipulatu, si incerta. Quae hoc nomine inde utitur, quia stipulüm apud veteres firmum appellabatur, forte a stipite descendons. § 1 eod.: In hac re olim talia verba tradita fuerunt: s p o n d e s ? spondeo.



mitto.

fidejubes?



promittis ?

promitto.

fidejubeo.





fidepromittis ?

dabis?

dabo.



fidepro-

facies?

fa-

Utrum autem latina, an graeca, vel qua alia lingua stipulatio concipiatur, nihil interest, scilicet si uterque stipulantium intellectum hujus linguae habeat. Nec neoesse est, eadem lingua utrumque uti, sed sufficit, congruenter ad interrogatum respondere; quin etiam duo Graeci latina lingua obligationem contrahere possunt. Sed haec sollemnia verba olim quidem in usu fuerunt, postea autem Leoniana constitutio lata est, quae, sollemnitate verborum sublata, sensum et consonantem intellectum ab utraque parte solum desiderat, licet quibuscumque verbis expressus est. ciAM.

§ 70. Der Literalkontrakt.

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§ 70. Der Literalkontrakt. Wie heute der Kaufmann seine Handelsbücher, so führte in Rom jeder besser gestellte Bürger seine Hausbücher, und zwar insbesondere ein Kassabuch (codex aeeepti et expensi), d. h. ein Buch, in welches er seine Geldeinnahmen und Geldausgaben eintrug. Das Kassabuch hatte eine aeeepti pagina für Eintragung empfangener Einzahlungen (acceptilatio) und eine expensi pagina für Eintragung gemachter Auszahlungen (expensilatio). Selbstverständlich waren die Eintragungen ursprünglich lediglich Eintragungen über wirklich gemachte Einnahmen und Ausgabon (nomina ärcaria, Kassaposten). Sie hatten höchstens Beweiskraft, keinerlei Verpflichtungskraft. Rechtlich erheblich war nicht die Eintragung, sondern lediglich der anderweitige, außerhalb des Buches liegende Tatbestand: die effektive Zahlung. Neben den arkarischen Eintragungen über wirkliche Zahlungen sind dann andere Eintragungen über bloß fiktive Zahlungen (nomina transscripticia) aufgekommen. Diese nomina transscripticia bedeuten den römischen Literalkontrakt. Man unterschied transscriptio a re in personam und eine transscriptio a persona in personam. a) Die transscriptio a re in personam hat ein unter den Beteiligten bereits bestehendes Geldschuldverhältnis, z. B. eine Kauïgeldschuld, zur Voraussetzung, das an sich mit den tabulae aeeepti et expensi noch nichts zu tun gehabt und keine Eintragung in sie hervorgerufen hatte; denn den bloßen Abschluß eines Kaufvertrags trägt niemand in sein Kassabuch ein. Erst wenn etwa der Käufer seine Kaufgeldschuld prolongieren lassen will, liegt es nahe, dies zu verbuchen, und zwar in folgender Weise. Es erfolgt eine fiktive acceptilatio, d. h. der Kaufgeldgläubiger trägt in sein Kassabuch die Kaufgeldsumme (deren Betrag bestimmt angegeben wird) als vom Schuldner gezahlt ein, obgleich in Wirklichkeit nichts gezahlt ist1. 1 Diese Acceptilatio ist sefcon deswegen notwendig, weil sonst infolge der gleich zu erwähnenden Expensilatio das Kassabuch mit der Kassa nicht stimmen würde.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

Zugleich erfolgt eiue fiktive expensilatio : dieselbe certa pecunia wird vom Gläubiger als dem Schuldner ausgezahlt mit dessen Einverständnis eingetragen, obgleich in Wirklichkeit nichts ausgezahlt ist. Es erfolgt also in allen Fällen eine Doppeleintragüüg (während die arkarische Eintragung immer eine einfache Eintragung ist): eine acceptilatio, welche in eine expensilatio „umgeschrieben" wird. Daher der Name: nomen transscripticium. Die Kaufgeldschuld ist in eine fiktive „Darlehns"schuld verwandelt, wie wenn der Schuldner gezahlt und der Gläubiger ihm die Summe als Darlehn zurückgegeben hätte. Aber es liegt keine Darlehnsschuld' (keine durch Realkontrakt begründete obligatio), sondern eine Buch schuld vor, die lediglich auf der „umschreibungsmäßigen" expensilatio beruht. Der Schuldner ist literis, durch die Buchschrift (Lastschrift) obligiert. b) Transscriptio a persona in personam erfolgt, um fur eine bereits bestehende, aus was immer für einem Rechtsgrund herrührende Geldschuld an Stelle des bisherigen Schuldners, der also befreit werden soll, einen neuen eintreten zu lassen. Wieder ergeht eine fiktive acceptilatio im Kassabuch zugunsten des alten Schuldners und gleichzeitig wird der gleiche Betrag dem Schuldübernchmer mit dessen Einverständnis durch fiktive Expensilatio zur Last geschrieben. Solche Eintragung einer fiktiven Zahlung und Rückzahlung ist selbstverständlich nicht ohne gegnerischen Willen möglich. Während die arkarische Eintragung einer wirklichen Zahlung eine nicht rechtsgeschäftliche, rechtlich unerhebliche und darum der Zustimmung des Gegners nicht bedürfende Eintragung darstellt, fordert die transskriptizische Eintragung fiktiver Zahlungen eineif Vertrag. Der Schuldner pflegt in sein Hausbuch die entsprechende Eintragung zu machen: daß er vom Gläubiger empfangen habe (aeeeptum ferre oder referre). Notwendig ist diese schuldnerische Gegeneintragung nicht (sie ist unerheblich). Aber es ist notwendig und es genügt zugleich, daß die gläubigerische Eintragung auf Grund schuldnerischen Willens (jussum) erfolgt ist. Die 'Zustimmungserklärung des Schuldners, die keiner Form bedarf, bringt den consensus zustande, welcher die Eintragung des Gläubigers mit verpflichtender Kraft bekleidet: der Schuldner

§ 70. Der Literalkontrakt.

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haftet nicht durch die bloßen literae, sondern durch den Literalkontrakt 2 . Der Literalkentrakt diente also ausschließlich der Verwandlung einer Schuld in eine Buchschuld, nicht der Neubegründung von Schuldverhältnissen. Die Verwandlung aber konnte dienen 1. dem Personenwechsel (transscriptio a persona in personam) oder 2. nur dem Wechsel des Schuldgrundes (transscriptio a re in pereonam), wie bei der Stipulation. Die Verpflichtung aus der Buchschuld war eine streng einseitige obligatio stricti juris Huf certa pecunia. Die Klage war auch hier eine condictio. Anders als die Stipulation aber, vermochte der Literalkontrakt niemals eine kausale (bestimmte rechtliche Art an sich tragende und dadurch inhaltlich beschränkte), sondern immer nur eine abstrakte (reine) Geldschuld hervorzubringen. Die Kaufgeldschuld war durch die „Umschreibung" (nomen transscripticium) in eine farblose Summenschuld verwandelt, denn die expensilatio verlautbarte nur die „Auszahlung", nicht ihren Rechtszweck. Das Kaufgeldschuldverhältnis war erledigt. Es ward ja als durch Zahlung getilgt gebucht. Der Literalkontrakt trug stets die Kraft nicht bloß eines Verpflichtungsgeschäfts, sondern auch eines Leistungsgeschäfts in sich: der Gläubiger war (für die Kaufechuld) befriedigt durch das abstrakte Summenversprechen. Wie die Buchschuld nur durch Eintragung (expensilatio) ent1 Der Text folgt den Ausfahrungen von K e l l e r in Seils Jahrb. f. hist, u^logm. Bearb. d. röm. Rechts, Bd. 1 (1841), S. 93 ff., und in seinen Institutionen (1861), S. 102ff. Dazu M i 11 e i s in der Zeitschr. d. Sav.-Stift., Rom. Abt.,. Bd. 19 (1898) t S. 239 ff. K a r 1 o w a , Röm. Rechtsgesch., Bd. 2, S. 746 ff. H e c k , Arch. f. zivil. Praxis, Bd. 116 S. 129 ff., dessen Gedankengang aber nirgends zugestimmt werden, kann. — Daß außer dem codex accept i et expensi noch andere Büeher geführt zu werden pflegten, ist zweifellos. So z. B. ein Kalendarium (liber kalendarii) über die auf Zins ausstehenden Forderungen (die Zinsen wurden regelmäßig allmonatlich am Ersten gezahlt, daher die Bezeichnung Kalendarium), überhaupt Bücher, welche über den Stand des V e r m ö g e n s Aufschluß gaben; der codex aeeepti gab als solcher nur den Stand der Kasse an. Der Eintragung in den codex aeeepti ging üblicherweise eine vorläufige Eintragung in die adversaria oder ephemeris (Kladde, Tagebuch) vorher. Aus dem Tagebuche wurden allmonatlich die betreffenden Einträge in den codex übertragen. Dazu H. II. P f 1 ü g e r , Ciceros Rede pro Q. Roscio comoeclp (1904), S. 103 ff.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

stehen konnte, so konnte sie nach altem Recht nur durch Löschung (acceptilatio) getilgt werden (vgl. § 78 I, 1). Die acceptilatio im Schuldbuche (literale Akzeptilation) war das Gegenstück der expensilatio: hier trug der Gläubiger die Summe wiederum als von dem Schuldner gezahlt, also als empfangen ein (aeeeptum ferre). Damit tilgte er Uteris die zuvor durch Literalkontrakt (expensilatio) begründete Schuld. Daß wirklich die Summe vom Schuldner gezahlt war, ward damit nicht notwendig gesagt. Auch die literale acceptilatio ist die Bekundung eines Rechtsgeschäfts, einer Willenserklärung. Sie besagt cfie Befreiung des Schuldners von der Schuld, und sie bewirkt diese Befreiung durch den Löschungsakt (acceptilatio im Schuldbuche) als solchen, d. h. Uteris. So kann durch literale Akzeptilation auch ein Erlaßvertrag zustande kommen. Aber die befreiende Wirkung solcher Buchakzeptilation blieb auf die Buchschuld beschränkt. Nur die zuvor durch expensilatio erzeugte Schuld konnte durcii solche acceptilatio aufgehoben werden. Andere Akzeptilationen im Kassabuch (codex aeeepti et expensi) haben nur bekundende, nicht rechtsgeschäftliche Bedeutung8. Im Lauf der Kaiserzeit ist der Literalkontrakt außer Gebrauch gekommen und ward so die Stipulation die einzige Form für die Novation wie für die Klagbarmachung eines sonst klaglosen Konsenses4. 8 So war denn auch in dem Fall des nomen transscripticium n i c h t die acceptilatio (die Eintragung, daß aus dem Kauf usw. gezahlt sei), sondern die e x p e n s i l a t i o (das u m g e s c h r i e b e n e ηοηρη) der rechtsgeschäftliche Vorgang. Die Eintragung, daß aus einem anderweitigen Rechtsgeschäft (Kauf u. dgl.) Zahlung empfangen sei, bedeutete als solche immer nur ein nomen arcarium, einen Kassaposten. Nur die acceptilatio, welche die Umschreibung einer expensilatio darstellt (auch hier konnte mau von nomen transscripticium sprechen), bedeutet ein R e c h t s g e s c h ä f t . 4 Das g r i e c h i s c h e Recht hatte einen Literalkontrakt durch das Mittel des S c h u l d s c h e i n s (syngraphe, chirographum) ausgebildet. Die regelmäßige Form war die der Bescheinigung eines (fiktiven) Darlehensempfanges. Der Schuldner haftet aus dem von ihm ausgestellten Verpflichtungsschein $ds solchcm (wie heute aus dem Wechsel). Darauf bezieht sich die Äußerung von Gajus I I I § 134: Praeterea litterarum obligatio fieri videtur chirographis et syngraphis, id est ei quis debere se aut daturum se scribat; ita scilicet si eo nomine stipulatio non fiat, quod genus obligationis proprium p e r e g r i n o r u m ^ est. Infolge der Erstreckung des

§71.

Die Konsensualkontrakte.

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GAJ. Inst. III § 128: Litteris-obligatio fit veluti nominibus transscripticiis. Fit autem nomen transscripticium duplici modo: vel a re in personam, vel a persona in personam. § 129: Are in personam transscriptio fit, veluti si id, quod tu ex emptionis causa, aut conductionis, aut societatis, mihi debeas, id expensum tibi tulero. § 130: A persona in personam transscriptio fit, veluti si id, quod mihi Titius debet, tibi id expensum tulero, id est, si Titius te delegaverit mihi. § 131 eod.: Alia causa est eorum nominum, quae arcaria vocantur: in his enim rei, non litterarum obligatio consistit; quippe non aliter valent, quam si numerata sit pecunia; numeratio autem pecuniae re facit obligationem. Qua de causp recte dicemus, arcaria nomina nullam facere obligationem, sed obligations factae testimonium praebere. § 71. Die Konsensualkontrakte. In einzelnen Fällen ist nach römischem Zivilrecht ausnahmsweise der bloße obligatorische Konsens klagbar. Hier gilt also der Satz: c o n s e n s u contrahitur. Vier solche Konsensualkontrakte hat das römische Zivilrecht anerkannt: Kauf, Miete, Sozietät, Mandat. römischen Bürgerrechts und damit des römischen Zivilrechts auf das ganze Reich (durch Caracalla, oben S. 114) ging das griechische Recht von der syngraphe vor dem römischen Recht von der Stipulation zugrunde: ein abstraktes, durch sich selbst verpflichtendes Versprechen konnte jetzt auch im hellenischen Osten nur in Form der m ü n d l i c h e n Stipulation rechtsgültig abgegeben werden. Aber griechische Rechtssitte behauptete sich in dem immer stärkeren Nachdruck, welcher auf die schriftliche U r k u n d e übor die Stipulation (cautio) gelegt wurde. Brachte der Kläger eine Stipulationsurkunde vor (in welcher bescheinigt war: stipulatus est Maevios, spopondi ego Lucius), so ward der mündliche Abschluß der Stipulation von Rechts wegen v e r m u t e t und nach Justinianischem Recht nur der Gegenbeweis zugelassen, daß ein Teil während des ganzen Tages o r t s a b w e s e n d gewesen, d. b. daß die Beobachtung der mündlichen Stipulationsform u n m ö g l i c h gcwpsen sei. Es blieb also immer noch der G r u n d s a t z aufrecht, daß von Rechts wegen nicht die Urkunde (die litterae), sondern die Stipulation (die verba) den entscheidenden Verpflichtungsgrund bildete. Aber dieser Grundsatz ward in weitaus den meisten Fällen nur durch das Mittel der F i k t i o n gerettet. In Wahrheit hatte schon unter Justinian das römische Rocht vom Verbalkontrakt vor der altherkömmlichen griechischen Rechtssitte des Vertragsschlusses durch die Schuld s c h r i f t den Rückzug angetreten. Vgl. (lie lehrreiche Darstellung bei M i 11 e i s , Reichsrecht und Volksrecht in den östl. Provinzen des römischen Kaiserreichs (1891), S. 469 ff. B i n d e r , Der justinianische Literalkontrakt (Studi in onore di Brugi), (Palermo 1910).

420

Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

I. Der Kauf (emtio venditio) ist der Kontrakt, durch welchen der eine zur Leistung einer Ware (einer Sache oder sonst eines veräußerlichen Gegenstandes, z. B. eines Forderungsrechts), der andere zur Zahlung einer Geldsumme (des Preises) sich verpflichtet. Der Kaufkontrakt ist gültig in dem Augenblick, in welchem beide Teile über Ware und Preis sich geeinigt haben; es bedarf weder einer Form noch der Leistung von einer Seite: dadurch unterscheidet der Kauf eich nach römischem Recht vom Tausch (oben S. 399) Κ Der Kauf ist ein bonae fidei negotium: beide Teile haften nicht bloß für das ausdrücklich Versprochene, sondern für alles, was die bona fides mit sich bringt. Der Kauf ist ferner ein gegenseitiger, beide Teile gleichmäßig verpflichtender Schuldvertrag, d. h. ein Vertrag mit beiderseitigem Versprechen (Ware und Preis), vgl. oben S. 376. Leistung und Gegenleistung sollen gegeneinander ausgetauscht werden: Leistung und Gegenleistung haben im Zweifel (wenn nicht anderes ausgemacht ist) Zug um Zug, d. h. gleichzeitig zu erfolgen. Der Anspruch aus dem Kauf ist kein Anspruch auf Leistung schlechtweg, sondern ein Anspruch auf Leistung gegen Gegenleistung. Klagt der eine auf Leistung (ζ. B. der Käufer auf die Ware), ohne seinerseits die Gegenleistung anzubieten, so hat der Verklagte — und das gleiche gilt £uch bei allen übrigen vollkommen gegenseitigen Kontrakten — die sogenannte exceptio non adimpleti contractus (er braucht im Zweifel nicht vorzuleisten, vgl. B.G.B. §§ 320—322). 1. Pflichten des Käufers. Er hat den vereinbarten Kaufpreis zu bezahlen und, sofern er dies nicht schon getan hat (kraft gesetzlicher Zinspflicht), von der Übergabe der Ware ab zu verzinsen. Die Höhe des Kaufpreises unterliegt nach Auffassung der klassischen Jurisprudenz keiner Begrenzung durch die Rechtsordnung, sondern wird lediglich durch die Verabredung der Parteien bestimmt; sofern nicht direkter Betrug (dolus) vorliegt, ist, nach einem viel 1

Der s a c h l i c h e Unterschied zwischen Kauf und Tauseh (der letztere ist heute gleichfalls Konsensualkontrakt) besteht darin, daß der Kauf für den einen Vertragsteil (den Käufer) eine G e l d s c h u l d , für den anderen Teil (den Verkäufer) eine Sachschuld hervorbringt, während dor Tausch für b e i d e Teile eine S a c h schuld setzt.

§ 71. Die Konsensualkontrakte.

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getadelten Ausspruch Ulpians, gegenseitige Übervorteilung im Handel und Wandel gestattet: in emtionibus et venditionibus, sagt Ulpian, se inviçem circumvenire naturaliter licere, Pompon.-Ulpian D. 4, 4, 16, 4; vgl. Paul. D. 19, 2, 22, 3. Im justinianischen und gemeinen Recht jedoch ist hier die Vertragsfreiheit zugunsten des V e r käufers, der nicht zu billig verkaufen .soll (nicht auch zugunsten des zu teuer bezahlenden Käufers), eingeschränkt durch das Verbot der sogenannten Laesio enormis. Sie liegt vor, wenn unter dem halben Wert verkauft ist. Nach dem Corpus juris hat der Verkäufer dann das Recht, den Kauf rückgängig zu machen, falls der Käufer nicht den vollen Wert nachzahlt2. Das B.G.B, hat diesen Rechtseatz nicht, sondern schützt nur, und zwar beide Parteien, durch den „Wucherparagraphen u, B.G.B. § 138 II. Der Verkäufer hat gegen den Käufer die actio venditi. Er fordert damit vom Käufer (gegen die Ware) den Preis. Die Verpflichtung des Käufers ist eine obligatio dandi: er schuldet Verschaffung des Eigentums an der Geldsumme. Ist durch die Übergabe (Tradition) des Geldes das Eigentum dem Verkäufer nicht verschafft worden (der Käufer hatte fremdes Geld gegeben), so hat der Käufer nicht erfüllt (vgl. jedoch oben S. 257: Wirkung der Konsumption des Geldes bzw. nach heutigem Recht des gutgläubigen Erwerbes). Die Verpflichtung des Käufers ist eine obligatio bonae fidei. Sie geht nicht bloß auf certam pecuniam dare, sondern auf alles, was die bona fides mit sich bringt: der Käufer haftet auch für Verzugszinsen, überhaupt für allen S c h a d e n , welcher dem Verkäufer durch vertragswidrige Verzögerung der Zahlung erwächst (das Verzugsinteresse). 2. Pflichten des Verkäufers. Der Käufer hat gegen den Verkäufer die actio emti. Er fordert damit vom Verkäufer (gegen den Preis) die Ware. Die Verpflichtung des Verkäufers geht, wenn die Ware eine res nec maneipi ist, auf Tradition, andernfalls auf * Der Rechtssatz stammt erst von Justinian, der ihn durch Interpolation zweier diokletianischer Reskripte (c. 2. 8 C. 4, 44) in das Corpus juris brachte. Diokletian selber hatte das Gegenteil bestimmt. G r a d e n w i t z , Bull. Ist. Dir. Rom., vol. 2, p. 14, und neuerlich (gegen die Zweifel von L a n d u c c i , Atti 1st. Veneto 76,1189) S o l a z z i , Bull. 1st. Dir. Rom. 31 (1921): „L* origine storica délia rescissione per lesione enorme". S o h m , Institutionell.

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Die Vermögensrechte.

Obligationenrecht.

Manzipation des Eigentums sowie auf Überlieferung des Besitzes (und in beiden Fällen, solange die Besitzübergabe noch nicht erfolgt ist, auf custodia, d. h. diligente Verwahrung der Sache). Mit der Hauptsache hat der Verkäufer auch deren „akzessorisches Commodum" (Früchte, Alluvion eines Fundus, gefundenen Schatz usf.) auszuliefern (vgl. S. 429). Ferner trifft den Verkäufer auch nach der Manzipation und Tradition fortdauernd die Haftung a) wegen Rechtsmängel, b) wegen Sachmängel (Fehler), die an der gekauften Sache hervortreten, und (dies gilt für beide Arten von Mängeln) dem Käufer bei Abschluß des Kaufes unbekannt geblieben waren. a) Haftung für Rechtsmängel. Hier ist zu unterscheiden: α) War der Kauf, was in alter Zeit bei res maneipi selbstverständlich war, in der Form der Manzipation errichtet oder doch nach der formlosen Errichtung durch Manzipation der Ware (deren Charakter äle res maneipi vorausgesetzt) vollzogen worden, so griff eine Bestimmung der 12 Tafeln ein, wonach der Mancipio dans, wenn dem Mancipio aeeipiens nachträglich von einem Dritten das Eigentum streitig gemachtwurde, ge währschaf tspf lieh tig (auctoritatis obnoxius) sein sollte: Er hatte danach die Pflicht, dem Mancipio aeeipiens im Eigentumsprozeß (durch Nebenintervention oder Prozeßübernahme) beizustehen (defendere), bei verweigerter oder erfolgloser Defension hatte er kraft der actio auctoritatis jenem das Doppelte des in der Manzipation genannten Kaufpreises zurückzuerstatten (oben S. 50). Hier haftete also der Verkäufer für Eigentumsverschaffung; seine Haftung machte sich geltend, sobald festgestellt war, daß er den Käufer wegen mangelnden eigenen Eigentums nicht zum Eigentümer hatte machen können oder, daß er die Prozeßbeistandschaft verweigerte. ß) Lag dagegen ein bloß „konsensualeru, weder durch Manzipation errichteter noch durch sie vollzogener Kauf vor, wie es bei res nec maneipi schon kraft ihrer juristischen Natur immer der Fall war, so war von Rechts wegen eine Haftung für Rechtsmängel nicht begründet. Um diesem Ubelstand abzuhelfen, wurde es jedoch gebräuchlich, ein Surrogat der beim manzipativen Kauf durch das Gesetz gegebenen Gewährschaftspflicht im Weg der freiwilligen Vereinbarung künstlich zu schaffen; der Käufer ließ sieb vom Verkäufer

§71.

Die Konsensualkontrakte.

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durch die sogenannte „stipulatio duplae" die Rückzahlung des Kaufpreises im doppelten Betrag für den Fall des Rechtsmangels versprechen. Diese stipulatio duplae wurde so alltäglich, daß, selbst wenn einmal beim Abschluß des Kaufes verabsäumt, sie als eine noeh nachträglich nachzuholende selbstverständliche Verpflichtung des Verkäufers galt3. Doch bestand zwischen der Auktoritätshaftung aus der Manzipation und jener aus der Stipulatio duplae ein wichtiger Unterschied: erstere führte schon mit der Feststellung der unterlassenen oder erfolglosen Defension zur A.° auctoritatis, nach dem System der stip. duplae dagegen konnte der Käufer erst dann das duplum pretium verlangen, wenn er infolge des dinglichen Rechtes eines Dritten (sei es übrigens Eigentum oder ein sonstiges, diesen zum Besitz berechtigendes Recht — Pfandrecht, Ususfrukt) diesem den Besitz der Kaufsache wirklich hatte zurückstellen müssen; also z. B. nicht, wenn nach dem Prozeßsieg des Drittberechtigten die gekaufte Sache noch vor der Herausgabe an ihn durch Zufall untergegangen war oder der Dritte, trotz seinem Sieg, dem Käufer tatsächlich den Besitz beließ. Man pflegt dies dahin zu formulieren: Im System der stipulatio duplae hafte der Verkäufer nicht für Eigentumsverschaffung, sondern bloß auf das rem habere licere oder: wegen erfolgter „ E v i k t i o n " 4 . Den Eviktionsprozeß führt der Käufer; er hat dem Verkäufer den Prozeß anzuzeigen (litis denunciatio), damit Verkäufer ihn im Rechtsstreit unterstütze. b) Haftung für Sachmängel. Die Rechtssätze von der Sachmängelhaftung hat das römische Recht für den Stückkauf ausgebildet. Es gibt zwei Arten des Kaufgeschäfts: Stückkauf (Spezieskauf) und Gattungskauf (Genuskauf), je nachdem der Kaufvertrag 3 Es hat hier — bei Sklavenkäufen — auch das ädüizische Edikt eingegriffen. Näheres bei B o c h m a n n , Der Kauf 1 S. 374ff. 4 Ansätze, die Gewährschaftspflicht (Haftung für Eviktion) in eine Eigentutiisverschaffungspflicht (ohne Rücksicht auf erfolgte Besitzentziehung) umzuwandeln, finden sich im römischen Recht, aber sie sind nicht durchgeführt. Vgl. B e c h m a n n , Der Kauf, Bd. I (1876), Bd. I I I , Abt. 2, 2. Hälfte (herausgeg. v. O e r t m a n n ) 1908, und insbesondere R a b e 1, Die Haftung des. Verkäufers wegen Rechtsmangels, Bd. 1 (1902). Dazu R a b e 1, Die eigne Handlung des Schuldners und des Verkäufers in Rhein. Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht, 1. Jahrg. (1909), S. 195 ff.

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die gekaufte Ware dem Stück nach (individuell) oder nur der Art nach (generell) bestimmt. Ist der Sachkauf Stückkauf, so wird diese Sache geschuldet. Der Verkäufer hat erfüllt, wenn er diese Sache geleistet hat. Auch wenn die Sache Mängel hat, denn diese Sache war die gekaufte Sache. Das ursprüngliche jus civile kennt darum einen Anspruch wegen Mängel nur dann, wenn der Verkäufer entweder beim Abschluß des Kaufes in dolo gewesen war (arglistig den Mangel verschwiegen hatte) oder wenn er bestimmte Zusagen (dicta et promissa) gemacht hatte, die sich als unzutreffend erweisen. Wegen Arglist und wegen Mangels zugesagter Eigenschaften haftet Verkäufer nach Zivilrecht (actio emti), obschon er erfüllt (die gekaufte Sache geleistet) hat; denn er haftet nicht bloß auf rem tradere, sondern auf alles, was die bona fides mit sich bringt. Und zwar haftet er aus diesen Gründen 1. auf vollen Schadenersatz (z. B. das verkaufte kranke Tier hat den ganzen Stall des Käufers verseucht), und 2. haftet er auf diesen Schadenersatz unbefristet. Anders ist das honorarische (und zwar ädilizische) Becht, das gerade an diesem Punkt eine noch heute überall fortwirkende weltgeschichtliche Großtat vollbracht hat. Die kurulischcn Ädilien übten Marktpolizei und Marktgerichtsbarkeit. Auch sie edizierten, gleich dem Prätor, über die Handhabung ihrer Gewalt. Durch das ädilizische Edikt sind schlechtweg wegen Sachmangels Ansprüche gegeben worden. Sein Prinzip ist: Der Verkäufer, der ja die von ihm zu Markt gebrachte Ware genau kcnneJi kann, muß für ihre Qualität garantieren. Die Ädilien haben (zunächst für den Kauf von Sklaven und Vieh; das ward von Justinian im Wege der Interpolation auf alle Kaufgeschäfte erstreckt) neben der zivilrechtlichen Kaufklage (actio emti) besondere Mängelklagen, die sogenannten ädizilischen Klagen, geschaffen. Die eine ist die actio redhibitoria (Wandelungsklage) auf Auflösung des Kaufkontrakts μηά beiderseitige Rückleistung (Redhibition) des Empfangenen (befristet auf sex menses utiles nach Abschluß des Kaufvertrags). Die andere ist die actio quanti minoris (Minderungsklage) auf Preisminderung nach Verhältnis5 der durch den Mangel bewirkten Wert* Das heißt nicht, daß der Käufer jedenfalls nur den Wert der Sache als einer mit diesen Mängeln behafteten zu befahlen hat, sondern der ge-

§71.

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minderung (befristet auf einen annus utilis). Schadenersatz wegen des Mangels kann mit der a.° redhibitoria und a.° quanti minoris nicht, wohl aber mit der a.° emti dann verlangt werden, wenn deren schon dem Jus civile bekannte Voraussetzungen (Dolus und Dicta und promissa) vorliegen: m. a. W., die zivilrechtliche Haftung wird durch das ädilizische Recht nur erweitert, nicht beseitigt. Die ädilizischen Klagen waren zunächst als Deliktsklagen auf Strafe (actiones poenales) gedacht. Daher bei der actio redhibitoria die Verurteilung auf das Doppelte (s. unten § 116 Anm. 4). Der Verkäufer, der den Mangel nicht angezeigt hatte, ward als schuldig behandelt. In der Praxis sind aber die Mängelansprüche zu Ansprüchen aus dem Kauf, d. h. zu kontraktlichen Ansprüchen geworden, indem von Verschulden des Verkäufers abgesehen ward und andererseits die Haftung auch auf die Erben des Verkäufers erstreckt wurde®. So sind im klassischen Recht die kurz befristeten ädilizischen Mängelklagen wegen des Mangels als solchen zuständig, mag der Verkäufer ihn gekannt haben oder nicht, vorausgesetzt nur, daß der Mangel ein erheblicher, dem Käufer unbekannter und ein heimlicher, nicht ohne weiteres in die Augen springender Mangel ist (B.G.B. § 460 drückt das dahin aus: der Mangel muß dem Käufer ohne grobe Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sein). Aber nur beim Stiickkauf bedarf es dieser ädilizischen Mängelklagen, die den Verkäufer in Anspruch nehmen, obgleich er nach Zivilrecht erfüllt hat. Im Falle des Gattungskaufes \bewirkt der Sachmangel, daß Sachen der geschuldeten Art nicht geleistet sind (Mangel an der Güte ist Mangel an der Art). Verkäufer, der nicht in dér bedungenen Güte leistete, hat nicht erfüllt. Käufer hat die Kaufklage, die zivilrechtliche, erst in 30 Jahren verjährende actio emti auf E r f ü l l u n g , nicht bloß, wie beim Stückkauf, eine Mängelklage trotz Erfüllung. Allerdings ist dieser minderte Kaufpreis verhält sich zum ursprünglichen wie der Wert der mangelhaften Sache zum fiktiven Wert, den die Sache ohne die Mängel haben würde. • Übet dae Geschichtliche vgl. K a r 1 o w a , Röm. Rechtsgesch., Bd. 2, S. 1296ff., M i t t e i s , Röm. Privatr., Bd. 1, S. 66. 109. B o c h m a n n , Bd. 3, a. a. 0. S. 108 ff.

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Obligationenrecht.

Satz für das römische Becht streitig 7 . Das heutige Becht steht auf einem anderen Standpunkte: nach dem B.G.B, soll ein Mangel an der Güte, der die Art nicht ändert, von solchem Mangel, der die Art ändert, unterschieden werden (eine nicht selten schwierige Unterscheidung) und im ersteren Fall auch beim Gattungskauf eine bloße Mängelklage (auf Wandelung oder Minderung oder fehlerfreie Nachlieferung) mit kürzer Verjährungsfrist zuständig sein (B.G.B. § 480). Daneben steht die andere wichtige Änderung, daß die Mängelansprüche des B.G.B. (§ 465) nicht mehr, wie im römischen und auch im bisherigen deutschen Recht, unmittelbar auf Ausführung von Wandelung und Minderung, sondern nur noch auf Zustimmung zur Wandelung und Minderung gerichtet sind (erst auf Grund dieser Zustimmung, also erst auf Grund eines Wandelungs- bzw. Minderungsvertrags, kann dann, und zwar mit dem ordentlichen, normal verjährenden Kaufanspruch, das tatsächliche redhibere bzw. verhältnismäßige Preisrückzahlung verlangt werden). 3. Das periculum emtoris. Auch hier ist der Gegensatz von Stückkauf und Gattungskauf erheblich. Im Falle des Gattungskaufes ist die gekaufte Sache durch den Kaufvertrag noch nicht individuell bestimmt. Sie wird erst bestimmt werden durch die L e i s t u n g . Gehen vor der Leistung beim Schuldner (Verkäufer) Sachen der zu leistenden Gattung unter, so wird der Käufer davon nicht betroffen; denn diese Sachen (die 100 Sack Weizen, die der Verkäufer hatte, um sie zu leisten) waren nicht die geschuldeten (gekauften) Sachen. Beim Gattungskaufe trägt daher grundsätzlich der Verkäufer die Gefahr (bis zur Übergabe): er wird durch Sachverlust nicht befreit. Beim Stückkauf dagegen ist die gekaufte Sache schon vor der Leistung individuell bestimmt. Geht diese Sache unter, so ist die geschuldete Sache untergegangen. Hat Verkäufer den Untergang dieser Sache nicht zu vertreten (casus), so wird Verkäufer frei. 7 Vgl. W i n d s c h e i d - K i p p , Anm. 19.

Pandekten (9. Aufl.), Bd. 2, § 394

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Das allein wäre nun nichts Besonderes, sondern nur eine Anwendung des allgemeinen Grundsatzes: Species périt ei cui debetur (S. 371). Eine Besonderheit und ein wahrer Widerspruch zum Wesen des gegenseitigen Vertrags ist es aber, daß nach dem Recht des Corpus juris 8 der Käufer, der nun nichts bekommt, überdies noch den ungeschmälerten Kaufpreis zu zahlen verpflichtet bleibt. Darin liegt die besondere Gefahrtragung des Käufers: Emtoris est periculum. Des Näheren: Der Käufer trägt nach dem Recht des Corpus juris die Gefahr von dem Augenblick an, in dem emtio perfecta est, d. h. von dem Zeitpunkt an, in welchem der Kaufvertrag un8

E r s t n a c h d i e s e m ! Denn wie neuestens F r a n z H a y m a n ^ , Textkritische Studien zum römischen jObligationenrecht 2 in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 41 S. 44 ff. in sehr verdienstvoller und überzeugender Weise dargetan hat, das Prinzip vom Periculum emtoris, eine der berühmtesten und signifikantesten Regeln des römischen Rechts, wodurch dieses in unüberbrückbaren Gegensatz zum deutschen Rechtsbewußtscin trat, ist wieder einmal eine dem klassischen Recht total fremde byzantinische Erfindung, welche Tribonian durch eine große Anzahl von unerhört kühnen Interpolationen den Klassikern untergeschoben hat. Über die Gründe, weshalb Justinian dieses Prinzip aufgestellt hat, sehen wir noch nicht ganz klar; Vermutungen darüber bei H a y m a η n a. a. O. S. 172. In der dogmatisierenden gemeinrechtlichen Literatur ist natürlich über den Grund jenes zu ihrer Zeit noch für echtrömisch gehaltenen Satzes viel verhandelt worden. Die Versuche, ihn rationalistisch zu erklären, machen heute einen kläglichen Eindruck. Keine Erklärung, sondern reine Paraphrase war die von W i n d s c h e i d vertretene Ansicht, daß der Verkauf ein Entäußcrungsgeschäft sei und folgeweise die verkaufte Sache im Verhältnis der Parteien zueinander schon vor der Tradition als im Vermögen des Käufers befindlich angesehen werde. J h e r i n g hatte die Verschuldungstheorie: Käufer werde als in Verschulden befindlich behandelt, wenn er den Vollzug der Erfüllung hinausschiebe. Vgl. W i n d s c h e i d - K i p p , Pandekten, Bd. 2, § 321 Anm, 19 a. § 390. Neuerdings S e c k e l , Handlexikon, S. 117. 118, ihm folgend Κ ü b l e r , Utilitätsprinzip (oben S. 381 Anm. 6) S. 35: Verkäufer wird bei Vollzugsaufschub behandelt, als hätte er die Sache übergeben und zurückerhalten, er haftet, weil er Nutzen von dorn Geschäft hat, gleich einem Kommodatar für custodia, d. h. nur für culpa, so daß casus ihn befreit. [Dazu aber die feinen Beobachtungen von R a b e 1, Gefahrtragung beim Kauf in der Zeitschr. d. Sav.-Stift. Bd. 42, S. 543 ff. ; dieser Gelehrte hatte schon Grundzüge des röm. Privatrechts in Holtzendorff-Kohlers Enzyklop. d. Rechtsw. Bd. 1, S. 483 eine textkritische Untersuchung der Frage angeregt, er geht jetzt im Anschluß an Haymanns Schrift einer Reihe von Einzelfragen nach und stellt Allgemeinerwägungen an, die zeigen, wie manches noch nicht spruchreif ist und erst der Klärung bedarf.]

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Obligationenrecht.

bedingt9 zustande gekommen und zugleich Preis und Gegenstand bestimmt 1 0 sind. Entsprechend aber kommt dem Käufer auch zugute, was casu zur Ware hinzukommt (z. B. die gekaufte Stute wirft ein Füllen) bzw. sonstige Verbesserung, Preissteigerung der Ware: c u j u s p e r i c u l u m , ejus et commodum esse debet. (Das deutsche B.G.B, hat die Gefahrtragung beim Kauf abweichend vom römischen Recht geordnet: auch beim Stückkauf trägt Käufer die Gefahr erst von der Übergabe an; vorher eintretender zufälliger Untergang der Ware befreit beide Teile; teilweiser zufälliger Untergang mindert den Preis; vgl. B.G.B. §§ 323. 446. 447.) 4. Emtio rei speratae ist der Kauf einer erst künftig entstehenden oder sich bestimmenden Sache, z. B. der Kauf künftiger Früchte, der Kauf des Hasen, den der Jäger heute schießen wird. Hier ist das wirksame Zustandekommen (die Perfektion) des Kaufs durch die Entstehung bzw. die entsprechende Bestimmung der Sache bedingt (die „Bedingung" ist keine echte Bedingung, sondern eine condicio juris, eine aus dem Inhalt des Geschäfts sich notwendig ergebende Voraussetzung, oben S. 233). Bei Ausfall der Voraussetzung sind beide Teile frei (ob es auch auf Güte oder Menge der künftigen Sache ankommt, ist Frage • Bei aufschiebend bedingtem Stückkaufe trägt der Käufer nach dem justinianischen Rechte während Schwebene der Bedingung zwar die Gefahr der zufälligen Verschlechterung (er muß nach Eintritt der Bedingung den vollen Preis zahlen), aber nicht die Gefahr des zufälligen Unterganges (geht der Gegenstand während Schwebene der Bedingung casu unter, so kommt der Kauf nicht wirksam zustande: auch der Käufer ist frei). Nach dem B.G.B, schiebt die Bedingung gleichfalls die Gefahrtragung des Untergangs für den Käufer hinaus, auch wenn die Sache während Schwebens der Bedingung übergeben war. Wegen zufälliger Verschlechterung pendente condicione hat Käufer den Mängelanspruch. " Soll der Kauf des gekauften Stückes erst durch Zumessen, Zuwägen, Zuzählen bestimmt werden (der Preis ist nicht für das Stück, sondern nur nach Maß, Gewicht, Zahl vereinbart: emtio ad mensuram), oder soll der Gegenstand des Stückkaufes erat durch Zumessen, Zuwägen, Zuzählen aus einer vorhandenen Menge hergestellt werden (im letzteren Falle liegt Kauf eines sich erst künftig bestimmenden Stückes, einer res futura, vor), so wird der Kauf erst mit dem Zumessen usw. „perfekt", d. h. bis zum Zumessen usw. trägt Käufer weder die Gefahr der Verschlechterung noch die des Unterganges; beide Teile werden frei. Vgl. D. 18, 1, 35, b—7.

§71.

Di

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des Einzelfalls). Anders geartet ist die emtio s p e i , der „Hoffnungskauf": es wird nicht eine künftige Sache gekauft, sondern eine gegenwärtige Aussicht (Chance), so z. B. bei Kauf der heutigen Jagdbeute, Kauf eines Lotterieloses. Die emtio spei wirkt unbedingt: der Preis wird schlechtweg geschuldet, auch wenn die Chance nichts ergibt. In der Gewährung der Möglichkeit höherwertiger Gegenleistung erschöpft sich die Verpflichtung des Verkäufers. Die emtio spei ist ein gewagtes Geschäft, kein echtes Kaufgeschäft (Chancen sind keine Waren), aber die Römer haben actio emti bzw. venditi gegeben, weil sonst dem formlos geschlossenen Geschäft die Klagbarkeit gefehlt hätte. Vgl. D. 18, 1 pr. § 1. Heute sind die wichtigsten Fälle der emtio spei (Lotteriegeschäft und Ausspielgeschäft: Loskauf mit Verlosung eines Kapitals bzw. einer Sache) nach Art des Spielvertrags, nicht des Kaufvertrags geregelt (B.G.B. § 763). 5. Über den Kauf auf Probe und andere Nebenverabredungen% vgl. oben S. 231. 6. Der Kauf ist als solcher ein Kontrakt, d. h. ein obligatorischer Vertrag, also ein Vertrag, der zur Veräußerung verpflichtet (Verpflichtungsvertrag), aber nicht ein Vertrag, der die Veräußerung bewirkt (Verfügungsvertrag). Der Kauf als solcher (der Konsens der Parteien über Leistung von Ware gegen Preis) überträgt das Eigentum nicht, auch nicht im Normalfalle, wenn es der Verkäufer hatte; und auch sofern dieser, wie heute stets (fürs römische Recht s. oben S. 422f.) zur Verschaffung des Eigentums verpflichtet ist, ist Eigentumserwerbsgrund nicht der Kauf, sondern die auf Grund des Kaufes erfolgende Tradition der gekauften Ware (oben S. 286). Nicht mit dem Abschluß, sondern erst mit der Erfüllung des Kaufvertrags geht das Eigentum über. A n h a n g . D i e A r r h a . Häufig wird beim Abschluß des Kaufs eine A r r h a ( A n g e l d , D r a u f g e l d ) gegeben. Sie kommt zwar auch beim Abschluß anderer obligatorischen Verträge (z. B. Sachmiete, Dienstmiete) vor 1 1 , wird aber in den römischen Quellen nur beim Kauf erwähnt. Sie ist 11 Auch beim altrömischen Verlöbnis war sie üblich, wohl im Zusammenhang mit der Sitte der alten Völker, wonach die Braut ihrem Vater abgekauft wird (unten § 81). Sie wurde hier, wie auch sonst oft, in der Gestalt eines Ringes (anulus pronubuff) überreieht; daher stammen unsere heutigen Verlobungsund Trauringe.

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eine Gabe bei Abschluß (contractu perlecto data) oder zwecks Abschlusses (contractu imperfecto data) eines Schuld Vertrags. Der Sinn des im Geben der arrha liegenden Vertrags kann ein. verschiedener sein. I m Zweifel dient die arrha bloß als Zeichen des bindenden gegenwärtigen Vertragsschlusses (sogenannte arrha confirmatoria): sie wird bei Erfüllung und ebenso bei etwaiger Auflösung des Hauptvertrags zurückgegeben bzw. $uf die Leistung angerechnet. Sie kann zugleich als re (durch Leistung) kontrahierte Vertragsstrafe gemeint sein (arrha pocnalis), dann verfällt sie, wenn der Geber die Nichterfüllung des Hauptvertrags verschuldet. Diearrha kann aber auch (was jcdoch nicht zu vermuten ist) ein Reugeld, sogenannte arrha poenitentialis, bedeuten, d. h. eine Prämie, die für das Recht des Rücktritts gC7ahIt wird (vgl. B.G.B. §§ 33G bis 338). Immer bedeutet die römische arrha einen z w e i t e n Vertrag neben dem Hauptvertrag, während das (beim Gesindevertrage noch heute übliche) deutsche Handgeld die F o r m für den Abschluß des H a u p t Vertrags darstellt (vgl. unten § 81 Anm. 8) und daher bei Erfüllung des Vertrags n i c h t angerechnet noch zurückgegeben wird.

II. Die Miete ist nach römischem Recht entweder Sacbmiete oder Dienstmiete oder Werkmiete. Die Sachmiete (locatio conductio rei) ist der Vertrag über entgeltliche Sachgebrauchsüberlassung. Die z u m Z w e c k der F r u c h t z i e h u n g erfolgende Miete einer fruchttragenden Sache12 heißt Pacht (Teilpacht, colonia partiana, liegt vor, wenn der Pächter als Pachtzins einen Teil des Fruchtertrags leistet). Der Mieter (Pächter) fordèrt mit der actio conducti den zugesagten Gebrauch und die Instandhaltung der Sache; der Vermieter (Verpächter) mit actio locati die Zahlung des Mietpreises und die Rückgabe der Sache nach beendigtem Gebrauch sowie Ersatz für jeden durch Verschulden des Mieters (culpa levis) verursachten Schaden. Zur Sicherung seiner Ansprüche auf Mietzins und Schadenersatz hat der Vermieter eines Grundstücks 12 Diese muß bei der Pacht keine körperliche Sache sein, sondern kann auch ein Recht (ein Nießbrauch, Patent, Jagdrecht) oder ein Unternehmen sein. Insbesondere bei der locatio conductio von Sachen die einem Unternehmen dienen, ist wohl zu unterscheiden, ob bloß die körperliche Sache als solche oder das mit ihr verbundene Unternehmen den Gegenstand des Vertrags bildet. Die loc. cond. von Restaurationslokali täte η ist Pacht, wenn der locator, ζ. Β. der Eigentümer des Hauses, bereits den Gewerbebetrieb eingerichtet oder doch die bezügliche Gewerbekonzession erlangt hatte und diese mit überläßt. Umgekehrt, wenn nur der conductor diese besitzt oder sich anschafft und den Gegenstand des Vertrags bloß die leeren Räumlichkeiten büden, liegt Miete vor. Ebenso wird ein Theater gewöhnlich als Unternehmen verpachtet, kann aber auch als bloßer Raum, etwa zur Veranstaltung eines Konzerts, vermietet werden.

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nach römischem und ebenso nach heutigem Recht (B.G.B. §§ 559 bis 563) ein gesetzliches Pfandrecht an den in das Grundstück eingebrachten Sachen des Mieters (an den „invecta et illata"), der Verpächter ein gesetzliches Pfandrecht an den vom Grundstück gezogenen Früchten (nach römischem Recht nicht auch an den Invekten und Illaten, während B.G.B. § 586 dem Verpächter beide Pfandrechte gibt: an den Früchten und an den eingebrachten Sachen des Pächters). Der Vermieter (Verpächter) braucht nicht Eigentümer der Sache zu sein. Auch der Mieter (Pächter)18 kann vermieten, verpachten (Aftermiete, Afterpacht), nach B.G.B. §§ 549. 596, 1 aber nur mit Erlaubnis seines Vermieters (Verpächters). An den eingebrachten Sachen des Aftermieters hat nach römischem Recht der Aftervermieter Pfandrecht, der erste Vermieter ein Afterpfandrecht (subpignus, oben S. 351). Nach dem ß.G.B, besteht nur das Pfandrecht des Aftervermieters. Die D i e n s t m i e t e (locatio conductio operarum) ist der Vertrag über entgeltliche Leistung einer Arbeitsmenge (eines gewissen Maßes von Arbeitskraft), ζ. B. det Vertrag mit dem Dienstboten, mit dem Tagelöhner, mit dem Gesellen. Der Arbeitsherr hat die actio conducti, der Arbeitsleistende die actio locati. Gegenstand der Dienstmiete könuen nur operae illiberales sein, d. h. niedere Dienstleistungen, welche einen Preis haben, durch den Mietpreis b e z a h l t werden: ihre Leistung stellt eine Leistung von Vermögenswert, nicht (wie die Dienste des Anwalts, des Arztes, des Lehrers) eine unschätzbare Leistung dar. Dienstleistungen der letzteren Art (operae liberales) pflegten in der republikanischen Zeit Roms, sei es ganz unentgeltlich, als Zeitvertreib vornehmer und vermögender Leute — insbesondere die Advokatur als Zugang zur politischen Laufbahn —, sei es gegen freiwillig gezolltes Honorar (mtinus, vgl. die „lex Cincia de donis et muneribüs", S. 227) geleistet zu werden; in der Kaiserzeit wurden auch Abmachungen über derartige Honorare für klagbar, freilich nicht kraft zivilen Kontraktes, wohl aber im 13 Ja, auch ein solcher Nichteigentümer, der auf den Gebrauch der Sache nicht einmal einen obligatorischen Anspruch hat, kann gültig vermieten; nur kann er, wenn der Eigentümer von seinem Recht Gebrauch macht, dem Mieter den Gebrauch nicht gewähren und wird hierdurch ex conducto haftbar auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung.

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Wege der „cognitio extra ordinem41 (vgl. unten § 120) erklärt (vgl. oljjen

S.

113).

Die Werkmiete (locatio conductio operis) ist der Vertrag über entgeltliche Herstellung eines Arbeits e r f ο 1 g e s , ζ. B. der Vertrag über Transport von Sachen (Frachtvertrag) 14 oder Personen, der Vertrag über Ausbesserung, Bearbeitung, Verarbeitung von Sachen. Es genügt nicht, daß eine gewisse Arbeitsmenge geleistet sei (ζ. B. daß der Schneider stundenlang an der Ausbesserung gesessen habe); es muß der zugesagte Erfolg hergestellt werden. In diesen Fällen ist der die Arbeit Versprechende selbst zugleich der Arbeitsherr (der Unternehmer): er hat dem anderen sich nicht unterzuordnen, noch seinen Weisungen in bezug auf das Arbeitsverfahren Folge zu leisten, sondern schuldet ihm lediglich die Herstellung des gewünschten Erfolges. Deshalb heißt derjenige, welcher die Arbeit verspricht, hier conductor operis: er hat die Unternehmung (das opus) gemietet (er ist der Unternehmer anstatt des anderen, welchen das opus eigentlich angeht). Derjenige, welcher den Arbeitserfolg empfängt, heißt locator operis: er hat die Unternehmung abgegeben an den anderen. 14 Für den Seefrachtvertrag haben die Römer aus dem Seerecht der Insel Rhodos die l e x R h a d i a de j a c t u (D. 14, 2) übernommen: Der Schaden, welcher der Ladung (durch jactus, Seewurf) oder dem Schiff (z. B. durch Kappen von Masten) absichtlich zugefügt ist, um Schiff und Ladung aus einer gemeinsamen Seegefahr zu retten, wird auf Schiff und Ladung verteilt. Nach römischem Recht besorgt der Schiffer die Schadensverteilung. Er hat die actio conducti auf verhältnismäßige Ersatzleistung gegen die Befrachter, deren Waren gerettet sind; gegen ihn geht die actio locati der geschädigten Befrachter auf verhältnismäßigen Ersatz. [Hans K r e 11 e r , Lex Rhadia. Untersuchungen zur Quellengeschichte des römischen Seerechts. Zeitschr. f. Handels- und Konkursrecht Bd. 85, S. 257 ff., zeigt in sehr interessanter Weise, daß es sich dabei um einen „Standesbrauch" der Seehandel treibenden Mittelmeervölker handelt, der nach dem einst seebeherrschenden Rhodos benannt war und vielleicht mit dessen Gesetzgebung inhaltlich zusammenhing (a. a. 0. S. 363).] — Heute gelten die Rechtssätze von der großen oder gemeinschaftlichen H a v e r e i (H.G.B. §§ 700ff.). Die Schadensverteilung(Dispache) geschieht durch amtlich bestellte Dispacheure (H.G.B. §§ 727 ff.); die Auszahlung der Beträge vermittelt der Reeder (H.G.B. §§ 730. 731). — Der Frachtvertrag ist locatio conductio operis i r r e g u l a r i s (Summenfrachtvertrag), wenn vertretbare Sachen zum Transport übergeben werden, mit der Beredung, daß nicht dieselben »Stücke, sondern nur die gleiche Menge gleicher Art und Güte zurückzugeben ist. Der Verfrachter wird Eigentümer. Die actio locati des Befrachters heißt hier actio o n e r i s a v e r s i. Vgl. D. 19, 2, 31.

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Die Klage des Arbeitsempfängers heißt hier daher actio locati, die Klage des Arbeitsleiste&deü actio conducti*5. In allen .Fällen ist die Miete ein bonae fidei negotium. Beide Teile schulden omnis diligentia und überhaupt alles, was die bona fides nach Maßgabe der Umstände mit sich bringt. Für die Pacht insbesondere ist durch kaiserliche Reskripte das Institut der „remissio mercedis" eingeführt worden, wonach der Verpächter dem Pächter in schlechten Jahren einen verhältnismäßigen Nachlaß am Pachtzins zu gewähren hat, sowie umgekehrt der Pächter, welcher nachher durch reichliche Ernte entschädigt wir