Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung: Zahlungsverbote, Existenzvernichtung und Insolvenzverschleppung 9783814557892

Die Haftung des Geschäftsführers für die Herbeiführung der Insolvenz und für insolvenznahes Handeln ist ein viel diskuti

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Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung: Zahlungsverbote, Existenzvernichtung und Insolvenzverschleppung
 9783814557892

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André Torsten Weiß Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung Zahlungsverbote, Existenzvernichtung und Insolvenzverschleppung

Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung Zahlungsverbote, Existenzvernichtung und Insolvenzverschleppung

von André Torsten Weiß

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH · Köln

Universitätsbibliothek Tübingen D 21

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© 2017 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im August 2016 von der Juristischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Die mündliche Prüfung fand am 27.9.2016 statt. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Juni 2016 berücksichtigt werden. An diese Stelle möchte ich allen, die mich bei der Erstellung dieser Arbeit unterstützt haben, meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Dank für die vielfältige Begleitung, Aufmunterung und Hilfestellung, die ich in den letzten Monaten erfahren durfte. Den vorrangigen Adressaten dieses Dankes werden diese Worte jedoch nicht mehr erreichen. Völlig überraschend ist mein Doktorvater und Erstgutachter, Prof. Dr. Jan Schürnbrand, vier Wochen nach meiner mündlichen Doktorprüfung und nur wenige Tage vor Drucklegung dieses Buches im Alter von nur 44 Jahren verstorben. Jan Schürnbrand war – das kann ich mit Fug und Recht sagen – mein Mentor. Er war für mich sowohl menschlich als auch in fachlicher Hinsicht ein außerordentlicher Lehrer und Wegbegleiter. 2008, als er seine erste Berufung als Professor an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen erhielt, lernte ich ihn über meine Diplomarbeit im Studiengang Internationales Wirtschaftsrecht kennen. Von diesem Zeitpunkt an bis zu seinem Wechsel nach Tübingen durfte ich an seinem Lehrstuhl als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig sein. Nicht nur war er ein bemerkenswerter Jurist, der es stets verstand, auf einfache Art und Weise die Dinge zu erklären, an denen man sich noch kurz zuvor die Zähne ausgebissen hatte; auch zwischenmenschlich war er mit seiner stets besonnen, überaus humorvollen, nachsichtigen und liebenswerten Art eine Bereicherung und ein hervorragender Chef. Die juristischen Erkenntnisgewinne, die ich ihm zu verdanken habe, egal ob in seinen Kernmaterien oder aber auch in so exotischen Rechtsgebieten wie dem Polizei- oder Staatshaftungsrecht, sind für mich immer noch legendär. Als er 2012 von Erlangen nach Tübingen wechselte war dies ein herber Verlust. Dennoch blieben wir immer in Kontakt und ich durfte mir seiner Unterstützung in allen Belangen gewiss sein. Schließlich fertigte ich nach Referendariat und LL.M.-Studium unter seiner Betreuung auch meine Dissertation an. Eine nur allzu selten anzutreffende Eigenschaft schätzte ich bei ihm immens: Er hatte ein sicheres Gespür dafür, wann Hilfe, Unterstützung, gut gemeinte Ratschläge oder gar Einmischung willkommen und förderlich waren und wann der (in seiner ihm eigenen Art ausgesprochene) Satz „Herr Weiß, jetzt machen Sie einfach mal…“ ebenso viel bewirkte. Die ihm eigene, unaufdringliche Unterstützung und Wegbereitung für meine Arbeit hätte ich mir nicht besser

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Vorwort

vorstellen können. Das gilt insbesondere auch für die kaum vorstellbar schnelle Korrektur. Für die mündliche Prüfung zu meiner Dissertation führten uns, nach fast vier Jahren, unsere Wege Ende September 2016 nochmals zusammen. Es war, wie ich heute weiß, unsere letzte Begegnung. Ich kann ihm für seine Wegbegleitung über die letzten Jahre hinweg nur danken. Seinem Andenken sei diese Arbeit gewidmet. Herzlicher Dank gebührt zudem Herrn Prof. Dr. Christoph Thole für die wohlwollende und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Alle Kollegen, Freunde und Verwandte aufzuführen, die mir mit Ratschlägen, Anregungen und Tipps bei der Erstellung der Arbeit entscheidend weiter geholfen haben, ist an dieser Stelle kaum möglich. Erwähnen möchte ich daher lediglich meinen Freund Thomas Koch, der die Korrektur dieser Arbeit übernommen hat. So manches Komma, so mancher Absatz dieser Arbeit verdankt sein Dasein seiner unermüdlichen Korrektur. Schließlich möchte ich an dieser Stelle mit liebem und herzlichen Dank auch meine Eltern erwähnen, die mir meine Dissertation überhaupt ermöglicht haben. Sie waren mir schon immer, aber besonders während meines Studiums im In- und Ausland wertvolle Begleiter, ließen sich auch von immer neuen Studienvorhaben und Finanzierungsanforderungen nicht aus der Ruhe bringen und haben mir in den zurückliegenden Jahren unendlich vieles ermöglicht. Keine Danksagung könnte angemessen sein für das, was ich ihnen zu verdanken habe.

Nürnberg, im Oktober 2016

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André Weiß

Inhaltsverzeichnis Rn.

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Vorwort ................................................................................................................ V Literaturverzeichnis ......................................................................................... XV A. Das Gläubigerschutz- und Haftungssystem in der Kapitalgesellschaft – Gang der Arbeit ............................................ 1 ........ 1 I. Geschäftsführerhaftung am Rande der Insolvenz ............................... 1 ........ 1 II. Gang der Arbeit .................................................................................. 6 1. Die Abstimmung von Haftungskonzepten als Auslegungshilfe für die Zahlungsverbote ................................................................ 7 2. Abstimmung mit der Insolvenzanfechtung? ............................... 12 3. Einschränkung des Betrachtungsgegenstandes ........................... 18

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht – Richtwert und Grenzen der Auslegung ........................................ 20 ...... 11 I. Schutzobjekt und -subjekt: Die kapitalgesellschaftsrechtliche Besonderheit des „mittelbaren“ Gläubigerschutzes .......................... 21 ...... 11 II. Masseerhaltung und -restitution ........................................................ 30 1. Masseerhaltung als „Mantra“ des kapitalgesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes ...................................................................... 30 2. Verbot von Masseschmälerungen, insbesondere durch „Zahlungen“ des Geschäftsführers und Begründung von Neuverbindlichkeiten ................................................................. 34 a) Zahlungsbegriff in § 64 S. 1 GmbHG .................................. 35 b) Schadensproblematik ........................................................... 39 c) Schutzzweck der Masseerhaltung und die Begründung von Verbindlichkeiten ................................................................. 48 d) Schutz gegen erleichterte Eingriffsbefugnisse der Gesellschafter ....................................................................... 57 3. Vorlaufender Masseschutz? ........................................................ 63 a) Masserhaltung durch Insolvenzanfechtung .......................... 64 b) Masseschutz bei der Haftung für die Verursachung der Insolvenz? ...................................................................... 71 4. Veränderung des Wertes der Masse ........................................... 75 5. Zwischenergebnis ....................................................................... 78

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III. Die par conditio creditorum als grundlegender Normzweck des Haftungssystems ......................................................................... 81 1. Gläubigergleichbehandlung als Ausstrahlungswirkung des nachfolgenden Insolvenzverfahrens ........................................... 81 2. Gläubigergleichbehandlung für Alt- und Neugläubiger? ........... 86 3. Gläubigergleichbehandlung außerhalb des (hypothetischen) Insolvenzverfahrens .................................................................... 90 4. Gläubigergleichbehandlung und Vorabbefriedigung – ein Spiegelbild? .......................................................................... 93 5. Zwischenergebnis ..................................................................... 100 IV. Insolvenzprophylaxe, genuines Bestandsinteresse der Gesellschaft und Vermögensstrukturschutz ........................................................ 1. Bestandsinteresse der Gesellschaft als Schutzzweck? .............. 2. Gläubigerinteressen als „kanalisiertes“ Bestandsinteresse ....... 3. Änderung des Gesellschaftszwecks bei Eintritt der Insolvenzreife ........................................................................... a) Die Wandlung von der abstrakten zur konkreten Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens ...................... b) Zeitpunkt der Zweckänderung ........................................... 4. Anpassung der Pflichten der Leitungsorgane ........................... 5. Änderung des Gesellschaftszwecks und Auswirkung auf die Schadensproblematik .................................................... 6. Insolvenzprophylaxe als Schutzzweck ..................................... a) Vermeidung der Insolvenz vs. Vermeidung der Zerschlagung von wirtschaftlichen Werten ........................ b) Solvenztest und wrongful trading als konzeptionelles Gegenstück zum deutschen Recht ...................................... c) § 64 S. 3 GmbHG als erste geschriebene Norm des Bestandsschutzes im deutschen Rechtskreis ...................... d) Vermögensstrukturschutz und Insolvenzprophylaxe im neuen § 64 S. 3 GmbHG ............................................... e) Zwischenergebnis ...............................................................

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V. Beendigung des werbenden Verkehrs der Gesellschaft: Schutz des Rechtsverkehrs vor insolventen Gesellschaften ....................... 155 ...... 66 VI. Grenze des Schutzbereichs: Bereicherung der Gläubiger ............... 159 ...... 67 VII. Ergebnis: Normzwecke des Haftungssystems ............................... 166 ...... 69 VIII. Vermögensverlagerungsschutz und Vermögensstrukturschutz im Haftungssystem ......................................................................... 167 ...... 70 1. Vermögensverlagerungsschutz ................................................. 170 ...... 71 2. Vermögensstrukturschutz ......................................................... 172 ...... 72 VIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes – Versuch einer Gesamtbetrachtung ............................................................. 175 ...... 73 I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG? ................................................. 1. Entstehungsgeschichte der Zahlungs-Verbote .......................... a) Der Zahlungsbegriff in § 64 S. 1 GmbHG ......................... i) Rückverfolgung des Zahlungsbegriffs in § 64 S. 1 GmbHG in der Gesetzgebungsgeschichte .................... (1) Die Wurzeln des Zahlungsbegriffs ........................ (2) Folgerungen ........................................................... (3) Weitere Entwicklung der Normen im GmbHG und AktG ............................................................... ii) Rezeption des Zahlungsbegriffs ................................... (1) Stellungnahmen im Vorfeld der Gesetzgebung: Ein „Schadensersatz ohne Schaden“ ...................... (a) Gesetzgebungsmaterialien ............................... (b) Gutachten im Umfeld der Beratungen ............. (2) Rezeption in Rechtsprechung und Literatur .......... iii) Ergebnis ....................................................................... b) Die Schutzgesetzeigenschaft des § 15a InsO = § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. ........................................................... 2. Haftungsnormen der verschiedenen Rechtsformen im Verhältnis zueinander ...............................................................

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II. Der Dualismus der Schadensermittlung: Fortführung des Schadensproblems im Recht der Vermögensverlagerung ............... 232 ...... 94 III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“: Die Schadensursachen als Anknüpfungspunkt der Geschäftsleiterhaftung in § 64 S. 1 GmbHG ................................................................................... 243 1. Einheits- und Trennungslehren: Schadensersatz oder „Ersatzanspruch eigener Art“? ................................................. 244 a) Einheits- und Trennungslehren im Überblick .................... 245 b) Unterschiede und Austausch der traditionellen Argumentationsmuster ....................................................... 251 c) Insbesondere: Die unterschiedliche Methode der Bestimmung des verschleppungsbedingten „Schadens“ .... 259 d) Einheitslehren: Wirtschaftliche Gegenbewegungen und Gesamtsaldierung ........................................................ 264 2. Umfang und Grenzen des Zahlungsbegriffs auf Basis der herrschenden Trennungstheorie .......................................... 270 a) Grenzen des herkömmlichen Zahlungsbegriffs (I): Debitorisches Konto ........................................................... 271

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i) Grundsätze der Zahlungen beim debitorischen Konto – Rechtsprechungsübersicht .............................. ii) Kritik aus Praxis und Schrifttum .................................. iii) Praxistauglichkeit der Rechtsprechung: Abgleich mit den zugrunde liegenden Normzwecken ................. b) Grenzen des herkömmlichen Zahlungsbegriffs (II): Berücksichtigung der Gegenleistung .................................. c) Grenzen des herkömmlichen Zahlungsbegriffs (III): Komplexe Geschäftsvorfälle und Wertveränderungen der Masse ........................................................................... 3. Rechtspolitische Aspekte und Zwischenergebnis ..................... IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO – eigenständiger Schadensersatz im Recht des Vermögensverlagerungsschutzes? ................................. 1. Die Insolvenzverschleppungshaftung als zweites Standbein der Geschäftsleiter-Haftung ...................................................... a) Die Insolvenzverschleppungshaftung im Konzept der herrschenden Meinung ................................................. b) Abgrenzung zur Haftung für Zahlungen nach § 64 S. 1 GmbHG: Konkurrenzen nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ...................................................... 2. Die Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern ........... a) Die Abstufung zwischen Quotenschaden und Vertrauensschaden ............................................................. b) Die Insolvenzverschleppungshaftung als „totes Recht“ ..... c) Insbesondere: Kein Quotenschaden für Neugläubiger? ..... i) Stand in Wissenschaft und Rechtsprechung ................ ii) Stellungnahme ............................................................. 3. Die Schutzzweckeigenschaft des § 15a InsO ........................... a) Schutzzweckeigenschaft des § 15a InsO – Stand in Rechtsprechung und Literatur ........................................ b) Kritische Würdigung und Diskussion ................................ c) Sperrwirkung des § 64 S. 1 GmbHG gegenüber der Insolvenzverschleppungshaftung: Die Lösung des Konkurrenzverhältnisses .................................................... d) § 15a Abs. 1 InsO als Schutzgesetz lediglich für die Neugläubiger .......................................................... 4. Zwischenergebnis: Integriertes Konzept aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung ................................

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V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs im Recht der Vermögensverlagerung ............................................. 376 .... 154

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1. Konkurrenz zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der organschaftlichen Schadensersatzhaftung nach § 43 Abs. 2, 3 GmbHG .................................................................................... 377 2. Einordnung der organschaftlichen Haftung in ein integriertes Haftungskonzept des Gesamtgläubigerschadens ...................... 383 a) Unterschiedliche Schutzrichtung der Normen? .................. 384 b) Entfall der Haftung durch Gesellschafterweisungen? ........ 388 c) Verschuldensmaßstab, Beweislast, Business Judgement Rule und allgemeine Verlustdeckungshaftung als relevante Unterschiede der Haftungsnormen? ................................... 395 d) Integriertes Haftungssystem aus organschaftlicher Haftung und § 64 S. 1 GmbHG .......................................... 403 3. Konkrete Schadensberechnung des verschleppungsbedingten Gesamtgläubigerschadens ........................................................ 405 a) Berechnungsprobleme des verschleppungsbedingten Schadens und ihre Lösung in den Konzepten von Altmeppen und K. Schmidt ................................................ 405 b) Die Kaskade der Schadensberechnung ............................... 411

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VI. Ergebnis .......................................................................................... 418 .... 170 D. Schutz der Vermögensstruktur – Verursachung der Insolvenz als Anknüpfung der Haftung ....................................................... 428 .... 173 I. Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes: Unabgestimmte Voraussetzungen und Divergenz bei den Haftungsschuldnern ........................................................................ 1. Der neue § 64 S. 3 GmbHG – Sinn und Zweck der Regelung ............................................................................ 2. § 64 S. 3 GmbHG als Ergänzung der Kapitalerhaltungsvorschriften? ............................................................................. a) Grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Normen? ................................................................. b) Fundamentale Unterschiede im Zahlungsbegriff ............... c) Rechtsfolge der Ansprüche ................................................ d) Zwischenergebnis ............................................................... 3. Finaler Zusammenhang zwischen Zahlung und Insolvenzreife: Die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung ...................................................................... a) Mittelbarer Gläubigerschutz im Gewand unterschiedlicher tatbestandlicher Konstruktionen ......................................... b) Deliktische vs. insolvenzrechtliche Regelung .................... c) Unterschiedliche Rechtsfolge .............................................

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II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote ........................ 1. Determinierung des Zahlungsbegriffs durch § 64 S. 1 GmbHG? ........................................................................... 2. § 64 S. 3 GmbHG – Objektiver Tatbestand ohne Anwendungsbereich? ............................................................... a) § 64 S. 3 GmbHG ohne nennenswerten Anwendungsbereich? ......................................................... b) Gesellschafterforderungen in der Zahlungsbilanz .............. 3. Übernahme der Rechtsfolge von § 64 S. 1 GmbHG? ............... a) Unterschiede in der für S. 1 und S. 3 anzuwendenden Argumentation ................................................................... b) Rechtspolitische Erwägungen ............................................ III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG .................................................. 1. Der Zusammenhang zwischen Zahlung bzw. Eingriff und Insolvenzreife – Der objektive Tatbestand der beiden Haftungskonzepte ..................................................................... a) Existenzvernichtungshaftung ............................................. i) Sittenwidriger Eingriff ................................................. ii) Verursachung der Insolvenz ......................................... iii) Abgleich mit dem Schutzzweck ................................... b) Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG .......................................... i) Zahlungsbegriff bei S. 3: Inhalt und Normzweck des Zahlungsverbots .................................................... ii) Kausalzusammenhang zwischen Zahlung und Insolvenz ............................................................... iii) Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG ............................ c) Einheitliches Schutzkonzept des § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung ................................ 2. Die Rechtsfolge des Anspruchs: Schaden der Gesellschaft vs. Rückerstattung von Zahlungen ........................................... a) Etablierung eines Schadens „der Gesellschaft“ durch das Trihotel-Konzept .......................................................... b) „Quotenschaden“ bei der Existenzvernichtungshaftung? ... c) Alternatives Modell der Schadensberechnung bei der Existenzvernichtungshaftung ............................................. i) 1. Stufe: Gesamtgläubigerschaden ab Eingriff des Gesellschafters ............................................................. ii) 2. Stufe: Aussonderung der nicht eingriffsbedingten Bestandteile des Schadens ........................................... iii) Zwischenergebnis ........................................................ d) Übertragbarkeit auf § 64 S. 3 GabHG? .............................. XII

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3. Der subjektive Tatbestand: Vorsatzerfordernis bei der Existenzvernichtungshaftung und der Gehilfenhaftung nach § 830 Abs. 2 BGB ............................................................ 4. Die organschaftliche Haftung der Geschäftsleiter für existenzvernichtende Eingriffe ................................................. a) Existenzvernichtung als ausschließliches Sonderdelikt der Gesellschafter? ............................................................. b) Schaden der Gesellschaft ................................................... c) Verschuldensmaßstab bei der Geschäftsführerhaftung ...... d) Ergebnis: Integriertes Konzept einer einheitlichen Haftung der Geschäftsleiter für existenzvernichtende Eingriffe ............................................................................. i) Haftungsgrundlage und Schadensberechnung ............. ii) Tatbestand der Haftung ................................................ iii) Anwendbarkeit des § 43 Abs. 3 GmbHG ..................... iv) Funktion des § 64 S. 3 GmbHG: Begründung eines Mindestschadens ..........................................................

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IV. Ergebnis: Integrierte Haftung der Geschäftsleiter für insolvenzverursachende Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen ................. 589 .... 233 E. Ausblick ......................................................................................... 593 .... 235 Stichwortverzeichnis ........................................................................................ 239

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Literaturverzeichnis Altmeppen, Holger Grundlegend Neues zum „qualifiziert faktischen“ Konzern und zum Gläubigerschutz in der Einmann-GmbH – Zugleich Besprechung des Urteils des BGH vom 17.9.2001 – II ZR 178/99 „Bremer Vulkan“, ZIP 2001, 1874, ZIP 2001, 1837 – 1847 Altmeppen, Holger Insolvenzverschleppungshaftung, Stand: 2001, ZIP 2001, 2201 – 2211 Altmeppen, Holger Zur Entwicklung eines neuen Gläubigerschutzkonzeptes in der GmbH – Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578, ZIP 2002, 1553 – 1563 Altmeppen, Holger Änderungen der Kapitalersatz- und Insolvenzverschleppungshaftung aus deutsch-europäischer Sicht, NJW 2005, 1911 – 1915 Altmeppen, Holger Zur vorsätzlichen Gläubigerschädigung, Existenzvernichtung und materiellen Unterkapitalisierung in der GmbH – Zugleich Besprechung BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, ZIP 2008, 1232, „Gamma“, ZIP 2008, 1201 – 1207 Altmeppen, Holger Persönliche Haftung des Aufsichtsrats für die Verletzung der Massesicherungspflicht der Geschäftsleiter – Zugleich Besprechung BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/09, ZIP 2010, 1988 – Doberlug, ZIP 2010, 1973 – 1979 Altmeppen, Holger Gegen „Fiskus-“ und „Sozialversicherungsprivileg“ bei insolvenzreife, in: Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag, 2011, S. 1 – 14 Altmeppen, Holger Haftungsrisiken für Organwalter im Vorfeld der Konzerninsolvenz – Zugleich Besprechung BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391, ZIP 2013, 801 – 810 Altmeppen, Holger Was bleibt von den masseschmälernden Zahlungen? – Zugleich Besprechung BGH v. 18.11.2014 – II ZR 231/13, ZIP 2015, 71, ZIP 2015, 949 – 956 Altmeppen, Holger Anmerkungen zum Urteil des BGH vom 8.12.2015, ZIP 2016, 364, ZIP 2016, 366 – 368

XV

Literaturverzeichnis

Altmeppen, Holger Konkurrenz zwischen Erstattungshaftung von Geschäftsleitern und Anfechtungsschuldnern bei verbotenen Zahlungen, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 3 – 6 Altmeppen, Holger/Roth, Günther Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – Kommentar, 8. Aufl., 2015, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Roth/Altmeppen, §… Altmeppen, Holger/Wilhelm, Jan Quotenschaden, Individualschaden und Klagebefugnis bei der Verschleppung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, NJW 1999, 673 – 681 Andres, Dirk/Leithaus, Rolf/Dahl, Michael (Hrsg.) Insolvenzordnung (InsO) – Kommentar, 3. Aufl., 2014, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Andres/Leithaus, § … Bamberger, Georg/Roth, Herbert (Hrsg.) Beck’scher Online-Kommentar BGB, 38. Edition, 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Beck-OK BGB, § … Baumbach, Adolf u. a. (Hrsg.) Handelsgesetzbuch, 36. Aufl., 2014, in den Fußnoten zitiert als [Bearbeiter], in: Baumbach/Hopt, § … Baumbach, Adolf/Hueck, Alfred (Hrsg.) GmbHG, 20. Aufl., 2013, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Baumbach/Hueck, § … Baumert, Andreas Anmerkung zum Urteil des BGH vom 20.9.2010 – II ZR 78/09, BeckRS 2010, 23778, FD-InsR 2010, 309586 Bayer, Walter/Habersack, Mathias (Hrsg.) Aktienrecht im Wandel, Band I, Entwicklung des Aktienrechts, 2007, in den Fußnoten [Bearbeiter], in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel Bayer, Walter/Lieder, Jan Darlehen der GmbH an Gesellschafter und Sicherheiten aus dem GmbHVermögen für die Gesellschaftsverbindlichkeiten, ZGR 2005, 133 – 153 Bayer, Walter/Lieder, Jan Ersatz des Vertrauensschadens wegen Insolvenzverschleppung und Haftung des Teilnehmers, WM 2006, 1 – 12 Becker, Bernhard/Janssen, Daniel/Müller, Stefan Stolpersteine für die Unternehmensführung in der Krise – Zusammenwirken von Finanzmarktkrise und Rechtsprechung auf IDW-Standards und die Haftung des Geschäftsführers und Dritter, DStR 2009, 1660 – 1665

XVI

Literaturverzeichnis

Bitter, Georg Zur Haftung des Geschäftsführers aus § 64 Abs. 2 GmbHG für „Zahlungen“ nach Insolvenzreife – Konzeptionelle Überlegungen aus Anlaß der BGHUrteile vom 29. November 1999 = WM 2000, 242 und vom 11. September 2000 = WM 2000, 2158, WM 2001, 666 – 672 Bitter, Georg Der Anfang vom Ende des qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns – Ansätze einer allgemeinen Missbrauchshaftung in der Rechtsprechung des BGH, WM 2001, 2133 – 2141 Bitter, Georg Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH – Teil 1, ZInsO 2010, 1505 – 1524 Bitter, Georg § 64 GmbHG – Neustart durch den Gesetzgeber erforderlich!, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 – 11 Böcker, Philipp/Poertzgen, Christoph Kausalität und Verschulden beim künftigen § 64 Satz 3 GmbHG, WM 2007, 1203 – 1208 Bork, Reinhard Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen verspäteten Konkursantrags – Besprechung der Entscheidung, BGHZ 126, 181, ZGR 1995, 505 – 528 Bork, Reinhard Einführung in das Insolvenzrecht, 7. Aufl., 2014 Bork, Reinhard/Schäfer, Carsten (Hrsg.) GmbHG – Kommentar zum GmbH-Gesetz, 3. Aufl., 2015, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Bork/Schäfer, § … Braun, Eberhard (Hrsg.) Insolvenzordnung (InsO) – Kommentar, 6. Aufl., 2014, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Braun, § … Breitenstein, Jürgen/Meyding, Bernhard GmbH-Reform: Die ‚neue‘ GmbH als wettbewerbsfähige Alternative oder nur ‚GmbH light‘?, BB 2006, 1457 – 1462 Brodmann, Erich Aktienrecht – Kommentar, 1928, in den Fußnoten abgekürzt als Brodmann, AktG, § … Brodmann, Erich Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – Kommentar, 2. Aufl., 1930, in den Fußnoten abgekürzt als Brodmann, GmbHG, § …

XVII

Literaturverzeichnis

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Emmerich, Volker/Habersack, Mathias/Schürnbrand, Jan Aktien- und GmbH-Konzernrecht – Kommentar, 8. Aufl., 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § … Engert, Andreas Solvenzanforderungen als gesetzliche Ausschüttungssperre bei Kapitalgesellschaften, ZHR 170 (2006), 296 – 335 Fleischer, Holger Aktienrechtliche Legalitätspflicht und „nützliche“ Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern, ZIP 2005, 141 – 152 Fleischer, Holger/Goette, Wulf (Hrsg.) Münchener Kommentar zum GmbHG Band 1, §§ 1 – 34 GmbHG, 2. Aufl., 2015 Band 2, §§ 35 – 52 GmbHG, 2. Aufl., 2016 Band 3, §§ 53 – 85 GmbHG, 2. Aufl., 2016 in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: MüKo GmbHG, § … Fleischer, Horst Erweiterte Außenhaftung der Organmitglieder im Europäischen Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht – Insolvenzverschleppung, fehlerhafte Kapitalmarktinformation, Tätigkeitsverbote, ZGR 2004, 437 – 479 Flume, Werner Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Geschäften nach Konkursreife der GmbH, ZIP 1994, 337 – 342 Freitag, Robert Insolvenzverschleppungshaftung als ausschließliche Außenhaftung – Zur Ökonomik der § 92 InsO, § 42 II 2 BGB, § 130a II 1 Var. 1 HGB, NZG 2014, 447 – 452 Frings, Arno Zum Begriff der Zahlung im Sinne des GmbHG § 64 Abs. 2 S. 1, GmbHR 2000, 184 – 185 Gehrlein, Markus Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771 – 796 Gehrlein, Markus Die Existenzvernichtungshaftung im Wandel der Rechtsprechung, WM 2008, 761 – 769 Gehrlein, Markus Die Auslegung des § 64 GmbHG im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftsrecht und Insolvenzanfechtungsrecht, ZInsO 2015, 477 – 483

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Geißler, Markus Wertgedeckte und nicht wertgedeckte Zahlungen bei Insolvenzreife der GmbH, GmbHR 2011, 907 – 912 Gesmann-Nuissl, Dagmar Quo vadis GmbH? – zum Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), WM 2006, 1756 – 1764 Goette, Wulf Aktuelle Rechtsprechung zur GmbH – Kapitalschutz und Organhaftung, DStR 2003, 887 – 895 Goette, Wulf Zur systematischen Einordnung des § 64 Abs. 2 GmbHG, ZInsO 2005, 1 – 5 Goette, Wulf Wo steht der BGH nach Centros und Inspire Art?, DStR 2005, 197 – 201 Goette, Wulf Aktuelle Rechtsprechung des II. Zivilsenats zum Gesellschafts- und Insolvenzrecht, ZInsO 2007, 1177 – 1183 Goette Wulf Anmerkungen zum Urteil des BGH vom 18.10.2010, DStR 2011, 130 (Fleischgroßhandel), DStR 2011, 132 Goette, Wulf/Habersack, Mathias (Hrsg.) Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009 Goette, Wulf/Habersack, Mathias (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Aktiengesetz Band 2, §§ 76 – 117 AktG, 4. Aufl., 2014, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: MüKo AktG, § … Greulich, Sven/Brunnemann, Jan Geschäftsführerhaftung für zur Zahlungsunfähigkeit führende Zahlungen an die Gesellschafter nach § 64 II 3 GmbHG-RefE – Solvenztest im deutschen Recht?, NZG 2006, 681 – 687 Greulich, Sven/Rau, Thomas Zur partiellen Insolvenzverursachungshaftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 64 S 3 GmbHG-RegE, NZG 2008, 284 – 289 Grigoleit, Hans Christoph Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH: Dezentrale Gewinnverfolgung als Leitprinzip des dynamischen Gläubigerschutzes, 2006, in den Fußnoten abgekürzt als Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme, S. …

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Grigoleit, Hans Christoph (Hrsg.) Aktiengesetz – Kommentar, 2013, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Grigoleit, § … Haas, Ulrich Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz Unternehmerische Verhaltenspflichten des GmbH-Geschäftsführers zum Schutz Dritter, 1997, in den Fußnoten abgekürzt als: Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, S. … Haas, Ulrich Die Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung, WM 2003, 1929 – 1941 Haas, Ulrich Der Erstattungsanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG, NZG 2004, 737 – 745 Haas, Ulrich Kapitalerhaltung, Insolvenzanfechtung, Schadensersatz und Existenzvernichtung wann wächst zusammen, was zusammen gehört?, ZIP 2006, 1373 – 1382 Haas, Ulrich Die Berücksichtigung der Insolvenzquote im Rahmen des Haftungsanspruchs nach § 64 Abs. 2 GmbHG in: Haftung und Insolvenz – Festschrift für Gero Fischer zum 65. Geburtstag, 2008, S. 209 – 222 Haas, Ulrich Ist das Trihotel-Haftungsmodell Vorbild auch für andere dem Schutz der Gläubigergesamtheit dienende Haftungsansprüche?, ZIP 2009, 1257 – 1261 Haas, Ulrich Aktuelle Fragen zur Krisenhaftung des GmbH-Geschäftsführers nach § 64, GmbHG, GmbHR 2010, 1 – 8 Haas, Ulrich Gewährt die Haftungsnorm in § 64 Satz 3 GmbHG ein Leistungsverweigerungsrecht?, DStR 2010, 1991 – 1992 Haas, Ulrich § 64 S. 3 GmbHG – Erste Eckpunkte des BGH, NZG 2013, 41 – 46 Haas, Ulrich § 64 S. 1 GmbHG im (vorläufigen) Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren, ZHR 178 (2014), 603 – 627 Habersack, Mathias Trihotel – Das Ende der Debatte? – Überlegungen zur Haftung für schädigende Einflussnahme im Aktien- und GmbH-Recht, ZGR 2008, 533 – 559 Habersack, Mathias Anmerkungen zum Urteil des BGH v. 20.9.2010, JZ 2010, 1188 (Doberlug), JZ 2010, 1191 – 1192

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Habersack, Mathias/Foerster, Max Austauschgeschäfte der insolvenzreifen Gesellschaft – Zur Reichweite der Zahlungsverbote und zu den Folgen verbotener Zahlungen, ZHR 178 (2014), 387 – 418 Habersack, Mathias/Foerster, Max Debitorische Konten und Massezuflüsse im Recht der Zahlungsverbote – Besprechung der Entscheidungen BGH II ZR 100/13, BGH II ZR 231/13 und BGH II ZR 366/13, ZGR 2016, 153 – 184 Habersack, Mathias/Schürnbrand, Jan Cash Management und Sicherheitenbestellung bei AG und GmbH im Lichte des richterrechtlichen Verbots der Kreditvergabe an Gesellschafter, NZG 2004, 689 – 696 Habersack, Mathias/Schürnbrand, Jan Die Rechtsnatur der Haftung aus §§ 93 Abs. 3 AktG, 43 Abs. 3 GmbHG, WM 2005, 957 – 961 Habersack, Mathias/Verse, Dirk A. Wrongful Trading – Grundlage einer europäischen Insolvenzverschleppungshaftung?, ZHR 168 (2004), 174 – 215 Hachenburg, Max Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (früher Staub-Hachenburg), 5. Aufl., 1927, Zweiter Band Hachenburg, Max u. a. (Hrsg.) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) GroßKommentar 3. Band: §§ 53 – 87, 7. Aufl., 1984, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Hachenburg, § … Hahn, Friedrich Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 1. Aufl., 1863 Hahn, Friedrich Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., 1879 Haneke, Severin Ausgleichende Gegenleistungen im Rahmen von Organhaftungsansprüchen – Folgen des BGH-Urteils vom 18.11.2014 für die Anspruchsdurchsetzung im Insolvenzverfahren, NZI 2015, 499 – 503 Heitsch, Joachim Zur Haftung bei Insolvenzverschleppung: § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 AktG als Anspruchsgrundlagen – Zugleich Anmerkung zu Haas (ZIP 2009, 1257 ff.) und zu Poertzgen (ZInsO 2009, 401 ff.), ZInsO 2009, 1571 – 1577

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Hennrichs, Joachim Zur Zukunft der Kapitalerhaltung: Bilanztest – Solvenztest – oder beides?, Der Konzern, 2008, 42 – 50 Henssler, Martin/Strohn, Lutz (Hrsg.) Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Henssler/Strohn, § … Hirte, Heribert Neuregelungen mit Bezug zum gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutz und im Insolvenzrecht durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), ZInsO 2008, 689 – 702 Hirte, Heribert/Mülbert, Peter/Roth, Markus (Hrsg.) AktG – GroßKommentar Band 4/2 – §§ 92 – 94, 5. Aufl., 2015, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: GroßKomm AktG, § … Hölters, Wolfgang (Hrsg.) Aktiengesetz – Kommentar, 2. Aufl., 2014, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Hölters, AktG, § … Hölzle, Gerrit Gesellschafterfremdfinanzierung und Kapitalerhaltung im Regierungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007, 729 – 736 Hueck, Goetz u. a. (Hrsg.) Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, S. … Hüffer, Uwe/Koch, Jens Aktiengesetz, 12. Aufl., 2016, in den Fußnoten abgekürzt als Koch, in: Hüffer/ Koch, AktG, § … Joost, Detlev/Strohn, Lutz (Hrsg.) Handelsgesetzbuch Band 1: § 1 – 342e HGB, 3. Aufl., 2014, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § … Jungmann, Carsten Solvenztest versus Kapitalschutzregeln – Zwei Systeme im Spannungsfeld von Gläubigerschutz und Finanzierungsfreiheit der Kapitalgesellschaft, ZGR 2006, 638 – 682 Kayser, Godehard/Thole, Christoph (Hrsg.) Insolvenzordnung – Heidelberger Kommentar, 8. Aufl., 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Kayser/Thole, InsO, § …

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Keßler, Jürgen Die Durchgriffshaftung der GmbH-Gesellschafter wegen existenzgefährdender Eingriffe – Zur dogmatischen Konzeption des Gläubigerschutzes in der GmbH – Besprechung der Entscheidung BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 – KBV, GmbHR 2002, 902, mit Komm. Schröder, GmbHR 2002, 945 – 951 Kirchhof, Hans-Peter/Eidenmüller, Horst/Stürner, Rolf (Hrsg.) Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., 2013 Band 1: §§ 1 – 79 Band 2: §§ 80 – 216 InsO in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: MüKo InsO, § … Kleindiek, Detlef Geschäftsführerhaftung nach der GmbH-Reform, in: Festschrift für Karsten Schmidt: zum 70. Geburtstag, 2009, S. 893 – 907 Kleindiek, Detlef Die Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG – eine Zwischenbilanz, GWR 2010, 75 – 77 Kleindiek, Detlef Geschäftsführerhaftung in der Krise, in: Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, S. 617 – 631 Kleindiek, Detlef Zahlungsunfähigkeit und Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG – zugleich Anmerkungen zum Urteil des BGH v. 9.10.2012, BB 2013, 17, BB 2013, 19 Knapp, Christoph Auswirkungen des MoMiG auf Aktiengesellschaften und ihre Organmitglieder, DStR 2008, 2371 – 2375 Knittel, Christian/Schwall, Anne Plädoyer für eine praktische Handhabung des § 64 S. 1 GmbHG, NZI 2013, 782 – 786 Knof, Bela Die neue Insolvenzverursachungshaftung nach § 64 Satz 3 RegE-GmbHG (Teil I) sowie (Teil II), DStR 2007, 1536 – 1542 sowie 1580 – 1586 Kölbl, Angela Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs: gesicherte Erkenntnisse und Entwicklungen seit Trihotel, BB 2009, 1194 – 1201 Komo, Daniel Vermeidung von Haftungsrisiken für Geschäftsführer bei Gewährung von Upstream Securities, GmbHR 2010, 230 – 236

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Kruth, Claus-Peter Massebereicherung statt Massesicherung durch die Auslegung der insolvenzrechtlichen Zahlungsverbote in der BGH-Rechtsprechung? – Die Rechtsprechung des II. Zivilsenats im Blickwinkel (un-)angemessener Haftungsfolgen, NZI 2014, 981 – 987 Lamsdorff, Hans-Georg/Gilles, Peter Zur Haftung der GmbH-Geschäftsführer bei unterlassenem oder verzögertem Konkursantrag, NJW 1966, 1551 – 1552 Liebmann, J./Saenger, U. Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7. Aufl., 1927, in den Fußnoten abgekürzt als Liebmann/Saenger, GmbHG, § … Lutter, Marcus (Hrsg.) Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, ZGR-Sonderheft 17, 2006, in den Fußnoten zitiert als [Bearbeiter], in: Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, S…. Lutter, Marcus/Banerjea, Robert Die Haftung wegen Existenzvernichtung, ZGR 2003, 402 – 440 Lutter, Marcus/Hommelhoff, Peter (Hrsg.) Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, Kommentar, 18. Aufl., 2012, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Lutter/Hommelhoff, § … Lutz, Johann (Hrsg.) Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, I. Theil, 1858 Lutz, Johann (Hrsg.) Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, Beilagenband, 1858 Mayer-Landrut, Joachim/Miller, Fritz-Georg/Niehus, Rudolf/Scholz, Willi (Hrsg.) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) einschließlich Rechnungslegung zum Einzel- sowie zum Konzernabschluss: Kommentar, 1987, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Mayer-Landrut/Miller/Niehus, § … Meyer, Susanne Die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für Gläubigerinteressen – Veränderungen durch das MoMiG, BB 2008, 1742 – 1748

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Michalski, Lutz (Hrsg.) Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz), 2. Aufl., 2010 Band 1: §§ 1 – 34 GmbHG Band 2: §§ 35 – 85 GmbHG in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Michalski, § … Mülbert, Peter Zukunft der Kapitalaufbringung/Kapitalerhaltung, Der Konzern, 2004, 151 – 161 Müller, Gerd Zur Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers aus culpa in contrahendo und aus § 64 Abs. 1 GmbH – Eine Besprechung der Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 1. März 1993, ZIP 1993, 763 und vom 20. September 1993, ZIP 1993, 1543, ZIP 1993, 1531 – 1538 Müller, Gerd Zum Schutz der Neugläubiger nach § 64 GmbHG, GmbHR 1994, 209 – 212 Müller, Hans-Friedrich Haftung des Stiftungsvorstands wegen Insolvenzverschleppung, ZIP 2010, 153 – 159 Müller, Hans-Friedrich Masseverkürzung und Massezufluss im Regime der Zahlungsverbote, DB 2015, 723 – 728 Nassall, Wendt Der existenzvernichtende Eingriff in die GmbH – Einwendungen aus verfassungs- und insolvenzrechtlicher Sicht, ZIP 2003, 969 – 977 Nerlich, Jörg/Römermann, Volker (Hrsg.) Insolvenzordnung (InsO) – Kommentar, 29. Ergänzungslieferung, Januar 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Nerlich/Römermann, § … Niesert, Burkhard/Hohler, Anne Die Haftung des Geschäftsführers für die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen und ähnliche Leistungen – Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 64 S. 3 GmbHG, NZI 2009, 345 – 351 Noack, Ulrich Reform des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts: Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen, DB 2006, 1475 – 1483 Noack, Ulrich Zur Haftung des Aufsichtsrats für Zahlungen in der Insolvenzkrise der Gesellschaft, in: Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag, 2011, S. 345 – 354

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Nolting-Hauff, Wilhelm/Greulich, Sven Was von der Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers nach § 64 S. 3 GmbHG bleibt – Zugleich Besprechung von BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, GmbHR 2013, 169 – 176 Paefgen, Walter Existenzvernichtungshaftung nach Gesellschaftsdeliktsrecht – Besprechung des BGH-Urteils vom 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, S. 1802, DB 2007, 1907 – 1912 Palandt, Otto (Hrsg.) Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl., 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Palandt, BGB, § … Pape, Gerhard Zahlungsunfähigkeit in der Gerichtspraxis, WM 2008, 1949 – 1957 Poertzgen, Christoph Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006, in den Fußnoten abgekürzt als Poertzgen, Organhaftung, S. … Poertzgen, Christoph Die Geschäftsführerhaftung aus § 64 GmbHG de lege ferenda, ZInsO 2006, 561 – 568 Poertzgen, Christoph Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung bei GmbH & Co. KG, GmbHR 2006, 1182 – 1187 Poertzgen, Christoph Gesetzliche Neuverbindlichkeiten im Verschleppungszeitraum – Insoweit zugleich Anmerkung zu BGHZ 164, 50 ff. = ZInsO 2005, 1043 ff., ZInsO 2007, 285 – 292 Poertzgen, Christoph Anmerkungen zum Urteil des BGH vom 26.3.2007, NZI 2007, 418, NZI 2007, 420 – 421 Poertzgen, Christoph Die künftige Insolvenzverschleppungshaftung nach dem MoMiG, GmbHR 2007, 1258 – 1263 Poertzgen, Christoph Fünf Thesen zum neuen (alten) Überschuldungsbegriff (§ 19 InsO n. F.), ZInsO 2009, 401 – 408 Poertzgen, Christoph Organschaftliche Krisenpflichten – in der (Wirtschafts-)Krise?, ZInsO 2010, 785 – 791

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Poertzgen, Christoph Geschäftsführerhaftung aus § 64 Satz 1 GmbHG – Anwendungspraxis und rechtspolitische Kritik, ZInsO 2011, 305 – 313 Poertzgen, Christoph/Meyer, Benedikt Aktuelle Probleme des § 64 Satz 3 GmbHG, ZInsO 2012, 249 – 258 Raiser, Thomas/Veil, Rüdiger Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., 2015 Rauscher, Thomas/Krüger, Wolfgang (Hrsg.) Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen Band 1, §§ 1 – 354 ZPO, 4. Aufl., 2013 in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: MüKo ZPO, § … Renaud, Achilles Das Recht der Actiengesellschaften, 2. Aufl., 1875 Ritter, Carl Das Handelsgesetzbuch mit Ausschluss des Seerechts, 1910, in den Fußnoten abgekürzt als Ritter, Handelsgesetzbuch, § … Röck, Sarah Die Anforderungen der Existenzvernichtungshaftung nach „Trihotel“ – Eine Zwischenbilanz, DZWIR 2012, 97 – 103 Röhricht, Volker Die GmbH im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Dispositionsfreiheit ihrer Gesellschafter und Gläubigerschutz, in: Festschrift aus Anlaß des fünzigjährigen Bestehens von Bundesgerichtshof, Bundesanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, 2000, S. 83 – 122 Röhricht, Volker Insolvenzrechtliche Aspekte im Gesellschaftsrecht, ZIP 2005, 505 – 516 Roth, Günther Gläubigerschutz durch Existenzschutz, NZG 2003, 1081–1085 Rowedder, Heinz/Schmidt-Leithoff, Christian (Hrsg.) Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) – Kommentar, 5. Aufl., 2013, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, § … Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland/Oetker, Hartmut/Limperg, Bettina (Hrsg.) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Band 2, § 241 – 432, 7. Aufl., 2016, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: MüKo BGB, § …

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Saenger, Ingo (Hrsg.) Zivilprozessordnung – Handkommentar, 6. Aufl., 2015, in den Fußnoten abgekürzt als [Bearbeiter], in: Saenger, ZPO, § … Schall, Alexander Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz: Grund und Grenzen der Haftungsbeschränkung nach Kapitaldebatte, MoMiG und Trihotel, 2009, in den Fußnoten abgekürzt als Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. … Schanze, Erich Zur Durchgriffshaftung des beherrschenden Unternehmensgesellschafters beim qualifizierten faktischen GmbH-Konzern, AG 1993, 376 – 380 Schluck-Amend, Alexandra Die Insolvenzverursachungshaftung des GmbH-Geschäftsführers in: Festschrift für Peter Hommelhoff zum 70. Geburtstag, 2012, S. 961 – 984 Schmidt, Andreas/Poertzgen, Christoph Geschäftsführerhaftung (§ 64 S. 1 GmbHG) in Zeiten des ESUG, NZI 2013, 369 – 377 Schmidt, Andreas MoMiG aus insolvenzrechtlicher Sicht – ein Überblick über die Änderungen im GmbHG, ZInsO 2007, 975 – 979 Schmidt, Karsten Konkursantragspflichten bei der GmbH und bürgerliches Deliktsrecht – anktions- und Koordinationsprobleme um § 64 GmbHG, JZ 1978, 661 – 666 Schmidt, Karsten Verbotene Zahlungen in der Krise von Handelsgesellschaften und die daraus resultierenden Ersatzpflichten – Insolvenzrechtliche Brotvermehrung durch Klagen nach § 64 Abs. 2 GmbHG (§§ 92 AktG, 130a, 177a HGB, 99 GenG)?, ZHR 168 (2004), 637 – 672 Schmidt, Karsten Übermäßige Geschäftsführerrisiken aus § 64 Abs 2 GmbHG, § 130a Abs 3 HGB – Eine Kritik der Praxis zu den Zahlungsverboten bei Insolvenz einer GmbH oder GmbH & Co KG, ZIP 2005, 2177 – 2185 Schmidt, Karsten Reform der Kapitalsicherung und Haftung in der Krise nach dem Regierungsentwurf des MoMiG – Sechs Leitsätze zu § 30 GmbHG-E, § 64 GmbHG-E und § 15a InsO-E GmbHR 2007, 1072 – 1080

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A. Das Gläubigerschutz- und Haftungssystem in der Kapitalgesellschaft – Gang der Arbeit I.

Geschäftsführerhaftung am Rande der Insolvenz

Die Haftung der Geschäftsleiter beim Abgleiten der Gesellschaft in die Insolvenz 1 ist seit nunmehr 120 Jahren ein kapitalgesellschaftsrechtlicher Dauerbrenner. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich Gesellschafter und Geschäftsführer in diesem Stadium einem nicht zu unterschätzenden Haftungsrisiko ausgesetzt sehen. Denn die dem Wesen der juristischen Person immanente Abschirmung des privaten Vermögens von den Verbindlichkeiten der Gesellschaft beschränkt den Zugriff der Gläubiger auf das Vermögen der Gesellschaft. Nach traditioneller Konzeption des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts besteht außerhalb einer Krisensituation damit der Schutz der Gläubiger der Gesellschafter im Wesentlichen in der Aufbringung und Erhaltung des als „Verlustpuffer“ oder Befriedigungsreserve1) bezeichneten Stammkapitals der Gesellschaft. Daran hat der Gesetzgeber auch trotz intensiver Kritik und mannigfacher Einflüsse aus dem Ausland festgehalten2). Bei Eintritt der materiellen Insolvenz kommt diese Abschirmung jedoch ins Wanken und begründet eine nicht zu unterschätzende Haftungsfalle: Wo Gesellschafter und Geschäftsleiter vorher sicher sein konnten, dass ihre Handlungen nur in absoluten Ausnahmefällen haftungsbegründend wirken konnten, bestehen nunmehr nicht zu unterschätzende Haftungsgefahren. Diese gesetzlichen oder richterrechtlichen Anordnungen basieren allesamt auf dem Grundgedanken, dass ab dem Eintritt der Krise die Gesellschafter oder Geschäftsführer die Geschicke der Gesellschaft nicht mehr autonom nach ihrem Gutdünken und ihren wirtschaftlichen Interessen steuern dürfen, sondern nunmehr die nachrangige Haftung des Eigenkapitals in der sich abzeichnenden Insolenz der Gesellschaft bereits vorgreift. Die Vorschrift des § 64 GmbHG als zentrale und wichtigste Haftungsnorm3) gegen 2 die Geschäftsleiter blickt auf eine 120-jährige Geschichte zurück, in der die Norm im Kern nicht verändert worden ist. Der Sache nach kann ihre Geschichte sogar mehr als 150 Jahre zurückverfolgt werden. Dennoch ist – so kann man mit Fug und Recht behaupten – die Norm weit davon entfernt „zur Ruhe“ gekommen zu sein. Durch die jüngste Rechtsprechung zur Insolvenzverschleppungshaftung ist sie vielmehr erst seit 1998 aus einem hundertjährigen „Dornröschenschlaf“ erwacht und feiert seitdem eine „wundersame Erweckung“4). Der in den letzten Jahren beo___________ 1) 2) 3) 4)

Vgl. nur Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 15 m. w. N. Vgl. dazu nur Mülbert, Der Konzern 2004, 151 ff sowie Schön, Der Konzern, 2004, 162 ff sowie der anschließende Diskussionsbericht. Statt vieler: Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1511 f). Bitter, WM 2001, 666 f sowie mit genau dieser Formulierung K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1402).

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A. Das Gläubigerschutz- und Haftungssystem in der Kapitalgesellschaft

bachtete sprunghafte Anstieg von obergerichtlichen Urteilen und wissenschaftlichen Stellungnahmen zu den „Zahlungsverboten“ des Geschäftsführers reißt auch in letzter Zeit nicht ab5). In jüngster Zeit hat sich auch der EuGH mit der Norm befasst und in der Sache Kornhaas6) bekundet, einer Anwendung des § 64 GmbHG auch auf EU-Auslandsgesellschaften stünde die Niederlassungsfreiheit der Artt. 49 und 54 AEUV nicht entgegen. Mit einem baldigen Abreißen des Stromes an Stellungnahmen und neuen Urteilen dürfte kaum zu rechnen sein.

3 Zudem bringen auch gesetzgeberische Neuordnungen das Haftungskonzept des § 64 GmbHG in Bewegung. Der durch das MoMiG 2008 eingefügte neue § 64 S. 3 GmbHG wurde gar als gänzlich neues Gläubigerschutzkonzept bezeichnet7). Während auf Basis des § 64 Abs. 1 und 2 GmbHG a. F. eine Haftung erst mit Eintritt der Insolvenzreife greifen konnte und alle Zahlungen erstattet werden mussten, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar waren, ordnet S. 3 „[d]ie gleiche Verpflichtung“ nunmehr auch für Zahlungen an, die „zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten“. Selbst die Gesetzesbegründung gibt zu, dass hier ein Teilbereich der sog. Existenzvernichtungshaftung explizit geregelt ist8) – einer jedoch spezifisch an die Gesellschafter gerichteten Haftung wegen Herbeiführung der Insolvenz der Gesellschaft. Auch diese Haftung kann bereits vor dem tatsächlichen Eintritt der Insolvenzreife greifen und die Gesellschafter zum Ersatz des insolvenzbedingten Differenzschadens der Gläubiger verpflichten.

4 Alleine diese Parallelen zeigen, dass dem GmbHG – nicht anders als den parallelen Normen im AktG und HGB – ein einheitliches Haftungskonzept fehlt. Vielmehr bestehen die Haftungsnormen beim Übergang der Gesellschaft in die Insolvenz aus einem eher unverbundenen und wirren Sammelsurium an verschiedenen Regelungen und unabgestimmten Konzepten. Insofern tummeln sich Ansprüche im Außenund Innenverhältnis, Schadensersatz- und Erstattungsansprüche, Gesellschafterund Geschäftsführerhaftungen – kurzum: Das Haftungs- bzw. Gläubigerschutzsystem ist eher ein gewachsenes, weniger ein geplantes. Beim Gläubigerschutz- und

___________ 5)

6)

7) 8)

2

Vgl. dazu nur die umfassende Stellungnahme von Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff zu den grundlegend neuen Urteilen BGH ZIP 2014, 1523 = NZG 2014, 1069; BGHZ 203, 218 = NZG 2015, 149 sowie BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 = NZG 2015, 998, die eine Ergänzung des erst gut ein Jahr vorher veröffentlichten Aufsatzes ders., ZHR 178 (2014), 387 nötig machten. Vgl. EuGH NJW 2016, 233 (Rz. 22 ff, insbesondere 28) = ZIP 2015, 2468; Vorlage durch den BGH ZIP 2015, 68 = NZG 2015, 101; zu letzterer Servatius, DB 2015, 1087 ff; nunmehr die Abschlussentscheidung des BGH ZIP 2016, 821 = NZG 2016, 550. Vgl. nur Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457 (1462); Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (963) sowie weitere Nachweise unten unter B.IV.6.c. und d. sowie unter D.I.1. Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte.

I. Geschäftsführerhaftung am Rande der Insolvenz

Haftungssystem des GmbH-Rechts9) handelt es sich somit weder um ein lückenloses noch um ein in seiner Gesamtheit kohärentes Schutzsystem. Es stellt ein aus verschiedenen Regelungsmaterien zusammengesetztes System an Einzelnormen dar, die sich mit beträchtlichen Friktionen ergänzen und überlagern. 

In der wissenschaftlichen Diskussion wird jedoch erstaunlich oft nur an einer singulären Einzelnorm bzw. einem Haftungstatbestand angesetzt und die Konkurrenzen zu anderen Anspruchsgrundlagen und Haftungssystemen vernachlässigt. Die Suche nach einer richtigen und kohärenten Deutung als Gesamtsystem, die alle Belange der Materie in sich vereint, keine Schutzlücken lässt, aber gleichzeitig eine in der Praxis einfach zu handhabende Regelung bereitstellt kann bislang lediglich als gescheitert angesehen werden und gleicht der Suche nach dem Stein der Weisen: Bisher stehen die Haftungs- und Gläubigerschutznormen an vielen Stellen unverbunden und bruchstückhaft nebeneinander. Exemplarisch seien erwähnt:



Ein Geschäftsführer, der der Gesellschaft gegenüber für jede „Zahlung“ an Gläubiger in der Zeit nach Eintritt der Insolvenzreife nach § 64 S. 1 GmbH haftet, kann anschließend nochmals von den Gläubigern der Gesellschaft auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO wegen Verringerung der Masse in Anspruch genommen werden. Eine solche Anspruchskumulation10) von verschiedenen Berechtigten wird in praxi nur dadurch vermieden, dass die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO (für den Geschäftsführer: glücklicherweise) nicht beweisbar und daher „totes Recht“ ist.



Theoretisch müsste der Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber wohl sogar noch ein drittes Mal haften: Denn unstreitig verletzt ein Geschäftsleiter, der die Insolvenz des Unternehmens verschleppt, auch seine organschaftliche Geschäftsführerpflicht und wäre damit der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 GmbHG grundsätzlich zum Schadensersatz verpflichtet. Da aber die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG von der herrschenden Auffassung als reiner Erstattungsanspruch angesehen wird, könnte sich zwischen beiden Normen ein empfindlicher Überschneidungsbereich ergeben, der zur erneuten Anspruchskumulation führt.



Aber auch im Vorfeld der Insolvenz ist für den Geschäftsführer Ungemach zu erwarten: Ein Geschäftsleiter, der auf Anweisung oder zusammenwirkend mit einem und zu Gunsten eines Gesellschafters einen Eingriff in Vermögensposi-

___________ 9) Nicht anders sieht die Situation beim Aktienrecht und dem Recht der GmbH & Co. KG aus. Im Folgenden wird der Schwerpunkt auf das GmbH-Recht gelegt, während Parallelen oder Abweichungen bei den anderen Rechtsformen lediglich reflexiv behandelt werden. 10) Von einem „nicht abgestimmte[n] Dualismus von (Innen-)Haftung gegenüber der Gesellschaft … und (Außen-)Haftung gegenüber den Gläubigern“ spricht Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 6; ebenso Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 2.

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A. Das Gläubigerschutz- und Haftungssystem in der Kapitalgesellschaft

tionen der Gesellschaft tätigt, der schließlich zur Insolvenz der GmbH führt, haftet bei entsprechendem Vorsatz zunächst wegen Beihilfe zu einem existenzvernichtenden Eingriff gem. §§ 830 Abs. 2 i. V. m. 826 BGB der Gesellschaft auf Schadensersatz. Dieser besteht im Ergebnis im insolvenzbedingten Ausfall der Gläubigerforderungen. Sodann soll er aber – zumindest bei Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit – auf den Gegenstand des Eingriffs selbst haften, § 64 S. 3 GmbHG. Obwohl beide Haftungen auf demselben Vorgang beruhen, haben die beiden Haftungsbeträge nichts miteinander zu tun. 

Und schließlich der wohl häufigste Beispielsfall: Ein Geschäftsführer erhält trotz finanzieller Krise der Gesellschaft mit äußersten Anstrengungen den Geschäftsbetrieb aufrecht, lässt Waren oder Dienstleistungen herstellen und holt damit die Gesellschaft Stück für Stück aus der Krise heraus. Schließlich ist die Insolvenz aber doch unausweichlich, die zur Verteilung anstehende Masse ist aber höher, als sie ohne die Anstrengungen des Geschäftsleiters gewesen wäre. Und nunmehr droht dem Geschäftsführer auch noch für die Beschaffung von Roherzeugnissen und dem Verkauf von Waren die Haftung aus § 64 GmbHG – in der Regel in horrender Höhe.

5 Allein diese Beispiele zeigen, dass die Haftungsnormen des GmbH-Rechts teilweise weder in sich selbst noch als Gesamtsystem zu sinnvollen Ergebnissen führen. Dreh- und Angelpunkt der Geschäftsführerhaftung ist der § 64 GmbHG, der auch den zentralen Fokus dieser Arbeit ausmachen wird. Sein Verhältnis zu anderen Anspruchsgrundlagen ist der Kern der hier vorgelegten Stellungnahme.

II. Gang der Arbeit 6 Bei der Fülle an wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Problemkreis ist es schwer vorstellbar, dass eine bestimmte Deutung, ein Regelungszusammenhang, ja gar ein einzelner Aspekt einer der relevanten Normen nicht bereits hinreichend wissenschaftlich kommentiert und ausgearbeitet wurde. Insofern besteht die berechtigte Frage, welchen Beitrag die vorliegende Arbeit noch leisten kann.

1.

Die Abstimmung von Haftungskonzepten als Auslegungshilfe für die Zahlungsverbote

7 Die Konzeption dieser Arbeit beruht weniger darauf, Antworten auf Einzelfragen zu suchen, bei denen bereits an anderen Stellen hinreichend der Versuch einer Lösungsfindung betrieben worden ist. Vielmehr besteht das Anliegen darin, Rückschlüsse aus der Gesamtschau der Regelungen zu ziehen, die in ihrer Summe beim Übergang der Gesellschaft vom werbenden Betrieb in die Insolvenz zum Tragen kommen. Sie versucht bei der Auslegung der einzelnen Normen nicht einfach die jeweilige Vorschrift isoliert vor Augen zu haben, sondern von einem „Gesamtsystem“ auszugehen. Die Normen werden also in den Gesamtkontext eingebunden

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II. Gang der Arbeit

und anhand ihrer jeweiligen Konkurrenzen und Überschneidungsbereiche untersucht. Das Vorgehen erfolgt dabei gleichsam in zwei Schritten: Zunächst (Teil B.) werden 8 die Norm- und Schutzzwecke des Gesamtsystems analysiert, mithin die Frage gestellt, was die Zielsetzung des Gesetzgebers darstellt11). Ganz bewusst soll dabei eine Unterteilung in die bestehenden Haftungssysteme gerade nicht stattfinden. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, die übergeordneten Zielsetzungen von Haftungsnormen gegen den Geschäftsführer beim Übergang in die Insolvenz darzulegen. Dabei werden sowohl Gemeinsamkeiten und gleichartige Zielsetzungen zwischen verschiedenen Haftungsregimen angesprochen, als auch offenkundige Widersprüche und Divergenzen. Im Ergebnis werden diese Untersuchungen zu einer groben, Normzweck-orientierten Untergliederung der verschiedenen Haftungsnormen führen, die als Basis für die Auslegung des § 64 GmbHG und seiner flankierenden Bestimmungen dienen soll. In einem zweiten Schritt werden ausgehend von diesen „gesamtheitlichen“ Er- 9 kenntnissen die einzelnen Normen und vor allem deren jeweilige Konkurrenzen untersucht, um daraus Rückschlüsse für die Auslegung zu ziehen. Die Zielsetzung soll dabei sein, aus einer systemischen Sicht heraus Hinweise für die richtige Auslegung von bestimmten Normen zu gewinnen. Prominentestes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Haftung aus § 64 S. 1 10 GmbHG, die von einer sehr unrühmlichen, weil weithin als nebulös wahrgenommenen und nicht genauer erforschten Überschneidung zur Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a InsO geprägt ist. Deren Gefüge ist in der Literatur, wie noch genauer darzulegen sein wird, nach wie vor nicht geklärt und durch die Rechtsprechung aus Mangel an relevanten Fällen noch gar nicht beleuchtet worden. Die vorliegende Arbeit wird jedoch die Frage aufwerfen, ob aus der Konkurrenz der beiden Haftungsregime eine zusätzliche oder vielleicht sogar zwingende Argumentationsbasis für die Interpretation einer der Normen abgeleitet werden kann. Im gerade angesprochenen Fall wird sich zeigen, dass eine friktionsfreie Deutung möglich ist, jedoch zu einem anderen Normverständnis zwingt (Teil C.). Der zweite wesentliche Bereich ist die oben bereits angesprochene Überschnei- 11 dung zwischen der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernichtungs___________ 11) Zugegebenermaßen besteht hier die Gefahr eines Zirkelschlusses: Die Erkenntnis, welche Norm- und Systemzwecke der Gesetzgeber verfolgt erhält man selbstverständlich nur aus den bereits rechtsprechungsseitig entwickelten und durch Auslegung determinierten Haftungssystemen. Insofern ist durchaus Vorsicht vor einem Zirkelschluss geboten. Die Ergebnisse des Teils B dieser Arbeit zeigen jedoch, dass eine solche Vorgehensweise nicht zwingend zum Auslegungsverständnis der h. M. zurückführen muss und durchaus eine übergreifende Argumentationsbasis ermöglicht.

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A. Das Gläubigerschutz- und Haftungssystem in der Kapitalgesellschaft

haftung, welche seit der Entscheidung Trihotel12) nunmehr auf § 826 BGB basiert. Für insolvenzbegründende Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen zu Gunsten eines Gesellschafters haftet der Geschäftsführer somit sowohl auf Erstattung des geleisteten Betrags aus § 64 S. 3 GmbHG als auch – bei Vorliegen von Vorsatz – aus der Gehilfenhaftung aus § 830 Abs. 2 i. V. m. § 826 BGB. Zudem müsste – was bisher in der Literatur nicht weiter beachtet wird – auch ein Anspruch aus § 43 Abs. 2 GmbHG gegeben sein. Auch hier gehen die Rechtsfolgen der Ansprüche in gänzlich unterschiedliche Richtungen: Während § 826 BGB und § 43 Abs. 2 GmbHG den Schaden der Gesellschaft liquidieren, wirft § 64 S. 3 GmbHG einen reinen Erstattungsanspruch aus. In welchem Verhältnis diese Ansprüche zueinander stehen, ist gänzlich unklar und Gegenstand der Diskussion in Teil D.

2.

Abstimmung mit der Insolvenzanfechtung?

12 Die soeben beschriebenen Normen stellen den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit dar. Unverkennbar knüpfen an die Krise bzw. die Insolvenz der Gesellschaft noch eine Reihe weiterer Normkomplexe an. Neben der Haftung aus § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG, der Existenzvernichtungs- und der Insolvenzverschleppungshaftung, fallen dabei insbesondere die Regeln der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff InsO sowie die Kapitalerhaltungsregeln in den Blick. Beide Bereiche werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit bei relevanten Fragen gestreift und bei den erforderlichen Bezügen nicht ausgeklammert, stellen jedoch keinen Hauptteil der Arbeit dar:

13 Die Ansprüche wegen Insolvenzanfechtung in §§ 129 ff InsO sind Haftungsnormen, die gerade ohne eine Haftung von Gesellschaftern oder Geschäftsführern auskommen und lediglich eine Rückgängigmachung des bereits vor der Antragstellung vollzogenen Vermögenstransfers ermöglichen. Einige Stellungnahmen der letzten Jahre haben gerade die Verwandtschaft des § 64 GmbHG zur Insolvenzanfechtung erörtert13). Insbesondere die Arbeiten von Thole14) leiten Auslegungshilfen für den Zahlungserstattungsanspruch aus § 64 GmbHG ab. Dies begründe sich insbesondere damit, dass die Rechtsfolge beider Ansprüche die Erstattung von „Zahlungen“ sei15). Auch nehme die Insolvenzanfechtung – genauso wie jetzt § 64 S. 3 – weitgehend die Zahlungsunfähigkeit in den Blick, nicht die Überschuldung16). ___________ 12) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (Trihotel); bestätigt durch die Nachfolgeentscheidungen BGHZ 179, 344 = NJW 2009, 2127 (Sanitary) und BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 (Gamma). 13) Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (423 ff); jetzt wieder Altmeppen, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, S. 3 ff zum Konkurrenzverhältnis aus Zahlungserstattung und Insolvenzanfechtung. 14) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 691 ff, insbesondere S. 701 f m. w. N. in Fn. 1824; vgl. auch Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 (1100 m. w. N.). 15) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 693. 16) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 703.

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II. Gang der Arbeit

Teilweise wird auch von „Schwestervorschriften“ zur Insolvenzanfechtung gesprochen17) oder gar von einer „Quasi-Anfechtung gegenüber dem falschen Anfechtungsgegner“18). Auch die Begründung des MoMiG stellt auf die Regeln der Insolvenzanfechtung ab19). Andererseits wurde in der Literatur aber auch eingewandt, dass die Erstattungs- 14 pflicht wegen Insolvenzanfechtung keinen restitutionsartigen Charakter gegenüber gerade dem Geschäftsführer habe, der die Zahlung ja nicht erhalten, sondern lediglich weggegeben hat20). Die Insolvenzanfechtung setze gerade nicht am Verlust des Schuldners, sondern am Empfang des Anfechtungsgegners an21). Insofern wird argumentiert, die Insolvenzanfechtung müsse gegen den Geschäftsleiter, und nicht wie tatsächlich gegen den Gläubiger gerichtet sein, § 143 Abs. 1 InsO22). Dagegen wird wiederum eingewandt, hier würde die Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsfolge behauptet, die in dieser Form nicht bestehe23). Vielmehr ergänzten sich die beiden Institute in ihren Rechtsfolgen24). Dennoch sei ein gewisser Gleichlauf mit den Anfechtungstatbeständen unverkennbar25). Letztlich sei für eine „pauschale Ausstrahlungswirkung“ des Anfechtungsrechts auf § 64 GmbHG aber kein Raum26). Teilweise wurde auch vertreten, dass der Zusammenhang zwischen Zahlungsver- 15 boten und Insolvenzanfechtung durch den neuen S. 3 gerade wieder verdeckt wür___________ 17) Haas, NZG 2004, 737 (738 ff); ders., ZIP 2006, 1373 ff; ders., in FS Gero Fischer, 2008, S. 209, (212 ff); Goette, DStR 2005, 197 (200); weiter betonen die Verwandtschaft zur Insolvenzanfechtung Kleindiek, in FS Schneider, 2011, S. 617 (620); Weller, Rechtsformwahlfreiheit, S. 267 ff; Poertzgen, Organhaftung, S. 227 – 232. 18) Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 71 (S. 101 f); dazu auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 Fn. 6, 7 m. w. N.; ähnlich auch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 703, nach dem § 64 GmbHG „anfechtungsrechtlich bekannte Pflichten auf die Leitungsorgane transferiert“. 19) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46, rechte Spalte. 20) Mit dieser Formulierung Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 187. 21) Vgl. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1402): bei einem Gleichlauf mit den Regeln der Insolvenzanfechtung würde man erwarten, dass die Zahlungen vom Empfänger herausgegeben werden müssten. 22) Bitter, WM 2001, 666 (669 Fn. 349); K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (654); ders., ZIP 2005, 2177 (2182); ders., GmbHR 2010, 1319 (1324 f). 23) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 702; vgl. auch (703): die Frage, warum § 64 GmbHG neben dem Anfechtungsrecht dann überhaupt noch erforderlich ist, sei eher eine rechtspolitische; insbesondere bestehe ein gesteigertes Schutzbedürfnis der Gläubiger nach Eintritt der materiellen Insolvenz und nach einem einfachen Vorgehen, wenn es um eine Vielzahl von Transaktionen und damit potentielle Haftungsgegner gehe. 24) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 702; zur Ergänzung des § 64 S. 3 GmbHG durch die Insolvenzanfechtung auch H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 179. 25) Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 187. 26) So im Ergebnis Casper, ZIP 2016, 793 (803), da die Wertungen des Anfechtungsrechts nicht ohne Anpassungen übertragen werden könnten.

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A. Das Gläubigerschutz- und Haftungssystem in der Kapitalgesellschaft

de27), da die neue Haftungsnorm auf das materielle Kriterium der Herbeiführung der Insolvenz abstellt und zudem nur die Gesellschafter taugliche Empfänger der Zahlung sein könnten. Auf diese beiden Kriterien wird im Laufe der Arbeit noch zurückzukommen sein. Zudem sieht der BGH in seinen neueren Stellungnahmen die dogmatische Anknüpfung für die Existenzvernichtungshaftung, an die der neue § 64 S. 3 GmbHG unzweifelhaft Anklänge mitbringt, jetzt im Deliktsrecht. Dies wirft die Frage auf, ob auch die Zahlungsverbote ebenfalls deliktisch anzuknüpfen sind.

16 Für die vorliegende Arbeit soll daher an dem Argument festgehalten werden, dass die Regeln der Insolvenzanfechtung einen Anspruch gegen einen anderen Anspruchsgegner, nämlich den Empfänger der Zahlung, gewähren und daher nicht für einen direkten Abgleich mit § 64 GmbHG herangezogen werden können. Auch die Haftung wegen Existenzvernichtung und Ansprüche aus § 30 GmbHG sind primär gegen die Gesellschafter gerichtet und nicht gegen die Geschäftsführer. Über die Gehilfenhaftung nach § 830 Abs. 2 GmbHG bzw. die Haftung nach § 43 Abs. 3 GmbHG besteht bei diesen Ansprüchen jedoch die Möglichkeit, sie auf den Geschäftsführer „umzuleiten“. Insofern besteht ein fundamentaler Unterschied zur Insolvenzanfechtung, bei der die Ansprüche lediglich restitutiven Charakter haben und nie gegen den Geschäftsführer gerichtet sein können.

17 Die Regeln der Insolvenzanfechtung werden daher in der vorliegenden Arbeit als argumentative Hilfe verwendet, ein Abgleich mit § 64 GmbHG wird aber nicht gesucht. Vielmehr werden sich § 64 GmbHG und die Insolvenzanfechtung in der Deutung dieser Arbeit eher voneinander entfernen.

3.

Einschränkung des Betrachtungsgegenstandes

18 Angemerkt sei noch, dass die hier vorliegende Arbeit ihren Fokus auf die GmbH richtet. Bei anderen Rechtsformen stellen sich in aller Regel dieselben Fragen, jedoch sind sie bei der GmbHG deutlich praxisrelevanter als bei der Aktiengesellschaft oder gar der Genossenschaft. Sofern sich jedoch aus den Regelungen bei anderen Rechtsformen, insbesondere aufgrund von abweichenden Formulierungen oder Haftungsmechanismen, Auslegungshilfen für die hier relevanten Fragestellungen ergeben, wird auch auf die anderen Rechtsformen Bezug genommen.

19 Zudem soll betont werden, dass das Insolvenzverfahren hauptsächlich als Abwicklungsverfahren in den Blick genommen wird. Die Insolvenzantragspflicht hat ua. den Sinn, insolvenzreife Kapitalgesellschaften zum Schutze der Gläubiger und der Allgemeinheit vom Markt zu nehmen. Auch wenn die Insolvenzordnung nunmehr als weiteres Verfahrensziel die Sanierung der Gesellschaften anspricht, bleibt es dennoch dabei, dass die Sanierung lediglich eine andere Form der Gläubigerbe___________ 27) Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 188.

8

II. Gang der Arbeit

friedigung ist28). Die in § 1 S. 1 a. E. InsO erwähnte Erhaltung des Unternehmens ist somit kein eigenständiges Verfahrensziel, sondern einer von mehreren Wegen der Gläubigerbefriedigung29): Erhaltung und Sanierung sind kein eigenständiges Ziel des § 1 InsO. Wenn in den folgenden Ausführungen vom Insolvenzverfahren gesprochen wird, liegt der Fokus daher im Allgemeinen auf der Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft.

___________ 28) Vgl. dazu Altmeppen, NJW 2005, 1911 (1914); durch die Einführung des Eigenverwaltungsund Schutzschirmverfahrens haben sich in Bezug auf § 64 GmbHG neue Problemstellungen ergeben, vgl. z. B. Haas, ZHR 178 (2014), 603 ff. 29) Haas, NZG 2004, 737 (742 Fn. 69) mit Verweis auf: Beschlussempfehlung und -bericht des Rechtsausschusses zu § 1, BT-Drucks. 12/7302, S. 155; vgl. auch ders., in Baumbach/Hueck, § 60 Rn. 42 m. w. N. in Fn. 184: der insolvenzrechtliche Abwicklungszweck in § 1 InsO ziele neben der Gläubigerbefriedigung auch auf die Vollabwicklung des Unternehmens – letzteres trete im Konfliktfall jedoch hinter hinter die Befriedigungsinteressen der Gläubiger zurück; Sternal, in: Kayser/Thole, InsO, § 1 Rn. 5: die Verwertung des Schuldnervermögens habe Vorrang, soweit keine abweichende Regelung in einem Insolvenzplan getroffen wurde.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht – Richtwert und Grenzen der Auslegung Im Folgenden sollen die übergeordneten Schutz- und Normzwecke des Gläubiger- 20 schutz- und Haftungssystems in der GmbH herausgearbeitet werden. Bewusst wird dabei eine Kategorisierung nicht hinsichtlich einzelner Anspruchsgrundlagen vorgenommen. Vielmehr werden die übergeordneten Regelungsmechanismen erfasst und zusammengehörende oder ähnliche Normzwecke gesamtheitlich dargestellt. Gleichzeitig soll bei den unterschiedlichen Zielsetzungen deutlich gemacht werden, welche Normen des Gläubigerschutz- und Haftungssystems die jeweilige Funktion primär übernehmen und in welchem Zusammenhang der Gesetzgeber die jeweiligen Normen sieht.

I.

Schutzobjekt und -subjekt: Die kapitalgesellschaftsrechtliche Besonderheit des „mittelbaren“ Gläubigerschutzes

Bei der Diskussion um den Schutzzweckcharakter von Haftungsnormen soll zu- 21 nächst auf ein allgemeines Prinzip hingewiesen werden, das als kapitalgesellschaftsrechtliche Besonderheit bezeichnet werden könnte: Tatsächlich zieht es sich wie ein roter Faden durch das gesamte Haftungssystem und liegt im Wesentlichen allen Innenhaftungsnormen zugrunde, erschwert jedoch auch deren Auslegung und dogmatische Einordnung: Der Gläubiger schützende Ansatz des Gesetzgebers besteht in der Regel darin, für die Erreichung eines bestimmten Schutzzwecks an der Gesellschaft als unmittelbarem Schutzobjekt anzusetzen, jedoch eigentlich die Gläubigergesamtheit zu schützen. Dies äußert sich insbesondere, wenn eine Haftungsnorm der Gesellschaft einen Schadensersatzanspruch für eine (verbotene bzw. zu vermeidende30) Handlung des Geschäftsführers gewährt, diese aber ausschließlich zum Schutz der Gläubiger im nachfolgenden Insolvenzverfahren dienen soll: Der Gläubigerschutz greift also „mittelbar“ über eine Anreicherung der Masse. Hier kommt insbesondere der Gedanke zum Tragen, dass Masseanreicherungen auf Ebene der Körperschaft durch deren obligatorische Auflösung und Liquidation im anschließenden Insolvenzverfahren zwangsläufig den Gläubigern zugute kommen. Paradebeispiel ist insofern die Erstattung von „Zahlungen“ nach § 64 S. 1 und 3 22 GmbHG31): Der Anspruch gegen den Geschäftsführer steht zunächst der Gesell___________ 30) Dass die Belegung einer Handlung mit einer Haftung nicht zwangsweise ein Verbot der Handlung bedeuten muss, wird in der Literatur mit fragwürdigen Erwägungen teilweise angenommen: vgl. Haas, NZG 2013, 41 (44); die ganz h. M. leitet aus der Haftungsnorm des § 64 GmbHG auch ein Zahlungsverbot ab: Poertzgen, Organhaftung, S. 214; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (662). In aller Regel wird in Bezug auf § 64 GmbHG wie selbstverständlich von den „Zahlungsverboten“ gesprochen; bei den anderen Gesellschaftsnormen wird das Verbzw. Gebot auch explizit im Gesetz geregelt, z. B. in § 92 Abs. 2 AktG und § 130a I S. 1 HGB. 31) Vgl. dazu nur K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 Fn. 4.

11

B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

schaft zu, dies jedoch lediglich deshalb, um im späteren Insolvenzverfahren der Gläubigergesamtheit zur Verfügung gestellt zu werden. In der Begründung zum heutigen § 64 S. 1 GmbHG haben die Entwurfsverfasser von 1892 bereits festgestellt: „Es genügt, daß der Ersatz zum gemeinen Nutzen aller Gläubiger an die Gesellschaft oder deren Konkursmasse geleistet wird.“32) Auch das Reichsgericht hat bereits den mittelbaren Gläubigerschutz anerkannt33) und in seinem Grundsatzurteil von 197434) formulierte der BGH sodann, es handle sich bei § 64 GmbHG „der Sache nach um eine Haftung gegenüber der Gläubigergesamtheit, die bei verspäteter Konkursanmeldung durch eine Verminderung der Konkursmasse infolge zwischenzeitlicher Befriedigung einzelner Gläubiger benachteiligt ist, wogegen die Gesellschaft selbst keinen Schaden erleidet, soweit lediglich ihre Schulden bezahlt werden.“ [Hervorhebungen durch den Verf.] Diese Sicht haben auch neuere Urteile unverändert beibehalten35). Das Gesetz typisiert insofern einen Gläubigerschaden und behandelt ihn normativ als Schaden der Gesellschaft36), in der Sache wird aber eine Vermögenseinbuße der Gläubiger liquidiert37). Obwohl die Gesellschaft Anspruchsberechtigte ist, gilt die Norm ausschließlich dem Schutz der Gläubigerinteressen38), indem Verminderungen der Insolvenzmasse durch Verschleppung oder Herbeiführung der Insolvenz ausgeglichen werden sollen. Der mittelbare bzw. reflexartige Gläubigerschutz durch die Innenhaftung der Geschäftsleiter soll damit mittelbar auch die par conditio creditorum im Insolvenzverfahren sicherstellen39).

23 Diese Interpretation entspricht der herrschenden Meinung, lässt jedoch auch Raum für abweichende Literaturstimmen. Eine der Hauptgründe, warum gerade die Deutung und dogmatische Ausrichtung des § 64 GmbHG im Schrifttum sehr umstritten ist, liegt bereits in der Frage, was genau das Schutzobjekt des § 64 GmbHG sein ___________ 32) Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Amtliche Ausgabe 1891, S. 110, Reichstagsvorlage vom 11.2.1892, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 8. Legislaturperiode, I. Session, 1890/92, 6. Anlagenband, Aktenstück Nr. 660, S. 3756. 33) RGZ 73, 30 (35); vgl. zum Aktienrecht auch RGZ 159, 211 (230). 34) BGH NJW 1974, 1088 (1089); die Formulierung, es handle sich um eine Haftung gegenüber der Gläubigergesamtheit findet sich bereits bei Hachenburg, in Staub/Hachenburg, 5. Aufl. 1927, 2. Band, § 64 Anm. 7. 35) BGHZ 187, 60 (64) = NJW 2011, 221 (Doberlug); ZIP 2011, 2097 (2101 bei Rn. 29) = NJWRR 2011, 1670; sowie jüngst der BGH wieder in der Vorlage zum EuGH in der Sache Kornhaas: BGH NZG 2015, 101 (102 Rz. 8) = ZIP 2015, 68. 36) Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 73 (S. 103); ebenso Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 699: Zweck sei die Bündelung der Ansprüche der Gläubiger in einem geregelten Insolvenzverfahren. 37) Poertzgen, Organhaftung, S. 227. 38) So die h. M.: vgl. aus der neueren Rechtsprechung nur BGHZ 143, 184 (186) = NJW 2000, 668; zu § 93 AktG: BGH NJW 2009, 2454 = ZIP 2009, 860; aus dem Schrifttum K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 5; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 77. 39) Vgl. ausführlich Poertzgen, Organhaftung, S. 225 ff.

12

I. Schutzobjekt und -subjekt

soll: Sieht man den Schwerpunkt eher bei der Bewahrung und Festigung des Gesellschaftsvermögens, weniger beim reflexartigen Schutz der Gläubiger, kann man auch den Schutz der Gesellschaft als solchen als genuinen Schutzzweck des § 64 GmbHG bezeichnen40). Umgekehrt kann man mit der soeben dargestellten herrschenden Sicht auch „lediglich“ die Gläubiger als Schutzadressaten verstehen41), indem man die (zu liquidierende) Körperschaft lediglich als Mittlerin der Haftung ansieht. Auch für die Existenzvernichtungshaftung, mit ihrer durch die Entscheidungen 24 Trihotel und Sanitary42) durch den BGH festgelegten dogmatischen Verankerung als Innenhaftung über § 826 BGB ist anerkannt, dass der generelle Hauptzweck im Schutz der Gläubigerinteressen vor der Verminderung der Insolvenzmasse durch Verschleppung oder Herbeiführung der Insolvenz liegt: Die Haftung soll die Gläubiger schützen, nicht die Gesellschaft43). Der Gläubigerschutz wird nicht „direkt“ gewährt, sondern kanalisiert durch die Gesellschaft44): Während die Gesellschaft als Anspruchsberechtigte in § 64 GmbHG explizit erwähnt ist, hat der BGH in der kürzlichen Ausgestaltung der Existenzvernichtungshaftung sich explizit zur „Kanalisierung“ des Gläubigerschutzes über die Gesellschaft geäußert: Die Haftung setze an dem durch die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht (zur vorrangigen Befriedigung der Gläubiger vor den Gesellschaftern) verletzten Schutzobjekt an, mithin am Gesellschaftsvermögen und nicht etwa an der Gesamtheit der Gläubigerforderungen45). In beiden Fällen wird der intendierte Gläubigerschutz also durch eine Haftungskanalisierung bei der Gesellschaft erreicht. Inhaltlich nichts anderes wie für § 64 GmbHG und die Existenzvernichtungshaf- 25 tung gilt für die Kapitalerhaltungsvorschriften des §§ 30 f GmbHG46) und in gleicher Weise auch für § 43 Abs. 2 und 3 GmbHG. In gewisser Weise wurden diesen ___________ 40) In diese Richtung wohl Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (678); Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205 f) und so wohl ebenfalls OLG Hamm, ZIP 2012, 2106 = BeckRS 2012, 22840, die jedoch alle im Ergebnis doch wieder den zumindest reflexartigen Schutz der Gläubiger betonen; ablehnend hingegen K. Schmidt, ZIP 2005, 2177 (2182), der darauf hinweist, dass der Schutz ja der Gläubigergemeinschaft zugute kommen soll. 41) In diese Richtung wohl K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 bei Fn. 4. 42) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (Trihotel); BGHZ 179, 344 = NJW 2009, 2127 (Sanitary). 43) Ausführlich und mit umfangreichen Nachweisen: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 746 f; Haas, WM 2003, 1929 (1936 f); zwiegespalten insofern Altmeppen, ZIP 2008, 1201 (1204); das „Überlebensinteresse“ der Gesellschaft als Schutzzweck annehmend Goette, ZInsO 2007, 1177 (1182); kritisch insofern auch Bitter, WM 2001, 2133 (2139). 44) Vgl. statt vieler nur Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 608, sowie BGHZ 173, 236 (Rz. 25 a. E.) = NJW 2007, 2689 (Trihotel). 45) Vgl. insofern nochmals die Ausführungen in Trihotel-Urteil BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 25 a. E.). 46) Vgl. Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 15; Heidinger, in Beck’scher OK GmbHG, § 30 Rn. 3: die Gesellschaft als stellvertretender Schutzaddressat.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

Haftungsnormen auch als Argumentationshilfe herangezogen ihnen modellbildendender Charakter zuerkannt47). Teilweise wurde dann insoweit sogar ein GmbHrechtliches „Prinzip der Haftungskanalisierung“ zu Gunsten der GmbH abgeleitet: Der reflexartige Schutz der Gläubiger gegenüber Geschäftsleiter- und Gesellschafter-Verstößen über eine Innenhaftung sei die Grundlage der GmbH und das mache eine Außenhaftung der Geschäftsleiter oder Gesellschafter generell zu einer Systemwidrigkeit48). Von anderen ist jedoch ein solches generelles Prinzip wiederum mit dem Hinweis abgelehnt worden, dass es eine prinzipielle Vorrangstellung des Gesellschaftsrechts nicht geben könne49). Relevant wird diese Frage insofern vor allem bei der Insolvenzverschleppungshaftung, die nach wie vor formal auf ein Außenhaftungskonzept setzt50).

26 Für die hier zu untersuchenden Fragestellungen relevant ist jedoch, dass vom Schutzzweck der Norm der lediglich „technische“ Mechanismus zu unterscheiden ist: Wer tauglicher Anspruchsteller eines Schadensersatz- oder Rückerstattungsanspruchs sein kann, wer also aktivlegitimiert ist, ist für die Bestimmung des Schutzzwecks und die Auslegung der Norm grundsätzlich irrelevant51). Aufgrund von rechtspolitischen Erwägungen der Durchsetzbarkeit und Prozessökonomie hat der Gesetzgeber in vielen Fällen zur gerade beschriebenen Haftungskanalisierung über die Gesellschaft gegriffen. Wer die unmittelbare anspruchsberechtigte Person bzw. Partei ist, sagt dann aber noch nichts über die vom Gesetzgeber intendierte Schutzzweckeigenschaft der Norm aus. Und schon gar nicht kann auf dieser Basis eine Aussage über die Auslegung einer Norm gewonnen werden. Auf den eigentlichen Schutzzweck der Norm hat die Bestimmung des Anspruchsberechtigten keinen Einfluss: So haben sich beispielsweise durch den Übergang der Existenzvernichtungshaftung von der unbeschränkten Außen- zur beschränkten Innenhaftung in der Entscheidung Trihotel die zugrundeliegenden Schutzzweckerwägungen nicht geändert, obwohl ein Anspruch formal nicht mehr den Gläubigern, sondern der Gesellschaft zusteht. So kann aufgrund der Qualifikation des Schutzzwecks gerade keine folgerichtige Aussage über die Auslegung eines Normzusammenhangs gemacht werden.52) ___________ 47) Vgl. beispielsweise Haas, ZIP 2009, 1257 (1258), der aufgrund der Gleichartigkeit der Existenzvernichtungshaftung zur Insolvenzverschleppungshaftung auch bei letzterer eine (haftungskanalisierende) Innenhaftung begründen will. 48) Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme, S. 247. 49) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 748. 50) Vgl. dazu nochmals Haas, ZIP 2009, 1257 (1258), der insofern argumentiert, die Insolvenzverschleppungshaftung könne auch im Innenverhältnis ansetzen. 51) In diese Richtung auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 und 7: „Vom Normzweck zu unterscheiden sind Normansatz und Normstruktur“. 52) Dies versucht aber K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 mit Bezug auf die Lehre von Altmeppen zur Deutung des § 64 GmbHG als schadensersatzrechtliche Innenhaftung.

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II. Masseerhaltung und -restitution

Das soeben skizzierte, im vorliegenden Zusammenhang gehäuft anzutreffende Aus- 27 einanderfallen von Schutzobjekt und -subjekt zieht sich durch die in dieser Arbeit zu behandelnden Interessenlagen und Fragestellungen wie ein roter Faden und wird in unterschiedlichem Gewand immer wieder aufs Neue in Erscheinung treten: Insbesondere wird es seinen Niederschlag bei der Begründung und der anschließenden Berechnung von Schadensposten bei der Gesellschaft finden. Im vorliegenden Zusammenhang ist zunächst jedoch entscheidend, dass bei der Aus- 28 legung einer Norm oder eines Konkurrenzverhältnisses der gesamte Regelungsmechanismus und das mögliche Auseinanderfallen von Schutzobjekt und -subjekt in den Blick genommen werden muss und nicht aus dem vom Gesetzgeber gewählten Ansatz voreilig Schlüsse hinsichtlich der Auslegung gezogen werden dürfen. Wollte der Gesetzgeber den Schutz der Gläubiger vermittelt durch die Gesellschaft gewähren, so kann eine daneben gewährte unmittelbar die Gläubiger schützende Norm deren Wirkungen konterkarieren oder überlagern, indem ein doppelter und damit überschießender Schutz gewährt wird oder einschränkende Wertungen umgangen werden53). Insofern ist also Vorsicht und Zurückhaltung bei der Auslegung geboten. Gleichzeitig ist die generelle gesetzgeberische Konzeption in den Blick zu nehmen 29 und vor einer allzu dogmatischen Auslegung zu bewahren, die ebenfalls eine zielgerichtete Anwendung verhindern könnte.

II. Masseerhaltung und -restitution 1.

Masseerhaltung als „Mantra“ des kapitalgesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes

Wenn man § 64 GmbHG als Ausgangspunkt wählt, sind die beiden prominentesten 30 und in Rechtsprechung54) und dem Schrifttum55) hinreichend kommentierten Norm___________ 53) Dies betrifft sowohl das Konkurrenzverhältnis zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung (Teil C.), als auch das zwischen § 64 S. 3 GmbHG und Existenzvernichtungshaftung (Teil D.). 54) BGH NJW 1974, 1088 = WM 1974, 4112; BGHZ 143, 184 = NJW 2000, 668; BGH NJW 2007, 2118 = ZIP 2007, 1265 (1266); BGH NJW 2008, 2504 = ZIP 2008, 1229 (Rn. 10); zuletzt wieder: BGH ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133: „im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife ausgleichen“; auch wieder in der Vorlage der Rechtssache Kornhaas zum EuGH: BGH ZIP 2015, 68 = NZG 2015, 101 sowie nunmehr in der Abschlussentscheidung BGH ZIP 2016, 821 = NZG 2016, 550 (551 Rz. 15), in deren Rz. 16 die Normzwecke auch auf die englische Limited übertragen werden. 55) Umfassende Darstellung bei Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 695 f m. w. N.; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 4; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 16 m. w. N.; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 1; zu § 92 AktG ausführlich: Mertens/Cahn, in KölnKomm AktG, § 92 Rn. 23 f; Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 122; mit zahlreichen weiteren Nachweisen: dies., ZHR 178 (2014), 387 (391, insbesondere Nachweise in Fn. 17); Fleischer, in Spindler/Stilz, § 92 Rn. 18 m. w. N. in Fn. 74; Schürnbrand NZG 2010, 1207 (1208).

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

zwecke die Erhaltung des der insolventen Gesellschaft zustehenden Vermögens, also die Erhaltung der Insolvenzmasse sowie die Gleichbehandlung der zum Zeitpunkt der Insolvenzreife vorhandenen Gläubiger. Dies betrifft im Wesentlichen alle der hier behandelten Haftungsnormen56), hat zunächst jedoch vor allem § 64 S. 1 GmbHG im Blick, der dem Geschäftsführer die persönliche Haftung für masseverkürzende Auszahlungen auferlegt57). Der BGH geht insofern davon aus, dass beide Aspekte Hand in Hand gehen bzw. sich gegenseitig bedingen: Durch die Erhaltung der Masse wird die anteilige Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren ermöglicht58). Dahinter steht erkennbar der Kerngedanke, dass die Insolvenzmasse ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenzreife vorrangig den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Verbindlichkeiten zur Verfügung steht und diese Befriedigung im Insolvenzverfahren dann gleichmäßig und ranggerecht zu geschehen hat, vgl. § 1 InsO. Ausschüttungen und Zahlungen an Gesellschafter sollen vor der Befriedigung der Gläubiger nicht mehr zulässig sein, vgl. § 199 S. 2 InsO59). Insofern ergänzen sich der Gedanke der Masseerhaltung und der Gläubigergleichbehandlung, indem ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenz die Wirkungen des nachfolgenden Insolvenzverfahrens bereits vorweggenommen werden sollen60).

31 In den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung verwendet der BGH eine latent andere Formulierung, die jedoch im Ergebnis auf dasselbe hinausläuft: Zwar stehe es den Gesellschaftern generell frei, ihr Engagement in die Gesellschaft zurückzufahren, dabei auch Auszahlungen an die Gesellschafter vorzunehmen und letztlich die Gesellschaft zu beenden. Die Gesellschafter haben dabei jedoch die Regeln des Liquidationsverfahrens einzuhalten61), mithin darf eine Befriedigung von Gesellschaftern erst stattfinden, wenn alle ausstehenden Forderungen von Gläubigern erfüllt sind. Dies korrespondiert folgerichtig sowohl mit einer Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit nach § 15a InsO als auch mit Regelungen, die einen künstlichen Abfluss von Werten aus der vorhandenen Masse verhindern wollen. Damit steht nicht die Vermeidung der Insolvenz als solcher im Mittelpunkt der gesellschafts- und insolvenzrechtlichen Zweck___________ 56) Der Aspekt der Masseerhaltung betrifft zum Beispiel auch die in der Wahrnehmung des Schrifttums meist etwas abgekoppelte Insolvenzanfechtung: vgl. instruktiv nur Kruth, NZI 2014, 981 (982). 57) Insofern prominentester Normzweck des § 64 GmbHG ist die Erhaltung der Masse nach Eintritt der materiellen Insolvenz: Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 81 sowie die Nachweise in den vorigen Fußnoten. 58) Den Zusammenhang der beiden Aspekte nach h. M. betonend: Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 81 m. w. N.; vgl. nur die Standard-Formulierung in BGH, ZIP 2010, 470 (Rz. 10 m. w. N.) = NZG 2010, 346. 59) Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 6. 60) Zu diesem Aspekt insb. Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 passim. 61) BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (3025) (KBV) („geordnetes Verfahren“ notwendig); vgl. dazu bereits die instruktive Darstellung von Röhricht, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, 83 (100 f) mit ausführlichem Hinweis auf die Arbeiten von M. Winter, Ulmer und Priester.

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II. Masseerhaltung und -restitution

setzungen, der Kern der Regelungen zur Haftung von Geschäftsleitern und Gesellschaftern besteht in der Erhaltung und Auffüllung der noch oder ehemals vorhandenen Insolvenzmasse62). Gerade aber was den stark umstrittenen § 64 GmbHG betrifft, gibt es in der Litera- 32 tur wiederum graduelle Unterschiede63): Manche sehen den Schwerpunkt der Zwecksetzung eher bei der Erhaltung des verteilungsfähigen Gesellschaftsvermögens und sehen eine der par conditio creditorum zuwiderlaufende Privilegierung eines Gläubigers nur als typische, keineswegs notwendige Begleiterscheinung64). Andere wiederum plädieren dafür, die Gleichbehandlung der Gläubiger in den Vordergrund zu rücken65) und lehnen die Masseerhaltung oder Wiederauffüllung als Normzweck gänzlich ab. Schließlich wird auch die Meinung vertreten, dass schlussendlich nur ein mit der Insolvenzverschleppungshaftung abgestimmtes, einheitliches Gläubigerschutzziel zu sachgerechten Ergebnissen führen würde66). Insofern bestehen in der Literatur graduelle Unterschiede in der Auslegung des 33 Norm- und Funktionszwecks bei den jeweiligen Normen. Da es sich bei diesen Unterschieden aber in der Regel um die Auswirkung eines abweichenden konzeptionellen Verständnisses handelt, soll vorerst eine möglichst breite Sicht gewählt werden, und die beiden Zwecksetzungen Masseerhaltung und Gläubigergleichbehandlung sollen im Folgenden dargestellt werden. Zum Verständnis des Umfangs des jeweiligen Schutzzwecks sollen exemplarisch Fragenkreise herausgegriffen werden, die eine genauere Konturierung der beiden Schutzzwecke ermöglichen. Denn auf Basis der herrschenden Auslegung der verschiedenen Haftungsnormen existieren bereits eine Reihe von empfindlichen Einschränkungen und Ausprägungen der beiden Schutzzwecke. Diese sollen zur Verdeutlichung des genauen Schutzumfangs nunmehr herausgearbeitet werden.

___________ 62) Gehrlein, ZInsO 2015, 477. 63) Ausführlich dazu Thole, Gläubigerschutz durch Insolovenzrecht, S. 695 f m. w. N. 64) Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (396); den Schutzzweck der Gläubigergleichbehandlung noch weitergehend ablehnend auch K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (653); ders., NZG 2015, 129 (130), der auf der Basis der von Habersack/Foerster angestellten Überlegungen erneut für das Einheitsmodell plädiert. 65) In dieser Deutlichkeit lediglich Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (419 ff), der zumindest die generelle Masseerhaltung als Schutzzweck des § 64 GmbHG ablehnt. Unklar bleibt bei ihm jedoch, ob er das Ziel der Erhaltung der Masse gänzlich oder nur in Bezug auf eine umfassende und lückenlose Masseerhaltung in dem von Altmeppen vorgeschlagenen System der Verlustdeckungshaftung des Geschäftsführers ablehnt. 66) So insbesondere Altmeppen, ZIP 2015, 949 (954); zum einheitlichen Normzweck von § 64 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung auch K. Schmidt, NZG 2015, 129 (130) sowie ders., in Scholz, § 64 Rn. 147.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

2.

Verbot von Masseschmälerungen, insbesondere durch „Zahlungen“ des Geschäftsführers und Begründung von Neuverbindlichkeiten

34 Die zentrale Ausprägung des Verbots der Masseschmälerung findet sich in § 64 S. 1 GmbHG, der dem Geschäftsführer „Zahlungen“ mit einer Haftungsverpflichtung belegt, die nach Eintritt der Insolvenzreife getätigt werden. Nur mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbare Zahlungen sind nach dessen S. 2 von der Haftung ausgenommen. Der Normzweck „Masseerhaltung“ wird somit im Wesentlichen durch den Umfang des Zahlungsbegriffs in § 64 S. 1 GmbHG determiniert und dementsprechend als erste Konturierung des Schutzzwecks „Masseerhaltung“ herangezogen. Für die Darstellung des Begriff der Zahlungen erfolgt zunächst eine Orientierung streng an den Maßstäben der herrschenden Meinung und Rechtsprechung. An dieser Stelle soll nämlich lediglich eine Bestandsaufnahme des Schutzumfangs erfolgen.

a) Zahlungsbegriff in § 64 S. 1 GmbHG 35 Früher wurde der Begriff der „Zahlung“ wörtlich genommen und darunter nur der Abfluss von Geld oder liquiden Mitteln subsumiert, aber keine Sachleistungen verstanden67). Anerkannt ist inzwischen jedoch, dass der Begriff auch auf sonstige Leistungen ausgedehnt werden muss68). Schließlich macht es keinen Unterschied für die Gläubigerinteressen, ob Geld oder andere Sachleistungen abfließen. Insofern werden alle Leistungen unter dem Begriff subsumiert, die das Aktivvermögen der Gesellschaft schmälern69).

36 Wichtig ist jedoch, dass der BGH seit jeher den Anspruch des § 64 S. 1 GmbHG nicht als Schadensersatzanspruch ansieht und daher insbesondere keine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vornimmt70). Kauft beispielsweise der Geschäftsführer zunächst Ware ein, „zahlt“ insofern also den Einkaufspreis an den Lieferanten, und veräußert die Ware schließlich wieder an Kunden der Gesellschaft, so haftet er dem Grunde nach (vorbehaltlich besonderer Rechtsprechungsregeln) sowohl auf den Einkaufs- als auch auf den Verkaufs-Wert der Ware. Allein daraus wird schon ersichtlich, dass die hier zu Buche stehenden Summen schnell exorbitante Höhen ___________ 67) So das Reichsgericht noch in RGZ 159, 211 (234); vgl. dazu Röhricht, ZIP 2005, 505 (510). 68) Vgl. nur K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 28 f; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 88; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 29 ff; Nerlich, in Michalski, § 64 Rn. 41. 69) BGHZ 126, 181 (194) = NJW 1994, 2220; BGH, NZG 2009, 582 Rn. 12; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 11 m. w. N.; Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 128 m. w. N. in Fn. 366 sowie Rn. 130: „Schmälerung des Aktivvermögens der AG“ mit Verweis auf Habersack, in Staub HGB, § 130a Rn. 26; zu einer weiten Auslegung des Zahlungsbegriffs mit Parallelen zur Insolvenzanfechtung: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 705 f m. w. N. 70) Statt vieler Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 36.

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II. Masseerhaltung und -restitution

annehmen können. Vielmehr wird der Anspruch als ein auf jede einzelne „Zahlung“ bezogener „Erstattungsanspruch“ angesehen71), der den Zweck hätte, einzelne Vorabbefriedigungen von Gläubigern rückgängig zu machen und die Masse wieder aufzufüllen. Dem Schutzzweck entspräche es nach der Diktion des BGH also, dass bereits der reine Zahlungsvorgang die Ersatzpflichtigkeit auslöst, nicht ein entsprechender Vermögensschaden der Gesellschaft. Oder anders gewendet: Bei der Verwirklichung einer Zahlung bei Insolvenzreife der Gesellschaft liege der Schaden der Gesellschaft bereits „im Abfluss der Mittel“72). Von Teilen des Schrifttums wird der Anspruch daher als eine Art Folgenbeseitigungsanspruch73) bezeichnet, der BGH spricht von einem Ersatzanspruch „eigener Art“74). Auch ist der Begriff der Zahlung bei Weitem nicht auf lediglich einseitige Aus- 37 schüttungen beschränkt. Zahlungen an Dritte erfolgen in praxi ja wohl regelmäßig gegen eine Gegenleistung. Bei den Regeln der Kapitalerhaltung nach § 30 Abs. 1 GmbHG ist beispielsweise anerkannt, dass Zahlungen aufgrund von Austauschgeschäften per se nicht tatbestandsmäßig sein können und lediglich Zahlungen causa societatis den Tatbestand des § 30 Abs. 1 S. 1 GmbHG erfüllen können. Ein solcher Ausschluss des Tatbestands der „Zahlung“ ist bei § 64 GmbHG aber nicht anerkannt75). Für den Umfang der Schutzwirkung „Masseerhaltung“ sind insofern zwei Aspekte 38 relevant: Zum einen lehnt der BGH bei einer „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG generell einen Schaden der Gesellschaft ab (dazu sogleich unter b)). Zudem wird ___________ 71) Vgl. nur BGH NJW 1974, 1088 (1089); BGHZ 143, 184 (186) = NJW 2000, 668 (669); BGHZ 146, 264 (278) = NJW 2001, 1280 (1283); Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 18; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 14 ff; Strohn, NZG 2011, 1161 (1163). 72) So formuliert der BGH zumindest in Bezug auf § 130a HGB: vgl. BGH ZIP 2007, 1501 = NZG 2007, 678 sowie BGH ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462; vgl. kritisch dazu auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 15; zustimmend Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 19; Freitag, NZG 2014, 447 (451); Haas, in FS Gero Fischer, 2008, S. 209 f; diese Argumentation ist insofern bemerkenswert, weil der BGH damit den Wortlaut des § 130a Abs. 2 i. V. m. 1 HGB erklärt, der explizit von einem „Schaden“ spricht, jedoch mit dieser Auslegung doch wieder in Übereinstimmung zu seiner Auslegung des § 64 GmbHG kommt, der eben gerade keinen Schaden der Gesellschaft fordert und auch nicht bejaht. Das Argument, der Schaden liege bereits im Abfluss der Mittel ist insofern lediglich ein Hilfsargument, um das Schadenserfordernis im Tatbestand des § 130a Abs. 2 HGB zu eliminieren; vgl. auch Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 7 sowie Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 700. 73) Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (959 f); Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1209); Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (392); Habersack, JZ 2010, 1191. 74) Zu § 64 GmbHG vgl. nur BGHZ 146, 264 (278) = NJW 2001, 1280; für § 130a HGB vgl. BGH, ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462 (463 Rz. 7); das Reichsgericht nannte den Anspruch einen „Schadensersatz besonderer Art“: RGZ 159, 211 (229). 75) Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92, Rn. 123: der Normzweck sei die Diskriminierung der übrigen Gläubiger, nicht hingegen der Ausgleich eines Schadens der Gesellschaft.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

die Einbeziehung von Neuverbindlichkeiten in den Zahlungsbegriff des § 64 GmbHG entschieden abgelehnt (dazu unter c)).

b) Schadensproblematik 39 Das zentrale Argument der Rechtsprechung und herrschenden Lehre gegen die Deutung des § 64 S. 1 GmbHG als Schadensersatzanspruch wird darin gesehen, dass der Gesellschaft durch die Befriedigung eines Gläubigers per se schon kein Schaden entstehen könne: Denn bei der Vorabbefriedigung eines Gläubigers wird die Gesellschaft von der Verbindlichkeit gegenüber einem Gläubiger frei76), weshalb es sich „lediglich“ um eine Bilanzverkürzung handele, ein Schaden der Gesellschaft aber gerade nicht vorliege77). Aus einem solchen Vorgang könne also der Gesellschaft nie ein „Schaden“ i. S. d. §§ 249 ff BGB entstehen, er entstünde allenfalls der Gläubigergesamtheit im nachfolgenden Insolvenzverfahren78). Daraus wird im Wesentlichen auch geschlossen, dass der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG einen solchen Schaden nicht voraussetzten könne. Von den Lehrmeinungen, die § 64 S. 1 GmbHG einen schadensersazrechtlichen Charakter zuerkennen, wird diesbezüglich konstatiert, dass eine schadensersatzrechtliche Deutung zwar nicht unmittelbar bei der Gesellschaft greife, jedoch darauf gestützt werden könne, dass es sich bei § 64 S. 1 GmbHG um einen der Gesellschaft zugewiesenen, jedoch der Liquidation von Gläubigerschäden dienenden Anspruch handle79). Es liege insofern ein „besonderer“ Schadensersatzanspruch vor, ein Schaden bei der Gesellschaft brächte nämlich nicht zu entstehen, sondern lediglich bei der Gläubigerge___________ 76) So bereits der BGH in BGH NJW 1974, 1088 (1089); jetzt erst wieder BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 221 (222 Rn. 14) (Doberlug); vgl. auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 16; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4; Goette, ZInsO 2005, 1 (3); Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (959 m. w. N.); Haas, NZG 2004, 737 (738); zu § 92 AktG vgl. nur Mertens/Cahn, in KölnKomm AktG, § 92 Rn. 24. 77) BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 221 (222 Rz. 14) (Doberlug); so auch Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1208); Habersack, JZ 2010, 1191 m. w. N.; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4; ders., in FS Schneider, 2011, S. 617 (620); Röhricht, ZIP 2005, 505 (509); Noack, in FS Goette, 2011, S. 345 (347); Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, S. 20; vgl. auch Weller, GWR 2010, 541, der insofern abweichend formuliert, dass der Gesellschaft nach der Differenzhypothese kein Schaden entstünde, weil deren Vermögen (wohl im nachgelagerten Insolvenzverfahren) auch ohne die verbotswidrigen Zahlungen an die Gläubiger abgeflossen wäre. 78) So der BGH in der Vorlage an den EuGH in der Rechtssache Kornhaas: BGH NZG 2015, 101 (102 Rz. 8) = ZIP 2015, 68 m. w. N. sowie jetzt wieder in der Abschlussentscheidung des BGH in der Sache Kornhaas: BGH ZIP 2016, 821 = NZG 2016, 550 (551); zu § 92 AktG: Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 123, 134 ff; § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG stelle diesen Drittschaden – geleitet vom Ziel, die übrigen Gläubiger gegen Schmälerungen der Insolvenzmasse zu schützen – einem Schaden der Gesellschaft gleich: Noack, in FS Goette, 2011, S. 345 ff. 79) So die Deutungen von K. Schmidt und Altmeppen: K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (658); Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 35; siehe auch Schulze-Osterloh, FS Bezzenberger, S. 415 (423).

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II. Masseerhaltung und -restitution

meinschaft80). Insofern wird auch von einer „Schadensliquidation im Drittinteresse“81) gesprochen oder gar an die Regeln der Drittschadensliquidation erinnert82). Dies erkennt die h. M.83) aber bislang nicht als entscheidendes Argument für eine schadensersatzrechtliche Deutung an. Dies ist insofern richtig, als es bei der Drittschadensliquidation um eine zufällige Schadensverlagerung geht, die den Schädiger gerade nicht entlasten soll. In der vorliegenden Konstellation aber geht es nicht um einen Zufall, sondern um einen zwingenden Mechanismus der Schadensentstehung. Das Problem der Schadensentstehung bei der Gesellschaft oder den Gläubigern ist spezifisch kapitalgesellschaftsrechtlicher Natur: Es geht um die erste Konsequenz aus dem Prinzip des mittelbaren Gläubigerschutzes. Diese soeben aufgezeigte, relativ konservative Sicht der herrschenden Ansicht auf 40 den Schadensbegriff verwundert, wenn man sich die parallele Problematik bei der Existenzvernichtungshaftung84) vor Augen führt. Hierbei handelt es sich zwar primär um eine Haftung des Gesellschafters und lediglich über § 830 BGB um eine Haftung des Geschäftsführers; die hier zu besprechende Frage der Begründung eines Schadens bei Vermögensverschiebungen vor Insolvenzreife ist jedoch sehr ähnlich gelagert: Seit der Leitentscheidung Trihotel wird der Anspruch wegen Existenzvernichtung als Innenhaftungsanspruch auf § 826 BGB gestützt. Die Haftung ist auch hier durch die Gesellschaft mediatisiert bzw. „kanalisiert“, soll aber letztlich einzig der Gläubigergesamtheit zugute kommen85), Schutzobjekt jedoch ist das Gesellschaftsvermögen86). Der Gesellschafter haftet dabei für bestimmte sittenwidrige Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen, d. h. für einen planmäßigen Vermögensentzug, der zur Insolvenz der Gesellschaft führt. Es muss sich dabei um einen (existenzvernichtenden) „Eingriff“ handeln, mithin um einen Abzug von Vermögen oder Vermögenswerten. Den durch den Eingriff verursachten Schaden der Gesellschaft sieht der BGH nunmehr nicht mehr in einer Durchgriffshaftung, sondern umfasst „nur“ noch die der Gesellschaft durch den Eingriff verursachten Schäden87). Dies ___________ 80) Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2208). 81) Vgl. dazu Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 82; Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2208). 82) So bereits K. Schmidt, JZ 1978, 661 (662); in diese Richtung auch Völzmann-Stickelbrock, KTS 2007, 489 (493). 83) Vgl. nur Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 7; ders., NZG 2004, 737 (738 m. w. N.); ausführlich gegen eine Deutung im Sinne der Drittschadensliquidation: Windel, KTS 1991, 477 (495 f m. w. N.). 84) Für die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Haftung für existenzvernichtende Eingriffe sei verwiesen auf Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 216 ff. 85) So ausführlich der BGH in den Entscheidungsgründen zu Trihotel: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 f Rz. 33). 86) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2. LS und 2690 Rz. 17, 2691 Rz. 22 f, 26) (Trihotel); vgl. dazu Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 608. 87) Statt vieler vgl. Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 605 m. w. N.; Bitter, in Scholz, GmbHG, § 13 Rn. 169.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

wird in zwei Stufen geprüft: Auf Basis der Differenzhypothese sei in einem ersten Schritt der der Gesellschaft durch den Schaden entstandene Eingriff zu ermitteln88). Dieser liege in der Differenz des tatsächlichen Vermögenszustandes zum entsprechenden hypothetischen Zustand ohne den existenzvernichtenden Eingriff, also ohne das Insolvenzverfahren89). Der BGH nennt dies den Differenzgewinnausfall 90). In einem zweiten Schritt wird der Gesamtschadensbetrag gedeckelt auf einen Betrag, der zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit erforderlich ist91).

41 Hier interessiert insbesondere die erste Stufe, also der durch den Eingriff unmittelbar oder mittelbar herbeigeführte „Schaden“ bei der Gesellschaft: Darunter sollen neben der unmittelbar entzogenen Vermögensposition92) auch insolvenzbedingte Zerschlagungsverluste sowie nach § 252 BGB entgangener Gewinn zu ersetzen sein93).

42 Diese Argumentation macht stutzig: Denn es erscheint widersprüchlich, dass bei der Verschleppung der Insolvenz, also im Anwendungsbereich des § 64 S. 1 GmbHG ein Schaden der Gesellschaft abgelehnt wird, weil eine Zahlung an einen Gläubiger (der auch Gesellschafter sein kann!) zur Befriedigung einer Verbindlichkeit führt, während bei der Existenzvernichtungshaftung ein Entzug von Vermögen (also möglicherweise ebenfalls eine „Zahlung“), die zur Insolvenz der Gesellschaft führt oder diese vertieft94), vergleichsweise unproblematisch als Anknüpfungspunkt für einen Schadensersatz angesehen werden kann.

43 Einwenden könnte man gegen diesen Vergleich natürlich, dass es sich bei der Existenzvernichtungshaftung um eine Haftung für Insolvenzverursachung und nicht ___________ 88) Vgl. dazu ausführlich Weller, ZIP 2007, 1181 (1186) sowie ausführlich unten im Teil D.III.2. 89) Vgl. Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13, Rn. 605: „Hierbei ist die Haftung auf die durch den Eingriff verursachten Nachteile begrenzt.“ 90) Vgl. BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2. LS und 2695 Rz. 55) – insofern führt der BGH keine allgemeinen Grundsätze zur Schadensberechnung an; der Rechtsanwender muss sich diese aus den Anweisungen an das Instanzgericht „zusammensuchen“. 91) Lediglich kurz erwähnt bei BGH NJW 2007, 2689 (2. LS und 2695 Rn. 55); auch in den übrigen Entscheidungsgründen erwähnt der BGH diese Einschränkung: vgl. beispielsweise Rn. 32. 92) Vgl. Raiser, in GroßKomm GmbHG, § 13 Rn. 173; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 94 f; Weller, ZIP 2007, 1681 (1683) – die tatsächliche entzogene Vermögensposition ist jedoch nicht die entscheidende Größe, da es bei der Existenzvernichtungshaftung üblicherweise um sog. Kollateralschäden geht; vgl. dazu Weller, Rechtsformwahlfreiheit, S. 137. 93) Vgl. Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 605; Raiser, in GroßKomm GmbHG, § 13 Rn. 173; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 94. 94) Nach h. M. völlig unstreitig ist nämlich, dass die Existenzvernichtungshaftung nicht nur bei der reinen Herbeiführung der Insolvenz greift, sondern auch eine Vertiefung der bereits bestehenden materiellen Insolvenz ausreichen kann: vgl. nur wiederum das Trihotel-Urteil: BGH NJW 2007, 2689 (1. LS und 2690 Rz. 16); sowie BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 (Gamma): Dort ging es um die Existenzvernichtungshaftung bei einer Gesellschaft im Stadium der Liquidation.

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II. Masseerhaltung und -restitution

um Insolvenzvertiefung95) handelt, und zudem die Gesellschafter und nicht die Geschäftsführer haften96). Insofern ist die Schadensberechnung latent anders gelagert. Isoliert man jedoch den Aspekt der Begründung eines Schadens „der Gesellschaft“, 44 so stößt man unüberwindbar auf den Widerspruch, dass ein sehr ähnlicher Vorgang in einem Fall zur Anknüpfung für einen Schaden (Existenzvernichtungshaftung) führt, während dieser im anderen Fall (§ 64 S. 1 GmbHG) strikt abgelehnt wird97). Bei Lichte besehen entsteht der Gesellschaft bei einer „Zahlung“ nach § 64 S. 1 GmbHG aber ebenso viel oder wenig ein Schaden wie bei der Existenzvernichtungshaftung: In beiden Fällen kann sie von einer Verbindlichkeit befreit worden sein. Bei der Existenzvernichtungshaftung lässt der BGH jedoch die (Fern-)Folgen eines Eingriffs (Kosten des Insolvenzverfahrens etc.) im Sinne von Kollateralschäden als „Schaden“ i. S. d. §§ 249 ff BGB zu, während bei § 64 S. 1 GmbHG eine deutlich engere Sicht eingenommen wird und das Vorliegen eines Schadens von Anfang an verneint wird. Insofern erstaunt, dass die herrschende Ansicht das Vorliegen eines Schadens bei der Gesellschaft rein aus der Differenzhypothese begreift, Fernfolgen gänzlich aus der Betrachtung ausklammert und damit einen Schaden bei § 64 S. 1 GmbHG generell verneint. Was den Umfang des von beiden Normen zugesprochenen Anspruchs angeht, muss insofern festgehalten werden, dass unter dem Stichwort „Masseerhaltung“ kein eindeutig festgelegtes, sondern eher ein arbiträres Haftungsvolumen zu verstehen ist. An dieser Stelle sei zudem eine weitere Schwierigkeit bei der Begründung eines 45 Schadens der Gesellschaft angemerkt: Die Existenzvernichtungshaftung unter dem Dach des § 826 BGB sieht einen Schaden „der Gesellschaft“ in der Herbeiführung der Insolvenz. Ein gängiger Deutungsansatz für die Beschränkung der Innenhaftung des § 64 S. 1 GmbHG auf die Masseverringerungen durch „Zahlungen“ wurde aber ___________ 95) Deswegen wird sie auch unten in Teil D und nicht in Teil C behandelt werden. Sie stellt materiell das Pendant zu § 64 S. 3 GmbHG und nicht zu S. 1 dar. 96) Zudem könnte man eher auf eine Parallele zur Insolvenzverschleppungshaftung abstellen (bei der ein Schaden ja wiederum anerkannt ist): Das was vom Bundesgerichtshof bei der Existenzvernichtungshaftung als „Differenzgewinnausfall“ betitelt wird, würde bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung wohl als „Quotenschaden“ unter den Haftungstatbestand des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO fallen: Nämlich der Schaden, der dem Gläubiger dadurch entsteht, dass der Geschäftsleiter die Insolvenzantragstellung hinausgezögert hat und sich im Verlauf der Verschleppungsphase die Insolvenzmasse im Wert verringert. Jedoch handelt es sich bei der Insolvenzverschleppungshaftung wiederum um eine Außenhaftung gegenüber den Gläubigern, was den hier angesprochenen Widerspruch zwischen der Deutung des § 64 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung bei der Begründung eines Schadens „der Gesellschaft“ jedoch wieder verdecken würde. Aus der Existenzvernichtungshaftung Argumente für die Insolvenzerschleppungshaftung als Innen-(!)haftung ableitend: Haas, ZIP 2009, 1257 ff. 97) Ebenfalls mit der Überlegung (jedoch im Ergebnis ablehnend), dass man bei § 64 S. 1 GmbHG ähnliche Schadensposten begründen könnte wie bei der Existenzvernichtungshaftung: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 699.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

in der Vorstellung des Gesetzgebers gesehen, Gesellschaften könnten über ihren Insolvenzeintritt hinaus keinen weiteren „Schaden“, sondern nur noch eine weitere Verringerung des Aktivvermögens erleiden98). Ihre Auflösung ist also der größtmögliche Schaden der Gesellschaft. Ihr entsteht allein durch die Abwicklung kein Schaden, sondern allenfalls der Gläubigergesamtheit, deren Forderungen nicht ausreichend befriedigt werden können. Auch diese Vorstellung lässt sich mit der TrihotelDoktrin nicht in Einklang bringen. Konsistent sind diese Sichtweisen nicht.

46 An dieser Stelle soll noch keine Bewertung oder Ableitung von Folgen dargelegt werden, die sich aus dem Vergleich der beiden Haftungsgrundlagen ergeben. Es sollte lediglich gezeigt werden, dass sich unter dem hier verwendeten Schlagwort „Schadensproblematik“ eine durchaus gewichtige Ungleich-Bewertung von eigentlich einheitlichen Sachverhalten verbirgt, die es in den kommenden Teilen dieser Arbeit zu würdigen gilt.

47 Was den von beiden Haftungsnormen angestrebten Schutzzweck der Masseerhaltung angeht, kann an dieser Stelle zumindest festgehalten werden, dass kaum von einem allgemeinen Haftungsziel bzw. festgelegten Haftungsvolumen gesprochen werden kann. Vielmehr sind bereits die Konzeptionen bei der Bestimmung der Grundlagen der Ersatzpflichten grundverschieden und deuten in unterschiedliche Richtungen.

c)

Schutzzweck der Masseerhaltung und die Begründung von Verbindlichkeiten

48 Bei den bisherigen Überlegungen wurde von einem im Zeitpunkt der Insolvenzreife bestimmten und bestimmbaren Kreis an Gläubigern ausgegangen, unter denen nach der Konzeption der gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung im Insolvenzverfahren (§ 1 InsO) die vorhandene Masse des Schuldners zu verteilen ist. Diese zwei Implikationen – (1) unveränderlicher Kreis an Gläubigern und (2) starrer Wert der Masse – sind in der Praxis in aller Regel aber nicht gegeben. Vielmehr wird der Geschäftsführer in der u. U. mehrere Jahre dauernden Verschleppungsphase zahllose Geschäfte tätigen, den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft am Laufen halten und damit letztlich auch den Wert der Masse spürbar beeinflussen. Die Befriedigungsaussichten der Gläubiger auf ihre Forderungen hängen aber nicht nur von der Höhe der Masse, sondern natürlich auch vom Verhältnis der Masse zur Summe der Verbindlichkeiten ab, auf die diese Masse verteilt werden muss99): Bei gleichbleibender Masse, jedoch einem erhöhten Bestand an Verbindlichkeiten fin___________ 98) Dazu ausführlich Poertzgen, Organhaftung, S. 235 mit weiterführenden Nachweisen. 99) Allg. Meinung: Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 (371); Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (625); Poertzgen, Organhaftung, S. 278; ders., ZInsO 2006, 561 (565 f); zu § 64 S. 3 GmbHG vgl. Spliedt, ZIP 2009, 149 (159).

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II. Masseerhaltung und -restitution

det eine Verwässerung der bestehenden Befriedigungsaussichten statt100). Zur Unterscheidung von Gläubigern, die ihre Forderung gegen die Gesellschaft vor bzw. nach Insolvenzreife erlangt haben, hat die Rechtsprechung und Kommentierung in der Lehre die Begriffe „Alt-“ und „Neugläubiger“ geprägt. In den relevanten Haftungsnormen werden Alt- und Neugläubiger denn auch unterschiedlich behandelt: Schon vom Prinzip her kann gegenüber Neugläubigern der Grundsatz der Masse- 49 erhaltung nicht greifen101). Denn die Konzeption des Insolvenzverfahrens impliziert zum Zeitpunkt des Eintretens der Insolvenzreife102) die Auflösung und Verteilung des Gesellschaftsvermögens an die in diesem Zeitpunkt bestehenden Gläubiger. Insofern konsequent hat die Rechtsprechung auch bzgl. einer Reihe von Haftungs- 50 tatbeständen entschieden, dass die Neugläubiger anderen Regeln unterworfen werden als die Altgläubiger: Zunächst ist festzuhalten, dass Rechtsprechung und h. M. eine Einbeziehung von Neugläubigerforderungen in den Begriff der „Zahlung“ in § 64 S. 1 GmbHG kategorisch ausschließen103): Die Begründung einer Verbindlichkeit sei keine „Zahlung“ und könne daher nicht über § 64 GmbHG ausgeglichen werden. § 64 GmbHG ist daher kein Mittel, der eben beschriebenen Verwässerung entgegen zu treten. Ein solches wird in der Insolvenzverschleppungshaftung des § 823 Abs. 2 BGB 51 i. V. m. § 15a InsO gesehen: Denn dieser Anspruch gewährt den Gläubigern die Restitution des sog. Quotenschadens, also des Schadens, der dadurch entsteht, dass die Insolvenzmasse wegen der Verschleppung der Antragstellung nunmehr weniger wert ist bzw. ihre Erfolgsaussichten geringer ausgefallen sind. Eine solche Ver___________ 100) Haas, NZG 2004, 737 (738); der Sache nach auch Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 (1184); vgl. auch Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (391 bei Fn. 18), die zugeben, dass der Schutzzweck der Masseerhaltung insofern „begrenzt“ sei, dass nur die Verminderung des Aktivvermögens erfasst würde; ablehnend hingegen Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 707 f. 101) Vgl. dazu nur instruktiv und mit weiteren Nachweisen Altmeppen, ZIP 2015, 949 (955). 102) Der eigentlich von § 15a Abs. 2 InsO gewährte Lauf der 3-Wochen-Frist bleibt hier unbeachtet. Der Geschäftsführer darf bei erkennbar fehlender Sanierungsmöglichkeit die 3-WochenFrist nämlich gar nicht ausreizen: vgl. nur Klöhn, in MüKo InsO, § 15a Rn. 120 ff; Hirte, in Uhlenbruck, § 15a Rn. 16. 103) BGHZ 138, 211 (216 f) = NJW 1998, 2667 (2668); K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 33 m. w. N.; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 66; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 30; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 11, der dieser These sogar mit dem Argument zustimmt, dass mit der Begründung einer Verbindlichkeit nicht zwingend die Schmälerung der Insolvenzmasse verbunden sei; zu § 130a HGB: Habersack, in Staub HGB, § 130a Rn. 26; zu § 92 AktG: Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 130; Fleischer, in Spindler/Stilz, § 92 Rn. 23; a. A. dagegen Flume, ZIP 1994, 337 (341), der eine Einbeziehung von Neuverbindlichkeiten bejaht; in diese Richtung auch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 706 f, insb. 709, der aus dem Recht der Insolvenzanfechtung schließt, § 64 GmbHG müsse auch die Begründung von Neuverbindlichkeiten sanktionieren und der bei der Abwicklung in die Ersatzpflicht des Geschäftsführers „einpreisen“ will, dass die Neuverbindlichkeit bereits bei ihrer Begründung nicht vollwertig war.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

ringerung der Werthaltigkeit einer Forderung wird aber gerade auch dadurch herbeigeführt, dass die bestehende Insolvenzmasse auf mehr bzw. höhere Forderungen aufgeteilt werden muss, insofern haftet der Geschäftsführer über den Schadensersatz des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO für die Begründung von Neuverbindlichkeiten im Verlauf der Verschleppungsphase.

52 Jedoch hat der BGH – in seiner Konzeption des § 64 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung zu Recht – erkannt, dass von einem solchen Schadensersatzanspruch auch die Neugläubiger profitieren würden, die ja aber gerade eine der Ursachen für seine Notwendigkeit sind. Wohl unter anderem deshalb hat der BGH in zwei Leitentscheidungen von 1994104) und 1998105) bekanntlich festgelegt, dass die Neugläubiger aus der Berechnung und dem Ausgleich des allgemeinen Quotenschadens herauszunehmen seien und lediglich die Altgläubiger den Quotenschaden geltend machen könnten. Die Neugläubiger hingegen könnten – ebenfalls über § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO – sogar ihr komplettes negatives Interesse geltend machen, würden über den Schadensersatz gegenüber dem Geschäftsführer also so gestellt, als ob sie nie mit der Gesellschaft in vertragliche Beziehungen getreten wären. Schadensersatzansprüche bestehen damit im vollen negativen Interesse und nicht nur in Höhe der jeweiligen Verschlechterung der Insolvenzquote106). Insofern findet auch bei der Insolvenzverschleppungshaftung eine Ungleichbehandlung von Alt- und Neugläubigern statt. Dies ist bereits schon deshalb auf Kritik gestoßen, weil auch Neugläubiger reguläre Insolvenzgläubiger i. S. d. 38 InsO sind, die an der allgemeinen Quote bzw. der Verteilung des Gesellschaftsvermögens partizipieren107). Es würde daher wenig Sinn machen, Neugläubiger nicht in den Quotenschaden einzubeziehen.

53 Ein Seitenblick auf die Existenzvernichtungshaftung offenbart wiederum, wie ungleich die Haftungsinstrumente ausgelegt werden: Denn dort haftet der Gesellschafter, wenn die Gesellschaft in der Insolvenz nicht alle Verbindlichkeiten erfüllen kann, selbstverständlich auch für die Neugläubiger in genau demselben Maße wie für Altgläubiger. Eine Unterscheidung findet nicht statt.

54 Hinzuweisen ist noch auf einen weiteren Aspekt: Mit der Begründung einer Forderung ist zwar oft, aber keinesfalls zwingend die Reduktion der Insolvenzmasse ___________ 104) BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2222 f) mit ausführlichen Hinweisen zu den Vorentscheidungen, insbesondere BGHZ 29, 100 (102 ff) = NJW 1959, 623, wo der BGH bereits auf den Quotenschaden abgestellt, jedoch keine Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern vorgenommen hatte; trotzdem hat der BGH bereits in BGHZ 29, 100 die Schutzgesetzeigenschaft des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. auch für die Neugläubiger bejaht. 105) BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667: der Insolvenzverwalter könne gar keinen Schadensbestandteil der Neugläubiger einfordern. 106) Ausführlich BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2222 f). 107) Für eine Einbeziehung der Neugläubiger in den Quotenschaden daher Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 (1184). Eine ausführlichere Darstellung folgt im Teil C.

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II. Masseerhaltung und -restitution

verbunden108). Resultiert die Verpflichtung gegenüber dem Neugläubiger nämlich aus einer vertraglichen Verbindung und leistet der Neugläubiger im vollen Wert der Verbindlichkeit vor, so handelt es sich lediglich um eine (erfolgsunwirksame) Bilanzverlängerung; die Quoten der übrigen Gläubiger könnten damit sogar steigen109). Es scheint also immer auf den konkreten Fall anzukommen. Vor dem Hintergrund der genannten Ausnahmen, Widersprüche und Zufälligkeiten 55 scheint der „Grundsatz“ der Masseerhaltung umso weniger ein einheitliches Prinzip des Gläubigerschutzes beim Übergang der Gesellschaft in die Insolvenz zu sein. Vielmehr ist er im geltenden Recht nur sehr bruchstückhaft ausgebildet und gerade was § 64 S. 1 GmbHG betrifft, oftmals von Zufälligkeiten abhängig. Es zeigt sich auch, dass das in § 64 S. 1 GmbHG geregelte System des Einzelausgleichs allzu schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stößt und die Masse lediglich lückenhaft schützt110). Auf die Aufspaltung der Anspruchsgrundlagen, die Unterscheidung zwischen Alt- 56 und Neugläubigern, ihre Konsequenzen und alternative Ausgleichsmethoden wird später noch zurückzukommen sein.

d) Schutz gegen erleichterte Eingriffsbefugnisse der Gesellschafter Die Erhaltung der Insolvenzmasse geht im deutschen Recht aber über das Zah- 57 lungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG oder die Insolvenzverschleppungshaftung hinaus: In einem anderen Zusammenhang wird eher von den „erleichterten Eingriffsbefugnissen“ der Gesellschafter gesprochen, denen die Gefahr der Gläubigerbenachteiligung innewohne und denen daher vorgebeugt werden müsse: Die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30 f GmbHG sind diesbezüglich die zentralen Gläubigerschutzvorschriften des GmbH-Rechts111). Generell wird das Stammkapital der Gesellschaft als eine Art unantastbarer Haftungsfond oder als „Befriedigungsreserve“ bezeichnet, die einen gewissen Grad an Gläubigerschutz sicherstellen soll112). Dies wird zum einen durch die Aufbringungsvorschriften, zum anderen durch die ___________ 108) Vgl. dazu stellvertretend für viele: Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 11. 109) Dazu unten ausführlicher. An dieser Stelle sein nur ein instruktives Beispiel angeführt: Vor Eingebung eines Liefervertrags im Insolvenzverschleppungszeitraums hat die Gesellschaft Verbindlichkeiten von 50 GE und Vermögen von 25 GE, die Quote beträgt also 50 %. Nun geht der Geschäftsführer einen Vertrag mit einem Lieferanten ein, die Gesellschaft erhält Ware im Wert von 50 GE und verpflichtet sich zur Zahlung von 50 GE. Damit liegen nach dieser Transaktion die Verbindlichkeiten bei 100 GE, das Vermögen bei 75 GE, die allgemeine Quote aller Gläubiger (auch das Neugläubigers!) damit bei 75 %. Die Altgläubiger haben zu Lasten des Neugläubigers also ihre Quote „aufgebessert“. 110) Teilweise wird die Masseerhaltung als Normzweck auch gänzlich abgelehnt: vgl. SchulzeOsterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 419 (423, 425). 111) Vgl. statt vieler nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 30 Rn. 1 m. w. N.; Wicke, GmbHG, § 30 Rn. 1. 112) Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 15 m. w. N.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

Ausschüttungssperre des § 30 GmbHG geschützt. Zudem wird in jüngerer Zeit aber auch vermehrt vertreten, dass § 30 GmbHG Insolvenzrisiken vorbeugen solle, die aus einem im Vergleich zu Gläubigern erleichterten Zugriff der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen entstünden113). Es soll also ein Entzug von Vermögen unterbunden werden, der bilanziell das Stammkapital angreifen würde. Grundsätzlich hat der Gesellschafter (!), nicht der Geschäftsführer den Betrag zurückzugewähren, § 31 Abs. 1 GmbHG. Sollte der Betrag nicht einbringlich und zur Gläubigerbefriedigung erforderlich sein, können auch die anderen Gesellschafter in Anspruch genommen werden (§ 31 Abs. 3 GmbHG), diesen wiederum sind bei Verschulden die Geschäftsführer verpflichtet (§ 31 Abs. 6 GmbHG). Generell haften Geschäftsführer bei Zahlungen an Gesellschafter bereits über § 43 Abs. 3 GmbHG.

58 § 30 GmbHG hat im Vergleich zu § 64 S. 1 GmbHG zwei wichtige Einschränkungen: Zum einen muss die Zahlung gerade an einen Gesellschafter erfolgen. Insofern ist der taugliche Adressatenkreis deutlich enger als bei § 64 S. 1 GmbHG und erinnert eher an die Insolvenzverursachungshaftung des § 64 S. 3 GmbHG, der dieselbe Einschränkung kennt114). Zum zweiten führen nach ganz h. M. Zahlungen an Gesellschafter nur dann zu einer Ersatzpflicht, wenn sie societatis causa erfolgt sind, mithin wenn sie nicht die Erfüllung einer fälligen Forderung aus einem Drittgeschäft darstellen115). Nur wenn eine Zahlung auf dem Gesellschaftsverhältnis beruht und gerade nicht durch einen Austauschvertrag, also durch Leistung und (äquivalente) Gegenleistung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter vermittelt wurde, kann ein Anspruch aus § 30 Abs. 1 GmbHG entstehen. Eine solche Einschränkung existiert bei der „klassischen“ masseerhaltenden Vorschrift des § 64 S. 1 GmbHG gerade nicht. Was den Schutz des konkreten Massevermögens anbelangt, sind die Kapitalerhaltungsvorschriften somit wesentlich nachgiebiger als die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG, der Insolvenzverschleppungs- und der Existenzvernichtungshaftung: Nicht jede Masseverminderung wird ausgeglichen, sondern nur die dem Gesellschafter gerade durch das Gesellschaftsverhältnis ohne Gegenleistung zufließende.

___________ 113) Vgl. ausführlich Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 15 m. w. N.: auf die Überlegung, durch den erleichterten Zugriff von Gesellschaftern auf das Gesellschaftsvermögen beruhe eine potentielle Gefährdung der Gläubiger, basieren die im Schrifttum oftmals verwendeten Schlagworte der „zwangsweisen Einrichtung eines unantastbaren Haftungsfonds“ bzw. einer „Befriedigungsreserve“; in diese Richtung auch Heidinger, in Michalski, § 30 Rn. 7. 114) Insofern berufen sich manche Autoren darauf, dass § 64 S. 3 GmbHG sich funktionell stark an § 30 Abs. 1 GmbHG anlehne: vgl. nur K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 79; ders., GmbHR 2007, 1071 (1079). 115) Ganz h. M.: ausführlich Heidinger, in Michalski, GmbHG, § 30 Rn. 66 ff m. w. N.; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 30 Rn. 72 ff.; Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30, Rn. 231 ff.

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II. Masseerhaltung und -restitution

Diese Einschränkung des § 30 GmbHG verdeutlicht aber, dass der vom Gesetzge- 59 ber intendierte Schutz doch eher in Richtung der Erhaltung der Masse zielt116) – und weniger ein genereller Schutz der Gesellschaft vor ihren Gesellschaftern beabsichtigt ist: Wenn ein werthaltiger Anspruch auf die Gegenleistung den Anspruch aus § 30 Abs. 1 GmbHG entfallen lässt, dann ist dies der Erkenntnis geschuldet, dass die Masse im Zeitpunkt der „Zahlung“ bereits durch eine Forderung belastet war, es sich bei diesem Vorgang somit „lediglich“ um eine erfolgsunwirksame Bilanzverkürzung handelte. Lediglich Auszahlungen, denen keine Gegenleistung entgegen steht und die der Gesellschafter kraft seiner Stellung als Gesellschafter veranlassen kann, sind erfasst. Daraus lassen sich zwei Folgerungen ableiten: § 30 Abs. 1 GmbHG geht es damit 60 im Kern doch wieder um die Erhaltung der Masse. Das Argument der erleichterten Eingriffsbefugnisse beschreibt eher den Rahmen, innerhalb dessen solche Eingriffe vermehrt erfolgen können, weniger das eigentlich verfolgte Ziel der Erhaltung der zur Befriedigung der Gläubiger erforderlichen Masse. Zum anderen wird im Erfordernis des Fehlens eines Gegenleistungsanspruchs 61 deutlich, dass zwischen § 64 S. 1 GmbHG und § 30 Abs. 1 GmbHG ein Wertungswiderspruch besteht: Während bei der Kapitalerhaltung die Einbeziehung der Gegenleistung zum Entfallen des Anspruchs führt und relativ großzügig erfolgt, gilt bei § 64 S. 1 GmbHG genau das Gegenteil: Wie in Teil C.III.1.b noch darzustellen sein wird, erfolgte nach der bisherigen Rechtsprechung die Anrechnung der Gegenleistung bei § 64 S. 1 GmbHG grundsätzlich nicht, lediglich bei einer unmittelbaren und in der Masse erhalten gebliebenen Gegenleistung konnte sich der BGH zu einem Entfallen des Anspruchs durchringen117). Mit der aktuellen Rechtsprechung wurden diese engen Voraussetzungen zwar spürbar gelockert118), jedoch verbleibt es bei dem Grundsatz, dass nicht einfach jede Gegenleistung gegengerechnet wird. Insbesondere wenn der Gesellschafter vorgeleistet hat, findet eine Anrechnung nach wie vor nicht statt. Auch wenn somit sowohl die Haftungen nach § 64 S. 1 GmbHG und nach § 30 62 Abs. 1 GmbHG beide die Erhaltung der Masse der insolventen Gesellschaft im Blick haben, kann ein einheitlicher Maßstab und Haftungsumfang nicht ausgemacht werden. Beide Haftungsnormen haben insofern ein völlig unterschiedliches Konzept im Blick, das die „Erhaltung“ der Masse jeweils in abweichendem Umfang betreibt. Mehr denn je kann der Schutzfunktion „Masseerhaltung“ damit keine zielführende Funktion attestiert werden, die bei der Auslegung von einzelnen Normen herangezogen werden könnte. ___________ 116) In diese Richtung auch Fastrich, in Baumbach/Hueck, § 30 Rn. 1; wohl auch Heidinger, in Beck’scher OK GmbHG, § 30 Rn. 3. 117) Vgl. dazu nur das Urteil BGH NJW 1974, 1088 (1089). 118) BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133; mehr dazu unten in Teil C dieser Arbeit.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

3.

Vorlaufender Masseschutz?

63 Schließlich erfolgt die Sicherung der Masse der insolvenzreifen Gesellschaft nicht nur während der Verschleppungsphase, sondern wird auch im Vorfeld der materiellen Insolvenz, also der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung abgebildet. Dies geschieht zum einen durch die Revision von bestimmen im Vorfeld der Insolvenz getätigten Geschäften im späteren Insolvenzverfahren (zur Insolvenzanfechtung unter a)) als auch durch eine Haftung des Geschäftsführers für Zahlungen, die die Insolvenz herbeigeführt haben (dazu unter b). Im Folgenden wird insofern zu fragen sein, ob auch diese Instrumente in den Schutzzweck „Masseerhaltung“ eingegliedert werden können.

a) Masserhaltung durch Insolvenzanfechtung 64 In Bezug auf den Normzweck der Masseerhaltung tritt § 64 S. 1 GmbHG ebenfalls in Konkurrenz zu den Regeln der Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff InsO. Zumindest für den Zeitraum ab Eintritt der materiellen Insolvenz greift dann sowohl die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG als auch das Insolvenzanfechtungsrecht. Daher werden die §§ 129 ff InsO und § 64 S. 1 GmbHG teilweise als Schwestervorschriften eingestuft119). Nachdem die Insolvenzanfechtung aber erst vom Insolvenzverwalter geltend gemacht wird, können sich aus ihr zumindest kein Vermögensstrukturschutz und keine Prävention der Insolvenz als solcher ergeben. So sieht der BGH die Ansprüche aus Insolvenzanfechtung und aus § 64 GmbHG unverbunden nebeneinander.

65 Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung sei es, den Bestand des Schuldnervermögens dadurch wieder herzustellen, dass Vermögensverschiebungen rückgängig gemacht würden, die vor Verfahrenseröffnung zum Nachteil der Gläubiger vorgenommen worden sind120). Weitgehend unstreitig ist insofern, dass das Insolvenzanfechtungsrecht genauso wie § 64 GmbHG ebenfalls Masseschutz gewährt121). Dies gilt zumindest für die Anfechtungstatbestände aus §§ 133 und 134 InsO122). Der ___________ 119) Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 695 f m. w. N.; Haas, NZG 2005, 737 (738 ff); Goette, DStR 2003, 887 (893). 120) So schon die Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 12/2443, S. 156; BGH, ZIP 2011, 1114 = NZG 2011, 873 (873 f, Rz. 9); jeweils relativ knapp BGHZ 193, 129 = NJW 2012, 1959 (Rz. 35); BGHZ 174, 228 = NJW 2008, 655 (Rz. 29); Kirchhof, in: MüKo InsO, Vorbem. zu §§ 129 bis 147, Rn. 2 f. 121) Vgl. nur Gehrlein, ZInsO 2015, 477; Nerlich, in Nerlich/Römermann, § 129 Rn. 5; Leithaus, in Andres/Leithaus, § 129 Rn. 2; differenzierend: Hirte/Ede, in Uhlenbruck, § 129 Rn. 1 ff: sie stellen sowohl auf die Gläubigergleichbehandlung, als auch die Massesicherung ab; zu den Gemeinsamkeiten zwischen Insolvenzanfechtung und § 64 GmbHG: Haas, NZG 2004, 737 (738). 122) Vgl. Haas, ZIP 2006, 1373 ff m. w. N., der insofern zwischen den §§ 130 – 132 InsO (eher Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung) und §§ 133, 134 InsO (eher Masseanreicherung) differenziert.

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II. Masseerhaltung und -restitution

Normzweck des Anfechtungsrechts zeigt sich vor allem im Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung in § 129 InsO123): Die Befriedigungsmöglichkeiten aus der Insolvenzmasse müssten ohne das anfechtbare Verhalten günstiger gewesen sein, die Befriedigung wurde also verkürzt, vereitelt, erschwert oder verzögert124). Parallelen zu § 64 S. 1 GmbHG ergeben sich auch insofern, dass beide Vorschriften nach gängigem Verständnis keinen Schadensersatzanspruch begründen, sondern einen Erstattungsanspruch eigener Art125), dessen Zweck die Sicherung bzw. nachträgliche Wiederauffüllung der Masse sein soll126). Der wesentliche Unterschied in der Schutzwirkung besteht jedoch im unterschied- 66 lichen Haftungsschuldner (vgl. dazu auch bereits oben unter A.II.2.): Während sich die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung an den Geschäftsführer richtet, holt das Anfechtungsrecht Leistungen der Gesellschaft vom Leistungsempfänger zurück. Anders als im Eigenkapitalersatzrecht und der Existenzvernichtungshaftung besteht somit auch keine Ersatzhaftung oder Gehilfenhaftung für den Geschäftsführer. Insofern stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Haftungsnormen zu- 67 einander: Früher wurde die Meinung vertreten, dass der Geschäftsführer gar nicht hafte, wenn eine Anfechtung möglich sei127). Generell ist von der Rechtsprechung auch anerkannt, dass der Anspruch aus § 64 GmbHG gegen das Organ entfällt, wenn die Masseverkürzung anderweitig wieder ausgeglichen wird, ua. auch durch erfolgte und erfolgreiche Insolvenzanfechtung128). Gelingt also die Insolvenzanfechtung und kann der gezahlte Betrag wieder zur Masse gezogen werden, entfällt auch die Haftung des Geschäftsführers. Gleichzeitig hat der BGH129) aber auch ausdrücklich entschieden, dass sich der Ge- 68 schäftsführer nicht auf eine bisher unterbliebene Insolvenzanfechtung berufen ___________ 123) Haas, NZG 2004, 737 (741). 124) Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 212 m. w. N.; Leithaus, in Andres/Leithaus, § 129 Rn. 8 m. w. N.; de Bra, in Braun, § 129 Rn. 25 ff. 125) Ausführlich Kirchhof, in MüKo InsO, Vorbem. zu §§ 129 bis 147 Rn. 37 ff m. w. N.; Hirte/ Ede, in Uhlenbruck, § 129 Rn. 6 ff; der Anspruch ist insbesondere kein Schadensersatzanspruch: Nerlich, in Nerlich/Römermann, § 143 Rn. 3, 4; vgl. auch BGH, NJW 1990, 990 (991); sondern vielmehr ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch: BGHZ 101, 286 (288) = NJW 1987, 2821. 126) Vgl. die Gegenüberstellung bei Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (478). 127) Hachenburg, in Staub/Hachenburg, 5. Aufl. 1927, 2, Band, § 64 Anm. 7; für einen Vorrang des Anfechtungsrechts immer noch Nerlich, in Michalski, § 64 Rn. 50 m. w. N. 128) Jetzt erst wieder BGH ZIP 2014, 1523 = NZI 2014, 813 (Rz. 14); dazu Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff; so bereits im Grundsatzurteil BGHZ 131, 325 (327) = NJW 1996, 850; zum Ganzen auch Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (482 m. w. N.); K. Schmidt, NZG 2015, 129 (133 f). 129) BGHZ 131, 325 (329) = NJW 1996, 850 (851); dazu auch Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 17: K. Schmidt ZHR 168 (2004), 637 (644 f; 668).

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

kann, um seiner Haftung entgehen oder diese hemmen zu können. Der Geschäftsführer kann die Zahlung nicht einmal mit der Begründung verweigern, der Insolvenzverwalter hätte die Anfechtungsfrist schuldhaft verstreichen lassen. Beide Tatbestände stehen unverbunden nebeneinander130) und können jederzeit unabhängig voneinander geltend gemacht werden. Wird der Geschäftsführer allerdings in Anspruch genommen, muss ihm nach dem Rechtsgedanken des § 255 BGB der denkbare Anspruch gegen den Anfechtungsgegner abgetreten werden131).

69 Insofern ergibt sich aus der Rechtsprechung ein eindeutiges Nebeneinander der Ansprüche, eine Beeinflussung findet gerade nicht statt. Aber auch in der Intensität der Auslegung legen die BGH-Senate unterschiedliche Maßstäbe an. Der IX. Zivilsenat des BGH geht davon aus, dass einer „Verkümmerung“ des Anfechtungsrechts entgegen getreten werden müsse132). Demnach würden mache Konstellationen zur intensiveren Haftung führen als bei § 64 GmbHG. Es scheint, dass bei der Insolvenzanfechtung der Zweck der Masseerhaltung einen noch höheren Stellenwert hat als bei § 64 S. 1 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung, bei denen dann doch eher die Gläubigergleichbehandlung im Vordergrund zu stehen scheint133).

70 Insofern können Auslegungsergebnisse nicht unbesehen zwischen den beiden Instituten „ausgetauscht“ werden und der Erkenntnisgewinn ist jeweils eher verhalten zu beurteilen. Wie oben bereits angedeutet, wird in dieser Arbeit daher auch kein direkter Ausgleich zwischen der Haftung aus § 64 GmbHG und den Regeln der Insolvenzanfechtung gesucht.

b) Masseschutz bei der Haftung für die Verursachung der Insolvenz? 71 Für den hier behandelten Normzweck der Masseerhaltung und -sicherung gänzlich auszusondern sind hingegen diejenigen Haftungsnormen, die an die Insolvenzverursachung anknüpfen und die Herbeiführung der Insolvenzreife durch eine bestimmte Zahlung oder einen Eingriff sanktionieren. ___________ 130) Haas NZG 2013, 41 (43 Fn. 15 m. w. N.). 131) So die h. M.: BGHZ 146, 264 = NJW 2001, 1280; dazu auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 50 m. w. N.; ausführlich zum Meinungsstand der Konkurrenz von Erstattungshaftung und Insolvenzanfechtung jetzt wieder Altmeppen, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, S. 3 ff. 132) BGHZ 182, 317 = NJW 2009, 3362 (3363 Rz. 12); dazu auch Strohn, NZG 2011, 1161 (1165). 133) Mit diesem Ergebnis für den praktisch häufigen Fall des debitorischen Kontos: Strohn, NZG 2011, 1161 1165 unter dd), der darin jedoch keinen Widerspruch erblickt und vielmehr die (angeblich!) unterschiedlichen Schutzrichtungen ins Feld führt: Gläubigergleichbehandlung bei § 64 GmbHG, Masseanreicherung bei der Insolvenzanfechtung. Entlarvend ist insofern die Formulierung, die Funktion der §§ 129 InsO sei es, „möglichst viel Vermögen zur Masse zu ziehen“. Auf eine Obergrenze, wie der hier bei § 64 GmbHG vertretenen Massebereicherung, scheint es nicht anzukommen.

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II. Masseerhaltung und -restitution

Dabei ist zunächst an § 64 S. 3 GmbHG zu denken: Der Geschäftsführer haftet 72 auch für solche Zahlungen an Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen mussten. Zu dieser durch das MoMiG 2008 eingeführten Regelung wird überwiegend vertreten, sie diene der Sicherung der vorrangigen Befriedigung der Fremdkapitalgeber in der Insolvenz, was schon im Vorfeld der Insolvenz zu beachten sei134). Insofern geht es hier eher um einen sogleich noch zu erörternden Vermögensstrukturschutz, vorrangig nicht um die Erhaltung der Insolvenzmasse. Diese wäre auch kaum effektiv geschützt, da lediglich Zahlungen an die Gesellschafter und nicht an sonstige Gläubiger oder andere Dritte erfasst sind, und zudem nur genau jene „Zahlung“ erfasst ist, die letztlich die Zahlungsunfähigkeit begründet hat. Vor Eintritt der Insolvenzreife sind solche Zahlungen an Gläubiger aber dem Grunde nach noch zulässig und für den Geschäftsführer haftungsunschädlich. Somit wird der Begriff der Zahlung und die Rückführung des ausgezahlten Betrags vom Gesellschafter an die insolvente Gesellschaft lediglich als Anknüpfungspunkt genommen; das konstituierende Element dieser Regelung ist die Herbeiführung der Insolvenz der Gesellschaft und damit nicht die Erhaltung der zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenen Masse135). Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs ist wegen ihrer spezifischen 73 Rechtsfolge einer Schadensersatzhaftung da deutlich unbestimmter: Letztlich hat sie sicherlich einen gewissen masseerhaltenden Charakter – in der Literatur wird dies jedoch nicht als primärer Normzweck verstanden, sondern eher auf die Vermeidung von Ausplünderungsfällen hingewiesen. Dies ist insofern sachlogisch, weil der Abfluss von werthaltiger Masse, und damit eine bilanziell erfassbare Massereduktion, gar nicht Voraussetzung der Haftung ist136). Vielmehr geht es um Konstellationen, in denen u. U. sogar wertloses Vermögen oder Ressourcen entzogen werden, die dann aber beträchtliche Kollateralschäden nach sich ziehen, die wiederum später zur Insolvenz der Gesellschaft führen. Die Rechtsprechung setzt zur Ausfüllung des Tatbestands des § 826 BGB insofern nicht am Entzug der Masse als bestimmender Größe an, sondern an der sittenwidrigen Verursachung der Insolvenz als solcher. Die Haftung hat als Ansatzpunkt also primär nicht die Erhaltung der Masse, sondern die Auswirkung des Eingriffs, nämlich den Ausfall der Gläubiger. Insofern geht es auch weniger um die Sicherung der Wirkungen des eröffneten oder hypothetischen Insolvenzverfahrens und eine gleichmäßige und ranggerechte Befriedigung der Gläubiger, als mehr um die Vermeidung der Wir___________ 134) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64, Rn. 68 m. w. N.; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 77; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 2; Knof, DStR 2007, 1536 (1537); vgl. auch RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46. 135) Ausführliche Erörterung in Teil D. 136) Vgl. dazu die Ausführungen des BGH im Trihotel-Urteil: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 21); sowie Röhricht, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, 83 (94) zur Fallgruppe der Kollateralschäden.

33

B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

kungen einer überhaupt erst verursachten Insolvenz und dem daraus resultierenden Wertverlust.

74 Festzuhalten ist daher, dass sowohl § 64 S. 3 GmbHG als auch die Existenzvernichtungshaftung am Schutzzweck der Masseerhaltung unbeteiligt sind.

4.

Veränderung des Wertes der Masse

75 Schließlich sei an dieser Stelle noch der knappe Hinweis gegeben, dass der Schutzzweck „Masseerhaltung“ selbstverständlich auch betroffen ist, wenn sich der Wert der Masse durch exogene Faktoren oder durch reinen Zeitablauf verändert. Als Beispiele seien die Änderung des Wertes von Beteiligungen sowie die konjunkturellen und marktlichen Aussichten des Unternehmens genannt. Wie schon der Aktienkurs bei börsennotierten Gesellschaften zeigt, schwankt der wirtschaftliche Wert eines Unternehmens täglich.

76 Derartige Schwankungen werden zwar von der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO abgebildet, da diese am Quotenschaden der Gläubiger ansetzt. Auch bei der Existenzvernichtungshaftung würde ein entsprechender Schadensposten angesetzt werden, weil die Verringerung des Wertes einer Gesellschaft „durch“ die Herbeiführung der Insolvenz gerade ein klassischer Kollateralschaden ist137). Keine Berücksichtigung findet jedoch der schwankende Massewert des Unternehmens im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG, weil die Veränderung des Wertes der Masse nicht als „Zahlung“ gewertet werden kann.

77 Auch hieran zeigt sich, dass der Schutzzweck „Masseerhaltung“ kein einheitlicher ist und sich die einzelnen Haftungsnormen in ihrem Schutzniveau erheblich unterscheiden.

5.

Zwischenergebnis

78 Obwohl die Erhaltung der verteilungsfähigen Insolvenzmasse zweifellos ein zentraler und eminent wichtiger Schutzzweck des Haftungssystems ist, hat sich gezeigt, dass er im von der herrschenden Meinung vertretenen Konzept teilweise unzulänglich, teilweise mit starken Zufälligkeiten und teilweise lückenhaft umgesetzt ist. Es lässt sich keine einheitliche Argumentations- oder Bewertungslinie erkennen, die als Richtwert für alternative Modelle gelten könnte. Daher wird der sogleich zu erörternde Schutzzweck der Gläubigergleichbehandlung in der Bewertung von Alternativmodellen deutlich gewichtiger sein müssen als die Erhaltung der verteilungsfähigen Masse.

___________ 137) Vgl. dazu Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 145.

34

III. Die par conditio creditorum als grundlegender Normzweck des Haftungssystems

Masseerhaltung ist wohl kaum mehr als ein bloßes gesetzgeberisches Motiv des 79 Haftungssystems und kann kaum als tragfähige „Kontrollgrundlage“ oder Auslegungshilfe herangezogen werden. Insofern haben die Erörterungen auch bereits hier schon gezeigt, dass die Schutz- 80 richtungen der einzelnen Elemente des Haftungssystems nicht aufeinander abgestimmt sind und daher auch Ergebnisse nicht ohne Weiteres zwischen den Haftungsnormen übertragen werden können.

III. Die par conditio creditorum als grundlegender Normzweck des Haftungssystems 1.

Gläubigergleichbehandlung als Ausstrahlungswirkung des nachfolgenden Insolvenzverfahrens

Die gleichmäßige und ranggerechte Befriedigung aller Gläubiger des Schuldners 81 ist ein wesentlicher Grundsatz des Insolvenzverfahrens und in § 1 InsO sowie den §§ 129 ff InsO verankert138). Über die weiteren Normen des Haftungssystems wird die par conditio creditorum auch im Insolvenzvorfeld sichergestellt und stellt nach h. M. einen wesentlichen Baustein des Haftungssystems dar139). Dabei ist insbesondere § 64 S. 1 GmbHG, unterstützt von § 15a InsO ein Instrument der Gläubigergleichbehandlung140). Ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenzreife ist nicht nur die verteilungsfähige Masse der insolvenzreifen Gesellschaft zu erhalten, sondern auch eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern141). Auch die Rechtsprechung betont insofern immer wieder das Ziel einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung142). ___________ 138) Kruth, NZI 2014, 981 (981 f); zur Gläubigergleichbehandlung durch das Insolvenzanfechtungsrecht Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, vor § 64 Rn. 233. 139) Dies gilt insbesondere für § 64 S. 1 GmbHG: vgl. nur Goette, ZInsO 2005, 1 (2); Rspr. und hL. gehen davon aus, dass das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG Gläubigerschutzwirkung hat: vgl. nur BGHZ 143, 184 = NJW 2000, 668; Bitter, WM 2001, 666 (670); Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4; andere wiederum sehen in der Gleichbehandlung der Gläubiger den alleinigen Schutzzweck des § 64 S. 1 GmbHG: Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2001, S. 415 (423), der die Erhaltung der Masse als Schutzzweck gänzlich ablehnt. 140) Grundlegend BGHZ 146, 264 (275, 278) = NJW 2001, 1280; vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 81; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 16, 26; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 1 – 1b; Kleindiek, in Lutter/ Hommelhoff, § 64 Rn. 4; Goette, ZInsO 2005, 1 (3); zum AktG: Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 123; so auch Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (419 ff) (alleiniger Normzweck). 141) Vgl. nur BGH NJW 2011, 2427 (2428 Rz. 20) = ZIP 2011, 1007; vgl. auch Gehrlein, ZInsO 2015, 477. 142) BGHZ 143, 184 (186) = NJW 2000, 668; BGHZ 146, 264 (275) = NJW 2001, 1280 (1283); BGH ZIP 2007, 1006 f = NZG 2007, 462; BGH ZIP 2010, 470 = NZG 2010, 346 (347 Rz. 10 m. w. N.).

35

B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

82 Von Teilen der Literatur wird hingegen vertreten, dass die Gleichbehandlung aller Gläubiger gerade kein spezifischer Normzweck des § 64 GmbHG sei143). Vielmehr sei die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger dem Insolvenzverfahren per se schon immanent und der Ausgleich über die Haftung des § 64 S. 1 GmbH käme diesem Regime nur insofern zugute, als die Masse angereichert würde. Somit würde die Gläubigergleichbehandlung nur mittelbar gestärkt144). Diese abweichende Meinung gründet sich auf ein von der herrschenden Ansicht abweichendes Normverständnis des § 64 S. 1 GmbHG als Schadensersatznorm.

83 Aufgrund der von K. Schmidt angeführten Argumente die par conditio creditorum als Schutzzweck des § 64 S. 1 GmbHG generell abzulehnen, würde aber zu weit führen. Oben wurde bereits dargestellt, dass das Haftungssystem im GmbH-Recht manche Schutzziele auch mittelbar zu erreichen sucht. Dort bezogen sich die Ausführungen auf das Auseinanderfallen von Schutzobjekt und -subjekt. Dieselben Überlegungen müssen aber auch für unmittelbaren und mittelbaren Schutzzweck gelten: Nur weil die Gläubigergleichbehandlung als gesetzgeberische Intention nicht unmittelbar, sondern lediglich mittelbar über die Auffüllung der Masse und das anschließende Insolvenzverfahren erreicht wird, heißt dies noch nicht, dass damit der Schutzzweck „Gleichbehandlung“ gänzlich abzulehnen ist.

84 Das Ziel der Gleichbehandlung der Gläubiger beruht auf dem Gedanken, dass durch die Haftungsvorschriften die grundlegenden Wertungen des später folgenden Insolvenzverfahrens vorweggenommen bzw. abgesichert werden sollen145). Das Insolvenzverfahren zeitigt also eine gewisse Ausstrahlungswirkung bereits im Vorfeld der Eröffnung. Das durch § 1 InsO festgelegte Ziel der „gemeinschaftlichen“, sprich gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gläubiger bedingt eine Befriedigung nach quotalen Maßstäben146) für alle einfachen Insolvenzgläubiger147), das heißt für Gläubiger deren Anspruch bei Eröffnung des Verfahrens bereits be___________ 143) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 („kein spezifischer Schutzzweck des § 64“ ) m. w. N. in Fn. 6, 7 mit dem Argument, es sei nicht einsichtig, warum nicht der Empfänger der Zahlung, sondern der Geschäftsführer das Geleistete nach § 64 herausgeben soll.; ders., ZHR 168 (2004), 637 (653). 144) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 a. E.; von mittelbarem Schutz der Gleichbehandlung der Gläubiger spricht auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 4. 145) Vgl. Strohn, NZG 2011, 1161 (1163); so auch Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (423); dies mit dem Argument ablehnend, dass generell außerhalb des Insolvenzverfahrens keine Gläubigergleichbehandlung bestehe und daher eine solche „Vorwirkung“ des Insolvenzverfahrens abzulehnen sei: K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (653). 146) Vgl. auch Haas, in Baumbach/Hueck, Rn. 1; zitiert nach Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 4; Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (426); der Gleichbehandlungsgrundsatz folgt zwar eigentlich nicht aus § 1 InsO, liegt aber insb. den §§ 88, 92, 93, 96, 130 bis 132 und 195 zugrunde: vgl. Sternal, in: Kayser/Thole, InsO, § 1 Rn. 4, der auch darauf hinweist, die in gemeinschaftliche Befriedigung auch zu einer Bevorzugung (vgl. Regelungen in §§ 53 ff) oder Benachteiligung (§ 39) einzelner Gläubiger führen kann. 147) Vgl. instruktiv Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 81 a. E. m. w. N.

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III. Die par conditio creditorum als grundlegender Normzweck des Haftungssystems

standen hat (§ 38 InsO). Diese einheitlich quotale Befriedigung soll nun aber schon im Vorfeld des eigentlichen Verfahrens durch Handlungen des Schuldners bzw. dessen Leitungsorganen nicht umgangen werden können. Für Rechtshandlungen in der Verschleppungsphase kann also als Vergleichsmaßstab die Rechtslage in einem eröffneten Insolvenzverfahren herangezogen werden (als-ob-Betrachtung)148). Aber auch was den Normzweck der Sicherung der einheitlichen und gemeinschaft- 85 lichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger anbelangt, ist wiederum auf die Besonderheiten und Einschränkungen der jeweiligen Haftungsnormen abzustellen:

2.

Gläubigergleichbehandlung für Alt- und Neugläubiger?

Die erste Einschränkung der „Gleichbehandlung“ von Gläubigern fällt bereits bei 86 der oben dargestellten Unterscheidung von Alt- und Neugläubigern auf: Die h. M. verwehrt sich dagegen, die Begründung von Neuverbindlichkeiten als „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG zu verstehen. Auch im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO werden Alt- und Neugläubiger nicht gleich behandelt (vgl. II.3.c): Während Neugläubiger149) ihren Individualschaden geltend machen können, sind Altgläubiger auf ihren Quotenschaden beschränkt; sie können mithin nur geltend machen, dass die gesamte zur Verfügung stehende Masse, und damit auch ihre Quote, im Zeitraum der Insolvenzverschleppung150) an Wert verloren hat. Diesen Schaden klagt wegen § 92 InsO im laufenden Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter einheitlich ein. Neugläubiger machen selbständig und auch während des laufenden Verfahrens unabhängig von demselbigen das volle negative Interesse geltend, werden also so gestellt, als ob sie nie mit der Gesellschaft in rechtsgeschäftlichen Kontakt getreten wären. Der BGH hat diese Unterscheidung vor allem darauf gestützt, dass ein rechtsgeschäftlicher Kontakt ab dem Zeitpunkt der Insolvenzreife eigentlich völlig unterbunden werden sollte, da die Gesellschaft ab Insolvenzreife abgewickelt werden müsste. Auch sei ein einheitlicher Quotenschaden der Neugläubiger gar nicht denkbar151): Denn ein solcher müsste gestaffelt werden nach dem Zeitpunkt, an dem der jeweilige An___________ 148) Zu diesem Gedanken insbesondere Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (418); dies., ZGR 2016, 153 ff.; ähnlich auch: OLG Celle, ZIP 2004, 1210 = GmbHR 2004, 568. 149) Deliktische Neugläubiger klammert der BGH jedoch explizit vom Individualschaden aus: vgl. BGHZ 164, 50 (61 f) = NJW 2005, 3137; zur Unterscheidung von Alt- und Neugläubigern sowie der Unterscheidung zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Gläubigern vgl. auch Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, S. 21 ff und 24 ff. 150) Eine etwaige Entwertung ihrer Forderung im Vorfeld der Insolvenzreife der Gesellschaft, also noch im Zeitraum bevor der Geschäftsführer hätte Insolvenzantrag stellen müssen, fällt demgegenüber in den Risikobereich des jeweiligen Gläubigers und ist daher nicht ersatzfähig: BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2222). Dies stellt nach BGH gerade keine Ungleichbehandlung der Gläubiger dar. 151) BGHZ 138, 211 (214 Rn. 9) = NJW 1998, 2667 f: „grundsätzlich kein einheitlicher Quotenschaden der Neugläubiger, der einer Geltendmachung durch den Konkursverwalter zugänglich wäre“.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

spruchsinhaber Gläubiger der Gesellschaft geworden ist, also seit dem Zeitpunkt der Forderungsbegründung. Kritische Stimmen in der Literatur haben dem bereits seit jeher entgegengehalten, dass es einen Quotenschaden auch für Neugläubiger gebe, daher beide Gläubigergruppen – zumindest was den Quotenverschlechterungsschaden angeht – nicht unterschiedlich behandelt werden dürften152). Die Unterscheidung von Alt- und Neugläubigern mache aus der Insolvenzverschleppungshaftung in Gänze im Wesentlichen totes Recht, da sie aufgrund der nicht durchführbaren Bestimmung des genauen Zeitpunktes der Insolvenzreife praktisch nicht durchführbar sei153).

87 Die Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern mit ihren unterschiedlichen Schadensposten mutet auf den ersten Blick widersprüchlich zum eingangs dargelegten grundlegenden Normzweck und -prinzip der Gläubigergleichbehandlung an. Eine Lösung dieser Diskrepanz zeigt sich aber mit Blick auf ein hypothetisches, zum Zeitpunkt der Insolvenzreife beantragtes und eröffnetes Insolvenzverfahren: Wie oben dargestellt, sollen die Haftungs- und Gläubigerschutzvorschriften ab dem Zeitpunkt der materiellen Insolvenz, also der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, die Wirkungen des Insolvenzverfahrens vorwegnehmen154). So stellen die Zahlungsverbote im Zeitraum der Insolvenzverschleppung ein „Spiegelbild“ zu den Wirkungen eines hypothetischen, eröffneten Insolvenzverfahrens dar. Die Kontrollfrage ist also, wie eine entsprechende Situation in einem eröffneten Insolvenzverfahren, dem rechtmäßigen Alternativverhalten, zu behandeln gewesen wäre und dabei insbesondere, ob eine Zahlung im eröffneten Insolvenzverfahren noch geleistet hätte werden dürfen155). Vorliegend wären die Altgläubiger im eröffneten Verfahren zu „einfachen“ Insolvenzgläubigern nach § 38 InsO geworden, während bei Neugläubigern zu unterscheiden ist: Entweder würden sie zu privilegierten Massegläubigern (insbesondere §§ 54, 55 Abs. 1 InsO). Alle sonstigen Neugläubiger, mit denen der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vertragliche Beziehungen eingegangen ist, nehmen hingegen am Insolvenzverfahren gar nicht teil. Ihre Forderungen werden vom Insolvenzverfahren nicht tangiert156) – sie können ___________ 152) Prominent hier insb. K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 187 m. w. N.; Wagner, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665, (1674 ff, 1685); Poertzgen, Organhaftung, S. 325; ders., ZInsO 2007, 285 (292); vgl. zum Ganzen auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 135 m. w. N. 153) Stellvertretend für viele: K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 187 (Fn. 2 auf S. 4072 m. w. N.). 154) Zu diesem Aspekt ausführlich und instruktiv Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (394 Fn. 30 und 31) sowie (401 ff) („als-ob“-Betrachtung); so auch OLG Celle, ZIP 2004, 1210 = GmbHR 2004, 568; zu dieser Entscheidung auch K. Schmidt, ZIP 2005, 2177 (2180 f). 155) Vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 93, der diesen Gedanken jedoch auf der Stufe des § 64 S. 2 GmbHG verortet. Hierbei geht es aber insbesondere um die Erfüllungswahl oder -ablehung durch den Insolvenzverwalter (§§ 103 ff InsO): vgl. auch K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (667 f). 156) Vgl. Bork, Einführung in das Insolvenzrecht, Rn. 70 Fn. 5.

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III. Die par conditio creditorum als grundlegender Normzweck des Haftungssystems

aus dem Verfahren keinerlei Rechte herleiten. Eine Gleichbehandlung von Altund Neugläubigern (bzw. Insolvenzgläubigern, Massegläubigern und sonstigen Gläubigern) findet im eröffneten Insolvenzverfahren gerade nicht statt. Wertungsmäßig ist es daher folgerichtig, wenn auch bereits in der Phase der Insol- 88 venzverschleppung an den Status als Alt- und Neugläubiger unterschiedliche Rechte bzw. Rechtsfolgen geknüpft werden. Die durch das Insolvenzverfahren als rechtmäßiges Alternativverhalten vorgegebene Ungleichbehandlung ist insofern zu erhalten. Dies zeigt auch, dass der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung seine Wirk- 89 samkeit folgerichtig nicht für alle Gläubiger entfalten kann, sondern lediglich für die Altgläubiger gilt157). Demnach muss abgestuft werden: Die Gleichbehandlung erfolgt lediglich für die Altgläubiger, nicht jedoch für das Verhältnis der Alt- zu den Neugläubigern und auch nicht für das Verhältnis der Neugläubiger untereinander. Denn eine gleichmäßige Befriedigung wird nur innerhalb eines (hypothetischen) Insolvenzverfahrens gewährleistet, nicht jedoch außerhalb des Verfahrens für das Verhältnis von mehreren Neugläubigern untereinander. Hier gelten die üblichen Regeln der Zwangsvollstreckung und des ersten Vollstreckungszugriffs. Der Schutz von Neugläubigern folgt anderen rechtspolitischen Erwägungen, nicht jedoch dem Gebot der Gleichbehandlung.

3.

Gläubigergleichbehandlung außerhalb des (hypothetischen) Insolvenzverfahrens

Aus dem gerade Gesagten erschließt sich, dass es noch weitere Normen und Zu- 90 sammenhänge gibt, in denen die Gläubigergleichbehandlung als Schutzzweck einer Haftungsnorm versagt: Überall dort, wo ein zum ordnungsgemäßen Zeitpunkt beantragtes hypothetisches Insolvenzverfahren noch nicht oder nicht mehr greifen würde, kann die Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger als Grundlage der Argumentation nicht herangezogen werden: Dies gilt zunächst für die Situation des § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernich- 91 tungshaftung, nämlich Zahlungen und Eingriffe an bzw. zu Gunsten eines Gesellschafters, die die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung erst herbeiführen, die also zu einem Zeitpunkt getätigt werden, zu dem die materielle Insolvenz noch nicht besteht. In dieser Situation kann ein hypothetisches Insolvenzverfahren per se schon nicht als Referenzgröße herangezogen werden, da noch gar keine Verpflichtung zu dessen Beantragung besteht. Denn das Gebot einer Gleichbehandlung im ___________ 157) Der BGH stellt vielmehr darauf ab, dass eine Gleichbehandlung der Gläubiger gerade vorliege, weil jedem Gläubiger der gerade ihm entstandene Schaden ersetzt wird: vgl. BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2222 m. w. N.); dem zustimmend: Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 84.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

Vorfeld der Insolvenz, also noch im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung, gibt es dem Grunde nach nicht158).

92 Daraus bereits wird deutlich, dass die Gläubigergleichbehandlung weder der tragende Normzweck von § 64 S. 3 GmbHG noch der Existenzvernichtungshaftung sein kann. Davon abgesehen wird mit den Gesellschaftern ja gerade eine Gruppe von Gläubigern herausgegriffen und ungleich behandelt als die üblichen Gläubiger – namentlich mit einem Auszahlungsverbot belegt. Die tragenden Motive für § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung sind somit an anderer Stelle zu suchen.

4.

Gläubigergleichbehandlung und Vorabbefriedigung – ein Spiegelbild?

93 Schließlich soll an dieser Stelle nochmals die Frage aufgeworfen werden, welche grundlegenden Ziele mit dem Normzweck der Gläubigergleichbehandlung verfolgt werden sollen. Wie oben ausgeführt, ist die Konzeption der Insolvenzordnung, eine geordnete Begleichung und Abwicklung der schuldnerischen Gesellschaft im Insolvenzverfahren zu schaffen, die eine gleichmäßige Befriedigung ohne den ansonsten in der Einzelzwangsvollstreckung üblichen Wettlauf der Gläubiger ermöglicht. Könnte es einem Gläubiger aber nicht generell gleichgültig sein, ob ein anderer Gläubiger Befriedigung erfährt, wenn dadurch die eigenen Befriedigungsaussichten nicht geschmälert werden?

94 Die grundlegende Konzeption einer gleichmäßigen und ranggerechten Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren erfordert, dass jeder Gläubiger bei der Verteilung des Gesellschaftsvermögens auf einen gewissen Anteil seiner Forderung verzichten muss und nur in Höhe seiner Quote befriedigt wird. Zahlt ein Geschäftsführer einem Gläubiger vorab auf seine Forderung, so muss dieser Gläubiger einen Abschlag von seiner Verbindlichkeit gerade nicht hinnehmen, während die restlichen Gläubiger diesen nicht in Abzug gebrachten Abschlag unter sich aufteilen und eine entsprechend niedrigere Quote erhalten, ihnen durch die marginal verschlechterten Befriedigungsaussichten mithin ein (Quoten-)Schaden entsteht. Nun sind zwei Szenarien denkbar:

95 Was wäre, erstens, wenn der Geschäftsführer (auf wundersame Weise) die exakte, eigentlich erst am Ende des Insolvenzverfahrens feststehende Insolvenzquote bereits zum Zeitpunkt der Zahlung an den befriedigten Gläubiger kennen würde und diese Quote gleich bei der Befriedigung von der Zahlung abzieht, im Übrigen mit dem Gläubiger (im Hinblick auf die ohnehin durch die Quote beschränkten Befriedigungsaussichten) einen Forderungsverzicht vereinbaren würde? Dann wäre zwar ___________ 158) Etwas anderes gilt allenfalls für die Regeln der Insolvenzanfechtung, die aber gerade die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzen, insofern lediglich „rückwirkend“ bestimmte Transaktionen beseitigen.

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III. Die par conditio creditorum als grundlegender Normzweck des Haftungssystems

ein einzelner Gläubiger vorab befriedigt worden, und damit läge generell ein Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG vor. Dennoch wäre weder der befriedigte Gläubiger bevorzugt, noch die übrigen Gläubiger benachteiligt, weil ihre Aussichten auf die Quote nicht geschmälert würden. Für den vorab befriedigten Gläubiger würde allenfalls ein Zinseffekt entstehen, der hier vernachlässigt werden soll. Die Situation einer (auf die Insolvenzquote begrenzten) Zahlung an einen Gläubi- 96 ger wäre dann gegenüber der Situation gänzlich ohne jede „Zahlung“ ein paretooptimaler Zustand: Der vorab befriedigte Gläubiger wird durch die vorgezogene Befriedigung besser gestellt, die anderen Gläubiger werden jedoch nicht schlechter gestellt. Obwohl hier mithin technisch eine Ungleichbehandlung bewirkt wird, wäre das eigentliche Schutzziel einer gleichmäßigen Befriedigung nicht vereitelt159) – oder methodisch ausgedrückt: Die übrigen Gläubiger hätten keinen Schaden i. S. d. §§ 249 ff BGB. Die Frage lautet also: Bedarf es einer Haftung, wenn gar kein Schaden entstanden ist? Die h. M. scheint dies in Bezug auf § 64 S. 1 GmbHG unbesehen zu bejahen und verkennt dabei, dass eine Zahlung nicht zwingend zu einer Schlechterstellung der übrigen Gläubiger führen muss. Dem genannten Beispiel lässt sich natürlich entgegenhalten, dass es auf der sehr 97 praxisfernen Prämisse beruht, dass die Insolvenzquote dem Geschäftsführer vorab bekannt ist. Es soll aber lediglich illustrieren, dass Situationen denkbar sind, in denen eine Bevorzugung einzelner Gläubiger nicht zwangsweise einen Nachteil für die übrige Gläubigergemeinschaft hervorruft. Oder anders ausgedrückt: Die Bevorzugung eines Gläubigers muss nicht zwingend das Spiegelbild der Benachteiligung eines anderen Gläubigers sein. Zweitens wäre an die – tatsächlich praxisrelevante – Situation zu denken, in der ein 98 Geschäftsführer in der Verschleppungsphase an einen Gläubiger zahlt, weil dieser seine Befriedigung (ob in voller Höhe oder nur zum Teil) als Bedingung für eine weitere Geschäftsbeziehung gemacht hat. Angenommen, die Befriedigung führt zu einer Fortführung der Geschäftsbeziehungen, die letztendlich die Gesellschaft zwar nicht retten kann, jedoch die Masse erheblich bereichern und damit die Quote der übrigen Insolvenzgläubiger steigern. Wäre dieser Verlauf der Dinge den übrigen Insolvenzgläubigern im Detail bekannt, würde wohl keiner von ihnen der Vorabbefriedigung widersprechen und sich diskriminiert fühlen. Diese beiden Beispiele verdeutlichen: Die Vorabbefriedigung eines einzelnen Gläubi- 99 gers steht nicht per se im Widerspruch zur vom Gesetz intendierten gemeinschaftlichen (sprich: einheitlichen) Befriedigung der Gläubiger in der Insolvenz der Gesellschaft. Insofern bedarf es eines tragfähigen Kriteriums, um Fälle eines fehlen___________ 159) Genau die entgegengesetzte Position dürfte hier Schulz-Osterloh vertreten, der den Normzweck des § 64 GmbHG ja ausschließlich in der Gläubigergleichbehandlung, und nicht in der Erhaltung der Masse sieht: vgl. Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 ff.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

den Schutzbedürfnisses aus der Haftung auszusondern. Gerade wurde bereits das Kriterium des „Schadens“ i. S. d. §§ 249 ff BGB erwähnt. Darauf wird zurückzukommen sein.

5.

Zwischenergebnis

100 Auf Basis der bei jeder Norm herrschenden Auslegung wurden somit eine Reihe von Thesen destilliert, durch die die beiden Normzwecke „Masseerhaltung“ und „Gläubigergleichbehandlung“ umschrieben werden können. Diese lassen sich als vorläufiges Zwischenergebnis festhalten: 

Die Erhaltung der verteilungsfähigen Insolvenzmasse ist ein nach h. M. zentraler, jedoch im Detail sehr konturloser Schutzzweck des Haftungssystems.



In unterschiedlichen Normzusammenhängen bestehen beim Umfang der Schutzwirkung erhebliche Unterschiede, weshalb kaum von einem einheitlichen Schutzzweck, sondern eher von einem gesetzgeberischen Motiv gesprochen werden sollte.



Faktoren, die den Umfang der Masse beeinflussen, werden bei manchen Haftungsnormen nur zum Teil, manchmal auch überhaupt nicht erfasst (bei Veränderungen des Wertes der Masse im reinen Zeitablauf). Die Haftungsnormen



werfen daher für den vermeintlich selben Normzweck höchst unterschiedliche Ergebnisse aus.



Der Normzweck der Gläubigergleichbehandlung hingegen ist ein zentraler Normzweck des Haftungssystems im Kapitalgesellschaftsrecht, unterliegt jedoch gewichtigen Einschränkungen:



Gleichbehandlung gilt lediglich für die Altgläubiger, also für solche Gläubiger, deren Forderung zum Zeitpunkt der Insolvenzreife bereits besteht. Für Neugläubiger hingegen kann dieser Grundsatz nicht gelten.



Ebenfalls greift der Grundsatz nicht für Normen, die an Zeiträume oder bestimmte Gläubiger anknüpfen, die außerhalb des hypothetischen und zum ordnungsgemäßen Zeitpunkt beantragten Insolvenzverfahrens liegen oder von diesem nicht erfasst werden („Spiegelbild-Argument“, „als-ob-Betrachtung“).



Schließlich erfordert der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung gerade keine absolut unterschiedslose Behandlung einzelner Gläubiger, sondern kann durch wirtschaftliche Gegenbewegungen oder Abschläge ausgeglichen werden. Eine technisch absolute Gleichbehandlung ist zur wirtschaftlichen Erreichung der gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung im Insolvenzverfahren nicht erforderlich und setzt lediglich voraus, dass ein pareto-optimaler Zustand geschaffen wird, dass also durch eine Veränderung der Haftungsnormen andere Gläubiger nicht schlechter gestellt werden.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

IV. Insolvenzprophylaxe, genuines Bestandsinteresse der Gesellschaft und Vermögensstrukturschutz Die bisherigen Schutzzwecküberlegungen waren allesamt ihrer Natur nach repres- 101 siv ausgestaltet. Ansatzpunkt war durchweg die Reaktion der Rechtsordnung auf eine bereits eingetretene Insolvenz der Gesellschaft. Die Sicherung der dann noch vorhandenen und verteilungsfähigen Insolvenzmasse zur gleichmäßigen Befriedigung der in diesem Zeitpunkt vorhandenen Insolvenzgläubiger wurde letztlich als nichts anderes als die Sicherung der Wirkungen des nachgeschalteten Insolvenzverfahrens identifiziert. Das Haftungssystem geht jedoch über diesen rein reaktiven Tatbestand hinaus. Im 102 Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob die hier diskutierten Haftungsnormen nicht auch eine gewisse Schutzfunktion aufbauen und bereits den Eintritt der Insolvenz einer Gesellschaft zu verhindern suchen.

1.

Bestandsinteresse der Gesellschaft als Schutzzweck?

Ansatzpunkt der Untersuchung ist die Erkenntnis, dass die Gesellschaft dem Grunde 103 nach kein rechtlich begründbares und von den Interessen der Anteilseigner abstrahierbares Bestandsinteresse hat160). Ein Schutz der Gesellschaft erfolgt nicht um ihrer selbst willen. Damit wird dem Grunde nach auch gesagt, dass die Gesellschafter „ihre“ Gesellschaft divestieren161), liquidieren oder in die Insolvenz treiben „dürfen“162) – selbstverständlich sofern sie dabei die spezifisch liquidations- oder insolvenzbezogenen Reglements einhalten. Dieser für die Praxis natürlich unbefriedigende Befund wurde insbesondere bei den 104 Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung diskutiert, da dort immer die Haftung der Gesellschafter für die Gläubiger der Gesellschaft im Raum stand. Nur angedeutet werden soll an dieser Stelle, dass eine Reihe von alternativen Haftungskonzepten in den unterschiedlichsten dogmatischen Konzeptionen und Ausgestaltungen zur Verantwortlichkeit der Gesellschafter gegenüber „ihrer“ Gesellschaft und letzt-

___________ 160) Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 AktG Rn. 33 und 34 m. w. N.; Weller, DStR 2007, 1166 (1167); Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 181 f m. w. N. in Fn. 453: die Interessen der GmbH werden von der Rechtsprechung bisher ausschließlich durch die Interessen der Gesellschafter in ihrer Gesamtheit definiert. 161) Zu diesem Aspekt ausführlich Bitter, WM 2001, 2311 (2136): Recht auf Investition oder Überleben des Unternehmens als Institution nicht begründbar. 162) Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 181 f, dies natürlich unter dem Vorbehalt der Regelungen zur Existenzvernichtungshaftung.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

lich den Gläubigern diskutiert wurden163). Angedacht wurde z. B., ein Bestandsinteresse aus der Treuepflicht der Gesellschafter untereinander164). Ohne das Vorhandensein von Minderheitsgesellschaftern oder bei einvernehmlich handelnden Gesellschaftern versagt aber dieser Treuepflichtansatz: Eine solche Pflicht eines Alleingesellschafters bzw. der einverständlich handelnden Gesellschaftergesamtheit gegenüber der GmbH wird von der h. M. abgelehnt165). Und eine „mittelbare“ Treuepflicht zu Gunsten der Gläubiger wurde bislang ebenfalls nicht anerkannt166).

105 Eine generelle Maxime des deutschen Rechts, dass eine Gesellschaft vor der Insolvenz zu bewahren sei oder an die Insolvenz die Haftung der Gesellschafter oder Organe geknüpft ist, gibt es daher nicht167). Letztlich unterliefe eine solche Wertung auch das Wesen der Kapitalgesellschaft als haftungsbegrenzendes Rechtssubjekt.

106 Auch aus der in § 43 Abs. 2 GmbHG angeordneten Haftung des Geschäftsführers ergibt sich kein autonomes Gesellschaftsinteresse, das unabhängig vom Interesse der Gesellschafter an der sorgfältigen Verwaltung ihres Vermögens geschützt würde168). Es gibt eben weder gegen Geschäftsleiter noch gegen Gesellschafter eine Haftung im „Gesellschaftsinteresse“169). Für den hier interessierenden Problemkreis ist es daher entscheidend, dass der Bestand der Gesellschaft als solcher dem Grunde nach in keiner der zu behandelnden Regelungsmaterien tauglicher Schutzzweck im Haftungs- und Gläubigerschutzkonzepts ist.

___________ 163) Stellvertretend sei nur lediglich verwiesen auf: Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 74, 75 m. w. N.; Habersack in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 35 m. w. N. 164) Vgl. dazu erst wieder Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (592 m. w. N. in Fn. 13) zum Verhältnis der Haftung des Gesellschafters wegen existenzvernichtenden Eingriffs und des Geschäftsführers aus § 64 S. 3 GmbHG. 165) BGHZ 65, 15 (18 ff) = NJW 1976, 191 (ITT), dort wurde zwar Schadensersatz bejaht, jedoch lediglich innerhalb des Gesellschafterkreises, der aus Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern bestand; BGHZ 142, 92 (LS. 2 m. w. N.) = NJW 1999, 2817: grundsätzlich kein Schadensersatzanspruch, wenn nur ein Gesellschafter vorhanden; vgl. auch BGHZ 129, 136 (160) = NJW 1995, 1739 (Girmes); Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 33 f m. w. N.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaten, § 38 Rn. 36 m. w. N.; Bitter, WM 2001, 2133 (2136, 2138 m. w. N.); ausführlich den Treuepflichtansatz ablehnend auch Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 225. 166) Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 226 oben, Fn. 688 m. w. N. 167) Vgl. BGHZ 154, 190 = NZI 2003, 315 (316); Ganter/Lohmann, in MüKo InsO, § 1 Rn. 20, 85 ff; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 73 m. w. N. 168) Vgl. Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1508 m. w. N. in Fn. 28). 169) Vgl. BGHZ 142, 92 = NJW 1999, 2817; Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1508 Fn. 28) mit Verweis auf Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung, S. 304 ff. Bei § 43 GmbHG ist davon noch nicht einmal die von anderen Normen bekannte Ausnahme anerkannt, dass eine Haftung dann besteht, wenn sie zur Befriedigung der Gläubiger notwenig ist (dazu sogleich).

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

2.

Gläubigerinteressen als „kanalisiertes“ Bestandsinteresse

Dieser Grundsatz wird von der Rechtsprechung jedoch zum Schutze der Gläubi- 107 gerinteressen eingeschränkt. Im Urteil Bremer Vulkan hat der BGH ein gewisses autonomes Bestandsinteresse der Gesellschaft aus der „Zweckbindung“ des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Erfüllung der Gesellschaftsverbindlichkeiten gegenüber den Gläubigern abgeleitet. Der Alleingesellschafter sei stets verpflichtet auf die Eigenbelange der GmbH angemessen Rücksicht zu nehmen: „An einer solchen Rücksichtnahme fehlt es, wenn die GmbH infolge des Eingriffs ihres Alleingesellschafters ihren Verbindlichkeiten nicht mehr allein nachkommen kann.“170) Mit Eintritt der Insolvenzreife bestehe das Gesellschaftsinteresse ausschließlich in der Befriedigung der Verbindlichkeiten der Gläubiger, das insofern begründete Bestandsinteresse ist mithin ein von den Gläubigerinteressen abgeleitetes, also derivatives Interesse. Im Bremer Vulkan-Urteil hat der BGH über dieses Interesse nur in einem obiter dictum entschieden und insofern auch die Haftungsgrundlage offen gelassen171). Ein solches Bestandsinteresse hat er auch in den Folgeurteilen nicht mehr explizit erwähnt172) und statt dessen eher auf die „Respektierung der Zweckbindung“173) des Gesellschaftsvermögens abgestellt und die Haftung sodann aus einem „Missbrauch“174) der Rechtsform abgeleitet, den ein Gesellschafter betreibe, wenn er der Gesellschaft eigennützig Mittel entziehe, die diese objektiv zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigt175). In der Sache handelt es sich dabei jedoch um denselben Gedanken176). ___________ 170) BGHZ 149, 10 (16) = NJW 2001, 3622 (Bremer Vulkan). 171) Vgl. Haas, WM 2003, 1929 (1939 f) mit der Diskussion der anderen denkbaren Haftungskonzepte; ebenso Bitter, WM 2001, 2311 (2137). 172) Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (592 f); Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 729; vgl. Altmeppen, ZIP 2002, 1553. 173) Vgl. dazu Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 727 ff. 174) Zu diesem Aspekt insb. Haas, WM 2003, 1929, 1936: die Existenzvernichtungshaftung solle den Gläubigern einen Ausgleich dafür gewähren, dass sich die Gesellschafter in missbräuchlicher Weise eine Systemlücke im Gläubigerschutz zu Nutze gemacht habe und die Befriedigungsaussichten der Gläubiger verschlechtert haben. 175) Vgl. nur BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (1. LS) (KBV); dazu Altmeppen, ZIP 2002, 1553 sowie Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 94 f, 100; BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (1. LS sowie 2690 Rz. 16 sowie Rz. 25 a. E.) (Trihotel); zuletzt wieder BGH ZIP 2008, 308 = NZG 2008, 187 (Wettbewerbsverbot); Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 (2035); Paefgen, DB 2007, 1907 (1908); ausführlich Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 AktG Rn. 34, 35. 176) Das KBV-Urteil sieht seine Ausführungen als „Ergänzung“ zu den in Bremer Vulkan aufgestellten Grundsätzen: vgl. BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (2. LS und 3025) (KBV); und auch im Trihotel-Urteil sollte sich in der Sache nichts ändern: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (Trihotel), wo bereits im erstem Leitsatz an der „Existenzvernichtungshaftung“ festgehalten, lediglich die dogmatische Basis verändert wurde; vgl. auch Bitter, WM 2001, 2311 (2137), die Ausführungen in Bremer Vulkan waren unabhängig von einer Haftungsgrundlage; kritisch dagegen Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 729, der insofern betont, dass es keinesfalls um ein autonomes Interesse der Gesellschaft gehe.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

108 In Summe geht es also um Gläubigerschutz, der durch die Gesellschaft „kanalisiert“ wird177) und zum eigenen, autonomen Bestandsinteresse der Gesellschaft erkoren wird. Diese hat dem Grunde nach kein autonomes Interesse, außer es geht um die Gläubigerinteressen178). Dies gilt (gewissermaßen latent „schwebend“) auch außerhalb der Krise, wird jedoch umso virulenter, je weniger die Gesellschaft ihren Verbindlichkeiten nachkommen kann.

109 Die Beschränkung der persönlichen Haftung im Kapitalgesellschaftsrecht basiert im Wesentlichen auf dem Vorhandensein eines gewissen Mindestmaßes an Haftkapital179). Ist dieses jedoch aufgebraucht hat die Beschränkung der Haftung ihre Legitimation verloren, die Folge ist die gesetzliche Insolvenzantragspflicht180). Wenn Insolvenzreife eingetreten ist, gibt es somit keine legitime Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit mehr, die Gesellschaft muss vom Markt genommen werden. Vielmehr besteht ein Verbot der Gläubigergefährdung durch Fortführung der beschränkt haftenden Gesellschaft in Fällen der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit181). Teilweise wird auch formuliert, die Gesellschaft habe im Wesentlichen keine Existenzberechtigung mehr, sobald das Haftkapital aufgebraucht ist182). Insofern ist sie dann in einem geordneten Insolvenz- bzw. Liquidationsverfahren abzuwickeln, die Fremdkapitalgeber sind vorrangig zu befriedigen, § 199 InsO. Die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO schützt nach inzwischen h. M. also vor allem die Gesellschaftsgläubiger, nicht die Gesellschaft selbst183). Auf diese Schutzfunktion stellt der BGH auch ab, wenn er in den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung regelmäßig davon spricht, die Gesellschafter dürften eine Gesellschaft zwar generell auch auflösen, sie dann jedoch nicht „kalt liquidieren“, sondern müssten sich an die Regeln der Liquidation der Gesellschaft halten184). Ein Entzug von Vermögen, der schlussendlich die Gesellschafter begünstigt und die Fremdkapitalgeber ___________ 177) Vgl. nur BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (Rn. 33) (Trihotel); vgl. auch Weller, DStR 2007, 1166 (1167). 178) So der BGH im Nachfolgeurteil zu Trihotel: BGH ZIP 2008, 308 = NZG 2008, 187 (188 Rz. 15) (Wettbewerbsverbot). 179) Vgl. dazu nur das Trihotel-Urteil: BGHZ 173, 236 (Rn. 25 a. E.) = NJW 2007, 2689: dem Gesellschafter werde eine „als Verhaltenspflicht auferlegte Rücksichtnahmepflicht als das systemimmanente normative Korrelat der Instrumentalisierung der GmbH als haftungsbegrenzende Institution“ auferlegt. 180) Ausführlich und mit weiterführenden Hinweisen BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2223 f); Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 8. 181) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 131; vgl. auch Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 182) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, Vorbem. zu § 64 Rn. 6 m. w. N. 183) BGH NJW 1994, 2220 (2223 f); vgl. auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 175 mit Verweis auf K. Schmidt, JZ 1978, 661 (664) sowie auf RGZ 72, 289; RGZ 73, 33; vgl. auch Altmeppen/ Wilhelm, NJW 1999, 673 ff. 184) Ausführlich ehem. vors. Bundesrichter Röhricht, in: FS 50 Jahre BGH, 2000, 83 (101); Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 729 f; a. A. dagegen Bitter, WM 2001, 2311 (2136), der die Gefahr einer „kalten Liquidation“ ablehnt.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

leer aus gehen lässt, soll vermieden werden. Denselben Schutzzweck hat aus Sicht des Gesetzgebers § 64 S. 3 GmbHG, der 2008 mit dem MoMiG eingefügt wurde: Es sollen „Ausplünderungsfälle“ vermieden werden185), in denen die Gesellschaft auf kaltem Wege liquidiert und das Vermögen vor Begleichung der Verbindlichkeiten abgezogen werde. Auf dieser Basis ist auch erklärlich, dass nicht etwa der Bestand der Gesellschaft 110 als solcher geschützt ist, sondern nur die Herbeiführung der Insolvenz auf ganz bestimmte Art und Weise: nämlich so, dass die Gesellschafter dem gerade definierten Bestandsinteresse der Gesellschaft zuwider einen Entzug von Vermögen betreiben. Dem entspricht es, dass der BGH in den Fällen der Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB einen „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen fordert, mithin eine Vermögensverlagerung hin zum Gesellschafter186). Dieses Kriterium soll eine Abgrenzung liefern, um eine Haftung wegen eines „ordnungsgemäßen“, wenn auch nicht erfolgreichen Geschäftsverlaufs auszuschließen. Weder reine Managementfehler187) noch die Ausstattung mit unzureichendem Kapital188) sollen nämlich eine Haftung begründen können und dem soeben umrissenen Schutzzweck des Bestandsinteresses der Gesellschaft zuwider laufen. Festzuhalten bleibt daher, dass die Herbeiführung der Insolvenz nur auf speziellem 111 Weg mit einer Haftung belegt wird. Diese wird dogmatisch verankert in der Begründung eines eigenen, von den Interessen der Gesellschafter autonomen Gesellschaftsinteresses, das wiederum von der Summe der Gläubigerinteressen abgeleitet wird. Es handelt sich also um ein derivatives Interesse, das durch die Gesellschaft „kanalisiert“ wird189). Die Wirkung dieses Bestandsinteresses sieht die herrschende Auffassung darin, dass den Gesellschaftern, soweit es um die Befriedigung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft geht, die Disposition über das Gesellschafts-

___________ 185) Der Sache nach: RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; vgl. nur Kleindiek, in FS K. Schmidt, 2009, S. 893 (903 f); vgl. auch Seibert, ZIP 2006, 1157 (1167) sowie die weiterführende Darstellung in Teil D. 186) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (1. LS „kompensationslose Eingriffe“) (Trihotel); zuletzt wieder BGH ZIP 2008, 308 = NZG 2008, 187 (LS: „Entzug von Gesellschaftsvermögen“) (Wettbewerbsverbot); und besonders deutlich: BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 (LS. 1) (Gamma): Das Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung reicht hingegen nicht aus. 187) Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1522 Fn. 207 m. w. N.). 188) BGHZ 176, 204 (210 f) = NJW 2008, 2437 (LS 1 und Rn. 12) (Gamma). 189) Weller, DStR 2007, 1166 (1167), der darauf hinweist, dass nur die Gläubiger, nicht der Schuldner ein Interesse an der Erfüllung von Verbindlichkeiten hat. Eine Gesellschaft könnte also nicht, vertreten durch den Insolvenzverwalter, von ihren Gesellschaftern oder Geschäftsleitern verlangen die Schulden gegenüber den Gläubigern erfüllen zu dürfen oder ihre Schuldendeckungsfähigkeit wieder herzustellen; vgl. auch Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (478 oben links) „stellvertretender Schutzadressat“.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

vermögen „entzogen“ ist, da sie diese Zweckbindung nicht autonom aufheben können190).

3.

Änderung des Gesellschaftszwecks bei Eintritt der Insolvenzreife

112 Die Wirkung des abgeleiteten Eigeninteresses auf Ebene der Gesellschaft reicht jedoch noch weiter. Richtigerweise führt die Anerkennung eines solchen akzessorischen Interesses der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern nämlich im Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife (dazu sogleich unter b) zu einer Zweckänderung der Gesellschaft.

a) Die Wandlung von der abstrakten zur konkreten Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens 113 Oben wurde bereits dargestellt, dass die Rechtsprechung die „schwebende“ Anforderung an die Geschäftsführung der Gesellschaft stellt, ein Eingriff zu Gunsten der Gesellschafter dürfe nicht dazu führen, dass die Gesellschaft ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen könne. Dies wird auch als „abstrakte“ Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens bezeichnet191). Haben die Gesellschafter bzw. die Leitungsorgane bis zum Eintritt der Insolvenzreife jedoch den üblichen unternehmerischen Ermessensspielraum, reduziert sich dieser ab Insolvenzreife auf Null. Nach der gesetzgeberischen Konzeption ist eine Weiterführung der Gesellschaft nicht mehr zulässig192), vielmehr muss die Gesellschaft dem geregelten Insolvenzverfahren zugeführt werden. Es besteht die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO. Ziel dieses Verfahrens ist die Gläubigerbefriedigung. Dies bedingt, dass der Zweck der Gesellschaft nicht mehr im von den Gesellschaftern autonom festgelegten Gesellschaftszweck zu sehen ist, sondern fortan in der Gläu-bigerbefriedigung besteht193). Das Gesellschaftsvermögen hat nunmehr die Funktion von Haftungsmasse194) und seine anderen Funktionen gehen verloren, soweit sie damit unvereinbar sind. „[D]enn dieser Zeitpunkt [der Insolvenzreife] markiert – nach dem gesetzlichen Leitbild der § 1 I InsO – den Zeitpunkt, in dem das Gesellschaftsvermögen allein der Befriedigung der Gläubiger dienen soll.“195) Aus der abstrakten Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens wird mit Insolvenzreife eine konkrete. ___________ Vgl. zu § 30 GmbHG: Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 17. Vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 111. Dazu ausführlicher unten unter B.V m. w. N. Ähnlich insofern Engert, ZHR 170 (2006), 296 (301, insbesondere Fn. 18 m. w. N.): Der Regelungszweck von Ausschüttungssperren stelle den Befriedigungsvorrang der Gläubiger sicher: „Ist eine Gesellschaft insolvent, steht ihr gesamtes Vermögen den Gläubigern zu; (…)“; den Gläubigern solle also eine gewisse Haftungsmasse als Vollstreckungsgegenstand zur Verfügung stehen: BGHZ 157, 72 (75) = NJW 2004, 111. 194) Vgl. Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, S. 19. 195) Haas, ZIP 2009, 1257; vgl. auch ders., in Baumbach/Hueck, § 60 Rn. 42.

190) 191) 192) 193)

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

Die Urteile des BGH zur Existenzvernichtungshaftung drücken diesen Mechanis- 114 mus zwar nicht expressis verbis aus, stellen jedoch zumindest allgemein auf die „Zweckbindung“ des Gesellschaftsvermögens ab196). In einem jüngeren Urteil zu § 64 GmbHG197) zeigt sich der beschriebene Mechanismus in anderem Gewand: Der II. Zivilsenat stellt darauf ab, dass die Einziehung sicherungsabgetretener Forderungen per se keine „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG sei. Dies setze aber voraus, dass sowohl die Sicherungsabtretung als auch die Entstehung und Werthaltigkeit der Forderung bereits vor dem Eintritt der Insolvenzreife gegeben seien. Werde eines dieser drei Elemente erst danach wirksam, liege hingegen eine Zahlung vor. Dieser Fall zeigt, dass ab Insolvenzreife die Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Gläubiger existiert, jedoch keine werbende Tätigkeit oder die weitere Sicherung von Forderungen mehr zulässig ist. Nur diejenigen Sicherungsrechte, die bis zur Insolvenzreife begründet waren, sind dann noch anzuerkennen. Der Sache nach kommt auch Poertzgen198) zu diesem Ergebnis. Er stellt zwar nicht 115 explizit auf den Gesellschaftszweck ab, leitet aber aus der durch die Insolvenzantragspflicht obligatorischen Auflösung der Gesellschaft ab, dass der Gesellschaft durch eine Fortführung ihrer Geschäftstätigkeit kein „Schaden“ i. S. d. §§ 249 ff BGB mehr entstehen könne. Der größtmögliche Schaden, nämlich die Auflösung der Gesellschaft, sei bereits eingetreten. Aus seiner Sicht sei daher im Folgenden ausschließlich auf die Sicht der Gläubigerinteressen abzustellen, nicht mehr auf die Gesellschafts- oder Gesellschafterinteressen. In der Sache läuft dies auf dasselbe hinaus.

b) Zeitpunkt der Zweckänderung Richtigerweise tritt diese Zweckänderung auch bereits zum Zeitpunkt der materiel- 116 len Insolvenzreife ein, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Geschäftsführer den Insolvenzantrag hätte stellen müssen199). Die wohl h. M. geht jedoch eher davon aus, dass eine solche Verschiebung der 117 Zweckbestimmung der Gesellschaft erst mit der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der damit nach § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG verbundenen Auflö___________ 196) Vgl. jeweils den ersten Leitsatz der Urteile BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (KBV); BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (Trihotel) und BGH ZIP 2008, 308 = NZG 2008, 187 (Wettbewerbsverbot). 197) BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 19 ff, insb. Rz. 22) = NZG 2015, 998; ebenso jetzt BGH ZIP 2016, 1119 (1122 f Rz. 42 ff) = BeckRs. 2016, 09241; dazu Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff. 198) Poertzgen, Organhaftung, S. 236. 199) Dies gilt natürlich erst nach Ablauf der 3-Wochen-Frist bzw. wenn keine reellen Sanierungschancen mehr bestehen. Auch im Folgenden wird immer auf den Zeitpunkt nach Ablauf dieser Frist abgestellt.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

sung eintritt200). Zu diesem Zeitpunkt wird das Gesellschaftsvermögen automatisch zur Insolvenzmasse, §§ 35, 36 InsO201). Sinn der anschließenden Liquidation sei die Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger und die Vermögensverteilung sowie die Vollabwicklung der Gesellschaft, § 1 InsO. Der Zweck der Gesellschaft werde daher erst mit Insolvenzeröffnung verdrängt202). Unterschiede bestehen dabei im Detail: Bei manchen Autoren soll der ursprüngliche Zweck lediglich verdrängt, bei anderen überlagert werden203). Auch lehnt die h. M. die Anerkennung eines generellen, der Verfahrenseröffnung vorgelagerten Zeitraums der „Auflösungsreife“204) und damit verbunden die Anerkennung von speziellen Rechtsfolgen in diesem Zeitraum ab. Die Auflösung und ihre Rechtsfolgen könnten erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Verwirklichung einer der Alternativen des § 60 Abs. 1 GmbHG greifen205).

118 Diese Argumentation kann jedoch nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Fallgruppe übertragen werden. Offenkundig gibt es in der Fallgruppe der Insolvenz der Gesellschaft den vorgelagerten Zeitraum der Insolvenzreife, an den bereits das Gesetz in § 64 GmbHG Rechtspflichten und Haftungsfolgen der Leitungsorgane knüpft. Rechtsfolgen erst ab der tatsächlichen Auflösung der Gesellschaft anzuerkennen, mag für die anderen Alternativen des § 60 Abs. 1 GmbHG richtig sein, ist für den Fall der Insolvenzreife jedoch bereits de lege lata abwegig. Richtigerweise muss die beschriebene materielle Verschiebung des Gesellschaftszwecks bereits im Zeitpunkt der Insolvenzreife eintreten. Anders ließe sich der gesamte Normzweck des § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung nicht erklären. Denn diese Normen stellen ja gerade darauf ab, dass die Befriedigungsaussichten der Gläubiger nicht erst ab tatsächlicher Verfahrenseröffnung, sondern bereits ab dem Vorliegen ihrer materiellen Voraussetzungen nicht mehr geschmälert werden ___________ 200) Angedeutet bei VG Gießen, ZIP 2005, 2074 (2075); vgl. Berner, in MüKo GmbHG, § 60 Rn. 17; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 60 Rn. 6; Arnold, in Henssler/Strohn, § 60 Rn. 4; Haas, in Baumbach/Hueck, § 60 Rn. 42 m. w. N.; H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 79; Casper, in GroßKomm GmbHG, § 60 Rn. 121; kritisch hingegen K. Schmidt, in Scholz, § 69 Rn. 3 m. w. N.; dieselben Prinzipien gelten nach h. M. sinngemäß für die Auflösung der Gesellschaft durch Ablehnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse, § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG, vgl. Berner, in MüKo GmbHG, § 60 Rn. 121. 201) Berner, in MüKo GmbHG, § 60 Rn. 112. 202) Mit dieser Formulierung Haas, in Baumbach/Hueck, § 60 Rn. 42 m. w. N. in Fn. 182. 203) Haas, in Baumbach/Hueck, § 60 Rn. 42 m. w. N. in Fn. 183; kritisch und ausführlich hierzu K. Schmidt, in Scholz, § 69 Rn. 3 m. w. N., der eine vollständige Verdrängung des satzungsmäßigen Gesellschaftszwecks nicht anerkennen will und lediglich von einer Überlagerung durch den Liquidationszweck spricht. 204) Dieser Begriff wurde geprägt von K. Schmidt, vgl. beispielsweise K. Schmidt/Bitter, in Scholz, § 60 Rn. 2 f; von der herrschenden Ansicht wird der der Auflösung vorgelagerte Zeitraum jedoch per se nicht als Anknüpfungspunkt für spezielle Rechtsfolgen anerkannt, vgl. dazu Haas, in Baumbach/Hueck, § 60 Rn. 2; Berner, in MüKo GmbHG, § 60 Rn. 7 m. w. N. Allenfalls im Innenverhältnis können sich Rechtsfolgen ergeben, vgl. K. Schmidt/Bitter, in Scholz, § 60 Rn. 3 m. w. N. 205) Nachweise in der vorigen Fußnote.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

sollen. Nicht etwa sind die Gläubiger erst ab Verfahrenseröffnung vor quotenschmälernden Transaktionen der Geschäftsleiter geschützt, sondern bereits ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Das korrespondiert damit, dass § 15a Abs. 1 InsO für juristische Personen – anders als für natürliche – eine Insolvenzantragspflicht vorschreibt. Die Geschäftsleiter haben hinsichtlich der Insolvenzantragstellung also kein Ermessen, sondern die Antragstellung ist die einzig verbleibende rechtmäßige Handlungsalternative. Was aber soll der Zweck einer Gesellschaft sein, bei der das Gesetz als einzig rechtskonforme Handlung die Beantragung des Insolvenzverfahrens vorschreibt? Zumindest müssen alle privatautonom festgelegten Zwecksetzungen des Verbandes insoweit suspendiert sein, als sie dem ab Insolvenzreife nunmehr übergeordneten Ziel der Gläubigerbefriedigung entgegenstehen. Überall dort also, wo die ursprünglichen Gesellschaftszwecke mit den Befriedigungsaussichten der Gläubiger kollidieren, müssen letztere überwiegen. Die Gläubigerinteressen überlagern somit den Gesellschaftszweck bereits ab Insolvenzreife und werden ihn bei den hier relevanten Fragestellungen vollständig verdrängen. Somit verbleibt es dabei, dass der zeitliche Ansatzpunkt für die Verschiebung des 119 Gesellschaftszwecks hin zur ausschließlichen Berücksichtigung der Gläubigerinteressen, also das Eintreten der konkreten Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, bereits ab Insolvenzreife greift und nicht erst ab der tatsächlichen Verfahrenseröffnung oder Ablehnung des Verfahrens mangels Masse. Auswirkungen dieser Zweckänderung der Gesellschaft ergeben sich sowohl auf der Ebene der Pflichten der Leitungsorgane (dazu sogleich unter 4.) als auch in Bezug auf das oben bereits angesprochene „Schadensproblem“ (unter 5.).

4.

Anpassung der Pflichten der Leitungsorgane

Die aus § 43 Abs. 1 GmbHG dem Geschäftsleiter übertragenen Sorgfaltspflichten 120 orientieren sich nach ganz h. M. an den Interessen der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter. Auf die Belange der Gläubiger oder sonstiger Dritter haben die Leitungsorgane gerade keine Rücksicht zu nehmen. Rechtsprechung und herrschende Ansicht weigern sich insofern strikt, den Geschäftsführer auch als Sachwalter dritter Interessen anzusehen206). Aufgrund des § 93 Abs. 5 AktG ist dieser Grundsatz bereits in der Aktiengesellschaft deutlich aufgeweicht. Dennoch beharrt der BGH für die GmbH darauf, dass die Handlungspflichten der Geschäftsleiter allein aus dem ___________ 206) BGHZ 31, 258 (278) = NJW 1960, 285; BGHZ 119, 257 (261) = NJW 1993, 193; BGHZ 122, 333 (336) = NJW 1993, 1922; BGH NJW 2000, 1571 = NZG 2000, 544; BGH NJW 2002, 3777 (3778) = ZIP 2002, 2128; aus der Literatur vgl. nur Drygala, ZGR 2006, 587 (606 m. w. N.); Zöllner, AG 2003, 2 (7); Röhricht, ZIP 2005, 505 (514); kritisch hingegen Fleischer, ZGR 2004, 437 (446 f), dessen Argumentation in die hier vertretene Richtung geht; ebenfalls ablehnend Thole/Brünkmans, ZIP 2013, 1097 (1099 m. w. N. in Fn. 20).

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

Gesellschaftsinteresse abgeleitet werden. Insbesondere habe § 43 Abs. 2 GmbHG keine spezifisch gläubigerschützende Funktion207).

121 Erstaunlich ist insofern, dass die oben beschriebene Änderung des Gesellschaftszwecks mit Eintritt der Insolvenzreife keinerlei Änderung auf diese Sicht der Rechtsprechung zu haben scheint. Eine Anpassung der Pflichten der Leitungsorgane will der BGH insofern scheinbar nicht vornehmen – oder einer solchen jedenfalls keine gläubigerschützende Funktion zuerkennen. In der Literatur wird in ersten, zaghaften Versuchen jedoch dargestellt, dass eine solche Schutzwirkung für die Gläubiger durchaus vertretbar wäre. Haas vertritt beispielsweise, dass § 64 S. 1 GmbHG auch eine „Schutzfunktion“ beinhalte, die den Geschäftsführer zum Wahrer der wirtschaftlichen Interessen der Gläubigergesamtheit mache208). Nachdem das Handeln des Geschäftsführers abgeleitet wird von den Interessen der Gesellschaft – und diese, wie gerade gesagt, ab Insolvenzreife ihren Gesellschaftszweck geändert hat –, erscheint es insofern auch sachlogisch, ab dem Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung von geänderten Geschäftsführer-Pflichten auszugehen: Diese müssten dann ausschließlich an den Befriedigungsinteressen der Gläubiger ausgerichtet sein209). Musste sich der Geschäftsführer also vor der Insolvenzreife an den privatautonom festgelegten Zwecken der Gesellschaft ausrichten, so haben jetzt die Interessen der Gläubiger Vorrang210).

122 Eine derartige Verschiebung der Pflichten der Geschäftsleiter hat der BGH bislang noch nicht anerkannt. Zwar hat er bisweilen betont, dass der in § 64 S. 2 GmbHG anzulegende Sorgfaltsmaßstab insofern von dem in § 43 Abs. 2 GmbHG anzulegenden abweiche. Er sei an „dem besonderen Zweck des § 64 Abs. 2 GmbHG auszurichten, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern“211). Im Fall des Sorgfaltsmaßstabs des § 64 S. 2 GmbHG erkennt die Rechtsprechung mithin eine Anpassung der Pflichten der Leitungsorgane an, die sich im Folgenden ebenfalls nicht mehr ausschließlich am ursprünglichen Gesellschaftszweck, sondern ___________ 207) Weitere Nachweise dann unten in Teil D. 208) Vgl. Haas, ZHR 178 (2014), 603 (605 f m. w. N.); ähnlich: ders., in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 1a; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4; Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 (370). 209) So im Ergebnis auch Haas, ZHR 178 (2014), 603 (605 m. w. N. in Fn. 19). 210) Im Kern bereits angelegt in BGH NJW 1974, 1088 (1089); Kleindiek, in FS Schneider, 2011, S. 617 (622 f) mit der zweifelhaften These, dass darüber hinaus auch das öffentliche Interesse am Bestand überlebensfähiger Betriebe als Maßstab für die Geschäftsleiterpflichten heranzuziehen sei; dazu wiederum kritisch Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 73 m. w. N.: Die Erhaltung des Unternehmens an sich sei kein eigenständiger Zweck; zur Situation bei der AG vgl. mit demselben Ergebnis Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 122 ff: „die Sorgfaltspflichten aus § 93 Abs. 1 [sind] unter Ausblendung der Interessen der AG auf das Außenverhältnis des Vorstands zu den Gläubigern zu erstrecken“. 211) BGHZ 146, 264 = NJW 2001, 1280 (1282); mit Verweis auf BGHZ 143, 184 = NJW 2000, 668.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

dem autonomen Bestandsinteresse „Gläubigerschutz“ orientieren müssen212). Vorliegend wird jedoch vertreten, dass sich der an den „neuen“ Gesellschaftszweck angepasste Sorgfaltsmaßstab nicht nur auf die Insolvenzantragspflicht und den Maßstab aus § 64 S. 2 GmbHG bezieht, sondern auf die organschaftliche Verpflichtung in toto. Oder anders ausgedrückt: Ab dem Zeitpunkt der Insolvenzreife hat der Geschäftsführer die organschaftliche Verpflichtung die Gläubiger bestmöglich zu befriedigen. Auf diese Pflichtenverschiebung wird zurückzukommen sein.

5.

Änderung des Gesellschaftszwecks und Auswirkung auf die Schadensproblematik

Soeben wurden aus dem durch den Eintritt der Insolvenzreife überlagerten Gesell- 123 schaftszweck angepasste Pflichten der Leitungsorgane abgeleitet. Bereits diese Ableitung ist nicht unstreitig und wird von der Rechtsprechung nicht nachvollzogen. Konsequenterweise stellt sich in der Folge allerdings die Frage, ob aus dem geänderten Gesellschaftszweck nicht noch eine weitere Ableitung zu treffen ist, die in Literatur und Rechtsprechung noch seltener diskutiert wird: Oben wurde bereits dargestellt, dass nach herrschender Auffassung im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG bei einer Zahlung durch den Geschäftsleiter auf eine Forderung ein Schaden „der Gesellschaft“ abgelehnt wird, weil bzw. wenn durch die Auszahlung eine Forderung der Gesellschaft erlischt. Symptomatisch seien hier die Ausführungen von Noack213) erwähnt: Die Leidtragenden von Zahlungen im Vorfeld der Insolvenz bzw. in der Verschleppungsphase seien immer die Gläubiger, da ihnen im Folgenden das nunmehr schwindende Gesellschaftsvermögen haftungsrechtlich zugewiesen sei. Gleichwohl sieht er in diesem Aspekt keine Grundlage für eine Schadensberechnung und will an der bilanziellen Betrachtungsweise festhalten, die mit der Differenzhypothese nach einer Schmälerung des Vermögens der Gesellschaft fragt. Trotz des Verständnisses, dass die betroffenen Vermögensinteressen bei den Gläubigern liegen, weicht er von der tradierten Schadensbetrachtung nach der Differenzhypothese nicht ab. Aber kann es richtig sein, dass im Anwendungsbereich des § 64 S. 1 GmbHG ein Schaden auf der Ebene der Gesellschaft damit per se abzulehnen ist? Wenn das (abgeleitete) Bestandsinteresse der Gesellschaft Ausstrahlungswirkung auf die Geschäftsführerpflichten haben kann, warum soll diese Ausstrahlung sich nicht auch auf die Begründung eines Schadens bei der Gesellschaft beziehen können? In den Stellungnahmen im Schrifttum werden dazu unterschiedliche Positionen ver- 124 treten. Poertzgen214) lehnt einen Schaden der Gesellschaft gänzlich ab, da mit der Auflösung der Gesellschaft bereits der schlimmste denkbare Schaden eingetreten ___________ 212) Vgl. auch Knittel/Schwall, NZI 2013, 782 (784 m. w. N. in Fn. 29). 213) Noack, in FS Goette, 2011, S. 345 (348). 214) Poertzgen, Organhaftung, S. 236; ders., ZInsO 2006, 561 (566); ders., ZInsO 2009, 401 (406).

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

sei – insofern könne es einen solchen denklogisch nicht mehr geben. Er spricht sich daher eher für eine Außenhaftung aus.

125 Mit unterschiedlicher Bezeichnung wurde von Teilen der Literatur hingegen ein „normativer“ Schaden diskutiert215). Aufgrund wertender Betrachtung müsse dieser zwar der Gesellschaft entstehen, jedoch im Kern die Liquidation von Gläubigerschäden ausmachen. Heitsch216) leitet aus den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung ab, dass der Schadensbegriff weit zu fassen sei und damit die Innenhaftungsvorschrift des § 43 Abs. 2 GmbHG auch bei der Insolvenzverschleppung greifen könne. Gerade das Sanitary-Urteil zeige aber, dass es selbst im Liquidationsstadium noch einen Schaden „der Gesellschaft“ geben müsse. Diese Argumentation erinnert an den oben bereits aufgezeigten Widerspruch bei der Schadensbegründung zwischen § 64 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung. Heitsch folgert daraus jedoch lediglich, dass die Begründung von Verbindlichkeiten in den Begriff der Zahlung mit einbezogen werden müsse.

126 Baumert217) hingegen begründet einen normativen Schaden mit dem Hinweis darauf, dass der Vermögensschaden im Sinne der Differenzhypothese218) im reinen Abfluss des Geldes liege, das ohne die Zahlung durch das Leitungsorgan noch vorhanden gewesen wäre. Mit der Vermögensneutralität durch das Erlöschen der Forderung könne der Schaden nicht abgelehnt werden219). Sowohl Heitsch also auch Baumert kommen damit letztlich zum Ergebnis, dass ein Schaden in Höhe des Geldabflusses bestehe220). Das ist aber schon deswegen fraglich, weil die Werthaltigkeit einer Forderung in aller Regel nicht gleich sein wird mit dem Zahlbetrag. Und mit der tatsächlichen Schadenshöhe für die Gesellschaft oder gar die Gläubigergemeinschaft (Stichwort: Quotenschaden) dürfte der reine Zahlbetrag auch deshalb nichts zu tun haben, weil positive Effekte gar nicht berücksichtigt werden können, wie beispielsweise, dass ein Vertragspartner die weitere Geschäfts___________ 215) Überblick, jedoch iE. ablehnend bei Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (960, 961); Thiessen, ZGR 2011, 275 (287): Das Organmitglied schuldet Ersatz eines typisierten Gläubigerschadens, der normativ als Gesellschaftsschaden behandelt wird; bezüglich § 64 GmbHG ist die h. M. bei der Annahme eines normativen Schadens deutlich restriktiver als bei § 92, 93 Abs. 3 AktG: vgl. Mertens/Cahn, in KölnKomm AktG, § 92, Rn. 33; jedoch wird auch dort von der h. M. ein Schaden der Gesellschaft abgelehnt: Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 134 m. w. N.; trotz unterschiedlicher Terminologie sind die Fragestellungen jedoch bei § 64 GmbHG und § 93 AktG dieselben: vgl. dazu die Darstellung im Teil C.I.2. 216) Heitsch, ZInsO 2009, 1571 (1573). 217) Baumert, FD-InsR 2010, 309586. 218) Vgl. Oetker, in MüKo BGB, § 249 Rn. 16 ff; dazu auch Grüneberg, in Palandt, BGB, Vor § 249 Rn. 10 m. w. N.; zum normativen Schaden generell Rn. 13, 14. 219) Dezidiert a. A. dagegen Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (959); Kleindiek, in Lutter/ Hommelhoff, § 64 Rn. 4. 220) Mit demselben Ergebnis, dass ein normativer Schaden in Höhe des Zahlbetrags besteht: Fleischer, ZIP 2005, 141 (151).

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

tätigkeit von einer Zahlung abhängig gemacht hat. Für Baumert ist daher das Erlöschen der Forderung lediglich eine Frage der Vorteilsausgleichung221). Weller222) bezieht sich hingegen auf § 93 Abs. 2 AktG und vertritt, dass ein reiner 127 Quotenschaden bei den Gläubigern, dem Grunde nach auf Ebene der Gesellschaft nicht als schadensbegründendes Element genügt. Jedoch sieht er § 93 Abs. 3 AktG als Modifikation des Schadensbegriffs, der insofern den Schaden („normativ“) der Gesellschaft zuschreibt223) und damit zu einer „normativen Präzisierung des Schadensbegriffs“ gelangt. Damit liegt seiner Meinung nach ein Schaden „der Gesellschaft“ vor. Diese Interpretation kann jedoch wohl kaum unbesehen auf § 64 GmbHG übertragen werden, der bereits vom Wortlaut her erheblich von § 93 AktG abweicht224). Festzuhalten bleibt aber: Generell gibt es Bestrebungen in der Literatur, bei Zah- 128 lungen i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG einen „normativen“ Schaden der Gesellschaft anzunehmen – doch auch diese Konzepte können bislang keine tragfähige Erklärung dafür bieten, wie konkret der eigentliche Schaden berechnet werden soll. Auch die Rechtsprechung ist hier unergiebig: Sie stellt fast schon gebetsmühlenartig fest, dass der Gesellschaft kein Schaden entstehe und lediglich die Gläubiger einen „Reflexschaden“ erleiden würden225). Die Krux liegt wohl darin, dass ein normativer Schaden auch normativ berechnet 129 werden muss. Insofern ist die eigentliche Frage nicht, ob der Schaden nach der Differenzhypothese bestehen kann oder „normativ“ ist, sondern „wie“ er zu berechnen ist. Darauf wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch zurückzukommen sein. Es wird sich zeigen, dass die schwierige Bestimmung des Schadens auf Ebene der Gesellschaft das Ergebnis eines fragwürdigen Zusammenspiels der Haftungsgrundlagen ist, das mit einer korrigierenden Auslegung umgangen werden kann. Generell erscheint es jedoch nicht fernliegend, die soeben angefangene Linie fort- 130 zuführen und neben der Anpassung des Gesellschaftszwecks sowie des Pflichtenkanons der Leitungsorgane auch einen Schaden auf Ebene der Gesellschaft zu bejahen, wenn trotz materieller Insolvenzreife die Geschäfte der Gesellschaft fortge___________ 221) Baumert, FD-InsR 2010, 309586; hins. der Vorteilsausgleichung dagegen sehr reserviert: Fleischer, ZIP 2005, 141 (151). 222) Weller, GWR 2010, 541 (542). 223) In diese Richtung auch Mertens/Cahn, in KölnKomm AktG, § 93 Rn. 134. 224) Vgl. dazu die späteren Ausführungen bei Weller, GWR 2010, 541 (543). 225) Vgl. im Trihotel-Urteil BGHZ 173, 236 (Rz. 26) = NJW 2007, 2689; sowie jetzt der Sache nach wieder im Urteil Doberlug: BGHZ 187, 60 (Rz. 14) = NJW 2011, 221; ebenso erst wieder der BGH in der Rechtssache Kornhaas: BGH NZG 2015, 101 (102 Rz. 8) = ZIP 2015, 68 m. w. N. sowie in der Abschlussentscheidung BGH ZIP 2016, 821 = NZG 2016, 550 (551); so im Ergebnis auch Strohn, ZInsO 2008, 706 (709 f), der als gesetzliches Leitbild auf § 117 AktG referiert.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

führt und Zahlungen getätigt werden. Nimmt man den Gedanken ernst, dass die Gesellschaft ab Insolvenzreife nur noch ein „Platzhalter“ für die Gläubigerinteressen ist, gleich einer Glasscheibe, durch die hindurch man auf die Interessen der Gläubiger blicken kann und muss, so verträgt es sich mit dieser Sicht kaum, wenn Schäden auf Ebene der Gesellschaft gänzlich abgelehnt werden. Genauso wie beim Gesellschaftszweck auf die Interessen der Gläubiger geblickt wird, muss dies auch bei der Begründung des Schadens „der Gesellschaft“ passieren. Wenn der Gesellschaftszweck und die Geschäftsleiterpflichten von den Interessen der Gläubiger abgeleitet werden, dann muss dies auch beim Schaden der Fall sein.

131 Davon zu trennen ist die Frage der konkreten Berechnung des Schadens. Diese wird in Teil C dieser Arbeit erläutert. Festzuhalten ist zunächst jedoch, dass die Verlagerung des Gesellschaftszwecks auch eine angepasste Begründung des Schadens auf Ebene der Gesellschaft erfordert und ein solcher nicht per se ausgeschlossen werden kann.

6.

Insolvenzprophylaxe als Schutzzweck

132 Mit den vorgenannten Ausführungen wurde die Basis für die weiteren Überlegungen in Teil C und D gelegt. Dem Grunde nach ist aber noch keine Aussage dazu gewonnen, welchen Normzweck die Haftungsgrundlagen verfolgen, deren Anknüpfungspunkt die Verursachung der Insolvenz ist, also § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung.

a) Vermeidung der Insolvenz vs. Vermeidung der Zerschlagung von wirtschaftlichen Werten 133 Oben wurde bereits ausgeführt, dass die Gesellschaft dem Grunde nach kein rechtlich anerkanntes Bestandsinteresse gegenüber ihren Gesellschaftern hat (vgl. IV.1). Ziel des Insolvenzverfahrens ist die Befriedigung der Gläubiger, § 1 InsO. Die in § 1 S. 1 InsO a. E. erwähnte Erhaltung des Unternehmens ist dabei aber richtig verstanden kein eigenständiges Verfahrensziel, sondern einer von mehreren Wegen der Gläubigerbefriedigung.

134 Bis zu den Reformen im MoMiG 2008 konnte generell gesagt werden, dass außerhalb der strafrechtlichen Schutzvorschriften (§§ 283 ff StGB) und der Existenzvernichtungshaftung per se kein Schutz davor gegeben war, dass die Gesellschaft in die Insolvenz geführt wurde. Dies zeigt sich insbesondere bei der Konzeption der Insolvenzverschleppungshaftung: Erwirbt ein Gläubiger eine Forderung gegen die Gesellschaft, die erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig wird, so kann es vorkommen, dass die Forderung im Zeitpunkt der Begründung zwar vollwertig, die Werthaltigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit aber bereits erheblich gemindert ist. Das kann auch schon vor der Insolvenzreife der Gesellschaft der Fall sein. Aber erst ab tatsächlich gegebener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wird der Gläubiger durch die

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO geschützt. Wertverluste vor der materiellen Insolvenzreife unterliegen grundsätzlich keiner Haftung der Leitungsorgane oder der Gesellschafter und liegen damit in der Risikosphäre des jeweiligen Gläubigers226). Nach der Rechtslage vor dem MoMiG galt, dass die Insolvenz der Gesellschaft prinzipiell nicht verhindert werden sollte, es griffen nur Verhaltenspflichten bei deren Eintritt. Dies betraf insbesondere die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO und die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG227). Diese Verhaltenspflichten basieren aber nicht auf der Prämisse, dass die Insolvenz als solche haftungsbewehrt vermieden werden soll, sondern dass die drohende Zerschlagung wirtschaftlicher Werte auf ein Minimum begrenzt werden soll. Die einer Insolvenz fast unausweichlich inhärente Reduktion des wirtschaftlichen Wertes der Gesellschaft, man denke nur an die Verpuffung des „goodwills“, soll möglichst vermieden und gerade nicht zu Lasten der bestehenden Gläubiger gehen. Durch das MoMiG hat sich hier eine bedeutungsschwere Verschiebung ergeben: 135 Nach § 64 S. 3 sind auch Zahlungen zu ersetzen, die in die Zahlungsunfähigkeit führen. Damit sind keinesfalls alle Zahlungen zu ersetzen, die in irgendeiner Weise kausal für die Zahlungsunfähigkeit waren, sondern es bedarf einer Zahlung an die Gesellschafter, die unmittelbar ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge die Insolvenz verursacht hat228). An § 64 S. 3 GmbHG zeigt sich freilich eine weitergehende Zielrichtung des Gesetzes, die dem geschriebenen deutschen Kapitalgesellschaftsrecht neu ist:

b) Solvenztest und wrongful trading als konzeptionelles Gegenstück zum deutschen Recht Lediglich stichpunktartig soll darauf hingewiesen werden, dass bei der Diskussion 136 um § 64 GmbHG oftmals auf die äquivalenten Schutzsysteme aus anderen Rechtsordnungen verwiesen wird. Auch bei der Diskussion um die Zukunft des Systems des Nennkapitals229) wird häufig die Forderung erhoben, die beiden Institute des

___________ 226) Vgl. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 12 ff m. w. N. 227) Vgl. dazu Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 (372): Sowohl § 15a InsO als auch § 64 S. 1 GmbHG formulierten nur Pflichten im Hinblick auf die eingetretene Insolvenz, § 64 S. 3 GmbHG knüpft nunmehr dagegen an die Verursachung an; vgl. zum ehemals deutschen Konzept und der Veränderung durch die Einführung des § 64 S. 3 GmbHG auch K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072 (1073). 228) Vgl. dazu nur Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks 16/6140, S. 46 sowie vertiefende Darstellung in Teil D. 229) Statt vieler: Hennrichs, Der Konzern, 2008, 42 (insb. 43 m. w. N. Fn. 8); Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 40 ff; der Gesetzgeber des MoMiG hat es jedoch beim Bilanztest belassen: BT-Drucks 16/6140, S. 42.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

anglo-amerikanischen Rechts, den Solvenztest und wrongful trading auch im deutschen Recht bzw. auf europäischer Ebene zu implementieren230):

137 Der Solvenztest ist eher im US-amerikanischen Rechtsraum anzutreffen und wurde in § 6.40(c) Revised Model Business Corporation Act implementiert. Er stellt eine situative Ausschüttungssperre dar, die nicht an starre Bilanzkennzahlen gebunden ist, sondern die Zulässigkeit einer Ausschüttung oder Zahlung nach bestimmten Anforderungen an die Solvenz der Gesellschaft bemisst, sich also danach richtet, ob die Gesellschaft auch nach der Zahlung in absehbarer Zukunft noch in der Lage sein wird, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen231). Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine „verkürzte“ Unternehmensbewertung, nämlich aufgrund von erwarteten Zahlungsüberschüssen (discounted cash-flow). Diese Methode ist aber naturgemäß mit großer Rechtsunsicherheit behaftet.

138 In seinem November-Urteil232) war der BGH kurzzeitig von der bilanziellen Betrachtungsweise abgerückt und hatte den Schutz des § 30 GmbHG gegenständlich ausgestaltet. Durch die Rückkehr zur bilanziellen Betrachtungsweise im MoMiG im neuen § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG233) wurde an dieser Stelle zwar die Ähnlichkeiten zum Solvenztest wieder aufgehoben, jedoch wurde dafür der neue § 64 S. 3 GmbHG eingeführt, welcher bereits nach der Begründung des Gesetzes Anklänge des Solvenztests beinhaltet234). Letztlich sind in den Insolvenzantragsgründen des deutschen Rechts aber viele Elemente eines Solvenztests bereits angelegt235). Insbesondere die Existenzvernichtungshaftung entspricht im Wesentlichen einem US-amerikanischen solvency test236). Für die inhaltliche Ausgestaltung der Solvenzprüfung hilft der Verweis auf das US-amerikanische Recht jedoch nicht entscheidend weiter. Daher soll es mit diesem kurzen Hinweis begnügen.

___________ 230) Zur Diskussion vgl. nur Engert, ZHR 170 (2006), 296 ff mit konkretem Regelungsvorschlag; wissenschaftliche Kritik zum gesetzlichen Nennkapital bei (297 m. w. N. in Fn. 2) sowie die ablehnende deutsche Gesellschaftsrechtswissenschaft (298 m. w. N. in Fn. 7). 231) Dazu und zum Folgenden: genaue Darstellung bei Engert, ZHR 170 (2006), 296 (299); Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 111; Mülbert, Der Konzern 2004, 151 (160); kurzer Überblick auch bei Knof, DStR 2007, 1536 (1541); Vorschlag für eine gesetzliche Implementierung bei Engert, a. a. O. (328); zur Umsetzung im deutschen Recht ebenfalls Jungmann, ZGR 2006, 638 ff (insb. 645 ff); Veil, in: Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 91 ff, insb. 96 ff. 232) BGHZ 157, 72 = NJW 2004, 1111; jetzt überholt durch das MPS-Urteil: BGHZ 179, 71 = NJW 2009, 850. 233) K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072 (1074). 234) RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072 (1078); ders., in Scholz, § 64 Rn. 85 Fn. 6 m. w. N. 235) Hennrichs, Der Konzern, 2008, 42 (46), der vertritt, dass letztlich ein Bilanztest unverzichtbar ist (48). 236) Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13, Rn. 550.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

Noch häufiger als auf den amerikanischen Solvenztest wird auf das englische 139 wrongful trading verwiesen237). Es ist in Sec. 214 Insolvency Act verortet und ordnet für den director eine Schadensersatzpflicht an, wenn die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft fortgeführt wurde, obwohl der director hätte erkennen müssen, dass der Eintritt der Insolvenz unausweichlich war. Da das englische Recht keine gesetzliche Insolvenzantragspflicht kennt238), hat das wrongful trading vor allem handlungssteuernde Funktion und entspricht im Wesentlichen der deutschen Insolvenzverschleppungshaftung bzw. § 64 S. 1 GmbHG239). Die für die hier geführte Diskussion um das Haftungssystem im deutschen Recht 140 fruchtbarste Besonderheit des wrongful trading liegt darin, dass die Rechtsfolge nicht etwa in einer genau spezifizierten Schadensersatz- oder Erstattungshaftung liegt, sondern vom Gericht nach Ermessen festgesetzt werden kann240). K. Schmidt argumentiert, dass dies von den englischen Gerichten deshalb so praktiziert würde, weil es bei einer Insolvenzverschleppung naturgemäß notwendig sei241). Insofern sei auch im deutschen Recht bei der Insolvenzverschleppungshaftung eine Schadensschätzung über § 287 ZPO zulässig. Dies wurde jedoch andernorts mit scharfen Worten abgelehnt242). Auch die Gerichtspraxis des englischen Rechts scheint indes nicht gänzlich arbiträr zu sein: Die Verurteilungssumme steht üblicherweise in Adäquanz zum Verschleppungsschaden243). Die Altgläubiger bekommen dabei in etwa den Quotenschaden, die Neugläubiger bezeichnenderweise gar nichts244). Bemerkenswert ist ebenfalls, dass wrongful trading eine Binnenhaftung ist245). Insofern kann bei der Auslegung des § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung eine Parallele zum wrongful trading fruchtbar gemacht werden. ___________ 237) K. Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.3, 11.35; ders., ZHR 175 (2011), 433 (434 f); ders., in Scholz, § 64 Rn. 2; ders., GmbHR 2007, 1072 (1073); auch bei anglo-amerikanischen Gerichten wird dieses Delikt scheinbar immer beliebter: „tort of deepening insolvency“ Thole, ZIP 2007, 1590. 238) Vgl. Thole, ZIP 2007, 1590 (1592), der insofern zu bedenken gibt, dass ein Übergang des deutschen Rechts auf das englische schon deshalb nicht greifen kann, weil die meisten Probleme bereits durch die Insolvenzantragspflicht beseitigt sind. 239) Zur Frage, inwieweit wrongful trading bereits in § 64 GmbHG a. F. angelegt war: Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 189. 240) In Sec. 214 (1) Insolvency Act: „such contributions (if any) to the company’s assets as the court thinks proper.“; weiterführend zum Vergleich der Haftungen nach deutschem und englischen Recht: K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072 (1073). 241) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 2 (Fn. 10 m. w. N.); weitere Sympathien zu dieser Rechtsfolge: K. Schmidt, GmbHR 2010, 1319 (1326); explizit vor einer Übernahme des wrongful trading ins europäische Recht warnend: Fleischer, ZGR 2004, 437 (438, 456). 242) Röhricht, ZIP 2005, 505 (515): diese Rechtsfolge „dürfte dem deutschen Recht verschlossen sein.“ 243) Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 (197). 244) Fleischer, ZGR 2004, 437 (461). 245) Vgl. den Wortlaut des Sec. 214 (1) Insolvency Act sowie zum „tort of deepening insolvency“ Thole, ZIP 2007, 1590 (1593).

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

c)

§ 64 S. 3 GmbHG als erste geschriebene Norm des Bestandsschutzes im deutschen Rechtskreis

141 Mit der Einführung des § 64 S. 3 GmbHG durch das MoMiG wurde nun erstmals eine geschriebene Norm im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht etabliert, die die Konzeption des Solvenztests aufgreift: Die h. M.246) in der Literatur sieht bei § 64 S. 3 GmbHG Anklänge an den angloamerikanischen Solvenztest. Der Gesetzgeber des MoMiG wollte hingegen in § 64 S. 3 GmbHG einen „Teilbereich der Existenzvernichtungshaftung“ regeln247). Teilweise wird auch vertreten, die Norm sei ein Paradigmenwechsel weg vom bilanzbasierten Konzept des Kapitalschutzes248) hin zu einer neuen Ausprägung im Sinne des englischen wrongful trading und des Solvenztests249). Dies ist jedoch keineswegs unbestritten: Ein Konzeptwechsel wird teilweise auch explizit abgelehnt, denn die neue Norm sei ausgelegt auf klare Ausplünderungsfälle, bei denen der bisherige § 64 Abs. 2 GmbHG leer gelaufen sei, wenn die Zahlungsunfähigkeit nicht nachweisbar gewesen sei250). Der BGH hat bislang lediglich betont, dass die Norm, wie vom Gesetzgeber intendiert, einen engen Anwendungsbereich habe und keine Einschränkung der bisherigen Rechtsprechung zum existenzvernichtenden Eingriff bezweckt sei251).

142 Der direkte Zusammenhang der Vorschrift mit dem Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG, an den die Vorschrift sprachlich anknüpft, zeugt davon, dass es hier zu___________ 246) Vgl. statt vieler nur Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 111 Fn. 377 m. w. N.; a. A. aber mit weiterführenden Nachweisen: Kleindiek, in FS K. Schmidt, 2009, S. 893 (902 Fn. 43). 247) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte; ebenso im Schrifttum Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 63; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 71; Seibert, ZIP 2006, 1157 (1167); Strohn, ZInsO 2009, 1417 (1422); Greulich/Rau, NZG 2008, 284 (286); Greulich/ Brunnemann, NZG 2006, 681 (684): „Verringerung der Insolvenzwahrscheinlichkeit“; Niesert/ Hohler, NZI 2009, 345 (348 ff); Utsch/Utsch, ZInsO 2009, 2271 (2274); Knof, DStR 2007, 1536 (1537 f); Schmidt, ZInsO 2007, 975 (978); Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 718 f m. w. N. 248) Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756 (1763). 249) Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457 (1462); zumindest Ergänzung des bilanzorientierten Schutzkonzepts des § 57 AktG durch den Solvenztest: Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 146: zu berücksichtigen ist insofern jedoch, dass § 57 AktG per se bereits ein deutlich höheres Schutzniveau bietet als § 30 GmbHG: vgl. Rn. 147. 250) So die Gesetzesbegründung; vgl. Kleindiek, in FS K. Schmidt, 2009, S. 893 (903 f); vgl. auch Seibert, ZIP 2006, 1157 (1167). 251) Vgl. BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = NZG 2012, 1379 (1381 Rz. 13), wo der II. Zivilsenat im Wesentlichen lediglich die Gesetzgebungsmaterialien zum eingeschränkten Anwendungsbereich der Vorschrift zitiert; knapp stellt der 2. Strafsenat in BGHSt 54, 52 = NJW 2009, 3666 fest, dass die Norm nur einen Teilbereich der Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe umfasse. Eine abschließende und die bisherige zivilrechtlichen Rechtsprechung einschränkende Regelung sei nicht bezweckt, a. a. O. Rz. 29 a. E.; wenig erhellend zum Normzweckcharakter des § 64 S. 3 GmbHG auch das OLG München, ZIP 2010, 1236 = GmbHR 2010, 815 = BeckRS 2010, 11595 (Rz. 20) sowie das OLG Celle ZIP 2012, 2394 = GmbHR 2012, 1185 = BeckRS 2012, 22297.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

mindest auch um den Gläubigerschutz und in erster Linie gerade nicht um den Schutz der Gesellschaft geht252). Daher wurde vermehrt davon ausgegangen, dass § 64 S. 3 GmbHG in erster Linie das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG zeitlich nach vorn verlagere253): Nicht mehr nur Zahlungen im Zeitraum der Insolvenzreife, sondern auch bereits Zahlungen, die in die Zahlungsunfähigkeit führen, sind nunmehr von der Ersatzpflicht erfasst. Auch der Gesetzgeber ging ersichtlich von einem einheitlichen Zahlungsbegriff bei S. 1 und S. 3 aus; jedenfalls, so die Regierungsbegründung, sei durch die Einführung des S. 3 keine Einschränkung des bisherigen Begriffsverständnisses bezweckt254). Dass S. 3 zeitlich früher ansetzt als S. 1 dürfte unbestritten sein. Die Norm jedoch darauf zu reduzieren, hieße ihren eigentlichen Anwendungsbereich zu verkennen255): Einer der später zu diskutierenden Besonderheiten der Vorschrift ist der Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Bereits dem Wortlaut nach knüpft die Regelung nicht an eine rein zeitliche Grenze an, wie beispielsweise die Regelungen zur Insolvenzanfechtung, vgl. §§ 130, 131, 132 InsO. In § 64 S. 3 GmbHG wird vielmehr auf einen Kausalzusammenhang abstellt: Erfasst sind nur Zahlungen, die zur Zahlungsunfähigkeit „führen mussten“ die Vorschrift enthält mithin ein finales Element. Konstituierendes Tatbestandsmerkmal der Norm ist daher nicht der temporäre, sondern der finale Zusammenhang zwischen Zahlung und Insolvenzreife. Zudem ergibt sich aus der Einschränkung des Begriffs der Zahlungen auf solche an 143 Gesellschafter ein reduzierter Anwendungsbereich. Nicht jede insolvenzverursachende Zahlung ist erfasst, sondern nur ganz spezifische256). Insofern ist es wohl zulässig zu abstrahieren, dass die Norm den haftungsbewehrten Normbefehl enthält, Gesellschaften nicht durch Zahlungen an Gesellschafter in die Zahlungsunfähigkeit zu führen. Letztlich schützt die Norm damit in einem gewissen Umfang den Bestand der Gesellschaft an sich257). Dass damit eigentlich reflexhaft die Gläubigerinteressen geschützt werden sollen, steht diesem Befund nicht entgegen.

___________ 252) In diesem Sinne argumentiert Haas, NZG 2013, 41 (46). 253) So wohl Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 2 und nochmals 56; H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 177; Kleindiek, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 893 (901); ders., GWR 2010, 75; Cahn, Der Konzern, 2009, 7 (8); Greulich/Rau, NZG 2008, 284 (287); Greulich/Brunnemann, NZG 2006, 681 (684). 254) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte. 255) In diesem Sinne auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 18, der § 64 S. 3 weniger als reine Vorverlagerung des § 64 S. 1 GmbHG sieht, sondern einen Zusammenhang mit § 30 Abs. 1, 43 Abs. 3 GmbHG herstellt und § 64 S. 3 als Liquiditätsschutzregel im Vorfeld der Insolvenz ansieht. 256) Vgl. dazu Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1519): Nicht jede Insolvenzverursachung soll erfasst sein, sondern nur ganz bestimmte Konstellationen. 257) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 102; Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756 (1763): Verhinderung der Ausplünderung.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

144 Die oben dargestellte gesetzgeberische Wertung, die Vermeidung der Insolvenz sei grundsätzlich gerade kein unmittelbarer Schutzzweck des Haftungssystems, wird hier nun partiell eingeschränkt: Denn für Zahlungen an Gesellschafter besteht gerade eine Ausnahme. Im Anwendungsbereich des § 64 S. 3 GmbHG besteht ein gewisser Bestandsschutz der Gesellschaft, auch schon vor dem eigentlichen Eintritt der Insolvenzreife. Dieser Bestandsschutz wird folgerichtig über § 64 S. 4 i. V. m. § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG sogar gegen Gesellschafterweisungen abgesichert, steht somit nicht mehr zur Disposition der Gesellschafterversammlung.

145 Konzeptionell stellt § 64 S. 3 GmbHG eine eigenständige Gestaltung dar, die über die bisherige Normzweckstruktur des geschriebenen Gläubigerschutzrechts hinausreicht. Das Verhaltensgebot beschränkt sich nicht auf Wohlverhaltensregeln in der bereits eingetretenen Insolvenz, sondern begründet in gewissem Umfang die Verpflichtung des Geschäftsführers, die Insolvenz gänzlich zu vermeiden258). Die insofern erreichte Insolvenzprophylaxe ist dem deutschen Rechtskreis neu.

146 Dem entgegen steht jedoch der Aspekt, dass § 64 S. 3 GmbHG offenkundig nur als Ergänzung des S. 1 gedacht war und insofern eine enge sachliche und sogar wortlautmäßige Verschränkung mit dem Zahlungsverbot aufweist. Dieser Aspekt soll jedoch im Folgenden relativiert werden. Der Wortlaut einer Norm oder deren systematische Struktur kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei S. 1 und S. 3 um gänzlich unterschiedliche Normen handelt: S. 1 betrifft Masseerhaltung und -wiederauffüllung, S. 3 dagegen die „Sicherung der Liquidität, die notwendig ist, um Fremdverbindlichkeiten zu begleichen“259).

147 Zudem gilt es, sich nochmals den Aspekt vor Augen zu halten, dass § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG jeweils bei verschiedenen Zeitpunkten ansetzen: Der Anspruch aus S. 1 greift nur, wenn die Insolvenzreife bereits eingetreten ist. Für Zahlungen im Anschluss daran soll der Gesellschaft ein werthaltiger Anspruch entstehen, der die Masse wieder auffüllt. Demgegenüber soll der Normbefehl des S. 3 zu einem Zeitpunkt eingreifen, an dem die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft gerade noch nicht gegeben ist, es also noch nicht um Masseerhaltung, sondern lediglich um Insolvenzprophylaxe gehen kann. Umgekehrt kann S. 1 per se schon keine Insolvenzprophylaxe betreiben, weil die Insolvenzreife bereits eingetreten ist und damit – bei gesetzmäßiger Handlung durch das Leitungsorgan – keine werbende Tätigkeit und somit kein Weg mehr zurück gegeben ist. Der Anspruch aus S. 1 wird also le___________ 258) Mit einer ähnlichen Wertung: Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 (372), die insofern von „Insolvenzabwendungspflicht“ sprechen. 259) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 63, der damit de facto von einem Solvenztest spricht, ohne ihn konkret so zu nennen, jedenfalls aber zwischen S. 1 und S. 3 völlig andere Norm- und Schutzzwecke verwirklicht sieht; zur Frage, ob die Liquidität der Gesellschaft ein Schutzziel sein kann: Engert, ZHR 170 (2006), 296 (318 f): Kapitalerhaltungsvorschriften gewähren einen solchen Schutz gerade nicht, es läge aber nahe einen solchen Schutz der Gesellschaft anzustreben.

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IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

diglich in einem späteren Insolvenzverfahren relevant260), der aus S. 3 bereits im Vorfeld zur Prophylaxe gegen eine drohende Insolvenz. Insofern weisen § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG in grundlegend verschiedene Richtungen.

d) Vermögensstrukturschutz und Insolvenzprophylaxe im neuen § 64 S. 3 GmbHG Die Schutzfunktion des § 64 S. 3 GmbHG geht jedoch darüber hinaus. Nach der 148 Vorstellung des Gesetzgebers und der h. M. soll die Norm verhindern, dass der Gesellschaft die Vermögenswerte entzogen werden, die zur Erfüllung von (Fremd-)Verbindlichkeiten benötigt werden261). Dies betrifft beispielsweise fremdfinanzierte Unternehmenskäufe, bei denen anschließend kurzfristig in erheblichem Umfang Liquidität entzogen und damit der Kaufpreis beglichen wird, sog. Leveraged BuyOut Modelle262). Insofern habe sich die Auslegung von S. 3 an den Auswirkungen auf die Liquidität der Gesellschaft zu orientieren263). Folglich müsse es sich auch um einen angeglichenen Zahlungsbegriff handeln. Denn wenn es vorliegend weniger um den Schutz der Masse, sondern eher um die Sicherung der Liquidität der Gesellschaft und damit ihre Fähigkeit geht, Verbindlichkeiten zu erfüllen264), dann müssen bei der Auslegung andere Kriterien greifen: Beispielsweise kann es beim Begriff der Zahlung und der anrechenbaren Gegenleistung nicht mehr nur darauf ankommen, in welcher Höhe die Gegenleistung besteht, sondern auch, ob diese als liquides Mittel zugeführt wird265). Es wird also insbesondere um die Frage gehen müssen, wie schnell eine Gegenleistung liquidierbar ist, um der Befriedigung von fälligen Verbindlichkeiten dienen zu können. Dies dürfte insbesondere dann schwierig zu beurteilen sein, wenn die Gesellschaft einem Gesellschafter einen Kredit mit hinausgeschobenem Zahlungsziel gewährt. Dann mag die Vollwertigkeit der Gegenleistung, also des Anspruchs gegen den Gesellschafter bzw. die Muttergesellschaft zwar unstreitig sein, jedoch kann die Liquidität der Gesellschaft wegen der späten Fälligkeit trotzdem bedroht sein266). Dieselbe Frage dürfte sich ___________ 260) Altmeppen, ZIP 2016, 364 (368): „Den Fall, dass die Kapitalgesellschaft vor Betreibung eines Insolvenzverfahrens einen Anspruch wegen Verletzung des Zahlungsverbots verfolgt, gibt es in der Praxis aber gar nicht.“ 261) RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; vgl. auch Niesert/Hohler, NZI 2009, 345 (349): Schutz vor Ausplünderungen der Gesellschaft. 262) Vgl. nur Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 110; Poertzgen, GmbHR 2007, 1258 (1261 m. w. N. in Fn. 32). 263) Statt vieler: Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 63, Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 24; Greulich/Brunnenmann, NZG 2006, 681 (684). 264) Vgl. nochmals statt vieler Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 63 und 64. 265) Dies fordert bereits die Gesetzesbegründung, vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; vgl. auch Greulich/Rau, NZG 2008, 284 (287). 266) Vgl. dazu bereits Willemsen/Rechel, GmbHR 2010, 349 (352).

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

im Cash Pool stellen267). Oder: Der Geschäftsführer investiert in eine teure und werthaltige Spezialmaschine, die er von einem Gesellschafter kauft268). Auf Ebene der Gesellschaft würde eine lineare Abschreibung über einen u. U. sehr langen Zeitraum erfolgen, der Aufwandsposten in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung wäre also relativ gering. Dennoch wäre es denkbar, dass die Anschaffung der Maschine (denn die Bezahlung erfolgt ja sofort!) die Liquidität der Gesellschaft so reduziert bzw. liquide Mittel so stark bindet, dass die Gesellschaft andere Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann269). Handelt es sich um eine Spezialmaschine ist diese wohl auch nicht ohne Weiteres, zumindest nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO veräußerlich. Jedenfalls sind die u. U. hohen Veräußerungskosten mit in den Blick zu nehmen270). Es muss also der Schutzzweck des § 64 S. 3 betroffen sein, obwohl ein wertäquivalentes Geschäft vorliegt.

149 Auf der anderen Seite wird man bestimmte „Zahlungen“ auch gänzlich unter den Tisch fallen lassen können: Eine Weggabe eines Vermögensgegenstandes an einen Gesellschafter, der wegen seiner Unverkäuflichkeit sowieso keine Auswirkung auf die Liquiditätssituation der Gesellschaft hat, ist vom Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG eigentlich nicht betroffen. Eine solche Weggabe dürfte dem Grunde nach keine Zahlung sein271).

150 Es zeigt sich somit, dass eine am Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG ausgerichtete Auslegung völlig andere Kriterien in den Zahlungsbegriff hineinlesen muss als bei S. 1: Geschützt ist durch S. 3 nicht nur „die Masse“ an sich, sondern die Auswirkung eines Entzuges bei der Gesellschaft. Der Entzug von bestimmten Vermögensgegenständen ist nicht deshalb haftungsbewehrt, weil die Masse bereits zu gering ist, sondern deshalb, weil der Entzug zu einer Liquiditätsunterdeckung in der Zukunft führen würde. Damit vermittelt § 64 S. 3 GmbHG zum einen eine bisher neue Form von Insolvenzprophylaxe, zum anderen aber auch einen Vermögensstrukturschutz gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Geschützt ist nicht nur die ___________ 267) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 65 Fn. 196 und 197 m. w. N.; gerade zum Cash Pool ausführlich: Willemsen/Rechel, GmbHR 2010, 349. 268) Ähnlich auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 89. 269) Auf ein ähnliches, wenn auch nicht unbedingt praxisnahes Beispiel stellt Strohn, NZG 2011, 1161 (1163) ab: Wenn der Geschäftsführer den Bilanzposten 100 Euro „Kasse“ gegen 100 Euro „Konservendosen“ austausche, also ein Erwerbsgeschäft tätige, dann sei der Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG betroffen. 270) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 89; H. F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 137. 271) Ob dies wirklich so gesehen werden kann, soll hier noch offen bleiben; in diese Richtung argumentiert jedenfalls Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 63: „Der Zahlungsbegriff ist dort im Kern auf die Weggabe von liquiden Mitteln sowie von Vermögensgegenständen, die kurzfristig, d. h. innerhalb eines dreiwöchigen Zeitraums liquidierbar sind, begrenzt.“

64

IV. Insolvenzprophylaxe, Bestandsinteresse, Vermögensstrukturschutz

absolute Höhe der Masse, sondern insbesondere auch deren Liquidierbarkeit, also die sog. Geldnähe der Masse. Dies zeigt sich auch daran, dass § 64 S. 3 GmbHG nach h. M. eine gewisse Kom- 151 pensation darstellt für die durch die Rücknahme der November-Rechtsprechung durch das MoMiG wieder eingeführte bilanzielle Betrachtungsweise in § 30 GmbH272): § 64 S. 3 GmbHG vermittelt Vermögensstrukturschutz auch außerhalb der nach § 30 Abs. 1 GmbHG maßgeblichen Bilanzierungsmaßstäbe. Die Vermeidung der Insolvenzreife, ausgelöst durch bestimmte „Zahlungen“ an Gesellschafter, sowie der Vermögensstrukturschutz durch die Sicherung der Liquidität der Masse stellen hier zwei Seiten einer Medaille dar.

e)

Zwischenergebnis

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Gesellschaft hat nach herrschender 152 Meinung kein genuines, sondern lediglich ein von den gebündelten Gläubigerinteressen abgeleitetes Bestandsinteresse. Die Binnenhaftungsnormen beruhen auf dem Gedanken des kanalisierten Bestandsschutzes. Bei Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft schlägt der Zweck der Gesellschaft 153 um und fordert im Folgenden lediglich die ranggerechte und gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger. Jeglicher anderer Gesellschaftszweck wird davon überlagert. Diese Verschiebung des Gesellschaftszwecks hat Auswirkungen auf die organschaftlichen Pflichten der Leitungsorgane sowie den Begriff bzw. die Berechnung des Schadens auf Ebene der Körperschaft, die insofern dem neuen Gesellschaftszweck anzupassen sind. Der Schaden muss normativ bestimmt und infolgedessen auch normativ berechnet werden. Da bei „Zahlungen“ nach Insolvenzreife i. S. d. § 64 GmbHG ein Einzelausgleich auf der Basis der Differenzhypothese keine sinnvollen Ergebnisse liefert, ist in den kommenden Teilen dieser Arbeit die Frage zu beantworten, wie eine effiziente und sachgerechte Schadensberechnung auf Ebene der Gesellschaft ausgestaltet sein muss. Es wird sich zeigen, dass zwischen der Berechnung bei § 64 S. 1 GmbHG und S. 3 erhebliche Unterschiede bestehen. § 64 S. 3 GmbHG setzt von seiner Funktion her bereits zu einem Zeitpunkt ein, an 154 dem die durch die Insolvenzreife hervorgerufene Verschiebung des Schutzzwecks der Gesellschaft noch nicht stattgefunden hat. Insofern geht die Norm in eine gänzlich andere Richtung als § 64 S. 1 GmbHG. Genuiner Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG ist ein gewisser Vermögensstrukturschutz in Sinne der Liquidierbarkeit bzw. Geldnähe der Masse sowie generell die Insolvenzprophylaxe. Denn die Norm will gerade verhindern, dass die Gesellschaft durch den Abzug liquider Vermögensgegenstände in die Zahlungsunfähigkeit getrieben, sprich: die Insolvenz herbeigeführt wird. Mit ihrer tatbestandlichen Konzeption eines finalen Zusammen___________ 272) Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, 41; Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 11 und später Rn. 13.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

hangs zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit hat die Norm Anklänge an den Solvenztest und unterscheidet sich auch insofern deutlich von § 64 S. 1 GmbHG.

V. Beendigung des werbenden Verkehrs der Gesellschaft: Schutz des Rechtsverkehrs vor insolventen Gesellschaften 155 Die Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO als solche hat einen noch darüber hinausgehenden Normzweck: Insolvenzreife Gesellschaften sollen aus dem Rechtsverkehr entfernt werden und dürfen nicht mehr als Rechtssubjekt am Markt tätig werden273). Die herrschende Deutung stützt diesen Normzweck auf zwei Ziele: Zum einen soll einem unnötigen Abfluss von Vermögen vorgebeugt werden, zum anderen sollen die potentiellen Gläubiger der Gesellschaft davor geschützt werden, mit einer insolventen Gesellschaft in rechtsgeschäftlichen Kontakt zu treten274). Die Herausnahme von insolventen Gesellschaften aus dem Rechtsverkehr soll also die Neugläubiger schützen275). Eine „Spekulation zu Lasten der Gläubiger“ soll verhindert werden.

156 Andere legen den Schwerpunkt der Argumentation weniger auf die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags, sondern mehr auf die Unterbindung der Fortführung der wirtschaftlichen Betätigung: Eine Gesellschaft habe keine Existenzberechtigung mehr, wenn ihre Vermögensmasse verlorengegangen sei276). Es bestehe ein „Verbot der Fortsetzung unternehmerischer Tätigkeit im Stadium materieller Insolvenz ohne Insolvenzantrag“277). Insolvenzreifen Gesellschaften ist die Fortsetzung ihrer werbenden Tätigkeit im Rechtsverkehr nicht bzw. nicht unter Aufrechterhaltung der Haftungsbeschränkung gestattet. Der Zeitpunkt des Eintretens der Insolvenzreife ist dabei die Wasserscheide, bei der die bislang aufgelaufenen Verluste der (Alt-)Gläubiger realisiert werden278) und das Risiko der unternehmerischen Tätigkeit auf die Geschäftsleiter übergeht. Daher hat § 64 S. 1 GmbHG eine gewisse „Druckfunktion“ und hält den Geschäftsführer dazu an, den Insolvenzantrag rechtzeitig, keinesfalls jedoch zu spät zu stellen279). ___________ 273) BGHZ 126, 181 (190 ff, 194 ff) = NJW 1994, 2220; BGH ZIP 2011, 1007 = NZG 2011, 624 (626, Rn. 20); zustimmend Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 Rn. 74; statt vieler vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 1 m. w. N.; Schmidt-Leithoff/ Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 84 a. E.; Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (619); Goette, ZInsO 2005, 1 (2); Wilhelm, ZIP 1993, 1833 (1835). 274) Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (390). 275) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 5 m. w. N. in Fn. 6. 276) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, Vorbem. zu § 64 Rn. 6 m. w. N. 277) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 132, der dieses Verbot mit dem englischen wrongful trading gleichsetzt. 278) Zum Ausfallrisiko der Gläubiger: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 26. 279) Haas, ZHR 178 (2014), 603 (605).

66

VI. Grenze des Schutzbereichs: Bereicherung der Gläubiger

Der hier beschriebene Normzweck schlägt sich hauptsächlich jedoch in der Insol- 157 venzverschleppungshaftung des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO nieder. In der Konzeption der h. M. ist die Insolvenzantragspflicht ein Schutzgesetz, dessen Verletzung den Geschäftsleiter schadensersatzpflichtig macht280). Wie bereits dargestellt, haben die Neugläubiger einen vollen Anspruch auf Ersatz ihres negativen Interesses, werden also so gestellt, als ob sie mit der Gesellschaft nicht in rechtsgeschäftlichen Kontakt gekommen wären. In den Schutzbereich soll angeblich fallen, dass Gläubiger mit einer nicht mehr lebensfähigen Gesellschaft in Kontrakt treten und mit ihr Verträge schließen, nicht aber, dass sie nach Insolvenzreife Opfer eines Deliktes der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft werden281). Deliktische Neugläubiger fallen daher nicht unter den soeben beschrieben erhöhten Schutz, sondern werden Altgläubigern gleichgestellt. Die Herausnahme der Gesellschaft aus dem Rechtsverkehr ist hingegen kein Schutz- 158 zweck des § 64 S. 1 und schon gar nicht des S. 3 oder der Existenzvernichtungshaftung. Ersterer knüpft die Haftung lediglich an eine (untersagte) Weiterführung der Geschäftstätigkeit. S. 3 und die Existenzvernichtungshaftung setzten gar erst zu einem Zeitpunkt an, zu dem noch gar keine Insolvenzantragspflicht besteht. Befolgt man also ihren Normbefehl, kommt es gar nicht zur Herausnahme der Gesellschaft aus dem Rechtsverkehr. Der Schutz der Neugläubiger auf ihr volles negatives Interesse wird daher normzweckseitig ausschließlich von der Insolvenzverschleppungshaftung geschützt. Daher erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass der Schutz der Neugläubiger auch oder sogar lediglich über diesen Haftungsstrang erfolgt.

VI. Grenze des Schutzbereichs: Bereicherung der Gläubiger Die bisherigen Schutzzweckbestimmungen im Haftungssystem bezogen sich allesamt 159 auf die positive Definition des Schutzbereichs und der Ziele der Haftung der Leitungsorgane oder Gesellschafter beim Übergang der Gesellschaft in die Insolvenz. In Bezug auf § 64 GmbHG ist jedoch auch eine negative Abgrenzung anerkannt: 160 In zahlreichen Entscheidungen vertritt die Rechtsprechung die Auffassung, dass

___________ 280) Nachweise und die Darstellung der abweichenden Konzepte in Teil C. 281) Statt vieler: Altmeppen, in Roth/Altmeppen, vor § 64 Rn. 133, 134 m. w. N.

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B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

eine Bereicherung der Masse ebenfalls ausgeschlossen werden müsse282): Die Masse dürfe durch eine Ersatzpflicht nicht besser stehen als ohne eine verletzende Handlung. Dies wurde auch bereits in frühen Kommentierungen des GmbHG anerkannt.283)

161 Dies einschränkend ist jedoch auch immer in den Blick zu nehmen, in welchem Zusammenhang die Rechtsprechung eine Massebereicherung ablehnt: Es ging dabei insbesondere um Konstellationen, bei denen der Masse für die „Zahlung“ eine Gegenleistung zugeflossen war284), deren Behandlung insofern streitig war. Im für den Geschäftsführer schlimmsten Fall wären der Masse sowohl die Gegenleistung als auch der Ersatzanspruch gegen den Geschäftsführer zugestanden. Insofern handelte es sich um eine offenkundige und wohl kaum zu übersehende Bereicherung der Masse.

162 Die Bereicherung der Masse kann aber auch in anderem Zusammenhang auftreten: Bei Neugläubigerforderungen ist ebenfalls eine Bereicherung denkbar: Ein Neugläubiger bekommt vom Geschäftsleiter nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO sein negatives Interesse ersetzt; nichtsdestotrotz ist er aber Insolvenzgläubiger der Gesellschaft und kann im Insolvenzverfahren seine Insolvenzquote verfolgen. Der BGH hat insofern entschieden, dass der Geschäftsführer zwar den gegen ihn gerichteten Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB nicht kürzen dürfe, aber im Insolvenzverfahren die Insolvenzquote des bereits befriedigten Gläubigers an dessen Stelle verfolgen dürfe285). Dies beruht auf dem Rechtsgedanken des § 255 BGB.

163 In diesen Überlegungen erschöpfen sich in aller Regel die Ausführungen zur Bereicherung der Masse. Die meisten Autoren halten die so gewonnenen Ergebnisse für ausreichend und die Belastung des Geschäftsführers nicht für exzessiv286).

164 Richtigerweise muss es jedoch ein umfassendes Verbot der Bereicherung der Masse geben. Wie in anderem schadensrechtlichen Zusammenhang287) kann es nicht an___________ 282) BGHZ 131, 325 (328) = NJW 1996, 850; BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (Rz. 11), dazu Anm. von Strohn, DB 2015, 57 mit Ausführungen zur Bereicherung der Masse; BGHZ 146, 264 (275) = NJW 2001, 1280 (1283); jüngst erst wieder implizit anerkannt: BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 18 a. E.) = NZG 2015, 998 sowie BGH ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133 (134, Rn. 11); Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 132 a. E. und 138; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (652 Fn. 48); kritisch dazu Strohn, DB 2015, 57, der meint, eine solche Behandlung könne die Fortführung des Unternehmens auch nach Insolvenzreife ermöglichen; vgl. dazu auch Altmeppen ZIP 2015, 949 (954 Fn. 49), der jedoch eher auf das Instrument der Vorteilsausgleichung abstellen will; Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (482); Kruth, NZI 2014, 981 (983). 283) Hachenburg, in Staub/Hachenburg, 5. Aufl. 1927, 2. Band, § 64 Anm. 7; genauso: Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anm. 4a. 284) BGH ZIP 2015, 71 = NZI 2015, 133 (134 Rz. 11); vgl. auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 36 m. w. N. 285) Vgl. BGHZ 146, 264; anders zuvor noch BGHZ 143, 184; vgl. auch Goette, ZInsO 2005, 1 (5). 286) Vgl. stellvertretend Haas, NZG 2004, 737 ff; Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (408); Müller, DB 2015, 723 ff. 287) Vgl. Grüneberg, in Palandt, vor § 249 Rn. 67 ff.

68

VII. Ergebnis: Normzwecke des Haftungssystems

gehen, dass der Geschädigte, hier also die Insolvenzmasse und letztlich die Gläubiger nach der Ausgleichung des Schadensersatzes besser stehen als ohne das schädigende Ereignis. Vielmehr müssen auch positive „Schadensverläufe“ dem Geschäftsführer zugute kommen. Kommt man also in den folgenden Überlegungen zu einem Ergebnis, bei dem die Masse nach der Zahlung durch den Geschäftsführer bereichert wäre, dann kann die Auslegung nicht richtig sein. Soweit ersichtlich wird § 64 GmbHG auch nirgends als Strafsanktion gesehen, die 165 den Geschäftsführer über pauschalierte, im Verhältnis zum eigentlichen Schaden unangemessene Ersatzleistungen zu ordnungsgemäßem Verhalten anleiten soll. Bereits in der Kommentierung von 1903 wies Staub darauf hin, dass die Haftung keine Strafe für den Geschäftsführer darstellen dürfe, denn dies wäre vom Gesetzgeber so nicht intendiert gewesen288). Eine solche Auslegung wird soweit ersichtlich auch nirgends vertreten.

VII. Ergebnis: Normzwecke des Haftungssystems 166

Zusammenfassend lassen sich damit folgende Kernthesen destillieren: 1. Der Grundsatz der Erhaltung und Bewahrung der Haftungsmasse ist einer der wichtigsten Normzwecke der Haftungsnormen des GmbH-Rechts, wenn auch ein sehr unbestimmter. Er ist im Wesentlichen gleichbedeutend mit dem Schutz gegen erleichterte Eingriffe durch Gesellschafter. Nicht tragfähig ist er allerdings bei Normen, deren konstituierendes Merkmal nicht der Abfluss von Vermögenswerten, sondern die Verursachung der materiellen Insolvenz ist, also die Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung. Seine Unbestimmtheit und verschiedenartige Ausprägung bei den verschiedenen Normzusammenhängen macht ihn jedoch als Korrektiv und Kontrollgrundlage für die Auslegung von Normen unbrauchbar. Er entspricht eher einem gesetzgeberischen Motiv als einem tragfähigen Normzweck. 2. Vorrangiger Normzweck des Haftungssystems ist daher der Aspekt der Gläubigergleichbehandlung. Er trägt nach der gängigen Konzeption aber lediglich für die Altgläubiger. Neugläubiger können sich nicht auf die Gläubigergleichbehandlung stützen, sondern werden lediglich durch die gänzliche Herausnahme der insolventen Gesellschaft aus dem Rechtsverkehr geschützt. Um Gleichbehandlung von Gläubigergruppen im Sinne des Normzwecks zu erreichen, ist eine faktische Gleichbehandlung allerdings nicht erforderlich; Abschläge oder wirtschaftliche Gegenbewegungen können eine Ungleichbehandlung rechtfertigen und ausgleichen.

___________ 288) Staub, GmbHG, 1903, § 64 Anm. 7.

69

B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

3. Der Bestand der Gesellschaft um ihrer selbst willen ist per se nicht geschützt, sondern wird aus den gebündelten Interessen der Gläubiger an der Befriedigung ihrer Forderungen abgeleitet. Die Rechtsprechung hat insofern einen akzessorischen Bestandsschutz im Interesse der Gläubiger anerkannt. 4. Bei Eintritt der Insolvenzreife ändert sich der Schutzzweck des Gesellschaftsvermögens: Es dient fortan nur noch der Befriedigung der Gläubiger, nicht mehr den Interessen oder Zwecksetzungen der Gesellschafter. Daraus lässt sich ableiten, dass sich auch die organschaftlichen Pflichten der Geschäftsleiter dieser neuen Doktrin anpassen müssen. Letztlich muss eine Korrektur auch auf der Ebene der Begründung eines Schadens der Gesellschaft bei Zahlungen im Sinne des § 64 S. 1 und 3 GmbHG erfolgen – die genaue Schadensberechnung gilt es aber noch zu erforschen. 5. Nach dem klassischen Gläubigerschutzkonzept ist die Herbeiführung der Insolvenz als solcher nicht anspruchsbewehrt. Der neue § 64 S. 3 GmbHG und letztlich auch die Existenzvernichtungshaftung machen davon insofern eine Ausnahme, als sie den haftungsbewehrten Normbefehl enthalten, eine Gesellschaft – zumindest durch bestimmte Zahlungen bzw. Eingriffe – nicht in die Insolvenz zu treiben. § 64 S. 3 GmbHG statuiert eine Norm des Bestandsschutzes der Gesellschaft im Gläubigerinteresse und dient der Vermeidung der Insolvenz als solcher, also der Insolvenzprophylaxe. Durch sein Tatbestandsmerkmal der Herbeiführung der Insolvenz schützt § 64 S. 3 GmbHG zudem die Vermögensstruktur der Gesellschaft. Die Normzweckw der Gläubigergleichbehandlung und Masseerhaltung greifen bei § 64 S. 3 GmbHG hingegen nicht. S. 1 und S. 3 der Norm verfolgen insofern gänzlich andere Schutzkonzepte. 6. Einschränkende Bedingung für eine stringente Auslegung des Haftungssystems ist jedoch das Verbot der Bereicherung der Gläubiger. Richtigerweise muss es eine universelle Einschränkung des Haftungssystems darstellen. Rechtsprechung und Lehre wenden es nur für bestimmte Fallgruppen an.

VIII. Vermögensverlagerungsschutz und Vermögensstrukturschutz im Haftungssystem 167 In den obigen Ausführungen wurde bewusst versucht, die übergeordneten Schutzzwecke des Haftungssystems zu begreifen und nicht von einzelnen Normen oder Anspruchsgrundlagen auszugehen. In den beiden folgenden Teilen dieser Arbeit sollen nun die einzelnen Normen des Haftungssystems untersucht werden, um aus den oben gefundenen übergeordneten Zielsetzungen Ableitungen für die Auslegung insbesondere des § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG sowie der Existenzvernichtungs- und Insolvenzverschleppungshaftung zu ziehen. Dabei werden vor allem die Konkurrenzen zwischen den einzelnen Haftungssträngen behandelt und als Grundlage der Argumentation herangezogen.

70

VIII. Vermögensverlagerungsschutz und Vermögensstrukturschutz im Haftungssystem

Zuvor soll eine „Gliederung“ entworfen werden, in die sich die Haftungsnormen 168 einordnen lassen. Aufgrund der Unverbundenheit der verschiedenen Normkomplexe wird wohl jede Form der Gliederung zwangsläufig auch zu gewissen Ungereimtheiten führen. Was also sind die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede, nach denen man die Haftungstatbestände einordnen könnte? 

Welche Schutzzwecke greifen für die jeweilige Haftung? Masseerhaltung und -vermehrung, Gläubigergleichbehandlung, Insolvenzprophylaxe, Bestandsschutz, Beendigung des werbenden Verkehrs der Gesellschaft?



An wen muss eine Zahlung erfolgen, damit sie haftungsauslösend wirkt? An Gesellschafter oder auch an beliebige Gläubiger?



Ist der Vermögenstransfer an sich bereits haftungsbewehrt oder nur die Herbeiführung der Insolvenzreife? Bedarf es also eines Kausalitätskriteriums bzw. der Zurechnung des „Erfolges“ der Insolvenz?



Erfolgt eine haftungsbewehrte Zahlung bereits im Vorfeld der Insolvenzreife oder erst sobald die materielle Insolvenz eingetreten ist?

In der Beantwortung dieser Fragen zeigt sich eine Zweiteilung der Haftungsnormen:

1.

169

Vermögensverlagerungsschutz

Auf der einen Seite stehen die Tatbestände, die vorrangig an die Masseerhaltung 170 und Gläubigergleichbehandlung anknüpfen und infolgedessen nicht nur Zahlungen oder sonstige Transaktionen an Gesellschafter, sondern an beliebige Gläubiger unter Haftung stellen. Dies betrifft insbesondere § 64 S. 1 GmbHG und die Insolvenzverschleppungshaftung, letztlich auch die in dieser Arbeit nicht näher beleuchteten Kapitalerhaltungsvorschriften und die Insolvenzanfechtung. Sie knüpfen erst an das Stadium der eingetretenen Insolvenzreife der Gesellschaft an. Bei diesen Normen geht es vorrangig um den Schutz vor der Verlagerung und Verringerung von Vermögen (zusammengefasst hier bezeichnet als „Vermögensverlagerungsschutz“). Im Kern der Sache geht es immer um die Folgen bzw. Auswirkungen der Fortführung eines Unternehmens trotz bestehender Insolvenzreife. Dies beinhaltet die Verluste für die Gläubiger, die ihre Forderungen zum Zeitpunkt der Insolvenzreife bereits erworben haben, als auch Neugläubiger, die vor der Fortführung der werbenden Tätigkeit von insolvenzreifen Gesellschaften geschützt werden sollen. Dem entspricht es, dass es sich bei der Beurteilung in der Regel um einen Bilanztest, nicht um einen Solvenztest handeln wird. Die in diesem Bereich zu behandelnde Problematik wird vor allem darin bestehen, 171 ob es einer koordinierten Schadensersatzhaftung der Geschäftsleiter bedarf, ob also bei der Haftung für Kollateralschäden eine Gesamtsaldierung vorgenommen wird. Dies wird sogleich in Teil C erörtert.

71

B. Schutzzwecke des Gläubigerschutzssystems im GmbH-Recht

2.

Vermögensstrukturschutz

172 Dem gegenüber stehen die Normen, die an die Herbeiführung der Insolvenz anknüpfen und daher ein zusätzliches Zurechnungskriterium erfordern. Konstituierender Normzweck ist bei ihnen weniger die Erhaltung der Masse, sondern die Insolvenzprophlaxe und der Bestandsschutz, abgeleitet aus den Interessen der Gläubiger zur Sicherung ihrer Befriedigung. Darunter fallen die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung. Auch die Kapitalerhaltungsvorschriften könnten hierunter subsumiert werden – sie nehmen eine gewisse Zwitterstellung ein, haben jedoch mehr Ähnlichkeit mit den Normen des Vermögensverlagerungsschutzes. Auffällig ist insoweit, dass die besagten Normen zwar im Vorfeld der Insolvenzreife ansetzen, mithin auch Zahlungen und sonstige Transaktionen erfassen, die erst zur Insolvenz führen, dafür jedoch nur Zuwendungen an Gesellschafter erfassen. Dies ist sowohl der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG als auch der Existenzvernichtungshaftung immanent. Es scheint somit eine grundlegende Unterscheidung zu geben zwischen der Haftung in der materiellen Insolvenz, also nach Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, und der Haftung zeitlich vor der Insolvenzreife für Zahlungen bzw. Eingriffe, die in die Insolvenz führen. Das rechtspolitische Kalkül scheint insofern zu sein, dass Zahlungen vor Insolvenzreife nur dann haftungsbewehrt sein können, wenn sie an Gesellschafter erfolgen. Diese Haftungsnormen stellen eher auf den Schutz der Vermögensstruktur der Gesellschaft und die Insolvenzprophylaxe ab und folgen anderen Kriterien, als die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes.

173 Die Normen des Vermögensstrukturschutzes betreffen den Schutz davor, dass die Gesellschaft überhaupt in die Insolvenz geführt wird und dadurch Zerschlagungsverluste entstehen (Insolvenzprophylaxe). Zum Schutze der Gläubiger soll die Insolvenz der Gesellschaft vermieden werden. Dem entspricht es, dass die Herbeiführung der Insolvenz (oder zumindest des Insolvenzantragsgrundes Zahlungsunfähigkeit) zentrales Kriterium dieser Haftungsnormen ist. Es geht somit um die Auswirkungen einer Zahlung oder Transaktion, also um ein finales Element. Vereinfacht betrachtet verwenden die vorliegenden Normen damit nicht einen Bilanz-, sondern einen Solvenztest.

174 Entscheidend für das Verständnis und die Auslegung der Normen des Vermögensstrukturschutzes ist insofern, dass die durch den Eintritt der Insolvenzreife bewirkte zwingende Verschiebung des Gesellschaftszwecks, der organschaftlichen Geschäftsleiterpflichten und der Begründung und Berechnung des Schadens der Gesellschaft (vgl. oben IV.1 – IV.5) noch nicht greift. Vielmehr hat eine endgültige Wandlung des Gesellschaftszwecks noch nicht stattgefunden, sondern ist noch schwebend. Folglich muss die Schadensberechnung auf Ebene der Gesellschaft anders abgebildet werden und kann nicht durch eine rein akzessorische Überleitung der Gläubigerinteressen begründet werden. Darauf wird in Teil D zurückzukommen sein.

72

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes – Versuch einer Gesamtbetrachtung Ausgehend von den eben gefundenen Normzwecken soll im Folgenden eine Ge- 175 samtbetrachtung der Haftungsnormen des Vermögensverlagerungsschutzes erfolgen. Darunter fallen auch Haftungstatbestände für die Verringerung der Haftungsmasse nach Eintritt der Insolvenzreife, nicht nur die bewusste und gezielte Verlagerung. Daher werden Rechtsnormen in den Blick genommen, die an die bereits eingetretene Insolvenzreife anknüpfen, also zu einem Zeitpunkt Wirkung entfalten, zu dem die Gesellschaft bereits dem Insolvenzverfahren zugeführt hätte sein müssen. Die oben beschriebene Änderung des Schutzzwecks des Gesellschaftsvermögens und der Geschäftsführerpflichten haben in dieser Situation bereits stattgefunden. Im Folgenden soll versucht werden, nicht nur Einzelprobleme in Bezug auf be- 176 stimmte Normen zu diskutieren, sondern das Zusammenspiel der Haftungsnormen im Blick zu behalten und daraus Ableitungen zu treffen. Dies betrifft vorrangig das Konkurrenzverhältnis zwischen der Haftung für „Zahlungen“ aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung, das auch heute noch größtenteils genauso nebulös wie unerforscht ist. Wie später zu zeigen sein wird, beruht dieses unbefriedigend unklare Konkurrenzverhältnis auf einem strukturell divergierenden Verständnis der beiden Haftungstatbestände und lässt sich nach hier vertretener Ansicht nur durch eine konsequente und einheitliche Auslegung beider Anspruchsgrundlagen lösen. Das zentrale Argument der h. M. gegen eine solch weite Auslegung als Schadens- 177 ersatznorm ist seit jeher der Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG289). Deswegen soll vorab untersucht werden, inwiefern die Wortlautgrenze dieser Norm als zwingend zu betrachten ist und einer wertenden und vergleichenden Auslegung überhaupt zugänglich sein kann (I.). Nach generellen Überlegungen zur Ermittlung des „Schadens“ der Gesellschaft (II.) ist sodann die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG in den Blick zu nehmen (III.) und im Weiteren ein Abgleich mit der Insolvenzverschleppungshaftung vorzunehmen (IV.). Aus dieser Zusammenschau wird der Vorschlag zu einem konsistenten, einheitlichen Haftungssystem abgeleitet (V.).

I.

Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

In der herrschenden Auslegung wird dem Wortlaut des § 64 GmbHG eine große 178 Bedeutung beigemessen. Die Vorschrift spricht nämlich von „Ersatz“ von „Zahlungen“ und eben gerade nicht von Schadensersatz. Sowohl vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte (1.) als auch dem Blick auf die entsprechenden Parallelnormen bei anderen Gesellschaftsformen (2.) kann der reine Wortlaut als zentrales Argument jedoch nicht überzeugen. ___________ 289) Vgl. nur Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 700 sowie mit deutlichen Worten: Haas, NZG 2004, 737 (738).

73

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

1.

Entstehungsgeschichte der Zahlungs-Verbote

179 Ein Blick auf die Entwicklung des § 64 GmbHG zeigt, dass der reine Wortlaut der Norm wohl nur schwerlich als zwingendes Argument für die Auslegung der Norm herangezogen werden kann. Vielmehr war der Wortlaut in der Entwicklung der Norm weitgehend von Zufälligkeiten bestimmt.

180 Von historischer Bedeutung sind im Gesamtkontext zwei Aspekte, die in der gesamten Geschichte der Norm umstritten waren und auch heute noch nicht geklärt sind. Zum einen ist der Begriff der „Zahlung“ an sich höchst umstritten. Er hängt unmittelbar mit der dogmatischen Einordnung des § 64 GmbHG zusammen, nämlich als besonderer Ersatzanspruch eigener Art oder als Schadensersatznorm (dazu a). Zum anderen ist bei der mit § 64 S. 1 GmbHG konkurrierenden Haftung wegen Insolvenzverschleppung aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a InsO streitig, ob der Insolvenzantragspflicht die Stellung als Schutzgesetz zuerkannt wird. Die Rechtsprechung sieht in der Insolvenzverschleppungshaftung eine auf § 823 Abs. 2 BGB gestützte und von der Haftung für „Zahlungen“ gem. § 64 GmbHG gänzlich zu trennende Haftung an (dazu b)).

a) Der Zahlungsbegriff in § 64 S. 1 GmbHG i)

Rückverfolgung des Zahlungsbegriffs in § 64 S. 1 GmbHG in der Gesetzgebungsgeschichte

(1) Die Wurzeln des Zahlungsbegriffs 181 Der im heutigen § 64 GmbHG verwendete Begriff der Zahlung war bereits in der ursprünglichen Fassung des GmbHG vom 20. April 1892 im damaligen § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a. F. enthalten. Wie aus der amtlichen Begründung hervorgeht, wurde er damals aus den Regelungen des Aktiengesetzes von 1884, nämlich Art. 240 Abs. 2, 241 Abs. 3 Satz 2 AktG 1884 übernommen290). Zwar entspricht der Wortlaut nicht exakt der aktienrechtlichen Vorgängernorm; jedoch war mit der Übernahme ins neue GmbHG im Jahr 1892 kein entscheidender Bedeutungswechsel bezweckt worden291). Der Wortlaut des Art. 240 Abs. 2 lautete292): ___________ 290) Vgl. Begründung im Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 1892, S. 114 f, in: Verhandlungen des Reichstags/Stenographische Berichte, 8. Legislaturperiode – I. Session, 6. Anlagenband, 1890/92, Nr. 660, S. 3756. Darin heißt es, die Vorschriften entsprächen sich „in der Hauptsache“; jedoch wurde das Gläubigerverfolgungsrecht nicht auf die GmbH übertragen: „Doch ist eine direkte Haftpflicht gegenüber den Gesellschaftsgläubigern hier ebenso wenig wie in den Fällen des § 44 Abs. 3 vorgesehen.“ 291) Vgl. auch K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (662). 292) Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 18. Juli 1884, abgedruckt in: Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGRSonderheft 4, 1985, S. 560 (599 f); vgl. dazu auch K. Schmidt, ZIP 2009, 1551 (1553).

74

I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG? „Sobald Zahlungsunfähigeit der Gesellschaft eintritt, muß der Vorstand die Eröffnung des Konkurses beantragen; dasselbe gilt, wenn aus der Jahresbilanz oder einer im Laufe des Geschäftsjahres aufgestellten Bilanz sich ergibt, daß das Vermögen nicht mehr die Schulden deckt.“

Darauf basierend stellte Art. 241 AktG 1884 die Haftungsnorm dar:

182

„Die Mitglieder des Vorstandes sind aus den von ihnen im Namen der Gesellschaft vorgenommenen Rechtshandlungen Dritten gegenüber für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich nicht verpflichtet. Die Mitglieder des Verstandes haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Mitglieder, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch for den dadurch entstandenen Schaden. Insbesondere sind sie in den Fällen des Artikels 226 Ziffer 1 bis 5, sowie im Falle einer nach der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft (Art. 240 Abs. 2) geleisteten Zahlung zum Ersatz verpflichtet. In den vorgezeichneten Fällen kann der Ersatzanspruch auch von den Gläubigern der Gesellschaft, soweit sie von dieser ihre Befriedigung nicht erlangen können selbständig geltend gemacht werden. Die Ersatzpflicht wird ihnen gegenüber dadurch nicht aufgehoben, daß die Handlung auf einem Beschluß der Generalversammlung beruht. (…)“

Genauso wie der heutige § 93 AktG stellt die Norm dem Wortlaut nach somit eine 183 Schadensersatznorm dar293). Der Katalog in Art. 226 Abs. 2 Ziff. 1 bis 5, auf den Art 241 Abs. 2 AktG 1884 verweist, bezieht sich im Wesentlichen auf den Katalog, wie er sich auch heute noch in § 93 Abs. 3 Nr. 1 – 9 wiederfindet und umfasst beispielsweise Einlagenrückgewähr an Aktionäre, Ausschüttung von Zinsen oder Dividenden oder Erwerb von eigenen Aktien294). Das Gläubigerverfolgungsrecht in Abs. 4 findet sich heute noch in § 93 Abs. 5 AktG. Die Regelung zur Grenze eines entlastenden Hauptversammlungsbeschlusses aus Abs. 5 ist im heutigen § 93 Abs. 4 AktG erhalten geblieben. Die Aktienrechtsnovelle von 1884 (RGBl. 1884, 123 (126 f)) hat die Norm jedoch 184 ihrerseits quasi unverändert aus der Vorgängernorm übernommen. Art. 241 AktG 1884 beruht auf der noch etwas schlanker gehaltenen Vorschrift des § 241 des All-

___________ 293) Vgl. nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 34; zur Frage der Eigenschaft als Schadensersatznorm des § 93 Abs. 3 AktG vgl. Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (958 ff); Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 134 f sowie § 93 Rn. 339. 294) Für den genauen Wortlaut vgl. Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR-Sonderheft 4, 1985, S. 560 (595 f).

75

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

gemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs von 1861295). Danach haften die Vorstandsmitglieder, „welche außer den Grenzen ihres Auftrags, oder den Vorschriften dieses Titels oder des Gesellschaftsvertrages entgegen handeln, […] persönlich und solidarisch für den dadurch entstandenen Schaden. Dies gilt insbesondere, wenn sie den Bestimmungen des Art. 217 entgegen an die Aktionäre Dividenden oder Zinsen zahlen, oder wenn sie zu einer Zeit noch Zahlungen leisten, in welcher ihnen die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft hätte bekannt sein müssen.“ Auch hier taucht also der Begriff der Zahlung bereits auf.

185 Die Grundlage für das ADHGB war ein Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten von 1857296). Darin fehlte jedoch eine entsprechende Ersatzpflicht für nach Konkursreife getätigte Zahlungen. Vielmehr war lediglich eine gesonderte Erstattungsnorm für Grundkapital angreifende Dividenden und Zinsen enthalten297). Die Haftung für Zahlungen in Art. 241 ADHGB wurde erst von der Redaktions-Kommission auf der Grundlage eines Beschlusses der Nürnberger Konferenz298) einbezogen. Hierbei wurde auf §§ 119, 120 und 121 des revidierten Entwurfs eines österreichischen Handelsrechts verwiesen, der später in ähnlicher ___________ 295) Vgl. Hahn, Kommentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 1. Aufl. 1863, Art. 241: Die Definition der Sorgfaltspflicht in S. 2 findet sich darin ebenso wenig, wie der Verweis auf Art. 226 Zoff 1 – 5. Lediglich die Zahlung von Dividenden oder Zinsen aus Art. 217 wird erwähnt. Dies wurde wohl damals als der Kardinalfall der gläubigerschädigenden Handlungen durch den Vorstand angesehen: vgl. Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (417 f); außerdem wurde durch das AktG 1884 der Antragsgrund der Überschuldung aufgenommen, der durch die zwischenzeitlich neu erlassene Konkursordnung neu eingeführt worden war: vgl. die Begründung zu Art. 240 zum AktG 1884, abgedruckt bei Schubert/ Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, ZGR-Sonderheft 4, 1985, S. 384 (507 f); dazu auch K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (661). 296) Vgl. Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten nebst Motiven, Erster Theil, 1857, S. 37 f: § 199 sollte demnach lauten: „Die Vorsteher sind aus den von ihnen im Namen der Gesellschaft vorgenommenen Rechtshandlungen, Dritten gegenüber, für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft persönlich nicht verpflichtet. Handeln sie den Vorschriften dieses Titels oder des Gesellschaftsvertrags entgegen, oder außer den Grenzen ihres Auftrags [insofern gleiche Formulierung wie in Art. 241 ADHGB], so haften sie persönlich für den dadurch entstandenen Schaden. […] Für den Fall, daß sie das Grundkapital durch Dividenden und Zinsen rechtswidrig verkleinern (Art. 179) kommt für sie die für diesen Fall bei der stillen Gesellschaft auf Aktien gegebene Bestimmung (Art. 177) zur Anwendung“. [Anmerkung] durch den Verf.; zur Entstehungsgeschichte des Entwurfs für das ADHGB: vgl. Bergfeld, in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Bd. I, 6. Kap., Rn. 53 – 63. 297) Siehe vorige Fn. Diese Bestimmung wurde jedoch später gestrichen und die Rechtsfolge lediglich in Art. 177 aufgenommen: Vgl. zu den dafür ausschlag gebenden systematischen Gründen das Sitzungsprotokoll in Lutz, Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, I. Theil, 1858, S. 361 f; dazu auch Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, S. 415 (418). 298) Abgedruckt bei Lutz, Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, I. Theil, 1858, S. 362.

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

Form übernommen wurde299). Dieser basierte wiederum auf § 111 des ministeriellen Entwurfs eines österreichischen Handelsrechts von 1849 und lautete in seinen wesentlichen Teilen: „Haben die Geschäftsleiter (…) die Geschäfte noch fortgeführt und Verbindlichkeiten gegen Dritte eingegangen, oder eingehen lassen, nachdem ihnen bekannt geworden, oder schon hätte bekannt sein sollen, dass solche Umstände eingetreten sind, welche die Auflösung der Gesellschaft zur Folge haben sollten, oder sie, nachdem ihnen die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft hätte bekannt sein sollen, noch Zahlungen geleistet und die Eröffnung des Konkurses anzusuchen versäumt, so sind die Schuldragenden den Mitgliedern der Gesellschaft, sowohl als den Gläubigern für den verursachten Schaden zur ungetheilten Hand verantwortlich.“300)

Die österreichische „Hof-Commission“ drückt somit einen unmittelbaren Zusammen- 186 hang von Masseschmälerung und Konkursverschleppung sowie von Gesellschaftsund Gläubigerschaden aus301). Bei den Beratungen zum ADHGB hat die Redaktionskommission aus der gerade zitierten Vorschrift zunächst Art. 218 Abs. 2 S. 2 des Entwurfs formuliert, der schließlich zu Art. 241 ADHGB geworden ist302).

(2) Folgerungen Somit zeigt sich, dass der Begriff der „Zahlung“ in § 64 S. 1 GmbHG eine über 187 150-jährige Geschichte aufweist, jedoch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nie auch nur ernsthaft zur Diskussion gestanden hat303). Hält man sich jedoch den Wortlaut des ministeriellen Entwurfs des österreichischen Handelsrechts vor Augen fallen für die hier zu führende Diskussion um den Stellenwert, die Aussagekraft und die Auslegung des Wortlauts „Zahlungen“ gleich mehrere Aspekte auf 304): ___________ 299) Vgl. das Protokoll der Nürnberger Konferenz in Lutz, Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, I. Theil, 1858, S. 362 mit Verweis auf §§ 119 – 121 des Entwurfs des österreichischen HGB. Ausführliche Darstellung auch bei Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG S. 73 (78); Bitter, WM 2001, 666 (669); sowie Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, 415 (417 ff). 300) Hervorhebung durch den Verf.; so orthographisch und grammatikalisch minimal abweichend zum Originalentwurf abgedruckt bei Lutz, Protokolle der Kommission zur Beratung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs, Beilagenband, 1858, S. 90 f bzw. 125 f; das Original des § 111 findet sich in: Entwurf eines österreichischen Handelsrechts nach den Anträgen des k. k. Justizministerium mit Rücksicht auf die in der Ministerkonferenz gepflogene Berathung, 1849, S. 22. 301) Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG S. 73 (78). 302) Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, S. 415 (418), der jedoch seine Darstellung allein auf den Zahlungsbegriff reduziert. 303) Mit dieser Wertung Bitter, WM 2000, 666 (669) und Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, S. 415 (418 f). 304) Dagegen jedoch Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (389), die die Rückverfolgung der Gesetzgebungsgeschichte und die Entwicklung des Zahlungsbegriffs als „wenig erhellend“ bezeichnen.

77

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

188 Erstens ging der Entwurf noch von einer Direkthaftung gegenüber den durch die Verringerung ihrer Quote geschädigten Gläubigern aus. In Art. 241 ADHGB wurde dann jedoch – aus systematischen Gründen – die Innenhaftung eingeführt, was jedoch am Charakter als Schadensersatznorm nichts ändern sollte305). Zu letzterem sogleich mehr.

189 Zweitens war den Entwurfsverfassern offenkundig bereits das Spannungsfeld zwischen dem Schadensersatz der Gesellschaft und dem Eingehen von Verbindlichkeiten bekannt. Dies wird allein schon durch die sprachliche Trennung und damit die abgesonderte Behandlung deutlich. Zum Schadensersatz führen sollte das Eingehen von Verbindlichkeiten jedoch genauso, wie eine Zahlung nach Insolvenzreife auch. Freilich bezieht sich die Begründung von Verbindlichkeiten sprachlich eher auf die Auflösung der Gesellschaft. Insofern dürfte noch kein trennscharfes Verständnis der Fallgestaltungen bei den Entwurfsverfassern vorgelegen haben. Dennoch ist die getrennte Aufführung der Fallgruppen bemerkenswert.

190 Drittens wird deutlich, dass den Verfassern durchaus ein Zusammenhang zwischen einer Zahlung und der Verschleppung des Konkurses vor Augen stand (verdeutlicht durch das „und“ zwischen „Zahlung geleistet“ und „Eröffnung des Konkurses anzusuchen versäumt“), sie jedoch beide Phänomene nicht als deckungsgleich einstuften. Denn der Entwurf erwähnt explizit beide Tatbestände separat. Aufgrund der Aneinanderreihung ist davon auszugehen, dass wohl von einem verwandten, jedoch keinesfalls deckungsgleichen Phänomen ausgegangen wurde. Zahlungen und die Insolvenzverschleppung stehen insofern unverbunden neben dem Eingehen von Verbindlichkeiten.

191 Und viertens spricht die Vorschrift eindeutig und unverhohlen vom „Schadensersatz“306). Natürlich ist zuzugeben, dass die Lehre vom Schadensersatz zur damaligen Zeit nicht den heutigen, sehr ausdifferenzierten Stand erreicht hatte307). Wer heute jedoch dem reinen Wortlaut der Begriffe „Ersatz“ und „Zahlung“ in § 64 S. 1 GmbHG hohe Bedeutung beimisst, muss sich entgegenhalten lassen, dass die Vorgängernorm noch unzweifelhaft von „Schadensersatz“ sprach. Aufgrund der sprachlichen Verknüpfung ist insofern auch nicht fernliegend, dass den Entwurfsverfassern auch ein einheitlicher Schadensersatz vorschwebte und nicht für jeden der drei genannten Tatbestände (Begründung von Verbindlichkeiten, Zahlungen, Konkursverschleppung) getrennte Beträge ausgeworfen werden sollten.

192 Deutlich wird auf jeden Fall, dass der Begriff der Zahlung im ursprünglichen Entwurf bei weitem nicht den Stellenwert hatte und aufgrund der sprachlichen Kon___________ 305) Vgl. Altmeppen, ZIP 2016, 366 (368 m. w. N.). 306) Dazu nochmals der Hinweis auf Altmeppen, ZIP 2016, 366 (368 m. w. N.). 307) Ausführliche Darstellung bei Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 73 (82).

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

struktion des § 111 nicht haben konnte, der heute in diesen Begriff hineingelesen wird. Wenn die Entstehungsgeschichte des § 64 GmbHG eine argumentative Hilfe für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Zahlungen gibt, dann wohl eher für eine schadensersatzrechtliche Deutung308).

(3) Weitere Entwicklung der Normen im GmbHG und AktG Durch Gesetz vom 25.3.1930 (RGBl. I 1930. 93, RT-Drucks. Nr. 1469) hat der 193 Gesetzgeber § 64 Abs. 2 GmbHG in zwei wesentlichen Punkten ergänzt: Zum einen wurde die 3-Wochen-Antragsfrist eingefügt, die auch heute noch in § 15a InsO enthalten ist. Die ursprüngliche Fassung des § 64 GmbHG hatte noch keine Frist enthalten. Sie war notwendig geworden, weil die Gesellschaft nunmehr statt des Konkursantrags alternativ auch den mit Gesetz vom 5.7.1927 (RGBl. I 1927, 129) eingeführten Vergleichsantrag stellen konnte. Den Geschäftsführern sollte Zeit zur Überlegung der Konsequenzen belassen werden309). Zum zweiten wurde der Ausnahmetatbestand des heutigen § 64 S. 2 GmbHG ein- 194 gefügt und die Norm damit quasi zu einer Verschuldenshaftung gemacht. Brodmann sagte damals, dies bedeute nur, dass die Haftung nicht ins Unermessliche steigen solle, nicht aber spreche dies für eine Schadensersatz-Haftung310). Aufgrund des ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 195 29.7.1976 (BGBl. I 1976, 2034), geändert durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836), wurde die Insolvenzantragspflicht durch Einfügung der §§ 130a, 172a HGB auf Personengesellschaften ohne natürlichen Komplementär ausgedehnt. Im zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986 196 (BGBl. I 1986, 721) wurde die Antragspflicht bei Überschuldung korrigiert und präzisiert. Am Zahlungsbegriff hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Auch die neue Insolvenzordnung zum 1.1.1999 brachte insofern lediglich redaktionelle Änderungen. Eine gewisse Umgestaltung erfolgte jedoch durch das MoMiG von 2008: § 64 197 Abs. 1 GmbHG wurde als rechtsformeutrale Vorschrift in § 15a InsO übernommen. Übrig blieb insofern Abs. 2, der zu § 64 GmbHG wurde. Inhaltlich waren damit aber keine Änderungen bezweckt311).

___________ 308) Vgl. Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, S. 415 (419), der aus den geschichtlichen Verkettungen kein Argument ziehen will. 309) Vgl. dazu nur ausführlich Brodmann, GmbHG, 2. Auf. 1930, § 64 Anm. 1d). 310) Brodmann, GmbHG 2. Aufl. 1930, § 64 Anmerkung 4b). 311) Zu den Veränderungen des § 64 GmbHG durch das MoMiG vgl. nur Begründung RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 f; sowie K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 141.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

198 Was das Aktienrecht anbelangt, wurde Art 241 Abs. 3 ADHGB 1861/1884 zum § 241 Abs. 3 Nr. 6 HGB 1897 und über den weitgehend inhaltsgleichen § 84 Abs. 3 Nr. 6 AktG 1937 schließlich zum heutigen § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG312). Bemerkenswert ist insofern, dass die im Aktienrecht – anders als bis heute im GmbHRecht – explizite Formulierung des eigentlichen „Zahlungsverbots“ in § 92 Abs. 3 AktG erst mit der Aktienrechtsreform 1965 Einzug gehalten hat. Das explizite Verbot, das insofern die vermeintliche Grundlage für die Vorstandshaftung aus § 93 Abs. 2, 3 Nr. 6 AktG darstellt, wurde erst deutlich später eingefügt und sollte lediglich den Normanwendungsbefehl deutlicher machen. Die im Folgenden dann erlassenen § 130a Abs. 2 HGB für die OHG und KG ohne unbeschränkt haftende natürliche Person313) sowie § 99 GenG für die Genossenschaft wurden dem lediglich nachempfunden314).

ii) Rezeption des Zahlungsbegriffs (1) Stellungnahmen im Vorfeld der Gesetzgebung: Ein „Schadensersatz ohne Schaden“ (a) Gesetzgebungsmaterialien 199 Die Materialien geben über die etwaige Vorstellung des Gesetzgebers hinsichtlich einer schadensersatzrechtlichen Deutung des § 64 GmbHG sowie über die Auslegung des Zahlungsbegriffs und eine etwaige Schadensersatzhaftung wegen Insolvenzverschleppung basierend auf § 823 Abs. 2 GmbHG keinen Aufschluss315). Inzwischen wird vertreten, dass der Gesetzgeber wohl die zivilrechtliche Sanktion für die Verletzung der Insolvenzantragspflicht lediglich in Absatz 2, also dem Zahlungsverbot, nicht jedoch in einer zusätzlichen Schadensersatzhaftung oder Haftung aus culpa in contrahendo gesehen habe316). Dies wird insbesondere damit be___________ 312) Vgl. Darstellung bei K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (661). 313) Begr. RegE zu § 130a HGB: BT-Drucks. 7/3441, S. 47; zu § 130a HGB vgl. auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 34 m. w. N.; dazu auch K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (660), der aufgrund seines Wortlauts („Schadensersatz“) dem § 130a HGB Modellcharakter zuerkennt; dies ablehnend jedoch BGH NJW-RR 2007, 1490 = GmbHR 2007, 936 (937); Thole, Gläubigerschutz, S. 700; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 84 Fn. 295; Haas, NZG 2004, 737 (738 f). 314) § 99 (damals Abs. 2) GenG wurde 1973 mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften eingeführt (BGBl. I S. 1451); vgl. auch Poertzgen, Organhaftung, S. 233, der in Fn. 110 meint, die unterschiedlichen Textfassungen von § 93 Abs. 3 AktG, § 34 Abs. 3 GenG und § 130a Abs. 3 HGB seien lediglich ein redaktionelles Versehen des Gesetzgebers. 315) Vgl. die nichtssagenden Ausführungen im Entwurf des GmbHG in: Verhandlungen des Reichstags/Stenographische Berichte, 8. Legislaturperiode – I. Session, 6. Anlagenband, 1890/92, Nr. 660, S. 3756 f; so bereits K. Schmidt, JZ 1978, 661 (664); dem zustimmend BGH NJW 1993, 2931 (2932) = ZIP 1993, 763 (766) und BGH ZIP 1993, 1543 (1545) jeweils unter III 1 b. 316) Flume, ZIP 1994, 337 (339 f); dazu würde auch die Stellungnahme von Brodmann passen, in GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anmerkung 1a).

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

gründet, dass eine seinerzeitige Stellungnahme des Deutschen Handelstages317) mit der Forderung der Aufnahme einer Konkursantragspflicht nebst der schadensersatzrechtlichen Haftung des Geschäftsleiters bei deren Missachtung nicht übernommen wurde. Auch die Forderung der Preußischen Handelskammer für eine direkte Haftung für alle Ausfälle der Gläubiger im Konkurs ist nicht eingeflossen318). Es scheint so, als hätten sich weder der deutsche Gesetzgeber noch die Rechtspre- 200 chung bei und kurz nach Erlass der Norm des § 241 AktG 1884 und des § 64 Abs. 2 GmbHG 1892 intensive Gedanken über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Zahlung“ gemacht319). Dies könnte, so die Deduktion von Bitter320), damit zusammenhängen, dass Zahlungen nach Insolvenzreife zur Zeit der Entstehung der Vorgängervorschriften nur als einer von mehreren Fällen Grundkapital schmälernder Ausschüttungen angesehen wurden, wobei die Vorstandsmitglieder nicht nur dabei, sondern in allen dieser Fälle für die Wiederauffüllung des Stammkapitals einstehen sollten. Nochmals sei die oben bereits zitierte Vorstellung des Gesetzgebers von 1892 in 201 der Gesetzesbegründung zum heutigen § 64 S. 1 GmbHG erwähnt: „Es genügt, daß der Ersatz zum gemeinen Nutzen aller Gläubiger an die Gesellschaft oder deren Konkursmasse geleistet wird.“321) In der Begründung der Aktienrechtsnovelle von 1884 heißt es zumindest, dass die 202 besonderen Verbotstatbestände in Art. 241 Abs. 3 ADHGB (also dem heutigen § 93 Abs. 3 AktG) den Zweck hätten, gegenüber der allgemeinen organschaftlichen Haftung die „Haftpflicht zu verschärfen“. Die Vorstände sollten nicht nur „eines erweislich der Gesellschaft erwachsenen Schadens haften“. Vielmehr solle die gesetzwidrig geleistete Zahlung zu erstatten sein, „ohne daß es auf den Nachweis eines Schadens ankommen kann“322). Dieses Konzept, die Gesellschaft sei des Nachweises eines verursachten Schadens enthoben, war einer der wesentlichen Begrün___________ 317) Vgl. dazu Amtl. Ausgabe des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, 1891, S. 136, 137. 318) Vgl. die Ausführungen in BGH NJW 1993, 2931 (2932) = ZIP 1993, 763 (766) und BGH ZIP 1993, 1543 (1545) = DStR 1993, 1714. 319) So im Ergebnis auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 84, der den Zahlungsbegriff deswegen einer korrigierenden Auslegung zugänglich macht („keine zwingende Wortlautgrenze“). 320) Bitter, WM 2001, 666 (669). 321) Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Amtliche Ausgabe 1891, S. 110, Reichstagsvorlage vom 11.2.1892, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 8. Legislaturperiode, I. Session, 1890/92, 6. Anlagenband, Aktenstück Nr. 660, S. 3756. 322) Begründungen zu Art. 204, 226, 241 ADHGB 1884, in Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 463, 494, 508; so jetzt der BGH auch wieder im DoberlugUrteil: BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 211 (Rz. 9 f); dazu: Thiessen, ZGR 2011, 275 (285).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

dungsansätze für die Norm und wurde entsprechend auch von der Literatur übernommen323).

203 K. Schmidt gibt insofern zu bedenken, dass sich der Gesetzgeber die genannten „Zahlungen“ als Einzelakte und ihr Resultat als bleibendes „Loch“ im Gesellschaftsvermögen vorstellte – eine Vorstellung, die nach den Erkenntnissen der modernen Betriebswirtschaftslehre kaum noch haltbar erscheint324).

(b) Gutachten im Umfeld der Beratungen 204 Deutlich wird dies auch in einem Gutachten des Reichs-Oberhandelsgerichts zur Aktienrechtsnovelle 1884325): Darin geht das Gericht der Verantwortlichkeit des Vorstands nach, und untersucht die Frage, ob bei Gesetzesverstößen gegen verschiedene Normen des Aktienrechts ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch angezeigt sei oder nicht. Nach Ansicht des Gerichts geht ein Schadensersatzanspruch zu weit, jedoch müsse der Gesellschaft immer die Position zustehen, die Wiederherstellung des gebrochenen Zustands verlangen zu können326). Somit sei eine Beweislastumkehr angezeigt. Das Gericht sprach sich dafür aus, dass die in Art. 204 ADHGB ausgesprochene Rechtsfolge der „Erstattung von Zahlungen“ die richtige sei, nicht der in Art. 241 ADHGB angeordnete Schadensersatz. Gleichwohl solle, so das Gericht weiter, dieses Prinzip gleichsam unter dem Vorbehalt stehen, dass auch der darüber hinaus entstandene besondere Schaden der Gesellschaft zu ersetzen sei327), eine Einschränkung, die sich mit der heutigen Dogmatik und Auslegung des § 64 GmbH nicht verträgt.

205 Sodann führt das Gericht aus, die Vorstandsmitglieder, „durch deren Verschulden Grundkapitalbeträge als Dividenden ausgezahlt, Kapitalrückzahlungen vor Befriedigung der ungedeckt bleibenden Gläubiger geleistet, Zahlungen bei bereits vorhandener Zahlungsunfähigkeit geleistet, der Gesellschaft durch Ausgabe der Aktien vor Einzahlung des Nominalbetrags Theile des Nominalbetrags entzogen sind oder Grundkapital zum Erwerb eigener Aktien verwendet worden ist, die Beträge, um welche hierdurch das Grundkapital verkürzt worden ist, einfach auf Erfordern zu ersetzen.“328) Aus dieser Auflistung wird deutlich, dass Zahlungen nach ___________ 323) Vgl. nur Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anmerkung 4a); Liebmann/Saenger, GmbHG, 7. Aufl. 1927, § 64, 8. Anmerkung sowie die Ausführungen sogleich. 324) Mit ausführlichen Hin- und Nachweisen: K. Schmidt, ZHR 175 (2011), 433 (439). 325) Gutachten über die geeignetsten Mittel zur Abhülfe der nach den Erfahrungen des ReichsOberhandelsgerichts bei der Gründung, der Verwaltung und dem geschäftlichen Betriebe von Aktienunternehmungen hervorgetretenen Uebelstände, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 157 ff; zum Ganzen auch Bitter, WM 2001, 666 (669). 326) Gutachten des Reichs-Oberhandelsgerichts, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 157 (208 ff, insb. 211). 327) Gutachten des Reichs-Oberhandelsgerichts, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 157 (211). 328) Gutachten des Reichs-Oberhandelsgerichts, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 157 (211).

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

Insolvenzreife gleichbedeutend mit anderen Fällen der Ausschüttung von Grundkapital gesehen wurden, bei denen in der Regel eine Zahlung societatis causa ohne Gegenleistung erfolgt. Insofern wurde an den Fall des Austauschgeschäfts nach Insolvenzreife ersichtlich nicht gedacht. Die Vorstellung des Anwendungsbereichs des Phänomens der „Zahlungen“ war insofern eine andere als heute. Gleichwohl ist es bedeutsam, dass die Vorschriften des Aktiengesetzes von 1884 schlussendlich von „zum Ersatz“ sprechen, also vom Gesetzgeber als Schadensersatz festgelegt wurden329). Eine ähnliche Argumentation wie die des Reichs-Oberhandelsgericht wird auch 206 aus einem Entwurf des HGB des Reichsjustizamtes aus dem Jahre 1896 deutlich. Dort heißt es: „Dagegen sind die besonderen Fälle, in denen eine Ersatzpflicht der schuldigen Vorstandsmitglieder auch ohne den Nachweis eines der Gesellschaft entstandenen Schadens eintritt, in Abs. 3 … besonders aufgeführt …“330). Offenkundig ging es den Verfassern der Normen darum, die Beweislast für den Schaden gerade umzukehren; dieser sollte bereits bei Vorliegen der in Abs. 3 aufgeführten Tatbestände vermutet werden. Auch in der letztendlichen Regierungs-Begründung zum Entwurf des HGB von 1897 heißt es zum damaligen § 241 Abs. 3 HGB 1897 (dem heutigen § 93 Abs. 3 AktG) es handle sich um eine „(…), verschärfte Ersatzpflicht, welche einen besonderen Schadensnachweis nicht voraussetze und von den Gesellschaftsgläubigern geltend gemacht werden kann, (…)“331). Auch hier zeigt sich die Vorstellung, die Funktion des Katalogs in Abs. 3 sei es, Fälle zu definieren, bei denen sich die Beweislast hinsichtlich des der Gesellschaft entstandenen Schadens umkehre. Die Geschäftsleiter müssten sich entlasten und darlegen, dass der Gesellschaft gerade kein Schaden entstanden sei.

(2) Rezeption in Rechtsprechung und Literatur Die obigen Ausführungen legen nahe, dass der Gesetzgeber ein recht enges Ver- 207 ständnis des Zahlungsbegriffs hatte und der Geschäftsführer zunächst lediglich für Zahlungen im engeren Sinne haften sollte332). Dieses enge Normverständnis prägte auch die ersten Rezeptionen der Norm in Rechtsprechung und Literatur.

___________ 329) Vgl. Bitter, WM 2001, 666 (669 Fn. 32). 330) Entwurf des HGB des Reichsjustizamtes, 1896, S. 140. 331) Vgl. Begründung zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1895, abgedruckt bei Schubert/Schmidel/Krampe, Quellen zum HGB von 1897, Band 2, 1. Halbband, 1987, S. 1 (127); vgl. zur Ausdehnung der Haftung für Aufsichtsratsmitglieder für Zahlungen nach Insolvenzreife durch den im HGB 1897 eingeführten § 249 HGB 1897 und das Verhältnis zu § 241 HGB 1897 jetzt erst wieder der BGH im Doberlug-Urteil: BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 211 (221 Rz. 16 – 19). 332) Vgl. Flume, ZIP 1994, 337 (339 f). Darüber hat sich die Literatur jedoch recht schnell hinweggesetzt – mit Ausnahme von Brodmann, dessen Kommentierung von 1930 sogleich zu erörtern ist.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

208 Im Gegensatz zu dieser durchaus eher zufälligen Festlegung der Wortwahl im Gesetzestext hat sich das Reichsgericht relativ schnell auf einen sehr engen Begriff der Zahlung festgelegt: Nach seiner Ansicht stünde eine Zahlung „offensichtlich im Gegensatz zur Sachlieferung“333). Es wurden zunächst also lediglich reine Geldzahlungen erfasst. Selbst das vergleichsweise jüngere Schrifttum ist dem zeitweilig gefolgt334). Inzwischen ist dieser Ansatz jedoch durch die neuere BGH-Rechtsprechung überholt.

209 In RGZ 80, 104 (105, 108 f) wurde von den nach § 64 Abs. 2 GmbHG vom Geschäftsführer zu leistenden Beträgen derjenige Teil abgezogen, der bei rechtzeitiger Verfahrenseröffnung auf die verbotswidrig befriedigten Gläubiger entfallen wäre335).

210 In Kommentierungen wurden die Problemstellungen der Norm erst später erkannt. Anfänglich wurde der Vorschrift kein großes Interesse geschenkt, geschweige denn die noch heute virulente Thematik erörtert336). In der ersten Auflage des Kommentars von Hahn zu Art. 241 ADHGB wurde auf die Problematik überhaupt nicht eingegangen337). In der dritten Auflage von 1879 findet sich immerhin der Satz: „Diese Bestimmung hat offenbar den Gläubiger im Auge.“338) Renaud widmet in seiner Kommentierung von 1875 20 Seiten einer ausführlichen Darstellung zur Stellung des Aufsichtsrats, aber nur einen kurzen Hinweis auf „Zahlungen“ nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit339). Staub betont in seiner Kommentierung von 1903, dass eine Haftungsverpflichtung nur unter der Voraussetzung des schuldhaften Verstoßes gegen die Konkursantragspflicht entstehen könne340). Er identifiziert bereits das heute streitige Problemfeld: Die Folge der Ersatzpflicht ist aus seiner Sicht die Erstattung der geleisteten Zahlungen. Er fügt sodann an: „Die Folge ist sehr hart“341), weil der Gesellschaft allein durch die Zahlung ja noch kein ___________ 333) Vgl. nur RGZ 159, 211 (234) vom 30.11.1938. 334) Stellvertretend Meyer-Landrut, in Mayer-Landrut/Miller/Niehus, GmbHG, 1987, § 64 Rn. 12: „Sonstige Leistungen aus der Masse werden nicht erfaßt, da diese die flüssigen Mittel der GmbHG nicht vermindern“; Ulmer, in Hachenburg, GmbHG, 3. Band, 7. Aufl. 1984, § 64 Rn. 38; Mertens, in KölnKomm, 2. Aufl. 1988, § 92 Rn. 56 ff, insb. 57 (keine Sachlieferungen); Fleck, GmbHR 1974, 224 (230). 335) Dagegen in der neueren Rechtsprechung BGHZ 146, 264 (278) = NJW 2001, 1280 (1283); die Reichsgerichtsentscheidung ebenfalls kritisierend bereits Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anm. 4a, mit dem Argument, dass dies mit dem Wortlaut nicht in Einklang zu bringen sei; dezidiert anderer Ansicht jedoch Staub, GmbHG, 1903, § 64 Anm. 7. 336) Beispielhaft dafür die Darstellung bei Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, 1929, Dritter Band, II. Abteilung, S. 637, der der gesamten Regelung lediglich einen Absatz widmet; vgl. zum Folgenden mit einem kurzen Satz auch Goette, ZInsO 2005, 1 (2). 337) Hahn, Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 1. Aufl. 1863, Art. 241. 338) Hahn, Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 1879, Art. 241 Anm. 3. 339) Renaud, Das Recht der Actiengesellschaft, 2. Aufl. 1875, § 62 bis 64, S. 619. 340) Staub, GmbHG, 1903, § 64 Anm. 6. 341) Zu diesem und zu den folgenden Ausführungen: Staub, GmbHG, 1903, § 64 Anm. 7.

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

Schaden entstanden sei. Vielmehr werde nicht die Gesellschaft, sondern die Gesamtheit der Gläubiger geschädigt – eine These, die man auch in jüngeren BGHUrteilen vermehrt wieder findet342). Staub leitet daraus ab, dass die Gesellschaft vom Geschäftsführer zwar die Zahlung, jedoch abzüglich der Höhe der auf den befriedigten Gläubiger entfallenden hypothetischen Insolvenzquote, geltend machen kann. Denn diesen umfassenden Betrag hätte die Gläubigergesamtheit durch die Zahlung nicht „verloren“. Ansonsten läge eine Art Strafe für den Geschäftsführer vor, die nicht intendiert sei und dem Sinn der Norm widerspreche. Die Möglichkeit der Anfechtbarkeit soll hingegen nicht genügen, um den Geschäftsführer von seiner Haftung freizustellen. Staub verabschiedet sich somit bereits sehr früh mit dezidiert schadensersatzrechtlichen Argumenten vom reinen Begriff der „Zahlung“. In Übereinstimmung mit der oben bereits dargestellten gesetzgeberischen Intention 211 begreift auch Max Hachenburg in der Kommentierung von 1909 den § 64 Abs. 2 GmbHG wie selbstverständlich als zivilrechtliche Sanktion auf Absatz 1343). In seiner Kommentierung von 1927344) stellt er fest, dass der Wortlaut in § 64 Abs. 2 GmbHG wegen des Begriffs „Zahlungen“ deutlich enger als im § 241 AktG ist, der von Schadensersatz spricht. Im Ergebnis kommt er jedoch zu einer einheitlichen Auslegung: Der Schaden bestehe in beiden Fällen in den Beträgen, die durch die Zahlung der Konkursmasse entzogen sind. § 64 Abs. 2 GmbHG wolle insofern nicht darüber hinausgehen. Ein Verständnis für die heute in der Diskussion vorgetragenen spezifischen Unterschiede zwischen der reinen Erstattung von Zahlungen und einem umfassenden Schadensersatzanspruch mit Gesamtsaldierung gehen aus seinen Ausführungen jedoch nicht hervor. Interessanterweise merkt Hachenburg aber dennoch an, dass als „sonstige“ Folge der Verletzung der Konkursantragspflicht der Gesellschaft alle „weiteren“ Schäden zu ersetzen seien345). Dies betreffe insbesondere Verluste, die ohne die Fortführung nicht angefallen wären. Eine Rechtsgrundlage nennt er dafür jedoch nicht. Etwas später wurde auf die heute höchst umstrittene Problematik der Auslegung 212 des Zahlungsbegriffs in der Deutung als reine Erstattungshaftung bzw. einer Schadensersatzhaftung hingewiesen: Brodmann346) geht in seiner Kommentierung von 1930 als einer der ersten strikt vom Wortlaut aus und lehnt eine SchadensersatzHaftung ab. Jedoch weist er auf die möglichen Verwerfungen bereits hin: Er stellt darauf ab, dass der Geschäftsführer während der Insolvenzreife ein Darlehen auf___________ Vgl. dazu nur BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 f Rz. 33) (Trihotel). Hachenburg, in Staub, GmbHG, 3. Aufl. 1909, § 64 Anm. 6. Hachenburg in Staub/Hachenburg, 5. Aufl. 1927, 2. Band, § 64 Anm. 7. Hachenburg, in Staub/Hachenburg, 5. Aufl. 1927, 2. Band, § 64 Anm. 11; so auch bereits in der Vorgängerauflage Staub, GmbHG, 1903, § 64, Anm. 11 – ebenfalls ohne Nennung einer Rechtsgrundlage oder konkreter Schadensposten. 346) Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anmerkung 4a) und noch deutlicher in 4d).

342) 343) 344) 345)

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

nimmt, um damit einen Wechselgläubiger zu befriedigen347). Damit liege keine „Schädigung“ der Gesellschaft vor, aber eine Zahlung. Brodmann will diese Fallgruppe über § 64 S. 2 GmbHG lösen. Außerdem erörtert er bereits die Behandlung der Situation des Kaufs von Waren in der Verschleppungsphase. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass der Wortlaut „Zahlung“ ist, und nicht „Schadensersatz“. Gleichzeitig macht er deutlich, dass eine Bereicherung der Masse vermieden werden müsse348), weshalb der Ersatz entfallen solle, wenn Gelder bei Konkurseröffnung noch nachweisbar vorhanden seien. Einen ganz ähnlichen Standpunkt hat der BGH dann 1974 eingenommen349) und erst jüngst zu Gunsten einer weitergehende Anrechnung wieder verlassen350).

213 Dem folgend hat die Kommentierung von Liebmann/Saenger ebenfalls das Phänomen herausgearbeitet, dass der Nachweis eines entstandenen Schadens nicht erforderlich sei351) und es sich daher explizit nicht um einen Schadensersatzanspruch handle. Gleichzeitig werden aber auch Standpunkte vertreten, die an eine Schadensersatzhaftung erinnern: Denn es sollte der in die Masse geflossene Gegenwert „schadens-“mindernd angerechnet werden. Gleichzeitig verweist die Kommentierung für den Verschuldensmaßstab auf § 43 GmbHG.

214 Was die entsprechenden Regelungen im Aktienrecht anbelangt, ergab sich in den frühen Kommentierungen eine leicht anders gelagerte Argumentation, die jedoch auf dasselbe Ergebnis hinaus lief: Zunächst sah man – wegen des insofern etwas anders gelagerten Wortlauts in § 241 HGB – den Anspruch nicht als Ersatzanspruch eigener Art, sondern ganz überwiegend als Schadensersatzanspruch an352).

215 Ritter geht insbesondere davon aus, dass die in § 241 Abs. 3 HGB aufgeführten Fälle lediglich Beispielsfälle sind: „Abs. 3 ändert also nichts an den Grundsätzen der Abs. 1 und 2.“353) Daher könne auch der die Zahlung übersteigende Schadensbetrag ersetzt verlangt werden. In Höhe der Zahlung bestehe jedoch die Funktion der Norm darin, dass der Nachweis eines Schadens nicht erforderlich sei. Insofern baut Ritter auf die oben aufgezeigten Argumente auf. ___________ 347) Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anmerkung 4b). 348) Brodmann, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anmerkung 4a). 349) BGH NJW 1974, 1088 (1089); BGH, ZIP 2010, 2400 = DStR 2011, 130 (Fleischgroßhandel); BGH, NZG 2003, 582 (583); Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 14; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 89 ff; soweit ersichtlich als einziger die Anrechnung der Gegenleistung völlig ablehnend: Schulze-Osterloh in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (424 f): Masseerhaltung sei kein Schutzzweck des § 64, dafür lediglich Gläubigergleichbehandlung. 350) Vgl. BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 f (Rz. 9, 11); dazu K. Schmidt, NZG 2015, 129; Altmeppen, ZIP 2015, 949; Haneke, NZI 2015, 499. 351) Liebmann/Saenger, GmbHG, 7. Aufl. 1927, § 64 8. Anmerkung; bzgl. der Charakterisierung als Schadensersatzanspruch explizit verweisend auf Brodmann, GmbHG, § 64 Anm. 4. 352) Vgl. zum Ganzen: Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1209 f m. w. N.). 353) Ritter, Handelsgesetzbuch, 1910, § 241 S. 298 unter 3.

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

Bedeutung wurde den in Abs. 3 aufgeführten Sondertatbeständen vor allem aber 216 im prozessualen Bereich eingeräumt: Für die dort geregelten Fälle sollte insbesondere das Gläubigerverfolgungsrecht gelten354) – dies stellt einen erheblichen Unterschied zum GmbH-Recht dar, in dem es eine vergleichbare Regelung nie gegeben hat. Es sollten also Fälle sein, bei denen der Vorstand nicht nur der Gesellschaft, sondern auch den Gläubigern gegenüber haftete. Bei Katalogverfehlungen sollte den Organhalter die Beweislast dahin gehend treffen, dass er notfalls darlegen und beweisen musste, dass der Gesellschaft kein Schaden entstanden sei355). Ob aber bei den einzelnen Tatbeständen der Gesellschaft überhaupt ein Schaden entstehen kann, wurde gar nicht thematisiert356). Brodmann geht in seiner Kommentierung des § 241 HGB von 1928 davon aus, 217 dass das Gemeinsame der in Abs. 3 aufgeführten Tatbestände die Tatsache sei, dass es sich um bezifferbare Geldbeträge handle, welche aus dem Gesellschaftervermögen zu Unrecht ausgezahlt worden seien357). Erwähnenswert ist, dass Brodmann – genauso wie in seiner Kommentierung des § 64 GmbHG – als ersichtlich einziger auf den Umstand hinweist, dass die Norm die Ersatzpflicht anordnet, „ohne jede Rücksicht darauf, ob durch die Zahlung eine Verpflichtung der Gesellschaft getilgt worden ist und überhaupt die Zahlung der Gesellschaft zum Nachteil gereicht hat.“358) Und auch bei ihm wird die Besonderheit der Vorschrift erwähnt, dass die Gesellschaft in Höhe der Zahlungen keinen Schaden nachweisen müsse359). Im Ergebnis will Brodmann jedoch einen Ersatzanspruch entfallen lassen, wenn der Geschäftsführer nachweisen könne, dass der Gesellschaft ein Schaden nicht entstanden sei.

iii) Ergebnis Die Ausführungen zeigen, dass die heute diskutierten Probleme des Zahlungsbeg- 218 riffs zwar bereits bei der Entstehung der Norm angelegt waren. Jedoch lässt sich aus den Materialien weder eine klare und stringente gesetzgeberische Intention ableiten, noch hat die Literatur die Probleme sofort aufgegriffen. Vielmehr haben sich die Streitpunkte, gerade was die Berücksichtigung der Gegenleistung und das Vorliegen eines durch die Zahlung bewirkten Schadens bei der Gesellschaft anbelangt, erst im Laufe der Jahre herausgestellt. ___________ 354) Ausführlich Ritter, Handelsgesetzbuch, 1910, § 241 S. 298 unter 4; so auch Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 241, unter 3.a) und ausführlich 4.a). 355) Ritter, Handelsgesetzbuch, 1910, § 241 S. 298 unter 4. 356) Vgl. Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1210). 357) Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 241 unter 3.a). 358) Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 241 unter 3.a). 359) Diesen Gedanken im Ergebnis jedoch ablehnend Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 241 unter 3.b) mit ausführlicher Darstellung der Gesetzeshistorie sowie Verweis auf RGZ 5, 24.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

219 Für die heutige Auslegung des Begriffs der „Zahlung“ in § 64 GmbHG lässt sich aus der geschichtlichen Entwicklung nicht allzu viel ableiten. Vielmehr zeigt die Entwicklung, dass sich die meisten Problemfelder erst im Laufe der Zeit offenbarten und vom Gesetzgeber bei Erlass der Normen nicht gesehen worden waren. Der Wortlaut der Norm erscheint daher nicht zwingend bei der Auslegung der Norm.

b) Die Schutzgesetzeigenschaft des § 15a InsO = § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. 220 In engem Zusammenhang mit der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG steht die Konsequenz aus einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht. Insofern stellte und stellt sich die Frage, ob neben die Haftung für Zahlungen eine weitere Haftung wegen Insolvenzverschleppung treten kann. Dogmatischer Ansatzpunkt für eine solche Haftung wurde in § 823 Abs. 2 BGB gesehen. Mit dessen Einführung durch das BGB im Jahre 1900360) beabsichtigte der Gesetzgeber vor allem eine gewisse Rechtsvereinheitlichung durch Etablierung einer einheitliche Schadensersatznorm wegen Schutzgesetzverletzungen. Dies führte zu der Folgefrage, ob die Insolvenzantragspflichten, früher bei jeder Gesellschaftsform separat geregelt, heute in § 15a Abs. 1 InsO vereinheitlicht, bei deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch auslösen können.

221 Bereits 1904 hatte das Reichsgericht bestimmt, dass Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB auch solche Normen sein können, die nicht nur dem Schutz von Privatinteressen dienen, sondern „die in erster Reihe höheren Interessen der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind, wenn sie nur nebenher auch den einzelnen zum Schutze gereichen“361). Kurz darauf stellte das Gericht in RGZ 72, 289 fest, dass die Pflichten aus § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. „im öffentlichen und allgemeinen Interesse“ bestünden. Zur Frage der Haftung der Leitungsorgane aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. der Insolvenzantragspflicht hat das Reichsgericht am 4.2.1910 erstmals Stellung bezogen362). In RGZ 73, 30 schließlich hatte ein Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer geltend gemacht, weil dieser trotz vorliegender Konkursreife die Gesellschaft weiter betrieben hatte. Das Reichsgericht stellte fest, dass die Normen über die Konkursreife den Schutz der Gesellschaft, der Gläubiger und womöglich der Gesellschafter bezwecken, darüber hinaus jedoch keinen weiteren Schutzbereich aufweisen. Die in § 43 und § 64 GmbHG ___________ 360) Vgl. Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 73 (80, 93), der in S. 85 ff verdeutlicht, dass es keineswegs so war, dass die Verletzung eines „Schutzgesetzes“ vor der Einführung des BGB im Jahr 1900 keiner Sanktion unterlag. Dies ergab sich lediglich aus dem gemeinen und partikularen Recht und war insofern für das Reich nicht einheitlich. 361) RGZ 59, 236 (238). 362) RGZ 73, 30; ausführliche Darstellung und Einordnung zu den aktuell immer noch offenen Fragen bei Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2202); vgl. Wagner, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665 (1667); K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (659 f).

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

normierten Pflichten der Geschäftsleiter bestünden ausschließlich gegenüber der Gesellschaft und nicht im Interesse Dritter363). Ein entsprechender Schutz sei jedoch über die Haftungsnorm des § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. (= § 64 S. 1 GmbHG) bereits gewährleistet. Die Vorschrift könne nicht „auch“ noch ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB sein. Denn § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. sei „überflüssig, (…) wenn schon ohnehin die Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB Platz zu greifen hätte.“364) Insofern sieht das Reichsgericht in der in unmittelbarem Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht stehenden Haftung für verbotene „Zahlungen“ in Abs. 2 a. F. die einzige zivilrechtliche Sanktion und vergleicht dies mit der Situation der gewöhnlichen Geschäftsleiterhaftung aus § 43 GmbHG365), bei der der Gläubigerschutz mittelbar hergestellt werde. Nach alledem wird davon ausgegangen, das Reichsgericht hätte die Schutzgesetzeigenschaft der Konkursantragspflicht abgelehnt366). Auch die Literatur hat sich dem anfänglich ganz überwiegend angeschlossen367) und teilweise explizit darauf hingewiesen, dass dem Grunde nach ein Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB gegen den Vorstand bestehe, dies jedoch bei einer Verletzung des „Zahlungsverbots“ gerade nicht in Betracht komme368). In RGZ 81, 269 ff bestätigte das Reichsgericht ausdrücklich, dass § 64 GmbHG kein Schutzgesetz „für dritte, außerhalb der Gesellschaft stehende Personen bildet.“ Bemerkenswerterweise vollzog der BGH etwa 50 Jahre später369) einen vollständi- 222 gen Richtungswechsel. In der viel beachteten Entscheidung vom 16. Dezember 1958370) hatte der VI. Zivilsenat zu entscheiden, ob ein Geschäftsführer für solche Lieferungen auf Kredit haftbar gemacht werden konnte, die zur Zeit der Insolvenzreife getätigt worden waren. In diametraler Abkehr von den vorgenannten Ent___________ 363) RGZ 73, 30 (33 f); vgl. auch Poertzgen, Organhaftung, S. 249. 364) RGZ 73, 30 (35); dazu auch K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (659), der die Argumentation des RG für überkommen hält, da dem Gericht scheinbar eine andere als eine schadensersatzrechtliche Deutung gar nicht in den Sinn gekommen sei; zum Ganzen auch Altmeppen, ZIP 2015, 949 (953). 365) So ausdrücklich RGZ 73, 30 (35); dazu auch Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (679). 366) Schulze-Osterloh, in FS Lutter, 2000, S. 707 (709): deutliche Tendenz gegen die Anwendbarkeit des § 823 Abs. 2 GmbHG; Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (679). 367) Vgl. nur Brodman, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anm. 1c); Liebmann/Saenger, GmbHG, 7. Aufl. 1927, § 64 10. Anmerkung sowie § 43 5. Anmerkung. 368) Ritter, Handelsgesetzbuch, 1910, § 241 S. 299 f unter 8. und 9. 369) Diese allgemein vertretene Vorstellung stimmt nicht ganz: Bereits in den Entscheidungen des Reichsgerichts vom 30.1.1914, LZ 1914, 864 f (zu § 148 Abs. 2 GenG, also der Haftung der Organe der Genossenschaft) sowie in der Entscheidung des RG vom 5.6.1935, JW 1935, 3301 ff (zur Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern bei der Haftung nach § 240 Abs. 2 HGB a. F., also bei der Aktiengesellschaft) wurde angedeutet, dass die Insolvenzantragspflicht als Schutzgesetz angesehen werden könne; vgl. dazu ausführlich Poertzgen, Organhaftung, 2006, S. 251 f: Letztlich nimmt diese Entwicklung die Entscheidung BGHZ 59, 100 vorweg. 370) Vgl. BGHZ 29, 100 = NJW 1959, 623; vgl. dazu beispielsweise Trude, GmbHR 1959, 112; Winkler, MDR 1958, 887; Lamsdorff/Gilles, NJW 1966, 1551 und K. Schmidt, JZ 1978, 661.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

scheidung hat der BGH hier nun festgestellt, die Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. sei nicht abschließend371). Denn dort ginge es lediglich um die Haftung im Verhältnis zur GmbH, die Außenhaftung gegenüber den Gläubigern sei dadurch aber nicht ausgeschlossen und ergebe sich aus § 823 Abs. 2 BGB, da die Konkursantragspflichten ein Schutzgesetz i. S. dieser Norm seien. Im Übrigen legte der BGH bereits damals fest, dass der Schutzbereich sowohl die Alt – als auch die Neugläubiger erfasse372). Die Entscheidung bezieht sich dabei auch auf die Reichsgerichts-Entscheidung RGZ 73, 30, gibt diese jedoch nicht ganz richtig wieder. Der BGH hat insofern eine fundamentale Umkehr eingeleitet, die von der ganz h. M. übernommen wurde. Danach steht fest, dass die Insolvenzantragspflicht ein verletzungsfähiges Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB für alle Gläubigergruppen ist.

223 Zudem vertritt der BGH, die Konkursantragspflicht schütze die jeweiligen Gläubiger nicht vor der Gefahr, einer insolvenzreifen Gesellschaft noch Kredit zu gewähren. Der sachliche Schutzbereich bestehe vielmehr einzig aus dem „Quotenschaden“, also der Differenz zwischen der erhaltenen und der bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung zu erwartenden Quote. Gerade was den letzten Aspekt anbelangt, hat der BGH in den neueren Urteilen wiederum einen erheblichen Wechsel vollzogen373). Auf den letzten Rechtsprechungswandel wird noch zurückzukommen sein.

224 Festgehalten sei an dieser Stelle lediglich, dass der in BGHZ 29, 100 vollzogene Wandel hin zur Anerkennung der Schutzgesetzeigenschaft zwar von der ganz h. M. anerkannt ist, jedoch auf einer zumindest teilweise fehlerhaften Interpretation der Grundlagenentscheidungen beruht. Er überzeugt daher nur bedingt und lässt durchaus Raum für eine abweichende Bestimmung des Umfangs der Schutzgesetzeigenschaft der Insolvenzantragspflicht.

2.

Haftungsnormen der verschiedenen Rechtsformen im Verhältnis zueinander

225 Nicht viel anderes ergibt sich, wenn man § 64 GmbHG mit den funktionsäquivalenten Normen anderer Rechtsformen vergleicht. Auch hierbei offenbart sich eine bunte Vielfalt374), aber kein stringentes Konzept des Gesetzgebers. Während es im Vereinsrecht in § 42 Abs. 2 BGB zwar eine Insolvenzantragspflicht und bei Ver___________ 371) BGHZ 29, 100 (102 ff, 104); vgl. zum Ganzen auch Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2202); ders., in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 33; K. Schmidt, ZHR 175 [2011], 433 ff. 372) BGHZ 29, 100 (102 ff). 373) Vgl. BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 vom Juni 1994 sowie BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 vom März 1998, in denen die Altgläubiger zwar nicht aus dem Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht ausgeklammert wurden, jedoch aus dem wegen § 92 InsO einheitlich zu ersetzenden Quotenschaden herausgenommen und einem individuellen Abwicklungsregime unterworfen wurden. 374) Vgl. K. Schmidt, ZHR 168 (2994), 637 (638 f): „rätselhafte Normenfamilie“; Thiessen, in Schröder/ Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 71 (76): „beispielloses Tohuwabohu“.

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

zögerung der Antragstellung eine daraus abgeleitete Schadensersatzpflicht gibt, findet sich dort kein mit § 64 GmbHG vergleichbares Verbot375). Im Aktienrecht statuiert § 92 Abs. 2 AktG zunächst explizit das bei § 64 GmbHG 226 nur implizit vorausgesetzte Verbot der Vorabbefriedigung von Gläubigern und der insolvenzverursachenden Zahlungen an Aktionäre376). Dies ließe sich noch mit § 64 GmbHG in Gleichklang bringen, da die h. M. dort ebenfalls von einem (ungeschriebenen) Zahlungsverbot ausgeht377). Die eigentliche Ersatzpflicht drückt dann aber § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG aus378): Die 227 Vorstandsmitglieder sind „namentlich zum Ersatz verpflichtet“, wenn entgegen § 92 Abs. 2 AktG Zahlungen geleistet werden. Dies bezieht sich dem Wortlaut nach auf § 93 Abs. 2 AktG, der die allgemeine Schadensersatzpflicht von Vorständen normiert. Mit seiner Bezugnahme auf diese Norm scheint § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG auf den ersten Blick von einem Schadensersatz zu sprechen, wobei es die h. M. generell auch belassen will379). Die Besonderheit liege insbesondere in der wegen § 93 Abs. 5 AktG erleichterten Anspruchsdurchsetzung durch die Gläubiger380). Modifizierend wird aber vertreten, dass es sich hier um einen „speziellen“ Scha- 228 densersatzanspruch handle, der von den §§ 249 ff BGB abweiche und einer Gesamtsaldierung gerade nicht zugänglich sei381). Insofern überlagere die Wertung des § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG die traditionelle Schadensfeststellung derart, dass ein klassischer Schaden der Gesellschaft nicht notwendig sei, der Schaden liege bereits

___________ 375) Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1512 Fn. 62): Eine Analogie des 64 im Vereinsrecht lehnt BGH, ZIP 2010, 985 = NZG 2010, 742 ab; zustimmend: Poertzgen, ZInsO 2010, 785 (789 f), im Stiftungsrecht Müller, ZIP 2010, 153, 158 f. 376) Vgl. zum Vorhandensein bzw. Fehlen des eigentlichen „Zahlungsverbots“ die Nachweise bei Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 71 (77 Fn. 22) sowie mit weiteren systematischen Unregelmäßigkeiten der Normen. 377) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 1 m. w. N.; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (662 Mitte); vgl. auch Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 71 (76); ablehnend dagegen Haas, NZG 2013, 41 (46). 378) Deckungsgleiche Regelungen zur Genossenschaft finden sich in §§ 99, 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG. Da der Wortlaut mit dem AktG übereinstimmt ist hierauf nicht weiter einzugehen. 379) Dem Grunde nach belässt es die herrschende Meinung auch bei diesem Verständnis: RGZ 159, 211 (228 f); vgl. Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1208 m. w. N.); Fleischer, in Spindler/ Stilz, § 93 Rn. 256 ff. 380) Statt vieler vgl. nur Hölters, in Hölters, AktG, § 93 Rn. 273. 381) Vgl. instruktiv Fleischer, in Spindler/Stilz, § 93 Rn. 258; ders., ZIP 2005, 141 (151); Koch, in Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 68 f; Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (959); gegen diese Wertungen K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (650 ff); Bitter, WM 2001, 666 (668 f).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

im Abfluss der Mittel382): Dies stelle einen vermuteten „Mindestschaden“ dar383). Insofern ist die Ausgestaltung der Haftung im Ergebnis dann doch ähnlich wie bei § 64 GmbHG. Auf der Basis der herrschenden Auffassung somit konsequent wird teilweise auch von einem verschuldensabhängigen Folgenbeseitigungsanspruch gesprochen384). Der Sache nach ergibt sich damit trotz andersartigem Wortlaut kein substantieller Unterschied zur Deutung des § 64 GmbHG385). Im viel beachteten Doberlug-Urteil386) hat sich der BGH nochmals geäußert, hier ging es aber um die recht spezielle Situation der Haftung von (fakultativen) Aufsichtsratsmitgliedern in der GmbH. § 52 Abs. 1 GmbHG verweist hierfür lediglich auf „[§] 116 des Aktiengesetzes in Verbindung mit § 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2 des Aktiengesetzes“, nicht jedoch auf § 93 Abs. 3 GmbHG. Daraus schloss der BGH für einen Anspruch gegen ein Mitglied eines zumindest fakultativen Aufsichtsrates auf das Erfordernis eines „Schadens“ i. S. d. §§ 249 ff BGB. Wenn einer Aktiengesellschaft also gerade kein klassischer Vermögensschaden entstanden sei, scheide eine Haftung der Aufsichtsräte aus. An der Haftung des Vorstandes hat sich durch das Doberlug-Urteil aber nichts geändert.

229 Endgültig Verwirrung stiftet dann schließlich ein Blick auf die Vorschrift des § 130a HGB387), der unmittelbar für Offene Handelsgesellschaften ohne natürliche Personen als Gesellschafter, über § 177a HGB auch für Kommenditgesellschaften und die GmbHG & Co. KG Anwendung findet. Im Bunde der hier zusammengefassten Normen ist er die jüngste388). Genauso wie bei § 64 GmbHG wurde bei dieser Vorschrift die ursprünglich in Abs. 1 enthaltene Insolvenzantragspflicht für atypische ___________ 382) Vgl. nur RGZ 159, 211, 230; Fleischer, ZIP 2005, 141 (151); Koch, in Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 68 m. w. N.; Hölters, in Hölters, AktG, § 93 Rn. 274; zu § 43 GmbHG, jedoch Bezug nehmend auf § 93 AktG: BGH NJW 2009, 68 Rn. 17; Hopt/Roth, in GroßKomm AktG, § 93 Rn. 339 f, die jedoch betonen, dass der Schadensersatz nach Abs. 3 den vollen Schaden der Gesellschaft ersetzen soll, also auch den über den reinen Abfluss der Mittel hinausgehenden. 383) Hopt/Roth, in GroßKomm AktG, § 93 Rn. 343 m. w. N. 384) Vgl. Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (959 f); Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1209); Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (392); Habersack, JZ 2010, 1191; dies wird insbesondere damit begründet, dass die Haftung aus § 93 Abs. 2 bzw. 3 AktG und die aus § 64 GmbHG gleich laufen müssten. 385) Vgl. insofern Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1209 ff), der eine noch weitergehende Angleichung des § 93 III Nr. 6 AktG an die herrschende Deutung bei § 64 GmbHG begründet. Er stützt jedoch die Haftung nicht auf eine Schädigung der Gesellschaft durch die Geschäftsleiter, sondern auf die Herbeiführung eines mit grundlegenden Wertungen des Kapital- und Vermögensschutzes unvereinbaren Zustands. Daher komme § 93 III Nr. 6 AktG konstituierende Bedeutung zu. 386) BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 221; dazu Schürnbrand, NZG 2010, 1207 ff; Habersack, JZ 2010, 1191. 387) Dazu ausführlich Haas, in FS Gero Fischer, 2008, S. 209 (221). 388) § 130a HGB wurde durch das Erste Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976 (BGBl. I S. 2034) ins HGB aufgenommen: vgl. Hillmann, in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, HGB, § 130a Rn. 3; K. Schmidt, in MüKo HGB, § 130a Rn. 1.

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I. Wortlautgrenze bei § 64 GmbHG?

Personenhandelsgesellschaften mit dem MoMiG rechtsformneutral in § 15a InsO überführt389). Auch bei § 130a HGB wird das eigentliche Zahlungsverbot im Gegensatz zu § 64 GmbHG explizit ausgesprochen, Abs. 1390). Nicht weniger als verwunderlich kann man dann jedoch § 130a Abs. 2 HGB be- 230 zeichnen: Bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht oder das Zahlungsverbot „sind die organschaftlichen Vertreter […] der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet.“ In einem einzigen Satz begründet diese Vorschrift damit zum einen die – wegen des zweifelhaften Schutzzweckcharakters der Insolvenzantragspflicht im GmbH-Recht höchst umstrittene – Insolvenzverschleppungshaftung als explizite Schadensersatzhaftung. Zum anderen wird dem Wortlaut nach auch bei Verletzung des Zahlungsverbots eine Schadensersatzhaftung angeordnet391). Wegen dieser „genehmen“ Rechtsfolge wurde § 130a HGB von K. Schmidt gar als „modellbildend“ deklariert392). Jedoch hat der Gesetzgeber auch beim MoMiG 2008 bei der Anpassung des § 130a HGB an seiner problematischen Terminologie festgehalten393). Die herrschende Auffassung lehnt die Sicht von K. Schmidt kategorisch ab394), viel mehr noch: Nach herrschender Auffassung sei der § 64 GmbHG das Modell, an dem sich die Auslegung der anderen Normen auszurichten hätten395). Daher statuiere § 130a Abs. 2 HGB entgegen dem insoweit eindeutigen Wortlaut keine Schadensersatzhaftung, sondern einen Erstattungsanspruch „eigener Art“. Auch der Gesetzgeber scheint von einem Gleichlauf der Normen ausgegangen zu sein396). Die Rechtsprechung bemüht inso___________ 389) Statt vieler: Hillmann, in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, § 130a Rn. 3; Roth, in Baumbach/ Hopt, § 130a Rn. 1. 390) Vgl. K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (650 ff), der daraus weitreichende Schlüsse zieht. 391) Vgl. BGH, ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462; dazu Poertzgen, NZI 2007, 420; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 84 Fn. 295 m. w. N. 392) Vgl. K. Schmidt, JZ 1978, 661 (662); ders., ZHR 168 (2004), 637 (660); in diese Richtung auch Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2206); dagegen wird jedoch geltend gemacht, dass § 43 GmbHG nur die Pflichten gegenüber der Gesellschaft, nicht gläubigerschützende Pflichten beinhalte: vgl. Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 184 f. 393) Vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 84 Fn. 296 m. w. N.; Haas, NZG 2004, 737 (738). 394) Sehr bestimmt Haas, NZG 2004, 737 (738 f m. w. N.); Goette, ZInsO 2005, 1 (3), der meint, Schlussfolgerungen aus dem Wortlaut des § 130a HGB seien nicht zu ziehen, solange man an der Insolvenzverschleppungshaftung als Außenhaftung festhalte. 395) In diesem Sinne auch der BGH, ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462, der lediglich die Erstattung der Zahlungen, nicht jedoch den Ersatz des Quotenschadens von § 130a Abs. 2, 2. Alt. HGB erfasst sehen will; ausführlich dazu Habersack, in Staub HGB, § 130a Rn. 35 m. w. N.; so auch Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (392); Bayer/J. Schmidt, WuB II G § 130a HGB 1.07; diese Einebnung zu Gunsten der Interpretation des § 64 GmbHG strikt ablehnend insb. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1403, 1406). 396) So konstatiert die Regierungsbegründung zu § 130a HGB: „Die Regelung entspricht den für Kapi- talgesellschaften geltenden Vorschriften (§ 92 Abs. 2 AktG, § 64 Abs. 1 GmbHG […]“ sowie später „Die […] Schadensersatzpflicht entspricht § 93 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 64 Abs. 2 GmbHG…“: vgl. BT-Drucks. 7/3441, S. 47, linke Spalte.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

fern die bereits bekannte Formulierung, der Schaden liege bereits im Abfluss der Mittel397), weshalb eine schadensrechtliche Saldierung nicht angezeigt sei.

231 Auffällig ist, dass keine der Schwesternormen des § 64 GmbHG von der „Erstattung“ von Zahlungen redet, sondern alle auf einen Schadensersatz abstellen398). Dies ist umso erstaunlicher, da die h. M. die Schwesterbestimmungen allesamt analog zu § 64 GmbHG auslegen will. Zumindest zeigt sich, dass die Normen weder wortlautoder strukturmäßig aufeinander abgestimmt sind, noch lassen sich Auslegungsergebnisse von einer Rechtsform zur anderen übertragen. Der Wortlaut des § 64 GmbHG bildet daher keine zwingende Grenze399) und ist mit Vorsicht zu genießen. Eine Auslegung muss vielmehr an den Schutzzwecken und am Zusammenspiel mit den anderen Normen des Haftungssystems ansetzen.

II. Der Dualismus der Schadensermittlung: Fortführung des Schadensproblems im Recht der Vermögensverlagerung 232 Die soeben kursorisch zusammengefassten Stellungnahmen der Rechtsprechung und Literatur zur Frage des Schadens bei § 93 Abs. 3 AktG zeigen bereits, dass die Begründung bzw. Berechnung eines auf „Zahlungen“ basierten Schadenspostens bei der Gesellschaft durchaus problematisch ist. Jedoch nicht nur bei der Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG, sondern auch bei der Insolvenzverschleppungshaftung stellt sich die Frage, wie ein Ersatzanspruch zu berechnen ist, der durch die Verzögerung der Insolvenzantragstellung und die Weiterführung des wirtschaftlichen Betriebs ausgelöst wird. Bei dieser Problematik handelt es sich letztlich um die Fortführung des oben bereits ausgeführten „Schadensproblems“:

233 Ohne den Blick auf einen konkreten Anspruchsteller zu richten, sind bei der Bestimmung des konkreten, durch die Fortführung des Unternehmens trotz Insolvenzreife entstandenen Schadens zwei Sichtweisen denkbar: Zum einen kann die entstandene Vermögenseinbuße aus Sicht der Schadensursachen betrachtet werden. Es wird also der Blickwinkel des handelnden Geschäftsleiters herangezogen und die Frage gestellt, „wie“ der Schaden entstanden ist. Diese Sicht nimmt im Wesentlichen auch § 64 S. 1 GmbHG ein, indem er auf „Zahlungen“ abstellt, die zwar wohl bei Weitem nicht alle Ursachen einer verschleppungsbedingten Vermögensminderung abdecken, jedoch zumindest nach dem erkennbaren Willen des historischen Gesetzgebers (vgl. dazu oben) den Kardinalfall des Gläubigerschadens ausmachen ___________ 397) BGH ZIP 2007, 1501 = NZG 2007, 678 (679 Rz. 7); BGH, ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462 (463 Rz. 7), jeweils mit Hinweisen auf die Gesetzesbegründung; zum Ganzen auch SchmidtLeithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 18. 398) Vgl. dazu die Ausführungen bei Poertzgen, Organhaftung, S. 237: Warum es in den verschiedenen Rechtsformen de facto vier verschiedene Haftungsregime gibt, sei nicht erklärlich. 399) So auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 84: Der Zahlungsbegriff sei einer korrigierenden Auslegung zugänglich.

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II. Der Dualismus der Schadensermittlung

sollten. Die Schädigung der Gesellschaft wird insofern aus der Perspektive ermittelt, auf welche Art und Weise der Geschäftsleiter das Gesellschaftsvermögen erhöht oder reduziert. Der Fokus liegt also auf den masseschmälernden Transaktionen oder Geschäftsvorgängen. Folgerichtig geht § 64 S. 1 GmbHG von Vermögensverschiebungen mit Bezug zum Aktivvermögen aus400). Veränderungen des Gesellschaftsvermögens, die nicht einer Handlung des Geschäftsführers mit Bezug zum Aktivvermögen entspringen, wie beispielsweise die Begründung von Verbindlichkeiten oder die Wertveränderung der Masse im Zeitablauf, sind daher nicht erfasst. Es geht um die Schadensursache. Bei einfachen Transaktionen und Vorgängen mag diese Vorgehensweise überzeugen – beispielsweise wenn bei einem einfach strukturierten Betrieb die Insolvenz um einen relativ klar abgrenzbaren Zeitraum verschleppt wird. Schwieriger aber wird es bei der Erfassung von Verlusten des goodwill, also des immateriellen Geschäftswertes. Da ein solcher Verlust nicht einer isolierbaren Handlung, also: Schadensursache, entspricht, kann er nicht abgebildet werden. Es bietet sich aber auch eine andere Sicht auf den Schadensvorgang an, die über 234 die oben unter dem Stichwort „Schadensproblem“ bereits erörterte Besonderheit des mittelbaren Gläubigerschutzes im Rahmen der Insolvenz der Gesellschaft ansetzt. Ab Insolvenzreife, so die gesetzliche Wertung, ist die Gesellschaft in das Insolvenzverfahren zu überführen und dort zu liquidieren, das Vermögen der Gesellschaft ist also ausschließlich zur vorrangigen Befriedigung der Gläubigerforderungen zu verwerten. Wenn es nun um die bei den Gläubigern entstandenen Verluste durch eine etwaige Verschleppung der Insolvenz geht, dann bietet es sich an, deren erzielte Quote in den Blick zu nehmen: Der Schaden besteht somit in der Differenz zwischen der Gläubigerquote am Anfang und am Ende der Insolvenzverschleppungsphase. Weil die Quoten der Gläubiger im Insolvenzverfahren dem Grunde nach alle gleich sind, entspricht die Sicht auf die aggregierten Quoten der Gläubiger prinzipiell der Sicht auf die Höhe der Verteilungsmasse, also des Gesellschaftsvermögens. Dies ist im Wesentlichen das Konzept der Insolvenzverschleppungshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO: Die Berechnung dieses Schadens setzt nicht bei einzelnen Handlungen des Geschäftsleiters an, sondern beim Gesamt-Wertverlust der Masse (dem „Gesamtgläubigerschaden“) bzw. dem aggregierten „Quotenschaden“ der Gläubiger. Diese Sicht greift nur deshalb, weil die oben bereits angesprochene kapitalgesell- 235 schaftsrechtliche Besonderheit gilt: Ab materieller Insolvenz ist die Gesellschaft eben nur noch Platzhalter der Gläubigerinteressen, d. h. die bei der Gesellschaft anfallenden Vermögensveränderungen haben auf die Vermögenssituation der Gläubiger unmittelbare Auswirkung. Ein „Schaden“ bei der Gesellschaft (bzw. besser: eine Veränderung des Wertes des Gesellschaftsvermögens) ist eben mittelbar und wegen ___________ 400) Nachweise dazu unten bei der Darstellung des Zahlungsbegriffs.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

deren Auflösung und Liquidation im Insolvenzverfahren zwingend auch ein gleicher Schaden bei den Gläubigern. Der Blick bei der Insolvenzverschleppungshaftung geht also auf die Auswirkungen der Verschleppung bei der Gesellschaft und mittelbar auch bei den Gläubigern. Dem entspricht es auch, dass § 64 S. 1 GmbHG auf Einzelleistungen gerichtet ist, während die Insolvenzverschleppungshaftung den Charakter eines Dauerdelikts hat und der dabei zu ersetzende Schaden das Ergebnis eines sich in der Verschleppungsphase entwickelnden Schadensverlaufs ist401).

236 Beide Schadensermittlungsmethoden kommen, bei idealtypischer Betrachtung, zum selben Ergebnis. Gerade einer aggregierten Anwendung sind die Methoden aber nicht zugänglich. Sie ergänzen sich nämlich nicht, sondern erreichen auf unterschiedlichen Wegen dasselbe Ergebnis, nämlich eine Berechnung der verschleppungsbedingten Schädigung „der Gesellschaft“ durch den Geschäftsleiter. Eine Kombination beider Methoden verbietet sich damit.

237 Zur Illustration mag ein Vergleich mit einer Bilanz herangezogen werden: Beide Seiten der Bilanz sind per definitionem identisch. Jedoch ist es ohne Weiteres nicht möglich, einem Aktivposten (Beispiel: Maschine X, Kfz Y) einen eindeutigen Passivposten zuzuordnen (Beispiel: Darlehensverbindlichkeit Z). Das mag am Anfang bei der Beschaffung der Maschine durch ein bestimmtes Darlehen der Bank noch möglich sein. Aber spätestens nach mehreren Rechnungsperioden und Umsätzen ist eine eindeutige Zuordnung nicht mehr gegeben: Da wurde die Maschine bilanziell zum Teil abgeschrieben, das Darlehen wurde Teil einer Umschuldung, teilweise aus Erträgen zurückgeführt oder vielleicht völlig zurückgezahlt. Die Unternehmung hat inzwischen auch weiteres Fremdkapital aufgenommen, das auf das allgemeine Gesellschaftskonto geflossen ist. Sprich: Es gibt nur noch eine allgemeine Darstellung der Mittelherkunft und der Mittelverwendung in toto. Bei der Begründung kann u. U. eine bestimmte Zuordnung erfolgen, aber spätestens nach einer Reihe weiterer Transaktionen gibt es für einzelne Vermögensgegenstände keine definitive Verbindung mehr zu spezifischen Passivposten.

238 Ähnlich verhält es sich mit geschäftlichen Vorgängen während der Insolvenzreife: Im Zeitpunkt einer gegenleistungslosen Zahlung an einen Gläubiger oder Gesellschafter mag gleichzeitig ein Schaden im Gesellschaftsvermögen in derselben Höhe entstehen. Doch spätestens wenn es nicht mehr nur um eine reine Auszahlung, sondern z. B. um ein Erwerbsgeschäft geht, dann dürfte der Schaden auf Ebene des Wertes des Gesellschaftsvermögens ein gänzlich anderer sein, nämlich in Summe ___________ 401) K. Schmidt, NZG 2015, 129 (131): mit der pointierten Aussage: „das von den Geschäftsleitern verantwortete Liquiditätsmanagement [ist], anders als der private Zahlungsverkehr von Richtern und Professoren, Prozess und nicht Ergebnis […]“; vgl. auch K. Schmidt, ZIP 2005, 2177 (2183).

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II. Der Dualismus der Schadensermittlung

ein deutlich niedrigerer402). Der Wert der Gesellschaft wird darüber hinaus von vielen anderen Faktoren beeinflusst, die von der transaktionsbezogenen Sicht auf die Zahlungsvorgänge gar nicht abgebildet werden. Und so gehen schließlich über den gesamten Verschleppungszeitraum gesehen die Wertveränderungen der Masse, die übrigens auch positiv sein können, in einem Gesamtschaden auf, während sich die von den Geschäftsleitern getätigten Zahlungen auf einen völlig anderen Betrag summieren. Beide Beträge können aber nicht „quergerechnet“ oder voneinander in Abzug gebracht werden. Sie haben miteinander ebenso viel zu tun wie zwei Seiten einer Bilanz: Sie sind (bei richtiger Ausgestaltung des Berechnungsmodells) allenfalls gleich hoch. Schadensursache und Schadensauswirkung sind quasi die zwei Seiten der Schadensbilanz bei der zwingenden Liquidation der Gesellschaft im Insolvenzverfahren, aber sie können nicht gegeneinander angerechnet werden. Wer also nun argumentiert, man könne ja die eine Schadensermittlung bestehen lassen und durch die andere ergänzen, wird mit Sicherheit nicht zu einer sinnvollen Bemessung des Schadens gelangen. Zahlungen können allenfalls als die ersten Schadensindikatoren angesehen werden. Diese Erkenntnis ist wohl das Hauptproblem im Recht des Vermögensverlage- 239 rungsschutzes: Denn die h. M. vertritt nach wie vor ein Konzept, in dem die beiden Haftungsstränge aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung in Anspruchskonkurrenz zueinander stehen. Teilweise wird sogar der Versuch gemacht, Schadensposten gegeneinander „anzurechnen“, also die Konkurrenz der Systeme abzubilden. So konstatiert Haas403) beispielsweise, der Gesamtgläubigerschaden setze sich aus der Summe der durch die Zahlungen des Geschäftsführers herbeigeführten Quotenschäden zusammen. Das vermengt die beiden beschriebenen Schadenskonzepte. Eine saubere Abgrenzung der beiden Berechnungsmethoden ist für eine stringente Auslegung mit „richtigen“ Ergebnissen essentiell. Insbesondere das Verbot der Massebereicherung spielt insofern eine entscheidende Rolle. Auch die Rechtsprechung begibt sich mit manchen Formulierungen auf arges Glatteis: In einer jüngeren Entscheidung meint der BGH404), das Organ hafte nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO für „Insolvenzverschleppungsschäden, die nicht in einer Masseschmälerung durch Zahlung bestehen“. Doch wie will man die durch Zahlung bewirkten Schäden aus dem per Vermögensvergleich ermittelten Gesamtschaden (= Quotenschaden) „herausrechnen“? Die beiden Schadensberechnungen sind ineinander verschränkt und nicht auftrennbar. ___________ 402) Zum Verhältnis von § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung: Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 (1185): „Die […] parallel vorhandenen Haftungssysteme erfassen nur teilweise dasselbe Gläubigerinteresse, indem etwa nach § 64 Abs. 2 GmbHG verbotene Zahlungen typischerweise (aber eben nicht zwingend) anteilig den von den Altgläubigern erlittenen Quotenschaden bzw. die Ausfallschäden der Neugläubiger ausmachen werden.“ [Hervorhebung durch den Verf.]. 403) Haas, NZG 2004, 737 (744 und insb. 745). 404) BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (150 Rn. 12); vgl. dazu K. Schmidt, NZG 2015, 129 (130 f).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

240 Auch ist es bisher noch niemandem geglückt, ein bruchfreies System zur überschneidungsfreien Abbildung der Konkurrenz der beiden Ansprüche zu entwerfen. Vielmehr ist die Konkurrenz zwischen beiden Schadensermittlungssystemen nach wie vor völlig unklar.

241 Lediglich die abweichenden Konzepte von K. Schmidt405) und Altmeppen406) erkennen die Problematik und umgehen sie jeweils dadurch, dass sie für eine einheitliche Anspruchsgrundlage plädieren, über die der Gesamtschaden abgewickelt wird. Nach dem gerade Gesagten ist das aber nicht verwunderlich: Die Zahlungen sind eben nun einmal Bestandteile des Schadensersatzes aus der Insolvenzverschleppungshaftung, aber gehen in diesem Anspruch auf407). Insofern ist eine Zusammenführung der beiden Ersatzansprüche unter der Prämisse von zwei unabhängigen, nebeneinander stehenden Anspruchsgrundlagen zum Scheitern verurteilt.

242 Die Unterscheidung zwischen Schadensursachen und -folgen spiegelt sich auch im Fortgang dieser Arbeit wieder: Im Folgenden soll zunächst die Seite der „Zahlungen“, also die Schadensursachen, untersucht und im Lichte der Normzwecke hinterfragt werden (III.). Dazu wird der Tatbestand des § 64 S. 1 GmbHG kritisch gewürdigt und auf die Probe gestellt. Im Anschluss daran wird die Haftung der Geschäftsleiter aus der Perspektive der Schadensfolgen untersucht (IV.). Dabei wird es insbesondere um das Konkurrenzverhältnis zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO gehen. Die soeben beschriebene Unterscheidung in Schadensursachen und -folgen wird hier eine Rolle spielen. Schließlich soll eine Abgrenzung zur allgemeinen organschaftlichen Haftung der Geschäftsleiter nach § 43 Abs. 2, 3 GmbHG erfolgen (V.).

III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“: Die Schadensursachen als Anknüpfungspunkt der Geschäftsleiterhaftung in § 64 S. 1 GmbHG 243 Somit soll zunächst der Blick auf die Norm gerichtet werden, die die Haftung der Geschäftsleiter mit Blick auf die vom Organ getätigten Transaktionen bewertet: ___________ 405) Vgl. K. Schmidt, NZG 2015, 129 (131); ders., GmbHR 2010, 1319 ff; ders., ZIP 2009, 1551 (1553); ders., ZHR 175 (2011), 433 (440, Fn. 45). 406) Altmeppen, ZIP 2015, 949 (953 Fn. 35): Die h. M. „übergeht, dass die Haftung für verbotene Zahlungen nach ihrer eigenen Prämisse („Schutzgesetz“) eine Position bei der Schadensberechnung im Rahmen der deliktischen Haftung (§ 823 Abs. 2 BGB) sein müsste.“ Altmeppen spricht insofern von einer Überregulierung, weil die Insolvenzverschleppung in der Regel nur dann einen Schaden für die Gläubigergemeinschaft herbeiführe, wenn der Geschäftsführer eine Zahlung veranlasst. 407) Vgl. dazu nur K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (655); aber auch die Formulierung dort ist zumindest problematisch: Die Erstattungspflicht aus § 64 S. 1 GmbHG „ist Bestandteil der heute über § 823 Abs. 2 BGB konstruierten Schadensersatzhaftung wegen Insolvenzverschleppung.“ Das ist insofern richtig, als die äußeren Vorgänge, „Zahlungen“, eine Vermögensminderung bei der Gesellschaft bewirken werden. Jedoch sind Zahlungen und die Vermögensminderung bei der Gesellschaft gerade nicht gleichzusetzen.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

§ 64 S. 1 GmbHG ordnet die Haftung für solche „Zahlungen“ an, die trotz bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung getätigt wurden und mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes unvereinbar sind. Im Gegensatz zur Insolvenzverschleppungshaftung wird also nicht an den Auswirkung im Vermögen der Gesellschaft, sondern am äußeren, vom Geschäftsleiter ausgelösten Vorgang angeknüpft. Insofern ist der Begriff der „Zahlung“ das zentrale, und überaus problematische Kriterium dieser Norm. Bei dessen Auslegung muss insbesondere geklärt werden, welche dogmatische Grundlage der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG hat und wie der Begriff der Zahlung infolgedessen richtigerweise zu verstehen ist. Ausgehend davon wird in den nächsten Kapiteln die Abgrenzung zur Insolvenzverschleppungshaftung und zur organschaftlichen Haftung des Geschäftsführers aus § 43 GmbHG abgeleitet.

1.

Einheits- und Trennungslehren: Schadensersatz oder „Ersatzanspruch eigener Art“?

Der zentrale Streitpunkt im Rahmen der Auslegung des § 64 S. 1 GmbHG ist das 244 Verhältnis zwischen dem Zahlungsverbot und der Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 InsO. Hier herrschen im Wesentlichen zwei unterschiedliche Auffassungen, die zu einer gänzlich differierenden Auslegung der Norm gelangen und infolgedessen sowohl die generelle Struktur als auch den Begriff der Zahlung unterschiedlich deuten. Die beiden Modelle bedingen aber insbesondere eine andere Schadensermittlung: Während die herrschende Meinung dem Wortlaut gentreu an den Zahlungen der Gesellschaft und damit an den Schadensursachen anknüpft, wollen einige Autoren den Schaden aus Sicht des „geschädigten“ Gesellschaftsvermögens, also aus Sicht der Schadenauswirkung beurteilen. Damit ergibt sich folgendes Bild:

a) Einheits- und Trennungslehren im Überblick Rechtsprechung408) und ganz herrschende Meinung409) sehen in der Insolvenzan- 245 tragspflicht (und damit auch in der über § 823 Abs. 2 BGB begründeten Insolvenzverschleppungshaftung) und den Zahlungsverboten nach § 64 GmbHG zwei gänzlich verschiedene Pflichten des Geschäftsführers. Folglich sei zwischen beiden Instituten zu trennen und die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG sei unabhängig vom ___________ 408) Vgl. nur BGHZ 146, 264 (278) = NJW 2001, 1280; BGHZ 126, 181 (195 ff) = NJW 1994, 2220; ausführliche Diskussion zur Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG auf die Insolvenzverschleppungshaftung (i. E. ablehnend) vgl. BGH NJW 2011, 2427 (2428, Rz. 16 ff) = ZIP 2011, 1007. 409) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 6 f; ausführlich und m. w. N.: K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6 ff, insb. 9 – 13; H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 138; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4 und 5; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64, 5 ff, insb. Rn. 7; Nerlich, in Michalski, § 64 Rn. 8 f; Röhricht, ZIP 2005, 505 (509); ausführlich Müller, DB 2015, 723 (724); Kruth, NZI 2014, 981 (983); Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (390 Fn. 11); zum AktG Fleischer, in Spindler/Stilz, AktG, § 92 Rn. 19; Koch, in Hüffer/ Koch, AktG, § 92 Rn. 26 ff.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung (Trennungstheorien). Es bestünden danach also zwei getrennte Ansprüche in Anspruchskonkurrenz, eine Vereinheitlichung des Tatbestands sei abzulehnen. Der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG stelle – wie oben bereits dargestellt und im Gegensatz zur Insolvenzveschleppungshaftung – einen Ersatzanspruch „eigener Art“ dar410), der kein Anspruch wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht ist, sondern sich vielmehr auf Wiederauffüllung der Masse richtet. Er betrifft die reine Rückführung von gezahlten Beträgen, stellt insofern einen reinen Erstattungsanspruch dar und ist der einem Schadensersatzanspruch eigenen Gesamtsaldierung gerade nicht zugänglich. Die Rechtsprechung stellt bei § 64 S. 1 GmbHG insofern auf jede einzelne Zahlung ab („Einzelbetrachtung“411), weshalb technisch eine Vielzahl von Ansprüchen entstehen412).

246 Trennungslehren werden damit begründet, dass § 64 S. 1 GmbHG und die Insolvenzantragspflicht in § 15a InsO einen eigenen Funktionsbereich und damit einen abweichenden Normzweck hätten. Der solchermaßen „spezifische Schutzzweck“ der Zahlungsverbote solle darin liegen, dass § 64 S. 1 GmbHG bereits in der 3-WochenFrist der Insolvenzantragspflicht die Wirkungen des eröffneten Insolvenzverfahrens zeitigt413). Bei rechtskonformem Verhalten gilt § 64 S. 1 GmbHG ja nur in der 3Wochen-Frist414), wenn die Insolvenzantragspflicht noch suspendiert ist, um etwaige Sanierungsbemühungen nicht zu torpedieren. Aber auch hier sollen die Geschäftsführer das Vermögen der Gesellschaft sichern müssen, als wäre das Verfahren bereits eröffnet. Da es bei § 64 S. 1 GmbHG auch lediglich um eine Verminderung des Aktivvermögens gehe, bestehe ein „begrenzter Normweck“, der wiederum am insolvenzrechtlichen Prinzip der par conditio creditorum auszurichten sei415). Bei ___________ 410) Nachweise auch bei Fn. 68-72 oben unter B.II.2.a); vgl. nur BGHZ 146, 264 (278) = NJW 2001, 1280; jetzt wieder im Doberlug-Urteil: BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 221 (222 f Rz. 14 und 20); BGH, NZG 2008, 468 (LS. 3 und Rz. 6) = ZIP 2008, 1026; so bereits BGH NJW 1974, 1088 (1089); zur aktienrechtlichen Vorschrift RGZ 159, 211 (228 ff); K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 15 Fn. 2 m. w. N.; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 18; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, Rn. 81 Fn. 285 m. w. N.; Röhricht, ZIP 2005, 505 (509). ausführlich zu § 93 AktG Schürnbrand, NZG 2010, 1207 (1209): § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG komme konstituierende Bedeutung als Ersatzanspruch sui generis zu; so auch bereits Habersack/Schürnbrand, WM 2006, 957 (960 Fn. 37 m. w. N.). 411) Dazu jetzt wieder ausführlich Casper, ZIP 2016, 793 ff mit Bezugnahme zu den neusten Urteilen (BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 und BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480) zur Einbeziehung der Gegenleistung. Am Grundsatz zur Einzelbetrachtung habe sich dadurch nichts geändert. 412) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 83 m. w. N. zur Rechtsprechung. 413) BGHZ 163, 134 (140 f) = NJW 2005, 3062; statt vieler vgl. Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 126 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 356. 414) Strohn, NZG 2011, 1161 (1163); Goette, ZIP 2005, 1 (4), der insofern meint, für das Besorgnis einer übermäßigen Haftung des Geschäftsführers auf Basis des § 64 GmbHG bestehe kein Grund, wenn sich dieser nur normgerecht verhalte und rechtzeitig, spätestens nach Ablauf der 3-Wochen-Frist, Insolvenzantrag stelle. 415) Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (392 und 393) sowie Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 (959 f).

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

Lichte besehen beschreiben diese Ausführungen jedoch nichts anderes als den Normzweck der Insolvenzantragspflicht: Dass das haftungsbewehrte Verbot von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife eine Verminderung des haftenden Vermögens und eine Gleichberechtigung der in diesem Zeitpunkt vorhanden Gläubiger bewirken will, ist genauso unstreitig wie die Erkenntnis, dass dieselben Aspekte auch von der Insolvenzantragspflicht (und ihrer Eigenschaft als Schutzgesetz für die Haftung in § 823 Abs. 2 BGB) betroffen sind. Was genau über deren Funktion „spezifisch“ hinausgeht, bleibt nebulös. Demgegenüber stehen die namentlich von Karsten Schmidt, Altmeppen/Wilhelm, 247 Bitter und neuerdings wohl auch Casper416) vertretenen sog. Einheitslösungen: Bei § 64 S. 1 GmbHG geht es danach um nichts anderes als um einen Ausschnitt aus der Insolvenzverschleppungshaftung. Es besteht insofern kein unabhängiges Zahlungsverbot417). Vielmehr wird die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG „nur“ als die zivilrechtliche Sanktion des Insolvenzverschleppungsverbots gesehen418). Insolvenzantragspflicht und das Verbot der Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife stellten somit einen einheitlichen Tatbestand dar, der zu einer gesamtheitlichen Haftung für die Schäden führen solle, die durch die Verzögerung der Insolvenzantragstellung hervorgerufen würde. Diese Meinungen sehen allesamt eine einheitliche Haftung der Geschäftsleitungsorgane auf Schadensersatz vor. Das heisst, der von der h. M. vertretene Erstattungsanspruch eigener Art für Zahlungen während der Verschleppungsphase wird abgelehnt. Vielmehr kommt ein Schadensersatzanspruch mit Gesamt-Saldierung zum Tragen. Der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG (Altmeppen) bzw. aus der Insolvenzverschleppungshaftung (K. Schmidt) ist damit regelmäßig identisch mit dem Gläubigergesamtschaden in Gestalt des Quotenverschlechterungsschadens419). Unterschiede bestehen wiederum im Detail: Nach Ansicht von Karsten Schmidt420) 248 ist die Grundlage der Haftung nicht § 64 GmbHG, sondern § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO. Da § 15a InsO ein Schutzgesetz zu Gunsten aller Gläubiger sei, ergebe sich ein einheitlicher Schadensersatzanspruch der Gläubiger auf Ersatz der Verringerung ihrer Insolvenzquote421). Der zu ersetzende Schaden sei der Un___________ 416) Vgl. jetzt deutlicher als in der früheren Kommentierung Casper, ZIP 2016, 793 (794 ff). 417) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 10; ders., ZHR 168 (2004), 637 ff (654); ders., ZIP 2008, 1401 ff; im ähnlichem Ergebnis Bitter, WM 2001, 666 (670 f); mit dogmatisch anderem Ansatz, jedoch strukturell ähnlicher Argumentation: Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff; zum Ganzen vgl. z. B. Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 17. 418) So explizit K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 10 a. E. 419) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 83 m. w. N. 420) Statt vieler vgl. nur K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (655 f) und die Darstellung bei Habersack/ Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (392 Fn. 23 mit umfassenden Nachweisen); ebenfalls eine Schadensersatzhaftung auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB favorisiert jetzt Casper, ZIP 2016, 793 (803). 421) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 11; so im Ergebnis auch Bitter, WM 2001, 666 (672).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

terschied zwischen der sog. Soll- und Ist-Quote, also der Unterschied zwischen der tatsächlich erzielten und der bei rechtzeitiger Antragstellung hypothetisch erzielbaren Quote. Dies ist äquivalent zur Verringerung des Wertes des Gesellschaftsvermögens in der Verschleppungsperiode. Das Zahlungsverbot geht insofern im Verbot der Insolvenzverschleppung auf: Wegen verbotener Zahlungen haben die Gläubiger keinen eigenständigen und von ihrem Quotenschaden unabhängigen Erstattungsanspruch.

249 Der Anspruch wegen Insolvenzverschleppung kann jedoch nach K. Schmidt im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht selbstständig geltend gemacht werden, sondern wegen § 92 InsO nur vom Insolvenzverwalter422). Die Funktion des § 64 S. 1 GmbHG ist danach reduziert auf die Schadens-Abwicklungstechnik: Die in § 64 S. 1 GmbHG genannten „Zahlungen“ stellen lediglich Schadensposten bei der Feststellung des nach § 823 Abs. 2 BGB zu ersetzenden Insolvenzverschleppungsschadens dar. Die während der Verschleppungszeit geleisteten Zahlungen begründen nach seiner Ansicht nur die Vermutung eines entsprechenden Gesamtgläubigerschadens, begrenzen den Anspruch jedoch weder nach oben noch nach unten423). Dogmatisch gehören die verbotenen Zahlungen damit auf die Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität. K. Schmidt geht im Wesentlichen von einem einheitlichen Regelungskonzept aus und leitet aus der Zusammenschau von Zahlungsverbot und Insolvenzantragspflicht ein Verbot der Fortführung der werbenden bzw. unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschaft ab, wenn klar sein musste, dass die Gesellschaft in die Insolvenz geht. Dies entspreche der Rechtsfigur des wrongful trading des englischen Rechts424). Kern und Ziel des Insolvenzantrags sei nicht im Zwang zur Stellung des Insolvenzantrags, sondern der Unterbindung der Fortführung überschuldeter bzw. zahlungsunfähiger Unternehmen zu sehen425).

250 Nach den bisherigen Stellungnahmen426) von Altmeppen427) hat § 15a InsO keinen Schutzgesetzcharakter: Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zum Schutze der ___________ 422) Die Insolvenzverschleppungshaftung wird in der Gesetzesbegründung der InsO explizit erwähnt: vgl. RegE InsO zu § 103 des Entwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 139; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 186; vgl. auch Wagner, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665 (1669). 423) K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (655); zur Funktion der „Zahlungen“ als Schadens-„Vermutung“: ders., in Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.35; in diese Richtung wohl auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 79. 424) Dazu bereits oben; vgl. K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 132; sowie ders., in Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.35. 425) Daher ist die verbotene Unternehmensfortführung ein Dauerdelikt (Nachweis der h. M. bei K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 132 Fn. 3 sowie K. Schmidt, ZIP 2005, 2177 (2183)) – und entgegen der h. M. angeblich ein Tätigkeitsdelikt (Nachweis in Fn. 4 (h. M.) und 5 (K. Schmidt)). 426) Möglicherweise gibt Altmeppen seine Sicht auf den Schutzgesetzcharakter von § 15a InsO neuerdings auf: vgl. Altmeppen, ZIP 2015, 949 (954 ff). In Fn. 42 legt er jedoch nahe, dass es auf die Schutzgesetzeigenschaft nicht ankomme, weil auch die h. M. zum selben Ergebnis kommen müsse. Sein generelles Schadensersatzkonzept ändert sich dadurch insofern nicht. 427) Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff; umfassende Nachweise zur Lehre von Altmeppen bei Habersack/ Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (393 Fn. 24).

102

III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

Gläubiger gebe es überhaupt nicht. Vielmehr bestünde ein allgemeines Verbot der Masseschmälerung, das sich im unvollkommenen Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG nur partiell spiegle. Der Begriff „Zahlung“ beruhe auf den Begriffen in Art. 241 Abs. 2 ADHGB (1861), Art 241 Abs. 3 ADHGB (1884) und § 64 Abs. 2 GmbHG von 1892 und stelle ein Versehen des historischen Gesetzgebers dar. Korrigierend am Telos der Tatbestände sei der Begriff im Sinne von „Verlustausgleich“ zu Gunsten der den Gläubigern gewidmeten Masse zu interpretieren: Es komme nicht auf einzelne Vorgänge, sondern darauf an, ob die Masse in der Verschleppungsphase insgesamt durch Verluste verkürzt wurde428). Es gehe nicht um einzelne Zahlungen, sondern um den Gesamtverlust pro rata temporis, also den periodischen Gesamtverlust in der Verschleppungsphase. Was den Schutz der Altgläubiger vor Verkürzung der Masse betrifft, sei der Schutz einheitlich in § 64 S. 1 GmbHG i. V. m. § 43 GmbHG umfassend und abschließend geregelt. Der Anspruch gegen den Geschäftsleiter fuße also letztlich in seiner organschaftlichen Stellung. Der Individualanspruch des Neugläubigers auf Ersatz seines Kontrahierungsschadens ergebe sich demgegenüber allein aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB – was jedoch häufig am Vorsatz scheitern dürfte – oder aus c.i.c.429). Das schlichte Unterlassen der Aufklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse der insolvenzreifen Gesellschaft begründe hingegen keinen Vertrauenstatbestand430).

b) Unterschiede und Austausch der traditionellen Argumentationsmuster Die Fronten zwischen Einheits- und Trennungslehren sind, das kann ohne Über- 251 treibung gesagt werden, gefestigt. Die Argumente sind im Wesentlichen ausgetauscht und vermochten in den vergangenen Jahren keine Seite zum Einlenken zu bewegen. Unter Hinweis auf die teilweise geradezu desaströsen und exzessiven Folgen der 252 Haftung haben die Vertreter der Schadensersatzlösungen ihre Konzepte als solche mit adäquaten und ausgewogenen Rechtsfolgen angepriesen431). Die Haftung nach dem ___________ 428) Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (678 ff); Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2206 f; Altmeppen, in FS Goette, 2001, S. 1 (13 f); Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 35 f; jetzt erst wieder Altmeppen, ZIP 2015, 949 (952); in diese Richtung auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 129 ff; 197 f. 429) Vgl. Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205 sowie ausführlich 2210) und Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 ff; vgl. dazu insbesondere auch BGHZ 126, 181 (189 f) = NJW 1994, 2220. 430) So bereits der BGH in der Leitentscheidung BGHZ 126, 181 (189 f). 431) Ausführlich und instruktiv zu den überbordenden Haftungsrisiken beispielsweise K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (649): Er referiert über die Einzelbetrachtung von verschiedenen nacheinander erfolgenden Zahlungen und kommt zum Schluss, auf Basis der h. M. bewirke „§ 64 Abs. 2 GmbHG Wunder der insolvenzrechtlichen Brotvermehrung!“; mit eindringlichen Appellen an den Gesetzgeber: K. Schmidt, NZG 2015, 129 (133) sowie mit einem Formulierungsvorschlag de lege ferenda: ders., ZIP 2009, 1551 (1554); dem Grunde nach erkennt diese Folge auch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 698: Der Quotenschaden liege in aller Regel unter dem Betrag der „Zahlungen“.

103

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

Konzept der h. M. belaste den Geschäftsführer übermäßig und führe zu exzessiven Folgen. Demgegenüber sei eine Schadensersatzhaftung vorzugswürdig, die die Folgen der Verschleppung der Insolvenz adäquat wiedergebe und damit Exzesse vermeide.

253 Die beiden Schadensersatzkonzepte von K. Schmidt und Altmeppen waren seit jeher dem Einwand ausgesetzt, sie entfernten sich zu sehr von der gesetzlichen Formulierung, verstießen gar gegen den Wortlaut432). Gerade das Konzept von Altmeppen wurde teilweise sogar also „völlige Umgestaltung“ der Konzeption des Gesetzgebers angesehen. Trotz vielfacher Anlässe habe der Gesetzgeber dieses Konzept nicht in das Gesetz integriert433). Insofern setzten die Alternativkonzepte eher de lege ferenda an434). Dass jedoch der Wortlaut des § 64 GmbHG nur bedingt als Argumentation herangezogen werden kann, wurde oben bereits referiert.

254 Als wesentliche zweite Argumentationslinie gegen die Deutung als Schadensersatz wird angeführt, der Gesellschaft entstehe durch die Zahlung gerade kein Schaden, weil der Minderung der Aktiva auf der anderen Seite die Befreiung von einer Verbindlichkeit entgegen stehe435). K. Schmidt setze mit seinem Modell auf die Grundsätze der Drittschadensliquidation – die Gesellschaft liquidiere nach seiner Konzeption die eigentlich bei den Gläubigern aufgelaufenen Schäden. Dies passe jedoch nicht zur Haftung der Geschäftsführer im Außenverhältnis zu den Gläubigern nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO.

255 K. Schmidt entgegnet jedoch, dieses Argument verfange nicht: Liquidiert werde ein Gesamtgläubigerschaden, der lediglich aus Praktikabilitätsgründen der Gesellschaft anvertraut sei436). Um einen klassischen, lehrbuchmäßigen Fall der Drittschadens___________ 432) Haas, NZG 2004, 737 (738); ausführlich auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 11. 433) Vgl. beispielsweise Wagner, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665 (1671); Schmidt-Leithoff/ Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 11. 434) Mit dieser Kritik: Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 (160) mit Verweis auf K. Schmidt, Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages 2014 Band II/2, 2015, N 176 („ceterum censeo, § 64 GmbHG esse derogatum“); vgl. auch Poertzgen, ZInsO 2011, 305, 312 f; dagegen jedoch Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 35; ders., ZIP 2015, 949 (952 ff), der eine Interpretation durchaus vom Wortlaut der bestehenden Normen gedeckt sieht; ebenso: ders., Anm. zu BGH ZIP 2016, 364 (367): Die Alternativkonzepte seien auch de lege lata durch Interpretation möglich, es müsste immer per Vorteilsausgleichung berücksichtigt werden, dass das Delikt auch eine Vermögensmehrung beim Opfer bewirkt hat. 435) Nachweise bereits oben unter B.II.2.b; vgl. BGH NJW 1974, 1088 (1089); sowie BGHZ 187, 60 = NJW 2011, 221 (222 Rz. 14) (Doberlug); zum Aktienrecht: RGZ 159, 211 (228 ff); Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4; Haas, NZG 2004, 737 (738); Noack, in FS Goette, 2011, S. 345 (348), der ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass lediglich eine Verkürzung der Bilanzsumme und damit kein Vermögensschaden i. S. d. § 249 BGB vorlägen; Habersack/ Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (393), die konstatieren, dass trotz Fehlens des Schadens bei der Gesellschaft das Prinzip der gleichmäßigen und ranggerechten Gläubigerbefriedigung gestört sei. 436) So schon K. Schmidt, JZ 1978, 661 (662).

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

liquidation handele es sich natürlich nicht. Vielmehr gehe es ihm um die oben in dieser Arbeit bereits ausgeführte kapitalgesellschaftsrechtliche Besonderheit des mittelbaren Gläubigerschutzes. Auf das Argument, der Gesellschaft entstehe durch die Zahlung kein Schaden, 256 wurde oben bereits umfassend eingegangen und seine Stichhaltigkeit in Zweifel gezogen. Zumindest ist nach der hier vertretenen Ansicht eine anders lautende Begründung keinesfalls ausgeschlossen, ja sogar naheliegend: Ab dem Zeitpunkt der Insolvenzreife, wenn also die Gesellschaft nach den gesetzlichen Vorgaben zwingend in das Insolvenzverfahren zu führen und dort grundsätzlich abzuwickeln wäre, wandelt sich der Gesellschaftszweck und besteht fortan ausschließlich im Gläubigerschutz. Insofern ist die Gesellschaft nur noch Stellvertreter der Gläubigerinteressen; ob ein „Schaden“ der Gesellschaft vorliegt kann daher abweichend vom üblichen Schadensbegriff ermittelt werden. Die Begründung einer Schadensersatzhaftung steht dem gerade nicht entgegen. Drittens hat das MoMiG den Vertretern der Trennungslehren neuen Auftrieb gege- 257 ben: Durch die Verlagerung des § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. in den neuen § 15a InsO ist der von den Einheitstheorien vertretene Zusammenhang zwischen Insolvenzantragspflicht und Zahlungsverboten aufgelöst worden. Vertreter der Trennungslehren haben daraufhin vorgetragen, das MoMiG hätte den Einheitslehren den Garaus gemacht und diese wären schlechterdings nicht mehr vertretbar437). Deren Vertreter sehen jedoch keinen Grund inhaltlich von ihrer Position abzuweichen438): Vielmehr hätte das MoMiG zwar den Sinnzusammenhang zwischen Antragspflicht und Schadensersatznorm „noch stärker verdeckt als vor den MoMiG“439). Sowohl K. Schmidt als auch Altmeppen halten es im Ergebnis daher für unerheblich, dass die Insolvenzantragspflicht nun rechtsformübergreifend in § 15a InsO geregelt ist. Der Zusammenhang mit den Zahlungsverboten bestehe weiter. Tatsächlich kann es keinen Unterschied machen, ob eine Regelung im GmbHG 258 oder der InsO beheimatet ist. In inhaltlicher Hinsicht wollte der Gesetzgeber durch die Verschiebung nichts ändern – daher bedarf es für die Einheitslehren möglicher___________ 437) Statt vieler: Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (395): „dürfte sich […] eine Einheitsbetrachtung […] nicht mehr vertreten lassen.“; ebenso Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4, der sich auf Goette, DStR 2011, 132 bezieht; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 11; dass die Argumentationsbasis für das Einheitsmodell schwieriger geworden ist, gibt auch K. Schmidt zu: K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 1; ders., ZHR 175 (2011), 433 (437). 438) So zum Beispiel die süffisanten Bemerkungen von Altmeppen ZIP 2015, 949 (953): „…verbietet es keinem, weiterhin den auf ein und dasselbe Ziel gerichteten Sinn und Zweck der Massesicherungspflicht richtig zu erkennen“; K. Schmidt, NZG 2015, 129 (130): „Dass das MoMiG durch Separieren des § 15a InsO jedes Nachdenken über die vorherrschende Trennungslehre schlicht untersagt habe, ist zu bestreiten.“ 439) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 1, der an seinem Schadensersatzmodell festhält; genauso Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 33 f.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

weise mehr Begründungsaufwand als vorher, nicht zwingend sind sie aber gänzlich ausgeschlossen.

c)

Insbesondere: Die unterschiedliche Methode der Bestimmung des verschleppungsbedingten „Schadens“

259 Der wichtigste Unterschied zwischen Einheits- und Trennungslehren betrifft jedoch die hier geführte Diskussion um die Bestimmung und Berechnung des Schadens der Gesellschaft. In dieser Frage besteht ein wesentlicher, konzeptueller Unterschied: Der zu ersetzende „Schaden“ wird bei den beiden Lehren grundlegend anders bestimmt.

260 Die Einheitslehren gehen von einem einheitlichen, singulären Schadensersatzanspruch der Gläubiger aus – in der Konzeption von Altmeppen vermittelt durch die Gesellschaft als Anspruchsberechtigte, bei K. Schmidt als tatsächliche Forderungsinhaber. Sie setzen beim Quotenschaden i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO (K. Schmidt) oder, was in der Regel auf dasselbe hinauslaufen dürfte, am Gesamtverlust pro rata temporis i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG (Altmeppen) an und begründen den Schaden – um bei der oben verwendeten Terminologie zu blieben – ausgehend von den Schadensfolgen auf das Gesellschaftsvermögen. Zu ersetzender Schaden ist nicht die Ursache einer Vermögensverminderung, also nicht die durch den Geschäftsleiter verursachte „Zahlung“, eine Transaktion oder sonstige Veränderung der Masse, sondern der in der Folge der Liquidation der Gesellschaft reduzierte Befriedigungsumfang der Gläubiger. Die Einheitstheorien setzen bei der Begründung des den Gläubigern aus der Insolvenzverschleppung erwachsenen Anspruchs somit allein bei der Bemessung der Schadensfolgen an und belassen es bei dieser Sicht. Ein Dualismus der Bemessung auf Grund der Schadensfolgen und der Schadensursachen wird damit gerade vermieden. Unzweifelhaft ist jedoch eine solchermaßen vorgenommene Schadensberechnung (egal in welchem der beiden Konzepte) durchaus kompliziert440) und stellt an den Vortrag des Insolvenzverwalters im Haftungsprozess erheblich höhere Anforderungen als die traditionelle Haftung für reine Zahlungsvorgänge.

261 Die Trennungslehren hingegen bleiben bei ihrer Konzeption der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG dem wörtlichen Begriff der Zahlung treu und bemessen den Erstattungsbetrag mit einem Blick auf die Schadensursachen, nämlich die einzelnen masseschmälernden Transaktionen. Auch von den Vertretern der herrschenden Meinung wird zugestanden, dass die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG leicht zu exzessiven Folgen für die Geschäftsleiter führen kann, denn es werden in die Haftung leicht Vorgänge einbezogen, die offenkundig nichts mit dem eigentlichen „Scha-

___________ 440) Vgl. nur Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 81 m. w. N.

106

III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

den“ zu tun haben441). Die Anknüpfung an einzelne Zahlungsvorgänge kann sehr leicht astronomische Höhen erreichen442). Insofern sind Korrekturen über eine wirtschaftliche Betrachtungsweise durchaus anerkannt443). Dem Konzept der Anknüpfung an Einzel-Transaktionen folgend liegt insofern der Schwerpunkt der Trennungstheorien bei der Auslegung des § 64 S. 1 GmbHG eher auf dem Zurückschneiden des viel zu umfassenden Zahlungsbegriffs und einer überbordenden Rechtsprechung zu Rechtfertigungsmöglichkeiten über § 64 S. 2 GmbHG444). Aus dieser Rechtsprechung seien beispielhaft nur zwei Aspekte herausgegriffen: Gerechtfertigt kann eine Zahlung insbesondere dann sein, wenn sie zur Aufrechterhaltung des Betriebs der Gesellschaft dient, wenn also ohne eine solche Zahlung die sofortige Betriebseinstellung droht. Hier steht die Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass eine Rechtfertigung in Frage komme, wenn im Einzelfall größere Nachteile für die Masse abgewendet würden445). Außerdem hat die Rechtsprechung hier die prominente Fallgruppe der Abführung von Steuern oder Sozialversicherungsleistungen eingeordnet, wenn der Geschäftsführer sich einer (u. U. sogar strafrechtlich sanktionierten) öffentlich-rechtlichen Zahlungspflicht ausgesetzt sieht und damit in Konflikt mit dem Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG gerät446). Inzwischen ist geklärt, dass derlei Pflichtenkollisionen über ein Zurücktreten des Zahlungsverbots nach S. 2 gelöst werden447). Es zeigt sich also, dass sich Trennungslehren eher auf das Eingrenzen des zu umfangreichen Zahlungsbegriffs fokussieren. Damit dürfte in praxi der Darlegungs- und Beweisaufwand im Prozess in Summe ähnlich hoch sein – fällt jedoch aufgrund der Beweislastverteilung vorrangig beim Geschäftsführer an. Zudem stößt das System der Rechtfertigung von Einzelvorgängen nur allzu schnell an seine Grenzen (dazu sogleich).

___________ 441) Als einerseits zu weit und andererseits zu eng bezeichnet den Zahlungsbegriff auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 87. 442) Mit einem instruktiven Beispiel Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 85. 443) Vgl. jetzt wieder Casper, ZIP 2016, 793 ff. 444) Vgl. zuletzt die Entscheidung des BGH zur Einbeziehung der Gegenleistung: BGHZ 203, 218 = NZG 2015, 149; Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1515 Fn. 108 bis 110 m. w. N.); vgl. zum Beispiel die sehr umfassenden Bemühungen bei Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (396 ff), die sich intensiv um eine Exzesse vermeidende „Version“ der Trennungslehre bemühen. 445) Vgl. BGHZ 146, 264 (275) = NJW 2001, 1280; ebenso BGH NZG 2008, 75 (Rn. 6); zum Ganzen Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 132; dies., ZHR 178 (2014), 387 (399); Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1516 unter dd m. w. N.). 446) Kompakte Darstellung bei Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 133 sowie bei Kleindiek, in FS Schneider, 2011, S. 617 (623 ff); vgl. zum Ganzen auch Altmeppen, in FS Goette, 2011, S. 1 ff, insb. 7 ff; Goette, ZInsO 2007, 1177 (1180 f); kritisch nunmehr Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 (7). 447) Ausführlich und m. w. N.: Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (400 ff); vgl. auch Knittel/Schwall, NZI 2013, 782 (785 m. w. N.); Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1516 unter Pflichtenkollision); Strohn, NZG 2011, 1161 (1166 unter c.aa).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

262 Festzuhalten bleibt, dass es zwei grundlegende Sichtweisen auf die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG gibt, die den Ersatzanspruch auf verschiedene Weise bestimmen: Einheitslehren setzen am Vermögensverlust der Gesellschaft und wegen der quotalen Befriedigung der Gläubiger an der Höhe der Insolvenzquote an. Damit erfolgt eine einheitliche Schadensberechnung, die jedoch vergleichsweise kompliziert ist.

263 Trennungstheorien setzen im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG an den Schadensursachen, nämlich einzelnen „Zahlungen“ an, müssen jedoch, um einer ausufernden Haftung zu begegnen, umfassende Maßnahmen der Zurückschneidung des so gewonnenen Anspruchs vornehmen. Der tatsächliche Aufwand der Bestimmung einer sachgerechten Haftung dürfte daher nicht weniger kompliziert sein. Gerade auch um Haftungslücken zu vermeiden, ergänzt die h. M. die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG (i. S. d. Trennungstheorie) dann zusätzlich über die Insolvenzverschleppungshaftung. Auf diesen ja bereits als äußerst problematisch charakterisierten Dualismus wird zurückzukommen sein.

d) Einheitslehren: Wirtschaftliche Gegenbewegungen und Gesamtsaldierung 264 Darüber hinaus weisen die Einheitslehren eine weitere Besonderheit auf: Nicht nur wird der zu ersetzende Schaden anders berechnet als im Modell der Trennungslehren, es wird insbesondere die rechtspolitisch durchaus umstrittene Komponente in die Berechnung einbezogen, wonach auf Ebene der Gesellschaft eine schadensersatzrechtliche Gesamtsaldierung stattfindet, die wirtschaftliche Gegenbewegungen vollumfassend ausgleicht. Auch in den Modellen der Trennungslehren ist der Ausgleich von wirtschaftlich zugehörigen Gegenbewegungen inzwischen anerkannt (dazu bereits oben sowie ausführlicher bei der Darstellung des Zahlungsbegriffs). Bei den Einheitslehren bemisst sich der Schadensbetrag jedoch nach der Differenz des Wertes der Masse zu Beginn und am Ende der Verschleppungsphase448). Damit werden auch solche wirtschaftlichen Wertentwicklungen in der Berechnung ausgleichend berücksichtigt, die mit der verschleppungsbedingten Geschäftstätigkeit gar nichts zu tun haben oder die nur Randerscheinung einer solchen Tätigkeit sind, beispielsweise der Anstieg des Wertes von Beteiligungen.

265 Die herrschende Ansicht hat sich bisher strikt gegen die Anerkennung einer solchen Anrechnung ausgesprochen. Jüngst formulierte der BGH449) wieder, eine „dem Gesellschaftsorgan nicht zurechenbare, insbesondere zufällige Verschlechterung des Gegenstands des Ausgleichs bei der Gesellschaft bis zur Eröffnung des Insolvenz___________ 448) Vgl. hierzu auch den Vorschlag von K. Schmidt zu einer Formulierung des § 64 S. 1 GmbHG de lege ferenda in K. Schmidt, ZIP 2009, 1551 (1554): Er möchte den ersatzpflichtigen Schaden aus den in der Verschleppungsphase aufgelaufenen Verlusten der Gesellschaft berechnen. 449) BGHZ 203, 218 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 12) mit Verweis auf BGH ZIP 2009, 956 = DStR 2009, 1104 (1105 Rz. 13) sowie weitere Nachweise.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

verfahrens fällt schon nicht unter den Schutzzweck des § 130a Abs. 1 HGB. Das Organ ist nach dieser Vorschrift nicht für jede Masseverkürzung verantwortlich, § 130a Abs. 1 HGB schützt nur vor Massekürzungen, die das Organ veranlasst hat“. § 130a Abs. 1 HGB und § 64 S. 1 GmbHG sollen nicht allgemeine Vermögenswert-Veränderungen haftungsbewehrt stellen, sondern lediglich zurechenbare „Zahlungen“. Das ist auch sonst auf Basis der h. M. anerkannt450). Ein Ausgleich erfolgt bei § 64 S. 1 GmbHG somit orientiert am Einzelausgleich451). Haas als vehementer Vertreter der herrschenden Trennungslehre hat kürzlich in Bezug auf die Konzeption des § 64 S. 1 GmbHG als Einzelausgleich zugestanden, dass die Norm bei „untrennbar miteinander verwobene[n] Einfluss- und Geschäftsführungsmaßnahmen“ schnell an ihre Grenzen stoße452). Er folgert daraus aber „nur“, dass § 64 S. 1 GmbHG aus Gläubigersicht einer Ergänzung bedarf. Die Norm beinhalte nicht zwingend ein „Verbot“ einer Zahlung453), sondern drücke lediglich den gesetzgeberischen Gedanken aus, dass Geschäftsleiter ab Insolvenzreife der Gesellschaft für die Geschäfte des Unternehmens wirtschaftlich selbst einzustehen hätten. Warum dies dann aber nur für Masseabflüsse gelten solle und nicht auch für die Zuflüsse bei der Gesellschaft, ist unklar und inkonsequent. Doch entlarvt sich der BGH im gerade zitierten Urteil454) einen Satz später, indem 266 er formuliert: „Für Insolvenzverschleppungsschäden, die nicht in einer Masseschmälerung durch Zahlung bestehen, haftet das Organ nach § 15a Abs. 1 InsO i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB.“ Es soll also auf Basis der Trennungstheorie eben gerade nicht damit sein Bewenden haben, dass der Geschäftsleiter für zufallsbedingte oder allgemeine wirtschaftliche Verluste nicht haftet, etwa weil dies dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sei. Vielmehr ist dafür „lediglich“ § 64 S. 1 GmbHG nicht einschlägig, sondern die ergänzende Insolvenzverschleppungshaftung. Die Begründung für diese Zweiteilung des Haftungskonzepts dürfte wohl eher dem Wunsch nach einer in praxi einfachen und schlanken Handhabung geschuldet sein. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Die Vertreter der Einheitslehren konstatieren nunmehr, dass die „Zahlungen“ in 267 § 64 S. 1 GmbHG kein tauglicher Ansatzpunkt für die der Gesamtheit entstandene ___________ 450) Stellvertretend für viele: Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 36, der zu dem Schluss kommt, dass die Addition von Erstattungsbeträgen vom verfolgten Ziel der Masseerhaltung vollkommen entkoppelt ist; vgl. Casper, in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, Rn. 6.29 spricht von „Absurdität“ der Ergebnisse. 451) Vgl. nur BGHZ 143, 184 (186) = NJW 2000, 668, der insofern alle über eine reine Gegenleistung in Austauschgeschäften hinausgehende Vermögenszugänge bei der Bestimmung von Zahlungen i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG außen vor lassen will. 452) Haas, NZG 2004, 737 (739). 453) Haas, NZG 2004, 737 (740 f). 454) BGHZ 203, 218 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 12).

109

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

Beeinträchtigung seien455). K. Schmidt erblickt im Fokus auf Einzelereignisse und in der fehlenden Saldierungsmöglichkeit den Kardinalmangel des Konzepts der h. M. Die Insolvenzverschleppung sei ein Dauerdelikt, das sich nicht mit Einzelereignissen abbilden lasse456).

268 Im ersten Teil der Arbeit wurde bereits herausgearbeitet, dass die Zielsetzungen und Normzwecke des Haftungssystems den Ausgleich von wirtschaftlichen Gegenbewegungen nicht zwingend verbieten. Vor diesem Hintergrund und dem gerade Gesagten erscheint es richtig, dass das in § 64 S. 1 GmbHG nur implizit ausgedrückte Verbot an den Geschäftsführer nicht nur „Zahlungen“ betrifft. Wie sich wohl letztlich besser aus der Insolvenzantragspflicht herauslesen lässt, umfasst das Verbot eher die Weiterführung der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft als solche457). Entscheidend muss daher der Verlust des Vermögens sein, nicht nur einzelne Leistungen. Daher erscheint eine schadensrechtliche Gesamtsaldierung nicht fernliegend. Wo der Geschäftsleiter die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen der Insolvenzantragsverschleppung zu tragen hat, müssen ihm spiegelbildlich auch wirtschaftlich positive Schadensverläufe zugute kommen458).

269 Um jedoch zu verstehen, warum die h. M. an ihrer Deutung des Einzelausgleichs und der beschränkten Saldierung von Gegenbewegungen festhält, muss der Begriff der Zahlung i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG noch etwas eingehender dargestellt werden.

2.

Umfang und Grenzen des Zahlungsbegriffs auf Basis der herrschenden Trennungstheorie

270 Bei der folgenden Darstellung des Zahlungsbegriffs nach der h. M. soll keine kommentarmäßige Darstellung von Einzelproblemen erfolgen, sondern lediglich die für die vorliegende Fragestellung relevanten Probleme angerissen werden. Oben wurde bereits eine kurze Skizze des Zahlungsbegriffs wiedergegeben. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. B.II.2.a): Es handelt sich um Einzelleistungen mit Bezug zum Aktivvermögen. Bei der Ermittlung der „Zahlungen“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG erfolgt insbesondere keine Gesamtsaldierung459). Kauft beispielsweise der Geschäftsführer zunächst Ware ein, „zahlt“ insofern also den Einkaufspreis an den Lieferanten, und veräußert die Ware schließlich wieder an Kunden der Gesellschaft, so haftet er – vorbehaltlich der recht engen Rechtsprechungsregeln zur Anrechnung der Gegenleistung – dem Grunde nach sowohl auf den Einkaufs- als auch auf den Verkaufswert der Ware. Allein daraus wird schon ersichtlich, dass die hier ___________ 455) Mit deutlichen Worten gegen das Konzept der h. M. Altmeppen, ZIP 2015, 949 (953). 456) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 12; ders., NZG 2015, 129 (131), ders., ZIP 2008, 1401 (1406 ff); ders., ZHR 168 (2004), 637 (649); ders., ZIP 2005, 2177 (2183). 457) Vgl. mit dieser Wertung bereits Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (678 unter VI.1). 458) Im Ergebnis ebenso Altmeppen, ZIP 2015, 949 (955). 459) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 36.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

zu Buche stehenden Summen schnell exorbitante Höhen erreichen können. Wenn man sich zudem noch vor Augen führt, dass dieser Vorgang als Ganzes betrachtet die Masse möglicherweise durch den Verkaufsgewinn sogar erhöht, dann befindet sich der Anspruch des § 64 S. 1 GmbHG schnell in der Nähe des Verbots der Massebereicherung.

a) Grenzen des herkömmlichen Zahlungsbegriffs (I): Debitorisches Konto i)

Grundsätze der Zahlungen beim debitorischen Konto – Rechtsprechungsübersicht

Hinlänglich kommentiert und debattiert wurde in Rechtsprechung und Schrifttum 271 in den vergangenen Jahren über den Zahlungsbegriff bei Einzahlungen auf oder Auszahlungen von einem debitorischen Konto460). Dass der Fall eines gerade im Soll stehenden Gesellschaftskontos im Rahmen von insolvenznahen Rechtsgeschäften eine besonders große Praxisrelevanz hat, versteht sich von selbst. Kaum ein anderes Thema im Recht der Zahlungsverbote hat in den letzten Monaten die Rechtsprechung so beschäftigt und zu so intensiver Rechtsfortbildung geführt, wie das debitorische Konto. In welchem Tempo hier neue Entscheidungen aufeinander folgen, sei beispielhaft nur am Aufsatz von Habersack/Foerster461) demonstriert, der bei seinem Erscheinen von der nächsten BGH-Entscheidung462) bereits überholt war. Generell geht es um den Fall einer Auszahlung von einem im Soll stehenden Kon- 272 to an einen Gläubiger463). Das ist grundsätzlich – und so auch nach außen erkennbar – als eine gewöhnliche „Zahlung“ der Gesellschaft zu bewerten; dennoch hat die Rechtsprechung diese Zahlung nicht als Fall des § 64 S. 1 GmbHG gewertet: Die Zahlung von einem debitorischen Konto erhöhe lediglich dessen Debet und befriedige einen anderen Gläubiger. Somit läge ein reiner Gläubigertausch vor, je-

___________ 460) Vgl. insbesondere BGHZ 143, 184 = NJW 2000, 668; diesen Standpunkt nochmals bekräftigend: BGH NJW 2001, 304 = ZIP 2000, 1896; jetzt neuerdings wieder BGH ZIP 2014, 1523 = NZG 2014, 1069 sowie BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 = NJW 2015, 2806; zu dieser Rechtsprechung ausführlich: Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 129 m. w. N.; dies., ZGR 2016, 153 (159 m. w. N.); Fleischer, in Spindler/Stilz, § 92 Rn. 24; K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (645 m. w. N.); Kruth, NZI 2014, 981 (985); Nachweise zur weitgehenden Zustimmung in der Literatur: Bitter WM 2001, 666 (667 m. w. N. in Fn. 7). 461) Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff mit Besprechung von BGH ZIP 2014, 1523 = NZG 2014, 1069; BGHZ 203, 218 = NZG 2015, 149 und BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 = NZG 2015, 998. 462) BGH, ZIP 2016, 364 ff m. Anm. Altmeppen = NZG 2016, 225. 463) Umfassende Darstellung bei Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 90; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 31.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

doch sei damit die Quotenerwartung der restlichen Gläubiger nicht betroffen464). Bei Vorgängen, die rein das Passivvermögen betreffen (sog. Passivtausch), ist eine „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG scheinbar ausgeschlossen. Insofern müsste ähnliches für eine Umschuldung zwischen verschiedenen Kreditinstituten gelten.

273 Eine Ausnahme von der genannten Rechtsprechung macht der BGH nur da, wo die Bank, bei der das debitorische Konto geführt wird, noch freie Sicherheiten im Gesellschaftsvermögen hatte465). In diesem Falle wäre die neue Forderung der Bank gegen die Gesellschaft nämlich dinglich gesichert und damit in der Insolvenz abgesondert zu befriedigen, weswegen durch die Auszahlung nicht nur ein „reiner“ Gläubigertausch erfolgt sei466). Vielmehr stünde der neue Gläubiger besser als der alte. Dann liege doch wieder eine Zahlung i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG vor467).

274 Kann hingegen die Auszahlung an den Gläubiger vom Insolvenzverwalter angefochten und damit zur Masse zurückgefordert werden, ändert dies an dem gefundenen Ergebnis nichts. Zwar ist es dem Grunde nach so, dass eine erfolgreiche Anfechtung der Gläubigerbefriedigung die Masse wieder auffüllt und damit den Erstattungsanspruch gegen den Geschäftsführer entfallen lässt468). Liegt jedoch keine haftungsbegründende Zahlung an den Gläubiger vor, sondern ein haftungsbefreiter Passivtausch durch Zahlung von einem debitorischen Konto, hat eine Anfechtung keine Auswirkungen mehr469). Eine „Verrechnung“ von Beträgen, die der Geschäftsführer wegen Einzahlungen auf dem debitorischen Konto schuldet, kommt nicht in Betracht. Denn die Anfechtung habe keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der haftungsbegründenden Zahlung.

275 Die umgekehrte Argumentation gilt nach dieser Rechtsprechung, wenn der Geschäftsführer einen empfangenen Scheck auf ein im Debet stehendes Konto einlöst 470): Obwohl der Masse solchermaßen Wert zufließt und damit auf den ersten Blick gerade keine „(Aus-)Zahlung“ aus der Masse erfolgt ist, bejaht die Recht___________ 464) Vgl. BGHZ 143, 184 (187 f.) = NJW 2000, 668; sowie BGH, ZIP 2007, 1006 = NZI 2007, 418 (419 Rz. 8); BGH, ZIP 2011, 422 = NZI 2011, 196 (198 Rz. 26); BGH ZIP 2009, 956 = NZI 2009, 486 (487 Rz. 12). 465) Ausführliche Darstellung der verschiedenen Fallgruppen: Krumm, WM 2010, 296 (297); Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 88, 90; s. auch die Rechtsprechungsnachweise in der vorigen Fn. sowie BGH ZIP 2014, 1523 = BGH, NZI 2014, 813; BGH ZIP 2010, 470 = NZI 2010, 313 (314 Rz. 10). 466) Vgl. auch Kruth, NZI 2014, 981 (984). 467) Eine weitere Ausnahme besteht, wenn die zugrundeliegende Forderung von einer vorhandenen Globalzession erfasst und damit der Steuerung durch den Geschäftsführer entzogen ist: vgl. Strohn, NZG 2011, 1161 (1166 m. w. N.). 468) Vgl. nur BGHZ 131, 325 (327) = NJW 1996, 850. 469) So der BGH in ZIP 2014, 1523 (Rz. 14 f) = NZG 2014, 1069; diese Entscheidung kommentiert auch Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff. 470) Vgl. dazu statt vieler Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64, Rn. 10; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64, Rn. 91.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

sprechung die Haftung des Geschäftsführers in diesem Fall471): Denn die Bank als Gläubigerin des Kontos werde vorab befriedigt, da der eingezahlte Betrag ansonsten zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubigergesamtheit zur Verfügung stünde472). Es liegt eine Aktiv-Passiv-Kürzung vor. Obwohl also liquide Mittel der Gesellschaft zugeführt werden, bejaht die Rechtsprechung eine „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG. Gerade in den Anfängen hat die Rechtsprechung hier oft noch die Argumentation 276 zugelassen, durch die Rückführung des Debets auf einem Kontokorrentkonto würde die Kreditlinie neu eröffnet und die Gesellschaft könne in Folge dessen über den soeben an die Bank zurückgeführten Betrag neu verfügen473). Einschränkungen dahin gehend, dass in diesem Fall eine Zahlung zu verneinen sei, finden sich in neueren Urteilen nicht mehr474). Insgesamt zeigt sich der BGH dieser Argumentation gegenüber inzwischen ablehnend475). Und so geht man allgemein inzwischen davon aus, dass die Wiedereröffnung der Kreditlinie an der Qualifikation als Zahlung auch nichts ändere476). In einem obiter dictum hat sich der BGH kürzlich dahin gehend geäußert, dass eine 277 „Zahlung“ i. S. d. Norm durch den Einzug von Forderungen auf einem debitorischen Konto auch dann ausscheiden könne, „soweit in Folge der Verminderung des Debetsaldos […] weitere sicherungsabgetretene Forderungen frei werden“477). Wird ___________ 471) BGHZ 143, 184 = NJW 2000, 668; BGH NJW 2001, 304 = ZIP 2000, 1896; dem folgend: BGH, NZI 2007, 418 mit Anm. Poertzgen, NZI 2007, 420; NZI 2014, 813 Rz. 16; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 1411 = GmbHR 1999, 661 (662); OLG Oldenburg, NZG 2001, 37; a. A. OLG Celle NZG 1999, 77 (78) = GmbHR 1999, 122 L; skurrilerweise löst der BGH dieselbe Konstellation bei der Insolvenzanfechtung gerade anders: BGHZ 182, 317 = NJW 2009, 3362 (3363 Rz. 13); BGH, ZIP 2009, 2009 = NZI 2009, 764; BGH NZG 2010, 1221 = BeckRS 2010, 19843; vgl. zum Kriterium der Gläubigerbenachteiligung Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (481); Strohn, NZG 2011, 1161 (1165). 472) BGHZ 143, 184 (186) = NJW 2000, 668. 473) BGH NJW 2001, 304 f = ZIP 2000, 1896; vgl. auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 36 a. E. 474) Ausführliche Diskussion zur Subsumtion solcher Zahlungen unter § 64 S. 2 GmbHG jetzt aber wieder bei Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff (insb. 180 f). 475) BGH ZIP 2014, 1523 = NZI 2014, 813 (815 Rz. 17); die Wiedereröffnung der Kreditlinie ändert nichts, denn „wenn mit der Zahlung auf das debitorische Konto zugleich ermöglicht wird andere Gläubiger mit den Mitteln dieses debitorischen Kontos zu befriedigen, ändert das nichts daran, dass die auf das debitorische Konto gelangten Zahlungen am Ende in der Masse fehlt.“ 476) Vgl. nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 10 m. w. N.; vgl. jetzt wieder die Darstellung bei Casper, ZIP 2016, 793 (797); deutlich ablehnende Tendenzen gegen diese Haltung: Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 8a a. E.; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 37 – 39; so im Ergebnis auch Krumm, WM 2010, 296 (297) über den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. 477) BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (2. LS und Rz. 25 f) = NZG 2015, 998; jetzt bestätigt durch BGH ZIP 2016, 1119 = BeckRs. 2016, 09241.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

ein gesicherter Gläubiger durch Zahlung befriedigt und werden aufgrund der Befriedigung Sicherheiten frei, also beispielsweise sicherungsabgetretene Forderungen, so stehen diese Sicherheiten damit wieder zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit zur Verfügung. Es liege lediglich ein Aktiven-Tausch vor478). Der BGH deutet nun an, dass in diesem Fall eine Zahlung entfallen könnte479), da der Betrag der Befriedigung der Gesellschaft letztlich nicht entzogen sei, sondern der Gläubigergesamtheit nach wie vor zur Befriedigung zur Verfügung stehe. Dies würde eine deutliche Erweiterung der Anrechnungsmöglichkeiten darstellen und damit einer schadensersatzrechtlichen Lösung nahekommen. Denn der BGH entfernt sich hier vom reinen Zahlungsbegriff und lässt – eigentlich per se unverbundene – Auswirkungen der Zahlung, namentlich das Freiwerden von Sicherheiten, bei der Beurteilung des Zahlungsbegriffs einfließen. Interessant ist dabei insbesondere, dass der BGH diese Fallgruppe nicht etwa über § 64 S. 2 GmbHG löst, sondern am Zahlungsbegriff festmacht480).

ii) Kritik aus Praxis und Schrifttum 278 Die oben dargestellte Rechtsprechung zum debitorischen Konto hat sowohl in der Literatur als auch in der Praxis bei tendenziell insolvenzgefährdeten Unternehmen für großes Aufsehen gesorgt. Gerade auf den ersten Blick vorteilhafte Geschäfte, die man mit dem Begriff der „Zahlung“ so gar nicht in Einklang bringen mag, könnten sich für ahnungslose Geschäftsleiter als Fallstrick erweisen. Seine eindringliche Kritik an der oben zitierten Rechtsprechung hat K. Schmidt auf einen Satz eingedampft: Nach der Rechtsprechung zur Einzahlung von Schecks auf ein debitorisches Konto gelte fürderhin: „Nehmen ist seliger denn Geben“481).

279 Erst kürzlich ist der BGH zumindest für Fälle, in denen eine Sicherungszession vorlag, ein wenig zurückgerudert482): Der Einzug von sicherungsabgetretenen Forderungen auf einem debitorischen Konto der Gesellschaft mit anschließender Verrechnung mit dem Sollsaldo sei keine masseschmälernde Zahlung i. S. d. § 64 GmbHG. „§ 64 II GmbHG a. F. meint mit „Zahlung“ eine Leistung der Schuldnerin, durch welche die den Gläubigern zur Verfügung stehende Vermögensmasse ge___________ 478) Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 129 m. w. N. 479) BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 26) = NZG 2015, 998 mit Verweis auf BGH, NZG 2015, 149 = NJW-RR 2015, 418 m. w. N.; ebenso jetzt BGH ZIP 2016, 1119 (1122 Rz. 40 ff) = BeckRs. 2016, 09241. 480) Vgl. dazu auch die Ausführungen von Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 (173 ff), die insbesondere auf das vom BGH aufgestellte Unmittelbarkeitserfordernis abstellen; dazu auch ausführlich Casper, ZIP 2016, 793 (795 ff): Hier liegt auch der Unterschied zur Gesamtbetrachtung der Schadensersatzmodelle, nämlich dass eine konkrete Zuordnung von Massezuund -abfluss erfolgen müsse. 481) K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1406). 482) BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (1. LS und Rz. 12 ff) = NZG 2015, 998; dazu ausführlich Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 (164 ff).

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

schmälert wird.“483) Daraus lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass eine Zahlung abgelehnt wird, wenn im Ergebnis die verteilungsfähige Masse nicht geschmälert wird. Voraussetzung sei jedoch, dass Sicherungsabtretung und Entstehung bzw. Werthaltigkeit der Forderung vor Insolvenzreife erfolgt sind484). Dies wird insbesondere damit gerechtfertigt, dass sicherungsabgetretene Forderungen zwar gem. § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören, jedoch nicht als freie Masse zur Verfügung stünden, sondern dem Zessionar zur abgesonderten Befriedigung zustehen, § 51 Nr. 1 InsO. Insofern reduziert ihr Einzug die Befriedigungsaussichten der Gläubigergesamtheit nicht. In dieser Rechtsprechung zeigt sich der Versuch des BGH, eine sinnvolle Korrektur des durchaus problematischen Zahlungsbegriffs unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzunehmen. Gerade das genannte Zitat belegt einmal mehr das Dilemma, in dem sich die Rechtsprechung zum Zahlungsbegriff befindet: Zum einen soll zwar eine auf jede einzelne Zahlung bezogene Betrachtungsweise Platz greifen. Zum anderen soll aber als Gegenbewegung auf die dadurch bewirkte Schmälerung der Vermögensmasse im Ganzen geblickt werden – einem Kriterium, das man klassischerweise an schadensersatzrechtlichen Kriterien festmachen würde. Auch die Rechtsprechung kommt um schadensrechtliche Bewertungsmaßstäbe somit nicht herum485). Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass die neuen Urteile des BGH nicht gerade zu einer Vereinfachung der Fallgruppen um das debitorische Konto beigetragen haben486).

iii) Praxistauglichkeit der Rechtsprechung: Abgleich mit den zugrunde liegenden Normzwecken Dass die oben zitierten Rechtsfolgen aber für in aller Regel betriebswirtschaftlich 280 denkende Geschäftsleiter nicht ohne Weiteres einleuchten, liegt auf der Hand487). Dem Geschäftsführer wird beispielsweise angeraten, ein neues Konto zu eröffnen um die eingehenden Zahlungsströme umzuleiten und so der Haftungsfolge zu ent___________ 483) BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 13) = NZG 2015, 998; ausdrücklich bestätigt durch BGH ZIP 2016, 1119 (1122 Rz. 39 ff) = BeckRs. 2016, 09241. 484) BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 19) = NZG 2015, 998 und dazu ausführlich Habersack/ Foerster, ZGR 2016, 153 (164 ff unter 2.a.); sowie Casper, ZIP 2016, 793 (800); diese Regel schränkte der BGH jedoch in einem jüngeren Urteil sogleich wieder ein: Obwohl die Forderung erst nach Insolvenzreife entstanden oder werthaltig geworden ist, kann es an einer „Zahlung“ trotzdem fehlen, wenn die als Gegenleistung gelieferte Ware im Sicherungseigentum der Bank stand: vgl. BGH, ZIP 2016, 364 ff (LS und Rz. 17 ff, insb. 25 f) = NZG 2016, 225. 485) Mit drastischerer Bewertung: Anm. von Altmeppen zu BGH, ZIP 2016, 364 (366): „Der II. Zivilsenat bekommt die Haftung wegen Verletzung der Massesicherungspflichten nicht in den Griff.“; in der Sache ähnlich: Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 (7 f unter III.). 486) Auch hierzu: Anm. von Altmeppen zu BGH, ZIP 2016, 364 (367): „Es bedarf kaum des Hinweises, dass niemand hier den Überblick behalten kann, worauf es im Einzelnen ankommen soll.“ 487) Vgl. so auch nur Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 (8): „armer[r] Geschäftsführer“.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

gehen488). Ob dieser Ratschlag die fragwürdige Situation entschärft, mag jedoch bezweifelt werden. Denn dieses Konto dürfte dann lediglich für Zahlungseingänge verwendet werden. Bereits ein Umschichten vom (kreditorischen) neuen Konto auf das (debitorische) alte Gesellschaftskonto wäre dann ohne Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG nicht möglich. Auch wird das neu eröffnete Konto seinerseits schnell wieder im Debet sein und damit seinen Zweck verfehlen. Zudem soll dem Geschäftsführer im Sinne seiner Pflicht zur Sicherung der Masse489) angeblich die Pflicht obliegen, alle potentiell auf das Geschäftskonto überweisenden Schuldner der Gesellschaft – und das können bei Gesellschaften mit vielen Geschäftsvorfällen erschreckend viele sein – anzuweisen, nicht mehr auf das alte Gesellschaftskonto zu überweisen, sondern auf das neue490). Schließlich solle er alle Lastschrift- bzw. SEPA-Aufträge kündigen, um planmäßig durchgeführte Zahlungen auf das debitorische Gesellschaftskonto zu vermeiden491). Dies wiederum dürfte schon deshalb in der Praxis äußerst misslich sein, weil eine solche Aufforderung an die Gesellschaftsschuldner einer öffentlichen Ankündigung der bevorstehenden (!) Insolvenz der Gesellschaft gleichkäme – und dazu kann man einen Schuldner schlechterdings zwingen.

281 Gänzlich zum Kuriosum wird das „debitorische Konto“, wenn man an den Fall eines oszillierenden Kontos denkt492). Also entweder den Fall, dass der Geschäftsführer auf ein bei minus 50 stehendes Konto einen Scheck eines Schuldners in Höhe von 80 einlöst. Haftet er dann auf 50? Oder 30? Oder gar auf 80? Umgekehrt geht der Fall genauso, wenn von einem bei 50 stehenden Konto ein Betrag in Höhe von 80 an einen Gläubiger zur Tilgung einer Verbindlichkeit überwiesen wird. Auch hier wäre ein eine Haftung in Höhe von 50 (lediglich habitorischer Anteil des Betrags), ___________ 488) Vgl. nur BGHZ 143, 184 (188) = NJW 2000, 668; so auch Strohn, NZG 2011, 1161 (1166); dazu auch K. Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.45; dagegen jetzt neuerdings aber BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 16 – 18) = NZG 2015, 998: Dort wird die Eröffnung und Umleitung auf ein neues Konto abgelehnt, dies entspräche nicht einem „ordentlichen Geschäftsgebahren“; bestätigt durch BGH, ZIP 2016, 364 ff (LS und Rz. 16) = NZG 2016, 225 sowie BGH ZIP 2016, 1119 (1122 Rz. 41) = BeckRs. 2016, 09241. 489) Vgl. dazu BGHZ 146, 264 (274 f.) = NJW 2001, 1280. 490) Vgl. hierzu BGH NZI 2007, 418 (420 Rz. 12 a. E.); dazu auch Bitter, WM 2001, 666 (667 m. w. N. in Fn. 12); Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 33 Fn. 77; kritisch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 91; dagegen jetzt neuerdings aber BGHZ 206, 52 = ZIP 2015, 1480 (Rz. 16 – 18) = NZG 2015, 998: vgl. die vorstehenden Fn. 491) So zumindest die Instanzrechtsprechung: vgl. LG Köln WM 1990, 411 = GmbHR 1990, 136 (137); dazu auch Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 704; in diesem Sinne auch: Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 8a; Gutschrift auf debitorischem Konto im Rahmen eines Cash Pools: vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 1411 (1412) = GmbHR 1999, 661: Hier hätte der Auftrag bei Eintritt der Insolvenzreife widerrufen werden und die Einziehung der Forderung in anderer Weise, insbesondere nach Einrichtung eines neuen Kontos bei einer anderen Bank erfolgen müssen. 492) Auch darauf weist K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1407) hin.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

von 30 (lediglich debitorischer Anteil), 20 (Differenz aus beidem) oder eventuell sogar 80 (vollständige „Zahlung“) zu denken. In beiden Fällen ist die Behandlung noch nicht geklärt und dürfte gerade bei einer großen Vielzahl an Geschäften zu völlig unvorhersehbaren und mit den realen Geschäftsanfällen nicht vereinbaren Ergebnissen führen. Trotz dieser solchermaßen misslichen und überaus praxisfernen Ergebnisse liegt 282 der BGH – auf der Basis der Konzeption der h. M. – richtig. Da die Bank bei einem debitorischen Konto eine ganz normale Gläubigerin der Gesellschaft ist, müssen konsequenterweise die Vorgänge so behandelt werden, wie gerade dargestellt: Bei der Auszahlung von einem debitorischen Konto stellt die Begleichung einer Forderung eines anderen Gläubigers „lediglich“ einen Gläubigertausch da. Eine Zahlung ist zu verneinen. Bei einer Einzahlung von liquidem Vermögen auf ein debitorisches Konto wird die Bank vorab befriedigt, und damit liegt eine Zahlung vor. Doch ist dieses Ergebnis auch wertungsmäßig richtig? Einem Blick auf die zu- 283 grunde liegenden Normzwecke lässt daran zweifeln: Im Falle einer Auszahlung, also dem bloßen Gläubigertausch, ist schon fraglich, ob der Grundsatz der Masseerhaltung nicht doch betroffen ist. Denn wenn die Gesellschaft eine noch nicht ausgereizte Kreditlinie hatte, die sie aufgrund der Vertiefung des Debet nicht mehr, oder nur noch in geringerem Umfang abrufen kann, reduziert sich die zur Nutzung durch die Gesellschaft zur Verfügung stehende Masse. Jedoch könnte man mit dem Hinweis, es werde nunmal kein Gesellschaftsvermögen, sondern lediglich geliehenes Geld der Bank an einen Gläubiger weitergeleitet, darüber hinweghelfen. So hat der BGH formuliert, es trete bei einer Überweisung von einem debitorischen Konto keine Quotenverringerung der Gläubigergesamtheit ein493). Gänzlich mulmig wird einem jedoch beim Grundsatz der Gläubigergleichbehand- 284 lung494): Dieser soll hier angeblich nicht betroffen sein, weil zwar ein Gläubiger gänzlich befriedigt wurde, die Gesellschaft der Bank gegenüber jedoch eine erhöhte Verbindlichkeit begründet hat495). Richtig daran ist, dass die Gesamtsumme der Verbindlichkeiten sich nicht verändert hat. Doch gibt es eben ganz klar einen vorab befriedigten Gläubiger, der infolge dessen aus dem Kreis derselben sogar gänzlich ausgeschieden ist, während die Bank eine höhere Insolvenzforderung geltend machen muss. Von dem her erscheint es als geradezu widersinnig die par conditio creditorum als nicht verletzt anzusehen. Insofern erscheint es als absolut zufällig und willkürlich, dass der Geschäftsführer zwar bei der Einzahlung, nicht jedoch bei der Auszahlung haften soll. ___________ 493) BGH, ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462 (463 Rz. 8); BGH, ZIP 2010, 470 = NZG 2010, 346 (347 Rz. 10); vgl. auch Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (481). 494) Im Ergebnis mit gegenteiliger Argumentation: Kruth, NZI 2014, 981 (985). 495) So im Ergebnis auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 31.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

285 Dies führt zum nächsten Kritikpunkt: Die Auslegung des BGH findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Warum eine (Aus-)„Zahlung“ bereits dann keine mehr sein soll, wenn das zugrundeliegende Konto im Debet ist, lässt sich weder mit dem Wortlaut noch der Struktur der Norm deuten. Der eigentliche Fehler liegt wohl an anderer Stelle, nämlich darin, den Vorgang auf dem Konto gänzlich zusammenzuziehen und nicht separat zu behandeln496): Bei der Befriedigung eines Gläubigers von einem debitorischen Konto wird der Gesellschaft von der jeweiligen Bank technisch gesehen zunächst ein Darlehen gewährt (bzw. eine gewährte Kreditlinie weiter ausgeschöpft), das sodann an die Gesellschaft ausgezahlt wird497). Dieser Vorgang ist im Hinblick auf § 64 S. 1 GmbHG neutral. Was jedoch im Anschluss daran zu einer „Zahlung“ führt, ist die Auskehr an den Gläubiger. Durch diesen Zwischenschritt gelangt man nach hier vertretener Ansicht zu einem sachgerechteren Ergebnis498).

286 Im umgekehrten Fall, dem Einzug eines Kundenschecks oder der Einzahlung von Bargeld auf ein debitorisches Konto der Gesellschaft, liegt nicht zwangsweise eine Vorabbefriedigung der Bank vor. Vielmehr kommt es auf das zugrundeliegende Rechtsverhältnis an: Handelt es sich um eine offene Kreditlinie, kann die Gesellschaft über das soeben eingezahlte Geld sofort wieder erneut verfügen, so liegt eben keine endgültige Befriedigung der Bank vor499). Es muss also eine Gesamtbetrachtung von Kreditrückführung und Neuvalutierung erfolgen500). Eine „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG ist zu verneinen.

287 Ein solcher Ansatz löst das Problem jedoch nicht im Kern, sondern kuriert allenfalls am Symptom: Die geradezu skurrilen Ergebnisse beim debitorischen Konto ___________ 496) Heidenhain, LM Nr. 18 zu § 64 GmbHG; a. A. Frings, GmbHR 2000, 184 (185), der eine separate Behandlung vorzieht. 497) Eine ähnliche Überlegung stellt der BGH im Recht der Insolvenzanfechtung beim Kriterium der Gläubigerbenachteiligung an: Gehrlein, ZInsO 2015, 477 (481). 498) Vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 88; a. A. Schmidt-Leithoff/ Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 31, der meint, ein solches Auseinanderreißen von Darlehensgewährung und eigentlicher „Zahlung“ ließe die Zweckbindung solcher Mittel unberücksichtigt. Denn das Darlehen werde in der Regel wegen eines speziellen Zwecks, z. B. der Betriebsfortführung gewährt. Dieser Zweck würde unterwandert, wenn man den Geschäftsführer sogleich verpflichtete, die gewährten Mittel im Sinne der Masseerhaltung unangetastet zu lassen. M. E. verfängt dieses Argument aber nicht: Denn es ist keineswegs sichergestellt, dass die Kreditlinie durchweg für privilegierte Zwecke eröffnet wird. Umgekehrt würden so alle Zahlungen von einem debitorischen Konto per se privilegiert. Generell erkennt der BGH auch Zweckbestimmungen bei der Überlassung von liquiden Mitteln an die Gesellschaft (beispielsweise zur treuhändereschen Weiterleitung an bestimmte Gläubiger oder zur Begleichung einer bestimmten Schuld) gerade nicht an: vgl. BGH NJW 2003, 2316 = ZIP 2003, 1005. 499) Vgl. auch Bitter, WM 2001, 666 (668); mit weiterführenden Nachweisen Altmeppen, in Roth/ Altmeppen, § 64 Rn. 10. 500) Denn die Neuvalutierung hebt die Befriedigung der Bank wieder auf: im Ergebnis so auch Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 8a; Werres, ZInsO 2008, 1001 (1006 f unter 2.).

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

zeigen, dass ein Berechnungssystem, das am Einzelausgleich bei den Schadensursachen ansetzt, nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt und auch nicht führen kann. Ein Schadensersatzmodell hätte in diesem Zusammenhang weniger Probleme: Hier wäre die Frage, von welchem Konto eine Zahlung erfolgt ist, zunächst völlig irrelevant. Vielmehr käme es im ersten Schritt ja lediglich auf die Verringerung des Gesellschaftsvermögens an. Erst wenn man, vergleichbar zu K. Schmidts Modell, § 64 S. 1 GmbHG die Funktion zusprechen sollte, als Anschein eines Schadens zu dienen, käme der oben genannten Rechtsprechung überhaupt Bedeutung zu. Insofern erscheint es sinnvoll, mit K. Schmidt die rechtlichen Vorgänge sauber zu trennen und nicht einen Gesamtvorgang anzunehmen, der dann zu einem reinen Gläubigertausch deklariert wird. Vielmehr liege in der Auszahlung an den Gläubiger eine Zahlung i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG. Im Falle der Einziehung des Schecks auf ein debitorisches Konto käme es auf eine etwaige wieder eröffnete Kreditlinie an. Generell aber würde sich die Berechnung des Schadens eben um die einzelne Zahlung gar nicht kümmern und daher den Aspekt des debitorischen Kontos fast vollständig vernachlässigen. Letztlich könnten damit auch Einzahlungen auf ein debitorisches Konto haftungsfrei und Auszahlungen von demselben haftungsbewehrt sein, es käme lediglich auf die Auswirkungen auf den Wert des Gesellschaftsvermögens an. Der Fall des oszillierenden Kontos zeigt somit die Überlegenheit einer Schadensersatzlösung erneut501).

b) Grenzen des herkömmlichen Zahlungsbegriffs (II): Berücksichtigung der Gegenleistung Nicht minder diskutiert und wohl noch deutlich praxisrevelanter ist die Rechtspre- 288 chung zur Anrechnung der Gegenleistung bei Zahlungen. Dabei geht es um die Frage, ob ein Geschäftsführer der Ersatzpflicht wegen einer nach Insolvenzreife getätigten „Zahlung“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG entgegenhalten kann, es sei ein entsprechender Gegenwert in die Masse geflossen502). Diese Situation dürfte wohl den Großteil der Forderungen ausmachen: Von offenen oder verdeckten Gewinnausschüttungen an Gesellschafter einmal abgesehen, stellen Leistung und Gegenleistung den Regelfall des wirtschaftlichen Handelns eines Unternehmens im Zeitraum der Insolvenzverschleppung dar. Daran ändert sich auch bei drohender Insolvenz nichts. Generell hat die Rechtsprechung eine gewisse Entlastung des Geschäftsleiters in 289 früheren Entscheidungen widerwillig anerkannt: Geschäftsleiter könnten ihrer Ersatzpflicht aus § 64 S. 1 GmbHG bzw. § 93 AktG entgegenhalten, dass ein Gegen___________ 501) Mit anderer argumentativer Basis, aber demselben Ergebnis: Altmeppen, ZIP 2016, 366 (368): Alle untersuchten Kontobewegungen ließen sich in seinem Schadensersatzmodell praktikabel und sachgerecht lösen; vgl. auch Altmeppen, ZIP 2015, 949 (955 f). 502) Umfassende Darstellung des Problems bei Geißler, GmbHR 2011, 907 ff.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

wert in das Gesellschaftsvermögen gelangt sei. Bislang wurde jedoch sogleich einschränkend gefordert, dass dieser Gegenwert noch bis zur Insolvenzantragstellung dort voll erhalten geblieben sein musste503). Dann könne erwogen werden, dass eine Messekürzung nicht vorliege und damit ein Erstattungsanspruch entfalle, da dann lediglich ein Aktiventausch vorliege504). Somit war über lange Zeit die Diskussion geprägt durch das von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis der Erhaltung der Gegenleistung im Gesellschaftsvermögen bis zur tatsächlichen Insolvenzantragstellung.

290 In einer jüngeren Entscheidung hat sich der II. Zivilsenat schließlich dazu durchgerungen, das Kriterium der Wertbeständigkeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzugeben. Vielmehr reiche es nunmehr aus, dass überhaupt ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt sei, eine Erhaltung bis zum Ende der Verschleppungsphase sei nicht mehr erforderlich505). Der BGH wies jedoch dezidiert darauf hin, dass nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung zu berücksichtigen sei; er forderte vielmehr einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Zahlung. Es müsse demnach eine Zuordnung des Massezuflusses zur Messeschmälerung erfolgen können506) – auf eine solche wirtschaftliche Zuordnung dürfe auch künftig nicht verzichtet werden507). Als Begründung verweist der Senat insbesondere darauf, dass § 64 S. 1 GmbHG nach gängiger Ansicht eben nicht auf Ausgleich des Quotenschadens, sondern auf Erstattung einzelner Zahlungen gerichtet sei.

291 Damit ist der BGH zwar durchaus einen großen Schritt auf eine schadensersatzrechtliche Deutung zugegangen508), da nunmehr ein einmaliger und gerade nicht werterhaltender kompensatorischer Zufluss von Vermögen als Gegenleistung ausreicht. Dennoch findet eine Gesamtsaldierung aller Zu- und Abflüsse im Sinne einer Verlustberechnung gerade nicht statt. Es bleibt letztlich bei der für die Deutung der ___________ 503) Zum AktG bereits RGZ 159, 211 (230); zum GmbHG sodann BGH NJW 1974, 1088 (1089); BGH, ZIP 2010, 2400 = NZG 2010, 1393 (1395 Rz. 21) = DStR 2011, 130 m. Anm. Goette (Fleischgroßhandel); BGH, NJW 2003, 2316 = ZIP 2003, 1005; BGH NJW 2001, 304 = ZIP 2000, 1896 (1897); zu dieser Rechtsprechung noch Geißler, GmbHR 2011, 907 (909); soweit ersichtlich als einziger die Anrechnung der Gegenleistung völlig ablehnend: Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (424 f): Masseerhaltung sei kein Schutzzweck des § 64, sondern lediglich die Gläubigergleichbehandlung. 504) Vgl. BGH NJW 2003, 2316 = ZIP 2003, 1005; BGH NJW 2001, 304 = ZIP 2000, 1896; vgl. auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 41; Heidenhain, LM Nr. 18 zu § 64 GmbHG. 505) Vgl. BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (Leitsätze und Rz. 9 und S. 150 Rz. 11); kritisch dazu Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 (8 f). 506) BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 10). 507) Vgl. dazu insbesondere Casper, ZIP 2016, 793 (795). 508) Dies nachdrücklich betonend Altmeppen, ZIP 2015, 949: „neues, den Geschäftsführer (…) vollständig entlastendes Haftungsmodell“; ebenfalls Casper, ZIP 2016, 793 (794); Spliedt, EWiR 2015, 69 (70) „schleicht sich an“.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

h. M. charakteristischen Einzelbetrachtung: Nicht Zahlungsströme werden in den Blick genommen, sondern lediglich einzelne Zahlungen. Und eine haftungsauflösende Kompensation kann auch nur dann angenommen werden, wenn einer spezifischen Zahlung eine spezifische Gegenleistung gegenübersteht. Dass damit bei Weitem nicht alle relevanten Fälle abgedeckt werden können, verdeutlich Casper509) an einem simplen Beispiel: Bereits ein gewöhnliches Streckengeschäft, bei dem eine Gesellschaft Ware bei einem Lieferanten für 100 Euro einkauft und an einen Kunden für 120 Euro weiterverkauft, der Lieferant die Ware aber direkt dem Kunden abliefert, dürfte nicht mehr erfasst sein – und das obwohl niemand bestreiten dürfte, dass die Masse durch das Geschäft erhöht wurde. In „Durchleitungsfällen“ tritt also eine gefährliche Überkompensation ein, die auch die neue Rechtsprechung nicht unterbindet510). Was als taugliche Gegenleistung in Frage kommt, ist ebenfalls nicht ganz geklärt. 292 Der BGH hat z. B. offen gelassen, ob eine schuldrechtliche Forderung tauglicher Anknüpfungspunkt sein kann511). Die h. M. verneint das eher512). Lebhaft diskutiert wurde bereits vorher in der Literatur das Kriterium des unmittel- 293 baren Zusammenhangs. Daran hält der BGH nach wie vor fest: Zwischen Zahlung und Gegenleistung müsse ein solcher Zusammenhang bestehen, damit eine Anrechnung überhaupt erfolgen könne. Vorgeschlagen wird nun teilweise, dieses Kriterium in Anlehnung an das Bargeschäfteprivileg des § 142 InsO bei der Insolvenzanfechtung auszufüllen513). Hier geht es um eine ähnliche Interessenlage: Im Insolvenzvorfeld erbrachte Leistung und Gegenleistung sind dermaßen eng miteinander verknüpft, dass der Masse kein Nachteil entstanden ist. Bei einem solchermaßen unmittelbaren Zusammenhang lässt § 142 InsO nur noch die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO eingreifen, alle anderen Anfechtungstatbestände werden ausgeschlossen. Dabei sollen solche Geschäfte privilegiert werden, die bei wirtschaftlicher Betrachtung eine reine Vermögensumschichtung und dabei weder eine relevante Gläubigerbenachteiligung, noch eine Bevorzugung eines einzelnen Gläu___________ 509) Casper, ZIP 2016, 793 (795). 510) Mit dieser Wertung auch Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 (9), der infolgedessen ebenfalls auf ein Konzept abstellen will, dass die gesamte Masseschmälerung in den Blick nimmt, a. a. O. (10). 511) BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 16). 512) K. Schmidt, NZG 2015, 129 (133); Arnold, in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rn. 20. 513) Vgl. zum Beispiel Kruth, NZI 2014, 981 (982), Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (403 ff); dies., ZGR 2016, 153 (180 f), die insofern betonen, auf § 142 InsO abstellen zu wollen, ungeachtet der Tatsache, dass sich der Anspruch aus § 64 GmbHG nicht gegen den Leistungsempfänger, sondern den Geschäftsführer richte; Strohn, NZG 2011, 1161 (1164); Müller, DB 2015, 723 (725); Haas, NZG 2004, 737 (738 ff); Thiessen, in 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 73 (101); Spliedt, EWiR 2015, 69 (70); Gehrlein, ZinsO 2015, 477 (483 Fn. 83 m. w. N.); ablehnend hingegen Altmeppen ZIP 2015, 949 (950 Fn. 7 m. w. N.).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

bigers darstellen514). Dies wird insbesondere durch den zeitlichen Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung ermittelt515). Grob geht die Rechtsprechung beim Kauf von beweglichen Sachen von der Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung aus, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht, der Zeitraum zwischen Leistung und Gegenleistung darf ein bis zwei Wochen, jedoch wohl kaum mehr als 30 Tage (vgl. § 286 Abs. 3 BGB) umfassen516). Allein schon dieses Beispiel verdeutlicht, welch enge Grenzen einer Anrechnung der Gegenleistung dann auch im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG gesteckt wären. Wenn eine Anrechnung der Gegenleistung bereits nach wenigen Tagen oder Wochen abgeschnitten wird, dürfte damit den wenigsten Geschäftsleitern gedient sein. Der BGH hat aber eine Übertragung des § 142 InsO ins Recht der Zahlungsverbote bislang abgelehnt.517) In seiner neuen Entscheidung verlangt er zwar einen unmittelbaren Zusammenhang518) – Zahlung und ausgleichende Gegenleistung müssten nach wirtschaftlicher Betrachtung einander zugeordnet werden können. Von einer zeitlichen Nähe spricht der BGH hingegen nicht519). Auch soll ja § 64 S. 1 GmbHG eine wichtige Ergänzung zum Recht der Insolvenzanfechtung darstellen, wenn die Voraussetzungen letzterer tatbestandlich scheitern oder nicht durchsetzbar sind520). Letztlich wird auch vertreten, dass die Wertungen des § 142 InsO schon deshalb nicht auf das Recht der Zahlungsverbote übertragen werden dürften, weil beide Institute einen völlig anderen Sinn hätten521). Unpassend wäre vor allem die von § 142 InsO bekannte Alles-Oder-Nichts-Lösung. Bei geringwertiger Gegenleistung sei richtigerweise in Höhe des Differenzbetrags eine Anrechnung geboten, weil nur insofern auch eine Massekürzung anzunehmen sei. ___________ 514) Zum Tatbestand des Bargeschäfts: BGHZ 167, 190 (Rz. 30 ff) = NJW 2006, 2701; BGH NJW 2010, 3578 (3580 Rz. 23 ff) = ZIP 2010, 2009; Gantner/Weinland, in K. Schmidt, InsO, § 142 Rn. 2, 13 ff; Ede/Hirte, in Uhlenbruck, § 142, Rn. 3 ff, zu den Verhältnissen zu den Tatbeständen der §§ 130 ff: Rn. 5 ff. 515) Vgl. zum zeitlichen Abstand insb. Haneke, NZI 2015, 499 ff, insbesondere (500 m. w. N.). 516) Vgl. nur Kirchhof, in MüKo InsO, Bd. 2, § 142, Rn. 15, 17; Nerlich, in Nerlich/Römermann, InsO, § 142 Rn. 11, 12; vgl. zur Frist von 30 Tagen auch BGHZ 202, 59 = NJW 2014, 2579 (2583 Rz. 33 ff). 517) So ausdrücklich BGH, ZIP 2007, 1501 = NZG 2007, 678 (679 Rz. 4); die Voraussetzungen der Anerkennung der Gegenleistung und des Bargeschäftsprivilegs des § 142 InsO stimmten zumindest nicht völlig überein. Nochmals sei darauf hingewiesen, dass der II. Zivilsenat die Wiedereröffnung der Kreditlinie durch Zahlungseingänge nicht als taugliche „Gegenleistung“ ansieht, aufgrund welcher eine Haftung entfallen könne: BGH, ZIP 2007, 1006 = NZG 2007, 462 sowie BGHZ 143, 184 (187 f.) = NJW 2000, 668; der IX. Zivilsenat sieht dies bei der Insolvenzanfechtung gerade anders: BGHZ 150, 122 = NJW 2002, 1722. 518) Dazu ausführlich Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 ff. 519) Vgl. dazu Altmeppen, ZIP 2015, 949 (951 m. w. N.). 520) Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Gehrlein, ZinsO 2014, 477 (479). 521) Vgl. Altmeppen, ZIP 2015, 949 (950 f, insb. Fn. 14); dezidiert a. A.: Habersack/Foerster, ZGR 2016, 153 (181), die jedoch auch zugeben, dass die von § 142 InsO erfassten Fallgruppen den Tatbestand der nach § 64 S. 2 GmbHG zulässigen Zahlungen nicht vollumfänglich umschreiben.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

Bei näherer Betrachtung lassen sich über die neue Doktrin aber nur eine kleine 294 Anzahl von Fällen in den Griff bekommen. Bei anderen wiederum versagt auch der neue Ansatz: Altmeppen522) beispielsweise bildet den Fall der Zahlung an der Tankstelle für den Treibstoff im Geschäftswagen des Geschäftsführers: Dieser Zahlung steht offenkundig keine Gegenleistung entgegen. Oder reicht hierfür allein das Benzin aus, das der Geschäftsführer kauft und das dadurch in die Masse gelangt? Wie steht es mit dem Verbrauch des Druckerpapiers, das die Geschäftsleitung verwendet, um etwaige Investoren zu kontaktieren? Umgekehrt ließen sich Fälle konstruieren, in denen eine Gegenleistung in die Masse 295 fließt, die Masse sogar bereichert, aber dennoch die Sorgfaltswidrigkeit nicht von der Hand zu weisen ist: Spliedt erwähnt den Kauf eines Ferraris für die Fahrt zum Insolvenzgericht523). Sollte hier aufgrund des zur Masse gehenden Wertes des Fahrzeugs eine „Zahlung“ des Geschäftsführers tatsächlich entfallen? Auch ist bislang nicht vollständig geklärt, ob die erwähnte Entlastung dem Ge- 296 schäftsleiter nur dann zugute kommt, wenn sowohl Leistung als auch die Gegenleistung nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft zufließen, oder ob sie auch gelten kann, wenn die Gesellschaft vor Eintritt der Insolvenzreife z. B. Waren geliefert bekommen hat, der Geschäftsführer die Zahlung aber erst nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung anweist. Prinzipiell würde der Geschäftsführer hier auf eine beim Lieferanten als Forderung zu aktivierende „normale“ Insolvenzforderung zahlen, weshalb es wiedersinnig erschiene, diesen Fall anders zu behandeln, als bei Leistung und Gegenleistung innerhalb des Verschleppungszeitraums524). So geht auch Bundesrichter Strohn davon aus, dass hier möglicherweise nur ein Aktiventausch stattfände, für die Insolvenzmasse ändere sich im Prinzip nichts und damit läge wohl keine Zahlung vor525). Eine Ungleichbehandlung der beiden Fälle wäre wohl auch schon deshalb misslich, weil in der Praxis der genaue Zeitpunkt der Insolvenzreife nicht bestimmt werden kann. Insofern erscheint es geboten, in beiden Fällen die Gegenleistung als Kompensation zuzulassen. Dennoch macht das Ergebnis stutzig: Darf der Geschäftsführer dann nach Eintritt 297 der Insolvenzreife trotzdem massenhaft Forderungen bedienen, ohne eine Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG fürchten zu müssen? Zumindest dann – was in der Realität wohl den absoluten Großteil der Fälle ausmachen dürfte –, wenn ihnen im halbwegs engen zeitlichen Zusammenhang die äquivalente vertragliche Gegenleistung vorangegangen ist? Das kann so kaum richtig sein. Auch Bundesrichter Strohn gibt insofern zu, dass die Doktrin des II. Zivilsenats, also der Blick auf den reinen Zah___________ 522) Altmeppen, ZIP 2015, 949 sowie Altmeppen, ZIP 2010, 1973 (1976). 523) Vgl. Spliedt, EWiR 2015, 69 (70). 524) Dennoch scheint Strohn, NZG 2011, 1161 (1164), selbst Richter am II. Zivilsenat, hier von einem Wahlrecht des Lieferanten hinsichtlich der Aktivierung der Forderung auszugehen. 525) Strohn, NZG 2011, 1161 (1164).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

lungsvorgang, unter Umständen nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt526). Ein Lieferant jedenfalls, der Ware an eine insolvenznahe Gesellschaft liefert, ist gut beraten seine Kaufpreisforderung zeitnah einzutreiben.

c)

Grenzen des herkömmlichen Zahlungsbegriffs (III): Komplexe Geschäftsvorfälle und Wertveränderungen der Masse

298 Doch die Liste der Fälle, in denen eine bloße Anrechnung des in die Masse gelangten Gegenwertes nicht ausreicht, um der Insolvenzverschleppung genüge zu tun, beginnt hier erst: Die meisten Geschäftsvorfälle, gerade in produzierenden Unternehmen, lassen sich nicht einfach mit Leistung und Gegenleistung „erschlagen“ – noch dazu wenn man mit der Literatur einen engen zeitlichen Zusammenhang fordert. Vielmehr handelt es sich um komplexe Vorgänge, bei denen einer Leistung nicht einfach eine Gegenleistung entgegensteht527). Insolvenzverschleppung ist ein Zeitraum-Delikt, nicht lediglich ein einmaliger Vorgang.

299 Die Herstellung eines Produktes bedingt wohl eine Vielzahl von „Zahlungen“. Letztlich kann es aber nur darauf ankommen, ob das Produkt am Ende ertragreich ist und die Masse im Verschleppungszeitraum erhöht oder nicht528). Konsequenterweise müsste das dann aber für das ganze Unternehmen im Laufe der Verschleppungsphase gelten.

300 Vorliegend soll der teilweise vertretenen These widersprochen werden, dass eine weitergehende Anrechnung weder notwendig noch geboten sei529). Denn bereits dort, wo sich Leistung und Gegenleistung nicht klar definieren lassen, ist die Rechtsprechung von einer sinnvollen Anrechnung weit entfernt. Teilweise wird sogar mit weitgehend dubiosen rechtspolitischen Gründen gegen eine weiterführende Vorteilsanrechnung ins Feld gezogen: Denn im Zeitpunkt des Abflusses aus der Masse wird der Geschäftsführer nicht abschätzen können, ob ein Vorteil irgend-

___________ 526) Vgl. Strohn, NZG 2011, 1161 (1164). 527) So sogar Haas, ZIP 2009, 1257 (1258): Ein System des Einzelausgleichs stoße unweigerlich an seine Grenzen. 528) So bereits Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 37. 529) Vgl. Haas, NZG 2004, 734 (741), der bereits auf Basis der alten Rechtsprechung mit ihrem Erfordernis der Erhaltung der Gegenleistung bis zur Insolvenzantragstellung die Gefahr der Messbereicherung als gebannt angesehen hat. Er gibt zwar die Gefahr der Massebereicherung bei komplexen Geschäftsvorfällen zu, meint aber, dass die Rechtsprechung durch ihre „wirtschaftliche Gesamtschau“ diese Gefahr gebannt hätte.

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III. Vermögensverlagerung durch „Zahlungen“

wann eintrete530). Das hat jedoch mit der hier behandelten Problematik nichts zu tun und hilft über eine exzessive Folge der Zahlungshaftung aus § 64 S. 1 GmbHG nicht hinweg. Wo unmittelbar entlastende Faktoren möglicherweise nicht ausreichend vorliegen, 301 berücksichtigt die momentane Doktrin eine gegenläufige Wertveränderung der Masse überhaupt nicht. Der wohl wesentlichste wertvernichtende Faktor für ein lebendes Unternehmen beim Übergang in die Insolvenz dürften jedoch nicht einzelne Zahlungsvorgänge, sondern der Wertverlust der Masse über die Zeit sein. Darunter fällt – neben generellen Abschreibungen – insbesondere auch der Verlust des Firmenwertes („goodwill“) aufgrund der (drohenden) Insolvenz. Selbst Unternehmensteile, die ansonsten noch gewinnbringend hätten veräußert werden können verlieren dann an Wert. Auch die Verfechter der herrschenden Ansicht geben zu, dass es mit einer rein ge- 302 genständlichen Betrachtung des Gesellschaftsvermögens und bei der reinen Bewertung als Aktiventausch nicht getan ist: Bundesrichter Strohn531) referiert dazu, der Bilanzposten „Kasse“ über 100 Euro sei eben doch mehr wert, als der von ihm angeführte Posten „Konservendosen“ über dieselben 100 Euro, da die Konservendosen erst noch zu Geld gemacht werden müssten, um unter den Gläubigern verteilungsfähig zu sein. Das ist zweifellos richtig, übersieht jedoch das noch weitaus größere Problem: Ist das Verfallsdatum der Konserven erst einmal abgelaufen, ist deren Wert sogar schlagartig auf null gesunken: Neben den Verwertungskosten müsste zwingend auch die Entwertung der Masse durch Zeitablauf in den Blick genommen werden, um einen auch nur ansatzweise „gerechten“ und den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Ansatz des Verschleppungschadens zu erreichen. Nach hier vertretener Ansicht dürfte dieser Posten, gerade bei mittelständischen oder größeren Unternehmen, den bei weitem größten Betrag ausmachen. Insofern lässt sich festhalten, dass der Ansatz der h. M. bei den „Zahlungen“ teilweise 303 zu eng, teilweise zu weit ist. Zu weit, weil er wirtschaftliche Gegenbewegungen nicht hinreichend kompensieren kann. Zu eng, weil er einen wesentlichen Schadensfaktor, die Wertveränderung des Unternehmens oder von Unternehmensteilen über die Zeit, schlicht ausblendet. Allein die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG kann die Aufgabe der halbwegs getreuen Bestimmung des Schadens aus der Insolvenzverschleppung jedenfalls nicht übernehmen. ___________ 530) Vgl. Haas, NZG 2004, 734 (742); auch der Verweis auf ebenfalls zu §§ 249 ff BGB anerkannte, nicht weiter reichende Verrechnungsmöglichkeit von Gläubigervor- und -nachteilen im Rahmen der Vorteilsausgleichung trägt nicht viel weiter: Schadensrecht ist per se auf singuläre Ereignisse zugeschnitten und einer Gesamtbetrachtung nicht zugänglich. Um Fallgestaltungen wie die hier vorliegenden geht es dabei per se nicht. In Summe erkennt Haas keine Überkompensation der Gläubigergesamtheit und keine unangemessene und überzogenen Haftungsfolgen zu Lasten des Geschäftsführers, begründet dies aber nicht weiter. 531) Strohn, NZG 2011, 1161 (1165).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

3.

Rechtspolitische Aspekte und Zwischenergebnis

304 Warum aber bleibt die ganz herrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung dann bei der Auslegung des § 64 S. 1 GmbHG als Ersatzanspruch sui generis und nimmt die beschriebenen Defizite hin?

305 Zum einen wird gebetsmühlenartig das Argument wiederholt, beim Anspruch aus § 64 GmbHG könne es sich schon deshalb nicht um einen Schadensersatz handeln, weil der Gesellschaft kein Schaden entstehe. Dieses Argument wurde in Teil B bereits einer genauen Analyse unterzogen und letztlich nicht für stichhaltig befunden. Auch das Wortlaut-Argument konnte letztlich nicht überzeugen. Was bleibt also als wesentliche Stütze des Erstattungsanspruchs „eigener Art“?

306 Der aus Gläubiger- und Insolvenzverwaltersicht ungemeine Charme dieser Deutung besteht in der radikal simplen Berechnungsmethode532). Die aktuelle Gerichtspraxis besteht im Wesentlichen daraus, dass Insolvenzverwalter einfach aus den Kontoauszügen von insolventen Gesellschaften ab einem Zeitpunkt, zu dem die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit halbwegs beweisbar ist, die Auszahlungen aufaddieren und diesen Betrag unter § 64 S. 1 GmbHG einklagen533). Dazu kommen noch alle Einzahlungen in Zeiträumen, in denen das betreffende Konto im Debet stand. Der Vorteil besteht nun darin, dass in der Folge nunmehr der Geschäftsführer die Beweislast dafür trägt, dass einer Zahlung entweder eine vollwertige Gegenleistung gegenüberstand oder die Zahlung sonst nach S. 2 gerechtfertigt war. Oftmals wird ihm das nicht gelingen; daher haben Klagen von Insolvenzverwaltern auf Auffüllung der Masse keine schlechten Chancen. Sowohl die Verwalterszene als auch die Gläubiger, insbesondere die Banken, können mit dieser Regelung zufrieden sein. Lediglich für die Geschäftsleiter ergibt sich eine missliche Lage. Jedoch verfügen Organe potentiell insolventer Gesellschaften (K. Schmidt: „… gottlob …“) über keine publizierende Lobby534).

307 Aus Insolvenzverwalterkreisen ist aber zu vernehmen, dass es der momentanen Ausgestaltung der Haftungsregelung vor allem an einer Goldenen Brücke zurück in die Legalität mangele: Geschäftsleiter, die bereits über einen längeren Zeitraum die Zahlungen i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG „angehäuft“ haben, scheinen aufgrund der Höhe der aufgelaufenen Zahlungsbeträge keine andere Wahl zu haben, als den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Einen sinnvollen Weg zurück biete die ___________ 532) Dazu zuletzt wieder K. Schmidt, NZG 2015, 129 (133); ders., ZHR 1175 (2011), 433 (435) mit Verweis auf das Doberlug-Urteil a. a. O., (436); ders., in Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.38; zum momentanen Vorgehen von Insolvenzverwaltern: K. Schmidt, GmbHR 2010, 1319 (1321 f). 533) Mit süffisanten Bemerkungen ausführlich dazu K. Schmidt, GmbHR 2010, 1319 (1322 f). 534) So mit markigen Worten K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (648); vgl. dazu auch K. Schmidt, GmbHR 2010, 1319 (1326); die Insolvenzverwalter-Szene scheint mit der aktuellen Regelung zufrieden zu sein: vgl. beispielsweise den Aufsatz zur Anrechnung der Gegenleistung von Haneke, NZI 2015, 499 (500 f), der selbst Insolvenzverwalter ist.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Rechtsprechung nicht an. Dies dürfte – so ist zu vernehmen – einer der wesentlichen Gründe dafür sein, dass Insolvenzantragstellungen teilweise über Jahre hinausgezögert würden. Eine gewisse – auch rechtspolitisch erwünschte – Abschreckungswirkung wird 308 man der aktuellen Rechtslage daher nicht absprechen können535). Doch rechtfertigt dies eine überzogene Haftung? Im ersten Teil der Arbeit wurde herausgearbeitet, dass die Haftung für Insolvenzverschleppung gerade keine Strafsanktion für das betroffene Leitungsorgan sein soll oder darf. Dafür sind die strafrechtlichen Insolvenzverschleppungsdelikte zuständig, die ja in § 15a Abs. 4 und 5 InsO und den Bankrottdelikten des Kernstrafrechts, §§ 283 ff StGB, von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellt werden. Also auch in diese Richtung besteht weder ein rechtspolitischer Handlungsspielraum noch ein ganzheitlich stringentes Systemverständnis der herrschenden Ansicht. Nach alledem gleicht die Diskussion im aktuellen System eher einem insolvenzrechtlichen „Wünsch-Dir-Was“ als einer nüchternen Diskussion. Und schließlich wird zu guter letzt auch kolportiert, dass neben die Haftung aus 309 § 64 S. 1 GmbHG ja die Insolvenzverschleppungshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO trete, die diese ergänze und weitere Schadensposten in sich aufnehme. Im nächsten Teil der Arbeit soll daher die Insolvenzverschleppungshaftung näher untersucht werden, und zwar insbesondere im Zusammenspiel mit der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG. Beide Haftungen sollen nach herrschender Konzeption ja ein einheitliches Bild ergeben. Dieses Konzept ist im Folgenden auf die Probe zu stellen.

IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO – eigenständiger Schadensersatz im Recht des Vermögensverlagerungsschutzes? 1.

Die Insolvenzverschleppungshaftung als zweites Standbein der Geschäftsleiter-Haftung

a) Die Insolvenzverschleppungshaftung im Konzept der herrschenden Meinung Das zweite (Haftungs-)Standbein der Geschäftsleiterhaftung ist die Insolvenzver- 310 schleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a InsO. Die ganz herrschende Meinung in Schrifttum und Lehre erkennt in der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO ein Schutzgesetz536), dessen Verletzung zu einem zivilrechtlichen Schadens___________ 535) Dies vertritt vor allem Richter am BGH Goette, ZInsO 2005, 1 (3 f); vgl. auch K. Schmidt, in Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.31. 536) Vgl. stellvertretend nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, vor § 64 Rn. 123 mit umfassenden Nachweisen; kritische Würdigung und weitere Nachweise unten bei IV.3.a.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

ersatzanspruch der Gläubiger gegen den Geschäftsführer führt. Diese deliktische Haftung ergänzt das Haftungskonzept des § 64 S. 1 GmbHG537). Die Geschäftsleiter haben sodann alle Schäden zu ersetzen, die den Gläubigern durch die Verzögerung der Insolvenzantragstellung über den in § 15a Abs. 1 InsO definierten 3-WochenZeitraum hinaus entstehen. Die wichtigsten Eckpunkte sollen hier kurz referiert werden, um in den weiteren Ausführungen sodann kritisch gewürdigt zu werden:

311 Nach weit überwiegender Meinung schützt die Insolvenzantragspflicht nicht lediglich die Alt- oder Neugläubiger, sondern beide Gruppen538): Die Altgläubiger sollen davor bewahrt werden, dass das Vermögen einer insolvenzeifen Gesellschaft in der Verschleppungsphase weiter dezimiert wird, die Neugläubiger (bzw. die „Allgemeinheit“) davor, Rechtsgeschäfte mit überschuldeten oder zahlungsunfähigen Gesellschaften einzugehen.

312 Die Insolvenzverschleppungshaftung ist eine Außenhaftung539) gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Lediglich deshalb, weil es sich beim Verschleppungsschaden nach h. M. um einen Gesamtschaden i. S. d. § 92 InsO handelt540), kann der Anspruch im Rahmen eines eröffneten Insolvenzverfahrens nicht von jedem Gläubiger, sondern nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Wird das Verfahren mangels Masse abgewiesen, kann jeder Gläubiger seinen individuellen Quotenschaden geltend machen.

313 In Bezug auf das Verschuldenserfordernis gibt es keinen relevanten Unterschied zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung: Für beide Fälle erforderlich, aber auch hinreichend ist leichte Fahrlässigkeit541). Nach BGH trifft den Geschäftsführer die Organisationsobliegenheit, dass er die Insolvenzreife erkennen kann542), insofern ist eine positive Kenntnis der Insolvenzauslösetatbestände nicht erforderlich. Nach h. M. ist der Geschäftsführer nur für solche Schäden ersatzpflichtig, die ihm „zurechenbar“ sind, die also spezifisch durch die Ver___________ 537) Mit ausführlicher Begründung, warum eine deliktische Haftung neben der ausdrücklich durch den Gesetzgeber angeordneten zivilrechtlichen Haftung möglich ist: Haas, NZG 2004, 737 (739); anders hatte noch das RG entschieden, das der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG Sperrwirkung für eine daneben bestehende deliktische Haftung bescheinigt hatte: RGZ 73, 30. 538) Vgl. dazu nur die beiden Leitentscheidungen des BGH: BGHZ 29, 100 = NJW 1959, 623 sowie darauf Bezug nehmend BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2224). 539) Für eine Innenhaftung auf derselben Haftungsgrundlage plädierend: Haas, ZIP 2009, 1257 ff. 540) Statt vieler: K. Schmidt, in K. Schmidt, InsO, § 92 Rn. 5 und 15 ff m. w. N. 541) Zur Insolvenzverschleppungshaftung BGHZ 75, 96 (111) = NJW 1979, 1823; vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 130; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 Rn. 69; ausführlich Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 126. 542) Vgl. BGH NJW 2011, 2427 (2429 Rz. 24) = ZInsO 2011, 970 zur fehlenden Kenntnis eines Organs von der Insolvenzreife BGHZ 143, 184 (185 f) = NJW 2000, 668; zur Beobachtungspflicht vgl. Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 Rn. 14 sowie generell zum Maßstab der Erkennbarkeit des Vorliegens eines Insolvenzantragsgrunds Rn. 69; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 130 m. w. N.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

schleppung aufgetreten sind543): Das Organ haftet also nur für Massekürzungen, die es veranlasst hat. Dieses Prinzip sehen manche Stimmen bei einem Schadensersatzmodell in Gefahr, da der Geschäftsleiter gewissermaßen der „Garant“ des Gesellschaftsvermögens werde544). Dass die Insolvenzverschleppungshaftung ein ganz „normaler“ deliktischer Anspruch 314 ist, zeigt auch die Verjährung: Es greift die Regelverjährung des BGB, nicht hingegen § 43 Abs. 4 GmbHG545). Der im Rahmen der der Insolvenzverschleppungshaftung zu ersetzende Schaden 315 wird berechnet aus der Sicht der Gläubiger: Sie sind durch den Ersatzanspruch so zu stellen, als ob der Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachgekommen worden wäre. Im Wesentlichen wird also ein Vermögensvergleich vorgenommen zwischen der erzielten Quote bei tatsächlicher Antragstellung (Ist-Quote) sowie der hypothetischen, zu Beginn des Verschleppungszeitraums erzielbaren Quote (Soll-Quote)546). Die herrschende Ansicht beruft sich dabei darauf, dass ein Unterschied in den 316 Normzwecken des § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzantragspflicht bzw. der Insolvenzverschleppungshaftung bestehe. Während die Schadensersatzhaftung wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht Gläubigerschäden kompensieren soll547), sollen die Zahlungsverbote „im Interesse einer Gleichbehandlung der Gläubiger eine Schmälerung der Masse nach Eintritt der Insolvenzreife ausgleichen“548). Worin aber der genaue Unterschied der Zwecksetzungen der beiden Haftungsregime bestehen soll, konnte bislang nicht griffig herausgearbeitet werden. Denn auch im Recht der Zahlungsverbote werden insolvenzbedingte Ausfallschäden dadurch ausgeglichen, dass Verstöße gegen die beiden Ziele Masseerhaltung und Gläubigergleichbehandlung geahndet werden. Letztlich sind diese beiden Ziele zusammen genommen nichts anderes als die Schutzziele der Insolvenzverschleppungshaftung. ___________ 543) Jetzt wieder BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 12). 544) Vgl. Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000. S. 415 (421 f), der sich kritisch mit dem Modell von Altmeppen auseinandersetzt und anmahnt, den Geschäftsführer träfen darin exzessive Haftungsfolgen. 545) BGH, NJW 2011, 2427 (2427 f Rz. 14) = ZIP 2011, 1007; Rz. 16 mit weiteren Hinweisen auf das Schrifttum, das wegen „funktioneller Nähe“ zu § 64 GmbHG eher §§ 64 S. 4, 43 IV GmbHG anwenden will. 546) Teilweise war noch strittig, ob der Schaden durch eine Gegenüberstellung lediglich des AktivVermögens zu Beginn und zum Ende der Verschleppungsperiode zu berechnen sei. Inzwischen geht die ganz h. M. jedoch davon aus, dass auch Verbindlichkeiten, mithin die Passivseite des Gesellschaftsvermögens in die Berechnung mit einzubeziehen ist: vgl. BGH NJW 1997, 3021 = ZIP 1997, 1542; Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (622 f); Poertzgen, Organhaftung, S. 283 ff. 547) BGHZ 126, 181 (194 f) = NJW 1994, 2220 (2222); vgl. zum Ganzen auch K. Schmidt, NZG 2015, 129 (130), der ein einheitliches Gläubigerschutzziel favorisiert. 548) So erst wieder BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (Rz. 9 m. w. N.).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

b) Abgrenzung zur Haftung für Zahlungen nach § 64 S. 1 GmbHG: Konkurrenzen nach Rechtsprechung und herrschender Lehre 317 Die zentrale Problematik liegt demnach in der Abgrenzung zwischen der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung. Diese Frage wird unter den Vertretern der Trennungslehren größtenteils gemieden oder nur angedeutet549). Der BGH ließ in seinen jüngeren Leitentscheidungen die Konkurrenz der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG zur Insolvenzverschleppungshaftung aus Mangel an Entscheidungserheblichkeit für die zu behandelnden Sachverhalte offen550). Es wird zwar die Möglichkeit angedeutet, dass der Quotenschaden der Altgläubiger durch den Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG beeinflusst wird. Insofern könne aufgrund der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aus § 64 S. 1 GmbHG der Quotenschaden sinken oder die zu erstattenden Zahlungen könnten mit hereingeholt werden551). Auch wurde die Möglichkeit angedeutet, dass der Insolvenzverwalter möglicherweise gehalten sei, Zahlungen i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG „gegen den nach § 64 I GmbHG [= § 15a InsO n. F.] haftenden Geschäftsführer […] aus dem Quotenschaden herauszurechnen.“

318 Dieser Überlegung stehen aber die oben bereits geäußerten Bedenken zum Nebeneinander verschiedener Schadensmodelle gegenüber: Aufgrund der Konzeption des mittelbaren Gläubigerschutzes bei § 64 S. 1 GmbHG kann die Schadensberechnung generell auf zwei Wegen erfolgen: Durch die Schadensursachen („Zahlungen“) oder durch die Auswirkung auf die Gesellschaft bzw. die Quote der Gläubiger. Beide Konzeptionen aber zu vermischen, führt unweigerlich zu Fehlern und Doppelbelastungen. Das Argument des BGH geht aber noch weitergehend fehl: Es besteht die Schwierigkeit, dass § 64 S. 1 GmbHG der Masse insgesamt zugute kommt, der nach § 823 Abs. 2 BGB auszugleichende Quotenschaden aber auf die Altgläubiger beschränkt sein soll552). Wie also die Erstattungsbeträge aus der Zahlungshaftung nach § 64 S. 1 GmbHG auf den Schadensersatzanspruch der Alt- und der Neugläubiger anzurechnen sind, ist völlig unklar. Die so konstruierte Konkurrenz zwischen Zahlungshaftung und Insolvenzverschleppungshaftung durch Rechtsprechung und herrschende Lehre kann daher nur als defizitär bezeichnet werden. In einer jüngeren Entscheidung begnügt sich der BGH sodann mit der Aussage, das ___________ 549) Vgl. Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 110; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 6: „nicht abgestimmter Dualismus von (Innen-)Haftung gegenüber der Gesellschaft (…) und (Außen-)Haftung gegenüber den Gläubigern“; ebenso Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 110. 550) BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2669); dazu ausführlich Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 (1183) mit umfassenden Nachweisen in Fn. 7; Poertzgen kommt zu dem Schluss, dass eine überzeugende Anspruchskonkurrenz letztlich gar nicht abgebildet werden könne. 551) Andeutungsweise bei BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2669); vgl. dazu Altmeppen/ Wilhelm, NJW 1999, 673 (674) sowie Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205). 552) Auch hierzu ausführlich Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (674); Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205).

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Organ hafte für Insolvenzverschleppungsschäden, die nicht in einer Verkürzung der Masse durch eine Zahlung bestehen, nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO553). Auch wurde in wissenschaftlichen Stellungnahmen bereits erörtert, dass beide Haf- 319 tungsstränge angeblich nicht zwingend zu gleichen Ergebnissen gelangen müssten: Trotz nach § 64 S. 2 GmbHG gerechtfertigter Zahlung könne im Rahmen der Insolvenzverschleppungshaftung ein Schaden vorliegen554). Insofern scheint es, dass die Schadensberechnung der Insolvenzverschleppungshaftung und die Bestimmung des Erstattungsbetrags nach § 64 S. 1 GmbHG wenig gemein haben und nur schwer miteinander zu vereinbaren sind. In der Praxis werden diese misslichen Ergebnisse nur dadurch „umgangen“, dass die Insolvenzverschleppungshaftung „totes Recht“ ist und – zumindest was den Quotenschaden der Altgläubiger anbelangt – nie geltend gemacht wird (dazu unten mehr).

2.

Die Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern

a) Die Abstufung zwischen Quotenschaden und Vertrauensschaden Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Konzeption der Rechtspre- 320 chung keinen einheitlichen Schadensersatzanspruch vorsieht. Zwar sei § 15a Abs. 1 InsO Schutzgesetz sowohl für die Alt-, als auch die Neugläubiger555). Was den Ersatz des jeweiligen Schadens angeht, gibt es den oben bereits behandelten Unterschied556), dass Altgläubiger auf den Quotenschaden verwiesen werden, während Neugläubiger auch den Ersatz des vollen negativen Interesses verlangen können557). Diese Unterscheidung scheint auf der Vorstellung zu beruhen, dass Altgläubiger durch die Insolvenzverschleppung lediglich eine Reduzierung ihrer Quote erdulden müssten: Der entscheidende Einsatzpunkt einer Haftung des Geschäftsleiters für die Verschleppung der Insolvenz ist das Vorliegen der Insolvenzreife. Bis zu diesem Zeitpunkt sei, so der BGH, kein Insolvenzdelikt begangen worden, eine etwaige vorher eingetretene Entwertung der bereits begründeten Forderungen falle grundsätzlich noch in den Risikobereich der jeweiligen Gläubiger558). Altgläubiger, also solche Gläubiger, deren Forderung bereits vor Insolvenzreife bestanden hat, er___________ 553) BGHZ 203, 218 = ZIP 2015, 71 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 12). 554) Ausführlich: Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (402 f). 555) Dies ist seit der Leitentscheidung BGHZ 29, 100 = NJW 1959, 623 weitgehend unstreitig; darauf nimmt der BGH insbesondere auch in BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2224) Bezug. 556) Eine rechtlich relevante Unterscheidung will der BGH trotzdem nicht erkennen: BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2223): Jedem Gläubiger werde genau der ihm entstandene Schaden ersetzt; zustimmend insofern Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 84; eine Ungleichbehandlung beider Gläubigergruppen jedoch annehmend Fleck, GmbHR 1974, 224 (235). 557) Vgl. nur Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 136; zum Ganzen auch Poertzgen, Organhaftung, S. 259 ff. 558) BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2223).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

leiden durch die Verschleppung der Antragstellung aber nur jenen Quotenschaden, also die Reduktion der Quote, nicht jedoch den vollen Erfüllungsschaden559). Der BGH setzt den Begriff des Quotenschadens mit dem des Gesamtgläubigerschadens gleich560).

321 Demgegenüber hat der BGH Neugläubigern den vollen Vertrauensschaden, den sie überhaupt durch eine vertragliche Bindung mit der insolventen Gesellschaft erleiden, zugebilligt561). Neugläubiger können demnach erstens nur solche sein, die mit der Gesellschaft in vertragliche Beziehung treten. Gesetzliche, insbesondere deliktische Gläubiger werden von der Rechtsprechung aus dem Begriff der Neugläubiger ausgeklammert562). Zweitens hat der BGH in einer folgenschweren Leitentscheidung 1998 klargestellt, dass Neugläubiger überhaupt keinen ersatzfähigen Quotenschaden hätten563). Ihr Schaden bestünde nur darin, überhaupt mit der Gesellschaft in geschäftlichen Kontakt getreten zu sein, mithin im negativen Interesse, nicht in einer Reduktion ihrer Quote. Das so ersatzfähige negative Interesse ist (in aller Regel) höher als der von den Altgläubigern geltend zu machende Quotenschaden564). Insbesondere ist aber der Neugläubigerschaden auch nicht vom Regelungsumfang des § 92 InsO erfasst: Mithin kann der Insolvenzverwalter das negative Interesse der Neugläubiger nicht geltend machen565). Er sei vielmehr sogar daran gehindert einen etwaigen Quoten- oder sonstigen Schaden der Neugläubiger überhaupt einzufordern und müsse diese Schadensposten aus seiner Forderung gegen das Leitungsorgan ausklammern.

b) Die Insolvenzverschleppungshaftung als „totes Recht“ 322 Realiter bedeuten diese Ausführungen den Todesstoß für die Insolvenzverschleppungshaftung. Bereits vor den beiden Leitentscheidungen zum Neugläubigerschaden war die Berechnung des Quotenschadens außerordentlich kompliziert und ist

___________ 559) Grundlegend zum Quotenschaden BGHZ 29, 100 (102 ff.) = NJW 1959, 623; zur Berechnung des Quotenschadens der Altgläubiger vgl. auch BGH NJW 1997, 3021 = ZIP 1997, 1542; OLG Stuttgart NJW 1989, 593 = GmbH 1989, 38 f; gegen das Bestehen eines sog. Quotenschadens generell Wilhelm, ZIP 1993, 1833 (1834). 560) Vgl. BGHZ 126, 181 (190) = NJW 1994, 2220; BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668). 561) Vgl. wiederum die Leitentscheidung BGHZ 126, 181 = 1994, 2220. 562) Umfassende Darstellung bei Fleischer, ZGR 2004, 437 (451 Fn. 80 m. w. N.). 563) In BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668); bestätigend BGHZ 171, 46 (52) = ZIP 2007, 676 = NZG 2007, 347; BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 = NZI 2008, 242 (Rz. 10). 564) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 136, der den Quotenschaden als ein Minus zum weiterführenden Individualschaden der Neugläubiger sieht. 565) In BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668); jetzt st. Rspr., vgl. z. B. BGH NJW 2011, 2427 = ZIP 2011, 1007.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

daher regelmäßig nicht geglückt566). Der Insolvenzverwalter müsste theoretisch vor Gericht schlüssig darlegen und notfalls beweisen, um welchen Betrag sich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger im Insolvenzverschleppungszeitraum verschlechtert haben. Diese Beweislast auf Seiten des Insolvenzverwalters ist schon deshalb misslich, weil in der Praxis der genaue Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife nicht bestimmt werden kann567). Geschweige denn kann ein exakter Quotenschaden berechnet werden. Der Insolvenzverwalter müsste zu genau jenen Zeitpunkten nämlich belegen, welche wertmäßigen Aussichten ein hypothetisches Insolvenzverfahren gehabt hätte und wie die jeweiligen Quoten sich infolgedessen durch die Insolvenzveschleppung reduziert hätten. Man müsste jeweils konkret durchspielen, welche Quoten im jeweiligen Zeitpunkt in einem Insolvenzverfahren zu erreichen gewesen wären und dabei insbesondere absonderungsberechtigte Forderungen, Massekosten und Masseschulden aussondern568). Das dürfte in der Praxis so gut wie keinen Erfolg haben. Erfolg hätte da allenfalls eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO569), die zumindest die Höhe des Schadens in das Ermessen des Gerichts stellen würde. Dieses bereits komplizierte Verfahren wurde nun aber durch die beiden Entschei- 323 dungen des BGH von 1994 und 1998 völlig ad absurdum geführt570): Denn nunmehr wären aus dem sowieso schon mit erheblichen Unbekannten zu errechnenden Schaden auch noch die Neugläubiger mit allen ihren Schadenskomponenten herauszurechnen. Dabei ist zunächst unsicher, wer überhaupt Neugläubiger ist. Dies bestimmt sich grundsätzlich danach, ob der jeweilige Gläubiger seine Forderung vor oder nach Insolvenzreife erlangt hat. Wo bislang über eine exakte Bestimmung des Zeitpunkts des Eintritts der Insolvenzreife hinweggegangen werden konnte, weil § 287 ZPO für das Bestehen und die Höhe des Schadens eine richterliche Schätzung zuließ571), besteht diese Möglichkeit nun nicht mehr: Denn für die Feststellung, ob ein Gläubiger überhaupt anspruchsberechtigt ist und durch den Insolvenzverwalter vertreten werden kann, ist die Schätzung nach § 287 ZPO nicht mehr zulässig. Jeder Neugläubiger, der sein negatives Interesse einklagt, und jeder Insolvenzverwalter, der auch im Prozess um den Altgläubiger-Quotenschaden be___________ 566) Vgl. dazu bereits K. Schmidt, JZ 1978, 661 (665): „beängstigende Schwierigkeiten der Schadensschätzung“; in dieselbe Richtung Müller, GmbHR 1994, 209 (212); selbst der BGH räumt dies ein: BGH NJW 1994, 2220 (2224); diese Schwierigkeiten bestehen auch weiter: SchmidtLeithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 81; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 134 ff, insb. 137. 567) Vgl. nur Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 134 ff m. w. N. 568) Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (622 f m. w. N.). 569) Vgl. zur Schätzung nach § 287 ZPO: K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1402); sehr kritisch gegenüber einer Schadensschätzung Poertzgen, Organhaftung, S. 281, Fn. 45 m. w. N. 570) Röhricht, ZIP 2005, 505 (508): Die Insolvenzverschleppungshaftung sei „toter Buchstabe“ geblieben. 571) Kritisch dazu wiederum Poertzgen, Organhaftung, S. 281 f; mehr dazu unten unter V.3.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

legen muss, wer Alt- und wer Neugläubiger ist, müssten also den exakten Zeitpunkt der Insolvenzreife darlegen und beweisen572). Und um der Chance auf die erfolgreiche Geltendmachung eines Anspruch noch den letzten Todesstoß zu versetzen, müsste der Insolvenzverwalter nunmehr auch noch aufzeigen, dass und wie er die Quotenschadensbestandteile der Neugläubiger aus dem Gesamtschaden herausgerechnet hat: Dazu müsste er den Quotenschaden der Altgläubiger basierend auf dem Gesellschaftsvermögen zum Zeitpunkt der Insolvenzreife ermitteln und für die Ermittlung der Soll-Quote der Altgläubiger in der Verschleppungsphase neu dazugekommene Vermögensgegenstände unberücksichtigt lassen. Insofern ist ein fiktives Sondervermögen zu bilden573), basierend auf dem Vermögen der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Insolvenzreife, das als Basis für die Berechnung des Quotenschadens der Altgläubiger herangezogen werden kann. Sprich: Die Berechnung ist ein Ding der nicht nur rechtlichen, sondern faktischen Unmöglichkeit. Auch bereits in dem der Leitentscheidung von 1998 zugrunde liegenden Fall war eine Beurteilung der Sachlage auf Basis des vorliegenden Zahlenmaterials nicht möglich574).

324 Gerade die Vertreter der Einheitslehren waren daher in den letzten Jahren stets bemüht, zu verdeutlichen, dass damit die Insolvenzverschleppungshaftung „totes Recht“ sei575). Soweit ersichtlich, hat bisher auch noch nie ein Insolvenzverwalter vor Gericht erfolgreich den Quotenschaden von Altgläubigern eingeklagt576). Anders sieht dies zwar bei den Neugläubigern aus, hier haben Klagen mehr Aussicht auf Er-

___________ 572) Vgl. nur Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 143 a. E.; dazu auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 131; vgl. auch Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (675). 573) Vgl. BGHZ 138, 211 (215) = NJW 1998, 2667; vgl. dazu auch Altmeppen, in Roth/ Altmeppen, vor § 64 Rn. 126; vgl. auch Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (675). 574) Insofern entlarvt sich der BGH selbst: BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2670): „Eine eigene Sachentscheidung über die Höhe des Altgläubigerschadens anhand des Zahlenmaterials in dem angefochtenen Urteil ist dem Senat wegen nicht hinreichender Feststellungen zur fiktiven Altgläubigerquote verwehrt. (…) Jedoch darf aus Rechtsgründen nur die “freie”, den damals vorhandenen Altgläubigern (als Konkursgläubigern) zur Verfügung stehende Masse berücksichtigt werden (…).“ 575) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, vor § 64 Rn. 126; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 143 a. E.; K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1402): Von § 92 InsO blieben damit nur die sehr seltenen Klagen nach § 60, 61 InsO übrig; demgegenüber steht der Wille des Gesetzgebers, dass die Insolvenzverschleppungshaftung ein wichtiger Teilbereich des § 92 InsO sei: Begr. RegE InsO zu § 103 des Entwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 139; die momentane Praxis beschränkt sich auf die Pfändung und Überweisung eines etwaigen Anspruchs aus § 64 S. 1 GmbHG: K. Schmidt, NZG 2015, 129 (130 Fn. 6 m. w. N.); ders., ZHR 168 (2004), 637 (641 f); Schanze, AG 1993, 380; G. Müller, GmbHR 1994, 209 (212); Röhricht, ZIP 2005, 505 (508). 576) Vgl. K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1402); ebenso Altmeppen, in Roth/Altmeppen, vor § 64 Rn. 126 sowie § 64 Rn. 33 ff; ders., ZIP 2001, 2201 (2203); dies räumt selbst Bundesrichter Strohn ein: Strohn, NZG 2011, 1161 (1162): Altgläubiger machten ihren Quotenschaden „selten“ geltend; Haas, ZIP 2009, 1257 (1260); Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (620).

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

folg577). Das liegt aber insbesondere daran, dass die Behauptung der Neugläubiger, ihre Forderung sei nach Insolvenzreife begründet worden, einfacher bewiesen werden kann, als die Altgläubigerstellung. Außerdem ist die Schadensberechnung ungleich leichter. Die Praxis hat sich gegen den „Ausfall“ der Insolvenzverschleppungshaftung da- 325 mit beholfen, nunmehr vermehrt auf § 64 S. 1 GmbHG zu setzen. Die Haftung für Zahlungsverbote ist in den letzten Jahren das Steckenpferd der Insolvenzverwalterszene geworden. K. Schmidt spricht von einer Erweckung des § 64 S. 1 GmbHG nach mehr als hundertjährigem „Dornröschenschlaf“578). Und in der Tat scheint die momentane Praxis die Insolvenzverschleppungshaftung – abgesehen von Neugläubigerschäden – gänzlich zu vernachlässigen und lediglich auf § 64 S. 1 GmbHG als zentralen Haftungstatbestand zu setzen579). Der wiederum dürfte dank seiner radikal einfachen Handhabung bei Geschäftsführern potentiell insolvenzgefährdeter Gesellschaften Angst und Schrecken auslösen: Denn bereits das Aufsummieren von Kontenbewegungen reicht, um die Beweislast für entlastende Tatsachen dem Geschäftsleiter aufzuerlegen. In Summe lässt sich festhalten, dass die Unterscheidung zwischen Alt- und Neugläubigern, also zwischen Quotenschaden und vollem negativem Interesse, der wesentliche Grund für die Unbrauchbarkeit der Insolvenzverschleppungshaftung ist. Doch ist diese Unterscheidung überzeugend?

c)

Insbesondere: Kein Quotenschaden für Neugläubiger?

i)

Stand in Wissenschaft und Rechtsprechung

Bei der Entscheidung, einen Quotenschaden der Neugläubiger abzulehnen, war der 326 BGH vor allem von der Vorstellung geleitet, dass Neugläubiger ihre Forderung ja in aller Regel nicht zu Anfang oder zum Ende des Verschleppungszeitraums, sondern zu irgendeinem Zeitpunkt dazwischen erwerben580). Geht man von einer kontinuierlichen, aber nicht linearen Verringerung des Gesellschaftsvermögens und damit auch der Quote im Laufe der Verschleppungsphase aus, so lässt sich nicht ohne Weiteres bestimmen, wie hoch die hypothetische Quote zu jenem Zeitpunkt der Forderungsbegründung war und wie hoch infolgedessen die Reduktion dieser Quote ab dem Zeitpunkt der Forderungsbegründung bis zum Ende der Verschleppungsphase ist. In früheren Entscheidungen war der BGH von der Vorstellung geleitet, dass auch die Neugläubiger einen „Quotenschaden“ zu verzeichnen hätten, ___________ 577) Vgl. dazu zum Beispiel BGH NJW 2007, 3130 = ZIP 2007, 1060 zur Kürzung eines Anspruchs einer Neugläubigerin und zur Vorteilsausgleichung; BGHZ 171, 46 = ZIP 2009, 676 = NZG 2007, 347 zu einem Konktokorrentkredit als Neugläubigerschuld sowie zur Kürzung der Neugläubigerschuld um die Insolvenzquote. 578) K. Schmidt, ZIP 2008, 1401 (1402). 579) K. Schmidt, NZG 2015, 129 (130). 580) BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668): dazu ausführlich die folgenden Ausführungen.

135

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

jedoch einen individuellen, der je nach Zeitpunkt der Forderungsbegründung für jeden Neugläubiger separat zu berechnen sei581). Diesen Standpunkt hat der BGH nun explizit aufgegeben: In BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668) formuliert der II. Zivilsenat: „Anders als bei den Altgläubigern, die infolge der Konkursverschleppung regelmäßig einen einheitlichen Quotenverringerungsschaden und insofern einen Gesamtgläubigerschaden erleiden […], besteht grundsätzlich kein einheitlicher Quotenschaden der Neugläubiger, der einer Geltendmachung durch den Konkursverwalter zugänglich wäre. Vielmehr müßte […] für jeden einzelnen Neugläubiger ermittelt werden, um wieviel sich dessen Quote ab dem Zeitpunkt der Begründung seiner Forderung durch die weitere Konkursverschleppung verringert hat, was in der Insolvenzpraxis nicht darstellbar ist […].“582) Im Folgenden geht der II. Zivilsenat insofern davon aus, dass Neugläubiger gar keinen relevanten Quotenschaden zu verzeichnen hätten bzw. am Gesamtgläubigerschaden nicht teilnehmen. Bei Einziehung eines Schadensersatzanspruches zur Masse erziele der einzelne betroffene Gläubiger überdies in der Regel nur eine „minimale Quotenaufbesserung“583). Nach Vorstellung des BGH lässt sich insofern nicht ohne Weiteres sagen, welcher „Anteil“ des Gesamtschadens auf den Zeitraum zwischen Begründung der Forderung des jeweiligen Gläubigers und dem tatsächlich erfolgten Insolvenzantrag entfällt. Insofern hätte jeder Neugläubiger einen anderen Quotenschaden. Der BGH schließt daraus, dass die Ansprüche der Alt- und der Neugläubiger etwas gänzlich anderes seien. Ansichten, die einen einheitlichen Anspruch für Alt- und Neugläubiger fordern, stellten eine petitio principii dar584). ___________ 581) BGHZ 29, 100 (104 ff., 107) = NJW 1959, 623; BGHZ 100, 19 (23 ff.) = NJW 1987, 2433; nur beiläufig zur AG: BGHZ 96, 231 (237) = NJW 1986, 837; in diese Richtung auch Flume, ZIP 1994, 337 (339), der meint, man müsste den Quotenschaden der Neugläubiger je nach Zeitpunkt der Forderungsbegründung neu berechnen und nicht alle Gläubiger gleichmäßig am Gesamtschaden teilnehmen lassen; dagegen Wilhelm, ZIP 1993, 1833 (1834), der konstatiert, mit diesem Vorgehen würde man lediglich den Vorwurf austauschen: Es stünde nicht mehr der Vorwurf im Raum, überhaupt mit der GmbH tätig gewesen zu sein, sondern im Zeitpunkt der Entstehung der Neugläubigerforderung immer noch nicht Insolvenzantrag gestellt zu haben; umfassende Nachweise zum Schrifttum zum Quotenschaden bei Neugläubigern in BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2221). 582) Mit Verweis bzgl. des Gesamtgläubigerschadens auf BGHZ 126, 181 (190) = NJW 1994, 2220; diese Argumentation übernimmt bzw. antizipiert ein Teil der Literatur: vgl. nur Wilhelm, ZIP 1993, 1833 (1834, 1836), der zu dem Ergebnis gelangt, dass der Quotenschaden der Altgläubiger und der Neugläubigerschaden etwas gänzlich anderes seien, da die Neugläubiger zum Zeitpunkt der Insolvenzreife noch gar nicht dabei gewesen sind; vgl. auch Uhlenbruck, ZIP 1994, 1153 (1155 f); Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (627): Es verstehe sich angeblich von selbst, dass der Betrag des Quotenschadens ausschließlich den Altgläubigern zur Verfügung gestellt werden dürfe, mit der Folge, dass eine Sondermasse zu bilden sei; zu letzterem vgl. auch Poertzgen, Organhaftung, S. 276 ff. 583) BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668). 584) BGHZ 138, 211 = NJW 1998, 2667 (2668) mit explizitem Bezug auf die Lehre von K. Schmidt; zustimmend Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, S. 710.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Kritik hat der BGH teilweise im Schrifttum erfahren: Einen Quotenschaden gebe 327 es auch für Neugläubiger, daher dürften beide Gläubigergruppen – zumindest was den Quotenverschlechterungsschaden angeht – nicht unterschiedlich behandelt werden585). Die Geltendmachung auch des Neugläubigerschadens müsse durch den Insolvenzverwalter möglich sein586). Insbesondere von K. Schmidt wurde vertreten, dass auch Neugläubiger in den „Quotenschaden“ mit einzubeziehen seien587). Dies ist insbesondere bedingt durch seine Konzeption eines einheitlichen Schadensersatzmodells auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO. Er argumentiert, der Gesamtgläubigerschaden bestehe daraus, dass das Vermögen der Gesellschaft im Insolvenzverschleppungszeitraum sinkt und dadurch am Ende der Verschleppungsperiode den Gläubigern eine geringere Quote zur Verfügung stehe als mit dem eigentlichen Eintritt der Insolvenzreife. Der Gesamtgläubigerschaden werde aber nur einmal verwirklicht, und zwar durch die Verschleppungshandlungen des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft588). Insofern bestehe nur ein einheitlicher, verschleppungsbedingter Gesamt-(Gläubiger-)Schaden, der der Gesellschaft gegenüber einheitlich ersetzt werden muss und auch nur für und zu Gunsten von Alt- und Neugläubigern festgestellt werden könne. Diese Argumentation stellt durchaus eine argumentative Basis zur Beseitigung des 328 unerwünschten Dualismus von Alt- und Neugläubigern dar. Dennoch ist sie im System von K. Schmidt nicht ganz konsistent: In seiner Version der Einheitslehre geht er von einer Außenhaftung auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB als alleiniger Anspruchsgrundlage aus, bei der die Gläubiger aktivlegitimiert sind. Nur wegen § 92 InsO wird der Anspruch vom Insolvenzverwalter gemeinschaftlich geltend gemacht. Zu dieser Sicht passt es nicht, wenn K. Schmidt von einem einheitlichen Anspruch spricht, der der Gesellschaft gegenüber nur einmal verwirklicht werde und daher einheitlich allen Gläubigern zugute kommen müsse. Vielmehr müsste auch bei der Begründung des einheitlichen Quotenschadens die Sicht der Gläubiger greifen – und bei dieser Sicht plädiert die ganz h. M. ja gerade für eine Unterscheidung von Alt- und Neugläubigern: Altgläubiger erleiden ihren Quotenverschlechterungsschaden gemeinschaftlich und gleichmäßig ab Eintritt der Insolvenzreife, die Neugläubiger hingegen erst ab dem Zeitpunkt der Forderungsbegründung – und damit individuell. Ein tauglicher Erklärungsansatz für eine Gleichbehandlung liegt nicht vor. ___________ 585) Ausführlich dazu Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 136; SchulzeOsterloh, in FS Lutter, 2000, S. 707 (720); Bork, ZGR 1995, 505, 512 ff; Poertzgen, ZinsO 2007, 285 (292); eher auf Linie der Rechtsprechung hingegen Wagner, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665 (1674 ff, insb. 1685). 586) Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (629 m. w. N.). 587) Vgl. die Ausführungen von K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 186, 187 sowie 192; ders., in Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.28; ders., ZIP 2005, 2177 (2179). 588) K. Schmidt, in Schmidt/Uhlenbruck, Rn. 11.27, 28 f; mit derselben Wertung auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 137 m. w. N.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

ii) Stellungnahme 329 Im Grunde offenbart sich hier dasselbe Problem, das bereits oben mehrfach angeklungen ist: Die Berechnung bzw. Begründung des Schadens kann aus zwei (bzw. sogar drei, dazu sogleich) Perspektiven berechnet werden: aus der Sicht der Schadensursachen, also insbesondere der „Zahlungen“ des Geschäftsführers und aus Sicht der Gläubiger in der Reduktion ihrer Quote589). Als „zwischengeschalteter“ Schritt, wenn man so will als dritte Betrachtungsweise, kann man auf das Gesellschaftsvermögen als Ganzes abstellen. Die Schadensauswirkungen sind also eigentlich ein zweigeteilter Schritt: Sie beziehen sich zunächst auf die Verringerung des Vermögens der Gesellschaft durch das nachgeschaltete Insolvenzverfahren, dann jedoch auch auf die Veränderung der Quote der Gläubiger – also eigentlich eine hintereinandergeschaltete „Schadenskaskade“. K. Schmidts Argumentation bezieht sich auf den ersten der beiden Schritte: Der Gesamtgläubigerschaden fällt bei der Gesellschaft einheitlich an, daher ist er auch als einheitlicher Schaden auszugleichen. Dem steht aber entgegen, dass die Insolvenzverschleppungshaftung den Anspruch jedem einzelnen Gläubiger zuspricht. Doch kann ein einheitlicher Quotenschaden für Alt- und Neugläubiger auch mit Blick auf die Schadensauswirkung auf Ebene der Gläubiger, also deren jeweilige Quotenverringerung begründet werden?

330 Zur Verdeutlichung der Problematik sei ein stark vereinfachtes Modell einer Insolvenzverschleppungsituation herangezogen. Beispielhaft werden auch prozentuale Quoten angeführt, die jedoch nur der Verdeutlichung und Klarheit dienen sollen und keinen praktischen Bezug aufweisen müssen.

331 Im Zeitpunkt der Insolvenzreife, also der objektiv vorliegenden Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung t0 habe die Gesellschaft einen einzigen Altgläubiger. Zum Zeitpunkt t0 sei die Insolvenzquote für diesen Gläubiger 70 %. Bei rechtmäßigem Verhalten des Geschäftsführers hätte der Gläubiger also eine Soll-Quote von 70 % seiner Forderung. Im Zeitraum von t0 bis t2 stellt der Geschäftsleiter trotz gegebener Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag und betreibt die Gesellschaft weiter. Am Ende der Verschleppungsphase, also zum Zeitpunkt t2 betrage die Insolvenzquote nur noch 20 %. Da nur ein Gläubiger vorhanden ist, beträgt der Quotenschaden bzw. der Gesamtgläubigerschaden 70 % – 20 % = 50 % der betreffenden Forderung. Diese Differenz hat der Geschäftsführer als insolvenzbedingten Verschleppungsschaden dem Altgläubiger zu ersetzen.

332 Dieses Modell wird nunmehr um einen Neugläubiger erweitert: Im Zeitpunkt t1, einem beliebigen Zeitpunkt zwischen t0 und t2, begründet der Geschäftsführer eine neue Verbindlichkeit, indem er mit einem Neugläubiger einen Vertrag über die ___________ 589) Vgl. Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 (1185), der ausführlich begründet, warum der auszugleichende Schaden – wie sogleich auszuführen sein wird – aus der Sicht der geschädigten Gläubiger zu ermitteln ist; dies reduziert er aber weitgehend auf die Frage nach der Einbeziehung von Neuverbindlichkeiten in den Schutzbereich der Haftung.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Lieferung von Ware schließt. Dieser Vertrag wird vom Neugläubiger sofort abgewickelt, d. h. die Ware wird geliefert, jedoch noch nicht bezahlt. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Lieferung der Ware wird die Bilanz der Gesellschaft erfolgsunwirksam verlängert. Durch den Wert der Ware erhöht sich das Gesellschaftsvermögen590). Dadurch steigt in diesem Zeitpunkt auch die Quote des Altgläubigers an. Fände unmittelbar nach der Lieferung der Ware eine Liquidation statt, wäre die Quote des Altgläubigers höher als unmittelbar vor t1. Gleichzeitig sinkt aber die Quote des Neugläubigers: Während der Neugläubiger bei einer Quote von 100 % „startet“, ist seine Forderung unmittelbar nach dem Vertragsschluss bereits gesunken591). Nachdem im Insolvenzverfahren alle gewöhnlichen Gläubiger, das schließt die Neugläubiger ein, gleichmäßig befriedigt werden und daher eine einheitliche Quote erhalten, ist eine juristische Sekunde nach Vertragsschluss die Quote von Alt- und Neugläubigern gleich: Genauer gesagt steigt die Quote des Altgläubigers in demselben Maße, wie die Quote des Neugläubigers fällt – jeweils im Verhältnis ihrer Forderungsanteile zueinander592). An dieser Stelle wird somit zunächst die These des BGH in Zweifel gezogen, beiden 333 Gläubigergruppen entstehe ein grundlegend anderer Schaden593). Denn es erscheint gar nicht nötig, den Schutzzweck der Insolvenzantragspflicht darin zu sehen, Neugläubiger vor jeglichem geschäftlichen Kontakt zur insolventen Gesellschaft zu bewahren. Der objektive Vorgang besteht zunächst darin, dass der Neugläubiger einen Vertrag schließt und ggf. bereits vorleistet, wobei seine Forderung bereits eine juristische Sekunde nach Vertragsschluss zu einem großen Teil entwertet ist594). Das schadensauslösende Moment in diesem Vorgang ist nicht bereits der Vertragsschluss an sich, sondern vielmehr die Entwertung der Forderung. ___________ 590) Diese Tatsache wird in der Literatur entweder übersehen oder zumindest in die Überlegung nicht einbezogen; Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (674 ff) und Altmeppen, ZIP 2015, 949 (955) sowie Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (411) erkennen die Bereicherung. Letztere ziehen hingegen den Schluss, dass die Gegenleistung bei der Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG nicht einbezogen werden dürfe; ebenfalls für eine Berücksichtigung des Zuflusses an Aktiva: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 709. 591) Ebenfalls mit dem Gedanken, dass die Neugläubigerforderung sich entwertet: Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, S. 709 unten. 592) Mathematisch lässt sich zeigen, dass die Altgläubiger-Quote im selben Maße steigt, wie die Neugläubigerquote sinkt. Alt- und Neugläubiger vereinnahmen gewissermaßen den Massezufluss in ihre Quote, der Altgläubiger jedoch zu seinem Vor-, der Neugläubiger zu seinem Nachteil. 593) Vgl. nochmals die Argumentation des BGH in BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2223), bei Wilhelm, ZIP 1993, 1833 (1834) und bei Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 84: der Schaden eines Altgläubigers sei etwas gänzlich anderes als der eines Neugläubigers. 594) Ebenfalls zweifelnd, dass der Schaden bei den Neugläubigern schon durch den Vertragsschluss an sich entsteht, sondern vielmehr erst mit der Einräumen von Waren- oder Geldkredit Müller, ZIP 1993, 1531 (1536).

139

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

334 Angenommen, die zum Zeitpunkt t1 eigentlich gegebene Insolvenzquote von 30 % ist durch die Lieferung der Ware auf 45 % gestiegen. Zum einen sinkt also, wie bereits gesagt, damit auch die Quote des Neugläubigers bereits eine juristische Sekunde nach Vertragsschluss auf 45 %. Zum anderen bereichert der Neugläubiger durch seine Leistung ja das Gesellschaftsvermögen, der Altgläubiger ist somit durch die Hereinnahme eines Neugläubigers besser gestellt als vorher (45 % statt 30 %).

335 Geht man davon aus, dass die Entwertung der durch den Neugläubiger gelieferten Ware sich in derselben Geschwindigkeit vollzieht, wie die Entwertung des sonstigen Gesellschaftsvermögens, kommt es zwischen t1 und t2 im Vergleich zur Situation ohne Neugläubiger-Leistung zu einer „Parallelentwicklung“: Die Quote im Szenario mit Neugläubiger ist im gesamten Zeitraum twischen t1 und t2 aufgrund der im Gesellschaftsvermögen befindlichen Leistung des Neugläubigers ein Stück höher als ohne diese Leistung. Im Folgenden soll davon ausgegangen werden, die Quote bei t2 sei nicht 20 % sondern 30 %. Sie sinkt also von 45 % in t1 auf 30 % in t2595). Betrachtet man nun die Ausgleichspflicht des Geschäftsführers aus der Insolvenzverschleppungshaftung, so kommt man zunächst zu einem etwas überraschenden Ergebnis: Bezieht man zunächst in die Quotenschadensberechnung lediglich den Altgläubiger ein, so scheint der Geschäftsführer besser zu stehen als vorher: Er muss nämlich nicht die Quote des Altgläubigers von 20 % auf 70 % aufbessern, sondern lediglich von 30 % auf 70 %. Der Gesamtquotenschaden sinkt somit.

336 Das vernachlässigt jedoch, dass der Geschäftsführer dem Neugläubiger gegenüber ja den Vertrauensschaden zu ersetzen hat596). Bei diesem wird ein etwaiger Gewinnanteil nicht eingerechnet, der Neugläubiger wird also nicht in Höhe von 100 % seiner Forderung erstattet, wohl aber liegt sein negatives Interesse in aller Regel wohl über der Quote zum Zeitpunkt t0. Der gegenüber dem Neugläubiger zu ersetzende Schaden auf das negative Interesse ist also in aller Regel höher als der Quotenschaden gegenüber den Altgläubigern. In den folgenden Überlegungen soll von einem negativen Interesse des Neugläubigers von 90 % ausgegangen werden. Der Geschäftsführer muss zum Altgläubigerschaden also auch den Individualschaden des Neugläubigers ausgleichen, er muss den Unterschiedsbetrag zwischen 30 % Insolvenzquote und 90 % der jeweiligen Forderung begleichen.

337 Was den dem Neugläubiger zugefügten Schaden betrifft, ergibt sich nach dem hier vorgestellten Modell folgendes Bild: Zunächst trifft durchaus zu, was der BGH in ___________ 595) Unberücksichtigt bleiben soll im Folgenden auch der Effekt, dass der Geschäftsführer durch die neugläubigerbedingte Aufbesserung der Quote die Insolvenz der Gesellschaft noch weiter verzögern kann. Dies ändert an der vorliegenden Argumentation de facto nichts. 596) Poertzgen, Organhaftung, S. 338 mit demselben Ergebnis: Würde man die Neugläubiger in den Quotenschaden mit einbeziehen, verliefe die „Trennlinie“ zwischen den verschiedenen Schadensersatzansprüchen anders. In der Summe der Haftungsbeträge würden beide Berechnungsmethoden auf denselben Schaden hinauslaufen.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

seinen Urteilen erwähnt: Der Quotenschaden des Neugläubigers hat primär einmal nichts mit dem Quotenschaden des Altgläubigers zu tun. Letzterer besteht in der Reduzierung der Quote von 70 % auf 20 % (bzw. unter Einschluss der NeugläubigerGegenleistung auf 30 %), während der Neugläubiger-Quotenschaden in der Verringerung der Quote von 45 % auf 30 % besteht, also von der allgemeinen Quote der Gesellschaft in t1 bis nach t2. Eine solche Betrachtung lässt jedoch außer Acht, dass in der juristischen Sekunde 338 nach Vertragsschluss bereits eine erste Entwertung der Forderung des Neugläubigers stattgefunden hat, und zwar im vorliegenden Beispiel von 90 % auf 45 %. Da dieser Schadensteil dadurch entsteht, dass der Gläubiger überhaupt mit einer insolvenzreifen Gesellschaft in Berührung gekommen ist, die eigentlich bereits aus dem Rechtsverkehr hätte entfernt werden müssen, geht der BGH ja davon aus, dass es sich bei dieser Reduktion von 90 % auf 45 % um etwas technisch anderes als einen Quotenschaden handeln müsse, mithin um den Individualschaden. Letztlich handelt es sich bei dieser anfänglichen Entwertung der Forderung aber um nichts anderes als um (1.) den von t0 bis t1 aufgelaufenen Quotenschaden des Altgläubigers (Reduktion von 70 % auf 30 %) plus (2.) die bereits vor Insolvenzreife bestehende anfängliche Entwertung der Forderung des Altgläubigers (Reduktion von 100 % auf 70 %). Diese Wertentwicklung, die sich beim Altgläubiger schon vor Insolvenzreife und sodann im Zeitraum von t0 nach t1 akkumuliert hatte, entsteht beim Neugläubiger in der juristischen Sekunde nach dem Vertragsschluss. Die sich in diesem Moment vollziehende Verringerung seiner Quote kann man insofern gedanklich aufspalten in einen Individualschadensanteil (Entwertung von 90 % bis 70 %) und einen Quotenschadensanteil (70 % bis 45 %)597). Letzterer fällt zwar in einem anderen Zeitpunkt an als beim Altgläubiger. Aber funktional handelt es sich um dieselbe Entwertung der Forderung. Richtigerweise fällt damit sowohl beim Alt- als auch beim Neugläubiger ein „Quoten- 339 schaden“ an. Es spricht zumindest nichts dagegen, die Quotendifferenz zwischen 70 % und 45 % als einheitlichen Quotenschaden sowohl des Alt-, als auch des Neugläubigers zu betrachten. Funktional sind die Schadenskomponenten bei Altund Neugläubigern gleich. Darüber hinaus hat der Neugläubiger einen weiteren, durch den überhaupt erfolgten Vertragsschluss ausgelösten Individualschaden von einer Reduktion seiner Quote von 90 % auf 70 %. Zudem ist wichtig festzuhalten, dass sich an der absoluten, vom Geschäftsführer zu 340 ersetzenden Summe durch eine Einbeziehung des Neugläubigers in den Quotenschaden der Gesellschaft nichts ändert. Klammert man Neugläubiger aus dem zu ersetzenden Quoten- bzw. Gesamtgläubigerschaden aus, muss man ihnen aber ___________ 597) Dieser Blickwinkel der Aufspaltung des Neugläubigerschadens stimmt insofern wieder mit dem Modell von K. Schmidt überein: vgl. K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 187 und 192.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

gleichzeitig einen höheren Individualschadensanteil ersetzen598). Egal ob man den Neugläubiger in den Quotenschaden mit einbezieht oder separat behandelt, muss am Ende des Schadenausgleichs der Altgläubiger mit 70 % seiner Forderung vergütet werden, der Neugläubiger mit 90 %. Gleichzeitig ist die Berechnung eines einheitlichen Quotenschadens aber deutlich einfacher als bei einer Aufspaltung des Schadens zwischen Alt- und Neugläubigern. Insofern erscheint es sinnvoll und aufgrund der funktionalen Ähnlichkeit zwischen Alt- und Neugläubigerschäden angezeigt, auch Neugläubiger in den Schadenausgleich beim Quotenschaden mit einzubeziehen. Dieser verdiente dann die richtige Bezeichnung des „Gesamtgläubigerschadens“599): Der ersatzfähige Schaden der Gläubigergemeinschaft besteht in der Höhe, in der das Vermögen der Gesellschaft durch die Verschleppung vermindert wurde.

341 Eine Verzerrung im dargestellten Haftungssystem entstünde aber, wenn eine der beiden Komponenten (aus welchen Gründen auch immer) nicht geltend gemacht würde600). Denn dann würde das Ausgleichssystem verzerrt: Kann beispielsweise der Quotenschaden des Altgläubigers nicht bewiesen werden, der Neugläubigerschaden hingegen schon, dann träte insofern die Verzerrung ein, dass dem Altgläubiger in der erhöhten Quote in t2 die Leistung durch den Neugläubiger zugute käme, der Geschäftsführer jedoch trotzdem gegenüber dem Neugläubiger das volle negative Interesse ersetzen müsste.

3.

Die Schutzzweckeigenschaft des § 15a InsO

342 Mit der Einbeziehung der Neugläubiger in den einheitlichen Gesamtgläubigerschaden ist aber per se noch nichts über den Umfang und die Rechtsgrundlage der Haftung des Geschäftsführers für die Insolvenzverschleppung gesagt. Richtigerweise sagen die angestellten Überlegungen noch nicht einmal etwas darüber aus, ob eine auf § 823 Abs. 2 BGB gestützte Haftung des Geschäftsführers überhaupt oder in dem von der Rechtsprechung vertretenen Umfang existiert. Bisher steht lediglich fest, dass der traditionellen Abgrenzung zwischen Alt- und Neugläubigern, was den Ersatz eines einheitlichen Gesamtgläubigerschadens anbetrifft, nicht zu folgen ist. Ob eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB insofern überhaupt existiert bzw. welche Gläubigergruppe sie schützt, ist eine davon abzugrenzende Frage, die im Folgenden erörtert werden soll. Nach der hier vertretenen Sicht hängt sie stark mit dem Konkurrenzverhältnis zwischen der Insolvenzverschleppungshaftung und ___________ 598) In diese Richtung sind wohl auch die Aussagen von Fleischer, ZGR 2004, 437 (451) zu verstehen, Altgläubiger profitierten von den Neugläubigern: „Ihnen den Schadensersatz zu verweigern, hieße, den Altgläubigern einen unverdienten windfall profit zuzuschanzen.“; zu diesem windfall profit auch Fleischer, ZIP 2005, 141 (151). 599) Zu diesem Begriff mit ausführlichen Nachweisen K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 637 (660, Fn. 92 m. w. N.). 600) Mit demselben Ergebnis auf anderer argumentativer Basis Poertzgen, Organhaftung, S. 276 ff.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

der Haftung für „Zahlungen“ nach § 64 S. 1 GmbHG zusammen. Denn mit dem hier vertretenen Ansatz ist der entscheidende Faktor das Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Haftungssystemen und die Frage, in welchem Umfang ein Schutz der Gläubiger bereits über § 64 S. 1 GmbHG gewährleistet wird. In den nachstehenden Überlegungen wird der Versuch unternommen, ein gesamtheitliches System im Recht des Vermögensverlagerungsschutzes abzuleiten.

a) Schutzzweckeigenschaft des § 15a InsO – Stand in Rechtsprechung und Literatur Die Eigenschaft der Insolvenzantragspflicht als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 343 BGB ist heute allgemeine Meinung und nur sehr vereinzelt bestritten601). Bereits in der Leitentscheidung BGHZ 29, 100 = NJW 1959, 623 von 1959 hat der BGH festgestellt, dass die Insolvenzantragspflicht einen zweifachen Sinn und Zweck habe: Die bereits vorhandenen Gläubiger der Gesellschaft sollen vor weiterer Verringerung des Haftungssubstrats geschützt werden, während der Geschäftsverkehr im Allgemeinen bzw. neue Gläubiger im Speziellen davor bewahrt werden sollen, mit eigentlich insolventen Gesellschaften vertragliche Verbindungen einzugehen und damit Nichterfüllungsschäden hinzunehmen602). Daraus wurde die Schutzwirkung sowohl hinsichtlich der Altgläubiger als auch der (vertraglichen) Neugläubiger abgeleitet603). Letztere erhielten jedoch lediglich einen individuellen Quotenschaden604): Ein weitergehender Schutz als der der Masseerhaltung sei nicht gewollt gewesen. Insbesondere sei das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit eines anderen im Geschäfts- und Wirtschaftsleben nicht geschützt. In der Entscheidung von 1994 präzisierte der BGH seinen Standpunkt, dass die Neugläubiger nunmehr das volle negative Interesse geltend machen könnten605). Die Schutzzweckeigenschaft ist insofern immer noch ganz h. M.606). Auch das MoMiG wollte an der bestehenden Rechtslage nichts ändern, man darf insofern von einer fortbestehenden ___________ 601) Ausführliche Zusammenstellung bei Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 2. 602) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, vor § 64 Rn. 57. 603) Vgl. die ausführliche Diskussion in BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2222); statt vieler: Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 79 sowie Rn. 84 Fn. 252 mit vielen Nachweisen. 604) BGHZ 29, 199 (104 ff, 106 f) = NJW 1959, 623. 605) BGHZ 126, 181 = NJW 1994, 2220 (2222); dem folgend BGHZ 138, 211 (214) = NJW 1998, 2667; BGH ZIP 2009, 1220 (1222) = NZG 2009, 750; die Reaktionen des Schrifttums sind umfassend abgebildet bei Poertzgen, GmbHR 2006, 1182 Fn. 4 m. w. N. 606) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 6, 131, 175, 176 jeweils mit weiterführenden Nachweisen; ders., ZHR 168 (2004), 637, 640, 659; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 1, 5 und Rn. 125 ff m. w. N.; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 6 Fn. 16 m. w. N.; Klöhn, in MüKo InsO, § 15a Rn. 11 ff; Wagner, in FS K. Schmidt, 2009, S. 1665 (1671 f); Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (619); Strohn, NZG 2011, 1161 m. w. N.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

Rechtslage ausgehen. Die Verlagerung von § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. in die InsO sollte also keinen Einfluss auf die Rechtslage haben.

b) Kritische Würdigung und Diskussion 344 Auch in der Literatur wird ganz überwiegend Zustimmung signalisiert607). Dies ist insofern nicht weiter verwunderlich, als sich die in der Literatur herrschenden Trennungslehren für ein Nebeneinander von Insolvenzantragspflicht und Zahlungshaftung aussprechen608) und daher kein wirkliches Konkurrenzverhältnis erkennen. Die Linie der Rechtsprechung wurde im Schrifttum aber teilweise auch kritisch gewürdigt. Die grundlegenden Argumente sollen im Folgenden nachgezeichnet werden:

345 Insbesondere von Ulmer wurde vertreten, mit dem Einbezug der Neugläubiger in das Haftungsregime der Insolvenzverschleppungshaftung schaffe die Rechtsprechung ein Schutzgesetz für die „Allgemeinheit“ bzw. gegenüber „jedermann“609). Denn geschützt werden nicht bestimmte oder zum Zeitpunkt der Insolvenzreife bestimmbare Gläubiger. Vielmehr sei es zu diesem Zeitpunkt gerade noch nicht absehbar, wer Neugläubiger werde610) – und infolgedessen kreiere die Auslegung ein Schutzgesetz zu Gunsten des allgemeinen Rechtsverkehrs, das es so bisher nicht gebe. Die Norm verliere ihre „erforderlichen Konturen“611). Neugläubiger würden erst durch die Anbahnung von vertraglichen Beziehungen Gläubiger der GmbH, sie sind insofern mit ihrem Einzelschaden keine individuell abgrenzbare Gruppe an Betroffenen, sondern Teil des Rechtsverkehrs und damit der Allgemeinheit. Daher können sie in den Schutzbereich der Vorschrift nicht einbezogen sein612).

346 Dem Argument von Ulmer ist jedoch entgegengehalten worden, dass die Neugläubiger eben zumindest retrospektiv betrachtet kein „jedermann“ seien, sondern bereits mit der Gesellschaft in vertragliche Verbindung gekommen sind613).

347 Die Schutzgesetzeigenschaft wird auch insofern der Insolvenzantragspflicht zunehmend abgesprochen, als sie eher den Bankrottdelikten (§§ 283, 283b StGB) zu___________ 607) Nachweise in den vorstehenden Fußnoten. 608) „Zweigleisiges Haftungsmodell“: vgl. nur Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 11; Arnold, in Henssler/Strohn, § 64 Rn. 5. 609) Ulmer, ZIP 1993, 769 (771 f); dem zustimmend Altmeppen, ZIP 2015, 949 (956), der meint, man würde insofern den Anwendungsbereich der Norm überdehnen. 610) So auch Altmeppen, ZIP 2015, 949 (955). 611) Ulmer, ZIP 1993, 769 (771 f). 612) Ulmer, ZIP 1993, 769 (771 m. w. N. in der linken Spalte unten): Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB müssten einen Individualschutzaspekt haben und dürften nicht lediglich die Allgemeinheit schützen. 613) Vgl. ausführlich Flume, ZIP 1994, 337 (340), der die Schutzgesetzeigenschaft für die Neugläubiger bejaht.

144

IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

gestanden wird614). Dabei handelt es sich bisher jedoch nur um Einzelstimmen. Teilweise wurde im Schrifttum auch vertreten, das Schutzgesetz des § 823 Abs. 2 BGB sei nicht der jetzige § 15a InsO, sondern vielmehr § 64 S. 1 GmbHG615) oder das Konkursdelikt des § 84 GmbHG616). Legt man hingegen mit der sogleich vertretenen Ansicht bereits § 64 S. 1 i. V. m. § 43 GmbHG als Schadensersatznorm aus, so bringt eine solche Ansicht keinen Erkenntnisgewinn. Wilhelm/Altmeppen hingegen lehnen als ersichtlich einzige die Schutzgesetzeigen- 348 schaft der Insolvenzantragspflicht gänzlich ab617) und weisen zutreffend darauf hin, dass sich das Grundsatzurteil des BGH von 1959 zwar zur Begründung der Schutzgesetzeigenschaft auf ein Urteil des Reichsgerichts vom 4.2.1910618) beruft, dieses aber inkorrekt wiedergibt619). Richtigerweise hat das Reichsgericht in dieser Entscheidung sich erstmals mit einer über § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. hinausgehenden Haftung auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB befasst und dabei festgestellt, dass § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. (= § 64 S. 1 GmbHG) abschließend sei. Die Insolvenzantragspflicht könne keinen weiter gehenden Schutz vermitteln. Insofern sei § 64 S. 1 GmbHG die einzige zivilrechtliche Rechtsfolge der Verletzung der Insolvenzantragspflicht. Ansonsten wäre die in § 64 S. 1 GmbHG explizit angeordnete Rechtsfolge überflüssig. Diese Argumentation überzeugt dem Grunde nach. Auf Grundlage der historischen Entwicklung erscheint die Schutzgesetzeigenschaft 349 auch bereits deshalb zweifelhaft, weil der historische Gesetzgeber ein Außenhaftungskonzept auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB schon denklogisch gar nicht im Blick gehabt haben konnte. Beim Erlass des GmbHG 1892 waren das BGB und

___________ 614) H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 208. 615) G. Müller, GmbHR 1994, 209 (insbesondere 211); in diese Richtung auch Altmeppen ZIP 2015, 949 (953), der meint, es dürfe – wenn überhaupt! – nicht nur der Insolvenzantragspflicht, sondern vor allem den Zahlungsverboten nach § 64 GmbHG Schutzgesetzeigenschaft zukommen. 616) Canaris, JZ 1993, 649 (650 f). 617) Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (679); Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205 f); ders., in Roth/ Altmeppen, § 64 Rn. 33: Die Anerkennung der Schutzzweckeigenschaft des § 15a InsO ist für ihn die „Wurzel des Übels“, dass sich ein „schlüssiges Konzept einer Insolvenzverschleppungshaftung für Alt-, Neu-, Vertrags- und Deliktsgläubiger nicht etablieren konnte“; in seiner letzten Stellungnahme ist möglicherweise ein Einlenken zu erkennen: vgl. Altmeppen, ZIP 2015, 949 (954 ff): Hier geht Altmeppen erstmals von der Schutzgesetzeigenschaft des § 15a InsO aus, in Fn. 42 betont er aber, die h. M. komme zum selben Ergebnis, was die konkrete Berechnung des Schadens anbelangt. Insofern komme es auf die Schutzgesetzeigenschaft nicht an; diese Sicht wird bestätigt in Altmeppen, in Anm. zu BGH ZIP 2016, 364 (367). 618) RGZ 73, 30, (35); dazu auch Haas, NZG 2004, 737 (739). 619) Vgl. nur Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (679); ebenso Altmeppen, ZIP 2015, 949 (953 Fn. 37 und 38 m. w. N.).

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

damit auch § 823 Abs. 2 BGB noch gar nicht existent620). Die Insolvenzverschleppungshaftung ist somit ein richterrechtliches Konstrukt, das der Gesetzgeber bei der grundlegenden Konzeption des GmbHG nicht im Sinn gehabt haben kann. Nun liefe es aber der gesetzgeberischen Konzeption zuwider, wenn dort, wo eine zivilrechtliche Haftung für einen Verbotstatbestand besteht, diese über § 823 Abs. 2 BGB blindlings erweitert würde. Im klassischen Fall von konkurrierenden Haftungen mag das unproblematisch sein. Vorliegend muss aber das vom Gesetzgeber intendierte Haftungsregime berücksichtigt werden: § 64 S. 1 GmbHG ist eine Innenhaftung. Wird diese vorschnell durch eine Außenhaftung über § 823 Abs. 2 BGB ergänzt, gerät das gesamte Haftungsgefüge aus den Fugen und es kommt zu den – inzwischen hinreichend dargestellten – Verwerfungen der nunmehr konkurrierenden Haftungsregime. Daher wird vorliegend die These vertreten, dass § 64 S. 1 GmbHG für eine Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB eine Sperrwirkung haben muss621).

350 In anderen Zusammenhängen ist der BGH insofern auch sehr vorsichtig, die im GmbHG geregelten Rechtsfolgen eines Verbotstatbestands zu umgehen: Bei einer Verletzung des aktienrechtlichen Verbots der Einlagenrückgewähr hat der II. Zivilsenat erst kürzlich entschieden, dass die Rechtsfolge im AktG abschließend sei und insofern keine Nichtigkeit i. S. d. § 134 BGB der zugrunde liegenden Rechtsgeschäfte in Betracht komme622). Und auch als Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB wird § 30 Abs. 1 GmbHG nach ganz herrschender Rechtsprechung nicht angesehen623). Gleiches gilt dem Grunde nach auch für § 43 GmbHG624). Somit erscheint es auch bei der Insolvenzverschleppungshaftung nicht ausgeschlossen, die Schutzgesetzeigenschaft nur für von § 64 S. 1 GmbHG nicht erfasste Teilbereiche anzunehmen625). ___________ 620) Dies gibt sogar der BGH selbst zu: BGHZ 126, 181 (195) = NJW 1994, 2220 (2223 m. w. N.); Wilhelm, ZIP 1993, 1833 (1835); Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 84; K. Schmidt, ZHR 175 (2011), 433 (439); ders., ZIP 2005, 2177 (2184); Poertzgen, Organhaftung, S. 256; a. A. hingegen Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 71 (85 ff m. w. N.), der darlegt, dass auch ohne eine § 823 Abs. 2 BGB vergleichbare Norm Rechtsfolgen der Verletzung der Insolvenzantragspflicht zu zeitigen gewesen wären, da Normen des gemeinen und partikularen Rechts dieses Vakuum gefüllt hätten. 621) In ebendiese Richtung auch Poertzgen, Organhaftung, S. 256: Ein Rückgriff auf § 823 Abs. 2 BGB müsse dann ausgeschlossen sein, wenn andere gesellschaftsrechtliche Haftungsgrundlagen vorhanden sind; gegen die Schutzgesetzeigenschaft spreche es, „daß das Gesetz in Form der Innenhaftungsregelungen im unmittelbaren Kontext der Antragspflichtnormen bereits ausdrückliche Haftungsregelungen normiert hat, die an das Verhalten des Organvertreters im Zustand eingetretener Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung anknüpfen. Insoweit ist der Rückgriff auf die deliktische Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB möglicherweise durch das Vorhandensein abschließender gesellschaftsrechtlicher Haftungsvorschriften gesperrt.“ 622) BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819 = NZG 2013, 496. 623) Vgl. BGHZ 110, 342 (359 f) = ZIP 1990, 578 (LS. 2 und Ziff. III der Gründe). 624) Vgl. nur Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673 (679); dazu jedoch sogleich mehr. 625) Anerkannt für die Insolvenzverschleppungshaftung ist insoweit auch, dass eine einschränkende Begrenzung auf den Schutzzweck der Norm stattzufinden hat: K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 180 bei Fn. 2.

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IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Nicht überzeugen kann angesichts dieser systematischen Argumente der Einwand, 351 § 64 S. 1 GmbHG intendiere ja lediglich ein Innenhaftungsmodell und gerade keine Direktansprüche der Gläubiger. Da § 64 S. 1 GmbHG demnach nicht abschließend sei, bleibe Raum für die Schutzgesetzeigenschaft und die Haftung über § 823 Abs. 2 BGB im Außenverhältnis626). Die Antragspflicht schütze insbesondere die Gläubiger, daher läge es nahe, die Insolvenzverschleppungshaftung als Außenhaftungsmodell zu betrachten. Diese Ansicht ist schon deshalb abzulehnen, weil damit ein Innenhaftungsmodell durch ein – rechtspolitisch genehmes – Außenhaftungsmodell ergänzt wird. Im Ergebnis ergibt sich daraus der Haftungsdualismus, vor dessen Unübersichtlichkeit und Folgen oben bereits hinlänglich gewarnt worden ist. Insofern bleibt das Argument: Wo der Gesetzgeber ein – möglicherweise durch ergänzende Auslegung zu schaffendes – Haftungsmodell eingeführt hat, darf nicht durch eine konstruierte Schutzzweckeigenschaft ein überlagerndes, aber eben nicht deckungsgleiches Außenhaftungsmodell nach § 823 Abs. 2 BGB eingeführt werden. Dies wiederum soll nicht als Argument missverstanden werden, eine Schutzgesetz- 352 eigenschaft bei der Insolvenzantragspflicht gänzlich abzulehnen. Die Argumentation zeigt aber, dass es bei der Diskussion um den Schutzgesetzcharakter weniger um dessen tatsächliche Verwirklichung in § 15a Abs. 1 InsO gehen kann, sondern vielmehr darüber nachgedacht werden muss, wie die zivilrechtliche Sanktion einer Verletzung der Antragspflicht auszusehen hat. Insofern ist danach zu fragen, inwiefern § 64 S. 1 GmbHG Schadensposten der Insolvenzverschleppungshaftung bereits abbildet und daher „Sperrwirkung“ entfalten kann.

c)

Sperrwirkung des § 64 S. 1 GmbHG gegenüber der Insolvenzverschleppungshaftung: Die Lösung des Konkurrenzverhältnisses

Insofern ist die Frage zu stellen, welche Schadens- bzw. Erstattungsposten sowohl 353 von § 64 S. 1 GmbHG als auch von der Insolvenzverschleppungshaftung abgebildet werden. Bei einer Deutung als Ersatzanspruch eigener Art ist die Überschneidung der Zahlungshaftung des § 64 S. 1 GmbHG mit der Insolvenzverschleppungshaftung so gut wie nicht abbildbar und völlig willkürlich. Dies liegt insbesondere an der anderen Berechnungsmethode hinsichtlich des verschleppungsbedingten „Schadens“, aber auch an grundlegenden Entscheidungen, die die herrschende Ansicht zur Auslegung des Tatbestands des § 64 S. 1 GmbHG trifft. Beispielhaft seien angeführt: 

Was die „Schäden“ durch reine Zahlungen des Geschäftsleiters zu Gunsten einzelner Gläubiger angeht, wird ein Erstattungsanspruch selbstredend von § 64 S. 1 GmbHG erfasst und muss entsprechend für die Insolvenzverschleppungshaftung gesperrt sein.

___________ 626) So Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 127.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes



Durch die Begründung neuer Verbindlichkeiten im Verschleppungszeitraum (Neugläubigerforderungen) werden die Befriedigungsaussichten der Altgläubigerforderungen verwässert, da die Haftungsmasse auf mehr Verbindlichkeiten aufgeteilt werden muss. Von § 64 S. 1 GmbHG wird dieser Effekt nicht erfasst – und soll stattdessen von der Insolvenzverschleppungshaftung aufgefangen werden. Wie jedoch aus einem einheitlichen Quotenschaden der Altgläubiger ein solcher Effekt „herausgerechnet“ werden soll, ist völlig unklar. Sollte der Neugläubiger bereits vor Insolvenzantrag geleistet haben könnten die Altgläubiger sogar besser stehen, als ohne das Dazukommen eines Neugläubigers. Der wirtschaftliche „Effekt“ der Begründung einer Neuverbindlichkeit ist somit nicht genau vorhersehbar und von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Dieser Effekt kann auch nicht sinnvoll aus einem Gesamtschaden herausgerechnet werden, um ihn aus dem Überschneidungsbereich zwischen der Zahlungshaftung und der Insolvenzverschleppungshaftung auszusondern.



Die Entwertung der Masse im Verschleppungszeitraum, insbesondere durch Verluste des goodwill oder durch konjunkturelle und wirtschaftliche Schwankungen ist ein Schadenbestandteil, der im Quoten- bzw. Gesamtgläubigerschaden bei der Insolvenzverschleppungshaftung abgebildet wird, nicht jedoch bei § 64 S. 1 GmbHG. Insofern entfaltet § 64 S. 1 GmbHG diesbezüglich auch keine Sperrwirkung.



Vermögensmehrungen durch die Geschäftstüchtigkeit und Sanierungsbemühungen des Geschäftsführers werden beim Zahlungsbegriff des § 64 S. 1 GmbHG allenfalls im Rahmen der direkten Gegenleistung erfasst. In diesem Rahmen hätte § 64 S. 1 GmbHG insofern Sperrwirkung gegenüber der Insolvenzverschleppungshaftung. Bei komplizierten Produktions- oder Vertriebsprozessen greift aber eine solche enge Sicht nicht – man denke nur an die Tätigkeit von Außendienstmitarbeitern zum Vertrieb von Produkten: Hier kann man schlechterdings von einer Gegenleistung sprechen. Die Sperrwirkung des § 64 S. 1 GmbHG greift also einen kleinen Bruchteil aus dem Spektrum der Insolvenzverschleppungshaftung heraus, müsste in diesem Rahmen also aus deren Schutzbereich ausgeklammert werden.

354 Diese Beispiele zeigen: Mit dem herkömmlichen Modell des Erstattungsanspruchs sui generis ist eine Abgrenzung zur Insolvenzveschleppungshaftung nicht überschneidungsfrei in den Griff zu bekommen.

355 Eine sinnvolle Abgrenzung wäre allenfalls dann denkbar, wenn man § 64 S. 1 GmbHG als Schadensersatznorm ansieht und dieser einen klar definierten Schutzumfang zuweist. Eine solche Sicht wurde auch bisher in dieser Arbeit bereits befürwortet. Bei der Abgrenzung der beiden Haftungsnormen zeigt sich jedoch die nochmalige Notwendigkeit eines solchen Schritts, um ein konsistentes Haftungssystem zu erreichen:

148

IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Altmeppen legt in seinem Haftungssystem den Begriff der Zahlung als Gesamtver- 356 lust pro rata temporis aus627). Damit verlässt er den Blick auf die einzelnen Zahlungen und begründet den Ersatzanspruch aus dem Blickwinkel des Vermögensverlusts der Gesellschaft und damit im verschleppungsbedingten Verlust der Gläubigergemeinschaft. Damit ist sein Gesamtverlust pro rata temporis im Ergebnis nichts anderes als der oben definierte Gesamtgläubigerschaden, nämlich der gesamte Quotenschaden der Alt- und Neugläubiger. Insofern besteht der Schadensersatz auf Basis des § 64 S. 1 GmbHG richtigerweise aus dem Vergleich zweier Vermögenslagen: Es muss die hypothetische Soll-Quote zur Zeit der Insolvenzreife gebildet werden. Diese Quote muss nunmehr für alle zum Zeitpunkt der Antragstellung, also auch für die Neugläubiger erreicht und notfalls durch den Geschäftsleiter aufgestockt werden. Dies entspricht einem einheitlichen Gesamtgläubigerschaden unter vollständiger Einbeziehung der Neugläubiger628). In dieser Arbeit wird dafür plädiert, die Sicht auf die einzelnen Zahlungen zu ver- 357 lassen und stattdessen bereits im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG einen einheitlichen Gesamtgläubigerschaden zu ersetzen. Dass dies bei entsprechender Auslegung vom Wortlaut der Norm gedeckt ist und im Ergebnis ein konsistentes Ersatzsystem begründet, wurde oben schon ausführlich an den einzelnen Bereichen gezeigt. Vorliegend zeigt sich jedoch der wichtigste Vorteil einer solchen Betrachtung: Ein Schadensersatzmodell bei § 64 S. 1 GmbHG wirft einen umfassenden Schadensersatz aus und ermöglicht eine präzise Abgrenzung zur Insolvenzverschleppungshaftung: § 64 S. 1 GmbHG würde nämlich alle Gesamtgläubigerschäden ausgleichen, also solche Schäden, die der Geschäftsleiter durch die Insolvenzverschleppung gegenüber der Gesellschaft ausgelöst hat. Dies ist insofern stimmig, als es einen Quotenschaden, also den Verlust im Wert des Gesellschaftsvermögens, eben nur einmal und nur im Verhältnis zwischen Geschäftsleiter und Gesellschaft gibt. Die Gläubiger sind insofern eben nicht unmittelbar, sondern nur als Reflex geschützt. Diese Wertung ist dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG nach einer Innenhaftung zu entnehmen. Das Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes wird beibehalten629). Scheidet man die bereits von § 64 S. 1 GmbHG solchermaßen „abgedeckten“ An- 358 wendungsgebiete aus dem Schutzbereich des § 15a Abs. 1 InsO aus, dann bleiben von der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB nur noch die den allgemeinen Gesamtgläubigerschaden übersteigenden Individualschäden der Neugläubiger übrig. Die Schutzwirkung der Insolvenzverschleppungshaftung ist insofern von der Zahlungs___________ 627) Nachweise bei der Darstellung der verschiedenen Deutungsansätze von § 64 S. 1 GmbHG, vgl. III.1.a. 628) Die Formel des BGH zur Berechnung des Quotenschadens klammert insofern Neugläubiger komplett aus der Berechnung aus: vgl. die Darstellung bei Poertzgen, Organhaftung, S. 276 f. 629) Gerade anders das Modell von K. Schmidt, der entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG eine Innenhaftung völlig verneint.

149

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

haftung des § 64 S. 1 GmbHG im Hinblick auf den Gesamtschaden der Gläubigergemeinschaft gesperrt und liefert richtigerweise lediglich einen Anspruch für die Neugläubiger für ihren, über den Quotenschaden hinausgehenden Individualanspruch. Die Altgläubiger sowie die Neugläubiger hinsichtlich ihres Gesamtschadensanteils werden bereits vom Schutz der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG erfasst und müssen über die Insolvenzverschleppungshaftung nicht mehr geschützt werden.

359 Insofern bestünde für die Altgläubiger (und auch für die Neugläubiger in Höhe ihres Gesamtschadensanteils) keine Außenhaftung für den Geschäftsführer mehr. Wie Haas jedoch ausführlich gezeigt hat, stellt dies in praxi keinen ernst zu nehmenden Verlust für die Befriedigungsaussichten der Gläubiger dar630).

360 Eine solche These ist auch mit den in Teil B dieser Arbeit erarbeiteten Schutzzwecken konform: Dort wurden die für § 64 S. 1 GmbHG und die Insolvenzverschleppungshaftung charakteristischen Schutzzwecke dargestellt. Was den sehr unspezifischen Schutzzweck der Masseerhaltung angeht, ergibt sich eine Überschneidung zwischen den beiden Haftungsgrundlagen. Die gleiche Behandlung der Gläubiger ist beiden Haftungstatbeständen immanent, gleichwohl liegt der Schwerpunkt eindeutig bei § 64 S. 1 GmbHG. Lediglich was den Schutz der Allgemeinheit vor dem Rechtsverkehr mit insolventen Gesellschaften angeht, also die Herausnahme von solchen Gesellschaften aus dem Rechtsverkehr, übersteigt der Zweck der Insolvenzantragspflicht eindeutig die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG. Daher ist es konsistent, die Verletzung von daraus resultierenden Individualansprüchen der Neugläubiger konsequent auszusondern und der Insolvenzverschleppungshaftung zu unterwerfen, während die anderen Schutzzwecke von § 64 S. 1 GmbHG ebenso gut erfüllt werden können.

361 Gegenüber dem Schadensersatzkonzept von K. Schmidt631) ergeben sich so deutliche Unterschiede: Er plädiert dafür, den aus seiner Sicht einheitlichen Quotenschaden der Alt- und Neugläubiger ausschließlich über die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB abzuwickeln und darüber hinausgehende Neugläubigerschäden über culpa in contrahendo auszugleichen. Dies missachtet aber den eindeutigen Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG. Ein (quasi) Innenhaftungsanspruch entsteht bei ihm lediglich dadurch, dass die Außenhaftungsansprüche der Gläubiger gegen den Geschäftsleiter im Insolvenzverfahren nach § 92 InsO nicht individuell geltend gemacht werden können. Insofern war das gesetzgeberische Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes ein anderes – und es erscheint nicht zwingend geboten, von diesem Konzept abzuweichen. ___________ 630) Haas, GmbHR 2010, 1 (7 f), mit einem Vergleich der Insolvenzverschleppungshaftung als Ergänzung zu § 64 S. 1 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung als Ergänzung zu § 64 S. 3 GmbHG; ebenso: ders., ZIP 2009, 1257 ff, mit dem Ergebnis, dass die Haftung aus Insolvenzverschleppung genauso gut auch im Innenverhältnis erfolgen könnte. 631) Vgl. nur K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 186, 187.

150

IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

d) § 15a Abs. 1 InsO als Schutzgesetz lediglich für die Neugläubiger Für das hier vorgeschlagene Modell der Liquidation des Gesamtgläubigerschadens 362 über § 64 S. 1 GmbHG und einer ergänzenden Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO sprechen darüber hinaus weitere praktische Gründe und SchutzzweckÜberlegungen: Zunächst beseitigt das Modell alle im Konzept der herrschenden Meinung angeleg- 363 ten Nachweisprobleme: Denn einen exakten Zeitpunkt der materiellen Insolvenz bräuchte es „nur“ noch für die Bestimmung des Wertes der Masse zu diesem Zeitpunkt, also für die Bestimmung der Soll-Masse. Irrelevant wäre eine solche Unterscheidung jedoch für die Aussonderung der Neugläubiger. Eine eingehende Darstellung der Berechnung des Schadens erfolgt sogleich im Anschluss. Hier kann jedoch bereits festgehalten werden, dass eine Schadensschätzung über § 287 ZPO erfolgen könnte. Nachdem im vorliegenden System der (schwierig zu beweisende) Zeitpunkt der tatsächlichen Insolvenzreife Auswirkung lediglich auf die Höhe des Schadens hat, nicht mehr jedoch auf den Kreis der Anspruchsberechtigten, könnte die Höhe des Schadens ins Ermessen des Gerichts gestellt werden632). Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass die gesetzgeberische Wertung der In- 364 solvenzantragspflicht eine Trennung der Risikosphären vornimmt: Gläubiger einer haftungsbeschränkten Gesellschaft tragen das Risiko eines Forderungsausfalls bis zum Eingreifen der Insolvenzreife. Zu diesem Zeitpunkt geht das Risiko, mit den Geschäften der Gesellschaft Verluste zu erzielen und eine Verringerung der Werthaltigkeit der Forderung zu zeitigen auf die haftenden Geschäftsführer über. Forderungsausfälle bzw. die Verringerung in der Werthaltigkeit von Forderungen gehen bis zum Zeitpunkt der Insolvenzreife aber zulasten der jeweiligen Gläubiger. Insofern bestehen – einmal abgesehen von Betrugstatbeständen – auch keine anderweitigen Haftungsgrundlagen, durch die sich Gläubiger unschädlich halten könnten. Aus dieser Konzeption lässt sich ableiten, dass die Reduzierung der Werthaltigkeit 365 von Altgläubigerforderungen kein primäres Ziel der Insolvenzantragspflicht sein kann. Wäre das anders, müsste die Entwertungsgefahr für Altgläubigerforderungen bereits von Anfang an, also bereits bei der ersten Gefahr der partiellen Uneinbringlichkeit auf die Geschäftsführer übergehen. Die Praxis zeigt aber, dass auch bei ordnungsgemäßer Insolvenzantragstellung und Durchführung des Insolvenzverfahrens die Gläubiger in aller Regel bereits erhebliche Abschläge hinzunehmen haben. Im Übrigen gilt für die Altgläubiger – anders als für die Neugläubiger, die ja eigent- 366 lich mit der betreffenden Gesellschaft gar nicht mehr in geschäftlichen Kontakt gekommen sein sollten – ein zusätzlicher Aspekt: Bei Eintritt der Insolvenzreife ___________ 632) Vgl. dazu K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 193 a. E. sowie 199 a. E., in dessen Schadensersatzmodell sich derselbe Vorzug ergibt; kritisch gegenüber einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO hingegen Poertzgen, Organhaftung, S. 290 ff.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

haben die Altgläubiger bereits eine erhebliche Entwertung ihrer Forderung hinnehmen müssen, für die sie sich nicht unschädlich halten können. Jedoch ist nicht ausgeschlossen und in der Praxis wohl auch gar nicht so selten, dass durch die Weiterführung der Geschäftstätigkeit die Quote der Gläubiger sogar wieder steigt. Wenn also durch die verschleppungsbedingte Geschäftstätigkeit das Gesellschaftsvermögen bereichert wird und dadurch die Altgläubiger sogar besser stehen können, erscheint es keineswegs zwingend, die Altgläubiger in den Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht in gleicher Weise einzubinden wie die Neugläubiger. Aus dieser Perspektive ist es folgerichtig, dass § 15a InsO nur die Gläubiger schützt, die mit der Gesellschaft überhaupt nicht in Beziehung gekommen wären, wenn rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt worden wäre.

367 Schließlich ergibt sich ein weiteres Argument beim Blick auf die Situation eines mangels Masse nicht eröffneten Insolvenzverfahrens: Wird das Verfahren mangels Masse nicht eröffnet, so hätte jeder Altgläubiger nach h. M. nach wie vor seinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, den er individuell gegen den Geschäftsführer vollstrecken könnte. § 92 InsO greift ja außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht.

368 Ein solcher Schaden dürfte aber praktisch noch viel weniger berechenbar sein als der vom BGH vertretene Gesamtgläubigerschaden unter Ausschluss der Neugläubiger633). Oben wurde bereits gezeigt, welche unüberwindbaren Hürden dieser Berechnung entgegen stehen. Würde man nun in der masselosen Insolvenz Ersatzansprüche auf den individuellen Quotenschaden der Alt- und womöglich sogar der Neugläubiger zulassen, wäre die Insolvenzverschleppungshaftung wiederum toter Buchstabe.

369 Bei einer ganzheitlichen Abwicklung über § 64 S. 1 GmbHG wäre dies anders: Dann könnte zwar jeder Gläubiger wegen seiner Forderung in den einheitlichen Gesamtgläubigeranspruch vollstrecken. Dies führt zwar dazu, dass die verbleibende Masse sehr unterschiedlich auf die Gläubiger aufgeteilt wird und einem Windhundrennen um den schnellsten Vollstreckungszugriff Vorschub geleistet wird. Dies ist jedoch unausweichliche Folge der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens: Eine gleichmäßige und ranggerechte Befriedigung der Gläubiger, § 1 InsO, gibt es nicht mehr. Der Vorteil wäre nun aber, dass in den jeweiligen Verfahren der Anspruch der Gesellschaft auf Ausgleich des Gesamtgläubigerschadens nach § 64 S. 1 GmbHG gesamtheitlich festgestellt werden kann634). Damit würden dann auch außerhalb des Insolvenzverfahrens dieselben Berechnungsmethoden greifen, wie sie im nächsten Abschnitt dargestellt werden. Daher erscheint eine sachgerechte Beurteilung auch im Rahmen der masselosen Insolvenz gewährleistet, die ansonsten nicht gegeben wäre. ___________ 633) Mit dieser Wertung auch Haas, NZG 2004, 737 (745). 634) Vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 169.

152

IV. Die Insolvenzverschleppungshaftung als eigenständiger Schadensersatz?

Es erscheint daher folgerichtig, wenn der Schutz der Altgläubiger lediglich im In- 370 nenverhältnis erfolgt und über § 64 S. 1 GmbHG abgewickelt wird. Nur die Gläubiger, die im Zeitpunkt der Insolvenzreife noch gar nicht Gläubiger der Gesellschaft waren, erleiden einen darüber hinausgehenden Schaden – der insofern auch individuell auszugleichen ist. Eine solche Konzeption würde das ursprüngliche, vom Gesetzgeber intendierte Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes umsetzen: Die (Alt-)Gläubiger erleiden durch die Insolvenzverschleppung lediglich einen Reflexschaden. Es ist durchaus die Intention des Gesetzgebers, sie zu schützen, dies jedoch lediglich vermittelt durch die Gesellschaft. Unmittelbar geschützt ist eben lediglich das Gesellschaftsvermögen635). Im Ergebnis lässt sich daher festhalten, dass der Insolvenzantragspflicht keine 371 Schutzwirkung für die Altgläubiger zuerkannt wird. Eine Haftung auf Basis des § 823 Abs. 2 BGB für Altgläubigerschäden ist somit abzulehnen. Schutzwirkung und damit eine Haftung kann insofern nur den Neugläubigern zukommen – und auch dort muss die Haftung zum Gesamtschadensersatzanspruch aus § 64 S. 1 GmbHG nachrangig sein: Die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB wegen Insolvenzverschleppung erfolgt lediglich in Höhe des den Gesamtgläubigerschaden übersteigenden Individualschadensanteils. Der Schutzzweck der Insolvenzverschleppungshaftung besteht insofern lediglich für die Neugläubiger und für diese auch nur insoweit, als die durch die Verschleppung der Insolvenz spezifische Schädigungen erleiden. Diese bestehen bei Neugläubigern nicht lediglich in Höhe des „normalen“ Risikos einer Insolvenzverschleppung und der damit verbundenen Masseverminderung und Gläubigerungleichbehandlung, sondern vielmehr darin, dass eine rechtsgeschäftliche Beteiligung der Neugläubiger an der Gesellschaft gar nicht mehr hätte erfolgen dürfen, sie somit einen zusätzlichen individuellen Schaden gerichtet auf das negative Interesse erleiden.

4.

Zwischenergebnis: Integriertes Konzept aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung

Nimmt man all diese Bestandteile zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Der Ge- 372 schäftsführer haftet einheitlich für den umfassenden Gesamtgläubigerschaden über § 64 S. 1 GmbHG. Dieser besteht in der Verringerung des Gesellschaftsvermögens zwischen Insolvenzreife und tatsächlicher Antragstellung, gleicht also den einheitlichen Quotenschaden sowohl der Alt-, als auch der Neugläubiger aus. Nach der Einziehung dieses Schadensersatzes auf Ebene der Gesellschaft erhalten sowohl Alt-, als auch Neugläubiger die Soll-Quote.

___________ 635) Mit dieser Wertung im Ergebnis auch: G. Müller, ZIP 1993, 1531 (1536), der insbesondere auf die Abgrenzung von Reflexschäden und Eigenschäden der Gläubiger abstellt; ders., GmbHR 1994, 209 (210 f).

153

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

373 Zusätzlich haftet der Geschäftsführers gegenüber den Neugläubigern aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO auf ihren über den Quotenschaden hinausgehenden Individualschaden, d. h. das negative Interesse.

374 Ein solches Ersatzsystem verteilt auch die Risikosphären sachgerecht und vermeidet Doppelprozesse (Prozessökonomie): Was den Gesamtgläubigerschaden angeht, wird nur ein Prozess durch den Insolvenzverwalter geführt werden – hier geht es aber ja auch um die Verschleppung der Insolvenz als solcher, ergo um einheitliche und für alle Gläubiger gleiche Tatsachen. Was die Darlegung und den Beweis des überschießenden Neugläubigerschadens angeht, ist es sachgerecht, wenn jeder Neugläubiger einen eigenen Prozess zu führen hat. Denn die Stellung als Neugläubiger hängt ja vom individuellen Erwerbszeitpunkt der Forderung ab. Zudem ist das negative Interesse für jeden Neugläubiger anders. Das kann schlussendlich nur in individuellen Prozessen geklärt werden.

375 Was aber die Insolvenzverschleppung als Ganzes angeht, so findet eine Gesamtliquidation des einheitlichen Gesamtgläubigerschadens auf Ebene der Gesellschaft statt. Dies erfolgt einheitlich über eine Schadensersatzhaftung aus § 64 S. 1 GmbHG. Wie diese Haftung genau auszusehen hat, wie der Schaden zu berechnen ist und auf welcher Rechtsgrundlage sie erfolgt, ist im nächsten Abschnitt zu untersuchen.

V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs im Recht der Vermögensverlagerung 376 Bisher wurde vorrangig das Verhältnis zwischen der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung diskutiert. Daher wurde auch ohne weitere Begründung die Anspruchsgrundlage der Zahlungshaftung unmittelbar in § 64 S. 1 GmbHG gesehen. Ohne weitere Beachtung blieb dabei, dass § 64 S. 1 GmbHG in einem weiteren Konkurrenzverhältnis steht, nämlich zur organschaftlichen Haftungsnorm des § 43 Abs. 2 GmbHG. Im Folgenden soll nunmehr dieses Konkurrenzverhältnis untersucht und einer Lösung zugeführt werden.

1.

Konkurrenz zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der organschaftlichen Schadensersatzhaftung nach § 43 Abs. 2, 3 GmbHG

377 Die enge Verflechtung zwischen der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der organschaftlichen Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG zeigt sich bereits im Verweis des § 64 S. 4 GmbHG auf § 43 Abs. 3 und 4 GmbHG. Von besonderem Interesse für die vorliegende Abgrenzung der beiden Haftungsnormen ist § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG, der eine Berufung des Geschäftsführers auf die entlastende Wirkung einer Gesellschafterweisung ausschließt, wenn der Ersatzanspruch zur Befriedigung der

154

V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

Gläubiger erforderlich ist636). In Angelegenheiten der Gesellschaft haftet der Geschäftsführer nach § 43 GmbHG für die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes. Nach ganz h. M. findet die aus dem Aktienrecht bekannte Regel der Business Judgement Rule auch bei § 43 GmbHG Anwendung637). Der Geschäftsleiter verfügt danach im Rahmen seines unternehmerischen Handelns unter bestimmten Voraussetzungen über einen gerichtlich nicht überprüfbaren Ermessensspielraum638). Überschreitet er jedoch die Grenzen seines unternehmerischen Ermessens639), so haftet er für den dadurch entstandenen Schaden640). Teilweise wird in Literatur und Rechtsprechung erkannt, dass die Verletzung der 378 Insolvenzantragspflicht und die Fortführung des Unternehmens trotz Insolvenzreife durchaus auch eine Pflichtverletzung im Verhältnis zur Gesellschaft darstellen und infolgedessen neben dem Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG auch einen organschaftlichen Schadensersatzanspruch auslösen können641). Bereits 1974 hat der BGH entschieden, dass § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. eine Inanspruchnahme der Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 GmbHG nicht ausschließe642). Daher wird darauf verwiesen, dass sich vielfach die Haftung nach § 64 S. 1 und § 43 Abs. 2 GmbHG inhaltlich entsprechen werde643). Teilweise wird dann auch geltend gemacht, dass die eigentliche Anspruchsgrundlage für Zahlungen nach Insolvenzreife nicht § 64 S. 1 GmbHG, sondern § 43 GmbHG sei644). Nichtsdestotrotz sieht die ganz herrschende Auffassung in der Haftung aus § 64 379 S. 1 GmbHG und der organschaftlichen Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG zwei un___________ 636) Nicht erheblich für die vorliegende Diskussion ist die lebhaft umstrittene Frage, ob § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG lediglich auf die besondere Fallgruppe der Zahlungen trotz Unterbilanz (§ 30 Abs. 1 i. V. m. § 43 Abs. 3 S. 1) und über die Verweisung des § 64 S. 4 GmbHG auch auf „Zahlungen“ nach Insolvenzreife anzuwenden ist oder aber als Absatz 5 gelesen werden muss, der auch für den allgemeinen Haftungsgrund des § 43 Abs. 2 GmbHG Wirkung entfaltet: vgl. nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 118 ff; vorliegend geht es genau um die beiden Konstellationen, die § 43 Abs. 3 und § 64 S. 4 GmbHG direkt im Blick haben; vgl. auch Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1508 Fn. 49 f m. w. N.). 637) Statt vieler vgl. Fleischer, in MüKo GmbHG, § 43 Rn. 66 ff. 638) Insb. ARAG/Garmenbeck-Entscheidung: BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926; vgl. auch BGHZ 152, 280 (282) = NJW 2003, 358 sowie BGH NJW 2008, 3361 = NZG 2008, 751. 639) Dazu beispielsweise BGH NJW 2008, 3361 = NZG 2008, 751. 640) Ausführliche Darstellung der Voraussetzungen der Haftung bei Fleischer, in MüKo GmbHG, § 43 Rn. 214 ff. 641) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 108; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 220; Flume, ZIP 1994, 337 (341): „Im übrigen ergibt sich die Haftung des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 2 GmbHG“; weitere Nachweise sogleich. 642) BGH NJW 1974, 1088 (1089). 643) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 12; Haas, in Baumbach/ Hueck, § 64 Rn. 160. 644) Heitsch, ZInsO 2009, 1571 (1572): § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG als Anspruchsgrundlagen.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

terschiedliche Dinge645). Begründet wird das vor allem mit der unterschiedlichen Schutzrichtung der Normen. Während § 64 S. 1 GmbHG die Gläubigergesamtheit im Rahmen der Insolvenz im Blick habe, beziehe sich § 43 GmbHG auf die Belange der Gesellschaft und mache den Geschäftsführer haftbar für Pflichtverletzungen in seinem organschaftlichen Verhältnis zur Gesellschaft. Maßgebend sei demnach das Interesse der Gesellschaft, nicht das der Gläubiger646). § 43 GmbHG ist somit nach h. M. kein Schutzgesetz zu Gunsten der Gläubiger der Gesellschaft, es wird allenfalls ein reflexhafter Schutz der Gläubiger zugestanden647). Die Haftung nehme die Belange der Gesellschaft in Bezug und sanktioniere diesbezügliche Pflichtverletzungen. Insofern hat § 43 GmbHG nach herrschender Auffassung nur geringe Bedeutung für die Auffüllung der Masse zur Befriedigung der Gläubiger. Denn er schützt in erster Linie Beeinträchtigungen des in der GmbH gebundenen Vermögens der Gesellschafter648).

380 Zur weiteren Differenzierung der Haftungsstränge hat der BGH sogar festgestellt, dass eine Verzögerung des Insolvenzantrags nicht zwingend zugleich einen gegenüber der Gesellschaft begangenen Verstoß gegen die Pflichten eines ordentlichen Geschäftsführers i. S. v. § 43 Abs. 2 GmbHG bedeuten müsse649). Dies klingt danach, dass das Pflichtenprogramm ein abweichendes sein soll. Nach Ansicht des BGH ist § 64 GmbHG hinsichtlich der Verzögerung des Insolvenzantrags abschließend, für § 43 GmbHG sei daneben also kein Raum.

381 Es ist also festzuhalten, dass nach herrschender Ansicht die beiden Haftungsgrundlagen unverbunden nebeneinander stehen650). Die Haftungskonkurrenz soll sich angeblich einzelfallabhängig entscheiden651). Auch in Bezug auf die Rechtsfolgen ergeben sich zwischen der Haftung aus § 43 und § 64 S. 1 GmbHG Differenzen. Während ersterer unstreitig ein Schadensersatz ist, ordnet die h. M. § 64 S. 1 GmbHG als reinen Erstattungsanspruch ein. Daher wird vertreten, dass die beiden Haftungsnormen schon deshalb inhaltlich nicht deckungsgleich seien, da in den von § 64 S. 1 GmbHG erfassten Fällen, also der Vorabbefriedigung einzelner Gläubiger, ein Schaden i. S. d. § 43 GmbHG gerade nicht nachgewiesen werden könne. § 43 GmbHG setze aber den Nachweis eines Vermögensschadens i. S. d. § 249 ff BGB ___________ 645) Weitere Nachweise zum Verhältnis von § 64 zu § 43 GmbHG unten unter D.III.4. 646) BGH NJW 1974, 1088 (1089); zur aktienrechtlichen Vorschrift des § 93 AktG RGZ 159, 211 (224). 647) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 108. 648) Mit einer Liste von Beispielsfällen, in denen der Geschäftsführer in erster Linie die Vermögensinteressen der Gesellschafter beeinträchtigt, „deren Beteiligung an der GmbH mit jedem Verlust an Wert verliert“: Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1507). 649) BGH NJW 1974, 1088 (1089). 650) Vgl. die Darstellung bei Heitsch, ZInsO, 2009, 1571 (1576); zum Ganzen Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 108; verweist auf K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 220. 651) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 12.

156

V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

voraus652). Der BGH hat im soeben genannten Urteil von 1974 der Vorinstanz widersprochen, die für eine Bejahung des § 43 Abs. 2 GmbHG einen Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG sowie die Tatsache hat ausreichen lassen, dass die Überschuldung seit Insolvenzreife zugenommen hatte. Der BGH begreift dies vielmehr nicht als ausreichend für einen Schadensnachweis653). Teilweise wird auch vertreten, dass es immer um den Bezug zu einer konkreten Pflichtverletzung gehe. Daher komme ein einheitlicher Schadensersatzanspruch auf Verlustdeckung über einen bestimmten Zeitraum schon gar nicht in Betracht654). Die Argumente und Ergebnisse in den bisherigen Ausführungen haben gezeigt, 382 dass der von der h. M. angenommene Dualismus bei den Haftungssystemen nicht überzeugend ist. Mit der hier vertretenen Auslegung des § 64 S. 1 GmbHG als Schadensersatznorm für einen umfassend zu verstehenden Gesamtgläubigerschaden stellen sich die gerade aufgezeigten Argumente in einem neuen Licht dar. Sie beeinflussen somit nicht nur das Verhältnis zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung, sondern haben auch Auswirkung auf die Konkurrenz zur organschaftlichen Haftung aus § 43 GmbHG.

2.

Einordnung der organschaftlichen Haftung in ein integriertes Haftungskonzept des Gesamtgläubigerschadens

Auf Basis des hier vertretenen integrierten Schadensersatzmodells soll nunmehr 383 das Verhältnis der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der organschaftlichen Haftung aus § 43 GmbHG geklärt werden. Dabei ist insbesondere zu fragen, inwiefern die spezifischen Eigenschaften von § 64 S. 1 GmbHG und § 43 GmbHG einer angleichenden Auslegung im Wege stehen.

a) Unterschiedliche Schutzrichtung der Normen? Soeben wurde dargelegt, dass die Rechtsprechung in die allgemeine organschaftliche 384 Haftung keine spezifisch gläubigerschützende Wirkung hineinliest und daher ablehnt, den Geschäftsleiter auch als Sachwalter dritter Interessen anzuerkennen655). Die Gläubiger sollen vom Schutzzweck der Norm nicht erfasst sein, lediglich die Interessen zwischen Gesellschaft und Geschäftsleitung. Daher gehe es hier in erster Linie um Fälle, in denen der Geschäftsführer durch sein pflichtwidriges Verhalten ___________ 652) 653) 654) 655)

BGH NJW 1974, 1088 (1089); Gehrlein, ZInsO 2015, 477. BGH NJW 1974, 1088 (1089). Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (422). Vgl. zum Ganzen Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 691 m. w. N.; Thole/ Brünkmans, ZIP 2013, 1097 (1099 m. w. N. in Fn. 21); aus der Rechtsprechung vgl. nur BGHZ 31, 258 (278) = NJW 1960, 285; BGHZ 119, 257 (261) = NJW 1993, 193; BGH NJW 1974, 1088 (1089); für eine erweiternde Auslegung des § 43 GmbHG Fleischer, ZGR 2004, 437 (447); ebenfalls kritisch Drygala, ZGR 2006, 587 ff.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

das Vermögen der Gesellschaft und damit mittelbar das der Gesellschafter geschädigt hat656). Verschiedentlich wurde in der Literatur bereits angemerkt, dass diese Ableitung nicht überzeugend sei und kein Grund für eine derart enge Interpretation gesehen werden könne. Vielmehr bestünden gute Gründe, den Pflichtenrahmen der Geschäftsleitungsorgane in der Krise zu erweitern657). Dies zeige sich bereits bei einem Blick auf das aktienrechtliche Pendant: In § 93 Abs. 5 AktG wird explizit ein Verfolgungsrecht der Gläubiger statuiert, daher müsse § 93 AktG auch eine gewisse gläubigerschützende Wirkung zukommen. Die entsprechende Argumentation greift, wenn man sich den Verweis des § 64 S. 4 GmbHG auf § 43 Abs. 3 GmbHG vor Augen führt. Denn auch dort wird auf die Interessen der Gläubiger abgestellt. Gläubigerschutz ist der Geschäftsführerhaftung daher generell nicht fremd.

385 Auch mit den in Teil B dieser Arbeit gewonnen Ergebnissen kann darüber hinaus begründet werden, dass die Haftung aus § 43 GmbHG durchaus Gläubigerschutzwirkung haben kann. Welche konkreten Pflichten sich aus der allgemeinen organschaftlichen Sorgfalt des § 43 Abs. 1 GmbHG ableiten, ergibt sich nicht aus der Norm selbst, sondern aus anderen Normkomplexen, die die organschaftlichen Handlungspflichten konkretisieren und ausfüllen. Dazu gehört auch die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO658) als spezielle Ausprägung.

386 In Teil B wurde bereits dargestellt, dass der Gesellschaftszweck generell „beschränkt“ ist. Die Gesellschaft dient nicht nur den Interessen der Anteilseigner, sondern auch der (vorrangigen) Befriedigung der Gläubigerinteressen. Ab Insolvenzreife verändern sich zwingend der Gesellschaftszweck und infolgedessen auch die organschaftlichen Pflichten der Geschäftsführer. Dies muss konsequenterweise auch auf die Haftung der Geschäftsleitungsorgane aus § 43 GmbHG durchschlagen. War die organschaftliche Haftung der Leitungsorgane vorher lediglich im Innenverhältnis zur Gesellschaft gegeben und gerichtet auf die Vermögensinteressen der Gesellschafter, müssen an deren Stelle nunmehr die Gläubigerinteressen treten. Aus diesem Blickwinkel erscheint es fast zwingend, dass auch die organschaftliche Haftung ihre Schutzrichtung ändert und zu einer gläubigerschützenden Norm wird659). Wo der Zweck der Gesellschaft lediglich auf den Schutz der Gläubiger gerichtet ist, kann die Haftung der Leitungsorgane für die Erreichung dieses Schutzzwecks schlechterdings nur an den Interessen der Gesellschaft zu messen sein. Es ist kein Grund ___________ 656) Vgl. dazu Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1507) mit einer umfassenden Liste an Beispielen aus der Rechtsprechung. 657) Vgl. ausführlich Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 691 m. w. N., insbesondere Verweis auf Fleischer, ZGR 2004, 437 (446 f); ablehnend gegenüber der h. M. ebenfalls Thole/ Brünkmans, ZIP 2013, 1097 (1099). 658) Dazu und zum Folgenden Kleindiek, in FS Schneider, 2011, S. 617 (618). 659) Zur generellen Funktion, dass sich die Pflichten des Geschäftsführers auf den satzungsmäßig bestimmten Unternehmensgegenstand beziehen und dem Geschäftsführer einen Rahmen stecken Fleischer, in MüKo GmbHG, § 43 Rn. 28 f.

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V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

ersichtlich, warum das Pflichtenprogramm des § 43 GmbHG von der Haftung des Geschäftsführers aus § 64 GmbHG abweichen sollte und einen eigenen, lediglich der Gesellschaft bzw. den Vermögensinteressen der Gesellschafter verpflichteten Verhaltensmaßstab schaffen sollte. Vielmehr schlägt der geänderte Gesellschaftszweck auch auf den Pflichtenkatalog des § 43 GmbHG durch. Dies steht auch im Einklang mit dem Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes, das durch § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG auch in der organschaftlichen Haftung angelegt ist. Diese Deutung sorgt für einen Gleichlauf zwischen der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der aus § 43 GmbHG. Ab Insolvenzreife ist nicht mehr das Interesse der Gesellschaft, sondern sind nur noch die gebündelten Interessen der Gläubiger Ansatzpunkt für das organschaftliche Handeln des Geschäftsleiters. In Teil B wurde eine weitere Konsequenz der Veränderung der Zweckrichtung des 387 Gesellschaftsvermögens darin gesehen, dass ein neuer Schadensbegriff für die Gesellschaft gelten müsse. Transaktionen der Gesellschaft, die dem neuen Gesellschaftszweck zuwider laufen („Zahlungen“), müssten als Schaden „der Gesellschaft“ gewertet werden. Oben wurde lediglich noch offen gelassen, wie ein solcher Schaden konkret zu berechnen ist. Mit dem nunmehr erarbeiteten Verständnis eines einheitlich über § 64 S. 1 GmbHG abzuwickelnden Gesamtgläubigerschadens wurde jedoch bereits die Antwort auf diese Frage gegeben: Die hier im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG diskutierte gesamtheitliche Berechnung des Schadens stellt den Schadensposten bei § 43 Abs. 2 GmbHG dar. Die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG geht in der organschaftlichen Haftung auf. Dort wo der Geschäftsleiter die Insolvenz der Gesellschaft verschleppt und die Geschäfte trotz Insolvenzreife weiter betreibt – also nach dem missglückten Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG „Zahlungen“660) tätigt –, haftet er organschaftlich auf den entstandenen Gesamtgläubigerschaden in Form der Verringerung der Masse im Laufe der Verschleppungsperiode. § 64 S. 1 GmbHG ist aus dieser Sicht nichts anderes als die konkrete Ausgestaltung bzw. Modifikation der bereits dem Grunde nach über § 43 Abs. 2 GmbHG zur Verfügung gestellten Anspruchsgrundlage. Jedenfalls erscheint es sachgerecht, dass § 64 S. 1 und § 43 Abs. 2 GmbHG haftungsrechtlich eine Einheit bilden.

b) Entfall der Haftung durch Gesellschafterweisungen? Ein entscheidender Grund, warum die h. M. die Haftung aus dem organschaftlichen 388 Verhältnis und aus § 64 S. 1 GmbHG als voneinander zu trennende Regelungskomplexe begreift, liegt in der Möglichkeit des Wegfalls des Anspruchs aus § 43

___________ 660) Ausführlich zum missglückten Wortlaut: Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2206 und insb. 2207).

159

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

GmbHG aufgrund von Weisungen der Gesellschafter661). Der BGH hat diesbezüglich aus § 64 S. 4 i. V. m. § 43 Abs. 3 GmbHG den Schluss gezogen, außerhalb der dort explizit geregelten Ausnahmetatbestände stünden der Gesellschaft Ersatzansprüche gemäß § 43 Abs. 3 GmbHG gegen den Geschäftsführer nicht zu, wenn dieser einen Gesellschafterbeschluss oder eine Weisung der Gesellschafter befolgt hat oder der einzige Gesellschafter ist662). Zur Begründung verweist der II. Zivilsenat auf die Entscheidung BGHZ 31, 258 (278)663), in der genau diese Rechtsfolge ausgesprochen wurde. Zugrunde lag jedoch nicht eine Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG, sondern ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 30 Abs. 1 GmbHG. Dieser Unterschied dürfte für die hier behandelte Problematik aber erheblich sein (dazu sogleich). Dieselbe Folge des Entfalls der Haftung aus § 43 GmbHG ergibt sich nach der Rechtsprechung nicht nur bei einer Gesellschafterweisung, sondern auch, wenn der Geschäftsführer zugleich Alleingesellschafter der Gesellschaft ist. Dadurch liegt eine Zustimmung der Gesellschafter quasi automatisch vor664).

389 Demgegenüber ist die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG für die Gläubiger nicht disponibel. Zudem muss ein Geschäftsleiter solche Weisungen der Gesellschafter unbeachtet lassen, die gegen zwingende, im öffentlichen Interesse oder zum Schutz der Gläubiger erlassene Vorschriften verstoßen. Auf der Basis dieser Argumentation erscheint die Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis von § 64 S. 1 und § 43 GmbHG nicht überzeugend.

390 Dazu muss man sich zunächst die Funktion vor Augen halten, die § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG erfüllen soll. In unmittelbarer Anwendung betrifft die Norm einen Verstoß gegen § 30 GmbHG665). In einer Verletzung sieht der Gesetzgeber zwei zu unterscheidende Fälle: Ist eine Haftung des Geschäftsführers für die Befriedigungsaussichten der Gläubiger noch nicht erforderlich, so entfällt diese bei Vorhandensein einer entsprechenden Weisung der Gesellschafterversammlung. Im umgekehrten ___________ 661) Aus der Rechtsprechung vgl. beispielsweise BGH NJW 2000, 576 = ZIP 2000, 135; BGH NJW 2000, 1571 = ZIP 2000, 493; nach BGH ZIP 2003, 945 (946) = NZG 2003, 528 kann die Zustimmung der Gesellschafter sogar stillschweigend erteilt werden; Haas/Ziemons, in Michalski, § 43 Rn. 182; Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 33; Koppensteiner/ Gruber, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 43 Rn. 31; U. H. Schneider, in Scholz, GmbHG § 43 Rn. 119 ff; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 691 f, der daraus schließt § 43 GmbHG wäre als Anspruchsgrundlage für den Gläubigerschutz ungenügend, § 64 GmbHG sei insofern eine speziellere Vorschrift; Drygala, ZGR 2006, 587 (606 f). 662) BGH NJW 1974, 1088 (1089); den Beweis für das Vorliegen einer entsprechenden Weisung muss allerdings der Geschäftsführer erbringen: vgl. BGHZ 176, 204 (221) = NJW 2008, 2437 (2441 Rz. 39) (Gamma). 663) Dazu auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 220 m. w. N.; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 160. 664) Vgl. nur BGH NJW 2000, 1571 = ZIP 2000, 493; BGH NJW 2010, 64 = ZIP 2009, 2335; Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 33. 665) Darum ging es auch in der Leitentscheidung BGHZ 31, 258.

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V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

Fall, wenn also die Befriedigungsaussichten der Gläubiger es erfordern, haftet der Geschäftsführer trotz der eigentlich entlastenden Weisung der Gesellschafterversammlung, die Weisung zeitigt mithin keine Wirkung. Dies impliziert, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 30 GmbHG durchaus Fälle denkbar sind, in denen eine Haftung des Geschäftsführers nicht erforderlich ist. Dies wäre beispielsweise denkbar, wenn der ausgezahlte Betrag unproblematisch vom begünstigten Gesellschafter wiedererlangt werden könnte oder wenn ein Ausfall der Gläubiger noch nicht droht. Entscheidend ist dabei, dass die Kapitalerhaltungsregeln nicht an der Insolvenzreife der Gesellschaft ansetzen, sondern „lediglich“ an einer Zahlung in der Unterbilanz. Die Unterbilanz greift aber tendenziell früher ein als die Überschuldung oder die Zahlungsunfähigkeit. Dies liegt insbesondere daran, dass zur Bestimmung der Unterbilanz, anders als für den Überschuldungsstatus, stille Reserven nicht aufgedeckt werden dürfen, sondern eine streng bilanzielle Betrachtungsweise angelegt wird. Dadurch sind durchaus Fälle denkbar, in denen zwar ein Verstoß gegen das Auszahlungsverbot des § 30 GmbHG vorliegt, jedoch kein Ausfall von Gläubigerforderungen zu besorgen ist. Für diese Fälle soll § 43 Abs. 3 S. 3 GmbHG mithin als Korrektiv zur Schonung des Geschäftsleiters dienen. Greift dieselbe Argumentation aber auch bei §§ 64 S. 1, S. 4 i. V. m. 43 Abs. 3 391 GmbHG? In der Situation einer Zahlung des Geschäftsführers trotz Insolvenzreife gibt es zunächst einmal keinen anderen Haftungsschuldner vergleichbar dem Gesellschafter bei § 30 GmbHG, der die erhaltene „Zahlung“ erstatten müsste. Eine Erstattungsnorm wie § 31 Abs. 1 GmbHG gibt es – vielleicht einmal abgesehen von den nicht abgestimmten Regeln der Insolvenzanfechtung – gerade nicht. Zahlungen in der Insolvenzveschleppungsphase werden nur vom Geschäftsführer geschuldet. Zudem befindet sich die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits in einer Lage, in 392 der die Befriedigungsaussichten der Gläubiger eine Haftung des Geschäftsführers zwingend fordern. Denn im Unterschied zur Unterbilanz muss die Gesellschaft ab dem Eintritt der Insolvenzreife in einem Insolvenzverfahren zur Begleichung der vorhandenen Verbindlichkeiten verwertet werden. Der Wendepunkt ist also der Eintritt der Insolvenzreife. Jede Zahlung danach ist bereits ein haftungsbewehrter Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG. Dass zwar der Tatbestand des § 64 S. 1 GmbHG erfüllt ist, jedoch die Befriedigungsaussichten der Gläubiger eine Haftung des Geschäftsführers nicht erfordern, scheint schlicht nicht denkbar. So ist auch der Verweis in § 64 S. 4 GmbHG zu verstehen. Er bezieht sich zwar formal auf das Kriterium der Erforderlichkeit der Haftung für die Befriedigung der Gläubiger, jedoch dürfte das Ergebnis vorgezeichnet sein: Eine Weisung zur weiteren Verschleppung der Insolvenz und zu weiteren Auszahlungen kann niemals rechtmäßig und für den

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

Geschäftsführer haftungsbefreiend sein666). Die Haftung ist stets erforderlich, um die Gläubiger zu befriedigen.

393 Eine andere Wertung würde sich auch mit der im ersten Teil dieser Arbeit aufgestellten These zum Schaden der Gesellschaft zu Gunsten der Gläubiger („mittelbarer Gläubigerschutz“) nicht vereinbaren lassen. Es wäre widersinnig, über § 64 S. 1 GmbHG der Gesellschaft zwar einen ersatzfähigen Schaden zu Gunsten ihrer Gläubiger gegen die Geschäftsleiter zuzugestehen, dann diesen Schaden aber zur Disposition der Gesellschafter zustellen. In praxi handelt es sich oftmals um dieselben Personen. Eine Disposition über den Schutzumfang der Gläubigerinteressen muss daher zwingend ausgeschlossen sein.

394 Daher bleibt festzuhalten, dass die Möglichkeit zur Disposition der Gesellschafter über den Schadensersatzanspruch des § 43 Abs. 2, 3 GmbHG im Falle einer Zahlung nach Insolvenzreife gerade nicht mehr vorliegt. Vielmehr ist der Anspruch aus § 64 S. 1 i. V. m. § 43 Abs. 2, 3 GmbHG zwingend und kann durch eine Gesellschafterweisung an den Geschäftsführer nicht ausgeschlossen werden.

c)

Verschuldensmaßstab, Beweislast, Business Judgement Rule und allgemeine Verlustdeckungshaftung als relevante Unterschiede der Haftungsnormen?

395 Bei § 43 Abs. 2 GmbHG handelt es sich um einen verschuldensabhängigen Anspruch. Der Verschuldensmaßstab ist in § 43 Abs. 1 GmbHG eigens definiert („ordentlicher Geschäftsmann“). Zwar fordert § 64 S. 1 GmbHG explizit kein Verschulden, jedoch ergibt sich das diesbezügliche Erfordernis aus S. 2. Daher nimmt die ganz h. M. an, dass der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG ebenfalls Verschulden voraussetzt667). Insofern besteht zwischen den Normen kein relevanter Unterschied.

396 Auch die Beweislast ist bei beiden Haftungstatbeständen ähnlich gelagert. Wegen des Wortlauts des § 64 S. 2 GmbHG wird das Verschulden des Geschäftsführers bei objektivem Vorliegen einer „Zahlung“ im Zeitraum der Insolvenzreife vermutet. Um der Haftung zu entgehen, muss sich der Geschäftsführer also exkulpieren668). Diese Rechtsfolge kann in der Praxis gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, muss der Geschäftsführer doch darlegen und beweisen, dass eine „Zahlung“ beispielsweise durch eine gleichwertige Gegenleistung ausgeglichen worden ist oder dass die Zahlung zur Aufrechterhaltung des Betriebs notwendig war. ___________ 666) Etwas anderes kann sich allenfalls in der Situation des § 64 S. 3 GmbHG ergeben. Aufgrund der zur Zeit der „Auszahlung“ bei dieser Norm noch nicht eingetretenen Insolvenzreife sind aber gänzlich andere Maßstäbe anzulegen: vgl. die Ausführungen in Teil D. 667) Vgl. statt vieler Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 46. 668) Vgl. zum Ganzen Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 93; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 49 ff.

162

V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

Im Rahmen des § 43 GmbHG ist anerkannt, dass § 93 Abs. 2 S. 2 AktG analog an- 397 zuwenden ist669). Dort hat die Gesellschaft als Anspruchstellerin zwar einen objektiven Sachverhalt vorzutragen, nach dem ein Schaden und dessen Verursachung durch eine Pflichtverletzung durch das Organ als möglich erscheint670). Der Geschäftsführer trägt sodann jedoch die Beweislast für die fehlende Pflichtwidrigkeit sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht671). Den Geschäftsführer trifft somit die Beweislast, wenn er die Haftung durch den Einwand des sorgfaltsgemäßen Handelns abwenden will672). Der Sache nach ergibt sich zur Lage bei § 64 S. 1 GmbHG damit kein Unterschied. Wie bereits erwähnt, greift bei der organschaftlichen Haftung nach § 43 GmbHG 398 die Business Judgement Rule, wonach dem Geschäftsführer im Rahmen seines unternehmerischen Handelns unter bestimmten Voraussetzungen ein gerichtlich nicht überprüfbarer Ermessensspielraum zusteht673). Die vom BGH entwickelten674) und nunmehr in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG kodifizierten Leitlinien sind nach ganz h. M. auf die Geschäftsführer einer GmbH zu übertragen675). Somit könnte ein nicht unerheblicher Unterschied zwischen § 43 und § 64 S. 1 GmbHG darin gesehen werden, dass der Geschäftsführer bei der Haftung aus § 43 GmbHG in gewissem Umfang gerichtlich nicht nachprüfbare unternehmerische Ermessensentscheidungen treffen kann. Eine entsprechende Einschränkung gibt es im Rahmen der Zahlungsverbote nicht, weshalb dem Geschäftsführer im Rahmen des § 43 GmbHG ein deutlich „größerer Spielraum“ zuerkannt wird676). Hier lohnt jedoch ein Blick auf die Schwestervorschrift des § 93 AktG. Beim Kata- 399 log des § 93 Abs. 3 Nr. 1 – 9, insbesondere also auch bei Nr. 6, handelt es sich um eine Modifikation des allgemeinen organschaftlichen Ersatzanspruchs. Die Funktion dieses Katalogs besteht nach h. M. darin, dass die formulierten Pflichten die (einzig) rechtmäßige Handlungsalternative vorgeben und daher das Ermessen des Vor___________ 669) Oetker, in Henssler/Strohn, § 43 Rn. 57 m. w. N.; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 111. 670) Vgl. Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 38 „vermittelnde Lösung“. 671) Zum GmbH-Recht insbesondere BGHZ 152, 280 = NJW 2003, 358 (LS sowie 359) mit starker Anlehnung an die Grundsätze von § 93 Abs. 2 AktG; vgl. auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 111 m. w. N.; Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 37 f. 672) Oetker, in Henssler/Strohn, § 43 Rn. 57 m. w. N. 673) Vgl. nur Fleischer, in MüKo GmbHG, § 43 Rn. 66 ff m. w. N.; U. H. Schneider, in Scholz, § 43 Rn. 50 ff mit umfassenden Nachweisen; Paefgen, in GroßKomm GmbHG, § 43 Rn. 110 f; Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 22a. 674) Insbesondere in der Entscheidung ARAG/Garmenbeck BGHZ 135, 244 = NJW 1997, 1926. 675) Umfassend Fleischer, in MüKo GmbHG, § 43 Rn. 66 und 71; Zöllner/Noack, in Baumbach/ Hueck, § 43 Rn. 22 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 186; Haas/Ziemons, in Michalski, § 43 Rn. 66 – 66b; dies gilt natürlich nur, soweit sich der Geschäftsführer nicht aufgrund seiner Weisungsbefugnis am Gesellschafterwillen zu orientieren hat, vgl. Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 8. 676) Mit dieser Wertung Habersack/Foerster, ZHR 178 (2014), 387 (396).

163

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

stands so stark reduzieren, dass es sich nicht um eine unternehmerische Entscheidung i. S. v. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG handle677). Die Entscheidung ist also weitgehend gebunden. Verstöße seien so schwer wiegend, dass sie immer eine Pflichtverletzung darstellten, ohne dass die Business Judgement Rule helfen könne678). Teilweise wird auch von „Todsünden“ gegen konkrete gesetzliche Kapitalerhaltungsgebote gesprochen679). Entlastungsmöglichkeiten greifen bei der Verwirklichung des Tatbestands des § 93 AktG zum Schutze der Gläubiger nicht.

400 Diese Argumentation ist auch auf den funktionsgleichen § 64 GmbHG übertragbar. Der Norm käme dann die Funktion zu, das Entscheidungsermessen des Geschäftsführers zu reduzieren und die volle gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidungen sicherzustellen. § 64 GmbHG wäre dann kein aliud zur organschaftlichen Haftung, sondern stellte vielmehr eine Modifikation dar. Aufgrund der Gefährlichkeit der Zahlungen für die Gläubiger und der daraus angeordneten Gebundenheit der Geschäftsleiterentscheidung wäre eine Anwendung der Business Judgement Rule ausgeschlossen. Die Lösung des Konkurrenzverhältnisses zwischen § 43 Abs. 2, 3 GmbHG und § 64 S. 1 GmbHG kann folglich darin gesehen werden, dass die Zahlungsverbote im Verhältnis zur organschaftlichen Haftung einen speziellen Tatbestand darstellen, sie modifizieren die Voraussetzungen der allgemeinen Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG.

401 Teilweise wird darüber hinaus vertreten, bei der Verschleppung der Insolvenz greife zwar § 43 GmbHG dem Grunde nach ein. Es könne über diese Vorschrift jedoch keine allgemeine und umfassende Verlustdeckungshaftung begründet werden, weil die Pflichten des Geschäftsführers nur auf einzelne Handlungen oder Unterlassungen bezogen seien, nicht auf das wirtschaftliche Ergebnis der Geschäftsführung insgesamt680). Dem ist zu widersprechen.

402 Die Verpflichtung des Geschäftsführers zur Stellung des Insolvenzantrags besteht in der Verschleppungsphase kontinuierlich, d. h. die Verletzung zur Stellung des Insolvenzantrags ist nicht eine einmalige, sondern eine dauernde Pflichtverletzung. Der Pflichtverstoß ist mithin nicht das einmalige Unterlassen der Stellung des Antrags, sondern die Fortsetzung der gewerblichen Tätigkeit, obwohl die Gesellschaft aufgrund des Vorliegens von Insolvenzantragsgründen bereits ihre Existenzberechtigung als werbendes Unternehmen eingebüßt hat681). Richtigerweise handelt es sich

___________ 677) Koch, in Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 68 m. w. N. 678) Hopt/Roth, in GroßKomm AktG, § 93 Rn. 326 m. w. N. und mit Verweis auf Rn. 74; der Sache nach auch Hölters, in Hölters, AktG, § 93 Rn. 273; Spindler, in MüKo AktG, § 93 Rn. 221. 679) Fleischer, in Spindler/Stilz, § 93 Rn. 260; Koch, in Hüffer/Koch, AktG, § 93 Rn. 68. 680) Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger, 2000, S. 415 (422 m. w. N. in Fn. 42). 681) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, Vorbem. zu § 64 Rn. 6 m. w. N.

164

V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

damit nicht um ein Unterlassungs-, sondern um ein Tätigkeitsdelikt682). Im gesamten Zeitraum dieser Pflichtverletzung muss der Geschäftsführer alle Masseminderungen ausgleichen, die ihm zurechenbar sind. Im Rahmen eines Dauerdelikts erscheint es somit alles andere als undenkbar, auch umfassende Masseverluste unter die Schadensersatznorm des § 43 GmbHG zu subsumieren683).

d) Integriertes Haftungssystem aus organschaftlicher Haftung und § 64 S. 1 GmbHG Zusätzlich gilt es zu bedenken, dass die organschaftliche Haftung des § 43 Abs. 2 403 GmbHG weiter gehen kann als die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG. Nach herrschender Meinung kann eine Haftung aus § 43 GmbHG beispielsweise auch in Betracht kommen, wenn der Geschäftsleiter Sanierungsbemühungen unterlässt684) oder einen gar nicht geforderten Insolvenzantrag zu früh stellt685). Die Haftung ist naturgemäß nicht an die bloße Verschleppung der Insolvenz gebunden, sondern kann an jedes Verhalten geknüpft werden, das als vermögensmindernde Pflichtverletzung gewertet werden kann. Nimmt man diesen und die vorstehenden Aspekte zusammen, so erweist sich § 64 404 S. 1 GmbHG als Modifikation der organschaftlichen Haftung686). Die Norm modifiziert den allgemeinen organschaftlichen Anspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer für „Zahlungen“, stellt aber keine eigenständige Anspruchsgrundlage auf. Vielmehr fügt sie sich zwanglos in die organschaftliche Haftung ein. Eine lediglich auf § 64 S. 1 GmbHG gestützte, zusätzlich zur organschaftlichen Haftung bestehende eigenständige Haftung gibt es nicht. Die Anspruchsgrundlage ist daher § 43 Abs. 2, 3 i. V. m. § 64 S. 1 GmbHG. Auf diese Weise werden Widersprüche und Doppelungen vermieden. Es findet ein einheitlicher Schadensausgleich über das Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes statt und der Insolvenzverwalter zieht diesen Anspruch der Gesellschaft im Insolvenzverfahren ein. Damit bleibt nur noch die Frage zu beantworten, wie der gewonnene integrierte Schadensersatzanspruch zu berechnen ist. ___________ 682) K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072 (1074, 1077); ders., ZHR 175 (2011), 433 f; von einem Unterlassungsdelikt mit Referenz auf die historischen Wurzeln der Insolvenzantragspflicht spricht aber Thiessen, in Schröder/Kanzleiter, 3 Jahre nach dem MoMiG, S. 71 (83). 683) Die abweichende Ansicht von Schulze-Osterloh, in FS Bezzenberger 2000 S. 415 (423) begründet dieser mit dem Argument, die Geschäftsleiter würden bei einer umfassenden Verlustdeckungshaftung zu Garanten für den wirtschaftlichen (Miss-)Erfolg des Unternehmens. Eine solche unspezifische Haftung vertrage sich nicht mit den Wertungen des § 93 Abs. 3 AktG und § 43 Abs. 3 GmbHG. 684) Zu unterlassenen Sanierungsbemühungen statt vieler Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 31 m. w. N. 685) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 108 und Fn. 365. 686) Mit gleichem Ergebnis, jedoch anderer Argumentation: Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 39.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

3.

Konkrete Schadensberechnung des verschleppungsbedingten Gesamtgläubigerschadens

a) Berechnungsprobleme des verschleppungsbedingten Schadens und ihre Lösung in den Konzepten von Altmeppen und K. Schmidt 405 Ausgangspunkt müssen wiederum die eingangs in diesem Kapitel angestellten Überlegungen zum mittelbaren Gläubigerschutz sein. Anspruchsberechtigt ist zwar die Gesellschaft, jedoch geht es der Sache nach um einen Schaden der Gläubigergemeinschaft687), der lediglich über die Gesellschaft abgewickelt wird. Die Konzeption des oben entwickelten Gesamtgläubigerschadens beruht darauf, dass die bei Eintritt der Insolvenzreife hypothetisch erzielbare Soll-Quote auch am Ende der Verschleppungsphase mittels der Auffüllung durch den Geschäftsführer wieder erzielt werden muss. Der Geschäftsleiter muss somit die Ist-Quote zur Soll-Quote aufbessern. Oben wurde dazu bereits begründet, dass in die Ist-Quote auch die Neugläubigerforderungen und die etwaigen von den Neu- oder Altgläubigern im Zeitraum der Insolvenzverschleppung ins Gesellschaftsvermögen geflossenen Gegenleistungen werterhöhend mit einbezogen werden müssen. Der Geschäftsführer hat mithin den Betrag zu ersetzen, der zur Erreichung der Soll-Quote für alle Gläubiger im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung erforderlich ist.

406 Grundsätzlich geht es also um den Vergleich zweier Vermögenslagen, nämlich um die zur Verteilung stehende Masse zum Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife und zur Zeit der Insolvenzantragstellung. Letztere wird unproblematisch durch den Insolvenzverwalter ermittelt.

407 Als einer der Problempunkte der schadensersatzrechtlichen Einheitslehren hat sich jedoch die Ermittlung des Vermögenswertes zu Beginn der Verschleppungsphase erwiesen. Es beginnt bereits damit, dass der Zeitpunkt der Insolvenzreife in praxi nur schwer ermittelbar ist. Jedoch hat die aktuell vorherrschende Praxis, die ihre Ansprüche fast ausschließlich auf „Zahlungen“ i. S. d. § 64 S. 1 GmbHG stützt, diesbezüglich dieselben Probleme. Der Insolvenzverwalter wird einen Zeitpunkt als Beginn der Verschleppungsphase wählen müssen, zu dem die objektiven Indikatoren eines Insolvenzantragsgrundes bereits gegeben waren. Dann läge nämlich die Beweislast beim jeweiligen Geschäftsführer, der zum Beispiel eine positive Fortführungsprognose i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO nachweisen müsste. Außerdem müssen die Geschäftsleiter mit Beginn der Krise einen Vermögensstatus erstellen688), aufgrund dessen sie darlegen und beweisen können, dass sie ihrer Insolvenzan___________ 687) Vgl. Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 41 mit Nachweisen in der Rechtsprechung. 688) Vgl. z. B. den BGHZ 143, 184 = NJW 2000, 668: Sobald die rechnerische Überschuldung eingetreten sei, müsse der Geschäftsführer Umstände darlegen und beweisen, die die Fortführung des Unternehmens rechtfertigen, also die Fortführungsprognose darstellen; vgl. dazu auch Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2209).

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V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

tragspflicht nachgekommen sind689). Diese Beweislastverteilungen dürften die angesprochenen Beweisprobleme in der Praxis wirksam mildern. Hat man einen solchen Zeitpunkt gefunden, besteht die eigentliche Schwierigkeit 408 darin, die Soll-Quote, also im Wesentlichen den Wert des Gesellschaftsvermögens zu diesem Zeitpunkt zu bestimmen. Denn in aller Regel wird es für den Insolvenzverwalter nicht möglich sein, den Wert des Gesellschaftsvermögens zurückzuverfolgen. Hierzu ist erwähnenswert, wie K. Schmidt und Altmeppen das Berechnungsprob- 409 lem in ihrem jeweiligen Modell lösen. Sie setzen beide nicht unmittelbar bei der Höhe des Gesellschaftsvermögens an, sondern beziehen sich auf dessen Veränderung. Altmeppen stellt auf die Verluste pro rata temporis, also die Vermögensminderungen in der Verschleppungsperiode ab690). Der Verlust sei zu ermitteln aus dem Vergleich der beiden Vermögenslagen unter Einbeziehung von sämtlichen Aufwandsposten, insbesondere Neuverbindlichkeiten, und Ertragsposten691). Der Begriff der Zahlungen wird so bei ihm zum Gesamt-Masseverlust umgedeutet. Letztlich meint er damit wohl die Verluste, wie sie sich aus der Gewinn- und Verlustrechnung nach § 275 HGB ergeben, als alle Erträge abzüglich Aufwendungen. Im Ergebnis auf dieselbe Größe stellt K. Schmidt ab. Auch er interpretiert den Ge- 410 samtgläubigerschaden als die Summe der Verluste der Masse im Verschleppungszeitraum692). Nachdem bei ihm die Anspruchsgrundlage nicht § 64 S. 1 GmbHG, sondern § 823 Abs. 2 BGB ist, finden in seinem Modell per se die §§ 249 ff BGB und damit die übliche Berechnung des Schadensersatzes Anwendung. Damit bedarf es keiner weiteren Umdeutung des Wortlauts. Der Schaden besteht in seiner Sicht aus (a) masseschmälernden und damit quotenschmälernden Zahlungen, (b) quotenschmälernden Belastungen mit Neuverbindlichkeiten und (c) sonstigen Schäden an der Insolvenzmasse693). Problematisch ist in seinem Modell jedoch, dass § 64 S. 1 GmbHG damit quasi keinen Anwendungsbereich mehr hätte. Dieses Ergebnis umgeht er damit, dass er den „Zahlungen“ bei § 64 S. 1 GmbHG zumindest die Bedeutung als Schadensindikatoren zumisst694). Sie sollen also eine Art Mindestschaden darstellen, der vereinfacht bewiesen werden könne. Diese Funktion ___________ 689) Vgl. Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2209 Fn. 76 m. w. N.); vgl. auch Altmeppen, ZIP 2015, 949 (955 bei Fn. 55, 56), der meint, die Darlegungslast, dass sein strafbares Verhalten keinen Schaden verursacht habe, treffe den Geschäftsführer nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechnungslegung, wobei § 666 BGB, § 92 Abs. 2 S. 2 AktG nur Ausprägungen davon seien. 690) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 41; ders., ZIP 2001, 2201 (2208 f); ders., ZIP 2010, 1973 (1975 ff). 691) Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2207 f). Sollten die Erträge die Aufwendungen übersteigen, hafte der Geschäftsführer hingegen gar nicht. 692) Ausführlich K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 197 und zum Umfang des Schadensersatzanspruchs Rn. 199, jeweils m. w. N. 693) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 199; letzterer Punkt dürfte für die Praxis viel zu vage sein. 694) K. Schmidt, NZG 2015, 129 (131); ders., in Scholz, § 64 Rn. 42.

167

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

fügt sich jedoch in sein sonstiges Modell nur schwer ein – vielmehr würde sie im Ergebnis zu genau jenem Dualismus zwischen der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung führen, wegen der oben die Trennungstheorien in toto abgelehnt wurden. Im Ergebnis kann K. Schmidt damit in seinem Modell die Funktion des § 64 S. 1 GmbHG nicht wirksam erklären. Zwar appelliert er eindringlich an den Gesetzgeber, den Begriff der Zahlungen in § 64 S. 1 GmbHG zu streichen und durch den Begriff der Verluste zu ersetzen695). Dies wäre sicherlich begrüßenswert und würde die Begründung für das von ihm vorgeschlagene System deutlich vereinfachen. Jedoch ist darüber nur de lege ferenda zu entscheiden.

b) Die Kaskade der Schadensberechnung 411 Beide Modelle stellen somit auf den in der Verschleppungsphase aufgelaufenen buchhalterischen Verlust im Sinne der Gewinn- und Verlustrechnung ab. Dies erscheint deshalb als ein gangbarer Weg, weil damit die Veränderung des Vermögens und nicht nur dessen absolute Höhe abgebildet wird696). Somit lässt sich aus den verschiedenen Schadensberechnungsmethoden eine Rangfolge ableiten, die der Insolvenzverwalter vortragen kann, um den verschleppungsbedingten Schaden der Gesellschaft nach §§ 43 Abs. 2, 3 i. V. m. 64 S. 1 GmbHG zu beweisen.

412 Erstens und vorrangig kann er den tatsächlichen Wertverlust des Gesellschaftsvermögens und damit implizit den Verlust der Quote der Gläubiger vortragen. Zu berechnen ist also die Soll-Quote. Der Geschäftsführer muss den Betrag ersetzen, der notwendig ist, um die aktuelle Masse so aufzustocken, dass bei einer Befriedigung im Insolvenzverfahren die Soll-Quote erreicht wird. Bei der Berechnung der hypothetischen Soll-Masse müssen die Verfahrenskosten, die Masseverbindlichkeiten sowie die aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger jedoch herausgenommen werden697). Wie bereits ausgeführt, wird diese Berechnung aufgrund ihrer Komplexität oft nicht gelingen698). ___________ 695) Vergleiche den Formulierungsvorschlag für eine Neufassung des § 64 S. 1 GmbHG in K. Schmidt, ZIP 2009, 1551 (1554): „Wird unter Verletzung des § 15a InsO … [der Insolvenzantrag] nicht rechtzeitig gestellt, so sind die Geschäftsführer (Vorstandsmitglieder) der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Der zu ersetzende Schaden bemisst sich nach dem während der Verletzung des § 15a InsO eingetretenen Verlust der Gesellschaft.“ 696) Nicht gefolgt wird hingegen einer Ansicht in der Literatur, die zwar ebenfalls auf § 43 Abs. 2 GmbHG als Anspruchsgrundlage abstellt, jedoch die Schadensberechnung darüber vornehmen will, wie viel die Überschuldung im Laufe der Verschleppung gestiegen sei, so Heitsch, ZInsO 2009, 1571 (1574); in seinem Modell stehen sich immer noch die Insolvenzverschleppungshaftung und § 64 GmbHG als zwei getrennte Anspruchsgrundlagen gegenüber, vgl. a. a. O. (1576). 697) Dies wurde überzeugend dargelegt von Poertzgen, Organhaftung, S. 280; sowie Dauner-Lieb, ZGR 1998, 617 (625). 698) Mit dieser Wertung auch Haas, NZG 2004, 737 (744).

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V. Rechtsgrundlage eines umfassenden Schadensersatzanspruchs

Als zweite Stufe kann der Insolvenzverwalter für den Verschleppungszeitraum oder 413 einen buchhalterisch abbildbaren, dem am nächsten kommenden Zeitraum den Verlust der Gesellschaft darlegen und beweisen. Und schließlich, drittens, kann das Gericht den Schaden auch gem. § 287 ZPO 414 schätzen. Dies ist der erhebliche Vorteil einer einheitlichen Schadensberechnung. Dort, wo die tatsächlichen Zahlen und Rechengrößen nicht erforschbar sind, kann das Gericht das Vorliegen und die Höhe des Schadens auch nach seinem freien Ermessen bestimmen699). Eine Beweiserleichterung greift zwar hinsichtlich der Schadenshöhe und der Kausalkette, nicht jedoch für den konkreten Haftungsgrund sowie das eventuell erforderliche Verschulden700). Dies muss nach den allgemeinen Regeln bewiesen werden. Das Ermessen kann dabei an vielen Faktoren ausgerichtet werden. Möglich wären zum Beispiel Gutachten von Wirtschaftsprüfern zum Wert des Unternehmens oder demn Geschäftsverlust über den Zeitraum der Verschleppung. Generell wäre aber auch daran zu denken, als Indikator für den Schaden auf die „Zahlungen“ i. S. d. § 64 GmbHG zurückzugreifen. Dabei muss jedoch größte Vorsicht walten, weil sonst das herkömmliche Verständnis des Zahlungsbegriffs durch die Hintertür wieder eingeführt würde. Ansatzpunkt für die Haftung auf Basis des hier vorgetragenen Modells muss jedoch die Veränderung des Massewertes des Gesellschaftsvermögens sein. Ein Rückgriff auf die „Zahlungen“ in der Verschleppungsperiode kommt allenfalls dann in Betracht, wenn es sich um einen sehr überschaubaren Sachverhalt handelt, in dem keine oder vernachlässigbare Geschäftstätigkeit stattgefunden hat und daher die Zahlungen als Masseabflüsse im Wesentlichen die einzigen Transaktionen der insolvenzreifen Gesellschaft waren. Dort jedoch, wo die insolvente Gesellschaft noch in größerem Stil Geschäfte getä- 415 tigt hat und marktlich tätig geworden ist, erscheint es als der dogmatisch beste, gleichzeitig aber auch praxistauglichste Weg, die Schadensberechnung durch eine per Sachverständigengutachten unterstützte gerichtliche Schätzung vorzunehmen. Aufgrund der Tatsache, dass es im vorliegenden Modell nur noch um die tatsächliche Höhe des Schadens geht, kann dann auch auf § 287 ZPO zurückgegriffen werden701). Zur Bestimmung der Anspruchsberechtigten (Alt- oder Neugläubiger) im Modell des BGH wäre dies nicht möglich. Altmeppen hat nun darauf hingewiesen, dass aus dem insoweit gewonnenen Scha- 416 densposten noch weitere Posten auszuklammern seien, die zwar als „Verlust“ ver___________ 699) Zur Schadensschätzung nach § 287 ZPO auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 199 a. E.; kritisch dieser Berechnungsmethode gegenüber jedoch Poertzgen, Organhaftung, S. 281 ff. 700) BGHZ 4, 192 (196) = NJW 1952, 301; Prütting, in MüKo ZPO, § 287 Rn. 8 sowie 14 ff; Saenger, in Saenger, ZPO, § 287 Rn. 4. 701) Ablehnend hingegen Poertzgen, Organhaftung, S. 290 f, der meint, eine Schadensschätzung scheide schon dann aus, wenn der tatsächliche Zeitpunkt der Insolvenzreife nicht nachgewiesen werden könnte; es reiche nicht einmal aus, dass der Insolvenzverwalter darlegen könne, dass zumindest in einem bestimmten Zeitpunkt die Insolvenzreife vorgelegen habe.

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C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

mögensmindernd in die Berechnung eingeflossen sind, jedoch nicht in den Schutzbereich der Norm fallen702): Vermögensverluste, die lediglich zeitlich in den Verschleppungszeitraum fallen, jedoch genauso gut auch zu einem anderen Zeitpunkt hätten stattfinden können, müssen aus dem so errechneten Schadensposten ausgeklammert werden. Darunter fallen insbesondere Ereignisse aufgrund höherer Gewalt. Schlägt im Verschleppungszeitraum der Blitz in das Firmengebäude ein, hat das mit der Verschleppung nichts zu tun.

417 Doch auch bei dieser Überlegung ist Vorsicht geboten: Die allgemeine Wertung des Insolvenzverschleppungsrechts soll ja sein, dass der Geschäftsleiter Geschäfte während der Verschleppung der Insolvenz wirtschaftlich auf eigene Rechnung vornimmt703). Damit verträgt es sich nicht, wenn er zahlreiche Schadensposten dadurch aus der Gesamtberechnung tilgen könnte, indem er belegt, dass diese Vermögensminderungen auch ohne die Verschleppung eingetreten wären. Einzig zulässiges Kriterium kann nach hier vertretener Auffassung das Vorliegen von Ereignissen höherer Gewalt sein.

VI. Ergebnis 418 Ein Blick auf die historische Entwicklung des Zahlungsbegriffs zeigt, dass die Entstehung des Wortlauts des § 64 S. 1 GmbHG, insbesondere des Zahlungsbegriffs, keiner gesetzgeberischen Konzeption und Planung folgt, sondern eher dem Zufall geschuldet ist. Daher konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf eine systemische Auslegung der Haftungsnormen und hat dabei die Konkurrenz der verschiedenen Anspruchsgrundlagen im Blick.

419 Der Dualismus zwischen der Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO zeigt, dass die Ermittlung der durch die Verschleppung hervorgerufenen Vermögenseinbuße der Gesellschaft auf gänzlich unterschiedliche Art erfolgt. Die Haftung für Zahlungsverbote setzt nämlich bei den Schadensursachen („Zahlungen“) an, die Insolvenzverschleppungshaftung beim Quotenschaden der Gläubiger. Diese divergierenden Ansätze bezüglich eines einheitliches Phänomens, nämlich der Verschleppung der Insolvenz, sind letztlich eine Fortsetzung des Prinzips des mittelbaren Gläubigerschutzes, wonach sich der einer Gesellschaft im Stadium der Liquidationsreife zugefügte Schaden als Schaden der Gläubigergesamtheit bei der Auflösung fortsetzt. Ein Dualismus aus beiden Ermittlungsmethoden greift dadurch zumindest manche Schadensposten von zwei Seiten auf und muss fast zwangsläufig zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen. ___________ 702) Dazu und zum Folgenden Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2208). 703) Vgl. Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 39; Haas, NZG 2004, 737 (740 f); ders., ZHR 178 (2014), 603 (605).

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VI. Ergebnis

Der Begriff der Zahlung in § 64 S. 1 GmbHG ist dessen umstrittenstes Tatbe- 420 standsmerkmal. Die h. M. (sog. Trennungslehre) unterscheidet zwischen der Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO und den Zahlungsverboten in § 64 S. 1 GmbHG und leitet daraus die These ab, dass beide Normen einen unterschiedlichen Normzweck verfolgen. Der Anspruch aus § 64 S. 1 GmbHG sei ein reiner Erstattungsanspruch ohne schadensrechtliche Saldierungsmöglichkeit. Die Einheitslehren, namentlich insbesondere von Altmeppen und K. Schmidt, begreifen die beiden Normen hingegen als Spiegelbild zueinander und leiten daraus einen einheitlich zu berechnenden Schadensersatz für die Verschleppung der Insolvenz ab. Damit lassen sie insbesondere die Berücksichtigung von wirtschaftlichen Gegenbewegungen, also positiven Schadensverläufen, zu. Der traditionelle Begriff der Zahlung in der Auslegung durch die Trennungslehre stößt insbesondere bei Vorgängen im Zusammenhang mit einem debitorischen Konto sowie bei der Berücksichtigung von Gegenleistungen zu vertraglich geschuldeten Zahlungen und bei komplexen wirtschaftlichen Sachverhalten an seine Grenzen. Die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO 421 ist demgegenüber als Schadensersatzhaftung anerkannt und steht nach herrschender Auffassung unverbunden neben § 64 S. 1 GmbHG. In mehreren Entscheidungen hat sich der BGH auf den Standpunkt gestellt, dass die Altgläubiger Ersatz für den durch die Insolvenzverschleppung herbeigeführten Quotenschaden fordern können, während die Neugläubiger sogar ihr volles negatives Interesse ersetzt erhalten. Aus der Berechnung des Quotenschadens sollen die Neugläubiger jedoch vollständig auszunehmen sein, da ihnen denklogisch kein einheitlicher Quotenschaden entstehen könne. Dies überzeugt jedoch nicht. Richtigerweise entsteht den Neugläubigern ihr „Quotenschaden“ zwar nicht zum selben Zeitpunkt wie den Altgläubigern. Funktionell sind die Schadenskomponenten jedoch vergleichbar. Daher ist richtigerweise ein beide Gläubigergruppen betreffender Gesamtgläubigerschaden anzuerkennen, der vom Insolvenzverwalter einheitlich geltend zu machen ist. Richtigerweise hat die Insolvenzantragspflicht auch nicht Schutzzweckeigenschaft 422 für alle Gläubiger der Gesellschaft, sondern lediglich für die Neugläubiger. Sinn der Vorschrift ist der Schutz der Allgemeinheit vor einer marktlichen Tätigkeit von eigentlich insolvenzreifen Gesellschaften, die deshalb am Rechtsverkehr nicht mehr hätten teilnehmen dürfen. Die Altgläubiger werden bereits von § 64 S. 1 GmbHG in einer korrigierenden Auslegung als Schadensersatznorm geschützt. Die Haftung für Insolvenzverschleppung auf den Gesamtgläubigerschaden ist eine einheitliche aus § 64 S. 1 GmbHG. § 64 S. 1 GmbHG steht zusätzlich zur Insolvenzverschleppungshaftung in weiterer 423 Konkurrenz zur organschaftlichen Haftung des Geschäftsführers aus § 43 GmbHG. Eine solche Konkurrenz wird von der herrschenden Deutung jedoch aufgrund des anders gelagerten Schutzzwecks des § 43 GmbHG abgelehnt. Die organschaftliche

171

C. Die Normen des Vermögensverlagerungsschutzes

Haftung orientiere sich lediglich an den Gesellschafts-, nicht an den Gläubigerinteressen.

424 Nach hier vertretener Auffassung ändern sich jedoch der Gesellschaftszweck und infolgedessen auch die Geschäftsführerpflichten aus dem organschaftlichen Verhältnis nicht erst ab Auflösung der Gesellschaft durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern bereits ab Eintritt der Insolvenzreife. Die Befriedigung der Gläubiger ist nunmehr der Zweck der Gesellschaft und überlagert in den relevanten Fragestellungen den privatautonom festgelegten Gesellschaftszweck. Auch das Pflichtenprogramm der Geschäftsführer ist darauf ausgerichtet. Letztlich kann daher die Haftung aus § 43 Abs. 2, 3 GmbHG gläubigerschützende Wirkung haben.

425 Insbesondere greift bei dieser Haftung die Business Judgement Rule nicht, da es sich, wie vor allem § 93 Abs. 3 AktG zeigt, nicht um eine unternehmerische Entscheidung handelt, bei der der Geschäftsführer einen Ermessensspielraum hätte. Vielmehr ist seine Entscheidung derart gebunden, dass eine Rechtfertigung selbst über Gesellschafterweisungen nicht in Betracht kommt.

426 Richtigerweise ist die Rechtsgrundlage für die Haftung aus Insolvenzverschleppung daher in der organschaftlichen Haftung zu finden, die modifizierend von § 64 S. 1 GmbHG ausgestaltet wird. § 64 GmbHG ist jedoch keine eigenständige Schadensersatznorm, sondern regelt einen Teilbereich der organschaftlichen Haftung. Eine daneben bestehende und konkurrierende Haftung aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 15a InsO gibt es ebenfalls nicht. Diese gewährt lediglich den Neugläubigern einen Anspruch auf ihren über den Gesamtgläubigerschaden hinausgehenden Schaden auf ihr negatives Interesse.

427 Die konkrete Schadensberechnung erfolgt in einer dreistufigen Kaskade: Zunächst kann der Insolvenzverwalter den Wertverlust des Gesellschaftsvermögens im Zeitraum der Insolvenzverschleppung darlegen und beweisen. Da dies oft nicht möglich sein wird, ist ihm auch die Möglichkeit zu eröffnen, den Verlust der Geschäftstätigkeit in diesem Zeitraum darzulegen. Letztlich kann das Gericht den Schaden auch nach § 287 ZPO schätzen. Dies ist insbesondere deswegen möglich, weil im vorliegenden Modell nur die Höhe des Schadens zu schätzen und keine Abgrenzung von Alt- und Neugläubigern vorzunehmen ist, um den Kreis der Anspruchsberechtigten überhaupt feststellen zu können. Dann nämlich wäre der Weg über § 287 ZPO versagt. Darin sowie in der einheitlichen Berechnung des Schadens für Alt- und Neugläubiger liegt der Vorteil des hier vorgeschlagenen Berechnungssystems.

172

D. Schutz der Vermögensstruktur – Verursachung der Insolvenz als Anknüpfung der Haftung Nunmehr wird der Blick auf diejenigen Rechtsgrundlagen gerichtet, die an die 428 Verursachung der Insolvenz anknüpfen. Als Ergebnis der Auswertung der Normzwecke in Teil B wurde eine Unterteilung in Normen vorgenommen, die den Schutz vor Vermögensverlagerung und -sicherung bewirken sollen, und anderen Normen, die die Vermögensstruktur der Gesellschaft bewahren, indem sie die Haftung der Leitungsorgane an die Verursachung der Insolvenz knüpfen. Die hier in Frage kommenden Normkomplexe, nämlich die Existenzvernichtungshaftung und das Zahlungsverbot des § 64 S. 3 GmbHG gewähren Vermögensstrukturschutz, indem sie bei der Liquidität der Masse als Schutzgröße ansetzen704).

429

Der Zusammenhang dieser Normen soll im Folgenden erörtert werden.

I.

Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes: Unabgestimmte Voraussetzungen und Divergenz bei den Haftungsschuldnern

In die Betrachtung einbezogen werden im Folgenden insbesondere die Haftung aus 430 § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB sowie zum Teil auch die Kapitalerhaltungsvorschriften. In der Einleitung wurde bereits darauf hingewiesen (vgl. A.II.2), dass für die vorliegende Arbeit die Regeln der Insolvenzanfechtung als Vergleichsgröße nur fallweise herangezogen werden, jedoch kein vertiefter Abgleich gesucht wird. Denn diese Normen regeln durchgängig die Rückführung von Vermögensverschiebungen vom Empfänger, während die vorliegende Arbeit eine Harmonisierung der Haftungsstränge der Leitungsorgane untersucht. Während die Existenzvernichtungshaftung über die Gehilfenhaftung des § 830 Abs. 2 GmbHG auch Ausstrahlungswirkung auf den Geschäftsleiter hat, ist eine vergleichbare „Umlenkung“ oder gar eine Ausfallhaftung bei der Insolvenzanfechtung nicht ersichtlich. Daraus rechtfertigt sich der Ansatz der vorliegenden Arbeit, die Regeln der Insolvenzanfechtung zunächst auszublenden. Bei einer Zusammenschau der betroffenen Normen ist auffällig, dass auch beim Ver- 431 mögensstrukturschutz ein einheitliches Gesetzgebungskonzept oder darauf abgestimmte richterrechtliche Regelungen fehlen. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel von einzelnen, unverbundenen Regelungen, die sich in ihrem Anwendungsbereich teils decken, teils jedoch auch empfindliche Unterschiede aufweisen.

___________ 704) Vgl. zum durch § 64 S. 3 GmbHG bewirkten Vermögensstrukturschutz im Vergleich zu den Kapitalerhaltungsvorschriften Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 13.

173

D. Schutz der Vermögensstruktur

1.

Der neue § 64 S. 3 GmbHG – Sinn und Zweck der Regelung

432 Zentraler Ausgangspunkt der Überlegungen dieses Kapitels ist § 64 S. 3 GmbHG. Bei der Diskussion um das genuine Bestandsinteresse der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern sowie den Schutzzweck der Insolvenzprophylaxe wurde oben bereits eine grundlegende Charakterisierung der Norm vorgenommen und auf die vom Gesetzgeber intendierten Normzwecke eingegangen.705)

433 Nochmals festgehalten werden soll an dieser Stelle, dass § 64 S. 3 GmbHG und dessen Schwestervorschriften (§ 92 Abs. 2 S. 3 AktG, § 130a Abs. 1 S. 3 HGB706) erst durch das MoMiG eingefügt wurden und nach einer weithin vertretenen Sicht ein gänzlich neues oder zumindest in seiner Ausprägung andersartiges Gläubigerschutzkonzept beinhalten707). Ebenfalls wurde bereits darauf hingewiesen, dass viele Stimmen die Norm als erste Ausprägung des Solvenztests im deutschen Recht betrachten708). Sie stellt eine Insolvenzverursachungshaftung dar, die vor Ausplünderungen der Gesellschaft im Vorfeld der Insolvenz schützen soll709), insbesondere vor organisierten Firmenbestattungen710). Es soll verhindert werden, dass der Gesellschaft bereits im Vorfeld der Insolvenzreife Vermögenswerte entzogen werden, die die Gesellschaft im Anschluss daran aber objektiv zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigen würde711). Dabei hatte der Gesetzgeber wohl insbesondere solche fremdfinanzierten Unternehmenskäufe im Blick, bei denen der Kaufpreis bzw. die Sicherheitenstellung im Anschluss an die Transaktion zu einem erheblichen Teil durch den Abzug von Liquidität aus der Zielgesellschaft erbracht wird, sog. leveraged-finance-Transaktionen oder leveraged buy-outs712). Rechtspolitischer Neben___________ 705) Vgl. oben unter B.IV.6.c mit weiteren Nachweisen zur Entstehungsgeschichte und Rezeption in der Literatur. 706) Eine dem § 64 S. 3 GmbHG vergleichbare Vorschrift im Genossenschaftsgesetz fehlt. In §§ 99, 34 Abs. 3 Nr. 4 GenG findet sind lediglich das Pendant zu § 64 S. 1 GmbHG. 707) Vgl. dazu bereits die ausführliche Darstellung oben unter B.IV.6.c; Schmidt/Poertzgen, NZI 2013, 369 (372): sowohl § 15a InsO als auch § 64 S. 1 GmbHG formulierten nur Pflichten im Hinblick auf die eingetretene Insolvenz, § 64 S. 3 GmbHG knüpfe dagegen an die Verursachung an; von etwas „gänzlich neuem“ spricht Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (963): die Norm führte eine Systematik ein, die dem deutschen Recht bislang fremd sei. 708) Statt vieler vgl. nur Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 111 Fn. 377 m. w. N. sowie Haas, GmbHR 2010, 1 (2 m. w. N. in Fn. 5). 709) Vgl. hierzu bereits RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Niesert/Hohler, NZI 2009, 345 (349); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (250). 710) Kleindiek, GWR 2010, 75 (76), der aus dem Ausnahmecharakter der Vorschrift ableitet, dass von einem engen Kausalzusammenhang zwischen Zahlung und Eintritt der Insolvenz ausgegangen werden müsse; ders., in FS K. Schmidt, 2009, S. 893 (904). 711) Vgl. nur H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 2 m. w. N.; Seibert, ZIP 2006, 1157 (1167); damit ist die Norm Ausdruck der insolvenzrechtlichen Wertung der vorrangigen Befriedigung der Gläubiger vor den Gesellschaftern: Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009, S. 189 f; zustimmend Haas, GmbHR 2010, 1 (2). 712) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 110; vgl. auch Knapp, DStR 2008, 2371 (2374); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (250); Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203.

174

I. Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes

zweck des neuen S. 3 war jedoch auch, die durch das MoMiG im Rahmen des neuen § 30 GmbHG reduzierte Haftung der Gesellschafter auszugleichen. Durch die Ergänzung in § 30 Abs. 1 S. 2 GmbHG wurde die vom BGH in seinem sog. NovemberUrteil713) statuierte extensive Auslegung der Kapitalerhaltungsvorschriften wieder eingedämmt714). Der vom BGH dort aufgebaute und in § 30 GmbHG verortete Vermögensstrukturschutz ist nunmehr in § 64 S. 3 GmbHG angesiedelt715).

2.

§ 64 S. 3 GmbHG als Ergänzung der Kapitalerhaltungsvorschriften?

a) Grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Normen? Bereits in der Gesetzesbegründung zum neu eingefügten § 64 S. 3 GmbHG geht 434 der Gesetzgeber davon aus, dass sich die Neuregelung mit „den Schutzinstrumenten des geltenden Rechts in mehreren Punkten“ überschneide716). Zunächst wird eine gewisse Verwandtschaft zu § 30 Abs. 1 GmbHG konstatiert, indem nicht nur Zahlungen, die zur Unterbilanz führen oder diese vertiefen, einer Haftung unterworfen werden, sondern auch solche, die zur Zahlungsunfähigkeit führen mussten717). Bei der Unterbilanz und der Überschuldungsprüfung handelt es sich jeweils um bilanziell orientierte Prüfungen in Bezug auf das Eigenkapital. Eine Unterbilanz liegt vor, wenn durch eine Ausschüttung der Betrag des Stammkapitals angegriffen wird, bei der Überschuldung sinkt der Eigenkapitalausweis in der Bilanz auf null oder wird negativ. Wesentlicher Unterschied ist zudem, dass stille Reserven in der Überschuldungsprüfung aufgelöst werden, bei der Unterbilanz nicht718). Damit ist die Unterbilanz also nichts anderes als eine um das Stammkapital nach oben verschobene Überschuldungsprüfung ohne den Ansatz von stillen Reserven. § 64 S. 3 und § 30 Abs. 1 GmbHG könnten sich also dergestalt ergänzen, dass das gesamte Spektrum der Insolvenzantragsgründe abgedeckt werden soll, nämlich Zahlungsunfähigkeit ___________ 713) BGHZ 157, 72 = NJW 2004, 1111 (November-Urteil); Pentz, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 30 Rn. 67; aus den umfassenden Reaktionen im Schrifttum nur exemplarisch Habersack/ Schürnbrand, NZG 2004, 689; Bayer/Lieder, ZGR 2005, 133; zum Ganzen auch ausführlich Komo, GmbHR 2010, 230 (231 ff). 714) So explizit die Gesetzesbegründung in RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 93. Der BGH hat nun seinen Standpunkt aufgegeben in BGHZ 179, 71 = NJW 2009, 850 (MPS); H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 2 m. w. N. 715) K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072 (1078): „Der bei § 30 GmbHG vermiedene Solvenztest kehrt also hier in Gestalt eines allgemeinen Zahlungsverbots wieder.“; ders., in Scholz, § 64 Rn. 79; dazu, dass § 64 S. 3 GmbHG nunmehr denselben Vermögensstrukturschutz biete wie vormals § 30 Abs. 1 GmbHG in der Auslegung durch das November-Urteil: Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 13; Komo, GmbHR 2010, 230 (231 ff). 716) RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46, rechte Spalte. 717) Bei § 64 S. 3 wird im Gegensatz zu § 30 Abs. 1 GmbHG nicht gefordert, dass die Zahlung zu einer Unterbilanz geführt oder dieser verstärkt hat: Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 110 m. w. N.; vgl. zum Vermögensstrukturschutz des § 64 S. 3 GmbHG auch Ekkenga, in MüKo GmbHG, § 30 Rn. 13. 718) Vgl. zum Ganzen nur Bitter, in Scholz, vor § 64 Rn. 20 ff, zum Wertansatz Rn. 44 ff.

175

D. Schutz der Vermögensstruktur

und Überschuldung (resp. Unterbilanz). Auch ist beiden Normen gemein, dass sie nur bei Gesellschaftern als Zahlungsempfängern ansetzen719). Und schließlich verwenden beide Normen den Begriff der „Zahlung“ (bzw. „ausgezahlt“), knüpfen also augenscheinlich an dieselbe Voraussetzung an. Es lassen sich daher stichhaltige Gründe anführen, § 64 S. 3 GmbHG systematisch in die Nähe des Kapitalerhaltungsrechts zu rücken720).

435 So vertritt insbesondere K. Schmidt, dass § 64 S. 3 GmbHG im Verhältnis zur Existenzvernichtungshaftung etwas gänzlich anderes sei721). Die Norm stelle neben dem bilanziell orientierten Ausschüttungsverbot des § 30 GmbHG ein weiteres Zahlungsverbot auf722). Dieses richte sich lediglich nicht gegen Gesellschafter, sondern den Geschäftsführer. Beide Anspruchsgrundlagen schlössen sich nicht aus und könnten kumulativ erfüllt sein. Er schließt daraus auf ein kumuliertes Verbot von nach § 30 Abs. 1 GmbHG causa societatis vorgenommenen Zahlungen in der Unterbilanz sowie insolvenzverursachenden Zahlungen nach § 64 S. 3 GmbHG an Gesellschafter. Somit bestehe im deutschen Recht nunmehr ein kumulierter Kapitaldeckungsund Solvenztest, beide Institute seien eine gegenseitige Ergänzung723). Eine solche „Flankierung“ der Ausschüttungssperre des § 30 Abs. 1 GmbHG hat im Schrifttum noch weitere Befürworter gefunden724).

436 Teilweise wird nun aber auch argumentiert, dass die Beschränkung des § 64 S. 3 GmbHG auf die Herbeiführung lediglich der Zahlungsunfähigkeit wohl der Vorstellung des Gesetzgebers geschuldet sei, dass in Ausplünderungsfällen bei der Herbeiführung der Überschuldung die Haftung aus § 43 Abs. 3 i. V. m. § 30 Abs. 1 ___________ 719) Vgl. nur Strohn, ZHR 173 (2009), 589. 720) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 79 m. w. N.; zum Verhältnis von § 92 Abs. 2 S. 3 zu § 57 AktG vgl. Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 146 ff: Es ist jedoch zu beachten, dass § 57 AktG bereits per se ein strengeres Schutzregime enthält als § 30 GmbHG und daher die meisten Fälle des § 92 Abs. 2 S. 3 AktG bereits von § 57 AktG erfasst sein dürften (vgl. Rn. 148). 721) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 81: Die beiden hätten „nichts miteinander zu tun“. 722) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 79 m. w. N. mit Verweis ua. auf die Regierungsbegründung des MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; zum Folgenden auch Rn. 81 und 84. 723) Vgl. K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 79 (Fn. 1 auf S. 4011 m. w. N.); so auch Schmidt-Leithoff/ Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 55; nach Knof, DStR 2007, 1536 (1537) ist § 30 GmbHG eine streng bilanzielle Ausschüttungssperre, während § 64 S. 3 GmbHG „eine situative Ausschüttungssperre sei, die alle liquiditätswirksamen Leistungen an Gesellschafter in den Blick nimmt, ohne darauf zu sehen, ob hierdurch Stammkapital angetastet wird.“ 724) Vgl. statt vieler nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 65 m. w. N.: „Teilw. wird wohlwollend angenommen, S. 3 erleichtere eine Flankierung der Ausschüttungssperre des § 30“; auch bei der Konkurrenz aus den §§ 30 Abs. 1 und § 64 S. 3 GmbHG gilt, dass der Geschäftsführer den Einwand der „Anfechtbarkeit“ der Zahlung nicht geltend machen kann, stattdessen den Anspruch der Gesellschaft an sich nach § 255 BGB abtreten lassen muss: Schmidt-Leithoff/ Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 71 m. w. N.; dazu jetzt neuerdings wieder Altmeppen, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, S. 3 ff.

176

I. Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes

GmbHG ausreiche725). Tatsächlich greifen aber die Kapitalerhaltungsvorschriften bei Ausplünderungen zu kurz. Daher findet sich auch das Argument, die Haftung in § 64 S. 3 GmbHG sei besser ohne eine Beschränkung auf einen speziellen Insolvenzantragsgrund auszugestalten726). Ob damit jedoch eine extensive Auslegung der Norm oder eine korrigierende Fassung durch den Gesetzgeber gefordert wird, bleibt offen. Ob eine solche Ausweitung des § 64 S. 3 GmbHG jedoch überhaupt erforderlich 437 ist, darf bezweifelt werden. Die Erkenntnis, dass die Kapitalerhaltungsvorschriften zu kurz greifen, ist nicht neu. Sie hat bereits bei der Entwicklung der Existenzvernichtungshaftung durch die Rechtsprechung Pate gestanden727). Dabei ging es gerade um Fälle, in denen Vermögensabzüge zu einer Insolvenz der Gesellschaft führen und nicht durch das Kapitalschutzsystem wirksam ausgeglichen werden können. Im Ergebnis ist es somit sachgerechter, die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG eher in die Nähe der Existenzvernichtungshaftung als in eine Konkurrenz zu § 30 Abs. 1 GmbHG zu rücken728).

b) Fundamentale Unterschiede im Zahlungsbegriff Diesem Befund leisten weitere Abweichungen zwischen den beiden Schutzkonzep- 438 ten Vorschub. Denn der Begriff der Zahlung ist in beiden Kontexten unterschiedlich auszulegen. Zahlungen i. S. d. § 30 Abs. 1 GmbHG können nur solche sein, die societatis causa erfolgen, also dem Gesellschafter aufgrund seiner Gesellschafterstellung einen Sondervorteil gewähren729). Verboten ist nur das, was der Gesellschafter wegen seiner Gesellschafterposition zu viel erhält, nicht jedoch, was die Gesellschaft sowieso im normalen Leistungsaustausch verliert. Alle auf marktgerechten Verträgen mit Gegenleistung (ansonsten: verdeckte Ausschüttung) beruhenden Ansprüche werden aus dem Zahlungsbegriff bereits ausgeklammert. Eine vergleichbare Einschränkung gibt es bei § 64 S. 3 GmbHG nicht. Die Norm 439 erfasst im Zahlungsbegriff auch solche Vorgänge, durch die ein fälliger Anspruch ___________ 725) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 117, der diese Sichtweise als zu kurz gegriffen ansieht; in diese Richtung auch Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (964 f). 726) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 117 Fn. 403 m. w. N. 727) Stellvertretend dazu nur die Ausführungen im Trihotel-Urteil: BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 21). 728) In § 64 S. 3 GmbHG ebenfalls kein geeignetes Mittel, die Kapitalerhaltungsvorschriften zu ergänzen, sieht Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (964 f). 729) Siehe dazu die umfassenden Nachweise oben unter B.II.2.d sowie Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 62; Fastrich, in Baumbach/Hueck, § 30 Rn. 29 ff; vgl. auch K. Schmidt, in Scholz § 64 Rn. 79 m. w. N., der meint, § 64 S. 3 GmbHG erfasse nicht nur Zahlungen causa societatis „und steht deshalb wertungsmäßig nicht auf dem Boden des § 73 und des Nachrangs der Gesellschafter bei der Verteilung im Insolvenzverfahren (§ 199 S. 2 InsO)“.

177

D. Schutz der Vermögensstruktur

des Gesellschafters erfüllt wird730). Es sei insofern unerheblich, ob durch die Zahlung ein gewöhnliches Austauschgeschäft abgewickelt werde oder nicht731). Dies betrifft insbesondere Ansprüche aus einem Gesellschafterdarlehen: § 64 S. 3 GmbHG umfasst alle Zahlungen, nach h. M. auch solche aus Kreditrückführung732). Letzteres wird in der Literatur von einer starken Meinung jedoch auch bestritten, § 64 S. 3 GmbHG begründe demgemäß keine Auszahlungssperre hinsichtlich fälliger Darlehensrückzahlungen733).

440 Obwohl unter den Begriff der Zahlung i. S. d. § 64 S. 3 GmbHG auch solche zu fassen sind, die auf einem wirksamen vertraglichen Anspruch beruhen, dürfte dennoch letztere Ansicht hinsichtlich der Rückführung von Gesellschafterdarlehen im Ergebnis richtig sein. Denn Rückzahlungen auf eine fällige Darlehensschuld können die Zahlungsunfähigkeit nicht herbeiführen734). Das Bestehen eines Anspruchs des Gesellschafters hat Auswirkungen auf die Einstellung in die Zahlungsbilanz. Ein bereits fälliger Anspruch muss als bestehende Verbindlichkeit in die Liquiditätsbilanz eingebucht werden. Somit ist bereits vor der eigentlichen „Zahlung“ die Liquiditätsbilanz entsprechend verschlechtert. Die Zahlungsunfähigkeit wird durch diesen Vorgang nicht „verursacht“735). Vielmehr liegt Zahlungsunfähigkeit bereits ab ___________ 730) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 62; vgl. auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 72; ders., FS Hüffer, 2010, S. 1 (5); K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 91 m. w. N.; Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 159; Poertzgen, ZInsO 2010, 785 (787); teilweise a. A. dagegen Mertens/Cahn, in KölnKomm, § 92 Rn. 46, die zwar anerkennen wollen, dass auch Geschäfte mit marktüblicher Gegenleistung in den Schutzbereich des § 92 Abs. 2 S. 3 AktG fallen können, jedoch darauf abstellen wollen, ob die Zahlung durch die Stellung als Aktionär veranlasst ist. 731) H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 186; mit ausführlicher Darstellung und i. E. ebenfalls Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 29 – 34; ders., GWR 2010, 75; bei echten Drittgeschäften geht Arnold, in Henssler/Strohn, § 64 Rn. 50 jedoch nur selten von einer Erfüllung des Tatbestands des § 64 S. 3 GmbHG aus, begründet dies jedoch eher mit dem Kriterium der Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (dazu weiter unten); zur differenzierenden Ansicht von Mertens/Cahn vgl. die vorige Fn. 732) BGHZ 203, 218 = NZG 2015, 149 (150 Rz. 15 f); K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 93 m. w. N.; Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169 (170 f); ausführlich Desch, BB 2010, 2586 ff; Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 155 m. w. N., zur Gegenansicht Rn. 156 (vgl. nächste Fußnote). 733) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 24 m. w. N.; vgl. die Darstellung bei Poertzgen/ Meyer, ZInsO 2012, 249 (252 f); Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 explizit Rn. 21 und nochmals 29 ff; ders., GWR 2010, 75 (76); Seibert, ZIP 2006, 1157 (1161); Wicke, GmbHG, § 64 Rn. 27; zum Ganzen: Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (970 f m. w. N.); sowie die Darstellung bei Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 114 m. w. N. 734) Ausführlich Desch, BB 2010, 2586 ff; Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881 (884), die darauf hinweisen, dass die Regierungsbegründung wohl von kompensationslosen Zahlungen ausgehe; Arnold, in Henssler/Strohn, § 64 Rn. 49 – 50. 735) In BGHZ 195, 42 = NZG 2012, 1379 verweist der BGH in Leitsatz 1 explizit darauf, dass § 64 S. 3 GmbHG nicht erfüllt sein könne, wenn die Gesellschaft bereits vor der Zahlung in der materiellen Insolvenz war, die Zahlungsunfähigkeit mithin nicht „herbeigeführt“ wurde; vgl. auch Desch, BB 2010, 2586 ff.

178

I. Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes

der Begründung der Verbindlichkeit vor. Somit ist in diesem Fall nicht § 64 S. 3 GmbHG, sondern allenfalls S. 1 verwirklicht. Auch hierbei besteht eine nicht unerhebliche Divergenz zwischen den beiden Zah- 441 lungsbegriffen. Stellt der Geschäftsführer die Liquidität der Gesellschaft wieder her, indem eine liquide Gegenleistung zugeführt wird oder der Gesellschafter den Betrag zurückzahlt, unterbricht das den Kausalverlauf: Die Zahlung kann die Zahlungsunfähigkeit nicht herbeiführen, der Anspruch nach § 64 S. 3 entfällt736). Bei § 30 GmbHG lässt der BGH eine ähnliche Betrachtung aber gerade nicht zu737). Dies hängt vor allem damit zusammen, dass § 64 S. 3 GmbHG nur die Herbeiführung eines bestimmten Zustandes sanktioniert, während § 30 Abs. 1 GmbHG den reinen Vermögensabzug ausreichen lässt. Dieses finale Element ist es, was der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG ihr besonderes Gepräge gibt, und worin sie sich von den Kapitalerhaltungsregeln unterscheidet.

c)

Rechtsfolge der Ansprüche

Was die Rechtsfolge der beiden Ansprüche anbelangt, unterscheiden sich die Kon- 442 zepte noch deutlicher. Während der Anspruchsgegner der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG stets der Geschäftsführer738) ist, gewährt § 31 Abs. 1 GmbHG der Gesellschaft zunächst einen Anspruch gegen den begünstigten Gesellschafter, der über die Ausfallhaftungen des Abs. 3 auch auf die übrigen Gesellschafter ausgeweitet werden kann. Die Geschäftsführerhaftung beruht demgegenüber auf § 43 Abs. 2, 3 GmbHG. Die Haftung der Geschäftsführer und der Gesellschafter bei der Kapitalerhaltung 443 ist nach h. M. aus Mangel an Gleichstufigkeit aber kein Gesamtschuldverhältnis739). Die Geschäftsführer erhalten analog § 255 BGB Zug um Zug gegen Leistung von Schadensersatz den Anspruch der Gesellschaft gegen die Gesellschafter aus § 31 Abs. 1 GmbHG abgetreten740). Doch geht die h. M. davon aus, dass die Haftung aus

___________ 736) Vgl. nur Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 120 m. w. N. 737) BGHZ 144, 336 (340 ff) = NJW 2000, 2577; BGHZ 152, 63 = NJW 2002, 3629. 738) Vgl. Strohn, ZHR 173 (2009), 589, der ebenfalls den Widerspruch zwischen den Rechtsfolgen der Kapitalerhaltungsregeln und des Zahlungsverbots bei insolvenzverursachenden Zahlungen attestiert. 739) Fleischer, in MüKo GmbHG, § 43 Rn. 290; so auch i. E. Oetker, in Henssler/Strohn, § 43 Rn. 65; a. A. Haas/Ziemons, in Michalski, § 43 Rn. 219a; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 119; anders dagegen das Verhältnis von Geschäftsleitern und Empfängern verbotener Zahlungen nach § 64 GmbHG: vgl. zum Gesamtschuldverhältnis aus Zahlungshaftung und Insolvenzanfechtung: Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 715 sowie Habersack/ Foerster, GroßKomm AktG, § 92 Rn. 139 f; Poertzgen, Organhaftung, S. 231. 740) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 119; vgl. auch Strohn, ZInsO 2009, 1417 (1419).

179

D. Schutz der Vermögensstruktur

§ 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG eine Haftung auf Schadensersatz darstelle741). Dies wiederum verträgt sich dann nicht mit der Rechtsfolge des § 64 S. 3 GmbHG, dem Erstattungsanspruch „sui generis“.

444 Ein weit relevanterer Unterschied der beiden Konzepte zeigt sich aber mit Blick auf das wesensimmanente Kriterium der Verursachung der Insolvenz. Bei einem Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften, also einer Vermögensauskehr in der Unterbilanz, handelt es sich per se um eine verbotene Zahlung. Bei § 64 S. 3 GmbHG geht es aber um Zahlungen, deren Folge die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit ist und die zudem noch mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes gerechtfertigt werden können. Wesensimmanentes Kriterium der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG ist damit die Bestimmung, wann und unter welchen Voraussetzungen möglicherweise schon in deutlichem Abstand vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit getätigte Zahlungen zur Insolvenzreife „führen mussten“. Mit diesem durchaus strittigen Kriterium liegt eher eine Parallele zur Existenzvernichtungshaftung vor, bei der die Herbeiführung der Insolvenz der Gesellschaft Tatbestandsmerkmal ist.

d) Zwischenergebnis 445 Vor dem Hintergrund dieser Unterschiede ist es sachgerecht, die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG nicht in direkte Verbindung zu § 30 Abs. 1 GmbHG zu stellen, sondern allenfalls als unverbundene Ergänzung dazu anzusehen742). Die strukturellen und konstruktiven Unterschiede lassen es als schwierig erscheinen, Synergien zwischen den beiden Normkomplexen zu finden. Mehr Erfolg verspricht der Abgleich der Haftung des § 64 S. 3 GmbHG mit der Existenzvernichtungshaftung.

3.

Finaler Zusammenhang zwischen Zahlung und Insolvenzreife: Die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung

a) Mittelbarer Gläubigerschutz im Gewand unterschiedlicher tatbestandlicher Konstruktionen 446 Bereits der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass eine enge Verbindung des neuen § 64 S. 3 GmbHG zur Existenzvernichtungshaftung nach der Trihotel-Entscheidung gegeben ist743): Die neue Vorschrift erfasse einen Teilbereich der Existenzvernichtungshaftung und weise Parallelen zum anglo-amerikanischen Solvenztest ___________ 741) Schneider, in Scholz, § 43 Rn. 268 m. w. N.; vgl. Zöllner/Noack, in Baumbach/Hueck, § 43 Rn. 48 f, der insofern von typisiertem Schadensnachweis spricht; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 43 Rn. 119; a. A. dagegen Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 ff; gleichwohl begründet § 43 Abs. 3 S. 1 GmbHG aber keine Garantiehaftung: vgl. BGHZ 122, 333 = NJW 1993, 1922 (1923 unter d); BGHZ 148, 167, 171 = NJW 2001, 3123 (3124 unter 3.); das Verschuldenserfordernis betont auch Schneider, in Scholz, § 43 Rn. 274. 742) So im Ergebnis auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 79 und 84. 743) Dazu und zum Folgenden RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46, rechte Spalte.

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I. Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes

auf. Jedoch gesteht der Gesetzgeber zu, dass die Neuregelung in fundamentaler Abkehr von der Trihotel-Doktrin nicht beim Gesellschafter als Empfänger der Zahlung ansetze, sondern beim Geschäftsführer „als deren Auslöser oder Gehilfe[n]“. Eine Begründung bleibt der Entwurf schuldig. Es wird lediglich erwähnt, dass keine abschließende Regelung der Existenzvernichtungshaftung intendiert sei und der weiteren Rechtsfortbildung nicht vorgegriffen werden solle. Diese müsse weiterhin der Wissenschaft überlassen bleiben744). Dem folgend gehen sowohl die herrschende Lehre745) als auch der BGH746) davon aus, dass beide Institute nebeneinander anwendbar seien und gewisse Parallelen bestünden, ohne sich jedoch gegenseitig zu beeinflussen. Es ist zunächst wohl hinzunehmen, dass die Existenzvernichtungshaftung beim 447 Gesellschafter, § 64 S. 3 GmbHG hingegen bei den Geschäftsleitern als Haftungsadressaten ansetzt. Die Haftung für verbotene Zahlungen richtet sich an das Management, die Existenzvernichtungshaftung an die Eigentümer747). Teilweise wurde in der Literatur aber auch aufgezeigt, dass diese Unterscheidung wohl eher theoretischer Natur sei. Gerade bei kleineren Gesellschaften sind die Gesellschafter oft gleichzeitig die Geschäftsführer. Und letztere haben – im Gegensatz zu den Gesellschaftern – auch kein tatsächliches Interesse daran, die Insolvenz zu verschleppen748). Daher liegt der Gedanke nicht fern, dass sich beide Konzepte in praxi nicht nur unverbunden ergänzen, sondern an denselben Sachverhalten, u. U. sogar am selben Adressatenkreis ansetzen. In Summe entsteht eine durchaus unübersichtliche Gemengelage: Während das Zah- 448 lungsverbot lediglich an die Verursachung der Zahlungsunfähigkeit anknüpft, bezieht sich die Existenzvernichtungshaftung allgemein auf die Verursachung der Insolvenz der Gesellschaft, also auch auf die Überschuldung. Bei § 64 S. 3 GmbHG

___________ 744) RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 6. 745) Bitter, in Scholz, § 13 Rn. 152 ff m. w. N. 746) So zumindest der 2. Strafsenat in BGHSt 54, 52 (60) = NJW 2009, 3666 (3668), der explizit davon spricht, dass § 64 S. 3 GmbHG die Existenzvernichtungshaftung nicht verdränge und beide Anspruchsgrundlagen nebeneinander bestünden; in diese Richtung auch OLG Stuttgart, ZIP 2009, 1864 = BeckRS 2009, 21291. 747) Dazu Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (966), die einen generellen Nutzen des § 64 S. 3 GmbHG in Zweifel zieht, da ja bereits eine Haftung nach § 830 Abs. 2 BGB bestünde; auch könne der Schaden über den Wert der Zahlungen deutlich hinausgehen. 748) Flume, ZIP 1994, 337 (341): nur die Gesellschafter hätten ein ureigenstes Interesse an der Verschleppung der Insolvenz.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

reicht die Verursachung der Überschuldung aber nicht aus749). Die Voraussetzungen der beiden Normen sind insofern nicht deckungsgleich.

449 In der Praxis dürfte dies jedoch wiederum nur einen geringen Unterschied ausmachen: Im Jahr 2013 wurden in Deutschland von insgesamt 10.436 Insolvenzanträgen für GmbHs 3.452 auf Zahlungsunfähigkeit und weitere 6.476 auf Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit gestützt. Ausschließlich wegen Überschuldung waren es nur 286 Anträge, wegen Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit 128. Nicht auf Zahlungsunfähigkeit gestützt waren daher nur knapp 4 Prozent der Anträge750). Die Zahlungsunfähigkeit ist also der mit Abstand wichtigste Insolvenzgrund. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass ein außenstehender Gläubiger – im Gegensatz zum Geschäftsführer – in aller Regel die Überschuldung wohl kaum erkennen kann751). Zudem muss beachtet werden, dass die Überschuldung bzw. die ihr zugrunde liegende Fortführungsprognose nichts anderes als eine in die Zukunft projizierte Zahlungsunfähigkeitsprognose darstellt, mithin die „Vermutung der Zahlungsunfähigkeit“ ist752). In Summe nimmt daher § 64 S. 3 GmbHG, was den Insolvenzgrund anbelangt, den absoluten Großteil der auch von der Existenzvernichtungshaftung abgebildeten Fälle in sich auf.

450 Bei der Existenzvernichtungshaftung muss die Insolvenz gemäß § 826 BGB aufgrund eines sittenwidrigen Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen erfolgt sein. Diesbezüglich besteht wiederum ein – zumindest terminologischer – Unterschied zu § 64 S. 3 GmbHG, der an den Zahlungsbegriff des S. 1 anknüpft. In beiden Fällen geht es jedoch darum, dass durch die Zahlung bzw. den Eingriff die Insolvenzreife der Gesellschaft vorhersehbar herbeigeführt wurde.

451 Anzumerken ist eine ganz wesentliche Übereinstimmung zwischen § 64 S. 3 und der neu entwickelten Existenzvernichtungshaftung, die in den Überlegungen im ersten Teil dieser Arbeit bereits in den Blick genommen wurde. Bei beiden Anspruchsgrundlagen ist die Gesellschaft aktivlegitimiert. Das heißt, die Haftung wurde als ___________ 749) Nach überwiegender Meinung ist auch keine extensive Auslegung des § 64 S. 3 GmbHG möglich, um auch die Überschuldung zu erfassen: vgl. Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 102; Mertens/Cahn, in KölnKomm AktG, § 92 Rn. 38; Greulich/Brunnemann, NZG 2006, 681 (684 f); a. A. Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 107; hier ergibt sich wiederum eine Parallele zur Insolvenzanfechtung, die ebenfalls die Zahlungsunfähigkeit in den Blick nimmt: vgl. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 704. 750) Alle Angaben sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes, zitiert nach Altmeppen, in Roth/ Altmeppen, vor § 64 Rn. 15 sowie 24; vgl. auch Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (590 f), der meint, dies liege vor allem an der leichteren Beweisbarkeit durch außenstehende Gläubiger. 751) Vgl. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 704. 752) Vgl. nur Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 187 m. w. N.; sowie Bitter, in Scholz, vor § 64 Rn. 32 ff, insbesondere 36 m. w. N. aus der Rechtsprechung: Der BGH stelle darauf ab, ob eine Gesellschaft die Finanzkraft habe, nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig das Unternehmen fortzuführen.

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I. Die Normen im Recht des Vermögensstrukturschutzes

Innenhaftung ausgestaltet und steht der Gesellschaft zu753). Nichtsdestotrotz schützt sie (mittelbar) die Gläubiger754).

b) Deliktische vs. insolvenzrechtliche Regelung Die markanteste Überschneidung der beiden Normkomplexe ist jedoch die Tatsa- 452 che, dass es sich bei der neukonzipierten Existenzvernichtungshaftung um eine deliktische handelt und infolgedessen auch die Gehilfenhaftung des § 830 Abs. 2 BGB Anwendung findet755). Im Gegensatz dazu ist § 64 S. 3 GmbHG eine Norm des Insolvenzrechts, mit der Folge, dass § 830 BGB nicht eingreift und damit auch keine abgeleitete Gesellschafterhaftung entstehen kann756). Bei der Existenzvernichtungshaftung kann aber ein Geschäftsführer als Gehilfe eines 453 Gesellschafters ebenso wie dieser schadensersatzrechtlich für die Verursachung der Insolvenz verantwortlich sein, § 830 Abs. 2 BGB. Dies setzt zwar doppelten Gehilfenvorsatz voraus, also neben der vorsätzlich begangenen Haupttat des § 826 BGB den Vorsatz des Geschäftsführers hinsichtlich der Gehilfenstellung und hinsichtlich der Haupttat. Einer der entscheidenden Gründe für den Schwenk des BGH hin zur Innenhaftung nach § 826 BGB bei der Existenzvernichtungshaftung war zudem das generelle Vorsatzerfordernis in § 826 BGB757). Eine Haftung für Fahrlässigkeit sollte gerade vermieden werden. Demgegenüber haftet ein Geschäftsführer bei § 64 S. 3 GmbHG aber auch bereits bei leichter Fahrlässigkeit758). Daher stellt sich die Frage der Konkurrenz beider Normen. Diese ist insofern nicht unproblematisch, weil es – zumindest auf den ersten Blick – durchaus erhebliche Unterschiede bereits im Tatbestand gibt (dazu später mehr). ___________ 753) Ausführliche Darstellung und eingehende Kritik bei Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 746 m. w. N. 754) Vgl. die ausführlichen Bemerkungen zur Existenzvernichtungshaftung im Trihotel-Urteil: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 Rz. 33). 755) So bereits angedeutet im Trihotel-Urteil: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2694 Rz. 46); Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 599 ff; Strohn, ZInsO 2008, 706, 708; Gehrlein, WM 2008, 761 (764) mit dem Hinweis, dass §§ 826, 830 BGB nicht nur eine Haftungsgrundlage für Geschäftsführer, sondern auch für Banken, Berater und Geschäftspartner sein könne. 756) Arnold, in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rn. 46, der jedoch Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit haften lassen will; vgl. noch zu § 64 S. 1 GmbHG: BGH ZIP 2008, 1026 = NZG 2008, 468 (469 Rz. 6); Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 6a (zu § 64 S. 1) und Rn. 23 (zu § 64 S. 3); vgl. auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 26. 757) Vgl. dazu Weller, ZIP 2007, 1681 ff (1685 f). 758) Vgl. H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 179; Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (590) erkennt auf eine problematische Gemengelage; vgl. dazu aber Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 744 f, der im Vorsatzerfordernis „keine unüberwindbare Hürde für die Existenzvernichtungshaftung“ sieht, da der Vorsatz aus den objektiv vorliegenden Umständen abgeleitet werden könne und müsse.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

c)

Unterschiedliche Rechtsfolge

454 Der wohl wichtigste Unterschied der beiden Normen ist deren jeweilige Rechtsfolge. Während § 64 S. 3 GmbHG lediglich eine Erstattung der Zahlungen fordert, ist die Rechtsfolge der Existenzvernichtungshaftung ein umfassender Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter (und über § 830 Abs. 2 BGB auch den Geschäftsführer) auf Ausgleich des der Gesellschaft durch die Herbeiführung der Insolvenz entstandenen Schadens759). Diese in der Literatur vernachlässigte Divergenz wird zu problematischen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den beiden Normen führen. Allem voran stellt sich die Frage, ob die Schadensersatzpflicht dann neben die Erstattungsverpflichtung tritt. Generell wird man wohl davon auszugehen haben, dass die „Zahlungen“ i. S. d. § 64 S. 3 GmbHG im umfassenderen Schaden bei § 826 BGB beinhaltet sind. Doch führt dies zu einem sachgerechten Ausgleich der insolvenzverursachenden Gläubigerbelastung? Zwar wird in der Literatur davon ausgegangen, dass die Ansprüche aus § 64 S. 3 GmbHG und aus § 826 BGB einen einheitlichen Streitgegenstand bilden und miteinander konkurrieren760). Dies gibt jedoch auf die vorgenannte Frage keine befriedigende Antwort. Teilweise wird auch vertreten, es bestehe Anspruchskonkurrenz, „soweit sich die Ansprüche auf der Rechtsfolgenseite decken.“761) Was dies für das Verhältnis der insolvenzverursachenden „Zahlungen“ und dem Ausgleich der eingriffsbedingten Vermögensschäden auf Ebene der Gesellschaft bedeutet, ist jedoch völlig unklar.

455 Im vorliegenden Fall dürfte sich die in Teil C dieser Arbeit dargestellte Argumentation bezüglich des Verhältnisses von Schaden und Zahlungserstattung umdrehen. Während dort davon ausgegangen wurde, dass ein Schadensersatzanspruch in aller Regel deutlich geringer als die Summe aller Zahlungen ausfallen dürfte, mithin das reine Aufsummieren von Zahlungen zu einer exzessiven Haftung führt, dürfte hier gerade das Gegenteil der Fall sein. § 64 S. 3 GmbHG hat ja nur genau jene Zahlung(en) an Gesellschafter im Blick, die die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen. Unbeschadet des noch zu diskutierenden Kausalitäts- und Zurechnungskriteriums zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit betrifft dies jedoch wohl nur eine kleine Anzahl von „Zahlungen“, eben genau jene Auslöser für den Eintritt der Insolvenzreife. Die Schadensersatzhaftung aus § 826 BGB dürfte demgegenüber deutlich extensivere Folgen zeitigen. Expressis verbis hat der BGH der Existenzvernichtungshaftung den Sinn gegeben, Kollateralschäden zu erfassen762). Der Umfang der Haftung

___________ 759) Zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen vgl. Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (590 m. w. N.). 760) Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 14h mit Verweis auf Rn. 176. 761) Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 156 erkennt ebenfalls die Überschneidung, kommt jedoch zu keinem eindeutigen Ergebnis. 762) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 21) (Trihotel); vgl. auch Verse, in Henssler/Strohn, § 13 Rn. 44; Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 (2037).

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II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

dürfte bei einer Orientierung der Auslegung des § 64 S. 3 GmbHG am Zahlungsbegriff der h. M. durchaus erheblich geringer sein763). Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, aus der Bestimmung der Kon- 456 kurrenzen der einzelnen Haftungsstränge Ableitungen für deren richtige Auslegung in einem möglichst stringenten Gesamtkonzept zu treffen. Daher soll im Folgenden die Konkurrenz zwischen der Existenzvernichtungshaftung und § 64 S. 3 GmbHG in den Fokus gerückt und der Versuch unternommen werden, aus der soeben skizzierten Gemengelage Ableitungen für die Auslegung des § 64 S. 3 bzw. für die Existenzvernichtungshaftung „des Geschäftsführers“ zu treffen. Bevor der Blick auf den Zusammenhang zwischen dem Zahlungsverbot aus § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung gerichtet wird, soll zunächst jedoch ein Abgleich innerhalb der Norm des § 64 GmbHG vorgenommen werden. S. 1 und S. 3 sind bereits dem Wortlaut nach stark miteinander verschränkt und beziehen sich aufeinander. Offenkundig sah der Gesetzgeber S. 3 als Erweiterung des S. 1 an. Zunächst ist daher die Frage aufzuwerfen, ob bereits Überlegungen auf der Basis der Konkurrenz der Sätze 1 und 3 die Auslegung der Norm determinieren.

II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote 1.

Determinierung des Zahlungsbegriffs durch § 64 S. 1 GmbHG?

Bereits beim Wortlaut der Normen knüpft § 64 S. 3 GmbHG an die Regelung in 457 S. 1 an („Die gleiche Verpflichtung…“). Von daher gehen die Gesetzesbegründung und dem folgend auch Teile der Literatur grundsätzlich von einem einheitlichen Zahlungsbegriff aus764). Allgemein wird jedoch dafür plädiert, die Verbindung beider Normen nicht über zu strapazieren und eine gewisse Abschichtung vorzunehmen765). Oben in Teil B wurde herausgearbeitet, dass sich die Normzwecke von § 64 S. 1 458 und S. 3 GmbHG diametral unterscheiden. Daraus wurde geschlossen, es handle sich um ein „selbständiges Zahlungsverbot“766) und der Zahlungsbegriff in S. 3 sei an die Schutzzwecke der Norm anzupassen767). Ausweislich der Gesetzesbegründung768) bestehen diese darin, die Liquidität der Gesellschaft zu sichern, sodass die Gesell___________ 763) Mit diesem Ergebnis auch Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (966). 764) Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 46; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 63; Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1518); a. A. wohl aber Haas, GmbHR 2010, 1 (6). 765) Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 97, der zumindest „im Ausgangspunkt“ denselben Begriff zugrunde legen will; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 24; ders., GWR 2010, 75 (76); Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881 (881 f); Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203; Knof, DStR 2007, 1536 (1537 f). 766) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 55. 767) Vgl. Haas, Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 94 a. E. und Rn. 99; ders., GmbHR 2010, 1 (5 f); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (252). 768) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

schaft jederzeit ihren Verbindlichkeiten nachkommen könne. An diesen Normzweck sei, so die h. M., der Zahlungsbegriff anzupassen769). Eine „Zahlung“ sei demnach zu bestimmen, je nachdem ob eine „Leistung zulasten des Gesellschaftsvermögens Auswirkungen auf die Liquidität der Gesellschaft habe könne oder nicht“770), also ob sie die Fähigkeit der Gesellschaft zur künftigen Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten beeinträchtige. Insgesamt neigen die Stellungnahmen im Schrifttum dazu, Vorgänge einzig aufgrund ihrer Liquiditätswirksamkeit als Zahlung zu qualifizieren, die bei S. 1 nicht als solche anerkannt würden.

459 Weitgehend unumstritten ist771), dass wegen des Fokus auf der Liquidität der Gesellschaft die Gegenleistung anzurechnen sei. Auch die Begründung des MoMiG spielt auf eine solche Sichtweise an, indem eine Ersatzpflicht ausgeschlossen wird, „wenn der Gesellschaft durch eine Gegenleistung des Gesellschafters im Ergebnis in gleichem Maße wieder liquide Vermögenswerte zugeführt werden.“772) Diese Sicht lässt sich nicht unbesehen mit der oben (vgl. C.III.2.b) dargestellten, vom BGH entwickelten Gegenleistungs-Rechtsprechung zu S. 1 vereinbaren.

460 Die Literatur folgert aus der Gesetzesbegründung, dass als Gegenleistung nur liquiditätswirksame Zuflüsse erfasst werden könnten773). Denn eine Zahlung könne ja die Zahlungsunfähigkeit dann nicht verursachen, wenn der Gesellschaft im Ergebnis wieder in gleicher Höhe liquide Vermögenswerte zugeführt würden. Beim Erfordernis nach „liquider“ Gegenleistung herrscht aber wiederum keine Einigkeit. Die Unterschiede liegen im Detail: Manche Stimmen wollen es ausreichen lassen, dass nicht die Gegenleistung selbst, sondern der zu erwartende Geschäftsgang für den Liquiditätsausgleich sorgt774), das Kriterium wird also sehr weit ausgelegt. Manche wollen es sogar genügen lassen, dass das Austauschgeschäft mit dem Gesellschafter einem Drittvergleich standhält, die Gesellschaft also überhaupt eine werthaltige Forderung erhält775). Worin dann jedoch der spezifische Schutz der Liquidität der ___________ 769) Vgl. stellvertretend nur Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 94 a. E. und Rn. 99 m. w. N.; i. E. so auch Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 63. 770) Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1518): Eine „Zahlung“ nach S. 3 soll auch vorliegen, wenn Vermögensgegenstände übertragen werden, die kurzfristig zu Gunsten der Befriedigung von Gläubigerforderungen hätten liquidiert werden können; i. E. so auch Kleindiek, GWR 2010, 75 (76); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (252 m. w. N.); Haas, GmbHR 2010, 1 (5 m. w. N. in Fn. 41). 771) Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 24; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 100; so auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 113, Fn. 382 m. w. N. 772) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte. 773) So schon die Begründung des MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 47; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 100; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 120; Habersack/ Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 150 m. w. N.; es gelte gerade nicht die für § 30 GmbHG vorgeschriebene bilanzielle Betrachtungsweise: vgl. Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 24; Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (252 m. w. N. in Fn. 46). 774) Greulich/Rau, NZG 2008, 284 (287). 775) In diese Richtung etwa Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 113.

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II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

Gesellschaft besteht, ist mehr als fraglich. Ist die Gegenleistung des Gesellschafters zwar vollwertig, besteht sie aber nicht in liquidem Vermögen, beispielsweise in praktisch unverkäuflichen Anteilen an einem Unternehmen, so wäre der Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG unzweifelhaft betroffen. Auch bei der Frage der Begründung von Verbindlichkeiten ergibt sich eine von § 64 461 S. 1 GmbHG abweichende Interessenlage. Teilweise wurde angenommen, dass bei § 64 S. 3 GmbHG bzw. § 92 Abs. 2 S. 3 AktG auch die Begründung von Verbindlichkeiten eine Zahlung darstellen müsse776). Insofern sei selbst innerhalb derselben Norm ein unterschiedlicher Zahlungsbegriff anzunehmen777). Mit dem Hinweis auf genau diesen offenkundigen Widerspruch wird eine solche Deutung von der h. M. daher auch abgelehnt778). Dies verkennt aber wiederum, dass gerade die Begründung von Verbindlichkeiten – im Gegensatz zu deren Erfüllung – die Zahlungsunfähigkeit ohne weitere Zwischenschritte herbeiführen kann. Denn neue Verbindlichkeiten sind selbstverständlich in die Liquiditätsbilanz aufzunehmen und haben daher unmittelbaren Einfluss auf die Solvenzprognose. Vor dem Hintergrund des Normzwecks der Vermeidung der Insolvenz in Form der Zahlungsunfähigkeit erscheint es daher umso notwendiger, beim Zahlungsbegriff des S. 3 auch die Begründung von Verbindlichkeiten mit einzubeziehen. Der BGH wiederum hat in seiner ersten, jedoch strafrechtlichen Entscheidung zum neuen § 64 S. 3 GmbHG betont, der Zahlungsbegriff dürfe nicht übermäßig ausgedehnt werden. Die Aushöhlung der Gesellschaft durch sonstige, nicht unter den Zahlungsbegriff fallende Eingriffe sei nicht erfasst779). Darüber hinaus passen S. 1 und S. 3 schon deshalb nicht zusammen, weil S. 3 le- 462 diglich auf eine einzige Zahlung abstellt780), während S. 1 eine Vielzahl von Zahlungen in einem bestimmten Zeitraum im Blick hat. Da es um Zahlungen vor der Insolvenzreife geht, also zu einem Zeitpunkt, zu dem gerade noch kein Insolvenzantrag gestellt werden müsste, kann es bei § 64 S. 3 GmbHG keinen Gesamtgläubigerschaden oder jeweilige Einzelschäden von Alt- und Neugläubigern im Sinne einer Masseverschlechterung geben. ___________ 776) Vgl. Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 99; ders., GmbHR 2010, 1 (6); Habersack/ Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 157 m. w. N., zumindest soweit die Begründung der Verbindlichkeit zur Preisgabe von Liquidität verpflichtet; zum Ganzen Desch, BB 2010, 2586 (2588 f). 777) So ausdrücklich Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 157. 778) Vgl. nur Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 114 m. w. N.; Seulen/ Osterloh, ZInsO 2010, 881 (882); dort auch mehr zur Frage, ob bereits die Bestellung der Sicherheit oder erst deren Inanspruchnahme eine Zahlung sei a. a. O., (882 bei Fn. 18); in diese Richtung auch Kleindiek, GWR 2010, 75 (76); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (252 Fn. 45 m. w. N.). 779) BGHSt 54, 52 = NJW 2009, 3666. 780) So auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 113, der in der Folge auch richtig bemerkt, dass es einen Schadensersatzanspruch vergleichbar zu den Konzepten von Altmeppen und K. Schmidt bei § 64 S. 3 GmbHG, also vor Insolvenzreife, nicht geben kann.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

463 Schließlich zeigt auch die Diskussion um die Zubilligung eines Leistungsverweigerungsrechts781), wie unterschiedlich die Funktionen von S. 1 und S. 3 GmbHG verstanden werden. Die höchst umstrittene Frage ist dabei, ob der Gesellschaft (vertreten durch den Geschäftsleiter) ein Leistungsverweigerungsrecht gegen das Zahlungsverlangen des Gesellschafters zusteht. Diese Frage wurde vom BGH kürzlich bejaht782). Das OLG München hatte sie jedoch mit der Begründung verneint, dass ein solches Recht im Rahmen des S. 1 abgelehnt werde und innerhalb des § 64 GmbHG nur einheitlich beurteilt werden könne783). Jedoch ist zu bedenken, dass § 64 S. 1 GmbHG zu einem Zeitpunkt greift, an dem sich der Geschäftsführer einem Leistungsverlangen des Gesellschafters dadurch entledigen kann, dass er Insolvenzantrag stellt – was in der Situation des S. 3 gerade noch nicht möglich ist. Die Zubilligung eines Leistungsverweigerungsrechts ist also notwendig, weil ansonsten der Gesellschafter die Gesellschaft verklagen könnte und in Ermangelung eines solchen Gegenrechts auch obsiegen würde. Der Geschäftsführer müsste also für die Gesellschaft leisten, würde sich damit aber zwangsläufig nach § 64 S. 3 GmbHG haftbar machen. Eine vergleichbare Situation gibt es aber bei § 64 S. 1 GmbHG nicht, nachdem im Stadium der Insolvenzreife die par conditio creditorum gilt, der Geschäftsführer daher eigentlich an niemanden mehr leisten darf, vielmehr Insolvenzantrag stellen müsste und daher auch kein Leistungsverweigerungsrecht mehr benötigt784). Ähnliches gilt für den oben zitierten Streit, ob Zahlungen auf fällige, durchsetzbare Gesellschafterforderungen in den Anwendungsbereich des S. 3 fallen oder nicht785). Auch hier stellen sich aufgrund des Liquiditätsbezugs auf der einen und des finalen Kriteriums der Norm auf der anderen Seite völlig neue Fragen, die mit Antworten aus dem Portfolio des § 64 S. 1 GmbHG nicht gelöst werden können.

464 Festzuhalten bleibt also, dass es gewisse Unterschiede im Zahlungsbegriff bereits auf Basis der Gesetzesbegründung geben muss. Eine weitläufige Determinierung ___________ 781) Statt vieler: Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (253 f m. w. N.) sowie Desch, BB 2010, 2586 (2589 f); ein Leistungsverweigerungsrecht dagegen ablehnend: Haas, DStR 2010, 1991 ff, vor allem mit dem wenig überzeugenden Argument, dass die Zubilligung eines Leistungsverweigerungsrechts konsequenterweise die Fälligkeit der betreffenden Forderung entfallen lasse und dies bei der Liquiditätsprüfung des § 17 InsO (rückwirkend) Berücksichtigung finden müsse; mit dieser Argumentation ebenfalls Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (976 f). Damit würde, so Haas, a. a. O. ein Leistungsverweigerungsrecht die Insolvenzreife beseitigen, weshalb im Ergebnis die Insolvenzen von Unternehmen weiter verschleppt würden. Im Ergebnis ebenso Desch, BB 2010, 2586 (2588). Dagegen erscheint es mE. alles andere als überzeugend, dass die Bejahung eines Leistungsverweigerungsrechts auf die Prüfung der Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO zurückschlägt und dort Einfluss auf die Zahlungsbilanz haben müsste. 782) Vgl. BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = NZG 2012, 1379 (LS 2). 783) OLG München, ZIP 2010, 1236 (1237) = GmbHR 2010, 815 = BeckRS 2010, 11595; ablehnend K. Schmidt, ZHR 175 (2011), 433 (443 f); Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (254). 784) Vgl. dazu nur Altmeppen, ZIP 2013, 801 (806 f unter 4.6). 785) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 114, Fn. 390 m. w. N.

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II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

des Zahlungsbegriffs durch S. 1 kann also nicht Platz greifen. Dem Zahlungsbegriff in S. 1 ist das finale Kriterium völlig fremd, das oben zum wesentlichen Tatbestandsmerkmal des S. 3 erklärt wurde. Was eine Zahlung bewirkt oder welche Veränderungen sie im Gesellschaftsvermögen auslöst, ist bei S. 1 völlig irrelevant. Wer nun aber folgert, bei § 64 S. 3 GmbHG nur solche Zahlungen zuzulassen, die die Liquiditätssituation der Gesellschaft verschlechtern, kreiert in Wahrheit einen völlig neuen Zahlungsbegriff. Es müssen daher für S. 1 und S. 3 unterschiedlich auszulegende Begriffe gelten786). Damit erscheint es sinnvoll, den Anwendungsbereich von S. 3 autonom auszulegen 465 und nicht an dem zu S. 1 gefundenen Ergebnis auszurichten. Zugegeben sei, dass sich dieses Vorgehen dem Vorwurf aussetzt, die starke Verzahnung aus Wortlaut und Stellung der beiden Haftungsnormen zu vernachlässigen. Die obigen Ausführungen haben aber gezeigt, dass eine einheitliche Auslegung des Tatbestands des S. 1 und S. 3 kaum erfolgversprechend ist. Im Ergebnis wird sich zeigen, dass beide Normen in einer jeweils eigenständigen Schadensersatzhaftung besser aufgehoben sind.

2.

§ 64 S. 3 GmbHG – Objektiver Tatbestand ohne Anwendungsbereich?

Gleichwohl geht die Begründung des MoMiG im Kern von einem einheitlichen Zah- 466 lungsbegriff aus. Zumindest sei durch den neuen S. 3 „keine Einschränkung des bisherigen Begriffsverständnisses bezweckt.“787) Dennoch haben die seitdem ergangenen Kommentierungen zu § 64 S. 3 GmbHG eine Reihe von Dysfunktionen der Norm auf der Basis des herrschenden Zahlungsbegriffs aufgedeckt, von denen einige hier genannt werden sollen.

a) § 64 S. 3 GmbHG ohne nennenswerten Anwendungsbereich? Taugliche Zahlungen im Sinne des § 64 S. 3 GmbHG können per se nur solche 467 Zahlungen sein, die in der Lage sind, die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen. Hier setzt eine nicht unwesentliche Strömung in der Literatur mit der These an, solche Zahlungen gebe es – mit ganz wenigen Ausnahmen – gar nicht788). Nach § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist,

___________ 786) Mit diesem Ergebnis auch Haas, GmbHR 2010, 1 (5 f). 787) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte. 788) Allgemein zum Folgenden: Altmeppen, in FS Hüffer, 2010, S. 1 ff.; Altmeppen, ZIP 2013, 801 ff; vgl. insbesondere auch Spliedt, ZIP 2009, 149 (159), der davon ausgeht, dass bei gleichbleibendem Mittelbestand die Zahlungsunfähigkeit nur durch die Begründung von weiteren Verbindlichkeiten herbeigeführt werden könne – eine solche Vermehrung der Passiva wird jedoch von der h. M. nicht unter den Zahlungsbegriff subsumiert. Im Wesentlichen reduziere sich der Anwendungsbereich damit auf existenzvernichtende Eingriffe.

189

D. Schutz der Vermögensstruktur

seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen789). Die Begriffe der Zahlungsunfähigkeit in der Insolvenzordnung und in § 64 S. 3 GmbHG sind einheitlich auszulegen790). Die Bestimmung geschieht in aller Regel durch einen Liquiditätsplan, in den alle momentan und in Zukunft fälligen Verbindlichkeiten aufgenommen werden und dort entsprechend bewertet werden müssen791). Außerdem erfolgt eine Gegenüberstellung mit den kurzfristig liquidierbaren Aktiva792). Die allgemeine Definition des BGH geht dahin, dass von Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke von 10 % oder mehr besteht und nicht ausnahmsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass diese demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern daher ein Zuwarten zuzumuten ist793).

468 In aller Regel werden nun aber auch Zahlungen an Gesellschafter auf einer schuldrechtlichen Verpflichtung beruhen. Die Gesellschaft erfüllt mit der Zahlung die Verbindlichkeit gegenüber dem Gesellschafter. Bereits vor der Zahlung ist die Verbindlichkeit jedoch in die Zahlungsbilanz bzw. die Liquiditätsplanung der Gesellschaft einzubuchen gewesen. Die tatsächliche Auszahlung kann auf die Liquiditätslage der Gesellschaft damit keine Wirkung haben. War sie bereits vor der Zahlung an den Gesellschafter in der Lage, ihre übrigen Forderungen zu begleichen, kann sich durch die reine Auszahlung dadurch nichts geändert haben794).

469 Diese etwas vereinfachte Vorstellung der Zahlungsunfähigkeit verdeutlicht, dass die Begleichung einer schuldrechtlichen Zahlungspflicht die Zahlungsunfähigkeit

___________ 789) Zur Geschichte des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit, insbesondere zur Situation unter der Konkursordnung vgl. Pape, WM 2008, 1949 ff; zum Bestreben des InsO-Gesetzgebers, den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit im Vergleich zur Rechtslage unter der Konkursordnung nach vorn zu verlegen: a. a. O., (1950); sowie zur Auslegung durch die Rechtsprechung a. a. O., (1951 ff). 790) Vgl. nur Mock, in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 15; so jetzt auch BGHZ 195, 42 = ZIP 2010, 2291 = NZI 2012, 1009 (1010 Rz. 8, 11); Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 149 m. w. N. in Fn. 457. 791) BGH NJW-RR 2011, 1413 (Rn. 5, 10 ff) = ZInsO 2011, 1410; Eilenberger, in MüKo InsO, § 17 Rn. 32; zum Inhalt ausführlich Mock, in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 28; Pape, WM 2008, 1949 (1951 f): Die Betrachtung muss insbesondere zeitraumbezogen erfolgen, nicht lediglich einen Status abbilden. 792) Pape, WM 2008, 1949 (1952). 793) St. Rspr. BGHZ 163, 134 (139 ff) = NJW 2005, 3062; BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666 = NZI 2007, 579 (581 Rz. 31); BGH ZIP 2012, 1174 = NZG 2012, 672 (Rz. 10); BGH ZIP 2007, 1469 = NZI 2007, 517 (520 Rz. 37); BGH ZIP 2006, 2222 = NZI 2007, 36 (37 Rz. 27); vgl. nur Eilenberger, in MüKo InsO, § 17 Rn. 5; Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881 (882 m. w. N.); Pape, WM 2008, 1949 (1953 f). 794) Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (253); Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 72; Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 99 m. w. N.; ders., GmbHR 2010, 1 (5); Kleindiek, in Lutter/ Hommelhoff, § 64 Rn. 29.

190

II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

der Gesellschaft per se nicht herbeiführen kann795). Denn aufgrund der bereits bestehenden Verbindlichkeit und deren Passivierung in der Liquiditätsbilanz musste die Gesellschaft bereits vor der Zahlung zahlungsunfähig gewesen sein. Diese Argumentation hat auch der BGH anerkannt796). Daher wird teilweise vertreten, ein Anwendungsbereich bleibe allenfalls für jene Zahlungen, die die Liquiditäts-Unterdeckung auf über 10 % der ausstehenden Forderungen treiben797). Dabei handelt es sich jedoch, so hat sich auch der BGH geäußert, nicht um eine ernst zu nehmende und schon gar nicht um eine praktisch mit hinreichender Sicherheit beweisbare Fallgruppe. Es bleiben als gesicherter Anwendungsbereich lediglich solche Auszahlungen üb- 470 rig, die ohne Rechtsanspruch erfolgt sind, also verdeckte Ausschüttungen798). Selbst auf eine offene Gewinnausschüttung besteht ja ein Anspruch des Gesellschafters799), weil dafür ein Gewinnverwendungsbeschluss nach § 29 GmbHG nötig ist, aus dem sich der Anspruch dann ableitet. Im Ergebnis könnte dieses Ergebnis eine unbeabsichtigte Parallele zum Zahlungsbegriff in § 30 Abs. 1 GmbHG eröffnen. Dort können ebenfalls nur solche Auszahlungen den Tatbestand erfüllen, die societatis causa erfolgen, also nicht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage beruhen, sondern dem Gesellschafter gerade aufgrund seiner Gesellschafterstellung einseitig zugewendet wurden. Hier drängt sich auch eine allzu leichte Umgehungsmöglichkeit bei der Zahlungs- 471 haftung in § 64 S. 3 GmbHG auf800). Begründet der Geschäftsführer vor der Auszahlung zunächst eine Forderung des Gesellschafters, gleich auf welcher Rechtsgrundlage, und begleicht daraufhin die Forderung, ist der Anwendungsbereich von § 64 S. 3 GmbHG formal nicht eröffnet. Denn weder die Begründung von Verbindlichkeiten wird von der h. M. als Zahlung i. S. d. § 64 S. 3 GmbHG anerkannt noch die spätere Auszahlung selbst. ___________ 795) Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 153 m. w. N.; Strohn, NZG 2011, 1161 (1168). 796) BGHZ 195, 42 = ZIP 2010, 2391 = NZG 2012, 1379 (1380 Rz. 11 f). 797) Vgl. Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 66; Strohn, NZG 2011, 1161 (1169); Haas, DStR 2010, 1991 (1992); ders., GmbHR 2010, 1 (5); Desch, BB 2010, 2586. 798) So jedenfalls Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 78, der jeglichen weitergehenden Anwendungsbereich des S. 3 ablehnt; vgl. auch Desch, BB 2010, 2586 (2587 und 2589); Seulen/ Osterloh, ZInsO 2010, 881 (884), die dies bereits aus der Gesetzesbegründung ableiten wollen. 799) Vgl. Strohn, NZG 2011, 1161 (1168 f). 800) Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (252); Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169 (172); Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (971); Haas, NZG 2013, 41 (42), der aber richtigerweise auch anmerkt, dass dann der Anwendungsbereich des § 64 S. 1 GmbHG eröffnet sei. Dies gelte jedoch nur für die tatsächliche Auszahlung; die Begründung der Verbindlichkeit als eigentliche Verschlechterung der Befriedigungsaussichten sei immer noch nicht erfasst; dafür würde allenfalls der in praxi dysfunktionale Anspruch aus Insolvenzverschleppungshaftung greifen.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

472 Haas801) überträgt hingegen den Umstand, dass die quotenschmälernde Begründung einer Verbindlichkeit nach Insolvenzreife ersetzt würde (Insolvenzverschleppungshaftung!), auf die Zeit vor der Insolvenzreife. Nach seiner Sicht müsse im Rahmen des § 64 S. 3 GmbHG die Begründung einer Verbindlichkeit als taugliche „Zahlung“ in Betracht kommen. Dies verkennt jedoch, dass auch nach Eintritt der Insolvenzreife ein Ersatz für die Begründung von Verbindlichkeiten gerade nicht über § 64 S. 1 GmbHG, sondern nur über die (in praxi dysfunktionale) Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB gewährt wird. Eine Parallele des in der materiellen Insolvenz nach h. M. gegebenen Dualismus von Erstattungsnorm (§ 64 S. 1 GmbHG) und Schadensersatzhaftung (§ 823 Abs. 2 BGB) gibt es aber bei der Insolvenzverursachungshaftung des Geschäftsführers nicht802). Demnach erscheint es nicht geboten, aus der schadensersatzrechtlichen Insolvenzverschleppungshaftung Rückschlüsse auf die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG zu ziehen. Wünschenswert wäre dies jedoch mit Blick auf die Vereinheitlichung der Haftungstatbestände allemal.

473 So bleibt es für den Moment dabei, dass die Begründung von Verbindlichkeiten – wenn auch rechtspolitisch und praktisch wünschenswert – auf Basis der Deutung der h. M. nicht von § 64 S. 3 GmbHG erfasst ist.

b) Gesellschafterforderungen in der Zahlungsbilanz 474 Als logische Konsequenz dieses erkennbar problematischen Anwendungsbereichs hat eine Vielzahl an Stimmen im Schrifttum gefolgert, für § 64 S. 3 GmbHG müsse ein „besonderer“ Begriff der Zahlungsunfähigkeit gelten. Denn andernfalls wäre die Norm eines sinnvollen Anwendungsbereichs beraubt. Die betreffenden Gesellschafterforderungen müssten aus der Liquiditätsbilanz zur Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit herausgenommen werden803), da sie als „nicht fällig“ zu betrachten seien. Andere wiederum wollen am geläufigen Begriff der Zahlungsunfähigkeit festhalten und auch Gesellschafterforderungen in die Liquiditätsbilanz einstellen804) oder ___________ 801) Haas, NZG 2013, 41 (42); ders., in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 99; ablehnend dagegen Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (253). 802) Dies zumindest prima facie; die vorliegende Arbeit wird zu einem abweichenden Ergebnis gelangen. 803) Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 66; Spliedt, ZIP 2009, 149 (159); Dahl/Schmitz, NZG 2009, 567 (569); vgl. auch die Darstellung bei Altmeppen, ZIP 2013, 801 (802 Fn. 5 m. w. N.); gegen die vorgebrachten Argumente mit deutlichen Worten insb. Kleindiek, BB 2013, 19; ders., in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 30 – 32; dem zustimmend Altmeppen, ZIP 2013, 801 (802, insb. in Fn. 12); Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 73. 804) So bereits das OLG München, ZIP 2010, 1236 (1237) = GmbHR 2010, 815 = BeckRS 2010, 11595; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 72 f; Arnold, in Henssler/Strohn, § 64 GmbHG Rn. 48 f m. w. N.; Desch, BB 2010, 2586; ausführlich Winstel/Skauradszun, GmbHR 2011, 185 (186 f); Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169 (170 f).

192

II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

dann auch andere Einwirkungen auf die Zahlungsunfähigkeit, zum Beispiel das Fälligstellen des Darlehens, berücksichtigen805). Der BGH hat in einem jüngeren Urteil dieser Forderung eine klare Absage erteilt806). 475 Forderungen der Gesellschafter seien in die Zahlungsbilanz der Gesellschaft ebenso einzubeziehen wie alle anderen Forderungen auch. Beruhe eine Zahlung auf einer schuldrechtlichen Verpflichtung der Gesellschaft und sei diese Forderung in der Zahlungsbilanz bereits berücksichtigt, sei zwar nicht § 64 S. 3 GmbHG, dafür aber S. 1 einschlägig807). Dies begründete der BGH mit dem durchaus geringen Anwendungsbereich der Vorschrift, einem Umstand auf den der Gesetzgeber selbst hingewiesen habe. S. 3 sei nur als Ergänzung zur Existenzvernichtungshaftung intendiert gewesen, nicht als vollumfängliche Regelung808). Als verbleibende Anwendungsbereiche nennt der BGH drei Konstellationen: 

Die Zahlung treibe die Liquiditätslücke auf über 10 % – ein auch nach dem BGH wohl eher theoretischer Fall809).



Die Gesellschaft zahle auf eine nicht im insolvenzrechtlichen Sinne fällige oder nicht ernsthaft eingeforderte oder einem Rangrücktritt unterliegende Forderung des Gesellschafters810). Dann wäre die Forderung noch nicht in die Liquiditätsbilanz einzustellen, ihre Begleichung könne somit die Zahlungsunfähigkeit auslösen.

___________ 805) Vgl. mit umfassender Darstellung Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 99; ders., GmbHR 2010, 1 (5), der insb. auch die Begründung von Verbindlichkeiten vom Zahlungsbegriff des S. 3 umfasst sehen will; Seulen/Osterloh, ZinsO 2010, 881 (882). 806) BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = NZG 2012, 1379; dazu Haas, NZG 2013, 41; Wicke, MittBayNot 2014, 13 (22); zustimmend: Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 64 Rn. 66; ausführlich auch Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169 ff. 807) BGHZ 195, 42 = ZIP 2010, 2291 = NZG 2012, 1379 (1380 Rz. 12). 808) BGHZ 195, 42 = ZIP 2010, 2291 = NZG 2012, 1379 (1381 Rz. 13); zum infolgedessen geringen Anwendungsbereich des S. 3 vgl. auch Haas, NZG 2013, 41; Nolting-Hauff/Greulich, GmbHR 2013, 169 (172 ff); Schult, GWR 2012, 549 (550 f). 809) BGHZ 195, 42 = ZIP 2010, 2291 = NZI 2012, 1009 (1010 Rz. 13); anzumerken ist hierbei, dass die 10 %-Regel nach der oben zitierten Definition lediglich eine Vermutung darstellt und keine starre Grenze bildet, vgl. BGH NJW 2005, 3062. Altmeppen argumentiert diesbezüglich, die Gesellschaft bleibe nicht dadurch „zahlungsfähig“, dass sie eine Erfüllung verweigert, die die Liquiditätslücke auf 10 % bringen würde; denn auch bei einer Lücke von unter 10 % liege bereits Zahlungsunfähigkeit vor, wenn die Lücke „demnächst“ größer als 10 % werden würde: Altmeppen, in Roth/Altmeppen, vor § 64 Rn. 18 m. w. N. und Verweis auf BGHZ 163, 134 = NJW 2005, 3062; BGHZ 169, 17 = NJW 2006, 3553 (3554 f, Rz. 16); Altmeppen, ZIP 2013, 801 (804 f); die Argumentation von Altmeppen wiederum ablehnend: SchmidtLeithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 66; vgl. zum Ganzen auch Haas, NZG 2013, 41 (41 f). 810) Gegen die Argumentation des BGH aber wiederum Altmeppen, ZIP 2013, 801 (805), der statt § 64 S. 3 GmbHG bzw. § 93 AktG eine Haftung des Geschäftsführers bzw. Vorstandes aus c.i.c. verwirkt sehen will.

193

D. Schutz der Vermögensstruktur



Nicht die Begleichung der Forderung führe zur Zahlungsunfähigkeit, von deren Belassen hätten jedoch andere Kreditgeber wiederum ihrerseits die Bereitschaft zur weiteren Finanzierung der Gesellschaft abhängig gemacht. Nähmen sie also die Begleichung der Forderung als Anlass für eine Kreditrückführung, könne ebenfalls die Zahlungsunfähigkeit „herbeigeführt“ werden811).

476 Von argumentativem Interesse ist die dritte Fallgruppe: Zwar gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass der BGH § 64 S. 3 GmbHG von seiner Grundkonzeption her anders als S. 1 auslegt. Es handelt sich also ebenfalls um einen Ersatzanspruch eigener Art und keinen Schadensersatzanspruch. Doch die Beschreibung der letzten Fallgruppe erinnert doch sehr an einen solchen: Einen veritablen Anwendungsbereich für § 64 S. 3 GmbHG sieht der BGH darin, dass nicht die Befriedigung der zur Debatte stehende Gesellschafterforderung die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar herbeiführt, sondern diese andere Gläubiger veranlasst, aus der Gesellschaft liquide Mittel abzuziehen bzw. keine neuen Kredite mehr zu gewähren und infolgedessen die Zahlungsunfähigkeit eintritt. Mit anderen Worten will der BGH in der Begründung des Tatbestandes auch zulassen, dass nicht die Forderung, auf die gezahlt wird, der unmittelbar auslösende Faktor für die Zahlungsunfähigkeit ist, sondern das weitere Verhalten anderer Gläubiger. Dies wirft eine ganze Reihe von Problemen auf:

477 Zunächst wird durch diese Konzeption der ohnehin schon problematische (dazu sogleich mehr) Ursachenzusammenhang zwischen Zahlung und Insolvenz noch weiter verkompliziert. Generell geht auch die Gesetzesbegründung davon aus, dass es eine Kausalität zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit geben müsse. Keinesfalls solle der Geschäftsführer jedoch für alle Zahlungen haften, „die in irgendeiner Weise kausal für eine – möglicherweise erst mit erheblichem zeitlichen Abstand eintretende – Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft geworden sind. Vielmehr muss die Zahlung ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen.“812) Mit diesem Satz scheint es der BGH jedoch nicht mehr so genau zu nehmen. Man kann wohl nur schwer davon sprechen, dass der bewusste Abzug von Vermögen aufgrund einer autonomen Entscheidung von Kapitalgebern kein „weiterer Kausalbeitrag“ sei. Und Fälle, in denen der Abzug von Dritt-Liquidität derart offenkundig und vorhersehbar war, dass die dazwischentretende Entscheidung der Gläubiger dem Geschäftsführer vollumfänglich zurechenbar ist und man von keiner Unterbrechung der Kausalkette sprechen kann, sind wohl eher ins Reich der Fabeln zu verweisen.

478 Weiter führt der Gesetzgeber aus: Im Moment der Zahlung müsse sich klar abzeichnen, dass die Gesellschaft unter normalem Verlauf der Dinge ihre Verbindlich___________ 811) A. A. wiederum Haas, NZG 2013, 41 (43 f unter c), der meint, diese Fallgruppe ließe sich zumindest leicht umgehen; ebenfalls ablehnend Altmeppen, ZIP 2013, 801 (806). 812) RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte.

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II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

keiten nicht mehr erfüllen können wird813). Unter diesen, vom Gesetzgeber ersichtlich eng konzipierten Ursachenzusammenhang nun auch das Verhalten von dritten Personen fallen zu lassen, erscheint durchaus mutig. Die Mindestanforderung wäre wohl, dass der Abzug von liquidem Vermögen durch andere Gläubiger für den Geschäftsführer vorhersehbar war und er trotzdem an die Gesellschafter geleistet hat. Doch lässt sich dies in der Praxis jemals beweisen? Ist ein solcher Fall überhaupt denkbar oder eher graue Theorie? Schlussendlich erinnert die vom BGH genannte Konstellation wohl eher an aus 479 dem Schadensrecht bekannte Folge- oder Fernschäden. Dabei geht es immer um die Frage, wie weit der Zurechnungszusammenhang zu ziehen ist und ob eine bestimmte Rechtsgutsverletzung dem Schädiger noch zurechenbar ist. Vor allem aber erinnert die genannte Fallgruppe an die Kollateralschäden als Folge von existenzvernichtenden Eingriffen. Wie oben bereits gezeigt, handelt es sich um mittelbare Folgen eines Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen, die durch die reine Rückführung des Eingriffs nicht wirksam ausgeglichen werden können und daher ein wesentlicher Grund für das Bestehen der Existenzvernichtungshaftung sind. Bezeichnend ist die Verwandtschaft zu einer Schadensersatzhaftung. Gerade vor dem Hintergrund von Kollateral- und Folgeschäden hat die Rechtsprechung ja beim existenzvernichtenden Eingriff eine Haftung der Geschäftsleiter auf Basis des § 826 BGB eingeführt – also einer Deliktsnorm. Bei den Überlegungen zu § 64 S. 3 GmbHG verankert der BGH nun sehr ähnliche Überlegungen auf der Ebene der Zurechnung einer bestimmten Folge. Die Parallelität der beiden Fallgruppen zeigt insbesondere auch, dass eine schadensersatzrechtliche Deutung der durch § 64 S. 3 GmbHG erfassten Konstellationen durchaus denkbar wäre und ein Gleichlauf der Haftungen aus § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung besteht814).

3.

Übernahme der Rechtsfolge von § 64 S. 1 GmbHG?

Bevor jedoch ein Abgleich mit der Existenzvernichtungshaftung gesucht wird, soll 480 der Frage nachgegangen werden, ob eine schadensersatzrechtliche Deutung des § 64 S. 3 GmbHG nicht bereits durch die oben in Teil C gefundenen Ergebnisse zu § 64 S. 1 GmbHG determiniert ist. Trotz aller Unterschiedlichkeit im Tatbestand stellt sich die Frage, ob sich eine einheitliche Rechtsfolge nicht aus der engen Verzahnung der beiden Tatbestände ergeben muss.

a) Unterschiede in der für S. 1 und S. 3 anzuwendenden Argumentation Nachdem bereits der Wortlaut der beiden Normen unmittelbar verschränkt ist, er- 481 scheint es sachgerecht, wenn schon nicht den Tatbestand, so zumindest die Rechts___________ 813) RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47 linke Spalte. 814) Vgl. zur systematischen Nähe auch Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 112.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

folgen des S. 3 stringent an den oben gefundenen Ergebnissen zu S. 1 auszurichten, die Norm mithin als Schadensersatznorm auszulegen. Im Hinblick auf die grundlegend differierende Bestimmung des Schadens und die abweichenden Charakteristika des Anspruchs ist es kaum vertretbar, S. 3 als Erstattungsanspruch „eigener Art“ und S. 1 als Schadensersatznorm auszulegen. In den folgenden Überlegungen ist daher zu erörtern, ob S. 3 ebenfalls als Schadensersatzhaftung ausgelegt werden kann oder ob die Auslegung der Deutung als Erstattungsanspruch verhaftet bleiben muss.

482 Problematisch dabei ist jedenfalls, dass zwei wesentliche Argumentationsbausteine, die bei der Erörterung der Haftung in § 64 S. 1 GmbHG angewendet wurden, vorliegend nicht mehr bemüht werden können: Erstens greift § 64 S. 3 GmbHG zu einem Zeitpunkt ein, der noch vor der Insolvenzreife der Gesellschaft liegt. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Zweck des Gesellschaftsvermögens noch nicht zwingend von den Gläubigerinteressen überlagert. Dieser Aspekt war der Ausgangspunkt für die Argumentation bei § 64 S. 1 GmbHG. Nun ist der Zweck des Gesellschaftsvermögens, als Befriedigungsreservoire für die Gläubiger zu dienen, auch bereits zu jenem Zeitpunkt angelegt, wenn § 64 S. 3 GmbHG eingreift und dem Geschäftsführer eine Auszahlung an Gesellschafter untersagt815). Er hat sich lediglich noch nicht zum alleinig dominierenden Schutzzweck erhoben und ist vielmehr nur latent vorhanden. Damit verbunden hat sich auch der Pflichtenkanon des Geschäftsführers noch nicht auf den reinen Gläubigerschutz reduziert. Die latente Organpflicht, das Gesellschaftsvermögen zur vorrangigen Befriedigung der Gläubiger einzusetzen, ist hier noch nicht zur konkreten geworden. Die Insolvenzantragspflicht liegt noch nicht vor.

483 Zweitens kann ein Haftungsmodell schon deshalb nicht am Gesamtgläubigerschaden als Schadensgröße ansetzen, weil es einen solchen Schaden vor Insolvenzreife denklogisch nicht geben kann. Es geht gerade nicht um die Verschleppung der Insolvenz, sondern überhaupt um deren Herbeiführung. Insofern geht es auch nicht um eine im Zeitablauf auflaufende Haftung für eine bestimmte Vermögensdifferenz, mithin nicht um eine Schmälerung der Masse und damit eine ZeitraumHaftung. Vielmehr kann es bei der Haftung nach S. 3 lediglich um einen Zeitpunkt gehen, nämlich die Zahlung bzw. den Eingriff in das Gesellschaftsvermögen und die dadurch herbeigeführte materielle Insolvenzreife. Rechtspolitische Rechtfertigung der Hervorhebung einer einzelnen Zahlung ist dabei die Tatsache, dass die Gesellschaft bei ordnungsgemäßem Verhalten wohl überhaupt nicht insolvent geworden wäre, es sich also um eine „unnötige“ Insolvenz handelt. Während bei § 64 ___________ 815) Die Urteile zur Existenzvernichtungshaftung, schränken den Schutzzweck hinsichtlich der Gesellschaftsgläubiger gerade nicht auf den Zeitraum nach Eintritt der Insolvenzreife ein (vgl. dazu die Nachweise oben unter B.IV.2 und folgende); vielmehr solle der Gesellschaftszweck auch bereits vor Eintritt der Insolvenzreife die Befriedigungsaussichten der Gläubiger inkorporieren, jedoch eben nur als „latenten“ Gesellschaftszweck, nicht als vorrangigen.

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II. § 64 S. 3 GmbHG im System der Zahlungsverbote

S. 1 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung der Eintritt der Insolvenzreife als „gegebene“ Größe, gewissermaßen als Black Box, angesehen wird, es mithin um die Vermögensverringerung nach Insolvenzreife geht, setzen § 64 S. 3 GmbHG und die Existenzvernichtungshaftung bei Schädigungen der Gläubiger an, die durch die überhaupt eingetretene Insolvenz entstehen. Es versteht sich von selbst, dass die Berechnung des auszugleichenden Schadens- bzw. Erstattungsbetrags auf gänzlich anderem Wege erfolgen muss. Dies mag im Sinne einer einheitlichen Auslegung der Norm misslich sein, ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Funktionsweisen von S. 1 und S. 3 unumgänglich.

b) Rechtspolitische Erwägungen Aufbauend auf dieser Überlegung könnte man vorschnell zu dem Schluss kom- 484 men, eine Haftung für insolvenzverursachende „Zahlungen“ sei auf der Basis einer Erstattungsnorm besser in den Griff zu bekommen als bei der Begründung eines Schadensersatzes. Ein solcher Schluss ginge jedoch an praktischen Überlegungen fehl. Die Begründung zum MoMiG geht ersichtlich von der Vorstellung aus, dass der 485 Geschäftsführer an Gesellschafter eine „Auszahlung“ tätigt und diese dann zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führt. Dabei betont die Begründung, die Zahlung müsse „ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen.“816) Zunächst geht der Gesetzgeber offenkundig von einer relevanten Zahlung aus. Nun ist die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens in der Praxis wohl schwerlich auf einen einzelnen Vorgang zurückzuführen, sondern das Ergebnis einer Vielzahl von Faktoren. Die bislang nicht weiter debattierte Frage muss insofern lauten: Ist mit dem Begriff „Zahlungen“ (Plural!), die „zur Zahlungsunfähigkeit (…) führen mussten“, § 64 S. 3 GmbHG, nur die jeweils letzte Zahlung oder auch ein Bündel an mehreren, über einen längeren Zeitraum aggregierten Zahlungen gemeint? Wie weit kann man diese zurückverfolgen? Darauf geben weder der Gesetzgeber noch die Literatur eine Antwort. Anders gewendet wäre durchaus vorstellbar, dass ein geschickter Geschäftsführer 486 an die Gesellschafter zwar „Zahlungen“ ausreicht, diese jedoch immer so dosiert, dass die Gesellschaft gerade nicht in die Zahlungsunfähigkeit abgleitet, beispielsweise weil die Deckungslücke nie die entscheidenden 10 % erreicht oder eine Zahlungsstockung nie mehr als drei Wochen andauert. Man stelle sich vor, das gehe eine Weile gut, doch einmal übertreibt es der Geschäftsführer und tätigt eine zu hohe (aber in absoluter Höhe immer noch vergleichsweise niedrige) verdeckte Ausschüttung an einen Gesellschafter. Daraufhin tritt Zahlungsunfähigkeit ein.

___________ 816) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

487 Die unmittelbare Rechtsfolge des § 64 S. 3 GmbHG wäre dann lediglich, dass der Geschäftsführer nur die letzte Ausschüttung erstatten müsste – und damit wohl relativ billig „davonkommen“ würde. Greift die Haftung über § 826 i. V. m. § 830 Abs. 2 BGB nicht ein817), so hat der Geschäftsführer nichts Schlimmes zu befürchten. Anders wäre dies, wenn man auch die im Zeitraum davor angefallenen „Zahlungen“ unter § 64 S. 3 GmbHG subsumieren würde. Dagegen spricht jedoch bereits, dass der Gesetzgeber die Haftung eng verstanden wissen wollte und eine Ausdehnung auf Zahlungen, die gerade nicht unmittelbar kausal für den Eintritt des Insolvenzantragsgrundes waren, nicht ausreichen lassen wollte818).

488 § 64 S. 3 GmbHG ist eine Vorschrift der Insolvenzprophylaxe819). Sie soll sicherstellen, dass die Gesellschaft jederzeit über genügend Liquidität verfügt, um ihren Verbindlichkeiten nachkommen zu können und die vorhandene Liquidität nicht an die Gesellschafter ausgekehrt wird. Nun scheint es rein vom Zufall abzuhängen, wie hoch die letzte Zahlung durch den Geschäftsführer ist, die die Gesellschaft tatsächlich in die Insolvenz treibt. Eine sachgerechte Haftung für die Herbeiführung der Insolvenz dürfte dies nicht sein. Zumindest erscheinen die Ergebnisse reichlich willkürlich.

489 Die „passende“ Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 64 S. 3 GmbHG ist nach der hier vertretenen Ansicht damit nicht in der reinen Erstattung der geleisteten „Zahlung“ zu sehen. Vielmehr ist zu untersuchen, ob eine schadensersatzrechtliche Deutung auch mit § 64 S. 3 GmbHG zu vereinbaren wäre. Am besten in Übereinstimmung mit S. 1 stünde das folgende Ergebnis: S. 3 wäre zwar als Schadensersatznorm anzusehen, dieser Schadensersatz würde jedoch auf eine andere Art berechnet als bei S. 1. Schwer vereinbar mit einer halbwegs wortlautgetreuen Auslegung der Norm wäre es jedoch, eine schadensersatzrechtliche Deutung bei S. 3 gänzlich abzulehnen. Dass eine Norm, deren einzelne Haftungstatbestände sogar dem Wortlaut nach miteinander verschränkt sind, im Ergebnis so diametral abweichende Rechtsfolgen zeitigt, lässt sich kaum begründen.

490 Im Folgenden ist also zu untersuchen, ob eine schadensersatzrechtliche Deutung mit der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG vereinbar sein könnte. Gleichzeitig ist auch danach zu fragen, wie eine solche Schadensberechnung konzipiert sein müsste und wie sie sich in das gesamte Haftungssystem einfügt. Zur Beantwortung dieser Fragen wird insbesondere der Abgleich mit der Existenzvernichtungshaftung angestrebt.

___________ 817) Zur weiterführenden Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG sei auf die Ausführungen unten verwiesen. 818) Vgl. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47 linke Spalte. 819) Vgl. oben unter B.IV.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG Für den hier interessierenden Fragenkreis sind es im Wesentlichen vier Aspekte 491 der Existenzvernichtungshaftung, die für die Systematisierung des § 64 S. 3 GmbHG fruchtbar gemacht werden können. Gemeinsames, jedoch im Detail grundverschiedenes Element der beiden Haftungsnormen ist der Zusammenhang zwischen Eingriff (bzw. „Zahlung“) und der später eintretenden Insolvenz (1.). Nochmals aufgegriffen werden soll darüber hinaus die Begründung eines Schadens bei der Gesellschaft (2.). Auch die Unterschiede im subjektiven Tatbestand sollen nochmals in den Fokus gerückt werden (3.). Und schließlich soll auf den wesentlichen Unterschied eingegangen werden, dass sich die Existenzvernichtungshaftung an Gesellschafter, nicht jedoch an Geschäftsführer richtet, und auf die Frage, wie ein Abgleich mit der organschaftlichen Haftung des § 43 GmbHG konzipiert werden könnte (4.). Aus diesen Elementen soll ein ganzheitliches Haftungssystem abgeleitet werden.

1.

Der Zusammenhang zwischen Zahlung bzw. Eingriff und Insolvenzreife – Der objektive Tatbestand der beiden Haftungskonzepte

Sowohl die Existenzvernichtungshaftung als auch § 64 S. 3 GmbHG sind als In- 492 solvenzverursachungshaftungen konzipiert, sie sanktionieren also, dass die Gesellschaft aufgrund eines Eingriffs in die Zahlungsunfähigkeit (und bei § 826 BGB alternativ in die Überschuldung) gerät820). Es muss somit ein Zusammenhang bestehen zwischen Eingriff und Insolvenz. Dieser Zusammenhang muss dem Gesellschafter bzw. Geschäftsführer objektiv zurechenbar sein821). Eine der wichtigsten Gemeinsamkeiten ist daher das Kausalitäts- bzw. Zurechnungskriterium zwischen dem Eingriff bzw. der Zahlung und der Insolvenzreife. Doch im Detail betrachtet sind die beiden Konzepte unterschiedlich ausgestaltet. 493 Es handelt sich um einen strukturell verschiedenartigen Aufbau des objektiven Tatbestands. Um einen Vergleich der beiden Konzepte anzustellen, bedarf es einer Zusammenschau der einzelnen Voraussetzungen und eines Abgleichs mit den jeweils herausgearbeiteten Normzwecken.

___________ 820) Zur Existenzvernichtungshaftung vgl. nur Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 112; Habersack, ZGR 2008, 533 (533 f und 544); Haas, WM 2003, 1929 (1936); Keßler, GmbHR 2002, 945 (950); Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (412); Nassall, ZIP 2003, 969 (973 f); Weller, ZIP 2007, 1681 (1685). 821) Vgl. statt vieler nur Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 573.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

a) Existenzvernichtungshaftung i)

Sittenwidriger Eingriff

494 Der objektive Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung wurde in der TrihotelEntscheidung vom BGH nicht gänzlich neu erdacht, sondern baut im Wesentlichen auf dem bereits für die Durchgriffshaftung erreichten Stand auf822). Die Formulierung des BGH seit der Trihotel-Entscheidung geht dahin, dass missbräuchliche, zur Insolvenz der Gesellschaft führende oder diese vertiefende „kompensationslose“ Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen geeignet sind, die Haftung auszulösen823).

495 Der objektive Tatbestand besteht zunächst in einem „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen824). Dieser Terminus wird weit ausgelegt825) und umfasst gerade nicht nur bilanziell wirksame Auszahlungen, sondern auch den Entzug von Liquidität, Geschäftschancen (extrem weit!) und wesentlichen Personals826). Bloße Managementfehler können die Haftung indes nicht begründen827). Der Unterschied besteht darin, dass ein tauglicher Eingriff mit dem Abfluss eines betrieblichen Gutes einhergehen muss, bei einer reinen Managemententscheidung ist das hingegen nicht der Fall.

496 Dieser Eingriff muss kompensationslos erfolgen. Dieses Kriterium basiert noch auf den Wurzeln des qualifiziert faktischen Konzerns und hat neben dem Erfordernis der Verursachung der Insolvenz keine Bedeutung mehr828).

497 Eine Eingrenzung des sehr weit verstandenen Eingriffs erfolgt jedoch über das Kriterium der Sittenwidrigkeit, das als von § 826 BGB gefordertes Tatbestandsmerk___________ 822) Strohn, ZInsO 2008, 706 (708); Theiselmann, GmbHR 2007, 904 ff; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 733 m. w. N.; allgemeine Darstellung der auf das Urteil Bremer Vulkan folgenden Diskussion um die richtige Rechtsgrundlage der Haftung der Gesellschafter: Haas, WM 2003, 1929 ff (insbesondere 1939 f). 823) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (1. LS) (Trihotel); so auch wieder in BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 (Gamma), insbesondere auch dazu, dass das Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung die Existenzvernichtungshaftung nicht begründen könne, sondern vielmehr ein Eingriff zu fordern sei a. a. O., (2438 Rz. 12); BGHZ 179, 344 = NJW 2009, 2127 (2129 Rz. 16) (Sanitary). 824) Statt vieler vergleiche die Darstellung des objektiven Tatbestands bei Altmeppen, in Roth/ Altmeppen, § 13 Rn. 82 – 90; sowie ausführlich Strohn, ZInsO 2008, 706 (708 f). 825) Statt vieler: Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 40 ff m. w. N. 826) Vgl. statt vieler dazu die ausführliche Darstellung bei Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 124 ff, insbesondere Darstellung der Fallgruppen in Rn. 127 ff; sowie bei Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 82 – 87 m. w. N.; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 736 spricht sich dafür aus, dass sogar die Begründung von Verbindlichkeiten unter der Begriff des Eingriffs falle. 827) Zum existenzvernichtenden Eingriff noch BGH ZIP 2005, 250 (252) = DStR 2005, 340 (Handelsvertreter); Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 569. 828) Altmeppen, in Roth/Altmeppen, in § 13 Rn. 88 mit Verweis auf Röck, DZWIR 2012, 97 (99 ff).

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

mal829) in höchstem Grade auslegungsbedürftig ist. Auch in den Entscheidungen vor Trihotel, damals noch unter dem Konzept der Durchgriffshaftung, hatte der BGH stets betont, dass auch eine sittenwidrige Schädigung vorliege und damit der Tatbestand des § 826 BGB erfüllt sei830). Die sittenwidrige Schädigung bezieht der BGH auf die Schädigung der Gläubiger, die durch das Verhalten der Gesellschafter eine Vermögenseinbuße erleiden831): „Die Sittenwidrigkeit liegt regelmäßig in der insolvenzverursachenden oder sie vertiefenden Selbstbedienung des Gesellschafters zulasten der Gläubiger durch Verringerung der Zugriffsmasse und zum eigenen Vorteil des Gesellschafters.“832) Neu ab dem Urteil Trihotel war insofern nur, dass die sittenwidrige Schädigung nicht mehr gegenüber den Gläubigern, sondern gegenüber der Gesellschaft als verwirklicht angesehen wurde833). Die Sittenwidrigkeit eines Eingriffs begründend sei demnach ein planmäßiger Ent- 498 zug von Vermögen durch die Gesellschafter mit der Folge der Insolvenz der Gesellschaft834). Es muss sich um eine Art „Selbstbedienung“835) handeln, mit der der Gesellschafter sein Interesse über das der Gläubiger stellt. Der Gesellschafter muss also eigennützig Mittel aus dem (zur Gläubigerbefriedigung „zweckgebundenen“836) Vermögen der Gesellschaft abziehen837). Dieses Kriterium der Selbstbedienung birgt die Voraussetzung, dass der Eingriff in das Vermögen der Gesellschaft dem Gesellschafter zugute kommen muss. Dem Gesellschafter oder einer ihm zurechenbaren ___________ 829) Ein sittenwidriges Verhalten verstößt nach st. Rechtsprechung nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, insbesondere aus seiner Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar: vgl. BGHZ 86, 82 (88) = NJW 1983, 1851; BGHZ 146, 298 = NJW 2001, 1127 f m. w. N.; Spindler, in Beck-OK BGB, § 826 Rn. 6 m. w. N. 830) Vgl. z. B. BGH NJW 2005, 145 = ZIP 2004, 2138 (Rheumaklinik); BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (KBV), wo das Vorliegen des § 826 BGB vom II. Zivilsenat zumindest nicht ausgeschlossen werden konnte; allgemein dazu, dass bereits im alten Konzept immer auch der Tatbestand des § 826 BGB erfüllt gewesen sei: Goette, ZIP 2005, 1481 (1487); Altmeppen, ZIP 2002, 1553 (1554); Strohn, ZInsO 2008, 706 (708). 831) Strohn, ZInsO 2008, 706 (709): „§ 826 BGB setzt beim Schaden der Gesellschaft an und nicht bei einer Bereicherung des Gesellschafters.“ 832) Vgl. BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2691 f Rz. 22, 28) sowie BGHZ 179, 344 = NJW 2009, 2127 (Sanitary). 833) Insofern zeigt sich hier der nunmehr im Konzept der Existenzvernichtungshaftung angelegte und oben bereits erörterte „mittelbare Gläubigerschutz“. 834) Dass ein solcher Entzug die Sittenwidrigkeit begründen könne, so die lapidare Feststellung im Trihotel-Urteil, sei nicht zu bezweifeln: vgl. BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 Rz. 30). 835) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2389 (2691 Rz. 28) (Trihotel); Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 566 f; Weller/Discher, in Bork/Schäfer, § 13 Rn. 50. 836) Dazu bereits ausführlich oben bei der Erörterung der Normzwecke des Haftungssystems und des Bestandsschutzinteresses der Gesellschaft, B.IV.2. 837) Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 126; vgl. auch Theiselmann, GmbHR 2007, 904 (905 m. w. N.).

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D. Schutz der Vermögensstruktur

Einheit muss nach überwiegender Meinung daher korrelierendes Vermögen zufließen838). Angemerkt sei jedoch, dass die Vermögensmehrung beim Gesellschafter eben nicht gleich dem bei der Gesellschaft verursachten Schaden sein muss. Ansonsten wären gerade Fallgruppen wie Kollateralschäden von der Haftung für existenzbedrohende Eingriffe nicht erfasst.

499 In Bezug auf den planmäßigen Entzug nicht erforderlich ist dabei eine wiederholte oder in größerem Stil angelegte Entziehung. Auch ist es nicht erforderlich, dass der Gesellschafter die Verhinderung des Zugriffs auf das Vermögen gerade intendiert. Die reine Vorhersehbarkeit reicht aus839). Auch soll es ausreichen, dass dem Gesellschafter die Tatsachen bewusst sind, „die den Eingriff sittenwidrig machen, während ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit als solches nicht erforderlich ist“840). Der BGH fordert vielmehr, dass der Eingriff primär egoistisch motiviert ist. Dass die Verringerung der Solvenz der Gesellschaft dann lediglich als Nebenfolge in Erscheinung trete, sei unerheblich841).

500 Im Kriterium der Sittenwidrigkeit liegt insofern eine deutliche Einschränkung des sehr weit ausgelegten „Eingriffs“.

ii) Verursachung der Insolvenz 501 Die Haftung kann nur für Eingriffe eintreten, die „unmittelbar“ zur Insolvenz der Gesellschaft führen842). Durch das Trihotel-Urteil hat sich am Tatbestand der Haftung für existenzgefährdende Eingriffe nichts geändert. Die reine Insolvenzgefährdung reicht nach h. M. nicht aus843). Teilweise hat der BGH jedoch neben der Ver___________ 838) So die h. M. jedenfalls seit Trihotel: vgl. dazu nur Strohn, ZInsO 2008, 706 (708 f): Dass der Gesellschafter das entnommene Vermögen zu seinen Gunsten verwende, sei in aller Regel der Fall, jedoch keine strenge Haftungsvoraussetzung; vor der Trihotel-Entscheidung war es umstritten, ob der Eingriff zu Gunsten eines Gesellschafters erfolgen musste, was von der h. M. ebenfalls angenommen wurde: vgl. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 730 m. w. N., 733 f, sowie S. 755 f: Ausreichend solle sein, dass der Vermögenszufluss neben Gesellschaftern auch sonstigen der Gesellschaft und anderen Gesellschaftern nahe stehenden Personen zukomme. Kein konkreter Vermögensvorteil solle erforderlich sein, dafür aber zumindest „eigennützige“ Motive vorliegen, zum Beispiel beim gambling for resurrection. 839) Vgl. Weller, ZIP 2007, 1681 (1685). 840) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 Rz. 30). 841) BGHZ 183, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 Rz. 30): „auch dann anzunehmen, wenn die faktische dauerhafte Beeinträchtigung der Erfüllung der Verbindlichkeiten die voraussehbare Folge des Eingriffs ist“; sowie im Folgenden a. a. O., (2693 Rz. 34 ff). 842) BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 23 ff) (Trihotel); Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 125, 131; Strohn, ZInsO 2008, 706 (709); vgl. auch Drygala, GmbHR 2003, 729 (736); Bruns, WM 2003, 815 (820); Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (419 f); Roth, NZG 2003, 1081; Wilhelmi, DZWIR 2003, 45 (46). 843) Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (418 m. w. N.); Ulrich, GmbHR 2007, 1289 (1293 m. w. N. in Fn. 60 – 62); vgl. auch die ausführliche Darstellung der Diskussion um die Insolvenzgefährdung bei Weller, Rechtsformwahlfreiheit, S. 168 ff.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

ursachung der Insolvenz auch eine Vertiefung einer bereits eingetretenen Insolvenz844) und Eingriffe im Liquidationsstadium845) genügen lassen. Liegt unmittelbar durch den Eingriff ein Insolvenzantragsgrund vor, kann die Haf- 502 tung bejaht werden. In allen anderen Fällen ist dies jedoch problematisch. Bei den hier in Frage kommenden Eingriffen – z. B. dem Abzug von bereits abgeschriebenen Produktionsmitteln – wird die Insolvenz nicht unmittelbar eintreten, sondern erst durch eine Verkettung mit weiteren Umständen. Reicht es beispielsweise aus, wenn der Gesellschafter eine produktionsnotwendige Maschine oder die Kundenkartei auf sich oder eine andere Gesellschaft überleitet und daraufhin die Gesellschaft keine Produkte mehr herstellen oder Kunden nicht mehr kontaktieren kann, in der Folge der Umsatz (in aller Regel: weiter) einbricht, sich die Liquiditätslage der Gesellschaft verschlechtert und dann nach mehreren Monaten endgültig Insolvenzreife eintritt? Im Ergebnis muss die Haftung in diesem Fall natürlich bejaht werden. Das Beispiel lässt aber auch erahnen, dass eine „unmittelbare“ Insolvenzverursachung viele Auslegungsfragen aufwirft. Nichtsdestotrotz wird das Kriterium der „Herbeiführung“ der Insolvenz in Kommentierungen zur Existenzvernichtungshaftung erstaunlich knapp behandelt846) und teilweise mit der Diskussion um die rein äquivalente Kausalität gleichgesetzt. Problematisch sind dabei Nachteilszufügungen, die lediglich durch das Hinzutreten 503 weiterer Umstände oder Ereignisse zur Insolvenz führen. Als generelle Leitlinie lässt sich hier eine Aussage des BGH aus dem Architekten-Urteil fruchtbar machen. Im damals noch konzernrechtlich verstandenen Zusammenhang stellte der BGH fest, dass die Gesellschaft (abgesehen von zusätzlichen Erfordernissen beim Bestehen von Minderheitsgesellschaftern) „so geführt werden muß, daß sie, wenn nicht unvorhergesehene Entwicklungen eintreten, ihren Verbindlichkeiten nachkommen kann“847). Auf Basis dieser Kriterien würde die Haftung also ausscheiden, wenn der Eingriff zwar zur Insolvenz führt, dies jedoch nur aufgrund von dazwischentretenden Ereignissen, die vom Gesellschafter nicht vorhersehbar waren. Wenn die zusätzlichen Zwischenschritte und damit die Folge des Eingriffs dagegen vorhersehbar waren, sind diese dem Gesellschafter auch zuzurechnen848). Das entscheidende Kriterium ___________ 844) BGH NJW 2005, 145 (146) = ZIP 2004, 2138; ZIP 2008, 455 (456 Rz. 10, 12) = NZI 2008, 238; vgl. Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 559 m. w. N.; Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (418 m. w. N.). 845) So ausführlich der BGH im Sanitary-Urteil: BGHZ 179, 344 (349 f Rz. 16 ff, 22) = NJW 2009, 2127. 846) Vgl. z. B. Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 125 und 131; so auch bei Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 573; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 89; erstaunlich knapp auch Strohn, ZInsO 2008, 706 (709); etwas ausführlicher Habersack, in Emmerich/ Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 43 f. 847) BGH NJW 1994, 3288 (3290) = DStR 1994, 1816 (1818) mit Verweis auf die TBB-Rechtsprechung BGHZ 122, 123 (230) = NJW 1993, 1200 (TBB). 848) So der BGH jetzt in Trihotel: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2692 Rn. 30 a. E.).

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D. Schutz der Vermögensstruktur

ist demnach die Möglichkeit der Erkennbarkeit von potentiell zwischenzeitlich eintretenden Ereignissen für den Gesellschafter849). Anerkannt ist insofern auch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Eingriff insolvenzursächlich oder insolvenzvertiefend ausgewirkt hat, im Laufe der Zeit abnimmt, also mit größerer zeitlicher Distanz die Insolvenzverursachung weniger stark vermutet wird.850)

504 In der Literatur wurde demgegenüber teilweise vertreten, die Nachteilszufügung müsse „unmittelbar“, d. h. ohne zeitliche Verzögerung zur Insolvenz der Gesellschaft führen851). Teilweise wird vorgeschlagen, für die Zurechenbarkeit die Kriterien eines Solvenztests einzuführen852). Der Gesellschafter müsse vor einem Eingriff die Frage stellen, ob sich das Unternehmen im Zeitpunkt des Eingriffs aufgrund seiner Liquiditätsplanung noch in der Lage sehe, seinen künftigen Verbindlichkeiten nachzukommen. Dieser Ansatz ist sicherlich richtig, jedoch wird durch den Verweis auf den Solvenztest de facto nur der Name der Prüfung geändert. Wichtiger wäre es, das Kriterium der Zurechenbarkeit mit Inhalt zu füllen, beispielsweise durch Verweis auf konkrete Richtlinien für die Erstellung des Solvenztests853). Die Diskussion darüber dauert noch an.

iii) Abgleich mit dem Schutzzweck 505 Generell lässt sich jedoch sagen, dass die soeben vorgestellte Konzeption der Tatbestandsmerkmale mit dem durch die Existenzvernichtungshaftung bezweckten Schutz der Gesellschaftsgläubiger korreliert. Nach BGH und h. M. soll die Existenzvernichtungshaftung Gläubigerausfallschäden854) vermeiden. Diese liegen darin, dass die Gesellschaft aufgrund des Eingriffs in die Insolvenz gefallen ist und damit die Befriedigungsaussichten der Gläubiger gesunken sind. Somit sind sowohl der mit der Existenzvernichtungshaftung verfolgte Schutzzweck als auch das konstituierende Kriterium der Sittenwidrigkeit des Eingriffs aus der Sicht der Gläubiger bzw. des Gläubigerschutzes formuliert. Gläubiger sollen nicht dadurch Nachteile erleiden, dass ein Gesellschafter einen Eingriff in das Vermögen „seiner“ Gesellschaft tätigt und dabei eine Schädigung der Gläubiger durch Herbeiführung der insolvenzbedingten Liquidation seines Unternehmens in Kauf nimmt. Die Formulierung des Normzwecks bei der Existenzvernichtungshaftung erfolgt aus der Sicht der Gläubiger. ___________ 849) In diese Richtung Drygala, GmbHG 2003, 729 (733). 850) Vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, § 77 Anh. Rn. 140; Weller, ZIP 2007, 1681 ff; Drygala, GmbHR 2003, 729 (737). 851) So Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (418 f). 852) Vgl. Wiedemann, ZGR 2003, 283 (293 f); in eine ähnliche Richtung Drygala, GmbHR 2003, 729 (734). 853) Beispielsweise die Vorgaben des IDW für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit (PS 800), abgedruckt in ZIP 2009, 201. 854) Vgl. nur Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 524.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

b) Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG Der Tatbestand des § 64 S. 3 GmbHG setzt demgegenüber beim Begriff der „Zah- 506 lung“ i. S. d. S. 1 der Norm an, der zugleich die Rechtsfolge der Haftung vorgibt: Insolvenzverursachende Zahlungen an Gesellschafter sind der Gesellschaft vom Geschäftsführer zurückzuerstatten, es sei denn, die Verursachung der Insolvenz war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes nicht erkennbar. Da der Zahlungsbegriff unmittelbar an § 64 S. 1 GmbHG anknüpft und die h. M. die Auslegung des Begriffs dem Grunde nach auch auf S. 3 überträgt, ergibt sich ein von der Existenzvernichtungshaftung deutlich differenzierter objektiver Tatbestand.

i)

Zahlungsbegriff bei S. 3: Inhalt und Normzweck des Zahlungsverbots

Oben wurde an mehreren Stellen bereits auf den Zahlungsbegriff des § 64 S. 3 507 GmbHG eingegangen855). Kürzlich hat der BGH noch offen gelassen, ob unter den Zahlungsbegriff auch sonstige Leistungen zu fassen seien, nicht nur Geldleistungen856). Grundsätzlich können nur solche „Zahlungen“ gemeint sein, die liquide Vermögensgegenstände weggeben. Denn der Sinn des S. 3 besteht in der Sicherung der Schuldendeckungsfähigkeit der Gesellschaft. Denklogisch können also nur solche Zahlungen gemeint sein, die die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft beeinflussen. Demnach kann auch nur die Weggabe solcher Vermögensgegenstände als Zahlung gewertet werden, die auf die Liquidität der Gesellschaft unmittelbar Einfluss nehmen. Dasselbe soll, wie bereits dargestellt, auch für die Anrechnung der Gegenleistung gelten. Nur liquide Gegenleistungen sollen anrechnungstauglich sein857), wobei der Gesetzgeber von einer Saldierung von Leistung und Gegenleistung ausging858). Hier zeigt sich ein deutlich engeres Begriffsverständnis als bei der Existenzver- 508 nichtungshaftung: Der Eingriff wird dort denkbar weit ausgelegt, geschuldet dem Umstand, dass in der Praxis verschiedenartige Eingriffe ursächlich für die Insolvenz einer Gesellschaft sein können und damit Kollateralschäden verursachen. Bei § 64 S. 3 GmbHG ist vom Wortlaut her wohl lediglich die „letzte“ Zahlung an den Gesellschafter vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Anknüpfungspunkt des Vorwurfs. Anders wäre dies dann, wenn man mit dem oben Gesagten auch ein Bündel von hintereinander erfolgten „Zahlungen“ zusammenfassen und einheitlich dem § 64 S. 3 GmbHG unterstellen würde. Doch bei diesem Vorgehen ist durchaus Vorsicht ___________ 855) Vgl. dazu oben unter B.IV.6.d und D.II.1. 856) BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2291 = NZG 2012, 1379 (1381 Rz. 13); vgl. zum Zahlungsbegriff auch Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 150 m. w. N. 857) So bereits die Regierungsbegründung des MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 100 m. w. N.; ebenso Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 150, die meinen, unter liquider Gegenleistung sollen solche Vermögensgegenstände zu fassen sein, die innerhalb von drei Wochen zur Tilgung von Verbindlichkeiten verwendet werden können; Mertens/Cahn, in KölnKomm AktG, § 92 Rn. 38 a. E. 858) Dies solle das Wort „soweit“ belegen, RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47, linke Spalte.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

geboten. Dehnte man nämlich nur den Zeitraum weit genug aus und fasste sodann alle jemals an den Gesellschafter geflossenen (Teil-)Zahlungen zusammen, wäre der Tatbestand wohl immer erfüllt und könnte allenfalls an der mangelnden Vorhersehbarkeit scheitern. Eine Lösung bestünde darin, im Rahmen des Ursachenzusammenhangs zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit ein begrenzendes Kriterium einzuziehen.

ii) Kausalzusammenhang zwischen Zahlung und Insolvenz 509 Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens wurde auf den problematischen Zusammenhang zwischen der Zahlung und der Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit hingewiesen859). Dennoch ist dieser Zusammenhang bei § 64 S. 3 GmbHG nach derzeitigem Erkenntnisstand noch kaum treffsicher auszumachen860).

510 Bereits die Regierungsbegründung des MoMiG861) ist diesbezüglich vergleichsweise unergiebig. Zwar spricht sie vom Erfordernis der Kausalität der Zahlung für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, um jedoch sofort darauf einzuschränken862), nicht jede in „irgendeiner Weise“ kausale Zahlung sei gemeint. Vielmehr müsse es sich im Moment der Zahlung klar abzeichnen, dass die Gesellschaft unter normalem Verlauf der Dinge ihre „Verbindlichkeiten nicht mehr wird erfüllen können“. Die Formulierung „führen musste“ in S. 3 solle verdeutlichen, dass weitere, nicht vorhersehbare dazwischen tretende Umstände die Kausalität (bzw. die Zurechnung) entfallen ließen. Insgesamt sei die Erweiterung der Geschäftsführerhaftung nur eng begrenzt und „mit Vorsicht“ vorzunehmen. Ein konkretes Prüfprogramm wird jedoch nicht aufgestellt.

511 Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte § 64 S. 3 GmbHG wohl nur in solchen Fällen greifen, in denen § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. bisher leer lief, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass zur Zeit der Zahlung bereits Zahlungsunfähigkeit vorlag. Daraus wird ein sehr enger zeitlicher Zusammenhang abgeleitet863). Die ___________ 859) Poertzgen, GmbR 2007, 1258 (1261); Noack, DB 2006, 1475 (1479); ferner Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756 (1763); Greulich/Brunnemann, NZG 2006, 681 (685). 860) Vgl. Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (255): „weitgehend ungeklärt“; eine umfassende Darstellung findet sich bei Mätzig, in Beck’scher OK GmbHG, § 64 Rn. 80 – 84 m. w. N.; sowie bei Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 151 f m. w. N.; Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, S. 719 f; Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 199 ff m. w. N.: Der „Zwangsläufigkeitszusammenhang“ sei ein Novum im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht und führe zu einem gewissen „Unbehagen“. 861) Dazu und zum Folgenden BT-Drucks. 16/6140, S. 46 rechte Spalte unten und S. 47 linke Spalte oben. 862) Infolge dieser klaren Einschränkung bezeichnet Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 719 die Gesetzesbegründung auch als „ambivalent“: Es solle sowohl auf die tatsächliche Kausalität als auch auf ein prognostisches Element zurückgegriffen werden. 863) Als Indikator dafür die Ausführungen von Seibert, ZIP 2006, 1157 (1167); vgl. auch Kleindiek, in FS K. Schmidt, 2009, S. 893 (904).

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

Norm sei ja insbesondere die Antwort auf Missbräuche bei Unternehmenskäufen durch Investoren, z. B. durch leveraged-finance-Transaktionen. Einig ist man sich im Schrifttum, dass die Zahlung tatsächlich auch die Zahlungs- 512 unfähigkeit der Gesellschaft auslösen müsse864), also äquivalente Kausalität notwendig sei, diese jedoch als alleiniges Kriterium nicht ausreiche865). Schlechterdings kann aber jede Unterbrechung des Kausalverlaufs zum Entfallen des Tatbestands führen. Es ist somit eine wertende Betrachtung vorzunehmen866). Diesbezüglich ist im Schrifttum aber noch nicht einmal im Ansatz geklärt, wie der Zusammenhang in S. 3 auszulegen ist867): Manche Autoren verstehen den Zusammenhang sehr weit. Es solle danach ausreichen, dass durch die Zahlung ein wesentlicher Beitrag zum Eintritt oder gar nur zur Beschleunigung der Zahlungsunfähigkeit geleistet wurde868). Teilweise wird eine Kettenreaktion als ausreichend erachtet869). Am gegenteiligen Ende der Skala verlangen manche einen gezielten Vermögens- 513 entzug, der unmittelbar die Zahlungsunfähigkeit auslöst870). Basierend auf der Formulierung der Gesetzesbegründung, es müsse sich im Zeitpunkt der Zahlung klar abzeichnen, dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten nicht mehr wird erfüllen können, hat sich bei einigen Autoren die Formulierung eingebürgert, die Zahlung müsse eine „Weichenstellung ins Aus“ darstellen871). Sehr ähnlich dürfte der Rückgriff auf die Kriterien der Fortbestehensprognose des § 19 InsO sein872). Andere Autoren nehmen eine Begrenzung der äquivalenten Kausalität eher durch dieselben Kriterien vor, wie sie der BGH bei § 17 InsO aufstellt873). Teilweise wird auf jegliche Zahlung abgestellt, die „geeignet“ sei, die Zahlungsunfähigkeit herbeizuführen874). Dabei solle die Mitverursachung der Zahlungsunfähigkeit bereits ausreichen, sofern die übrigen Umstände nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegen. Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens könne dann nicht angeführt ___________ 864) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 118; ders., in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, Rn. 6.45. 865) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 118 Fn. 405 m. w. N. 866) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 118 Fn. 409 m. w. N. 867) Zusammenfassend K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 98, 99; zu dieser Streitfrage bereits Noack, DB 2006, 1475 (1479); Gesmann-Nuissl, WM 2006, 1756 (1763); Greulich/Brunnemann, NZG 2006, 681 (685). 868) Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 105; Spliedt, ZIP 2009, 149 (160). 869) Hölzle, GmbHR 2007, 729 (731). 870) Meyer, BB 2008, 1742 (1746). 871) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 99 m. w. N.; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 118; Greulich/Brunnemann, NZG 2006, 681 (685 m. w. N.); Greulich/Rau, NZG 2008, 284 (288); vgl. dazu auch Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881 (883). 872) Knof, DStR 2007, 1536 (1541 f). 873) Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203 (1207); Haas, GmbHR 2010, 1 (6). 874) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 109.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

werden875), der Gesellschafter solle also nicht einwenden können, die Zahlungsunfähigkeit wäre auch ohne die Zahlung eingetreten.

514 Teilweise wird auch vertreten, es könne nur um die Auszahlung von gerade jener Liquidität gehen, die die Gesellschaft im Folgenden für die Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Im Ergebnis wird damit wohl Monokausalität gefordert876). Daraus folge das Erfordernis der Aufstellung einer „Solvenzprognose“ für jede Zahlung877). Letztlich handelt es sich bei einer solchen Prognose aber um nichts anderes als einen Solvenztest. In diesem Zusammenhang wird dann meist auf den „IDW Prüfungsstandard: Empfehlungen zur Prüfung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen – IDW PS 800“ abgestellt878). Danach beträgt die normale Planungsperiode für die Liquidität der Gesellschaft das laufende und das folgende Geschäftsjahr879). Es werden aber auch durchaus Planungszeiträume von sechs Monaten bis zwei Jahren genannt880). Teilweise wird auch auf branchenübliche Finanzierungsperioden abgestellt. Letztlich sei eine wertende Entscheidung nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu treffen881), ein Vorschlag, der aufgrund seiner Unbestimmtheit bei Geschäftsleitern potentiell insolventer Unternehmen nicht auf Begeisterung stoßen wird. Andere wollen hinsichtlich der Solvenz der Gesellschaft lediglich ein „Wahrscheinlichkeitsurteil“ zur Anwendung kommen lassen882). ___________ 875) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 120; dies erscheint vor der haftungsrechtlichen Erwägung der Schwere der Haftung durchaus als zweifelhaft. 876) Ablehnend Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 719 mit Ausführungen zum prognostischen Element; ebenfalls ablehnend Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (256); ebenso Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203 (1207). 877) Vgl. Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (973). 878) Vgl. Schmidt, ZInsO 2007, 975 (978); Becker/Janssen/Müller, DStR 2009, 1660 ff; Engert, ZHR 170 (2006), 296 (325 ff, insbesondere bei Fn. 117). 879) Schluck-Amend, in FS Hommelhoff, 2012, S. 961 (973); Engert, ZHR 170 (2006), 296 (325). 880) Haas, in Baumbach/Hueck, § 64 Rn. 108 (m. w. N. in Fn. 786) spricht von sechs Monaten; Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 119, 121: ein Jahr; Knof, DStR 2007, 1580 (1582): laufendes und Folgejahr; Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (256) sehen bei Eintritt der Insolvenz innerhalb der Jahresfrist zumindest ein starkes Indiz für die Zurechenbarkeit. 881) Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 37, der sich explizit gegen einen schematischen Rückgriff auf den IDW-Standard ausspricht; gegenüber fixen Prognosenzeiträumen ebenfalls skeptisch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 99 a. E.; so auch Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 160, die jedoch in Rn. 162 hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs von einem Planungshorizont über das laufende und folgende Geschäftsjahr ausgehen; Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, S. 719 f will keine starren Grenzen, aber verlässliche Richtwerte, die er aus § 133 Abs. 2 InsO (2 Jahre Höchstgrenze) ableiten will. 882) Kleindiek, in FS K. Schmidt, 2009, S. 893 (906 Fn. 66 m. w. N.); ders., in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 36; Wicke, GmbHG, § 64 Rn. 29 m. w. N.; von 50 %iger Wahrscheinlichkeit spricht Knof, DStR 2007, 1536 (1540) sowie Komo, GmbHR 2010, 230 (235) und Gehrlein, Der Konzern, 2007, 771 (795); überwiegende Wahrscheinlichkeit bei Krieger/Sailer-Coceani, in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 92 Rn. 24; Spindler, in MüKo AktG, § 92 Rn. 44; dem folgend Habersack/Foerster, in GroßKomm AktG, § 92 Rn. 152.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

Dann wiederum wird auch argumentiert, der zeitliche Zusammenhang zwischen 515 Zahlung und Eintritt der Zahlungsunfähigkeit lasse sich abstrakt gar nicht bestimmen, es komme auf die Verhältnisse des Einzelfalls an883). Gewarnt wird allerdings wiederum davor, unzulässigerweise subjektive Elemente in den Tatbestand mit einzubeziehen und so die Abgrenzung zum subjektiven Tatbestand zu verwischen884). Somit kann man lediglich festhalten, dass gesicherte Ergebnisse zum Kriterium des 516 Zusammenhangs zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit de facto nicht vorhanden sind. Seulen/Osterloh haben die folgenden, wohl als halbwegs gesichert geltenden Voraussetzungen im Sinne eines Prüfungsschemas zusammengefasst885): Es müsse sich (1) im Moment der Zahlung abzeichnen, dass die Gesellschaft ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen können wird, (2) ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang gegeben sein, (3) die Zahlung müsse nicht der einzige die Zahlungsunfähigkeit verursachende Umstand sein und (4) außergewöhnliche Ereignisse blieben außer Betracht.

iii) Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG Die gerade angestellten Überlegungen verdeutlichen, dass sich § 64 S. 3 GmbHG 517 an den Geschäftsführer richtet und Anforderungen an die Planung und Steuerung von Unternehmen im Blick hat. Daher ist es auch konsequent, wenn der Schutzzweck der Norm aus der Sicht der Gesellschaft formuliert wird. Es soll die Liquidität der Gesellschaft gesichert werden, die erforderlich ist, damit das Unternehmen seinen Verbindlichkeiten nachkommen kann. Selbstverständlich dient auch diese Sicherung nur dem Zweck des mittelbaren Gläubigerschutzes. Die Existenzvernichtungshaftung dagegen zielt primär auf das Verhältnis zwischen 518 der Gesellschaft und den Gläubigern, wendet den Blick mithin auf das Außenverhältnis. Der Normzweck, die Vermeidung von Gläubigerausfallschäden ist daher aus Sicht der Gläubiger formuliert.

c)

Einheitliches Schutzkonzept des § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung

Die vorstehenden Überlegungen haben auch gezeigt, dass bei Gesellschaftern über 519 die Existenzvernichtungshaftung eine deutlich schärfere Haftung besteht als beim Geschäftsführer. Dies liegt insbesondere an dem restriktiveren Zahlungsbegriff bei ___________ 883) K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 99 a. E.; Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 37. 884) Böcker/Poertzgen, WM 2007, 1203 (1207 f) mit Verweis auf BGHZ 167, 134 und die dort ausgeführte 10 %-Regel des BGH bei der Zahlungsunfähigkeit; dem widersprechend aber Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 119. 885) Seulen/Osterloh, ZInsO 2010, 881 (883); mit ähnlichen Kriterien zusammenfassend auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 119.

209

D. Schutz der Vermögensstruktur

§ 64 S. 3 GmbHG, der eine große Zahl von mit der Existenzvernichtungshaftung aufgefangenen Kollateralschäden nicht erfasst. Der Gesellschafter haftet, dies wird sogleich Gegenstand der Diskussion sein, auf den gesamten Gläubigerausfallschaden, nicht lediglich auf die getätigte Zahlung. Die solchermaßen verschärfte Haftung könnte man mit dem Aspekt in Übereinstimmung bringen, dass der Gesellschafter ja der Nutznießer der „Zahlung“ bzw. des Eingriffs ist. Im Gegensatz zum Geschäftsführer, der nur seine organschaftlichen Pflichten verletzt hat, profitiert der Gesellschafter vom Eingriff und haftet daher schärfer.

520 All dies könnte zu dem Schluss verleiten, die beiden Haftungskonzepte seien so unterschiedlich, dass eine aneinander ausgerichtete Auslegung nicht angebracht sei. Richtigerweise darf man sich jedoch über die im jeweiligen Kontext verwendeten unterschiedlichen Formulierungen nicht hinwegtäuschen lassen. Zwar ist der objektive Tatbestand durchaus verschieden, aber der eigentliche Normzweck ist derselbe. Denn ähnlich dem zu Beginn von Teil B dieser Arbeit aufgezeigten Dualismus der Schadensberechnungsmethoden zeigt sich auch hier, dass derselbe Schutzzweck jeweils nur mit einem unterschiedlichen Blick auf die Gesellschaft formuliert ist und gewissermaßen bei der anderen Seite der Medaille ansetzt. Der Geschäftsführer hat eine Pflicht zur Vermeidung der Insolvenz gegenüber der Gesellschaft, insofern ist der unmittelbare Schutzzweck des § 64 S. 3 GmbHG aus Sicht der Gesellschaft formuliert. Die Gesellschafter haben per se keine Pflicht zur Vermeidung der Insolvenz, insbesondere nicht der Gesellschaft gegenüber, sind aber mittelbar den Gläubigern verpflichtet. Konsequenterweise wird der Schutzzweck der Existenzvernichtungshaftung direkt an den Gläubigerinteressen festgemacht. Im Ergebnis geht es beiden Haftungskonzepten aber um genau dasselbe, nämlich um einen Eingriff, durch den in erkennbarer Weise der Gesellschaft Vermögen entzogen wird und der sodann im Rahmen der Insolvenz zu nicht vermeidbaren Ausfallschäden führt. Auch wenn beide Haftungsnormen einen abweichenden objektiven Tatbestand haben, die Haftung an völlig andere Adressaten gerichtet ist und der Normzweck sich scheinbar unterscheidet, geht es im Kern doch um dieselbe Pflicht und um denselben Verstoß. Daher ist im Folgenden umso mehr die Frage zu stellen, ob eine angleichende Auslegung nicht auch im Recht des Vermögensstrukturschutzes geboten ist.

2.

Die Rechtsfolge des Anspruchs: Schaden der Gesellschaft vs. Rückerstattung von Zahlungen

a) Etablierung eines Schadens „der Gesellschaft“ durch das Trihotel-Konzept 521 Als das Trihotel-Urteil die Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe als Schadensersatzhaftung ausgestaltete, war dies eine kleine Revolution. Die Vorentscheidungen hatten noch auf ein Durchgriffskonzept gesetzt, die Gesellschafter mussten danach unmittelbar für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einste210

III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

hen886). Dieser Durchgriff wurde weniger mit einer drohenden Schädigung der Gläubiger, sondern vielmehr mit einem Missbrauch der Rechtsform der GmbH begründet, der darin liegen sollte, dass die Gesellschafter die zum Bestandsschutzinteresse der Gesellschaft gebündelten Gläubigerinteressen beim Eingriff in das Gesellschaftsvermögen nicht gebührend berücksichtigt hatten887). Auch in der Literatur waren bis dahin zahlreiche alternative Haftungsstränge, na- 522 mentlich zwei Innen- und zwei Außenhaftungskonzepte diskutiert worden888), eine deliktische Innenhaftung gestützt auf § 826 BGB war jedoch soweit ersichtlich von niemandem gefordert worden. Das Trihotel-Urteil hat daher überraschenderweise eine auf § 826 BGB gestützte 523 Schadensersatzhaftung im Innenverhältnis eingeführt und damit die Durchgriffskonstruktion abgeschafft889). Dabei setzt die Haftung nunmehr beim Schaden der Gesellschaft an, nicht jedoch bei einer etwaigen Bereicherung des Gesellschafters890) – woran man bei § 64 S. 3 GmbHG und der Insolvenzanfechtung zunächst denken könnte. Der Gesellschafter muss auch nicht mehr per se für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einstehen, sondern es ist in einem zweistufigen Modell der Schaden der Gesellschaft zu berechnen. Dies wurde bei der Diskussion der Normzwecke bereits erwähnt (vgl. oben unter B.II.2.b), soll hier jedoch detaillierter dargestellt werden. In einem ersten Schritt ist im neuen Konzept des BGH nur noch der durch den Ein- 524 griff verursachte Schaden der Gesellschaft auszugleichen891). Anhand der Differenzhypothese nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Vermögenszustand der Gesellschaft mit und ohne den existenzvernichtenden Eingriff zu vergleichen. Bemerkenswert knapp äußert sich der BGH dann zu den erfassten Schadensposten. Angeblich sollen die ___________ 886) Vgl. nur Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 74 m. w. N.; Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 105. 887) BGHZ 149, 10 (16) = NJW 2001, 3622 (Bremer Vulkan). Die Terminologie des Missbrauchs der Rechtsform hat der BGH seitdem jedoch nicht konsequent durchgehalten und daher auch im Trihotel-Urteil die Durchgriffskonstruktion aufgegeben, vgl. BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 27); vgl. Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 733. Eine Änderung in der Sache ist damit jedoch nicht erfolgt. 888) Ausführlich zu den Alternativ-Konzepten mit jeweils umfangreichen Nachweisen: Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 104 – 109; knappe Darstellung auch bei Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. zu § 318 Rn. 35 m. w. N. 889) Zum Folgenden vgl. auch Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 605 ff m. w. N.; erstaunlich knapp zum „Schaden der Gesellschaft“ äußert sich Strohn, ZInsO 2008, 706 (710): Er deutet sogar an, dass bei der Herbeiführung der Insolvenz der Gesellschafter für den gesamten Forderungsausfall haften solle – wäre das der Fall, würde sich durch die „Neukonstruktion“ im Vergleich zum Modell des Haftungsdurchgriffs nichts ändern! 890) Strohn, ZInsO 2008, 706 (709). 891) Im Trihotel-Urteil lediglich angedeutet: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2695 Rz. 57); vgl. dazu und dem Folgenden Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 91; Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 144 ff; Weller, ZIP 2007, 1681 (1683).

211

D. Schutz der Vermögensstruktur

unmittelbar entzogenen Vermögenspositionen ebenso vom Schaden erfasst sein wie die durch die Insolvenz bedingten Zerschlagungsverluste und entgangenen Gewinnchancen bei der Gesellschaft.

525 Der zweite Schritt ist die Konsequenz daraus, dass der Anspruch zwar der Gesellschaft als unmittelbar Anspruchsberechtigter zusteht, jedoch zum Schutz der Gläubiger ausgestaltet wurde. Daher soll – so der BGH in seinen knappen Hinweisen an das Instanzgericht – der Schadensersatz durch den zur Gläubigerbefriedigung benötigten Betrag gedeckelt werden892). Der Schadensersatz solle also nur insoweit gewährt werden, als er für die Fähigkeit der Gesellschaft, ihre Schulden zu begleichen, notwendig sei, mithin also lediglich in dem Maße, wie er zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich sei. Dies trägt dem Gedanken des mittelbaren Gläubigerschutzes Rechnung, der durch die Gesellschaft vermittelt wird893).

526 Die entscheidende Abweichung zum früheren Konzept besteht darin, dass nunmehr auch zu berücksichtigen ist, dass die Forderungen der Gläubiger bereits zum Zeitpunkt des Eingriffs entwertet sein können. Aufgrund der beiden Begrenzungen des Schadens wird eben nur der durch den Eingriff verursachte Werthaltigkeitsverlust der Forderungen ersetzt894). Es führt also zu einem entsprechend geringeren Schadensersatzanspruch, wenn Gläubigerforderungen auch schon vor dem Eingriff nicht mehr vollwertig waren, auch wenn ein Insolvenzverfahren aus Mangel eines Insolvenzantragsgrunds noch nicht angezeigt war. Trotzdem ist es ja denkbar, dass die Gesellschaft nicht mehr alle Forderungen bedienen kann und damit die Forderungen zum Teil nicht mehr werthaltig sind895). Wenn aber die Gesellschaft ihren Verbindlichkeiten auch ohne den insolvenzauslösenden Eingriff bereits nicht vollständig nachkommen konnte, so ist den Gläubigern als Ersatz für diesen Eingriff auch nur die Differenz zur tatsächlich erhaltenen Quote zu ersetzen896). Bei Lichte besehen geht es hier um Kausalität und Zurechnung des Schadens.

b) „Quotenschaden“ bei der Existenzvernichtungshaftung? 527 Unwillkürlich ist man hier an die zur Insolvenzverschleppungshaftung angestellten Überlegungen und den dort vom BGH so titulierten „Quotenschaden“ erinnert. Dabei ging es um den Gesamtgläubigerschaden, der aus der Verzögerung der Insolvenz ___________ 892) BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2695 Rz. 55) (Trihotel). 893) Vgl. Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 608. 894) Ausführliche Darstellung mit zahlenmäßigen Beispielen bei Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 145 f, insbesondere auch zum „Quotenverschlechterungsschaden“ der Gläubiger, a. a. O., Rn. 146; ebenso Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 46; Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 608; Weller, ZIP 2008, 1681 (1685). 895) Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 36 m. w. N. und 46. 896) Weller, ZIP 2008, 1681 (1686).

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

und der Verminderung der Zugriffsmasse der Gläubiger resultiert. Bei der Existenzvernichtungshaftung spricht der BGH nunmehr von einem „Differenzgewinnausfall“897) bzw. einem Gläubigerausfallschaden898). Bei genauer Betrachtung handelt es sich jedoch um dasselbe Phänomen. Jeweils soll eine Verringerung des Vermögens bei der Gesellschaft ausgeglichen werden, die sich in einer verringerten Befriedigungsaussicht bei den Gläubigern fortsetzt – und das jeweils von einem bestimmten Ereignis an (Insolvenzreife bzw. Eingriff) bis hin zur tatsächlichen Insolvenzantragstellung. Beide Haftungen können natürlich auch kumulativ auftreten, wenn einer Existenzvernichtung eine Insolvenzverschleppung nachfolgt899). Denklogisch handelt es sich aber um zwei verschiedene Erscheinungsformen, die lediglich zeitlich hintereinander auftreten können. Insofern ist man versucht, eine Parallele zur Insolvenzverschleppungshaftung zu ziehen und die auszugleichende Vermögensdifferenz im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung ebenfalls als „Quotenschaden“ zu bezeichnen. In diesem Sinne haben sich auch zahlreiche Vertreter in der Literatur geäußert900). Nicht übersehen werden darf jedoch ein sich aus dem oben dargestellten Konzept 528 ergebender entscheidender Unterschied: Bei der Insolvenzverschleppung geht es um eine Quotendifferenz, mithin darum, dass die Gesellschaft auch schon bereits zu Beginn der Verschleppungsperiode insolvent war, mithin abgewickelt werden musste, und die Gläubiger bereits zu diesem Zeitpunkt empfindliche Abschläge an ihren Ansprüchen hinzunehmen gehabt hätten. Demgegenüber geht es bei der Existenzvernichtungshaftung darum, dass die Insolvenz überhaupt erst eingetreten ist, mithin Gläubiger Ausfallschäden erleiden, die ohne den Eingriff gänzlich hätten vermieden werden können. Zudem werden negative Vermögensentwicklungen im Zeitraum zwischen Eingriff und Insolvenzantragstellung bei der Existenzvernichtungshaftung dann nicht im Schadensersatz berücksichtigt, wenn sie nicht auf dem Eingriff „beruhen“. Denn Verschlechterungen der Quote der Gläubiger werden dann nicht als Schadensposten ersetzt, wenn sie auch ohne den Eingriff angefallen wären. Wenn Vermögensminderungen mit dem Eingriff nichts zu tun haben, schützt die Existenzvernichtungshaftung die Gläubiger nicht. Vielmehr sollen die Gläubiger „nur“ vor den tatsächlichen Folgen des Eingriffs geschützt werden und ergibt sich aus der ersten Stufe der Schadensberechnung des BGH. Die Insolvenzverschleppungshaftung schützt demgegenüber die Gläubiger vor allen Vermögensmin-

___________ 897) 898) 899) 900)

Vgl. BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2695 Rz. 55) (Trihotel). Ausführlich Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Anh. § 318 Rn. 36 f. Darauf weist zu Recht hin K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 113. Raiser, in GroßKomm GmbHG, § 13 Rn. 173 a. E.; Bitter, in Scholz, § 13 Rn. 169; Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 109 (insbesondere in Fn. 207 mit Zahlenbeispiel), 144 ff, 146; für den Fall der Vertiefung einer bereits bestehenden Insolvenz spricht selbst Strohn, ZInsO 2008, 706 (710) von einem Quotenschaden.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

derungen, die ab dem Zeitpunkt der Insolvenzreife eingetreten sind901). Dies kann insbesondere damit gerechtfertigt werden, dass die Gesellschaft ab diesem Zeitpunkt ja gar nicht mehr hätte werbend in Erscheinung treten dürfen. Sinn und Zweck der Insolvenzverschleppungshaftung besteht daher nicht nur darin, ganz bestimmte Vermögensminderungen auszugleichen, sondern sämtliche durch die Fortführung des Unternehmens aufgelaufenen Verluste. Oben wurde hierzu lediglich die Ausnahme akzeptiert, dass Schadensposten auszuklammern sind, die auf höherer Gewalt beruhen.

529 Bei der Existenzvernichtungshaftung erfolgt die Einschränkung des Schadensersatzes auf die eingriffsbedingten Vermögensminderungen auf der ersten Stufe. Dort formuliert der BGH, der Schadensersatz sei auf die Höhe des der Gesellschaft durch den Eingriff zugefügten Schadens begrenzt902). Der Sache nach geht es also gerade darum, solche Vermögensminderungen aus der Schadensberechnung auszuklammern, die mit dem Eingriff nichts zu tun haben und infolgedessen sich ohnehin auf die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger negativ ausgewirkt hätten.

530 Die Problematik im Modell des BGH dürfte jedoch darin liegen, dass die von ihm konzipierte erste Stufe keine praktikablen Ergebnisse liefert und kaum berechenbar ist903). Denn die erste Stufe kann eben gerade nicht mit dem insolvenzbedingten Gläubigerausfallschaden gleichgesetzt werden904), sondern bedarf einer eigenständigen Schadensberechnung. Der vom BGH angeführte Wert des Eingriffs ist dabei wohl noch am leichtesten zu bestimmen. Da aber die generelle Konzeption der Existenzvernichtungshaftung auf dem Gedanken beruht, dass der Abzug von u. U. wirtschaftlich oder bilanziell sehr geringwertigen Wirtschaftsgütern einen durchaus immensen (Folge-)Schaden nach sich ziehen kann, ist die Höhe des Eingriffs in aller Regel gerade kein tauglicher Indikator für die Schadensberechnung. Die darüber hinaus angeblich zu erfassenden Verluste durch entgangene Geschäftschancen lassen sich dann nur noch schwierig berechnen und sind mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. Gänzlich versagt der Ansatz des BGH dann, wenn konstatiert wird, der die Haftung geltend machende Insolvenzverwalter solle die durch die Insolvenz bedingten „Zerschlagungsverluste“ aufzeigen und notfalls beweisen. Dass eine Insolvenz zum Verlust von Werten in der Gesellschaft führt, dürfte außer Zweifel stehen – sie in einem Prozess darzulegen und zu beweisen, dürfte jedoch einen Akt der Unmöglichkeit darstellen. Vorliegend wird deshalb vertreten, dass der vom BGH ___________ 901) Dies ist sowohl das Ergebnis der (dysfunktionalen!) Insolvenzverschleppungshaftung nach herrschender Auffassung als auch der in dieser Arbeit entwickelten Konzeption. Die Haftung unterscheidet sich insofern nur in der Wahl der Haftungsgrundlagen. 902) Nachweise oben bei Fn. 891. 903) In diese Richtung auch bereits vor dem Trihotel-Urteil bereits Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (412), die eine Schadensersatzfolge für „ganz und gar ungeeignet“ halten. 904) So beispielsweise aber Paefgen, DB 2007, 1907 (1909), der den Schaden fälschlicherweise im insolvenzbedingten Ausfall der Gläubigerforderung sieht und dabei verkennt, dass es sich um einen Innenhaftungsanspruch handelt.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

im Trihotel-Urteil entwickelte Ansatz zur Schadensberechnung nicht weniger dysfunktional ist wie die Insolvenzverschleppungshaftung nach herrschender Konzeption, also unter Ausklammerung der Neugläubiger.

c)

Alternatives Modell der Schadensberechnung bei der Existenzvernichtungshaftung

Daher soll vorliegend eine alternative Berechnung des ersatzfähigen Schadens bei 531 der Existenzvernichtungshaftung vorgeschlagen werden, die zwar zu analogen Ergebnissen führt, jedoch das genannte Problem umgeht. Es erfolgt diesbezüglich eine Angleichung an die Schadensberechnung bei der Insolvenzverschleppungshaftung. Dort wurde aufgezeigt, dass der Schadensnachweis beim Schaden der Gläubiger ansetzt („Gesamtgläubigerschaden“), diesen als Quotendifferenz ermittelt und dann im Nachgang nicht vom Schutzzweck des Schadensausgleichs umfasste Bestandteile aussondert. Es wurde dort ebenfalls erkannt, dass eine Berechnung auf der Basis der Schadensursachen („Zahlungen“) nicht zielführend ist und Beweisbarkeitsprobleme nach sich zieht. Dieselbe Argumentation kann auch vorliegend herangezogen werden. Anstatt die 532 einzelnen Schadenskomponenten auf der Ebene der Gesellschaft zusammenzutragen (im BGH-Modell: die erste Stufe), wird hier der Schaden der Gesellschaft aus den „Quotenschäden“ der Gläubiger abgeleitet, nicht umfasste Schadenskomponenten werden ausgesondert. Die Idee ist also, dass der Schaden auf Ebene der Gesellschaft nicht positiv begründet werden muss, sondern bei Vorliegen der zweiten Stufe vermutet wird und im Anschluss vom Geschäftsführer entkräftet werden kann (vormals die erste Stufe). Damit drehen sich de facto die beiden Stufen des Schadensnachweises herum.

i)

1. Stufe: Gesamtgläubigerschaden ab Eingriff des Gesellschafters

Nach der hier vertretenen Ansicht muss auf einer ersten Stufe der Differenzge- 533 winnausfall der Gläubiger ermittelt werden. Der Sache nach deckt sich der Anspruch mit dem, was bei der Insolvenzverschleppung als Quotenschaden bezeichnet wurde. Die Frage muss daher lauten: Wie stark ist die Befriedigungsaussicht der Gläubiger im Zeitraum zwischen Eingriff und Insolvenzeröffnung der Gesellschaft gesunken? Richtigerweise wird man diesen Schaden – ebenso wie bei der Insolvenzverschlep- 534 pungshaftung – als „Gesamtgläubigerschaden“ bezeichnen müssen. Er entspricht der Entwertung der Gläubigerforderungen ab dem Eingriff des Gesellschafters bis zur eigentlichen Insolvenzantragstellung. Hierbei stellen sich dieselben Fragen wie bei der Insolvenzverschleppungshaftung. Insofern kann auf die oben entwickelten Argumente zurückgegriffen werden.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

535 Im Idealfall würde man die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zum Zeitpunkt des Eingriffs mit 100 % ansetzen905), also Vollwertigkeit der Forderung annehmen. Dass dies jedoch in der Praxis eher der Ausnahmefall sein dürfte, wurde oben bereits dargelegt. Analog dem zur Insolvenzverschleppungshaftung Gesagten kann hier in einem ersten Schritt zunächst der tatsächliche Beweis der (hypothetischen) Quote der Gläubiger zum Zeitpunkt der Insolvenzreife der Gesellschaft ohne den Eingriff erbracht werden. Dies setzt aber voraus, dass die Insolvenzreife auch ohne den Eingriff über kurz oder lang eingetreten wäre. Nachdem dieser Beweis aber mit dem dann zur Verfügung stehenden Datenmaterial kaum oder nur selten gelingen wird, muss das Gericht die Höhe der hypothetischen Quote ohne den Eingriff auch gemäß § 287 ZPO schätzen können906). Insofern wird es in aller Regel darauf hinauslaufen, dass das Gericht die Werthaltigkeit der Forderungen zum Zeitpunkt des Eingriffs aus einer umfassenden Würdigung der Fallumstände nach seinem Ermessen schätzen muss. Aus dieser Soll-Quote und der dann tatsächlich bei Insolvenzeröffnung gegebenen Ist-Quote ist sodann der Gesamtgläubigerschaden auszuwerfen.

536 Ebenfalls eine analoge Argumentation zur Insolvenzverschleppungshaftung gilt bei den „Neugläubigern“, also Gläubigern, die ihre Forderung gegen die Gesellschaft erst nach dem Eingriff, aber noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt haben. Mit dem oben Gesagten erleiden sie ihren Quotenschaden zwar nicht im selben Zeitpunkt wie die Altgläubiger, ihr Schadensverlauf ist jedoch funktional gleichwertig, indem ihre Forderung eine juristische Sekunde nach deren Begründung bereits erheblich entwertet ist. Insofern sind sie in die Liquidation des Gesamtgläubigerschadens genauso mit einzubeziehen wie diejenigen Gläubiger, die ihre Forderung zur Zeit des Eingriffs bereits begründet hatten.

537 Im ersten Schritt erfolgt somit im Wesentlichen dieselbe Berechnung des Schadens wie bei der Insolvenzverschleppungshaftung.

ii) 2. Stufe: Aussonderung der nicht eingriffsbedingten Bestandteile des Schadens 538 Im Gegensatz zur Insolvenzverschleppungshaftung, bei der eine Aussonderung lediglich von masseschmälernden Ereignissen höherer Gewalt anerkannt wurde, erfordert der Normzweck der Existenzvernichtungshaftung eine wesentlich umfangreichere Entlastungsmöglichkeit des Geschäftsführers. Neben der Aussonderung der bereits anfänglich bestehenden Unterdeckung der Gläubigerforderungen müssen in ___________ 905) Davon geht auch Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 146 aus, der sich für eine Vermutung der Vollwertigkeit der Forderung im Zeitpunkt des Eingriffs ausspricht, außer der Gesellschafter beweist das Gegenteil. 906) Mit ähnlichem Ergebnis zur Schätzung nach § 287 ZPO Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 146.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

diesem Schritt weitere Ereignisse und Einflussfaktoren berücksichtigt werden, die zwar die Befriedigungsaussicht der Forderung reduzieren, jedoch nicht durch den Eingriff bedingt sind. Richtig erscheint somit, dass die oben beschriebene erste Stufe eine Vermutung 539 des der Gesellschaft zu ersetzenden Schadens beinhaltet, während die zweite Stufe eine Entlastung des Geschäftsführers darstellt, die dieser vortragen und entsprechend zu beweisen hat. In Betracht kommen alle Ereignisse und wertmindernden Faktoren, die nicht auf 540 dem Eingriff beruhen und auch ohne den Eingriff das Vermögen der Gesellschaft vermindert hätten. Dazu zählen insbesondere: 

wertreduzierende Ereignisse aufgrund höherer Gewalt,



Abschreibungen auf Anlage- und Umlaufvermögen, die das Gesellschaftsvermögen reduziert haben, jedoch allein auf Zeitablauf beruhen und nicht durch den Eingriff bedingt sind,



wertreduzierende Delikte, für die Dritte ersatzpflichtig sind,



Verluste aus Umsatzgeschäften der Gesellschaft, die unabhängig vom Eingriff sind, insbesondere solche Geschäfte, die bereits vor dem Eingriff vereinbart oder gar abgewickelt wurden,



Einbußen und gesunkene Geschäftschancen aufgrund des wirtschaftlichen und konjunkturellen Umfeldes.

Gerade der letzte Punkt dürfte in Prozessen für nicht unerheblichen Streitstoff sor- 541 gen. Er stellt aber das notwendige Korrelat zur Eingriffsbezogenheit der Haftung dar und kann nicht aus Praktikabilitätserwägungen aufgegeben werden. Vielmehr wird sich aber das Problem insofern von selbst lösen, als die Beweislast für die genannten Entlastungstatsachen ja dem Gesellschafter auferlegt würde. Dies ist auch stringent, weil die oben beschriebenen Tatsachen typischerweise auch nur aus der Sphäre der Gesellschaft stammen und mit den dort vorhandenen Unterlagen sinnvoll bewiesen werden können.

iii) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich damit sagen: Nach der hier vertretenen Auffassung ist 542 der Schaden der Gesellschaft im Sinne der Existenzvernichtungshaftung in zwei Stufen zu ermitteln, jedoch kehren sich die Stufen im Vergleich zur Konzeption des BGH zur Existenzvernichtungshaftung um. Zunächst ist der Gesamtgläubigerschaden zu ermitteln, der sich aus dem Quotenschaden der Gläubiger ableitet und die zur Zeit des Eingriffs bestehende Unterdeckung der Gläubigerforderungen berücksichtigt. Im zweiten Schritt sind dann alle nicht eingriffsbedingten Schadens-

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D. Schutz der Vermögensstruktur

bestandteile aus diesem Betrag auszusondern. Die Beweislast hierfür trägt der Gesellschafter.

d) Übertragbarkeit auf § 64 S. 3 GabHG? 543 Auf der Basis dieses Ergebnisses stellt sich die Frage, ob die so konzipierte Schadensberechnung von der Existenzvernichtungshaftung auf § 64 S. 3 GmbHG übertragen werden kann. Insofern könnte eine einheitliche Schadensersatzhaftung vorliegen, die beide Haftungsregime in sich vereint.

544 Zumindest auf der Basis des bislang Diskutierten stehen dem jedoch erhebliche Zweifel entgegen. Die Vereinheitlichung der Haftungsstränge im Vermögensverlagerungsschutz (Teil C) war naheliegend, weil sowohl § 64 S. 1 GmbHG als auch die Insolvenzverschleppungshaftung – wenngleich auf unterschiedliche Weise – jeweils eine Haftung für ein Zeitraumdelikt aufgestellt haben und den gesamten Zeitraum der Insolvenzverschleppung mit einer Haftung belegen. Im vorliegenden Fall ist dies jedoch anders. Während die Existenzvernichtungshaftung ebenfalls eine Haftung für einen Zeitraum aufstellt, nämlich für Vermögensminderungen zwischen Eingriff und Insolvenzantragstellung, ist die Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG eine Zeitpunkthaftung. Dem Wortlaut nach haftet der Geschäftsführer lediglich für die insolvenzauslösende Zahlung. Er haftet aber nicht auf mehrere Zahlungen oder alle Vermögensvorgänge in einem bestimmten Zeitraum.

545 Somit erscheint es prima facie mit dem Wortlaut des § 64 S. 3 GmbHG kaum vereinbar, die Norm als umfassende Schadensersatzhaftung mit demselben Inhalt der Existenzvernichtungshaftung zu interpretieren. Zudem sei einmal mehr ins Gedächtnis gerufen, dass die Existenzvernichtungshaftung eben gerade kein unmittelbar konkurrierender Haftungsstrang zu § 64 S. 3 GmbHG beim Geschäftsführer ist, sondern beim Gesellschafter ansetzt. Eine Anspruchskonkurrenz aus beiden Rechtsgrundlagen ergibt sich insofern per se nicht. Aus diesem Blickwinkel wäre es sogar denkbar, beide Haftungsgrundlagen als völlig unverbunden nebeneinander gelten zu lassen und keine Angleichung anzustreben.

546 Dem steht aber wiederum der oben aufgezeigte Aspekt entgegen, dass eine Deutung des § 64 S. 3 GmbHG als Erstattungsanspruch „eigener Art“ mit der in Teil C gefundenen Deutung des S. 1 kaum vereinbar wäre – trotz erheblicher Unterschiede im Detail und abweichendem Zahlungsbegriff907). Daher fragt sich, ob die Konzeption der Existenzvernichtungshaftung nicht auch auf die Haftung aus § 64 S. 3 ___________ 907) Im Fall des S. 1 ist die Zahlung nämlich der pauschalierte zu ersetzende „Schaden“ der Gesellschaft, im Fall des S. 3 ist sie eher der insolvenzauslösende Tatbestand. Der Begriff der Zahlung ist mithin bei S. 3 wohl eher ein Pendant zum Eingriffserfordernis bei der Existenzvernichtungshaftung. Die Rechtsprechung macht aber immer wieder deutlich, dass ein solcher Eingriff wesensimmanente Voraussetzung der Haftung ist, vgl. BGHZ 176, 204 (Rz. 15, 17, 18 f m. w. N.) = NJW 2008, 2437 (Gamma), wo eine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung strikt abgelehnt wird.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

GmbHG eine gewisse Ausstrahlungswirkung entfalten könnte. Richtigerweise ist dies zu bejahen. Wie sich im Folgenden zeigen wird, ergibt sich auch im Recht des Vermögensstrukturschutzes die Lösung durch eine Gesamtbetrachtung der beim Geschäftsführer denkbaren Haftungsnormen. In einem solchen Gesamtsystem ist nämlich einmal mehr die organschaftliche Haftung des Geschäftsführers nach § 43 GmbHG mit einzubeziehen. Diese wurde in den bisherigen Ausführungen noch ausgeblendet, soll nach der Darstellung der Unterschiede im subjektiven Tatbestand (dazu sogleich 3.) aber in den Fokus gerückt werden (4.).

3.

Der subjektive Tatbestand: Vorsatzerfordernis bei der Existenzvernichtungshaftung und der Gehilfenhaftung nach § 830 Abs. 2 BGB

Einer der wesentlichen Gründe für die Umstellung des Haftungssystems bei exis- 547 tenzvernichtenden Eingriffen von der Durchgriffshaftung auf eine deliktische Haftungsnorm wird allgemein in den abweichenden Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands gesehen. § 826 BGB fordert (zumindest Eventual-)Vorsatz, schließt also eine Fahrlässigkeitshaftung gerade aus908). Ziel des BGH war diesbezüglich die Beschränkung der Haftung auf besondere Konstellationen. Keinesfalls soll jeder Eingriff in das Gesellschaftsvermögen bereits zur Verwirklichung des Tatbestands und damit zu einer in aller Regel ja durchaus schwerwiegenden Haftung führen. Das Vorsatzerfordernis sollte den Tatbestand des existenzvernichtenden Eingriffs deutlich einengen909). Sind die Geschäftsleiter Fremdgeschäftsführer, sind sie nach herrschender Ansicht 548 nicht die Adressaten der Existenzvernichtungshaftung. Ihre Haftung ergibt sich allenfalls aus § 830 Abs. 2 i. V. m. § 826 BGB910). Dabei muss doppelter Gehilfenvorsatz vorliegen911), also Vorsatz gerichtet auf den existenzbedrohenden Eingriff als solchen sowie Vorsatz hinsichtlich der Gehilfenstellung. Bedingter Vorsatz hinsichtlich des Eingriffs und seiner Folgen sowie Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatsachen reicht aus912). ___________ 908) Weller, ZIP 2007, 1681 (1683 m. w. N.); vgl. die Darstellung bei Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 133, der jedoch in Rn. 135 zu dem Schluss kommt, dass eine Fahrlässigkeitshaftung in Parallele zu § 64 S. 3 GmbHG wertungsmäßig überzeugender wäre. Insbesondere führt er einen Gleichlauf mit der Insolvenzverschleppungshaftung an (vgl. Rn. 136). 909) Im Gegensatz dazu kommt Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, S. 744 f, zu dem Ergebnis, das Vorsatzerfordernis stelle „keine unüberwindbare Hürde für die Existenzvernichtungshaftung“ dar, da der Vorsatz aus den objektiv vorliegenden Umständen abgeleitet werden könne und müsse. 910) So bereits der BGH in Trihotel: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2694 Rz. 46); vgl. stellvertretend für viele Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 102. 911) Vgl. nur Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 599. 912) Vgl. Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 13 Rn. 102; Weller, ZIP 2007, 1681 (1687); Kölbl, BB 2009, 1194 (1198).

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D. Schutz der Vermögensstruktur

549 Im Gegensatz dazu sind die Voraussetzungen des § 64 S. 3 GmbHG an den subjektiven Tatbestand deutlich weiter. Auch hier wird von der ganz h. M. entgegen dem insoweit unergiebigen Wortlaut zwar Verschulden gefordert913). Es gilt dabei die Verschuldensvermutung mit Exkulpationsmöglichkeit bezüglich des besonderen Fahrlässigkeitsmaßstabs des § 64 S. 3, 2. Hs. GmbHG. Dieser setzt jedoch Vorsatz gerade nicht voraus, es genügt (einfache) Fahrlässigkeit914). Festhalten lässt sich daher, dass der objektive Tatbestand des § 64 S. 3 GmbHG deutlich enger, der subjektive Tatbestand deutlich weiter ist als bei der Existenzvernichtungshaftung.

550 Selbst von Bundesrichter Strohn915) wurde bereits konstatiert, dass diese divergierenden Haftungsvoraussetzungen zwischen Geschäftsführer und Gesellschafter nicht zusammenpassten. Er benennt im Folgenden Möglichkeiten, wie die Haftung des Gesellschafters auch für fahrlässige existenzvernichtende Eingriffe sanktioniert werden könne und bezieht sich dabei insbesondere auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bzw. Sonderverbindung916), in deren Rahmen der Gesellschafter nach § 280 Abs. 1 BGB auch für Fahrlässigkeit haften solle. Beim BGH scheint es also durchaus die Überlegung zu geben, auch Gesellschafter bereits bei Fahrlässigkeit für existenzbedrohende Eingriffe haften zu lassen. Diesbezüglich hat sich jedoch die Rechtsprechung noch nicht konkret geäußert, weshalb in dieser Arbeit von der bislang vorliegenden Judikatur ausgegangen werden soll.

551 Das Konkurrenzverhältnis zwischen der Gehilfenhaftung und der aus § 64 S. 3 GmbHG ist zumindest in eine Richtung denkbar einfach: Liegt eine Haftung des Geschäftsführers aus § 830 Abs. 2 i. V. m. § 826 BGB vor, geht die zugleich gegebene Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG in diesem Tatbestand auf. Denn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand sind bei der deliktischen Haftung aus Existenzvernichtung weiter gefasst als bei § 64 S. 3 GmbHG.

552 Jede vom Gesellschafter empfangene „Zahlung“, der Anknüpfungspunkt für § 64 S. 3 GmbHG, stellt auch einen Schaden der Gesellschaft bei der Existenzvernichtungshaftung dar. Denn der BGH betont ja gerade, dass auf der ersten Stufe seines Schadenskonzepts die eingriffsbedingten Vermögensabflüsse bei der Gesellschaft in den Schaden i. S. d. Differenzhypothese fallen. Jede Zahlung ist daher auch ein Vermögensschaden im Berechnungsmodell des BGH bei der Existenzvernichtungshaftung. ___________ 913) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 121, der auch teilweise Elemente der Prognosenentscheidung über den Fahrlässigkeitsmaßstab abbilden will; nur versteckt hingegen bei Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/Schmidt-Leihoff, § 64 Rn. 70. 914) Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 38; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/SchmidtLeihoff, § 64 Rn. 70. 915) Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (592) mit weiteren Nachweisen zur Literatur in Fn. 13. 916) Es sei aber nochmals erwähnt, dass die h. M. eine Treueplicht zumindest in der Ein-PersonenGesellschaft weiter ablehnt, Bitter, WM 2001, 2311 (2138 m. w. N.); Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 225 und S. 226, Fn. 688 m. w. N.: Die Annahme einer „mittelbaren Treuepflicht“ zu Gunsten der Gläubiger wurde bislang von der h. M. abgelehnt.

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Und der subjektive Tatbestand des § 64 S. 3 GmbHG, also Vorsatz oder Fahrläs- 553 sigkeit hinsichtlich der Zahlung und die Erkennbarkeit der Verursachung der Insolvenzreife, sind ebenfalls in den Voraussetzungen der Gehilfenhaftung enthalten. Eingriff und Sittenwidrigkeit, also die Tatbestände, die die Zahlung als insolvenzverursachende und damit existenzgefährdende Selbstbedienung des Gesellschafters charakterisieren, müssen bei der Existenzvernichtungshaftung vom Vorsatz umfasst sein. Zudem ist sogar noch der Vorsatz hinsichtlich der Gehilfenstellung erforderlich, der bei § 64 S. 3 GmbHG entfällt. Der subjektive Tatbestand der Gehilfenhaftung geht also weiter und umfasst den des § 64 S. 3 GmbHG. Kann die Gehilfenhaftung nach § 830 Abs. 2 BGB also bewiesen werden, ist die Haf- 554 tung des Geschäftsführers aus § 64 S. 3 GmbHG überflüssig. Doch geht die Haftung aus § 830 Abs. 2 BGB über § 64 S. 3 GmbHG hinaus, da sie auch weiter gehende Schadensposten erfasst (Stichwort: insolvenzbedingte Zerschlagungsverluste) und im Gegenzug im subjektiven Tatbestand zusätzliche Anforderungen stellt. Gerade diese Voraussetzungen werden jedoch bei weitem nicht immer beweisbar sein. Die beiden Haftungsstränge des Geschäftsführers sind also keinesfalls deckungsgleich. Bisher wurde immer § 64 S. 3 GmbHG als Anspruchsgrundlage der Geschäftslei- 555 terhaftung genannt und deren Einordnung in die organschaftliche Haftung nicht weiter erörtert. Aber auch vorliegend stellt sich die Frage, ob es neben der relativ punktuellen Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG auch eine allgemeine Haftung des Geschäftsführers für die hier diskutierten Fälle der existenzbedrohenden Eingriffe geben muss, die dann möglicherweise § 64 S. 3 GmbHG in sich aufnimmt. Daher ist im Folgenden das Zusammenspiel aus §§ 64 S. 3, 43 Abs. 2, 3 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung aus § 826 BGB in den Blick zu nehmen.

4.

Die organschaftliche Haftung der Geschäftsleiter für existenzvernichtende Eingriffe

Neben der Gehilfenhaftung nach § 830 Abs. 2 GmbHG kommt nach ganz h. M. für 556 existenzvernichtende Eingriffe auch eine Haftung der Geschäftsleiter aus § 43 Abs. 2 GmbHG in Betracht917). Ein Geschäftsführer, der eine zur Insolvenz führende Aus___________ 917) Bei Verletzung des § 64 S. 3 GmbHG ist wohl auch immer § 43 Abs. 2 GmbHG erfüllt: dazu ausführlich Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (250, 257); Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 79, 80; H.-F. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 180; zu § 64 S. 1 GmbHG generell bereits Brodman, GmbHG, 2. Aufl. 1930, § 64 Anm. 1.a, der wie selbstverständlich davon ausgeht, dass die Haftung aus § 43 GmbHG bei einer Verletzung der Konkursantragspflicht ebenfalls erfüllt sei; vgl. Bitter, in Scholz, § 13 Rn. 172 m. w. N.; K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 112; ders., GmbHR 2007, 1 (6); Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 123, der einen Vorrang der Gesellschafterhaftung annimmt; Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1524 unter 7.); auch Strohn gibt zu, dass neben dem Anspruch auf § 64 S. 3 GmbHG auf Rückgewähr des Erlangten wohl auch eine Schadensersatzhaftung des Geschäftsführers in Betracht komme: Strohn, NZG 2011, 1161 (1169); ders., ZHR 173 (2009), 589 (589, 590 f) mit der Erwägung, ob in der Situation des § 64 S. 3 GmbHG nicht auch die Gesellschafter analog § 31 GmbHG haften sollten.

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zahlung tätigt, kann also auch nach § 43 Abs. 2 GmbHG haften. Die Verletzung des Zahlungsverbots wird damit als Sonderfall der organschaftlichen Haftung angesehen, begrenzt auf den durch die „Zahlung“ herbeigeführten Schaden918). Nach wohl h. M. stehen die Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 GmbHG und gegen den Gesellschafter aus Existenzvernichtungshaftung in Anspruchskonkurrenz919).

a) Existenzvernichtung als ausschließliches Sonderdelikt der Gesellschafter? 557 Die herrschende Auffassung geht davon aus, dass die Existenzvernichtungshaftung ein Sonderdelikt der Gesellschafter ist und daher unmittelbar nur die Gesellschafter treffe920). Die Vorschrift des § 826 BGB ist zwar ein generell von jedermann zu verwirklichender Verhaltenstatbestand, jedoch liege der Vorwurf ja im Entzug des Gesellschaftsvermögens, das die Gesellschaft aus objektiver Sicht zur Schuldentilgung benötige. Aus der Trihotel-Doktrin geht hervor, dass der Gesellschafter eine besondere Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem für die Gläubiger reservierten Haftungsfonds habe, wie sie nur einen Gesellschafter treffe921).

558 Teilweise wurde aber schon aus dem Trihotel-Urteil abgeleitet, dass der BGH u. U. auch Nicht-Gesellschafter als Täter in Frage kommen lassen wolle922). Bereits unmittelbar nach der Entscheidung Bremer Vulkan hat auch Altmeppen angemerkt, die Existenzvernichtungshaftung sei an den Wertungen des § 43 GmbHG auszurichten und nicht als Durchgriffshaftung auszugestalten. Der Gesellschafter, der einen existenzvernichtenden Eingriff tätige (bzw. vom Geschäftsführer tätigen lasse) sei als Quasi-Geschäftsführer zu behandeln und hafte aus § 43 GmbHG analog923). Diese Stimmen sind aber vereinzelt geblieben und wurden von der h. M. nicht übernommen.

559 Der BGH und die herrschende Auffassung im Schrifttum gehen davon aus, dass jeder existenzvernichtende Eingriff auch zugleich eine Pflichtverletzung des Ge___________ 918) Vgl. K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 112. 919) Vgl. U. H. Schneider, in Scholz, § 43 Rn. 287b; Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 157. 920) Liebscher, in MüKo GmbHG, Anh. zu § 13 Rn. 586, 587 m. w. N.; Verse, in Henssler/Strohn, § 13 Rn. 62; Gehrlein, WM 2008, 761 (764); Habersack, in Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 318 Anh. Rn. 39 m. w. N.; Kölbl, BB 2009, 1194 (1198); Vetter, BB 2007, 1965 (1969); Weller, ZIP 2007, 1681 (1687). 921) Angedeutet in BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2691 Rz. 25) (Trihotel); eingehend Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 123; Witt, DNotZ 2008, 220 (225); Schneider, GmbHR 2011, 685 ff. 922) Thole, Gläubigerschutz und Insolvenzrecht, S. 734. 923) Altmeppen, ZIP 2001, 1837 (1841), ders., in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 57, § 13 Rn. 73˺ff, 119˺ff, § 43 Rn. 132; dagegen aber mit deutlichen Worten Ulmer, ZIP 2001, 2021 (2025 f): Damit würde ein Gesellschafter zum Quasi-Geschäftsführer gemacht.

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schäftsführers gegenüber der Gesellschaft darstellt und zu einer Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG führen kann924). Dies gründet insbesondere darauf, dass der Geschäftsführer in aller Regel derjenige sein wird, der den Eingriff tatsächlich ausführt925). Wie bereits bei der entsprechenden Fragestellung in Teil C.V.2 diskutiert, könnte 560 man nun auch im vorliegenden Zusammenhang darauf verweisen, dass die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG allein gegenüber der Gesellschaft bestehe und per se nicht die Gläubiger im Blick hat926). Originärer Gläubigerschutz könne dann nicht über die organschaftliche Haftung verwirklicht werden. Ein solches Argument überzeugt jedoch auch im vorliegenden Kontext nicht. Zu- 561 nächst einmal haftet ja auch der Gesellschafter nach der Trihotel-Doktrin nur der Gesellschaft gegenüber. Es wurde bereits hinreichend darauf hingewiesen, dass die konkrete Ausgestaltung der Haftungskanalisierung keinen hinreichenden Grund darstellt, eine Schutzzweckeigenschaft einer Norm gänzlich abzulehnen oder die Konkurrenz zu anderen Haftungsgrundlagen festzuschreiben. Der Geschäftsführer haftet über § 43 Abs. 2 GmbHG genauso im Innenverhältnis der Gesellschaft gegenüber wie die Gesellschafter über § 826 BGB. Dass letztere keiner organschaftlichen Haftung unterliegen, ist allein darin begründet, dass sie im Verhältnis zur Gesellschaft lediglich die allgemeine Treuepflicht, jedoch keine organschaftliche Verhaltenspflicht trifft. Demgegenüber haben die Geschäftsleiter eine organschaftliche Überwachungspflicht, die zum Eingreifen gegen gläubigerbenachteiligende Vermögensverschiebungen verpflichtet927). Dass die allgemeine organschaftliche Haftung des Geschäftsführers aber keinerlei 562 gläubigerschützende Wirkung haben kann, ist entschieden zu bestreiten. Denn die grundlegende Frage ist nicht, wer der Anspruchsinhaber der Haftung ist, sondern aufgrund welcher Pflichtverletzung der Geschäftsführer haftet und wem gegenüber diese Verpflichtung Schutzwirkung entfalten soll. Insofern reicht es nicht aus, la___________ 924) Der BGH deutet dies bereits im Trihotel-Urteil an: BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (2694 Rz. 46, 48); deutlicher dann im Sanitary-Urteil BGHZ 179, 344 = NJW 2009, 2127 (2128 Rz. 11 f); früher bereits BGH ZIP 2003, 945 = NZG 2003, 528; Nachweise in der Literatur vorstehend. 925) Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1524 unter 7.); Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 123. 926) Vgl. dazu bereits die Ausführungen bei C.V.1; sowie Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 181 f. m. w. N.: Grund dafür sei insbesondere, dass die Interessen der GmbH von der Rechtsprechung bisher ausschließlich durch die Interessen der Gesellschafter in ihrer Gesamtheit definiert werden (Nachweise in Fn. 453); vgl. auch Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, S. 19 m. w. N.: der Schutz aus § 43 Abs. 2 GmbHG verpflichte den Geschäftsführer lediglich, gegenüber der Gesellschaft sorgfältig zu handeln und das Gesellschaftsvermögen nicht zu schädigen – die Gläubiger würden nicht geschützt. 927) U. H. Schneider, in Scholz, § 43 Rn. 287b; Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 78; ebenso Paefgen, DB 2007, 1907 (1910 f).

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D. Schutz der Vermögensstruktur

pidar festzustellen, ein existenzvernichtender Eingriff stelle zugleich eine schadensersatzbewehrte Pflichtverletzung des Geschäftsführers dar.

563 Im Recht des Vermögensverlagerungsschutzes (Teil C) wurde die Pflichtverletzung des Geschäftsführers daraus abgeleitet, dass sich mit Eintritt der Insolvenzreife die generelle Zweckrichtung der Gesellschaft ändert bzw. zumindest in den entscheidenden Fragestellungen überlagert wird. Sie besteht ab diesem Zeitpunkt ausschließlich in der Befriedigung der Gläubiger, nicht mehr im originär von den Gesellschaftern festgelegten und satzungsmäßig bestimmten Verbandszweck. Ab dem Vorliegen eines zwingenden Insolvenzantragsgrundes muss die ursprüngliche Zwecksetzung gegenüber der Gläubigerbefriedigung weichen.

564 Diese Argumentation kann auf die vorliegende Situation jedoch nicht unbesehen übertragen werden. Denn der zwingende Wandel des Gesellschaftszwecks hat sich in der Situation vor Insolvenzreife noch nicht manifestiert. Daraus könnte man folgern, dass auch noch keine abgeleitete Pflicht des Geschäftsführers besteht, die Insolvenz der Gesellschaft zu verhindern. Doch lässt sich die Pflicht des Geschäftsführers bereits aus dem Normbefehl des § 64 S. 3 GmbHG ableiten928). Denn diese Norm verbietet zwar nicht per se die Herbeiführung der Insolvenz. Doch stellt sie ein Verbot für die Herbeiführung der Insolvenz aufgrund von Vermögensverschiebungen an Gesellschafter dar und etabliert damit eine spezifische Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers929). Oben wurde ebenfalls bereits begründet, dass dadurch das Auszahlungsverbot des § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. zeitlich nach vorn verlagert wurde. Damit nimmt § 64 S. 3 GmbHG letztlich die Argumentation des BGH zur Begründung des Bestandsschutzinteresses der Gesellschaft aus den Urteilen zu existenzvernichtenden Eingriffen930) in sich auf und transferiert sie von den Gesellschaftern als Adressaten auf das Pflichtenprogramm des Geschäftsführers. Die Herbeiführung der Insolvenz ist nicht automatisch haftungsbewehrt untersagt. Eine Haftung, und damit im Rückschluss eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers greift

___________ 928) So im Ergebnis auch Haas, GmbHR 2010, 1 (2); sowie Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009, S. 189 f: § 64 S. 3 GmbHG sei Ausdruck des insolvenzrechtlichen Prinzips, nämlich der vorrangigen Befriedigung der Gläubiger vor den Gesellschaftern. 929) So im Ergebnis Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (590), der statuiert, eine nach § 64 S. 3 GmbHG haftungsbewehrte Zahlung könne kaum mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sein; ebenso Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (257). 930) Also insbesondere die Urteile BGHZ 149, 10 = NJW 2001, 3622 (Bremer Vulkan), BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 (KBV) und BGHZ 173, 236 = NJW 2007, 2689 (Trihotel).

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

aber dort, wo die Insolvenz durch Eingriffe / Zahlungen an die Gesellschafter herbeigeführt wurde931). Daher wird hier die Ansicht vertreten, § 64 S. 3 GmbHG sei sichtbares Zeichen dafür, 565 dass den Geschäftsführer eine organschaftliche Pflicht trifft, die Insolvenz der Gesellschaft durch Leistungen an die Gesellschafter zu vermeiden. Verstößt er dagegen, ist der objektive Tatbestand des § 43 Abs. 2 GmbHG erfüllt932). Im Schrifttum wurde zu bedenken gegeben, es seien auch Fälle von Pflichtenkollisionen zu besorgen, die richtigerweise zu einem Haftungsausschluss führen müssten und durch einen solchermaßen konstruierten Haftungstatbestand nicht sachgerecht aufgefangen würden933). Dem sei jedoch entgegengehalten, dass solche Kollisionen uch wirksam und effektiv über den Ausschlussgrund des S. 2 gelöst werden können, auf den S. 3 ebenfalls verweist. Denn S. 2 wird im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG nach ausdifferenzierter Rechtsprechung für alle Formen von Pflichtenkollisionen beim Geschäftsführer angewandt934). Sachgerechte Lösungen erhält man bei § 64 S. 3 GmbHG auf dieselbe Art. Daher erscheint es sinnvoll, den Ausschlussgrund des S. 2 auch direkt bei S. 3 anzuwenden935) und nicht nur über den in S. 3 a. E. enthaltenen Verweis936). Damit muss es auch möglich sein, Zahlungen an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen, zu rechtfertigen und damit die Haftung entfallen zu lassen, wenn Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind.

___________ 931) Mit analogen Ausführungen zur damals noch als Durchgriffshaftung konzipierten Existenzvernichtungshaftung: Röhricht, ZIP 2005, 505 (514): „Es geht allein darum, den Gesellschafter auch über § 30 GmbHG hinaus zu verpflichten, der Gesellschaft nicht zu Gunsten seines Privatvermögens (…) Mittel zu entziehen, die sie aus der objektiven Sicht eines ordentlichen Geschäftsmannes im Entnahmezeitpunkt in absehbarer Zeit zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten benötigen wird.“ 932) K. Schmidt, GmbHR 2007, 1 (6); Hölzle, GmbHG 2007, 729 (731 f); ebenso Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (590); das Nebeneinander der Ansprüche erkennt auch Kleindiek, in Lutter/ Hommelhoff, § 64 Rn. 20 a. E. an. 933) Vgl. Liebscher, in MüKo GmbHR, Anh. zu § 13 Rn. 599 mit Verweis auf BGH NJW 2008, 2504 = ZIP 2008, 1229. 934) Vgl. Spindler, in MüKo AktG, § 92 Rn. 63 ff m. w. N.; Schmidt-Leithoff/Baumert, in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 64 Rn. 20 ff m. w. N.; vgl. insbesondere die Entscheidung des II. Zivilsenats zur Abführung von Steuern, also öffentlich rechtlichen Abgaben: BGH NJW 2007, 2118 = ZIP 2007, 1265; NJW 2008, 3557 = ZIP 2008, 2075; NJW 2009, 295 = ZIP 2008, 2220. 935) Die direkte Anwendbarkeit von S. 2 (also die Anwendbarkeit ohne den Verweis in S. 3, 2. HS. hinsichtlich der Vorhersehbarkeit der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit) ist durchaus umstritten und von der systematischen Stellung der Norm her eigentlich abzulehnen: vgl. zum Meinungsstand K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 103; Poertzgen/Meyer, ZInsO 2012, 249 (256 f). 936) Dazu K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 102.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

b) Schaden der Gesellschaft 566 § 43 Abs. 2 GmbHG setzt das Vorliegen eines Schadens voraus. Die h. M. geht aber bei § 64 S. 3 GmbHG, ebenso wie bei S. 1, davon aus, dass es auf einen Vermögensschaden i. S. d. §§ 249 ff BGB gerade nicht ankomme.

567 Dabei können jedoch die Überlegungen zur Existenzvernichtungshaftung fruchtbar gemacht werden. Oben wurde das dort vom BGH entwickelte Schadenskonzept erläutert und kritisch gewürdigt. Wenn die Rechtsprechung nun aber bei der Haftung der Gesellschafter in den durch den Abzug von bestimmten Vermögenspositionen verursachten Vermögensverlusten einen für § 826 BGB tauglichen und damit haftungsbegründenden Schaden erkennt, so kann beim Geschäftsführer keine andere Argumentation gelten. Was gegenüber dem Gesellschafter ein Schaden der Gesellschaft ist, muss auch beim Geschäftsführer ein Schaden sein. Andernfalls würde man einen relativen Schadensbegriff anerkennen, also eine Aufspaltung dergestalt, dass eine Vermögensveränderung gegenüber dem Gesellschafter als Schaden der Gesellschaft gewertet würde, dem Geschäftsführer gegenüber jedoch ein neutraler Vorgang vorliegt. Da dies abzulehnen ist, muss bei der Haftung des Geschäftsführers im gleichen Maße ein Schaden der Gesellschaft anerkannt werden wie beim Gesellschafter im Rahmen der Existenzvernichtungshaftung.

568 Nichtsdestotrotz hat der BGH in einem jüngeren und zeitlich nach der TrihotelEntscheidung ergangenen Urteil wieder darauf verwiesen, dass der Gesellschaft im Falle des § 64 S. 3 GmbHG – jedenfalls in der Fallgruppe des mittelbar durch die „Zahlung“ bewirkten Abzugs von Liquidität durch externe Kreditgeber – kein Vermögensschaden entstehe und die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG ausscheide937).

569 Wenn man aber bei der Haftung des Gesellschafters nach § 826 BGB davon ausgeht, dass durch einen bestandsgefährdenden Eingriff ein der Gesellschaft ersatzfähiger Schaden entstehen kann, so kann diese Wertung bei der auf denselben Vorgang gestützten organschaftlichen Innenhaftung des Geschäftsführers gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG nicht eine andere sein938).

570 Auch die Berechnung des Schadens aus § 43 Abs. 2 GmbHG kann keine andere sein als bei der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters über § 826 BGB. Wie oben gesagt, kann die organschaftliche Geschäftsführerhaftung auch die Funktion des Gläubigerschutzes übernehmen und erhält ihre Funktion insbesondere aus der Zusammenschau mit der konkretisierenden gläubigerschützenden Vorschrift des § 64 S. 3 GmbHG. Legt man vor diesem Hintergrund die Haftung aus § 43 Abs. 2 ___________ 937) Vgl. BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = NZG 2012, 1379 (1381 Rz. 13). 938) Im Ergebnis ebenfalls für ein unterschiedsloses Nebeneinander der Haftung aus § 830 Abs. 2 i. V. m. § 826 BGB, aus § 64 S. 3 GmbHG und aus § 43 Abs. 2 GmbHG: Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1524 m. w. N. in Fn. 235, 236) – jedoch ohne die Frage der Begründung des Schadens zu erörtern.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

GmbHG in der Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung in Übereinstimmung mit der Haftung des Gesellschafters aus § 826 BGB aus, müsste auch die Berechnung des Schadens auf denselben Prinzipien beruhen. Daher plädiert die vorliegende Arbeit dafür, die Berechnung des Schadens von der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters nach § 826 BGB auf die Geschäftsführerhaftung aus § 43 Abs. 2, 3 i. V. m. § 64 S. 3 GmbHG zu übertragen.

c)

Verschuldensmaßstab bei der Geschäftsführerhaftung

Die vorstehende These, die Begründung eines Schadens auf Ebene der Gesellschaft 571 müsse für Geschäftsführer und Gesellschafter gleich sein, bezieht sich nur auf die Rechtsfolge der Ansprüche aus § 43 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung. Es stellt sich vor allem aber die Frage, wie der Tatbestand der beiden Haftungsnormen ausgestaltet sein muss. Der entscheidende Unterschied besteht in den deutlich höheren Anforderungen an den subjektiven Tatbestand in § 826 BGB. Fraglich ist daher, welcher Verschuldensmaßstab beim Geschäftsführer anzulegen 572 ist. Denkbar wäre zunächst, das Vorsatzerfordernis von § 826 BGB zu übertragen939). Dies würde zu einem Gleichlauf der Haftungen der Gesellschafter und des Geschäftsführers führen und exorbitante Haftungsfolgen ausschließen. Für eine solche Übertragung spricht auch, dass die Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und damit die Ausklammerung der Fahrlässigkeit ein wesentliches Motiv des BGH für die Trihotel-Doktrin war940). Auch würde ansonsten der Geschäftsführer für existenzbedrohende Eingriffe im Ergebnis schärfer haften als die Gesellschafter – und das, obwohl er nur der Ausführende des Eingriffs war, während die Gesellschafter sogar die Nutznießer sind und ihnen der bestandsgefährdende Eingriff zugeflossen ist. Dies würde jedoch ohne wirklich triftigen Grund das Haftungsgefüge des § 43 Abs. 2 573 GmbHG einebnen. Weder die generelle organschaftliche Haftung noch § 64 S. 3 GmbHG erfordern Vorsatz. In diesem Gefüge, vor allem im Bestreben um Harmonisierung mit der Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG, wäre es kaum erklärbar, wenn bei § 43 Abs. 2 GmbHG in der Fallgruppe des existenzvernichtenden Eingriffs plötzlich Vorsatz gefordert würde. Zudem ist nochmals ins Gedächtnis zu rufen, dass bereits erste, weitgehend rechtspolitisch motivierte Rufe nach einer Ausdehnung der Gesellschafterhaftung auf Fahrlässigkeit zu vernehmen waren941). Auch spricht aus rechtspolitischen Gründen per se nichts gegen eine im Vergleich 574 zum Gesellschafter strengere Haftung des Geschäftsführers. Bei Zahlungen im ___________ 939) Zum umgekehrten Ansatz, nämlich der Übertragung des Haftungsmaßstabs des § 64 S. 3 GmbHG und der Insolvenzverschleppungshaftung auf die Existenzvernichtungshaftung, vgl. Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 135 f. 940) Weller, ZIP 2007, 1681 (1683). 941) Vgl. nochmals Strohn, ZHR 173 (2009), 589 (592) sowie Casper, in GroßKomm GmbHG, Anh. § 77 Rn. 135 f.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

Rahmen der Insolvenzverschleppung wird ebenfalls kein Unterschied gemacht, ob die Zahlung an Gesellschafter oder sonstige Gläubiger erfolgt. Der Geschäftsführer haftet unabhängig davon. Zudem hat der Geschäftsführer ja die generelle organschaftliche Sorgfalts- bzw. Überwachungspflicht gegenüber der Gesellschaft zu beachten, die ihn zum Eingreifen gegen gläubigerbenachteiligende Vermögensverschiebungen verpflichtet942). Eine solche Verpflichtung gibt es bei Gesellschaftern gerade nicht. Die Grenze für das Handeln der Gesellschafter – das ist der Kern der Trihotel-Doktrin – ist erst eine vorsätzliche, sittenwidrige Gläubigerschädigung.

575 Und schließlich kann man das obige Argument auch wenden. Der Geschäftsführer ist in existenzvernichtende Vorgänge de facto immer eingebunden, da der Eingriff von ihm ausgeführt werden muss943). Vor diesem Hintergrund lässt sich wohl durchaus vertreten, dass der Geschäftsführer bereits bei Fahrlässigkeit für existenzvernichtende Eingriffe haftet, während die Haftung des Gesellschafters erst bei Vorsatz greift.

576 Insofern bleibt es bei den Unterschieden im subjektiven Tatbestand. Während der objektive Tatbestand und die Berechnung des Schadens zwischen der Gesellschafter- und der Geschäftsführerhaftung identisch sind, haftet der Gesellschafter wegen den zusätzlichen Voraussetzungen des § 826 BGB nur auf Vorsatz, der Geschäftsführer bereits bei Fahrlässigkeit.

d) Ergebnis: Integriertes Konzept einer einheitlichen Haftung der Geschäftsleiter für existenzvernichtende Eingriffe 577 Ein solches Verständnis der organschaftlichen Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG führt zu einem integrierten Konzept der Existenzvernichtungshaftung. Es ist ein Abgleich zwischen den Haftungen aus § 64 S. 3 GmbHG, § 43 GmbHG, der Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB sowie der Gehilfenhaftung aus § 830 Abs. 2 i. V. m. § 826 BGB anzustreben. Es wird dabei im Folgenden davon ausgegangen, dass (1) der Tatbestand der Haftung des Geschäftsführers (bis auf das Vorsatzerfordernis) analog zum parallelen Anspruch gegen den Gesellschafter aus Existenzvernichtungshaftung auszulegen ist und (2) dieser Anspruch aus § 43 GmbHG mit § 64 S. 3 GmbHG abzugleichen ist.

i)

Haftungsgrundlage und Schadensberechnung

578 Zunächst haben die obigen Ausführungen ergeben, dass der Schadensersatzanspruch aus § 43 Abs. 2 GmbHG der deutlich umfassendere Anspruch gegenüber § 64 S. 3 ___________ 942) U. H. Schneider, in Scholz, § 43 Rn. 287b; Paefgen, DB 2007, 1907 (1910 f); vgl. auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 78, der die Pflichtverletzung des Geschäftsführers zumindest darin sieht, dass er den Gesellschafter auf sein Auszahlungsverlangen hin nicht über die drohende Zahlungsunfähigkeit aufgeklärt habe. Verlange der Gesellschafter dann trotzdem die Zahlung, stelle dies eine vorsätzliche Gläubigerschädigung dar und begründe die Haftung des Geschäftsführers aus c.i.c. oder § 43 GmbHG. 943) Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1524 unter 7.).

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

GmbHG ist. Auch wurde bereits gezeigt, dass die in § 64 S. 3 GmbHG haftungsbewehrten „Zahlungen“ im Schadensersatzanspruch aus der Existenzvernichtungshaftung und in Konsequenz dessen auch im inhaltsgleichen Anspruch aus § 43 Abs. 2 GmbHG enthalten sind. Daher liegt es nahe, § 64 S. 3 GmbHG als Teilbereich der organschaftlichen Haftung anzusehen, die über den Anwendungsbereich des § 64 S. 3 GmbHG hinausgeht944). Insofern wäre eine ähnliche Situation gegeben als bei der Haftung für Insolvenz- 579 verschleppung. Auch dort ist die (umfassende) organschaftliche Haftung die Anspruchsgrundlage, § 64 S. 1 GmbHG stellt lediglich eine Modifikation dar. Die eigentliche Haftungsgrundlage gegen den Geschäftsführer für existenzvernichtende Eingriffe ist somit § 43 Abs. 2 GmbHG. Die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG geht in diesem Schadensersatzanspruch auf 945). Die in § 64 S. 3 GmbHG genannten „Zahlungen“ an den Gesellschafter sind somit nur ein Schadensposten im Schadensersatz des § 43 Abs. 2 GmbHG, der einen umfassenden Gläubigerausfallschaden sanktioniert und damit auch weitere insolvenzbedingte Kollateralschäden ersetzt. Die Berechnung des Schadens erfolgt genauso wie bei der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters. Dabei wird die oben in dieser Arbeit entwickelte Berechnungsmethodik vorgeschlagen (vgl. D.III.2.c): Auf einer ersten Stufe wird eine Ausfallhaftung für alle Gläubigerforderungen gemeinschaftlich berechnet. Diese ergibt sich aus dem gesamten Gläubigerausfall im Insolvenzverfahren, reduziert um die bereits beim Eingriffszeitpunkt gegebene Entwertung der Forderungen. Letztere ist u. U. nach § 287 ZPO zu schätzen. Auch diesbezüglich geht die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG über die aus § 64 S. 3 GmbHG hinaus, setzt jedoch – dem Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes folgend – nicht bei den Vermögensschäden der Gesellschaft, sondern bei den Verlusten der Gläubiger an. Im zweiten Schritt werden alle nicht eingriffsbedingten Schadensbestandteile, sofern sie isolierbar sind, ausgesondert. Die Beweislast hierfür liegt beim Geschäftsführer.

ii) Tatbestand der Haftung Was den Tatbestand der Haftung anbelangt, können beide Normen mit im Wesent- 580 lichen gleichen Ergebnissen ausgelegt werden. Der Sinn des § 64 S. 3 GmbHG kann darin gesehen werden, lediglich die Haftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG für Zahlungen ___________ 944) Vgl. dazu auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 72 und 78. 945) So im Ergebnis auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 72, 78; a. A. K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 112, der zwar anerkennt, dass die Haftungen aus § 64 S. 3 und aus § 43 GmbHG konkurrieren, dann jedoch ohne weitere Begründung meint, eine Insolvenzverursachungshaftung auf den gesamten Insolvenzschaden allein wegen der insolvenbegründenden Zahlung ließe sich aus § 43 GmbHG nicht herleiten. Zugrunde liegt hier wohl eine Sicht, die – eigentlich entgegen K. Schmidts Konzept – dem eng verstandenen Zahlungsbegriff der h. M. verhaftet bleibt.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

an Gesellschafter zu modifizieren und Beweisfragen sowie Verschuldensregelungen zu ergänzen.

581 In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH zur Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung ist auch bei der Haftung des Geschäftsführers ein „Eingriff“ zu fordern. Nicht ausreichend ist das reine Vorenthalten von Mitteln oder die mangelhafte anfängliche Ausstattung mit finanziellen oder sachlichen Mitteln946). Der Begriff des Eingriffs nimmt den restriktiveren Begriff der „Zahlung“ aus § 64 S. 3 GmbHG in sich auf.

582 Was das Sittenwidrigkeitskriterium anbelangt, wurde oben bereits gezeigt, dass es sich bei der tatbestandlichen Konstruktion der Existenzvernichtungshaftung und bei § 64 S. 3 GmbHG im Wesentlichen um zwei Seiten einer Medaille handelt, die aber zu gleichen Ergebnissen kommen (vgl. D.III.1). Daher scheint es sachdienlich, den objektiven Tatbestand des § 43 Abs. 2 GmbHG analog zur Existenzvernichtungshaftung auszulegen. Insbesondere erfüllt das Kriterium der Selbstbedienung und des planmäßigen Entzugs dieselben Voraussetzungen wie die Zahlung an einen Gesellschafter in § 64 S. 3 GmbHG, lässt jedoch mehr Spielraum für Wertungen im Einzelfall.

583 Im Unterschied zur Existenzvernichtungshaftung sanktioniert § 64 S. 3 GmbHG lediglich die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit. Die Überschuldung als herbeigeführter Insolvenzantragsgrund ist nicht ausreichend947). Hinter dieser Beschränkung in § 64 S. 3 GmbHG scheint das Kalkül des Gesetzgebers zu stehen, bei der Herbeiführung der Überschuldung würde die Haftung aus § 43 Abs. 3 i. V. m. § 30 Abs. 1 GmbHG genügen948). Gerade die Urteile zur Existenzvernichtungshaftung haben aber gezeigt, dass die Kapitalerhaltungsregeln bei Ausplünderungen zu kurz greifen und ein ergänzendes Korrektiv notwendig ist. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass daher vorgeschlagen wurde, § 64 S. 3 GmbHG in erweiternder Auslegung auch auf die Überschuldung anzuwenden. Dies wäre auch insofern konsequent, als die reine Zahlungsunfähigkeit noch nicht einmal 5 % der Antragsgründe ausmacht und im Rest der Fälle zumindest auch immer Zahlungsunfähigkeit gegeben ist949). Nichtsdestotrotz dürfte eine solch extensive Auslegung am eindeutigen Wortlaut der Norm scheitern. In der hier vorgeschlagenen Deutung ergibt sich jedoch ein ganz ähnliches Ergebnis bereits daraus, dass zwar § 64 S. 3 GmbHG die Herbeiführung der Überschuldung ausweislich des Wortlauts nicht ausreichen lässt, dieser Fall jedoch von der an der (umfassenderen) Existenzvernichtungshaftung auszurichtenden Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG erfasst wird. Eine entsprechende Einschränkung auf die Zahlungsunfähigkeit gibt es bei der Existenz___________ 946) So erst wieder BGHZ 176, 204 = NJW 2008, 2437 (Gamma). 947) Vgl. nochmals Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 110 m. w. N. 948) Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 117, der diese Sichtweise als zu kurz gegriffen ansieht. 949) Nachweise oben unter D.I.3.a.

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III. Die Existenzvernichtungshaftung als modellbildende Konzeption für § 64 S. 3 GmbHG

vernichtungshaftung nicht, es wird sowohl die Zahlungsunfähigkeit als auch die Überschuldung sanktioniert. Insofern erscheint es nicht erklärlich, warum der Geschäftsführer dann nicht haften soll, wenn er durch einen Eingriff „nur“ die Überschuldung herbeigeführt hat. Beim Anspruch aus § 43 Abs. 2 GmbHG kann somit nichts anderes gelten als bei der Existenzvernichtungshaftung. § 64 S. 3 GmbHG greift zwar nicht, der Fall wird jedoch trotzdem von § 43 Abs. 2 GmbHG erfasst.

iii) Anwendbarkeit des § 43 Abs. 3 GmbHG Auch die Sperrwirkung bezüglich entlastender Gesellschafterweisungen in § 43 Abs. 3 584 GmbHG muss beim Anspruch wegen Existenzvernichtung gegen den Geschäftsführer Geltung beanspruchen. Dies ergibt schon der Verweis in § 64 S. 4 GmbHG auf § 43 Abs. 3 GmbHG. Weisungen von Gesellschaftern haben unter den dortigen Voraussetzungen keine entlastende Wirkung950). Die Regelung kann dann nicht nur für die in § 64 S. 3 GmbHG genannten „Zahlungen“ gelten, also für einen Teilbereich der gesamten Haftung wegen Existenzvernichtung, sondern muss einheitlich den gesamten Schadensersatz umfassen. Demnach wird ein Geschäftsführer von der Haftung frei, wenn der existenzvernichtende Eingriff auf eine Gesellschafterweisung hin erfolgte und seine Haftung zur Befriedigung der Gläubiger nicht erforderlich ist. Aber dies dürfte, auch hier gilt die in Teil C gefundene Argumentation analog, nie der Fall sein, weil die Existenzvernichtungshaftung ja tatbestandlich voraussetzt, dass die Gläubigerinteressen beeinträchtigt sind, eine Haftung dafür zur Auffüllung des Gesellschaftsvermögens gerade erforderlich ist. Andernfalls würde der Anspruch gegen einen Geschäftsführer bereits auf der (nach hier entwickelter Konzeption) ersten Stufe entfallen, weil er zur Befriedigung der Gläubiger gar nicht erforderlich wäre und der Schaden anderweitig ausgeglichen werden könnte. Daher bedeutet der Verweis auf § 43 Abs. 3 GmbHG im Ergebnis, dass eine Weisung der Gesellschafter den Geschäftsführer gerade nicht von der Haftung entbindet951).

iv) Funktion des § 64 S. 3 GmbHG: Begründung eines Mindestschadens Der Tatbestand des § 64 S. 3 GmbHG geht daher vollständig in der Haftung aus 585 § 43 Abs. 2 GmbHG in der Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung auf952). Problematisch ist dann aber, welche Funktion § 64 S. 3 GmbHG überhaupt noch hat.

___________ 950) Dazu auch Casper, in GroßKomm GmbHG, ErgBd. MoMiG, § 64 Rn. 123 m. w. N. 951) So im Ergebnis ebenfalls Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 78. 952) So im Ergebnis auch Altmeppen, in Roth/Altmeppen, § 64 Rn. 72, der den aus seiner Sicht einzig verbleibenden Anwendungsbereich des S. 3, nämlich pflichtwidrige und zur Insolvenz führende Ausschüttungen an Gesellschafter, bereits von § 43 GmbHG abgedeckt sieht.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

586 Analog zu dem bei § 64 S. 1 GmbHG Gesagten stellt die Haftung aus § 64 S. 3 GmbHG einen Mindestschaden dar953). Bei einer Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG muss die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter (zumindest auf Basis der herrschenden Meinung, von der sich diese Arbeit distanziert hat) einen konkreten Vermögensschaden darlegen, während der Anspruch nach § 64 S. 3 GmbHG deutlich leichter zu beweisen ist, da er auf Erstattung der einzelnen Zahlungen gerichtet ist. Bereits auf Basis der h. M. wird die Funktion von S. 3 somit in einer Erleichterung der Durchsetzung gesehen954). Daher wäre in Erwägung zu ziehen, dass dem Geschäftsführer in Bezug auf die von § 64 S. 3 GmbHG erfassten Zahlungen der Einwand abgeschnitten wird, ihr Ersatz sei zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger gar nicht erforderlich oder der Ersatz könne auf der (im hier vertretenen Konzept) zweiten Stufe der Schadensberechnung als nicht auf dem Eingriff bezogener Schaden ausgesondert werden.

587 Tatsächlich wird es wohl immer so sein, dass die „Zahlungen“, die tatsächlich die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen, schon denklogisch auf der zweiten Stufe nicht ausgesondert werden können, da sie eben unmittelbar den Eingriff darstellen und damit auch nicht in die Kategorie von Schäden fallen können, die als nicht eingriffsbezogen aus dem Schadensersatz auszuklammern sind. Auch geht der BGH ja in den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung davon aus, dass der Wert des unmittelbar entzogenen Wirtschaftsgutes auf jeden Fall zu ersetzen sei. Insofern könnte man die in § 64 S. 3 GmbHG genannten Zahlungen durchaus als den „Mindestschaden“ ansehen, der auch im Rahmen des § 43 Abs. 2 GmbHG auf jeden Fall zu ersetzen ist, selbst wenn ein Gläubigerausfall und damit weiterführende Kollateralschäden nicht bewiesen werden können. Letzteres ist in der Praxis zwar nur schwerlich vorstellbar, denn in jedem Insolvenzverfahren – und selbst bei Abweisung des Verfahrens mangels Masse – können die Gläubiger darlegen, dass sie nunmehr lediglich eine bestimmte Quote erhalten, womit bereits ausreichend bewiesen worden sein dürfte, dass ein Gläubigerausfallschaden im jeweiligen Fall existiert. Jedoch kann man § 64 S. 3 GmbHG durchaus die Funktion zuerkennen, einen solchen Schaden auf der ersten Stufe im hier vorgeschlagenen Modell der Berechnung des Schadensersatzes in Höhe der „Zahlungen“ an die Gesellschafter zu vermuten.

588 Was jedoch den möglichen Einwand anbelangt, dass die Summe der Zahlungen gar nicht erforderlich ist, die Gläubiger zu befriedigen, mithin der Schaden der Gläubigergemeinschaft geringer als die Summe der Zahlungen ist, so ergibt sich aus § 64 S. 3 GmbHG und aus der Existenzvernichtungshaftung dieselbe Rechtsfolge: Denn nicht nur geht das Trihotel-Urteil davon aus, dass ein Schadensersatz nur in ___________ 953) H.-Fr. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 180; in diese Richtung wohl auch K. Schmidt, in Scholz, § 64 Rn. 112. 954) H.-Fr. Müller, in MüKo GmbHG, § 64 Rn. 180.

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IV. Ergebnis: Integrierte Haftung der Geschäftsleiter für insolvenzverursachende Eingriffe

der Höhe bestehen kann, die zur Befriedigung der Gläubiger bis zu ihrer hypothetischen Soll-Quote erforderlich ist. Auch der Gesetzgeber des MoMiG stützte sich auf den Gedanken, dass nur solche Zahlungen tauglich i. S. d. Norm sein sollen, die für die Befriedigung der Gläubiger erforderlich sind955). Insofern ergibt sich aus § 64 S. 3 GmbHG wiederum keine über den Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung hinausgehende Rechtsfolge. Es bleibt dabei, dass S. 3 mit dem Zahlungsbegriff lediglich eine Klarstellung bzgl. des Mindestschadens liefert.

IV. Ergebnis: Integrierte Haftung der Geschäftsleiter für insolvenzverursachende Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen Die strukturellen Unterschiede zwischen § 64 S. 3 GmbHG auf der einen Seite und 589 den Kapitalerhaltungsvorschriften sowie der Insolenzanfechtung auf der anderen Seite lassen es eher fruchtbar erscheinen, die Norm mit der Existenzvernichtungshaftung vergleichend auszulegen. Den beiden Haftungssystemen ist gemein, dass sie Vermögensabzüge bei der Gesellschaft zu Gunsten der Gesellschafter haftungsbewehrt untersagen, wenn diese die materielle Insolvenz der Gesellschaft herbeigeführt haben. Beide Normen sind Insolvenzverursachungshaftungen, wesensimmanent ist ihnen das Erfordernis eines finalen Zusammenhangs zwischen dem Eingriff bzw. der Zahlung zu Gunsten der Gesellschafter und dem Eintritt der Insolvenzreife. Eine Anknüpfung des § 64 S. 3 GmbHG an Tatbestand und Rechtsfolgen des S. 1, 590 also eine Auslegung als unmittelbare tatbestandliche Erweiterung des Zahlungsverbots, erscheint nicht zielführend. Vor allem ist aufgrund des gänzlich differierenden Normzwecks der Tatbestand der beiden Haftungsnormen unterschiedlich auszulegen. Nach herrschender Auffassung muss ein – zumindest in bestimmten Zusammenhängen an die Spezifika des S. 3 – angeglichener Zahlungsbegriff gelten. Auch ist die Rechtsfolge der beiden Haftungsnormen nicht einheitlich darstellbar. Eine Schadensersatzberechnung muss bei S. 3 gänzlich anders aufgebaut sein als bei S. 1. Der für letzteren charakteristische Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung ist in der Situation des S. 3 noch nicht erfolgt. Auch die Schadensberechnung kann nicht unbesehen von S. 1 übertragen werden. Für die Auslegung des § 64 S. 3 GmbHG kann jedoch insbesondere die Ausgestal- 591 tung der Existenzvernichtungshaftung als Schadensersatzhaftung fruchtbar gemacht werden. Zwar stellen sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand des § 826 BGB mit seiner strengen Vorsatzvoraussetzung höhere Hürden auf als § 64 S. 3 GmbHG. Dies liegt jedoch im Wesentlichen daran, dass die beiden Haftungskonzepte die Sanktionierung der Insolvenzherbeiführung aus einer anderen Perspektive vornehmen. Während die Existenzvernichtungshaftung die Verantwortlichkeit der Gesellschafter aus Mangel einer einschlägigen organschaftlichen Sorg___________ 955) Vgl. RegBegr. MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 47 linke Spalte.

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D. Schutz der Vermögensstruktur

falts- oder Schutzpflicht unmittelbar gegenüber den Befriedigungsaussichten der Gläubiger anknüpft, setzt § 64 S. 3 GmbHG bei der organschaftlichen Verhaltenspflicht des Managements der Gesellschaft an. Letztlich haben beide Haftungskonzepte aber dieselben Schutzadressaten im Blick und sanktionieren dieselben Eingriffe, begründen also ein einheitliches Schutzkonzept.

592 Zwar ist unverkennbar, dass der Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung höhere Anforderungen stellt, die Rechtsfolgen hingegen weiter gehen als bei § 64 S. 3 GmbHG. Insbesondere werden von § 826 BGB alle insolvenzbedingten Ausfallschäden erfasst. Die vorstehenden Überlegungen haben aber gezeigt, dass § 64 S. 3 GmbHG lediglich ein Teilbereich der organschaftlichen Haftung des Geschäftsführers aus § 43 GmbHG ist. Anerkannt ist nämlich, dass die Herbeiführung der Insolvenz durch Auszahlungen bzw. Eingriffe zu Gunsten der Gesellschafter eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers darstellen kann. Der Tatbestand des § 43 Abs. 2 GmbHG ist damit dem Grunde nach erfüllt und steht in Haftungskonkurrenz zu § 64 S. 3 GmbHG. Die organschaftliche Haftung ist bei existenzvernichtenden Eingriffen analog zu den im Trihotel-Urteil aufgestellten Voraussetzungen für die Gesellschafterhaftung zu deuten. Lediglich der subjektive Tatbestand ist dem Konzept des § 43 GmbHG anzupassen. Fahrlässigkeit ist ausreichend. Eine solche Verschärfung gegenüber der Gesellschafterhaftung rechtfertigt sich mit der organschaftlichen Sorgfalts- und Schutzpflicht, die eben nur dem Geschäftsführer obliegt, nicht den Gesellschaftern. Die bisher h. M. verneint bei § 64 S. 3 GmbHG (und in Folge wohl auch bei der organschaftlichen Haftung) das Vorliegen eines Schadens i. S. d. §§ 249 ff BGB auf Ebene der Gesellschaft. Dass der Gesellschaft durch einen insolvenzverursachenden Eingriff jedoch ein Schaden entstehen kann, hat das Trihotel-Urteil in Bezug auf die Gesellschafterhaftung gezeigt. Da ein relativer Schadensbegriff abzulehnen ist, muss dies auch für die Geschäftsführerhaftung aus § 43 GmbHG gelten. Nach alledem herrscht somit in den wesentlichen Kriterien ein Gleichlauf der Haftung der Gesellschafter aus § 826 BGB und der Geschäftsführer aus § 43 Abs. 2 GmbHG. § 64 S. 3 GmbHG hat insofern lediglich klarstellende Funktion hinsichtlich des Mindestschadens und wird ansonsten von der allgemeinen organschaftlichen Haftung aufgenommen.

234

E. Ausblick Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, aus einer gesamtheitlichen Be- 593 trachtung der relevanten Haftungsnormen eine konsistente Haftung des Geschäftsführers für Vorgänge am Rande der Insolvenz der Gesellschaft zu entwerfen. In Teil B dieser Arbeit wurde auf Basis der Schutzzwecke des Haftungssystems eine Unterteilung in Haftungsnormen des Vermögensverlagerungs- und des Vermögensstrukturschutzes vorgenommen. Es wurde also eine Unterscheidung getroffen zwischen Haftungsgrundlagen, die an Vorgänge im Zeitpunkt der bereits eingetretenen Insolvenzreife anknüpfen, sowie solchen, die bereits die Herbeiführung der materiellen Insolvenz als solcher sanktionieren. Die Teile C und D haben sich sodann mit diesen beiden Gruppen beschäftigt und 594 sind zu dem Ergebnis gelangt, dass es nur zwei Haftungsstränge der Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz gibt, nämlich eine Haftung für die Verringerung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger in der materiellen Insolvenz sowie eine Haftung für Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen, die zur Insolvenz führen und damit Gläubigerausfallschäden hervorrufen. Beide Haftungen basieren auf der organschaftlichen Haftung des Geschäftsführers und nehmen die jeweils bestehenden konkurrierenden Haftungsnormen in sich auf. Kern der vorliegenden Arbeit ist somit die These, dass es keine Haftungskonkurrenz aus § 64 S. 1 GmbHG, der Insolvenzverschleppungshaftung und u. U. sogar noch der organschaftlichen Haftung wegen Verminderung der Insolvenzmasse aus § 43 Abs. 2, 3 GmbHG als separate Haftungsnormen gibt, sondern dass all diese Tatbestände in der organschaftlichen Haftung des Geschäftsführers für Insolvenzverschleppung aufgehen und nur ein einziger Haftungsstrang besteht. Dasselbe gilt auch für die Konkurrenz aus § 64 S. 3 GmbHG, der Gehilfenhaftung aus §§ 830 Abs. 2, 826 BGB und der organschaftlichen Haftung für die Herbeiführung der Insolvenz. Die vorliegende Arbeit führt daher die insbesondere von Altmeppen vertretene Einheitslehre fort. Alle Haftungskonzepte basieren nach der hier vertretenen Auffassung auf dem Konzept des mittelbaren Gläubigerschutzes und sind als organschaftliche Innenhaftung ausgestaltet, aktivlegitimiert ist also die Gesellschaft. Was den eigentlichen Zentralpunkt dieser Arbeit, die Auslegung des § 64 GmbHG 595 anbelangt, so vertritt die vorliegende Arbeit, dass eine Trennlinie mitten durch § 64 GmbHG hindurchgeht. § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG gehören jeweils dem anderen Haftungsstrang (Vermögensverlagerungs- vs. Vermögensstrukturschutz) an und sind daher grundlegend verschieden auszulegen. Wenngleich beide Normen im Ergebnis jeweils als Schadensersatznorm charakterisiert wurden, so bestehen doch im Detail, insbesondere bei der Berechnung des Schadens, erhebliche Unterschiede. Dass eine solche gespaltene Auslegung von § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG von den Vertretern der herrschenden Auffassung nicht gerade mit Beifallsstürmen bedacht wer-

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E. Ausblick

den wird, versteht sich von selbst956). Zugegeben sei auch: Die hier vertretene Interpretation des § 64 GmbHG entfernt sich nicht nur weit vom Verständnis der h. M., sondern auch vom Wortlaut der Norm. Gerade die sprachlichen Verschränkungen zwischen S. 1 und S. 3 erschweren die Trennung und Zuordnung der beiden Haftungsnormen zu jeweils unterschiedlichen Haftungssträngen. Die vorstehenden Ausführungen haben jedoch versucht zu belegen, dass einer funktionalen Systematik mehr argumentatives Gewicht beizumessen ist als der Verhaftung am Wortlaut. Dies gilt insbesondere für einen Wortlaut, der historisch weitgehend Zufälligkeiten geschuldet ist.

596 Nichtsdestotrotz verharrt die herrschende Ansicht auf der These, dass die hier vorgeschlagene Konzeption einer Schadensersatzhaftung mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen sei: „Mit der Konzeption der lex lata (vom Gesetzgeber des MoMiG durch die Haftungserweiterung nach § 64 S. 3 noch einmal bestätigt) ist es indes nicht vereinbar, die Erstattungsnorm nach § 64 S. 1 GmbHG in der deliktischen Schadensersatzhaftung aus Insolvenzverschleppung aufgehen zu lassen. Ebenso wenig kann (in umgekehrter Richtung) der auf Erstattung pflichtwidriger Zahlungen nach Insolvenzreife gerichtete Anspruch aus § 64 S. 1 – in „teleologischer Korrektur“ des Zahlungsbegriffs – als Grundlage eines Schadensersatzanspruchs gedeutet werden, der auf Ausgleich des „Gesamtverlustes“ im Gesellschaftsvermögen während der Insolvenzverschleppungsphase gerichtet ist.“957)

597 Dabei ignorieren die Vertreter der herrschenden Ansicht jedoch die mit einer solchen Auslegung einhergehenden Probleme nachhaltig. Denn dass durch die herrschenden Trennungslehren ein geradezu abenteuerliches Haftungsgefüge mit nicht erklärbaren Konkurrenzverhältnissen entsteht, wird meist ohne jede Diskussion akzeptiert, während andere Konzepte mit Verweis auf den Wortlaut entschieden abgelehnt werden. Auf der Basis des hier Gesagten erstaunt dies. Zumindest häufen sich in letzter Zeit die Stimmen im Schrifttum, die die herrschende Auslegung als Sackgasse verstehen und daher einen gesetzgeberischen Neustart fordern958).

598 Die vorliegende Konzeption nimmt für sich in Anspruch, sowohl die Konkurrenzverhältnisse der verschiedenen Anspruchsgrundlagen besser erklären zu können, als auch eine praktisch durchführbare Schadensermittlungsmethode bereit zu stellen, die den höchst problematischen Zahlungsbegriff vollständig abschafft. Dies wird bei § 64 S. 1 und S. 3 GmbHG unterschiedlich bewerkstelligt, führt jedoch zum selben Ergebnis.

___________ 956) Vgl. stellvertretend Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, S. 187: Es drohe die „unschöne Komplikation“ einer gespaltenen Auslegung des Zahlungsverbots. 957) Kleindiek, in Lutter/Hommelhoff, § 64 Rn. 4. 958) Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, S. 6 ff; wohl auch Casper, ZIP 2016, 793.

236

E. Ausblick

Doch mehr noch als um eine sachgerechte und rechtssichere Auslegung des Tatbe- 599 stands wird es in Zukunft um die Frage gehen müssen, inwiefern die Geschäftsführerhaftung vom Insolvenzverwalter sinnvoll eingeklagt werden kann959). Zudem wird aus der Praxis der Ruf vernommen, den Geschäftsführern von bereits überschuldeten Gesellschaften müsse eine Goldene Brücke zurück in die Legalität gebaut werden, um ein weiteres „Augen-zu-und-durch“ zu verhindern. Beides versucht die vorliegende Arbeit. Die Diskussion um die richtige Auslegung der Haftung des Geschäftsführers im Rahmen der Insolvenz dürfte bei Weitem noch nicht zu Ende sein.

___________ 959) Casper, ZIP 2016, 793 (803), insbesondere mit der Erörterung, ob bereits vor Abschluss des Insolvenzverfahrens vom Geschäftsführer eine „Vorauszahlung“ auf den künftigen Schadensersatz zu verlangen sei; in dieselbe Richtung Bitter, ZIP 2016, Beilage zu Heft 22, 6 (10).

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Stichwortverzeichnis

Alt- und Neugläubiger, Unterscheidung 48 ff, 86, 320 ff Anspruch eigener Art, Anspruch „sui generis“ 36 Auflösung der Gesellschaft 117

Gläubigergleichbehandlung; par conditio creditorum 81 ff Gläubigerinteressen 107, 121 Gleichmäßige Befriedigung 30 Goodwill 301

Begründung von Verbindlichkeiten

Historie/Entstehungsgeschichte des

48 ff Bereicherung der Gläubiger 159 ff Bestandsinteresse der Gesellschaft 103 Bestandsschutz – Gläubigerinteressen als kanalisiertes Bestandsschutzinteresse 107 – Bestandsschutz in § 64 S. 3 GmbHG 141 ff, 148 Beweislast 396 f Business Judgement Rule 395

Debitorisches Konto 271 ff Differenzgewinnausfall 40, 527 Dualismus der Schadensermittlung 232 ff Eingriff, sittenwidriger – bei der Existenzvernichtungshaftung 494 ff, 581 f Einheitslehren 244 ff Einzelausgleich 265 Erleichterte Eingriffsbefugnisse der Gesellschafter 57 ff

Finaler Zusammenhang; Verursachung der Insolvenz 446 ff, 501, 509

Gegenleistung, Einbeziehung der 288 ff Gehilfenhaftung 547 Gesamtgläubigerschaden 357, 383 Gesamtsaldierung 36 Gesellschafterforderungen bei der Haftung nach § 64 S. 3 GmbHG 474 ff Gesellschafterweisungen 388, 584 Gesellschaftszweck/Änderung des Gesellschaftszwecks – Änderung bei Insolvenzreife: 112 ff – Abstrakte und konkrete Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens 113 – Zeitpunkt der Zweckänderung 116 – Auswirkungen auf organschaftliche Pflichten der Geschäftsführer 120 – Schadensproblem 123

Zahlungsbegriffs 179 ff

Individualschaden der Neugläubiger 370 f Insolvenzanfechtung 12, 64 Insolvenzantragspflicht 118 Insolvenzprophylaxe 132 ff, 148 ff Insolvenzreife, Zeitraum der 118 Insolvenzverschleppungshaftung – allgemein 51, 310 – Konkurrenz zur Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG 317 – als „totes Recht“ 322 – Schutzzweckeigenschaft der Insolvenzverschleppungshaftung 342 ff, 358 ff, 362, 371 Kapitalerhaltungsvorschriften, Abgleich mit § 64 S. 3 GmbHG 434 ff – Deliktische vs. insolvenzrechtliche Regelungen 452 ff – Vorsatzerfordernis 453 – Rechtsfolge 454 ff Komplexe Transaktionen 298 Konkurrenzen – zwischen Insolvenzverschleppungshaftung und § 64 S. 1 GmbHG 317 ff, 353 – zwischen § 64 S. 1 GmbHG und der organschaftlichen Haftung aus § 43 GmbHG 377 ff, 383 ff – zwischen § 64 S. 3 GmbHG und den Kapitalerhaltungsvorschriften 434 ff – zwischen § 64 S. 3 GmbHG und der Existenzvernichtungshaftung 446, 491 – zwischen § 64 S. 1 und § 64 S. 3 GmbHG 142 ff, 457 – zwischen § 64 S. 3 und der Gehilfenhaftung bei der Existenzvernichtungshaftung 551 ff

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Stichwortverzeichnis – zwischen der Existenzvernichtungshaftung und der organschaftlichen Haftung der Geschäftsführer 556

Masseerhaltung 30 ff Mindestschaden und § 64 S. 3 GmbHG 585 Mittelbarer Gläubigerschutz – allgemein 21, 446 – Schutzobjekt vs. Schutzzsubjekt 21, 23 – Haftung gegenüber der Gläubigergesamtheit 22 – bei § 64 S. 3 und der Existenzvernichtungshaftung 21, 446 ff Nicht eingriffsbedingte Schadensbestandteile 411 ff, 538 Normativer Schaden 125 ff November-Urteil 138

Organschaftliche Pflichten der Leitungsorgane – Anpassung 150 – Organschaftliche Haftung nach § 43 GmbHG 377 ff – Pflichtverletzung der Organe bei der Herbeiführung der Insolvenz 120, 563 ff Oszillierendes Konto 281

Rechtsformen, Haftungsnormen der verschiedenen 225 ff

Schadensermittlung, Schadensberechnung 232, 259, 405 ff, 411, 531 ff Schadensproblematik; „Schaden der Gesellschaft“ 39 ff, 123, 254, 521 ff, 556 ff, 566 Schadensschätzung 140, 323 Schutzgesetz/Schutzgesetzeigenschaft der Insolvenzantragspflicht 220 ff Sicherungsabtretung, Berücksichtigung beim Zahlungsbegriff 279 Societatis causa, Zahlung 58 Solvenztest 137

240

Sonderdelikt der Gesellschafter 557 ff Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters, § 64 S. 2 GmbHG 261 Sperrwirkung der Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber § 64 S. 1 GmbHG 353 ff Spiegelbild-These; Als-Ob-Betrachtung 87, 90, 93

Trennungslehren

244 ff

Unmittelbarer Zusammenhang bei der Berücksichtigung der Gegenleistung 293

Verbot der Fortsetzung unternehmerischer Tätigkeit im Stadium materieller Insolvenz 156, 268 Vermögensstrukturschutz 172, 428 Vermögensverlagerungsschutz 170, 175 ff Verschuldensmaßstab 395, 571 ff Verursachung der Insolvenz 71 ff, 501 Vorsatzerfordernis 547 ff

Werbender Verkehr, Beendigung des werbenden Verkehrs 155 Wert der Masse/Veränderungen des Wertes der Masse 75 ff, 298 Wirtschaftliche Gegenbewegungen zu Zahlungen 264 ff Wortlaut, Wortlautgrenze bei § 64 S. 1 GmbHG 178 ff, 253 Wrongful trading 139 ff

Zahlung, Begriff der Zahlung

35 ff – allgemein 35 ff – Historische Entwicklung des Zahlungsbegriffs 180 ff – bei § 64 S. 1 243 ff – Zahlungsbegriff bei § 64 S. 3 und den Kapitalerhaltungsregeln 438, 457 ff, 507 ff – Unterschiede im Zahlungsbegriff zwischen § 64 S. 1 und S. 3 458 ff Zweckänderung des Gesellschaftsvermögens siehe Gesellschaftszweck