Ins Parlament, um es zu zerstören: Das parlamentarische Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg 9783205792161, 9783205788744

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Ins Parlament, um es zu zerstören: Das parlamentarische Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg
 9783205792161, 9783205788744

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Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg

Herausgegeben von Robert Kriechbaumer · Franz Schausberger · Hubert Weinberger Band 1

Franz Schausberger

Ins Parlament, um es zu zerstören Das parlamentarische Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg nach den Landtagswahlen 1932

2. Auflage

2012

böhlau verlag wien köln weimar

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Einzug der nationalsozialistischen Gemeinderäte zur konstituierenden Sitzung des Wiener Gemeinderates am 24. Mai 1932; Institut für Zeitgeschichte, Wien 1. Auflage © 1995 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG., Wien Köln Weimar © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung: Generaldruckerei Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-205-78874-4

Vorwort zur 2. Auflage

Siebzehn Jahre sind seit dem ersten Erscheinen dieses Buches vergangen, und es hat nichts an Aktualität eingebüßt. Seither ist die große Bedeutung der Landtagswahlen vom 24. April 1932 für den Aufstieg des Nationalsozialismus in Österreich unbestritten. Das Ziel der Nationalsozialisten in den österreichischen Landesparlamenten war es, den Parlamentarismus extensiv zu nützen, um die Demokratie zu zerstören. Provozierende, antisemitische Themen und aggressive Methoden der NS-Abgeordneten ähneln jenen rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien, die seit der ersten Auflage in ganz Europa entstanden und in Parlamente gewählt worden sind. Auch das Verhalten der heutigen demokratischen Parteien erinnert an das Reagieren von damals. Somit bleibt dieses Buch wohl weiterhin ein Standardwerk zum Lernen aus der Geschichte. Salzburg, im April 2012 Franz Schausberger

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand aus dem Zusammentreffen zweier Komponenten  : dem wissenschaftlichen Interesse an der Zeitgeschichte und meinen praktischen Erfahrungen in der Politik. In meiner mehr als fünfzehnjährigen Zugehörigkeit zu ­einem österreichischen Landesparlament konnte ich immer wieder die Erfahrung machen, daß es fruchtbringend ist, die aktuellen tagespolitischen Notwendigkeiten durch zeitgeschichtliche Reflexionen in einen größeren (historischen) Rahmen zu setzen. Unsere schnellebige Zeit orientiert sich am Heute und vielleicht noch am Morgen. Rückblicke in die Geschichte kosten Zeit, die niemand glaubt zu haben. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber es gibt sicher Situationen, die in einer Mehrzahl von Faktoren miteinander vergleichbar sind und wo man aus dem Verhalten und den Reaktionen der damals politisch Verantwortlichen vielleicht den einen oder anderen Hinweis auf aktuelles richtiges oder falsches Handeln ablesen kann. Es war für mich eine faszinierende Aufgabe, vor dem Hintergrund meiner langjährigen landesparlamentarischen Praxis, das Erstarken und das »parlamentarische« Agi(ti)eren der Nationalsozialisten in den Landtagen in den Jahren 1932/33 wissenschaftlich zu untersuchen. Die Anregung und Ermutigung, diese Arbeit so weit auszubauen, daß sie als Habilitationsschrift vorgelegt werden konnte, verdanke ich Herrn Univ.-Prof. Dr. Ernst Hanisch. Er hat die Arbeit kritisch und mit unzähligen wertvollen Anregungen und Hinweisen begleitet. Mein erster und besonderer Dank gilt also Herrn Univ.-Prof. Dr. Ernst Hanisch. Ebenso danke ich Herrn Univ.-Prof. Dr. Ulrich Kluge (Dresden) und Herrn Univ.Prof. Dr. Heinrich Oberreuter (Passau) für die kritische Durchsicht der Arbeit. Viele Anregungen und Ermunterungen verdanke ich Herrn Univ.-Doz. Dr. Robert Kriechbaumer. Die oft mühsame Suche nach dem Quellenmaterial wurde von zahlreichen Persönlichkeiten der verschiedenen Archive, Bibliotheken und Forschungseinrichtungen unterstützt. Dafür danke ich besonders Herrn Dr. Rudolf Jerabek vom Archiv der Republik, Herrn Hofrat Prof. Dr. Hermann Riepl und Herrn Oberrat Dr. Ernst Bezemek von der Niederösterreichischen Landesbibliothek, Herrn Univ.-Prof. Dr. Peter Csendes und Frau Dr. Maren Seliger vom Wiener Stadt- und Landesarchiv, Herrn Dr. Klaus Plitzner vom Ludwig Boltzmann Institut, Außenstelle Vorarlberg, Frau Hofrätin Dr. Friederike Zaisberger vom Salzburger Landesarchiv, Herrn Univ.-Doz. Dr. Franz-Heinz Hye vom Innsbrucker Stadtarchiv, Herrn Dr. Helmut Wohnout vom Karl-von-Vogelsang-Institut sowie Herrn Dr. Harald Troch vom Archiv und Dokumentationszentrum des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung.

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Vorwort

Mein Dank gilt auch dem Leiter der Salzburger Landesstatistik, Mag. Josef Raos, der vor allem jene Teile der Arbeit, die sich mit Wahlanalysen und Wahlstatistik befassen, kritisch durcharbeitete und dem ich viele wertvolle Hinweise verdanke. Zu Dank verpflichtet bin ich Herrn Dr. Markus Prucher, der mir in allen EDVAngelegenheiten stets hilfreich zur Seite stand. Meine Frau, Mag. Heidi Schausberger, hat die Arbeit vor allem im Hinblick auf stilistische Verbesserungen durchgesehen. Ihr und meinen Kindern Martina, Max und Alexander danke ich ganz besonders, daß sie in den letzten Jahren so geduldig viele Stunden auf mich verzichtet haben. Möge diese Arbeit zum Bewußtsein beitragen, daß der Bestand unserer parlamentarischen Demokratie nicht selbstverständlich ist, sondern immer wieder von überzeugten Demokraten verteidigt werden muß. Salzburg, im Juli 1995 Franz Schausberger

Inhalt

Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Untersuchungsbereich, Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Problemformulierung und Untersuchungsgegenstand. . . . . . . . 1.2 Das Konzept der Politischen Kultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Das Konzept der »Streitbaren Demokratie« . . . . . . . . . . . . . 1.4 Konsensdemokratie und Zentrifugale Demokratie. . . . . . . . . . 1.5 Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Zu klärende Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Überlegungen zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Das politische Umfeld . . . . 2.1 Die Vorboten der Krise. . . . . . 2.2 Die ökonomische Entwicklung.. 2.3 Die politische Entwicklung.. . . 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . .

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III. Die Wahlen des Jahres 1932. Die Wahlergebnisse. Analyse und Auswirkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Bedeutung der Wahlen des Jahres 1932 in Österreich und Deutschland . 3.1.1 Durchbruch der NSDAP zur Massenbewegung. Entscheidende innenpolitische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Ende der Konsensdemokratie im Deutschen Reich – Der Weg für Hitler wird frei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Analyse und Konsequenzen der Wahlergebnisse. . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Landtagswahl in Wien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Landtagswahl in Niederösterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Landtagswahl in Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Landtagswahl in Vorarlberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark.. . . . . . . . . 3.7 Weitere lokale Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  93   93   93 100 121 125 144 156 164 169 180

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Inhalt

3.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Der Kohorteneffekt der Frontgeneration. Die Landtagsmandatare und -Kandidaten. Soziogramme der politischen Eliten und Aktivisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Begriffsbestimmungen und Typologisierung . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Wien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Niederösterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Salzburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Vorarlberg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 197 201 206 210 215 218

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V. Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen . . . . . . . . . 5.1 Völlig neue Verhältnisse in den Landtagen und Landesregierungen . . . . . 5.2 Die Teilnahme an den Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Statistische Erhebungen zu den nationalsozialistischen Landtagsinitiativen . 5.4 Auslieferungsbegehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Inhaltliche Analyse der NSDAP-Initiativen und der Landtagsdebatten.. . . 5.5.1 Sachpolitische Initiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 »Demonstrationsinitiativen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Das Verhalten der NSDAP bei den Budgetdebatten . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Ausgewählte Konfliktbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.1 Forderung nach Neuwahlen und Rücktritt der Bundesregierung. . . . 5.7.2 Die »Selbstauflösung« des Parlaments und die autoritären Maßnahmen der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Nationalsozialistische Stellungnahmen zu Demokratie und Parlamentarismus in den Landtagen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Der nationalsozialistische Antisemitismus in den Landtagen . . . . . . . . .

221 221 246 251 258 261 263 277 287 298 298 304 343 355

VI. Das Ende der Nationalsozialisten in den österreichischen Landtagen – eine Massnahme der »streitbaren Demokratie«? . . . .

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VII. Gesamtzusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . .

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VIII. Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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i. Untersuchungsbereich, Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden 1.1 Problemformulierung und Untersuchungsgegenstand Die Regionalwahlen des Jahres 1932 brachten beachtliche Gewinne der National­ sozialisten, die auf Grund dieser Ergebnisse in die Landesparlamente von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg einzogen und in Wien, Niederösterreich und Salzburg auch Mitglieder in die Landesregierung entsandten. Nachdem die NSDAP zwei Jahre vorher, bei den letzten freien Nationalratswahlen der Ersten Republik, im Jahr 1930 nur auf ein völlig unbedeutendes Ergebnis kam und nie im österreichischen Nationalrat vertreten war, bleibt nur die kurze Zeit vom Frühjahr 1932 (in Vorarlberg erst ab November) bis Mitte 1933, um das Agieren der Nationalsozialisten in österreichischen gesetzgebenden Körperschaften studieren zu können. Der Bundesrat, der auch nach der »Selbstausschaltung« des Nationalrates bis April 1934 als parlamentarisches Gremium weiterfunktionierte und in dem bis zum Verbot der NSDAP-Mandate seit der Landtagswahl 1932 auch Nationalsozialisten saßen, bleibt hier ausgeklammert.1 Auch das Agieren der beiden im Kärntner Landtag seit 1930 vertretenen NSAbgeordneten bleibt aus Gründen der Vergleichbarkeit in dieser Untersuchung unberücksichtigt. Ganz anders war die Situation in Deutschland, wo die Nationalsozialisten bereits 1924 in den Reichstag einzogen, sehr bald in fast allen Landtagen vertreten waren und so über mehrere Jahre ihren Kampf gegen die Demokratie nicht nur von außen, sondern auch innerhalb der Parlamente führen konnten.2 1 Vgl. Irmgard Kathrein, Der Bundesrat in der Ersten Republik. Studie über die Entstehung und die Tätigkeit des Bundesrates der Republik Österreich. Wien 1983. 2 Zu den Wahlen in der Weimarer Republik und deren Analysen vgl. (Auswahl) Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 66, Bonn 1968  ; Bernhard Vogel/Dieter Nohlen/Rainer O. Schultze, Wahlen in Deutschland. Theorie – Geschichte – Dokumente. 1848–1970, Berlin, New York 1971  ; Eberhard Schanbacher, Parlamentarische Wahlen und Wahlsystem in der Weimarer Republik. Wahlgesetzgebung und Wahlreform im Reich und in den Ländern, Düsseldorf 1982  ; sowie die aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Methoden der Wahlforschung aufgebaute Arbeit von Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler. München 1991, in der die vorgenannten Arbeiten z. T. sehr wesentlich korrigiert werden.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

Die Entwicklung der österreichischen Nationalsozialisten wurde schon unter vielen Aspekten untersucht3, jedoch kaum jene kurze Phase, in denen sie auch in Landtagen und Landesregierungen vertreten waren. Mit der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, diesen bisher wenig erforschten Bereich einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Wichtigster Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind also die Landesparlamente von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg, insbesondere die Nationalsozialisten als gewählte Mandatare in diesen Landtagen, ihr »parlamentarisches« Verhalten und die Reaktion der anderen Parteien auf diese neue Gruppe.4 Die historische Untersuchung des Länderparlamentarismus in der Ersten Republik beschränkt sich bisher auf einige wenige Bereiche, meist ziemlich isoliert auf ein Bundesland bezogen.5 Die vorliegende Arbeit muß, da sie mehrere Bundesländer umfaßt, zwangsläufig über eine isolierte Betrachtung eines Bundeslandes hinausgehen und muß die Auswirkungen auf die Bundespolitik einbeziehen. Sehr wesentlich wird 3 Vgl. etwa (Auswahl) Gerhard Botz, Die österreichischen NSDAP-Mitglieder. In  : Reinhard Mann (Hg.), Die Nationalsozialisten. Stuttgart 1980  ; Gerhard Jagschitz, Der Putsch. Die Nationalsozialisten 1934 in Österreich. Graz, Wien 1976  ; Adam Wandruszka, Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen. In  : Heinrich Benedikt (Hg.), Geschichte der Republik Österreich. München 1977 (1954)  ; Adam Wandruszka, Das »nationale Lager«. In  : Erika Weinzierl/Kurt Skalnik, Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik, Bd. 1, Graz, Wien, Köln 1983, sowie die über den regionalen Bereich hinausgreifende, grundlegende Arbeit von Ernst Hanisch, Nationalsozialistische Herrschaft in der Provinz. Salzburg im Dritten Reich. Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg Dokumentationen Nr. 71. Salzburg 1983. Eine auf Oberösterreich beschränkte Arbeit gibt es von Harry Slapnicka, Oberösterreich als es »Oberdonau« hieß. 1938–1945. Linz 1978. Einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Nationalsozialismus in Österreich bietet Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. Wien 1988. Vgl. auch F. L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. München 1977. 4 »Parlamentarisches« Verhalten der Nationalsozialisten wurde unter Anführungszeichen gesetzt, weil gerade der Begriff »parlamentarisch« von der NSDAP – wie noch gezeigt wird – abgelehnt und zum Teil als Schimpfwort verwendet wurde. Der Parlamentarismus war »als hervorstechendste Institution der liberalen Demokratie die bestgehaßte Einzelerscheinung«. – Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1992. S. 147. 5 Beispielhaft seien angeführt  : Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Wien und ihrer Volksvertretung. Wiener Schriften, Heft 15. Hans Maukner, Der Niederösterreichische Landtag in der Ersten Republik. Verfassungsentwicklung, personelle Zusammensetzung, soziale Strukturen. Phil. Diss. Wien 1966. Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. 1. Der Landtag in der Ersten Republik. Wien 1972. Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Masse. Wien 1978. Herbert Dachs (Hg.), Das politische, soziale und wirtschaftliche System im Bundesland Salzburg. Festschrift zum Jubiläum »40 Jahre Salzburger Landtag in der Zweiten Republik«. Salzburg Dokumentationen Nr. 87. Salzburg 1985. B. Bilgeri/F. Vögel, Landstände und Landtag in Vorarlberg. Bregenz 1961. Richard Schober, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck 1984. S. 357–472.

Problemformulierung und Untersuchungsgegenstand

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es auch sein, Vergleiche zwischen den einzelnen Bundesländern herzustellen, handelt es sich doch bei den vier in Frage kommenden Bundesländern um z. T. politisch sehr unterschiedlich strukturierte. In Wien und Vorarlberg war nach der Landesverfassung keine proportionale Zusammensetzung der Landesregierung vorgesehen, beide Länder verfügten über sehr stabile absolute Mehrheiten einer Partei (in Wien der Sozialdemokraten, in Vorarlberg der Christlichsozialen), während in Niederösterreich und Salzburg verfassungsmäßig die Proportionalregierungen festgelegt waren und in beiden Ländern jedenfalls ab 1932 keine Partei über eine absolute Mehrheit verfügte. In Anlehnung an das Zentrum-Peripherie-Modell des norwegischen Sozialwissenschaftlers Stein Rokkan6 und die damit verbundene Teilung in Metropole und Provinz sind auch mögliche unterschiedliche politische Entwicklungen in den vier Bundesländern zu untersuchen, sind doch zwei davon entweder selbst Zentrum (Wien) oder typisch zentrum-orientiert (Niederösterreich), während die anderen beiden Bundesländer (Salzburg, Vorarlberg) typisch der Provinz zuzuordnen sind. Wie weit sich dieser Zentrum-Peripherie-Gegensatz auch in unterschiedlichen Reaktionen auf die Nationalsozialisten in den einzelnen Bundesländern niederschlägt, wird zu untersuchen sein.7 Der engere Untersuchungszeitraum beschränkt sich auf die Zeit vom April 1932 (Landtagswahlen in Wien, Niederösterreich und Salzburg) bis zum Juni 1933 (Verbot der NSDAP und damit Ende der Mandatsausübung). Zum Verständnis der Ereignisse in diesem relativ kurzen Zeitraum ist es jedoch notwendig, zumindest die politischen Ereignisse ab den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1930 intensiv einzubeziehen. Dies ist notwendig zur Klärung der Frage, warum innerhalb weniger Jahre die antidemokratischen Kräfte in Österreich einen so dramatischen Zulauf bekamen. Der genannte Zeitraum fällt – nach einem Periodisierungsvorschlag Ulrich Kluges8 – in die Phase der präsidialstaatlichen »Demokratie« (die jedoch nicht mit jener in Deutschland gleichgesetzt und daher auch nicht unkritisch auf Österreich übertragen werden kann), in die er die Erste Republik gliedert  : 1. 1918–1920  : Revolutionäre Übergangsphase  ; 2. 1920–1929  : Demokratische Verfassungsperiode  ; 3. 1929–1933  : Phase der präsidialstaatlichen »Demokratie«  ; 6 Vgl. Stein Rokkan, Territories, Centres and Peripheries. Toward a geoethnic-geopolitical Model of Differentiation within Western Europe. In  : Centre and Periphery. Spatial Variation in Politics. Ed. by Jean Gottmann. London 1980. S. 192. 7 Vgl. Ernst Hanisch, Provinz und Metropole. Gesellschaftsgeschichtliche Perspektiven der Beziehungen des Bundeslandes Salzburg zu Wien (1918–1934). In  : Beiträge zur Föderalismusdiskussion. Salzburg Dokumentationen Nr. 59. Salzburg 1981. S. 67–105. 8 Vgl. Ulrich Kluge, Der österreichische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern. Wien 1984. S. 15.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

4. 1933/34  : Inkubationsphase des »Ständestaates«. Emmerich Tálos und Walter Manoschek wiederum fassen einen Teil der Phase 3 und die Phase 4 zusammen und teilen sie – unter dem Aspekt der Konstituierung der ständischen Verfassung – in zwei Phasen  : 1. 1932 – März 1933  : Latenzphase  ; 2. März 1933 – Mai 1934  ; Übergangsphase (bis zur Proklamierung der neuen Ver­ fassung).9 Den Grund dafür, den Beginn des Konstituierungsprozesses mit 1932 anzusetzen, sehen Tálos/Manoschek darin, daß mit dem Zusammenfall der ökonomischen Krise und des politischen Desasters (Regionalwahlen) die Weichenstellung für den Weg in den autoritären Ständestaat erfolgte. Gerhard Botz gliedert den »Ständestaat« in vier Teilperioden, deren erste die »Phase der spätparlamentarischen Regierung« von Mai 1932 bis März 1933 ist und sich somit im wesentlichen mit unserem Untersuchungszeitraum deckt. Die Untersuchung geht aber auch noch in die zweite Periode, die »Phase der autoritären Halbdiktatur und der zunehmenden Faschisierung« (bis Jänner 1934), hinein.10 Die Problemformulierung ergibt sich schon allein aus der Tatsache, daß die Nationalsozialisten einerseits offen und aggressiv gegen das System der parlamentarischen Demokratie auftraten, seine Beseitigung zu einem ihrer wesentlichen Ziele formulierten und andererseits auf dem Weg einer demokratischen Wahl als Mandatare in die Landesparlamente einzogen. Wie wurden nun die anderen, demokratischen Parteien mit dieser neuen Situation fertig, wie reagierten sie auf die auf legalem Weg entstandene existentielle Bedrohung der Demokratie  ? Damit stellt sich die grundsätzliche Frage, wie sich demokratische Parteien gegen politische Gruppen, deren Ziel die Beseitigung der Demokratie ist, wehren können, dürfen und sollen. Dieses Problem soll konkret am Beispiel der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten in ihrer Reaktion auf die Nationalsozialisten auf der Aktionsebene der Landesparlamente in Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg untersucht werden. »Was hält eine Gesellschaft zusammen, was läßt sie zerfallen  ? Worauf gründet sich die Stabilität ihrer Ordnung, was verursacht ihre Instabilität  ? Was schließlich führt zu   9 Vgl. Emmerich Tálos/Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus. In  : E. Tálos/W. Neugebauer (Hg.), »Austrofaschismus«. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934– 1938. Wien 1985. S. 31. 10 Vgl. Gerhard Botz, Faschismus und »Ständestaat« vor und nach dem »12. Februar 1934«. In  : Erich Fröschl, Helge Zoitl (Hg.), Februar 1934. Ursachen, Fakten, Folgen. Wien 1984. S. 320.

Problemformulierung und Untersuchungsgegenstand

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ihrem Wandel oder zu ihrem Zusammenbruch  ?« Diese Fragen führen Peter Reichel schließlich zum Begriff der »Politischen Kultur«.11 Das sind aber genau die Fragen, die auch uns bewegen. Die Politische Kultur Österreichs anfang der dreißiger Jahre ist zu untersuchen auf dem Praxisfeld von Landesparlamenten, im bezug auf ihre Trägergruppen »politische Eliten« und deren politische Handlungsformen und politische Bewußtseinsstrukturen. Grundsätzlich kann für jedes politische System eine eigene, mit der politischen Struktur kongruente Form der Politischen Kultur angenommen werden. Je nachdem, ob diese dem politischen System adäquate Politische Kultur vorhanden oder nicht vorhanden ist, entscheidet sich maßgeblich, ob in diesem System politische Stabilität herrscht oder ob es zu einem politischen Wandel kommt.12 Gerade in der Ersten Republik hat sich gezeigt, daß die mangelnde bzw. z. T. gar nicht vorhandene Kongruenz von demokratischem politischem System und Politischer Kultur schließlich zum Untergang der Demokratie führen mußte. Entscheidend dabei war, daß diese Kongruenz vor allem an der Basis der Parteien immer mehr verlorenging. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Abwehr antidemokratischer Angriffe auf ein freiheitlich-demokratisches System ist eine starke demokratische Politische Kultur, die sehr stark vom Verhalten der demokratischen Parteien und ihrer Eliten zueinander abhängt. Dieses wiederum manifestiert sich wesentlich im parlamentarischen Verhalten. Demokratische Politische Kultur bedeutet also in unserem Zusammenhang u. a., daß das System der (parlamentarischen) Demokratie von der Bevölkerung und den politischen Eliten akzeptiert wird und deren Verhaltensmuster (Mentalität) den demokratischen Prinzipien entsprechen. Die Mindestvoraussetzungen für eine demokratische Politische Kultur sind etwa nach Erich Weede – Rechtsstaat und Wohlstand.13 In der vorliegenden Arbeit wird versucht, folgende theoretische Ansätze zu kombinieren  : Politische Kultur (theoretisch-normativ, empirisch-deskriptiv)  ; Konzept der »Streitbaren Demokratie«  ; Demokratiemodelle (Konsens – Konflikt)  ; Elitentheorie (Generationenmodell).

11 Peter Reichel, Politische Kultur in Deutschland. In  : Iring Fetscher/Herfried Münkler (Hg.), Politikwissenschaft. Begriffe – Analysen – Theorien. Ein Grundkurs. Reinbek bei Hamburg 1985. S. 111. 12 Vgl. Wolfgang C. Müller, Das Konzept der Politischen Kultur. In  : Zeitgeschichte. 1984/1. S. 28. Vgl. ebenso Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der Politischen Kulturforschung. Historische Zeitschrift 250. 1990. S. 321–346. 13 Vgl. Erich Weede, Ideen, Ideologie und politische Kultur des Westens. In  : Zeitschrift für Politik (ZfP). Organ der Hochschule für Politik München. Köln, Berlin 1989. S. 43.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

Demokratische politische Kultur

Streitbare Demokratie

Konsensdemokratie

Es wird davon ausgegangen, daß sich diese drei Ansätze gegenseitig bedingen. Eine starke demokratische Politische Kultur14 gedeiht nur auf der Basis eines Konsenses der politischen Eliten, die sich zur Demokratie bekennen. Bei Bedrohung durch antidemokratische Kräfte bedarf das demokratische System der »Streitbaren Demokratie«, die wiederum nur dann erfolgreich angewandt werden kann, wenn eine starke demokratische Politische Kultur und ein demokratischer Konsens der demokratischen politischen Eliten herrschen.

1.2 Das Konzept der Politischen Kultur Unter politischer Kultur versteht man allgemein »das Verteilungsmuster aller Orientierungen einer Bevölkerung gegenüber ihrem politischen System«, womit also jedes politische System von einer Politischen Kultur umgeben ist, gleich um welches Regime es sich handelt und gleich, ob und bis zu welchem Ausmaß ein politisches System von der Politischen Kultur getragen wird.15 Mit einem solch unpräzisen Begriff 14 »Demokratische politische Kultur« läßt sich genauso schwer in einer einzigen handfesten Definitionsformel verdichten, wie der Begriff »Demokratie« selbst. Jedenfalls aber ist für eine »demokratische Politische Kultur« das Bekenntnis von Regierenden und Regierten zur Staats- und Volkssouveränität, zur Monopolisierung der legitimen physischen Gewaltmittel durch den Staat, zu unveräußerlichen Grund- und Menschenrechten, zur Gewaltenteilung, zum parlamentarischen Mehrheitsprinzip, zum allgemeinen, gleichen Wahlrecht, zur parlamentarischen Repräsentation, zum Parteienpluralismus etc. die mindeste Voraussetzung. Vgl. etwa Bernd Guggenberger, Demokratietheorie. In  : Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze, Politikwissenschaft. Theorien – Methoden – Begriffe. 1. München, Zürich 1989. S. 132. Vgl. auch Manfred Hättich, Begriff und Formen der Demokratie. München 1991. Ebenso Giovanni Sartori, Demokratietheorie. Darmstadt 1992. 15 Erstmals wurde der Begriff der Politischen Kultur 1956 von Gabriel Almond geprägt. Vgl. Gabriel A. Almond, Comparative Political Systems. In  : Journal of Politics. Bd. XVIII. 1956. S. 391–409. Gabriel A. Almond, Sidney Verba, The Civic Culture. Princeton 1963. Gabriel A. Almond, Sidney Verba (Hg.), The Civic Culture Revisited, Boston 1980. Vgl. etwa auch Dirk Berg-Schlosser, Politische Kultur. Eine neue Dimension politikwissenschaftlicher Analyse. München 1972. Martin Greiffenhagen, Politische Kultur. In  : Axel Görlitz, Rainer Prätorius (Hg.), Handbuch Politikwissenschaft. Grundlagen – Forschungsstand – Perspektiven. Reinbek bei Hamburg 1987. S. 409 ff. Vgl. etwa auch Peter Reichel, Politische Kultur der Bundesrepublik. Opladen 1981. Peter Gerlich, Politische Kultur der Subsysteme. In  : Herbert Dachs et al. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Wien 1991. S. 457–465.

Das Konzept der Politischen Kultur

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läßt sich aber kaum arbeiten, käme dies doch bloß dem Versuch gleich, einen Pudding an die Wand zu nageln (Max Kaase).16 Kurt Sontheimer wird etwas konkreter und nennt zwei Bereiche der politischen Kultur  :17 – Akzeptanz einer politischen Ordnung sowohl bei den Regierenden als auch insbesondere bei den Regierten. – Politische Verhaltensweisen und Umgangsformen im Rahmen der politischen Institutionen, und zwar sowohl zwischen den verschiedenen in der Politik aktiven Gruppen als auch innerhalb dieser Gruppen selbst. Es läßt sich schon jetzt erkennen, daß sich unsere Untersuchungen der Politischen Kultur anfang der dreißiger Jahre in Österreich auf beide Bereiche beziehen  : – Wie weit fand die demokratische politische Ordnung insbesondere bei den Mitgliedern der Landtage und Landesregierungen (uneingeschränkte) Akzeptanz  ; – Wie gestalteten sich die Verhaltensweisen und Umgangsformen von Christlichsozialen, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten in den Landesparlamenten. Ernst Hanisch sieht in der Politischen Kultur das politisch relevante Weltbild der ganzen Bevölkerung (nationale Kultur), von Großgruppen (Lagerkultur) und von Funktionseliten (Elitenkultur) und weist als Historiker darauf hin, daß die jeweilige Politische Kultur einer Gesellschaft nicht ad hoc entsteht, sondern immer auf der Basis kollektiver Erfahrungen aus Jahrhunderten, weshalb das Modell der Politischen Kultur immer einen weitausholenden Ansatz erfordert.18 Bruce F. Pauley spricht davon, daß eine Politische Kultur – etwa die nationalsozialistische oder faschistische – nicht in einem Vakuum entsteht, und meint  : »Hätte die neue Republik Österreich, die 1918 gegründet worden war, eine lange demokratische Tradition gehabt, eine prosperierende Wirtschaft und – vielleicht vor allem – Bürger mit dem brennenden Wunsch nach Unabhängigkeit, hätten die Nationalsozialisten oder irgendwelche anderen faschistischen Gruppen kaum mehr als eine Handvoll Anhänger angelockt.«19 16 Vgl. Max Kaase, Sinn oder Unsinn des Konzepts Politische Kultur für die vergleichende Politikforschung, oder auch  : Der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. In  : M. Kaase, H. D. Klingemann (Hg.), Wahlen und politisches System  : Analysen aus Anlaß der Bundestagswahlen 1980. Opladen 1983, S. 144–172. 17 Vgl. Kurt Sontheimer, Deutschlands Politische Kultur. München, Zürich 1990. S. 104. 18 Vgl. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Wien 1994. S. 23. Ebenso Ernst Hanisch, Historische Übergänge in der österreichischen politischen Struktur. In  : ÖZP 1/1984. S. 15–19. 19 Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 18.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

Nach Peter Reichel kann folgendes Gliederungsschema als Orientierungshilfe für die Dimensionen politischer Kultur dienen  :20 Tabelle 1 a) • • • •

Politische Bewußtseinsstrukturen   Angst, Entfremdung, Vorurteil, Frustration Moral, Religiosität, (Non-)Konformität, Loyalität Geschichtsbewußtsein, Tradition, Selbst-, Fremdbild politische Einstellungssyndrome  : Autoritarismus, demokratisches Bewußtsein, Antisemitismus, Nationalismus, Extremismus, Antikapitalismus etc. • politische Ideologien (Wertsysteme, Weltanschauungen)  : Konservatismus, Sozialismus, Liberalismus • aktuelle politische Einstellungen b) • • • • •

politische Handlungsformen Apathie, Passivität politisches Lernen, politische Sozialisation konventionelles politisches Handeln (z. B. Wahlverhalten) unkonventionelles politisches Handeln (z. B. Protestaktionen) militanter Widerstand, physische Gewalttätigkeit, Terrorismus

c) Trägergruppen • Masse, Eliten • sozialstrukturell definierte Großgruppen (Arbeiter, Frauen, Mittelstand) • Generationsgruppen d) Praxisfelder • Alltag, Lebenswelt • Familie, Kirche, Schule, Betrieb, Militär etc. • Parteien, Bürgerinitiativen, Randgruppen • Öffentliche Meinung, politische Kommunikation • Politische Symbole • Regierung, Parlament, Bürokratie, Justiz.

Danach lassen sich nun unschwer jene Bereiche der politischen Kultur, die für diese Arbeit relevant sind, einordnen  : Tabelle 2 Politische Kultur bezogen auf die vorliegende Arbeit 1. Politische Bewußtseinsstruktur Werthafte und gefühlsmäßige Einstellung der Parteien und Politiker Österreichs zu Demokratie und Parlamentarismus. 2. Politische Handlungsformen

Konkrete Reaktionen der traditionellen Parteien auf die aggressive Bedrohung der Demokratie durch den Nationalsozialismus (»Streitbare Demokratie« oder Passivität, Assimilation, Kollaboration)

3. Trägergruppen

Politische Eliten  : Landtagsabgeordnete, und -kandidaten, Mitglieder von Landesregierungen. »Kohorten-Effekt«, »Frontgeneration«.

4. Praxisfelder

Landesparlamente.

20 Peter Reichel, Politische Kultur in Deutschland. S. 123.

Das Konzept der Politischen Kultur

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Für die Politische Kultur der Ersten Republik Österreichs gilt im großen und ganzen das, was die historischen Forschungen über die Weimarer Republik ergaben  : Der Untergang der Monarchie hatte – auch nach einer revolutionären Übergangsphase – zu keiner wirklich qualitativen Erneuerung im geistigen und politischen Sinne geführt. Als wichtiges Element der österreichischen Politischen Kultur blieb »das Vertrauen auf die Obrigkeit, eine tiefverwurzelte, quasireligiöse Staatsfrömmigkeit, aber auch ein etwas starrer Legalismus, abgesichert durch das Juristenmonopol. Dominante Vaterfiguren stärkten dieses Über-Ich. Diese Vaterfiguren – gütig, aber streng – reichten von Joseph II., über Franz Joseph, Seipel, Hitler, Raab bis Kreisky.«21 Eine wirklich demokratische Politische Kultur konnte sich vor allem in der Ersten Republik nicht ausbilden, die parlamentarische Demokratie war der Bevölkerung einfach nicht bekannt, sie lag auch nicht im Erfahrungshorizont der Politiker. Die Bürokratie wiederum hegte tiefes Mißtrauen gegenüber den Parteien und den Politikern, hatte Parlamentarismus und Demokratie bald satt und sah sich nach neuen, autoritären Mustern um.22 Sieht man – wie Kurt Sontheimer – in einer starken Politischen Kultur eine »Stabilitätsreserve für das politische System«23, so bedeutet dies, daß auch bei einem schlechten Funktionieren der politischen und sozialen Institutionen in einer Demokratie, in krisenhaften Situationen etc. nicht nach Wegen zur Lösung der Krise gesucht wird, die außerhalb demokratischer Werte und Verfahren liegen, also mit undemokratischen Mitteln. Um wieder Sontheimer zu zitieren  : »Eine verläßliche demokratische Kultur schützt vor antidemokratischen Tendenzen und Reaktionen.« Dies läßt den Umkehrschluß zu, daß eben die Schwäche der demokratischen Politischen Kultur zur Schwäche des demokratischen Staates und schließlich zu dessen Untergang führte. Die demokratische Kultur der Ersten Republik war nicht verteidigungsfähig genug, um letztlich dem nationalsozialistischen Ansturm standhalten zu können. Die neue demokratische Ordnung war eigentlich nur zu Beginn der Republik bis 1920 (Ausscheiden der Sozialdemokraten aus der Koalition) von einem ausreichenden mehrheitlichen Konsens des Volkes und der politischen Kräfte getragen. Dann aber passte die parlamentarisch-demokratische Republik v. a. den bürgerlichen Parteien immer weniger ins Konzept. Für die Sozialdemokraten war die Republik der Ausdruck des bürgerlichen, des regierenden »Bürgerblocks« und »allenfalls ein schlechter Abklatsch ihrer lange gehegten Vorstellungen von einer neuen demokratischen und sozialistischen Gesellschaft«.24 Die Christlichsozialen und ihre Koalitionspartner wollten andererseits eine Zurückdrängung des Parlaments, obwohl sie dort über 21 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. S. 28. 22 Vgl. dazu etwa Ernst Hanisch, Beobachtungen zur Geschichte der österreichischen Bürokratie. In  : Zeitgeschichte. 14. Jahr. Oktober 1986. Heft 1. S. 1–18. 23 Kurt Sontheimer, Deutschlands politische Kultur, S. 19. 24 Kurt Sontheimer, Deutschlands politische Kultur, S. 107.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

eine Mehrheit verfügten. Vor allem Ignaz Seipel wurde der Vorreiter für eine Verfassungsänderung, die auf eine Entparlamentarisierung und damit letztlich auf eine Entdemokratisierung hinauslief. Zu Beginn der dreißiger Jahre war man nicht nur in Österreich, sondern in großen Teilen Europas am Ende des parlamentarisch-demokratischen Weges angelangt.25 Vor allem die verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise steigerten die Abneigung gegen die Republik und ihre demokratische Ordnung, also gegen »das System«. Schließlich kamen die Verteidiger der parlamentarischen Demokratie in den »demokratischen Parteien« gegenüber den aggressiven Gegnern vor allem von rechts (Nationalsozialisten, Heimwehren) in die Minderheit. Es gab keine mehrheitliche Politische Kultur zugunsten der demokratischen Ordnung Österreichs mehr.

1.3 Das Konzept der »Streitbaren Demokratie« Es wurde schon dargestellt, daß eine stabile demokratische Politische Kultur in der Lage ist, Angriffe auf die demokratische Staatsordnung abzuwehren. Sie wird von sich aus Wehrbereitschaft gegen antidemokratische Kräfte zeigen und wirksame Maßnahmen gegen sie ergreifen. Wenn aber die Politische Kultur, wie in der Ersten Republik, in sich widersprüchlich, zerrissen und schwach ist, kann sie auch nicht dem demokratischen Staatsgebilde den existenzerhaltenden Beistand leisten. Die kritisch-skeptische Einstellung von Teilen der Bevölkerung und der politischen Eliten und Institutionen zum politischen System der Republik Österreich begünstigten das Erstarken von Autoritarismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Es stellt sich also die Frage, wieweit die demokratischen Kräfte Österreichs nach dem Einzug der Nationalsozialisten auf legalem Wege in die Landtage und Landesregierungen ihre parlamentarischen Möglichkeiten ausschöpften, um die ohnehin nicht sehr stabile Demokratie mit allen Mitteln gegen den nationalsozialistischen Angriff auf das demokratische parlamentarische System Österreichs zu verteidigen. Wieweit hat die Tatsache, daß vonseiten des bürgerlichen Lagers die Bereitschaft zur Verteidigung der Demokratie überwiegend nur gegen die angeblich drohende »Diktatur des Proletariats« gerichtet war und nicht auch gegen die demokratiefeindlichen, faschistischen Heimwehren und daß autoritäre Tendenzen vom bürgerlichen Lager selbst verfolgt wurden, die Bemühungen im Kampf gegen den Nationalsozialismus beeinträchtigt  ? Oder, wie Karl Dietrich Bracher es ausdrückt, wieweit »im Spielen mit dem verführerischen Gedanken der Diktatur die tödliche Gefahr ihrer modernsten totalitären Form unterschätzt wurde, bis es zu spät war«.26 25 Vgl. etwa Rainer Nick, Anton Pelinka, Parlamentarismus in Österreich. Wien, München 1984. S. 38 ff. 26 Karl Dietrich Bracher, Die totalitäre Erfahrung. München 1987. S. 117. Vgl. auch Karl Dietrich Bracher,

Das Konzept der »Streitbaren Demokratie«

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Das Entstehen und Erstarken der totalitären nationalsozialistischen Ideologie und die verstärkten politischen Gewaltakte der Nazis brachten schwierigste Staatsschutzprobleme mit sich, die die Frage nach den Rechten und Pflichten zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und nach den Schranken der Freiheitsausübung für die Demokratiefeinde aufwerfen mußte. Eine Grundfrage der Demokratie, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat, nämlich »wie sich die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen könne, ohne die Grundrechte und Grundfreiheiten zu verletzen, auf die sich gerade auch die Antidemokraten so emphatisch berufen«.27 Als Antwort auf das Entstehen der totalitären Ideologien entstand in den USA gerade in der Zeit der Ersten Republik eine umfassende demokratietheoretische Diskussion über das Konzept der sogenannten »militant democracy« bzw. »Streitbaren Demokratie« (wie sie später in Deutschland genannt wurde). Begonnen wurde diese Diskussion vor allem von Karl Loewenstein.28 Aber auch in Österreich wurde angesichts des Erstarken des Nationalsozialismus verschiedentlich die Frage gestellt, wie sich der demokratische Staat gegen einen deklarierten Feind der Demokratie wehren kann. Als Beispiel sei Karl Renner angeführt, der im Jänner 1932 die Frage stellte  : »Und was tut inmitten dieser offen zur Schau getragenen Bedrohung der Republik diese zu ihrer Selbstverteidigung  ? Schafft sie die erforderlichen Gesetze zu ihrem Schutze  ? Hält ihre Verwaltung Bereitschaft, um Anschläge abzuwehren  ? Sind ihre Gerichte der Pflicht bewußt, jede Bedrohung zu ahnden  ?« Und er gibt selbst die Antwort  : »Wir haben in Österreich niemals ein Gesetz zum Schutze der Republik erlassen  ! … Niemand darf ungestraft seinen Nachbarn Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie. Villingen 1964. 27 Karl Dietrich Bracher, Die totalitäre Erfahrung. München 1987. S. 102. 28 Vgl. Karl Loewenstein, Militant Democracy and Fundamental Rights (I und II). In  : American Political Science Review (Juni und August 1937) 31, zitiert in  : Gregor Boventer, Das Konzept der streitbaren Demokratie im internationalen Vergleich. In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 16/85. S. 33 ff. Zur Aktualität des Konzeptes der »Streitbaren Demokratie« vgl. Hans-Gerd Jaschke, Streitbare Demokratie und Innere Sicherheit. Grundlagen, Praxis und Kritik. Opladen 1991. Zu vermerken ist, daß es in Österreich bislang kaum eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema der »Streitbaren Demokratie« gibt. Bereits 1918 aber hatte sich Max Weber mit dieser Frage auseinandergesetzt  : »Gegen Putsche, Sabotage und ähnlich politisch sterile Ausbrüche … würde jede, auch die demokratischste und sozialistischste Regierung, das Standrecht anwenden müssen, wenn sie nicht Konsequenzen wie jetzt in Rußland riskieren will. Darüber ist kein weiteres Wort zu verlieren. Aber  : die stolzen Traditionen politisch reifer und der Feigheit unzugänglicher Völker haben sich dann immer und überall darin bewährt  : daß sie ihre Nerven und ihren kühlen Kopf behielten, zwar die Gewalt durch Gewalt niederschlugen, dann jedoch rein sachlich die in dem Ausbruch sich äußernden Spannungen zu lösen suchten, vor allem aber sofort die Garantien der freiheitlichen Ordnung wiederherstellten und in der Art ihrer politischen Entschließungen sich überhaupt durch derartiges nicht beirren ließen.« Max Weber, Gesammelte Politische Schriften. Herausgegeben von Johannes Winckelmann. Tübingen 1988. S. 405.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

schmähen – aber die oberste Vertretung eines ganzen Volkes ist bei uns praktisch beinahe vogelfrei. Wer eines anderen Körper mit Verletzung bedroht, ist strafbar – wer aber Zehntausende mit Erschießen bedroht, verkündet bloß sein politisches Hochziel und bleibt unverfolgt. Wer das Eigentum seines Nachbarn boshaft schädigt, ist strafbar – wer aber die Wirtschaft eines ganzen Volkes durch unablässige Bedrohung mit dem Bürgerkrieg zugrunde richtet, Tausende Arbeiter arbeitslos und Tausende Bürger zu Bettlern macht, der macht bloß von seiner Redefreiheit Gebrauch  !«29 Eine ganze andere, überraschend »radikale«, gegen das Konzept der »Streitbaren Demokratie« gerichtete Position nahm im April 1932 Hans Kelsen ein. Er stellte auch die Frage, ob man es dabei bewenden lassen solle, die Demokratie nur theoretisch zu verteidigen, oder ob sich die Demokratie selbst verteidigen solle, auch gegen eine Mehrheit im Volk, die nichts anderes wolle, als die Demokratie zu zerstören. Er gibt darauf die klare Antwort  : »Diese Frage stellen, heißt schon, sie verneinen. Eine Demokratie, die sich gegen den Willen der Mehrheit zu behaupten, gar mit Gewalt sich zu behaupten versucht, hat aufgehört, Demokratie zu sein. Eine Volksherrschaft kann nicht gegen das Volk bestehen bleiben. Und soll es auch gar nicht versuchen, das heißt, wer für die Demokratie ist, darf sich nicht in den verhängnisvollen Widerspruch verstricken lassen und zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten. Man muß seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt  ; und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mitnehmen, daß das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und daß es, je tiefer es gesunken, um so leidenschaftlicher wieder aufleben wird.«30 Man sieht also, daß es auch in Österreich eine Diskussion mit sehr divergierenden Ansichten zum Thema »Streitbare Demokratie« gab. Dieses Konzept, das zu einer wesentlichen demokratietheoretischen Grundlage meiner Arbeit gemacht werden soll, geht von der Grundüberlegung aus, daß der demokratische Staat gegen seine erklärten politischen Feinde das Recht und die Pflicht zur Selbstverteidigung hat, da sonst »das Prinzip des demokratischen Staatswesens mit seinen geordneten Verfahren von freier politischer Meinungs- und Willensbildung, friedlicher Konfliktaustragung und offener Konkurrenz relativiert, wenn nicht gar aufgegeben« würde31. Oder, wie Heinrich Oberreuter es formuliert  : »Wer 29 Karl Renner, Bedrohung und Verteidigung der Republik in Österreich. In  : Die Justiz. VII. Bd. Heft 4 (Jänner 1932). Berlin 1932. S. 143–154. Zitiert in  : Siegfried Nasko (Hg.), Karl Renner in Dokumenten und Erinnerungen. Wien 1982. S. 117 f. Auch Karl Czernetz spricht – im Zusammenhang mit Otto Bauers »Diktatur des Proletariats« – von der »Wehrhaftigkeit« einer »militanten Demokratie«. Vgl. Karl Czernetz, Europäer und Sozialist. Reden und Aufsätze. Wien 1980. S. 38 f. 30 Hans Kelsen, Verteidigung der Demokratie. In  : Blätter der Staatspartei. 2. Jg. Heft 3/4. Berlin, April 1932. S. 90–98. Zitiert in  : Hans Kelsen, Demokratie und Sozialismus. Ausgewählte Aufsätze. Herausgegeben und eingeleitet von Norbert Leser. Wien 1967. S. 68. 31 Rupert Scholz, Demokratie und freiheitlicher Rechtsstaat. In  : Ulrich Sarcinelli (Hg.), Demokratische Streitkultur. Theoretische Grundpositionen und Handlungsalternativen in Politikfeldern. Studien zur Geschichte und Politik. Bonn 1990. Band 289. S. 310.

Das Konzept der »Streitbaren Demokratie«

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Grundrechte kämpferisch gegen die ›freiheitlich-demokratische Grundordnung‹ wendet, kann sie verwirken  ; Parteien, die dies tun, unterliegen dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit. Die ›streitbare Demokratie‹ eröffnet die Möglichkeit, die Entfaltungsfreiheit ihrer Feinde zu beschneiden. Ihnen können Rechte entzogen werden.«32 Dabei stellt sich natürlich immer die grundsätzliche Frage nach der Begrenzung demokratischer Freiheiten zum Schutz der demokratischen Ordnung. Darauf wird im Zusammenhang mit dem »demokratischen Dilemma« noch einzugehen sein. Vor dem Hintergrund von Faschismus und Nationalsozialismus setzte anfangs der dreißiger Jahre auch in Europa (in den USA schon Ende des Ersten Weltkrieges) ein Nachdenken über das liberale Credo der unbeschränkten Geltung der Grundfreiheiten für alle Bürger ein, die Forderung nach einer Freiheitsbegrenzung gegenüber antidemokratischen Kräften wurde immer deutlicher. Schon im Jahr 1920 begann der amerikanische Jurist Day Kimball mit seinen theoretischen Überlegungen zur Begrenzung der politischen Toleranz. Die unbegrenzte politische Toleranz führe zu Schwäche und Selbstzerstörung, letztlich müsse die Demokratie auch bereit sein, zu kämpfen.33 Nach diesem ersten Schritt in die Richtung der »militant democracy« intensivierte sich die Diskussion und im Jahr 1931, also ein Jahrzehnt später, rief Karl Loewenstein die demokratischen Staaten auf, sich gegen Staatsgegner zur Wehr zu setzen.34 1935 bringt Loewenstein das erste Mal den Begriff der »Militanz« einer Demokratie in die Diskussion, zur gleichen Zeit fordert der Brite Reginald Bassett die westlichen Demokratien zu einer »energischen Verteidigungspropaganda« auf und gesteht ihnen das Recht auf Abwehr gegen ihre Gegner zu.35 Schließlich formulierte Karl Loewenstein 1937 sein Konzept einer »militant democracy« in seinem grundlegenden Artikel »Militant Democracy and Fundamental Rights« und verlangt darin neuerlich, daß die westlichen Demokratien sich zur Militanz entschließen.36 Er zeigt dabei auch mögliche Wege auf, wie diese Selbstverteidigung der Demokratie funktionieren könnte, und beschränkt sie auf rechtliche und politische Maßnahmen. Auf rechtlicher Ebene verlangt er eine Gesetzgebung gegen die faschistische Technik der Machtergreifung, durch die versucht wird, die demokratische Ordnung mit ihren ei32 Heinrich Oberreuter, Bewährung und Herausforderung. Zur Verfassung der Republik. München 1989. S. 54. 33 Vgl. Day Kimball, The Espionage Act and the Limits of Legal Toleration. In  : Harvard Law Review 33. 1920. S. 442–449. 34 Vgl. Karl Loewenstein, Diskussionsbeitrag (zu einem Referat von Gerhard Leibholz). In  : Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 7. 1932. S. 193. 35 Vgl. Karl Loewenstein, Autocracy versus Democracy in Contemporary Europe (I und II). In  : American Political Science Review 29, 1935. S. 571–593 und 755–784. Reginald Bassett, The Essentials of Parlamentary Democracy. London 1964. S. 198 und 202. 36 Vgl. Karl Loewenstein, Militant Democracy and Fundamental Rights. In  : American Political Science Review 31. 1937. S. 417–432 und 638–658.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

genen Waffen zu schlagen. Er spricht von der Legalitätstaktik der totalitären Ideologie zur Eroberung der Macht, durch eine »systemkonforme Systemüberwindung« soll die Demokratie »aus den Angeln« gehoben werden.37 Bracher nennt im gleichen Zusammenhang die Machtergreifung der NSDAP in Deutschland eine »legale Revolution« bzw. »legale Verfassungszerstörung« und zitiert eine Rede Adolf Hitlers vor dem Reichsgericht in Leipzig am 25. September 1930  : »Wir treten in die gesetzlichen Körperschaften ein und werden auf diese Weise unsere Partei zum ausschlaggebenden Faktor machen. Wir werden dann allerdings, wenn wir die verfassungsmäßigen Rechte besitzen, den Staat in die Form gießen, die wir als die richtige ansehen.«38 Auf politischer Ebene setzt Loewenstein eine geschlossene Front der demokratisch gesinnten Bevölkerung gegen den faschistischen Feind voraus. In diesem Zusammenhang ist ganz entscheidend, daß Loewenstein keinen Zweifel daran läßt, daß die demokratische Selbstverteidigung eines Landes in engem Zusammenhang mit seiner politischen und juristischen Tradition sowie mit seiner wirtschaftlichen und internationalen Lage steht, durch legislative Maßnahmen allein nicht zu verwirklichen ist, sondern Bevölkerung und Regierung den gemeinsamen Willen erkennen lassen müssen, die demokratische Ordnung erhalten zu wollen.39 Dies entspricht praktisch der Forderung nach einer funktionierenden demokratischen Politischen Kultur, womit die enge Verbindung zwischen beiden Konzepten hergestellt ist. Die Leitgedanken dieser – gerade in unserem Untersuchungszeitraum diskutierten – »militant democracy« lassen sich im wesentlichen folgendermaßen formulieren  :40 1. Die demokratische Ordnung hat das Recht bzw. die Pflicht zur Selbstverteidigung. Damit wird demokratietheoretisch der Absolutsetzung der politischen Toleranz eine deutliche Absage erteilt. 2. Das Schutzkonzept der »militant democracy« richtet sich in erster Linie nicht erst gegen gewalttätige Angriffe auf die demokratische Grundordnung, sondern schon gegen antidemokratische Bestrebungen, die unter dem Deckmantel der Legalität den Umsturz der demokratischen Ordnung betreiben und eine Ordnung errichten wollen, die Grundfreiheiten ausschaltet. 37 Karl Loewenstein, Militant Democracy, S. 424, und Josef Isensee, Wehrhafte Demokratie. In  : Das Parlament, 17. 1. 1976. S. 1. 38 Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Köln, Berlin 1969. S. 211. 39 Vgl. die umfassende Darstellung des Konzeptes von Karl Loewenstein in Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit im demokratischen Staat. Das Konzept der streitbaren Demokratie in einem internationalen Vergleich. Beiträge zur Politischen Wissenschaft. Band 47. Berlin 1985. S. 61 f. 40 Vgl. Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit. S. 74 f. Vgl. Gregor Paul Boventer, Konzept der streitbaren Demokratie. S. 35, vgl. auch Hella Mandt, Demokratie und Toleranz  : Zum Verfassungsgrundsatz der streitbaren Demokratie. In  : Peter Haungs (Hg.), Res Publica. München 1977. S. 256 f.

Das Konzept der »Streitbaren Demokratie«

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3. Das Konzept der »militant democracy« schützt das demokratische System, indem die Ausübung der Grundfreiheiten begrenzt wird. Die Grenzziehung geht weiter als die bloße Beachtung der Legalität  : Die Grundprinzipien des demokratischen Staatswesens dürfen nicht zur Disposition gestellt werden. (Als Maßnahmen werden das Parteiverbot und die Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit diskutiert). 4. Das Konzept der »militant democracy« stellt einen Lösungsversuch des »demokratischen Dilemmas«41 dar, indem der Demokratie das Recht (und z. T. die Pflicht) zugestanden wird, ihre eigenen Grundsätze der Freiheit und Gleichheit einzuschränken, um ihre Ordnung zu schützen. Im Zusammenhang mit der demokratietheoretischen Diskussion dieses Konzeptes wurden auch verschiedene konkrete Vorschläge zur Behandlung antidemokratischer Vereinigungen gemacht, wobei die konkrete Ausgestaltung der politischen Praxis in den einzelnen Ländern, ihren politischen Traditionen, ihrem wirtschaftlichen und sozialen Gefüge überlassen werden sollte. Alte und gefestigte Demokratien tun sich sicher in all diesen Fragen leichter als Staaten mit einer nicht ausgeprägten demokratischen Erfahrung. Zu den konkreten Vorschlägen aus dieser Diskussion zählten aber jedenfalls  : • Ausschluß radikaler, subversiver und antidemokratischer Parteien aus den Parlamenten als Vorbeugung gegen die legale Machtergreifung  ; • Legislative Maßnahmen, um die interne Organisation aller Parteien nach demokratischen Organisationsmustern zu regeln, um alle Parteien zu verpflichten, ihre Finanzen offenzulegen und schließlich um allen Parteien generell den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Parteiziele zu untersagen  ; • Verbot von Parteien, die eine direkte Gefahr für die demokratische Ordnung und den Staat darstellen bzw. für solche Parteien, die von einer ausländischen Macht gesteuert werden und die im Falle einer Machtübernahme keine Opposition neben sich dulden würden.42 Diese Kriterien treffen auf jeden Fall auf die NSDAP, z. T. auch auf die Heimwehren, zu. Es wird daher auch zu untersuchen sein, welche rechtlichen und parlamentarischen 41 Beim »Demokratischen Dilemma« geht es um die grundsätzliche Problematik der Begrenzung politischer Freiheiten zum Selbstschutz der demokratischen Ordnung. Die eine Position befürwortet Grundrechtsbegrenzungen (mit unterschiedlichen Modifizierungen), die andere lehnt Grenzziehungen zur demokratischen Selbstverteidigung weitgehend ab. Vgl. etwa Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit. S. 44 ff. 42 Vgl. Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit. S. 71 f. Gregor Paul Boventer, Konzept der streitbaren Demokratie. S. 35.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

Möglichkeiten die demokratischen Parteien zur Verteidigung der demokratischen Ordnung hatten und ob sie diese auch wirklich im Sinne der streitbaren Demokratie einsetzten. In dieser Arbeit soll vor allem auf die Abwehr der nationalsozialistischen Gefährdung der Demokratie eingegangen werden. Die Frage nach den Versäumnissen der demokratischen Parteien in der Abwehr der antidemokratischen Bestrebungen der Heimwehren ist nicht zentrales Thema dieser Arbeit. Der Weimarer Republik wirft Karl Loewenstein jedenfalls vor, daß sie »bestehende Abwehrmöglichkeiten gegen extremistische Kräfte nicht ausschöpfte oder nur halbherzig anwandte«.43 Unbestreitbar hätte es mehrere solcher Möglichkeiten zur Verteidigung der Demokratie auch in den Landesparlamenten gegeben  : • Totale Isolation der Nationalsozialisten und Ablehnung jeglicher Kooperation in der parlamentarischen Praxis durch die demokratischen Parteien  ; • Unbedingtes Festhalten an den Bestimmungen der Landesverfassungen, der Geschäftsordnungen der Landtage und Bestehen auf der Einhaltung aller geltenden formalen parlamentarischen Spielregeln  ; • Versammlungs- und Aufmarschverbote, Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit, des schrankenlosen Rechts auf Propaganda, die nur dem Ziel der Zerstörung der Demokratie dient, Uniformverbote, Verbot von »Parteiarmeen« etc. • Ausschluß der Nationalsozialisten aus den Landtagen und schließlich generelles Verbot der NSDAP (so wie auch der Kommunisten). Anhand des Verhaltens der NSDAP-Mandatare in den Landtagen und ihrer Äußerungen in den Landtagsdebatten ist ihre totalitäre, die freiheitliche parlamentarische Demokratie verneinende und bekämpfende Position nachzuweisen, womit sie – wie Oberreuter meint – eo ipso zum Adressat der »Streitbaren Demokratie« werden.44 Sofern diese antidemokratische Haltung der NSDAP nicht nur in ihrer Propaganda außerhalb der (Landes-)Parlamente zum Ausdruck kam, sondern auch in diesen, wäre es jedenfalls Pflicht der demokratischen Parteien gewesen, im Sinne der »Streitbaren Demokratie« aktiv zu werden und Maßnahmen zu setzen. Ob dies von Anfang an und in ausreichendem Ausmaß geschehen ist, soll das Ergebnis dieser Arbeit zeigen. Dies zählt zur Frage der politischen Handlungsformen im Rahmen der Politischen Kultur Österreichs. In seiner theoretischen Ausformulierung zieht das Konzept der Streitbaren Demokratie eine Wertgrenze. Jeder vermeintlichen oder wirklichen Bedrohung der höchsten Werte einer demokratischen Staatsordnung im präventiven Vorfeld der direk­­ ten Aktion wird entgegengewirkt.45 In der Diskussion werden oftmals Werte als (To43 Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit. S. 40. 44 Vgl. Heinrich Oberreuter, Bewährung und Herausforderung. S. 55. 45 Vgl. Gregor Boventer, Konzept der streitbaren Demokratie. S. 42.

Konsensdemokratie und Zentrifugale Demokratie

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leranz-)Grenze des legitimen Eingriffs in die Freiheitsausübung abgelehnt und als Grenze die Gewaltausübung vorgeschlagen.46 Boventer aber meint, daß sich bei näherer Betrachtung herausstellt, daß die Ziehung einer Gewaltgrenze in der Demokratie »für sich genommen schon Ausdruck einer bestimmten Werthaltung zum demokratischen System« ist.47 Damit setzt aber das Handeln nach dem Konzept der Streitbaren Demokratie die Anerkennung dieser Werte voraus. Kann dieses uneingeschränkte Bekenntnis zu den höchsten Werten der freiheitlich-demokratischen Ordnung den Äußerungen der Mandatare der demokratischen Parteien in den Landtagen angesichts der Antidemokraten-Attacken der Nationalsozialisten entnommen werden  ? Oder war auch bei den Trägern der parlamentarischen Demokratie, bei den Mandataren, das fehlende demokratische Bewußtsein zu erkennen  ? Wer waren die politischen Eliten in den Landesparlamenten und Landesregierungen, die offensichtlich – um einiges vorwegzunehmen – nicht bereit waren, die Demokratie bis zum äußersten zu verteidigen – und warum nicht  ? Fragen, die in den Bereich der politischen Bewußtseinsstrukturen, der Trägergruppen und der Praxisfelder der Politischen Kultur fallen. Unter diesen Aspekten sind natürlich auch das Verbot der NSDAP im Jahr 1933, das Ruhen oder Löschen der nationalsozialistischen Mandate zu sehen. Die in den Landtagsdebatten dazu gelieferten Begründungen werden auch Aufschluß darüber geben, ob es sich bei dieser Maßnahme tatsächlich um eine Notwehraktion im Sinne der »Streitbaren Demokratie« handelte oder nur um eine Maßnahme der Regierung zur Machterhaltung, wie man dies etwa dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei im Jahr 1934 unterstellen kann.

1.4 Konsensdemokratie und Zentrifugale Demokratie Wie in der Weimarer Republik, war auch die Krise in der Ersten Republik Österreichs eine Krise der politischen Autorität, die verursacht war durch den Mangel demokratischer Politischer Kultur und an Konsens der demokratischen Kräfte. Ein das politische System tragender Konsens der demokratischen Parteien ist Voraussetzung für eine

46 Dies vor allem in der Diskussion über die »Streitbare Demokratie« in den letzten Jahrzehnten. In letzter Zeit wies etwa Iring Fetscher darauf hin, daß die Unterdrückung oder Freiheitseinschränkung einer intoleranten Gruppe jedenfalls dann legitimiert sei, wenn die physische Sicherheit der anderen gefährdet ist. Ansonsten plädiert er für den Versuch, die Intoleranten zur freiheitlichen Demokratie zu bekehren. Ist die intolerante Gruppe aber bereits ursprünglich so stark oder wächst sie so rasch, daß die stabilisierenden Kräfte sie nicht zur Freiheit bekehren können »muß eine – immer riskante – Entscheidung gefällt werden«. Vgl. Iring Fetscher, Toleranz. Von der Unentbehrlichkeit einer kleinen Tugend für die Demokratie. Historische Rückblicke und aktuelle Probleme. Stuttgart 1990. S. 26. 47 Gregor Boventer, Konzept der streitbaren Demokratie. S. 43.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

starke demokratische Politische Kultur.48 Dieser Konsens wird wiederum z. T. überproportional von den politischen Eliten geprägt, die auch in Ländern mit stark fragmentierter Politischer Kultur der Gesellschaft durch friedlich-kooperatives Handeln eine stabile Systementwicklung sicherstellen konnten.49 Andererseits waren es gerade die Kooperationsunfähigkeit der politischen Führungsgruppen und deren mangelnder demokratischer Grundkonsens, die den Einbruch der neuen NS-Führungskader ermöglichten.50 Der Auflösungsprozeß einer Demokratie muß immer auf viele Ursachen zurückgeführt werden. Sicher aber zählen die Polarisierung der politischen Parteien, das Auseinanderdriften der Parteien in die politischen Extreme, der Verlust einer demokratischen Mitte des Ausgleichs und des Kompromisses zu den wichtigsten Faktoren.51 Wenn diese Alarmsignale für den Zerfall der Stabilität einer demokratischen Ordnung, für das Verschwinden des demokratischen Konsenses gegeben sind, werden auch die Grenzen der Wirkung der Streitbaren Demokratie deutlich  : »In dieser Situation der Auflösung der demokratischen Mitte vermag jene disloyale Opposition sich letztlich durchzusetzen, welche die Massen zu mobilisieren und ideologisch zu täuschen weiß. Einerseits stellt sie die wichtigsten demokratischen Institutionen nicht in Frage. Andererseits läßt sie keinen Zweifel an ihrer Frontstellung zum alten politischen System. Diese Legalitätstaktik ist ein Weg zum Umsturz der demokratischen Ordnung. Das Konzept der streitbaren Demokratie vermag in diesem letzten Stadium der Machterosion nichts mehr auszurichten.«52 Nimmt man das Demokratiemodell von Arend Lijphart zur Grundlage, so ist für die Erste Republik auf Bundesebene ein ausgeprägtes Modell einer zentrifugalen Demokratie (fragmentierte Gesellschaft und starkes Konfliktverhalten der politischen Eliten) festzustellen, während sich in den meisten Bundesländern eine Konsensdemokratie (fragmentierte Basis und Konsens der Eliten) bildete.53 Dies gilt aber nicht für alle Bundesländer, jedenfalls nicht für Wien.

48 Vgl. Kurt Sontheimer, Deutschlands Politische Kultur. S. 109. 49 Vgl. Arend Lijphart, The Politics of Accomodation. Berkeley, Los Angeles 1975. Gerhard Lehmbruch, Proporzdemokratie. Tübingen 1967. 50 Vgl. Dietrich Herzog, Politische Führungsgruppen. Probleme und Ergebnisse der modernen Elitenforschung. Darmstadt 1982. S. 47. 51 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Demokratie und Machtvakuum  : Zum Problem des Parteienstaats in der Auflösung der Weimarer Republik. In  : Karl Dietrich Erdmann und Hagen Schulze (Hg.), Weimar  : Selbstpreisgabe einer Demokratie. Düsseldorf 1980. S. 110 f. 52 Gregor Paul Boventer, Grenzen politischer Freiheit. S. 249. 53 Vgl. Arend Lijphart, Democracy in Plural Societies. A Comparative Exploration. New Haven, London 1967. S. 106. Vgl. auch Ernst Hanisch, Zeitgeschichtliche Dimensionen der Politischen Kultur in Salzburg. In  : Herbert Dachs (Hg.), Das politische, soziale und wirtschaftliche System im Bundesland Salzburg. S. 18 f.

Hypothesen

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In diesem Sinne ist es interessant, diese unterschiedlichen Demokratiemodelle der Bundesländer Niederösterreich und Salzburg (Konsensdemokratie) sowie Wien (zentrifugale Demokratie) und den – wie sich herausstellen wird – »Sonderfall« Vorarlberg im Hinblick auf ihre Politische Kultur und ihre Konvergenz zum Konzept der »Streitbaren Demokratie« zu untersuchen und zusammenzufassen. Um mit Sontheimer zu sprechen  : »Erst durch die Erforschung und nachfolgende Zusammensetzung dieser politischen Teilkulturen gewinnen wir einen Blick auf die Gesamtheit des Phänomens der politischen Kultur.«54 1.5 Hypothesen In dieser Arbeit soll von den folgenden Hypothesen ausgegangen werden, die es zu untermauern gilt  : 1. Die Nationalsozialisten nützten die legalen Instrumente des von ihnen so vehement bekämpften und abgelehnten demokratischen Parlamentarismus (das »System«) exzessiv in erster Linie dazu, um das parlamentarische System so weit als möglich zu destabilisieren und letztlich zu zerstören. 2. Die beiden demokratischen Großparteien leisteten dieser unverkennbaren Absicht der Nationalsozialisten durch »partielle Kollaboration« mit den NSDAP-Fraktionen und »partielle Assimilation« an das Verhalten der Nationalsozialisten und ihre Methoden in den Landtagen – bewußt oder unbewußt – bedeutenden Vorschub und schwächten damit die demokratische Politische Kultur entscheidend. 3. Die beiden Großparteien hätten trotz des beträchtlichen innerparteilichen und von außen kommenden Drucks die Möglichkeiten alternativer parlamentarischer Handlungsweisen gehabt, die sie jedoch einerseits aus Unterschätzung der nationalsozialistischen Zielsetzungen und andererseits aus übertriebener Angst vor nationalsozialistischen Wahlerfolgen nicht ergriffen. 4. Die demokratisch-parlamentarischen Instrumente zur Selbstverteidigung der Demokratie durch die demokratischen Parteien im Sinne einer »Streitbaren Demokratie« wurden nicht genützt, weil sich v. a. in den bürgerlichen Parteien jene Kräfte durchzusetzen begannen, die immer noch an die Möglichkeit der totalen Machtübernahme glaubten, womit der für eine starke demokratische Politische Kultur notwendige Konsens der das System tragenden Kräfte immer mehr verlorenging. 5. Durch den Wahlerfolg der NSDAP bei den Regionalwahlen 1932 und ihren Einzug in Landesparlamente kam es auf allen Ebenen – auch in jenen Bundesländern, in denen bisher Konsensdemokratie herrschte, zu einer starken Verschiebung in Richtung zentrifugaler Demokratie. Das Agieren der Nationalsozialisten leistete 54 Vgl. Kurt Sontheimer, Deutschlands Politische Kultur. S. 117.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

einer weiteren Entfremdung zwischen Christlichsozialen und ­Sozialdemokraten Vorschub, beschleunigte das Erstarken der antidemokratischen Kräfte in der Christlichsozialen Partei, zwang zur Koalition mit den antidemokratischen Heimwehren und schwächte die Sozialdemokraten. Zur These 1 spricht etwa Heinrich Oberreuter von einer »Mitbenutzung« parlamen­ tarischer Institutionen zur Mobilisierung der Massen, zum »Systemumbau« und schließlich zur »Destruktion« legitimierender Strukturen, um ihre Herrschaft zu etablieren.55 Er stellt dabei auch den Bezug zu aktuellen Problemen der parlamentarischen Demokratie her, woraus auf die Relevanz dieser Arbeit für die Gegenwart geschlossen werden kann. Passend zur These 3 stellt Heinrich August Winkler für die Weimarer Republik die Frage, ob diese überhaupt eine Chance gehabt hätte, sich zu einer funktionierenden parlamentarischen Demokratie zu entwickeln, und gibt darauf eine Antwort, die in die geäußerte Richtung zielt  : »Wenn sich die Parteien, die für eine parlamentarische Mehrheitsregierung gebraucht wurden, so verhielten, wie es das parlamentarische System verlangte, dann ja.«56 Der Salzburger Zeithistoriker Ernst Hanisch wartet zur These 4 in einem Beitrag zum Demokratieverständnis und zur parlamentarischen Haltung der österreichischen Christlichsozialen mit einer interessanten (vorläufigen) Hypothese auf. Hanisch meint – bezogen auf die Christlichsozialen –, daß in der revolutionären Übergangsphase der Jahre 1918 bis 1920 der Druck der Parteibasis auf die politischen Eliten nach stärkerer Demokratisierung ziemlich stark war. In der Phase der präsidialstaatlichen »Demokratie« der Jahre 1929 bis 1933 – Hanisch nennt diese Phase »Ökonomische Depression, Krise der Demokratie«, (also im wesentlichen der Zeitraum, den die vorliegende Arbeit betrifft) – hätte jedoch die Parteibasis ihr Vertrauen in die Demokratie, den Parlamentarismus und die politischen Parteien verloren und nach autoritären Mustern verlangt. Diesem Druck habe die politische Elite – im Gegensatz zur ersten Phase – sehr rasch und sehr positiv entsprochen.57 55 Vgl. Heinrich Oberreuter, Abgesang auf einen Verfassungstyp  ? Aktuelle Herausforderungen und Mißverständnisse der parlamentarischen Demokratie. In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 2/83, S. 19–31. Oberreuter erinnert dabei an Form und Handeln der Grünen und ihre »Idee«, die Parlamente »mitzubenutzen« zum Systemumbau, »eine Idee, die übrigens nicht neu ist und von Kommunisten wie Nationalsozialisten in gleicher Weise verfochten worden ist« (S. 21). 56 Heinrich August Winkler, Wie konnte es zum 30. Januar 1933 kommen  ? In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 4–5/83. S. 9. 57 Vgl. Ernst Hanisch, Demokratieverständnis, parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Christlichsozialen. In  : Anna M. Drabek, Richard G. Plaschka, Helmut Rumpler (Hg.), Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit. Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs. Band 15. Wien 1990. S. 74–86.

Zu klärende Fragen

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Dazu wird auch an Hand einer kollektivbiographischen Analyse aller Landtagskandidaten (als Teil dieser politischen Elite) zu untersuchen sein, wie weit ein massierter Eintritt der sogenannten »Kriegs- und Frontgeneration« mit ihrer Neigung zu militant-autoritärem politischen Verhalten in das politische Geschehen die parlamentarische Abwehrkraft der Demokratie entscheidend schwächte.58 1.6 Zu klärende Fragen Um die genannten Thesen ausreichend belegen zu können, sind eine Reihe von Fragen zu klären, von denen mir die folgenden als die wichtigsten erscheinen  : 1. Waren die Regionalwahlen 1932 mit den großen nationalsozialistischen Erfolgen nur von eingeschränkter, eben regionaler, Bedeutung oder hatten sie wesentliche, gesamtösterreichische Auswirkungen  ; 2. welche Schlüsse lassen sich aus, wenn auch nur ersten Analysen der Wahlergebnisse für das enorme Erstarken der NSDAP, auch im Vergleich mit der politischen Entwicklung im Deutschen Reich, ziehen  ; 3. wie standen die Nationalsozialisten zu jener Demokratie und zum Parlamentarismus, durch die sie selbst zu Mandatsträgern geworden waren  ; 4. wie agierten die Nationalsozialisten in den Landtagen, welcher parlamentarischer Methoden bedienten sie sich vorwiegend, wie veränderte sich die Arbeitsweise der Landesparlamente, welche politischen Schwerpunkte setzten die Nationalsozialisten in den Landtagen, wieweit stimmten diese mit ihren programmatischen Ankündigungen vor der Wahl überein und inwieweit »kampagnisierten« sie diese Themen in allen Landtagen, in denen sie vertreten waren  ; 5. wie reagierten die anderen Parteien auf die neue Partei und die dadurch geänderte Situation, handelten sie – aus unserer heutigen Betrachtungsweise – richtig oder falsch und welche Handlungsalternativen hätten sie gehabt, wieweit haben sie selbst in den Landesparlamenten zur Stärkung des antidemokratischen und antiparlamentarischen Denkens der Nationalsozialisten beigetragen  ? 1.7 Überlegungen zur Methode Zur Gewinnung von geschichts- und politikwissenschaftlich relevanten Untersuchungsmaterialien wurden für diese Arbeit verschiedene Methoden angewandt. Sie zählen praktisch alle zu den empirisch-analytischen Vorgangsweisen, die sich im Sinne 58 Vgl. etwa Johannes S. Kraus, Volksvertreter  ? Beiträge zu einer Analyse der Organe der Bundesgesetzgebung 1934–1938 und der politischen Elite des Austrofaschismus. In  : Zeitgeschichte 11/12. 1990/91. S. 386.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

der hypothetisch-deduktiven Methode zum Nachweis der Brauchbarkeit von Hypothesen am besten geeignet erweisen.59 Auch für diese Arbeit gilt, daß es keinen Methodenpurismus in der Geschichts- und Politikwissenschaft gibt, »weil die Grenzen ihres Gegenstandsbereichs variabel und fließend sind«.60 Geht man etwa von den fünf Forschungsansätzen nach Klaus von Beyme aus, so werden in der vorliegenden Arbeit folgende drei Ansätze, z. T. kombiniert, verwendet  :61 1. der historische Ansatz mit den Methoden und Fragestellungen der Geschichtswissenschaft für den Bereich der Darstellung des politischen Umfeldes im 2. Kapitel  ; 2. der institutionelle, politisch-soziologische Ansatz für den gesamten Bereich der Wahlen, ihrer Analysen und Auswirkungen auf die Landtage  ; 3. der behavioristische Ansatz für die politische Elitenforschung im Zusammenhang mit der Frage eines möglichen Elitenwandels (Front- und Kriegsgeneration) und dessen Auswirkungen auf die Politische Kultur. Eine entscheidende Erhebungstechnik bestand in einer umfassenden Dokumentenanalyse. Sie umfaßte eine systematische empirisch-quantitative Analyse der stenographischen Protokolle der Sitzungen der Landtage von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg. Sie diente der Erlangung genauer Daten etwa über die Zahl der Wortmeldungen der NS-Mandatare (um daraus innerfraktionelle Hierarchien der NSDAP ableiten zu können), über die Zahl und Art der nationalsozialistischen parlamentarischen Initiativen, Zahl und Behandlung von Auslieferungsbegehren etc. Die rein quantitative Methode kann aber – nach Georges Duby – nur eine »Zwischenphase der Forschungsarbeit« sein, dann heißt es  : »Lesen, immer wieder Texte lesen und nochmals lesen. Nur da blitzen die Ideen auf.«62 59 Vgl. etwa Jörn Rüsen, Friedrich Jaeger, Historische Methode. In  : Richard von Dülmen (Hg.), Geschichte. Frankfurt am Main 1990. S. 13–32  : »Die analytische Quellenkritik macht Tatsachen theoriefähig.« (S. 20). Ebenso Hans Albert, Methodologischer Individualismus und historische Analyse. In  : Kurt Acham, Winfried Schulze, Teil und Ganzes. Zum Verhalten von Einzel- und Gesamtanalyse in Geschichte und Sozialwissenschaften. Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik. Band 6. München 1990. S. 222 ff. Ebenso Jörn Rüsen, Historische Methode. In  : Christian Meier, Jörn Rüsen, Historische Methode. Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik. Band 5. München 1988. S. 79 f. Vgl. auch Oscar W. Gabriel, Methoden. In  : Axel Görlitz, Rainer Prätorius (Hg.), Handbuch Politikwissenschaft. Grundlagen – Forschungsstand – Perspektiven. Reinbek bei Hamburg 1987. S. 287 ff.; Ulrich von Altmann, Erhard Forndran, Methodik der Politikwissenschaft. Eine Einführung in die Arbeitstechnik und Forschungspraxis, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1985. S. 46 ff. 60 Herfried Münkler, Politikwissenschaft. Zu Geschichte und Gegenstand, Schulen und Methoden des Fachs. In  : Iring Fetscher, Herfried Münkler (Hg.), Politikwissenschaft. Begriffe Analysen – Theorien. Ein Grundkurs. Reinbek bei Hamburg 1985. S. 23. 61 Vgl. Klaus von Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einführung. München 1980. S. 73 ff. 62 Georges Duby, Guy Lardreau, Geschichte und Geschichtswissenschaft. Dialoge. Frankfurt am Main 1982. S. 108.

Überlegungen zur Methode

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Eine inhaltliche Analyse der nationalsozialistischen Initiativen diente dem Versuch, diese in verschiedene Kategorien parlamentarischer Initiativen einzuteilen, etwa in sachpolitische oder rein »demonstrative« Anträge und Anfragen. Eine inhaltliche Analyse der Landtagsreden ist aus mehreren Gründen notwendig  : 1. um einerseits einen Vergleich der programmatischen Absichten der einzelnen Parteien mit der konkreten (wenn auch oftmals nur verbalen) Umsetzung im Landesparlament zu erhalten  ; 2. um einen Überblick über die Art des politischen Stils und Umganges der Parteien untereinander und dessen mögliche Veränderungen zu erhalten  ; 3. um die wichtigsten Argumente der einzelnen Parteien zu aktuellen politischen Ereignissen und Problemen herausfiltern zu können. Insofern ist die Methode der Inhaltsanalyse der Parlamentsprotokolle, im speziellen Fall der Landtagsprotokolle, ein nicht unwesentlicher Beitrag zur politischen Kulturforschung bzw. der Erforschung von politischen Elitenkulturen.63 Die genaue Darstellung einiger ausgewählter parlamentarischer Konfliktbereiche soll die aufgestellten Hypothesen noch untermauern. Parlamentarismustheorien schreiben den Parlamentsdebatten allgemein folgende zwei idealtypische Funktionen zu  :64 1. die Öffentlichkeitsfunktion  : Das Parlament hat die Bürger über die aktuellen Probleme der Gesellschaft und über die in Aussicht genommenen Wege zur Problemlösung zu informieren und auch auf zukünftige Probleme hinzuweisen  ; 2. die Repräsentationsfunktion  : Möglichst alle in der Gesellschaft artikulierten Auffassungen zu einem bestimmten Problem sollen zu Wort kommen, bevor sie zu Lösungskonzepten zusammengefaßt werden. Parlamentsdebatten müssen sich also auf die öffentliche Meinung beziehen lassen und für die von dort ausgehenden Anforderungen offen sein. Es wird also auch zu beachten sein, inwieweit die von uns untersuchten Landtagsdebatten diesen – aus heutiger Sicht – idealtypischen Funktionen nahekommen, wieweit kamen die Landesparlamente ihrer Artikulations- und Kommunikationsfunktion nach. Auch wenn die Parlamente die wesentliche Funktion haben, unterschiedliche Interessen der Wahlbevölkerung zu artikulieren und gleichzeitig auch die unterschiedlichen 63 Vgl. Oscar W. Gabriel, Methoden. S. 290  ; im gleichen Band  : Martin Greiffenhagen, Politische Kultur. S. 409 ff. Wolfgang C. Müller, Zum Konzept der Politischen Kultur. S. 32. 64 Vgl. Edwin Czerwick, Debattenordnung und Debattenstil. Überlegungen zur Reform des Deutschen Bundestages. In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 24–25/85. S. 17 ff.

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Problemstellung, theoretischer Bezugsrahmen, Thesen und Methoden

Antworten der Parteien deutlich zu machen, muß vor übertriebenen Erwartungen gewarnt werden. »Das Parlament ist nicht und war nie die Stätte rationaler Diskussion, wo in aller Öffentlichkeit in nie endendem Ringen die Wahrheit und das Gemeinwohl gefunden werden … Nicht Parlament und Exekutive stehen sich gegenüber …, sondern die Regierung einschließlich der sie unterstützenden Mehrheiten und Opposition. Aus diesem Grund müssen im Parlament Fensterreden gehalten werden  ; es kommt nicht darauf an, andere Parlamentarier zu überzeugen, sondern Wähler, die bei der nächsten Wahl entscheiden, welche Partei die Mehrheit der Stimmen bekommt.«65 Was das Soziogramm der nationalsozialistischen Kandidaten und Mandatare als soziale Einheiten betrifft, so gilt es, die vorhandenen individuellen Daten zur Gewinnung von Aggregatdaten – wie etwa Durchschnittsalter, berufliche Strukturen etc. – zu erhalten. Systematische quantitative und inhaltliche Analysen der wichtigsten Printmedien wurden als begleitende Erhebungstechnik angewendet.

1.8 Quellenlage Schon aus dem gestellten Thema der Arbeit ergibt sich, daß die stenographischen Protokolle über die Landtagssitzungen der Landtage von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg die wichtigste Quelle darstellten. Für den Zeitraum April 1932 bis Juni 1933 wurden diese Dokumente vollständig durchgearbeitet.66 Die Landtagsprotokolle von Wien, Salzburg und Vorarlberg liegen in gedruckter, jene von Niederösterreich in maschingeschriebener Form vor. Z. T. wurden auch die maschingeschrieben vorliegenden Protokolle des Wiener Gemeinderates herangezogen. Parlamentarische Protokolle sind als Quellen deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie die Reden wörtlich wiedergeben und vielfach durch Anmerkungen Informationen über Stimmung und Umgangston, der bei den Debatten herrschte, geben. Dies wiederum läßt Rückschlüsse auf die Politische Kultur, die unter den politischen Mandataren herrschte, zu. Nur sehr eingeschränkt kann man aus den Debatten in den Plenarsitzungen Aufschluß über das oftmals mühsame politische Ringen in den Ausschüssen erhalten, was für das Erkennen von Hintergründen von großer Bedeutung wäre. Jedenfalls aber

65 Werner Jann, Parlamentarismus. In  : Görlitz, Prätorius, Handbuch Politikwissenschaft. S. 355. 66 Stenographische Berichte des Landtages von Wien, 4. Wahlperiode, 1. bis 10. Sitzung  ; Stenographische Protokolle der Sitzungen des Landtages von Niederösterreich, III. Wahlperiode, bis 6. Sitzung, I. Session, 1. bis 16. Sitzung, 11. Session  ; Verhandlungen des Salzburger Landtages, 1. bis 17. Sitzung der 1. Session der 4. Wahlperiode 1932/33, 1. bis 3. Sitzung der Session der 4. Wahlperiode 1933/34  ; Stenographische Sitzungsberichte des 14. Vorarlberger Landtages zu Bregenz 1932/33, 1. bis 5. Sitzung.

Quellenlage

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sind Landtagsprotokolle authentische Zeugnisse des politischen Handelns und Denkens wesentlicher politischer Eliten. Die quantitative Quellenbasis setzt sich aus den Wahlergebnissen, zeitgenössischen Statistiken etc. zusammen. Die Wahlergebnisse bis auf Gemeindeebene liegen in unterschiedlicher Qualität vor. Während etwa die Niederösterreichischen Landtagswahlergebnisse in einer umfassenden Broschüre offiziell publiziert wurden67, konnten etwa die Wahldaten für Salzburg nur einer Wochenzeitung entnommen werden, da es weder in der Landeszeitung noch in einer anderen Publikation eine Veröffentlichung des offiziellen Wahlergebnisses mit allen Detailergebnissen gibt. Auch im Salzburger Landesarchiv ist kein Wahlakt aufzufinden.68 Nur sehr lückenhaftes Quellenmaterial liegt für die Kommunalwahlen in der Steiermark und in Kärnten vor. An weiteren schriftlichen Quellen wurden die wichtigsten Zeitungen (Lokal-, Regional- und überregionale Zeitungen und Zeitschriften) herangezogen und für den Untersuchungszeitraum zumeist vollständig im Hinblick auf die angeführten Fragestellungen ausgewertet. Selbstverständlich wurden auch die jeweiligen regionalen Archive nach Quellen zum Thema durchsucht. In Ergänzung zu den schriftlichen Quellen wurden einige Interviews und Gespräche mit Zeitzeugen und Angehörigen damals politisch agierender Personen geführt. Damit soll mit einer Feststellung des französischen Historikers Georges Duby über die historischen Quellen in die konkrete Forschungsarbeit eingestiegen werden  : »Letztlich sind unsere ›Quellen‹ ja nur eine Art Stütze oder besser ein Sprungbrett, das uns gewissermaßen dazu dient, sich von ihm abzustoßen, hochzuspringen und mit größter Geschmeidigkeit gültige und abgesicherte Hypothesen über die damaligen Ereignisse oder Strukturen zu konstruieren.«69

67 Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. Herausgegeben von der n.ö. Landesamtsdirektion, Wien 1932. 68 Die Wahlergebnisse für Salzburg entstammen dem »Salzburger Volksbote«n. 1. 5. 1932. S. 6. 69 Georges Duby, Guy Landreau, Geschichte und Geschichtswissenschaft. Dialoge. Frankfurt am Main 1982. S. 45.

ii. Das politische Umfeld 2.1 Die Vorboten der Krise In diesem Kapitel soll die innenpolitische Entwicklung insofern dargestellt werden, als sie in einem engeren Zusammenhang mit den Geschehnissen unseres Untersuchungszeitraumes hat und daher zum Verständnis für Ereignisse und Handlungsweisen der politisch Agierenden in den Jahren 1932/33 beiträgt. Dabei sind natürlich vor allem die Fragen der Politischen Kultur, der Demokratiemodelle (Konflikt – Konsens) und der Bereitschaft der demokratischen Kräfte zur Verteidigung der Demokratie gegen antidemokratische Kräfte zu behandeln. Selbstverständlich muß man davon ausgehen, daß die Wurzeln für so manche politische Entwicklung in den dreißiger Jahren weit zurück, z. T. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, liegen. In diesem Zusammenhang muß man etwa auf die gravierenden Auswirkungen der Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain, insbesondere des Anschlußverbotes, auf die weitere politische Entwicklung in Österreich hinweisen, hatten doch beinahe alle Parteien (Ausnahme Monarchisten) ursprünglich den Anschluß Österreichs an Deutschland zu ihrem politischen Ziel erklärt. Die politische Situation in Österreich war von einer besonderen Destabilität gezeichnet, die Regierungen wechselten in rascher Abfolge. Man kann die politische Entwicklung der Ersten Republik Österreichs natürlich unter verschiedenen Aspekten betrachten. Wie schon im 1. Kapitel dargestellt wurde, spielt in dieser Arbeit die Frage des Konsenses zwischen den beiden großen politischen Lagern, die Frage des Proporzes, eine besondere Rolle. Gerhard Lehmbruch weist nach, daß die parlamentarische Mehrheitsbildung, die einer politischen Partei unter Ausschaltung anderer wichtiger politischer Gruppen die Möglichkeit zur Problem- und Konfliktlösung gab (wie das etwa im englischen System der Fall ist), nicht im Erfahrungshorizont der österreichischen Parlamentarier war und gar nicht der Politischen Kultur Österreichs entsprach.70 Dementsprechend fanden sich die beiden großen politischen Kräfte anfangs in der leoninischen und in der marxistischen »Akkommodation«71. Anhand der

70 Vgl. Gerhard Lehmbruch, Proporzdemokratie. Politisches System und politische Kultur in der Schweiz und in Österreich. Tübingen 1967. S. 20 ff. 71 Vgl. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 193. Vgl. auch Ernst Hanisch, Die Ideologie des Politischen Katholizismus in Österreich 1918–1938. Wien, Salzburg 1977. S. 2, 11.

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Das politische Umfeld

Kontinuitäten und Brüche72 in der Konsensdemokratie der Ersten Republik, die im Prinzip dem Proporzsystem von Gerhard Lehmbruch entspricht, kann man die Erste Republik – was die Bundespolitik betrifft – in folgende Perioden gliedern73  : a) 1918–1920  : Konsensphase. Proporzregierung zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen. b) 1920–1930  : »Partielles Konsensmodell«  : weitgehend stabile bürgerliche Mehrheitsregierungen mit partiellen Konsenselementen zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten. In einer ökonomisch erträglichen Phase wird in wichtigen Entscheidungen der Konsens mit der sozialdemokratischen Opposition gesucht und gefunden. Eine Zäsur in dieser Phase stellt das Jahr 1927 dar. Nach 1927 verschiebt sich das Gleichgewicht zugunsten der Christlichsozialen. Starker Bruch der Konsensphase durch ein erstes (und erfolgloses) Einbeziehen der faschistischen Heimwehren in die Regierung. c) 1930–1932  : »Informelles Konsenssystem«  : Nach dem Scheitern der Regierungsbeteiligung der faschistischen Heimwehren folgen nach einer Nationalratswahl, die die demokratischen Kräfte stärkte, instabile bürgerliche Mehrheits- und Minderheitsregierungen unter konsensbereiten Bundeskanzlern. Die Regierung ist in der zunehmenden ökonomischen Krise auf die oppositionelle Unterstützung angewiesen. Die sozialdemokratische Opposition lehnt zwar mehrere Koalitionsangebote ab, ist aber bereit, auf parlamentarischer Ebene wichtige Maßnahmen bei Berücksichtigung sozialdemokratischer Forderungen zu unterstützen. d) 1932/33  : Instabile bürgerliche Mehrheitsregierung unter Beteiligung der faschistischen Heimwehren mit scharfer Abkehr aller Parteien vom Konsensmodell. Übergang zum hierarchisch-bürokratischen Modell mit dem Prinzip der autoritären Konfliktregelung in einer Phase der ökonomischen Krise und der nationalsozialistischen Bedrohung. e) Ab 1933  : endgültiger Bruch mit der Konsensdemokratie. Mit den tragischen Ereignissen im Juli 1927 trat eine tiefgreifende Zäsur im Verhältnis zwischen den beiden Großparteien in Österreich ein, die bis in die parlamentarischen Auseinandersetzungen der Jahre 1932/33 und darüber hinaus wirkten. Schon vor diesen Ereignissen – zu Ende des Jahres 1926 – hatten die beiden Großparteien ihre ideologischen Positionierungen vorgenommen, die Österreich noch stärker in die Richtung einer zentrifugalen Demokratie führten. Vom 30. Oktober 72 Vgl. Ernst Hanisch, Kontinuitäten und Brüche. Die innere Geschichte. In  : Herbert Dachs u. a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Wien 1991. S. 15. f. 73 Vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie. Wien, Köln, Weimar 1993. S. 132.

Die Vorboten der Krise

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bis 3. November 1926 beschloß der Parteitag der Sozialdemokraten in Linz ein neues Programm, ein klassisches Dokument des sogenannten »Austromarxismus«.74 Dieses Programm brachte zwar in der großen Streitfrage »Demokratie oder Diktatur« einen eher gequälten und gewundenen Kompromiß, aber in ihm lag zumindest theoretisch die Gefahr von Bürgerkrieg und Diktatur mit eingeschlossen. Dies, verbunden mit der »radikalen Phrase« Otto Bauers (ob sie nun tatsächlich ganz ernst gemeint war oder nicht), alarmierte die bürgerliche Seite. »Was den Sozialdemokraten nur eine Kompromißlösung war, wirkte auf das übrige Land als gefährliche Drohung.«75 Als Reaktion auf das Linzer Programm der Sozialdemokraten beschloß der Christlichsoziale Parteirat wenig später, am 29. November 1926, ein neues Parteiprogramm, eher vage, ohne besondere Reformtendenz. Es bekannte sich zum demokratischen Staat, zum Föderalismus und zur Zusammenarbeit mit der Kirche und enthält deutliche, wenn auch nicht aggressive, antisemitische Passagen, vor allem auf den jüdischen Einfluß im politischen Gegner auf der Linken.76 Selbstverständlich drückt es den klaren Widerstand gegen die »Klassendiktatur« der Sozialdemokraten aus. Auf der Grundlage dieser neuen ideologischen Positionierungen wurde das Jahr 1927 tatsächlich zur Zäsur. Die Stimmung im Lande wurde wesentlich gespannter, politische Aufmärsche und Demonstrationen nahmen zu. Zur Kundgebung mit den ernstesten Folgen wurde jene am 30. Jänner 1927 in Schattendorf, die schließlich direkt zu den tragischen Ereignissen des 15. Juli 1927 führte. Damit verbunden waren der Ausbau von bewaffneten Parteiformationen sowie ein wesentliches Erstarken des Faschismus in Österreich in der Form der Heimwehren, die wiederum nach den Landtagswahlen 1932 die innenpolitische Szene sehr stark beeinflußten. Parallel dazu sind natürlich sehr genau das Schicksal des Nationalsozialismus und sein Erstarken bis zu den Landtagwahlen 1932 zu beobachten. Für die parlamentarische Auseinandersetzung sehr entscheidend ist die ökonomische Entwicklung Österreichs in diesem Zeitraum, der im wesentlichen von der Weltwirtschaftskrise 1929 (in Österreich erst spürbar ab 1930) und deren Folgen gekennzeichnet ist. Die ökonomische Krise ist sehr entscheidend für das Scheitern der Demokratie in Österreich verantwortlich, die Beseitigung der 1920 in der Verfassung festgelegten, 1929 modifizierten politischen Struktur steht in einem engen Zusammenhang mit ökonomischen Problemen und wirtschaftlichen Interessen.77 Der wirt74 Vgl. Klaus Berchtold, Österreichische Parteiprogramme 1868–1966. München 1967. 75 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit. Graz, Wien, Köln 1976. S. 209. 76 Vgl. Klaus Berchtold, Österreichische Parteiprogramme. S. 374 ff. 77 Vgl. Erich Fröschl, Andreas Khol, Lothar Gintersdorfer, Ali Gronner (Hg.), 1938. Ursachen, Fakten, Folgen. Was können wir aus der Geschichte lernen  ? Ergebnisse des Symposiums vom 14./15. Jänner 1988. Wien, München 1988. S. 39 f. Beitrag von Emmerich Tálos. Vgl. dazu auch Eduard März, Fritz Weber, Österreichische Wirtschaftspolitik in der Zeit der großen Krise. Bürgerliche Strategie und sozialdemokratische Alternative. In  : Erich Fröschl, Helge Zoitl (Hg.), Februar 1934. Ursachen, Fakten, Folgen.

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Das politische Umfeld

schaftliche Niedergang und die Chancenlosigkeit der Regierung, ihn zu bewältigen, aber auch die unvereinbar scheinenden ökonomischen Krisenlösungsstrategien von Christlichsozialen und Sozialdemokraten hatten dramatische Auswirkungen auf die demokratische Politische Kultur. Nicht nur der Glaube an die Lebensfähigkeit des österreichischen Staates nahm noch weiter ab, die Nichtbewältigung der wirtschaftlichen Probleme wurde der parlamentarisch-demokratischen Staatsform als solcher angelastet. Man könne sich leicht vorstellen, erklärte der Salzburger Fürsterzbischof Rieder in seinem Fastenhirtenbrief 1931, daß arbeitslose Menschen »verbittert werden gegen die Mitmenschen, gegen die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung«. 78 In dem Maße, als die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie zurückging, stieg auch die Bereitschaft, sich von ihr abzuwenden und sie durch andere Systeme zu ersetzen  : einerseits durch die »wahre Demokratie« Seipels, der damit eigentlich ein autoritäres Modell meinte, und durch den faschistischen Weg der Heimwehren und andererseits durch die radikalere Hinwendung des linken Flügels der Sozialdemokratie zur (auch gewaltsamen) Übernahme der Macht durch das Proletariat.

2.2 Die ökonomische Entwicklung Ökonomisch kann man die Erste Republik in vier aufeinanderfolgende Perioden einteilen, die eng mit der innenpolitischen Entwicklung Österreichs verbunden sind  : 1. 1918–1922  : Phase der Nachkriegsinflation bis zur Genfer Sanierung  ; 2. 1923–1929  : Stabilisierungskrise und anschließender Konjunkturaufschwung  ; 3. 1930–1933  : Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Österreich  ; 4. 1934–1938  : »gebremste« Erholung bis zum Anschluß ans Deutsche Reich.79 Damit fällt unser Untersuchungszeitraum in die dritte (ökonomische) Phase, die mit der im Kapitel 1.1 beschriebenen dritten (politischen) Phase der präsidialstaatlichen »Demokratie« (nach Ulrich Kluge) zusammenfällt. Diese Phase wird durch den überraschenden und riesigen Kurssturz an der New Yorker Effektenbörse vom 24. und 25. Oktober 1929 (»Schwarzer Freitag«) eingeläutet. Die »Weltwirtschaftskrise«, die schwerste Wirtschaftskrise, die die Welt wohl

Wien 1984. S. 15–34. Dieter Stiefel, Die große Krise in einem kleinen Land. Österreichische Finanz- und Wirtschaftspolitik 1929–1938. Wien, Köln, Graz 1988. Ebenso Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. S. 295 ff. 78 »Salzburger Chronik«, 17. 2. 1931. S. 9. 79 Vgl. Hans Kernbauer, Eduard März, Fritz Weber, Die wirtschaftliche Entwicklung. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik, Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik. 1. Graz, Wien, Köln 1983. S. 343.

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je erlebt hat, nahm ihren Anfang.80 Dabei hatte das Jahr 1929 noch recht gut angefangen. In Österreich war bis zum Sommer eine starke wirtschaftliche Erholung festzustellen, die Zahl der Arbeitslosen ging zurück und war so niedrig wie noch nie seit 1924. Die Löhne stiegen, das Budget zeigte sogar einen Überschuß durch Gebührenerhöhungen und Steuereingänge. Die Landwirtschaft konnte erstmals Molkereiprodukte und Kartoffeln exportieren.81 In der zweiten Jahreshälfte wurden zunehmend Guthaben von den Geldinstituten abgezogen bzw. Schilling-Guthaben in Dollarguthaben umgewandelt. Dafür dürften aber eher innenpolitische Beunruhigungen (gewaltsame Zusammenstöße zwischen Heimwehren und Schutzbund) ausschlaggebend gewesen sein. In der Folge ging die Bodenkreditanstalt am 7. Oktober 1929 in der Creditanstalt auf, die damit plötzlich Einfluß auf einen großen Teil der Industrie bekam.82 Dann schwappte die Weltwirtschaftskrise auf Österreich über. Ihre Ursachen lagen – grob gesagt – in übermäßigen industriellen Investitionen und in Überproduktionen an landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Die Folge waren Absatzkrisen, stark sinkende Preise und steigende Arbeitslosigkeit. Die Krise griff rasch auf Europa über und zwang die Regierungen fast aller Länder – gleich ob demokratisch oder autoritär regiert – zu einschneidenden wirtschaftlichen und finanzpolitischen Maßnahmen, die in der Folge auch das ohnehin labile Gefüge der noch jungen Demokratien politisch schwerstens erschütterten. In Österreich kam es vor allem zu einer Verschlechterung der Lage der eisen- und metallverarbeitenden Industrie sowie der Textilindustrie, zu einer Verschärfung der Preis- und Absatzlage der Landwirtschaft, die umfassende Subventionen erforderte. Das Jahr 1930 brachte schließlich auch in Österreich die Ausbreitung der Depression mit Rückgängen der Produktion in fast allen Industriezweigen. Schon 1929 schrumpften die Gewinne der Industriebetriebe auf ein Sechstel zusammen, das blieb auch 1930 so, dann rutschte der Saldo aus Gewinnen und Verlusten für zwei Jahre, also bis 1933, ins Negative ab. Auch die Finanzierungskraft der Industriebetriebe begann 1929 in die Krisenzone zu kommen, 1931 und 1932 überwogen die Verluste die Gewinne, sodaß der Cash-Flow bei der Mehrheit der Betriebe eine negative Größe wurde.83 Die Arbeitslosigkeit in Österreich stieg ständig an, nachdem 1923 und 1924 eine geringfügige Beruhigung zu verzeichnen war. Für das Jahr 1928 kann man etwa 80 Vgl. etwa Fritz Blaich, Der Schwarze Freitag. Inflation und Wirtschaftskrise. München 1990. 81 Vgl. Friedrich Thalmann, Die Wirtschaft in Österreich. In  : Heinrich Benedikt (Hg.), Geschichte der Republik Österreich. Wien, München 1977. S. 495 f. 82 Vgl. Eduard März, Österreichische Bankpolitik in der Zeit der großen Wende. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe. Wien 1981. 83 Vgl. Alois Mosser, Industrielle Entwicklung und konjunkturelle Dynamik in Österreich 1920–1937. In  : christliche demokratie. 4/85. S. 307–321. Hier S. 314 und 316.

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260.000 Arbeitslose annehmen, ihre Zahl stieg 1930 auf etwa 350.000 und 1933 auf rund 600.000, womit ein Höhepunkt erreicht wurde. Die amtlichen Zahlen aus dieser Zeit nennen nur die behördlich unterstützten Arbeitslosen, nicht aber die sogenannten Ausgesteuerten, die keine Unterstützung mehr erhielten und auf die öffentliche Fürsorge angewiesen waren. Die Zahl der Ausgesteuerten lag bei etwa 40 bis 50 Prozent der Unterstützten.84 Die Bundesregierung versuchte, der Depression durch Großbauvorhaben wie etwa den Beginn der Großglocknerstraße, der Packstraße und der Tauernkraftwerke entgegenzuwirken. Die Wirtschaftsbeziehungen zu den Oststaaten wurden intensiviert und für die Landwirtschaft die Bildung eines osteuropäischen Agrarblocks angestrebt. Durch eine Zolltarifnovelle wurde durch Zollerhöhungen versucht, die Einfuhr zu drosseln und die Ausfuhr zu steigern.85 Auf Grund der internationalen Konjunktureinflüsse schlug vor allem ab dem Frühjahr 1931 die Depression voll auf Österreich durch. Im Dezember 1930 war die Zahl der unterstützten Arbeitslosen um 30 Prozent höher als 1929 und um fast 50 Prozent höher als im Dezember 1928. Im August 1931 stieg sie im Vergleich zu 1930 noch einmal um 28 Prozent.86 Wie eng die wirtschaftliche mit der politischen Entwicklung Österreichs, speziell mit der Intensität der Konsensbereitschaft der beiden Großparteien, verflochten war, zeigt sich gerade an diesem Zeitraum. Während in Deutschland die Weltwirtschaftskrise einen Keil zwischen die beschäftigten Arbeiter und die Arbeitslosen trieb und so zum Erstarken des deutschen Faschismus und zur Stärkung des Kommunismus führte87, war die Entwicklung in Österreich, trotz vieler Ähnlichkeiten mit Deutschland, fast gegenteilig. Die Sozialdemokraten anerkannten, daß die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise nicht vordergründig der Regierung zur Last gelegt werden können, sondern daß – wie Otto Bauer es formulierte – sie wie ein Fatum sei, »gegen die der österreichische Staat ohnmächtig ist und gegen die keine 84 Die hier angegebenen Zahlen stammen aus Walter Kleindel, Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur. Wien, Heidelberg 1978. S. 333  ; Vgl. auch Dieter Stiefel, Arbeitslosigkeit. Soziale, politische und wirtschaftliche Auswirkungen – am Beispiel Österreichs 1918–1938. Berlin 1979. S. 29. Etwas andere Zahlen bietet Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Wien 1985. S. 223  : 1923–1929 208.700 Arbeitslose ( 9,5%) 1930–1933 400.500 Arbeitslose (18,5%) 1934–1937 509.750 Arbeitslose (23,8%) (Jahresdurchschnitte je Periode, Arbeitslose in Prozent des Angebots an Unselbständigen). Eine interessante Studie über die Arbeitslosenraten von Angestellten und Arbeitern bietet Walter Peissl, Das »bessere« Proletariat. Angestellte im 20. Jahrhundert. Wien 1994. S. 162. ff. 85 Vgl. Friedrich Thalmann, Die Wirtschaft in Österreich. S. 497. 86 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 364 und S. 375. 87 Vgl. etwa Klaus Schönhoven, Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozialstaat. München 1989. Besonders S. 127–157. Ebenso Fritz Blaich, Der Schwarze Freitag. Inflation und Wirtschaftskrise. München 1990. Besonders ab S. 58.

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österreichische Regierung und kein österreichisches Parlament etwas auszurichten vermag«. Bauer gestand sogar zu, daß die Forderungen der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften nach der Einschränkung des Doppelverdienertums, nach einer obligatorischen Arbeitsvermittlung und nach Verkürzung der Arbeitszeit »kein Mittel« gegen die Wirtschaftskrise und gegen das Schrumpfen der Arbeitsgelegenheit sei. 88 Die Verschärfung der Wirtschaftsschwierigkeiten führte – wie Gulick es bezeichnet – zu einer »Neubelebung der österreichischen Demokratie«, da nach der Pleite des Experiments der Koalition mit der faschistischen Heimwehr die Christlichsozialen mit dem neuen Bundeskanzler Ender zu einer »Anteilnahme der Arbeiterschaft an der Regierung« führte, wobei diese Anteilnahme »nicht in tatsächlicher Mitgliedschaft im Kabinett, sondern eher durch die allgemeine Milderung der oppositionellen Taktik im Parlament« bestand. »Für einen Zeitraum von etwa 18 Monaten war die Gefahr des Faschismus in seiner schärfsten Form eigentlich gebannt.«89 Das von der österreichischen Sozialdemokratie immer vertretene Dogma der Einheit der Arbeiterbewegung stellte sich gerade im Herbst 1930 als eindeutig richtig heraus, weil damit verhindert wurde, daß sich – so wie in Deutschland – zwei Arbeiterparteien bekämpften, was nur zum Vorteil des Faschismus gewesen wäre. So aber wurde die Sozialdemokratische Partei zur stärksten Gruppe im Parlament, die bürgerliche Regierungsmajorität war geringer denn je und daher auch bereit, den Vorstellungen der Linksopposition stärker entgegenzukommen. Als im März 1931 die beiden Außenminister Deutschlands und Österreichs, Curtius und Schober, eine deutsch-österreichische Zollunion auf drei Jahre in Aussicht stellten, gab es von seiten Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei, aber auch Englands heftige Proteste. Die Sozialdemokraten unterstützten und begrüßten nach einer anfänglichen Skepsis dieses Projekt »als den ersten Schritt zur Erfüllung der Hoffnungen der Nation zur Lösung wirtschaftlicher Schwierigkeiten.«90 Nun aber trat Seipel, der vom gemäßigten Flügel der Christlichsozialen schon etwas ins Abseits gedrängt worden war, wieder in den Vordergrund. Er wollte keinesfalls einen stärkeren deutschen Einfluß, ihm kamen die Initiative Frankreichs für eine Donauföderation unter der Führung der Tschechoslowakei und der italienische Vorschlag eines Blocks aus Italien, Österreich und Ungarn schon wesentlich näher. Die Sozialdemokraten lehnten den »ganzen Plunder der Donauföderation« als monarchistisch und deutschfeindlich ab und warfen Seipel noch im Wahlkampf 1932 vor, er wolle »die einzig österreichische Lösung, den Anschluß an das deutsche Wirtschaftsgebiet, das

88 Otto Bauer, Die wirtschaftliche und politische Lage Österreichs. Referat beim 31. Parteitag. In  : Otto Bauer, Werkausgabe. Band 5. Wien 1978. S. 590 f. 89 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 354. 90 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 367.

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heute schon unser größter Abnehmer ist, versperren«.91 Rückblickend aber meint Gulick, »daß eine Schwenkung der (sozialdemokratischen, d. V.) Partei zu einer Politik der Zusammenarbeit mit der tschechoslowakischen Demokratie unter französischer Patronanz ihrer eigenen Sache und der der österreichischen Demokratie einen größeren Dienst erwiesen hätte«.92 Nicht übersehen werden sollte aber, daß dieses Verbot der Zollunion mit Deutschland ein von außen gesetztes war und damit die auch in vielen anderen Faktoren begründete Krise der Identität der österreichischen Bevölkerung verstärkte. Die Christlichsozialen legten bei ihrem Bundesparteitag in Klagenfurt am 25. April 1931 den wirtschaftspolitischen Kurs fest. Bundeskanzler Ender bekannte sich eindeutig zu einer wirkungsvollen Hilfe für die Bauern, denen durch einen größeren Zollschutz die Preise für ihre Erzeugnisse ausreichend gesichert werden sollten. Auch wenn dies Opfer für Konsumenten, insbesondere für die Arbeiterschaft, bedeutete. Für den Export der Industrieprodukte kündigte der Bundeskanzler die Fortsetzung von Handelsvertragsverhandlungen mit mehreren Staaten an. Für die Staatsfinanzen sagte Ender magere Jahre voraus, die Ausgaben müßten den Einnahmen angepaßt werden, der Staat müsse »die Rolle des sparsamen Hausvaters« spielen. Als weitere Maßnahmen kündigte Bundeskanzler Ender an  : • Reform der Sozialversicherung, wie sie im Prinzip von dem kurz vorher zurückgetretenen Sozialminister Resch vorgelegt worden war.93 • Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung, da die Bundesfinanzen nicht weiter durch unbegrenzte Vorschußverpflichtungen des Bundes gefährdet werden dürften. • Opfer dürften nicht nur von den Arbeitern verlangt werden, sondern auch von den öffentlich Bediensteten und den unkündbaren Privatangestellten, vor allem mit höheren Einkommen. • Reform der Verwaltung, die zwar nicht sofort, aber mittelfristig Einsparungen bringe. Ender stellte die schwierige Situation der größten Regierungspartei folgendermaßen dar  : »Aufbauen, fördern, die Ausgaben vermehren, die Gehalte verbessern, das ist an91 »Salzburger Wacht«, 20. 2. 1932. S. 1. Vgl. auch Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. Der Landtagswahlkampf 1932 im Bundesland Salzburg. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. Mitteilungen der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft. 1992. Nr. 1. S. 40 f. 92 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 367. 93 1931 war die erste große Krise des österreichischen Sozialversicherungssystems  : die Arbeitslosenversicherung hatte beim Bund 150 Millionen Schilling Schulden, ohne daß Aussicht bestand, diesen Betrag jemals wieder zurückzahlen zu können. Das Versicherungsprinzip scheiterte, als Sozialminister Resch dabei war, eine einheitliche allgemeine Sozialversicherung aufzubauen. Vgl. dazu Dieter Stiefel, Sozialpolitik in der Ersten Republik. In  : christliche demokratie. 2/84. S. 194 f. Ebenso »Salzburger Chronik«, 1. 4. 1931. S. 3.

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genehm, gereicht jedem zur Freude und erwirbt Freundschaft und Gefolgschaft. Uns ist die gegenteilige Aufgabe gestellt und wir können das öffentliche Wohl, das Wohl des Volkes heute nur durch Vereinfachung, durch Drosselungen, durch Sparsamkeit erstreben und erreichen.«94 Am 12. Mai 1931 wurde die Krise durch den Zusammenbruch der größten österreichischen Bank, der Creditanstalt für Handel und Gewerbe (CA), sehr wesentlich verschärft, hingen doch rund 70 Prozent der österreichischen Handels- und Industrie­unternehmungen an dieser Bank. Dabei spielte das persönliche Verhalten der verantwortlichen Direktoren eine entscheidende Rolle. Als weitreichende Fehlentscheidung galt wohl die Donauraum-Orientierung der Vertreter der Großbanken, die sich nach dem Zusammenbruch der Monarchie für die Fortsetzung des »business as usual« aussprachen, anstatt sich aus dem Donauraum (wo sie als Symbol des ungeliebten Wiener Zentralismus galten) zurückzuziehen und sich auf die Bedürfnisse des österreichischen Kleinstaates zu beschränken.95 Karl Ausch, der die Politik der damaligen Bundesregierung sehr kritisch beurteilt, gesteht den politisch Verantwortlichen zu, »daß es die Direktoren der Wiener Großbanken nach dem Zusammenbruch der Monarchie entweder nicht verstanden oder unterlassen haben, die unerläßlichen Konsequenzen aus diesem historischen Geschehen zu ziehen. Sie versuchten vielmehr, ihr Finanzimperium auch dort aufrechtzuerhalten, wo das politische Imperium verschwunden war.«96 Dies galt vor allem für die Bodencreditanstalt und für die CA. Letztere wurde durch die Fusionierung mit der Bodencreditanstalt eindeutig überfordert. Auch die Sozialdemokratie erkannte die Tragweite des Zusammenbruches der CA  : ihre Liquidierung wäre einer Liquidierung der österreichischen Wirtschaft gleichgekommen. Trotz – oder gerade wegen – dieser dramatischen wirtschaftlichen Entwicklungen besserten sich die Beziehungen zwischen der Regierung und der sozialdemokratischen Opposition. Die Regierung zog sogar Vertreter der Sozialdemokraten, insbesondere den Wiener Finanz-Stadtrat Breitner, den Beratungen über die weitere Vorgangsweise im CA-Zusammenbruch bei.97 Dieses neue engere Verhältnis zwischen Regierung und Opposition, die den Ernst der Lage erkannte, führte auch dazu, daß das 2. CA-Gesetz mit den Stimmen der Regierungsparteien und der Sozialdemokraten beschlossen wurde, der Heimatblock stimmte dagegen. 94 »Salzburger Chronik«, 27. 4. 1931. S. 1. 95 Vgl. Fritz Weber, Die österreichischen Großbanken in der Zwischenkriegszeit. In  : christliche demokratie. 4/85. S. 326 f. Vgl. auch Alice Teichova, Kontinuität und Diskontinuität  : Banken und Industrie in Mitteleuropa im 20. Jahrhundert. In  : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 4. Jg. Heft 4/1993. S. 539. 96 Karl Ausch, Als die Banken fielen. Zur Soziologie der politischen Korruption. Wien, Frankfurt, Zürich 1968. S. 344. 97 Vgl. Karl Ausch, Als die Banken fielen. S. 374.

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Das Defizit des Bundes wuchs unaufhaltsam, was besonders den Sozialdemokraten Sorge bereitete, da sie befürchteten, daß damit die Inflation ansteigen würde. Als die Bank of England plötzlich die Rückzahlung ihres 150-Millionen-Schilling-Kredites verlangte, wußte sich die österreichische Bundesregierung nicht anders zu helfen, als den Völkerbund zu ersuchen, Österreich eine Anleihe von 250 Millionen Schilling zu gewähren. Frankreich wäre die einzige Macht gewesen, die helfen hätte können, hegte aber tiefes Mißtrauen gegenüber Österreich wegen der Zollunions-Pläne mit Deutschland. Außenminister Schober teilte daher am 3. September offiziell mit, daß diese Zollunions-Pläne nicht mehr weiter verfolgt würden. Mitten in diese wirtschaftlichen Turbulenzen platzte am 13. September der Heimwehrputsch, der aber rasch niedergeschlagen werden konnte. Bundeskanzler Buresch reiste nach Genf wegen der Völkerbundanleihe, die mit den folgenden verpflichtenden Sparmaßnahmen versprochen wurde  : • • • •

Kürzung der Einkommen der Staatsbeamten  ; Kürzung der Arbeitslosenunterstützung  ; Kürzung der Eisenbahnerlöhne  ; Reorganisation der Österreichischen Bundesbahnen.

Diese Maßnahmen für eine Deflationspolitik wurden von den Sozialdemokraten, den Großdeutschen und der Heimwehr abgelehnt.98 Obwohl die Sozialdemokraten in dieser wirtschaftspolitisch so kritischen Phase ein Koalitionsangebot Bureschs ablehnten, erklärten sie sich aber bereit, für die Budgetreform zu stimmen, wenn einige Verbesserungen in ihrem Sinne vorgenommen würden. Damit erreichten sie, daß • jede Änderung der Kollektivverträge vermieden wurde  ; • der Abbau bei den Bundesbahnen wie im öffentlichen Dienst nicht ohne Mitwirkung der Personalvertretung durchgeführt wurde  ; • Milderungen der drohenden Verschlechterungen für öffentliche Angestellte, Pensionisten, Eisenbahner und Gemeindeangestellte durchgesetzt wurden  ; • ein Teil der Einsparungen zu Lasten des Heeresbudgets ging  ; • die Arbeitslosenunterstützung unangetastet blieb, der Fonds sogar noch vergrößert wurde. Diese Konsensbereitschaft der sozialdemokratischen Führung brachte ihr beim Parteitag im November 1931 starke Kritik ein. Otto Bauer mußte seine ganze Argumenta­ tionskraft aufbieten, um die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion zum Budgetsanierungsgesetz den Delegierten zu erklären. Dieser Kompromiß hatte zu »begreiflicher und heftiger Kritik« geführt und – wie Bauer selbst ausführte – »ein großes Unbehagen, eine tiefe Unzufriedenheit in manchen Kreisen unserer Partei und insbesondere unter den Eisenbahnern und den öffentlichen Angestellten hervorgerufen«. Bauer 98 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 375.

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rief den Kritikern zu  : »Wenn wir dieses Gesetz einfach verhindert hätten, dann hätten sie (die von den Kürzungen Betroffenen, d. V.) wahrscheinlich noch die alten Bezüge, dann bekämen sie so viel in Papierschillingen, wie sie bisher bekommen haben, aber dann wäre der Papierschilling heute schon um mindestens fünfzig Prozent entwertet, und das wäre eine ganz andere Lohnsenkung als die, die sie betroffen hat.« 99 In dieser Begründung Bauers kam die alte Angst der Sozialdemokraten vor der Inflation, die zur Verelendung der Massen führe, zum Ausdruck, weshalb er eindeutig klarstellte  : »Keine sozialdemokratische Partei könnte es verantworten, heute den Staat in eine neue Inflation hineinzustürzen.«100 Vor dem Hintergrund des Traumas »Inflation« teilte die Sozialdemokratie eigentlich den wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung, deren Credo »Stabilität der Währung und ausgeglichenes Staatsbudget, keine oder zumindest nur geringe staatliche Investitionen« hieß.101 Der weitere Weg der Regierung aber sollte von der Sozialdemokratie nicht mehr mitgetragen werden, nämlich die Bestrebungen in Richtung Donauföderation, die nur durch die Macht und das Kapital Frankreichs realisierbar wäre. Die Folge war, daß die Sozialdemokraten die Wirtschaftspolitik der Regierung nicht mehr weiter mittragen wollten. Otto Bauer kündigte als sozialistische Lösung ein Wirtschaftsprogramm an, das auf folgenden Schwerpunkten beruhte102  : • • • •

Planwirtschaft anstelle der kapitalistischen Anarchie  ; Staatskapitalismus anstelle des privaten Kapitalismus  ; Staatsmonopole im Großhandel mit Getreide, Zucker, Kohle und Benzin  ; Übernahme der »Industriekonzerne« der CA durch den Staat, die Creditanstalt wird zur Staatsbank.

Otto Bauer bezeichnete dies noch nicht als Sozialismus, aber als Übergangsformen vom Kapitalismus zum Sozialismus, einen Weg, den die Regierung und die bürgerliche Mehrheit im Parlament um keine Stunde früher gehen würden, als sie ihn gehen müßten, weil sie nicht mehr anders könnten. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Ankündigung dieses wirtschaftspolitischen Konzeptes den innerparteilichen Kritikern der sozialdemokratischen Konsenspolitik den ärgsten Wind aus den Segeln nehmen sollte. Es kann auf der anderen Seite nicht wundernehmen, daß mit einem solchen Wirtschaftsprogramm die Ängste des bürgerlichen Lagers vor einer marxistischen Wirtschaftspolitik neu geschürt wurden und sich die rechten Kräfte in der Christlichsozia­

 99 Otto Bauer, Die wirtschaftliche und politische Lage Österreichs. Referat beim Parteitag 1931. S. 592 und 596. 100 Otto Bauer, Die wirtschaftliche und politische Lage Österreichs. S. 594. 101 Vgl. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. S. 296. 102 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 380. Ebenso Otto Bauer, Die wirtschaftliche und politische Lage Österreichs. S. 605 f.

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len Partei, denen die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten ein Dorn im Auge war, bestätigt fühlten. Ab diesem Zeitpunkt waren weitere gravierende wirtschaftliche Auswirkungen zu verspüren. Schrumpfungserscheinungen waren in allen Branchen festzustellen. Der Verbrauch ging erstmals seit 1922 zurück.103 Der bisher praktizierte Antiinterventionismus schlug in einen Feuerwehrinterventionismus um. Die Regierung schlug einen extrem protektionistischen Agrarkurs zur Vertretung der Interessen ihrer Kernschichten ein, die Wirtschaftspolitik wurde immer mehr zu einer »unkoordinierten Reparaturanstalt für privatwirtschaftliche Defekte.«104 Im Jahr 1932 konnte das Budget durch Kürzung der Beamtengehälter und Erhöhung von Verbrauchssteuern zwar ausbalanciert werden, die staatlichen Investitionen sanken jedoch von 10,9 Prozent im Jahr 1930 auf 0,6 Prozent der Gesamtausgaben. Daß die Produktivität insgesamt hinter den anderen mittel- und westeuropäischen Ländern blieb, ist vor allem auf den erheblichen Kapitalmangel der Bauern zurückzuführen, der die dringend notwendige Technisierung und Mechanisierung im landwirtschaftlichen Bereich kaum möglich machte. Einen Aspekt, der für unsere Untersuchung von besonderer Relevanz ist, stellen die in der Ersten Republik ständig steigende Überfremdung der Privatwirtschaft durch ausländische Geldgeber und die erhebliche äußere Verschuldung des österreichischen Gesamtstaates dar. Um das Jahr 1930 wurden rund 65 Prozent der wichtigsten Industrieunternehmen Österreichs von westlichen und mehr als 30 Prozent von deutschen Kapitalinteressen beherrscht. Gerade das Einfließen deutschen Kapitals wurde dadurch begünstigt, daß ein beträchtlicher Teil der maßgeblichen Eliten die Lebensfähigkeit Österreichs in Frage stellte und den Anschluß an das Deutsche Reich sehr vehement betrieb. Deshalb wurde ab der Mitte der zwanziger Jahre besonderer Wert auf enge Beziehungen zum Deutschen Reich durch Direktinvestitionen und Kooperationen von Interessenverbänden gelegt. Deshalb meint R. Matthes, daß eine wirksame und dauerhafte Sanierung der österreichischen Volkswirtschaft schon allein durch diese Fixierung der österreichischen Wirtschaftseliten auf überholte Großmachtwünsche bzw. auf den Anschluß ans Deutsche Reich und durch die wachsende wirtschaftliche Abhängigkeit vom Ausland, die Österreich zu einem penetrierten Staat machte, beträchtlich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht w ­ urde.105 Während mit dem Hereinbruch der Weltwirtschaftskrise der Einfluß des westlichen Kapitals auf die österreichischen Banken und damit auch auf die Industrie er103 Vgl. Friedrich Thalmann, Die Wirtschaft in Österreich. S. 497. 104 Bachinger, Hemetsberger-Koller, Matis  : Grundriß der österreichischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von 1848 bis zur Gegenwart. Wien 1987. S. 78. 105 Vgl. Reiner Matthes, Der ökonomische Aspekt in den Krisen der Ersten Republik. In  : christliche demokratie. 1/83. S. 18.

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heblich zurückging und etwa in Österreich investiertes britisches Kapital liquidiert wurde, blieben die im Laufe der Jahre erworbenen Positionen des deutschen Kapitals überwiegend erhalten. Im Bereich der Banken konzentrierte sich das Interesse der deutschen Anleger auf Mittel-, Provinz- und Spezialbanken, auf die Sparkassen und die genossenschaftliche Kreditversorgung. Alle diese Bereiche waren von größter innenpolitischer Bedeutung  : Ihre Kundschaft kam aus allen Teilen des Mittelstandes, ob es nun Angestellte, Kleingewerbetreibende oder Bauern waren. Damit war die direkte politische Einflußnahme Deutschlands auf das Nachbarland Österreich sowohl vor als gerade auch nach der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich gegeben. »Angesichts der Bedeutung dieser Bevölkerungsschichten für die Entwicklung der Machtbasis jeder österreichischen Regierung lassen sich die Machtressourcen ermessen, welche sich für politische und ökonomische Eliten Deutschlands aus solchen strukturellen Verflechtungen ergeben.«106 Als Ergebnis dieser Entwicklung gewannen schließlich die faschistischen Nachbarländer Deutschland, Italien und Ungarn immer mehr Einfluß auf die österreichische Wirtschaft. Trotz entgegengesetzter Interessen bewirkten sie ein Gemeinsames  : sie unterstützten antidemokratische, faschistische Bewegungen wie die Heimwehr oder die NSDAP in Österreich massiv und griffen damit direkt in innenpolitische Vorgänge ein. So wurde etwa die von Ruhrindustriellen beherrschte Alpine Montangesellschaft Anfang 1933 zu einem wesentlichen Stützpunkt des nationalsozialistischen Widerstandes, wo bewußt Streiks provoziert wurden, um die innenpolitischen Spannungen Österreichs noch zu verschärfen. Die weitgehende wirtschaftliche Durchdringung Österreichs durch Deutschland lag nicht im Interesse Italiens. Italien wollte den französischen Einfluß im Donauraum zurückdrängen und mit ungarischer Hilfe einen starken Block in Mitteleuropa bilden. Dazu war die Einbeziehung Österreichs notwendig, womit sich aber die Interessen Deutschlands und Italiens in Österreich kreuzten. Nach Ansicht Mussolinis mußte daher die Sozialdemokratie, die noch immer den Anschluß Österreichs an Deutschland befürwortete, aus der österreichischen Innenpolitik ausgeschaltet werden. Italien und Ungarn unterstützten daher die Heimwehren ganz gezielt, wobei Mussolini die finanzielle Ausstattung und Ungarn die politische Lenkung übernahm.107 Andererseits hatten die westlichen »Gläubigerkontrollore« mit ihren weitreichenden Befugnissen in Österreich eine verheerende psychologische Wirkung. Sie wurden zum Symbol schwerwiegender Souveränitätsverluste, was wiederum von den Nationalsozialisten in politisches Kapital umgesetzt wurde.

106 Reiner Matthes, Der ökonomische Aspekt in den Krisen der Ersten Republik. S. 13. 107 Vgl. Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der »Anschluß«. Wien, München 1988. S. 159.

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Es ist kein Wunder, daß gerade die wirtschaftliche Entwicklung, die damit verbundene Arbeitslosigkeit und die triste Situation der Landwirtschaft in der politischen Auseinandersetzung eine wesentliche Rolle spielten und auch für die nach Einbruch der Weltwirtschaftskrise durchgeführten Wahlgänge von besonderer Bedeutung waren. Die wachsende Arbeitslosenquote, die niedrigen Löhne, die Zukunfts- und Aussichtslosigkeit, das Bewußtsein der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ausland, alle diese Faktoren zusammen führten zu einer ständig steigenden Deprivation in der Bevölkerung, die sich u. a. in der großen Zahl von Selbstmorden ausdrückte. 1932, am Höhepunkt der ökonomischen Krise, hatte Österreich die höchste Suizidalität seit Anfang des 19. Jahrhunderts aufzuweisen. Damit war Österreich der selbstmordreichste Staat Europas. In dieser Zeit waren Arbeitslosigkeit und Notlage die häufigsten bekannten Selbstmordmotive.108 In diesem sozialpsychologischen Klima fielen die Parolen jener radikalen politischen Gruppen, die auf eine Stärkung des angeschlagenen Selbstbewußtseins der Bevölkerung abzielten, auf fruchtbaren Boden.

2.3 Die politische Entwicklung Nach der Nationalratswahl vom 24. April 1927, bei der auf Betreiben Seipels Christlichsoziale (71 Mandate) und Großdeutsche (12 Mandate) auf einer Einheitsliste kandidiert hatten und gemeinsam mit 85 Mandaten gegenüber den Sozialdemokraten mit 71 Mandaten eine stabile Mehrheit erreichten, wurde die 5. Regierung Seipel gebildet, die durch die Einbeziehung des Landbundes (neun Mandate) in die bürgerliche Koalition auf eine noch breitere Basis gestellt wurde. Diese Wahl war sehr wesentlich unter dem Eindruck der Ereignisse des 30. Jänner 1927 in Schattendorf gestanden. Die Wahl hatte nicht jenen Erfolg gebracht, den Bundeskanzler Seipel sich erhofft hatte. Im Vergleich zu 1923 mußten die Christlichsozialen in der Einheitsliste neun Mandate abgeben, die Großdeutschen hingegen erhielten zwei Sitze mehr, obwohl sie bei einer eigenen Kandidatur aller Voraussicht nach geschwächt worden wären. Die Hoffnung der Sozialdemokraten, die parlamentarische Mehrheit zu erringen, war zwar nicht aufgegangen, aber sie gewannen drei Sitze hinzu, womit sich zeigte, daß sie langsam, aber unaufhaltsam im Vormarsch waren. Eines aber war auf jeden Fall klar  : Durch die bisher wohl schärfste Wahlkampagne, die jemals in Österreich geführt wurde, ausgelöst durch die bereits erwähnte radikalere ideologische Positionierung in Form neuer Parteiprogramme, und durch die Bildung der Einheitsliste war die politische Lagerbildung in Sozialisten und Nichtsozia108 Vgl. Norbert Ortmayr, Selbstmord in Österreich 1819–1988. In  : Zeitgeschichte. Heft 5. Februar 1990. S. 212, 219, 225.

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listen wesentlich vorangetrieben worden, mit all den Folgen für die parlamentarische Demokratie in Österreich. Jedenfalls fand mit den Ereignissen des 15. Juli 1927 ein Bruch des bestehenden »partiellen Proporz- bzw. Konsenssystems« statt. Die bürgerliche Seite verlor ihre Angst vor der Stärke der Sozialdemokraten, die kleinbürgerliche Gefolgschaft der Sozialdemokratie wiederum erkannte die Schwäche ihrer Führung und lernte das Fürchten. Der »Mythos der 51 Prozent«, der Glaube an die Erreichbarkeit der parlamentarischen Mehrheit, derzuliebe die Sozialdemokratie die Teilnahme an der Regierung aufgegeben und in der Opposition verharrt hatte, war gebrochen.109 Das bis dahin weitgehende Gleichgewicht im politischen »bargaining« war verlorengegangen, die Christlichsozialen hatten keine Scheu mehr, mit den antidemokratischen Heimwehren zu koalieren, ohne Widerstände der Sozialdemokratie zu befürchten. Mit diesem Ereignis trat die Tatsache, daß die österreichischen Parteien Lagerparteien waren, »mindestens mental Kriegsparteien, über deren Fronten hinweg immer schwerer zu reden war«, stärker ans Tageslicht.110 Aber es gab auch innerhalb der christlichsozialen Partei durchaus Persönlichkeiten, die bereit waren, die von Teilen der Sozialdemokratie, etwa Karl Renner, entgegengestreckte Hand zu ergreifen. Schließlich aber war es Bundeskanzler Seipel, der jedes Zugeständnis an die Sozialdemokraten wie auch jeden Gedanken an eine Koalition von sich wies. Er begann schon die Weichen in die Richtung einer »Politik der starken Hand« zu stellen und suchte dazu ein geeignetes, wirksames Instrument, »um die katholische Kirche zu schützen und die Staatsautorität zu stärken«.111 Für die letzte Wandlung (»Akkommodation«) Seipels in Richtung Aufbau einer »antimarxistischen Front« mit den Heimwehren gibt es durchaus auch von der Sozialdemokratie nahestehenden Historikern verständnisvolle Erklärungen. Gerhard Botz meint etwa, daß die Sozialdemokratie 1922/23 bereits die Grenze der Demagogie im Kampf gegen Seipel und seine Regierung überschritten habe, daß im zeitlichen Umkreis des Attentats auf Seipel im Juni 1924 bei sozialdemokratischen Demonstrationen 109 Vgl. Fritz Kaufmann, Sozialdemokratie in Österreich. Idee und Geschichte einer Partei. Von 1889 bis zur Gegenwart. Wien – München 1978. S. 231. Vgl. auch Anson Rabinbach, Vom roten Wien zum Bürgerkrieg. Wien 1989. S. 37 ff.: »Die Ereignisse auf der Ringstraße an jenem Freitag zeigten die tatsächlichen Grenzen der sozialdemokratischen Macht. Die Unfähigkeit der sozialistischen Führung, mit diesen Grenzen zurechtzukommen, stand in krassem Gegensatz zu der heftigen Empörung der Wiener Arbeiter, die man hatte glauben lassen, daß die Partei ihre politischen Interessen um jeden Preis verteidigen würde.« (S. 38 f.) 110 Alfred Ableitinger, Die politischen Parteien zwischen ideologischem Anspruch und politischer Realität. In  : christliche demokratie. 1/84. S. 7. Vgl. auch Anson Rabinbach, Otto Bauer und der fünfzehnte Juli 1927. In  : Archiv 1989. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung. 5. Jg. Wien 1989. S. 37–64. 111 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit. Graz, Wien, Köln, S. 221.

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eine Puppe, die einen Geistlichen darstellte, aufgehängt wurde, Spottlieder der Sozialdemokraten gegen Seipel weitverbreitet waren und seitens kommunistischer und gewerkschaftlicher Gruppen kaum unverhüllte Mordpropaganda betrieben wurde. Schließlich trug auch die heftige sozialdemokratische Kirchenaustrittspropaganda nach dem 15. Juli 1927 zu Seipels radikaler, antimarxistischer Wendung bei.112 Dieser Kurs Seipels stieß innerhalb der Christlichsozialen Partei auf Kritik. Vor allem Kunschak und seine christliche Arbeitnehmerorganisation, aber auch verschiedene Länderorganisationen, etwa die Christlichsoziale Partei Oberösterreichs, waren mit der heimwehrfreundlichen Politik Seipels immer weniger einverstanden. In Oberösterreich galt noch immer Landeshauptmann Hausers Stellungnahme zu den Heimwehren aus dem Jahr 1925, daß militante Organisationen immer zur Diktatur führten und sich die Bauern aus »Parteigarden« heraushalten sollten, als politisches Vermächtnis. Es konnte kein Zufall sein, daß sich Oberösterreichs Christlichsoziale 1929 gerade den prominenten Heimwehr-Gegner Kunschak zu einer Rede nach Linz holten, der dabei einen ziemlich unverhüllten Angriff gegen die Heimwehren startete.113 Neben diesen innerparteilichen Differenzen gab es auch innerhalb der Koalition zunehmend Differenzen. Die Großdeutschen kritisierten die Nichterfüllung von Forderungen der Beamtenschaft durch den Finanzminister, der Landbund stellte weitgehende agrarische Forderungen. Wie von Seipel befürchtet, brachte der 22. Jänner 1929 der Regierung im Parlament in der Frage des Eherechtes eine Niederlage, da die Großdeutschen mit den Sozialdemokraten stimmten und der Landbund sich der Stimme enthielt.114 Die Lage der Koalitionsregierung wurde immer schwieriger, obwohl Seipel mit der sozialdemokratischen Opposition zu einem gewissen Waffenstillstand gekommen war. Es war ihm sogar gelungen, in der umstrittenen Mietenfrage eine Vereinbarung zu schließen, die die letzte Entscheidung darüber dem Volk vorbehielt.115 Trotzdem erklärte Seipel am 3. April 1929 seinen Rücktritt, da »die inneren Spannungen ein hohes Maß erreicht haben«. Der Lösung verschiedener wichtiger Fragen wie Wohnbauförderung, Mietengesetz, Justizreform, Grundsatz- und Polizeigesetze, Sozialpolitik u. a. »stehen die vorerwähnten Spannungen entgegen, die zu einem erheblichen Teile – wenn auch mit Unrecht – der gegenwärtigen Regierung 112 Vgl. Gerhard Botz, Die Regierungszeit Seipels aus sozialdemokratischer Sicht. In  : christliche demokratie. 3/85. S. 243 f. Zur Kirchenaustrittspropaganda vgl. auch Maximilian Liebmann, Ignaz Seipel – Mensch, Christ, Priester. In  : christliche demokratie. 3/85. S. 207. 113 Vgl. Harry Slapnicka, Christlichsoziale in Oberösterreich. Vom Katholikenverein 1848 bis zum Ende der Christlichsozialen 1934. Linz 1984. S. 266 und S. 270. 114 Vgl. dazu Dieter A. Binder, Zum Antiklerikalismus in der Ersten Republik. In  : christliche demokratie. 4/91–92. S. 372 f. 115 Vgl. Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf der Ereignisse in Österreich von 1918 bis 1945. In  : Heinrich Benedikt (Hg.), Geschichte der Republik Österreich. München, Wien 1977. S. 161 f.

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zur Last gelegt werden … Deswegen halte ich es für richtig, den politischen Parteien die Möglichkeit zu geben, in anderer Weise, als es unter meiner Führung geschehen konnte, die Zukunft sicherzustellen.«116 Die Suche nach einem Nachfolger dauerte einen Monat. Wieder einmal hätte die Chance bestanden, eine Koalition zwischen den Christlichsozialen und der Arbeiterpartei ins Auge zu fassen. Offensichtlich gab es gerade im agrarischen Flügel der Christlichsozialen Partei solche Überlegungen.117 Eine solche Regierungskoalition hätte eine innere Abrüstung durchführen und damit den Heimwehren die entscheidende Schwächung zufügen können. Aber Seipel war noch immer Parteiobmann der Christlichsozialen Partei und konnte sich seines Einflusses sicher sein. Neben der christlichsozialen Parteipresse erklärte sogar Leopold Kunschak noch am Abend des 3. April in einer Versammlung im 1. Wiener Bezirk  : »Wird etwa an die Stelle der bisherigen Arbeitsgemeinschaft eine Koalition mit den Sozialdemokraten treten  ? Ich beantworte diese Frage mit einem klaren, entschiedenen Nein  ! Von einem Systemwechsel kann keine Rede sein.«118 Regierung Streeruwitz – Bereitschaft zur partiellen Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten In Verhandlungen einigte man sich mit dem Landbund und den Großdeutschen auf eine neuerliche Koalition, diesmal unter der Führung des Wirtschaftspolitikers Ernst Streeruwitz. Verhandlungen wurden aber auch geführt mit den Sozialdemokraten, um die Arbeitsfähigkeit des Nationalrates wiederherzustellen. Das »partielle Konsensmodell« brachte es mit sich, daß immer dann, wenn in der politischen Arbeit gar nichts mehr weiterging, die Christlichsoziale Partei und die Sozialdemokraten wieder mehr Bereitschaft zeigten zum Konsens. Walter B. Simon spricht vom Beginn einer »Periode politischer Entspannung«, die bis zum Frühjahr 1932 dauerte und die zeigte, »daß der Zusammenbruch der Demokratie in Österreich keineswegs unabwendbar war – eine dauerhaftere und konsequenter durchgeführte Zusammenarbeit der demokratisch gesinnten Gemäßigten hätte den katastrophalen Zusammenbruch möglicherweise verhindern können – allerdings um den Preis von bitteren Konflikten mit den jeweiligen antidemokratischen Extremisten des eigenen Lagers.«119 Interessant war bei den Gesprächen mit den Sozialdemokraten das Verhandlungskomitee der Christlichsozialen, das aus den Abgeordneten Fink, Kunschak, Dr. Gürtler, Födermayr und Heinl bestand, also durchwegs aus Exponenten jenes Flügels, der 116 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. Wien 1934. S. 103. 117 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 315. 118 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 103. 119 Walter B. Simon, Österreich 1918–1938. Ideologien und Politik. Wien 1984. S. 119.

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für eine gemäßigte Linie gegenüber den Sozialdemokraten stand. Die ursprüngliche Bereitschaft, der Forderung der Sozialdemokraten nach dem Rücktritt von Heeresminister Vaugoin, nachzugeben, wurde nach einem Gespräch mit Seipel wieder zurückgezogen. Jodok Fink und Leopold Kunschak besuchten Seipel in seiner Privatwohnung, Kunschak schildert diesen Besuch folgendermaßen  : »Wir wurden von ihm sehr ungnädig empfangen, er nahm unseren Bericht schweigend entgegen, auf die Frage, ob Vaugoin geopfert werden sollte, antwortete er kurz  : ›Personenfragen dürfen keine Rolle spielen.‹ Hierauf verabschiedete uns Dr. Seipel – ebenso ungnädig wie er uns empfangen – mit den Worten  : Macht, was ihr wollt, mich aber laßt in Ruhe, das eine sage ich Euch noch, wenn bis 5. Mai die neue Regierung nicht gebildet ist, dann gehe ich zum Bundespräsidenten und lege auch meine ›Betrauung mit der Fortführung der Geschäfte‹ zurück.«120 Schwer betroffen entschieden die beiden Unterhändler, jedenfalls an Vaugoin festzuhalten. Streeruwitz gegenüber drückte sich Seipel deutlicher aus  : er solle Vaugoin oder einen von diesem empfohlenen Mann nehmen.121 Die Christlichsoziale Partei beharrte also auf Vaugoin und die Sozialdemokraten gaben nach. Mit Ernst Streeruwitz, einem führenden Vertreter der Industrie, war der Boden für eine Verständigung mit der Sozialdemokratie gelegt. Schon in seiner Regierungserklärung fand Streeruwitz wohltuend ruhige Worte, befaßte sich vor allem mit Wirtschaftsfragen, legte aber auch ein klares Bekenntnis zur österreichischen Demokratie und zum österreichischen Parlament ab. »In Übereinstimmung mit dem Prinzip der Demokratie, dem die Regierung nie untreu wird, muß der Ausgleich schwebender Meinungsverschiedenheiten denjenigen überlassen werden, die vom Volk gewählt worden sind.«122 Er präsentierte ein Programm, »das nach der unerbittlichen Prinzipienverbundenheit Seipels von allen Seiten als versöhnlich aufgenommen wurde«.123 Man fand eine allgemeine Verständigung in der Mieterschutzfrage. Das neue Mietengesetz, das unter Seipel so lange zu heftigen Auseinandersetzungen geführt hatte, wurde am 14. Juni 1929 vom Nationalrat beschlossen. Ebenso gelang es, eine Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz und das Kleinrentnergesetz zu beschließen. Der Nationalrat brachte tatsächlich wieder etwas weiter. »Eine Periode der Versöhnung zwischen der Arbeiterpartei und den Christlichsozialen schien nahe. Er (Renner, d. V.) mochte glauben, daß der Tag nicht mehr ferne sei, wo die freundliche Duldung sich zu einer wirklichen Koalition entwickeln würde.«124 Das Klima im Parlament wurde 120 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 106. 121 Ernst von Streeruwitz, Springflut über Österreich. Erinnerungen, Erlebnisse und Gedanken aus bewegter Zeit 1914–1929. Wien 1937. S. 107. 122 Protokoll der Sitzung des Nationalrates. 7. 5. 1929, S. 2563 f. 123 Isabella Ackerl, Ernst Streeruwitz. In  : Friedrich Weissensteiner, Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien 1983. S. 140. 124 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 318.

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– nach den Jahren heftigster Auseinandersetzungen – sachlich, die Arbeit ging voran, die gegenseitigen Angriffe hörten praktisch völlig auf. Es herrschte eine Atmosphäre der Verständigungspolitik. Diese Phase des Konsenses erlaubte auch drei wesentliche Maßnahmen gegen die demokratiefeindliche Heimwehr, die man auch als Maßnahmen im Sinne einer Streitbaren Demokratie sehen kann  : • Am 7. Mai untersagte der Wiener Bürgermeister alle Aufmärsche in Wien  ; • bald darauf folgte Landeshauptmann Buresch mit dem gleichen Verbot für Niederösterreich und das Burgenland  ; • schließlich verbot Vizekanzler Schumy (Landbund) für Demonstrationen das Tragen nicht nur richtiger Waffen, sondern aller Gegenstände, die als Waffen gebraucht werden konnten, wie Spaten und Spitzhacken.125 Auch wenn sich die Heimwehren den Anordnungen des Wiener Bürgermeisters, des niederösterreichischen und burgenländischen Landeshauptmannes und des Vizekanzlers widersetzten, wären solche Verbote unter einem Bundeskanzler Seipel sicher nicht möglich gewesen. Schließlich hielt auch der Schutzbund die Verbote nicht mehr ein. Durch die Aufmarschverbote – wenn auch mehrfach durchbrochen – wurde die Werbetätigkeit der Heimwehren empfindlich eingeschränkt, zum ersten Mal war auch von einer Entwaffnung der Wehrverbände die Rede.126 Schließlich zeigte eine neuerliche Maßnahme der Bundesregierung gegen die bewaffneten Organisationen doch eine gewisse – wenn auch nur kurzfristige – Wirkung. Am 25. Juni wurden die Landeshauptmänner bei einer Konferenz aufgefordert, alle Berichte über Waffenbesitz und -verstecke genau zu prüfen. Obwohl Bundeskanzler Streeruwitz diese Anordnungen nicht sehr energisch vertrat, wurde die Heimwehr doch etwas eingeschüchtert und erklärte sogar, während der Sommermonate alle ihre Aufmärsche und Demonstrationen einzustellen. Streeruwitz beurteilte die Heimwehren anders als Seipel. Er meinte, solche Condottieritruppen seien nicht nur unbequem, sondern auch gefährlich, weil sie verantwortungslos operierten.127 Lange dauerte dieser friedliche Zustand nicht an. Die Heimwehrführer Steidle und Pfrimer kündigten für Ende September Aufmärsche in den Städten rund um Wien an, die Bundeshauptstadt sollte eingekreist werden. Das Gefühl machte sich breit, daß es im Herbst zu einer Entscheidung kommen würde, wahrscheinlich durch ei125 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 319. Ebenso Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. München 1983. S. 170 f. 126 Vgl. Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. Eine unwiderstehliche Volksbewegung  ? Wien 1985. S. 49. 127 Vgl. Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr. Wien, Frankfurt, Zürich 1966. S. 35.

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nen Bürgerkrieg. Am 11. August erklärte der Heimwehr-Landesstabsleiter Otto Gallian  : »Der jetzige Staat kann nicht mehr weiter und schon die nächsten Monate, vielleicht die nächsten Wochen werden beweisen … Wir sind bereit, die Macht zu übernehmen.«128 Am 18. August fand in Tirol ein großes Heimwehrtreffen statt, bei dem Landeshauptmann Stumpf seine Sympathie für die Heimwehren als wichtigen politischen Faktor klar bekundete und Steidle den Kampf mit allen Mitteln gegen den Marxismus und gegen alle Anhänger einer Verständigung mit den Sozialisten ankündigte.129 Am gleichen Tag kam es in dem steirischen Ort St. Lorenzen zu schweren Zusammenstößen zwischen Heimwehr und Schutzbund mit mindestens 200 Verletzten auf beiden Seiten. Drei Schutzbündler wurden so schwer verletzt, daß sie später ihren Verletzungen erlagen. Die staatliche Gewalt hatte auf allen Ebenen versagt. Der steirische Landeshauptmann Dr. Rintelen, ein Förderer der Heimwehren, hatte trotz Empfehlungen des Bezirkshauptmannes, beide Veranstaltungen zu verbieten, die Abhaltung der Versammlungen zugelassen und war damit für den Eklat mitverantwortlich. Wegen seiner alten Gegnerschaft zu Streeruwitz, der in den Vorfällen von St. Lorenzen nicht nur eine Provokation der Sozialisten, sondern auch seiner eigenen Regierung sah130, behinderte er die vom Bundeskanzler angeordneten Untersuchungen, deren Ergebnis eine Bankrotterklärung der Exekutive wurde. »Die Generalprobe für einen Heimwehrputsch war auf allen Linien erfolgreich verlaufen.«131 Das Land stand am Rande des Abgrundes  : Am Tag nach St. Lorenzen brachen in Wien zahlreiche wilde Streiks aus, sozialdemokratische Arbeiter überfielen drei Heimwehrmänner in Vösendorf, wobei ein Heimwehrmann getötet wurde. Er war gleichzeitig Mitglied der NSDAP und galt daher als erster »Blutzeuge« der NSDAP in Österreich.132 Das seit dem Rücktritt Seipels weitgehend funktionierende Einvernehmen zwischen den Koalitionsparteien und der sozialdemokratischen Opposition sollte also durch bewußte Provokationen der Heimwehren möglichst rasch wieder zerstört werden. Die sich anbahnende Konsenspolitik durch den wesentlich konzilianteren Bundeskanzler Streeruwitz und eine Sozialdemokratische Partei, die zwar keine Regierungsmitverantwortung tragen wollte, aber die Regierung als das kleinere Übel tolerierte und sich der Obstruktion enthielt, war den Heimwehren ein Dorn im Auge. Schon am Tage nach dem Antritt der Regierung Streeruwitz hatte der Heimwehrführer Steidle vorausgesagt  : »Die Regierung dauert nur wenige Monate, dann kommt Seipel wieder.«133 Tatsächlich tat die Heimwehr alles, um zielbewußt gegen eine sol-

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»Freiheit  !«, 12. 8. 1929. Zitiert in  : Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 52. Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg bis Hitler. S. 324. Vgl. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 293. Isabella Ackerl, Ernst Streeruwitz. S. 142. Vgl. auch Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. S. 175 ff. Vgl. Walter Kleindel, Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur. Wien, Heidelberg 1978. S. 334. Ernst von Streeruwitz, Springflut über Österreich. S. 398.

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che Konsolidierung der Regierung, die zu unterstützen die Sozialdemokraten bereit waren, zu arbeiten. Der sozialdemokratische Finanzreferent Wiens, Stadtrat Breitner, bot der Bundesregierung sogar einen Kredit in der Höhe von 60 bis 80 Millionen Schilling zur Lösung der dringendsten wirtschaftlichen Probleme an. Er erwartete dafür jedoch, daß die innenpolitische Ruhe durch eine Entwaffnung der Heimwehren garantiert werde. Es ist anzunehmen, daß Streeruwitz auf diesen Vorschlag einzugehen bereit gewesen wäre, zur Erfüllung der Bedingungen Breitners aber war er wegen in- und ausländischer Machtfaktoren nicht in der Lage. Die labile Lage Österreichs animierte die italienische und die ungarische Regierung zu einer noch stärkeren Unterstützung der faschistischen Heimwehren mit dem Ziel, daß die Heimwehren in Österreich die Herrschaft an sich reißen sollten.134 Die sich abzeichnende Konsenspolitik zwischen Regierung und Opposition und die Bemühungen, Maßnahmen zur Sicherung der Demokratie und zur Schwächung der antidemokratischen Heimwehren zu setzen, konnten nicht von langer Dauer sein. Seipel zog weiterhin intensiv seine Fäden in Richtung »wahrer Demokratie«. Von einer Mittelmeerreise zurückgekehrt, ließ er die geheimen politischen Fäden Österreichs wieder bei sich zusammenlaufen. Immer wieder äußerte er sich kritisch über die republikanische Verfassung und versuchte das Ausland von der Untragbarkeit der österreichischen Demokratie zu überzeugen. Vor allem in einem Vortrag an der Tübinger Universität am 16. Juli 1929 unter dem Titel »Tübinger Kritik an der Demokratie« kritisierte er heftig die politischen Parteien und verlangte die Schaffung der »wahren Demokratie«, einer Demokratie ohne Parteien. Statt dessen hob er die Heimwehren hervor, als »eine starke Volksbewegung, die die Demokratie von der Parteiherrschaft befreien will. Diese Volksbewegung wird von der Heimwehr vertreten. Meine Kritik an einer Pseudodemokratie richtet sich nicht gegen eine einzelne Partei, sondern gegen alle, die ihr verfallen. In Österreich aber teilen mit einer Ausnahme alle anderen Parteien die Zweifel an der Korrektheit und Gesetzmäßigkeit des herrschenden Systems  ; einzig die österreichische Sozialdemokratie verschließt sich der Kritik und verschanzt sich gerade hinter dem, was in unserer Demokratie schlecht ist. Das ist der einzige Grund, warum die Heimwehr die österreichische Sozialdemokratie bekämpft … Es stimmt, daß die Heimwehr im augenblicklichen Stadium ihrer Entwicklung ab und zu mit Regierungsstellen und den Funktionären der Mehrheitsparteien in Streit gerät. Das ist aber nur der Fall, wenn diese sich von der undemokratischen Parteiherrschaft beeinflußt zeigen. Das ist die Wahrheit.«135 Diese Kritik an den politischen Parteien verbreitete Seipel auch in den Predigten seiner zahlenreichen Messen, die er 134 Vgl. Lajos Kerekes, Abenddämmerung. S. 36 ff. 135 Ignaz Seipel, Der Kampf um die österreichische Verfassung. Wien 1930. S. 177 f. Vgl. auch Lajos Kerekes, Abenddämmerung. S. 39  ; Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 323  ; Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 293. Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 109 ff.

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in allen Landesteilen hielt. Natürlich wurden diese Appelle Seipels vor allem von den Heimwehren als Signale aufgefaßt. Streeruwitz stand allen diesen Ereignissen machtlos gegenüber. Immer wieder wurde er bedrängt, den Putsch mit der Heimwehr zu wagen. Er aber fühlte sich an seinen Eid auf die Verfassung gebunden, meinte aber auch, daß die Angelegenheit »noch nicht reif« wäre. »Die Kraft der Sozialdemokratie war noch gänzlich ungebrochen. Unsere Abhängigkeit von den westlichen Demokratien war noch stark und drückend … Nicht einmal die parlamentarische Mehrheit war noch bereit zur Kapitulation.«136 Daraus zeigt sich schon, daß auch er im Fall des Falles nicht ein Mann war, der für die Demokratie zu kämpfen bereit war. Seipel betrieb nun die Reform der österreichischen Verfassung. Damit meinte er, die Radikalisierung der Heimwehr eindämmen und die Heimwehr auf einen Kurs der Ordnung und der Legalität bringen zu können. In einem Interview mit dem Daily Telegraph Anfang September 1929 meinte er, die Forderung der Heimwehr nach grundlegender Verfassungsänderung müsse erfüllt werden, dann brauche man keine Sorge wegen eines Bürgerkrieges in Österreich zu haben. Die bewaffneten Formationen der Rechten wie der Linken seien nur Symptome der schlechten Verfassung.137 Der Heimwehrführer Steidle hatte schon im Mai vor einer Heimwehrdemonstration in St. Pölten erklärt, »die Heimwehr halte es aber für ihre Pflicht, immer wieder die Hand auf die offene Wunde unseres Staats- und Wirtschaftslebens zu legen und darauf hinzuweisen, daß die unter marxistischem Druck und Zwang zustande gekommene und nicht übermäßig mit dem Nimbus der Heiligkeit verklärte Verfassung des Staates die Grundlage aller beklagenswerten Erscheinungen bilde. Jetzt heiße es, an die Beseitigung der üblen Auswirkungen einer mehr als zehn Jahre am Volkskörper wütenden und zerfressenden Politik zu schreiten. Die Heimwehren werden den Boden suchen müssen, auf dem sich der Neuaufbau durchführen lasse.«138 Heeresminister Vaugoin, ein Vertrauter Seipels, sprach mit dem ungarischen Militärattaché in Wien schon ganz offen über eine gemeinsam mit den Heimwehren durchzuführende gewaltsame Aktion, in deren Verlauf das Wiener Rathaus besetzt und der Republikanische Schutzbund aus Wiener Neustadt gehindert werden würde, nach Wien zu gehen. Als Termin gab Vaugoin den 29. September an, den Tag, an dem ein großer Heimwehraufmarsch in Wien geplant war.139 Seipel wiederum wollte offensichtlich von einem gewaltsamen Putsch nichts wissen und versuchte eine Methode zu finden, mit deren Hilfe die Heimwehren auf legalem Wege in die Regierung kommen könnten. Als künftigen Bundeskanzler nannte er Rintelen oder Vaugoin. Seipel 136 Ernst von Streeruwitz, Springflut über Österreich. S. 409. Vgl. auch Isabella Ackerl, Ernst Streeruwitz. S. 142. 137 Vgl. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 294. 138 Lajos Kerekes, Abenddämmerung. S. 37 (Der Abend. 6. Mai 1929). 139 Lajos Kerekes, Abenddämmerung. S. 42 f.

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wollte einerseits die Sozialdemokraten niederhalten, andererseits die »konstruktiven Kräfte« innerhalb der Heimwehren fördern und die ausgesprochen faschistischen Kreise in Schach halten.140 Am 20. September erhielt Seipel Besuch von den Heimwehrführern Steidle, Pfrimer und Pabst. In dieser Aussprache dürfte das Schicksal Streeruwitz’ besiegelt worden sein.141 Seipel ließ Streeruwitz kaltblütig fallen und gab ihn den Intrigen preis. Nach seiner Rückkehr von einer Reise nach Genf sah sich der Bundeskanzler wilden Forderungen und Gerüchten gegenüber. Am 21. September veranstaltete der niederösterreichische Bauernbund unter seinem Landesführer Josef Reither in Wien eine große Sympathiekundgebung für den von der Heimwehr heftig angegriffenen Bundeskanzler Streeruwitz. Der niederösterreichische Bauerbund (»jederzeit ein Hort der Demokratie«) war am 28. August 1929 mit seinen 100.000 Mitgliedern »korporativ« der niederösterreichischen Heimwehr beigetreten, um die Heimwehr total zu unterwandern.142 Streeruwitz wollte kämpfen und wandte sich an den christlichsozialen Parlamentsklub, der ihn immer unterstützt hatte. Aber alles nützte nichts mehr. Am 25. September erklärte der Stabschef der Heimwehren, Major Pabst, vor Journalisten im Parlament, »daß die Regierung Streeruwitz noch vor dem Abend erledigt sein werde«. Streeruwitz erkannte, daß hinter dieser Äußerung auch Teile des christlichsozialen Parlamentsklubs stehen müßten, Seipel gab nur mehr den Rat zum Rücktritt, den Streeruwitz am Nachmittag dem Parlamentsklub mitteilte.143 Laut Kunschak wirkte diese Mitteilung wie eine Bombe und löste Staunen und Erbitterung aus. Er faßte als Klubobmann die Stimmung im Klub mit der Feststellung zusammen, daß »wenn die Politik so weitergeht, sich bald kein anständiger Mensch mehr finden dürfte, der in Österreich Bundeskanzler werden wollte«.144 Klemens von Klemperer meint, Streeruwitz gebühre alle Achtung dafür, daß er dem Druck der Heimwehren nicht nachgegeben und sich der Aggression gegen die Sozialdemokratie nicht angeschlossen habe. Er sei zwar fähig gewesen, sich mit der sozialdemokratischen Opposition zu arrangieren, nicht aber den Intrigen und dem Druck seitens der Heimwehren, verschiedener Kreise aus der eigenen Partei und von seiten ausländischer Kräfte (Ungarn, Italien) zu trotzen. Eines aber steht fest  : vor allem die Intriganten innerhalb Österreichs hätten ohne wohlwollende Duldung bzw. Förderung durch Ignaz Seipel keine Chance gehabt.145 140 Lajos Kerekes, Abenddämmerung, S. 45. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 294. 141 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 295. 142 Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 50. 143 Isabella Ackerl, Ernst Streeruwitz. S. 143. 144 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 112. 145 Vgl. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 295. Vgl. auch Reinhart Kondert, Schober und die Heimwehr. Der Niedergang des Austrofaschismus 1929–1930. In  : Zeitgeschichte. 3. Jahr. März 1976. Heft 6. S. 164.

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Schober – die enttäuschte Hoffnung der Antidemokraten Die Phase der Entspannung und der Konsenspolitik schien damit nach kurzer Zeit wieder einmal vorbei zu sein. Der neue, von Streeruwitz auf Drängen Seipels vorgeschlagene Bundeskanzler Johann Schober war – nach seinem Agieren als Polizeipräsident im Juli 1927 – als Erzfeind der Sozialdemokratie anzusehen. Aber durch seine Nominierung wich der Alpdruck eines drohenden Ausbruchs des offenen Bürgerkriegs von einem Großteil der Bevölkerung, und in der Wirtschaft war eine Beruhigung zu verspüren.146 In den letzten Monaten war Schober mit Vertretern der Heimwehr im Kontakt gewesen und hatte auch seine Unterstützung für sie bezeugt. Obwohl auch die Sozialdemokraten aus taktischen Gründen Anfang September versuchten, Kontakt mit ihm aufzunehmen, stellte der neue Bundeskanzler im Parlament ein grundsätzlich antidemokratisches Programm auf, das natürlich auf den Widerstand der Sozialdemokraten stieß. Die Heimwehr wiederum setzte ganz auf Schober, der erklärte  : »Tadellose Ehrenmänner aus allen Bevölkerungsschichten gehören der Heimwehr an, Männer, die erkannt haben, daß viele unserer öffentlichen Einrichtungen dringend eine Abänderung erheischen.«147 Er präsentierte dann sein Verfassungsprogramm, das er rasch verwirklichen wollte. Mit der »Hypertrophie des Parlamentarismus« sollte aufgeräumt werden, der Bundespräsident sollte weitgehende Befugnisse einschließlich der Erlassung von Notverordnungen ohne Parlament erhalten, Elemente des Ständestaates, der Reform der Geschworenengerichte, Fragen der Stellung Wiens, des Pressegesetzes und der Zusammensetzung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes sollten gelöst werden. Dies alles auf der Basis eines Entwurfes, der schon von Streeruwitz ausgearbeitet worden war.148 Die Verfassungsreform – Tendenz zur präsidialstaatlichen Demokratie Am 18. Oktober wurde schließlich der Verfassungsentwurf dem Nationalrat zugeleitet.149 Die Machtbefugnisse der Exekutive wurden entscheidend ausgeweitet, der Bundespräsident, vom Volk direkt gewählt, sollte dem Parlament praktisch mehr als gleichgestellt sein. Der Einfluß der Minderheit im Parlament sollte entscheidend eingeschränkt werden, vor allem in Fragen des Budgets. Eine Neugestaltung des Bundesrates sollte durch Unterlaufen des Proporzionalsystems und die Schaffung eines 146 Vgl. Adam Wandruszka, Johannes Schober. In  : Friedrich Weissensteiner, Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien 1983. S. 68. 147 Protokoll des Nationalrates, 27. 9. 1929. S. 2797. 148 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 333. 149 Zur Verfassungsnovelle 1929 vgl. Gernot D. Hasiba, Die Zweite Bundes-Verfassungsnovelle von 1929. Wien 1976. Ebenso Norbert Leser, Die Rolle der Sozialdemokratie bei der Verfassungsreform 1929. In  : Die österreichische Verfassung von 1918 bis 1938. Wien 1980. S. 69–74.

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Länder- und Ständerates die Sozialisten weitestgehend ausschalten. Schließlich enthielt der Entwurf einen entscheidenden Anschlag auf die Stadt Wien, die ihren Status als Land verlieren sollte, was dem Ende des »Roten Wien« gleichgekommen wäre. Als »Krönung« wurde vorgeschlagen, daß weitere Verfassungsänderungen mit einer einfachen Majorität in einem Referendum durchgeführt werden könnten. Auch dies kam praktisch einer Ausschaltung der sozialdemokratischen Opposition gleich.150 Insgesamt war die Verfassungsreform, wie Helmut Wohnout meint, »der fehl­­ ge­­schla­­gene Versuch, erstmals ein ständisches Element in die Legislative auf­zu­ nehmen«.151 In weiterer Folge kam es zu einer weitgehenden Demontage dieses Konzepts. Schober selbst sah in der Verwirklichung des Länder-und Ständerates kein vordringliches Ziel, die Sozialdemokraten lehnten die wesentlichen Punkte ab, waren aber zu Verhandlungen über die Reform bereit. Die Christlichsoziale Partei hatte in dieser Frage viele Interessen zu koordinieren. Die Landeshauptmänner mißtrauten einer Verfassungsreform, weil sie eine weitere Beschneidung der Länderrechte und eine Abwertung des Bundesrates befürchteten. Die nun beginnenden Gespräche zwischen Schober und dem klugen sozialdemokratischen Taktiker Robert Danneberg entwickelten sich überraschend konstruktiv.152 Während die Heimwehren auf eine noch radikalere Verfassungsreform drängten, sahen die Länder in der Vorlage eine wesentliche Einschränkung ihrer Hoheitsrechte. »So stand das Prinzip des straff zentralistischen Staates jenem des Länderstaates schroff gegenüber und spaltete die Regierungsmehrheit. Die Großdeutschen wollten ihren zentralistischen Standpunkt möglichst durchsetzen, die christlichsozialen und landbündlerischen Abgeordneten kämpften für eine Erweiterung der Rechte der Länder, diesen klatschten wieder die Sozialdemokraten verständnisinnig Beifall, mußte doch jede Erweiterung der Länderrechte ihre Machtfülle in Wien steigern, und daneben standen die christlichsozialen Wiener Vertreter mit dem bitteren Bewußtsein, daß die Interessen Wiens bei diesem Widerstreit unter die Räder kommen müssen.«153 Nach längerem Hin und Her kam es zwischen Schober und Danneberg zu einem Kompromiß, den die Heimwehr und die Christlichsozialen Wiens nur unter Protest zur Kenntnis nahmen. Der erzielte Kompromiß war ein Erfolg für die Sozialdemokraten und die Christlichsozialen in den Ländern. Der Bundespräsident, der nun nicht mehr von der Bundesversammlung, sondern vom Volk zu wählen war, erhielt ein stark beschränktes Notverordnungsrecht 150 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg bis Hitler. S. 337. Vgl. auch Walter B. Simon, Österreich 1918–1938. S. 119 ff. 151 Helmut Wohnout, Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? Gesetzgebung im autoritären Österreich. Wien, Köln, Graz. 1993. S. 33. 152 Vgl. Leon Kane, Robert Danneberg. Ein pragmatischer Idealist. Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung. Wien, München, Zürich. S. 156 ff. Ebenso Otto Leichter, Glanz und Elend der Ersten Republik. Wien 1964. S. 91 f. 153 Leopold Kunschak, Österreich 1914–1918. S. 114.

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sowie die Befugnis, die Bundesregierung zu ernennen und zu entlassen, womit eine gewisse Stärkung der Staatsautorität erreicht wurde. Vor allem aber  : Der Angriff auf Wien war gescheitert. Die auf Wien gezielten Eingriffe in die Landesverfassungsautonomie scheiterten auch am Widerstand der christlichsozial regierten Bundesländer. Der Versuch, durch die Einführung des Mehrheitsprinzips für die Wahl der Landesregierungen das parlamentarische System auch in den Ländern abzuschwächen, scheiterte ebenfalls.154 Die ständische Konzeption wurde mit dem »Länder- und Ständerat«, der nie Wirklichkeit wurde, höchstens formal angestrebt, dem Ziel der Zurückdrängung der Sozialdemokraten wurde durch einige Kompetenzverschiebungen nur ganz geringfügig nähergekommen. Nicht gelungen war es den Sozialdemokraten, das Kriegswirtschaftliche Notverordnungs-Ermächtigungsgesetz aufzuheben, das später noch zu einer verhängnisvollen Bedeutung kommen sollte. Jedenfalls hatte sich die Tatsache, daß in den »entsprechend den unumgänglichen Spielregeln der Verfassung von 1920«155 für Verfassungsänderungen eine qualifizierte Mehrheit vorgesehen war, im Sinne des Proporzsystems ausgewirkt, das einen Kompromiß bzw. einen Konsens zwischen Regierung und großer Opposition verlangte. Durch das ganze Land ging ein Gefühl der Erleichterung, als am 7. Dezember 1929 das Parlament mit den Stimmen aller Parteien die neue Verfassung beschloß. Den Heimwehren war das Ergebnis völlig ungenügend, ihr erster Schritt zur Macht über eine Verfassungsreform war mißglückt, sie kamen zur Erkenntnis, daß sie mit Schober, der ihnen offenbar weitgehende Versprechungen gemacht hatte156, auf einen falschen Mann gesetzt hatten. In dem folgenden Entschluß, die Parteien noch radikaler zu bekämpfen, ist die Wurzel für die Heimatblock-Gründung und die eigenständige Kandidatur bei der nächsten Nationalratswahl zu sehen.157 Die Verfassungsreform 1929 war ein Kompromiß wie die Oktoberverfassung 1920, allerdings saß damals die bürgerliche Seite auf dem kürzeren Hebel, während es diesmal umgekehrt war. Schober hatte einen Konsens mit der Sozialdemokratie gefunden, an dem auch die Christlichsoziale Partei – insbesondere durch den Ausschußvorsitzenden Buresch – wesentlich mitwirkte. Trotz allem brachte aber auch dieses Ausmanövrieren der Heimwehr mit Hilfe der Sozialdemokraten in der Verfassungsfrage »eigentlich keine Wende mehr zu einem positiveren Verhältnis der Großparteien zueinander, sondern allenfalls noch eine kleine Verschnaufpause«, die aber immerhin noch mehr als 154 Vgl. Franz Fallend, 70 Jahre Salzburger Landesverfassung. Genese – Reformen – Analyse. Salzburg Dokumentationen Nr. 102. Salzburg 1991. S. 113. Vgl. auch Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 341. Vgl. auch Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 306. Ebenso Rainer Hubert, Schober. »Arbeitermörder« und »Hort der Republik«. Wien, Köln 1990. S. 270 ff. 155 Rainer Nick, Anton Pelinka, Bürgerkrieg – Sozialpartnerschaft. Das politische System Österreichs. 1. und 2. Republik. Ein Vergleich. Wien, München 1984. S. 20. 156 Vgl. Rainer Hubert, Schober. S. 253 ff. Ebenso Reinhart Kondert, Schober und die Heimwehr. S. 166. 157 Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 51 f.

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zwei Jahre dauern sollte.158 Innenpolitisch und international hatte Schober an Vertrauen gewonnen. Schober war am Höhepunkt seiner politischen Karriere, er hatte eine ernste Staatskrise bewältigt und eine Katastrophe in Form eines Bürgerkrieges verhindert. Er war zum Schwerpunkt eines politischen Kräftedreiecks Regierungsparteien – Sozialdemokratie – Heimwehren geworden, dem ein »Gleichgewichtskunststück von hohen Graden« gelang. »Schober war nicht gerade der Hüter des Geistes der Demokratie – bestensfalls des Buchstabens der Verfassung –, dennoch war es das Resultat seines Wirkens, daß die Demokratie in Österreich noch ein paar Jahre aufrecht blieb.«159 Während mit der Wahl Schobers zum Bundeskanzler eher mit einer weiteren Entwicklung in Richtung zentrifugaler Demokratie gerechnet werden mußte, wurde mit der Verfassungsreform eher ein Schritt in Richtung Konkordanzdemokratie gesetzt. Diese Entwicklung sollte jedoch keinesfalls fortgesetzt werden, im Gegenteil, starke Kräfte wollten die österreichische Innenpolitik entscheidend in die andere Richtung bewegen. Allen voran Seipel, der die Normalisierungspolitik Schobers mit allen Mitteln zu torpedieren begann und sich dabei noch enger als bisher mit der Heimwehr verbündete. Die Heimwehr überlegte gleich nach dem Verfassungskompromiß einen sofortigen Sturz Schobers, wovon aber Seipel im Moment abriet. Schober brachte in der Folge drei wichtige außenpolitische Erfolge nach Hause, um die sich Seipel wiederholt vergeblich bemüht hatte  : Bei seiner Reise im Jänner 1930 zur Zweiten Haager Konferenz erreichte Schober, daß Österreich von den Reparationszahlungen, vom Generalpfandrecht und von den Zinsen auf die Hilfskredite befreit wurde, womit der Weg frei war für weitere Anleiheverhandlungen. Von seiner Romreise im Februar 1930 brachte er einen Freundschafts- und Schiedsgerichtsvertrag mit Italien mit, und im April gelang ihm schließlich der Abschluß eines Handelsabkommens mit Deutschland.160 Antiterrorgesetz – vertane Chance zur Stärkung der Demokratie Die allgemeine Lage in Österreich Anfang 1930 schien verhältnismäßig ruhig. Da sich die Wirtschaftslage weiter beängstigend verschlechterte, wendete die Regierung ihr besonderes Augenmerk auf die Wirtschaftspolitik, die Innenpolitik schien sich primär auf Wirtschaftsfragen zu beschränken. Doch der Schein trog. Über wesentliches Betreiben von Seipel, der Heimwehr, von Unternehmerkreisen und dem rechten Flügel der Christlichsozialen Partei (insbesondere Vizekanzler Vaugoin) begannen die Re158 Vgl. Alfred Ableitinger, Die politischen Parteien. S. 15. 159 Rainer Hubert, Schober. S. 229 und 230. 160 Vgl. Oskar Kleinschmied, Schober. Sein Leben und sein Wirken für Österreich. Wien 1930. S. 217 ff. Vgl. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 304. Rainer Hubert, Schober. S. 317 ff. Adam Wan­ druszka, Johannes Schober. S. 69.

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gierungsparteien nun auf eine rasche Verabschiedung des sogenannten »Antiterrorgesetzes« zu drängen. Ein Entwurf für ein solches Gesetz war schon 1926, nach den Wahlen 1927 und von Bundeskanzler Streeruwitz ganz zu Ende seiner Kanzlerschaft dem Nationalrat vorgelegt worden. Unter dem Antiterrorproblem verstand man damals in Österreich in erster Linie die Frage des betrieblichen Gewerkschaftszwanges. Es bestand kein Zweifel, daß die stärksten Gewerkschaften, nämlich die sozialistischen Freien Gewerkschaften, durchaus Druck auf Arbeitnehmer ausübten, damit diese ihrer Organisation beitraten. Charles A. Gulick räumt ein, »daß selbst dort, wo es keinen offenen Konflikt gab, ein gewisser Prozentsatz der Mitglieder der Freien Gewerkschaften diesen wider Willen beigetreten war und viel lieber bei katholischen oder großdeutschen Organisationen gewesen wäre oder sich jeder Mitgliedschaft enthalten hätte.«161 Nicht organisierte Arbeiter oder solche, die sich lieber den kleinen, zur Christlichsozialen oder zur Großdeutschen Partei gehörenden Gewerkschaften anschlossen, waren also den Freien Gewerkschaften ein Dorn im Auge.162 Sie sahen im bloßen Bestehen dieser anderen Gewerkschaftsorganisationen eine Bedrohung des Gewerkschaftsgedankens, in der Existenz der »unabhängigen« Gewerkschaft der faschistischen Heimwehren nicht zu Unrecht eine von den Unternehmern abhängige »gelbe« Gewerkschaft und eine Gefahr für die Demokratie. Das Antiterrorgesetz entsprach also wohl dem Bedürfnis der christlichsozialen und großdeutschen Gewerkschaften, vor dem Druck der übermächtigen sozialistischen Gewerkschaften in den Betrieben geschützt zu werden. Vor allem auf Betreiben der Heimwehren aber entsprach es einer grundsätzlich antimarxistischen Politik, die mit diesem Gesetz die Sozialdemokratie in einem entscheidenden Punkt treffen sollte. Der nun ausgearbeitete und eingebrachte Entwurf orientierte sich hauptsächlich an der zweiten Intention, richtete sich gegen die Konsensdemokratie und ging weit über den berechtigten Punkt, Einschüchterung und Gewalt in den Betrieben unter Strafandrohung zu stellen, hinaus. Der Entwurf wurde nicht nur von den Sozialdemokraten heftigst bekämpft, sondern auch von den christlichen Gewerkschaften, vor allem von Kunschak, abgelehnt.163 Die parlamentarische Behandlung dieses Gesetzes wurde vor allem von sozialdemokratischer Seite in einem besonders polemisch-gehässigen Ton geführt und artete in wilde Beschimpfungen aus. Es wurde zu einem besonders drastischen Beispiel des Niederganges der parlamentarischen Auseinandersetzung.164 161 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 346. Vgl. auch Ludwig Reichhold, Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs. Wien 1987. S. 398 ff. 162 Vgl. etwa für den Bereich Salzburg  : Ernst Hanisch, Die Christlich-soziale Partei für das Land Salzburg 1918–1934. In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. 124. Salzburg 1984. S. 492 f. »Tatsächlich wurde hie und da auf die christlich gesinnten Arbeiter ein z. T. recht derber Druck ausgeübt, in die Freien Gewerkschaften einzutreten.« 163 Vgl. Ludwig Reichhold, Geschichte der christlichen Gewerkschaften Österreichs. Wien 1987. S. 404 ff. 164 Vgl. Kurt Ebert, Thesen zur Demokratiefrage. In  : christliche demokratie. 3/89. S. 264.

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Als die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition am heftigsten waren und die Verhandlungen zu scheitern drohten, trat Bundeskanzler Schober als »oberster Vermittler«, als »unpolitischer Repräsentant des Staates« auf den Plan und erreichte schließlich einen Kompromiß, in dem sogar die Sozialdemokraten in einigen Punkten eine Verbesserung sehen konnten, auch wenn sie schließlich gegen das Gesetz stimmten. Mit Vorbehalten konnten auch die christlichen Gewerkschafter zustimmen. Schober wußte, daß ein Scheitern in dieser Frage seinem Gegenspieler Seipel und der Heimwehr die Handhabe für die Vorbereitung seines Sturzes bieten konnte.165 Jedenfalls war ein ernsthafter Schlag gegen die sozialdemokratische Gewerkschaftsbastion abgewendet worden, das »Antiterrorgesetz« erschwerte vielleicht die Tätigkeit der Freien Gewerkschaften, bewirkte aber »in der Praxis keine ernstlichere Schädigung«.166 Das Gesetz wurde am 4. April 1930 vom Nationalrat gegen die Stimmen der Sozialdemokraten beschlossen. War also das Antiterrorgesetz ursprünglich als Maßnahme gegen den unbestreitbar vorhandenen undemokratischen politischen Terror in den Betrieben, also als Maßnahme zur Stärkung der Demokratie, gedacht gewesen 167, so entwickelte sich das Vorhaben unter dem Einfluß antidemokratischer Kräfte schließlich selbst zu einem Instrument der grundsätzlichen Einschränkung der Gewerkschaftsbewegung und wurde damit zu einer antidemokratischen Maßnahme. Daß es schließlich doch wieder zu einem erträglichen Kompromiß kam, läßt das Funktionieren des »partiellen Pro­ porz­systems« erkennen. In dieser Phase war es Bundeskanzler Schober, der in diesem Sinne handelte und Schritte unternahm, die Wunden von 1927 zu heilen. »Seine Geduld und sein trockener bürokratischer Pragmatismus, seine faire Einstellung gegenüber der Linken wie auch seine Festigkeit gegenüber der faschistischen Rechten trugen ihm schließlich das Vertrauen der Arbeiterschaft ein. Umso bösartiger wurde er nun von Seipel angegriffen, der sich vom parlamentarischen Regierungsverfahren ganz abgekehrt hatte.«168 Im ungleichen Kampf zwischen Seipel und Schober wurde der parlamentarischen Demokratie in Österreich von Seipel wieder eine entscheidende Verwundung zugefügt. Die demokratiefeindlichen Heimwehren verstärkten ihren Kampf gegen die parla­ mentarische Demokratie neuerlich. Die Loslösung der Heimwehren von den politischen Parteien wurde vorangetrieben. Anfang 1930 wurde die Parole ausgegeben, die Führer und Anhänger der Heimwehren müßten zuallererst und unbedingt zuerst zur Heimwehr stehen und dann erst zu einer Partei. Die »Mandatare und geeichten

165 Vgl. Rainer Hubert, Schober. S. 326 und 328. 166 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 348. 167 Vgl. Franz Hemala, Geschichte der Gewerkschaften. Wien 1930. S. 244. 168 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 306 f.

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Parteipolitiker« wurden als »gefährlichste Gruppe« bezeichnet.169 Dazu kam noch, daß in den ersten Monaten des Jahres 1930 die Beziehungen zwischen Heimwehr und Mussolini außerordentlich intensiviert wurden, besonders betrieben von Major Waldemar Pabst. Diese gestärkte Verbindung brachte eine beträchtliche finanzielle Förderung der Heimwehren durch Rom. Innere Abrüstung In diesen Prozeß der Bedrohung der österreichischen Demokratie durch die bewaffneten faschistischen Heimwehren griff nun das Ausland ein  : Bei einem Haager Aufenthalt von Bundeskanzler Schober wurde ihm aus diplomatischen Kreisen signalisiert, daß das Verbot und die Auflösung der militärischen Organisationen in Österreich eine Vorbedingung für eine Anleihe an Österreich seien. Vor allem England und Frankreich drängten schon im November 1929 auf eine rasche Entwaffnung und Auflösung der Wehrverbände.170 Eine solche Auflösung paramilitärischer Organisationen, die den Bestand der Demokratie gefährden, kann als eine Maßnahme einer Regierung zum Schutz der Demokratie im Sinne der »militant democracy« angesehen werden. Die Heimwehr war eine eindeutig antidemokratische Vereinigung, die auch mit gewaltsamem militärischem Vorgehen gegen den demokratischen Staat drohte, sodaß ein Verbot solcher militärischer Vereinigungen bzw. deren Entwaffnung zum Schutz der demokratischen Grundordnung legitim gewesen wäre. Wie reagierten nun der Bundeskanzler und die in der Regierung vertretenen Parteien  ? Bundeskanzler Schober war sich der Schwierigkeit der Aufgabe bewußt, versprach aber die Erlassung strenger Vorschriften über den Besitz von Waffen bzw. die Verfügung eines allgemeinen Waffenablieferungsgebotes. Als Schobers Versprechungen in der Abrüstungsfrage allgemein bekannt wurden, eröffneten die Heimwehren ihren Angriff gegen Schober.171 Unterstützung erhielt die Heimwehr auch durch den christlichsozialen Vizekanzler Vaugoin und von Seipel, der natürlich im Hintergrund noch immer entscheidend die Fäden zog. Vaugoin lehnte die innere Abrüstung klar ab und bezeichnete ein Aufmarschverbot als verfassungswidrig. Seipel wiederum gab der Heimwehr rhetorisch immer wieder Schützenhilfe, geißelte den parlamentarischen Parteienstaat und bezeichnete die Heimwehrgruppen als Anhänger der »wahren Demokra169 Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 54. Vgl. auch Rainer Hubert, Schober. S. 331 f. 170 Allerdings hatte sich Mussolini schon 1928 zu Waffenlieferungen nicht nur an die österreichische Regierung sondern auch an die Heimwehren bereit erklärt. Vgl. Arnold Suppan, Österreichs Außenpolitik 1918–1938 im Spannungsfeld der Großmächte und Kleinstaaten. In  : christliche demokratie. 3/90. S. 205. Ebenso Reinhard Kondert, Schober und die Heimwehr. S. 166. 171 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 349 f. Vgl. auch die Äußerung Starhembergs  : »Sollte es aber einer Regierung einfallen, mit Abrüstungsabsichten daherzukommen, dann wäre der Augenblick da, wo wir uns gegen die Regierung wenden würden.« »Neue Freie Presse«, 12. 5. 1930.

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tie«. Schober bemühte sich, im Ausland zu versichern, daß die Abrüstung in Österreich durchgeführt und damit eine Normalisierung der Verhältnisse eingeleitet werde. Die Ablehnung aller Maßnahmen zur Abrüstung und Entwaffnung durch die Heimwehr war klar, aber auch die Sozialdemokraten, die mit dem Schutzbund über eine militärische Organisation verfügten, lehnten nach einer anfänglichen Bereitschaft schließlich doch das Entwaffnungsgesetz ab, weil sie befürchteten, daß letztlich die Heimwehr doch bewaffnet bleiben würde.172 Sie sahen die Vorlage als völlig unzulänglich an und forderten die Auflösung aller militärischen Formationen, Waffenablieferung unter unparteiischer Kontrolle, Vernichtung der beschlagnahmten Waffen und die Erlassung eines allgemeinen Aufmarschverbotes.173 Exponent einer scharfen Linie gegenüber den Heimwehren war der Landbündler und Innenminister Schumy. Er war der Meinung, daß man Geländeübungen und Gegendemonstrationen verbieten müsse, was wiederum von Vaugoin abgelehnt wurde. Der Bundeskanzler hielt sich eher zurück und schickte seinen Innenminister Schumy vor. Die Novelle des Waffenpatents wurde vorbereitet, sie sah vor, daß die Erteilung der Befugnis zum Waffentragen zentralisiert werde, daß die Kompetenz dafür von den Landeshauptmännern auf den Bund übergehe. Während Gulick diese Änderung als »völlig nichtssagend und bedeutungslos« bezeichnet, sieht Hubert darin eine Maßnahme, »die die Regierung gegenüber der Heimwehr gestärkt hätte«.174 Es war nicht klar, was Schober wollte  : Ließ er es bei bloß formalen Änderungen bewenden oder wollte er tatsächlich die Selbstschutzverbände entwaffnen. Bei einem harten Durchgreifen mußte er mit dem entschiedensten Widerstand der Heimwehr und von Teilen der Christlichsozialen Partei, aber auch des Schutzbundes rechnen ? Als die Heimwehr ihre Großaufmärsche wesentlich intensivierte und der Schutzbund entsprechende Gegendemonstrationen organisierte, entstand eine weitverbreitete Forderung nach einem Aufmarschverbot für die militärischen Verbände, vor allem auch aus Wirtschaftskreisen, die um den Fremdenverkehr bangten. Die Regierung nützte aber diese Stimmung in der Bevölkerung nicht und drückte sich um eine Entscheidung. Die Regierung war nicht einig, die Regierungskrise vom Mai 1930 um die Bundesbahn175 wirkte noch weiter, sodaß energische Maßnahmen gegen die Heimwehr wahrscheinlich von den Christlichsozialen nicht mitgetragen worden wären. In diese ungeklärte Situation platzte eine Aktion der Heimwehr hinein, die für die innenpolitische Situation Österreichs von weitreichender Bedeutung war. Am 18. Mai 1930 verkündete die Heimwehr anläßlich eines Aufmarsches in Kor­neuburg ihr Programm – den sogenannten »Korneuburger Eid«. Der Eid war 172 Vgl. Protokoll der Sitzung des sozialdemokratischen Parteivorstandes vom 7. 4. 1930. 173 Vgl. Eric C. Kollmann, Theodor Körner. Militär und Politik. München 1973. S. 179. 174 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 351. Rainer Hubert, Schober. S. 331. 175 Vgl. Rainer Hubert, Schober. S. 333 ff.

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»eine Synthese aus Wehrwillen der Heimwehr und Ständestaatideologie Othmar Spanns«.176 Es war ein ausgesprochen antidemokratisches und faschistisches Programm. Es betonte den völkischen Nationalismus, lehnte die westliche parlamentarische Demokratie und den Parteienstaat entschieden ab, betonte den Antimarxismus und die Ablehnung einer liberal-kapitalistischen Gesellschaftsordnung und identifizierte sich mit der ständestaatlichen Ordnung.177 Mit diesem Eid hatte der Heimwehr-Bundesführer Dr. Steidle den internen Macht­kampf für sich entschieden, ein scharfer Kollisionskurs mit der Regierung und den Mehrheitsparteien war vorprogrammiert, eine Entwicklung, die auch Seipels Intentionen entsprach. Jedenfalls war das politische Klima wieder einmal entscheidend belastet. Für die Mitglieder der Koalitionsparteien, die den Eid geleistet hatten (unter ihnen waren auch 15 Abgeordnete der Christlichsozialen und der Großdeutschen Partei), stellte sich die Frage, ob dieser vereinbar sei mit ihrer Loyalität zur Partei und wie sie sich in der Frage der Abrüstung der Privatarmeen verhalten sollten.178 Bundeskanzler Schober nützte diese Situation nicht und entschloß sich, die Abrüstung nur pro forma und in einem minimalen Ausmaß durchzuführen, es blieb bei der unwesentlichen Änderung des Waffenpatents. Die Heimwehr überreichte Schober trotzdem ein Memorandum, in dem sie sich dagegen verwahrte, mit dem Schutzbund auf die gleiche Ebene gestellt zu werden, verlangte die einseitige Abrüstung der sozialistischen Organisation, bot zu dieser Entwaffnung ihre eigene Mitwirkung an und verlangte dazu die Einsetzung eines Heimwehr-Mannes als Innenminister. Das gesamte Kabinett Schober lehnte dieses Ansinnen ab. Nach der Verabschiedung des 176 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 307. Vgl. auch Leopold Kammerhofer, Niederösterreich zwischen den Kriegen. Wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Entwicklung von 1918 bis 1938. Baden 1987. S. 207 ff. Ebenso Walter Wiltschegg, Zum »Korneuburger Gelöbnis« der Heimwehr. Die wunderlichen Wege eines politischen Dokuments. In  : Geschichte und Gegenwart. Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Gesellschaftsanalyse und politische Bildung. 5. Jahrgang. Heft 2. Mai 1986. S. 139–158. 177 Vgl. Walter Kleindel. Österreich. S. 335  : »… Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu ordnen. Wir müssen den eigenen Vorteil vergessen, müssen alle Bindungen und Forderungen der Parteien unserem Kampfziele unbedingt unterordnen, da wir der Gemeinschaft des deutschen Volkes dienen wollen  ! Wir verwerfen den westlich-demokratischen Parlamentarismus und den Parteienstaat  ! Wir wollen an seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen und eine starke Staatsführung, die nicht aus Parteienvertretern, sondern aus den führenden Personen der großen Stände und aus den fähigsten und den bewährtesten Männern unserer Volksbewegung gebildet wird. Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes durch den marxistischen Klassenkampf und die liberal-kapitalistische Wirtschaftsgestaltung …« 178 Der Korneuburger Eid führte jedenfalls wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Heimwehr und christlichen Arbeitern, deren Vertreter, Bundesrat Dengler, das Gelöbnis auf dieses Programm verweigerte. Die Reichskonferenz der christlichen Arbeiterschaft erklärte am 7. Juni 1930  : »Das ›Korneuburger Programm‹ steht in wesentlichen Punkten mit den kulturellen und politischen Grundsätzen der christlichen Arbeiter- und Angestelltenbewegung im Widerspruch und wird daher abgelehnt.« Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 119.

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eher wirkungslosen Abrüstungsgesetzes ging aber Schober überraschend hart gegen die Heimwehr vor  : er ließ Stabschef Waldemar Pabst als unerwünschten Ausländer ausweisen, weil er die mit dem Korneuburger Eid zusammenhängenden Ereignisse ausgelöst und sich gegen die Abrüstung gestellt hatte.179 Eine Maßnahme zur Verteidigung der Demokratie, nämlich eine wirksame Abrüstung der Privatarmeen, war von Schober bis zur Unwirksamkeit abgeschwächt worden, eine andere, nämlich die Ausweisung des Demokratiefeindes Pabst, wurde von ihm durchgezogen (was Seipel nicht gewollt und Streeruwitz nicht gewagt hätte). Das alles reichte, daß einen Monat nach dem Beschluß des Abrüstungsgesetzes die Anleihe endlich unter Dach und Fach gebracht wurde. Schober hatte dort etwas erreicht, wo Seipel erfolglos geblieben war. Das war mit ein wesentlicher Grund, warum zum Zeitpunkt von Schobers größtem Erfolg seine Position bereits gefährlich untergraben wurde. Seipel begann, die Koalition systematisch zugrunde zu richten. Er zog nicht mehr nur gegen die Parteien her, sondern gegen die parlamentarische Demokratie selbst, wandte sich nicht nur gegen die Obstruktion, sondern gegen den Kompromiß und bekämpfte nicht mehr nur die Sozialisten, sondern auch die Regierung Schober. »Mit Dialog, Kompromiß und Koalition hatte er (Seipel, d. V.) keine Geduld mehr  ; unverantwortlich, wider jede gute Politik und letztlich auch ziellos sann er auf drastischere Maßnahmen, um Österreich aus einer Sackgasse herauszuführen, in die es zum Teil auch durch ihn geraten war. So wurde das zarte Gewächs der österreichischen parlamentarischen Demokratie im Zweikampf zwischen Nichtpolitik und Antipolitik zertreten.«180 Die Weigerung Schobers, den umstrittenen Grazer Vizebürgermeister und Heimwehrmann Franz Strafella zum Präsidenten der Österreichischen Bundesbahnen zu ernennen, führte zum Rücktritt des christlichsozialen Vizekanzlers Vaugoin, worauf die Gesamtdemission des Kabinetts Schober am 25. September 1930 erfolgte.181 Für die Christlichsoziale Partei war nun der Weg frei, für die Zeit bis zur bevorstehenden Nationalratswahl den Kanzler selbst zu stellen. Für sie war die Regierung Schober eine Anomalie – ein Parteiunabhängiger, der den beiden kleineren Koalitionsparteien viel näher stand als den Christlichsozialen, führte die Regierung – und damit nur eine Übergangslösung. Österreichs Innenpolitik spürte auch die Auswirkungen der deutschen Reichstagswahlen vom 14. September 1930, bei denen die Nationalsozialisten einen Rekordzuwachs an Parlamentssitzen, von 12 auf 107, verzeichneten.182 Dies

179 Vgl. Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 308. 180 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 309. 181 Vgl. Rainer Hubert, Schober. S. 345–363. 182 Zur Situation in Deutschland vgl. etwa Horst Müller, Weimar. Die unvollendete Demokratie. München 1990. S. 197. Karl Dietrich Erdmann, Die Weimarer Republik. Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 19. München 1991. S. 283. Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler. München 1991. S. 31 f.

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wirkte sich auch unterstützend auf die antidemokratischen Kräfte in Österreich aus. Die Großdeutschen fürchteten mit Recht den Zerfall ihrer Parteibasis durch den Vormarsch der Nationalsozialisten, die nun auch in Österreich ihre Propaganda verstärkten. Als Reaktion darauf stellte sich Schober bereits zehn Tage nach dem Rücktritt der Bundesregierung als Leitfigur einer Wahlvereinigung der bürgerlichen Mitte, die sich später zum sogenannten Schober-Block formierte und bei den Nationalratswahlen kandidierte, der Öffentlichkeit vor.183 Die offizielle Bezeichnung lautete »Nationaler Wirtschaftsblock und Landbund. Führung  : Dr. Schober«. Der Landbund hatte sich also nicht integrieren lassen, er verpflichtete sich nur, im Parlament mit seinem Klub eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Klub des Nationalen Wirtschaftsblocks einzugehen. Minderheitsregierung Vaugoin – Regierungsbeteiligung der faschistischen Heimwehren mit ersten autoritären Maßnahmen Mit der Absage der Großdeutschen und des Landbundes, sich neuerlich an einer Regierung mit den Christlichsozialen zu beteiligen, blieb dem mit der Regierungsbildung betrauten Vizekanzler Vaugoin nur mehr eine Minderheitsregierung mit Vertretern der Heimwehr, ein »halbdemokratisches Kabinett« also.184 Vaugoin wurde Kanzler, Seipel kehrte als Außenminister in die Regierung zurück, Innenminister und damit verantwortlich für Polizei und Gendarmerie wurde der neue Heimwehrführer Starhemberg, Justizminister Dr. Hueber, Landesführer der Salzburger Heimatwehrgruppe. Damit waren diese beiden wichtigen Schlüsselministerien an zwei Mitglieder der antidemokratischen Heimwehrbewegung ausgeliefert. Die Regierung war nun in den Händen des autoritären Flügels der Christlichsozialen Partei und in den Händen faschistischer Heimwehrmänner, die, vor allem Starhemberg, nur die Absicht hatten, einen Staatsstreich durchzuführen. Parlamentsneuwahlen sollten auf jeden Fall verhindert werden.185 183 Vgl. Rainer Hubert, Schober. S. 372 ff. Dem Schober-Block gehörten an  : die Großdeutsche Volkspartei, der Landbund, die Nationalsozialistische Arbeiterpartei (Schulz-Gruppe, die im Gegensatz zur Hitlerbewegung stand), der Ständebund für Österreich, die unpolitische Arbeitspartei, der Angestelltenblock sowie verschiedene Wirtschaftsgruppen. 184 Peter Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie. Wien 1975. S. 100. 185 In seinen Memoiren gesteht Starhemberg ganz offen  : »Ich gestehe freimütig, daß ich mit der Absicht in das Kabinett ging, den Staatsstreich zu machen. Die Neuwahlen interessierten mich sehr wenig, da ich überzeugt war, daß sie kaum eine Änderung in den parlamentarischen Verhältnissen bringen und daß das Schicksal Österreichs niemals im Parlament gestaltet werden würde. Meine Auffassung war, den Staatsstreich zu machen, wobei ich ganz loyal die Absicht hatte, dies mit Vaugoin und seinem Bundesheer gemeinsam durchzuführen.« Ernst Rüdiger Starhemberg, Memoiren. S. 84 f.

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Aber schon am 1. Oktober löste Bundespräsident Miklas das Parlament auf, und der 9. Oktober wurde als Wahltag bestimmt, was von der Heimwehr wiederum als schwere Belastung angesehen wurde. Es kann wohl als schwerer Fehler des Staatsoberhauptes Miklas angesehen werden, die Aufnahme zweier prononcierter Antidemokraten wie Starhemberg und Hueber in die Regierung zu akzeptieren. Er hatte sich als unfähig erwiesen, den Reaktionären und Antidemokraten in der Christlichsozialen Partei, aus der er kam, zu widerstehen. Noch einmal hatte Seipel offensichtlich seine Hand im Spiel gehabt und seine Partei auf den gemeinsamen Kurs mit den Heimwehren gezwungen. Ein Konsens- oder gar Proporzsystem war weiter entfernt denn je, das autoritäre Konfliktregelungssystem war in greifbarer Nähe. Die alleinige Verantwortung für den für die österreichische Demokratie gefährlichen Kurs trugen Seipel, Vaugoin und ihre Anhänger in der Christlichsozialen Partei. Seipel hatte im Oktober 1930 seine Funktion als christlichsozialer Parteiobmann zurückgelegt, zu seinem Nachfolger war Carl Vaugoin gewählt worden, der die Fortsetzung des Seipel-Kurses garantierte. Seipel blieb weiter die graue Eminenz der Christlichsozialen Partei.186 Tatsächlich versuchte diese Kurzzeitregierung auch teilweise autoritäre Maßnahmen zu setzen. Eine geplante Auflösung des Schutzbundes fand zwar nicht statt, aber Justizminister Hueber begann einen umfassenden Angriff auf die Presse. Sozialistische Druckschriften, Organe des Landbundes und schließlich auch liberale Blätter wie die »Neue Freie Presse« oder das »Neue Wiener Tagblatt« wurden konfisziert, mit dem Hinweis, das Land müsse vor dem Bolschewismus beschützt werden. Der Posten des Bundesbahn-Generaldirektors wurde nach den Wünschen Vaugoins besetzt, die fälligen Personalvertretungswahlen bei den Bundesbahnen wurden verschoben, die Ständige Parlamentskommission für Heereswesen wurde lahmgelegt. Umfangreiche Suchaktionen nach Schutzbundwaffen wurden durchgeführt, immer wieder lagen Putschpläne der Heimwehr in der Luft.187 Da aber Vaugoin fest daran glaubte, daß die Wahlen einen großen Erfolg für die Regierungsparteien bringen würden, versuchte er die Heimwehr erfolgreich von einem Staatsstreich abzuhalten.188 Die Christlichsozialen hatten ursprünglich gehofft, die Heimwehr würde sie bei den Wahlen bedingungslos unterstützen. Umso enttäuschter war man, als die Heimwehren am 2. Oktober beschlossen, eine eigene Heimatblockpartei zu gründen, die bei der Nationalratswahl kandidieren sollte. Aus der steirischen Heimwehr wiederum kam die Forderung nach einer Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten, wozu auch Verhandlungen mit der Hitler-Bewegung aufgenommen wurden. Schließlich spaltete 186 Vgl. Ludwig Reichhold, Die Christlichsoziale Partei unter Seipel. In  : christliche demokratie. 3/85. S. 256. 187 Vgl. Anton Staudinger, Carl Vaugoin. In  : Die österreichischen Bundeskanzler. S. 154. 188 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 357 ff.

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sich die Heimwehr  : In Wien und Niederösterreich entschlossen sich Teile der Heimwehr zum Zusammengehen mit der Christlichsozialen Partei, während in allen anderen Landesteilen Christlichsoziale und Heimatblock gegeneinander kandidierten. Die von Vaugoin ursprünglich geplante große antimarxistische Front war schon am Anfang gescheitert.189 Nationalratswahl 1930 – Erfolg für die Demokratie Die Nationalratswahl vom 9. November 1930 war eine schwere Niederlage des Vaugoin-Kurses. Die Sozialdemokratische Partei war besonders geschlossen und schlagkräftig aufgetreten und hatte die inzwischen erfolgte Ernennung Strafellas, dessen Prozeß sowie die Korruption generell zu ihren Hauptthemen neben der Verteidigung der Demokratie gemacht. Der »Schober-Block« stellte seine Kampagne unter die Schlagworte Antikorruption und Legalität. Christlichsoziale und Heimwehr waren zerstritten und signalisierten Unsicherheit, Putschversuche, Systemänderung mit ungewisser Zukunft. Das Ergebnis war für die Christlichsoziale Partei ein Fiasko. Die Sozialisten bekamen 41,1 Prozent, die Christlichsozialen 35,7 Prozent, der SchoberBlock 11,6 Prozent, die Heimwehr 6,2 Prozent und die Hitlerbewegung 3 Prozent. Die Sozialisten waren zur stärksten Partei im Lande geworden.190 Mit imponierender Deutlichkeit hatte sich die österreichische Wählerschaft für die demokratische Ordnung ausgesprochen. Vor allem die Wiener Christlichsozialen, die sich besonders vehement für den autoritären Kurs ausgesprochen hatten, waren einer fatalen Unterschätzung der Popularität Schobers unterlegen. Vorerst versuchte die Regierung Vaugoin das Wahlergebnis zu ignorieren. Noch einmal versuchte Seipel, dessen Rechnung sich als grundfalsch erwiesen hatte, seine Linie zu retten, und legte den Entwurf einer »Mehrheitsvereinigung« aller nichtsozialistischen Parteien vor. Er schlug die Bildung eines gemeinsamen Parlamentsausschusses, gebildet aus den Abgeordneten der Christlichsozialen, des Schober- und des Heimatblocks, vor, der im Nationalrat als eine Partei auftreten und eine Mehrheit bilden sollte. Diese neue »Überpartei« sollte die Grundlage für eine neue »Autoritätsregierung« bilden. »In Anbetracht der Sachlage ein Taschenspielertrick mit dem Zweck, Niederlage in Sieg zu verkehren, lief das ›Statut‹ letzten Endes darauf hinaus, mit der Zeit die Präsidentschaftsdemokratie von 1929 in einen autoritären Staat 189 Vgl. Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 58 f. Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 121. In Niederösterreich entschied sich Julius Raab, mit seiner Heimwehr auf der Liste »Christlichsoziale Partei und Heimwehr« zu kandidieren, gleichzeitig trat der »Heimatblock« zur Wahl an. Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 211. Ebenso Franz Schausberger, Julius Raab und der gescheiterte Versuch, Geschichte umzuschreiben. Salzburg 1994. S. 5 f. 190 An Mandaten erreichten die Sozialdemokraten 72, die Christlichsozialen 66, der Schober-Block 19, der Heimatblock 8.

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umzuwandeln.«191 Schober stieg aber darauf nicht ein, er wollte den Christlichsozia­ len die Entscheidung zwischen Schober-Block und Heimatblock, der jedenfalls das Innenministerium forderte, nicht ersparen.192 Auch von den Oberösterreichischen und Vorarlberger Christlichsozialen kam eine scharfe Ablehnung des Seipel-Plans. Ähnlich äußerte sich Bundespräsident Miklas. Die christlichsozialen Landesparteileitungen in den genannten Ländern beschlossen, ihre Abgeordneten nur unter der Bedingung in den christlichsozialen Nationalratsklub zu entsenden, daß das neue Kabinett demokratisch regieren werde.193 Sehr zum Mißfallen Vaugoins und seiner Anhänger griff nun Miklas selbst ein und betraute den gemäßigten Vorarlberger Landespolitiker Ender mit der Regierungsbildung. Mit dem Abtritt des Kabinetts Vaugoin stand Seipel nun ganz am Ende seines gescheiterten Weges.194 Die geschwächte Position der Christlichsozialen zeigte sich gleich nach der Wahl in der Tatsache, daß Großdeutsche und Landbund durchaus bereit waren, gegen die Christlichsozialen mit den Sozialdemokraten Mehrheiten im Parlament zu suchen. Am 2. Dezember hätte die Konstituierung des Nationalrates erfolgen sollen, doch stellten die Großdeutschen den Antrag, die Wahl des Nationalratspräsidiums erst nach der Bildung der Bundesregierung durchzuführen. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen der Großdeutschen, des Landbundes und der Sozialdemokraten angenommen. Als die Christlichsozialen schließlich in der Sitzung vom 4. Dezember vorschlugen, der Nationalratspräsident solle aus den Reihen der Regierungsmehrheit kommen, wurde diese Haltung von Großdeutschen und Landbund nicht geteilt, sodaß schließlich der Sozialdemokrat Eldersch mit Unterstützung der Großdeutschen bei Stimmenthaltung des Landbundes zum Nationalratspräsidenten gewählt wurde.195 Regierung Ender – Bruch zugunsten der Konsensdemokratie Wieder trat in der österreichischen Innenpolitik ein Bruch zugunsten der Konsensdemokratie ein. In der neuen Regierung Ender, einer Koalition aus Christlichsozi191 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 312. Vgl. auch »Reichspost«, 5. 11. 1930. 192 Die Reichsparteileitung der Großdeutschen Volkspartei faßte am 31. 11. 1930 folgende Entschließung  : »Die Zusammensetzung der neuen Regierung muß den politischen Kurswechsel eindeutig zum Ausdruck bringen und die unbedingte Gewähr dafür bieten, daß sich ihre Tätigkeit nur auf dem Boden der Verfassung und der Gesetze bewegen wird.« »Reichspost«, 1. 12. 1930. S. 1. 193 Vgl. Anton Staudinger, Bemühungen Carl Vaugoins um Suprematie der christlichsozialen Partei in Österreich (1930–1933). In  : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23 (1970). S. 322 f. 194 Vgl. Walter Goldinger, Wilhelm Miklas. In  : Die österreichischen Bundespräsidenten. S. 101. 195 Vgl. Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 123. Auch bei der durch den Tod von Präsident Eldersch notwendig gewordenen Neuwahl des Nationalratspräsidenten am 29. April 1931 ergaben sich ähnliche Mehrheitsverhältnisse  : Für den Kandidaten der stärksten Partei, den Sozialdemokraten Dr. Renner, stimmten neben den Sozialdemokraten die Großdeutschen und der Landbund, der Heimatblock gab leere Stimmzettel ab.

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alen, Großdeutschen und Landbund, waren weder Seipel und schon gar nicht die Heimwehr vertreten. Einzig Vaugoin war als Heeresminister verblieben. Vizekanzler und Außenminister wurde Schober. Der Landbund war durch Innenminister Franz Winkler in der Regierung vertreten. »Mit dem neuen Kanzler schien sich in der Tat die Morgendämmerung einer politischen Zusammenarbeit über die Klassengegensätze hinweg anzudeuten.«196 Tatsächlich suchte Ender während seiner kurzen Regierungszeit immer wieder Kontakt zu den Sozialdemokraten, die ihm auch bei wesentlichen Fragen entgegenkamen. Sie stimmten letztlich der Finanzausgleichsnovelle zu, obwohl diese dem sozialistischen Wien wesentliche Einnahmenverminderungen brachte, und gaben ihren Widerstand gegen eine Novellierung des Wohnbauförderungs- und Mietengesetzes auf. Auch zur Sanierung der Creditanstalt gab die sozialdemokratische Opposition im Mai 1931 ihre Zustimmung. Als schließlich Enders Zollunionspläne mit Deutschland auf internationale Ablehnung stießen, unterstützten ihn die Sozialdemokraten bei ihren Parteifreunden in Frankreich und Großbritannien. Ender zeigte gegenüber der Sozialdemokratie Kompromißwilligkeit und Entgegenkommen z. B. bei den Verhandlungen für ein Konkordat mit dem Vatikan. Das Vertrauen der Sozialdemokraten in Ender beruhte auf seinem mutigen Eintreten für die parlamentarische Demokratie, seine öffentlich geäußerte Kritik an Seipel und an den Heimwehren. »Als konservativer Demokrat verwarf Ender den Faschismus und verabscheute verfassungswidrige Methoden … Seine Verwaltung des Landes Vorarlberg war ebenso tadellos wie Breitners Finanzverwaltung der Stadt Wien. Und diese Verbindung von demokratischer Überzeugung und sauberen Händen war in der Christlichsozialen Partei nicht besonders häufig.«197 Außerdem verordnete die Regierung Ender 1931 – ganz im Sinne einer Streitbaren Demokratie – ein allgemeines Aufmarschverbot vom 1. Mai bis 1. Oktober 1931 und verhinderte die Einreise von Naziführern nach Wien. Ender stand überdies in offenem Gegensatz zu den Heimwehren und lehnte den Korneuburger Eid ab. Er lehnte eine marxistische Diktatur ebenso konsequent wie eine Rechtsdiktatur ab. Auch wenn er der Idee des Ständestaates prinzipiell nicht abgeneigt war (für ihn ein Projekt, das mindestens 50 Jahre beanspruchte), hielt er 1931 die »westliche« parlamentarische Demokratie für die beste Regierungsform. Am 29. März erklärte er in einer Versammlung in Dornbirn  : »Die heutige Regierung steht auf dem Boden der Verfassung und will alle Mittel einer demokratischen Regierung und Verwaltung erschöpfen, um Österreich vorwärtszubringen. Das wird gehen, solange auch die Minderheit auf dem Boden der Demokratie, der Verfassung und des Parlamentarismus steht. Nach meiner Auffassung verträgt es sich mit der Verfassungsmäßigkeit und demokratischem Wesen durchaus, daß die Regierung nicht allein auf die Wünsche der Mehrheit hört, sondern auch alle Argumente 196 Gerhard Warmer, Otto Ender. In  : Die österreichischen Bundeskanzler. S. 162. 197 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 365.

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prüft, die eine parlamentarische Minderheit ins Treffen führt. Nur die Entscheidung kann unmöglich bei der Minderheit liegen.«198 Die ersten Monate des Jahres 1931 vergingen daher in einer Atmosphäre politischer Ruhe. »Die Regierung Ender-Schober arbeitete mit der sozialdemokratischen Opposition recht einträchtig zusammen.«199 Im Sinne eines »informellen Proporzsystems« gingen die Budgetberatungen im Nationalrat rasch über die Bühne. Trotzdem gab es auch Mißstimmungen. Ende Mai trat der großdeutsche Justizminister Dr. Schürff wegen der drohenden Kürzung der Beamtengehälter zurück, Anfang Juni stimmten die Großdeutschen und der Landbund einem Antrag der Sozialdemokraten auf Abberufung des unter der Regierung Vaugoin eingesetzten Generaldirektors der Bundesbahnen, Strafella, zu. Diesem Beschluß entsprach die Bundesregierung am 5. Juni. Die neue politische Linie der Christlichsozialen in der Bundesregierung erhielt auch bei den Landtagswahlen in Oberöstereich am 19. April 1931, den ersten größeren Wahlen seit der Nationalratswahl im November 1930, eine eindrucksvolle Bestätigung. Mit einem Anteil von über 52 Prozent erzielten die Christlichsozialen das beste Ergebnis der Zwischenkriegszeit. Im Vergleich zur Nationalratswahl gewann die Christlichsoziale Partei über 22.000 Stimmen, die Sozialdemokraten verloren rund 7.600, der nationale Wirtschaftsblock verlor ebenso wie der Heimatblock rund 21.000 Stimmen, die Nationalsozialisten gewannen mehr als 4.000 Stimmen. Ein Triumph einer christlichsozialen Landesorganisation, die für ihr klares Bekenntnis zur Demokratie und ihre deutliche Kontraposition zum Kurs Seipels und der Heimwehr bekannt war. Der Heimatblock im Heimatland Starhembergs konnte kein einziges Landtagsmandat erringen.200 In den Bundesländer-Parteizeitungen wies man auf den richtigen Kurs der oberösterreichischen Christlichsozialen hin  : »Es hat sich klar und deutlich erwiesen, wie richtig die oberösterreichischen Christlichsozialen gehandelt haben, als sie auch dem Heimatblock gegenüber jene eindeutige Stellungnahme bezogen haben, die er als politische Partei verdient. Die Wähler haben sich von diesem politischen Zwitter rascher abgewendet, als irgendjemand erwartet hätte … Die Wählerschaft hat gestern wieder eindeutig bestimmt, daß sie keine Experimente duldet, daß sie Vertrauen hat zu den Grundsätzen der christlich-sozialen Partei, die dann ihre schönsten Erfolge erringt, wenn sie allein im Kampfe steht, wenn sie sich nicht abdrängen läßt von ihrem durch das Programm vorgezeichneten Wege.«201 Das waren deutliche Worte in die Richtung der Heimwehr-Sympathisanten in der Christlichsozialen Partei. 198 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 125. 199 Fritz Kaufmann, Sozialdemokratie. S. 262. 200 Vgl. Harry Slapnicka, Christlichsoziale in Oberösterreich. Vom Katholikenverein 1848 bis zum Ende der Christlichsozialen 1934. Linz 1984. S. 271. 201 »Salzburger Chronik«, 20. 4. 1931. S. 1.

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Schon drei Wochen vorher, am 29. März 1931, bei den Gemeindewahlen im Bundesland Salzburg, konnten die Christlichsozialen im Vergleich zur letzten Nationalratswahl von einem »Tag des Erfolges« sprechen. Die Christlichsoziale Partei war – neben den deutlichen Zugewinnen der Hitlerbewegung – die einzige Partei, die – vor allem in der Stadt Salzburg und in größeren Gemeinden – zulegen konnte. In deutlicher kritischer Anspielung auf den früheren (Seipel-)Kurs der Partei einer engen Allianz mit den Heimwehren stellte das Parteiorgan fest, daß sich wieder einmal bewiesen habe, »daß die christlichsoziale Partei allein imstande ist, ein Bollwerk gegen den Marxismus aufzustellen und auch neuen radikalen Bewegungen einen Damm entgegenzusetzen«. Und noch wesentlich schärfer  : »Für die christlichsoziale Partei hat der gestrige Wahltag die Lehre gebracht, daß sie das Vertrauen des Volkes dann im stärksten Maße genießt, wenn sie sich auf dem Boden der ruhigen, sachlichen und demokratischen Arbeit stellt. In diesem Sinne wird der gestrige siegreiche Wahltag richtunggebend auch für den künftigen politischen Weg der Partei sein müssen.«202 Die Stellung des gemäßigten Flügels innerhalb der Christlichsozialen Partei war also durch diese Wahlerfolge entscheidend gestärkt worden. Beim Landesparteitag der niederösterreichischen Christlichsozialen am 13. April 1931 wurde einstimmig die folgende Entschließung angenommen  : »Die christlichsoziale Partei Niederösterreichs hält nach wie vor an dem demokratischen Staatsgedanken fest, in der Überzeugung, daß gerade eine gesunde Demokratie jene geistigen Kräfte im Volke wachzurufen in der Lage ist, mit denen alle Probleme der Wirtschafts- und Sozialpolitik in diesem Staate einer gesunden und dauernden Lösung zugeführt werden können. Die Partei lehnt daher jeden aus der bestehenden Wirtschaftsnot geborenen Radikalismus von links nach rechts ab.«203 Bei einem christlichsozialen Bundeskongreß im April 1931 kritisierte Kunschak offen das Vorgehen Seipels und wandte sich heftig gegen die Politik der Einheitsliste, des Antimarxismus und der Zusammenarbeit mit der Heimwehr. Seipel und seine Anhänger vom radikalen Flügel waren in eine Verteidigungsposition geraten.204 Umso unverständlicher ist es, daß vor dem Hintergrund dieser erfreulichen Wahlergebnisse die Führung der Christlichsozialen Partei nicht endgültig vom demokratiegefährdenden Weg der antimarxistischen Front mit den faschistischen Heimwehren Abstand nahm. Das Anwachsen der Nationalsozialisten Hier ist es am Platze, kurz die Entwicklung der Nationalsozialisten zu analysieren. Nach den wirtschaftlich relativ guten Jahren besserte sich die politische Situation der 202 »Salzburger Chronik«, 30. 3. 1931. S. 1. Vgl. auch Franz Schausberger, Eine Stadt lernt Demokratie. Bürgermeister Josef Preis und die Salzburger Kommunalpolitik 1919–1927. Salzburg 1988. S. 135 ff. 203 »Salzburger Chronik«, 14. 4. 1931. S. 5. 204 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 370.

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Nationalsozialisten mit dem Verfall der österreichischen Wirtschaft, obwohl die Beziehung zwischen der Arbeitslosenrate und dem Zulauf zu den Nationalsozialisten in Österreich bei weitem nicht so deutlich war, wie in Deutschland, wo im Jänner 1930 über 3,2 Millionen Arbeitslose zu verzeichnen waren.205 In Deutschland verzeichneten die Nationalsozialisten schon 1929 und 1930 bei Regionalwahlen beachtliche Gewinne (Landtagswahl in Thüringen im Dezember 1929 11,3 Prozent, Landtagswahl in Sachsen im Juni 1930 14,4 Prozent).206 Nach dem Ende der Großen Koalition in Deutschland am 27. März 1930 erzielte die Hitler-Partei bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 in einem Erdrutschsieg rund 6,4 Millionen Stimmen (18,2 Prozent) und 107 Mandate. Damit waren die Nazis zweitstärkste Partei im Reichstag.207 Bei der zwei Wochen später stattgefundenen österreichischen Nationalratswahl erreichte die Hitler-Bewegung mit 111.000 Stimmen nur rund drei Prozent. Und auch dieses Ergebnis wäre vermutlich noch schwächer gewesen, wäre nicht die Wirkung der nationalsozialistischen Erfolge in Deutschland gewesen. Man kann also feststellen, daß die Nationalsozialisten in Österreich erst zur Geltung kamen, nachdem die Hitlerbewegung in Deutschland ihre großen Erfolge erzielt hatte.208 Das schwache Abschneiden der österreichischen Nationalsozialisten bis 1931 war u. a. auf zwei ständige Probleme zurückzuführen  : a) das Fehlen einer starken, volkstümlichen zentralen Führung, die die ständigen internen Streitigkeiten, vor allem mit der Schulz-Gruppe, beendet hätte ; b) das Wetteifern mit anderen völkischen Gruppen, vor allem mit den Heimwehren, und das Scheitern einer Wahlkoalition mit den Heimwehren, die den National­ sozia­listen vorerst ziemlich viele Stimmen wegnahmen. Dazu kam noch, daß die österreichische Nazi-Propaganda mit dem Versuch, jedermann zufriedenzustellen, scheiterte und von den deutschen Nationalsozialisten keine besondere Unterstützung geleistet wurde. Es entstand der Eindruck, Hitler hätte kein besonderes Interesse an den österreichischen Nationalsozialisten, seine Vertrauensmänner seien in der Heimwehr.209 Erst als am 11. Juli 1931 Theo Habicht zum Landesgeschäftsführer und damit zum De-facto-Führer der österreichischen NSDAP bestellt wurde (obwohl Alfred Proksch die Stelle des Landesleiters für ganz Österreich innehatte) wandelte sich die Situation abrupt. Habicht gab der Partei eine straffe Führung und reorganisierte sie nach 205 206 207 208 209

Vgl. Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 69 f. Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik. S. 125. Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik. S. 133. Vgl. Walter B. Simon, Österreich 1918–1938. S. 137 f. Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 71 ff.

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deutschen Richtlinien. Dazu kam, daß die Wirtschaftskrise schlimmer wurde und die Enttäuschung innerhalb der Heimwehr über das schwache Abschneiden des Heimatblocks bei der Nationalratswahl 1930 (knapp über 6 Prozent) wuchs und der größte Rivale der Nationalsozialisten auseinanderzufallen begann. Ende 1930 und 1931 war also das rapide Ansteigen der Hitler-Nationalsozialisten bei Regionalwahlen nicht mehr zu übersehen. Bereits bei der Gemeinderatswahl in Wr. Neustadt am 31. November 1930 steigerten sich die Nationalsozialisten von einem auf drei Mandate, die Sozialdemokraten verloren zwei (von 29 auf 27 Mandate) während der Ständeblock (Christlichsoziale, Großdeutsche und Heimatblock) seine 15 Mandate hielt.210 In der Landeshauptstadt Salzburg stieg die Hitler-Partei bei der Gemeinderatswahl von 4,4 Prozent auf 9,2 Prozent an (dazu kamen noch 4,4 Prozent der Schultz-NSDAP) und bei der Landtagswahl in Oberösterreich von über 11.000 auf fast 16.000 Stimmen. Beträchtlich waren auch die Stimmengewinne der Hitler-Partei bei der Gemeinderatswahl in Klagenfurt am 8. Februar 1931. Von 8,6 Prozent bei der Gemeinderatswahl 1926 sprangen die Nazis auf nunmehr 21 Prozent und erhielten damit sieben Mandate (um vier mehr als 1926).211 Die NSDAP wurde zur drittstärksten Partei. Die Nazis begannen überall ihre Aktivitäten und z. T. Störaktionen zu entwickeln, besonders auch an den Hochschulen, die schon vor 1931 zu ihren Hochburgen zählten. So gelang es ihnen etwa im Februar 1931, die gegen ihren Willen für 21. Februar festgelegten Wahlen der Studentenvertretung an der Universität Innsbruck durch gewalttätige Aktionen zu verhindern.212 Die braunen Gewitterwolken stiegen am Horizont auf. Die Sozialdemokraten gehen von ihrer Konsensbereitschaft ab – Ende der Regierung Ender Gerade vor dem Hintergrund dieser Aufwärtsentwicklung der Nationalsozialisten wäre ein noch stärkeres Zusammenwirken der demokratischen Kräfte dringend notwendig gewesen. Nun aber begannen die Sozialdemokraten von ihrer Konsensbereitschaft wieder abzurücken und gaben der Obstruktion breiteren Raum. Keine Unterstützung, sondern vehemente Ablehnung durch die Sozialdemokratie erfuhr die Regierung Ender bei ihrem Bemühen um eine Reform der Sozialversicherung, um eine Entlastung des Haushaltes herbeizuführen. Dazu hatte Sozialminister 210 Vgl. »Reichspost«, 1. 12. 1930. S. 2. 211 Vgl. »Salzburger Chronik«, 9. 2. 1931. S. 1. 212 Vgl. »Salzburger Chronik«, 21. 2. 1931. S. 5 f. Vgl. Auch Guido Zernatto, Die Wahrheit über Österreich. Paris 1938. S. 66.: »Die jungen Akademiker blieben in großer Zahl arbeitslos, sie sahen die weit über den bevölkerungsmäßigen Anteil hinausgehende jüdische Stellung in ihren Berufen, fühlten sich dadurch herausgefordert, wurden in dieser Haltung durch die nationalsozialistische Propaganda bestärkt und strömten zur S.A. und S.S.«

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Resch am 19. März 1931 einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, in dem das Inkrafttreten der Altersversicherung für den 1. Jänner 1932 vorgesehen war. Auf Grund der leidenschaftlichen Obstruktion der Sozialdemokraten trat Sozialminister Resch am 14. April zurück, Ender übernahm selbst die Führung des Sozialministeriums. Er stellte den Resch-Entwurf zurück und verlangte nur die Reform der Arbeitslosenversicherung, was von der Sozialdemokratie als großer Erfolg gefeiert wurde.213 Als im Zusammenhang mit einer Haftung zur Sanierung der Creditanstalt der Vertreter des Landbundes Winkler demissionierte, mußte der Bundeskanzler den Rücktritt der Gesamtregierung erklären. Als schließlich die Bank of England der ­Oesterreichischen Nationalbank einen kurzfristigen Kredit von 150 Millionen Schilling gewährte, war für den Augenblick das Schlimmste verhütet. Der Bundespräsident betraute Ender wieder mit der Regierungsbildung. Als Ender am 18. Juni 1931 nach dem Vorbild des deutschen Kanzlers Brüning214 für eine angemessen Zeit das Recht verlangte, auf dem Verordnungsweg jene gesetzlichen Maßnahmen treffen zu können, die der Bundesregierung zur Stabilisierung des Staatshaushaltes und zur Sanierung der Creditanstalt notwendig erschienen, verweigerten ihm die Sozialdemokraten die für die Zweidrittelmehrheit notwendige Zustimmung, ungeachtet der Wirtschaftskrise und der nationalsozialistischen Bedrohung aus Deutschland. Ender verlangte damit nicht mehr, als der Nationalrat schon Seipel durch die Schaffung des außerordentlichen Kabinettsrates zur Durchführung der Genfer Sanierung bewilligt hatte. Ender legte daraufhin den Auftrag zur Regierungsbildung zurück.215 Die Ender-Schober-Regierung, die der Zerreißprobe der wirtschaftlichen und sozialen Unstimmigkeiten innerhalb der bürgerlichen Koalition nicht standhielt, trat am 16. Juni 1931 zurück. Die Ablehnung des Seipelschen Koalitionsangebotes – ein historischer Fehler der Sozialdemokraten Überraschend betraute Bundespräsident Miklas Ignaz Seipel mit der Regierungsbildung. Der Bundespräsident wollte, daß Seipel mit der ihm noch immer anhaftenden Autorität die Möglichkeiten für eine neue Koalition durch Verhandlungen mit allen politischen Parteien sondieren sollte. Das Ausmaß der Krise brachte es mit sich, daß die Frage einer Großen Koalition unter Einschluß der Sozialisten akut war. »Wir 213 Vgl. Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 125 f. Ebenso Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf der Ereignisse in Österreich von 1918 bis 1945. S. 176. 214 Zu den Notverordnungen zur Sanierung der deutschen Staatsfinanzen vgl. etwa Horst Müller, Weimar. Die unvollendete Demokratie. München 1990. S. 197 f. 215 Vgl. Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf der Ereignisse in Österreich von 1918 bis 1945. S. 183. Vgl. ebenso Georg Wanner, Leopold Kunschak und die Schicksalsjahre 1933 und 1934. In  : christliche demokratie. 1/84. 65. Ebenso Hans Huebmer, Dr. Otto Ender. Dornbirn 1967. 152 ff.

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brauchen eine Konzentration, um ein eng umrissenes Programm erfüllen zu können«, meinte Seipel und faßte eine Allparteienregierung nur für einen bestimmten Zweck und für eine bestimmte Zeit, etwa bis Jahresende, ins Auge. 216 Seipel bot seinem Gegenspieler Bauer den Posten des Vizekanzlers und den Sozialdemokraten insgesamt vier Regierungssitze gegenüber drei der Christlichsozialen und je einem für Großdeutsche und Landbund an. Die Sozialdemokraten lehnten aber ab. Trotz starker Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie, die das Angebot annehmen wollten, setzte sich Otto Bauers Ideologie des Austromarxismus durch, die darauf hinauslief, »die Dinge in der durch das Vertrauen auf den historischen Materialismus gestärkten Erwartung an sich herankommen zu lassen, wodurch das erhoffte Endziel der Ersetzung des kapitalistischen durch einen sozialistischen Staat erreicht werden würde, ohne daß es notwendig wäre, selbst eine Hand zur Erreichung dieses Zieles anlegen zu müssen.« 217 Auch wenn – wie etwa Anton Staudinger nachzuweisen versucht – das Angebot Seipels von diesem gar nicht so ernst und nur als Erledigung einer lästigen Pflicht gegenüber dem Bundespräsidenten gemeint war und eigentlich nicht auf eine Koalitions-, sondern auf eine Konzentrationsregierung (jedoch ohne Heimwehr) hinauslief218, so wäre es etwa nach Ansicht von Norbert Leser, »die Pflicht der sozialdemokratischen Unterhändler (gewesen), den Faden nicht abreißen zu lassen«.219 Jedenfalls aber hätte die Partei – wie Walter B. Simon meint – Bedingungen stellen müssen, über deren Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit man dann diskutieren hätte können.220 Das aber taten die Sozial­ 216 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 319. 217 Fritz Kaufmann, Sozialdemokratie in Österreich. S. 267. Vgl. auch Gottfried-Karl Kindermann, Hitlers Niederlage in Österreich. Bewaffneter NS-Putsch, Kanzlermord und Österreichs Abwehrsieg von 1934. Hamburg 1984. S. 120 f. Kindermann verweist auf die Mahnung Wilhelm Ellenbogens, daß es kein stärkeres und wirksameres Mittel zur Ausrottung des Faschismus gäbe als den Eintritt in die Regierung. Alfred Ableitinger entnimmt dem sozialdemokratischen Programm sehr deutlich, »daß Kooperation der einander feindlichen Klassen auch in der demokratischen Republik nur eine vorübergehende Entwicklungsphase im Klassenkampf sein kann, nicht Ziel dieses Kampfes, daß regelmäßige Kooperation eigentlich für die Sozialdemokratie schädlich sei, weil sie den Kapitalismus temporär stabilisiere und mit ihm die Machtbasis der bürgerlichen Klasse(n) als Gegner der Sozialdemokratie«. Alfred Ableitinger, Die politischen Parteien. S. 11. 218 Vgl. Anton Staudinger, Konzentrationsregierung, Bürgerblock oder präsidiales Minderheitsregime  ? Zum angeblichen Koalitionsangebot Ignaz Seipels an die Sozialdemokratie im Juni 1931. In  : Zeitgeschichte, 12. Jahr, Oktober 1984, Heft 1. S. 1–18. 219 Norbert Leser, Österreichs Demokratie am 19. Juni 1931. Das Koalitionsangebot Ignaz Seipels an Otto Bauer. In  : christliche demokratie. 2. Jahrgang. 1/1984. S. 55. Die Ansicht, daß Seipel dieses Angebot nicht ernst gemeint hätte, scheint mir nicht begründet zu sein. Wie Maximilian Liebmann aufzeigt, dürfte dieses Angebot einer Beratung mit Kardinal Friedrich Gustav Piffl entsprungen sein, womit man dem Priester Seipel die Ernsthaftigkeit dieses Vorschlages nicht absprechen kann. Vgl. Maximilian Liebmann, Kirche und Politik in der Ersten Republik von 1918 bis 1938. In  : christliche demokratie. 1/84. S. 28. Vgl. Maximilian Liebmann, Ignaz Seipel – Mensch, Christ, Priester. S. 208 f. 220 Erich Fröschl et al. (Hg.), 1938. Ursachen, Fakten, Folgen. S. 49.

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demokraten nicht. Selbst Anton Staudinger muß zugeben, daß der sozialdemokratische Klub – noch während die Christlichsozialen die Koalitionsfrage diskutierten –, ohne das Ergebnis der christlichsozialen Beratungen abzuwarten und zu kennen, beschloß, das Seipelsche Angebot abzulehnen.221 Norbert Leser vermutet, der eigentliche Grund dafür sei das Mißtrauen der Sozialdemokraten gegenüber Seipel gewesen, von dessen Seite sie irgendeine Falle witterten. Aber er meint  : »Selbst wenn es Seipel nur als einen Fallstrick gedacht hat, hätte man es wie einen Rettungsanker ergreifen müssen.«222 Indem sie dies unterließen, verstießen die Sozialdemokraten eklatant gegen das systemimmanente Proporz- bzw. Konsensmuster. Trotzdem aber wußte man – als Rest eines Konsensbewußtseins –, daß man gerade jetzt alles tun müßte, um die Existenz des Staates nicht ernsthaft zu gefährden. Die sozialdemokratischen Führer übten, wie Norbert Leser es bezeichnet, »die Mitverantwortung am liebsten verschämt aus«.223 Daß auch Seipels Angebot mit der Forderung der faktischen Unterwerfung der Sozialdemokratie unter seine sachpolitischen Pläne und der Entsendung von »Repräsentanten der prinzipiellen Gegensätze« in die Regierung dem Geist einer Konsensdemokratie widersprach, muß wohl nicht betont werden. Aber immerhin, ein Angebot war da, das ohne ernsthaftes Einsteigen in Verhandlungen schon in der Anfangsphase von den Sozialdemokraten abgelehnt wurde. Das Merkmal des Proporz- oder Konsenssystems ist der Ausgleich, der Kompromiß, der in oftmals langwierigen Verhandlungen zustande kommt. Es ist dabei auch symptomatisch, daß die Verhandlungspartner ursprünglich von Extrempositionen ausgehen. Als solche könnte auch die Position Seipels angesehen werden. Ihm etwas abzuverhandeln haben die sozialdemokratischen Unterhändler erst gar nicht versucht.224 Wie immer man das Angebot Seipels auch betrachte, meint Bruno Kreisky, »im Rückblick scheint es mir eindeutig falsch, daß man nicht stärker für einen Kompromiß eintrat, um in einem so kritischen Augenblick in der Regierung zu sein. Der Fehler lag auf seiten der Sozialdemokraten, die, ähnlich wie in Deutschland, eine Tolerierungspolitik führten.«225 221 Vgl. Anton Staudinger, Konzentrationsregierung. S. 12. 222 Norbert Leser, Österreichs Demokratie am 19. Juni 1931. S. 59. Siehe auch Norbert Leser, Die Innenpolitik. S. 221  : »Mit einem sozialistischen Innenminister und Vizekanzler hätte man einen Keil zwischen die Heimwehr und die demokratischen Teile der Christlichsozialen Partei treiben können, und wenn sich diese Koalition einige Zeit gehalten hätte, hätte sie quasi auch eine mögliche Abwehrbasis gegen den Nationalsozialismus, der erst im Jahre 1932 erstarkt ist, bilden können.« 223 Norbert Leser, Zwischen Reformismus und Bolschewismus. S. 454. 224 Vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 31. 225 Bruno Kreisky, Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten. Berlin, Wien 1986. S. 196. Vgl. ebenso Bruno Kreisky  : »Wieder wäre damals das Schicksal der Republik, der Demokratie, ja der Partei, zu retten gewesen. Eine Annäherung der beiden Parteien, von denen außer ein paar ganz gehässigen Christlichsozialen keine für den Faschismus war, hätte diese furchtbare Gefahr für lange Zeit vielleicht, was entscheidend war, bis zum Ende der Wirtschaftskrise hinausgeschoben. Es hätten sich Wege für eine für beide Teile tragbare, wenn auch nicht Lösung, so doch einverständliche Behandlung

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Als nach dem Scheitern des »Konzentrationsplanes« auch der Versuch Seipels, ein »Kampfkabinett« der bürgerlichen Parteien (ohne Heimatblock) zu bilden, an der Rivalität mit Schober scheiterte, drohte Bundespräsident Miklas mit der Bildung einer Beamtenregierung. Im übrigen hatte auch Deutschland durchaus Einfluß auf die Entwicklung genommen, da man in Berlin Interesse an einer Weiterführung der deutschfreundlichen Außenpolitik Schobers hatte. Regierung Buresch – lose Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten Schließlich einigten sich die Parteien der früheren Koalition doch noch auf eine Regierung unter der Führung des christlichsozialen Landeshauptmannes von Nieder­ österreich, Dr. Karl Buresch. »Es schien klüger, die Verantwortung zu verteilen, indem man eine Koalitionsregierung mit Großdeutschen und Landbündlern bildete und eine lose Zusammenarbeit mit den Sozialisten aufrecht erhielt.« 226 Buresch verfügte über gute Beziehungen zu den Sozialdemokraten auf niederösterreichischer Landesebene. Von ihm, der die Sozialdemokraten »mit Glacehandschuhen anfaßte«227, erwartete man eine größere Flexibilität gegenüber den Sozialdemokraten auf Bundesebene, deren Konsensbereitschaft bei der Lösung der Creditanstalt-Krise notwendig war. Die Sozialdemokraten zeigten sich befriedigt über diese Regierung, die sie als schwach einstuften und als Produkt mehrerer christlichsozialer Niederlagen ansahen. Damit war für die Sozialdemokraten die Möglichkeit der Einflußnahme auf die Regierungspolitik sehr groß, ohne selbst Verantwortung übernehmen zu müssen. »Die neue Regierung Buresch wurde als weich, als eine uninteressante und unbedeutende Neuauflage der Regierung Ender, als Übergangskabinett, aber auch als Regierung der schwachen Hand bezeichnet.«228 Die Regierung Buresch hatte schwere Lasten übernommen  : Die Neuordnung der Creditanstalt, die Budgetsanierung, die Währungssanierung und eine Auslandsanleihe sowie die Frage der Zollunion mit Deutschland harrten einer Erledigung. Vom Plan einer Zollunion mußte die österreichische Bundesregierung nach einem Entscheid des Haager Schiedsgerichtes Abschied nehmen. Zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit raschem Anstieg der Arbeitslosenzahlen und einem enormen Budgetdefizit, zur Opposition im Parlament, Sozialdemokraten und Heimatblock, kamen noch die Spannungen innerhalb der Koalitionsregierung.

der schweren Probleme gefunden, die damals auf der Wirtschaft lasteten.« In  : Die Kälte des Februar. Österreich 1933–1938. Hg. von H. Maimann und S. Mattl. 2. Auflage. Wien 1984. S. 18 f. 226 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 374. 227 Fritz Kaufmann, Sozialdemokratie in Österreich. S. 272. 228 Gertrude Enderle-Burcel, Karl Buresch. In  : Friedrich Weissensteiner, Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. S. 179.

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Anfang August wandte sich die Bundesregierung an den Völkerbund mit dem Ansuchen um eine 250-Millionen-Schilling-Anleihe. Die Zustimmung zu diesem Ansuchen wurde vom Beschluß eines Budgetsanierungsgesetzes abhängig gemacht. Schon im Juli 1931 hatte die Regierung vergeblich versucht, durch eine Reihe von Zollerhöhungen und durch Kürzungen bei den Sonderzulagen der Bundesbeamten und Arbeitslosen die Budgetlage zu verbessern. Nach langwierigen Verhandlungen wurde schließlich am 3. Oktober 1931 das Budgetsanierungsgesetz mit den Stimmen der Regierungsparteien und der Sozialdemokaten beschlossen, die Heimatblock-Abgeordneten stimmten dagegen.229 »Die Sozialdemokratie handelte de facto als Regierungspartei, unter Verzicht auf einen möglichen Popularitätsgewinn.«230 Wenige Wochen vorher aber war es zu einer schweren innenpolitischen Erschütterung gekommen. Die Heimwehr befand sich seit längerem in einer inneren Krise. Starhemberg hatte sich wegen seiner privaten finanziellen Schwierigkeiten zeitweilig als Bundesführer der Heimwehren zurückgezogen, an seine Stelle war der radikale Heimwehrführer Dr. Pfrimer getreten. In der Bundesregierung saßen mit Bundeskanzler Buresch, Vizekanzler Schober und Innenminister Winkler drei Persönlichkeiten, die nicht unbedingt zu den Freunden der Heimwehr zählten und die entsprechend unfreundliche Maßnahmen setzten  : Versammlungen wurden aufgelöst, Aufmärsche verboten, und wieder wurde viel von einer generellen Entwaffnungsaktion gesprochen. Pfrimer sah nun endlich die Stunde der Heimwehren gekommen und ließ am 13. September 1931 den steirischen Heimatschutz aufbieten und auf Plakaten verkünden, daß der Heimatschutz die Macht im Staate ergriffen und er selbst die Staatsführung übernommen habe. Es gelang ihm aber nicht einmal, jene Heimwehrorganisationen der anderen Bundeländer, die vorher seinen Plänen zugestimmt hatten, zum Mitmachen zu bewegen. Es kam zu Kämpfen zwischen Heimwehr und Schutzbund, die einige Todesopfer forderten. Obwohl die staatliche Exekutive auf Anordnung des steirischen Landeshauptmannes Dr. Rintelen zuwartete und auch das Bundesheer mit Wissen Vaugoins nur äußerst zögernd eingriff, brach der Putschversuch rasch in sich zusammen. Auf der Strecke blieb an diesem Tag die Staatsautorität.231

229 Vgl. Gertrude Enderle-Burcel, Karl Buresch. S. 180. 230 Fritz Weber, Die Weltwirtschaftskrise und das Ende der Demokratie in Österreich. In  : Erich Fröschl, Helge Zoitl (Hg.), Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts. Wien 1984. S. 62. 231 Vgl. Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf. S. 185 f. Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 63 f. Ernst Rüdiger Starhemberg, Memoiren. S. 106 ff. Rainer Hubert, Schober. S. 411 ff.

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Das politische Umfeld

Neuerliches Koalitionsangebot an die Sozialdemokraten Nach diesem mißglückten Operettenputsch, der aber doch die ganze Fragilität des politischen Systems offenbarte, machte Bundeskanzler Buresch am 2. Oktober 1931 den Sozialdemokraten noch einmal ein ernstgemeintes Koalitionsangebot, »das vielleicht als das einzige ernstgemeinte angesehen werden kann, das ihr seit 1927 gemacht wurde«.232 Dieses wurde von den Sozialdemokraten abermals abgelehnt, aus den gleichen Gründen, wie das Seipelsche Angebot abgelehnt worden war. Dabei war das gegen Seipel vorhandene Mißtrauen der Sozialdemokraten gegenüber Buresch keineswegs angebracht. Wie Kurt Schuschnigg später festhielt, war für Otto Bauer »die Erneuerung der Koalition zu keinem Zeitpunkt diskutabel«, weil nach Bauers Ansicht die Arbeiterklasse davon keinen Vorteil gehabt hätte, sondern sich nur an den unvermeidlichen, unpopulären Maßnahmen hätte beteiligen müssen und damit geholfen hätte, die bürgerliche Ordnung aufrechtzuerhalten.233 Die Sozialdemokraten erklärten sich aber bereit, für die Budgetreform zu stimmen, wenn verschiedene Härten beseitigt würden. »Die wichtigsten Maßnahmen der Regierung trugen Kompromißcharakter. Die Sozialisten erreichten wesentliche Abänderungen an Gesetzesentwürfen über eine neue Lohnsteuer und über eine fünfprozentige Kürzung der Gehälter und Pensionen einer Gruppe von Staatsbeamten. In gleicher Weise nahmen die Sozialisten einigen Einfluß auf weitere, die Creditanstalt betreffende Maßnahmen. Sie stimmten für die Creditanstaltsgesetze und enthielten sich aller Angriffe gegen die beträchtliche Kürzung der Staatsbeamtengehälter.«234 Die Sozialdemokraten genossen es also sichtlich, durchaus mitzuregieren, Verschiedenes in ihrem Sinne durchzusetzen, ohne für das Unpopuläre verantwortlich gemacht zu werden. Auch für die bevorstehende Wahl des Bundespräsidenten wurde eine Einigung erzielt. Mit der wirtschaftlichen Not und der allgemeinen Unzufriedenheit erhielten die Nationalsozialisten – unterstützt durch die Erfolge ihrer Partei in Deutschland – auch in Österreich Aufwind. Bei dieser Entwicklung befürchteten die Großdeutschen, zerrieben zu werden, und beschlossen, bei nächster Gelegenheit aus der Regierung auszuscheiden. Trotz des Scheiterns der Zollunion mit Deutschland – was sie als nationales Unglück ansahen – und trotz der Demissionierung des deutschen Außenministers Curtius beharrten sie auf dem deutschen Kurs von Außenminister Schober und verlangten am 9. Jänner 1932 von Bundeskanzler Buresch die unbedingte Beibehaltung dieses außenpolitischen Kurses. Die Antwort Bureschs befriedigte sie nicht. Aber auch innerhalb der Christlichsozialen Partei war man längst zur Überzeugung 232 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 380. 233 Kurt Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler. Die Überwindung der Anschlußidee. Wien, München, Zürich 1969, S. 132. 234 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 374.

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gelangt, daß der Verbleib Schobers in der Regierung einer Genehmigung einer neuerlichen Auslandsanleihe abträglich sei, sodaß Buresch am 27. Jänner 1932 demissionierte. Dabei ging es vor allem darum, Schober auszubooten oder ihm zumindest ein anderes Ressort zu übertragen. Die Großdeutschen aber nützten die Gelegenheit und waren nicht mehr bereit, in eine Regierung einzutreten. Buresch bildete nun mit dem Landbund eine Minderheitsregierung, die auf die stillschweigende Duldung der Sozialdemokraten im Parlament angewiesen war, während die Heimwehr wieder mit Putschdrohungen Unruhe stiftete. Mit Kurt Schuschnigg trat neben Landwirtschaftsminister Dollfuß ein weiteres Mitglied der sogenannten Frontgeneration in die Regierung ein. Beide »verkörperten schon damals jene Strömungen, die an der Berechtigung des Parlamentarismus in der hergebrachten Gestalt zweifelten und ihn durch andere, ihnen besser erscheinende Formen zu ersetzen suchten.« 235 Obwohl man sich im klaren war, daß dieses Kabinett Buresch nur eine Übergangsregierung sein konnte, gelang es doch, die Zustimmung der sozialdemokratischen Opposition für ein wirtschaftspolitisches Ermächtigungsgesetz zu gewinnen. Die Wintersession des Nationalrates wurde vorzeitig geschlossen und damit der Bestand der Regierung für einige Zeit gesichert. Am Ende dieser Phase des informellen Proporzsystems gestand Minister Schuschnigg, daß die gegenwärtige Regierung »von der Duldung der Sozialdemokraten lebe … Bei den gegebenen Kräfteverhältnissen bleibt nichts anderes übrig, als sich in jedem einzelnen Falle mit der Opposition ins Einvernehmen zu setzen. Bei wichtigen Gesetzen ist die Zustimmung der Sozialdemokraten erforderlich. Diese Zustimmung wird aber nicht erkauft, sondern die Sozialdemokraten wissen genau, wenn sie die jetzige Minderheitsregierung stürzen, daß ihnen die Aufgabe zufällt, selbst die Regierung zu übernehmen.«236 Nach einer am 12. Jänner 1932 erfolgten Waffenbeschlagnahme im Ottakringer Arbeiterheim kündigte Vizekanzler Winkler ein allgemeines Entwaffnungsgesetz an. Der neue Sicherheitsminister Bachinger (Landbund) nahm daraufhin Verhandlungen mit den Wehrformationen auf. Einzig der »Freiheitsbund« der Christlichsozialen gab seine Zustimmung zu einer allgemeinen Entwaffnung. Die Heimwehren erklärten kategorisch, bei einem solchen »Affentheater« nicht mitzutun. Auch der Schutzbund zeigte keine besondere Geneigtheit, sich zu einer Entwaffnungsaktion zu bekennen. So scheiterten die Entwaffnungsabsichten sang- und klanglos, obwohl sie vor allem vom Landbund noch nicht aufgegeben wurden.237 Angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurde der Ruf nach außerordentlichen Vollmachten, nach einem Ermächtigungsgesetz, immer lauter. Dazu wurde das Ermächtigungsgesetz vom 8. Oktober 1931 am 19. Februar 1932 noch einmal ver235 Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf. S. 188. 236 »Reichspost«. 25. 4. 1932. S. 3. Schuschnigg vor dem Landesparteitag der Tiroler Volkspartei. 237 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 144.

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Das politische Umfeld

längert. Die Sozialdemokraten verlangten, ihren Einfluß auf die Handhabung dieses Gesetzes insofern zu sichern, als alle Verordnungen von einem Drittel der Mitglieder des Hauptausschusses des Parlaments beeinsprucht werden konnten und damit unwirksam waren. Am 16. April 1932 unternahm die Regierung Buresch eine offizielle Demarche bei den vier Großmächten Europas. Buresch bat die Gesandten von Deutschland, England, Frankreich und Italien zu sich, um ihnen die beunruhigenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Österreich vor Augen zu führen und ihnen mitzuteilen, daß Österreich durch die aufgerichteten Zollschranken von seinen wesentlichen Märkten abgeschnitten und gezwungen sei, eine Erweiterung seines Wirtschaftsraumes zu fordern. Die Antworten waren vorerst freundlich, die ersehnte Hilfe blieb aber aus. Als die Tschechoslowakei noch mit einem Einfuhrverbot für fast hundert österreichische Waren reagierte, antwortete die österreichische Bundesregierung auf Grund des Ermächtigungsgesetzes mit einem Einfuhrverbot für tschechische Waren. Auch alle weiteren Vorstöße Österreichs, etwa beim Völkerbund, blieben ungehört. Nach den Landtagswahlen am 24. April 1932 wurde die Stellung der Regierung Buresch II unhaltbar, sie trat am 6. Mai zurück.

2.4 Zusammenfassung • Die parlamentarisch-demokratische Politische Kultur wurde durch die Ereignisse des 15. Juli 1927 entscheidend geschwächt. Der Brand des Justizpalastes verstärkte die Angst des bürgerlichen Lagers vor der »Diktatur des Proletariats«, die schon durch das austromarxistische Linzer Programm der Sozialdemokraten vom Herbst 1926 sehr stark geweckt worden war. Als Gegenreaktion wurden andere Wege als der der parlamentarischen Demokratie gesucht  : Ignaz Seipel dachte in Richtung »wahrer Demokratie« und meinte damit ein autoritäres Modell, die erstarkten Heimwehren gaben sich faschistisch und antidemokratisch. • Auf Seite der Sozialdemokratie wurde zwischen den radikalen Forderungen einer z. T frustrierten Parteibasis und den realpolitischen Möglichkeiten ziemlich unsicher laviert. Die Parteiführung suchte eine Synthese von verbalem Radikalismus mit einer gemäßigten Politik, die einerseits der Erhaltung der innerparteilichen Einheit und Geschlossenheit und andererseits der Erhaltung der Demokratie dienen sollte. • Der wirtschaftliche Niedergang trug ebenfalls beträchtlich zur Schwächung der demokratischen Politischen Kultur bei. Die offensichtliche Unfähigkeit der Politik, die (weltweite) Wirtschaftskrise zu meistern, wurde zunehmend dem System der parlamentarischen Demokratie an sich angelastet, und die Attraktivität autoritärer Konfliktregelungsmuster stieg. Die über weite Strecken herrschende Stagnation im Parlament und die gezielte Obstruktionspolitik der Sozialdemokraten trugen ebenfalls nicht zur Stärkung der parlamentarisch-demokratischen Kultur bei.

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Zusammenfassung

• Letztlich scheiterte eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Lagern wohl an den grundlegenden unterschiedlichen Ansichten über die Wege zur Lösung der Wirtschaftsmisere. Es kommt nicht von ungefähr, daß die Sozialdemokraten in der Frage der Reform des Sozialversicherungswesens der Regierung Ender die Konsensbereitschaft aufkündigten und wieder in ihre Obstruktionsrolle verfielen, obwohl ihnen bewußt war, daß die Wirtschafts- und Budgetsanierung auch von der Bereitschaft, im Sozialwesen einschneidende Reformmaßnahmen zu setzen, entscheidend abhing. Solche Maßnahmen aber wollten die Sozialdemokraten – besonders im Hinblick auf ihre Anhängerschaft – keinesfalls mittragen. • Im Zeitraum von 1927 bis 1932 pendelte das Verhalten der politischen Eliten ziemlich häufig zwischen »konfliktorientiert« und »konsensorientiert«. Sehr vereinfacht dargestellt, könnte man diesen Zeitraum nach den Kriterien »Konflikt« oder »Konsens« folgendermaßen einteilen  : Tabelle 3 konsens-

konfliktorientiert

Regierung Seipel V

+

Regierung Streeruwitz

+

Regierung Schober III

+

Regierung Vaugoin

+

Regierung Ender

+

Regierung Buresch I, II

+

Daraus kann man erkennen, daß dieser Zeitraum durchaus nicht durchgehend als rein zentrifugale Demokratie bezeichnet werden kann, sondern daß mit Ausnahme der Regierungen Seipel V und Vaugoin die politischen Eliten von Christlichsozialen und Sozialdemokraten ziemlich konsensorientiert waren. Die Regierungen Seipel und Vaugoin können jedoch klar dem Typus der konfliktorientierten Demokratie zugeordnet werden. In den Konsensphasen konnte im Wege des Kompromisses im Sinne des Proporzsystems eine Reihe wichtiger politischer Fragen gemeinsam geklärt werden  : Wahl von Bundespräsident Miklas (Regierung Seipel – zu seiner Verhinderung) Arbeitslosenversicherungsgesetz (Streeruwitz) Kleinrentnergesetz (Streeruwitz) Verfassungsreform 1929 (Schober) »Antiterrorgesetz« (Schober) Finanzausgleichsnovelle (Ender) Wohnbauförderungs- und Mietengesetz (Ender) Sanierung der Creditanstalt (Ender)

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Das politische Umfeld

Budgetsanierungsgesetz 1931 (Buresch) Wiederwahl von Bundespräsident Miklas 1931 (Buresch) • Für den oftmaligen Wechsel zwischen Konsens- und Konfliktorientierung war sehr entscheidend der Wechsel in den Machtverhältnissen innerhalb der Christlichsozialen Partei verantwortlich. Die Konfliktlinie lag dabei zwischen den Christlichsozialen aus den Bundesländern (ausgenommen Steiermark und z. T. Tirol) und der christlichen Arbeiterschaft einerseits und den Wiener Christlichsozialen mit Ignaz Seipel auf der anderen Seite. Beim Auftreten absoluter Stagnation im Parlament oder großer wirtschaftspolitischer Probleme ließen die »radikalen«, eher autoritären und antimarxistischen Kräfte dem gemäßigten und konsensorientierten Flügel breiteren Spielraum. Waren die Probleme wieder einigermaßen entschärft und bestand die Gefahr einer Intensivierung oder gar Institutionalisierung der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, wurden diese Bestrebungen z. T sehr brutal unterbrochen.238 Andererseits aber zeigten auch die Sozialdemokraten konsequent keinerlei Bereitschaft auf die mehrfachen Koalitionsangebote seitens der Christlichsozialen einzugehen, waren ebenso nur in äußersten Notsituationen zu einer Kooperation bereit, während sie sich in der übrigen Zeit gerne, der bekannten Obstruktionspolitik bedienten. • Es zeigt sich, daß die Christlichsozialen in Zeiten besonderer Konfliktorientierung und autoritativer Tendenzen bei Wahlen stärkere Stimmenverluste hinzunehmen hatten als in Phasen des klaren Bekenntnisses zum Konsens mit der Sozialdemokratie und zur Demokratie. Regierung Seipel Regierung Vaugoin

18. 3. 1928 LTW Vorarlberg 4. 4. 1928 Bez.VW Währing 22. 4. 1928 GRW Kärnten überall starke Stimmengewinne der Sozialdemokraten. 9. 11. 1930 Nationalratswahl starke Verluste der CS. SD werden stärkste Partei.

238 Otto Bauer sprach beim sozialdemokratischen Parteitag nicht zu Unrecht von einem »gesetzmäßigen Zyklus der christlichsozialen Politik«, den er folgendermaßen charakterisierte  : »Von Zeit zu Zeit, wenn es dem Lande besonders schlecht geht, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse besonders verantwortungsschwere Entschlüsse heischen, dann ziehen die Christlichsozialen die Fahne der Verständigung auf, dann werden sie Demokraten und Republikaner, dann haben sie keine anderen Sorgen als die um die Volkswirtschaft, dann laden sie uns ein, zusammen mit ihnen das Land vor den wirtschaftlichen Gefahren zu retten. Das war immer so. Zuletzt noch nach dem Zusammenbruch der Kreditanstalt. Sobald aber die Christlichsozialen glauben, daß das Schlimmste vorüber sei, daß sich die wirtschaftlichen Gefahren abgeschwächt haben, daß Österreich wieder einmal durch eine wirtschaftliche Gefahrenzone hindurchgekommen sei, holen sie die Fahne der Verständigung herunter und ziehen die Fahne des Antimarxismus auf  ; dann kommen immer neue Angriffe auf die Demokratie.« Otto Bauer, Faschismus, Demokratie und Sozialismus. Rede beim Parteitag 1932. In  : Otto Bauer. Werkausgabe. Band 5. Wien 1978. S. 649 f.

Zusammenfassung

Regierung Ender

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29. 3. 1931 GVW Salzburg 19. 4. 1931 LTW Oberösterr. Gutes Abschneiden der CS. Starkes Anwachsen der NS.

Tatsächlich können die verschiedenen Wahlergebnisse dahingehend interpretiert werden, daß die Christlichsozialen mit einem Kurs des klaren Bekenntnisses zur Demokratie ohne Zusammenarbeit mit den antidemokratischen Heimwehren erfolgreicher waren als mit dem antidemokratischen, radikal antimarxistischen Kurs gemeinsam mit den Heimwehren. Umso unverständlicher ist es, daß sich immer wieder die Vertreter des zweiten Kurses letztlich durchsetzten. • Im Zeitraum von 1927 bis 1932 wurden gegen Erscheinungen und Entwicklungen, die die Demokratie gefährdeten, von den Regierungen Maßnahmen im Sinne einer »Streitbaren Demokratie« gesetzt, die jedoch nur sehr beschränkt wirksam wurden. Voraussetzung für eine glaubwürdige Vorgangsweise nach dem Modell der »Streitbaren Demokratie« ist, daß die Abwehrmaßnahmen nach allen gefährdenden Richtungen gleichwertig gesetzt werden. Dies aber kann den Regierungen im genannten Zeitraum nur sehr eingeschränkt attestiert werden. Die Nachsichtigkeit gegenüber den faschistischen und antidemokratischen Heimwehren und ihren demokratiegefährdenden Aktionen ist offenkundig, was die Glaubwürdigkeit bei späteren, die Demokratie gegen den Nationalsozialismus schützenden Maßnahmen erschütterte. Die Gegenmaßnahmen zu den zweifellos auch im sozialdemokratischen Einflußbereich bestehenden undemokratischen Tendenzen (Betriebsterror etc.) wurden eindeutig überzogen. Gerechterweise muß aber erwähnt werden, daß in Konsensphasen durchaus auch Abwehrstrategien gegen die Heimwehren entwickelt wurden. Zu den wichtigsten Maßnahmen im Sinne einer Streitbaren Demokratie zählen  : + Abrüstungsdebatte nach den Aufmärschen in Wiener Neustadt am 7. 10. 1928 – von Seipel auf die lange Bank geschoben. + Unter der Regierung Streeruwitz  : Verbot aller Aufmärsche in Wien durch den Wiener Bürgermeister und in Niederösterreich durch Landeshauptmann Buresch im Mai 1929. Gerichtet vor allem gegen die Heimwehren. + Verbot des Tragens von Waffen u. ä. Gegenständen bei Demonstrationen durch Vizekanzler Schumy im Mai 1929. Ebenfalls in erster Linie gegen die Heimwehren gerichtet. + Am 25. Juni 1929 Aufforderung an die Landeshauptmänner, alle Berichte über Waffenbesitz und -verstecke genau zu prüfen. Erfolg  : Die Heimwehren erklärten, während der Sommermonate ihre Aufmärsche und Demonstrationen einzustellen (hielt nur bis 18. August) + »Antiterrorgesetz« unter der Regierung Schober gegen den undemokratischen politischen Druck der sozialistischen Gewerkschaften in den Betrieben. Ergebnis war ein eher wirkungsloser Kompromiß.

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Das politische Umfeld

+ Novelle des Waffenpatentgesetzes mit einer (eher unwirksamen) Verschärfung für die Erteilung der Befugnis zum Waffentragen. Die vom Ausland als Vorbedingung für eine Anleihe an Österreich geforderte Entwaffnung und Auflösung der Wehrverbände wurde vor allem von den Heimwehren, von Seipel, letztlich aber auch vom Schutzbund verhindert. + Ausweisung des Heimwehr-Stabschefs Waldemar Pabst wegen seiner demokratiefeindlichen Agitation durch Schober. Erlassung eines allgemeinen Aufmarschverbotes vom 1. Mai bis 31. Oktober 1931 durch die Regierung Ender. + Einreiseverbot nach Wien für Nazi-Führer durch die Regierung Ender. + Erfolglose Bemühungen der Regierung Buresch um ein allgemeines Entwaffnungsgesetz nach einer Waffenbeschlagnahme im Ottakringer Arbeiterheim am 12. Jänner 1932. • Mit den zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und dem Ansteigen der Arbeitslosigkeit, unterstützt von der Wirkung der Wahlerfolge in Deutschland, konnte die NSDAP auch in Österreich ab dem Jahr 1931 bei regionalen Wahlen z. T. beträchtliche Stimmengewinne erzielen. Bis zur Übernahme der Führung der österreichischen NSDAP durch Theo Habicht am 11. Juli 1931 war die Partei jedoch durch heftige interne Führungsstreitigkeiten geschwächt. Den wirklichen Durchbruch konnte die NSDAP aber erst bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 erzielen, ohne jedoch dabei auch nur annähernd an die Erfolge in Deutschland anschließen zu können.

iii. Die Wahlen des Jahres 1932. Die Wahlergebnisse. Analyse und Auswirkungen 3.1 Die Bedeutung der Wahlen des Jahres 1932 in Österreich und Deutschland 3.1.1 Durchbruch der NSDAP zur Massenbewegung. Entscheidende innenpolitische Wende Am 24. April 1932 fanden in den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Salzburg Landtagswahlen sowie in Kärnten und in der Steiermark Gemeinderatswahlen (mit Ausnahme der Landeshauptstädte Klagenfurt und Graz), statt. Diese Wahlen waren – wie heute unbestritten ist – »von schicksalentscheidender Bedeutung für die politische Entwicklung der österreichischen Republik«239. Ulrich Kluge nennt es »die entscheidende innenpolitische Wende für die österreichische Demokratie« 240, Bruce F. Pauley sieht im Frühjahr 1932 einen »der großen Wendepunkte … in der gesamten Geschichte der ersten österreichischen Republik«,241 und Gerhard Botz sieht in diesen Wahlen jenen Zeitpunkt, ab dem der Nationalsozialismus in Österreich erst zu einer »echten Massenbewegung« wurde.242 Norbert Schausberger spricht von »Katastrophenwahlen« für das Bürgertum243, während Walter Goldinger meint, bei »nüchterner Betrachtung hatte der 24. April bloß erwiesen, daß es mit der Herrschaft zweier politischer Gruppen in den öffentlichen Vertretungskörpern nunmehr vorbei war, daß man in Hinkunft mit einem Dreiparteiensystem zu rechnen habe … Infolge der Wiener Niederlage überschätzte man die Verluste, die (bei Neuwahlen, d. V.) zu gewärtigen waren.«244 Die Nationalsozialisten hatten überraschend große Stimmengewinne erzielt, die wie ein »gewaltiges Wetterleuchten« wirkten.245 Die Christlichsozialen verzeichneten vor allem in Wien katastrophale Verluste, auch die Sozialdemokraten mußten sich fast überall mit schmerzhaften 239 Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. S. 103. 240 Ulrich Kluge, Ständestaat. S. 34. 241 Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 81. 242 Gerhard Botz, Soziale »Basis«. S. 44. 243 Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. S. 201. 244 Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf. S. 191. 245 Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 67.

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Die Wahlen des Jahres 1932

Stimmabnahmen abfinden. Die Großdeutschen und der Landbund waren praktisch gänzlich aufgerieben worden.246 Bemerkenswert sind auch die Beurteilungen der Wahlen durch Zeitgenossen. Kurt Schuschnigg spricht von einer »Schockwirkung im Regierungslager« durch das Wahlergebnis. »Mit dem Durchbruch des Nationalsozialismus war ein Gegner erstanden, bei welchem es sich nicht nur um eine neue Figur auf dem politischen Schachbrett handelte, sondern um eine von jenseits der Grenzen gelenkte revolutionäre Bewegung, die nicht nur die Parteien und das politische System, sondern wissentlich den Staat als solchen in seiner Existenz bedrohte.« 247 Für den Landbund-Vizekanzler Franz Winkler bezeugten die Wahlergebnisse »schlaglichtartig die unerhörten Veränderungen in der politischen Zusammensetzung der Wählerschaft«, durch die eine »schwere politische Krise« über Österreich hereinbrach.248 Der der Heimwehr zuneigende christlichsoziale steirische Landeshauptmann Anton Rintelen wiederum bemerkte mit Genugtuung, »daß sich im Volke ein bedeutender Gesinnungswandel vollzogen habe und daß der 1930 berufene Nationalrat der Volksmeinung nicht mehr entspräche«.249 Auch der sozialdemokratische Politiker Oskar Helmer meinte, daß das Wahlergebnis vom 24. April gezeigt habe, »daß die Zusammensetzung des Parlaments nicht mehr dem Willen des Volkes entsprach. Es war vorauszusehen, daß eine Neuwahl eine bedeutend geschwächte christlichsoziale Fraktion und den Einzug von nationalsozialistischen Abgeordneten mit sich bringen werde.«250 Der Heimwehrführer Starhemberg wiederum riet in einem Gespräch mit Adolf Hitler einige Tage nach den Landtagswahlen in Österreich (angeblich), diesen nationalsozialistischen Erfolg nicht zu überschätzen. Seiner Ansicht nach könne das verstärkte Auftreten der Nationalsozialisten in Österreich, das nicht mit Deutschland vergleichbar sei, zu einer Katastrophe, zum Bürgerkrieg führen. Eine patriotische Erneuerung in Österreich könne nur »in enger Anlehnung an die christlich-soziale Partei« geschehen.251 Ganz anders aber kommentierte der Wiener Heimatschutzfunktionär Major Lahr das Wahlergebnis, der bei einer Versammlung erklärte  : »Der Wahltag war für uns Heimatschützer ein Freudentag. Am 24. April ist die christlichsoziale Partei, diese Partei der Schmarotzer und Nachtwächter nach Verdienst geschlagen worden.« Major Fey wiederum erkannte, daß die NS-Erfolge nur zu Lasten der Antimarxisten gingen, und stellte fest  : »Ein solcher Wahlerfolg der Nazi ist daher mehr

246 Vgl. zum Folgenden  : Franz Schausberger, Die Landtagswahlen des Jahres 1932 und ihre Folgen. In  : christliche demokratie. 1/91–92. S. 111–132. 247 Kurt Schuschnigg, Im Kampf gegen Hitler. S. 133 ff 248 Franz Winkler, Die Diktatur in Österreich. S. 14. 249 Anton Rintelen, Erinnerungen an Österreichs Weg. Graz 1940. S. 205. 250 Oskar Helmer, 50 Jahre erlebte Geschichte. S. 130. 251 Ernst Rüdiger Starhemberg, Memoiren. S. 122.

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Die Bedeutung der Wahlen des Jahres 1932 in Österreich und Deutschland

als problematisch.«252 Man sieht also die unterschiedliche Beurteilung des Wahlergebnisses in der Heimwehr. Bei den letzten freien Nationalratswahlen am 9. November 1930 waren die Nationalsozialisten mit einer vollständigen Kandidatenliste angetreten, hatten jedoch – wie schon ausgeführt – nur knapp 111.000 Stimmen erzielt und damit kein Mandat im Nationalrat erreicht. Die Sozialdemokraten waren mit 72 Mandaten stärkste Partei geworden, die Christlichsozialen hatten sieben Mandate verloren und stellten nur noch 66 Abgeordnete. Die Schoberg-Gruppe erreichte 19 und der Heimatblock acht Mandate. Tabelle 4 Ergebnis der Nationalratswahl vom 9. 11. 1930 Partei

Stimmen

%

SD

1.516.913

41,1

CS

Mandate 72 (71)

1.314.468

35,7

66 (73)*

NWB+LB

427.962

11,6

19 (10+9)**

HB

227.197

6,2

  8 (–)

NS

111.627

3,0



KP

20.951

0,6



ÖVP

14.980

0,4



6.719

0,2



Jüd. Liste

Wahlberechtigte 4.121.282 Wahlbeteiligung 90,5 Prozent * 1927 Einheitsliste aus Christlichsozialen (73 Mandate) und Großdeutschen (12 Mandate). ** Nationaler Wirtschaftsblock (NWB, 10 Mandate) und Landband (LB, 9 Mandate). Der Landbund erreichte 1927 ebenfalls 9 Mandate.

Österreichisches Jahrbuch für Politik 1992. Wien, München 1993. S. 1055.

Eineinhalb Jahre später hatten die Nationalsozialisten bereits beträchtlich an Anhängerschaft gewonnen. Da sich an den Landtags- und Gemeinderatswahlen des 24. April 1932 rund zwei Drittel aller stimmberechtigten Österreicher beteiligt hatten, konnte angenommen werden, daß bei neuerlichen Nationalratswahlen eine völlige Änderung der Zusammensetzung des österreichischen Parlaments zu erwarten war. Ob jedoch der NSDAP-Landesleiter Alfred Proksch richtig lag, wenn er vermutete, daß baldige Nationalratswahlen für die NSDAP rund 500.000 Stimmen und 33 Nationalratsmandate bringen würden, darf bezweifelt werden.253 Die vermuteten Stimmen- und Mandatsgewinne waren auch der Grund dafür, warum die so erstarkten Nationalsozialisten 252 »Arbeiter-Zeitung«, 5. 5. 1932. S. 3. 253 Vgl. Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 82.

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und in ihrem Schlepptau die von ihnen aufgeriebenen Großdeutschen so vehement auf Neuwahlen drängten. Die Meinungen über die Berechtigung der Forderung der Nationalsozialisten und der Sozialdemokraten nach sofortigen Parlamentsneuwahlen gingen sowohl damals (politisch) als auch heute (historisch) auseinander. Auf Grund der z. T. beträchtlichen Kräfteverschiebungen konnte man der Meinung sein, »daß die Zusammensetzung des Parlaments nicht mehr der tatsächlichen Stärke der Parteien entsprach« (Charles A. Gulick).254 Tatsache ist aber auch, daß der österreichische Nationalrat im November 1930 ordnungsgemäß auf vier Jahre gewählt worden war, sodaß die nächsten regulären Nationalratswahlen erst für Herbst 1934 ins Haus standen. Kaum jemand würde heute ernsthaft deshalb ein funktionierendes Parlament nach Hause schicken, weil während einer laufenden Legislaturperiode bei Regionalwahlen – wenn auch beträchtliche – Stärkeverschiebungen festzustellen wären.255 Die apodiktische Meinung von Charles A. Gulick und Gordon-Brook Shepherd, die Sozialdemokraten hätten schon vom rein demokratischen Prinzip her nicht anders können, als Neuwahlen zu fordern, muß daher abgelehnt werden.256 Jedenfalls aber riefen die Nationalsozialisten sofort vehement nach Auflösung des Parlaments und Ausschreibung von Neuwahlen  : »Wenn die alten Schandparteien im Parlament noch einen Funken von ›demokratischem‹ Anstandsgefühl im Leibe hätten, dann müßten sie unverzüglich den Nationalrat auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Wir werden heute in ganz Österreich schon 500.000 nationalsozialistische Stimmen zählen, in längstens einem halben Jahre wird eine Million schon überschritten  ! Auch in Österreich führt nunmehr Adolf Hitler  !«257 Die Sozialdemokraten stellten dazu fest  : »Es ist ein auf die Dauer ganz unerträglicher, mit allen Grundsätzen der Demokratie unvereinbarer Zustand, daß ein Regierungssystem fortdauert, dem die Mehrheit der Wähler unzweideutig ihr Mißtrauen bekundet hat, und dank den Stimmen von Parteien fortdauert, die im Volke überhaupt keinen Anhang mehr haben.«258 Auch der erhobene Vorwurf, sie würden damit nur die Dienste der Nationalsozialisten erfüllen, konnte die Sozialdemokraten nicht von ihrer Forderung abbringen. Danneberg wehrte sich dagegen  : »Es wäre lächerlich, uns wenigstens zuzumuten, daß wir mit unseren politischen Vorschlägen im Gefolge der Nationalsozialisten erscheinen oder die Ge254 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 384. 255 Das Jahr 1991 brachte etwa bei Landtagswahlen in den Bundesländern Wien, Steiermark und Ober­ österreich starke Kräfteverschiebungen, ohne daß jemand ernsthaft den im Jahr 1990 gewählten Natio­ nalrat in Frage stellte. Vgl. dazu die Analysen der einzelnen Landtagswahlen in  : Khol, Ofner, Stirnemann (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik 1991. Wien, München 1992. 256 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 384. Gordon-Brook Shepherd, Dollfuß. S. 87. 257 Deutschösterreichische Tages-Zeitung. 25. 4. 1932. S. 1. 258 »Arbeiter-Zeitung«, 29. 4. 1932. S. 1.

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schäfte der Hakenkreuzler besorgen wollen«, denn die Folge von Neuwahlen wären ja nur  : »Es würde eine neue Partei in den Nationalrat kommen. Ob sie sympathisch ist oder nicht, ist eine andere Frage, über die wir nicht zu entscheiden haben.«259 Eine ähnliche Aussage von Bürgermeister Seitz zeigt, daß die Sozialdemokraten die braune Gefahr unterschätzten, obwohl zur gleichen Zeit aus Deutschland schon Horrormeldungen zu vernehmen waren  : »Daß sich bei den letzten Gemeinde- und Landtagswahlen eine neue Partei gebildet hat, die in sehr robusten Formen nach Geltung ringt, kann natürlich für unseren Beschluß (auf Neuwahlen, d. V.) nicht bestimmend sein.«260 Seitens der Nationalsozialisten war die Forderung nach Neuwahlen aus taktischpolitischen Gründen verständlich, Kurt Schuschnigg durchschaute das beabsichtigte Spiel  : »Zermürbung der Öffentlichkeit durch immer sich wiederholende Auflösungsanträge und durch eine Welle von Wahlen, Ausnützung der wirtschaftlichen Depression und der allgemeinen Entmutigung.«261 Also  : so lange das demokratische Instrument der Wahlen mißbrauchen, bis man durch eine günstige Konstellation selbst an die Macht kam, um dann das parlamentarisch-demokratische System zu beseitigen. Dieses Spiel der Nationalsozialisten wurde offensichtlich von den Sozialdemokraten nicht durchschaut, sondern durch eigene Neuwahlanträge noch unterstützt und damit nicht erkannt, wie sehr man die in die Enge getriebenen bürgerlichen Regierungsparteien in eine ausweglos scheinende Situation brachte, die schließlich nur durch die fatale Hereinnahme der faschistischen Heimwehren in die Regierung gelöst werden konnte. Damit war die letzte Chance zur Rettung der Demokratie vertan und der Weg in die autoritäre Richtung eröffnet.262 Die kompromißlose Forderung der Sozialdemokraten nach Neuwahlen war wahrscheinlich der entscheidende Grund dafür, daß es von seiten der Christlichsozialen zu keinen ernsthaften Verhandlungen über eine gemeinsame Regierungsbildung mehr kam. Die Sozialdemokraten gaben in keiner Phase der schwierigen Regierungsbildung nach dem Rücktritt der Regierung Buresch zu erkennen, daß sie unter Umständen zu einem Verzicht auf diese Forderung bereit wären, obwohl es keinerlei zwingenden Grund gab, den Nationalrat aufzulösen und neu zu wählen. Das österreichische Parlament war voll funktionsfähig. Es kann aber angenommen werden, daß die Sozialdemokraten von einer ursprünglich in den eigenen Reihen gar nicht unumstrittenen Aktion, durch die man die Christlichsozialen nur in eine Zwickmühle bringen wollte und die eine Eigendynamik entwickelte, in eine Position schlitterte, von der sie nicht mehr zurückzukönnen glaubten. Die sozialdemokratische Führung spekulierte damit, daß Neuwahlen ein Dreiparteiensystem aus Sozialdemokraten, Christlichsozia­ 259 »Arbeiter-Zeitung«, 13. 5. 1932. S. 2. 260 »Arbeiter-Zeitung«, 5. 5. 1932. S. 2. 261 Kurt Schuschnigg, Dreimal Österreich. Wien 1937. S. 181. 262 Vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 47–68.

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len und Nationalsozialisten bringen würde, wobei die Sozialdemokratische Partei als relativ stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen würde. Da anzunehmen war, daß sowohl für die Sozialdemokraten als auch für die Christlichsozialen eine Koalition mit den Nationalsozialisten unmöglich war, wäre den Christlichsozialen nur der Weg in eine Koalition unter der Führung der Sozialdemokraten übriggeblieben, in der noch dazu letztere die Bedingungen hätten diktieren können. Für die Christlichsozialen hätte es keinen bürgerlichen Partner mehr für eine parlamentarische Mehrheit gegeben. Diese Mißachtung des Kompromiß- und Balanceprinzips einer Proporzdemokratie brachte letztlich für die Sozialdemokratie und für die Demokratie nichts.263 Auf die Forderung nach Parlamentsneuwahlen wird später – sie spielte auch in den Landtagen eine Rolle – noch einmal einzugehen sein. Schon jetzt aber kann festgehalten werden, daß das Verhalten der Parteien nach dem 24. April 1932 ganz entscheidend den künftigen politischen Kurs in Österreich prägte. Die unverrückbare Forderung der Sozialdemokraten nach Neuwahlen zwang Dollfuß, »seine ursprüngliche Absicht aufzugeben, die stärkste demokratische Partei Österreichs, die Sozialisten, von Anfang an an der Regierung zu beteiligen … Die Haltung der Führer der Arbeiterpartei war nicht danach angetan, Dollfuß zu einem Koalitionsangebot zu ermutigen.«264 Wie die Protokolle der Spitzengremien der Sozialdemokratischen Partei zeigen, war die ablehnende Haltung gegenüber einer Zusammenarbeit mit den Christlichsozialen so starr, daß man von seiten der Parteiführung sogar versuchte, in den vom Konsens- und Proporzklima geprägten Ländern durch eine oppositionelle Haltung der Sozialdemokraten eine Zusammenarbeit zwischen Christlichsozialen und Nationalsozialisten zu provozieren.265 Dazu kam es aber nicht, weil sich bei den Bundesländer-Sozialisten letztlich doch wieder die vernünftigen Kräfte durchsetzten.266 263 Vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 133. Vgl. auch »Arbeiter-Zeitung«, 29. 4. 1932. S. 1  : Die Regierungsparteien »können sich nicht mehr darüber täuschen, daß aus Neuwahlen die Sozialdemokratie nicht nur als die stärkste, sondern als die bei weitem stärkste Partei des Landes hervorgehen würde«. Es gehe daher »um die Entscheidung, wer Österreich regieren und wie Österreich regiert werden soll«. (S. 2) 264 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 385. Starhemberg gibt in seinen Memoiren die folgende Aussage seines Gesprächspartners Dollfuß wieder  : »Ich sage Ihnen daher ganz offen, daß ich auch die Sozialdemokraten auffordern werde, in unserer Regierung aktiv mitzutun. Es muß einmal mit der ganz ungesunden Gepflogenheit Schluß gemacht werden, daß die in der österreichischen Sozialdemokratie organisierte österreichische Arbeiterschaft grundsätzlich in der Opposition steht und vom Mittragen der Verantwortung und vom Teilhaben an der Regierung ausgeschlossen bleibt.« Ernst Rüdiger Starhemberg, Memoiren. Wien, München 1971. S. 126. 265 Vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 170. Protokoll der Sitzung der sozialdemokratischen Parteivertretung vom 9. 5. 1932. S. 2304. 266 Dies zeigte sich vor allem in den Bundesländern Salzburg und Niederösterreich. Vgl. etwa Franz Schausberger, Die fast mißlungene Landeshauptmannwahl des Jahres 1932. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. 1/1991. S. 5–15.

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Die Großdeutschen hatten sich ebenfalls festgelegt, ohne Parlamentsauflösung und Neuwahlen keine Koalition mit den Christlichsozialen einzugehen. Es blieb nur noch die Heimwehr, die anfänglich auch für die Auflösung des Parlaments und für Neuwahlen eintrat. Nach langen Verhandlungen mit den Heimatschutz-Abgeordneten gelang es, die Heimwehr zu einer Beteiligung an einer Regierung zu gewinnen. Dabei kann davon ausgegangen werden, daß der Heimatblock mit Ausnahme des steirischen Heimatschutzes durchaus in die Regierung drängte, um diese auf einen Rechtskurs zu drängen. Der Preis jedoch, den die Christlichsozialen an den unsicheren Partner Heimatblock zu zahlen hatten, war unverhältnismäßig hoch. Der Heimatblock hatte praktisch drei Männer seines Vertrauens in der Regierung, was keinesfalls seiner Mandatsstärke entsprach. Das Ergebnis der Aprilwahlen stellt daher nicht nur den »Ausgangspunkt« für die Regierungsbildung des ersten Kabinetts Dollfuß dar (Goldner),267 sondern war – wie Kerekes feststellt – »Quelle und Ausgangspunkt des Kampfes, der zwischen Nazismus und Christlichsozialer Partei begann und in der Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß am 25. Juli 1934 seinen Höhepunkt fand«.268 Man kann sich durchaus der Ansicht von Tálos/Manoschek anschließen, daß mit diesen Regionalwahlen des Jahres 1932 die erste Phase des Konstituierungsprozesses zur Proklamierung der autoritären Verfassung des Ständestaates im Mai 1934 begann. Diese »Latenzphase« dauerte bis März 1933 (Ausschaltung des Parlaments) und wurde durch die »Übergangsphase« vom März 1933 bis zum Mai 1934 abgelöst.269 Festzustellen aber ist, daß Dollfuß keineswegs von Beginn an die Absicht der Etablierung einer neuen Herrschaftsform hatte. Der Druck von außen (Mussolini) und von innen (Heimwehren), die ablehnende Haltung der Sozialdemokraten zum Angebot der Zusammenarbeit bzw. deren Forderung nach Neuwahlen sowie der zunehmende nationalsozialistische Terror ließen Dollfuß – auf der Basis eines generellen Demokratieunbehagens – zunehmend vom demokratischen Weg abkommen.270 Der oftmalige Handelsminister der Ersten Republik, Eduard Heini, sieht in der zweiten Regierung Buresch »die letzte rein demokratische im Vorkriegs-Österreich«. Auch er weist den Aprilwahlen besondere Bedeutung zu. »Den unmittelbaren Anstoß zur Regierungskrise hatte die Frage der Neuwahlen« im Anschluß an die Wahlen vom 24. April gegeben. In deren Folge gebärdeten sich die Nationalsozialisten »alsbald wie ein in eine feindliche Stellung eingebrochener Sturmtrupp«.271

267 Franz Goldner, Dollfuß im Spiegel der US-Akten. St. Pölten 1979. S. 18. 268 Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. S. 103. 269 Emmerich Tálos, Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus. S. 31. 270 Vgl. Gerhard Jagschitz, Engelbert Dollfuß. In  : Friedrich Weissensteiner und Erika Weinzierl, Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien, 1983. S. 199 f. 271 Eduard Heini, Über ein halbes Jahrhundert. Zeit und Wirtschaft. Wien 1948. S. 257.

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Heini hatte mit seiner Bezeichnung »letzte rein demokratische Regierung« insofern nicht ganz unrecht, als hinter der neuen Regierung Dollfuß 66 Christlichsoziale, 9 Landbündler und 8 Heimwehr-Abgeordnete, insgesamt also 83 demokratisch gewählte Abgeordnete standen. Die Opposition zählte 82 Abgeordnete, 72 Sozialdemokraten und 10 Großdeutsche. Die Regierung hatte also nur eine hauchdünne Mehrheit von einem Mandat. Entscheidend aber war, daß in dieser Regierung Vertreter der Heimwehr saßen, die von Demokratie und Parlament wohl nicht viel mehr als die Nationalsozialisten hielten. Ihnen mußte sich Dollfuß ausliefern. Damit war nach dieser Neubildung der Bundesregierung klar, »daß die Aussichten auf Wiederbelebung der Demokratie schwach, überaus schwach waren. Österreich befand sich auf dem Weg zur Diktatur, und es war eigentlich nur mehr die Frage, ob es die austro-katholische oder die nationalsozialistische Spielart sein würde.«272 3.1.2 Ende der Konsensdemokratie im Deutschen Reich – Der Weg für Hitler wird frei Will man die innenpolitische Entwicklung Österreichs vor und nach dem 24. April 1932 analysieren, ist es unbedingt geboten, die politischen Geschehnisse im Deutschen Reich in diesem Zeitraum mit einzubeziehen. Österreich befand sich in diesen ersten Monaten des Jahres 1932 in einer ähnlichen Situation wie Deutschland nach dem Zusammenbruch der Großen Koalition im Jahr 1930. Wie kam es dazu  ? Der eigentliche Start Adolf Hitlers zur Machtergreifung ist in der Agitation der Nationalsozialisten zum Volksbegehren gegen den Young-Plan (am 22. Dezember 1929), der insgesamt unbestritten Vorteile in der Reparationsregelung für das Deutsche Reich brachte, zu sehen. Durch das Bündnis der NSDAP mit dem Alldeutschen Verband, dem Stahlhelm und der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), die unter ihrem neuen Vorsitzenden Alfred Hugenberg eine radikale Wendung nach rechts vollzogen hatte, wurden die Voraussetzungen geschaffen für den Einbruch der nationalsozialistischen Propaganda in die bürgerlichen Kreise. Plötzlich ergaben sich für die Propaganda und Organisation der NSDAP ungeahnte Entfaltungsmöglichkeiten, keine der anderen Gruppen gegen den Young-Plan konnte es den Nationalsozialisten an Schärfe und Rücksichtslosigkeit gleichtun. Der NS-Reichstagsabgeordnete Frick entwarf ein »Gesetz gegen die Versklavung des deutschen Volkes«, das von der Reichsregierung die Streichung des Versailler Kriegsschuldartikels, aller Reparationen und die sofortige Räumung aller besetzten Gebiete durchzusetzen verlangte. Außerdem sollte jeder deutsche Minister, der »Tributverträge« unterzeichnete, als

272 Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit. Graz, Wien, Köln 1976. S. 328.

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Landesverräter bestraft werden.273 Der Volksentscheid blieb zwar erfolglos, nur 13,8 Prozent votierten dafür, jedoch die »Hemmungslosigkeit der nationalsozialistischen Propagandamethoden und die Brutalität ihrer Kampfweise wurden für die Bürger salonfähig gemacht und gleichsam akkreditiert«.274 Auch wenn das Volksbegehren selbst nur ein klägliches Ergebnis brachte, da es zur Annahme 21 Millionen Ja-Stimmen auf sich vereinigen hätte müssen, und für die nationale Opposition eine schwere Niederlage bedeutete, so brachte für die NSDAP die Kampagne reiche Früchte, kam ihr doch die hochgradige politische Emotionalisierung gegen die Reparationsverpflichtungen sehr zugute. Adolf Hitler war auf dem besten Wege, von der »guten Gesellschaft« als Bündnispartner anerkannt zu werden. Die etablierte Rechte ließ ihn an Geldmitteln teilhaben, die dem weiteren Aufstieg der NSDAP dienten.275 Der ­NSDAP war der Kampf gegen den Young-Plan nur Mittel zum Zweck, nämlich zum Kampf gegen die Demokratie. Die Wehrhaftigkeit der Demokratie war nur schwach ausgeprägt, man unterschätzte die Macht der Emotionen und den zunehmenden Einfluß jener politischen Kräfte, die sie zu mobilisieren verstanden. Außerdem wiegten sich die Demokraten durch das Ergebnis in einer Sicherheit, die sich bald als trügerisch und daher die Gegenwehr als zu schwach herausstellen sollte. Bei Regionalwahlen im Herbst und Winter 1929 verzeichnete die NSDAP beachtliche Erfolge.276 273 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus. Köln 1980. S. 176 f. 274 Karl Dietrich Erdmann, Die Weimarer Republik. München 1991. S. 271. Bei den ersten Reichstagswahlen nach der 1925 erfolgten Wiederbegründung der NSDAP im Mai 1928 kam die NSDAP trotz hemmungsloser Agitation gegen die demokratische Republik und trotz guter Organisation mit 2,6 Prozent der abgegebenen Stimmen nicht über den Status einer Splitterpartei hinaus. Vgl. auch Klaus Schwabe, Der Weg der Republik vom Kapp-Putsch 1920 bis zum Scheitern des Kabinetts Müller 1930. In  : Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke, Hans-Adolf Jacobsen (Hg.), Die Weimarer Republik 1918–1933. Politik. Wirtschaft. Gesellschaft. Bonn 1987. S. 127 f. Vgl. auch Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik. Von der Konferenz von Locarno bis zu Hitlers Machtübernahme. 2. Band. Erlenbach-Zürich, Stuttgart 1956. S. 269  : Hugenberg »verband sich mit einem Manne, der sich das Recht zum Landfriedensbruch und Hochverrat anmaßte und seine eigene Sorte von Sozialismus predigte. Daß er damit Geister rief, die er nie wieder loswerden sollte, daß die aufgepeitschten Leidenschaften dem zugute kommen mußten, der die geringsten Skrupel hatte, das ging in den ebenso engen wie harten Schädel des Gebieters des ›Lokalanzeigers‹ und der ›Ufa‹ nicht hinein. Für Hitler aber war es natürlich ein Riesenerfolg, daß er auf diese Weise gewissermaßen in die gute Gesellschaft aufgenommen wurde.« 275 Vgl. Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München 1993. S. 356 und S. 370 f. 276 Vgl. Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. Grundriß der Geschichte. Band 16. München, Wien 1984. S. 116 f. Bei den Landtagswahlen in Baden am 27. 10. 1929 kam die NSDAP auf 7 Prozent, in Lübeck am 10. 11. 1929 auf 8,1 Prozent, in Thüringen am 8. 12. 1929 auf 11,3 Prozent (und zog hier erstmals in eine Landesregierung ein). Ebenso verzeichnete sie beachtliche Stimmengewinne bei den Kommunalwahlen im November 1929 und bei den Hochschulwahlen, wo die NS-Studenten große Stimmengewinne zu verzeichnen hatten.

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Jürgen Falter weist in seinen Untersuchungen nach, daß die NSDAP nach 1928 dort überproportional Stimmen gewann, wo 1925 Hindenburg bei der Reichspräsidentenwahl und vor allem wo 1929 das Anti-Young-Plan-Bündnis ihre größten Erfolge hatten. Beide Anlässe mobilisierten die konservativ-völkischen, verfassungsoppositionell und z. T. republikfeindlich eingestellten Kräfte, die später unter dem Einfluß der Weltwirtschaftskrise in der NSDAP ihre politische Heimat fanden. »Beide Ereignisse scheinen als eine Art Kristallisationspunkt der gegen das parlamentarische System von Weimar gerichteten Kräfte gedient zu haben, als eine Mobilisierungsetappe auf dem Weg immer breiterer Wählerschichten zum Nationalsozialismus.«277 Am 12. März 1930 wurden die Young-Gesetze zwar vom Reichstag angenommen, aber bereits am 27. März stürzte das Kabinett Müller, die letzte parlamentarische Regierung der Weimarer Republik. Und auch hier war es die Unfähigkeit der hauptverantwortlichen Parteien, sich im Sinne einer Konsensdemokratie zu einigen. Ähnlich wie in Österreich trennte ein Problem der Sozialpolitik, nämlich die Reform der Arbeitslosenversicherung, Sozialdemokraten und Deutsche Volkspartei. Die Arbeitslosenversicherung riß die größten Löcher in den Haushalt, denn Anfang Februar 1929 überstieg die Arbeitslosenzahl erstmals die Drei-Millionen-Grenze. In der Frage der zur Lösung dieses Problems notwendigen Maßnahmen gingen die Ansichten zwischen den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Koalitionsparteien diametral auseinander. Die Reichsanstalt der Arbeitslosenversicherung erwartete selbst bei optimistischer Schätzung einen Fehlbetrag von 321 Millionen Mark. Als Lösung boten sich nur zwei Wege an  : »Sie mußte entweder weniger ausgeben, das hieß die Leistungen an die Arbeitslosen herabzusetzen, oder sie mußte mehr einnehmen, das hieß den provisorisch schon auf 3½% erhöhten Beitrag nicht nur über den 30. Juni 1930 hinaus beizubehalten, sondern noch weiter zu erhöhen.«278 Während die SPD für Beitragserhöhungen eintrat, war dies für die Deutsche Volkspartei nicht annehmbar, sie forderte Leistungsminderungen bei der Arbeitslosenversicherung.279 Bei der Entscheidung in der Sozialdemokratischen Partei, ob man den sozialpolitischen oder den allgemeinen staatspolitischen Überlegungen den Vorrang einräumen solle, setzte sich der Gewerkschaftsstandpunkt im Sinne der Sozialpolitik durch.280 Auch der Kompromißvorschlag des Führers der Zentrums277 278 279 280

Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler. München 1991. S. 123. Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik. S. 308 f. Ebenso Heinrich August Winkler, Weimar. S. 352. Vgl. Klaus Schwabe, Der Weg der Republik. S. 131. Vgl. Michael Schneider, Zwischen Machtanspruch und Integrationsbereitschaft  : Gewerkschaften und Politik 1918–1933. In  : Bracher et al. (Hg.), Die Weimarer Republik. S. 192. Ein halbes Jahr, nachdem die Große Koalition an einem Viertel Prozent Erhöhung der Beiträge gescheitert war, wurden schließlich – um einen totalen Zusammenbruch der Reichsfinanzen durch die Arbeitslosenversicherung zu verhindern – die Beiträge der Arbeitgeber und -nehmer um volle zwei Prozent auf 6,5 Prozent der Lohnsumme hinaufgesetzt und außerdem die Leistungen eingeschränkt. Vgl. Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik. S. 364.

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fraktion, Heinrich Brüning, wurde von den Sozialdemokraten abgelehnt, die Gewerkschaften drängten der Partei ihren Willen auf. In einem Rundschreiben der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) wurde der SPD »doktrinäre Intransigenz« vorgeworfen  : »Die Fraktion ist den Gewerkschaftern, nicht den Persönlichkeiten gefolgt.«281 Damit war kein Konsens mehr zu finden, und die Regierung erklärte am 27. März 1930 ihren Rücktritt, dessen Anlaß in keinem Verhältnis zu seinen Folgen stand. Ab diesem Zeitpunkt gelang es nicht mehr, eine Regierung auf parlamentarischer Grundlage zu bilden. Durch diesen Bruch der Großen Koalition schaltete sich der deutsche Reichstag selbst aus, obwohl damals von den 491 Abgeordneten nur 12 Nationalsozialisten und 54 Kommunisten waren.282 Klaus Schwabe fragt nach der Verantwortung für das Zerbrechen der Großen Koalition. Wenn auch eine Reihe von Untersuchungen der DVP einen größeren Schuldanteil zuweisen, meint er, daß es dennoch die SPD war, »die durch die Zurückweisung des letzten Vermittlungsvorschlages zumindest formell das Odium des Zusammenbruches der Regierung Müller auf sich nahm«, obwohl sie sich bewußt sein mußte, daß aus der Krise der Regierung sehr wohl eine Krise des Parlamentarismus werden konnte. »In Verfolgung der verständlichen Interessen ihrer Mitglieder hat die SPD-Fraktion in ihrer Entscheidung gegen die Fortführung der Großen Koalition dieses Risiko – und damit das Risiko, selbst langfristig von der politischen Macht verdrängt zu werden – in Kauf genommen.«283 Nicht über281 Werner Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1915–1933. Geschichte der Deutschen Demokratischen Partei. Göttingen 1973. S. 427. 282 Klaus Schönhoven bezeichnet die Große Koalition als ein »seit ihrer Gründung instabiles Gebilde, dessen rascher Zerfall vorprogrammiert zu sein schien«, weil zwischen Regierung und Opposition fliegende Übergänge quer durch die Parteien bestanden und keine der beteiligten Parteien eine feste Koalitionsbildung eingehen wollte. Trotzdem war diese Regierung mit 21 Monaten Amtsdauer ziemlich langlebig. Vgl. Klaus Schönhoven, Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozialstaat. München 1989. S. 140 f. 283 Klaus Schwabe, Der Weg der Republik. S. 132. Erich Eyck meint, daß man der Volkspartei nicht unterstellen könne, daß sie die Absicht hatte, die Regierung Müller zu stürzen, »nachdem ihr neuer Vorsitzender Scholz, der von der Linken mit besonderem Mißtrauen angesehen wurde, wenige Tage vorher auf dem Parteitag öffentlich anerkannt hatte, daß mindestens zur Zeit ein Regieren gegen oder auch ohne die Sozialdemokratie auf die Dauer kaum möglich sei«. Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik, S. 309. Zur Sozialdemokratie stellt er fest, daß sie »ein Kompromiß vereitelte, obwohl es für jeden Denkenden feststand, daß der Ausweg aus der kritischen Lage allein durch einen Kompromiß gefunden werden konnte« (S. 313). Die Mehrheit der SPD-Abgeordneten wandte sich mit ihrer Entscheidung selbst gegen die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder Schmidt, Severing und Kanzler Müller, die sehr wohl dem Kompromiß des Koalitionspartners zugestimmt hätten. Vgl. Helmut Hirsch, Experiment in Demokratie. Zur Geschichte der Weimarer Republik. Wuppertal 1979. S. 143 f. Wohl zu hart formuliert Erich Matthias, wenn er feststellt, daß am Beginn der Endphase der Demokratie in Deutschland ein »eindeutiges Versagen der Sozialdemokratie (steht), die im Frühjahr 1930 den Anlaß zum Bruch der Großen Koalition lieferte«. Erich Matthias, Die Sozialdemokratie und die Macht im Staate. In  : Der Weg ins Dritte Reich 1918–1933. München, Zürich 1983. S. 67.

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sehen darf man in diesem Zusammenhang die deutlich bekundeten Interessen und die Mitverantwortung der deutschen Industrie und Unternehmerschaft am Scheitern der parlamentarischen Koalitionsregierung und an der Bildung der Präsidialregierung.284 Die Großlandwirtschaft und später auch die Industrie traten für eine Beseitigung der Großen Koalition ein. Seit dem Frühjahr 1929 arbeiteten verschiedene Kräfte, darunter Hindenburgs Gutsnachbarn, die einen direkten Zugang zum Reichspräsidenten hatten, an einer Kurskorrektur nach rechts. Dazu zählte vor allem Generalmajor Kurt von Schleicher, der bereits im August 1929 den Zentrumspolitiker Heinrich ­Brüning von der Absicht informierte, Hindenburg wolle »den Reichstag im gegebenen Augen­ blick eine Zeitlang nach Hause schicken und mit dem Artikel 48 regieren«.285 Die Sozialdemokraten sollten so rasch wie möglich aus der Regierung entfernt werden, und eine Regierung unter Brüning sollte außerordentliche Notstandsvollmachten erhalten. Auf den Zentrumspolitiker Brüning war man deshalb gekommen, weil er ein erfahrener Politiker mit konservativer Einstellung war, ein national gesinnter ehemaliger Frontsoldat, dem die Rechtsparteien keine grundsätzliche Gegnerschaft entgegenbrachten, der in der Reichwehr Vertrauen genoß und der durch seine sozialpolitische Einstellung auch bei den Sozialdemokraten geschätzt wurde.286 Bernd Weisbrod sieht es als »besondere historische Verantwortung der Schwerindustrie« an, die Bereitschaft des bürgerlichen Lagers zum Ausgleich mit der Sozialdemokratie über ihren Einfluß in der DVP »bewußt und endgültig aufgekündigt zu haben.« 287 Von dieser Bereitschaft sei die Behauptung der Weimarer Republik gegenüber der nationalsozialistischen Gefahr sehr wesentlich abgehangen. Der 27. März 1930 stellte also eine der tiefsten Zäsuren in der Geschichte der Weimarer Republik dar, indem es zu einer deutlichen Verschiebung der innerpolitischen Machtbalance von der Legislative zur Exekutive kam. Heinrich August Winkler vertritt die Ansicht, »daß an diesem Tag die Zeit relativer Stabilität definitiv zu Ende ging und die Auflösungsphase der ersten deutschen Demokratie begann«.288 Für unsere Arbeit ist es wichtig, zu erkennen, daß sowohl in Deutschland als auch in Österreich die Gefahr für die Demokratie sehr wesentlich in der Unfähigkeit der entscheidenden staatstragenden Parteien zur Aufrechterhaltung einer Konsensdemokratie gelegen war. Trotz vieler Unterschiede lassen sich ganz grundsätzliche Paral284 Vgl. Fritz Blaich, Staatsverständnis und politische Haltung der deutschen Unternehmer 1918–1930. In  : Bracher et al. (Hg.), Die Weimarer Republik. S. 175 f. 285 Heinrich August Winkler, Weimar. S. 363. 286 Vgl. Heinrich August Winkler, Weimar. S. 363. 287 Bernd Weisbrod, Schwerindustrie in der Weimarer Republik. Interessenpolitik zwischen Stabilisierung und Krise. Wuppertal 1978. S. 476. Vgl. ebenso Hans Mommsen, Die Sozialdemokratie in der Defensive  : Der Immobilismus der SPD und der Aufstieg des Nationalsozialismus. In  : Hans Mommsen (Hg.), Sozialdemokratie zwischen Klassenkampf und Volkspartei. Frankfurt 1974. S. 107. 288 Heinrich August Winkler, Weimar. S. 372.

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lelen zu Österreich herstellen. Vor allem die Tatsache, daß die beiden großen politischen Lager nicht in der Lage waren, gerade in schwierigen Situationen Lösungen im Sinne einer Konsensdemokratie zu finden, führte in beiden Ländern zu fatalen Folgen. »Der Parlamentarismus der Weimarer Republik ist nicht von außen zu Fall gebracht worden. Er ging an sich selber zugrunde, als die Flügelparteien der Großen Koalition nicht mehr die Kraft und den Willen aufbrachten, über den widerstreitenden Interessen der hinter ihnen stehenden Gruppen eine zum Kompromiß fähige undoktrinäre Staatsgesinnung zur Geltung zu bringen.«289 Genau diese Haltung trifft für Österreich im Zusammenhang mit der Bildung der Regierung Dollfuß I zwei Jahre später, als es noch eine realistische Chance für einen Konsens gegeben hätte, zu. Was Martin Vogt für das Ende der Zusammenarbeit der beiden großen Lager in Deutschland feststellt, gilt auch für das Österreich des Jahres 1932  : »Der Bruch der Großen Koalition im März 1930 versetzte der parlamentarischen Demokratie in Deutschland den Todesstoß, obwohl zu diesem Zeitpunkt das keine der beteiligten Parteien erkannte oder völlig zu überblicken vermochte.«290 Insofern wird man auch – wie etwa Erich Matthias feststellt – keine der beteiligten Gruppen von einer Mitverantwortung für weitere Entwicklungen, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, freisprechen. »Alle nicht- und antinationalsozialistischen Kräfte fanden sich nur in einem einzigen Punkte  : nämlich in der Unfähigkeit, sich eine realistische Vorstellung von der drohenden Gefahr und den Methoden des totalitären Gegners zu machen. Daraus resultieren zu einem großen Teil die mangelnde Bereitschaft zum demokratischen Kompromiß und die Verwirrung der Fronten.«291 Entscheidend auch hier wieder die Hinweise  : Unterschätzung der nationalsozialistischen Gefahr und daraus resultierend mangelnde Bereitschaft zur Konsensdemokratie. Bracher meint, daß die Zerstörung der Demokratie aus der ökonomischen und sozialen Krise allein nicht erklärt werden kann. Denn auch andere Staaten waren von der gleichen Krise betroffen, ohne daß die Demokratie zugrunde gegangen wäre. Bedeutsam in Deutschland war (nach Bracher), daß »Regierung, Parteien und Verbände, Militärs und Publizisten teils hilflos, teils triumphierend die Entwicklung als Krise des ganzen ›Systems‹ empfan289 Karl Dietrich Erdmann, Die Weimarer Republik. S. 277. Vgl. dazu auch den Bericht des Reichsfinanzministers Moldenhauer (DVP) über den Rücktritt der Regierung Müller und die Bildung der Regierung Brüning. Moldenhauer berichtet, daß die Große Koalition nur vordergründig an der Beitragserhöhung der Arbeitslosenversicherung scheiterte. »In Wirklichkeit zeigte sich nach Fortfall der Klammer, die der Kampf um den Young-Plan bedeutet hatte, daß die Flügel nicht mehr zusammenarbeiten wollten, wenn auch ihre Vertreter im Kabinett die beste Absicht hatten.« Klaus Megerle, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Berlin 1982. S. 142. 290 Martin Vogt, Parteien in der Weimarer Republik. In  : Bracher et al. (Hg.), Die Weimarer Republik. S. 151. 291 Erich Matthias, Die Sozialdemokratie und die Macht im Staate. In  : Der Weg ins Dritte Reich 1918– 1933. München, Zürich 1983. S. 65 f.

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den. Politische Unerfahrenheit, geringes Vertrautsein mit den Funktionsweisen parlamentarischer Demokratie, mächtige obrigkeitsstaatliche Residuen mußten sich hier verhängnisvoll auswirken.«292 Die am 28. März 1930 gebildete Minderheitsregierung Brüning bestand aus Angehörigen der Parteien der bürgerlichen Mitte und versuchte durch das Regieren mit Notverordnungen verstärkt autoritäre Elemente der Weimarer Verfassung anzuwenden. Das Kabinett Brüning war vorerst keine offene, aber eine »verdeckte Präsidialregierung«.293 Mit dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung war der Einstieg für die präsidiale Diktaturgewalt gegeben. »Die Gefahr einer Präsidialregierung bestand darin, daß sich die Institution des Reichspräsidenten zum politischen Angelpunkt und zu einer Art Drehbühne entwickeln konnte, auf der plötzlich Persönlichkeiten agierten, die von niemandem dorthin bestellt wurden.«294 Schon die Berufung des Kabinetts Brüning erfolgte durch präsidiales Diktum und über den Kopf des Reichstages hinweg. Bewußt sollte die Exekutivgewalt gegenüber der parlamentarischen Legislative entscheidend gestärkt werden. Reichspräsident Hindenburg hatte den Auftrag zur Regierungsbildung mit Bedingungen verbunden, die einer Konsensdemokratie völlig zuwiderliefen  : »Orientierung nach rechts und Ausschaltung der SPD, der weitaus stärksten Fraktion im Reichstag und der weitaus größten und stabilsten unter den staatstragenden Parteien.«295 Die deutschen Sozialdemokraten reagierten nach der Regierungserklärung Brünings am 1. April 1930 ähnlich wie Österreichs Sozialdemokraten nach den Wahlen im April 1932  : Sie stellten einen Mißtrauensantrag und wollten damit Neuwahlen auslösen. 296 Der Mißtrauensantrag wurde jedoch vorerst mit Hilfe der Deutschnationalen Partei Hugenbergs abgelehnt. Als aber schließlich zwei Notverordnungen der Reichsregierung vom Reichstag aufgehoben wurden, wurde der Reichstag aufgelöst, und Neuwahlen wurden für den 14. September 1930 angesetzt. In völliger Verkennung der politischen Situation erhoffte sich Brüning, dessen Kabinett inzwischen von der verdeckten zur offenen Präsidialregierung geworden war, von Neuwahlen eine Stärkung der Konservativen, obwohl er auch mit einem Ansteigen der Nationalsozialisten auf 80 bis 90 Mandate rechnete. Brüning wollte unbedingt sein autoritäres Krisenprogramm fortsetzen und nahm dafür in Kauf, daß »alle Prognosemöglichkeiten – anhand einer Analyse des allgemeinen Stimmungstrends und der regionalen Wahlentwicklung – mit sträflicher Leichtfertigkeit ignoriert wurden«.297 Erich Eyck bezeichnet die Auflösung des 1928 gewählten 292 Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. S. 185. 293 Heinrich August Winkler, Weimar. S. 378. 294 Wilhelm Ribhegge, Konservative Politik in Deutschland. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart. Darmstadt 1992. S. 203. 295 Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 125. 296 Vgl. Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik. S. 325. 297 Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 120.

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Reichstages als »eines der verhängnisvollsten Ereignisse in der Geschichte der Weimarer Republik. Sie hat das Tor aufgerissen, durch welches das Unheil sich erst über Deutschland und dann über Europa ergoß.«298 Dabei hätten nicht nur die Landtags- und Kommunalwahlen Ende 1929, sondern die Landtagswahlen in Thüringen im Jänner 1930, die eine Rechtsregierung mit dem nationalsozialistischen Innen- und Unterrichtsminister Frick brachten (der sein Amt zur rücksichtslosen Begünstigung der Nationalsozialisten in Schule und Polizei mißbrauchte), und vor allem die sächsischen Landtagswahlen am 22. Juni 1930 Warnung genug sein müssen. Bei dieser Wahl in Sachsen steigerte die NSDAP ihren Stimmenanteil von 5 Prozent auf 14,4 Prozent und wurde hinter der SPD zweitstärkste Partei.299 Die auf einer falschen politischen Beurteilung durchgeführte Reichstagsauflösung wirkte sich dann auch entsprechend verhängnisvoll aus. Die Zahl der nationalsozialistischen Abgeordneten schnellte von 12 auf 107 Sitze empor, die NSDAP war der große Sieger – und zweitstärkste Partei. Die Deutschnationalen als größte Verlierer fielen von 73 auf 41 Sitze zurück, und die konservativen Parteien schnitten nur sehr schwach ab. Alle Mittelparteien mit Ausnahme des Zentrums bröckelten ab. Die Kommunisten stiegen von 54 auf 77 Mandate, während die Sozialdemokraten von 153 auf 143 zurückfielen, aber nach wie vor deutlich stärkste Partei blieben. Diese Reichstagswahlen vom September 1930 markieren damit »den entscheidenden Durchbruch der NS-Bewegung, die jetzt zu einem Faktor der deutschen Politik wurde, mit dem gerechnet werden mußte.«300 Die Wahlbeteiligung lag mit 82 Prozent höher als bei allen früheren Reichstagswahlen der Weimarer Republik. Daraus zogen, wie auch die neueren Wahlforschungen zeigen, die Nationalsozialisten den größten Nutzen. Aber die meisten Wähler der NSDAP kamen nicht von der Gruppe der Nichtwähler, sondern von anderen Parteien. Es dürfte 1930 jeder dritte DNVP-Wähler, jeder vierte DDP- oder DVP-Wähler, jeder siebente Nichtwähler und jeder zehnte SPD-Wähler für die Hitler-Partei gestimmt haben. Das konservative und das liberale »Lager« hatten daher einen größeren Anteil am Aufstieg des Nationalsozialismus als die Sozialdemokraten. Protestanten waren für die NSDAP doppelt so anfällig wie Katholiken. Selbständige, Bauern, Beamte, Rentner und Pensionisten waren unter den NS-Wählern stärker vertreten, als ihrem Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung entsprach. Die Arbeitslosen gaben weniger der NSDAP als vielmehr der KP Thälmanns ihre Stimme.301 Besonders deutlich war die Anziehungskraft der NSDAP auf die Mittelschichten. Insgesamt war die NSDAP – wie Heinrich August Winkler feststellt – »in höherem Maß ›Volkspar298 Erich Eyck, Geschichte der Weimarer Republik. S. 339 f. 299 Vgl. Heinrich August Winkler, Weimar. S. 382. 300 Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik, S. 120. 301 Vgl. Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler. S. 98 ff.

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tei‹ als irgendeine andere Partei der ersten deutschen Republik«.302 Karl Rohe spricht von den »Mobilisierungs- und Integrationsleistungen der NSDAP«.303 Die »alten« Parteien erkannten die Herausforderung, die sich aus einer neuen, die Milieugrenzen überspringenden Massenkultur ergaben, kaum. Die Nationalsozialisten nutzten dagegen die Möglichkeiten der modernen Massenkommunikation und bewiesen in diesem Sinn »Modernität«.304 Als Antwort auf das gestiegene Gemeinschaftsbedürfnis der Bevölkerung verband die NSDAP diese »Modernität« mit einem extremen Nationalismus und mit Antisemitismus. Das diesen Parolen von den Anhängern der Weimarer Republik entgegengesetzte Bekenntnis zur demokratischen Republik mobilisierte nur noch eine Minderheit.305 Die Parteien der früheren Großen Koalition hatten zwar immer noch eine Mehrheit, konnten sich jedoch auf kein gemeinsames Programm einigen, sodaß einerseits keine positive Mehrheit, aber auch keine negative Mehrheit im Reichsrat zu bilden war. Brüning regierte weiter, womit sich ein »stiller Verfassungswandel« in Richtung einer Präsidentschaftsrepublik vollzog, zunächst in Form einer vom Parlament mehrheitlich tolerierten Präsidialregierung, da die Sozialdemokraten es aus Furcht vor der Alternative zu Brüning nicht wagten, die Aufhebung der Notverordnungen zu verlangen und so das kleinere Übel gewähren ließen.306 Aber nicht nur das, es scheint, daß die deutsche wie die österreichische Sozialdemokratie diese Lösung der Tolerierung, die weder Koalition noch Opposition bedeutete, nicht nur den Folgen eines leichtfertigen Sturzes der jeweiligen Regierung, sondern auch einer festen Koalitionsbindung in dieser Regierung, der sie das Weiteramtieren ermöglichte, vorzog. Dabei hätte es durchaus gewichtige Stimmen für eine Neuauflage einer Großen Koalition gegeben. In Deutschland meinte vor allem der sozialdemokratische preußische Ministerpräsident Otto Braun, es sei Zeit für eine »Große Koalition der Vernünftigen, um dem Anhang Hitlers den Weg zur Macht zu verlegen«. Auch die Sozialistische Internationale bedrängte die deutschen Sozialdemokraten zu einem Bündnis mit Brüning, doch die »Große Koalition der Unvernünftigen war stärker«.307 Obwohl es sogar aus der Reichswehrführung und dem Reichsverband der Deutschen Industrie das Drängen an Brüning zu einer Verständigung mit der Sozialdemokratie gab, erklärte die für die parlamentarische Mehrheitsfindung notwendige, kleine Wirtschaftspartei, unter keinen Umständen mit der Sozialdemokratie eine Koalition zu bilden. Aber auch »die 302 Heinrich August Winkler, Weimar. S. 390. 303 Karl Rohe, Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1992. S. 161. 304 Vgl. Jürgen W. Falter, War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei  ? In  : Michael Prinz, Rainer Zitelmann (Hg.), Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt 1991. S. 43 ff. 305 Vgl. Heinrich August Winkler, Weimar. S. 390. 306 Vgl. Karl Dietrich Erdmann, Die Weimarer Republik. S. 283 f. 307 Hagen Schulze, Weimar. Deutschland 1917–1933. Berlin 1982. S. 347.

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sozialdemokratische Parteiführung widerstand mühelos allen Ermunterungsversuchen, fand, daß jede Form von Aktivität, ob Regierungsbeteiligung oder außerparlamentarische Opposition, in der gegenwärtigen Lage zu riskant sei, oder hörte einfach nicht hin … So verstrich eine späte Sternstunde der Demokratie, und es blieb beim alten.«308 Nun begann Ministerpräsident Otto Braun seinen Kampf innerhalb der SPD aufzunehmen und erreichte, daß die Sozialdemokraten das Kabinett Brüning in einer Art »großen Tolerierungsaktion« zu unterstützen begannen, sie verhinderten damit den Sturz der Regierung und hielten Brüning eineinhalb Jahre den Rücken frei.309 Martin Broszat spricht von »partieller Zusammenarbeit zwischen Brüning und der SPD-Führung« ab dem Herbst 1930310, Klaus Schönhoven nennt es »passive Kooperation«, die auch handfeste machtpolitische Gründe hatte  : Wollte die SPD ihre preußische Machtbastion (sie regierte dort mit Zentrum und DDP) nicht gefährden, empfahl es sich, im Reich den Zentrumskanzler nicht zu sehr zu attackieren.311 Der ursprüngliche Oppositionskurs der SPD, der z. T. durchaus verständlich ist, wenn man die Beweggründe der Bildung der Regierung Brüning betrachtet, hatte weder ihr selbst und schon gar der Demokratie nichts gebracht  : »Die Beseitigung des Präsidialkabinetts gelang nicht, stattdessen wurde die Position gerade der republiktreuen, demokratischen Kräfte durch die Septemberwahlen enorm geschwächt.«312 Alles zusammen zeugt von dem Faktum, daß auch in Deutschland die demokratische politische Kultur von Anfang an nur sehr rudimentär ausgeprägt war. Deshalb »vermochte sich jener unerläßliche, integrationsstiftende Konsens nicht zu bilden  ; das System blieb ein Zankapfel auch für die Linke, die es mit dem Slogan ›Demokratie, das ist nicht viel, Sozialismus ist das Ziel‹ diskreditierte, ganz zu schweigen von der Rechten, die diese Republik nicht gewollt und nie akzeptiert hatte.«313

308 Hagen Schulze, Weimar. S. 347. 309 Zur Begründung der sozialdemokratischen Tolerierungstaktik (18. 10. 1930)  : »Die sozialdemokratische Fraktion ist jeden Tag in der Lage, mit Nationalsozialisten, Kommunisten und Deutschnationalen die Regierung zu stürzen, sie kann aber unmöglich mit solchen Bundesgenossen gemeinsam eine neue Regierung bilden. Deshalb und weil die Sozialdemokratie von dem Gefühl der Verantwortung für die arbeitende Klasse durchdrungen ist, lehnte sie jetzt die Zustimmung zu den Mißtrauensanträgen anderer Parteien ab.« Wolfgang Michalka, Gottfried Niedhart (Hg.), Die ungeliebte Republik. Dokumentation zur Innen- und Außenpolitik Weimars 1918–1933. München 1980. S. 295. 310 Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik. München 1990. S. 124. 311 Klaus Schönhoven, Reformismus und Radikalismus. Gespaltene Arbeiterbewegung im Weimarer Sozial­staat. München 1989. S. 148. 312 Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 127. 313 Heinrich Oberreuter, Die Norm als Ausnahme. Zum Verfall des Weimarer Verfassungssystems. In  : Lill, Oberreuter, Machtverfall und Machtergreifung. Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus. München 1983. S. 39.

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Betrachtet man die politische Entwicklung in Österreich, so kann man einige Parallelen, aber auch ganz Entgegengesetztes feststellen. Zwei Monate nach der Reichstagswahl in Deutschland fanden am 9. November 1930 in Österreich vorverlegte Nationalratswahlen statt, von denen sich die Kurzzeit-Minderheitsregierung Vaugoin, die mit den faschistischen Heimwehren regierte und erste autoritäre Maßnahmen setzte, eine Bestätigung ihres Kurses erwartete. Aber anders als in Deutschland wurden in Österreich die demokratischen Kräfte deutlich gestärkt, die Sozialisten wurden stärkste Partei, die Christlichsozialen mußten schwere Verluste hinnehmen. Es folgten überwiegend demokratische, konsensorientierte bürgerliche Regierungskoalitionen, die teilweise auch die Unterstützung der sozialdemokratischen Opposition genossen. Die gleiche Motivation von Brüning und Vaugoin für vorgezogene Neuwahlen, nämlich die Bekräftigung ihres autoritären Kurses, brachte in Deutschland und Österreich völlig unterschiedliche Wählerentscheidungen. Während in Deutschland die NSDAP zur zweitstärksten Partei wurde, blieb sie in Österreich mit 3 Prozent eine Splitterpartei. Ähnlich wie beim Auseinanderbrechen der Großen Koalition in Deutschland am 27. März 1930 scheiterte Mitte 1931 auch in Österreich die Unterstützung der bürgerlichen Regierung durch die oppositionelle Sozialdemokratie an der beabsichtigten Reform der Sozialversicherung. Als Bundeskanzler Ender im Juni 1931 zur Stabilisierung des Staatshaushaltes und zur Sanierung der Creditanstalt ähnliche Notverordnungsrechte wie der deutsche Reichskanzler verlangte, versagten die Sozialdemokraten, deren Zustimmung im Parlament für die Zweidrittelmehrheit notwendig war, die Unterstützung. In Deutschland hatten die Sozialdemokraten wesentlich umfangreichere Notverordnungsrechte toleriert. Hier wie dort aber weigerten sich die Sozialdemokraten nach wie vor, eine Regierungsbeteiligung einzugehen. Während also in Österreich das parlamentarische System (noch) funktionierte, schritt dessen Erosion im Deutschen Reich rasch voran. Die Zahl der Sitzungen und der beschlossenen Gesetze ging ständig zurück, die Zahl der Notverordnungen stieg beträchtlich an.314 Der rapide weitere Machtverlust der parlamentarischen Demokratie kündigte sich auch bei den folgenden Regionalwahlen von der Reichstagswahl im September 1930 bis zum Frühjahr 1932 an. Sie zeigten »den fortschreitenden Verfall des bürgerlichen Lagers und die weitere Machtverlagerung zugunsten der beiden totalitären Parteien, vor allem des Nationalsozialismus«.315 Bei der Landtagswahl in Oldenburg im

314 Vgl. Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 128  : 1930  : 94 Sitzungstage, 98 Gesetze, 5 Notverordnungen. 1931  : 42 Sitzungstage, 34 Gesetze, 44 Notverordnungen. 1932  : 13 Sitzungstage, 5 Gesetze, 66 Notverordnungen. Vgl. ebenso Horst Müller, Weimar. Die unvollendete Demokratie. München 1990. S. 192 f. 315 Alfred Milatz, Wähler und Wahlen. S. 136 f.

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Mai 1931 verdoppelte sich die NSDAP gegenüber der Reichsratswahl auf 37,2 Prozent, im September rückte sie in Hamburg hinter der stark verlierenden SPD an die zweite Stelle. Die Landtagswahl in Hessen-Darmstadt im November 1931 brachte der N ­ SDAP gegenüber der Reichsratswahl eine Verdoppelung des Stimmanteils auf 37,1 Prozent.316 »Alle diese Wahlen ließen deutlich erkennen, daß der nationalsozialistische Vormarsch über die Trümmer aller nichtkatholischen und nichtsozialistischen Parteien hinwegging, einerlei, ob sie sich monarchistisch oder republikanisch, liberal oder konservativ, Weltanschauungs- oder Interessenparteien nannten, ob sie für oder gegen die Regierung Brüning waren. Den radikalen Agitationsparolen und dem Massensog der NSDAP waren sie alle nicht mehr gewachsen.«317 Trotzdem gelang im Februar 1931 einer republikanischen Abwehrfront im deutschen Reichstag noch einmal ein Erfolg, den man durchaus auch im Sinne einer »Streitbaren Demokratie« sehen kann. Nach den Krawallen der Nationalsozialisten und der Kommunisten nach der Eröffnung des neuen Reichstages im Oktober 1930 wurden Änderungen in der Geschäftsordnung des Reichstages durchgesetzt, die die Möglichkeiten des Mißbrauchs des Parlaments wie auch der parlamentarischen Immunität durch extremistische Abgeordnete wesentlich einschränkten. Nationalsozialisten, Deutschnationale und Kommunisten verließen daraufhin den Reichstag und nahmen an den folgenden Sitzungen aus Protest nicht teil.318 Trotz allem war es aber bereits zu spät, diese Maßnahmen waren nur anlaßbezogen und nicht wirklich zum Schutze der Demokratie gemeint. »Die Erfahrung zeigt uns eindringlich, daß solche totalitären Bewegungen nur vor dem Griff zur Macht verhindert werden können, und daß es gilt, sich gegen jeden Versuch, die demokratischen Rechte für den Kampf gegen die Demokratie selbst zu mißbrauchen, rechtzeitig zur Wehr zu setzen.«319 Als schließlich Innenminister Groener mit dem SS- und SA-Verbot zu dem viel zu lange verzögerten Schlag gegen die NSDAP ausholte, war es schon zu spät, die demokratischen Kräfte hatten ihre Macht schon verloren. Im Gegenteil, diese Abwehrmaß316 Vgl. Albrecht Tyrell, Der Aufstieg der NSDAP zur Macht. In  : Bracher et al. (Hg.), Die Weimarer Republik. S. 480 f. Vgl. auch Werner Stephan, Die Entwicklung der Parteien bei den Reichstagswahlen von 1930 bis 1932. In  : Otto Büsch, Monika Wölk, Wolfgang Wölk, Wählerbewegung in der deutschen Geschichte. Analysen und Berichte zu den Reichstagswahlen 1871–1933. Berlin 1978. S. 237 ff. 317 Alfred Milatz, Wähler und Wahlen. S. 137. 318 Vgl. Martin Broszat, Die Machtergreifung. S. 124 f. 319 Karl Dietrich Bracher, Demokratie und Machtergreifung. Der Weg zum 30. Januar 1933. In  : Rudolf Lill, Heinrich Oberreuter, Machtverfall und Machtergreifung. S. 35. Im Juni 1930 verbot Preußen den Staatsbeamten die Mitgliedschaft in der kommunistischen und in der nationalsozialistischen Partei, und sowohl Bayern als auch Preußen untersagten das Tragen der Braunhemduniformen. Im März 1931 erließ Brüning eine Notverordnung »zur Bekämpfung politischer Unruhen«, mit der das Tragen von Waffen verboten wurde. Alle diese Maßnahmen blieben wirkungslos, indem sie umgangen wurden oder überhaupt unbeachtet blieben. Vgl. Eugene Davidson, Wie war Hitler möglich  ? Der Nährboden einer Diktatur. Düsseldorf, Wien 1980. S. 361.

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nahme führte schließlich auch noch zur Beseitigung der halbdemokratischen Version des Präsidialsystems. Nun aber wieder zurück zum Kabinett Brüning. An oberster Stelle der politischen Prioritäten Brünings stand die Befreiung Deutschlands von der Reparationslast. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise mußten dabei in den Hintergrund treten.320 Dabei erreichte die Arbeitslosigkeit im Winter 1931/32 ihren Höhepunkt. Brünings Deflationspolitik wurde – ähnlich wie in Österreich – auch von der Sozialdemokratie aus Angst vor der steigenden Inflation, mitgetragen. Er plante mit Hilfe der Deflationspolitik die endgültige Beseitigung der Repara­ tionslasten. Es war Brünings Ziel, »die Reparationen ad absurdum« zu führen, sie »zu unterlaufen«.321 Der Zusammenbruch der österreichischen Creditanstalt löste in der Folge auch in Deutschland eine schwere Bankenkrise aus. Der Staat mußte zur Sanierung und Stützung der Banken fast eine Milliarde Reichsmark zur Verfügung stellen.322 Karl Dietrich Bracher sieht in dieser Vernachlässigung der Innenpolitik zugunsten außen- und finanzpolitischer Ziele die Ursache für ein innenpolitisches Machtvakuum, in das der systemfeindliche Nationalsozialismus eindrang. Neben der »unbezweifelbaren Korrelation von ökonomischer und politischer Stabilität«, also zwischen zunehmender Feindschaft gegen die Demokratie und sinkendem wirtschaftlichem Wohlstand waren es nach Ansicht Brachers die Form und die Folgen des politischen Reagierens auf die Krise, die die weitere politische Entwicklung Deutschlands weitgehend bestimmten.323 Der amerikanische Präsident Hoover erkannte, daß ein finanzieller und wirtschaftlicher Zusammenbruch Deutschlands auch verheerende Konsequenzen für die USA brächte, und schlug im Juni 1931 ein allgemeines internationales Schuldenfeierjahr vor, in dem die Reparationszahlungen ausgesetzt werden sollten.324 Dies war der Anfang vom Ende der Reparationen, da festgestellt werden mußte, daß Deutschland auch nach dem Moratorium nicht imstande sein würde, Reparationen zu bezahlen. Es wurde daher die gänzliche Streichung sowohl der deutschen Reparationen als auch 320 Vgl. etwa Andreas Hillgruber, Die Auflösung der Weimarer Republik. In  : Walter Tormin (Hg.), Die Weimarer Republik. Edition Zeitgeschehen. Hannover 1977. S. 205 ff. Vgl. auch Ferdinand A. Hermens, Das Kabinett Brüning und die Depression, ebenso Werner Jochmann, Deflationspolitik und der Untergang der Weimarer Republik. In  : Klaus Megerle, Die nationalsozialistische Machtergreifung. S. 16–37. 321 Werner Stephan, Aufstieg und Verfall. S. 485. 322 Vgl. Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 129. Es ist heute die These nahezu unbestritten, daß Brüning den Deflationskurs bewußt eingeschlagen und die Verschärfung der Wirtschaftskrise bewußt hingenommen hatte, um damit die Unmöglichkeit nachzuweisen, den Young-Plan zu erfüllen. Vgl. dazu Gerd Meyer, Die Reparationspolitik. Ihre außen- und innenpolitischen Rückwirkungen. In  : Bracher et al. (Hg.), Die Weimarer Republik. S. 341. Vgl. ebenso Hagen Schulze, Weimar. S. 350 f. 323 Karl Dietrich Bracher. Die Krise Europas. Seit 1917. Frankfurt am Main, Berlin 1993. S. 126 f. 324 Vgl. das Hoover-Moratorium vom 6. 7. 1931 in  : Michalka, Niedhart (Hg.), Die ungeliebte Republik. S. 297 f. Vgl. ebenso Hagen Schulze, Weimar. S. 355  : »Brünings Rezept schien jedoch zu funktionieren  : die Lage der Deutschen mußte erst verzweifelt sein, bevor sich in der Reparationsfrage etwas bewegte.«

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der interalliierten Schulden vorgeschlagen. Diese Radikallösung wurde schließlich von der Lausanner Konferenz (16. 6.–9. 7. 1932) beschlossen. Brüning aber konnte diesen Triumph nicht mehr als Reichskanzler erleben. »100 Meter vor dem Ziel«, am 29. Mai 1932, wurde er gestürzt. Er hatte das Vertrauen von Reichspräsident Hindenburg verloren. Die Ernte der Bemühungen Brünings hätten die Nachfolgeregierungen einfahren können, doch sie strebten »schon nach einer anderen politischen Ordnung, so daß das Ende der Reparationen nicht mehr der demokratischen Republik zugute kam«.325 Noch im Herbst 1931 hatte Brüning, getragen vom Vertrauen Hindenburgs und von der Unterstützung der SPD-Reichstagsfraktion, einem Ansturm der sogenannten »Harzburger Front« (DNVP, Stahlhelm, NSDAP) standgehalten. Seit Beginn des Jahres 1932 begann das Kabinett Brüning jedoch das Vertrauen von Hindenburg zu verlieren. Die Ursache mag in Auseinandersetzungen über die Durchführung der Reichspräsidentenwahl gelegen sein. Während Hindenburg offenbar seine Bestätigung durch eine Volkswahl ohne ernsthaften Gegenkandidaten anstrebte, versuchte Brüning eine Verlängerung der Amtszeit Hindenburgs durch einen Zweidrittelmehrheits-Beschluß des Reichstages zu erreichen. Dies verhinderten aber DNVP und NSDAP, die Hindenburg ihre Unterstützung versagten, während die SPD zur Wahl Hindenburgs gegen Hitler und Thälmann (KPD) aufrief. Diesen »Kampf in verkehrter Frontstellung« legte Hindenburg offenbar Brüning zur Last.326 Die beiden Durchgänge der Reichspräsidentenwahlen wenige Wochen vor den Länderwahlen am 24. April waren für deren Ausgang sicher von wesentlicher Bedeutung. Worum es wirklich ging, stellte Goebbels schon am 25. Februar im Reichstag klar  : »Es handelt sich nicht um Hindenburg, es handelt sich um das System, das durch Brüning und sein Kabinett repräsentiert wird  !«327 Im ersten Wahlgang am 13. März 1932 verfehlte Hindenburg knapp die absolute Mehrheit (Hindenburg 49,6 Prozent, Hitler 30,1 Prozent, Thälmann 13,2 Prozent, Düsterberg 6,8 Prozent). Im zweiten Wahlgang am 10. April 1932 erreichte die Einheitsfront aller nichttotalitären Kräfte mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Hindenburg mit 53 Prozent einen knappen Sieg. »Tatsächlich war der Sieg Hindenburgs ein Ergebnis der sozialdemokratischen Tolerierungspolitik. Hätten die Anhänger der SPD nicht seit dem Herbst 1930 Gelegenheit gehabt, sich an eine Politik des kleineren Übels zu gewöhnen, wären sie im Frühjahr 1932 kaum davon zu überzeugen gewesen, daß sie einen eingefleischten Monarchisten an die Spitze der Republik wählen

325 Gerd Meyer, Die Reparationspolitik. S. 342. 326 Vgl. Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 131. Vgl. ebenso Martin Broszat, Die Machtergreifung. S. 137. 327 Goebbels Reden 1932–1945. Hg. von Helmut Heiber. Bindlach 1991. S. 42. An anderer Stelle erklärte Goebbels  : »Eine Wiederwahl des Herrn Reichspräsidenten kommt für uns nicht in Frage, ohne daß wir eine Garantierung der Aushebung des Systems in Händen haben.« (S. 35)

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mußten, um die nationalsozialistische Diktatur zu verhindern.« 328 Auf Adolf Hitler waren 36,8 Prozent und auf den kommunistischen Kandidaten Ernst Thälmann 10,2 Prozent entfallen.329 Hindenburg war damit für sieben Jahre wiedergewählt. Obwohl zwei Drittel der deutschen Wähler gegen Hitler gestimmt hatten, feierte die ­NSDAP das beachtliche Abschneiden ihres Führers als großartigen Erfolg und setzte dies auch propagandistisch geschickt um. Dies hatte auch entsprechende Auswirkungen auf die Wahlen am 24. April 1932 in Deutschland und in Österreich. Schon anläßlich des Ergebnisses des ersten Wahlganges der Reichspräsidentenwahlen veranstalteten etwa die Nationalsozialisten in Salzburg ein Wahlspektakel und ernannten sich zu »Deutschlands stärkster Partei«.330 Das deutschnationale »Salzburger Volksblatt« prophezeite die Auswirkungen des Wahlganges  : »Diese gewaltige Stimmenzahl wird also den Nationalsozialisten auch bei kommenden politischen Wahlen zugute kommen, bei denen sie nicht durch die erdrückenden persönlichen Sympathien, die der Gegenkandidat genießt, benachteiligt sind.«331 Auch nach dem zweiten Wahlgang taten die Nationalsozialisten in Österreich alles, um das Ergebnis für Adolf Hitler zum großen Wahlerfolg hochzustilisieren, obwohl man aus verschiedenen Äußerungen prominenter Nationalsozialisten weiß, daß die NS-Führung enttäuscht war, denn sie glaubte, »berauscht von ihrem eigenen Wahlkampf, mehr und mehr selbst an die Möglichkeit eines Sieges bei den Reichspräsidentenwahlen«.332 Die steirische »Tagespost« schrieb, daß der zweite Durchgang der Reichspräsidentenwahl »Hitlers Erfolg vom 13. März um über 2 Millionen Stimmen, trotz aller Verfolgungen und Polizeischikanen, gesteigert« habe, denn »es durfte ja nicht der Eindruck entstehen, daß die Wahl Hindenburgs der roten Herrschaft in Preußen und deren Weiterbestand zugute komme«.333 Man ließ klar erkennen, daß nun der Kampf um Preußen begonnen habe und damit um die Beseitigung der dortigen sozialdemokratisch geführten Regierung, obwohl Hindenburg ohne die Unterstützung der Sozial­demokraten keinerlei Chancen auf eine Wiederwahl gehabt hätte.334 328 Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. München 1993. S. 453. Vgl. auch Christian Striefler, Kampf um die Macht. Kommunisten und National­ sozialisten am Ende der Weimarer Republik. Berlin 1993. S. 163 ff. 329 Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen. S. 137 ff. 330 Vgl. Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. Der Landtagswahlkampf 1932 im Bundesland Salzburg. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. 1992/1. S. 10 f. Vgl. auch »Salzburger Volksblatt«, 15. 3. 1932. S. 6. Inserat  : »Deutschlands stärkste Partei« ruft zur Massenversammlung. 331 »Salzburger Volksblatt«, 14. 3. 1932. S. 1. 332 Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik. Deutsche Geschichte der neuesten Zeit. München 1990. S. 138. 333 »Tagespost«, 11. 4. 1932. S. 1. 334 Den Sozialdemokraten diente Hindenburg »als Schutzschild gegen Hitlers Emporkommen«, aber auch Hindenburg war nur mehr deshalb bereit zu kandidieren, weil »anders werden wir ja den Kerl (Hitler, d. V.) nicht los  !« (So Hindenburgs Sohn). Michalka, Niedhart (Hg.), Die ungeliebte Republik. S. 325 f.

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Nach der Wiederwahl Hindenburgs erfolgte am 13. April 1932 – vor allem auf Drängen der Innenminister aller größeren Bundesländer – durch eine Notverordnung das Verbot von SA und SS, die auf rund 500.000 Mann angewachsenen paramilitärischen Organisationen der NSDAP. Es sah so aus, als wollte der greise Hindenburg nun doch entschlossen gegen die Ausschreitungen der nationalsozialistischen Privatarmeen, die in ganz Deutschland die Ordnung schwerst erschütterten, vorgehen. In Wirklichkeit scheint aber diese Maßnahme ein wesentlicher Grund für die Entlassung Brünings durch Hindenburg gewesen zu sein. Hindenburg hatte diesem Verbot offenbar nur widerwillig zugestimmt und nicht verstanden, daß das republikanische Reichsbanner weiter bestehen bleiben konnte.335 Mit dem Sturz Brünings am 30. Mai 1932 auf Grund eines reinen Diktums des Reichspräsidenten, ohne jede Mitwirkung des Parlaments und der Parteien, war der Übergang von der parlamentarisch tolerierten zur reinen Präsidialregierung vollzogen. Als Einwurf sei wieder auf eine Parallele und einen wichtigen Gegensatz zur weiteren Entwicklung in Österreich hingewiesen. Während in Deutschland auf Grund der andauernden nationalsozialistischen Provokationen zur Aufrechterhaltung der Ordnung SA und SS verboten wurden und das republikanische Reichsbanner bestehen bleiben durfte, wurde in Österreich acht Monate später zuerst der sozialdemokratische Schutzbund verboten und erst ein halbes Jahr danach die NSDAP. Wenn man die Regionalwahlen vom 24. April 1932 in Österreich analysieren will, muß man die bisher dargestellte Entwicklung in Deutschland sehr intensiv mitberücksichtigen, hatte sie doch einen sehr entscheidenden Einfluß auf das Erstarken der NSDAP in Österreich. Am gleichen Tag wurden in Deutschland fast vier Fünftel der deutschen Wähler zur Urne gerufen.336 In Preußen, Bayern, Württemberg und Anhalt wurden Landtags-, in Hamburg Bürgerschaftswahlen durchgeführt. Diese Landtagswahlen »waren ein schwerer Schlag für die Republik und die Regierung Brüning.«337 Sie trugen wahrscheinlich mehr zu Brünings Sturz bei als alle anderen Faktoren. Schließlich hatte Hitler das Verbot der NSDAP-Organisationen noch intensiv propagandistisch ausgenützt.338 Die entscheidendsten Wahlen waren natürlich jene in Preußen. Nach dem psychologischen Erfolg Hitlers bei der Reichspräsidentenwahl hatten die Nationalsozialisten nun vor allem zum Sturm auf Preußen geblasen. »Jetzt muß Berlin fallen. Das ist die 335 Vgl. Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik. S. 132. Karl Dietrich Erdmann, Die Weimarer Republik. S. 294. Das Verbot von SA und SS wurde bereits am 14. 6. 1932 wieder aufgehoben, als Gegenleistung versprach Hitler die Tolerierung der Regierung Franz von Papen. Vgl. etwa Werner Maser, Adolf Hitler. Legende, Mythos, Wirklichkeit. München, Esslingen 1989. S. 303. Vgl. auch Eugene Davidson, Wie war Hitler möglich  ? S.  392 f. 336 Vgl. dazu Heinrich August Winkler, Weimar 1918–1933. S. 457 ff. 337 Eugene Davidson, Wie war Hitler möglich  ? S.  397. 338 Vgl. Ernst Deuerlein (Hg.), Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten. München 1978. S. 385.

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nächste Festung, die wir berennen  !« schrieb Goebbels am 10. April in sein Tagesbuch.339 Preußen verfügte über eine stabile parlamentarisch-demokratische Entwicklung, wofür die Wahlergebnisse bis 1932 die Basis bildeten. Es gab seit 1919 keine vorzeitigen Parlamentsauflösungen, von 1919 bis 1932 amtierten nur vier Landtage, während alle sieben Reichstage vorzeitig aufgelöst worden waren, sieben preußische Kabinette standen 21 Reichsregierungen gegenüber. Seit 1928 verfügte die Weimarer Koalition in Preußen über eine klare absolute Mehrheit, die Sozialdemokraten bildeten die stärkste Partei und verfügten mit ihrem zwölf Jahre amtierenden Ministerpräsidenten Otto Braun über einen populären Spitzenpolitiker. Damit war Preußen, wie Golo Mann es ausdrückt, »noch immer das Herz- und Kernstück der Weimarer Republik, die Koalition des Zentrums und der Sozialdemokraten, die Regierung Braun-Severing. Ein Anachronismus, unleugbar, nun da es die Weimarer Republik in Wirklichkeit nicht mehr gab  ; so wie ein starker Schneeblock nicht schmelzen will, wenn es um ihn herum schon warm geworden ist, und immer noch daliegt, fremd und grau, und nichts für das Wetter beweist.«340 Die preußische Regierung tat mehr als die Reichsregierung und die meisten anderen Landesregierungen von Anfang an gegen die aufkeimende nationalsozialistische Gefahr und war damit den Nationalsozialisten ein besonderer Dorn im Auge.341 Nach den Wahlen vom 24. April stellte die NSDAP jetzt in Preußen, Württemberg, Anhalt und Hamburg die stärkste Landtagsfraktion, in Bayern erreichte sie 33,5 Prozent und blieb nur zwei Mandate hinter der Bayerischen Volkspartei zurück. Die Nationalsozialisten erhielten damit 43 (bisher 6) von 128 Sitzen. In Württemberg gewann die NSDAP 28,7 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen und 23 (bisher 1) von 80 Sitzen. In Anhalt erzielte sie 41,6 Prozent und 15 (bisher 1) von 36 Sitzen. In Hamburg erhielt sie 31,8 Prozent und 51 (bisher 43) von 160 Sitzen.342 Insgesamt war die NSDAP nach diesem Wahlerfolg in Thüringen, Oldenburg, Braunschweig, den beiden Mecklenburg und in Anhalt an der jeweiligen Landesregierung beteiligt. In Anhalt wurde am 21. Mai 1932 der NS-Abgeordnete Freyberg zum ersten nationalsozialistischen Ministerpräsidenten ernannt. In Württemberg, in Bayern und – was ganz entscheidend war – in Preußen verhinderten sie eine parlamentarische Mehrheitsbildung, so daß die alten Kabinette geschäftsführend im Amt bleiben mußten. Der Preußische Landtag war überhaupt durch eine negative Sperrmehrheit von NSDAP und KPD bewegungsunfähig geworden. Man stelle sich nur vor  : Im Preußischen Landtag war die NSDAP 339 Joseph Goebbels Tagebücher 1924–1945. Hg. von Ralf Georg Reuth. Band 2  : 1930–1934. München, Zürich 1992. S. 641. 340 Golo Mann, Deutsche Geschichte 1919–1945. Frankfurt am Main, Hamburg 1962. S. 86. Vgl. auch Christian Striefler, Kampf um die Macht. S. 355 ff. 341 Vgl. Karl Dietrich Bracher, Dualismus oder Gleichschaltung  : Der Faktor Preußen in der Weimarer Republik. In  : Bracher et al. (Hg.), Die Weimarer Republik. S. 538 ff. 342 Vgl. Ernst Deuerlein (Hg.), Der Aufstieg der NSDAP. S. 387 f.

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bisher mit acht Abgeordneten vertreten, nach diesen Landtagswahlen zogen nun auf Grund eines Stimmenanteils von 36,2 Prozent 162 (  !) nationalsozialistische Mandatare ins Landesparlament ein.343 Für den langjährigen Reichsgeschäftsführer der DDP, Werner Stephan, waren diese Wahlen des 24. April »ein grausamer Meinungstest«, dessen Kennzeichen »die Vernichtung der nichtkonfessionellen Mittelparteien« war. »Die Mehrheit der Bürger hat sich von der Demokratie als solcher abgewendet.«344 An anderer Stelle spricht er vom »Zusammenbruch der bürgerlichen Parteien«.345 Tabelle 5 Ergebnis der preußischen Landtagswahl vom 24. 4. 1932 im Vergleich zur Landtagswahl vom 20. 5. 1928 (in Klammern) Partei

Stimmen (in Tsd.)

Prozent

NSDAP

8.007

( 552)

36,3

( 2,9)

DNVP

1.524

(3.267)

6,9

(17,4)

330

(1.600)

1,5

( 8,5) (15,2)

DVP Zentrum

3.371

(2.869)

15,3

DDP

332

( 839)

1,5

( 4,5)

SPD

4.675

(5.456)

21,2

(29,0)

KPD

2.819

(2.236)

12,8

(11,9)

Sonstige

1.002

(2.000)

4,5

(10,6)

Die Sitzverteilung im Preußischen Landtag lautete nun  : NSDAP

162 Mandate (

8)

SPD

94 Mandate (136)

Zentrum

67 Mandate ( 71)

KPD

57 Mandate ( 56)

DNVP

31 Mandate ( 82)

DVP

7 Mandate ( 40)

Staatspartei (DDP)

2 Mandate ( 21)

rechte Splitterparteien Gesamt

3 Mandate ( 35) 423 Mandate (449)

Quelle  : Walter Tormin, Die Weimarer Republik. S. 266.

343 Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Heft 66. Bonn 1968. S. 139 ff. Andreas Hillgruber, Die Auflösung der Weimarer Republik. In  : Walter Tormin (Hg.), Die Weimarer Republik. Edition Zeitgeschehen. Hannover 1977. S. 223. 344 Werner Stephan, Aufstieg und Verfall. S. 487. 345 Vgl. Werner Stephan, Die Entwicklung der Parteien bei den Reichstagswahlen von 1930 bis 1932. S. 257.

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Die Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, Staatspartei), die bisher die preußische Regierung getragen hatte, verfügte damit nur mehr über 163 Mandate gegen 260. Aber auch eine breite Rechtskoalition (NSDAP, DNVP, DVP, Splitterparteien) mußte mit 203 gegen 220 in der Minorität bleiben. Nachdem ein Zusammengehen der Rechten mit dem Zentrum ausgeschlossen war, wurde der Preußische Landtag durch eine negative Sperrminorität von NSDAP und KPD (219 zu 204) bewegungsunfähig gemacht. Die Bedeutung dieser preußischen Landtagswahl, die in der deutschen Zeitgeschichtsforschung – ähnlich wie in Österreich die Regionalwahlen vom 24. April 1932 – nicht den ihr gebührenden Stellenwert für die weitere politische Entwicklung erhält, zeigt sich auch daran, daß Hindenburg von Brüning nunmehr nachdem die Weimarer Koalition in Preußen über keine Mehrheit mehr verfügte – eine Kursänderung des Zentrums zu einer neuen preußischen Regierung der Rechten erwartete. Tatsächlich aber tat Brüning dies nicht, die Zentrumspartei wartete ab und ermöglichte es dem Sozialdemokraten Otto Braun, mit seiner geschäftsführenden Minderheitsregierung weiter im Amt zu bleiben. Mit dieser Haltung leistete Brüning einen weiteren Beitrag zu seinem Sturz.346 Vor allem die Nationalsozialisten drängten mit aller Kraft auf die Beseitigung des Kabinetts Brüning und fanden in Generalmajor Kurt von Schleicher einen willfährigen Mittelsmann zu Reichspräsident Hindenburg.347 Tatsächlich stürzte das Kabinett Brüning am 30. Mai 1932. »Eine Clique von ausrangierten Adeligen, die auf ihren Landgütern vom zunehmenden Gewicht des nationalen Interesses bedroht sind, und eine Bande von Generälen, die sich berufen glauben, die Rolle eines Napoleon zu spielen, haben ihren Einfluß ausgenutzt, um die letzte Barriere zu beseitigen, die vorläufig noch den nationalsozialistischen Vormarsch aufgehalten hat«, schrieb Raymond Aron in einem Brief vom 1. Juni 1932.348 In Bayern und Württemberg blieb die NSDAP deutlich hinter dem Stimmanteil, den sie an diesem Tag in Preußen erhielt, zurück. Anders war das Ergebnis in den evangelischen Ländern Anhalt und Hamburg, wo die bürgerlichen Parteien im Vergleich zur Reichstagswahl 1930 z. T. beträchtlich verloren, während die NSDAP ihren Anteil in Anhalt verdoppeln, in Hamburg aber nur die Hälfte dazugewinnen konnte. Stark blieben in diesen beiden Ländern immer noch die Sozialdemokraten (Anhalt 44,0 Prozent, Hamburg 46,7 Prozent). Insgesamt verloren an diesem 24. April 1932 in 346 Vgl. Martin Broszat, Die Machtergreifung. S. 141. 347 Vgl. Joseph Goebbels Tagebücher 1924–1945. Hg. von Ralf Georg Reuth. Band 2  : 1930–1934. München, Zürich 1992. S. 652  : »Als erster muß Gröner und nach ihm Brüning fallen … Brüning soll in den nächsten Tagen schon fallen. Der Reichspräsident wird ihm sein Vertrauen entziehen … Beglückend ist das Gefühl, daß noch kein Mensch etwas ahnt, am wenigsten Brüning selbst.« Goebbels hatte diese Information von einer Unterredung zwischen Hitler und Schleicher (Tagebucheintragung vom 8. 5. 1932). 348 Joachim Stark (Hg.), Raymond Aron  : Über Deutschland und den Nationalsozialismus. Frühe politische Schriften 1930–1939. Opladen 1993. S. 90.

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den fünf deutschen Ländern die sozialistischen Parteien gegenüber 1930 etwa 820.000 Stimmen, während der katholische Block rund 300.000 Stimmen dazugewann. Die NSDAP gewann aber insgesamt rund 4,9 Millionen neue Stimmen.349 Wie sehr man sich nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland nach diesen großen Wahlerfolgen der NSDAP bei den Landtagswahlen des 24. April in der Einschätzung Hitlers täuschte, zeigt ein Artikel der »Times« vom 26. April 1932, wo unter anderem zu lesen war  : »Hitler hat aufgehört, ein Revolutionär zu sein. Er ist ein einflußreicher Demagoge geworden. Bald wird er vielleicht ein verantwortungsbewußter Politiker werden. Er wird in seiner neuen Machtstellung mehr als bisher mit den Führern der anderen Parteien in Fühlung kommen, und seine Leute im Parlament werden sich an parlamentarische Arbeit gewöhnen, die schließlich auf Geben und Nehmen, auf Verhandlungen und Kompromissen beruht.«350 Als sich herausstellte, daß das genaue Gegenteil sich abzeichnete, war es bereits zu spät. Die Landtagswahlen vom 24. April 1932 in Deutschland hatten, vor allem auf Grund des Ergebnisses Preußens, weitreichende Folgen, so daß es unverständlich ist, daß diese Regionalwahlen in der deutschen Zeitgeschichtsforschung bisher weitgehend vernachlässigt wurden bzw. in wichtigen Darstellungen über die Geschichte der Weimarer Republik kaum oder gar nicht erwähnt werden.351 • Die Landtagswahlen vom 24. April leiteten den Sturz von Reichskanzler Brüning ein, womit eine Phase der partiellen Zusammenarbeit zwischen der sozialdemokratischen Opposition und der gemäßigten Rechten und damit die letzten Reste der Konsensdemokratie zu Ende gingen. • Mit der Weigerung Brünings, nach dem Verlust der Mehrheit der von den Sozialdemokraten geführten Weimarer Koalition in Preußen eine neue Regierung der Rechten zu bilden, 349 Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen. S. 140. 350 Ernst Deuerlein, Der Aufstieg der NSDAP. S. 388. 351 Vgl. dazu neuere Diskussionen etwa bei Heinrich August Winkler (Hg.), Die deutsche Staatskrise 1930–1933. Handlungsspielräume und Alternativen. Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 26. München 1992. Auch in den dortigen Beiträgen finden die Landtagswahlen vom 24. April 1932 kaum Berücksichtigung bzw. wird nicht auf ihre direkten Auswirkungen eingegangen. Neuere Studien befassen sich mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und den Wahlergebnissen in verschiedenen Regionen Deutschlands. Vgl. etwa Frank Bajohr (Hg.), Norddeutschland im Nationalsozialismus. Hamburg 1993. V. a. die Beiträge von Adelheid von Saldern, Sozialmilieus und der Aufstieg des Nationalsozialismus in Norddeutschland (1930–1933)  ; Dietmar von Reeken, Emden und der Aurich 1928–1948. Zum Verhältnis von Bruch und Kontinuität sozialmoralischer Milieus  ; Walter Struve, Arbeiter und Nationalsozialismus in Osterrode am Harz bis 1933  ; Kerstin Urbschat, Mecklenburg-Schwerin in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Ebenso Hans Fenske, Aufmarsch unterm Hakenkreuz. Die pfälzischen Nationalsozialisten bis zum 30. Januar 1933. In  : Gerhard Nestler, Hannes Ziegler (Hg.), Die Pfalz unterm Hakenkreuz. Eine deutsche Provinz während der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Landau 1993. S. 11–33.

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Die Wahlen des Jahres 1932

verlor der Reichskanzler weiter an Vertrauen bei Hindenburg und bestärkte diesen von der Notwendigkeit der Absetzung Brünings. Mit Brünings Sturz aber hörte die Weimarer Verfassung, die von Brüning noch in ihren Rudimenten aufrechterhalten worden war, zu funktionieren auf. Der Übergang zum autoritären Präsidialsystem wurde damit endgültig vollzogen.352 • Obwohl die preußische Regierung auch nach dem Verlust ihrer parlamentarischen Mehrheit als letzter Hort der Demokratie und des Konsenssystems als Minderheitskabinett im Amt blieb, war es nach dem Sturz Brünings nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie beseitigt wurde. Brünings Nachfolger von Papen setzte am 20. Juli die preußische Regierung staatsstreichartig ab. Dies war die wohl wirkungsvollste Vorarbeit für die spätere Machtübernahme durch Hitler.353 Die Voraussetzung dafür bildete das Wahlergebnis der Landtagswahl vom 24. April. • Durch das Ergebnis der Landtagswahlen vom 24. April und die Beseitigung der preußischen Regierung als dem letzten Hort der Republik wurde weiterer möglicher Widerstand gegen den Vormarsch Hitlers an die Macht endgültig gebrochen. Schließlich wurde in Anhalt erstmals in einem deutschen Bundesland ein Nationalsozialist Ministerpräsident. Der erdrutschartige Sieg der Nationalsozialisten in Preußen brach die letzte Kampfkraft der einst mächtigen sozialdemokratischen Partei, die ihre Niederlage kampflos hinnahm. • Die nationalsozialistische Propaganda rund um die beiden Durchgänge der Reichspräsidentenwahl und der folgende, exzessiv geführte Wahlkampf der NSDAP für die preußische Landtagswahl fanden auch ihren ständigen Niederschlag in den österreichischen Medien und hatte damit eine beträchtliche Wirkung auf den Wahlkampf für die Landtagswahlen in Österreich am 24. April. Österreichs Nationalsozialisten, die bisher das Dasein einer Splitterpartei führten, übernahmen in ihrer Wahlpropaganda wesentliche moderne Elemente der Wahlpropaganda der deutschen Nationalsozialisten 354, ohne jedoch an deren perfekte Propagandamaschinerie heranzukommen. Es reichte jedoch zum ersten großen Durchbruch der NSDAP in Österreich, der letztlich nur einem zu verdanken war  : Adolf Hitler.355 352 Vgl. Golo Mann, Deutsche Geschichte 1919–1945. S. 87. 353 Martin Broszat, Die Machtergreifung. S. 148 f.: »Durch keine andere Maßnahme der Papen-Regierung ist der späteren nationalsozialistischen Machtübernahme wirkungsvoller vorgearbeitet worden. Und daß die Aktion gegen den vermeintlich noch immer stärksten Hort der Republik so widerstandslos geschehen konnte, machte den 20. Juli 1932 zum schwärzesten Tag der untergehenden Republik.« 354 Vgl. Jürgen W. Falter, War die NSDAP die erste deutsche Volkspartei  ? In  : Michael Prinz, Rainer Zitelmann (Hg.), Nationalsozialismus und Modernisierung. Darmstadt 1991. 45 ff. 355 Vgl. Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. S. 50 f. Vgl. ebenso F. L. Carsten, Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu Hitler. München 1977. S. 194  : »So war der Aufstieg des österreichischen Nationalsozialismus zu einem großen Teil Hitlers Erfolg in Deutschland zu verdanken  ; und vor allem versah er die Nationalsozialisten mit einem Führer, den ihre eigene Bewegung nicht hervorgebracht hatte.«

Die Bedeutung der Wahlen des Jahres 1932 in Österreich und Deutschland

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3.1.3 Analyse und Konsequenzen der Wahlergebnisse Die Bedeutung dieser Landtagswahlen vom 24. April 1932 ist also tatsächlich eine über das normale Maß von Regionalwahlen weit hinausgehende, was bisher in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung zu wenig hervorgehoben wurde.356 • Das Ergebnis ließ erkennen, daß sich die politische Situation in Österreich seit der letzten Nationalratswahl im Jahr 1930, also innerhalb von weniger als zwei Jahren, total verändert hatte. Waren die Nationalsozialisten im Jahr 1930 noch als vernachlässigbare Größe aus den Wahlen hervorgegangen, so feierten sie nunmehr bedeutende Gewinne, sie zogen in die Landtage und teilweise auch in die Landesregierungen ein. • Zwei Parteien, nämlich die Großdeutsche und auch der Landbund, wurden völlig aufgerieben, während das christlichsoziale und das sozialdemokratische Lager (noch) einigermaßen hielten. • Auf Grund ihres Wahlerfolges drängten die Nationalsozialisten sofort vehement auf Neuwahlen des Parlaments, weil sie überzeugt waren, auch dort mit einer größeren Anzahl von Abgeordneten einzuziehen. Dieser Forderung schlossen sich uneingeschränkt die Großdeutschen an, die auch nicht mehr bereit waren, an einer gemeinsamen Regierung mit den Christlichsozialen teilzunehmen. • Nicht aus Überzeugung, sondern aus parteitaktischen Überlegungen erhoben auch die Sozialdemokraten die Forderung nach Neuwahlen, ohne sich jedoch auf einen sofortigen Termin dafür festzulegen. Eine Teilnahme an der Bundesregierung wurde trotz der drohenden nationalsozialistischen Gefahr weiterhin konsequent abgelehnt. Den Sozialdemokraten war aber durchaus bewußt, daß auch sie bei Nationalratswahlen an die NSDAP verlieren würden. • Aus dem gleichen Grund mußten die Christlichsozialen alles daransetzen, Neuwahlen zu verhindern. Als Partner für diese Anti-Neuwahl-Front waren die Sozialdemokraten ausgeschieden, daher mußten andere Partner gefunden werden. Nachdem sie anfänglich für Neuwahlen eintraten, waren schließlich die Abgeordneten des Heimatblocks bereit, in die Regierung einzutreten.357 • Damit kam eine Gruppe in die Regierung, die eindeutig für den Faschismus und gegen die Demokratie stand. Sie lehnte eine Regierung unter der Führung von Dr. Buresch ab, war aber mit dem bisherigen Landwirtschaftsminister Dr. Engelbert Dollfuß als Bundeskanzler einverstanden. Die Heimwehr im Inneren und ausländische Einflüsse führten schließlich dazu, daß diese Regierung immer mehr vom 356 Zum Folgenden vgl. Franz Schausberger, Die Landtagswahlen des Jahres 1932 und ihre Folgen. S. 115. 357 Vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 86 ff.

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Die Wahlen des Jahres 1932

demokratischen Weg abwich. Somit kann der Ausgang dieser Landtagswahlen als eine entscheidende Ursache für den Weg der österreichischen Regierung zu einem autoritären Ständestaat angesehen werden. Die Landtags- und Gemeinderatswahlen nach der Nationalratswahl 1930 mit den beträchtlichen nationalsozialistischen Wahlerfolgen sind in historischer wahlanalytischer Hinsicht bisher kaum untersucht worden. Eine Ausnahme bilden Untersuchungen von Jürgen W. Falter und Dirk Hänisch, deren wichtigste Ergebnisse folgendermaßen zusammengefaßt werden können  :358 • Die Wahlanalyse zeigt das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie, d. h. zwischen Wien und dem restlichen Land. In der Metropole Wien wird dabei das Spannungsverhältnis Arbeiter – Nichtarbeiter, in der österreichischen Provinz jenes zwischen den agrarischen und den industriell-gewerblichen Strukturen deutlich. • In Wien dominierte die Linke, in der Provinz der bürgerliche Block mit den beiden Lagern, den Christlichsozialen und den Großdeutschen. In Wien zeigten sich scharfe Gegensätze im Wahlverhalten in Form eines ausgeprägten Klassenverhaltens. Außerhalb Wiens verlief die traditionelle Konfliktlinie zwischen agrarischer und industriell-gewerblicher Struktur. Die Christlichsozialen dominierten in den kleinen agrarischen Gemeinden, während die Linke ihren Einfluß in dominant industriellen Regionen hielt. • Die Wählerbewegung des Jahres 1932 zur NSDAP hat in Österreich – mit einer Phasenverschiebung von etwa zwei Jahren – einen ganz ähnlichen Verlauf wie in der Weimarer Republik genommen. Damit wären bei einer Nationalratswahl in der Folge der regionalen Wahlen des Jahres 1932 ähnliche NSDAP-Wahlerfolge zu erwarten gewesen wie in konfessionell und sozialstrukturell vergleichbaren Gebieten des Deutschen Reiches. • Hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung und der parteipolitischen Herkunft der österreichischen und deutschen NSDAP-Wählerschaft bestanden erhebliche Parallelen.359 Ähnlich wie im Deutschen Reich rekrutierte sich die österreichische 358 Vgl. Jürgen W. Falter, Dirk Hänisch, Wahlerfolge und Wählerschaft der NSDAP in Österreich von 1927 bis 1932. Soziale Basis und parteipolitische Herkunft. In  : Zeitgeschichte. 15. Jahr. Heft 6. März 1988. S. 223–243. Vgl. dazu auch Dirk Hänisch, Die soziale Wählerbasis der NSDAP und der übrigen Parteien in der Ersten österreichischen Republik im Vergleich zum Deutschen Reich. In  : Historischsozialwissenschaftliche Forschungen. Politik und Milieu. Wahl- und Elitenforschung im historischen und interkulturellen Vergleich. Hg. von Heinrich Best. St. Katharinen 1989. Zur Zusammenfassung vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 40 ff. 359 Vgl. dazu auch Heinrich August Winkler, Wie konnte es zum 30. Januar 1933 kommen  ? In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 4–5/83. Er analysiert die Herkunft der NSDAP-Wähler in Deutschland folgendermaßen  : »Die Wähler der NSDAP kamen vor allem aus den bürgerlichen Parteien, namentlich aus

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NSDAP-Wählerschaft parteipolitisch komplexer und sozial heterogener als gemeinhin angenommen. In Wien konnten die Nationalsozialisten ihre Wähler sowohl aus dem christlichen als auch aus dem bürgerlich-großdeutschen Lager rekrutieren, während die gutorganisierte Arbeiterbewegung und die Parteibindung zur Sozialdemokratischen Partei erkennbare Mobilisierungsbarrieren für die NSDAP bildeten. Das Hauptreservoir der Wiener NSDAP bildeten die bürgerlichen Parteien und, sozialstrukturell betrachtet, die Mittelschichten. Es lag also in den bürgerlich geprägten Stadtbezirken, wo die bürgerlichen Parteien ihre Hochburgen hatten. Mobilisierungsbarrieren für die Nazis gab es vor allem dort, wo der Anteil der Arbeiter überdurchschnittlich hoch und der des Mittelstandes, der Angestellten und Beamten, niedrig war. Außerhalb Wiens überwog die Tendenz, daß die österreichischen Nazis in solchen Gemeinden besser abschnitten, wo die Landwirtschaft eine untergeordnete Rolle spielte. Außerdem war die NSDAP im nichtlandwirtschaftlichen Bereich dort stärker, wo der angestelltenstarke Dienstleistungsbereich am ausgeprägtesten war. In den Gebieten außerhalb Wiens dürfte sich jeder zehnte Wähler der Sozialdemokraten oder der KP (im Vergleich zur Nationalratswahl 1930) bei den Landtagswahlen 1932 für die NSDAP entschieden haben. Anders als in Wien zeigten sich die christlichsozialen Wähler in den Bundesländern ziemlich resistent gegenüber der NSDAP. Nur jeder zwanzigste frühere christlichsoziale Wähler dürfte 1932 zu den Nazis übergewechselt haben. Damit zeigte das katholische bzw. christlichsoziale Lager vor allem unter der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine besondere Resistenz gegenüber der NSDAP. Dies zeigt sich auch im Vorfeld der Landtagswahlen bei den Landwirtschaftskammerwahlen. Weit überdurchschnittlich anfällig zeigten sich die Wähler des Schober-Blocks, also vor allem der Großdeutschen Volkspartei, mit rund 36 Prozent Wechsel zur NSDAP. Innerhalb der NSDAP-Wählerschaft von 1932 außerhalb Wiens bildeten ehemalige Wähler des linken Lagers (23 Prozent) und des Schober-Blocks (23 Prozent) die beiden mit Abstand stärksten Gruppen. Rund jeder zweite österreichische ­NSDAP-Wähler 1932 dürfte 1930 noch für die Sozialdemokraten oder den Nationalen Wirtschaftsblock gestimmt haben. Fast jeder fünfte Nichtwähler (17 Prozent) von 1930 votierte 1932 für die NSDAP. Zieht man die beiden bayrischen Wahlkreise Niederbayern und Oberpfalz zum Vergleich heran, so sieht man, daß die Anteile der österreichischen NSDAP bei dem konservativen und liberalen Lager, aus mittelständischen und regionalen Splitterparteien sowie aus den großen Gruppen der bisherigen Nicht- und Jungwähler. Vergleichsweise wenige Wähler mußten vor 1933 die beiden katholischen Parteien, das Zentrum und die Bayerische Volkspartei, an die NSDAP abgeben. Dasselbe gilt für die Sozialdemokraten und Kommunisten.«

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Die Wahlen des Jahres 1932

den Regionalwahlen des April 1932 zusammengenommen ziemlich genau das Septemberergebnis 1930 in (Alt-)Bayern erreichten. Sie reichten aber bei weitem nicht an die NSDAP-Ergebnisse bei den Reichspräsidenten- und Reichstagswahlen vom März und Juli 1932 heran. Mit 20 Prozent der abgegebenen Stimmen in Salzburg, 17 Prozent in Wien, 14 Prozent in Niederösterreich und 10 Prozent in Vorarlberg im November 1932 erreichte die österreichische NSDAP bei weitem nicht jene 37,8 Prozent, die die deutschen Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 erzielten, und blieb im Durchschnitt noch unter jenen 18,2 Prozent, die die Hitler-Partei bereits im September 1930 bei den Reichstagswahlen in Deutschland erlangte.360 Lediglich in Salzburg näherte sich die NSDAP mit 16,2 Prozent der Wahlberechtigten fast den bayerischen NSDAP-Anteilen von 1932. D. h. die österreichischen Nationalsozialisten lagen im Jahr 1932 etwa dort, wo die vergleichbaren Ergebnisse der reichsdeutschen NSDAP im Jahr 1930 waren. Es liegen auch ältere Wahlanalysen von Robert Danneberg (1932) und Walter B. Simon (1957) vor, die beide zeigen, daß der NSDAP bei Wahlen 1932 kein wirklicher Einbruch in die christlichsozialen »Mittelstände« und in die sozialdemokratischen Arbeiter- und Angestelltenschichten gelungen ist. Wo allerdings eines dieser Lager schon immer schwach war, konnten die Nazis Stimmen abziehen, also von den christlichsozialen Wählerschichten in Wien und in den größeren Städten der Bundesländer und von den sozialdemokratischen Wählern in den stark agrarischen bzw. halbindustriellen Gebieten der Bundesländer, v. a. in den Landeshauptstädten.361 Falter und Hänisch stellen auch Vermutungen über die weitere Entwicklung der NSDAP in Österreich an und prognostizieren auf Grund etwa der Ergebnisse von Kommunalwahlen im Jahr 1933 noch größere Wahlerfolge der NSDAP. Und trotzdem meinen sie, »daß die NSDAP unter halbwegs ›normalen‹ parlamentarischen Bedingungen weder im katholischen und landwirtschaftlich strukturierten Bayern noch in Österreich aus eigener Kraft heraus durch Wahlen die politische Hegemonie erlangt hätte«.362 Nun, nach diesen generellen Ergebnissen, zusammengefaßt für alle Landtags- und Gemeindevertretungswahlen des 24. April 1932, zu den konkreten Ergebnissen der einzelnen Landtagswahlen.363 360 Vgl. Gerhard Botz, Der Übergang der Mittelstände vom katholischen ins nationalsozialistische Lager. In  : christliche demokratie. 4/1984. S. 378. 361 Vgl. Robert Danneberg, Die Wiener Wahlen 1930 und 1932. Wien 1932. Walter B. Simon, Motivation of a Totalitarian Mass Vote. In  : British Journal of Sociology 10 (1959), zitiert in  : Gerhard Botz, Soziale »Basis« und Typologie der österreichischen Faschismen. S. 43. Walter B. Simon, Die Wahlergebnisse von 1932 und 1991. In  : CONTUREN. III-1991. 362 Jürgen W. Falter, Dirk Hänisch, Wahlerfolge und Wählerschaft der NSDAP in Österreich. S. 241 f. 363 Sofern nicht gesondert angeführt, werden in der folgenden Darstellung der Wahlergebnisse Differenzen

Die Landtagswahl in Wien

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3.2 Die Landtagswahl in Wien Der Intensivwahlkampf begann in Wien nach Ostern. Ende März begannen die Parteien Wien buchstäblich mit Plakaten zuzupflastern, und gleichzeitig begannen auch die sogenannten »Schmierkolonnen« vor allem der Nationalsozialisten mit ihren Aktivitäten, nämlich die Plakate der anderen Parteien zu überkleben oder anzuschmieren. Die Landtags- und Gemeinderatswahlen in Wien fanden nach neuen wahlrechtlichen Bestimmungen statt. Die Zahl der Gemeinderäte wurde von 120 auf 100 herabgesetzt, das Wahlalter um ein Jahr auf das vollendete 21. Lebensjahr und das passive Wahlalter vom vollendeten 24. Lebensjahr auf das 29. Lebensjahr hinaufgesetzt. Erstmals wurde in Wien für diese Landtagswahl ein zweites Ermittlungsverfahren eingeführt, an dem nur jene Parteien teilnehmen konnten, die im ersten Ermittlungsverfahren ein Grundmandat erzielten. Dies bedeutete, daß die Stimmen für alle (Splitter) Parteien, die im ersten Ermittlungsverfahren kein Grundmandat erhielten, verloren waren.364 Damit argumentierten vor allem die Christlichsozialen, die aufriefen, alle nichtmarxistischen Stimmen in der Christlichsozialen Partei zu konzentrieren. Die Christlichsozialen zogen diesmal ohne Bindung, also nicht wie bei der letzten Landtagswahl 1927 in einer Einheitsliste mit den Großdeutschen, in die Wahl.365 Die Christlichsozialen waren damals ein Wahlbündnis mit den Großdeutschen und den Nationalsozialisten der Riehl- und Schulz-Richtung eingegangen, um damit die sozialdemokratische Mehrheit zu brechen, was gründlich mißlang. Schließlich waren die Erfahrungen mit den großdeutschen Kompagnons für die Christlichsozialen nicht sehr gut  : ohne die Einheitsliste hätten die Großdeutschen nicht mehr zwei Abgeordnete in den Gemeinderat gebracht, und andererseits lag die Hauptlast der Oppositionspolitik im Gemeinderat praktisch ausschließlich bei den Christlichsozialen. Die Einheitsliste stellte 42 Mandate (40 Christlichsoziale, zwei Großdeutsche) und stand einer erdrückenden Mehrheit von 78 sozialdemokratischen Abgeordneten gegenüber. Den Großdeutschen war es für die Wahl 1932 nicht gelungen, eine einheitliche Nationale Front zu bilden, und sie kandidierten daher auch eigenständig.366 Der Wiener Heimatschutz wiederum teilte Anfang April mit, daß er nicht kandidieren werde. Seinen Mitgliedern wurde untersagt, für eine andere Partei aktiv tätig zu werden oder von Prozentwerten – wegen der besseren Lesbarkeit – generell als Prozent(werte) und nicht als Prozentpunkte bezeichnet. Sofern aus den Stimmverlusten einer Partei auf die Stimmengewinne anderer Parteien geschlossen wird, ist dies generell unter dem Vorbehalt zu sehen, daß nur Veränderungssalden, aber nicht Wählerströme im eigentlichen Sinn dargestellt werden. 364 Vgl. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. Politische Geschichte 1740–1934. Entwicklung und Bestimmungskräfte großstädtischer Politik. Teil 2  : 1896–1934. Wien, München 1985. S. 1128. 365 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 1. 3. 1932. S. 2. 366 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 25. 3. 1932. S. 2.

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als Wahlwerber aufzutreten. Die Heimatschutzführung gab aber die Empfehlung ab, »für eine nichtmarxistische Liste zu stimmen.«367 Für die Wiener Christlichsozialen gab es bei dieser Wahl ausschließlich einen großen Gegner, die Sozialdemokraten. Die jahrelange erdrückende Mehrheit der Sozialisten, die diese Mehrheit auch intensiv zur Durchsetzung ihrer politischen Vorstellungen einsetzten und die sich darüber hinaus auch immer als Stachel gegen die christlichsozial geführte Bundesregierung gerierten, hatte eine erbitterte Gegnerschaft zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen in Wien entstehen lassen. Das Rote Wien war – wie Friedrich Weissensteiner es bezeichnet – zu einem »Schaufenster der Sozialdemokratie« und zu einem »Gegenmodell zum bürgerlich verwalteten Staat« geworden, in dem die Leistungen, die erbracht wurden, beachtlich waren, die Mittel, derer man sich bei der Durchsetzung der Reformen bediente, aber »nur aus dem Geist der Zeit zu verstehen« sind.368 In diesem Sinne war die Landtagswahl in Wien für die Christlichsozialen die entscheidendste der Wahlen dieses 24. April 1932. Nicht nur, weil in Wien fast ein Drittel der österreichischen Bevölkerung wohnte, sondern weil – wie es das christlichsoziale Parteiblatt formulierte – »hier seit dreizehn Jahren ein System regiert, das eine Fremdherrschaft darstellt, das gewalttätig, lebensfremd, unduldsam, überheblich ist und kultur- und wirtschaftszerstörend wirkt«.369 Anders als in anderen Bundesländern, wo sich Sozialdemokraten und Christlichsoziale durchaus auf der Basis eines am Konsens orientierten Demokratiemodells zusammenfanden, war das Verhältnis in Wien »ähnlich konfliktorientiert wie auf nationaler Ebene«.370 Wien entsprach – wie Detlef Lehnert den »Sonderfall Wien« bezeichnet –, einem »Modell eines majoritätsorientierten Kommunalparlamentarismus« und damit »kaum jenem proporzdemokratischen Typus, dem gemeinhin die einzigen nennenswerten Forschungsinteressen einer internationalen Komparatistik mit Blick auf die österreichischen Entwicklungen galt«. 371 Wenn man die durchaus 367 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 1. 4. 1932. S. 3. 368 Friedrich Weissensteiner, Der ungeliebte Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938. Wien 1990. S. 125 f. 369 »Das Kleine Volksblatt«, 4. 4. 1932. S. 2. 370 Vgl. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1182. 371 Detlef Lehnert, Die Metropole des Organisationspatriotismus  : Der »Sonderfall Wien« als Kommunikationsmodell massendemokratischer Parteienidentifikationen in politikhistorischer Vergleichsperspektive mit Berlin 1918/1933. In  : Zeitgeschichte. 19. Jahr. 1992. Heft 11/12. S. 320. Lehnert zeichnet in einer umfassenden und fundierten Studie anhand des Vergleiches Wien – Berlin nach, daß Wien einen Sonderfall unter den Metropolen darstellt, in der, im Gegensatz etwa zu der politischen Fragmentierung in Berlin, »die SDAP mit ihrer stabilen Majoritätsposition geradewegs idealtypisch eine aktionsfähige Regierungsrolle durchaus nach den ›westlich‹-parlamentarischen Legitimations- und Funktionsmustern wahrzunehmen vermochte« (S. 347). Vgl. auch Helmut Gruber, Red Vienna. Experiment in WorkingClass Culture 1919–1934. New York, Oxford 1991. S. 181 ff. Zum Proporzsystem Österreichs vgl. die klassische Studie von Gerhard Lehmbruch, Proporzdemokratie. Politisches System und politische Kul-

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auch konsensorientierten Phasen Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre auf Bundesebene betrachtet, stellt sich im Vergleich dazu die Situation in Wien als tatsächlich durchgehend konfliktorientiert und damit nicht ganz vergleichbar dar. In diesem Sinne war ein bedeutender Teil der Wiener Organisation der Christlichsozia­ len oftmals die einzige innerparteiliche Stütze der streng und stramm antimarxistischen Vertreter auf Bundesebene, vor allem Seipels. Die Wiener Christlichsozialen, wie die Brüder Schmitz, Friedrich Funder, Prälat Fried, Viktor Kienböck, unterstützten die radikal antimarxistische und in die autoritäre Richtung gehende Politik Seipels. Andererseits entwickelten Leopold Kunschak und seine christlichsozia­ len Arbeiterorganisationen eine zunehmend ablehnende Haltung gegen den stärker werdenden Einfluß der faschistischen Heimwehren auf die christlichsoziale Politik und kamen daher immer mehr in Konflikt zu den wesentlichen Kräften der Wiener Christlichsozialen und zur Bundesparteiführung. »Zwar stand mit Kunschak ein Verfechter christlicher Sozialpolitik und des parlamentarischen Rechtsstaates an der Spitze der Wiener Parteiorganisation, doch behauptete er diese Stellung bis 1932 nur durch seine politisch-taktischen Fähigkeiten und keinesfalls gestützt auf eine inhaltlich abgesicherte Fraktionsmehrheit.«372 Interessant ist in diesem Zusammenhang die – sicher noch näher zu untersuchende – These Lehnerts, daß die Erfolglosigkeit der Wiener Christlichsozialen als Langzeitwirkung der Ära Lueger anzusehen sei  : »Das personalplebiszitär-populistisch legitimierte und inszenierte Kommunalregime dieses ersten antisemitischen Bürgermeisters einer Millionenstadt wurde von vornherein erklärtermaßen auf jener ›antiliberalen Wahlgemeinschaft‹ begründet, die der ohnehin höchst gebrechlichen Verwurzelung einer modernen Bürgerlichkeit als ein kommunales Sammellager gegenüber der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung forthin keine Entfaltungschancen mehr einräumte.«373 Dies sei u. a. auch der Grund dafür, daß die Sozialdemokraten bei Angestellten und Beamten, also in der »Mittelschicht«, in Wien wesentlich erfolgreicher waren als etwa in Berlin. Als sich dann anfang der dreißiger Jahre dieser antisemitische politische Pragmatismus der bisher »christlichen« Mittel- und Unterschichten mit der deutschnational-akademischen antisemitischen Rassentheorie verschmolz, war diese Verschmelzung, wie Gerhard Botz es bezeichnet, »ein wichtiges Erfolgsprinzip für den Aufstieg der NSDAP«, wenn auch in Wien wesentlich später als in den anderen nationalen Kampfgebieten des alten Österreich.374

tur in der Schweiz und in Österreich. Tübingen 1967. Ebenso Anton Pelinka, Fritz Plasser (Hg.), Das österreichische Parteiensystem. Wien 1988. 372 Detlef Lehnert, »Sonderfall Wien«. S. 343. 373 Vgl. Detlef Lehnert, »Sonderfall Wien«. S. 349. 374 Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme und Herrschaftssicherung 1938/39. Buchloe. 1988. S. 31.

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In Wien brachte die Gemeinderatswahl 1932 zwischen den zwei widerstrebenden Kräften innerhalb der Christlichsozialen eine Entscheidung zuungunsten des demokratischen Flügels, dem die Schuld an der schweren Wahlniederlage zugewiesen ­wurde.375 Hier stießen also zwei ideologische Welten aufeinander, die offenbar keine Gemeinsamkeiten mehr fanden. Überdies grenzte die sozialdemokratische Allmacht in der politischen Praxis alle politisch Andersdenkenden – und hier wieder vor allem die Wiener Christlichsozialen – hart aus, was diese überaus verbitterte. Ob es sich um einen Posten oder eine Wohnung376 handelte, es ging praktisch nichts ohne ein sozial­ demokratisches Parteibuch.377 Wie die politische Mehrheit bei der Besetzung von leitenden Posten im Schulbereich entschieden und zielbewußt eingesetzt wurde, zeigen die Wahlergebnisse der Direktoren und Schulleiter für ihre Disziplinarkommissionen  : Im Jahr 1923 stimmten 378 für die sozialdemokratischen Vertreter und 88 für das christlich-nationale Wahlbündnis, im Jahr 1930 entfielen von 460 Stimmen 394 auf sozialdemokratische Kandidaten, 48 auf katholische und 18 auf großdeutsche.378 Die sozialdemokratische Stadtverwaltung war für die Christlichsozialen der Inbegriff der brutalen, intoleranten, das ganze Leben bestimmenden politischen Macht. Kulturpolitisch ging es nach den Aussagen der Christlichsozialen um die Frage, ob die religionsfeindliche Jugenderziehung der offiziellen Wiener Pädagogik ungehemmt fortgesetzt werden konnte. Die Verbannung des Schulgebetes und des Kreuzes aus den Klassenzimmern, der Versuch, den Religionsunterricht zu verdrängen, die überdurchschnittliche Förderung der Kinderfreunde, die indirekte Förderung der Kirchenaustritte durch Bevorzugung bei Wohnungs- und Postenvergaben und viele andere Maßnahmen in Richtung »Freidenkerische Ethik und Gottlosigkeit« saßen den Christlichsozialen tief in den Knochen.379 Die Christlichsozialen versuchten daher, vor allem die Wiener Stadtpolitik in den Vordergrund der Wahlauseinandersetzung 375 Vgl. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1183. 376 Zur sozialdemokratischen Wohnbaupolitik in der Zwischenkriegszeit vgl. etwa Maren Seliger, Sozialdemokratie und Kommunalpolitik in Wien. Zu einigen Aspekten sozialdemokratischer Politik in der Vor- und Zwischenkriegszeit. Wiener Schriften, Heft 49. Wien, München 1980. Insbes. ab S. 91. 377 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 4. 4. 1932. S. 2  : »Es ist einem christlichen Arbeiter und Angestellten heute unmöglich, den bescheidensten Arbeitsplatz durch diese Verwaltung zu erhalten. Jeder Arbeitsplatz ist für dreimal gesiebte Sozialdemokraten reserviert … Für sie ist die Verwaltung Wiens eine reine Parteiangelegenheit, ein einzig großes sozialdemokratisches Parteisekretariat … Ein christlicher Arbeiter kommt nicht in eine Gemeindewohnung, wenn er auch Jahre vorgemerkt und wohnungslos ist.« 378 Vgl. Detlef Lehnert, »Sonderfall Wien«. S. 330. 379 Vgl. Herbert Dachs, Schule und Politik. Die politische Erziehung an den österreichischen Schulen 1918 bis 1938. Wien, München 1982. 5. 101 f. Vgl. ebenso »Das Kleine Volksblatt«, 13. 4. 1932. S. 2. Hier wird von 75 Prozent sozialdemokratischer Stimmen unter den Schulleitern im Jahr 1923 und 89 Prozent im Jahr 1930 berichtet. In den anderen Bundesländern lagen die Mehrheitsverhältnisse zum Teil genau umgekehrt.

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zu stellen. Da gab es natürlich Versäumnisse, Fehlentwicklungen und -entscheidungen, die man der Rathausmehrheit publikumswirksam, vor allem in die Richtung der bürgerlichen Wählerschaft, vorwerfen konnte. Die lokale, kommunalpolitische Auseinandersetzung kam aber kaum zum Tragen. Die Christlichsozialen wollten von der Kommunalpolitik, von der »roten Gewaltherrschaft« reden, die Sozialdemokraten wichen dem aus, indem sie vor allem bundespolitische Probleme, von denen es für die Christlichsozialen genügend gab, in den Vordergrund stellten. Die Sozialdemokraten versuchten, diese Landtagswahlen als ersten Schritt zu einer politischen Veränderung der gesamtösterreichischen politischen Landschaft zu setzen. Schließlich verbanden auch die Christlichsozialen den Ausgang dieser Landtagswahlen eng mit der Frage, wie wohl Parlamentsneuwahlen ausgehen würden. »Die Sozialdemokraten träumen bereits von Breitner als Finanzminister, Abg. Kunschak wies demgegenüber darauf hin, die Gemeinderatswahlen würden zeigen, ob man bei einer Neuwahl für das Parlament mit einer starken Regierungsmehrheit rechnen könne. Schon diese Bemerkungen zeigen, daß es am 24. April in Wien um mehr geht als um den einen oder anderen Sitz im Gemeinderat«, stellte »Das Kleine Volksblatt« fest.380 Bestätigt wurde diese Ansicht der Christlichsozialen durch den Wahlkampfauftakt der Sozialdemokraten, bei dem immer wieder der Ruf nach der Macht im ganzen Staate laut wurde  : »Ihr Aufruf stellte die Kommunal- und Landespolitik ganz in den Hintergrund und machte die Eroberung der Macht im Staate zum Sinn und Zweck der Entscheidung am 24. April.«381 Die wichtigsten Wahlkampfargumente der Christlichsozialen, die ihren Wahlkampf unter das Generalmotto »Wien muß wieder frei werden  !« stellten, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen  : • Gegen die »rote Gewaltherrschaft«, die in allen Lebensbereichen nur sozialdemokratischen Parteigängern eine Chance biete. Die Stadtverwaltung wird als »sozialdemokratisches Parteisekretariat« angesehen. • Das sozialdemokratische System der Gemeindesteuern des Finanzstadtrates Breitner sei bolschewistisch und zerstört den Mittelstand und das kleine und mittlere Gewerbe. Durch Überbesteuerung arbeiteten die Wiener Sozialdemokraten an der Vernichtung des Wiener Gewerbes und Handels. Bei der Eintreibung der Steuern herrsche Willkür.382 380 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 1. 3. 1932. S. 2. 381 »Das Kleine Volksblatt«, 1. 4. 1932. S. 2. 382 Die Steuerpolitik der Sozialdemokraten war während der ganzen Ersten Republik ein Thema heftiger Auseinandersetzungen mit den Christlichsozialen in Wien. Vgl. dazu etwa Felix Czeike, Wirtschaftsund Sozialpolitik der Gemeinde Wien in der Ersten Republik (1919–1934). I. Teil. Wiener Schriften Heft 6. Wien 1958. S. 47  : »Während die Sozialdemokraten in fast allen Fällen erklärten, durch eine Verminderung der Steuern werde der Wohnhausbau gefährdet, erklärten die Christlichsozialen, daß die in

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• Kampf gegen die glaubenslose Schule, gegen die Zerstörung der Kulturgüter und gegen die »Vergiftung der Kinderseele«. • Für das Zusammenwirken von öffentlichen und privaten Fürsorgeeinrichtungen. Gegen die ausschließliche Einrichtung von öffentlich-städtischen Wohlfahrtseinrichtungen, da durch hohe Personalaufwendungen die Kosten für die Wohlfahrtspflege enorm steigen würden und die Zahl der Befürsorgten sinke. • Gegen die sozialdemokratische Wohnbaupolitik, die anstatt der versprochenen Klein- und Einfamilienhäuser nur Zinskasernen gebracht hätte, in denen die Mieter, außerhalb des Mieterschutzes stehend, wehrlos der sozialdemokratischen Parteiknute unterliegen. Dem sozialdemokratischen Parteiapparat aber würden in den Wohnbauten aufwendige Büros eingerichtet. • Das Verkehrswesen in Wien sei völlig veraltet und die Straßen in schlechtem Zustand. • Verweise auf die großen Leistungen der Christlichsozialen unter Bürgermeister Lueger. • Auf Grund der vielen Gewaltverbrechen wird die Einführung der Todesstrafe verlangt. Durch ihre ausschließliche Fixierung auf die Sozialdemokraten scheinen die Christlichsozialen völlig auf die anderen Parteien, insbesondere auf die Nationalsozialisten vergessen zu haben. Im »Kleinen Volksblatt« z. B. findet man vom Beginn des Jahres 1932 bis zum Wahltag keine politische Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten, bzw. nur wenige, nebensächliche Meldungen. Einmal, als die Nationalsozialisten die Christlichsozialen zu einer gemeinsamen Wahlversammlung aufforderten, lehnten diese mit dem Hinweis, die christlichsozialen Versammlungen seien seit Wochen von Nazis gestört worden, ab. »Wird die Nationalsozialistische Partei einmal erkennen lassen, daß sie die Grundsätze der Demokratie achtet, den Regeln der Zivilisation und des gesellschaftlichen Anstandes zu entsprechen gewillt ist, dann erst könnte einer Einladung zu gemeinsamer Aussprache näher getreten werden.«383 Einer kleinen Meldung ist zu entnehmen, daß sich eine Männerversammlung des »Komitees der Wiener Männerfahrten« einen »der besten Kenner der neuen Lehre«, Pater Zyrill Fischer, zu einem Vortrag, »Der katholische Mann und der Nationalsozialismus«, eingeladen hatte. Offenbar blieb die grundlegende Auseinandersetzung

den Voranschlägen für Wohnhausbauten eingesetzten Beträge bei weitem das Erfordernis überschritten und nur deshalb so hoch angesetzt seien, um ein künstliches Defizit zu erzeugen.« Dies konnte für 1932 keinesfalls mehr gelten, da durch das 1931 beschlossene Abgabenteilungsgesetz äußerste Sparsamkeit geboten war, weil durch die Kürzung der Ertragsanteile für Wien die Kassenbestände bereits aufgebraucht waren. 383 »Das Kleine Volksblatt«, 26. 3. 1932. S. 2.

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mit der NSDAP auf solche Vorfeldorganisationen der Christlichsozialen Partei beschränkt.384 Einer völligen Fehleinschätzung unterlagen – wie übrigens auch die Sozialdemokraten – die Christlichsozialen, was die Wahlaussichten der Nationalsozialisten betrifft. Sie meinten, daß außer den Sozialdemokraten und ihnen selbst keine andere Partei eine Chance habe, ein Grundmandat zu erreichen, so daß die Entscheidungen zwischen diesen beiden Parteien allein fallen würde. »Die Nationalsozialisten behaupten zwar selbstbewußt, daß ihre Grundmandate gesichert seien, doch hat man die gleiche Versicherung schon bei den letzten Nationalratswahlen gehört. Tatsächlich müßten sie gegenüber dem November 1930 in irgend einem Wiener Bezirk ihren Anhang verzehnfacht haben, um zum Zug zu kommen.«385 Hätte man das Ergebnis der Nationalratswahl 1930 umgerechnet auf den Wiener Landtag, hätte dies ein Mandatsergebnis von 67 Sozialdemokraten, 25 Christlichsozialen und acht Vertretern des Nationalen Wirtschaftsblocks ergeben. Nachdem die Christlichsozialen aber nur sich und den Sozialdemokraten Mandate zutrauten, lautete ihre Prognose für den Ausgang der Landtagswahl auf 71 sozialdemokratische und 21 christlichsoziale Mandate.386 Auch in den Bundesländern herrschte eine ähnliche Meinung vor. Die steirische »Tagespost« stellte etwa am Tag der Wahl fest, daß die Großdeutschen wohl kein Mandat in Wien erreichen würden, sollte es den Nationalsozialisten gelingen, ein Grundmandat zu erreichen, »so werden ihnen bei der Auswertung der Reststimmen wohl sicherlich noch drei bis vier Mandate zufallen. Sie selbst sind noch viel optimistischer und rechnen mit sechs bis acht Mandaten.«387 Ein großer Irrtum, wie sich am Wahlabend herausstellen sollte. Einige wenige Aussagen zu den Nationalsozialisten kann man Wahlreden Leopold Kunschaks entnehmen. Einmal sprach er vor dem Christlichsozialen Arbeiterverein davon, daß er die Nationalsozialisten nicht sonderlich ernst nehmen könne, obwohl er wisse, daß ein großer Teil der Jugend ihnen nachlaufe. »Der Nationalsozialismus ist ein Gewächs, das gezüchtet wurde in den Glashäusern der preußischen Schwerindustrie und des preußischen Junkertums. Ein solches Gewächs kann man nicht einfach überpflanzen auf österreichischen Boden, und für ein solches Gewächs ist die österreichische Atmosphäre nicht die richtige Voraussetzung des Gedeihens.«388 Ein andermal bezeichnete er die Nationalsozialisten neben den Sozialdemokraten und den Großdeutschen als »dritte Gegner«. Und wiederum kann man sich nur wundern über die Verharmlosung der Nationalsozialisten durch diesen christlichsozialen Politiker  : 384 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 19. 4. 1932. S. 5. 385 »Das Kleine Volksblatt«, 15. 4. 1932. S. 2. 386 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 27. 3. 1932. S. 2. 387 »Tagespost«. 24. 4. 1932. S. 1. 388 »Das Kleine Volksblatt«, 20. 4. 1932. S. 2.

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»Solange diese Partei eine Partei der jungen Leute war, die von dem Recht der Jugend auf einen gewissen Radikalismus Gebrauch machten, konnte man ihnen mit einer Art väterlicher Gesinnung begegnen. Im gegenwärtigen Wahlkampf aber sind die Nationalsozialisten aus der Rolle gefallen und wenden die lumpigsten Agitationsmethoden gegen die Christlichsozialen an.«389 Daraus kann man sogar ein gewisses ursprüngliches Wohlwollen gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung erkennen und eine Enttäuschung, daß sich diese nun ganz besonders gegen die Christlichsoziale Partei wendete. Die NSDAP arbeitete dabei mit besonders unfairen Methoden  : Sie schickte Einladungen zu christlichsozialen Versammlungen mit dem Bild Luegers aus, druckte einige nette Worte über die Christlichsozialen ab, um sie in weiterer Folge besonders polemisch zu attackieren. So stellte »Das Kleine Volksblatt« am Tag vor der Wahl klar  : »Maßgeblich für den gläubigen Katholiken ist natürlich ausschließlich die Stellungnahme der Kirche und ihrer Bischöfe, welche die nationalsozialistischen Gedankengänge als unkatholisch klipp und klar abgelehnt haben. Damit ist auch diese Frage entschieden.«390 Am 2. April beschloß die christlichsoziale Parteileitung Wiens die Kandidatenliste für die Landtags- und Gemeinderatswahl und erließ unter dem Motto »Für das Wohl der Stadt, für den Frieden und den Wohlstand ihrer Bevölkerung  !« einen Wahlaufruf, in dem die schon genannten Wahlargumente formuliert wurden.391 Besondere Sorge bereitete der Christlichsozialen Partei das Abdriften der Jugend in den rechts- oder linksradikalen politischen Bereich, also zu den Nationalsozialisten oder Kommunisten. Schon nach dem Klagenfurter Parteitag der Christlichsozialen wurde von Parteiobmann Vaugoin ein Jugendbeirat geschaffen, aus dem in weiterer Folge die »Lueger Jungfront« entstand, die sich erstmals in Graz konstituierte. Am 5. März wurde auch in Wien die »Lueger Jungfront« gegründet. Betrieben wurde der Aufbau der Jugendorganisation vor allem vom früheren Vizekanzler Richard Schmitz.392 Sie bekannte sich zum »echten und unverwässerten christlichsozialen Programm« und trat für eine »Neuordnung der Gesellschaft, des Staates und der Wirtschaft im Sinne der Weisungen der großen Päpste« ein. Sie wollte mithelfen, die Christlichsoziale Partei zu verjüngen und zu erneuern. Man konnte schon erkennen, daß es sich dabei um eine Sammlung all jener handelte, die mit dem derzeitigen Kurs der Christlichsozialen und ihrer Führung nicht zufrieden waren. In Wien war diese Organisation vor allem gegen Leopold Kunschak gerichtet, wie sich nach der Wahl herausstellen sollte. Kunschak selbst sprach später von Agitationen für die Wiener

389 390 391 392

»Das Kleine Volksblatt«, 20. 4. 1932. S. 3 »Das Kleine Volksblatt«, 23. 4. 1932. S. 2. Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 3. 4. 1932. S. 2. Vizekanzler unter Bundeskanzler Vaugoin vom 30. September 1930 bis 4. Dezember 1930.

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Gemeinderatswahl, die »den Charakter von Sabotegeakten trugen.«393 Die »Lueger Jungfront« beschränkte sich vorerst auf Wien, Niederösterreich und das Burgenland. In Wien organisierte sie sich ziemlich rasch auf Bezirksebene und hatte offenbar anfänglich ziemlich starken Zulauf. Ab Mitte April dehnte sie sich auch auf Niederösterreich aus.394 Als Vorsitzender der Wiener Gruppe fungierte der Architekt Lothar Oesterreicher, als sein Stellvertreter der Redaktionssekretär Franz Stein. Der generellen Entwicklung des Wahlkampfes, der relativ ruhig begonnen hatte, aber mit dem Näherrücken des Wahltages immer hitziger wurde, folgend, intensivierte auch die Christlichsoziale Partei in der letzten Phase ihre Aktivitäten. In der letzten Woche fanden rund 100 Versammlungen statt, die – nach Angabe des Parteiorgans – so gut besucht waren, daß sogar Parallelveranstaltungen durchgeführt und – was damals die Ausnahme war – Lautsprecheranlagen eingesetzt werden mußten. Besonderen Einsatz leistete der christlichsoziale Bundesparteiobmann Vaugoin, der täglich mehrere Versammlungen, insgesamt 50, abhielt.395 Zu allen Schwierigkeiten der Christlichsozialen wurden wenige Tage vor der Wahl Unzukömmlichkeiten im Christlichsozialen Reichsverband der Arbeiterinvaliden bekannt, die natürlich von den politischen Gegnern zu einem handfesten Skandal hochstilisiert wurden. Damit wurde ein weiterer Baustein für das miserable Abschneiden bei der Wahl gelegt. Die Sozialdemokraten stellten in diesem Wahlkampf die ganze Stärke ihrer Organisation unter Beweis. Insgesamt führten sie 1194 Wahlveranstaltungen durch, wobei sie bei 222 einen Wahlwerbefilm zum Einsatz brachten. Es gab praktisch keine Bevölkerungs- und Berufsgruppe, die nicht mit einer eigenen »Zielgruppenveranstaltung« erreicht wurde. 99 Frauenveranstaltungen, 66 Jungwählerversammlungen, 54 Wahlveranstaltungen für Gewerbetreibende, 27 für die städtischen Angestellten, 24 speziell für die Mieter, 20 für die Angehörigen der tschechischen Volksgruppe, 18 für die Handelsangestellten, 15 jeweils für die Hausbesorger und Kriegsopfer, neun für die werktätigen Juden usw. Keine Gruppe, weder die der Sportler, der Pensionisten, der Lehrer, der Hausgehilfinnen, der Gasthaus-, Hotel- und Kaffeehausangestellten, der Heimarbeiterinnen, der Abstinenten, der Studenten, der Ärzte, der Freidenker, der Radfahrer, der Spirituosenschenker, der Taubstummen usw. usw., insgesamt 85 Gruppen, wurde vergessen.396 Die meisten Versammlungen bestritt der Wiener Nationalratsabgeordnete und Obmann der sozialdemokratischen Parteiorganisation

393 Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934. S. 153. 394 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 6. 3. 1932. S. 2, und 23. 4. 1932. S. 3. 395 Vgl. »Das Kleine Volksblatt«, 24. 4. 1932. S. 2. 396 Die genannten Zahlen wurden aus den in der »Arbeiter-Zeitung« genau angeführten Veranstaltungsübersichten errechnet.

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Ottakring, Albert Sever, mit 30 Einsätzen.397 20 und mehr Wahlveranstaltungen absolvierten der Wiener Vizebürgermeister und Bundesrat Georg Emmerling (28), der Nationalratsabgeordnete Dr. Robert Danneberg (25), Bürgermeister Karl Seitz (23), Marie Deutsch-Kramer (22), der Nationalratsabgeordnete Karl Heinz (21), Julius Bermann, Otto Glöckel und Anton Weber (je 20). Daneben war natürlich die gesamte weitere sozialdemokratische Prominenz im Einsatz. Die Sozialdemokraten erreichten insgesamt eine ungeheure Solidarisierung, zuletzt auch noch durch den Tod eines sozialdemokratischen Arbeiters, der drei Tage vor der Wahl bei einer nationalsozialistischen Veranstaltung in Liesing erstochen wurde.398 Wie gründlich falsch die drohende nationalsozialistische Gefahr auch von den Sozialdemokraten noch einen Tag vor der Wahl eingeschätzt wurde, beweist eine Bemerkung des sozialdemokratischen Parteiorgans, in dem festgestellt wurde  : »Ob die Hakenkreuzler ein Grundmandat erhalten, ist noch durchaus fraglich.«399 Tabelle 6 Ergebnis der Landtagswahl 1932 in Wien (Im Vergleich zur Nationalratswahl 1930) Partei

NRW 1930

GRW 1932

Differenz

SD

703.718

59,0%

683.295

59,0%



CS

282.959

23,7%

233.539

20,2%

3,5%

GD

124.429

10,4%

8.850

0,7%

9,7%

NS

27.457

2,3%

201.411

17,4%

+15,1%

HB

26.347

2,2%

KP

10.626

0,9%

17.536

1,5%

and.

1.193.072







21.813

1,9%

+ 1,0%

9.400

0,8%

0,7%

1.158.308

Quelle  : Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Wien und ihrer Volksvertretung. Wiener Schriften, Heft 15. S. 178. Ebenso Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1174 f. Zu den »anderen« Parteien zählen die Österreichische Volkspartei (9.054 Stimmen) und die Kaisertreue Volkspartei (346 Stimmen).

Die Nationalsozialisten konnten ihre Stimmenanzahl von rund 27.000 im Jahr 1930 (bei der Nationalratswahl) auf 201.000 erhöhen, womit sie auf Anhieb 15 Abgeordnete stellten. Die Christlichsozialen fielen auf 19 Mandate zurück, die Sozialdemokraten kamen auf 66 Sitze, die Großdeutschen wurden aufgerieben. Nachdem die 397 Zu Albert Sever vgl. Albert Sever, Ein Mann aus dem Volk. Selbstbiographie. Wien. O. J. 398 Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 22. 4. 1932. S. 1. 399 »Arbeiter-Zeitung«, 23. 4. 1932. S. 5.

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Gesamtzahl der Mandate von 120 auf 100 gesenkt worden war, bedeutete dies für die Sozialdemokraten einen Gewinn eines Mandates, für die Christlichsozialen den Verlust von 14 Mandaten. Die Christlichsoziale Partei verlor ihren Vizebürgermeister an die Sozialdemokraten, von ihren bisher vier Stadträten mußte sie noch einen an die NSDAP abgeben. Obwohl es rund 20.000 Wahlberechtigte mehr als 1930 gab, gingen mehr als 33.000 Wähler weniger zur Wahl.400 Die Wahlbeteiligung fiel vom bisher höchsten Prozentsatz bei der Gemeinderatswahl 1927 mit 92,2 Prozent auf 89,5 Prozent, wobei die Beteiligung bei den Frauen bei allen bisherigen Wahlgängen niedriger war als bei den Männern. 1932 betrug sie bei den Frauen 88,8 Prozent und bei den Männern 90,4 Prozent.401 An Bezirksratsmandaten fielen den Sozialdemokraten 372, den Christlichsozialen 140, den Nationalsozialisten 116 und den Kommunisten zwei zu. Erstmals waren die Sozialdemokraten in allen Wiener Bezirken die relativ stärkste Partei, sodaß sie Anspruch auf alle Wiener Bezirksvorsteher hatten. Damit verloren die Christlichsozialen nicht nur ihre bisherigen sechs Bezirksvorsteher an die Sozialdemokraten, sondern mußten auch noch fünf der 21 Bezirksvorsteherstellvertreter an die Nationalsozialisten abgeben.402 In fünf Bezirken, nämlich Leopoldstadt, Landstraße, Wieden, Josefstadt und Währing, hatten die Nationalsozialisten die Christlichsozialen auf den dritten Platz verwiesen. Die einzelnen Parteien kommentierten das Wahlergebnis sehr unterschiedlich. Die Sozialdemokraten sahen die Niederlage der Christlichsozialen als wohlverdient an, da diese die Heimwehren gefördert hatten, deren Erben nun die Nationalsozialisten waren. »Sie haben sich selbst ihre Totengräber erzogen.« In ihrem Jubel über den Verlust der Christlichsozialen erkannten sie nicht die ganz anders gelagerte, viel größere Gefahr der Nationalsozialisten. Die Sozialdemokraten waren zu diesem Zeitpunkt noch völlig überzeugt, daß sie die Nationalsozialisten genauso niederringen würden wie die Christlichsozialen.403 So schrieb das sozialdemokratische Parteiorgan 400 Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 23. 4. 1932. S. 5, und 25. 4. 1932. 5. 1. Bei 100 Mandaten hätten die Sozialdemokraten nach der Landtagswahl 1927 über 65, die Christlichsozialen über 33 Mandate verfügt. 401 Vgl. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1133. 402 Vgl. Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Wien und ihrer Volksvertretung. In  : Wiener Schriften. Heft 15. S. 180 f. 403 Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 25. 4. 1932. S. 1 f  : »Vom Jahre 1897 bis zum gestrigen Tage war der Inhalt des politischen Lebens in Wien der Kampf zwischen der Sozialdemokratie und den Christlichsozialen. Dieser Kampf ist nunmehr entschieden. Unser ältester, stärkster, mächtigster Gegner liegt besiegt am Boden. Allerdings, zugleich steigt ein neuer Gegner auf. Gefördert durch die hakenkreuzlerische Welle in Deutschland, haben die Hakenkreuzler auch hier einen Erfolg, wenn auch bei weitem keinen solchen wie im Reiche. Sie sind nicht auf unsere Kosten erstarkt  ; sie haben die Großdeutschen und die Hahnenschwänzler und zum Teil die Christlichsozialen beerbt. Aber ihr Erstarken stellt uns unsere neue Aufgabe. Wir werden sie zu bewältigen wissen. Wir haben in jahrzehntelangem Kampfe die Christlichsozialen geschlagen – sie sind eine niedergehende Partei, die nicht wieder auferstehen wird. Wir

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zwei Tage nach der Wahl, die nationalsozialistischen Wähler in Wien seien »nicht nur Bourgeois, die die Arbeiter mit faschistischer Gewalt niederwerfen wollen, es sind unter ihnen auch kleine Angestellte und Beamte, arme Kleinbürger, vereinzelte Arbeiter, die endlich aus dem Troß der bürgerlichen Parteien losgerissen sind. Viele Jahre lang im ›Antimarxismus‹ erzogen, haben sie noch nicht den Weg zu uns gefunden  ; sie wollen zwar schon Sozialisten, aber vorerst noch Nationalsozialisten sein … Das Hakenkreuzlertum wird für Tausende nur eine Zwischenstation sein auf ihrem Wege von den Bürgerparteien zur Sozialdemokratie. Die wirklichen, bewußten Faschisten unter den Hakenkreuzlern sind unsere Todfeinde  ; sie werden wir schlagen. Die irregeleiteten Arbeiter und kleinen Leute, die schon reif genug waren, sich von den Bürgerparteien loszureissen, aber noch nicht reif genug, zu uns zu kommen … haben wir zu gewinnen … Österreich ist noch nicht rot. Aber es ist nicht mehr schwarz. Das gibt uns die Sicherheit  : es wird rot werden  !«404 Dieser Kommentar aus der »Arbeiter-Zeitung« ist deshalb von Bedeutung, weil er mehreres zum Ausdruck bringt  : a) Die Sozialdemokraten selbst sahen die Nationalsozialisten nicht unbedingt als bürgerliche Partei an, sondern als eine, die im Parteienspektrum zwischen den bürgerlichen und sozialistischen Parteien angesiedelt ist. b) Nach Ansicht der Sozialdemokraten stellte die NSDAP für viele Wähler nur eine Zwischenstation auf dem Weg vom Antimarxismus zum Marxismus dar. c) Die Sozialdemokraten schienen überzeugt gewesen zu sein, in weiterer Folge einen Großteil der NS-Wähler zu sich herüberziehen zu können und damit in ganz Österreich eine sozialdemokratische Mehrheit zu erreichen. Die Nationalsozialisten wurden also als Mittel zur vollständigen Zerstörung des Hauptfeindes, des bürgerlichen Lagers, angesehen. Der Erfolg der Nationalsozialisten war aus der Sicht der Sozialdemokraten ausschließlich ein Erfolg der Person Hitlers, da die NSDAP kein Programm und keine Ideen habe. Zu den Wählern der NSDAP zählten nach Ansicht der Sozialdemokraten »Studenten und Kaufleute, Hausherren und Angestellte, Aristokraten und Arbeitslose, Offiziere und Lumpenproletarier, großdeutsche Professoren und christlichsoziale Spießer, nicht zu vergessen die aufgenordeten Zeitungsmacher Jakob Lippowitz und Sandor Weisz.«405 An anderer Stelle stellte die »Arbeiter-Zeitung« eine interessante – wenn auch mit großer Vorsicht zu betrachtende –, aber nicht ganz von der Hand zu weisende haben in den letzten Jahren den Hahnenschwanzfaschismus in zähem Ringen besiegt. Wir werden auch den Faschismus in seiner neuen Gestalt, in der Gestalt des Hakenkreuzes, zu schlagen wissen.« 404 »Arbeiter-Zeitung«, 26. 4. 1932. S. 2. 405 »Arbeiter-Zeitung«, 4. 5. 1932 S. 4.

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Wahlanalyse des christlichsozialen Ergebnisses an. Es wurde darauf hingewiesen, daß von den rund 233.500 christlichsozialen Stimmen nur rund 85.000 männliche Stimmen waren.406 Diese wurden mit den rund 136.000 wahlberechtigten Gewerbetreibenden und Kaufleuten bei der Handelskammerwahl 1930 verglichen, die damals zu einem hohen Prozentsatz für die Christlichsozialen votiert hatten. Rechnet man nun im Durchschnitt etwas mehr als ein Familienmitglied dazu, so hätten an die 300.000 Stimmen aus dem Stand der Gewerbetreibenden und Kaufleute überwiegend den Christlichsozialen zugute kommen müssen. Berücksichtigt man – nach Ansicht der »Arbeiter-Zeitung« – die christlichsozialen Stimmen aus der Großbourgeoisie, einige wenige Stimmen aus der Arbeiterschaft, von den Heeresangehörigen, aus den Freien Berufen und die Stimmen der Frauen, so könne man daraus schließen, daß bei der Gemeinderatswahl 1932 nicht einmal 30 Prozent der männlichen Gewerbetreibenden und Kaufleute christlichsozial gewählt hätten. Die Christlichsozialen hätten daher vor allem von den kleinen Gewerbetreibenden und Kaufleuten (also von der Mittelschicht) »den Laufpaß bekommen«, sie seien »nur noch eine Partei der Agrarier und Kapitalisten«.407 Natürlich stand auch die 1.-Mai-Feier der Sozialdemokraten in Wien ganz im Zeichen des Wahlergebnisses. »Leuchtet dem Hakenkreuz heim  ! Leuchtet dem Sozialismus zum Sieg  !« war der Aufruf zum 1. Mai. Sie verbanden damit den Ruf nach Neuwahlen und den Ruf »Vom roten Wien zum roten Österreich  !« und stellten in einer für das bürgerliche Österreich natürlich abschreckenden Weise fest  : »Gegen die Götzendämmerung, die ihren Schatten über die ganze kapitalistische Welt wirft, erhebt sich verheißend der Aufbau in Sowjetrußland, wo unter unsäglichen Mühen eine neue Welt wird  : eine Welt ohne Kapitalisten.«408 Bei solchen Überlegungen ist es aus der Sicht der Christlichsozialen in der Bundesregierung zu verstehen, daß sie sich mit allen Mitteln gegen die Durchführung von Neuwahlen zur Wehr setzten. Die christlichsoziale Seite interpretierte das Wahlergebnis wiederum mit den Schlag­zeilen »Riß nach rechts« und »Kein rotes Österreich  !« und bezeichnete das Ergebnis als »eine bedeutende Verschärfung der gegen den Marxismus gerichteten Kräfte, eine Radikalisierung nach rechts von außerordentlichen Ausmaßen«. Die rund 170.000 Stimmen, die die Nationalsozialisten seit der Nationalratswahl 1930 in Wien dazugewonnen hatten, setzten sich nach Ansicht der »Reichspost« »zum allergrößten Teile aus dem Besitzstand des Schoberblocks zusammen«.409 Als Konsequenz für die Christlichsoziale Partei wird an der gleichen Stelle angeführt, »die Reihen fester zu schließen, und vorhandene Mängel, die wohl nicht nur in der Organisation, sondern 406 Für Männer und Frauen gab es unterschiedliche Stimmzetteln, weshalb eine genaue Unterscheidung möglich ist. 407 »Arbeiter-Zeitung«, 3. 5. 1932. S. 3. 408 »Arbeiter-Zeitung«, 30. 4. 1932. S. 1 f. 409 »Reichspost«, 25. 4. 1932. S. 1.

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auch in dem Verhalten zur Jugend und zur notwendigen Verjüngung der Partei, sowie in geschehenen politischen Fehlern liegen, mutig und brüderlich zu beseitigen«. 410 Dies waren die ersten indirekten Attacken der »Hardliner« unter Schmitz gegen Parteiobmann Kunschak. Die weiter bestehende absolute Mehrheit der Sozialdemokraten im Wiener Gemeinderat und die nunmehr monocolore sozialdemokratische Besetzung der Bezirksvertretungen dürften nicht unwesentlich zu einer Stärkung der radikaleren Kräfte des rechten Lagers beigetragen haben, die sich letztlich innerhalb der Christlichsozialen Partei über die besonnenen, dem demokratischen Flügel zugehörigen Persönlichkeiten hinwegsetzten und auch die Gesamtpartei auf einen Kurs der stärkeren Konfrontation mit den Sozialdemokraten führten.411 Die Kursänderung der Christlichsozialen wurde natürlich auch vom politischen Gegner vermerkt  : »Aber die ganze Wiener christlichsoziale Presse, die unter dem Einfluß des Schmitz-Flügels steht, ist entschlossen, die christlichsoziale Wahlniederlage zu einem Vorstoß gegen Kunschak auszunützen.«412 Die steirische »Tagespost« sprach es ganz deutlich aus  : »Diese (nationalsozialistischen, d. V.) Erfolge liegen zweifellos in den rücksichtslosen Kampfmethoden begründet, die Hitler gegen den Marxismus praktiziert und die die Zustimmung weiter Kreise des Volkes finden, während die mit den Roten liebäugelnde, Frieden und Versöhnung proklamierende Taktik des KunschakFlügels der Christlichsozialen Partei in Wien schwere Einbußen gebracht hat.«413 Man sieht in der Interpretation des Wahlergebnisses und dessen Ursachen die tiefen Meinungsunterschiede zwischen den verschiedenen Flügeln der Christlichsozia­ len Partei. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Kommentar der »Neuen Freien Presse«, in dem das Halten der sozialdemokratischen Position als Erfolg gewertet, aber gleichzeitig die Frage gestellt wird  : »Werden die Sozialdemokraten jedoch froh werden dieses Erfolges  ? Werden sie sich nicht nach der alten Opposition zurücksehnen und wird nicht das Regieren sowohl in der Wiener Gemeindestube wie auch im Nationalrat viel schwerer werden als je  ? … Die Koalitionsbestrebungen können durch die Niederlage der Christlichsozialen, die im Gemeinderat vierzehn Mandate verloren haben, zweifellos nicht unterstützt werden. Es ist im Gegenteil zu besorgen, daß die Kunschak-Richtung viel von ihrer Autorität einbüßen werde.«414 Deutliche 410 Vgl. dazu auch »Reichspost«, 28. 4. 1932. S. 1  : »Verjüngung, Ausbau der Organisation und der Parteipresse, Sicherung der Schlagfertigkeit, in der Mitte zwischen Links- und Rechtsdemagogie mutiges Sichtbarmachen des eigenen Parteiwillens. Sich vorteilhaft von den anderen unterscheiden, darin liegt das ganze Geheimnis künftigen Erfolges.« 411 Vgl. Felix Czeike, Wien. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik. 2. Graz, Wien, Köln 1983. S. 1061 f. 412 »Arbeiter-Zeitung«, 26. 4. 1932. S. 3. 413 »Tagespost«, 25. 4. 1932. S. 1. 414 »Neue Freie Presse«, 25. 4. 1932. S. 2.

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Unterstützung bekam Kunschak aus Oberösterreich, wo das christlichsoziale »Linzer Volksblatt« feststellte, daß nach dieser Wahlniederlage die Wiener Christlichsozialen in der Gesamtpartei keine führende Rolle mehr spielen könnten. »Es erscheint nun augenfällig, was die Christlichsozialen in den Ländern schon längst erkannt haben, daß manche Wiener christlichsoziale Führer (mit Ausnahme des tapfer kämpfenden Kunschak) die Fühlung mit der Wählerschaft verloren haben.«415 Unschwer erkannten die Sozialdemokraten, daß der große Erfolg der NSDAP zu einem heftigen innerparteilichen Streit der Christlichsozialen führte  : »die einen, die angesichts des neuen faschistischen Gegners eine Verstärkung der Bürgschaften der Demokratie für erwünscht halten, die anderen, denen umgekehrt auch die Nazi recht sind, wenn sie sich nur als Bundesgenossen gegen die verhaßten Sozialdemokraten gebrauchen lassen, und die daher den Gedanken einer Anlehnung an die Hakenkreuzler durchaus nicht zurückweisen.«416 Letztere Gruppe, die vom »Seipel-Schüler« Schmitz angeführt werde, habe in der »Reichspost« eine wirksame Unterstützung. Ganz genau scheint ein Kommentar des christlichsozialen »Linzer Volksblattes den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, wenn er zur katastrophalen Wahlniederlage in Wien feststellte  : »Der große Wählerabfall in Wien ist darauf zurückzuführen, daß das Parteibewußtsein durch die Einheitsliste zerstört wurde. Wenn man vor fünf Jahren in der Einheitsliste den Dr. Walter Riehl ohne Gewissensbisse wählen konnte, was sollte dem entgegenstehen, daß man denselben Mann heute auf der nationalsozialistischen Liste wählte  ?«417 Damit wird ein wesentlicher Punkt angeschnitten, nämlich die sogenannten Einheitslisten, Wirtschaftslisten etc., die von den Christlichsozialen immer wieder gemeinsam mit deutschnationalen und auch nationalsozialistischen Gruppierungen als »antimarxistische« Front bei den verschiedensten Wahlen gebildet wurden. Die Auswirkungen dieser Einheitslisten auf das Erstarken der Nationalsozialisten Anfang der dreißiger Jahre, als die NSDAP als eigene Partei kandidierte, und das Herabsetzen der »Hemmschwelle« gegenüber dem Nationalsozialismus durch diese Einheitslisten wären einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung dringend wert. Es war tatsächlich dem Wähler schwer klarzumachen, daß viele von den Persönlichkeiten, mit denen man einige Jahre vorher noch auf einer gemeinsamen Liste kandidiert hatte, nun als Erzfeind der Christlichsozialen anzusehen wären. Die Nationalsozialisten ließen gar keinen Zweifel daran, wem ihr Erfolg zuzuschreiben sei  : »Hitler-Siege auf allen Fronten  !« meldete das nationalsozialistische Blatt für Steiermark und Burgenland. Und in der den Nationalsozialisten eigenen propagandistischen Übertreibung wird festgestellt  : »Über Nacht sind wir nun zur größten nationalen Partei, zu einem mächtigen Faktor der österreichischen Politik ge415 »Linzer Volksblatt«, 27. 4. 1932. S. 1. 416 »Arbeiter-Zeitung«, 27. 4. 1932. S. 4. 417 »Linzer Volksblatt«, 5. 5. 1932. S. 1.

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worden … Es gibt nur mehr eine machtgebietende, nationale Front in Österreich, die N.S.D.A.P., die Hitlerbewegung … Da die Fronten endlich klar sind, gibt es nur mehr eine Entscheidung  : Marxistisch, christlichsozial oder nationalsozialistisch.«418 Zwei wesentliche Punkte wurden dabei richtig festgehalten  : • der Sieg der Nationalsozialisten in Österreich, ganz wesentlich in Wien, war ein Sieg Hitlers und • die Parteienlandschaft war zu einem eindeutigen Drei-Parteien-System mutiert. Maren Seliger und Karl Ucakar haben die Wiener Wahlergebnisse in der Ersten Republik genau analysiert, hier seien nur die wesentlichsten Ergebnisse zusammengefaßt, in Verbindung mit den wichtigsten Resultaten der Untersuchungen speziell für Wien von Jürgen W. Falter und Dirk Hänisch419  : • Bei der Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien 1932 haben die Nationalsozialisten im Gegensatz zu den übrigen Bundesländern, in denen gewählt wurde, ihre Wähler nicht nur ausschließlich aus dem bürgerlich-großdeutschen Lager geschöpft, sondern sehr wesentlich auch zu Lasten der Christlichsozialen gewonnen. Dies hängt wohl damit zusammen, daß in der Metropole Wien die Christlichsozia­ len vor allem das kirchengebundene katholische Bürgertum (Mittelschicht) und Teile der religiös praktizierenden Arbeiterschaft repräsentierten und nachgewiesen werden kann, daß sich die Wählerschaft der Wiener NSDAP sozialstrukturell betrachtet hauptsächlich aus den Mittelschichten rekrutierte. Der in den anderen Ländern ziemlich »NSDAP-immune« und in der Christlichsozialen Partei dominierende agrarische Sektor fehlte in Wien naturgemäß. • Der Ausgang der Wahlen in Wien wurde überproportional vom Verhalten der weiblichen Wähler bestimmt, insbesondere bei der Wahl 1932. Der Anteil der Frauen an den Wahlberechtigten stieg nämlich von 54,6 Prozent im Jahr 1923 auf 55,8 Prozent im Jahr 1932. Dabei war das Gewicht der Frauenstimmen in den bürgerlichen Innenbezirken mit 57 Prozent im Jahr 1932 noch stärker als in den Außenbezirken. Der Stimmenanteil der Christlichsozialen wurde überproportional von weiblichen Stimmen bestimmt, was sich besonders 1932 stark auswirkte. Nur die Tatsache, daß der Anteil der Frauenstimmen 1932 auch in den Außenbezirken Wiens sehr hoch war, verhinderte ein noch schlechteres Wahlergebnis für die Christlichsozialen. • Der weibliche Stimmenanteil lag 1927 nur bei der Einheitsliste (Christlichsoziale, Großdeutsche und Nationalsozialisten) und 1932 nur bei der Christlichsozialen 418 Der Kampf, Nationalsozialistisches Blatt für Steiermark und Burgenland. 30. 4. 1932. S. 1. 419 Vgl. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1125–1181, und vgl. Jürgen W. Falter, Dirk Hänisch, Wahlerfolge und Wählerschaft der NSDAP in Österreich von 1927 bis 1932. S. 228–231.

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Partei über dem Durchschnittswert. Der im Vergleich zu 1927 höhere Wert an Frauenstimmen im Jahr 1932 für die Christlichsozialen läßt darauf schließen, daß überdurchschnittlich viele Männer von der Einheitsliste zu den Nationalsozialisten abgewandert sind. Das zeigt sich auch daran, daß unterdurchschnittlich wenige Frauen für die NSDAP gestimmt haben. • Die Kommunistische Partei hatte den geringsten Anteil an Frauen aufzuweisen, woraus man schließen kann, daß die beiden radikalen Flügel des Parteienspektrums, nämlich NSDAP und KP, überproportional von männlichen Wählern bevorzugt wurden. Die Wahlbeteiligung in den stark bürgerlich geprägten Innenbezirken lag deutlich niedriger als in den Außenbezirken. Im 1. Bezirk etwa betrug die Wahlbeteiligung 1932 nur 78,5 Prozent, im 2. Bezirk (der aber eine gewisse Sonderstellung durch den hohen jüdischen Bevölkerungsanteil einnimmt) 77,3 Prozent. • Die Sozialdemokraten, die 1927 ihren höchsten Wert mit 60,3 Prozent erreichten, mußten 1932 einen Stimmenverlust von 1,3 Prozent hinnehmen. Seliger/Ucakar führen dies im Zusammenhang mit einer geringeren Wahlbeteiligung auf Frustrationserscheinungen der sozialdemokratischen Wähler als Reaktion auf die Defensivstrategie der Gesamtpartei gegenüber dem aufkommenden Faschismus zurück. Der KPÖ-Zuwachs entspreche daher genau dem Stimmenrückgang der SDAP. Andererseits erreichte 1932 das Verhältnis sozialdemokratischer Wähler und sozialdemokratischer Parteimitglieder einen Höchststand  : Auf 1.000 sozialdemokratische Wähler entfielen 586 Parteimitglieder.420 • Das bürgerliche Lager, zu dem Seliger/Ucakar die Christlichsozialen, Deutschnationalen und etwas zu undifferenziert ab 1932 die Nationalsozialisten421 zählen, 420 Vgl. Alfred Georg Frei, Die Arbeiterbewegung und die »Graswurzeln« am Beispiel der Wiener Wohnungspolitik 1919–1934. Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit. Band 7. Wien 1991. S. 100. Dieses Verhältnis war von 21,5 Prozent im Jahr 1919 auf 34,8 Prozent im Jahr 1911 auf 55,8 Prozent im Jahr 1927 und schließlich auf 58,6 Prozent im Jahr 1932 gestiegen. Vgl. ebenso Maren Seliger, Zur sozialdemokratischen Kommunalpolitik in Wien in der Zwischenkriegszeit. Phil. Diss. Wien 1979. S. 297. 421 Der Begriff »bürgerlich« ist für die NSDAP wohl zu eng gefaßt, zählten doch zu ihren Wählern auch Gruppen, die man nicht dem bürgerlichen Lager zurechnen konnte  : »Sich als antikapitalistische, antimarxistische, antidemokratische, antisemitische und antiklerikale Kraft stilisierend, gelang es der ­NSDAP, Protestwähler widersprüchlicher Richtung anzusprechen und gleichsam unter negativen Vorzeichen zu einer modernen ›Volkspartei‹ zu sammeln.« Walter Goldinger, Dieter A. Binder, Geschichte der Republik Österreich 1918–1938. Wien, München 1992. S. 192. Vgl. ebenso Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. S. 42  : Im Konglomerat der NS-Ideologie und -Propaganda stehen »bürgerliche und ›plebejische‹, antimarxistische (antisozialistische) und antigroßkapitalistische, privatkapitalistische und ›sozialistische‹ Elemente einander gegenüber.«

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erreichte 1927 in einem Wahlbündnis aus Christlichsozialen, Großdeutschen und einer nationalsozialistischen Fraktion 36,5 Prozent. 1932 nahmen die prononciert antisozialdemokratischen Stimmen um 1,8 Prozent zu, wobei der Zuwachs in den Außenbezirken höher war als in den Innenbezirken. Die Radikalisierungstendenzen im städtischen Bürgertum führten 1932 zu einer schweren Niederlage der Christlichsozialen und zum praktischen Verschwinden der Großdeutschen, sodaß nunmehr den Sozialdemokraten zwei stimmenmäßig fast gleich starke Fraktionen (Christlichsoziale 20,2 Prozent, Nationalsozialisten 17,4 Prozent) gegenüberstanden. Auch hier sprechen Seliger/Ucakar etwas zu undifferenziert von zwei »fast gleich starken bürgerlichen Fraktionen«. Die zunehmende Neigung des städtischen Bürgertums zu politischen Radikallösungen innerhalb sehr kurzer Zeit zeigt sich im Vergleich zum Abschneiden der Nationalsozialisten bei der Nationalratswahl 1930. Die NSDAP erreichte damals in Wien 27.457 Stimmen (2,3 Prozent), nur zwei Jahre später waren es bereits 201.411 Stimmen (17,4 Prozent), die Stimmen hatten sich also versiebenfacht. • Während der Anteil der Sozialdemokraten in den Außenbezirken höher war, schnitten die Christlichsozialen in den Innenbezirken wesentlich besser ab. Da aber der Stimmenrückgang der Christlichsozialen 1932 mit 19,8 Prozent in den Innenbezirken gegenüber 13,7 Prozent in den Außenbezirken wesentlich gravierender war, kann daraus geschlossen werden, daß die NSDAP in den bürgerlichen Innenbezirken wesentlich besser abgeschnitten hat als in den äußeren Bezirken, was sich dann auch bei der Umsetzung der NSDAP-Stimmanteile nach Bezirken so ergibt. • Die Christlichsozialen schnitten dort gut ab, wo ein hoher Anteil an Hauspersonal zu verzeichnen war (also in Bezirken mit gutsituierten, bürgerlichen Haushalten), wo der Anteil der Arbeiter niedrig war, wo der Anteil der Selbständigen ziemlich hoch war und wo viele Beamte und Angestellte wohnten. 1932 machten dabei der 2. und der 18. Bezirk eine Ausnahme, da der 2. Bezirk zwar einen hohen Selbständigenanteil aufwies, der jedoch aus überwiegend jüdischer Bevölkerung bestand, die nicht den antisemitischen Parteien ihre Stimmen gaben. Im 18. Bezirk tendierte der hohe Anteil von Beamten und Angestellten 1932 sehr stark in Richtung ­NSDAP.422 422 Vgl. dazu Detlef Lehnert, »Sonderfall Wien«. S. 334. Lehnert bezweifelt, ob der Massenzulauf zur ­NSDAP tatsächlich im militanten Antisemitismus begründet war. »Für Wien trifft fraglos der kontraproduktive Effekt zu, der christlichsoziale, großdeutsche und nationalsozialistische Antisemitismus brachte der SDAP mehr jüdische Wähler ein, als daß er nicht-jüdische abspenstig machen konnte.« Die SDAP erreichte 1932 rund 90 Prozent aus dieser stark bedrängten jüdischen Minderheit. D. h., was die NSDAP den Sozialdemokraten im Angestelltenbereich an Randwählern abnehmen konnte, wurde (über-)kompensiert durch Gewinne der Sozialdemokraten, »als einzige zuverlässig nicht-antisemitische und demokratische Partei« im Bereich der jüdischen Unternehmer und Freiberufler. »Diese spezifische Verlagerung erklärt, weshalb der SDAP gerade im vornehmsten 1. Bezirk von 1919 bis 1932 eine singu-

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• Die NSDAP erzielte auf Anhieb 17,4 Prozent, in den Innenbezirken 20,6 Prozent, das waren um 5,5 Prozent mehr als in den Außenbezirken. Den höchsten Stimmenanteil erzielten die Nationalsozialisten im 4. Bezirk mit 31 Prozent, die niedrigsten Anteile in traditionellen Arbeiterbezirken. Der Erfolg war am größten, wo der Anteil an Beamten und Angestellten und/oder an Selbständigen und Freien Berufen besonders hoch war. Ausnahmen machten der 1. und der 2. Bezirk, da dort – wie erwähnt – ein hoher Anteil an jüdischen Bürgern und eher großbürgerlichen Bewohnern zu verzeichnen war. • Bei der Landtagswahl 1932 entstammte das Wählerpotential von Christlichsozialen und Nationalsozialisten ungefähr denselben Schichten. Die Konkurrenz zwischen ihnen war größer als zwischen den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Parteien insgesamt. Daß die stimmenstärksten Bezirke der NSDAP sich fast mit den ehemals stimmstärksten Bezirken der Deutschnationalen decken, zeigt, daß die deutschnationalen Wähler praktisch zur Gänze in das nationalsozialistische Lager abgewandert sind. Die Zusammenfassung aller dieser Faktoren läßt folgenden Schluß zu  : Der »Sonderfall Wien« mit seinem klaren majoritätsorientierten Kommunalparlamentarismus in Form einer auf Grund von demokratischen Wahlen unbestritten legitimierten eindeutigen sozialistischen Mehrheit während der gesamten Phase 1918 – 1933 entsprach beinahe idealtypisch der »zentrifugalen Demokratie« (nach Arend Lijphart), während in den anderen Bundesländern und zeitweise auch auf Bundesebene konkordanzdemokratische bzw. proporzdemokratische Phasen zu beobachten sind. Durch die damit verbundene »Ausgrenzung« der immer stärksten Partei des bürgerlichen Lagers, der Christlichsozialen Partei, von der Macht, wurden in dieser die vorerst antiliberalen, dann extremer antimarxistischen und schließlich autoritären und antidemokratischen Kräfte immer stärker, womit die Christlichsoziale Partei immer mehr die Chance verlor, ein kommunales Sammellager moderner Bürgerlichkeit gegenüber der Sozialdemokratie zu werden. Die internen Flügelkämpfe schon während des Wahlkampfes 1932 schwächten die christlichsoziale Position, die nur noch durch das überdurchschnittlich gute Abschneiden bei der weiblichen Wählerschaft vor einem noch tieferen Absturz bewahrt wurde. Schließlich obsiegte nach dem Wahldebakel bei der Kommunalwahl 1932 innerhalb der Wiener Christlichsozialen der radikal-autoritäre über den demokratischen

läre Verdoppelung ihres Anteils von 21,1 Prozent auf 43,8 Prozent gelang, wogegen im benachbarten statusmittleren 3. Bezirk mit eher überdurchschnittlichem Angestelltenpotential eine Stagnation bei 48,3 Prozent bzw. 51,1 Prozent unterhalb des gesamtstädtischen Zuwachses von 54,2 Prozent auf 59 Prozent zu verzeichnen war« (S. 348). Vgl. dazu ebenso Bruce F. Pauley, Politischer Antisemitismus im Wien der Zwischenkriegszeit. In  : Gerhard Botz, Ivar Oxaal, Michael Pollak (Hg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Wien seit dem 19. Jahrhundert. Buchloe 1990. S. 221–246.

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Flügel. Dabei wurde übersehen, daß die radikalisierten Teile des Bürgertums längst nicht mehr durch den autoritären Kurs der Christlichsozialen, sondern nur mehr durch den klar antidemokratischen, radikal-faschistischen Kurs der Nationalsozialisten zufriedenzustellen waren. Auch den Sozialdemokraten hätte zu denken geben müssen, daß sie ihre Position nur dank der praktisch hundertprozentigen Unterstützung durch die jüdischen Wähler auch aus dem Bereich der selbständigen Unternehmer und der Freien Berufe halten konnten, während aus dem Bereich der Beamten und Angestellten auch sozialdemokratische Stimmen an die NSDAP abgewandert waren. 1932 hätten auch in Wien – trotz der eindeutigen Bestätigung der sozialdemokratischen Mehrheit – die konsensorientierten Kräfte, die es in beiden Großparteien unzweifelhaft gab, den Weg in Richtung Proporzdemokratie eröffnen sollen, um der nationalsozialistischen Gefahr begegnen zu können. Das Verhalten im Wiener Landtag wird zeigen, daß gerade dieser Weg von keiner Seite gegangen wurde. Die bundespolitischen Konsequenzen aus dem 24. April 1932 wurden offenbar (zu Unrecht) nur aus dem Wiener Ergebnis gezogen. Die Christlichsoziale Partei überschätzte ihre Verluste und fürchtete sich übertrieben vor bundesweiten Neuwahlen, die Sozialdemokraten überschätzten das Halten ihrer starken Position in Wien und übersahen deshalb ihre z. T beträchtlichen Verluste in sozialdemokratischen Hochburgen außerhalb Wiens und sahen sich nach vorgezogenen Nationalratswahlen schon an der Spitze der Bundesregierung.

3.3 Die Landtagswahl in Niederösterreich Zu einer Analyse von Wahlergebnissen in Niederösterreich muß man sich vergegenwärtigen, daß Niederösterreich in der Ersten Republik ein sogenanntes »Kleingemeindeland« war, in dem etwa Anfang der Dreißigerjahre rund 60 Prozent der Einwohner in Gemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern und nur sechs Prozent der Bevölkerung in Städten mit einer Einwohnerzahl von 20.000 bis 50.000 Einwohnern lebten.423 Politik und Kultur waren nach den »Gemeindetypen« ziemlich scharf organisatorisch und ideologisch getrennt424  : 1. In den kleineren und mittleren Städten (die manchmal nur rund 1.000 Einwohner zählten) herrschte eine »bürgerlich-städtische Theater- und Freizeitkultur, Turnund Sportbewegung, dominiert von einer traditionell deutschnational orientierten Lehrerschaft als rührige Freizeitorganisatoren«. Zu diesem Typus zählen etwa Krems, Gmünd, Zwettl etc. 423 Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich zwischen den Kriegen. Wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Entwicklung von 1918 bis 1938. Baden 1987. S. 109. 424 Die folgenden Zitate stammen aus Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 111.

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2. In den bäuerlichen Gemeinden beherrschten »Volksbrauch, Volkstanz und ›Heimatliebe‹ die »katholische Vereinswelt unter der Ägide des Dorfpfarrers«. 3. Daneben existierte die »städtische Welt der Sozialisten« etwa in Wiener Neustadt samt dem Viertel unter dem Wienerwald und St. Pölten. In diesen bot die sozialistische Kulturbewegung ein umfassendes Netz von Arbeiterbildungsvereinen, Arbeiterschachklubs, Gesangs- und Theatergruppen, Radfahrvereinen, Arbeitersportvereinen etc. an. Im Gegensatz zu den christlichsozial dominierten Gemeindevertretungen, die bei äußerster Sparsamkeit in spartanisch einfachen Gemeindeämtern ihre Amtsgeschäfte abwickelten und damit oftmals notwendige Modernisierungsmaßnahmen unterließen, forcierten die sozialdemokratisch verwalteten Gemeinden auf oftmals mangelhafter finanzieller Grundlage eine großzügige Kommunalpolitik im Gesundheits- und Fürsorgewesen, beim Straßen- und Wohnungsbau nach dem Vorbild des finanziell wesentlich besser ausgestatteten Wien, was nicht selten zu finanziellen Katastrophen führte. Exakte Analysen der (partei-)politischen Entwicklung in den niederösterreichischen Gemeinden sind kaum möglich, da vielfach überparteiliche Komitees, »Wirtschaftsparteien«, »Einheitsparteien« etc. kandidierten, die bestenfalls in »bürgerliche«, »antimarxistische« und »sozialistische« Parteien zu kategorisieren sind. Jedenfalls konnten die Sozialdemokraten in den ländlichen Kleingemeinden kaum Fuß fassen.425 Die Spaltung in zwei konkurrierende Gruppen verhinderte auch in Niederösterreich in den zwanziger Jahren ein rasches Anwachsen der NS-Bewegung. Immerhin aber kann eine niederösterreichische Gemeinde, nämlich Mödling, den traurigen Ruhm für sich beanspruchen, Schauplatz des ersten Mordes durch Nazis in Österreich gewesen zu sein. Denn bereits am 20. Mai 1925 überfielen nach einer »Hindenburgfeier« rund 200 Nationalsozialisten das sozialistische Kinderfreundeheim, wobei ein sozialdemokratischer Gemeinderat von einem NS-Schlägertrupp so schwer verprügelt wurde, daß er seinen Verletzungen erlag.426 Die NSDAP (Hitlerbewegung), die schließlich über die »Schulz-NSDAP« siegte, wurde auch in Niederösterreich 1926 gegründet und erzielte bei der Landtagswahl 1927 nicht einmal 5.000 Stimmen. Sie hatte anfangs nur 200 Mitglieder, trotzdem wurde eine Gauleitung für Niederösterreich eingesetzt. Am 29. August 1927 bestellte Hitler per Dekret Josef Leopold zum Gauleiter. Nun wurde die Organisation gestrafft und neue Propagandamethoden wurden eingeführt. Aufmärsche und Filmschauen wurden veranstaltet, Hitlers Wahlreden wurden bei Versammlungen mit Großemp425 Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 117 f. 426 Vgl. Ausgelöscht. Vom Leben der Juden in Mödling. Mödling 1988. S. 124.

146

Die Wahlen des Jahres 1932

fängern übertragen427, einige Lokalblätter, die in Krems erschienen, wurden in den Dienst der NSDAP gestellt. Bei den Nationalratswahlen 1930 erreichte die NSDAP bereits 34.000 Stimmen, wodurch dieser Konsolidierungsprozeß verdeutlicht w ­ urde.428 Über das Erstarken der Nationalsozialisten in einem Bezirk Niederösterreichs gibt es eine aufschlußreiche Untersuchung von Klaus-Dieter Mulley, deren Ergebnisse wohl auch für viele andere Bezirke Niederösterreichs gelten.429 Diese Studie über den Bezirk Scheibbs weist nach, daß für die Aufwärtsentwicklung der NSDAP (Hitlerbewegung) neben der Großdeutschen Volkspartei die deutschnationalen Verbände, insbesondere der Deutsche Turnverein und der Schulverein Südmark, die größte Rolle spielten, indem sie die organisatorische Basis für die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts bildeten. Unter der Patronanz des Deutschen Turnvereins und des Schulvereins Südmark fanden in den Gasthäusern die ersten nationalsozialistischen Versammlungen statt. Die Vorstandsmitglieder der Turnvereine kamen alle aus dem sogenannten »Mittelstand«, der auf dem Land die angesehene Oberschicht der Gesellschaft bildete. Sie hatten Anfang der dreißiger Jahre nicht selten Funktionen sowohl im Turnverein als auch in der NSDAP inne. So überrascht es nicht, daß etwa 1929 der Turnrat des Deutschen Turnvereines Scheibbs die gemeinsame Kandidatur der Großdeutschen Volkspartei mit der Nationalsozialistischen Partei auf einer »Völkischen Einheitsliste« beantragte und billigte.430 Auch hier stoßen wir also wieder auf das Phänomen der sogenannten »Einheitslisten« (in diesem Fall einer deklariert deutschnationalen), über die dann bei der Landtagswahl 1932 mehr als die Hälfte der großdeutschen Wähler zum Nationalsozialismus umschwenkte. Bereits im Herbst 1931 war fast der gesamte »Wehrzug« des Deutschen Turnvereines der Stadt Scheibbs der »Sturmabteilung« der NSDAP beigetreten. In der Stadtgemeinde Scheibbs selbst bildete diese »Völkische Einheitsliste« aus Großdeutschen und ­NSDAP wiederum eine »Wahlgemeinschaft« mit den Christlichsozialen. In Wieselburg wieder, wo die Christlichsozialen mit den Großdeutschen (von denen einige der NSDAP sehr nahe standen) eine Einheitsliste bildeten, griffen die Christlichsozialen die Nationalsozialisten heftig an. Beide Beispiele sind typisch für die damalige politische Taktik der Parteien431  : 427 Auf knallroten Flugzetteln wurde etwa angekündigt  : »Adolf Hitler spricht in Mödling«, wobei es sich dann eben um eine Übertragung seiner Rede handelte. Vgl. Ausgelöscht. Vom Leben der Juden in Mödling. S. 124. 428 Vgl. Leopold Kammerhofer, Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg. Niederösterreich von 1920 bis 1945. In  : Hans Ströbitzer (Hg.), 70 Jahre Niederösterreich. Vom Gestern ins Heute. St. Pölten, Wien 1991. S. 25 f. Vgl. ebenso Karl Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich. St. Pölten 1983. S. 507. 429 Vgl. Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs 1930–1945. Heimatkunde des Bezirkes Scheibbs. Band VIII. Scheibbs 1988. S. 26–55. 430 Vgl. Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs. S. 28 f. 431 Vgl. Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs. S. 45. Ähnliche Ergebnisse zeigt

Die Landtagswahl in Niederösterreich

147

• In den größeren Orten, in den Marktgemeinden, standen die örtlichen und regionalen NSDAP-Eliten, von Beruf Beamte, Lehrer, Gewerbetreibende, den Repräsentanten der Christlichsozialen schon durch die berufliche Stellung durchaus nahe, sodaß es zu einem politischen Interessenausgleich kommen konnte. Darüber hinaus war man sich im Kampf gegen Marxismus und Bolschewismus einig. • In den agrarischen, kleineren Gemeinden war der Kampf um die Wählergunst der Bauern wesentlich entscheidender und trennender als mögliche Gemeinsamkeiten. Bezeichnend ist, daß die genannten Deutschen Turnvereine nicht in den kleinen agrarischen, aber in praktisch allen größeren Ortschaften präsent waren. Eine intensive Versammlungs- und Agitationstätigkeit der NSDAP setzte erst ab dem Jahr 1930 ein. In den Gemeinden waren die Nationalsozialisten bisher fast nur über die bereits erwähnten »Einheitslisten« verschiedener Zusammensetzungen vertreten. Nur im Gemeinderat von Krems waren sie schon seit 1924 vertreten. In Krems wurden die Nationalsozialisten bei der Landtagswahl 1932 mit 31,6 Prozent zweitstärkste Partei hinter den Sozialdemokraten mit 35,9 Prozent. Die Christlichsozialen mußten sich mit 26,8 Prozent begnügen, die Großdeutschen fielen auf bedeutungslose 5,7 Prozent zurück.432 Krems und Gmünd waren Hochburgen der Nationalsozialisten433, also jene Städte, »in denen ein zunächst deutschliberales Bürgertum im Zuge seines sozialen Abstieges einen Radikalisierungsprozeß vollzogen hatte«.434 Gmünd war das Zentrum des Nationalsozialismus im Oberen Waldviertel. Fast durchgehend stellten die Großdeutschen bis zum Jahr 1933 den Bürgermeister, auch hier wiederum auf Grund einer Einheitsliste (1924) bzw. Arbeitsgemeinschaft (1929) mit den Christlichsozialen. Zur Wahl des Bürgermeisters benötigten die gemeinsamen Listen jeweils die Stimmen der Nationalsozialisten, die 1924 schon 13,4 Prozent erzielten und 1929 auf beachtliche 16,1 Prozent anstiegen. Sie hatten damit Ende der zwanziger Jahre längst den Platz der Großdeutschen eingenommen. Das beweist auch das Ergebnis der Landtagswahl 1932 in Gmünd, bei der die NSDAP mit 31,1 Prozent der Stimmen zweitstärkste Partei hinter den Sozialdemokraten (43,3 Prozent) und vor den Christlichsozialen mit 22,4 Prozent wurde. Die Großdeutschen waren mit 71 Stimmen (2,5 Prozent) in die völlige Bedeutungslosigkeit versunken.435 1933, als die NSDAP bei der Ge-

432 433 434 435

eine – wenn auch nicht so ausführliche – Studie über das Waldviertel  : Andrea Komlosy, An den Rand gedrängt. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des oberen Waldviertels. Wien 1988. S. 195–210. Vgl. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. Herausgegeben von der n. 0. Landesamtsdirektion. Wien 1932. S. 65. Vgl. Friedrich B. Polleross, 100 Jahre Antisemitismus im Waldviertel. Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 25. Krems 1983. S. 42. Andrea Komlosy, An den Rand gedrängt. S. 199. Vgl. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. S. 64.

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Die Wahlen des Jahres 1932

meinderatswahl 36,7 Prozent erreichte, ging das Übereinkommen zwischen Christlichsozialen und Großdeutschen stillschweigend auf die Nationalsozialisten über, und ein Nationalsozialist wurde mit Unterstützung der Christlichsozialen Bürgermeister. Immerhin hatte die NSDAP innerhalb eines Jahres noch einmal 5,6 Prozent zugelegt. Die oft auch handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Nazis und Sozialdemokraten wurden zu einem fixen Bestandteil des politischen Alltags von Gmünd.436 Zwettl war 1933 schließlich die zweite Bezirkshauptstadt Niederösterreichs mit ­einem nationalsozialistischen Bürgermeister. Auch hier zeichnete sich der Vormarsch der Nationalsozialisten bei der Landtagswahl 1932 schon ab. Mit 28,9 Prozent wurde die NSDAP hinter den Christlichsozialen (35 Prozent) zweitstärkste Partei, die Sozial­demokraten erzielten 28 Prozent und die Großdeutschen immerhin noch 8 Prozent, so daß das deutschnationale Lager zusammen mit fast 37 Prozent schon die stärkste Gruppe darstellte.437 Zunehmend suchten die Nationalsozialisten also ab 1930 die (nicht nur verbale) Konfrontation mit den politischen Kontrahenten. Ab 1931 hielten die Nationalsozialisten z. B. im Bezirk Scheibbs bis zu zwanzig Veranstaltungen im Monat ab.438 Mulley faßt die Propagandastrategie der Nationalsozialisten folgendermaßen zusammen439  : 1. Vorbereitende Maßnahmen wie etwa Anschläge oder Flugzettel, auf denen mit provokant gehaltenen Titeln politische oder wirtschaftliche Mißstände aufgezeigt werden. Einige Tage später Ankündigung einer Versammlung zum aufgezeigten Thema. Die Thematik der Flugblätter und Versammlungsreden war ganz gezielt auf die sozioökonomische Situation und die politische Einstellung der potentiellen Leser und Versammlungsteilnehmer ausgerichtet. Dies entsprach dem Bestreben, möglichst alle Bevölkerungsschichten anzusprechen und zu gewinnen. Deshalb mußte auch hier »die nationalsozialistische Propaganda über weite Strecken relativ unverbindlich oder berufsgruppenspezifisch segmentiert sein, wollte sie nicht eine soziale Gruppe, an die sie appellierte, durch Unterstützung einer anderen wieder abstoßen und so ihren Erfolg aufs Spiel setzen. Gemeinsamer Nenner waren nur der Nationalismus und der Antisemitismus.«440 2. Konfrontation mit dem politischen Gegner  : Waren Thema und Veranstaltung der NSDAP fixiert, wurden die politischen Gegner aufgefordert, zu den Themen Stellung zu nehmen. Durch diese Konfrontation mit den anderen Parteien, die die Nazis mit ihren gut geschulten Rednern führten – geschützt durch die eigenen 436 Vgl. Andrea Komlosy, An den Rand gedrängt. S. 200 f. 437 Vgl. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich. S. 61. 438 Vgl. Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs. S. 38. 439 Vgl. Klaus-Dieter Mulley, Nationalsozialismus im Bezirk Scheibbs. S. 39 f. 440 Gerhard Botz, Nationalsozialismus in Wien. S. 43.

Die Landtagswahl in Niederösterreich

149

Wehrformationen –, erwarteten sie politischen Erfolg. In kleineren Landgemeinden gingen sie diese Konfrontation kaum ein, da sie dort oft gegenüber den gut argumentierenden Bauernvertretern schmählich untergingen. Ähnlich erging es ihnen anfangs auch in größeren, sozialdemokratisch dominierten Gemeinden. 3. Stabilisierende Maßnahmen und Ausbau der Organisation  : Sie dienten zur Festigung der NSDAP-Organisation durch regelmäßiges Kassieren der Mitgliedsbeiträge, Verkauf des Parteiorgans, Werben von Mitgliedern, Organisation von Umzügen und Kundgebungen, Aufbau der Hitlerjugend, der NS-Frauenschaft, der NS-Bauernschaft und der SA. Die Wahlveranstaltungen endeten nicht selten in handfesten Raufereien, am 21. April 1932, drei Tage vor der Landtagswahl, wurde in Liesing der 23jährige Schutzbündler Karl Schaffhauser von einem Nationalsozialisten getötet. Was für den wirtschaftsstrukturell land- und forstwirtschaftlich dominierten Bezirk Scheibbs, in dem der Industrie- und Dienstleistungssektor eine untergeordnete Rolle spielte, in bezug auf die Entwicklung des Nationalsozialismus festgestellt wurde, hat im Prinzip auch für den überaus stark industriell geprägten Bereich um Wiener Neustadt Geltung.441 Als im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise die österreichische Industrieproduktion drastisch zurückging, zählte das Gebiet der Industriellen Bezirkskommission Wiener Neustadt 31.580 Arbeitslose, davon 19.519 Empfänger der Notstandshilfe. Der wirtschaftliche Niedergang Wiener Neustadts führte zu einer Verschuldung der örtlichen Geschäftswelt und des Kleinbürgertums und zur Schließung von Gewerbebetrieben. Dieser »Mittelstand« wurde angesichts der Gefahr der eigenen Verarmung unruhig und – wie auch in anderen Bereichen schon festgestellt – zunehmend radikal. Diese Radikalisierung, die vorerst z. T. noch durch eine Hinwendung zu den Heimwehren ihren Ausdruck fand, führte aber bald zu einem Anwachsen des nationalsozialistischen Einflusses, der den der Heimwehren, die sich noch dazu in Niederösterreich in zwei Lager spalteten, überflügelte. In Wiener Neustadt, einer typischen »roten Hochburg«, war aber auch die Arbeiterschaft ziemlich radikal eingestellt. »Im Bewußtsein der Wiener Neustädter Arbeiter schien es nicht von ihnen abzuhängen, ob das Proletariat die Macht ergreifen werde, sondern wann das der Fall sein werde.«442 Trotz der eindeutigen sozialdemokratischen Stimmenmehrheit bei den Gemeinde­ ratswahlen, machten sich durch den wirtschaftlichen Niedergang Anzeichen von Zweifel und Enttäuschungen im sozialdemokratischen Lager bemerkbar, die sich auch in Wahlergebnissen ausdrückten  : 441 Vgl. Karl Flanner, Wiener Neustadt im Ständestaat. Arbeiteropposition 1933–1938. Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 31. Wien 1983. S. 4 ff. 442 Karl Flanner, Wiener Neustadt. S. 7.

150

Die Wahlen des Jahres 1932

Tabelle 7 Gemeinderatswahlen 1927 und 1930 sowie Landtagswahlen 1932 in Wiener Neustadt (Angaben in Prozenten) GRW 1927

GRW 1930

LTW 1932

SD

63,5%

59,6%

60,2%

Ständeblock

33,4%

32,9%



NS

 2,2%

 6,8%

16,8%

KP

 0,9%

 0,7%

 1,6%

CS

19,2%

GD

 2,2%

Die Nationalsozialisten konnten ihre Stimmenzahl von 1927 auf 1930 verdreifachen und von 1930 auf 1932 mehr als verdoppeln, wobei ihnen offensichtlich auch Einbrüche ins sozialdemokratische Lager gelangen. Ausschlaggebend war das wirtschaftliche Elend, das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit, das »auf das schuldhafte Verhalten der eigenen Funktionäre – der ›Bonzen‹ – zurückzuführen war. Damals kam das Wort vom ›zahlenden Tag‹ auf, der ›schon noch kommen werde‹, ein Wort, welches an die Adresse dieser Funktionäre gerichtet war.«443 Diese Verärgerung über die »Bonzen« wurde von den Nationalsozialisten entsprechend geschürt und genützt. Auch in Wiener Neustadt legten die »Deutschen Turner« die Basis für die Aufwärtsentwicklung der NSDAP, war es ihnen doch schon 1924 gelungen, einen zentralen Aufmarsch durchzuführen, bei dem Hakenkreuzfahnen mitgetragen wurden. Auch der große Arbeiteraufmarsch am 7. Oktober 1923 konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es den Heimwehren gelungen war, am gleichen Tag hier zu demonstrieren und damit das Tabu der roten Hochburg zu brechen. Auch wenn nach der Gemeinderatswahl 1930 nur drei Nationalsozialisten von 45 Gemeinderäten in die Gemeindevertretung einzogen, fiel doch die Tatsache, daß ein ehemals hoher Gemeindebeamter und andere Intellektuelle in der Nazibewegung von Wiener Neustadt aktiv tätig waren, nicht unbeträchtlich ins Gewicht und »bewirkte einen nicht zu unterschätzenden Einfluß in jenen Kreisen, welche auf die Erscheinungen der Wirtschaftskrise nicht revolutionär reagierten, sondern national-chauvinistisch. Sie fanatisierten sich für die national-›sozialistische‹ Phrase und griffen zu Bombe und Böller.«444 Dies zeigte sich deutlich bei der Landtagswahl 1932, wo offensichtlich fast der gesamte deutschnationale Anteil des früheren Ständeblocks (in dem Christlichsoziale und Großdeutsche sowie Heimwehren vereint waren) zur NSDAP überlief. Als Antwort auf die zunehmende Radikalisierung der NSDAP starteten die Sozial­ demokraten Aktionen wie große Gefechtsübungen des Republikanischen Schutzbun443 Karl Flanner, Wiener Neustadt. S. 8. 444 Karl Flanner, Wiener Neustadt. S. 10.

Die Landtagswahl in Niederösterreich

151

des, im Landtagswahlkampf wurden über 700 Wahlveranstaltungen durchgeführt, bei denen 209 verschiedene Referenten im Einsatz waren. Den Hauptteil der Versammlungen trugen der Weinhauer und LAbg. Alois Mentasti, Landesrat Heinrich Schneidmadl, die Nationalratsabgeordneten Michael Frühwirt, Florian Bergauer, Pius Schneeberger und Hans Böhm, Landeshauptmann-Stellvertreter Oskar Helmer, LAbg. Franz Popp und Landtagsvizepräsident Leopold Petznek. Die Bundespolitiker, die sich auf Wien konzentrierten, waren nur spärlich vertreten. Von seiten der Christlichsozialen, die sich von links und rechts bedroht sahen, wurde in sogenannten »Sprechabenden« über Programm und Organisation der ­NSDAP informiert und schließlich eindeutig festgehalten, daß ein praktizierender Katholik niemals ein Parteigänger der Nationalsozialisten sein könne.445 Auch in Niederösterreich war auf Grund einer Novelle der Landtagswahlordnung die Zahl der Landtagsabgeordneten von 60 auf 56 reduziert worden. Acht Wahlkreise und ein zweites Ermittlungsverfahren bei der Mandatsverteilung waren geschaffen worden. Bei der Landtagswahl 1927 hatten Christlichsoziale und Großdeutsche auf einer gemeinsamen Liste kandidiert und eine deutliche Mehrheit von 38 Mandaten (33 Christlichsoziale, fünf Großdeutsche) erzielt. Ihnen standen 21 sozialdemokratische Abgeordnete gegenüber, der Landbund hatte ein Mandat erreicht.446 Noch eine Woche vor der Landtagswahl, als am 17. April die Bauernkammerwahlen und in St. Pölten Gemeindewahlen stattfanden, konnte man das enorme Ansteigen der NS-Stimmen nicht unbedingt vorhersehen. Bei den Wahlen in die Landwirtschaftskammer konnten die Christlichsozialen überraschend ihre 26 (von 32) Mandate halten, die sozialdemokratischen Freien Bauern, der Landbund und die Großdeutschen verloren ein Mandat, die Nationalsozialisten, die erstmals kandidierten, erzielten zwei und der Heimatschutz ein Mandat. Aus diesem Ergebnis war jedenfalls kein Einbruch der Nationalsozialisten in die christliche Bauernschaft abzulesen, es handelte sich bestenfalls um eine Umschichtung innerhalb des nationalen Lagers.447 Etwas deutlicher fielen die Gewinne der Nationalsozialisten bei der Gemeindewahl in St. Pölten aus, bei der sie von einem auf sechs Mandate stiegen. Die Sozialdemo-

445 Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 215 f. 446 Vgl. Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. 1. Der Landtag in der Ersten Republik, Wien 1972, S. 195. Ebenso Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 181. 447 Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 218  : Ergebnis der nö. Bauernkammerwahlen vom 17. 4. 1932.  1927  1932 CS 96.781 (26 M.) 95.944 (26 M.) SD 11.559 (  3 M.)   9.641 ( 2 M.) NS   –   –  8.441 ( 2 M.) LB 10.118 (  2 M.)   5.980 ( 1 M.) HB   –   –  3.965 ( 1 M.) GD  4.922 ( 1 M.)  2.114   –

152

Die Wahlen des Jahres 1932

kratische Partei sank von 28 auf 23 Mandate, die Wahlgemeinschaft aus Christlichsozialen und Großdeutschen von 13 auf 12 Mandate. Die Nationalsozialisten erzielten sechs Sitze, gewannen also fünf dazu. Die Kommunisten, die nicht im Gemeinderat vertreten waren, erzielten nun ein Mandat. Tabelle 8 Wahlergebnisse von St. Pölten

CS+GD

GRW 1927

GRW 1932

6.305 (31,0)

5.917 (27,6)

CS

LTW 1932

5.063 (24,1)

GD

308 (  1,5)

SD

13.023 (64,1)

11.544 (53,9)

11.397 (54,3)

NS

803 (  4,0)

3.333 (15,6)

3.749 (17,9)

KP

185 (  0,9)

627 (  2,9)

456 (  2,1)

LB

23 (  0,1)

Quellen  : »Arbeiter-Zeitung«, 18. 4. 1932. S. 2. »Salzburger Volksblatt«, 18. 4. 1932. S. 1. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich. S. 21.

Das bedeutete, daß die Sozialdemokraten innerhalb von fünf Jahren zehn Prozent ihrer Wähler verloren hatten, während die Nationalsozialisten von vier auf fast 18 Prozent angestiegen waren. Das Bedenkliche war, daß die NSDAP innerhalb einer Woche von der Gemeinderatswahl zur Landtagswahl 1932 um über 400 Stimmen oder 2,3 Prozent zulegte. Die Stimmengewinne der NSDAP von der Gemeinderatswahl 1932 zur Landtagswahl 1932 kamen sicher nicht nur aus den Reihen der Christlichsozialen und Großdeutschen, sondern auch von sozialistischen Wählern. Die Landtagswahl eine Woche später brachte in Niederösterreich den Nationalsozialisten mit acht Mandaten einen enormen Erfolg, sie zogen mit einem Landesrat auch in die niederösterreichische Landesregierung ein. Noch bei der Landtagswahl 1927 waren sie nur von rund 4.000 Niederösterreichern gewählt worden. Die Christlichsozialen erzielten 28 Mandate, die Sozialdemokraten 20. Zählt man Christlichsoziale und Großdeutsche zusammen, so verloren sie gegenüber 1927 fast 10 Prozent der Stimmen, die Sozialdemokraten fast drei Prozent, während die ­NSDAP, die 1927 nur ein halbes Prozent erzielte, einen Gewinn von mehr als 13 Prozent verzeichnen konnte. Die Großdeutsche Volkspartei schied aus dem niederösterreichischen Landtag aus, die Christlichsozialen verloren ihre bisherige absolute Mehrheit.448 448 Vgl. Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 296, sowie Karl Gutkas, Nieder­ österreich. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. S. 863 f.

153

Die Landtagswahl in Niederösterreich

Tabelle 9 Ergebnis der Landtagswahl 1932 in Niederösterreich (Im Vergleich zur Nationalratswahl 1930 und Landtagswahl 1927) Partei CS*

LTW 1927 474.283

NRW 1930 58,1

GD** SD

LTW 1932

360.796

44,0

362.977

70.172

8,6

18.427

46,3  2,4

307.005

37,6

291.167

35,6

272.595

34,8

NS

4.012

 0,5

34.307

4,2

110.808

14,1

LB

23.597

 2,9



10.009

 1,3

HB VB*** KP****

4.875

 0,6

3.275

 0,4

817.058

– 54.185

6,6

6.907

0,8

817.534



8.513



 1,1

783.329

* LTW 1927 Einheitsliste aus Christlichsozialen und Großdeutschen.; ** 1930  : Nationaler Wirtschaftsblock und Landbund. *** Völkisch-sozialer Block. **** NRW 1930. Andere Parteien einschließlich KP. Quelle  : Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 181, S. 212, S. 219.

Das Landeswahlergebnis zeigt, daß die Verluste der Christlichsozialen Partei auch gegenüber 1927, als sie gemeinsam mit den Großdeutschen auf einer Liste kandidierte, gar nicht so dramatisch waren. Das Problem war nur, daß die Großdeutsche Partei praktisch von der NSDAP aufgesogen wurde. Gegenüber der Nationalratswahl 1930 konnten die Christlichsozialen sogar wieder 2,3 Prozentpunkte dazugewinnen. Die Sozialdemokraten wiederum übersahen offensichtlich, daß ihre Wahlergebnisse einen klaren abwärtsführenden Trend zeigten  : 37,6 Prozent bei der Landtagswahl 1927, 35,6 Prozent bei der Nationalratswahl 1930 und 34,8 Prozent bei der Landtagswahl 1932. Woher die »Arbeiter-Zeitung« die Feststellung »Roter Erfolg in Niederösterreich« nahm, ist daher nicht ganz erklärlich.449 Dramatisch ist die Zunahme der Nationalsozialisten. Von 0,5 Prozent bei der Landtagswahl 1927 über 4,2 Prozent bei der Nationalratswahl 1930 schnellte sie nun bei der Landtagswahl 1932 auf 14,1 Prozent hinauf. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie unterschiedlich Männer und Frauen ihre Stimmen abgegeben haben  :

449 Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 25. 4. 1932. S. 3.

154

Die Wahlen des Jahres 1932

Tabelle 10 Stimmverhalten Männer/Frauen weiblich

männlich

CS

54,9

45,1

GD

50,3

49,7

SD

48,8

51,2

NS

45,8

54,2

KP

40,6

59,4

LB

40,1

59,9

Daraus ist – ähnlich wie in Wien – ersichtlich, daß die Christlichsoziale Partei auch in Niederösterreich überproportional von Frauen gewählt wurde, während sich bei den Großdeutschen und abgeschwächt bei den Sozialdemokraten Männer und Frauen etwa die Waage halten. Sieht man von den Landbundwählern ab, so haben auch hier wieder die beiden extremen Parteien, NSDAP und Kommunisten den geringsten weiblichen Wähleranteil, sind also vorwiegend »Männer-Parteien«.450 Tabelle 11 Gewinne und Verluste der Parteien sowie Wahlbeteiligung (WB) in den Wahlkreisen Niederösterreichs im Vergleich zur Nationalratswahl 1930 (in Prozent) Wahlkreis

CS

SD

NS

GD

KP

WB

1. Amstetten

+10,7

–1,3

+ 8,3

–4,3

+0,5

84,3

2. St. Pölten

– 0,3

–3,4

+12,0

–6,3

+0,6

84,9

3. Wr. Neustadt

+ 2,7

+0,9

+ 9,0

–3,6

+1,0

87,0

4. Baden

+ 1,0

–1,6

+ 9,8

–7,2

+1,1

89,6

5. Mistelbach

+ 1,2

–0,6

+ 8,1

–6,1

+0,2

85,0

6. Korneuburg

+ 3,4

–1,6

+10,6

–8,4

+0,3

84,7

7. Gmünd

– 1,4

+0,5

+ 8,4

–7,3

+0,1

81,2

8. Krems a. D.

+ 0,6

–0,5

+12,8

–7,5



79,4

Was nun die prozentuelle Stärke der Nationalsozialisten betrifft, so ergibt sich folgende Rangfolge  :

450 Vgl. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. S. 10.

Die Landtagswahl in Niederösterreich

155

Tabelle 12 1. WK 8 Krems

22,6

5. WK 4 Baden

12,6

2. WK 7 Gmünd

17,6

6. WK 3 Wr. Neustadt

12,1

3. WK 2 St. Pölten

15,2

7. WK 1 Amstetten

11,3

4. WK 6 Korneuburg

14,4

8. WK 5 Mistelbach

11,2

Es läßt sich also unschwer feststellen, daß in den gemischt agrarisch-kleinindustriell strukturierten Wahlkreisen mit einem traditionell starken deutschnationalen (Klein-) Bürgertum, nämlich Wachau und Waldviertel (bei dem noch die Grenzlage dazukommt), die Nationalsozialisten ihre höchsten Anteile zu verzeichnen hatten. Dort hatte die NSDAP bereits bei der Nationalratswahl 1930 an die 10 Prozent erreicht, während sie in allen übrigen Wahlkreisen um drei Prozent lag. Die von Großindustrien geprägten Wahlkreise Wiener Neustadt und Baden sowie das eindeutig agrarisch geprägte Marchfeld weisen die geringsten NS-Anteile auf. Der Wahlkreis Amstetten hatte bei der Nationalratswahl 1930 mit 15,1 Prozent den höchsten Anteil an Heimatblock-Stimmen aufzuweisen.451 Diese kehrten offensichtlich bei der Landtagswahl 1932 zum überwiegenden Teil zur Christlichsozialen Partei zurück. Nach der Nationalratswahl 1930 hatte sich die sog. »Raab-Heimwehr« endgültig von den Heimwehren getrennt und lehnte sich als »Niederösterreichische Heimwehr« eng an den Bauernbund an. Sie fand ihren Rückhalt vor allem im Weinviertel und im Viertel ober dem Wienerwald, was sich schließlich in den Wahlergebnissen bei der Landtagswahl 1932 positiv für die Christlichsozialen zu Buche schlug.452 • Die Basis für das Erstarken der NSDAP bei der Landtagswahl 1932 wurde in Nieder­ österreich in den Deutschen Turnvereinen, im Schulverein Südmark u. ä. deutschnationalen Vorfeldorganisationen gelegt. Alle diese Organisationen fanden sich in den größeren Orten, Märkten, kleineren Städten, ihre Funktionäre kamen aus dem regionalen »Mittelstand«, der die angesehene örtliche »Oberschicht« bildete (Beamte, Akademiker, Lehrer, Wirtschaftstreibende etc.). Gemeinsame Kandidaturen (deutschnationaler) Einheitslisten aus Großdeutschen, Nationalsozialisten und z. T auch Christlichsozialen führten dazu, daß auch hier die »Hemmschwelle« zur NSDAP äußerst niedrig war und das inzwischen radikalisierte Bürgertum 1932 ganz zur NSDAP wechselte. Ebenso bildeten die radikalen, 451 Bei der Nationalratswahl 1930 kandidierte die »Raab-Heimwehr« nach dem Bruch mit der Bundesführung gemeinsam mit den Christlichsozialen auf der Liste »Christlichsoziale Partei und Heimwehr«, getrennt davon kandidierte der »Heimatblock« auf einer eigenen Liste. Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 210 f. Walter Wiltschegg, Die Heimwehr. S. 59. 452 Vgl. Leopold Kammerhofer, Niederösterreich. S. 213.

156

Die Wahlen des Jahres 1932

faschistisch und antidemokratisch orientierten Teile der niederösterreichischen Heimwehr ein »Durchgangslager« von den Großdeutschen und Christlichsozialen zu den Nationalsozialisten. Wenig Chancen hatte die NSDAP in den vielen kleinen rein agrarischen Gemeinden, was sich auch bei der eine Woche vor der Landtagswahl durchgeführten Bauernkammerwahl zeigte. Auch die sozialdemokratisch dominierten »roten Hochburgen« wiesen eine starke Resistenz gegen die Hitlerbewegung auf, jedoch war in ihnen eine fortschreitende Resignation der Sozialdemokratie feststellbar. • Im Hinblick auf das voraussichtliche Ergebnis einer allenfalls vorgezogenen Neuwahl des Nationalrates muß man das Landtagswahlergebnis in Niederösterreich in Vergleich zur Nationalratswahl 1930 setzen und beachten, daß sich die Christlichsozialen durchaus erholt und 2,3 Prozent an Stimmen zugelegt hatten. Die Sozialdemokraten erreichten um 0,8 Prozent weniger als 1930. Die Nationalsozialisten hatten per saldo fast die gesamte Wählerschaft der Großdeutschen und einen Großteil des Heimatblocks auf sich vereinen können. Aus dem niederösterreichischen Wahlergebnis wäre also ein klarer Sieg der Sozialdemokraten bei vorgezogenen Nationalratswahlen nicht herauszulesen gewesen. • Die Nationalsozialisten profitierten von einer Radikalisierung der Mittelschichten (Beamte, Akademiker, Unternehmer etc.), denen der gemäßigte Deutschnationalismus der Großdeutschen einfach nicht mehr ausreichte, während in den vielen agrarischen Gemeinden mit einer starken Dominanz der katholischen Kirche die Widerstandskraft gegen den Nationalsozialismus besonders ausgeprägt war. Wenn auch in den sozialdemokratisch dominierten Industriezonen ein bedeutender Einbruch der NSDAP nicht stattfand, war bei den sozialdemokratischen Wählern doch eine gewisse Resignation festzustellen.

3.4 Die Landtagswahl in Salzburg Im Bundesland Salzburg veränderte die Landtagswahl vom 24. April 1932 die politische Landschaft grundlegend. Waren die drei politischen Blöcke der Christlichsozialen, Sozialdemokraten und Großdeutschen seit 1918 ziemlich stabil gewesen, so verschwand nun eine Partei – nämlich die Großdeutsche – völlig von der Bildfläche, die Christlichsozialen legten gegenüber der Landtagswahl 1927 rund 10 Prozent ab, die Sozialdemokraten mehr als sechs Prozent. Die Christlichsoziale Partei war stets (und blieb auch 1932) die führende Partei, die Sozialdemokraten lagen bisher immer um die 30 Prozent und das nationale Lager, das durch eine besondere parteienmäßige Zersplitterung gekennzeichnet war, lag um die 15 bis 20 Prozent. Bei der Landtagswahl 1927 hatten die Großdeutschen noch etwas mehr als 11 Prozent erreicht, konnten sich bei der Nationalratswahl 1930 noch auf 12,7 Prozent steigern und stürzten schließlich bei der Landtagswahl 1932 auf 1,9 Prozent ab. Die Lage der Christlichsozialen Partei war Anfang der dreißiger Jahre auch in Salzburg immer schwieriger geworden. Mit 41,5 Prozent war das Ergebnis für die Christ-

Die Landtagswahl in Salzburg

157

lichsozialen bei der Nationalratswahl 1930 das schlechteste Nationalratswahlergebnis in Salzburg in der Ersten Republik. Die Krise der Landwirtschaft Ende der zwanziger Jahre traf die stärkste Organisation der Christlichsozialen, den Katholischen Bauernbund, in seiner Substanz, er verlor seine Integrationskraft, was von den Nationalsozialisten durch eine geschickte Propaganda ausgenützt wurde. Es bildete sich eine unabhängige Bauernbewegung um Jörg Steinbacher aus St. Martin im Tennengebirge, die neben dem Landbund eine zusätzliche Gefahr für die Christlichsozialen darstellte.453 Die Christlichsozialen boten daher – nachdem eine Einigung der nationalen Gruppen gescheitert war – dem Landbund und den Unabhängigen Bauern ihr 13. – also letztes – Mandat an. Die Verhandlungen scheiterten jedoch in letzter Minute. Mit den Stimmen des Landbundes und der Unabhängigen Bauern (6,3 Prozent) hätten die Christlichsozialen aller Voraussicht nach ihr 13. Mandat gehalten und der Landbund einen Vertreter in den Landtag entsenden können. So kandidierte der Landbund auf einer eigenen Liste und erreichte kein Grundmandat. Die Christlichsoziale Partei bangte vor allem ihren Wahlergebnissen in den Gebirgsgauen entgegen, weil dort die wirtschaftliche Situation der Bergbauern am schlimmsten war.454 Im Bereich der Stadt Salzburg stellte sich die Situation für die Christlichsoziale Partei etwas besser dar. Bei der Gemeinderatswahl am 29. März 1931 konnte sie ihr Ergebnis gegenüber der Nationalratswahl 1930 immerhin um 7,2 Prozent auf 30,7 Prozent verbessern. Trotzdem ließ der Erfolg der beiden nationalsozialistischen Gruppierungen dunkle Wolken auf dem politischen Himmel aufziehen.455 Die Christlichsoziale Partei setzte ganz auf ihren Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, einen Politiker, der seine Partei auf der demokratischen Linie zu halten suchte und der vor der Wahl einen beachtlichen Rechenschaftsbericht über seine zehnjährige Tätigkeit als Landeshauptmann vorlegte. Aber trotzdem  : Die Nationalsozialisten griffen gerade Rehrl als obersten Repräsentanten des Landes pausenlos an, erfanden Skandale und scheuten auch vor Lügen und Denunziationen nicht zurück.456 Die Christlichsoziale Partei versuchte verzweifelt, einen regionalen Leistungs- und Persönlichkeitswahlkampf zu führen. Die im Vergleich zu anderen Bundesländern re453 Vgl. Ernst Hanisch, Die Christlichsoziale Partei für das Land Salzburg 1918–1934. In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. Salzburg 1984. S. 490 f. Ebenso Franz Schausberger, Josef Hauthaler. Salzburger Bauernführer in schwersten Zeiten. Salzburg 1990. S. 32 f. 454 Vgl. dazu etwa Franz Schausberger, Vom Stoffenbauern zum Staatssekretär. Zum politischen Werdegang Bartlmä Hasenauers bis 1938. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. Nr. 3/1993. S. 151 ff. 455 Vgl. Franz Schausberger, Eine Stadt lernt Demokratie. Bürgermeister Josef Preis und die Salzburger Kommunalpolitik 1919–1927. Salzburg 1988. S. 137 f. 456 Vgl. Ernst Hanisch, Franz Rehrl – sein Leben. In  : Wolfgang Huber (Hg.), Franz Rehrl. Landeshauptmann von Salzburg 1922–1938. Salzburg 1975. S. 24. Ebenso Ernst Hanisch, Die Erste Republik. In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.), Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band 2. Neuzeit und Zeitgeschichte. 2. Teil. Salzburg 1988. S. 1108 f.

158

Die Wahlen des Jahres 1932

lativ gute Situation in Salzburg wurde als Leistung des populären Landeshauptmannes Rehrl und der Christlichsozialen Partei propagiert. Im Vergleich zu früheren Wahlen wurde zwar die Person des Landeshauptmann-Kandidaten stark herausgestellt, jedoch nicht mit aller Konsequenz. Sein persönlicher Einsatz im Wahlkampf war bescheiden, die meisten Wahlkampfeinsätze leistete der Nationalratsabgeordnete Bartlmä Hasenauer. Die Landtagsmannschaft sollte im großen und ganzen die alte bleiben, an den wählbaren Listenplätzen wurden nur wenige Veränderungen vorgenommen. Das Abkoppeln von der Bundespolitik (kein einziges Mitglied der Bundesregierung war im Wahleinsatz) war die richtige Strategie, die Christlichsoziale Partei blieb trotz ihrer Verluste eindeutig stärkste Partei. Das ganze Land wurde flächendeckend mit Wahlversammlungen überzogen, als modernes Wahlkampfinstrument wurde ein Wahlwerbefilm ziemlich erfolgreich eingesetzt. Eine kircheninterne Affäre um den durch einen Domkapitular »geplünderten Domschatz« machte der Christlichsozialen Partei allerdings auch politisch zu schaffen.457 Die Sozialdemokratische Partei war auch in Salzburg eine klassische Mitgliederpartei, die besonders dicht in den industriellen Ballungsräumen organisiert war. Die Mitgliederzahl nahm jedoch Anfang der dreißiger Jahre drastisch ab. In den agrarischen Gebieten hatten die Sozialdemokraten politisch überhaupt keine Chance, ebenso kaum bei der Intelligenz, bei den Beamten und bei den Gewerbetreibenden. Ihre Parteiprominenz gehörte zum rechten Flügel und vertraute auf den funktionierenden Konsens der Parteien im Landtag und in der Landesregierung und schuf sich damit gewisse landespolitische Einflußmöglichkeiten. Die konsensuale Haltung wurde ihnen durch den persönlichen politischen Stil von Landeshauptmann Rehrl wesentlich erleichtert.458 In ihren Wahlergebnissen lagen die Sozialdemokraten immer zwischen 28 und 32 Prozent. Spitzenkandidat für die Landtagswahl 1932 war Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler. Die Sozialdemokraten führten einen offensiven Wahlkampf gegen die Bundesregierung, während die Christlichsozialen auf Landesebene weitgehend ungeschoren blieben. Die Sozialdemokraten erklärten sich zu den einzig wahren Hütern der Demokratie. Allen anderen Parteien, die alle nach Ansicht der Sozialdemokraten dem Kapitalismus verfallen waren, wurde der Hang zu totalitären Regierungsformen unterstellt. Die Salzburger Sozialdemokraten versuchten aber auch, ihre landespolitischen Leistungen hervorzukehren. Die sozialdemokratische Wiener Stadtverwaltung wurde als Vorbild präsentiert. 457 Vgl. dazu Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. Der Landtagswahlkampf 1932 im Bundesland Salzburg. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. Nr. 1/1992. S. 12 ff. 458 Vgl. Ernst Hanisch, Die Erste Republik. S. 1078 f. Ebenso Ernst Hanisch, Salzburg. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik. 2. Bd. Graz, Wien, Köln 1983. S. 912 f.

Die Landtagswahl in Salzburg

159

Die SDAP legte viel Einsatz in die interne Mobilisierung und führte in allen Gemeinden des Landes ihre Versammlungen durch. Sie präsentierte eine ziemlich überalterte Kandidatenliste, die Landtagsmannschaft sollte kaum verändert werden. Als einzige Partei präsentierte sie eine Frau auf wählbarer Stelle. Man kann von einem offensiven, die eigene Stammwählerschaft stark mobilisierenden Wahlkampf sprechen, darf aber die Bedrängnis durch Kommunisten und Nationalsozialisten nicht übersehen, wodurch auch die sozialdemokratische Wahlpropaganda starke defensive Züge erhielt.459 Besondere Nervosität machte sich bei der Großdeutschen Volkspartei breit. Es zeichnete sich trotz eines nach außen vertretenen Optimismus ab, daß durch die Kandidatur mehrerer nationaler Parteigruppierungen das nationale Wählerpotential so aufgesplittert würde, daß die Erringung eines Grundmandates in Frage gestellt war. Die Großdeutschen entwickelten daher hektische Bemühungen zur Bildung einer nationalen Einheitsfront, bis sich schließlich am 31. März 1932, also nicht einmal zwei Monate vor dem Wahltermin, das endgültige Scheitern dieser Bemühungen herausstellte.460 Die Großdeutsche Volkspartei führte daher einen so kraftlosen, defensiven, halbherzig-nationalen Wahlkampf, daß ihre Wähler gleich zur NSDAP wechselten. Eine überalterte Kandidatenriege hatte sich wegen der jahrelangen Regierungsbeteiligung im Bund für unpopuläre Entscheidungen mitzuverantworten, zu einer Offensive gegen die Landespolitik fehlte die Kraft und die Glaubwürdigkeit, da im Landtag alle wesentlichen Beschlüsse mitgetragen worden waren. Wahlversammlungen wurden wegen Erfolglosigkeit mitten im Wahlkampf eingestellt. Parteiaustritte prominenter Großdeutscher schwächten die Partei zudem.461 Die Heimwehren waren gerade im Vorfeld zur Landtagswahl 1932 in Salzburg tief gespalten in eine deutschnationale, antiklerikale Richtung unter Dr. Franz Hueber, einem Schwager Görings, und eine proitalienische, klerikale Richtung unter der Führung des Bauern Josef Schnöll und des Postbeamten August Elshuber. Der langjährige Landesführer Josef Schnöll war mit einer eigenen Kandidatur der Heimwehr bei der Landtagswahl nicht einverstanden, setzte sich gegen Hueber jedoch nicht durch und trat kurz vor der Landtagswahl zurück. Hueber wurde Landesführer, der Heimatschutz kandidierte, der Wahlkampf wurde jedoch ohne jeden Schwung geführt. Das Säbelrasseln und die Putschdrohungen verschreckten die bürgerlichen Wähler, das Herumlavieren in der Frage des Anschlusses an Deutschland und der angestrebten künftigen Regierungsform trieb die Anschlußsympathisanten in die Arme der ­NSDAP.462 459 460 461 462

Vgl. Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. S. 54. Vgl. Franz Schausberger, Die Salzburger Landtagswahl vom 24. April 1932. S. 58–62. Vgl. Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. S. 53. Vgl. Franz Schausberger, Josef Hauthaler. 38 f. Ebenso Heimatschutz in Österreich. Wien 1932. S. 223.

160

Die Wahlen des Jahres 1932

Auch der Unabhängigen Salzburger Bauern- und Ständevertretung (Landbund) fehlten der Schwung und die Überzeugung. Die Idee des Ständestaates, wie ihn der Landbund vertrat, wurde zwischen Demokratie und Diktatur zerrieben, die demokratischen Kräfte wählten christlichsozial, die radikalen die Heimwehr oder gleich die NSDAP. Die Teilnahme des Landbundes an der Bundesregierung brachte seine Wahlwerber in vielerlei Verteidigungspositionen. Vor allem die »Entwaffnungsaktion« der Landbundminister, also das Bemühen, die paramilitärischen Parteiformationen zu einem Waffenverzicht zu bewegen, mußte der eigenen Klientel (Bauern, Gewerbetreibenden und Hausbesitzern) erst erklärt werden. Während die Väter noch im Landbund aktiv waren, standen die Söhne schon in den Reihen der Nationalsozialisten. Die Väter folgten ihnen nach einiger Zeit. Die NSDAP war in Salzburg im Jahr 1931 neu organisiert worden. An der Spitze der Gauleitung stand Karl Scharizer. Hatten die Nationalsozialisten bei der Nationalratswahl am 9. November 1930 nur 4.597 und damit 3,73 Prozent erreicht, so zeichnete sich schon bei der Gemeinderatswahl am 29. März 1931 das Erstarken dieser neuen, radikalen politischen Gruppe ab. Die NSDAP hatte einen aufwendigen, völlig neuen Wahlkampfstil eingeführt, mit einer Unzahl von Rednern und Wahlveranstaltungen, wie es bisher nicht üblich war. Besonders groß war der Erfolg in der Stadt Salzburg, wo die Hitler-Bewegung mit vier und die NSDAP-Schulz-Richtung mit einem Mandat in den Gemeinderat einzogen. Insgesamt 13,6 Prozent in der Landeshauptstadt mußten aufhorchen lassen. Bei der Landtagswahl 1932 waren Kompromißlosigkeit und Provokation die hervorstechenden Wesenszüge des radikalen Protestwahlkampfes der NSDAP (Hitler-Bewegung). Der Wahlkampf wurde gegen das gesamte politische System Österreichs geführt. Die Nazis traten mit einer neuen und jungen Kandidatenmannschaft an und führten einige moderne Propagandamethoden in den Wahlkampf ein, ohne jedoch den Standard der NSDAP in Deutschland zu erreichen. Viele Veranstaltungen, schwerpunktmäßig organisiert, gaben, umrahmt von Eindruck erzeugenden Begleitmaßnahmen, das Bild ungeheurer Aktivität und Mobilität. Der Wahlkampf war stark auf den Spitzenkandidaten Dr. Max Peisser ausgerichtet, der jedoch nur Statthalter jenes Mannes war, dem auch die Salzburger NSDAP letztlich ihren Erfolg verdankte  : Adolf Hitler. Es gelang den Nationalsozialisten, alle deutschnationalen Wähler und alle Gegner des bestehenden demokratischen Systems hinter sich zu versammeln und darüber hinaus das durch die Wirtschaftskrise gegebene Protestpotential weitgehend auszuschöpfen.463 Der Sieg der Nationalsozialisten, die nun auf Anhieb rund 20 Prozent erzielten, und die deutlichen Verluste der Großparteien bedeuteten das Ende des politischen Konsenses, der seit dem Ende des Krieges herrschte.464 Wie wir noch sehen werden, 463 Vgl. Franz Schausberger, Krise, Protest und Propaganda. S. 54 f. 464 Vgl. Ernst Hanisch, Salzburg. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. S. 903 ff.;

161

Die Landtagswahl in Salzburg

war es gerade diese Konsensdemokratie, die von den Nationalsozialisten zum Ziel ihrer polemischen Angriffe ausgewählt wurde. Tabelle 13 Bundesland Salzburg Wahlergebnisse LTW 1927, NRW 1930 und LTW 1932 im Vergleich (in Prozent) LTW 1927

NRW 1930

LTW 1932

Diff. 1927

Diff. 1930

CS

48,02

41,51

37,88

–10,14

– 3,63

SD

32,07

29,98

25,62

– 6,45

– 4,36

GD

11,54

12,69

1,91

– 9,63

–10,78

KP

 0,61

 2,67

+ 2,67

+ 2,06

HB



 5,69

4,76

+ 4,76

– 0,93

LB

 7,03

 5,49

6,35

– 0,68

+ 0,86

NS

 3,73

20,81

+20,81

+17,08

ÖVP

 0,30

WStB

 1,34

(Quellen465  : Salzburg Informationen Nr. 78, S. 136 und S. 269, »Salzburger Volksbote«, 1. 5. 1932, S. 6, ­eigene Berechnungen); ÖVP = Österreichische Volkspartei, WStB = Wirtschaftlicher Ständeblock.

Die Mandatszahlen im Vergleich zur Landtagswahl 1927 lauteten nun  :466 CS 12 (13), SD 8 ( 9), GD – ( 3), LB – ( 1), NS 6 ( –).

ders., Die Erste Republik. In  : Heinz Dopsch, Hans Spatzenegger (Hg.), Geschichte Salzburgs. Stadt und Land. Band II Neuzeit und Zeitgeschichte. 2. Teil. Salzburg. 1988. S. 1066 ff. 465 Die bisher publizierten Ergebnisse der Landtagswahlen 1932 sind falsch, weil sie die am Wahlabend veröffentlichten Ergebnisse wiedergeben. An diesem Abend fehlten aber noch die Ergebnisse aus eini­gen kleinen Gemeinden, außerdem wurden in den Tagen darauf offenbar noch einige Gemeinde­ ergebnisse korrigiert. Erst der »Salzburger Volksbote« brachte am 1. 5. 1932 alle Ergebnisse, die jedoch das Gesamtergebnis nur marginal veränderten. Ein offizielles Ergebnis wurde weder in der »Salzburger Landeszeitung« veröffentlicht noch ist ein Wahlakt im Landesarchiv auffindbar, so daß man ausschließlich auf die Veröffentlichungen in den Zeitungen angewiesen ist. Ich beziehe mich in dieser Arbeit auf das im »Salzburger Volksbote«n veröffentlichte Ergebnis. 466 In Salzburg galt ebenfalls ein zweistufiges Ermittlungsverfahren.

162

Die Wahlen des Jahres 1932

Tabelle 14 Ergebnisse der Landtagswahl 1932 in Salzburgs Bezirken in absoluten Zahlen und in Prozenten sowie prozentuelle Veränderungen gegenüber der Nationalratswahl 1930 Bezirk

CS

NS

SD

KP

HB

LB

GD

Stadt

6.276

6.232

5.856

556

1.403

205

987

Flachgau

Tennengau

Pongau

Pinzgau

Lungau

Gesamt

29,2

29,0

27,2

2,6

6,5

0,9

4,6

+5,7

+24,6

–5,9

+2,2

–0,7

+0,1

–26,0

14.362

6.065

9.972

878

1.219

3.222

545

39,6

16,7

27,5

2,4

3,4

8,9

1,5

–0,7

+14,7

–5,1

+2,0

–0,9

–1,2

–8,8

5.436

2.056

3.562

565

363

859

188

41,7

15,8

27,3

4,3

2,8

6,6

1,5

6,1

+14,1

–3,8

+2,6

–1,6

–3,8

–9,0

7.416

3.484

5.403

398

1.758

1.057

335

37,4

17,5

27,2

2,0

8,9

5,3

1,7

–7,9

+14,3

–4,5

+1,2

+0,2

+1,8

–5,1

7.085

4.959

4.532

729

673

1.487

138

36,2

25,3

23,1

3,7

3,4

7,6

0,7

13,4

+17,0

–3,3

+3,2

–1,9

+3,1

–4,8

3.438

1.329

485

1   

114

539

57

57,7

22,3

8,1

–   

1,9

9,0

1,0

11,3

+21,4

+0,8

–0,3

–2,6

–1,4

–6,6

44.013

24.125

29.810

3.127

5.530

7.369

2.250

37,9

20,8

25,6

2,7

4,8

6,3

1,9

Das Parteiorgan der Christlichsozialen vermutete in einer ersten Analyse, daß das gute Abschneiden seiner Partei in der Stadt Salzburg zu einem wesentlichen Teil auf das Konto von Landeshauptmann Franz Rehrl gehe. Die Not und Unzufriedenheit der Gebirgsbauern hätten in den Gebirgsgauen zu einer schlechten Wahlbeteiligung geführt. So seien etwa im Lungau 1.000 Nichtwähler festgestellt worden. Schließlich seien die nationalen Mittelparteien »vom Nationalsozialismus glatt überrannt« worden, die Großdeutschen seien »mit fliegenden Fahnen in das nationalsozialistische Lager hinübergewechselt … Mit den deutschen Turnern begann der Abmarsch der Jugend zum Hakenkreuz, gestern sind auch die Väter gefolgt.«467 Betrachtet man nun das Salzburger Landtagswahlergebnis bezirksweise und zieht die Ergebnisse der Nationalratswahl 1930 zum Vergleich heran, so kommt man auf z. T. sehr unterschiedliche und überraschende Resultate.

467 »Salzburger Chronik«, 25. 4. 1932. S. 2.

Die Landtagswahl in Salzburg

163

• In der Stadt Salzburg verloren die Sozialdemokraten fast sechs Prozent. Als bisher stärkste Partei rutschte die SDAP damit auf den 3. Platz (ebenso im Pinzgau und Lungau). Völlig überraschend gewann die Christlichsoziale Partei fast sechs Prozent und wurde damit stärkste Partei. Die NSDAP rieb die Großdeutschen (mit 30 Prozent bisher zweitstärkste Partei) völlig auf und wurde zweitstärkste Partei. Damit hatte in der Stadt Salzburg ein vollständiger Wähleraustausch zwischen Großdeutschen und NSDAP stattgefunden, ein kleiner Teil der Großdeutschen dürfte zu den Christlichsozialen abgewandert sein. Die Sozialdemokraten dürften einen Teil ihrer Wähler an die Kommunisten (deren Gewinn etwas mehr als zwei Prozent betrug), aber auch an die NSDAP oder möglicherweise auch an die Christlichsozialen abgegeben haben. Für die Stadt Salzburg kann man auch die ein Jahr vorher, am 29. März 1931, stattgefundene Gemeinderatswahl als Vergleich heranziehen. Auch dieser Wahl gegenüber konnten sich die Christlichsozialen mit einem leichten Verlust von 1,2 Prozent gut halten, während die Sozialdemokraten 6,8 Prozent einbüßten. Die Hitler-Bewegung hatte ein Jahr vorher 9,2 Prozent erzielt, die NSDAP-Schulz-Richtung 4,4 Prozent (insgesamt also 13,6 Prozent). Ein Jahr später konnte die Hitler-NSDAP noch einmal 15,4 Prozentpunkte zulegen. Der Nationale Wirtschafts- und Ständeblock (Großdeutsche, Wirtschaftlicher Ständebund und Heimatblock) konnte 1931 noch 20,3 Prozent erzielen.468 • Auch im Flachgau konnte sich die Christlichsoziale Partei mit einem Verlust von weniger als einem Prozent gegenüber der Nationalratswahl 1930 eindeutig als stärkste Partei halten (40%). Die Nationalsozialisten gewannen 15 Prozentpunkte dazu, die per Saldo zum überwiegenden Teil von den Großdeutschen (–9 %), aber auch von den Sozialdemokraten (–5%) kamen. Im Flachgau, wo die Situation der Bauern bei weitem nicht so katastrophal war wie in den Gebirgsgauen, konnten die Christlichsozialen ihre Position halten. Unter den landesweit zwanzig Gemeinden, in denen die Christlichsozialen mehr als zwei Prozent Stimmengewinne zu verzeichnen hatten, sind allein fünfzehn Gemeinden, also drei Viertel, aus dem Flachgau, darunter vor allem Gemeinden mit stark landwirtschaftlicher Ausprägung. • In den Gebirgsgauen, also im Pinzgau, Pongau und im Lungau, mußten die Christlich­ sozia­len gewaltige Verluste hinnehmen. In diesen Bezirken gab sicher die Christlichsoziale Partei nach den Großdeutschen die meisten Stimmen an die NSDAP (und auch an den Landbund) ab, obwohl auch die Sozialdemokraten ihre Verluste auf Kommunisten und NSDAP aufteilten. Von den 65 Gemeinden, in denen die Christlichsoziale Partei mehr als zehn Prozent gegenüber der Nationalratswahl 1930 verloren hat, stellt das größte Kontingent mit 28 Gemeinden der Pinzgau, gefolgt vom Pongau mit 17 Gemeinden und dem Lungau mit 12 Gemeinden. Das schlechte Abschneiden der Christlichsozialen in diesen Bezirken ist sicher auf die katastrophale wirtschaftliche Situation der Gebirgsbauern, die 468 Vgl. Franz Schausberger, Eine Stadt lernt Demokratie. Bürgermeister Josef Preis und die Salzburger Kommunalpolitik 1919–1927. Salzburg 1988. S. 135 ff.

164

Die Wahlen des Jahres 1932

große Not litten und teilweise völlig verschuldet waren, zurückzuführen.469 Hier scheinen die christlichsozialen Wähler direkt zur NSDAP gewandert zu sein, da die großdeutschen Verluste nicht ausreichen, um die enormen NSDAP-Gewinne zu erklären. Was das linke Wählerpotential betrifft, so scheint es vor allem im Pinzgau und Lungau nur einen Austausch zwischen SDAP und KP gegeben zu haben. • Die Verluste des Heimatblocks und des Landbundes sind wohl auch alle der NSDAP zugute gekommen. Der Landbund erzielte seine besten Ergebnisse im Flachgau, Pinzgau und Lungau. Der Heimatblock schnitt am besten in der Stadt Salzburg und im Pongau ab. • Die nationalsozialistischen Gewinne kamen von den Großdeutschen, die völlig aufgerieben wurden  ; im Lungau, Pinzgau und Pongau aus einem starken christlichsozialen Reservoir, das in nicht wenigen Gemeinden halbiert wurde, vom Heimatblock und – in geringerem Ausmaß – vom Landbund sowie in manchen Gemeinden in kleineren Anteilen von den Sozialdemokraten.470 • Die Sozialdemokraten haben ihre höchsten Verluste in Gemeinden des Pinzgaues zu verzeichnen, gefolgt vom Pongau. Die Verluste gingen vor allem an die KPÖ, ein anderer – nicht unbeträchtlicher – Teil der sozialdemokratischen Wähler übte Wahlenthaltung. Die SDAP verlor nämlich besonders stark in Gemeinden, in denen die Wahlbeteiligung gegenüber der Nationalratswahl 1930 signifikant geringer war. In Flachgauer Gemeinden und im Gasteinertal müssen sozialdemokratische Stimmen auch direkt zur NSDAP gewandert sein. Insgesamt aber war der Einbruch der NSDAP in das sozialdemokratische Lager eher bescheiden.471

3.5 Die Landtagswahl in Vorarlberg Nach diesen drei Bundesländern, die alle am 24. April wählten, soll noch auf die Situation in Vorarlberg nach der Landtagswahl vom 6. November 1932 eingegangen werden. Regulär hätten die nächsten Landtagswahlen in Vorarlberg im Frühjahr 1933 durchgeführt werden müssen. Damit wären sie aber genau oder annähernd mit den nächsten Nationalratswahlen zusammengefallen, was man in Vorarlberg verhindern wollte. Deshalb beschloß der Vorarlberger Landtag am 29. September 1932 eine Vorverlegung der Landtagswahl und eine Abänderung der Landesverfassung mit der Herabsetzung der Zahl der Abgeordneten von 30 auf 26 und mit der Hinaufsetzung des Wahlalters von 20 auf 21 Jahre. Als Wahltag wurde der 6. November 1932 festgesetzt. Dies war die letzte demokratische Landtagswahl in Österreich in der Ersten Republik. Sie fand zeitgleich mit wichtigen Wahlen in Deutschland, nämlich Reichstagswah469 Vgl. Franz Schausberger, Josef Hauthaler. S. 32 f. 470 Vgl. dazu Franz Schausberger, Die Salzburger Landtagswahl vom 24. April 1932. S. 71 f. 471 Vgl. dazu Franz Schausberger, Die Salzburger Landtagswahl vom 24. April 1932. S. 73.

Die Landtagswahl in Vorarlberg

165

len, statt, übrigens die fünften Wahlen in Deutschland in diesem Jahr. Hitlers Partei mußte einen harten Schlag hinnehmen, ihr Anteil sank von 37,3 Prozent auf 33,1 Prozent, fast 15 Prozent ihrer Wähler hatten sich wieder anderen Parteien zugewandt oder waren nicht zur Wahl gegangen. 34 Mandate gingen verloren (von 230 auf 196), es zeigte sich, »daß es der Partei Hitlers nicht gelingen konnte, den Staat mit Hilfe des Stimmzettels zu erobern und das ›System‹ zu beseitigen.«472 Wie sah nun am gleichen Tag das Ergebnis in Vorarlberg aus  ? Dort hatten die Christlichsozialen bei der letzten Landtagswahl am 18. März 1928 ihre starke Position mit 59 Prozent bestätigt erhalten, die auch bei der Wahl am 6. November 1932 durch das Anwachsen der NSDAP kaum ernstlich gefährdet wurde. Die Christlichsozialen verloren drei Prozent und landeten damit bei 56 Prozent. Obwohl allgemein damit gerechnet worden war, daß die Christlichsoziale Partei zumindest ihre Zweidrittelmehrheit der Mandate verlieren würde, konnte sie sogar diese halten. Kein Wunder, daß bei den Christlichsozialen »große Befriedigung« herrschte und sich für sie das Ergebnis als »glänzender Sieg« darstellte, was es unter den gegebenen Umständen auch tatsächlich war.473 Dabei ist zu bedenken, daß die Christlichsoziale Partei – ganz anders als in den anderen Bundesländern – in Vorarlberg über keine Kader und nur über eine sehr schwache Organisation verfügte. 1932 verfügte sie in nur 36 der insgesamt 98 Gemeinden über eine Ortsgruppe, trotzdem aber war sie bei den Gemeindewahlen 1930 in 93 von 98 Gemeinden stärkste Partei geworden und verfügte in 78 Gemeinden über die absolute Mehrheit. Ihre Stärke machten einerseits populäre Politiker, wie Vizekanzler Jodok Fink, Unterrichtsminister Emil Schneider, Prälat Karl Drexel und der langjährige Landeshauptmann und Bundeskanzler Otto Ender aus, sowie andererseits die Tatsache, daß sich die Vorarlberger Christlichsoziale Partei nicht als einseitige Standesvertretung, sondern als »Volkspartei« sah. Ihr Hauptziel war die Überwindung der Klassengegensätze, was auch bei Arbeitnehmern, die in Vorarlberg anders strukturiert waren als im übrigen Österreich und stärker unter dem Einfluß der Kirche standen, Anklang fand und ein Erstarken der Sozialdemokraten verhinderte.474 Die Christlichsoziale Partei verfügte über eine hohe Integrationskraft der verschiedenen »Klassen«, die nicht sehr stark ausgeprägt waren, mit Ausnahme der Unternehmerschaft bzw. der Industrie, da sie sich ziemlich deutlich gegen den Kapitalismus wandte. Ebenso trat sie energisch gegen eine Militarisierung und Verselbständigung der Heimwehr auf und bekannte sich

472 Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik. S. 145. 473 Vgl. »Salzburger Chronik«, 7. 11. 1932. S. 1. 474 Vgl. Gerhard Wanner, Vorarlbergs Industriegeschichte. Feldkirch 1990. S. 230. Vgl. ebenso Manfred Dünser, Politischer Katholizismus in Vorarlberg. Katholische Aktion und Katholische Männerbewegung 1920–1990. Feldkirch 1991. S. 68 ff.

166

Die Wahlen des Jahres 1932

stets zum Föderalismus und zur Demokratie.475 Unter dem christlichsozialen Landeshauptmann Ender war in Vorarlberg im Vergleich zu den Verhältnissen in den übrigen Bundesländern Erstaunliches zustande gekommen  : Es herrschte seit 1918 innenpolitischer Friede, und das Bundesland war weitum bekannt als das »bestverwaltete« der ansonsten krisengeschüttelten Republik Österreich.476 Viel härter traf es die Sozialdemokraten, die von 21 Prozent auf das nie dagewesene Tief von 15,7 Prozent sanken. Die Sozialdemokraten waren bis zur Landtagswahl 1932 an der Landesregierung beteiligt, obwohl die Landesverfassung von 1923 den Proporz bei der Zusammensetzung der Landesregierung beseitigt hatte. Von ihren Wählern wanderten nicht wenige zu den Kommunisten, aber auch zur NSDAP ab. Gerhard Wanner nimmt an, daß die nationalsozialistischen Wähler überwiegend von der Großdeutschen Volkspartei und vom Landbund kamen, daß aber auch die Sozialdemokraten rund 10 Prozent und die Christlichsozialen rund 4 Prozent an die Hitler-Partei abgeben mußten.477 Die Nationalsozialisten hatten 1928 nur ein Prozent erreicht und stiegen nun auf 10,5 Prozent  ; bei der Nationalratswahl 1930 hatten sie nur 901 Stimmen erreicht. Dies bedeutete zwar einen beachtlichen Gewinn von neun Prozent, der aber an die Ergebnisse der Landtagswahlen vom 24. April in den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Salzburg nicht anschließen konnte. Man muß dabei die Gesamtumstände bedenken, die von der steigenden Not der Wirtschaftskrise geprägt waren. Die Zahl der Arbeitslosen stieg von 1930 auf 1933 von rund 3.100 auf 6.640 an, wozu noch rund 10 Prozent Nichtunterstützte kamen. In den ersten fünf Monaten des Jahres 1932 gab es in Vorarlberg 6.967 unterstützte Arbeitslose  ; der Jahresdurchschnitt lag 1931 bei 4.827. Die Arbeitslosensituation in Vorarlberg war schlimmer als sonst in Österreich. Zwei Drittel der Sticker mußten unterstützt werden, da nur ein Drittel beschäftigt war.478 Die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei der Richtung Knirsch-Riehl war im Oktober 1920 in Vorarlberg gegründet worden. 1926 trat auch in Vorarlberg die Spaltung der Nationalsozialisten in die Schulz- und die Hitler-Richtung ein. Vom Streit profitierten vorerst die Heimwehren, zu denen auch viele Nationalsozialisten stießen. Selbst der große Wahlerfolg Hitlers in Deutschland änderte in Vorarlberg die Situation für die Nationalsozialisten nicht. Erst die Wirtschaftskrise, der Zickzack­ kurs der Heimwehr und der Befehl Hitlers vom Herbst 1930, alle Nationalsozialisten 475 Vgl. Gerhard Wanner, Vorarlberg. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 2. Graz, Wien, Köln 1983. S. 1924. Vgl. ebenso Alois Götsch, Die Vorarlberger Heimwehr. Zwischen Bolschewistenfurcht und NS-Terror. Feldkirch 1993. S. 55 ff. 476 Vgl. Gerhard Wanner, Otto Ender. In  : Friedrich Weissensteiner, Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. Leben und Werk. Wien 1983. S. 160. 477 Vgl. Gerhard Wanner, Vorarlberg. S. 1023 f. 478 Vgl. Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs. Band V. Kanton oder Bundesland. Untergang und Wiederkehr. Wien, Köln, Graz 1987. S. 158. Vgl. dazu auch Gerhard Wanner, Vorarlberg. S. 1020.

Die Landtagswahl in Vorarlberg

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müßten aus der Heimwehr austreten, änderten das Bild. Ende 1931 und 1932 entstanden in Vorarlberg die ersten Ortsgruppen der SS in Dornbirn und Bregenz. 479 Die NSDAP, sehr wesentlich unterstützt von Vorarlberger Industriellen, rekrutierte ihre Wähler vor allem aus den Städten Dornbirn mit 1.221 Stimmen (1928  : 78), Bregenz (959  : 96), Lustenau (946  : 23), Feldkirch (686  : 75) und Bludenz (479  : 158).480 Gerade im Raum Dornbirn unterstützten die dort ansässigen Textil-Fabrikanten die NSDAP nicht nur finanziell sehr großzügig, sondern trieben auch durch ihre bewußt NSfreundliche Personalpolitik und durch immer wieder angedrohte Entlassungen viele Arbeitsnehmer, die sich zunächst nicht sehr anfällig für die nationalsozialistischen Ideen zeigten, in die Hände der NSDAP. Auch die Hilflosigkeit und die zögernde Haltung der Behörden, die der nationalsozialistischen Partei und ihren Hintermännern nicht energisch genug entgegentraten, trugen nicht unwesentlich zum Aufstieg der NSDAP bei.481 Der Wahlkampf war kurz und heftig und in erster Linie ein Kampf zwischen den Christlichsozialen und den Nationalsozialisten. Die Nationalsozialisten hatten eine gemeinsame Kandidatur mit den Großdeutschen abgelehnt und wurden im Wahlkampf nicht nur finanziell, sondern auch durch zahlreiche Wahlredner von Deutschland her unterstützt. Ihre neue Wahlkampfmethode bestand in einem ununterbrochen hemmungslosen persönlichen Herabsetzen der Gegner in zahllosen Flugblättern durch Aufdecken und Erfinden von Skandalen. Das Hauptziel ihrer brutalen Angriffe war natürlich Landeshauptmann Dr. Ender, dem sie sein Agieren als Bundeskanzler in der Frage der Creditanstalt vorwarfen. Im Mittelpunkt ihrer Propaganda stand – wie in den anderen Bundesländern – Adolf Hitler, der in Vorarlberg besonders als religiö­ ser Mensch angepriesen wurde.482 Beachtlich war die große Anzahl von ungültigen und leeren Stimmzetteln, von denen es etwa in Feldkirch 2.950 und in Bregenz 2.910 gab.483 Jedenfalls aber schien sich abzuzeichnen, daß der enorme Aufwärtstrend der ­NSDAP auch in Österreich, wie in Deutschland, gestoppt worden war.484

479 Vgl. Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs. S. 173 ff. 480 Vgl. Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs. S. 126. 481 Vgl. Harald Walser, Wer stand hinter der NSDAP  ? Ein Beitrag zur Geschichte Vorarlbergs 1933 und 1934. In  : Zeitgeschichte. 7. 1979/80. S. 288–297. Vgl. ebenso Harald Walser, Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933–1938. Wien 1983. S. 23 ff. 482 Vgl. Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs. S. 125 f. Vgl. ebenso Gerhard Wanner, Vorarlbergs Industriegeschichte. S. 244. 483 Vgl. »Salzburger Chronik«, 8. 11. 1932, S. 2. 484 Gerhard Wanner, Vorarlberg. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 2. Graz, Wien, Köln 1983. S. 1023 ff.

168

Die Wahlen des Jahres 1932

Tabelle 15 Ergebnis der Landtagswahl 1932 in Vorarlberg (im Vergleich zur Landtagswahl am 18. 3. 1928) Partei

LTW 1928

NRW 1930

LTW 1932

CS

45.342

59,3

44.078

56,8

43.346

56,7

SD

16.244

21,3

16.205

20,9

11.916

15,6

NS

   763

 1,0

   901

 1,2

 8.033

10,5

GD

6.750

 8,8

20.906

20,9

 5.159

 6,8

LB

7.337

 9,6





 5.316

 7,0

KP





   168

 0,2

 2.614

 3,4

76.436

77.569

76.384

Quelle  : »Reichspost«, 10. 11. 1930. S. 3. »Arbeiter-Zeitung«, 10. 11. 1930. S. 2. »Salzburger Chronik«, 8. 11. 1932, S. 2. Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, S. 125.

Tabelle 16 Die Differenzen der Landtagswahl 1932 zu den Landtagswahlen 1928 bzw. zur Nationalratswahl 1930 (in Prozent) zur LTW 1928

zur NRW 1930

CS

–2,6

– 0,1

SD

–5,7

– 5,3

NS

+9,5

+ 9,3

GD

–2,0

–14,1

LB

–2,6

KP

+3,4

+ 3,2

Daraus läßt sich entnehmen, daß die Christlichsozialen gegenüber der Nationalratswahl 1930, als die NSDAP erstmals österreichweit kandidierte, ihren Stand hielt, die Sozialdemokraten über fünf Prozent verloren, die Nationalsozialisten rund 14 Prozent zulegten. Nimmt man Großdeutsche und Landbund zusammen und vergleicht ihr Ergebnis mit dem des Schober-Blocks, so ergibt sich zur Nationalratswahl ein Verlust von 7,1 Prozent. Daraus ergibt sich bei grober Betrachtung, daß die Verluste der nationalen Parteien nicht zum Gewinn der NSDAP ausreichen, sondern daß die Sozialdemokraten wohl rund zwei Prozent an die Nationalsozialisten abgegeben hatten. Die Mandatsverteilung lautete nun (in Klammern die Mandatsverteilung 1928)  :485

485 Vgl. Karl Heinz Burmeister, Geschichte Vorarlbergs. Ein Überblick. Wien. 1983. S. 184.

Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark

169

CS 18 (21), SD 4 (6), GD 1 (1), LB 1 (2), NS 2 (–). Zusammenfassend kann also für Vorarlberg festgestellt werden  : • Trotz größter wirtschaftlicher Schwierigkeiten und heftigster Angriffe seitens der NSDAP konnte die führende Christlichsoziale Partei ihre starke Position (Zweidrittel-Mandatsmehrheit) mit geringen Verlusten halten. Wie weit dabei die untypische Rolle der Vorarlberger Christlichsozialen als stark integrativ wirkende »Volkspartei«, die nicht einmal über eine flächendeckende Organisation verfügte, entscheidend zum Tragen kam, müßte noch genauer untersucht werden. • Die stärksten Verluste mußten die Sozialdemokraten hinnehmen, von denen ein beträchtlicher Teil zu den Kommunisten, aber auch zu den Nationalsozialisten gewandert sein dürfte. Die hohen Stimmenverluste der Sozialdemokraten an die NSDAP sind atypisch für die Wahlergebnisse der SDAP. • Das Ergebnis der Landtagswahl in Vorarlberg ist insgesamt im Vergleich zu den anderen Bundesländern atypisch, vor allem auch darin, daß Großdeutsche und Landbund zwar auch Stimmenverluste hinnehmen mußten, jedoch nicht so total zerrieben wurden wie in den anderen Bundesländern. Die Großdeutschen hielten ihr Mandat, der Landbund verlor eines seiner beiden Mandate. • Trotz der kräftigen finanziellen und organisatorischen Unterstützung der NSDAP durch bedeutende Vorarlberger Industrielle blieb das Ergebnis für die Nationalsozialisten hinter ihren Erfolgen bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 in Wien, Niederösterreich und Salzburg. Eine parallele Entwicklung zur NSDAP in Deutschland, die am gleichen Tag ebenfalls einen starken Rückgang zu verzeichnen hatte. Offensichtlich ein Zeichen dafür, daß auch in Österreich die rasante Aufwärtsentwicklung der NSDAP gestoppt werden konnte. Dies könnte auch Rückschlüsse für den Ausgang von Nationalratswahlen im Herbst 1932 zulassen, wiewohl der Trend des Wahlergebnisses von Vorarlberg nicht schlüssig auf ganz Österreich übertragen werden kann, da Vorarlberg in vielerlei Hinsicht einen »Sonderfall« darstellte.

3.6 Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark Kärnten Die parteipolitische Landschaft im Kärnten der Zwischenkriegszeit ist gekennzeichnet durch eine ziemlich konstant starke Sozialdemokratie und mehrfach wechselnde antimarxistische Parteikoalitionen. Die Christlichsozialen bildeten bei der Landtagswahl 1927 eine »kleine Einheitsliste« gemeinsam mit den Großdeutschen und den Nationalsozialisten der Schulz-Richtung. Der Landbund verließ 1927 die Einheitsliste und kandidierte allein, während er bei der Landtagswahl 1930 gemeinsam mit den

170

Die Wahlen des Jahres 1932

Großdeutschen den »Schoberblock« bildete. Bei der Landtagswahl am 9. Dezember 1930 traten erstmals zwei rechtsradikale Parteien an  : die Heimwehren und die als »Hitlerbewegung« kandidierenden Nationalsozialisten. Während die Sozialdemokraten ihren Anteil ausbauen konnten und sich die Christlichsozialen gut hielten, erlitten die Großdeutschen und der Landbund durch die Kandidatur der beiden rechtsradikalen Parteien schwere Stimmenverluste. Die Heimwehren erzielten 8,8 Prozent und drei Landtagsmandate, die Nationalsozialisten 7,1 Prozent (1927  : 3,0 Prozent) und zwei Mandate. Der Stimmenanteil der Nationalsozialisten war in den Städten und Märkten wesentlich höher als in den Landgemeinden.486 Noch verwirrender als auf Landesebene ist das politische Erscheinungsbild auf Gemeindeebene. Die unter den verschiedensten Bezeichnungen auftretenden bürgerlichen Namenslisten und antimarxistischen Wahlbündnisse machen Vergleiche von Gemeinderatswahlergebnissen fast unmöglich. Aber während es für die Gemeinderatswahlen in der Steiermark praktisch unmöglich ist, ein Gesamtergebnis zu ermitteln, liegen für die Gemeinderatswahlen in Kärnten die Ergebnisse zumindest ziemlich vollständig vor.487 In 37 von den 248 Gemeinden fand keine Wahl statt, weil nur ein Wahlvorschlag eingebracht wurde. Insgesamt wurden 3.840 Mandate (1928  : 3.701) vergeben. In vier Gemeinden wurden die Wahlen von der Landeswahlbehörde nach Einsprüchen aufgehoben und Neuwahlen ausgeschrieben, die im Laufe des Juni 1932 durchgeführt wurden. Die Landeshauptstadt Klagenfurt hatte schon am 31. Mai 1931 gewählt. Die hohe Organisationsdichte der Sozialdemokraten zeigt sich allein schon dadurch, daß sie in insgesamt 184 Gemeinden kandidierten.488 Die Nationalsozialisten, die 1928 noch kaum mit einer eigenen Liste kandidiert hatten, kandidierten nun in 99 Gemeinden.489 Die Christlichsozialen brachten es auf 50 eigenständige Kandidaturen, der Landbund auf 35.490 Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, daß gerade die 486 Vgl. Wilhelm Wadl, Alfred Ogris, Das Jahr 1938 in Kärnten und seine Vorgeschichte. Ereignisse – Dokumente – Bilder. Klagenfurt 1988. S. 99 f. Vgl. ebenso August Walzl »Als erster Gau …«. Entwicklungen und Strukturen des Nationalsozialismus in Kärnten. Klagenfurt 1992. S. 15 ff. 487 Ich danke dafür Herrn Ulfried Burz, der die Ergebnisse der Gemeinderatswahlen in Kärnten vom 24. April 1932 in seiner Dissertation »Der Werdegang der NS-Bewegung im Kärnten der Zwanziger und Dreißiger Jahre« darstellte und sie mir zur Verfügung stellte. 488 Vgl. »Arbeiterwille«, 25. 4. 1932. S. 1. 489 Vgl. »Der Kampf«, 30. 4. 1932. S. 6. Hier werden 101 nationalsozialistische Listen angegeben. Aus den Unterlagen von Ulfried Burz gehen nur 99 nationalsozialistische Listen hervor, wobei bei einer Gemeinde die konkreten Stimmenzahlen fehlen und in einer Gemeinde eine »Nationalsozialistische Bauernschaft« kandidierte, die ebenfalls zu den NSDAP-Listen gezählt wurde. Auch bei den anderen Parteien differieren die in den Zeitungen angegebenen Zahlen der Listen leicht von denen von Ulfried Burz. Dies läßt sich mit den vielen verschiedenen Listenbezeichnungen, von denen dann einige von den einzelnen Parteien sich selbst zugerechnet wurden, erklären. 490 Vgl. »Landbund-Stimmen«, 30. 4. 1932. S. 2. Hier werden nur 32 selbständige Landbund-Listen angegeben.

171

Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark

Christlichsozialen und der Landbund vielfach ihre Kandidaten gemeinsam mit Großdeutschen und anderen bürgerlichen Gruppierungen in Einheitslisten, Wirtschaftslisten, Wirtschaftsparteien etc. zusammenfaßten, wobei eine exakte Aufschlüsselung ohne genaue Untersuchungen der einzelnen Gemeindelisten nicht möglich ist. Es ist jedoch auffällig, daß in vielen Gemeinden, in denen die NSDAP erstmals mit einer eigenen Liste kandidierte, der Landbund, der 1928 noch kandidiert hatte, entweder überhaupt auf eine eigene Kandidatur verzichtete oder sich an einer Einheits- oder Wirtschaftsliste beteiligte. Tabelle 17 Ergebnis der Gemeinderatswahlen vom 24. 4. 1932 in Kärnten (im Vergleich zu den Gemeinderatswahlen vom 22. 4. 1928) Partei

Stimmen

Prozente

Mandate

SD

52.996

( 51.580)

35,2

(37,4)

999

( 958)

CS

9.436

( 8.359)

6,3

( 6,1)

304

( 205)

LB

6.467

( 14.872)

4,3

(10,8)

229

( 499)

(

286)

0,1

( 0,2)

2

7.146

( 9.260)

4,7

( 6,7)

227

( 239)

WP

41.594

( 38.723)

27,6

(28,1)

1.274

(1.136)

NSDAP

18.323

( 2.198)

12,2

( 1,6)

337

(

24)

0,1

( 0,4)

8

(

20)

HageB.

79

Kntn.Slo.

BAP

212

(

596)

EL

1.535

( 4.992)

1,0

( 3,6)

186

KP

2.865

(

1,9

( 0,3)

27

NMWP

404)

(

12)

( 406) (

1)



( 2.094)



( 1,5)

( 30)

NWB+LB

1.003



0,7



48



StV

4.973



3,3



94



HS

1.034



0,7



27



2.939

(  4.690)

2,0

( 3,4)

78

( 171)

150.602

(138.054)

And. Part.

491

Wahlbeteiligung  : 73,9%

491

SD = Sozialdemokratische Arbeiterpartei, CS = Christlichsoziale Partei, LB = Landbund, HageB. = Handels- und Gewerbebund, Kntn. Slo = Kärntner Slowenen, WP = Wirtschaftspartei, NSDAP = National­ sozialistische Deutsche Arbeiterpartei (Hitlerbewegung), BAP = Bauern- und Arbeiterpartei, EL = Einheitsliste, KP = Kommunistische Partei, NMWP = Nicht-marxistische Wirtschaftspartei, StV = Ständevertretung, HS = Heimatschutz.

491 Zu den anderen Parteien zählen  : Gemeinde

Partei

Stimmen

Mandate

Egg

Bürgerl. Mittelstand

34

1

Hermagor

Landw. Bürgerpartei

52

1

172

Die Wahlen des Jahres 1932

Das Ergebnis zeigt also einen beträchtlichen Gewinn von 10,6 Prozent für die ­NSDAP, ebenso beträchtliche Verluste von 6,5 Prozent für den Landbund, der jedoch das Ergebnis als »mehr als zufriedenstellend« bezeichnete492, eine Abnahme von 2,2 Prozent bei den Sozialdemokraten, die damit im Gegensatz zu 1930 in ihren städtischen Hochburgen erste Einbrüche erlebten, sowie einen leichten Rückgang von 1,5 Prozent bei den Splitterparteien. Die Christlichsozialen hielten dort, wo sie selbständig kandidierten, ihre Position sogar mit leichten Gewinnen. Eine genaue Analyse ist jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, weil dazu jedes Gemeindeergebnis genau analysiert werden müßte, hatten doch christlichsoziale, nationale, großdeutsche Kandidaten und solche des Landbundes und der Heimwehr in verschiedensten Kombinationen in unterschiedlichen Heimat-, Wirtschafts- und Einheitslisten kandidiert. Nach Ansicht der »Tagespost« finde sich der größte Teil der verlorenen LandbundMandate »in dem Zuwachs der Wirtschaftspartei. Hingegen können die Großdeutschen und der Hagebund sowie die sonstigen Splitterparteien als vollkommen aufgesogen gelten. Was sie an Mandaten besaßen, haben die Nationalsozialisten erobert.«493 Schon vor der Wahl hatte die »Tagespost« beklagt  : »Die Zersplitterung der antimarxistischen Wähler ist durch das selbständige Auftreten der Nationalsozialisten in vielen Gemeinden noch größer als früher. Man findet auf der bürgerlichen Seite Wahlwerberlisten unter den verschiedensten und sonderbarsten Bezeichnungen. Fast in jeder Gemeinde hat sich eine andere Kombination ergeben, die als Hauptbezeichnung den Namen ›Wirtschaftspartei‹ führt und in verschiedenartiger GruppieGemeinde

Partei

Stimmen

Mandate

Tröpolach

Liste Ferd. Brunner

43

2

Dellach

Landw. Arbeiter u. Gewerbe

67

2

Mauthen

Liste Gressel

335

11

Würmlach

Unpolitische Partei

72

3

Köttmannsdf.

Unparteiische Volksp.

21

Feistritz

Rote Einheitsfront

63

1

Krumpendorf

Unpol. Sparerliste

130

4

Steindorf

Land- und Hagebund

263

6

St. Martin

Großdeutsche Volksp.

113

1

Pörtschach

Wahlgem. d. Bürger u. Arb.

121

3

Eberstein

Bürgerl. gewerbl. Wirtschaftsvereinigung

290

7

Emmersdorf

Liste Ulrich Hecher

Finkenstein

Finkensteiner Volksp.

Leifling

Heimattreue Volkspartei

70

3

Rückersdorf

Slow. Arbeiterpartei

201

5

Waldenstein

Unpol. Bauern u. Arb.liste

155

5

Ettendorf

Unpol. Bauern u. Arb.part.

99

3

Schönweg

Vereinigungspartei

74 4

Pölling

Klade Partei

79

77

1

580

7

8

492 »Landbund-Stimmen«, 30. 4. 1932. S. 2. Auf den Landbund hatten die Nationalsozialisten offensichtlich »ihre Agitation konzentriert«. Vgl. »Tagespost«, 19. 4. 1932. S. 1. 493 »Tagespost«, 26. 4. 1932. S. 2.

Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark

173

rung Christlichsoziale, Großdeutsche, Hagebund, Heimatschutz, Landbund in sich schließt, während anderswo diese Parteien wieder selbständig auftreten oder in Gruppierungen, die in ihrer Benennung den Ständecharakter betonen.«494 Die »Tagespost« meinte jedenfalls, das Ergebnis dieser Gemeinderatswahl »wird für die vielen Gemeinden eine engere Zusammenarbeit der Sozialdemokraten und der Christlichsozialen sein müssen, weil nur dadurch eine tragfähige Mehrheit für die Bürgermeisterwahl und die Führung der Gemeinden wird geschaffen werden können.«495 Bei aller Ungenauigkeit, die sich vor allem aus der schweren Zuordbarkeit mancher Listen ergibt, kann man für das Ergebnis der Gemeinderatswahl in Kärnten zu folgender groben Analyse kommen  : • Nimmt man nur jene Gemeinden, in denen die Nationalsozialisten mit einer eigenen Liste kandidiert hatten, so ergibt sich für die NSDAP ein Gesamtergebnis von 19 Prozent. Obwohl dies natürlich gegenüber der letzten Gemeinderatswahl einen beträchtlichen Stimmengewinn bedeutete, darf doch nicht übersehen werden, daß eine Partei, die unter 20 Prozent bleibt, von der Übernahme der Macht über demokratische Wahlen weit entfernt ist. Auch wenn den Nationalsozialisten »regional beschränkte und landesweit gesehen bescheidene Wahlerfolge« gelangen, muß man sehen, daß den Sozialdemokraten und den Christlichsozialen es möglich war, ihre Stammwähler noch nahezu geschlossen für sich zu gewinnen.496 • Dennoch darf nicht übersehen werden, daß die NSDAP in vier Gemeinden (Weissbriach, Eisentratten, Reisberg und Legerbruch) stärkste Partei und in 21 Gemeinden zweitstärkste Partei wurde. In zwei Gemeinden verschlechterte sich ihr Ergebnis gegenüber der Gemeinderatswahl 1928. In Villach stieg die NSDAP von einem auf 10 Mandate, Sozialdemokraten und Christlichsoziale hielten ihren Mandatsstand von 16 bzw. 4 Sitzen, die Wirtschaftspartei, die 1928 7 Sitze erreichte, kandidierte nicht mehr, die Heimattreue Ständevereinigung errang zwei Sitze. Die NSDAP übernahm offensichtlich die Wählerschaft der Wirtschaftspartei und profitierte von etwa 1.000 zusätzlich abgegebenen gültigen Stimmen, also von einer höheren Wahlbeteiligung. • Am deutlichsten zeigt sich in jenen Gemeinden, in denen die NSDAP kandidierte, ein Trend von früheren Wirtschaftslisten im weiteren Sinne, von Einheits- und Namenslisten und vom Landbund zu den Nationalsozialisten. In 57 Gemeinden verloren Wirtschaftsparteien eindeutig an die NSDAP, in 16 gewannen sie Stimmen  ; vor allem dort, wo 1928 eine Einheitsliste kandidierte, die sich nun in mehrere Parteien absplitterte. In 16 Gemeinden wanderten ehemalige Wähler von Einheitslisten, die z. T nicht mehr kandidierten, offenbar zur NSDAP. Offensichtlich hatten Wirtschafts- und Einheitslisten bei früheren Wahlen auch nationalsozialistische Wähler miteingeschlossen. 494 »Tagespost«, 19. 4. 1932. S. 1. 495 »Tagespost«, 26. 4. 1932. S. 2. 496 Vgl. Wilhelm Wadl, Alfred Ogris, Das Jahr 1938 in Kärnten. S. 102.

174

Die Wahlen des Jahres 1932

• In 17 Gemeinden mit NS-Listen war der Landbund im Gegensatz zu 1928 gar nicht mehr mit einer eigenen Liste angetreten  ; in jenen Gemeinden, in denen er mit einer eigenen Liste neben der NSDAP kandidierte, halten sich Gewinne und Verluste des Landbundes ziemlich die Waage. Insgesamt kann aber angenommen werden, daß der Landbund einen großen Teil seiner früheren Wähler an die NSDAP verlor. • In den Gemeinden mit NS-Listen halten sich bei den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten Verluste und Gewinne die Waage. Diese beiden Lager haben also ihre Position im großen und ganzen erfolgreich gegen den braunen Ansturm verteidigt. Für die Christlichsozialen zeigte sich, daß die oftmalige gemeinsame Kandidatur mit nationalen Gruppierungen auf verschiedenen »antimarxistischen« Wirtschafts- und Einheitslisten ihre Position letztlich geschwächt haben dürfte, da die Abgrenzung zu den nationalen Gruppen und damit auch zu deren radikalen Ausformung in der NSDAP ziemlich schwer war. Wer sich zuerst mit den nationalen Gruppen zusammentat, konnte nun kaum glaubwürdig die »braune Gefahr« an die Wand malen. In einer größeren Zahl von Gemeinden dürften die Nationalsozialisten zudem von einem Anstieg der Wahlbeteiligung profitiert haben. Steiermark Wie im übrigen Österreich war auch in der Steiermark die öffentliche Wirkung der Nationalsozialisten (Hitlerbewegung) Ende der zwanziger Jahre eher gering. Es dominierten auch hier interne Auseinandersetzungen über Führungs- und Organisationsfragen. Ein Aufschwung machte sich erst ab Mitte 1931 bemerkbar. Gauleiter war seit 1928 Walter Oberhaidacher, der von 1929 bis 1933 auch dem Grazer Gemeinderat angehörte. Unter ihm intensivierte sich die Tätigkeit der NSDAP in der Steiermark spürbar.497 Insgesamt aber läßt sich der Aufschwung der Nationalsozialisten seit Herbst 1931 in der Steiermark wesentlich schwerer nachvollziehen als für andere Bundesländer. Bei der Gemeinderatswahl am 24. April 1932 (mit Ausnahme der Landeshauptstadt Graz, wo schon am 21. April 1929 gewählt worden war498) erhöhten die Nationalsozialisten die Zahl ihrer Gemeinderäte zwar von 21 auf rund 300, da jedoch »in etli497 Vgl. Eduard G. Staudinger, Zur Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938. In  : Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Band 18/19. Graz 1988. S. 47 ff. 498 Die NSDAP (Hitlerbewegung) kandidierte erstmals bei der Gemeinderatswahl in Graz am 21. 4. 1929, die folgendes Ergebnis brachte  : Sozialdemokraten

44.441

Stimmen

48,6%

Christlichsoziale

29.273

Stimmen

32,0%

Nat. Wirtsch.block

12.719

Stimmen

13,9%

Wirtsch.bund der Stände

2.656

Stimmen

2,9%

NSDAP

1.695

Stimmen

1,9%

608

Stimmen

0,7%

KP

Vgl. Eduard G. Staudinger, Zur Entwicklung. S. 46.

Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark

175

chen Gemeinden nur eine Namensliste kandidierte und die Nationalsozialisten noch nicht über eine bis in alle ländlichen Gemeinden reichende Infrastruktur verfügten, somit auch nicht überall eigene Kandidatenlisten aufstellen konnten, läßt sich ein exaktes Stärkeverhältnis aus diesen Wahlen nur schwer ablesen. Der Aufschwung der Nationalsozialisten im (klein-)städtischen Bereich trat allerdings deutlich zutage.«499 Der Wahlkampf wurde zum Teil äußerst aggressiv geführt. Noch am Wahltag selbst kam es zu einer Reihe von Zusammenstößen, Raufereien, Messerstechereien etc. etwa zwischen dem christlichsozialen Freiheitsbund und den Nationalsozialisten. Einen Tag vor der Wahl kamen bei einem Bombenattentat in Andritz der christlichsoziale Altbürgermeister und ein Begleiter ums Leben. Die Christlichsozialen versuchten die Kommunisten für die Tat verantwortlich zu machen.500 Für einige größere Märkte und Städte seien beispielhaft die NSDAP-Anteile angeführt  : Tabelle 18 Schladming

29,7%

Knittelfeld

13,8%

Leibnitz

28,7%

Voitsberg

12,8%

Bad Aussee

25,5%

Feldbach

12,7%

Liezen

23,5%

Mitterndorf

12,3%

Murau

22,5%

Köflach

11,4%

Judenburg

22,3%

Altaussee

11,0%

Hartberg

20,8%

Bruck an der Mur

9,9%

Märzzuschlag

20,1%

Fohnsdorf

9,6%

Radkersburg

19,7%

Eisenerz

9,4%

Rottenmann

19,4%

Kapfenberg

8,7%

Leoben

18,8%

Donawitz

8,0%

Waltersdorf

18,3%

Bärnbach

7,2%

Mariatrost-Fölling

16,8%

Fürstenfeld

5,8%

Mariazell

14,8%

Eggenberg b. Graz

5,4%

Weiz

14,1%

In den kleineren agrarischen Gemeinden hat die NSDAP überwiegend nicht kandidiert. Aus der obigen Auflistung der NS-Anteile in größeren Märkten und Städten läßt sich unschwer erkennen, daß auch in der Steiermark die NSDAP überwiegend in den größeren »bürgerlichen« Kommunen ihre höchsten Stimmanteile erzielte. Die 499 Eduard G. Staudinger, Zur Entwicklung. S. 54 f. Ebenso Eduard G. Staudinger, Der Juli-Putsch 1934 im Bezirk Weiz. In  : Zeitschrift Gleisdorf 6. 1984. S. 239–248. 500 Vgl. »Arbeiterwille«, 25. 4. 1932. S. 3. »Tagespost«, 24. 4. 1932. S. 3.

176

Die Wahlen des Jahres 1932

Anteile in den sozialdemokratischen Hochburgen liegen im unteren Feld, obwohl die Sozialdemokraten in den von ihnen stark dominierten Gemeinden z. T. beachtliche Verluste hinnehmen mußten. Die »Tagespost« spricht von schweren Stimmverlusten der Sozialdemokraten in Bruck, Kapfenberg, Donawitz, Knittelfeld, Zeltweg, Fohnsdorf und Judenburg.501 In derselben Ausgabe wird in einem Kommentar der Grund für das (angeblich) gute Abschneiden der Christlichsozialen bei den steirischen Kommunalwahlen angeführt und auch das vorherrschende Lebensgefühl sehr gut zum Ausdruck gebracht  : »Es ist nicht die junge, stürmische Nationalsozialistische Partei, die allein Bewegung in die Massen brachte, dort, wo bestehende Parteien Kraft und Erneuerungswillen zeigen, wie in der Steiermark Christlichsoziale und Heimatschutz, hat ihnen der Nationalsozialismus nur wenig Abbruch getan. Er wirkte sich aber schwer gegen schwächliches Kompromißlertum aus, wie gegen die Wiener Gruppe der Christlichsozialen, die dort zu den eigentlichen Leidtragenden bei der Mandatsverschiebung wurden … Es sind die ewig verständnisbereiten bürgerlichen ›Retter‹ einer unbrauchbaren Demokratie, über die ein allmählich heranwachsendes jüngeres Österreich hinweggeht, und sie können es jetzt bedauern, dem Verlangen des Heimatschutzes nach verfassungsmäßiger Erneuerung Österreichs nicht schon vor vier Jahren Rechnung getragen zu haben.«502 Hier kommt sehr stark die heimatschutzfreundliche Haltung des steirischen Landeshauptmannes Dr. Rintelen zum Ausdruck. Was die tatsächliche Stärke der Christlichsozialen nach dieser Gemeinderatswahl betrifft, so läßt sie sich mit bestem Willen nicht feststellen, »weil da die Christlichsozialen in den meisten Orten in dem Kuddelmuddel der Wirtschaftsparteien untergetaucht sind.«503 Das sozialdemokratische Parteiorgan analysiert die steirischen Gemeinderatswahlen folgendermaßen504  : • In den sozialdemokratisch dominierten Gemeinden des steirischen Industriegebietes führten die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu einem nicht sehr tiefgreifenden Stimmenrückgang der Sozialdemokraten zugunsten der Kommunisten und zu einem Stimmenverlust der Bürgerlichen zugunsten der Nationalsozialisten. Die sozialdemokratische Mehrheit ging in Pernegg, Peggau und Eisenerz verloren. Dem stehen z. T. beträchtliche Gewinne etwa in Straßgang, Gradenberg, Bärnbach, Andritz und Feldkirchen gegenüber. Erfolge konnten die Sozialdemokraten in vielen kleineren Landgemeinden erzielen, wo sie das erste Mal kandidierten und meist auf Anhieb mehrere Mandate erzielten.

501 Vgl. »Tagespost«, 26. 4. 1932. S. 1. 502 »Tagespost«, 26. 4. 1932. S. 1. 503 »Arbeiterwille«, 26. 4. 1932. S. 1. 504 Vgl. »Arbeiterwille«, 25. 4. 1932. S. 2.

Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark

177

• Die Kommunisten, die in nur ganz wenigen Gemeinden ein Mandat erzielten, bewirkten in vielen Gemeinden durch ihre Kandidatur, daß die Sozialdemokraten verloren. »Die Mandatsverluste der Sozialdemokraten in den Industriegemeinden wären wesentlich geringer und die Gewinne, die diesen Verlusten gegenüberstehen, größer, wenn die Kommunisten auf ihre Brudermordtaktik verzichtet hätten.« • Die Verluste der Sozialdemokraten seien z. T. auch stark durch Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung begründet. In Eisenerz waren seit 1928 etwa tausend sozialdemokratische Wähler abgewandert, ebenso in Röthelstein, wo nach der Beendigung der Steweagbauten ein großer Teil der Arbeiter abwanderte. In Weiz waren 1928 in den Elin-Werken noch etwa tausend Arbeiter beschäftigt, 1932 nur mehr 280. Ähnliches galt für die Gemeinde Groß-Veitsch. Für den sozialdemokratischen Stimmenverlust in Straß machten die Sozialdemokraten die »Entpolitisierungsmethoden« von Heeresminister Vaugoin in der dortigen Garnison verantwortlich. • Sehr zufrieden waren die Sozialdemokraten vor allem mit ihren Ergebnissen der Gemeinden in der Umgebung von Graz. • Insgesamt sei »es weder den Faschisten, noch den Kommunisten gelungen, in die sozialdemokratische Front einzudringen. Auch den Faschisten ist eine Stärkung ihrer Reihen nicht gelungen, sondern es hat lediglich ein stärkerer Wechsel vom Hahnenschwanz zum Hakenkreuz stattgefunden, ebenso ist feststehend, daß die Nazi den Großdeutschen beinahe alle Stimmen weggenommen haben.« Für die steirischen Gemeinderatswahlen gilt im Hinblick auf die vielen verschiedenen Wirtschafts- und Einheitsparteien das für andere Bundesländer bereits Gesagte in noch größerem Ausmaß. Kaum anderswo ist die Aufsplitterung des bürgerlichen Lagers größer als in den steirischen Gemeinden. Vor allem kandidierten Wirtschaftsparteien – oftmals zwei oder drei verschiedene in einer Gemeinde –, christliche, nationale, christlich-nationale, Gemeindewirtschaftsparteien, Unpolitische Wirtschaftsvereinigungen, Wirtschafts- und Ständelisten, Wirtschaftsbund, Wirtschafts-, Ständeparteien und Heimatschutz, Heimatblock, Landbund, Bauernpartei, Christlicher Mittelstand, Bäuerliche Wirtschaftspartei, Bürger- und Bauernpartei, Gemischte Wirtschaftspartei, Katholische sparsame Wirtschaftspartei, Kleingewerbepartei, Vereinigte Stadt- oder Landlisten, Ständeparteien, Parteien der Festbesoldeten, Vereinigungsparteien, Namenslisten etc. Die Sozialdemokraten sahen den Zusammenschluß der Bürgerlichen zu diesen Parteien nicht zu Unrecht ausschließlich gegen sich gerichtet  : »da schließen sie sich zu Wirtschaftsparteien zusammen gegen die Marxisten  ; da wird der Banditismus förmlich legalisiert durch die Zusammenarbeit mit dem weißgrünen Faschismus und das Paktieren mit den Braunen wird auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.«505 505 »Arbeiterwille«, 24. 4. 1932. S. 2.

178

Die Wahlen des Jahres 1932

Diese Gemeinderatswahlen leiteten jedenfalls eine »Wende in der steirischen Parteienlandschaft« ein, »die insgesamt einen relativen Wahlerfolg der NSDAP brachten, welche ab diesem Zeitpunkt auch in der Steiermark mit einer massiven Propaganda einsetzte, deren Repertoire von groben Methoden der Beeinflussung bis zu gefinkelten Formen reichte«.506 Nachdem weder in den Archiven noch in den Zeitungen geschlossene Darstellungen der Wahlergebnisse der Gemeindewahlen vom 24. 4. 1932 aus allen Gemeinden vorliegen und eine noch größere und damit noch verwirrendere Anzahl von Namenslisten, Einheitslisten und antimarxistischen Wahlbündnissen kandidierte, ist zumindest im Rahmen dieser Arbeit ein Gesamtergebnis seriös nicht eruierbar. In 446 der insgesamt 1.029 Gemeinden fand überhaupt keine Wahl statt, weil dort nur eine einzige wahlwerbende Liste eingebracht wurde. Das folgende Gesamtergebnis wurde der »LandesChronik Steiermark« entnommen – wobei jedoch eine Quellenangabe fehlt – und betrifft die Prozentanteile an den vergebenen Mandaten.507 Tabelle 19 Wirtschaftsparteien

38,2%

Christlichsoziale

19,4%

Sozialdemokraten

14,1%

Einheitslisten

10,6%

div. Wählerlisten

8,5%

Landbund

5,3%

NSDAP

3,0%

Heimatblock

0,7%

KP

0,2%

Aus der »Tagespost« und dem sozialdemokratischen Parteiorgan »Arbeiterwille« konnten die Ergebnisse von 279 Gemeinden entnommen und ausgewertet werden. Da nur in 583 Gemeinden tatsächlich Wahlen abgehalten wurden, entspricht dies 47,8 Prozent, also fast der Hälfte aller Gemeinden, in denen gewählt wurde. Daraus ergibt sich folgendes Ergebnis, aus dem man – bei allem Vorbehalt – einen möglichen Trend herauslesen kann  : 506 Robert Hinteregger, Spurensicherung zur politischen Geschichte der steirischen Arbeiterbewegung während der Ersten Republik. In  : Für Freiheit, Arbeit und Recht. Die steirische Arbeiterbewegung zwischen Revolution und Faschismus (1918–1938). Graz 1984. S. 74 f. 507 Vgl. Walter Zitzenbacher (Hg.), LandesChronik Steiermark. 3000 Jahre in Daten, Dokumenten und Bildern. Wien, München 1988. S. 324.

179

Die Gemeinderatswahlen in Kärnten und in der Steiermark

Tabelle 20 Gesamtergebnis von 279 von 583 Gemeinden  Abg. Stimmen

242.843

SD

96.130

39,6%

Wirtschaftsparteien

83.575

34,4%

NS

20.698

8,5%

CS

17.693

7,3%

Stände- u. Heimatblock

5.838

2,4%

KP

4.997

2,1%

Einheitslisten

3.508

1,4%

LB

2.366

1,0%

Den Rest bilden andere bürgerliche oder bäuerliche Parteien, Großdeutsche sowie eine Kleinbauern- und Arbeiterpartei. Eine Analyse ist für die steirischen Gemeindewahlen auf Grund der oben angegebenen Gründe praktisch nicht möglich, trotzdem soll versucht werden, mit allem Vorbehalt einige Feststellungen zu treffen  : • Die NSDAP dürfte in der Steiermark organisatorisch 1932 noch ziemlich schwach gewesen sein und kandidierte daher kaum in den kleineren Landgemeinden, sondern nur in den Städten und größeren Märkten. Ihr Ergebnis kann – alle Gemeinden in Summe betrachtet – bei etwa acht bis zehn Prozent angenommen werden und liegt daher unter dem von Kärnten. • Ein Ergebnis für die Christlichsoziale Partei ist nicht zu eruieren. Die Zahl jener bürgerlichen (Wirtschafts-)Gruppen, in denen die Christlichsozialen mit deutschnationalen Gruppierungen kandidierte, ist noch wesentlich größer und verwirrender als in Kärnten. Sie können hier in verstärktem Maße als »Durchgangslager« zu den Nationalsozialisten angesehen werden, vor allem auch deshalb, weil die Christlichsoziale Partei unter Landeshauptmann Rintelen sehr eng mit den antidemokratischen und faschistischen Heimwehren kooperierte und einen autoritären Kurs anstrebte.508 • Die Sozialdemokraten hielten ihre Positionen in ihren Hochburgen im großen und ganzen, ihre Verluste kamen den Kommunisten zugute. In ländlichen Gemeinden, in denen sie zum erstenmal kandidierten, waren sie durchaus erfolgreich. 508 Vgl. dazu »Arbeiterwille«, 26. 4. 1932. S. 1  : »Unter der Führung des Herrn Rintelen dominiert da die christlichsoziale Richtung, die Wiener Seipel-Vaugoin-Kienböck-Richtung, also eine, die als kleriko­ faschistisch bekannt ist. Wenn also ein Wähler faschistisch ist, braucht er den Rintelen nicht dazu, da geht er gleich zu Pfrimer oder zu Hitler, wenn sich auch der Herr Parteichef heute den Hahnenschwanzhut aufsetzt oder morgen sich mit der Hakenkreuzbinde zu schmücken bereit ist.«

180

Die Wahlen des Jahres 1932

3.7 Weitere lokale Wahlen Für die Beurteilung einer möglichen weiteren politischen Entwicklung in Österreich sind auch die Ergebnisse von lokalen Wahlgängen nach der Landtagswahl in Vorarlberg von Bedeutung. Auf einige davon, vor allem auf die Innsbrucker Gemeinderatswahl vom 23. April 1933, soll daher noch beispielhaft eingegangen werden. Die ersten Jahre der Hitler-Bewegung in Tirol waren von weitgehender Bedeutungslosigkeit gekennzeichnet. Die von München gesteuerte Hitler-Bewegung stand gerade in Tirol wegen des von Hitler ausgesprochenen Verzichts auf die Einbeziehung des deutschen Südtirol in das künftige große Deutsche Reich in zunächst heftigem Gegensatz zur »österreichischen« Schulz-Richtung. Dieser »Verrat an Südtirol« wurde der NSDAP-Hitlerbewegung vor allem in Tirol immer wieder vorgeworfen. Der Vorwurf verlor etwas an Glaubwürdigkeit, als sich auch die Heimatwehr immer mehr in die materielle und ideologische Abhängigkeit des Mussolini-Faschismus begab.509 Bei den letzten Tiroler Landtagswahlen am 28. April 1929 verzeichnete daher die Schulz-Gruppe nur 522, die NSDAP-Hitlerbewegung nur 480 Stimmen. Auch bei der gleichzeitig durchgeführten Gemeinderats-Ergänzungswahl in Innsbruck blieben beide Gruppen ohne Mandat. Die Nationalsozialistische Partei (Schulz) erhielt 277 Stimmen, die NSDAP-Hitlerbewegung 202 Stimmen. Auch bei der GemeinderatsErgänzungswahl am 17. Mai 1931 blieb die NSDAP (diesmal kandidierte nur mehr die Hitlerbewegung) ohne Mandat, die Anzahl ihrer Stimmen betrug aber immerhin schon 1.196.510 Erst im Jahr 1931 kam es zur Einsetzung eines neuen Gauleiters für den Westgau (Vorarlberg, Tirol, Salzburg)511, nämlich Ing. Rudolf Riedl, der eine Reorganisation der Partei einleitete. Die Werbemaßnahmen orientierten sich am erfolgreichen deutschen Vorbild  : Umzüge und Propagandafahrten mit Lastautos, Neugründung von Ortsgruppen, des NS-Mittelschülerbundes und einer NS-Frauengruppe. Ende 1931 zählte die Innsbrucker NS-Ortsgruppe 450 Mitglieder, die gesamte Landesorganisation an die 800 Mitglieder. Die SA wies 96, die SS 30 Mitglieder auf. Im Oktober 1932 wurden in Innsbruck bereits 2.500 Mitglieder der NSDAP gezählt. Im April 1932 bestanden in Tirol und Vorarlberg 24 Ortsgruppen.512 509 Vgl. Josef Riedmann, Das Bundesland Tirol (1918 bis 1970), Geschichte des Landes Tirol. Band 4/11. Hg. von Josef Fontana et al. Bozen, Innsbruck, Wien 1988. S. 833. Ebenso Leopold Steurer, Südtirol 1918–1945. In  : Anton Pelinka, Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur neueren Geschichte Tirols. Band 2. Zeitgeschichte. 1. Teil. Politische Geschichte. Innsbruck 1993. S. 215 f. 510 Vgl. Franz-Heinz Hye, Innsbruck im Spannungsfeld der Politik 1918–1938. Berichte – Bilder – Dokumente. Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs. Band 16/17. Innsbruck 1991. S. 181 und S. 193. 511 Ab Juni 1932 umfaßte der Westgau nur mehr Tirol und Vorarlberg. 512 Vgl. Josef Riedmann, Das Bundesland Tirol (1918 bis 1970). S. 834. Zur Entwicklung der NSDAP in

Weitere lokale Wahlen

181

Die Hitlerbewegung begann bewußt die militante Konfrontation mit den politischen Gegnern zu suchen. Den Höhepunkt dieses erbitterten Kleinkrieges stellte die Saalschlacht von Hötting vom 27. Mai 1932 dar, als die Sozialdemokraten eine in ihrer »roten Hochburg« angesetzte NSDAP-Versammlung sprengten. Schon bevor die SA-Leute in den Versammlungssaal einrückten, war dieser von Mitgliedern des Schutzbundes und von Kommunisten besetzt worden. Bei der kurzen, aber heftigen Saalschlacht im Gasthof »Bär« wurden 16 Sozialdemokraten und Kommunisten sowie 19 Nationalsozialisten erheblich verletzt, ein SA-Mitglied starb an den erlittenen schweren Stichwunden, zur Herstellung der Ruhe mußte ein Bataillon des Alpenjäger-Regiments eingesetzt werden. Dieses Todesopfer wurde von den Nationalsozialisten als Märtyrer des »roten Terrors« propagandistisch groß herausgestellt.513 Es ist signifikant, daß die Nationalsozialisten nicht nur bundespolitische Themen in die Landtage, in denen sie seit der Landtagswahl vertreten waren, einbrachten, sondern auch Ereignisse aus anderen Bundesländern thematisierten. Wenige Tage nach den Ereignissen in Hötting, am 3. Juni 1932, brachten die Nationalsozialisten im Salzburger Landtag eine Dringliche Anfrage ein, in der sie die Befürchtung aussprachen, »daß derartige Vorfälle Rück- und Nachwirkungen in anderen Bundesländern, insbesondere aber in Salzburg, haben könnten und die Gefahr besteht, daß der Marxismus nach der glatten Niederlage in den Landtagswahlen ebenfalls zu den altbewährten Methoden der Vorbereitung zum Bürgerkrieg sich wendet«.514 Sie stellten an den Salzburger Landeshauptmann Dr. Rehrl die Frage, ob ihm die Vorfälle von Hötting aus amtlichen Berichten bekannt seien, welche Maßnahmen er gegen die »Hetze der Marxisten im Lande Salzburg zum Bürgerkriege« ergreifen wolle und ob er besondere Maßnahmen für die Sicherheit der Landesbürger für notwendig erachte. Eine Beantwortung dieser Anfrage geht aus den Landtagsprotokollen nicht hervor. Bei der Gemeinderatswahl in Hötting (damals die zweitgrößte Gemeinde Tirols) am 25. September 1932 verlor die Sozialdemokratische Partei ihre absolute Mandatsmehrheit.

Tirol und Vorarlberg vgl. auch Harald Walser, Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933–1938. Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 28. Wien 1983. S. 29–47. 513 Vgl. Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. München 1983. S. 196 ff. Vgl. auch Josef Riedmann, Tirol. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik, Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 2. Graz, Wien, Köln 1983. S. 981. Vgl. ebenso »Salzburger Chronik«, 28. 5. 1932. S. 11. 514 LPSbg. Nr. 25 der Beilagen.

182

Die Wahlen des Jahres 1932

Tabelle 21 Ergebnis der Gemeinderatswahl in Hötting vom 25. 9. 1932 im Vergleich zur Gemeinderatswahl 1928 515 1932

1928

SD

2.333

(12 M)

43,0%

2.127

(14 M)

(47,4%)

CS

1.331

( 8 M)

24,5%

1.137

( 7 M)

(25,3%)

NS

1.285

( 7 M)

23,7%



GD

  332

( 1 M)

6,1%

  669

( 4 M)

(14,9%)

KP

  148



2,7%

LB







  337

( 2 M)

( 7,5%)

WP







  221

( 1 M)

( 4,9%)

515

Bisher stellte die Sozialdemokratische Partei durch Losentscheid den Bürgermeister. 14 sozialdemokratische Mandatare standen 14 bürgerlichen Gemeinderäten gegenüber. Die Nationalsozialisten hatten nun zum Kampf auf den sozialdemokratischen Bürgermeister geblasen und einen starken Terror entwickelt. Einen Tag vor der Wahl waren noch drei Lastautos mit SA-Leuten aus München angereist, die am Wahltag Stimmzettel austeilten und Wähler am Wählen hinderten. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen der SA und der Gendarmerie, aber auch zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, so daß die Landesregierung zwei Überfallautos nach Hötting schickte. Das Wahlergebnis zeigt, daß die Nationalsozialisten praktisch alle nationalen Wähler für sich gewinnen konnten (Großdeutsche, Landbund und Wirtschaftspartei), daß auch die Sozialdemokraten Stimmen verloren, vor allem an die Kommunisten, und daß die Christlichsozialen ihre Position ausbauen konnten. Während sich die Beziehungen zwischen der Hitlerbewegung und der Tiroler Heimatwehr in den Jahren 1930 bis 1932 sehr wechselhaft gestalteten (schließlich aber doch in Konfrontation endeten), vermochten sich die Tiroler Volkspartei (mit Landeshauptmann Stumpf) und der Tiroler Bauernbund als ihre dominierende Kraft sehr deutlich gegenüber der NSDAP abzugrenzen.516 Mit der »Machtergreifung« Hitlers in Deutschland konnte die NSDAP ihre Position auch in Österreich stärken. Die NSDAP hatte in Tirol hohe Mitglieder-Zuwachs­raten zu verzeichnen, als besonders vorbildlich galt der Parteibezirk Innsbruck. Mehrere Tiroler Gemeinden ernannten Adolf Hitler zu ihrem Ehrenbürger, der großdeutsche Bürgermeister von Kitzbühel und der großdeutsche Vizebürgermeister von Innsbruck traten zur NSDAP über. Die NSDAP verzeichnete Fortschritte bei den sozialdemokratisch organisierten Angestellten und Eisenbahnern, ihr Bemühen um die bäuerlichen 515 Vgl. »Salzburger Volksblatt«, 26. 9. 1932. S. 1. »Salzburger Chronik«, 26. 9. 1932. S. 1. »Salzburger Wacht«, 26. 9. 1932. S. 1. »Arbeiter-Zeitung«, 26. 9. 1932. S. 2. 516 Vgl. Josef Riedmann, Das Bundesland Tirol (1918 bis 1970). S. 837.

Weitere lokale Wahlen

183

Kreise verstärkte sich. Auch das allgemeine Versammlungsverbot im März 1933 konnte das Anwachsen der NSDAP nicht aufhalten, alle Maßnahmen zur Eindämmung des nationalsozialistischen Vormarsches erwiesen sich als wirkungslos. Unter diesen Umständen entschloß sich die Tiroler Landesregierung, gegen den älteren und auch ungefährlicheren Gegner durchzugreifen  : Am 16. März 1933 wurde die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes, der eigentlich sehr wenig in Erscheinung getreten war, angeordnet. Es war das erste Verbot dieser Art in Österreich.517 Landeshauptmann Stumpf hatte die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, daß mit seinem energischen Auftreten gegen die Linken auch der braunen Seite der Wind aus den Segeln genommen würde.518 Diese Erwartung erfüllte sich jedoch nicht, der Republikanische Schutzbund bestand in der Illegalität weiter, und die NSDAP verzeichnete uneingeschränkten Zulauf, was für die im April 1933 fälligen Landtagswahlen nichts Gutes erwarten ließ. Die Tiroler Landtagswahl war zwar bereits für 9. April 1933 ausgeschrieben, ein Formfehler wurde jedoch von der Landesregierung zum Vorwand genommen, um die Ausschreibung zu widerrufen. Am 9. Mai beschloß der Landtag ein Gesetz über die Verlängerung der laufenden Legislaturperiode des Tiroler Landtages.519 Sozialdemokraten und Großdeutsche gingen mit ihrer Forderung nach sofortigen Landtags-Neuwahlen unter. Die Wahlagitation, so argumentierte die Tiroler Volkspartei, würde nur eine unnötige Beunruhigung in die Bevölkerung bringen und die Fremdenverkehrssaison beeinträchtigen. »Wir brauchen gegenwärtig nicht die fortwährenden Aufregungen, die mit Neuwahlen verbunden sind, sondern Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe  !« erklärte Landeshauptmann-Stellvertreter Dr. Peer.520 Die nächste Landtagswahl sollte gemeinsam mit den in ungewisse Ferne gerückten nächsten Nationalratswahlen stattfinden.521 Das politische Interesse konzentrierte sich nun auf die für 23. April 1933 angesetzten Ergänzungswahlen zum Gemeinderat in der Landeshauptstadt Innsbruck. Die Stadt Innsbruck hatte für die Entwicklung des deutschnationalen Lagers in Tirol in der Ersten Republik eine besondere Bedeutung, betrug doch der Anteil der deutschnationalen Stimmen in der Landeshauptstadt Innsbruck im Verhältnis zur deutschnationalen Gesamtstimmenzahl im Land Tirol bei allen Landtags- und Na517 Vgl. dazu Gerhard Oberkofler, Die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes (1933). Eine Initiative der Tiroler Bürokratie. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Klasse. Studien zur Österreichischen Arbeitergeschichte. Wien, München, Zürich 1978. S. 329–340. Die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes für das gesamte Bundesgebiet wurde am 31. März 1933 verfügt. 518 Vgl. Josef Riedmann, Das Bundesland Tirol (1918 bis 1970). S. 840 f. 519 Vgl. Richard Schober, Geschichte des Tiroler Landtages im 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck 1984. S. 427 f. 520 Innsbrucker Zeitung, 7. 5. 1933. S. 1. 521 Am 10. Mai 1933 beschloß die Bundesregierung eine Verordnung, wonach zur Abwehr von wirtschaftlichen Schädigungen während der Fremdensaison mit Gültigkeit bis zum 31. 10. 1933 Wahlen in die Landtage und Ortsgemeindevertretungen nicht ausgeschrieben werden durften.

184

Die Wahlen des Jahres 1932

tionalratswahlen zwischen 40 und 50 Prozent. Gegen Ende der Ersten Republik tendierte die deutschnationale Wählerschaft zuerst stark zu sogenannten »Standeslisten« und zeigte sich schließlich besonders anfällig für die Nationalsozialisten. 522 Die Wählerstimmen des deutschnationalen Lagers und besonders der Sozialdemokraten konzentrierten sich augenfällig auf die Landeshauptstadt Innsbruck, während bei der Christlichsozialen Partei bzw. der Tiroler Volkspartei das Gegenteil der Fall war. In Innsbruck mußten sich die Christlichsozialen bei fast allen Wahlgängen mit der zweiten Position hinter den Sozialdemokraten, bei der Nationalratswahl 1919, der Landtagswahl 1925 und schließlich bei der Gemeinderatswahl 1933 sogar mit der dritten Position abfinden. In der Stadt Innsbruck konnte man also während der Ersten Republik von einem »balancierten Parteiensystem« sprechen.523 Die Parteien maßen daher der Wahl eine besondere Bedeutung bei und brachten in diesem Wahlkampf ein großes Aufgebot zum Einsatz. Für die Tiroler Volkspartei sprach Bundeskanzler Dr. Dollfuß bei der Abschlußkundgebung, die Sozialdemokraten führten eine Großveranstaltung mit Dr. Karl Renner durch. Den Nationalsozialisten gelang es, den Stadtsaal in Innsbruck trotz Eintrittsgeldes dreimal zu füllen. 524 Die Gemeinderatswahl brachte schließlich den befürchteten großen Erfolg der NSDAP. Die Tiroler Volkspartei gestand zwar gegenüber der Gemeinderats-Ergänzungswahl 1931 einen Stimmenverlust von rund 500 Stimmen ein, verwies aber darauf, daß sie gegenüber der Nationalratswahl 1930 einen Stimmengewinn von mehr als 1.000 Stimmen zu verzeichnen hatte, und meinte daher, daß sie »vorzüglich abgeschnitten« habe. Es sei jedoch die Lehre daraus zu ziehen, »daß es der Partei nicht schaden kann, wenn sie eine lebhaftere Propaganda entfaltet«. Als »Sieger des Wahlkampfes« gingen nach Ansicht der Christlichsozialen die Nationalsozialisten »ganz gewiß zum großen Teil dank ihrer für unsere Verhältnisse fast amerikanisch anmutenden Propaganda« hervor.525 Die Tiroler Christlichsozialen sahen – so wie auch anderswo – die wesentliche Ursache für den NS-Erfolg »in der Zugkraft, den der Name Hitler in gewissen Kreisen hat, und in dem Umstand, daß die Nationalsozialisten hier in Innsbruck eine Tageszeitung haben, die derzeit, das heißt seit der entscheidende Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland begann, für das Deutsche Reich arbeitet«.526 Die Sozialdemokraten sahen die Ursachen des nationalsozialistischen Erfolges 522 Vgl. Anton Pelinka, Helmut Reischenböck, Das politische System des Bundeslandes Tirol 1918–1938. In  : Anton Pelinka, Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur neueren Geschichte Tirols. Band 2. Zeitgeschichte. 1. Teil. Politische Geschichte. Innsbruck 1993. S. 162 f. 523 Anton Pelinka, Helmut Reischenböck, Das politische System. S. 163. Vgl. auch Harald Walser, Die illegale NSDAP in Tirol und Vorarlberg 1933–1938. S. 29 ff. 524 Vgl. »Tiroler Anzeiger«, 22./23. 4. 1933. S. 1. »Volks-Zeitung«, 24. 4. 1933. S. 1. »Innsbrucker Nachrichten«, 21. 4. 1933. S. 1. 525 »Tiroler Anzeiger«, 24. 4. 1933. S. 1. 526 »Tiroler Anzeiger«, 24. 4. 1933. S. 1.

185

Weitere lokale Wahlen

Tabelle 22 Ergebnis der Gemeinderats-Ergänzungswahl vom 23. April 1933 in der Landeshauptstadt Innsbruck Wahlberechtigte  : 41.505 Abgegebene Stimmen  : 37.816 Gültige Stimmen  : 36.429 (= 87,8 % der Wahlberechtigten) Stimmen

Prozent

Mandate neu

insgesamt*

SD

9.935

(27,3%)

6

15

Tir. VP

9.394

(25,8%)

5

12

NSDAP

15.001

(41,2%)

9

9

KP

467

( 1,3%)





GD

828

( 2,3%)



4

Ständeb.

778

( 2,1%)





26

( 0,1%)





andere

* Einschließlich der verbliebenen Mandate aus der Ergänzungswahl 1931. In Innsbruck wurde alle zwei Jahre bei Ergänzungswahlen die Hälfte der Mandate neu vergeben. Auffällig ist an diesem Ergebnis vor allem, daß gegenüber 1931 die Wahlbeteiligung von 72,9 auf 87,8 Prozent (also um rund 15 Prozent) gestiegen war.

1. in der historischen Wirkung des Hitlerschen Machtregimes in Deutschland  ; 2. im völligen Zusammenbruch der Großdeutschen, die den »historischen Fußtritt« bekommen hatten  ; 3. in der schweren Schlappe der Christlichsozialen, hinter deren Bundeskanzler Dollfuß die österreichische Bevölkerung keinesfalls stünde, »sondern das Volk gerät in sinnlose Wut und wählt zu einem großen Teil die Nationalsozialisten, gerade jene Nationalsozialisten, vor derem gefährlichen Drängen der katholische Staatsmann Dr. Dollfuß die christlichsoziale Partei behüten will«  ; 4. in schweren Einbußen der Sozialdemokratie. Der Sieg über das Proletariat in Deutschland und Italien wirke sich auch auf Österreichs Sozialdemokraten negativ aus. Die gesamte Jugend laufe zur NSDAP, während der sozialdemokratische Organisationsapparat veraltet sei.527 Die Stimmengewinne der Nationalsozialisten waren dramatisch. Es stellte sich nun die Frage, wer zum Bürgermeister gewählt werden würde. Seit dem Jahr 1929 amtierte der Christlichsoziale Franz Fischer als Bürgermeister. Er war von einer Koalition von Tiroler Volkspartei und Großdeutschen zum Bürgermeister gewählt worden. Die Christlichsoziale Tiroler Volkspartei hatte ursprünglich nach dem großen Wahlsieg der ­NSDAP die Absicht gehabt, einen nationalsozialistischen Kandidaten zum Innsbrucker 527 Vgl. »Volks-Zeitung«. Sozialdemokratisches Blatt für Tirol. 24. 2. 1933. S. 1.

186

Die Wahlen des Jahres 1932

Bürgermeister zu ermöglichen. Auf Grund der NS-Exzesse während des Wahlkampfes nahm sie jedoch Abstand davon.528 In der konstituierenden Sitzung des Innsbrucker Gemeinderates am 11. Mai 1933 wurde im dritten Wahlgang der Kandidat der noch immer mandatsstärksten sozialdemokratischen Fraktion, Vizebürgermeister Untermüller, zum Bürgermeister gewählt. Untermüller lehnte jedoch für die sozialdemokratische Fraktion die Wahl ab. »Ein Bürgermeister aus ihren Reihen würde als Vertreter der Minderheit jedoch nicht die Macht haben, das sozialdemokratische Programm durchzuführen, weil die sozialdemokratische Partei, obschon die stärkste im Gemeinderate, gegen den geschlossenen Widerstand der bürgerlichen Gruppen zu kämpfen hätte und weil außerdem die materiellen und finanziellen Hilfemittel der Gemeindeverwaltung sich in gegnerischen Händen befinden. Aus diesem Grunde bin ich nicht in der Lage, die mir soeben übertragene Funktion als Bürgermeister anzunehmen.«529 Um einen arbeitsfähigen Gemeinderat zu gewährleisten und die Einsetzung eines Regierungskommissärs zu verhindern, erklärte sich schließlich die sozialdemokratische Fraktion bereit, mit fünf ihrer Mitglieder für den Christlichsozialen Fischer als Bürgermeister zu stimmen. In der Sitzung des Innsbrucker Gemeinderates vom 18. Mai 1933 erhielt daher Franz Fischer 17 Stimmen (12 Vertreter der Tiroler Volkspartei, fünf Sozialdemokraten), der nationalsozialistische Gemeinderat Hofer erhielt 13 Stimmen (neun Nationalsozialisten, vier Großdeutsche), so daß Fischer im zweiten Durchgang zum Bürgermeister gewählt war. Er erklärte, daß er sofort sein Amt zurücklegen würde, falls sich im Innsbrucker Gemeinderat »die politischen Verhältnisse innerhalb des Gemeinderates ähnlich gestalten, wie sie sich in den letzten Wochen in den Strassen Innsbrucks dargestellt haben«.530 Diese Allianz der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten, »um die Wahl eines Hakenkreuzlers zu verhindern«,531 war gerade zu dieser Zeit in Österreich ein Sonderfall. Die nationalsozialistische Propaganda wiederum stellte das Innsbrucker Ergebnis als repräsentativ für die politische Stimmung der gesamten österreichischen Bevölkerung dar, bezeichnete das Ergebnis als »Wahlsieg Hitlers in Österreich« und erklärte die NSDAP zur stärksten und größten Partei in Österreich, die »durch die fortgesetzte Verhinderung von Neuwahlen nicht einmal im Nationalrat vertreten« sei.532 Dem widersprachen die Christlichsozia­ len. Ihrer Meinung nach bestätigten »auch diese Wahlen – wenn man an Neuwahlen zum Nationalrat denkt – … daß nämlich die Nationalsozialisten wohl die bürgerlichen Mittelparteien aus dem Sattel heben würden, ohne daß sie die Macht der Christ-

528 Vgl. Franz-Heinz Hye, Innsbruck. S. XIII. 529 Franz-Heinz Hye, Innsbruck. S. 249. 530 Franz-Heinz Hye, Innsbruck. S. 250. 531 »Volks-Zeitung«. Sozialdemokratisches Tagblatt für Tirol. Sonderausgabe. 18. 5. 1933. S. 1. 532 Propagandaschrift der NSDAP, publiziert in Josef Riedmann, Das Bundesland Tirol (1918­–1970). S. 844.

187

Weitere lokale Wahlen

lichsozialen und Sozialdemokraten so weit brechen könnten, daß es zu einer nationalsozialistischen Alleinherrschaft reichte.«533 Der Durchbruch der Nationalsozialisten wiederholte sich eine Woche später, am 30. April 1933, bei den Gemeinderatswahlen in Landeck. In dieser sozialdemokratischen Hochburg setzte die NSDAP ihre ganze Propagandamaschinerie ein. »Wollte man nach den Plakaten urteilen, mit denen die halbe Stadt überklebt ist, so meinte man, ganz Landeck ist braun«, schrieb das christlichsoziale Parteiorgan. »Wie mit braunen Plakaten wurde unsere Stadt auch mit braunen Flugzetteln überschwemmt … Die braune Agitation arbeitet weiters mit einer schrecklichen Versammlungshausse.«534 Die »Reichspost« berichtet, daß der Wahlkampf von den Nationalsozialisten »mit skrupelloser Hetze betrieben« wurde und daß der Wahltag »durch Zuzug von der Umgebung, geschlossene Umzüge mit Musik, offenen Terror gegen die christlichen Wahlwerber durch die uniformierten SA-Leute« gekennzeichnet war.535 Tabelle 23 Ergebnis der Gemeinderatswahl in Landeck vom 30. 4. 1933 im Vergleich zur Gemeinderatswahl vom 25. 11. 1928 1933 TVP (CS)

  778

1928 ( 9)

NS

  812

( 9)

EL

  105

( 1)

SD

  464

( 5)

2.159

(24)

CDWG

  638

TVPWG

  146

( 2)

CAA

  171

( 2)

CSP

  955

(11)

DAG

  107

( 1)

FBL

  165

( 2)

Dtn.

  272

( 5)

SD

( 9)

  629

( 8)

1.856

(24)

( 7 CS + 2 GD)

Abkürzungen  : TVP = Tiroler Volkspartei, CDWG = Christlich-deutsche Wahlgemeinschaft (Christlich­ soziale und Großdeutsche), CAA = Christliche Arbeiter und Angestellte, CSP = christlichsoziale Parteien insgesamt, DAG = Deutsche Arbeitsgemeinschaft, FBL = Freie Bürgerliste, Dtn = Deutschnationale gesamt, EL = Einheitsliste (Sonderliste des Stadtteiles Perfuchs). Die Tiroler Volkspartei kandidierte 1933 in drei Listen  : Volksverein 288 Stimmen (3 Mandate) Bauernbund 232 Stimmen (3 Mandate) Arbeitsbund 258 Stimmen (3 Mandate) 778 Stimmen (9 Mandate) Quellen  : »Tiroler Anzeiger«, 29. 4. 1933, S. 5, 2. 5. 1933. S. 3. 533 »Tiroler Anzeiger«, 24. 4. 1933. S. 1. 534 »Tiroler Anzeiger«, 29. 4. 1933. S. 5. 535 »Reichspost«, 2. 5. 1933. S. 3.

188

Die Wahlen des Jahres 1932

Die Wahlbeteiligung stieg von 82,6 Prozent im Jahr 1928 auf nunmehr 89,8 Prozent. Daraus ist anzunehmen, daß es den Nationalsozialisten auch gelang, frühere Nichtwähler zu mobilisieren. Das Wahlergebnis mit dem enormen Gewinn der Nationalsozialisten von neun Mandaten, womit sie auf Anhieb deutlich stimmenstärkste Partei wurden, zeigt, daß es der NSDAP gelang, das gesamte deutschnationale Potential aufzusaugen, daß – wie das christlichsoziale Parteiorgan vermutete – ein beträchtlicher Teil der ehemals sozialdemokratischen Eisenbahner und Schutzbündler in das Lager der NS übergegangen war536 und daß auch das gesamte christlichsoziale Lager Stimmen an die Nationalsozialisten abgeben mußte, wobei nicht klar ist, von wem die Einheitsliste Perfuchs ihre Stimmen nahm. Tabelle 24 Prozentuelle Ergebnisse und Mandate in Landegg 1933

1928

Christlichsoziales Lager

9M

36,0%

11 M

NS/Deutschnat. Lager

9M

37,6%

5M

SD

5M

21,5%

8M

1  

4,9%

–  

andere

66,1% 33,9%

Am selben Tag fand auch in der Tiroler Gemeinde Patsch eine Gemeindewahl statt, bei der jedoch die Nationalsozialisten nicht kandidierten. Die Christlichsozialen konnten ihre dominierende Position weitgehend halten.537 Nun noch zu Gemeindewahlen in einigen niederösterreichischen Gemeinden. Bereits am 26. März 1933 hatte eine Gemeinderatswahl in Gmünd stattgefunden. Gmünd war das Zentrum des Nationalsozialismus im Oberen Waldviertel. Die Großdeutschen stellten bis zum Jahr 1933, trotz des politischen Niederganges der deutschfreiheitlichen Bewegung, mit Unterstützung der Christlichsozialen fast durchgängig den Bürgermeister. Praktisch aber hatten bereits in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre die Nationalsozialisten den Platz der Großdeutschen eingenommen. Durch einen Skandal in der Finanzgebarung der Gemeinde, den Rücktritt des Finanzreferenten und die dadurch notwendige Auflösung der Gemeindevertretung durch die niederösterreichische Landesregierung wurde eine Neuwahl notwendig.538 Das Ergebnis dieser Gemeinderatswahl machte die Nationalsozialisten knapp hinter den Sozialdemokraten zur zweitstärksten Partei. Bei der Wahl des Bürgermeisters 536 Vgl. »Tiroler Anzeiger«, 2. 5. 1933, 5. 3. Die NS besitzt eine »gewisse Anziehungskraft für die von der Sozialdemokratie enttäuschten Elemente«. 537 Vgl. »Reichspost«, 2. 5. 1933. S. 3. 538 Vgl. Andrea Komlosy, An den Rand gedrängt. Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Oberen Waldviertels. Wien 1988. S. 200 f.

189

Weitere lokale Wahlen

stimmten die Christlichsozialen und der Heimatschutz für den NS-Kandidaten, der damit gewählt war. Im Gegenzug wählten die Nationalsozialisten einen Christlichsozialen zum Vizebürgermeister. Im Verlauf der Gemeinderatssitzung kam es zu stürmischen Szenen. Die Sozialdemokraten weigerten sich, das Gelöbnis in die Hand des nationalsozialistischen Bürgermeisters abzulegen, solange er die braune Parteiuniform trug. Die Sozialdemokraten verließen schließlich die Sitzung, sodaß der Gemeinderat beschlußunfähig wurde.539 Tabelle 25 Ergebnis der Gemeinderatswahl in Gmünd am 26. 3. 1933 (im Vergleich zur Gemeinderatswahl am 10. 11. 1929 und zur Landtagswahl am 24. 4. 1932) 1933 CS

591

(20,0%)

1932 5M

640

(22,4%)

71

( 2,5%)

888

(31,1%)

Arge* GD NS

1.143

(36,7%)

9M

HS

193

( 6,2%)

1M

SD

1.190

(38,2%)

10 M

KP

–   

1929

992

(36,2%)

8M

441

(16,1%)

4M

(47,7%)

11 M

–   

–   

1.235

(43,2%)

22

( 0,8%)

1.307 –   

* Arge = Arbeitsgemeinschaft aus Christlichsozialen und Großdeutschen. Die Mandate wurden 4   : 4 aufgeteilt. Quellen  : »Reichspost«, 27. 3. 1933. S. 4. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. S. 54.

Aus dieser Gegenüberstellung kann man deutlich das kontinuierliche, beträchtliche Ansteigen der nationalsozialistischen Stimmen und das ebenso kontinuierliche Abnehmen der sozialdemokratischen Stimmen erkennen. Die Christlichsozialen dürften leicht zugenommen haben, wobei jedoch beachtet werden muß, daß die Gesamtzahl der Mandate von 23 auf 25 stieg. Die Großdeutschen wurden von Nationalsozialisten und z. T. vom Heimatschutz aufgesogen. Am gleichen Tag wie in Landeck, also am 30. April 1933 fanden in drei Gemeinden Niederösterreichs Gemeindevertretungswahlen statt, deren Ergebnis ebenfalls noch kurz analysiert werden soll. Bei diesen Wahlen handelt es sich um die letzten demokratischen Wahlen in Österreich, denn am 10. Mai untersagte die Bundesregierung alle weiteren Wahlen. Die Wahlen fanden in Heidenreichstein, Stein an der Donau und in Stockerau statt und brachten die folgenden Ergebnisse (im Vergleich zu den Gemeinderatswahlen am 10. November 1929). 539 Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 16. 4. 1933. S. 5. »Reichspost«, 16. 4. 1933. S. 4.

190

Die Wahlen des Jahres 1932

Tabelle 26 Heidenreichstein Wahlberechtigt  : 1.963 (1929  : 1.632) Gültige Stimmen  : 1.841 = 93,8 % (1929  : 1.527 = 93,6 %) 1933

1929

Christl.dt.P.

398

(21,6%)

4M

512

(33,5%)

6M

Unpol. Ständet.

82

( 4,5%)



NS

304

(16,5%)

3M

328

(21,5%)

4M

SD

1.057

(57,4%)

12 M

687

(45,0%)

9M

4M

502

(21,1%)

Unabh. Liste

Tabelle 27 Stein an der Donau Wahlberechtigt  : 2.729 (1929  : 2.709) Gültige Stimmen  : 2.487 = 91,1 % (1929  : 2.380 = 87,6 %) 1933 CS

476

(19,1%)

1929 5M

GD

232

( 9,3%)

2M

424

(17,8%)

4M

NS

870

(35,0%)

8M

317

(13,3%)

3M

SD

909

(36,6%)

9M

934

(39,2%)

9M

203

( 8,5%)

2M

Unpol. WP

Tabelle 28 Stockerau Wahlberechtigt  : 7.801 (1929  : 7.560) Gültige Stimmen  : 7.249 = 92,9 % (1929  : 7.042 = 93,1 %) 1933

1929

CS

2.047

(28,2%)

10 M

HS

457

( 6,3%)

2M

NS

1.480

(20,4%)

7M

Volksgemeinsch.*

3.428

(48,7%)

17 M

SD

2.989

(41,2%)

15 M

3.563

(50,6%)

KP

276

( 3,8%)

1M

51

( 0,7%)

18 M

* Die Volksgemeinschaft bestand 1929 aus einer Wahlgemeinschaft von Christlichsozialen, Großdeutschen und Nationalsozialisten, wobei sich die 17 Mandate folgendermaßen aufteilten  : 10 Christlichsoziale  6 Großdeutsche  1 Nationalsozialist Quelle  : »Reichspost«, 2. 5. 1933. S. 3. »Tiroler Anzeiger«, 2. 5. 1933. S. 3.

191

Weitere lokale Wahlen

In Stockerau, einer der größten Industriestädte Niederösterreichs, dürfte sich der Gewinn von sechs NS-Mandaten aus vier früheren großdeutschen und zwei sozialdemokratischen Mandaten zusammensetzen, zwei großdeutsche Mandate sind zum Heimatschutz gewandert. Die SD verloren ein weiteres Mandat an die Kommunisten. Das Ergebnis der Gemeindevertretungswahlen Ende April 1933 in diesen nieder­ österreichischen Gemeinden ist deshalb von Interesse, weil sich ein Vergleich zu den Ergebnissen bei den Landtagswahlen im April 1932 anstellen läßt. Daraus könnte man eventuell Schlüsse über die weitere politische Entwicklung ziehen. Tabelle 29 Ergebnis der Landtagswahlen am 24. April 1932 in den Gemeinden Heidenreichstein, Stein an der Donau und Stockerau. (Jeweils in der zweiten Zeile die Ergebnisse der Nationalratswahl 1930). Heidenreichstein

Stein

Wahlberecht.

1.779

2.634

7.554

Gült. Stimmen

1.608

2.321

6.387

(1.573)

(2.472)

(6.925)

90,4%

88,1%

Wahlbeteilig. CS

Stockerau

84,6%

517

(32,2%)

472

(20,3%)

2.025

528

(33,6%)

459

(18,6%)

1.806

(26,1%)

SD

910

(56,6%)

1.051

(45,3%)

3.114

(48,8%)

797

(50,7%)

1.168

(47,2%)

3.409

(49,2%)

NS

136

( 8,5%)

654

(28,2%)

990

(15,5%)

16

( 1,0%)

313

(12,7%)

295

( 4,3%)

28

( 1,7%)

143

( 6,2%)

97

( 1,5%)

42

( 2,7%)

302

(12,2%)

445

( 6,4%)

8

( 0,5%)

1

182

(11,6%)

217

GD LB HB (NRW 30) KP

( 8,8%)

(31,7%)

6

( 0,1%)

896

(12,9%)

9

( 0,6%)



155

( 2,4%)

3

( 0,2%)



64

( 0,9%)

Tabelle 30 Veränderungen zwischen Landtagswahl 1932 und Gemeinderatswahl 1933  : Heidenreichstein

Stein

Stockerau

CS

–10,6%

–1,2%

–3,5%

SD

+ 0,8%

–8,7%

–7,6%

NS

+ 8,0%

+6,8%

+4,9%

GD

+3,1%

Der Vergleich zeigt also ein ziemlich uneinheitliches Bild. Jedenfalls aber kann man annehmen, daß entweder eine der beiden Großparteien oder beide verlieren und die

192

Die Wahlen des Jahres 1932

Nationalsozialisten von Wahl zu Wahl spürbar zulegen. Die Christlichsozialen verzeichnen im Vergleich zur Nationalratswahl 1930 z. T. leichte Gewinne. Die »Reichspost« bezeichnet die Veränderungen als »nicht ausschlaggebend« und meint, »zu dem riesigen Aufgebot nationalsozialistischer Propaganda stehen die Erfolge der Hakenkreuzler in keinem Verhältnis. Sie sind im wesentlichen der naturgemäße Ertrag der Kräftekonzentration, die sich im deutsch-freisinnigen Lager durch die Aufsaugung der Großdeutschen und verwandter Splittergruppen vollzieht.«540 Mit aller Vorsicht kann man aus den genannten Kommunalwahlergebnissen feststellen, daß sich der Trend der Landtagswahlen vom April 1932 fortgesetzt haben dürfte. Beide Großparteien verloren im unterschiedlichen Ausmaß an die Nationalsozialisten, vielleicht gelang diesen etwas stärker der Einbruch in die Arbeiterschaft. Jedenfalls aber saugten die Nationalsozialisten praktisch das gesamte Reservoir der Großdeutschen, der Heimat-und Wirtschaftslisten und der unpolitischen Ständelisten auf.

3.8 Zusammenfassung • Faßt man die Ergebnisse der Landtagswahlen des Jahres 1932 in Wien, Nieder­ österreich, Salzburg und Vorarlberg zusammen, so ergibt sich im Vergleich zum Gesamtergebnis dieser Länder bei der Nationalratswahl 1930 (und nur diese ist sinnvoll vergleichbar) folgendes Bild  : Tabelle 31 NRW 1930

LTW 1932

SD

1.031.804

(47,0%)

997.616

(46,7%)

– 0,3%

CS

738.954

(33,7%)

683.875

(32,1%)

– 1,6%

GD

226.449

(10,3%)

34.486

( 1,6%)

– 8,7%

NS

67.262

( 3,1%)

344.377

(16,1%)

+13,0%

HB

87.534

( 4,0%)

5.530

( 0,3%)

– 3,7%

LB

6.755

( 0,3%)

22.686

( 1,1%)

+ 0,8%

36.360

( 1,6%)

45.467

( 2,1%)

+ 0,5%

andere

2.195.118

2.134.037

Dies zeigt, daß die beiden Großparteien innerhalb der eineinhalb Jahre seit der Nationalratswahl 1930 keine wesentlichen Einbußen zu verzeichnen hatten. Dies dürfte 540 »Reichspost«, 2. 5. 1933. S. 3.

Zusammenfassung

193

grundsätzlich auch für die Länder Steiermark und Kärnten – obwohl nicht konkret nachweisbar – Geltung haben. In Kärnten hatte die Sozialdemokratische Partei bei der Nationalratswahl 1930 rund 40 Prozent, bei der Landtagswahl rund 39 Prozent erreicht, bei der Gemeinderatswahl 1932 lag sie um rund 4,5 Prozent darunter. Die Ergebnisse für die Christlichsoziale Partei lassen sich nicht vergleichen, weil diese überwiegend auf Wirtschaftslisten kandidierte. Die NSDAP hatte bei der Nationalratswahl 1930 in Kärnten etwas mehr als drei Prozent erzielt, bei der Landtagswahl etwas mehr als sechs Prozent. Bei den Gemeinderatswahlen 1932 konnte sie diesen Anteil auf über 12 Prozent verdoppeln. Dies alles zusammen würde aber durchaus den Schluß zulassen, daß die beiden Großparteien bei Nationalratswahlen 1932 nicht unbedingt mit gewaltigen Einbrüchen rechnen hätten müssen, daß aber die Nationalsozialisten doch durch die Übernahme beinahe des ganzen nationalen Lagers mit rund 400.000 Stimmen und etwa 20 bis 25 Mandaten in den Nationalrat eingezogen wären. Diesen Trend bestätigen auch die letzten freien Kommunalwahlen im ersten Halbjahr 1933. • Versuch einer schematischen Darstellung der Unterschiede der Wahlergebnisse in den einzelnen Bundesländern  : Wien Niederösterr. Zentrifugal Konkordanz klare SP-Majorität CS-Mehrheit

Salzburg Konkordanz CS-Mehrheit

Vorarlberg Konkordanz klare CS-Majorität

Mehrheitssystem

Proporzsystem

Proporzsystem

Mehrheitssystem

CS

autoritär extrem antimarxistisch hohe Verluste an NS

demokratisch Gewinne gegenüber NRW ländl. Bevölk. NS-resistent.

demokratisch Gewinne in Stadt Salzb. und Flachgau. Hohe Verluste bei Gebirgsbauern

demokratisch typisch integrative Volkspartei. antikapitalistisch. Anti-Heimw. Hält starke Position.

SD

Mehrheitsbewußt. Hält starke Position. Kämpferisch

leichte Verluste. Resignation in Industriegebieten

Starke Verluste in Stadt Sbg. an KP, NS, und CS. Verluste in Gebirgs­gauen. Sehr kompromißbereit.

atypisch d. hohe Verluste an KP, NS. Bis 1932 in LReg.vertreten. Schwache Organisation.

Typologie

194 NS

Die Wahlen des Jahres 1932

gewinnt radikale gewinnt radikale Mittelschichten Mittelschichten (national u. christ- (national) von CS lichsozial)

Aufwärtstrend genationale Grupstoppt. GD und pen völlig aufgesogen. Bergbau- LB nicht völlig ern von CS

• Die Wahlen vom 24. April 1932 stellen in ihrer Auswirkung nicht nur den Bruch des seit 1930 bestehenden »informellen Proporzsystems« bzw. der »informellen Konsensdemokratie« dar, sondern können überhaupt als das Ende der Konsensbemühungen der beiden großen politischen Lager angesehen werden. Es war dies die Reaktion der beiden Großparteien auf den entscheidenden Durchbruch der Nationalsozialisten in Österreich zu einer Massenbewegung, was sich in den Wahlerfolgen bei diesen Regionalwahlen konkret ausdrückte. Insofern sind die Wahlen vom 24. April 1932 als entscheidender innenpolitischer Bruch von der zeitgeschichtlichen Forschung bisher zu wenig beachtet worden. • Mit diesen Wahlen zeichnete sich die Entwicklung von einer Mehr- bzw. Vielparteiendemokratie zu einem klaren Dreiparteiensystem aus Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Nationalsozialisten ab. Das deutschnationale Lager (Großdeutsche, Landbund etc.) wurde von der Hitlerbewegung fast vollständig aufgesogen. • Ausgehend von den nationalsozialistischen Erfolgen in Wien wurden von den beiden Großparteien die möglichen weiteren politischen Entwicklungen ziemlich falsch eingeschätzt. Während die Sozialdemokraten auf Grund ihres Erfolges in Wien sicher damit rechneten, bei vorgezogenen Nationalratswahlen die weitaus stärkste Partei zu werden, scheuten die Christlichsozialen solche Neuwahlen aus Angst vor schweren Verlusten und einem wesentlichen Erstarken der Nationalsozialisten. Da eine Koalition mit den Nationalsozialisten (trotz solcher Spekulationen in unbedeutenden Kreisen der Christlichsozialen) auszuschließen war, wäre den Christlichsozialen nur der Weg einer Koalition mit den Sozialdemokraten geblieben, in der diese die wesentlichen Konditionen diktieren hätten können. Für die Christlichsozialen hätte es nämlich nach Parlamentsneuwahlen keine alternativen Koalitionspartner mehr gegeben, da sowohl Großdeutsche als auch Landbund und Heimwehr voraussichtlich nicht mehr im Nationalrat vertreten gewesen wären. • Die insgesamt sehr geringe Veränderung der Stärke der beiden Großparteien bei den Landtagswahlen 1932 gegenüber der Nationalratswahl 1930 läßt daher auch die Forderung nach vorgezogenen Nationalratswahlen kaum gerechtfertigt erscheinen. Andererseits aber war die Angst vor einem Einzug der NSDAP in den Nationalrat durchaus begründet. • Die Sozialdemokraten sahen wohl ihre künftige Entwicklung etwas zu optimistisch und übersahen dabei ihre teilweise beträchtlichen Verluste auch in traditionellen sozialdemokratischen Hochburgen in den Bundesländern. Die Christlichsozialen wiederum unterschätzten die Resistenz ihrer Kernwähler gegen den Nationalsozialismus.

Zusammenfassung

195

• Die Nationalsozialisten haben zwar im wesentlichen die Wählerschaft der Großdeutschen, des Landbundes und der Heimwehren aufgesogen, es ist aber auf Grund der Analysen der Ergebnisse der Regionalwahlen des 24. April 1932 trotzdem nicht anzunehmen, daß sie bei Nationalratswahlen mehr als 20 Prozent der Stimmen erzielt hätten. • Die NSDAP in Österreich machte eine zwei Jahre verschobene parallele Entwicklung zur NSDAP in Deutschland mit. Die Erfolge der Nationalsozialisten in Deutschland setzten mit einem Verzögerungseffekt von etwa eineinhalb bis zwei Jahren in Österreich ein. Nach jahrelangen Streitereien innerhalb der österreichischen Nationalsozialisten konsolidierte sich die Partei unter einer neuen Führung ab etwa 1931, und die nationalsozialistische Propagandawelle schwappte aus Deutschland nach Österreich über, ohne den deutschen Standard zu erreichen. Wahlerfolge in Deutschland wurden in Österreich propagandistisch intensiv ausgeschlachtet, die Wahlen wurden nicht von den lokalen Parteigrößen gewonnen sondern von Adolf Hitler. • Ähnlich wie in Deutschland flachte der rasante Anstieg der NSDAP bei Wahlen im Herbst 1932 wieder ab, wie sich am Beispiel der Vorarlberger Landtagswahl zeigt. Dies läßt auch Rückschlüsse auf einen möglichen Ausgang von Parlamentswahlen im Herbst zu, bei denen die NSDAP vielleicht gar nicht den befürchteten hohen Gewinn erzielt hätte. Eine genauere Untersuchung der in diesem Zeitraum stattgefundenen Gemeinderatswahlen in einzelnen Gemeinden verschiedener Bundesländer würde dazu wichtige Informationen bieten. • Ebenso würden historische Wahlanalysen aller Gemeinderatswahlen in verschiede­ nen Bundesländern Anfang der dreißiger Jahre sicher einiges zur Erhellung der Frage nach den Motiven des Erstarkens der Nationalsozialisten beitragen. Von besonderer Bedeutung wären dabei einerseits die Rolle der verschiedenen deutschnationalen Turnvereine und besonders die Auswirkung der im Großteil der österreichischen Gemeinden kandidierenden Wirtschafts- und Einheitslisten. Diese Listen, auf denen Kandidaten der Christlichsozialen, Großdeutschen, des Landbundes, nicht selten aber auch der Nationalsozialisten und der Heimwehren gemeinsam gegen den »Marxismus« kandidierten, führten zu einer Senkung der »Hemmschwelle« gegenüber den Nationalsozialisten und können sicher als »Durchgangslager« vom bürgerlichen Lager zum Nationalsozialismus angesehen werden. Es war wohl den Wählern schwer verständlich zu machen, daß der jahrelange »Listenpartner« bei Gemeindewahlen nun plötzlich bei Landtagswahlen, bei denen die NSDAP überall als eigenständige Liste kandidierte, als besonders gefährlicher politischer Feind angesehen werden sollte. Genauere Analysen dieser verwirrenden Vielfalt an solchen Wirtschafts- und Einheitsparteien würden sicher interessante Aufschlüsse über das Erstarken der NSDAP ergeben.

iv. Der Kohorteneffekt der Frontgeneration. Die Landtagsmandatare und -Kandidaten. Soziogramme der politischen Eliten und Aktivisten. 4.1 Begriffsbestimmungen und Typologisierung Das inhaltliche Agieren einer Partei in einer parlamentarischen Institution wird nicht unwesentlich von den Forderungen ihrer Anhängerschaft mitbestimmt. Es soll daher vorerst einmal diese Anhängerschaft – vor allem die aktiv am politischen Geschehen beteiligte – etwas genauer unter die Lupe genommen werden. Nach Wolfgang C. Müller läßt sich die Struktur einer Partei sehr grob in vier Ebenen gliedern  : Parteieliten – Parteiaktivisten – Parteimitglieder – Wähler der Partei.541 Diese Ebenen stellen die vertikale Verankerung einer Partei in ihrem sozialen und ideologischen Hinterland und den Anteil bestimmter sozialer Hauptgruppen in den sogenannten »Kerntruppen« einer Partei dar.542 Was die »unterste« Ebene, die der Wähler der Nationalsozialisten, betrifft, so gibt es auch für Österreich schon einige Untersuchungen, die die Ergebnisse der Wahlen des Jahres 1932 analysieren.543 Recht gründlich ist auch die Ebene der nationalsozialistischen Parteimitglieder bereits erforscht, wenn man etwa an die verschiedenen Arbeiten von Gerhard Botz denkt.544 Eine genaue Analyse der NSDAP-Mitglieder ist deshalb möglich, weil die NSDAP in Österreich ab 1926 genau über ihre Mitglieder Buch führte und damit wertvolle Daten hinterließ. Der Bestand dieser Mitgliederkarten befindet sich im Berlin Document Center. Ein ähnlich umfassendes MitgliederDatenmaterial gibt es für keine der anderen Parteien.

541 Vgl. Wolfgang C. Müller, Politische Kultur und Parteientransformation. In  : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 13 (1984). S. 54. 542 Vgl. Christian Fenner, Partei. In  : Axel Görlitz, Rainer Prätorius (Hg.), Handbuch Politikwissenschaft. S. 366 f. 543 Vgl. die im 3. Kapitel angeführten Arbeiten. 544 Vgl. Gerhard Botz, Soziale »Basis« und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich. In  : Faschismus in Österreich und international. Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81. Wien 1981. S. 15–56  ; Gerhard Botz, Arbeiterschaft und österreichische NSDAP-Mitglieder (1926–1945). In  : Rudolf G. Ardelt, Hans Hautmann (Hg.), Arbeiterschaft und Nationalsozialismus in Österreich. In memoriam Karl R. Stadler. Wien, Zürich 1990. S. 29–48.

198

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

Schwieriger wird es – auch bei den Nationalsozialisten –, wenn man versucht, die Parteiaktivisten zu identifizieren. Dabei stellt sich schon die Frage, wie man die »Parteiaktivisten« definiert, wer zu dieser Gruppe zählt. Man kann davon ausgehen, daß die Grenze zwischen Parteielite und Parteiaktivisten nicht klar zu ziehen ist. Mitglieder der Parteiführung auf Bundes- und Landesebene gehören wohl ebenso zur Parteielite wie die Mitglieder der Bundesregierung, des Nationalrates, Bundesrates, der Landesregierungen und der Landtage. Aber auch auf den kleineren, kommunalen Ebenen gibt es natürlich wieder Parteieliten, die man aber ebenso schon zu den Parteiaktivisten zählen kann. Im Prinzip kann wohl jeder, der von der kleinsten organisatorischen Einheit einer Partei oder einer ihrer Gliederorganisationen aufwärts eine Funktion bekleidet, jedenfalls zu den Parteiaktivisten gezählt werden. Nicht berücksichtigt sind damit aber die vielen in jeder Partei vorhandenen freiwilligen Aktivisten, die keinerlei Funktion ausüben. Eine genauere systematische Untersuchung dieser parteistrukturellen Ebene steht noch aus. Weitergreifend als die Parteieliten545, tiefer in die Ebene der Parteiaktivisten kann eine Analyse der Kandidatenlisten bei Landtagswahlen gehen. Auf ihnen scheinen neben den »sicheren« Kandidaten für die Landesparlamente, die zum überwiegenden Teil der Parteielite zugehören, wesentlich mehr Personen auf, die der Reihe der Parteiaktivisten entstammen. Damit ergibt sich schon eine wesentlich breitere Basis für eine analytische Untersuchung der sozialen Struktur einer Partei bzw. einer Ebene einer Partei, von der anzunehmen ist, daß sie einen sehr wesentlichen Einfluß auf das politische Handeln der Parteieliten (in den parlamentarischen Institutionen) ausübten. Für die Christlichsoziale Partei etwa äußert Ernst Hanisch den begründeten Verdacht, daß die Parteiaktivisten in der Ersten Republik »für die Ausbildung von Feindstereotypen besonders relevant waren und die Konfliktmuster vorgaben.«546 In diesem Zusammenhang muß auch auf den sogenannten »Kohorten-Effekt« eingegangen werden. Unter einer »Kohorte« versteht man eine rein demographische Kategorie innerhalb des Generationenbegriffes, die noch nichts über die sozialen Zusammenhänge zwischen den Gleichaltrigen aussagt.547 Dies bedeutet, daß Personen über das Kriterium eines gemeinsamen Geburtsjahrganges hinaus durch bestimmte Schlüsselerfahrungen, -erlebnisse und -ereignisse als »politische Generation« verbunden sind. Unter politischer Generation sind also jene Mitglieder einer Alterskohorte 545 Vgl. etwa die Untersuchung von Herbert Matis, Dieter Stiefel, Der österreichische Abgeordnete. Der österreichische Nationalrat 1919–1979. Versuch einer historischen Kollektivbiographie. Wien o. J. 546 Ernst Hanisch, Demokratieverständnis, parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Christlichsozialen. In  : Anna M. Drabek, Richard G. Plaschka, Helmut Rumpler (Hg.), Das Parteienwesen Österreichs und Ungarns in der Zwischenkriegszeit. Wien 1990. S. 83. 547 Vgl. Suzanne S. Schüttemeyer, Kohortenanalyse. In  : Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hg.), Politikwissenschaft. S. 431.

Begriffsbestimmungen und Typologisierung

199

zu verstehen, die auf Grund dieser bestimmten Schlüsselereignisse zu einer gleichgesinnten bewußten Auseinandersetzung mit den Leitideen und Werten der politischen Ordnung gelangten, in der sie aufwuchsen. Die generationsspezifischen politischen Erfahrungen insbesondere in der Prägephase des Individuums und die jeweils gleichen Lebensbedingungen schaffen Grundmuster politischer Orientierungen. Damit aus Mitgliedern einer Alterskohorte eine politische Generation wird, müssen zu den gleichgerichteten Erfahrungen gemeinsamer sozialer Lebensumstände auch politische Überzeugungen und Wertvorstellungen übereinstimmend vermittelt worden sein.548 Für die in den dreißiger Jahren in die verschiedenen politischen Positionen nachrückenden Personen muß vor allem die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und des Zusammenbruchs der Monarchie während der Jugend und Adoleszenz als das Schlüsselerlebnis bezeichnet werden. »Eine neue Generation, die ›Frontgeneration‹ des Ersten Weltkriegs, drängt, wie überall in Europa, so auch in Österreich, nach vorne, an die Macht, in die verantwortlichen Stellen.«549 Der Mythos der »Kriegs- und Frontgeneration«, der »Frontgeist«, wurde allerorts beschworen. In Österreich sind es die Schüler des späten Seipel, des Kritikers an den Auswüchsen der Parteienherrschaft, der immer mehr daran zweifelte – wie gezeigt wurde –, daß man mit den herkömmlichen parlamentarischen Mitteln der »Formaldemokratie« zu einem Ausweg aus der verfahrenen Situation finden könnte. Vor allem im nationalen, aber auch im christlichsozial-konservativen Lager hielt man Ausschau nach dem »starken Mann«, und selbst bei den Sozialdemokraten kommt – wie Renner bezeugt – ein dort bisher unbekannter Personenkult auf.550 An Hand von Engelbert Dollfuß zeigt Gerhard Jagschitz die psychologischen Hintergründe auf, auf Grund derer Dollfuß die Prinzipien, die er sich in seiner Jugend beim Militär – als typisches Mitglied der »Frontgeneration« – angeeignet hatte, auch auf die Politik für sich und die anderen übertrug  : »Er verlangte Disziplin, Bereitschaft, Aufgaben zu übernehmen und Verantwortungsgefühl, wie er im Krieg für seine Untergebenen und seine Stellung verantwortlich war. Vor allem aber verlangte er Pflichterfüllung.«551 Die autoritären Formen beim Militär gerade in Kriegszeiten, verstärkt durch die geistigen Strömungen in der Ersten Republik, prägten diese Frontgeneration, als sie Anfang der dreißiger Jahre politische Funktionen übernahm. »Stark subjektive Einstellung zu allen Problemen des Tages, Skepsis gegen das Herkömmliche, rein Formale und Ablehnung des Prinzips der Masse kennzeich548 Vgl. Suzanne S. Schüttemeyer, Politische Generationen. In  : Dieter Nohlen, Rainer-Olaf Schultze (Hg.), Politikwissenschaft. S. 737 f. Vgl. ebenso H. Fogt, Politische Generationen. Opladen. 1982. S. 21. 549 Adam Wandruszka, Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen. In  : Heinrich Benedikt (Hg.), Geschichte der Republik Österreich. München 1977. S. 337. 550 Vgl. Karl Renner, Österreich von der Ersten zur Zweiten Republik. Wien 1953. S. 119. (Hg. von Adolf Schärf). 551 Gerhard Jagschitz, Die Jugend des Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß. Ein Beitrag zur geistig-politischen Situation der sogenannten »Kriegsgeneration« des 1. Weltkrieges. Phil. Diss. Wien 1967. S. 118.

200

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

neten im Durchschnitt die geistige Grundhaltung der jungen, mit der Not des Tages kämpfenden Frontgeneration«, erinnert sich Kurt Schuschnigg.552 Gerhard Jagschitz überträgt die alltägliche harte militärische Auseinandersetzung im Krieg auf die späteren politischen Entscheidungsmodalitäten  : »Daraus ergab sich auch ein eigener Lebensstil, die militärische Notwendigkeit erforderte unmittelbar im Augenblick Entscheidungen ohne lange Überlegungen«553, woraus sich die Unzufriedenheit dieser Generation mit den oft langwierigen, von Parteitaktik geprägten parlamentarischen Entscheidungsprozessen erklären lassen könnte. Als »Frontgeneration« sollen hier – nach Johannes S. Kraus – jene Politiker angesehen werden, »die entweder unmittelbar nach Schulabschluß bzw. mit 18 Jahren zu Musterung und Kriegsdienst eingezogen wurden oder die durch Einberufung oder freiwillige Meldung ihr Studium oder ihre beginnende berufliche Karriere unterbrachen bzw. unterbrechen mußten«.554 Nimmt man als Untergrenze bei Kriegsausbruch das 18. Lebensjahr und als Obergrenze (nach Kraus) das 25. Lebensjahr, so zählen die Jahrgänge 1889 bis 1896 zur sogenannten »Frontgeneration«. Im folgenden soll also eine Kollektivanalyse der Landtagskandidaten nach den soziostrukturellen Kriterien Beruf, Alter, Geschlecht und Zugehörigkeit zu bestimmten Altersgruppen (Vor-Frontgeneration, Frontgeneration und Nach-Frontgeneration) angestellt werden. Der Versuch einer Typologisierung dieser drei politischen Generationen im nichtsozialistischen Lager könnte folgendermaßen aussehen555  : Vor-Frontgeneration (bis Jahrgang 1888)  : gemäßigt, kompromißbereit, konsensfähig, für Zusammenarbeit mit dem politischen Gegner, beharrend, eher demokratisch und parlamentarisch (z. B. Kunschak, Reither, Buresch, Ender, Dinghofer). Frontgeneration (Jahrgang 1889–1896)  : für autoritäre Muster, kompromißlos, antimarxistisch, für klare Entscheidungen, unduldsam, Sehnsucht nach klarer Führung, unzufrieden mit den Zuständen, Wille zu Gehorsam, Uniformierung und Dis552 Kurt Schuschnigg, Dreimal Österreich. Wien 1938. S. 98. 553 Gerhard Jagschitz, Die Jugend des Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß. S. 114. 554 Johannes S. Kraus, Volksvertreter  ? Beiträge zu einer Analyse der Organe der Bundesgesetzgebung 1934–1938 und der politischen Elite des Austrofaschismus. In  : Zeitgeschichte. 18. Jahr. 1990/91. Heft 11/12. S. 368. 555 Vgl. dazu etwa die Schilderungen von Kurt Schuschnigg, Dreimal Österreich. S. 98 ff. Vgl. auch Arthur Dix, Die deutsche Reichstagswahl von 1930 und die Wandlungen der Volksgliederung. In  : Otto Büsch, Monika Wölk, Wolfgang Wölk (Hg.), Wählerbewegung in der deutschen Geschichte. Analysen und Berichte zu den Reichstagswahlen 1871–1933. Berlin 1978. S. 225  : »Frontkämpfer-Generation und Jungwähler fanden bei der Hitler-Bewegung den Schwung, den äußeren Freiheitsdrang und die innere Disziplin, die sie suchten. Der Radikalismus war ihnen gerade recht – und eine starke Dosis Antisemitismus wirkt erfahrungsgemäß nach Kriegen und nach Revolutionen nicht abschreckend.« Dix bietet eine interessante Untersuchung der Wähler-Altersschichten und ihres Erlebnishintergrundes bei der deutschen Reichstagswahl 1930.

201

Wien

ziplin. Ständestaat als Alternative zur parlamentarischen Demokratie (z. B. Dollfuß, Schuschnigg, Schmitz, Raab). Nach-Frontgeneration (ab Jahrgang 1897)  : keine eigene Kriegserfahrung, Suche nach neuer Romantik, Jugendbewegung, Sehnsucht nach radikaler Überwindung alles Bisherigen, also auch des bestehenden politischen Systems. Anfällig für die Radikalismen der Heimwehr und des Nationalsozialismus (z. B. Starhemberg, Globocnik, Frauenfeld). Aus dem sozialistischen Lager könnte man als typisch für die Vor-Frontgeneration u. a. Renner, Körner, Danneberg und Seitz ansehen, zur Front-Generation könnte man Bernaschek und zur Nach-Frontgeneration Ernst Fischer zählen. Diese genaue soziale Analyse aller Landtagskandidaten des Jahres 1932 ist die Basis für die Vergleichsmöglichkeiten der sozialen und ideologischen Interessen der Gruppe der Parteiaktivisten mit dem parlamentarischen Handeln ihrer Parteieliten.

4.2 Wien Tabelle 32 Die Berufsstruktur der Landtagskandidaten (1. und 2. Zeile) und -abgeordneten (3. und 4. Zeile) in Wien zur Landtagswahl 1932. (In Klammer die Prozentangaben) Beruf Landwirt

Handel/Gewerbe

Freie Berufe

Öffentl. Verwaltung

Lehrer

CS

SD

NS

GD

KP

1









(0,5)









1









(5,3)









50

15

1

27

(24,4)

(8,3)

(3,1)

(21,3)

5

2





(26,3)

(3,0)







22

5

6

1

2

(10,7)

(2,8)

(18,8)

(0,8)

(1,7)

3

2

4





(15,8)

(3,0)

(26,7)





45

29

12

31

11

(22,0)

(16,1)

(37,5)

(24,4)

(9,5)

3

8

6





(15,8)

(12,1)

(40,0)





22

14

2

7

1

(10,7)

(7,8)

(6,25)

(5,5)

(0,9)

1

9

1





(5,3)

(13,6)

(6,7)







202

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration Die Berufsstruktur der Landtagskandidaten (1. und 2. Zeile) und -abgeordneten (3. und 4. Zeile) in Wien zur Landtagswahl 1932. (In Klammer die Prozentangaben) Beruf

Arbeiter

Privatangest.

Hausbesitzer

Hausfrau

Rentner/Pensionist

Priester unbestimmt

Gesamt

CS

SD

NS

GD

7

33

2

1

KP 69

(3,4)

(18,3)

(6,25)

(0,8)

(59,5) –



10

3





(15,2)

(20,0)





36

56

8

24

15

(17,5)

(31,1)

(25,0)

(18,9)

(12,9)

5

24

1





(26,3)

(36,4)

(6,7)





1





(0,8)



(0,5)





1



















16

16



11

15

(7,8)

(8,9)



(8,6)

(12,9) –

1

4





(5,3)

(6,1)







1

9

1

24

3

(0,5)

(5,0)

(3,1)

(18,9)

(2,6)



4









(6,1)







2









(1,0)









2

3







(1,0)

(1,7)









3









(4,5)







205

180

32

127

116

Quellen  : Eigene Berechnungen nach  : Amtsblatt der Stadt Wien. Nr. 32. 20. 4. 1932. S. 291–317. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. Politische Geschichte. S. 1180.

Bei der Interpretation dieser Tabelle fällt vorerst einmal auf, daß die Nationalsozialisten die wenigsten Kandidaten aufzuweisen haben. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die NSDAP in den 21 Wiener Gemeindebezirken auf den einzelnen Bezirkslisten immer wieder dieselben Personen kandidierte. Dabei handelte es sich vor allem um Alfred Eduard Frauenfeld, Dr. Richard Suchenwirth, Dr. Walter Riehl und Karl Gratzenberger, die abwechselnd in mehreren Bezirken die Spitzenpositionen einnahmen, womit die Partei eine hohe Flexibilität bei der tatsächlichen Besetzung der Mandate hatte. Die genannten Spitzenkandidaten hatten es selbst in der Hand, in welchem Bezirk sie ihr Mandat annahmen, so daß man dadurch unliebsame Kandidaten leicht als Abgeordnete verhindern konnte.

Wien

203

Die anderen Parteien, vor allem die Christlichsozialen, versuchten, auf den Bezirkslisten nur solche Persönlichkeiten zu kandidieren, die auch tatsächlich im jeweiligen Bezirk ihren Wohnsitz hatten. Bei den Kommunisten mußten ebenfalls mehrere Kandidaten in mehreren Bezirken kandidieren. Bei den Christlichsozialen kam etwa ein Viertel der Kandidaten aus dem Bereich von Handel und Gewerbe, etwas weniger aus der öffentlichen Verwaltung und aus dem Bereich der Privatangestellten. Mit 22 Kandidaten hatte die Christlichsoziale Partei absolut die meisten Personen aus dem Bereich der Freien Berufe aufzuweisen. Bei den Sozialdemokraten dominierten eindeutig die Privatangestellten, wobei darunter sehr viele Angestellte von Arbeiterkammer, Gewerkschaften und aus den Redaktionen von Parteizeitungen u. ä. waren. Die Arbeiter machten nicht ganz ein Fünftel der Kandidaten aus, aus der öffentlichen Verwaltung, darunter viele aus dem Bereich Bundesbahn, Straßenbahn und Wiener Magistrat, kamen 16 Prozent. Relativ hoch für eine sozialistische Partei ist mit 15 Vertretern der Anteil aus Handel und Gewerbe (insbesondere Gastwirte). Unter den 32 Kandidaten der Nationalsozialisten dominieren eindeutig die Vertreter aus der öffentlichen Verwaltung, gefolgt von den Privatangestellten und den Freien Berufen. Die Kandidaten der Großdeutschen Volkspartei rekrutierten sich vor allem aus der Beamtenschaft, aus dem Handel und Gewerbe sowie aus den Privatangestellten und einem hohen Anteil von Pensionisten (v. a. pensionierte Beamte und Offiziere). Die Kommunisten haben erwartungsgemäß den größten Anteil von Arbeitern, der aber mit fast 60 Prozent besonders hoch ausfällt. Darunter ist eine besonders hohe Anzahl von Hilfsarbeitern. Mit je 15 Vertretern folgen die Privatangestellten (darunter auch einige Redakteure) und die Hausfrauen, die oftmals die Bezeichnung »proletarische Hausfrau« angaben. Bei den Vertretern der öffentlichen Verwaltung dominieren die Wiener Straßenbahner. In Wien kandidierten darüber hinaus auch noch die Österreichische Volkspartei und die Kaisertreue Volkspartei. Bei der Österreichischen Volkspartei des Rechtsanwaltes Dr. Moritz Zalmann, die sich vor allem als eine Partei der älteren Generation verstand, waren von den 58 Kandidaten 15 Pensionisten (25,7 Prozent) und 13 Hausfrauen (vor allem Witwen, 22,4 Prozent). Weiters kandidierte diese Partei 11 Privat­ angestellte, neun Vertreter aus Handel und Gewerbe, fünf Beamte, je zwei Arbeiter und Hausbesitzer und einen Freiberufler. Die fünf Kandidaten der Kaisertreuen Volkspartei, die nur in einigen Wiener Bezirken kandidierte, setzten sich aus zwei Pensionisten sowie einem Vertreter von Handel/Gewerbe, einem Privatangestellten und einer Hausfrau zusammen. Vergleicht man die Berufskategorien der Kandidaten mit denen der Abgeordneten, so fällt auf, daß bei den Nationalsozialisten die Arbeiter prozentuell im Landtag wesentlich stärker vertreten waren als unter den Kandidaten, ebenso die Vertreter der

204

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

Freien Berufe. Dafür waren im Landtag prozentuell wesentlich weniger Privatangestellte vertreten als auf den NS-Kandidatenlisten. Bei den Christlichsozialen mußten die Beamten unter den Kandidaten prozen­tuell gegenüber den Privatangestellten bei der Mandatsvergabe zurückstehen. Der eine Bauernvertreter war zwar Präsident der Wiener Landwirte, von Beruf aber Bundes­ beamter. Er wurde aber als Bauer gezählt. Bei den Sozialdemokraten fällt auf, daß die Lehrer im Landtag gegenüber den Kandidatenlisten überrepräsentiert waren. Unter die Kategorie »unbestimmt« fallen wieder jene Abgeordneten, bei denen nur ihre politische Funktion als Beruf angegeben ist. Tabelle 33 Anzahl der Frauen unter den Kandidaten und Abgeordneten CS

 32

Kandidatinnen

 2

SD

 35

Kandidatinnen

13 Abgeordnete

Abgeordnete

NS

 –

GD

 18

Kandidatinnen

 –

KP

 26

Kandidatinnen

 –

ÖVP

 15

Kandidatinnen

 –

KVP

  1

Kandidatin

 –

 –

127 Kandidatinnen

15 Abgeordnete

Von den 205 Kandidaten der Christlichsozialen Partei sind 32 Frauen (= 15,6 Prozent), von den 19 Abgeordneten zwei Frauen (= 10,5 Prozent). Bei den Sozialdemokraten sind von den 180 Kandidaten 35 Kandidatinnen (= 19,4 Prozent) und von den 66 Abgeordneten 13 Frauen (= 19,7 Prozent). Die Nationalsozialisten stellen sich auch in Wien als reine Männerpartei dar. Sie haben nicht eine einzige Kandidatin aufzuweisen. Von den großdeutschen Kandidaten sind 14,2 Prozent Frauen, unter den kommunistischen Kandidaten beträgt der Frauenanteil 22,4 Prozent und ist damit am höchsten. Was die Altersstruktur der Kandidaten betrifft, so gehen aus den offiziellen Kandidatenlisten für die Wiener Landtagswahl leider keine Geburtsdaten hervor, so daß sowohl über das Alter als auch die Zugehörigkeit zu politischen Generationen für Wien (bislang) nur bruchstückhafte Aussagen gemacht werden können.556 556 Für das mühsame Recherchieren der Geburtsdaten der nationalsozialistischen Kandidaten danke ich Frau Dr. Maren Seliger vom Wiener Stadt- und Landesarchiv sowie Herrn Dr. Rudolf Jerabek vom Österreichischen Staatsarchiv. Da bei zwei NS-Kandidaten unterschiedliche Geburtsdaten vorliegen, werden

205

Wien

Tabelle 34 Die Altersstruktur der christlichsozialen und der nationalsozialistischen Kandidaten Partei

Durchschnittsalter

jüngster

ältester Kandidat

CS

47,3

28

63

NS

38,8 (40)

30

54 (65)

Die Geburtsdaten der christlichsozialen Kandidaten stammen aus einer Kopie der eingereichten Listen aus dem Archiv der Republik. Christlichsoziales Parteiarchiv. Christlichsoziale Partei Wien. Karton 63. Bei den Sozialdemokraten läßt sich die Altersstruktur nur für die Abgeordneten ermitteln. Das Durchschnittsalter beträgt 52,0 Jahre, der älteste sozialdemokratische Abgeordnete war 63 Jahre, der jüngste 32 Jahre alt. Dies läßt erkennen, daß die sozialdemokratische Parteielite in Wien ziemlich überaltert war. Tabelle 35 Die Wiener Landtagskandidaten und -abgeordneten (2. Zeile) von Christlichsozialen und Nationalsozialisten nach politischen Generationen (1932). Bei den Sozialdemokraten beziehen sich die Angaben nur auf die Abgeordneten. (Angaben in Prozent) Partei

Vor-Frontgeneration

Frontgeneration

Nach-Frontgeneration

SD

83,1

13,8

 3,1

CS

64,0

27,3

 8,7

68,4

26,3

 5,3



34,4



33,3

40,0

NS

21,9 (25,0)

26,7

43,7 (40,6)

Man sieht also ganz deutlich, daß die Christlichsoziale Partei eine wesentlich ältere Kandidatengarnitur aufweist als die NSDAP. Besonders auffallend ist der Unterschied bei der Zugehörigkeit zu den verschiedenen politischen Generationen. Während bei der NSDAP sowohl bei den Kandidaten als auch bei den Abgeordneten eindeutig die Nach-Frontgeneration überwiegt und die Vor-Frontgeneration den kleinsten Anteil hat, überwiegt bei den Christlichsozialen sowohl bei den Kandidaten als auch bei den Abgeordneten die Vor-Frontgeneration. Man kann aber bemerken, daß auf den hinteauch zwei unterschiedliche Durchschnittswerte angeführt. Die in Klammer gesetzten Werte ergeben sich aus den von Frau Dr. Seliger übermittelten Daten. Vgl. auch Stadtgemeinde Wien. Namensverzeichnis der Mitglieder des Gemeinderates, des Landtages, des Stadtsenates, der Gemeinderatsausschüsse und der Bezirksvertretungen der Stadt Wien. Nach dem Stande vom 30. Juli 1932. Wien 1932. Ebenso Oswald Knauer, Der Wiener Gemeinderat 1861–1962. In  : Handbuch der Stadt Wien. 77. Jg. Wien 1962.

206

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

ren Kandidatenplätzen die Frontgeneration im Nachrücken ist. Besonders signifikant ist mit über 83 Prozent die Dominanz der Vor-Frontgeneration innerhalb der sozialdemokratischen Gemeinderatsfraktion.

4.3 Niederösterreich Tabelle 36 Die Berufsstruktur der niederösterreichischen Landtagskandidaten und -abgeordneten zur Landtagswahl 1932 Beruf

CS

SD

NS

GD

SBV

Landwirt

57

11

19

6

40



(51,4)

(9,9)

(18,4)

(7,3)

(95,2)



16

1



(57,1)

(5,0)

Handel/Gewerbe

Freie Berufe

Öffentl. Verwaltung

Lehrer

Arbeiter

Privatangest.

Hausbesitzer

KP

15

2

12

27

2



(13,5)

(1,8)

(11,7)

(33,0)

(4,8)



1



1

(3,6)



(12,5)

3

1

7

5





(2,7)

(0,9)

(6,8)

(6,1)











1





(12,5)

8

21

29

12

(7,2)

(18,9)

(28,2)

(14,6)

4

4

3

(14,3)

(20,0)

(37,5)

3 (9,1)

12

11

12

13





(10,8)

(9,9)

(11,7)

(15,6)





4

5

1

(14,3)

(25,0)

(12,5)

4

19

9

1



25

(3,6)

(17,1)

(8,7)

(1,2)



(75,7)



2





(10,0)



6

25

10

3



2

(5,4)

(22,5)

(9,7)

(3,7)



(6,1)

2

6

2

(7,1)

(30.0)

(25,0)



2

4

2





(1,8)

(3,9)

(2,4)





























207

Niederösterreich Die Berufsstruktur der niederösterreichischen Landtagskandidaten und -abgeordneten zur Landtagswahl 1932 Beruf Hausfrau

Rentner/Pensionist unbestimmt

Gesamt

CS

SD

NS

GD

SBV

3

11



5



3

(2,7)

(19,9)



(6,1)



(9,1)

1

2



(3,6)

(10,0)



KP



6

1

8







(5,4)

(0,9)

(9,8)





3

2





(2,7)

(1,8)

















111

111

103

82

42

33

SBV = Ständische Bauernvereinigung (Landbund). Quelle  : Eigene Berechnungen nach  : Ergebnis der Land­tagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. Herausgegeben von der N.Ö. Landesamtsdirektion. Wien 1932.

Gerade in Niederösterreich bestätigte sich natürlich das große Gewicht der Bauern in der Christlichsozialen Partei (sieht man von der praktisch rein bäuerlichen Gruppe der Ständischen Bauernvereinigung ab). In der Sozialdemokratischen Partei dominierten die Privatangestellten, die Vertreter der öffentlichen Verwaltung (darin wieder eindeutig dominierend die Bundesbahnbediensteten) und die Arbeiter, die jedoch mit rund 17 Prozent nicht sehr stark vertreten waren. In der Kategorie »Landwirte« handelte es sich bei den Sozialdemokraten fast ausschließlich um Kleinlandwirte. Bei den Nationalsozialisten dominierten die Vertreter der öffentlichen Verwaltung, wobei auch hier die ÖBB-Bediensteten sehr stark vertreten waren. Zweitstärkste Gruppe sind die Landwirte, die rund 18 Prozent ausmachten. Die weiteren Gruppen aus Handel/Gewerbe, Lehrer, Arbeiter, Privatangestellte und Vertreter der freien Berufe hielten sich ziemlich die Waage. Hier sei noch eingeflochten, daß die Lehrer in allen vier größeren Parteien ungefähr gleich stark vertreten waren. Bei den Großdeutschen bot sich das gängige Bild  : Starke Vertretung von Handel und Gewerbe und der Beamten. Die Liste der Ständischen Bauernvereinigung setzte sich fast ausschließlich aus Landwirten zusammen, die Kommunistische Parteiliste erwartungsgemäß überwiegend aus Arbeitern. Für die Nationalsozialisten kann also zusammenfassend festgestellt werden, daß in ihrer Liste die öffentlich Bediensteten bei weitem überrepräsentiert waren, nehmen sie doch (einschließlich der Lehrer) 40 Prozent ein.557 557 Vgl. auch Gerhard Botz, Soziale »Basis« und Typologie der österreichischen Faschismen im inneröster-

208

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

Vergleicht man nun dieses Soziogramm der Landtagskandidaten mit dem der tatsächlich in den Landtag eingezogenen Abgeordneten, so zeigt sich, daß bei den Christlichsozialen auch dort die Bauern ihre überdurchschnittlich starke Position behaupteten. Bei den Nationalsozialisten waren jedoch die Bauern im Hinblick auf die doch recht beachtliche Repräsentanz innerhalb der Parteiaktivisten völlig durchgefallen. Ähnlich geht es den Vertretern von Handel und Gewerbe in der Christlichsozialen Partei. Die Vertreter der öffentlichen Verwaltung sind dagegen in allen drei Parteien überrepräsentiert – dies vor allem im Hinblick darauf, daß sie schon unter den Kandidaten sehr stark vertreten sind. Besonders fällt die große Zahl der Lehrer vor allem unter den sozialdemokratischen Abgeordneten auf. Die Arbeiter waren bei jeder der drei Parteien schlecht vertreten, bei den Sozialdemokraten sank der Anteil unter den Abgeordneten noch weit unter den der Kandidaten. Sehr stark waren dagegen bei den Sozialdemokraten und vor allem bei den Nationalsozialisten die Privatangestellten vertreten. Tabelle 37 Anzahl der Frauen unter den Kandidaten und Abgeordneten CS

 3 Kandidatinnen

1 Abgeordnete

SD

15 Kandidatinnen

1 Abgeordnete

NS GD

 6 Kandidatinnen

SBV KP

 4 Kandidatinnen 28 Kandidatinnen

2

weibl. Abgeordnete

Auch aus dieser Aufstellung zeigt sich das gängige Bild der Parteien. Die Christlichsoziale Partei begnügte sich mit drei Kandidatinnen, von denen immerhin eine in den Landtag einzog. Die Sozialdemokraten waren (wie auch die KP) frauenfreundlicher, setzten jedoch auch nur eine Frau auf einen sicheren Listenplatz. Überraschend die sechs Kandidatinnen der Großdeutschen, jedoch alle auf nicht wählbaren Plätzen. Als reine Männerparteien bestätigten sich die Nationalsozialisten und die Bauernvereinigung.

reichischen und europäischen Vergleich. S. 26  : »Die öffentlich Angestellten sind in beiden Faschismen überrepräsentiert, viel stärker überrepräsentiert allerdings bei der NSDAP als bei der Heimwehr.«

209

Niederösterreich

Tabelle 38 Die Altersstruktur der Kandidaten Partei

Durchschnittsalter

CS

jüngster

ältester Kandidat

46,7

30

65 63

SD

45,5

31

NS

40,8

30

65

GD

52,0

32

70

SBV

44,5

31

62

KP

37,7

30

58

Gesamtdurchschnitt 44,5

Damit zeigt sich auch in Niederösterreich, daß die Großdeutsche Volkspartei die am meisten »veraltete« Aktivistenschichte aufwies, womit sich auch hier die Zukunftslosigkeit dieser Partei sehr deutlich abzeichnete. Christlichsoziale und Sozialdemokraten lagen eindeutig über dem Gesamtaltersdurchschnitt, wobei die Christlichsozialen eine doch sehr deutlich veraltete Kandidatenstruktur aufwiesen. Die Ständische Bauernvereinigung lag genau im Schnitt, während – wie erwartet – die beiden radikalen Parteien, NSDAP und KP, deutlich unter dem Gesamt-Altersdurchschnitt lagen, wobei vor allem die Kommunistische Partei sehr viele junge Kandidaten aufzuweisen hatte. Tabelle 39 Die niederösterreichischen Landtagskandidaten und -abgeordneten (in Klammern) nach politischen ­Generationen (1932). Angaben in Prozent Partei

Vor-Frontgeneration

Frontgeneration

Nach-Frontgeneration

CS

63,0

24,1

12,9

SD

(77,8)

(18,5)

( 3,7)

58,3

36,5

5,2

(68,4)

(31,6)

NS

28,0

39,3

32,7

(37,5)

(50,0)

(12,5)

GD

81,3

16,2

2,5

LB

52,4

28,6

19,0

KP

17,1

34,3

48,6

210

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

In Niederösterreich dominierte in der Christlichsozialen Partei eindeutig die Vor-Frontgeneration. War sie schon auf der Kandidatenliste eindeutig vorherrschend, so nahm sie im Landtag gegenüber der Frontgeneration eine noch dominierendere Stellung ein. Dies ist ein neuerliches Indiz dafür, daß in Niederösterreich die demokratischen, kompromißbereiten Kräfte (noch) an der Macht waren. Eine ähnliche Struktur war bei den Sozialdemokraten festzustellen. Bei den Nationalsozialisten dominierte sowohl auf den Kandidatenlisten als auch im Landtag die Frontgeneration. Gegenüber den Kandidaten setzte sich im Landtag die Frontgeneration eindeutig durch. Großdeutsche und Landbund wurden eindeutig von der Vor-Frontgeneration dominiert. Unter den kommunistischen Kandidaten war wie überall die Nach-Frontgeneration am stärksten vertreten.

4.4 Salzburg Tabelle 40 Die Berufsstruktur der Landtagskandidaten und -abgeordneten zur Landtagswahl 1932 in Salzburg Beruf

CS

SD

NS

GD

LB

HB

KP

Landw.

23



10



17

12



(45,1)



(21,7)



(48,6)

(28,6)



4





(33,3) Handel/Gewerbe

Freie Berufe Öff. Verw.

Lehrer

7

1

7

16

7

12



(13,7)

(2,9)

(15,2)

(43,2)

(20,0)

(28,6)



3



2

(25,0)



(33,3)

3



2

7



2



(5,9)



(4,3)

(18,9)



(4,8)



8

7

6

4



6



(15,7)

(20,6)

(13,0)

(10,8)



(14,3)



2

1

2

(16.7)

(12,5)

(33,3)

1

2

2

4







(2,0)

(5,9)

(4,3)

(10,8)







2 Arbeiter

Privatang.



(25,0)



5

8

15



3

8

1

(9,8)

(23,5)

(32,6)



(8,6)

(19,0)

12,5



2

2



(25,0)

(33,3)

2

7

3

2



2

6

(3,9)

(20,6)

(6,5)

(5,4)



(4,8)

75

2

1



(16,7)

(12,5)



211

Salzburg Die Berufsstruktur der Landtagskandidaten und -abgeordneten zur Landtagswahl 1932 in Salzburg Beruf Hausbes. Hausfrau

CS

SD

NS

GD

LB

HB









8



KP –









(22,9)







5



3









(14,7)



(8,1)







1





(12,5) Pens.

1

4

1

1





1

(2,0)

(11,8)

(2,2)

(2,7)





12,5

1





(12,5) Priester

1













(2,0)













1





34

46

37

35

42

8

(8,3) Gesamt

51

Quelle  : Salzburger Landes-Zeitung, 19. 4. 1932, S. 1–3, eigene Berechnungen.

Aus dieser sozialen Zusammensetzung der Kandidaten der einzelnen Parteien zeigt sich, daß auch in Salzburg in der Christlichsozialen Partei die Vertreter der Landwirtschaft eindeutig den Ton angaben und die Vertreter der öffentlich Bediensteten die zweitstärkste Gruppe bildeten. Bei den Sozialdemokraten dominierte keine Gruppe so stark wie die Bauern bei den Christlichsozialen. Öffentlich Bedienstete, vor allem ÖBBBedienstete, Arbeiter und Privatangestellte hielten sich ungefähr die Waage. Signifikant war auch die Zahl der Hausfrauen und Pensionisten bei den Sozialdemokraten. Bei den Nationalsozialisten traten die Arbeiter und Bauern besonders hervor, gefolgt von den Vertretern des Handels und des Gewerbes sowie der öffentlich Bediensteten. Der Landbund zeigte sich als Sammelbecken von Bauern, Hausbesitzern und Gewerbetreibenden (vor allem Gastwirten). Der Heimatblock rekrutierte seine Kandidaten vor allem aus der Landwirtschaft, dem Handel und Gewerbe sowie aus dem Bereich der Arbeiter und öffentlich Bediensteten. Die Großdeutschen wiederum stellten sich eindeutig als Partei des Handels und des Gewerbes, der freien Berufe und der Beamten dar. Die Kommunistische Partei präsentierte überwiegend Hilfsarbeiter.558

558 Vgl. Franz Schausberger, Die Salzburger Landtagswahl vom 24. April 1932, 1. Teil. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. Mitteilungen der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft, Nr. 2/1991. S. 65 f.

212

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

Tabelle 41 Anteil der Frauen unter den Kandidaten und Landtagsabgeordneten CS



SD

6 Kandidatinnen

NS



GD

3

LB



HB



KP

1

1 Abgeordnete

10 Kandidatinnen

1 Abgeordnete

Aus dieser Aufstellung läßt sich die Frauenfeindlichkeit der bürgerlichen Parteien (mit Ausnahme eventuell der Großdeutschen) deutlich erkennen. Die meisten Kandidatinnen zählten die Sozialdemokraten, eine davon wurde in den Landtag entsendet. Überraschend ist vor allem, daß die Christlichsoziale Partei nicht eine einzige Kandidatin auf ihren Listen hatte. Tabelle 42 Die Altersstruktur der Kandidaten Partei

Durchschnittsalter

jüngster

ältester Kandidat

CS

44,9

31

65

SD

50,0

35

66 72

NS

39,9

30

GD

50,7

33

67

LB

47,8

31

81

HB

44,2

30

72

KP

38,5

31

65

Gesamtdurchschnitt 45,1

In Salzburg lagen Kommunistische und Nationalsozialistische Partei sehr deutlich unter, Heimatblock und Christlichsoziale Partei geringfügig über dem Gesamt-Altersdurchschnitt aller Kandidaten. Ziemlich überaltert sind hier die Sozialdemokraten und erwartungsgemäß die Großdeutschen. Der Landbund liegt etwas unter dem Durchschnitt.

213

Salzburg

Tabelle 43 Die Salzburger Landtagskandidaten und -abgeordneten (in Klammern) nach politischen Generationen (1932) Angaben in Prozent Partei

Vor-Frontgeneration

Frontgeneration

Nach-Frontgeneration

CS



52,9 (75,0)



35,3 (25,0)



SD



67,9 (85,7)



25,0 (14,3)



11,8 ( – ) 7,1 ( – )

NS



26,1 (50,0)



43,5 (33,3)



30,4 (16,7)

GD

82,4

14,7



LB

57,6

27,3

15,1

FIW

41,5

31,7

26,8

KP

14,3

14,3

71,4

2,9

Aus dieser Aufstellung ergibt sich ein ähnliches Bild wie in Niederösterreich. In der Christlichsozialen Partei dominierte unter den Kandidaten die Vor-Frontgeneration, in noch stärkerem Ausmaß im Landtag. Auch dies zeigt, daß eine kompromißbereite, demokratisch gesinnte Elite an der Macht war. Noch stärker ausgeprägt war diese Situation in der Sozialdemokratischen Partei. Gerade die Salzburger Sozialdemokraten waren für ihre besonders konsensgeprägte Haltung bekannt. 559 Bei den Sozialdemokraten dominierte unter den Kandidaten zwar die Frontgeneration, ebenso war die Nach-Frontgeneration ziemlich stark vertreten, in der Landtagsfraktion stellte jedoch die Vor-Frontgeneration die Hälfte der Abgeordneten. Front- und Nach-Frontgeneration waren unter den Salzburger NS-Abgeordneten im Vergleich zu ihren Anteilen unter den Kandidaten schwach vertreten. Wie in Niederösterreich waren auch in Salzburg Großdeutsche und Landbund stark von der Vor-Frontgeneration geprägt. Die radikalere Heimwehr wiederum hatte unter ihren Kandidaten relativ hohe Anteile aus der Front- und der Nach-Frontgeneration. Mit fast drei Viertel der Kandidaten dominierte in der KP wieder eindeutig die Nach-Frontgeneration. Im Zusammenhang mit der sozialen Struktur der nationalsozialistischen Parteiaktivisten in Salzburg wollen wir uns auch die organisatorische und personelle Situation der NSDAP in Salzburg um das Jahr 1932 vergegenwärtigen. Die NSDAP war im Jahr 1931 neu organisiert worden, und zwar bürokratisch völlig durchorganisiert und damit aber auch weniger dynamisch und flexibel als früher. An der Spitze der Gauleitung stand Karl Scharizer, stellvertretender Gauleiter war Ing. H. Parson. Die Gaugeschäftsführung hatte Josef Wohlrab inne. Die Gauleitung war in acht Hauptabteilungen gegliedert, die sich wiederum aus mehreren Gruppen zusammensetzten. Damit entsprach die Größe des Parteiapparates kaum der tatsächlichen Stärke der 559 Vgl. etwa Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Masse. Wien 1978. S. 247–268.

214

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

Partei. Am 31. Dezember 1932 betrug nämlich die Zahl der NSDAP-Mitglieder im Bundesland Salzburg lediglich 3.677 Personen.560 Die SA umfaßte zu Jahresbeginn 1933 1.156 Mann, die SS etwa 197 Mann, sodaß die paramilitärischen Parteiformationen 1.353 Mann zählten.561 Privatangestellte, Selbständige sowie Arbeiter in Gewerbe und Industrie traten verstärkt als »militante Mitglieder der NSDAP« in Erscheinung, auffallend war der Rückgang der öffentlich Bediensteten, denen das Engagement und die Mitgliedschaft in der NSDAP untersagt worden war. Sie hatten um ihre Existenzgrundlage zu fürchten.562 Dies war wohl auch Grund für den nationalsozialistischen Spitzenkandidaten Dr. Max Peisser, der auf Grund der beruflichen Unvereinbarkeit sein Engagement für die NSDAP beendete und zur Heimwehr überwechselte. An ihm, dem ehemaligen CVer, zeigt sich auch, wie politische Karrieristen in dieser Phase der NSDAP ihre Chance zu nützen versuchten. Von den sechs nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten, die nach der Landtagswahl in das Landesparlament einzogen, waren zwei Selbständige, zwei Beamte und zwei Arbeiter. Einer von ihnen, Leopold Schaschko, hatte schon in den Jahren 1918 und 1919 dem Landtag angehört. Eine längere NSDAP-Parteivergangenheit hatten von den Mandataren nur Leopold Schaschko, Erich Wagner, Alois Reicht und natürlich Karl Scharizer aufzuweisen. Zumindest zwei der Landtagsmandatare, nämlich Dr. Peisser und Otto Vogl, entfernten sich spätestens nach dem März 1938 von der NSDAP bzw. wurden von dieser sogar verfolgt. Nachdem sie beileibe nicht die einzigen NS-Aktivisten waren, die einen solchen Weg gegangen sind, schiene es zweckmäßig zu sein, im Rahmen einer eigenen Arbeit einmal die Schicksale der Nationalsozialisten aus der Zeit vor 1933 bzw. 1938, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, zu untersuchen. Tatsache ist jedenfalls, daß keiner der NSDAP-Mandatare, die nach der Landtagswahl 1932 in das Landesparlament einzogen, nach 1938 in Spitzenpositionen der nationalsozialistischen Hierarchie Salzburgs aufscheinen. Legionäre, die nach Deutschland geflohen waren, Parteifunktionäre aus dem »Altreich«, neue Sympathisanten und Opportunisten drängten sich nach vorne, ein wüstes Intrigenspiel setzte ein. Damit bestätigte sich wieder einmal, was Jacob Burckhardt schon viele Jahrzehnte vorher generell für die Männer der frühen Stadien solcher politischer Umbruchsphasen sehr treffend so formulierte  : »Diese Anfänger sind daher nie die Vollender, sondern werden verschlungen, weil sie die Bewegung auf deren anfänglichem Stadium darstellten und daher nicht mitkommen konnten, während das neue Stadium schon seine eigenen Leute bereit hält.«563 Noch 50 Jahre spä-

560 Vgl. Reinhard Mittendorfer, Nationalsozialistische Aufstandsversuche im Land Salzburg und ihre Abwehr. Hausarbeit aus Geschichte. Salzburg, 1976. S. 45 ff. 561 Reinhard Mittendorfer, Nationalsozialistische Aufstandsversuche. S. 57 ff. 562 Reinhard Mittendorfer, Nationalsozialistische Aufstandsversuche. S. 64 ff. 563 Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen. Über geschichtliches Studium. Basel, Wien o. J. S. 302.

215

Vorarlberg

ter spürte Ernst Hanisch bei seinen Recherchen »die Erbitterung über wirkliche oder vermeintliche Zurücksetzungen, wenn man mit damaligen Parteifunktionären redet«.564

4.5 Vorarlberg Tabelle 44 Die berufliche Struktur der Landtagskandidaten zur Landtagswahl 1932 in Vorarlberg Beruf

CS

SD

NS

GD

LB

Landwirt

13

1

2

2

30

1

(30,2)

(3,8)

(9,1)

(7,7)

(85,7)

(9,1)

Handel/Gewerbe Freie Berufe Öffentl. Verwaltung Lehrer Arbeiter Privatangest. Hausbesitzer Hausfrau Rentner/Pensionist unbestimmt

KP

10

2

5

9

3



(23,2)

(7,7)

(22,7)

(34,6)

(8,6)



2





2





(4,7)





(7,7)





3

5

5

1



1

(7,0)

(19,2)

(22,7)

(3,8)



(9,1)

2





1





(4,7)





(3,8)





3

4

5

1



6

(7,0)

(15,4)

(22,7)

(3,8)



(54,5)

6

6

4

5



2

(14,0)

(23,1)

(18,2)

(19,2)



(18,2)









2











(5,7)





1



2







(3,8)



(7,7)





1

4

1

2





(2,3)

(15,4)

(4,5)

(7,7)





3

3



1



1

(7,0)

(11,5)



(3,8)



(9,1)

43

26

22

26

35

11

Quelle  : Eigene Berechnungen nach den von Klaus Pitzner, Außenstelle Vorarlberg des Instituts für neuere österreichische Geistesgeschichte der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft, zur Verfügung gestellten Daten über die Kandidaten der Vorarlberger Landtagswahl am 6. 11. 1932.

564 Ernst Hanisch, Nationalsozialistische Herrschaft in der Provinz. Salzburg im Dritten Reich. Salzburg Dokumentationen Nr. 71. Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg 1983. S. 38 und 79. Dies bestätigten auch die Interviews mit Frau Hilde Ropper, Witwe von Dr. Franz Ropper (10. 1. 1991, 7. 2. 1991), Otto Vogl, Sohn des NS-LAbg. Otto Vogl (15. 12. 1990), und mit Mag. arch. Erich Wagner, Sohn des NS-LAbg. Erich Wagner (4. 1. 1991).

216

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

Aus dieser Tabelle zeigt sich, daß die Christlichsoziale Partei auch bei der Kandidatenaufstellung versuchte, ihrem Ruf als »integrative Volkspartei« mehr gerecht zu werden als in den anderen Bundesländern. Das Übergewicht der Bauern ist bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Niederösterreich oder in Salzburg, während die Vertreter von Handel und Gewerbe auf den Kandidatenlisten stärker vertreten sind als in den beiden genannten Bundesländern. Während die Arbeiter unter den christlichsozialen Kandidaten ebenso unterrepräsentiert sind wie in den anderen Bundesländern, ist der Anteil der Privatangestellten höher. In den Landtag selbst zogen von den 18 christlichsozialen Abgeordneten sechs Bauern, also ein Drittel, zwei Vertreter aus Handel und Gewerbe, zwei Vertreter der Freien Berufe, zwei Privatangestellte sowie jeweils ein Vertreter der öffentlichen Verwaltung, der Lehrer, der Arbeiter und der Pensionisten ein. Zwei Abgeordnete waren Bürgermeister, bei denen die Berufsangabe fehlt. Die beiden Spitzenpositionen in Landesregierung und Landtag, nämlich Landeshauptmann bzw. Landtagspräsident und Landesstatthalter bzw. Landtagsvizepräsident, wurden von den Rechtsanwälten Dr. Otto Ender und Dr. Ferdinand Redler eingenommen. Bei den Sozialdemokraten entspricht das Bild der Kandidaten ungefähr dem der anderen Bundesländer. Auffällig ist ein besonders hoher Anteil von Pensionisten, wobei es sich dabei vor allem um Bundesbahn-Pensionisten handelt. Die öffentlich Bediensteten kamen vor allem aus dem Bundesbahn- und Bundespostbereich. Bei den Privatangestellten handelte es sich überwiegend um Angestellte aus den den Sozial­ demokraten nahestehenden Bereichen (Arbeiterkammer, Sparkasse, Krankenkasse, Konsum). In den Landtag zogen ein Post- und ein Bahnbeamter, ein Arbeitersekretär und der Präsident der Arbeiterkammer ein. Bei den nationalsozialistischen Kandidaten zeigte sich eine Ausgewogenheit zwischen Vertretern des Handels und des Gewerbes, der öffentlichen Verwaltung, der Arbeiter und der Angestellten. Auffällig ist der geringe Anteil der Bauern. Kleine Beamte, kleine Angestellte, Arbeiter aus der Textilindustrie stellten das Gros der NSKandidaten. Auffällig ist, daß sich unter den NS-Kandidaten kein Vertreter der Freien Berufe befand. Als einzige Partei kandidierte die NSDAP an der Spitze aller drei Bezirkslisten ihren Spitzenkandidaten Anton Plankensteiner, der dann aber gar nicht in den Landtag einzog. Im Landtag waren schließlich ein Gemeindebeamter und ein Fabrikarbeiter vertreten. Bei den großdeutschen Kandidaten überwogen – ähnlich wie in Salzburg – die Vertreter aus Handel und Gewerbe. Die Privatangestellten waren besonders gut vertreten. Mit zwei Hausfrauen wies die großdeutsche Liste die meisten Frauen aller Parteien auf. Im übrigen hatte man sich offensichtlich bemüht, möglichst aus jedem Bereich einen Kandidaten auf die Liste zu bringen. Der Bürgermeister von Lustenau vertrat die Großdeutsche Partei im Landtag. Das gängige Bild zeigte sich beim Landbund  : fast ausschließlich bäuerliche Kandidaten, ergänzt durch einige Vertreter aus dem Handel und Gewerbe sowie Hausbesit-

217

Vorarlberg

zer. Zu ergänzen ist, daß es sich bei den Landwirten überwiegend um solche handelte, die neben der Landwirtschaft noch ein Gewerbe (Gastwirtschaft, Kaufhaus, Sägewerk etc.) betrieben. Schließlich vertrat ein Bauer den Landbund im Landesparlament. Den eindeutig höchsten Anteil an Arbeitern wies die kommunistische Liste auf. Dabei handelte es sich überwiegend um Hilfsarbeiter und Arbeiter aus der Textilindustrie. Bei jenen Kandidaten, deren Beruf als »unbestimmt« dargestellt wird, handelte es sich um solche, bei denen nur ihre andere politische Funktion angegeben wurde (z. B. Landesregierungsmitglied, Bürgermeister, Kammerpräsident etc.). Die Anzahl der Frauen auf den Kandidatenlisten betrug insgesamt drei, wovon zwei auf der großdeutschen und eine auf der sozialdemokratischen Liste aufschienen. Tabelle 45 Die Altersstruktur der Kandidaten Partei

Durchschnittsalter

jüngster

ältester Kandidat

CS

43,7

31

64

SD

43,6

32

62

NS

41,0

30

80

GD

49,5

32

71

LB

50,9

30

66

KP

33,6

29

39

Gesamtdurchschnitt 43,7

Aus dieser Aufstellung läßt sich erkennen, daß die Kommunisten die eindeutig jüngsten Kandidaten aufzuweisen hatten. Auch die Liste der NSDAP wies mit 41 Jahren einen sehr jungen Durchschnitt auf, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Nationalsozialisten auch den weitaus ältesten Kandidaten mit 80 Jahren auf ihrer Liste hatten. Christlichsoziale und Sozialdemokraten lagen mit einem Durchschnittsalter von knapp unter 44 Jahren im Mittelfeld, während sich bei den Großdeutschen und den Kandidaten des Landbundes mit einem Schnitt um die 50 Jahre wieder deutlich die Überalterung zeigte. Das gleiche Bild zeigt sich auch, wenn man die Kandidaten nach politischen Generationen, orientiert an der Frontgeneration (Jahrgänge 1889 bis 1896), einteilt. Während die Kandidaten der Kommunisten zu über 60 Prozent aus Vertretern der Nach-Frontgeneration bestanden, wies die NSDAP-Liste die zweitmeisten Vertreter der Nach-Frontgeneration auf, nur rund ein Viertel ihrer Kandidaten zählte zur Vor-Frontgeneration. Christlichsoziale und Sozialdemokraten hielten wieder das Mittelfeld, wobei in beiden Parteien die Vertreter der Vor-Frontgenera-

218

Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

tion die größte Gruppe ausmachten. Bei den Kandidaten der Großdeutschen und des Landbundes machten die Vertreter der Vor-Frontgeneration rund Dreiviertel aus. Tabelle 46 Politische Generationen der Kandidaten und Abgeordneten (Angaben in Prozent, die Angaben in Klammern beziehen sich auf die Abgeordneten). Partei CS SD

Vor-Frontgeneration bis Jg. 1888

Frontgeneration 1889–1896

Nach-Frontgeneration ab Jg. 1897

46,5

27,9

25,6

(50,0)

(39,0)

(11,0) 20,0

44,0

36,0

(50,0)

(50,0)



NS

27,3

31,8

40,9





(100,0)

GD

70,8

25,0

4,2

(100,0)





77,1

17,1

5,8

LB KP

(100,0)







36,4

63,6







Aus dieser Aufstellung läßt sich klar erkennen, daß sich bei den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten die Vertreter der Frontgeneration in den entscheidenden politischen Funktionen (Abgeordnete) stärker durchsetzten als sie im Schnitt unter den Kandidaten vertreten waren. Dies kann man durchaus als Vormarsch der Frontgeneration in die wichtigen politischen Positionen bezeichnen. Bei den beiden radikalen Parteien NSDAP und KP setzten sich eindeutig die Vertreter der Nach-Frontgeneration durch. Großdeutsche und Landbund ließen sich auch im Landtag ausschließlich durch Vertreter der Vor-Frontgeneration repräsentieren. 4.6 Zusammenfassung • Was die Berufsstruktur der Kandidaten und Mandatare (insgesamt also eines wichtigen Teiles der sogenannten »Parteiaktivisten«) der einzelnen Parteien bei der Landtagswahl 1932 betrifft, so überwogen bei den Christlichsozialen in Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg eindeutig die Bauern. In Wien stellten Handel/Gewerbe, die Privatangestellten und die Beamten die größten Kontingente. Damit bildete neben den Bauern, die mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, der »krisengeschüttelte Mittelstand, mit all seinen Schwierigkeiten, sich in der modernen Industriegesellschaft zurecht zu finden«,565 nicht nur 565 Ernst Hanisch, Demokratieverständnis, Parlamentarische Haltung und nationale Frage bei den österreichischen Christlichsozialen. S. 84.

Zusammenfassung







• •



219

die repräsentative Schicht der Christlichsozialen Nationalratsabgeordneten, wie aus einer Untersuchung von Matis/Stiefel hervorgeht566, sondern auch der Parteiaktivisten, soweit sie durch die Landtagskandidatenlisten erfaßt werden können. Bei den Sozialdemokraten waren die Privatangestellten (darunter viele Partei- und Gewerkschaftssekretäre, Redakteure der Parteizeitungen etc.), die Vertreter der öffentlichen Verwaltung (darunter viele Eisenbahner) und auch Lehrer sehr stark vertreten. Die Sozialdemokraten hatten die meisten Frauen unter den Aktivisten und Mandataren aufzuweisen. Die Aktivisten der Nationalsozialisten setzten sich vor allem aus Vertretern der Privatangestellten, der öffentlichen Verwaltung (kleinere Beamte), z. T. aus dem Bereich Handel/ Gewerbe, vor allem aber auch aus der Arbeiterschaft zusammen. Der Anteil der Arbeiter ist vielfach höher als bei der Sozialdemokratischen Partei. Die Nationalsozialisten hatten keine einzige weibliche Kandidatin auf ihren Landtagslisten, was neuerlich unterstreicht, daß sie sich als reine Männerpartei sahen. Die stärksten Gruppen der großdeutschen Aktivisten kamen aus dem Handel und Gewerbe, z. T. aus der Beamtenschaft und aus dem Bereich der Privatangestellten. Die Großdeutschen wiesen die höchste Altersstruktur auf. Die Aktivistenbasis des Landbundes bestand praktisch ausschließlich aus Landwirten sowie aus einigen Landwirten, Sägewerksbesitzern und Hausbesitzern. Die Kommunistische Partei wies den eindeutig höchsten Anteil an Arbeitern (viele Hilfsarbeiter) sowie die jüngste Aktivistenschicht auf. Anfang der dreißiger Jahre rückte in Österreich eine Politikergeneration nach, die durch die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und durch den Zusammenbruch der Monarchie während ihrer Jugend und Adoleszenz entscheidend geprägt wurde. Diese »Frontgeneration« umfaßt die Geburtsjahrgänge 1889 bis 1896. Die Kandidaten für die Landtagswahl 1932 können daher in drei politische Generationen gegliedert werden, die jeweils eine eigene Typologie aufweisen  : a) die Vor-Frontgeneration bis zum Jahrgang 1888, der die gemäßigten, konsens- und kompromißbereiten, sich zur parlamentarischen Demokratie bekennenden Politiker angehörten; b) die Frontgeneration – Jahrgänge 1889–1896 –, die auf Grund ihrer Kriegserfahrung für autoritäre Führungsstrukturen, gegen den Parlamentarismus in der bestehenden Form eingestellt war, auf der Suche nach der »wahren« Demokratie in Richtung Stände­staat ; c) die Nach-Frontgeneration ab dem Jahrgang 1897, die für die radikale Überwindung des bestehenden Systems eintrat und besonders anfällig für die Radikalismen der Heimwehr, des Nationalsozialismus und des Kommunismus war.

566 Herbert Matis, Dieter Stiefel, Der österreichische Abgeordnete. Der österreichische Nationalrat 1919–1979. Versuch einer historischen Kollektivbiographie. Wien. o. J. Leider wurden in dieser Studie unzweckmäßigerweise die Abgeordneten des Heimatblocks zu den christlichsozialen Abgeordneten gerechnet.

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Der Kohorteneffekt der Frontgeneration

• In Wien, Niederösterreich und Salzburg dominierten (noch) eindeutig die Vertreter der Vor-Frontgeneration, sowohl bei den Christlichsozialen als auch bei den Sozialdemokraten. Auf den hinteren Listenplätzen rückte zwar bereits die Frontgeneration nach, aber in die Landtage zogen vor allem die Vertreter der Vor-Frontgeneration ein. D. h. bei den beiden Großparteien sind die Vertreter der Frontgeneration zwischen einem Viertel und einem Drittel im Bereich der Aktivisten vertreten, während die Partei-Eliten noch überwiegend von der Vor-Frontgeneration gebildet werden. Für Wien liegen für die Sozialdemokraten keine vollständigen Daten vor. Die Ereignisse bei den Christlichsozialen nach der verlorenen Landtagswahl lassen erkennen, daß auch dort die »Überalterung« der Partei-Elite für die Niederlage verantwortlich gemacht wurde. Ein Generationenwechsel in der Führung war die Folge. In den Landtagen war damit zumindest in der Christlichsozialen Partei noch nicht jener Wechsel zur Frontgeneration vollzogen worden, wie dies offenbar (laut der Studie von Matis/Stiefel) bei der Nationalratswahl 1930 der Fall war. Daraus läßt sich das durchaus sehr unterschiedliche Verhalten der Abgeordneten der beiden Großparteien in den Landtagen und im Nationalrat erklären. Hier waren einfach die Vertreter zweier unterschiedlicher politischer Generationen am Werk. Bei der ein halbes Jahr später in Vorarlberg durchgeführten Landtagswahl läßt sich ein gegenteiliger Trend erkennen  : Sowohl bei den Christlichsozialen als auch bei den Sozialdemokraten ist ein deutlicher Vormarsch der Frontgeneration in die wichtigen politischen Positionen (Landtagsmandate) zu erkennen. • Bei den Nationalsozialisten zeigte sich ein deutlicher Trend zu Front- und Nach-Frontgeneration. In Vorarlberg zogen nur zwei Vertreter der Nach-Frontgeneration ein, während sich in den anderen Landtagen offensichtlich auch die nationalsozialistischen Vertreter der Vor-Frontgeneration gegenüber den aus der Aktivistenschaft nachrückenden jüngeren politischen Generationen noch stark behaupteten. Es handelte sich dabei um die Nationalsozialisten der »ersten Stunde«. Eine Ausnahme machte Wien, wo sowohl unter den NS-Kandidaten als auch unter den NS-Abgeordneten eindeutig die Nach-Frontgeneration dominierte. • Eine eindeutige Dominanz der Nach-Frontgeneration ergab sich bei den Kommunisten. • Landbund und ganz besonders die Großdeutschen waren geprägt von Vertretern der VorFrontgeneration. Vor allem bei den Großdeutschen zeigte sich die völlige Überalterung sowohl bei den Aktivisten als auch bei den Mandataren, was die »Zukunftslosigkeit« dieser Partei unterstreicht.

v. Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

5.1 Völlig neue Verhältnisse in den Landtagen und Landesregierungen Vorerst soll auf die konstituierenden Sitzungen in den Landtagen eingegangen werden. Dies deshalb, weil sich einerseits aus dem Verhalten der einzelnen Fraktionen im Zusammenhang mit den in einer konstituierenden Sitzung notwendigen Wahlen der Mitglieder der Landesregierung, des Landtagspräsidiums, der Bundesräte und andererseits aus den dort abgegebenen grundsätzlichen Erklärungen der Parteien am Beginn der Legislaturperiode, sehr viel über das »politische Klima«, über die »Politische Kultur« im Praxisfeld der Landesparlamente ausgesagt werden kann. Zu beachten ist bei den konstituierenden Sitzungen mit den Wahlen der Landeshauptmänner, daß diese Landtagssitzungen in einem sehr engen zeitlichen Naheverhältnis zur komplizierten Bildung der Bundesregierung stattfanden. Eine Terminübersicht bestätigt dies  : 19. Mai 20. Mai 21. Mai 24. Mai 27. Mai 23. Juni

Konstituierende Sitzung in Salzburg ohne Wahl des Landeshauptmannes. Bildung der Regierung Dollfuß I. Konstituierende Sitzung in Niederösterreich mit Wahl des Landeshauptmannes (gegen die Stimmen von SD und NS). Konstituierende Sitzung in Wien mit Wahl des Landeshauptmannes. Wahl des Landeshauptmannes in Salzburg mit den Stimmen von CS und SD. Neuerliche Wahl des Landeshauptmannes in Niederösterreich (Ermöglichung der Wahl des Landeshauptmannes durch Nichtteilnahme der SD).

Die äußerst schwierigen bundespolitischen Entwicklungen, das zähe Ringen um das Zustandekommen der Regierung Dollfuß I, führten auch in den Landtagen – neben der Tatsache, daß die NSDAP erstmals in den Landesparlamenten vertreten war – zu z. T. langwierigen Verhandlungen über die Wahl des Landeshauptmannes. Erst nach der Klärung der bundespolitischen Situation gab es offensichtlich auf Länderebene wieder eine Verständigung zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten. Die Sozialdemokraten wichen dabei in den Ländern nicht unerheblich von Beschlüssen und Empfehlungen ihrer Bundesgremien ab. Noch am 9. Mai hatte die Parteivertre-

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

tung der Sozialdemokraten empfohlen, in den Ländern Niederösterreich und Salzburg abzuwarten und folgenden Beschluß gefaßt  : »1. Auf keinen Fall darf in Salzburg eine Koalition mit Christlichsozialen und Hakenkreuzlern zusammen für die Wahl des Landeshauptmannes gemacht werden. 2. Es ist in Niederösterreich und in Salzburg anzustreben, daß die Christlichsozialen mit den Hakenkreuzlern allein sich die Referate verteilen, wir aber in der Landesregierung sitzen, jedoch mit verminderten Bezügen. Wenn das nicht erreichbar ist, dann ist es besser, die Nazi zu binden, als eine christlich-sozial-sozialdemokratische Koalition zu machen. 3. In Salzburg ist gegen den Eintritt der Hakenkreuzler zu protestieren, da Landesregierungsmitglieder nur Angehörige einer Partei sein dürfen, die auf dem Boden der demokratischen Verfassung stehen. 4. Im Falle des Eintrittes der Sozialdemokraten in die Landesverwaltung auch die Teilung der politischen Verwaltung verlangen.«567

Tatsächlich leisteten die Sozialdemokraten anfänglich Widerstand gegen die Wahl der christlichsozialen Landeshauptmänner in Niederösterreich und Salzburg, um aber schließlich doch – nach Klärung der Situation auf Bundesebene – die Wahl der christlichsozialen Kandidaten zumindest zu ermöglichen. Salzburg Schon in der konstituierenden Sitzung des Salzburger Landtages am 19. Mai 1932 war eine beträchtliche Klimaveränderung im Landesparlament deutlich zu merken. Die relativ ruhige Atmosphäre im Salzburger Landtag gehörte der Vergangenheit an. Die Nationalsozialisten provozierten einen Tumult, einen Krach nach dem anderen, die Zuhörer mischten sich ein, es kam auch zu Tätlichkeiten. Vor allem die sozialdemokratischen Abgeordneten ließen sich provozieren und reagierten mit groben Schimpfwörtern. Die Nationalsozialisten überschwemmten den Landtag mit einer Flut von Anträgen und Anfragen, Christlichsoziale und Sozialdemokraten versuchten, zuerst die »politischen Säuglinge« mit Hilfe der Geschäftsordnung ausrutschen zu lassen, was aber nur unzulänglich gelang.568 Die Nationalsozialisten signalisierten unmißverständlich, daß sie jeden Kompromiß und jede Zusammenarbeit mit den »alten Parteien« ablehnen würden und stellten auch für jede zu wählende Funktion einen eigenen, nationalsozialistischen Kandidaten zur Wahl. Dies war – wie sie immer wieder betonten – nicht in erster Linie gegen den jeweiligen Kandidaten der ande567 Vgl. Protokoll der Sitzung der sozialdemokratischen Parteivertretung vom 9. 5. 1932. S. 2304. 568 Vgl. Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. S. 264 f.

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ren Parteien gerichtet, sondern gegen das »System«, das die beiden anderen Parteien vertraten, nämlich die parlamentarische Demokratie. Andererseits führten die verhärteten Fronten auf Bundesebene zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten dazu, daß in Salzburg sich die Verhandlungen über die Wahl des Landeshauptmannes mühsam dahinzogen und durch die ständigen Sticheleien der Nationalsozialisten, denen es nur darum ging, einen Keil zwischen Schwarz und Rot zu treiben, wesentlich erschwert wurden. Schließlich aber rückten beide Parteien doch von ihren harten Positionen ab, sie handelten positiv im Sinne der Erfordernisse des Landes, das sich ohnehin in größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand. Die Christlichsozialen, die am längeren Ast saßen, erreichten sogar die ausdrückliche Zustimmung der Sozialdemokraten zu Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, obwohl auch eine Stimmenthaltung zu seiner Wahl gereicht hätte.569 Schließlich konnte am 27. Mai die Landesregierung gewählt werden, nachdem schon am 19. Mai das Landtagspräsidium gewählt worden war. Diesem gehörten der Christlichsoziale Josef Hauthaler als Präsident, der Sozialdemokrat Anton Neumayr und der Nationalsozialist Franz Koweindl, der trotz der deklariert antidemokratischen Einstellung gewählt wurde –, als Vizepräsidenten an. Beide wurden in einer Fraktionswahl gewählt. Im dritten Wahlgang wurde Dr. Franz Rehrl zum Landeshauptmann wiedergewählt, durch Fraktionswahl wurden dem Christlichsozialen Michael Neureiter und dem Sozialdemokraten Robert Preußler das Amt eines Landeshauptmann-Stellvertreters sowie dem Sozialdemokraten Karl Emminger und dem Nationalsozialisten Dr. Franz Ropper das Amt eines Landesrates übertragen.570 Damit hatte Salzburg wieder eine arbeitsfähige Landesregierung. Heftige Auseinandersetzungen gab es dann schon wieder bei der Wahl der drei Bundesräte. Jedenfalls stand den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten ein Bundesrat zu. Der dritte sollte nach Ansicht der Christlich-sozialen durch das Los zwischen ihnen und den Nationalsozialisten entschieden werden. Die Nationalsozialisten erklärten, dieses Mandat stehe jedenfalls ihnen zu, sie würden aber der »Gewalt der Mehrheit« weichen, kündigten jedoch an, daß sie den Verfassungsgerichtshof anrufen würden. Das Los entschied schließlich für den christlichsozialen Kandidaten. 569 Vgl. Franz Schausberger, Die fast mißlungene Landeshauptmannwahl des Jahres 1932, In  : Salzburg. Geschichte & Politik. Mitteilungen der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft. 1. Jahr/1991. Nr. 1. S. 5–15. Franz Schausberger, Josef Hauthaler. Salzburger Bauernführer in schwersten Zeiten. Salzburg, 1990, S. 46 ff. 570 Der Vorschlag der NSDAP, Dr. Franz Ropper zum Landesrat zu wählen, kam überraschend. Schließlich hatte Dr. Max Peisser in allen Bezirken als Spitzenkandidat fungiert und war auch bei der konstituierenden Sitzung von der NSDAP als Landeshauptmann-Kandidat vorgeschlagen worden. Vgl. auch  : »Salzburger Chronik«, 25. 4. 1932, S. 8  : »Das auf die Nationalsozialisten entfallende Landesratsmandat dürfte entweder von GR Dr. Saffert oder von Abg. Dr. Peisser besetzt werden.«

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Damit wurden folgende Vertreter in den Bundesrat entsendet  :571 für die Christlichsoziale Partei LH Dr. Franz Rehrl (Ersatzmann  : Peter Ackerer) Friedrich Gugg (Ersatzmann  : Johann Kirchner) und für die Sozialdemokratische Partei Alois Weidenhillinger (Ersatzmann  : Robert Preußler). Der Verfassungsgerichtshof schloß sich schließlich der Ansicht der Nationalsozialisten an und bezeichnete die Wahl des dritten Bundesrates als verfassungswidrig, er stand der NSDAP zu. In der Sitzung vom 6. Dezember 1932 wurde daher der Nationalsozialist Karl Scharizer, Gauleiter der NSDAP, zum Bundesrat gewählt (Ersatzmann  : Josef Bliem). Gugg schied wieder aus dem Bundesrat aus.572 Der Landtag bildete fünf Ausschüsse, in drei davon (Schulausschuß, Landwirtschaftsausschuß und Disziplinarausschuß) stellten die Christlichsozialen den Vorsitzenden, in einem (Finanz-, Verfassungs- und Verwaltungsausschuß) die Sozialdemokraten und in einem (Gewerbe, Verkehr und soziale Verwaltung) die Nationalsozialisten. Gar nicht leicht taten sich die Nationalsozialisten mit ihrer neuen Verantwortung in der Landesregierung. Durch die Übernahme von Ressortbereichen waren sie natürlich landespolitisch mitverantwortlich für die Vollziehung, was eine totale Opposition, wie sie im Landtag leicht möglich war, äußerst erschwerte. So wurde die Ressort­ aufteilung schon in der Regierung gegen die Stimme des NSDAP-Landesrates beschlossen, und im Landtag lehnten sie die Geschäftsverteilung wegen des – ihrer Meinung nach – inkonsequenten organisatorischen Aufbaus ab. Tatsächlich war für das nationalsozialistische Regierungsmitglied ein total zersplittertes Ressort geschaffen worden, um der NSDAP keine zu starke Machtposition in der Regierung zu schaffen. Für das Jahr 1932 lehnten die Nationalsozialisten schon deshalb die Verantwortung im Ressort ab, weil sie bei der Erstellung des Budgets für dieses Jahr noch nicht im Landtag waren. Schließlich aber wurde die Geschäftseinteilung der Landesregierung vom Landtag zur Kenntnis genommen.573 571 Vgl. LPSbg, 1. Sitzung, 27. 5. 1932, S. 19 f. 572 Vgl. LPSbg, 5. Sitzung, 6. 12. 1932, S. 88. Karl Scharizer, Chemiker, geb. am 30. 7. 1901 in Freistadt, Todesdatum nicht feststellbar. 1932 Gauleiter der NSDAP in Salzburg, 1938 stellvertretender Gauleiter von Wien und Mitglied des Reichstages. 1943 SS-Brigadeführer. Bundesrat vom 6. 12. 1932 bis 5. 9. 1933, anschließend Aberkennung der Staatsbürgerschaft. Vgl. Die Abgeordneten zum österreichischen Nationalrat 1918–1975 und die Mitglieder des österreichischen Bundesrates 1920–1975. Herausgegeben von der Parlamentsdirektion. Wien 1975. S. 279. 573 Vgl. LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 24  ; Nr. 24 der Beilagen  ; der NSDAP-Landesrat Dr. Ropper bekam folgende Ressortbereiche übertragen  : 1. Verwaltung der Landesfürsorge- und Wohlfahrtsanstalten  ; 2. Straßenangelegenheiten außer Gaisbergstraße und Großglockner-Hochalpenstraße  ; 3. Wasserbau  ; 4. Baupolizei und Feuerpolizei, Feuerwehrangelegenheiten, Unfallversicherung der Landesbetriebe  ; 5. Landesbrandschadenversicherungsanstalt  ;

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Daß die NSDAP durchaus auch die Möglichkeiten der Ressortzuständigkeit für eigene Interessen zu nützen suchte, zeigte sich bald an dem Versuch von Landesrat Dr. Ropper, seinem Parteifreund Otto Vogl die Möglichkeit zu eröffnen, Fleisch an die Landesanstalten (für die Ropper z. T. zuständig war) zu liefern. Gemeinsam sprachen Ropper und Vogl mehrfach beim Verwalter des St.-Johann-Spitals vor und nahmen Einsicht in die Bücher. Der Versuch, dem Parteigenossen ein lukratives Geschäft zuzuschanzen, wurde jedoch anläßlich der Landtagsdebatte über das Betriebsergebnis der Landeskrankenanstalten vereitelt.574 Nebenbei soll erwähnt werden, daß auch im Gemeinderat der Stadt Salzburg die Nationalsozialisten durch dieses Landtagswahlergebnis noch weiteren Auftrieb erhielten. Schon seit der Gemeinderatswahl vom März 1931 spürte man den neuen, aggressiven politischen Stil der Nationalsozialisten, der nun noch verstärkt wurde. Immer wieder kam es zu Krawallen, immer wieder zogen die Nazis spektakulär aus dem Gemeinderat aus, Ruhe und Ordnung konnten nur durch Polizeiaufgebot einigermaßen gesichert werden, der Zutritt zur Besuchergalerie war nur mit Eintrittskarten erlaubt. Viele demonstrative Anträge und eine maßlose Judenhetze legten die Arbeit oftmals lahm. Schließlich stellten die Nationalsozialisten am 7. November 1932 den dringlichen Antrag, den Gemeinderat aufzulösen, »der nach Ansicht der Antragsteller nicht mehr dem wahren Volkswillen entspreche«. Dieses Begehren wurde von den beiden anderen Parteien abgelehnt.575 Niederösterreich Im Niederösterreichischen Landtag spielten sich ähnliche Szenen wie in Salzburg ab. Durch den »Naziradau« wurde der Niederösterreichische Landtag zur »Krawallbude«, in dem »die dreckbraunen Uniformierten keinen anderen Ehrgeiz haben, als sich ordinär in Szene zu setzen«.576 Die konstituierende Sitzung fand am 21. Mai 1932 statt, einen Tag, nachdem sich nach langwierigen Verhandlungen endlich die Bundesregierung gebildet hatte.577 Kein Wunder, daß sich die bundespolitischen Ereignisse

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6. gewerbliches, wirtschaftliches und kommerzielles Bildungswesen  ; 7. Verpflegskosteneinbringung für Landesanstalten, Übernahme uneinbringlicher Verpflegskosten auf den Landesfonds  ; 8. Oberndorfer Verlegungsaktion. Vgl. LPSbg, 6. Sitzung. 13. 12. 1932. S. 100 f. Vgl. Ernst Hanisch, Im Zeichen des allgemeinen Wahlrechts 1918–1934. In  : Vom Stadtrecht zur Bürgerbeteiligung. Festschrift 700 Jahre Stadtrecht von Salzburg. Salzburg 1987. S. 231 f.; Franz Schausberger, Eine Stadt lernt Demokratie. Bürgermeister Preis und die Salzburger Kommunalpolitik 1919–1927. Salzburg 1988. S. 137 ff.; »Salzburger Chronik«, 8. 11. 1932. S. 4. »Salzburger Wacht«, 23. 5. 1932. S. 2. Vgl. dazu Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. S. 99 ff.

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auch auf das politische Klima im niederösterreichischen Landesparlament auswirkten. Die nationalsozialistischen Abgeordneten hatten braune Uniformen und Reitstiefel an, einige von ihnen trugen Kriegsdekorationen. Die christlichsozialen Abgeordneten waren mit weißen Nelken im Knopfloch, die sozialdemokratischen mit roten Nelken erschienen.578 Die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten einerseits sowie Christlichsozialen und Sozialdemokraten andererseits nahmen von der ersten Minute an Formen an, die bis dahin unvorstellbar waren. Sofort nach der Angelobung auf die Verfassung in der konstituierenden Landtagssitzung am 21. Mai 1932, bei der die Nationalsozialisten keinerlei Schwierigkeiten verursachten, gingen die wildesten Zwischen- und Zurufe los  : Gekauftes Gesindel, Faschistengesindel, Ostische Rundschädel, Volksverräter, Judenknechte, Judenschutztruppe, böhmischer Aff, jüdischer Plattfußindianer, Giftmischer, Gesinnungslump usw. waren noch harmlose gegenseitige Beschimpfungen. Mehrfach versuchten auch die Besucher auf der Galerie, in die Verhandlungen einzugreifen, so daß der Vorsitzende immer wieder mit der polizeilichen Räumung drohen mußte. Der Christlichsoziale Alois Fischer wurde mit den Stimmen seiner Partei zum Landtagspräsidenten gewählt, die Sozialdemokraten gaben leere Stimmzettel ab, während die Nationalsozialisten ihren Kandidaten Franz Schmid wählten. Zweiter Präsident wurde mit den Stimmen seiner Partei der Sozialdemokrat Leopold Petznek, Dritter Präsident der Christlichsoziale Dr. Rudolf Beirer. Die Nationalsozialisten stimmten auch in diesen Fällen für Franz Schmid. Dann aber begann es sich zu spießen, als man an die Wahl des Landeshauptmannes ging. Die Christlichsozialen schlugen für das Amt des Landeshauptmannes Dr. Karl Buresch vor. Der erste Wahldurchgang brachte aber für ihn nicht die notwendige Mehrheit. Von den 56 Mandataren stimmten nur 28 für ihn. Sowohl Nationalsozialisten als auch Sozialdemokraten wählten ihre eigenen Kandidaten für den Landeshauptmann  : Oskar Helmer erhielt die 20 Stimmen der Sozialdemokraten, Josef Leopold die acht der Nationalsozialisten. Diskrepanzen zwischen der niederösterreichischen Landesverfassung und der Geschäftsordnung des Landtages lösten endlose Geschäftsordnungsdebatten aus. Es ging darum, ob es nun zu einer Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen, also zwischen Buresch und Helmer, kommen sollte oder ob so lange abgestimmt werden sollte, bis einer der Kandidaten eine absolute Mehrheit, also mindestens 29 Stimmen bekam. Die Christlichsozialen waren für den ersten Weg, der in der Geschäftsordnung des Landtages seine Deckung fand, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten für den zweiten, wobei sie sich auf die Landesverfassung berufen konnten.579 578 Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 22. 5. 1932. S. 4. 579 Im § 55 der Geschäftsordnung des Landtages hieß es  : »Wird bei der ersten Wahl keine absolute Stimmenmehrheit erzielt, so findet eine engere Wahl statt. In diese kommen diejenigen, welche bei der ersten Wahl die meisten Stimmen erhielten, in der doppelten Anzahl der zu Wählenden.« Im § 30 der nö.

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Der Präsident entschied für die Stichwahl nach der Landtagsgeschäftsordnung, die mit 28   : 20 für Karl Buresch ausging, womit er als gewählt galt, was bei SDAP und NSDAP zu heftigen Protesten führte. Das Protokoll verzeichnet stürmische Pfuirufe bei den Nationalsozialisten  : »Es lebe die Kreditanstalt  ! So schaut die Demokratie aus  ! Landes-Musterkeller, Frankreich, Donauföderation  ! Jetzt will er das Land Niederösterreich noch zugrunde richten, weil er den Staat umgebracht hat, weil alles hungert und darbt und niemand weiß, wo aus und ein  ! Deswegen kommt er jetzt daher, um auch noch das Land zugrunde zu richten  ! Hoch die Korruption  ! Hoch Jesaias Aberbach  ! Das ist ein schönes Symbol für das Land Niederösterreich  ! Wir werden Euch schon auf die Hühneraugen steigen, Ihr ausgefressenen Landtagspfründner, Ihr Landesverräter  !«580 In weiterer Folge kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen einem nationalsozialistischen und einem christlichsozialen Abgeordneten, wobei der NS-Abgeordnete auf den Christlichsozialen mit einer Aktentasche losging und ihm eine »Hakenkreuzlerfotzen« androhte. Im gleichen Verfahren wie die beiden Vizepräsidenten des Landtages wurden auch Josef Reither (CS) und Oskar Helmer (SDAP) zu Landeshauptmann-Stellvertretern gewählt.581 Zu Landesräten wurden Dr. Leopold Barsch, Georg Prader (christlichsozial), Heinrich Schneidmadl (sozialdemokratisch) und Josef Leopold (nationalsozialistisch) gewählt. Landeshauptmann Buresch ging in seiner Antrittsrede, die auf Grund der ständigen Zwischenrufe der Nationalsozialisten nur sehr kurz gehalten war, auf die Wirtschaftskrise ein und nannte als seinen Schwerpunkt größte Sparsamkeit in der Verwaltung. Ein groß angelegtes Zukunftsprogramm könne er nicht vorlegen, da in einer Zeit, in der sich die wirtschaftlichen Ereignisse überstürzten, ein längerfristiges Planen nicht möglich sei. Der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Oskar Helmer stellte für seine Fraktion klar, daß die Verantwortung für die wirtschaftliche Misere im Lande ausschließlich die Christlichsozialen zu tragen hätten, die bisher über die absolute Mehrheit und die Unterstützung der Bundesregierung verfügten. Die christlichsoziale Politik sei eine »Summe von Unfähigkeit, Versäumnis und Mißwirtschaft, die heute zur Katastrophe anzuschwellen droht und die, weit über das Maß an Elend hinaus, das die gegenwärtige kapitalistische Krise jedem Lande auferlegt, die industriellen Gebiete des Landes Niederösterreich in einen Industriefriedhof und seine agrarischen in eine Stätte der Not und der parteipolitischen Korruption verwandelt hat«. Die Sozialdemokraten bezeichnete er als »loyale Opposition«, deren Kritik jedoch an Landesverfassung wiederum hieß es  : »Der Landeshauptmann wird vom Landtag in einem besonderen Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt«. 580 Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 37. 581 Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 60 ff.

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der bürgerlichen Politik nichts zu ändern vermochte. »Die Wähler haben uns am 24. April 1932 zwar eine Vermehrung unserer Vertreter im Landtag zuerkannt, aber wir haben nicht die Mehrheit und tragen keine Sorge für die Mehrheitsbildung. Wir stellen die Verantwortung der bisherigen und der künftigen Mehrheit fest und erachten es als unsere Pflicht, die Interessen des arbeitenden Volkes durch schärfste Kontrolle einer arbeiterfeindlichen und sozial einsichtslosen Verwaltung wahrzunehmen.«582 In keiner Weise ging Helmer auf die neue, nationalsozialistische Fraktion ein. Der nationalsozialistische Abgeordnete Leopold begann seine Stellungnahme mit der Anrede »Deutsche Volksgenossen und andere Anwesende  !« und spickte sie vor allem mit aggressiven antisemitischen Polemiken. Er warf u. a. den beiden anderen Parteien vor, seit 13 Jahren zugesehen zu haben, wie ihr »System im hohen Haus am Ring des 12. November Hab und Gut unseres Volkes einer Meute unersättlicher Bankjuden aller Welt auslieferte«. Die Ursachen der Not sah er im allgemeinen und in Niederösterreich »1. In der Inflation des Geldes, durch die alle flüssigen Geldwerte mit dem Schlagworte ›Krone ist Krone‹ unserem Volke planmäßig geraubt und in die jüdischen Banken überführt wurden. 2. In der durch die Inflation hervorgerufenen Anleihewirtschaft, die durch den jüdischen Zinswucher Gewerbe und Industrie zum größten Teile vernichtete, den anderen Teil in Form von Aktiengesellschaften dem Bankkapitale zuführte. 3. In einer Handelspolitik, die statt Schutz der heimischen Produktion aller Art der Rentabilität des jüdischen Großhandels und der Börse dient. 4. In Raub und Plünderung ungeheurer Geldsummen an Staat, Land und Privatwirtschaft durch ein Gauner- und Verbrechertum, das dieses System, dem Sie angehören, hochgezüchtet hat.«583

Als Schwerpunkte der nationalsozialistischen Politik nannte Leopold • die Vereinfachung der Landesverwaltung, • die Herabsetzung der Spitzengehälter, vor allem auch der Politiker, • eine Steuerreform des Landes durch Vereinheitlichung und gerechte Verteilung, • Kampf dem Zinswucher, • »Reinigung und Aktivgestaltung« der Landesunternehmungen, z. B. NEWAG, Landesmusterkeller, • Rettung von Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie und Behebung der Arbeits­ losigkeit, 582 Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 44–47. 583 LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 48–54.

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• gerechte Anstellungsmodalitäten in Land und Gemeinden, um den »unglaublichsten Terror in allen Ämtern und Stellen« zu beseitigen, • Aufzeigen aller Skandale, • Beseitigung der korrupten Art der Lehrerstellenbesetzungen, • Beseitigung des »Sumpfes« in den Kasernen, • Kampf der frankophilen Politik der Bundesregierung und für eine auf den Anschluß an das deutsche Reich eingestellte Außenpolitik, • Schutz der Kulturgüter des Volkes »vor den Angriffen asiatischer Horden jüdischen Stammes«, damit Religion, Sitte und Moral »wieder heilig und unantastbar« werden. Für die Christlichsozialen sprach Landeshauptmann-Stellvertreter Reither und verwies darauf, daß die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht nur auf Österreich beschränkt seien, da es sich um eine Weltwirtschaftskrise handle. Er bekannte sich eindeutig zur Einrichtung des Landtages und appellierte an die Zusammenarbeit aller Parteien, da nur auf diese Weise und nicht durch Demagogie die größten Probleme bewältigt werden könnten. Reither bediente sich eines äußerst gemäßigten Stils und ging mit keinem Wort auf die aggressiven – v. a. antisemitischen – Polemiken Leopolds ein.584 Bereits in der konstituierenden Sitzung des Niederösterreichischen Landtages zeichneten sich die Konfliktlinien grob ab  : NS aggressiv gegen CS und SD  ; SD gegen CS  ; CS gegen NS. Schon in der nächsten Sitzung des Landtages forderten die Nationalsozialisten in einem Antrag die Ungültigerklärung der Wahl Bureschs zum Landeshauptmann. Ihrer Meinung nach hätte der Landtag, ähnlich wie in Salzburg, eine Vertagung vornehmen müssen, um im Wege von Parteienverhandlungen einen geeigneten Kandidaten ausfindig zu machen. Darüber hinaus forderte die NSDAP, daß Buresch sofort als Landeshauptmann zurücktrete.585 Nach langwierigen Verhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Christlich­ sozia­len, bei denen schließlich den Sozialdemokraten eine Stärkung ihrer Position gelang, ermöglichte die sozialdemokratische Fraktion erst am 23. Juni 1932 durch ihren Auszug aus dem Landtag die Wahl von Dr. Buresch zum niederösterreichischen Landeshauptmann.586 584 LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 55–58. 585 Vgl. LPNÖ, 2. Sitzung. I. Se. 3. 6. 1932. S. 16–19. 586 Vgl. Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. 1. Der Landtag in der Ersten Republik. Wien 1972. S. 303 ff. »Salzburger Volksblatt«, 24. 6. 1932. S. 2.

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Obwohl der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes die Verfassungsmäßigkeit der Wahl Bureschs zum Landeshauptmann festgestellt hatte, legte Buresch an diesem 23. Juni sein Amt zurück und stellte sich einer neuerlichen Wahl. Der Antrag der Nazis auf Durchführung einer Debatte darüber wurde – bereits ein Zeichen der erfolgten Einigung zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten – von den beiden Großparteien abgelehnt. Es kam dabei wiederum zu heftigen gegenseitigen verbalen Attacken (»verpfuschte Hitler-Karikatur«, »mißlungener Bürstenabzug der Natur«, »Etappenschweine«, »Scheinchristen«) mit wüsten Drohungen seitens der Nationalsozialisten (»Wir werden schon einen Galgen errichten für diese Burschen«), die Christlichsozialen trommelten so laut auf die Bänke, daß der nationalsozialistische Landesrat Leopold nicht zu hören war, und schließlich kam es zu einer Rauferei zwischen christlichsozialen und nationalsozialistischen Abgeordneten, die zu einer Unterbrechung der Sitzung führte.587 Bei der anschließenden Abstimmung erhielt Dr. Buresch 27 Stimmen, Helmer 20 und Leopold acht Stimmen, womit wieder keiner der Kandidaten eine ausreichende Mehrheit erhalten hatte. Nach einer halbstündigen Sitzungsunterbrechung erklärte der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Helmer, daß »die Sozialdemokratie als eine Partei, die grundsätzlich auf dem Boden der Demokratie steht«, das Recht der stärksten Partei, den Landeshauptmann zu stellen, anerkenne, aber nicht in der Lage sei, »einem Kandidaten der christlichsozialen Partei, der wir nach wie vor im schärfsten Kampfe gegenüberstehen, unsere Stimme zu geben«. Nach seiner Erklärung, sich an der Wahl des Landeshauptmannes nicht zu beteiligen, verließen die sozialdemokratischen Abgeordneten den Sitzungssaal. Daraufhin wurde unter heftigen Zwischenrufen der Nationalsozialisten (»30 Schilling Judaslohn«, »Ihr seid nicht umsonst die schwarzen und roten Bolschewiken«) der zweite Wahlgang durchgeführt. Von den 35 abgegebenen Stimmen entfielen auf Buresch 27 und acht auf Leopold, womit Buresch zum Landeshauptmann von Niederösterreich – diesmal unbestritten rechtmäßig – gewählt war. Bei seinem Eintritt verließen schließlich auch die Nationalsozialisten für kurze Zeit den Saal. Zu seiner kurzen Erklärung waren aber wieder alle Abgeordneten im Saal, es kam zu wilden Beschimpfungen und neuerlich zu einem Handgemenge zwischen christlichsozialen und nationalsozialistischen Abgeordneten. Die Nationalsozialisten warfen den Sozialdemokraten vor, ihr Verhalten entspreche »so recht dem talmudischen Geist, der bei der Sozialdemokratie vorhanden ist, … um hinter den Kulissen zu packeln«.588 Als im Mai 1933 Dr. Buresch in die Bundesregierung berufen wurde, ermöglichten die Sozialdemokraten durch eine gleiche Vorgangsweise die Wahl des Christlichsozialen Josef Reither zum Landeshauptmann. Sozialdemokraten und Christlich­soziale 587 Vgl. LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 28. 6. 1932. S. 60–65. Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 24. 6. 1932. S. 4. 588 LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 28. 6. 1932. S. 85 f.

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hatten damit – wie Karl Lengheimer meint – »ein vorbildhaftes Zeichen gesetzt, wie in einer parlamentarischen Körperschaft trotz schärfster Gegensätze politischer Gruppierungen doch noch eine Form der Zusammenarbeit gefunden werden kann, die das Land vor den Schrecknissen einer Diktatur bewahren hilft«.589 Die Bundesräte wurden einstimmig gewählt  : fünf Christlichsoziale (Josef Stöckler, Josef Prentl, Josef Dengler, Adolf Sabelko, Dr. Josef Tzöbl), vier Sozialdemokraten (Anton Ofenböck, Josef Gassner, Florian Bergauer, Josef Adlmanseder) und ein Nationalsozialist (Hermann Reschny, der im Landtag durch Karl Straßmayer ersetzt wurde). Heftige Auseinandersetzungen gab es über die Anzahl der Landtags-Ausschußmitglieder und damit über deren proportionale Zusammensetzung. Bisher zählten die Ausschüsse elf Mitglieder, was eine Zusammensetzung von sechs Christlichsozialen, vier Sozialdemokraten und einem Nationalsozialisten ergeben hätte. Damit hätten jedoch die Christlichsozialen in den Ausschüssen über die Mehrheit verfügt und Zuweisungen von Anträgen an den Landtag verhindern können. Die Nationalsozialisten beantragten daher, daß die Ausschüsse nur mehr aus acht Mitgliedern zusammengesetzt sein sollten, womit sich eine Aufteilung von vier Christlichsozialen, drei Sozial­ demokraten und einem Nationalsozialisten ergeben hätte. Die Christlichsozialen wiederum verlangten die bisherige Stärke der Ausschüsse von elf Mitgliedern. Die Sozialdemokraten beantragten für den Bauausschuß, den Finanzausschuß, den Schulausschuß, den Verfassungsausschuß und den Wirtschaftsausschuß eine Stärke von zehn Mitgliedern, der Fürsorgeausschuß und der Unvereinbarkeitsausschuß sollten sich aus je acht Mitgliedern zusammensetzen. Bei der Abstimmung über diese Anträge wurde der NS-Antrag mit 47 : 8 abgelehnt, auch der christlichsoziale Vorschlag wurde mit 28   : 27 abgelehnt, während der sozialdemokratische Antrag mit 28   : 27 angenommen wurde. Die Nationalsozialisten feierten dieses Ergebnis mit den Ausrufen  : »Ein historischer Augenblick  ! Zum erstenmal sind die Christlich-sozialen hier im nieder­ österreichischen Landtage in der Minderheit  ! Das ist ein denkwürdiger historischer Augenblick  ! Die Paschazeiten sind jetzt vorbei.« Dies wurde von den Christlichsozia­ len mit den Rufen »Schämt Euch, Ihr Packler  ! Hinüber mit dem Soldatenrat  ! Setzt Euch hinüber  ! Pfui Teufel  !« quittiert. Die Antwort des NS-Landesrates Leopold war bezeichnend  : »Wir gehen nach Zweckmäßigkeitsgründen vor und nicht nach dem Parteistandpunkt  !«590 Jedenfalls ging es den Nationalsozialisten darum, den Christlichsozialen zu zeigen, daß sich die Zeiten spürbar geändert hatten und die stärkste Partei auch mit rot/braunen Mehrheiten zu rechnen hatte. Schließlich drückte der NS-Abgeordnete Rent589 Karl Lengheimer, Der Niederösterreichische Landtag. In  : Herbert Schambeck (Hg.), Föderalismus und Parlamentarismus in Österreich. Wien 1992. S. 241. 590 LPNÖ, 2. Sitzung. I. Se. 3. 6. 1932. S. 32–42.

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meister die Rolle seiner Partei an anderer Stelle noch deutlicher aus  : »Die historische Tatsache des 24. April besteht darin, daß von diesem Tage an nicht die Christlichsozialen und Sozialdemokraten, etwa mit einem Anschluß eines Wurmfortsatzes, hier sind, sondern daß auch eine dritte Partei hierher gekommen ist, welche die Aufgabe hat, Sie beide aufzufressen und zu erledigen.«591 Wien Besonders turbulent verlief im neuen Wiener Gemeinderat die konstituierende Sitzung am 24. Mai 1932, die in riesigen Tumulten mit Handgreiflichkeiten unter den Abgeordneten und auf der Zuschauertribüne endete.592 Die Nationalsozialisten zogen sowohl im Gemeinderat als auch im Landtag alle Register gegen die Demokratie. Schließlich aber konnte Karl Seitz mit der absoluten Mehrheit der Sozialdemokraten wieder zum Bürgermeister gewählt werden. 65 Stimmen der Sozialdemokraten entfielen auf Seitz, der selbst einen leeren Stimmzettel abgab, 15 Stimmen lauteten auf den Nationalsozialisten Frauenfeld, die 19 Christlichsozialen stimmten nicht ab. Der Eid zur Angelobung, der keinerlei Hinweis auf die parlamentarische Demokratie enthielt, wurde von allen Abgeordneten – auch von den nationalsozialistischen – geleistet, bei der Angelobung des Bürgermeisters erhoben sich die Nationalsozialisten nicht von den Sitzen. Schon bei der Festsetzung der Zahl der Gemeinderatsvorsitzenden kam es zu den ersten Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten. Die Sozialdemokraten schlugen vor, anstelle von bisher sechs nur mehr vier Vorsitzende zu wählen. Damit konnte man die Nationalsozialisten ausbooten, die auch prompt die Wahl von sechs Vorsitzenden beantragten und die Reduzierung der Zahl der Vorsitzenden nur als »Ausfluß einer ganz außerordentlichen, für uns schmeichelhaften Angst eines gewissen Teiles des Hauses« ansahen.593 Der Antrag wurde abgelehnt, so daß die Sozialdemokraten drei und die Christlichsozialen einen Vorsitzenden zu stellen hatten. Gewählt wurden schließlich die Sozialdemokraten Seitz, Weigl und Dr. Neubauer sowie der Christlichsoziale Übelhör. Auch die Festlegung der Zahl der Stadtsenatsmitglieder führte zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Fraktionen. Die Sozialdemokratische Partei wollte elf Senatsmitglieder, die Christlichsozialen zehn und die Nationalsozialisten beantragten die Mindestzahl von neun Mitgliedern. Damit hatten sie wieder eine populistische

591 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 13. 1. 1933. S. 103. 592 Hier wurde das Protokoll der Gemeinderatssitzung herangezogen, da die grundsätzlichen Erklärungen der Fraktionen im Gemeinderat und nicht im Landtag erfolgten. In weiterer Folge wurden die Protokolle des Landtages als Quelle herangezogen. 593 Stenographischer Bericht über die öffentliche Sitzung des Gemeindesrates der Bundeshauptstadt Wien (GRPWien), 24. 5. 1932. S. 487.

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Initiative gesetzt, weil »die Gebühren für eine größere Anzahl von Stadträten auf Kosten des werktätigen Volkes« gingen.594 Die sozialdemokratische Mehrheit entschied schließlich für ihren eigenen Antrag. Auch bei der Zahl der Mitglieder der Ausschüsse und bei der Zahl der Stadträte gab es unterschiedliche Auffassungen der drei Fraktionen. In allen Fällen setzte die Sozialdemokratische Partei ihre Vorstellungen mit ihrer absoluten Mehrheit durch. Die Wahl der elf Stadträte ging dann doch einvernehmlich durch Fraktionswahlen vor sich  : acht Sozialdemokraten (Hugo Breitner, Georg Emmerling, Karl Honay, Julius Linder, Karl Richter, Paul Speiser, Dr. Julius Tandler, Anton Weber), zwei Christlichsoziale (Leopold Kunschak, Dr. Alma Motzko) und ein Nationalsozialist (Alfred Eduard Frauenfeld) wurden zu Stadträten gewählt. Ein Antrag der Christlichsozialen auf generelle Abschaffung der Amtsführenden Stadträte (ihre Agenden sollten von Beamten übernommen werden) wurde von der sozialdemokratischen Mehrheit abgelehnt. Die Christlichsozialen wollten hier einen Akt der Entpolitisierung setzen, weil natürlich alle Amtsführenden Stadträte nur von der Sozialdemokratischen Partei gestellt wurden (»Parteidiktatur im Rathaus«). Aber auch dieser Versuch – so verständlich er aus der ohnmächtigen Situation der Wiener Christlichsozialen war – ging letztlich in die Richtung der nationalsozialistischen Ablehnung der Parteiendemokratie. Die Sozialdemokraten sahen dies naturgemäß ganz anders und bezeichneten die Amtsführenden Stadträte als »Volksbeauftragte« in der Verwaltung, wie es sie auch in den großen Städten des Deutschen Reiches als Wahlbürgermeister gäbe. Die Argumentation des Sozialdemokraten Speiser gipfelte in dem Vergleich  : »Und so ist dieses System nichts anderes als eine Art Anschluß, eine Angleichung an das Deutsche Reich, die wir ja alle wollen.«595 Von den zwei Vizebürgermeistern stand einer der stärksten, der andere der zweitstärksten Partei zu, sofern diese mindestens über ein Drittel der Gemeinderatsmandate verfügte. Nachdem die Christlichsozialen nur 19 von 100 Mandaten erreicht hatten, stand ihnen kein Vizebürgermeister zu. Die zweite Vizebürgermeisterstelle blieb daher unbesetzt. Sozialdemokratischer Vizebürgermeister wurde Georg Emmerling.596 Die Gemeinderatssitzung wurde dann zur Konstituierung des Wiener Landtages unterbrochen. Während der Konstituierung des Wiener Landtages störten die Nationalsozialisten unentwegt durch Chorrufe, durch lautes Singen von Liedern und durch ständige Zwischenrufe. Ihre Mißfallenskundgebungen galten vor allem dem jüdischen Landtagspräsidenten Dr. Robert Danneberg, unter dessen Vorsitz sie nicht zu tagen bereit 594 Vgl. GRPWien, 24. 5. 1932. S. 496 f. 595 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 579. 596 Vgl. GRPWien, 24. 5. 1932. S. 500 f.

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waren. Dieses traurige Schauspiel sollte sich auch in der folgenden Sitzung in noch ärgerer Ausprägung fortsetzen.597 Die Nationalsozialisten lärmten, begannen laut zu lesen, sangen, stimmten Sprechchöre an und verhinderten damit einen gedeihlichen Fortgang der Sitzungen. Der NS-Abgeordnete Frauenfeld stellte klar  : »Wir werden so lange keine Sitzung abhalten lassen, als ein Jude dort oben sitzt  !«, und weiter  : »Deutsche Arbeiter können sich einen Juden als Präsidenten nicht gefallen lassen. Hier sitzen freilich nur 66 hypnotisierte Kaninchen  !«598 Es kam zu Tätlichkeiten zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten, die sich weigerten, an den Debatten teilzunehmen oder Berichte zu erstatten. Eine normale Arbeit des Wiener Landtages war damit nicht möglich. Am Schluß dieser turbulenten 2. Sitzung erklärte Präsident Danneberg  : »Es ist im Laufe der Sitzung von einer Reihe von Abgeordneten an mich die Frage gestellt worden, warum beleidigende Zwischenrufe, die gegen mich selbst gemacht worden sind, von mir nicht gerügt wurden und warum Zwischenrufer nicht zur Ordnung gerufen worden sind. Ich kann darauf nur sagen, daß ich durchaus die Meinung teile, die der nationalsozialistische Alterspräsident des Preußischen Landtages vor einigen Wochen geäußert hat. Er hat auf beleidigende Zwischenrufe, die seiner Person gegolten haben, erklärt  : Ich werde wegen solcher Zwischenrufe niemand zur Ordnung rufen, weil ich persönlich auf dem Standpunkte stehe, daß mich dieser oder jener nicht beleidigen kann. Soferne aber die Zwischenrufe eine Störung des Landtages und eine Herabsetzung der Würde des Landtages bedeutet haben, habe ich sie, soweit sie im Lärm zu hören waren, gerügt. Die Geschäftsordnung gibt leider kein anderes Mittel, da sie für normale Verhältnisse gedacht ist und da angenommen werden mußte, daß sich jeder, der in den Wiener Landtag gewählt ist, auf den Boden der parlamentarischen Verhandlungen stellt. Das ist bei einer Anzahl Herren hier im Saale leider nicht der Fall. Es bleibt dem Landtag überlassen, darüber Erwägungen anzustellen.«599 Diese Anregung Dannebergs, eventuell die Geschäftsordnung des Wiener Landtages so abzuändern, daß Handhaben gegen dieses destruktive Verhalten der Nazis geschaffen wurden, wurde leider nicht aufgegriffen. Keinesfalls fair verhielten sich die Christlichsozialen, die dem Vorsitzenden Danneberg ständig Unfähigkeit vorwarfen, da er die permanenten Störungen durch die Nationalsozialisten nicht in den Griff bekam. Die Sozialdemokraten reagierten unerwartet auf die ständigen Provokationen der NSDAP  : Sie beriefen am 25. 11. 1932 Robert Danneberg als Nachfolger des aus

597 Vgl. etwa Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Wien und ihrer Volksvertretung. Wiener Schriften. Heft 15. S. 200  ; Landtag von Wien, Stenographischer Bericht (LPWien), 1. Sitzung. 24. 5. 1932, S. 1–3  ; »Salzburger Chronik«, 25. 5. 1932. S. 1, und »Salzburger Wacht«, 25. 5. 1932. S. 1 f. 598 LPWien, 2. Sitzung. 1. 7. 1932. S. 1 und S. 8. 599 LPWien, 2. Sitzung. 1. 7. 1932. S. 9.

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Krankheitsgründen ausscheidenden Finanzstadtrates Hugo Breitner in die Wiener Landesregierung. Damit mußte Danneberg sein Amt als Landtagspräsident niederlegen, zu seinem Nachfolger wurde in der 3. Sitzung am 16. Dezember 1932 der nichtjüdische Abgeordnete Dr. Hans Neubauer gewählt.600 Ab diesem Zeitpunkt verhielten sich die Nationalsozialisten zumindest so, daß die Landtagssitzungen ordnungsgemäß abgeführt werden konnten. Ihr Ziel, einen Juden als Landtagspräsidenten zu beseitigen, hatten sie erreicht. Einstimmig gewählt wurden die zwölf Bundesräte, von denen acht der Sozialdemo­ kratischen Partei (Theodor Körner, Georg Emmerling, Max Klein, Maximilian Brandeiß, Hans Schabes, Max Winter, Marie Bock, Dr. Felix Kanitz), zwei der Christlichsozialen Partei (Dr. Franz Hemala, Dr. Berta Pichl) und zwei der Nationalsozialistischen Partei (Leo Haubenberger, Franz Schattenfroh) zustanden.601 Nach der Landtagskonstituierung, die – wie gesagt – von den Nationalsozialisten auch auf der Zuschauergalerie heftig gestört wurden, beklagten sich die nationalsozialistischen Gemeinderäte wehleidig, daß einige ihrer Anhänger auf der Galerie »geradezu überfallen« worden seien und daß es bedauerlich sei, »wenn andere Parteien hier ausgemachte Plattenbrüder auf die Galerie hinaufschicken«.602 Während der Pause seien gar zwei Nationalsozialisten hinausgeworfen worden, aber nicht – wie sich herausstellte – von Amtsorganen, sondern von anderen Besuchern. Hier erklärte sich der Bürgermeister für unzuständig und wies die Amtsorgane an, gegen streitende Besuchergruppen gleich scharf vorzugehen und riet im übrigen den Nationalsozialisten, nur nicht wehleidig zu sein. Bürgermeister Karl Seitz, der nun zum drittenmal zum Wiener Bürgermeister gewählt worden war, ging in seiner Grundsatzerklärung auf die schwierige wirtschaftliche Situation der Großstadt Wien im Zuge der Weltwirtschaftskrise ein und kritisierte vor allem die Begehrlichkeit des Bundes bei der Abgabenteilung gegenüber der Steuerkraft Wiens. Im Gegensatz zu anderen Kommunen, die vor dem Bankrott stünden, sei Wien zwar arm, aber konsolidiert.603 Der Bürgermeister beklagte vor allem, daß die Anforderungen an die Wohlfahrtspflege auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Situation immer größer würden, und bedauerte, daß durch ministerielle Erlässe die Fürsorge für zehntausende Personen, die ausgesteuert wurden, den Gemeinden überantwortet würden. Sozialminister Resch hatte die Industriellen Bezirkskommissionen angewiesen, einerseits den Beitrag für 600 Vgl. LPWien, 3. Sitzung. 16. 12. 1932. S. 1. Ebenso Leon Kane, Robert Danneberg. Ein pragmatischer Idealist. Wien, München, Zürich 1980. S. 166 f. Zu Danneberg vgl. auch Alfred Pfabigan, Robert Danneberg. In  : Neue österreichische Biographie ab 1815. Große Österreicher. Band XX. Wien, München 1979. S. 59–66. 601 Vgl. LPWien, 1. Sitzung. 24. 5. 1932. S. 2. 602 Vgl. GRPWien, 24. 5. 1932. S. 514 f. 603 Vgl. GRPWien, 24. 5. 1932. S. 519 ff.

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die Notstandshilfen auf 45 Prozent des Krankenversicherungsbeitrages – soweit nicht schon erreicht – zu erhöhen, andererseits die bestehenden Sätze für Notstandsaushilfen zu kürzen bzw. die Bestimmungen über ihren Bezug zu verschärfen.604 Deshalb – so der Bürgermeister – müßten die öffentlichen Gelder vor allem zur Schaffung von Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Nicht aber würden die Sozialdemokraten zulassen, daß etwa wegen der enormen Wohlfahrtskosten der von den Christlichsozialen immer wieder geforderte teilweise Ersatz von weltlichem Pflegepersonal durch Ordensschwestern realisiert werde. Dies war ein stark ideologisch behafteter Punkt, über den es zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kam. Dem sozialdemokratischen Wohlfahrtswesen, das fast während der ganzen Ersten Republik von dem angesehenen Stadtrat Univ.-Prof. Julius Tandler605 verantwortet wurde, warfen die bürgerlichen Kreise eine »Fürsorge­ inflation« vor, da sich die Stadtverwaltung um Wohlfahrtsbereiche kümmerte, die früher von privaten Initiativen getragen wurden. Die Christlichsozialen taten sich aber in diesem Bereich deshalb etwas schwer, massiv gegen Tandler vorzugehen, weil wichtige Ansätze seiner Wohlfahrtspolitik auf Bürgermeister Lueger zurückgingen.606 Neben der Feststellung, daß die von Otto Glöckel eingeleitete Schulreform »mit unerschütterlicher Energie« fortgesetzt werde, ging Bürgermeister Seitz noch auf die städtische Finanzpolitik ein, die – trotz des Grundsatzes der Sparsamkeit – vor allem der Beseitigung der Arbeitslosigkeit dienen sollte. Diese Finanzpolitik, die von der Opposition nach dem verantwortlichen Stadtrat »System Breitner« genannt und heftig attackiert wurde, sei »das System nicht einer Person, sondern der sozialdemokratischen Partei«.607 Als erster replizierte der nationalsozialistische Gemeinderat Frauenfeld auf den Bürgermeister und begann sofort mit einer Provokation Richtung Sozialdemokraten. Als Alternative zu dem, was die Sozialdemokratie der Bevölkerung von Wien in den 604 Durch die sprunghaft anwachsende Arbeitslosigkeit waren auch die Ausgaben des Bundes für Arbeitslosenversicherung und -fürsorge enorm angestiegen. Der Fonds für Notstandsaushilfen war im Mai 1932 mit 9,5 Millionen Schilling im Passivum. Der Versuch von Sozialminister Resch, Reformen mit dem Ziel einer Entlastung des Sozialbudgets des Bundes durchzuführen, blieb ohne besonderen Erfolg. Die Verhandlungen Reschs im März 1932 mit Sozialdemokraten, Großdeutschen und auch mit der eigenen Christlichsozialen Partei zur Schaffung eines selbständigen Versicherungsträgers zur Entlastung des Budgets (aber auch mit Einschränkungen der Leistungen an Arbeitslosenunterstützungen) scheiterten an deren Ablehnung. Vgl. »Arbeiter-Zeitung«, 26. 5. 1932. S. 3  ; Emmerich Tálos, Sozialpolitik im Austrofaschismus. In  : E. Tálos, W. Neugebauer (Hg.), »Austrofaschismus«. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. Wien 1985. S. 162. 605 Zu Julius Tandler vgl. etwa Karl Slabik, Julius Tandler. In  : Neue österreichische Biographie ab 1815. Große Österreicher. Band XXII. Wien, München 1987. S. 72–78. 606 Vgl. Felix Czeike, Wien. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik 2, Graz, Wien, Köln 1983. S. 1056 ff. 607 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 531 f. Vgl. auch Felix Czeike, Wien. S. 1048 ff.

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letzten 14 Jahren beschert habe, bleibe nur der Gasschlauch, um sich »in ein besseres Jenseits hinüberzuretten«, der Weltrekord Wiens an Selbstmorden beweise dies.608 Den Erfolg der Nationalsozialisten bei der Landtagswahl sah Frauenfeld erst als Anfang einer Entwicklung, die zeige, daß sich immer mehr Werktätige von der Sozialdemokratie abgewendet und nationalsozialistisch gewählt hätten. »Wenn am 24. April die Niederlage des Marxismus noch nicht klarer zu Tage getreten ist, dann nur deshalb, weil an Stelle von Zehntausenden von Arbeitern, die von Ihnen abgeströmt sind, aus den Reihen des ehemaligen Schoberblocks Zehntausende von ›Ordnung- und Ruhe-Bestien‹ zu Ihnen abgeströmt sind … Sie haben nicht nur an Stimmen verloren, Sie haben auch den Rest an Kampfkraft eingebüßt, den Sie überhaupt noch besessen haben, indem das Minderwertige in Ihre Reihen geströmt ist und das Bessere zu uns gekommen ist.«609 Den Sozialdemokraten sei überhaupt das Recht abzusprechen, sich eine Arbeiterpartei zu nennen, da die Hälfte der sozialdemokratischen Abgeordneten nur mit den Stimmen von Juden in den Gemeinderat »hereingerutscht« sei und die andere Hälfte mit Hilfe »verblendeter und verhetzter Volksgenossen« ihre Sitze errungen hätte. In dieser Tonart ging es weiter. Es ist daher kein Wunder, daß es vor allem zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten immer wieder zu heftigen Zwischenrufen und Tumulten kam. Interessant ist dabei, wie die Sozialdemokraten das Wahlergebnis der Nationalsozialisten analysierten. Gemeinderat Speiser610 meinte, die nationalsozialistischen Stimmen setzten sich zum großen Teil aus Großdeutschen, Heimwehrlern und Christlichsozialen zusammen. »Die Großdeutschen in Wien sind von den Nationalsozialisten aufgefressen worden, die Christlichsozialen sind havariert.« Auch viele Beamte, die einen Gehaltsabbau befürchtet hätten, seien unter den nationalsozialistischen Wählern. Alles in allem, meinte Speiser, an die NSDAP gerichtet, »Ihre Stimmen sind mehr von den unzufriedenen Mittelständlern, von Offizieren und von allem, was drum und dran ist, gekommen«.611 In der Folge seien nun die wesentlichsten Argumente aus der Rede Frauenfelds dargestellt mit symptomatischen wörtlichen Zitaten und den Reaktionen der anderen Parteien. • Privilegien und Parteibuchwirtschaft, Gesinnungsterror  : Die Wirtschaftslage lasse Dienstautomobile für den Bürgermeister nicht zu. Für die Einstellung in den öffentlichen Dienst der Stadt Wien seien unter der sozialdemokratischen Führung 608 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 534. Vgl. Norbert Ortmayr, Selbstmord in Österreich. 1819–1988. In  : Zeitgeschichte. 17. Jahr. Heft 5. Februar 1990. S. 217. 609 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 535. 610 Zu Paul Speiser vgl. Wolfgang Speiser, Paul Speiser und das Rote Wien. Wien, München 1979. S. 64 ff. 611 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 581 f.

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nicht die Fähigkeit, sondern die Mitgliedsnummer und das Parteibuch entscheidend. »Sie erziehen keine aufrechten Menschen, Sie erziehen Heuchler, die sich ducken müssen, weil es um das tägliche Brot geht.« Diese Vorwürfe führten zu Tumulten bei den Sozialdemokraten, die ihrerseits wieder Frauenfeld vorwarfen, für den jüdischen Präsidenten der Bodenkreditbank, Dr. Rudolf Sieghart, gegen Bezahlung ein Buch geschrieben zu haben. Daraufhin reagierte Frauenfeld in der für ihn so typischen provozierenden Art  : »Herr Vorsitzender, lassen Sie dem hysterischen Palästinenser ein Glas kaltes Wasser geben  !« Und nach weiteren heftigen Zwischenrufen  : »Sie wecken den Vorsitzenden auf, wenn Sie schreien. Sie werden den ›gefrorenen Mann‹ da droben aufwecken, passen Sie auf  !«612 • Zerstörung des (deutschen) Mittelstandes. Die sozialdemokratische Politik ziele auf die Zerstörung des Mittelstandes, um an seine Stelle das Proletariat zu setzen. Dies sah Frauenfeld als den wundesten Punkt der Rathausmehrheit an – und diese reagierte auch tatsächlich besonders aufgebracht. Frauenfeld provozierte wieder bewußt  : »Gerade die Art, wie der deutsche Arbeiter zum Proletarier gemacht worden ist, beweist am besten, daß nicht seine Interessen verteidigt werden sollten, sondern daß nur eine große Herde von willfährigem Stimmvieh geschaffen werden sollte, die für die Partei Dienste zu leisten hat. Sie können keine zufriedenen Arbeiter brauchen, weil solche keine Sozialdemokraten wären. Die Zufriedenen würden sich von Ihrer Partei abwenden, weil sie positiver Ideen entbehrt und Trägerin eines vollständig leeren, hohlen Gerippes geworden ist, aus der die letzte Lebenskraft gewichen ist.«613 • Wohnbau. Auch im sozialen Wohnbau der Stadt Wien sah Frauenfeld ideologische Hintergründe. Die Häuser seien in die Höhe gebaut worden, als Fortsetzung der Zinskasernen, die »geradezu große Arreste sind, zu denen die Leute lebenslänglich verurteilt sind«. Die Stadt wurde nicht ins Grüne und ins Weite gebaut, weil die Sozialdemokraten die »Leute eben so besser beisammen halten können  !« Als Folge davon gäbe es furchtbare Kämpfe der Schrebergärtner, »die das Symbol der Sehnsucht des deutschen Menschen nach einem Quadratmeter deutscher Erde sind«. Daher sei das Geld für diese Gemeindewohnbauten »sinnlos für parteipolitische Zwecke vergeudet worden«.614 Im übrigen seien die Wohnungen in erster Linie für Juden errichtet worden. Damit hatte Frauenfeld die aus seiner Sicht Verantwortlichen für die Wohnungsnot gefunden. • Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit. Die Sozialdemokratie habe die Gleichheit durchgesetzt, »denn Sie haben alle gleich elend und erbärmlich gemacht. Bei Ihnen selbst haben Sie die Gleichheit durchgesetzt, Sie alle haben gleich viel und haben 612 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 539 f. 613 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 542. 614 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 543, 544.

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sich gleich gut eingerichtet … Die einzige Freiheit, die Sie dem Menschen gelassen haben, ist die, sich für seinen Selbstmord die Todesart selbst wählen zu lassen … Ihre Brüderlichkeit besteht darin, daß der arme Teufel seine Not brüderlich mit dem anderen teilen kann, der ebenso wenig hat wie er.«615 Schon bei dieser ersten Sitzung des Wiener Gemeinderates zeigte sich, mit welch radikaler Polemik die Nationalsozialisten die anderen Parteien, hier vor allem die Sozialdemokraten, zu provozieren suchten. Kein Wunder, daß es schließlich sogar zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Frauenfeld arbeitete in seiner Rede zwei politische Fronten heraus, zwischen denen seiner Ansicht nach alle anderen zermalmt werden. »Die Front, die sich im Zeichen des Hakenkreuzes als die Front der werktätigen, bodenständigen, deutschen Menschen zusammengefunden hat, und die Front, über welcher unsichtbar der Stern Davids steht und wo im Interesse der Internationale gearbeitet wird.«616 Als ihm daraufhin sozialdemokratische Gemeinderäte zuriefen »Sie sind ja selbst ein Jude und ein Judenstämmling  !«, »Lassen Sie sich aufnorden  ! – Sie haben Judengeld gefressen, Sie Sieghartknecht  !«, begannen sich sozialdemokratische und nationalsozialistische Gemeinderäte in höchster Erregung zu attackieren. Bei Zwischenrufen weiblicher Abgeordneter konterte Frauenfeld »Hysterische Weiber auch noch  ! Das habe ich besonders gern«, »Wenn die Tiroler-Mariedl zum Jodeln anfängt, höre ich auf zu reden«, oder zur christlichsozialen Stadträtin Dr. Alma Motzko  : »Sie Referentin für Zuchtbullen, regen Sie sich nicht auf.«617 Am Ende der Rede Frauenfelds erhoben sich die Nationalsozialisten und begannen zu singen. Interessant ist nun, wie die anderen Parteien auf diese aggressive, provozierende Rede Frauenfelds reagierten. Zuerst sprach der christlichsoziale Abgeordnete Leopold Kunschak. Aus seinem Debattenbeitrag lassen sich die folgenden Argumente herausfiltern  : • Die äußerst triste wirtschaftliche Situation Österreichs sei zuvorderst eine Angelegenheit des Parlaments, treffe aber genauso die Interessen der Gemeinden, vor allem der Gemeinde Wien. Es gehe daher in erster Linie darum, die »geistigen und seelischen Kräfte« zusammenzufassen, »um den kommenden Ereignissen mit Ruhe ins Gesicht sehen und mit Ruhe auch die Beschlüsse fassen zu können«. Kunschak versuchte also gleich zum Anfang seiner Rede an die Zusammenarbeit zu appellieren, vor allem in diesen schweren Zeiten. Leider aber stelle sich der Gemeinderat als »die wüsteste und verantwortungsloseste Wählerversammlung« dar.618 615 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 546. 616 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 553. 617 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 547, 549, 550. 618 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 556 f.

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

• »Inhalt« und »äußere Aufmachung« der Gemeinderatssitzung seien erstmals »befremdlich«, die Galerie sei »auf den Wiener Gemeinderat losgelassen worden«. Kunschak griff dabei in erster Linie die Sozialdemokraten an, weil es der sozialdemokratische Vorsitzende zugelassen hatte, daß Besucher der Galerie als Claqueure der Sozialdemokraten auftraten. Das wesentlich provokantere Auftreten der Nationalsozialisten kommentierte Kunschak nicht. • Kunschak forderte vehement eine Milderung des Steuerdrucks in Wien. Die Lage der Gemeinde Wien sei nicht – wie die Sozialdemokraten behaupteten – konsolidiert. Vor allem die Lustbarkeitsabgabe und die Nahrungs- und Genußmittelabgabe wirkten sich auf die Wirtschaft verheerend aus, ebenso die hohe Beteiligung der Gemeinde Wien an Bundessteuern. Dazu komme in Wien noch eine »unerhörte Steuerverwaltung, die Schikanen auszuspinnen vermag, von denen sich kein normaler Mensch eine Vorstellung macht«, die auch vor Mißbräuchen nicht zurückschrecke. Schuld an dieser Finanzpolitik sei vor allem Stadtrat Breitner.619 Die Sozialdemokraten konterten mit dem Argument, daß die Arbeitslosigkeit in Wien in wesentlich geringerem Maße gestiegen sei als in den anderen Bundesländern und um die Hälfte geringer als die Arbeitslosigkeit in Deutschland sei. 620 Die Absicht der sozialdemokratischen Wiener Stadtverwaltung, Steuern in der Höhe von 52 Millionen Schilling abzubauen, sei durch die feindselige Einstellung der Bundesregierung mit der Abgabenteilung des Jahres 1931 verhindert worden.621 Die sozialdemokratische Wohnbaupolitik bezeichnete Kunschak als »Vampyr am Budget der Gemeinde und am Leben der Wiener Wirtschaft«. 622 Die Wohnbausteuer, die rund 800 Millionen Schilling aus der Wirtschaft brachte, habe die Betriebe in den Ruin getrieben. Kunschak verlangte, daß aus der Wohnbausteuer an die Bauwirtschaft – vor allem an die genossenschaftliche Bautätigkeit – 35 Millionen Schilling an Baukrediten gegeben würden, womit eine Bautätigkeit von 619 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 561. 620 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 575. 621 Tatsächlich waren die zwischen Bund und Ländern zu führenden Wirtschaftsgespräche über die Aufteilung des gemeinsamen Steueraufkommens zunehmend von politischen Auseinandersetzungen geprägt. Seit 1929 setzte der Bund die Wiener Finanzverwaltung unter zunehmenden Druck, und die Opposition versäumte keine Gelegenheit, Gemeindesteuern beim Höchstgericht auf ihre Gesetzmäßigkeit prüfen zu lassen. Vor allem die 7. Abgabenteilungsnovelle des Jahres 1931 versetzte dem kommunalen Finanzkonzept einen empfindlichen Stoß. Der Anteil Wiens an den Bundesabgaben sank von 137,6 Millionen Schilling im Jahr 1930 auf nur 72,4 Millionen Schilling im Jahr 1932. Die Mindereinnahmen konnten nur durch radikale Einschränkungen bei den kommunalen Investitionen ausgeglichen werden. Vgl. Felix Czeike, Wien. 1061. 622 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 563.

Völlig neue Verhältnisse in den Landtagen und Landesregierungen

241

insgesamt 60 Millionen Schilling durchgeführt werden könnte. Damit könnten auch dringend notwendige Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Finanzierung des Wohnbaues im »Roten Wien« durch Steuern war einer der Hauptangriffspunkte der christlichsozialen Opposition, die den Wohnbau lieber aus Anleihen finanziert gesehen hätte. Die eigentliche Wohnbausteuer, die gestaffelt alle Mieter betraf, reichte nicht aus, um die vollen Kosten des Wohnbaues zu decken, so daß vor allem die »Fürsorgeabgabe« (die Kunschak hier wohl meinte) für den Wohnbau herangezogen werden mußte. Diese Steuer wurde von den Unternehmern als Prozentsatz ihrer Lohnkosten eingehoben und war die »problematischeste« unter den Gemeindesteuern.623 • Schließlich ging Kunschak auf die Rolle der christlichsozialen Fraktion im Wiener Gemeinderat bzw. Landtag ein. Die Christlichsozialen hätten niemals »faktiöse« Opposition gemacht, aber sich auch niemals hindern lassen, zu kritisieren, wo es notwendig war. Aber nur »sanft«, wie ihm die Nationalsozialisten daraufhin vorwarfen. »Wir werden uns nicht abhalten lassen, die Sonde der Kritik an alle Wunden des städtischen Lebens anzulegen … rücksichtslos alle Schäden aufzudecken. Wir werden uns auch gar keiner Arbeit, die uns zukommt, entziehen, sondern diese leisten, insoferne und insoweit uns hiezu im Rahmen der Gemeindeverwaltung von der herrschenden Partei eine Möglichkeit gegeben wird.«624 Kunschak traf diese Feststellungen vor allem auch im Hinblick auf die Kritik aus den eigenen Reihen, die sich nach dem Wahldebakel gegen die von ihm geprägte und als zu konsensbereit angesehene Oppositionspolitik der Christlichsozialen gerichtet hatte. Die Christlichsoziale Partei Wiens stand noch unter dem Eindruck ihres Landesparteitages vom 21. und 22. Mai, bei dem Kunschak als Landesparteiobmann wegen der Kritik an ihm zurückgetreten war und sich nicht einmal mehr in die christlichsoziale Landesparteileitung wählen ließ. Vor allem die Gruppe um Richard Schmitz hatte sich durchgesetzt und ihr Kandidat, Prof. Robert Krasser, wurde zum Landesparteiobmann gewählt. Die Sozialdemokraten sahen darin einen »deutlichen Ruck nach rechts« und den Versuch der Christlichsozialen, die Konkurrenz zu den Nationalsozialisten »durch verschärften Kampf gegen die Sozialdemokratie und durch noch deutlicher betonte Gegnerschaft gegen die Demokratie und verstärkten Antisemitismus« zu bestehen.625 Kunschak nahm aber als christlichsozialer Klub­ obmann auch in Zukunft noch wesentlichen Einfluß auf den Kurs der Christlichsozialen im Wiener Gemeinderat. 623 Vgl. Rainer Bauböck, Wohnungspolitik im sozialdemokratischen Wien 1919–1934. Geschichte und Sozialkunde. Band 4. Salzburg 1979. S. 128–139. Vgl. ebenso Helmut Gruber, Red Vienna. Experiment in Working-Class Culture 1919–1934. New York, Oxford 1991. S. 46–65. 624 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 567. 625 »Arbeiter-Zeitung«, 23. 5. 1932. S. 1.

242

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Aber noch einmal zurück zur konstituierenden Sitzung des Wiener Gemeinderates. Aus der Wortmeldung des sozialdemokratischen Gemeinderates Speiser geht nicht nur die Unterschätzung des Nationalsozialismus hervor, sondern auch wieder die durch das Auftreten der Nazis erstarkte Aggression der beiden traditionellen Parteien untereinander. Speiser sah im Wahlergebnis der Wiener Gemeinderatswahl die Quittung an die Christlichsozialen dafür, »was ihre Partei drüben im Bunde angerichtet hat«, und meinte, die Christlichsoziale Partei wolle in der Bundesregierung das probieren, was sie nach der Wahlniederlage für Wien an Parolen ausgegeben habe, nämlich »mehr Radikalismus, mehr Antisemitismus und ein neues besseres Programm«, wobei ihm vorkam, daß den Christlichsozialen »die Diktatur jetzt gar nicht mehr so übel vorkommt  !«626 Dann aber ging Speiser auf die Nationalsozialisten ein und begann gleich mit einer Taktik, die sich in der Folge als Reaktion der beiden Großparteien auf die Nationalsozialisten immer wieder findet und die sich als offensichtlicher Fehler herausgestellt hat. Er versuchte die Nationalsozialisten in politischen Themen, in denen ihnen von der Öffentlichkeit eine hohe Kompetenz zugesprochen wurde, zu übertrumpfen. Auf diese Weise ging er auf den Begriff des »Deutschtums« ein und versuchte nachzuweisen, daß die Sozialdemokraten, »diese deutschen Arbeiter, die Führer in Österreich und draußen im Reiche, Männer wie Bebel und seine Gefährten«, schon in den Anfangszeiten der Sozialdemokratie die Zinsknechtschaft bekämpft hatten, was die Nationalsozialisten nun auf ihre Fahnen schrieben. »Deutsche Arbeiter sind im Kampf gestanden gegen dieselben Kapitalisten, bei welchen heute Leute Ihrer Partei in Deutschland Reden halten.« Sein Versuch, die sozialdemokratischen Arbeiter als die besseren Deutschen darzustellen, gipfelte in der Feststellung  : »Wenn wir mit Stolz darauf hinweisen können, daß wir die Partei sind, die am treuesten den Anschluß in Deutschland vertreten hat – schon in den alten Zeiten vor dem Krieg, insbesondere aber seit dem Kriege –, wenn wir also einerseits auch gute Deutsche sind, so werden wir unsere internationalen Verpflichtungen doch niemals vergessen.«627 Der sozialdemokratische Abgeordnete ließ sich dann ausführlich auf eine Auseinandersetzung darüber ein, welche der beiden Parteien – Sozialdemokraten oder Nationalsozialisten – die eigentlich »sozialistische« Partei sei. »Los auf den Kapitalismus, Sturz der kapitalistischen Weltordnung und heraus mit der sozialistischen Weltordnung  ! Was Sie aber tun, ist etwas ganz anderes«, rief er den Nationalsozialisten zu. Der von den Nationalsozialisten erfundene Unterschied zwischen schaffendem und raffendem Kapital sei »Mumpitz«, der wahre Sozialismus müsse »gegen den Kapitalismus in seiner ganzen Gestalt losgehen und kämpfen«. Der Kapitalismus bekämpfe das System der Demokratie, weil in diesem System die Freiheitsrechte des 626 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 572, 573, 578. 627 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 583 f.

Völlig neue Verhältnisse in den Landtagen und Landesregierungen

243

Volkes bestätigt, die Rechte der Arbeiter und die sozialpolitischen Errungenschaften ausgebaut würden. Die Nationalsozialisten seien dem Kapitalismus im Kampf gegen die Demokratie behilflich. »Ob nun die einen das Neue, was sie wollen, Ständestaat nennen, ob die anderen das, was sie wollen, ›Faschismus‹ nennen oder ob sie einen Unterschied unter den deutschen Menschen zu machen versuchen, indem sie sie in das Untermenschentum und Übermenschentum einteilen, auf welche Weise sie die Arbeiterklasse zu zerreißen suchen, ob sie es wollen oder nicht, sie tun es alle im Interesse des Kapitals.« Dann erklärte Speiser, daß die Sozialdemokraten das bestehende (kapitalistische) System ablehnen und beseitigen wollen und nur im Sozialismus die wahre Demokratie erkennen. »Wir werben auch in diesem Saale für den Sozialismus, und nur der Sozialismus kann das Grauen der heutigen Zeit, ihre Not, ihr Elend und die Arbeitslosigkeit besiegen. Daher erklären wir wie Sie, die Sie Ihre programmatische Erklärung in dieser Debatte abgegeben haben, daß wir diese bestehende Gesellschaftsordnung bekämpfen und bekriegen.« Und Speiser vertrat außerdem die Ansicht, daß der Nationalsozialismus in Wien keinerlei Chance habe, und unterschätzte damit die Anziehungskraft der Nazis. Er war überzeugt, daß sich durch den Einzug der NSDAP in den Wiener Landtag und Gemeinderat nichts geändert habe. »Auf dem Wiener Boden wird der Faschismus nicht siegen  ! … Für uns hat sich in diesem Saale nichts geändert.«628 Vorarlberg In Vorarlberg konnten die beiden Nationalsozialisten die konstituierende Sitzung des Landtages kaum beeinträchtigen. Dr. Otto Ender, der sowohl für das Amt des Landtagspräsidenten als auch des Landeshauptmannes kandidierte, erhielt bei beiden Wahlen 17 Stimmen der Christlichsozialen (eine Stimme lautete auf den Christlichsozia­ len Dr. Ferdinand Redler), die restlichen Parteien, also auch die Nationalsozialisten, enthielten sich der Stimme. Gleich in der konstituierenden Sitzung aber brachten die beiden NS-Abgeordneten Rudolf Gunz und Meinrad Hämmerle einen Antrag ein, die Zahl der Mitglieder der Landesregierung von sechs auf zwei zu reduzieren. Die Wahl von Landesräten hielten sie für überflüssig. Der Antrag wurde mangels ausreichender Unterstützung gar nicht einer Behandlung unterzogen. Die Nationalsozialisten erklärten, Dr. Ender sei für die Wahl zum Landeshauptmann »doch nicht geeignet«, da er für den Kreditanstaltskandal mitverantwortlich sei. Generell stellte der nationalsozialistische Abgeordnete Gunz fest  : »Dieses verantwortungslose System muß weg.«629 Wie sich zwar mäßig, aber doch auch das Klima im Vorarlberger Landtag änderte, kann man aus der Wortmeldung des sozialdemo628 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 590, 591, 592, 599 f. 629 Protokoll der 1. Sitzung des Vorarlberger Landtages (LPVlbg), 22. 11. 1932. S. 8, 9.

244

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

kratischen Abgeordneten Linder erkennen, der feststellte  : »Es war zwar sonst nicht üblich, bei der Wahl des Landeshauptmannes viel Worte zu verlieren  ; man hat sich begnügt, die Wahl vorzunehmen. Nun scheint, daß auch in unserem Landtage die Wahl des Landeshauptmannes dazu benützt wird, um gewisse Parteierklärungen abzugeben.«630 Gewiß überraschende Worte eines Oppositionspolitikers. Nach der Vorarlberger Landesverfassung hätte die Christlichsoziale Partei die Möglichkeit gehabt, allein die Landesregierung zu bilden. Sie hatte aber alle anderen Parteien eingeladen, den sechsten Sitz in der Landesregierung zu übernehmen. Die Sozialdemokraten hatten abgelehnt (so wie sie auch einen Sitz im Landtagspräsidium abgelehnt hatten)631, ebenso die NSDAP. Als nächststärkste Partei wurde der Landbund eingeladen, der annahm. So wurde der einzige Abgeordnete des Landbundes, Hermann Nachbaur, zum Landesrat gewählt. Der Abgeordnete der Großdeutschen Partei kam gar nicht mehr zum Zug.632 Zum Landesstatthalter (Landeshauptmann-Stellvertreter) wurde der christlichsoziale Landtagsvizepräsident Dr. Ferdinand Redler gewählt, zu weiteren Landesräten die Christlichsozialen Josef Kennerknecht, Dr. Johann Josef Mittelberger, Josef Schmidt und Adolf Vögel. Sie alle erhielten 18 von 26 Stimmen, acht Stimmzettel waren leer. Von den drei zu wählenden Bundesräten entfielen zwei auf die Christlichsozialen (Dr. Ender, Dr. Emil Schneider) und einer auf die Sozialdemokratische Partei (Anton Linder). In der ersten Sitzung des Vorarlberger Landtages zeigten sich also leichte Änderungen in Richtung Verschärfung des politischen Klimas. Dies war jedoch keinesfalls vergleichbar mit den tiefgreifenden Umwälzungen in den anderen drei genannten Landtagen. • In Wien, Niederösterreich und in etwas abgeschwächter Form auch in Salzburg zeigte sich bereits in den konstituierenden Sitzungen der Landtage nach den Landtagswahlen vom 24. April 1932, daß sich das »politische Klima«, die »politische Kultur« im Praxisfeld der Landtage grundlegend durch den Einzug der Nationalsozialisten geändert hatte. Im Vorarlberger Landtag zeigten sich nur leichte Ansätze in diese Richtung. • In Wien und Vorarlberg war auf Grund der Mehrheitsverhältnisse die Wahl des Landeshauptmannes klar  : In Wien wurde Karl Seitz mit den Stimmen seiner Partei gewählt, die Nationalsozialisten stimmten für einen eigenen Kandidaten, die Christlichsozialen enthielten sich der Stimme. In Vorarlberg erhielt Dr. Ender die Stimmen seiner christlichsozialen Fraktion, die beiden Oppositionsparteien enthielten sich der Stimme. 630 LPVlbg, 22. 11. 1932. S. 9. 631 Vgl. Werner Brandtner, Franz Hämmerle, Johannes Müller, Der Vorarlberger Landtag. In  : Herbert Schambeck (Hg.), Föderalismus und Parlamentarismus in Österreich. Wien 1992. S. 553. 632 Vgl. LPVlbg, 22. 11. 1932. S. 5 ff.

Völlig neue Verhältnisse in den Landtagen und Landesregierungen

245

In Niederösterreich und Salzburg versuchten die Sozialdemokraten – offensichtlich auf Anordnung des sozialdemokratischen Bundesparteivorstandes – die Wahl der christlichsozialen Landeshauptmänner zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern. Sehr wesentlich spielte dabei auch die vorerst ungeklärte bundespolitische Situation im Zusammenhang mit der Bildung der Regierung Dollfuß I herein. Nach Bildung der Regierung Dollfuß gaben die Sozialdemokraten in Niederösterreich und Salzburg ihren Widerstand auf, in Nieder­ österreich ermöglichten sie die Wahl von Dr. Buresch durch Nichtteilnahme, in Salzburg stimmten sie für Dr. Rehrl. • Die Nationalsozialisten beschäftigten alle Landtage gleich in der ersten Sitzung mit einer Reihe von Anfragen und Anträgen, überwiegend populistischer Natur. Dabei zeichnete sich die Strategie der Nationalsozialisten ab, tatsächliche und vermeintliche, aktuelle und z. T. weit zurückliegende Skandale und Korruptionsfälle in den Landtagen zu aktualisieren und als »allgemeingültig« für das »System« darzustellen, das deshalb mit aller Aggressivität abgelehnt wurde. Zu diesen von den Nationalsozialisten problematisierten Themen zählten auch der »Terror« der »alten Parteien« bei Posten- und Ämterbesetzungen sowie die Politikerbezüge und -privilegien. • Besonders in Wien kam bereits in der ersten Landtags- und Gemeinderatssitzung der aggressive Antisemitismus der Nationalsozialisten zum Ausdruck. Die NS-Mandatare waren nicht bereit, eine gedeihliche Arbeit des Landtages zuzulassen, solange mit Dr. Danneberg ein Jude als Landtagspräsident fungierte. Schließlich zogen die Sozialdemokraten Danneberg aus dem Landtag ab und entsandten ihn in die Wiener Landesregierung. Ab diesem Zeitpunkt konnte der Wiener Landtag seine Arbeit ordnungsgemäß aufnehmen. Das Verhalten der Christlichsozialen war insofern unfair, als sie Danneberg als Landtagspräsident Unfähigkeit vorwarfen, weil er den aggressiven Störungen durch die Nationalsozialisten nicht Herr wurde. Im übrigen gingen die Christlichsozialen und die Sozialdemokraten nicht auf die antisemitischen Polemiken der Nationalsozialisten ein. • Schon in den ersten Sitzungen gelang es den Nationalsozialisten, den Keil zwischen Sozial­ demokraten und Christlichsoziale tiefer hineinzutreiben. Es kam zu lautstarken, z. T. tätlichen Auseinandersetzungen unter den Abgeordneten, in die sich manchmal auch die Besucher einmischten. Es ging den NS-Abgeordneten vor allem darum, gemeinsame Mehrheiten gegen eine der beiden Großparteien zustande zu bringen, was partiell auch gelang, vor allem wenn es etwa um die Stärkeverhältnisse in den verschiedenen Landtagsgremien ging. • Sehr deutlich merkte man von Anfang an eine von den Nationalsozialisten immer wieder angewendete Taktik  : die anderen Parteien bis aufs Äußerste zu provozieren und deren zugegebenermaßen oftmals heftige und aggressive Reaktionen lauthals und wehleidig als ungerecht anzuklagen bzw. sich auf die parlamentarischen Rechte extensiv zu berufen (obwohl der Parlamentarismus bei jeder Gelegenheit verunglimpft und abgelehnt wurde). • Auch bei den anderen Parteien läßt sich schon aus den ersten Sitzungen eine – zumindest aus heutiger Sicht unsympathische – Gegenreaktion gegenüber den Nationalsozialisten

246

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

erkennen  : Christlichsoziale und Sozialdemokraten versuchten, die NSDAP in politischen Themen, in denen den Nationalsozialisten von der Öffentlichkeit eine hohe politische Kompetenz zugeordnet wurde, zu übertreffen (z. B. wer ist »deutscher«). • Das aggressive Verhalten der Nationalsozialisten in den ersten Sitzungen der Landtage, in denen sie nun vertreten waren, ließ nichts Gutes erwarten für einen etwaigen Einzug der NSDAP in den Nationalrat nach vorgezogenen Parlaments-Neuwahlen. Diese ersten Erfahrungen dürften auch die ablehnende Haltung der Christlichsozialen gegenüber Neuwahlen sehr stark mitgeprägt haben.

5.2 Die Teilnahme an den Debatten Wenn auch die Anzahl der Wortmeldungen633 eines Abgeordneten bei weitem nicht eine Aussage über seine politische Bedeutung zuläßt, so ist sie doch für die Feststellung der innerparteilichen Hierarchie von Interesse. Selbstverständlich bringt es etwa die Funktion eines Klubobmannes mit sich, daß dessen Zahl von Wortmeldungen merkbar über der von anderen Abgeordneten liegt.634 Ein Gesamtüberblick zeigt, daß offensichtlich in den Landtagen von Salzburg und Niederösterreich die umfassendsten Debatten geführt wurden und hier wohl der lebendigste Länderparlamentarismus bestand. Tabelle 47 Gesamtzahl der Wortmeldungen in den einzelnen Landtagen Land

CS

SD

NS

Gesamt

Wien

19

17

16

52



50

49

58

157

Sbg

130

102

115

347

8

29

12

49

207

197

201

605

Vlbg Gesamt

Im Salzburger Landtag meldete sich der nationalsozialistische Klubobmann Dr. Peisser in der kurzen Zeit, die er dem Landtag angehörte (19. Mai bis 6. Dezember 1932), 22mal zu Wort. Wer tatsächlich nach ihm Klubobmann der nationalsozialistischen Fraktion wurde, läßt sich aus den Protokollen nicht eindeutig erkennen, die Verle633 Reine Berichterstattungen oder Wortmeldungen als Präsident, die nur die Vorsitzführung betreffen, bleiben unberücksichtigt. 634 Untersucht wurde der Zeitraum von der jeweils ersten Landtagssitzung, an der NS-Abgeordnete teilnahmen, bis zum jeweiligen Ausscheiden aus dem Landtag.

Die Teilnahme an den Debatten

247

sung eines offiziellen Schreibens fand nicht statt, jedenfalls aber stellte sich Abg. Otto Vogl als neuer Fraktionsführer vor.635 Er aber scheint in der Folge nicht mehr als der dominierende Abgeordnete auf, diese Rolle übernahm eindeutig der neu angelobte Oberforstrat Ing. Karl Starkel. Er kommt in der Zeit vom 6. Dezember 1932 bis zum 30. Juni 1933 auf insgesamt 36 Wortmeldungen und ist damit Spitzenreiter. Der NSAbgeordnete Alois Reichl meldete sich überhaupt nie zu Wort, das NS-Regierungsmitglied Dr. Ropper kam auf eine reguläre Wortmeldung und eine zusätzliche aus Anlaß der Ruhendstellung der nationalsozialistischen Mandate. Tabelle 48 Anzahl der Wortmeldungen der NS-Mandatare im Salzburger Landtag Ing. Karl Starkel

36

Dr. Max Peisser

22

Erich Wagner

16

VPräs. Franz Koweindl

14

Otto Vogl

13

Leopold Schaschko

12

Alois Reichl



LR Dr. Franz Ropper

2 115

Bei den Christlichsozialen dominierte der Priesterpolitiker und Klubobmann Michael Neureiter mit einer sonst kaum festzustellenden Deutlichkeit  : Er kam auf 71 Wortmeldungen. Neureiter war auch in der Landesregierung noch für das Finanz- und das Schulressort zuständig. Auch Landeshauptmann Rehrl meldete sich im Verhältnis zu den Landeshauptmännern in den anderen Bundesländer ziemlich häufig zu Wort. Ein christlichsozialer Abgeordneter meldete sich überhaupt nicht zu Wort. Tabelle 49 Anzahl der Wortmeldungen der christlichsozialen Mandatare im Salzburger Landtag Michael Neureiter

71

Franz Rehrl

16

Karl Engl

12

Bartlmä Fersterer

10

Adolf Hochleitner

9

635 Vgl. LPSbg, 4. Sitzung. 29. 11. 1932. S. 74.

248

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen Anzahl der Wortmeldungen der christlichsozialen Mandatare im Salzburger Landtag

Josef Preis

3

Johann Straßer

3

Josef Hauthaler

2

Johann Rainer

2

Josef Bachinger

1

Matthias Hutter

1 130

Bei den Sozialdemokraten kam Klubobmann Karl Emminger erwartungsgemäß auf die höchste Zahl von Wortmeldungen, lag aber mit 38 weit hinter seinem christlichsozialen Kollegen. Sehr häufig meldeten sich auch der sozialdemokratische Landtagsvizepräsident Anton Neumayr (23) und der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler (18) zu Wort. Zwei Mitglieder des SD-Landtagsklubs hatten keine Wortmeldungen zu verzeichnen. Tabelle 50 Anzahl der Wortmeldungen der sozialdemokratischen Abgeordneten im Salzburger Landtag Karl Emminger

38

Anton Neumayr

23

Robert Preußler

18

Eduard Baumgartner

17

Stanislaus Pacher Hans Treml

5 1 102

Im Wiener Landtag meldeten sich von den 15 nationalsozialistischen Abgeordneten überhaupt nur fünf zu Wort. Natürlich dominierte der NSDAP-Gauleiter und Stadtrat Alfred Eduard Frauenfeld, gefolgt von Dr. Kurt Hanke und Dr. Walter Riehl. Zu berücksichtigen ist natürlich, daß in Wien die meisten Debatten nicht im Landtag, sondern im Gemeinderat geführt wurden, die jedoch auf Grund der völligen Unterschiedlichkeit der Materien nicht zum Vergleich herangezogen werden können.

Die Teilnahme an den Debatten

249

Tabelle 51 Anzahl der Wortmeldungen der NS-Abgeordneten im Wiener Landtag Alfred Eduard Frauenfeld

5

Dr. Kurt Hanke

4

Dr. Walter Riehl

4

Dr. Richard Suchenwirth

3

Karl Gratzenberger

1 17

Bei den Sozialdemokraten im Wiener Landtag dominierte Dr. Robert Danneberg mit fünf Wortmeldungen, gefolgt von Bürgermeister Seitz mit drei Wortmeldungen. Drei Abgeordnete kamen auf jeweils zwei Debattenbeiträge und drei weitere auf je eine Wortmeldung. Der christlichsoziale Klubobmann Leopold Kunschak meldete sich viermal zu Wort, sein Fraktionskollege Dr. Kotzaurek dreimal. Weitere drei christlichsoziale Abgeordnete kamen auf je zwei Wortmeldungen, weitere sechs lieferten je einen Debattenbeitrag. Man sieht also, daß sich im Wiener Landtag die Wortmeldungen in allen Parteien ziemlich gleichmäßig auf mehrere Abgeordnete aufteilten, wobei die Gesamtzahl der Wortmeldungen im Vergleich zu anderen Landtagen überraschend gering ist. Im Niederösterreichischen Landtag verzeichneten die Nationalsozialisten insgesamt 58 Wortmeldungen (gegenüber 50 Wortmeldungen der Christlichsozialen und 49 der Sozialdemokraten). Es dominierten eindeutig der NS-Landesrat Josef Leopold und der NS-Abgeordnete Mag. Walter Rentmeister. Beide fielen durch ihre besondere Radikalität in ihren Reden auf, während etwa der NS-Abgeordnete Dr. Konrad Höfinger stets ziemlich sachlich argumentierte. Von den acht nationalsozialistischen Abgeordneten meldete sich einer nie zu Wort. Tabelle 52 Anzahl der Wortmeldungen der Nationalsozialisten im Nö. Landtag   Josef Leopold

19

Mag. Walter Rentmeister

16

DDr. Konrad Höfinger

9

Emmo Langer

4

Rudolf Saliger

4

Sepp Autrith

3

Franz Schmid

3

Hermann Reschny/Karl Straßmayer

– 58

250

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Bei den Christlichsozialen dominierten eindeutig Landeshauptmann Dr. Karl Buresch (11), Landesrat Georg Prader (7) und Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Reither (6). Auffallend ist, daß sich 13 der 28 christlichsozialen und sieben der 20 sozialdemokratischen Abgeordneten überhaupt nicht an den Debatten beteiligten. Im Landtag von Vorarlberg dominierten die Sozialdemokraten eindeutig die Debatten mit insgesamt 29 Wortmeldungen. Immerhin aber brachten es die beiden nationalsozialistischen Abgeordneten auf 12 Wortmeldungen, der großdeutsche Abgeordnete auf sieben, während es die 18 christlichsozialen Abgeordneten insgesamt auf nur acht Wortmeldungen brachten. Von den Christlichsozialen meldeten sich im untersuchten Zeitraum nur vier Abgeordnete zu Wort. Am häufigsten nahm der sozialdemokratische Bundesrat Anton Linder mit neun Wortmeldungen an den Debatten teil. Die beiden nationalsozialistischen Abgeordneten versuchten zwar auch eine etwas kräftigere Sprache zu sprechen, sind jedoch in keiner Weise mit den radikal formulierenden und Tumulte provozierenden NS-Abgeordneten in den anderen Bundesländern zu vergleichen. Tabelle 53 Übersicht über die Anzahl der Wortmeldungen im Vorarlberger Landtag Sozialdemokraten

Christlichsoziale

Anton Linder

9

Lorenz Dür

3

Wilhelm Sieß

7

Dr. Otto Ender

2

Jakob Bertsch

7

Dr. Johann Mittelberger

2

Fritz Stadler

6

Josef Kennerknecht

1

Nationalsozialisten

Großdeutscher

Rudolf Gunz

8

Meinrad Hämmerle

4

Karl Bösch

7

Aus dieser Aufstellung läßt sich die inferiore Rolle der christlichsozialen Mehrheitspartei in den Landtagsdebatten erkennen, während die Oppositionsparteien sehr eifrig debattierten. Das Regierungsmitglied des Landbundes meldete sich kein einziges Mal zu Wort. In Vorarlberg dominierten die Sozialdemokraten eindeutig die Landtagssitzungen. In Niederösterreich und Salzburg, also in jenen Bundesländern, in denen keine Partei über die absolute Mehrheit verfügte und damit der Landesparlamentarismus entscheidend lebendiger war, beteiligten sich die Nationalsozialisten äußerst aktiv an den Debatten und kamen gegenüber den anderen Parteien auf überdurchschnittlich viele Wortmeldungen. Es kristallisierten sich dabei klar dominierende Mandatare heraus. In Wien und Vorarlberg dominierten andere Parteien in den Debatten.

251

Statistische Erhebungen zu den nationalsozialistischen Landtagsinitiativen

5.3 Statistische Erhebungen zu den nationalsozialistischen Landtagsinitiativen Die Nationalsozialisten brachten im Vergleich zu den anderen Landtagsparteien eine ganze Flut von parlamentarischen Initiativen ein, wobei sie sich vor allem in Salzburg des Instrumentes der Dringlichkeit sehr stark bedienten. Auf geschäftsordnungsmäßige Formen, Zuständigkeiten und Kompetenzen nahmen sie bei ihren Initiativen kaum Rücksicht, was ihnen bei den anderen Fraktionen den Vorwurf der Unerfahrenheit einbrachte, sie jedoch kaum beeindruckte. »Wir sehen aus den Schicksalen dieser Anträge, daß die Nazis es den anderen Parteien überließen, sich die Köpfe darüber zu zerbrechen, doch halbwegs einen Sinn aus denselben herauszusuchen«, stellte das Sozialdemokratische Parteiorgan zu den vielen NS-Anträgen fest und gab der Hoffnung Ausdruck, daß sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten entschließen würden, »in Zukunft über die unreifen und kindischen, Agitationszwecken dienenden Demonstrationsanträge der Herren Dr. Peisser und Genossen kurz zur Tagesordnung überzugehen, um sich ja nicht dem Vorwurf auszusetzen, den Geist dieser Herrn erörtert zu haben.«636 Tabelle 54 Anzahl der Initiativen der Fraktionen (Anträge und Anfragen)   Partei

Wien



Salzburg

Vlbg

Gesamt

CS

 4

48

12



 64

SD

17

53

10

12

 92

NS

 8

89

49

 9

155

In Salzburg stellten die Nationalsozialisten 38 Anträge, von denen für 15 die dringliche Behandlung begehrt wurde. Sowohl bei den Christlichsozialen als auch bei den Sozialdemokraten gab es keine dringlichen Anträge, ebenso keine dringlichen Anfragen. Die Nationalsozialisten stellten 10 Anfragen, fünf davon dringlich. Man sieht also, daß das Ziel der Nationalsozialisten war, die anderen Fraktionen in den Zwang der Zustimmung oder Ablehnung zu bringen, weitgehend schon in der Frage, ob die Dringlichkeit zuerkannt werden sollte oder nicht.

636 »Salzburger Wacht«, 7. 6. 1932. S. 6.

252

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Tabelle 55 Anträge und Anfragen der Fraktionen im Salzburger Landtag Anträge

Anfragen

Normal

Dringlich

Gesamt

Normal

Dringlich

CS

12



12





Gesamt –

SD

 6



 6

4



 4

NS

23

15

38

5

5

10

Ges.

41

15

56

9

5

14

Einigermaßen aufschlußreich ist nun in diesem Zusammenhang das Stimmverhalten der einzelnen Parteien, d. h. wie die Landtagsinitiativen einer Erledigung zugeführt wurden. Natürlich führten die nationalsozialistischen Anträge zu den verschiedensten Abstimmungskoalitionen, was ja wohl auch beabsichtigt war. Trotzdem ist interessant, daß von den 38 Anträgen der NSDAP immerhin 16 einstimmig (wenn auch acht davon stark abgeändert) verabschiedet wurden. Am wenigsten Widerspruch erweckten die christlichsozialen Anträge, die allesamt die Zustimmung aller drei Fraktionen erhielten. Von den sechs Anträgen der Sozialdemokraten wurden drei einstimmig (einer davon abgeändert) beschlossen. Eine Abstimmungskoalition von Christlichsozialen und Sozialdemokraten gegen die Nationalsozialisten gab es dreimal, eine solche von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten gegen die Christlichsozialen fünfmal und ein Zusammengehen von Christlichsozialen und Nationalsozialisten bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten gab es in zwei Fällen. Bei zwei Abstimmungen ermöglichte die Sozialdemokratische Partei durch Stimmenthaltung den Christlichsozialen eine Mehrheit gegen die NSDAP, bei elf nationalsozialistischen Initiativen herrschte offenbar Einigkeit zwischen CS und SD, diese nicht zu behandeln. Aussagekräftiger wird diese Analyse natürlich erst bei konkreter Betrachtung des Stimmverhaltens der einzelnen Parteien hinsichtlich der Inhalte und Forderungen der Initiativen. Generell aber läßt sich schon jetzt sagen, daß beide Großparteien sich jedenfalls grundsätzlich nicht gescheut haben, auch mit den Nationalsozialisten zu stimmen. Es war wohl ein großer Fehler, daß Sozialdemokraten und Christlichsoziale nicht mit jener Konsequenz jede parlamentarische Zusammenarbeit mit der NSDAP ablehnten, mit der diese das parlamentarische System ablehnte. Anstatt sich um einen schwarz-roten Kompromiß zu bemühen, scheute man in wesentlichen politischen Fragen auch ein »Bündnis mit dem Teufel« nicht und übersah dabei, daß letztlich immer nur die NSDAP der lachende Dritte war. Man muß es wohl mit denen halten, die – geltend sowohl für Deutschland als in dieser Phase auch für Österreich – behaupten, daß Hitler wesentlich auch deshalb Erfolg hatte, weil »die ›staatstragenden‹ Parteien nicht wußten, was sie der parlamentarischen Demokratie schuldig waren«.637 637 Heinrich August Winkler, Wie konnte es zum 30. Januar 1933 kommen  ? In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 4–5/83. S. 14.

253

Statistische Erhebungen zu den nationalsozialistischen Landtagsinitiativen

Tabelle 56 Erledigung der nationalsozialistischen Anträge Abstimmung

Normal

einstimmig angenommen

15*

Dringlich

Ges.

1**

16

3

8

11

2*

1

3



3

3



2

2

SD Enthaltung

2



2

einstimmig abgelehnt

1***



1

15

38

nicht behandelt CS/SD – NS + SD/NS + CS – CS – SD Enthaltung NS + CS/NS +

Gesamt

23

* davon acht in abgeänderter Form ** abgeändert *** Formalfehler

Tabelle 57 Erledigung der sozialdemokratischen Anträge einstimmig angenommen

3 (davon einer abgeändert)

SD/NS + CS –

2

nicht erledigt

1

Gesamt

6

Ein wesentlich ruhigeres Bild zeigt die Analyse der parlamentarischen Erledigung von Regierungsvorlagen, Petitionen und Berichten der Landesregierung. Von insgesamt 91 solchen Geschäftsstücken wurden 75 einstimmig und nur sieben mehrstimmig erledigt. Neun wurden nicht behandelt.

254

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Tabelle 58 Abstimmung einstimmig angenommen

Regierungsvorlagen

Berichte der ­Landes­regierung

Petitionen

36

25

14

4

1







1

CS/SD + NS – CS/NS + SD – SD/NS + CS – Gesamt

1





41

26

15

Eine so genaue Darstellung der Erledigung der im Landtag anhängigen Materien ist nur aus den Protokollen des Salzburger Landtages ersichtlich. Im Landtag von Niederösterreich brachten die Parteien in jenem Zeitraum, in dem die Nationalsozialisten dem Landesparlament angehörten, insgesamt 190 Initiativen (Anträge und Anfragen) ein. 89 davon (= 47%) stammten von den Nationalsozialisten. Tabelle 59 Anträge und Anfragen im niederösterreichischen Landtag Partei

Anträge

Anfragen

Normal

Dringlich

Gesamt

Normal

Dringlich

Gesamt

CS

 35

2

 37

10

1

11

SD

 30

6

 36

17



17

NS

 51



 51

38



38

Gesamt

116

8

124

65

1

66

Diese Aufstellung zeigt, daß in Niederösterreich, anders als in Salzburg, die Nationalsozialisten sich des Instruments der »Dringlichkeit« nicht bedienten, weil sie offenbar erwarteten, daß die beiden anderen Parteien ohnehin die Dringlichkeit nicht zuerkennen würden. In Niederösterreich war es vor allem die Sozialdemokratische Partei, die den »Dringlichen Antrag« benützte, um ihr wichtig erscheinende Anliegen durchzusetzen. Was die parlamentarischen Initiativen insgesamt betraf, so war die Nationalsozialistische Partei eindeutig die aktivste Fraktion. Das Abstimmungsverhalten der einzelnen Fraktionen wird in den Protokollen des Niederösterreichischen Landtages nicht verzeichnet, nur die Tatsache, ob ein Antrag angenommen oder nicht angenommen wurde. Damit ist nicht lückenlos festzustel-

255

Statistische Erhebungen zu den nationalsozialistischen Landtagsinitiativen

len, mit welchen Mehrheiten einzelne Anträge beschlossen wurden. Nur aus manchen Diskussionsbeiträgen ist auf das Abstimmungsverhalten zu schließen. Aus der Statistik und einer Inhaltsanalyse läßt sich entnehmen, daß von den nationalsozialistischen Anträgen nur jene einer Behandlung unterzogen wurden, deren Inhalt überwiegend sachliche Forderungen darstellten, während die sogenannten »Demonstrationsanträge« von den beiden anderen Parteien auf die lange Bank geschoben wurden. Tabelle 60 Übersicht über erledigte und nicht erledigte Anträge Fraktion

erledigt

nicht erledigt

angen.

nicht angen.

CS

20

1

16

SD

16



20

NS

18

2

31

Daraus sieht man, daß der weitaus größte Anteil der nicht behandelten Anträge zu den NS-Anträgen zählte. Damit kann das Nichtbehandeln von NS-Anträgen zu den Strategien der beiden anderen Parteien gegen die Nationalsozialisten angesehen werden. Dies führte dazu, daß sich die Nationalsozialisten beschwerten, »daß auch in der 2. Session des niederösterreichischen Landtages wie in der 1. Session die Praktik geübt wird, daß nur christlichsoziale Anträge in den Landtag kommen, während alle nationalsozialistischen Anträge von vornherein zurückgehalten werden.«638 Auf Grund der vielen und z. T. äußerst langen Debattenbeiträge der Nationalsozialisten beschlossen Christlichsoziale und Sozialdemokraten bereits im Juli 1932, daß Wortmeldungen schriftlich zu erfolgen hätten und nicht durch Handaufheben.639 Als weitere Strategie gegen die Nationalsozialisten beschlossen die Christlichsozialen (in Abwesenheit der Sozialdemokraten), die große Zahl von Resolutionsanträgen der Nationalsozialisten zum Budget 1933 ohne Debatte der Landesregierung zuzuweisen. Damit waren sie vom Landtag weg, es stand der Landesregierung frei, diesen Anträgen nachzugehen oder nicht. Als eine andere Strategie gegen die Nationalsozialisten ist das Ablehnen der Debatte über einen (heiklen) Gegenstand anzusehen. Als etwa der Nationalsozialist Leopold nach einem Bericht von Landeshauptmann Dr. Buresch über Ölfunde in Niederösterreich eine Debatte darüber beantragte, wurde dies von CS und SD abge-

638 LPNÖ, 7. Sitzung. 2. Se. 17. 2. 1933. S. 189. 639 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. 2. Se. 14. 1. 1933. S. 12.

256

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

lehnt.640 Gemeinsam gegen die Sozialdemokraten stimmten die Nationalsozialisten und Christlichsozialen in der Frage der Einführung des Arbeitsdienstes und anläßlich eines Ansuchens um Förderung für eine Privatschule.641 In der Forderung nach Einzahlung der Steuerrückstände der Großgrundbesitzer und bei den Anträgen im Zusammenhang mit der »Selbstausschaltung« des Parlaments und der Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes durch die Bundesregierung fanden sich Nationalsozialisten und Sozialdemokraten zu einer Mehrheit gegen die Christlichsozialen. Auf diese Frage wird noch ausführlicher eingegangen werden. Die Regierungsvorlagen wurden alle angenommen (ein Abstimmungsverhalten ist jedoch nicht erkennbar), die von der Landesregierung vorgelegten Anträge zur Erhöhung der Gemeindeumlagen wurden von den Nationalsozialisten generell abgelehnt, weil sie nicht einsahen, »warum die Gemeinden die Opfer des bisherigen verfehlten Wirtschaftssystems sein sollen  !«642 Im Wiener Landtag zeigt sich vorerst ein etwas anderes Bild. Hier dominiert die Sozialdemokratische Partei, also jene Partei, die mit der absoluten Mehrheit ausgestattet ist, mit insgesamt 17 Landtagsinitiativen, gefolgt von den Nationalsozialisten mit acht und den Christlichsozialen mit vier Initiativen im untersuchten Zeitraum. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß sich allein sechs der zehn sozial­demokratischen Anfragen auf die Zensurmaßnahmen der Bundesregierung nach der Ausschaltung des Parlaments beziehen. Damit versuchte gerade in Wien die Sozialdemokratie die parlamentarische Bühne für bundespolitische Auseinandersetzungen zu nützen, die im Nationalrat nicht mehr möglich waren. Tabelle 61 Anzahl der Initiativen im Wiener Landtag Fraktion

Anträge

Anfragen Dringlich

Gesamt

SD

 4

10

3

13

CS

 3



1

 1

NS

 7



1

14

Normal

 1 15

Wie die einzelnen Anträge erledigt wurden, geht aus den Protokollen nicht hervor. Gerade nationalsozialistische Anträge wurden aber vielfach einfach ohne Behandlung dem Protokoll einverleibt und dem Landeshauptmann übergeben. Dem Antrag auf 640 Vgl. LPNÖ, 2. Sitzung. 2. Se. 22. 12. 1932. S. 16. 641 Vgl. LPNÖ, 2. Sitzung. 1. Se. 3. 6. 1932. S. 61, und LPNÖ, 6. Sitzung. 1. Se. 15. 7. 1932. S. 149 ff. 642 LPNÖ, 2. Sitzung. 2. Se. 22. 12. 1932. S. 33.

257

Statistische Erhebungen zu den nationalsozialistischen Landtagsinitiativen

Dringlichkeit der einen nationalsozialistischen Anfrage stimmte kein Abgeordneter zu, da sich zu diesem Zeitpunkt – wie bereits erwähnt – die Nationalsozialisten noch weigerten, am parlamentarischen Geschehen konstruktiv teilzunehmen, solange mit Robert Danneberg ein Jude die Funktion des Landtagspräsidenten innehatte. Danneberg hatte übrigens diese Anfrage entgegen der Geschäftsordnung, die eine Mindestzahl von 17 Unterschriften vorsah, zur Verhandlung zugelassen.643 Auch der christlichsozialen Anfrage wurde keine Dringlichkeit zuerkannt. Alle Anträge von Christlichsozialen und Nationalsozialisten, die einer Behandlung zugeführt wurden, wurden von der sozialdemokratischen Mehrheit abgelehnt. Die Regierungsvorlagen wurden allesamt von den Sozialdemokraten beschlossen. Abschließend soll noch der Vorarlberger Landtag im Hinblick auf die Initiativen der Parteien untersucht werden. Von den fünf Parteien brachten nur Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und Großdeutsche insgesamt 24 Initiativen ein. Dabei ergibt sich folgendes Bild  : Tabelle 62 Anzahl der Initiativen im Vorarlberger Landtag Fraktion

Anfragen

Anträge

Normal

Dringlich

Normal

Dringlich

SD



1

10

1

NS

5



 5



GD

 2

Unter den 11 Anträgen der Sozialdemokraten sind neun als Initiativanträge bei der Beratung des Landesvoranschlages eingebracht worden. Auch die Nationalsozialisten brachten drei, der großdeutsche Abgeordnete seine zwei Anträge im Zuge der Beratungen zum Landesvoranschlag ein. Drei der sozialdemokratischen Anträge wurden von den Christlichsozialen unterstützt, der Rest wurde abgelehnt. Die nationalsozialistischen Anträge wurden alle von den Christlichsozialen abgelehnt. Das Abstimmungsverhalten der anderen Parteien ist aus den Protokollen nicht ersichtlich. Die Anträge des großdeutschen Abgeordneten wurden in jeweils abgeänderter Form von den Christlichsozialen unterstützt. Alle eingebrachten Anfragen wurden von Landeshauptmann Ender nach Möglichkeit jeweils noch in derselben Sitzung beantwortet. Entscheidend scheint zu sein, daß es den Nationalsozialisten in den Landtagen gar nicht selten gelang, in wechselnden Abstimmungskoalitionen mit Sozialdemokraten bzw. Christlichsozia­ 643 Vgl. LPWien, 2. Sitzung. I. Se. 1. 7. 1932. S. 8.

258

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

len Mehrheiten gegen die jeweils andere Großpartei zustande zu bringen. Diese »partielle Kollaboration« der beiden (überwiegend) demokratischen Parteien mit der eindeutig antidemokratischen NSDAP mußte wohl auch beim Bürger die Hemmschwelle gegenüber den Nationalsozialisten senken. Insofern kann dieses Verhalten der politischen Eliten von Christlichsozialen und Sozialdemokraten als beträchtlicher parlamentarischer Verstoß gegenüber der demokratischen Politischen Kultur angesehen werden. Die Nationalsozialisten nützten ihre Initiativen, um damit die Keile zwischen Christlichsoziale und Sozialdemokraten tiefer zu treiben. Beide Großparteien erwiesen sich in diesem Sinne letztlich als »nützliche Idioten« im Dienste der NSDAP. Es muß aber auch gesehen werden, daß die beiden Großparteien immer wieder gemeinsame Strategien entwickelten, die nationalsozialistischen Initiativen ins Leere gehen zu lassen – überwiegend jedoch in Themenbereichen, die für beide Parteien unangenehm waren. Damit war die politische Wirkung nach außen eher kontraproduktiv.

5.4 Auslieferungsbegehren Ein Symptom für das völlig neue, unruhige, aggressive politische Klima in den Landtagen ist auch die hohe Zahl der Auslieferungsbegehren, mit denen sich die Landesparlamente in diesem kurzen Zeitraum, in denen die Nationalsozialisten in den Landtagen vertreten waren, zu befassen hatten. Politische Auseinandersetzungen wurden immer häufiger vor das Gericht verlagert, die Klage wurde zum Instrument der politischen Auseinandersetzung. Tabelle 63 Übersicht der Auslieferungsbegehren im Wiener Landtag Sitzung

Datum

Name des Abg.

Partei

  3. Sitzung

16. 12. 1932

Gratzenberger Schaffer Zörnlaib

NS NS CS

  4. Sitzung

9. 3. 1933

Frauenfeld Gratzenberger

NS NS

  8. Sitzung

19. 5. 1933

Rzehok Staufer Schleifer

SD SD SD

  9. Sitzung

16. 6. 1933

Gratzenberger Grießler

NS NS

10. Sitzung

30. 6. 1933

Kanitz Rzehok

SD SD

Im Wiener Landtag gab es insgesamt 12 Auslieferungsbegehren, davon betrafen sechs nationalsozialistische, fünf sozialdemokratische Abgeordnete und eines einen christ-

259

Auslieferungsbegehren

lichsozialen Abgeordneten. Vier der Nationalsozialisten wurden nicht ausgeliefert, zwei wurden ausgeliefert. Die fünf Sozialdemokraten wurden nicht ausgeliefert, die Immunität des christlichsozialen Abgeordneten wurde auf dessen eigenen Wunsch aufgehoben. Die Gründe für die Auslieferungsbegehren lagen bei den Nationalsozialisten im Anführen eines verbotenen NS-Aufmarsches, im Aufscheinen als Schriftleiter eines beschlagnahmten NS-Flugblattes, in der Einmischung in einen Streit zwischen einem Nationalsozialisten und einem Polizisten, in einer Wachebeleidigung, in einem Verstoß gegen das Preßgesetz und im Anbringen von Hakenkreuzfähnchen an Lichtleitungen. Die Auslieferungsbegehren der sozialdemokratischen Abgeordneten waren begründet im Unterschreiben eines Flugblattes gegen die Regierung, in der Einmengung in eine Amtshandlung und in der Weitergabe von Waffen. Beim christlichsozialen Abgeordneten Zörnlaib ging es um ein Disziplinarverfahren der Rechtsanwaltskammer. Es zeigte sich also hier eine zunehmende kleinliche Schikane der Regierung gegenüber oppositionellen Mandataren. Der Niederösterreichische Landtag hatte sich mit 18 Auslieferungsbegehren zu befassen, von denen 13 die Nationalsozialisten, drei die Sozialdemokraten und zwei die Christlichsozialen betrafen. Waren es in Wien mehr die Behörden und Gerichte selbst, die gegen Abgeordnete initiativ wurden, wurden in Niederösterreich Auslieferungsbegehren öfter von politisch Tätigen untereinander als Schikane eingesetzt. Tabelle 64 Übersicht der Auslieferungsbegehren im Niederösterreichischen Landtag Sitzung

Datum

Name des Abg.

Partei

1. Session  : 3. Sitzung

23. 6. 1932

4. Sitzung

5. 7. 1932

6. Sitzung

15. 7. 1932

Scharmitzer Schneidmadl Magerl

CS SD CS

Rentmeister Straßmayer

NS NS

Autrith

NS

2. Session  : 2. Sitzung

22. 12. 1932

Rentmeister

NS

3. Sitzung

28. 12. 1932

Leopold Straßmayer Rentmeister Leopold Schmid Autrith Rentmeister Leopold

NS NS NS NS NS NS NS NS

5. Sitzung

31. 12. 1932

Rentmeister

NS

15. Sitzung

16. 6. 1933

Schneidmadl Püchler

SD SD

260

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Die Gründe für die Auslieferungsbegehren lagen überwiegend in Ehrenbeleidigungen und Übertretungen des Versammlungsrechtes. In fünf Fällen allesamt NS-Abgeordnete betreffend – wurde dem Auslieferungsbegehren stattgegeben. Im Salzburger Landtag wurden insgesamt 10 Auslieferungsbegehren gestellt, fünf davon betrafen sozialdemokratische, vier nationalsozialistische Abgeordnete und eines einen christlichsozialen Mandatar. Tabelle 65 Übersicht über die Auslieferungsbegehren im Salzburger Landtag Sitzung 2. Sitzung

Datum

Name des Abg.

Partei

3. 6. 1932

Peisser

NS

5. Sitzung

6. 12. 1932

Rehrl

CS

6. Sitzung

13. 12. 1932

Reichl

NS

7. Sitzung

20. 12. 1932

Treml

SD

9. Sitzung

3. 3. 1933

Starkel Neumayr Treml

NS SD SD

12. Sitzung

24. 3. 1933

Scharizer

NS

14. Sitzung

25. 4. 1933

Emminger

SD

15. Sitzung

12. 5. 1933

Baumgartner

SD

Es ist anhand der Landtagsprotokolle leider nur in einigen Fällen feststellbar, wie die einzelnen Auslieferungsbegehren vom Landtag erledigt wurden. So wurde etwa dem Begehren auf Auslieferung des Landtagsvizepräsidenten Anton Neumayr (SD) mit den Stimmen der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten nicht entsprochen, während die Nationalsozialisten für die Auslieferung stimmten. Neumayr war von einem nationalsozialistischen Funktionär geklagt worden, weil er diesem in der Landtagssitzung vom 20. Dezember 1932 auf dessen Zuruf geantwortet hatte  : »Sie sind ja ein Lausbube.«644 Eine gleiche Mehrheitskonstellation ergab sich beim Auslieferungsbegehren gegen den sozialdemokratischen Abgeordneten Hans Treml, der wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Ehrenbeleidigung bei der turbulenten Landtagssitzung vom 20. Dezember 1932 vom NS-Abgeordneten Reichl geklagt wurde. Es wurde festgestellt, daß die Verletzung des Abgeordneten Reichl – bekräftigt durch die Aussagen anderer Abgeordneter – vermutlich durch einen Sturz herbeigeführt worden war. Christlichsoziale und Sozialdemokraten sprachen sich daher gegen die Auslieferung aus.645 644 Vgl. LPSbg. 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 152 f. 645 Vgl. LPSbg. 11. Sitzung. 17. 3. 1933. S. 202 f.

Inhaltliche Analyse der NSDAP-Initiativen und der Landtagsdebatten

261

Anders wurde im Falle der Klage des Waldemar Freiherrn von Thynen-Adlerflycht gegen den NS-Abgeordneten Starkel – in einer beruflichen Angelegenheit – vorgegangen. Da Starkel selbst Interesse für seine Auslieferung bekundet hatte, sprach sich der Landtag einstimmig für die Strafverfolgung aus.646 Einstimmig gegen die Auslieferung sprach sich der Landtag im Fall einer Klage gegen den Sozialdemokraten Baumgartner wegen eines vom ihm gezeichneten Artikels in der »Salzburger Wacht« aus. Dies hänge klar mit seiner Abgeordnetentätigkeit zusammen, war die Begründung.647 Als nicht zuständig erklärte sich der Landtag einstimmig bei einem Auslieferungsbegehren gegen den Salzburger Bundesrat Scharizer (NS) und verwies das Begehren an den Bundesrat weiter.648 Eine positive Ausnahme machte wieder Vorarlberg  : Es gab im untersuchten Zeitraum kein einziges Auslieferungsbegehren. Die NS-Abgeordneten Rentmeister (5), Leopold (3) und Gratzenberger (3) hatten die meisten Auslieferungsbegehren zu verzeichnen, was insofern nicht verwundern kann, als es sich bei ihnen um besonders aggressiv agierende Nationalsozialisten handelte. Was die Parteien insgesamt betrifft, so ergibt sich folgendes Bild  : Christlichsoziale Sozialdemokraten Nationalsozialisten

4 Auslieferungsbegehren 13 Auslieferungsbegehren 23 Auslieferungsbegehren.

5.5 Inhaltliche Analyse der NSDAP-Initiativen und der Landtagsdebatten Eine inhaltliche Analyse der NSDAP-Landtagsinitiativen und der Debatten zu einzelnen exemplarischen Themenbereichen muß davon ausgehen, daß die eigentlich politisch-sachliche Arbeit auch in den Landtagen der Ersten Republik vor allem in den Ausschüssen geleistet wurde. Darüber liegen jedoch keine Aufzeichnungen vor. Die Analyse der Protokolle der Plenarsitzungen hat daher zu berücksichtigen, daß diese »mehr als Schauplatz antizipierter Wahlreden denn als effektives Diskussionsforum öffentlicher Politik« angesehen werden muß. 649 Dies hat aber wiederum den Vorteil, daß eine Analyse dieser Plenumsdebatten die »Positionsfixierung« der einzel646 647 648 649

Vgl. LPSbg. 11. Sitzung. 17. 3. 1933. S. 153. Vgl. LPSbg. 16. Sitzung. 19. 5. 1933. S. 248. Vgl. LPSbg. 13. Sitzung. 6. 4. 1933. S. 227. Edwin Czerwik, Debattenordnung und Debattenstil. Überlegungen zur Reform des Deutschen Bundestages. In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 24–25/85. S. 18.

262

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

nen Parteien ergibt, also Aufschlüsse über die »Muster zwischenparteilichen Wettbewerbs« gibt und einen Beitrag zum »Nachweis parteispezifischer Kommunikationsbezüge und parteitypischer Kommunikationsverhalten« leistet. Die »Positionsfixierung« zeigt die Anstrengungen der Parteien einerseits für ein günstiges »Selbstbild«, für eine möglichst hohe Zustimmung für die eigene Politik und zum anderen für ein möglichst ungünstiges »Fremdbild«, das einen hohen Zustimmungsentzug für die Politik der anderen Parteien bewirkt.650 Nimmt man eine grobe Typologisierung der Landtagsinitiativen der Nationalsozialisten vor, so kann man zwei Gruppen unterscheiden  : die sachpolitischen und die rein provokatorischen, populistischen Anträge und Anfragen. Letztere wurden von Christlichsozialen und Sozialdemokraten als »Demonstrationsanträge« bezeichnet.651 Während erstere überwiegend als normale Anträge eingebracht und auch viele von ihnen einstimmig (wenn auch oftmals beträchtlich abgeändert) verabschiedet wurden, handelte es sich bei den populistischen Initiativen, die vor allem als Provokation der anderen Parteien gedacht waren, häufig um solche, für die die dringliche Behandlung verlangt wurde. Mit diesen zum Teil sehr polemisch und aggressiv formulierten Anträgen und Anfragen gelang es immer wieder, Christlichsoziale und Sozialdemokraten zu spalten und sie zu einem jeweils gemeinsamen Vorgehen mit den Nationalsozialisten gegen die dritte Partei zu verführen. Dies waren politische Kalküle und bewußte Strategien der NSDAP-Fraktion, die oft auch aufgingen. Tabelle 66 Thematische Zuordnung der nationalsozialistischen Initiativen (Anträge und Anfragen) Sbg.



Wien

Vlbg.

Demonstrationsinitiativen

25

34

4

3

Landwirtschaft

14

13





Bürokratie, Verwaltung

4

4



1

Wirtschaft, Fremdenverkehr

2

1



1

Arbeitslose

1

4

3

2

Schule

1

5



– 2

Landesbudget, Finanz-, Steuerpol.

2

10



Gemeinden



6





Bundesheer



3

1



Verkehrspolitik



2





Katastrophenschäden



7





49

89

8

9

650 Edwin Czerwik, Debattenordnung und Debattenstil. S. 20. 651 Vgl. »Salzburger Chronik«, 3. 6. 1932. S. 7.

Inhaltliche Analyse der NSDAP-Initiativen und der Landtagsdebatten

263

5.5.1 Sachpolitische Initiativen Selbstverständlich war auch der Großteil dieser Gruppe sehr populistisch formuliert und stark der politischen Propaganda unterworfen. Inhaltliche Schwerpunkte waren Angriffe auf Privilegien von (höheren) Beamten und auf die Bürokratie, Hilfen für die Arbeitslosen, für die Landwirtschaft und für die Wirtschaft. Bürokratie und Verwaltung Gleich in der ersten Sitzung des Salzburger Landtages verlangten die Nationalsozialisten eine Initiative von der Bundesregierung zur Einführung einer generellen Bezugshöchstgrenze von S 800,- monatlich für alle öffentlichen Angestellten des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie der Sozialversicherungsanstalten und aller öffentlichen Betriebe. Die dadurch erzielten Einsparungen sollten für eine Erhöhung der Kinderzulagen verwendet werden. Dieser Antrag wurde nicht behandelt.652 Die Nationalsozialisten zielten damit nicht nur auf alle jene, die nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, sondern auch auf die kleineren und mittleren Beamten – früher eine Domäne der Großdeutschen –, die durch die Sanierungsmaßnahmen der Bundesregierung mit entsprechenden Gehaltskürzungen für die Beamten verärgert waren. Sie wurden von den Nationalsozialisten in gezielter Absicht durchaus erfolgreich unterwandert.653 Im Gegensatz zur Regierung, die generelle Gehaltskürzungen der Beamten verordnete, verlangten die Nationalsozialisten die Einführung einer Obergrenze von S 800,– pro Monat, was zwar durchaus populär, angesichts der Tatsache, daß 92,4 Prozent der Beamten aber ein Einkommen zwischen 170 und 500 Schilling bezogen, völlig ineffektiv gewesen wäre.654 Ebenfalls gegen die Landesbeamten gerichtet war ein Antrag, in dem die Nationalsozialisten verlangten, daß solche pragmatisierte Beamten, die bei privatwirtschaftlichen Unternehmungen (z. B. Safe, Landeshypothekenanstalt, LandesbrandschadenVersicherung) ihren Dienst leisteten und meist besser entlohnt waren als sonstige Landesbedienstete, entweder pensioniert werden oder keine höheren Bezüge als Landesbedienstete erhalten sollten. Dieser Antrag wurde einfach der Landesregierung zur Behandlung zugewiesen.655 652 LPSbg. Nr. 19 der Beilagen. 653 Vgl. Walter Goldinger, Verwaltung und Bürokratie. In  : Erika Weinzierl, Kurt Skalnik  : Österreich 1918– 1938. Geschichte der Ersten Republik 1. Graz, Wien, Köln 1983. S. 204 ff.; Emmerich Tálos, Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus. In  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.), »Austrofaschismus«. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934–1938. Wien 1985. S. 36 f. 654 Vgl. »Salzburger Volksblatt«, 7. 4. 1932. S. 1. 655 LPSbg. Nr. 56 der Beilagen.

264

Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

In eine ähnliche Richtung ging die Forderung nach Einführung des jederzeitigen Kontroll- und Revisionsrechtes der Landesregierung bei allen Unternehmungen, an denen das Land finanziell beteiligt war. Als Grund für diese Initiative wurde angegeben, daß in solchen Unternehmungen z. T. Tantiemen und Aufsichtsratsgebühren in nicht vertretbarer Höhe ausbezahlt würden. Für einen Abbau der in diesen Bereichen bezahlten Spitzengehälter hatte sich schon Landeshauptmann Rehrl im Landtag ausgesprochen und verlangt, »daß mindestens die gesetzlich festgelegte, der öffentlichen Kontrolle unterliegende Entschädigung, welche etwa dem Bundeskanzler als dem ersten Regierungsfunktionär des Staates gebührt, für die Bezüge aller irgendwie aus öffentlichen Mitteln dotierten Funktionäre als unübersteigbare Höchstgrenze zu gelten hätte.«656 Man einigte sich daher einstimmig auf eine Prüfung dieser Angelegenheit.657 In Niederösterreich nahmen sich die Nationalsozialisten – in einer gleichgerichteten Initiative wie die Sozialdemokraten – der Straßenwärter an, denen in der ersten Hälfte des Jahres 1932 ihre Gehälter längere Zeit nicht ausbezahlt wurden, während – wie die Nationalsozialisten formulierten – »andererseits Millionenbeträge für volksfremde Elemente zur Verfügung gestellt« wurden. Auch gegen die Ungleichbehandlung der Alt- und Neupensionisten des Landes Niederösterreich, ein langjähriger Zankapfel der Landespolitik, wurden die Nationalsozialisten initiativ.658 Die Absicht des Landesfinanzreferenten, auf Grund der wirtschaftlichen Not die provisorischen Lehrpersonen abzubauen und an deren Stelle Hilfslehrer gegen Stundenentlohnung einzustellen, lehnte die NSDAP in einer Landtagsinitiative ab, da dies zu einer neuerlichen Verschärfung der Arbeitslosensituation führen würde.659 Man sieht also, daß die Nationalsozialisten mit ihren Initiativen im Bereich der Beamtenschaft auf die Unterstützung der unteren, schwächeren bzw. jüngeren Gruppen wie Straßenwärter, Pensionisten und Junglehrer zielten, während sie für die Abschaffung der Privilegien der höheren Beamten eintraten. Die Regierungsparteien wiederum waren gezwungen, auf Grund der großen finanziellen Not die Einsparungsmaßnahmen auf alle Beamten auszudehnen, da nur eine solche Vorgangsweise den notwendigen Einsparungseffekt brachte. Populär aber war diese Vorgangsweise nicht und trieb wahrscheinlich viele Landesbedienstete in die Hände der Nationalsozialisten.660 656 LPSbg. 3. Sitzung, 22. 11. 1932. S. 61 f. 657 LPSbg. Nr. 60 der Beilagen. 658 Vgl. LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 24, und LPNÖ, 4. Sitzung. I. Se. 5. 7. 1932. S. 22 f. Die Bezüge der vor dem 1. 1. 1922 in den Ruhestand getretenen Landesbeamten und Lehrer waren um ca. S 100,– bis S 150,– niedriger. 659 Vgl. LPNÖ, 8. Sitzung. II. Se. 24. 2. 1933. S. 12 f. 660 Vgl. dazu etwa Hans Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik. Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. 13. Stuttgart 1966. Jürgen W. Falter, Hitlers Wähler. S. 242 ff. Gerhard Botz, Soziale »Basis« und Typologie der österreichischen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich. S. 26 ff.

Inhaltliche Analyse der NSDAP-Initiativen und der Landtagsdebatten

265

Arbeitslosigkeit Die steigende Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Not nützten die Nationalsozialisten natürlich auch für sehr populäre Initiativen in den Landtagen. Den Hauptgrund für die Arbeitslosigkeit sahen die Nationalsozialisten, wie zu erwarten, im bestehenden »System«. Gleich in der zweiten Sitzung des Salzburger Landtages wurden die Nationalsozialisten in einer sehr wesentlichen Frage zu »Mehrheitsbeschaffern« für die Sozialdemokraten gegen die Christlichsozialen. Es ging dabei um die Frage einer Landeshilfe für die ausgesteuerten Arbeitslosen. Die Sozialdemokraten hatten die Bereitstellung von Landesmitteln für die ausgesteuerten Arbeitslosen zu einer ihrer wichtigsten Bedingungen für die Wahl Dr. Rehrls zum Landeshauptmann gemacht. Diese Forderung wurde von den Christlichsozialen mit dem Hinweis, daß für die Arbeitslosenfürsorge der Bund und für die Armenfürsorge die Gemeinden zuständig seien, nur vage beantwortet.661 In der Arbeitslosenunterstützung waren 1932 zur Entlastung des Staatshaushaltes Einsparungsmaßnahmen gesetzt worden. In der Arbeitslosenversicherung wurde die Höchstdauer der Unterstützung auf 20 Wochen reduziert, das Ausmaß der Unterstützung herabgesetzt und die Bedingungen für die Anspruchsberechtigung verschärft Dies hatte zur Folge, daß der Anteil der Unterstützten an der Gesamtzahl der Arbeitslosen schrumpfte.662 Durch die 27. Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz waren tatsächlich viele Arbeitslose »ausgesteuert« worden und erhielten daher keinerlei Unterstützung. Nach Ansicht der Sozialdemokraten sollten daher – trotz der anerkannten großen finanziellen Schwierigkeiten – die Länder und Gemeinden bis zu einer zufriedenstellenden Regelung durch den Bund eine Unterstützung für diese Ärmsten der Armen gewähren.663 Im Winter wurden für diese Arbeitslosen im Rahmen der sogenannten »Winterhilfe« in Salzburg Küchen errichtet und Nahrungsmittel und Bedarfsartikel zur Verfügung gestellt. Die Küchen wurden aber mit 30. April wieder eingestellt. In Salzburg gab es im Juni 1932 rund 10.000 Arbeitslose. Der christlichsoziale Landesfinanzreferent Neureiter versuchte durch einen eigenen Antrag zur Beschaffung der finanziellen Mittel für die Arbeitslosen, die Forderung nach direkten Leistungen des Landes zu entschärfen.664 Schließlich aber wurde der sozialdemokratische Antrag mit Unterstützung der Nationalsozialisten, die die Debatte 661 Vgl. Franz Schausberger, Die fast mißlungene Landeshauptmannwahl des Jahres 1932. S. 11 und 15. 662 Vgl. Emmerich Tálos, Sozialpolitik im Austrofaschismus. In  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hg.), »Austrofaschismus«. S. 163. Vgl. auch Rudolf Neck, Adam Wandruszka (Hg.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik, Abteilung VIII, Band I Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß, 20. Mai 1932 bis 18. Oktober 1932. Wien 1980. S. 125 ff. 663 Vgl. LPSbg, Nr. 9 der Beilagen. 664 Vgl. LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 39.

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

wieder zu heftigen Angriffen gegen das System, gegen die Bundesregierung und gegen die Juden nützten, gegen die Stimmen der Christlichsozialen beschlossen. Dies wiederum veranlaßte die Christlichsozialen, von einem »rotbraunen Block« zu sprechen. Ging es den Nationalsozialisten beim eben erwähnten Antrag darum, den Interessen einer sozialdemokratischen Kernschicht zum Durchbruch zu verhelfen, so sollte bei einer anderen Initiative einem Anliegen einer christlichsozialen Wählergruppe entsprochen werden. Nach Ansicht der Christlichsozialen sollte ein gewisser Prozentsatz der Arbeitslosenunterstützung nicht in Geld, sondern in Form von Produkten der Käse- und Milchwirtschaft gegeben werden, die Einfuhr von Käse, Kunstobers und Kunstfett sollte weitestgehend beschränkt und die Prämien für Käseausfuhr angehoben werden. Damit konnten sich die Sozialdemokraten keinesfalls einverstanden erklären, hätte diese Maßnahme doch bedeutet, daß die Arbeitslosen von ihrer ohnehin schon minimalen finanziellen Unterstützung noch einen Teil zugunsten von Käseund Milchlieferungen verloren hätten. Dahinter verbarg sich natürlich auch noch die politische Sorge, daß damit für die Arbeitslosen ein letzter Rest an Freiheit – nämlich die eigene Entscheidung darüber, was man mit der kleinen Arbeitslosenunterstützung anfängt – an die Abhängigkeit von einer christlichsozial dominierten Bevölkerungsgruppe verlorenging. Die Christlichsozialen wiederum meinten, daß man in dieser katastrophalen wirtschaftlichen Situation immer mehr von der Geldwirtschaft zur Naturalwirtschaft übergehen müsse, da Geld nicht vorhanden sei und die Bauern andererseits ihre Produkte nicht anbrächten. Mit dem polemischen Argument, ein Teil der Arbeitslosen verwende die ausbezahlte Unterstützung für Alkohol und die von ihnen vorgeschlagene Regelung garantiere den Familien zumindest Milch und Käse, zollten die Christlichsozialen ihren Tribut an die Nationalsozialisten, die dem Antrag ihre Zustimmung gaben.665 Im Niederösterreichischen Landtag verlangte die NSDAP die Einrichtung eines ständigen sozialpolitischen Ausschusses für Fragen der Arbeitsbeschaffung. Dieser Antrag wurde auch einstimmig beschlossen. Der nationalsozialistische Vorschlag, die ehestmögliche Einführung der Arbeitsdienstpflicht eingehend zu prüfen, fand nur noch die Zustimmung der Christlichsozialen. Die Einrichtung eines freiwilligen Arbeitsdienstes – ein Weg, den in den dreißiger Jahren auch viele andere Staaten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wählten – war von der Bundesregierung Mitte 1932 ins Auge gefaßt und von den Sozialdemokraten heftig kritisiert worden.666 Sozialminister Josef Resch legte diese Maßnahme im Juli 1932 dem Parlament vor, einen Monat später wurde sie mit einigen sozialdemokratischen Änderungsvorschlägen beschlossen. Die Sozialdemokraten, noch mehr aber die Gewerkschaften, sahen im Freiwilligen Arbeitsdienst große Gefahren für die Lohnpolitik, das Arbeitsrecht und die Sozialversicherung und 665 Vgl. LPSbg, 11. Sitzung. 17. 3. 1933. S. 194 ff. 666 Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 61.

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forderten statt dessen ein Arbeitsbeschaffungsprogramm. Großdeutsche und Nationalsozialisten traten für den Freiwilligen Arbeitsdienst als ersten Schritt zu einem (militarisierten) Zwangsarbeitsdienst ein.667 Die Nationalsozialisten sprachen sich daher grundsätzlich für den Freiwilligen Arbeitsdienst aus, meinten aber, daß er nicht sehr zielführend sei, denn der Arbeitsdienst setze ein anderes System voraus als das bestehende. »Heute den Menschen zuzumuten, dem System freiwillig Dienst zu tun, daß vielleicht ein Rothschild neuerdings saniert wird, das ist unmöglich.« Es müsse die Arbeitsdienstpflicht eingeführt werden, in der sich der Arbeiter bewußt sein müsse, »daß er ein Arbeitssoldat der deutschen Nation ist, der auf dem Schlachtfeld der deutschen Arbeit um die Errichtung neuer Werte für das gesamte deutsche Volk kämpft«. Der wirtschaftliche Erfolg sei aber hinter die ethischen Werte zu stellen, es zeigte sich, daß die Nationalsozialisten eindeutig in die Richtung der Militarisierung des Arbeitsdienstes gingen, wie sie ihn später in Deutschland, am 26. Juni 1935, in Form der Arbeitsdienstpflicht für alle Jugendlichen – als Reichsarbeitsdienst – auch verwirklichten.668 Auch in Vorarlberg entbrannte der Streit um den Arbeitsdienst anhand des Einsatzes von Landesmitteln für zusätzliche Winterarbeiten. Während die Christlichsozialen auch die Möglichkeit des Einsatzes des Freiwilligen Arbeitsdienstes in den Gemeinden in Erwägung zogen, lehnten die Sozialdemokraten dies ab, die Nationalsozialisten wiederum zeigten sich skeptisch gegenüber der Wirkung dieser Maßnahme. »Der Weg, Almosen zu geben für die unschuldigen Opfer der Wirtschaftskrise, kann nicht zu dem Ziele führen, das Sie haben. Es gibt aber Momente, wo nichts anderes übrig bleibt, als eben zu diesem Ausweg zu greifen.« Sie traten daher dafür ein, die Landesmittel für die Winterhilfe jenen Gemeinden zur Verfügung zu stellen, die innerhalb von zehn Tagen Arbeitsbeschaffungsprogramme vorlegten, wobei auch die Einführung des Freiwilligen Arbeitsdienstes möglich sein sollte. Die im Freiwilligen Arbeitsdienst zur Verteilung gelangenden Lebensmittel dürften aber nach Ansicht der NS-Abgeordneten nicht bei Konsumvereinen, sondern nur bei »bodenständigen Kaufleuten« bezogen werden.669 Im übrigen sahen sie eine langfristige Lösung nur in einem großzügigen Arbeitsbeschaffungsprogramm, v. a. durch die Rheintalmelioration und in der Unterstützung des für Vorarlberg so bedeutenden Stickereigewerbes.670 667 Vgl. Verena Pawlowsky, Werksoldaten, Graue Mandln, 50-Groschen-Dragoner. Der Freiwillige Arbeitsdienst in Österreich. In  : Zeitgeschichte. 17. Jahr. Heft 5. Februar 1990. S. 226–235. Ebenso »Salzburger Wacht«, 16. 6. 1932. S. 1. Bericht von der Präsidentenkonferenz der Arbeiterkammern. Vgl. ebenso Everhard Holtmann, Thesen zur gewerkschaftlichen Politik in der Übergangsperiode von der Demokratie zur Diktatur. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Klasse. S. 795. 668 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 14. 1. 1933. S. 164 ff. Vgl. auch Werner Maser, Das Regime. Alltag in Deutschland 1933–1945. Berlin 1990. S. 77–82. 669 LPVlbg, 4. Sitzung. 13/14. 12. 1932. S. 59 f. 670 LPVlbg, 1. Sitzung. 22. 11. 1932. S. 1.

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Schließlich nochmals zu Niederösterreich. Weil sich die unter großer Not leidenden Arbeitslosen des stillgelegten Zillingsdorfer Kohlebergwerkes einen kleinen Zuverdienst dadurch verschafften, daß sie selbst geringe Mengen von Kohlen förderten und verkauften, wurden ihnen die staatlichen Arbeitslosenunterstützungen für mehrere Monate gestrichen. Auch wenn diese Strafverfügungen rechtlich gedeckt waren, traten die Nationalsozialisten im Niederösterreichischen Landtag gegen »derartige unsoziale Verfügungen gegenüber den bedauernswerten Opfern eines Systems, das gegen Bankjuden weitgehendste Milde walten läßt«, ein, weil es Gegensätze verschärfe und dem Bolschewismus willkommene Zutreiberdienste leiste. Die zurückgehaltenen Arbeitslosenbeiträge sollten noch vor Weihnachten ausbezahlt werden.671 Als Ende Dezember 1932 die Zahl der unterstützten Arbeitslosen in Niederösterreich rund 77.000 erreicht hatte, legten die Sozialdemokraten – die schon im Mai 1932 in einem dringlichen Antrag die Durchführung einer Notopferaktion für die Arbeitslosen verlangt hatten (einstimmig beschlossen) – in einem Antrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein umfassendes 12-Punkte-Programm vor.672 Die Nationalsozialisten verlangten schließlich, daß Arbeitslose verstärkt ins Bundesheer aufgenommen würden, jedoch strikt nach der sozialen Bedürftigkeit, da sie befürchteten, daß die Regierung beabsichtige, »nur solche Elemente in die Wehrmacht zu bringen, die durch ihre verläßliche legitimistische Einstellung die Gewähr bieten, das österreichische Bundesheer zu einem nahen Zeitpunkte volksfeindlichen Zielen dienstbar machen zu können«.673 Offenbar befürchteten sie, daß Sympathisanten der NSDAP keine Aufnahme ins Bundesheer finden würden. Man sieht also, daß die Nationalsozialisten die ständig steigende Arbeitslosigkeit zum Generalangriff gegen das (demokratische) System nützten, die beiden Großparteien für die wirtschaftliche Not veranwortlich machten und als Alternative großzügige Arbeitsbeschaffungsprogramme und die Einführung eines militarisierten Zwangsarbeitsdienstes anboten. Diese Initiativen, kombiniert mit ihren Angriffen gegen die Privilegien von Politikern und höheren Beamten sowie mit ihren aggressiven, antisemitischen Polemiken, blieben bei Arbeitslosen und Arbeitern unterer Einkommensklassen sicher nicht ohne Wirkung. Landwirtschaft Eine Reihe von Initiativen der Nationalsozialisten zielte in Richtung Bauern, bei denen sie auf Grund der katastrophalen Not, die vor allem bei den Gebirgsbauern in Salzburg und bei den Weinbauern in Niederösterreich herrschte, gute Aussicht 671 LPNÖ, 1. Sitzung. II. Se. 15. 12. 1932. S. 46. 672 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 14. 1. 1932. S. 4. 673 LPNÖ, 7. Sitzung. II. Se. 17. 2. 1933. S. 51.

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hatten, Sympathien zu gewinnen. Schließlich hatte sich schon bei der Landtagswahl in Salzburg gezeigt, daß gerade in den Gebirgsgauen die Nationalsozialisten besonders stark auf Kosten der Christlichsozialen zugelegt hatten. 674 Daher war es nicht überraschend, daß die Nationalsozialisten in Salzburg gleich in der ersten Landtagssitzung einen Dringlichkeitsantrag »zur Abwendung des drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs der Gebirgsbauern« einbrachten. Sie forderten von der Bundesregierung das Verbot von zwangsweisen Veräußerungen bäuerlichen Grundbesitzes, sofern diese vom Eigentümer selbst bewirtschaftet und benützt wurden, das Verbot des Zinsenlaufes vom Tage der Klagseinbringung gegen Bauern, das Verbot von Exekutionen bei Vermögen von Kleingewerbetreibenden und Handwerkern, die Übernahme der Notarkosten bei Übergabsverträgen durch den Bund und die vollständige Gebührenfreiheit bei Übertragungen des Eigentums an kleinen und mittleren Bauerngütern.675 Nachdem schon im Ausschuß die Debatte über diesen Antrag sechs Stunden gedauert hatte, entbrannte darüber auch im Plenum eine heftige Diskussion. So sehr die Christlichsozialen als auch die Sozialdemokraten die Notwendigkeit von wirksamen Maßnahmen gegen die drückende Not der Bauern unterstützten, konnte man sich doch nicht auf die generelle Forderung nach Verbot von Exekutionen und nach dem Verbot jeglicher Zinsen für Bauern und kleine Gewerbetreibende einigen. Zu groß wären auch die Auswirkungen bei den anderen Bevölkerungsgruppen gewesen, die ebenfalls in ähnlichen wirtschaftlichen und finanziellen Nöten waren. Die Christlichsozialen hatten daher schon mehrfach, so auch in der konstituierenden Sitzung, in Anträgen die Herabsetzung des Zinsfußes verlangt.676 Schließlich wurde ein Abänderungsantrag der Christlichsozialen, wonach die im NS-Antrag enthaltenen Forderungen sowie der christlichsoziale Antrag auf Herabsetzung des Zinsfußes der Bundesregierung zur Prüfung und eventuellen Verwirklichung übermittelt werden sollten, mit neun Stimmen der Christlichsozialen gegen die Nationalsozialisten und bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten angenommen.677 Eine Erleichterung in der Rückzahlung der z. T. hohen Steuerrückstände der Gebirgsbauern sollte eine (nationalsozialistische) Forderung an die Bundesregierung bringen, daß Holz teilweise zur Abstattung dieser Rückstände angenommen werde. 674 Vgl. die Wahlanalyse der Christlichsozialen in  : »Salzburger Chronik«, 25. 4. 1932. S. 2. Ebenso Franz Schausberger, Die Salzburger Landtagswahl vom 24. April 1932. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. 2/1991. S. 70 ff. Franz Schausberger, Die Landtagswahlen 1932 und ihre Folgen. In  : christliche demokratie. 1–1991/92. S. 121 f. 675 LPSbg. Nr. 16 der Beilagen. 676 Vgl. Franz Schausberger, Josef Hauthaler. Salzburger Bauernführer in schwersten Zeiten. Salzburg 1990. S. 32 f. Ein umfassender christlichsozialer Antrag zur Linderung der bäuerlichen Not wurde am 1. 12. 1931 im Landtag beschlossen. 677 Vgl. LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932, S. 45–53.

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Dazu sollte der Staatsbedarf an Holz und Naturalien möglichst unmittelbar vom Produzenten bestellt werden. Christlichsoziale und Nationalsozialisten wollten dazu noch, daß auch bei der Arbeitslosenfürsorge anstelle von Geld teilweise Naturalien treten sollten, was – wie erwähnt – auf heftigen Widerstand der Sozialdemokraten stieß. Dieser Antrag wurde daher von Christlichsozialen und Nationalsozialisten bei Stimmenthaltung der Sozialdemokraten beschlossen.678 Einem Wunsch der Bauern entsprach der Antrag der Nationalsozialisten nach Herabsetzung der Notariats- und Rechtsanwaltstarife, eine Forderung, die Landeshauptmann Rehrl schon ein Jahr vorher erfolgreich beim zuständigen Ministerium eingebracht hatte. Die Tarife waren tatsächlich spürbar gesenkt worden und sollten nun – nach Ansicht aller drei Parteien – noch einmal drastisch verringert werden. Dies hätte gerade für die vielen Rechtsgeschäfte der Bauern eine beträchtliche Erleichterung dargestellt.679 Eine Forderung, die von der Christlichsozialen Partei in Anträgen bereits in den Jahren 1925 und 1928 erfolgreich erhoben worden war, erneuerten die Nationalsozialisten, nämlich nach Frachtermäßigung auf der Bundesbahn für Vieh-, Futtermittel-, Düngemittel- und Schnittholztransporte. Auch diese Forderung fand, mit einigen Zusätzen, die Zustimmung der beiden anderen Parteien.680 Ein NSDAP-Antrag zur Schaffung eines Riskenausgleichsfonds für finanzschwache Dienstbotenkrankenkassen, der aus den Beiträgen für den Bundeswohn- und Siedlungsfonds gespeist werden sollte, wurde nach langen Beratungen ohne inhaltliche Festlegung an die Landesregierung weitergeleitet.681 Eine dringliche Anfrage und einen Antrag waren den Nationalsozialisten Gerüchte wert, wonach im Finanzministerium Pläne zur Stillegung des Bundesforstebetriebes mit gleichzeitiger Beurlaubung der Hälfte der pragmatisierten Beamten und Kündigung der Hälfte der Vertragsbediensteten bestünden.682 Es war bekanntgeworden, daß von einem Sektionschef im Finanzministerium angeblich die Auswirkungen eines solchen Schrittes, verbunden mit der Einschränkung und Beseitigung der Servitute, Patronate und Konkurrenzstraßen, umfangreich geprüft werden, was natürlich zu neuerlicher Verunsicherung und Beunruhigung der ländlichen Bevölkerung führte. Einstimmig nahmen die Landtagsparteien schließlich die Versicherung der Bundesregierung und des Landeshauptmannes zur Kenntnis, daß seitens der Bundesregierung keinerlei Absicht bestünde, die Bundesforste aufzulassen bzw. die Servitutsrechte in irgendeiner Weise anzutasten. Trotz dieser klaren Haltung des Landtages hatte 678 679 680 681 682

LPSbg, Nr. 106 der Beilagen. LPSbg, Nr. 20 der Beilagen. LPSbg, Nr. 59 der Beilagen. LPSbg, Nr. 66 und 92 der Beilagen. LPSbg, Nr. 95 und 105 der Beilagen.

Inhaltliche Analyse der NSDAP-Initiativen und der Landtagsdebatten

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aber sicher das Hochspielen dieser Frage der NSDAP Sympathien und den anderen Parteien, vor allem den Christlichsozialen, Probleme bei einer ihrer Kernschichten gebracht. Ein Gesetz, das noch heute seine Geltung hat, geht auf gleichzeitige Initiativen des christlichsozialen Landeshauptmann-Stellvertreters und Agrarreferenten der Landesregierung Michael Neureiter und der Nationalsozialisten zurück  : das Erbhofgesetz. Während noch die Vorarbeiten im Amt der Landesregierung für ein solches Gesetz liefen, brachten die Nationalsozialisten im Landtag einen Antrag ein, die Landesregierung solle ein Gesetz vorbereiten, wonach alle alteingesessenen Bauernfamilien ein künstlerisch ausgeführtes Ehrenblatt erhalten sollten, aus dem ersichtlich sein sollte, wie lange die Familie auf dem Besitz seßhaft sei. Damit sollte jenen Familien, die nachweislich mindestens 100 Jahre dieses Anwesen besaßen, das Recht zugesprochen werden, ihren Besitz als »Erbhof« zu bezeichnen. Sowohl sozialdemokratische als auch christlichsoziale Abgeordnete verwiesen darauf, daß in der äußerst schwierigen Zeit für die Bauern eine solche Maßnahme wenig Wert habe, eine Verringerung der Hypothekarschulden und der Zinsenlast würde eine wirksamere Hilfe darstellen. Schließlich wurde auch noch ein christlichsozialer Antrag beschlossen, daß auch für jene Bauern, die mehr als 40 Jahre eine Wirtschaft führten, eine eigene Ehrung eingeführt werde.683 Das Erbhofgesetz684 sah schließlich vor, daß alle jene bäuerlichen Familien, die nachweisen konnten, daß sich der Hof wenigstens 200 Jahre im Besitz derselben Familie befand, ein Diplom erhielten und berechtigt waren, am Hof eine Tafel mit der Aufschrift »Erbhof« anzubringen.685 In Niederösterreich versuchten die Nationalsozialisten die starke Dominanz des christlichsozialen Bauernbundes im landwirtschaftlichen Bereich durch Skandalisierung und Aufzeigen von angeblichen Korruptionsfällen zu schwächen. Ob es sich um angebliche Verfehlungen leitender Angestellter der Lagerhausgenossenschaft Dobermannsdorf, um die geplante Übergabe der Führung der niederösterreichischen landwirtschaftlichen Lehranstalten an die niederösterreichische Landwirtschaftskammer, um den der Bezirksbauernkammer überlassenen Weinkeller des Grafen Kinsky in Matzen, um angebliche Unterschlagungen eines christlichsozialen Landwirtschaftskammer-Vizepräsidenten in der Brennerei-Genossenschaft Baden und Umgebung, um die angebliche »politische Vergewaltigung« von Angestellten der AG für landwirtschaftliche Betriebe oder um die groß aufgezogene Affäre um den Landesmusterkeller handelte, immer versuchte die NSDAP den christlichsozialen Bauernfunktionären

683 Vgl. LPSbg, 5. Sitzung. 6. 12. 1932. S. 88 ff. 684 Salzburger LGBl. Nr. 30/1933 vom 17. 3. 1933. 685 Vgl. Gerhard Jagschitz, Erbhof und Politik. In  : Alfons Dworsky, Hartmut Schider (Hg.), Die Ehre Erbhof. Analyse einer jungen Tradition. Salzburg, Wien 1980. S. 73 f.

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Korruption zum Nachteil der Bauernschaft zu unterschieben.686 Besonders die Umstände um die im Juli 1931 beschlossene Liquidation der N.Ö. Landesmusterkeller A. G. und der darüber gegebene Bericht im Landtag wurde von den Sozialdemokraten, aber vor allem von den Nationalsozialisten für eine heftige Debatte benützt und führten zu Tumulten, so daß die Landtagssitzung mehrmals unterbrochen werden mußte. Der Musterkeller war schon vor dem Zusammenbruch der Monarchie zum Zweck der Propagierung niederösterreichischer Qualitätsweine geschaffen worden und scheiterte nach Erfolgen in der Zeit der Monarchie nach deren Zusammenbruch an dem nunmehr wesentlich kleineren Absatzgebiet. Die Sozialdemokraten sahen die Verantwortung für das Scheitern beim christlichsozialen Landesfinanzreferenten und bei der Verwaltung des Landesmusterkellers. Sie beließen es jedoch bei einer »zärtlichen Kritik« (NS-Abgeordneter Autrith), da sozialdemokratische Vertreter seit Jahren im Verwaltungsrat des Musterkellers saßen. Die Nationalsozialisten bezeichneten die Angelegenheit Landesmusterkeller als »eines der schmutzigsten Kapitel, welches sich innerhalb der letzten Jahre im Lande Niederösterreich zugetragen hat«, das zeige, »in welch niederträchtiger Art und Weise Sie (die Christlichsozialen, d. V.) die Interessen der niederösterreichischen Weinhauerschaft preisgegeben haben«. Falls die Praktiken, die beim Musterkeller angewendet worden waren, zur Regel werden sollten, dann – so der NS-Abgeordnete Autrith zu Christlichsozialen und Sozialdemokraten (»Diebe und Verbrecher«) gewandt – »meine Herren Demokraten der Mitte und der Linken, wäre es besser, wir würden die Tore der Zuchthäuser öffnen«.687 Tatsächlich hatte das Unternehmen ein Passivum von über 1,3 Millionen Schilling erwirtschaftet, die vom Land Niederösterreich übernommen wurden. Über die Verwertung des Landesmusterkellers (Verpachtung, Verkauf oder Führung durch das Land in Eigenregie) sollte dem Landtag bis zum Voranschlag 1933 ein Bericht und Antrag vorgelegt werden. Ihrer ideologischen Ausländerfeindlichkeit entsprechend, benützte die NSDAP den Niederösterreichischen Landtag, um gegen die Beschäftigung ausländischer Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, gegen die Überfremdung von Grund und Boden und gegen die Einfuhr ausländischer landwirtschaftlicher Produkte initiativ zu werden. Die Hauptangriffe der Nazis richteten sich dabei v. a. gegen Tschechen und Slowaken und im Zusammenhang damit gegen die Juden. Die Nationalsozialisten verlangten das Verbot der Beschäftigung von Ausländern, besonders tschechischer und ungarischer Saisonarbeiter, »insolange der inländische Arbeitsmarkt die entsprechenden Kräfte aufzubringen imstande ist.«688 In die gleiche Kerbe hatten sie bereits 686 Vgl. LPNÖ, 3. Sitzung, I. Se. 23. 6. 1932. S. 8  ; 4. Sitzung, I. Se. 5. 7. 1932. S. 13  ; 1. Sitzung. 11. Se. 15. 12. 1932. S. 12  ; 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 8  ; 15. Sitzung. II. Se. WP. 16. 6. 1933. S. 14. 687 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung, I. Se. 15. 7. 1932. S. 226–328. Vgl. auch Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 320. 688 LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 21 f.

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in der ersten Sitzung des Niederösterreichischen Landtages geschlagen, als sie auf Grund der rund 20.000 ausländischen Wanderarbeiter und der in Niederösterreich amtlich vorgemerkten 71.000 Arbeitslosen die schärfste Anwendung des Inlandarbeiterbeschäftigungsgesetzes, strengste Strafen bei dessen Übertretung und den systematischen Abbau der ausländischen Wanderarbeiter verlangten.689 Dieser Antrag wurde sowohl von Nationalsozialisten als auch Christlichsozialen unterstützt, letztere warnten aber vor einem zu radikalen Abbau der ausländischen Saisonarbeiter, da die inländischen Arbeiter zur Zuckerrübenarbeit noch nicht geschult seien. Die Christlichsozialen und Sozialdemokraten konnten es sich nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, daß auch der nationalsozialistische Landtagskandidat und Großgrundbesitzer Graf Hardegg auf seinen Meierhöfen 70 Slowaken beschäftigt habe, ebenso wie der jüdische Großgrundbesitzer Rosenbaum, der 50 Slowaken beschäftigte, was beweise, daß die landwirtschaftlichen Betriebe nicht in der Lage seien, ganz ohne ausländische Arbeitskräfte auszukommen. Überhaupt wurde dieser Antrag der Nationalsozialisten zu einem Generalangriff gegen die Glaubwürdigkeit der Grafen Hardegg und der NSDAP benützt. Vor allem die Sozialdemokraten warfen Hardegg vor, tausende Joch seines umfangreichen Grundbesitzes an die ausländischen Großjuden Löw und an den großjüdischen Zuckerkönig Strakosch verpachtet zu haben, die Löhne an seine Arbeiter nur ganz unregelmäßig auszuzahlen, sodaß diese bereits total verschuldet seien. Ebenso warfen sie ihm vor, er führe die von den Arbeitnehmern eingezahlten Krankenkassenbeiträge nicht ab und vermiete »dumpfe Löcher« als Wohnungen an arme Familien. Der sozialdemokratische Abgeordnete Widmayer versuchte aber auch den Nationalsozialisten Hardegg »in seiner Betätigung als Antisemit« unglaubwürdig zu machen, am Beispiel eines »großen Nazifestes«. Die Schilderung des Sozialdemokraten sei hier wörtlich wiedergegeben  : »Zu dem Feste waren nicht nur die gemeinen Nazis aus den Volke geladen, sondern auch Ehrengäste. Der jüdische Großspirituosenhändler Jakob Kohn aus Hütteldorf hatte gratis und franko für die Gifthütte alle möglichen Schnäpse gespendet. Dafür saß er als Ehrengast am Ehrentische an der Seite des Herrn Grafen. Im Verlaufe des Festes erhob sich der gräfliche Naziführer und Landtagskandidat zu einer Festrede, in der er in blutrünstiger Weise gegen das Judentum und den Marxismus wetterte. Ich überlasse es den Damen und Herren dieses Hauses festzustellen, wer von den beiden – der gräfliche Nazi-Arbeiterführer und Antisemit, oder der jüdische Branntweinschenker Jakob Kohn aus Hütteldorf, der neben ihm am Ehrentische saß – über einen großen Charakterdefekt verfügt. Meiner Meinung nach leiden beide an sehr erheblicher Charakterlosigkeit.«690 Die Nationalsozialisten äußerten sich zu diesen Feststellungen nicht.

689 LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 66 ff. 690 LPNÖ, 6. Sitzung. I. Se. 15. 7. 1932. S. 363–398 (hier S. 397 f.).

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Gegen die »volks- als auch siedlungspolitisch äußerst gefährliche Verausländerung des Grundbesitzes« v. a. an der tschechoslowakischen Grenze durch den sorglosen Umgang mit dem Grundverkehrsgesetz verlangten die Nationalsozialisten die Annullierung dieser Grundkäufe. Der Verkauf einer Reihe von Grundbesitzungen an »volksfremde Elemente« tschechischer oder tschechisch-jüdischer Herkunft sei eine »einzig dastehende Gewissenlosigkeit gegenüber dem deutschen Volke« und komme dem »erbärmlichsten Volksverrat« gleich. Noch deutlicher drückte es der nationalsozialistische Abgeordnete Rentmeister aus  : »Der ganze deutsche Boden sollte als einziger Naturschutzpark gelten und auf dem Zaun darum sollte stehen  : Juden ist der Eintritt verboten  !«691 In den weiteren Debatten kamen die Nationalsozialisten – wie erwähnt – immer wieder mit den Geschäften ihres Parteigängers Graf Hardegg in Bedrängnis. Trotzdem wurden auch Einzelfälle von den Nazis immer wieder in den Landtag gebracht, wie etwa das Gut »Feldhof« bei Ober-Siebenbrunn, das 1925 an einen Tschechen verkauft worden war und angeblich seit 1931 nicht mehr bebaut wurde, oder der beabsichtigte Verkauf von landwirtschaftlichen Grundstücken an den Juden Meinl im Marchfeld.692 Für die in bitterste Not geratenen Weinbauern verlangten die Nationalsozialisten das Einfuhrverbot für ausländische Weine und Trauben, die Aufhebung der steuerlichen Belastungen, billige und langfristige Kredite, 50prozentige Frachtermäßigung für inländische Weine und die Möglichkeit der Zahlung von Steuern in Eigenbauweinen. Alles populäre Forderungen, denen sich die beiden anderen Parteien nicht verschließen konnten, so daß dieser NS-Antrag als einer der wenigen einstimmig beschlossen wurde.693 Ebenso einstimmig wurde auch die NS-Forderung nach einem Einfuhrverbot von Gurken aus der Tschechoslowakei bzw. zumindest eine Erhöhung des Einfuhrzolles für Gurken beschlossen.694 Populär war auch die Forderung nach Steuerfreiheit für alle über 65 Jahre alten Landwirte, deren Grundbesitz ein Höchstausmaß von acht Joch nicht überstieg, sowie nach einer Erhöhung der Vermögenssteuergrenze und des Existenzminimums bei der Einkommenssteuer. Die NSDAP forderte außerdem, daß die Zwangseintreibungen von Steuerrückständen der Bauern eingestellt werden sollten.695 All diesen für die Bauern sehr attraktiven nationalsozialistischen Forderungen hatten die Christlichsozialen nichts anderes entgegenzusetzen als zahlreiche, aber einfallslose Initiativen zur Hilfe nach Unwetterschäden, die aber auch die Nationalsozialisten zum Anliegen von eigenen Anträgen machten. Aber trotz aller parlamentari691 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 14. 1. 1933. S. 175. 692 LPNÖ, 7. Sitzung. 11. Se. 17. 2. 1933. S. 15 f. und 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 7. 693 LPNÖ, 4. Sitzung. 1. Se. 5. 7. 1932. S. 24 ff. und 6. Sitzung. I. Se. 15. 7. 1932. S. 204 694 LPNÖ, 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 18. 695 LPNÖ, 7. Sitzung. II. Se. 17. 2. 1933. S. 43–45. und 8. Sitzung. II. Se. 24. 2. 1933. S. 9.

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schen Initiativen der NSDAP konnte ihr kein spürbarer Einbruch in die christlichsoziale Bauernschaft gelingen. Was aber gelang, war »ein partielles Aufsaugen der Bauern, sofern sie in der deutschnationalen Richtung der Heimwehr und im Landbund organisiert waren«, womit in der nationalsozialistischen Durchbruchsphase 1932/33 die Bauern in der NSDAP jenes Niveau erreichten, »das etwa dem der Gesamtgesellschaft entspricht«.696 Das heißt, daß die Nationalsozialisten in der Phase ihres parlamentarischen Agierens 1932/33 die Bauern aus der Heimwehr und dem Landbund übernommen haben.697 Wirtschaft und Fremdenverkehr Für diesen Bereich, in dem sie sich nicht in dem Ausmaß engagierten wie etwa im landwirtschaftlichen Bereich, forderten die Nationalsozialisten in Salzburg eine Novelle des Gesetzes über den Fremdenverkehrsförderungsfonds698 in der Weise, daß die Beiträge zu diesem Fonds nach der Fremdenfrequenz der einzelnen Orte bzw. nach dem Charakter »ausgesprochener« oder »nicht ausgesprochener Kur- und Fremdenort« abgestuft werden sollten.699 Eine populäre Forderung für die ärmeren Nicht-Fremdenverkehrsgemeinden. Das geltende Gesetz sah eine einheitliche Mindestbeitragsleistung vor, die von den Nationalsozialisten als Ungerechtigkeit bezeichnet wurde. Christlichsoziale und Sozialdemokraten lehnten diesen Antrag ab, weil es ihrer Meinung nach nicht möglich war, eine klare Aufteilung von ausgesprochenen und nicht ausgesprochenen Fremdenverkehrsorten vorzunehmen und weil Unternehmungen in ausgesprochenen Fremdenverkehrsorten infolge ihres höheren Umsatzes ohnehin in eine höhere Abgabenkategorie fielen. Der Fremdenverkehr hatte es den Nationalsozialisten insofern auch angetan, als sie meinten, die Kur- und Heilorte seien zu »Pflanzstätten der modernen Afterkultur« geworden, »wo der Mensch moralisch zugrunde gehen muß, denn diese Kurorte und Heilbäder sind jetzt der Tummelplatz der Luxusindustrie geworden und das alles noch vermehrt durch die Spielcasinos, d. h. so richtig das Sodom und Gomorrha in Gestalt von Semmering und Baden nach Niederösterreich zu versetzen«. Sie prophezeiten, daß Niederösterreich zu »einer Kloake des Europäertums moderner Prägung« werde. Diese Kritik gipfelte natürlich – wie nicht anders zu erwarten – im Antisemitismus. 696 Gerhard Botz, »Soziale« Basis. S. 42 und S. 44. 697 Zu den Problemen der agrarhistorischen Forschung im Hinblick auf das Verhältnis von Nationalsozialismus und Teilen der österreichischen Bauernschaft vgl. auch Ulrich Kluge, Agrarpolitik und Agrarkrise 1918–1933. Möglichkeiten und Grenzen agrarhistorischer Forschung in Österreich und Deutschland. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Klasse. S. 629–645. Hier bes. S. 640 f. 698 LGBl. für Salzburg. Nr. 35/1928 vom 2. 3. 1928. Vgl. Georg Stadler, Von der Kavalierstour zum Sozialtourismus. Kulturgeschichte des Salzburger Fremdenverkehrs. Salzburg 1975. S. 274. 699 LPSbg, Nr. 58 der Beilagen.

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»Wer nach Österreich will, wem hier die Landschaft gefällt, dem vergeht die Lust, wenn er einen österreichischen Menschen aus Ostgalizien sieht, der ihn mit seiner Anwesenheit unglücklich macht.«700 Umgekehrt besuchten aus Protest gegen Hitler zahlreiche US-Juden vermehrt etwa die Salzburger Festspiele.701 Besonders populär im Bereiche der Wirtschaft, vor allem beim Gewerbe, war die Forderung der Nationalsozialisten, bei öffentlichen Bauvorhaben die Arbeiten nicht in eigener Regie, sondern unter Heranziehung der Gewerbebetriebe durchführen zu lassen. Ein Vorschlag, der etwa im Wiener Landtag von den Christlichsozialen vehement vertreten wurde. Alle drei Parteien beschlossen im Salzburger Landesparlament – auf Grund eines Antrages der NSDAP –, daß für gewerbliche Arbeiten bei öffentlichen Bautätigkeiten, bei gleicher Offertlegung das einheimische Gewerbe womöglich der eigenen Regie vorzuziehen ist.702 Kurz vor dem Verbot der Nationalsozialistischen Partei versuchten ihre Mandatare im Niederösterreichischen Landtag auch im Bereich der Wirtschaft einen Fall zu skandalisieren, um vor allem bei den kleinen Gewerbetreibenden zu punkten. In einer Anfrage forderten sie Aufklärung darüber, ob in der gewerblichen Krankenkasse in Baden tatsächlich ein Abteilungsvorstand S 30.000,– unterschlagen habe. Die Initiative zielte dabei vor allem auf den Obmann dieser Krankenkasse, den christlichsozialen Nationalratsabgeordneten Kollmann.703 Die NSDAP ließ keine Gelegenheit verstreichen, auch wenn es sich um noch so vage Gerüchte handelte, angebliche Skandale hochgehen zu lassen und den Vertretern der beiden Großparteien, des »Systems«, nach Möglichkeit den Geruch der Korruption anzuhängen. Trotz aller Bemühungen scheinen aber die Nationalsozialisten bei Gewerbe und Handwerkern lange nicht übermäßig Erfolg gehabt zu haben. Zuerst schien der Ständestaat mit seiner berufsständischen Ordnung das attraktivere Modell zu sein, dann erst wurde es die »Volksgemeinschaft«. Jene, deren wirtschaftliche Existenz schließlich gefährdet war, »gingen in ihrer Panik mit wehenden Fahnen in das Lager der Nationalsozialisten über«.704

700 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 14. 1. 1933. S. 179 und S. 185. 701 Vgl. Ernst Hanisch, Wirtschaftswachstum ohne Industrialisierung. Fremdenverkehr und sozialer Wandel in Salzburg 1918–1938. In  : Hanns Haas, Robert Hoffmann, Kurt Luger (Hg.), Weltbühne und Naturkulisse. Zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus. Salzburg 1994. S. 109. 702 LPSbg, Nr. 62 der Beilagen. 703 LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 15. 704 Vgl. dazu eine der wenigen Arbeiten über das Handwerk in der Ersten Republik von Ursula K. M. Resch, Das Aufbäumen der Handwerker gegen die Proletarisierung. Eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Salzburger Handwerks in der Ersten Republik. Phil. Dipl. Salzburg 1994. S. 45. Vgl. ebenso Gerhard Botz, Der Übergang der Mittelstände vom katholischen ins nationalsozialistische Lager. In  : christliche demokratie. 2. Jg. Nr. 4. Dez. 1984. S. 371–384.

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5.5.2 »Demonstrationsinitiativen« Politikerbezüge und -privilegien Als den Schwerpunkt schlechthin ihrer »Demonstrationsanträge und -anfragen« kann man ihr beharrliches und propagandistisch stark begleitetes Polemisieren gegen die Bezüge und Privilegien der Politiker bezeichnen. Sie forderten die Abschaffung von Diäten und Aufwandsentschädigungen für politische Mandatare sowie die Reduzierung der Bezüge der Mitglieder der Landesregierung. Unterstützt wurden diese öffentlichkeitswirksamen Initiativen noch durch die Verpflichtung der NSDAP-Abgeordneten in allen Landtagen, auf ihren Politikerbezug zugunsten ihrer Partei zu verzichten. Besonders intensiv verfolgten die Nationalsozialisten das »PolitikerprivilegienThema« im Niederösterreichischen Landtag. Gleich in der konstituierenden Sitzung forderten sie in einem Antrag, den Bezug der Abgeordneten, der rund 475 Schilling monatlich betrug, abzuschaffen und dafür eine Entschädigung von 30 Schilling für jede Sitzung auszubezahlen. Auch die Entschädigung der Mitglieder der Landesregierung sollte herabgesetzt werden und für die Landesräte nur mehr 800 Schilling, für den Landeshauptmann 1.000 Schilling betragen. Außerdem sollten die Gehälter der Regierungsmitglieder und der Landtagsabgeordneten für drei Monate nicht ausbezahlt und für die Winterhilfe verwendet werden. Für viele, die im Winter 1932/33 große Not litten, natürlich eine äußerst populäre Forderung.705 Die Tatsache, daß die Mitglieder des Finanzkontrollausschusses zusätzlich zu ihrem Bezug pro Sitzung ca. 25,- Schilling erhielten, wurde von den Nationalsozialisten als »Diätenschinderei« bezeichnet und die Abschaffung dieser zusätzlichen Entschädigung verlangt.706 Natürlich waren auch die Dienstautos, die den Mitgliedern der Landesregierung zur Verfügung standen, den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Öffentlichkeitswirksam verlangten sie, die Dienstautos mit 1. August 1932 abzuschaffen. Für Dienstfahrten, aber nicht für Privat- und Parteifahrten der Regierungsmitglieder sollten ab dort insgesamt nur mehr zwei Pkw zur Verfügung stehen. Mit dieser Forderung hatten sie auch tatsächlich Erfolg.707 Außerdem verlangten sie die Umwandlung der Eisenbahnjahreskarte 1. Klasse für die Landtagsabgeordneten auf Karten 3. Klasse. Auch die Bezirksfürsorgeräte sollten nach Ansicht der NSDAP ihre Tätigkeit unentgeltlich ausüben und auf ihre Entschädigung, die einer »ganz und gar ungerechtfertigten Bereicherung von auch sonst schon meist gutversorgten Parteibonzen« gleichkomme, verzichten. Wie sich später herausstellte, hatten die nationalsozialistischen Bezirksfürsorgeräte anfangs auf ihre Entschädigungen verzichtet, sie aber dann doch 705 Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. I. Se. 21. 5. 1932. S. 83 ff. und 2. Sitzung. II. Se. 22. 12. 1932. S. 7 ff. 706 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. I. Se. 15. 7. 1932. S. 31 f. 707 Vgl. LPNÖ, 5. Sitzung. I. Se. 8. 7. 1932. S. 16 ff.

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genommen, da die Aufwendungen zu hoch wurden. Diese Forderung wurde daher von Sozialdemokraten und Christlichsozialen abgelehnt.708 Nach der »Selbstausschaltung« des Parlaments verlangten die Nationalsozialisten im Niederösterreichischen Landtag, daß die Weiterzahlung der Entschädigungen an die Nationalratsabgeordneten sofort eingestellt werde.709 Landeshauptmann Dr. Buresch sah sich immer wieder mit nationalsozialistischen Anfragen betreffend die Höhe seiner Entschädigung als Landeshauptmann, als Nationalrat und als Präsident der NEWAG und dem Vorwurf, er beziehe doppelte Gehälter, konfrontiert. Seine Erklärungen wurden einfach ignoriert und immer wieder die gleichen Vorwürfe erhoben. Sein Nachfolger als Landeshauptmann, Josef Reither, verzichtete schließlich auf Grund des ständigen Drucks seitens der NSDAP völlig auf den vom Land Niederösterreich bezahlten Bezug.710 Einen besonderen Angriffspunkt im Zusammenhang mit politischem Protektionsvorwurf stellte im Niederösterreichischen Landtag Heeresminister Carl Vaugoin dar. Mit der »skrupellosen Unterbringung von Parteileuten in öffentlichen Ämtern« habe die »Protektionswirtschaft« in Österreich einen »nie dagewesenen Höhepunkt« erreicht. Die Nationalsozialisten kramten weit in der Vergangenheit von Vaugoin, dem sie vorwarfen, im Jahr 1915 »weniger auf Grund seiner Vorbildung, als durch seine parteipolitische Stellung, auf merkwürdige Weise in den niederösterreichischen Landesdienst aufgenommen und weitergeführt« worden zu sein und auch während seiner Tätigkeit als Minister das Gehalt als Landesbeamter bezogen zu haben. Landeshauptmann Buresch entkräftete die Vorwürfe und stellte auch klar, daß Vaugoin als Minister nur die um seinen Gehalt als Landesbeamter verkürzten Ministerbezüge erhalte. Der nationalsozialistische Landesrat Leopold negierte alle diese Klarstellungen und blieb bei seinen Vorwürfen, die er schließlich folgendermaßen begründete  : »Mir wurde hier vorgeworfen, daß ich das Gehalt als aktiver Hauptmann beziehe und Politik betreibe. Dem setze ich entgegen, daß Ihr Parteigenosse VAUGOIN Geld vom Lande Niederösterreich nimmt und auch Politik betreibt. Das soll meine Antwort in dieser Angelegenheit sein.« Als ihm von christlichsozialer Seite vorgehalten wurde, daß er im Gegensatz zu Vaugoin neben seinem Landesratsbezug noch den Hauptmann-Gehalt beziehe, antwortete Leopold  : »Das ist ja das Schöne an der Einrichtung, daß Ihr mit Eurem System unsere Bewegung bezahlt. Ich bekomme meinen Gehalt nicht auf die Hand, sondern die Partei bekommt ihn  !«711

708 Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. II. Se. 15. 12. 1932. S. 39 f. und S. 50 f. 12. Sitzung. II. Se. 7. 4. 1933. S. 34 ff. 709 Vgl. LPNÖ, 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1933. S. 25. 710 Vgl. LPNÖ, 4. Sitzung. II. Se. 30. 12. 1932. S. 2 ff  ; 7. Sitzung. II. Se. 17. 2. 1933. S. 47 ff., S.  133 ff. und S. 145 ff. 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 52. 711 Vgl. LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 17 ff  ; 4. Sitzung. I. Se. 5. 7. 1932. S. 29 ff.; 5. Sitzung. I. Se. 8. 7. 1932. S. 49. und S. 51.

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Die Christlichsozialen begannen dann Leopolds »sozialdemokratische Vergangenheit« an das Tageslicht zu bringen, was in der damaligen Situation eine beträchtliche Sensation darstellte. Tatsächlich war Leopold von November 1918 bis Mai 1920 Soldatenrat gewesen und von Julius Deutsch zum Volkswehrleutnant ernannt worden.712 Im Frühjahr 1933 brachten die Nationalsozialisten den Fall Vaugoin neuerlich in den Landtag, indem sie sich auf ein Gerücht beriefen, wonach der Heeresminister vom Landes- in den Bundesdienst überführt worden sei, und zwar als Sektionschef im Staatsrechnungsdienst. Diese Anfrage wurde nicht beantwortet. Tatsächlich wurde Vaugoin erst nach seinem politischen Sturz im Herbst 1933 als General der Infanterie in den Bundesdienst übernommen.713 Eine symptomatische Diskussion spielte sich im Vorarlberger Landtag im Zusammenhang mit einem Antrag der Nationalsozialisten auf Abschaffung der Bezüge für die Landesregierungsmitglieder (mit Ausnahme des Landeshauptmannes und des Landesstatthalters) ab. Daraufhin konterte der christlichsoziale Abgeordnete Dür  : »In der ganzen Welt weiß man doch, daß kein Parteiführer, kein Mensch im öffentlichen Leben für sich selbst so einen Aufwand leistet wie Ihr oberster Führer Hitler. Kein Hotel ist groß genug, kein Auto nobel genug, für Hitler ist kein Aufwand groß genug, keine Rechnung hoch genug, kein Flugzeug ist zu teuer, und auch kein Schlafwagenzug, überall von allem das Beste.«714 In dieser Frage assistierte sogar der sozialdemokratische Abgeordnete Linder den Christlichsozialen, dessen Partei gar nicht in der Landesregierung vertreten war und daher durchaus für die populäre Nazi-Forderung eintreten hätte können  : »Da oben steht Ihr oberster Götze, den beten Sie an, der darf mit dem Flugzeug fahren.« Er lehnte die Forderung der Nationalsozialisten aus sachlichen Gründen ab und nicht, weil es »Liebesverhältnisse zwischen der christlichsozialen Partei und der sozialdemokratischen Partei gibt«. Die Nationalsozialisten taten sich in ihrer Replik schwer  : »Wenn unser Führer Adolf Hitler wie die anderen Herren in einem Hotel absteigt, spielt es keine Rolle, ob das Hotel groß oder klein ist. Auf alle Fälle bezahlt er aus der eigenen Tasche … Wenn man einen Führer einer Volksbewegung, die Millionen umfaßt, dem Deutschland verdanken kann, daß der Bolschewismus nicht Herr geworden ist, wenn man dem ein Auto vorenthält, möchte ich schon sagen, daß er das aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit und nicht aus Parteigeldern bezahlt hat. Es waren das seine eigenen Gelder.« Für diesen krampfhaften 712 Vgl. Ludwig Jedlicka, Gauleiter Josef Leopold (1889–1941). In  : Gerhard Botz, Hans Hautmann, Helmut Konrad (Hg.), Geschichte und Gesellschaft. Wien 1974. S. 145 ff. 713 Vgl. LPNÖ, 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1933. S. 17 ff. Vgl. auch Anton Staudinger, Carl Vaugoin. In  : Friedrich Weissensteiner, Erika Weinzierl (Hg.), Die österreichischen Bundeskanzler. S. 157, und Ludwig Reichhold, Carl Vaugoin. Die Krise der österreichischen Demokratie. Reihe Kurzbiographien. Karlvon-Vogelsang-Institut. Wien 1990. S. 11. 714 LPVlbg, 4. Sitzung. 13./14. 12. 1933. S. 95.

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Versuch, Hitler von den Politikern des »Systems« abzuheben, erntete der NS-Abgeordnete Gunz nur Gelächter.715 Darüber hinaus forderten die beiden NS-Abgeordneten im Vorarlberger Landtag gleich in der ersten Sitzung die Reduzierung der Zahl der Landesregierungsmitglieder auf zwei und nannten die Ablehnung dieser Forderung durch die anderen Parteien einen »ersten Terrorakt« gegen die NSDAP.716 »Märtyrer«-Initiativen Es gehörte unbestreitbar zum nationalsozialistischen Repertoire politischer Taktik, zwar einerseits mit voller Aggressivität und Provokation gegen die anderen, »alten« Parteien auch in den Landesparlamenten vorzugehen, andererseits aber jeden kleinsten Anlaß lauthals dazu zu benützen, sich als verfolgten, unterdrückten, benachteiligten, attackierten und ausgegrenzten Märtyrer darzustellen. Die NSDAP berief sich dabei immer wieder auf ihren Anspruch auf Toleranz und Objektivität in der Demokratie, ohne sich selbst an diesen Kriterien zu orientieren. Das begann z. B. im Salzburger Landtag mit einer Anfrage wegen eines angeblichen Redeverbotes für den »Führer der Deutschen Freiheitsbewegung Adolf Hitler« in Salzburg, was sich als völlig aus der Luft gegriffen und unbegründet herausstellte, aber doch den Nationalsozialisten das Image der ungerecht Verfolgten verlieh.717 Ähnlich im Niederösterreichischen Landtag. Als am 14. Juni 1932 auf der Welle des Deutschlandsenders erstmals »der hervorragende Führer der nationalsozialistischen Bewegung«, Gregor Strasser, über die »Staatsidee des Nationalsozialismus« sprach718 und sich die österreichische RAVAG weigerte, diese Rede ebenfalls zu übertragen und damit – nach Ansicht der NSDAP – »lieber hunderttausende Volksgenossen vor den Kopf stieß, als dem Grundsatze der Objektivität und der Demokratie Rechnung zu tragen«, verlangten die Nationalsozialisten im Niederösterreichischen Landtag, daß die Bundesregierung in Hinkunft »die Objektivität in der Handhabung von Übertragungen staatspolitischer Natur« garantieren und die Übertragung einer geplanten Hitler-Rede durch die RAVAG gewährleisten solle.719

715 LPVlbg, 4. Sitzung. 13/14. 12. 1933. S. 97 f. 716 LPVlbg, 2. Sitzung. 25. 11. 1932. S. 15. 717 LPSbg. Nr. 14 der Beilagen. 718 Ein halbes Jahr später, am 8. 12. 1932, trat Gregor Strasser von allen Parteiämtern zurück, am 30. 6. 1934 wurde er während der Röhm-Affäre von der Gestapo ermordet. Vgl. dazu etwa Zentner, Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches. Augsburg 1993. S. 564, oder Udo Kissenkoetter, Gregor Strasser – NS-Parteiorganisator oder Weimarer Politiker  ? In  : Ronald Smelser, Rainer Zitelmann (Hg.), Die braune Elite I. 22 biographische Skizzen. Darmstadt 1993. S. 282 f. 719 LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 11–15.

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Besonders gerne ergriffen die Nationalsozialisten auch die Initiative gegen angebliche Benachteiligungen ihrer Anhänger bei politischen Karrieren, v. a. im öffentlichen Dienst. So glaubten sie etwa im österreichischen Bundesheer eine »Unterdrückung der von ehrlichem nationalen Denken und Fühlen beseelten Heeresangehörigen« festzustellen und verlangten, daß der Bundespräsident als oberster Befehlshaber dafür sorge, »daß die im österreichischen Bundesheere dienenden Söhne unseres deutschen Volkes … nicht mehr so wie bisher wegen ihres außerdienstlichen nationalen Denkens, Fühlens und Handelns verfolgt und benachteiligt werden«. 720 Ein anderes Mal wurde den Schulverantwortlichen in Niederösterreich vorgeworfen, daß Ausschreibungen von Schuldirektorstellen zeitlich so vorgenommen würden, »daß eine ganze Reihe von Bewerbern, die sich keiner besonderen Begünstigung durch maßgebende politische Parteien oder durch einflußreiche Mitglieder des Landesschulrates erfreuen, von dieser Ausschreibung zu spät Kenntnis erlangen und in weiterer Folge ihre Gesuche nicht mehr rechtzeitig einreichen können«. Dies komme »politischen Schiebungen« und »politischer Korruption« gleich.721 Überhaupt beschwerten sich die NS-Abgeordneten gern über den »Mißbrauch« von Schulen zu »parteipolitischer Verhetzung«, so z. B., als einmal Dr. Karl Lugmayer in einer Veranstaltung der Katholischen Jungmannschaft in der Volksschule Korneuburg zum Thema »Kampf dem Nationalsozialismus. Christenkreuz oder Hakenkreuz« sprach.722 Oder als auf Weisung des Bundeskanzleramtes an die Schulleitungen der Auftrag erteilt wurde, die »Österreichische Wandzeitung« des Österreichischen Heimatdienstes in den Schulgebäuden anzubringen. Damit wurde nach Ansicht der NSDAP »einseitige parteipolitische Propaganda betrieben« und »Parteipropaganda in die Schulen getragen«, was in beiden Fällen zu NS-Anfragen im Landtag führte.723 Besonders empfindlich und wehleidig reagierten die Nationalsozialisten auf angebliche »Überfälle« von Sozialdemokraten, Kommunisten oder Heimwehrlern, die sich meist auf »ruhig nach Hause gehende Nationalsozialisten« stürzten und ihnen schwere Verletzungen zufügten. »Harmlose« Fackelzüge der NSDAP, NS-Propagandatrupps, die »ruhig« Flugblätter verteilten, wurden von »marxistischen Horden« überfallen und verletzt. So jedenfalls konnte man es in den Einleitungen der NS-Landtagsinitiativen lesen. Obwohl bei allen diesen Vorfällen kaum objektiv festzustellen war, welche Seite sie wirklich provozierte, versuchte die NSDAP mit ihrer »Haltet-den-Dieb«-Methode den Eindruck zu erwecken, ihre Anhänger seien die harmlosen Spaziergänger und Zettelverteiler, also Märtyrer, die von brutalen Schlä720 LPNÖ, 2. Sitzung I. Se, 3. 6. 1932, S. 26 f. 721 LPNÖ, 6. Sitzung. I. Se. 15. 7. 1932. S. 9 f. 722 Vgl. LPNÖ, 3. Sitzung. II. Se. 28. 12. 1932. S. 4 IT. 723 Vgl. LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 12 ff.

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gertrupps der »marxistischen Mordhetzer« und Heimwehren ohne Anlaß zusammengeschlagen würden. Vom niederösterreichischen Landeshauptmann verlangten sie dann, er möge dafür sorgen, daß in Hinkunft solche Vorfälle nicht mehr vorkämen und die Angreifer zur Verantwortung gezogen würden.724 Ebenso klagten sie gegen die Aufstellung bewaffneter Heimwehrabteilungen in Niederösterreich, gegen die Durchführung von Heimwehrversammlungen und gegen einen angeblich geplanten Heimwehraufmarsch gegen Wien, der das Land in Unruhe stürzen würde. »Diesem frivolen Spiel mit dem Schicksal Österreichs muß Einhalt geboten werden  !« forderten sie scheinheilig.725 Bemerkenswert ist, daß keine der beiden anderen Parteien auch nur einen der zahlreichen Übergriffe und Provokationen der Nationalsozialisten jemals in einem der vier Landtage thematisierte. Dies, obwohl gerade in der Zeit von Anfang 1932 bis März 1933 die Gewalttätigkeiten durch das militante Auftreten v. a. der SA und SS, die im Kampf gegen den »Marxismus« die Heimwehr weitgehend abgelöst hatten, ein seit Bestehen der Republik noch nicht dagewesenes Ausmaß erreicht hatten. An 34 von 39 gewalttätigen Anlässen im Zeitraum von Anfang Februar 1932 bis Ende 1932 waren die Nationalsozialisten maßgeblich beteiligt.726 Es ist daher völlig unverständlich, daß die Christlichsozialen und Sozialdemokraten in all diesen Fällen das parlamentarische Feld allein den Nationalsozialisten überließen und diesen damit die Möglichkeit gaben, die »Märtyrerrolle« zu spielen. Häufig lamentierten die NS-Abgeordneten bei Beschlagnahme eines nationalsozialistischen Presseorgans im Niederösterreichischen Landtag über die »ungerechte Zensurpraxis« der Bundesregierung. Die Zensur der Bundesregierung treffe nämlich v. a. jene Organe, »welche die vor der internationalen jüdischen Großfinanz kapitulierenden Handlungen der Regierung pflichtgemäß der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen«. Als etwa das niederösterreichische NS-Blatt »Volkskampf« beschlagnahmt wurde, nahmen die Nationalsozialisten in Form einer Anfrage die Gelegenheit wahr, die zensurierten, aggressiv antisemitischen Artikel als Teil der Präambel der Anfrage der Öffentlichkeit zuzuführen.727 Eine Methode, der sich nach der »Ausschaltung« des Nationalrates und der Einführung der verschärften Zensur nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz neben den Nationalsozialisten auch die Sozialdemokraten bedienten. Diese hatten diese Strategie schon im Reichstag der Monarchie gegen die Zensur angewendet. Alle wesentlichen Artikel in den beschlagnahmten sozialdemokratischen Parteiorganen (z. B. »Arbeiter-Zeitung«, »Das Kleine Blatt«, diverse Gewerkschaftsblätter) wurden in den Präambeln der eingebrachten Anfragen in voller Länge zur öffentlichen Verlesung gebracht und damit die Zensur teilweise 724 725 726 727

Vgl. etwa LPNÖ, 7. Sitzung. II. Se. 17. 2. 1933. S. 17–22. Vgl. LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 21–33. Vgl. Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. Insb. S. 186 ff. Vgl. LPNÖ, 1. Sitzung. II. Se. 15. 12. 1932. S. 13–20.

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umgangen. Als Tribüne dafür wurde v. a. der Niederösterreichische Landtag verwendet, weil hier die größte Breitenwirkung zu erwarten war.728 Als die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Nationalsozialisten immer rigoroser wurden, erklärte der NS-Landesrat Leopold am 18. Mai 1933  : »Eine engstirnige Reaktion glaubt durch Versammlungs- und Presseverbote, ja vielleicht durch Auflösung der S. A. und S. S. und schließlich der nationalsozialistischen Partei selber die Wiedergeburt der Nation zu verhindern«, was ihm von seiten der Christlichsozialen den Zwischenruf einbrachte  : »Spannt’s schon was  ?«729 Etwas mehr als einen Monat später, am 23. Juni 1933, beschloß der Niederösterreichische Landtag das Erlöschen der NSDAP-Mandate. Kulturpolitische Themen Ihre Absicht, Christlichsoziale und Sozialdemokraten gegenseitig auszuspielen, verwirklichten die Nationalsozialisten trefflich in verschiedenen kulturpolitischen Fragen. Einmal gelang dies etwa bei der Beratung des Schulaufsichtsgesetzes, das seit langer Zeit im Salzburger Landtag beraten wurde, dessen Beschlußfassung aber immer an den sehr konträren Ansichten der beiden großen Fraktionen scheiterte. Nun war aber bei den Verhandlungen um die Wahl des Landeshauptmannes 1932 von den Christlichsozialen die Bereitschaft signalisiert worden, einer gemeinsamen Neuregelung zuzustimmen.730 Im April 1933 kam es schließlich dazu. Das Gesetz wurde zwar insgesamt einstimmig beschlossen, in zwei Detailfragen aber schenkten die Nationalsozialisten die Gunst und damit die Mehrheit einmal der einen und einmal der anderen Partei. Die Absicht der Sozialdemokraten, den Religionsvertretern in den Ortsschulräten außer in Fragen des Religionsunterrichtes nur beratende Stimme zuzugestehen, wurde gemeinsam von Christlichsozialen und Nationalsozialisten vereitelt. Die Religionsvertreter erhielten volles Stimmrecht. Dafür aber wurde von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten verhindert, daß den Bezirksschulräten auch Lehrer aus Privatschulen (mit Öffentlichkeitsrecht), also vor allem aus kirchlich geführten Schulen, angehören konnten, wie es der Wunsch der Christlichsozialen war.731 Eine ganz tiefe Kluft zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten riß die NSDAP mit ihrem Antrag im Salzburger Landtag betreffend die Betätigung von

728 Vgl. LPNÖ, 9. Sitzung. 11. Se. 14. 3. 1933. S. 5–23  ; 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. 5. 8–19  ; 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1932. S. 9–16. 729 LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 59. 730 Vgl. Franz Schausberger, Die fast mißlungene Landeshauptmannwahl des Jahres 1932. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. I. Jahr, 1991, Nr. 1. S. 10. 731 Vgl. LPSbg, 13. Sitzung, 6. 4. 1933, S. 216 ff. und LPSbg, Nr. 111 der Beilagen.

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Lehrpersonen bei Gottlosen- und Freidenkerverbänden sowie bei den Kinderfreunden auf. Mit besonderer Scheinheiligkeit stellten die Nationalsozialisten fest, daß die Schule ein Instrument »wirklich christlich-deutscher Erziehung und Bildung« sein müsse. Anhand von Beispielen aus sozialistischen Freidenkerzeitschriften versuchten sie nachzuweisen, daß die marxistischen Organisationen der Gottlosen- und Freidenkerverbände sowie die Kinderfreunde sich offen gegen Christentum und Religion stellten. Die NSDAP forderte daher von der Bundesregierung eine gesetzliche Regelung, wonach die aktive Betätigung von Lehrpersonen bei den genannten Organisationen untersagt werde. Daraufhin erklärte der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Preußler, daß es die Sozialdemokraten unter ihrer Würde hielten, den Verhandlungen noch weiter beizuwohnen. Mit dem Hinweis, dies sei ein Antrag, der in der Begründung »eine infernalische Beschimpfung der Sozialdemokraten und eine offenkundige Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, sowie des Artikel 13 der Bundesverfassung und eine beabsichtigte Unterdrückung des Lehrerstandes darstellt«, verließen die Sozialdemokraten die Sitzung. Der NS-Abgeordnete Starkel stellte dann den Zusatzantrag, die Landesregierung möge die Lehrerdienstpragmatik im Sinne des Hauptantrages ergänzen und noch in der Wintersession 1932/33 eine Regierungsvorlage unterbreiten, da der Nationalrat nicht funktionsfähig sei. Die Christlichsozialen tappten prompt in die Falle. Abg. Engl erklärte, daß seine Partei für den Antrag stimmen würde, da »in der Schule Lehrer tätig sein sollen, die auf dem Boden des Christentums stehen, damit sie unsere heranwachsende Jugend im Sinne der christlichen Grundsätze erziehen«. Und dann hören wir dasselbe Argument, das auch den Sozialdemokraten für ihr gelegentliches Zusammengehen mit den Nationalsozialisten dienen mußte  : »Wir wollen die Motive, die die Antragsteller zu dem Antrage geführt haben, nicht untersuchen. Wir nehmen jede Schützenhilfe an, die uns hilft, unserer Jugend eine christliche Erziehung zu garantieren.« So wurde auch dieser Antrag von einer »unheiligen Allianz«, sogar einstimmig (da die Sozialdemokraten ausgezogen waren), beschlossen.732 Auch der alte Konflikt zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten um die Förderung (konfessioneller) Privatschulen wurde von den Nationalsozialisten weidlich ausgenützt. Als dem Niederösterreichischen Landtag etwa ein Ansuchen der Kongregation der Marienbrüder auf Gewährung einer Subvention für ihre Privatschule vorlag, lehnten die Sozialdemokraten dieses Begehren ab, weil sämtliche Lehrkräfte ledig waren, weil vier Lehrer Ausländer (Reichsdeutsche) waren und weil die Kongregation Schulgeld einhob. Den Nationalsozialisten warfen die Sozialdemokraten vor, daß sie 732 Vgl. LPSbg, 13. Sitzung. 6. 4. 1933. S. 227 ff., und LPSbg, Nr. 64 der Beilagen.

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»in allen kulturellen Fragen dieselbe Haltung einnehmen werden, wie sie in vielen Fragen früher die Großdeutschen eingenommen haben, nämlich die Funktion als Laienbrüder und Ministranten der Christlichsozialen und daß sie in diesem Hause die Funktion übernommen haben, die man etwa mit den Worten ›Klingelbeutelhusaren‹ nicht unangemessen bezeichnen kann«. Die Nationalsozialisten erklärten, daß sie »grundsätzlich dafür sind, daß die Schule vom Staat erhalten wird, … daß die Staatsschule eingeführt wird und daß nur Staatsschulen in Betracht kommen«. Sie stimmten aber für den Antrag, weil sie nicht die Verantwortung auf sich nehmen konnten, daß die Kinder in den betreffenden Gemeinde plötzlich keine Hauptschule mehr hätten. Die grundsätzliche Frage wollten sie später aufrollen, dann werde sich zeigen, ob die Sozialdemokraten »nicht wieder so umfallen und sich nicht wieder mit Ihren alten Systemkameraden finden werden, mit denen Sie sich seit 10 Jahren gefunden haben«.733 Angriffe gegen Gemeinden und deren Bürgermeister Es kann als gängiges Instrumentarium der nationalsozialistischen Polemik und Demonstration angesehen werden, daß sie im Landtag immer wieder gegen Ortsgemeinden und ihre Funktionäre aktiv wurden. Dies gipfelte meist in der Forderung nach Auflösung der Gemeindevertretung und Einsetzung eines Regierungskommissärs. Betroffen waren davon die Gemeinden Lend, Hallein, Rauris und Zell am See im Bundesland Salzburg sowie die Gemeinden Ober-Ravelsbach, Flandorf, Ober-Parschenbrunn, Baden, Ernstbrunn in Niederösterreich. Fast immer versuchten die NSAbgeordneten, der jeweiligen Gemeindeverwaltung bzw. dem Bürgermeister finanzielle Unregelmäßigkeiten, Amtsmißbrauch u. ä. zu unterschieben und sie damit in den Geruch der Mißwirtschaft und Korruption zu bringen. Vielerlei Anlaß dazu boten die zahlreichen notwendigen Regierungsvorlagen für die Zuschläge zur Landesgrundund Landesgebäudesteuer, die für jede Gemeinde extra beschlossen werden mußten. Bei einer solchen Regierungsvorlage betreffend die Gemeinde Lend verlangte die NSDAP, die Gemeindevertretung dieser Gemeinde aufzulösen und einen Regierungskommissiär einzusetzen. Als Begründung wurde angegeben, daß die Gewerbetreibenden von der Gemeinde, vor allem vom Gemeindesekretär, mit besonderer Gehässigkeit verfolgt würden.734 Nach überaus heftigen Attacken seitens der Nationalsozialisten (der NS-Abgeordnete Vogl prägte hier den Begriff der »Bettgemeinschaft zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten«735), die zu wilden verbalen Auseinandersetzungen unter den 733 LPNÖ, 6. Sitzung. 1. Se. 15. 7. 1932. S. 149–189. 734 Vgl. LPSbg, 4. Sitzung. 29. 11. 1932. S. 73 ff. 735 Auch im Niederösterreichischen Landtag wurde der Begriff der »schwarz-roten Bettgemeinschaft« verwendet. Vgl. Hermann Riepl, Der Landtag in der Ersten Republik. S. 327.

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Abgeordneten und Tumulten im Zuschauerraum führten, wurde der NS-Antrag abgelehnt. Die Gemeinde Hallein war natürlich ein besonderer Angriffspunkt der Nationalsozialisten, war doch diese Gemeinde traditionell stark sozialdemokratisch dominiert. Sie mußte daher zweimal für nationalsozialistische Landtagsinitiativen herhalten. Schon in der konstituierenden Sitzung wurde von den Nationalsozialisten ein Antrag eingebracht, der sich gegen den sozialdemokratischen Bürgermeister von Hallein, Anton Neumayr, richtete und mit dem versucht wurde, dem Bürgermeister wegen seiner Bürgermeisterbezüge, seiner Dienstwohnung und wegen diverser Geschäftsbeziehungen Unkorrektheiten nachzuweisen. »Mißwirtschaft«, »Korruption und Sumpf« machten eine sofortige Überprüfung der Gemeindegebarung Halleins, die Vorlage des Gebarungsausweises an den Obersten Rechnungshof und disziplinäre Schritte gegen Bürgermeister Neumayr notwendig, argumentierten die Nationalsozialisten. Der Antrag wurde jedoch nie behandelt.736 Ein Jahr später verlangten die Nationalsozialisten, den Gemeinderat von Hallein aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Nach dem Vorschlag von Bürgermeister Neumayr, das Budget durch Einhebung einer besonderen Gemeindesteuer in Form einer Verbrauchsabgabe auszugleichen, war es zu einer Krise in der Gemeindevertretung gekommen. In der Gemeinderatssitzung vom 10. April 1933 hatten die christlichsozialen, großdeutschen und nationalsozialistischen Gemeindevertreter ihre Mandate zurückgelegt, sie dann aber in der nächsten Sitzung – mit Ausnahme der beiden Vertreter des großdeutschen Nationalen Wirtschaftsblocks – wieder aufgenommen, da die Landesregierung die Niederlegung als rechtlich nicht wirksam bezeichnet hatte. Die Christlichsozialen, denen es gelungen war, die Verbrauchsabgabe zu Fall zu bringen, zogen in der Folge wegen weiterer Streitereien mehrfach aus der Gemeindevertretung aus.737 Damit war die Arbeitsfähigkeit der Gemeindevertretung weitgehend eingeschränkt. Auch dieser NS-Antrag kam im Landtag nicht mehr zur Behandlung.738 Erst nach den Februar-Ereignissen des Jahres 1934 wurde die Gemeindevertretung aufgelöst und ein kommissarischer Leiter eingesetzt. Ein ähnlicher Antrag auf Auflösung der Gemeindevertretung und Ausschreibung von Neuwahlen, ebenfalls eingebracht von den Nationalsozialisten in der Sitzung vom 25. April 1933, betraf die Gemeinde Zell am See, in der die wirtschaftliche Lage äußerst schlecht war. Dort hatte eine Mehrheit von 13 : 5 in der Gemeindevertretung dem sozialdemokratischen Bürgermeister Anton Werber, der über keine Mehrheit verfügte, das Mißtrauen ausgesprochen, ohne daß dieser zurückgetreten wäre.739 736 737 738 739

LPSbg, Nr. 17 der Beilagen. Vgl. Halleiner Geschichtsblätter 3. Chronik der Stadt 1927–1938. Hallein 1984. S. 81 f. LPSbg, Nr. 158 der Beilagen. Auf Grund der Gemeindevertretungswahlen vom 30. 3. 1931 setzte sich die Zeller Gemeindevertretung

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Ebenso hatte er sich über Tagesordnungspunkte, hinter denen diese 13 Gemeindevertreter standen, hinweggesetzt, woraufhin diese Gemeindevertreter ihr Mandat zurücklegten und aus ihren Parteien austraten. Somit war auch dort eine äußerst kritische Situation in der Gemeindestube eingetreten. 740 Tatsächlich wurde später die Gemeindevertretung aufgelöst und ebenfalls ein Regierungskommissär eingesetzt. Die Situation wurde aber gerade in Zell am See durch die »Tausendmarksperre« der Nationalsozialisten in Deutschland und dem damit verbundenen Ausfall des Fremdenverkehrs besonders verschärft.741 Ebenso wurden für die Gemeinde Rauris die Auflösung der Gemeindevertretung und Neuwahlen gefordert. Von den 19 Gemeindevertretern waren sieben der nationalen Wirtschaftsgruppe und zwei Mandatare der Wirtschaftspartei von ihren Mandaten zurückgetreten. Auch damit schien der NSDAP eine funktionsfähige Gemeindevertretung nicht mehr gegeben.742 Es scheint aber durchaus so zu sein, daß gerade von den nationalen Gruppen in den einzelnen Gemeinden diese kritischen Situationen provoziert worden sind, um dann von den Nationalsozialisten im Landtag aufgegriffen zu werden. Auch die beiden letzten Anträge wurden nicht mehr vom Salzburger Landtag behandelt. Den Bürgermeistern der genannten niederösterreichischen Gemeinden warfen die Nationalsozialisten finanzielle Unregelmäßigkeiten, Ausschaltung des Gemeinderates, korruptes Handeln, Amtsmißbrauch, Willkür beim Einsatz der örtlichen Polizei und Schikanen gegenüber anderen Parteien, insbesondere gegenüber der NSDAP, vor.743

5.6 Das Verhalten der NSDAP bei den Budgetdebatten Zu den wichtigsten Aufgaben eines Landesparlaments zählt die Beratung und Beschlußfassung des Landesvoranschlages und des dazugehörenden Rechnungsabschlusses. Die Art und Weise der Beratungen sowie das Abstimmungsverhalten geben Aufschluß über das politische Klima in einem Parlament, versuchen doch alle Parteien aus 7 Vertretern der Arbeitsgemeinschaft des christlichen und deutschen Volkes (Wirtschaftsblock), 6 Sozialdemokraten und 6 Hitler-Nationalsozialisten zusammen. Vgl. Ferdinand Hölzl, Pinzgauer Parteienchronik. Band 1  : Die Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Zell am See 1983. S. 279. 740 LPSbg, Nr. 157 der Beilagen. 741 Vgl. Josef Lahnsteiner, Unterpinzgau. Zell am See, Taxenbach, Rauris. Hollersbach 1980. S. 20 f. 742 LPSbg, Nr. 156 der Beilagen. Die Zusammensetzung der Gemeindevertretung in Rauris lautete  : 9 Wirtschaftspartei  : 7 Nationale Wirtschaftsgruppe  : 3 Sozialdemokraten. Vgl. Ferdinand Hölzl, Pinzgauer Parteienchronik. S. 278. 743 Vgl. LPNÖ, 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 11 ff  ; 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1932. S. 6, und 15. Sitzung. II. Se. 16. 6. 1932. S. 16.

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im Zuge dieser Debatten ihre wichtigsten politischen Schwerpunkte zu präsentieren, dafür die notwendigen finanziellen Mittel durchzusetzen, und leiten daraus ihre Zustimmung oder Ablehnung ab. Eine Schlüsselrolle kommt dabei natürlich dem für Finanzen zuständigen Regierungsmitglied – in Wien zuerst Stadtrat Hugo Breitner, dann Stadtrat Robert Danneberg (beide Sozialdemokraten), in Niederösterreich Landesrat Leopold Barsch, später Landesrat Georg Prader (beide Christlichsoziale), in Salzburg der christlichsoziale Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Neureiter und in Vorarlberg der christlichsoziale Landesrat Dr. Johann Josef Mittelberger – zu. In Wien befaßte sich nicht der Landtag, sondern der Gemeinderat mit dem Budget und dem Rechnungsabschluß. Der Rechnungsabschluß 1931 stand in den Sitzungen vom 23., 24. und 25. November 1932 auf der Tagesordnung und wies ein Defizit von 38 Millionen Schilling auf, was natürlich zu heftiger Kritik seitens der Christlichsozialen und der Nationalsozialisten führte. Die Vorlage des Rechnungsabschlusses war die letzte Handlung von Hugo Breitner als für die Finanzen zuständiger Stadtrat. Sobald der Rechnungsabschluß genehmigt war, teilte Breitner seinen Rücktritt mit. Unter heftigen Protesten der Nationalsozialisten wurde Robert Danneberg zu seinem Nachfolger gewählt.744 In den Sitzungen des Wiener Gemeinderates vom 14., 15., 16., 20., 21., 22. und 23. Dezember 1932 wurde der schon von Danneberg vertretene Budgetvoranschlag für das Jahr 1933 beraten. Abgesehen von gelegentlichen Zwischenfällen gingen die Budgetberatungen relativ ruhig über die Bühne. Natürlich zerpflückten die beiden Oppositionsparteien, Christlichsoziale und Nationalsozialisten, das Budget und lehnten es rundweg ab. Die Christlichsozialen brachten zahlreiche Abänderungsanträge ein, die jedoch keine Chance auf eine Mehrheit hatten.745 Im Niederösterreichischen Landtag verlangten die Nationalsozialisten gleich in der zweiten Sitzung die sofortige Vorlage eines Berichtes über den Stand der Landesfinanzen mit Stichtag 21. Mai 1932. Der neugewählte Landtag sollte gleich zu Beginn über die finanzielle Situation des Landes informiert werden.746 Unter Berufung auf einen Landtagsbeschluß vom Dezember 1931 urgierten sie schließlich auch die sofortige Vorlage einer vollständigen Vermögensaufstellung des Landes Niederösterreich, da bis zum Juli 1932 dem Landtag der Rechnungsabschluß des niederösterreichischen Landesfonds weder für das Jahr 1930 noch für das Jahr 1931 vorlag.747 Bevor es also an die Budgetberatungen ging, wollten die Nationalsozialisten eine Art »Eröffnungsbilanz« über die finanzielle Situation des Landes, eine an sich nicht ungebührliche Forderung einer neuen, oppositionellen Partei. Es ist unverständlich, daß gerade von 744 GRPWien, 23., 24., 25. 11. 1932. S. 1365 f, 1652 f. und 1757 f. 745 Vgl. Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. S. 209 ff. 746 Vgl. LPNÖ, 2. Sitzung. I. Se. 3. 6. 1932. S. 20 f. 747 Vgl. LPNÖ, 4. Sitzung. I. Se. 5. 7. 1932. S. 17 f.

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der Christlichsozialen Partei, die den Finanzreferenten stellte, solchen Forderungen in keiner Weise entsprochen wurde und die Anträge keiner Behandlung unterzogen wurden. Dies gab den Nationalsozialisten neuerlich Stoff für ihre Agitation. Der Landesvoranschlag 1933 wurde am 15. Dezember 1932 dem Landtag zugewiesen, im zuständigen Finanzausschuß beraten und lag dem Landtag neuerlich am 30. Dezember vor. Da die sozialdemokratische Fraktion gegen den Vorgang bei der Abstimmung im Finanzausschuß über die Budgetvorlage Einspruch erhoben hatte, verwies Landtagspräsident Fischer die Vorlage an den Finanzausschuß zurück, der sofort wieder zusammentrat.748 Nachdem aber auch in dieser Finanzausschußsitzung der Voranschlag wieder nicht verabschiedet wurde, mußte die Vorlage auch in der tags darauf stattfindenden Landtagssitzung wieder von der Tagesordnung abgesetzt werden, und der Landesfinanzreferent, Landesrat Prader (er vertrat den erkrankten Landesrat Barsch), brachte einen Dringlichen Antrag der Landesregierung betreffend die Ermächtigung zur Führung des Landeshaushaltes in der Zeit vom 1. bis 15. Jänner 1933 ein, der vom Landtag angenommen wurde.749 Zu dieser Forderung nach einem Budgetprovisorium, deren Grund darin lag, daß sich die Parteien auf kein Budget einigen konnten, meldete sich aber kein Abgeordneter zu Wort.750 In den ersten Jännerwochen wurde der Voranschlag im Finanzausschuß noch einmal beraten, einige Änderungen – offensichtlich im Sinne der Sozialdemokraten – vorgenommen und beschlossen, so daß er dem Landtagsplenum in der Sitzung vom 13. Jänner 1933, also am letzten Tag des Budgetprovisoriums, zur Debatte vorlag. Während auf der Ebene des Parlamentes die Fronten zwischen Regierungsparteien und Sozialdemokraten immer schärfer wurden, hatte sich in Niederösterreich eine Art »Große Koalition« für das Zustandekommen des Budgets 1933 gebildet. Die Sozialdemokraten des Landes Niederösterreich wollten offensichtlich »die bisher bestandene Arbeitsgemeinschaft«751 auch beim Budget 1933 weiterführen, wurden jedoch von ihrem Bundesparteivorstand zurückgepfiffen. Im Zusammenhang mit der sozialdemokratischen Zustimmung zu den notwendigen Sparmaßnahmen im niederösterreichischen Landesbudget wollte der Bundesparteivorstand dafür eine Machterweiterung in der Landesregierung und die Aufhebung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes erreichen.752 Die Christlichsozialen waren bereit gewesen, einige Änderungen am Budgetentwurf nach den Wünschen der Sozialdemokraten 748 Vgl. LPNÖ, 4. Sitzung. II. Se. 30. 12. 1932. S. 8. 749 Vgl. LPNÖ, 5. Sitzung. II. Se. 31. 12. 1932. S. 2–8. 750 Zu den Budgetberatungen vgl. die ausführlichen Darstellungen in  : Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 323–329. 751 »Reichspost«, 15. 1. 1933. S. 2. 752 Vgl. Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes vom 19. 12. 1932. S. 2383  : »Beschluß  : Helmer soll Buresch sagen, daß man im Lande Niederösterreich zu keinem Abschluß kommen könne, wenn nicht auch im Bund eine Änderung des Systems (Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz) eintrete.«

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vorzunehmen und insgesamt den Einflußbereich der Sozialdemokraten in der Landesregierung zu erweitern, nicht jedoch das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz abzuschaffen. Als Helmer in der Sitzung des sozialdemokratischen Bundesparteivorstandes am 5. Jänner darüber berichtete, beschloß man, neuerlich zu versuchen, von Bundespräsident Miklas bzw. Bundeskanzler Dollfuß eine Erklärung zu erreichen, daß das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz nicht angewendet werde. Dieser Beschluß wurde mit 8   : 6 Stimmen knapp angenommen. Sollte eine solche Erklärung von Miklas oder Dollfuß nicht zu erreichen sein, trete folgender Antrag Otto Bauers in Kraft  : »Es ist eine Erklärung zu veröffentlichen, daß die Verhandlungen über eine Arbeitsgemeinschaft mit den Christlichsozialen gescheitert seien. Wir ermöglichen das Zustandekommen eines Budgets, stellen aber die uns notwendig erscheinenden Änderungsanträge.«753 Die Bundesparteiführung wollte also offensichtlich über das Verhalten ihrer Landtagsfraktion im Niederösterreichischen Landtag beim Budget 1933 bundespolitischen Druck auf die Regierung Dollfuß ausüben. Daß dies nicht reibungslos ging und daß die Sozialdemokraten im Niederösterreichischen Landtag offensichtlich ganz anderer Meinung und viel konzessionsbereiter gegenüber den Christlichsozialen waren, zeigt sich an einem Bericht im Bundesparteivorstand, wo es heißt  : »Deutsch berichtet, daß die niederösterreichische Landtagsfraktion die Beschlüsse des Parteivorstandes selbstverständlich durchführen werde, aber die Verantwortung für diese Politik nicht trage.«754 Wieder einmal hatte die Bundespolitik ein Näherrücken der beiden Großparteien in einem der wichtigsten Bundesländer verhindert. »Dr. Bauer hat seinen niederösterreichischen Parteifreunden einen schlechten Dienst erwiesen«, kommentierte die »Reichspost«.755 Der christlichsoziale Berichterstatter Klieber gestand ein, daß das Budget 1933 ein »Spiegelbild der wirtschaftlichen Not des gesamten österreichischen Staates« sei und es den »Bemühungen der Landesregierung und der Zusammenarbeit der Parteien im Hause« gelungen sei, »aus einem sogenannten Defizitbudget, das ursprünglich Mitte des Vormonats vorgelegt wurde, ein Budget zur Beratung vorzulegen, das mit einem nicht mehr bedeutenden Abgang abschließt.«756 Dies ist eine deutliche Anerkennung der offenbar konstruktiven Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Der sozialdemokratische Landesrat Schneidmadl erklärte zwar, daß der »drohende Zusammenbruch der Landesfinanzen« vor allem und unmittelbar »die zwangsläufige Folge der verderblichen Finanz- und Wirtschaftspolitik der Christlichsozialen im Bunde und der leichtfertigen Verwaltung, die die christlichsoziale als herrschende Partei im Lande bisher geführt hat«, sei, weshalb die Sozialdemokraten dem Bud753 Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes vom 5. 1. 1933. S. 2386. 754 Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes vom 16. 1. 1933. S. 2389. 755 »Reichspost«, 14. 1. 1933. S. 2. 756 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. 11. Se. 13. 1. 1933. S. 17.

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get 1932 ihre Zustimmung verweigert hätten.757 Gleichzeitig aber betonte er – und dies verdient besonders hervorgehoben zu werden –, daß die Sozialdemokraten bereit gewesen seien, »eine engere Arbeitsgemeinschaft mit der stärksten Partei einzugehen und die Mitverantwortung für Maßnahmen zu tragen, die heute unvermeidbar sind, wenn das Gleichgewicht im Landeshaushalte wieder hergestellt werden soll«. Eine solche »Arbeitsgemeinschaft«, wie Schneidmadl es formulierte, habe aber politische und sachliche Voraussetzungen. »Sie ist im Lande unmöglich, solange die Christlichsozialen im Bunde sich nicht vorbehaltslos auf den Boden der demokratischen Verfassung stellen. Sie ist unmöglich, solange die Christlichsozialen im Lande sich nicht bereit finden, durch eine wirkliche Ordnung des Landeshaushaltes und eine durchgreifende Verwaltungsreform die Mittel für die Durchführung eines ernsthaften Arbeitsbeschaffungsprogramms zu gewährleisten. Es trifft daher die Christlichsozia­ len allein die Verantwortung dafür, daß die engere Zusammenarbeit der Parteien zur Rettung des Landes nicht möglich ist.«758 Die Sozialdemokraten wollten jedoch die Beschlußfassung des Budgets 1933 nicht verhindern, da sie die Verantwortung für die Folgen eines nicht beschlossenen Budgets nicht übernehmen wollten. Andererseits sei die Sozialdemokratische Partei aber auch nicht bereit, die Mitverantwortung für das Budget zu übernehmen, und überließe es den Christlichsozialen, dieses Budget allein zu beschließen und zu verantworten. Die Sozialdemokraten verließen deshalb die Sitzung und nahmen an den weiteren Budgetberatungen nicht mehr teil. Damit war das Budget 1933 gerettet. Auch wenn es weder von den Christlichsozialen noch von den Sozialdemokraten offiziell zugegeben wurde, hatte es im Zusammenhang mit dem Budget 1933 eine »Arbeitsgemeinschaft« zwischen beiden Parteien gegeben, die über ein Anfangsstadium hinauskommen hätte sollen.759 Das kann man auch aus den höhnischen Bemerkungen des nationalsozialistischen Abgeordneten Rentmeister erkennen. Daß schließlich keine tragfähige Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien zustandekam, war – wie schon gezeigt – die Auswirkung der Bundespolitik, die den Landtagsfraktionen enge politische Fesseln anlegte. Der NS-Abgeordnete Rentmeister hielt die wohl längste Rede, die jemals im Niederösterreichischen Landtag gehalten wurde, sie umfaßt rund 150 Protokollseiten und dauerte etwa viereinhalb Stunden. Er redete so lange, um den anderen Parteien »zu zeigen, daß wir von der Demokratie auch den Gebrauch zu machen wissen wie Sie. Warum sollen wir nicht Schwert und Rüstung des Gegners ergreifen, um ihm mit seinen eigenen Waffen eine kleine Terz zu schlagen  ? Es macht mir einen Spaß, die Zeit, wielange ich das Budget glossieren will, davon abhängig zu machen, wie lange meine 757 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 13. 1. 1933. S. 38. 758 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 13. 1. 1933. S. 39 f. 759 Vgl. Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 327.

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Stimmittel hinreichen.«760 Die Absicht der Nationalsozialisten war es, so lange zu reden, daß die Budgetberatungen über den 14. Jänner dauerten. Damit wäre entweder eine Verlängerung des Provisoriums notwendig oder ein ungesetzlicher Zustand gegeben gewesen. Durch einen Geschäftsordnungstrick machten die Christlichsozialen der NSDAP jedoch einen Strich durch die Rechnung.761 Rentmeister geißelte vorerst die Sozialdemokraten wegen ihres Auszuges aus dem Landtag. »So feig ist noch nie eine Fraktion ausgekniffen, wie sich jetzt die Sozialdemokraten von der Verantwortung gedrückt haben«, um »sich möglichst lange an der Futterkrippe zu erhalten«.762 Aus seinem Spott ist zu erkennen, daß es zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten umfassende Verhandlungen gegeben hatte, um eine Beschlußfassung des Budgets 1933 zu ermöglichen. Zum einen hätten die Sozialdemokraten dafür das Schulressort erhalten, zum anderen seien ihnen auch gewisse Teile aus dem Agrarressort angeboten worden. Letzteres sei aber vom Bauernbund verhindert worden. »Es ist einigen Herren ihrer Fraktion zur Ehre anzurechnen, daß sie uns vor diesem Arrangement mit Wirkungsdauer bis zum Sankt Nimmerleinstag, vor diesem bösen Bettgenossenschaftshereinfall bewahrt haben. Herr Landeshauptmannstellvertreter Reither, ein deutscher Bauer, hat von uns absolut zu unterschreibende machtvolle Worte über den Marxismus als dem Feind der deutschen Bauernschaft gesprochen.«763 Offensichtlich hatte es auch innerhalb der Christlichsozialen Partei über die Angebote an die Sozialdemokraten für die Ermöglichung des Budgets heftige Auseinandersetzungen gegeben. Auf Grund des »berühmten Luegertricks« kam es nach dieser langen Generaldebatte über das Budget 1933 praktisch zu keiner Spezialdebatte mehr.764 Es waren zwar noch acht NS-Abgeordnete als Kontraredner gemeldet, der christlichsoziale Abgeordnete Czermak hatte aber gleich am Ende seiner Wortmeldung den Antrag auf Schluß der Rednerliste und auf Wahl von Generalrednern gestellt. Dieser Antrag wurde sofort mit den Stimmen der Christlichsozialen beschlossen, die Christlichsozialen beantragten je einen Generalredner pro und kontra, die Nationalsozialisten vergaßen darauf oder übersahen, dies ebenfalls zu tun. Als dann die beiden Generalredner der christlichsozialen Fraktion auf ihre Wortmeldung verzichteten, ließ der Landtagspräsident sofort den Berichterstatter über die eingelangten Anträge referieren. Die Nationalsozialisten protestierten zwar heftigst, aber ergebnislos. Mit einem Geschäftsordnungstrick war also die Debatte beendet, die zahlreichen Resolutionsanträge der Nationalsozialisten zum Budget wurden mit den Stimmen der Christ760 LPNÖ, 6. Sitzung, II. Se. 13./14. 1. 1933. S. 208. 761 Vgl. »Reichspost«, 15. 1. 1933. S. 2. 762 LPNÖ, 6. Sitzung. 11. Se. 13. 1. 1933. S. 90. 763 LPNÖ, 6. Sitzung. 11. Se. 13. 1. 1933. S. 98. 764 Vgl. »Reichspost«, 15. 1. 1933. S. 3.

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lichsozialen ohne Debatte und ohne inhaltliche Abstimmung der Landesregierung zugewiesen, sodaß die Sitzung knapp vor zwei Uhr früh beendet werden konnte.765 In der Sitzung des Niederösterreichischen Landtages vom 24. Februar 1933 stellte sich heraus, daß das Budget 1932 nicht hielt. Es lagen Anträge für Nachtragskredite in der Höhe von über vier Millionen Schilling vor. Die Sozialdemokraten erklärten, sie hätten schon bei der Beschlußfassung des Budgets 1932, das von Christlichsozialen und Großdeutschen gegen die Sozialdemokraten beschlossen worden war, vorausgesagt, daß es zu diesem Nachtragsbudget kommen müsse, weil das Budget von falschen Voraussetzungen und »Phantasieziffern« ausgegangen sei.766 Die Nationalsozialisten wiederholten ihre bei den Budgetberatungen vorgebrachten Argumente und stimmten gegen das Nachtragsbudget, das mit den Stimmen von Christlichsozialen und Sozialdemokraten angenommen wurde. Der ausgeprägte Konsens der Parteien im Salzburger Landtag hatte es mit sich gebracht, daß die Budgets fast immer einstimmig beschlossen worden waren.767 Mit dem Einzug der Nationalsozialisten in den Salzburger Landtag wurde auch die Debatte über das Budget 1933, die am 22. Dezember 1932 abgeführt wurde, zu einem turbulenten Ereignis. Landesfinanzreferent Neureiter verwies in seiner Budgetrede darauf, daß dieser Landesvoranschlag ein Notbudget darstelle, das ein trauriges Bild biete, »eine Art Photographie unserer Zeit, unserer Notzeit und unseres Elendes«.768 Trotzdem aber war es gelungen, ein ausgeglichenes Budget rechtzeitig vorzulegen, neue Steuern zu vermeiden, dafür aber mußten viele Kürzungen vorgenommen werden. Gut dotiert waren der Sozialbereich sowie der Straßen- und Wasserbau und die Wildbachverbauung, die allesamt zur Arbeitsbeschaffung beitragen sollten. Während die Sozialdemokraten ihren Willen zur Zusammenarbeit beim Landesbudget bekundeten, nützten die Nationalsozialisten die Debatte, um – ohne auf Details des Budgets einzugehen – wieder einmal grundsätzlich über das herrschende »System« herzuziehen. Dazu brachten sie neuerlich den öffentlichkeitswirksamen Antrag auf Abschaffung der – vom Landesfinanzreferenten ohnehin schon gekürzten – Diäten der Landtagsabgeordneten ein. Anstellte der Diäten sollten die Abgeordneten nur ihre tatsächlich anfallenden Barauslagen nach Rechnungslegung monatlich im nachhinein ersetzt erhalten. Während der weiteren Debatte kam es zu einem – offensichtlich von den Nationalsozialisten inszenierten – Wirbel mit Lärmereien, deftigen Schimpfworten und Tätlichkeiten sowohl im Zuschauerraum als auch unter den Abgeordneten. Ein junger nationalsozialistischer Journalist hatte sich von der Journalistenbank aus 765 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 13./14. 1. 1933. S. 263 ff. Ebenso Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 329. 766 Vgl. LPNÖ, 8. Sitzung. II. Se. 24. 2. 1933. S. 67 ff. 767 Vgl. Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. S. 251. 768 LPSbg, 8. Sitzung. 22. 12. 1932. S. 120.

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in die Verhandlungen des Landtages eingemengt, NS-Gauleiter Scharizer trug von der Zuschauerbank zur Provokation so lange bei, bis ein sozialdemokratischer und ein nationalsozialistischer Abgeordneter mit den Sesseln aufeinander losgingen und letzterer am Kopf erheblich verletzt wurde. Der Landtagspräsident verließ daraufhin seinen Platz und unterbrach die Sitzung. Obwohl diese Auseinandersetzungen in erster Linie von den Nationalsozialisten inszeniert waren – offenbar um einen Anlaß zu haben, beim Budget nicht mitstimmen zu müssen –, erklärten sie nach der Sitzungsunterbrechung beleidigt  : »Wir verlassen dieses Haus und verhandeln nicht mehr mit diesen Herren.«769 Natürlich wurden die Vorkommnisse gerade von den Nationalsozialisten in der Öffentlichkeit ganz anders dargestellt.770 Unter Abwesenheit der Nationalsozialisten wurde daraufhin der Landesvoranschlag 1933 von Christlichsozialen und Sozialdemokraten angenommen, der NS-Antrag zur Abschaffung der Landtagsdiäten wurde von diesen beiden Parteien abgelehnt. Für den Rechnungsabschluß 1931, der erst am 6. April 1933 vom Landtag behandelt und beschlossen wurde, lehnten die Nationalsozialisten jede Verantwortung ab, da sie im betreffenden Zeitraum noch nicht im Landtag vertreten waren. Ohne weitere Diskussion wurde dieser Rechnungsabschluß mit den Stimmen von Christlichsozialen und Sozialdemokraten bei Stimmenthaltung der Nationalsozialisten angenommen.771 Im Vorarlberger Landtag – auch hier wieder die Ausnahme – verlief die Budgetdebatte eher ruhig, es kam zu keinen Eskalationen. Der Landesvoranschlag 1933 wurde am 13. und 14. Dezember 1932 behandelt. Der Landesfinanzreferent Dr. Mittelberger wies darauf hin, daß das Budget 1933 sehr stark unter dem Druck der Arbeitslosigkeit stehe und daß »abweichend von früheren Beschlüssen des Landtages das Erträgnis aus den Rücklagen, die ja in Zweckfonden ausgelegt waren, nicht mehr den Rücklagen zugeschrieben werden kann, sondern daß man dieses Erträgnis heranziehen muß, um einen ausgeglichenen Haushaltsplan im Lande erstellen zu können«. Dies zeigt, daß Vorarlberg noch immer über Rücklagen verfügte und damit in einer wesentlich besseren finanziellen Situation war als die anderen Bundesländer. Vorarlberg konnte durch gewisse Einsparungen seine finanzielle Situation im Griff halten, ohne Darlehen aufzunehmen oder Steuern zu erhöhen. Das Ziel sei – wie es Mittelberger formulierte –, »die Zahlen dieses Voranschlages, die als Grenzen aufgestellt sind, auf 769 LPSbg, 8. Sitzung. 22. 12. 1932. S. 143. 770 Vgl. etwa ein Flugblatt der NSDAP unter dem Titel »Skandalszenen im Landtag  !«, in dem festgehalten wurde  : »Mit einer bewundernswerten Ruhe hielt die nationalsozialistische Fraktion Disziplin … Man ersieht aus allem, was diese Systemparteien unter ›sachlicher‹ Mitarbeit verstehen. Wir sollen uns auf das gemeinste beschimpfen lassen und ruhig zusehen, wie die Landtagsmehrheit im Dienste einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung die Lebensmöglichkeit des Volkes erdrosselt.« Herausgegeben von der NSDAP Salzburg, Hitlerbewegung. Archiv der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft. 771 Vgl. LPSbg, 13. Sitzung. 6. 4. 1933. S. 221.

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keinen Fall zu überschreiten, ja, ihnen womöglich fern zu bleiben«, d. h. »sparen, sparen und wieder sparen«.772 Der Finanzausschuß hatte den Voranschlag der Landesregierung mit ganz unwesentlichen Änderungen angenommen. Vom sozialdemokratischen Abgeordneten Linder wurde kritisiert, daß der Voranschlag zu geringe Ansätze für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und im Bereich der sozialen Fürsorge aufweise. Man solle dazu nicht auf zusätzliche Darlehen zurückgreifen (wie das die Christlichsozialen in Wien forderten) und auch nicht auf Steuererhöhungen (was die Sozialdemokraten in Wien taten), sondern auf »die sogenannten toten Schätze«, er meinte die Rücklagen, »die in den sieben fetten Jahren zugeflossen sind  !«773 Nachdem im Finanzausschuß alle Wünsche und Anträge der Sozialdemokraten von der christlichsozialen Mehrheit abgelehnt worden waren, sahen die Sozialdemokraten keinen Anlaß, dem Landesvoranschlag ihre Zustimmung zu geben. Der nationalsozialistische Redner Gunz versuchte zu unterstellen, daß die Rücklagen des Landes in Schweizer Wertpapieren angelegt seien und dadurch große finan­zielle Verluste entstanden seien. Er verlangte den Abbau von Steuern für die Wirtschaft, Einsparungen bei den Politikerbezügen und mehr Geld für die Arbeitsbeschaffung. Nicht überraschend lehnten die Nationalsozialisten den Landesvoranschlag ab. Landesfinanzreferent Mittelberger ging auf die – an sich gemäßigte – Rede des Nationalsozialisten ein und meinte, die NSDAP würde mit ihren Anträgen »den ganzen Voranschlag ausblasen« indem sie die Einnahmen senken und die Ausgaben vermehren wollten und sonst keinen anderen Weg aufgezeigt hätten. Und dann kam eine Bemerkung, die für das moderate Vorarlberger Klima symptomatisch ist  : »Wir haben erwartet, daß Sie als Wegweiser kommen werden. Als das sind Sie leider nicht gekommen. Es tut mir leid, daß ich Sie zwei Herren fassen muß. Ich weiß, daß Sie an der Sache unschuldig sind, und es wäre für mich viel dankenswerter und sympathischer gewesen, wenn ich die schuldigen Drahtzieher erwischen würde. Ich kann sie leider nicht erwischen, weil sie nicht hier im Landtag sind.«774 Der großdeutsche Abgeordnete Bösch gab dem Landesvoranschlag die Zustimmung, »um damit zu dokumentieren, daß sich unsere Partei dem, was einmal notwendig ist, nicht verschließt, daß sie nicht in demagogischer Weise eine Notzeit ausnützt, um daraus politisches Kapital zu schlagen«.775 Das Vorarlberger Landesbudget 1933 wurde also mit den Stimmen von Christlichsozialen, Großdeutschen und Landbund gegen die Stimmen von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten beschlossen. 772 LPVlbg, 4. Sitzung. 13./14. 12. 1932. S. 79 f. 773 LPVlbg, 4. Sitzung. 13./14. 12. 1932. S. 86. 774 LPVlbg, 4. Sitzung. 13./14. 12. 1932. S. 90 f. 775 LPVlbg, 4. Sitzung. 13./14. 12. 1932. S. 90.

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• Obwohl die Nationalsozialisten in den Landtagen durchaus auch sachpolitische Anträge und Anfragen einbrachten, nützten sie die Tribüne der Landtage doch überwiegend für sogenannte »Demonstrationsanträge« zur Provokation der anderen Parteien, zur Herabsetzung und Diskriminierung der parlamentarischen Demokratie, des »Systems« und zu einer stärkeren Polarisierung zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten. Gerade in letzterem Bemühen waren die Nazis durchaus erfolgreich. Unter den Landtagsinitiativen dominierten eindeutig die »Demonstrationsinitiativen«. • Die Hauptzielgruppen bei den sachpolitischen Anträgen waren kleine Beamte, Angestellte und Arbeiter, die Arbeitslosen (für die die Nationalsozialisten den verpflichtenden Arbeitsdienst forderten), die Bauern (vor allem die Gebirgs- und Weinbauern) sowie kleine Gewerbetreibende. Wo immer es ging, versuchten die Nationalsozialisten in diesen Bereichen (vermeintliche) Skandale, Korruption und Postenschacher aufzuspüren bzw. Gründe für ihre aggressive antisemitische Agitation zu finden. • Die polemischen »Demonstrationsinitiativen« waren signifikant auf zwei Bereiche ausgerichtet  : auf den Kampf gegen die Politikerbezüge und -Privilegien sowie auf den Versuch, wo immer es ging, die NSDAP als »Märtyrer« erscheinen zu lassen. Beharrlich und propagandistisch stark begleitet polemisierten die Nationalsozialisten in allen Landtagen gegen die Politikerbezüge, forderten deren Abschaffung bzw. starke Reduzierung, versuchten Privilegien der System-Politiker aufzudecken, um damit wiederum die gesamte parlamentarische Demokratie in Mißkredit zu bringen. In diesen Fragen fanden sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten durchwegs zu einer gemeinsamen, ablehnenden Haltung. • Die sogenannten »Märtyrer-Initiativen« beruhten auf der Strategie der Nationalsozialisten, mit voller Aggressivität und Provokation, mit Unterstellungen und Verleumdungen gegen die Vertreter der anderen Parteien vorzugehen, andererseits aber deren Reaktionen und andere Anlässe lauthals dazu zu benützen, sich als unterdrückten, verfolgten, attackierten, benachteiligten und ausgegrenzten Märtyrer darzustellen. Die Mandatare der NSDAP beriefen sich dabei auf ihren Anspruch auf Toleranz, Gerechtigkeit und Objektivität in der Demokratie, obwohl sie selbst diese Kriterien ablehnten. • Weitere wesentliche Bereiche für »Demonstrationsinitiativen« waren kulturpolitische Themen im weitesten Sinne und Angriffe auf Gemeindepolitiker. In den kulturpolitischen Themen gelang es den Nationalsozialisten immer wieder, die beiden Großparteien gegeneinander auszuspielen, sie in ihren ideologischen Positionen zu treffen und sie zu wechselnden Mehrheiten zu gewinnen. Was die Angriffe auf die Kommunalpolitiker betrifft, so ging es den Nationalsozialisten wieder um nichts anderes, als den Vertretern der »alten Parteien« auf Gemeindeebene Skandale, Korruptionsfälle, finanzielle Unregelmäßigkeiten etc. umzuhängen und damit generell das System in Frage zu stellen. • Interessante Ergebnisse bringen die Analysen der Budgetdebatten  : In diesen wesentlichen Belangen der Landtagstätigkeit, die für das Funktionieren der Landespolitik von essentieller Bedeutung waren, fanden sich in jenen Ländern, in denen keine Partei über eine absolute Mehrheit verfügte, Quasi-Koalitionen zwischen Christlichsozialen und Sozialde-

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Das Verhalten der NSDAP bei den Budgetdebatten

mokraten. Während in Wien und Vorarlberg die jeweiligen Oppositionsparteien gegen den Landesvoranschlag stimmten, dieser aber mit den Stimmen der Mehrheitspartei beschlossen wurde, waren in Niederösterreich und Salzburg – wenn auch in Niederösterreich nur nach mühsamen und langwierigen Verhandlungen – die Sozialdemokraten bereit, die Beschlußfassung des Landesvoranschlages zumindest zu ermöglichen. In Niederösterreich nahmen die Sozialdemokraten – nach weitgehenden Zugeständnissen seitens der Christlichsozialen – nicht an den Budgetberatungen teil, so daß der Landesvoranschlag mit den Stimmen der Christlichsozialen allein beschlossen werden konnte. Eine weitergehende Zusammenarbeit zwischen den Großparteien auf Landesebene, zu denen die Landessozialisten bereit gewesen wären, wurde durch den sozialdemokratischen Bundesparteivorstand verhindert, nachdem die damit verbundene Forderung nach Abschaffung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes am Widerstand der Bundesregierung scheiterte. Die Verantwortung für diese Haltung überließen die niederösterreichischen Landessozialisten ihrer Bundespartei. In Salzburg funktionierte die Zusammenarbeit noch  : Der Voranschlag wurde mit den Stimmen von Christlichsozialen und Sozialdemokraten gemeinsam beschlossen. In Wien, wo die Sozialdemokraten ihren Voranschlag allein beschließen konnten, stimmten die Christlichsozialen dagegen, nachdem alle ihre Änderungsvorschläge von der sozialdemokratischen Mehrheit abgelehnt worden waren  ; in Vorarlberg stimmten die Sozialdemokraten gegen den Voranschlag, nachdem alle ihre Änderungswünsche von der christlichsozialen Mehrheit niedergestimmt worden waren. Tabelle 67 Das Abstimmungsverhalten bei den Budgetberatungen in den einzelnen Bundesländern   Wien

CS – 

SD +

NS –



CS +

SD 0 

NS –

Sbg.

CS +

SD +

NS 0

Vlbg.

CS +

SD – 

NS –

GD +

LB +

Die in den Bundesländern Salzburg und Niederösterreich sich bei den Budgetberatungen (immerhin im Dezember 1932 und Jänner 1933, als auf Bundesebene das Verhältnis zwischen beiden Parteien sich zusehends verschlechterte) abzeichnenden schwarz/roten Koalitionen wären sicher nicht in den Ansätzen stecken geblieben, hätte nicht die Bundespolitik diese gegenseitige Bereitschaft in den Ländern wieder zunichte gemacht. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wurde sowohl in Niederösterreich als auch in Salzburg von beiden Seiten sehr deutlich bekundet.

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

5.7 Ausgewählte Konfliktbereiche 5.7.1 Forderung nach Neuwahlen und Rücktritt der Bundesregierung Gleich nach ihren überraschend hohen Erfolgen bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am 24. April hatten die österreichischen Nationalsozialisten in offenen Schreiben an Bundespräsident Miklas und Nationalratspräsident Renner die sofortige Auflösung des Parlaments und die Ausschreibung von Neuwahlen verlangt. Die Zusammensetzung des Nationalrates, der erst im November 1930 auf vier Jahre gewählt worden war, entspreche nicht mehr dem Willen des Volkes.776 Der Bundespräsident und der Nationalratspräsident lehnten diese nationalsozialistische Forderung, die politisch-taktisch durchaus verständlich war, ab, weil inzwischen der Nationalrat selbst über seine Auflösung beriet. Am 28. April stellten nämlich – nach einigem Zögern und auch unter dem Druck der nationalsozialistischen Neuwahlforderung – die Sozialdemokraten im Parlament den Antrag auf Auflösung des Nationalrates. Diese Anträge wurden von Christlichsozialen und Landbund abgelehnt, nachdem es gleich nach den Wahlen auch in den Reihen der Christlichsozialen prominente Stimmen gab, die sich für Neuwahlen aussprachen. Nicht zuletzt war es das Agieren der Nationalsozialisten bei den konstituierenden Sitzungen der Landtage, das in der Christlichsozialen Partei eine eindeutig ablehnende Haltung gegenüber Parlamentsneuwahlen begründete. Auch die Heimwehr trat längere Zeit für die Auflösung und Neuwahlen ein, war aber nach intensiven Verhandlungen mit den Christlichsozialen schließlich bereit, in eine Regierung – aber nicht unter Dr. Buresch – einzutreten. Die Großdeutschen wiederum waren keinesfalls bereit, die Regierung Buresch ohne Neuwahlen zu unterstützen. Vor allem der Salzburger Landesparteiobmann der Großdeutschen, Clessin, sprach sich – wahrscheinlich wegen des überaus schlechten Wahlergebnisses bei der Landtagswahl – entschieden gegen eine neuerliche Koalition mit den Christlichsozialen aus und drohte überhaupt mit einer Abspaltung von der Gesamtpartei, sollte noch einmal mit der Regierung Dollfuß ein Gespräch geführt werden.777 Somit lagen am 28. April 1932 dem Nationalrat drei Auflösungs- und Neuwahlanträge – der Sozialdemokraten, der Großdeutschen und des Heimatblocks – vor. Buresch, der für kurze Zeit die Idee einer Konzentrationsregierung unter Einschluß der Sozialdemokraten als gemeinsame Front gegen den Nationalsozialismus neu aufleben ließ, scheiterte letztlich an der Frage der Parlamentsauflösung und Neu-

776 Zur ausführlichen Darstellung der Forderungen nach Neuwahlen vgl. Franz Schausberger, Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932. Bruch der österreichischen Proporzdemokratie. Wien, Köln, Weimar 1993. S. 47–68. 777 Vgl. Isabella Ackerl, Das Ende der christlichsozial-großdeutschen Regierungskoalition. In  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938. Wien 1975. S. 92 (Sitzung des Großdeutschen Klubs vom 18. Mai 1932).

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wahlen. Auch Dollfuß hatte – wie Charles A. Gulick bestätigt – ursprünglich die Absicht, die Sozialdemokraten an der Regierung zu beteiligen. »Die Haltung der Führer der Arbeiterpartei war nicht danach angetan, Dollfuß zu einem Koalitionsangebot zu ermutigen. Obwohl einige unter ihnen eine solche Lösung um fast jeden Preis wünschten, war Bauers Einfluß so dominierend, daß man sich endlich entschloß, den Antrag auf Auflösung einzubringen.«778 Das Verlangen der Sozialdemokraten nach Neuwahlen war also ein schwerer taktischer Fehler.779 Es ist auch unverständlich, daß die Sozialdemokratie in Kauf nahm, daß im Parlament ähnliche Zustände Platz griffen wie in den drei Landtagen, in die die NSDAP eingezogen war. Es war inzwischen völlig klar, daß die Nationalsozialisten »Wahlen als ein Mittel, die Macht zu gewinnen und eine Diktatur zu errichten«, ansahen.780 Aus der Sicht der Regierungsparteien, Christlichsoziale und Landbund, blieb gar nichts anderes übrig, als sich einen Partner für eine Mehrheit gegen Neuwahlen zu suchen. Dafür blieben, da die Sozialdemokraten völlig kompromißlos schienen, nur die Großdeutschen und der Heimatblock. Die Sozialdemokraten höhnten unentwegt über die Furcht der Christlichsozialen vor Neuwahlen und vergaßen dabei offenbar, daß die nationalsozialistischen Einbrüche in sozialdemokratische Wählerschichten gerade in Niederösterreich und Salzburg, aber auch in der Steiermark und in Kärnten nicht unbedeutend waren. Die sozialdemokratische Führung spekulierte offenbar damit, daß die Neuwahlen ein Dreiparteiensystem aus Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Nationalsozialisten bringen würde, wobei die Sozialdemokratische Partei als relativ stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen würde. Da anzunehmen war, daß sowohl für die Sozialdemokraten als auch für die Christlichsozialen eine Koalition mit den Nationalsozialisten unmöglich war, wäre den Christlichsozialen nur der Weg in eine Koalition unter der Führung der Sozialdemokraten übriggeblieben, in der noch dazu letztere die Bedingungen hätte diktieren können. Für die Christlichsozialen hätte es keinen bürgerlichen Partner für eine parlamentarische Mehrheit mehr gegeben. Das sahen die Christlichsozialen aber eindeutig als Überforderung an. Für sie war ein solcher Weg nicht nur wegen der starken innerparteilichen Kräfte, die ohnehin schon in eine antidemokratische, autoritäre Richtung drängten, sondern auch wegen des Drucks aus dem Ausland – insbesondere seitens Italiens – nicht gangbar. Zumindest die Position des Bundeskanzlers mußte in einer Großen Koalition den Christlichsozialen zufallen. Man fand den dringend gesuchten Koalitionspartner nach dem taktisch motivierten Ausscheren der Großdeutschen nur mehr im antidemokra778 Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 385 f. 779 Vgl. Everhard Holtmann, Sozialdemokratische Defensivpolitik vor dem 12. Februar 1934. In  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938. Wien 1975. S. 114. 780 Bruce F. Pauley, Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918–1934. Wien, München, Zürich 1972. S. 202.

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tischen Heimatblock, der (mit Ausnahme der steirischen Heimwehr) unbedingt in die Regierung drängte, um diese auf einen Rechtskurs zu zwingen. Der Preis, den die Christlichsozialen an den unsicheren Partner Heimatschutz zahlte, war unverhältnismäßig hoch. Man opferte Bundeskanzler Buresch, der der Heimwehr zu kompromißbereit gegenüber den Sozialdemokraten war, und ersetzte ihn durch Dr. Engelbert Dollfuß. Die Zusammensetzung der neuen Regierung unter Bundeskanzler Dr. Dollfuß ließ schließlich – mit drei den Heimwehren nahestehenden Ministern – »keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Ära der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten vorüber war«.781 Die Bemühungen zur Bildung der Bundesregierung und zur Verhinderung von Neuwahlen wurden noch durch Initiativen der Nationalsozialisten und die Haltung der Sozialdemokraten dazu in den neugewählten Landtagen erschwert. Aus Salzburg kam die Meldung, daß bei der am 19. Mai stattgefundenen konstituierenden Sitzung des Landtages die Nationalsozialisten zwei Anträge eingebracht hatten, einen auf Auflösung des Nationalrates und Ausschreibung von Neuwahlen und einen zweiten auf sofortigen Rücktritt der Bundesregierung.782 »Dieser Nationalrat gehört zum Teufel gejagt«, rief der Antheringer Gastwirt und NS-Abgeordnete Otto Vogl in den Landtagssaal.783 Nachdem die Christlichsozialen im Landtag über keine absolute Mehrheit verfügten, war zu befürchten, daß diese Anträge von Nationalsozialisten und Sozial­ demokraten beschlossen würden. Auch wenn derartige Beschlüsse keinerlei rechtliche Folgen nach sich gezogen hätten, der politische Druck von den Ländern her wäre nicht unbeträchtlich gewesen. Der weiteren Behandlung dieser Anträge in den Landtagen mußte durch einen raschen Abschluß der Verhandlungen zur Regierungsbildung auf Bundesebene zuvorgekommen werden. Am 20. Mai wurde schließlich das erste Kabinett unter Bundeskanzler Dollfuß gebildet. Zu beachten ist, daß beide nationalsozialistischen Anträge im Salzburger Landtag keine Mehrheit fanden, da die Sozialdemokraten keine Zustimmung gaben, was ihnen heftige Vorwürfe von seiten der Nationalsozialisten eintrug. Die Sozialdemokraten selbst hatten, im Gegensatz zum Nationalrat, in den Landtagen keine Initiativen zur Auflösung des Parlaments und für Neuwahlen eingebracht. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Formulierung im Ausschußbericht des Salzburger Landtages vom 1. Juni 1932 über den nationalsozialistischen Antrag auf Rücktritt der Regierung Dollfuß, worin die christlichsoziale Fraktion folgendes feststellt  : »Noch hat nicht die dem Volke immer wieder vorgemachte Koalition zwischen Sozialdemokratie und Christlichsozialen aufgehört, zu wirken. 781 Fritz Kaufmann, Sozialdemokratie in Österreich. Idee und Geschichte einer Partei. Von 1889 bis zur Gegenwart. Wien, München. 1978. S. 274. 782 Vgl. LPSbg, Nr. 13 und Nr. 15 der Beilagen. 783 LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 30.

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– Eine sozialdemokratische Bundesregierung halten die Christlichsozialen nicht für wünschenswert, auch nicht eine Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, deshalb können sie den neuerlichen Sturz der Bundesregierung, die erst seit Tagen im Amt ist, nicht wünschen.«784 Auch hier eine Haltung, die voller Zwiespalt und Unsicherheit ist. Die zwiespältige Haltung der Sozialdemokraten in der Frage der Neuwahlen kam auch in ihrem Verhalten im Salzburger Landtag zum Ausdruck, als sie den NS-Antrag mit der Begründung ablehnten, daß sich der Nationalrat mit dieser Frage bereits befaßt habe. »Wir hassen das System, wir verteidigen nicht die Regierung, die heute in Wien sitzt, wir wollen nicht, daß der Nationalrat bleibt, wir sind dafür, er soll neu gewählt werden, aber dann, wenn der Nationalrat selber den Beschluß faßt«, erklärte Karl Emminger die Haltung der Sozialdemokraten.785 Mit diesem »taktischen Immobilismus« (Holtmann) versuchten die Sozialdemokraten einerseits einer Unterstützung eines nationalsozialistischen Antrages aus dem Weg zu gehen und andererseits die eigene Unsicherheit über einen Wahlausgang bei Neuwahlen zu verschleiern. »Was die Sozialdemokraten in ihrer zögernden Haltung bestimmte, war die Furcht, daß die äußerste Rechte im kommenden Parlament zu stark würde.«786 Im speziellen Fall Salzburgs hat sicher auch das grundsätzlich immer noch gute Verhältnis zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten eine Rolle gespielt. Die Christlichsozialen begründeten ihre Ablehnung des nationalsozialistischen Neuwahl-Antrages damit, daß Wahlen für das Volk und die Wirtschaft immer unruhige Zeiten seien, was insbesondere dem in Salzburg so bedeutenden Fremdenverkehr schade und auch im Hinblick auf die Bauern seien Sommerwahlen abzulehnen. Außerdem sei eine tragfähige, verantwortungsfähige Mehrheit nicht zu erwarten. Argumente, wie sie auch von der Bundesregierung im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Staates verwendet worden waren. »Angst vor den Neuwahlen haben wir nicht, wir werden uns stellen zu gegebener Zeit und zur gegebenen Stunde«, erklärte der christlichsoziale Abgeordnete Engl.787 Er konnte nicht wissen, daß diese Stunde nicht mehr kommen würde. Die Nationalsozialisten provozierten die Sozialdemokraten auf das Äußerste, machten sie für die gesamte schlechte wirtschaftliche Situation mitveranwortlich, bezeichneten sie als Vertreter des grundsätzlich abzulehnenden »Systems«, sprachen gegenüber den Sozialdemokraten immer von »ihrer Regierung« sowie von der Untätigkeit der mit 72 Abgeordneten stärksten Fraktion der Sozialdemokraten im Par784 LPSbg, Nr. 15 der Beilagen. 785 LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 32. 786 Rudolf Neck, Simmering – 16. Oktober 1932. Vorspiel zum Bürgerkrieg. In  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938. Wien 1975. S. 95. 787 LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 31.

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lament. Die NS-Abgeordneten Dr. Peisser, Vogl und Wagner heizten die Stimmung derartig an, daß sich vor allem die Sozialdemokraten Emminger und Treml immer wieder zu wütenden und unqualifizierten Äußerungen hinreißen ließen. »Sie gemeiner Demagoge«, »Sie blöder Kerl«, »gemeiner Lump«, »bezahlte Dreckseele«, »Judenknechte«, »Arbeitermörder«, »gekauftes Subjekt«, »Sie waren ja schon einmal im Säuferheim«, »Sie Schandfleck von der Welt«, »politischer Haderlump« – diese kleine Auswahl soll die Stimmung in dieser Debatte veranschaulichen. Ähnliches spielte sich auch beim NS-Antrag auf sofortigen Rücktritt der Bundesregierung ab. Wie dem Ausschußantrag zu entnehmen ist, ergab sich wieder eine »Zufallsmehrheit gegen den Antrag, da die sozialdemokratische Fraktion zwar mit den Nationalsozialisten in dem Verlangen nach Rücktritt der Bundesregierung übereinstimmt, aus formalen Gründen aber das Regierungsstürzen dem Nationalrat überlassen will und den Sturz der Regierung für die nächste Zeit auch erwartet«.788 Auch die Christlichsozialen vertraten im Ausschußbericht das Argument, daß der Rücktritt der Bundesregierung eine Angelegenheit sei, die zwischen dieser und den Parlamentsparteien zu klären sei. Besonders interessant aber ist, daß die Christlichsozialen in ihre Begründung gegen einen Rücktritt der Bundesregierung auch die Nationalsozialisten einzubeziehen versuchten  : »Aus wiederholten Ausführungen der Nationalsozialisten konnte man entnehmen, daß auch die Antragsteller für die Autarkie, für den Schutz des heimischen Marktes, für dringliche Regelung der Kreditanstaltfrage, für Herabsetzung des Zinsfußes seien, für Ausbalancierung der Handelsbilanz durch Hebung der Ausfuhr und Minderung der Einfuhr. In diesem Belang decken sich mehr oder weniger die momentanen wirtschaftlichen Forderungen, die Christlichsoziale und Nationalsozialisten an die Bundesregierung stellen.« Man solle nun der erst seit ganz kurzer Zeit im Amt befindlichen Bundesregierung die Chance geben, diese Vorstellungen zu verwirklichen, dann werde sich – auch ohne Zutun des Salzburger Landtages – zeigen, ob sie im Parlament dafür eine Mehrheit finde oder nicht. Auch hier zeigt sich wieder die naive Ansicht der Christlichsozialen, man könnte die Nationalsozialisten durch scheinbare sachliche Übereinstimmungen in Detailbereichen in die Verantwortung einbinden. Eine völlige Fehleinschätzung, die sowohl den Christlichsozialen als auch den Sozialdemokraten immer wieder unterlief  ! Im Landtag selbst wurde über diesen Antrag, nach der ausführlichen Debatte zur Forderung nach Auflösung des Nationalrates, kaum mehr diskutiert. Emminger erläuterte noch einmal das Verhalten seiner sozialdemokratischen Fraktion  : »Wenn die Abstimmung des Salzburger Landtages erreichen würde, daß diese Jammerregierung sofort geht, dann würden wir dafür stimmen  ; weil uns aber die ganze Sache, die hier im Salzburger Landtag angezettelt wurde, nur als ein demagogischer Schwindel er-

788 LPSbg, Nr. 15 der Beilagen.

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scheint, werden wir uns der Abstimmung enthalten.«789 In namentlicher Abstimmung (auf Antrag der Nationalsozialisten) wurde schließlich mit den Stimmen der Christlichsozialen gegen die der Nationalsozialisten beschlossen, daß auf den NS-Antrag auf Rücktritt der Bundesregierung nicht eingegangen werde. Die Sozialdemokraten enthielten sich – wie angekündigt – der Stimme. Diese Anträge der Nationalsozialisten zeigen, daß sie nach ihrem Erfolg bei den Wahlen vom 24. April alle Möglichkeiten nützten, um auf Neuwahlen für den Nationalrat zu drängen. Die taktisch begründete Unwilligkeit der österreichischen Sozialdemokraten, die Verantwortung gemeinsam mit den Christlichsozialen zu tragen und die nur lauwarmen, eher vordergründigen Angebote dazu von seiten der Christlichsozialen führten zur schwachen und tendenziell antidemokratischen Koalition von Christlichsozialen, Landbündlern und Heimwehren. Die Sozialdemokraten stellten sich deshalb abseits, weil es ihrer Ansicht nach nicht ihre Aufgabe sein konnte, in eine Koalitionsregierung einzutreten, um das kapitalistische System zu stützen. Damit war der Anfang vom Ende des parlamentarischen Systems gesetzt. Bedauerlich ist, daß auch in einem Bundesland wie Salzburg, in dem die Zusammenarbeit der beiden Großparteien immer funktioniert hatte, Christlichsoziale und Sozialdemokraten gerade nach dem Einzug der Nationalsozialisten in das Landesparlament nicht den Mut aufbrachten, sich zu dieser gemeinsamen Verantwortung konkret zu bekennen, wiewohl im Verhalten der Salzburger Sozialdemokraten gegenüber den Neuwahlforderungen doch eine etwas differenzierte, kompromißbereitere Haltung als auf Bundesebene zu erkennen ist. Auch der Antrag der Nationalsozialisten in der Sitzung des Wiener Landtages vom 24. Mai (also nach der Bildung der Regierung Dollfuß I), wonach der Bundespräsident aufgeforderte wurde, sofort den Nationalrat aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, erntete bei den Sozialdemokraten nur Gelächter, wurde dem Protokoll einverleibt und dem Landeshauptmann übergeben.790 Das offenbar doch sehr starke Einwirken der Bundesparteien und der naive Irrglaube, man könne mit den Nationalsozialisten Teilkoalitionen gegen die andere demokratische Partei eingehen, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen, charakterisieren die verfahrene Situation. Möglicherweise hätten stark auftretende Länderparteien noch gewisse Kurskorrekturen erreichen können. In den Landtagen von Niederösterreich und Vorarlberg ergriffen die Nationalsozialisten keine Initiativen zur Auflösung des Parlaments und für Neuwahlen, in Wortmeldungen wurden diese Forderungen jedoch oft erhoben. • Das aggressive, antidemokratische und antiparlamentarische Verhalten der Nationalsozialisten bereits in den ersten Sitzungen der Landtage, in denen sie nach dem 24. April vertre789 LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 37. 790 LPWien, 1. Sitzung. 24. 5. 1932. S. 3.

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ten waren, ließ für einen etwaigen Einzug der NSDAP in den Nationalrat nach vorgezogenen Parlamentsneuwahlen das Schlimmste befürchten. Die Nationalsozialisten nützten alle parlamentarischen Möglichkeiten, um gegen die parlamentarische Demokratie selbst vorzugehen. Diese Erfahrungen vor allem in den Landtagen von Wien, Niederösterreich und Salzburg begründeten entscheidend die eindeutig ablehnende Haltung der Christlichsozialen gegenüber vorgezogenen Neuwahlen. Besonders in Wien machte die reine Obstruktion der NSDAP-Abgeordneten monatelang eine gedeihliche parlamentarische Arbeit unmöglich, bis es ihnen damit gelang, den jüdischen Landtagspräsidenten zu beseitigen. Auch die Ausschreitungen in den Landtagen, die bis zur Gewalttätigkeit reichten, waren eindeutig auf die von Anfang an praktizierten Provokationen der NSDAP zurückzuführen. Es ist daher unverständlich, daß die Sozialdemokratie völlig unkritisch für vorgezogene Neuwahlen des Nationalrates eintrat und damit auch für das Parlament solche Zustände bewußt in Kauf nahm. Offensichtlich siegte hier – wie so oft in der Ersten Republik bei allen Parteien – in der Sozialdemokratischen Partei das Parteiinteresse über das Staatsinteresse. Die Christlichsozialen hatten in diesem Fall natürlich auch das Interesse ihrer Partei im Auge, machten aber auch deutlich klar, daß Parlamentsneuwahlen mit dem sicheren Einzug der NSDAP in den Nationalrat der Stabilität des gesamten Staates abträglich sei. Es war auch keinerlei Notwendigkeit einer Neuwahl mit dem großen nationalsozialistischen Risiko gegeben, da das Parlament demokratisch bis 1934 gewählt war und die Bundesregierung eine – wenn auch nur sehr geringe – parlamentarische Mehrheit hinter sich hatte. Es bestätigt sich auch im Zusammenhang mit der Untersuchung der Landtage wieder, daß ein Zusammengehen von Christlichsozialen und Sozialdemokraten wohl die letzte Chance für die Demokratie war, die sehr wesentlich durch das Festhalten an der sozialdemokratischen Neuwahlforderung vereitelt wurde. Vor dem Hintergrund dieses politischen Umfeldes muß man auch der Politik Dollfuß’ und der Christlichsozialen Partei gegenüber den Versuch unternehmen, sie zu »verstehen«, wie dies inzwischen auch dem Nationalsozialismus und ihrem Anhängsel, dem Steirischen Heimatschutz, zuteil wurde.791 5.7.2 Die »Selbstauflösung« des Parlaments und die autoritären Maßnahmen der Bundesregierung Es ist nicht verwunderlich, daß die Nationalsozialisten auch den Proteststreik der Eisenbahner vom 1. März 1933, der die bekannten weitreichenden Folgen im Parlament nach sich zog, zum Anlaß nahmen, um in einem Landtag, nämlich im Salzburger Landesparlament, aktiv zu werden. Zwei Tage später, am 3. März, fand eine Landtags791 Vgl. etwa Bruce E Pauley, Hahnenschwanz und Hakenkreuz. Der Steirische Heimatschutz und der österreichische Nationalsozialismus 1918–1934. Wien, München, Zürich 1972, oder Ernst Hanisch, Ein Versuch, den Nationalsozialismus zu »verstehen«. In  : Der März 1938 in Salzburg. Gedenkstunde am 10. März 1988. Salzburg Diskussionen Nr. 10. Salzburg 1988. S. 29–36.

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sitzung statt, in der die NS-Fraktion einen dringlichen Antrag und eine Anfrage zu diesem Ereignis einbrachte.792 Am 1. März hatten sich um 8 Uhr früh auf Anordnung ihrer Zentralstellen in Wien die Vertreter der sozialdemokratischen, der deutschen und der christlichsozialen Gewerkschaften zur Bildung einer Streikleitung für einen zweistündigen Proteststreik am Salzburger Hauptbahnhof versammelt. Schon um Mitternacht hatten Landeshauptmann Dr. Rehrl und die Polizeidirektion von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, sämtliche Exekutivkräfte in Bereitschaft zu setzen und diese der ÖBB über Anforderung zur Verfügung zu stellen. Es konnte sich dabei nur um eine Assistenzleistung für die Bundesbahn und die Gerichte handeln. Kurz vor Beginn des Streiks erschien daher der Bahnvorstand mit Kriminalbeamten, die sieben Mitglieder der Streikleitung verhafteten und nach einem Verhör in der Polizeidirektion ans Landesgericht überstellten. Die Verhafteten wurden jedoch im Laufe des Nachmittags wieder freigelassen. Die Nationalsozialisten behaupteten nun, daß es in Tirol und Vorarlberg keine Verhaftungen gegeben hätte (was nicht stimmte), und verlangten, daß die Bundesbahnen die angedrohten bzw. schon durchgeführten Maßregelungen gegen die am Streik Beteiligten vollständig zurücknehmen sollten. Daß die Sozialdemokraten die Forderung der Nationalsozialisten unterstützten, war naheliegend, wobei es doch überraschend ist, daß die Sozialdemokraten nicht selbst im Landtag eine Initiative einbrachten. Die Christlichsozialen waren in einer Zwickmühle. Einerseits wurde der Streik auch von den christlichen Gewerkschaften mitgetragen, andererseits wollten sie nicht unbedingt ihrer Bundesregierung in den Rücken fallen. Klubobmann Neureiter gestand durchaus Fehler der Bundesregierung ein, verwies aber darauf, daß es sich wohl um keinen parteipolitischen Streik handeln könne, da Gewerkschaften aller politischen Richtungen beteiligt waren. Die Verantwortung trage in erster Linie der Generaldirektor der Bundesbahnen, Dr. Schöpfer, den er nicht kenne, »aber eines weiß ich, uns Christlichsozialen steht er nicht nahe.«793 Als schließlich dem Antrag einleitend angefügt wurde, daß der Streik der Eisenbahner keinen politischen Hintergrund hatte, sondern nur aus der wirtschaftlichen Not entsprungen war, die die Eisenbahner in ihren erworbenen Rechten besonders schwer traf, daß also auch die Abstimmung im Landtag keinen politischen Charakter habe, konnten die Christlichsozialen ihre Zustimmung geben. Der Antrag der N ­ SDAP wurde einstimmig beschlossen. Die Ereignisse des 4. März 1933, deren Anlaß der »Eisenbahnerstreik« war und die zur sogenannten »Selbstauflösung des Parlaments« führten, sind hinreichend bekannt und historisch aufgearbeitet, so daß im Rahmen dieser Arbeit nicht näher darauf ein-

792 LPSbg, Nr. 126 und Nr. 130 der Beilagen sowie LPSbg, 9. Sitzung. 3. 3. 1933. S. 146 ff. 793 LPSbg, 9. Sitzung. 3. 3. 1933. S. 147.

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gegangen werden muß.794 Jedenfalls muß aber gesehen werden, daß die für den österreichischen Parlamentarismus so schicksalshaften Vorfälle zeitlich zusammenfielen mit auf Österreich stark hereinwirkenden Ereignissen im Deutschen Reich  : Einen Tag nach der Lahmlegung des Parlaments in Wien fanden in Deutschland Reichsratswahlen statt, die dem seit 30. Jänner 1933 als Reichkanzler regierenden Adolf Hitler und seiner NSDAP 43,9 Prozent und der mit ihr verbündeten »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« (Deutschnationale und Stahlhelm) acht Prozent der Wählerstimmen brachten. Damit hatte die nationalsozialistisch geführte Reichsregierung eine parlamentarische Mehrheit, zumal die 81 kommunistischen Abgeordneten aufgrund der nun im ganzen Reich in Gang gesetzten Verhaftung von Kommunisten ihre Mandate nicht ausüben konnten. Außerdem hatte der Reichpräsident bereits am 28. Februar 1933 – einen Tag nach dem Reichstagsbrand – durch Verordnung »Zum Schutz von Volk und Staat« alle wesentlichen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt.795 Daraufhin setzte auch in Österreich eine verstärkte Agitationsund Propagandatätigkeit der NSDAP ein, eine große Zahl von nationalsozialistischen Veranstaltungen und Versammlungen mit reichsdeutschen Rednern war geplant. Außerdem richtete unter dem Eindruck des Erfolges der deutschen Bruderpartei der ­­NSDAP-Landesleiter Proksch am 6. März einen offiziellen Brief an Dollfuß, in dem er wieder einmal den sofortigen Rücktritt der Bundesregierung und die Ausschreibung von Neuwahlen verlangte.796 Die österreichischen Nationalsozialisten glaubten nun – nachdem die NSDAP in Deutschland an der Macht war –, daß es nur noch eine Frage der Zeit – und zwar nur einer kurzen Zeit – wäre, bis auch sie in Österreich an die Macht kämen. Bruce F. Pauley meint, daß auch Hitler selbst dieser Ansicht gewesen sei und gemeint habe, daß die Machtergreifung mit einem ähnlichen Strickmuster gelingen müßte wie in Deutschland  : durch Agitation, Wahlen und Koalitionsregierungen.797 Diese Strategie wurde durch das Einschlagen eines autoritären Weges 794 Vgl. vor allem Erich Fröschl, Helge Zoitl (Hg.), Der 4. März 1933. Vom Verfassungsbruch zur Diktatur. Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Dr.-Karl-Renner-Instituts abgehalten am 28. Februar und 1. März 1983 in Wien. Wien 1984. Vgl. auch Walter Goldinger, Der geschichtliche Ablauf der Ereignisse von 1918 bis 1945. In  : Heinrich Benedikt (Hg.), Geschichte der Republik Österreich. München 1977. S. 199–208. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 400–407. Peter Huemer, Sektionschef Robert Hecht und die Zerstörung der Demokratie in Österreich. Eine historisch-politische Studie. Wien 1975. Norbert Schausberger, Der Griff nach Österreich. Der »Anschluß«. Wien, München 1988. S. 234–244. Anton Staudinger, Christlichsoziale Partei und Errichtung des »Autoritären Ständestaates« in Österreich. In  : Vom Justizpalast zum Heldenplatz. Wien 1975. S. 65–81. Helmut Wohnout, Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? Gesetzgebung im autoritären Österreich. Wien, Köln, Graz 1993. Bes. S. 57–77. 795 Vgl. etwa Martin Broszat, Die Machtergreifung. Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Weimarer Republik. München 1990. 796 Vgl. Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. S. 133. 797 Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Wien 1988. S. 88.

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durch die österreichische Bundesregierung gründlich gestört. Durch das autoritäre Regieren waren Wahlen, auf die die NSDAP so viele Hoffnungen setzte, in weite Ferne gerückt, ebenso eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung. Durch die autoritären Maßnahmen wurden – auch wenn es die NSDAP nicht zugab – ihre Aktionsmöglichkeiten beträchtlich eingeschränkt. Man kann also davon ausgehen, daß die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland ein wichtiger Faktor für das Beschreiten des autoritären Weges in Österreich war.798 Nach Ansicht der österreichischen Bundesregierung war durch den Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten der Nationalrat lahmgelegt und die Regierung aufgerufen, selbst die ihr zu Gebote stehenden Mittel zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung einzusetzen. Bundeskanzler Dollfuß begründete die Entscheidungen der Bundesregierung für die Erlassung eines generellen Versammlungs- und Aufmarschverbotes bzw. Einschränkungen der Pressefreiheit mit dem zunehmend aggressiven Auftreten der Nationalsozialisten nach ihrem Sieg in Deutschland. Daß man vor allem aber ein beträchtliches Erstarken der NSDAP bei Parlamentsneuwahlen fürchtete und verhindern wollte, wurde in den Reden nicht zugegeben. »Da diese Erscheinungen die zur Wiederaufrichtung der heimischen Wirtschaft unerläßliche Ruhe im Innern gefährden, sei es notwendig, rechtzeitig Abwehrmaßnahmen zu ergreifen«, erklärte Dollfuß im Ministerrat.799 Wie nicht anders zu erwarten, wurde weder vom Bundeskanzler noch von den christlichsozialen Rednern in den Landtagen als Grund für die autoritären Maßnahmen die Sicherung der Demokratie angegeben, sondern praktisch nur die Sicherung der heimischen Wirtschaft.800 Der niederösterreichische Landeshauptmann Dr. Buresch etwa argumentierte ganz klar mit der Notwendigkeit dieser autoritären Maßnahmen für die Wirtschaft, jedoch nicht zur Sicherung der Demokratie, die in der wirtschaftlichen Krise versagt habe. »Die demokratische Verwaltung und Regierung eines Landes arbeitet leicht, flüssig und schnell, solange eine aufsteigende Konjunktur vorhanden ist. In dem Moment aber, wo sich die Wirtschaftsentwicklung rückgängig bewegt, die Wirtschaft zusammenschrumpft und Maßnahmen getroffen werden müssen, welche in die Rechte des einzelnen einschneiden, hat die Demokratie in den meisten Staaten und ganz besonders, wenn sie so stark entwickelt ist, wie in Österreich, eben versagt. Wir danken es eigentlich einer glück798 Vgl. auch Helmut Wohnout, Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? S. 60. 799 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abteilung VIII. Band 2. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß. 26. Oktober 1932 bis 20. März 1933. Wien 1982. Sitzung vom 7. 3. 1933. S. 393. 800 Die »Reichspost« hatte im Zusammenhang mit dem Verbot der Kommunistischen Partei in Deutschland im Sinne der Streitbaren Demokratie argumentiert  : »Eine Partei, die sich die Zerstörung der europäischen Ordnung und Kultur und die physische Vernichtung des Bürgertums zur Aufgabe gemacht hat, darf keinen Anspruch auf jene Freiheiten erheben, die der demokratische Staat seinen Bürgern gewährt. Auch die Demokratie hat ein Recht, sich physisch zu verteidigen, wenn sie physisch angegriffen wird.« »Reichspost«, 1. 3. 1933. S. 2.

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lichen Fügung des Schicksals, daß sich das Parlament in den letzten Tagen selbst ausgeschaltet hat und daß eine Regierung da ist, die die Verantwortung trägt … wogegen diese Verantwortung niemals eine Versammlung von Vertretern des Volkes, die auf die Interessen ihrer Wähler Rücksicht zu nehmen haben, tragen könnte.«801 Dies ist für die Beurteilung der Maßnahmen der Bundesregierung im Sinne der »Streitbaren Demokratie« von Bedeutung. Vor allem die von Bundeskanzler Dollfuß zunehmend bekundete Absicht, ohne Parlament, autoritär regieren zu wollen, und die damit verbundenen Maßnahmen der Regierung lösten natürlich auch in den Länderparlamenten heftige politische Reaktionen aus. Die Länderparlamente übernahmen – sieht man vom eher bedeutungslosen Bundesrat ab – z. T. die Funktion des »ausgeschalteten« Nationalrates, vor allem für die Parteien der Opposition, also Sozialdemokraten und (die nicht im Nationalrat vertretenen) Nationalsozialisten. Der Landtag, »der ansonsten immer eine Stätte der Sachlichkeit gewesen ist, in der man sich bemüht hat, ernst zu beraten, ist gegenwärtig die politische Tribüne der Sozialdemokraten geworden«, beklagte sich der christlichsoziale Abgeordnete Holaubek im Wiener Landtag. »Man hält sich hier schadlos für den Parlamentarismus, der vorläufig ausgeschaltet ist und benützt die noch vorhandene Tribüne des Landtages dazu, um den Führern die Möglichkeit zu geben, hier Reden nach außen zu halten, die dann in der ›Arbeiter-Zeitung‹ ihre Wiedergabe finden.«802 Die in den Landtagen dazu abgeführten Debatten und die verwendeten Argumente sind daher von bundespolitischer Bedeutung, und die Länderparlamente wurden zu bundespolitischen Foren, wie sie es vorher und nachher selten waren. Die Landtage – vor allem der Niederösterreichische – wurden zum »exterritorialen Kampfplatz der Sozialdemokraten und Nationalsozialisten gegen die Bundesregierung«.803 Die Debatten zu den Ereignissen um die »Selbstauflösung« des Parlaments und die darauf folgenden Maßnahmen der Bundesregierung werden deshalb sehr genau analysiert, um daraus die Argumentationsmuster der einzelnen Parteien sowie etwaige Unterschiede in den einzelnen Landtagen herauszuarbeiten. Der Wiener Landtag befaßte sich bereits am 9. März mit der neuen Situation. Die nächste Sitzung des Salzburger Landtages war für 14. März vorgesehen, auf Verlangen der Sozialdemokraten und der Nationalsozialisten wurde jedoch der Landtag bereits für 10. März einberufen. Der Niederösterreichische Landtag trat am 14. März zusammen, um die Maßnahmen der Bundesregierung zu diskutieren. Der Landtag in Vorarlberg befaßte sich mit dem Thema »Ausschaltung« des Nationalrates nicht, obgleich sich auch innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Vorarlbergs heftige Strategiedebatten abspielten, etwa beim Landesparteitag am 3. April 801 LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 99f. 802 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 83. 803 Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 333.

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1933 über die Entscheidung zwischen revolutionärem Weg einerseits und Resignation angesichts der politischen und militärischen Machtmittel der Regierungsparteien andererseits.804 Der Wiener Bürgermeister Seitz hatte den Landtagspräsidenten gebeten, eine Landtagssitzung einzuberufen, weil »die wirtschaftlichen und politischen Zustände in unserer Stadt einen höchst bedrohlichen Charakter angenommen haben«. 805 Seitz warf der Bundesregierung vor, in einer Zeit, in der sie die Pflicht hätte, »alle Wirtschaftskreise zusammenzuführen, alle Klassen, alle Stände der Bevölkerung Tag um Tag daran zu mahnen, daß sie ein Ganzes bilden und alles daranzusetzen, um dieser furchtbar darniederliegenden Wirtschaft aufzuhelfen«, nichts anderes zu tun, als eine rein formale Frage zu nützen, um eine Staatskrise heraufzubeschwören.806 Er beklagte die Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes, das ausdrücklich ein wirtschaftspolitisches Gesetz sei und nun von der Regierung generell angewendet werde. Es stelle sich die Frage, wozu 1929 in der Verfassung das Notrecht des Bundespräsidenten und damit eine sogenannte Präsidialverfassung geschaffen worden sei, wenn jetzt jeder Minister ohne Bundespräsidenten und ohne Parlament Verfügungen treffen könne, insbesondere meinte er das Versammlungsverbot und die Pressezensur und zielte damit auf eine Weisung von Staatssekretär Fey. Bundeskanzler Dollfuß hatte eine Reihe sozialdemokratischer Vereinsversammlungen untersagt und Landeshauptmann Seitz die Weisung erteilt, etwaige bei ihm erhobene Berufungen dagegen in zweiter Instanz abzuweisen und die angefochtenen Entscheidungen zu bestätigen.807 Seitz gab dem Wiener Landtag bekannt, daß er sich weigere, dieser Weisung Folge zu leisten.808 Während seiner ganzen Rede wurde Seitz durch den christlichsozialen Abgeordneten und Priester Dr. Franz Arnold gestört, indem dieser unentwegt laut aus einem Buch vorlas, wovon ihn auch mehrere Ordnungsrufe des Präsidenten nicht abhielten. Er bediente sich also einer destruktiven Methode, wie sie bisher nur von den Natio804 Vgl. Kurt Greussing, Vorarlberger Sozialdemokraten in der Illegalität 1934–1938. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Klasse. S. 344. 805 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 17. 806 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 18. 807 Zu dieser Weisung gab es auch innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen. Vor allem Vizekanzler Winkler (Landbund) warnte vor einer »unerwünschten Entladung der bestehenden Spannung« durch ein generelles Verbot aller sozialdemokratischen Versammlungen und schlug vor, eine bestimmte Anzahl davon zu erlauben. Diesem Vorschlag wollte ursprünglich auch Bundeskanzler Dollfuß beitreten, Staatssekretär Fey lehnte eine solche Vorgangsweise kategorisch ab, und Minister Vaugoin drohte mit seinem Rücktritt, wenn nicht alle sozialdemokratischen Versammlungen verboten würden. Daraufhin wurde in dieser Frage von einer Beschlußfassung im Ministerrat abgesehen, und die Verfügung erfolgte unter der Ministerverantwortlichkeit des Bundeskanzlers. Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Sitzung vom 9. 3. 1933. S. 405–412. 808 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 21.

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nalsozialisten praktiziert wurde. Seitz ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und führte seine ziemlich lange Rede zu Ende. Die Nationalsozialisten beteiligten sich mit vier Rednern, nämlich Stadtrat Frauenfeld, Dr. Riehl, Dr. Hanke und Dr. Suchenwirth, an der Debatte, von den Sozialdemokraten meldete sich neben dem Bürgermeister noch der Abgeordnete Weigl zu Wort, die Stellungnahme für die Christlichsozialen gab Klubobmann Kunschak ab. Der sozialdemokratische Abgeordnete Weigl kündigte an, daß sich die Arbeiter und Angestellten Österreichs mit Leib und Leben gegen den »Totentanz der Demokratie« zur Wehr setzen würden. »Der Versuch, gegen die arbeitenden Menschen dieses Landes die Diktatur aufzurichten … bedeutet hier zu Lande die Entfesselung des Bürgerkrieges.« Die Regierung habe es aber noch in der Hand, auf den Weg der Demokratie zurückzufinden. Es sei zu hoffen, daß die Regierung in letzter Stunde die ernsten Worte hören und »daß unser Land vor dem Bürgerkrieg und vor gewaltsamen Auseinandersetzungen bewahrt werde«.809 Der erste nationalsozialistische Redner, Stadtrat Frauenfeld, der seine Rede mit den Worten »Geehrter Landtag und Sie, Putschisten im Taschenformat  !« einleitete, meinte, mit den Ereignissen nach der Ausschaltung des Parlaments sollte sich »vielleicht Professor Wagner-Jauregg«, der berühmte Psychiater, beschäftigen. Es handle sich um einen »Putsch der Schwäche«, um »ein politisches Siebenmonatkind, das körperlich seinem Vater Dollfuß recht ähnlich sieht« und daher nur eine kurze Lebensdauer haben werde. Die Ausschaltung des Parlaments sei nur eine Folge der Angst vor Neuwahlen, denn man könne sich nichts »Komischeres vorstellen, als Herrn Abg. Kunschak als Putschisten ..., wenn ein eingefleischter Demokrat plötzlich als einer auftaucht, der sich für illegale Dinge einsetzt«.810 Bei Neuwahlen würde kaum mehr jemand von den Christlichsozialen, der Heimwehr oder vom Landbund im Parlament sitzen. Die Regierung Dollfuß habe in der Bevölkerung niemand mehr hinter sich. Im übrigen war es die Taktik der Nationalsozialisten, die Regierung Dollfuß und den Bundeskanzler persönlich möglichst lächerlich zu machen. Das ganze sei eine Komödie von »Demokröten« in Napoleonpose, ein Zirkus von Putschisten in Miniaturausgabe, nach denen zur Pratereröffnung große Nachfrage sein werde, ein »Kabinett der politischen Kadaver«, Dollfuß sei der Gefangene der Heimwehr Starhembergs. »Er ist in der Situation des armen Teufels, der einen Husten hat und befürchten muß, daß ihm deshalb dabei etwas passiert.« Die Regierungsmitglieder hätten Zimmer mit Hoffenstern gewünscht aus Angst, durch Gassenfenster könnte auf sie geschossen werden. Riehl gab z. B. unter höhnischem Gelächter der Nationalsozialisten eine Episode zum besten, wonach Bundeskanzler Dollfuß – nachdem der 3. Präsident des Na809 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 30. 810 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 22 f.

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tionalrates, Dr. Straffner, den Nationalrat zu einer Sitzung einberufen hatte – selbst in das Postamt des Nationalrates gegangen sei und die Einladungskuverts verlangt hatte. »Als ihm der Beamte die Antwort gab, daß er diese Kuverts nur auf richterlichen Befehl herausgeben könne, hat Herr Dollfuß, der Diktator – 1,3 Meter groß – nicht etwa die ganzen Kuverts durch zwei Wachleute, die er geholt hat, beschlagnahmen lassen, sondern er hat sich auf seine zarten Beine gemacht und hat sich in ganz Wien einen Richter gesucht, damit er die Kuverts beschlagnahmen könne.«811 Sollte jemand fragen, wie sich gerade Nationalsozialisten gegen autoritäre Maßnahmen aussprechen könnten, mit dem Hinweis auf den Kurs Hitlers in Deutschland, meinte Frauenfeld lapidar mit dem Hinweis auf das lateinische Sprichtwort  : »Quod licet Jovi, non licet bovi  ! Was dem Hitler erlaubt ist, ist nicht Dollfuß erlaubt.« Ähnlich der NS-Abgeordnete Dr. Riehl  : »Das konnte und kann Hitler machen, weil er das Volk gefragt und das Volk seine Ansicht gebilligt hat. Im Namen des Volkes wird die demokratische Verfassung Deutschlands nunmehr revidiert, unsere Wirtschaftsund Staatsform wird unseren Idealen entsprechend umgewandelt.«812 Die Argumente der Nationalsozialisten im Wiener Landtag decken sich hier genau mit denen etwa im Niederösterreichischen Landtag. Dort führte der NS-Abgeordnete Dr. Höfinger zum gleichen Thema aus  : »Wir Nationalsozialisten haben im allgemeinen gegen eine Diktatur nichts einzuwenden, wir müssen aber fragen, wer ist berechtigt, eine Diktatur in Österreich aufzurichten  ? Das ist der große Unterschied, der zwischen Ihrer Diktatur und der Diktatur im Reiche draußen besteht, die in diesen Tagen aufgerichtet wurde. Im Reiche hat man die Diktatur auf Grund der Wahlen errichtet, im Reiche hat der Mann, der die Diktatur errichten wollte, zuerst das Volk befragt, ob es mit seiner Diktatur einverstanden ist und das Volk hat mit überwiegender Mehrheit zugestimmt. Sie haben die Diktatur errichtet, um das Volk nicht befragen zu müssen, weil Sie vor dem Volke Angst haben.«813 Die Maßnahmen der Regierung Dollfuß seien von einer »außerordentlichen Tücke und kleinlichen Gehässigkeit« und »hundertprozentig gegen den Nationalsozialismus gerichtet«814 und außerdem ausschließlich eine Reaktion auf die Ereignisse in Deutschland.815 Die Bundesregierung erfülle den »Dienst von französischen Fremdenlegionären« und begehe damit nackten Volksverrat  : »Herr Starhemberg, der politische Tippler, fährt nach Budapest, nach Rom und Paris, um dort seine Freund811 LPWien, 5. Sitzung. 18. 3. 1933. S. 45. 812 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 32. 813 LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 58 f. 814 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 23. 815 Vgl. den NSDAP-Abgeordneten Dr. Höfinger im Niederösterreichischen Landtag  : »Sie führen in Österreich keinen Kampf gegen den Marxismus – das ist nur ein Vorwand –, sondern Sie führen den Kampf eben gegen den deutschen Geist, den Adolf Hitler auch in Österreich einführt.« LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 61 f.

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schaftsbande zu knüpfen und Herr Winkler fährt zum Tschechen Benesch nach Prag, um dort politische Fäden anzuknüpfen.«816 Die NSDAP warne »daher jedermann, insbesondere das Ausland, mit dieser Regierung, die den Boden des Gesetzes verlassen hat, irgendwelche Verhandlungen zu führen oder ihr Geldbeträge zur Verfügung zu stellen, weil die, die nach ihr kommen werden, nicht bestätigen werden, was diese Regierung getan hat.«817 Denn die NSDAP habe Zeit, sie könne warten  : »Was soll dem Nationalsozialismus in Österreich geschehen, der ein nationalsozialistisches Deutschland hinter sich hat  ? Nichts  ! … Was sich jetzt abspielt, das ist das österreichische Kabinett Schleicher und was nach Schleicher gekommen ist, wird Ihnen bekannt sein.«818 Wobei die Nationalsozialisten sogar versicherten, »daß sich das alles in legalen Bahnen bewegen wird, denn der gesetzliche Weg erscheint uns als der kürzeste und müheloseste Weg, um unser Ziel zu erreichen.«819 Es gehörte also zu den Standardargumenten der Nationalsozialisten, daß die Regierung Dollfuß eben nur eine kurze Übergangsphase zur endgültigen Machtübernahme durch die NSDAP in Österreich darstelle. Auch wenn Dollfuß »mit einer gewissen ursprünglichen Keckheit an die Sache herangeht unter 90 Fehlgriffen ab und zu und unter Umständen auch eine Sache, die nicht schlecht ist« (NS-Abg. Dr. Riehl, der auch erstmals im Wiener Landtag eine Rede mit »Heil Adolf Hitler« beendete), sei der Sieg des Nationalsozialismus nicht aufzuhalten, auf kurz oder lang werde – ohne besondere Anstrengung – die NSDAP, wenn notwendig auch über Wahlen, jener Machtfaktor sein, der dafür sorgt, daß Österreich möglichst bald Bestandteil des Deutschen Reiches werde.820 »Unseren Propagandachef haben wir auf Urlaub geschickt. Das macht Dollfuß für uns auf sehr billige Art und Weise« (NS-Abg. Dr. Hanke).821 Aber ebenso ließen die Nationalsozialisten keinerlei Zweifel daran, welches Schicksal die Politiker der anderen Parteien erwarten würde, die »als Schädlinge, als Verbrecher am Gewerbestande in Schutzhaft« genommen würden, »wenn wir zur Macht gelangen« (NS-Abg. Gratzenberger). Vorläufig erntete er damit bei den anderen Abgeordneten nur Heiterkeit.822 Auch der niederösterreichische NS-Abgeordnete Rentmeister ließ keinen Zweifel daran, was den Politikern der Regierungsparteien blühen könnte  : »Bei so hohen Einsätzen kann es schon sein, daß auch der Kopf rasiert wird.« 816 Vgl. dazu auch Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. S. 128 f. 817 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 23. 818 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 24 f. 819 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1933. S. 60. 820 Vgl. auch den nationalsozialistischen Abgeordneten Dr. Höfinger im Niederösterreichischen Landtag  : »Österreich wird einmal ein Bestandteil des deutschen Reiches werden, ob Sie wollen oder dagegen Widerstand leisten, genau so, wie wir wissen, daß die Wiesen im Frühling grünen und blühen müssen.« LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. S. 62 f. 821 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 84 und S. 88. 822 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 93.

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Und an anderer Stelle  : »Wir werden, wenn es sein muß und die christlichsoziale Partei sich als Schädling des Volkes erweist, diese Partei, so rücksichtslos zertrümmern, wie sie draußen im deutschen Reich Adolf Hitler zertrümmert hat … Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn. Trachten Sie, daß Sie in dieser Stunde einen gnädigen Richter finden, denn sonst Gnade Ihnen Gott.«823 Den Sozialdemokraten warfen die NSDAP-Abgeordneten vor, ihre Entrüstung über die Ausschaltung des Parlaments nicht ernst zu meinen. Die Sozialdemokratie habe in der Frage von Neuwahlen des Parlaments nie ihr ganzes Gewicht als stärkste Partei in die Waagschale geworfen, sondern habe es vorgezogen abzuwarten, ob für sie selbst die Wahlchancen im Laufe der Zeit noch besser werden würden. »Sie haben es vorgezogen, mit politischen Leichen beisammen zu sein, und heute dürfen Sie nicht darüber stöhnen, wenn Sie vom Leichengift dieser Parteien infiziert worden sind«, rief der NS-Abgeordnete Dr. Suchenwirth den Sozialdemokraten zu.824 Der Nationalsozialist Dr. Riehl wiederum meinte, eine vorsichtige Tonart bei der Rede von Bürgermeister Seitz feststellen zu können und »hier wieder die kleine historische, bereits durch Jahrzehnte beobachtete, süße, wenn auch geheime Liebe vom Platz des Herrn Kunschak zum Platz des Bürgermeisters Seitz« gefühlt zu haben.825 Er glaube daher auch nicht an die Entrüstung der Sozialdemokraten. »Es sind gewisse Vorbereitungen zu einer neuerlichen nächtlichen Zusammenkunft zu spüren gewesen, aus der vielleicht, wie anno 1918, ein neues Koalitionsministerium schwarz-rot entstehen könnte.« Tatsächlich nahm die Sozialdemokratische Partei eine »passiv abwartende Haltung« gegenüber der Politik von Bundeskanzler Dollfuß ein, die schon fast die Grenze zum »schädlichen Kompromiß« erreichte.826 Auch in der nächsten Landtagssitzung am 18. März, als es um eine dringliche Anfrage der Sozialdemokraten ging, die das von der Bundesregierung verordnete Verbot der Einhebung von Bundessteuern durch die Gemeinde Wien zum Gegenstand hatte, gab Stadtrat Dr. Danneberg eine überraschend sachliche Antwort. Er ging kaum auf die grundsätzliche Frage ein, ob ein solcher Schritt durch das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz überhaupt gedeckt sei, sondern kritisierte vor allem, daß die Bundesregierung der Bundeshauptstadt Wien zwar das Recht zur Einhebung der Bundessteuern genommen habe, aber nicht bereit sei, auch die große Zahl von Gemeindeangestellten, die mit der Einhebung beschäftigt waren, in den Bundesdienst zu übernehmen.827 In der Debatte dazu meldeten sich – nach dem Auszug der Christ823 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 163, und 10. Sitzung. 24. 3. 1933. S. 211. 824 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 33. 825 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 31. 826 Lajos Kerekes, Abenddämmerung einer Demokratie. S. 134. 827 Vgl. LPWien, 5. Sitzung. 18. 3. 1933. S. 37–43. Vgl. auch Protokolle des Ministerrates der Ersten Repu-

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lichsozialen – ausschließlich Nationalsozialisten zu Wort, die die Sozialdemokraten heftig attackierten, ohne daß auch nur ein sozialdemokratischer Redner replizierte. Der NS-Abgeordnete Dr. Riehl sprach gar den Verdacht aus, daß Nationalratspräsident Dr. Renner entweder »rein nur aus bonzenhafter Überheblichkeit sein Amt hingeworfen« habe oder »daß das ganze ein abgekartetes Spiel ist und Sie gar nicht die Absicht haben, ernstlich loszugehen, sondern daß Sie sich selbst darüber freuen, daß Dollfuß durch diese Gesetzesklitterung mit den Notverordnungen auf Grund des Ermächtigungsparagraphen es verhindert, daß das geschieht, was das einzig Gesunde und Richtige wäre, nämlich Neuwahlen durchzuführen«.828 In die gleiche Kerbe schlug der Nazi-Abgeordnete Dr. Suchenwirth, der den Sozialdemokraten neuerlich vorwarf, niemals ernsthaft Neuwahlen gefordert zu haben und »lieber mit jeder Herrschaft in Wien, ob sie eine Heimwehrherrschaft, eine Dollfußherrschaft, eine Habsburgerherrschaft wäre, zufriedener sind als mit der Gestaltung Deutschösterreichs nach dem Willen des Volkes«.829 Nun aber wieder zurück zur Sitzung vom 9. März. Der christlichsoziale Klubobmann Leopold Kunschak ging auf den nationalsozialistischen Redner nur kurz ein und bestätigte, daß er selbst nie ein »Putschist« sein könne  : »Mein ganzes Tun im öffentlichen Leben war immer darauf abgestellt, auf dem Boden der Gesetze und unter Ausnützung aller gesetzlichen Handhaben meinem Volk und meinem Vaterland zu dienen.«830 Den Großteil seiner Rede widmete Kunschak den Sozialdemokraten. Es gebe in Wien Leute, die schmerzlich erregt seien über die neueste politische Entwicklung, dazu zähle Bürgermeister Seitz, und viele, die freudig erregt seien. Die Bundesregierung habe nichts anderes getan, als ein Aufmarsch- und Versammlungsverbot erlassen, wie dies oftmals früher schon geschehen war und was auch vom Wiener Landeshauptmann immer wieder anstandslos vollzogen worden sei. Die Regierung habe sich nun nur entschlossen, »zwischen Versammlungsfreiheit und Versammlungsmißbrauch, zwischen Pressefreiheit und Pressefrechheit zu unterscheiden und der letzteren ein

blik. Abt. VIII. Band 2. Sitzung vom 12. 3. 1933. S. 438 f. Vom Land Niederösterreich war das Übereinkommen, wonach vom Bund auch die Landessteuern eingehoben wurden, gekündigt worden, weshalb Steuerbeamte des Bundes in Niederösterreich frei wurden, die nun für die Einhebung der Steuern in Wien herangezogen werden konnten. Die Gemeinde Wien hatte bisher für die Einhebung der Steuern 5,8 Millionen Schilling erhalten, während die Selbsteinhebung durch den Bund nur 2 Millionen Schilling kostete. Graz fiel – aus den in Wien von den Sozialdemokraten genannten Kostengründen – nicht unter diese Regelung, so daß sie als ausschließlich politisch motivierte Aktion der Bundesregierung gegen die Sozialdemokraten angesehen werden kann. 828 LPWien, 5. Sitzung. 18. 3. 1933. S. 47. 829 LPWien, 5. Sitzung. 18. 3. 1933. S. 48. 830 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 25.

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Ende zu setzen.«831 Die Bundesregierung sorge dafür, »daß Österreich und vor allem anderen Wien nicht ein freier Tummelplatz von Schurken und Schweinen sei«. Die Aufforderung der sozialdemokratischen Mehrheit des Wiener Landtages, der Landeshauptmann solle als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung eine Weisung der Bundesregierung nicht befolgen, sei nach Kunschaks Ansicht »nackter Verfassungsbruch«, der die Klage beim Verfassungsgerichtshof nach sich ziehen müßte. Der Grund für die Maßnahmen der Bundesregierung liege in erster Linie darin, daß gerade in der wirtschaftlich äußerst schwierigen Situation sich Österreich nicht »den Luxus fortwährender innerer Beunruhigung« erlauben dürfe und daher Ruhe und Ordnung zu sichern seien. Kunschak verwies auf die negativen Auswirkungen etwa des Eisenbahnerstreiks832 auf die Vorbereitungen der Wiener Messe und fuhr fort  : »Es wird auch niemand glauben, wenn jeden Abend oder mindestens jeden Sonntag einmal eine Schlacht zwischen dem republikanischen Schutzbund und der Heimwehr, dann eine solche zwischen dem Schutzbund und den Nazi, dann eine solche zwischen den Nazi und der Heimwehr stattfindet, daß das die Ausländer ermuntert, in ein solches Land zu reisen oder mit ihm Geschäftsverbindungen anzuknüpfen.«833 Schließlich meinte Kunschak, die Lahmlegung des Nationalrates sei ausschließlich eine, die das Parlament selbst zu beschäftigen habe, der Nationalrat sei autonom. Die verfahrene Situation könne behoben werden, »wenn sich die Parteien des Nationalrats zusammensetzen und sich auf eine Formel einigen, der sie dann die verfassungsmäßige Genehmigung geben wollen. Dann wird der Fall saniert sein  ; aber durch Schimpfen auf die Regierung usw. geht das absolut nicht.«834 Kunschak glaubte also zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch, daß sich die Krise des Parlaments rasch beenden lasse. Das gemeinsame Vorgehen von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten bezeichnete Kunschak als »Verbrechen im Sinne der Unzucht wider die Natur«, das ohne die »Zeugenschaft« der Christlichsozialen fortgesetzt werden solle, weshalb die christlichsozialen Abgeordneten nach der Rede Kunschaks den Saal verließen.835 Ebenso verließen die Christlichsozialen in der Sitzung vom 18. März – ohne eine Wortmeldung – den Saal. Kunschak hatte schon vor der Sitzung gegen die Tagesordnung protestiert, weil nach Ansicht der Christlichsozialen Verwaltungsangelegenheiten im Wiener Landtag nicht verhandelt werden dürften. Nachdem Sozialdemokraten und Nationalsozialisten gemeinsam die Tagesordnung beschlossen, sahen die Christ-

831 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 26. 832 Vgl. dazu etwa Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 399 f. Gulick nennt den Streik »unklug«. 833 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 27. 834 LPWien, 4. Sitzung. 9. 3. 1933. S. 27. 835 Vgl. auch »Reichspost«, 10. 3. 1933. S. 2  : »Braun und rot – im Wiener Rathaus vereint.«

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lichsozialen die Wiener Landesverfassung verletzt und nahmen nicht an der Sitzung teil, die von den »Rathausmarxisten«, dem »Wunsche ihrer nationalsozialistischen Freunde nachkommend«, einberufen worden war.836 Tatsächlich hatten Sozialdemokraten und Nationalsozialisten inhaltlich weitgehend gleichlautende Anträge im Wiener Landtag eingebracht. Der sozialdemokratische Antrag hatte folgende Schwerpunkte  : 1. Schärfster Einspruch gegen den leichtfertigen und mutwilligen Verfassungsbruch, wodurch der Bürgerfriede und die Volkswirtschaft in ernste Gefahren gestürzt werde. 2. Unverzügliche Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes im Bund. 3. Protest gegen die verfassungswidrigen Angriffe der Bundesregierung auf die Freiheitsrechte und Forderung nach Aufhebung des verfassungswidrigen Versammlungsverbotes und der Pressezensur. 4. Landtag und Landeshauptmann werden aufgefordert, alles zu tun, um den verfassungsmäßigen Zustand wiederherzustellen. 5. Alle Organe des Landes Wien werden aufgefordert, die Bundes- und Landesverfassung einzuhalten und jeder Weisung zu verfassungswidrigen Handlungen den Gehorsam zu verweigern. Der Landtag begrüßt, daß der Wiener Landeshauptmann die verfassungswidrige Weisung des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen abgelehnt hat. Die NSDAP brachte einen Antrag ein, der sich in den wesentlichen Punkten mit den Forderungen der Sozialdemokraten deckte.837 836 »Reichspost«, 19. 3. 1933. S. 4. 837 Der nationalsozialistische Antrag hatte folgenden Wortlaut (S. 25)  : »Die Bundesregierung hat in einem Aufruf ›An Österreichs Volk‹ Notverordnungen über ein Versammlungs- und Aufmarschverbot, sowie über die Einschränkung der Pressefreiheit angekündigt und diese angekündigten Notverordnungen auch bereits erlassen. Der christlichsoziale Bundeskanzler Dr. Dollfuß – im Volksmund der ›Millimeternich‹ oder auch der ›Luxuszwerg‹ genannt – hat – unterstützt oder gedrängt von seinen hahnengeschwänzten Freunden Starhemberg und Fey – den Boden der Verfassung verlassen und mimt den Diktator, ohne die Fähigkeiten, die Mittel, die gesetzliche Handhabe oder einen sachlichen Anlaß hiefür zu haben. Wir stellen daher gemäß § 19 der Geschäftsordnung des Landtages für Wien den Antrag  : Der Landtag wolle beschließen  : 1. Der Landtag legt gegen das Versammlungs- und Aufmarschverbot sowie gegen die Einschränkung der Pressefreiheit schärfste Verwahrung ein. 2. Der Landeshauptmann wird aufgefordert, sofort bei der Bundesregierung gegen die Erlassung des Versammlungs- und Aufmarschverbotes sowie gegen die Einschränkung der Pressefreiheit Verwahrung einzulegen, da die bezüglichen Verordnungen eine schwere Verletzung der verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte der Bundesbürger beinhalten.

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Schließlich wurden die Punkte 1. bis 4. des sozialdemokratischen Antrages mit den Stimmen der Sozialdemokraten und der Nationalsozialisten, der 5. Punkt nur mit den Stimmen der Sozialdemokraten beschlossen. Daraufhin zogen die Nationalsozialisten die ersten beiden Punkte ihres Antrages zurück, da sie durch den sozialdemokratischen Antrag erledigt seien. Die restlichen Punkte des NS-Antrages wurden von den Sozialdemokraten abgelehnt und erhielten damit keine Mehrheit. Die Sozialdemokraten gingen daher einen konsequenten und korrekten Weg, indem sie einem NS-Antrag, auch wenn er inhaltlich ihren Intentionen entsprach, keine Zustimmung gaben. Da die Sozialdemokraten in Wien über die absolute Mehrheit verfügten, konnten sie ihre Forderungen allein durchsetzen und waren auf keine Zusammenarbeit mit der NSDAP angewiesen. Für den 15. März wurde der Nationalrat vom zurückgetretenen Dritten Präsidenten Dr. Sepp Straffner (Großdeutscher) einberufen, wobei nur sozialdemokratische und großdeutsche Abgeordnete teilnahmen. Nach einer kurzen Erklärung schloß er die Sitzung (noch vor deren offiziellem Beginn), der Saal wurde von rund 200 Kriminalbeamten geräumt. Diese Vorgangsweise führte in der Bundesregierung zu Konflikten, da Teile der Christlichsozialen und vor allem der Landbund eine gewaltsame Auflösung der Nationalratssitzung ablehnten.838 Der christlichsoziale Sozialminister Josef Resch war am 10. März zurückgetreten, weil er den neuen Regierungskurs nicht mitmachen wollte.839 Hatten die Christlichsozialen am 9. März und am 18. März die Sitzungen des Wiener Landtages verlassen, so nahmen sie an der Landtagssitzung vom 1. April von vorneherein aus Protest erst gar nicht teil. Klubobmann Kunschak hatte das Fernbleiben der Christlichsozialen dem Landtagspräsidenten schriftlich mitgeteilt, »weil die Sitzung einberufen wurde, ohne den in der Geschäftsordnung vorgesehenen Termin einzuhalten«.840 Offensichtlich wollten sich die Christlichsozialen einer Debatte über die am 30. und 31. März erfolgte Auflösung des Republikanischen Schutzbundes und die am 24. März durch den Heimwehr-Staatssekretär Fey angeordnete Vorzensur für alle sozialdemokratischen Zeitungen nicht stellen. 3. Der Landeshauptmann wird aufgefordert, bei der Bundesregierung wegen sofortiger Auflösung des Nationalrates und Ausschreibung von Neuwahlen vorstellig zu werden. 4. Der Landeshauptmann wird aufgefordert, dem Versammlungs- und Aufmarschverbot im Lande Wien die Durchführung zu versagen. 5. Der Landtag spricht einer Regierung, die sich auf Parteien stützt, hinter denen keine Wähler mehr stehen, das schärfste Mißtrauen aus und fordert deren sofortigen Rücktritt. 6. Der Präsident des Landtages wird aufgefordert, den Landtag neuerlich zu einer Sitzung für Montag, den 13. März 1933, einzuberufen.« 838 Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abt. VIII. Band 2. Sitzung vom 9. 3. 1933 und vom 15. 3. 1933. S. 417–423, S. 464–472. 839 Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abt. VIII. Band 2. Sitzung vom 12. 3. 1933. S. 431. Vgl. auch Johanna Holik, Sozialminister Dr. Josef Resch (1889–1939). Wien 1986. S. 47 f. 840 LPWien, 6. Sitzung. 4. WP. 1. 4. 1932. S. 51.

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Am 15. März war bereits die Landesorganisation Tirol des Republikanischen Schutzbundes wegen Hochverrates und Aufstand legal aufgelöst worden. Bei Hausdurchsuchungen waren nicht nur Waffen, sondern auch Aufrufe an Soldaten und Beamte gefunden worden, in denen diese aufgefordert wurden, der Regierung den Gehorsam zu verweigern.841 Dieser Erfolg in Tirol hat Dollfuß in seinen weiteren Absichten zweifellos gestärkt. Dies umso mehr, als der sozialdemokratische Parteivorstand in Tirol sich mit der Auflösung des Republikanischen Schutzbundes abfand. Vom Verhalten der Tiroler Sozialdemokraten konnte Dollfuß auch Rückschlüsse auf das Verhalten des sozialdemokratischen Bundesparteivorstandes in Wien ziehen.842 Die weiteren Maßnahmen wurden von der Regierung vor allem mit den blutigen Zusammenstößen in steirischen und niederösterreichischen Gemeinden begründet. Innerhalb der Regierungsfraktionen gab es durchaus unterschiedliche Meinungen zur beabsichtigten Auflösung des Schutzbundes, weshalb über Wunsch von Vizekanzler Winkler (Landbund) am 25. März eine sogenannte Mehrheitsparteienbesprechung im Bundeskanzleramt stattfand. Aus der Diskussion geht eindeutig hervor, daß der treibende Teil in der Regierung die Heimwehr war, unter den Christlichsozialen auch der Wunsch nach »Auflösung aller Wehrformationen, die nicht dem Staat gehören« (Kollmann) bestand, während es der Landbund »für unmöglich (hielt), daß man das Programm des Heimatschutzes, das abweichend ist von dem der anderen Parteien, durchführt«. Schließlich setzte sich die Heimwehr durch, vor allem mit dem Argument, die Bevölkerung würde der Regierung Schwäche vorwerfen.843 Die Sozialdemokraten nahmen diese Maßnahmen der Bundesregierung sofort in einer eiligst einberufenen Landtagssitzung in Wien zum Anlaß für eine dringliche Anfrage an Landeshauptmann Seitz und kritisierten vor allem, daß »hochverräterische Organisationen, wie die Heimwehren, die sich offen als Faschisten bekennen … nicht nur geduldet, sondern geradezu gehätschelt werden«, während der Republikanische Schutzbund, der zum Schutz der Republik eingerichtet worden sei, verboten würde. Auch die Heimwehrpresse, die täglich gegen die Verfassung schreibe, bliebe im Gegensatz zu den »proletarischen Zeitungen« unbehelligt.844 841 Vgl. Gerhard Oberkofler, Die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes (1933). In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Bewegung und Klasse. S. 329–340. 842 Tatsächlich beschloß der sozialdemokratische Parteivorstand am 16. März 1932 nur  : »Die Partei erläßt einen Aufruf, in dem mitgeteilt wird, daß die Auflösung des Schutzbundes in Tirol mit der Aufstellung von Ordnerschaften beantwortet wird.« Protokoll der Sitzung des Parteivorstandes vom 16. März 1932. S. 2418. 843 Walter Goldinger (Hg.), Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. S. 201–215. 844 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 51. Ganz offensichtlich gab es hier gravierende Gegensätze zwischen den führenden Parteifunktionären in Wien und den Funktionären in den Bundesländern, die zu kämpfen bereit gewesen wären (etwa Bernaschek in Oberösterreich). Vgl. Inez Kykal, Karl R. Stadler, Richard Bernaschek. Odyssee einer Rebellion. Wien 1976. S. 58 ff.

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Auffallend ist nun, daß in der dringlichen Anfrage der Sozialdemokraten nicht etwa die Forderung erhoben wird, das Verbot des Republikanischen Schutzbundes und die Vorzensur gegenüber den sozialdemokratischen Zeitungen solle aufgehoben werden, sondern daß der Landeshauptmann von Wien alle Maßnahmen ergreifen solle, um Wien »gegen die hochverräterischen Umtriebe der in italienischem Solde stehenden faschistischen und legitimistischen Heimwehr zu schützen«.845 Auch in der Sitzung des Niederösterreichischen Landtages vom 5. April beließen es die Sozialdemokraten bei einer Anfrage an den Landeshauptmann, in der sie von einer einseitigen Anwendung des Gesetzes im Falle der Auflösung des Republikanischen Schutzbundes sprachen. Sie verlangten vom Landeshauptmann zur Wiederherstellung der Rechtsgleichheit die Auflösung der Heimwehr (also nicht die Wiederzulassung des Schutzbundes) und die objektive Handhabung der Gesetze gegenüber jedermann.846 Diese Initiativen der Sozialdemokraten in Wien entsprachen ganz dem »kampflosen Zurückweichen der Sozialdemokratie«, es kam zu »keinen Akten entschlossenen Widerstands«. 847 Man gewinnt eher den Eindruck, die Sozialdemokraten wollten durch ihre Initiativen die Heimwehren schwächen und nach Möglichkeit ausschalten und hofften dabei immer noch auf die gegen die Heimwehr und deren Regierungsbeteiligung eingestellten Kreise innerhalb der Christlichsozialen Partei. Darum auch das Umwerben von Leopold Kunschak (Danneberg  : »Er hat den Ruf eines alten Demokraten und er hält offenbar noch etwas auf diesen Ruf und er hat also die Bekenntnisse zur neuen Zeit nicht so abgelegt, wie dies seine Klubkollegen hier getan haben.«848) im Wiener Landtag und der bäuerlichen Abgeordneten der Christlichsozialen in den anderen Landtagen, vor allem in Niederösterreich. Dort stellte etwa der sozialdemokratische Abgeordnete Popp fest, »daß auch heute noch die Bauernschaft selbst sehr genau weiß, wie sie sich zur Demokratie einzustellen hat, weil sie aus der eigenen Geschichte und aus der Entwicklung etwas gelernt hat … Diese Bauernschaft hat auch ein Verständnis für ein entsprechendes Zusammenarbeiten zwischen Arbeiter und Bauern. Wenn versucht wird, dieses Verständnis zu gefährden, dann geschieht es durch die Bestrebungen einzelner machtlüsterner, klerikaler faschistischer Politiker, durch die monarchische Heimwehr und nicht zuletzt jene Vertreter des Kapitals, die hinter den Heimwehrkreisen stehen, weil sie meinen, daß man eine Sanierung nur auf Kosten der Arbeiter und Bauern durchführen soll.«849 Offenbar hofften die Sozialdemokraten immer noch auf ein Auseinanderbrechen dieser Regierungskoalition, womit ihre Position bei Gesprächen mit den Christlichsozialen wieder gestärkt gewesen wäre. 845 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 52. 846 LPNÖ, 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1932. S. 6 ff. 847 Gerhard Botz, Attentate. S. 211 und 212. 848 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 89. 849 LPNÖ, 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1933. S. 130 f.

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

Es stellt sich die Frage, ob sich die Sozialdemokraten schon mit der Auflösung ihrer paramilitärischen Organisation abgefunden hätten, wenn nur die »Rechtsungleichheit« aufgehoben und auch die Heimwehren verboten worden wären. Jene Heimwehren, in der die sozialdemokratischen Redner – aber auch die Nationalsozialisten – ganz deutlich die heimlichen Drahtzieher850 der Maßnahmen der Regierung Dollfuß, »die täglich versichert, es sei ihr Bestreben, möglichst bald wieder zu verfassungsmäßigen Zuständen zurückzukommen«, sahen.851 Der sozialdemokratische Abgeordnete Thaller sah hinter dem Verbot des Schutzbundes den ersten Schritt einer Strategie der Heimwehr, nach dem eine Säuberung von Gendarmerie und Polizei und einer Einstellung der Heimwehr als Hilfspolizei852 schließlich als letzter Schritt die Einsetzung Graf Starhembergs zum Reichsverweser der Republik Österreich folgen würde. Im Niederösterreichischen Landtag sprach es der sozialdemokratische Abgeordnete Petznek deutlich aus, daß »ja Dr. Dollfuß gar nicht der ist, der die Macht in der Hand hat, sondern ganz andere Herren  ; der Herr Dr. Dollfuß ist heute der Gefangene all derer, die die geringste Macht in diesem Staate haben und das ist die Heimwehr, die jetzt auftrumpft, als ob hinter ihr etwas stünde. Diese Heimwehr kommandiert heute dem Dr. Dollfuß und dieser muß kuschen und parieren, weil er die 5 Stimmen des Heimatblocks im Parlament braucht und weil eben diese 5 Stimmen von keiner anderen Partei geliefert werden können. Darum läßt sich Herr Dr. Dollfuß von dem Herrn Starhemberg befehlen, anstatt daß er diesen Klachel hinausschmeißt und ihm sagt, er hat da nichts mitzureden.«853 Die Abhängigkeit dieser Regierung von der Heimwehr zeigte sich nach Ansicht der Sozialdemokraten auch darin, daß gegen die zur »Herstellung der Rechtsgleichheit« durch Bürgermeister Seitz erfolgte Auflösung des Wiener Heimatschutzes sofort Rekurs eingebracht wurde, dem schon am Tag darauf von der Bundesregierung 850 In der Tat hatte Starhemberg Mitte März mehrfach die Unterstützung der Regierung Dollfuß durch die Heimwehr von einem konsequenten Vorgehen der Regierung gegen den Marxismus abhängig gemacht und als ersten Schritt die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes genannt. Vgl. etwa Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 412. Vgl. dazu auch den nationalsozialistischen Abgeordneten Dr. Höfinger, der im Niederösterreichischen Landtag feststellte, »daß der Herr Bundeskanzler Dollfuß nur ein Werkzeug in der Hand von Leuten geworden ist, die gewissenlos genug sind, das Volk zu knechten und jede freie Meinungsäußerung des Volkes unterbinden zu lassen  ; das sind jene Leute, die sich heute noch Heimatschutzführer nennen, obwohl es keine Heimatwehr mehr gibt.« LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 59. Oder der NS-Abgeordnete Saliger im Nö. Landtag  : »Es ist unendlich grotesk und tragisch, daß sich die Bundesregierung von diesen paar Leuten, von diesen Hochstaplern in dieser Weise vergewaltigen läßt, damit in einem später aufgestellten Nationalrat wieder ein paar Stimmen zur Verfügung stehen.« LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 151. 851 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 52. 852 Tatsächlich beschloß die Bundesregierung im Sinne der Heimwehren am 10. April 1933 die Aufstellung von sogenannten »Freiwilligen Assistenzkörpern«. 853 LPNÖ, 10. Sitzung. II. Se. 24. 3. 1933. S. 81 f.

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stattgegeben wurde. Dabei war es für Bürgermeister Seitz »nicht wichtig«, ob er mit seiner Verfügung durchdringe oder nicht. Er habe jedenfalls bekundet, »daß ich alles getan habe, was in meinen Kräften als Funktionär, der auf die Verfassung ein Gelöbnis geleistet hat, steht, um zu verhindern, daß eine dieser Formationen aufgelöst wird, während die andere weiter besteht. Dieses einfache Bekenntnis war der Sinn meiner Verfügung. Dadurch ist für mich die Rechtsgleichheit wieder hergestellt.«854 Eigentlich ein sehr bescheidener Anspruch des sozialdemokratischen Bürgermeisters, ganz dem geringen sozialdemokratischen Kampfeswillen entsprechend, im Verhältnis zum gravierenden Angriff der Regierung gegen die Sozialdemokratie. Die Sozialdemokraten kritisierten weiters, daß Staatssekretär Fey, »der als Oberster über die Sicherheit in unserem Land zu wachen hat, auch gleichzeitig Obmann des Wiener Heimatschutzes ist und einem Rekurs gegen die Auflösung des Wiener Heimatschutzes stattgibt«.855 Die Sozialdemokraten gaben aber auch gleichzeitig bekannt, daß die Vorgänger des Republikanischen Schutzbundes, die Ordnerschaften, wieder geschaffen würden, aus denen der Republikanische Schutzbund im Jahre 1923 gebildet worden war. »Das war uns nichts anderes, als eine äußere Form. Wenn man sie uns unmöglich macht, dann kehren wir eben zu der alten Form zurück.«856 Auf diese Weise versuchten die Sozialdemokraten erfolgreich, das Verbot des Republikanischen Schutzbundes zu umgehen. Die Sozialdemokraten gingen im Wiener Landtag auch auf die »neue Forderung« der Heimwehren ein, mit dem diese ihren »Koalitionsgenossen erpressen« wollten  : die Absetzung des sozialdemokratischen Wiener Bürgermeisters und die Einsetzung 854 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 57. 855 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 53. 856 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 53 f. Der sozialdemokratische Parteivorstand hatte dazu folgenden Beschluß gefaßt, der im Landtag vollständig zur Kenntnis gebracht wurde  : »1. Zu den bei Parteiveranstaltungen notwendigen Ordner-, Bewachungsdiensten usw. hat jede Organisation sofort eine Ordnerschaft aufzustellen. 2. Diese Ordnerschaften sind keine Vereine, sondern bilden einen Bestandteil der Parteiorganisation und sind den zuständigen Instanzen der Organisation unterstellt. 3. Es ist Parteipflicht aller bisherigen Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes, diesen Ordnerschaften anzugehören. 4. Darüber hinaus ist jede Organisation verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Zahl der Ordner binnen kürzester Zeit auf das Doppelte der Zahl der bisherigen Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes gebracht werde. Zu diesem Zwecke ist sofort in den Sektionen (Lokalorganisationen), Jungfront-, Jugend- und Sportorganisationen für die Ordnerschaften zu werben. Die Verdoppelung der Zahl der Ordner soll binnen acht Tagen erreicht werden. Über das Ergebnis der Werbung ist in einer Woche an den Parteivorstand Bericht zu erstatten. 5. Mit der Leitung aller Ordnerschaften hat der Parteivorstand den Parteisekretär Julius Deutsch betraut. 6. Die Ordner versehen den Ordnerdienst in Zivilkleidung mit einer roten Armbinde.«

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Das »parlamentarische« Agi(ti)eren der nationalsozialistischen Mandatare in den Landtagen

eines rechtsstehenden Staatskommissärs.857 Für diesen Fall kündigten die Sozialdemokraten an  : »An dem Tage, an dem ein solcher Versuch gemacht werden sollte, an diesem Tage werden die Wiener Arbeiter keine Parole abwarten  ! An diesem Tage wird es eine Volkserhebung in Wien und in Österreich geben … Dann wird sich das Wiener Volk, dann werden sich vor allem die Wiener Arbeiter erheben und jene anmaßenden Diktatoren, die uns heute regieren, zum Teufel jagen.«858 Bürgermeister Seitz warnte in seiner insgesamt sehr moderaten Rede die Regierung beinahe prophetisch  : »Wer in Österreich mit der Diktatur spielt, der kann nur in einer deutschen, in einer Hitlerdiktatur oder in einer italienischen, einer Mussolinidiktatur, also nur in einer politischen Abhängigkeit gegenüber irgend einem Auslande enden, er kann niemals bei der Selbständigkeit Österreichs enden, weil sie nur möglich ist unter Beibehaltung der Verfassung, weil diese Selbständigkeit nur in einer demokratischen Verfassung der Republik Österreich begründet sein kann.«859 Symptomatisch ist nun auch wieder die Reaktion der Nationalsozialisten im Wiener Landtag auf diese Ausführungen. Der NS-Abgeordnete Frauenfeld ging nach einer kurzen Verhöhnung von Bundeskanzler Dollfuß (»Wozu braucht denn Herr Dollfuß einen Gräf und Stift-Wagen  ? Er kommt ja mit einem Kinderwagerl auch aus  ! Jedenfalls wird man ein Vergrößerungsglas darüber halten müssen, damit man sieht, daß in diesem Fuhrwerk überhaupt jemand sitzt.«) in einen aggressiven Angriff gegen die Sozialdemokraten über und warf ihnen vor, ihre Kritik an der Bundesregierung nicht wirklich ernst zu nehmen, wie aus »den milden, frühlingslinden sanften Tönen, die von der sozialdemokratischen Partei hier angeschlagen worden sind« erkennbar ist. Aber man könne nun »der Öffentlichkeit immerhin papierene und wörtliche Proteste vorlegen«. Die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes sei nur eine »Umbenennung« und keine Auflösung, sie sei »schon vorher so gut bekannt gewesen, daß die Herren bereits gestern vormittags auf die Polizeiorgane gewartet, und zwar so lange gewartet haben, daß es ihnen langweilig wurde, so daß sie ins Wirtshaus oder ins Kaffeehaus gegangen sind, um sich holen zu lassen, falls die Polizeiorgane erscheinen sollten«. Der Republikanische Schutzbund habe die Möglichkeit gehabt, »seine Bureauräume und Aufschriftstafeln mit anderen Bezeichnungen zu versehen, um festzustellen, daß sie gar nicht dem Republikanischen Schutzbund gehören«.860 Die weiteren sozialdemokratischen Initiativen schienen den Nationalsozialisten fast recht zu geben. In sieben Anfragen brachten die Sozialdemokraten den vollen

857 Tatsächlich war diese Forderung von der Heimwehr erhoben worden, von den Christlichsozialen aber mit größter Skepsis als »nicht aktuell« behandelt worden. Vgl. Walter Goldinger (Hg.), Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. S. 206 (Vaugoin). 858 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1933. S. 54 f. 859 LPWien, 6. Sitzung. 1. 4. 1932. S. 56. 860 LPWien, 6. Sitzung. I. 4. 1932. S. 58.

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Wortlaut von sozialdemokratischen Flugblättern und Zeitungsartikeln, die von der Bundesregierung konfisziert wurden, zur öffentlichen Kenntnis. In diesen Anfragen wurde vom Wiener Landeshauptmann sehr moderat nur energischer Protest gegen die »ständige dreiste Verletzung der Freiheit der Presse«, gegen die die Rechtssicherheit untergrabende »willkürliche Konfiskationspraxis« verlangt. Es fällt auf, daß es die Sozialdemokraten unterließen, etwa konkrete Beschlüsse des Wiener Landtages gegen die Bundesregierung zu fassen, die sie mit ihrer absoluten Mehrheit ohne Probleme beschließen hätten können. Alle ihre Initiativen richteten sich in Form von Anfragen nur an den sozialdemokratischen Bürgermeister.861 Auch im Niederösterreichischen Landtag begnügten sich die Sozialdemokraten mit zahlreichen Anfragen an den Landeshauptmann und mit der öffentlichen Verlesung der konfiszierten Artikel in den Präambeln der Anfragen. Die nächste Sitzung des Wiener Landtages fand am 26. April wieder unter Teilnahme der Christlichsozialen statt. Inzwischen war von der Bundesregierung am 10. April die Aufstellung sogenannter »Freiwilliger Assistenzkörper« beschlossen worden.862 Am 12. April hatte die Bundesregierung die Bestimmungen über die Gewährleistung bestimmter Ertragsanteile aufgehoben. Diese Notverordnungen, die den Finanzausgleich von 1931 in wichtigen Punkten verletzten, hatten entscheidenden negativen Einfluß auf die Einnahmenentwicklung der Budgets der Stadt Wien. So gingen die Wiener Ertragsanteile von über 50 Prozent in all den Jahren von 1925 bis 1930 auf 31,6 Prozent im Jahr 1932 und schließlich auf 30,2 Prozent im Jahr 1934 zurück.863 »Die finanzielle Austrocknung der Stadt war Teil der Zermürbungstaktik der Dollfußregierung gegenüber der Arbeiterbewegung in der Zeit des Übergangs bis zur Errichtung des ›autoritären‹ Staates.«864 Damit wurde der bisher große finanzielle Spielraum der sozialdemokratischen Verwaltung von Wien ganz existentiell eingeschränkt. Diese Verordnungen (insgesamt wurden es 16 Verordnungen) zählten zu den folgenreichsten mit Gesamtverlusten von ca. 100 Millionen Schilling für Wien und wurden von den Sozialdemokraten im Wiener Landtag zum Anlaß für eine dringliche Anfrage an den Landeshauptmann genommen, welche Schritte er zu unternehmen gedenke, um die schweren Schäden abzuwehren, die die Bundesregierung der Stadt

861 Vgl. auch Leon Kane, Robert Danneberg. S. 169  : »Diese ohnmächtigen Proteste in den noch existierenden gewählten Körperschaften oder in Parteikonferenzen als Ersatz für einen tatkräftigen Widerstand der noch immer funktionierenden Partei spielte der Zermürbungstaktik der Regierung in die Hände.« 862 Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abt. VIII. Band 3. Sitzung vom 10. 4. 1933. S. 141–151. 863 Vgl. Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1092. 864 Maren Seliger, Karl Ucakar, Wien. S. 1093.

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Wien zugefügt habe.865 Dabei hatte offenbar der Wiener Finanzstadtrat Danneberg in einem Gespräch mit Finanzminister Weidenhoffer schon zu erkennen gegeben, daß die Sozialdemokraten mit einer solchen Maßnahme auf Grund der schlechten Einnahmenentwicklung des Bundes rechneten, »die Gemeinde Wien möchte aber bald eine Entscheidung haben, damit sie sich danach richten kann«.866 Die sozialdemokratische Anfrage bezog sich ebenso auf eine Verordnung der Bundesregierung vom 21. 4. 1933, wonach im wesentlichen die Bundes- und Landestheater von der von den Ländern eingehobenen Lustbarkeitsabgabe befreit wurden.867 Dies war wieder ein finanzieller Schlag gegen das sozialdemokratisch regierte Wien, das von den vom Bund erhaltenen großen Bundestheatern beträchtliche Abgaben rekrutierte. In einer etwa eineinhalbstündigen Rede erläuterte Danneberg die negativen Auswirkungen der beiden Verordnungen nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz und legte eine Entschließung vor, in der der Wiener Landtag »feierlichen Protest« dagegen erhob. In einem ähnlichen dringlichen Antrag verlangten die Sozialdemokraten im Niederösterreichischen Landtag erst am 4. Mai, daß die Landesregierung schärfste Verwahrung gegen diese Verordnungen der Bundesregierung einlege und die sofortige Aufhebung dieser Verordnungen verlange.868 Dabei wurde darauf verwiesen, daß Finanzminister Weidenhoffer erst wenige Monate vorher beim Österreichischen Städtetag erklärt habe, es könne an dem gegenwärtigen System der Abgabenteilung nichts geändert werden, weil die getroffene Regelung nach den Vereinbarungen zwischen Ländern und Bund bis zum Jahr 1935 in Kraft zu bleiben habe.869 Der Antrag wurde im Niederösterreichischen Landtag mit den Stimmen von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten beschlossen.870 Vom christlichsozialen Klubobmann Kunschak wurde im Wiener Landtag das Vorgehen der Sozialdemokraten als »schamloser Mißbrauch mit der Macht der Mehrheit im Landtag für parteipolitische Zwecke« bezeichnet, womit »allen Gegnern der parlamentarischen Einrichtungen das willkommenste und treffendste Material für ihre Agitation in die Hand« geliefert werde.871 Kunschak verteidigte also die Maßnahmen 865 Vgl. LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 67. 866 Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abt. VIII. Band 3. Sitzung vom 12. 4. 1933. S. 181. 867 Vgl. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Abt. VIII  : Band 3. Sitzung vom 21. 4. 1933. S. 200, S. 214–216. 868 LPNÖ, 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 87. 869 LPNÖ, 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 92 f. 870 Den Nationalsozialisten war es zwar gleichgültig, »wenn die Autonomie verschwindet und wenn die Länder in einen großen Bau eingebaut werden  ; aber weil wir nicht klar sehen können und weil es eine Ungerechtigkeit ist, daß eine Regierung zuerst Pflichten auf sich nimmt und diese Pflichten wiederum, ohne irgend jemand zu befragen, von sich, von sich abwälzt … aus all diesen Gründen sehen wir Nationalsozialisten uns gezwungen, für diesen Dringlichkeitsantrag zu stimmen.« LPNÖ, 13. Sitzung. II. Se. 4. 5. 1933. S. 129 f. 871 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 75 f.

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der Bundesregierung, »aber nicht aus innerer Überzeugung«, wie er im christlichsozialen Klubvorstand zugab.872 Die christlichsoziale Stadträtin Alma Motzko benutzte die Debatte zu einer umfassenden Abrechnung mit der sozialdemokratischen Wirtschafts- und Finanzpolitik in Wien, die es nötig gemacht habe, »daß einmal eine ener­ gische Hand eingreift und hilft, daß diese Verwaltung nicht mehr die Möglichkeit hat, die Menschen weiter zu terrorisieren«. Schließlich gipfelte die ganze Frustration der christlichsozialen Opposition in dem Satz  : »Gesegnet der Tag, an dem in diesem Rathaus mit der marxistischen Machtpolitik ein Ende gemacht wird und ein Staatskommissär der Regierung Dollfuß hier sitzt.« Dafür müßten die »katholischen Führer« den »Befreiungskampf« führen.873 »Wir wollen uns weder von den Juden und Sozi, noch von den Preußen in den Sack stecken lassen. Wir sind Österreicher und wollen deutsche, katholische Österreicher bleiben. Hoch Österreich  !«, rief der christlichsoziale Priester-Abgeordnete Dr. Arnold in den Landtagssaal. Von diesen beiden Rednern war wohl – kurz gefaßt – die gängige Meinung eines beträchtlichen Teiles der Wiener Christlichsozialen wiedergegeben worden. Auch der christlichsoziale Abgeordnete Holaubek griff die Sozialdemokraten vehement an und warf ihnen vor, durch jahrelange Obstruktion das Parlament lahmgelegt zu haben und damit die Grundsätze der Demokratie in Mißkredit gebracht zu haben und damit für das, was sich nun vollziehe, die alleinige Verantwortung zu tragen. Demgegenüber sei die Christlichsoziale Partei von jeher auf dem Standpunkt gewesen, »daß die Grundsätze der Demokratie Geltung haben müssen«. Deshalb sei niemand »von einem faschistischen Kurs begeistert« und es gebe »gewiß Dinge, die nicht nach unserem Geschmack sind. In den Notverordnungen werden manche Dinge in die Tat umgesetzt, die gerade nicht den Beifall aller finden können.« Also durchaus auch kritische Töne gegenüber dem Regierungskurs von der christlichsozia­ len Seite im Wiener Landtag.874 Von der gleichen Qualität wie in den vorangegangenen Sitzungen war die Argumentation der Nationalsozialisten. Sie hätten sich von Danneberg »eine ganz andere Sprache« erwartet, er werde den Namen »der Zauderer« auch weiterhin verdienen, die Nationalsozialisten »horchen vergeblich auf die Marschtritte der Arbeiterbataillone und möchten endlich die Rufer im Streite dieses Hauses auf den Barrikaden sehen.« Die sozialdemokratische Partei habe jahrelang erklärt, daß ihre Massen auf die Barrikaden steigen würden, wenn es jemand wagte, die Verfassung der Republik anzutasten, und nun bringe die Sozialdemokratie nichts anderes zustande, als eine Klage beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Der NS-Abgeordnete Suchenwirth 872 Walter Goldinger (Hg.), Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1943. S. 250. Sitzung vom 3. Mai 1933. 873 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 79 f. 874 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 83.

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spannte Christlichsoziale und Sozialdemokraten wieder einmal zusammen, da sie »ja schön gemeinsam den Staat und das Volk von Österreich zugrunde gerichtet (hatten), und zwar haben die einen in der Gemeindeverwaltung dafür gesorgt, daß die Stadt Wien zu einem Judenbabel gemacht worden ist, während Sie, meine Christlichsozia­ len, Österreich seit 1918 so behandelt haben, daß es unter den Staaten der Welt ein Bettler geworden ist«.875 Die Nationalsozialisten wußten natürlich, daß sie mit dieser Argumentation bei den Sozialdemokraten in eine offene Wunde stießen. Zu Ostern, am 15. April, hatten die Sozialdemokraten einen außerordentlichen Parteitag abgehalten, bei dem der als versöhnlicher Verhandler und Vermittler bekannte Robert Danneberg das Hauptreferat hielt und die Taktik des Abwartens verteidigte – gegen eine starke oppositionelle Strömung der Vertrauensleute, die zum sofortigen Handeln drängten.876 Diese Proteste gegen das Warten und Zögern, gegen den Fatalismus in der sozialdemokratischen Parteiführung, nutzten die Nationalsozialisten in ihrer Argumentation im Landtag. Danneberg aber wiederholte auch im Wiener Landtag seine Argumentation vom Parteitag, man lasse sich das »Gesetz des Handelns« von den Nationalsozialisten nicht aus der Hand nehmen. »Zur Regierung Dollfuß stehen sowohl die Sozialdemokraten als auch die Nationalsozialisten in Opposition. Sie mögen Ihre Taktik gegenüber der Regierung Dollfuß halten, wie Sie wollen. Wir werden unsere Taktik nach den Bedürfnissen und Notwendigkeiten der sozialdemokratischen Partei einrichten und nicht nach Ihren Bedürfnissen. Heute und immer, das merken Sie sich  !«877 Am 19. Mai fand eine Sitzung des Wiener Landtages statt, an der wieder alle Parteien teilnahmen und die ohne Polemiken in 15 Minuten erledigt war. Einen Monat später, am 16. Juni, nahmen die nationalsozialistischen Abgeordneten schon nicht mehr teil, obwohl die NSDAP erst drei Tage später verboten wurde. Die Sitzung im Salzburger Landtag am 10. März versprach turbulent zu werden, hatten doch die Nationalsozialisten drei Dringlichkeitsanträge und die Sozialdemokraten einen Antrag zu dieser Causa eingebracht. Vorbeugend war vom Landtagspräsidium bereits eine Tafel mit folgendem Text angebracht worden  : »Achtung  ! Ruhestörer werden aus den Zuhörerräumen entfernt, der Polizei ausgeliefert und dort empfindlich bestraft. Erforderlichenfalls wird der Zuhörerraum durch die Wache geräumt. Der Landtagspräsident.«878 875 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 80, 81, 84, 88. 876 Vgl. Charles A. Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler. S. 415 f. Ebenso Leon Kane, Robert Danneberg. S. 169. Vor allem in der Jungfront, bei arbeitslosen Jugendlichen und bei manchen radikalen Vertrauensmännern einiger Wiener Bezirke regte sich heftige Opposition. Vgl. Anson Rabinbach, Vom roten Wien zum Bürgerkrieg. S. 89 ff. 877 LPWien, 7. Sitzung. 26. 4. 1933. S. 90. 878 »Reichspost«, 9. 3. 1933. S. 3.

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Die Sozialdemokraten hatten in der Zwischenzeit im ganzen Land Mitgliederversammlungen als sogenannte § 2-Versammlungen, also geschlossene Mitgliederversammlungen, die nach dem Veranstaltungsgesetz erlaubt waren, einberufen, in denen über die jüngsten Ereignisse berichtet wurde. In verschiedenen Orten des Landes waren Hausdurchsuchungen in den Arbeiterheimen vorgenommen worden, die auch zu Demonstrationen führten.879 Der Antrag der Sozialdemokraten betreffend die Notverordnungen der Bundesregierung über das Verbot von Aufmärschen und Versammlungen sowie Einschränkung von Pressefreiheit wurde als erster behandelt und enthielt drei Forderungen, die sich im wesentlichen mit den Forderungen des sozialdemokratischen Antrages im Wiener Landtag deckten, allerdings verlangten die Salzburger Sozialdemokraten für den Fall, daß der Nationalrat nicht rasch »flottgemacht« werde, sofortige Neuwahlen. Außerdem forderte die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag den Landeshauptmann nicht auf, die Weisungen des Staatssekretärs für Sicherheitswesen abzulehnen. Begründet wurde dieser Antrag mit der Gefahr, »daß wenn dieser Verfassungsbruch gelingt, man noch weitere Rechte des arbeitenden Volkes und des schaffenden Bürgers mit Gewaltbestimmungen zu beseitigen versucht«.880 Auch die Debatte zu diesem Antrag im Salzburger Landtag soll ausführlich dargestellt werden, geht doch daraus hervor, daß die Vertreter der Salzburger Christlichsozialen als auch der Salzburger Sozialdemokraten teilweise unterschiedliche Auffassungen zu ihren Bundesführungen hatten, was sie auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Ausdruck brachten. Die Reden der Sozialdemokraten schwankten »zwischen Pathos, Beschwörungen und Drohungen hin und her – alles Zeichen einer tiefen Verunsicherung«.881 Der sozialdemokratische Klubobmann Emminger richtete einen überraschend ruhigen, aber sehr engagierten Appell vor allem an die Christlichsozialen, dem Antrag zuzustimmen. Der Unterstützung durch die Nationalsozialisten konnten sich die Antragsteller schon sicher sein. Emminger warnte vor den weiteren Folgen des Abweichens von der Demokratie  : »Wir können uns vorstellen, was kommen könnte, und sagen es in aller Ruhe in dieser ernsten Stunde, wenn eine Regierung, die trotz alledem hervorgegangen ist aus der Demokratie, wenn eine solche Regierung den Boden der Demokratie verlassen würde, dann fordern wir sie auf, dessen eingedenk zu sein, was da kommen müßte  ! … die Arbeiterschaft Österreichs wird frei bleiben und kein Herr und keine Macht kann so stark sein, daß sie uns die Freiheit nehmen kann, am 879 Vgl. Josef Kaut, Der steinige Weg. Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung im Lande Salzburg. Wien 1961. S. 135 f. 880 LPSbg, Nr. 137 der Beilagen. 881 Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. S. 265.

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wenigsten mit Gewalt.« Und direkt an die Christlichsozialen gerichtet stellte er die Frage  : »Wollt ihr Bauern, daß die Arbeiterschaft geknechtet wird und eine unfreie, eine geknechtete Klasse bleibt  ?«882 Der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preußler ging vor allem auf das von den Christlichsozialen immer wieder vorgebrachte Argument ein, die erlassenen Verordnungen seien notwendig zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit und verwendete dabei die gleichen Argumente wie der Wiener Bürgermeister Seitz  : »Was wir für notwendig halten, um diesem so schwer bedrückten Land Ruhe zu verschaffen, das ist ein gemeinsames Zusammengehen aller Parteien, das ist die Überbrückung der Gegensätze in einer Zeit, wo unser gemeinsames Dach brennt. Für uns gibt es nur eine große Aufgabe und das ist die Arbeitsbeschaffung nach einem ernsten Programm, wie es von den Arbeiterkammern aufgestellt worden ist. Das hätte die Ruhe garantiert. Und wenn die Regierung uns, einer Partei, die stärker ist als die leitenden Regierungsparteien, gesagt hätte  : Diese Geschichten auf den Gassen müssen aufhören, wir dürfen uns nicht immer herumraufen und uns mit Waffen in der Hand an unserem Lebensrechte bedrohen, das muß beseitigt werden, dann wäre eine Plattform gefunden worden und das ganze Volk hätte uns gesegnet, ohne daß man die Grundrechte des Volkes anzugreifen brauchte.« Preußler signalisierte nochmals die Bereitschaft Richtung Christlichsoziale zu einer gemeinsamen Vorgangsweise, wenn diese für Salzburg die Notverordnungen als nicht notwendig abgelehnt hätten. »Es wäre möglich gewesen, wenn Sie wirklich das anstreben, was wir anstreben, nämlich die Befriedung, eine Plattform zu finden, ohne daß Sie mit Ihrer christlichsozialen Regierung in Konflikt gekommen wären. Wir hätten erklärt, für uns in Salzburg ist das nicht notwendig.« Er warf den Salzburger Christlichsozialen vor, zwar nicht mit allem, was die Bundesregierung mache, einverstanden zu sein, aber als Parteigenossen der Bundesführung die Treue zu halten.883 Michael Neureiter wies als christlichsozialer Klubobmann in seiner Replik darauf hin, daß die eingebrachten Anträge von der sozialdemokratisch/nationalsozialistischen Mehrheit beschlossen würden, ohne daß beide Parteien in der Begründung übereinstimmten, außer in der gemeinsamen Absicht, gegen die Bundesregierung vorzugehen. Er strich den inneren Widerspruch vor allem bei den Nationalsozialisten hervor, die zwar für die Erhaltung der Freiheit stimmten, obwohl sie in Deutschland alle diese Freiheiten weitgehend abgeschafft hatten. Sie stimmten für einen Antrag, in dem verlangt wurde, daß demokratisch regiert werde, hatten aber bei ihrem Einzug in den Landtag die Demokratie strikt abgelehnt. Er stellte auch die Frage, ob es denn in letzter Zeit (vor den Notverordnungen) wirklich die Versammlungsfreiheit gegeben habe, wenn praktisch jede Versammlung durch gegnerische Parteien (vor allem durch 882 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 153 f. 883 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 156.

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die Nationalsozialisten) mit Störaktionen unmöglich gemacht wurden. Aber ein Teil der Schuld an der jüngsten Entwicklung treffe auch die Sozialdemokraten, die etwa in der Hirtenberger Waffenaffäre nicht österreichische Politik betrieben, sondern mit den französischen Sozialisten kooperiert hätten, nur um der Bundesregierung Schwierigkeiten zu bereiten. Die Bundesregierung sehe sich daher von allen Seiten angegriffen und genötigt, sich durch die Notverordnungen zu schützen. Und dann brachte Neureiter die (wie sich herausstellen sollte, irrige) Meinung zum Ausdruck, daß das autoritäre Regieren nur eine vorübergehende Phase darstelle  : »Aber die Bundesregierung hat nicht daran gedacht, daß sie auf die Dauer und auf ewig gebrochen hätte mit der Volkseinrichtung.«884 In die gleiche Richtung argumentierte auch Landeshauptmann Dr. Rehrl in einer sehr kurzen Erklärung. »Daß man die Regierung als Freiwild behandelt hat, hat wesentlich dazu beigetragen, daß eine solche Entwicklung platzgegriffen hat.«885 Er verwies darauf, daß er im Landtag nur den Standpunkt der Bundesregierung zu vertreten habe. Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz bestehe zu Recht, was allein schon dadurch erwiesen sei, daß die Sozialdemokraten immer wieder verlangt hatten, daß es außer Kraft gesetzt werde.886 Das Parlament habe sich selbst ausgeschaltet, und daher sei es ausschließlich Sache der politischen Parteien des Parlaments, einen Weg zu finden, der verfassungsgemäß die neuerliche Tätigkeit des Nationalrates ermögliche. Es wäre aber nicht Dr. Rehrl gewesen, hätte er nicht auch in einer ziemlich deutlichen Feststellung seine eigene Sicht der Dinge und seinen eigenen Weg in dieser kritischen Angelegenheit aufgezeigt  : »Was die Durchführung der Verordnung betrifft, insoweit das in meinen Kompetenzkreis fällt, so erkläre ich, daß ich mich wie bisher bemühen werde, die Durchführung so zu gestalten, daß man von dem, was man den sogenannten Ausnahmezustand nennt, praktisch nichts spüren wird. Es wird allerdings Aufgabe der einzelnen Gruppen in der Bevölkerung sein, durch vernünftige Selbstbeschränkung zu vermeiden, daß die Bestimmungen, die derzeit zu Recht bestehen, angewendet werden müssen und daß dadurch unliebsame Spannungen in

884 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 154 f. 885 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 157. 886 Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz vom 24. Juli 1917 wurde sehr häufig, u. a. auch im Zusammenhang mit der Creditanstalt-Affäre am 1. Oktober 1932, angewandt. Dieses Gesetz ist in den Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 enthalten, die Sozialdemokraten forderten schon 1928 die Aufhebung des Gesetzes. Vgl. Gernot D. Hasiba, Die »rechtliche Zeitgeschichte« – Ein anderer Weg zur Bewältigung der Vergangenheit. In  : Josef F. Desput (Hg.), Österreich 1934–1938. Erfahrungen, Erkenntnisse, Besinnung. Graz, Wien, Köln 1984. S. 91–103. Vgl. ebenso Walter Kleindel, Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur, Wien, Heidelberg 1978. S. 308 und S. 339.

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die Bevölkerung getragen werden.«887 Zumindest was die Nationalsozialisten betraf, mußte der Appell zur Selbstbeschränkung ein frommer Wunsch bleiben.888 Aus seinen Worten aber zeigt sich doch, daß das Abschwimmen der Christlichsozialen in Salzburg ins autoritäre Fahrwasser »nur zögernd, unwillig und mit relativ gemäßigten Folgen geschah«.889 Die Christlichsozialen stützten sich vor allem auf die folgenden Argumente  : 1. Die von der Bundesregierung gesetzten Maßnahmen sind notwendig, um in Österreich Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, die von Nationalsozialisten und Sozialdemokraten immer wieder gestört wurden. »Wir wollen haben, daß dieses Österreich nun auf gewöhnlichem oder außergewöhnlichem Wege auf kurze Zeit Ruhe bekommt … Was wir von der Regierung wünschen, ob nun diese Notverordnung eine zeitlang gehandhabt wird oder nicht, das ist, daß Versammlungsstörer bestraft werden, daß die Versammlungen in Ruhe verlaufen und daß Gegner in politischen, auch Vereinsversammlungen sich nicht zu Drohungen hinreißen lassen, welche dem Geiste der Auseinandersetzung der Meinungen sozusagen hohnsprechen« (Neureiter). 2. Diejenigen, die nun so vehement für die Wiederherstellung der Freiheit eintreten, hätten diese Freiheit ständig mißbraucht (Engl). Der Boden der Demokratie mußte deshalb verlassen werden, »weil die anderen, die den Weg mitgehen hätten sollen, versagt haben« (Neureiter). 3. Hinweis auf den Widerspruch in der NS-Argumentation, da die Nationalsozialisten stets gegen die Demokratie auftraten, in Deutschland selbst viel schärfere Maßnahmen eingeführt hatten und nun in Österreich die ganz gegenteilige Position einnahmen. »Man verlangt die Abschaffung der Demokratie, man verlangt die Abschaffung der Parlamente und will dafür die Diktatur, und heute, weil einmal momentan die Regierung sich entschlossen hat, das auszuschalten, was sie immer verdammen, heute soll diese Regierung Gegenstand einer Anklage sein, weil sie das macht, was die Herren als höchstes Regierungsprinzip feiern« (Neureiter). 4. Bei den Notverordnungen handle es sich nur um kurzfristige Maßnahmen »etwa auf ein paar Tage oder ein paar Wochen«, »wir wollen wieder zurück zu dem wirklich parlamentarischen Leben« (Neureiter). 5. Bei der Allianz zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten gehe es nicht um ein sachliches Eintreten für Freiheit und Demokratie, sondern nur um den Kampf gegen die Christlichsozialen. »Nicht der Geist der Freiheit hat Sie heute 887 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 157. 888 Vgl. dazu auch »Reichspost«, 3. 3. 1933. S. 1  : »Weise Selbstbeschränkung und Besinnung auf ihren ureigensten Aufgabenkreis sind für Demokratie und Parlament in Österreich der allerletzte Rettungsanker.« 889 Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. S. 266.

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zusammengeführt, sondern der Haß gegen die Christlichsozialen hat Sie zusammengeführt« (Engl). Die Debatte zum sozialdemokratischen Antrag spielte sich praktisch nur zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten ab. Einzig der Nationalsozialist Ing. Starkel erklärte ganz kurz, daß seine Partei nicht wegen der Begründung, sondern wegen der Zielsetzung den sozialdemokratischen Antrag unterstütze. 890 Schließlich wurde der Antrag mit den 14 Stimmen der Sozialdemokraten und der Nationalsozialisten gegen 11 christlichsoziale Stimmen angenommen. Zu umfangreicheren Debatten kam es dann bei der Behandlung von drei dringlichen Anträgen der Nationalsozialisten, die alle im Zusammenhang mit den Verordnungen der Bundesregierung standen. Auffallend dabei ist, daß in dieser Diskussion die Auseinandersetzung fast ausschließlich zwischen Nationalsozialisten und Christlichsozialen geführt wurde, während sich die Sozialdemokraten weitgehend heraushielten. In ihrem ersten Antrag verlangten die Nationalsozialisten von der Salzburger Landesregierung, dem Bundeskanzler mitzuteilen, daß die Bevölkerung Salzburgs durch die amtierende Bundesregierung die Einhaltung der Verfassung nicht gewährleistet sehe und die sofortige Zurücknahme der Notverordnungen und die unverzügliche Ausschreibung von Neuwahlen verlange. In einem zweiten Antrag zum Versammlungsverbot für die gewählten Volksvertreter wurde verlangt, daß den Mandataren die Abhaltung öffentlicher Versammlungen wieder ermöglicht und damit die Rede- und Versammlungsfreiheit wiederhergestellt werde. Schließlich verlangten die Nationalsozialisten noch die Ermöglichung einer geplanten Gewerbetreibenden-Versammlung in Salzburg, die eigentlich nichts anderes als eine Protestversammlung der in den Gewerbegenossenschaften vereinigten Wirtschaftsverbände gegen die Bundesregierung war.891 Viele der Argumente, die bei der Debatte um den sozialdemokratischen Antrag vorgebracht wurden, wiederholten sich nun bei den NSDAP-Anträgen.892 Die Nationalsozialisten (Ing. Starkel) nützten die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit der Politik der Bundesregierung, kritisierten vor allem die Lausanner Anleihe und die damit verbundenen Kontakte mit der Tschechoslowakei als »unseren Todfeinden«. Ebenso griff Starkel als ehemaliger Heimwehrfunktionär Starhemberg heftigst an, weil die Heimwehr die »Zwangsmaßnahmen und diktatorischen Gelüste« der Bundesregierung stütze und weil Starhemberg »schwarz und immer schwärzer« geworden sei. 890 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 156 f. 891 LPSbg, Nr. 138, Nr. 139 und Nr. 140 der Beilagen. 892 Vgl. LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 159 ff.

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Alle drei dringlichen NS-Anträge wurden mit den Stimmen der sozialdemokratischen und nationalsozialistischen Abgeordneten gegen die der Christlichsozialen angenommen. Das Abstimmungsverhalten der Sozialdemokraten war im Hinblick auf das politische Klima generell und auf ein gerade in dieser Situation dringend zu verbesserndes Verhältnis zu den Christlichsozialen ein schwerer (taktischer) Fehler. Die Nationalsozialisten, die aus ganz anderen Beweggründen ihre Attacken gegen die Christlichsozialen ritten, benützten die Sozialdemokraten nur als Mittel zum Zweck. Mit Argumenten wie »die Grundrechte des Volkes sind in Gefahr und in einer solchen Gefahr können auch wir Sozialdemokraten nicht fragen, wer uns Gefolgschaft leistet« (Preußler) oder »Wenn es sich um die Grundrechte der Freiheit handelt, dann kann mit uns sein Tod und Teufel« (Emminger)893 versuchten die Sozialdemokraten ihr merkbar schlechtes Gewissen über diese Allianz zu beruhigen. Es wäre wohl besser gewesen, sich klar von den Nationalsozialisten und ihren wahren Beweggründen aus der Überzeugung, daß der Zweck nicht alle Mittel heilige, zu distanzieren und den nationalsozialistischen Anträgen nicht zuzustimmen, nachdem die eigenen sozialdemokratischen Anträge ohnehin schon eine Mehrheit gefunden hatten. Eine Koalition mit erklärten Feinden der Demokratie zur Rettung bzw. Wiederherstellung der Demokratie konnte nicht funktionieren. Noch mehr aber hätten die Sozialdemokraten ihr Gesicht gewahrt, wenn sie ihre Anträge so klar im Sinne von demokratischen Freiheiten formuliert hätten, daß es den Nationalsozialisten nicht möglich gewesen wäre, einem solchen Antrag zuzustimmen. Im übrigen hätten die Sozialdemokraten den nationalsozialistischen Anträgen unter Hinweis auf die wahren Hintergründe keinesfalls zustimmen dürfen. Dann hätte zwar keiner der Anträge eine Mehrheit erhalten, aber auch die mit Mehrheit gefaßten Beschlüsse hatten keinerlei Wirkung auf die Bundesregierung. Dieses Verhalten der Sozialdemokraten in jenen Landtagen, in denen sie mit den Nationalsozialisten eine Mehrheit bildeten, hat die Fronten noch mehr verhärtet und den Nationalsozialisten zu einem Erfolg gegen die Bundesregierung verholfen. In Niederösterreich trat – wie erwähnt – der Landtag am 14. März 1933 zur Debatte über die Ereignisse um die »Selbstausschaltung« des Parlaments und die nachfolgenden Maßnahmen der Bundesregierung zusammen.894 Sowohl in dieser Sitzung als auch in den folgenden vom 24. März und 5. April brachte die sozialdemokratische Fraktion eine Reihe von Anfragen wegen der Beschlagnahme von sozialdemo-

893 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 156 und S. 157. Anton Pelinka spricht von einer »Neigung vieler Sozialdemokraten, im Kampf gegen die konkret in Österreich herrschende Diktatur notfalls auch die Unterstützung der Nationalsozialisten zu akzeptieren«. Anton Pelinka, Sozialdemokratie und Antisemitismus. In  : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 3. Jg. Heft 4/1992. S. 546. 894 Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung in  : Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Nieder­ österreich. 1. Der Landtag in der Ersten Republik. S. 331–345.

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kratischen Zeitungen ein, wobei es offensichtlich darum ging, die konfiszierten Artikel durch Verlesung im Rahmen der Präambel der Anfragen der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Die »Reichspost« berichtete, daß sich nach den Vorkommnissen im Wiener und Salzburger Landtag diese »rot-braune Arbeitsgemeinschaft« immer mehr vertiefe. »Hitler, der täglich die ›Vernichtung des Marxismus‹ predigt, wird über diese rotbraune ›Notgemeinschaft‹ in Österreich Augen machen.«895 Zum »verfassungswidrigen Vorgehen der Bundesregierung« brachte die Sozialdemokratische Partei im Niederösterreichischen Landtag einen dringlichen Antrag ein, der folgende Schwerpunkte beinhaltete  : 1. Schärfster Einspruch dagegen, daß die Bundesregierung in der Zeit schwerster wirtschaftlicher Not leichtfertig und mutwillig einen schweren Verfassungsbruch heraufbeschwört und dadurch den Bürgerfrieden und die Volkswirtschaft ernst gefährdet  ; 2. Forderung nach unverzüglicher Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes  ; 3. Forderung nach Aufhebung des verfassungswidrigen Versammlungsverbotes und der Pressezensur  ; 4. Forderung, daß alle Organe des Landes Niederösterreich die Bundes- und Landesverfassung einhalten und sich daher jeder Weisung zu verfassungswidrigem Handeln widersetzen.896 Zum gleichen Thema brachten auch die Christlichsozialen einen dringlichen Antrag ein, in dem gefordert wird, daß der Niederösterreichische Landtag erklärt, 1. daß sich die Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen der Verfassung bewegen und zu Recht bestehen  ; 2. daß die Anwendung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes kein Verfassungsbruch und durch die Notsituation zwangsläufig gegeben sei  ; 3. daß die Änderung und Ergänzung der Bundesverfassung dringend durchzuführen sei  ; 4. daß die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen zur Behebung der unerhörten Wirtschaftsnot begrüßt werden.897 Dem sozialdemokratischen Antrag wurde die Dringlichkeit von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten zuerkannt, die Dringlichkeit für den christlichsozialen Antrag 895 »Reichspost«, 15. 3. 1933. S. 4. 896 Vgl. LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 24 ff. 897 Vgl. LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 28 f.

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mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. In der Niederösterreichischen Landesregierung hatten Sozialdemokraten und Nationalsozialisten ebenfalls Anträge auf Maßnahmen gegen die Bundesregierung eingebracht. Diese Anträge konnten dort aber von den Christlichsozialen mit ihrer absoluten Mehrheit (4   : 2   : 1) abgelehnt werden.898 Der sozialdemokratische Hauptredner Oskar Helmer verwendete im großen und ganzen die gleichen Argumente wie seine Parteifreunde in den anderen Landtagen. Helmers Ansicht nach müsse der Landtag von Niederösterreich seine Stimme erheben, da es die Regierung noch in der Hand habe, zur Demokratie zurückzukehren. Helmer kündigte zwar an, daß sich die Sozialdemokratie gegen den Versuch, sie »in das alte Sklavenjoch zurückzubringen«, mit allen Mitteln wehren würde, allerdings sei ihr bewußt, »wer immer in diesem Kampf Sieger bleiben wird, er würde vor einer zertrümmerten Wirtschaft, vor einem zertrümmerten Lande stehen. Deshalb glauben wir, auch noch bei den rechtlich denkenden Abgeordneten der Mitte Verständnis zu finden mit unserer Warnung.«899 Er rief die Christlichsozialen auf, den sozialdemokratischen Antrag zu unterstützen, da der Weg der Bundesregierung unweigerlich zum Bürgerkrieg führe. Schließlich repräsentierten die Landtage von Niederösterreich, Wien und Salzburg mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Österreichs, so daß der Wille dieser Landtage auch von der Bundesregierung beachtet werden müsse.900 Es fällt auf, daß sich die sozialdemokratischen Redner im Nieder­ österreichischen Landtag besonders intensiv an die bäuerlichen Vertreter unter den Christlichsozialen wandten, an die österreichische Bauernschaft, »die freiheitsliebend ist und die es schon längst selbst erkennt, was Demokratie und politische Freiheit bedeutet«. Es sei unverständlich, daß Dollfuß, der selbst aus der Bauernschaft hervorgegangen war, das »Werkzeug des Faschismus in Österreich werden konnte«. Die sich entwickelnde Diktatur in Österreich sei nichts anderes »als die Diktatur der Sektionschefs und Ministerialräte, der hohen Bürokratie, welche die parlamentarische Volkskontrolle längst lästig gefunden hat und sie loshaben möchte … einer Zentralbürokratie, der die Länderautonomie und die Autonomie der Gemeinde … ein Greuel ist«.901 Für die Christlichsozialen wies Landeshauptmann Buresch darauf hin, daß das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz aus der Monarchie in den Gesetzesbestand der Republik übernommen worden war und trotz mehrmaliger Bundesverfas­sungsReformen nicht aufgehoben wurde. Es sei auch mehrmals, noch etwa Ende 1931, angewendet worden, ohne daß von irgendeiner Partei ein Einwand erhoben worden wäre. Seine Anwendung könne daher kein Verfassungsbruch sein. Er appel­lierte an die 898 »Reichspost«, 9. 3. 1933. S. 2. 899 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 48. 900 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 178. 901 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 117 f.

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Besonnenheit aller Abgeordneten, nicht Beschlüsse zu fassen, die nur bedeuten, »daß neues Öl ins Feuer geschüttet wird, das allenthalben schon emporlodert«.902 Der christlichsoziale Landesrat Prader wiederum ortete außerordentliche Nervosität bei den anderen Parteien, weil sie um ihre Popularität fürchteten, »wenn es dem Bundeskanzler und der Bundesregierung gelingt, im Verordnungswege das gut zu machen, was im Parlament durch die Einwirkung gewisser Parteien nicht gemacht oder nicht gutgemacht werden konnte«.903 Prader sprach damit ein von den Christlichsozialen gerne verwendetes Argument aus  : Mit dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz könnten nun endlich jene längst notwendigen Bestimmungen erlassen werden, die im Parlament vor allem durch die Obstruktionspolitik der Sozialdemokraten verhindert oder verzögert worden waren. Den Nationalsozialisten sprach er jedes Recht zur Kritik ab, da sie im Deutschen Reich ihr Regime damit einführten, »daß sie die Bürgermeister und Oberbürgermeister einfach absetzen«, während Dollfuß hier nur »ein bißchen Ordnung machen« wolle.904 Aber  : »Wer Dr. Dollfuß persönlich und wer seinen Charakter kennt, der weiß, daß er weder die Diktatur, noch irgendeine andere Form der Gewaltherrschaft in Österreich einsetzen will.«905 Das von den Nationalsozialisten immer wieder vorgebrachte Argument, die autoritären Maßnahmen Hitlers im Deutschen Reich seien legitim, weil die NSDAP in Deutschland mit einem Wahlergebnis von 52 Prozent den klaren Wählerauftrag dafür habe906, benützte der christlichsoziale Landesrat Dr. Barsch dazu, sich an die Nationalsozialisten anzunähern und um Verständnis bei ihnen zu werben  : »Hitler hat 14 Tage vor der Wahl erklärt … – und es war imponierend, daß er den Mut hatte, das zu sagen – daß er gezwungen sein werde, Maßnahmen durchzuführen, die unpopulär sind … Aus dem ergibt sich also, daß unsere Regierung … die verdammte Pflicht und Schuldigkeit hat, das Notwendige zu verfügen, wenn sie auch den Mut dazu hat und nicht feige ist und davonläuft.«907 Es scheint, daß dieser christlichsoziale Landespolitiker überhaupt versuchte, sich an die NSDAP mehr oder weniger anzubiedern, denn er appellierte an die Nazis, 902 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 59. 903 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 102. 904 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 112. 905 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 109. In die gleiche Kerbe schlug auch der christlichsoziale Landesrat Dr. Barsch, der meinte, der Bundespräsident und der Bundeskanzler gäben auf Grund ihrer Vergangenheit und ihrer Einstellung die Gewähr dafür, »daß sie gewillt waren, um die Dinge zu meistern und größeres Unheil zu verhüten, alle Möglichkeiten des Parlamentarismus bis zum äußersten auszuschöpfen«. LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 141. 906 Vgl. dazu auch die Aussage des NS-Abgeordneten Rentmeister im Niederösterreichischen Landtag  : »Dem einen seine Eule ist nicht dem anderen seine Nachtigall. Wenn es ein Hitler macht, dann hat das immerhin einen Sinn. Aber wenn das ein Dollfuß macht, dann müssen darüber die Hühner lachen.« LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 158. 907 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 147 f.

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doch nicht so vehement gegen die autoritäre Staatsführung in Österreich aufzutreten, die noch lange nicht so weit gehe wie Hitler. Da es eine Tatsache sei, »daß eine Reihe von Programmpunkten gemeinsam sind«, sollten die Nationalsozialisten in Österreich besser das gleiche Verhalten an den Tag legen, wie Hitler gegenüber der Regierung Papen, nämlich abwarten. »Sie (die Nationalsozialisten, d. V.) dürften vor allen anderen nicht in dieser Form gegen den autoritären Staat arbeiten. Über kurz oder lang könnte, wie in Deutschland, eine Zusammenarbeit als möglich angesehen werden und da sollten Sie nicht in hochverräterischer und schärfster Form mit Drohungen kommen.« Die NSDAP sollte daher den Maßnahmen der Regierung Dollfuß »wenn auch nicht mit Jubel, so doch eher als alle anderen zustimmen«.908 Die Antwort der Nationalsozialisten auf alle diese christlichsozialen Argumente war eindeutig  : Obwohl es keine rot-braune Koalition gäbe und sich an der grundsätzlich ablehnenden Haltung des Nationalsozialismus gegenüber dem Marxismus nichts geändert habe, werde die NSDAP in diesem Kampf gegen den »schwarzgelben Legitimismus« gemeinsam mit den Sozialdemokraten stimmen. »Hier sehen wir in den Sozialdemokraten nicht Marxisten, sondern deutsche Volksgenossen und Genossinnen«, stellte der NS-Abgeordnete Rentmeister klar.909 Der nationalsozialistische Hauptredner, Landesrat Leopold910, meinte, es sei schon lange vor dem Rücktritt der drei Nationalratspräsidenten geplant gewesen, das Parlament auszuschalten. Er gestand zu, »daß wirklich in der Geschäftsordnung des Nationalrates eine Lücke besteht und daß, wenn alle Präsidenten ihre Stelle niederlegen, keine Möglichkeit vorhanden ist, den Nationalrat einzuberufen«. 911 Sehr ausführlich befaßte sich Leopold mit der Situation in Bundesheer und Gendarmerie, aus denen seit Jahren bewußt »das deutsche bodenständige Element« von der Bundesregierung systematisch vertrieben werde, um »an seine Stelle diesem System genehme Kreaturen zu setzen, damit, wenn einmal der Tag gekommen ist, wo es gegen das deutsche Volk zu gehen hat, keiner dieser Herren irgend welche blutsmäßige Hemmungen in sich hat, sondern ruhig auf unser Volk losgehen kann«.912 Schließlich verlangte er in einem acht Punkte umfassenden Entschließungsantrag vom Bundespräsidenten, daß er die Bundesregierung ihres Amtes enthebe, den Nationalrat sofort auflöse und Neuwahlen ausschreibe, daß die Niederösterreichische Landesregierung eine Klage gegen die Bundesregierung beim Verfassungsgerichtshof einbringe und die Weisungen der Bundesregierung nicht befolge und daß der Niederösterreichische Landtag der 908 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 149–151. 909 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 156. 910 Auch Leopold bekannte sich an anderer Stelle zu einer partiellen Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten  : »Ja, wenn es sich um soziale Notwendigkeiten handelt, die für das Volk in Betracht kommen  !« LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 37. 911 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 60. 912 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 80.

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Bundesregierung das Mißtrauen ausspreche. In einem Resolutionsantrag verlangten die Nationalsozialisten außerdem eine Änderung der Geschäftsordnung des Nieder­ österreichischen Landtages, wonach im Falle der dauernden oder zeitweisen Verhinderung des Landtagspräsidenten und seiner beiden Stellvertreter alle ihre Rechte und Pflichten bis zu einer Neuwahl vom ältesten Mitglied des Landtages wahrgenommen werden sollten. Damit sollte verhindert werden, daß im Niederösterreichischen Landtag eine ähnliche »Ausschaltung« des Landesparlaments wie im Nationalrat passieren könnte.913 Schließlich wurden alle Anträge der Sozialdemokraten und Nationalsozialisten mit den Stimmen dieser beiden Parteien gegen die Stimmen der Christlichsozialen auch inhaltlich beschlossen. Daraufhin kam es zu einem Handgemenge zwischen christlichsozialen Abgeordneten und einem Besucher auf der Galerie, der sich in die Verhandlungen eingemischt hatte. Als es nicht möglich war, wieder Ordnung herzustellen, schloß Präsident Fischer die Sitzung. Aber auch die von rot/brauner Mehrheit beschlossenen Anträge waren nur »eine Demonstration, aber auch nicht mehr«.914 In den weiteren Sitzungen des Niederösterreichischen Landtages beschränkten sich die Sozialdemokraten auf Anfragen an den Landeshauptmann wegen der Beschlagnahme sozialdemokratischer Zeitungen. Die Nationalsozialisten konzentrierten sich in ihren Landtagsinitiativen auf die Aktivitäten, Versammlungen und Kundgebungen der Heimwehren in Niederösterreich, durch die sich nach Ansicht der NSDAP die Bevölkerung belästigt fühlte und die dem Versammlungsverbot widersprächen. Es wurde schon auf das »Umwerben« der christlichsozialen Bauern durch die Sozialdemokraten, vor allem im Niederösterreichischen Landtag, hingewiesen. 915 In diesem Zusammenhang ist besonders beachtenswert, daß gerade in einer Phase der heftigsten bundespolitischen Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen916 die sozialdemokratische Fraktion im Niederösterreichischen 913 LPNÖ, 9. Sitzung. II. Se. 14. 3. 1933. S. 93 ff. 914 Heinrich Schneidmadl, Über Dollfuß zu Hitler. Ein Beitrag zur Geschichte des 12. Februar 1934. Wien 1964. S. 30. 915 Vgl. dazu auch einen Artikel in der »Arbeiter-Zeitung«, zitiert in »Reichspost«, 9. 3. 1933, S. 3, in dem festgestellt wurde  : »Wenn sich die bürgerlichen Parteien zu einer Politik unzweideutiger Verteidigung der Demokratie, zu einer Politik der Verständigung mit der Sozialdemokratie, der größten Partei des Landes, zu einer Politik, die die großen rein politischen Streitfragen für einige Zeit ausschalten und alle Anstrengungen auf die Bekämpfung der wirtschaftlichen Gefahren, auf die Arbeitsbeschaffung vor allem konzentrieren müßte, entschließen, dann sind wir zu Verhandlungen über eine solche Politik bereit. Aber Verhandlungen sind nicht unter dem Druck von Erpressungsversuchen, nicht unter Drohungen mit Verfassungsbrüchen möglich.« Der Kommentar der »Reichspost« zu diesen »Koalitionswünschen« der Sozialdemokraten  : »Real betrachtet ist es natürlich, abgesehen von allem anderen, mindestens unzeitgemäß.« 916 Die Regierung Dollfuß hatte am 1. Mai den traditionellen Maiaufmarsch der Sozialdemokraten verhindert.

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Landtag die Wahl des prominenten Bauernpolitikers Josef Reither zum Landeshauptmann ohne Widerstand ermöglichte. Dr. Buresch hatte im Zusammenhang mit seiner Berufung zum Finanzminister917 am 12. Mai 1933 seinen Rücktritt als Landeshauptmann erklärt. In der Landtagssitzung vom 18. Mai mußte daher das niederösterreichische Landesparlament einen neuen Landeshauptmann wählen. Der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Helmer erklärte, daß die Sozialdemokraten »nach demokratischen Grundsätzen der stärksten Partei das Recht einräumen, den Landeshauptmann zu stellen  ; dabei bleibt es auch heute, obwohl in letzter Zeit manche Vorkommnisse vorgefallen sind, die zu erörtern wir noch Gelegenheit haben werden.« Die Sozialdemokraten würden »der demokratischen Auffassung dienen, und zwar unbeeinflußt von Stimmungen und Erregungen, aber auch unbeeinflußt, was wir mit allem Nachdrucke betonen wollen, von Drohungen, die auf uns keinerlei Wirkung auszuüben vermögen«.918 In seiner weiteren Erklärung brachte Helmer die Entrüstung seiner Partei darüber zum Ausdruck, daß es zwar im Niederösterreichischen Landtag möglich sei, über die jüngste Umbildung der Bundesregierung zu diskutieren, nicht aber dort, wo dies eigentlich passieren sollte, nämlich im Nationalrat. Er erklärte namens der Sozialdemokratie »feierlich vor dem österreichischen Volke, daß wir bereit sind, tatkräftig an der demokratischen Ordnung in diesem Lande mitzuwirken. Wir erklären jedoch ebenso nachdrücklich, daß es ein falscher Weg zu diesem Ziel ist, wenn man meint, den Nationalfaschismus dadurch zu bekämpfen, daß man seine Methoden kopiert, das gleiche Recht der Staatsbürger, die Grundlage des demokratischen Rechtsstaates, aufhebt und nun statt den braunen Faschisten vorläufig den grün-weißen allein das Vorrecht gibt, auf der Verfassung dieses Staates herumzutrampeln.«919 Die Signale der Sozialdemokraten wurden leider nicht mehr vernommen – obwohl gerade an diesem 15. Mai mit der Ausweisung des deutschen NS-Reichsjustizkommissars, Dr. Hans Frank, die österreichisch-deutsche Spannung zum Höhepunkt trieb. Diese Entwicklung hätte einen Schulterschluß mit der Sozialdemokratie dringend notwendig gemacht. Statt dessen wurde am 20. Mai die Vaterländische Front920 gegründet und am 26. Mai die unbedeutende Kommunistische Partei aufgelöst. Helmer appellierte an Buresch und Reither, in ihren neuen politischen Funktionen darauf einzuwirken, daß man in Österreich wieder zur Demokratie zurückkehre. Die 917 Bundeskanzler Dollfuß hatte am 10. Mai sein Kabinett umgebildet und u. a. die dem Landbund angehörenden Minister durch Christlichsoziale ersetzt und alle Wahlen in die Landtage und Gemeindevertretungen verboten. 918 LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 28 f. Vgl. auch Protokoll der Sitzung des sozialdemokratischen Parteivorstandes vom 11. 5. 1933. S. 2446. 919 LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 31 f. 920 Vgl. Irmgard Bärnthaler, Die Vaterländische Front. Geschichte und Organisation. Wien, Frankfurt, Zürich 1971. S. 16 f.

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Sozialdemokraten überließen der stärksten Partei die Verantwortung, wollten »aber dem System, das auch durch den neuen Landeshauptmann repräsentiert wird, mit Mißtrauen begegnen«. Sie beteiligten sich nicht an der Wahl, verließen den Saal und ermöglichten so die Wahl von Reither zum Landeshauptmann mit einfacher Mehrheit. Sie legten damit ein demokratiepolitisch sehr verantwortungsvolles Verhalten an den Tag. Diese Vorgangsweise brachte ihnen die Erklärung des NS-Landesrates Leopold ein, daß sich nun zum dritten Male zeige, »daß in grundsätzlichen Belangen, wo es sich wirklich darum handelt, der Christlichsozialen Partei irgendwie Schwierigkeiten in diesem Hause zu machen, die Sozialdemokraten immer ausziehen.« Er rief ihnen zu  : »Ihr k.u.k. Sozialdemokraten  !«921 Landeshauptmann Reither ging in seiner Antrittsrede mit keinem Wort auf die bundespolitische Situation und die Erklärungen Helmers ein, stellte aber doch abschließend fest, »nur im Zusammenwirken aller kann es gelingen, das uns auferlegte harte Schicksal zu bannen und die uns bevorstehenden schweren Aufgaben zu meistern«.922 Zu erwähnen ist auch, daß sowohl im Niederösterreichischen als auch im Salzburger Landtag die Nationalsozialisten durchaus deutliche Angebote an die Christlichsozialen zu einer Zusammenarbeit machten. In Niederösterreich erklärte der NS-Abgeordnete Rentmeister, an die Christlichsozialen gerichtet  : »Sie haben noch immer die Möglichkeit – es ist Ihnen das schon von unserem Gauleiter gesagt worden – als ein Pferd mitzulaufen, wenn Sie aber noch lange warten, werden Sie nur mehr als ein ganz kleines Pony hinterher mitreden können … Sie haben also noch immer die Möglichkeit, einen christlich-nationalen Kurs in Österreich unter günstigen Umständen durchzuführen. Wenn Sie aber lange warten, dann brauchen wir Sie nicht mehr und machen auch in Österreich einen rein nationalsozialistischen Kurs.«923 In Salzburg ging der NS-Abgeordnete Starkel auf das Angebot des Landesinspekteurs der NSDAP in Österreich, Theo Habicht, Anfang Mai 1933, ein, in dem Bundeskanzler Dollfuß eine Koalition von Nationalsozialisten und Christlichsozialen nach einer Nationalratswahl im Herbst angeboten worden war. Das Angebot war aber von der christlichsozialen Parteiführung klar abgelehnt worden.924 Starkel deutete an  : »Wir würden Ihnen das Vertrauen geben, wenn sauber gearbeitet würde. Aber Sie müssen 921 LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1933. S. 35. 922 LPNÖ, 14. Sitzung. II. Se. 18. 5. 1932. S. 4523. 923 LPNÖ, 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1933. S. 162. 924 Vgl. Walter Goldinger (Hg.), Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934. Wien 1980. S. 241 (Vorstandssitzung vom 3. Mai 1933). Ebenso Ludwig Reichhold, Kampf um Österreich. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933–1938. Eine Dokumentation. Wien 1984. S. 98 ff. Habicht sagte für einen Fall einer Zusammenarbeit zu, den Wahlkampf nicht gegen die Christlichsozialen, sondern nur gegen die anderen Parteien, vor allem gegen die Sozialdemokraten, zu führen. Dem schenkten die Mitglieder des christlichsozialen Klubvorstandes keinen Glauben.

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zuerst das Haus sauber machen.«925 Als Landeshauptmann Rehrl das Angebot Habichts an die Christlichsozialen öffentlich erwähnte, kam es zu wütenden Zwischenrufen seitens der Nationalsozialisten, denen dies offensichtlich unangenehm war. Auch in anderen Landtagen, in denen die Nationalsozialisten nicht vertreten waren, wurde der neue politische Kurs der Bundesregierung thematisiert, aber in ganz anderer Weise als in den Landtagen mit NS-Abgeordneten. Im Oberösterreichischen (am 14. 3.) und Tiroler Landtag (am 22. 3.) etwa beschlossen die Landtage (mit christlichsozialer Mehrheit) Resolutionen, in denen der autoritäre Weg der Dollfuß-Regierung begrüßt und unterstützt wurde.926 Die Analyse der Landtagsprotokolle ergibt also ein parlamentarisches Agieren der einzelnen Parteien im Zusammenhang mit der »Selbstausschaltung« des Parlaments und den darauf folgenden Maßnahmen der Bundesregierung nach dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz, das man wie folgt zusammenfassen kann  : • In den Monaten März, April und Mai 1933 befaßten sich die Landtage in Niederösterreich, Wien und Salzburg auf wesentliche Initiative der Nationalsozialisten und Sozialdemokraten mit der »Selbstausschaltung« des Parlaments und mit den darauffolgenden autoritären Maßnahmen der Bundesregierung aufgrund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes. Speziell in dieser Zeit dienten die Landtage den Nationalsozialisten und Sozialdemokraten als Ersatz für den stillgelegten Nationalrat und wurden damit zu parlamentarischen Schauplätzen, an denen sich die bundespolitische Auseinandersetzung abspielte. Dies wiederum wurde von den Christlichsozialen als Mißbrauch der Landtage für parteipolitische Zwecke kritisiert. • Die Christlichsozialen begründeten in den Landtagen die autoritären Maßnahmen der Bundesregierung vor allem damit, daß diese nach der »Selbstausschaltung« des Parlaments die Pflicht hätte, mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Sie verwiesen dabei etwa auf die negativen Auswirkungen des Eisenbahnerstreiks auf die Wiener Messe. Ebenso würden sich die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten, Heimwehren und Schutzbund nachteilig auf den Sommerfremdenverkehr auswirken. Außerdem hätte die Bundesregierung endlich die Möglichkeit, jene für die Wirtschaft dringend notwendigen Materien, die durch die Obstruktionspolitik der Sozialdemokraten im Parlament seit Jahren keiner Erledigung zugeführt werden konnten, durch Verordnung in Kraft zu setzen. Schließlich sei – nach Ansicht der Christlichsozialen – die Sozialdemokratische Partei durch ihr Verhalten im Nationalrat daran schuld, daß die parlamentarische Demokratie ein so schlechtes Ansehen erworben hätte. • Nicht unbeachtet kann bleiben, daß die Regierung Dollfuß mit ihrem Einschlagen eines autoritären Kurses sowohl Hitler als auch den österreichischen Nationalsozialisten einen 925 LPNÖ, 15. Sitzung. 12. 5. 1933. S. 243. 926 Vgl. »Reichspost«, 15. 3. 1933. S. 5, und »Reichspost«, 23. 3. 1933. S. 2.

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gewaltigen Strich durch ihre Rechnung machte, möglichst bald durch Agitation, Wahlen und Beteiligung an Koalitionsregierungen auch in Österreich an die Macht zu kommen. • Die christlichsozialen Politiker ließen zwar – wenn auch in sehr unterschiedlicher Intensität – anfänglich erkennen, daß man durchaus an einer Lösung der Krise des Nationalrates interessiert war, dies aber ausschließlich Angelegenheit des Parlaments sei. Dabei scheinen etwa die christlichsozialen Landespolitiker in Salzburg und teilweise auch in Niederösterreich (Bauernbund) ehrlich davon überzeugt gewesen zu sein, daß es sich nur um eine vorübergehende Phase handle. Landeshauptmann Rehrl wollte – bei vernünftigem Verhalten der Oppositionsparteien – die verordneten Maßnahmen der Bundesregierung nur so vollziehen, daß praktisch niemand etwas davon spüre. Schließlich aber wurde eine mögliche Rückkehr zum Parlamentarismus mit einem grundlegenden Umbau des Staates und der Verfassung verknüpft. Generell kann festgestellt werden, daß die autoritären Maßnahmen von den Christlichsozialen sicher nicht als vorübergehend notwendige Eingriffe der Regierung zur späteren Wiedereinführung der parlamentarischen Demokratie gesehen wurden, so daß man sie auch nicht als Maßnahmen im Sinne einer »Streitbaren Demokratie« ansehen kann. Insgesamt aber zeigt das Verhalten von Christlichsozialen und Sozialdemokraten in den Landtagen von großer Unsicherheit darüber, wie sie sich der neuen Situation gegenüber verhalten sollten. • Während die Christlichsozialen zumindest in Salzburg und Niederösterreich versuchten, die Sozialdemokraten möglichst nicht zu sehr zu provozieren, agierten sie in Wien teilweise mit ähnlichen Obstruktionsmethoden wie die Nationalsozialisten bzw. weigerten sich in der Folge überhaupt, an den Landtagssitzungen teilzunehmen. Damit wollte offensichtlich Kunschak mit seiner Fraktion einer direkten Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten ausweichen. Man kann für Wien durchaus von einer »partiellen Assimilation« der christlichsozialen Oppositionsmethoden an jene der Nationalsozialisten sprechen. • Die Sozialdemokraten agierten auch in den Landtagen – so wie bei ihrem Sonderparteitag am 15. April 1933 bekräftigt – abwartend und eher passiv. Sie begnügten sich auf eher formale Proteste in Form von Anfragen und Resolutionsanträgen, um ihrer politischen Pflicht formal Genüge getan zu haben. In Wien stimmten sie nur für ihre eigenen Anträge und gegen die fast gleichlautenden der Nazis, in den anderen Bundesländern stimmten sie gemeinsam mit der NSDAP auch für deren Initiativen. Nach ihren eigenen Aussagen verbündeten sie sich für die Demokratie mit »Tod und Teufel«, obwohl es den Nazis um alles andere als den Erhalt der parlamentarischen Demokratie ging. Sozialdemokraten und Nationalsozialisten ging es in Wien und Niederösterreich vor allem auch darum, konfiszierte Artikel aus ihren Parteizeitungen über den Landtag an die Öffentlichkeit zu bringen. Nach dem Verbot des Republikanischen Schutzbundes forderten die Sozialdemokraten nicht etwa dessen Wiederzulassung, sondern – im Sinne der Rechtsgleichheit – auch das Verbot der Heimwehren. Daraus läßt sich schließen, daß ein Verbot aller paramilitärischen Parteiwehren zur Sicherung der Demokratie – und damit als Maßnahme der »Streitbaren Demokratie« zu diesem Zeitpunkt von der Sozialdemokratie mitgetragen worden wäre. Allein, dies scheiterte am starken Druck der Heimwehrführer in der Regierung.

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• Das wechselseitige Zusammenwirken von Christlichsozialen bzw. Sozialdemokraten jeweils mit den Nationalsozialisten in Einzelfragen, ohne Rücksicht auf deren wahre Absichten, kann man durchaus als »partielle Kollaboration« bezeichnen.927 • Die Sozialdemokraten schienen noch immer auf die Worte von christlichsozialen Politikern zu hören, die von einer Übergangsphase sprachen. Sie umwarben daher die bäuerlichen Kreise in der Christlichsozialen Partei, die traditionell demokratisch eingestellt waren, sowie Kunschak und seine Anhänger. Die Regierung habe noch eine Chance, zur parlamentarischen Demokratie zurückzukehren. Unter diesem Aspekt ist auch die reibungslose Ermöglichung der Wahl von Josef Reither zum niederösterreichischen Landeshauptmann Mitte Mai 1933 zu sehen, ebenso die Wahl eines Christlichsozialen zum Bürgermeister von Innsbruck. Dieses Verhalten der Sozialdemokraten, gerade zu einem Zeitpunkt, als die Spannungen zwischen Österreich und dem NS-Deutschland einem Höhepunkt zustrebten, ist als demokratiepolitisch sehr verantwortungsbewußt zu bezeichnen. Nur für den Fall einer echten Diktatur mit Verbot der Parteien und der Absetzung des Wiener Bürgermeisters wurde eine Erhebung der Arbeiterschaft und damit die Gefahr eines Bürgerkrieges angedroht. • Die Nationalsozialisten reagierten äußerst aggressiv, polemisch und selbstbewußt auf die neuen bundespolitischen Entwicklungen, sowohl gegenüber den Christlichsozialen als auch gegenüber den Sozialdemokraten. Gegenüber den Christlichsozialen kann man folgende Strategien und Argumentationsmuster feststellen  : – Verhöhnen und Verunglimpfen der Bundesregierung, Lächerlichmachen von Bundeskanzler Dollfuß  ; – aggressives und z. T. wehleidiges Anprangern aller Aktivitäten der Heimwehren, die den Nationalsozialisten offenbar ein besonderer Dorn im Auge waren  ; – das Vorgehen der österreichischen Bundesregierung sei mit den wesentlich autoritäreren Maßnahmen der deutschen Reichsregierung unter Adolf Hitler nicht zu vergleichen, da Hitler durch das Ergebnis der Reichstagswahlen dazu legitimiert sei  ; – die Maßnahmen der Bundesregierung seien die beste Propaganda für die Nationalsozialisten, die noch nie so viele Beitritte zu verzeichnen hätten  ; – dieses Kabinett Dollfuß sei – ähnlich wie das Kabinett Schleicher in Deutschland – nur eine Übergangsregierung zu den Nationalsozialisten, deren Machtübernahme nicht mehr zu verhindern sei  ; – das Vorgehen der Regierung sei ausschließlich gegen die Nationalsozialisten gerichtet, weshalb die verantwortlichen Politiker nach der Machtübernahme durch die Nazis mit Verfolgungen, auch mit Androhung physischer Gewalt, zu rechnen hätten  ; 927 Für Deutschland vgl. dazu Karl Dietrich Bracher, Die totalitäre Erfahrung. München, Zürich 1987. S. 140  : »Es war das Grundproblem von 1933 für die Weimarer Politiker und Parteien, die in der Beur­ teilung der ›jungen Bewegung‹ schwankten, wie weit sie die Nationalsozialisten durch Kollaboration vielleicht beeinflussen oder gar steuern könnten.«

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– die Christlichsozialen hätten aber noch Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten in Form einer christlich-nationalen Regierungskoalition. • Den Sozialdemokraten warfen die Nationalsozialisten vor, sie meinten ihre Proteste gegenüber der Bundesregierung nicht ernst. Die NSDAP sprach sogar von einem abgekarteten Spiel zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten, die beide aus Angst vor den Nationalsozialisten Neuwahlen verhindern und wieder eine schwarz/rote Koalition bilden wollten. Renner sei als Nationalratspräsident nur zurückgetreten, um Neuwahlen zu verhindern. • Aus den Stellungnahmen sowohl der Vertreter der Sozialdemokraten als auch der Nationalsozialisten geht außerdem eindeutig hervor, daß man die eigentlichen Drahtzieher für das autoritäre Regieren in den Vertretern der Heimwehr sah und nicht in Dollfuß und seinen Christlichsozialen. Letztere seien aber von der Heimwehr abhängig, weil diese die knappe Mehrheit im Parlament sicherten. Die Heimwehren wiederum seien vom Ausland, vor allem von Italien, gesteuert.

5.8 Nationalsozialistische Stellungnahmen zu Demokratie und Parlamentarismus in den Landtagen Betrachtet man das geistige Vorfeld, auf dem die antidemokratische und antiparlamentarische Haltung der Nationalsozialisten wuchs, so wird man erkennen, daß antiparlamentarisches Denken in der Ersten Republik keinesfalls gleichzusetzen ist mit nationalsozialistischem Denken, wenn auch die Ablehnung von Demokratie und Parlamentarismus zu den wesentlichen Grundpfeilern nationalsozialistischer Ideologie zählen. Zumindest auch die Heimwehren und die Kommunisten wollten alles andere als die bestehende parlamentarische Demokratie, und gewiß hatten auch Teile der Sozialdemokraten und der Christlichsozialen andere Präferenzen. Während manche linken Ideologen der Sozialdemokratie immer noch – zumindest theoretisch – mit der »Diktatur des Proletariats« spielten, waren es in den Reihen der Christlichsozia­ len nicht nur jene, die der monarchischen Staatsform nachtrauerten. Ignaz Seipel sah »die Wurzel des Übels in der Art der Parteienherrschaft, wie sie sich in den Zeiten der konstitutionellen Monarchie entwickelt hat und nach Wegfall der monarchischen Korrektur ungehemmt in die Halme geschossen ist«. Nach Seipels Ansicht »rettet jener die Demokratie, der sie von der Parteienherrschaft reinigt und dadurch erst wiederherstellt.«928 Im katholischen Lager gab es beträchtliche Mentalreservationen

928 Ignaz Seipel, Der Kampf um die österreichische Verfassung. Wien 1930. S. 181. Vgl. ebenso Klemens von Klemperer, Ignaz Seipel. S. 222 ff. und Friedrich Rennhofer, Ignaz Seipel. Mensch und Staatsmann. Eine biographische Dokumentation. Wien, Köln, Graz 1978. S. 628 ff.

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gegenüber der Republik, die als notwendiges Übel angesehen wurde. 929 Besonderen Auftrieb erhielt die Kritik an der parlamentarischen Demokratie und der vermeintlich »korrupten Herrschaft der Parteien« in Kreisen des katholisch-bäuerlich-gewerblichen Mittelstandes ab 1927 vor allem aus Angst vor der im »Linzer Programm« der Sozialdemokraten von 1926 offengelassenen Möglichkeit von Bürgerkrieg und »Diktatur des Proletariats« zur Brechung des Widerstandes der Bourgeoisie. Die Idee, alle »Berufsstände« als gleichberechtigte Sozialelemente in einer »Volksgemeinschaft« zusammenzufassen, gewann an Attraktivität.930 Wichtige Teile der Christlichsozialen, unterstützt vom österreichischen Episkopat, verloren zunehmend »ihren ohnedies immer eher schmalbrüstigen Glauben an die parlamentarische Demokratie«, die verbraucht schien und in der »Notzeit der ökonomischen Krise« durch eine autoritäre Regierung abgelöst werden sollte.931 Auch die parlamentarische Praxis selbst trug nicht unwesentlich zum sinkenden Ansehen des Parlamentarismus bei. Die Parteien begegneten sich in der parlamentarischen Auseinandersetzung – vor allem in Nationalrat – mit unerbittlicher Härte, bedienten sich der »radikalen Phrase« und verstärkten damit in weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung den Zweifel am Willen der Parteien zum Kompromiß in grundsätzlichen Fragen. Durch unqualifizierte Angriffe wurde oftmals die Würde des Parlaments und seiner Mitglieder verletzt und eine kontinuierliche, sachliche Parlamentsarbeit schwer behindert. In gleicher Weise wurde durch taktische Obstruktionshaltungen der politische Pessimismus der Bevölkerung gegenüber der Lösungskompetenz des Parlamentes verstärkt. Und schließlich verhinderten rasch wechselnde Kabinette, undurchsichtige Koalitionspraktiken und informelle Kompromisse (»Kuhhandel«) eine verläßliche Absicherung von traditionellem Wirtschaftshandeln.932 Die antiparlamentarische Entwicklung spielte sich aber beileibe nicht in Österreich allein ab, sondern große Teile Europas waren um 1930 offensichtlich am Ende des 929 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung der Haltung des Katholizismus zur Republik und Demokratie von Ernst Hanisch, Die Ideologie des politischen Katholizismus in Österreich 1918–1938. Wien, Salzburg 1977. Hier S. 10. Ebenso Alfred Diamant, Die österreichischen Katholiken und die Erste Republik. Demokratie, Kapitalismus und soziale Ordnung 1918–1934. Princeton University Press 1960. S. 92–131. 930 Vgl. Klaus Berchtold (Hg.), Österreichische Parteiprogramme 1968–1966. Das »Linzer Programm« der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs, 1926. Wien 1967. S. 253. Vgl. auch Ulrich Kluge, Der österreichische Ständestaat. S. 19 f. Der Begriff der »Volksgemeinschaft« findet sich im übrigen nicht nur bei faschistischen und bürgerlichen Parteien, sondern auch im Linzer Programm der Sozialdemokraten, wo es in III/4 heißt, der Staat werde sich »aus einem Werkzeug der Klassenherrschaft in das Gemeinwesen der vereinigten Volksgemeinschaft verwandeln«. 931 Ernst Hanisch, Der Politische Katholizismus als ideologischer Träger des »Austrofaschismus«. In  : E. Tálos, W. Neugebauer (Hg.), »Austrofaschismus« S. 58. Vgl. ebenso Rudolf G. Ardelt, Zwischen Demokratie und Faschismus. Deutschnationales Gedankengut in Österreich 1919–1930. Wien, Salzburg 1972. 932 Vgl. Ulrich Kluge, Der österreichische Ständestaat. S. 21.

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parlamentarischen Weges angelangt. Ernst Nolte sah darin seine These begründet, »die Epoche der Weltkriege sei nichts anderes als die Epoche des Faschismus«.933 Somit blieb also nicht auf Österreich allein die Erfahrung beschränkt, »wie widerstandslos schließlich demokratische Verfassungsordnungen und liberales Geistesleben diktatorischen Erfolgsgremien und Veränderungsphilosophien Platz machen können«.934 Zum einen waren es also die aktuellen tagespolitischen Erfahrungen mit den Parteien, dem Nationalrat, der Regierung, die die populäre Skepsis gegenüber der parlamentarischen Demokratie nährten, zum anderen war es eine breite geistige Strömung, der diese antidemokratische und antiparlamentarische Haltung entsprang. Sie manifestierte sich vor allem in der Jugendbewegung als Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft. Ausgehend von Deutschland (Wandervogel, Bündische Jugend), übernahmen in Österreich der Österreichische Wandervogel, die katholische Jugendbewegung und schließlich der Bund Neuland viele dieser Ideen. Ein Teil von ihnen forderte den Ständestaat, andere wieder glaubten an die Erneuerung eines Reiches durch die von Österreich geführten Deutschen, eines deutschen Reiches als Zwischenstation zu einem Gottesreich, andere schließlich gingen zum Nationalsozialismus über und gingen in der Hitlerjugend auf.935 Zwei Grund-Wesenszüge waren es, die – wie es ein Zeitzeuge beschreibt – vor allem der Jugend eigen waren und die »durch alle Umhüllungen und Weltanschauungen« durchbrachen  : »Die Flucht in die Metaphysik, in irgendeinen ›Glauben‹ (Marxismus, Kommunismus, Hitlerismus, Philosophie oder 933 Ernst Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche. Action francaise, Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus. München, Zürich 1984. S. 31. Ebenso Charles Mayer, Zwischen Taylorismus und Technokratie. Gesellschaftspolitik im Zeichen industrieller Rationalität in den zwanziger Jahren in Europa. In  : Michael Stürmer (Hg.), Die Weimarer Republik. Königstein/Ts. 1980. S. 188–213. Ebenso Theodor Eschenburg, Der Zerfall der demokratischen Ordnungen zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. In  : Der Weg ins Dritte Reich 1918–1933. München, Zürich 1983. S. 25 f. 934 Karl Dietrich Bracher, Die Krise Europas. Seit 1917. Frankfurt am Main, Berlin 1993. S. 96. 935 Vgl. etwa Franz M. Kampfhammer, Neuland. Erlebnis einer Jugendbewegung. Graz, Wien, Köln 1987. S. 82 ff. Ebenso Ralf Roland Ringler, Illusion einer Jugend. Lieder, Fahnen und das bittere Ende. Hitler-Jugend in Österreich. Ein Erlebnisbericht. St. Pölten, Wien 1977. S. 58. Arno Klönne, HitlerJugend und Jugendopposition im Dritten Reich. In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. B 4–5/83. Se. 17–25. Eine neue Arbeit über die nationalsozialistische Jugendorganisierung in Österreich vor 1938 stammt von Johanna Gehmacher, Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938. Wien 1994. Zur Bewegung an den Hochschulen vgl. etwa Herbert Dachs, Österreichische Geschichtswissenschaft und Anschluß 1918–1930. Wien, Salzburg 1974 und Dieter Binder, Der Weg der Studentenschaft in den Nationalsozialismus. In  : Christian Brünner, Helmut Konrad (Hg.), Die Universität und 1938. Wien, Köln 1989. S. 75–93. Ebenso Willam M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938. Graz 1974. S. 314 ff. Vgl. ebenso Othmar Spann, Der wahre Staat. Vorlesungen über Abbruch und Neubau der Gesellschaft. Othmar Spann. Gesamtausgabe. Band 5. Graz 1972. S. 256 ff. Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München 1986. S. 1123 ff. und S. 1143.

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was immer), und den Trieb zum Drill, zum Strammstehen und Kommandiert-werden oder Kommandieren.«936 Insgesamt kann man also feststellen, daß in der Ersten Republik Österreichs das politische System der parlamentarischen Demokratie, wenn überhaupt jemals, dann immer weniger der Politischen Kultur dieses Landes entsprach. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, daß die demokratische Republik Österreich – wie Ernst Hanisch anhand der längerfristigen historischen Entwicklung Österreichs nachweist – »keine Frucht des zähen Kampfes der Bevölkerung«, sondern »ein Resultat weltpolitischer Konstellationen, an denen die österreichische Bevölkerung nur einen bedingten Anteil hatte«, war.937 Den auf der Grundlage der parlamentarischen Demokratie in Österreich politisch Agierenden und Verantwortlichen ist es nicht gelungen, in der Bevölkerung einen politischen Kulturwandel zugunsten der parlamentarischen Demokratie zu bewirken bzw. vor den aus der Monarchie überkommenen politischen Beurteilungsmaßstäben zu bestehen. Im Gegenteil  : Viele von ihnen trugen selbst dazu bei, die Legitimität des demokratisch-parlamentarischen Systems in Frage zu stellen. Das miserable Ansehen von Demokratie, Parlamentarismus und Parteien nützten Hitler und seine Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei und wandten sich vehement gegen das System der parlamentarischen Demokratie, benützten jedoch deren Mittel und Institutionen. Der Antiparlamentarismus bildete einen Kernstock der NS-Ideologie.938 So resümierte etwa der NS-Abgeordnete Rentmeister, nachdem die Nationalsozialisten als unbeteiligte Zuschauer an den Budgetausschußberatungen des Niederösterreichischen Landtages teilgenommen hatten, sie hätten nun »in die geheimnisvolle Küche, in der alle demokratischen Heilrezepte gebraut werden, hineingeblickt« und dabei herausgefunden, »daß die ganze Demokratie der größte Schwindel ist, den die Weltgeschichte jemals gesehen hat«. Die demokratische Realpolitik könne mit den Worten umschrieben werden  : »Sucht nach neuen Pfründen, bringt Leute, die auf Stellen warten, doch unter, und handelt nach dem Grundsatz  : Haust Du meinen Juden nicht, so haue ich auch Deinen Juden nicht  !«939 Also  : Teilhaben an den demokratischen Institutionen nur zu dem Zweck, sie dann in der Öffentlichkeit schlecht zu machen und in den Antisemitismus zu verpacken. 936 Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918–1937. Herausgegeben von Wolfgang Pfeiffer-Belli. Berlin, Darmstadt, Wien 1961. S. 661. Tagebucheintragung vom 25. April 1932. 937 Ernst Hanisch, Historische Übergänge in der österreichischen politischen Kultur. In  : Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. 84/1. 5. 18. 938 Vgl. Franz Schausberger, Antiparlamentarisches Denken und Nationalsozialismus in der Ersten Republik. In  : Salzburg. Geschichte & Politik. 4. Jahr, 1994, Nr. 1. Ebenso  : Programm der National­ sozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. In  : Gerhard Grimm, Der Nationalsozialismus. Programm und Verwirklichung. Geschichte und Staat. Bd. 244/45. München, Wien 1981. S. 217, S. 219 f. 939 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 13. I. 1933. S. 105 f.

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Entscheidender noch als das, was in den NS-Programmen zu lesen ist, sind die Feststellungen Adolf Hitlers in »Mein Kampf« zu den Fragen der Demokratie und des Parlamentarismus.940 Die dort angeführten Gründe für die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie lassen sich so zusammenfassen  : • Das Majoritätsprinzip schließt jede persönliche politische Verantwortung aus. • Die Wählerschaft ist zu dumm, um in allgemeinen Wahlen »Staatsmänner« hervorzubringen. • Die parlamentarischen Entscheidungen werden von Nichtwissern und Nichtkönnern gefällt. • Die westliche Demokratie dient dem Marxismus nur dazu, mit Hilfe des bürgerlichen Lagers an die Macht zu kommen. • Der Marxismus wiederum ist nur der in Reinkultur gebrachte Versuch des Judentums, über den Parlamentarismus die überragende Bedeutung der Persönlichkeit auszuschalten und durch die Masse zu ersetzen. Damit wird letztlich die parlamentarische Demokratie als Einrichtung des Judentums aus rassistischen Gründen abgelehnt, als Diktatur, »wie es keine jemals gegeben hat, denn diese Demokratie ist in unseren Augen nichts anderes als die schrankenlose Diktatur des jüdischen Geldsackes«.941 Eine Begründung, wie sie in keinem anderen politischen Lager – auch wenn in diesen die antiparlamentarischen und antidemokratischen Strömungen zugenommen haben – zu finden ist. Viel vom genannten Ideengut finden wir natürlich in den Aussagen der Nationalsozialisten in den Landtagen zu Demokratie und Parlamentarismus wieder.942 Die durch Theo Habicht eingeführte straffere Organisation und die verbesserten Informationsflüsse zur deutschen NSDAP begannen wirksam zu werden.943 Auch die – nach heutigen Erwartungen – nicht immer klaren Gegenreaktionen der anderen Parteien mögen sich durch die Feststellungen in den beiden vorangegangenen Abschnitten zumindest teilweise erklären lassen. In der konstituierenden Sitzung des Wiener Gemeinderates zog der nationalsozialistische Gemeinderat Alfred Eduard Frauenfeld in einer sehr provokanten, radikalen Rede u. a. auch gegen die Parteiendemokratie her. Er nahm zwar seine Wahl zum Stadtrat an und leistete auch den Eid, daß er die Gesetze getreulich beobachten und seine Pflichten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde944, erklärte aber in 940 Vgl. Adolf Hitler, Mein Kampf. München 1942. 721.–725. Auflage. 941 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 13. 1. 1933. S. 131. 942 Vgl. dazu Franz Schausberger, Die Landtagswahlen des Jahres 1932 und ihre Folgen. S. 111–132. 943 Vgl. Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 74 ff. 944 Vgl. GRPWien, Sitzung vom 24. 5. 1932. S. 507.

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seiner Rede unmißverständlich  : »Wir bekämpfen die alten politischen Parteien ohne Unterschied, weil wir Gegner des parlamentarischen, demokratischen, parteipolitischen Systems, das ein anständiges, arbeitsames Volk vor die Hunde gebracht hat, sind … Wenn jemand dieser Sitzung auf der Galerie beigewohnt hat, so muß er als ein Feind des Parlamentarismus, der Demokratie und der Parteipolitik weggehen. Aus dieser Erkenntnis heraus lehnen wir die Parteipolitik und die Demokratie als ein System der Verantwortungslosigkeit ab.« Frauenfeld bezeichnete die Demokratie als »System der Verantwortungslosigkeit, das Bonzen und Pfründe züchtet« und gipfelte schließlich in dem Ausruf  : »Scheren Sie sich zum Teufel mit dieser Demokratie und dann wird die Not gelindert werden können.«945 Es zeigte sich also schon in den ersten Wortmeldungen, daß der Wiener Gemeinderat für die Nationalsozialisten ein ideales Forum wurde, »vor dem sie alle Register ihrer Propaganda für sich und gegen die Demokratie schlechthin zu ziehen gedachten.«946 Der christlichsoziale Klubobmann Leopold Kunschak kritisierte zwar die sozialdemokratische Übermacht in Wien und forderte eine stärkere Mitwirkungsmöglichkeit des Gemeinderates und der Opposition, ließ aber keinen Zweifel an seinem Bekenntnis zur Demokratie  : »Dann werden wir das demokratische System so aufbauen und einrichten können, daß die, die es repräsentieren, wissen, daß sie Dienst am Volke zu leisten haben und nicht Dienst an ihren Parteien oder etwa gar Dienst an ihren eigenen persönlichen Interessen.« Und an die Nationalsozialisten gerichtet, stellte er fest  : »Wenn Sie auch den Bureaukratismus und die Auswirkungen der demokratischen Verwaltung nicht gelten lassen wollen, dann bleibt natürlich nichts anderes übrig als der Diktator mit seiner Kamarilla, der Diktator, der glaubt, daß er schiebt und in Wirklichkeit von den Ohrenbläsern und den Spekulanten geschoben wird, die sich an ihn herandrängen.«947 Der sozialdemokratische Gemeinderat Paul Speiser zeigte sich von den Nationalsozialisten »ein kleines bißchen enttäuscht«, da sie zwar neue Ideen und ein neues Programm versprochen hätten, sich aber von den anderen Parteien nur durch Äußerlichkeiten, nämlich andere Blusen, unterschieden, während sie inhaltlich nur das boten, »was ein Schönerer und ein Lueger und die Deutschnationalen von ehemals an Ideen vertreten haben«. Er warf ihnen vor  : »Sie haben eine neue Firma angenommen, Sie haben neue Uniformen an, aber Ihre Ideen sind die, die damals vertreten worden sind  !« Er sagte voraus, daß »die Herren, die Gegner der Demokratie sind, wenn sie auch, wenn es sein muß, wie zum Beispiel in Salzburg ein bißchen Demo945 GRPWien, Sitzung vom 24. 5. 1932. S. 536 f. und S. 547. 946 Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Wien und ihrer Volksvertretung. Wiener Schriften Nr. 15. S. 200. 947 GRPWien, Sitzung vom 24. 5. 1932. S. 569 f.

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kratie geloben« in die Ausschüsse gehen werden und sich überzeugen können, »daß Demokratie etwas Wertvolles ist und daß es nützlich ist, daß sie in jedem Ausschuß sitzen und zuschauen können, was dort geschieht … Sie sind also da und so ist dieses System nichts anderes als eine Art Anschluß, eine Angleichung an das Deutsche Reich, die wir ja alle wollen.«948 Das System der Demokratie sei in Wien erfolgreich gewesen, wofür die Sozialdemokraten vom Wähler auch die Bestätigung erhalten hätten. Nicht das System der Demokratie, sondern das kapitalistische System sei zu bekämpfen und weil der Kapitalismus mit dem System der Demokratie schlechte Erfahrungen gemacht hätte, gehe er auf die Demokratie los, wobei die Nationalsozialisten »ihm dabei behilflich sind«. »Ob nun die einen das Neue, was sie wollen, ›Ständestaat‹ nennen, ob die anderen das, was sie wollen, ›Faschismus‹ nennen oder ob sie einen Unterschied unter den deutschen Menschen zu machen versuchen, indem sie sie in das Untermenschentum und Übermenschentum einteilen, auf welche Weise sie die Arbeiterklasse zu zerreißen suchen, ob sie es wollen oder nicht, sie tun es alle im Interesse des Kapitals.«949 Die Sozialdemokratie werde sich in Wien von der nationalsozialistischen »Terrorpartei, die anderen Terror vorwirft, in keiner Weise unterkriegen lassen«, und er sei sich sicher  : »Auf dem Wiener Boden wird der Faschismus nicht siegen  !«950 Auch in der ersten Sitzung des Niederösterreichischen Landtages ließen die Nationalsozialisten keine Zweifel daran, daß sie keine demokratische Partei waren und die Demokratie nur als Mittel und Weg ansahen, um zur Macht zu kommen. Dazu schlossen sie auch die Anwendung von Gewalt nicht aus. In einer äußerst stürmischen Sitzung legte der nationalsozialistische Abgeordnete Josef Leopold die Ziele seiner Partei dar  : »Nun sind wir da und stehen als die Vertreter des Neuen, Kommenden, Ihnen, den Vertretern einer alten, morschen, verfaulenden Welt, gegenüber. Einem System, das vernichtet werden muß, wenn unser Volk leben soll. Daraus werden Sie auch gleich entnehmen, daß wir nicht hierhergekommen sind, um uns am Parlamentarismus zu vergiften. Wir kämpfen nicht um Parlamentssitze, die Mandate sind für uns das Mittel zur Eroberung der deutschen Freiheit, die Ihr System in den 13 Jahren der Nachkriegszeit Stück für Stück dem überstaatlichen, jüdischen Weltbankkapital ausgeliefert hat. Die Verfassung zwingt uns heute zur Parlamentspartei, aber sie kann nicht unser Ziel bestimmen. Ziel ist für uns die Befreiung und Erhaltung der Nation. Dafür werden wir nun auch in diesem Hause unseren Kampf führen. Das Haus selbst lehnen wir grundsätzlich ab, weil die ganzen Landtage in ihrer heutigen Form unserem Volke nur unsinnige Lasten auferlegen und andererseits keine Möglichkeiten bieten, grundle-

948 GRPWien, Sitzung vom 24. 5. 1932. S. 572 und S. 579 f. 949 GRPWien, Sitzung vom 24. 5. 1932. S. 592. 950 GRPWien, Sitzung vom 24. 5. 1932. S. 600 f.

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gende Hilfe zu bringen.«951 Und als ob es aus Hitlers »Mein Kampf« abgeschrieben wäre, erklärte Leopold, daß das System der parlamentarischen Demokratie untauglich sei, »weil Demokratie und Parlamentarismus die Werkzeuge der jüdischen Weltfinanz sind, gegen die allein der Kampf um unsere wirtschaftliche Freiheit geführt werden muß«.952 Er ließ keinen Zweifel daran, daß für die Nationalsozialisten »dieser Landtag sowie die Landesregierung nur ein Mittel, ein Werkzeug« sei, die anderen Parteien sollten nur nicht glauben, »daß wir uns durch die gesetzmäßig innehabenden Stellen in der Landesregierung und im Landtag an Ihr System gebunden fühlen«. Daher antwortete Josef Leopold nach seiner Wahl zum Landesrat auf die Frage des Landtagspräsidenten, ob er die Wahl annehme, nicht wie die anderen Regierungsmitglieder (»Ich nehme die Wahl an«), sondern erklärte nur lakonisch  : »Ich nehme das den Nationalsozialisten gesetzmäßig zustehende Landesratsmandat an.«953 Auf die wüsten Beschimpfungen und Polemiken der Nationalsozialisten, die fast zu tätlichen Auseinandersetzungen vor allem mit den Sozialdemokraten geführt hatten, und auf die antiparlamentarischen Äußerungen ging nur der christlichsoziale Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Reither kurz ein und erklärte  : »Die Nationalsozialisten lehnen den Landtag ab, einen Landtag, den sie nicht geschaffen haben. (Ruf bei den Nationalsozialisten  : Aber abschaffen werden wir ihn  !) Diesen Landtag werden aber auch die Nationalsozialisten nicht auflösen. Die alten Traditionen, die dieses Haus mit dem Lande verbinden, wird eine nationalsozialistische Partei nicht hinwegfegen. (Ruf bei den Nationalsozialisten  : Wetten wir  ?) Dann müßten Sie auch die Gemeinde- und die Bezirksvertretungen aufheben und etwas an deren Stelle und an die Stelle des Landtages setzen. Wer würde dann für alle die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufgaben, die dieser Landtag zu erfüllen hat, Sorge tragen  ?«954 Mit solchen gemäßigten Beiträgen konnte man natürlich den Radikalismen der NSDAP-Abgeordneten nicht Herr werden. Bemerkenswert ist auch, daß sich der sozialdemokratische Sprecher, Landeshauptmann-Stellvertreter Oskar Helmer, überhaupt nicht mit den Nationalsozialisten auseinandersetzte und sich nur mit der Verantwortung der christlichsozialen Mehrheitspartei für die schlechte Wirtschaftssituation befaßte. Vom ersten Moment ihres Agierens im Salzburger Landesparlament an ließen die nationalsozialistischen Mandatare keinen Zweifel daran, daß sie das bestehende demokratische und parlamentarische System auch hier mit allen Mitteln bekämpfen würden. Es war – nach der Diktion der Nationalsozialisten – das System der »Bonzen«, das System der »Bettgemeinschaft« zwischen Christlichsozialen und Sozialde951 LPNÖ. 1. Sitzung. I. Se. 21. 4. 1932. S. 48 f. Ebenso Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 308 f. 952 LPNÖ. 1. Sitzung. I. Se. 21. 4. 1932. S. 51 f. 953 LPNÖ. 1. Sitzung. I. Se. 21. 4. 1932. S. 54 und S. 63. 954 LPNÖ. 1. Sitzung. I. Se. 21. 4. 1932. S. 57.

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mokraten, die miteinander auf Kosten der Bevölkerung »packelten« und ihre Pfründe ängstlich verteidigten.955 Der erste Satz des nationalsozialistischen Klubobmannes Peisser im Salzburger Landtag lautete  : »Die Nationalsozialisten stehen nicht auf dem Boden des Parlamentarismus und können daher die parlamentarischen Gebräuche desselben für sich nicht als bindend erachten.«956 Dies fand etwa auch im sozialdemokratischen Parteiorgan seinen Niederschlag, in dem ganz klar die Absichten der Nationalsozialisten erkannt und formuliert wurden  : »Die Nazi wollen nach den Erklärungen nicht in die Landtage und in das Parlament, um positive Arbeit zu leisten, sondern um dort durch Provozieren und Demagogie die Demokratie und den Parlamentarismus in den Augen der durch Not und Elend verärgerten Bevölkerung herunterzusetzen, um so das Vertrauen in die Demokratie und die Selbstbestimmung des Volkes aus den Herzen des Volkes zu reißen … um dann umso brutaler das Werk der Sklaverei und Knebelung der Volksschichten zu vollenden.«957 Trotzdem aber bestand die NSDAP auf dem Recht, einen Vizepräsidenten des Landtages und einen Landesrat zu stellen. Daraus ergab sich eine verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche Situation, weil im Artikel 17 der Salzburger Landesverfassung festgelegt war, daß die Mitglieder des Landtagsvorstandes (Präsident und Vizepräsidenten) sowie die Mitglieder der Landesregierung »jenen Parteien entnommen (werden), die sich zur Demokratie auf Grund der geltenden Verfassung bekennen«.958 Nachdem sich die NSDAP-Mandatare aber ausdrücklich nicht zur Demokratie bekannten, ließen die beiden Großparteien mit der Wahl von Franz Koweindl zum Landtagsvizepräsidenten und von Dr. Franz Ropper zum Landesrat einen eklatanten Verfassungsbruch zu, der durch nichts gerechtfertigt werden konnte. Der sozialdemokratische Abgeordnete Emminger protestierte zwar in einer Wortmeldung dagegen und verlangte von den nationalsozialistischen Kandidaten ein Bekenntnis zur Demokratie, wenn die Verfassung »nicht ein Fetzen Papier sein soll«, ließ aber schließlich doch den christlichsozialen Vorschlag zu, den Vizepräsidenten des Landtages durch 955 Vgl. Ernst Hanisch, Die sozialdemokratische Fraktion im Salzburger Landtag 1918–1934. In  : Gerhard Botz, Hans Hautmann, Helmut Konrad, Josef Weidenholzer (Hg.), Bewegung & Masse. Studien zur österreichischen Arbeitergeschichte. Wien 1978. S. 263 ff. Der Begriff der »Bettgemeinschaft« zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten wurde auch im Nö. Landtag von den Nationalsozialisten immer wieder verwendet. Vgl. Hermann Riepl, Fünfzig Jahre Landtag von Niederösterreich. S. 327, 349, 350. 956 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 2. 957 »Salzburger Wacht«, 31. 5. 1932. S. 5. 958 Vgl. Salzburger LGBl. Nr. 11/1931. Art. 17 und Art. 35. Im Art. 17 heißt es zur Wahl des Landtagspräsidenten und der Vizepräsidenten  : »Sie werden jenen Parteien entnommen, die sich zur Demokratie auf den Grundsätzen der geltenden Verfassung bekennen.« Im Art. 35 wird für die Wahl der Landesregierung klar festgelegt  : »Die Landesregierung wird aus jenen Parteien gebildet, die sich zur Demokratie auf den Grundsätzen der geltenden Verfassung bekennen und die geordnete Mitwirkung an der Vollziehung des Landes gewährleisten.«

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reine Fraktionswahl zu bestimmen. Dr. Peisser lehnte es rundweg ab, sich auf eine verfassungsrechtliche Debatte einzulassen.959 An diesem Beispiel zeigt sich, wie man das Bekenntnis zur Demokratie schon einzuschränken begann, wie brüchig das Fundament des politischen Systems bereits wurde.960 Die Nationalsozialisten kündigten ihren Kampf nicht so sehr gegen einzelne Parteien oder Personen an, sondern gegen das ganze System, das ihrer Meinung nach durch die demokratischen Mehrheitsentscheidungen dazu führt, daß sich niemand verantwortlich fühlt und letztlich die guten Menschen durch die schlechten unterdrückt und ausgebeutet werden. »In einem Staate, dessen Prinzipien die Mehrheit und die Unverantwortlichkeit sind, in diesem Staat können, besonders wenn eine Mehrheit von schlechten Menschen regiert, wir so nicht weiterleben. Statt Mehrheit und Unverantwortlichkeit setzen wir das Prinzip des deutschen Führergedankens mit voller Verantwortlichkeit.« Die NSDAP – so kündigte sie an, ohne sich daran zu halten – wolle im Landtag niemanden angreifen, »weil man mit den Landtagen und mit dem Parlament gar nichts besser machen kann«.961 Der nationalsozialistische Klubobmann Dr. Peisser scheute sich nicht, in seiner ersten grundsätzlichen Rede als Beitrag zur Regierungserklärung von Landeshauptmann Dr. Rehrl, das Ziel seiner Partei ganz offen zum Ausdruck zu bringen. Umso unverständlicher ist es, daß die deutlichen Worte offenbar von den beiden anderen Parteien nicht ganz ernst genommen wurden, sonst hätten sie schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb in der Folge jede parlamentarische Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten konsequent abgelehnt. Der Parlamentarismus sei nur das Mittel, um vor allem die »Bolschewiken« zu schlagen, erklärte Peisser. »Hitler bedeutet Ihre Vernichtung«, rief er seinen Kontrahenten im Landtag zu. »Wir wollen die Mehrheit, um Sie zu zerstören … unsere Mandate sind nur das Mittel zur Eroberung der deutschen Freiheit«, die Verfassung »ist nur das Mittel zur Erhebung der Nation«.962 Die Reaktion der beiden anderen Parteien zeigt, wie sehr sie einer groben Fehleinschätzung der nationalsozialistischen Bewegung unterlagen. Der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Preußler prophezeite, daß den Nationalsozialismus das gleiche Schicksal ereilen würde wie den Heimwehrfaschismus, der sich durch Führungskämpfe selbst erledige.963 Der christlichsoziale Klubobmann Neureiter wiederum versuchte, trotz der eindeutigen Drohungen durch die NSDAP, auszugleichen und meinte, daß auf Grund

959 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 3. 960 Vgl. Franz Fallend, 70 Jahre Salzburger Landesverfassung. Genese – Reformen – Analyse. Salzburg Dokumentationen Nr. 102. Schriftenreihe des Landespressebüros. Salzburg 1991. S. 118 f. 961 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 12 f. 962 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 14. 963 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 17.

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der äußerst tristen Situation sofortiges Handeln notwendig sei. Deshalb könne man nicht – wie das die Nationalsozialisten forderten – warten, bis das bestehende System gebrochen sei. Halbherzig verteidigte er das parlamentarische Mehrheitssystem und gab zu, daß natürlich auch Mehrheiten einen Unsinn beschließen könnten. Schon jetzt erwartete er wechselnde Mehrheiten im Landtag, was zeigt, daß er die Gefährlichkeit der Nationalsozialisten einfach nicht erkannt hatte. Ja, er ging sogar den Nationalsozialisten entgegen, bekannte sich zur Volksgemeinschaft, bezeichnete seine Partei als eine »Volkspartei« und glaubte darauf verweisen zu müssen, daß Christlichsoziale und Sozialdemokraten immer Gegner waren, vor allem in kulturellen und wirtschaftlichen Fragen. Und trotzdem – so bekannte Neureiter – haben beide Parteien viel gemeinsam gearbeitet. Er gab aber auch sehr deutlich zu erkennen, wie intensiv offenbar innerhalb der Christlichsozialen an grundlegende Änderungen gedacht wurde  : »Wir haben seit dem Jahre 1919, glaube ich, das heutige Wahlrecht und im großen und ganzen die heutigen Formen, aber daß dieser Zustand ewig dauern wird, das zu glauben, soll man mir nicht zumuten.«964 Anzumerken ist auch, daß die Nationalsozialisten in Salzburg zu Beginn ihrer Reden nie die Anrede »Hoher Landtag«, sondern die Formel »Landtag von Salzburg« verwendeten. Bezeichnend für ihre Abneigung gegen die parlamentarische Demokratie ist auch, daß sie alles, was Streit, Polemik, heftige Auseinandersetzung etc. bedeutete, als »parlamentarisch« bezeichneten. »Ich verstehe nicht, warum Sie heute gar so parlamentarisch aufgelegt sind  ; haben Sie gestern zu viel Bräustüblbier erwischt  ?«, rief der Nationalsozialist Wagner dem Sozialdemokraten Emminger zu.965 Damit wollte man alles »Parlamentarische« verhöhnen und als schlecht darstellen, die Reaktionen der anderen Parteien blieben leider verhalten. Solche oder ähnliche Debatten fanden im Vorarlberger Landtag nicht statt. Demokratiefeindliche und antiparlamentarische Äußerungen wurden dort von den beiden NS-Abgeordneten überraschenderweise nie abgegeben, wiewohl sie sich natürlich in ihrer Haltung in keiner Weise von ihren Parteigenossen in den anderen Bundesländern unterschieden. Aber immerhin  : Sie leisteten ohne Widerspruch ihren Eid in vollem Umfang auf die geltende Verfassung.966 • Eine wirklich demokratische Politische Kultur im Sinne einer überzeugenden Akzeptanz des Systems der parlamentarischen Demokratie sowohl bei Regierenden als auch besonders bei den Regierten bzw. im Sinne des relevanten Weltbildes der österreichischen Bevölkerung gab es während der ganzen Ersten Republik nicht. Es gelang den politischen Eliten auch nicht, einen Kulturwandel zugunsten der parlamentarischen Demokratie zu bewirken so964 Vgl. LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 18 ff. 965 LPSbg, 8. Sitzung. 22. 12. 1932. S. 111 und S. 130. 966 Vgl. LPVlbg, 1. Sitzung. 22. 11. 1932. S. 7.

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fern sie das überhaupt beabsichtigten und nicht selbst das demokratisch-parlamentarische System in Frage stellten. Antidemokratisches und antiparlamentarisches Denken, das allein noch nicht gleichzusetzen ist mit nationalsozialistischem Denken, nahm mit der Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre zu. Dem demokratisch-parlamentarischen System und seinen Parteien traute man die Lösung der Probleme nicht mehr zu, nahezu alle politischen Richtungen suchten nach – wenn auch total unterschiedlichen – Auswegen. Das parlamentarische Verhalten der Parteien im Nationalrat und der häufige Wechsel der Regierungen trugen selbst nicht unwesentlich zum sinkenden Ansehen der parlamentarischen Demokratie bei. Nicht nur in Österreich, sondern in einem großen Teil der europäischen Staaten war man Anfang der dreißiger Jahre am Ende des parlamentarischen Weges angelangt und hatte sich autoritären und faschistischen Regierungsformen zugewandt. Getragen und unterstützt wurde die zunehmende antiparlamentarische und antidemokratische Haltung der Bevölkerung von einer starken geistigen Strömung, die meist von Universitäten ausging und breites Echo v. a. bei der Jugend fand. Diese antidemokratische Strömung bildete sich als Reaktion auf Liberalismus und Rationalismus und als Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft. Das miserable Ansehen von Demokratie, Parlament und Parteien nützte Hitler für seine aggressive Agitation gegen die parlamentarische Demokratie. Die Nationalsozialisten nützten die parlamentarischen Institutionen, wie etwa in Österreich die Landtage von Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg, sowie viele Gemeindevertretungen als Mittel zum Zweck und pochten dabei energisch auf die demokratischen Rechte. Neben vielen Argumenten gegen die parlamentarische Demokratie, von denen manche auch von anderen Parteien verwendet wurden, ließen die Nationalsozialisten keinen Zweifel daran, daß sie die parlamentarische Demokratie letztlich nur aus rassischen Gründen ablehnten, da dieses System das Instrument der Juden sei, mit dem diese die Welt erobern wollten. Die Herrschaft des Parlamentarismus und der Sieg der Demokratie seien der Endsieg der Juden. Diese rassische Argumentation gegen die parlamentarische Demokratie findet man nur beim Nationalsozialismus. In Wien, Niederösterreich und Vorarlberg leisteten die Nationalsozialisten ihren Eid auf die Verfassung. In Salzburg stand ausdrücklich in der Verfassung, daß Mitglieder des Landtagsvorstandes und der Landesregierung nur aus jenen Parteien gewählt werden könnten, die sich ausdrücklich zur Demokratie bekennen. Nachdem die Nationalsozialisten ausdrücklich erklärt hatten, sich nicht zur Demokratie zu bekennen, ergab sich eine verfassungsrechtlich äußerst bedenkliche Situation, die nur dadurch gelöst werden konnte, daß Christlichsoziale und Sozialdemokraten es zuließen, daß der nationalsozialistische Landtagsvizepräsident und der nationalsozialistische Landesrat durch Fraktionswahl bestimmt wurden.

Der nationalsozialistische Antisemitismus in den Landtagen

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• Kurz gefaßt ergibt sich aus den Debatten um die Angriffe der Nationalsozialisten gegen die parlamentarische Demokratie folgendes Bild  : Wien CS gegen NS gegen SD SD gegen Kapitalismus (NS + CS) NÖ CS gegen NS SD gegen CS Sbg CS gegen NS gemäßigt SD gegen NS gemäßigt Vlbg keine Debatte

5.9 Der nationalsozialistische Antisemitismus in den Landtagen Es kann außer Streit gestellt werden, daß die antisemitische Agitation und die Verbreitung des antisemitischen Gedankenguts in Österreich aus der Ecke der politischen Rechten, ob christlich-konservativ oder radikal-völkisch, kamen. Aber auch die Haltung der Sozialdemokratie, die auch nur einen »Mikrokosmos der Bevölkerung« darstellte, zum Antisemitismus war »ambivalent«, es gab in ihr verbreitete »antisemitische Einschläge«, die auf das enge Verhältnis zwischen »Judenfressern« und »Bankjuden«, »jüdischem Kapital« etc. hinwiesen. »Das mag ohne antisemitische Absicht geschehen sein, trug aber dazu bei, das Stereotyp des Juden als prinziplosen, geldgierigen Schiebers und Intriganten besonders bei der eigenen Gefolgschaft zu bestätigen.«967 Auch den jüdisch-nationalen und zionistischen Gruppen stand die Sozialdemokratie eindeutig ablehnend gegenüber, sie zeigte keine Bereitschaft, »das Judentum als religiös-kulturelle oder auch nationale Gemeinschaft zu akzeptieren«.968 Die ökonomische Struktur vor allem des Wiener Judentums mit ihrer zentralen Rolle im Bankwesen, in der Industrie, im Handel, bei den Großkaufhäusern, in der Presse und in den freien Berufen ließen das Judentum nur schwer als Verbündeten einer proletarischen Bewegung erscheinen. Die Arbeiterbewegung war »von Anfang an durchdrungen von Vorurteilen gegen die Juden«, jedoch wurde dieser Antisemitismus im Gegensatz zu den Deutschnationalen und den Christlichsozialen nie aktiviert oder 967 Peter Pulzer, Spezifische Momente und Spielarten des österreichischen und des Wiener Antisemitismus. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Eine zerstörte Kultur. Jüdisches Leben und Antisemitismus im Wien seit dem 19. Jahrhundert. Buchloe 1990. S. 131 ff. Vgl. auch Anton Pelinka, Sozialdemokratie und Antisemitismus. In  : Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 3. Jg. Heft 4/1992. S. 540 ff. Ebenso Steven Beller, Wien und die Juden 1867–1938. Wien, Köln, Weimar 1993. 968 Sylvia Maderegger. Die Juden im österreichischen Ständestaat 1934–1938. Wien, Salzburg 1973. S. 78.

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als entscheidende strategische Waffe in der Politik eingesetzt. Die sogenannte »jüdische« Führung der Sozialdemokratie in Österreich versuchte sich daher möglichst von ihren früheren Glaubensbrüdern zu distanzieren.969 Die Christlichsozialen verbanden die traditionell judenfeindliche Haltung der katholischen Kirche in einer Art »Vermittlungsideologie«970 mit dem Unmut der Bevölkerung gegenüber der industriellen Revolution, für die die jüdischen Kapitalisten verantwortlich gemacht wurden. Die Christlichsozialen in der Ersten Republik übernahmen weitgehend das Vermächtnis Luegers, »die Juden in der Theorie zu verurteilen, sie in der Praxis aber zu tolerieren«.971 Seipel verurteilte etwa den rassischen Antisemitismus, reduzierte 1927 den Antisemitismus des neuen Parteiprogramms und ließ sich auch niemals zu vulgären antisemitischen Äußerungen hinreißen. »Darum findet man bei Seipel weder in seinen Reden noch in seinen Schriften den antisemitischen Affekt … Die Judenfrage, von Lueger zeitweise vertreten, von Orel, Bischof Prohaska und anderen angeschnitten, hätte für Seipel höchstens die Bedeutung gehabt, daß er … zu der Ansicht gekommen wäre, daß, wenn schon ›Antisemitismus‹, der alleingültige nur der sein könne, der als ›Antisemitismus der Leistung‹ einen edlen Wettstreit auf allen Gebieten des geistigen und kommerziellen Lebens entfachte.«972 Eine Ausnahme innerhalb der Christlichsozialen Partei bildete die Christliche Arbeiterbewegung (Leopold Kunschak), die sich nicht nur gegen die Religion, sondern auch gegen die Rasse richtete.973 Man kann also mit Peter Pulzer insgesamt sagen, daß in der Ersten Republik »der Antisemitismus, wenn auch sehr unterschiedlich, auf der ganzen Skala der Parteipolitik Verbreitung fand.«974 Dabei kann man grob zwei Spielarten des Antisemitismus unterscheiden  : • den modernen, ideologisch-rassistisch, radikalen, politischen Antisemitismus  ; • den diffus-populären, gemäßigt, traditionellen, kulturkritisch und ökonomischen Antisemitismus. 969 Robert S. Wistrich, Sozialdemokratie, Antisemitismus und die Wiener Juden. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Eine zerstörte Kultur. S. 170 ff. (Zitat S. 170). 970 Vgl. Anton Staudinger, Katholischer Antisemitismus in der Ersten Republik. In  : Gerhard Botz et al. (Hg.), Eine zerstörte Kultur. S. 270. 971 Bruce F. Pauley, Politischer Antisemitismus im Wien der Zwischenkriegszeit. In  : Gerhard Botz et. al. (Hg.), Eine zerstörte Kultur. S. 229. 972 Bernhard Birk, Dr. Ignaz Seipel. Ein österreichisches und europäisches Schicksal. Regensburg 1932. S. 55. 973 Vgl. dazu etwa Anton Pelinka, Stand oder Klasse  ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933– 1938. Wien, München, Zürich 1972. S. 222–230. 974 Peter Pulzer, Spezifische Momente und Spielarten des österreichischen und des Wiener Antisemitismus. S. 136.

Der nationalsozialistische Antisemitismus in den Landtagen

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Die sozialdarwinistische Rassenmythologie und der rassische Antisemitismus bilden einen Kernbestandteil der NS-Ideologie. Die Rassenlehre baut auf der Idee einer naturgegebenen Rassenhierarchie auf, die in kulturzerstörenden, kulturerhaltenden und kulturschöpferischen Rassen strukturiert ist.975 Oder, anders formuliert, in  : • »Parasitenrassen« (bes. das Judentum)  ; • »Kuli- oder Fellachenrassen« (bes. Asiaten, Afrikaner und das ostbaltisch-ostischinnerasiatische Volkstum Rußlands)  ; • »Herren- und Kriegerrassen« (nordische Rasse, dessen »Vorvolk« das deutsche Volk ist). Die Mischung dieser Rassen stellt nach Ansicht Adolf Hitlers eine »Sünde wider Blut und Rasse«, ja sogar »die Erbsünde dieser Welt« dar.976 Diese Vorstellungen bildeten den ideologischen Rahmen für den militanten rassischen Antisemitismus, der die Juden als Rasse zum Inbegriff des Bösen stilisierte. Der Jude wurde für alles Übel, für alle mißlichen Umstände verantwortlich gemacht und bekam damit die Funktion des »Sündenbocks«, auf den jeglicher Unmut und die aggressiven Impulse der Bevölkerung kanalisiert wurden.977 »Die Juden wurden mit dem Dilemma des Fortschritts und der Modernisierung überhaupt identifiziert. Für die Entwicklung einer totalitären Freund-Feind-Ideologie, die den absoluten Sündenbock braucht, lag hier inmitten der Struktur- und Anpassungskrisen der modernen Massengesellschaft ein geradezu idealer Ansatzpunkt.«978 Die geradezu schizophrene Ausprägung dieser »Sündenbockstrategie« führte dazu, daß sie von den Nazis auch auf Personen bezogen wurde, die weder rassisch noch religiös als »Jude« bezeichnet werden konnten, das Etikett »Jude« wurde also auch auf mißliebige, nichtjüdische Repräsentanten übertragen. Dies bezog sich vor allem auf die Sozialdemokratie. Als Gegenreaktion versuchten andererseits die beiden Großparteien die Nationalsozialisten in die Nähe des jüdischen Großkapitals zu bringen. Jede Partei versuchte, möglichst die Vertreter der anderen Parteien als »Judenknechte« zu entlarven. Alle diese Phänomene treffen wir auch in den Landtagen wieder, in denen die Nationalsozialisten seit dem April 1932 vertreten waren. Man kann schon vorweg feststellen, daß in den Landtagen die »Alarmfunktion« der Parteien (Herbert A. Strauss) gegenüber diesem häßlichen Antisemitismus der Nationalsozialisten versagt 975 Vgl. Kurt Salamun, Die Weltanschauung des Nationalsozialismus aus ideologiekritischer Sicht. S. 41 f. Vgl. auch Adolf Hitler, Mein Kampf. München 1942. S. 721–725. Auflage. S. 318 ff. 976 Adolf Hitler, Mein Kampf. S. 272. 977 Vgl. Kurt Salamun, Die Weltanschauung des Nationalsozialismus aus ideologiekritischer Sicht. S. 46 f. 978 Karl Dietrich Bracher, Wolfgang Sauer, Gerhard Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34. Köln, Opladen 1960. S. 12 f.

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hat. »Daß die Alarmfunktion nicht ausgeübt wurde, ist ein wichtiges Argument dafür, das Dritte Reich nicht nur als einen Zufall und Unfall der Geschichte anzusehen … Die verschiedenen Spielarten des traditionellen Antisemitismus verstanden den Nationalsozialismus als vielleicht radikale Erfüllung ihrer Vorstellungen. Wichtiger noch  : Dieselbe Unfähigkeit, an die Zukunft freier Institutionen und an die Fähigkeit der Republik zu glauben, politische und geistige Traditionen mit der Moderne zu verbinden, durchdrang die Parteien, religiöse, kulturelle und andere Erziehungs-Institutionen in jener Fin-de-liberalism Stimmung, die ›den‹ Juden … zu ihrem Gegen- und Feindbild stereotypisiert hatte.«979 Nach den Erfolgen der Nationalsozialisten bei den Landtagswahlen im April 1932 und vor allem nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland im Jänner 1933 wurde auch bei den österreichischen Nazis der Antisemitismus neben der Anschlußforderung an das Dritte Reich ein zweiter Hauptschwerpunkt ihrer politischen Agitation. Der aggressive Antisemitismus der NSDAP fiel im Umfeld der Wirtschaftskrise auf fruchtbaren Boden, auf dem eine »latente Bereitschaft zu Antisemitismus leicht in Aktivismus umschlägt«.980 Auch dort, wo es kein »aktuelles Problem« mit den Juden gab. Will man nämlich das Phänomen des Antisemitismus anfangs der dreißiger Jahre durchleuchten, muß man sich auch vergegenwärtigen, daß etwa im Jahre 1934 in ganz Österreich nur 191.481 Juden gezählt wurden, das waren ganze 2,8 Prozent der Gesamtbevölkerung Österreichs. 176.034 oder 91 Prozent der Juden lebten in Wien, der Rest von 15.447 in den Bundesländern. In Niederösterreich waren es 7.716, in Salzburg 239 und in Vorarlberg gar nur 42.981 Das schändliche Treiben der Nationalsozialisten im Wiener Landtag in bezug auf den jüdischen Landtagspräsidenten Robert Danneberg, das mit dessen Abberufung endete, wurde schon ausführlich dargestellt, ebenso die heftige Ablehnung der parlamentarischen Demokratie als angebliche Einrichtung des Judentums, durch die NSMandatare aus rassischen Gründen. Auch auf die antisemitischen Initiativen gegen die Überfremdung von Grund und Boden in Niederösterreich durch Grundstückskäufe durch Juden (etwa »der Jude Löw mit seinen Rassegenossen – diesem asiati979 Herbert A. Strauss, Antisemitismusforschung als Wissenschaft. In  : Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B 30/83. 30. Juli 1983. S. 8. 980 Helmut Wohnout, Die Janusköpfigkeit des autoritären Österreich. Katholischer Antisemitismus in den Jahren vor 1938. In  : Geschichte und Gegenwart. 13. Jg. Nr. I. März 1994. S. 4. Vgl. auch die Regionalstudie von Niko Hofinger, »Unsere Losung ist  : Tirol den Tirolern  !« Antisemitismus in Tirol 1918–1938. In  : Zeitgeschichte. 21. Jg. April 1994. Heft 3/4. S. 101. Hofinger spricht vom Bestehen eines »ständig unter der Oberfläche lauernden antijüdischen Grundkonsenses«, wodurch der Nationalsozialismus »kein Bollwerk der Toleranz und des Augenmaßes zu stürmen (hatte), sondern brauchte nur noch Feuer zu legen«. 981 Vgl. Sylvia Maderegger, Die Juden im österreichischen Ständestaat. S. 1 f.

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schen Geschmeiß«982) sowie auf die »Verjudung« der Kur- und Fremdenverkehrsorte braucht nicht mehr näher eingegangen zu werden, diese Bereiche wurden schon früher behandelt. Eine entscheidende Taktik der Nationalsozialisten bestand darin, die anderen Parteien in die Nähe des jüdischen Kapitals zu bringen und ihnen damit ihre Abhängigkeit von Juden vorzuwerfen. Sie sprachen etwa von den »Schützenhilfen der Sozialdemokraten für das jüdische Kapital«.983 Mit dem Einzug der Nationalsozialisten in den Salzburger Landtag nahm die Emotionalität um den Antisemitismus zu. Aber auch – wie dies Günter Fellner nachweist – bei den Christlichsozialen und in abgeschwächter und anderer Form bei den Sozialdemokraten. Was die ideologische Bewältigung des Antisemitismus angeht, so zeigten die Sozialdemokraten »eine Hilflosigkeit, die ihre Bereitwilligkeit, sich des Antisemitismus zu bedienen, somit diesen zu akzeptieren, nur mangelhaft mittels Apostrophierung zu eskamotieren suchte«.984 Je härter und emotionaler die antisemitischen Äußerungen der Nationalsozialisten wurden, je mehr die Nationalsozialisten die Sozialdemokratie in Verbindung mit Juden brachten, umso mehr schlitterten auch die sozialdemokratischen Abgeordneten in den verbalen Antisemitismus. In den erregten Auseinandersetzungen bezeichneten sogar die Sozialdemokraten die Nationalsozialisten als »Judenknechte«.985 Schon in der ersten Sitzung des Landtages nach der Regierungserklärung von Landeshauptmann Dr. Rehrl kam es zu heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den Nationalsozialisten und den Sozialdemokraten. Dr. Peisser begann gleich, die Sozial­demokraten als »Rothschildkandidaten« zu bezeichnen, worauf Emminger dazwischenrief  : »Und der Frauenfeld geht zum Juden Sieghart  !«986 Und dann kam Dr. Peisser, indem er vom Rednerpult aus ein Bild Rothschilds herzeigte, in aller Deutlichkeit zur Sache  : »Aus der Volksgemeinschaft sind vor allem auszuscheiden die Juden. Und wenn Sie uns Blutdürstige und Terroristen heißen und sagen, wir wollen Judenpogrome, wir wollen die Juden aufhängen oder vertreiben, so sage ich  : Vor 200 Jahren hat man in diesem Lande aus anderen, nämlich aus religiösen Gründen die Evangelischen vertrieben.«987

982 LPNÖ, 6. Sitzung. I. Se. 15. 7. 1932. S. 102. 983 LPNÖ, 6. Sitzung. I. Se. 15. 7. 1932. S. 102. 984 Günter Fellner, Antisemitismus in Salzburg 1918–1938. Veröffentlichung des Historischen Instituts der Universität Salzburg. Wien, Salzburg 1979. S. 123. 985 LPSbg, 2. Sitzung. 3. 6. 1932. S. 32, Treml zu Wagner. 986 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 10 f. Alfred Eduard Frauenfeld (1898–1977), nationalsozialistischer Gauleiter von Wien, 1932/33 Stadtrat in Wien. Rudolf Sieghart (1866–1934), 1919–1928 Gouverneur der Bodenkreditanstalt. 987 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 13.

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Und schließlich wiederholte Peisser das, was er in der Öffentlichkeit schon mehrfach erklärt hatte und weshalb er von der Union Österreichischer Juden angezeigt worden war.988 »Ich bin heute noch stolz, daß ich das Objekt einer Anzeige der Union österreichischer Juden sein durfte. (Emminger  : Das sind ja Ihre Mitglieder  !) … Ich habe gesagt  : Aus Galizien sind die Juden eingewandert  ; sie haben uns von Bankenskandal zu Bankenskandal getrieben. Man soll nun nicht hergehen und die Juden aufhängen, sondern man soll ordentlich erklären  : Was Ihr nach Österreich im Jahre 1914 hereingebracht habt, das gehört Euch – samt den Läusen. Das andere, was Ihr nicht hereingebracht habt und was wir uns erworben haben, während unsere Männer an der Front geblutet haben, während Ihr Euch bereichert habt, das gehört uns. Das habe ich gesagt und das halte ich aufrecht. Damit ist kein Stand angegriffen, sondern jener Stamm, der aus Ostgalizien eingewandert ist.«989 Es überrascht, daß bei solchen Äußerungen von seiten der anderen Parteien keine Gegenreaktionen einsetzten. Nicht zuletzt wurden dadurch ideologische und emotionale Barrieren gegenüber dem Antisemitismus immer mehr eingeebnet. Wenn schon die politische Elite der Christlichsozialen und Sozialdemokraten im Landesparlament dem radikalen Antisemitismus der Nationalsozialisten kaum etwas entgegensetzten, wie sollte dies dann von den kleinen Parteigängern draußen beim Stammtisch erwartet werden können. Im Gegenteil, der Sozialdemokrat Preußler verglich die unerträgliche Demagogie Peissers mit einer Judenschule  ! »Ihre Rede und Ihr Geschrei ist ein Beweis für die Todeskrankheit des Nationalsozialismus. Der Landtag hat sich in eine Judenschule verwandelt. Man könnte sich an die Passahfeste erinnern, wo die Leute so wütend herumschlagen, als hätten sie jede Kultur verloren.« Ja, Preußler bekannte sogar, selbst kein besonderer Freund der Juden zu sein, und verwies nur darauf, daß einem Richter bekannt sein müßte, daß vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind.990 Und immer wieder versuchten die Sozialdemokraten anstelle einer scharfen Ablehnung des Antisemitismus den Nationalsozialisten auch eine Nähe zu den Juden vorzuwerfen. Einmal war es Emminger, der erklärte  : »Die Kapitalisten sind alle gleich und ebenso 988 Justizminister Schuschnigg hatte als Reaktion auf die Anzeige der Union Österreichischer Juden schon am 12. März 1932 einen Erlaß an die Richter ausgegeben, wonach das Schreiben von politischen Zeitungsartikeln und das Auftreten in öffentlichen Versammlungen mit dem Ansehen und der Würde des Richterstandes nicht vereinbar sei. 989 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 15. 990 LPSbg, 1. Sitzung. 19. 5. 1932. S. 17  : »Der Herr Doktor Peisser war, als ich ihn kennengelernt habe, als er nach St. Johann als Richter gekommen ist, ein geradezu jungfrauenhaftes Wesen, so sanft und mildtätig und liebevoll  ; ich habe mich gewundert, als ich ihn in der jetzigen Zeit vor Augen bekommen habe. Er ist ein Richter, ein Mensch und schon verkündet er, gegen die Juden zu sein. Gewiß, ich bin auch kein großer Freund der Juden. Aber als Richter und Beamter müssen Sie ganz gut wissen, daß vor dem Gesetz alle gleich sind und wenn Sie eine politische Ächtung, eine wirtschaftliche Ächtung der Juden aussprechen, so begehen Sie etwas, was gegen die rechtliche Überzeugung sein muß.«

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die Nazi, sowohl in Frankreich wie auch in Italien und England, die Juden und Kapi­ talisten gehören zusammen, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Auch die Hitlerpartei ist nicht anders, sie läßt auch die reichen Juden leben und geht auf die armen los«, ein anderesmal wunderte sich Neumayr, daß sich die Nationalsozialisten im Deutschen Reich »den dänischen Juden kommen (lassen), den Herrn Schacht als Reichsbankpräsidenten.«991 Die doch beträchtliche Heftigkeit der antisemitischen Auseinandersetzungen im Salzburger Landtag ist gerade auf Grund der geringen Zahl von in Salzburg ansässigen Juden und der Tatsache, daß diese »keinen außergewöhnlichen, gar beherrschenden Einfluß in der Wirtschaft der Stadt oder des Landes ausgeübt« hatten und auch im öffentlichen politischen Leben keinerlei Rolle spielten, überraschend. Wahrscheinlich haben die meisten Salzburger nie einen Juden zu Gesicht bekommen. Dieses Phänomen des »Antisemitismus (beinahe) ohne Juden« ist aber weitverbreitet.992 Ganz ähnliche Szenen spielten sich gleich in der ersten Sitzung des Wiener Gemeinderates ab. Der NS-Abgeordnete Frauenfeld benützte seine erste Rede, um bei jeder Gelegenheit gegen die Juden herzuziehen, und stellte auch gleich den Antrag, daß Juden und anderen Fremdrassigen ausnahmslos die Landesbürgerschaft zu verweigern sei.993 Obwohl der Antrag Formfehler beinhaltete, ließ der jüdische Landtagspräsident Danneberg den Antrag trotzdem zur Verhandlung zu. Die Sozialdemokraten nannte Frauenfeld eine Partei, »die sich international nennt und dabei nur jüdisch-national meint«, die sozialistische Internationale sei eine »des Judentums, der sie hörig und unterworfen« ist994 und die sozialdemokratischen Abgeordneten seien zur Hälfte nur durch die Stimmen der Juden in den Gemeinderat gerutscht.995 »Wenn Ihr von den Juden gefressen habt, so sollt Ihr auch an diesen Juden zugrunde gehen müssen«, rief im Niederösterreichischen Landtag der NS-Abgeordnete Rentmeister den Sozialdemokraten zu.996 Der jüdische, sozialdemokratische Stadtrat Breitner wurde heftig attackiert, die in den städtischen Spitälern tätigen Nonnen wurden als »lauter Juden« bezeichnet, was »schallende Heiterkeit« bei den Sozialdemokraten auslöste.997 Diese Heiterkeit auf Kosten der Christlichsozialen verschwand bei den Sozialdemokraten wieder, als Frauenfeld ihnen vorwarf, daß ihre »asiatischen Edelknaben«, »mauschelnden Hebräer«, »jüdischen Kulissenschieber und Unterfüh991 LPSbg. 17. Sitzung. 23. 5. 1933. S. 264 und S. 266. 992 Vgl. Günter Fellner, Zur Geschichte der Juden in Salzburg von 1911 bis zum Zweiten Weltkrieg. In  : Adolf Altmann, Geschichte der Juden in Stadt und Land Salzburg von der frühesten Zeit bis auf die Gegenwart. Salzburg 1990 (1913). S. 373. 993 LPWien, I. Sitzung. 24. 5. 1932. S. 3. 994 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 545. 995 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 538. 996 LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 154. 997 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 527.

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rer« oder »hysterischen Palästinenser« – wie er die Juden zu bezeichnen pflegte – den deutschen Werktätigen die Wohnungen wegnähmen. »Die Tier- und Pflanzennamen der jüdischen Edelknaben werden Sie finden, die sich dort eingenistet haben. Es zeigt sich, daß hier nur die Politik getrieben wird, die im Interesse des Fremdrassigen liegt.« Deshalb habe die Nationalsozialistische Partei »bedingungslos den Kampf gegen die Schädlinge des Volkes erklärt«.998 Die Sozialdemokraten reagierten darauf einerseits, indem sie Frauenfeld vorwarfen, ein Knecht der Juden zu sein, oder gar argwöhnten, er sei selbst jüdischer Abstammung.999 Andererseits stellte Bürgermeister Seitz einmal klar, es sei »überhaupt kein Schimpf, wenn ich jemand einen Juden nenne, weil ich den Juden eben jedem anderen Menschen gleichhalte – wie das bei Ihnen ist, das geht mich nichts an – und weil ich als Deutscher weiß, daß die Juden einen großen Anteil an deutscher Kultur und deutscher Wissenschaft haben.«1000 Auf seiten der Christlichsozialen hüllte man sich gegenüber den antisemitischen Auslassungen der nationalsozialistischen Abgeordneten und deren unverhüllten Drohungen in Richtung Juden weitgehend in Schweigen. Gerade in Wien war der radikale Antisemitismus Karl Luegers noch in bester Erinnerung. Im Niederösterreichischen Landtag verlangten die Nationalsozialisten gleich deutliche Maßnahmen. Auf Grund der Tatsache, daß »fremdvölkische, aus dem Osten zugewanderte Elemente im Verlauf der Jahre 1914 bis 1932 sich fortlaufend um Erwerbung von Heimatrechten« beworben hatten und diese auch durch »dunkle Geldzuwendungen an Gemeinden« bekommen hatten, forderten die Nationalsozialisten einen unverzüglichen Bericht über die seit 1914 vorgenommenen Einbürgerungen in Niederösterreich, wobei die Volkszugehörigkeit, der Geburtsort und das konfessionelle Bekenntnis bekanntzugeben seien. Diesen Elementen, die sich zu »wahren Blutsaugern der bodenständigen Bevölkerung« entwickelt hätten, sei gesetzlich an den Leib zu rücken.1001 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland suchten wieder viele Juden in Österreich Zuflucht, was die Nazis im Niederösterreichischen Landtag veranlaßte, die Durchführung einer Volkszählung noch im Jahr 1933 zu fordern, bei der auch die blutsmäßige Abstammung festgestellt werden sollte. Die Nazis unterstellten den Juden, »in Wien eine Zentralstelle der Internationale aufrichten und überhaupt in Österreich ein Bollwerk des jüdischen Marxismus und Kommunismus« errichten zu wollen.1002  998 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 545 und S. 547.  999 Vgl. GRPWien, 24. 5. 1932. S. 516. 1000 GRPWien, 24. 5. 1932. S. 528. 1001 LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 39 f. 1002 LPNÖ, 11. Sitzung. II. Se. 5. 4. 1933. S. 182.

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Selbstverständlich nützten die Nationalsozialisten die Tribüne des Landtages, um auch über kulturpolitische Fragen ihren Judenhaß zu transportieren. Sie bezichtigten die Juden ja auch, die Kulturszene für ihre Geschäfte zu mißbrauchen, wofür sie gerade die Salzburger Festspiele, die sie als »jüdisch-österreichisches Bollwerk gegen Deutschland« bezeichneten, als Beispiel hernahmen.1003 Vor allem der Salzburger NSDAP-Abgeordnete Wagner griff dieses Thema immer wieder auf und warf in diesem Zusammenhang den Christlichsozialen vor, die Juden gewähren zu lassen (und somit die Kultur zu einer Fremdenverkehrsattraktion zu reduzieren) und damit verantwortlich zu sein, daß sich immer mehr Menschen von der Kirche abwenden  : »Es ist auch kein Wunder, daß man heute vom Glauben abkommt, wenn man in den heiligsten christlichen Kirchen jüdische Fratzen Theater spielen läßt  ! Ja, da kann dann jeder Sozialdemokrat und Kommunist hingehen und kann sich dort begeilen an den jüdischen Fratzen.«1004 Da wurden religiöse Motive vorgeschoben, um gegen die Aufführung des »Jedermann« vor dem Dom aufzutreten und um einen Spaltpilz zwischen Kirche und die politisch verantwortlichen Christlichsozialen zu setzen. Wagner entrüstete sich  : »Ich will um elf Uhr in den Dom hinein gehen, ich kann es aber nicht, die Tür ist verschlossen. Man kann nur um teures Geld hinein, da wird die Orgel gespielt und ebenso wird innerhalb und außerhalb der Kirche von den Juden Max Reinhardt und Moissi Theater gespielt und da sagen wir Nationalsozialisten, es sollte wieder einmal Jesus Christus kommen, der diese Krämer aus dem Tempel mit der Peitsche hinausjagt  !«1005 Es ist wohl typisch für die nationalsozialistische Dialektik, mit welch unverfrorener Scheinheiligkeit man religiöse Argumente zum Transport von beinhartem Antisemitismus mißbrauchte. Andererseits brachte dieses »jüdische« Image der Salzburger Festspiele einen verstärkten Besuch vieler ausländischer Juden, womit sich Salzburg – wenn auch eigentlich zu Unrecht – zum »weltoffenen, antinationalsozialistischen Sommerspektakel  ; als Anti-Bayreuth gleichsam« stilisierte.1006 Es verwundert nicht, daß die Nationalsozialisten im gleichen Atemzug auch gegen den Schmutz und Schund der Juden, der in Kinos und Theatern gezeigt wurde (z. B. der Film »Die Himmelfahrt des Galgen-Toni« des Juden Egon Erwin Kisch), zu Felde zogen und die Christlichsozialen dafür verantwortlich machten, weil sie tatenlos zusahen. Auch die RAWAG, der Österreichische Rundfunksender, zeigte – nach Ansicht der Nazis – eine »Überfremdung und Verjudung«, die unerträglich geworden sei. Das Programm zeigte, »daß allen kultur- und sittenzerstörenden Elementen und nach1003 Vgl. Gert Kerschbaumer, Faszination Drittes Reich. Kunst und Alltag der Kulturmetropole Salzburg. Salzburg o. J. S. 115 ff. 1004 LPSbg, 4. Sitzung. 20. 11. 1932. S. 78. 1005 LPSbg, 10. Sitzung. 10. 3. 1933. S. 167. 1006 Ernst Hanisch, Wirtschaftswachstum ohne Industrialisierung. Fremdenverkehr und sozialer Wandel in Salzburg 1918–1938. In  : Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde. 1985 (125.) Salzburg 1985. S. 835.

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gerade jenen Gruppen Tür und Tor geöffnet wird, deren Endziel die Vernichtung der christlichen Kultur, die Entsittlichung des deutschen Volkes ist«, wie die NSAbgeordneten im Niederösterreichischen Landtag feststellten. Die bodenständige Bevölkerung habe es satt, »sich von zugereisten Ostjuden tagtäglich musikalischen, schriftstellerischen und anderen Schund vorsetzen zu lassen«.1007 Unter der vordergründigen Argumentation der Nationalsozialisten, Maßnahmen gegen Tierquälerei zu setzen, ließen sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten zu einer gemeinsamen Vorgangsweise mit der NSDAP hinreißen, die nichts anderes als eine antisemitische Demonstration bedeutete. »Nicht aus Parteigründen, sondern aus Menschlichkeitsgründen«1008 stellten die Nationalsozialisten einen Antrag betreffend Maßnahmen zur Hintanhaltung der Tierquälerei und verlangten das neuerliche Verbot des Schächtens, d. i. das religiös vorschriftsmäßige Schlachten von Tieren bei den Juden. Dabei wird das Tier durch einen Schnitt getötet, der durch die Weichteile des Halses bis zur Wirbelsäule geht, die Halsschlagader durchtrennt und das völlige Ausbluten bewirkt. Bereits am 25. Mai 1931 war die rituelle Schächtung durch eine Verordnung des Landeshauptmannes verboten worden, was zu einem Einspruch der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburgs beim zuständigen Bundesministerium führte, da durch ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 1931 die rituelle Schächtung von dieser Verordnung ausgenommen war. 1009 Dies deshalb, weil – wie Landeshauptmann Dr. Rehrl betonte – »nach dem Staatsgrundgesetz staatlich anerkannten Religionen die Ausübung ihres Ritus ermöglicht werden müsse.« Sohin war durch einen neuerlichen Bescheid des Landeshauptmannes vom 4. August 1931 das rituelle Schächten erlaubt worden. Die Erklärung des Nationalsozialisten Wagner  : »Wir sind Menschen, von Gott in die Welt gesetzt, um über die Tiere zu regieren und über das Wohl und Wehe der Tiere zu entscheiden, und gerade wir als Volksvertreter haben die Pflicht, beispielgebend voranzugehen«, erhält unter dem Blickwinkel der späteren nationalsozialistischen Greueltaten einen äußerst makabren Beigeschmack. Christlichsoziale und Sozialdemokraten stimmten zu, letztere »aus der Überlegung heraus, daß jede Tierquälerei bekämpft werden muß«. Womit es wieder einmal gelungen war, auch die anderen Parteien, wenn auch bei diesen in erster Linie aus anderen Gründen, vor den eigentlichen antisemitischen Wagen zu spannen, womit man nichts anderes wollte, als »einmal rein praktisch die Ausübung einer wichtigen jüdischen Religionsvorschrift zu unterbinden, zum anderen in breiten sozialen Schichten die Vorstellung zu fördern, die Juden und ihre Religion seien besonders grausam«. 1010 Ei1007 LPNÖ, 3. Sitzung. I. Se. 23. 6. 1932. S. 13 f. 1008 LPSbg, 12. Sitzung. 24. 3. 1933. S. 208. 1009 Vgl. dazu Gert Kerschbaumer, Die Erste Republik und der Ständestaat. In  : Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. 125 Jahre Juden in Salzburg. Wien, Köln, Weimar 1993. S. 168. 1010 Stefan Lehr, Antisemitismus – religiöse Motive im sozialen Vorurteil. München 1974. S. 125.

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nen Resolutionsantrag, in dem die Landesregierung aufgefordert wurde, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der das Schächten der Tiere untersagt, brachten die Nationalsozialisten auch im Wiener und im Niederösterreichischen Landtag ein. Die Anträge wurden dort jedoch keiner weiteren Behandlung mehr unterzogen.1011 Als Beispiel für den wirtschaftlichen Antisemitismus sei ein Fall angeführt, den die Nationalsozialisten durch einen Antrag in den Salzburger Landtag brachten. Es handelt sich um die Vorgänge im Zusammenhang mit einem Vertrag mit dem Juden Stiaßny betreffend die Glasfabrik in Bürmoos.1012 Die Nationalsozialisten behaupteten – schon vorher in einem aufsehenerregenden Artikel in der »Alpenwacht« vom 24. September 1932 –, daß durch diesen Vertrag die Bürmooser Fabrik mit einem Servitut belastet worden sei, »das die Arbeiterschaft für alle Zeiten brotlos macht«, und verlangten einen Unterausschuß des Landtages, der eine strenge Untersuchung durchführen solle. Tatsache war, daß sich schon im Jahre 1926 die Gemeinden Lamprechtshausen, St. Georgen und Oberndorf auf die Finanzierung einer offenen Handelsgesellschaft einigten, die aus den oberösterreichischen Industriellen Hannack und Kunz bestand und die Bürmooser Betriebe führen sollten.1013 Nachdem auch diese es nicht zustande brachten, den Glasbetrieb wieder auf die Beine zu bringen und sich auch keine anderen Interessenten fanden, wurde am 28. Jänner 1927 ein Vertrag mit dem Glasindustriellen Stiaßny geschlossen, der sich als einziger bereit erklärte, den Glasbetrieb wiederaufzunehmen. Ihm wurden die gleichen Unterstützungen gewährt wie sie auch alle anderen Bewerber erhalten hätten, insbesondere ein Darlehen in der Höhe von 150.000 Schilling auf fünf Jahre. Als es jedoch vor Ablauf dieser fünf Jahre, nämlich Ende 1929 und anfangs 1930, schon zu schrittweisen Betriebseinstellungen kam, wurde das Darlehen von der Landesregierung vorzeitig gekündigt und das Geld auch ordnungsgemäß zurückgezahlt. Die Bürmooser Realitäten wurden schließlich von der Gemeinde Lamprechtshausen von Stiaßny angekauft, wobei sich dieser vertraglich ein Konkurrenzverbot sicherte. Die Landesregierung bemühte sich in der Folge vergeblich, dieses Servitut, nach dem in Bürmoos keine Glasfabrik errichtet werden durfte, zu beseitigen. Bei diesem Antrag der Nationalsozialisten, bei dem es im Landtag zu heftigsten Auseinandersetzungen kam und der von den Nationalsozialisten nur deshalb so hochgespielt wurde, weil es sich bei Stiaßny um einen Juden handelte, waren sich Christlichsoziale und Sozialdemokraten einmal einig. Sie beschlossen, daß über diesen NS-Antrag zur Tagesordnung übergegangen werde.1014

1011 Vgl. LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 14. 1. 1933. S. 324, und LPWien, 3. Sitzung. 16. 12. 1932. S. 11. 1012 LPSbg, Nr. 61 der Beilagen. 1013 Vgl. dazu auch Hanns Haas, Die Bürmooser Fabrikantenfamilie Glaser. Industrielle – Bürger – Juden. In  : Marko M. Feingold (Hg.), Ein ewiges Dennoch. S. 53–71. Ebenso »Salzburger Wacht», 6. 4. 1932. S. 5. 1014 Vgl. LPSbg, 8. Sitzung. 22. 12. 1932. S. 105 ff.

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Was den rassischen Antisemitismus betrifft, ließen die Nationalsozialisten auch in den Landtagen keinen Zweifel daran und verbanden damit auch ihre Ankündigungen über die unterschiedliche Zukunft von nichtjüdischen politischen Gegnern und Juden. Ersteren wollten sie »eine glimpfliche Behandlung angedeihen lassen, denn bei aller Gegnerschaft verbindet uns mit Ihnen doch die Blutsgemeinschaft. Die volksfremden parasitären Juden aber werden von uns keinerlei Begünstigung erfahren.«1015 Auf Grund solcher Äußerungen konnte wohl auch in Österreich niemand einen Zweifel daran hegen, daß den Juden bei einer nationalsozialistischen Machtübernahme nichts Gutes bevorstand. • Die Nationalsozialisten nützten die Landesparlamente, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihren aggressiven Antisemitismus zu dokumentieren. Im Sinne einer »Sündenbockstrategie« versuchten sie die Juden letztlich für alle mißlichen Umstände verantwortlich zu machen, den beiden anderen Parteien warfen sie vor, nicht konsequent gegen die »Verjudung« aller Lebensbereiche vorzugehen, ja diese sogar noch zu unterstützen. • Bei den beiden anderen Parteien versagte die »Alarmfunktion« gegenüber dem häßlichen Antisemitismus der Nationalsozialisten. Sie versuchten ihrerseits, die Nationalsozialisten in die Nähe des jüdischen Großkapitals zu bringen, ja man bezeichnete sich gegenseitig als »Judenknechte«. Es gab keine klaren, ablehnenden Reden der Vertreter von Christlichsozialen oder Sozialdemokraten gegen die nationalsozialistischen antijüdischen Aggressionen. Diese laxe Haltung ermöglichte es den Nationalsozialisten z B. im Wiener Landtag, die parlamentarische Arbeit durch Obstruktion so lange lahmzulegen, bis der jüdische Landtagspräsident Robert Danneberg gegen einen nichtjüdischen Sozialdemokraten ausgewechselt wurde. Je aggressiver der Antisemitismus der Nationalsozialisten wurde, desto mehr schlitterten auch die anderen Parteien in einen verbalen Antisemitismus. • Schließlich muß noch festgestellt werden, daß die Nationalsozialisten ihren Antisemitismus in allen seinen Spielarten praktizierten. Ob rassischer Antisemitismus, kulturpolitischer Antisemitismus, wirtschaftlicher Antisemitismus – die Nationalsozialisten spielten ihn in allen Variationen.

1015 LPNÖ, 6. Sitzung. II. Se. 14. 1. 1933. S. 238 (Abg. Rentmeister).

vi. Das Ende der Nationalsozialisten in den österreichischen Landtagen – eine Maßnahme der »streitbaren Demokratie«?

Mitte Mai 1933 wurde der sich auf einer Propagandareise befindliche deutsche Reichsjustizkommissar Hans Frank aus Österreich ausgewiesen. Diese Maßnahme leitete eine wesentliche Verschlechterung im Verhältnis von Regierung Dollfuß und Nationalsozialisten ein. Am 27. Mai verhängte die deutsche Reichsregierung die sogenannte »Tausend-Mark-Sperre«, um den österreichischen Fremdenverkehr wirkungsvoll zu treffen. Ab diesem Zeitpunkt sollte die österreichische Regierung nicht mehr zur Ruhe kommen, sie sollte sturmreif geschossen werden. Im Juni 1933 kam es zu einer Serie von nationalsozialistischen Bomben- und Böllerexplosionen, Brandstiftungen, Sprengstoffanschlägen etc. in ganz Österreich mit mehreren Toten und Schwerverletzten. Am 11. Juni kam es in Innsbruck zu einem Attentat auf den Heimwehrführer Richard Steidle. Die Auseinandersetzung zwischen Nationalsozialisten und der Bundesregierung strebte ihrem Höhepunkt zu. Offiziell lehnte die nationalsozialistische Propaganda jede Verantwortung für diese »spontanen« Akte ab. Deutsche Diplomaten in Wien gaben jedoch in Privatgesprächen zu, daß die Terroranschläge von der österreichischen Naziführung angezettelt und gelenkt wurden. Am 13. Juni wurden bekannte Nationalsozialisten verhaftet, darunter auch der Landesinspekteur der österreichischen NSDAP, Theo Habicht, der nach seiner Verhaftung in Linz ausgewiesen wurde. In der Folge wurde den Inhabern öffentlicher Ämter, Lehrern und bestimmten Beamten die Mitgliedschaft bei der NSDAP verboten.1016 Die Terrorwelle erreichte ihren Höhepunkt, als am 19. Juni 1933 56 unbewaffnete »christlich-deutsche Turner« bei Krems von zwei mit Handgranaten bewaffneten Nationalsozialisten angegriffen wurden. Ein Mann wurde getötet, weitere dreizehn schwer verletzt. Daraufhin beschloß das Kabinett Dollfuß noch am gleichen Tag in einer Krisensitzung ein Betätigungsverbot für die österreichische NSDAP einschließlich aller ihrer Unterorganisationen. Auch der Steirische Heimatschutz unter der Führung von Konstantin Kammerhofer, der fest mit der NSDAP verbunden war, wurde verboten.1017 Dieses Verbot kam für die österreichischen National1016 Vgl. etwa Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 106 ff. Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. S. 215 ff. 1017 BGBl. Nr. 240/1933. Vgl. dazu Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik. Band 4. Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß. 16. Juni 1933 bis 27. Oktober 1933. Wien 1984. S. 21–43.

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sozialisten völlig überraschend, die von der Dollfuß-Regierung zur Schau getragene Entschlußkraft war für die Nazis ein »unerfreulicher Schock«, Dollfuß jedoch wurde »stärker denn je zuvor in die Arme der Heimwehr, seine einzig verläßliche sichere Stütze«,1018 getrieben, wiewohl es – wie wir sehen werden – sehr deutliche Angebote seitens der Sozialdemokraten für eine Zusammenarbeit gegen den Nationalsozialismus gab. Daß die Auseinandersetzung zwischen Regierungsparteien und Sozialdemokraten einerseits und Nationalsozialisten andererseits schon seit Mitte Juni einem Höhepunkt zustrebte, zeichnete sich bereits in der Sitzung des Niederösterreichischen Landtages vom 16. Juni 1933 ab. Im Zusammenhang mit Auslieferungsbegehren von nationalsozialistischen Abgeordneten ging der NS-Abgeordnete Dr. Höfinger selbst auf die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die NSDAP ein und berief sich auf die volle Meinungsfreiheit und die Freiheit der politischen Betätigung in der Demokratie. Die Sozialdemokratie habe nicht das Recht, die NSDAP des Terrors zu zeihen, da sie doch selbst für die Revolution 1918 und die Vorkommnisse des 15. Juli 1927 verantwortlich sei. Nirgendwo könne man dem Programm der NSDAP entnehmen, daß die NSDAP »die Absicht habe, einen Umsturz herbeizuführen, sondern daß wir den Staat als solchen anerkennen, noch daß wir die Absicht haben, die bestehende Wirtschaftsordnung umzustürzen  ; nur die eine Absicht ist in unserem Programm festgelegt und die besteht darin, jene Regierungsmethoden, die seit 1918 das Volk in wirtschaftliches Elend gestürzt haben, beiseite zu räumen. Unser Programm besteht darin, daß wir diesem Österreich im Rahmen des deutschen Vaterlandes eine Heimstätte verschaffen wollen.«1019 In einer sehr langen Rede antwortete der sozialdemokratische Abgeordnete Schneidmadl auf die Ausführungen des Nationalsozialisten Höfinger. Er ging ausführlich auf die Verhältnisse im nationalsozialistischen Deutschland ein und unterstützte die Maßnahmen gegen die Nationalsozialisten in Österreich, um zu verhindern, daß diese Verhältnisse auch auf Österreich übergreifen. »Ihr Ziel ist es ja, aus diesem kleinen Deutschösterreich eine Zelle des großen deutschen Zuchthauses zu machen … Wir Deutschen haben unser Vaterland in dem Augenblick verloren, als es von den braunen Banditen erobert worden ist … Wir deutsch-österreichischen Sozial­ demokraten werden erst dann wieder den Weg zu einem deutschen Vaterland freihaben, wenn dieses arme, geknebelte 60-Millionen-Volk seine Quäler und Peiniger abgeschüttelt haben wird.«1020 Die Sozialdemokratie werde auch den Kampf gegen 1018 Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. S. 109. Zum Verbot der NSDAP vgl. auch eine Darstellung aus nationalsozialistischer Sicht  : Hans von Frisch, Die Gewaltherrschaft in Österreich 1933 bis 1938. Eine staatsrechtliche Untersuchung. Leipzig und Wien 1938 (6. Juli). S. 17–23. 1019 LPNÖ, 15. Sitzung. II. Se. 16. 6. 1933. S. 62 f. 1020 LPNÖ, 15. Sitzung. II. Se. 16. 6. 1933. S. 80.

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den »grünweißen Faschismus« führen und dafür kämpfen, »daß dieses Stück Demokratie, das heute aufs höchste gefährdet ist, wieder zurückgewonnen und ausgebaut wird«. Denn die »Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen die Krise und gegen die Massennot«, ebenso wie der »entschiedenste Kampf gegen den braunen Faschismus, denn Gleichschaltung des kleinen Österreich mit dem Deutschen Reich würde unmittelbar den völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch zur Folge haben«.1021 Schließlich ließ Schneidmadl deutlich erkennen, daß es primär darum gehe, den Anschluß Österreichs an Deutschland zu verhindern, weshalb das Vorgehen der Bundesregierung gegen den Nationalsozialismus – bei Ablehnung ihrer sonstigen Politik – die Unterstützung der Sozialdemokratie finden würde  : »Die Nationalsozialisten haben uns gehänselt, sie haben uns gefoppt, als dieser Kurs, der gegenwärtig im Schwunge ist, sich gegen uns ausgewirkt hat. Sie haben gemeint  : warum schlagt Ihr nicht los, warum laßt Ihr Euch das gefallen  ? Wir geben diese Frage zurück  : warum laßt Ihr Euch das gefallen  ? Die Situation, in der wir uns befinden, ist eine andere. Wir haben in Deutschland draußen unseren Todfeind. Wir haben im Süden und Osten geschworene Gegner der Demokratie, wir führen den Kampf auf einer kleinen, schmalen Insel, deren Ufer durch die Brandung des Faschismus angefressen sind. Sie haben Ihre Bundesgenossen drüben und Ihre Verwandten im Süden und Osten  ; Sie sind weit stärker als wir in der gegenwärtigen Situation. Wir Sozialdemokraten stellen fest, daß die Machtverhältnisse sich verschoben haben  ; aber Sie, meine Herren, spekulieren falsch, wenn Sie etwa der Meinung sind, daß wir Ihnen den Weg bereiten werden. Sie haben gar keine Berechtigung, sich über Verfolgung zu beschweren, Sie, die Sie draußen im Reich die ärgsten Schandtaten auf sich geladen haben, welche Sie weder vor Ihrem Gewissen, noch vor der Weltgeschichte, noch vor der Menschheit und der Menschlichkeit verantworten können  !«1022 Aus dieser Wortmeldung geht klar hervor, daß die drohende nationalsozialistische Gefahr wohl der entscheidende Grund für die Sozialdemokraten war, gegen den autoritären Kurs der Bundesregierung nicht mit allen, mit den letzten Mitteln vorzugehen. Auch in dieser Sitzung hatten die Sozialdemokraten wieder eine Reihe von Anfragen wegen der ihrer Meinung nach verfassungswidrigen Maßnahmen der Bundesregierung eingebracht, aber eben in der schon erwähnten, »verhaltenen« Form, weil man offensichtlich die Regierung Dollfuß doch noch als das kleinere Übel gegenüber dem Nationalsozialismus ansah. Als schließlich der NS-Abgeordnete Rentmeister in einer sehr polemischen Rede die Konzentrationslager in Deutschland verteidigte1023, den Sozialdemokraten 1021 LPNÖ, 15. Sitzung. II. Se. 16. 6. 1933. S. 83 f. 1022 LPNÖ, 15. Sitzung. II. Se. 16. 6. 1933. S. 81 f. 1023 LPNÖ, 15. Sitzung. II. Se. 16. 6. 1933. S. 94  : »Ein anständiger Mensch braucht sich davor nicht zu fürchten  ; nur ein unanständiger Kerl gehört dort hinein und wenn der etwa von seinen 100 kg

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Schneidmadl eine Bulldogge nannte und von »unserem Führer Adolf Hitler« sprach, kam es zu heftigen Tumulten (»Elender Hochverräter  ! Lausbub  ! Hinaus mit ihm  !«), Christlichsoziale und Sozialdemokraten stürmten mit den Rufen »Hinaus, hinaus  !« die Bänke der Nationalsozialisten, so daß der Präsident die Sitzung unterbrechen mußte. Nach der Unterbrechung entzog der Landtagspräsident dem Abgeordneten Rentmeister das Wort. Der christlichsoziale Landesrat Prader verwies darauf, daß sich die Ereignisse 1919 und 1927 von den Vorkommnissen der letzten Zeit unterscheiden. Er bezeichnete die »derzeitigen Angriffe auf den Bestand dieses Staates als sehr planvoll und zielbewußt vorbereitet«. Deshalb sei es das Recht und die Pflicht des österreichischen Staates, »sein Leben, seine Existenz sich zu erhalten und die hiezu verfügbaren Mittel der Gewalt in Anwendung zu bringen«. Die Bundesregierung habe »vorderhand nichts anderes getan, als das weitere Umsichgreifen dieser Zerstörungswut, dieser Umsturzbewegung, einzudämmen und aufzuhalten. Wir haben in Österreich keine Konzentrationslager  ; bei uns rinnt auch in den Kerkern und Gefängniszellen kein Tropfen Blut, wie das anderwärts der Fall ist.« Die Führer der österreichischen Nationalsozialisten seien »die Verantwortlichen für die Bomben, die geworfen wurden, sie sind die Verantwortlichen für die Attentate, die geplant oder durchgeführt worden sind.1024 Nach diesem deutlichen Vorspiel war die Vorlage des Entwurfes eines Verfassungsgesetzes über das Erlöschen der Mandate der NSDAP eine Woche später, am 23. Juni, keine Überraschung mehr. Diese Entwicklung hatte sich abgezeichnet, denn es konnte ja auf Dauer nicht sein, daß Abgeordnete einer verbotenen Partei weiter in Landesparlamenten saßen. Schon am 21. Juni 1933 berichtete Helmer im sozialdemokratischen Parteivorstand über das Bestreben der Christlichsozialen in Niederösterreich, den Nationalsozialisten die Mandate in allen öffentlichen Körperschaften abzuerkennen. Auf Antrag von Otto Bauer faßte der Parteivorstand dazu folgenden Beschluß  : »Wir sind nicht gegen diktatorische Mittel, wenn der Staat in Gefahr ist und wenn sie sich gegen eine Partei richtet, die eine grundsätzliche Gegnerin der Demokratie ist  ; aber diese Mittel dürfen nur auf parlamentarischem Weg und verfassungsmäßig beschlossen werden und müssen von parlamentarischen Körperschaften kontrolliert werden.«1025 Der Niederösterreichische Landtag entschloß sich also auf Betreiben der Christlichsozialen als erster dazu, den Nationalsozialisten ihre Mandate abzuerkennen, die NS-Abgeordneten nahmen an der dazu einberufenen Sitzung schon gar nicht mehr teil. Die Sitzung fand großes öffentliches Interesse, die Zuschauergalerien waren dicht 20 verliert, dann soll er nur dankbar dafür sein, daß man für seine Gesundheit ein übriges tut und ihm ein längeres Leben garantiert.« 1024 LPNÖ, 15. Sitzung. 11. Se. 16. 6. 1933. S. 99 und 101. 1025 Protokoll der Sitzung des sozialdemokratischen Parteivorstandes vom 21. 6. 1933. S. 2468.

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besetzt, viele Nationalräte und Mandatare anderer Körperschaften waren gekommen, auf der Journalistengalerie hatten sich viele Vertreter ausländischer Zeitungen eingefunden, Vertretern der nationalsozialistischen Presse war der Zutritt verboten.1026 Landeshauptmann Reither selbst trug den Verfassungsgesetz-Entwurf vor und ersuchte, diesem Antrag der Landesregierung die Dringlichkeit zuzuerkennen, was auch geschah. Reither begründete die Aberkennung der NSDAP-Mandate nur sehr kurz mit der Notwendigkeit einer »geordneten und gedeihlichen weiteren Verhandlung in diesem hohen Hause« und der Ansicht, daß Mandate »nur Vertretern solcher Parteien zukommen können, die nicht staatsfeindlich sind«.1027 Reither hatte deshalb auch den nationalsozialistischen Landesrat nicht mehr zur Sitzung der Landesregierung am 22. Juni eingeladen. Der sozialdemokratische Landtagsvizepräsident Petznek begründete, warum die Sozialdemokraten für diese Ausnahmeverfügung stimme  : »Wenn wir uns trotzdem entschieden haben, für dieses Gesetz zu stimmen, dann nur aus der Erwägung der außerordentlichen Lage, in der sich Mitteleuropa und mit ihm Österreich befindet. Hitler-Deutschland führt Krieg gegen Österreich, einen Krieg gegen ein kleines Land und gegen ein deutsches Land, also einen doppelt ehrlosen Krieg. Österreich muß sich gegen die wirtschaftlichen Maßnahmen Deutschlands, die unser wirtschaftliches Elend vergrößern, zur Wehr setzen, dies umsomehr, als die Agenten Hitlers durch ihren Terror Leben und Gesundheit der Bewohner unseres Landes bedrohen. Diese außerordentliche Lage rechtfertigt auch außerordentliche Maßregeln und es ist nicht unsere Sache, die Nationalsozialisten gegen solche außerordentlichen Maßnahmen zu schützen. Denn gestern hat die Hitler-Regierung die deutsche Sozialdemokratie, für die noch am 5. März trotz dem amtlichen Wahlterror mehr als 7 Millionen Deutsche gestimmt haben, unterdrückt und ihr jede Tätigkeit verboten. Wir können und wollen hier nicht die Partei schützen, die in Deutschland unsere Genossen entrechtet, ihrer Freiheit beraubt, sie mißhandelt und ermordet. Wir können es auch nicht zulassen, daß unser Staat seiner Unabhängigkeit beraubt und von einer ausländischen Macht okkupiert wird.«1028 Die Sozialdemokraten hätten aber – um einen verfassungsmäßigen Weg zu garantieren – der Absicht des Landeshauptmannes widersprochen, den Nationalsozialisten ihre Mandate durch eine Verordnung der Landesregierung abzuerkennen. An die Christlichsozialen gewandt, erklärte Petznek  : »Wir sind für die energische Abwehr aller staatsfeindlichen Aktionen, aber diese Abwehr muß in verfassungs- und

1026 Vgl. »Reichspost«, 24. 6. 1933. S. 3. 1027 LPNÖ, 16. Sitzung. II. Se. 23. 6. 1933. S. 8 ff. 1028 LPNÖ, 16. Sitzung. 11. Se. 23. 6. 1933. S. 12 f. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands war am 22. Juni 1933 verboten worden, nachdem sie durch zahlreiche Verhaftungen und Beschlagnahmungen praktisch schon vorher zerschlagen worden war. Vgl. etwa Helmut Krausnick, Stationen der Gleichschaltung. In  : Der Weg ins Dritte Reich 1918–1933. München, Zürich 1983. S. 166.

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gesetzmäßiger Form geschehen. Das heutige Regime, das sich nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung stützten kann, will einen Kampf gegen die Nazi und zugleich gegen uns Sozialdemokraten führen, wodurch der Staat in die größte Gefahr kommen kann. Wenn Sie vor dem Terror der Nationalsozialisten nicht kapitulieren wollen, dann werden Sie sich mit uns verständigen müssen. Aber diese Verständigung ist nur möglich auf Grundlage der Rückkehr zur Demokratie und zur Treue der Verfassung. Wir möchten nur wünschen, daß unsere Verständigung über einen verfassungsmäßigen Weg zur Abwehr der Nationalsozialisten in dem vorliegenden Falle Sie zur Überzeugung bringt, daß auch im allgemeinen die Verteidigung des Staates gegen den Terror der Nationalsozialisten nur auf dem Boden der Verfassung möglich ist.«1029 Der sozialdemokratische Redner signalisierte also ziemlich deutlich, daß die Sozial­ demokratie zu einer Stützung der Regierung Dollfuß unter bestimmten Umständen bereit sei. Über die Bedingungen gibt es unterschiedliche Aussagen. Während die Sozialdemokraten in den Landtagen die Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie als Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit der Regierung nannten, meint etwa Peter Kulemann, daß die Sozialdemokraten in »ihrer Konzessionsbereitschaft viel weiter« gingen. Sie seien bereit gewesen, auch das bestehende antidemokratische Dollfuß-Regime gegen Hitler zu verteidigen.1030 Tatsächlich hatte Otto Bauer im Zusammenhang mit der Aberkennung der NS-Mandate weitergehende Bereitschaft vor allem in die Richtung der demokratisch gesinnten Christlichsozialen signalisiert  : »Wir können also sehr wohl den demokratischen Elementen des Bürgertums die Zustimmung zur Wiederherstellung der Demokratie dadurch erleichtern, daß wir uns bereit zeigen, einem parlamentarisch kontrollierten, demokratischen Regierungssystem zeitweilige außerordentliche Vollmachten zu bewilligen, die sein Funktionieren sichern und ihm kraftvolle Verteidigung der selbständigen Staatlichkeit Österreichs gegen den Nationalfaschismus ermöglichen würden … Wir lehnen also diktatorische Ausnahmeverfügungen, wenn sie verfassungsmäßig beschlossen und parlamentarisch kontrolliert werden, nicht unbedingt ab. In dieser Lage wäre es leichtsinnig, irgendwelche Möglichkeiten zu verschütten, die uns die Verständigung mit den demokratischen Elementen des Regierungslagers über die Rückkehr zur Demokratie erleichtern kann.«1031 In der Christlichsozialen Partei setzten sich aber schließlich doch immer wieder jene Kreise durch, für die der »Marxismus« der Hauptfeind blieb, die christliche Arbeiterbewegung setzte sich nicht durch.1032

1029 LPNÖ, 16. Sitzung. 11. Se. 23. 6. 1933. S. 16 f. 1030 Peter Kulemann, Am Beispiel des Austromarxismus. Sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Österreich von Hainfeld bis zur Dollfuß-Diktatur. Hamburg 1979. S. 376. 1031 Otto Bauer, Werkausgabe. Band 9. Wien 1980. S. 311 f. und S. 314. 1032 Vgl. etwa Anton Pelinka, Stand oder Klasse  ? Die christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933 bis 1938. Wien, München, Zürich 1972. S. 49 f.

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Der christlichsoziale Redner, Abgeordneter Dr. Czermak, ging auf die deutlichen Kooperationsangebote des sozialdemokratischen Vorredners leider nicht ein. Er befaßte sich ausführlich mit dem historischen Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich und wehrte sich dagegen, daß man von Deutschland aus Österreich »verdeutschen« oder »verpreußen« wolle. Österreich sei in Wahrheit durch lange Zeit die »Herzkammer eines größeren, besseren Deutschland« gewesen, weshalb die Einrichtung Österreichs als preußische Provinz nicht die Erfüllung »der österreichischen Sendung im Rahmen des Gesamtdeutschtums« sein könne.1033 Die Nationalsozialisten in Deutschland hätten in der Begründung für das Verbot der Sozialdemokratischen Partei die gleichen Argumente verwendet, die auch für das Verbot der N ­ SDAP in Österreich Geltung hätten. Es sei eine »Schande, daß die Nationalsozialisten dort, wo sie sich in Österreich zuhause fühlen, in Krems, arme Proletarier, die dem Staat um kleinen Lohn Hilfsdienst leisten, mit Handgranaten überfallen und in einer durchaus undeutschen Form politisch bekämpfen«. Die Christlichsozialen werden daher »in der Hoffnung, daß auch unter den Anhängern dieser Partei wieder Vernunft einkehrt und wieder andere Verhältnisse kommen werden, mit ruhigem Gewissen für dieses Gesetz stimmen«. Unter den Ausrufen sozialdemokratischer Abgeordneter »Es lebe die demokratische Republik  ! Nieder mit der braunen Pest  !« wurde das Gesetz mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit beschlossen.1034 Für die Sitzung des Wiener Landtages am 16. Juni 1933 hatten sich die nationalsozialistischen Abgeordneten schriftlich entschuldigt, weil die Räume der NS-Fraktion polizeilich gesperrt und damit die Arbeit der Abgeordneten durch die Behörden unmöglich gemacht worden war.1035 Die Nationalsozialisten beklagten sich wieder ein1033 LPNÖ, 16. Sitzung. II. Se. 23. 6. 1933. S. 18 f. 1034 LPNÖ, 16. Sitzung. 11. Se. 23. 6. 1933. S. 28, 30 f. 1035 LPWien, 9. Sitzung. 16. 6. 1933. S. 103. Der Brief lautete  : »Sehr geehrter Herr Landtagspräsident  ! Infolge der verfassungswidrigen, illegalen Übergriffe der Behörde der Regierung Dollfuß ist die Arbeit der nationalsozialistischen Landtagsfraktion vollständig lahmgelegt. Die Kanzleiräume und Sitzungsräume der Fraktion im IV. Bezirk, Hirschengasse 25, wurden Montag, den 12. d. M., nachmittags von behördlichen Organen widerrechtlich und ohne daß bis heute ein stichhältiger Grund dafür angegeben werden konnte, gesperrt und polizeilich versiegelt. Dadurch ist es den Mitgliedern der Fraktion gänzlich unmöglich gemacht worden, ihren durch die Verfassung festgelegten Pflichten nachzukommen, da auch Akte und Aufzeichnungen einschließlich der Tagesordnung für die heutige Sitzung den Mandataren nicht zugänglich sind. Ich erhebe namens der Fraktion der nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten gegen diese Willkürakte schärfsten Einspruch und ersuche Sie, als Präsidenten des Wiener Landtages, diesen Einspruch zur Kenntnis zu nehmen und die nötigen Schritte zu unternehmen, um die Regierung und ihre Organe darüber zu belehren, daß die Verfassung und die Gesetze dieses Staates auch dieser Regierung gelten, wie für jeden anderen Angehörigen dieser Gemeinschaft. Da es den nationalsozialistischen Mandataren unmöglich war, sich auch nur über die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu besprechen, noch viel weniger aber, dazu Stellung zu nehmen und solcherart

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mal, daß gegen sie mit Härte vorgegangen wurde, und beriefen sich auf die Verfassung des Staates, den sie mit allen Mitteln bekämpften und dessen politisches System sie aggressiv ablehnten. Landtagspräsident Neubauer teilte lakonisch mit, daß er das Schreiben der NSDAP der Bundesregierung zur Kenntnis bringen werde. Die Sitzung des Wiener Landtages verlief in weiterer Folge sehr sachlich, der Landtag beschloß nach konstruktiver Diskussion das Kanalanlagen- und Einmündungsgebührengesetz. Der sozialdemokratische Parteivorstand befaßte sich neuerlich mit der Frage der Aberkennung der NS-Mandate am 26. Juni 1933. Dabei wurde entschieden, daß auch in Wien ein gleiches Gesetz wie in Niederösterreich beschlossen werden sollte. Zur Vorbereitung des Gesetzestextes wurde ein Komitee, bestehend aus Seitz, Danneberg, Richter und Schärf, eingesetzt.1036 Am 27. Juni beschloß der sozialdemokratische Landtagsklub, einem Gesetzentwurf auf Aberkennung der NS-Mandate zuzustimmen, am 29. Juni behandelte die Wiener Landesregierung auf Antrag des sozialdemokratischen Stadtrates Honay den Verfassungsentwurf über die Aberkennung der NS-Mandate. Der nationalsozialistische Stadtrat Frauenfeld nahm an der Sitzung nicht teil. Die Vorlage wurde ohne Debatte genehmigt.1037 An der nächsten Sitzung des Wiener Landtages am 30. Juni 1933 nahmen die ­NSDAP-Abgeordneten »wider Erwarten« teil.1038 Wesentlichster Tagesordnungspunkt war die Landesverfassungsgesetz-Vorlage über das Erlöschen der Mandatare der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei – Hitlerbewegung.1039 Der Gesetzestext war eine Vorlage der sozialdemokratisch dominierten Wiener Landesregierung und wurde daher im Landtag auch vom sozialdemokratischen Stadtrat Honay vertreten. Honay verwies darauf, daß die Wiener Landesregierung noch nie ein Gesetz »von so weit gehender Bedeutung« vorgelegt habe. Als Gründe für die Vorlage dieses Gesetzes führte Honay an  : »Seit Wochen konspiriert die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei Österreichs gegen den Bestand der Republik. Sie sucht ihr Ziel durch verbrecherische Terrorakte zu erreichen und sie führt gegen Österreich einen Krieg mit anderen Mitteln und in anderen Formen, als es in einem normalen Krieg der Fall ist. Es ist, um es kurz zu sagen, ein Krieg gegen

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von den ihnen verfassungsmäßig zustehenden Rechten Gebrauch zu machen und ihren Pflichten gegenüber ihren Wählern nachzukommen, aber auch zum Zeichen des schärfsten Protestes gegen dieses beispiellose verfassungswidrige Verhalten bleibt die nationalsozialistische Fraktion der heutigen Sitzung fern. Mit dem Ausdruck meiner Hochachtung A. Frauenfeld e. h.« Vgl. Protokoll der Sitzung des sozialdemokratischen Parteivorstandes vom 26. 6. 1933. S. 2470. Vgl. »Reichspost«, 29. 6. 1933. S. 4. »Salzburger Volksblatt«, 1. 7. 1933. S. 2. Vgl. dazu auch Franz Patzer, Der Wiener Gemeinderat 1918–1934. S. 230–232.

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die Zivilbevölkerung. Es ist selbstverständlich, daß sich ein Staat zur Wehr setzt, der mit so heimtückischen Mitteln bekriegt wird. Niemand, der sich zur demokratischen Republik und zur Verfassung bekennt, darf in dieser ernsten Situation den Staat im Stiche lassen. Die Republik ist bedroht, darüber gibt es keinen Zweifel – und alle aufrechten Republikaner müssen sich gegen diese Bedrohung zur Wehr setzen … Es ist von der richtigen Auffassung getragen, daß eine Partei, die selbst nicht auf dem Boden der Demokratie steht, auch keinen Anspruch auf Demokratie hat.«1040 Honay stellte weiter fest, daß die Wähler der NSDAP bei der Wahl vom 24. April 1932 »von der politischen Tätigkeit dieser Partei sehr enttäuscht sind«. Der sozialdemokratische Stadtrat machte damit unzweifelhaft das Erlöschen der NSDAP-Mandate zum Anliegen der Sozialdemokraten. Er argumentierte ganz klar im Sinne des Konzeptes der »Streitbaren Demokratie«. Es ist äußerst bemerkenswert und unverständlich, daß sich in der Debatte zu dieser Gesetzesvorlage kein einziger christlichsozialer Abgeordneter zu Wort meldete. Von den Nationalsozialisten sprachen Stadtrat Frauenfeld und Abgeordneten Dr. Riehl. Frauenfeld nannte es grotesk, daß sich zwei Parteien zusammentun, um einer dritten die Mandate abzuerkennen. Die Sozialdemokraten hätten dann die Zweidrittelmehrheit und könnten jederzeit der christlichsozialen Partei die Mandate aberkennen. Dem Vorwurf der nationalsozialistischen Terrorakte begegnete er mit dem Argument, daß nach den Terroraktionen der Sozialdemokraten am 15. Juli 1927 und nach den Vorkommnissen von Simmering der Sozialdemokratischen Partei auch ihre Mandate nicht aberkannt wurden. Frauenfeld distanzierte sich halbherzig von den nationalsozialistischen Anschlägen der letzten Zeit und gab die Schuld dafür dem Versammlungs- und Aufmarschverbot, dem Uniformverbot und der Gründung der Vaterländischen Front. »Damit hat man einer jungen, lebenskräftigen Bewegung in Österreich jede Betätigungsmöglichkeit genommen«, was bewirkt hat, »daß es zu Ausschreitungen gekommen ist, die wir nicht gut heißen, aber begreifen und die aus einem derartigen terroristischen und verfassungswidrigen Vorgehen zu erklären sind«.1041 Dr. Riehl ging auf die rechtlichen Argumente ein, berief sich auf das Recht der NSDAP auf ihre Mandate nach dem Proportionalwahlrecht, erklärte die Vorlage für verfassungswidrig, weshalb zu rechnen sei, daß der Verfassungsgerichtshof sie aufheben werde. Außerdem verlangte er eine Volksabstimmung über diese Landesverfassungs-Änderung. Schließlich beteuerte er nochmals  : »Wir haben uns nicht mehr als die andere Oppositionspartei zum Worte gemeldet, unsere Argumente waren durchaus stichhältig. Sie haben sich selbst mit ihnen befaßt. Sie haben keine Ursache, uns einen besonderen Vorwurf zu machen. Wir haben auch in den Ausschüssen mitgearbeitet.«1042 1040 LPWien, 20. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 119. 1041 LPWien, 20. Sitzung. 30. 6. 1931. S. 120. 1042 LPWien, 20. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 122.

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Insgesamt also waren die nationalsozialistischen Stellungnahmen – dem Anlaß entsprechend – gar nicht mehr besonders aggressiv, eher wehleidig der Märtyrerrolle entsprechend, sich von den NS-Anschlägen distanzierend und auf die Rechte in der parlamentarischen Demokratie pochend. Frauenfeld schloß seine Rede  : »Die Idee, der wir dienen, ist viel größer als jene Kleinigkeiten, die gegen uns hier ins Treffen geführt werden, und daher kann ich nur sagen, das Ganze ist eine Episode. Wir kommen wieder und dann werden Sie nicht mehr hier sein  !« Im Anschluß an die kurze Debatte wurde die Verfassungsgesetz-Novelle mit den Stimmen von Sozialdemokraten und Christlichsozialen, also mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit, beschlossen. Die Nationalsozialisten waren vor der Abstimmung ausgezogen, die Sitzung war insgesamt in voller Ruhe abgelaufen.1043 Nach dem Ausscheiden der Nationalsozialisten aus dem Wiener Landtag, der nur mehr 85 Abgeordnete zählte, kehrte wieder relative Sachlichkeit ein, die Wiener Volksvertretung wurde nicht mehr mit einer Flut von polemischen dringlichen Anfragen überschüttet und die Arbeit nicht mehr durch die nationalsozialistische Verzögerungstaktik unnötig in die Länge gezogen. Ebenfalls am 30. Juni trat der Salzburger Landtag zusammen, um über das Landesverfassungsgesetz über das Ruhen der Mandate der NSDAP und des Steirischen Heimatschutzes (Führung Kammerhofer) zu beraten.1044 Aus dem Titel des Gesetzes läßt sich schon erkennen, daß in Salzburg ein etwas anderer Weg beschritten wurde als in Niederösterreich und Wien, wo die Mandate der NSDAP aberkannt wurden. In Salzburg trat nur eine Unterbrechung in der Ausübung der Mandate von Angehörigen der NSDAP ein. Landeshauptmann Rehrl hatte sich von vornherein dazu bekannt, keinen Mandatsverlust auszusprechen, »denn ich stehe auf dem Standpunkt, ein Mandat, das eine gewisse Wählergruppe übertragen hat, kann nur nach den Bestimmungen aberkannt werden, die in den bestehenden Gesetzen niedergelegt sind und es bestimmt Artikel 141 der Bundesverfassung, daß ein Mandatsverlust nur durch den Verfassungsgerichtshof ausgesprochen werden kann.«1045 Rehrl bezog sich damit auf denselben Artikel der Bundesverfassung, auf den sich im Wiener Landtag der NS-Abgeordnete Dr. Riehl berief.1046 Rehrl hatte auch, im Gegensatz zu Niederösterreich, von allem Anfang an veranlaßt, daß diese Verfassungsänderung als Regierungsvorlage dem Landtag zugewiesen und von diesem beschlossen werde. Er hatte aber bereits am 1043 Vgl. »Salzburger Volksblatt«, 1. 7. 1933. S. 2. 1044 LPSbg, Beilage Nr. 13. Vgl. auch Ernst Hanisch, Franz Rehrl – sein Leben  ; sowie Helmut Schreiner, Franz Rehrl im Salzburger Landtag. In  : Wolfgang Huber (Hg.), Franz Rehrl. Landeshauptmann von Salzburg 1922–1938. Salzburg 1975. S. 26 und S. 87 f. 1045 LPSbg, 2. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 3. Das christlichsoziale Parteiorgan versuchte überhaupt, das Ruhen der NS-Mandate herunterzuspielen und dafür die Aufhebung der Immunität der Nazimandatare in den Vordergrund zu stellen. Vgl. »Salzburger Chronik«, 1. 7. 1933. S. 1. 1046 LPWien, 10. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 122.

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25. Juni den nationalsozialistischen Landesrat Ropper zu sich rufen lassen und ihm mitgeteilt, daß er ihm auf Grund des Artikels 35 der Landesverfassung das Mandat in der Landesregierung aberkenne.1047 Für Rehrl war der Tag des Beschlusses des Ruhens der Mandate für eine Gruppe, deren Programm die Demokratie negiert, »kein Freudentag«, denn »wir, die wir auf dem Boden der Demokratie, einer gesunden Demokratie stehen, wollen nicht behaupten, daß alles, was heute unter Demokratie segelt, das Ideal ist, aber wir wollen daran festhalten, auch diesen Gruppen gegenüber gerecht zu sein, denn nichts empört uns so sehr, als daß wir sehen müssen, daß das Recht der Persönlichkeit, die Unverletzlichkeit des Hausrechtes anderwärts teilweise auf Grund dieses Programms nicht hoch gehalten wird«. Die Maßnahme sei aber »voll vereinbar mit der Demokratie«, denn auch die ältesten Parlamente hätten Parlamentarier ausgeschlossen, wenn sie gegen Gesetze verstoßen hätten. »Außerordentliche Zeiten, außerordentliche Maßnahmen. Die Notverordnungen der Bundesregierung, die vielfach angestritten werden, bestehen, insolange sie nicht vom Verfassungsgerichtshof außer Kraft gesetzt sind, formalrechtlich zu Recht«, stellte Rehrl fest und brachte damit wieder einmal seine kühle Distanz zum autoritären Weg von Bundeskanzler Dollfuß zum Ausdruck. Der christlichsoziale Klubobmann Neureiter warf den österreichischen Nationalsozialisten vor, geschwiegen zu haben, als in Deutschland hunderte Mandatare, die nicht der NSDAP angehörten, ausgeschaltet und z. T. eingesperrt wurden. Die Christlichsoziale Partei wünschte sich, daß bald wieder geordnete Verhältnisse einkehren würden, dann könnte auch das Ruhen der NS-Mandate wieder aufgehoben werden. Hitler habe offensichtlich die Führung über den Nazi-Terror verloren, denn er – Neureiter – glaube nicht, »daß der deutsche Reichskanzler das verantworten will, was in Ihrer Gruppe die SA- und SS-Leute machen. Ich halte mehr von ihm und ich glaube nicht, daß Hitler alles verantworten kann, was von vielen Gruppen des Deutschen Reiches und bei uns geschieht.« Eine gefährlich naive Aussage des christlichsozialen Priester-Politikers, der inzwischen schon von den erfolgten Verfolgungen kirchlicher Vertreter in Deutschland wissen mußte. Auch der sozialdemokratische Redner Emminger erklärte (im Gegensatz etwa zu den niederösterreichischen Sozialdemokraten), dieser Tag sei kein Freudentag, »weil er trotz alledem eine Verletzung der Demokratie bedeutet.« Die Sozialdemokraten stimmten trotzdem für das Gesetz mit Rücksicht auf die außerordentlichen Verhältnisse in Österreich und in Mitteleuropa, auf Grund der Gewaltherrschaft Hitlers in Deutschland und dessen wirtschaftliche Boykottmaßnahmen gegen Österreich und auf Grund der Terroraktionen der Nationalsozialisten in Österreich. »Was heute in Deutschland geschieht, Ausrottung aller anders als naziartig Denkenden, soll morgen mit Gewalt in Österreich sein. Dieser rohen Gewalt gegenüber muß Österreichs Ar1047 Vgl. »Reichspost«, 26. 6. 1933. S. 1.

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beiterschaft sich zur Wehr setzen.« Die Nationalsozialisten sollten jetzt nicht um ihre Mandate und ihre Immunität winseln, während in Deutschland »so ehrliche Leute wie Sie« (zu den NS-Abgeordneten gewendet) in Ketten liegen.1048 Der NS-Abgeordnete Starkel legte schärfsten Protest gegen den Gesetzentwurf ein und hielt ausdrücklich fest, daß die Nationalsozialisten »Terrorakte und Verbrechen, wie sie in letzter Zeit begangen worden sind, auf das allerschärfste verurteilen, und daß wir in erster Linie daran ein Interesse haben, daß solche Akte der gebührenden Strafe zugeführt werden«.1049 Eine Aussage, die von der Doppelzüngigkeit und Unglaubwürdigkeit der Nationalsozialisten zeugt. Es ist unbestritten, daß die National­ sozialisten hinter all den Anschlägen standen, aber im Landtag wollten sie offensichtlich mit solchen Beteuerungen ihre Mandate retten. Der nationalsozialistische Landesrat Ropper bezweifelte die Gesetzmäßigkeit des Beschlusses, wollte andererseits aber auch nicht um die Stimmen der Sozialdemokraten bitten, denn »wir würden es verachten, wenn uns die Mandate mit den Stimmen der Sozialdemokraten belassen würden«.1050 Die Nationalsozialisten hätten keine Lust mehr, im Landtag weiterzuarbeiten, weshalb sie nach der Wortmeldung Roppers und damit vor der Abstimmung, aus dem Landtagssaal auszogen. Die Verfassungs-Novelle wurde von Christlich­ sozialen und Sozialdemokraten einstimmig beschlossen. Die Antwort der Nationalsozialisten auf das Verbot der Partei waren unzählige Böllerwürfe. Die Salzach herab schwammen brennende hölzerne Hakenkreuze. Im Juli warfen mehrmals deutsche Flugzeuge nationalsozialistische Flugblätter mit scharfen Angriffen gegen die Regierung Dollfuß über Salzburg ab.1051 Als letztes Landesparlament befaßte sich der Vorarlberger Landtag erst einen Monat später, am 24. Juli 1933, am Ende der Sitzung mit der Frage der NSDAP-Mandate. Die beiden NS-Abgeordneten waren nicht mehr eingeladen, ohne besondere Debatte wurde der Entwurf des Verfassungsgesetzes, der auch nur ein Ruhen der Mandate vorsah, dem Ausschuß zugewiesen und beschlossen. Der NS-Abgeordnete Gunz hatte bereits am 9. Juli, weil er Gemeindeangestellter war und diesen die Zugehörigkeit zur NSDAP untersagt worden war, dem Landtagspräsidenten gegenüber seine Mitgliedschaft zur NSDAP und auch sein Landtagsmandat zurückgelegt.1052 Somit war auch diese Frage im Vorarlberger Landtag am unspektakulärsten erledigt worden. Aus den Debattenbeiträgen in den Landtagen zur Aberkennung der NS-Mandate ergibt sich klar, daß diese Maßnahme von der Regierung Dollfuß gesetzt wurde, um

1048 LPSbg. 2. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 5 f. 1049 LPSbg. 2. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 4. 1050 LPSbg. 2. Sitzung. 30. 6. 1933. S. 8. 1051 Vgl. Josef Kaut, Der steinige Weg. Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung im Lande Salzburg. Wien 1961. S. 138. 1052 LPVlbg. 5. Sitzung. 24. 7. 1933. S. 149 f.

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die Selbständigkeit und Freiheit des österreichischen Staates gegen den immer aggressiveren Terror der Nationalsozialisten, die nur das Ziel des Anschlusses Österreichs an Deutschland im Auge hatten, zu sichern, um ihre eigene Position abzusichern und um in ihrem Vorgehen gegen den »Marxismus« nicht durch einen anderen Gegner behindert zu sein.1053 Von der Sicherung der parlamentarischen Demokratie war in keiner Weise die Rede. Bundeskanzler Dollfuß hatte es am 29. Juni bei einer Großkundgebung in Innsbruck auf den Punkt gebracht  : »Diese Form von Parlamentarismus wird in Österreich nicht wiederkehren  ! Wir haben uns mit Ernst bemüht, marxistischen Geist und marxistische Methoden aus Österreich auszumerzen und marxistischem Übermut zu begegnen. Bei diesem Kampf ist man uns in den Rücken gefallen.«1054 Gerade das Moment der Sicherung der parlamentarischen Demokratie fehlt in bezug auf die Bundesregierung völlig, sodaß man nicht von einer Maßnahme im Sinne des Konzeptes der »Streitbaren Demokratie« sprechen kann. Wiewohl jedoch die Maßnahme an sich unter den gegebenen Umständen als richtig und notwendig angesehen werden muß, weshalb sie wohl auch von der Sozialdemokratie nicht nur ermöglicht, sondern (siehe Wien) auch aktiv mitgetragen wurde. Die Motive der Sozialdemokraten entsprachen allerdings dem Sinne der »Streitbaren Demokratie«. • In der Frage der Aberkennung bzw. des Ruhens der NSDAP-Mandate kam es noch einmal zu einem – für die bundespolitischen Umstände – beinahe sensationellen Schulterschluß zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten. In allen vier Landtagen wurden die entsprechenden Landesverfassungs-Änderungen mit den Stimmen beider Parteien beschlossen. • Im Niederösterreichischen Landtag gab es sehr deutlich ausgesprochene Kooperationsangebote der Sozialdemokraten an die Christlichsozialen, die weit über die Frage des Kampfes gegen den Nationalsozialismus gelten konnten. Leider wurden diese Signale auf seiten der Christlichsozialen in keiner Weise aufgenommen. Jedenfalls steht fest, daß die Sozialdemokraten ganz offensichtlich auf Grund des aggressiven Kampfes des Nationalsozialismus gegen Österreich (durch Terrorakte und wirtschaftliche Boykottmaßnahmen) zu einer Zusammenarbeit bereit gewesen wären. Voraussetzung für eine solche Zusammenarbeit wäre natürlich die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen in Österreich gewesen. 1053 In anderen Landtagen nützten großdeutsche Abgeordnete, die innerlich längst zur NSDAP abgewandert waren, noch bis zum Jahr 1934 die Möglichkeit, das Erlöschen der NS-Mandate heftig zu kritisieren. Vgl. etwa Franz Langoth, Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers. Wels 1951. S. 39 f. 1054 »Reichspost«, 30. 6. 1933. S. 3. Vgl. dazu auch einen Leitartikel in der »Reichspost« vom 26. 6. 1933. S. 1, zum Verbot der NSDAP  : »Es handelt sich um die Verteidigung der Eigenstaatlichkeit Österreichs, um Österreichs Freiheit und Unabhängigkeit, um die Abwehr einer großangelegten Verschwörung, um Ordnung und Ruhe, um Sicherheit des Lebens und Eigentum gegen verbrecherische Anschläge, um den Schutz unserer Wirtschaft, kurz um unser österreichisches Vaterland und um nichts anderes.«

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• Die Argumente der Sozialdemokraten für die Aberkennung bzw. für das Ruhen der NSMandate lagen ganz auf der Linie des Konzeptes der »Streitbaren Demokratie«. Im Fall eines außergewöhnlichen Kampfes gegen den Bestand eines Staates habe dieser auch das Recht, außergewöhnliche Mittel zur Bekämpfung seiner Gegner einzusetzen. Den Sozial­ demokraten ging es dabei unzweifelhaft um den Bestand der demokratischen Republik Österreich. Auf Grund der drohenden nationalsozialistischen Gefahr und des Verlustes der Eigenständigkeit Österreichs schien den Sozialdemokraten das autoritär regierende Kabinett Dollfuß noch als das kleinere Übel. Den Christlichsozialen ging es in erster Linie um die Eigenständigkeit Österreichs und den Bestand der Regierung Dollfuß. Eine Argumentation im Sinne der Rettung der parlamentarischen Demokratie ist bei den Christlichsozialen nirgends ausdrücklich zu erkennen. Man kann daher bei den Christlichsozialen im Zusammenhang mit dem Verbot der NSDAP sicher nicht von einer Maßnahme im Sinne der »Streitbaren Demokratie« sprechen. • Innerhalb der Christlichsozialen Partei gab es unterschiedliche Verhaltensweisen  : Während in Niederösterreich Landeshauptmann Reither die Aberkennung der NS-Mandate durch eine Verordnung der Landesregierung aussprechen wollte und erst von den Sozialdemokraten gezwungen wurde, eine Gesetzesvorlage an den Landtag zu übermitteln, brachte der Salzburger Landeshauptmann Rehrl von sich aus eine Regierungsvorlage im Landtag ein. Selbstverständlich brachte auch die sozialdemokratisch dominierte Wiener Landesregierung ihre Vorlage im Landtag ein. In Wien und Niederösterreich wurden die Mandate der ­NSDAP aberkannt, in Salzburg und Vorarlberg nur für ruhend erklärt. In Wien übernahmen die Sozialdemokraten die Aberkennung der NS-Mandate in ihre volle Verantwortung, die Christlichsozialen meldeten sich in der Debatte nicht einmal zu Wort. In Wien und Salzburg konnten die Nationalsozialisten noch selbst an der Debatte teilnehmen, in Niederösterreich und Vorarlberg (das erst Ende Juli entschied) waren sie zu den Landtagssitzungen gar nicht mehr eingeladen. • Es scheint, daß das Verbot der NSDAP und der damit verbundene Verlust der Mandate in den verschiedenen Körperschaften die Nationalsozialisten ziemlich überraschten. Es wurde ihnen offensichtlich bewußt, welche Möglichkeiten ihnen die Landesparlamente boten, zwar einerseits die parlamentarisch-demokratischen Rechte voll in Anspruch zu nehmen, andererseits sie aber als sehr erfolgreiches Mittel zum Kampf gegen eben diese parlamentarische Demokratie, das »System« und gegen die anderen Parteien zu nützen. Diese propagandistische Tribüne und Annehmlichkeiten, wie etwa die für die politische Auseinandersetzung so nützliche Immunität, aber auch beträchtliche Bezüge, die zur Finanzierung der Partei beitrugen, gingen nun verloren. Die Nationalsozialisten reagierten in den Landtagen wehleidig, stellten sich wieder als ungerecht verfolgte »Märtyrer« dar und distanzierten sich wortgewaltig von den nationalsozialistischen Terroranschlägen, um vielleicht doch noch die Mandate zu retten.

vii. Gesamtzusammenfassung und Schlußfolgerungen Zum Schluß dieser Untersuchung sollen die wesentlichsten Ergebnisse noch einmal zusammengefaßt werden, vor allem aber sollen die im Kapitel 1 aufgeworfenen Fragen beantwortet und die aufgestellten Thesen auf ihre Haltbarkeit hin untersucht werden. • Zum Verständnis der politischen Entwicklung in den Jahren 1932/33 ist insbesondere der Zeitraum von 1929 bis 1932 heranzuziehen. Der Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927 schwächte die demokratische Politische Kultur in Österreich entscheidend. Die Angst des bürgerlichen Lagers vor der »Diktatur des Proletariates« verstärkte die Suche nach dem Ausweg aus der parlamentarischen Demokratie in die Richtung eines autoritären Modells der sogenannten »Wahren Demokratie«. Ebenso trug die Wirtschaftskrise beträchtlich zur Schwächung der demokratischen Politischen Kultur bei, da die Unfähigkeit, die wirtschaftliche Krise zu meistern, dem demokratischen System als solchem zugeschoben wurde. Auch eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Lagern, Christlichsozialen und Sozialdemokraten, scheiterte an ihren grundlegenden unterschiedlichen Ansichten über die Lösung der Wirtschaftsmisere, obwohl bei den Landesbudgets durchaus ein Näherkommen der beiden Standpunkte zu erkennen ist  : Die Sozialdemokraten erkannten, daß auf Grund der wirtschaftlichen Notsituation der soziale Standard keinesfalls aufrechtzuerhalten ist, und die Christlichsozialen milderten mit Rücksicht auf die Sozialdemokraten ihre rigorosen Einsparungsabsichten. • Zu berücksichtigen ist auch, daß nach dem Rücktritt des stark konfliktorientierten Kabinetts Seipel V das Verhältnis zwischen Regierungsparteien und sozialdemokratischer Opposition keinesfalls durchgehend konfliktorientiert war. Das Verhalten der beiden Lager zueinander pendelte zwischen Konflikt und Konsens hin und her. Mit Ausnahme der Regierungen Seipel V und Vaugoin, die ziemlich klar konfliktorientiert waren, kann man die Regierungen Streeruwitz, Schober III, vor allem aber Ender und Buresch I und II, als überwiegend konsensorientiert bezeichnen. Gerade die Regierung Buresch II überlebte ausschließlich durch die bewußte Tolerierung durch die Sozialdemokraten. In der Zeit der genannten konsensorientierten Regierungen konnte eine Reihe wichtiger Materien im Parlament erledigt werden.

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• Die Christlichsozialen erzielten in den Phasen des Bekenntnisses zum Konsens und zur Demokratie wesentlich bessere Wahlergebnisse als in Zeiten besonderer Konfliktorientierung und autoritativer Tendenzen. • Im Zeitraum von 1927 bis 1932 wurden gegen demokratiegefährdende Tendenzen eine Reihe von Maßnahmen im Sinne der »Streitbaren Demokratie« gesetzt, die jedoch oftmals eine starke Nachsichtigkeit gegenüber den antidemokratischen und faschistisch orientierten Heimwehren aufwiesen, was ihre Wirksamkeit stark einschränkte. Insgesamt wäre also im Frühjahr 1932 keine schlechte Ausgangsposition für eine engere Kooperation zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten gegeben gewesen. Die überraschenden Erfolge der Nationalsozialisten bei den Landtagswahlen am 24. April 1932 und die damit verbundene Forderung von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten nach Parlamentsneuwahlen machten die letzte Chance für die Demokratie zunichte. • Obwohl die NSDAP schon vorher – etwa 1930 bei den Landtagswahlen in Kärnten – vereinzelt Erfolge erzielen konnte, gelang ihr der wirkliche Durchbruch in Österreich erst bei den Landtagswahlen des Jahres 1932, ohne daß sie dabei jedoch an die Erfolge in Deutschland anknüpfen konnte. Die NS-Propaganda in Deutschland rund um die Reichspräsidentenwahlen und um die preußische Landtagswahl im Frühjahr 1932 hatte starke Wirkungen nach Österreich. Österreichs Nationalsozialisten, die bisher das Dasein einer Splitterpartei führten, übernahmen wesentliche Elemente der modernen Wahlkampfpropaganda der NSDAP in Deutschland. • Faßt man die Ergebnisse der Landtagswahlen des Jahres 1932 in Wien, Nieder­ österreich, Salzburg und Vorarlberg zusammen und berücksichtigt man auch die folgenden Kommunalwahlen bis zum Verbot von Wahlen am 10. Mai 1933, so zeigt sich, daß die beiden Großparteien seit der Nationalratswahl 1930 keine wesentlichen Einbußen zu verzeichnen hatten. Dies läßt den Schluß zu, daß Christlichsoziale und Sozialdemokraten bei vorgezogenen Nationalratswahlen nicht unbedingt mit gewaltigen Verlusten zu rechnen gehabt hätten. Die Nationalsozialisten wären aber durch die Übernahme beinahe des ganzen nationalen Lagers mit rund 400.000 Stimmen und etwa 20 bis 25 Mandaten in den Nationalrat eingezogen. Die Erfolge der Nationalsozialisten in Deutschland setzten also mit einem Verzögerungseffekt von etwa eineinhalb bis zwei Jahren in Österreich ein. Dies als Antwort auf die Frage, welche Schlüsse sich aus den Analysen der Wahlergebnisse vom 24. April 1932, auch im Vergleich mit der politischen Entwicklung im Deutschen Reich, ziehen lassen. • Die Unfähigkeit der beiden großen politischen Lager, angesichts der drohenden nationalsozialistischen Gefahr näher zusammenzurücken, führte zu einem Bruch der seit 1930 bestehenden »informellen Konsensdemokratie« auf Bundesebene. Damit gewannen die Regionalwahlen vom 24. April 1932 – als Antwort auf die gestellte Frage nach deren gesamtösterreichischer Bedeutung – eine entscheidende

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innenpolitische und damit gesamtösterreichische Bedeutung. Es war klar, daß das Ergebnis vorgezogener Nationalratswahlen – wie sie von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten vehement gefordert wurden – ein Dreiparteiensystem aus Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Nationalsozialisten gewesen wäre. Aus dem Verhalten der Nationalsozialisten in den ersten Sitzungen der Landtage, in die sie soeben gewählt worden waren, war klar zu erkennen, daß sie an den Wahlen nur teilnahmen, um den Parlamentarismus und die Demokratie von innen her zu zerstören. Klare verbale Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, aber extensives Ausnützen der parlamentarischen Möglichkeiten (Unzahl dringlicher Anträge und Anfragen etc.), obstruktives Verhalten, aggressives und provokantes Auftreten waren die signifikanten Merkmale des nationalsozialistischen Agitierens, mit dem Ziel, ein gedeihliches Arbeiten in den Landesparlamenten zu verhindern. Ganz wesentlich auf Grund der Erfahrungen mit den Nationalsozialisten in den Landtagen lehnten die Christlichsozialen Neuwahlen des Nationalrates ab, während die Sozialdemokraten aus unverständlichen strategischen Gründen und trotz der bitteren Erfahrungen mit der NSDAP im Wiener Landtag ihre Neuwahlforderungen konsequent fortsetzten. Dies soll auch zum Verständnis für die Bildung der Regierung Dollfuß I unter Einbeziehung der faschistischen Heimwehren beitragen. • Eine Analyse der Sozial- und Altersstruktur der nationalsozialistischen Landtagskandidaten, also eines wesentlichen Teiles der Parteiaktivisten, zeigt, daß sich diese vor allem aus Vertretern der Privatangestellten, der kleineren Beamten, aus dem Handel und Gewerbe, vor allem aber auch aus der Arbeiterschaft zusammensetzten. Sie gehörten überwiegend der Frontgeneration bzw. der Nach-Frontgeneration an, also jener politischen Generationen, die für autoritäre Führungsstrukturen und gegen die parlamentarische Demokratie eingestellt und vor allem für politischen Radikalismus anfällig waren. • Schon bei den konstituierenden Sitzungen und in weiterer Folge zeigte sich, daß die Nationalsozialisten nur in die Landtage eingezogen waren, um – wie in einer der einleitenden Thesen formuliert – die parlamentarische Arbeit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu boykottieren und letztlich zu zerstören. Sie bedienten sich dabei u. a. folgender Strategien und Verhaltensmuster  : – Einbringen zahlreicher, überwiegend dringlicher, Landtagsanfragen und -anträge. Sachinitiativen und »Demonstrationsinitiativen« dienten praktisch ausschließlich der politischen Propaganda  ; – häufige und oftmals langdauernde Wortmeldungen, um die Arbeit möglichst zu verzögern  ; – Aktualisieren und Aufzeigen tatsächlicher oder vermeintlicher Skandale, Affären und Korruptionsfälle, die letztlich als »allgemeingültig« für das bestehende System der parlamentarischen Demokratie dargestellt wurden  ;

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Gesamtzusammenfassung und Schlußfolgerungen

– polemische, aggressive und provozierende Formulierungen in den Reden der NS-Abgeordneten führten oftmals zu tätlichen Auseinandersetzungen unter den Abgeordneten, manchmal auch unter Beteiligung der Besucher  ; – Spielen einer »Märtyrerrolle« wegen der oftmals deftigen Reaktionen der anderen Parteien, Berufung auf die parlamentarischen Rechte und Beklagen über ungerechtes Behandeln und Ausgrenzen  ; – aggressiver Antisemitismus, der die Juden letztlich für alle Mißstände verantwortlich machte, und Lahmlegen der parlamentarischen Arbeit im Wiener Landtag, bis der jüdische Landtagspräsident durch einen »arischen« Sozialdemokraten ersetzt wurde. Mit diesen Ergebnissen der Untersuchung wurden auch die Fragen nach dem »parlamentarischen« Agieren bzw. Agitieren der NSDAP in den Landtagen und nach ihrer Einstellung zu den Einrichtungen der parlamentarischen Demokratie beantwortet. • Eine Inhaltsanalyse der nationalsozialistischen Landtagsinitiativen zeigt folgende Schwerpunkte, die meist in mehreren Landtagen thematisiert bzw. »kampagni­ siert« wurden  : – Politikerbezüge und -privilegien  ; – kulturpolitische Themen, vor allem um die Kluft zwischen den beiden großen politischen Lagern zu vergrößern  ; – Angriffe gegen Gemeinden und deren Bürgermeister, um sie in den Geruch von Skandalen und Korruptionsfällen zu bringen  ; – Bürokratie und Verwaltung (kleine Beamte), Arbeitslosigkeit, Wirtschaft und Fremdenverkehr, Landwirtschaft (vor allem Gebirgs- und Weinbauern). • Die beiden anderen Parteien reagierten auf das Agieren der Nationalsozialisten z. T. durch die Schaffung geschäftsordnungsmäßiger Möglichkeiten, um die NSObstruktion einzuschränken, z. T. auch durch verstärkte gerichtliche Klagen, die zu einer Unzahl von Auslieferungsbegehren gegen NS-Abgeordnete führten, aber auch durch zwei Reaktionen, die sich – zumindest aus heutiger Sicht – als nachteilig für die parlamentarische Demokratie herausstellten  : – »Partielle Kollaboration«  : Jede der beiden Großparteien versuchte in ihr wichtigen Angelegenheiten, eine Mehrheit mit den Nationalsozialisten gegen die jeweils andere Partei zu erreichen. Die Sozialdemokraten etwa in der Frage der autoritären Maßnahmen der Regierung Dollfuß nach der »Selbstausschaltung« des Parlaments, die Christlichsozialen in verschiedenen kultur-, wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Man verbündete sich bewußt mit »Tod und Teufel«, wobei die völlig anders gelagerten Beweggründe der Nationalsozialisten wissentlich negiert wurden. – »Partielle Assimilation«  : Sowohl Christlichsoziale als auch Sozialdemokraten

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verfielen in – bis zum Einzug der NSDAP in den Landtagen unbekannte – parlamentarische Verhaltensweisen, die denen der Nationalsozialisten entsprachen. Christlichsoziale Abgeordnete machten etwa eine Weiterberatung durch unentwegtes lautes Lesen oder Trampeln mit den Füßen unmöglich, sozialdemokratische Mandatare ließen sich zu ähnlichen verbalen Kraftausdrücken und Injurien hinreißen, wie sie von den NS-Abgeordneten unentwegt praktiziert wurden. Eine besonders zweifelhafte Reaktion im Sinne einer »Assimilation« war der Versuch der Christlichsozialen und Sozialdemokraten, die NSDAP in politischen Themen, in denen dieser von der Öffentlichkeit eine hohe politische Kompetenz zugeordnet wurde, zu übertreffen (z. B. wer ist »deutscher«, wer tritt länger für den »Anschluß« ein, wer ist weniger »verjudet« etc.). • Die Untersuchung zeigt den Fehler der beiden Großparteien auf, in wichtigen Fragen nicht unter allen Umständen einen Kompromiß angestrebt zu haben, sondern zur Durchsetzung eigener oder zur Verhinderung der Interessen der anderen Partei, sich nicht ungern der Nationalsozialisten bedient zu haben. Diese wiederum konnten sich völlig frei entscheiden, wem sie in welcher Frage ihre Unterstützung anboten, die Lorbeeren waren ihnen so oder anders sicher. Letztlich führten diese Vorgänge nur zu einer Verschärfung des Klimas zwischen den beiden Großparteien. Dabei kann man sich an vielen Beispielen gar nicht vorstellen, daß eine gemeinsame Vorgangsweise zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen nicht möglich gewesen wäre. Jedenfalls hätten sie aber auch in jenen Landtagen, in denen keine der Großparteien über die absolute Mehrheit verfügte, also in Niederösterreich und Salzburg, die Möglichkeit gehabt, auf jede Unterstützung durch die NSDAP zu verzichten bzw. ihre Initiativen so zu formulieren – etwa durch klare Bekenntnisse zur parlamentarischen Demokratie –, daß der NSDAP eine Zustimmung unmöglich gemacht worden wäre. Alle diese Ergebnisse unterstreichen die These, daß die beiden Großparteien durch ihr Verhalten der Absicht der NSDAP, das parlamentarische System zu destabilisieren, bewußt oder unbewußt Vorschub leisteten, obwohl ihnen alternative parlamentarische Handlungsweisen zur Verfügung gestanden wären. • Trotz allem zeigte sich bei zwei bedeutenden Themen eine überraschende Kooperation zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten  : – Landesbudgets 1933  ; – Aberkennung bzw. Ruhen der NS-Mandate. In Niederösterreich und Salzburg stellte sich bei der Beratung der Landesvoranschläge 1933 für die beiden Großparteien die Gretchenfrage, ob sie diese für die Landespolitik essentielle Materie gemeinsam tragen würden oder ob es zu »gesetzlosen«

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Gesamtzusammenfassung und Schlußfolgerungen

Zuständen kommen würde. Die Nationalsozialisten lehnten die Voranschläge in allen Bundesländern kategorisch ab und benützten sie zu neuerlichen heftigen Angriffen gegen das gesamte »System«. In Niederösterreich bahnte sich eine engere »Arbeitsgemeinschaft« zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten an. Die Christlichsozialen waren bereit, für die Zustimmung der Sozialdemokraten zum Budget Zugeständnisse beim Voranschlag zu machen und einen wichtigen Ressortbereich (Schulen) an die Sozialdemokratische Partei zu übertragen. Kurz vor einer Einigung funkte aber die sozialdemokratische Bundespartei dazwischen und verlangte außerdem eine Zusage der Christlichsozialen auf Beseitigung des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes, was wiederum von der Bundesregierung abgelehnt wurde. Damit war einer engeren Zusammenarbeit zwischen den beiden Lagern in einem der wichtigsten Bundesländer durch die unversöhnliche Bundespolitik wieder ein Ende gesetzt worden. Die Verantwortung dafür lehnten die Landessozialisten ausdrücklich ab. Sie ermöglichten schließlich die Annahme des Budgets durch Auszug aus den Beratungen. In Salzburg wiederum funktionierte die Konsensdemokratie nach wie vor, das Budget wurde von Christlichsozialen und Sozialdemokraten gemeinsam beschlossen. In der Frage der Aberkennung bzw. des Ruhens der NSDAP-Mandate funktionierte die Zusammenarbeit. In Wien übernahm die Sozialdemokratische Partei die Verantwortung für die notwendige Verfassungsänderung, in den anderen Bundesländern wurde die Maßnahme von beiden Parteien getragen. Während die Sozialdemokraten überall ihre Zustimmung zu den Verfassungsänderungen mit der Notwehr eines Staates in Verbindung mit der notwendigen Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie argumentierten, ging es den Christlichsozialen »nur« um die Rettung der Selbständigkeit des österreichischen Staates und letztlich um den Bestand der Regierung Dollfuß. Von der Rückkehr zu Parlamentarismus und Demokratie war keine Rede, im Gegenteil, eine solche wurde explizit abgelehnt. Bei der Sozialdemokratie kann man also durchaus von einer Maßnahme im Sinne des Konzeptes der »Streitbaren Demokratie« sprechen, bei den Christlichsozialen fehlt dazu das entscheidende Element des Bekenntnisses zur parlamentarischen Demokratie. Insofern fehlte theoretisch der für eine starke demokratische Politische Kultur entscheidende Konsens der politischen Eliten, der eine solche einschneidende Maßnahme im Sinne der »Streitbaren Demokratie« rechtfertigt. In der Praxis waren das Verbot der den Bestand Österreichs bedrohenden NSDAP und das Erlöschen der für das Funktionieren der Länderparlamente so abträglichen NS-Mandate als Vorbeugung gegen legale Machtergreifung jedenfalls zu rechtfertigen. Die These, daß die demokratisch-parlamentarischen Instrumente zur Selbstverteidigung der Demokratie im Sinne einer »Streitbaren Demokratie« nicht genützt wurden, und die These, daß es durch den Wahlerfolg der NSDAP in allen Bundesländern zu einer starken Verschiebung in Richtung zentrifugaler Demokratie kam, konnten damit nur zum Teil bestätigt werden.

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• Was das Zentrum-Peripherie-Modell (Metropole – Provinz) betrifft, so stellt sich durch die vorliegende Untersuchung heraus, daß zwischen dem Zentrum Wien und dem zentrumsorientierten Niederösterreich einerseits und den Provinz-Ländern Salzburg und Vorarlberg andererseits einige signifikante Unterschiede feststellbar sind  : – Der Wiener und der Niederösterreichische Landtag übernahmen vor allem nach der »Selbstausschaltung« des Nationalrates die Rolle der bundespolitischen parlamentarischen Bühne schlechthin. Diese beiden Landtage dienten sowohl Sozialdemokraten als auch Nationalsozialisten als Ersatz für das (verlorene bzw. noch nicht erreichte) Bundesparlament. In Salzburg spielten bundespolitische Themen schon wesentlich weniger Rolle, in Vorarlberg praktisch gar nicht. – Die Heftigkeit und Aggressivität der parlamentarischen Auseinandersetzungen nahm – sogar bei den Nationalsozialisten – von Ost nach West ab. Vorarlberg kann mit seinem, trotz zweier NS-Abgeordneter, sachlichen Landesparlamentarismus überhaupt eine Sonderstellung zugewiesen werden. – Im Vorgehen beim Erlöschen der NS-Mandate läßt sich wieder die Unterschiedlichkeit erkennen  : In Wien und Niederösterreich wurden die Mandate aberkannt, in Salzburg und Vorarlberg nur für »ruhend« erklärt. – Während im Wiener und Niederösterreichischen Landtag bei den Debatten um die autoritären Maßnahmen der Regierung Dollfuß die Argumente der Bundesparteien voll zum Tragen kamen, nahmen sowohl Christlichsoziale als auch Sozialdemokraten in Salzburg durchaus differenziertere und moderatere Haltungen ein, während dieses Thema im Vorarlberger Landtag gar nicht diskutiert wurde. • Legt man das Demokratiemodell von Arend Lijphart zugrunde, so ergibt sich folgendes Bild  : Wien  : starke zentrifugale Demokratie Niederösterreich  : Konsensdemokratie Salzburg  : Konsensdemokratie Vorarlberg  : stark ausgeprägte Konsensdemokratie. Am Beispiel von Vorarlberg zeigt sich, daß auch durchaus in einem Land mit der absoluten Mehrheit einer Partei und einem Mehrheitssystem sich eine stark ausgeprägte Konsensdemokratie entwickeln kann. Wien ist etwa genau das Gegenteil davon. Offensichtlich spielt in der Frage Konsens oder Konflikt in diesen beiden Fällen die Nähe zur Bundespolitik eine entscheidende Rolle. Bedauerlich ist, daß sich die konsensorientierten Parteien in bedeutenden Bundesländern wie Niederösterreich und Salzburg gegenüber den Bundesparteien nicht stärker durchsetzen konnten.

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Gesamtzusammenfassung und Schlußfolgerungen

• Die »partielle Kollaboration« mit bzw. die »partielle Assimilation« von staats- bzw. demokratiebejahenden Parteien gegenüber politischen Gruppierungen, die die parlamentarische Demokratie oder einen Staat ablehnen und bekämpfen, geht immer zum Schaden des Staates bzw. der Demokratie aus. Dies sei eine immer wieder geltende Lehre aus der Geschichte, nicht zuletzt auch für jüngste Entwicklungen in verschiedenen europäischen Staaten.

viii. Abkürzungsverzeichnis

CA Creditanstalt CS, cs Christlichsozial(e) (Partei) EL Einheitsliste CD Großdeutsche Volkspartei, großdeutsch GRPWien Stenographischer Bericht über die öffentliche Sitzung des Gemeinderates der Bundeshauptstadt Wien GRW Gemeinderatswahl HB Heimatblock Hg. Herausgeber(in) HW Heimwehr(en) KP Kommunistische Partei, kommunistisch LB Landbund LPNÖ Stenographische Protokolle der Sitzungen des Landtages von Niederösterreich LPSbg Verhandlungen des Salzburger Landtages LPVlbg Stenographische Sitzungsberichte des Vorarlberger Landtages LPWien Stenographische Berichte des Landtages von Wien LTW Landtagswahl nat. national NRW Nationalratswahl NS, ns Nationalsozialist(en), nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei SD, sd Sozialdemokrat(en), sozialdemokratisch, Sozialdemokratische Arbeiterpartei (auch SDAP) Se. Session StB Ständeblock WP Wahlperiode WP Wirtschaftspartei

ix. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Unveröffentlichte Quellen, Archive, Bibliotheken Archiv der Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft Salzburg. Flugblatt der NSDAP »Skandalszenen im Landtag  !« Herausgegeben von der NSDAP Salzburg, Hitlerbewegung. Zeitungsbestände. Archiv der Republik. Christlichsoziales Parteiarchiv. Christlichsoziale Partei Wien. Karton 63. Innsbrucker Stadtarchiv. Zeitungsbestände. Karl-von-Vogelsang-Institut. Archiv. Karton Dollfuß. Kärntner Landesarchiv, Gemeinderatswahlen 1932. b 274/2. Ludwig-Boltzmann-Institut für neuere österreichische Geistesgeschichte. Außenstelle Vorarlberg. Kandidatenliste für die Vorarlberger Landtagswahl am 6. November 1932. Nieder­ österreichische Landesbibliothek. Stenographische Protokolle der Sitzungen des Landtages von Niederösterreich. Salzburger Landesarchiv. Protokolle der Verhandlungen des Salzburger Landtages. Steirisches Landesarchiv. Zeitungsbestände. Studien- und Forschungszentrum der österreichischen Arbeiterbewegung. Protokolle der Sitzungen des sozialdemokratischen Parteivorstandes, 1932/1933. Vorarlberger Landesarchiv. Stenographische Sitzungsberichte des Vorarlberger Landtages. Wiener Stadt- und Landesarchiv. Stenographische Berichte des Landtages von Wien. Stenographische Berichte der Sitzungen des Gemeinderates.

2. Veröffentlichte Quellen Ausweis über die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1930 mit Gegenüberstellung zu den Landtagswahlen 1927 und den Nationalratswahlen 1927. Hg. vom Land Salzburg. Salzburg 1930. Bauer, Otto, Werkausgabe. Hg. von der Arbeitsgemeinschaft für die Geschichte der österreichischen Arbeiterbewegung, Wien 1975 ff. Berchtold, Klaus, (Hg.), Österreichische Parteiprogramme 1968–1966. Wien 1967. Bundesgesetzblatt Nr. 240/1933. Die Ergebnisse der österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934. Salzburg. Bearbeitet vom Bundesamt für Statistik. In  : Statistik des Bundesstaates Österreich. Heft 6. Wien 1935. Ergebnis der Landtagswahlen in Niederösterreich vom 24. April 1932. Herausgegeben von der n.ö. Landesamtsdirektion. Wien 1932. Goebbels Reden 1932–1945. Hg. von Helmut Heiber. Bindlach 1991. Goebbels, Joseph, Tagebücher 1924–1945. Hg. von Ralf Georg. Reuth. Band 2. 1930–1934. München, Zürich 1992.

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Namenregister

Ackerer, Peter 224 Adlmanseder, Josef 231 Arnold, Franz 309, 325 Aron, Raymond 118 Ausch, Karl 47, 394 Autrith, Sepp 249, 259, 272 Bachinger, Josef 50, 87, 248 Barsch, Leopold 227, 288, 289, 335 Bassett, Reginald 25 Bauer, Otto 44, 45, 48, 49, 53, 82, 86, 90, 370, 372 Baumgartner, Eduard 248, 260, 261 Beirer, Rudolf 226, 420 Benesch, Eduard 312 Bergauer, Florian 151, 231 Bermann, Julius 134 Bernaschek, Richard 201, 318 Bertsch, Jakob 250 Beyme, Klaus von 34 Bliem, Josef 224 Bock, Marie 235 Böhm, Hans 151 Bösch, Karl 250, 295 Botz, Gerhard 14, 16, 53, 54, 57, 58, 93, 124, 127, 143, 148, 181, 183, 197, 207, 213, 264, 275, 276, 279, 282, 319, 355, 356, 367 Boventer, Gregor Paul 23, 26, 27, 28, 29, 30 Bracher, Karl Dietrich 22, 23, 26, 30, 101, 102, 104–106, 111, 112, 116, 342, 345, 357 Brandeiß, Maximilian 235 Braun, Otto 108, 109, 116, 118, 315 Breitner, Hugo 47, 59, 129, 233, 235, 236, 240, 288, 361 Broszat, Martin 109, 111, 113, 114, 118, 120, 306, 396 Brüning, Heinrich 81, 103–, 108–113, 115, 118–120, 400 Burckhardt, Jacob 214, 396 Buresch, Karl 48, 57, 64, 84–92, 97, 99, 121, 200, 226, 227, 229, 230, 245, 250, 255, 278, 289, 298, 300, 307, 334, 338, 381 Clessin, Heinrich 298

Curtius, Julius 45, 86 Czermak, Emmerich 292, 373 Danneberg, Robert 63, 96, 124, 134, 201, 233– 235, 245, 249, 257, 288, 313, 319, 323–326, 358, 361, 366, 374 Dengler, Josef 70, 231 Deutsch, Julius 279, 321 Deutsch-Kramer, Marie 134 Dinghofer, Franz 200 Dollfuß, Engelbert 40, 87, 96, 98, 99, 100, 105, 121, 184, 185, 199, 200, 201, 221, 245, 265, 290, 298, 299, 300, 303, 304, 306–314, 316, 318, 320, 322, 326, 334, 335–340, 342, 343, 367, 368, 369, 372, 373, 377, 378–380, 383, 384, 386, 387 Drexel, Karl 165 Duby, Georges 34, 37 Dür, Lorenz 250, 279 Düsterberg, Theodor 113 Elshuber, August 159 Emmerling, Georg 134, 233, 235 Emminger, Karl 223, 248, 260, 301, 302, 327, 332, 351, 353, 359, 360, 377 Ender, Otto 45, 75–77, 80, 81, 84, 89, 91, 92, 110, 165, 166, 167, 200, 216, 243, 244, 250, 257, 381 Engl, Karl 247, 284, 301, 330, 331 Falter, Jürgen W. 13, 71, 102, 107, 108, 120, 122, 124, 140, 264, 397 Fellner, Günter 359, 361, 397 Fersterer, Bartlmä 247, 421 Fey, Emil 94, 309, 316, 317, 321 Fink, Jodok 55, 56, 165 Fischer, Alois 226, 289 Fischer, Ernst 201 Fischer, Franz 185, 186 Fischer, Zyrill 130 Födermayr, Florian 55 Frank, Hans 338, 367 Frauenfeld, Alfred Eduard 201, 202, 232, 233, 234, 236–239, 248, 249, 258, 310, 311, 322, 347, 348, 359, 361, 362, 374–376

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Namenregister

Freyberg, Alfred 116 Frick, Wilhelm 100, 107 Fried, Jakob 127 Frühwirt, Michael 151 Funder, Friedrich 127 Gallian, Otto 58 Gassner, Josef 231 Globocnik, Odilo 201 Glöckel, Otto 134, 236 Goebbels, Joseph 113, 116, 118, 391 Goldinger, Walter 54, 75, 81, 85, 87, 93, 263, 306, 318, 322, 325 Goldner, Franz 99 Gratzenberger, Karl 202, 249, 258, 261, 312 Grießler, Johann 258 Groener, Wilhelm 111 Gugg, Friedrich 224 Gulick, Charles A. 44–46, 48, 49, 55–62, 63, 64, 66–69, 73, 76, 78, 84, 86, 96, 98, 299, 306, 315, 320, 326 Gunz, Rudolf 243, 250, 280, 295, 378 Gürtler, Alfred 55 Habicht, Theo 79, 92, 339, 347, 367 Hämmerle, Meinrad 243, 244, 250 Hänisch, Dirk 122, 124, 140 Hanisch, Ernst 7, 14, 15, 19, 21, 30, 32, 39–42, 49, 66, 157–160, 198, 213, 215, 218, 222, 225, 276, 293, 304, 327, 330, 344, 346, 351, 363, 376 Hanke, Kurt 248, 249, 310, 312 Hannack, N.N. 365 Hardegg, Graf 273, 274 Hasenauer, Bartlmä 158 Haubenberger, Leo 235 Hauthaler, Josef 157, 159, 164, 223, 248, 269 Heinl, Eduard 55 Heinz, Karl 134, 168, 396 Helmer, Oskar 94, 151, 226–228, 230, 289, 290, 334, 338, 350, 370 Hemala, Franz 67, 235 Hindenburg, Paul von 102, 104, 106, 113, 114, 115, 118, 120 Hitler, Adolf 9, 14, 21, 44–46, 48, 49, 55–59, 62–64, 66–69, 73, 74, 76, 78–80, 84, 86, 94, 96, 98, 100, 101, 107, 111, 113–115, 118–121, 124, 138, 139, 145, 146, 160, 163, 166, 167, 179, 180, 182, 184, 194, 195, 200, 230, 252, 276,

279, 280, 287, 299, 306, 311–313, 315, 320, 326, 333, 335–337, 340, 342, 345–347, 352, 354, 357, 370–372, 377 Hochleitner, Adolf 247 Hofer, Franz 186 Höfinger, Konrad 249, 311, 312, 320, 368 Holaubek, Karl 308, 325 Holtmann, Everhard 267, 299, 301 Honay, Karl 233, 374, 375 Hoover, Herbert Clark 112 Hubert, Rainer 64, 65, 67–69, 71, 72, 85 Hueber, Franz 72, 73, 159 Hugenberg, Alfred 100, 101 Hutter, Matthias 248 Jagschitz, Gerhard 14, 99, 199, 200, 271 Joseph II. 21 Kaase, Max 19 Kammerhofer, Konstantin 70, 74, 144–146, 151, 153, 155, 367, 376 Kanitz, Felix 235, 258 Kelsen, Hans 24, 402 Kennerknecht, Josef 244, 250 Kerekes, Lajos 57, 59–61, 93, 99, 306, 312, 313 Kienböck, Viktor 127, 179 Kimball, Day 25 Kinsky, Graf 271 Kirchner, Johann 224 Kisch, Egon Erwin 363 Klein, Max 235 Klemperer, Klemens von 39, 41, 53, 58–61, 65, 67, 70, 71, 75, 82, 100, 343 Klieber, Mauritius 290 Kluge, Ulrich 7, 15, 42, 93, 275, 344 Kohn, Jakob 273 Kollmann, Josef 69, 276, 318 Körner, Theodor 69, 201, 235 Kotzaurek, Josef 249 Koweindl, Franz 223, 247, 351 Krasser, Robert 241 Kraus, Johannes S. 33, 200 Kreisky, Bruno 21, 83 Kulemann, Peter 372 Kunschak, Leopold 54, 55, 56, 59, 61, 63, 66, 70, 74, 75, 77, 78, 81, 87, 127, 129, 132, 133, 138, 139, 200, 233, 239, 240, 241, 249, 310, 313, 314, 315, 317, 319, 324, 341, 342, 348, 356

Namenregister Lahr, Fritz 94 Langer, Emmo 249 Lehmbruch, Gerhard 30, 39, 40, 126 Lehnert, Detlef 126, 127, 128, 142 Lengheimer, Karl 231 Leopold, Josef 145, 226, 227, 249, 259, 261, 278, 279, 336, 339, 349, 350 Leser, Norbert 82, 83 Lijphart, Arend 30, 143, 387 Linder, Anton 244, 250 Linder, Julius 233, 244, 279, 295 Lippowitz, Jakob 136 Loewenstein, Karl 23, 25, 26, 28 Löw 273, 358 Lueger, Karl 127, 130, 132, 133, 236, 348, 356 Lugmayer, Karl 281 Magerl, Ernst 259 Mann, Golo 116, 120 Manoschek, Walter 16, 99, 263 Matis, Herbert 50, 198, 219, 220, 394 Matthes, Reiner 50, 51 Matthias, Erich 103, 105 Meinl, Julius 274 Mentasti, Alois 151, 420 Miklas, Wilhelm 73, 75, 81, 84, 89, 90, 290, 298 Mittelberger, Johann Josef 244, 250, 288, 294, 295 Moissi, Alexander 363 Motzko, Alma 233, 239, 325 Müller, Wolfgang C. 101, 102, 103, 197 Mulley, Klaus-Dieter 146, 148 Mussolini, Benito 51, 57, 68, 99, 180 Nachbaur, Hermann 244 Neubauer, Hans 232, 235, 374 Neumayr, Anton 223, 248, 260, 286, 361 Neureiter, Michael 223, 247, 265, 271, 288, 293, 305, 328, 329, 330, 352, 353, 377 Nolte, Ernst 345 Oberhaidacher, Walter 174 Oberreuter, Heinrich 7, 24, 25, 28, 32, 109, 111 Oesterreicher, Lothar 133 Ofenböck, Anton 231 Orel, Anton 356 Pabst, Waldemar 61, 68, 71, 92 Pacher, Stanislaus 248

415

Papen, Franz von 115, 120, 336 Parson, H. 213 Pauley, Bruce F. 14, 19, 79, 93, 95, 143, 299, 304, 306, 347, 356, 367, 368 Peer, Alois 183 Peisser, Max 160, 214, 223, 246, 247, 251, 260, 302, 351, 352, 359, 360 Petznek, Leopold 151, 226, 320, 371 Pfrimer, Walter 57, 61, 85, 179 Pichl, Berta 235 Plankensteiner, Anton 216 Popp, Franz 151, 319, 420 Prader, Georg 227, 250, 288, 289, 335, 370 Preis, Josef 78, 157, 163, 248 Prentl, Josef 231 Preuliler, Rober 360 Prohaska 356 Proksch, Alfred 79, 95, 306 Püchler, Josef 259 Pulzer, Peter 355, 356 Raab, Julius 21, 74, 155, 201 Rainer, Johann 248 Redler, Ferdinand 216, 243, 244 Rehrl, Franz 157, 158, 162, 181, 223, 224, 245, 247, 260, 264, 270, 305, 329, 340, 341, 352, 359, 364, 376, 377, 380 Reichel, Peter 17, 18, 20 Reichl, Alois 247, 260 Reinhardt, Max 363 Reither, Josef 61, 200, 227, 229, 230, 250, 278, 292, 338, 339, 342, 350, 371, 380 Renner, Karl 23, 24, 53, 56, 75, 85, 184, 199, 201, 298, 306, 314, 343 Rentmeister, Walter 231, 249, 259, 261, 274, 291, 292, 312, 335, 336, 339, 346, 361, 366, 369, 370 Resch, Josef 46, 81, 235, 236, 266, 276, 317, Reschny, Hermann 231, 249 Richter, Karl 233, 374 Rieder, Ignaz 42 Riedl, Rudolf 180 Riehl, Walter 125, 139, 166, 202, 248, 249, 310–314, 375, 376 Rintelen, Anton 58, 60, 85, 94, 176, 179 Rohe, Karl 17, 108 Rokkan, Stein 15 Ropper, Franz 215, 223, 224, 225, 247, 351, 377, 378

416

Namenregister

Rosenbaum 273 Rothschild, Maurice 359 Rzehok, Franz 258 Sabelko, Adolf 231 Saliger, Rudolf 249, 320 Schabes, Hans 235 Schacht, Hjalmar 361 Schaffer, Adolf 258, 420 Schaffhauser, Karl 149 Schärf, Adolf 199, 374, 406 Scharizer, Karl 160, 213, 214, 224, 260, 261, 294 Scharmitzer, Leopold 259 Schaschko, Leopold 214, 247 Schattenfroh, Franz 235 Schausberger, Norbert 93 Schleicher, Kurt von 104, 118, 312, 342 Schleifer, Friedrich 258 Schmid, Franz 226, 249, 259 Schmidt, Josef 103, 244 Schmitz, Richard 127, 132, 138, 139, 201, 241 Schneeberger, Pius 151 Schneider, Emil 102, 165, 244, 407 Schneidmadl, Heinrich 151, 227, 259, 290, 291, 337, 368, 369, 370 Schnöll, Josef 159 Schober, Johann 14, 48, 61–77, 81, 84–87, 89, 91, 92, 123, 168, 183, 381 Schober, Johannes 62, 65 Schönerer, Georg 14, 120, 348 Schönhoven, Klaus 44, 103, 109 Schöpfer, Anton 305 Schulz, Karl 72, 79, 125, 145, 160, 163, 166, 169, 180, 357 Schumy, Vinzenz 57, 69, 91 Schürff, Dr. Hans 77 Schuschnigg, Kurt 86, 87, 94, 97, 200, 201, 360 Schwabe, Klaus 101, 102, 103, 408 Seipel, Ignaz 21, 22, 39, 41, 45, 52, 53–61, 65, 67, 68, 70–76, 78, 81, 82, 83, 86, 88, 89–, 100, 139, 179, 199, 343, 356, 381 Seitz, Karl 97, 134, 201, 232, 235, 236, 244, 249, 309, 310, 313, 314, 318, 320–322, 328, 362, 374 Seliger, Maren 7, 125, 126, 128, 134, 135, 140–142, 202, 204, 205, 323 Sever, Alber 134 Severing, Carl 103, 116 Sieghart, Rudolf 238

Sieß, Wilhelm 250 Simon, Walter B. 55, 63, 79, 82, 124 Sontheimer, Kurt 14, 19, 21, 30, 31 Spann, Othmar 345 Speiser, Paul 233, 237, 242, 243, 348 Stadler, Fritz 197, 250, 275, 318 Starhemberg, Ernst Rüdiger 72, 73, 85, 94, 98, 201, 311, 316, 320, 331 Starkel, Karl 247, 260, 261, 284, 331, 339, 378 Staudinger, Anton 73, 75, 82, 83, 174, 175, 279, 306, 356 Staufer, Anna 258 Steidle, Richard 57, 58, 60, 61, 70, 367 Steinbacher, Jörg 157 Stein, Franz 133 Stephan, Werner 103, 111, 112, 117 Stiaßny 365 Stiefel, Dieter 42, 44, 46, 198, 219 Stöckler, Josef 231 Strafella, Franz 71, 77 Straffner, Sepp 311, 317 Strakosch 273 Strasser, Gregor 280 Straßer, Johann 248 Straßmayer, Karl 231, 249, 259 Strauss, Herbert A. 357, 358 Streeruwitz, Ernst 55–62, 66, 71, 89, 91, 381 Stumpf, Franz 58, 182, 183 Suchenwirth, Richard 202, 249, 310, 313, 314, 325 Tálos, Emmerich 16, 41, 99, 236, 263, 265, 344 Tandler, Julius 233, 236 Thaller, Leopold 320 Thälmann, Ernst 113, 114 Thynen, Waldemar, Freiherr von 261 Treml, Hans 248, 260, 302, 359 Tzöbl, Josef 231 Übelhör, Rudolf 232, 420 Ucakar, Karl 125, 126, 128, 134, 135, 140–142, 202, 323 Untermüller, Hans 186 Vaugoin, Carl 56, 60, 65, 68, 69, 71–77, 89, 90, 110, 132, 133, 177, 179, 278, 279, 309, 322, 381 Vögel, Adolf 14, 244 Vogl, Otto 214, 215, 225, 247, 285, 300, 302

Namenregister Vogt, Martin 105, 393, 410 Wagner, Erich 214, 215, 247, 302, 310, 353, 359, 363, 364 Wagner-Jauregg, Julius 310 Wanner, Gerhard 81, 165, 166, 167 Weber, Anton 23, 41, 42, 47, 85, 134, 233 Weede, Erich 17 Weidenhillinger, Alois 224 Weidenhoffer, Emanuel 324 Weigl, Karl 232, 310 Weisbrod, Bernd 104, 411 Weissensteiner, Friedrich 56, 62, 84, 99, 126, 166, 279

Weisz, Sandor 136 Werber, Anton 286 Widmayer, Heinrich 273, 421 Winkler, Franz 76, 94, 312, 318 Winkler, Heinrich August 32, 101, 102, 104, 106–108, 122 Winter, Max 235 Wohlrab, Josef 213 Wohnout, Helmut 7, 63, 306, 307, 358 Zalmann, Moritz 203 Zörnlaib, Hugo 258, 259

417

Bildnachweis Institut für Zeitgeschichte, Wien, Bildarchiv  : Abb. 1, 2, 3, 6, 7, 9, 10, 11, 13, 14, 17, 18, 19, 20, 21, 22 Österreichische Nationalbibliothek, Wien, Bildarchiv  : Abb. 4, 12 Allgemeines Verwaltungsarchiv, Wien  : Abb. 5 Dr.-Hans-Lechner-Forschungsgesellschaft, Salzburg  : Abb. 8, 15, 16

Anhang

Die Landtagsabgeordneten und Regierungsmitglieder in Wien, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg nach den Landtagswahlen des Jahres 1932. Wien  : Landtagsabgeordnete  : SD  :  1. Alt Antonie  2. Ammon Therese  3. Anders Marie  4. Beißer Josef  5. Bermann Julius  6. Birkhofer Marie  7. Breitner Hugo  8. Broczyner Alfred  9. Danek Michael 10. Dr. Danneberg Robert 11. Deutsch-Kramer Marie 12. Eisinger Otto 13. Emmerling Georg 14. Feldhofer Josef 15. Fischer Hermann 16. Dr. Friedjung Josef Karl 17. Dr. Furtmüller Mine 18. Glöckel Leopoldine 19. Grolig Anton 20. Grünfeld Leopold 21. Haas Philomena 22. Hartmann Johann 23. Hieß Johann 24. Jalkotzy Alois 25. Jenschik Anton 26. Dr. Kautsky Karl 27. Königstetter Käthe 28. Kogler Franz 29. Kopriva Julius 30. Kurz Franz 31. Lötsch Konrad 32. Machat Anton 33. Maisel Karl 34. Maresch Karl 35. Michal Karl 36. Moik Wilhelmine

37. Nachtnebel Otto 38. Dr. Neubauer Hans 39. Novy Franz 40. Nowak Karl 41. Papanek Ernst 42. Platzer Antonie 43. Pokorny Johann 44. Rausnitz Siegmund 45. Reder Karl 46. Regner Karl 47. Reisinger Karl 48. Reismann Edmund 49. Renner Karl 50. Rzehok Franz 51. Schaffhaubt Leo 52. Schafranek Emil 53. Schleifer Friedrich 54. Schlicker Anna 55. Schmid Karl 56. Seitz Karl 57. Speiser Paul 58. Staufer Anna 59. Stubianek Franz 60. Swoboda Johann 61. Dr. Tandler Julius 62. Thaller Leopold 63. Vavrousek Alois 64. Wagner Max 65. Weber Anton 66. Weigel Karl CS  : 1. Dr. Arnold Franz 2. Ing. Biber Ludwig 3. Fuchs Karl 4. Ing. Dr. Hengl Franz 5. Holaubek Karl 6. Hörmayer Josef 7. Huka August

422  8. Dr. Kotzaurek Josef  9. Kunschak Leopold 10. Dr. Motzko Alma 11. Müller-Fembeck Josef 12. Perschl Rupert 13. Prinke Franz 14. Schiener Anton 15. Schlösinger Marie 16. Stöger Franz 17. Übelhör Rudolf 18. Ullreich Franz 19. Dr. Zörnlaib Hugo NS  :  1. Frauenfeld Alfred Eduard  2. Gratzenberger Karl  3. Grießler Johann  4. Dr. Hanke Kurt  5. Ing. Hölzl Johann  6. Mühlberger Hugo  7. Neumann Josef  8. Peschel Alois  9. Pichler Adolf 10. Dr. Riehl Walter 11. Rotter Konrad 12. Ing. Schaffer Adolf 13. Dr. Scholz Wolfgang 14. Dr. Suchenwirth Richard 15. Weikert Franz Regierungsmitglieder  : SD  :  1. Seitz Karl (Bürgermeister)  2. Emmerling Georg (Vizebürgermeister)  3. Breitner Hugo  4. Honay Karl  5. Linder Julius  6. Richter Karl  7. Speiser Paul  8. Dr. Tandler Julius  9. Weber Anton CS  : 1. Kunschak Leopold 2. Dr. Motzko Alma NS  : 1. Frauenfeld Alfred Eduard

Anhang Niederösterreich  : Landtagsabgeordnete  : CS  :  1. Dr. Barsch Leopold  2. Dr. Beirer Rudolf  3. Dr. Czermak Emmerich  4. Ernst Franz Johann  5. Etlinger Karl  6. Falmbigl Georg  7. Fischer Alois  8. Fischer Johann  9. Haller Johann 10. Höchtl Leopold 11. Höller Hans 12. Holzer Anna 13. Hugl Laurenz 14. Kaiser Johann 15. Klieber Mauritius 16. Latschenberger Karl 17. Lowatschek Josef 18. Macho Rudolf 19. Dr. Magerl Ernst 20. Moschna Franz 21. Mück Fridolin 22. Pöschl Josef 23. Prader Georg 24. Prendinger Franz 25. Reither Josef 26. Scharmitzer Leopold 27. Simoner Franz 28. Steinböck Johann SD  :  1. Dittelbach Franz  2. Graf Kathi  3. Hein Robert  4. Helmer Oskar  5. Junker Alois  6. Kaminger Rudolf  7. Kislinger Karl  8. Mentasti Alois  9. Pauppill Theodor 10. Petznek Leopold 11. Popp Franz 12. Posch Rudolf 13. Püchler Josef 14. Reif Konrad 15. Reitmaier Adolf

Anhang 16. Ruckteschl Leopold 17. Schneidmadl Heinrich 18. Welsch Josefine 19. Werndl Johann 20. Widmayer Heinrich NS  : 1. Autrith Sepp 2. Dr. Höfinger Konrad 3. Langer Emmo 4. Leopold Josef 5. Mag. Rentmeister Walter 6. Reschny Hermann 7. Saliger Rudolf 8. Schmid Franz Regierungsmitglieder  : CS  : 1. Dr. Buresch Karl (Landeshauptmann) 2. Reither Josef (Landeshauptmann-Stellvertreter) 3. Dr. Barsch Leopold 4. Prader Georg SD  : 1. Helmer Oskar (Landeshauptmann-Stellvertreter) 2. Schneidmadl Heinrich NS  : 1. Leopold Josef Salzburg  : Landtagsabgeordnete  : CS  :  1. Bachinger Josef  2. Engl Karl   3. Fersterer Bartholomäus  4. Hauthaler Josef  5. Hochleitner Adolf  6. Hutter Matthias  7. Neureiter Michael  8. Preis Josef  9. Rainer Johann 10. Dr. Rehrl Franz 11. Schweinberger Johann 12. Strasser Johann

423

SD  : 1. Baumgartner Eduard 2. Emminger Karl 3. Neumayr Anton 4. Pacher Stanislaus 5. Preußler Robert 6. Riedler Josef 7. Treml Hans 6. Witternigg Anna NS  : 1. Koweindl Franz 2. Dr. Peisser Max 3. Reicht Alois 4. Schaschko Leopold 5. Wagner Erich 6. Vogl Otto Regierungsmitglieder  : CS  : 1. Dr. Rehrl Franz (Landeshauptmann) 2. Neureiter Michael (Landeshauptmann-Stellvertreter) 3. Dr. Schemel Adolf SD  : 1. Preußler Robert (Landeshauptmann-Stellvertreter) 2. Emminger Karl NS  : 1. Dr. Ropper Franz Vorarlberg  : Landtagsabgeordnete  : CS  :  1. Dür Lorenz  2. Dr. Ender Otto  3. Dr. Feuerstein Josef  4. Fritz Gedeon  5. Hämmerle Josef  6. Hinteregger Ludwig  7. Hosp Adolf  8. Kennerknecht Josef  9. Mangold Michael 10. Dr. Mittelberger Joh. Josef 11. Rauch Josef 12. Dr. Redler Ferdinand

424 13. Rüf Josef 14. Schmidt Josef 15. Schwärzler Kaspar 16. Vögel Adolf 17. Weite Albert 18. Zerlauth Karl SD  : 1. Bertsch Jakob 2. Linder Anton 3. Sieß Wilhelm 4. Stadler Fritz NS  : 1. Gunz Rudolf 2. Hämmerle Meinrad

Anhang GD  : 1. Bösch Karl LB  : 1. Nachbaur Hermann Regierungsmitglieder  : CS  : 1. Dr. Ender Otto (Landeshauptmann) 2. Dr. Redler Ferdinand (Landesstatthalter) 3. Kennerknecht Josef 4. Dr. Mittelberger Joh. Josef 5. Schmidt Josef 6. Vögel Adolf LB  : 1. Nachbaur Hermann

Bildtafeln

425

1. Ein Propagandaumzug der Wiener Nationalsozialisten auf der Ringstraße anläßlich der Landtagswahl 1932

2. Propagandaumzug der Wiener NSDAP

426

Bildtafeln

3. Nationalsozialistische Wahlwerbung im Landtagswahlkampf 1932

4. Propagandaumzug der Wiener Nationalsozialisten 1932

Bildtafeln

427

5. Nationalsozialistisches Jugendtreffen in Krems im Sommer 1932. Es spricht der NS-Gauleiter von Niederösterreich, Josef Leopold. Vor ihm SA-Führer Hermann Reschny

6. NSDAP-Gautag in Wien am 2. Oktober 1932. Versammlung am Heldenplatz. Ansprache des Wiener NSGauleiters Alfred Eduard Frauenfeld

428

Bildtafeln

7. NS-Gautag in Wien, 2. Oktober 1932. Auf dem Auto stehend Böhm und Göring, links dahinter der NSDAPLandesleiter Proksch. Reihe davor: Alfred Eduard Frauenfeld (mit Kopfverband), rechts von ihm: Du Moulin Eckart, links von ihm: Theo Habicht und Hermann Reschny

8. Die drei Nationalsozialisten Hermann Reschny (NÖ), Franz Schattenfroh (Wien) und Leo Haubenberger (Wien) hzogen nach den Landtagswahlen 1932 in den Bundesrat ein. Es fehlt Karl Scharitzer (Salzburg)

Bildtafeln

429

9. Einzug der nationalsozialistischen Gemeinderäte zur konstituierenden Sitzung des Wiener Gemeinderates am 24. Mai 1932

10. Die 15 Wiener NS-Gemeinderäte anläßlich der konstituierenden Sitzung des Gemeinderates am 24. Mai 1932

430

Bildtafeln

11. Sozialdemokratische und christlichsoziale Wahlplakate zur Wiener Gemeinderatswahl 1932

12. Nationalsozialistisches Wahlplakat zur Ankündigung einer WählerVersammlung im Wahlkampf 1932 in Wien

Bildtafeln

13. Alfred Eduard Frauenfeld, NSDAP-Gauleiter und Wiener Stadtrat

431

432

Bildtafeln

14. Hauptmann a. D. Josef Leopold, NS-Gauleiter von Niederösterreich und Landesrat

Bildtafeln

15. Dr. Ranz Ropper, NS-Landesrat in Salzburg

433

434

Bildtafeln

16. Dr. Max Peisser, NS-Klubobmann im Salzburger Landtag

Bildtafeln

17. Der sozialdemokratische Wiener Stadtrat Hugo Breitner bei einer Wahlversammlung im Wahlkampf 1932 im 4. Bezirk

435

18. Zur Verhinderung der vom 3. Präsidenten des Nationalrates einberufenen Nationalratssitzung am 15. März 1933 sperrte die Polizei das Parlamentsgebäude ab

436 Bildtafeln

Bildtafeln 19. Polizeiposten vor dem Parlament am 15. März 1933. Auf Weisung der Polizei wird die Parlamentsfahne heruntergeholt

20. Wachebereitschaft und Gewehrpyramiden am 15. März 1933

437

438

Bildtafeln

21.

Bildtafeln

22.

439

440

Bildtafeln

23. Infolge des Aufmarschverbots für politische Parteien stand Wien am 1. März 1933 unter Polizei- und Militärbereitschaft

24. 1. Mai 1933 in Wien: Ein durch Stacheldraht gesichertes Kaffeehaus

SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASL AUER-BIBLIOTHEK HERAUSGEGEBEN VON: ROBERT KRIECHBAUMER, HUBERT WEINBERGER UND FRANZ SCHAUSBERGER

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2002. 224 S. 12 S/W-, 15 FARB-ABB.

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BR. | ISBN 978-3-205-99456-5

SALZBURG STÄDTISCHE LEBENSWELT(EN) SEIT 1945

BD. 16 | ROBERT KRIECHBAUMER,

2000. 439 S. 25 S/W-ABB. GB. MIT

FRANZ SCHAUSBERGER (HG.)

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BD. 12 | ROBERT KRIECHBAUMER

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DIE GROSSEN ERZÄHLUNGEN

2002. 168 S. 19 S/W-ABB. BR.

DER POLITIK

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BD. 17 | ROBERT KRIECHBAUMER

WENDE BIS 1945

EIN VATERLÄNDISCHES BILDERBUCH

2001. 819 S. GB. MIT SU.

2002. 272 S. 220 S/W-ABB. BR.

ISBN 978-3-205-99400-8

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2002. 496 S. 36 S/W-ABB. GB.

SALZBURG IN DEN SIEBZIGER UND

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ACHTZIGER JAHREN 2001. 698 S. 17 S/W-ABB. 73 TAB. 15 GRAF.

BD. 19 | LAURENZ KRISCH

GB. MIT SU. | ISBN 978-3-205-99377-3

ZERSPRENGT DIE DOLLFUSSKETTEN DIE ENTWICKLUNG DES NATIONALSOZI-

BD. 14 | ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

ALISMUS IN BAD GASTEIN BIS 1938

DER GESCHMACK DER

2003. 272 S. 16 S/W-ABB. 156 TAB. U.

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ISBN 978-3-205-77129-6

SALZBURG 2002. 364 S. 47 S/W-ABB. 7 GRAF. 17 TAB.

BD. 20 | OSWALD PANAGL, ROBERT

GB. MIT SU. | ISBN 978-3-205-99455-8

KRIECHBAUMER (HG.) STACHEL WIDER DEN ZEITGEIST

BD. 15 | OSWALD PANAGL,

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ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

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2004. 216 S. BR.

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SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED -HASLAUER-BIBLIOTHEK BD. 21 | OSKAR DOHLE,

BD. 27 | ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

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„DIESES ÖSTERREICH RETTEN“

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PROTOKOLLE DER CHRISTLICH-

ZWANGSARBEIT IM REICHSGAU

SOZIALEN PARTEITAGE DER ERSTEN

SALZBURG 1939–1945

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2004. 254 S. 47 S/W-ABB. BR.

2006. 485 S. GB. | ISBN 978-3-205-77378-8

ISBN 978-3-205-77255-2 BD. 28 | HERBERT DACHS (HG.) BD. 22 | ROBERT KRIECHBAUMER

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DIE ÄRA KREISKY

UND KONSENS

ÖSTERREICH 1970–1983

LANDTAGSWAHLKÄMPFE IN ÖSTER-

2004. 568 S. 31 KARIK. GB.

REICHS BUNDESLÄNDERN 1945–1970

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2006. 469 S. 56 S/W-ABB. U. ZAHLR. TAB. BR. | ISBN 978-3-205-77445-7

BD. 23 | ROBERT KRIECHBAUMER ÖSTERREICH! UND FRONT HEIL!

BD. 29 | CHR ISTIAN DIRNINGER,

AUS DEN AKTEN DES GENERAL-

JÜRGEN NAUTZ, ENGELBERT THEURL,

SEKRETARIATS DER VATERLÄN-

THERESIA THEURL

DISCHEN FRONT

ZWISCHEN MARKT UND STAAT

2004. 436 S. GB. | ISBN 978-3-205-77324-5

GESCHICHTE UND PERSPEKTIVEN DER ORDNUNGSPOLITIK IN DER ZWEITEN

BD. 24 | MANFRIED RAUCHENSTEINER,

REPUBLIK

ROBERT KRIECHBAUMER (HG.)

2007. 555 S. ZAHLR. TAB. GB.

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2005. 564 S. GB. | ISBN 978-3-205-77323-8

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2005. 278 S. 29 S/W-ABB. BR.

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FRANZ SCHAUSBERGER (HG.) WOLFGANG RADLEGGER EIN MITGESTALTER SEINER ZEIT 2007. 191 S. 32 S/W-ABB. GB.

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DER FORSCHENDE BLICK

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Christiane rothl änder

die anfänge der Wiener ss

Das Buch behandelt die Gründung der ersten österreichischen SS-Einheit, des SS-Sturms 77 in Wien, und ihres Ausbaus zur 11. SS-Standarte. Führerkorps, soziale Zusammensetzung, Aufbau, interne Organisation und Finanzierung der Wiener SS werden ebenso untersucht wie ihre Stellung zur Politischen Führung und SA sowie ihre Entwicklung zur Terrortruppe. Beleuchtet werden weiters die Flucht der Wiener SS-Angehörigen aus Österreich nach dem Parteiverbot und der Aufbau der »SS-Legion« in Deutschland. 2012. 653 S. 85 S/w-Abb. Gb. 170 x 240 mm. ISbN 978-3-205-78468-5

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IngrId Hol zscHuH

WIener stadtpl anung Im natIonalsozIalIsmus von 1938 bIs 1942 das neugestaltungsprojek t von arcHItek t Hanns dustmann

Diese Dokumentation der Wiener Neugestaltungsplanungen von 1938 bis 1942 präsentiert erstmals eine umfangreiche Darstellung der Stadtplanung im Nationalsozialismus. Denn nahezu unerforscht sind jene Projekte der sogenannten Gauhauptstädte, die neben den bekannten Großplanungen der »Führerstädte« entstanden. Auch in Wien wurde unmittelbar nach dem »Anschluss« 1938 an der Neugestaltung der Stadt gearbeitet. Im Ringen um die Vormachtstellung in der Stadtplanung zwischen kommunalen Instanzen und der Reichsebene wurde mit der Berufung des Berliner Architekten Hanns Dustmann im Herbst 1940 zum neuen Baureferenten von Wien eine zentralistische Kontrolle konstituiert. Die Aufarbeitung neuer Quellen ermöglicht nun endlich die Schließung einer wichtigen Lücke in der Architekturgeschichte Wiens. 2011. 122 S. 66 S/w-Abb. br. 170 x 240 mm. ISbN 978-3-205-78719-8

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HeinricH Berger, Mel anie Dejnega , regina Fritz, alex anDer Prenninger (Hg.)

PolitiscHe gewalt unD MacHtausüBung iM 20. jaHrHunDert zeitgescHicHte, zeitgescHeHen unD Kontroversen FestscHriFt Für gerHarD Botz

Das 20. Jahrhundert war eine Epoche von Kriegen, autoritären Systemen und extremer Gewalt. Gleichzeitig war es aber auch eine Epoche regional langer Friedenszeiten, fortschreitender Demokratisierung sowie der Ächtung von Gewalt. Der Band versammelt Studien zur Machtausübung und Gewalterfahrung im 20. Jahrhundert und deren öffentliche bzw. wissenschaftliche Rezeption. Der Fokus des Bandes liegt auf der österreichischen Zeitgeschichte, daneben ermöglichen Beiträge zu Entwicklungen in anderen europäischen Staaten auch eine vergleichende Perspektive. Die großen Themen des 20. Jahrhunderts werden mit historischen, aber auch mit sozial- und kulturwissenschaftlicher Methoden erschlossen. 2011. 773 S. zahlr. abb. u. Tab. Gb. 170 x 240 mm. ISbN 978-3-205-78725-9

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KURT BAUER

NATIONALSOZIALISMUS URSPRÜNGE, ANFÄNGE, AUFSTIEG UND FALL

Das Buch behandelt ebenso umfassend wie kompakt die Grundzüge des Nationalsozialismus aus gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive: von den ersten Ursprüngen des deutschen Nationalismus bis zu den heute noch spürbaren Nachwirkungen der NS-Ära. Ausführlich und auf neuestem Stand informiert der Autor zudem über Forschungsprobleme und wissenschaftliche Diskussionen. 2008. 616 S. 100 S/W-ABB. 150 X 215 MM. | ISBN 978-3-8252-3076-0

„Eine große Stärke des Bandes liegt in der Aufmerksamkeit, die Österreich gewidmet wird, ganz im Unterschied zur traditionellen Marginalisierung des Gegenstandes im Gros der (bundesdeutschen) Forschungssynthesen. Nicht nur Leser mit geringer Vorkenntnis werden diese Abschnitte mit Gewinn lesen.“ H-Soz-u-Kult

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