Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung [1 ed.] 9783428418770, 9783428018772

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Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung [1 ed.]
 9783428418770, 9783428018772

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 73

Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung Von

Heiko Faber

Duncker & Humblot · Berlin

HEIKO

FABER

Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 73

Recht

Innere Geistesfreiheit und suggestive Beeinflussung

Von

Dr. H e i k o Faber

D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1968 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany

MEINER UND DEM

MUTTER ANDENKEN

M E I N E S VATERS (gefallen am 24. 4.1942 bei Smolensk)

Vorwort Dieser Schrift liegt meine Dissertation zugrunde, i n der Rechtsprechung und Literatur bis zum 30. 6.1965 berücksichtigt waren. Inzwischen sind einige weitere Beiträge zu dem hier behandelten Fragenkreis erschienen, die eine Neubearbeitung angezeigt erscheinen ließen. Erinnert sei nur an das Buch von Lerche, Werbung und Verfassung (1967). Die Auseinandersetzung mit Lerche machte die Umgliederung und teilweise Neuauffassung des Ersten Abschnitts erforderlich. Die Behandlung einiger Spezialf ragen wurde ergänzt; um hierfür Raum zu gewinnen, habe ich den Abschnitt über die praktische Durchsetzung der inneren Geistesfreiheit gestrichen, der wegen des Standes der Gesetzgebung nicht sehr ertragreich sein konnte. Hinweise auf die Rechtsschutzprobleme sind dafür i n die anderen A b schnitte aufgenommen worden. Rechtsprechung und Literatur sind jetzt bis zum Stande vom 30. 9.1967 eingearbeitet. Danken möchte ich an dieser Stelle insbesondere Herrn Prof. Dr. Ridder, der die Arbeit beaufsichtigt und vielfach gefördert hat; Herrn Prof. Dr. Scheuner für zahlreiche Anregungen; und von den Vertretern der psychologischen Wissenschaft vor allem Herrn Prof. Dr. Thomae und Herrn Priv.-Doz. Dr. Fröhlich vom Psychologischen Institut der Universität Bonn sowie Herrn Prof. Dr. Spiegel, die mit Rat und K r i t i k an der Untersuchung Anteil genommen haben. Zu danken habe ich schließlich auch Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann, der die Aufnahme der Arbeit i n seine Schriftenreihe ermöglicht hat. Kiel, i m Oktober 1967

Heiko

Faber

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15 Erster Abschnitt Die innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

27

I. Die Grundrechte des Grundgesetzes

27

1. Meinungsfreiheit

27

2. Informationsfreiheit

29

3. Glaubens- und Gewissensfreiheit

30

4. Freiheit der Person

34

5. Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung

34

6. Menschenwürde

37

I I . Grundrechte außerhalb des Grundgesetzes

41

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

44

I. Verfassungsgeschichtliche Begründung

44

1. Frühere Grundrechtsgeschichte

45

2. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes a) Das Argument der tatsächlichen Unantastbarkeit b) Das Argument der fehlenden rechtlichen Erfaßbarkeit

47 47 49

3. Zusammenfassung

51

I I . Systematische Begründung

52

1. Methodische Vorbemerkung 2. Die

angebliche

Ausschließlichkeitsfunktion

52 der

klassischen

Grundrechtsstruktur

54

3. Die Freiheit des psychischen Zentrums als das Axiom des Grundrechtssystems

58

4. Zusammenfassung

60

I I I . Benennimg des Grundrechts C. Der Schutzbereich des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit I. Diskussion einiger Abgrenzungsmöglichkeiten 1. Negative Kommunikationsfreiheit

60 62 62 62

nsverzeichnis

10

2. Abgrenzung nach dem Inhalt der Suggestion

65

3. Negative Abgrenzung mit dem Begriff der Meinungsäußerung

66

I I . Die innere Geistesfreiheit als Recht auf Ausschluß nicht beherrschbarer Suggestionen

69

1. Bisherige Bestimmungsversuche herrschbarkeit

für

die Kriterien

2. Eigener Bestimmungsversuch: Kognitiver Aspekt der inneren Geistesfreiheit

und

der

Be-

voluntativer

I I I . Der kognitive Aspekt der inneren Geistesfreiheit 1. Suggestion durch Wahrnehmung

Erregung

„unbewußter"

69 73 75

oder

peripherer

76

a) Erinnerungswerbung

76

b) Nachrichtendefizit aa) Der Begriff des Nachrichtendefizits bb) Die Tatbestände des nicht erkennbaren defizits (Informationsmonopole) cc) Offenbarungspflichten dd) Zusammenfassung

80 80 Nachrichten-

2. Suggestion durch Appell an „unbewußte" oder verdrängte I m pulse

83 86 98 98

3. Suggestion durch Erregung „unbewußter" oder unterschwelliger Wahrnehmung ;. 105 IV. Der voluntative Aspekt der inneren Geistesfreiheit

115

Zweiter Abschnitt Die innere Geistesfreiheit als objektives Recht A. Das Problem eines objektiven Verfassungsrechtssatzes über die Grenzen wirtschaftlicher Werbung 128 B. Der Schutz des öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozesses 135 I. Der Schutz der mittelbaren staatlichen Willensbildung 1. Der Schutz des öffentlichen Meinungskampfes

138 138

a) Das Problem des „politischen Stils" 139 b) Das Problem des „Rechts zum Gegenschlag" 142 c) Das Problem der Kontrolle von „Informationsoligopolen" 148 2. Der Schutz des Wahlaktes

153

3. Die Ermittlung des staatlichen Willens (das Mehrheitsprinzip) 161 a) Naturrechtliche Theorien 163 b) Die Theorie von der Maximalisierung der Freiheit 165

nsverzeichnis c) Die Machttheorie

166

d) Die Lehre von der pars maior et sanior e) Eigener Lösungsversuch aa) Das Mehrheitsprinzip als Wahrscheinlichkeitsurteil bb) Folgerungen für die innere Geistesfreiheit

169 173 173 178

I I . Der Schutz der unmittelbaren staatlichen Willensbildung

180

C. Zusammenfassung

191

Schlußbemerkung

193

Fünf Thesen zur inneren Geistesfreiheit

195

Dokumentation

197

A. Die Emser Depesche

197

B. Zeitungsberichte über den Vortrag der Staatsanwältin Dr. Dahlmann in Loccum

Just,199

C. Amerikanische Gesetzentwürfe zu einem Verbot der unterschwelligen Werbung 205 I. Entwurf Wright (Congress)

. 205

I I . Entwurf Hosmer (Congress)

206

I I I . Entwurf Richards (California, Senate)

207

IV. Entwurf Hughes-Rutherfurd (New Jersey, General Assembly) , . 207 V. Entwurf Kassal (New York, Assembly) V I . Entwurf Desmond (New York, Senate)

Schrifttumsverzeichnis

208 . 209

211

Abkürzungsverzeichnis ALR

= Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten vom 5.2.1794

AöR

= Archiv des öffentlichen Rechts (1.1886 ff.)

AP

= Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts; lose Blattsammlung)

BAG

= Bundesarbeitsgericht; beitsgerichts

Entscheidungen des Bundesar-

BayVBl

= Bayerische Verwaltungsblätter (1.1955 ff.)

BayVerfGH

= Bayerischer Verfassungsgerichtshof

BGB

= Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl

= Bundesgesetzblatt

BGH

= Bundesgerichtshof

BGHSt

= Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BGHZ

= Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BR

= Bundesrat

BReg

= Bundesregierung

BSG

= Bundessozialgericht; Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BT

— Bundestag

BVerfG

= Bundesverfassungsgericht; Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

= Gesetz über das Bundesverfassungsgericht 1951 (BGBl Teil I S.243)

BVerwG

= Bundesverwaltungsgericht; Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BWahlG

= Bundeswahlgesetz vom 7.5.1956 (BGBl Teil I S. 383)

D.

= Justiniani Digesta

DÖV

= Die öffentliche Verwaltung (1.1948 ff.)

DRZ

= Deutsche Rechtszeitschrift

DVB1

= Deutsches Verwaltungsblatt (65.1950 ff.)

vom 12.3.

(1.1946—5.1950)

ed. pr.

= editio

EGBGB

= Einführungsgesetz

prima

ESVGH

= Entscheidungen des Hessischen und des WürttembergBadischen Verwaltungsgerichtshofes

FAZ

= Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland (1.1949 ff.)

zum Bürgerlichen

Gesetzbuch

Abkürzungsverzeichnis

18

GeschO

= Geschäftsordnung

GBl

= Gesetzblatt

GG

= Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5.1949

GRUR

= Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (50.1948 ff.)

GVB1

= Gesetz- und Verordnungsblatt

GVG

=

HChE

= Entwurf eines Grundgesetzes (Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10.—25.8.1948)

HdbDStR

= Handbuch des Deutschen Staatsrechts, herausgegeben von Gerhard Anschütz und Richard Thoma, Bd. 1.2 1930/32

Gerichtsverfassungsgesetz

HDSW

= Handwörterbuch der Sozialwissenschaften

HGB

= Handelsgesetzbuch

IPO

— Instrumentum Pacis Osnabrugense vom 24.10.1648

JblntR

= Jahrbuch für internationales Recht (3.1954 ff.)

JböffR

= Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Neue Folge (1.1951 ff,)

JGG

= Jugendgerichtsgesetz

JR

= Juristische Rundschau (12.1947 ff.)

JuS

= Juristische Schulung (1.1961 ff.)

JW

= Juristische Wochenschrift (1.1872—68.1939)

JZ

= Juristenzeitung (6.1951 ff.)

Led

= Lawyer's Edition Annotated (Entscheidungssammlung des Supreme Court der Vereinigten Staaten, herausgegeben von Ernest H. Schopler)

LG

= Landgericht

LS

= Leitsatz

MA

= Der Markenartikel (12.1950 ff.)

MDR

= Monatsschrift für Deutsches Recht (1.1947 ff.)

MRK

= Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl 1952 Teil I I S. 686)

NdsRpfl

= Niedersächsische Rechtspflege (1.1947 ff.)

NJW

= Neue Juristische Wochenschrift (1.1947—48 ff.)

NYT

= New York Times (zitiert ist jeweils die City-Edition)

OGH

= Oberster Gerichtshof für die Britische Zone

o. J.

= ohne Jahr

OLG

=

OVG

= Oberverwaltungsgericht; Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts . . .

Oberlandesgericht

PatG

= Patentgesetz

14

Abkürzungsverzeichnis

PrVerwBl

= Preußisches Verwaltungsblatt(

Rdnr.

= Randnummer

RGBl

= Reichsgesetzblatt

1.1879—48.1926/27)

RGSt

= Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RGZ

= Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RPrG

= Reichspressegesetz

RPrVerwBl

= Reichsverwaltungsblatt und Preußisches Verwaltungsblatt (49.1927/28—54.1933)

RStGH

= Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich

S.

= Seite

SBZ

= Sowjetische Besatzungszone

Sp.

= Spalte

StGB

= Strafgesetzbuch

StGH

= Staatsgerichtshof

StLex

= Staatslexikon der Görresgesellschaft, 6. Auflage

StPO

=

Strafprozeßordnimg

StVO

=

Straßenverkehrsordnung

UFITA

= Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht (18.1954 ff.)

UWG

= Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

VerwArch

= Verwaltungsarchiv (48.1957 ff.)

VerwRsp

= Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland. Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs und Verwaltungsrecht (1.1948 ff.)

VGH

= Verwaltungsgerichtshof

VVDStRL

= Veröffentlichungen der Vereinigung Staatsrechtslehrer (1.1924 ff.)

VwGO

= Verwaltungsgerichtsordnung vom 21.1.1960 (BGBl Teil I S. 17)

WBG

= Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26.6.1957 (BGBl Teil I S. 652)

der

Deutschen

WRP

= Wettbewerb in Recht und Praxis (1.1955 ff.)

WRV

= Weimarer Reichsverfassung; Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919 (RGBl S. 1383)

X

= Liber Extra; Liber decretalium extra decretum Gratiani vagantium

Z R G K a n . Abt.

= Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung (1.1911 ff.)

Einleitung M o d e r n e W a h l p l a k a t e zeigen e i n e n m e r k w ü r d i g e n S c h w u n d des ged r u c k t e n T e x t e s 1 . A n die S t e l l e d e r A u f r u f e u n d M a n i f e s t e v o n ehed e m i s t die „ V a t e r - I m a g o " g e t r e t e n 2 . L ä n g s t g i l t auch f ü r Deutschland, was bei amerikanischen W a h l k ä m p f e n beklagt w u r d e : „ D i e V o r s t e l l u n g , m a n k ö n n e K a n d i d a t e n f ü r e i n hohes A m t anpreisen w i e F r ü h s t ü c k s f l o c k e n . . . 3 . " D i e P a r t e i e n b e d i e n e n sich z u n e h m e n d der M e i n u n g s f o r s c h u n g 4 ; sie schrecken auch n i c h t d a v o r zurück, t i e f e n psychologische E r k e n n t n i s s e i n i h r e r P r o p a g a n d a a n z u w e n d e n . So l i e ß sich die D e m o c r a z i a C h r i s t i a n a i m i t a l i e n i s c h e n W a h l k a m p f des J a h res 1964 v o n d e n M i t a r b e i t e r n des F r e u d - A n h ä n g e r s Dichter beraten5. 1 Vgl. die Zusammenstellung deutscher Plakate in: Arnold (Hg.), Anschläge, Deutsche Plakate als Dokumente der Zeit 1900—1960. a Zum Begriff „Vater-Imago" vgl. Freud, Zur Dynamik der Übertragung, Gesammelte Werke Bd. V I I I , S. 366; zur Anwendung in der politischen Werbung vgl. Packard, Die geheimen Verführer, S. 218, 222; Hofstätter, Die Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 94 ff.; Spiegel, Die Struktur der Meinungsverteilung im sozialen Feld, S. 32; Wahl, The Relation Between Primary and Secondary Identifications: Psydiiatry and the Group Sciences, S. 276; Renneker, Some Psycodynamic Aspects of Voting Behavior, S. 404. 3 Packard a.a.O., S. 239; vgl. auch Ridder, Wettbewerbsbeschränkungen, in: Festschrift für Franz Böhm, S. 32 („Amerikanisierimg der Wahlkampfmethoden"). — M i t dem obiter dictum, die staatliche Finanzierung eines „angemessenen Wahlkampfes" sei zulässig (BVerfG 20/56 ff., 113), hat das Bundesverfassungsgericht eine fatale Alternative geschaffen: Entweder muß der Steuerzahler nun auch noch den werbepsychologischen Mißbrauch seiner eigenen „Tiefenperson" finanzieren; oder der Gesetzgeber bestimmt ein System förderungswürdiger Wahlkampftugenden (in diesem Sinne bereits Mußgnug, Die staatliche Finanzierung von Wahlkämpfen, NJW 1966/1686 ff., 1691; die Konsequenzen werden deutlich bei der Überlegung, daß wohl Musikkapellen, nicht aber Kabaretts angemessene Mittel politischer Stimmenwerbung seien, a.a.O. S. 1690). Der Fehler liegt letzten Endes darin, daß die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Parteien mit der anderen Hand das wiedergibt, was sie ihnen mit der einen — zu Recht — genommen hatte. 4 Zuerst die F D P (1950): Schmidtchen, Die befragte Nation, S. 108; Elisabeth Noelle, Auskunft über die Parteien, S. 30. 8 Steiner, Les élections au sex-appeal. Dichter betreibt in Croton-on-Hudson bei New York das „Institute for Motivational Research". Nach ersten Aufträgen für die „Ivory"-Seife und die Zeitschrift Esquire wurde er berühmt durch eine Motivforschungsstudie für die Firma Chrysler in den Jahren 1939—1940 (auszugsweise abgedruckt bei Dichter, Strategie im Reich der Wünsche, S. 347 ff.). Dichter hat auch an der Wahlpropaganda Kennedys mitgewirkt (Steiner a.a.O.). — Große amerikanische Werbeagenturen (Young

16

Einleitung

Das Trommelfeuer der Boulevardpresse, die stillschweigenden Tabus großer Tageszeitungen, der Kampf aller gesellschaftlichen Mächte um den beherrschenden Einfluß auf Rundfunk und Fernsehen vervollständigen das Bild: Die öffentliche Meinung w i r d i n immer stärkerem Maße gelenkt. Die Einsicht i n die Anfälligkeit der Massen gegenüber irrationalen Einflüssen ist nicht neu. Die Kulturkritiker, von Gustave Le Bon6 bis Vance Packard 7, haben ihr reichliche Aufmerksamkeit geschenkt. Da nun die demokratische Verfassung psychologische Vorgänge wie Meinungsbildung und Wahlentscheidung zu ihrer rechtlichen Grundlage gemacht hat, w i r d man vermuten, daß die „Außenlenkung" 8 dieser seelischen Abläufe zu einem Kardinalproblem des Staatsrechts 9 geworden sei. Hinweise und Andeutungen, die i n diese Richtung gehen, sind allerdings zahlreich. Schon Carl Schmitt hat den Ersatz des „Arguments i m eigentlichen Sinne" durch die „plakatmäßig eindringliche Suggestion" festgestellt 10 , und wenn er in diesem Zusamenhang den tiefenpsychologischen Begriff des „Symbols" erwähnte 1 1 , dann war er seiner Zeit um dreißig Jahre voraus. Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Propagandamaschine häufen sich die KassandraRufe. So stellt Bauer den politischen Streik i n den größeren Zusammenhang der „pressure politics", der „Herrschaft über die Seele" 12 und des „manufactured w i l l " 1 8 . Ridder 14 beschwört den „perversen & Rubicam, Mc Cann-Erickson) beschäftigen sich gleichfalls intensiv mit Tiefenpsychologie. Einer der ersten neben Dichter auf diesem Gebiet war Cheskin (Color Research Institute of America, seit 1935). — Zu den Einzelheiten vgl. Martin Mayer, Madison Avenue, S. 113, 298; Packard a.a.O., S. 37, 43, 48; Bongard , Männer machen Märkte, S. 27 ff. « Die Psychologie der Massen. 7 Die geheimen Verführer. 8 Riesman , Die einsame Masse, S. 51. 9 Vgl. Zippelius, Demokratie und Meinungslenkung, JuS 1965/379 ff., 379: „Es ist einer der Alpträume der Demokratie, daß ihr die Freiheit auf leisen Sohlen gestohlen werde." Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 11. Vertieft wurden Carl Schmitts Gedanken zur „freien Werbung" von Johanna Kendziora t Der Begriff der politischen Partei i m System des politischen Liberalismus, Diss. Berlin 1935, S. 42 ff. (wobei freilich die zeitbedingte Tendenz zutage trat). a.a.O. « Bauer , Politischer Streik und Strafrecht, JZ 1953/649. Von Bauer zitiert aus Schumpeter, Capitalism, Socialism and Democracy; deutsche Ausgabe: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 418 („fabrizierter Wille"). 14 Meinungsfreiheit, in: Neumann-Nipperdey-Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Handbuch, Bd. 2, S. 246.

Einleitung Einbruch der Technik in die leib-seelisch-geistigen Zusammenhänge" und Scheuner konfrontiert die „anthropologische Grundannahme" der Demokratie m i t den „Merkmalen der modernen Massengesellschaft" 16 . Jensen 16 beschreibt den „Riß" zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, begnügt sich dann aber i m wesentlichen m i t einer „ k u l turgeschichtlichen" Erklärung dieses Spannungsverhältnisses. Herbert Krüger , der die Verlagerung staatlicher Macht von der physischen Gewalt auf unmerkliche Methoden „glatter" Willensbeeinflussung eindringlich analysiert hat, bemerkt: „Gefährdet ist heute nicht eigentlich die Freiheit der Meinungsäußerung, sondern die Freiheit der Meinungsbildung 1 7 ." Auch Adolf Arndt betont die Verschiebung der Angriffsweisen; er sieht die öffentliche Meinung i m 20. Jahrhundert „ungleich w e n i g e r . . . durch die bewaffnete Polizei gefährdet als durch ganz andere Arten und Mittel der Manipulation" 1 8 . Adolf Arndt sucht nun, der körperlich-physischen Bewegungsfreiheit die geistigpsychische Bewegungsfreiheit, das „Rechtsgut menschlicher Mündigkeit" 1 9 , zur Seite zu stellen. Damit setzt eine Entwicklung ein, die über Ramm (Freiheit des Denkens) 20 bis zu Kimminich (Freiheit zur geistigen Tat) 2 1 führt: Zögernd w i r d der Schritt von sozialpsychologischen Bestandsaufnahmen zur Frage nach einer einschlägigen Norm getan. Während Adolf Arndt, dem Begriff der öffentlichen Meinung zugewandt, und Ramm, auf die Willensbildung von Verbänden konzentriert, die seelische Autonomie nur beiläufig erörtern, steht sie bei Kimminich in einem Teilaspekt — als die „Freiheit, nicht zu hören" — i m Mittelpunkt. Aber auch er verläßt den Kreis behutsam tastender Fragen nicht. iß Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, Festschrift für Hans Huber, S. 223. — Der moderne Zeitungsleser wird anschaulich beschrieben von Koblitz-Rich: „Der Fall von Mr. John Bürger" (in: Flechtheim , Hg., Grundlegung der politischen Wissenschaft, S. 342). Sehr viel optimistischer ist Baschwitz, Die Intelligenz des Publikums, in: Festgabe für K a r l Weber, S. 127 ff. 16 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit unter dem Blickwinkel moderner Methoden der Beeinflussimg der Meinungsbildung, Diss. Hamburg 1960, insbesondere S. 41 ff., 86.

17 Der Rundfunk i m Verfassungsgefüge und in der Verwaltungsordnung von Bund und Ländern, S. 45 Fußnote 1. iß Begriff und Wesen der öffentlichen Meinung, in: Löffler öffentliche Meinung, S. 2.

(Hg.), Die

i» a.a.O. S. 9, 15. Die dort auftauchende Konzeption der „Wissensfreiheit" (S. 11; auch schon bei Scholler , Die Freiheit des Gewissens, S. 207 f.) hat Adolf Arndt später weiter ausgebaut (Die Rolle der Massenmedien in der Demokratie, S. 10 ff.). 20 Die Freiheit der Willensbildung, S.21. 21 Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/82. 2

Paber

18

Einleitung

Verdichtet hat sich die Diskussion i n zwei sehr gegensätzlichen Untersuchungen. Während Jürgens i n seiner Studie „Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbung" 2 2 von dem „Wertsystem" des Grundgesetzes, insbesondere der Menschenwürde her, ein Grundrecht auf „Willensfreiheit" entwickelt — darauf w i r d später einzugehen sein —, hat Lerche i m Auftrage des Zentralausschusses der Werbewirtschaft jüngst eine Untersuchung vorgelegt 23 , die einen großen Fortschritt bringt und i n mehrfacher Hinsicht bedeutsam ist. Hier findet sich zum erstenmal der Versuch, der juristischen Argumentation eine Typologie der Werbung 2 4 vorauszuschicken (die freilich nicht i n eine konkrete, juristisch begründete Abgrenzungsfrage eingebettet ist). Darüber hinaus ist der methodische Ansatz 2 5 Lerches von größtem Interesse. I n verständlicher Reaktion auf die „prätentiösen" 2 6 Ansätze anderer — insbesondere von Jürgens — i n der „vagen Welt des Verfassungstextes" 27 untersucht er zunächst die einfachgesetzlichen Regelungen der Werbung 2 8 , prüft sodann ihre verfassungsrechtlichen Positionen 2 9 , um von hier aus die einfachgesetzlichen Einschränkungen an den Schrankenvorbehalten zu messen 30 , und w i l l erst subsidiär die — nach seiner Ansicht zu verneinende — Frage zulassen, ob darüber hinaus ein verfassungsunmittelbarer Schutz des Werbeadressaten gegeben sei 31 . Gegen den Gedankengang Lerches, der die methodischen Probleme einer Konfrontation von Werbung und Verfassung eindrucksvoll herausgearbeitet hat, läßt sich gleichwohl mancherlei einwenden. Lerche w i r d den widerstreitenden Interessen wohl nicht immer gerecht, wenn er der Werbung m i t den Grundrechten nach Art. 5, 12, 14 GG ihren „verfassungssystematischen Standort" 3 2 zuweist, den Schutz des Werbeadressaten dagegen ausschließlich i n den Schranken der Grundrechte ansiedelt und damit der Werbung einen Bewertungsvorsprung einräumt. Der Rekurs auf einfachgesetzliche Rechtmassen ist all den Bedenken ausgesetzt, die sich an die Tendenz knüpfen, von der „Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Ver-

22 VerwArch 53 (1962) 105 ff., 119 ff. 23

Werbung und Verfassimg. 24 a.a.O. S. 17 ff. 25 zusammengefaßt a.a.O. S. 33 f.

2« a.a.O. S. 4. 27 a.a.O. S. 66. 28 a.a.O. S. 37 ff. 29 a.a.O. S. 72 ff. so a.a.O. S. 98 ff. 31 „Verfassungskritik an der Werbung": a.a.O. S. 138ff. 32 Vgl. a.a.O. S. 95.

Einleitung

19

fassung" 33 zu schreiten, und so erscheint denn auch bei Lerche die Verfassung u. a. als „Akzent" der einfachgesetzlichen Rechtsordnung 3 4 . I m übrigen hat Lerche mit seiner eingehenden Durchforstung der gesetzlichen Werbungsbeschränkungen den Beweis erbracht, den er bei Jürgens vermißt und der die Notwendigkeit der verfassungsrechtlichen Untersuchung unterstreicht: Daß nämlich die einfachgesetzlichen Schranken der Werbung nicht der Chance des Werbeadressaten dienen, seine freie Willensbildung zu behaupten, sondern ganz anderen, konventionellen Rechtsgütern: Bau-Ästhetik 3 5 ; Natur- und Landschaftsschutz 36 ; Volksgesundheit 37 . Geradezu enttäuschend w i r k t i n diesem Zusammenhang der Hinweis auf ^jene Vorschrift, nach der das Aufstellen von Hindernissen auf öffentlichen Wegen verboten ist (§ 366 Ziff. 9 StGB) 3 8 . Hier offenbart sich ein merkwürdiges materielles Güterschutzdenken der Legislative. Die Arbeiten von Jürgens und Lerche lassen auch deshalb viele Fragen offen, w e i l beide den Problemen der politischen Werbung nur beiläufige Aufmerksamkeit geschenkt haben. So ist der Gesichtspunkt der „Wahlfreiheit" (Art. 38 GG) von Lerche gar nicht, von Jürgens nur am Rande 39 behandelt worden. Von Interesse ist schließlich noch der Beitrag, den die Rechtsprechung — mit der Entscheidung eines vereinzelten Falles — zur Problematik geleistet hat. Dieser eine entschiedene Fall ist darum von u m so größerem Interesse; läßt er doch ahnen, daß es hier keineswegs um bloß theoretische Fragen geht. Uber den Sachverhalt und seine Beurteilung durch die Gerichte 40 soll deshalb kurz berichtet werden. Der Fall findet sich auf einem Rechtsgebiet, wo man die Auseinandersetzung mit den „geheimen Verführern" am allerwenigsten vermutet: i m Baurecht. 33 Leisner , Von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, passim, vgl. insbesondere die von Leisner S. 40 konstatierte Verschleierung der Rückzuges selbständiger Verfassungsbegrifflichkeit durch angebliche „Subsidiarität" des Konstitutionellen gegenüber gesetzlichen Regelungen, wie sie bei Lerche a.a.O. S. 33 hervortritt. Was, laut Leisner a.a.O. S. 39, „schon nach allgemeiner Dogmatik" abzulehnen ist, fordert Lerche a.a.O. S. 146, daß nämlich „die Verfassung auch von Seiten der unterverfassungsgesetzlichen Rechtsordnung her gelesen und interpretiert" werde. Allerdings zeigen die Untersuchungen Leisners, daß Lerche mit seiner Methodik keineswegs alleinsteht. Mehr i m Sinne Lerches argumentiert z.B. Scheuner , Pressefreiheit, W D S t R L 22/35 und dort Fußnote 99. 34 Lerche a.a.O. S. 33. 35 a.a.O. S. 49 ff. 3 « a.a.O. S. 51 ff. 37 a.a.O. S. 53 ff. 38 a.a.O. S. 47. 39 VerwArch 53 (1962) 120. 40 O V G Münster D Ö V 1958/824; BVerwG N J W 1959/1194 („König-PilsenerFall").

2*

20

Einleitung

Eine Brauerei wollte an beiden Geländern einer Eisenbahnbrücke den Namen ihres Erzeugnisses „König-Pilsener" i n Leuchtschrift anbringen. Die Brücke führt über eine verkehrsreiche Straße i m Zentrum einer Großstadt. Die erforderliche Baugenehmigung wurde versagt. Nachdem die Brauerei i n der ersten Instanz des Verwaltungsrechtszuges Erfolg gehabt hatte, wies das OVG Münster die Klage ab. Entscheidend war dabei die Auslegung des damals noch geltenden § 1 der Baugestaltungsverordnung von 193641, wonach sich „bauliche Anlagen . . . der Umgebung einwandfrei einfügen" müssen. Das OVG Münster sah i n dieser Vorschrift eine Anknüpfung an das „ästhetische Empfinden des gebildeten Durchschnittsmenschen" und führte weiter aus, das durchschnittliche ästhetische Empfinden werde durch eine Werbetechnik verletzt, die den Menschen als willenloses Objekt behandle. Die geplanten Werbeanlagen seien aber für den bewußten Betrachter nichtssagend, vielmehr dazu bestimmt, auf das Unterbewußtsein der Passanten einzuwirken. Während sie nämlich i n das Blickfeld der sich nähernden Kraftfahrer träten, sei deren Aufmerksamkeit durch die Verkehrssituation, insbesondere die Verengung der Fahrbahn und den Wechsel von der hellen freien Strecke i n die dunklere Unterführung, beansprucht. A u f diese Weise könnten die Werbeworte „König-Pilsener" i n das Unterbewußtsein eindringen, ohne daß die Kraftfahrer die Möglichkeit hätten, den Werbeeffekt durch einen bewußten Denkvorgang abzuwehren. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung der Berufungsentscheidung, i m wesentlichen aus Gründen, die hier nicht interessieren. Die Frage, ob Erinnerungswerbung mit ihrer Einwirkung auf das Unterbewußtsein etwa die Menschenwürde verletze, glaubte das Bundesverwaltungsgericht ohne weiteres verneinen zu können: Wären die Erwägungen des Berufungsgerichts zutreffend, so w i r d argumentiert, dann müßte beinahe jede Reklame unterbunden werden. Wenn man nun bedenkt, daß die moderne Werbepsychologie längst nicht mehr von Waren, Parteien, Ideologien spricht, sondern schlechth i n vom „Meinungsgegenstand" 42 , daß es also vom psychologischen 41 Vgl. jetzt die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, §§15, 3 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 2; 82. 42 Spiegel , Struktur der Meinungsverteilung, S. 11; vgl. Röpke , Maß und Mitte, S. 208 f.; Jürgens, Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbung, VerwArch 53 (1962) 120; Eichmann, Auswirkungen des Grundgesetzes auf die Werbepraxis, GRUR 1964/60; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 11, 79; Wacke, Werbeaussagen als Meinungsäußerungen, in: Festschrift für Schack, S. 206. — Hitler hat die psychologische Parallelität von wirtschaftlicher und politischer Werbimg richtig erkannt: „Was würde man zum Beispiel über ein Plakat sagen, das eine neue Seife anpreisen soll, dabei jedoch auch andere Seifen als ,gut' bezeichnet? M a n würde darüber nur den Kopf schütteln. Genau so verhält es sich aber auch mit politischer Reklame" (Mein Kampf, S. 200, vgl. auch S. 203).

Einleitung Standpunkt keinen wesentlichen Unterschied macht, ob man dem Unterbewußtsein des Passanten den Namen eines Bieres oder den einer politischen Partei eingibt — dann w i r d man gegenüber den knappen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ein gewisses Unbehagen nicht unterdrücken können. Offenbar ist die Rechtsprechung weder i n der psychologischen, noch i n der juristischen Begriffsbildung ausreichend auf die Auseinandersetzung m i t den Phänomenen der Massenbeeinflussung vorbereitet. Daraus kann man ihr angesichts der bisher bloß feuilletonistischen Behandlung des Problems i n der Literatur freilich keinen Vorwurf machen. Wie ist nun die allgemeine Zurückhaltung der Rechtswissenschaft auf diesem für das tägliche Leben so bedeutsamen Gebiet zu erklären? Die Scheu vor einer „geistesgeschichtlichen Todeserklärung" 43 des Parlamentarismus, die Carl Schmitt heraufbeschworen hat, w i r k t hier bis heute nach. Sind Öffentlichkeit und Diskussion „verschimmelte Größen" 44 , werden die Massen vielmehr durch den „Appell an nächstliegende Interessen und Leidenschaften" 45 gewonnen, dann drängen sich Zweifel an der politischen Selbstbestimmung der Bürger auf, und von dort ist es nicht mehr weit zur gänzlichen Ablehnung der demokratischen Verfassung. Scheuner meint deshalb, K r i t i k an der mißbrauchten Massenpsychologie könne „ i m Rahmen der demokratischen Staatsauffassung" nur als „Warnung" und als „Mahnung zur erzieherischen Bemühung u m die Verlebendigung der politischen Anteilnahme und Verantwortung erscheinen" 46 . „Warnungen" und „Mahnungen": Der Stand der juristischen Diskussion ist damit zutreffend gekennzeichnet. Die Beschäftigung m i t den suggestiven Formen der Beeinflussung braucht aber nicht unbedingt zum Zweifel an der Berechtigung parlamentarischer Institutionen zu führen 4 7 . Der Gedankengang kann und muß umgekehrt verlaufen. N i m m t man den Anspruch des Grundgesetzes auf normative Wirkung ernst 48 , dann w i r d man die Frage auf43 Thoma, Zur Ideologie des Parlamentarismus und der Diktatur, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 53 (1925) 216. 44 Thoma a.a.O., S. 214; Carl Schmitt a.a.O., S. 6; vgl. noch Forsthoff , Zur verfassungsgeschichtlichen Stellung und inneren Ordnung der Parteien, DRZ 1950/313, der von „Residuen des »klassischen4 Parlamentarismus" spricht. 45 Carl Schmitt a.a.O., S. 11. 46 Scheuner, Das repräsentative Prinzip in der modernen Demokratie, S. 223. 47 Das hieße „die Verfassungsinterpretation mit der soziologischen Analyse normfremder Fehlentwicklungen verwechseln" (Lenz, Rundfunkorganisation und öffentliche Meinungsbildungsfreiheit, JZ 1963/346). 48 Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 22, sieht i m Freiheitsprinzip unter den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft einen

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Einleitung

werfen, ob nicht gewisse Auswüchse bei der Beeinflussung des Publikums verfassungswidrig sind. M i t dieser Frage ist die Aufgabe umrissen, die sich die vorliegende Untersuchung stellt. Wenn es gelingen sollte, einige besonders gefährliche Beeinflussungsmethoden abzugrenzen und als rechswidrig nachzuweisen, dann ließe sich vielleicht wertvolles Terrain für „Öffentlichkeit" und „Diskussion" zurückgewinnen. Ermutigt w i r d ein solches Unternehmen durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts , das „Geistesfreiheit" und „Kampf der Meinungen" — der Verfassungswirklichkeit zum Trotz — als „schlechthin konstituierend" für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung bezeichnet 49 ; eine Wendung, die von einer Todeserklärung des Parlamentarismus weit entfernt ist und übrigens zu einem der häufigsten Zitate aus der Rechtsprechung des Gerichts geworden sein dürfte. Faßt man nun den Entschluß, über teiresianische Mahnrufe hinauszugehen und die massenpsychologische Wirklichkeit der Demokratie kritisch an den Forderungen des Grundgesetzes zu messen, dann stößt man auf eine weitere Schwierigkeit, die den Rückstand der Diskussion mitverursacht haben mag. Der Jurist muß hier die Forschungsergebnisse fremder Wissenschaften verwerten. Das ist nicht unbedenklich, weil er sich einer ungewohnten Terminologie und anderen Methoden gegenübersieht. Zudem gibt es keine geschlossene, systematische Darstellung der Propaganda- und Werbepsychologie, die den Rohstoff für juristische Abgrenzungen liefern könnte 5 0 . Der Sachverhalt, der verfassungsrechtlich geprüft werden soll, muß erst anhand einer Fülle von psychologischen Einzeldarstellungen festgestellt werden 51 . Testfall für die normative Kraft des Grundgesetzes; ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 10 ff.; 30. 49 BVerfG 7/208; vgl. auch BVerfG 5/205; 10/121; 12/125; 20/97. 50 Lerche , Werbung und Verfassung, S. 4; Meyer-Cording (Gute Sitten und ethischer Gehalt des Wettbewerbsrechts, JZ 1964/313) scheint vom Wettbewerbsrecht her auf diesen Umstand gestoßen zu sein; er fordert psychologische und soziologische Studien zur Ergänzung der Rechtstatsachenforschung. — Zum methodischen Stand der werbepsychologischen Lehrbuchliteratur vgl. Hartmann , Wirkungsbedingungen der Anzeigenwerbung im Lichte der Psychologie, M A 1959/159: „Die Begriffe, auf denen selbst in den letzten Jahren erschienene werbepsychologische Werke aufbauen, stehen der Praxis beziehungslos gegenüber . . . Aber auch die Fachpsychologen sind bisher noch nicht zu einer einheitlichen und geschlossenen Darstellung der psychologischen Bedingungen der Werbewirkung durchgedrungen, die dem Stand der Wissenschaft entspräche." Vgl. auch S. 167, wo Hartmann die werbepsychologischen Werke als „Kochbuch-Darstellungen" charakterisiert; ihr übliches Schema (Aufmerksamkeit, Interesse, Erinnerung, Assoziation) könne die komplexen Vorgänge bei der Anzeigenwerbung nicht erklären. 51 Hartmann a.a.O. S. 159 erklärt den Rückstand der Werbepsychologie damit, daß wichtige Forschungsergebnisse oft in theoretischen Schriften ver-

Einleitung Solche methodischen Bedenken sollten die Untersuchung nicht grundsätzlich hindern. Es wäre unerträglich, wenn sich verfassungswidrige Beeinflussungstechniken i m Schatten eines „negativen Kompetenzkonfliktes" zwischen Psychologie und Rechtswissenschaft ungehindert entfalten könnten 5 2 . Die methodischen Bedenken dürfen aber auch nicht übersehen werden. Die folgende Darstellung versucht, ihnen dadurch gerecht zu werden, daß sie die psychologische Literatur nach den Grundsätzen auswertet, die für die Verwendung von Sachverständigengutachten i m Prozeß gelten. Damit sind die Grenzen für die juristische Verarbeitung gezogen. Eine allgemeine oder weit verbreitete psychologische Lehrmeinung w i r d ohne Diskussion übernommen 5 3 . Von mehreren sich widersprechenden Auffassungen w i r d diejenige bevorzugt, die erkennbar methodisch i m Vorteil ist, auf jüngeren Forschungen beruht oder die größere logische Geschlossenheit zeigt 54 . Verkürzungen und Verzerrungen des psychologischen Materials werden auch bei diesem Verfahren nicht ganz zu vermeiden sein. Es bietet dafür den Vorteil, daß psychologische Vorfragen unter besonderer Berücksichtigung der juristisch erheblichen Punkte beantwortet werden können. Versuche, einen psychologischen Sachverhalt ohne Zuhilfenahme der psychologischen Wissenschaft juristisch zu erfassen, bleiben erfahrungsgemäß wenig befriedigend 55 . Es sind also zwei Fragen, m i t denen es diese Untersuchung hauptsächlich zu t u n hat, die aber auf verschiedenen Ebenen liegen und deshalb in ständiger Wechselwirkung zu verfolgen sind, nämlich steckt seien, denen man zunächst keine Beziehung zur Werbepsychologie ansehen könne. 52 Man muß also zuweilen eine „synoptische Methodik" zulassen, will man nicht Gefahr laufen, daß Fachleute jede Zusammenschau verhindern (vgl. Tietgens, Die bürgerliche Öffentlichkeit als historische Gestalt, Neue politische Literatur 10 [1965] 75; vgl. ferner Jensen, Grundrecht der Meinungsfreiheit, S. 3). Auch sonst muß übrigens die Natur der Sache erforscht werden; vgl. z.B. Roemer, Zum Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, S. 553, 554 ff. (Heranziehung der Psychologie zum Begriff der Persönlichkeit); Joeden, Die Funksendefreiheit der Staaten, JblntR 3 (1954) 92 ff. (Benutzung physikalischer Lehren). 53 Vgl. OGH NJW 1950/308 (Nr. 8 unter 2 a a. E.). 54 Vgl. Rosenberg , Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Auflage, S. 591. Unter Umständen kann ein Autor auch wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden (z. B. wenn die Publikation auf eine Werbeagentur zurückgeht, die an der Aufbauschung oder Bagatellisierung eines Phänomens interessiert ist). 55 Als abschreckendes Beispiel sei eine Definition von Jürgens (Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbung, VerwArch 53 [1962] 114) zitiert: „Es wird nur mit Gefühlsreizen gearbeitet, auch mit solchen, mit denen die angebotene Leistimg nichts zu tun hat. Die angestrebte Wirkung ist dann Willensbeeinflussung durch Suggestion." — M i t derartigen ad hocDefinitionen bekommt man die wirklich gefährlichen Fälle gar nicht in den Griff.

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Einleitung 1. ob sich aus d e m Grundgesetz e i n V e r b o t suggestiver Beeinfluss u n g schlechthin oder e i n V e r b o t b e s t i m m t e r G r u p p e n v o n S u g gestionen h e r l e i t e n l ä ß t u n d 2. w a s u n t e r Suggestionen i n diesem S i n n e z u v e r s t e h e n ist, w i e sie w i r k e n u n d ob aus d e n psychologischen Aussagen h i e r ü b e r juristisch brauchbare Abgrenzungen entwickelt werden können.

Es sei g l e i c h h i n z u g e f ü g t , daß w e d e r i n d e r e i n e n noch i n der a n d e r e n R i c h t u n g e n d g ü l t i g e Ergebnisse z u e r w a r t e n sind, daß es sich m a n g e l s einschlägiger f r ü h e r e r U n t e r s u c h u n g e n v i e l m e h r n u r d a r u m h a n d e l n k a n n , M a t e r i a l u n d Thesen z u r D i s k u s s i o n z u stellen. W e n n n u n v o n „ S u g g e s t i o n e n " oder v o n „ s u g g e s t i v e r Beeinfluss u n g " die Rede ist, d a n n ist d a m i t n i c h t die k l i n i s c h e S u g g e s t i o n 5 6 g e m e i n t , die engen persönlichen K o n t a k t u n d die a k t i v e B e t e i l i g u n g des P a t i e n t e n v o r a u s s e t z t 5 7 . U n t e r „ S u g g e s t i o n " ist v i e l m e h r z u v e r stehen „die planmäßig bewußte und namentlich unbewußte, jedoch nicht unmittelbar zwingende , seelische Beeinflussung des Menschen" 58, also jene „ g l a t t e n " 5 9 F o r m e n der F r e m d b e s t i m m u n g , die als h e t e r o n o m e E i n w i r k u n g gar n i c h t oder n u r u n d e u t l i c h e m p f u n d e n w e r d e n 6 0 . Vgl. hierüber Berth, Marktforschung zwischen Zahl und Psyche, S. 116 f., 234 f.; ferner Horst Schneider , Der Verunstaltungsbegriff im Recht der Außenwerbung, W R P 1959/4, der sich gegen die Entscheidung des O V G Münster D Ö V 1958/824 wendet. 57 Auch das ist freilich nicht zweifelsfrei, vgl. den Fall bei von Holzschuher, Praktische Psychologie, S. 135. «8 Kropff, Angewandte Psychologie und Soziologie in Werbung und Vertrieb, S. 22; ähnlich Lerches Definition der „Werbung", Werbung und Verfassung, S. 11. Diese Definitionen zur Werbung erinnern an eine alte sozialpsychologische Begriffsbestimmung des „Politischen" (Politik als zielbewußte Beeinflussimg des sozialen Lebens der Menschen: Johanna Kendziora , Begriff der politischen Partei, S. 8). 5» Herbert Krüger, Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 43. 6® Berth, Marktforschung zwischen Zahl und Psyche, S. 116 f., 234 f., lehnt den Begriff „Suggestion" für die Werbung ab, weil er ihn im klinischen Sinne versteht; dagegen mit Recht Suhr, Problematische Wissenschaften, M A 1960/400, der Suggestion als „seelische Beeinflussung" definiert. Ähnlich von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 49 ff.; Plate, Werbung oder Information? Sprache im technischen Zeitalter 7 (1963) 549, der sich auf von Holzschuher (a.a.O. S. 42) beruft, mißt dem Indikativ „Suggestivwirkung" bei. Vgl. noch Stokvis, Die psychologischen Wirkungen der großen Massenbeeinflussungsmittel, S. 632 ff. — Hellpach, Sozialpsychologie, 3. Auflage, kennt den Begriff der Verbalsuggestion (S. 78 ff.); dazu rechnet er neben dem militärischen Kommando (S. 80) auch „schriftstellerische Effekte" und das „ganze moderne Anzeigenwesen" (S. 81). Callmann , Der unlautere Wettbewerb, 2. Auflage, S. 27, versteht unter „Suggestionswettbewerb" den Wettbewerb durch Einwirkung auf die öffentliche Meinung (Reklame). I n diesem Sinne sprechen in der öffentlich-rechtlichen Literatur von „Suggestivität" u.a.: Kübler, Wirtschaftsordnung und Meinungsfreiheit, S. 18f.; Zippelius, Demokratie und Meinungslenkung, JuS 1957/380 ff.; Adolf Arndt, Sachlichkeit, N J W 1964/1312; Püttner, Reklame an städtischen Ver-

Einleitung W a s i h r e verfassungsrechtliche B e u r t e i l u n g angeht, so i s t es m ö g lich, sich i h n e n v o n z w e i Seiten h e r z u n ä h e r n , n ä m l i c h e i n m a l v o m G r u n d r e c h t s t e i l des Grundgesetzes her, d a n n aber auch aus der R i c h t u n g des organisatorischen Verfassungsrechts. D i e größere D u r c h schlagskraft v o n G r u n d r e c h t s p o s i t i o n e n l e g t es f r e i l i c h nahe, zunächst e i n m a l d i e F r a g e nach e i n e m g r u n d r e c h t l i c h e n Schutz v o r suggestiver Beeinflussung a u f z u w e r f e n . N u n bezwecken die G r u n d r e c h t e i n erster L i n i e die A b w e h r staatlicher Ü b e r g r i f f e , w ä h r e n d als U r h e b e r suggestiver Beeinflussung v o r a l l e m die p r i v a t e W i r t s c h a f t u n d die P a r t e i e n v e r d ä c h t i g sind. A b e r auch H o h e i t s t r ä g e r b e t r e i b e n suggestive Beeinflussung. M a n b r a u c h t h i e r n u r a n die T ä t i g k e i t staatlicher Pressestellen, der R u n d f u n k a n s t a l t e n oder solcher E i n r i c h t u n g e n z u d e n ken, die sich der „psychologischen K r i e g s f ü h r u n g " w i d m e n . D i e V e r w a l t u n g n i c h t anders als große K o n z e r n e b e m ü h t sich u m „ p u b l i c r e l a t i o n s " 6 1 ; sie t e n d i e r t i m Z e i t a l t e r des „Rechtswegestaates" d a h i n , m e h r d u r c h suggestive Ü b e r r e d u n g als m i t d e n a n g e s t a m m t e n M i t t e l n hoheitlicher Machtausübung auf den Bürger einzuwirken 62. Die F r a g e der „ D r i t t w i r k i m g " m a g deshalb d a h i n g e s t e l l t b l e i b e n 6 3 . A u c h kehrsmitteln? Archiv für Kommunalwissenschaften 6 (1967) 110 ff., 115 f.; ders., Das Recht der kommunalen Energieversorgung, S. 212 f.; SchmidtTophof f, Das Recht der Außenwerbung, S. 20 f.; vgl. auch Krause-Ablaß, Zur Koexistenz von Presse und Fernsehen, Hamburger Jahrbuch 10 (1965) 23 ff., 27 (Werbung und Propaganda als „inzitative" Inhalte). Strodthoff, Werbung in Wirtschaft und Recht, Diss. Hamburg 1964, S. 43 Fußnote 177, hat sich dem Sprachgebrauch widerstrebend angeschlossen. Kritisch dazu Lerche , Werbung und Verfassung, S. 27, 29 (ohne eine eigene, engere Definition des „Suggestiven" zu geben) und (wie Berth) Horst Schneider , Der Verunstaltungsbegriff im Recht der Außenwerbung, W R P 1959/4. 61

Vgl. dazu Hämmerlein , Public relations and Civil Services, DVB1 1963/ 176 f.; ders., Öffentlichkeit und Verwaltung, S. 66 ff.; Gisela Sänger , Funktion amtlicher Pressestellen in der demokratischen Staatsordnung, S. 132 f.; Leisner , Öffentlichkeitsarbeit der Regierung i m Rechtsstaat, S. 20. «2 Vgl. Herbert Krüger , Rundfunk i m Verfassungsgefüge, S. 39 ff. Die Rechtsprechung zum Aufopferungsanspruch hat aus der Entwicklung die interessante und billigenswerte Konsequenz gezogen, daß im „Gewissenszwang" tBGHZ 24/45 ff.) und sogar i m „Rat" (BGHZ 31/187 ff.) ein hoheitlicher Eingriff liegen kann. 63 Die Beachtlichkeit der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr ist bisher nicht abschließend geklärt. Während insbesondere Dürig (in: Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 131 ff. zu Art. 1; vgl. ferner Hamann, Kommentar, S. 62, Anm. 4 vor Art. 1) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 7/198 ff., 206) eine bloß mittelbare Beeinflussung des Privatrechts durch die Grundrechte über die zivilrechtlichen Generalklauseln annehmen, sind vor allem Nipper dey ( Nipperdey-Wiese , Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 747 ff.) und Leisner (Grundrechte und Privatrecht, insbesondere S. 354 ff.) für eine unmittelbare „Drittwirkung" der Grundrechte eingetreten (ganz außerhalb dieser Antithetik steht Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 11, 25 ff., der aus der „zweiten Dimension des Sozialstaatsgebots" die „Drittrichtung" bestimmter Grundrechte der „als politischen Öffentlichkeit präsenten Gesellschaft" gewinnt). Das scheinbar so zugkräftige Argu-

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Einleitung

dann, wenn man sie schlechthin verneint, bleibt für diese Untersuchimg das weite Feld staatlicher Propaganda. ment der Drittwirkungsgegner, daß die Grundrechte sich herkömmlicherweise nur gegen den Staat richten (BVerfG 7/204 ff.), dürfte durch Leisners Untersuchungen (Grundrechte und Privatrecht, S. 3 ff., 312, 332 f., 310 Fußnote 60; ferner Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, S. 42 ff.) erschüttert sein. Die „Staatsrichtung" war nur ein — überbetontes— Durchgangsstadium der Grundrechtsentwicklung (Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 748). Dagegen hat auch Leisner die Schwierigkeiten nicht ausräumen können, die von der Struktur des Zivilrechts her einer unmittelbaren Drittwirkung i m Wege stehen. Leisner unterscheidet nach vertraglichen (Grundrechte und Privatrecht, S. 384 ff.) und außervertraglichen (S. 391 ff.) Rechtsbeziehungen. Während er bei Vertragsverhältnissen — weitgehend wie die Gegner der Drittwirkung (vgl. Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 130 zu Art. 1) — den „Verzicht" auf Grundrechtsausübung zuläßt (Leisner a.a.O. S. 384), w i l l er außerhalb vertraglicher Bindungen die auftretenden Kollisionen anhand der Schrankensystematik des Grundgesetzes lösen (a.a.O. S. 392). Das ist eine theoretisch saubere Konstruktion; sie scheitert aber praktisch an dem ganz pragmatischen, nicht durchdachten Aufbau der verschiedenen Gesetzesvorbehalte (vgl. Koebel, Grundrechte und Privatrecht, JZ 1961/524). Die mittelbare Drittwirkung über die Generalklauseln wird der Eigenart des Zivilrechts am ehesten gerecht. Einer weiteren Vertiefung der Frage bedarf es an dieser Stelle nicht, da die zur Diskussion stehenden Konstruktionen infolge ihrer Elastizität doch vielfach gleiche Ergebnisse zeitigen (Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz, S. 52; überhaupt hat die Frage nach dem „Ob" der Drittwirkung das Problem verdeckt, wie ein Grundrecht in zivilrechtliche Ansprüche umgesetzt werden kann; vgl. Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 752; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 354 ff.). Auch die Gegner der Drittwirkung (selbst Dürig, in: Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 57 zu Art. 2 Abs. 1, und von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 63, Vorbemerkung A l l 4 c ) bestreiten nicht, daß die Lage dort anders ist, wo es sich nur der Theorie nach um „koordinierte" Rechtsgenossen (Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 130 zu Art. 1) handelt, wo aber in Wirklichkeit das Individuum einem sozialen Gebilde mit außergewöhnlicher, „staatsähnlicher" (so vor allem BAG 1/185 ff., 194; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S.230) Machtballung gegenübersteht (vgl. noch Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 753; Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Handbuch, Bd. 3, 1. Halbband, S. 59: Eine analoge Anwendung der Grundrechte komme in Betracht, wenn die ökonomisch-sozial begründete Macht in der rechtlichen Bewertung der hoheitlichen Gewalt gleichzustellen sei). — Für die geistig-seelische Freiheit wird von Bedeutung, daß sie dort, wo sie positivrechtlichen Schutz findet („Wahlfreiheit", Art. 38 GG), ohnehin mit „Drittwirkung" ausgestattet ist (MaunzDürig, Kommentar, Rdnr. 47 zu Art. 38, S. 40 Fußnote 4, und die h. M.; im Ergebnis auch — Wahlpropaganda! — von Mangoldt-Klein, S. 881, Anm. I I I 2 e zu Art. 38); ein Gesichtspunkt, der von Lerche, Werbung und Verfassung, S. 138 f., nicht beachtet wird.

Erster

Abschnitt

Die innere Geistesfreiheit als subjektives Recht A. Das Versagen der positiven Grundrechte I. Die Grundrechte des Grundgesetzes Das Nahziel der Manipulatoren ist vielfach ein „image" 1 , ein Vorstellungsbild, das die gewünschten Verhaltensweisen psychologisch begünstigen soll. Das Objekt solcher images heißt i n der Werbepsychologie „Meinungsgegenstand" 2 , und man kann diese images oder Einstellungen durchaus als „Meinungen" zumindest in einem landläufigen Sinne bezeichnen. Deshalb ist es gerechtfertigt, m i t der Frage nach grundrechtlichem Schutz vor suggestiver Beeinflussung bei der Meinungsfreiheit 3 anzusetzen. 1. Meinungsfreiheit

Grundrechtlich verbrieft ist das Recht, Meinungen „ i n Wort, Schrift und B i l d frei zu äußern" (Art. 5 Abs. 1 GG). Die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes ist eine Meinungsäußerungsfreiheit 4 . Werbung und Propaganda lassen aber gerade die Meinungsäußerungsfreiheit unberührt; sie wirken viel tiefer i n das Individuum hinein, indem sie schon den ebenso komplizierten wie verletzlichen Prozeß der inneren Meinungsbildung mitbestimmen. Gegenüber solchen Methoden ist das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit eine stumpfe Waffe. Über die Meinungsbildung des Individuums sagt das Grundgesetz nichts. Es schützt nur die „Willensbildung des Volkes" (Art. 21 Abs. 1 GG); das 1 Spiegel , Struktur der Melmmgsverteilung, S. 29 ff.; Berth , Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 117 ff., 167 ff. 2 Spiegel a.a.O. S. 11. 3 Die Meinungsfreiheit scheidet allerdings von vornherein in den Fällen aus, wo die Werbung eine reflexartige Reaktion — ohne Zwischenschaltung einer „Meinung" — erstrebt (vgl. Spiegel a.a.O. S. 12). * Ridder, Meinungsfreiheit, S. 243; Maunz, Deutsches Staatsrecht, 15. Auflage, S. 107.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Volk aber bildet seine Meinung, die „öffentliche Meinung", nicht in einer mystischen „Volksseele" 6 , sondern in dem ständigen Austausch geäußerter Meinungen. Eine extensive Interpretation der Meinungsäußerungsfreiheit i n Richtung auf eine Meinungsbildungsfreiheit hin käme in Betracht, wenn wenigstens das äußere Verhalten, i n das sich das „image" nach dem Willen der Manipulatoren umsetzen soll, den Tatbestand der Meinungsäußerung erfüllte. Man könnte dann „a minori" darüber hinwegsehen, daß die Unfreiheit nicht bei der Meinungsäußerung, sondern früher liegt. Das „Meinungsverhalten", auf das die Manipulatoren abzielen, besteht i n der Hauptsache aus privat- oder öffentlich-rechtlichen W i l lenserklärungen 6 . Der Wähler soll zur Stimmabgabe für eine Partei, der Konsument zum Kauf eines Produktes „verführt" werden. Meinung unterscheidet sich zwar vom „Wissen, Kennen und Denken" gerade durch ein „gewisses Willenselement" 7 . Bei Willenserklärungen steht aber die Äußerung des rechtsgeschäftlichen Willens so sehr i m Vordergrund, daß die zugrunde liegende Meinung dahinter völlig zurücktritt. Der Käufer w i l l den Verkäufer nicht davon überzeugen, daß die Ware gut ist; er w i l l nicht geistig auf ihn wirken 8 . Willenshandlungen sind grundsätzlich keine Meinungsäußerungen 9 . Beim Wähler kommt noch hinzu, daß seine Stimmabgabe geheim und anonym vor sich geht, während Meinungsäußerungen i n einem Kommunikationsverhältnis 1 0 erfolgen: Sie müssen nicht nur einen Urheber, sondern auch einen Adressaten haben 11 . Ausnahmsweise sind freilich Fälle möglich, wo das image auf einer Zwischenstufe zwischen Suggestion und Willensakt zu Äußerungen s Anders Erich Kaufmann , Zur Problematik des Volkswillens, S. 7, der „Volksgeist" und „Volkswillen" als „reale Größen einer bestimmten Seinsstruktur" bezeichnet, die ihre „Seinsweise" angeblich nicht in den psychischen Akten der das Volk bildenden Individuen erschöpfen. Was mit solchen dunklen Wendungen gemeint ist, zeigt sich alsbald (S. 10): „Nur durch einzelne Persönlichkeiten . . . kann der Volkswille sich aktualisieren . . . " ; auch das „impopulär Scheinende kann das eigentlich Populäre sein". « Vgl. Jürgens , VerwArch 53 (1962) 119 ff. 7 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 256; zustimmend Fuß , die Nichtigerklärung der Volksbefragungsgesetze von Hamburg und Bremen, AöR 83 (1958) 390; vgl. noch Schubert, Freie Meinungsäußerung, S. 1. s Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, S. 655; ferner BayVerfGH VerwRsp 4/24 und BVerfG 7/210. » Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 107; Scheuner, Der Inhalt der Koalitionsfreiheit, S. 81 f.; ders., Pressefreiheit, W D S t R L 22/65; Dietz, Friedenspflicht und Arbeitskampfrecht, JZ 1959/430. 10 Vgl. Ridder a.a.O. S. 249. 11 Dietze, Über Formulierung der Menschenrechte, S. 98 ff., fordert sogar eine Menschenmenge als Adressaten.

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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führt, die keine Willenshandlungen sind. Man stelle sich etwa vor, daß eine Hausfrau der anderen über ein neues Waschmittel berichtet und dazu erklärt: „Weißer geht's wirklich nicht!" Nun sind aber „Meinungen" i m Sinne des Grundgesetzes 12 „wertende Urteile, Stellungsnahmen, . . . Erbringung geistiger Leistungen" 1 3 ; „Ergebnisse von rationalen Denkvorgängen" 1 4 ; Gedanken, die „der Meinende ohne Fremdbestimmung aus eigener Initiative und durch eigene Anstrengung erarbeitet hat" 1 5 . Das image w i r d dagegen von außen über irrationale und unbewußte seelische Abläufe erzeugt. Seine Äußerungen können schon deswegen keine Meinungsäußerungen sein 16 .

2. Informationsfreiheit

Die Informationsfreiheit, die i n Art. 5 Abs. 1 nungsfreiheit verbürgt ist, scheint einem Recht schon näher zu kommen. Sie betrifft nicht nur Aufnahme von Informationen spielt für den sich Denkprozeß eine entscheidende Rolle.

GG neben der Meiauf eigenes Denken Meinungen, und die daran anknüpfenden

Aber die Informationsfreiheit ist eine geschichtlich bedingte Reaktion auf das m i t physischem Zwang bewehrte Verbot, ausländische Sender abzuhören 17 . Die „Hinderung", vor der sie schützen w i l l , ist deshalb als gewaltsames Einschreiten zu verstehen: Niemand darf verhaftet werden, w e i l er Radio Moskau hört. „Hinderung" liegt aber nicht schon i n den suggestiven Einwirkungen, die von einer Informationsquelle ausgehen können. Die Informationsfreiheit gibt nur ein Recht, die vorhandenen Quellen auszunutzen, aber keinen Anspruch auf eine bestimmte Beschaffenheit solcher Quellen. Über die Qualität des Informationsmaterials sagt die Informationsfreiheit ebensowenig aus wie über seine Auswahl. Eine entscheidende Abschwächung der Informationsfreiheit liegt zudem i n ihrer Beschränkung auf die „allgemein zugänglichen" Quellen. 12 Anders als „freedom of speech" deckt die Meinungsfreiheit nicht alle Arten von Äußerungen (Leisner, Begriffliche Grenzen verfassungsrechtlicher Meinungsfreiheit, U F I T A 37 [1962] 133 ff.). 13 Scheuner, Der Inhalt der Koalitionsfreiheit, S. 81. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 248. is Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 439. i« Anders könnte es ausnahmsweise dann sein, wenn nicht bloß eine Suggestion weitergegeben, sondern eigene Erfahrung mitverwertet wird. 17 Hamann, Kommentar zum Grundgesetz, S. 108, Anm. B 5 zu Art. 5; von MangoldUKlein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, S.241, A n m . V I zu Art. 5; Wernicke i m Bonner Kommentar, Art. 5 Anm. I I 1 d, S. 3; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 108; Ridder, Meinungsfreiheit, S. 275; Scholtissek, Innere Grenzen der Freiheitsrechte, NJW 1952/562.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Darin liegt eine Verweisung auf den jeweiligen Status quo der Informationsversorgung. Verändert er sich, w i r d die Zahl der Informationsquellen verringert, dann schrumpft auch der Spielraum der Informationsfreiheit zusammen. Die Informationsfreiheit gibt keinen Anspruch auf Eröffnung neuer Informationsquellen 18 . Sie zielt darum an den wirklich gefährlichen Fällen — Oligopolisierung oder Monopolisierung der Informationsquelle — vorbei: Von effektiver Bedeutung ist sie nur insoweit, als Zahl und Variationsbreite der Quellen von innerstaatlichen Maßnahmen unabhängig sind — eben bei den stets „zugänglichen" ausländischen Rundfunkstationen.

3. Glaubens- und Gewissensfreiheit

Innerste seelische Vorgänge scheinen aber i n A r t . 4 GG geschützt zu sein, so daß die nächste Überlegung diesem Normenkomplex zu gelten hätte 1 9 . Von den i n Art. 4 GG geschützten Bereichen scheidet die „ungestörte Reigionsausübung" sogleich aus. Es ist klär, daß es dort um den äußeren Vollzug des Glaubens geht. Nicht anders ist es bei der Bekenntnisfreiheit. Wie aber steht es m i t der Freiheit des Glaubens und des Gewissens? Offenbar ist mit Glaubens- und Gewissensfreiheit etwas anderes gemeint als die Bekenntnisfreiheit, sonst hätte ihre besondere Erwäh™ Hamann, Kommentar, S. 108, Anm. B 5 zu Art. 5; von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 241, Anm. V 2 zu A r t 5; Geiger, Stichwort „Grundrechte", StLex Bd. 3 Sp. 1133; Seiwerth, Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegenüber Grundrechtsverletzungen des Gesetzgebers durch Unterlassen, S. 49; Löffler, Der Informationsanspruch der Presse und des Rundfunks, NJW 1964/2277 f. 19 Die Methoden der „geheimen Verführer" sind der religiösen Welt übrigens nicht so fremd, wie man vielleicht glauben mag. Dazu vgl. Bennemann, Kirche und Werbimg; ders., Werbimg i m Dienste der Kirche? in: Die Neue Ordnung in Kirche, Staat, Gesellschaft, Kultur 21 (1967) 208 ff. Das LG Düsseldorf NJW 1966/2219 ff. hat die Kanzelwerbung für eine Altmaterialsammlung sogar als unlauteren Wettbewerb angesehen („Einspannung wettbewerbsfremder Autoritäten", a.a.O. S. 2220; kritisch: Scheuner, Die Religionsfreiheit im Grundgesetz, D Ö V 1967/585 ff., 590). Die Erzeugung von Gewissensdruck durch einen Hirtenbrief zur Wahl kann man durchaus als suggestive Beeinflussung verstehen (vgl. BVerwG 18/14 ff.; O V G Münster 18/1 ff. mit nur i m Ergebnis zustimmender Anmerkung von Ridder, JZ 1962/ 771 ff. und ablehnender Anmerkung von Pitzer, DVB1 1963/118 ff.). Der Ausdruck „Propaganda" geht auf das 1622 gegründete Kardinalskollegium „congregatio de propaganda fide" zurück (vgl. hierzu Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S.403 Fußnote 4; Hof stätter, Die Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 103; ders., Einführung in die Sozialpsychologie, S. 281; Hundhausen, Wesen und Formen der Werbung, Teil I : Wirtschaftswerbung, S. 48; Plate, Werbung oder Information? in: Sprache im technischen Zeitalter 7 [1963] 547 ff., 556; Bennemann, Kirche und Werbung, S.94).

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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nung keinen Sinn. Die Hoffnung, eine Spur der inneren, seelischen Freiheit gefunden zu haben, verstärkt sich angesichts der Materialien, wo von innerer und äußerer Religionsfreiheit die Rede ist; der Abgeordnete Dr. Süsterhenn nannte die Freiheit des Glaubens unverletzlich und fügte hinzu: „Hier sind innere Tatbestände gegeben, innere Entscheidungen 20 ." Gleichwohl zeigt sich bei Durchsicht der Literatur, daß die Freiheiten des Glaubens und Gewissens gewöhnlich mit der des Bekenntnisses schlicht zur „Bekenntnisfreiheit" zusammengezogen werden 21 . Klein argumentiert, A r t . 4 Abs. 1 GG werde erst für die Betätigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit rechtlich bedeutsam 22 . Diese Betrachtungsweise läßt Glaubens- und Gewissensfreiheit als tautologische Bekräftigungen der Bekenntnisfreiheit erscheinen; der Verfassungsgeber hat eben die „alteingeführte Terminologie nicht ganz missen wollen" 2 3 . Kamel ist der Meinung, die Bekenntnisfreiheit habe den äußeren Bereich, der früher zur Glaubens- und Gewissensfreiheit zu rechnen gewesen sei, aufgesogen 24 , und Maunz definiert: „Das Grundrecht der Glaubensfreiheit erlaubt auszusprechen und auch zu verschweigen, daß und was man glaubt oder nicht glaubt 2 5 ." Auch das Bundesverfassungsgericht folgt dieser Meinung, wenn es die Glaubenswerbung zur Glaubensfreiheit rechnet 20 . 20 Von Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JböffR 1 (1951) 74. So z. B. von Mangoldt-Klein, S.216, Anm. 113 zu Art. 4; Hesse, Grundzüge, S. 147; ähnlich übrigens schon Anschütz, Die Verfassimg des Deutschen Reiches, Kommentar, für die Weimarer Reichsverfassimg (S. 619, A n m 3 und 4 zu Art. 135); vgl. noch Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: Anschütz-Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts Bd. 2, S. 683 f. 2a von Mangoldt-Klein, S. 218, Anm. I I I 1 zu Art. 4. — Der Standpunkt Kleins bei der Fortführung des von Mangoldtschen Kommentars ist um so bemerkenswerter, als die Fassimg des Art. 4 Abs. 1 G G auf einen Vorschlag von Mangoldts zurückgeht (von Doemming-Füßlein-Matz a.a.O. S. 74). 23 von Mangoldt-Klein, S. 218, Anm. I I I 1 zu Art. 4. 24 Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Handbuch, Bd. 4, 1. Halbband, S. 60. 29 Deutsches Staatsrecht, S. 106. — Ähnlich: Wernicke im Bonner Kommentar (Erstbearbeitung), Art. 4 Anm. I I 1 c, S. 2; Koellreutter, Deutsches Staatsrecht, S. 55; zu den Länderverfassungen vgl. Zinn-Stein, Die Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, S. 124, A n m 2 zu Art. 9 und S. 125, Anm. 3 zu Art. 9; Süsterhenn-Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz, S. 103, Anm. 2 zu Art. 8; Nebinger, Kommentar zur Verfassung für Württemberg-Baden, S. 31, Anm. 3 zu Art. 10; Nawiasky-Leusser, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Kommentar, S. 188, Anm. zu Art. 107. — Viel weiter geht Karl Brinkmann, Grundrecht und Gewissen im Grundgesetz, S. 99 ff., der Gewissensfreiheit als „Freisein, nach dem Gewissen zu handeln" definiert (wobei er aber einen bedenklichen objektiven Gewissensbegriff zugrunde legt, S. 61 ff.). 2« BVerfG

12/1 ff. (4).

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Eine abweichende These ist von Scholler 27 vertreten worden. Scholler leitet aus der Gewissensfreiheit i n Verbindung m i t der Menschenwürde 2 8 und der religiösen Schweigefreiheit (Art. 140 GG, A r t . 136 Abs. 3 WRV) 2 9 den verfassungsrechtlichen Schutz der „Geheimsphäre" ab 3 0 . Diese These hat Widerspruch gefunden 31 . Wenn man die zivilistische Lehre von der Intimsphäre überhaupt verfassungsrechtlich verankern w i l l , dann scheint es i n der Tat zweifelhaft zu sein, ob die geschichtlich bedingte Gewissensfreiheit dafür den richtigen Ansatzpunkt bietet. Nun zieht Scholler seinen Begriff der „Geheimsphäre" außerordentlich weit und faßt schließlich selbst die „psychische Integrität" darunter 3 2 . Damit scheint er eine Grundlage für die Beurteilung suggestiver Einwirkungen zu liefern; aber die Eingriffe, auf die er sich bezieht und die er als „psychische Eingriffe" deklariert, sind dann doch wieder anderer A r t : Elektro- und Insulinschock; Leukotomie; Narkoanalyse 33 . Selbst wenn man i n suggestiver Beeinflussung einen Eingriff von vergleichbarer Schwere sehen wollte, würde man doch auf den von Ramm erhobenen Einwand stoßen, daß die Glaubens- und Gewissensfreiheit nur „einen — qualitativ besonders hervorgehobenen — Ausschnitt der Freiheit des Sichentschließens" bildet 3 4 . Es ist kaum vorstellbar, suggestive Seifenreklame als Eingriff i n die Gewissensfreiheit zu bekämpfen. Die Bedeutung der Glaubens- und Gewissensfreiheit muß aus ihrem verfassungsgeschichtlichen Schicksal bestimmt werden. Die Glaubensfreiheit läßt sich über die Weimarer Reichsverfassung (Art. 135), die Paulskirchenverfassung (§144) und das A L R (§§2 ff., I I 11) bis zum Westfälischen Frieden („conscientia libera", IPO V §34) zurückverfolgen. Die Freiheit von tiefenspychologischen Einwirkungen kann deshalb kaum aus der Glaubensfreiheit abgeleitet werden. Die Glaubensfreiheit des Westfälischen Friedens bezog sich vielmehr auf die Hausandacht 35 , so wie später das Wöllnersche Religionsedikt von 1788 27

Die Freiheit des Gewissens. 28 Scholler a.a.O. S. 131 ff. 29 Scholler a.a.O. S. 134 ff. so Scholler a.a.O. S. 140 ff. 31 Hamel , Glaubens- und Gewissensfreiheit, S.60 (zu Fußnote 75). 32 Scholler a.a.O. S. 146. 33 Scholler a.a.O. S. 146. Das gilt auch für einen Teil der von Zippelius im Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Rdnr. 40 zu Art. 4, aufgeführten Tatbestände. Daneben tauchen freilich dort Angriffsweisen auf, die sich gegen die Gewissensbildungsfreiheit i m engsten Sinne richten (Informationsmonopole, Fehlinformation). 34 Die Freiheit der Willensbildung, S. 15 (zu Fußnote 7). 35 Die „devotio domestica Simplex"": Scholler , Freiheit des Gewissens, S. 51 ff.

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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die Religionsfreiheit i n Preußen auf den „inneren Gottesdienst" i m engen Familienkreis beschränkte 36 . Die Religion i n diesem Lebensbereich war es auch, deretwegen niemand „beunruhigt, zur Rechenschaft gezogen, verspottet oder gar verfolgt" werden durfte (§ 4 I I 11 ALR) 3 7 . Die Bekenntnisfreiheit dagegen gibt der Glaubensfreiheit einen Bezug zur Öffentlichkeit. Sie erlaubt erst die religiöse Publizität und die Glaubenswerbung. Scholler polemisiert gegen die Reduzierung der Gewissensfreiheit auf ihren geschichtlich richtigen Kern, das Recht auf Hausandacht. Dies sei ein historischer Anachronismus 38 ; wenn zwei Verfassungen das gleiche sagten, so sei das noch lange nicht dasselbe 39 . Man w i r d dem folgen können, ohne die Schollersche Konsequenz (Schutz der „psychischen Integrität") zu ziehen: Die Glaubens- und Gewissensfreiheit nach dem Grundgesetz enthält mehr als ein Recht auf private Hausandacht, sie ist auf Abwehr staatlicher Intervention i n den religiösen Betätigungsbereich überhaupt gerichtet. Aber sie ist ein klassisches Abwehrrecht, sie gehört dem status negativus an. Das Grundgesetz hat mit der Bekenntnisfreiheit ein Recht auf religiöse Publizität 4 0 hinzugefügt, das dem Staatskirchentum 41 aus der Zeit des Rechts auf Hausandacht suspekt erschienen wäre. Der Unterschied zwischen Glaubens- und Gewissensfreiheit einerseits und Bekenntnisfreiheit andererseits deckt sich daher nicht m i t dem zwischen innerer Glaubensbildung und äußerer Glaubensbetätigung. Er ist eher der Antithetik von individueller Meinungsfreiheit und öffentlicher Meinungsbildungsfreiheit (Pressefreiheit) in Art. 5 GG zu vergleichen 42 . Beide Seiten der Religionsfreiheit beziehen sich auf die Betätigung des Glaubens und Gewissens, auf jenen äußeren Bereich, „ohne den 36

Vgl. Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 44. 37 Scholler a.a.O., S. 57 ff., 116; vgl. noch Harnel a.a.O. S.44; Anschütz, Religionsfreiheit, HdbDStR Bd. 2, S.678f. 38 Schüller, Freiheit des Gewissens, S. 109, vgl. noch S. 102. 3» Scholler, a.a.O., S. 116. 40 Die Bekenntnisfreiheit (in Verbindung mit der „religiösen Vereinigungsfreiheit" nach Art. 4 Abs. 1, 9 GG — vgl. von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 2231, Anm. V I , 2 zu Art. 4; Hamann, Kommentar, S. 101, Anm. B 3 zu Art. 4 — u n d mit Art. 19 Abs. 3 GG) ist auch der Sitz des kirchlichen „Öffentlichkeitsanspruches" (a. M. Hamann, Kommentar, S. 497, Anm. A 4 zu Art. 140, der ihn aus Art. 140 G G ableiten will). 41 Vgl* Anschütz, Religionsfreiheit, HbdDStR Bd. 2, S. 678. 42 Vgl. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 249 ff., 252. — Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 107, wirft Ridder eine „Tendenz zur Objektivierung der Grundrechte" vor. „Öffentlichkeit" — sei es des Glaubens, sei es des Meinens — bedeutet aber nicht einen bestimmten Inhalt (den allerdings, wie Scholler argwöhnt, nur der Staat oder „die Partei" festlegen könnte), sondern einen Modus: Kommunikative Breitenwirkung. 3

Faber

34

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives R e t

der Mensch seine Uberzeugung . . . gar nicht zu entfalten vermag" 43 » Denn „Glaube und Gewissen erhalten durch Mitteilungen Inhalt und Gestalt" 4 4 . Über das Zustandekommen des Glaubens — und damit m i t telbar über die Zulässigkeit suggestiver Einwirkungen überhaupt — sagen jedoch weder die Glaubens- und Gewissensfreiheit, noch die Bekenntnisfreiheit etwas aus. 4. Freiheit der Person

Ähnlich verheißungsvoll und ähnlich enttäuschend wie die Glaubensund Gewissensfreiheit ist die „Freiheit der Person" nach A r t . 2 Abs. 2 GG. Sie betrifft nur die körperliche Bewegungsfreiheit 45 . Das zeigt schon die Entstehungsgeschichte 46 , noch deutlicher w i r d es durch den systematischen Zusammenhang m i t den anderen i n A r t . 2 Abs. 2 geschützten Bereichen (Leben und körperliche Unversehrtheit) 47 .

5. Freiheit der Persönlichkeitsenf altung

Wenn aber die speziellen Grundrechte, insbesondere die geistigen Freiheiten nach A r t . 4 und 5 GG, nicht gegen suggestive Techniken ins Feld geführt werden können, dann muß man auf A r t . 2 Abs. 1 GG zurückgreifen. Tiefenpsychologische Werbung könnte durchaus ein „neues Einbruchsmittel i n den Persönlichkeitsbereich" sein, bei dem man A r t . 2 Abs. 1 GG noch „bitter brauchen" 48 wird, weil die „her43 Hamel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 47 f. 44 Hamel a.a.O. S. 38. — Ob auch die Etymologie dafür spricht, daß mit Glaubensfreiheit die Glaubensbetätigungsfreiheit gemeint ist, mag dahinstehen; jedenfalls ist es nicht so einfach, als ob „glauben" von „geloben" abzuleiten wäre (wie Hamel a.a.O. behauptet). Beide Worte haben vielmehr eine gemeinsame Wurzel (vgl. hierzu Kluge-Mitzka, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichworte „geloben", „glauben", „loben"). 43 Hamann, Kommentar, S. 83, A n m . B 10 zu Art. 2; von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 188, Anm. VT 2 ä zu Art. 2; Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Rdnr. 49 zu A r t 2 Abs. 2; Kimminich, Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/79; Jürgens, Grenzen der Wirtschaftswerbung, VerwArch 53 (1962) 114. 4fl von Doemming-Füßlein-Matz, JböffR 1 (1951) 63 ff.; über die frühere verfassungsgeschichtliche Entwicklung vgl. Peters, Auslegung der Grundrechtsbestimmungen, Historisches Jahrbuch 72 (1953) 467 f. 47 Die — nicht näher begründete — Meinimg von Wernicke (im Bonner Kommentar, Art. 2 Anm. I I 2 d, S. 5), die „Freiheit der Person" enthalte in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 eine Generalklausel der „allgemeinen persönlichen Freiheit", ist demgegenüber nicht überzeugend. — Die Ansicht von Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 105, zur Freiheit der Person gehöre auch das Freisein von Furcht, hat kein Echo gefunden, vgl. Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 49 zu A r t 2 Abs. 2 und dort Fußnote 2. 48 Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 42 (unter Ziffer 5) zu A r t 2 Abs. 1.

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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k ö m m l i c h e n F r e i h e i t s r e c h t e t h e m a t i s c h v e r s a g e n " 4 9 . D i e Frage, ob das „ H a u p t f r e i h e i t s r e c h t " 6 0 des A r t . 2 A b s . 1 G G w i r k l i c h e i n „ m ü t t e r l i c h e s A u f f a n g r e c h t " 5 1 i s t u n d ob es G r u n d r e c h t s q u a l i t ä t 5 2 h a t , s o l l h i e r d e n G a n g d e r U n t e r s u c h i m g n i c h t a u f h a l t e n . D e m W o r l a u t der „ f r e i e n E n t f a l t u n g d e r P e r s ö n l i c h k e i t " nach w ä r e es schon geeignet, r e i n psychologische E i n g r i f f e z u erfassen 5 3 . E n t s c h e i d e n d w i r d es w i e d e r d a r a u f a n k o m m e n , ob d i e r a t i o legis d e r a r t i g e E i n g r i f f e t r i f f t . Das Recht a u f f r e i e P e r s ö n l i c h k e i t s e n t f a l t u n g w i r d ü b e r w i e g e n d 5 4 als die „ a l l g e m e i n e H a n d l u n g s f r e i h e i t i m S i n n e der n a t u r r e c h t l i c h liberalen H a n d l u n g s f r e i h e i t " 5 5 gedeutet56. Die Persönlichkeitskernt h e o r i e 5 7 , nach der die H a n d l u n g s f r e i h e i t n u r i m R a h m e n der g e i s t i g s i t t l i c h e n E n t f a l t u n g geschützt w i r d 5 8 , i s t seit d e r „ a u t o r i t a t i v e n " 5 9 E n t s c h e i d u n g des M e i n u n g s s t r e i t e s d u r c h das Bundesverfassungsgericht 60

4» Maunz-Dürig a.a.O. Rdnr. 10 zu Art. 2 Abs. 1. m Maunz-Dürig a.a.O. Rdnr. 6 zu Art. 2 Abs. 1. 5i Maunz-Dürig a.a.O. Rdnr. 8 zu Art. 2 Abs. 1. m Vgl. dazu Maunz-Dürig a.a.O. Rdnr. 5 zu Art. 2 Abs. 1. m Skeptisch Roemer, Zum Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, S. 575 (im Zusammenhang mit Riesmans Begriff der „Außenlenkung", vgl. Riesman, Die einsame Masse, S. 51): „Diese Fragen liegen außerhalb der Kompetenz des Juristen." 54 wernicke i m Bonner Kommentar, Art. 2 Anm. I I 1 a, S. 2; Hamann, Kommentar, S. 78, Anm. B 3 b zu Art. 2; Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 9 und 11 zu Art. 2 Abs. 1; Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 770. «s So faßt Klein die von ihm kritisierte herrschende Lehre zusammen (in: von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 171, Anm. I I I 6 a zu Art. 2). 58 Vgl. Art. 4 der Déclaration des droits de l'homme et du citoyen von 1789: „La liberté consiste à pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas à autrui . . und schon Florentines D. 1, 5, 4 definierte: „Liberias est naturalis facultas eius quod cuique facere libet, nisi si quid vi aut iure prohibetur." s? Dieser Ausdruck ist üblich geworden, vgl. z.B. Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, S. 26; Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 769; Hubmann, Das Menschenbild unserer Rechtsordnung, in: Festschrift für Nipperdey, Bd. 1, S. 52. 58 Vertreten namentlich von Peters, Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: Festschrift für Laun, S. 673 f. Vermittelnd: Hesse, Grundzüge, S. 162. 59 Dürig, Anmerkung zum „Elfes-Urteil", JZ 1957/170. «o BVerfG 6/32 ff. (36). Zur neueren Entwicklung vgl. BVerfG 20/150 ff., wo das Bundesverfassungsgericht an seiner Rechtsprechung festhält (S. 154), und aus der Literatur namentlich Walter Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz, AöR 91 (1966) 42 ff., der zwischen den Thesen „Persönlichkeitskern" und „allgemeine Handlungsfreiheit" einen Ausgleich sucht mit der Annahme, Auffangfunktionen habe das Grundrecht nur in Verbindung mit neuen Freiheitsschutzbereichen (a.a.O. S. 82 f.); ein Lösungsweg, den auch Rupp, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sammlungsgesetz — eine Wende in der Grundrechtsinterpretation des Art. 2 Abs. 1 GG? NJW 1966/ 2037 ff., für gangbar hält. 3*

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

stark zurückgedrängt worden 6 1 . Für beide Interpretationen der Handlungsfreiheit gilt aber, daß das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit „tätigkeitsbezogen" 62 ist: „Der Mensch entfaltet sich i m Handeln 6 3 ." Garantiert ist also die äußere Handlungsfreiheit 64 . Wieder einmal zeigt sich, daß der Sachverhalt der suggestiven Einwirkungen haarscharf neben dem Schutzbereich der Norm liegt. Wenn Kimminich 65 die Formulierung Laufkes 66 von einem „Recht zu selbständigem Handeln und Denken" zum Ausgangspunkt nimmt, um eine „Freiheit zur geistigen Tat" zu entwickeln, dann ist er das Opfer eines Mißverständnisses geworden. Laufke meint m i t dem Recht auf selbständiges Handeln und Denken nichts anderes als die allgemeine Handlungsfreiheit, wie sich aus der Gegenüberstellung m i t der Persönlichkeitskerntheorie ergibt. Nirgends gibt Laufke zu erkennen, daß er — neben dem mittelbaren Schutz des Denkens durch die Garantie seines Vollzuges i m Handeln — ein eigentliches Recht zum selbständigen Denken annehme, wie denn eben die Freiheit der Entfaltung nicht Gedankenfreiheit, sondern Handlungsfreiheit bedeutet. Dieser gegenüber dem Wortlaut engeren Ratio des Gesetzes w i r d auch Ramm67 nicht gerecht, wenn er die „unbeeinflußte Abwägung" zum Merkmal der freien Persönlichkeitsentfaltung macht und daraus eine „Freiheit des Denkens, Fühlens, Wollens und Sichentschließens" ableitet. Der pragmatische Charakter der Entfaltungsfreiheit ist eben eine Hürde, die sich m i t der Gesetzesanalogie allein nicht nehmen läßt. Weitere Bedenken gegen die Rammsche Lösung ergeben sich daraus, daß sie die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG in das Gebiet der Gedankenfreiheit verschleppen müßte 6 8 . Wenn Ramm diese Konsequenz ei Vgl. z.B. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Bettermann-Nipperdey-Scheu ner, Die Grundrechte, Handbuch, Bd. 3, 1. Halbband, S. 167 und dort Fußnote 44; Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 69 und dort Fußnote

180.

62 Hamann, Kommentar, S. 78, Anm. B 3 a zu Art. 2. 63 Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 770; ferner: Wernicke im Bonner Kommentar, Art. 2 Anm. I I 1 a, S. 2; Scholtissek, Innere Grenzen der Freiheitsrechte, N J W 1952/563. 64 Kimminich , Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/82. Selbst Roerher, der dem Juristen eine Fülle psychologischen Materials zugänglich gemacht hat (Zum Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, S. 554 ff.), bleibt bei einer — äußeren — „Verhaltensfreiheit" stehen (S. 569). 65 Staat 1964/82. 66 Vertragsfreiheit und Grundgesetz, in: Festschrift für Heinrich Lehmann, S. 160 f. 6? Freiheit der Willensbildung, S. 21. 68 Aus denselben Gründen kann auch Adolf Arndt, Begriff und Wesen der öffentlichen Meinung, S. 9 nicht gefolgt werden (Freiheit im Grundgesetz meine Freiheit zur politischen, sittlichen, geistigen und seelischen Selbstbestimmung in allen Aktionen des Denkens und Glaubens).

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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n i c h t z i e h t u n d die A b s o l u t h e i t des Schutzes u. a. aus A r t . 4 G G f o l g e r t 6 9 , d a n n zeigt er d a m i t n u r , daß die F r e i h e i t der G e d a n k e n n i c h t v o n e i n e m einzelnen G r u n d r e c h t h e r b e f r i e d i g e n d erschlossen w e r d e n kann70. 6. Menschenwürde N a c h d e m die speziellen G r u n d r e c h t e u n d auch das „ A u f f a n g r e c h t " des A r t . 2 Abs. 1 versagt haben, w i r d es e r l a u b t sein, e i n e n abschließenden B l i c k a u f das Gebot der M e n s c h e n w ü r d e ( A r t . 1 A b s . 1 G G ) z u w e r f e n . W e n n es auch k e i n G r u n d r e c h t i m ü b l i c h e n S i n n e e n t h ä l t 7 1 , so ist A r t . 1 A b s . 1 G G doch „oberstes K o n s t i t u t i o n s p r i n z i p a l l e n o b j e k t i v e n R e c h t s " 7 2 u n d z u r L ü c k e n a u s f ü l l u n g der speziellen G r u n d rechte h e r a n z u z i e h e n 7 3 . Es k ö n n t e d a h e r sein, daß der G r u n d s a t z der M e n s c h e n w ü r d e z u e i n e r U b e r p r ü f u n g der b i s h e r i g e n Ergebnisse zwingt. Tiefenpsychologische A p p e l l e , sodann jede W e r b u n g , die sich n i c h t a n I n d i v i d u e n , sondern a n die Masse r i c h t e t , w o b e i sich d e r E r f o l g n i c h t e i n m a l d e r Z a h l nach voraussagen l ä ß t 7 4 , h a b e n etwas U n b e Freiheit der Willensbildung, S. 23. 70 Auch Dürigs These von dem „Recht auf Bewußtheit rechtserheblicher Willenserklärungen" (in: Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 35 zu Art. 2 Abs. 1), auf die Ramm (Freiheit der Willensbildung, S. 16 f.) verweist, hilft nicht weiter. Unbewußt ist ja in der Regel nicht die durch Suggestion ausgelöste Willenserklärung, sondern — allenfalls — deren Motivation. Etwas anderes könnte vielleicht für die Konditionierung von Meinungsäußerungen gelten; vgl. hierzu das Sammelreferat von Krasner, Studies of the Conditioning of Verbal Behavior, Psychological Bulletin 55 (1958) 148 ff. und namentlich den Versuch von Singer, Verbal Conditioning and Generalization of Prodemocratic Responses, Journal of Abnormal and Social Psychology 63 (1961) 43 ff. Gerade bei solchen Versuchen ist es aber fraglich, ob die Annahme von „behavior without awareness" einer kritischen methodischen Nachprüfung standhält (Adams, Laboratory Studies of Behavior Without Awareness, Psychological Bulletin 54 [1957] 383 ff., 400). 71 Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 4 zu Art. 1; a. A. vor allem Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 11 ff.; jetzt auch Zippelius im Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Rdnr. 31 ff. Die Frage ist wegen §90 BVerfGG von geringer Bedeutung, wie Hamann, Kommentar, S. 68, Anm. A 2 zu Art. 1, mit Recht hervorhebt. 73 Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 4 zu Art. 1. 73 Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 13 zu Art. 1; von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 147, Anm. I I I 1 c zu Art. 1; Wernicke i m Bonner Kommentar (Erstbearbeitung), Art. 1 Anm. I I 3 a, S. 4. 74 So schwankt z. B. die Zahl der unter normalen Bedingungen gegen Propaganda anfälligen Wähler („floating vote", vgl. von der Heydte-Sacherl, Soziologie der deutschen Parteien, S. 357 Fußnote 11) zwischen 9 °/o (USA, Erie County 1940; nach Rossi, Four Landmarks in Voting Research, S. 17) und 29 °/o (USA, Stadt Elmira, 1948; nach Berelson-Lazarsfeld-McPhee, Voting, S. 17); in Deutschland rechnet man mit etwa 2 5 % (Hennis , Meinungs-

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

rechenbares und zutiefst Unmenschliches an sich. Suggestive Techniken sollen zudem den Umworbenen so beeinflussen, daß er die suggerierte Handlung als Folge einer eigenen unabhängigen Entscheidung erlebt 7 5 . I n einem Lehrbuch der Werbepsychologie 76 heißt es schlicht: „Der Umworbene soll eine Ware nicht kaufen, weil ihm die Werbung gefiel oder zusetzte, sondern weil er sie für gut, preiswert oder sonstwie sachlich vorteilhaft hält. Man muß erreichen, daß einer aus freien Stücken das tun will, was man von ihm getan haben möchte... Man muß mit der Werbung auch gleich die Gründe mitliefern, die sich zum Rationalisieren eignen."

Der Werbende beherrscht somit den Umworbenen über verborgene psychische Mechanismen, er ordnet ihn seinen Zwecken unter, behandelt ihn also als bloßes Mittel, als „vertretbare Größe" 77 , mit der gerechnet werden kann. Verletzung der Menschenwürde ist aber immer dann anzunehmen, wenn der Mensch „zum bloßen Objekt erniedrigt, zum bloßen M i t t e l mißbraucht" 7 8 wird. Die Verletzung der Menschenwürde scheint hier u m so augenfälliger zu sein, als die erfolgreiche Suggestion die vernünftige Überlegung zur „sekundären Rationalisierung" 79, zu einem Spiegelgefecht des Denkens 80 herabwürdigt. Dennoch ist es fraglich, ob damit schon ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG gegeben ist. Das hängt davon ab, wie weit der verfassungsrechtliche Begriff der Menschenwürde reicht. Geht man den Tätbeständen nach, die i n der Literatur als Beispiele für die Herabwürdigung des Menschen zum Objekt genannt werden, so findet man durchweg apokalyptische Greuelkataloge: Verschleppung, Austreibung, Zwangsforschung und repräsentative Demokratie, S. 10 Fußnote 10; Kaase, Die Wählerschaft der Parteien bei der Bundestagswahl von 1961, in: UnkelbachWildenmann-Kaltefleiter , Wähler Parteien Parlament, S. 22 ff., S. 28 f., weist auf eine Fehlerquelle hin, die bei Hirsch-Weber/Schütz, Wähler und Gewählte, S. 155, eine Rolle gespielt haben könnte; grundsätzliche methodische Kritik zu dem Begriff „floating vote" bei Diederich , Empirische Wahlforschung, S. 178, 199 Fußnote 79, S. 202). Eine gute Übersetzung für „floating vote" findet sich bei Johanna Kendziora , Begriff der politischen Partei, S. 61 („Treibholz"). Vgl. auch Kaase a.a.O. S. 27 ff. („Wechselwähler"). 75 Vgl. Herbert Krüger , Rundfunk im Verfassungsgefüge, S. 43, und Domiz laff , Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, Ein Lehrbuch der Markentechnik, S. 138. 76 von Holzschuher , Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 44. — Nach Domizlaff, Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, S. 90, ist die Markentechnik um so erfolgreicher, „je weniger sich das Publikum gedrängt glaubt, und je fester die Überzeugung von der Freiwilligkeit des Kaufentschlusses aufrechterhalten wird". 77 Vgl. Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 28 zu Art. 1. 78 Wintrich , Zur Problematik der Grundrechte, S. 17. 79 Kropf f, Angewandte Psychologie, S. 208 ff.; von Holzschuher , Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 42 ff. w von Holzschuher, Praktische Psychologie, S. 138.

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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a r b e i t , V e r s k l a v u n g , M a s s e n m o r d 8 1 . A l l e diese V e r l e t z u n g s v o r g ä n g e h a b e n das eine gemeinsam, daß sie die physische E x i s t e n z des M e n schen betreffen. Das e n t s p r i c h t durchaus d e r R a t i o des A r t . 1 A b s . 1 G G , der sich gegen die nationalsozialistischen V e r b r e c h e n r i c h t e t 8 2 . Z u w e i l e n w i r d n u n als B e i s p i e l f ü r eine V e r l e t z u n g d e r Menschenw ü r d e auch die B e e i n t r ä c h t i g u n g der „ W i l l e n s f r e i h e i t " 8 3 g e n a n n t . E i n e analoge A n w e n d u n g a u f suggestive W e r b u n g scheint sich h i e r a n z u b i e t e n 8 4 . S i e h t m a n n ä h e r h i n , stößt m a n a u f „ p h y s i s c h e n Z w a n g " u n d die A n w e n d u n g chemischer M i t t e l b e i d e r W a h r h e i t s e r m i t t l u n g 8 5 , also a u f die T a t b e s t ä n d e des § 1 3 6 a S t P O 8 6 , die fast a l l e U n t e r f ä l l e des „körperlichen Eingriffs" 87 sind (Mißhandlung, Ermüdung, Verabreic h u n g v o n D r o g e n ) 8 8 . Das t r i f f t n u r b e i T ä u s c h u n g u n d H y p n o s e (vgl. § 136 a StPO) n i c h t zu. I m m e r h i n ist die H y p n o s e i n z w i s c h e n i m S t r a f recht als „ G e w a l t " a n e r k a n n t 8 9 . I m ü b r i g e n ist es gerade b e i H y p n o s e u n d T ä u s c h u n g z w e i f e l h a f t , ob es sich h i e r w i r k l i c h u m K o n k r e t i s i e r u n g e n des A r t . 1 A b s . 1 G G h a n d e l t , oder ob m a n das H y p n o s e - u n d 81 Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, S. 17; Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 30 zu A r t l ; von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 153, Anm. I I I 5 b zu Art. 1; Wernicke i m Bonner Kommentar (Erstbearbeitung), Art. 1 Anm. I I 2 c, S. 3; Zippelius i m Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Rdnr. 12ff. zu A r t l ; Hamann, Kommentar, S. 71, Anm. B 3 b zu Art. 1; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 101; Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 27; BVerfG 1/104. Häufig wird gemahnt, Art. 1 Abs. 1 G G nicht als „kleine Münze" zu verschleudern (Maunz-Dürig a.a.O. Rdnr.29 zu A r t l ; Nipperdey a.a.O. S. 17 Fußnote 35; Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 21 Fußnote 26). m von Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JböffR 1 (1951) 48. 83 Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956) 128; Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 15. 84 Versucht von Jürgens, Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbimg, VerwArch 53 (1962) 113 ff. 85 Dürig AöR 81 (1956) 128. 8® Nach Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 30, sind sie „Konkretisierung des Art. 1 Abs. 1". Vgl. auch Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 34 zu Art. 2 Abs. 1 („Grundrechtsausführungsvorsdirift"). 87 Der körperliche Eingriff ist streng zu trennen von der körperlichen Untersuchung (§§ 81 a ff. StPO), die nicht auf seelische Beeinflussung abzielt (Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 35 zu Art. 2 Abs. 2, S. 98 Fußnote 3). 88 Daß zur Narkoanalyse ein körperlicher Eingriff gehört (vgl. MaunzDürig a.a.O. Rdnr. 35 zu Art. 2 Abs. 2), übersieht Eichmann, Auswirkungen des Grundgesetzes auf die Werbepraxis, GRUR 1964/66, wenn er die unterschwellige Werbung ohne weiteres wie die Narkoanalyse behandeln will.

8» Welzel, Das Deutsche Straf recht, 9. Aüflage, S. 288; Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 13. Auflage, S. 1050, Anm. I I I 1 vor § 234, Rdnr. 7; Schwarz-Dreher, Strafgesetzbuch, Kommentar, 29. Auflage S. 225, Anm. 2 zu §52; vgl. noch BGHSt 1/145 ff. Das Reichsgericht (RGSt 64/113 ff., 115, 118) hielt hypnoseartige Einwirkungen nicht für Gewalt und wich erst nach Aufhebung des Analogieverbots hiervon ab (RGSt 72/352).

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1. Abshnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

T ä u s c h u n g s v e r b o t n i c h t r i c h t i g e r als eine v e r f a h r e n s r e c h t l i c h e W i e d e r h o l u n g des A r t . 104 A b s . 1 Satz 2 G G z u d e u t e n h a t 9 0 , der n e b e n d e r k ö r p e r l i c h e n a u s d r ü c k l i c h auch die seelische M i ß h a n d l u n g v e r b i e t e t 9 1 . E i n Rückschluß a u f die R e i c h w e i t e des A r t . 1 A b s . 1 G G w ä r e d a n n f e h l a m Platze. N a c h d e r b i s h e r i g e n B e s t a n d s a u f n a h m e g e h ö r t z u r V e r l e t z u n g der M e n s c h e n w ü r d e e i n E i n g r i f f i n die physische E x i s t e n z des M e n s c h e n 9 2 . D i e h i e r f r a g l i c h e n suggestiven T e c h n i k e n zielen jedoch, schon i h r e r D e f i n i t i o n n a c h 9 3 , auf eine ausschließlich seelische Beeinflussung; sie s i n d n i c h t e i n m a l — w i e die H y p n o s e — u n m i t t e l b a r z w i n g e n d . N u n s o l l die M e n s c h e n w ü r d e auch noch e i n e n „seelischen I n n e n r a u m " 9 4 umfassen, e i n e n „ i n n e r s t e n B e r e i c h " , e i n „ i n d i v i d u e l l e s F ü r s i c h s e i n " 9 5 , Gerade der G e d a n k e des „seelischen E i g e n r a u m e s " geht aber a u f die E n t s c h e i d u n g des Bundesgerichtshofes z u m L ü g e n d e t e k t o r 9 6 zurück, w o das ausschlaggebende g r a v a m e n n i c h t die „ E r f o r s c h u n g des U n b e w u ß t e n " 9 7 , sondern die a m K ö r p e r erfolgende M e s s u n g 9 8 , d e r E i n b r u c h i n d e n seelischen I n n e n r a u m m i t physisch-mechanischen M i t t e l n gew e s e n sein d ü r f t e 9 9 . Vgl. Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 34 zu Art. 2 Abs. 1. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde wäre also nur insoweit in Art. 104 Abs. 1 GG sinngemäß enthalten (vgl. BGHSt 5/332 ff., 333), als es um das Verbot körperlicher Mißhandlung geht. 92 Wobei der körperliche Eingriff durchaus Mittel zur psychischen Beeinflussung sein kann (vgl. oben Fußnote 87). 93 Vgl. dazu die Einleitung (bei Fußnote 58). 94 Hamann, Kommentar, S. 69, Anm. B 1 b zu Art. 1. 95 Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 20. 9fl BGHSt 5/332 ff. (335); kritisch dazu Zippelius im Bonner Kommentar (Zweitbearbeitung), Rdnr. 18 zu Art. 1 (S. 15 f.). 97 Deshalb ist zutreffend die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 17/342 ff.; so schon VGH Mannheim DVB1 1963/733 ff. [734]; zustimmend: BAG A P Nr. 1 zu Art. 1 GG [Bl. 985 Rl; Forsthoff, Der Persönlichkeitsschutz i m Verwaltungsrecht, in: Festschrift für den 45. DJT, S. 49; Zippelius im Bonner Kommentar [Zweitbearbeitung], Rdnr. 18 zu Art. 1 [S. 16]), mit dem Lügendetektor könne „die Erforschung der menschlichen Persönlichkeit mit Hilfe der Methode der psychologischen Wissenschaft nicht auf eine Stufe gestellt werden" (BVerwG 17/346), obwohl auch hier der Proband die Tragweite seiner Reaktion nicht durchschaut (Hans Joachim Schneider, Die Verwendung psychodiagnostischer Testverfahren bei der Prüfung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, JZ 1964/752; auf die Einwilligung des Probanden kann es deshalb in der Tat nicht ankommen; insoweit ist Wertenbruch in seiner kritischen Anm. zu BAG a.a.O. [Bl. 987 R] zuzustimmen). Hörstel, Wird die Würde des Menschen durch psychologische Untersuchungen i m Auftrage der Verwaltung angetastet? D V B l 1964/1012, übersieht, daß es gerade die Grenze zwischen körperlichem und seelischem „Eingriff" ist, die den Lügendetektor von der psychologischen Begutachtung unterscheidet. 98 Die Anlegung der Sonden ist kein Eingriff in die „körperliche Unversehrtheit", so daß Art. 2 Abs. 2 GG ausscheidet. 9® M i t Recht vermutet Klein (in: von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 153, Anm. I I I 5 a zu Art. 1): „Ferner scheint bei jener Meinung auch der Gedanke

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

4t

I m übrigen geht es ja bei Werbung und Propaganda — i m Gegensatz zur qualitativen Motivforschung (Tiefeninterview) 1 0 0 — nicht um die Ausforschung, sondern umgekehrt u m die Beeinflussung des Un>bewußten. Auf diesen Fall bezieht sich der Gedanke des „seelischen Eigenraumes" seiner Herkunft nach nicht. Daher ist die Menschenwürde ebensowenig die gesuchte sedes materiae wie die Grundrechte aus Art. 2, 4 oder 5. Die Basis der untersuchten Normen ist offenbar i n jedem einzelnen Fall zu schmal, um ein Recht auf Abwehr suggestiver Einwirkungen zu tragen. Das w i r f t die Frage nach der Möglichkeit einer Rechtsanalogie auf.

II. Grundrechte außerhalb des Grundgesetzes Hält man außerhalb des Grundgesetzes Ausschau nach Rechtssätzen, die sich auf suggestive Techniken beziehen und insoweit einen allgemeinen Rechtsgedanken enthalten könnten, so stößt man auf eine Reihe von Normen, i n denen von „Überzeugungsfreiheit" 1 oder „Gedankenfreiheit" 2 die Rede ist. Das Eigenartige ist nun, daß die Gedankenfreiheit i n allen diesen Fällen i n engstem Zusammenhang mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit genannt wird. Eine „Gewissens- und Denkfreiheit" kannte aber bereits die Verfassung für das Königreich Württemberg vom eine Rolle zu spielen, daß ... in den Fällen der in der Hauptsache inkriminierten psychologischen Beweismittel ... auch der Grad der physisch-psychischen Einwirkung auf den Betroffenen größer sei ..Klein hält den Satz, daß psychologische Beweismittel gegen die Menschenwürde verstoßen, mit Recht für „viel zu lapidar" und will die Menschenwürde nur bei solchen Vernehmungstechniken in Gefahr sehen, die „einen bestimmten ... Grad ... von physisch-psychischer Einwirkung auf den Betroffenen überschreiten . Pas Bundesverwaltungsgericht hat sich in der oben Fußnote 97 genannten Entscheidung ausdrücklich auf diese Kommentarstelle berufen (BVerwG 17/346). Das Fazit für die gegenwärtige Untersuchung lautet: Psychische Einwirkungen verletzen die Menschenwürde nur dann, wenn sie von einem physischen Eingriff mindestens begleitet sind. Vgl. dazu Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956) 128; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 142. *oo Kropff, Motivforschung, S. 141 ff.; Berth, Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 86 ff. i Bremer Verfassung vom 21.10.1947 (Art. 4); Hessische Verfassung vom 1.12.1946 (Art. 9); Verfassimg für Rheinland-Pfalz vom 18.5.1947 (Art. 8). — Vgl. auch HChE Art. 6 Abs. 1 (Bericht des Verfassungsausschusses, S. 62; ferner von Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte, JböffR 1 [1951] 73). * Art. 9 Abs. 1 M R K vom 4.11.1950; Art. 18 der Universal Declaration of Human Rights (UNO) vom 10.12.1948; Art. 19 der japanischen Verfassung vom 3. 5.1947.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

25.9.1819 (§24). Diese Gedankenfreiheit ist nichts anderes als eine säkularisierte Gewissensfreiheit 8 : Es ist ein charakteristischer Zug der Aufklärung, daß sie das Gewissen als die vom Geist Gottes erleuchtete Vernunft deutet 4 . Die Überzeugungsfreiheit bedeutet das Recht, der Stimme des Gewissens zu folgen 5 ; insbesondere — i m Wöllnerschen Religionsdelikt vom 9. 7.1788 (§ 3)® und i n der 2. Beilage zur Bayerischen Verfassung vom 26. 5.1818 (§ 5) 7 — das Recht auf Wahl und Wechsel des Glaubensbekenntnisses. Auch Schillers „Gedankenfreiheit" und Fichtes „Denkfreiheit" tragen religiöse Akzente. Es fällt gegenüber diesen Traditionen schwer, i n der „Überzeugungsfreiheit" der genannten drei Länderverfassungen etwas grundsätzlich Neues zu sehen8. Was die Gedankenfreiheit als modernes Menschenrecht angeht, so dürften die i n Art. 9 M R K und A r t . 18 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen angefügten und fast wörtlich übereinstimmenden Legaldefinitionen jeden Zweifel beseitigen: „ . . . this right includes freedom to change. religion or belief, and freedom . . . to m a n i f e s t : . . religion or belief . . . 9 " Die Gedankenfreiheit ist also eine Freiheit zum Bekenntnis und Austausch bereits gebildeter Gedanken 10 . Die französische Erklärung der > Hömel, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 41, 43 ff. 4 Harnel a.a.O. S. 40; Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 69 Fußnote 19; Süsterhenn-Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz, Einleitung S. 21 f. « Hamel a.a.O., S. 44. • Nach Carl Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums, S. 416. 7 Nach Carl Mirbt a.a.O. S. 429. — I m Toleranzpatent Josephs I I . vom 13.10. 1781 kommt „Freiheit der Überzeugung" nicht vor (wie Hamel, Glaubensund Gewissensfreiheit, S. 44, offenbar glaubt). s Deshalb nicht recht überzeugend Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 108. Vgl. die zutreffende Definition bei Zinn-Stein, Die Verfassung des Landes Hessen, Kommentar, S. 125, Anm. 3 zu Art. 9: „Die Überzeugüngsfreiheit ..'. ist Freiheit des Denkens oder Gedankenfreiheit, mithin die Freiheit, das für wahr Erkannte . . . zu äußern." 9 Art. 18 der Universal Declaration of Human Rights (UNO) vom 10.12. 1948. — Vgl. dagegen Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte, S. 249, Anm. 2 zu Art. 9: „Gedankenfreiheit ist die Freiheit, sich . . . eigene Gedanken zu machen, sie auszusprechen oder zu verschweigen." Dabei schwingt aber wohl die Vorstellung mit, daß der Gedankenbildung nur in Verbindung mit der Äußerung rechtliche Bedeutung zukommt; so ausdrücklich Guradze, Der Stand der Menschenrechte im Völkerrecht, S. 206. 10 Schon Wieland, Gegenfragen an den fragenden Weltbürger, Teutscher Merkur 3 (1783) 88, verstand unter Gedankenfreiheit die „Freiheyt laut zu denken"; vgl. Annelies Reichert, Wielands Stellungnahme zur Frage der Pressefreiheit, Diss. München 1948, S. 34; Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz, S. 65 (wo die Fundstelle in Füßnote 3 aber nicht richtig wiedergegeben ist); ders., Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, S. 102: „Neben der Pressefreiheit stehen die Ausdrücke

A. Das Versagen der positiven Grundrechte

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Menschen- u n d B ü r g e r r e c h t e d r ü c k t das G e m e i n t e a m k l a r s t e n „La

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w ä r e d i e F o r m u l i e r u n g „ l i b e r t é d e p e n s é e " 1 2 n i c h t anders v e r s t a n d e n worden18. N u n s i n d f r e i l i c h die B e k e n n t n i s s e z u r G e d a n k e n f r e i h e i t so w e i t gefaßt, daß sie z u r N o t als Gefäße f ü r e i n e n I n h a l t d i e n e n k ö n n t e n 1 4 , f ü r d e n sie nach i h r e r geschichtlichen E n t s t e h u n g g a r n i c h t b e s t i m m t w a r e n . A b e r gerade i h r e geschichtliche B e d i n g t h e i t u n d i h r e V e r flechtung m i t d e r G e w i s s e n s f r e i h e i t lassen es als z w e i f e l h a f t erscheinen, o b sie als G r u n d l a g e f ü r d e n Schutz d e r psychischen F r e i h e i t sicher u n d e i n d e u t i g g e n u g sind.

Denk- bzw. Gedankenfreiheit, Redefreiheit, Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit. Sie alle sind Varianten des Oberbegriffes Geistesfreiheit, die aber nicht als Vorgang hinter der Stirne des Menschen zu verstehen ist..." — Ähnlich definiert das Deutsche Wörterbuch (1878), Stichwort „Gedankenfreiheit": „Freiheit des Wortes, Freiheit des ausgesprochenen Gedankens." Vgl. noch Schubert, Freie Meinungsäußerung, S. 1 ; Franz Schneider, Presseund Meinungsfreiheit, S. 67 („Gedankenäußerungsfreiheit"); verkannt von Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 20. "Vgl. noch Art. 21 Abs. 1 der italienischen Verfassimg vom 27.12.1947: „Tutti hanno diritto di manifestare liberamente il proprio pensiero . . . " ™ So rechnet z. B. Burdeau , Les libertés publiques, auch heute zur „liberté de pensée (S. 193 ff.): Liberté d'opinion et fonction publique; liberté de la presse; les spectacles et la radiodiffusion; renseignement; la liberté religieuse. 13 Noch Kahl konnte der Formulierung „Gedanken- und Gewissensfreiheit" den Vorwurf des „lächerlichen Pleonasmus" und der ^Gedankenlosigkeit" machen (Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Band 328, S. 1647—59. Sitzung vom 17.7.1919). ^ i n dieser Richtung fühlt Ridder vor (Meinungsfreiheit, S. 246 Fußnote 11).

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit Eine tiefergehende Verankerung kann der Schutz des Individuums vor suggestiven Einwirkungen dann erhalten, wenn es möglich ist, die Notwendigkeit dieses Schutzes m i t der Struktur der klassischen Grundrechte zu begründen. Dazu sind eine historische („klassische" Grundrechte) und eine systematische Argumentation (Struktur) erforderlich.

I . Verfassungsgeschichtliche Begründung

Demagogie gab es schon i m alten Athen. Gleichwohl hat sich i m Bereich suggestiver Beeinflussungen jüngst eine grundlegende Wandlung vollzogen. Beruhte früher der Erfolg einer Suggestion auf dem Genius des Verführers — wobei dessen unbewußte Kräfte mitgewirkt haben mögen 1 —, so ist es heute möglich geworden, suggestive Einwirkungen mit wissenschaftlicher Akribie anzusetzen und zu beherrschen. Die ideellen und materiellen Bedingungen dieser Verfeinerung haben sich erst i m Zeitalter der „affluent society" 2 mit ihren Absatzproblemen und mit ihrer Verflachung des Politischen einschließlich der dafür kennzeichnenden „Profilneurose" einerseits und den Lehren der Psychoanalyse sowie dem Aufstieg der empirischen Sozialforschung andererseits zu einer optimalen Konstellation gefügt. Die Grundrechte sind Reaktionen auf die Übergriffe der Mächtigen und zeigen deshalb i n ihrem geschichtlichen Entwicklungsbild starke Abhängigkeiten von den jeweils aktuellen Angriffsweisen 3 , mag es sich nun u m Folter und Inquisition oder um Zuchthausstrafen wegen „vielfältigen Räsonnierens" 4 gehandelt haben. Gehört aber der planmäßig beherrschte Einsatz suggestiver Techniken erst der jüngsten Zeit an, dann ist dem Versuch, i n der Verfassungsgeschichte nach der Forderung einer Freiheit von psychisch raffinierter. Werbung zu fahnden, eine denkbar schlechte Prognose zu stellen. i Dazu eindrucksvoll Feller, Psycho-Dynamik der Reklame, S, 26 ff. * Vgl. Galbraith, The Affluent Society. 3 Henke, Stichwort „Grundrechte und Grundpflichten", HDSW 4/688 ff., 689. * Vgl. Rothenbücher, Das Recht der freien Meinungsäußerung, W D S t R L 4/7.

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

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1. Frühere Grundrechtsgescfaichte

U m so bemerkenswerter ist der Umstand, daß schon i n früher Zeit der Grundrechtsentwicklung das Verständnis für die Notwendigkeit eines unantastbaren seelischen Kernbereichs immer wieder durchschimmert 5 . Bei allen Unterschieden und historischen Zufälligkeiten hatten die herkömmlichen Verletzungsarten eins gemeinsam: Sie gehörten der physischen Eintriffsstufe an, weil das damalige Arsenal der Methoden den Gewalthaber darauf verwies, aber man bekam zu spüren, daß ein Angriff auf die freie Geistesbetätigung mittelbar auch deren freie psychische Genese i n Mitleidenschaft zieht, weil er sie mindestens gegenstandslos macht 6 . Stärker ins Blickfeld rückte die Freiheit des Denkens allerdings erst i m Zeitalter der französischen Revolution. Wenn auch „die moderne Freiheitsidee nicht nur ein K i n d der Aufklärung" 7 sein mag, so sind doch von diesem Zeitalter 8 entscheidende Impulse für die kontinentale Grundrechtsentwicklung ausgegangen, und was insbesondere Deutschland betrifft, so waren positivierte Grundrechte vorher gar nicht möglich gewesen9. Diese Überlegungen rechtfertigen es, die Zielsetzungen der Aufklärung hier zur Interpretation der Grundrechte heranzuziehen. Der Aufklärung war es u m das selbständige Denken des Menschen zu tun. Aus eigenem Antrieb sollte er sich von den Fesseln der Autoritäten lösen und die selbstverschuldete Unmündigkeit aufgeben 10 . Das 5 Namentlich in der Auseinandersetzung mit der Religionsfreiheit: Milton, Abhandlung von der weltlichen Macht, S. 15; Spinoza, Tractatus theologicuspoliticus, in: Spinoza, Opera, hg. von Carl Gebhardt, Bd. 3, c. X X S. 240, 243 (ed. pr. S.226, 229); Locke, A Letter concerning Toleration, S. 14/15 und 78/79. Vgl. ferner Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/1 („Freedom of Thought" als Element der „public Liberty"). 6 Ob Terror nicht nur die Meinungsäußerung unterdrückt, sondern die Meinung selbst schon formt (vgl. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 246 Fußnote 9), durch ein Lohn-Strafe-System „konditioniert" (dazu oben unter A. I. 5. in Fußnote 70), kann hier offen bleiben, weil solche Fälle noch im Schutzbereich des Art. 2 GG liegen. 7 Ridder a.a.O S. 244 Fußnote 5. « Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/3 ff. 9 Vgl. eingehend Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 17 ff. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Berlinische Monatsschrift 4 (1784) 481 ff., setzt den „Hauptpunkt der Aufklärung" (S.492) gleich zu Beginn seines Gedankenganges (S. 481): „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

staatstheoretische K o r r e l a t solcher B e s t r e b u n g e n w a r d i e d o p p e l sinnige Konzeption der „ D e n k f r e i h e i t " 1 1 , w o b e i die Gedankenfreiheit i m w ö r t l i c h e n S i n n e z w a r noch n i c h t als Menschenrecht p o s t u l i e r t w ü r d e , aber d e r G e d a n k e n ä u ß e r u n g s f r e i h e i t z u t i e f e r e r R e c h t f e r t i g u n g u n d h ö h e r e r W e i h e v e r h a l f . Das G e f ü h l f ü r d i e G e f a h r m i t t e l b a r e r E i n g r i f f e i n d i e seelische A u t o n o m i e schärfte sich i n dieser Z e i t . So i s t es auch z u verstehen, w e n n Fichte v o n den Fürsten Europas die Denkfreiheit zurückfordert 12: „Lähmt das erste Princip der Selbstthätigkeit in ihm, seinen Gedanken; untersteht er sich nicht mehr anders, als ihr es ihm, mittelbar oder unmittelbar, durch seinen Beichtvater, oder durch eure Religions-Edicte befehlt, zu denken: so ist er ganz die Maschine, die ihr haben wollt, und nun könnt ihr ihn nach Belieben brauchen." D a s n a i v e Pathos, das d i e F r e i h e i t des D e n k e n s m i t d e r F r e i h e i t d e r G e d a n k e n ä u ß e r u n g v e r w e c h s e l t e 1 3 , w i c h f r e i l i c h erst a l l m ä h l i c h d e r E i n s i c h t i n d e n historischen S i n n der G r u n d r e c h t e , i h r e m i t t e l b a r e S c h u t z f u n k t i o n f ü r die D e n k f r e i h e i t i m w ö r t l i c h e n Sinne, w i e sie d a n n später Bluntschli u a r t i k u l i e r t h a t : Z u m Recht k ö n n e d i e F r e i h e i t des I n d i v i d u a l g e i s t e s erst d a n n w e r d e n , „wenn dieselbe entweder in dem äusseren sichtbaren Leben Gestalt und gewissermaßen Leib gewinnt, oder wenn in der äußeren Ordnung sich Hemmnisse zeigen, welche die Entwickelung der an sich unsichtbaren Gemüts- und Geistesfreiheit bedrücken und hindern. Dann erst ist für das menschliche Recht die Möglichkeit gegeben, sei es jene äußere Erscheinung der Freiheit zu schützen, sei es diese Hemmnisse ihrer Entfaltung zu entfernen." F e s t z u h a l t e n ist hier* daß sich das R i n g e n u m d i e sittliche, geistige u n d seelische A u t o n o m i e des Menschen w i e e i n r o t e r F a d e n d u r c h die Geschichte d e r G r u n d r e c h t e zieht.

11

Vgl. oben unter A. I I . 12 Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten, S. 53. 13 So spottete Savigny in seinem System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 335, über die liberale Konzeption des „Urrechts": „Manche sind in dieser Ansicht so weit gegangen, dem Menschen ein Eigenthumsrecht an seinen Geisteskräften zuzuschreiben, und daraus das was man Denkfreyheit nennt abzuleiten; es ist aber gar nicht die Möglichkeit zu begreifen, wie ein Mensch den anderen am Denken hindern, oder umgekehrt in ihm denken, und durch Jenes oder Dieses einen Eingriff in das angegebene Eigenthumsrecht verüben könnte." " Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, S. 618. iß Scheuner , Pressefreiheit, W D S t R L 22/34 („gewisse Antithese" zur WRV); Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 5 (Verfassung als „response" auf den „challenge" der Vergangenheit); S. 9, 11 („therapeutisches Selbstverständnis" des Grundgesetzgebers).

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

47

2. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes

Wenn man die historische Zielsetzung der (geistigen) Grundrechte (auch) als mittelbaren Schutz der inneren seelischen Freiheit begreift und sich ferner erinnert, daß bei der Entstehung des Grundgesetzes der Wunsch i m Vordergrund stand, einer Wiederkehr der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft — die auf skrupelloser Propaganda, der Ausbeutung von Ressentiments und schlechthin auf dem Mißbrauch des Geistes beruhte — vorzubeugen 16 , dann nimmt es doppelt wunder, daß der Grundrechtsteil des Grundgesetzes zur Frage der Gedankenfreiheit — schweigt. Es ist denkbar, daß die Väter des Grundgesetzes hier bewußt eine Lücke offengelassen haben, um der Entwicklung der sich ständig wandelnden geistigen Freiheiten nicht vorzugreifen. Diese Erklärung ist jüngst von Lerche dezidiert vorgetragen worden 1 6 . I n der Tat gibt es brennende Fragen, die der Parlamentarische Rat nicht beantworten wollte oder konnte. Die „Wirtschaftsverfassung" 17 gehört hierher und auch das Wahlsystem. Verhielte es sich nun mit der „Denkfreiheit" i m wörtlichen Sinne ebenso, dann wäre i n diesem Punkt ein ganz entschiedener Bruch m i t den geistesgeschichtlichen Traditionen der Grundrechte zu konstatieren. So aber ist das Schweigen des Grundgesetzes doch wohl kaum zu verstehen. Der Versuch, die Denkfreiheit in den Kreis der vom Grundgesetzgeber bewußt offengelassenen Probleme einzubeziehen, hält denn auch näherer Nachprüfung nicht stand. Die wahren Gründe für das Schweigen des Grundgesetzes — zum Teil sind sie sehr viel älter als das Grundgesetz selbst — lassen sich nachweisen. Es kommen hier vor allem zwei Überlegungen i n Betracht, von denen die eine sich mehr oder weniger deutlich i n der Verfassungsgeschichte, seit der Weimarer Nationalversammlung auch i n den Materialien findet, die andere zuweilen i n der Literatur als eine logificatio post eventum vorgetragen wird. a) Das Argument

der tatsächlichen

Unantastbarkeit

Die erste Erwägung geht von der Annahme aus, daß der innere Gedanke schon faktisch unangreifbar sei. Noch die Väter des Grundgesetzes standen unter dem Eindruck dieser Prämisse, als sie die „Freiheit der Überzeugung" des Art. 6 Abs. 1 HChE nicht i n den Art. 4 GG aufnahmen. Thoma hatte i n seiner „Kritischen Würdigung" darauf i« Werbung und Verfassimg, S. 143. 17 vgl. insbesondere Art, 15 GG („können"). — Anders vor aUem Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, S. 21 ff.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

hingewiesen, die Freiheit des Bekenntnisses sei zu schützen, nicht aber die Freiheit der Überzeugung, denn: „Wer sollte die antasten können 18 ?" Thomas These ist eine alte verfassungsgeschichtliche Tradition. Schon Spinoza hatte erklärt, ein jeder sei nach dem höchsten Naturrecht Herr seiner Gedanken 19 . Nur scheinbar interferieren hier tatsächliche und rechtliche Gedankenfreiheit, denn Spinoza folgert das Recht aus der faktischen Unantastbarkeit 2 0 . Den Wohltäter zu hassen oder den Schädiger zu lieben, könne keine Gewalt befehlen; „quae ex legibus humanae naturae necessario sequuntur" 2 1 . — „ A t ponatur, hanc libertatem opprimi, & homines ita retineri posse, ut n i h i l mutire audeant, nisi ex praescripto summarum potestatum; hoc profecto nunquam fiet, Ut n i h i l etiam, nisi quid ipsae velint, cogitent.. Vollends klar w i r d das Gemeinte bei Fichte 28: „ . . . ja, i h r erlaubt uns zu denken, da ihr's nicht hindern könnt; aber i h r verbietet uns, unsere Gedanken mitzutheilen." Dem Zeitalter 2 4 , das die ersten Grundrechtskataloge hervorbrachte, fehlte das Verständnis für die Anfälligkeit der seelischen Prozesse gegen suggestive Einwirkungen. Weder i n Amerika, noch i n Europa hielt man es für erforderlich, unmittelbaren Grundrechtsschutz für das psychische Zentrum des Menschen auch nur zu erwägen 25 . Erst m i t der Stellungnahme Kahls während der Weimarer Nationalversammlung w i r d der stereotype M o t i v i r r t u m des Verfassunggebers deutlich ausgesprochen. Kahls Ausführungen 2 6 verdienen deshalb besonderes Interesse, weil sie deutlich zwischen der Gedankenfreiheit des Marquis Posa und der Gedankenfreiheit i m wörtlichen Sinne 18 von Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JböffR 1 (1951) 73. 19 „Unusquisque maximo naturae jure dominus suarum cogitationum"; Tractatus theologicus-politicus, in: Spinoza , Opera, hg. von Carl Gebhardt , Bd. 3; c. X X S.240 (ed.pr. S. 226). 20 Vgl. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 245. 21 Spinoza a.a.O. c. X V I I S.201 (ed.pr. S. 187). 22 Spinoza a.a.O. c. X X S. 243 (ed. pr. S. 229). 23 Zurückforderung der Denkfreiheit, S. 36. — Vgl. noch S. 33: „Frei denken zu können ist der auszeichnende Unterschied des Menschenverstandes vom Thierverstande." 24 Vgl. Ridder , Meinungsfreiheit, S. 245: „Die Aufklärung mußte sich ja selbst notwendig als eine (letzte) Konsequenz des freien Denkens freier Geister begreifen . . . " 25 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 245; Perschel, Die Meinungsfreiheit des Schülers, S. 9; Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 18; Jensen, Grundrecht der Meinungsfreiheit, S. 11. 2« Verhandlungen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Stenographische Berichte, Bd. 328, S. 1646 f.—59. Sitzung vom 17.7.1919.

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

49

unterscheiden. Bei der überlieferten „Gedankenfreiheit" handele es sich um die Freiheit von Äußerungen, die durch Religions- und Meinungsfreiheit bereits garantiert sei. Die innere Gedankenfreiheit zum Gegenstand staatlichen Schutzes zu machen, sei dagegen sinnlos: „Die Gedanken sind Gott sei Dank durch die Hülle des Körpers gedeckt und jedem menschlichen Zugriff entzogen, können daher nicht beeinträchtigt werden 27" K a h l verhinderte m i t seinem Antrag, daß eine Gewährleistung der Gedankenfreiheit i n die Weimarer Reichsverfassung Eingang fand 2 8 . Kahls Stellungnahme bildet damit eine eigenartige historische Parallele zu Thomas „Kritischer Würdigung'* i m Grundsatzausschuß des Parlamentarischen Rates. Die Vorstellung von einer — nicht rechtlich, sondern tatsächlich — unantastbaren Freiheit des inneren Gedankens 29 hätte von dem Zeitpunkt an überprüft werden müssen, i n dem die Phänomene der Hypnose wissenschaftlich erfaßt und beherrschbar gemacht worden waren 3 0 . Sie hat sich spätestens m i t der erfolgreichen Erprobung der „unterschwelligen Werbung" (1956—1957) als unhaltbar erwiesen. Es ist jedoch zu befürchten, daß sich die irreführende Prämisse der Aufklärung wie eine ew'ge Krankheit auch an zukünftige Verfassungen forterben wird. Dietze, der sich m i t seiner Schrift „Über Formulierung der Menschenrechte" (1956) an die verfassunggebenden Gewalten kommender Zeiten wendet, schreibt 31 : „Eine Norm ,der Glaube ist frei' ist . . . sinnlos, weil ihr Inhalt selbstverständlich ist, da den Glauben i m Sinne von Gewissen und Überzeugung ohnehin niemand beschränken kann, diese Norm darum ohne juristischen Gehalt und somit leere Phrase wäre."

b) Das Argument

der fehlenden

rechtlichen

Erfaßbarkeit

Neben diesen I r r t u m t r i t t nun noch eine weitere Überlegung, die weniger i n den Motiven der Verfassungen, als i n der jüngeren staatsrechtlichen Literatur eine Rolle spielt. 27 Bemerkenswert der Anklang an Bluntschli, Geschichte des Rechts der religiösen Bekenntnißfreiheit, S. 5 („Für diese Glaubensfreiheit hat nun Gott selber gesorgt, indem er das innere Geistesleben des Menschen mit der schützenden Hülle des Körpers umgeben hat"). 28 Vgl. noch Hermann Mirbt, Artikel 135 und 136, Glaubens- und Gewissensfreiheit, in: Nipperdey (Hg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Bd. 2, S. 319 ff., S. 328; Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 117; Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 20. 2® Kritisch jetzt Ramm a.a.O. S. 20. 30 Vgl. Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 18 Fußnote 16. — James Braid prägte 1843 das Wort „Hypnose", Charcot (der Lehrer Freuds) vervollkommnete dann die hypnotische Technik; Charlotte Bühler, Psychologie im Leben unserer Zeit, S. 497. 31 S. 77. 4

Paber

50

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Zur Glaubens- und Gewissensfreiheit der Weimarer Reichsverfassung (Art. 135 WRV) hatte bereits Mirbt (1930) ausgeführt 32 , staatliche Rechtsgrundsätze seien unfähig, die inneren Vorgänge der Überzeugungs- und Entschlußbildung zu regeln. „Diese I n h a l t e . . . entziehen s i c h . . . ihrer Natur nach der staatlichen Regelung als einer äußeren Zwangsordnung: de internis non judicat praetor 3 3 ." Später (1949) behauptete Giacometti von der Denkfreiheit, sie sei „rechtlich nicht faßbar" 3 4 . Dieser Gedanke taucht i m Zusammenhang m i t der Glaubensund Gewissensfreiheit des Grundgesetzes wieder auf. Er findet sich zuerst bei von Mangoldt, der überlegt, daß sich die Freiheit des Glaubens und Gewissens dem Wortlaut nach auf die innere Überzeugung beziehe; allein er fährt fort: „Rechtlicher Regelung zugängig ist aber nur äußeres Verhalten 3 5 ." Von Mangoldts These hat rasch Anhänger gefunden 36 . Zum Teil w i r d sie m i t dem Dogma von der — tatsächlichen — Unverletzlichkeit des Denkens vermengt 3 7 . Beides ist aber streng voneinander zu trennen. Dort geht es um die eine Frage, ob Fremdbestimmung des Denkens möglich ist, hier um die andere, welche Vorgänge rechtlich geregelt werden können 3 8 . Es mag nun durchaus zutreffen, daß sich das Gewissen als seelisches Phänomen ebenso wie der Denkprozeß der Normierung entzieht: „Cogitationis poenam nemo patitur 3 9 ." 32 Andeutungsweise noch früher bei Zorn , Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, S. 353 („Die Fähigkeit, »Überzeugungen zu haben', entzieht sich allerdings der Rechtsordnung ..."); vgl. hierzu Scholler , Freiheit des Gewissens, S. 89 ff. 33 Hermann Mirbt , Artikel 135 und 136. Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 323. — M i t „Regelung" ist nicht etwa ein die Gewissensfreiheit verletzendes Gesetz gemeint (in diesem Sinne aber Süsterhenn-Schäfer, Kommentar, S. 103, Anm. 2 zu Art. 8) — das wäre eine Wiederaufnahme der Ansicht Spinozas (vgl. oben zu Fußnote 19 ff.) — sondern der „Gehalt eines die Glaubensfreiheit statuierenden Rechtssatzes" (Mirbt a.a.O.). 34 Fleiner-Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 364. Ebenso: Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 65; Guradze, Stand der Menschenrechte, S. 206; Ridder, Meinungsfreiheit, S. 248; neuerdings wieder Hubmann, Menschenbild, S. 40 („Der subjektive Geist in seiner Weite, seiner Dynamik läßt sich kaum in strenge Regeln zwängen"). 35 Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 1. Auflage 1953, S. 55 Anm. 2 zu Art. 4. 36 Klein in der 2. Auflage des von Mangoldtschen Kommentars, S. 218, Anm. I I I 1 zu Art. 4; Wertenbruch, Grundgesetz und Menschenwürde, S. 108X; Geiger, Stichwort „Glaubens- und Gewissensfreiheit", StLex Bd. 3 Sp. 971. 37 Geiger a.a.O., Sp. 971: „ . . . die vom Recht . . . nicht erreichbare, rein innere Glaubensüberzeugung . . . " ; und Hess. StGH NJW 1966/31 ff. (33). 38 Man hat also mit Ridder, Meinungsfreiheit, S. 248, bezüglich der „Denkfreiheit" im wörtlichen Sinne scharf zu unterscheiden: 1. Ist die Denkfreiheit rechtlich (durch ein Gesetz) beschränkbar? — 2. Ist die Denkfreiheit tatsächlich beschränkbar? — 3. Ist die Denkfreiheit grundrechtsfähig („rechtlich faßbar")? 3» Ulpian D. 48, 19, 18; die Stelle ist allerdings streitig. Welzel, Das Deut-

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

51

Die Grundrechtsnormen regeln aber nicht so sehr den Gegenstand ihres Schutzes, als die Angriffsweisen, die sie bekämpfen. Es folgt aus dem Wesen generell geschützter, absoluter Rechte, daß nicht die unübersehbare Fülle der konkreten Angriffsweisen, sondern die zu schützenden Bereiche i m gesetzlichen Tatbestand umschrieben werden; ein rechtstechnischer Kunstgriff, der aber nichts daran ändert, daß Gegenstand solcher rechtlichen Regelung nicht die Schutzgüter, sondern die Angriffsweisen sind. Ein Grundrecht auf Freiheit von suggestiven Einwirkungen regelt nicht das Denken, sondern die Beeinträchtigungen der geistigen Freiheit. Das aber sind durchaus kausal-mechanische Vorgänge i n der Außenwelt: Massierte Plakatierung eines Warenzeichens; Vervielfältigung eines tiefenpsychologisch konzipierten Inserats; Einblendung unterschwelliger Elektronenblitze i n ein Filmprogramm. Der Satz, daß nur äußeres Verhalten rechtlicher Regelung zugänglich sei, sagt also über die Möglichkeit eines Grundrechtsschutzes für innere Tatbestände überhaupt nichts aus. Vielleicht verbirgt sich hinter der Antithetik von „äußerem" und „innerem" Verhalten ein ähnliches Begriffspaar, wie es bei Giacometti 40 deutlicher genannt wird, wenn er den „Freiheitsrechten" die „natürlichen Freiheiten" gegenüberstellt. Das erinnert an die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen Lebensgütern und subjektiven Rechten, die aber — wenn man sie überhaupt zuläßt 4 1 — nicht die Möglichkeit rechtlichen Schutzes betrifft. I n § 823 Abs. 1 BGB z. B. sind nicht etwa das Leben oder die Freiheit „geregelt", sondern die Verletzungen dieser Lebensgüter. 3. Zusammenfassung

Wenn sich also die Väter des Grundgesetzes über die Anfälligkeit der psychischen Freiheit (und, obwohl nicht aktuell-psychisch, auch über ihre „rechtliche Erfaßbarkeit") geirrt haben, dann kann man kaum sagen, sie hätten bewußt eine Lücke offengelassen. Hielten sie die „Freiheit der Überzeugung" für unantastbar, so ist darüber hinaus die Frage zu stellen, ob hier überhaupt eine Lücke vorliegt. Und diese Frage muß, von der Geschichte der klassischen Grundrechte her, verneint werden. Daß sie vornehmlich der Freiheit des Geistes dienen sehe Strafrecht, S. 168, versteht unter cogitatio den „bloßen Handlungsentschluß", während Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 96 Fußnote 3, cogitatio als „der betätigte deliktische Wille" übersetzt (strafloser Versuch, iniuria coepta im Gegensatz zur iniuria consummata). 40 Fleiner-Giacometti, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, S. 364. 41 Grundsätzlich gegen diese Unterscheidung: Enneccerus-Nipperdey, A l l gemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Auflage, 1. Halbband, S. 432 f. und Nipperdey, Die Würde des Menschen, S. 11 Fußnote 20 gegen BGHZ 8/243 ff. (247 f.).

4*

52

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

sollten, zwingt zu der Annahme eines ungeschriebenen den) Grundrechts auf innere, seelische Freiheit.

(stillschweigen-

Die Begründung dieser Annahme läßt sich überdies m i t systematischen Erwägungen entscheidend vertiefen.

II. Systematische Begründung Vor Eintritt i n die eigentliche systematische Begründung sind Bedenken teils methodologischer, teils materiellrechtlicher A r t zu erörtern. 1. Methodische Vorbemerkung

Die Ankündigung einer „systematischen" Betrachtung der Grundrechte ist geeignet, Bedenken zu erwecken. Der einen Auffassung, in der sich die Feststellung der Spezialität der „benannten" Freiheitsrechte gegenüber A r t . 2 Abs. 1 GG m i t der Ausdeutung dieses Grundrechts als eines „Auffangrechtes" verbindet 1 , ist i n der Literatur auf breiter Front eine Gegenmeinung 2 erwachsen, die den insulären Charakter der einzelnen Grundrechte — der historischen „Verfestigungen freiheitlicher Positionen" 3 — betont und darum der systematischen Auslegung des Grundrechtsteils kritisch gegenübersteht. Nun ist hier gewiß nicht der Ort, diese grundsätzliche methodische Kontroverse aufzurollen. Da aber Lerche einen verfassungsrechtlichen Schutz des Werbeadressaten m i t Nachdruck unter anderem deshalb ablehnt, weil die systematische Betrachtung der Grundrechte als „irrig" erkannt worden sei 4 (obwohl z. B. das Bundesverfassungsgericht an diesem Auslegungsmittel festhält 5 ), bedarf es einer vorbeugenden Klärung, was hier unter „systematischer" Sicht gemeint sein soll. Dabei w i r d es darum gehen, den wichtigsten Bedenken der K r i t i k Rechnung zu tragen, ohne die systematische Auslegung schlechthin aufzugeben. Zunächst einmal kann die systematische Erkundung eines Grundrechts auf Denkfreiheit nicht dem Vorwurf der „Ungeschichtlichkeit" 1 Dürig in Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 6 zu Art. 2 Abs. 1; im Prinzip auch BVerfG 6/32 ff. („Elfesurteil"). 2 Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, W D S t R L 20/82 ff.; Scheuner , Pressefreiheit, W D S t R L 22/37 ff.; Graf von Pestalozza, Staat 1963/425 ff., 436 ff.; Hesse, Grundzüge, S. 118ff. a Scheuner , Pressefreiheit, W D S t R L 22/38. 4 Lerche , Werbimg und Verfassung, S. 32. s Vgl. zuletzt noch BVerfG 19/206 ff. (220); 226 ff. (236).

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

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ausgesetzt sein, wie der vorangegangene Blick i n die Verfassungsgeschichte gelehrt hat 6 . I m Gegenteil führt sie deren Traditionen fort. Dieses Unternehmen w i r d auch nicht das „System" der Grundrechte deduktiv ausdeuten und damit „schließen", sondern reduktiv den gemeinsamen stillschweigenden Voraussetzungen 7 der einzelnen Freiheiten nachgehen. Die Möglichkeit (bewußt) offengelassener Probleme 8 w i r d dadurch nicht i n Frage gestellt. Daß die Freilegung „übereinandergreifender Bezüge zwischen sachlich zugeordneten Normen" 9 , das Verfahren „systematischer Zusammenschau der Grundrechte" 1 0 methodisch zulässig ist, w i r d auch von den Gegnern der systematischen Auslegung nicht geleugnet 11 . Das w i r d für die hier behandelte Thematik von besonderer Bedeutung, weil die Ausübung staatlicher Macht unter dem Eindruck der sozialpsychisch stärker als früher verankerten Grundrechte (das waren die Lehren der „Spiegel-Affäre") sich zunehmend von physischen auf psychische M i t t e l verlagert. Dabei handelt es sich letzten Endes u m eine Spielart der (Grund-)Gesetzesumgehung 12 , auf die eine — i n Grenzen betriebene — systematische Auslegung der Grundrechte die adäquate A n t w o r t ist 1 3 . Das liegt i m übrigen ganz in der Konsequenz der historischen Grundrechtsentwicklung: Neue Angriffsweisen führen zur Forderung nach neuen Freiheiten 1 4 . « Die übrigens von Lerche nur einmal konsultiert wird, nämlich dort, wo ihre Konsequenzen allerdings hinter modernen Entwicklungen zurücktreten (Werbimg und Verfassung, S. 80). 7 Selbst Lerche, Werbung und Verfassimg, S. 144, räumt ein, daß die Chance zur innerlich freien Entscheidung verfassungsvorausgesetzt ist. Und „gewisse lückenfüllende Konsequenzen" aus Grundrechten umfassender Tragweite w i l l auch Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/53, zulassen. s Beispiel: Das Schweigen der W R V zum Streikrecht (dazu Anschütz, Kommentar, S. 733, Anm. 5 zu Art. 159); i m GG ist die Frage des Streikrechts dagegen nicht bewußt offengelassen (was allerdings streitig ist: vgl. einerseits zutreffend von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 332, Anm. V I I 1 zu Art. 9; andererseits Maunz, Staatsrecht, S. 50). 9 Lerche, Werbung und Verfassung, S. 143. i« Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/37 Fußnote 110; ferner S. 51. u Dem Gesichtspunkt der „Einheit der Verfassung" (BVerfG 19/206 ff., 220; Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, W D S t R L 20/77 ff.; Hesse, Grundzüge, S. 28; Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/53) wird später im Zweiten Abschnitt über „Die innere Geistesfreiheit als objektives Recht" Rechnung getragen. 12 Die Gefahr des „Leerlaufs" von Grundrechten wird von Ehmke a.a.O. S. 88 eher unterschätzt (anders wohl Scheuner a.a.O. S. 54). Jensen, Grundrecht der Meinungsfreiheit, S. 1, 61, hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine „Aushöhlung der Meinungsfreiheit von innen heraus" droht. 13 Insofern kann man allerdings mit Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 209, von einem „Systemzwang" sprechen, 14 Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/44 f.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Schließlich soll i m folgenden auch nicht „systematischen Deduktionen" aus der Menschenwürde oder gar aus der Sozialstaatsklausel das Wort geredet werden, die der grundsätzlichen ideologischen Neutralität des Grundgesetzes widersprechen müßten 1 5 . Es geht um eine logische Analyse der Bauformen, die den Grundrechten gemeinsam sind 1 6 . 2. Die angebliche Ausschließlichkeitsfunktion der klassischen Grundrechtsstruktur

Die i n den angedeuteten Grenzen anzustellende systematische Untersuchung der Grundrechte hat die Ergebnisse aufzunehmen, die der Versuch der Subsumtion suggestiver Beeinflussung unter die positiven Grundrechte erbracht hat. Die eingangs erörterten Freiheitsrechte, welche der Freiheit des Denkens und Entscheidens am nächsten stehen, nämlich die Meinungsfreiheit und die Glaubensfreiheit, haben deshalb versagt, Aveil sie nicht die Genese psychischer Akte, sondern deren Vollzug, die „Äußerung" solcher Akte, schützen. Ähnliches gilt für das Recht auf Selbstentfaltung und die Menschenwürde; erst recht schließlich für die übrigen Grundrechte, die sich m i t ihrem Schutzbereich noch mehr von dem psychischen Zentrum der Person entfernen. Diese Beobachtungen lassen sich jetzt zusammenfassen: I n den mit herkömmlichen Grundrechten erfaßbaren Fällen w i r d ein — noch nicht genau umschriebener — geistig-seelischer K e r n des menschlichen Individuums in seinen Emanationen 17 behindert, so daß eine Differenz zwischen innerem Wollen und äußerem Verhalten (Unlustfaktor) entsteht. Merkmal solcher Sachverhalte ist die physische Einwirkung auf das Individuum. Lerche hat aus dieser Beobachtung die These abgeleitet, der — auf Abwehr physischer Eingriffe ausgerichteten — klassischen Grundrechtsstruktur komme ein verfassungsgewollter Ausschließlichkeitswert 18 zu. Das bedarf der kritischen Nachprüfung. 15 Insoweit ist Lerche , Werbung und Verfassung, S. 140, durchaus beizustimmen. Zur „ideologischen Neutralität" des Grundgesetzes vgl. noch BVerfG 4/17 f.; 12/4; Hamann, Kommentar, S. 12, Einführung A 6 ; Hesse, Grundzüge, S. 64 f. 16 Die Suche gilt, um mit Leisner (Von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, S. 11, 19 ff.) zu sprechen, einem selbständigen Verfassungsbegriff, der aus dem „Koordinatensystem " der Grundrechte zu gewinnen ist. 17 Oder „Objektivationen", so Hubmann, Das Menschenbild unserer Rechtsordnung, in: Festschrift für Nipperdey, Bd. 1, S. 40. — Hubmann betont, daß sich der menschliche Geist durch Aufprägung auf ein „körperlich greifbares Werkstück" entfaltet. iß Lerche, Werbung und Verfassung, S. 143; ferner S. 142 und S, 149 (Gesundheitsbeschädigung).

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

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Wenn es für suggestive Einwirkungen charakteristisch ist, daß sie schon vor der Willensbildung ansetzen, daß also die ausgeführte Handlung auch als die gewollte erlebt w i r d 1 9 , dann ist die entscheidende Frage, positiv formuliert, so zu stellen: Ist es ein allgemeiner Rechtsgedanke, daß Grundrechtsschutz an das Auftreten einer Differenz zwischen (innerem) Wollen und (äußerem) Verhalten gebunden sein soll? Ein erster Hinweis i n dieser Richtung ist die starke eudämonistische Komponente i n den frühen Grundrechtskatalogen. „Pursuit of Happiness" w i r d i n der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. 7.1776 neben „life" und „liberty" zu den unveräußerlichen Rechten gezählt; die Verfassung von Massachusetts (1780) verkündet i n A r t . 1 ein Menschenrecht „of o b t a i n i n g . . . safety and happiness" und i n der virginischen Declaration of Rights vom 12.6.1776 heißt es (§ 1): „ . . . all m e n . . . have certain inherent r i g h t s . . . ; namely the enjoyment of life and liberty, w i t h the means of acquiring and possessing property, and pursuing and obtaining happiness and safety 20 ." Gerhard Ritter bringt deshalb die Entstehung der Menschenrechte m i t der Utilitätsphilosophie des 18. Jahrhunderts i n Verbindung 2 1 . Bentham hatte „das größte Glück der größten Zahl" gefordert 22 ; da er es für möglich hielt, Lust- und Schmerzregungen zu messen, sah er die Aufgabe des Staates i n der gerechten Zuteilung von Lustquanten 2 3 . Man kann geradezu von einer „Glückseligkeitsethik des Rationalismus" 2 4 sprechen.

19 Vgl. dazu oben unter A. I. 6. zu Fußnoten 75—80 und zum „Nachrichtenmanagement" Schoeck, Die vorenthaltene Wahrheit, F A Z vom 11.9.1963, Nr. 210, S. 11: Die Irreführung betreffe Personen, die mit dem Nachrichtenmanager dasselbe Interesse zu haben glaubten. „Das Phänomen tritt also nie dort auf, wo wir es mit einem echten Freund-Feind-Verhältnis zu tun haben." 20 Vgl. noch Art. I X Abs. I der Verfassung von Pennsylvania vom 2. 9.1790 („pursuing their own happiness"); die Declaration of Rights von Maryland (1776) leitet in Art. I V aus „good and happiness of mankind" ein Widerstandsrecht ab; die Declaration of Rights des Staates Delaware (Ziff. 3) nennt „Happiness or Safety of Society" als Schranke der staatsbürgerlichen Gleichheit für alle Christen. 21 Ursprung und Wesen der Menschenrechte, Historische Zeitschrift 169 (1949) 247. 22 A Fragment on Government, S. 93. Die Formel, auf die Bentham 1768 stieß, ist schon früher verwandt worden u. a. von Priestley, Hutcheson und Beccaria, vgl. hierzu Montague in der Einführung zu A Fragment on Government, S. 27, 34. 23 A n Introduction to the Principles of Morals and Legislation, S. 29, 31; vgl. noch Burdick, Political Theory and the Voting Studies, S. 138; Friedrich Wagner, Stichwort „Bentham, Jeremy", HDSW 1/756. 24

So Welzel, Ein Kapitel aus der Geschichte der amerikanischen Erklärung der Menschenrechte, in: Festschrift für Smend (1952), S. 388.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Die Differenz zwischen innerem Wollen und aufgezwungenem äußeren Verhalten w i r d als Unlust empfunden 25 . Wenn es zutrifft, daß die Grundrechte von dem Streben nach Glück bestimmt sind, dann kommt es nur auf die Beseitigung dieser Differenz an. Daneben ist kein Raum für ein Grundrecht auf bloß hypothetisches Wollen, bei dessen Korrumpierung der „Verletzte" ahnungslos bleibt oder gar angenehm erregt w i r d 2 6 . Der Unlustfaktor ist zudem i m geltenden Recht Motor und Regul a t i v 2 7 der Rechtsverfolgung. Die Abwehr einer Grundrechtsverletzung ist i n aller Regel i n das Belieben des Betroffenen gestellt. Der Gesetzgeber hat darauf vertraut, daß der Ärger über eine erlittene U n b i l l das Rechtsschutzbegehren auslösen werde. Schon das Wort „Klage" ist ein Hinweis auf diese Zusammenhänge. Dann kann aber ein Grundrecht, dessen „Verletzung" dem Betroffenen gar nicht bewußt wird, wenig sinnvoll sein. Ja, man hätte die Frage aufzuwerfen, ob der Unlustfaktor nicht ein wesentlicher Bestandteil jedes Unrechts ist. Schließlich könnte man gegen einen grundrechtlichen Schutz vor Suggestionen einwenden, daß die Rechtsordnung m i t gutem Grund bloß den aktuellen Willen und seinen Vollzug berücksichtige: Es sei nämlich unmöglich, den autonomen Willen von einem durch Suggestion erzeugten rechtlich abzugrenzen und tatsächlich zu unterscheiden 28 . Diese Erwägungen, nach denen die Differenz zwischen Wollen und Handeln ein allgemeines Erfordernis für die Feststellung von Grundrechtsverletzungen zu sein scheint, lassen sich widerlegen. Zunächst mag es durchaus sein, daß die Definition des fremdbestimmten Willens Schwierigkeiten bereitet. Das schließt die A n nahme eines Grundrechts ebensowenig aus, wie — zum Beispiel — die Probleme der Abgrenzung zwischen enteignetem und bloß inhaltsbestimmten Eigentum die Grundrechtsqualität des Art. 14 GG i n Frage gestellt haben. Auch bei der Rechtsverfolgung können Schwierigkeiten auftreten. Ein Grundrecht auf Freiheit von suggestiven Einwirkungen braucht 25 Uber die Bedeutung des Unlustfaktors im Recht vgl. Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 54; Lehmann-Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 15. Auflage, S. 158. 26 Vgl. die Meinungsumfrage im Pollak-Fall: 93,4% der Befragten hatten nichts gegen die suggestiven Lautsprecherdurchsagen in Bussen: 76,3 °/o waren dafür (Kimminich, Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/64). Vgl. auch Kropf f, Angewandte Psychologie, S. 67; und Packard, Die geheimen Verführer, S. 315: „Zuweilen ist es vergnüglicher und bequemer, unlogisch zu sein." 27 Dies neben dem Kostenrisiko. 28 vgl. dazu Lerche, Werbung und Verfassung, S. 143.

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

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aber schon nach g e l t e n d e m Recht n i c h t a b s o l u t schutzlos z u sein. E i n e K l a g e d u r c h D r i t t e , d i e selbst n i c h t v e r l e t z t sind, k o m m t z u m B e i s p i e l a u f G r u n d des § 13 U W G i n B e t r a c h t . I m ü b r i g e n w ä r e es A u f g a b e des Gesetzgebers, f ü r e i n e n w i r k s a m e n Rechtsschutz z u s o r g e n 2 9 . L ü c k e n i m Rechtsschutzsystem e r l a u b e n k e i n e n Rückschluß a u f d i e m a t e r i e l l e Rechtslage. Es ist f e r n e r u n h a l t b a r , d e n U n l u s t f a k t o r als a l l g e m e i n e s M e r k m a l f ü r a l l e U n r e c h t s t a t b e s t ä n d e anzusehen. E r k a n n a u f e i n e m I r r t u m b e r u h e n ; das i s t d e r F a l l d e r u n b e g r ü n d e t e n K l a g e . Genauso k a n n das A u s b l e i b e n des U n l u s t f a k t o r s i r r t ü m l i c h sein; das i s t — u n t e r a n d e r e m — d e r F a l l d e r suggestiven E i n w i r k u n g . D e r U n l u s t f a k t o r ist n u r e i n w i c h t i g e s , aber s u b j e k t i v e s I n d i z f ü r das V o r l i e g e n v o n Rechtsverletzungen30. Schließlich z w i n g t auch die eudämonistische W u r z e l d e r G r u n d r e c h t e n i c h t dazu, d e n g r u n d r e c h t l i c h e n Schutz a u f s u b j e k t i v e m p f u n d e n e Interessen zu beschränken. Schon d e r L i b e r a l i s m u s k a n n t e d e n B e g r i f f 29 Auf die Einzelheiten der Rechtsschutzproblematik, die durch ein Grundrecht auf „innere Geistesfreiheit" aufgeworfen wird, kann hier nicht eingegangen werden. Nur so viel sei angemerkt: Zeichnet sich die Verletzung des Grundrechts durch den Ausfall des „Unlustfaktors" aus, dann kann der Rechtsschutz nur von einem Dritten betrieben werden, einem — noch zu schaffenden — Anwalt des öffentlichen Interesses etwa. (Der „Vertreter des öffentlichen Interesses" nach den §§ 35 ff. V w G O kann sich in ein Verfahren einschalten, aber ein selbständiges Klagerecht steht ihm nicht zu. Ein eigenes Untersuchungsrecht hat immerhin der Wehrbeauftragte, Art. 45 b GG, § 2 Abs. 2 WBG; aber die Institution des Parlamentsbeauftragten [vgl. Redeker, Notwendigkeit und rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten von Parlamentsbeauftragten in Deutschland, NJW 1967/1297 ff.] in Deutschland berechtigt kaum zu großen Hoffnungen, ist sie doch schon durch mehrere Krisen geschwächt und in Theorie und Praxis umstritten. Dabei ist die dogmatische Uneinigkeit in der Frage „Unterorgan des Bundestages" — vgl. namentlich Dürig in Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 5 ff. zu Art. 45 b — oder „Doppelstellung" — vgl. von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 958 ff., Anm. I I I zu Art. 45 b — weniger zu beklagen als die kärgliche Ausgestaltung der Befugnisse im Ausführungsgesetz [Untersuchung, Anregung, Berichterstattung]; nicht einmal die ultima ratio eines Appells an die Öffentlichkeit will Dürig a.a.O. Rdnr. 21 dem Wehrbeauftragten zugestehen, was Maurer, Wehrbeauftragter und Parlament, S. 38 f., im Ergebnis billigt. Zu der Institution des Parlamentsbeauftragten in den skandinavischen Ländern vgl. Haller, Der schwedische Justitieombudsman, insbesondere S. 16 ff.; 177 ff. [eigenes Anklagerecht!]; Hurwitz, Der skandinavische Parlamentsbevollmächtigte, in: Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. 1, S. 461 ff.; Rowat [Hg.], The Ombudsman; Börresen, Der Ombudsman in Norwegen, DÖV 1966/705 ff.) Auch die Einführung der Popularklage, deren Verbot (§42 Abs. 2 VwGO) durch das Grundgesetz nicht zwingend vorgeschrieben ist (in Bayern ist sie für das Normenkontrollverfahren vorgesehen — § 54 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof), wäre zu prüfen. Geltendes Recht ist die Popularklage im Wahlprüfungsverfahren (§ 2 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes). I m übrigen ist de lege lata wirksamer Rechtsschutz durch das Recht zur Kontrasuggestion gegeben, auf das später einzugehen sein wird, so Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 54.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

des „richtig verstandenen Interesses" 31 . Während aber mit dem liberalen Freiheitsbegriff die Freiheit vom Staat gemeint war, wölbte die spätere Entwicklung ein zusätzliches Schutzdach über die staatsfreie Sphäre: Die Freiheit zum Staat, die Freiheit des einzelnen zur Teilnahme am Staat 32 . A r t . 5 GG beispielsweise gewährt „mehr als nur das individuelle Grundrecht des Bürgers gegen den Staat auf Respektierung einer Freiheitssphäre" 33 ; das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit enthält zugleich „ein dem Staatsganzen dienendes Fundamentalrecht" 3 4 . Grundrechte sind also nicht nur für das subjekt i v e Wohlbefinden des einzelnen da, sie schützen mehr als das bloße Freiheitsgefühl oder Freiheitsbewußtsein. Unter diesen Umständen ist es unmöglich, die Unlustabwehr als essentiale der Grundrechte anzusehen. Die Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf diejenigen Fälle, wo ein dem Wollen widersprechendes Verhalten begünstigt oder erzwungen wird, enthält also keinen allgemeinen Rechtsgedanken, nach dem Sachverhalte m i t Deckungsgleichheit von Wollen und Handeln grundrechtlich auf keinen Fall schutzwürdig seien. Damit wäre der Weg frei zu einem Recht auf Freiheit des psychischen Zentrums von Suggestionen.

3. Die Freiheit des psychischen Zentrums als das Axiom des Grundrechtssystem

Es wurde schon beiläufig bemerkt, daß die einzelnen Emanationen des individuellen psychischen Kerns einen geringeren oder größeren Abstand von diesem K e r n haben. So steht die Glaubensfreiheit dem psychischen Zentrum näher als etwa die Freizügigkeit. 31 von Mises, Stichwort „Liberalismus (II) Wirtschaftlicher Liberalismus", H D S W 6/597; Carl Brinkmann , Stichwort „Utilitarismus", HDSW 10/612. Vgl. noch die Zusammenstellung von Beispielen aus der zivilrechtlichen Judikatur bei Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 241 Fußnote 34. 32 Planitz, Zur Ideengeschichte der Grundrechte, S. 597; Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 67; Adolf Arndt , Begriff und Wesen der öffentlichen Meinung, S. 9; Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/20 („Freiheit ist hier nicht bloß negative Abwehr . . . , sondern lebendige Anteilnahme am Ganzen, Mitgestaltung und Mitverantwortung"); ferner S. 44, 55 ff,; Hesse, Grundzüge, S. 110 f., 116 ff.; ablehnend Schnur, Pressefreiheit, W D S t R L 22/110 ff.; Rehbinder, Zur Problematik der inneren Pressefreiheit, DVB1 1966/561. 38 BVerfG 12/2591; ebenso BVerfG 10/121; 20/162 ff., 175 f. 34 Löffler, Der Verfassungsauftrag der Presse, Modellfall Spiegel, S. 1; Ridder, Die öffentliche Aufgabe der Presse im System des modernen Verfassungsrechts, S. 15 f. — Ob insoweit ein subjektives Recht oder ein bloßer Rechtsreflex der öffentlichen Meinungsbildungsfreiheit vorliegt, ist von bloß theoretischer Bedeutung, weil sich der Teilnehmer an der öffentlichen Meinungsbildung auf den Rechtsreflex berufen kann; Ridder, Meinungsfreiheit, S. 269; ders., Kirche-Staat-Rundfunk, S. 44.

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

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Bei genauerer Betrachtung zeigt sich eine feine Abstufung der geschützten Emanationen. Was zum Beispiel die politische Betätigung betrifft, so bauen sich auf der Meinungsäußerungsfreiheit die Meinungsverbreitungsfreiheit, auf dieser die Versammlungsfreiheit und auf der Versammlungsfreiheit die Parteigründungsfreiheit auf. Die Parteigründungsfreiheit ist ohne Sinn, wenn die Gründer nicht das Recht haben, sich zu versammeln. Die Versammlungsfreiheit wiederum würde ihnen nichts nützen, wenn sie nicht i n der Versammlung ihre Meinung frei äußern könnten 3 5 . Diese Meinungsfreiheit schließlich steht und fällt m i t der Möglichkeit, sich seine eigene Meinung frei zu bilden. Dort, wo die geäußerte Meinung über raffinierte Mechanismen zur Beeinflussung der Psyche gesteuert wird, erweist sich das Recht auf freie Meinungsäußerung als leere Hülse. Diese Überlegung führt noch nicht zur Annahme eines Grundrechts auf Gedanken(bildungs)freiheit. Dazu ist die Basis des A r t . 5 GG zu schmal, w i e oben gezeigt worden ist. I m m e r h i n w i r d jetzt klar, daß die Grundrechte für einen bestimmten Lebensbereich — die politische Betätigung — sich als eine Kette von logischen Gliedern verstehen lassen, so daß ein Grundrecht immer Voraussetzung des anderen ist. Die letzte, nicht weiter zurückführbare Voraussetzung dieses Systems logischer Aufbauten, die Freiheit des psychischen Zentrums, ist nicht ausdrücklich normiert. N i m m t man sie aber weg, dann fällt das ganze kunstvolle Gebäude zusammen. Entsprechende Beobachtungen lassen sich an den Grundrechten für andere Lebensbereiche anstellen. Die Freiheit zum Zusammenschluß von Religionsgesellschaften setzt Religionsausübungsfreiheit, Bekenntnisfreiheit, Glaubensfreiheit und schließlich Denk- und Entschlußfreiheit voraus. Die allgemeine Vereinigungsfreiheit nach A r t . 9 GG ist entsprechend durch Versammlungsfreiheit, Handlungsfreiheit und Denkfreiheit bedingt. Es gibt kein Grundrecht, das ohne — stillschweigende oder ausdrückliche — Anerkennung eines autonomen psychischen Zentrums einen Sinn haben könnte. Was soli der „Eigentümer" m i t dem Grundrecht des Art. 14 GG anfangen, wenn seine Dispositionen über das „Eigen"-tum von außen gesteuert werden? Die logischen Grundrechtsketten auf den verschiedenen Lebensbereichen haben einen gemeinsamen Ausgangspunkt: Eben die geistigseelische Freiheit; sie ist „ K e r n s t ü c k " u n d Voraussetzung der Freiheitsrechte, sie ist das A x i o m des Grundrechtssystems. 33 Vgl. Hesse, Grundzüge, S. 154 („Komplementärfunktion"). 36 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 245; vgl. ferner Leisner, Begriffliche Gren-

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht 4. Zusammenfassung

Berücksichtigt man beides, Struktur und geistesgeschichtlichen Hintergrund der Freiheitsrechte, dann kann man sagen, daß sie nicht bloß historisch, sondern auch systematisch auf den Schutz des psychischen Zentrums ausgerichtet sind. Diese Aussage gilt unabhängig von den einzelnen durch Grundrechte geschützten Lebensbereichen. Deshalb kommt hier das argumentum a minori zum Zuge, das bei den einzelnen Freiheitsrechten wegen deren Spezialitäten i n Tatbeständen und Schranken abzulehnen war: Wenn die Betätigung des Individuums i n der Außenwelt geschützt ist, die Betätigung aber vom autonomen Willen des Individuums abhängt, und wenn ferner die äußere Betätigung gerade um der inneren Autonomie willen frei von Zwang sein soll — dann muß der autonome Wille erst recht geschützt sein 37 .

I I I . Benennung des Grundrechts Wenn das System der klassischen Freiheitsrechte die Freiheit des Denkens voraussetzt und bezweckt, eine positive Garantie dieser Freiheit aber aus solchen Gründen nicht enthält, die sich als falsch erwiesen haben, dann muß ein ungeschriebenes Grundrecht auf — innere — Denkfreiheit angenommen werden. Man könnte dieses Grundrecht „Gedankenfreiheit" nennen. Davon ist jedoch abzuraten, w e i l Verwechslungen mit der traditionellen Gedankenäußerungsfreiheit die Folge sein müßten. Der Ausdruck „Geistesfreiheit" zeigt dieselbe Ambivalenz. Hamann 1 faßt zum Beispiel alle Rechte des A r t . 5 GG unter dem Oberbegriff „Geistesfreiheit" zusammen. zen, U F I T A 37 (1962) 139 (die grundrechtliche Ordnung sei „persönlichkeitszentrisch"); Gerhard Ritter, Menschenrechte, Historische Zeitschrift 169 (1949) 237 (Menschenrechte seien um die Gedankenfreiheit gruppiert); Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 13 (stufenförmiger Aufbau der Freiheitsrechte). 37 Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 205: „Gegenüber körperlicher Folterung haben tausende von Menschen in der Geschichte ihre sittliche Aufgabe und ihre weltanschauliche Überzeugung hoch gehalten, durch die Verletzung des Willens wird dem Menschen sogar die Ehre des Märtyrertums versagt." — Fromm, Escape form Freedom, S. 241: „The right to express our thoughts . . . means something only if we are able to have thoughts of our own . . . " — Vgl. noch Annelies Reichert, Wielands Stellungnahme zur Frage der Pressefreiheit, Diss. München 1948, S. 34 (Geistesfreiheit als Substanz der Meinungsfreiheit). 1 Kommentar, S. 105, Anm. A l zu Art. 5; den Begriff „Geistesfreiheit" verwenden im gleichen Sinne: von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 237, Anm. I I 4 zu Art. 5; BVerfG 5/205. Darüber, daß dieser Sprachgebrauch auch historisch richtig ist, vgl. Franz Schneider, Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit, S. 102.

B. Herleitung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit

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Es empfiehlt sich deshalb, den Bezug auf den Gedankenbildungsprozeß durch einen besonderen Zusatz zu betonen. Die Bezeichnung „innere Geistesfreiheit" verdient dann den Vorrang etwa vor „innere Gedankenfreiheit", weil bei der Geistesfreiheit das Gefühl für die Spaltbarkeit i n eine innere und eine äußere Seite stärker entwickelt sein dürfte. Das zeigt schon der Sprachgebrauch, der neben den Geisteskräften des einzelnen den — objektiven — Zeitgeist kennt. Zugunsten des Ausdrucks „innere Geistesfreiheit" fällt noch ins Gewicht, daß er bereits m i t dem hier gemeinten Inhalt i n der Literatur gebraucht worden ist 2 . Gemeint ist i n jedem Falle die „Denk-, Entschluß- und Urteilsfreiheit" 3 , oder die „Freiheit des Denkens, Fühlens, Wollens und Sichentschließens" 4 . Nachdem diese Freiheit als ungeschriebenes Grundrecht nachgewiesen und „innere Geistesfreiheit" benannt worden ist, muß ihr Inhalt näher bestimmt werden.

2 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 245; Scholler, Freiheit des Gewissens, S. 22. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 245. 4 Ramm, Freiheit der Willensbildung, S. 15, 21.

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C. Der Schutzbereich des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit I . Diskussion einiger Abgrenzungsmöglichkeiten

1. Negative Kommunikationsfreiheit Der Schutzbereich des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit hängt davon ab, welche Arten von Suggestionen die Freiheit des Denkens beeinträchtigen. Nun gibt es suggestive Einwirkungen, zu denen sich das Individuum erst einen Zugang verschaffen muß (Kauf einer Illustrierten, Einschalten des Fernsehgeräts), und solche, denen es ohne Rücksicht auf seinen Willen ausgesetzt ist. Hieran anknüpfend, könnte man das Grundrecht auf innere Geistesfreiheit als ein Recht auf freie Auswahl der Informationen ausgestalten 1 . Die innere Geistesfreiheit wäre dann die Anwendung des allgemein anerkannten Satzes „volenti non fit iniuria" auf kommunikative Tatbestände 2 . Eine solche negative Kommunikationsfreiheit 3 ließe sich zudem m i t der i n der Literatur bereits diskutierten „Freiheit, nicht zu hören" 4 in Verbindung bringen; man könnte diese Freiheit zu einem Recht, nicht zu sehen, und schließlich zu einem Recht auf Abwehr unerwünschter Stimuli schlechthin erweitern. Ein „Recht, nicht zu hören", ist i m Zusammenhang mit dem sogenannten Pollak-Fall 5 entwickelt worden. Ein amerikanisches Ver1 Vgl. das dissenting vote von Richter Douglas i m Pollak-Fall: „ . . . the right to pick and choose from competing entertainments, competing propaganda, competing political philosophies"; United States Supreme Court Reports, 96 L e d S. 1081; vgl. noch Konvitz, Fundamental Liberties of a Free People, S. 126. 2 Vgl. die verbesserte Fassung eines Gesetzentwurfs in Kalifornien, wonach unterschwellige Beeinflussung verboten ist „unless consented to by the listener or viewer" (Entwurf Richards , unten in der Dokumentation abgedruckt unter C. III.). 3 Also nicht bloß negative Meinungsempfangsfreiheit (vgl. Kimminich, Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/71), weil damit nicht alle Fälle erfaßt wären. * Kimminich, Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/61 ff.; Eva Götzfried, Das Recht, nicht zuhören zu müssen, NJW 1963/1961 ff.; ferner Konvitz, Fundamental Liberties, S. 119 ff. (Freedom not to listen). « Public Utilities Commission v. Franklin S. Pollak, 343 U S 451 (1952) 96 L e d S. 1068ff.; ferner: Kvnvitz, S. 123ff.; Eva Götzfried, NJW 1963/1962; Kimminich, Staat 1964/62.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts kehrsunternehmen, das aufgrund eines vom Kongreß erteilten Monopols die Nahverkehrsmittel i m Distrikt Columbia (Washington m i t der näheren Umgebung) kontrolliert, hatte i n Bussen, Straßenbahnen und Wartehallen Lautsprecher anbringen lassen, die ein Radioprogramm m i t Musik (etwa 90 °/o) und Reklame (etwa 10 °/o) übertrugen. Die Aufsichtsbehörde ließ Untersuchungen darüber durchführen, stellte aber schließlich fest, die Programme seien geeignet, „to improve the conditions under which the public ride" 6 . Dabei stützte sie sich auf eine Meinungsumfrage, nach der 93,4 % der Befragten nichts gegen die Radiosendungen einzuwenden hatten und 76,3 %> sogar dafür waren 7 . Als sich die Aufsichtsbehörde deshalb weigerte einzuschreiten, wurde sie von zwei Fahrgästen (Pollak und Martin) verklagt. Der Supreme Court wies die Klage i n letzter Instanz ab. Die verfassungsmäßigen Rechte der Fahrgäste seien nicht verletzt. Die Sendungen hätten weder bedenkliche Progapanda enthalten, noch die Konversation der Fahrgäste gestört. Die Fahrgäste seien j a auch i n ihrer überwiegenden Mehrheit einverstanden gewesen. Die Entscheidung befriedigt wenig 8 , da der Tatbestand der „Geräuschberieselung" oder „Reizüberflutung" nicht i n seiner ganzen Tragweite erkannt ist. Kimminich und Eva Götzfried haben die Frage aufgeworfen, wie nach deutschem Recht zu entscheiden gewesen wäre. Es liegt nahe, aus der negativen Koalitionsfreiheit und der negativen Glaubensfreiheit auf einen „doppelten Charakter" 0 der Grundrechte schlechthin zu schließen und dann aus dem Selbstbestimmungsrecht i n negativer Beziehung 10 ein „Recht, nicht zuhören zu müssen", abzuleiten 11 . Damit kann es freilich nicht sein Bewenden haben. Kimminich hebt hervor, daß ein solches Recht die Garantie der Meinungsfreiheit für das gesprochene Wort aufheben würde; der Widerspruch eines einzigen « United States Supreme Court Reports 96 L e d S. 1075; ferner Konvitz, Fundamental Liberties, S. 124. 7 United States Supreme Court Reports 96 L ed S. 1076; ferner Kimminich, Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/64. 8 Das wurde wohl auch von den Richtern empfunden. Frankfurter erklärte sich wegen seiner heftigen Emotionen gegenüber derartigen Werbemethoden für befangen (United States Supreme Court Reports 96 L e d S. 10791); Douglas gab ein dissenting vote ab (a.a.O. S. 10801) und Black betonte, er würde bei Nachrichten oder politischer Propaganda anders entscheiden (a.a.O. S. 1079). fl Eva Götzfried N J W 1963/1962. io Eva Götzfried a.a.O. unter Berufung auf Herbert Krüger, Neues zur Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung und deren Schranken, NJW 1955/202. Eebenso Roemer, Zum Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, S. 569. " So Eva Götzfried NJW 1963/1961 ff.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

Bürgers könnte Reden, Vorträge, Predigten verhindern 1 2 . Demnach käme es darauf an, diejenigen Tatbestände herauszuarbeiten, bei denen der Betroffene „sich nicht aus dem Bereich der Schallquelle entfernen kann" 1 3 , also die Tatbestände des „captive audience" 14 . Da kämen Monopolbetriebe i n Betracht, die zur Anregung der Kauflust Schallplatten abspielen 15 , oder eben das Nahverkehrsmittel, auf das man schlechterdings angewiesen ist, i n dem man sich aber Reklame für Waschmittel anhören muß. Bedenken stellen sich aber wieder ein, wenn das Recht, nicht zuzuhören, zu einer negativen Kommunikationsfreiheit erweitert werden soll. Die vielen Tausende, die täglich auf dem Weg zum Arbeitsplatz an einer verkehrsreichen Kreuzung das dort angebrachte Reklameschild i n den Blick bekommen müssen, sind eine gefangene Zuschauerschaft. Ist also die Außenwerbung rechtswidrig 1 6 ? Die Folge einer negativen Kommunikationsfreiheit wäre das Ende jeder Leuchtreklame. Man hätte ernsthaft zu prüfen, ob nicht jedes gut sichtbare Hinweisschild die negative Kommunikationsfreiheit verletze. Es hat den Anschein, daß die Rechte, sich akustischer oder optischer Wahrnehmung zu entziehen, am Wesen der suggestiven Einwirkungen vorbeigehen. Während einerseits harmlose Hinweis- oder Namensschilder sich als rechtswidrig erweisen würden, müßte man andererseits tiefenpsychologische Zigarettenwerbung i n einer Illustrierten zulassen — die Illustrierte braucht man ja nicht aufzuschlagen, hier gibt es keinen „gefangenen" Betrachter. Wo also steckt der Fehler? Es geht offenbar nicht um die Bekämpfung von — akustischem oder „optischen" 17 — Lärm 1 8 . Suggestiv ist vielmehr die unauffällige, halblaute Berieselung, das sanfte Einlullen m i t Werbeslogans, zumal in der rush hour nach Arbeitsschluß, wenn die geistige Widerstandskraft herabgesetzt ist 1 9 . Die Gefahr liegt doch darin, daß diese A r t der Beeinflussung gerade nicht als „ L ä r m " , sondern als angenehm und 12

Kimminich , Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/73. 13 Kimminich a.a.O. S. 74. Kimminich a.a.O.; Konvitz, Fundamental Liberties, S. 119. 15 Vgl. Eva Götzfried , NJW 1963/1963. iß Ganz so unpraktisch, wie das Bundesverwaltungsgericht meint (NJW 1959/1195), wäre das nicht: Die Außenwerbung stellt nur einen kleinen Bruchteil des Werbevolumens dar (vgl. die Statistiken im Spiegel vom 3. 2.1965, Nr. 6, S. 50; in der F A Z vom 8. 6.1965, Nr. 130, S. 17, Sp. 3—4; und bei Püttner , Reklame an städtischen Verkehrsmitteln, Archiv für Kommunalwissenschaften 6 [1967] 110 Fußnote 1). 17 Vgl. Drews-Wacke, Allgemeines Polizeirecht, S. 90; man könnte sogar an einen olfaktorischen Werbe-„lärm" denken (Drews-Wacke a.a.O. S. 91). 18 Darauf weist Kimminich , Staat 1964/84, hin. i® Vgl. Kimminich a.a.O. S. 81.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts „entspannend" empfunden w i r d 2 0 . Der kritische Grenzfall ist die unterschwellige akustische Werbung, bei der bewußt überhaupt nichts wahrgenommen wird. Wie soll man sich „aus dem Bereich der Schallquelle entfernen", wenn eine „Schall"-quelle nicht vorhanden ist? Hiernach war schon der Ansatzpunkt falsch. Das Recht, sich unerwünschten Wahrnehmungen zu entziehen, setzt voraus, daß suggestive Einwirkungen als gefährlich erkannt werden. Die „Einwilligung des Verletzten" 2 1 ist unerheblich, wo der Verletzte die Verhältnisse nicht klar überblickt, wo also der Tatbestand der wirklich gefährlichen Suggestion gerade erst beginnt. Die innere Geistesfreiheit als negative Kommunikationsfreiheit wäre also ein untauglicher Versuch, den Unlustfaktor 22 zur Abwehr von Suggestionen einzusetzen. Es kommt aber darauf an, ein vom Empfinden der beeinflußten Individuen unabhängiges K r i t e r i u m zu finden. 2. Abgrenzung nach dem Inhalt der Suggestion

W i l l man zwischen erlaubten und verbotenen „in-puts" nach einem objektiven, vom Gutdünken des Individuums unabhängigen Maßstab unterscheiden, dann sollte zunächst klar sein, daß nur ein formales K r i t e r i u m den Ausschlag geben kann. Werbefachleute neigen naturgemäß dazu, „eine weitgehende Wertfreiheit des sozialstrategischen Beeinflussungsvorganges zu unterstellen" 2 3 und alle Vorwürfe auf den Inhalt der Suggestionen abzulenken. Der Appell an Triebkräfte sei an sich nicht verwerflich, nur der „Mißbrauch" 2 4 dieser Technik zur Werbung für bedenkliche Tabletten, für Alkohol 2 5 oder für politische Irrlehren 2 6 sei abzulehnen 27 . Wer aber w i l l den Index der Gegenstände aufstellen, für die nur m i t logischen Argumenten Reklame gemacht werden darf? Ein Werbeverbot für „politische Irrlehren" wäre i n der freiheit2® Vgl. die oben (Fußnote 7) zitierte Meinungsumfrage; bei der Auswertung der Daten ist freilich Vorsicht am Platze, da das Ergebnis der Umfrage durch Suggestivfragen verfälscht sein kann (vgl. Kimminich, Staat 1964/64, und dort Fußnote 4). Vgl. Eva Götzfried, N J W 1963/1963. 22 Vgl. oben B. I I . 2. Kritik aus anderer Sicht bei Lerche, Werbung und Verfassung, S. 149. 23 Berth, Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 394. 24 Franke, Der manipulierte Mensch, S. 119. 2« Berth a.a.O. S. 394. 26 Franke a.a.O. S. 119. 27 i m Prinzip ebenso: Bongard, Männer machen Märkte, S. 26; Dichter, Strategie im Reich der Wünsche, S. 314. f> Faber

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht liehen demokratischen Grundordnung vollends fehl am Platze. Eine Ausnahme gilt hier nur f ü r verfassungsfeindliche Propaganda. Davon abgesehen, ist jede „apriorisch differenzierende B e w e r t u n g . . . ideologisch b e s t i m m t . . . und . . . verfassungsrechtlich unzulässig" 28 . Zu den rechtlichen Bedenken t r i t t noch ein logischer Einwand hinzu. Es gibt keine Aussage, die nur suggestiv übermittelt werden könnte. Suggestion entsteht unter anderem durch die Tiefenwirkung, die man jeder Aussage geben kann 2 9 . Dann kann man aber das Wesen der Suggestion nicht aus ihrem Inhalt heraus bestimmen: Der Gegenstand einer Mitteilung sagt nichts darüber aus, ob diese Mitteilung die innere Geistesfreiheit verletzt.

3. Negative Abgrenzung mit dem Begriff der Meinungsäußerung

Steht aber fest, daß ein materiales K r i t e r i u m nicht i n Frage kommt, dann könnte man versucht sein, als formales K r i t e r i u m den Begriff der „Meinungsäußerung" i m Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG zu wählen und daraus eine negative Abgrenzung für den Schutzbereich der inneren Geistesfreiheit zu gewinnen. Dieses Verfahren könnte an die geschichtliche Herkunft der Grundrechte anknüpfen. Die Aufklärung — mit ihrem Appell an das Individuum, sich seines Verstandes zu bedienen — mußte zumindest eine Form der Fremdbestimmung voraussetzen und billigen: die Unterwerfung unter das logische Gesetz 30 . Die logische, rationale Argumentation kann also niemals verbotene Suggestion sein. I n diese Richtung weist auch die Rechtsprechung. Die beiden Sätze, daß „geistige Wirkung" zum Wesen der Meinungsäußerung gehöre 31 , daß dagegen 28 Ridder, „Sühnegedanke", Grundgesetz, „verfassungsmäßige Ordnimg" und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, D Ö V 1963/323; ähnlich Geiger , Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus, S. 150: „Es fehlt in unserer pluralistischen Gesellschaft an jener Instanz, die schiedsrichterlich zwischen verbreitungswürdigen und verderblichen Meinungen unterscheiden könnte"; zustimmend Adolf Arndt , Buchbesprechung, NJW 1963/194; vgl. noch Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, VVDStRL 4/71. Gegen ein Staatsmodell „richtiger Werbung" vgl. Lerche , Werbung und Verfassung, S. 66. 29 Nämlich durch ihre Einordnung in ein Motivationsystem, vgl. Fuchs , Gewißheit, Motivation und bedingter Reflex, S. 61. so Vgl. Fichte , Zurückforderung der Denkfreiheit, der (S. 33) darlegt, die Freiheit des Denkens bereite uns auf die Freiheit des Wollens vor: „ . . . durch freie Unterwerfung unserer Vorurtheile und unserer Meinungen unter das Gesetz der Wahrheit lernen w i r zuerst vor der Idee eines Gesetzes überhaupt uns niederbeugen . . 3i BVerfG 7/210 im Anschluß an Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, HdbDStR Bd. 2, S. 655. Vgl. noch Ridder, Meinungsfreiheit, S. 282 f.

67

C. Der Schutzbereich des Grundrechts d i e B e e i n f l u s s u n g a n d e r e r m i t d e m Z i e l , sie z u m H a n d e l n z u anlassen, k e i n e M e i n u n g s ä u ß e r u n g s e i 3 2 , s i n d n u r d a n n

ver-

miteinander

z u v e r e i n b a r e n , w e n n m a n „ g e i s t i g e W i r k u n g " als B e e i n f l u s s u n g

mit

r a t i o n a l e n M i t t e l n v e r s t e h t u n d v o n anderen, n i c h t r a t i o n a l e n M e t h o d e n d e r B e e i n f l u s s u n g unterscheidet. D e n n o c h bestehen B e d e n k e n dagegen, M e i n u n g s ä u ß e r u n g und r a t i o n a l e A r g u m e n t a t i o n gleichzusetzen. „ C h e m i s c h " r e i n e R a t i o n a l i t ä t i s t eine I d e a l v o r s t e l l u n g , d e r n i c h t e i n m a l d i e wissenschaftliche Wirklichkeit v o l l entspricht. Die Entstehung v o n akademischen „ S c h u l e n " beispielsweise ist o h n e M i t w i r k u n g eines s u g g e s t i v e n E l e m e n t s k a u m z u e r k l ä r e n 3 3 . G e r a d e dieses suggestive E l e m e n t v e r l e i h t der Meinungsäußerung jene gruppenbildende F u n k t i o n 3 4 , die m i t z u m geschützten T a t b e s t a n d g e h ö r t 3 5 . Es g i b t also k a u m eine M e i n u n g s ä u ß e r u n g , i n d e r R a t i o n a l e s n i c h t m i t I r r a t i o n a l e m gemischt w ä r e 3 8 . W a s das P h ä n o m e n d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g angeht, so stößt m a n auch h i e r a u f d i e „ S t e u e r u n g d u r c h das k o l l e k t i v e U n b e w u ß t e " 3 7 . D a s h a t w i e d e r R ü c k w i r k u n g e n a u f d i e D e f i n i t i o n des B e g r i f f e s „ M e i n u n g s ä u ß e r u n g " , da d i e F u n k t i o n d e r M e i n u n g s ä u ß e r u n g als eines B e i t r a g s z u r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g 3 8 n e u e r d i n g s s t ä r k e r b e t o n t w i r d 3 9 . D i e B e w e r t u n g eines N a c h r i c h t e n m a g a z i n s 3a BVerwG 2/178 f. 33 Hofstätter, Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 137 Fußnote 3; ders., Einführung in die Sozialpsychologie, S. 469 Anmerkung 18. 34 Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, W D S t R L 4/50. Smend sieht allerdings auch Werbung und Agitation als Meinungsäußerungen an, anders als die heute noch h. M., vgl. oben Fußnote 32, ferner BGHSt 5/22, 8/360, 8/379; Hamann, Kommentar, S. 107, Anm. B 1 zu Art. 5; Ridder, Meinungsfreiheit, S. 270 Fußnote 89; Scheuner, Pressefreiheit W D S t R L 22/65; differenzierend: Eichmann, GRUR 1964/60 f. Neuerdings ist die ältere Auffassung mit Recht stark in Frage gestellt worden: Wacke, Werbeaussagen, S. 197 ff., 201 ff.; Lerche, Werbimg und Verfassung, S.76ff. 33 Smend a.a.O. S. 50; Ridder, Meinungsfreiheit, S.249. 36 Dadurch erklären sich die in der Literatur aufgestellten Minimalanforderungen an die Rationalität einer Äußerung, vgl. von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 881, A n m I I I 2 e zu Art. 38 (Mindestmaß staatsbürgerlicher ratio); Ridder, „Sühnegedanke", D Ö V 1963/323 (die jeder kritischen Rationalität entbehrende „Holzhammernarkose"); ders., Grundgesetz, Notstand und politisches Straf recht, S. 26 (Agitation sei zulässig, „solange die rationale Komponente vorhanden ist"). 37 Adolf Arndt, Begriff und Wesen der öffentlichen Meinimg, S. 3. 38 BVerfG 12/127; Adolf Arndt, Buchbesprechung, N J W 1963/194; Ridder, Grundgesetz, Notstand und politisches Straf recht, S.27, spricht geradezu von „Meinungsbildungsbeiträgen" (wobei aber zu bedenken ist, daß Ridder, i m Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht, streng scheidet zwischen individueller Meinungsäußerungsfreiheit und öffentlicher Meinungsbildungsfreiheit; Meinungsfreiheit, S.249 ff., 252; Kirche-Staat-Rundfunk, S.44). 39 Es ist deshalb zumindest für die politische Propaganda kaum noch haltbar, die Werbung aus dem Sdiutzbereidi des Art. 5 G G herauszuhalten, so aber die herrschende Meinung (vgl. oben Fußnote 34). 5*

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht als „politische Pornographie" enthält nur einen geringen Rationalitätskern (den V o r w u r f unsachlicher Berichterstattung), demgegenüber die „geprägte Formel" 4 0 , die Aktivierung negativer „Begleitgefühle" 4 1 ganz i m Vordergrund stehen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht gezögert, diese Äußerung als Meinungsäußerung zu behandeln 42 . Ebensowenig, wie reine Rationalität für Meinungsäußerung typisch ist 4 3 , läßt sich eine Suggestion am Mangel der Rationalität erkennen. Die Werbepsychologie empfiehlt ja gerade, die Gründe zum Rationalisieren gleich mitzuliefern 4 4 , w e i l sie weithin die Rationalität nicht als Ursache, sondern als Folge eines bereits zustandegekommenen, irrational motivierten Entschlusses versteht 4 5 . Die Grenze zwischen Rationalität und Irrationalität kann also nicht m i t der Grenze zwischen geschützter Meinungsäußerung und verbotener Suggestion zusammenfallen. Die rationale Argumentation ist nur der Kernbereich der Meinungsfreiheit, ohne daß damit der geschützte Sachverhalt erschöpfend beschrieben wäre. Dann aber empfiehlt es sich nicht, die Verletzung der inneren Geistesfreiheit von der Meinungsfreiheit her negativ zu bestimmen. Es könnte ja sein, daß sich Meinungsfreiheit und Verletzung der inneren Geistesfreiheit außerhalb jenes rationalen Kernbereichs überlappen 46 — dann würde die Meinungsfreiheit insoweit durch die innere Geistesfreiheit als „allgemeines Gesetz" beschränkt sein —; oder auch, daß zwischen dem durch A r t . 5 GG garantierten Bereich und der Verletzung der inneren 40 Hofstätter , Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 9. Pareto, Allgemeine Soziologie, S. 183. u BVerfG 12/113 ff. (124 ff.). 43 Hamann, Kommentar, S. 107, Anm. B 1 zu Art. 5 (Meinungen können rational oder emotional bedingt sein); Leisner , Begriffliche Grenzen, U F I T A 37 (1962) 138 („Über welchen psychologischen Kanal ein Bewußtseinsinhalt zum anderen dringt, . . . ist unbeachtlich"); ein bezeichnender Hinweis auf die Möglichkeit emotionaler Bedingtheit in Art. 12 der Declaration of Rights von Pennsylvania (1776): „That the people have a right to freedom of speech, and of writing, and of Publishing their sentiments." 44 von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbimg, S. 44 (vgl. dazu oben unter A. 1.6. zu Fußnoten 75—80). 45 Kropf f, Angewandte Psychologie, S. 208 ff.; von Holzschuher a.a.O. S. 42 ff.; Spiegel, Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 22 (Fall Nr. 4, „Kulissenmotiv"). Das Problem der „sekundären Rationalisierung" wird von Lerche , Werbung und Verfassung, S. 27, nicht erkannt (deshalb ist sein Versuch, den „Zusatznutzen" mit dessen rationalen Ingredienzien zu rechtfertigen, mißlungen). 46 vor allem bei Presseäußerungen; sie sind — unabhängig vom Grad ihrer Rationalität — geschützt durch die „formelle Pressefreiheit" (Ridder, Meinungsfreiheit, S. 270 Fußnote 89; Häntzschel , Das Recht der freien Meinungsäußerung, HdbDStR Bd. 2, S. 655 Fußnote 12; Hamann, Kommentar, S. 108, Anm. B 6 zu Art. 5), zu der eben auch der Inseratenteil, der bevorzugte Sitz der Suggestion gehört (vgl. BVerfG 21/271 ff., 278 ff.).

C. Der Schutzbereich des Grundrechts Geistesfreiheit eine Gruppe von Einwirkungen liegt, die weder geschützt noch direkt verfassungswidrig sind. Es kommt daher darauf an, den Begriff der verbotenen Suggestion (Beeinträchtigung der inneren Geistesfreiheit) unabhängig von der Antithetik rational — irrational zu entwickeln.

I I . Die innere Geistesfreiheit als Recht auf Ausschluß nicht beherrschbarer Suggestionen Die innere Geistesfreiheit, positiv definiert, garantiert dem einzelnen die Spontaneität seines Gedankens. Das Individuum soll der Herr seiner psychischen Prozesse bleiben. Von hier aus gesehen, erscheint eine suggestive Einwirkung dann als unschädlich, wenn sich der Adressat zu ihr i n eine objektive Beziehung bringen, wenn er ihre Bedeutung i m Motivationsgefüge kritisch abschätzen und entsprechende Gegenkräfte mobilisieren kann. Dadurch w i r d der Gedanke der autonomen Abwehr zum Bezugspunkt. Das entspricht dem Gebot der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als Auslegungsregel und oberstem Konstitutionsprinzip i n zwei entgegengesetzten Richtungen: Einmal trägt das Gebot der Menschenwürde zusammen m i t den A r t . 2, 4, 5 GG die Rechtsanalogie, die zur Annahme der inneren Geistesfreiheit führt; zum anderen enthält sie das Verbot, den Bürger als unmündig zu behandeln — i h n also vor Suggestionen zu schützen, die er selbst unschädlich machen kann. Die innere Geistes freiheit wird also durch solche Suggestionen verletzt, die vom Individuum nicht mehr beherrscht werden können. Unter welchen Voraussetzungen ist aber eine Suggestion nicht mehr beherrschbar? 1. Bisherige Bestimmungsversuche für die Kriterien der Beherrscfabarkeit

Die Frage nach der Beherrschbarkeit von Suggestionen ist — nicht i n dieser Formulierung, aber sinngemäß — i m Zusammenhang m i t dem Wahlrechtsgrundsatz der Wahlfreiheit (Art. 38 Abs. 1 GG) viel erörtert worden. Das könnte dazu verleiten, die dort entwickelten Abgrenzungsmaßnahmen hier einfach i n den Gang der Untersuchung einzusetzen. Trotz der gleichen Fragestellung wäre ein solches Verfahren methodisch verfehlt. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Wahlrechtsgrundsätze Grundrechte sind 1 . Allenfalls haben sie eine Doppelnatur als sub1

Seifert,

Das Bundeswahlgesetz, 2. Auflage, §.37: „Die Wahlrechtsgrund-

7

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

jektives 2 und als objektives Recht 3 . Es besteht also die Gefahr, daß bloße Rechtsreflexe i n die Bestimmung des Grundrechts auf innere Geistesfreiheit m i t eingehen könnten. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß amtliche Wahlbeeinflussung als geeignet gilt, die Entscheidungsfreiheit des Wählers „ernstlich zu beeinträchtigen" 4 . Es wäre bedenklich, diese hochgradig fiktive Annahme bei der Inhaltsbestimmung der inneren Geistesfreiheit zu verwerten. I n Wahrheit handelt es sich bei dem Verbot der amtlichen Wahlbeeinflussung gar nicht um den Schutz eines Grundrechts (auf Wahlfreiheit oder Entscheidungsfreiheit), sondern u m objektives Recht, nämlich um den Grundsatz, daß die Inhaber staatlicher Organstellen „den Kampf um ihr Verbleiben nicht von einer anderen Warte aus führen dürfen als ihre Gegner" 5 . Außerhalb der „Wahlfreiheit" ist die Frage nach der Beherrschbarkeit von Suggestionen nur gestreift worden. Insoweit handelt es sich aber durchweg u m zaghafte Versuche, aus Art. 1 oder Art. 2 GG eine — grundrechtliche — innere Freiheit herzuleiten; sie könnten deshalb ohne methodische Bedenken verwertet werden. Sie lassen alle die Züge einer unausgereiften, i n der Entwicklung begriffenen Rechtsinstitution erkennen. So schreibt Jürgens, nachdem er die „Willensfreiheit" als untrennbaren Bestandteil der Menschenwürde bezeichnet hat 6 , zum Angriff auf die Willensfreiheit genüge nicht eine beiläufige Einwirkung auf das Unbewußte. Die Einwirkung auf das Unterbewußtsein müsse „bei gleichzeitiger Ausschaltung oder Überspielung des bewußten Willens" der eigentliche Zweck der Beeinflussung sein 7 . Dann heißt es weiter, die Grenze zwischen zulässiger Beeinflussung des bewußten Willens und unzulässiger Suggestion lasse sich nur durch „wertende Abwägung" ermitteln 8 . sätze sind nach dem G G zunächst Institutionen des objektiven Rechts. Man wird sie aber heute als i m verfassungskräftigen subjektiven Wahlrecht . . . mit enthalten ansehen dürfen. § 90 BVerfGG behandelt sie daher auch als grundrechtsähnliche Rechte . . . " 2 Vgl. § 2 Abs. 2 des Wahlprüfungsgesetzes. 3 Vgl. zum Wahlrecht Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 422 Fußnote 1. 4 Seifert a.a.O. S. 347. 5 Ridder, Anmerkung zu dem Urteil des O V G Münster JZ 1962/767 ff. = O V G 18/1 ff., JZ 1962/773; ebenso Lenz, Rundfunkorganisation, JZ 1963/342. 6 Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbung, VerwArch 53 (1962) 114. Dabei wird übersehen, daß die Menschenwürde nur physische Angriffe auf die Willensfreiheit verbietet (vgl. oben unter A. 1.6. Fußnote 99). 7 Jürgens a.a.O. S. 117. s a.a.O. S. 118.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

1

Auch Eichmann 9 findet die sedes materiae i n A r t . 1 GG. Die Menschenwürde sei jedoch erst dann verletzt, wenn sich die Werbung „durch Anwendung irgendwelcher Kunstgriffe unter vollkommener Umgehung der Bewußtseinsschwelle" an den Umworbenen wende 1 0 . Scheint hiernach für Eichmann nur die unterschwellige Stimulation als Verletzungshandlung i n Betracht zu kommen, so entsteht doch neue Unklarheit durch den folgenden Satz: „Immer wenn die Willensfreiheit ausgeschaltet wird, ist, gleichgültig, welcher Zweck dabei verfolgt wird, die Menschenwürde dadurch angetastet, daß der Mensch ,zum bloßen Objekt erniedrigt 4 wird"."

M i t dem Merkmal „Ausschaltung der Willensfreiheit" knüpft Eichmann an wettbewerbsrechtliche Vorstellungen an. Dabei ist wieder — ähnlich wie i m Falle der Wahlfreiheit — methodische Vorsicht geboten. Beiträge zur Inhaltsbestimmung eines Grundrechts auf innere Freiheit finden sich auch i m Wettbewerbsrecht, da die Generalklausel des § 1 U W G grundrechtliche Wertungen i n sich aufnehmen und m i t „ D r i t t w i r k u n g " ausstatten kann. So zieht etwa Spengler 12 die „Grenze zwischen einer üblichen, tragbaren Werbesuggestion und einem illegalen psychologischen Kaufzwang dort, . . . wo m i t hintergründigen Kniffen die Willensfreiheit ausgeschaltet und dadurch der Menschenwürde zu nahe getreten w i r d " . Andererseits gibt es einen wettbewerbsrechtlichen Tatbestand „Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit" 13 , der vorgrundgesetzliche Wurzeln hat. Er ist das Gegenstück zum streng sachlichen Leistungswettbewerb und deckt deshalb auch die „unsachliche Beeinflussung", z. B. die Ausnutzung edler Gefühle oder der Spielleidenschaft 14 . Diese Kriterien, die aus dem Wesen des Leistimgswettbewerbs abgeleitet 15 sind, können den Blick für die innere Geistesfreiheit n u r verdunkeln. Ob die innere Geistesfreiheit durch den Appell an sachfremde Emotio9

Auswirkungen des Grundgesetzes auf die Werbepraxis, GRUR 1964/66 f. i° Eichmann a.a.O. S. 67. u a.a.O. 12 Gibt es ein generelles Verbot, Wirtschaftswerbung i m Gewände von Unterhaltung oder Information zu betreiben? U F I T A 27 (1959) 182. 1 * Hubmann, Gewerblicher Rechtsschutz, S. 253; Kraft, Interessenabwägung und gute Sitten i m Wettbewerbsrecht, S. 231, 234, 274 f. 14 Hubmann a.a.O. S. 253. 15 Die Brücke vom Leistungsprinzip zur Entschließungsfreiheit ist der Begriff des „Leistungsvergleichs"; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Einleitung zum UWG, Rdnr. 71; ferner Rdnr. 4, 82, 86, 110 zu § 1 U W G ; Hubmann a.a.O. S. 242: „Damit sich die bessere Leistung durchsetzen kann, ist Freiheit der Abnehmer notwendig"; ebenso: Kraft a.a.O. S. 181; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 115 f.; O L G Düsseldorf JW 1931/474 (475).

7

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

nen verletzt wird, ist eine sehr kritische Frage, die man nicht von wettbewerbsrechtlichen Prinzipien her lösen darf. Es sollen deshalb i m folgenden nur zwei wettbewerbsrechtliche Autoren zitiert werden, die sich ausdrücklich auf die grundrechtlich geschützte Freiheit der Persönlichkeit berufen. I m Kommentar von Baumbach-Hefermehl 16 w i r d das Verbot subliminaler Projektion mit dem Schutz der Persönlichkeit vor Mißachtung begründet: „ M a n muß zumindest wissen, was gespielt wird, damit man wenigstens die Möglichkeit hat, sich nicht »verführen' zu lassen, sondern frei zu entscheiden." Der „Persönlichkeitsbereich des Umworbenen" ist auch der Hintergrund, auf dem Meyer-Cording 17 sein System der „übermäßigen psychologischen Beeinflussung" entwirft. I n psychologischem Druck auf den Kunden w i l l er sittenwidrigen Wettbewerb dann sehen, wenn das U r t e i l des Umworbenen getrübt und seine freie Entscheidung behindert oder unmöglich gemacht werde. Insbesondere der Griff nach dem Unbewußten sei ein Einbruch i n unsere persönliche Freiheit. I n der Rechtsprechung ist das Thema der Beherrschbarkeit von Suggestionen anläßlich des „König-Pilsener-Falles" 1 8 akut geworden. Hier ging es unter anderem um die Frage, ob eine Werbeanlage durch Einwirkung auf das Unterbewußtsein die Menschenwürde verletzt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, i n einer freiheitlichen Rechtsordnung sei der Mensch kein willenloses Objekt einer solchen Werbemaßnahme; er habe es vielmehr i n der Hand, das Wesen der „Erinnerungswerbung" zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Jürgens hat gegen die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts eingewandt, sie verwechsle Rechtsordnung und Wirklichkeit 1 9 . I n der Tat sagt die Rechtsordnung nichts darüber aus, ob die Werbung das Individuum zum willenlosen Objekt machen kann 2 0 . Das ist vielmehr eine Frage der Sachverhaltsaufklärung. Die Überlegung des Bundesverwaltungsgerichts w i r d aber verständlich, wenn man sie i m Sinne der Richtigstellung von Jürgens etwa so liest: Die Werbung ist insoweit m i t der Rechtsordnung vereinbar, als " Rdnr. 143 zu § 1 UWG. 17 Gute Sitten und ethischer Gehalt des Wettbewerbsrechts, JZ 1964/313 f. 18 OVG Münster D Ö V 1958/824; BVerwG NJW 1959/1194. 19 Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbung, VerwArch 53 (1962) 117. 20 Es sei denn, man wollte der Rechtsordnung die Möglichkeit eines „du kannst, denn du sollst" einräumen.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts der Umworbene nicht ihr willenloses Objekt ist. Damit fügt sich das Verdikt des Bundesverwaltungsgerichts i n die Reihe derjenigen Meinungen ein, die i n der Willensfreiheit das Wesen der inneren persönlichen Freiheit sehen. I n allen diesen Stellungnahmen ist die autonome Abwehr der Suggestionen als das Leitmotiv zu erkennen. Damit ist sicher etwas sehr Wesentliches gewonnen. Aber es ist bisher nicht gelungen, den logischen Hydra-Kampf zu beenden: A n die Stelle der vagen Vorstellung von einer nicht mehr „beherrschbaren" Suggestion ist ein ganzes Spektrum nicht weniger unbestimmter Visionen getreten, das von der „Trübung des Urteils" bis zur „Ausschaltung der Willensfreiheit" reicht. Bei Meyer-Cording ist der Regreß der Begriffe am auffälligsten; hier w i r d eine Generalklausel durch die andere ersetzt 21 : Von der Unlauterkeit (§ 1 UWG) geht es via „übermäßigen psychologischen Druck" zur „Behinderung der freien Entscheidung". Unter welchen Voraussetzungen w i r d denn die freie Entscheidung behindert? Fast scheint hier nichts übrig zu bleiben als die von Jürgens vorgeschlagene „wertende Abwägung" 2 2 .

2. Eigener Bestimmungsversuch: Kognitiver und voluntativer Aspekt der inneren Geistesfreiheit

Überdenkt man die vorgetragenen Bestimmungsversuche noch einmal, dann bekommt man den Eindruck, daß hier zwei verschiedene Dinge unter dem bequemen Begriffsdach der „Willensfreiheit" zusammengefaßt werden. Die Verschiedenartigkeit der Elemente schimmert immer wieder durch, so wenn Meyer-Cording neben der Behinderung der freien Entscheidung von Trübung des Urteils spricht, wenn Jürgens ein Grundrecht auf freien und bewußten Willen entwickelt, oder wenn das Bundesverwaltungsgericht i m Anschluß an das Thema der Willenlosigkeit hervorhebt, der Mensch habe es j a i n der Hand, die Methoden der Reklame zu erkennen. Die beiden sich ergänzenden Elemente treten schärfer hervor, wenn man die einzelne Suggestion zu dem Motivationsgefüge i n Beziehung bringt, auf das sie einwirkt. Beruht der Erfolg einer Suggestion darauf, daß sie den zur gewünschten Handlung hin führenden Impuls erweckt oder verstärkt, dann ist die Beherrschung einer Suggestion die Blockierung des aktivierten 21 Insofern ist Lerches Kritik (Werbung und Verfassung, S. 143: „Problemverschiebung") vollauf berechtigt. 22 VerwArch 53 (1962) 118.

74

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheiit als subjektives Recht

Motivationssystems (Triebes) durch eine vorsatzgestiftete Gegenkraft 23 oder „Befreiung vom kausalen Zwang" 2 4 . Neben dem Aufwand seelischer Energie ist also zumindest erforderlich, daß der Tatbestand der Suggestion erkannt ist: „ N i h i l volitum nisi cognitum 2 5 ." Man kann daher von einer kognitiven und einer voluntativen Seite der inneren Geistesfreiheit sprechen. Nun ist behauptet worden, die Aufspaltung des Handlungsentschlusses i n einen rationalen, intellektuellen Teil und i n den der Willensentscheidung (wie sie auch i n § 51 StGB begegnet) beruhe auf einer lebensfernen, überholten Psychologie 26 . A n diesem Einwand ist so viel richtig, daß die rationalen Vorgänge dem Einsatz des Willens nicht vorgeschaltet zu sein brauchen, sondern — i m Fall der „sekundären Rationalisierung" 2 7 — ihre Folge sein können. Die Möglichkeiten der Beziehung zwischen Denken und Wollen sind i m übrigen so zahlreich 28 , daß die tatsächliche innere Geistesfreiheit nicht einfach als eine Aufstockung der Entschlußfreiheit auf die Denkfreiheit beschrieben werden kann 2 9 . Psychologisch gesehen, ist die endopsychische Betätigung des freien Geistes ein einheitliches Ganzes. Der gegenwärtigen Untersuchung geht es aber nicht u m die Beschreibung seelischen Seins, sondern u m die normative Bewertimg verschiedener Einwirkungen auf seelische Abläufe. Die Unterscheidung zwischen kognitiver und voluntativer Seite der inneren Geistesfreiheit ist nicht psychologisch oder gar chronologisch, sondern logisch zu verstehen. Sie erlaubt es, das m i t den verschiedensten weltanschaulichen Prämissen belastete Problem der Willensfreiheit zunächst einmal auszuklammern und mit den Beeinträchtigungen des kognitiven Aspektes der inneren Geistesfreiheit eine relativ gesicherte Gruppe unzulässiger Suggestionen aufzustellen. Auch die Intederministen werden nicht leugnen, daß eine kognitive Fremdsteuerung möglich ist 3 0 .

Fuchs, Gewißheit, Motivation und bedingter Reflex, S. 62 f., 66 ff. 24 Welzel, Das Deutsche Straf recht, S. 134. 2« Ein scholastischer Grundsatz; vgl. Wellek, Stichwort „Wille", in: Kleinert u.a. (Hg.), Lexikon der Pädagogik, Bd. 2 S. 898. 2« Kurt Schneider , Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, S. 18. 27 Kropf f, Angewandte Psychologie, S. 208ff.; von Holzschuher , Psychologische Grundlagen der Werbimg, S. 42 ff. 28 Vgl. die Fälle bei Spiegel , Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 21 f. 2® Rohracher, Einführung in die Psychologie, S. 470. 30 M a n denke an die unangefochtene strafrechtliche Kategorie: Mittelbare Täterschaft durch einen unvorsätzlich handelnden Dritten (Welzel , Das Deutsche Strafrecht, S. 92).

C. Der Schutzbereich des Grundrechts I I I . Der kognitive Aspekt der inneren Geistesfreiheit Das K r i t e r i u m für eine erste Gruppe verfassungswidriger Suggestion scheint also gewonnen zu sein: Nicht beherrschbar sind diejenigen Suggestionen, die vom Individuum nicht erkannt werden 1 . Allerdings muß man hier sofort wieder eine Korrektur anbringen. Es gibt zahllose Suggestionen, die nur auf Grund eines psychischen Trägheitsgesetzes ihr Ziel erreichen. Dazu ein Beispiel: Studenten der Harvard-Universität bekamen 15 Fragen über das Bildungsystem ihrer Hochschule vorgelegt. I n der einen Versuchsgruppe erklärte der Versuchsleiter zu jeder günstigen Antwort: „Gut!" I n einer anderen Versuchsgruppe folgte dieselbe Bemerkung auf jede ungünstige Antwort. Die Mitglieder der ersten Gruppe gaben sehr viel mehr günstige U r teile ab als die der zweiten. Nur acht von 20 Versuchspersonen hatten den gelegentlichen Einwurf „gut!" bemerkt; aber alle bestritten kategorisch jeden Einfluß der Versuchsleiter auf ihre Meinungsbildung 2 . Von der entscheidenden Einwirkung haben also nur 40 °/o der Beteiligten Notiz genommen. Die suggestive Ladung hat kein einziger erkannt. Liegt eine Verletzung der inneren Geistesfreiheit vor? Unmöglich kann es darauf ankommen, ob das Vorhandensein einer Beeinflussung oder die spezifische suggestive Prägung einer Botschaft tatsächlich erkannt werden. Die innere Geistesfreiheit würde damit auf grundrechtlichen Schutz der Denkfaulheit hinauslaufen. Die Hechtsordnung schützt das Individuum nicht vor sich selbst 3 ; sie kann mit ihren Sanktionen erst da einsetzen, wo auch der skeptische und wachsame Mensch einer Suggestion gegenüber wehrlos wäre. Entscheidend ist demnach, ob eine Suggestion bei kritischer Einstellung, insbesondere bei zumutbarer Aufmerksamkeitszuwendung und Gedächtnisanspannung erkannt werden kann (Erkennbarkeit für einen kritischen Bürger, abstrakte Erkennbarkeit) 4 . Diese Abgrenzung fordert den Einwand heraus, abermals werde der unbestimmte Begriff der „Beherrschbarkeit" durch ein nicht weniger unklares Merkmal ersetzt. Der Wert des Kriteriums „abstrakte Erkennbarkeit" besteht gerade darin, daß es — anders als etwa das von der „Trübung des Urteils" — 1 Dieses Kriterium findet sich andeutungsweise audi bei Lerche, Werbung und Verfassung, S. 21, 29. 2 Hildum-Brown, Verbal Reinforcement and Interviewer Bias, Journal of Abnormal and Social Psychology 53 (1956) 108 ff. 3 Forsthoff, Heilmittelwerbung und Grundgesetz, S. 5. 4 Die PotentiaUtät der Abwehr wird auch von Lerche, Werbung und Verfassung, S. 29, insbesondere S. 144 ( Chance zur „innerlich freien Entscheidung"), betont.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

die Einführung psychologischer Lehren erlaubt. Erkenntnis der Suggestivität ist die vollbewußte Erfassung und Verarbeitung einer Suggestion. Die „abstrakte Erkennbarkeit" einer Suggestion ist folglich immer dann zweifelhaft, wenn sie unbewußte psychische Prozesse auslöst. Der Begriff des „Unbewußten" w i r d damit zum Schlüsselbegriff für das Verständnis der inneren Geistesfreiheit i n ihrem kognitiven Aspekt. Uber den Begriff des „Unbewußten" soll die psychologische Wissenschaft befragt werden. Zunächst ist zu betonen, daß das „Unbewußte" nicht eine abgeschlossene psychische Entität darstellt, sondern eine Qualität 5 , die psychischen Prozessen anhaften kann 6 . Daraus folgt: Die Erkennbarkeit einer Suggestion hängt davon ab, wie weit das Individuum in der Lage ist, die genannte Qualität der ausgelösten psychischen Vorgänge von sich aus aufzuheben. Diese Frage läßt sich nicht für jede Spielart des „Unbewußten" i m gleichen Sinne beantworten. Schon hier zeigt sich also, wie bedenklich es wäre, den „Griff nach dem Unbewußten" schlechthin als unzulässig anzusehen. Man hat — für die Psychologie der Werbung und Propaganda — vielmehr zu unterscheiden: Unbewußt i m Sinne von peripher wahrgenommen 7 ; unbewußt i m Sinne von verdrängt; unbewußt i m Sinne von unterschwellig.

1. Suggestion durch Erregung „unbewußter" oder peripherer Wahrnehmung

a) Erinnerungswerbung Das Phänomen der peripheren oder „unbewußten" Wahrnehmung 8 ist der Psychologie seit langem bekannt 9 . Eine hier einzuordnende Be5 Freud , Abriß der Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. X V I I , S. 79 ff. 6 Vgl. auch Thomae, Persönlichkeit, S. 126 (wo die homunculus-Hypothese abgelehnt wird) und S.92: „Das Verdrängte gerät . . . nicht notwendig in einen anderen ,Raum' als das Verdrängende." Ähnlich Heiss , Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 37. 7 Vgl. Hellpach, Sinne und Seele, S. 14; der Ausdruck „periphere Wahrnehmung" wird hier dem Begriff „unbewußte Wahrnehmung" vorgezogen, damit der näher zu bestimmende Begriff nicht in die Definition aufgenommen werden muß. 8 Heiss , Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 175 („Wahrnehmung unbewußter Art"); Thomae , Experimentelle Beiträge, Zeitschrift für angewandte Psychologie und Charakterkunde 60 (1940/41) 346 ff. („unbewußte Sinneseindrücke"); Zulliger, Ein „prophetischer" Traum, Psyche 5 (1951) 235 („wahrgenommen, aber nidit realisiert"). Weitere Ausdrücke, die zur Umschreibung desselben Sachverhalts verwandt worden sind: „Unthematische Wahrnehmung" ( Spiegel , Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 53 Fußnote 24; ders., Struktur der Meinungsverteilung i m sozialen Feld, S. 127 Anmerkung 1); „Perzeption" (Thomae, Experimentelle Beiträge, S. 376 f., im Gegensatz zu Apperzeption; Spiegel , Struktur, S. 127 Anmerkung 1, fügt noch den Begriff

C. Der Schutzbereich des Grundrechts einflussungstechnik ist die ständige Wiederholung kurzer Botschaften, vor allem das Einhämmern von Warenzeichen, Markennamen und Slogans. Thomae eröffnet seine Untersuchungen über das Problem der imbewußten Sinneseindrücke 10 mit einem Zitat 1 1 , das sich auf diese sogenannte Erinnerungswerbung 12 bezieht:,,... w i r gehen durch eine Straße, ohne a u f . . . Reklameschilder zu achten." Ein Schulbeispiel unbewußter Wahrnehmung w i r d von Zulliger 13 berichtet. I m Gespräch m i t einem Besucher hatte Zulliger seine goldene Uhr gezogen und m i t der Kette gespielt. Der Besucher richtete seine Augen auf diesen Vorgang. Als er jedoch nach der Unterredung gebeten wurde, die Handlungen Zulligers während des Gesprächs aufzuzählen, erwähnte er nichts von dem Spiel m i t der Uhrkette. Es fiel i h m auch dann nicht ein, als er nachdrücklich befragt wurde, ob er wirklich nichts ausgelassen habe. Bisher ist freilich nicht mehr bewiesen, als daß der Besucher einen Geschehensausschnitt nicht bewußt bemerkt hat. Kann man aber deshalb schon von einer „unbewußten Wahrnehmung" sprechen? Ist, mit anderen Worten, das Spiel m i t der Uhr nicht überhaupt spurlos an dem Besucher vorübergegangen? Zulliger erwähnt, der Besucher sei kurze Zeit später wieder erschienen; bei dieser Gelegenheit habe er Zulliger einen Traum erzählt, i n dem Zulligers Beschäftigung mit der Uhrkette vorgekommen w a r 1 4 . Daß die Erinnerungswerbung traumerzeugende unbewußte Eindrücke nach dem Modell des Uhrenfalles hervorrufen kann, läßt ein „Subzeption" = unterschwellige Wahrnehmung hinzu; Perzeption ist bei diesen Autoren also im Sinne von Leibniz, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, 2. Buch, 9. Kapitel, S. 112 f., gemeint; der Begriff scheint aber, vor allem als Gegensatz zu Apperzeption, mehrdeutig zu sein; vgl. Dorsch, Psychologisches Wörterbuch, Stichworte „Perzeption" und „Apperzeption") und „unbemerkte Wahrnehmung" (Thomae, Experimentelle Beiträge, S. 351 Fußnote 1: Wenn man scharf zwischen dem „unbewußten" Akt und dem „unbewußten" Inhalt der Wahrnehmung unterscheiden will). ® Seit Leibniz (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, 2. Buch, 9. Kapitel, S. 112 f.). 10 Experimentelle Beiträge zum Problem der unbewußten Sinneseindrücke, Zeitschrift für angewandte Psychologie und Charakterkunde 60 (1940/41) 346 ff. (347). u Aus: Ulrici, Gott und der Mensch, Bd. I, 2. Teil, S. 13. 12 Vgl. Kropff, Die Werbemittel und ihre psychologische, künstlerische und technische Gestaltung, S. 30; Joetze, Die sogenannte „Superlativreklame" in der Dogmatik des Werberechts, S. 32; Püttner, Reklame an städtischen Verkehrsmitteln? Archiv für KommunalWissenschaften 6 (1967) 115 f.; BVerwG N J W 1959/1194. 13 Ein „prophetischer" Traum, Psyche 5 (1951) 233. 14 Zulliger, Ein „prophetischer" Traum, Psyche 5 (1951) 235: „Es ist also möglich, daß der Traum ein Bild verwendet, das wir mit den Augen wohl wahrgenommen, aber nicht realisiert haben."

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives R e t

B e r i c h t v o n Karl Korn 15 v e r m u t e n (daß sich dieser A u t o r ü b e r d i e psychologische T r a g w e i t e n i c h t i m k l a r e n w a r , l ä ß t seine G l a u b w ü r digkeit unberührt): „Ein Traum, flüchtig, kurz vor dem Erwachen . . . Verlacht mir das Bild nicht! Es ist tief dunkelrot, ein Papier um ein kleines, längliches Paket. Wenn die Waschfrau die Lasche herunterriß, kam schäbiger bräunlicher Karton hervor, und es roch scharf nach Seife... Rot die Hülle und weiß der Schwan auf dem E t i k e t t . . . Kurz über dem Ansatz des Schnabels das Schwarz des stolzesten der Tiere im K u r p a r k . . . " (Es handelt sich um das Warenzeichen für „Dr. Thompsons Seifenpulver"). Das A u f t a u c h e n eines i m b e w u ß t e n E i n d r u c k s i m T r a u m setzt v o r aus, daß e r b e h a l t e n w o r d e n ist; m a n c h e A u t o r e n sprechen i n der T a t v o n e i n e m „ u n b e w u ß t e n G e d ä c h t n i s " 1 6 . Kropff l e h r t , daß j e d e r Reiz v o n einer gewissen W e l l e n s t ä r k e e i n e n u n b e w u ß t e n E i n d r u c k h i n t e r lasse, der f ü r die D a u e r des Lebens r e g i s t r i e r t w e r d e . A l l e s , w a s der Mensch e r l e b t u n d i n sich a u f g e n o m m e n habe, sei i n i h m f ü r a l l e Z e i t e n aufgespeichert: „ A b e r es i s t m e i s t i n tiefe K a m m e r n des U n b e wußten hinabgesunken17." S e h r s c h w i e r i g ist d i e F r a g e zu b e u r t e i l e n , i n w e l c h e m V e r h ä l t n i s der E r i n n e r u n g s w e r t eines u n b e w u ß t e n E i n d r u c k s z u d e m eines bew u ß t e n E i n d r u c k s s t e h t 1 8 . Kellogg 19 f a n d , daß I l l u s t r i e r t e n i n s e r a t e a m R a n d spannender A r t i k e l deutlichere psychische E n g r a m m e b e i den L e s e r n h i n t e r l a s s e n h a t t e n als die A n n o n c e n , die n e b e n t r o c k e n e n A b h a n d l u n g e n standen. B e i l e t z t e r e n d ü r f t e d e r B l i c k ö f t e r a u f die

is Schwanenweiß, F A Z vom 5. 5.1964, Nr. 104, S. 20 Sp. 5. i « z . B. Kropff, Angewandte Psychologie, S. 415: „Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß es auch für Werbeerscheinungen ein unbewußtes Gedächtnis gibt." — Vgl. ferner Domizlaff, Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, S. 185f. (kollektiv-unbewußtes Gedächtnis?); dazu von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 304. — Packard, Die geheimen Verführer, S. 58 (eine Versuchsperson wiederholte in Hypnose Wort für Wort eine Anzeige, die sie vor mehr als 20 Jahren gelesen hatte). — Zur politischen Werbung De Sola Pool, T V : A New Dimension in Politics, S. 241 („The voter . . . is a repository of countless bits of previous information"). 17 Kropff, Angewandte Psychologie, S. 412. 18 Zuweilen wird geradezu versucht, die Werbebotschaft mit Hilfe eines gestaltpsychologischen Mechanismus als einen unbewußten Eindruck besonders abzusichern (hierzu von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 72, 74). Das Figur-Grund-Phänomen fand sich andeutungsweise bei einem umstrittenen Wahlplakat der FDP im Bundeswahlkampf 1961 (Spitzenkandidat Mende auf dem Grund einer Zeichnung des Altbundespräsidenten Heuß). — Metzger, Gesetze des Sehens, S. 104 ff., behandelt „Gestaltgesetze im Dienste der Tarnung", aber ohne die werbepsychologischen Anwendungsmöglichkeiten zu erwähnen. The Influence of Reading Matter Upon the Effectiveness of Adjacent Advertisements, Journal of Applied Psychology 16 (1932) 49 ff., 57 f.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts Inserate zum bewußten Eindruck abgeschweift sein. Spiegel 20 berichtet dagegen über ein Experiment, bei dem eine Nachricht teils i m redaktionellen Teil, teils als Inserat von einer Zeitung gebracht wurde. Die redaktionelle Nachricht erwies sich gegenüber dem Inserat als überlegen. Dort, wo die Nachricht sowohl i m redaktionellen als auch i m Inseratenteil erschien, war aber eine erhebliche Kumulation zu beobachten. Unbewußte Eindrücke werden nicht nur wahrgenommen und behalten, sie beeinflussen auch das Handeln. Die Botschaften der Erinnerungswerbung schaffen eine unbewußte Vertrautheit 2 1 mit dem Meinungsgegenstand; sie lassen „werbewirksame Bekanntheitsqualitäten" 2 2 entstehen. Die von der Erinnerungswerbung und ähnlichen Beeinflussungstechniken 23 gesetzten Reize erzeugen also seelische „Eindrücke", wie unter anderem aus der Gedächtniswirkung zu schließen ist; andererseits handelt es sich u m ganz periphere Wahrnehmungen, über die sich das Individuum keine Rechenschaft gibt, wie etwa der Uhrenfall von Zulliger zeigt. Wie ist die Spielart des „Unbewußten", u m die es sich hier handelt, näher zu kennzeichnen? Thomae 24 schreibt, diese Eindrücke seien unbewußt „nicht wegen ihrer Unterschwelligkeit, sondern wegen der Enge des Bewußtseins und der fortwährenden Selektion der aufzufassenden Gegenstände."

Unbewußt ist also die Wahrnehmung der Erinnerungswerbung i n dem Sinne, daß eine Subjekt-Objekt-Beziehung zwar gegeben und potentiell erfaßbar ist, von dem Subjekt aber nicht erkannt w i r d 2 5 . 20

Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 163. Hofstätter, Die Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 109; Domizlaff, Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, S. 184f.; Spiegel, Struktur der Meinungsverteilung, S. 130 (in Anmerkung 19). — Vgl. noch den sogenannten Carpenter-Effekt (Kropff f Angewandte Psychologie, S. 189; ders., Motivforschung, S. 112), verallgemeinert als Ideorealgesetz: „Jeder subjektive Erlebnisinhalt schließt einen Antrieb zu seiner objektiven Verwirklichung ein" (Hellpach, Sozialpsychologie, S. 70). 22 Spiegel, Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 30. — Man kann auch von „Hypothesen" i m Sinne F. H. Allports sprechen (Theories of Perception and the Concept of Structure, S. 375 ff., 410 ff.). — Vgl. nodi De Sola Pool , T V : A New Dimension in Politics, S. 241: „The voter . . . retains within him a lifetime of earlier messages that have been structured into a series of predispositions. The new message adds one more, but its net effect in changing the balance is infinitesimal compared to its effect as a trigger to responses already determined by predispositions." 23 z. B. der gestaltpsychologischen Werbung, vgl. oben Fußnote 18. Experimentelle Beiträge, Zeitschrift für angewandte Psychologie und Charakterkunde 60 (1940/41) 350. M Thomae a.a.O. S. 351. 21

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht Dieser Gebrauch des Begriffes „unbewußt" deckt sich nicht m i t der psychoanalytischen Terminologie. Der Psychoanalytiker würde dazu neigen, den Eindruck einer Erinnerungsreklame als „vorbewußt" zu bezeichnen; er ist „bewußtseinsfähig", weil er „leicht den imbewußten Zustand mit dem bewußten vertauschen k a n n " 2 6 ; ein vorbewußter Inhalt kann „ohne weitere Aufhaltung zum Bewußtsein gelangen, falls noch gewisse Bedingungen erfüllt sind, z. B. die Erreichung einer gewissen Intensität, eine gewisse Verteilung jener Funktion, die man Aufmerksamkeit zu nennen hat u. dgl." 2 7 . Kann sich aber das Individuum die Suggestion durch Zuwendung der Aufmerksamkeit bewußt machen, dann liegt nach dem oben Gesagten eine Verletzung der inneren Geistesfreiheit nicht vor. A n diesem Satz sind die Einzelfälle der Erinnerungswerbung zu messen. I n aller Regel ist die abstrakte Erkennbarkeit gegeben. Es kann aber auch sein, daß eine günstigere Aufmerksamkeitsverteilung nicht möglich ist: Der Kraftfahrer, der sich auf einer verkehrsreichen Straße einem Engpaß nähert, kann das dort angebrachte Werbeschild nicht beachten, w e i l er sich auf den Gegenverkehr und die Lenkung seines Fahrzeugs konzentrieren muß. Die Suggestion ist hier nicht beherrschbar. So war es i m „König-Pilsener-Fall"; die Entscheidimg des OVG Münster ist daher zu billigen 2 8 . b) Nachrichtendefizit Die Darstellung der Erinnerungswerbung hatte Fälle zum Gegenstand, i n denen dem Individuum ein Inhalt durch periphere Darbietung positiv suggeriert werden soll. Wie aber steht es mit dem negativen Gegenstück dieser Technik, der suppressio veri als Umkehrung der suggestio falsi 29 ? aa) Der Begriff des Nachrichtendefizits Angenommen, ein Gegenstand G enthalte die Elemente A und B. Beschreibt man den Gegenstand mit seinem Element A, dann entsteht 26 Freud , Abriß der Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. X V I I , S. 82. 27 Freud , Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 546. 28 D Ö V 1958/824. Das O V G Münster hat — im Gegensatz zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG N J W 1959/1194) — die psychologische Besonderheit des Falles zutreffend gewürdigt. — Abwegig ist der Hinweis Eichmanns (GRUR 1964/66) auf die StVO; deren Vorschriften (§§3, 42) betreffen den umgekehrten Fall, daß eine Reklame die Aufmerksamkeit der Kraftfahrer von Verkehrszeichen oder dem Verkehr überhaupt ablenkt und auf sich zieht. 2» Vgl. Rehbinder , Grenzen der Meinungs- und Pressefreiheit, NJW 1962/ 2141.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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der Eindruck, G sei gleich A, wobei man diesen Eindruck nicht als unbewußt bezeichnen kann, wenn die Aufmerksamkeit auf die Beschreibung gerichtet ist. Unbewußt — i n dem bisher gebrauchten Sinne — ist aber der Eindruck, B sei i n G nicht enthalten; ein Reflektieren über jedes einzelne Element, das möglicherweise fehlt (nämlich jedes Element außer A, also B, C, D . . . ) , wäre auch wenig sinnvoll. Nun ist klar, daß ein A k t der Aufmerksamkeitszuwendung nur dann das fehlende Element beschafft, wenn eine konkurrierende Informationsquelle gegeben ist, die den Gegenstand vollständig, mit seinen Elementen A und B, oder wenigstens umgekehrt tendenziös, also nur mit B, beschreibt. M i t Hilfe dieser Quelle ist es möglich, das suggerierte Denk- und Vorstellungsschema zu beherrschen. Die Massenmedien bauen Denk- und Vorstellungsschemata von der Umwelt der Individuen, insbesondere von der politischen Lage 3 0 auf, indem sie eine Stoffauswahl treffen. Zum Teil ist die Stoffauswahl unvermeidlich, denn die Begrenzung sowohl der technischen Möglichkeiten (Sendezeit, Zeitungsumfang) als auch des menschlichen Fassungsvermögen schließt eine absolut vollständige Berichterstattung aus 31 . Die dadurch bedingte Verkürzung des Nachrichtenvolumens kann man als amorphes N achrichtende fizit* 2bezeichnen: Das B i l d von der politischen Wirklichkeit ist hier nicht verzerrt, sondern nur verkleinert. Ein amorphes Nachrichtendefizit verletzt die innere Geistesfreiheit nicht. Impossibilium nulla est obligatio. Bedenklich kann es nur sein, wenn die „erreichbare Vollständigk e i t " 3 3 unterschritten wird, wenn „wesentliche Sachverhalte" 34 fehlen 30 Hofstätter, Einführung in die Sozialpsychologie, S. 285; ders., Die Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 1 ff., 4 f.; vgl. noch Thomae, Persönlichkeit, S. 67 (Die Öffentlichkeit bedarf der Verfestigung bestimmter „Wirkschemata", um der unabsehbaren Fülle von Ereignissen und Gestalten Herr zu werden). 31 Enzensberger, Journalismus als Eiertanz, in: Einzelheiten, S. 32. — Vgl. noch BGHZ 31/308 ff. (316). — Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 102, nennt als weitere Faktoren: Ungenauigkeiten in den Nachrichtenbüros; technische Fehler bei der Nachrichtenübermittlung; aber auch die „subjektive Eintrübung des Objektiven" (hierzu eingehend Dovifat, Zeitungslehre, Bd. 1, S. 59 ff.: „Subjektive Beeinflussung"). 32 Enzensberger a.a.O. S. 32. 33 Ridder, Kirche-Staat-Rundfunk, S. 46. 34 BVerfG 12/130. — Die Abgrenzung i m praktischen Fall kann sehr schwierig sein, weil die „Wesentlichkeit" eines einzelnen Informationselements nicht immer nur von objektiven Faktoren abhängt. Das mögen die folgenden Fälle veranschaulichen: I m Zusammenhang mit der Spiegelaffäre filmte das Fernsehen eine große Zahl von Stellungnahmen zu der Frage: „Soll Strauß gehen oder bleiben?" Das Material wurde im genauen Zahlenverhältnis zu dem Ergebnis einer repräsentativen Meinungsumfrage geschnitten. Die so gewonnene Bildsequenz vermittelte jedoch den Eindruck, die Straußgegner seien in einer viel größeren Mehrheit, als es der exakten

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Faber

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht u n d die L ü c k e n i n d e r B e r i c h t e r s t a t t u n g eine I n t e r e s s e n s t r u k t u r e r k e n n e n lassen 3 5 . E i n strukturiertes Nachrichtendefizit 36 ist a u f die suggestive E r z e u g u n g e i n e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g g e r i c h t e t 8 7 . D a z u e i n B e i s p i e l : E i n e M i t a r b e i t e r i n der Z e n t r a l s t e l l e z u r E r m i t t l u n g v o n N a z i - V e r b r e c h e n h a t t e e r k l ä r t , K r i p o u n d S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n seien m i t M ä n n e r n durchsetzt, die selbst i n die U n t a t e n des D r i t t e n Reiches v e r w i c k e l t seien 3 8 . E i n e westdeutsche Tageszeitung b r a c h t e die M e l d u n g d a r ü b e r als D e m e n t i d e r „ a n g e b l i c h e n Ä u ß e r u n g . . . , daß die P o l i z e i . . . m i t M ö r d e r n . . . besetzt sei", u n t e r der Ü b e r s c h r i f t : „ H a u s s m a n n v e r t e i d i g t die P o l i z e i 3 9 . " I s t e i n derartiges s t r u k t u r i e r t e s Nachrichtendefizit beherrschbar? A u s d e n o b e n e n t w i c k e l t e n P r ä m i s s e n f o l g t : Es i s t beherrschbar, w e n n es d u r c h eine g ü n s t i g e r e A u f m e r k s a m k e i t s v e r t e i l u n g abgedeckt w e r d e n k a n n , w e n n also eine k o n k u r r i e r e n d e I n f o r m a t i o n s q u e l l e 4 0 die f e h l e n d e n Stücke b e r e i t h ä l t . mathematischen Verteilung entsprochen hätte. Die Nachprüfung ergab, daß die Straußgegner ausführlicher und überlegter antworteten. Die Sendimg wurde daraufhin erneut geschnitten. Der Fernsehfachmann spricht von „korrekter" oder „kontrollierter Manipulation" (Spiegel vom 29. 5.1963, Nr. 22, S. 77). — Nach einer verbreiteten Meinung zeigen die Illustrierten überwiegend Bilder von Frauen, während die Frauen in den Illustrierten in Wahrheit unterrepräsentiert sind (Manfred Koch , Contentanalytische Untersuchungen über die Repräsentation der Realität in den Massenmedien, in: Lienert [Hg.], Bericht über den 23. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, S. 127 ff.); vgl. auch die Technik der „Zwischenzeiten", die als „photographisch getreue Fälschungen" bezeichnet worden sind (Dovifat, Publizistische Fälschungen und ihr dokumentarischer Mißbrauch, Journalismus 1 [1960] 43). 35 Enzensberger a.a.O. S. 32. 36 Auch: Nachrichten-Management (Schoeck, Die vorenthaltene Wahrheit, F A Z vom 11.9.1963, Nr. 210, S. 11); Publicity management (Ridder, Staatsgeheimnis und Pressefreiheit, S. 32); Kunst des Schweigens (Hagemann, Publizistik im Dritten Reich, S. 166 ff.). — Vgl. auch die Klagen über das „systematische Unterdrücken bestimmter Nachrichten" bei N. N., Wie die monarchistische Bewegung „gemacht" wird, Die Hilfe 31 (1925) 53. 37 Der klassische Fall eines strukturierten Nachrichtendefizits ist die Emser Depesche (unten in der Dokumentation abgedruckt unter A.). Vgl. Schoeck a.a.O. Über die Wirkung der „concentrirten Redaction" schreibt Bismarck (Gedanken und Erinnerungen Bd. 2, S. 91), sie sei „kein Ergebniß stärkerer Worte, sondern der Form, welche diese Kundgebung als eine abschließende erscheinen ließ", und Moltke soll gesagt haben: „ . . . vorher klang es wie Chamade, jetzt wie eine Fanfare . . . " 38 Süddeutsche Zeitung vom 13.12.1961, Nr. 297, S. 6 Sp. 1—3 (auszugsweise abgedruckt unten in der Dokumentation unter B.). 3» F A Z vom 16.12.1961, Nr. 292, S. 4 Sp. 1—2 (den genauen Wortlaut vgl. unten in der Dokumentation unter B.). Vgl. Enzensberger a.a.O. S. 32, Fall (a), dagegen aber Reifenberg u. a., Enzensberger'sche Einzelheiten, korrigiert von der FAZ, S. 19. 40 I n dem oben zitierten Fall: die Süddeutsche Zeitung (vgl. unten in der Dokumentation unter B.).

C. Der Schutzbereich des Grundrechts Daraus ergeben sich die Bedingungen, unter denen ein strukturiertes Nachrichtendefizit nicht beherrschbar ist: a) Es gibt nur eine Informationsquelle; oder b) alle Informationsmedien sind von einem Informationsfaktor hängig; oder c) alle Informationsquellen einigen sich ausdrücklich oder schweigend auf ein gemeinsames Nachrichtendefizit.

abstill-

bb) Die Tatbestände des nicht erkennbaren Nachrichtendefizits (Informationsmonopole) Der Fall, daß es nur eine Informationsquelle medium) gibt (Fall a), bedarf keiner Erörterung. Praxis zivilisierter Staaten nicht vor, wäre auch Offensichtlichkeit, daß man von dieser Seite her müßte, ob das Nachrichtendefizit wirklich nicht zu

(ein InformationsEr kommt i n der von solch biederer wieder bezweifeln erkennen sei.

Viel gefährlicher ist es, wenn die Monopolisierung nur die (hintergründigen) Informationsfaktoren betrifft. Dann kann die Konkurrenz der Informationsmedien scheinbar erhalten bleiben, während doch jedes einzelne Medium zentral gelenkt w i r d (Fall b) 4 1 . Die Abhängigkeit von einem zentralen Informationsfaktor kann auf staatlicher oder wirtschaftlicher Macht beruhen und dann die ganze Berichterstattung prägen (totales Informationsmonopol) 42 ; sie kann sich auch daraus ergeben, daß eine Informationsquelle faktisch die Alleinverfügungsmacht über eine bestimmte Gruppe von Informationen hat (partielles Informationsmonopol). Totale Informationsmonopole aufgrund staatlicher Befehlsgebungsnetze finden sich meist i n totalitären Staaten. Als Modellfall kann die straffe Lenkung von Presse, Rundfunk und F i l m durch das nationalsozialistische Propagandaministerium gelten. Kennzeichnend ist neben der ausnahmslosen Erfassung aller Informationsmedien das ausgeklügelte System der „Sprachregelung" m i t „Anweisungen", „Mitteilungen" und „Bestellungen" 4 3 . 41 Vgl. Hagemann, Publizistik im Dritten Reich, S. 35: „Monoform im Willen, polyform in der Ausgestaltung dieses Willens." 42 Lenz, Rundfunkorganisation, JZ 1963/344, gebraucht den Begriff „Kommunikationsmonopol", allerdings schon für den Fall, daß nur ein Teil des „Marktes" beherrscht wird. 43 Einzelheiten bei Hagemann, Publizistik i m Dritten Reich, S. 316 ff.; Gerhard Schulz, Die Anfänge des totalitären Maßnahmestaates, in: BracherSauer-Schulz, Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 425 Fußnote 199; S. 551; S. 557 Fußnote 189. Zuweilen wurden Ausnahmen gemacht: nicht nur die Schließung, sondern auch die berechnete Öffnung des Ventils, durch das der Strom der Informationen laufen konnte, gehörte zu den ausgeklügelten Manipulationen Goebbelsscher Pressepolitik" (a.a.O. S. 559). — Über

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

M i t einem ähnlichen Weisungsapparat arbeiten Informationsmonopole, die a u f p r i v a t w i r t s c h a f t l i c h e r M a c h t b e r u h e n u n d deshalb i n d e m o k r a t i s c h e n S y s t e m e n eher a n z u t r e f f e n sind. So g i b t a n g e b l i c h e i n westdeutscher Pressekonzern (Springer) „ g r u n d s ä t z l i c h e A n w e i s u n g e n " f o l g e n d e r A r t a n die R e d a k t i o n e n seiner Z e i t u n g e n : „Kritisch gegenüber USA-Politik. Kritisch gegenüber Bonner Außenpolitik. Keine Atomwaffen, keine Raketenbasen, atomwaffenfreie Zone 44 ." Das verfassungsrechtlich B e d e n k l i c h e ist n i c h t b l o ß die A b h ä n g i g k e i t der R e d a k t i o n e n 4 5 a n sich, s o n d e r n die B r e i t e n w i r k u n g 4 6 . D e r erw ä h n t e K o n z e r n k o n t r o l l i e r t bereits 89 °/o des M a r k t e s ü b e r r e g i o n a l e r Tageszeitungen i n W e s t d e u t s c h l a n d 4 7 . D i e Z a h l der I n f o r m a t i o n s q u e l 25 °/o der vertraulichen Presseanweisungen waren Schweigegebote (Hagemann a.a.O. S. 167). — Analoge Erscheinungen in der Publizistik der SBZ werden dargestellt von Richert-Stern-Dietrich, Agitation und Propaganda, S. 126 ff., 143 ff., 179 ff. 44 Nach Ziesel , Die Pressefreiheit in der Demokratie, S. 81 (der aus dem „Informationsdienst des internationalen Komitees zur Verteidigung der christlichen Kultur" vom 1. M a i 1959 zitiert). Böddeker , 20 Millionen täglich, S. 114, sucht den Sachverhalt terminologisch zu entschärfen („Richtlinienkompetenz" des Konzernherrn). Daß zumindest gelegentlich die Redaktionsarbeit zentral gesteuert wird, ist ein Schluß, den die Tatsachen nahelegen (vgl. Kötterheinrich, Die Konzentration in der deutschen Presse, in: Pross [Hg.], Deutsche Presse seit 1945, S. 93 f.; Helmut Arndt , Die Konzentration in der Presse und die Problematik des Verleger-Fernsehens, S. 40 f.). — Beispiele für ähnliche „Anweisungen" in der NS-Publizistik bei Hagemann, Publizistik im Dritten Reich, S. 321. — Vgl. noch Höbarre, Diskussionsbeitrag, S. 65. — Über den „indirekten" Einfluß des Hugenberg-Konzerns und seine Lenkungstechnik (Betriebs- und Buchhaltungskontrolle; Verpflichtung zu mehrjährigen Abonnements auf den Dienst der Telegraphen-Union, die 1200 deutsche Blätter belieferte; psychologisch geschickte Lenkung der Provinzpresse) vgl. N.N., Wie die monarchistische Bewegung „gemacht" wird, Die Hilfe 31 (1925) 52 ff.; Bernhard, Der „Hugenberg-Konzern", Psychologie und Technik einer Großorganisation der Presse, S. 94 ff., 102 ff., 105, 109; Schubert, Freie Meinungsäußerung, S. 57 ff. 45 Ein bekanntes Problem in der Praxis der Pressefreiheit, vgl. hierzu Hagemann, Dankt die Presse ab? S. 51 ff.; Anton Betz, Das Geld in der Zeitung, in: Forster (Hg.), Die Funktion der Presse im demokratischen Staat, S. 109 ff.; Helmut Arndt, Bedroht die Pressekonzentration die freie Meinungsbildung? S. 18. Das Problem wird von Böddeker, 20 Millionen täglich, S. 105 ff., verharmlost. 4 ® Hearst trieb die USA mit seinem Pressekonzern in den Krieg gegen Spanien, weil er sich angeblich einen Auflagenzuwachs seiner Zeitungen versprach (Hagemann, Dankt die Presse ab? S. 56). 47 Statistik 1964: 4,3 Millionen von 4,8 Millionen täglich; Spiegel vom 3. 2.1965, Nr. 6, S. 40, 44. Flach, Macht und Elend der Presse, S. 147 f., gibt für „überregionale Zeitungen" 81,5% an. Über diese Statistik läßt sich streiten. Böddeker, 20 Millionen täglich, S. 81 ff., rechnet für die „überregionalen Abonnementszeitungen" einen Marktanteil von 32 °/o („Welt", a.a.O. S. 86) und für die „Kaufzeitungen " von 82 °/o („Bild", „BZ", „Mittag"; a.a.O. S. 89) aus. Nur wird man dem entgegenhalten dürfen, daß „Bild" als einziges überregionales Boulevardblatt („Kaufzeitung") richtiger mit den großen Abonnementszeitungen in einer Gruppe „überregionaler Tageszei-

C. Der Schutzbereich des Grundrechts len, die noch f r e i b l e i b e n k ö n n t e n , ohne der A n n a h m e eines I n f o r m a t i o n s m o n o p o l s entgegenzustehen, l ä ß t sich n i c h t g e n a u festlegen. Je k l e i n e r diese Z a h l ist, u m so m e h r w i r d es d a r a u f a n k o m m e n , ob das N a c h r i c h t e n v o l u m e n der u n a b h ä n g i g e n I n f o r m a t i o n s m e d i e n das gesteuerte Nachrichtendefizit ausreichend abdeckt; daneben i s t es v o n B e d e u t u n g , ob d e m k o n k r e t e n e i n z e l n e n die B e s c h a f f u n g u n d B e n u t z u n g e i n e r zusätzlichen u n a b h ä n g i g e n I n f o r m a t i o n s q u e l l e z u g e m u t e t w e r d e n k a n n . D e r T a t b e s t a n d eines p r i v a t e n I n f o r m a t i o n s m o n o p o l s w ä r e d a n n gegeben, w e n n d e m g e n a n n t e n Pressekonzern auch noch der Z u g r i f f a u f das F e r n s e h e n g e l i n g e n s o l l t e 4 8 . D e r F a l l des p a r t i e l l e n I n f o r m a t i o n s m o n o p o l s l ä ß t sich a n d e r H a n d h a b u n g des Geheimnisschutzes studieren. D i e B u n d e s r e g i e r u n g h a t die a l l e i n i g e V e r f ü g u n g s m a c h t ü b e r I n f o r m a t i o n e n a u f d e n G e b i e t e n der L a n d e s v e r t e i d i g u n g , d e r A u ß e n p o l i t i k sowie der G e h e i m d i e n s t e 4 9 u n d z w a r mindestens i n s o w e i t , als es „ f ü r das W o h l der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d oder eines i h r e r L ä n d e r e r f o r d e r l i c h i s t " (§ 99 A b s . 1 S t G B ) . D a b e i steht der A n n a h m e e i n e r „ V e r f ü g u n g s m a c h t " ü b e r die g e n a n n t e n G a t t u n g e n v o n I n f o r m a t i o n e n n i c h t entgegen, daß der s t r a f r e c h t l i c h e B e g r i f f des Staatsgeheimnisses „ m a t e r i e l l " , das h e i ß t theoretisch v o n e i n e r e x e k u t i v i s c h e n S e k r e t u r u n a b h ä n g i g ist. D e n n tungen" zusammengefaßt werden sollte, wenn man seine meinungsbildende Bedeutung statistisch einfangen w i l l (kaum jemand wird „Bild" neben einer großen Abonnementszeitung lesen). Unstreitig scheint zu sein, daß Springer über 30 °/o der Verkaufsauflage aller westdeutschen Tageszeitungen kontrolliert (vgl. Kötterheinrich, Die Konzentration in der deutschen Presse, S. 82; Rehbinder, Zur Problematik der inneren Pressefreiheit, DVB1 1966/ 559; Helmut Arndt, Bedroht die Pressekonzentration die freie Meinungsbildung? S. 16; dersDie Konzentration in der Presse und die Problematik des Verleger-Fernsehens, S. 31; Flach a.a.O. S. 147). Dabei sind die Sonntagszeitungen nicht berücksichtigt; rechnet man sie mit ein, ergibt sich ein noch höherer Marktanteil (Haacke-Visbeck, Institutionen der Meinungsbildung, S. 87 ff., 89; Spiegel vom 18.9.1967, Nr. 39, S. 34, und vom 25.9.1967, Nr. 40, S. 36 ff.). 48 Zur Polemik um das „Verleger-Fernsehen" vgl. einerseits Springer, Presse und Fernsehen, in: Roegele-Glotz (Hg.), Presse-Reform und FernsehStreit, S. 168 ff.; andererseits von Bismarck, Rundfunk-Presse-Fernsehen, a.a.O. S. 180 ff.; Bussmann, Die Beziehung der Rundfunkanstalten zu den Zeitungsverlagen unter der Sicht des Wettbewerbsrechts. Weitere Stimmen sind in der von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland herausgegebenen Dokumentation „Rundfunkanstalten und Tageszeitungen", Bd. 1—4, zusammengefaßt. I n der öffentlich-rechtlichen Literatur wird ein „Verleger-Fernsehen" für unzulässig gehalten; vgl. Ipsen, Der Fernseh-Vorschlag der Zeitungsverleger, DÖV 1964/793 ff. (Unvereinbarkeit mit dem Staatsvertrag über das „Zweite Deutsche Fernsehen"); Krause-Ablaß, Zur Koexistenz von Presse und Fernsehen, Hamburger Jahrbuch 10 (1965) 23 ff. (spezifisch verfassungsrechtliche Bedenken); vgl. noch Helmut Arndt, Die Konzentration in der Presse und die Problematik des Verleger-Fernsehens, S. 55 ff., 61 ff. (Analyse der verfassungspolitischen Gefahren). 49 Güde, Die Geheimsphäre des Staates und die Pressefreiheit, S. 8,

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht die Gerichte sind kaum i n der Lage, den Geheimnisbegriff ohne Gutachten der allein sachverständigen Exekutive zu konkretisieren 50 . M i t hin ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, an den oszillierenden Rändern der strafrechtlichen Tatbestände vorbei „gezielte Indiskretionen" oder, durch deren Zurückhaltung, strukturierte Nachrichtendefizite in den Meinungsbildungsprozeß hineinzugeben. Schließlich ist noch die Möglichkeit eines gemeinsamen Nachrichtendefizits, einer Selbstzensur aller unabhängigen Informationsquellen (Fall c), zu illustrieren: Als 1936 der englische König Eduard V I I I . die Absicht zu erkennen gab, die zweimal geschiedene Amerikanerin Mrs. Simpson zu heiraten, brachte die britische Presse viele Wochen lang keine Meldung hierüber, angeblich aus Rücksicht auf den König, der sich nicht angemessen verteidigen könne 5 1 . I n den besprochenen Fällen ist das Nachrichtendefizit nicht erkennbar und deshalb nicht beherrschbar. Liegt also überall eine Verletzung der inneren Geistesfreiheit vor? cc) Offenbarungspflichten Die Eigenart der suggestiven Beeinflussung durch dosierte Informationen besteht darin, daß etwas weggelassen, daß ein negativer imbewußter Eindruck (ein gegenüber der Wirklichkeit verkürztes Denkund Vorstellungsschema) erzeugt wird. So subtil die Unterscheidung gegenüber der Beeinflussung durch positive Eindrücke sein mag: Die Technik des Nachrichtendefizits erhält ihre suggestive Kraft durch ein Unterlassen 52 . Das w i r f t die Frage auf, ob Grundrechte — wie das auf Freiheit des subjektiven Geistes — durch Unterlassungen verletzt werden können. Die Grundrechte sind i n ihrem geschichtlichen und systematischen Kern negatorische Freiheitsrechte 53 . Sie sollen dem einzelnen eine staatsfreie Sphäre 54 sichern. Die Annahme einer Grundrechtsverletzung durch Unterlassen müßte zu einem Anspruch auf Unterlassung ß® Ridder, Staatsgeheimnis und Pressefreiheit, S. 24; vgl. ferner Pitzer , Zur Verfassungsmäßigkeit von Regierungsgutachten i m Landesverratsverfahren, NJW 1962/2235 f.; Heinemann , Der publizistische Landesverrat, NJW 1963/4 ff. (7); einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 G G sieht BVerfG 20/177 jedoch nicht. 51 Ekkehart Stein, Der Mensch in der pluralistischen Demokratie, S. 87 f.; Taylor , The British Press, S. 67 f.; Smith, Public Opinion in a Democracy, S. 77 f. 52 Nicht erkannt in BGHZ 31/308, 316 (zivilrechtlicher Ehrenschutz); zutreffend dagegen ESVGH 7/98 (LS 5), 104 ff. (Wahlfreiheit). 53 Vgl. Thoma, Das System der subjektiven öffentlichen Rechte und Pflichten, HdbDStR Bd. 2, S. 618. 54 Einen Bereich, vor dem die Staatsgewalt haltmacht: Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, W D S t R L 12/18.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts der Unterlassung, also auf positives T u n führen, mithin dem Staat ein Hineinwirken i n die staatsfreie Sphäre ermöglichen und damit das Grundrecht i n sein Gegenteil verkehren. Das würde zumindest für die innere Geistesfreiheit gelten, die doch aus dem status negativus entwickelt wurde. Allein, mit nackter Logik ist es nicht getan. Es kann Fälle geben, wo ein staatliches Unterlassen den einzelnen so schwer belastet, daß es einem positiven Eingriff gleichgestellt werden muß: Der Staat kann „nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen töten" 5 5 . Zuweilen hängt die Physiognomie des staatlichen Verhaltens vom Spiel des Zufalls oder von der Rechtstechnik 56 ab; schon deshalb darf das äußere B i l d des Geschehens nicht allein entscheidend sein. Und schließlich gibt es einen „Eingriff" durch Unterlassen, der gerade wegen der Flüchtigkeit seiner Erscheinung besonders gefährlich ist. Hierin gehören nicht nur moderne Formen des Genocidiums 57 , sondern auch die undurchschaubare Technik der Fremdbestimmung durch planmäßige Zurückhaltung von Informationen. Der subtile und zufällige Unterschied zwischen Tun und Unterlassen kann also die Grenze des status negativus nicht zuverlässig bestimmen. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob die Rechtspflicht zum Tätigwerden — der gegenüber eine Unterlassung rechtlich überhaupt erst relevant w i r d 5 8 — dem Grundrecht selbst 59 (dann status positivus) oder anderen verfassungsrechtlichen Normen (dann noch Abwehr eines Eingriffs in die staatsfreie Sphäre) entnommen wird. Die innere Geistesfreiheit als negatorisches Freiheitsrecht gibt ein Tätigkeitsgebot nicht her. Dasselbe gilt für die Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) 6 0 . Eine Rechtspflicht zur vollständigen Infor55

Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 26 (Ziff. 1 a) zu Art. 2 Abs. 2. Etwa: Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt oder Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (vgl. dazu BVerfG 8/76). Oder: Die Belastung durch eine Enteignung liegt weniger in der Entziehung des Eigentums als im Ausbleiben der Entschädigung. 67 Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 26 (Ziff. 1 a) zu Art. 2 Abs. 2. 58 Das gilt auch für Grundrechtsverletzungen: Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 26 (Ziff. 1 b) zu Art. 2 Abs. 2. — Die Rechtspflicht zum staatlichen Tätigwerden bestimmt den Punkt, wo die Gefährlichkeit einer Unterlassung in Grundrechtswidrigkeit umschlägt. ß» So hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 9/80 f.) einen Anspruch auf Impfung unmittelbar aus Art. 2 GG (und „den Grundrechtsaussagen über den Menschen überhaupt") hergeleitet. Zustimmend Hamann, Kommentar, S. 82, Anm. B 8 zu Art. 2; wohl auch Bachof, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, S. 128. e® Hamann, Kommentar, S. 108, Anm.BÖ zu Art. 5; von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 241, A n m . V 2 zu Art. 5; Geiger, Stichwort „Grundrechte", StLex Bd. 3 Sp. 1133; Seiwerth, Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegenüber Grundrechtsverletzungen des Gesetzgebers durch Unterlassen, S. 49; Löffler, Der Informationsanspruch der Presse und des Rundfunks, NJW 1964/2277 ff. Vgl. auch BVerwG DVB1 1966/575 f. 60

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht m a t i o n f o l g t auch n i c h t ohne w e i t e r e s aus „ T r e u u n d G l a u b e n " oder aus „ i n der Ö f f e n t l i c h k e i t bestehenden A n s c h a u u n g e n " 8 1 . D i e k r i t i s c h e n O f f e n b a r u n g s p f l i c h t e n h a t m a n a l l e i n i n übergeordneten, m ö g l i c h e r weise ungeschriebenen P r i n z i p i e n der grundgesetzlichen O r d n u n g zu suchen. D a b e i w i r d m a n e i n e n U n t e r s c h i e d zwischen O f f e n b a r u n g s pflichten f ü r staatliche u n d private Informationsquellen erwarten. W a s zunächst die p a r t i e l l e n I n f o r m a t i o n s m o n o p o l e des Staates a n geht, so ist k l a r , daß die Z u r ü c k h a l t u n g v o n I n f o r m a t i o n e n auf d e m B e r e i c h der R e g i e r u n g d e n Gegner d e r R e g i e r u n g b e n a c h t e i l i g t . O p p o s i t i o n e l l e n K r ä f t e n , die das V o l k v o n d e n I r r t ü m e r n der R e g i e r u n g ü b e r z e u g e n w o l l e n , w i r d der R o h s t o f f der K r i t i k v o r e n t h a l t e n . D i e A u s n u t z u n g der p a r t i e l l e n I n f o r m a t i o n s m o n o p o l e v e r h i l f t der Regier u n g s p a r t e i z u e i n e m V o r s p r u n g i m W a h l k a m p f 6 2 . A u s d e m G e b o t der C h a n c e n g l e i c h h e i t 6 3 f o l g t aber, daß sie sich diesen V o r s p r u n g n i c h t verschaffen d a r f , daß sie also d i e i h r z u g ä n g l i c h e n I n f o r m a t i o n e n d e m politischen Willensbildungsprozeß zuführen m u ß 6 4 . Dasselbe e r g i b t sich aus d e m W e s e n dieses Prozesses, d e r a u f p e r m a n e n t e K o n t r o l l e staatlicher M a c h t a u s ü b u n g gerichtet ist. Das G r u n d 61

Vgl. dazu ESVGH 7/98 (105 f.). 62 Ein künstlicher Vorsprung zusätzlich zu dem natürlichen Vorsprung der tatsächlichen Machthabe: Die meisten Wähler tendieren zu einem Minimum an politischer Entscheidung. Hans Schneider (Volksabstimmungen in der rechtsstaatlichen Demokratie, in: Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, S. 165 f.) hat diesen von Carl Schmitt (Verfassungslehre, S. 280) aufgestellten Satz angezweifelt. Seine Gegenbeispiele (die Volksabstimmungen von 1946 in Italien und Frankreich) stützen aber seine Zweifel nicht: Von der italienischen Abstimmung sagt Hans Schneider selbst, sie wäre ohne die „Emotion des Augenblicks" wahrscheinlich anders ausgegangen (a.a.O. S 158 f.), und die Ablehnung der volksdemokratischen Verfassung in Frankreich entsprach in Wirklichkeit dem unpolitischen Wunsch nach dem Status quo ante. Zu optimistisch ist es auch, wenn Leisner , Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Rechtsstaat, S. 155, meint, die Informationstätigkeit der Regierung könne „geradezu oppositionsschaffend" wirken. Carls Schmitts These ist dagegen von sozialpsychologischer Seite bestens belegt: Machtkonservierend kann sich vor allem die Orientierung der Wahlentscheidung am vermutlichen Ausgang der Wahl auswirken, sog. Bandwagon-Effekt, vgl. dazu Simon , Bandwagon and Underdog Effects and the Possibility of Election Predictions, Public Opinion Quarterly 18 (1954) 245 ff.; Hofstätter , Die Psychologie der öffentlichen Meinung, S. 65 ff. und Berelson-LarzarsfeldMcPhee, Voting, S. 289; unpolitisch ist auch die Abhängigkeit des Wählers von seinem sozio-ökonomischen Status (Einkommen, Religion, ethnische und lokale Bindungen); vgl. Berelson-Lazarsfeld-McPhee, Voting, S. 54 ff.; Brodbeck, The Problem of Irrationality and Neuroticism Underlying Political Choice, S. 130; Burdick, Political Theory and the Voting Studies, S. 143; Blankenburg, Kirkliche Bindung und Wahlverhalten, S. 129 ff. — Eine U m frage ergab, daß rund 25 °/o sowohl der CDU-Wähler als auch der SPDWähler (1953) mit dem jeweiligen Standpunkt der gewählten Partei zur Wiederbewaffnung nicht einverstanden waren. Da die Wiederbewaffnung eine Kernfrage des Wahlkampfes war, haben sich diese Wähler unpolitisch verhalten (vgl. von der Heydte-Sacherl, Soziologie der deutschen Parteien, 344 Anmerkung 1 a).

C. Der Schutzbereich des Grundrechts gesetz hat den Prozeß der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung (vgl. A r t . 5, 21 GG) angeordnet 65 und damit zugleich den staatlichen Organen, die i m Alleinbesitz von Informationen über Gründe und Hintergründe staatlicher Entschlußbildung sind, die Rechtspflicht zur Offenbarung dieser Informationen auferlegt 66 . Solange nämlich das Volk über die Zusammenhänge staatlichen Handelns nicht aufgeklärt ist, fehlt dem öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozeß sein eigentlicher Gegenstand 67 , er läuft leer und schlägt in sein Gegenteil um: Kontrolle des Volkes durch den Staat. Diese Offenbarungspflicht muß allerdings i n verschiedenen Richtungen eingeschränkt werden. Weder die Chancengleichheit der Parteien, noch das Wesen der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung erfordern die Freigabe von Informationen, die für den öffentlichen Meinungskampf nebensächlich sind. Die dem Staat auferlegte Offenbarungspflicht betrifft deshalb nur die „relevanten Hauptfakten" 6 8 . Die Offenbarungspflicht i m verbleibenden Umfang kann mit anderen staatlichen Pflichten und Aufgaben kollidieren. Die Entscheidung darüber, welche Pflicht die höherrangige ist, muß durch sorgfältige Abwägung gefunden werden. Die Grundsätze, die in der Literatur, aber auch schon i n der Gesetzgebung bei den insoweit ähnlichen Problemen eines Informationsanspruchs der Presse als maßgeblich angesehen werden 6 9 , lassen sich dabei berücksichtigen. Man muß aber immer i m 63 Der Grundsatz der Chancengleichheit ist aus Art. 21 und 38 GG entwickelt worden (vgl. Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 23 zu Art. 38); er kann deshalb neben Verboten auch positive Anordnungen enthalten. Aber schon der grundrechtliche Gleichheitssatz (Art. 3 GG) kann Ansprüche auf positives staatliches T i m tragen (und sei es auch nur über die „behördliche Selbstbindung", vgl Forsthoff, Verwaltungsrecht, S. 85; Bachof, Verfassungsrecht, S. 128). 64

Vgl. Gisela Sänger, Funktion amtlicher Pressestellen, S. 125. es Ridder, Grundgesetz, Notstand und politisches Straf recht, S. 25; BVerfG 20/56 ff. (97). 6« Adolf Arndt, Landesverrat, S. 36 f. 67 Nämlich die „relevanten Hauptfakten", Ridder, Staatsgeheimnis und Pressefreiheit, S. 32; nach Nawiasky (Von der unmittelbaren Demokratie, in: Festgabe für Giacometti, S. 196) hängt der Vorzug der Demokratie davon ab, „daß den einzelnen Bürgern . . Verantwortungsbewußtsein zugemutet werden kann. Dazu müssen sie die Verhältnisse, über die von ihnen eine Entscheidung verlangt wird, einigermaßen kennen und an ihrer Gestaltung interessiert sein." — Vgl. noch Plate, Werbung oder Information? S. 547; Zippelius, Demokratie und Meinungslenkung, JuS 1965/380. 68 Ridder, Staatsgeheimnis und Pressefreiheit, S. 32 („Themen von grundsätzlicher Bedeutung"); S. 38 („große Fragen"; ob eine militärische Einheit in X oder in Y stationiert wird, kann aber in der Kommunalpolitik zu den „großen Fragen" gehören). — Die Beschränkung der Offenbarungspflicht auf die relevanten Hauptfakten ist freilich nur ein anderer Ausdruck des Prinzips, daß ein amorphes Nachrichtendefizit nicht verfassungswidrig ist. 6» Vgl. Löffler,

Der Informationsanspruch der Presse und des Rundfunks,

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht Auge behalten, daß es bei der erörterten staatlichen Offenbarungspflicht u m etwas anderes geht als u m die Pressefreiheit oder gar nur u m die Informationsfreiheit. Die Offenbarungspflicht folgt unter anderem aus dem Wesen des öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozesses und damit aus der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 7 0 . Es ist einleuchtend, daß die Offenbarungspflicht 71 deshalb i n der Abwägung höher eingestuft werden muß als etwa — bei der gleichen Abwägung — die Informationsfreiheit. Z u den staatlichen Pflichten, die der Offenbarungspflicht vorgehen können, gehört die Aufgabe des Grundrechtsschutzes (Art. 1 Abs. 1 GG). Das ist freilich für jedes Grundrecht besonders zu prüfen. Aus der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insbesondere i n Verbindung m i t A r t . 6 Abs. 2 MRK, läßt sich beispielsweise folgern, daß eine A n klageschrift bis zur ersten öffentlichen Verhandlung geheimgehalten werden darf 7 2 . Dagegen ist das Recht einer im öffentlichen Leben stehenden Person auf Selbstentfaltung nach A r t . 2 Abs. 2 GG nicht geeignet, die Offenbarungspflicht des Staates aufzuheben 73 . Zeigt das Verhalten einer solchen Person erhebliche charakterliche Mängel, so w i r d die öffentliche Meinung sie nicht gerne mit höchsten Staatsämtern betraut sehen. A n dieser Überlegung zeigt sich, daß für die Vorrangigkeit der Offenbarungspflicht durchaus das Gewicht des jeweiligen Hauptfaktums i m öffentlichen Meinungskampf maßgeblich sein kann. Gegenüber der Offenbarungspflicht sind bloße Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte von niederem Rang. Geheimhaltung von Hauptfakten NJW 1964/2277 ff.; und die Pressegesetze von Hessen (vom 23.6 1949 in der Fassung vom 20.9.1958, GVB1 S. 183, §3), Baden-Württemberg (vom 14.1. 1964, GBl S. 11, §4), Schleswig-Holstein (vom 19.6.1964, GVB1 S.71, §4), Niedersachsen (vom 22.3 1965, GVB1 S. 9, § 4), Hamburg (vom 29.1.1965, GVB1 S. 15, § 4), Bremen (vom 16.3.1965, GBl S. 63, § 4). 70 Scheuner , Pressefreiheit, W D S t R L 22/78, w i l l das Gebot, „ein angemessenes Maß an Information sicherzustellen", zwar nicht dem objektiven Verfassungsrecht entnehmen, aber aus der „institutionellen Sicht" ableiten. Kontaminationen mit der Informationsfreiheit (selbst bei Hesse, Grundzüge, S. 150) sind jedenfalls irreführend. Dagegen darf man den Rang der Offenbarungspflicht nicht gleichsetzen mit der Bedeutung der inneren Geistesfreiheit selbst. Dann müßte jede Abwägung zugunsten der Offenbarungspflicht ausfallen, da die innere Geistesfreiheit den höchsten Wert unserer Rechtsordnung bildet (vgl. Ridder, Meinungsfreiheit, S. 282) Das wäre aber auch deshalb widersprüchlich, weil ja anhand der Offenbarungspflicht überhaupt erst festgestellt werden kann, ob ein Unterlassen gegenüber der inneren Geistesfreiheit rechtlich relevant ist. 72 Der Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes rechtfertigt auch das Steuergeheimnis (vgl. Wassermann , Pressegesetzgebung, Amtsgeheimnis und das Problem der Verwaltungsöffentlichkeit, JR 1965/140). 73 Vgl. Ridder , Die öffentliche Aufgabe der Presse i m System des modernen Verfassungsrechts, S. 23.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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kann nicht schon damit gerechtfertigt werden, daß eine öffentliche Erörterung die Durchführung von Maßnahmen, die i m „öffentlichen Interesse" liegen, erschweren würde. Ist eine Behörde schon der Meinung, sie könne das öffentliche Interesse besser beurteilen als die betroffene Öffentlichkeit selbst 74 , so mag sie sich der Diskussion stellen, um so mehr, als sie i n der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes ja von der öffentlichen Meinung nicht an der Durchführung der beabsichtigten Maßnahme gehindert werden kann. Die staatliche Aufgabe der Landesverteidigung (Art. 73 Ziff. 1 GG) w i r d vermengt m i t bloßen Zweckmäßigkeitserwägungen, ja mit höchstpersönlichem Machtstreben, wo immer es u m die militärische Geheimhaltung geht. Es versteht sich von selbst, daß nur der zuerst genannte Gesichtspunkt die Offenbarungspflicht aufheben, suggestiv-defizitäre Informationspolitik also rechtfertigen kann. Aber auch der dann noch verbleibende Kreis der Geheimhaltung ist kritisch darauf zu prüfen, ob er zur Verteidigung wirklich unumgänglich notwendig ist 7 5 . Geschichtliche Erfahrungen 76 haben gezeigt, daß Geheimhaltung nicht der Verteidigung, sondern dem Angriff adäquat ist. Geheimhaltung als M i t t e l eines Angriffs- oder auch nur eines Präventivkrieges widerspricht aber dem ausdrücklichen Verbot des Grundgesetzes (Art. 26 Abs. 1 GG). Zudem ist sie Symptom obrigkeitsstaatlichen Denkens. Die Vermutung spricht deshalb auch i m militärischen Bereich für die Offenbarungspflicht und gegen den Geheimnisschutz; „man braucht eine demokratische Grundordnung gar nicht erst mehr militärisch zu ver74 Versuche, behördliche Geheimhaltung mit dem Erfordernis „geordneten Verwaltungsganges" zu begründen, laufen darauf hinaus, die öffentliche Meinung als Ergebnis des beschränkten Untertanenverstandes abzutun. — Vgl. Fichte, Zurückforderung der Denkfreiheit, S. 22, und die von Schubert (Freie Meinungsäußerung, S. 11) zitierte Erklärung des preußischen Innenministers: „Der Artikel enthält die Anmaßung des Zeitungsschreibers, die Schritte der Regierung öffentlich meistern und leiten zu wollen . . Das aber ist Hochverrat." Vgl. Schwarz, Pressezensur i m Zweiten Weltkrieg: Das Beispiel Englands, in: Festgabe für K a r l Weber, S. 102: „Kann ein demokratisches Staatswesen in Friedenszeiten sich nur entfalten und blühen, wenn eine unterrichtete öffentliche Meinung Kritik oder Zustimmung zu der Tätigkeit der Gesetzgeber, der Regierung und der Gerichte auszudrücken vermag, so ist ihm in Kriegszeiten die Kraft, welche eine verstehende öffentliche Meinimg ausstrahlt, in noch höherem Maße unentbehrlich." 76 Schwarz, Pressezensur im Zweiten Weltkrieg, a.a.O. S. 91, macht die rigorose Militärzensur der Presse in Frankreich 1939/1940 mitverantwortlich für den militärischen Zusammenbruch. — Schon Hitler (Mein Kampf, S. 198 f., vgl. dazu Hagemann, Publizistik im Dritten Reich, S. 173) sah in der mangelhaften Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit im Ersten Weltkrieg eine Ursache der Niederlage. — A n der Geschichte der nationalsozialistischen Publizistik läßt sich überdeutlich ablesen, wie Offenheit und Vollständigkeit der Unterrichtung mit der Ausweglosigkeit der militärischen Lage wuchsen (Hagemann, Publizistik im Dritten Reich, S. 173, 434, 438 f.).

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht teidigen, wenn sie schon vorher zerstört ist 7 7 ." Staatsrechtlich zulässig ist der Geheimnisschutz nur dort, wo ohne ihn der sofortige Zusammenbruch des öffentlichen Meinungskampfes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, etwa wegen des unmittelbar drohenden militärischen Angriffs einer auswärtigen Macht 7 8 . Soweit nach derartigen Abwägungen eine Offenbarungspflicht anderen Pflichten und Aufgaben des Staates vorgeht, verletzen strukturierte Nachrichtendefizite staatlicher Stellen auf den Gebieten ihrer partiellen Informationsmonopole die innere Geistesfreiheit. Anders ist die Möglichkeit einer Offenbarungspflicht für Private zu beurteilen. Dabei geht es zunächst noch nicht u m die „ D r i t t w i r k u n g " der inneren Geistesfreiheit, sondern um die andere Frage, ob Private verfassungsrechtliche Pflichten haben können. Dafür spricht jedenfalls, daß das Grundgesetz seine Regelungen bis i n früher ausschließlich gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt hat 7 9 , zum Beispiel durch „Konstitutionalisierung" 8 0 der Parteien, die nach Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG eine Offenbarungspflicht haben. Unter diesen Umständen ist eine verfassungsrechtliche Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht Privater durchaus denkbar geworden. 77 Ridder, Staatsgeheimnis und Pressefreiheit, S. 38. 78 Die Gefahrenlage muß also schon die Intensität der Kubakrise haben. Damals verhängte der amerikanischen Präsident Kennedy eine Publikationssperre für bestimmte Problemgruppen, vgl. Jescheck, Pressefreiheit und militärisches Staatsgeheimnis, S. 13 f. — Die Einsicht, daß die Staatsschutzbestimmungen nicht ohne weiteres als „allgemeine Gesetze" (Art. 5 Abs. 2 GG) die Pressefreiheit beschränken, sondern sich eine Auslegung „im Lichte der Pressefreiheit" gefallen lassen müssen, hat sich in der Rechtprechung durchgesetzt (BGHSt 20/342 ff., 362 — „Pätsch-Urteil" —; BVerfG 20/162 ff., 177 f. — „Spiegelurteil" — ; vgl. ferner BVerfG 21/239 ff., 243). Die Methode der Abwägung ist aber in zweierlei Hinsicht zu beanstanden. Einmal ist es mit dem Rang der Verfassungsnorm unvereinbar, den Beitrag zur Meinungsbildung strafrechtlich als Rechtfertigungsgrund zu klassifizieren — ein Verfahren, das die Pressefreiheit in die Defensive drängt und an die Stelle des staatsbegrenzenden Prinzips „Verhältnismäßigkeit" den Grundsatz des — vom Journalisten zu wählenden — „mildesten Mittels" setzt (kraß: BGHSt 20/342 ff., 364, 368; vgl. die kritische Anmerkung von Adolf Arndt zu BVerfG 21/239 ff. in NJW 1967/871). Zum anderen muß ein weiter, -unscharf konturierter Bereich „legitimen" Staatsschutzes die Folge sein, wenn der Staatsschutz einem — sozialpsychisch gemeinten? — „Informationsinteresse" (BVerfG 21/239 ff., 244) konfrontiert wird — statt den normativen Geboten der demokratischen Transparenz, Publizität und Chancengleichheit. Kritisch auch Hall-Peter , Dissenting opinion, Pressefreiheit und Strafverfolgungsinteresse, JuS 1967/355 ff., 359. 79 Ridder , Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften im Sozialstaat nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, S. 22. 80 Wernicke i m Bonner Kommentar (Erstbearbeitung), Art. 21, Anm. I I 1 b, S. 5. Ein weiteres Beispiel ist die von Ridder a.a.O. S. 11, 16 f. umschriebene „dritte Dimension" des Sozialstaatsgebots.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts Besondere Schwierigkeiten ergeben sich aber daraus, daß etwa eine Wahrheitspflicht der Presse m i t den Rechten auf Meinungs- und Pressefreiheit kollidieren müßte 8 1 . Gleichwohl hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, die Presse sei zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet; „erst recht darf die Wahrheit nicht bewußt entstellt werden; dies geschieht auch dann, wenn man wesentliche Sachverhalte 82 , die einem bekannt sind, der Öffentlichkeit unterschlägt 83 ." Diese Ausführungen entsprechen nicht der Entstehungsgeschichte des A r t . 5 GG 8 4 ; sie haben auch Widerspruch i n der Literatur gefunden 85 . Für ihre Würdigung ist von entscheidender Bedeutung, daß sie sich ausdrücklich auf zwei Gründe stützen. Einmal werde die Erfüllung der Wahrheitspflicht nach gesicherter Rechtsprechung schon um des Ehrenschutzes des Betroffenen willen gefordert 86 . Insoweit ist die Wahrheitspflicht — i n der Praxis eine Nachprüfungspflicht 87 — durch Art. 5 Abs. 2 GG gedeckt. Daneben w i r d die Wahrheitspflicht der Presse aber auch m i t der „Bedeutung der öffentlichen Meinungsbildung i m Gesamtorganismus einer freiheitlichen Demokratie" begründet: „ N u r dann, wenn der Leser i m Rahmen des Möglichen 88 zutreffend unterrichtet wird, kann sich die öffentliche Meinung richtig bilden 8 9 ." Leider ist die Tragweite dieses Satzes durch Ehrenschutzprobleme 90 völlig überlagert worden. Die Diskussion beschränkt sich auf die Fälle, wo die negativen Seiten eines 81 Bei Informationsmonopolen des Staates konnte diese Frage nicht auftauchen, weil das Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit nicht dem Staat zugutekommt (Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 31 zu Art. 19 Abs. 3). 82 Ein Hinweis auf die Zulässigkeit eines amorphen Nachrichtendefizits. 83 BVerfG 12/130; zustimmend Löffler, Der Verfassungsauftrag der Presse, S. 7; ders., Die Sorgfaltspflichten der Presse und des Rundfunks, NJW 1965/ 943. 84 Vgl. von Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JböffR 1 (1951) 79 ff. — Nach von Mangoldt, Kommentar, 1. Auflage, S. 59, Anm. 1 zu Art. 5, ist eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung nicht in den Art. 5 GG aufgenommen worden, weil wegen der rechtlichen Konsequenzen (unabsehbare Eingriffsmöglichkeiten) Bedenken bestanden. Vgl. noch Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 101; Dagtoglou, Wesen und Grenzen der Pressefreiheit, S. 28 Fußnote 123. ss Dagtoglou a.a.O., S. 28; Adolf Arndt, Sachlichkeit, N J W 1964/1313 Fußnote 21; ders., Rolle der Massenmedien in der Demokratie, S. 11 f.; HaackeVisbeck, Institutionen der Meinungsbildung, S. 80 f. es BVerfG 12/130. 87 BVerfG a.a.O. („Die Presse ist . . . gehalten, Nachrichten . . . auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen"); vgl. ferner Thiele, Pressefreiheit, S. 80 f. (§6 der Entwürfe für ein Presserechtsrahmengesetz), und Löffler, Die Sorgfaltspflichten der Presse und des Rundfunks, N J W 1965/943. 88 Vgl. oben Fußnote 82. sä BVerfG 12/130. so Vgl. z. B. BGHZ 31/308 ff.

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives R e t

P o l i t i k e r s herausgestellt w e r d e n 9 1 . Es ist aber n i c h t w e n i g e r suggestiv, w e n n die D a r s t e l l u n g p o s i t i v e S e i t e n ü b e r b e t o n t u n d Nachteiliges v e r schweigt: H i e r ist m i t Ehrenschutz n a t u r g e m ä ß n i c h t s auszurichten. M a n b r a u c h t sich n u r d e n folgenden, i n der P r a x i s entschiedenen F a l l 9 2 vorzustellen: Der Bewerber u m einen Oberbürgermeisterposten w a r f r ü h e r w e g e n Z u g e h ö r i g k e i t z u m nationalsozialistischen Sicherheitsdienst v e r u r t e i l t w o r d e n . I n d e m d a m a l i g e n U r t e i l h a t t e es geheißen: „ E r ist auch i m D r i t t e n Reich u n d w ä h r e n d seiner T ä t i g k e i t i m S D seiner r e l i g i ö s e n Ü b e r z e u g i m g t r e u geblieben." D i e h i n t e r d e m B e w e r b e r stehende „ W a h l r u n d s c h a u " z i t i e r t e : „ E r ist auch i m D r i t t e n R e i c h seiner r e l i g i ö s e n U b e r z e u g u n g t r e u geblieben." Dieser F a l l zeigt, w i e n o t w e n d i g es ist, die E h r e n s c h u t z f r a g e n m e t h o d i s c h sauber ausz u k l a m m e r n . M a n w i r d die F r a g e nach der W a h r h e i t s p f l i c h t der Presse deshalb zuspitzen müssen: G i b t es e i n verfassungsrechtliches V e r b o t der Schönfärberei? B e i dieser Z u s p i t z u n g w e r d e n d i e F r i k t i o n e n m i t der M e i n u n g s u n d Pressefreiheit sofort deutlich. M e i n u n g s b i l d e n d w i r k t auch die A u s w a h l u n d A u f m a c h u n g v o n Tatsachen93. M a n k a n n der Meinungspresse u n m ö g l i c h die P f l i c h t auferlegen, eine B l a m a g e ihres F a v o r i t e n a u f d e r e r s t e n Seite u n d i n a l l e n E i n z e l h e i t e n z u m e l d e n 9 4 . Das V e r b o t 91

Vgl. die Diskussion zwischen Betz und Löffler, berichtet von Mallmann, Wahrnehmung berechtigter Interessen und öffentliche Meinungsbildung, JZ 1961/762. — Besonders eindrucksvoll ist die uneingestandene Herleitung der Pflicht zur Wahrhaftigkeit aus dem Ehrenschutz bei Franz Schneider, Presseund Meinungsfreiheit, S. 102 ff. (die Wendung ins Subjektive wurzelt letzten Endes in § 187 StGB). — Löffler, Die Sorgfaltspflichten der Presse und des Rundfunks, NJW 1965/943, behandelt die „Rechte Dritter", hat aber gleichwohl nur den Ehrenschutz i m Auge. »a ESVGH 7/98 ff. 93 Ridder, Meinungsfreiheit, S. 264; Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/64. Tannenbaum, The Effect of Headlines on the Interpretation of News Stories, Journalism Quarterly 30 (1953) 189 ff., ließ den Bericht über das Verhör eines Studenten, der des Mordes an seinem fraternity brother verdächtigt wurde, in drei Versuchsauflagen einer Tageszeitung mit verschiedenen Schlagzeilen drucken („Admits Ownership of Frat Murder Weapon" — „Many had Acces to Frat Murder Weapon" — „Approach Final Stage in Frat Murder Trial"). Die Versuchspersonen, die den Bericht mit der ersten Überschrift gelesen hatten, neigten dazu, den Verdächtigen für schuldig zu halten. Die zweite Überschrift löste bei fast der Hälfte der Leser die Überzeugung von der Unschuld des Verdächtigen aus. Bei denjenigen, die den Bericht sorgfältig gelesen hatten, war der Effekt etwas schwächer. — Demnach liegt ein Fall von „Irradiation" von (Beeinflussung eines Gesamterlebnisses durch Teilqualitäten, Spiegel, Struktur der Meinungsverteilung i m sozialen Feld, S. 38); die sorgfältigen Leser hatten den Zeitungsartikel stärker gegliedert erlebt und waren daher den Wirkungen der Irradiation entgangen. 94 Wahrhaftigkeit als ausgleichendes Minimum (so Franz Schneider, Presseund Meinungsfreiheit, S. 102 ff.) kann nur fordern, wer den Unterschied zum Ehrenschutz nicht sieht. Hier geht es um Befreiung des Staatsrechts vom strafrechtlichen Denken.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts d e r Schönfärberei w ü r d e die Pressefreiheit e n t l e e r e n u n d die b u n t e V i e l f a l t d e r Presse i n e i n sittenstrenges G r a u v e r w a n d e l n . Z e i t u n g e n s o l l e n aber m e h r sein als „ d e r m a g r e geist- u n d k r a f t l o s e I n d e x dessen w a s geschehen" 9 5 . E i n e n zusätzlichen G r u n d l i e f e r t die Ü b e r l e g u n g , daß die große Z a h l d e r Leser n i c h t ohne Sensationsmache angesprochen u n d a n e i n e m G e g e n s t a n d der ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g interessiert w e r d e n k a n n 9 6 . W a s d e n P a r t e i e n e r l a u b t ist, n ä m l i c h die A d a p t a t i o n a n das N i v e a u der M a s s e n 9 7 , d a r f d e n Z e i t u n g e n n i c h t v e r w e i g e r t w e r d e n ; die Ü b e r s e t z u n g des Zeitgeschehens — sei es auch u n t e r A u s l a s s u n g „ w e s e n t l i c h e r " , aber n i c h t sensationeller U m s t ä n d e 9 8 — i n die Sprache des einfachen M a n n e s m a c h t e i n e n T e i l i h r e r „ ö f f e n t l i c h e n A u f g a b e " 9 9 aus. Es m u ß deshalb d e n Z e i t u n g e n e r l a u b t sein, tendenziös z u berichten, Tatsachen z u f ä r b e n oder z u u n t e r d r ü c k e n (solange sie n i c h t m i t E h r e n s c h u t z v o r s c h r i f t e n i n K o n f l i k t geraten): „ D i e zügelloseste Presse 98 Joseph Görres, Die teutschen Zeitungen, Rheinischer Merkur (1. Jahrgang) vom 1.7.1814, Nr. 80. Diesen Aspekt der Pressefreiheit betonen mit Recht: OLG Celle NdsRpfl 1948/236; O L G Nürnberg M D R 1963/412 (Nr. 89). »7 BVerfG 5/389. 98 Beispiel: Ein Pressebericht über geplante Privatisierungsaktionen stellt die Sozialpolitik der Regierung und die Gewinnchancen für den einzelnen übertrieben dar, während der Umstand, daß die öffentliche Hand im Besitz der Kapitalmehrheit bleibt, verschwiegen wird. •• Ridder, Meinungsfreiheit, S. 258. — Bedenklich ist deshalb der modische Trend, die „Sensationspresse" aus dem Schutz der Pressefreiheit herauszunehmen; z. B. von Mangoldt-Klein, Kommentar, S. 245, Anm. V I 3 zu Art. 5; Schüle, Zivilrechtlicher Persönlichkeitsschutz und Grundgesetz, S. 23; Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit nach dem Grundgesetz, S. 136 ff.; ders., Urteilsanmerkung zu BGH NJW 1963/665 ff. = BGHSt 18/182 ff., NJW 1963/665 f.; Thieme nach dem Bericht von Ingo von Münch, Koalitionsund Meinungsfreiheit des Beamten, JZ 1964/334; Erdsiek, Unterhaltung als öffentliche Aufgabe der Presse? N J W 1963/1392; ders., Die Pressefreiheit in der Rechtsprechung, in: Festschrift für Nipperdey, Bd. 1, S. 263; Dürig, Diskussionsbeiträge, W D S t R L 22/1671, 196 f.; vgl. noch BGHSt 18/182 ff. (186); BGHZ 31/308 ff.; ferner Löffler, Die Sorgfaltspflichten der Presse und des Rundfunks, NJW 1965/944 (Pflicht zur Sachlichkeit). — Die Gegenmeinung wird vertreten von Ridder, Die öffentliche Aufgabe der Presse im System des modernen Verfassungsrechts, S. 21; ders., Diskussionsbeitrag, W D S t R L 22/175; Adolf Arndt, Buchbesprechung, NJW 1963/194; ders., Zur Güterabwägung bei Grundrechten, N J W 1966/872; ders., Die Rolle der Massenmedien in der Demokratie, S. 6; Dagtoglou, Wesen und Grenzen der Pressefreiheit, S. 27 ff.; Gross, öffentliche Aufgabe der Presse und Pressefreiheit, NJW 1963/893 f.; Rehbinder, öffentliche Aufgabe der Presse: Was ist das? NJW 1963/1387 f.; anders anscheinend in: Die öffentliche Aufgabe und rechtliche Verantwortlichkeit der Presse, S. 122; Mallmann, Literatur zum Presserecht, JZ 1964/1431; Scheuner, Pressefreiheit, W D S t R L 22/68f.; Schnur, Pressefreiheit, W D S t R L 22/105 Fußnote 10; Lerche, Werbimg und Verfassung, S. 82; Haacke-Visbeck, Institutionen der Meinungsbildung, S. 83. Für die zweite Auffassung spricht auch die Stelle BVerfG 12/260.

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht ist immer noch besser als eine vom Staat kontrollierte 1 0 0 ." Die Presse läßt sich weder als eine moralische Anstalt 1 0 1 , noch als eine Volkshochschule verstehen 102 . Die Annahme einer allgemeinen Wahrheitspflicht der Presse ist mit der Pressefreiheit unvereinbar 1 0 3 . Die von einer „zügellosen Presse" ausgehenden Gefahren werden i n der freiheitlichen Demokratie regelmäßig gebannt durch die freie Konkurrenz der Informationsmedien 104 . Ein gebildeter Leser w i r d ohnehin nicht alles glauben, was seine Zeitung meldet 1 0 5 . Wenn er sich eine abgerundete Meinung bilden w i l l , w i r d er auch andere Stimmen hören 1 0 6 . Selbst der unkritische Durchschnittsbürger bezieht seine politischen Informationen nicht ausschließlich aus der Boulevardpresse, sondern fast immer zugleich aus der Tagesschau des Fernsehens 107 . Deshalb ist Schönfärberei durch die Presse unschädlich. Wichtige Nachrichten lassen sich auf die Dauer nicht unterdrücken 1 0 8 . Rechtfertigt sich die Ablehnung einer Wahrheitspflicht (für die Presse nicht weniger als für andere Massenmedien) aber entscheidend aus der freien Konkurrenz der Informationsmedien, dann folgt daraus die Bedingung, unter der ausnahmsweise eine solche Wahrheitspflicht eint r i t t : Das ist der Fall eines totalen Informationsmonopols. Wer durch Vermachtung des Nachrichtenwesens eine Gefahr für die innere Gei100 Loewenstein, Verfassungslehre, S. 363. 101 So aber Coing, Ehrenschutz und Presserecht, S. 17. 102 De Volder, Soziologie der Zeitung, S. 137. 103 Vgl. Fichte , Zurückforderung der Denkfreiheit, S. 43: „ . . . was mag doch euch, die ihr dieses sagt, Wahrheit — was mag euch Irrtum heißen? Ohne Zweifel nicht das, was wir andere dafür halten; sonst würdet ihr begriffen haben, daß eure Einschränkung die ganze Erlaubniß aufhebt; daß ihr mit der linken Hand uns wieder nehmt, was ihr mit der rechten gabt; daß es schlechterdings unmöglich ist, Wahrheit mitzutheilen, wenn es nicht auch erlaubt ist, Irrthümer zu verbreiten." — Positivrechtlich angeordnete Wahrheitspflichten (Art. 111 der Bayerischen Verfassung; § 6 der seit 1964 ergangenen Landespressegesetze, aufgezählt Fußnote 69) sind nicht verfassungswidrig, wenn sie verfassungskonform als verfassungsrechtliche Obliegenheiten (hierüber vgl. unten im Zweiten Abschnitt unter B. 1.1. b) interpretiert werden können. i° 4 Vgl. Herbert Krüger , Der Rundfunk im Verfassungsgefüge und in der Verwaltungsordnung von Bund und Ländern, S. 147 (marktwirtschaftliche Art der Paralysierung unwiderstehlicher Macht); Zeidler , Gedanken zum Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts, AöR 86 (1961) 403 (freies Spiel der Kraft und Gegenkraft); Ridder-Stein , Stichwort „Rundfunk — I I . Die rechtliche Ordnung des Rundfunks", StLex Bd. 6, Sp. 1010 (gegenseitige Förderung, Entlarvung oder Neutralisierung). los Ridder, Meinungsfreiheit, S. 266. 106 Löffler, Der Verfassungsauftrag der Presse, S. 8. — Der Spiegel rechtfertigt seine zuweilen einseitige Berichterstattimg damit, daß die Tagespresse ein zu rosiges Bild der Wirklichkeit male (vgl. Löffler a.a.O. S. 22, 42). 107 Haacke-Visbeck, Institutionen der Meinungsbildung, S. 91. los Enzensberger , Journalismus als Eiertanz, S. 32.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts stesfreiheit aller Informationsbedürftigen 1 0 9 geschaffen hat, muß für die Abwendung dieser Gefahr Sorge tragen. Er muß also entweder sein Informationsmonopol abbauen oder die durch seine Medien verbreiteten Nachrichtendefizite amorph halten. Entscheidet er sich für den letzeren Weg, dann schrumpft seine Pressefreiheit also auf eine einzige Möglichkeit der Ausübung zusammen. Die Offenbarungs- und Vollständigkeitspflicht, die sich aus der Innehabung eines totalen I n formationsmonopols ergibt, ist ein Fall der Ingerenz (Rechtspflicht zur Offenbarung aus „vorangegangenem T u n " ) 1 1 0 . Ein Verstoß gegen die innere Geistesfreiheit liegt i n der Verletzung der Offenbarungspflicht indessen nur unter der weiteren Voraussetzung, daß sich das Grundrecht auf innere Geistesfreiheit auch gegen Private richtet. Das Zivilrecht schließt auch das Recht ein, sich unter koordinierten Rechtsgenossen über grundrechtliche Freiheiten hinwegzusetzen 111 . Die „Koordination" entfällt aber, wo die Machtposition der Beteiligten auch nicht mehr annähernd gleich ist 1 1 2 . Wenn „private Gewalten" 1 1 3 eine solche Machtzusammenballung erreichen, daß eine akute Freiheitsbedrohung von ihnen ausgeht, dann müssen ihnen „staatsähnliche" Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit auferlegt sein 1 1 4 ; wenn das schon für die — materielle — Daseinsvorsorge gilt, dann muß es auf die — ideelle — Informationsversorgung erst recht zutreffen. Die Machtzusammenballung gehört zum Tatbestand des Informationsmonopols. Die innere Geistesfreiheit ist insoweit drittgerichtet. Keine Offenbarungspflicht gilt bei einer etwaigen Selbstzensur der gesamten Presse. Hier haben die i n einer freiheitlichen Demokratie loa Nach liberaler Vorstellung wäre die adäquate Abwehr eine Gegengründung durch die Betroffenen. Ganz abgesehen davon, daß diese nur informiert werden, aber nicht selbst informieren wollen, steht einer Neugründung auch die Sperrwirkung des erforderlichen (und wirtschaftlich verlorenen) Kapitals entgegen. Über den Umfang der notwendigen Investitionen (in den USA 15—20 Millionen Dollar) vgl. Hagemann, Dankt die Presse ab? S. 48 f.; ferner Hebarre, Diskussionsbeitrag, S. 62. 110 Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 194. 111

Maunz-Dürig, Kommentar, Rdnr. 130 zu Art. 1. — Z u m folgenden vgl. auch die Einleitung (Fußnote 63). 112 Kimminich, Die Freiheit, nicht zu hören, Staat 1964/67 f. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 249 ff. ii4 Leisner a.a.O. S. 230; ebenso: BAG 1/185 ff. (194); Nipperdey-Wiese, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 753; vgl. noch Ballerstedt, Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 59 (für analoge Anwendung der Grundrechte). — Die Ableitung der Drittwirkung aus Art. 118 Abs. 1 Satz 2 W R V wäre ein schwaches Argument, da Art. 5 GG die Anwendung auf private Rechtsverhältnisse nicht mehr ausdrücklich vorschreibt und überdies die Verzichtbarkeit für Tendenzbetriebe auch von den Anhängern der Drittwirkung bejaht wird (Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 53 f.; Leisner a.a.O. S. 269 f . ) . 7

Faber

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives R e t möglichen Regulative (Konkurrenz der Informationsmedien) versagt; die Voraussetzungen für eine Wahrheitspflicht (Aufhebung der Konkurrenzbedingungen) liegen nicht vor. dd) Zusammenfassung Die Untersuchung negativer unbewußter Eindrücke hat zu folgendem Ergebnis geführt: Strukturierte Nachrichtendefizite verletzen die innere Geistesfreih e i t 1 1 5 nur insoweit, als eine Offenbarungspflicht besteht. Eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Wahrheit und Vollständigkeit ist gegeben a) bei partiellen Informationsmonopolen des Staates (aus dem Gebot der Chancengleichheit und aus dem Wesen des öffentlichen Meinungs- und Willensbildungsprozesses); b) bei totalen Informationsmonopolen Privater (aus Ingerenz). 2. Suggestion durch Appell an „unbewußte" oder verdrängte Impulse

Das Unbewußte als Ergebnis einer Verdrängung ist Gegenstand der Tiefenpsychologie. Verdrängung ist ein tiefenseelischer Abwehrvorgang 1 1 6 . Impulse, die auf ein mit den Ansprüchen der Umwelt unvereinbares Tun gerichtet sind, werden unterdrückt 1 1 7 . Sie lassen sich allerdings nicht ganz ausschalten; i n Fehlleistungen, Ersatzhandlungen und Träumen können sie wieder wirksam werden 1 1 8 . Das bedeutet eine „Verschiebung von Handlungsantrieben aus einer Sphäre größerer existentieller Relevanz und größerer Gefährdung in eine solche geringerer existentieller Bedeutsamkeit 119 ." u® Und zwar in einem Teilbereich ihres kognitiven Aspektes, den man mit Adolf Arndt „Wissensfreiheit" nennen kann (Begriff und Wesen der öffentlichen Meinung, S. 11; Buchbesprechung, NJW 1963/194). Eine von der Gewissensfreiheit vorausgesetzte „Wissensfreiheit" deutet schon Scholler, Freiheit des Gewissens* S. 207, an (fortgeführt von Zippelius im Bonner Kommentar [Zweitbearbeitung], Rdnr. 40 zu Art. 4). Während aber bei Adolf Arndt die Wissensfreiheit zunächst auch als Element der Gewissensfreiheit auftrat, scheint er nun eine „profane" Wissensfreiheit von der auf „apodiktische Wahrheiten" bezogenen absetzen zu wollen (Die Rolle der Massenmedien in der Demokratie, S. 10 ff.). u« Heiss, Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 314; und zwar neben zahlreichen anderen „Abwehrmechanismen" (Anna Freud, Das Ich und die Abwehrmechariismen, S. 52). 117 Das ist nicht auf Motive „sexueller Provenienz" beschränkt (Thomae, Persönlichkeit, S. 92); allerdings spielen gerade diese in der Werbung eine große Rolle, na Thomae, Persönlichkeit, S. 92. u« Thomae a.a.O., S. 93.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts Für die Praxis der Beeinflussung bedeutet das, laienhaft ausgedrückt: Ein verdrängter Impuls läßt sich beispielsweise auf ein Stück Seife ablenken; der Impuls verliert nicht seine Intensität; nur sein Gegenstand w i r d ausgewechselt. Zuweilen w i r d eingewandt, das „Unbewußte" i m psychoanalytischen Sinne, ein verdrängter „Komplex" > sei durch Werbemaßnahmen gar rieht zu erreichen. Der Psychotherapeut brauche Monate und Jahre, u m solche Komplexe aufzudecken 120 . Richtig ist allerdings, daß sich die Verdrängung höchst individuell vollzieht 1 2 1 . Dieser Satz gilt aber nicht ausnahmslos. Es wurde schon gesagt, daß verdrängte Impulse Träume auslösen können. Nun gibt es neben einmaligen, persönlichen Träumen auch „typische Träume"; das sind Träume, „die fast jedermann i n derselben Weise geträumt h a t " 1 2 2 , wie der Verlegenheitstraum der Nacktheit 1 2 3 , der Traum vom Fliegen 1 2 4 , der Traum vom Tod teurer Personen 125 . Die typischen Träume lassen den Schluß zu, daß es typische Verdrängungen gibt 1 2 6 , typische unbewußte Komplexe, die freilich keine pathogene K r a f t haben 1 2 7 , einer geschickten Werbung aber doch Ansatzmöglichkeiten bieten können. Kann sich das Individuum solche Komplexe ins Bewutßtsein heben? Freud schreibt zwar: „Das Unbewußte kann durch unsere Bemühung bewußt gemacht werden, wobei w i r die Empfindung haben dürfen, daß w i r oft sehr starke Wider120 Kropff, Angewandte Psychologie, S. 127; ders., Motivforschung, S. 91; Katona, The Powerful Consumer, S. 262. m Thomae, Persönlichkeit, S.92. 122 Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 246. 123 Freud a.a.O. S. 247 ff.; Heiss, Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 180. — Die nicht ganz vollständige Entkleidung ist für solche Träume charakteristisch (Freud a.a.O. S. 248). I n Amerika gab es eine Inseratenserie (für „Maidenform" — Büstenhalter), die an diese typischen Traumbilder anknüpfte. Gezeigt wurde ein Mädchen, dessen Oberkörper nur mit einem MaidenformB H bekleidet ist, unter normal angezogenen Leuten. Die Texte lauteten in den wechselnden Situationen: „Mir träumte, ich rief in meinem Maidenform-BH eine Verkehrsstockung hervor"; „Mir träumte, ich packte den Stier bei den Hörnern — in meinem Maidenform-BH"; der Höhepunkt war: „ I dreamed I was wanted in my maidenform bra." — Der Jahresumsatz der Herstellerfirma stieg alsbald von 14 Millionen Dollar auf 35 Millionen DoUar (Einzelheiten bei: Seidin, The Golden Fleece, S. 178).

™ Freud a.a.O. S.278f., 390, 398ff.; Heiss a.a.O. S. 179. Vgl. hierzu das Inserat „Erleben Sie die Traumrasur" (Spiegel 1963 Nr. 9, S. 57). 125 Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 254 ff.; Berth, Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 219. 12« vgl, Lerche, Werbung und Verfassung, S. 23 f. (massentypische Irrationalität). * 27 Albert Görres, Methode und Erfahrungen der Psychoanalyse, S. 150, macht den Vorschlag, die — nicht pathogene — Unterdrückung von der — pathogenen — Verdrängung zu unterscheiden; vgl. aber bereits Freud a.a.O. S. 611 Fußnote 1.



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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

stände überwinden 1 2 8 ." Gemeint ist jedoch die Bemühung eines Außenstehenden, eines Psychotherapeuten, während die spontane Umwandlung des Unbewußten i n Bewußtes psychotische Zustände kennzeichnet: „ W i r schließen daraus, daß die Aufrechterhaltung bestimmter innerer Widerstände eine Bedingung der Normalität ist 1 2 9 ." Die Aufhebung der Verdrängungsschranke ist also dem Individuum grundsätzlich nicht möglich. Man könnte nun versucht sein, zu folgern: Suggestionen, die sich an das Unbewußte i m psychoanalytischen Sinne richten, sind nicht erkennbar. Dieser voreilige Schluß würde der Tatsache nicht gerecht, daß ein unbewußter Komplex — i m Gegensatz zum unbewußten Eindruck — nicht schon den suggerierten Meinungsgegenstand zum Inhalt hat, sondern daß es erst einer „Verschiebung der Handlungsantriebe" 1 3 0 bedarf. Wieder einmal zeigt sich, wie irreführend die Formel von der „Einwirkung auf das Unterbewußtsein" ist. Eine juristische Beurteilung setzt voraus, daß die Technik der Ausnutzung verdrängter Impulse näher geklärt ist. Die fragliche Technik hängt m i t der Mobilität der Wünsche zusammen. Psychische Energie 1 3 1 (Thomae : eine „unspezifisch gerichtete, zentrale dynamische Realität" 1 3 2 ; Fuchs: „gegenständlich undifferenzierte Antriebsfunktionen" 1 3 3 ) ist nicht i n „Trieb e n " 1 3 4 festgelegt. Unter bestimmten Bedingungen bilden sich lediglich „relativ konstante Ausgliederungen der Gesamtaktivität" 1 3 5 ; verhältnismäßig selbständige „Motivationssysteme" 1 3 6 . Während derartige 128 Freud, Abriß der Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. X V I I , S. 82. 129 Freud a.a.O. S. 83. 13® Thomae, Persönlichkeit, S. 93; Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 511 (Verschiebung psychischer Intensitäten), vgl. ferner S. 463, 469 f.; Wyss, Die tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegenwart, S. 69. 131 Ob „psychische Energie" der Welt der Realitäten angehört, ist nicht ausreichend gesichert. Zunächst handelt es sich nur um ein anschauliches Bild, im Grunde um die Projektion eines inneren Erlebnisses in äußere Vorgänge (die Manifestationen der mechanischen Kraft), die dann wieder zur Erklärung inneren Geschehens verwandt werden (Thomae , Das Wesen der menschlichen Antriebsstruktur, S. 64). 132 Thomae, Das Wesen der menschlichen Antriebsstruktur, S. 148. 133 Fuchs , Gewißheit, Motivation und bedingter Reflex, S. 59. 134 Über die Irrwege der Trieblehren unterrichtet Hof stätter, Einführung in die Sozialpsychologie, S. 187. — Nach Thomae, Persönlichkeit, S. 114, gibt es eine Zusammenstellung von 14 046 verschiedenen Aktivitäten, die von dem einen oder anderen Autor als instinktiv bezeichnet werden. 135 Thomae, Das Wesen der menschlichen Antriebsstruktur, S. 160. 136 Fuchs a.a.O., S. 66. — Werbepsychologische Abhandlungen pflegen K a taloge von Motivationssystemen (Trieben) aufzustellen, die in der Werbung

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C. Der Schutzbereich des Grundrechts

M o t i v a t i o n s s y s t e m e d u r c h V e r b i n d u n g v o n b e s t i m m t e n Gegenständen m i t E m o t i o n e n e n t s t e h e n 1 3 7 , k ö n n e n sie selbst w i e d e r m i t w e i t e r e n Gegenständen v e r k n ü p f t w e r d e n 1 3 8 . E r f o r d e r l i c h i s t n u r , daß die G e g e n s t a n d s v e r k n ü p f u n g n i c h t b l o ß z u f ä l l i g (assoziativ) b l e i b t , sondern d e n C h a r a k t e r e i n e r b e d e u t u n g s v o l l e n E i n o r d n u n g h a t 1 3 9 , es m u ß e i n „ s t i m m i g e r " Z u s a m m e n h a n g b e s t e h e n 1 4 0 ; D a f ü r g e n ü g t es aber, w e n n der z u v e r k n ü p f e n d e G e g e n s t a n d ( z . B . die Seife " F a " ) als Ursache, H i n d e r n i s oder S i g n a l der B e d ü r f n i s b e f r i e d i g u n g ( z . B . i n d e n M o t i v a tionssystemen Reiselust, G e l t u n g s d r a n g ) i r g e n d w i e e r f a ß t w i r d 1 4 1 (eine Frau, die „ F a " benutzt, gehört zur W e l t der Flugreisenden 142). W i e s o l l aber d i e V e r k n ü p f u n g erfolgen, w e n n es sich u m e i n e n v e r d r ä n g t e n I m p u l s h a n d e l t , w e n n also die Z i e l v o r s t e l l u n g des M o t i v a tionssystems „ u n b e w u ß t " ist? H i e r h i l f t die B e o b a c h t u n g w e i t e r , daß es P l a k a t e g i b t , die den M e i nungsgegenstand i n a b s u r d e n S i t u a t i o n e n z e i g e n 1 4 3 . Es h a n d e l t sich d u r c h w e g u m t r a u m a r t i g e S i t u a t i o n e n . Es l i e g t nahe, d i e W i r k u n g solcher P l a k a t e als U m k e h r u n g der T r a u m m e c h a n i s m e n 1 4 4 z u v e r angesprochen werden können, vgl. von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 140 ff.; Kropff, Angewandte Psychologie, S. 137 f.; Berth, Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 43; Hundhausen, Wirtschaftswerbung, S. 129 ff.; Franke, Der manipulierte Mensch, S. 21 ff.; Bennemann, Kirche und Werbung, S. 66 ff. 137 Fuchs a.a.O. S. 27 f. 138 Fuchs a.a.O. S. 61; Hartmann, Wirkungsbedingungen der Anzeigenwerbung im Lichte der Psychologie, M A 1959/166; vgl. noch Berth a.a.O. S. 347 („Erschließung neuer,... produktunabhängiger Erlebnisbereiche"); Domizlaff, Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, S. 192 („Erfüllung abgelenkter Triebansprüche").

u® Fuchs, Gewißheit, Motivation und bedingter Reflex, S. 63. 140 Hartmann f Wirkungsbedingungen der Anzeigenwerbung im Lichte der Psychologie, M A 1959/167; vgl. Thomae, Das Wesen der menschlichen Antriebsstruktur, S. 95: Erwartungshaltungen entstehen nicht aus formaler Gleichzeitigkeit von zwei Erlebnissen, sondern aus ihrer Einbettung in ein Eilebnisgesamt. — Zweifelhaft deshalb Franke, Der manipulierte Mensch, S. 46 f. 141

Fuchs a.a.O. S. 64.

142

Vgl. das Inserat in Hör Zu, 1962 Nr. 21, S. 18. — Man beachte, wie die Verknüpfung hier auch optisch durch ein weißes Band unterstützt wird, das die beiden Vorstellungen verklammert. 143 Das Auto steht quer auf der Treppe (Opel-Inserat im Stern vom 23.2.1964 Nr. 8, S. 24; über die symbolische Bedeutung der Treppe vgl. Freud, Die Traumdeutung, S.360, 368ff., 372 ff.); in der Mitte des Teppichs wächst ein Kastanienbaum (Vorwerk-Inserat, Stern 1963 Nr. 40, S. 71); die Hausfrau geht in der Küche auf Hasenjagd (Linde-Inserat, Stern 1964 Nr. 8, S. 51). 144

Feller, Psycho-Dynamik der Reklame, S. 79 ff.; Berth, Verbraucherbeeinflussung, S. 217.

Wähler-

und

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht stehen. Während der Traum — nach Freud — unbewußte Wünsche 115 zu einer halluzinatorischen Realität verarbeitet 1 4 6 , soll das Plakat umgekehrt unbewußte Wünsche durch eine traumähnliche Darstellung aktivieren und m i t dem angepriesenen Meinungsgegenstand verknüpfen. Die scheinbare Absurdität mancher Plakatdarstellungen ist dann, ebenso wie die scheinbare Absurdität mancher Träume, durch den Steuerungsmechanismus der „Zensur" 1 4 7 zu erklären. Verdrängte Wunschvorstellungen werden unter dem Druck einer hypothetischen seelischen Instanz, deren W i r k e n Freud als Zensur bezeichnet, i n eine Folge verzerrter, primitiver B i l d e r 1 4 8 übersetzt, die eben dieser Instanz als harmlos erscheinen und darum zugelassen werden. Der Traum (oder der Plakatentwerfer) verhält sich hier nicht anders als der Journalist i m Polizeistaat: „Er muß seine anstößige Mitteilung hinter einer harmlos erscheinenden Verkleidung verbergen, er darf z. B. von Vorfällen zwischen zwei Mandarinen im Reich der Mitte erzählen, während er die Beamten des Vaterlandes im Auge hat, Je strenger die Zensur waltet, desto weitgehender wird die Verkleidung.. M V 1

Z u den Mitteln der „Verkleidung" gehört insbesondere die sogenannte Symbolik 1 5 0 . Sie kann sich auf verschiedenen Ebenen bewegen 1 5 1 . So ist der Mercedes-Stern als Wohlstandssymbol oder als Symbol der Sicherheit („Ihr guter Stern auf allen Straßen!") jedem geläufig. Er kann aber auch ein Sexualsymbol sein 1 5 2 . Ein Revolver kann Männlichkeit und Aggression visualisieren; i n Träumen t r i t t er i « Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 127 ff., 555 ff., 558, 566; ders., Abriß der Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. X V I I , S. 92 f. 146 Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 540, 547; ders., Abriß der Psychoanalyse, in: Gesammelte Werke, Bd. X V I I , S. 87 f. — Vgl. noch Heiss, Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 191: Träume seien keine Halluzinationen, aber in beiden Fällen arbeite der sensorische Apparat nicht als Rezeptor, sondern als Projektor. 147 Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 147 ff.; Berthy Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 219f.; Thomae, Persönlichkeit, S. 92 f. 148 Vgl. Kretschmer, Medizinische Psychologie, S. 150 („asyntaktische Bildagglutinationen", auf einer höheren Stufe „Bildstreifendenken"); Heiss, Allgemeine Tiefenpsychologie, S. 153 (Bilddenken); Hofstätter, Die Psychologie der öffentlichen Meinimg, S. 114 (drei Stufen des Denkens); ders., Einführung in die Sozialpsychologie, S. 245 (wortfremde Reste). 14» Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 148. im Der Begriff ist, vom philologischen Standpunkt gesehen, vielleicht nicht ganz glücklich; vgl. Wyss, Die tiefenpsychologischeri Schulen von den A n fängen bis zur Gegenwart, S. 242. 151 Berthy Wähler- und Verbraucherbeeinflussung, S. 129. 152 Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S.363; Feller, Psycho-Dynamik der Reklame, S. 112; vgl. noch die Analyse zum Mercedes-Stern bei Berth a.a.O. S. 150 ff.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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als Sexualsymbol auf 1 6 3 . Wer die Verwertbarkeit solcher an Träumen gewonnener Erkenntnisse bestreiten w i l l , muß sich m i t den Umstand auseinandersetzen, daß die moderne Werbung ganz massiv m i t Sexualsymbolen arbeitet 1 6 4 . Ein typischer Angsttraum, der i n der Werbung ausgenutzt worden ist, stellt den unbewußten Wunsch nach Vergewaltigung durch den „schwarzen Mann" dar, einen nächtlichen Räuber, der häufig i n Kombination m i t den Sexualsymbolen Dolch, Lanze, Säbel 1 5 5 auftritt. Ein Plakat, das m i t diesen Mitteln arbeitet, suggeriert dem Betrachter, den unheimlichen Verfolger durch ein bestimmtes Verhalten zu besänftigen 1 5 6 (Kauf einer Schallplatte 157 , Wahl einer Partei 1 5 8 ). Die Lehre von den Symbolen hat der Psychoanalyse den V o r w u r f des „Pansexualismus" eingetragen 159 . Kropff bezeichnet die Sexualsymbolik als „seltsam und lächerlich" 1 6 0 . Die Existenz primitiver seelischer Regungen ist jedoch durch den Hinweis auf ihre Eigenart ebensowenig zu widerlegen wie durch ihre ethische Mißbilligung 1 6 1 . Daß die psychoanalytischen Vorstellungen von der Rolle der Symbole i m wesentlichen zutreffen, haben zahlreiche Experimente belegt 1 6 2 . Es ist nicht nur möglich, symbolische Darstellungen künstlich zu erzeugen 163 . Man kann auch — was für die Werbimg wichtig ist — m i t symbolischen Darstellungen die entsprechenden Motivationssysteme aktivieren 1 6 4 . Wie sehr die Verknüpfung m i t unbewußten Impulsen 153

Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 361. Vgl. das Nyltest-Inserat im Stern vom 1.9.1963, Nr. 35, S. 41. iss Freud, Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 359, 361, 401, 409; Feller, Psycho-Dynamik der Reklame, S.216. 156 Feller a.a.O. S. 209 ff., S. 219. 157 Vgl. die Abbildung bei Feller, Psycho-Dynamik der Reklame, S. 211. iss Vgl. Arnold (Hg.), Anschläge, Abbildung IV/6. 15» Wyss, Die tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegenwart, S. 110; zu derartigen Vorwürfen hat indessen Freud selbst schon Stellung genommen (Die Traumdeutung, in: Gesammelte Werke, Bd. I I / I I I , S. 166 Fußnote 1). 154

160 Angewandte Psychologie, S. 148. — Kropffs polemisches Urteil steht in merkwürdigem Gegensatz zu seinen anschließenden Darlegungen, aus denen sich klar ergibt, daß er die Verwendung von Sexualsymbolen in der Werbung nicht für unwirksam, sondern für unmoralisch hält. i«i Zutreffend: Suhr, Die stärksten Appelle, S. 134. J6 2 Rapaport, Die Struktur der psychoanalytischen Theorie, S. 21. 163 Clark-Sensibar, The Relationship Between Symbolic and Manifest Projections of Sexuality with Some Incidental Correlates, Journal of Abnormal and Social Psychology 50 (1955) 327 ff.; vgl. noch Fuchs, Gewißheit, Motivation und bedingter Reflex, S. 26. 164 Meissner, Affective Response to Psychoanalytic Death Symbols, Journal of Abnormal and Social Psychology 56 (1958) 295ff.; ferner KleinSpence-Holt-Gourevitch, Cognition Without Awareness: Subliminal I n fluences upon Conscious Thought, Journal of Abnormal and Social

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

bereits gelungen ist, zeigt die Tatsache, daß manche Waren selbst schon Symbole geworden sind 1 6 5 . Die eingehende Darlegung der tiefenpsychologischen Werbetechnik sollte beweisen, daß sie sich eben nicht i m „Appell an das Unterbewußtsein" erschöpft: Die Verknüpfung mit dem i m Bewußtsein repräsentierten Werbeobjekt muß hinzutreten. Die Frage nach der Erkennbarkeit ist hier ohne nähere Differenzierung nicht eindeutig zu beantworten. Denn daß eine suggestive Einwirkung vorliegt, daß Reklame für irgend etwas gemacht wird, kann man erkennen. Der spezifische suggestive Gehalt freilich, die propagandistische Aussage über die Befriedigung, die das Werbeobjekt unbewußten Wünschen bringen soll, bleibt i m Dunkeln. Eine Verletzung der inneren Geistesfreiheit w i r d man i n der tiefenpsychologischen Beeinflussungstechnik dann sehen, wenn man dem Individuum das Recht zubilligt, seine Motivation lückenlos zu überblicken. Faßt man den kognitiven Aspekt der inneren Geistesfreiheit so weit, dann müßte allerdings der größte Teil der Werbung verboten werden. Für Waren, die symbolische Bedeutung erlangt haben, dürfte überhaupt nicht mehr geworben werden. Denn jede Darstellung solcher Waren müßte tiefenpsychologische Nebenwirkungen haben. Der Sinn des Kriteriums „abstrakte Erkennbarkeit" ist es, eine Gruppe von Suggestionen festzustellen, bei denen das Individuum deswegen keine Gegenmotive bilden kann, w e i l es von der Suggestion nichts weiß. Eine Abwehrhaltung ist aber schon dann denkbar, wenn der einzelne von dem Vorliegen einer suggestiven Einwirkung ganz allgemein Kenntnis h a t 1 6 6 . Deshalb braucht er die angewandten suggestiven Techniken nicht genau zu durchschauen. Zum kognitiven Aspekt der inneren Geistesfreiheit gehört nicht die kaum jemals erreichbare lückenlose Kenntnis der eigenen Motivation, sondern nur die Fähigkeit, den Tatbestand einer suggestiven Einwirkung i n groben Umrissen festzustellen 167 . Psychology 57 (1958) 255 ff. (Reaktionen auf unterschwellig dargebotene Sexualsymbole). ms Vgl. Dichter , Strategie im Reich der Wünsche, S. 363 ff. 166 Der „kognitive Aspekt" der inneren Geistesfreiheit faßt also in sich sehr differenzierte Erkenntnisgrade zusammen. Die verschiedenen Stufen der Kognition sind von Lerche, Werbung und Verfassung, S. 21, 25, eindrucksvoll herausgearbeitet worden. Sollte die tiefenpsychologische Werbung weiter um sich greifen, könnte eine Erweiterung des Schutzbereichs der inneren Geistesfreiheit an dieser Stufenfolge ansetzen. 167

Nach diesen Grundsätzen ist auch die Verwendung psychodiagnostischer Testverfahren durch staatliche Stellen zu beurteilen; dabei geht es zwar nicht um eine Einwirkung auf das Unbewußte, sondern um die Erforschung des Unbewußten (ein projektiver Test z.B. zielt auf Ermittlung des Unbewußten im psychoanalytischen Sinne), die rechtlich nicht zur inneren

C Der Schutzbereich des Grundrechts

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D e r A p p e l l a n das U n b e w u ß t e i m psychoanalytischen S i n n e i s t desh a l b n i c h t v e r f a s s u n g s w i d r i g ; er d ü r f t e aber h a r t a n der Grenze des Zulässigen liegen.

3. Suggestion durch Erregung „unbewußter" oder unterschwelliger Wahrnehmung N e b e n p e r i p h e r d a r g e b o t e n e n Reizen u n d A p p e l l e n a n u n b e w u ß t e Wünsche g i b t es noch eine d r i t t e F o r m d e r „ E i n w i r k u n g a u f das Unbewußte": die „unterschwellige Werbung". A l s u n t e r s c h w e l l i g e W e r b u n g bezeichnet m a n d i e Beeinflussung m i t t e l s e i n e r Botschaft, d i e n i c h t b e w u ß t w a h r g e n o m m e n w i r d 1 6 8 . I m Gegensatz z u r E r r e g u n g p e r i p h e r e r W a h r n e h m u n g g e h t es h i e r u m — optische, akustische, o l f a k t o r i s c h e — Reize, d i e n i c h t w e g e n e i n e r ungünstigen Aufmerksamkeitsverteilung b e i m reagierenden Indiv i d u u m 1 6 9 , s o n d e r n w e g e n i h r e r e x t r e m schwachen I n t e n s i t ä t der bew u ß t e n W a h r n e h m u n g e n t g e h e n 1 7 0 . Das P h ä n o m e n d e r W i r k u n g solcher Geistesfreiheit, sondern zum „seelischen Eigenraum" gehört (vgl. oben unter A. I. 6, Fußnote 97). I m übrigen ist die Sachlage aber ähnlich: Der Proband erkennt zwar nicht die Tragweite seiner Reaktionen im einzelnen, weiß aber, daß er getestet wird (Hans Joachim Schneider, Die Verwendung psychodiagnostischer Testverfahren bei der Prüfung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, JZ 1964/752). Thomae, Das Problem der unterschwelligen Werbung, M A 1959/657. — Vgl. noch die Definition bei Tausch, Grundannahmen, S. 70: „Es liegen hinreichende Befunde vor, daß Reize, die auf die Netzhaut treffen und die zu keiner phänomenalen Repräsentanz führen (sog. unterschwellige Reize), sich auf Wahrnehmungsinhalte auswirken, ungefähr in analoger Weise, als wenn diese Reize bewußt geworden wären." 169 Vgl. oben unter C. I I I . 1. a). 170 Wenn man die periphere Wahrnehmung als „Perzeption" bezeichnet (vgl. dazu oben Fußnote 8), kann man hier von „Subzeption" sprechen (so Spiegel, Struktur der Meinungsverteilung im sozialen Feld, S. 127 Anmerkung 1). — Der Begriff „unterschwellig" beruht auf der Hypothese, daß solche extrem schwachen Reize unter der Bewußtseinsschwelle, aber über der physiologischen Schwelle liegen; vgl. Lazarus, Subception: Fact or Artifact? Psychological Review 63 (1956) 346; Baker, The Influence of Subliminal Stimuli Upon Verbal Behavior, Journal of Experimental Psychology 20 (1937) 84ff., 99; Abrams u.a., Unterschwellige Kommunikation, Rundfunk und Fernsehen 8 (1960) 283 f.; kritisch zu dieser Meinung, allerdings auf Grund dürftigen Versuchsmaterials (ausschließlich Tierversuche): SchwartzShagass, Physiological Limits for „Subliminal" Perception, Science 133 (1961) 1017 f. — Als „unterschwellig" gilt ein Reiz, der nicht verbalisiert werden kann (vgl. Adams, Laboratory Studies of Behavior Without Awareness, Fsychological Bulletin 54 (1957) 383; Eriksen, Discrimination and Learning Without Awareness, Psychological Review 67 [1960] 280). Das soll dann der Fall sein, wenn das Urteil der Versuchsperson über die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Reizes der Zufallserwartung entspricht. Dieser statistische Schwellenbegriff ist zwar praktisch nicht zu entbehren, aber methodisch bedenklich; McConnell-Cutler-McNeil, Subliminal Stimulation: An Over-

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht schwachen Reize beschäftigt d i e Psychologie schon seit l a n g e m . I n zwischen ist die L i t e r a t u r zur unterschwelligen W a h r n e h m u n g u n d B e e i n f l u s s u n g k a u m noch z u übersehen. A l l e i n das S a m m e l r e f e r a t v o n McConnell, Cutler und McNeil n e n n t 192 Q u e l l e n 1 7 1 . I n d e r w e r b e psychologischen L i t e r a t u r findet sich das P h ä n o m e n z u m e r s t e n m a l b e i Hollingworth (1920) 1 7 2 ; H o l l i n g w o r t h b e n u t z t e es a l l e r d i n g s n u r , u m d i e R o l l e d e r A u f m e r k s a m k e i t i n d e r W e r b u n g z u untersuchen. E r s t i n j ü n g s t e r Z e i t s i n d u n t e r s c h w e l l i g e Reize g e z i e l t i n der W e r b u n g eingesetzt w o r d e n . I m Sommer e i n e n Versuch, v o n Sekunden E i s - C r e m e sei i n N e w Jersey,

1956 b e r i c h t e t e d i e L o n d o n e r „Sunday Times" 173 über bei dem Dias m i t Eis-Creme-Werbung f ü r Bruchteile i n e i n e n F i l m e i n g e b l e n d e t w u r d e n . D e r U m s a t z an d a r a u f h i n u m 60°/o g e s t i e g e n 1 7 4 . D a s E x p e r i m e n t soll U S A , s t a t t g e f u n d e n haben.

E i n ä h n l i c h e r V e r s u c h m i t u n t e r s c h w e l l i g e r W e r b u n g f ü r Coca-Cola u n d P o p - C o r n w u r d e v o n d e r Subliminal Protection Company (einer G r ü n d u n g des M a r k t f o r s c h e r s Vicary i n New York) durchgeführt 175. view, American Psychologist 13 (1958) 233; Eriksen a.a.O. S. 285; Wiener Schiller, Subliminal Perception or Perception of Partial Cues, Journal of Abnormal and Social Psychology 61 (1960) 125. Er wird vor allem dem U m stand nicht gerecht, daß nach der Intensität fein abgestufte Wahrnehmungserlebnisse denkbar sind und daß die sprachlichen Ausdrucksmittel zur Wiedergabe nicht immer ausreichen; vgl. Eriksen, Subception: Fact or Artifact? Psychological Review 63 (1956) 77; Lazarus a.a.O. S. 344; Klein-Holt , Problems and Issues in Current Studies of Subliminal Actiyation, in: Festschrift for Gardner Murphy, S.75ff., 81 f. i7i Subliminal Stimulation: An Overview, American Psychologist 13 (1958) 239 ff. "a Advertising and Selling, S.228ff. 1 7 3 Sales through the Sub-Conscious, Sunday Times vom 10.6.1956, Nr. 6943, S. 1 Sp. 4—5. 1 7 4 Vgl. dazu noch Spiegel , Motivation in der Werbung, in: Wellek (Hg.), Bericht über den 21. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, S. 313; von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 229.— Die Glaubwürdigkeit der Sunday Times bezweifelt Bongard, Männer machen Märkte, S. 23; anders aber Spiegel, „Subliminal Communication" in der Werbung, Münchener Medizinische Wochenschrift 102 (1960) 814 (da das Verfahren eine ernst zu nehmende theoretische Basis habe, könne es sich nicht um bloße Presse-Enten handeln); vgl. auch die von Kropff (Motivforschung, S. 97) berichtete, entsprechende Äußerung Hofstätters. 1™ Die Einzelheiten sind folgenden Berichten entnommen: Bachrach, The Ethics of Tachistoscopy, Bulletin of the Atomic Scientists 15 (1959) 212 f f.; Britt, Subliminal Advertising — Fact or Fantasy? Advertising Age vom 18.11.1957; ders., Subliminal Advertising, Psychologist questions experimental design, Advertising Agency Magazine vom 23.5.1958, S. 14 ff.; Talese, Most Hidden Hidden Persuasion, N Y T vom 12.1.1958, Section 6, S. 22, 59 f. — Es gibt eine Fülle weiterer Berichte, die aber wohl alle auf die Pressekonferenz zurückgehen, die Mr. Vicary im Herbst 1957 (also über ein Jahr nach dem Versuch) gab (vgl. Talese a.a.O.). — Prof. Britt — ein Psy-

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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D e r V e r s u c h f a n d i m S o m m e r 1956 i n e i n e m K i n o d e r S t a d t F o r t L e e i n N e w Jersey, U S A , s t a t t 1 7 8 . I n d e r sechswöchigen T e s t p e r i o d e w u r d e n 45 699 ahnungslose K i n o b e s u c h e r d e n u n t e r s c h w e l l i g e n W e r b e b o t schaften ausgesetzt. A b w e c h s e l n d b l e n d e t e m a n a n e i n e m T a g „ E a t P o p - C o r n " , a m nächsten T a g „ D r i n k C o c a - C o l a " i n das H a u p t p r o g r a m m ein, m i t E l e k t r o n e n b l i t z e n v o n 1/3000 s e c 1 7 7 u n d j e w e i l s i n A b s t ä n d e n v o n 5 sec. D i e U m s a t z s t e i g e r u n g e n b e t r u g e n b e i Coca-Cola 18,1 °/o, b e i P o p - C o r n 57,7 °/o. Versuche i n ä h n l i c h e r G r ö ß e n o r d n u n g (über 45 000 Versuchspersonen u n d sechs W o c h e n Versuchsdauer) s i n d sonst n i c h t b e k a n n t g e w o r d e n 1 7 8 . D a s Institute of Practitioniers in Advertising (London) bildete i m D e z e m b e r 1957 e i n K o m i t e e , das ü b e r eine R e i h e w e i t e r e r Versuche m i t u n t e r s c h w e l l i g e r B e e i n f l u s s u n g b e r i c h t e t h a t 1 7 9 . Diese Versuche w a r e n n u r z u m T e i l erfolgreich, e r s t r e c k t e n sich a b e r a u f sehr k l e i n e V e r s u c h s g r u p p e n (bis z u 60 Versuchspersonen) u n d f a n d e n u n t e r a n d e r e n B e d i n g u n g e n statt. E i n i g e Versuche, d i e das E x p e r i m e n t v o n V i c a r y a n g e b l i c h w i e d e r h o l e n sollten, s i n d fehlgeschlagen. V o r a l l e m e i n m i ß g l ü c k t e s E x p e r i m e n t des K a n a d i s c h e n Fernsehens h a t v i e l z u r B e r u h i g u n g d e r chologe der Northwestern University — nennt Mr. Vicary einen „truthful man" (Advertising Age vom 18.11.1957). — Über die einschlägige deutsche Literatur bis etwa 1959 unterrichtet wohl erschöpfend Kropff, Motivforschung, S. 92 ff. Seidin, The Golden Fleece, S. 243. Der Name des Kinos wird in der N Y T als das bestgehütete Geheimnis des Jahres 1957 bezeichnet (NYT vom 8.12.1957, Section 2, S. 15 Sp. 1). Der Kinobesitzer soll keine Versicherungsgesellschaft gefunden haben, die ihn gegen Schäden gedeckt hätte, so daß er auf Geheimhaltung bestehen mußte (Abrams u. a„ Unterschwellige Kommunikation, Rundfunk und Fernsehen 8 [1960] 299). 177 Diese Expositionszeit (0,0003 sec) ist im Fernsehen nicht möglich; der Elektronenstrahl braucht für ein Bild schon 0,004 sec. I m Fernsehen wären aber unterschwellige Botschaften mit extrem schwachen Lichtintensitäten denkbar. — Die Einblendungen erfolgten vermutlich in den sehr kurzen Verschlußpausen zwischen je zwei Bildern des Films; über dieses Verfahren vgl. Klein-Holt, Problems and Issues in Current Studies of Subliminal Activation, S. 80. 178 Die Konkurrenz von Mr. Vicary, die Precon Process and Equipment Corporation in New Orleans (betrieben u. a. von einem Professor der Psychologie), hat es vorgezogen, in der Stille zu arbeiten. Die von dieser Gesellschaft entwickelten Geräte zur Erzeugung unterschwelliger Einblendungen sind 1962 patentiert worden (US Patent Nr. 3.060.795 vom 30.10.1962). I n Deutschland wäre das Patent wegen § 1 Abs. 2 Ziff. 1 PatG wahrscheinlich nicht erteilt worden. Auch das US-Patent war nicht ohne Schwierigkeiten zu erhalten, vgl. darüber die Meldung „Projector Patented for Hidden Images" in der N Y T vom 3.11.1962, S. 29 Sp. 6; S. 36 Sp. 1. 17« Deutsche Ubersetzung des Berichts: Abrams u.a., Unterschwellige Kommunikation, Rundfunk und Fernsehen 8 (1960) 283 ff.; vgl. hierzu Thomae, Das Problem der unterschwelligen Werbung, M A 1959/658 f.

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Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht

a m e r i k a n i s c h e n Ö f f e n t l i c h k e i t b e i g e t r a g e n 1 8 0 . D a b e i sagten a l l e diese „ E x p e r i m e n t e " ü b e r d i e M ö g l i c h k e i t u n t e r s c h w e l l i g e r W e r b u n g nichts aus, w e i l sie d e m P u b l i k u m v o r h e r a n g e k ü n d i g t w o r d e n w a r e n 1 8 1 . Z u m T e i l w u r d e n auch ü b e r s c h w e l l i g e E x p o s i t i o n s z e i t e n v e r w a n d t (z. B. 0,5 sec b e i d e m V e r s u c h des K a n a d i s c h e n Fernsehens). D e r K o n g r e ß , d i e F e d e r a l C o m m u n i c a t i o n s C o m m i s s i o n u n d die P a r l a m e n t e e i n i g e r B u n d e s s t a a t e n b e f a ß t e n sich m i t d e n B e r i c h t e n über unterschwellige Werbung 182. Eine Untersuchungskommission i n N e w Jersey 183 empfahl, die E i n b l e n d u n g unterschwelliger Botschaften gesetzlich z u v e r b i e t e n 1 8 4 . A l l e i n i m K o n g r e ß w u r d e n z w e i Gesetze n t w ü r f e 1 8 5 eingebracht, w e i t e r e i n d e n gesetzgebenden K ö r p e r s c h a f t e n v o n K a l i f o r n i e n 1 8 6 , N e w J e r s e y 1 8 7 u n d N e w Y o r k 1 8 8 . K e i n e r dieser E n t w ü r f e i s t Gesetz g e w o r d e n . D a b e i m a g es eine R o l l e gespielt haben, 180 Einzelheiten bei Seidin, The Golden Fleece, S. 244 f. und in der N Y T vom 8.2. 1958, S. 35 Sp. 1 ("TV Message Fruitless"). 181 Unter diesen Bedingungen muß mit parallelsuggestiven, unter U m ständen auch mit kontrasuggestiven Effekten gerechnet werden, die jede Kontrolle des Ergebnisses illusorisch machen. Vgl. Seidin a.a.O. S. 244; Zuckerman, The Effects of Subliminal and Supraliminal Suggestion on Verbal Productivity, Journal of Abnormal and Social Psychology 60 (1960) 404 ff., 409; Kropff, Motivforschung, S. 96. Dasselbe gilt auch für andere Formen der Beeinflussung; vgl. Kiesler-Kiesler, Role of Forewarning in Persuasive Communications, Journal of Abnormal and Social Psychology 68 (1964) 547 ff. 182 Die politischen Möglichkeiten dieser Technik liegen auf der Hand; über Experimente mit subliminaler Wahlpropaganda vgl. Hoar-Meek, The Semantic Differential As a Measure of Subliminal Message Effects, Journal of Psychology 60 (1965) 165 ff.; Parker, Subliminal Stimulation And Voting Behavior, Journalism Quarterly 37 (1960) 588 ff. (beide Versuche erbrachten Ergebnisse, die auf einen Erfolg der unterschwelligen Wahlbeeinflussung schließen lassen, allerdings ohne die erforderliche statistische Signifikanz; gegen beide Versuchsanordnungen bestehen jedoch — Dauer der Expositionszeiten, Größe und Zusammensetzung der Versuchsgruppen — methodische Bedenken; vgl. unten Fußnote 191). 183 Hughes u. a., Final Report of the Commission to Study Subliminal Projection, S. 13, Anhang S. X V I I ; vgl. ferner die Meldung „Projector Patented for Hidden Images" in der N Y T vom 3.11.1962, S. 36 Sp. 1. 184 Zu einem anderen Ergebnis kam ein Untersuchungsausschuß in Kalifornien (1960; vgl. Masterson u. a., Subliminal Messages; A Progress Report of the Assembly Governmental Efficiency and Economy Interim Subcommittee on Subliminal Messages, S. 91), weil unterschwellige Werbung weniger effektiv sei als andere Werbemittel; dabei spielten aber wohl auch verfassungsrechtliche Bedenken eine Rolle (wie der Anhang des genannten Berichtes zeigt; dort ist dargelegt, daß ein kalifornisches Gesetz über unterschwellige Werbung Bundeskompetenzen verletzen würde, vgl. Masterson u. a. a.a.O. S. 99 ff., 101). iss Wright und Hosmer (abgedruckt unten in der Dokumentation unter C . I . und C.H.).

im Richards (Dokumentation C. III.). 167 Hughes-Rutherfurd (Dokumentation C. IV.). 188 Kassal und Desmond (Dokumentation C. V. und C.VL).

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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daß d i e g r o ß e n R u n d f u n k - u n d Fernsehgesellschaften d i e A u f n a h m e unterschwelliger Botschaften i n i h r e Programme ablehnen189. Wie w e i t i m ü b r i g e n die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g i n diesem P u n k t m a n i p u l i e r t w o r d e n ist, l ä ß t sich schwer b e u r t e i l e n . Fest steht, daß Vicary b e i einer V o r f ü h r u n g , d i e e r f ü r K o n g r e ß a b g e o r d n e t e u n d M i t g l i e d e r der F e d e r a l C o m m u n i c a t i o n s C o m m i s s i o n v e r a n s t a l t e t e , eine a n d e r e Versuchs^ a n o r d n u n g b e n u t z t h a t als b e i seinen E x p e r i m e n t e n i n F o r t L e e 1 9 0 . Die einzelnen Wirkungsbedingungen der unterschwelligen W e r b u n g s i n d noch w e n i g g e k l ä r t 1 9 1 . 18® Der Revised Television Code der National Association of Broadcasters verbietet „transmission of information by the subliminal perception process" (NYT vom 19. 6.1958, S. 63 Sp. 2; vgl. schon N Y T vom 4.12.1957, S. 79 Sp. 3). Trotzdem kam es im Herbst 1966 wieder zu einer unterschwelligen Werbekampagne in einem amerikanischen Fernsehprogramm (Spiegel vom 31.10.1966, Nr. 45, S. 164). 19 ° Meldung „Subliminal Ads Shown in Capital", N Y T vom 14.1.1958, S. 66 Sp. 5. 191 Thomae, Das Problem der unterschwelligen Werbung, M A 1959/657 ff., 660: „Die Uneinheitlichkeit der erzielten Resultate aber zeigt zugleich, wie voraussetzungsvoll das Zustandekommen einer unbemerkten Wahrnehmung und wie unkontrollierbar deren Nachwirkung ist"; ders., Zur allgemeinen Charakteristik des Motivationsgeschehens, in: Handbuch der Psychologie, Bd. 2, S. 89; vgl. ferner Parker, Subliminal Stimulation And Voting Behavior, Journalism Quarterly 37 (I960) 588 ff., 590: „ . . . it is always conceivable that someone will be able to find some conditions under which it will work effectively." Über die Fülle und Widersprüchlichkeit des Materials, zugleich aber über die beunruhigende Breite der Anwendungsmöglichkeiten mag die folgende Zusammenstellung einen Überblick geben: a) Akustische Reize. — Eine amerikanische Radio-Station brachte den Text: „Do you know why your dog is running around the room and barking at this moment? He wants Blank-dog-foot." Gleichzeitig wurde Hundegebell in einer Frequenz ausgestrahlt, die nur für Hundeohren hörbar war (Seidin, The Golden Fleece, S. 246). Erfolglos war ein Experiment mit unterschwelligen Aufforderungen „Have a cigarette" in dem Erfrischungsraum einer Werbeagentur (Abrams u. a.t Unterschwellige Kommunikation, Rundfunk und Fernsehen 8 [1960] 283 ff., 305). Radio Chicago brachte sehr leise Werbetexte („Fresh-up with Seven-Up", „Oklahoma gas is best") in Musiksendungen; die Reaktion des Publikums (300 zum Teil erregte Telefonanrufe) zeigt jedoch, daß die Texte nicht wirklich unterschwellig waren (Seidin, The Golden Fleece, S. 244). — Daß es Lerneffekte durch akustische Berieselung im Schlaf gibt, ist bekannt (nägelkauende Kinder bekamen nachts unaufhörlich einen sehr leisen Schallplattentext vorgespielt: „Ich will nicht mehr an meinen Nägeln kauen"; daraufhin nahm diese Unart sichtlich ab; eine Versuchsperson, der im Schlaf eine Gedichtstrophe 178mal dargeboten worden war, lernte diese Strophe schneller als die Kontrollgruppe: von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 229); um untersdiwellige Reize im strengen Sinne handelt es sich dabei nicht, aber gewisse Anwendungsmöglichkeiten sind nicht zu bestreiten (z. B. gedämpfte nächtliche Lautsprecherdurchsagen im Wahlkampf). — b) Olfaktorische Reize. — Die emotionale Wirkung von unterschwelligen olfaktorischen Reizen hat jüngst Kornadt untersucht (Emotionale Prozesse bei subliminaler Wahrnehmung, in: Lienert [Hg.], Bericht über den 23. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, S. 175 ff.). Hier scheinen die Bedingungen einer unterschwelligen Beeinflussung be-

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1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives R e t

I n erster Linie scheint es auf eine günstige Kombination von Expositionszeit und Lichtintensität anzukommen. McConnell, Cutler und McNeil vermuten, daß die Wirksamkeit einer unterschwelligen Sug-

sonders leicht erreichbar zu sein. Berühmt geworden ist das Experiment von Laird, How the Consumer Estimates Quality by Subconscious Sensory Impressions, Journal of Applied Psychology 1Ö (1932) 241 ff. (dazu Kropff, Angewandte Psychologie, S. 265). Laird ließ unter verschieden parfümierten Strümpfen wählen; 50 % seiner Versuchspersonen bezeichneten das Strumpf paar mit unterschwelligem Narzissengeruch als die beste Qualität, obwohl alle Strümpfe völlig gleich waren. Weitere Fälle: I n Amerika wurden Zellophanpackungen von Markenschinken mit einer Farbe bedruckt, die den Geruch frischen Fleisches hatte (Kropff, Angewandte Psychologie, S. 266); eine Feuerversicherungsgesellschaft verschickte Werbebriefe, die beim ö f f nen den schwachen Geruch verbrannten Holzes ausströmten (Kropff a.a.O. S. 265). — c) Optische Reize. — Außer den schon erörterten Untersuchungen sind zu nennen: Calvin-Dollenmayer^ Subliminal perception — Some Negative Findings, Journal of Applied Psychology 43 (1959) 187 f.; ChampionTurner, A n Experimental Investigation of Subliminal Perception, Journal of Applied Psychology 43 (1959) 382 ff.; De Fleur-Petranoff, A Televised Test of Subliminal Persuasion, Public Opinion Quarterly 23 (1959) 168 ff.; Parker, Subliminal Stimulation and Voting Behavior, Journalism Quarterly 37 (1960) 588 ff. Alle diese Experimente erbrachten negative Ergebnisse; aber sie sind durchweg methodisch zu beanstanden: Zu kleine Versuchsgruppen; nicht einwandfrei unterschwellige Expositionszeiten (z. B. Parker a.a.O. S. 588 f.: 1/400 sec; „This stimulus intensity permitted the message to be seen occasionally by the experimenters 44 ; bei Champion-Turner a.a.O. S. 383 — 1/100 sec — werden deutliche kontrasuggestive Effekte berichtet; Calvin-Dollenmayer a.a.O. S. 187 f. — 1/100, 1/200, 1/300 sec — mußten es erleben, daß 10 °/o ihrer Versuchspersonen die „unterschwelligen 44 Botschaften nicht nur bemerkten, sondern sogar lesen konnten). Wenig befriedigend ist es auch, wenn De Fleur-Petranoff a.a.O. S. 168, 170, 179 f., ihre Ergebnisse mit der Hypothese interpretieren, es gebe wohl eine unterschwellige Wahrnehmung, nicht aber eine unterschwellige Beeinflussung — eine Annahme, die zu dem anerkannten Zusammenhang von Wahrnehmung und Motivation in Widerspruch steht (die Studie von De Fleur-Petranoff hat der Untersuchungskommission in New Jersey im Auszug vorgelegen, Hughes u. a., Final Report of the Commission to Study Subliminal Projection, Anhang S. I V ff., und deren Bericht offenbar beeinflußt, vgl. Hughes u. a. a.a.O. S. 13). — Über die Ergebnisse des jüngsten unterschwelligen Werbefeldzuges in einem amerikanischen Fernsehprogramm (für das japanische Auto „Toyota"; vgl. den Spiegel vom 31.10.1966, Nr. 45, S. 164) ist bisher nichts bekannt. — Hinzuweisen ist noch auf einen klassischen Beitrag zur unterschwelligen Wahrnehmung, die Arbeit von Pötzl, Experimentell erregte Traumbüder in ihren Beziehungen zum indirekten Sehen, Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 37 (1917) 278 ff.; diese Arbeit ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie die Möglichkeit unterschwelliger (optischer) Beeinflussung bei idealer Bedingungskonstellation eindrucksvoU dokumentiert hat und durch mehrere Kontrolluntersuchungen (1956—1959) bestätigt worden ist (vgl. Klein-Holt, Problems and Issues, S. 76). Sie gibt auch einen Hinweis auf die Zusammenhänge zwischen Subzeption und Werbung: Pötzl setzte seine Versuchspersonen tachistoskopischen Darbietungen aus und prüfte deren Auswirkungen auf die Träume der ersten nachfolgenden Nacht. Dabei stellte er fest, daß einer von zwölf Versuchspersonen nachträglich eine „Zigarettenannonce" einfiel (auf der eine Pyramide zu sehen war; das tachistoskopische Bild hatte „Ruinen von Theben" gezeigt); vgl. Pötzl a.a.O. S. 285, 299.

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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gestión m i t zunehmender Entfernung von der „Schwelle" abnimmt 1 9 2 . Dann wäre ein Effekt m i t 1/3000 sec kaum denkbar, es sei denn, daß eine extreme Lichtintensität verwandt w i r d 1 9 3 . Einige Forschungsergebnisse lassen aber die Annahme als möglich erscheinen, daß die W i r k samkeit bei größerer Entfernung von der Schwelle vorübergehend wieder leicht ansteigt 1 9 4 . Völlig offen ist auch, welche Durchschlagskraft die unterschwellige Werbung haben kann 1 9 5 . Es kann sein, daß ihre W i r k u n g von der Möglichkeit des sofortigen Zugriffs auf das Werbeobjekt abhängt (Coca-Cola i n der Kinopause). Beim gegenwärtigen Stand der Experimente läßt sich auch nicht sicher sagen, welche A r t von Reizen am wirksamsten ist (Schlagworte? Bilder?), ob die Wirkung auf ein ganz bestimmtes Werbeobjekt gezielt werden kann oder ob auch konkurrierende Meinungsgegenstände begünstigt werden 1 9 6 , und ob eine latente Bereitschaft zum suggerierten Verhalten vorausgesetzt werden muß. Kinder und Jugendliche scheinen eher gefährdet zu sein als Erwachsene 197 . Es spricht sehr viel dafür, daß die unterschwellige Werbung nicht stärker motivierend wirken kann als andere Werbung auch 1 9 8 : „ . . . an individual responds to subliminal information i n exactly the same manner as he does to visual information above the threshold of conscious awareness. He responds i n a controlled purposive manner 1 9 9 ." 192 Subliminal Stimulation: A n Overview, American Psychologist 13 (1958) 231. 193 Vgl. Spiegel, Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 50 Fußnote 13. 194 Corrigan^Becker, Apparatus for Producing Visual Stimulation, Patentschrift, Sp. 4 Zeile 26; Adams , Laboratory Studies of Behavior Without Awareness, Psychological Bulletin 54 (1957) 392 Fußnote 10; Smith-SpenceKlein, Subliminal Effects of Verbal Stimuli, Journal of Abnormal and Social Psychology 59 (1959) 172 („the effect slightly greater below 10 milliseconds"). 198 z u den Einzelheiten vgl. Bachrach, The Ethics of Tachistoscopy, Bulletin of the Atomic Scientists 15 (1959) 213; McConnell-Cutler-McNeil a.a.O. S. 233 ff. 196 Diese Frage spielt natürlich keine Rolle, wenn nur ein Produkt angeboten wird. 197 Thomae, Das Problem der unterschwelligen Werbung, M A 1959/660. 198 Die Frage des Vorsitzenden im kalifornischen Untersuchungsausschuß („Can this thing make me do something I don't want to do?", vgl. Masterson u. a., Subliminal Messages, S. 92) wird dem Wesen der unterschwelligen Werbung nicht gerecht. Sie ist ja gerade deshalb gefährlich, weil die ausgelösten Entscheidungen als eigene erlebt werden. Sinnvoll wäre nur die Frage gewesen, ob unterschwellige Beeinflussung auch persönlichkeitsfremde Handlungen veranlassen kann. im Corrigan vor dem kalifornischen Untersuchungsausschuß (Masterson u. a. a.a.O. S. 92).

1. Abschnitt: Innere Geistesfreiheit als subjektives Recht D i e u n t e r s c h w e l l i g e W e r b u n g h a t n u r d e n V o r t e i l , daß G e g e n m o t i v e ( „ D a s i s t w i e d e r so eine a u f d r i n g l i c h e R e k l a m e ! " ) n i c h t a u f d e n P l a n g e r u f e n w e r d e n . B e d e u t s a m ist auch d e r S t a n d p u n k t , d e n d i e Precon Process and Equipment Corporation — nach einem Bericht der N e w Y o r k T i m e s 2 0 0 — dem amerikanischen Patentamt gegenüber vertreten h a t : „ T h e y contended t h a t . . . t h e subconscious persuasion w o u l d n o t overcome a person's set p r i n c i p l e s , a l t h o u g h i t m i g h t influence h i m i f he w a s n e u t r a l o r f a v o r a b l y i n c l i n e d 2 0 1 . " D a s deckt sich durchaus m i t d e n E r g e b n i s s e n d e r W a h l f o r s c h u n g , d i e v e r m u t e n lassen, daß d e r u n p a r t e i i s c h e W ä h l e r a m ehesten d e m E i n f l u ß d e r P r o p a g a n d a unterliegt202. U m d i e D e u t u n g d e r „ S u b z e p t i o n " b e m ü h e n sich m e h r e r e T h e o r i e n . Lazarus u n d McCleary n e h m e n an, daß d e r u n t e r s c h w e l l i g e Reiz, o h n e b e w u ß t z u w e r d e n , eine spezifische — n ä m l i c h eine „ d i s c r i m i n a t i o n " des Reizes e n t h a l t e n d e — R e a k t i o n des a u t o n o m e n N e r v e n systems auslösen k a n n 2 0 3 . Sie g e h e n also d a v o n aus, daß es so etwas w i e ein unbewußtes Lesen g i b t 2 0 4 . 200 Meldung „Projector Patented for Hidden Images" in der N Y T vom 3.11.1962, S. 36 Sp. 1. 201 Nach Spiegel, „Subliminal Communication" in der Werbung, Münchener Medizinische Wochenschrift 102 (1960) 814, hängt der Erfolg von der angetroffenen Motivationsstruktur des Beschauers ab. — Thomae, Das Problem der unterschwelligen Werbung, M A 1959/660, meint, die unterschwellige Botschaft könne keinen Erfolg haben, wenn sie gegen bestimmte Prinzipien der Persönlichkeit stehe. Es liegt auf dieser Linie, wenn Klein-Holt, Problems and Issues in Current Studies of Subliminal Activation, S. 83 f., über einen größeren Erfolg von unterschwelligen Rauchbotschaften bei Gewohnheitsrauchern berichten. — Zuckerman dagegen fand keinen sicheren Anhaltspunkt für die Abhängigkeit des unterschwelligen Effekts von Persönlichkeitsstrukturen (The Effects of Subliminal and Supraliminal Suggestion on Verbal Productivity, S.409f.); kritisch auch McConnell-CutlerMcNeil , Subliminal Stimulation: A n Overview, S. 239. 202 Berelson-Lazarsfeld-McPhee, Voting, S. 19, 129 f., 314; Rossi , Four Landmarks in Voting Research, S. 18. 203 Lazarus-McCleary, Autonomic Discrimination Without Awareness, Psychological Review 58 (1951) 113 ff. (S. 113: „ . . . a process, by which some kind of discrimination is made when the subject is unable to make a correct conscious discrimination."); Lazarus , Subception: Fact or Artifact? Psychological Review 63 (1956) 343 ff. (S. 343: „a process of autonomic discrimination"); ähnlich Kornadt , Emotionale Prozesse bei subliminaler Wahrnehmung, in: Lienert (Hg.), Bericht über den 23. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, S. 175 ff.; Kornadt zieht die Lehre von der Affektaktivierung (Fuchs) heran (S. 176: „Affektaktivierung bei Darbietung eines affektbesetzten Reizes schon vor der Strukturierung zur bewußten Gegenstandserkenntnis"); in diesem Sinne auch Klein-Holt, Problems and Issues, S. 83, 86 ff. 204 Derartige Theorien könnten an die Erkenntnisse über die sogenannte „Aktualgenese" anknüpfen; vgl. Spiegel, Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, S. 48, 50 ff.; ders., Motivation in der Werbung, S. 313; ders.,

C. Der Schutzbereich des Grundrechts

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Hiergegen wendet sich Eriksen, der die Möglichkeit einer sinnvollen Reaktion auf nicht verbalisierbare Reize bestreitet 2 0 5 ; hierzu muß er allerdings seine Methode der Verbalisierungshilfen 2 0 6 einführen, die dem Einwand der suggestiven Beeinflussung ausgesetzt ist. Der unterschwellige Effekt beruhe vielmehr auf den unterschiedlichen Bedingungen („noncorrelated error terms" 2 0 7 ) der voneinander unabhängigen Reaktionssysteme. So könne der psychogalvanische Hautreflex — m i t dem die Erregung des autonomen Nervensystems üblicherweise gemessen w i r d — auf Reize ansprechen, deren Verbalisierung sehr erschwert sei und umgekehrt 2 0 8 . M i t der Lehre Eriksens verwandt ist eine weitere Theorie, die den unterschwelligen Effekt m i t „partial cues" e r k l ä r t 2 0 9 ; danach w i r d der Reiz i n überschwelligen Bruchstücken aufgenommen, die zwar nicht zur eindeutigen Verbalisierung ausreichen, aber doch die Reaktion bestimmen 210 . Der Theorienstreit betrifft die Frage, warum und auf welchem psychischen Wege nicht verbalisierbare Reize dennoch eine sinnvolle Reaktion auslösen. Einigkeit besteht dagegen darüber, daß „unterschwellige" Reize nicht sicher identifiziert 2 1 1 und vom Bewußtsein kontrolliert werden können 2 1 2 . „Subliminal Communication" in der Werbung, Münchener Medizinische Wochenschrift 102 (1960) 814; von Holzschuher, Psychologische Grundlagen der Werbung, S. 80 f. 205 Discrimination and Learning Without Awareness, Psychological Review 67 (1960) 279 ff., 298. 2