Informationswissenschaft: Begegnungen mit Wolf Rauch 9783205791935, 9783205787990

173 121 9MB

German Pages [441] Year 2012

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Informationswissenschaft: Begegnungen mit Wolf Rauch
 9783205791935, 9783205787990

Citation preview

O. Univ.-Prof. Mag. Dr. rer. soc. oec. Wolf   Rauch

Informationswissenschaft Begegnungen mit Wolf Rauch

Herausgegeben von

Otto Petrovic, Gerhard Reichmann und Christian Schlögl

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Die Drucklegung dieser Festschrift wurde freundlicherweise unterstützt von:

Land Steiermark

Karl-Franzens-Universität Graz Umschlagabbildung: Hubert Schmalix: „Gratuliere, lieber Wolf Rauch!“ 2011. Herzlichen Dank an den Künstler für den unentgeltlichen Abdruck. Für die administrative Begleitung des Gesamtprojektes danken die Herausgeber herzlich Frau Margarete Dirnberger.

Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Foto Seite 2 (Ausschnitt): Fotostudio Furgler, Graz Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78799-0 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von A ­ bbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf ­fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck  : Prime Rate kft., Budapest

Inhalt

Vorwort der Rektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Kurzbeiträge Erlebnisse mit Wolf Rauch – Anna Badora und Thomas Finkenstädt. . . . . . . . . . . . . . . 15 Politik als – auch – Informationswissenschaft – Martin Bartenstein. . . . . . . . . . . . . . . 17 Wolf Rauch – Persönliche Reminiszenzen – Gerhart Bruckmann . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Weitere Revolutionen sind wahrscheinlich – Werner Haas und Bernhard Pelzl . . . . . . . 22 Die Liturgie der Kirche – Feste und Feiern als informative Kommunikationsprozesse – Anregungen für einen interdisziplinären Dialog – Philipp Harnoncourt. . . 27 Wolf Rauch – Waltraud Klasnic. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Begegnungen mit Wolf Rauch – Helmut Konrad.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Miteinander reden – Informationswissenschaft, Soziologie, Wirtschaftspädagogik – Katharina Scherke und Michaela Stock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Zum Anlass: Ein DANKE für gute Gespräche und Begegnungen – Alfred Stingl. . . . 45 Wissen und Macht – Hans Sünkel und Martin Mössler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Wolf Rauch oder wie die Informationswissenschaft in Graz begann –

Thomas Weitzendorf, Herbert Stüber und Eva Bertha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

Wolf Rauch in Deutschland. – Harald Zimmermann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

5

Inhalt

2 Langbeiträge Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots – Peter Böhm und Marc Rittberger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 INFORMATION, ZEICHEN, KOMPETENZ. Ein Interview mit Rafael Capurro zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen der Informationswissenschaft von Linde Treude – Rafael Capurro.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries –

Blaženka Divjak. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur – Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann. . . . 103 Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz? Das Beispiel des elektronischen Datenaustausches (EDI) – Thomas Foscht, Maria Madlberger

und Florian Dorner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation, an Beispielen erläutert – Reinhard Haberfellner. . . . . . 131 Was ist Informationswissenschaft? … im Spiegel der Wikipedia … –

Rainer Hammwöhner. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

IT und Business: Paradigmen des Informationsmanagements im Wandel –

Josef Herget. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Open Innovation in der Bibliothekswelt – quo vadis? – Anna Maria Köck,

Birgit Fingerle und Klaus Tochtermann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

vascoda goes … – Jürgen Krause. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Hic salta – die Gerichte oder das Urheberrecht selber? – Rainer Kuhlen . . . . . . . . . . . 195 Der Einfluss sozialer Wertorientierung auf Kooperationen –

Ulrike Leopold-Wildburger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Stéphane Hessel: Interpretation einer Zeitgenossenschaft – Wolfgang Mantl . . . . . . . . 223 Das Austria-Forum und die Informationswissenschaft – Hermann Maurer und

Heimo Müller .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

6

Inhalt

Zufriedenheits- und Verbleibstudie zu den Kölner MALIS-Jahrgängen 2002–2008: Ergebnisse der Befragung – Achim Oßwald und Susanne Röltgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Marketingtechnologie und Kommunikationspolitik – Otto Petrovic . . . . . . . . . . . . . . 277 Die Herausforderungen der automatisierten Textanalyse im Wandel der Zeit –

Elisabeth Platzer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Informationen und Illusionen – akademische Selbstbeschreibungen –

Manfred Prisching. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Botschaften zwischen den Zeilen – am Beispiel der Trilingue von Philae des Cornelius Gallus und dessen Darstellung bei Vergil und Ovid –

Christine Ratkowitsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Decision Delphi – Eine Spurensuche – Ferdinand Rauch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Informationswissenschaft als Spezialisierung im Rahmen von betriebswirtschaftlichen Studiengängen an der Universität Graz – Eine empirische Studie –

Gerhard Reichmann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Eine szientometrische Analyse der Publikationen von Wolf Rauch –

Christian Schlögl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

Was ist Informationswissenschaft? – Mechtild Stock und Wolfgang G. Stock. . . . . . . . . 389 The Greek crisis: lessons for the future of Europe – Lena Tsipouri. . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Aktuelle Herausforderungen für die Informationswissenschaft durch die Globalisierung – Christa Womser-Hacker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Curriculum Vitae Wolf Rauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Die Autorinnen und Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

7

Vorwort der Rektoren Die Karl-Franzens-Universität Graz ist sein Leben! Wolf Rauch zählt zu jenen Persönlichkeiten, die nahezu ihre ganze berufliche und akademische Laufbahn mit ,ihrer‘ Universität verbunden sind. Mehr als 20 Jahre lang hat er aktiv an den Geschicken der Universität Graz, insbesondere der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, mitgewirkt. Diesen vielseitigen Leistungen gerecht zu werden und sie entsprechend zu würdigen ist eine Aufgabe, die nur schwer in dem dafür vorgesehenen Raum erfüllt werden kann. Darüber hinaus stellt es eine zusätzliche Herausforderung dar, ist doch Wolf Rauch in all seinem Handeln und in zahlreichen Funktionen äußerst präzis und überaus zielorientiert. Wolf Rauch war und ist einerseits als Professor im Bereich der Informationswissenschaft stets ein hervorragender Forscher, der es auch verstand, die Jugend durch seine humorvollen Vorträge zu begeistern. Andererseits verstand und versteht er das Wirken an der Universität in einer tatsächlich sehr universellen wissenschaftlichen wie auch gesellschaftspolitischen Form. Sowohl das Rektorat 2003  –2011 als auch das Rektorat seit dem 1. Oktober 2011 will daher die Tätigkeiten und Leistungen in Wolf Rauchs Funktionen kurz umreißen, die er höchst erfolgreich für die Karl-Franzens-Universität Graz sowie den gesamten Standort ausgeübt hat. Wolf Rauch hat in den frühen 1990er-Jahren erstmals das Amt des Dekans der Sozial- und Wirtschaftwissenschaftlichen Fakultät übernommen und konnte bereits in dieser Periode den Ausbau der Fakultät kontinuierlich vorantreiben. Es ist ihm gelungen, eine Einigung der kontroversiellen Interessenlagen zu erzielen und die universitären Anliegen erfolgreich in die Politik zu kommunizieren. Unmittelbar im Anschluss an das Amt des Dekans wurde Wolf Rauch in den Jahren 1997 bis 1999 zum Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz gewählt. In diesem Amt sowie in der darauffolgenden zweijährigen Wirkungsperiode als Pro- und Prärektor setzte er viele für die Universität wesentliche Schritte. So konnte das von langer Hand vorbereitete Projekt des RESOWI-Zentrums unter seinem Rektorat endlich als neue Wirkungsstätte für die rechtswissenschaftliche und sozial- und wirtschaftswissenschaftliche 9

Vorwort der Rektoren

Fakultät realisiert werden. Das Gebäude stellte Mitte der 1990er-Jahre einen Meilenstein dar, war es doch das damals größte Hochbauprojekt in Österreich. Wolf Rauch wirkte als Rektor über die steirischen Landesgrenzen hinaus. Als Vorsitzender der Österreichischen Rektorenkonferenz machte er sich dafür stark, sowohl bundes- als auch landespolitisch die Interessen der zweitgrößten Universität Österreichs engagiert zu vertreten. Nach Beendigung seiner Rektorenfunktion zog Wolf Rauch als Politiker in den Steiermärkischen Landtag ein und versuchte in dieser Funktion die Position der Wissenschaft und Forschung in der Steiermark zu festigen. Aus dieser Zeit resultiert auch die Vernetzung mit der Forschungsgesellschaft Joanneum, der er bis zum heutigen Tag als Aufsichtsratsvorsitzender vorsteht. Die Bereitschaft, sich neben dem Beruf eines Universitätsprofessors so intensiv in gesellschaftspolitischen Fragen für die Universität und den Standort einzusetzen, dürfte ihm buchstäblich im Blut liegen. So sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass bereits sein Großvater Karl Rauch als Rektor der Karl-Franzens-Universität Graz 1945/46 in einer schwierigen Zeit äußerst prägend für das Bild unserer Alma Mater war. Wolf Rauchs Engagement für seine Karl-Franzens-Universität hält bis in die Gegenwart an. Seit 2007 gestaltet Wolf Rauch als Dekan entscheidend Forschung und Lehre an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät mit. Er hat die historische Chance eines Generationenwechsels für eine Neuausrichtung der Fakultät ergriffen. Das vollkommen neue Konzept in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften trägt mittlerweile die ersten Früchte, die Fakultät bringt internatio­ nal anerkannte Leistungen sowohl in der Forschung als auch in der Lehre. Der erfahrene Dekan schafft es hervorragend, die neuen Professorinnen und Professoren in das soziale und akademische Gefüge zu integrieren und die Aufbruchsstimmung in alle Institute sowie an die Nachbarfakultäten zu tragen. Interdisziplinär agiert Wolf Rauch aber auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit, nicht nur in seinem Themengebiet der Informationswissenschaft. Seine gute internationale Vernetzung, etwa nach Südosteuropa oder zum Militär, gewährleistet stets eine fächerübergreifende Perspektive wissenschaftlicher Aktivitäten. Christa Neuper Alfred Gutschelhofer

10

Vorwort der Herausgeber Wolf Rauch arbeitet über General Anton von Galgótzy, dem das TIME Magazine anlässlich seines Todes im Alter von 93 Jahren im Jahr 1929 einen Beitrag mit dem Titel ‚Austria: Unser Anton‘ widmete. Er beschäftigt sich aber auch aus informa­ tionswissenschaftlicher Sicht mit der Frage, ob die Schriftkultur ihrem Ende entgegensieht und ob Information eine ‚Tochter der Zeit‘ sei. Wolf Rauch führt Untersuchungen zur Unentbehrlichkeit von Medien durch und reflektiert kritisch über Bildung im 21. Jahrhundert. Am Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere beschäftigte er sich mit Fragen des automatischen Exzerpierens und verfasste eine vielfach zitiere Studie zur Rolle von Delphi-Prognosen in Information und Dokumentation. In seinen 220 Fachpublikationen und vier Büchern zeigt Wolf Rauch auch in Zei­ten einer weiterhin zunehmenden Spezialisierung und immer geringer werdenden Anschlussfähigkeit einzelner Fachdisziplinen mit allem anderen unbeirrt eine zentrale Eigenschaft: das ‚Über-den-Tellerrand-Hinausschauen‘. Er ist, ganz im Sinne von Luhmann, anschlussfähig in der Kommunikation mit Informationswissenschaft­ lerinnen/Informationswissenschaftlern, Statistikerinnen/Statistikern, Betriebswirtinnen/Betriebswirten, Geisteswissenschaftlerinnen/Geisteswissenschaftlern, Unternehmerinnen/Unternehmern, Künstlerinnen/Künstlern, Politikerinnen/Politikern und Vertreterinnen/Vertretern aus nahezu allen anderen Bereichen von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Damit durchdringt er ein zentrales Problem der Kommunikation nicht nur theoretisch, sondern bringt es auch praktisch zur Meisterschaft. Wolf Rauch ist am 7. März 1952 in Graz geboren und besuchte von 1958 bis 1970 die Volksschule und das humanistische Gymnasium Fichtnergasse in Wien. Nach Studien an der Universität Wien und der Technischen Universität Wien promovierte er 1976 an der Universität Wien, um dort bis 1982 seine Assistententätigkeit am Institut für Statistik und Informatik auszuüben, die mit seiner Habilitation endete. Zusätzlich war Wolf Rauch in diesen Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter am International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg bei Wien und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 1977–1980 arbeitete er in Regensburg und Saarbrücken beim Aufbau von zwei Teilbereichen des 11

Vorwort der Herausgeber

ZID der deutschen Bibliotheken mit. 1982  –1984 ging Wolf Rauch gemeinsam mit seiner Frau aufgrund eines höchst anspruchsvollen Rufs zu Leitung und Aufbau der GID, einer Forschungsgesellschaft, die gerade damals neu mit über fünfzig Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern aus verschiedenen Max-Planck-Gesellschaften entstand, nach Frankfurt. 1984 wurde er zum Ordentlichen Universitätsprofessor für Betriebliche Informations- und Kommunikationssysteme an die Universität Klagenfurt berufen. Bereits 1987 erhielt er den Ruf in seine Geburtsstadt Graz, jenen an die HumboldtUniversität zu Berlin im Jahr 1994 lehnte er ab. In den Jahren 1995 bis 1997 übte Wolf Rauch das Amt des Dekans der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät aus und trug maßgeblich zum Baubeginn des Resowi-Zentrums bei. Unmittelbar danach leitete er als Rektor die Geschicke der gesamten Universität und war bis 1999 Präsident der Österreichischen Rektorenkonferenz. Seit 2007 ist Wolf Rauch abermals Dekan der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Seine Tätigkeiten gehen jedoch weit über die Arbeit an Universitäten hinaus. Die Präsidentschaft des Fachhochschulrats, seine Tätigkeit als Abgeordneter zum Steiermärkischen Landtag, der Vorsitz des Aufsichtsrats der Joanneum-ResearchForschungsgesellschaft, sein hohes kulturelles Engagement bei vielen Eröffnungsund Festreden oder die Tätigkeit als Aufsichtsrat der Kunsthaus-Graz-AG sind Beispiele für die oben zitierte Anschlussfähigkeit, sein bewusstes Einlassen auf viele Teilgebiete in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Genau diese Vielfalt des Wirkens von Wolf Rauch spiegelt sich auch in den Beiträgen der vorliegenden Festschrift wider. Sie reichen von informationswissenschaftlichen Fachbeiträgen über amüsante Betrachtungen aus der Perspektive verwandter Fächer bis hin zu sehr persönlichen Schilderungen von Begegnungen mit dem Jubilar. Die Herausgeber danken allen, die an dieser Festschrift mitgearbeitet haben, sie wünschen den Lesern viel Spaß bei der Lektüre und gratulieren vor allem Wolf Rauch zu seinem 60. Geburtstag! Otto Petrovic Gerhard Reichmann Christian Schlögl

12

Erlebnisse mit Wolf Rauch Anna Badora und Thomas Finkenstädt

Wir kamen August 2006 aus Düsseldorf nach Graz, neugierig auf die Kultur, die Stadt, die Bildung, die Politik, die Menschen. Ja, Österreich, die Steiermark, Graz sind anders. Die Menschen sind anders. Wir begegneten Menschen aus verschiedenen Bereichen, die so viel weniger das Klischee ihres Backgrounds, ihrer Position, ihres Status verkörperten, als wir es gewohnt waren. Besonders beeindruckt waren wir von einem zunächst sehr professoral und konservativ wirkenden Institutsleiter an der Karl-Franzens-Universität (KFU), nämlich Wolf Rauch, den es hier zu ehren gilt. Die Tinte unter dem Kooperationsvertrag zwischen der KFU und dem Schauspielhaus Graz war kaum trocken, als er sich meldete, um mit seinen Studierenden an unserem geplanten multinationalen Theaterprojekt ‚Blog the theatre‘ teilzunehmen, ein ziemlich verrücktes, aber letztlich sehr erfolgreiches Projekt, das Theaterinszenierungen auf Basis von privat geschriebenen Weblogs schuf, damit völliges Neuland betrat und von verschiedenen Seiten, so auch der EU und dem ORF, unterstützt wurde. Je verrückter sich das geplante Projekt darstellte, umso mehr blitzten Wolf Rauchs Augen auf und hinter dem seriösen Aussehen trat ein jungenhafter Mann hervor, der Freude an allem Unkonventionellen offenbarte, je mehr gegen den Mainstream gerichtet, desto erfreuter. Je besser wir ihn kennenlernten, umso mehr erweiterte sich dann unser Blick auf ihn: seine große Neugier für das Leben, seinen Charme, verspielten Witz und sein Faible für Architektur und Geschichte. Wir alle hatten Spaß an der Zusammenarbeit und suchten nach einem weiteren gemeinsamen Projekt. Was wir dann zusammen anpackten, war noch unkonven­ tioneller als das erste: Wolf Rauchs Studierende sollten Methoden des Guerilla-Marketings einsetzen, um kreative Werbeideen für eine der Inszenierungen am Schauspielhaus Graz zu entwerfen. Als sich eine im Rahmen dieses Seminars entwickelte studentische Idee tatsächlich in der Stadt viral entfaltete, war das Echo in der Öffentlichkeit überraschend groß. Das wies einerseits auf das Potenzial dieser Marke15

Anna Badora und Thomas Finkenstädt

tingmethode hin, erschreckte aber andererseits auch den einen oder anderen. Wolf Rauch dagegen begleitete die gesamte Aufregung mit einer augenzwinkernden Gelassenheit, die wir als eine seiner bemerkenswertesten Charaktereigenschaften kennen und lieben gelernt haben. Besonders eindrucksvoll war für uns, als wir erstmals Wolf Rauch und seine Frau in seinem jahrhundertealten Familienwohnsitz besuchten und den Geist spürten, den dieses traditionsreiche Anwesen mit seinen langen Reihen von Ahnenbildern durchweht. Vieles von Wolf Rauchs bemerkenswerter Souveränität und Gelassenheit lässt sich wohl auf dieses Verwurzeltsein in eine lange Familientradition zurückführen. Aus unserer beruflichen Zusammenarbeit entstand dann nach einiger Zeit auch eine Freundschaft mit Wolf und seiner Frau Reingard, die uns viel bedeutet.

16

Politik als – auch – Informationswissenschaft Martin Bartenstein

Täglich informieren uns die Medien mehr oder weniger sachgerecht über Politik. Darüber sind sicher schon Bibliotheken verfasst worden, an denen auch mein jubilierender Freund Wolf Rauch seinen Anteil hat. Doch wie steht es andererseits um die Information in der Politik, um die Information des Politikers? Es lohnt sich, die in der Informationswissenschaft übliche gesamthafte Betrachtung einmal aus der Perspektive des Politikers vorzunehmen. Sicher kann dabei jede Kommunikation und jede Information als Teil des Systems ‚Politik‘ angesehen werden, die dieses zumindest in gewissem Maß beeinflussen und gestalten kann. Information und Kommunikation ist – aktiv wie passiv – eine Kernaufgabe eines jeden Politikers, zumal eines jeden Parlamentariers. Die aktive Kommunikation durch Politiker steht im Mittelpunkt medialer Berichterstattung und ist zumindest potenziell jedermann geläufig. Die ebenso wichtige Rolle in der passiven Kommunikation wird zu oft unterbeleuchtet. Politikern und besonders wiederum Parlamentariern kommt nämlich eine durchaus nicht zu unterschätzende Gatekeeper-Funktion zu. Außenstehenden mag oft nicht klar sein, welche Fülle an Informationen Politiker jeden Tag erreichen. Neben Dutzenden Mails finden sich etwa in meinem Parlamentspostfach an vielen Tagen mehrere Kilogramm an Post. Parallel läuft natürlich die Medienarbeit rund um die Uhr mit, sowohl durch Auswertung der Meldungen als auch durch eigene Presseerklärungen. Hier zeigt sich ein Grunddilemma der Politik: Einerseits ist jeder Spitzenpolitiker mit einer immer größer werdenden Informationsflut konfrontiert, andererseits wird berechtigtermaßen erwartet, dass sich jeder Politiker eine Meinung bildet. Dafür muss freilich neben allen anderen Terminen Zeit bleiben. Politiker laufen daneben auch immer Gefahr, in die Verwaltung ‚hineingezogen‘ zu werden, sind doch Parlament und Ministerien jeweils mit einem unverzichtbaren bürokratischen Unterbau ausgestattet. Eine wichtige organisatorische Aufgabe ist 17

Martin Bartenstein

somit die Schaffung von Mechanismen, die Politikern den Kopf frei für die Politik lassen und sie von Verwaltungsaufgaben weitgehend entlasten. Daher ist politisches Informationsmanagement von zentraler Bedeutung. Vielleicht bräuchte so mancher in der Politik richtiggehende ‚Informationsmanager‘ vom Schlage eines Wolf Rauch. Politisches Informationsmanagement setzt jedenfalls Arbeitsteilung voraus, zwischen Politikern zum einen und dem Politiker und seinem Büro zum anderen. Politik ist also – wenn sie mit gewissem inhaltlichem Anspruch betrieben werden soll – immer ein Teamspiel. Die fachliche Ausdifferenzierung unter Politikern ist immer stärker unerlässlich. Kein Mensch kann auf allen Politikfeldern zu Hause sein, alle Probleme und Interessen kennen, die damit verbunden sind. Das zeigt, dass Politik letztlich nicht ohne Zusammenschlüsse von Politikern betrieben werden kann, seien es politische Parteien oder parlamentarische Klubs. Selbst wenn man in einem Gedankenexperiment die Parteien abschaffte und nur einzelne Personen zur Wahl aufstellte, würden diese als Einzelpersonen gewählten Abgeordnete dann doch wieder Gleichgesinnte aus den Reihen der Abgeordneten suchen, um durch Zusammenarbeit Synergien zu schaffen. Parlamentarische Klubs scheinen jedenfalls dem Parlamentarismus wesensimmanent zu sein. In der öffentlichen Diskussion wird Klub sehr oft sofort mit ‚Klubzwang‘ gleichgesetzt. Positiv gewendet kann man von ‚Klubvertrauen‘ sprechen, nämlich vom Vertrauen aller Klubmitglieder auf die Expertise derjenigen, die sich mit einer Materie eingehend befasst haben und dem Klub das Ergebnis zur Diskussion vorlegen. Schon mangels der unmöglichen eigenen Expertise in allen Politikfeldern wird der Abgeordnete den Informationen seiner Klubkollegen folgen. Unerlässlich ist auch ein politisches Büro, das den einzelnen Politiker selbst bei seiner Arbeit unterstützt. Auch hier sind ‚politische Köpfe‘ gefragt, die insbesondere Verwaltungsagenden von politischen Agenden trennen können und damit auch der Politik Zeit fürs Denken schaffen und die Konzentration auf das politisch Wesentliche ermöglichen. Nun möchte ich auf einige Entwicklungen in der politischen Information eingehen, die vor einigen Jahren erst richtig sichtbar wurden und noch lange nicht abgeschlossen sein dürften. Die Beschleunigung hat überall zugenommen, in der Politik genauso. Der Druck, etwas zu produzieren, eine Stellungnahme abzugeben, wird vom zeitlichen Aspekt her gesehen größer. Die Erreichbarkeit ist räumlich und zeitlich nahezu un18

Politik als – auch – Informationswissenschaft

beschränkt und unbeschränkbar. Man liest, dass im vergangenen Sommer so mancher Politiker gerade deshalb seinen Urlaub auf der Alm verbracht hat, weil dort (noch) kein uneingeschränkter Mobilfunkempfang möglich ist. Mit diesem Befund ist keine Wertung verbunden. Die Beschleunigung der Politik folgt einer allgemeinen Beschleunigung unserer Zeit. Josef Pröll hat – bereits nach seinem Ausscheiden aus der Politik – in einem viel beachteten Interview eine stärkere Entschleunigung der Politik vorauszusehen gemeint. Es wird sich zeigen, ob sich seine Prophezeiung erfüllt. Fest steht aber, dass ohne entsprechende organisatorische Vorkehrungen mehr Tempo automatisch zu weniger Qualität führt. Viele Aussagen in der Politik haben sonst oft nichts mehr mit echten und reflektierten Positionen gemeinsam, sind lediglich immer und immer wiederholte Platitüden, die vielleicht noch in einem kurzen Fernsehwerbespot ihre Daseinsberechtigung hätten. Wie wohl auch in anderen Lebensbereichen ist ein gewisser Verfall der Schriftkultur – und auch damit hat sich unser Jubilar befasst – nicht nur von Pessimisten zu konstatieren. Dies steht sicher auch im Zusammenhang mit einem allgemeinen ‚speeding up‘, ist aber nicht nur dadurch zu erklären. Das Bewusstsein für Sprache nimmt generell leider ab, ebenso die Einsicht in die Notwendigkeit für beide Beteiligten an einem Informationsprozess, Informationen so zu vermitteln, dass sie in ihrem wesentlichen Gehalt auch ankommen – kurz: die Sache auf den Punkt zu bringen. Allzu leicht klickt man auf ‚Senden‘, so mancher hat vorher nicht überlegt, ob er das, was er sagen will, auch in die richtigen Worte gefasst hat. Viele der mich jeden Tag massenhaft erreichenden Mails sind oft nur eine kurze Folge von kleingeschriebenen Worten abseits der hergebrachten Regeln der Grammatik und Syntax. Andererseits kommt es vor, dass – durch die Möglichkeiten von E-Mail und Internet sicher massiv erleichtert – so mancher eine große Menge von Informationen in nicht immer einfach zu durchschauender Fülle und zumindest auf den ersten Blick ohne Zusammenhang übermittelt. In beiden Fällen hat die ‚elektronische Post‘ ihre Funktion ganz oder teilweise verloren. Denn auf jeden Fall muss zur vollständigen Information durch Mail oder per Telefon nochmals beim Absender nachgefragt werden. Die Politik ist selbst nicht von diesen Entwicklungen verschont geblieben. Leider­ muss in letzter Zeit auch in immer mehr Pressetexten aus dem politischen Umfeld ein Grammatikfehler, zumeist ist es ein Beistrichfehler, festgestellt werden. 19

Martin Bartenstein

Die Aufgaben des politischen Informationsmanagements sind mitunter ein Kunststück, zumal in unserer immer schneller werdenden Zeit. Das gilt besonders, wenn man das immer stärker auch in der Öffentlichkeit diskutierte Problem der mangelnden parlamentarischen Ressourcen betrachtet. Wer die Ressourcen, die österreichischen Abgeordneten für ihr Büro zustehen, mit denen eines Mitglieds des Deutschen Bundestags oder des Europäischen Parlaments oder gar denen eines Ministers vergleicht, erkennt sehr schnell ein Missverhältnis. Wer qualitätsvolle Politik will, muss auch einsehen, dass dies nicht umsonst zu haben ist. Information wie Informationsmanagement sind also Grundvoraussetzungen für die Tätigkeit eines Politikers. Mögen meine Gedanken auch Anstöße für die Informationswissenschaft sein, sich dieses Themas verstärkt anzunehmen.

20

Wolf Rauch – Persönliche Reminiszenzen Gerhart Bruckmann

Wolf Rauch verdiente sich seine wissenschaftlichen Sporen als Assistent am Institut für Statistik der Universität Wien. Man sah ihn nie anders als freundlich lächelnd. Er war ein Meister der konstruktiven Intrige: So oft Spannung in der Luft lag, eine Situation verfahren schien – mit einem Scherzwort hatte Wolf die Lösung parat. In einem Alter, in dem andere gerade erst anfangen, wurde er zum Leiter einer Forschungsstelle mit einem halben Dutzend wissenschaftlicher Mitarbeiter, die teilweise weit älter waren als er, nach Frankfurt berufen. Als ich ihn dort besuchte, zeigte er mir das Institut: blitzblanke, helle, zweckmäßigst eingerichtete, sterile Räume, alle Mitarbeiter von distanzierter, korrekter Höflichkeit. Beim Abschiednehmen blickte er mir gerade ins Gesicht und sagte: „Jetzt weißt du, dass ich ein Sozialfall bin!“ Nur kurze Zeit danach war er wieder in Österreich, zuerst als Ordinarius in Klagenfurt, dann in seiner geliebten Heimatstadt Graz und bezog das traumhafte Domizil seines (schon lange verewigten) Großvaters, der einer der berühmtesten Rektoren der Grazer Universität gewesen war und den ich als junger Student gut gekannt und hoch verehrt hatte. Wolf war kein Sozialfall mehr.

21

Weitere Revolutionen sind wahrscheinlich Werner Haas und Bernhard Pelzl

Eine wichtige Station auf dem Lebens- und Karriereweg von Wolf Rauch war am 1. Januar 1989 die Gründung des Instituts für Informationssysteme in der Forschungsgesellschaft Joanneum, heute Joanneum Research, in Graz. Seit 2010 heißt das Institut DIGITAL, hat 140 Mitarbeiter und steht vergleichbaren Instituten weltbekannter Forschungseinrichtungen wie der Fraunhofer Gesellschaft zu Förderung der angewandten Forschung in Deutschland oder des MIT (Massachusetts Institute of Technology) in den USA in nichts nach. Mitarbeiter der ersten Stunde war Werner Haas. Heute führt er das Institut DIGITAL als Direktor. Wolf Rauch ist seit 2005 Aufsichtsratsvorsitzender des Forschungsunternehmens. Bernhard Pelzl, der die Joanneum Research Forschungsgesellschaft von Juli 1997 bis September 2011 als Geschäftsführer leitete, hat mit Werner Haas das folgende Gespräch geführt. 1989 waren die modernen Kommunikationstechnologien in den Anfängen. Ich kann mich erinnern, da hat es noch keinen leistungsstarken PC gegeben – und da wurde bereits ein Institut für Informationssysteme gegründet, bevor überhaupt noch die Technologien ausreichend vorhanden waren? Technologien sind immer ausreichend vorhanden. Die damaligen haben sich klarerweise wesentlich von den heutigen unterschieden. Ein Ziel des Instituts zur Zeit seiner Gründung war, viele verschiedene Strömungen organisatorischer wie inhaltlicher Art zu kombinieren, zu vereinigen und auf diese Weise diejenigen zu identifizieren, aus denen etwas Neues entwickelt werden kann – eine Tätigkeit, die Wolf Rauch immer besonders gelegen ist. Aus Technologiesicht war es die Zeit des Übergangs von Großrechnern zu sogenannten Minicomputern, wobei sich dies an den Hochschulen natürlich zuerst ausgewirkt hat, die auf diesem Gebiet immer Vorreiter waren. Nachdem Joanneum Research die Hochschulen auch mit Rechenleistung versorgt hat, war das natürlich 22

Weitere Revolutionen sind wahrscheinlich

auch eine Mitaufgabe für das Institut, dies zu planen und voranzutreiben. Man ist umgestiegen vom Großrechner UNIVAC in Richtung ‚Digital Equipment‘, eine Firma, die damals sehr gute sogenannte 16-Bit- und 32-Bit-Rechner geliefert hat. Der 16-Bit-Rechner hatte einen Hauptspeicher von 32 bis 64 Kilobyte. Am 32-BitMinicomputer waren wir stolz, wenn wir ein paar Megabyte Adressraum hatten und damit größere Programme schreiben konnten, die man nicht irgendwie künstlich zerhacken musste. Das war ein großer Umbruch und gleichzeitig haben sich schon die PCs angekündigt. Eine der Aufgaben des Instituts war es zudem, intern den Umstieg von der Schreibmaschine zum PC zu unterstützen. Das bedeutete, Daten und Papier nicht mehr hin und her zu tragen, sondern ein Netzwerk einzurichten. Dies gelang damals in Joanneum Research teilweise sogar schneller als auf den Universitäten in Graz. Am Anfang standen also ganz offensichtlich technische Fragen im Vordergrund. Wann kamen die anderen Aspekte dazu, zum Beispiel Content-Fragen? Dazu ist es sehr schnell gekommen und zwar einfach dadurch, dass die Kapazitäten größer wurden. Es waren zwei Aspekte: Mit dem PC konnte man endlich auch lokal rechnen, was früher nur am Großrechner möglich war. Das Zweite war, dass die Behandlung von Text um Größenordnungen leichter und bequemer wurde, auch wenn das noch nicht vergleichbar war mit dem Komfort, den man heute hat. Der zentrale Punkt, der den Durchbruch in der Informatik brachte, war aber die Forschung, die Wege wies, wie man Texte nun auch mithilfe des Computers analysieren konnte, dass man schauen konnte, was die Semantik dahinter ist, und dass Verfahren entwickelt werden konnten, Textpassagen oder ganze Artikel einem Thema zuzuordnen. Und die technischen Möglichkeiten sind schnell weiter gestiegen: Nach den Texten trat ‚Multimedia‘ in den Fokus des Instituts, audiovisuelle Medien, die um 100.000-fach höhere Speicherkapazitäten und auch höhere Rechenkapazitäten als Texte erfordern, wenn man sie automatisch analysieren will. Dieses Forschungsthema wurde am Institut entwickelt, und Wolf Rauch hat es sehr gefördert, dass wir uns mit diesen Themen beschäftigten, also dass wir vom Text weg in Richtung audiovisuelle Informationen wie Bilder, Videos und Audios weiterkamen. Der Punkt, der dann noch dazukam, war die Entwicklung des Internets, durch das die Informationsflut so riesig werden konnte, wie sie es heute ist. Dieses explo­ 23

Werner Haas und Bernhard Pelzl

sionsartige Wachstum hat uns alle beeinflusst, zum Beispiel was das Recherchieren be­trifft: Wenn jemand etwas sucht, dann geht er zuerst einmal in eine Suchmaschine. Nach den Aussagen von William D. Hutton vom Oxford Internet Institute in seinem Vortrag „Die Zukunft des Internet“ 2011 in Alpbach scheint sich aber eine Trendwende abzuzeichnen: Eine immer größer werdende Zahl von Menschen kontaktiert noch vor der Suchmaschine ihr jeweiliges soziales Netzwerk. Weil in das haben sie mehr Vertrauen, da können sie Leute fragen, die sie kennen. Bei vielen spezifischen Themen, die die Menschen selber betreffen, fragen sie schon eher ihre Freunde und Bekannten oder die Experten, die sie in ihrer sozialen Gruppe haben, und wenn doch eine Suchmaschine verwendet wird, dann eine spezielle, die man schon, vielleicht vom Beruf her, kennt. Aber ist die Suchmaschine nicht nur eine technische Umsetzung eines sozialen Netzwerks? Die Leute, zu denen man Vertrauen hat, wird man ja auch per E-Mail fragen. Das ist nicht unbedingt so. Auch die E-Mail-Nutzung geht zurück. Der neue Trend ist, dass man in Firmen Systeme einsetzt, die die Funktionalität von sozialen Netzen, von E-Mail und sogar von typischen Webbrowsern in einem integrieren. Das heißt, man kann mit der gleichen Oberfläche bloggen, mailen, recherchieren, kann seine Freunde/Kollegen/Arbeitskollegen irgendetwas fragen, und auch die Wissensbasis, die man typischerweise in professionellen Bereichen im Unternehmen braucht, ist über dieses Interface zugängig. E-Mail alleine wird also weniger verwendet werden, die Suchmaschine als allgemeine Suchmaschine wird weniger verwendet werden, weil die Dinge in anderen Plattformen integriert sind. Das ist der Effekt, den anscheinend die sozialen Netzwerke jetzt schon haben und der sich auch schon statistisch nachweisen lässt. Das heißt also, die neuen technischen Kommunikationsmittel organisieren letztendlich die Kommunikation unter den Menschen vollständig neu? Ja, und ich glaube, das Kommunikationsverhalten organisiert sich insofern zusätzlich neu, als es fragmentierter wird. Aber seit dem Aufkommen der inzwischen schon wieder alten ‚Neuen Medien‘ nimmt man an, dass die Summe des Geldes und der Zeit, die man für Kommunikation, Lesen, Schreiben und so weiter aufwendet, konstant ist. 24

Weitere Revolutionen sind wahrscheinlich

Wenn sich jemand also mithilfe elektronischer Kommunikationsmittel mit anderen stark austauscht, dann müsste z.B. die Lektüre von Printmedien zurückgehen? Ich glaube, das hängt vom persönlichen Profil ab. Jedenfalls zeigen die Statistiken, dass Radio- sowie Fernsehkonsum zurückgegangen sind und nicht so stark der Pressekonsum. Alles das sind Phänomene, die das Nachdenken und Forschen von Wolf Rauch stark beeinflussen; weil das Thema der Informationswissenschaften, wie man zu Information kommt, so stark über die Zeit hin von großen Veränderungen geprägt wurde und noch immer wird. Vor allem von technischen Veränderungen […] […] und von sozialen Veränderungen. Die sozialen Netzwerke, Web 2.0 und vorher schon E-Mail oder Skype (Videotelefonieren) haben Lebensgewohnheiten technisch und sozial verändert. Welche sind die großen Forschungsfelder angesichts dieses Szenarios, das du geschildert hast? Wo ist heute besonderer Forschungsbedarf oder wo meinen die Forscher, in einer besonderen Weise Reflexion anbieten zu müssen? Es gibt zwei zentrale Themen, die letzten Endes nicht technologisch definiert sind. Das eine ist: Wie geht man mit der Privatsphäre um? Das andere: Wie geht man mit dem Thema Sicherheit um ?, und das geht bis hin ins Politische: Welche Information darf oder muss veröffentlicht werden und öffentlich zugänglich sein, auch wenn sie vielleicht dazu führt, dass Unruhen ausbrechen oder dass Menschen zumindest verunsichert werden? Das hat mit Technologie wenig zu tun. Stichwort Sicherheit: Wie schätzt du, Werner, die Gefahren ein? Manche Gruppen fordern Gesetze über Gesetze. Ich bin unverbesserlicher Optimist. Ich habe mir auch einen gewissen Technologieglauben bewahrt, bei all meiner Skepsis, wenn ich immer wieder beobachte, was mit den verfügbaren Technologien auch alles missbräuchlich getan werden kann. Am meisten skeptisch bin ich aber der Einschränkung von Freiheiten gegenüber: William D. Hutton vom Oxford Internet Institute hat in Alpbach auch Statisti25

Werner Haas und Bernhard Pelzl

ken gezeigt, wie viele Leute gerne hätten, dass der Internetzugang beschränkt wird. Das waren bei den über 60-Jährigen 50 – 60 %. Gleichzeitig wurde dort auch das Ergebnis einer Umfrage „Wie viele Leute vertrauen ihren Politikern?“ präsentiert: ungefähr 20%. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, warum Leute, denen nur 20% der Bevölkerung vertrauen, Freiheiten im Internet einschränken dürfen sollen. Da stößt mir gleich die Frage auf: Wie mündig ist der Bürger? Man könnte auch fragen: Wie intelligent sind die Benutzer? Es ist absehbar, dass in Zukunft nicht nur Kommunikation zwischen Menschen mit Informations- und Kommunikationstechnologie stattfindet, sondern auch Kommunikation zwischen Menschen und Geräten oder überhaupt nur zwischen Geräten wie im ‚Future Internet‘ mit Milliarden von Sensoren, die Information liefern, und vielleicht auch mit Milliarden von Aktuatoren, die nicht nur Daten liefern, sondern die auch irgendwelche Aktionen auslösen. Das einfache Beispiel dafür ist: Ich kann die Heizung in meinem Haus über das Internet einschalten. Dazu brauche ich Sensoren, und dazu muss ich dort was auslösen können. Das könnten auch völlig unerwünschte Dinge sein, die letzten Endes in Roboter oder vielleicht sogar in Lebewesen oder gar in Menschen eingepflanzt werden. Wie man mit diesen Dingen umgeht, das zu begreifen und zu regeln, wird eine wesentliche Aufgabe der Zukunft sein. Weitere Revolutionen sind wahrscheinlich, und es ist nicht absehbar, was durch Biocomputer, Nanocomputer, Quantencomputer oder anderes ausgelöst wird. Der wesentliche Punkt für den Informationswissenschafter wird sicher der bleiben: Wie geht man damit um, wie kann man aus der enormen Flut noch das herausfiltern, was relevant und was auch ethisch vertretbar ist? In meiner Vorstellung hat sich jetzt beim Zuhören ein Bild generiert in Analogie zu dem, was wir über unser individuelles Hirn zu wissen glauben: ein großes virtuelles MetaHirn der Menschheit, das Sensordaten verarbeitet, soziale Netzwerke befragt, Wissen speichert und Maßnahmen setzt, Menschen, Mächte und Maschinen zu steuern. Das ist eine großartige und gleichzeitig monströse Vorstellung. Ich würde ein solches System daran messen, ob es Dinge vergessen kann. Das ist eine der vorzüglichen Fähigkeiten des Hirns, dass es manchmal etwas vergisst. 26

Die Liturgie der Kirche Feste und Feiern als informative Kommunikationsprozesse Anregungen für einen interdisziplinären Dialog Philipp Harnoncourt

Jahrhunderte hindurch und in den Reformations-Kirchen teilweise bis heute – wird „Liturgie“, das ist der offizielle Gottesdienst der christlichen Kirche(n) – als pures zeremonielles Ritual betrachtet und dementsprechend auch gering geschätzt und dürftig praktiziert. In der katholischen Kirche wird spätestens seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962–1965) Liturgie als Feier der versammelten Gemeinde betrachtet.1 Weil jede „Feier“ und jedes „Fest“ ein gemeinschaftlich geprägtes Ereignis ist, kann, ja muss es auch unter kommunikationswissenschaftlichem Aspekt untersucht und dargestellt werden. Diese Sicht ermöglicht es auch, sich kritisch mit der Feier-Praxis auseinanderzusetzen, denn das Misslingen von Feiern hat fast immer in der Miss­ achtung von einfachsten Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation seine Ursache. Zu diesem Thema habe ich schon vor längerer Zeit einiges publiziert,2 das zwar in Kollegenkreisen wenig beachtet wurde, aber bis heute gültig und aktuell geblieben ist. Es ist offenkundig, dass die Väter des II. Vatikanischen Konzils – sei es mit oder ohne spezielle Absicht – die Liturgie der Kirche, nicht nur, aber auch als Kommunikationsprozess verstanden haben, denn die actuosa et scientia participatio fidelium 3 an allen liturgischen Feiern war ein ausdrücklich unterstrichenes Prinzip der Litur­giereform. Die Riten sollten ohne viele Erklärungen verstanden und vollzogen werden können. Unter den Handlungen von Menschen gibt es solche mit individuellem und eher privatem Charakter und andere, die gemeinschaftlich und in gewissem Sinn auch öffentlich geprägt sind. Zu letzteren gehören alle Akte liturgischen Feierns. „Feiern“ in Gemeinschaft sind vor allem durch zwei Merkmale bestimmt: 27

Philipp Harnoncourt

a) Feiern (feriare) heißt zunächst nicht arbeiten – das kommt in der Redensart zum Ausdruck: der/die feiert schon wieder, wenn jemand seiner Arbeit fernbleibt –, Feiern ist keine zu erbringende Leistung, hat also keinen unmittelbaren Nutzen oder Zweck, hat aber immer einen Sinn und sollte auch als sinnstiftend erlebt werden. b) Feiern (celebrare) heißt weiters auch etwas feiern, ist also ein durch einen Anlass ausgelöstes Tun – auch das kommt in der spontan geäußerten Redensart zum Ausdruck: Das muss gefeiert werden! Ein Anlass gilt als feiernswert, wenn er als „Zustimmung zum Leben“4 wahrgenommen wird. Bestimmte Ereignisse lösen Heilserfahrungen aus, die zum Innehalten nötigen: Das muss festgehalten werden! – Verweile Augenblick, du bist so schön! lässt Johann Wolfgang v. Goethe seinen Faust ausrufen. Feiern heißt dann bedenken und bedanken (das schließt aber beklagen keineswegs aus). Die meisten der spontan auf- (ja geradezu aus-)brechenden Feiern bleiben einmalig. Was uns Menschen jedoch wirklich und immerwährend leben lässt, kann, ja muss in regelmäßig wiederholten Feiern immer und immer wieder bedacht und bedankt werden in Wochenfesten, Monatsfesten, Jahresfesten, Jubiläen usw. Für Juden und Christen sind Schöpfung und Rettung so grundlegend Leben stiftend und Leben bewahrend, dass dies sogar täglich gefeiert werden muss, um sich dessen zu vergewissern: Der Aufgang der Sonne wird im Morgengebet durch Wort und Gesang zum Heilszeichen konsekriert. Im Untergang der Sonne – eine unheildrohende Erfahrung! – wird nicht der Untergang, sondern aus ebendiesem Anlass „die Sonne, die nicht untergeht“, gefeiert.5 Christen gehen dadurch über ihre jüdischen Bundesgenossen hinaus, dass sie in Jesus von Nazareth, dem Christus/Messias, und insbesondere in seiner Auferstehung von den Toten die Schöpfung und Rettung als vollendet erkennen. Darum findet die Feier des jüdischen Sabbats in der Feier des christlichen Sonntags und das jüdische Pesach im christlichen Ostern Erfüllung und Vollendung. Wer auch immer sich mit Fest und Feier befasst, sollte davon ausgehen, dass diese allgemein menschliche Verhaltensweisen sind und nicht erst im religiösen Zusammenhang ihren Sinn bekommen. Religiöse Feiern setzen human-soziale Feiern voraus, knüpfen daran an und vertiefen bzw. erhöhen sie durch Transzendenz. Die humane Feierkultur ist gewissermaßen Anknüpfungspunkt und „Sitz im Leben“ für jegliche religiöse Feiern. 28

Die Liturgie der Kirche

Primäre bzw. Fundamental-Anlässe alles christlichen Feierns sind die Schöpfung und die Erlösung aus Schuld und Tod. Weitere sekundäre Anlässe können kalendarisch oder auch biografisch6 bestimmt sein. Die Teilnehmer an Feiern werden auf verschiedene Weise über das und auch durch das, was gefeiert wird, informiert: Festreden, Lesungen, Festgesänge, Festbilder, szenische Darstellungen usw. sollen das leisten. Diese Information kann von einem Sender ausgehen, um Empfänger zu erreichen, sie kann aber – vor allem wenn ohnedies alle wissen, wer oder was gefeiert wird – auch unter den Feiernden gegenseitig erfolgen. Das geschieht, etwa in kalendarisch geordneten Festen, deren Inhalt allen bekannt ist, in Festliedern.7 Für alle Arten religiösen Feierns kommt allerdings etwas hinzu, was das Kommunikationsgeschehen komplizierter macht: Es gibt miteinander Kommunizierende auf zwei verschiedenen Ebenen: Einerseits und unmittelbar (vordergründig) wahrnehmbar kommunizieren die Feiernden miteinander, aber unterschiedlich in den einzelnen Akten der Feiern, und andererseits und nur im Glauben (hintergründig) wahrnehmbar erfolgt eine Kommunikation zwischen Gott und den Feiernden; besser gesagt: Es sollte die Gegenwart Gottes tatsächlich erfahrbar werden und bewusst eine gegenseitige Kommunikation mit ihm erfolgen: Schaffende oder rettende Zuwendung Gottes zu den Feiernden (Offenbarung) und Selbsthingabe der Feiernden an Gott durch Gebet und Opfer, Dank/Lobpreis, Klage und Bitte. Wie kann und muss feiernde Kommunikation so erfolgen, dass sie, vom Vordergründigen ausgehend, Hintergründiges erschließt? Es gibt in vielen Religionen magische Rituale, die durch das Einhalten strenger Regeln zu erreichen suchen, was sie erreichen wollen. Sehr häufig sind solche Rituale auch durch Reservierung an bestimmte Kultpersonen gekennzeichnet: Priester und Schamanen haben Macht, vielleicht sogar Vollmacht, die Gaben Gottes – Segen, Heil und Leben – zu vermitteln. Die vergleichende Religionswissenschaft hat hier in Forschung und Lehre vieles zu sagen. Gemäß jüdisch-christlichem Verständnis sind es aber nicht Priester oder Schamanen, die als Heilsvermittler auftreten, sondern Gott selbst offenbart sich als Schöpfer und Retter. Er ist als Handelnder in der Schöpfung und in der Geschichte erkennbar. Für die Christen ist die Kommunikation zwischen Gott und den Menschen ein für alle Mal in der Inkarnation Gottes erfolgt: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (Joh 1,14), und d.h. für christliches Feiern: Das Wort wird – in jeder memorierenden Feier – Fleisch, um unter und in uns zu wohnen. 29

Philipp Harnoncourt

Reden Gottes durch die Propheten und schließlich durch Jesus Christus ist informatives Kommunizieren Gottes mit den Menschen und als solches auch auf Rückkoppelung – Antwort in Gebet und Opfer – hinzielend. Christen sprechen in ihrem Glaubensbekenntnis: (Credo in Filium Dei), qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis, et incarnatus est.8 Weil Gott, der ganz Andere, unseren Sinnen nicht zugänglich, also inkommunikabel ist, lässt er sich darauf ein, sich kommunikabel zu machen und dennoch der ganz Andere zu bleiben. In der Menschwerdung Gottes wird Jesus von Nazareth zum Mysterium fidei (Geheimnis des Glaubens). Er will, das Gott in ihm erkannt wird, deshalb fragt er seine Jünger: Für wen halten die Leute den Menschensohn? […] Und ihr, für wen haltet ihr mich? (Mt 16,13 –16). Kommunikationstheoretisch gesprochen ist die Inkarnation Gottes (s)eine Selbst-Mitteilung als Encodierung in ein wahrnehmbares Signal zu sehen, das von Menschen als Rezipienten wieder decodiert werden soll. Was an diesem Signal mit menschlichen Sinnen wahrnehmbar ist, ist aber nur der Mensch Jesus und sein menschliches Handeln. Dass in ihm Gott selbst gegenwärtig ist und handelt, ist nur im Glauben erfahrbar und zu bekennen möglich. Alltägliche Zeichen bedürfen einer gewissen Stilisierung (Verfremdung), um auf nicht Alltägliches hinzuweisen. Das gilt schon im diesseitigen Bereich. Ein Festmahl unterscheidet sich von der alltäglichen Nahrungsaufnahme, ein Festkleid ist kein Arbeitskleid, das Lied vom Heidenröslein ist keine bloße Warnung für jemanden, der Blumen pflückt. Weisen der Stilisierung, die die Bedeutung von Zeichen vertiefen sollen, sind vor allem Reduzierung und Intensivierung. Sowohl die Reduzierung des Lichts auf eine Kerze wie auch die Intensivierung zur Festbeleuchtung sind Deutungshilfen für etwas Besonderes. Eine einzige Blume kann mehr sagen als der teuerste Blumenstrauß. Im Menschen Jesus von Nazareth finden wir Reduzierung auf Armut und Niedrigkeit9 – bei ihm ist wirklich nichts zu holen – sowie auch höchste Intensivierung in spektakulären Heilszeichen (Krankenheilungen, Totenerweckungen, Brotvermehrung, vollmächtige Rede). Die Intensivierung ist nötig, um die Präsenz des vollendeten Heils zu signalisieren, verlockt aber andererseits auch zu unverbindlichem Mitläufertum. Die Reduzierung stellt hingegen den Glauben auf die äußerste Probe. Wichtig ist und bleibt es allerdings, dass weder Reduzierung noch Intensivierung das Zeichen (Signal der Kommunikation) als solches sowie seine Bedeutung und Deutbarkeit zerstören. 30

Die Liturgie der Kirche

In allen Gottesdiensten als Feiern des Glaubens – auch als informative Kommunikation des Glaubens! – sind Intensivierung und Reduzierung unerlässlich: Taufe als volles Untertauchen oder als Übergießen mit ein paar Tropfen Wasser; Salbung des ganzen Körpers oder nur von Stirn und Händen; Eucharistischer Wein, Festtrank im vergoldeten Kelch, wovon aber nur einige Tropfen getrunken werden; Brotvermehrung bis „alle wurden gesättigt“ und kleine Hostien – kaum noch als Brot zu erkennen – für die hl. Kommunion; prächtige Kirchenbauten, großartige Musik und armselige Hütten, in denen ein schwaches Alleluja mehr gewimmert als gejubelt wird; große Festreden und tiefes Schweigen.10 So wichtig der rechte Zeichengebrauch ist, um eine Feier als Feier des Glaubens erlebbar zu machen, so wirksam ist auch die Authentizität der Feiernden in allen ihren Äußerungen. Pathos ist ebenso wenig als Glaubenszeugnis ansteckend wie routiniertes Herunterhaspeln von Lesungen und Gebeten. In einer Feier, die als Kommunikation informativen Glaubens gelingen soll, reichen gut formulierte Texte keineswegs aus, um das zu vermitteln, was – im ganz wörtlichen Sinn – in-formieren (d.h. prägen!) soll. Dem Prediger ist anzuhören, ob er selbst versteht, wovon er spricht, und ob er selbst davon überzeugt ist, was er sagt, und ob er die Menschen liebt, zu denen er spricht. Dem Spender der Kommunion ist anzumerken, ob er das Kostbarste reicht, was es gibt – Gott schenkt sich selbst –, oder ob er die Wartenden rasch abfüttern will. Jenen, die Gebete sprechen, ist anzuhören, ob sie sich selbst darstellen wollen oder ob sie tatsächlich vor dem Allheiligen stehen und zu ihm reden – nur für sich selbst oder wirklich für alle. Gerade am Gebet lässt sich das Ineinander-verflochten-Sein von doppelter Kommunikation leicht aufzeigen: Im vordergründig hörbaren Geschehen ist der das Gebet Sprechende der Sender und die Mitfeiernden als ihm Zuhörende sind die Empfänger. Aber aus der Form und dem Wortlaut des Gebets geht hervor, dass eigentlich Gott der Adressat und Empfänger einer appellativen Botschaft ist; und die Information der Empfänger sollte darin bestehen, dass sie hörend (also empfangend!) zu Mitbetern, also zu Sendern werden, die sich an Gott wenden. Im jedes Gebet abschließenden Amen sollte das seinen überzeugenden Ausdruck finden. Amen dicere subscribere est ! , stellt Augustinus fest. Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Amen wie eine Antwort auf ein erwartetes Stichwort klingt. In Lesungen aus der Heiligen Schrift – als Wort des lebendigen Gottes unterstrichen – verläuft die verflochtene doppelte Kommunikation genau umgekehrt. Die Lesenden sind nur vordergründig für die Hörenden Sender, aber wie alle Christen 31

Philipp Harnoncourt

stehen auch sie dem Wort Gottes immer als hörend Empfangende gegenüber. Ihr Appell an die Zuhörenden sollte darin bestehen, dass diese wahrnehmen, wie die Lesenden selbst dem Wort Gottes begegnen, ehrfürchtig, neugierig, verstehend, betroffen […]. Wie soll die Botschaft einer Lesung bei den Hörenden ankommen, wenn diese wahrnehmen, dass Lesende selbst nicht verstehen, was sie lesen, oder dass sie lediglich ihre Sprechkunst bzw. ihr Sprachdefizit kundtun. Und es ist – wenn auch meistens unbewusst – zu hören, ob Lektoren einen Dienst am Glauben der Hörenden vollziehen.11 Die heute verbreitet festzustellende Wiederzuwendung zur alten lateinischen Liturgie, der tridentinischen Messe (von 1570), stellt dem Kommunikationsprozess heutiger katholischer Gottesdienste leider kein gutes Zeugnis aus. Aber die Rückkehr zur „alten“ Liturgie ist geradezu eine Verweigerung jeglicher Kommunikation der Zelebranten mit den Mitfeiernden, die aufgrund ihrer Taufe und Firmung zur Mitfeier befähigt, berechtigt und berufen sind. Anmerkungen: 1 Konzils-Konstitution über die heilige Liturgie, Sacrosanctum Concilium, vom 4.12.1964. 2 Harnoncourt, P.: Gottesdienst als kommunikatives Geschehen, in: Liturgisches Jahrbuch 25, 1975, S. 28 –  46; – ders.: Der Gebrauch von Zeichen und Symbolen in der Liturgie, in: Theologisch-praktische Quartalschrift, 133, 1985, S. 114 –124; – ders.: Vom Sehen zum Einsehen – vom Greifen zum Begreifen. Österliche Symbole, in: Heiliger Dienst, 48, 1992, S. 39–58. 3 Übersetzt: die tätige und bewusste Teilnahme der Gläubigen. 4 Joseph Pieper, christlicher Philosoph in Münster (1904 –1997) hat sich intensiv mit Fest und Feier beschäftigt. 5 Auch das regelmäßige Tischgebet ist feierndes Bedenken und Bedanken dessen, der uns leben lässt. 6 Biografische Begründung gibt es sowohl im Leben Jesu – Stationen seines Lebens werden gefeiert – wie auch im Leben der Feiernden – Geburt, Reife, Hochzeit, Genesung usw. 7 Es trifft wahrscheinlich zu, dass die Weihnachtsbotschaft stärker durch Weihnachtslieder und Weihnachtsbilder weitergetragen wird als durch das Hören der Lesungen und Gebete in der Weihnachtszeit. 8 Übersetzt: (Ich glaube an den Sohn Gottes), der wegen uns Menschen und wegen unseres Heiles vom Himmel herabgestiegen und ein Mensch geworden ist. 9 Die theologische Ausdrucksweise dafür ist Kenosis – Selbst-Erniedrigung (vgl. dazu Phil 2,5 –8). 10 Deus, tibi silentium laus (Gott, dir ist Schweigen Lobpreis) schrieb Bernhard v. Clairvaux. 11 Wegen dieser hohen Ansprüche ist es im höchsten Grad verantwortungslos, die Lektoren erst unmittelbar vor einer Feier zu suchen und ihnen das Lektionar in die Hand zu drücken! Verantwortungslos gegenüber dem Lektor, den Mitfeiernden und der Botschaft! 32

Wolf Rauch Waltraud Klasnic

Schon bei der ersten Begegnung erlebte ich Wolf Rauch als guten und interessanten Gesprächspartner, als einen besonderen Menschen, der sehr gebildet und in der Lage ist, sein Wissen und seine Kenntnisse breit und verständlich zu vermitteln. Eine Gabe, die nicht allen hoch qualifizierten Menschen geschenkt ist. Er ist ein Informationswissenschaftler, der sozial gut zu kommunizieren vermag, damit auch diese an sich neuen Erkenntnisse verstanden werden. Nicht zuletzt deshalb hat er über sein engeres wissenschaftliches Fach hinaus stets wichtige Verantwortung für den gesamten tertiären Bildungssektor und die „scientific community“ getragen und an wichtigen Weichenstellungen mitgewirkt. Ich spreche dabei insbesondere seine Funktionen als Vorsitzender der österreichischen Rektorenkonferenz (er war in der jahrzehntelangen Geschichte der Zweite, der die Wiener Vorsitzenden-Phalanx durchbrach) und des Fachhochschulrates an. Zum einen erfüllen diese herausragenden Funktionen die Steiermark mit Stolz und unterstreichen die manchmal bei Zentralstellen etwas verkannte, aber sicher he­ rausragende Stellung unseres Bundeslandes in Wissenschaft und Forschung. Bekanntlich verfügt unsere Steiermark seit vielen Jahren – jedenfalls bereits zu der Zeit, in der ich als Landeshauptmann Verantwortung tragen durfte – über die höchste F&E (Forschung und Entwicklung)-Quote Österreichs und ist heute mit 4,3 Prozent nach Baden-Württemberg Vize-Europameister der Regionen und übertrifft seit Langem das EU-Lissabon-Ziel von 3 Prozent, das unsere Republik genauso wie zahlreiche andere EU-Mitgliedsstaaten trotz aller Anstrengungen bisher noch nicht erreicht haben. Zum anderen konnte Wolf Rauch in diesen Schlüsselfunktionen wesentliche Weichenstellungen der österreichischen Hochschul- und Universitätspolitik mitgestalten, wobei mir bewusst ist, dass er manche Situation am universitären Sektor und ihre Behandlung im Alltag anders gestalten würde. Die Folge der Begegnungen und Gespräche mit Wolf Rauch waren der Grund, ihn einzuladen, auch politisch mitzugestalten. Zunächst hat er einen kleinen Dis33

Waltraud Klasnic

kussionskreis aus Spitzen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit seinen Beiträgen bereichert – ein Diskussionskreis, der meinen Horizont erweitert und mir viele wertvolle Ideen und Vorschläge gebracht hat, die wir zumindest teilweise auch gemeinsam umsetzen konnten. Sodann habe ich ihm die Übernahme eines Landtagsmandats vorgeschlagen. Es war stets eine gute Tradition der Steirischen Volkspartei, Persönlichkeiten aus der Wissenschaft auch für politische Mandate zu gewinnen. Wolf Rauch steht hier in einer Reihe mit dem großen Hanns Koren, mit Bernd Schilcher, Franz Jeglitsch und später noch Gerald Schöpfer und Beatrix Karl, die zum ersten Mal 2005 bei der Landtagswahl kandidierte. Die Sicht dieser aus der Wissenschaft kommenden Persönlichkeiten mit ihrem klugen, unabhängigen und unkonventionellen Vor-, Nach- und Querdenken eröffnet viele Perspektiven, die im politischen Alltag vernachlässigt werden. Sie stellen zudem so etwas wie eine „geistige Frischzellenkur“ dar und bringen in der Begegnung mit dem politischen Alltag und Volksvertretern aller Herkünfte zahlreiche krea­tive und weiterführende Ansätze. Sie sind für eine Politik, die gewisse Ansprüche an sich stellt und sich nicht nur in purem Pragmatismus erschöpft, unverzichtbar. Wolf Rauch brachte aber nicht nur viele gute Gedanken ein, er engagierte sich außerdem mit großer Gewissenhaftigkeit. Man konnte und kann bei jeder Aufgabe, die er übernahm und übernimmt, sich auf ihn verlassen. Der Schwerpunkt in seiner politischen Arbeit war das Treffen Kultur – Wissenschaft – Politik als gemeinsamer Auftrag. Und – auch das ist sehr wichtig – er ist nicht nur ein guter Gesprächspartner, sondern auch ein ausgezeichneter Redner, dem man gerne zuhört und der etwas zu sagen hat. Sein feiner Humor hat mir und vielen Menschen nicht nur besonders gefallen, sondern auch gutgetan. Eine Schilderung der Begegnungen mit Wolf Rauch wäre für mich unvollständig, wenn ich nicht auch die Begegnungen mit seiner Familie ansprechen würde. Dank gilt vor allem auch seiner Frau Reingard, die ebenfalls mit viel Verantwortungsbewusstsein sehr wichtige Aufgaben wahrnimmt. Der Familie, den Eltern und Kindern, sind viele Begabungen geschenkt, die im Leben auch als Information und Talente-Transfer weitergegeben werden. Dafür danke ich. Dir, dem Jubilar wünsche ich herzlich das Allerbeste. Ich bin überzeugt davon, dass du als echter Wegbegleiter für viele in deinem bisherigen Leben auch in Zukunft in der Blüte deiner Schaffenskraft, gepaart mit reicher Erfahrung und profundem Wissen, der Universität, der Steiermark und uns allen noch viele starke geistige Impulse geben wirst. Herzlichst Waltraud Klasnic 34

Begegnungen mit Wolf Rauch Helmut Konrad

Die österreichische Universitätslandschaft ist vielfältig. Sie reicht von der altehrwürdigen Alma Mater Rudolfina in Wien bis zur European Peace University in Schlaining. Sie umfasst den Fachhochschulstudiengang für Holz in Kuchl ebenso wie die Montanistik in Leoben. Alte Traditionsuniversitäten, etwas jüngere und spezialisiertere ehemalige „Hochschulen“, universitäre öffentliche Neugründungen, der gesamte Fachhochschulsektor und die privaten Universitäten stehen hier nebeneinander. In dieser bunten Vielfalt sind die drei Traditionshäuser Wien, Graz und Innsbruck die großen Fixpunkte. Für sie steht der Begriff „Universität“ noch für den umfassenden Blick, für das Spektrum der gesamten Wissenschaften. Das stimmt zwar schon lange nicht mehr, denn nicht erst die Abtrennung der Medizin, sondern viel früher die autonome Entwicklung mancher technischer und anderer Disziplinen in den spezialisierten Hochschulen haben unvermeidliche Grenzen gezogen. Weder Maschinenbau noch die Veterinärmedizin, weder Komposition noch Zahnheilkunde sind vom „universellen“ Blick heute mit erfasst. Dennoch, Universitäten sind Orte, an denen es möglich und gewünscht ist, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Ein Ort, in dem das Erlernen eines Berufes und die Aneignung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten zwar ihren Platz finden, aber doch nicht den Charakter einer ganzen Institution prägen können. Universität steht für Neugier, für Offenheit, für Diskurs- und Streitfähigkeit, für kulturelles, politisches, soziales, künstlerisches und vielleicht auch ökonomisches Interesse. Über die Ausbildung im eigenen Fach hinaus geht es um das Zulassen des anderen, um Begegnung, Reibung, Auseinandersetzung. Unter den vielen Begegnungen, die im Laufe der Jahrzehnte mein akademisches Leben mit geformt haben, nehmen die Diskussionen, Gespräche und auch die scherzhaften Konfrontationen mit Wolf Rauch einen wichtigen Platz ein. Wir sind grundverschieden in Sozialisation, im Bildungsweg, in der Lebensgestaltung, in den 35

Helmut Konrad

politischen Überzeugungen, im Körpergewicht und sonstigen physischen Erscheinungsformen, im Temperament. Aber vielleicht macht uns gerade das alles ähnlich. Beide sehen wir im jeweils anderen ein Stück Exotik, vielleicht auch ein klein wenig vermischt mit der Rückreflexion und damit mit dem Erkennen der eigenen Exotik nicht nur im Auge des Gegenüber, sondern wohl auch im Universitätssystem. Wolf Rauch ist mir begegnet, als er erstmals Dekan der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und ich Rektor der Universität Graz war. Er war von Anfang an ein starker Verbündeter, der jene Instrumente zu bedienen verstand, die auch die meinen waren: Ein kräftiger Schuss Populismus (der immerhin damals das prächtige Resowi-Gebäude ermöglicht hat), gepaart mit Handschlagqualität und frei von Berührungsängsten. Da wurde gemeinsam viel erreicht, einiges im Modernisierungsprozess der Universität beschleunigt, einiges aber auch bewusst gebremst. Beide haben und hatten wir eine Schwäche für die demokratische Universität, für das Mitreden der jüngeren Lehrenden und der Studierenden, beide aber erkannten und erkennen wir die Vorzüge der neuen Universität mit den schlankeren Entscheidungsstrukturen. Konservative Modernisierer, oder wohl besser so: Er ein Konservativer mit starken liberalen Modernisierungstendenzen, ich ein Modernisierer mit großen Emotionen für das zu Bewahrende. Das schuf breite Überlappungsfelder und Möglichkeiten von engen Kooperationen. Die gemeinsamen Modernisierungsbemühungen zeigten wir mit raschen und konsequent umgesetzten Entscheidungen in der Universität. Den gemeinsamen Konservativismus lebten wir symbolisch aus, als wir einen längst nicht mehr den Regeln entsprechenden Übergang im Rektorat vollzogen, von mir zu ihm, ganz nach den Regeln des UOG 1975 und fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes, als Traditionsbewahrer der alten Einheit über die Gruppengrenzen hinweg nach innen. Da hinkten wir bewusst weit hinter allen anderen österreichischen Universitäten hinterher. Die Zusammenarbeit im Rektorat war eigentlich konfliktfrei. Prärektor Rauch trug die Entscheidungen von Rektor Konrad mit und Prorektor Konrad hielt dies mit den Entscheidungen von Rektor Rauch nach dem 1. Oktober 1997 ebenso. Dass gerade rund um den Übergang ins Rektorat das Antirauchgesetz durchgesetzt wurde („Ohne Rauch gehts auch“) bot zwar Anlass zu manch ironischer Bemerkung, war aber wohl reiner Zufall. Jedenfalls war es noch in meiner Amtszeit, dass alle Aschenbecher aus den öffentlichen Bereichen der Universitäten entfernt wurden. 36

Begegnungen mit Wolf Rauch

Die Jahre 1995 bis 1999 waren Jahre der intensiven Begegnungen und Gespräche. Da zeigte sich deutlich, wie fern Hochschulpolitik von Parteipolitik ist. Dass ich kurzzeitig auf einer sozialdemokratischen Ministerliste stand und er letztlich Abgeordneter zum steiermärkischen Landtag für die ÖVP wurde, hatte keinen wie immer gearteten Einfluss auf die Führung und die Gestaltung der Universität. Politische Bindung und politisches Engagement bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine parteipolitische Engführung der Gedanken, die man ja durchaus kennt und vor der natürlich auch wir keinesfalls gefeit sind, die Überlegungen dazu, was gut für eine Universität ist, verstellt. Und da waren wir nahezu deckungsgleich in unseren Sichtweisen. Man könnte diese etwa so zusammenfassen: 1. Das Bild, das eine Universität nach außen vermitteln soll, ist das des Stolzes auf das Erreichte und der Gewissheit, darauf aufbauend auch unter schwierigen Rahmenbedingungen eine gute Zukunft zu bauen. 2. Universitäten müssen in der Gesellschaft sichtbar sein und gehört werden. Sie sollen vor allem in grundlegenden Fragen von Menschenrechten und Menschenwürde deutliche Signale setzen. 3. Es ist ein Privileg, an einer Universität arbeiten zu dürfen. Mit dieser Erkenntnis darf eine hohe und abrufbare Loyalität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwartet werden. 4. Führung nach innen bedeutet Kommunikation und Motivation. Je besser das Arbeitsklima, desto höher die Arbeitsleistung. Kompromisse und Diskussionen sind meist hilfreicher als einsame Entscheidungen. 5. Universitäten müssen Freiräume schaffen, Kreativität befördern und schwierige Personen integrieren. Da darf schon mal ein „Grenzgang“ stattfinden. Universitäten sind jedenfalls keine Fabriken. 6. Universitäten sind vor allem für die Studierenden da. Daher sind sie junge, dynamische und oft unangepasste Institutionen. Als solche müssen sie Konflikte aushalten und darüber hinaus ihre Standortstadt und ihre Region prägen. 7. Universitäten sind international, müssen Kontakte suchen und pflegen, offen und vielsprachig sein, Kulturbegegnungen ermöglichen, Feste zu feiern verstehen. 8. Universitäten brauchen Spitzenforschung, im Team oder in der Einzelforschung. Hier muss nicht alles gelingen, es sollte aber alles ermöglicht werden. 9. Verwalten bedeutet, einen sinnvollen Mitteleinsatz zu gewährleisten, Forschenden und Lehrenden administrative Bürden abzunehmen und möglichst im universitären Alltag unsichtbar zu sein. 37

Helmut Konrad

10. Universitäten brauchen Kunst im Haus, um junge Menschen aus allen Disziplinen zur kritischen Reflexion zu führen. Der Universität kommt damit die Aufgabe der Kunstförderung und der Kunsterziehung zu. 11. Die Institutionen brauchen Identifikationsangebote. „Meine Universität“, „mein Rektor“, „mein Institut“, all das ist, meist stark personalisiert, wichtig für dauerhafte gesellschaftliche Akzeptanz. Die Liste ist im Prinzip noch durchaus fortsetzbar. Aber zumindest zu all den genannten Punkten hatten wir gute Gespräche und ähnliche Sichtweisen. Die Umstellung auf das neue Universitätsgesetz brachte unser gemeinsames Ausscheiden aus dem Rektorat knapp vor der Jahrtausendwende. Aber die Parallelführung der Lebensentwürfe ging weiter. Wolf Rauch wurde Präsident des Fachhochschulrats und ich der Gründungspräsident des Akkreditierungsrats für Privat­ universitäten. Aber während sich mein Interesse an der Qualitätssicherung auf die internationale Ebene verlagerte, kehrte er zu seinen „Wurzeln“, also in die Sozialund Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, als Dekan zurück. Und letztlich sind wir beide wieder Dekane unserer Fakultäten, allerdings nicht ohne die beiden durchaus bemerkenswerten anderen Parallelen im Leben: Beide waren wir Konkurrenten im Rittern um die Funktion des Rektors der Universität Wien, aus der wir ja auch beide als Studierende hervorgegangen waren. Die Plätze 3 (er) und 4 (ich) in der Entscheidung fallen in die Kategorie der ehrenvollen Niederlagen. Und beide sind wir Vorsitzende von Aufsichtsräten von fast namensgleichen ausgegliederten Gesellschaften des Landes. Wolf Rauch ist für Joanneum Research zuständig, ich für das Universalmuseum Joanneum. Es ist also fast so, als würden seit fast zwei Jahrzehnten unsere Lebenswege pa­ rallel verlaufen oder zumindest der gleichen Spur folgen. Das ist natürlich mehr als ein Zufall. Das ist dem Umstand geschuldet, dass Engagement in einer universitären Institution eigene Gesetzmäßigkeiten erzeugt und dass durch Erkenntnis und Erfahrung im Alltag auf der Leitungsebene das Denken geformt wird. Die Institution Karl-Franzens-Universität hat entgegen all unserem Bemühen, sie zu gestalten, uns mehr geformt als wir sie. Aus durchaus unterschiedlichen Rohmodellen hat die Presse Universität recht vergleichbare oder zumindest recht ähnliche Personen geformt. Um der Wahrheit Genüge zu tun – unsere universitären Begegnungen beschreiben nur ein Segment unseres Miteinanders. Wir kennen uns nämlich aus dem Kindergarten: aber das ist eine andere Geschichte. 38

Miteinander reden – Informationswissenschaft, Soziologie, Wirtschaftspädagogik Katharina Scherke und Michaela Stock

Die Berufswelt – so werden unterschiedliche GegenwartsdiagnostikerInnen nicht müde zu betonen – erfordert von uns heute Flexibilität und Dynamik, um den Umgang mit der Multioptionsgesellschaft bewältigen zu können.1 Es sollte daher nicht verwundern, dass auch die heutige Kommunikation durch eben jene Schlagworte charakterisiert werden kann: schnell, dynamisch, flexibel, multiperspektivisch. Ob im Rahmen solcher Kommunikation auch Informationen ausgetauscht werden und es zu einem wirklichen Verstehen zwischen SenderInnen und EmpfängerInnen kommt, ist allerdings nicht immer sicher. Im Folgenden soll auf nicht ganz ernst gemeinte Art und Weise Einblick in die Kommunikationsfreuden und -mühsal eines Informationswissenschaftlers zwischen einer Soziologin und einer Wirtschaftspädagogin gegeben werden. Dabei soll auch ein Rückblick auf unsere gemeinsame Zeit im Dekanat der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gehalten werden. Die gegenständliche Festschrift bietet uns zudem die schöne Gelegenheit, die Informationswissenschaft (und unser potenzielles Nicht-[Wissen über eben jene] näher unter die Lupe zu nehmen. Bei unserem Rückblick auf die gemeinsame Zeit mit Wolf Rauch können wir mit einem Satz festhalten: Wir waren ein kongeniales Team und Kommunikation miteinander war immer gegeben – ein fruchtbarer Boden für unsere gemeinsame Arbeit! Und dennoch können wir bei unserer gegenständlichen Reflexion ein Manko bei unserer jahrelangen Kommunikation im Dekanat ausmachen – stillschweigend gingen wir von einem gegenseitigen Wissen über unsere jeweiligen Fachgebiete aus. Doch war dies tatsächlich gegeben? Aus dem Wikipedia-Eintrag zu Wolf Rauch ist Folgendes für die Klärung des Selbstverständnisses eines Informationswissenschaftlers zu finden: „Die Informationswissenschaft untersucht Information und Wissen. Für das Verständnis der Informa­ 39

Katharina Scherke und Michaela Stock

tionswissenschaft relevant ist die Bedeutung von Information als ein dynamischer Prozess (aktiv: informieren; passiv: informiert werden) und von Wissen als etwas Statischem, das in Dokumenten, als persönliches Wissen in den Köpfen von Menschen oder anderswo fixiert ist […]“. Gernot Wersig beschreibt Informationswissenschaft unter Betonung des interdisziplinären Ansatzes als Triade von Wissen, Mensch und Informationstechnik: Informationswissenschaft ist demnach „[…] die Wissenschaft von der Wissensnutzung unter den Bedingungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf allen Ebenen – individuell, organisatorisch, kulturell, gesellschaftlich“ (Fokus Mensch 1993).2 Nun ja, so schlecht kann es um unser gegenseitiges Vorverständnis ja gar nicht bestellt sein, denkt sich einerseits die Soziologin: Von Dokumenten versteht schließlich auch die Soziologie etwas, vor allem die Kultursoziologie. Und ohne den Menschen wäre eine Soziologie undenkbar. Ebenso geht es andererseits auch der Wirtschaftspädagogin: Immerhin dreht sich in ihrer Disziplin der Wirtschafts­ pädagogik alles ums Lernen und das geht bekanntlich nicht ohne Menschen. Lernen der Menschen, Lernen in und von Organisationen, Lernen von wirtschaftlichen Inhalten und in wirtschaftlichen Kontexten hat auch immer etwas mit Wissen sowie Wissensnutzung und dynamischen Prozessen zu tun. Das für uns alle schließlich Verbindende scheint auch das Thema Kommunikation zu sein. Dieses wollen wir in der Folge genauer betrachten: Was haben unsere Disziplinen zum Thema Kommunikation beizutragen? Die Soziologie würde wohl den Fokus zunächst auf das Thema Interaktion richten – fallen doch Kommunikationsakte gemeinhin im Rahmen von sozialen Interaktionen an. Ebenso ist Kommunikation im Sinne von einander mitteilen, besprechen, etwas gemeinsam machen und gemeinsam beraten auch Dreh- und Angelpunkt für die Wirtschaftspädagogik, bedenkt man, dass beispielsweise Führungskräfte die meiste Zeit ihrer Arbeit mit Kommunikation verbringen. Was kann also für uns aus der Soziologie und Wirtschaftspädagogik zum Thema Interaktion festgehalten werden? Gemäß dem interpretativen Paradigma verständigen sich Menschen im Zuge ihrer Interaktionen durch den Austausch von Symbolen (verbaler, non-verbaler oder auch materialisierter Art) mit anderen.3 Die Interpretation der ‚ausgetauschten‘ Symbole bildet die Grundlage für das weitere Handeln der AkteurInnen. Haertig hielt beispielsweise dazu fest: „Dass Kommunikationsprozesse nahezu alle Vorgänge des täglichen Lebens bestimmen, wird kein Mensch bestreiten, dass die Kommuni40

Miteinander reden – Informationswissenschaft, Soziologie, Wirtschaftspädagogik

kationsprozesse aber die Handlungen leiten, wird selten wahrgenommen“ (Haertig 1997, S. 51). Die in den Interaktionen erzeugten wechselseitigen Sinnzuschreibungen prägen den weiteren Verlauf der Interaktionen und tragen letztlich auch zur Konstituierung sozialer Ordnung auf der Makroebene bei. Wirklichkeit ist dieser Sichtweise zufolge nicht etwas unveränderbar Gegebenes, sondern entsteht erst im aktiven Interpretationsprozess der handelnden Individuen – Konstruktion der gemeinsamen Wirklichkeit durch die Individuen. Allerdings greifen Akteurinnen/Akteure in alltäglichen Interaktionen auf bestimmte Interpretations- und Handlungsmuster zurück, sodass der zeitaufwendige Prozess des Interpretierens und des sich erst daran anschließenden Handelns verkürzt werden kann. Bereits Alfred Schütz hatte eine Unterscheidung zwischen alltäglichem und wissenschaftlichem Verstehen getroffen und damit die Grundlage für die Richtungen des sogenannten interpretativen Paradigmas gelegt (Schütz 1975; Abels 2001). Der alltägliche Wissensvorrat bildet nach Schütz die Grundlage für das Deuten der Welt und das entsprechende Handeln der Menschen. Im Alltag kommt es zu Typisierungen von Situationen, d.h. gegenseitiges Verstehen und die darauf folgenden Handlungen laufen mehr oder weniger automatisch ab, da man auf erlernte Muster zurückgreift. Vor allem in Fällen, in denen ein rasches Reagieren erforderlich ist, erlaubt das Zurückgreifen auf derart erlernte Interpretationsmuster einen reibungslosen Ablauf der Interaktionen ohne größeren Koordinationsaufwand. Dies erklärt wohl auch, warum wir in der Zusammenarbeit im Dekanat unser wechselseitiges Vorverständnis bisher nicht hinterfragt haben: Zeitdruck und rasches Reagieren spielen in fast allen Agenden des Dekanates eine Rolle. Allerdings stellen wir jetzt fest, dass es wohl auch Zeit des Kennenlernens und zeitdrucklose Kommunikation benötigt, damit Typisierungen von Situationen und darauf aufbauendes selbstverständliches Handeln möglich wird. Beides war in unseren regelmäßigen Dekanat-Jours-fixes gegeben. Ein weiterer Aspekt der Interpretation von Welt ist, dass auch unsere Emotionen einem wechselseitigen Konstruktionsprozess unterliegen und selbst einen wichtigen Einfluss auf den Fortgang einer Interaktion haben. Durch mimische Gesten – und Emotionen drücken sich vor allem in der Mimik aus – werden anderen grundlegende Haltungen zur Welt und zur aktuellen Situation übermittelt und hierdurch der stets mit Unsicherheit verbundene Deutungsspielraum in Interaktionen reduziert. Anders ausgedrückt: Ein mit einem Lächeln vorgetragener Satz bekommt eine andere Bedeutung zugeschrieben als der gleiche mit ärgerlichem Tonfall und grimmiger 41

Katharina Scherke und Michaela Stock

Mimik geäußerte Satz. Ohne den Satzinhalt genau zu analysieren, wird vom jeweiligen Interaktionspartner/von der jeweiligen Interaktionspartnerin bereits auf die emotionale Färbung der Botschaft reagiert, was den weiteren Gang der Interaktion in eine bestimmte Richtung lenken wird. Emotionen und die emotionale Form der Sinnstiftung können insofern in Interaktionen zur Verhaltenssicherheit und damit zum effizienten Handeln beitragen. Sie ermöglichen die schnelle Auswahl einer Option aus dem prinzipiell offenen Deutungshorizont des sprachlich-kognitiven Modus der Weltkonstruktion und gestatten – auch losgelöst von diesem Modus – die schnelle wechselseitige Konstruktion einer Situation (Scherke 2009, S. 66; Gerhards 1988, S. 62). Sogenannte Gefühlsregeln helfen uns im Alltag dabei, Klarheit in die Verhaltensanforderungen bestimmter Situationen zu bringen und somit die Kommunikation gelingen zu lassen. Allgemein ist zu sagen, dass es Prozesse sozialer Kontrolle sind, die im Rahmen der Sozialisation und in konkreten Alltagssituationen für die Einhaltung und Verfestigung der Gefühlsregeln sorgen. Ähnlich wie bei anderen nicht kodifizierten Normen des alltäglichen Verhaltens wird ihre Einhaltung vor allem durch informelle Sanktionen erwirkt, indem etwa den abweichenden AkteurInnen gegenüber (verbal oder nonverbal) Missbilligung zum Ausdruck gebracht wird oder sie vom sozialen Kontakt ausgeschlossen werden. Gefühlsregeln stehen in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Rollenvorstellungen. Sie stellen Richtlinien dafür dar, welcher Gefühlsausdruck in speziellen Situationen (etwa Festakten in der Aula oder bei Diskussionen um das Budget der Fakultät) zu zeigen ist, und variieren zudem nach der jeweils eingenommenen Rolle. Ein Wandel der Rollenbilder hat zumeist auch einen Wandel der Gefühlsnormen zur Folge.4 Die Einhaltung von Gefühlsregeln wird durch Emotionsmanagement erreicht. Passt das eigene Empfinden nicht zu den sozial erwarteten Gefühlsäußerungen, werden Anpassungsschritte gesetzt. ‚Sich ein Lächeln verkneifen‘, ‚die Tränen unterdrücken‘ oder ‚die Wut hinunterschlucken‘ sind sprachliche Hinweise für die Existenz dieser Art von Gefühlsmanagement. Die Beachtung von Gefühlsregeln stellt einen Teil der Anerkennungs- und Respektbekundungen im Rahmen des sozialen Austausches dar. Oder wie Hochschild dies ausdrückt: „Wir verbeugen uns nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit dem Herzen voreinander“ (Hochschild 1990, S. 85). Normalerweise versuchen AkteurInnen ihr Empfinden und Verhalten auf die im jeweiligen sozialen Kontext gültigen Gefühlsregeln abzustimmen. Im Rahmen dieser Aktivitäten bemühen sie sich vor allem, Diskrepanzen zwischen dem von ihrer Umgebung 42

Miteinander reden – Informationswissenschaft, Soziologie, Wirtschaftspädagogik

erwarteten Gefühlsausdruck und ihrem tatsächlichen Empfinden zu minimieren. Jedoch gilt es zu beachten, dass es in Anlehnung an Erving Goffman so etwas wie eine Vorder- und eine Hinterbühne der Interaktion gibt: Ist auf der Vorderbühne, d.h. bei den nach außen sichtbaren Interaktionen, striktes Emotionsmanagement gefragt, so gibt es immer auch einen Bereich der Hinterbühne, auf dem Emotionen freier ausgelebt werden können (Goffman 1998). Unsere Dekanat-Jours-fixes hatten in diesem Sinne auch immer eine ausgleichende und entspannende Funktion! Unsere Reflexion zeigte, so sind wir uns nun sicher, dass sich offenbar die Schlagworte Interaktion und Kommunikation als brauchbar erweisen, um die Zusammenarbeit im Dekanat zu beschreiben und auch eine Verbindung zwischen unseren Disziplinen herzustellen. Reflexion ist der Grundstein nahezu jeglicher Form des Lernens und somit ein unverzichtbarer Bestandteil der Weiterentwicklung von Menschen. Reflexion im Sinne des über Sich-selbst-Nachdenkens bzw. des In-Beziehung-Setzens zu sich selbst (interne Reflexivität) und zur Umwelt (externe Reflexivität) sowie des Nachdenkens über den eigenen Lern- respektive Entwicklungsprozess 5 zeigt uns als reflektierende Menschen, dass uns die gemeinsame Interaktion gelungen ist. In der Zusammenarbeit ging es uns nämlich nicht darum, die gemeinsame Arbeit als Win-lose-Situation zu sehen, uns ging es dabei auch nicht um Sieg, Verteidigung und Selbstschutz, sondern es stand bei unseren Interaktionen immer die Informationsweitergabe und die ständige Weiterentwicklung unserer gemeinsamen Arbeit im Mittelpunkt. Wir haben Spannungsfelder als Kraftfelder genutzt und uns der interdisziplinären Herausforderung gestellt.

Literatur: Abels H.: Interaktion, Identität, Präsentation. Kleine Einführung in interpretative Theorien der Soziologie, 2. überarb. Auflage., Wiesbaden 2001. Gerhards J.: Soziologie der Emotionen. Fragestellungen, Systematik und Perspektiven, Weinheim 1988. Goffman, E.: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München/Zürich 1998. Haertig, M.: Erfolgsorientierte Kommunikation, Tübingen 1997. Hochschild, A. R.: Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle, Frankfurt am Main/New York (NY) 1990, S. 85. Scherke K.: Emotionen als Forschungsgegenstand der deutschsprachigen Soziologie, Wiesbaden 2009. Schütz A.: Strukturen der Lebenswelt, Berlin [u.a.] 1975. 43

Katharina Scherke und Michaela Stock

Anmerkungen: 1 Gross P.: Die Multioptionsgesellschaft, Frankfurt am Main 1994. 2 http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Rauch, abgerufen am 20.12.2011. 3 Vgl. Blumer H.: Symbolic Interactionism. Perspective and Method, Berkeley/Los Angeles/ London 1969, S. 2. 4 Vgl. Hochschild (1990), S. 83. – Zu geschlechtsspezifischen Gefühlsregeln vgl. ebd. S. 134  – 141. 5 Vgl. Riebenbauer E./Stock M.: Uni-Abschluss! Was nun? Übergang zwischen Universität und Arbeitswelt im Kontext der Kompetenzentwicklung und des lebenslangen Lernens unterstützt durch ePortfolio-Arbeit, bwp@ Spezial 5, in: online Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 9, 2011, S. 3.

44

Zum Anlass: Ein DANKE für gute Gespräche und Begegnungen Alfred Stingl

Univ.-Prof. Dr. Wolf Rauch verdient Respekt und Dank für viele Facetten seiner Persönlichkeit, die prägend ist für unsere Universität und für viele gesellschaftliche Bereiche. Nachstehend ein – sicher unvollständiger – Versuch, das für mich Wesentliche zu charakterisieren. Wolf Rauch – ein Mensch mit humanistischen Werthaltungen Eine Grundlage seines Lebensweges sind humanistische Werte und Positionen. Das wurde und wird immer wieder deutlich als Universitätslehrer, in den bedeutendsten Funktionen der Universität, aber auch im Wirken in anderen Bereichen der Gesellschaft bis hin zu den Aufgaben als politischer Abgeordneter. Als Gesprächspartner versteht er es, einen Dialog über Grenzzäune des Denkens bzw. ideologischer Einstellungen hinweg zu führen. Der menschliche Respekt steht im Vordergrund. Ein Verfechter der Menschenrechte Wolf Rauch ist es ein Anliegen, ernsthaft und in die Tiefe gehend, Gespräche über die Menschenrechte, aber auch über Menschenpflichten zu führen. Menschenrechte nicht abstrakt gedacht, sondern als lebensnahes, praxisrelevantes Modell für das Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaft – hier bei uns vor Ort in Graz, in der Steiermark, in Österreich und in einem Europa, wo wir Nachbarn sind. Ihn und viele Gleichgesinnte bewegt die Frage, wie wir das Zueinanderkommen von Menschen von anderen Ländern, Kontinenten, Kulturen, Religionen, Sprachen und Lebensformen so – und friedlich – gestalten können, dass dieser an sich unumkehrbare Prozess zu einem Friedensmodell im 21. Jahrhundert wird. Damit verbinden sich Probleme und Herausforderungen für die heutige junge Generation, zugleich aber auch neue Chancen für eine friedlichere, von mehr Fairness getragene Welt, in der sich die dunklen Kapitel der Geschichte nicht wiederholen. 45

Alfred Stingl

Im Denken von Wolf Rauch haben die Restauration von Grenzen und Grenzzäunen, das Aufleben eines falsch verstandenen Nationalismus sowie das Schüren sozialer Ängste keinen Platz. Menschen wie er setzen geistige Markierungen für das intellektuelle Potenzial unseres Landes, dass wir alle anderen Wege ausschöpfen müssen. Kultur als Leitmotiv für das Leben Wolf Rauch steht für einen umfassenden Kulturbegriff. Es ist bereichernd, ihn – auch oft mit seiner Gattin – zu treffen in unseren Theatern, bei den Festivals – von der Diagonale, dem Steirischen Herbst bis zur Styriarte –, aber auch bei Ausstellungen und literarischen Veranstaltungen. Sein durchaus kritisches Interesse für neue Entwicklungen in der Kunst entspricht seiner Neugier auf die Zukunft. Im Gespräch findet man rasch Übereinstimmung, dass die Vielfalt künstlerischen Schaffens, vor allem aber auch die Vielfalt der Kulturen, das Maß unseres Menschseins und die Qualität des Lebens wesentlich bestimmt. Mensch und Politik Wolf Rauchs Credo für die Politik ist klar: Die Demokratie braucht die Bereitschaft zum Dialog und auch die Fähigkeit zum Kompromiss. Öfters sprachen wir auch über das österreichische Modell der Sozialpartnerschaft. Wir waren uns einig, dass einerseits Zurufe hinsichtlich von Reformen nicht überhört werden dürfen, anderseits dieser österreichische Weg für soziale und ökonomische Rahmenbedingungen einschließlich Konfliktaustragung und Interessenausgleich ein wesentlicher Faktor für innenpolitische Stabilität war und ist. Das war in den Jahrzehnten des Wiederaufbaues wichtig und hat heute in den neuen Rahmenbedingungen von Globalisierung und Wettbewerb gerade für ein kleines Land wie Österreich seine Bedeutung. Dieser Wettbewerb ist in einer Bildungs- und Wissensgesellschaft dann zu gewinnen, wenn es Innovation, Leistung, Qualität und eben auch Stabilität, soziale Fairness und ein hohes Maß an Verteilungsgerechtigkeit gibt. Da sind die Sozialpartner im vorparlamentarischen Raum für den politischen Weg einer Regierung ein entscheidender Bestandteil des politischen Machtgefüges und der politischen Berechenbarkeit. Es ist daher gut, wenn Persönlichkeiten in Wissenschaft und Wirtschaft sowie in den Interessenverbänden den österreichischen Weg auch in unserer Zeit für sinnvoll erachten – und auch dafür eintreten. Über Parteigrenzen hinaus ist daran zu denken, dass es immer um Menschen geht; Menschen mit ihren Hoffnungen, Fähigkei46

Zum Anlass: Ein DANKE für gute Gespräche und Begegnungen

ten und Chancen für Existenz und Lebensqualität. Und es geht vor allem auch um das Staatsganze und um die Reife einer demokratisch-politischen Kultur. Das Anliegen Europa Wolf Rauch ist ein nicht unkritischer, aber überzeugter Europäer. In einer Zeit krisenhafter Zeichen im europäischen Einigungsprozess ist es wichtig, dass es Menschen mit klaren Positionen gibt, vor allem wenn es um unsere europäischen Grundwerte und die großen Ziele geht: ein gesicherter Frieden auf dem ganzen Kontinent, die Bewahrung von Freiheit für alle Menschen sowie ein Höchstmaß an Gerechtigkeit und Lebenschancen. Dieser Weg – wir erleben das – ist schwierig, verlangt Klugheit und Ausdauer; aber – auch das erleben wir seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – dass Frieden auf lange Zeit und hoffentlich für immer sowie Freiheit für immer mehr Menschen möglich war und auch in Zukunft möglich sein muss. Die bestehenden Schieflagen im europäischen Gefüge sind allerdings deutlich anzusprechen. Die Ziele „mehr Gerechtigkeit und Lebenschancen“ für alle Europäer sind nur erreichbar, wenn wir nationalstaatliche Egoismen überwinden, wenn wir den sozialen Frieden durch mehr Solidarität für gerechtere soziale Standards sichern und die Wirtschaft einschließlich des Finanzkapitals begreift, dass es eine gesamt­ gesellschaftliche Verantwortung gibt. An unseren Universitäten und in vielen anderen Institutionen bis hin zu den Parteien gibt es das Potenzial, im Geiste der europäischen Grundrechte Politik zu gestalten und einen zielführenden Weg für das Europa der Zukunft zu gehen. Ich glaube zu wissen, dass Wolf Rauch eine Persönlichkeit ist, der Europa ein Anliegen ist. Aufklärung durch Bildung Der Universitätslehrer Wolf Rauch weiß um die Notwendigkeit und Wichtigkeit von Bildung für die Menschen. Wie so viele Menschen an den Schalthebeln der Bildungs- und Wissenschaftspolitik ist er ein Garant für den politischen Vorrang von Bildung auf allen Ebenen unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Wir wissen alle, dass Bildung mehr ist als eine Voraussetzung für Existenzsicherung. Bildung ist der Baustein für ein gelingendes Leben, ist der entscheidende Bestandteil des wahren Reichtums einer Gesellschaft. Wolf Rauch hat sein bisheriges Leben mit Erfolg in den Dienst der Bildung des Menschen – mit dem Schwerpunkt Jugend – gestellt. Ein wahrhaft humanistisch orientierter Lebensentwurf. Dafür danken dir, geschätzter, 47

Alfred Stingl

jung gebliebener Jubilar, viele Menschen. Wirke, bitte, weiter im Sinne von Auf­ klärung durch Bildung. Es geht um nicht weniger als um den humanistischen Geist. Alle guten Wünsche für den nächsten Lebensabschnitt!

48

Wissen und Macht Hans Sünkel und Martin Mössler

Ausprägung, Form und Bedeutung von Wissen und Macht sind entlang historischer Zeitachsen elementaren Veränderungen unterworfen, passen sich Umgebungen und geänderten Voraussetzungen an, entwickeln sich weiter. Während in vergangenen Jahrhunderten Macht – entlang der Gedankenlinien Max Webers – als Fähigkeit, den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, verstanden und gelebt wurde, machten Aufklärung und mehrere Demokratisierungswellen die Bedeutung von „Legitimierungsmacht“ zunehmend deutlich. So entstand ein zusätzlicher Wahrnehmungsfokus, weg von Machthabern und Herrschern, hin zu Bürgern und Citoyens. Hannah Arendt verdeutlicht diese Entwicklung in ihrem Werk „Macht und Gewalt“, worin Macht zu einer niemals wertfreien, Gewalt oder Unterdrückung legitimierenden Größe erklärt wird. Wahre Macht liegt Arendt zufolge nicht in Händen Einzelner, sondern stets innerhalb einer zu führenden Gruppe. So wird Wissen zu einem reziproken Machtfaktor, müssen Führende wie Geführte gleichermaßen über eine gemeinsame Wissens- und Legitimierungsbasis verfügen; eine nicht nur in Demokratien, sondern auch in wirtschaftlich-unternehmerischen Zusammenhängen Stabilität und Sicherheit schaffende Struktur.1 Ergebnisse der Leadership-Forschung erlauben darüber hinaus Einblicke in den kausalen Zusammenhang zwischen Wissen, Macht und Legitimierungsmacht. Je autokratischer wirtschaftlich oder politisch wirkende Führungskräfte ihre Macht im Sinne Max Webers durchzusetzen suchen, desto größer ist die Gefahr, aus dem Informationsfluss ausgeschlossen zu werden, – ein in sich zunehmend entlang der Gedankenlinien Manuel Castells informationsbasiert entwickelnden Netzwerk­ gesellschaften unweigerlich zu Stagnation und Machtverlust führendes Verhalten. James Macgregor Burns, ehemaliger Berater J. F. Kennedys, weist diesen Zusammenhang in seinem Standardwerk „Leadership“ anhand zahlreicher Biografien luzide nach. 49

Hans Sünkel und Martin Mössler

Dabei ist das Zusammenspiel von Wissen, Information und Macht in Verbindung mit politisch autokratischem Wirken besonders lehrreich. So war es die Un­ fähigkeit, Sorgen, Wünsche, Probleme und Rechte der Bevölkerung wahrzunehmen und abzusichern, welche 476 n. Chr. aufgrund innerer struktureller Schwächen zum Zerfall des Weströmischen Reiches ebenso wie 2011 zum Sturz von Autokratien in Ägypten und dem Maghreb führte. Im Falle der Jasminrevolution des Jahres 2011 prallten mittelalterliche Strukturen repressiver Wissens- und Informationspolitik auf eine durch Medien, Internet, Informationsdienste, Mobiltelefone und soziale Netzwerke aufgeklärte, selbstbestimmte und politisierte Jugend. Junge, netzwerkbasiert denkende und handelnde Menschen erodierten in der Folge innerhalb weniger Tage Regime mit jahrzehntelanger Repressionsgeschichte, selektivem Wissensmanagement und Gewaltbereitschaft. Trotz aktuell berechtigter Sorgen, ob regionaler Stabilität und globaler wirtschaftlicher Folgen, eine beeindruckende Entwicklung. In Bezug auf die Achse von Wissen und Macht stehen die Ereignisse in Tunesien und Ägypten repräsentativ für Bewegungen, welche durch Bildung die nächs­te Demokratisierungswelle einleiten. Hochwertige Bildungssysteme, schulisch und universitär exzellent ausgebildete und sozial vernetzte Jugendliche sprengten autokratische Fesseln und zwangen Diktatoren einzig durch nationalen Druck zur Demission. So wurden suppressive Machtstrukturen nicht nur einmal mehr als inkompatibel mit Wissen und Bildung verdeutlicht, sondern Letztere vielmehr als Grundlage friedlicher gesellschaftlicher Veränderung ausgewiesen. Was den Revolutionen, Republikgründungen und Demokratisierungsbewegungen vergangener Jahrhunderte Buchdruck, Lese- und Schreibkenntnisse, Licht, Flugblätter, Versammlungen, fesselnde Reden und schließlich Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen waren, das sind Internet, Mobiltelefonie, soziale Netzwerke, On­ linenachrichten, Filmportale, Online-Enzyklopädien sowie Kurznachrichtendienste für politische Bewegungen des 21. Jahrhunderts. Denn nicht nur Macht durchlief als Begrifflichkeit entlang der historischen Zeitachse Veränderungen, sondern auch die Welt des Wissens – in Qualität, Form und Inhalt. Mit jeder neuen Verbreitungsform – ob durch Buchdruck oder Internet – öffneten sich Gesellschaften, konnten neue Rechte und Freiheiten erschlossen und gelebt werden. Nicht zuletzt deshalb zählt die Freiheit der Wissenschaften ebenso wie Zugang zu Wissen und Informa­ tion zu den bedeutendsten und förderungswürdigsten Errungenschaften. 50

Wissen und Macht

Zunehmend werden Wissen und Information jedoch als unabhängige, voneinander entkoppelbare Größen dargestellt; werden philosophisch, analytisch-kontemplative Räume zu raren Gütern; verlieren sich strategische Überlegungen angesichts der Informationslast des Alltags und kurzfristigen Entscheidungserfordernissen. Eine an die unzulässige Trennung von Grundlagen gegenüber angewandten Wissenschaften erinnernde Entwicklung, innerhalb derer Verständnis und Raum für die Bedeutung von Grundlagen angesichts schneller Verwertbarkeit oftmals verloren zu gehen droht. Die neuen Zugänge zu Wissen und Macht brechen aber auch längst überkommene Statusstrukturen positiv auf, schaffen neue Bedingungen professioneller ebenso wie privater Kommunikation, überbrücken Hindernisse des Raums und erleichtern so gegenseitigen Austausch und grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Beschleunigung und Geschwindigkeit wurden zu Alltagsbegleitern und lassen Nachschlagewerke im Angesicht von Online-Enzyklopädien in Zeiten kollektiver Aktualitätsobsession und Wissensdynamik wie schwer in den Regalen der Vergangenheit lastende Erinnerungen überholten statischen Wissens erscheinen. Da Neues allerdings nicht automatisch Erneuerung schafft, braucht es klare und visionäre Strategien im Umgang mit Wissen, Wissenschaft und die diese umgebende Welt der Information. Nur so ist sicherzustellen, dass Francis Bacons treffendes „Knowledge is Power“ nicht zum Sinnbild einer inhaltsleeren, unkritisch gleichgeschalteten Welt übermächtiger Informations- und Internetkonglomerate mit orientierungslos umherirrenden Medienkonsumenten verkommt. Mehr noch als durch kognitive Faktoren, sind Wissen und Macht durch Erlebnisse, Erfahrungen, Lehren und Grundhaltungen von Einzelindividuen ebenso wie von Gruppen bestimmt. Als niemals sinnentleerte, auch normativ wirksame Größen, müssen Wissen und Macht über Einzelinteressen hinaus wirksam sein. Denn erst im Einsatz für gesellschaftliche Entwicklung, Sicherung von Demokratie, Umwelt und Menschenrechten erfüllen sie gemeinsam ihre wertvollste Funktion. Wissen zielgerichtet einzusetzen und Visionen von einer besseren, gerechteren und demokratischeren Gesellschaft mit Leben zu erfüllen stellt die stärkste aller Machtformen dar: Die Macht der Tat. Anmerkung: 1 Arendt, H.: Macht und Gewalt (Originalausgabe: On Violence, New York 1970), München/ Zürich, 1. Auflage 1970, 15. Auflage 2003. 51

Wolf Rauch oder wie die Informationswissenschaft in Graz begann Thomas Weitzendorf, Herbert Stüber und Eva Bertha

Februar 1987: Haus der Familie Rauch am Rosenhain Mein Auto war kaputt. Ich fuhr mit dem Fahrrad zum Vorstellungsgespräch. Verschwitzt, aber gut aufgewärmt war nur mehr der riesige Hund zwischen meinen Beinen ein Problem, der zeitgleich mit mir ins Haus wollte. Das Gespräch war angenehm, aber durchaus herausfordernd – mit einem Mann, der wusste, was und wen er wollte. September 1987, Strassoldogasse 10, ehemaliges Statistik-/Mathematikinstitut Die erste Besprechung mit dem ersten Chef unseres Lebens fand auf Umzugskartons statt, jedoch in einem neu renovierten Gebäude mit tollem Ambiente. Der erste Chef – ein junger, dynamischer und sympathischer Professor Wolf Rauch: Was will man mehr als Berufseinsteiger? 1987 bis 1991, wunderbare und lehrreiche Jahre Die Umzugskartons waren schwarzen und bequemen Besprechungssesseln und einem dezenten Glastisch gewichen. Der „Chef “ war überhaupt ganz auf Schwarz. Der Computer in Schwarz – damals eine Sensation und ansonsten alles schlicht. Wie eben die Person des Wolf Rauch (WR) – nie übertrieben als Chef auftretend, aber dafür das, was er vermittelte und wollte, bestimmt, überzeugend und in vielen Dingen richtungsweisend. Riten Riten bestimmten eine Firma, bestimmten ein Institut. Wie wahr das sein sollte, begriffen wir in vollem Ausmaß erst viel später in unserem Berufsleben. Im Ausmaß des Instituts in der Strassoldogasse bekamen wir dies durch unsere Sommerausflü52

Wolf Rauch oder wie die Informationswissenschaft in Graz begann

ge in den Karlsschacht oder zu Oberstölzle, der Glasfabrik in der Weststeiermark, vermittelt. Unsere wöchentlichen Jours fixes waren mit Kaffee und sehr oft auch Kuchen sowohl kulinarisch als auch fachlich einer der besten Riten am Institut. Dezentrale EDV Cloud Computing war uns damals noch nicht bekannt. Wie auch? Schließlich beherrschten die IBM- und DEC-Systeme den Markt. Mit WLAN vernetzte PCs hatten sich in den frühen 80er-Jahren noch nicht emanzipiert. Wolf Rauch war seiner Zeit voraus und katapultierte uns – operativ umgesetzt durch Herbert – Habby – Stüber – in die Zeit des vernetzten Computing. Apple statt DOS Zuerst ein kleiner Exkurs für jüngere Leser unter uns. DOS war damals das Betriebssystem von Microsoft (noch bevor Windows geboren wurde) und zeichnete sich durch einen Kommando-Bildschirm aus (meist grüne Zeichen auf schwarzem Hintergrund). Jeder User musste – üblicherweise unfreiwillig – diese Kommandosprache lernen. Wollte man z.B. einen Ordner öffnen und seinen Inhalt sehen, so tippte man zuerst ‚cd‘ (für change directory) sowie den gesamten korrekten Pfadund Dateinamen ein – Tippfehler wurden gnadenlos bestraft – zurück zum Start. Dann noch den korrekten Befehl für ‚Inhalt anzeigen‘ eintippen (mir mittlerweile ins Nirwana entrückt) und schon sah man den Inhalt des Ordners in eine Liste. Korrekt – man sah den Inhalt angezeigt – das war es. Bei einer Online-Schulung von erstsemestrigen Studenten auf DOS-Rechnern der Fakultät bedeutete dies, dass nach der Eingabe von ca. 5 Befehlen die Stunde aus war (2-Finger-Adler-Suchsystem, langer Pfadname, vertippen, neuer Versuch, […]). Auf der anderen Seite Apple mit Fenstertechnik. Doppelklick auf den Ordner – geöffnet – Doppelklick auf den Inhalt – Datei geöffnet – Wow! Das Netzwerkkabel angesteckt – ping – die Macs und auch die Drucker haben sich selbstständig im Netzwerk gemeldet – ohne lästige Einstellungen. Zugriffsberechtigungen bei Ordner des Instituts. ‚Lesen‘, ‚Schreiben‘, ‚Kein‘ angekreuzt und es hat einfach funktioniert – anno 1988 – unvorstellbar – die Zukunft. Bildschirmtext Auch Steve Jobs musste schon zugeben, dass nicht alle Apple-Produkte seit 2003 ein Erfolg waren. So versuchten auch wir uns – initiiert durch WR – im BTX. 53

Thomas Weitzendorf, Herbert Stüber und Eva Bertha

Unsere Lehrinhalte faszinierten schon bald die BTX Leser. Die zugrundeliegende Bildschirmbeschreibungssprache faszinierte allerdings nur? uns. Technische Ausstattung aller ersten Güte Ein Mac Plus Netzwerk für die Studenten, ein schnelleres MAC II Ethernet Netzwerk für die Mitarbeiter mit eigenem Server und via Gateway mit den Studenten sowie via Modem mit der großen Welt verbunden, ein Farbscanner (!), eine Unix Workstation sowie ein OS 2 Rechner komplimentierten unser vernetztes PC System, mit dem wir unter anderem Projektplanung, relationale Datenbanken, Programmierung und weltweite (!) Suche nach Papers und Dokumenten vermittelten [Hinweis für jüngere Leser: das Internet war in seiner Form – www – noch nicht erfunden]. Dass wir mit dieser Ausrüstung arbeiten und diese verstehen durften, verdanken wir der Hartnäckigkeit unseres Chefs. Er stellte sich voll Überzeugung gegen die Großrechnerphilosophie, die damals noch vorherrschte und sich bald als Irrweg herausstellen sollte. Dass ein Fax – damals eine relativ neue, bahnbrechende Technologie – uns auf dem Weg begleitete, sei nur ergänzend erwähnt. [Hinweis für jüngere Leser: Bahnbrechend deshalb, weil man damals noch keinen E-Mail-Account hatte und somit Unterlagen kopieren und mit der Post senden musste. Wenn man das Institut oder sein Haus verlassen hat, dann war man WEG – nicht erreichbar – praktisch tot. Das Fax half beim ersten Problem, beim zweiten Problem traten dann die Handys ihren Siegeszug an.] Lokales Internet: Hypercard Wer denkt heute schon darüber nach, wenn er auf einen Link klickt und – meistens – dorthin kommt, wo er will. In den 80er Jahren war das noch Zukunftsvision. Allerdings nicht für uns: Hypercard – natürlich auf Apple – stellte unseren wissbegierigen Studenten eine sogar mit Audio Files unterstützte Institutsvorstellung zur Verfügung. Die Blicke der über die Fotos am Bildschirm erstaunten Studenten werden wir nie vergessen! Auch die Institutsbibliothek auf Hypercard übertraf die Erwartungen der damaligen Zeit. Wo ansonsten den Nutzern wirre Statements abverlangt wurden, gab es bei uns eine benutzerfreundliche Oberfläche vom Feinsten. Summa summarum: Wir dürfen behaupten, dass WR uns zu einem guten Teil die Zukunft zeigte und damit arbeiten ließ. 54

Wolf Rauch oder wie die Informationswissenschaft in Graz begann

So What? Technologie ist nicht alles und oft nicht einmal das Entscheidende. WR gab uns zwar die Technik an die Hand, ließ uns aber nie vergessen, dass sie nur Werkzeug ist. Er verhinderte damit, dass wir nur Technik analysierten, die schon bald wieder überholt war. Den Blick auf das Wesentliche – nämlich auf den Nutzen – zu richten, lernten wir von ihm. Was in IT-Abteilungen großer Unternehmen oft heute noch nicht angekommen ist, war vor fünfundzwanzig Jahren in der Strassoldogasse Diskus­ sions- und Arbeitsthema. Freude an der Arbeit Neben dem „So What“ war auch das Arbeitsklima ausschlaggebend, diese fünf Jahre in positiver Erinnerung zu behalten. Toleranz gegenüber dem anderen – wir waren und sind unterschiedliche Charaktere – das Lernen vom anderen – der Betriebswirt lernte zumindest sehr viel vom Informatiker und von der Information-RetrievalTopfrau – zeichneten das Institut aus. Gemeinsames Kaffeetrinken und Lachen waren selbstverständlich. Es ging bis hin zu Lachkrämpfen, die wir gemeinsam souverän überstanden. Wenn das restliche Berufsleben immer so produktiv, unbeschwert und genussvoll gewesen wäre, würde ich mich auch bei meinen anderen Chefs ähnlich bedanken.

55

Wolf  Rauch in Deutschland Harald Zimmermann

Die Biografie im Austria-Lexikon zu diesem Abschnitt des Werdegangs von Prof. Dr. Wolf Rauch ist recht knapp gehalten: „Von 1978 bis 1980 leitete Wolf Rauch das Forschungsprojekt COBIS (Computergestütztes Büro-Informations-System) an der Universität Regensburg und von 1979 bis 1980 das Vorbereitungsprojekt zur Gründung des Fachinformationszentrums Geisteswissenschaften (FIZ 14) an der Universität Saarbrücken. 1982 habilitierte er sich mit der Schrift ‚Sozialwissenschaftliche Aspekte der Büroautomatisierung durch Informationssysteme‘ an der Universität Wien.“1 Auf der Homepage der Uni Graz heißt es: „1978 bis 1980 Leitung des Forschungsprojekts COBIS an der Universität Regensburg und von 1979 bis 1980 des Vorbereitungsprojekts zur Gründung des Fachinformationszentrums Geisteswissenschaften (FIZ 14) an der Universität Saarbrücken.“2 Doch wie kam es dazu, dass Dr. Wolf Rauch nach Deutschland kam und diesen Weg einschlug, der schließlich dazu führte, dass er 1982 bis 1984 zum Leiter der Sektion für Kommunikation (SfK) der Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) in Frankfurt am Main wurde? Ich selbst hatte ab 1974 eine Professur für Informationslinguistik in der Fachrichtung Allgemeine Sprachwissenschaft in Regensburg inne. Neben dem Projekt JUDO (1977– 82; Juristische Dokumentanalyse, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMFT-)Projekt an der Universität Regensburg) bot sich die Möglichkeit zu einem Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Firma Siemens (München) an. Bei COBIS3 handelte es sich um die Anwendung des bei Siemens entwickelten linguistischen Analyseverfahrens CONDOR auf den Anwendungsbereich ‚Bürotätigkeit‘ , wiederum gefördert vom BMFT in Bonn. Mit beteiligt waren als exemplarische Anwender, neben der eigenen Fachrichtung in Regensburg und der CONDOR-Abteilung in München, die Firma Daimler (Bereich Fellbach bei Stuttgart). Gesucht wurde ein ausführender Projektleiter. 56

Wolf Rauch in Deutschland

Dr. Wolf Rauch hatte damals – parallel zu einer Delphi-Studie zur Informationswissenschaft in Deutschland von einem Team um Gernot Wersig in (West-)Berlin – eine Delphi-Studie zur Informationswissenschaft in Österreich publiziert. Die dort erkennbare spezifische Kompetenz veranlasste mich, ihn anzusprechen und ihm die Stelle des Projektleiters anzubieten. In der Folge fuhr er am Wochenende von Graz nach Regensburg. Nicht nur in der Delphi-Studie war sein Blick für die Entwicklungen der nahen und v.a. ferneren Zukunft zu erkennen. Ich erinnere mich, dass es seine Idee war, auf der SYSTEMS in München Bürocomputer (den PC und das Internet gab es noch nicht) auf alten Schreibtischen zu präsentieren. Eigentlich wollten wir sie mit Silberpapier verhüllen, um darzustellen, dass der Computer im Büro eines Tages ‚Alltag‘ wird, doch die Hallenfeuerwehr konnte dies verhindern. Auch wenn das System CONDOR – Grundlage der Sprachanalyse von COBIS – inzwischen nicht mehr besteht: die Gedanken sind umgesetzt, das ‚papierlose Büro‘ ist zumindest möglich geworden: die graphische Interaktion hat die damals noch benutzte kommandoorientierte Steuerung abgelöst. 1984 folgte ich einem Ruf an die Universität des Saarlandes auf eine Professur für Informationswissenschaft an der Philosophischen Fakultät in Saarbrücken. Doch auch dies hatte eine Vorgeschichte, an der Dr. Wolf Rauch entscheidenden An­teil hatte. Vor der ‚Wende‘ wurden im sog. IuD-Programm (Informations- und Dokumentationsprogramm) der deutschen Bundesregierung (Bonn) Konzepte zum Aufbau von Fachinformationszentren (FIZe) erarbeitet. Geplant war, zu verschiedenen Fachgebieten (Fachinformationssystemen, FIS) Zentren einzurichten, wobei die (meist vorhandenen) IuD-Stellen Daten bereitstellen sollten. Zu verschiedensten Fachbereichen gab es bereits sich anbietende Zentren. Dort, wo es diese noch nicht gab, wurden (westliche) Bundesländer gebeten, sich zu engagieren und an den Plänen mitzuwirken. Das Saarland war bereit, ein entsprechendes Konzept zum Fachinformationsbereich Geisteswissenschaften zu entwickeln. Dass es nicht zur Gründung kam, lag teilweise daran, dass die Finanzierung in diesem ‚kulturellen‘ Bereich weitgehend durch die Bundesländer erfolgen sollte und sich das Bundesland Bayern nur dann bereit gefunden hätte, wenn zumindest ein Zentrum (zu einem Teilbereich, z.B. zu Kunst und Geschichte) in München etabliert worden wäre. Die Entwicklungen zum Fachinformationszentrum Geisteswissenschaften (FIS und FIZ 14) fanden zunächst (ab 1979) in Saarbrücken statt.4 Dr. Wolf Rauch wurde Leiter dieses Forschungsprojekts in Saarbrücken, seine Wochenendfahrt von 57

Harald Zimmermann

Graz und zurück wurde etwas weiter.5 Das Saarland erhielt später das Fachinformationszentrum JURIS (Rechtsinformation).6 Der Weg von Dr. Wolf Rauch in Deutschland ging dann weiter nach Frankfurt am Main. Er wurde Leiter der Sektion für Kommunikation der Gesellschaft für Information und Dokumentation. In dieser Zeit (1982) erschien seine Publikation ‚Büro-Informations-Systeme: Sozialwissenschaftliche Aspekte der Büro-Automatisierung durch Informations-Systeme‘. Im praktischen Teil wird Bezug genommen zu den Forschungen in COBIS. Diese Veröffentlichung wurde in Wien als Habilitationsschrift angenommen. Anmerkungen: 1 Quelle: http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Rauch%2C_Wolf, abgerufen am 1.  8. 2011. Die Darstellung in Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Wolf_Rauch; abgerufen am: 1. 8. 2011) ist dagegen fehlerhaft. Dort heißt es verkürzt: „1977–1982 war er Assistent bzw. Dozent an der Universität Wien.“ 2 Quelle: http://www.kfunigraz.ac.at/iwiwww/pers/rauch.html, abgerufen am 1. 8. 2011. 3 Vgl. die ausführliche Online-Veröffentlichung zu COBIS unter http://is.uni-sb.de/ zimmermann/pdf/1982h.pdf, abgerufen am 20.12.2011. 4 Zur Vorgeschichte der Informationswissenschaft in Saarbrücken vgl. den Artikel ‚Infor­ mationswissenschaft in Saarbrücken – eine Standortbestimmung‘ http://is.uni-sb.de/ zimmermann/pdf/1983j.pdf, abgerufen am 20.12.2011. Ein Resultat der Untersuchungen war ‚DOGE – Dokumentationsstellen Geisteswissenschaften‘ (ed. Wolfgang von Keitz und Harald H. Zimmermann (1982) u.a. mit einer Übersicht zu 271 geisteswissenschaftlichen Dokumentationsstellen in der (damaligen) Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West). Vorwort online unter http://scidok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2007/775/pdf/1982f.pdf, abgerufen am 20.12.2011, mit Abgrenzung des Themenbereichs ‚Geisteswissenschaften‘. 5 Soweit ich mich erinnere, legte Wolf Rauch die Strecke meist mit einem PKW (schwarzer Golf ) zurück. 6 Das Engagement des Saarlandes wurde damit ‚belohnt‘. Argumente der Kabinettsentscheidung in Bonn u.a.: Das Saarland hat noch kein Fachinformationssystem, es gibt an der Universität des Saarlandes einen flankierenden Studiengang ‚Informationswissenschaft‘ und man lebt gut im Saarland – mit dem letzten Argument sollten die Beamten ‚gelockt‘ werden, da zuvor die Entwicklungen von JURIS im BMJ in Bonn stattfanden. Inzwischen ist zudem an der Juristischen Fakultät ein Studiengang Rechtsinformatik eingerichtet worden, der u.a. JURIS flankiert.

58

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots Peter Böhm und Marc Rittberger

Zusammenfassung Beschrieben wird eine Analyse der Nutzungsdaten des Deutschen Bildungsservers.1 Datengrundlage sind mittels einer Webanalyse-Software erhobene Daten. Gängige Metriken der Webanalyse wie Besuchstiefe, Sitzungsdauer und Absprünge werden nach Art des Website-Einstiegs segmentiert. Aus diesen Auswertungen wird der Bedarf für eine Personalisierungsfunktion abgeleitet. Des Weiteren werden einzelne Personalisierungsfunktionen und das Ergebnis einer Online-Umfrage zur Relevanz möglicher Funktionen dargestellt. Abschließend werden aus den Umfrageergebnissen Empfehlungen für eine Umsetzung abgeleitet.

Einleitung Der Deutsche Bildungsserver (DBS) ist das größte deutsche Internetportal im Bildungsbereich. Der DBS ist kostenlos und ohne Registrierung nutzbar. Er startete 1996 im Rahmen der Initiative „Schulen ans Netz“ als vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Projekt und wird seit Oktober 1999 am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) inhaltlich und technisch betreut. Sein Zweck ist die Bereitstellung von Verweisen zu gesichteten und geprüften bildungsrelevanten Internetseiten, ergänzt durch redaktionelle Beiträge und Volltextdokumente. Dazu findet eine redaktionelle Erfassung und Strukturierung zugehöriger Metadaten statt. Der DBS ist somit als Verweis- oder Metaserver einzuordnen, woraus er seinen Mehrwert ableitet. Um sowohl die Übersichtlichkeit als auch die Effizienz und Effektivität der Nutzung zu verbessern, wurde auf Basis einer Nutzungsanalyse eine Personalisierungsfunktion entwickelt und evaluiert. Der folgende Abschnitt beschreibt die Durchführung der Nutzungsanalyse, deren 61

Peter Böhm und Marc Rittberger

Ergebnis auf einen notwendigen Ausbau des Personalisierungsangebotes des DBS hindeutet. Analyse der Nutzungsdaten Logfiles sind die älteste Methode zur Erfassung von Nutzungsdaten (Kaushik 2007, S. 2f.). In den Anfängen des Web zunächst zur Überprüfung der Server-Funktions­ fähigkeit implementiert, entwickelten sich die Textdateien mit der zeilenweisen Protokollierung einzelner Dateiabrufe bald zu einer Datenquelle für Werkzeuge wie Analog,2 die die Daten zu übersichtlichen statistischen Auswertungen aufbereiteten. Aufgrund methodisch bedingter Einschränkungen bei Logfiles, z.B. hinsichtlich des Datenumfangs, verwenden moderne Webanalyse-Programme, z.B. Google Analytics, meist JavaScript zur Datenerfassung (Kaushik 2007, S. 30ff.). Dazu wird vorgefertigter HTML- und JavaScript-Code in alle Seiten der zu erfassenden Website eingefügt. Dieser Code wird bei jedem Seitenabruf vom Browser ausgeführt und generiert einen entsprechenden Protokolleintrag im Webanalyse-System. Gegenüber Logfiles kann ein breiteres Datenspektrum erhoben werden, darunter auch Angaben zu installierten Browser-Plugins. Außerdem lassen sich Zwischenspeicher (sog. Caches) umgehen, die bei der serverbasierten Protokollierung einen Teil der Seitenabrufe abfangen. Verbreitet ist die Kombination dieser Erhebungsmethode mit Cookies. Dabei handelt es sich um kleine Textdateien, die mittels einer zufällig generierten Kennung eine Wiedererkennung von Nutzersystemen erlauben. Bereits seit dem Start des DBS werden die Seitenabrufe in Form von Logfiles protokolliert. Da hierbei keine Cookies verwendet werden, ist die Verbindung einzelner Seitenabrufe zu logisch zusammenhängenden Sitzungen während der Auswertung nur anhand der Kombination von IP-Adresse und Browserkennung möglich (Hassler 2009, S. 57). Dieses Verfahren ist jedoch fehlerbehaftet, da beispielsweise mehrere Rechner unter derselben IP-Adresse mit dem Internet verbunden sein können. Im Rahmen eines Projektes zum Themenfeld Webanalyse wird die Analysesoftware Piwik zunächst testweise und seit Juli 2009 im Regelbetrieb beim DBS eingesetzt. Piwik verwendet persistente Cookies, die – sofern es die Browsereinstellungen gestatten – auch nach dem Beenden des Browsers erhalten bleiben. Sie erlauben somit neben einer präziseren Sitzungserkennung auch die Erkennung wiederkehrender Besucher. Ein weiterer Vorteil von Piwik gegenüber Logfiles liegt in der strukturierten Speicherung der Nutzungsdaten in einer relationalen Datenbank, welche auf die Bedürfnisse des Website-Betreibers zugeschnittene Auswertungen ermöglicht. 62

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots

Bei der Analyse von Nutzungsdaten kann eine Segmentierung von Metriken vorgenommen werden (Kaushik 2007, S. 254ff.). Dieses Vorgehen erlaubt aussagekräftigere Auswertungen und die Interpretation etwaiger Unterschiede zwischen den einzelnen Segmenten. Möglich ist beispielsweise die Segmentierung nach der Einstiegsart. Identifiziert wird die Einstiegsart anhand der Verweisseite (Referrer) beim ersten Seitenabruf einer Sitzung. Wird vom Browser kein Referrer übermittelt, kommen als Ursachen der direkte Seitenabruf per URL-Eingabe oder Lesezeichen, der Aufruf aus einer anderen Anwendung (z.B. dem E-Mail-Programm) oder eine generelle Deaktivierung der Referrer-Übertragung infrage (Hassler 2009, S. 49). Bei der Analyse von Nutzungsdaten wird die Sitzung als Direkteinstieg gewertet, sofern eine Referrer-Angabe beim ersten Seitenabruf fehlt. Liegt eine ReferrerAngabe vor, wird danach unterschieden, ob sie sich einer Suchmaschine zuordnen lässt oder nicht. Im ersten Fall spricht man von einem Suchmaschineneinstieg, im zweiten Fall von einem Einstieg über sonstige Verweisseiten (Hassler 2009, S. 112). Bereits aus Logfile-Auswertungen war ersichtlich, dass über 60% der Sitzungen beim DBS über Suchmaschinen beginnen. Unter Verwendung der Piwik-Daten vom 1. Juli bis 30. November 2009 sollte der Frage nachgegangen werden, ob sich Unterschiede in der DBS-Nutzung hinsichtlich der drei Einstiegsarten Direkteinstieg, Suchmaschineneinstieg und Einstieg über eine Verweisseite feststellen lassen. Als Maß zum Ausdruck der Stärke des Zusammenhangs zwischen der jeweiligen Metrik und den drei Segmenten wurde Cramers V 3 verwendet. Ergebnisse 1.880.757 Nutzer-Sitzungen beim DBS fallen in den Betrachtungszeitraum. 19,9% davon entfallen auf Direkteinstiege, 68,7% auf Suchmaschineneinstiege und 11,4% auf Einstiege über sonstige Verweisseiten (Abb. 1). Vergleichswerte anderer Webangebote werden selten publik gemacht. Zieht man jedoch Statistiken von Hitwise für den Monat April 2009, bei deren branchenspezifischer Darstellung der höchste Anteil von Suchmaschineneinstiegen mit 50% in der Bildungsbranche lag (Dou­ gherty 2009), zum Vergleich heran, fällt auf, dass dieser Anteil beim DBS noch deutlich höher ist. Es ist demnach davon auszugehen, dass der DBS überdurchschnittlich abhängig von Suchmaschinen hinsichtlich der Nutzerzuführung ist.

63

Peter Böhm und Marc Rittberger

sonst. Verweis; 214.601; 11,4%

direkt; 374.843; 19,9%

Suchmaschine; 1.291.313; 68,7%

Abbildung 1: Verteilung der Einstiegstypen

Besuchstiefe Die durchschnittliche Besuchstiefe, also die Anzahl von Aktionen je Sitzung, unterscheidet sich kaum nach Einstiegsart. Bei Direkt- und bei Suchmaschineneinstiegen finden im Schnitt 3,4 Aktionen statt, verglichen mit 3,9 Aktionen bei Einstiegen über sonstige Verweisseiten. Der Zusammenhang zwischen Besuchstiefe und Einstiegsart ist mit einem Wert für Cramers V von 0,091 als sehr schwach zu bezeichnen. Eine Betrachtung der Einzelwerte liefert jedoch Hinweise auf Unterschiede in der DBS-Nutzung. Der Anteil der Direkteinstiege ist bei Ein-Aktionen-Sitzungen (auch als Absprünge bezeichnet) mit 24,9% überdurchschnittlich hoch (vgl. Gesamtanteil 19,9%), fällt ab zwei Aktionen deutlich ab und erreicht ab 14 Aktionen wieder durchgängig überdurchschnittliche Werte (Abb. 2). Dies deutet auf eine Zweiteilung der Direkteinsteiger in eine Gruppe von Nutzern, die lediglich eine Seite abrufen, und eine zweite Gruppe, die den DBS besonders intensiv nutzen, hin. Ausgangspunkte für die Sitzungen der ersten Gruppe könnten einerseits ein abonniertes Newsfeed oder der zweiwöchentlich erscheinende Newsletter sein oder andererseits der bewusste regelmäßige Abruf z.B. der Startseite, um sich über Neuigkeiten zu informieren. Umgekehrt verhält es sich bei Suchmaschineneinstiegen: Ihr Anteil ist bei Ein-Aktionen-Sitzungen unterdurchschnittlich gering (64,9% vgl. mit Gesamtanteil von 68,7%), erreicht bei drei Aktionen einen Höhepunkt von 75,8% und nimmt mit steigender Aktionszahl wieder kontinuierlich ab. Der Anteil der 64

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots

10,3% 11,2% 11,4% 12,6% 13,1% 13,5% 13,6% 13,8% 13,8% 14,3% 14,2% 13,9% 14,4% 14,5% 14,3% 14,4% 14,7% 13,6% 14,5% 14,0% 14,1% 13,9% 14,0% 15,1% 15,3% 14,2% 15,3% 13,2% 15,2% 14,4% 12,3% 13,9% 15,7% 15,7% 14,0% 15,8% 14,2% 15,1% 12,9% 13,5% 13,3% 64,9% 72,9% 75,8% 71,4% 71,9% 69,1% 70,7% 68,2% 68,7% 66,3% 67,2% 65,3% 66,0% 65,1% 64,9% 64,1% 63,3% 62,3% 63,8% 63,0% 63,4% 60,2% 61,9% 59,0% 60,7% 62,4% 59,7% 58,3% 60,8% 61,2% 59,7% 58,4% 58,4% 55,0% 58,9% 55,6% 55,9% 56,0% 58,6% 56,9% 52,3%

direkt

Suchmaschine

sonst. Verweis

39

41+

37

35

33

31

29

27

25

23

21

19

17

15

13

9

11

7

5

3

24,9% 15,9% 12,7% 16,1% 15,0% 17,4% 15,7% 18,0% 17,5% 19,5% 18,6% 20,7% 19,7% 20,4% 20,8% 21,5% 22,0% 24,1% 21,7% 23,0% 22,5% 25,9% 24,1% 25,9% 23,9% 23,4% 25,0% 28,5% 24,0% 24,4% 28,0% 27,8% 26,0% 29,3% 27,1% 28,7% 29,9% 29,0% 28,4% 29,7% 33,3%

100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

1

Anteil Einstiegsart

sonstigen Verweise nimmt von 10,3% bei einer Aktion (Gesamtanteil 11,4%) bis auf 15,3% bei 27 Aktionen zu und variiert bei höheren Aktionszahlen stark. Insgesamt ist erkennbar, dass Sitzungen mit zahlreichen Aktionen tendenziell häufiger über Direktzugriffe und sonstige Verweisseiten als über Suchmaschinen eingeleitet werden.

Anzahl Aktionen je Sitzung

Abbildung 2: Anteile der Einstiegsarten nach Anzahl der Aktionen je Sitzung

Sitzungsdauer Da sich die Zeitdauer von Sitzungen mit nur einer Aktion technisch nicht bestimmen lässt, werden diese Sitzungen bei der Betrachtung der Sitzungsdauer ausgeschlossen. Nach dieser Filterung und einer Zusammenfassung der Einzelwerte zu sieben Klassen4 (Abb. 3) zeigt sich, dass der größte Anteil der Sitzungen mit 23% auf den Bereich zwischen 61 und 180 Sekunden entfällt, der zweitgrößte mit 18,4% auf jenen zwischen 181 und 600 Sekunden. Über 56% der Sitzungen ab zwei Aktionen haben eine Länge von über einer Minute. Der Anteil der Direkteinstiege verringert sich von 17,9% bei Sitzungsdauern bis zehn Sekunden auf 11,7% in der nächsten Klasse von elf bis 30 Sekunden und steigt in höheren Klassen wieder an bis auf 31,2% bei Sitzungen ab 30 Minuten. Mit einem Minimum von 10,6% und einem Maximum von 13,4% variiert der Anteil der sonstigen Verweise nur gering. Somit ergeben sich für die Suchmaschineneinstiege ähnliche Schwankungen wie für die Direkteinstiege. Auf Suchmaschineneinstiege entfallen 76,2% der Sitzungen von elf bis 30 Sekunden, jedoch nur 58,2% der Sitzungen mit einer Länge von über 1.800 Sekunden. 65

Peter Böhm und Marc Rittberger

Anteil Einstiegsart

Somit ergibt sich eine Verteilung ähnlich jener der Aktionszahl: Direkteinstiege sind bei sehr kurzen und sehr langen Sitzungen überproportional stark vertreten. Dies spricht für einen naheliegenden Zusammenhang zwischen Aktionszahl und Sitzungsdauer. Die zahlreichen Aktionen, die bei Direkteinstiegen verstärkt ausgeführt werden, nehmen mehr Zeit in Anspruch. Jedoch ist der statistische Zusammenhang zwischen Sitzungsdauer und Einstiegsart mit einem Wert für Cramers V von 0,087 sehr schwach. 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0%

10,6%

10,8%

12,1%

12,8%

13,4%

12,6%

11,2%

71,3%

76,2%

75,1%

72,3%

69,4%

65,9%

17,9%

11,7%

12,2%

14,3%

18,1%

22,9%

≤10

11-30

31-60

61-180 181-600 601-1800 ≥1801

sonst. Verweis

Suchmaschine

direkt

58,2%

31,2%

12,3%

71,7%

16,0% Gesamt

Sitzungsdauer (klassiert, in Sekunden)

Abbildung 3: Anteile der Einstiegsarten nach Sitzungsdauer

Absprünge Bereits thematisiert wurden Absprünge, also Sitzungen, bei denen nach einem Seitenabruf keine weitere Aktion ausgeführt wird. Das Verlassen des DBS über einen externen Link löst bei der Datenerfassung in Piwik eine zweite Aktion aus und kann somit ausgeschlossen werden. Folgende Gründe für Absprünge sind denkbar: • Ein (eventl. regelmäßiger) DBS-Nutzer ruft gezielt die Startseite oder eine andere Redaktionsseite auf, um sich über Neuigkeiten zu informieren. • Ein Abonnent des DBS-Newsletters oder eines Newsfeeds klickt auf einen darin enthaltenen Link und betrachtet nur diese Seite. • Ein Quereinsteiger (über Suchmaschinen oder sonstige Verweisseiten) ruft eine Seite des DBS auf, führt jedoch keine weitere Aktion aus. Ein Grund hierfür könnte sein, dass die aufgerufene DBS-Seite das Informationsbedürfnis des Nutzers nicht befriedigt. 66

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots

• Nach einem ungewollten Klick auf einen Weblink oder Favoriteneintrag bemerkt der Nutzer seinen Fehler und schließt das Fenster oder klickt auf die Zurück-Schaltfläche. Demnach kann es sowohl negative wie auch positive Gründe für einen Absprung geben, wobei sich die positiven Gründe eher Direkteinsteigern und die negativen Gründe eher Quereinsteigern zuordnen lassen. Bei Direkteinstiegen beträgt die Absprungrate 55%, bei Suchmaschineneinstiegen 41,7% und bei sonstigen Verweisen 39,7%. Der Gesamtschnitt liegt bei 44,1%. Bei mehr als der Hälfte aller Direkteinstiege wird also lediglich eine Seite abgerufen. Ein schwacher Zusammenhang zwischen Absprüngen und Einstiegsart besteht gemäß einem Wert von 0,111 für Cramers V. Wiederkehrende Besucher Der Anteil von Besuchern, die den DBS nach dem Ende einer Sitzung erneut aufrufen, liegt bei Direkteinstiegen bei 47,5% und damit deutlich höher als bei Suchmaschineneinstiegen (16%), sonstigen Verweisen (14,9%) und auch dem Gesamtwert (22,2%). Dieser hohe Anteil wiederkehrender Besucher bei Direkteinstiegen ist ein starkes Indiz dafür, dass jene Besucher als Stammnutzer angesehen werden können. Die hohe Abweichung bei den Direkteinstiegen spiegelt sich in einem Wert für Cramers V von 0,304 wider, was auf einen mittleren Zusammenhang hindeutet. Fazit der Nutzungsanalyse Trotz des geringen statistischen Zusammenhangs zwischen den Metriken und der Einstiegsart lassen sich Schlüsse und Empfehlungen ableiten. Der Anteil der Suchmaschineneinstiege beim DBS ist überdurchschnittlich hoch. Dadurch ergibt sich eine gewisse Abhängigkeit von den Suchmaschinenanbietern, da die Trefferrangfolge durch das DIPF als Seitenbetreiber nur bedingt beeinflusst werden kann. Die beschriebene Zweiteilung in eine geringe Besuchstiefe und kurze Sitzungsdauer einerseits und eine hohe Besuchstiefe und -dauer andererseits deutet darauf hin, dass Direkteinsteiger zu den Stammnutzern zählen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den hohen Anteil wiederkehrender Besucher bei den Direkteinstiegen. Ein Ansatz zur Erhöhung der Nutzerbindung sowohl bei den Direkt- als auch bei den Suchmaschineneinsteigern könnte hierbei ein umfassender Ausbau der vorhandenen Personalisierungsfunktion sein. Ziel hierbei sollte die dauerhafte Bindung 67

Peter Böhm und Marc Rittberger

der vorhandenen Stammnutzer und die Gewinnung neuer Stammnutzer sein. Dadurch könnte der Anteil von Direkteinstiegen erhöht und die Abhängigkeit von Suchmaschinen verringert werden. Zwei Fakten deuten dabei auf eine grundsätzliche Eignung des DBS für eine umfangreiche Personalisierungsfunktion: Es gibt bereits wiederkehrende Nutzer, womit ein grundsätzliches Nutzerpotenzial vorhanden ist, und die Inhalte des DBS sind stabil und mit umfangreichen Metadaten versehen, womit ein inhaltliches Potenzial besteht (Wu et al. 2002). Die konzeptionellen Arbeiten für eine solche Personalisierungsfunktion werden im folgenden Abschnitt vorgestellt. Personalisierung Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs Personalisierung ist noch nicht etabliert. Sunikka und Bragge (2008) geben einen Überblick. Gemein ist den meisten Definitionen die Unterscheidung in explizite und implizite Personalisierung (Sunnika/Bagge 2008, S. 2). Bei der expliziten Personalisierung macht der Nutzer aktiv und bewusst Angaben zu seinen Interessen (beispielsweise in Form eines Profils), bewertet Inhalte des Webangebots oder passt eine Internetseite interaktiv seinen Wünschen an. Bei der impliziten Personalisierung wird die Anpassung automatisch vorgenommen. Hierbei kommen oft Empfehlungssysteme zum Einsatz, die auf Basis von Dokumenteigenschaften oder Nutzereigenschaften Empfehlungen generieren. Bereits seit einigen Jahren besteht beim DBS unter der Bezeichnung „Mein Bildungsserver“ eine Funktion zur expliziten Personalisierung der DBS-Inhalte. Die Nutzeridentifikation erfolgt dabei über zwei URLs mit jeweils einer längeren, nicht sinntragenden Zeichenkette.5 Eine Adresse führt zu einer Konfigurationsseite, die andere zur eigentlichen persönlichen Seite.6 Auf der Konfigurationsseite können Katalogseiten zur Verlinkung auf der persönlichen Seite ausgewählt werden. Außerdem ist es möglich, Suchanfragen zu definieren, deren aktuelle Ergebnislisten ausgegeben werden. Weiterhin kann eine optionale E-Mail-Benachrichtigung über neue Treffer zu den Suchanfragen aktiviert werden. Die Darstellung auf der persönlichen Seite erfolgt sequenziell und ist vom Nutzer nicht beeinflussbar. Zur Weiterentwicklung der Personalisierung beim DBS wurden zunächst anhand von zwölf exemplarisch ausgewählten Webangeboten mögliche Funktionen identifiziert. Auf dieser Grundlage wurden die von den Nutzern gewünschten Funktionen durch eine OnlineUmfrage ermittelt. 68

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots

Personalisierungsfunktionen Zur Ermittlung von Personalisierungsfunktionen wurden Webangebote mit einem Personalisierungsangebot aus dem Bibliotheks- und Fachportal-Bereich sowie weitere Websites identifiziert, analysiert und die Personalisierungsfunktionen auf ihre Eignung für den DBS untersucht. Zu dem erstgenannten Segment von Webangeboten zählten Vascoda, Sowiport, KUG und Worldcat. Die Auswahl weiterer Websites erfolgte aufgrund hervorstechender Personalisierungsfunktionen. Die Tabelle am Seitenende gibt einen Überblick über die Häufigkeiten der einzelnen Funktionen. Die auf die oben beschriebene Weise identifizierten Funktionen lassen sich wie folgt charakterisieren: • Login: Der Nutzer kann sich mit einer Kombination aus Benutzername und Passwort für seinen persönlichen Bereich authentifizieren. • Dashboard mit Widgets: Dies bezeichnet eine meist mehrspaltige Übersichtsseite, die an- und abschaltbare Mini-Applikationen enthält. • Personalisierbarer RSS-Reader: Newsfeeds externer Seiten können in den persönlichen Bereich eingebunden werden. • Veränderbares Layout: Eine Anpassung der Gestaltung ist möglich, z.B. in Form veränderbarer Farben oder verschiebbarer Widgets. • Persönliche Startseite: Inhalt und Umfang der Startseite (nach der Authentifizierung) können angepasst werden. • Persönliche Empfehlungen: Das System bietet eine implizite Personalisierung, z.B. durch Empfehlungssysteme. • Gespeicherte Suchlisten: Die einzelnen vom Nutzer durchgeführten Suchanfragen bleiben in einer Historie wiederaufrufbar. • Persönliche Begrüßung: Der Nutzer wird mit seinem Namen angesprochen. • Tagging: Die Vergabe von Schlagworten oder Tags ist möglich. Tabelle 1: Matrix-Darstellung der untersuchten Webangebote und ihrer Personalisierungsfunktionen Website7

Login

Dashboard personalim. Widges sierter RSS-Reader

veränderbares Layout

persönliche Startseite

persönliche gespeicherte persönliche Empfehlungen Suchlisten Begrüßung

Tagging

Vascoda

x

x

Sowiport

x

x

x

KUG

x

x

x

x

x

Worldcat

x

x

x

x

(x)

x

x

69

Peter Böhm und Marc Rittberger Website7

Login

Dashboard personalim. Widges sierter RSS-Reader

veränderbares Layout

persönliche Startseite

Pageflakes

x

x

x

x

x

Netvibes

x

x

x

x

x

iGoogle

x

x

x

x

Amazon

x

Ebay

x

LastFM

x

MyYahoo

x

BBC

x x x

x

x

x

x x

persönliche gespeicherte persönliche Empfehlungen Suchlisten Begrüßung

x

x

x

x

x

x

x

Tagging

x x

x

Online-Umfrage Zur Überprüfung des generellen Interesses der DBS-Nutzer an einer umfassenderen Personalisierung und zur Erfassung der Attraktivität der einzelnen oben genannten Funktionen wurde vom 7. bis 20. Mai 2010 eine Online-Umfrage durchgeführt. In vier Fragekomplexen wurden die DBS-Nutzungsgewohnheiten, die Internet-Nutzungsgewohnheiten, der Bedarf an einer Personalisierung des DBS und statistische Merkmale abgefragt. Von insgesamt 152 Teilnehmern lagen 106 vollständige und verwertbare Antworten vor. Der DBS wird demnach zum weit überwiegenden Teil von zu Hause und von Einzelarbeitsplatzrechnern genutzt. Dies lässt die Verwendung persistenter Cookies als Authentifizierungsmethode grundsätzlich praktikabel erscheinen. Die Nutzung von Gruppenrechnern und die mobile Nutzung spielen nur eine untergeordnete ­Rolle. Jeweils rund ein Viertel der Teilnehmer nutzt den DBS täglich bzw. mehrmals täglich, wöchentlich, mehrmals pro Monat und seltener als einmal monatlich. Der hohe Anteil von ca. 50% einer mindestens wöchentlichen Nutzung spricht ebenfalls für das Vorhandensein von potenziellen Nutzern einer Personalisierung. Möglicherweise wiesen Intensivnutzer eine höhere Bereitschaft zur Teilnahme an der Umfrage auf und sind damit überrepräsentiert. Die von den Teilnehmern mit Abstand am häufigsten genutzten Internetanwendungen sind Suchmaschinen. Über die Hälfte der Teilnehmer nutzen OnlineShopping und soziale Netzwerke mehrmals pro Monat oder häufiger. Social-Bookmarking-Dienste und personalisierte Startseiten (z.B. Pageflakes, iGoogle) dagegen 70

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots

werden von über 60% der Teilnehmer nicht genutzt oder sie sind ihnen nicht bekannt. Der Nutzungsgrad bestehender, im Web verfügbarer Personalisierungsangebote ist also eher gering. Als wichtigste Funktionen des DBS wurden die Suchfunktion und der Themeneinstieg genannt. Das bestehende Personalisierungsangebot „Mein Bildungsserver“ wird mit 34 Nennungen von den Teilnehmern als wichtiger erachtet als z.B. die Newsfeeds und Blogs des DBS. Die in Tabelle 1 dargestellten Personalisierungsfunktionen wurden wie folgt von den Umfrageteilnehmern gewünscht: • • • • • • • •

persönliche Startseite (55 Nennungen) persönliche Empfehlungen/ Ähnliche Artikel (44) gespeicherte Suchlisten/ Übersicht eigener Aktivitäten (44) Login (37) Setzen von Tags (24) veränderbares Layout (19) Dashboard mit Widgets (13) Widgets zur Verwendung auf eigenen Seiten (11).

Deutlich wird, dass das aktive Verändern des Layouts z.B. mittels Widgets eher von untergeordneter Bedeutung für die Umfrageteilnehmer ist. Stark nachgefragt werden dagegen eine persönliche Startseite, persönliche Empfehlungen und Aktivitätsübersichten. Als Fazit aus der Umfrage lässt sich zusammenfassen, dass ein Login und eine persönliche Seite sich kombiniert sinnvoll umsetzen lassen. Die Implementierung eines Empfehlungssystems zur Generierung persönlicher Empfehlungen ist insbesondere bei einem selbst entwickelten CMS wie dem DBS aufwändig, denkbar wäre allerdings die Einbindung eines externen Systems wie BibTip.8 Auch bei der Bereitstellung persönlicher Suchlisten müssen Änderungen am Kernsystem durchgeführt werden. Da Widgets aus Unkenntnis oder Ablehnung kaum nachgefragt werden, sollten sie zunächst sparsam eingesetzt werden. Auf Grundlage dieser Umfrageergebnisse wurde ein Prototyp9 (Abb. 4) entwickelt. Der Entwurf wurde mittels einer heuristischen Evaluation von drei UsabilityExperten überprüft. Dabei wurde der interaktiv nutzbare Entwurf den Experten zunächst vorgestellt und anschließend von ihnen auf Grundlage der „Ten Usability Heuristics“ von Nielsen (1994) bewertet. Die drei befragten Experten bewerteten 71

Peter Böhm und Marc Rittberger

den Entwurf weitgehend positiv. Angeregt wurden einzelne Präzisierungen bei Linkund Funktionsbenennungen sowie die Integration einer Rückgängig-Funktion. Fazit und Ausblick Die Analyse der mittels Piwik erhobenen Nutzungsdaten sowie die Auswertung der Online-Umfrage zeigen den Bedarf für den Ausbau des Personalisierungsangebotes des DBS. Nach der anstehenden Umsetzung des Prototyps mit den im Beitrag vorgestellten, gewünschten Funktionen (persönliche Startseite, gespeicherte Suchlisten, Login) soll in Zukunft auch ein Empfehlungssystem ergänzt werden.

Abbildung 4: Screenshot des Prototyps 72

Nutzungsanalyse des Deutschen Bildungsservers und Konzeption eines Personalisierungsangebots

Literatur: Cleff, T.: Deskriptive Statistik und moderne Datenanalyse. Eine computergestützte Einführung mit Excel, SPSS und STATA, Wiesbaden 2008. Dougherty, H.: Search Referrals and Organic Traffic Rising. Experian Hitwise (2009), Online verfügbar unter: http://weblogs.hitwise.com/heather-dougherty/2009/05/search_referrals_ and_organic_t_1.html, abgerufen am 20.9.2010. Hassler, M.: Web Analytics. Metriken auswerten, Besucherverhalten verstehen, Website optimieren, Heidelberg 2009. Kaushik, A.: Web Analytics. An Hour a Day, Indianapolis 2007. Nielsen, J.: Heuristic evaluation, in: Nielsen, J./Mack, R. L. (Hrsg.), Usability Inspection Methods, New York 1994. Sunikka, A./Bragge, J.: What, Who and Where: Insights into Personalization, in: Hawaii International Conference on System Sciences, 0, 2008, S. 283 –283. Wu, D./Im, I./Tremaine, M./Instone, K./Turoff, M.: A Framework for Classifying Personalization Scheme Used on e-Commerce Websites, in: Hawaii International Conference on System Sciences, 7, 2003, S. 222b –222b. Anmerkungen: 1 http://www.bildungsserver.de, abgerufen am 1.1.2012. 2 http://www.analog.cx/, abgerufen am 1.1.2012. 3 Cramers V ist ein Chi-Quadrat-basiertes Maß des statistischen Zusammenhangs zweier nominaler Variablen. Das Maß ist normiert auf einen Wertebereich zwischen 0 und 1 (Cleff 2008, S.  92). Zur inhaltlichen Einordnung lässt sich die folgende Einteilung nach Cleff (2008) heranziehen: V ∈ [0,00; 0,10] → kein Zusammenhang; V ∈ [0,10; 0,30] → schwacher Zusammenhang; V ∈ [0,30; 0,60] → mittlerer Zusammenhang; V ∈ [0,60; 1,00] → starker Zusammenhang. 4 Die Aufteilung lautet: ≤10, 11–30, 31– 60, 61–180, 181– 600, 601–1800 und ≥1801 Sekunden (in Anlehnung an Hassler [2009, S. 177]). 5 Beispiel für die URL der Konfigurationsseite: http://eintrag.bildungsserver.de/pd/meinen_ bildungsserver_konfigurieren.html?s=24aaabad15d1fb06fe003a75774f 962c, abgerufen am 1.1.2012. 6 Beispiele für beide Seiten sind auf der Registrierungsseite verlinkt: http://eintrag.bildungsserver.de/pd/mein_bildungsserver.html, abgerufen am 1.1.2012. 7 Vascoda: http://www.vascoda.de/ – Sowiport: http://www.gesis.org/sowiport – KUG: http:// kug.ub.uni-koeln.de/ – Worldcat: http://www.worldcat.org/ – Pageflakes: http://www.pageflakes.com/ – Netvibes: http://www.netvibes.com/ – iGoogle: http://www.google.de/ig – Last.fm: http://www.lastfm.de – MyYahoo: http://my.yahoo.com/ – Amazon: http://www. amazon.de/ – Ebay: http://www.ebay.de/ – BBC: http://www.bbc.co.uk/ 73

Peter Böhm und Marc Rittberger

8 http://www.bibtip.com/, abgerufen am 1.1.2012. 9 Online abrufbar unter http://www.bildungsserver.de/demo/personalisierung/demo.html, ab­gerufen am 1.1.2012.

74

Information, Zeichen, Kompetenz Ein Interview mit Rafael Capurro zu aktuellen und grundsätzlichen Fragen der Informationswissenschaft Rafael Capurro

Dieses Interview von Linde Treude wurde in der Zeitschrift „Information. Wissenschaft & Praxis“, 62 (1), 2011, S. 37– 42 veröffentlicht.1

Information ist zu einem omnipräsenten Begriff geworden. Wir begegnen ihm in der Wissenschaft ebenso wie in unserem Alltag. Man spricht von der Informationsgesellschaft, von Informationsprozessen, von Informatik und wahlweise von Informationsflut oder -mangel. Information wird als Ding, als Eigenschaft, als Relation oder Ware betrachtet. Aber was meinen wir (jeweils), wenn wir von Information sprechen? Der Philosoph und Informationswissenschaftler Rafael Capurro beschäftigte sich bereits in seiner 1978 erschienenen Dissertation mit dem Titel ‚Information. Ein Beitrag zur etymologischen und ideengeschichtlichen Begründung des Informationsbegriffs‘ (Capurro 1978) mit den verschiedenen Dimensionen des Informationsbegriffs. Die Motivation zu einer solchen Arbeit gab Capurro vor allem die fehlende philosophische Auseinandersetzung mit dem Informationsbegriff in Deutschland. Der konkrete Anlass jedoch war die Lektüre der Schriften Carl Friedrich von Weizsäckers, bei der er auf Sätze stieß, die ihm die Bedeutung des Problems klar vor Augen stellten. Weizsäcker formulierte es wie folgt: „Man beginnt sich […] heute daran zu gewöhnen, dass Information als eine dritte, von Materie und Bewusstsein verschiedene Sache aufgefasst werden muss. Was man aber damit entdeckt hat, ist an neuem Ort eine alte Wahrheit. Es ist das platonische Eidos, die aristotelische Form, so eingekleidet, dass auch ein Mensch des 20. Jahrhunderts etwas von ihnen ahnen lernt.“2 75

Rafael Capurro

Dieser ideengeschichtliche Rückgriff gab Capurros Werk seine besondere Ausrichtung. Rafael Capurro setzt sich seitdem besonders mit Problemen der Informations­ ethik auseinander. Angesichts der technischen Entwicklung und ihrer Folgen ist heute zu fragen, wie Begriffsklärung, Anwendungsmöglichkeit und gesellschaftliche Bedeutung in Bezug gesetzt werden können. Vor allem im Umgang mit digitalen Medien ist scheinbar eine neue Kompetenz oder sogar eine neue Kulturtechnik erforderlich. Als Reaktion darauf entstehen im bibliothekarischen Bereich immer neue Projekte, die den Begriff der „Informationskompetenz“ im Titel tragen. Derartige Vermittlungskonzepte, welche eine steigende Konjunktur erfahren, sind mit der angesprochenen terminologischen Unklarheit konfrontiert und zeigen so eine Lücke zwischen Theorie und Praxis im informationswissenschaftlichen Diskurs auf. Welche Forderungen an die Informationswissenschaft ergeben sich daraus? Die Diskussion dieser Problematik und deren Lösungsansätze, wie sie aktuell beispielsweise die Semiotik bietet, bilden den Hintergrund für das folgende Interview. Herr Capurro, heutzutage wird „immer mehr Gewicht auf das Erzeugen von reinen Informationen und immer weniger Gewicht auf das Erzeugen ,informierter Gegenstände‘ gelegt“. So formuliert es Vilém Flusser in seinem Vortrag „Die Informationsgesellschaft“. Sehen Sie diese Diskrepanz ebenso und was macht die Fragwürdigkeit der Information in Zeiten des World Wide Web aus? Wenn Flusser mit „informierten Gegenständen“ die Herstellung intelligenter, d.h. digitalisierter und vernetzter Artefakte meint, dann hätten wir heute eher das umgekehrte Problem, das mit dem Schlagwort „Internet der Dinge“ gekennzeichnet wird. Das Cyberspace ist keine von der alltäglichen Welt abgetrennte Sphäre, wie sie von John Perry Barlow 1996 in Davos verkündet wurde, sondern die digitale Weltvernetzung dringt in alle Lebensbereiche ein. In diesem Sinne leben wir in digital ‚in-formierten‘ Gesellschaften, wobei der Anteil und die Fähigkeit der Menschen damit zurechtzukommen, unterschiedlich ist. Deshalb führen wir seit Jahren auch in der Informationsethik eine Diskussion um die ‚digitale Spaltung‘, die mehr als eine Frage des technischen Zugangs zum Internet ist, da diese Art von Spaltung mit anderen gesellschaftlichen Spaltungen, Differenzen und Spannungen verknüpft ist.3 Den Begriff Informationskompetenz (bzw. information literacy) als Schlüsselkompetenz im Umgang mit Informationen tragen zurzeit geradezu inflationär Projekte des Bil76

Information, Zeichen, Kompetenz

dungs- und Bibliothekswesens im Titel. Dies suggeriert, dass man heute spezielle Fähigkeiten haben müsse, um den Anforderungen einer „Informationsgesellschaft“ gewachsen zu sein. Für wie brauchbar halten Sie den Begriff und auf welche Kompetenz(en) 4 verweist er Ihrer Meinung nach? Wenn man diesen Begriff nicht auf den Umgang mit verschriftlichten Informationen einschränkt, sondern auf ein theoretisches und praktisches sich Auskennen mit den vielen Formen der Digitalisierung und der Handhabung digitaler codes und devices erweitert, dann finde ich die Frage nach der Entwicklung dieser Fähigkeiten bereits in der schulischen Ausbildung sehr wichtig. Es müsste dabei kritisch reflektiert werden, wie digitale Technologien in verschiedenen Bereichen des Alltags eindringen und welche positiven und negativen Auswirkungen sie haben oder haben können. Ich meine damit konkret die Erziehung zu einem verantwortlichen Umgang zum Beispiel mit Blogs, E-Mail oder social software bis hin zur kreativen Nutzung des Internet für Lernprozesse und sozial-politisches Engagement. Die Demokratie wird zukünftig vermehrt durch interaktive digitale Prozesse bestimmt sein. In diesem Sinne bedeutet Informationskompetenz auch Demokratiekompetenz und nicht nur dass man fähig ist, eine Suchmaschine zu benutzen, die, wie am Beispiel von Google, so wenig eine bloße Suchmaschine ist wie ein smartphone ein bloßes Telefon ist. Ich glaube also, dass wir unterschiedliche Informationskompetenzen (im Plural!) in verschiedenen theoretischen und praktischen Bereichen thematisieren müssen, ohne diese Vielfalt auf eine Grundkompetenz reduzieren zu können. Jeder Bereich hat eigene Qualitätsstandards und Krea­tivitätspotenziale, so dass die Informationskompetenzen sich dynamisch und auf verschiedenen Ebenen entwickeln müssen. Schließlich sollten wir bedenken, dass Informationskompetenzen im Sinne von interaktiver Kommunikation zu verstehen sind. In einer globalisierten Welt sind diese Fähigkeiten mit ihren jeweiligen intellektuellen, technischen, rechtlichen und ethischen Dimensionen beinah überlebensnotwendig. Dazu gehören zum Beispiel das Sprachenlernen, sich mit Menschen anderer Kulturen auseinanderzusetzen und dabei die Sensibilität für unterschiedliche Normen und Werthaltungen zu schärfen. Die Aufgabe einer éducation sentimentale ist medial gesehen komplexer geworden. Die Formen und sozialen Konventionen, Gefühle auszudrücken, in digitalen und nicht-digitalen Medien, werden ständig neu definiert, auch im globalen Maßstab. 77

Rafael Capurro

Hans Blumenberg untersucht in seinem Werk ‚Die Lesbarkeit der Welt – die hermeneutische Hintergrundmetapher des Buches‘. Welche Beziehungen bestehen ihrer Meinung nach zwischen Informationskompetenz und Literalität? Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset (1883 –1959) hat einmal gesagt, dass die Demokratie „Tochter des Buches“ ist. In seiner Schrift „Die Aufgabe des Bibliothekars“, gehalten beim Internationalen Bibliothekarkongress am 20. Mai 1935 in Paris, schreibt er wörtlich: „Die demokratische Gesellschaft ist Tochter des Buches, es handelt sich um den Erfolg des von einem Schriftsteller geschriebenen Buches über das von Gott verkündete Buch sowie auch über das Gesetzesbuch der Autokratie.“5 Die Frage ist nun, welche demokratiepolitischen Formen – denn es gibt ja nicht die eine Demokratie, sondern verschiedene Formen derselben – heute und in naher Zukunft die interaktiven digitalen Medien ermöglichen, jenseits der von den Massenmedien des 20. Jahrhunderts bestimmten Demokratieverständnisse und -ausformungen. Zur Pressefreiheit gesellt sich heute die Freiheit – manche sprechen sogar von einem Menschenrecht – des Zugangs zum Internet. Diese Frage wurde bekanntlich beim World Summit on the Information Society sehr kontrovers diskutiert. Wir befinden uns mitten in einer Umbruchzeit, in der die Möglichkeiten der politischen Partizipation mittels interaktiver Technologien sich zu entfalten beginnen. Mit anderen Worten, es geht heute nicht mehr nur um die „Lesbarkeit der Welt“, sondern um die Mitteilungskompetenz in einer Welt, die nicht nur lesbar, sondern auch gestaltbarer und digital ‚in-formierbar‘ geworden ist. Auch hier, bei der digitalen Informierbarkeit der Welt, befinden wir uns in den Anfängen vergleichbar vermutlich mit der Gutenbergzeit. Die Menschen wollen nicht nur informiert und ‚in-formiert‘ werden, sondern sie wollen selber informieren und ‚in-formieren‘ so wie damals, als sie nicht nur die ‚maßgebenden‘ Bücher lesen, sondern auch selber Bücher schreiben wollten. Das Begriffsaufkommen von Informationskompetenz verhält sich korrelativ zu der Entwicklung des WWW oder der digitalen Medien- und Kommunikationstechnik generell. Daher stellt sich die Frage, wie relevant das Trägermedium oder die Form generell für den Inhalt ist. Was sagen Sie in diesem Kontext zu McLuhans viel zitierter These „the medium ist the message“? 78

Information, Zeichen, Kompetenz

Das schließt sich an das vorher Gesagte an. Ein Dualismus zwischen Inhalt und Medium lässt sich nicht aufrechterhalten. Schon seit Platons Zeiten, als dieser in dem Dia­log „Phaidros“ die erste Medienkritik des Abendlandes verfasste, indem er mit dem Paradoxon, das im Mythos von der Erfindung der Schrift durch den ägyptischen Gott Theut, der dem griechischen Hermes entspricht, die Schrift gegenüber dem mündlichen logos abwertet, unter anderem mit der Begründung, dass Schriften sich nicht gegenüber dem Leser verteidigen können, da ihr „Vater“ abwesend ist. Das zielt auf den Vorteil des lebendigen Dialogs, in dem der Philosoph als Erzieher sich auf das individuelle Vorverständnis des anderen sowie auf seine – es waren vor allem athenische männliche Bürger an diesen Dialogen beteiligt – Lernentwicklung einstellen kann. Der französische Philosoph Jacques Derrida hat diese Abwertung der Schrift als „Logozentrismus“ kritisiert. Was man also mündlich sagt, hat nicht denselben Wert, dieselbe Qualität und vor allem dieselbe Wirkung, als wenn man es schriftlich mitteilt. Ein bestimmtes Medium ermöglicht nicht nur unterschiedliche Formen der Verbreitung, sondern auch der Deutung. Dabei muss man nicht an ein hierarchisches Modell wie bei Platon denken. Die Differenz zwischen Inhalt und Träger ist uns durch die griechische Philosophie mitgegeben. Wir haben inzwischen gelernt, sie nicht unkritisch zu akzeptieren. McLuhans Satz „the medium is the message“ steht im Kontext seiner Erörterungen von „heißen“ und „kalten“ Medien im Hinblick auf die größere oder kleinere Arbeit, die der Rezipient beim Verstehen einer Botschaft leistet, etwas, was in den Erörterungen McLuhans manchmal kontraintuitiv wirkt. Es kommt letztlich weniger auf den Inhalt der Botschaft, so McLuhan, als eben auf das Medium selbst an. McLuhan war nicht nur ein Medien-, sondern auch ein Botschaftstheoretiker. Hinter seiner Medientheorie verbirgt sich eine Boten-/Botschaftstheorie, wobei die Frage was Boten und Botschaften sind, sowohl in der Medienwissenschaft als auch in der Informationstheorie m.E. kaum beachtet wurde. Man versteht Medien wie ein Fluidum – medium ist das lateinische Wort für Mitte – zwischen einem Sender und einem Empfänger. Eine andere Deutung von Medium besagt, dass es sich weniger um eine Mitte als um ein Mittel oder Werkzeug handelt. In beiden Fällen bleibt aber jene Dimension des Bringens einer Botschaft ungefragt, die in Luhmanns Theorie der Kommunikation mit dem Ausdruck „Mitteilung“ oder „Sinnangebot“ thematisiert wird. Ich halte Luhmanns Kommunikationstheorie mit der Differenz zwischen „Mitteilung“, „Information“ und „Verstehen“ für die anspruchsvollste Kommunikations- und Medientheorie, über die wir zurzeit verfügen. 79

Rafael Capurro

Im Kontext meiner Magisterarbeit 6 habe ich die verschiedenen Dimensionen des Informationsbegriffs als theoretische Grundlage für das Konzept der Informationskompetenz untersucht. Laut ihrem „Trilemma“ ist es unmöglich, einen einheitlichen Informationsbegriff zu formulieren. Wie beurteilen Sie die Versuche zur Schaffung eines einheitlichen Informationsbegriffs? Die Frage lautet zunächst, was „einheitlich“ heißt, und dann, wer einen solchen einheitlichen Informationsbegriff braucht. In vielen anderen Bereichen arbeiten wir mit unterschiedlichen nicht-einheitlichen Begriffen wie zum Beispiel der Arbeitsbegriff selbst, oder der Begriff der Kraft oder der Masse oder der Geschwindigkeit und so weiter, die im Laufe der Entwicklung von wissenschaftlichen Theorien vor allem seit der Neuzeit gegenüber dem alltäglichen Gebrauch neu oder anders bestimmt wurden als der alltägliche Wortgebrauch. Wortgebrauch und wissenschaftliche Definitionen in eingeschränkten Bereichen und im Rahmen einer bestimmten Theorie müssen also nicht einheitlich sein. Es gibt aber ein Sich-gegenseitig-Bedingen vom Alltagsgebrauch und präziser Definition, worauf zum Beispiel Carl Friedrich von Weizsäcker im oben erwähnten Vortrag hingewiesen hat. Hans-Georg Gadamer, der Gründer der philosophischen Hermeneutik in Anschluss an Martin Heidegger, hat immer wieder darauf hingewiesen. Gerade die angebliche Ungenauigkeit und Veränderung des Alltagsgebrauchs bietet oft der Wissenschaft Grundlage für neue Definitionen, die über eine verkrustete wissenschaftliche Sicht hinausgehen. So war es zum Beispiel mit dem durch Claude Shannon geprägten Informationsbegriff, der dem Alltagsgebrauch entgegengesetzt ist, aber im Rahmen der Shannon’schen Theorie gute Dienste leistet. Das Problem entsteht aber dann, wenn andere Wissenschaften, unter ihnen auch die Informationswissenschaft selbst, mit diesem Informationsbegriff wenig anfangen können, da sie andere Phänomene im Blick haben, bei denen zum Beispiel die semantischen und pragmatischen Aspekte, die Shannon ausschloss, im Vordergrund stehen. So ist also im Laufe der letzten fünfzig Jahre eine Fülle von Informationsbegriffen entstanden, die sich teilweise überlagern, teilweise aber äquivok sind. Das gab meinen Wiener Kollegen Peter Fleissner und Wolfgang Hofkirchner Anlass, vom „Capurros-Trilemma“ zu sprechen, das eigentlich auf die aristotelische Unterscheidung zwischen univoken, analogen und äquivoken Bedeutungen basiert. Es war nämlich Aristoteles derjenige, der musterhaft zu Beginn beinah einer jeden Untersuchung sich fragte, in welchen verschiedenen Bedeutungen ein Begriff gebraucht wird und in welchem semantischen Zusammenhang sie miteinander 80

Information, Zeichen, Kompetenz

stehen. Alss bekannteste und für die Philosophie einflussreichste Analyse der verschiedenen Bedeutungen eines Begriffs gilt seine Aussage, dass der Seinsbegriff sich vielfältig aussagen lässt („to ón légetai pollachós“) etwa im Sinne von Potenzialität und Aktualität oder von Materie und Form oder von Ursache und Wirkung und so weiter. Er setzte damit eine Diskussion im Gang, die bis heute anhält. Man kann das Trilemma dadurch auflösen, dass eine bestimmte Definition, die in einem Wirklichkeitsbereich angesiedelt ist, als die erste und maßgebende nimmt – das nennt man dann das primum analogatum – und alle anderen Anwendungen und Definitionen nur im Vergleich, also im analogischen Sinne versteht. Da ist die von Peter Janich befürwortete Lösung, indem er den Informationsbegriff im zwischenmenschlichen Bereich primär ansiedelt und dadurch seine analogische Anwendung zum Beispiel in der Biologie nur in einem eingeschränkten und eher irreführenden Sinne zulässt. Das hat den Nachteil, dass man eine Hierarchie von Bedeutungen schafft, die für andere nicht-soziale Bereiche nicht annehmbar oder nicht nützlich ist, da man ungern mit Analogien wissenschaftlich argumentiert. Eine andere Form der Auflösung des Trilemmas besteht darin, die verschiedenen Begriffe in den unterschiedlichen Wissenschaften ‚einfach‘ nebeneinander stehen zu lassen. Das kann, muss aber nicht zu Äquivokationen führen. Ich ziehe eine Auflösung nach Art der „Sprachspiele“ und „Familienähnlichkeiten“ von Wittgenstein vor. Die abendländische Philosophie führt am Beispiel des Begriffs „forma“ (Griechisch „idéa“ oder „eidos“ oder „morphé“) vor, welche Vor- und Nachteile die Verwendung eines abstrakten Formbegriffs hat, worauf vor allem Platons Schüler Aristoteles hingewiesen hat. Die platonischen und aristotelischen Bestimmungen des Formbegriffs sind, wie von Weizsäcker bemerkte, mit der Problematik des heutigen Informationsbegriffs eng verwandt. Ich bin diesen Weg in meiner Dissertation gegangen, später aber skeptisch geworden, da mir diese Lösung zu sehr unter den Vorgaben der Metaphysik zu stehen schien. In Bezug auf das Trilemma: Inwiefern wäre es zur Begriffsklärung des Informationsbegriffs hilfreich, die pragmatische Maxime von Peirce anzuwenden? Wenn wir das vorher Gesagte bedenken, würde ich eher sagen, dass der jeweilige Sprachgebrauch nicht metaphysisch am Verhältnis von Sache und Zeichen orientiert ist, sondern eine dritte Instanz, nämlich den von Peirce eingeführten „Interpreten“ einschließt, womit das „semiotische Dreieck“ entsteht. Dies macht möglich, 81

Rafael Capurro

von einer Ebene auf die nächste zu wechseln. So kann zum Beispiel in der Informationswissenschaft Information als Zeichen verstanden werden, welches auf der Objektebene auf die Bedeutung einer Mitteilung in Relation auf den Interpreten (Informationserzeuger, -vermittler, -rezipient) bezogen ist. Aber auf der nächsten Ebene, sagen wir die eines Dokuments, bedeutet Information (als Objekt) das Mitgeteilte, sofern dies in Dokumenten niedergeschrieben wurde. Denen stehen andere Formen von Zeichen zur Verfügung, wie etwa die Speicherung in einer Bibliothek oder einem Computer und auch spezielle Formen von Erzeugern (Autoren), Vermittlern (Dokumentaren) und Nutzern. Was also hier ‚einheitlich‘ ist, ist nicht ein Informationsbegriff im Rahmen eines Anwendungsgebietes, sondern ein formales triadisches Verhältnis, das auch zur Bestimmung eben dieses Gebietes dient. In ähnlicher Form hat die Hermeneutik das Verhältnis von Autor, Text und Interpret reflektiert. Ich habe diese Ansätze in meiner „Hermeneutik der Fachinformation“ (S. 61– 67) anhand der von Norbert Henrichs für die Informationswissenschaft eingeführten semiotischen Ansätzen thematisiert. Wenn es also bei Peirce heißt; „Überlege, welche Wirkungen, die denkbarerweise praktische Relevanz haben könnten, wir dem Gegenstand unseres Begriffs in unserer Vorstellung zuschreiben. Dann ist unser Begriff dieser Wirkungen das Ganze unseres Begriffes des Gegenstandes.“7 dann bedeutet das, dass durch das Dreieckverhältnis ein Seinsgebiet oder eine Regionalontologie, wie man sie in der Philosophie nennt, konstituiert wird. Peirce argumentiert in der Kantischen metaphysikkritischen Tradition, indem er die „Wirkungen“ von Begriffen „nur“ auf den durch die Sinnlichkeit bestimmten Bereich einschränkt und keine metaphysischen Objekte zulässt. Die „praktische Relevanz“ bezieht sich also auf diese Möglichkeit der Anwendung von Begriffen im Bereich der Sinnlichkeit oder der sinnlichen „Anschauung“ wie Kant es ausdrückte. Dem steht eine im Kantischen Sinne sozusagen rein spekulative Relevanz gegenüber, die Kant lediglich im Bereich der Moral mittels des kategorischen Imperativs zulässt. Letzteres setzt aber wiederum einen anderen Begriff von Pragmatismus oder von Pragmatik voraus, als der von Peirce anvisierte. Im sogenannten DIKW-Modell 8 wird der Informationsbegriff in einer hierarchischen Beziehung mit Daten, Wissen und Weisheit gesehen. In welcher Relation steht dann der 82

Information, Zeichen, Kompetenz

Zeichenbegriff zum Informationsbegriff? Sind diese beiden Begriffe eindeutig voneinander trennbar und wenn ja, wie? Eine solche Hierarchie ist im vielfachen Sinn fragwürdig. Sie suggeriert, dass aus etwas irgendwie etwas anderes entstehen kann. Man gibt Daten in den Computer ein und irgendwie wird daraus Information. Und aus vielen Informationen entsteht dann irgendwie Wissen und dann, wenn man viel weiß, wird man sogar weise. Ich parodiere dieses Modell, um zu zeigen, dass hier mit angeblich klaren Begriffen argumentiert wird, während in Wahrheit die Sachverhalte, um die es geht, höchst problematisch sind. Bekanntlich definiert sich sogar die Philosophie nicht als Weisheit, sondern als Liebe zur ihr, so dass sie aus Wissen allein nie hervorgehen kann, ja alles Wissen immer unzureichend bleibt und derjenige, der sich als Weise ausgibt, entweder ein Gott oder ein Scharlatan ist. Die griechische Philosophie kennt eine Wissenstaxonomie, die zwischen Meinung (doxa), praktischem Wissen (empeiría), Wissen, wie man etwas herstellt (techné  ), wissenschaftlichem Wissen (episteme), ethischem Wissen (phronesis) und Wissen der ersten Prinzipien (sophia) unterscheidet. Diese klassische Taxonomie wurde im Laufe der Jahrhunderte verändert, sogar teilweise umgedreht wie etwa im Falle von Kant und Peirce, die das ‚höhere‘ Wissen oder Weisheit nicht auf einer metaphysischen Ebene für sinnvoll oder möglich hielten. Für Kant bedeuten die „Daten“ der Erfahrung etwas anderes als für Platon oder für einen heutigen Physiker, der solche sinnliche Daten erst durch die Vermittlung einer komplexen Apparatur gewinnt und nur so wahrnehmen kann. Eine gute phänomenologische Erörterung des Zeichenbegriffs findet sich in Heideggers ‚Sein und Zeit‘ und zwar in § 17 „Verweisung und Zeichen“9. Heid­ egger erörtert dort diese Begriffe in Zusammenhang mit der Weise, wie die Dinge als „Zuhandenes“, d.h. in ihrer praktischen Verwendbarkeit sind. Man kann zwar, so Heidegger, den Zeichenbegriff formalisieren im Sinne von „Zeichensein für […]“, so wie Husserl es tat. Aber Heidegger argumentiert, dass Zeichen „zunächst“ im Sinne von „Zeuge“ oder „Zeigen“ zu deuten sind, etwa von Wegmarken, Signalen oder Trauerzeichen. Sie verweisen also auf etwas. Es gibt aber andere Arten von Verweisungen wie zum Beispiel Symbole, Ausdruck oder Bedeutung. Ferner gibt Heidegger zu bedenken, dass Verweisungen zwar immer Beziehungen sind, aber der Beziehungsbegriff formalerer Art ist. Alle Verweisungen sind Beziehungen, aber nicht umgekehrt – so wie nicht jede Verweisung ein Zeichen ist. Ich zitiere Heidegger: 83

Rafael Capurro

„Unter den Zeichen gibt es Anzeichen, Vor- und Rückzeichen, Merkzeichen, Kennzeichen, deren Zeigung jeweils verschieden ist, ganz abgesehen davon, was je als solches Zeichen dient. Von diesen ,Zeichen‘ sind zu scheiden: Spur, Überrest, Denkmal, Dokument, Zeugnis, Symbol, Ausdruck, Erscheinung, Bedeutung. Diese Phänomene lassen sich aufgrund ihres formalen Beziehungscharakters leicht formalisieren.“10 Als Beispiel für das besondere „Verweisen“ von Zeichen führt Heidegger den „roten, drehbaren Pfeil“ bei Kraftwagen (‚Sein und Zeit‘ erschien im Jahr 1927!). Dieses Zeichen ist ein „Zeug“ mit dem Charakter des „Um-zu“ also mit einer bestimmten Dienlichkeit: „Es ist zum Zeigen.“ Wichtig ist aber dabei, dass ein Zeigen des Zeichens (in diesem Fall) „im ganzen des Zeugzusammenhangs von Verkehrsmitteln und Verkehrsregelungen“ steht (ebda.). Mit anderen Worten, „ein“ Zeichen gibt es nicht, sondern ein Zeichen befindet sich immer in einem bestimmten praktischen Weltzusammenhang oder einer „Zeugganzheit“. Das, worauf das Zeichen verweist, ist also der Sinn oder die Bedeutung des Zeichens innerhalb einer Zeugganzheit für denjenigen (oder für diejenigen menschlichen Kulturen), die einen Unterschied zwischen „Zeug“ und „Zeichen“ machen, was zum Beispiel im Falle eines „Fetisch“ oder „Zauber“ nicht zutrifft. Das Entdecken des Zeichens als Zeug bedeutet also, dass Dinge im „alltäglichen Besorgen“ in der Seinsart des „Zuhandenen“ wahrgenommen werden. Dies erlaubt wiederum, dass beim Wegfallen diese Verwendbarkeit, aus welchen Gründen auch immer, die Zeichen als nur „vorhanden“ losgelöst von ihrem praktischen Zusammenhang gesehen werden. Man kann daraus schließen, dass wenn „Welt“ oder „Weltlichkeit“ im Heidegger’schen Sinne durch einen solchen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhang konstituiert wird, das Mitteilen von solchen Bedeutungen vor dem Hintergrund einer gemeinsamen „Welt“ erst möglich und sinnvoll wird. Dieses Mitteilen lässt sich dann auch im alltagssprachlichen Sinne als Informieren und das Mitgeteilte als Information bezeichnen. In der Semiotik wird der Zeichenbegriff durch Relationen definiert und als Prozess (oder, wie Peirce formuliert, durch „semiosis“) bestimmt. Könnte man ähnlich dazu schon Informationen selbst als Prozesse begreifen?

84

Information, Zeichen, Kompetenz

Man müsste aber darauf achten, dass der Zeichenbegriff nicht verabsolutiert wird und daraus eine Zeichenmetaphysik aufgebaut wird. Diese ist zwar möglich, indem alles was ist, in irgendeiner Weise ALS Zeichen verstanden wird. Aber dadurch werden andere Möglichkeiten, nämlich die Dinge nur (!) ALS Zeichen wahrzunehmen, versperrt. Wir sind zwar, wie Octavio Paz schreibt, „grammatische Affen“11, d.h., wir haben die Fähigkeit, alles was uns begegnet, ALS Zeichen für etwas wahrzunehmen aber, so Octavio Paz: „Die Baumallee hat keinen Namen und diese Bäume sind keine Zeichen: sie sind Bäume.“12 Wenn wir also, aufgrund unserer „grammatikalischen“ Verfasstheit, Bäume ALS Zeichen wahrnehmen, sie Benennen und dadurch auch Sinn erzeugen – und den Sinn an andere „grammatische Affen“ mitteilen, sie also darüber informieren – dann bedeutet das immer eine beschränkte Sicht der Dinge sowie auch des jeweiligen Bedeutungszusammenhangs oder der „Welt“, von wo aus wir die Bäume ALS „etwas für […]“ deuten. Zugleich ist es aber so, dass wir nicht auf eine bestimmte „Welt“ fixiert sind, sondern diese überschreiten oder endlich transzendieren können. Mit anderen Worten, wenn wir etwas ALS etwas wahrnehmen, dann tun wir das in einem Horizont von Unbestimmtheit jenseits dessen, was die Dinge für uns in ihrer Konkretheit bedeuten, und somit jenseits dessen, was wir denken, was sie ‚eigentlich‘ sind. Dieser Horizont von Unbestimmtheit nennt Heidegger „Sein“ (auch „Seyn“), wobei hier das Paradoxon entsteht, dass etwas, was eigentlich kein ‚etwas‘ ist, sprachlich gekennzeichnet werden soll. Die Welt ist zwar die jeweilige Ganzheit von Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen, in der wir als In-der-Welt-Sein eingebettet sind, aber sie lässt die Fragilität unserer Deutungen erscheinen, indem die Dinge nie in einem bestimmten ALS erschöpft werden können. Wir leben immer in einer Welt. Es scheint also so zu sein, dass für dieses „Es gibt“ (Heidegger) der Welt kein Bezeichnen möglich ist, denn Deutungen und Zeichen beziehen sich immer auf Dinge im Wozu? ihrer Zuhandenheit. Die Welt selbst ist aber kein Ding, sowenig wie wir als diejenigen die, soweit wir wissen, von diesem „Un-Ding“ sozusagen angesprochen (eher angefühlt) werden. Wittgenstein schrieb am Schluss des „Tractatus“: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Aber indem er das sagt und schreibt, spricht er „davon“, obwohl er nicht „darüber“ sprechen will und kann. Heidegger hat auf diese Unterscheidung zwischen „Sprechen von“ und „Sprechen über“ aufmerksam gemacht und nach einer Art des Sprechens und vor allem des Schweigens gesucht jenseits der philosophischen und wissenschaftlichen Begrifflichkeit, die man zum Beispiel in der Dichtung oder in der Musik finden kann. 85

Rafael Capurro

Ist durch Ihre Ablehnung eines einheitlichen Informationsbegriffs auch die Möglichkeit einer „universellen Informationswissenschaft“ nach Søren Brier, die eine empirische Wissenschaft der Kognition und Kommunikation werden soll, ausgeschlossen? Man kann Kognition und Kommunikation auf der Grundlage einer „cyber-kybernetischen“ Informationstheorie, wie sie Brier in der Nachfolge von Peirce entwickelt, erschließen und empirisch analysieren. So etwas findet man auch bei Luhmann, wenngleich auf Systeme bezogen, die Sinn erzeugen können. Die großen philosophischen Systeme, wie etwa die von Aristoteles, Thomas von Aquin oder Hegel, haben so etwas angestrebt. Heidegger nennt solche Versuche, „das Seiende im Ganzen“ zu erfassen, Metaphysik. Kant meinte, dass wir nicht unterlassen können, solche metaphysischen Fragen zu stellen, aber zugleich uns bewusst sein müssten, wo die Grenzen der reinen Vernunft bei der Beantwortung solcher Fragen liegen. Auch Peirce war sich darüber bewusst in Bezug auf die „sinnlichen“ Wirkungen der Begriffe. Ich glaube, dass unsere Epoche durch die Phänomene der Artifizialität und der Kommunikation bestimmt ist, und nicht mehr von Natur und Geschichte, wie das im 19. und im 20. Jahrhundert der Fall war. Zugleich bedeutet diese Faszination, dass wir die Grenzen der künstlichen Herstellbarkeit nicht mehr sehen und uns der Naturbegriff abhandengekommen ist. Das geschieht heute zum Beispiel im Zusammenhang mit der Nanotechnologie und der synthetischen Biologie. Auch die Faszination der Kommunikation verführt uns dazu, die Endlichkeit unseres persönlichen und sozialen Lebens nicht mehr wahrzunehmen und uns auf die reine Gegenwart zu beziehen, ohne die Dimensionen der Vergangenheit und Zukunft mehr richtig zu würdigen und in und von ihnen zu leben. Das kann sowohl individuell als auch gesellschaftlich zu schweren psychischen und sozialen Störungen führen. Man nennt das information overload. Wo sehen sie die zukünftigen Aufgaben der Informationswissenschaft? Kann sie eine ähnliche Entwicklung nehmen wie andere Disziplinen zwischen Natur- und Kulturwissenschaften? Welche Anforderungen stellen sich an diese Disziplin in Zukunft? Ich glaube, dass die Informationswissenschaft sich verstärkt den gesellschaftlichen Fragen widmen und sich von ihrer Jahrzehnte andauernden Fixierung auf das Information-Retrieval befreien sollte. Ansonsten wird sie sich kaum von einer angewandten Informatik unterscheiden. Sie müsste intermedial, interkulturell und epo86

Information, Zeichen, Kompetenz

chenvergleichend jene sozialen und materiellen Phänomene untersuchen, die mit der Erstellung, Bewahrung, Erschließung, Weitergabe und Nutzung von Wissensformen aller Art zu tun haben. Das ist zwar dem Anschein nach in der klassischen Definition enthalten, aber das Gebiet wurde vor allem auf das digitale Medium eingeschränkt. Es entstand eine Informationswissenschaft als Information-RetrievalWissenschaft. Diese Verengung ist weder sinnvoll noch zeitgemäß und sie passt auch nicht in einen universitären Rahmen, in der die Informatik fest angesiedelt ist. Ich plädiere deshalb dafür, eine künftige Informationswissenschaft in der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften anzusiedeln, wobei dies nicht heißen soll, dass viele Phänomene nicht mit den ‚harten‘ Methoden der Naturwissenschaften sowie auch mithilfe der Informatik behandelt werden könnten und sollten. Man könnte sich für diese Neubestimmung an der „médiologie“ von Régis Debray orientieren, die den Schwerpunkt auf die Materialität der Träger – das nannte man früher „Dokumentation“ – sowie auf die Vermittlungsinstitutionen legt. Ich meine aber auch, dass die Medienwissenschaft und das, was ich „Angeletik“ nenne, also eine empirische Wissenschaft, die sich mit dem Phänomen von Boten und Botschaften auseinandersetzt, zum Kern dieser neuen Informationswissenschaft gehören. Ferner glaube ich, dass in Zukunft eine immer größer werdende Vielfalt von digitalen und ‚hybriden‘ Gegenständen aller Art das Leben ganzer Gesellschaften bestimmen werden. Das bedeutet, dass eine künftige Informationswissenschaft sich mit sozialen Fragen der Robotik, Bionik oder Nanotechnologie beschäftigen muss. Schließlich muss man bedenken, dass es seit Jahren eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern gibt, die nach einer umfassenden Information Science oder Science of Information oder Information Studies strebt. Das Profil einer gesellschaftlich orientierten Informationswissenschaft müsste deutlich hervorgehoben werden. Dazu können solche interkulturellen, intermedialen und epochenvergleichenden Studien dienen, die bisher vorwiegend auf Bibliotheken und Archive beschränkt blieben. Eine enge Verzahnung mit Medien- und Kommunikationswissenschaft ist die Folge. Die Fokussierung auf die gesellschaftliche Ebene bedeutet auch, dass die ethischen, rechtlichen und politischen Dimensionen der Wissensvermittlung zum Kern dieser Disziplin gehören. Vielen Dank, Herr Capurro, für das Interview.

87

Rafael Capurro

Literatur: Ackoff, R. L.: From Data to Wisdom, in: Journal of Applied Systems Analysis (16) 1989. Capurro, R.: Information. Ein Beitrag zur etymologischen und ideengeschichtlichen Begründung des Informationsbegriffs, München 1978. Chomsky, N.: Current Issues, in: Linguistic Theory, 1. Auflage, 1964, Paris 1970. Heidegger, M.: Sein und Zeit, Tübingen 1976. Ortega y Gasset, J.: Misión del bibliotecario. Madrid 1962. Paz, O.: El mono gramático, Barcelona 1974. Peirce, C. S.: How to make our ideas clear, in: Popular Science Monthly (12) 1, 1878, S. 286 –302. Online verfügbar unter: http://www.peirce.org/writings/p119.html, abgerufen am 18.12.2011.  Scheule, R./Capurro, R./Hausmanninger, T. (Hrsg.): Vernetzt gespalten. Der Digital Divide in ethischer Perspektive, München 2004. Weizsäcker, Carl F. v.: Sprache als Information, in: ders.: Die Einheit der Natur, München 1974.

Anmerkungen: 1 Zudem liegt eine online Version des Artikels vor, unter: http://www.capurro.de/treude.html, abgerufen am 18.12.2011. 2 Vgl. Weizsäcker (1974), S. 51. Dieser Vortrag wurde in der Vortragsreihe Die Sprache der Bayerischen Akademie der schönen Künste in München und Berlin 1959 gehalten. 3 Siehe dazu Scheule/Capurro/Hausmanninger (2004), S. 17. 4 Der Kompetenzbegriff geht u.a. auf den Linguisten Noam Chomsky zurück. Bei ihm bedeutet Kompetenz die grundsätzliche Kenntnis der Regeln einer Sprache im Gegensatz zu Performanz, als die konkrete Anwendung der Sprache. Siehe Chomsky (1970), S. 8 ff. 5 „La sociedad democrática es hija del libro, es el triunfo del libro escrito por el hombre escritor sobre el libro revelado por Dios y sobre el libro de las leyes dictadas por la autocracia.“ Siehe Ortega y Gasset, José: Misión del bibliotecario. Madrid: Revista de Occidente, 1962, S. 33. 6 Die Arbeit mit dem Titel ‚Das Konzept Informationskompetenz. Ein Beitrag zur theoretischen und praxisbezogenen Begriffsklärung‘ wurde am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin eingereicht und wird 2011 in der Reihe ‚Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft‘ veröffentlicht. 7 Vgl. Peirce (1878). 8 Data-Information-Knowledge-Wisdom, siehe dazu Ackoff (1989). 9 Vgl. Heidegger (1976). 10 Vgl. Heidegger (1976), S. 78. 11 Octavio (1974), S. 97. 12 Octavio (1974, zit. Anm. 11). 88

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries Blaženka Divjak

This modest article is dedicated to Professor Wolf Rauch, a great friend and an outstanding researcher, for his 60  th birthday

Abstract The main purpose of this article is to present the partnership in Tempus III projects in the period of 2000 –2006 by the use of SNA (Social network analysis) with a special focus on partnership between Croatia and Austria, because the two people mentioned at the beginning of this article witnessed some of the Tempus projects from Tempus III period and participated actively in that processes of academic cooperation. 1. Introduction Nowadays there are many opportunities for cooperation in the frame of European Higher Education Area (EHEA) but just a decade ago it was quite different for those European countries that stayed out of the mainstream associations for some, mainly political, reasons. One of such regions consisted of countries that where once part of Yugoslavia, like Croatia, Bosnia and Herzegovina, the Federal Republic of Yugoslavia (FRY) – Serbia, Montenegro, Kosovo and Former Yugoslav Republic of Macedonia (FYROM). They were known under abbreviated name CARDS (Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilization) countries or the Western Balkan countries. Usually, Albania was also on CARDS list of countries, but it has not been considered in our analysis because it is difficult to compare it with other CARDS countries due to historical background. CARDS was the EU program of technical and financial assistance adopted in December 2000. Its basic goal was to support the active participation of South-East89

Blaženka Divjak

ern European countries in the Stabilization and Association Process. Besides Croatia, beneficiaries of this program were Albania, Bosnia and Herzegovina, FYROM and SR Yugoslavia. The program covered the period starting with 1 July 2000 and ending with 31 December 2006, and its total value amounted to 4.65 billion € (MZOS). One of the programs financed under CARDS was Tempus program for CARDS countries. This program was originally adopted by the Council of Ministers of the European Union in 1990 in order to support the process of reform in the countries of Central and Eastern Europe in the area of higher education within the framework of the European Community PHARE program. Similarly, TEMPUS III (2000–2006) covered the associated and non-associated countries of South-East Europe and the Partner States of Eastern Europe and Central Asia and Mongolia. Croatia became eligible for Tempus funding in 2000. The other eligible Tempus partner countries in South-East Europe were the Former Yugoslav Republic of Macedonia (1996), Bosnia and Herzegovina (1997), Albania (1992) and the Federal Republic of Yugoslavia (2001). Tempus program opened the door for CARDS countries higher education institutions towards European Higher Education Area and contributed a lot to development and modernization of universities and establishing and re-establishing better and sustainable connections towards other, especially EU based, universities. In this context we settle our story about Tempus III partnership. This paper is organized as follows, first SNA method will be briefly described and then Tempus III projects will be presented. The central part is going to be dedicated to the analysis of partnership in Tempus III. The paper will be concluded by some remarks on results of SNA analysis. 2. Social Network Analysis Social network analysis (SNA) is considered as the mapping and measuring of relationships and flows between people, groups, organizations, computers, web sites and other information/knowledge processing entities. The nodes in the network are people, groups, states or some other items, with links showing relationships or flows between the nodes. SNA provides both a visual and a mathematical analysis of human, organizational or political relationships. The resulting structure has a structure of a mathematical graph and these graphbased structures are often very complex (Krebs 2008). The (undirected) graph is an ordered pair G=(V,E), where V=V(G)≠∅ is a set of nodes and E=E(G) is a set 90

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries

of edges where E ∩V = ∅ and every edge e∈E connects two nodes u,v∈V that are the ends of edge e. The length maxu,v dg (u,v) of the ‘longest shortest path’ (i.e., the longest graph geodesic) between any two graph vertices dg (u,v) of a graph, where dg (u,v) is graph diameter diam G=max {dg (u,v) : u,v ∈V(G) }. Even though SNA has risen as a key technique in sociology, it also plays a significant role in information and organizational sciences. This research attempts to contribute to exploiting its potential in the area of project management, especially partnership in Tempus III program. There are many measures that can be defined for SNA, including centrality measures (degree centrality, betweenness and closeness centrality) (Krebs 2008), which were also used in this analysis. Degree is the count of the number of ties to other actors in the network. �

�� ��� � � ���� � � � ��� �� � ��� ���

g where  CD(ni ) denotes degree centrality for node i and ∑     j = 1 xij counts the number of direct ties that node i has to the g  -1 other j nodes (i ≠ j excludes i ’s relation to itself.) ��� ��� � � �� �� � � Betweenness refers to the extent�to which a node ��� lies between other nodes in the ��� network. This measure takes into account the� connectivity of the node’s neighbors, giving bridge clusters. The measure reflects the num  a higher value to nodes ��� � � ��� ��which � � � � ��� �� � ��� ��� ber of nodes that indirectly connect the item 1 through its direct links. Formula for �� ��� � � � �� � �� calculating betweenness centrality is the �∑ following: ���� � �� ��  

 

���

�� ��� � � � ���

��� ��� � ���

CB (N   i ) – betweenness centrality of node i g j  k (Ni ) – the number of geodesics between1 the j and k that contain node i ��� � �between the two �� � �� nodes j and k g j  k – the number of geodesic��paths � �∑ ��� � � �� ���





Closeness is the degree to which an item is positioned near all the other items in a   network (directly or indirectly). It reflects the ability to access information through network members. 91

 

�� ��� � � � ���

Blaženka Divjak

 

�� ��� � �  

��� ��� � ���

1

� �∑��� ���� � �� ��

�� � ��

Cc (ni ) – closeness centrality of node i d (Ni   , Nj ) – geodesic distance between nodes i and j Density is the degree a respondent’s ties know one another/proportion of ties among an individual’s nominees. Network or global-level density is the proportion of ties in a network relative to the total number possible (sparse versus dense networks) (Wasserman/Faust 2009). 3. Tempus III terminology and benefits As it is noted in the Introduction, TEMPUS was the program of the European Union, which supported the modernization of higher education (HE) in the EU’s surrounding area. Tempus promoted institutional cooperation that involved the European Union and Partner Countries. For the academics from so called partner countries there were many opportunities for learning new, sometimes bureaucratic, language and terminology, of course in English. First of all, the term Partner Country was reserved for countries that were not members of EU but EU had a special interest in development of HE in these countries. In Tempus III, EU focused on the reform modernization of higher education systems in the Partner Countries of Eastern Europe, Central Asia, the Western Balkans and the Mediterranean region. Further, Western Balkan countries were additionally called CARDS countries, Mediterranean (Magreb) countries were called MEDA and some of the former Soviet Union Countries were called TACIS. Term Partner Country was sometimes also substituted with eligible country, even though the author did not find the exact rule when this was acceptable and when it was not. But it is used in formulations as follows. “The specific aim of Tempus III is to promote the development of higher education systems in eligible countries by encouraging understanding between, and rapprochement of, cultures and by addressing the following issues: issues relating to the development and reshaping of teaching syllabuses; the reform of higher education structures and institutions and their management; the development of training leading to qualifications, particularly by strengthening links with industry; the contribution of higher education and training to citizenship and the strengthening of democracy.” (Europa.EU) 92

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries

Tempus III funded two types of actions: – Joint Projects: partnerships between higher education institutions in the EU and partner countries. They were designed to develop, modernize and disseminate new curricula, teaching methods or materials, as well as to boost quality assurance and management of higher education institutions. – Structural Measures: were designed to develop and reform higher education institutions and systems in partner countries; to enhance their quality and relevance, and to increase convergence with EU developments. Further in the following quotation we can find not just additional explanation of Joint Projects, but also usage of both terms (partner country and eligible country). “Tempus encourages institutions in EU and partner countries to become involved in Joint European Projects (JEPs) of a maximum duration of three years. European projects will be carried out by a consortium including at least one university from an eligible country, a university from an EU country and a partner (university, company or institution) from another EU country.” (Europa.EU) In addition, the Tempus III awarded individual grants for visits intended to promote the quality, development and restructuring of higher education and training in eligible countries, but it is not in our focus of interest in this research. Finally as it is noted on (Europa.EU), the official report from the European Commission to the Council, the European Parliament, was given on 28 April 2010. It is entitled Report on the External ex-post Evaluation of the 3rd Phase of the Tempus Programme 2000 –2006 but for some reason it is not published in the Official Journal. 4. Research and discussion of results As it is already mentioned, in this research we analyzed the participation of Western Balkan countries (also called CARDS countries) in Tempus III. Specifically, there are five Western Balkan countries we are interested in and these are: Bosnia and Herzegovina, Croatia, Kosovo, Macedonia and Serbia. The projects included in this research are Joint European Projects approved from 2000 to 2006 involving Croatia, Bosnia and Herzegovina, Serbia, Kosovo and Macedonia. A total of 200 projects were taken into account and the number of projects per country is given in the Table 1. 93

Blaženka Divjak

Country

No of projects involved

Bosnia and Herzegovina



52

Croatia

66

Kosovo

5 67

FYROM (Macedonia) Serbia and Montenegro Total number of project these countries were involved

37  

200

Table 1. Number of project per country

After gathering Tempus III projects involving Western Balkan countries, we formed a social network of partnership of Western Balkan countries in Tempus III in order to build SNA graph (fig. 1) and perform analysis. Every node in the network represents all partners from one country (higher education institutions, ministries, institutes, companies, foundations, etc.). Further, every edge in the network represents partnership between two countries in a project. There are 33 countries observed in Tempus III projects and these countries are observed as nodes in the social network of Tempus III partnership. Regarding the type of interaction (partnership), the graph of this social network is undirected. There were 308 realized partnerships between countries in Tempus III out of (n*(n-1))     possible 2 =528, so the density of the observed network is 0.5833. Accordingly, more than half of network is covered with links between nodes. In order to determine which country has a central position in the network, we used centrality measures: degree, closeness and betweenness. Degree centrality Since our research is built upon CARDS countries, the highest degree centrality was obtained for Austria and Croatia and it is 31. It looks like “to much a convenient result” but it is genuine. Out of 33 countries in the network, these countries do not have a direct relation with only two countries and this makes them wellnetworked countries. The degree centrality in this network can be explained as a reflection of country’s interest in education and cultural programme and its attractiveness as a project partner. These direct relations with 31 countries in the network can facilitate procedure of finding partners for some other projects. Further, these 94

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries

countries can easily disseminate results of the education and culture programmes, i.e. make them more visible and, finally, ensure their more active exploitation. Closeness centrality According to closeness centrality the central countries are also Austria and Croatia. Closeness centrality affects the speed of access of one node to other nodes in the network. Hence, Austria and Croatia can quickly establish contacts with all other countries in the network since they have the lowest mean geodesic distance from all other countries in the network reachable from them. Betweenness centrality The highest betweenness centrality was obtained again for Austria and Croatia which means that they lie on the biggest number of shortest paths between the nodes in the network. This powerful intermediate position allows Austria and Croatia a certain control of the flows that they mediate – primarily communication and information flows, but also dissemination of curricula, teaching methods and materials. Based on these results we can conclude that central country from Western Balkan countries involved in Tempus III projects was Croatia while the Member State of the European Community that had the most relevant position for Western Balkan countries was Austria. Weighted graph of partnership of Western Balkan countries in Tempus III Additionally, we observed the weighted graph of partnership of Western Balkan countries in Tempus III (fig. 2). Total weight of all edges in the network equals 1792 which mean that 1792 partnerships were established between 33 countries in 200 projects. According to weighted graph, Germany has the highest influence on Western Balkan countries since it established the highest number of partnerships – 296. Further, the most often partnership was between Germany and Croatia. They cooperated on 29 projects.

95

Blaženka Divjak

Figure 1. Social network of partnership of Western Balkan countries in Tempus III

Figure 2. Weighted graph of partnership of Western Balkan countries in Tempus II 96

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries

Partnership between Austria and Croatia on Tempus III Finally, we observe the partnership between Austria and Croatia in Tempus III more closely. The weight of edge between Austria and Croatia is 24 and it represents the number of Tempus III projects involving Austria and Croatia. Further, there are 52 institutions from Austria (16) and Croatia (36) involved in Tempus III. In this analysis we extract Faculty of organization and informatics that is constituent unit of the University of Zagreb and analyze it separately. Austrian partners in Tempus III projects were mostly universities (Universität Wien, Universität für Bodenkultur Wien, Technische Universität Wien, Pädagogische Akademie des Bundes in Oberösterreich, Pädagogische Akademie des Bundes Wien, Karl-Franzens-Universität Graz, Johannes-Kepler-Universität Linz, Universität Salzburg, University of Applied Sciences Vorarlberg, Leopold-Franzens-Universität, Universität Klagenfurt) then industrial partners and professional societies (Österreichische Computer Gesellschaft, Kaltenbrunner Medienberatung Wien, Centric Austria International, Skills International, Milestone Management Gmbh). Croatian partners in Tempus III projects were schools (Cakovec Second Elementary School, Elementary School “Davorin Trstenjak”, Elementary School “Marin Getaldin”, Elementary School “Miroslav Krleza”, Elementary School “Rivarela”, Preschool “Buducnost”, Preschool “Ticici”, Pucisca Elementary School, Zmajevac Elementary School), then universities (University of Osijek, University of Rijeka, University of Split, University of Zagreb, University of Zadar, University of Dubrovnik), industrial partners (Association of Brewing and Malting Industry, Cedevita d.d., Dukat d.d., Pliva d.d., Podravka d.d., Microsoft Hrvatska d.o.o.,), national authorities and agencies (Ministry of Science, Education and Sports, Ministry for Justice of Croatia Republic, Ministry for European Integration, National Council for Higher Education, Croatian Academy of Arts and Sciences, Croatian Employers Association, National Foundation for Science, National Competitiveness Council), professional societies (Croatian Operational Research Society, Croatian Society of Biotechnology, Croatian Chamber of Economy, Croatian Sugar Association), other educational institutions (International Center for Education of Journalists, Croatian Academic and Research Network, Centre for Entrepreneurship). If we consider the unweighted graph of partnership between Austria and Croatia in Tempus III, there were 274 partnerships established between Austrian and Croatian institutions out of possible 1326, so the density of the social network of partnership between Austria and Croatia in Tempus III is 0.2066. Further, if we 97

Blaženka Divjak

consider the weighted graph, the total number of established partnerships between Austrian and Croatian institutions in Tempus III projects is 353. According to centrality measures, the central Croatian institution in social network of partnership between Austria and Croatia is the University of Zagreb while central Austrian institution is the University of Vienna. These two institutions are the most common partners in Tempus III projects, the greatest mediators in the network and nearest to all other institutions in the network. University of Rijeka has also a special position in the network. It is a cut-off point and deleting it from the network would isolate Skills International and Centric Austria International. The Karl-Franzens University of Graz also played an important role. Compared to other Austrian institutions and according to centrality measures (degree, betweenneess, closeness and eigenvector), Karl-Franzens University of Graz is the third Austrian central institution in the network. The degree centrality of Karl-Franzens University of Graz is 10, meaning it established partnerships with 10 institutions (nine Croatian and one Austrian institution) as presented in Figure 3. University of Vienna established partnerships with 23 institutions, University of Natural Resources and Life Sciences, Vienna with 12. The average degree centrality in the social network of partnership between Austria and Croatia in Tempus III is 10 so according to degree centrality Karl-Franzens University of Graz has an average position on the network level, while compared to only Austrian institutions it is better than average. Out of 52 Austrian and Croatian institutions the betweenness centrality can be interpreted for only 15 institutions (nine Croatian and six Austrian) and KarlFranzens University of Graz is one of them. This indicates that the University of Graz also has a certain intermediate role in the network. Further, the distance from other institutions in the network is less than average, indicating the possibility of relative quick access to other institutions in the network and obtaining information.

Figure 3. Ego network of Karl-Franzens University of Graz 98

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries

Figure 4. Social network of partnership between Austria and Croatia in Tempus III

The weight of the edge between the Karl-Franzens University (Prof. Wolf Rauch as contractor – grant holder) and University of Zagreb (Prof. Blaženka Divjak as coordinator) is two, which means that they have been partners on two Tempus III projects (Aspects of Organization and Information Systems (16086-2001) and Enhancing Absorption Capacity of EU Programmes in Croatia (41063-2006). Furthermore there were also some SCM projects in which both institutions were involved. Let us mention that Aspects of Organization and Information Systems was one of the first Tempus III projects in which Croatia was involved and that there were a lot of administrative problems that had to be solved, but the cooperation between contracting and coordinating institution was excellent. The most important reason for that was the attitude and commitment of the contractor (Prof. Wolf Rauch) that insisted on fair play, mutual learning and trust. It was and still is a model of ideal encouraged project environment from which all participants gained the most. Let us perform one more analysis. Neglecting the number of partnerships between institutions from the same country we formed a bipartite graph (fig. 5) where nodes (Austrian and Croatian institutions) are separated in two disjoint sets. Bipartite 99

Blaženka Divjak

graph indicates that most of Croatian institutions (20) cooperated with the University of Vienna in Tempus III projects. Further, most of Croatian institutions (24) have established only one partnership with Austrian institutions, which means that they have been involved in only one Tempus III project where Austria was partner. Out of these 24 Croatian institutions 10 of them cooperated with the University of Vienna only.

Figure 5. Bipartite graph of partnership between Austrian and Croatian institutions in Tempus III

Beyond the formal aspect of project there is an informal aspect that includes informal communication and friendship between partners providing a platform for future projects. Project meetings, trainings and other networking events in different cities are also part of Tempus III projects’ contribution to cultural elevation of all project participants. This cooperation is also contributing to a greater understanding of different cultures, what was indeed one of the goals of Tempus III. Figure 6 represents the established contacts between 22 cities from Austria (9) and Croatia (13) in Tempus III. 100

Analysis of partnership in Tempus III programme for CARDS countries

Figure 6. Bipartite graph of connection of Austrian and Croatian cities

Conclusions/Principal findings Even from today’s perspective, it is evident that nobody can understand Tempus without an extensive glossary. But despite many misunderstandings, TEMPUS provides a significant support to the reform of the higher education system in so called beneficiary countries. Due to performed SNA analysis of partnerships in Tempus III CARDS countries and according to all three centrality measures, Austria and Croatia have central positions. Central country from Western Balkan countries involved in Tempus III projects is Croatia while the Member State of the European Community that has the most relevant position for Western Balkan countries is Austria. According to weighted graph of Tempus III partnership of CARDS countries, Germany has the highest influence on Western Balkan countries since it established the highest number of partnerships. Further, the most often partnership is between Germany and Croatia. If we consider unweighted graph of partnership between Austria and Croatia in Tempus III, according to centrality measures, the central Croatian institution in social network of partnership between Austria and Croatia is the University of 101

Blaženka Divjak

Zagreb, while central Austrian institution is the University of Vienna. The KarlFranzens University of Graz also played a very important role due to quantitative data, but even significantly more important based on qualitative studies and experiences of project participants. The author of this paper can witness that. Besides the number of partnerships and outcomes of Tempus projects there are also many intangible benefits that came out of Tempus projects and that made the basis for further collaboration. In these achievements professor Wolf Rauch plays a central role, and as it is well known, partnership depends on people and their commitment and spirit. We are counting on professor Rauch’s spirit of good will and talent for motivating people for future cooperation and projects.

References: Krebs, V.: Social network analysis (2008), available online at: http://www.orgnet.com/sna.html, accessed on 18.12.2011. Knoke, D./Yang, S.: Social Network Analysis, Los Angeles 2008. Wasserman, S./Faust, K.: Social Network Analysis. Methods and Applications, Cambridge 2009. Web pages with information on Tempus III programme: • MZOS (Ministry of Science, Education and Sports of the Republic of Croatia) – CARDS, http://public.mzos.hr/Default.aspx?sec=2467, accessed on 18.12.2011. • Europa.EU – European commission – EACEA (The Education, Audiovisual and Culture Executive Agency), http://eacea.ec.europa.eu/tempus/programme/about_tempus_en.php, accessed on 18.12.2011.

Acknowledgement: I would like to thank to assistant Petra Peharda from the Faculty of organization and informatics (FOI), University of Zagreb for helping me with SNA graphs, tools and analysis and assistant Sandra Kukec also form FOI for reading the text and providing useful comments.

102

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Wittgenstein (1922), Tractatus 5.6.

1. Einleitung Mit zunehmendem Einsatz multikultureller Teams in Organisationen steigen die Anforderungen an die Fremdsprachenkompetenz der in Teams tätigen Mitarbeiter. Sprache, als Hauptvehikel für Kommunikation, stellt den zentralen Bestandteil sozia­ler Interaktion dar und dient nicht nur der Übermittlung von Informationen, sondern ist auch ein bedeutender Einflussfaktor auf interpersonelle Beziehungen (Chevrier 2000, S. 109; Barmeyer 2000, S. 59). Zwar ist eine gemeinsame sprachliche Basis für die Aufgabenerfüllung zwingend notwendig, da die Mitglieder multi­ kultureller Arbeitsgruppen jedoch häufig aus verschiedenen Sprachräumen stammen, ist das Beherrschen einer gemeinsamen Teamsprache nicht unbedingt gegeben und die verbale Kommunikation findet für einen Teil oder auch für alle Teammitglieder in einer Fremdsprache statt. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: 1. Die Teamkommunikation geht multilingual vonstatten. Die Teammitglieder kommunizieren dabei in verschiedenen Sprachen im Wechsel. 2. Der häufigere Fall ist jedoch die Kommunikation in einer gemeinsamen Teamsprache, die am Anfang der Zusammenarbeit definiert wird. In der Regel wird die Sprache gewählt, in der sich alle Teammitglieder mitteilen können. Dem zweiten Fall – der einen, gemeinsamen Sprache – widmet sich der vorliegende Artikel. Eine gemeinsame sprachliche Basis ist Teil des und Voraussetzung für einen geteilten Wissensvorrat als Grundlage der Zusammenarbeit. Sprache ist also einerseits 103

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

Vorbedingung für den Sozialkontakt und das damit verbundene Lernen von anderen Teammitgliedern. Andererseits stellt die gemeinsame Sprache selbst einen Teil der Wissensbasis dar, die Grundlage des Verständnisses der Interaktionspartner bildet.1 Fremdsprachenkompetenz gilt somit als zentraler Einflussfaktor auf die Teamarbeit, da deren Grundlage die soziale Interaktion ist. 2. Konzeptionelle Überlegungen a) Definitorische Grundlagen Das Verständnis von Fremdsprachenkompetenz lässt sich aus den Komponenten Sprache, Kompetenz sowie Sprachkompetenz im Allgemeinen ableiten. Sprache ist Gegenstand verschiedener Wissenschaften. Dementsprechend besteht eine Pluralität an Auffassungen über Sprache. Im vorliegenden Text wird die in Soziologie und Sozialpsychologie verbreitete Auffassung von verbaler Sprache (Lyons 1987, S. 12)2 als definiertes System von Strukturen, Zeichen und Symbolen, welches seine Ausprägung in verschiedenen Einzelsprachen (Englisch, Deutsch, Französisch etc.) findet, zugrunde gelegt (Häcker/Stapf 2009, S. 941). In der Soziologie steht der soziale Aspekt von Sprache im Vordergrund: „Eine Sprache ist ein System willkürlicher Lautsymbole, mit deren Hilfe eine soziale Gruppe gemeinsam handelt“ (Bloch/Trager 1942, S. 4). Für die Teamarbeit spielt daneben jedoch auch der kommunikativinteraktive Aspekt von Sprache eine Rolle. Demnach ist Sprache „die Institution, mit deren Hilfe Menschen miteinander kommunizieren und unter Verwendung […] [von] Symbole[n] in Interaktion treten“ (Hall 1968, S. 158). Kompetenz wurde in verschiedenen Disziplinen mit Wissen, Können, Fähigkeiten und Fertigkeiten in Verbindung gebracht und kann als „durch tatsächlichen Vollzug nachgewiesene Fähigkeit, wobei das Ausmaß dieser Fähigkeit für die Bewertung der Kompetenz maßgeblich ist“ (Köck/Ott 1997, S. 377), aufgefasst werden. Sprachkompetenz ist ein komplexes Konstrukt und lässt sich daher nicht eindimensional konzeptualisieren. Sie setzt sich aus sprachlicher, sprachlogischer, strategischer und soziolinguistischer Kompetenz zusammen.3 • Sprachliche Kompetenz ist das eigentliche Sprachwissen, also das Beherrschen einzelner Wörter, Wendungen und grammatikalischer Strukturen. • Unter sprachlogischer Kompetenz versteht man die Umsetzung des Wissens in den kohärenten und logisch-richtigen Gebrauch der Sprache. • Die strategische Kompetenz ist die Fähigkeit, Probleme innerhalb einer Sprache 104

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

zu erkennen und zu lösen. Sie geht über die routinemäßige Anwendung der Sprache im Rahmen der sprachlogischen Kompetenz hinaus und äußert sich vor allem in Situationen, die nicht vorhergesehen werden können. Die strategische Kompetenz erlaubt die lösungsorientierte Zusammenarbeit in einem multikulturellen Team. • Schließlich ist Sprachkompetenz durch die soziolinguistische Kompetenz geprägt. Diese umfasst Umgangsformen, Normen und Werte, die die Kommunikation in einer bestimmten Sprache prägen, jedoch nicht durch Wörter und Grammatik bestimmt werden. In der vorliegenden Arbeit ist stets von Fremdsprachenkompetenz die Rede. Die vier erläuterten Teilkompetenzen beziehen sich dann jeweils auf eine Teamsprache, die – zumindest für einen Teil der Teammitglieder – nicht die Muttersprache eines Teammitglieds ist. Die Verwendung einer Fremdsprache liegt für ein Individuum außerhalb seines gewöhnlichen (Mutter-)Sprachgebrauchs. Im multikulturellen Team treffen mit den verschiedenen Kulturen und Sprachen unterschiedliche Wissensbasen und kulturell bedingte Erfahrungen aufeinander. Neben der rein formalen Möglichkeit, sich in der Teamsprache zu verständigen (sprachliche und sprachlogische Kompetenz), kann das Problem bestehen, dass identische Zeichen und Symbole aufgrund dieser unterschiedlichen Vorbedingungen zu verschiedenen Reaktionen und Interpretationen der Teammitglieder führen (strategische und soziolinguistische Kompetenz; Felder 2009, S. 5). b) Theoretische Grundlagen Um zielführend kommunizieren zu können, benötigen multikulturelle Teams eine gemeinsame Teamsprache. Einen Erklärungsansatz für die Verwendung und Herausbildung einer gemeinsamen Teamsprache kann die Theorie des Symbolischen Interaktionismus liefern. Dieser sozialwissenschaftliche Ansatz zur Analyse des menschlichen Zusammenlebens und Verhaltens beschreibt das Gelingen von Interaktion als eine ständige Koordination der gemeinsamen Handlungen. Eigene Handlungsabsichten müssen mit den Handlungsabsichten anderer in Einklang gebracht werden. Zunächst erfolgt beispielsweise im Team eine misslungene Interaktion, indem die Bedeutung von Gesten und signifikanten Symbolen missinterpretiert wird und Verständigungsschwierigkeiten auftreten. So wäre die Kommunikation missglückt, die Interaktion kommt nicht zustande und die Entstehung einer ge105

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

meinsamen Handlung ist nicht durchführbar. Um eine erfolgreiche Interaktion zu ermöglichen, geht es nach Mead dabei um das wechselseitige Erlernen übereinstimmender Interpretationen signifikanter Symbole. Signifikante Symbole sind Sinnzeichen, denen eine Bedeutung beigemessen werden muss. Diese Symbole sind sozialisationsbedingt und werden in der Interaktion wechselseitig bestätigt oder verändert (Blumer 1973). Durch diesen wechselseitigen Prozess kann auch eine gemeinsame Teamsprache geformt werden. Da sich Englisch im Unternehmenskontext als meistverwendete Kommunikationssprache über linguistische Grenzen hinweg durchgesetzt hat, soll der Fokus dem Englischen gelten. Der Einsatz einer gemeinsamen Sprache wie Englisch hat eine Vehikelfunktion, um die Kommunikation zwischen Personen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, zu erleichtern. Die englische Sprache wird durch den internationalen Einsatz von Nicht-Muttersprachlern verformt zum sogenannten „Business English“, „pidgin English“ oder „English offshore“. Dabei werden grammatikalische Strukturen und Wörter verändert sowie Konstruktionen aus anderen Sprachen entliehen (Chevrier 2000, S. 102f.). Einige Besonderheiten und Probleme gehen mit der verbreiteten Verwendung dieser verkürzten englischen Sprache einher. Im Normalfall haben sich Sprachen über einen langen Zeitraum hinweg kulturell entwickelt. Sie sind von kulturellen Werten und Normen sowie von Umgangsformen und Orientierungsschemata geprägt und beeinflussen auch ihrerseits kulturelle Systeme. Das Business English kann man auf den ersten Blick keiner bestimmten Kultur zuordnen. Es kann als das sprachliche Pendant zu einer Interkultur  4 gesehen werden. Wie eine Interkultur entwickelt sich Business English als gemeinsame kommunikative Basis zwischen verschiedenen Kulturen in iterativen Prozessen, die eine Abstimmung über Bedeutungsinhalte umfassen; sie kann somit als „Inter-Sprache“ bezeichnet werden. Ist die gemeinsame Sprache zwischen den Teammitgliedern als Abwandlung eines existierenden Sprachsystems neu entstanden, stellt sie einen identitätsstiftenden Faktor für die Gruppe dar und begünstigt somit die Herausbildung einer Interkultur. Außerdem wird durch den Aushandlungsprozess einer eigenen Inter-Sprache als Kommunikationsbasis sichergestellt, dass die Teammitglieder sich in dieser Sprache verständigen können. Greift das Team auf eine (Fremd-)Sprache zurück, die historisch gewachsen ist, kann Interkulturalisation gleichermaßen stattfinden. Jedoch muss die Kompetenz der einzelnen Teammitglieder in der Sprache vorhanden sein und die Identitätsbildung kann verzögert werden. Diesen Sachverhalt erklärt auch Habermas in seinen Ansätzen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. 106

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

Nach Habermas (1971, S. 111) setzt jede Rede eine faktische Vorverständigung darüber voraus, was es bedeutet, in einer Sprache zu kommunizieren, Äußerungen zu verstehen und möglicherweise misszuverstehen. Diese These wird nach Topitsch (1965, S. 61) um die sozialisationstheoretisch wichtige Erkenntnis erweitert, dass die Teammitglieder Sprache in Form eines plurifunktionellen Führungssystems benutzen, indem sie die Interpretation ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit über Werte und Normen mit dem Medium der Sprache aufbereiten. Das Ausmaß sprachlicher Interaktionen auf der Ebene des Sozialisationsprozesses ist von der Erkenntnis der Sozialisierenden insoweit abhängig, als sie sich der Komplexität des sprachlichen Transfers bewusst sind. Je mehr Wissen die Kommunikatoren über die Problematik des sprachlichen Transfers haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Sozialisation (Mühlfeld 1975, S. 145). Genauso wie Sprache auf Sozialisation wirkt, so kann eine Inter-Sprache zwischen den Teammitgliedern einen Einfluss auf die Interkulturalisation im Team haben. In Bezug auf Interkulturalisation ist der Fall herauszuheben, dass tatsächlich nicht jedes Teammitglied eine Fremdsprache spricht, sondern ein oder wenige Muttersprachler vertreten sind. Da sie anstatt dem verformten Business English ihr reguläres amerikanisches, britisches oder südafrikanisches Englisch sprechen, kommt es häufig zu Kommunikationsproblemen. Die fremdsprachlichen Teammitglieder verstehen den Muttersprachler schlecht oder der Muttersprachler dominiert mit seiner vermeintlichen sprachlichen Überlegenheit die Teamarbeit. Dies kann in Folge auch zu einer kulturellen Dominanz des Muttersprachlers führen, was die Interkulturalisation erschwert oder gar unmöglich macht (Zander/Mockaitis/Harzing 2011, S. 297). 3. Fremdsprachenkompetenz und Interkulturalisation In den einschlägigen Artikeln thematisieren verschiedene Autoren (Henderson 2005; Firth 1990; Feely/Harzing 2003) den signifikanten Einfluss der Fremdsprachenkompetenz der einzelnen Teammitglieder auf den Sozialisationsprozess und die Herausbildung von Kohäsion im Team. „An effective member of a multicultural team is able to establish an interpersonal relationship with a foreign national via an effective exchange of both verbal and nonverbal levels of behavior […]“ (Matveev/ Milter 2004, S. 105). (Fremd-)sprachliche Fähigkeiten sind demnach, wie eingangs erwähnt, eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Arbeit in multikulturellen Teams. In der Literatur wird Sprache oftmals nur als ein Teil der Kultur betrach107

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

tet, nicht aber als einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg multikultureller Teams (Henderson 2005, S. 66f.). Fremdsprachliche Defizite führen oft dazu, dass die Gruppeninteraktion ineffizient abläuft, da der Kommunikationsprozess und folglich die Verständigung zwischen den Teammitgliedern beeinträchtigt wird (Gupta 2008, S. 80f.). In dem vorliegenden Beitrag soll gezeigt werden, dass Fremdsprachenkompetenz nicht nur essenziell für die Kohäsionsbildung und den Sozialisationsprozess des multikulturellen Teams ist, sondern als zentraler Treiber für Interkulturalisation und damit für die Herausbildung einer Interkultur gesehen werden kann. Das Konstrukt Interkultur wurde in einer State of the Art-Analyse von Engelhard et al. (2009, S. 266ff.) bereits eingehend untersucht und analysiert. Interkulturalisation ist demnach, wie in Abbildung 1 dargestellt, ein Prozess im „Dazwischen“ von Kulturen, der durch Interaktion und Reflexion eigen- und fremdkultureller Verhaltensweisen gegenseitige Anerkennung stiftet. Interkultur bedeutet keinesfalls die Aufgabe der eigenen Kultur, sondern vielmehr die Kreation eines dritten, neuen, innovativen Orientierungssystems, das durch bewusste Förderung zu Synergien führen kann (Engelhardt et al. 2009, S. 275). In der Interkultur entwickeln die verschiedenkulturellen Mitarbeiter neue Problemlösungen, bei denen kulturelle Unterschiede respektiert werden und die sich von Problemlösungen differenzieren, die in einem rein monokulturellen Umfeld getroffen worden wären. Allerdings geht die Interkulturbildung noch einen Schritt weiter. Die Mitglieder der verschiedenen Kulturen machen sich ihre eigene und die fremde Kultur bewusst, sie benennen die in den jeweiligen Kulturen enthaltenen Werte, Normen und Regeln und arbeiten Übereinstimmungen und Unterschiede heraus. Auf dieser Grundlage definieren die Beteiligten kultureller Überschneidungssituationen neue Verhaltensalternativen und ergänzen damit ihr Verhaltensrepertoire um ein gemeinsames drittes, synergetisches und innovatives Element (qua Interkultur), das die Basis für ihr gemeinsames Handeln darstellt (Engelhardt et al. 2009, S. 275ff.).

108

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

Räumliche Dimension

„Interkultur als Prozess im „Dazwischen“ von Kulturen,

Reflexive Dimension

Prozessuale Dimension

Innovative Dimension

der durch Interaktion und

    

Reflexion eigen- und fremdkultureller Verhaltensweisen gegenseitige Anerkennung stiftet und durch Kreation eines dritten, neuen innovativen Orientierungssystems zu Synergien führen kann.“

Synergetische Dimension

Abbildung 1: Die Dimensionen des Konstrukts „Interkultur“. Quelle: Eigene Darstellung

Die Interkulturalisation muss dabei von der Sozialisation (Enkulturalisation) abgegrenzt werden. Sozialisation läuft meist im monokulturellen Umfeld ab und beinhaltet Einflüsse aus dem Individual-(Person), dem Mikro-(Kleingruppe), Meso-(Organisation) und Makrobereich (gesellschaftlicher Kontext; Witte 2005, S. 4). Die sozialpsychologische Sicht im engeren Sinne betont dabei die Komplexi­ tätsreduktion: „Socialization refers to the adoption and internalization by individuals of values, beliefs, and ways of perceiving the world that are shared by a group“ (Jones/Gerard 1967, S. 76). Aus pädagogischer Perspektive wird die Vorbereitung auf eine spezifische Rolle in der Gesellschaft betont: „The process of preparing a person for a role in a society is called socialization“ (Cronbach 1963, S. 32). Die soziologische Sicht kombiniert den Aspekt der „Vergesellschaftung“ und den der „Individuierung“: „From the point of view of society, socialization is the way culture is transmitted and the individual is fitted into an organized way of life […] From the point of view of the individual, socialization is the fulfillment of his potentialities for personal growth and development“ (Broom/Selznick 1963, S. 92). Zusammenfassend geht es bei dem Prozess der Sozialisation um die Art und Weise des Zusammenlebens von Individuen in einer Gesellschaft. Interkulturalisation kann als die Herausbildung eines neuen, von den Ausgangskulturen distinkten Orientierungssystems bezeichnet werden, das als Basis der Zusammenarbeit im Team respektive einer Gruppe von Personen fungiert. Grundlage des Interkulturalisations109

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

prozesses ist die kulturelle Verschiedenartigkeit der Interaktionspartner. Aufgrund der kulturellen Unterschiedlichkeit werden Aushandlungsprozesse angestoßen, die zu gemeinsam geteilten Werten und Normen in der Zusammenarbeit führen. Der signifikante Unterschied besteht darin, dass bei der Enkulturalisation die erstmalige Sozialisation in ein Orientierungssystem stattfindet; bei der Interkulturalisation geht es um die Herausbildung eines gemeinsamen Orientierungssystems von bereits anderskulturell geprägten Individuen. In der bereits erwähnten Analyse von Engelhard et al. wurden, wie in Abbildung 1 dargestellt, fünf unterschiedliche Dimensionen von Interkultur identifiziert. Auf der Grundlage dieser Analyse gilt es nun zu erläutern, inwieweit Fremdsprachenkompetenz Einfluss auf die Entwicklung der reflexiven, prozessualen, innovativen, synergetischen und räumlichen Dimension des Interkulturalisationsprozesses nimmt (Engelhardt et al. 2009, S. 273f.). Die „Räumliche Dimension“ vereint Aussagen über den Ort der Entstehung von Interkultur. Dieser Ort ist das „Dazwischen“, welches einen Raum zwischen zwei verschiedenen Kulturen bezeichnet und in dem neue kulturelle Ausprägungen in Form einer Interkultur entstehen. In den gesichteten Ansätzen fällt immer wieder das Wort „zwischen“.5 Der Raum zwischen den Kulturen kann nur durch Kommunikation aufgespannt, überbrückt und gefüllt werden. Ohne Fremdsprachenkompetenz kann Kommunikation in einem multikulturellen Team nicht stattfinden, womit das Team de facto nicht existieren würde. Der Raum gleicht ohne Kommunikationsmöglichkeiten einem Vakuum. Sprache schafft einen gemeinsamen Raum der Interaktion für das Team, über den Barrieren zwischen Teammitgliedern abgebaut werden. Zwischen den Kulturen wird durch Sprache schließlich eine gemeinsame Basis der Kommunikation gefunden. Als eine weitere Eigenschaft von Interkultur lässt sich die „Reflexive Dimension“ herausstellen. Die gegenseitige Anerkennung von Differenz beziehungsweise das Verstehen der eigenen sowie der fremden Kultur dominiert in geisteswissenschaftlichen Ansätzen, findet sich aber auch in den Sozialwissenschaften wieder. So spricht Negt (1992, S. 32 ff.) davon, dass das Lernen am Eigenen und am Fremden ein neues „Drittes“ schafft, und für Hagenbüchle (2002, S. 144 ff.) ist es essenziell, auf dem Weg zur Interkulturalität, das Selbst kritisch infrage stellen zu können, wobei eine bewusste Auseinandersetzung stattfinden muss. Die Akzeptanz des Fremdkulturellen wird in Lernprozessen kreiert, da eine gemeinsame Kultur nur entstehen kann, wenn man die Standards des jeweils anderen lernt (Mauritz 1996, 110

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

S. 88). Die von Steixner (2007, S. 210ff.) als Lernraum bezeichnete Interkultur, wird erstmals von Useem, Useem und Donghue beschrieben. Auch diese stellen die reflexive Dimen­sion von Interkultur heraus, indem sie davon ausgehen, dass seine sogenannte Drittkultur von Mitgliedern verschiedener Kulturen im Zeitablauf durch gegenseitiges Lernen erschaffen wird (Useem/Useem/Donghue 1963). Besonders charakteristisch für die eher kognitiv orientierte, reflexive Dimension ist das „Sich-bewusst-Machen“ der eigenen kulturellen Prägung und gleichzeitig das Erkennen und Verstehen der fremdkulturellen Werte und Normen. Dabei werden Lernprozesse in Gang gesetzt, die dazu führen sollen, die fremde und eigene Kultur zu reflektieren. Das Verstehen der fremdkulturellen Werte und Normen und die Reflexion darüber finden über Kommunikation statt. Nur wenn die Teammitglieder kompetent in der Teamsprache sind, können eigene kulturelle Standards ausgedrückt werden, um auf diese Weise in reziproken Lernprozessen gemeinsame „Spielregeln“ für die zukünftige Teamarbeit aushandeln zu können. Die Interaktions­ partner sind in dem Interaktionsprozess eingefangen und müssen stets ihre sich entwickelnden Handlungen aneinander anpassen. Die Sets an unterschiedlichen Bedeutungen von Interaktionen können von den Individuen in einer Tiefe interpretiert und reflektiert werden, wenn alle Teammitglieder ein bestimmtes Niveau in der Teamsprache vorweisen können. Bei der Analyse der Erklärungsansätze zum Konstrukt Interkultur fällt des Weiteren auf, dass wiederholt von einem „dynamischen Konzept“ (Moore 2005, S. 159ff.) die Rede ist, welches sich in der Interaktion ausdrückt. Um diesem Merkmal von Interkultur Rechnung zu tragen, wird eine „Prozessuale Dimension“ eingeführt. Interkultur ist also nicht statisch, sondern ein „prozessualer Ablauf“ (Rathje 2004, S. 57) der Herausbildung und Veränderung. Die Interaktionsbeziehung zwischen Angehörigen verschiedener Kulturen beruht auf Reziprozität, wobei Interkultur als „Mehrwert, der durch Kommunikation entsteht“ (Wierlacher/Wiedenmann 1996, S. 61) bezeichnet wird. Die Komponente der Reziprozität verdeutlicht vor allem Knapp (1999, S. 19), indem er von „wechselseitiger Akkommodation“ spricht, sowie Brannen und Salk (2000, S. 452) für die Interkultur eine „negotiated culture“ ist. In der prozessualen Dimension wird dem reziproken Charakter von Kommunikationsprozessen Rechnung getragen. Durch ausreichende Fremdsprachenkenntnisse kann wechselseitige Kommunikation zwischen den Teammitgliedern effektiv und effizient ablaufen. Haben die Teammitglieder die Fähigkeit, ihre Ideen und Gedanken zu einem spezifischen Problem in der Teamsprache zu manifestieren, so kann 111

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

in einem dynamischen und von Veränderungen geprägten Prozess die Interkulturalisation intensiviert werden. Dies geht unter anderem einher mit der Theorie des Symbolischen Interaktionismus nach Mead. Die unterschiedlich kulturell geprägten Interaktionspartner können dazu gebracht werden, spezifische Formen gemeinsamen Handelns zu entwickeln. Diese unterscheiden sich deutlich von jenen, die ihrer eigenkulturellen Prägung entsprechen. Diese für die spezifische Interaktion entwickelten Verhaltensformen können nur dann verstanden werden, wenn jedes Teammitglied gewisse sprachliche Kompetenzen in der Teamsprache vorweisen kann, die in der Teamarbeit wirken. Auf diese Weise wird in einem kommunikativ-reziproken Prozess eine neue Art der Interaktion kreiert. Interkultur hat zudem eine „Innovative Dimension“. Dass eine „neue Qualität“ (Bolten 1997; Thomas 2003, S. 540; Steixner 2007, S. 210), entsteht, impliziert schon der Begriff „Drittkultur“. Es wird also eine „neue Verhaltensstrategie“ (Kinast/Schroll-Machl 2005, S. 436) im Rahmen einer neuen, eigenständigen, „dritten Kultur“ herausgearbeitet. Interkultur entspricht dabei keiner der beiden Ausgangskulturen. Es handelt sich also um eine Erweiterung des Orientierungssystems einer Person um eine vollständig neue Qualität. Es geht also nicht darum, alte Werte zu negieren oder auch verschiedene Werte zu addieren. Die eigentliche Leistung besteht darin, verschiedene, zum Teil widersprüchliche Werte in Übereinstimmung zu bringen (Hampden-Turner/Trompenaars 2000, 8f.). Gegensätze prallen aufeinander, können aber ein innovatives Drittes bilden, das einer Kultur alleine verwehrt geblieben wäre. Erst durch eine gemeinsame, von allen Teammitgliedern beherrschte Teamsprache ist das Team in der Lage, neue Ideen und Problemlösungen zu erläutern und zu diskutieren. Nach Hall (1973, S. 191): „culture is communication and communication is culture“. Kommunikation ist für ihn mit Kultur gleichzusetzen. Zumindest ist Kommunikation aber ein zentraler Bestandteil von Kultur generell und von Interkultur im Speziellen. Nur durch Kommunikation und ihr Vehikel – der Sprache – kann ein drittes, neues, gemeinsames Orientierungssystem in Form einer Interkultur geschaffen werden. Eine gemeinsame Sprache erlaubt die Etablierung einer gemeinsamen Wissensbasis sowie die Erweiterung und Verformung der eigenen Lebenswelt zu einer neuen Qualität, denn Kommunikation stellt die Brücke eines Individuums zu seiner sozialen Umgebung dar (Habermas 1981, S. 20; Schütz/Luckmann 1975, S. 77ff.; Seidel 2011, S. 396). Schließlich ist Interkultur durch eine „Synergetische Dimension“ charakterisiert. Synergie wird hierbei definiert als die durch das Zusammenwirken einer Ar112

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

beitsgruppe entstehende Summe von positiven Ergebnissen und Problemlösungen, die größer ist als die Summe der Einzelbeiträge. Dieser „Mehrwert“ (Wierlacher/ Wiedenmann 1996, S. 61) wird in den verschiedenen Ansätzen als Output des Entstehungsprozesses von Interkultur gesehen. Vor allem Adler (1997), Zeutschel (1999), Thomas (1993) und Harris/Moran (1996) beschäftigen sich intensiv mit interkultureller Synergie. Die Forscher gehen davon aus, dass die Kombination und Weiterentwicklung kulturspezifischer Elemente zu einem besseren Ergebnis führt.6 Es existieren jedoch auch andere, vorwiegend jüngere Strömungen (Maletzky 2010; Bolten 2007), die Synergie nicht als zwingendes Merkmal von Interkultur sehen. Interkultur ist in diesem Fall weder positiv noch negativ konnotiert und kann sowohl positive als auch negative oder keinerlei Auswirkungen auf das Teamergebnis haben. Die synergetische Dimension wird hier dennoch aufgenommen, um auf die Möglichkeit der synergetischen Zusammenarbeit hinzuweisen. Trotzdem sollte man sich stets bewusst sein, dass es sich dabei lediglich um eine bestimmte Ausprägung von Interkultur handelt. Interkulturelle Synergie entsteht im Team, wenn die Zusammenarbeit durch die Integration verschiedener kultureller Perspektiven erfolgreicher ist als dies ohne die Existenz verschiedener kultureller Hintergründe der Fall sein könnte. Die Dimension ist stark output- und leistungsorientiert aufzufassen. Durch Sprachkompetenz in der Teamsprache haben die Teammitglieder die Möglichkeit, ihr eigenes Wissen detailliert weiterzugeben. Darauf kann das Team seine gemeinsamen Lösungen aufbauen. Gleichzeitig kann sich im Team ein transaktives Gedächtnis entwickeln (Wegner/Erber/Raymond 1991). Durch Kommunikation wissen die Teammitglieder über die jeweiligen Fähigkeiten und das Wissen der anderen Teammitglieder Bescheid und können so auf eine stark erweiterte Wissensbasis zurückgreifen: „A transactive memory system is a set of individual memory systems in combination with the communication that takes place between individuals“ (Wegner 1996, S. 186). Nur Sprache ermöglicht den Zugriff auf das Wissen und die Fähigkeiten anderer Personen. Sie stellt das Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Wissensbasen dar. „[…] one person has access to information in another’s memory by virtue of knowing that the other person is a location for an item with a certain label. This allows both people to depend on communication with each other for the enhancement of their personal memory stores. At the same time, however, this interdependence produces a knowledge-holding system that is larger and more 113

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

complex than either of the individuals’ own memory systems“ (Wegner 1996, S. 186). Das transaktive Gedächtnis ist weder in einem bestimmten Individuum zu finden, noch lässt es sich rein auf der Kommunikation begründen. Es ist eine Eigenschaft der Gruppe, die durch Sprache herausgebildet werden kann. Hat ein Team ein transaktives Gedächtnis, so ist die synergetische Dimension belegt, da die Wissensbasis des Individuums durch das Team synergetisch erweitert wird. Interkulturalisation führt demnach zu einem kohäsiven Team, einer effektiven und effizienten Teamkoordination und -organisation, zu neuen Normen und innovativen Ergebnissen. Der Großteil der theoretischen und empirischen Studien vernachlässigt den Einflussfaktor „Sprache“ auf die Interkulturbildung in multikulturellen Teams. Sprachliche Kompetenzen in der Teamsprache müssen aber – wie in dem Artikel dargelegt wurde – als Vorbedingung für Interkulturalisation angesehen werden, da ohne Kommunikation der Interkulturalisationsprozess nicht ablaufen kann. Die naheliegende Konsequenz wäre also, verstärktes Augenmerk auf language awareness von Teammitgliedern zu richten und die für organisationale Strukturen und Prozesse konstitutive Qualität von Sprache anzuerkennen und sie von ihrer derzeitigen, eher peripheren Position im Bereich des interkulturellen Managements in dessen Zentrum zu rücken.7 4. Conclusio Sprache und fremdsprachliche Kompetenzen sind in der multikulturellen Teamarbeit ein wichtiges und unverzichtbares Medium geworden. Es finden kaum Interaktionen zwischen den verschieden kulturell geprägten Teammitgliedern statt, die „sprach-los“ sind. Kulturelle und sprachliche Austauschbeziehungen können in einem Interkulturalisationsprozess ökonomische Werte generieren. Trotz der Allgegenwärtigkeit von Sprache, besonders der englischen Sprache, wird in geschäftlichen Beziehungen oft vergessen, dass fremdsprachliche Kompetenzen ein strategisch einsetzbares Instrument sind, um Interkulturalisation voranzutreiben und somit die Teamarbeit effektiv und effizient zu gestalten (Heikkilä/Smale 2011, S. 306; Mautner 2001, S. 10f.). Fremdsprachliche Kompetenzen können und müssen somit systematisch und kontinuierlich in einem Prozess des „lebenslangen Lernens“ trainiert werden. Es ist wichtig, dass die Teammitglieder sowohl die Sprachkompetenz als 114

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

auch das Sprachbewusstsein trainieren. Zum einen können nach intensivem Training erfolgreiche Kommunikatoren entstehen, zum anderen ist eine nachhaltige Beschäftigung mit fremdsprachlichen Kompetenzen unerlässlich, um kritisch-reflexive Gedanken und Ideen auszutauschen, die zu innovativen Problemlösungen im Team führen können.

Literatur: Adler, N. J.: International dimensions of organizational behaviour, 3. Auflage, Cincinnati (OH) 1997. Barmeyer, C. I.: Mentalitätsuntersschiede und Marktchancen im Frankreichgeschäft, St. Ingbert 2000. Bloch, B./Trager, G. L.: Outline of Liguistic Analysis, Baltimore 1942. Blumer, H.: Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek 1973. Bolten, J.: Einführung in die interkulturelle Wirtschaftskommunikation, Göttingen 2007. Bolten, J.: Grenzen der Internationalisierungsfähigkeit. Interkulturelles Handeln aus interaktionstheoretischer Perspektive, in: ders. (Hrsg.): Cross culture – interkulturelles Handeln in der Wirtschaft, 2. Auflage, Sternenfels 1999, S. 24 –42. Bolten, J.: Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, in: Walter, R. (Hrsg.): Wirtschaftswissenschaften. Eine Einführung, Paderborn 1997, S. 469 – 497. Brannen, M. Y./Salk, J.: Partnering across borders. Negotiating organizational culture in a German-Japanese joint venture, in: Human Relations, 53 (4), 2000, S. 451– 487. Broom, L./Selznick, P.: Sociology, New York (NY) 1963. Buber, Martin: Das Problem des Menschen, Heidelberg 1982. Chevrier, S.: Le Management des Equipes Interculturelles, Paris 2002. Cronbach, L. J.: Educational psychology, New York (NY) 1963. Engelhard, J./Fajen, A./Renker, L.-C./Weber, C.: Unité et diversité – l’»interculturel« comme héritage des situations culturelles de recoupement, in: Les Hommes et le Management: des Réponses à la Crise, Paris 2009. Felder, E.: Sprache, 43. Auflage, Berlin/Heidelberg 2009. Feely, A./Harzing, A.-W.: Language Management in Multinational Companies, in: Cross Cultural Management, 10 (2), 2003, S. 37–52, oder unter: http://www.harzing.com/download/langman.pdf, abgerufen am 19.12.2011. Firth, A.: ‘Lingua franca’ negotiations. Towards an Interactional Approach, in: Worlds Englishes, 9 (3), 1990, S. 269 –280. Gupta, S.: Mine the Potential of Multicultural Teams. Mesh Cultural Differences to Enhance Productivity, in: HR Magazine, 53 (10), S. 79 –84. 115

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

Habermas, J.: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz – Was leistet die Systemforschung?, in: Habermas, J./Luhmann, N.: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt am Main 1971, S. 101–141. Habermas, J.: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1–2, Frankfurt am Main 1981. Häcker, H. O./Stapf, K.-H.: Dorsch Psychologisches Wörterbuch, 15. Auflage, Bern 2009. Hagenbüchle, R.: Von der Multi-Kulturalität zur Inter-Kulturalität, Würzburg 2002. Hall, R. A.: An Essay on Language, Philadelphia, New York (NY) 1968. Hall, E. T.: The silent language. New York (NY) 1973. Hampden-Turner, C./Trompenaars F.: Building Cross-Cultural Competence. How to create wealth from conflicting values, New Haven/London 2000. Heikkilä J. P./Smale A.: The Effects of ‘Language Standardization’ on the Acceptance and Use of E-HRM Systems in Foreign Subsidiaries, in: Journal of World Business, 46 (3), 2011, S. 305 –313. Henderson, J. K.: Language Diversity in International Management Teams, in: International Studies of Management and Organizations, 35 (1), 2005, S. 66  – 82. Jones, E. E./Gerard, H. B.: Foundations of social psychology, New York (NY) 1967. Kinast, E.-U./Schroll-Machl, S.: Überlegungen zu einem strategischen Gesamtkonzept für Interkulturalität in Unternehmen, in: Thomas, Alexander (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation, Bd. 1, 2. Auflage, Göttingen 2005, S. 434 – 450. Knapp, K.: Interkulturelle Kommunikationsfähigkeit als Qualifikationsmerkmal in der Wirtschaft, in: Bolten, J. (Hrsg.): Cross culture – interkulturelles Handeln in der Wirtschaft. 2. Auflage, Sternenfels 1999, S. 8–23. Köck, P./Ott, H.: Wörterbuch für Erziehung und Unterricht, Donauwörth 1997. Lyons, J.: Die Sprache, 2. Auflage, München 1987. Maletzky, M.: Kulturelle Anpassung als Prozess interkultureller Strukturierung. Eine strukturationstheoretische Betrachtung kultureller Anpassungsprozesse deutscher Auslandsentsendeter in Mexiko, München 2010. Matveev, A. V./Milter, R. G.: The value of intercultural competence for performance of multicultural teams, in: Team Performance Management, 10 (5/6), 2004, S. 104 –111. Mauritz, H.: Interkulturelle Geschäftsbeziehungen. Eine interkulturelle Perspektive für das Marketing, Wiesbaden 1996. Mautner, G.: Sprache, Handel, Sprachhandeln. Zur Bedeutung von Sprache im Management, in: Puck, J./Leitl, C. (Hrsg.): Außenhandel im Wandel, Heidelberg 2011, S. 3  –12. Moore, F.: Transnational Business Cultures. Life and Work in a Multinational Corporation, Cornwall 2005. Mühlfeld, C.: Sprache und Sozialisation, Hamburg 1975. Negt, O.: Germanistik in der Zwischenwelt der Kulturen, in: Ken’ichi M./Hikaru, T. (Hrsg.): Deutschlandstudien international, 2. Auflage, S. 23 –34. Nodari, C.: Was heißt eigentlich Sprachkompetenz?, in: Barriere Sprachkompetenz. Dokumentation zur Impulstagung vom 2. Nov. 2001 im Volkshaus Zürich, SIBP Schriftenreihe Nummer, 18. 116

Fremdsprachenkompetenz in multikulturellen Teams – Inter-Sprache und Interkultur

Rathje, S.: Unternehmenskultur als Interkultur. Entwicklung und Gestaltung interkultureller Unternehmenskultur am Beispiel deutscher Unternehmen in Thailand, Sternenfels 2004. Schütz, A./Luckmann, T.: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Frankfurt am Main 1975. Seidel, P.: Internationale Unternehmen, Gesellschaft und Verantwortung. Eine Kritik der Managementwissenschaft als Bezugsrahmen, Wiesbaden 2011. Thomas, A.: Mitarbeiterführung in interkulturellen Arbeitsgruppen, in: Rosenstiel, L. v./Regnet, E./Domsch, M. E. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern. Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement, 5. Auflage, Stuttgart 2003, S. 525  –545. Topitsch, E.: Logik der Sozialwissenschaften, Köln/Berlin 1965. Steixner, M.: Lernraum Interkultur. Von interkultureller Erfahrung zu interkultureller Kompetenz; Potentiale und Relevanz des interkulturellen Coachings am Beispiel von Fachkräften der Entwicklungszusammenarbeit, Wien 2007. Useem, J./Useem, R./Donoghue, J.: Men in the middle of the third culture. The roles of American and non-western people in cross-cultural administration, in: Human Resources, 22, 1963, S. 169 –179. Waldenfels, B.: Das Zwischenreich des Dialogs. Sozialphilosophische Untersuchungen in Anschluß an E. Husserl, La Hague 1971. Wegner, D. M./Erber, R./Raymond, P.: Transactive memory in close relationships, in: Journal of Personality and Social Psychology, 61, 1991, S. 923  – 929. Wegner, D. M.: Transactive memory. A contemporary analysis of the group mind, in: Mullen B./Goethals G. R. (Hrsg.): Theories of Group Behavior, New York (NY) 1986, S. 185 –205. Wierlacher, A./Hudson-Wiedenmann, U.: Interkulturalität: Zur Konzeptualisierung eines Grundbegriffs interkultureller Kommunikation, in: Bolten, J./Ehrhardt, C. (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Texte und Übungen zum interkulturellen Handeln, Sternenfels 2003, S. 217–243. Wierlacher, A./Wiedenmann, U.: Blickwinkel der Interkulturalität. Zur Standortbestimmung interkultureller Germanistik, in: Wierlacher, A./Stötzel G. (Hrsg.): Blickwinkel. Kulturelle Optik und interkulturelle Gegenstandskonstitution, München 1996, S. 23 – 64. Witte, E. H.: Sozialisationstheorien, Hamburg 2005. Zander, L./Mockaitis, A./Harzing, A.W. et al.: Standardization and contextualization. A study of language and leadership across 17 countries, in: Journal of World Business, 46 (3), 2011, S. 279 –287.

Anmerkungen: 1 Die gemeinsame Wissensbasis als Voraussetzung für soziale Interaktion wird in Schütz/Luckmann (1975) ausführlich erläutert. 2 Der Begriff Sprache wird hier im engeren Sinne auf das Deutsche, das Französische, Suaheli, Hindi etc. verwendet. Davon abzugrenzen sind die künstlichen Sprachen der Informatiker 117

Johann Engelhard, Laura-Christiane Renker und Carolin Fleischmann

3 4 5 6 7

118

und Mathematiker sowie die natürlich-intuitive Körpersprache oder Zeichensprache, für die der Term Sprache nur im übertragenen Sinne zu verstehen ist. Vgl. hierzu und im folgenden Nodari (2002), S. 2 ff. Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Interkultur sei auf die folgenden Abschnitte verwiesen. Vgl. Bolten (1999); Buber (1982); Rathje (2004) S. 57 ff.; Wierlacher/Hudson-Wiedemann (2003), S. 218; Negt (1992); Waldenfels (1971). Vgl. Adler (1997), S. 118 ff.; Harris/Moran (1996), S. 11 f.; Zeutschel (1999), S. 138 ff.; Thomas (1993), S. 408 f. Vgl. dazu das Special Issue des Journal of World Business (2011).

Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz? Das Beispiel des elektronischen Datenaustausches (EDI) Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

1. Informationswissenschaft vs. Marketing? Die Informationswissenschaft beschäftigt sich mit dem Auswerten/Selektieren, Erschließen, Bereitstellen/Wiederverwerten, Suchen, Vermitteln und Finden von relevantem (vorwiegend digital vorliegendem) Wissen durch Informations- und Kommunikationsprozesse (Stock 2007; Rauch 2011). Auf den ersten Blick hat das Thema sehr wenige Berührungspunkte mit dem Bereich Marketing. Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Aufgaben der Informationswissenschaft ergeben sich aber durchaus Schnittmengen mit klassischen Marketing-Forschungsfragen. Themenbereiche wie Erschließen, Bereitstellen, Suchen, Finden von relevanten Informationen sind – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der starken Bedeutungszunahme des Internets – auch klassische Forschungsfelder der Käuferverhaltensforschung (Foscht/ Swoboda 2011), wenngleich sich die Akzentuierung der Fragestellungen etwas anders darstellt. Erwähnt sei auch, dass der Bereich der Kommunikationsprozesse ein klassisches Forschungsfeld im Rahmen der 4 Ps (Product, Price, Place, Promotion) und des Marketing-Mix darstellt (Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012). Insofern kann festgehalten werden, dass die Disziplinen Informationswissenschaft und Marketing doch einige Parallelen mehr aufweisen, als sich dies auf den ersten Blick ergibt. Auch die Analyse des betriebswirtschaftlichen Einsatzes beider Disziplinen zeigt eine Reihe von Parallelen und Schnittmengen. In einem Bereich kann sogar von einer gegenseitigen Ergänzung der beiden Fächer gesprochen werden, da die Informationswissenschaft eine wichtige Enablerfunktion des Marketing darstellt: Elec­tronic Data Interchange (EDI) hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte als ein zwischenbetriebliches Informationssystem etabliert, das zahlreiche Prozesse in Supply Chain Management und Marketing auf effektivere Weise ermöglicht, als es ohne eine elektronische Datenintegration realisierbar wäre (Hansen/Neumann 2009). Eine 119

Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

Schlüsselrolle kommt der zwischenbetrieblichen Kooperation zu. Als Beispiel sei das Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR) genannt, das im Marketing, insbesondere im Bereich Promotions, hohe Effizienzvorteile bringt (Madlberger 2008). Sowohl aus konzeptioneller als auch aus unternehmerischer Perspektive ist eine interdisziplinäre Betrachtung der Informationswissenschaft wie des Marketings heute unabdingbar. Genau an diesem Punkt setzt auch der vorliegende Beitrag an, dessen zentrales Anliegen es ist, die Bedeutung beider Perspektiven bzw. die Bedeutung der Abstimmung der beiden Zugänge herauszuarbeiten. 2. EDI-Grundlagen EDI kann als automatisierter, computerbasierter Austauschprozess von sich wiederholenden Geschäftsinformationen zwischen Unternehmen, ohne Eingriffe und Störungen von Menschen, definiert werden (Holland/Lockett/Blackman 1992). Konkret ist damit der plattformunabhängige Austausch von kommerziellen oder technischen Daten zwischen Computern bzw. Applikationen gemeint. Interessant an dieser Definition ist, dass menschliche Interaktionen als Eingriff oder sogar als Störung betrachtet werden. Allerdings ist zu hinterfragen, welche Faktoren eine erfolgreiche EDI-Implementierung gewährleisten und ob es nicht gerade doch die Berücksichtigung menschlichen Verhaltens ist, welche eine erfolgreiche EDI-Implementierung erst ermöglicht. Der Einsatz von EDI im Informationsaustauschprozess gewährleistet die Verwendung von aktuellen und konsistenten Informationen und trägt somit wesentlich zur Informationsvollständigkeit bei. Durch die Verwendung bereits im Vorfeld definierter Standards wird gesichert, dass alle Informationen, die zum Beispiel für einen Bestellprozess notwendig sind, vorliegen und bereitgestellt werden. Aufgrund dieser Automatisierung ist auch gewährleistet, dass bei zunehmendem Geschäftsverkehr, verursacht z.B. durch Firmenwachstum, die Informationen handhabbar bleiben (Craighead et al. 2006). Durch die elektronische Übermittlung der Daten ist eine sofortige Nutzbarkeit der Informationen auch in unterschiedlichen Abteilungen gegeben. Des Weiteren hilft EDI den Logistikprozess zu optimieren und dadurch Kosten einzusparen. EDI ist aber vor allem eine erprobte, ausgereifte Technologie, die seit über 25 Jahren einen sicheren und schnellen Datenaustausch ermöglicht (Barret/Hogenson 1998; Jiménez-Martínez/Polo-Redondo 2004). Wie mehrere empirische Studien nachweisen, liegen die Vorteile von EDI auf zwei Ebenen. Erstens bringt die Digitalisierung des Informationsflusses vor allem 120

Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz?

durch den Entfall von Medienbrüchen operative Effizienzvorteile, etwa durch geringere Fehleranfälligkeit und beschleunigten Informationsfluss. Zweitens ermöglicht EDI als Enabler ein Reengineering von Geschäftsprozessen (etwa durch Kooperationsmodelle wie Vendor-Managed Inventory oder das eingangs erwähnte CPFR), was einen strategisch relevanten Nutzen darstellt (Madlberger 2008). Neben den vielen Vorteilen von EDI existieren auch eine Reihe von Nachteilen. Die Implementierung von EDI ist mit hohen Kosten verbunden. Die Bereitstellung der benötigten Infrastruktur sowie die Schulung von Mitarbeitern verursachen gerade bei der Einführung im Unternehmen hohe Kosten. Des Weiteren entstehen durch laufende Softwareupdates und Mitarbeiterschulungen weitere laufende Kosten bei der EDI-Verwendung (Millman 1998). Diese Software-Updates können zu unterschiedlichen Standards beziehungsweise Versionen führen, wodurch eine Datensynchronisation erschwert wird. Daher ist auch die Komplexität von EDI-Systemen nicht zu vernachlässigen. Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass aufgrund der hohen Implementierungskosten EDI von Klein- und Mittelbetrieben nur zögerlich bzw. nur auf ausdrückliches Verlangen von (großen) Handelspartnern eingesetzt wird (Barret/Hogenson 1998; Witte/Grunhagen/Clarke 2003). Die Vor- und Nachteile des EDI-Einsatzes scheinen klar auf der Hand zu liegen. Nicht nur aus Sicht einzelner Unternehmen, sondern auch aus volkswirtschaftlicher Sicht spricht sehr viel für den Einsatz des elektronischen Datenaustausches. Besonders deutlich wird dies, wenn man die gesamten Prozesse, die z.B. zwischen Industrie- und Handelsunternehmen ablaufen, in Betracht zieht. Neben dem letztendlich eigentlich zentralen Prozess der Warenlieferung (im Sinne der physischen Logistik), existieren eine Reihe von Informationsprozessen, die durch EDI effizienter gestaltet werden können. In den meisten Branchen stellt sich die Situation aufgrund der vorliegenden Rahmenbedingungen so dar, dass den Informationsprozessen eine weit größere Aufmerksamkeit und Bedeutung zukommt als den eigentlichen Logistikprozessen. Damit die ausgetauschten Nachrichtenformate auch für unterschiedliche Informationssysteme kompatibel sind, sind sie über einheitliche Standards definiert, die durch UN/EDIFACT (United Nations Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport) definiert wurden. Die technische Übermittlung der Nachrichten wird meist über sogenannte Clearing-Stellen durchgeführt, die wie ein Mailbox-System arbeiten: Der Sender übermittelt die Nachricht an die Clearing-Stelle, von welcher der Empfänger die Nachrichten später abholt (Hansen/ Neumann 2009). 121

Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

In Abbildung 1 sind die wichtigsten Prozesse dargestellt, die heute für die Abwicklung einer Bestellung durch einen Händler bei einem Hersteller erforderlich sind. Im Wesentlichen stehen für all diese Prozesse entsprechende EDI-Standards zur Verfügung, die die plattformunabhängige Kommunikation zwischen Computern bzw. Applikationen ermöglichen. In Österreich werden diese Standards von der GS1 EANCOM veröffentlicht und weiterentwickelt. 6. Zahlungsaviso 4. Wareneingangsbestätigung 1. Bestellung Hersteller

3. Warenlieferung

Handel

Ware

Konsument

2. Bestellbestätigung/Lieferavisierung 5. Rechnung 7. Zahlung Kursiv dargestellte Prozessschritte werden mithilfe von EDI abgewickelt

Abbildung 1: Waren- und Informationsaustauschprozess.

Die erste Phase des Informationsaustauschprozesses im Rahmen einer Warenlieferung zwischen Hersteller und Handel stellt die Verarbeitung der Bestellung dar. Klima im Transaktionskanal Das Handelsunternehmen sendet mithilfe des Nachrichtentyps „ORDERS“ seine Investitionsspezifität Unsicherheit Bestellung an den Hersteller. Dieser Vertrauen sendet im zweiten Schritt eine BestellbestätiH4 gung sowie nach einer erfolgten Bestandsüberprüfung das Lieferaviso an das HanH3 H5 delsunternehmen zurück. Für das Lieferaviso Kooperation steht die Nachrichtenoption „DESADV (despatch advice)“ zur Verfügung. Nach erfolgter Lieferung der bestellten Ware und Überprüfung dieser erfolgt im vierten Schritt die Wareneingangsbestätigung mittels „RECADV (receiving advice)“. Im fünften Schritt wirdH6mittels des H7 H8 Formats „INVOIC (invoice message)“ die Rechnung erstellt und anschließend der EDI spezifische EDI-Verwendung Faktoren Rechnungsverarbeitungsprozess durchgeführt. Nach der Rechnungsüberprüfung H1 kannMachtausübung mittels „REMADV (remittance advice)“ das ZahlungsavisoEDI-Volumen übermittelt und schließlich die Zahlung durchgeführt werden. Gegenseitige Investments

122

H2

EDI-Diversität

Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz?

3. Überblick über die EDI-Forschung und den Stand der Anwendung 3.1 Verhaltenswissenschaftlich basierte EDI-Forschung Wenngleich der EDI-Adoptionsprozess durch zahlreiche Studien analysiert wurde, ist die Anzahl an Studien, die die tatsächliche EDI-Integration in Unternehmen in Handel und Industrie untersuchen, relativ gering (Hill/Scudder 2002; Narayanan/ Marucheck/Handfield 2009). Unter EDI-Integration wird in diesem Zusammenhang der tatsächliche interne und externe Einsatz von EDI in Geschäftsprozessen und -transaktionen verstanden. Wie bereits erwähnt, gilt es zu hinterfragen, ob nicht gerade menschliches Verhalten im Rahmen der Implementierung von EDI einen entscheidenden Erfolgsfaktor darstellt. Aus diesem Grund werden im Fol6. Zahlungsaviso genden zwei Modelle, die menschliches Verhalten und vor allem Kommunikati4. Wareneingangsbestätigung onsprozesse in den EDI-Verwendungsprozess integrieren, näher analysiert. 1. Bestellung Das Modell von Jai-Yeol, Narasimhan und Riggins (2005) berücksichtigt in 3. WarenWare Hersteller Handel Konsument lieferung der Erklärung der EDI-Verwendung Konstrukte wie Vertrauen, Unsicherheit und 2. Bestellbestätigung/Lieferavisierung Investitionsspezifität, die zu kooperativen Beziehungen führen können und welche 5. Rechnung in weiterer Folge die EDI-Verwendung beeinflussen (Abb. 2). Des Weiteren flie7. Zahlung ßen die Faktoren Machtausübung und gegenseitige Investments in das Modell ein. Daten von 233 Herstellern, die EDI in ihren Geschäftsprozessen verwenden, wurden dazu ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem gegenseitige Investments im Bereich EDI die EDI-Verwendung im Allgemeinen erhöhen und dass Klima im Transaktionskanal Investitionsspezifität

Vertrauen

Unsicherheit

H4 H3

H7 EDI spezifische Faktoren Machtausübung Gegenseitige Investments

H5

Kooperation

H8

H6 EDI-Verwendung

H1 H2

EDI-Volumen EDI-Diversität

Abbildung 2: Auswirkungen des Kommunikationsklimas auf die EDI-Verwendung. Quelle: Jai-Yeol/Narasimhan/Riggins (2005). 123

Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

das Ausnutzen von Machtverhältnissen nicht zur Steigerung der EDI-Verwendung beiträgt. Des Weiteren konnte aufgezeigt werden, dass wahrgenommene Unsicherheiten und Vertrauen einen starken positiven Einfluss auf die Beziehung und in weiterer Folge auf die Verwendung von EDI haben. Eine effektive Kommunikation zwischen Geschäftspartnern ist essenziell für eine effiziente und langfristige Geschäftsbeziehung. Die Kommunikation zwischen den Unternehmen erfolgt dabei auf unterschiedlichen Managementebenen und mithilfe von unterschiedlichen Kommunikationsinstrumenten. EDI stellt dabei neben klassischen Kommunikationsinstrumenten ein weiteres Instrument für den Informationsaustausch dar. In einer Studie von Nakayama (2003) wurde die Beziehung zwischen der EDI-Verwendung und der Kommunikation im Allgemeinen sowie deren Einfluss auf die Geschäftsbeziehung untersucht. Im Detail wurde analysiert, wie die Kommunikation zwischen Unternehmen und die Verwendung von EDI die zwischenbetriebliche Beziehung (Interorganizational Relationship Bond) im Sinne von Kooperation oder Konflikt beeinflusst. Des Weiteren wurde untersucht, ob es signifikante Unterschiede zwischen Lieferanten und Händlern gibt. Um den Einfluss der Kommunikation zu beurteilen, lag der Fokus der Studie auf folgenden Fragestellungen: Wie häufig findet Kommunikation zwischen den Unternehmen statt? Wie viel Wissen über EDI resultiert aus dieser Kommunikation? Wie beeinflusst dieses Wissen die zwischenbetriebliche Beziehung? Ein Überblick über die zugrunde liegenden Hypothesen findet sich in Abbildung 3. Kommunikationshäufigkeit Top-Management

H5

H2a Wissen über Partner Top-Management

Zwischenbetriebliche Beziehung

H6

Konflikt

H4a EDIVerwendung

H3b

H3a

H4b

H7

Konfliktlösung Mitentscheidungsrecht Kooperation

Wissen über Partner operative Ebene

H6

H2b Kommunikationshäufigkeit operative Ebene

H5

Abbildung 3: Auswirkungen der Kommunikationshäufigkeit auf die EDI-Verwendung und die zwischenbetriebliche Beziehung. Quelle: Nakayama (2003). 124

Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz?

An der Studie nahmen 99 Unternehmen aus dem Handel und 72 Hersteller teil. Die anschließende PLS (Partial Least Squares)-Pfadanalyse konnte folgende Zusammenhänge aufzeigen: Die Hypothese, dass die Kommunikationshäufigkeit das Wissen über den Partner positiv beeinflusst, konnte sowohl für die Top-Managementals auch für die operative Ebene bestätigt werden (H2). Des Weiteren konnte belegt werden, dass je intensiver die Kommunikation auf Top-Management-Ebene ist, desto höher auch die Kommunikationsintensität auf operativer Ebene und das Wissen über die Partner ist (H3). Die Hypothese, dass das Wissen über die Partner auf  TopManagement-Ebene die Verwendung von EDI verstärkt sowie ein intensivierter EDI-Einsatz das Wissen über den Handelspartner auf operativer Ebene erweitert, konnte ebenfalls bestätigt werden (H4). Interessant ist, dass zwar die Kommunikationshäufigkeit auf operativer Ebene die zwischenbetriebliche Beziehung verbessert, nicht jedoch das Wissen über den Partner (H5, H6). Schlussendlich wurde ein negativer Zusammenhang zwischen der EDI-Verwendung und der zwischenbetrieblichen Kooperation auf Händlerebene und ein positiver Zusammenhang auf Lieferantenebene identifiziert. Aus diesem Grund konnte H7, die einen generellen positiven Zusammenhang zwischen der EDI-Verwendung und der zwischenbetrieblichen Beziehung unterstellte, nicht bestätigt werden (Nakayama 2003). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Verwendung von EDI unterschiedlich auf die zwischenbetriebliche Kommunikation auswirken kann. Es drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, warum ein negativer Zusammenhang für Händler, aber ein positiver Zusammenhang für Lieferanten identifiziert wurde. Eine mögliche Erklärung dafür könnte im Bereich des sogenannten Vendor-managed Inventory (VMI) liegen. Vor diesem Hintergrund können Lieferanten durch die Verwendung von EDI häufig einen größeren Nutzen erzielen, der sich auch positiv in der zwischenbetrieblichen Beziehung auswirkt. Bei Händlern stellt sich dies genau umgekehrt dar. So könnten diese den Eindruck gewinnen, dass Lieferanten die EDI-Informationen primär zu ihrem Vorteil verwenden. Durch EDI-basiertes Information-Sharing erhalten Lieferanten schließlich Zugang zu Daten über das Konsumentenverhalten (z.B. POS-Abverkaufsdaten), die ansonsten ausschließlich dem Handel vorbehalten sind. 3.2 EDI-Anwendung im FMCG-Sektor – internationale Perspektive EDI hat sich in den letzten beiden Dekaden zu einer weitverbreiteten Technologie für den Datenaustausch im B2B-Bereich etabliert, mit der Transaktionen in Milli125

Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

ardenhöhe durchgeführt werden und die enormes Einsparungspotenzial gegenüber papierbasierten Transaktionsverfahren besitzt. Dies belegen auch zahlreiche Studien, die die Verwendung von EDI untersuchten. In den USA wurden im Jahr 2001 EDI-basierte Transaktionen mit einem Handelswert von 2.000 Milliarden US-Dollar durchgeführt und rund 55% aller großen und mittleren Unternehmen verwendeten EDI für ihren Datenaustausch (Kanakamedala/King/Ramsdell 2003). Im Jahr 2007 stieg das Handelsvolumen auf rund 2.680 Milliarden an (Narayanan/Marucheck/Handfield 2009). Im Rahmen einer von GS1 UK durchgeführten Studie wurden die 15 führenden Handelsunternehmen Großbritanniens zu ihrer EDI-Verwendung befragt. Eine Schätzung für das Jahr 2009 ergab ein Gesamtvolumen von 27 Millionen Bestellungen aller Händler. Davon wurden 87% per EDI ausgetauscht, 84% per EDI verrechnet und 38% per EDI-Lieferaviso versandt. Durch die Nutzung von EDI anstatt von papierbasierten Verfahren konnten im Jahr 2009 rund 650 Millionen Pfund eingespart werden (GS1 Austria 2011). Eine weitere Studie, die von GS1 Frankreich in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführt wurde, ergab, dass durch die Nutzung von EDI-Standards für die Bestellung, den Wareneingang, die Rechnung und den automatischen Stammdatenabgleich rund 794 Millionen Euro pro Jahr in französischen Unternehmen eingespart werden können. Dies entspricht Einsparungen in der Höhe von 18,50 Euro je EDI-Bestellung und 14 Euro je EDI-Rechnung. Durch den automatischen Stammdatenabgleich ergibt sich ein Einsparungspotenzial von 42 Euro je Artikeldatenblatt (GS1 Austria 2011). 3.3 EDI-Anwendung im FMCG-Sektor – österreichische Perspektive In Österreich werden mit 31 EDI-EANCOM-Nachrichtentypen rund 150 Millionen Nachrichtentransfers pro Jahr durchgeführt (GS1 Austria 2011). Eine gemeinsam von der Webster University Wien und der Karl-Franzens-Universität Graz in Kooperation mit GS1 Austria durchgeführte Untersuchung (Madlberger/Foscht 2011) sowohl auf Handels- als auch auf Industrieseite lieferte eine Reihe von Erkenntnissen bezüglich des Status quo der EDI-Implementierung in Österreich. Im Folgenden werden daraus einige ausgewählte Aspekte aus der Perspektive von 108 befragten Unternehmen der Konsumgüterindustrie dargestellt.

126

Abbildung 4 Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz? Bestellung (ORDERS)

29,9

Rechnung (INVOIC)

27,6

Lieferaviso (DESADV)

14,3

25,0

Stammdaten (PRICAT) Wareneingangsmeldungen (RECADV)

Zahlungsaviso (REMADV)

23,7

8,4

1,1

8,4

2,1 1,1

5,3 3,2 0%

8,0

15,5

18,4

15,0

12,1

23,0

29,0

73,7

16,8

71,6

13,8

Über 75%

17,5

27,6

16,8

10%

13,4

77,7 20%

30%

51-75%

40%

26-50%

50%

Bis zu 25%

60%

70%

80%

90%

100%

0%

Abbildung 4: Anteil der Nachrichten mittels EDI-EANCOM im Jahr 2011.

1

Quelle: Madlberger/Foscht (2011).

Auf die Frage an die Vertreter der österreichischen FMCG-Industrie, welches Volumen an Nachrichten via EDI-EANCOM bezüglich der einzelnen Nachrichtentypen abgewickelt wird, ergab sich folgendes Ergebnis (Abb. 4): 29,9% der befragten Industrieunternehmen wickeln über 75% ihrer Bestellungen mithilfe von EDI ab. 27,6% geben an, über 75% aller Rechnungen via EDI zu versenden, und 25% der Abbildung 5 Befragten führen über 75% aller Lieferavisierungen mittels EDI durch. Rechnung (INVOIC)

57,5

14,9

Bestellung (ORDERS)

56,7

16,7

Lieferaviso (DESADV)

44,8

Stammdaten (PRICAT)

24,1

Wareneingangsmeldungen (RECADV)

20,3

Zahlungsaviso (REMADV)

16,7 0%

10% Über 75%

17,2

7,6

6,3

9,0

11,4

7,6

3,8

20% 51-75%

16,1

8,9

16,1

6,6

16,2

49,3

16,7

26-50%

3,5

40,4

16,5

30%

11,1

5,7

16,5

8,0

53,8

40%

50%

Bis zu 25%

60%

70%

80%

90%

100%

0%

Abbildung 5: Langfristig geplanter Anteil an EDI-Nachrichten. Quelle: Madlberger/Foscht (2011). 2

Vergleicht man den Anteil der Nachrichten, die mittels EDI im Jahr 2011 ausgetauscht wurden, mit dem langfristig geplanten Anteil an EDI Nachrichten, zeigt sich, welches Potenzial in EDI steckt (Abb. 5). So planen 57,5% der befragten Industrieunternehmen über 75% aller Rechnungen via EDI abzuwickeln, 56,7% der Befragten wollen über 75% ihrer Bestellungen mit EDI durchführen und 44,8% beabsichtigen, über 75% der Lieferavisierungen per EDI durchzuführen. 127

Abbildung 6 Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

Datenkonsistenz

82,6

Aktualität

15,1

80,2

Relevanz

16,3

75,6

Richtigkeit

10%

20%

30%

2,3

19,8

70,9 0%

3,5

22,1

74,4

Vollständigkeit

2,3

5,8

22,1 40%

50%

EDI ist wesentlich besser/EDI ist etwas besser

60%

70%

7,0

80%

90%

100%

EDI und nicht-EDI sind etwa gleich gut

Nicht-EDI ist etwas besser/Nicht-EDI ist wesentlich besser

3

Abbildung 6: Zufriedenheit mit der Qualität der mit den Kunden ausgetauschten EDI-Nachrichten. Quelle: Madlberger/Foscht (2011).

Im Rahmen der Gegenüberstellung von EDI und Nicht-EDI wurden die Vertreter der FMCG-Industrie nach den Vor- und Nachteilen beider Zugänge befragt (Abb.  6). Datenkonsistenz, Aktualität, Relevanz, Richtigkeit und Vollständigkeit von Nachrichten werden von einer überwiegenden Mehrheit der Befragten im Falle der EDI-Anwendung als wesentlich besser bzw. als etwas besser im Vergleich zu Abbildung 7 einer Nicht-EDI-Anwendung eingestuft. Kosten

70,9

Weiterentwicklung in Richtung europäischer Standards

61,2

Weiterentwicklung der Standards bei neuen Prozessanforderungen

Inhalte der Nachrichtenformate

33,3

0%

10%

26,4

31,5

35,2

29,6 20%

10,0

32,1

25,9

Stimme teilweise zu

10,2

42,0

41,5

Technische Zuverlässigkeit (z.B. von Webanwendungen der EDITools, Konvertern)

5,5

28,6

48,0

Integration mit dem internen Informationssystem

Stimme eher zu/Stimme völlig zu

23,6

30%

40%

44,5 50%

60%

70%

80%

90%

100%

Stimme überhaupt nicht zu/Stimme eher nicht zu

Abbildung 7: Verbesserungsmöglichkeiten bei EDI. Quelle: Madlberger/Foscht (2011). 4

Wenngleich sich die Situation bezüglich der EDI-Anwendung in Österreich im internationalen Vergleich relativ gut darstellt, stellt sich zudem die Frage, in welchen Bereichen Verbesserungen vorgenommen werden können. Die größten Verbesserungspotenziale, die für eine noch breitere Implementierung von EDI-Systemen erschlossen werden müssten (Abb. 7), liegen im Bereich der Kosten (70,9% der Industrieunternehmen), die durch EDI-Integration und Aufrechterhaltung verursacht werden, im Bereich verstärkte Weiterentwicklung in Richtung einheitlicher 128

Informationswissenschaft und Marketing – ein Gegensatz?

europäischer Standards (61,2%) sowie im Bereich Weiterentwicklung von Standards bei neuen Prozessanforderungen (48%). Damit zeigen diese Ergebnisse insbesondere, welche zentrale Rolle dem EDI als Standard zukommt. Wie die Studienergebnisse zeigen, dürfte der weiteren Implementierung von EDI nicht sehr viel im Wege stehen. Wenngleich sich die Situation in Österreich im internationalen Vergleich zufriedenstellend darstellt, existieren auch in Österreich noch zahlreiche Potenziale in Bezug auf die EDI-Implementierung, die nicht nur in technischer, sondern vor allem betriebswirtschaftlicher und prozessorientierter Sicht analysiert werden sollten. 4. Zusammenfassung und Ausblick Der vorliegende Beitrag hat aufgezeigt, dass sich die Perspektiven der Informationswissenschaft und des Marketings nicht nur hervorragend ergänzen, sondern heute in der Praxis einander bedingen. Insbesondere im Bereich des EDI zeigt sich, dass obwohl aus informationswissenschaftlicher Sicht zahlreiche Vorteile des Einsatzes klar auf der Hand liegen, sich jedoch bei der Implementierung von EDI einige Probleme ergeben können. Diese können wiederum mit verhaltenswissenschaftlichen Marketingperspektiven verstanden und erklärt werden. Wie in zahlreichen betriebswirtschaftlichen Fragestellungen ist eine interdisziplinäre Betrachtung an der Schnittstelle zwischen Informationswissenschaft und Betriebswirtschaftslehre vonnöten. In der Praxis wird ein interdisziplinärer Ansatz durch die betriebliche Notwendigkeit vielfach bereits umgesetzt. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist eine zunehmende Orientierung in diese Richtung zu erkennen (beispielsweise im Rahmen der angloamerikanischen „Information Systems“-Forschung, aber auch in einigen Forschungsarbeiten im Bereich des Marketing), dennoch besteht noch umfangreicher interdisziplinärer Forschungsbedarf. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch in der Zukunft beide Disziplinen – ähnlich wie im Rahmen dieses Beitrages – weiterhin zusammenfinden. Eine intensivierte zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen auf Industrie- und Handelsseite auf Basis von EDI kann noch zu zahlreichen, vor allem strategischen Verbesserungen von Marketing- und Logistikprozessen führen. Davon würden nicht nur die beiden Gruppen von Unternehmen, sondern auch die Konsumenten und damit letztendlich auch die gesamte Volkswirtschaft profitieren.

129

Thomas Foscht, Maria Madlberger und Florian Dorner

Literatur: Barrett, M./Hogenson, A.: Why and how to become EDI enabled, in: Transportation & Distribution, 1998, 39 (8), S. 67–70. Craighead, C. W./Patterson, J. W./Roth, P. L./Segars, A. H.: Enabling the benefits of Supply Chain Management Systems. An empirical study of Electronic Data Interchange (EDI), in: Manufacturing. International Journal of Production Research, 44 (1), 2006, S. 135 –157. Foscht, T./Swoboda, B.: Käuferverhalten. Grundlagen – Perspektiven – Anwendungen, 4. Auflage, Wiesbaden 2011. GS1 Austria (Hrsg.): Order2Cash. Die papierlose Supply Chain, Wien 2011. Hansen, H. R./Neumann, G.: Wirtschaftsinformatik 1, 10. Auflage, Stuttgart 2009. Hill, C. A./Scudder, G. D.: The use of electronic data interchange for supply chain coordination in the food industry, in: Journal of Operations Management, 20 (4), 2002, S. 375 –387. Holland, C. P./Lockett A. G/Blackman I. D.: EDI Implementation. Some US and European case comparisons, in: International Information Systems, 1 (4), 1992, S. 14 –37. Jai-Yeol, S./Narasimhan, S./Riggins, F. J.: Effects of Relational Factors and Channel Climate on EDI Usage in the Customer-Supplier Relationship, in: Journal of Management Information Systems, 22 (1), 2005, S. 321–353. Jiménez-Martínez, H./Polo-Redondo, Y. Y.: The influence of EDI adoption over its perceived benefits, in: Technovation, 24 (1), 2004, S. 73 –79. Kanakamedala, K./King, J./Ramsdell, G.: The truth about XML. McKinsey Quarterly, 3, 2003, S. 9 –12. Madlberger, M.: The Interorganizational Information Flow, Wien 2008. Madlberger, M./Foscht, T.: EDI-EANCOM im österreichischen FMCG-Sektor (in Kooperation mit GS1 Austria), Wien 2011. Meffert, H./Burmann, C./Kirchgeorg, M.: Marketing. Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele, 11. Auflage, Wiesbaden 2012. Millman, H.: A Brief History of EDI, in: InfoWorld, 20 (14), 1998, S. 83–85. Nakayama, M.: An assessment of EDI use and other channel communications on trading behavior and trading partner knowledge, in: Information & Management, 40 (6), 2003, S. 563 –580. Narayanan, S./Marucheck, A. S./Handfield, R. B. Electronic Data Interchange: Research Review and Future Directions, in: Decision Sciences, 40 (1), 2009, S. 121–163. Rauch, W.: Informationswissenschaft – Eine Einführung, Graz 2011. Stock, W. G.: Information Retrieval. Informationen suchen und finden, Oldenbourg 2007. Witte, C. L./Grunhagen, M./Clarke, R. L.: The Integration of EDI and the Internet, in: Information Systems Management, 20 (4), 2003, S. 58 –  65.

130

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation, an Beispielen erläutert Reinhard Haberfellner (ein unernster Beitrag)

Vorbemerkung: Von Mitarbeitern des Instituts für Informationswissenschaft und Wirtschaftsinformatik um einen Beitrag zur Festschrift anlässlich des 60. Geburtstages von Prof. Wolf Rauch gebeten, war ich zunächst sehr ratlos. Einerseits wollte ich, gerade bei einem Beitrag für Wolf nicht kneifen, andererseits hatte ich aber keinerlei Ideen, was ich zum Thema „Information und Kommunikation in Wirtschaft und Gesellschaft“ sagen sollte. Da kam mir Radio Ö1 zu Hilfe. Ich hörte um 8:55 Uhr in der Sendung „Vom Leben der Natur“ einen hochinteressanten Beitrag über die „Kommunikation von Berberaffen“, der mich auf die Idee brachte, diesen Ansatz zu übernehmen und in anekdotischer Art und Weise auszuweiten (didaktisches Prinzip: Sprich nicht über das Komplizierte, bevor du das Einfache verstanden hast). Die Kommunikation der Berberaffen, die als einzige frei lebende Primaten Europas in Gibraltar Heimat gefunden haben, ist sehr vielfältig: Sie kommunizieren akustisch, über Laute (vom vertraulichen Schnattern bis zum aufgeregten Schreien, Plärren); optisch, über sichtbare Signale (beruhigendes bis erregtes Gehabe, Mimik, Gestik); olfaktorisch, über Geruch, Beriechen; aber auch mit komplexeren, gesamthaften Ansätzen, wie z.B. der Fellpflege, irreführend auch „Lausen“ genannt, denn ab und zu eine Laus zu finden, ist für die Berberaffen eigentlich sekundär. Die Fellpflege ist primär ein Liebesdienst, der als angenehm empfunden wird, Endorphine freisetzt, Beziehungen vertieft, Verbündete schafft, als Zahlungsmittel verwendet wird u.a.m. Beispiele aus der Lebenswelt der Berberaffen: Akustische Kommunikation durch scheinbar grundloses Schreien. Wird von Weibchen eingesetzt, die kleiner als die 131

Reinhard Haberfellner

Männchen sind und die beispielsweise Probleme haben können, zu einer Banane zu kommen, wenn ein stärkeres Männchen davor sitzt. Sie beginnen laut zu schreien und dies kann ein ranghohes Männchen anlocken, neugierig näher zu kommen, was den Bananenblockierer veranlasst, sich zu trollen. Das Weibchen holt sich die gewünschte Banane und das Männchen kriegt als Belohnung eine Fellpflege. Oder: Alarmrufe sind nach Art der Bedrohung unterschiedlich. Naht ein Raubvogel (Adler), gehen alle auf den Boden, ist es ein Panther, schreien sie anders und fliehen hierauf auf die Bäume. Zur optischen Kommunikation gehört z.B. das Spielgesicht bei Jungtieren, das signalisiert, dass unbeabsichtigte, auch heftige Puffer, die beim Spielen vorkommen können, nicht ernst gemeint sind. Oder ein Drohgesicht, das zeigen soll, dass eine Grenze erreicht ist und beim nächsten Schritt eine Eskalation droht. Olfaktorische Kommunikation besteht, wenn Drüsen beschnuppert werden, um die Paarungsbereitschaft zu erkunden, usw. Daraus habe ich versucht, Generelle Prinzipien der Kommunikation abzuleiten, wie beispielsweise: Kommunikation soll Informationen übermitteln; soll beruhigen, trösten; soll den Gesamtzusammenhang beachten; kann auch nonverbal durch Beobachtung der Gestik erfolgen u.a.m. Und natürlich habe ich diese Aussagen durch Beispiele unterfüttert, um die doch sehr schwierige Materie leichter verständlich zu machen. Diese Beispiele habe ich nicht selbst erfunden, sondern in geselligen Runden aufgeschnappt, gelesen, im Radio, TV gehört – oder sonst was. 1. Gesetz: Kommunikation soll informieren, d.h. etwas übermitteln, was für den Empfänger neu ist Frau will sich scheiden lassen und bespricht dies mit ihrem Anwalt: „Schlägt Sie ihr Mann“? „Nein.“ „Trinkt er?“ „Nein, er ist Abstinenzler.“ „Gibt er Ihnen zu wenig Geld?“ „Nein, er ist sogar sehr großzügig.“ „Aber wir müssen einen konkreten Grund vorbringen können, sonst haben Sie keine Chance … Wie ist es mit der ehelichen Treue?“ Darauf die Frau erfreut: „Da können wir ihn packen! Keines unserer Kinder ist von ihm!“ „Gratuliere zur Geburt Ihres Sohnes, Frau Müller. Wie heißt er denn?“ „Das wissen wir noch nicht. Man versteht ihn so schlecht.“ „Ich habe mit meiner Frau vor der Ehe nicht ein einziges Mal geschlafen.“ „Ist ja toll!“ „Und Sie?“ „Ich kann es nicht sagen. Wie hieß denn Ihre Frau mit Mädchennamen?“ 132

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation

Im Dorf soll eine Hochzeit stattfinden. Der Bräutigam wird vom Pfarrer gefragt, ob er bei der Verkündigung des Aufgebots von seiner künftigen Frau als Jungfrau sprechen solle. „Na, sicher net“, meint er „da müaßt i mi ja vor meine Freind schäma!“ Der junge Mann hält um die Hand seiner Geliebten an: „Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich kann gar nicht Kartenspielen, andere Frauen interessieren mich nicht. Und ich möchte um die Hand Ihrer Tochter anhalten.“ Darauf der präsumtive Schwiegervater: „Das schlagen Sie sich sofort aus dem Kopf. Meinen Sie, ich will mir den Schwiegersohn dauernd als gutes Beispiel vorhalten lassen?!“ Zwei ältere Herren sitzen in New York auf einer Bank im Central Park. Fragt der eine „What are you doing today?“ „Nothing“, meint der andere. „But that’s what you were doing yesterday.“ „Could not finish.“ Eine Amerikanerin geht in Los Angeles mit ihrer 12-jährigen Tochter in den Zoo. Vor dem Löwenkäfig fragt diese: „Ma, can you tell me, how Lions make love?“ Die Mutter, nach einer Denkpause: „I can’t really tell you, your father and all his friends are Rotarians.“ 2. Gesetz: Kommunikation soll auf Basis klarer und allseits mit der gleichen Bedeutung versehener Begriffe stattfinden Kunde zum Verkäufer: „Ich möchte Unterhosen für den Winter.“ „Lange?“ „Ich will sie kaufen, nicht mieten.“ „Die Akustik ist sehr schlecht“, flüstert eine Opernbesucherin ihrem Mann ins Ohr. „Jetzt, wo du es sagst, rieche ich es auch“, meint er. Sie, seufzend in einer lauschigen Sommernacht: „Hör mal, Schatz, die Grillen.“ Er: „Wo? Ich rieche nichts!“ „Was ist denn mit deiner süßen kleinen Freundin, der Mathematikerin?“ „Wir haben uns getrennt.“ „Aber warum denn?“ „Sie ist ein Flittchen!“ „Na, so was, und sie hat so lieb und unschuldig ausgeschaut.“ „Alles Theater! Stell dir vor: Ich habe sie angerufen und gefragt, was sie so tut. Und sie hat sich verplappert und gesagt, dass sie sich im Bett mit drei Unbekannten herumplagt.“ Nachdem Gott Himmel und Erde erschaffen hatte, war ihm noch ein Stück Lehm übrig geblieben und er beschloss, daraus etwas ganz Edles, Hehres, Schö133

Reinhard Haberfellner

nes, Imposantes, Bewundernswertes, Gescheites, Intelligentes, Großzügiges, kurz – sein Meisterstück zu schaffen. Er tat es und war begeistert vom Ergebnis. Er war so aufgekratzt, dass ihm auch gleich ein Name für sein Meisterstück einfiel. Der einzig mögliche Name, so meinte er, wäre „Professor“. Gedacht, getan, der Professor war erschaffen. Nachdem sich Gott eine Weile gefreut hatte, bemerkte er, dass noch immer ein Stück Lehm übrig war und er beschloss, das genaue Gegenstück des Professors zu machen, etwas Gemeines, Hässliches, Hinterhältiges, Verlogenes, Stures, Verbohrtes, Schwerfälliges, Begriffsstutziges – und was immer es an negativen Attributen gab. Gedacht, getan – und das Ergebnis stand vor ihm. Gott schüttelte sich vor Ekel, so gut war es ihm gelungen, seine Absicht zu realisieren. Er saß lange Zeit ratlos da und dachte darüber nach, wie er das Scheusal nennen könnte. Da meinte der Professor, dass er eine Idee hätte. Gott meinte: „Nun, sag schon!“ „Warum nennen wir ihn nicht einfach ‚Herr Kollege‘?“ In Ausnahmefällen kann Kommunikation aber auch dann verständlich sein, wenn über die richtigen Begriffe Zweifel bestehen. Man kennt sich trotzdem aus (Gernhardt 1990). Da dängelt jemand, oder sagt man dangelt im Tale seine Sense und es drangelt sich der Verdacht auf – oder sagt man drängelt, dass das so klingt, als ob wer wo was dängelt. 3. Gesetz: Kommunikation soll trösten – oder wenigstens beruhigen Ein Bauer besucht seinen sehr kranken Bruder am Krankenbett. Sie reden eine Zeit lang miteinander über dies und das. Beim Weggehen meint der Besucher: „Und gell, zur Leich kemma dann eh alle.“ Fachgespräch: „Ich habe zwar keine Lösung, aber ich bewundere Ihr Problem.“ Bobby hat Rudi lange Zeit nicht gesehen, als er ihn vor einem Käseladen trifft. Freudestrahlend geht er auf ihn zu „Ja bist du das Rudi?“ „Nein“, meint dieser „das kommt aus dem Laden.“ Merke: Auch Musik kann Kommunikation sein (nach Gernhardt 1990) Was mich tröstet, ist Musik dieser Welt von Bach bis Grieg, 134

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation

denn sie erlöst mich von dem Krach der Musik von Grieg bis Bach. Auch sehr tröstlich (Gernhardt 1990) Ja wer wird denn gleich verzweifeln, weil er klein und dick und dumm ist? Jeder lebt sein Leben, leb so, dass du, wenn dein Leben um ist, von dir sagen kannst „Na wenn schon, ist mein Leben jetzt auch um, hab’ ich doch etwas geleistet: ich war klein und dick und dumm!“ (Anmerkung: geht auch mit groß und dürr!) Der Vermieter: „Verzeihen Sie, Herr Huber, aber ich habe seit drei Monaten keine Miete von Ihnen gesehen!“ – Herr Huber, nach einer Nachdenkpause: „Gut, ich verzeihe.“ 4. Gesetz: Kommunikation soll den Gesamtzusammenhang beachten, in dem sie stattfindet. Oder: Das Milieu ist nicht ohne Einfluss auf die Kommunikation Zum Unterschied hinsichtlich Solidarität von Männern und jener von Frauen: Sie kommt um 2 Uhr früh nach Hause. Auf die Frage ihres Mannes, wo sie so lange gewesen sei, sagt sie: „Ich war mit ein paar Freundinnen beisammen und da haben wir uns halt verplaudert.“ Am nächsten Tag ruft er nacheinander ihre zehn besten Freundinnen an und fragt, wie der Plauderabend mit seiner Frau gestern war. Keine weiß etwas davon. Er ärgert sich und beschließt, sich zu revanchieren. Er bleibt eine ganze Nacht weg und kommt erst am Morgen nach Hause. Sie fragt, wo er war. Er sagt: „Bei Erwin, mit ein paar Freunden, wir haben Karten gespielt und dabei auch was getrunken. Dann wollte ich nicht mehr mit dem Auto fahren und hab mich bei Erwin auf den Diwan gelegt.“ Sie telefoniert Erwin und seine zehn besten Freunde durch. Acht bestätigen, dass er die Nacht mit ihnen verbracht hätte. Und die anderen drei versichern, dass er noch immer mit ihnen zusammen sei. Ein Taxi-Passagier tippt dem Fahrer auf die Schulter, um etwas zu fragen. Der Fahrer schreit laut auf, verliert die Kontrolle über den Wagen, schießt über den Gehsteig und kommt wenige Zentimeter vor einem Schaufenster zum Stehen. Für ein paar Sekunden ist alles ruhig, dann schreit der Taxifahrer: „Machen Sie das nie wieder! Sie haben mich zu Tode erschreckt!“ Der Fahrgast ist ganz baff und entschuldigt sich voll Erstaunen: „Ich konnte ja nicht wissen, dass Sie wegen 135

Reinhard Haberfellner

dieses harmlosen Antippens dermaßen erschrecken.“ „Ist ja schon gut und auch meine Schuld“, meint der Fahrer etwas ruhiger. „Heute ist mein erster Tag als Taxifahrer. Die letzten 25 Jahre hab ich einen Leichenwagen gefahren.“ Ein Mann will bei einer Bank in Zürich ein Konto eröffnen. „Wie viel wollen Sie denn einzahlen?“ Der Mann flüstert: „Drei Millionen.“ „Sie können ruhig lauter sprechen“, meint der Bankangestellte, „in der Schweiz ist Armut keine Schande!“ Ein Mann steht vor Gericht, weil er seine Frau erschlagen hat. Richter: „Das ist ein sehr brutales Vergehen. Wenn Sie mit etwas Milde rechnen wollen, müssen Sie uns schon eine gute Begründung geben.“ Der Mann: „Die war so dumm, da konnte ich nicht mehr anders !“ Richter: „Das wird ja noch schlimmer. Wenn Sie nicht wollen, dass die Geschworenen Sie von vornherein schuldig sprechen, dann geben Sie eine plausible Erklärung.“ Darauf der Mann: „In unserem Haus wohnt auch eine nette Portiersfamilie; sie haben drei Kinder, die von Natur aus klein geblieben sind. Der Zwölfjährige ist 80 cm groß, der 19-Jährige 90 cm. Ich kam eines Tages nach Hause und sage zu meiner Frau: ,Das ist schon was Schlimmes mit den Kindern unserer Portiersfamilie.‘ ,Ja‘, sagt meine Frau, ,das ist ein richtiges Pyrenäengeschlecht.‘ Ich sage: ,Nein, was Du meinst, sie sind Pygmäen.‘ ,Nein‘, sagt meine Frau, ,Pygmäen, das ist das, was der Mensch unter der Haut hat, davon kriegt er Sommersprossen.‘ Ich sage: ,Das ist Pigment.‘ ,Nein‘, sagt meine Frau, ,auf Pigment haben die alten Römer geschrieben.‘ Ich sage: ,Das ist Pergament!‘ ,Nein‘, sagt meine Frau, ,Pergament ist, wenn ein Dichter etwas anfängt und nicht zu Ende macht.‘ Ich verkneife mir das Fragment und beginne, die Zeitung zu lesen. Da kommt meine Frau: ,Schau, was hier steht!‘ Sie macht ein französisches Buch auf und zeigt auf eine Textstelle, die sie ganz hirnverbrannt übersetzt. Als ich ihr sage, dass ihre Übersetzung ein Unsinn sei, meint sie, sie wisse genau, dass das stimme, denn sie habe extra für ihren Französisch-Unterricht einen Legionär engagiert. Ich sage: ,Du meinst einen Lektor.‘ ,Nein‘, sagt meine Frau, ,Lektor war der griechische Held des Altertums.‘ Ich sage: ,Das war Hektor, und der war Trojaner.‘ ,Nein‘, sagt sie, ,Hektor ist ein Flächenmaß.‘ Ich sage: ,Das ist ein Hektar.‘ ,Nein‘, sagt sie, ,Hektar ist der Göttertrank.‘ Ich sage: ,Das ist der Nektar.‘ ,Nein‘, sagt sie, ,Nektar ist ein Fluss in Süddeutschland.‘ Ich sage: ,Das ist der Neckar.‘ Meine Frau: ,Du kennst wohl nicht das schöne Lied: Bald gras ich am Nektar, bald gras ich am Rhein, das habe ich neulich sogar mit meiner 136

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation

Freundin im Duo gesungen.‘ Ich sage: ,Das heißt Duett.‘ ,Nein‘, sagt sie, ,Duett ist, wenn zwei Männer mit einem Säbel aufeinander losgehen.‘ Ich sage: ,Das ist ein Duell.‘ ,Nein‘ sagt meine Frau, ,Duell ist, wenn eine Eisenbahn in ein Loch im Berg hineinfährt.‘.“ „Herr Richter – und da habe ich einen Hammer genommen und habe sie totgeschlagen …“ Betretenes Schweigen, dann der Richter: „Freispruch, ich hätte schon bei Hektor zugeschlagen …“ Die Tochter des Universitätsprofessors muss, ehe sie in den Kindergarten aufgenommen wird, eine Art Test machen. Kindergärtnerin: „Nenne mir ein paar Worte oder Sätze, die dir gerade einfallen.“ Darauf die Kleine zu ihrer Mutter: „Was meinst du? Möchte sie ein paar logisch konstruierte Sätze hören oder lediglich einige schlicht zusammengestellte, aber für unseren Besuch vollständig irrelevante Randbemerkungen?“ 5. Gesetz: Kommunikation setzt Interesse am anderen und Mitdenken voraus Lucki setzt sich im Hofbräuhaus neben einen Preußen. „Heh, Mann“, reklamiert dieser, „Sie sitzen auf meinem Hut!“ „Ja was?“, fragt Lucki, „woll’ns scho gehn?“ „Ich muss Sie von irgendwo kennen.“ „Das kann gut sein, dort bin ich oft!“ Bobby zu Rudi: „Du kennst doch den Baron Schmeidl?“ Rudi: „Nein.“ Bobby nach einiger Zeit: „Sag Rudi, warst du eigentlich schon einmal in Hongkong?“ Rudi: „Nein.“ Bobby: „Dann musst du aber den Schmeidl kennen, der hat mir erst gestern g’sagt, dass er auch noch nie in Hongkong war.“ Polizist: „Sie sind ein Geisterfahrer, Sie fahren in die falsche Richtung!“ „Und woher wissen Sie, wohin ich will?“ 6. Gesetz: Nonverbale Kommunikation durch Beobachtung der äußeren Erscheinung, der Gestik oder des Gehabens kann sehr aufschlussreich sein Die rauschende Party ist voll im Gange „Das ist aber schade, Frau Meier. Wollen Sie wirklich schon gehen?“ „Ja, mein Mann fängt schon an, die Weintrauben mit dem Nussknacker zu öffnen.“ Ferdinand schreckt mitten in der Nacht auf: „Um Gottes willen, ich bin eingeschlafen! Besorge mir schnell ein Stück Kreide.“ „Wozu denn?“, meint verschlafen 137

Reinhard Haberfellner

die junge Dame. „Frag nicht lange, los.“ Während er sich anzieht, findet sie in einer Schublade ein Stück Kreide. Ferdinand verabschiedet sich, steckt die Kreide hinters Ohr und fährt nach Hause. Seine Frau empfängt ihn aufrecht im Bett sitzend: „Wo kommst du um diese Zeit her? Wirst wohl nicht bis 3 Uhr früh im Büro gewesen sein.“ Ferdinand windet sich: „Wir hatten ein offizielles Essen, es war stinklangweilig. Zum Glück ist am Nebentisch ein hübsches Mädchen gesessen, das aufmunternd herübergeschaut hat. Wir haben ein bisschen miteinander geflirtet und ich wollte sie nach dem Essen auf einen Kaffee einladen. Sie hat gemeint, dass sie selber einen viel besseren machen kann und gleich um die Ecke wohnt. Na, da bin ich halt mitgegangen, wir haben Kaffee, Sekt, Bruderschaft getrunken. Und sie hat mich so scharf gemacht, dass ich mich nicht mehr halten konnte und …“ Ferdinands Frau sinkt erleichtert in ihr Kissen zurück: „Angeber! Beim Kegeln warst Du. Hast ja noch die Kreide hinter dem Ohr.“ 7. Gesetz: Kommunikative Signale können auch fehlinterpretiert werden oder: Hüte Dich vor schnellen Schlussfolgerungen Nicht jeder, der aussieht wie ein Gammler, ist auch einer – vielleicht hat er drei Töchter, aber nur ein Bad!? Ein Mann wird von einem Hund gebissen. Der Arzt: „Sie kriegen jetzt eine Injektion, weil der Hund tollwütig sein könnte. Sie müssen aber wissen, dass damit keine absolute Sicherheit besteht, dass Sie keine Tollwut kriegen.“ Der Patient schaut ein wenig betroffen und verlangt nach einem Blatt Papier. Er schreibt und schreibt. Nach einiger Zeit meint der Arzt: „Sind Sie jetzt bald mit Ihrem Testament fertig?“ „Was heißt Testament, ich mache eine Liste von Leuten, die ich noch unbedingt beißen muss!“ Ein junger Mann hat beim Tanzen mit seiner Freundin eine etwas unglückliche Haltung, so als ob er sich körperlich auf Distanz halten müsste. Ein Freund, der das beobachtet, fragt nach dem Grund. „Na, weil sich meine Männlichkeit regt und mir das peinlich ist.“ Der Freund rät ihm, sich ein beruhigendes Pulver, wie etwa Brom, zu beschaffen. Beim nächsten Tanzabend klappt das ausgezeichnet, er hat eine ganz normale Haltung. Nur fragt die junge Dame beim zweiten Tanz: „Sag, Karli, bist du heute böse auf mich?“ Bobby: „Meine schönsten Stunden verdanke ich der Oper.“ „Na, so was, gehst da oft hin?“, wundert sich Rudi. „Ich nicht, aber meine Frau.“ 138

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation

8. Gesetz: Kommunikation kann unerwartete Einsichten vermitteln Der Bischof visitiert eine Pfarrei. Auf dem Pfarrhof trifft er eine hübsche Magd und eine Kinderschar, die dort spielt. „Was sind das für Kinder?“, fragt er. Da­ rauf der Pfarrer: „Das sind die Neffen meines Bruders, Herr Bischof.“ Gast zum Wirt: „Wissen Sie, wie das Steak schmeckt? Wie eine Schuhsohle, die man mit Zwiebel eingerieben hat!“ Staunt der Wirt: „Unglaublich! Was Sie schon alles gegessen haben!“ Urlaub im Gebirge: „Wieso liegen da so viele Steine im Bachbett?“ „Die hat der Bach herunter gespült.“ „Und wo ist der Bach jetzt?“ „Wird oben sein, neue Steine holen.“ „Hast du in der Schule schon rechnen gelernt?“ „Ja, Onkel Hans.“ „Dann kannst du das sicher: Wenn du schon drei Birnen hast und ich gebe Dir noch zwei dazu, wie viele hast du dann?“ „Weiß ich nicht, mit Äpfeln könnte ich es aber!“ Ein Hausierer vor der Tür: „Frag deinen Vater, ob er Hosenträger kaufen will.“ „Wozu denn“, meint der Kleine, „mein Vater, mein Großvater, mein Onkel, mein Bruder, wir alle tragen unsere Hosen selber.“ Eine Bäuerin meldet auf dem Standesamt den Tod ihres Mannes. „Haben Sie den ärztlichen Totenschein mit?“, fragt der Beamte. „Nein“, meint sie, „mein Mann ist ohne ärztliche Hilfe gestorben!“ „Warum haben Sie eigentlich geheiratet?“, fragt die Nachbarin süffisant. „Man sieht doch auf den ersten Blick, dass Sie und Ihr Mann ganz anders sind.“ „Sie werden doch schon gehört haben, dass sich Gegensätze anziehen.“ „Ja schon. Was waren denn die Gegensätze bei Ihnen?“ „Ich war schwanger, er nicht.“ „Ich habe gehört, du bist Vater geworden. Gratuliere, wie geht es denn deiner Frau?“ „Gut, solange sie nichts davon erfährt.“

139

Reinhard Haberfellner

9. Gesetz: Weitere Überzeugungsarbeit ist wirkungslos, sobald man durchschaut ist (Gernhardt 1990) Dichter Dorlamm lässt nur selten andre Meinungen als seine gelten. „Meinung“, sagt er, „kommt nun mal von mein, deine Meinung kann nicht meine sein. Meine Meinung – ja, das lässt sich hören! Deine Deinung könnte da nur stören. Und ihr andern schweigt! Du meine Güte! Eure Eurung steckt euch an die Hüte!“ „Lasst uns schweigen, Freunde! Senkt das Banner! Dorlamm irrt. Doch formulieren kann er!“ 10. Gesetz: Unzureichende Kommunikation kann schweren Schaden verursachen Im Flugverkehr können Kommunikationsfehler sogar zu Katastrophen führen: Pilot an Tower: „Warum holen Sie uns denn schon so früh so tief herunter? Sie wissen doch, dass das Fliegen in niedriger Höhe viel Treibstoff verbraucht und unwirtschaftlich ist!“ Tower: „Das wissen wir. Wir haben aber gerade sehr viel Verkehr in ihre Richtung, und wollen das Risiko von Zusammenstößen reduzieren!!“ Pilot: „Verstehe. Das wäre noch unwirtschaftlicher.“ Tower: „Um Lärm zu vermeiden, schwenken sie bitte 45 Grad nach rechts.“ Pilot: „Was können wir in 35.000 Fuß Höhe schon viel Lärm machen?“ Tower: „Den Krach, wenn ihr Airbus mit der Boeing zusammenstößt, die Ihnen entgegenkommt.“ Tower: „Have you got enough fuel or not?“ Pilot: „Yes.“ Tower: „Yes what??“ Pilot: „Yes, SIR!“ Tower: „Delta Mike Zulu, after landing cleared to taxi Alpha 7, Alpha 5, Whiskey 2, Delta 1 and Oscar 2!“ Pilot: „Wo ist denn das, wir kennen uns hier noch nicht so aus?“ Tower: „Ich auch nicht, bin erst seit zwei Tagen hier.“ Pilot: „Bratislava Tower, hier ist Oscar Oscar Kilo ILS 16.“ Tower: „Oscar Oscar Kilo, guten Tag, Landebahn 16 ist frei, Wind ist ruhig und übrigens, das hier ist Wien Tower und nicht Bratislava.“ Pilot: „Bitte bestätigen, dass Sie NICHT 140

Kommunikation, ein interessantes Phänomen – oder: Die 10 (ca.) ehernen Gesetze der Kommunikation

Bratislava sind!“ Tower: „Sie können mir glauben: Hier ist Wien.“ Pilot: „Aber wir wollen nach Bratislava und nicht nach Wien!“ Tower: „Oscar Oscar Kilo, Roger. Anflug abbrechen, drehen Sie nach links ab und steigen Sie auf 1.500 m – nach Bratislava.“ Pilot: „Erbitten Starterlaubnis.“ Tower: „Sorry, wir haben Ihren Flugplan nicht. Wo wollen Sie hin?“ Pilot: „Wie jeden Montag nach Salzburg.“ Tower: „Aber heute ist Dienstag!“ Pilot: „Was? Dann haben wir ja frei.“ Pilot: „FLX 30, Tower, bitte kommen, wir haben nur noch wenige Liter Treibstoff. Erbitte Anweisungen!“ Tower: „Geben Sie uns schnell ihre Position an, wir haben Sie nicht auf unserem Radarschirm!“ Pilot: „Wir stehen auf der Startbahn 2 und möchten wissen, wann der Tankwagen kommt.“ Tower: „Say fuelstate.“ Pilot: „Fuelstate.“ Tower: „Say again.“ Pilot: „Again.“ Tower: „Arghl, give me your fuel!“ Pilot: „Sorry, need it myself!“ Auch seelischer Schaden ist möglich, wenn die wirklichen Verhältnisse und Möglichkeiten unzureichend bekannt sind bzw. nicht verständlich kommuniziert wurden. Aber (zum Nachdenken): Hat die folgende Geschichte nicht eher mit Erfahrung zu tun, die gar nicht kommunikativ weitergegeben werden kann, weil man sie selber machen muss? Vier Buben, eh sie schlafen geh’n Im Halbkreis um den Nachttopf steh’n. Vier Mädchen, die das auch probiert, die haben sich ganz schön blamiert. 11. Nachsatz für Bildungsbürger: Bei schriftlicher Kommunikation ist eine korrekte Rechtschreibung wichtig. Sonst kann es zu argen Missverständnissen kommen Man muss den armen Vögeln helfen (Groß- und Kleinschreibung beachten!) Treffen sich ein Stein und ein Brett. Der Stein: „Ich bin ein Stein“. Das Brett: „Wenn du Einstein bist, bin ich Brett Pitt.“ Bilden Sie einen Satz mit „Metapher“ (Gernhardt 1990) Herr Kapitän, der Steuermann der kündigt grade lallend an, 141

Reinhard Haberfellner

er lasse jetzt das Schiff versinken: me taph er wirklich nicht mehr trinken. Bilden Sie einen Satz mit „lesbisch“ (Gernhardt 1990) Und als die ersten Hörer grollten und schon den Saal verlassen wollten, sprach der Professor ungerührt: ich les bisch euch der Arsch abfriert.

Literatur: Der Autor sieht sich außerstande, exakte Quellenangaben zu machen, da in diesem Genre viel Inhalt nur verbal kommuniziert wird. Um Schaden zu vermeiden (Plagiatsverdacht u.Ä.) stellt er fest: 1. Das vorliegende Pamphlet beansprucht nicht, eine wissenschaftliche Arbeit zu sein. 2. Der Verfasser wird nicht versuchen, mit diesem Paper an irgendeiner Universität irgendeinen akademischen Grad zu erlangen; und auch keine ECTS-Punkte für irgendeinen Leistungsnachweis oder ein Zeugnis. Dem Autor erinnerliche und zugängliche schriftliche Quellen sind: Gernhardt, R.: Reim und Zeit, Stuttgart 1990. Kroppach, D. (Hrsg.): Heller Wahnwitz, München 1990. http://board.gulli.com/thread/296076-authentische-funksprueche-zwischen-piloten-und-tower/, abgerufen am 19.12.2011.

142

Was ist Informationswissenschaft? … im Spiegel der Wikipedia … Rainer Hammwöhner

Einleitung Seit dem 1. Internationalen Symposium für Informationswissenschaft (ISI, Kons­ tanz 1990) und der Gründung des Hochschulverbandes Informationswissenschaft gehört die Überreichung einer von den Wegbegleitern auf den Versorgungs- und Wirtschaftswegen im Weinberg der Wissenschaft verfassten Festschrift zu den institutionalisierten Ritualen auch dieser Disziplin. Der Anlass der Überreichung kann wechseln – der Eintritt in den Ruhestand, ein runder Geburtstag –, doch immer, horribile dictu, überwiegt der Blick zurück. Wir wollen eine Frage wieder aufnehmen, die Wolf Rauch schon in seiner An­ trittsrede (Rauch 1988) umgetrieben hat: „Was ist Informationswissenschaft?“ Schon mancher Informationswissenschaftler, darunter auch der Verfasser, wurde von dem Gedanken bedrängt, er könne auf diese Frage weniger befriedigend oder leicht antworten als die Vertreter anderer Disziplinen, wie etwa Physiker, Sozialwissenschaftler oder auch Informatiker. Nicht zu reden davon, dass diese sich einer solchen Frage vermutlich ohnehin seltener ausgesetzt sehen. Nicht jeder besitzt die Chuzpe eines Wolf Rauch, der, so geschehen bei der letzten ISI (2011), nonchalant den Kirchenvater Ambrosius für sein Fach in Anspruch nahm. Dieser habe nicht nur die Fertigkeit des leisen Lesens – eindeutig eine Informationskompetenz – erstmals entwickelt. Er sei dafür auch noch heiliggesprochen worden. Wenngleich dieser Ausflug in die Kirchengeschichte weder historisch noch theologisch über jeden Zweifel erhaben sein dürfte, so gebührt Wolf Rauch großer Dank für die geistreiche Hebung des informationswissenschaftlichen Selbstwertgefühls. In seiner Antrittsrede führt Rauch die Etablierung der Informationswissenschaft auf den Sputnik-Schock und die daraufhin im Weinberg-Report (Weinberg 1963) identifizierte Krise der wissenschaftlichen Informationsversorgung zurück und defi143

Rainer Hammwöhner

niert ihren fachlichen Inhalt primär in Abgrenzung zur Informatik. Letztere sei eine genuin technische Disziplin, die der Exploration der Möglichkeiten ihres primären Forschungsgegenstandes, des Computers, diene. Informationswissenschaft hingegen sei die Wissenschaft der informationellen Prozesse, die systemisch in einem technosozialen Zusammenhang zu erforschen seien. Damit stehe die Informationswissenschaft eher in der Tradition der Sozialwissenschaften. Für die deutsche Informationswissenschaft ist dem von Werner Kunz und Horst Rittel (Kunz/Rittel 1972) für das damalige Bundesministerium für Wissenschaft­ liche Forschung erstellten Gutachten eine dem Weinberg-Report vergleichbare Bedeutung zuzusprechen, geht über diesen sogar noch hinaus, als es sich nicht nur auf wissenschaftliche Information beschränkt. Aufschlussreich ist, dass Kunz und Rittel nicht von der Informationswissenschaft, sondern mehr von den Informationswissenschaften reden. Sie gehen nicht von einem einheitlichen Wissenschaftsbild für die Informationswissenschaft aus, sondern konstatieren vielmehr einen hohen, seinerzeit nicht befriedigten Bedarf an Fachkompetenz in den betroffenen Gebieten. Als im engeren Sinne informationswissenschaftliche Disziplinen identifizieren sie die Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft, die Kommunikationswissenschaft und die Systemforschung. Als benachbarte Fachgebiete sehen sie die Informatik, die Sprachwissenschaft, die Informationstheorie und die Publizistik an. Die Eingrenzung der Informationswissenschaften im engeren Sinne sehen Kunz und Rittel als ein weniger wissenschaftssystematisches als ein pragmatisches Problem, das im Sinne informationspolitischer Ziele zu lösen sei. Den Informationswissenschaften wird weniger ein eigenständiges wissenschaftliches Erkenntnisinteresse, sondern ein instrumenteller Charakter zugewiesen. Wir sehen also, dass die Informationswissenschaft sowohl in den USA als auch in Deutschland ihr Entstehen informationspolitischen Zielsetzungen eher verdankt als einer wissenschaftlichen Fragestellung. Es liegt die Vermutung nahe, dass weder die Fragestellungen noch die Lösungsansätze oder gar die aufgewandten Mittel in unterschiedlichen nationalen Kontexten deckungsgleich waren. Dem Entstehen eines globalen wissenschaftlichen Selbstverständnisses der Informationswissenschaft dürfte dies nicht förderlich gewesen sein. In diesem Beitrag soll der Frage der Wahrnehmung des Fachs und seiner interdisziplinären Beziehungen nachgegangen werden. Dazu sollen nicht von Fachkollegien erstellte Systematiken oder Zitierindizes herangezogen werden, sondern das Vademekum des modernen Informationssuchenden, die Wikipedia. Dort nämlich wird eine nicht nur von Fachleuten definierte Sicht auf eine Disziplin erschließ144

Was ist Informationswissenschaft? … im Spiegel der Wikipedia …

bar, die in den verschiedenen Sprachausgaben der Wikipedia jeweils unterschiedlich werden kann. Der Verfasser bekennt sich dazu, dass die gute Verfügbarkeit dieses großen Korpus die Entscheidung erleichtert hat. 2. Wikipedia als Korpus Die Wikipedia ist eine von einer offenen Community von Autoren erstellte Online-Enzyklopädie, die durch die Software Media-Wiki verwaltet und zugänglich gemacht wird. Sie ist in derzeit 282 Sprachen verfügbar. Die Sprachversionen verfügen dabei jeweils über einen individuellen Datenbestand, der von wenigen Hundert Lemmata bis zu mehreren Millionen Einträgen reichen kann. Die deutsche Wikipedia ist mit knapp 1,3 Millionen Einträgen nach der Englischen (knapp 3,8 Millionen Einträge) die zweitgrößte Wikipedia. Zur Gliederung des umfänglichen Datenraums stellt die Wikipedia eine größere Zahl von Ordnungsstrukturen zur Verfügung. Für die folgende Untersuchung sind zwei davon von besonderer Bedeutung: • Interlanguage-Links verbinden Lemmata gleicher Bedeutung zwischen den verschiedenen Sprachversionen (z.B. Deutschland ↔ Germany ↔ Allemagne ↔ Germania ↔ドイツ ↔ …). • Kategorien fassen inhaltlich zusammengehörige Lemmata bzw. Kategorien zusammen. So entsteht ein gerichteter azyklischer Graph – wenngleich Zyklen nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden. • Auch die Kategorien mehrerer Sprachversionen können durch InterlanguageLinks verbunden werden. Diese Strukturen ermöglichen also, Themenfelder innerhalb einer Sprachversion der Wikipedia zu identifizieren, auf Umfang oder Überlappungen hin zu untersuchen sowie festzustellen, in welchem Maße sie in anderen Sprachversionen repräsentiert sind. 3. Evaluationsmethode Die im Weiteren vorgestellte kleine Studie ist rein quantitativ angelegt. Mit einem vom Verfasser erstellten Evaluationswerkzeug (Hammwöhner 2011) werden Stichproben aus der Wikipedia entnommen. Es handelt sich dabei je nach Fragestellung (s.u.) um die Vollerhebung von inhaltlich umgrenzten Teilkorpora oder um Zufallsstichproben. Für die in den Stichproben enthaltenen Dokumente werden 145

Rainer Hammwöhner

Formalmerkmale – etwa die Anzahl der Sprachen, in denen sie repräsentiert sind, die Aktualität oder die Anzahl der Autoren – erhoben. Die festgestellten empirischen Verteilungsfunktionen können dann mithilfe der analytischen Statistik auf Unterschiede überprüft werden. Wegen der Eigenschaften der Wikipedia (LongTail-Verteilungen) kommen hier nur verteilungsfreie Verfahren (U-Test, WelchTest) in Frage. Ausgangspunkt für die Untersuchungen ist immer die deutschsprachige Wikipedia. Inhaltlich lässt sich das dadurch motivieren, dass das im deutschsprachigen Raum vertretene Konzept der Informationswissenschaft und ihrer Nachbarfächer untersucht werden soll. Als methodisches Argument kommt hinzu, dass, wie in Vorgängerstudien belegt, die Kategorien der deutschen Wikipedia schärfer definiert und deshalb besser zur Abgrenzung von Themen- oder Fachgebieten geeignet sind als diejenigen der englischen Wikipedia (Hammwöhner 2007). Zunächst wurde ein Kanon an Fachgebieten ausgewählt, deren Repräsentation in der Wikipedia evaluiert werden soll. Für diese Untersuchung wurden folgende Disziplinen berücksichtigt: Archivwesen, Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft, Informatik, Informationswissenschaft, Kognitionswissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Kybernetik, Medieninformatik Medienwissenschaft, Philosophie, Psychologie, Sprachwissenschaft, Sozialwissenschaft und Wirtschaftsinformatik. Der Auswahl lagen folgende Kriterien zugrunde: • Die von Kunz und Rittel benannten Informationswissenschaften und ihre Nachbardisziplinen sollten vertreten sein. • Neuere wissenschaftliche Entwicklungen – etwa der Aufstieg von Medienwissenschaft und Wirtschaftsinformatik – wurden berücksichtigt. • Das Fach Philosophie wurde aus zwei Gründen hinzugenommen. Zum einen besteht über die Epistemologie und die Informationsphilosophie eine Beziehung zur Informationswissenschaft. In den Arbeiten Floridis (2002) wird die Informationsphilosophie sogar zur Wissenschaftstheorie der Informationswissenschaft erhoben. Zum anderen kann die Philosophie gut als Vergleichsgröße für die Verbreitung einer Disziplin in den Wikipedien herangezogen werden. Für diese Disziplinen werden jeweils die unmittelbar beschreibenden Lemmata sowie die das Fachgebiet repräsentierenden Kategorien ausfindig gemacht. Zu den Kategorien können dann Unterkategorien und zugehörige Lemmata automatisch extrahiert und evaluiert werden. 146

Was ist Informationswissenschaft? … im Spiegel der Wikipedia …

4. Internationalität der Disziplinen Zunächst soll es darum gehen, in welchem Maße die oben genannten Fachgebiete in den Sprachversionen der Wikipedia etabliert sind. 4.1 Internationalität der Kernkonzepte In einem ersten Evaluationsschritt wird ermittelt, wie die Kernkonzepte bzw. die Disziplinenbezeichnungen in den Sprachversionen der Wikipedia repräsentiert sind. Es wird festgestellt, in wie vielen Sprachen das Basiskonzept als Lexikoneintrag und in wie vielen als Kategorie erfasst ist (Tabelle 1). Fach

Sprachen / Lemma

Sprachen / Kategorie

Fach

Sprachen / Lemma

Sprachen / Kategorie

Archivwesen

24

21

Medieninformatik





Bibliotheksw.

8

2

Medienw.

14

14

Dokumentationsw.



1

Philosophie

166

160

Informatik

111

88

Psychologie

140

126

Informationsw.

24

36

Sozialw.

85

107

Kognitionsw.

42

49

Sprachw.

146

141

Kommunikationsw.

42

2

WirtschaftsInformatik

6

2

Kybernetik

50

44

Library Science

43

43

Tabelle 1: Anzahl der Sprachversionen, in denen Lemma bzw. Kategorie vertreten sind

Im Folgenden soll eine Interpretation der in Tabelle 1 vermittelten Häufigkeiten unternommen werden. Offensichtlich ist, dass es wohl etablierte, international akzeptierte Disziplinen gibt – vor allem Philosophie, aber auch Sprachwissenschaft, Psychologie und Informatik –, die in viele und damit auch kleine Versionen der Wikipedia aufgenommen sind. Die erhebliche Diskrepanz zwischen Informatik einerseits und Wirtschafts- und Medieninformatik andererseits ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass das Konzept der Verselbstständigung angewandter Informatiken besonders in Deutschland verfolgt wird. Der immerhin vorhandene Artikel über Business Informatics der englischen Wikipedia verweist eigens darauf, dass es sich hier um ein in Deutschland entwickeltes Konzept handle (Wikipedia 2011). Auffällig ist weiterhin, dass für die meisten Disziplinen gilt, dass die Lemmata in mehr Sprachen präsent sind als die Kategorien. Dies lässt sich so erklären, dass 147

Rainer Hammwöhner

kleinere Sprachversionen über ein weniger ausdifferenziertes Kategoriensystem verfügen, so dass für manche Fachgebiete keine eigene Kategorie angelegt wird. In drei Fällen – Kognitionswissenschaft, Informationswissenschaft, Sozialwissenschaft – sind aber die Kategorien in mehr Sprachen präsent als die Lexikoneinträge. Es handelt sich in allen drei Fällen um interdisziplinäre Felder, die sich nicht nur auf eine Disziplin reduzieren lassen. Man kann hier – analog zu Kunz und Rittel – von Informationswissenschaften und eben auch von Kognitionswissenschaften oder Sozialwissenschaften sprechen. Die Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft sind international sehr schwach repräsentiert. Die Problematik lässt sich leicht am Beispiel der Archivwissenschaft aufzeigen. Zwar ist das Fach in 24 Sprachen präsent, die Kategorie lautet aber Archivwesen und nicht etwa Archivwissenschaft. Hier zeigt sich eine deutliche Verschränkung von Wissenschaft und Anwendungsgebiet. Dies ist bei Bibliotheks- und Dokumentationswissenschaft noch ausgeprägter. Um dies zu verdeutlichen, soll hier ausnahmsweise die englische Wikipedia hinzugezogen werden. Das in dieser vorhandene Lemma „Library Science“ und die gleichnamige Kategorie sind in jeweils 43 Sprachen repräsentiert. Das Interlanguage-Link zur deutschen Wikipedia führt zu Bibliothekswesen bzw. BID-Bereich (Bibliothek, Information, Dokumentation). Die in der deutschen Wikipedia vollzogene Trennung zwischen Wissenschaft und Anwendungsbereich wurde also in den anderen Sprachen nicht nachvollzogen. 4.2 Internationalität der durch Unterkategorien vertretenen Teilkonzepte Die im vorangehenden Abschnitt erzielten Ergebnisse beziehen sich allein auf die internationale Bekanntheit bzw. Relevanzeinschätzung einer singulären Fachbezeichnung. Im Folgenden soll für alle Unterkategorien der zuvor untersuchten Hauptkategorien ihre Verbreitung in den Sprachen der Wikipedia untersucht werden. Die Fächer Bibliothekswissenschaft und Medieninformatik entfallen hier, da sie in der deutschen Wikipedia nicht durch weitere Kategorien repräsentiert sind. Die erhobenen empirischen Verteilungen (Tabelle 2) sind links-schief. Sie werden deshalb durch den Median und das 75%-Quantil beschrieben.

148

Was ist Informationswissenschaft? … im Spiegel der Wikipedia …

Fach

Median

75%-Quantil

Fach

Median

75%-Quantil

Archivwesen

 1

 1

Medienw.

 1

 1

Dokumentationsw.

2

8

Philosophie

3

10

Informatik

7

20

Psychologie

3

13

Informationsw.

 1

5

Sozialw.

2

6

10

20

Sprachw.

3

12

WirtschaftsInformatik

 1

 1

Kognitionsw. Kommunikationsw.

2

8

Kybernetik

2

7

Tabelle 2: Durchschnittliche Anzahl der Sprachversionen, in denen die Unterkategorien vertreten sind

Es war zu erwarten, dass die Unterkategorien, die Teilgebiete oder Teilfächer erfassen sollten, eine geringere Verbreitung haben sollten als die Hauptkategorien. Dies ist schon auf den geringeren Differenzierungsgrad der Kategoriensysteme kleinerer Wikipedien (s.o.) zurückzuführen. Dieser Effekt fiel für die Fächer allerdings unterschiedlich deutlich aus. Ausnahme ist hier die Dokumentationswissenschaft. Während der Fachbezeichner international nicht repräsentiert ist, sind die Bezeichnungen von Teilgebieten präsenter. Ansonsten sind die großen Unterschiede, die Tabelle 1 auszeichneten, weitgehend nivelliert. Nur die Informatik und die Kognitionswissenschaft erzielen hier auffallend hohe Werte. Während die Informatik evtl. als sehr strukturierte technische Disziplin eine internationale Repräsentation ihrer Fachstrukturen erreicht hat, dürfte bei der eher interdisziplinär orientierten Kogni­ tionswissenschaft eher von Bedeutung sein, dass sie den kontrollierten Überlappungsbereich mehrerer Fächer beinhaltet (s.u.). 4.3 Internationalität der Lemmata In diesem Abschnitt wird die internationale Verteilung der einem Fachgebiet zuzuordnenden Lemmata ermittelt. Da eine Vollerhebung dieser Verteilungen im gegebenen Zeitrahmen nicht möglich war, wurden aus der Menge der Lemmata für jedes Fachgebiet 100 zufällig ausgewählt und ausgewertet. Die ermittelten empirischen Verteilungen gibt Tabelle 3 wieder. Wegen des sehr unterschiedlichen Umfangs der Sprachausgaben der Wikipedia ist die durchschnittliche Verbreitung der Einzelthemen geringer als diejenige der Kernkonzepte.

149

Rainer Hammwöhner Fach

Median

75%-Quantil

Fach

Median

75%-Quantil

Archivwesen

1

2,5

Medienw.

1

3

Dokumentationsw.

2

5

Philosophie

4

13,5

Informatik

5

10,5

Psychologie

3,5

13,5

Informationsw.

4

10,5

Sozialw.

2

6,5

Kognitionsw.

4

10,5

Sprachw.

3

8

Kommunikationsw.

1

8

3

9

Kybernetik

5,5

20,5

WirtschaftsInformatik

Tabelle 3: Durchschnittliche Anzahl der Sprachversionen, in denen die Lexikoneinträge vertreten sind

Von Bedeutung ist jedoch, dass bei manchen Disziplinen – z.B. Informationswissenschaft, Wirtschaftsinformatik oder auch Philosophie – die konkreten Themen wieder etwas häufiger repräsentiert zu sein scheinen als die durch Kategorien repräsentierten Konzepte der mittleren Abstraktionsstufe. Sehr ausgeprägt ist das Phänomen im Fall der Kybernetik. Insgesamt ist eine weitere Nivellierung festzustellen. Dies zeigt sich auch darin, dass die zu beobachtenden Unterschiede im Vergleich zur Informationswissenschaft auch auf Stichprobenfehler zurückzuführen sein könnten. Nur die Unterschiede zu Archiv-, Dokumentations-, Medien- und Sozialwissenschaft waren statistisch signifikant (a = 0,01; Welch-Test; auf die Angabe von Testparametern wird hier verzichtet). 4.4 Zwischenfazit Die Repräsentation der Fachdisziplinen in den Sprachversionen der Wikipedia weist die größten Unterschiede auf der Ebene der Kernkonzepte aus. Hier werden die etablierten, auch dem fachfremden Publikum eher bekannten Wissenschaften bevorzugt. Es zeigt sich weiterhin, dass Disziplinen wie Informations-, Kognitions- und Sozialwissenschaft weniger als gut umgrenzte Einzeldisziplin wahrgenommen werden als andere. Auf der Ebene der Zwischenkategorien ist nur bei wenigen Disziplinen (vor allem Informatik, Kognitionswissenschaft) ein übergreifender Konsens über die Ordnungsstrukturen erkennbar. Diese Unterschiede sind auf der Sachebene, bei den konkreten, einer Disziplin zuzuordnenden Lemmata weitgehend nivelliert. 5. Überlappung zwischen den Disziplinen Die bisherigen Überlegungen waren darauf gerichtet, Unterschiede zwischen den Disziplinen hinsichtlich ihrer Bekanntheit oder Etabliertheit bzw. der Existenz ei150

Was ist Informationswissenschaft? … im Spiegel der Wikipedia …

nes sprachübergreifend rekonstruierbaren, thematischen Gerüsts zu identifizieren. Im Folgenden sollen thematische Verbindungen zwischen den Fächern aufgezeigt werden, die sich in gemeinsamen Strukturen zeigen. Dazu wird ermittelt, welche Unterkategorien und Lemmata von zwei Fächern geteilt werden. Der einfachste Fall ist die vollständige Subsumtion. Die Kategorie Wirschaftsinformatik ist eine Unterkategorie von Informatik, Medienwissenschaft wie auch Kommunikationswissenschaft ist eine Unterkategorie von Sozialwissenschaft. Die Psychologie wird ebenso wie Kognitionswissenschaft und Kybernetik als interdisziplinäres Fachgebiet eingeordnet. Damit vermeidet man den Richtungsstreit um eine naturwissenschaftliche oder sozialempirische Ausrichtung der Psychologie.

Informatik Informatik 1.125 26.201

Informationsw.

Kognitionsw.

Kybernetik

Philosophie

Psychologie

Sprachw.

Sozialwiss.

11% 14%

1% 2%